Protokoll:
18026

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 26

  • date_rangeDatum: 3. April 2014

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:19 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/26 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 26. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Eckhardt Rehberg . . . . . . . . . . . . . . . 2001 A Wahl des Abgeordneten Michael Roth (He- ringen) als Mitglied des Kuratoriums der Stiftung Denkmal für die ermordeten Ju- den Europas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2001 B Wahl der Abgeordneten Birgit Kömpel als Mitglied des Beirats der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr . . . . 2001 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2001 B Absetzung des Tagesordnungspunktes 20 . . . 2002 A Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . 2002 A Tagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzli- chen Rentenversicherung – (RV-Leistungs- verbesserungsgesetz) Drucksache 18/909 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2002 B Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2002 B Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 2004 A Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 2005 D Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2007 C Karl Schiewerling (CDU/CSU) (§ 30 GO) . . . 2009 B Dr. Carola Reimann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 2009 C Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2010 D Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . 2011 D Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2013 A Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2013 C Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 2014 A Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2015 B Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2016 A Dr. Martin Rosemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . 2017 C Jana Schimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 2018 B Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) . . . . . . . . . 2019 A Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . 2019 C Albert Stegemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 2020 D Tobias Zech (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 2022 A Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik (Direktzahlun- gen-Durchführungsgesetz – DirektZahl- DurchfG) Drucksache 18/908 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2022 D Christian Schmidt, Bundesminister BMEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2023 B Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . 2025 C Ute Vogt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2026 D Ulrike Höfken, Staatsministerin (Rheinland-Pfalz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2028 B Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 2029 B Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2030 A Kerstin Kassner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 2031 C Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2032 C Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2034 C Hermann Färber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2035 D Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU) . . 2037 C Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2039 D Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 2041 D Tagesordnungspunkt 5: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kooperationsverbot abschaffen – Gemeinschaftsaufgabe Bil- dung im Grundgesetz verankern Drucksache 18/588 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2042 D Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . 2043 A Stefan Müller, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2044 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2046 A Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . 2047 A Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2048 B Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2049 B Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . . 2050 B Sybille Benning (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2051 C Martin Rabanus (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2052 D Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU) . . . . . . 2053 D Xaver Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2055 A Tagesordnungspunkt 22: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften Drucksache 18/823 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2056 B b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Friedrich Ostendorff, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Weltagrarbericht jetzt unterzeichnen Drucksache 18/979 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2056 B Tagesordnungspunkt 23: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Aufhebung des Beschlusses 2007/124/EG, Euratom des Rates Drucksachen 18/824, 18/992 . . . . . . . . . . 2056 C b)–f) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelüber- sichten 28, 29, 30, 31 und 32 zu Petitio- nen Drucksachen 18/858, 18/859, 18/860, 18/861, 18/862 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2056 D Tagesordnungspunkt 6: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Betei- ligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungsmis- sion EUTM Somalia auf Grundlage des Ersuchens der somalischen Regierung mit Schreiben vom 27. November 2012 und 11. Januar 2013 sowie der Be- schlüsse des Rates der Europäischen Union 2010/96/GASP vom 15. Februar 2010 und 2013/44/GASP vom 22. Ja- nuar 2013 in Verbindung mit der Reso- lution 1872 (2009) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Drucksachen 18/857, 18/994 . . . . . . . . . . 2057 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/995 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2057 C Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2057 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 2058 C Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 2059 D Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2061 A Thomas Hitschler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 2062 A Klaus Brähmig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2063 B Julia Bartz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2064 B Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 2065 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2067 C Tagesordnungspunkt 7: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahl- prüfung, Immunität und Geschäftsordnung Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 III zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD: Änderung der Geschäfts- ordnung zur besonderen Anwendung der Minderheitenrechte in der 18. Wahlpe- riode Drucksachen 18/481, 18/997 . . . . . . . . . . 2065 B b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Oppo- sitionsrechte in der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages Drucksachen 18/380, 18/997 . . . . . . . . . . 2065 B c) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Ent- wurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 23, 39, 44, 45a, 93) Drucksachen 18/838, 18/997 . . . . . . . . . . 2065 B d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahl- prüfung, Immunität und Geschäftsord- nung zu dem Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE: Änderung der Geschäftsord- nung des Deutschen Bundestages zwecks Sicherung der Minderheitenrechte der Opposition im 18. Deutschen Bundestag Drucksachen 18/379, 18/997 . . . . . . . . . . 2065 C Bernhard Kaster (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2065 D Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 2069 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2070 D Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 2072 A Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2073 B Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . 2074 A Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 2075 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2076 C Dr. Katarina Barley (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 2077 C Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . 2078 D Dr. Stefan Heck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 2079 A Dr. Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . 2080 B Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) . . . . . . 2081 C Namentliche Abstimmungen . . . . . . . 2082 C, 2082 D Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2085 C, 2087 B Tagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- zes zur Änderung des Arbeitnehmer-Ent- sendegesetzes Drucksache 18/910 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2083 A Anette Kramme, Parl. Staatssekretärin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2083 B Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2084 A Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 2090 A Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 2090 D Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2092 A Bernd Rützel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2093 A Wilfried Oellers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2093 D Dennis Rohde (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2094 D Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2095 B Tagesordnungspunkt 9: Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta Haßelmann, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eine Milliarde Euro Entlastung für Kommunen im Jahr 2014 umsetzen Drucksache 18/975 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2096 B Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2096 C Dr. André Berghegger (CDU/CSU) . . . . . . . 2097 C Kerstin Kassner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 2099 A Bernhard Daldrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 2099 D Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2100 C Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2102 B Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2103 C Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 2103 D Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2105 C Tagesordnungspunkt 10: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Tätigkeitsbericht 2012/2013 der Bundes- netzagentur – Telekommunikation mit Sondergutachten der Monopolkommis- sion – Telekommunikation 2013: Vielfalt auf den Märkten erhalten Drucksache 18/209 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2107 A IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2107 A Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 2109 B Hansjörg Durz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2110 B Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2112 A Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2113 B Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Herbert Behrens, Dr. Gregor Gysi, Caren Lay, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Nachtruhe am Flughafen Berlin-Branden- burg sicherstellen – Antrag des Landes Brandenburg unterstützen Drucksache 18/971 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2114 D Thomas Nord (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 2115 A Peter Wichtel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 2116 B Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2117 C Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2119 A Klaus-Dieter Gröhler (CDU/CSU) . . . . . . . . . 2120 D Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Stephan Mayer (Altötting), Armin Schuster (Weil am Rhein), Clemens Binninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Lars Castellucci, Gabriele Fograscher, Uli Grötsch, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD: Herstellung des Einvernehmens des Deutschen Bundes- tages mit der Bestellung des Instituts für Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation beim Deutschen Forschungsinstitut für Öf- fentliche Verwaltung, Speyer, als wissen- schaftlicher Sachverständiger im Rahmen der Evaluierung des Rechtsextremismus- Datei-Gesetzes Drucksache 18/974 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2122 C Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2122 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 2124 A Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) . . . 2124 D Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2126 A Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kontoeröff- nungen für Flüchtlinge ermöglichen Drucksache 18/905 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2127 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2127 B Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 2128 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2128 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 2129 B Uli Grötsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2130 A Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 2131 C Tagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Atomwaffen ächten Drucksachen 18/287, 18/399 . . . . . . . . . . . . . 2132 C Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) . . . . . . . . . . . 2132 C Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 2134 A Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) 2134 D Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2135 D Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2136 D Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Nicole Maisch, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zukunft der bäuerlichen Milch- viehhaltung sichern Drucksache 18/976 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2137 D Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2138 A Kees de Vries (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2138 D Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . 2139 C Rainer Spiering (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2140 B Artur Auernhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 2141 D Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG neu und verantwortungsvoll besetzen Drucksache 18/592 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2142 D Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 2143 A Alexander Funk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2144 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 V Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 2145 A Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2145 D Martin Burkert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2146 D Michael Donth (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2148 A Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nationales Reformprogramm 2014 nutzen – Wirt- schaftspolitische Steuerung in der EU ernst nehmen und Investitionen stärken Drucksache 18/978 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2149 B Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2149 C Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 2150 B Wolfgang Tiefensee (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 2152 A Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Anja Hajduk, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Fördermitteltrans- parenz erhöhen Drucksache 18/980 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2153 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2154 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 2155 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Roland Claus, Kersten Steinke, Kerstin Kassner, Birgit Wöllert (alle DIE LINKE) zur Abstim- mung über die Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses zu Sammelübersicht 31 zu Petitionen (Tagesordnungspunkt 23 e) . . . . . . 2155 C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Nationales Reformprogramm 2014 nutzen – Wirtschaftspolitische Steuerung in der EU ernst nehmen und Investitionen stär- ken (Tagesordnungspunkt 16) . . . . . . . . . . . . 2156 C Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 2156 C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Fördermitteltransparenz erhö- hen (Tagesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . 2157 B Mark Hauptmann (CDU/CSU). . . . . . . . . . . 2157 B Andrea Wicklein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 2159 A Thomas Nord (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 2160 B Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2160 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2001 (A) (C) (D)(B) 26. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 Beginn: 9.00 Uhr
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    (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2155 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 03.04.2014 Dr. Bartels, Hans-Peter SPD 03.04.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 03.04.2014 Dr. Brunner, Karl-Heinz SPD 03.04.2014 Bülow, Marco SPD 03.04.2014 Dr. Diaby, Karamba SPD 03.04.2014 Eckenbach, Jutta CDU/CSU 03.04.2014 Ernstberger, Petra SPD 03.04.2014 Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 03.04.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 03.04.2014 Groß, Michael SPD 03.04.2014 Dr. Krings, Günter CDU/CSU 03.04.2014 Kunert, Katrin DIE LINKE 03.04.2014 Lotze, Hiltrud SPD 03.04.2014 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 03.04.2014 Meiwald, Peter BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 03.04.2014 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 03.04.2014 Pitterle, Richard DIE LINKE 03.04.2014 Post (Havelland), Achim SPD 03.04.2014 Dr. Priesmeier, Wilhelm SPD 03.04.2014 Rüthrich, Susann SPD 03.04.2014 Scheuer, Andreas CDU/CSU 03.04.2014 Schieder (Schwandorf), Marianne SPD 03.04.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 03.04.2014 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 03.04.2014 Stritzl, Thomas CDU/CSU 03.04.2014 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 03.04.2014 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 03.04.2014 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 03.04.2014 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 03.04.2014 Ziegler, Dagmar SPD 03.04.2014 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Roland Claus, Kersten Steinke, Kerstin Kassner, Birgit Wöllert (alle DIE LINKE) zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Petitionsausschusses (2. Aus- schuss) zu Sammelübersicht 31 zu Petitionen (Tagesordnungspunkt 23 e) In der Tat beinhaltet die Petition eine hochkompli- zierte Materie – ersichtlich wird das wohl auch daran, dass die Petition zur Altersversorgung der technischen Intelligenz der DDR erst nach über zehn Jahren abge- schlossen werden soll. Die Ausführungen in der Beschlussempfehlung sind umfangreich; sie versuchen, das Verlangen der Petenten verständnisvoll zu beschreiben und zugleich die rechtli- chen Hürden darzulegen, die vermeintlich eine Lösung verhindern. Dennoch können wir einem Abschluss der Petition ohne Lösung des Problems nicht zustimmen. Bei all den Ausführungen bleibt ein Knackpunkt un- beachtet: Die Art und Weise der Überführung der Alters- sicherungssysteme aus DDR-Zeiten in bundesdeutsches Recht erfolgte so, dass alle Ansprüche und Anwartschaf- ten in die gesetzliche Rentenversicherung nach SGB VI transformiert wurden – gleich, ob die Personen zu DDR- Zeiten wie die Mehrheit in der Sozialversicherung, SV, und Freiwilligen Zusatzversicherung, FZR, waren oder zu den Personen gehörten, die Zugang zu den heute als privilegiert angesehenen Zusatz- und Sondersystemen hatten. Für alle gleich wird das jeweils zu DDR-Zeiten erzielte und verbeitragte Einkommen bis zur Beitragsbe- messungsgrenze für die Ermittlung der SGB-VI-Rente herangezogen. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 2156 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 (A) (C) (D)(B) Für einige hochqualifizierte Personen – in der Petition erwähnt Diplom-Chemiker und -Physiker – die nicht in die FZR einzahlten, weil sie hofften, dass die ungleichen Zugangsmöglichkeiten in der DDR zum Versorgungs- system der technischen Intelligenz eines Tages noch be- seitigt werden und sie auch in dieses System aufgenom- men werden, entstand dadurch ein unvorhersehbares Problem. Das Gleiche passierte denen, die sich zu DDR- Zeiten mit dem Gedanken trugen, einen Ausreiseantrag zu stellen, und deshalb nicht in die FZR einzahlten. Im Prozess der Einheit und der Gesetzgebung zur Rentenüberleitung, einschließlich Anspruchs- und An- wartschaftsüberführungsgesetz, AAÜG, wurde gewisser- maßen aus diesem Protest gegen ungerechte Zugangs- chancen zu besonderen Versorgungssystemen der DDR de facto eine persönliche Benachteiligung für das Alter in der Bundesrepublik bei der Berechnung der Rente nach SGB VI. Als Folge einer Kalkulation, die sich faktisch in Luft auflöste, müssen diese Personen heute zumeist mit Ar- mutsrenten auskommen. Denn konkret bedeutet das, dass sie, trotz hochqualifizierter Tätigkeiten und guter Bezahlung von 1972 bis 1989/90 heute jährlich unter- durchschnittliche Werte auf ihrem Rentenkonto stehen haben, denn monatlich nur verbeitragte 600 Mark erge- ben jährlich immer 0,... Entgeltpunkte. Es geht folglich im Grunde nicht vorrangig um eine nachträgliche Zuordnung zu einem diesen Personen nach DDR-Recht verschlossenen System, sondern darum, eine Regelung zu schaffen, auch über 600 Mark hinaus- gehendes Einkommen bis zur Beitragsbemessungs- grenze anerkannt zu bekommen. Da nach AAÜG bei Zu- gehörigkeit zu einem Zusatzsystem auch die tatsächliche Beitragszahlung außer Acht gelassen wird – obgleich in den meisten Sicherungssystemen eine Beitragszahlung erfolgte –, ist diese Forderung der Petenten naheliegend. Anders sähen die Folgen der Forderung aus, wenn es mit dem AAÜG tatsächlich eine Überführung der An- sprüche aus den Zusatz- und Sonderversorgungssyste- men gegeben hätte oder die Überführung in diese Rich- tung korrigiert würde, wie es die Fraktion Die Linke – wie vormals die PDS – mit der Schaffung eines Sys- tems „sui generis“ vorschlägt. Dann wären all die Argu- mente der Bundesregierung, die vom Petitionsausschuss aufgegriffen werden zu den Schwierigkeiten einer nach- träglichen Zuordnung, faktisch einer nachträglichen Korrektur von ungleichen Regelungen der DDR, erwä- genswert. Dazu zählen Qualifikations- und Tätigkeits- profil, Betriebsformen und Stichtagsregelungen. Wir können uns der Ablehnung der Petition nicht an- schließen, weil es unter den gegebenen rechtlichen Re- gelungen der Rentenüberleitung nur eines entgegenkom- menden Schrittes bedürfte, diese – mit dem Beitritt der DDR zum bundesdeutschen Rechtssystem entstandene – doppelte Ungerechtigkeit zu beseitigen. Nicht rechtliche Winkelzüge sind gefragt, sondern an dieser Stelle bedarf es einzig des politischen Willens, im Prozess der deut- schen Einheit entstandene soziale Härten für einige we- nige zu korrigieren. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Nationales Reform- programm 2014 nutzen – Wirtschaftspolitische Steuerung in der EU ernst nehmen und Investi- tionen stärken (Tagesordnungspunkt 16) Klaus Ernst (DIE LINKE): 2013 war Deutschland ein weiteres Mal Exportchampion. Die Importe hinge- gen gingen sogar zurück. Schuld daran ist die schwache Binnennachfrage. Denn: Die wirtschaftliche Entwick- lung geht an der Mehrheit der Menschen vorbei. Die Wirtschaft ist von 2000 auf 2013 um fast 14 Prozent ge- wachsen. Die Unternehmens- und Vermögenseinkom- men haben in diesem Zeitraum um rund 31 Prozent zu- gelegt. Die Bruttolöhne und -gehälter je Beschäftigtem hingegen sind um rund 2 Prozent gesunken. Einkom- menszuwächse gab es nur bei den Spitzeneinkommen. Am unteren Ende der Einkommensskala kam es zu wei- teren Rückgängen. Jeder vierte Beschäftigte in Deutsch- land arbeitet für einen Niedriglohn. Auch die Europäische Kommission empfiehlt Maß- nahmen zur Stärkung der Binnennachfrage. Sie hat die makroökonomischen Ungleichgewichte in Deutschland einer vertieften Überprüfung unterzogen, da sich die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse seit 2007 über der Warnschwelle von 6 Prozent befinden. Laut EU- Kommission haben die privaten Haushalte mehr gespart und die Unternehmen zu wenig investiert. Auch die öf- fentlichen Investitionen seien viel zu gering. Folglich müssten öffentliche Investitionen – insbesondere Infra- strukturmaßnahmen – gesteigert und geeignete Bedin- gungen zur Begünstigung des Lohnwachstums – vor allem bei Arbeitnehmern am unteren Ende der Einkom- mensskala – geschaffen werden. Politische Maßnahmen, die Investitionen beeinträchtigen könnten, sollen ver- mieden werden. Doch die Bundesregierung nimmt diese Empfehlun- gen nicht wirklich ernst. Muss sie auch nicht, denn sie hat maßgeblich dafür gesorgt, dass innerhalb der neuen „Economic Governance“ der EU Überschüsse nicht sanktionsfähig sind. Schon im Jahreswirtschaftsbericht stellt sie einseitig die gute Verfassung der deutschen Wirtschaft und die hohe Beschäftigungsquote heraus. Neue Ideen gegen prekäre Beschäftigung und ausblei- bende Investitionen: Fehlanzeige! So will die Bundesregierung die Verkehrsinvestitio- nen um 5 Milliarden Euro erhöhen und die Länder um 6 Milliarden Euro entlasten – gestreckt auf die gesamte Legislaturperiode. Selbst gestecktes Ziel der Bundes- regierung ist laut Koalitionsvertrag jedoch eine Gesamt- investitionsquote oberhalb des OECD-Durchschnitts. Der OECD-Durchschnitt lag 2013 bei 20 Prozent, die deutsche Investitionsquote nur bei 17,2 Prozent. Um den OECD-Durchschnitt zu erreichen, hätten allein im ver- gangenen Jahr 75 Milliarden Euro mehr investiert wer- den müssen. Die wachsende Spaltung auf dem Arbeitsmarkt will die Bundesregierung mit einer Beschränkung der Leih- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2157 (A) (C) (D)(B) arbeit auf 18 Monate und gleichem Lohn nach 9 Mona- ten bekämpfen. Das geht am Problem vorbei. Im „Zwölften Bericht der Bundesregierung zur Arbeitneh- merüberlassung“ ist nachzulesen, dass der Anteil der Ar- beitsverhältnisse, die weniger als 3 Monate dauerten, zwischen 39 und 61 Prozent schwankten. Auch der Min- destlohn ist mit all den Ausnahmen mittlerweile eher ein Schweizer Käse, außerdem kommt er zu spät und ist zu niedrig. Sachgrundlose Befristung und die ausufernde Zahl von Werkverträgen werden von der Großen Koali- tion gar nicht angefasst. Diese Maßnahmen der Bundesregierung werden we- der zu einer ernsthaften Stärkung der Binnennachfrage führen noch die exzessiven Leistungsbilanzüberschüsse abbauen. Dafür ist es vielmehr notwendig, die Verteilung von Einkommen und Vermögen gerechter zu gestalten. Dafür muss der Anteil der Löhne am Volkseinkommen deutlich steigen. Deutliche Lohnsteigerungen sind nötig, die durch eine Stärkung der gewerkschaftlichen Durchset- zungsmacht erreicht werden können. Dies erfordert ein konsequentes Verbot von Leiharbeit und sachgrundlosen Befristungen, die Verhinderung des Missbrauchs von Werkverträgen sowie die Abschaffung des Zwangssys- tems Hartz IV. Auch die sofortige Einführung eines flä- chendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von 10 Euro pro Stunde ohne Ausnahmen ist wichtig für die Stärkung der Binnennachfrage. Ebenso muss die Steuerpolitik ge- rechter gestaltet werden durch eine höhere Besteuerung von großen Erbschaften und Finanzgeschäften sowie die Einführung einer Millionärsteuer. Notwendig ist auch eine deutliche Steigerung öffentlicher Investitionen zu- gunsten von Bildung, Gesundheit, Klimaschutz, Infra- struktur und Verkehr. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Fördermitteltrans- parenz erhöhen (Tagesordnungspunkt 17) Mark Hauptmann (CDU/CSU): Mit dem Antrag „Fördermitteltransparenz erhöhen“ der Fraktion der Grü- nen soll die Bundesregierung aufgefordert werden, eine gesetzliche Regelung vorzulegen, auf deren Basis För- derprogramme offenzulegen sind. Ziel ist es, eine „gute und transparente Datenlage“ von verwendeten Förder- mitteln zu schaffen. Ich stimme Ihnen zu, dass die Ver- wendung von Förderungen stets einer besonderen Recht- fertigung und einer regelmäßigen Erfolgskontrolle bedarf. Denn Begünstigungen Einzelner zulasten der Allgemeinheit sind auf langfristige Sicht schädlich und missbrauchen das Vertrauen der Bürgerinnen und Bür- ger. Regelmäßige Überprüfungen des Nutzens für das allgemeine Wohl sowie die gesamtwirtschaftliche Ent- wicklung sind erforderlich. Nur so können Transparenz und Legitimität der Entscheidungen gewährleistet wer- den. Ihre Vorstellung von Transparenz lehne ich jedoch entschieden ab. In Ihrem Antrag fordern Sie die Veröf- fentlichung von Daten über juristische Personen, Perso- nengesellschaften und Einzelunternehmen, die Förder- mittel beziehen. Dies soll über die Förderdatenbank des Bundes erfolgen. Laut Ihrem Antrag sollen, ich zitiere, „grundsätzlich folgende Daten veröffentlicht werden: das genaue Förderprogramm, der Name bzw. die Firma sowie Postleitzahl und Gemeinde des Unternehmenssit- zes der Empfängerin/des Empfängers und die jährlichen Beträge der Fördermittelzahlungen“. Zusätzlich sollen in einer frei zugänglichen Datenbank die Zuwendung öf- fentlicher Mittel für Forschungsprojekte aufgeschlüsselt werden. Ich möchte kurz zusammenfassen, was die Kollegen der Grünen in ihrem Antrag unter einer „guten Daten- lage“ verstehen: nämlich die Ansammlung aller Daten, derer sie habhaft werden können. Das ist keine Transpa- renz, sondern politischer Kontrollwahn und erinnert mich eher an das Horrorszenario aus George Orwells 1984. Ich halte Ihre Vorschläge aus folgenden Erwägungen heraus für grundsätzlich verfehlt: Erstens: Ihr Ansinnen kreiert ein Bürokratiemonster, dessen bloßer Sinnzweck darin besteht, Daten zu sammeln. Zweitens: Sie bürden den Firmen zusätzliche Belastungen auf, die gerade die kleineren und mittelständischen Unternehmen treffen würden. Die umfassende Freilegung der Fördermittel, die Bestandteil der Unternehmenseinkünfte sind, schwächt die Schlagkraft und Wettbewerbsfähigkeit die- ser Firmen erheblich. Drittens ist Transparenz kein Selbstzweck und muss gerade bei der Veröffentlichung sensibler Daten einer genauen Abwägung unterzogen werden. Im Folgenden möchte ich auf diese Punkte nä- her eingehen. Staatliche Förderungen müssen immer wieder Er- folgskontrollen unterzogen werden und der Mehrung von sozialem und wirtschaftlichem Nutzen dienen. Sie, liebe Grüne, verweisen in Ihrem Antrag darauf, dass Bürgerinnen und Bürger ein Anrecht darauf haben, über die Verwendung der finanziellen Mittel des Staates in- formiert zu werden. Sie stellen es so dar, als wäre die Verteilung von För- dermitteln bislang vollkommen intransparent. Es exis- tiert jedoch bereits die Förderdatenbank des Bundes, die einen aktuellen Überblick über die Förderprogramme des Bundes, der Länder und der EU für die gewerbliche Wirtschaft gibt. Zudem informiert der Förderkatalog des Bundes über aktuelle und abgeschlossene Fördervorha- ben der beteiligten Bundesministerien Bildung und For- schung, Umwelt, Wirtschaft und Energie, Ernährung und Landwirtschaft sowie für Verkehr und digitale Infra- struktur. In dieser Datenbank können interessierte Bür- gerinnen und Bürger aus mehr als 110 000 abgeschlosse- nen und laufenden Vorhaben der Projektförderung des Bundes recherchieren. Neben diesen Datenbanken wird die Vergabe von Fördermitteln auch regelmäßig durch den Subventionsbericht der Bundesregierung geprüft. Darin wird aufgelistet, welche Branchen in den letzten drei Jahren Fördermittel erhalten haben und ob die Pro- 2158 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 (A) (C) (D)(B) gramme dazu beitragen, Arbeitsplätze und Wachstum zu fördern. Regelmäßig wird damit geprüft, ob die Förder- mittel tatsächlich Investitionen in die Zukunft sind. Bei Fehlentwicklungen kann gezielt gegengesteuert werden, um Transparenz und Steuerungsmöglichkeiten bei der Verteilung von Fördermitteln zu gewährleisten. Schluss- endlich bietet auch das Informationsfreiheitsgesetz allen Bürgerinnen und Bürgern den Rechtsanspruch, sich über einzelne Projektförderungen des Bundes zu erkundigen. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine funktionie- rende Förderkultur auf demokratisch legitimierten und transparenten Entscheidungen beruhen muss. Der Sinn- zweck Ihres Antrages besteht jedoch einzig und alleine darin, weitere Daten der Fördermittelempfänger zu sam- meln und zu veröffentlichen. Dieses Bürokratiemonster nennen Sie dann Transparenz. Sie werben damit, dass Ihre Partei sich für den Abbau von sinnloser Bürokratie einsetzt. Laut Ihrem Wahlprogramm für die letzte Bun- destagswahl ist es Ihr erklärtes Ziel, „auf allen staatli- chen Ebenen Bürokratie abzubauen und Entscheidungs- wege zu straffen“. Weiter heißt es darin: „Programme mit einem hohen Verwaltungsaufwand werden wir grundsätzlich überprüfen“. Wie passt das zu Ihrer Forde- rung? Sie haben in Ihrem Antrag nur unzureichend darauf hingewiesen, welche Folgekosten daraus entstehen wer- den. Die erhöhten Dokumentations- und Informations- pflichten führen zu mehr Bürokratie und bewirken einen administrativen Ausbau anstelle des von Ihnen geforder- ten Abbaus. Die zusätzlichen Belastungen werden Un- ternehmen und Verwaltung aufgebürdet. Die realen Folgekosten eines solchen Verständnisses von Transparenz müssen die Unternehmen tragen, deren Daten gesammelt und veröffentlicht werden. Nehmen Sie als Beispiel das Zentrale Innovationsprogramm Mit- telstand, ZIM. Seit Juli 2008 wurden alleine in diesem Programm 24 000 Anträge bewilligt. Davon sind 360 der Antragsteller Forschungseinrichtungen, aber 11 500 der Antragsteller sind kleine und mittlere Unternehmen. Den gläsernen Bürger wollen Sie verhindern, das gläserne Unternehmen dagegen schaffen. Was bedeutet denn eine Veröffentlichung mit Name, Anschrift und Höhe der Fördermittel unter den Gesichtspunkten des Datenschut- zes für diese Betriebe in der Realität? Ich habe daher einfach Unternehmer aus meinem Wahlkreis angerufen, die mit ihren Firmen Fördermittel des ZIM beziehen. Als ich denen Ihren Vorschlag unter- breitet habe, sind sie fast in Ohnmacht gefallen oder standen wahlweise kurz vor einem Herzinfarkt. Dass eine Fraktion im Bundestag tatsächlich die Forderung nach einem solchen Register stellt, konnten sie sich gar nicht vorstellen. Anders als bei Forschungseinrichtungen werden die Projekte der Unternehmen oft nur zu 50 Pro- zent gefördert und gehören zur wirtschaftlichen Grund- lage der Betriebe. Die Offenlegung der Höhe der bezo- genen Fördermittel zwingt sie, Teile ihrer Einkünfte für alle sichtbar zu machen. Die Teilnahme an bestimmten Förderprogrammen wirkt sich somit auch auf die Außenwahrnehmung des Unternehmens aus. Zum einen kann dies die Entschei- dung potenzieller Investoren maßgeblich beeinflussen. Zum anderen werden Mitbewerber über die finanzielle Situation informiert. Aus Gründen des Schutzes vor Konkurrenten haben Betriebe aber regelmäßig ein Inte- resse daran, dass die wirtschaftlichen Kalkulations- grundlagen ihren Konkurrenten nicht bekannt werden. Sie bürden damit Unternehmen zusätzliche Belastungen auf, die gerade die kleineren und mittelständischen Un- ternehmen treffen werden. Gleichzeitig werden mit der Veröffentlichung des Projekttitels die Forschungsvorha- ben der Unternehmen offengelegt. Innovative Ideen, die das Kapital vieler Mittelständler sind, werden der Kon- kurrenz auf dem Silberteller präsentiert. Mit der zunehmenden Globalisierung stehen diese Daten auch Mitbewerbern aus dem Ausland zur Verfü- gung. Die umfassende Offenlegung der Daten schwächt die Schlagkraft der Firmen erheblich, und Wettbewerbs- vorteile gehen verloren. Der Schutz firmeneigener Daten gehört zum Fundament der freien Marktwirtschaft. Ihre Vorstellung von Transparenz verletzt jedoch diese Grundprinzipien. Mit einer solchen Veröffentlichung werden weitreichende Eingriffe in die Rechte der Unter- nehmer vorgenommen. In begründeten Fällen sollen Ausnahmen von der Einzelveröffentlichungspflicht möglich sein, wenn es bei der Veröffentlichung der Da- ten zu Rückschlüssen auf Betriebs- und Geschäftsge- heimnisse kommen kann. In der Realität wird das doch bei fast allen Unternehmen der Fall sein. Die Bewilligung neuer Fördermittel an die Veröffent- lichung von Daten zu knüpfen, deren Veröffentlichung geschäftsschädigende Folgen haben kann, gleicht dabei einer Erpressung der Fördermittelempfänger. Ihnen wer- den keine Widerspruchsrechte gegen die Veröffentli- chung eingeräumt. Unklar bleibt auch, was mit bereits laufenden Förderprogrammen geschehen soll. Es werden aufwendige Anhörungsverfahren notwendig sein, bei de- nen alle bisherigen Geldempfänger zunächst gefragt werden müssen, ob sie mit einer Veröffentlichung ein- verstanden sind. Transparenz ist kein Selbstzweck und muss daher ge- rade bei der Veröffentlichung sensibler Daten einer ge- nauen Abwägung unterzogen werden. Das gilt nicht nur für natürliche Personen, sondern eben auch für Unter- nehmen. Man muss sich daher die Frage stellen, welche Konsequenzen ein derartiges Verständnis von Transpa- renz nach sich ziehen würde. Ein notwendiges Maß an Transparenz stärkt den Wettbewerb und ist das Funda- ment einer freien Wirtschaft. Im schlimmsten Falle be- deutet ein Übermaß an Transparenz aber eine Verletzung der Betriebsgeheimnisse von Unternehmen. Besonders mittelständische Unternehmen, die mit der Unterstüt- zung von Fördermitteln durch innovative Projekte Ar- beitsplätze und Wachstum in ländlichen Regionen schaf- fen, würden dadurch geschädigt. Die Begründung, dass Sie damit die demokratische Legitimität der Entscheidungen über Förderprogramme erhöhen, ist für mich nicht nachvollziehbar. Das Sie, liebe Kollegen von den Grünen, sich gerne vollständige politische Kontrolle wünschen, haben Sie mit der ge- planten Einführung des Veggie-Days hinreichend bewie- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2159 (A) (C) (D)(B) sen. Wir sind auch für Transparenz, aber gegen politi- schen Kontrollwahn und sinnlose Bürokratie. Aus den dargelegten grundsätzlichen Überlegungen lehnen wir Ihren Antrag daher entschieden ab. Andrea Wicklein (SPD):Mit Ihrem Antrag „Förder- mitteltransparenz erhöhen“ sprechen Sie von der Frak- tion Bündnis90/Die Grünen ein sehr wichtiges Thema an. Ich finde es deshalb gut, dass wir heute darüber – wenn auch zu später Stunde – die Debatte führen. Ich sage klar: Es ist richtig und auch notwendig, dass die Bürgerinnen und Bürger weitgehende Transparenz über die Mittelverwendung aus den vielfältigen Förder- programmen des Bundes haben. Die SPD-Bundestagsfraktion ist dafür, dass die Bür- gerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, einfach, verständlich und eindeutig zu erfahren, für welche Zwe- cke und in welcher Höhe die Bundesregierung den Mit- telstand, Forschungseinrichtungen oder Institutionen fördert. Selbstverständlich ist es auch richtig, dass der Deut- sche Bundestag, dass wir Abgeordnete selbst diese Transparenz haben. Schließlich sind wir es, die im Rah- men des Bundeshaushaltes die Förderprogramme bera- ten und beschließen. Natürlich reicht es nicht aus, dass wir die Förderpro- gramme beschließen. Wir müssen auch wissen, ob diese Programme die von uns gesteckten Ziele erreicht haben, ob sich unsere Erwartungen erfüllt haben oder ob Programme beendet bzw. verändert werden müssen. Transparenz über die Förderprogramme ist aber auch notwendig, damit die Klein- und Mittelständischen Un- ternehmen, die Forschungseinrichtungen und viele an- dere Adressaten erfahren, wer was und wie fördert und wo Anträge zu stellen sind. Für die SPD-Fraktion gilt deshalb, dass wir Transpa- renz nicht nur bei der Mittelverwendung haben wollen, sondern insgesamt von Anfang an. Dafür haben wir uns seit langem eingesetzt und zu- mindest national auch schon viel erreicht. Mit dem Förderkatalog des Bundes, den jede Bürgerin und jeder Bürger auf der Internetseite www. foerderportal.bund.de erreichen kann, sind be- reits – mit wenigen Ausnahmen – die Fördermaßnah- men von fünf für die Fördermittel maßgeblichen Bun- desministerien übersichtlich dargestellt. Einbezogen sind in das Portal das Bundesforschungsministerium, das Bundeslandwirtschaftsministerium, das Bundes- umweltministerium, das Bundesverkehrsministerium so- wie das Bundeswirtschaftsministerium. Das Förderportal des Bundes enthält eine Förderbera- tung als Erstanlaufstelle für alle Fragen zur Forschungs- und Innovationsförderung. Es liefert mit der Förderdatenbank einen vollständi- gen und aktuellen Überblick über die Förderprogramme des Bundes, der Länder und auch der Europäischen Union. Das Förderportal des Bundes stellt darüber hi- naus mit dem elektronischen Online-Antragssystem ein barrierefreies Internetportal zum Ausfüllen und Ausdru- cken der Antragsformulare für Fördermittel des Bundes zur Verfügung. Ergänzt wird das Portal unter anderem durch den Formularschrank mit allen wichtigen Formularen, Richtlinien und Merkblättern sowie durch eine Such- maschine des Bundesforschungsministeriums, mit der aktuell 12 Millionen Internetseiten von 27 000 Web- servern öffentlich geförderter deutscher Forschungs- einrichtungen und Institutionen durchsucht werden können. Vor allem aber – und das ist bei der Beratung Ihres Antrages wichtig zu wissen – stellt das Förderportal des Bundes auch den Förderkatalog zur Verfügung. Wenn Sie diesen Katalog aufrufen, können Sie in ei- ner öffentlichen Datenbank aus mehr als 110 000 abge- schlossenen und laufenden Vorhaben der Projektförde- rung der fünf von mir genannten Bundesministerien recherchieren. Leider haben Sie diesen Förderkatalog in Ihrem An- trag nicht erwähnt. Ich denke aber, dass es sehr wichtig ist, dass die Bürgerinnen und Bürger auch über den ak- tuellen Stand informiert sind. Denn Sie erwecken mit Ih- rem Antrag – ich bin sicher: ungewollt – den Eindruck, als ob es bisher keine Transparenz gäbe. Das stimmt nicht. Bei Ihnen, liebe Kollegin Kerstin Andrae von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, habe ich heute aktuell im Förderkatalog des Bundes für Ihren Wahlkreis Frei- burg Folgendes recherchieren können: Allein 256 laufende Fördervorhaben zählt Freiburg aktuell. Das Fördervolumen umfasst nahezu 166 Millio- nen Euro. Darunter befinden sich sowohl kleine Maß- nahmen wie die Förderung der „Städtischen Museen Freiburg – Augustinermuseum“ mit rund 10 000 Euro durch das Bundesumweltministerium als auch eine grö- ßere Maßnahme der Caritas im Rahmen der Förderung von Klimaschutzprojekten des Bundesumweltministeri- ums in Höhe von rund 18 Millionen Euro. Sie sehen, liebe Kollegin Andrae, hier ist bereits eine Menge Transparenz hergestellt. Allerdings – da stimme ich Ihnen zu – sollten wir Bundestagsabgeordnete bei der erreichten Transparenz nicht stehen bleiben, sondern sie weiter ausbauen. Natürlich muss darauf geachtet werden, dass, sofern nationale Interessen tangiert sind, wie zum Beispiel bei der Luftfahrtforschung, oder wenn eine Veröffentlichung den Förderinteressen widerspricht, wie zum Beispiel beim Patentschutz, auch weiterhin Informationen ge- sperrt bleiben. Handlungsbedarf sehen wir Sozialdemokraten insbe- sondere noch bei den EU-Förderprogrammen. Hier ist es wichtig, dass sich die Bundesregierung weiter dafür einsetzt, dass EU-Programme wesentlich 2160 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 (A) (C) (D)(B) transparenter, verständlicher und nutzerfreundlicher ge- staltet werden, dass die Vielzahl der Förderinitiativen verringert wird und dass Antrags-, Genehmigungs- und Abrechnungsprozeduren vereinfacht werden. Ich bin deshalb sehr froh, dass die Bundesregierung von sich aus mehr Transparenz herstellen will und bei- spielsweise das Bundeswirtschaftsministerium entschie- den hat, mittelfristig alle Fördermaßnahmen in das För- derportal des Bundes in aktueller Fassung einzustellen. Damit setzt das Bundeswirtschaftsministerium übri- gens auch Anregungen aus den parlamentarischen Dis- kussionen um, in denen gefordert wurde, die Förderan- gebote zu straffen, zu bündeln und noch genauer auf die Zielgruppen des Bundeswirtschaftsministeriums auszu- richten. So hat das Bundeswirtschaftsministerium alle Maß- nahmen unter die vier großen Themen gruppiert: – Mittelstand: Gründen, Wachsen, Investieren – Energie und Nachhaltigkeit – Chancen der Globalisierung – Innovation, Technologie und neue Mobilität Das ist ein wichtiger Beitrag, die von uns allen ge- wünschte Transparenz weiter zu verbessern. Es stimmt: Wir sind noch nicht am Ziel. Aus heutiger Sicht sehe ich jedoch keine Notwendig- keit, gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen. Deshalb leh- nen wir den Antrag der Fraktion Bündnis90/Die Grünen ab. Wir werden das im Auge behalten, gemeinsam darauf achten, dass die Transparenz über die Förderprogramme weiter verbessert wird. Thomas Nord (DIE LINKE): Die Linksfraktion wird dem heute vorliegenden Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen zur Erhöhung der Transparenz der Vergabe von Fördermitteln durch den Bund zustimmen. Wir ha- ben eine ganze Weile gesucht, ob wir nicht doch ein Haar in der Suppe finden, aber außer der letztlich klärba- ren Frage, ob die angewandte Fördermitteldefinition wirklich hinreichend ist, haben wir keinen Ablehnungs- grund finden können. Dieser Antrag greift völlig zu Recht die Europäische Transparenzinitiative von 2007 auf. Er knüpft an die positiven Erfahrungen der Veröffentlichung von Infor- mationen über die Empfängerinnen und Empfänger von Gemeinschaftsmitteln aus dem EU-Agrarfonds an, die seit April 2009 erfolgt. Die seitdem damit gemachten Er- fahrungen zeigen, dass eine solche Veröffentlichung so- wohl machbar als auch sinnvoll ist. Die Bürgerinnen und Bürger haben nach unserer Auf- fassung nicht nur auf EU-Ebene ein Recht zu erfahren, welchen Unternehmen und Institutionen die von ihnen als Steuerzahlern finanzierten Fördermittel zur Verfü- gung gestellt werden. Das Gleiche gilt eben auch für die durch den Bund ausgereichten Mittel. Dies ist gegenwär- tig nur unzureichend geregelt. Die derzeitige Praxis des Bundes ist daher, wie es im Antrag formuliert ist, in- transparent und kaum kontrollierbar. Transparenz und Kontrolle sind aber unverzichtbare Bestandteile für effiziente Willensbildungs- sowie legi- time und nachvollziehbare demokratische Entscheidungs- prozesse. Daher ist die Forderung nach einer gesetzli- chen Regelung durchaus zeitgemäß und zu unterstützen. Wir befürworten insbesondere, dass die öffentliche Hand verpflichtet wird, ihre Förderleitlinien und „Infor- mationen über die Vergabe von Fördermitteln, die an ju- ristische Personen, Personengesellschaften und Einzel- unternehmen geflossen sind, zu veröffentlichen“. Die im Antrag geforderte „Abwägung zwischen dem Transparenzinteresse der Öffentlichkeit und dem Schutz personenbezogener Daten der Fördermittelempfängerin- nen und -empfänger, indem die Erforderlichkeit der Ver- öffentlichung nach Bezugsdauer, Häufigkeit sowie Art und Umfang der Zuwendungen geprüft wird“, zeigt die datenschutzrechtlichen Grenzen und Bedenken auf, die in einem entsprechenden Gesetz zu bedenken wären. Dass diese vor allem natürliche Personen, aber auch kleinere Kapitalgesellschaften, die mit einer oder mehre- ren natürlichen Personen identisch seien, im vollen Um- fang berücksichtigen und es nur in begründeten Fällen Ausnahmen von der Veröffentlichungspflicht geben soll, halten wir für richtig. Das Gleiche trifft auf die Sortierkriterien und den vor- geschlagenen Veröffentlichungsort zu. Abschließend befürworten wir auch den Vorschlag, zur Steigerung der Transparenz die Zuwendungen öf- fentlicher Mittel für Forschungsprojekte generell an ver- pflichtende Bedingungen zu knüpfen. Werte Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, unsere Zustimmung zu Ihrem Antrag haben sie schon jetzt. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Politische Entscheidungen und Verwaltungshandeln müssen transparent und nachvollziehbar sein; das ist eine der Grundlagen unserer demokratischen Gesell- schaft. Sicherlich ist Transparenz kein Allheilmittel, aber sie ist notwendig, damit für die Öffentlichkeit ver- ständlicher wird, warum politische Entscheidungen so und nicht anders getroffen worden sind. Sie ist aber auch notwendig, damit diese Entscheidungen bewertet und kritisch hinterfragt werden können. Das ist nicht immer angenehm für uns Politikerinnen und Politiker oder auch für die Verwaltung. Trotzdem liegt darin eine große Chance für eine lebendige Demokratie, an der sich die Bürger rege beteiligen und in die Vertrauen gesetzt wird. Deshalb ist uns Grünen mehr Transparenz ein Kernanlie- gen. Das gilt ganz besonders beim Umgang mit öffentli- chen Geldern. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein wachsendes und berechtigtes Interesse, zu erfahren, wie das Geld der Steuerzahlenden verwendet wird. In der nächsten Woche werden wir bei den Haushalts- beratungen im Bundestag über Fördermittel in Milliar- denhöhe sprechen, die in eine Vielzahl von Programmen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2161 (A) (C) (B) fließen. Derzeit ist nicht ausreichend nachvollziehbar, welche Unternehmen und Institutionen aufgrund wel- cher Kriterien Förderung bekommen bzw. für welche konkreten Projekte diese Mittel vergeben werden. Wir schlagen deshalb mit unserem Antrag vor, die Förderleit- linien und auch die Empfänger zu veröffentlichen. Es versteht sich von selbst, dass dabei private wie öffentli- che Interessen bei Daten- und Persönlichkeitsschutz oder auch Geschäftsgeheimnisse angemessen geschützt wer- den müssen. So ist beispielsweise eine Bagatellgrenze von 25 000 Euro für die Einzelveröffentlichung vorgese- hen. Ausnahmen soll es auch für solche Fälle geben, bei denen die Veröffentlichung Rückschlüsse auf Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse zulassen würde. Selbstver- ständlich wird jeder Fördermittelempfänger vorab über diese Veröffentlichung informiert werden. Wer Förder- mittel bekommt, muss aber akzeptieren, dass dies grund- sätzlich transparent gemacht wird, weil das Interesse der Öffentlichkeit überwiegt. Es braucht diese gute Daten- lage auch für uns Parlamentarier, um besser entscheiden zu können, ob Förderprogramme fortgeführt, aufge- stockt oder lieber beendet werden sollten. Zudem er- gänzt mehr Transparenz im Fördermittelbereich die Möglichkeiten der Haushaltskontrolle durch das Parla- ment und erleichtert zudem die wissenschaftliche Evalu- ierung von Förderprogrammen. Das von uns vorgeschlagene Verfahren orientiert sich an der Europäischen Transparenzinitiative. Nach dieser sind die EU-Länder verpflichtet, Informationen über die Empfängerinnen und Empfänger der Gemeinschaftsmit- tel aus den EU-Agrarfonds zu veröffentlichen. So sollen neben dem Förderprogramm auch der Name bzw. die Firma, die Postleitzahl und Gemeinde des Unterneh- menssitzes sowie der Förderbetrag veröffentlicht wer- den. Bezogen auf Mittel für Forschungsprojekte greifen wir zudem eine Idee aus der Enquete-Kommission „Inter- net und Digitale Gesellschaft“ auf. Danach sollen Infor- mationen zum jeweiligen Forschungsprojekt, die Ziele und die wesentlichen Resultate in öffentlich zugängli- chen Datenbanken verfügbar gemacht werden. Unser Vorschlag beschränkt sich auf die Veröffentlichung im Falle von Zuschüssen, Gewährleistungen, Beteiligungen und ähnlichen direkten finanziellen Zuwendungen, die in Form von Projektförderungen an Empfängerinnen oder Empfänger ausgereicht werden. Nicht erfasst sind beispielsweise steuerliche Förderungen. Hier sollte im Subventionsbericht der Bundesregierung sichergestellt werden, dass diese bewertet und auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft werden können. Transparenz ist kein Selbstzweck, es muss immer sorgsam zwischen dem Transparenzinteresse der Öffent- lichkeit und dem Schutz personenbezogener Daten von Fördermittelempfängerinnen und -empfängern abgewo- gen werden. So hat es auch der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 9. November 2010 gesehen und eingefordert, dass bei der Veröffentlichungspflicht Be- zugsdauer, Häufigkeit sowie Art und Umfang der Zu- wendungen berücksichtigt werden. Der grüne Vorschlag für eine Veröffentlichungspflicht von Fördermitteln des Bundes ist an diesen Vorgaben orientiert. (D) 26. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3 Leistungsverbesserungen in der Rentenversicherung TOP 4 Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe TOP 5 Kooperationsverbot im Bildungswesen TOP 22 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 23 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 6 Bundeswehreinsatz EUTM Somalia TOP 7 Minderheitenrechte in der 18. Wahlperiode TOP 8 Arbeitnehmer-Entsendegesetz (Fleischwirtschaft) TOP 9 Entlastung der Kommunen TOP 10 Bundesnetzagentur Telekommunikationsbericht 2012/13 TOP 11 Nachtruhe am Flughafen BER ZP 2 Sachverständigenbestellung Rechtsextremismus-Datei-G TOP 12 Kontoeröffnungen für Flüchtlinge TOP 13 Atomwaffen TOP 14 Zukunft der bäuerlichen Milchviehhaltung TOP 15 Aufsichtsrat der Deutsche Bahn AG TOP 16 Makroökonomische Ungleichgewichte TOP 17 Fördermitteltransparenz Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802600000

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich.

Der Kollege Eckhardt Rehberg begeht heute seinen
60. Geburtstag. Dazu möchte ich ihm ganz herzlich gra-
tulieren


(Beifall)


und alles Gute für das neue Lebensjahr wünschen. Wir
geben uns auch große Mühe, ein passendes Programm
für den heutigen Tag hier im Plenarsaal des Deutschen
Bundestages zu veranstalten,


(Heiterkeit)


damit der Tag in unauslöschlicher Erinnerung bleibt.

Wir müssen vor Eintritt in die Tagesordnung noch
zwei Wahlen durchführen.

Für das Kuratorium der Stiftung Denkmal für die
ermordeten Juden Europas schlägt die SPD-Fraktion
vor, den Kollegen Michael Roth als Mitglied zu wählen.
Sind Sie mit diesem Vorschlag einverstanden? – Das ist
offensichtlich der Fall. Damit ist der Kollege Roth ge-
wählt.

Des Weiteren schlägt die SPD-Fraktion vor, für den
ausgeschiedenen Kollegen Heinz Paula die Kollegin
Birgit Kömpel als Mitglied des Beirats der Schlich-
tungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr zu
wählen. – Auch hierzu kann ich offensichtlich Einver-
nehmen feststellen. Damit ist die Kollegin Kömpel als
Beiratsmitglied gewählt.

Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die ver-
bundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste
aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Konsequenzen der Bundesregierung aus dem
IPCC-Weltklimabericht

(siehe 25. Sitzung)

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan
Mayer (Altötting), Armin Schuster (Weil am
Rhein), Clemens Binninger, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der
Abgeordneten Dr. Lars Castellucci, Gabriele
Fograscher, Uli Grötsch, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD

Herstellung des Einvernehmens des Deut-
schen Bundestages mit der Bestellung des In-
stituts für Gesetzesfolgenabschätzung und
Evaluation beim Deutschen Forschungsinsti-
tut für Öffentliche Verwaltung, Speyer, als
wissenschaftlichen Sachverständigen im Rah-
men der Evaluierung des Rechtsextremismus-
Datei-Gesetzes

Drucksache 18/974

ZP 3 Beratung des Antrags der Bundesregierung

Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-
kräfte am maritimen Begleitschutz bei der
Hydrolyse syrischer Chemiewaffen an Bord
der CAPE RAY im Rahmen der gemeinsamen
VN/OVCW-Mission zur Vernichtung der
syrischen Chemiewaffen

Drucksache 18/984
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsauschuss gemäß § 96 der GO

Dabei soll wie üblich von der Frist für den Beginn der
Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden.

Nach dem Tagesordnungspunkt 11 soll der Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache
18/974 zur Herstellung des Einvernehmens des Deut-
schen Bundestages mit der Bestellung des Instituts für
Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation beim Deut-
schen Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung als
wissenschaftlichem Sachverständigen im Rahmen der





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Evaluierung des Rechtsextremismus-Datei-Gesetzes
aufgerufen werden. Dazu sind als Debattenzeit 25 Minu-
ten vorgesehen.

Der Tagesordnungspunkt 20 wird abgesetzt. An des-
sen Stelle soll im Umfang von 38 Minuten der Antrag
der Bundesregierung auf Drucksache 18/984 zur Beteili-
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte am maritimen
Begleitschutz im Rahmen der VN-Mission zur Vernich-
tung der syrischen Chemiewaffen debattiert werden.

Schließlich mache ich noch auf eine nachträgliche
Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:

Der am 14. Februar 2014 (15. Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-
schuss für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zur Mit-
beratung überwiesen werden:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Er-
leichterung der Bewältigung von Konzernin-
solvenzen

Drucksache 18/407
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Ich frage Sie, ob irgendjemand gegen irgendeine die-
ser Vereinbarungen Einwände hat. – Das ist nicht zu er-
kennen. Dann haben wir das damit so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen

(RV-Leistungsverbesserungsgesetz)


Drucksache 18/909
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsauschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Auch das ist
offenkundig einvernehmlich. Dann können wir so ver-
fahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea
Nahles.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und
Soziales:

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundesregierung legt heute ihr erstes wichtiges Ge-
setzespaket vor. Das Rentenpaket hat eine klare Bot-
schaft: Wir halten Wort. Denn das, was wir hier heute
auf dem Tisch liegen haben, haben wir den Menschen in
unserem Land versprochen.
Das Rentenpaket hat eine klare Aussage. Sie geht
über den einzelnen Rentenbescheid hinaus. Wenn wir die
Lebensleistung von Müttern sowie von langjährig Ver-
sicherten, die unseren Sozialstaat über Jahrzehnte mit ih-
ren Beiträgen stabilisiert und getragen haben, anerken-
nen, dann schaffen wir mehr Gerechtigkeit, und dann
senden wir ein klares Signal: Wir erkennen die Lebens-
leistung von Menschen in unserem Land an.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


In vielen Begegnungen der letzten Wochen wurde mir
deutlich, dass die Botschaft auch ankommt. Als ich am
Internationalen Frauentag in Andernach Rosen verteilte,
kam eine Frau auf mich zu und erzählte mir: Ich habe
drei Kinder großgezogen; die haben alle studiert. – Das
war ihr ganz wichtig; das hat sie mehrfach betont. – Dass
das endlich anerkannt wird, das freut mich. Kriegen Sie
das Gesetz denn auch hin? – Ja, das kriege ich hin, sagte
ich.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dieses Beispiel macht deutlich: Die Intention dieses Ge-
setzes, das, was wir machen, kommt bei den Menschen
wirklich an. Daran merkt man: Es ist nicht geschenkt, es
ist verdient. Das ist ein ganz zentraler Punkt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Die Rentendebatte hat schon hohe Wellen geschlagen.
Die Vorhaben werden von manchen als Nachteil für die
jüngere Generation ausgelegt. Ich begegne vielen jungen
Menschen: Die gehen nicht auf die Barrikaden. Der
Wohlstand unseres Landes hängt sehr stark damit zu-
sammen, dass wir gute und leistungsfähige Unterneh-
men haben, gut ausgebildete Fachkräfte, Menschen mit
Pflichtbewusstsein, die ihrer Arbeit nachgehen. Der
Wohlstand unseres Landes hängt aber auch damit zu-
sammen, dass wir Solidarität üben, Solidarität zwischen
Arm und Reich, zwischen Jung und Alt. Das ist ein
Kerngedanke der sozialen Marktwirtschaft, die Gott sei
Dank über Jahrzehnte unser Land geprägt hat.

In diesem Geiste finden es die Jungen in einer über-
großen Mehrheit völlig in Ordnung, dass wir das für ihre
Mütter, Großmütter und ihre Väter tun. Das, was wir
heute vorlegen, finden sie vollkommen gerecht, auch ge-
nerationengerecht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich sage ganz deutlich, meine Kolleginnen und Kolle-
gen: Wer sich um Kinder gekümmert hat, der hat seinen
Beitrag zum Generationenvertrag geleistet.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Deswegen rechnen wir die Erziehungsleistungen stärker
an. Deswegen bekommen 10 Millionen Menschen – es
sind vor allem Frauen – eine höhere Mütterrente.

Eine andere Begegnung: Als ich am letzten Wochen-
ende nach Hause fliegen wollte und gerade meinen Flug-
schein vorgezeigt habe, sagten zwei ältere Damen in ei-
nem etwas rauen Ton, wie das in Berlin so üblich ist, zu





Bundesministerin Andrea Nahles


(A) (C)



(D)(B)

mir: Kommen Sie mal mit! Ich dachte: Oje, was ist jetzt
los? Ist mit meinem Flugschein etwas nicht in Ordnung?
Aber es kam etwas völlig anderes. Die beiden älteren
Damen erzählten mir, sie seien 62 und 63 Jahre alt und
arbeiteten beide schon seit 44 Jahren. Eine der beiden
Damen fragte mich: Schaffen Sie das mit der abschlags-
freien Rente nach 45 Beitragsjahren? Da habe ich ge-
sagt: Ja, das schaffe ich.


(Beifall bei der SPD)


Was wir damit zum Ausdruck bringen, ist: Wer
45 Jahre gearbeitet hat, also 45 Jahre lang Beiträge ge-
zahlt hat, der hat gegenüber drei bis vier Generationen
von Rentnerinnen und Rentnern seine Pflicht im Genera-
tionenvertrag erfüllt. Das erkennen wir an, indem es
keine Abschläge mehr geben soll. Das gilt jetzt für die
rentennahen Jahrgänge, anschließend wächst es wieder
auf.

Auch diese Regelung wurde kritisiert: Sie gelte nur
für eine bestimmte Zahl von Menschen. – Das ist richtig.
Genau diejenigen sind es, die unsere besondere Aner-
kennung verdienen. Denn das sind diejenigen, die direkt
von der Schule in den Beruf gegangen sind, die 45 Be-
rufsjahre durchgezogen haben.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben die anderen das nicht?)


Diese Menschen haben noch durchschnittliche Arbeits-
zeiten von 45 Stunden in der Woche gehabt. Der freie
Samstag musste noch erkämpft werden. Auch der Ar-
beitsschutz, der mittlerweile Standard ist, galt in den
70er-Jahren noch nicht.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie doch keine Märchen!)


Vor diesem Hintergrund – das will ich Ihnen ehrlich sa-
gen – ist es klar: Diese Leute haben ihr Soll erfüllt. Ihre
Arbeitsjahre merken sie jeden Tag in den Knochen. Des-
wegen ist diese Regelung gerecht. Deswegen werden wir
sie auch umsetzen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich will genauso klar sagen: Ich habe überhaupt kein
Interesse daran, dass diese Regelung ausgenutzt wird,
um neue Frühverrentungen zu befördern. Deswegen füh-
ren wir – dafür bietet die parlamentarische Debatte der
nächsten Wochen ja auch eine gute Gelegenheit – inten-
sive Gespräche über die Frage: Wie kann man verfas-
sungskonform verhindern, dass diese Regelung ausge-
nutzt wird? Wenn es dabei zu Antworten im
parlamentarischen Verfahren kommt, bin ich sehr froh
darüber.

Ein wichtiger Punkt für mich ist die Tatsache, dass
heute nur 14,7 Prozent der über 63-Jährigen einer sozial-
versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. Das
müssen wir ändern. Aus diesem Grund werden wir die
Altersgrenze schrittweise von 63 auf 65 Jahre anheben.
Wenn wir es in demselben Zeitraum schaffen würden,
die Zahl der Beschäftigten von 14,7 Prozent auf 50 Pro-
zent zu bringen, dann hätten wir schon viel erreicht. Ich
sage an dieser Stelle deswegen auch: Wir müssen dafür
sorgen, dass von den Unternehmen – viele haben es
schon verstanden; einige aber leider noch nicht – die Ar-
beit von Älteren wertgeschätzt wird. In der Vergangen-
heit war es oft genug so, dass Ältere ganz schnell zum
alten Eisen zählten. Sie behinderten die Effizienz und
den Erfolg im Wettbewerb. Das ist Schnee von gestern.
Wir brauchen die Erfahrung der älteren Arbeitnehmer,
der älteren Fachkräfte in unserem Land.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das sehen wir ja auch hier im Bundestag. Hier im Ho-
hen Haus ist niemand seit 45 Jahren dabei.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wolfgang Schäuble!)


– Moment, Kollege Schäuble immerhin fast. Für das,
was er in seinen 42 Jahren hier geleistet hat, hat er auf
jeden Fall meine Anerkennung. Allerdings hat er nicht in
die Rentenversicherung einbezahlt.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will damit nur sagen: Wir wollen ausdrücklich,
dass gerade die Erfahrung der Älteren in unserer Gesell-
schaft ihren Platz hat. Ich habe auch kein Problem, da-
rüber zu reden, wie wir den Übergang vom Erwerbsle-
ben in die Rente zwischen 60 und 67 Jahren oder auch
danach besser und flexibler gestalten können, als wir das
jetzt tun. Dazu gibt es kluge Vorschläge. Die finde ich
gut.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage Ihnen aber auch: Ich kann mir da vieles vor-
stellen, solange ich dafür die finanziellen Möglichkeiten
zur Verfügung gestellt bekomme.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


In dem Rentenpaket, das jetzt vorliegt, geht es auch
um eine bessere finanzielle Ausstattung der Reha. Für
geburtenstarke Jahrgänge muss genug Geld da sein, da-
mit die Forderung „Reha vor Rente“ auch eingelöst wer-
den kann. Es geht nämlich um den Wiedereinstieg ins
Berufsleben und nicht um das Abschieben aufs Altenteil.
Das ist der Kern der Vorschläge zum Rehabudget. Wo es
am Ende aber nicht mehr geht, wo wir das nicht mehr
schaffen, wo die Menschen krank sind, werden wir soli-
darisch einstehen. Wer gesundheitlich nicht mehr in der
Lage ist, zu arbeiten, der wird künftig bei verminderter
Erwerbsfähigkeit besser abgesichert werden. Auch das
ist beides im Rentenpaket enthalten.

Das Rentenpaket umsetzen heißt Wort halten. Es ist
eine wichtige Weichenstellung für die Zukunft. Es zeigt,
dass diese Koalition sich vorgenommen hat, gute Arbeit,
gute Renten und ein gutes Leben für die Menschen in
unserem Land zu realisieren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802600100

Das Wort erhält nun der Kollege Matthias Birkwald

für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802600200

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Frau Nahles, Sie haben Ihr Rentenpaket vorgelegt,
und ich sage: Ja, aber. In den vergangenen Jahrzehnten
haben wir immer nur über Rentenkürzungen diskutiert.
Jetzt diskutieren wir endlich einmal über bessere Leis-
tungen für Rentnerinnen und Rentner. Das findet die
Linke gut.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit Ihrem Rentenpaket gehen Sie mehrere Schritte in
die richtige Richtung, aber


(Zurufe von der SPD: Ah!)


in Ihrem Rentenpaket finden sich – jetzt bitte gut aufpas-
sen – zwei Gerechtigkeitslücken, ein großer Konstruk-
tionsfehler, ein Tropfen auf den heißen Stein, eine Mo-
gelpackung, eine zaghafte Verbesserung und eine offene
Großbaustelle. Das, meine Damen und Herren, findet die
Linke schlecht.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Überschrift für Ihr Rentenpaket lautet: Manches
wird besser, aber nichts wird gut.

Gehen wir die Punkte mal im Einzelnen durch:

Die sogenannte Mütterrente. Die Absicht ist gut:
mehr Gerechtigkeit bei der Anerkennung von Kinder-
erziehungszeiten. Aber die Umsetzung ist schlecht.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?)


Für Kinder, die vor 1992 geboren wurden, Herr Kauder,
soll es ab dem 1. Juli insgesamt gut 57 Euro Mütterrente
im Westen und knapp 53 Euro im Osten geben. Das ist
die erste Gerechtigkeitslücke; das ist ungerecht und das
ist falsch.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall sind im Os-
ten geborene Kinder auf dem Rentenkonto ihrer Eltern
immer noch weniger wert als im Westen geborene Kin-
der. Das ist beschämend.


(Beifall bei der LINKEN)


Für Kinder, die nach 1992 geboren wurden, wird es
ab Juli im Westen 85 Euro und im Osten 79 Euro auf
dem Rentenkonto von Mutter oder Vater geben. Das ist
die zweite Gerechtigkeitslücke. Ich frage Sie, Frau
Nahles: Was soll das? – Sie sagen, Sie schlössen die Ge-
rechtigkeitslücke bei den Kindererziehungszeiten, doch
das stimmt nur zur Hälfte. Jedes Kind muss der Gesell-
schaft gleich viel wert sein, und zwar völlig egal, ob es
in Leipzig geboren wurde oder in Köln, ob es 1960 ge-
boren wurde oder 2010. Deswegen sagt die Linke: Wir
wollen für jedes Kind rund 86 Euro auf dem Renten-
konto von Mutter oder Vater haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-
tion, Sie wollen die Mütterrente ernsthaft aus Beiträgen
der Versicherten finanzieren. Das bedeutet ganz schlicht:
Die Altenpflegerin zahlt für die Mütterrente der Ärztin.
Das ist der große Konstruktionsfehler in Ihrem Renten-
paket, und zwar aus zwei Gründen: Kindererziehung ist
und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Reiche,
Beamtinnen und Beamte, Rechtsanwälte, Steuerberate-
rinnen, Architektinnen und Politikerinnen und Politiker
müssen sich an ihrer Finanzierung beteiligen. Deshalb
muss diese Mütterrente unbedingt aus Steuermitteln fi-
nanziert werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Alles andere ist verfassungswidrig. Der zweite Grund:
Dieses Geld fehlt dann bei der echten Armutsbekämp-
fung. Das ist das zweite Problem bei der Finanzierung
der Mütterrente.

Das wird bei den Erwerbsminderungsrenten deutlich.
Auch hier, Frau Nahles, ist Ihre Absicht gut: Wer krank
ist, darf nicht mit Almosen abgespeist werden. – Aber
auch hier ist Ihre Umsetzung schlecht. Ihr Vorschlag
bringt Kranken, die nicht mehr arbeiten können, gerade
mal 36 Euro netto. Das ist besser als nichts, aber es ist
nur ein Tropfen auf den heißen Stein.


(Beifall bei der LINKEN)


Niemand wird freiwillig krank, und darum sage ich: Die
Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente müssen ge-
strichen werden, und zwar komplett. Das brächte im
Schnitt 77 Euro im Monat. Wir Linken sagen: Die Zu-
rechnungszeit muss um drei statt um zwei Jahre verlän-
gert werden. Insgesamt brächte das 130 Euro mehr. Ich
sage: So holt man kranke Menschen aus der Grundsiche-
rung heraus, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Noch besser wäre es übrigens, wenn die Beschäftig-
ten gar nicht erst dauerhaft krank werden würden. Dazu
brauchen wir – Sie haben ja die Reha erwähnt – gute Re-
hamaßnahmen. Die kosten Geld, und die Babyboomer
kommen so langsam ins Rehaalter; das haben Sie er-
kannt. Darum wollen Sie mehr Geld für Rehamaßnah-
men ausgeben. Das ist gut. Aber warum um Himmels
willen, Frau Nahles, wollen Sie das Rehabudget ab 2017
wieder zurückfahren? Die Deutsche Rheuma-Liga „be-
zweifelt …, ob die geplanten Maßnahmen ausreichen,
um den wachsenden Bedarf an Rehabilitationsmaßnah-
men zukunftssicher zu gestalten“. Das ist richtig. – Ihr
Vorschlag bringt nur eine zaghafte Verbesserung. Ich
sage: Alle kranken Männer und Frauen, die eine Reha-
maßnahme brauchen, sollen sie auch bekommen, und
deshalb muss der Rehadeckel weg.


(Beifall bei der LINKEN)






Matthias W. Birkwald


(A) (C)



(D)(B)

Kommen wir zur Rente ab 63/65. Liebe Arbeitgeber,
hören Sie jetzt bitte mal gut zu. Es geht nicht um Privi-
legien; es geht um Menschen, die früh ins Berufsleben
eingestiegen sind und ein Leben lang gearbeitet haben.
Bisher werden diese Kolleginnen und Kollegen durch
Abschläge bestraft. Nach 45 Beitragsjahren vorzeitig ab-
schlagsfrei in Rente zu gehen, ist gerecht. Wer früh an-
fängt, muss auch früh aufhören können.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Thomas Oppermann [SPD]: Richtig! Aber was kommt jetzt?)


So weit, so gut, Herr Oppermann, aber das Ganze ist
eine Mogelpackung; denn von der Regelung sind nur
sehr wenige Jahrgänge betroffen. Nur wer zwischen dem
1. Juli 1951 und Silvester 1952 geboren wurde und die
45 Beitragsjahre zusammenbekommt, nur für den oder
die gilt die Rente ab 63. Danach wächst sie in Zweimo-
natsschritten wieder auf zur Rente ab 65. Das ist eine
Mogelpackung!


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Sehr langsam, Herr Kollege!)


Ein weiterer Kritikpunkt ist: Sie wollen ernsthaft
Langzeiterwerbslose von der Rente ab 63 ausschließen.
Ich frage Sie jetzt einfach einmal – Frau Nahles, Ihr Va-
ter ist Maurer, wie ich weiß –: Was ist denn der Unter-
schied zwischen einem Maurer, der einmal vier Jahre ar-
beitslos gewesen ist und einem Maurer, der viermal ein
Jahr arbeitslos gewesen ist? Aus meiner Sicht haben
beide dieselbe Lebensleistung erbracht, und deswegen
müssen sie gleich behandelt werden. Die Linke fordert:
Alle Zeiten der Arbeitslosigkeit müssen bei der Rente ab
63 mit berücksichtigt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Rente ab 63 ist übrigens auch deswegen eine
große Mogelpackung, weil in Wirklichkeit für fast alle
Menschen gilt, dass sie in Zukunft bis 66 oder 67 arbei-
ten müssen; wenn sie es denn können. Bei der großen
Mehrheit wird das nicht der Fall sein. Sie wird weiterhin
mit Abschlägen bestraft. An dieser Situation ändern Sie
nichts. Das ist schlecht. Die Linke will deshalb die Rente
erst ab 67 abschaffen, und zwar ohne Wenn und Aber.
Das ist notwendig.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich fasse Ihr Rentenpaket zusammen: Viermal gut ge-
meint, aber viermal schlecht gemacht.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der SPD)


Frau Nahles, Sie bauen in einem sanierungsbedürftigen
Haus hier ein neues Waschbecken ein und da einen
neuen Treppenabsatz an, aber Sie wagen sich nicht an
das große Loch im Fundament. Das ist das Problem.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie haben doch vom Bauen überhaupt keine Ahnung!)

Die Kürzungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel
tasten Sie überhaupt nicht an. Das ist Ihre offene Groß-
baustelle.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn es eine gibt, dann ist das der Berliner Flughafen!)


Deshalb wird das Rentenniveau weiter fallen – das steht
in Ihrem Gesetzentwurf drin –: auf 43,7 Prozent im Jahr
2030. Das bedeutet: Von einer Rente von ehemals
1 000 Euro werden dann nur noch 810 Euro übrig blei-
ben. So wird aus Ihrem Rentenpaket ein Rentenpäck-
chen. Diese Abwärtsspirale muss gestoppt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir müssen die gesetzliche Rentenversicherung stär-
ken, damit die Jungen, die heute in die Rentenkasse ein-
zahlen, später eine Rente erhalten, die zum Leben reicht.
Die Linke fordert echte Maßnahmen gegen Altersarmut.
Außerdem wollen wir das Rentenniveau wieder auf
53 Prozent anheben; das war das Niveau im Jahr 2001,
bevor Schröder und Riester die Rente ruiniert haben.
Das Rentenniveau muss steigen, und zwar dauerhaft.
Das wäre generationengerecht; denn das nutzt den Jun-
gen und den Alten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Ein bildreicher Vortrag!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802600300

Karl Schiewerling ist der nächste Redner für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1802600400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung bringt
heute den Entwurf eines Gesetzes über Leistungsverbes-
serungen in der gesetzlichen Rentenversicherung in die
parlamentarische Beratung ein. Ich zolle der Bundesar-
beitsministerin, dem Bundesarbeitsministerium und der
zuständigen Abteilung Respekt für die Zügigkeit, mit
der sie diese Gesetzesinitiative angepackt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es geht in der Tat darum, die Situation vieler Men-
schen zu verbessern. Für die Union war es im Wahl-
kampf und auch schon lange davor ein zentrales Anlie-
gen, die Situation der Frauen zu verbessern, die Kinder
erzogen haben, aber keine Möglichkeit hatten, Arbeits-
welt und Familie miteinander zu vereinen, weil es keine
Betreuung über Mittag und keine Kindertagesstätten
gab. Ihnen gebührt unser Respekt. Durch die Mütterrente
erkennen wir die Erziehungsleistungen dieser Frauen an.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich will an dieser Stelle mit dem Märchen aufräumen,
dass die Mütterrente ausschließlich aus Beiträgen finan-
ziert wird. Hören Sie mit dem Unfug auf!





Karl Schiewerling


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Die Deutsche Rentenversicherung zahlt im Jahr 255 Mil-
liarden Euro aus. Diese Summe wird zu einem Drittel
von den Arbeitnehmern finanziert, zu einem Drittel von
den Arbeitgebern, und ein Drittel ist Bundeszuschuss.
Der Bundeszuschuss beträgt etwa 82 Milliarden Euro. In
diesen 82 Milliarden Euro befinden sich 12,6 Milliarden
Euro für die Kindererziehungszeiten. Von diesen 12,6 Mil-
liarden Euro geben wir heute etwa 5,9 Milliarden Euro
für die Kindererziehungszeiten aus. Die Rücklage von
etwa 32 Milliarden Euro setzt sich zusammen aus einem
Drittel Beitrag der Versicherten, einem Drittel Beitrag
der Arbeitgeber und einem Drittel Steuern.


(Thomas Oppermann [SPD]: So ist es!)


Das entspricht jeweils über 10 Milliarden Euro.

Wir senken den Rentenversicherungsbeitrag nicht. Er
bleibt bei 18,9 Prozent. Das hat zur Konsequenz, dass
auch der Staat seinen Zuschuss an der Rentenversiche-
rung nicht reduziert und auf diesem Weg auch seinen
Beitrag zur Mütterrente zahlt. Deswegen ist diese Rege-
lung verantwortungsvoll.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ändert nichts daran, dass Sie die Rücklage aufbrauchen!)


In der Tat geht es um Zukunftsgerechtigkeit, um Ge-
rechtigkeit gegenüber den zukünftigen Generationen.
Wir haben doch nie einen Hehl daraus gemacht, dass
diese Mütterrente von denjenigen finanziert werden
muss, die jetzt Steuern und Beiträge zahlen. Wir tun das,
weil diejenigen, die Kinder erzogen haben, erst dafür ge-
sorgt haben, dass es unserem Land heute gut geht. Des-
wegen unternehmen wir diesen Schritt. Das ist ein Bei-
trag zur sozialen Gerechtigkeit in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Für die Union ist es zentral, dass wir mit Mut und Au-
genmaß unter Leitung von Angela Merkel an den unter
Federführung von Franz Müntefering getroffenen Be-
schlüssen zur Rente mit 67 festhalten, und zwar ein-
schließlich der abschlagsfreien Rente für diejenigen, die
lange gearbeitet haben. Nach 45 Beitragsjahren soll man
im Alter von 65 Jahren in Rente gehen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Begründungen für diese Rentenreform, die wir 2007
durchgeführt haben, haben sich nicht geändert. Die Men-
schen werden immer älter. Sie leben immer länger, übri-
gens leben sie auch immer länger gesünder. Die Men-
schen liegen nicht mit 65 Jahren schlagartig darnieder.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Es leben nicht alle immer länger!)


Es ist eine Tatsache, dass immer weniger Menschen ge-
boren werden. Die Grundlagen der Rentenversicherung
– das ist eine demografische Frage – haben sich nicht ge-
ändert.
Nun haben wir in der Koalition vereinbart, dass wir
von diesem Gesetz, das wir 2007 verabschiedet haben,
vorübergehend abweichen und denjenigen, die besonders
lange gearbeitet haben, die Möglichkeit geben wollen,
mit 63 Jahren vorzeitig abschlagsfrei in Rente zu gehen.
Ich glaube, dass die Begründungen, die die Bundes-
arbeitsministerin in ihrem Begleitschreiben zu diesem
Gesetzentwurf geliefert hat, Argumente beinhalten, die
nicht von der Hand zu weisen sind. Es geht – so steht es
in der Begründung – insbesondere um die Menschen, die
während der deutschen Wiedervereinigung besondere
Nachteile und Schwierigkeiten in Kauf nehmen mussten,
die oft unverschuldet arbeitslos wurden, und es geht um
die Umbruchsituation in industriellen Kernzonen, zum
Beispiel im Ruhrgebiet. Denjenigen, die davon beson-
ders betroffen sind, soll nun in besonderer Weise gehol-
fen werden.

Wir legen großen Wert darauf, dass wir, wenn wir die-
sen Schritt jetzt gehen, bis 2029, wenn die Rente mit 67
erstmals voll greift, auch die Rente mit 65 nach 45 Bei-
tragsjahren wieder erreicht haben und wir sie so erreicht
haben, wie es ursprünglich gedacht war.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Bundesarbeitsministerin hat zu Recht darauf hinge-
wiesen, dass es im parlamentarischen Beratungsverfah-
ren noch Veränderungen geben wird. Hier gilt das
Stuck’sche Gesetz: Kein Gesetzentwurf verlässt den
Bundestag so, wie er eingebracht wurde. Wir werden das
in guter, fairer und vernünftiger Art miteinander disku-
tieren und bis zur endgültigen Abstimmung klären.

Damit die Menschen bis 67 arbeiten können, damit
die Menschen auch dann, wenn sie gesundheitliche
Schwierigkeiten haben, die Möglichkeit haben, ihrem
Erwerb nachzugehen und für ihre Altersvorsorge selbst
zu sorgen, wollen wir die finanziellen Möglichkeiten der
Rehabilitation, der medizinischen wie der beruflichen,
verbessern. Der Rehadeckel ist notwendig; denn es muss
hier auch Grenzen geben. Ich kann Ihnen einige Fälle
nennen, die zeigen, dass zum Teil Rehabilitationen ge-
macht werden, die in dieser Dimension nicht nötig ge-
wesen wären. Deswegen brauchen wir den Deckel. Aber
es muss ein atmender, ein flexibler Deckel sein, der dann
ansteigt, wenn viele Menschen davon betroffen sind, und
wieder sinkt, wenn weniger Menschen in der entspre-
chenden Alterskohorte sind. Das halten wir für den rich-
tigen Weg.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das sichert nicht, dass jeder eine Rehamaßnahme kriegt, der sie braucht! Darum geht es!)


Deswegen ist der Weg, den wir im Gesetzgebungsver-
fahren beschreiten, richtig.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben auch die besondere Situation der Men-
schen im Blick, die krank geworden sind, ohne dass sie
etwas dafür können, und eine Erwerbsminderungsrente
beziehen. Ja, wir als Union und übrigens auch unser Ko-
alitionspartner, die SPD, hätten wirklich gerne noch
mehr im Bereich der Erwerbsminderungsrente gemacht.





Karl Schiewerling


(A) (C)



(D)(B)

Aber wir haben auch andere Ziele im Blick zu behalten,
nämlich die Ziele, die der Bundesfinanzminister hat. Es
geht dabei darum, die Steuern nicht zu erhöhen und die
Staatsausgaben in den Griff zu bekommen, damit wir
über diesen Weg eine nachhaltige Grundlage für unser
Land schaffen.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mütterrente! Da, wo es darauf ankommt, geht Ihnen die Luft aus!)


Diese Ziele setzen uns gewisse Grenzen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ausge rechnet bei den Kranken!)

Auch wir wollen in der Tat flexiblere Übergänge in

die Rente. Norbert Blüm hat jüngst in einem Interview
dargelegt, dass die Zeit des Gleichmarsches im Indus-
triezeitalter längst vorbei ist. In unserer Gesellschaft gibt
es unterschiedliche Lebenssituationen. Es gibt Men-
schen, die weit länger als bis 67 arbeiten können und das
auch gerne möchten. Dann gibt es Menschen, die etwas
früher in Rente gehen möchten, und es gibt Menschen,
die vor dem Erreichen des Renteneintrittsalters gerne et-
was kürzertreten möchten. Wir müssen uns der Verbes-
serung dieser flexiblen Übergänge annehmen. Die Mög-
lichkeiten, die es heute schon gibt, wollen wir nutzen
und gegebenenfalls etwas gängiger machen. Wir werden
auch Vorschläge machen, wie wir diese Übergänge für
spätere Zeiten gestalten können.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802600500

Herr Kollege.


Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1802600600

Ich sehe einen zentralen Punkt bei der Rentenreform,

über die wir jetzt diskutieren, der auch für die Zukunft
wichtig sein wird.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802600700

Herr Kollege, darf ich Sie darauf aufmerksam ma-

chen, dass es für die Diskussion weiterer interessanter
Gesichtspunkte die erforderliche Zeit nicht mehr gibt?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Er darf länger! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir sparen das ein!)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1802600800

Ja. Ich nenne auch keinen weiteren Gesichtspunkt

mehr, sondern mache nur noch eine abschließende Be-
merkung, Herr Präsident. – Für uns ist zentral, dass die
Rentenversicherung das bleibt, was sie ist: eine Renten-
versicherung und keine Sozialleistung. Die Rente ist
keine Fürsorgeleistung des Staates, sondern selbst erar-
beitet. Wir müssen bei allem, was wir tun, darauf achten,
dass die Menschen wissen, dass sie das, was sie im Alter
bekommen, selbst verdient haben. Rente hat etwas damit
zu tun, dass man stolz auf seine Lebensleistung sein
kann. Wir wollen die Rahmenbedingungen so setzen,
dass diese Systeme nicht vermischt werden und dass die
Menschen stolz sein können auf das, was sie geleistet
haben. Der Staat wird dies honorieren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802600900

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun

Katrin Göring-Eckardt das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Schiewerling, Sie haben es gerade noch einmal sehr
deutlich gesagt: Bei der Rente geht es um Leistung. Frau
Nahles hat gesagt, dass es um die Anerkennung von Le-
bensleistung geht. Wenn man sich Ihr Paket anschaut
und es ausgepackt hat, dann sieht man, dass es in ganz
vielen Punkten eine Mogelpackung ist; denn es geht
nicht um die Lebensleistung aller, sondern nur um die
Lebensleistung mancher. Das kritisieren wir. Wir sagen
Ihnen: Schauen Sie bitte genauer hin, wenn es gerecht
zugehen soll. Schauen Sie sich bitte an, wie die Situation
derer ist, die im Alter in Armut leben. Diese Menschen
haben Sie bei Ihrem Rentenpaket vergessen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was ist mit den Frauen, insbesondere im Westen der
Republik, die gar keine Chance hatten, tatsächlich so
lange zu arbeiten, weil sie keine Kinderbetreuung hatten,
und die dann trotz guter Ausbildung nur Teilzeitjobs
oder niedrig bezahlte Jobs hatten? Diese Frauen verges-
sen Sie bei Ihrem Rentenpaket. Das ist ungerecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was ist mit denen, deren Rentenniveau so weit sinkt,
dass von Fairness, von Anerkennung in der Rente über-
haupt nicht mehr die Rede sein kann?


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das Rentenniveau habt ihr abgesenkt, liebe Kollegin von den Grünen!)


Nein, meine Damen und Herren, der eigentliche Re-
formbedarf in der Rentenversicherung ist riesig. Aber
Sie legen ein Paket vor, das gerade nicht reformiert. Sie
machen das Gegenteil. Ich sage Ihnen: Sie bauen vor al-
len Dingen das Vertrauen ab, das es in dieses System
einmal gegeben hat; man muss sich nur einmal an-
schauen, was man als junger Mensch überhaupt noch
von der Rentenversicherung erwarten kann. Das sage ich
Ihnen, obwohl ich es gut und richtig finde und obwohl
auch ich den Älteren gönne, was sie jetzt bekommen.

Aber fragen Sie einmal die 20-Jährigen, was die für
sich selbst von der Rentenversicherung erwarten.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die sind überwiegend für die Rente ab 63! Da gab es gerade eine neue Studie!)


Die erwarten nicht mehr, dass das eine Umlage ist. Die
erwarten noch nicht einmal mehr, dass es ein Nullsum-
menspiel ist. Das sind Leute, bei denen wir davon ausge-
hen, dass sie in einer nicht einfachen Situation hart ar-
beiten werden, viele von ihnen wahrscheinlich 45 Jahre
oder nach Ihren Vorstellungen sogar länger. Ich finde,
wenn man über Gerechtigkeit redet, dann muss es um





Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

Gerechtigkeit für alle gehen, die hart gearbeitet haben,
und um Gerechtigkeit für alle, die gar keine Chance hat-
ten, die Vorgaben zu erreichen, die Sie hier vorlegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Rentenniveau sinkt, die Altersarmut steigt, und
die Verbesserung bei den Erwerbsminderungsrenten
macht in Ihrem Paket noch nicht einmal 10 Prozent aus.
Ich will Ihnen sagen, wie die Situation heute ist: Wer
heute arbeitsunfähig ist, der kriegt im Durchschnitt
600 Euro im Monat. 600 Euro! Das liegt unterhalb des
Existenzminimums. Wer so wenig Geld hat, der muss im
Alter zum Sozialamt gehen. Wer ist überhaupt von Er-
werbsminderung betroffen? Das sind nicht Leute, die
faul auf der Haut gelegen haben. Das sind nicht Leute,
die in der Hängematte gelegen haben. Das sind Leute,
die hart gearbeitet haben, und zwar so hart, dass sie
krank geworden sind. Profitieren werden überhaupt nur
die, die nach dem 1. Juli dieses Jahres in Rente gehen.
Die kriegen dann am Ende 40 Euro mehr im Monat, also
600 Euro plus 40 Euro.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reicht immer noch nicht!)


Dann haben die aber immer noch keine auskömmliche
Rente, meine Damen und Herren. Da sage ich Ihnen klar
und deutlich: Das hat mit Gerechtigkeit, so wie wir sie
verstehen, nichts zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich verstehe nicht, warum Ihr Gerechtigkeitsempfinden
gerade bei denen aufhört, die besonders auf die Unter-
stützung der Gemeinschaft angewiesen wären.

Herr Schiewerling, ich finde, Ihre Einlassungen zu
den Rehaleistungen haben gezeigt, mit welchem Zynis-
mus Sie da herangehen.


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Was? Das ist ja unverschämt!)


– Nein.


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Wenn Sie Ahnung hätten, würden Sie so einen Quatsch nicht erzählen!)


– Herr Schiewerling, wenn Sie sich hier hinstellen und
sagen: „Es gibt Leute, die Rehaleistungen in Anspruch
nehmen, die sie eigentlich nicht brauchen“


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Nein! Von denen rede ich gar nicht! – Gegenruf des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie aber gesagt! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, das haben Sie gesagt, Herr Kollege!)


– das haben Sie hier gesagt –, dann sage ich Ihnen ganz
klar und deutlich: Das ist nicht meine und nicht unsere
Haltung gegenüber denen, die vom Arbeiten krank ge-
worden sind und Unterstützung brauchen. Das Reha-
paket ist schon klein genug, und die Leistungen nehmen
diejenigen in Anspruch, die sie tatsächlich brauchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: So hat er das ja gar nicht gesagt!)


Nun zur Lebensleistung derer, die so lange gearbeitet
haben; Beispiele sind genannt worden. All diese Men-
schen gehören einer bestimmten Generation an. Jetzt
kann man sagen: Ja, denen gönnen wir das. – Das ist
klar. Diejenigen, die zwischen 1951 und 1964 geboren
sind, haben die Chance auf eine Verbesserung. Eine
wirkliche Verbesserung gibt es aber nur für eine ganz
kleine Gruppe. Nicht erreichen werden Sie die Jüngeren.
Nicht erreichen werden Sie viele Frauen, die wenig ver-
dient haben. Nicht erreichen werden Sie die Ostdeut-
schen. Die haben bei Ihnen keine Chance.

Man hat schon den Eindruck, Gerechtigkeit gibt es
bei Ihnen nur für diejenigen, die Sie gut kennen,


(Heiterkeit des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


nämlich für diejenigen, mit denen Sie auf der Schulbank
saßen, so nach dem Motto: Man kennt sich, und man
hilft sich.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der SPD)


Die anderen, also diejenigen, die heute alt sind und in
Armut leben, und diejenigen, die jung sind und nach Ih-
ren Vorstellungen selbstverständlich länger arbeiten
müssen, haben Sie vergessen.


(Katja Mast [SPD]: Das ist aber ziemlich weit hergeholt!)


Auch das, meine Damen und Herren, ist nicht gerecht.
Deswegen sage ich klar und deutlich: Die Gerechtigkeit
hört in Ihrem Rentenpaket da auf, wo Sie nicht hingu-
cken können. Sie vergessen die, die wirklich Unterstüt-
zung brauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich werden wir eine Diskussion über Fach-
kräfte führen. Wir werden eine Diskussion über Frühver-
rentung haben. Ich verstehe nicht, wieso Sie Ihre Energie
nicht da hineinstecken, von den Unternehmen zu verlan-
gen, dass es eine echte Kultur der Altersarbeit gibt, von
der dann am Ende alle profitieren, dass es tatsächlich fle-
xible Übergänge gibt. Ich verstehe gar nicht, wieso Sie
die Gewerkschaften nicht in die Pflicht nehmen, für Ar-
beitsbedingungen zu sorgen, bei denen solche flexiblen
Übergänge möglich sind, und für Arbeitsbedingungen zu
sorgen, bei denen auch Ältere in Unternehmen noch an-
ständig arbeiten können. Das ist die Aufgabe: die Ge-
werkschaften und die Unternehmen in die Pflicht zu neh-
men, politisch zu sagen: „Daran arbeiten wir“, und nicht
einfach zu sagen: „Das ignorieren wir ab heute.“ – Denn
die Leute gibt es. Es gibt die Leute, die lange arbeiten
müssen und die es sich gar nicht leisten können, auch
nach Ihrem Paket nicht, mit 63 in Rente zu gehen, weil
nämlich ihre Rente so verdammt niedrig ist, dass sie da-
von am Ende nicht leben können. Meine Damen und





Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

Herren, ich sage Ihnen noch einmal: Gerecht geht an-
ders.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen bitte ich Sie herzlich: Denken Sie doch
wenigstens nach über die heutigen Kleinrentner, deren
Rentenniveau Sie senken! Denken Sie darüber nach, was
mit der Rentnerin ist, die in der zweiten Hälfte des Mo-
nats an dem Ausflug nicht teilnehmen kann, weil sie sich
Kaffee und Kuchen schlicht und ergreifend nicht leisten
kann!


(Widerspruch des Abg. Volker Kauder [CDU/ CSU])


– Schön, dass Sie darüber lachen.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Bei Ihrem Beitrag!)


Ich finde, ehrlich gesagt, dass diese Frau, die in Alters-
armut lebt, Ihnen ein Anliegen sein muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denken Sie im Übrigen auch darüber nach, was Sie mit
dem Bundeshaushalt und mit der Rentenversicherungs-
kasse machen! Sie wissen schon, dass es ab 2017/18
nicht mehr reichen wird. Das, was Sie machen, hat mit
Zukunftsverantwortung nichts zu tun. Deswegen sage
ich Ihnen: Ihr Paket ist nicht gerecht, und es ist zukunfts-
vergessen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802601000

Zu einer direkten Erwiderung nach § 30 unserer Ge-

schäftsordnung erhält der Kollege Schiewerling das
Wort.


Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1802601100

Frau Kollegin Göring-Eckardt, ich möchte Ihnen dan-

ken, dass Sie auf meinen Beitrag zur Rehabilitation ein-
gegangen sind, weil mir das die Gelegenheit gibt, Miss-
verständnisse, sollte es sie gegeben haben, an dieser
Stelle auszuräumen. Ich sage das auch als jemand, der
nun seit mehr als 30 Jahren in der Selbstverwaltung der
Deutschen Rentenversicherung tätig ist und auch Verant-
wortung für die Rehabilitation trägt.

Im Mittelpunkt meines Hinweises standen die vielfäl-
tigen Anfragen von Rehabilitationsträgern, das Reha-
budget unbegrenzt zu erhöhen. Wenn man jedoch Reha-
bilitationsträgern keine finanziellen Grenzen setzt, dann
ist die Gefahr groß, dass das Rehabudget ausufert. Es
geht also nicht darum, ob diejenigen, die eine Rehabilita-
tion brauchen, eine Rehabilitation auch bekommen – das
ist völlig unstrittig; deswegen wollen wir die Möglich-
keiten auch erweitern –, sondern es geht grundsätzlich
darum, den Rehadeckel beizubehalten, weil wir sonst die
Kosten nicht mehr in den Griff bekommen.

Das ist meine Intention gewesen. Meine Aussage be-
traf überhaupt nicht die Menschen, die eine Reha drin-
gend benötigen; im Gegenteil: Ich würde mir sehr wün-
schen, dass, wenn wir die Rehabilitationsmöglichkeiten
jetzt erweitern, möglichst viele, die eine Reha brauchen,
diese auch in Anspruch nehmen, damit sie wieder fit
werden für die Arbeitswelt. Das war meine Intention.
Mir lag daran, das an dieser Stelle klarzustellen. Auf alle
anderen Aussagen in Ihrer Rede will ich nicht eingehen;
ich denke, die Kolleginnen und Kollegen, die nach mir
reden, werden das tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Solange es den Deckel gibt, werden nicht alle eine Reha kriegen, die sie brauchen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802601200

Nächste Rednerin ist die Kollegin Carola Reimann

für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Carola Reimann (SPD):
Rede ID: ID1802601300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selten habe ich zu
einem geplanten Gesetz so viele Briefe, E-Mails und
Anrufe von Bürgerinnen und Bürgern erhalten wie in
den letzten Wochen zum Rentenpaket. Die persönlichen
Anfragen und Reaktionen bestätigen das, was uns die
Umfragen der letzten Wochen auch sagen: Die Men-
schen wollen das Rentenpaket, und sie wollen, dass es
jetzt möglichst zügig umgesetzt wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb ist klar: Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen,
dass das gesamte Paket wie angekündigt ab dem 1. Juli
bei den Leuten ankommt – nicht mehr und nicht weni-
ger.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir verfolgen mit
dem Rentenpaket ein klares Ziel: Wir wollen Gerechtig-
keitslücken schließen und die Lebensleistung unserer
Rentnerinnen und Rentner besser honorieren. Niemand
wird die Lebensleistung von Menschen anzweifeln, die
45 Jahre gearbeitet haben und die 45 Jahre mit ihren Bei-
trägen die gesetzliche Rentenversicherung stabil gehal-
ten haben. Wir wollen nicht, dass sie nach Jahrzehnten
harter Arbeit auch noch mit Abschlägen bestraft werden.
Wir wollen ihre Lebensleistung honorieren und nicht be-
strafen, auch wenn gesellschaftliche Umbrüche stattge-
funden haben.

Deshalb, Kolleginnen und Kollegen, wollen wir uns
ganz genau an den Koalitionsvertrag halten. Ich will da-
raus noch einmal zitieren. Auf Seite 51 steht:

Langjährig Versicherte, die durch 45 Beitragsjahre

– Folgendes steht dort explizit –


(einschließlich Zeiten der Arbeitslosigkeit) ihren

Beitrag zur Stabilisierung der Rentenversicherung
erbracht haben, können ab dem 1. Juli 2014 mit
dem vollendeten 63. Lebensjahr abschlagsfrei in
Rente gehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Dr. Carola Reimann


(A) (C)



(D)(B)

Kolleginnen und Kollegen, Lebensleistungen aner-
kennen, das gilt auch für die Erziehungsleistungen von
Müttern von vor 1992 geborenen Kindern. Auch diese
werden wir besser anerkennen. Außerdem werden wir
etwas für Menschen tun, die aus gesundheitlichen Grün-
den – das ist hier schon angeklungen – früher auf Leis-
tungen aus der Rentenversicherung angewiesen sind.
Zum einen sorgt das Rentenpaket für Verbesserungen bei
der Erwerbsminderungsrente, zum anderen wollen wir
die Rehabilitation stärken.

Es ist wichtig, dass wir in der Rentenversicherung den
Fokus künftig stärker auf Gesundheit richten. Gerade
vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung
ist absehbar, dass die Notwendigkeit von Rehabilita-
tionsmaßnahmen insgesamt wächst. Wir wollen, dass
alle möglichst lange gesund und aktiv am Berufsleben
teilnehmen können und auch nach einer Krankheit in die
Arbeit zurückkehren können. Unser Motto ist da „Reha
vor Rente“, gerade weil wir wissen, dass in Zukunft je-
der Mann und jede Frau auf dem Arbeitsmarkt gebraucht
wird.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann muss der Rehadeckel weg!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, uns geht es
also um die Anerkennung von Lebensleistungen, um
Unterstützung im Krankheitsfall und um Unterstützung
bei der Rückkehr auf den Arbeitsmarkt. Wer dies abfäl-
lig als „Wahlgeschenke“ abtut, hat offensichtlich keine
Ahnung, wie notwendig und wie wichtig die einzelnen
Maßnahmen des Rentenpakets für viele sind. Wir spielen
hier nicht das verspätete Christkind, sondern wir sorgen
dafür, dass die Rente besser und gerechter wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Natürlich gibt es das alles nicht zum Nulltarif. Aber
wir sind in der Lage, die notwendigen Verbesserungen
zu finanzieren, weil wir dank unserer wirtschaftlichen
Stärke finanziell gut aufgestellt sind. Diese wirtschaftli-
che Stärke ist im Übrigen nicht vom Himmel gefallen;
vielmehr ist sie ein Ergebnis weitreichender Reformen,
die wir Sozialdemokraten in schwierigen Zeiten durch-
gesetzt haben – auch bei der Rente.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das war nicht populär, und das war für keinen von uns
leicht; aber es war notwendig und an der Zeit. Genauso
ist es jetzt notwendig und an der Zeit, dass wir Gerech-
tigkeitslücken in der Rente schließen.

Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wir
brauchen hier keine Belehrungen. Wir haben bei unserer
Rentenpolitik der letzten Jahre immer beides im Blick
gehabt: die mit der demografischen Entwicklung ver-
bundenen Herausforderungen der Zukunft genauso wie
die Lebensleistungen und die Interessen der älteren Ge-
neration.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das kann man so und so sehen!)

Für uns ist das kein Widerspruch; für uns gehört das zu-
sammen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir starten
nun mit den parlamentarischen Beratungen zum Renten-
paket. Es ist ein Paket, das wir als Große Koalition be-
reits in den Koalitionsverhandlungen vereinbart haben
und das nach hervorragender Arbeit der Ministerin
Nahles und ihres Ministeriums nun in Gesetzesform hier
im Bundestag angekommen ist. Der Generalsekretär der
CDU, der Kollege Tauber – ich glaube, er ist gerade
nicht da –, hat kürzlich gesagt, er werde die Einführung
der Mütterrente liebevoll begleiten. Das freut mich. Wir
werden das selbstverständlich mit genauso viel Hingabe
tun: bei der Mütterrente, bei der Rente mit 63, bei der
Verbesserung der Erwerbsminderungsrente und auch bei
der Stärkung der Reha. Ich bin zuversichtlich, dass wir
so gemeinsam das große Rentenpaket zügig auf den Weg
bringen werden, damit es rechtzeitig ab dem 1. Juli 2014
den Menschen zugutekommt.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802601400

Sabine Zimmermann erhält nun das Wort für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802601500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wenn man die Debatte hier so verfolgt, dann
muss man einfach denken: Sie kennen die Realität in
diesem Land nicht, Sie wissen nicht, dass Millionen von
Menschen im Niedriglohnbereich arbeiten, teilweise mit
4,50 Euro die Stunde nach Hause gehen, Sie wissen
nicht, dass viele Menschen die Grundsicherung im Alter
brauchen, weil sie in den ganzen Jahren so niedrige
Löhne hatten. Ich denke, dass Sie die Realität gar nicht
kennen.

Sie sprechen hier vollmundig über die Anerkennung
der Lebensleistung und das Schließen von Gerechtig-
keitslücken. Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kol-
legen: Mein Kollege Matthias W. Birkwald hat recht,
wenn er sagt: Bei den von Ihnen angekündigten Maß-
nahmen handelt es sich nicht um ein Rentenpaket, es
handelt sich allenfalls um ein Rentenpäckchen und noch
dazu um eine Mogelpackung.


(Beifall bei der LINKEN)


„Rente muss zum Leben reichen“, das fordert auch
der Deutsche Gewerkschaftsbund zu Recht in seiner
Kampagne. Dank Ihrer Senkung des Rentenniveaus und
Ihrer Rente ab 67 werden aber immer mehr Menschen
sagen müssen: Meine Rente reicht nicht zum Leben. –
Hier ist Altersarmut vorprogrammiert. Und was tun Sie?
Sie tun nichts, meine Damen und Herren.





Sabine Zimmermann (Zwickau)



(A) (C)



(D)(B)

Ihre Maßnahmen haben mit Gerechtigkeit definitiv
nichts zu tun. Schauen wir uns die sogenannte Mütter-
rente einmal an: Sie wollen die Erziehungszeiten für vor
1992 geborene Kinder richtigerweise besser anerkennen.
Statt ein Jahr lang soll künftig zwei Jahre lang der
Durchschnittsbeitrag in die Rentenversicherung fließen.
Bei den Eltern, deren Kinder nach 1992 geboren sind,
werden aber drei Jahre anerkannt. Ich frage Sie: Ist das
gerecht? Gibt es für diese Ungleichbehandlung irgendei-
nen sachlichen Grund? Ich höre keinen, und ich kann das
niemandem erklären, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihnen fehlen der Wille und der Mut, das für eine ge-
rechte Lösung nötige Geld durch eine andere Steuerpoli-
tik aufzubringen. Sie lassen die Verkäuferin, die Kran-
kenschwester, den Müllwerker und prekär beschäftigte
Menschen diese Mütterrente bezahlen, während der
praktizierende Arzt, die Rechtsanwältin oder wir alle als
Abgeordnete des Deutschen Bundestages fein raus sind
und dort keinen müden Euro beisteuern müssen. Das ist
ungerecht.


(Beifall bei der LINKEN)


Was mich nicht nur als Frau aus dem Osten besonders
empört: Sie halten auch an der Ungleichbehandlung zwi-
schen Ost und West fest. Ich frage Sie, meine Damen
und Herren – wir sind im 25. Jahr der deutschen Ein-
heit –: Wie lange wollen Sie Ost und West noch unter-
schiedlich behandeln? Soll es noch in 100 Jahren so
sein? So kann es doch nicht weitergehen!


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Erklären Sie der Frau in Dresden doch einmal, warum
ihre Erziehungsleistung weniger wert sein soll als die ei-
ner Frau oder eines Mannes in Hamburg? Ich bin mir si-
cher, auch das können Sie nicht erklären.

Noch eines zur Rente ab 63 für langjährig Versi-
cherte: Für diese Reform brennen Sie hier ein Riesenfeu-
erwerk ab; dabei handelt es sich um nicht mehr als eine
eigentlich selbstverständliche Übergangsregelung, die
schon bei der Einführung der Rente ab 67 ins Gesetz ge-
hört hätte. Gleichzeitig zeigt Ihr Umgang mit Zeiten der
Arbeitslosigkeit einmal mehr, dass es Ihnen um manches
gehen mag, aber definitiv nicht um Rentengerechtigkeit.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie wollen nur kurzfristige Zeiten der Arbeitslosigkeit
anerkennen; das ist schlimm genug. Aber ein starkes
Stück ist es, wenn Sie auch noch argumentieren, es gehe
hier um die Lebensleistung. Nun frage ich Sie – da
möchte ich das Beispiel meines Kollegen noch einmal
aufgreifen –: Was unterscheidet einen Maurer, der vier-
mal ein Jahr arbeitslos war, von einem Maurer, der ein-
mal vier Jahre arbeitslos war?


(Zuruf von der CDU/CSU)

– Ja, Sie können sich aufregen; es ist aber so, und das
müssen Sie den Leuten draußen erklären. – Die gleiche
Frage können Sie bei einer Altenpflegerin stellen, die
auch hart arbeitet. Wo soll in diesen Fällen der Unter-
schied in der Lebensleistung liegen? Da gibt es keinen.
Dennoch verurteilen Sie Menschen, die langzeitarbeits-
los sind, mit saftigen Abschlägen in Rente zu gehen oder
aber länger zu arbeiten. Das hat nichts mit Gerechtigkeit
zu tun.


(Beifall bei der LINKEN)


So bleibt als Fazit des Rentenpäckchens eigentlich nur:
Manches wird besser, nichts wird gut, und das wird auch
so bleiben. Von einer Rentenreform sollten Sie erst wie-
der sprechen, wenn Sie sich den eigentlichen Baustellen
widmen. Statt das Rentenniveau weiter abzusenken,
muss es endlich wieder angehoben werden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


An der Rente mit 67, meine Damen und Herren, sollten
Sie nicht länger herumdoktern, sondern sie einfach beer-
digen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802601600

Das Wort erhält nun der Kollege Peter Weiß für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1802601700

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Was versprochen wurde, wird auch eingehalten: Das
steht eigentlich als Überschrift über diesem Rentenpa-
ket.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Daniela Kolbe [SPD])


Ich kann manche Kritik – vor allen Dingen manche
Zeitungskommentare – nicht verstehen. Die Wählerin-
nen und Wähler in unserem Land haben im September
vergangenen Jahres unsere Wahlprogramme und nicht
irgendwelche Zeitungskommentare gewählt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein: Mutti!)


Das, was sowohl im Wahlprogramm der Union als auch
in dem der SPD steht, wird mit diesem Gesetzespaket
umgesetzt, und ich sage ganz klar und deutlich: Die
Wählerinnen und Wähler haben auch einen Anspruch
darauf, dass wir das, was wir im Wahlprogramm zuge-
sagt haben, jetzt auch konkret in Gesetzesform gießen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zu Recht stellt sich in jeder Rentendebatte auch die
Frage nach der Generationengerechtigkeit;





Peter Weiß (Emmendingen)



(A) (C)



(D)(B)


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Wort dürfen Sie gar nicht in den Mund nehmen!)


denn darauf fußt unser Rentensystem, und natürlich ist
es so, wie Frau Göring-Eckardt sagte, dass sich ein
20-Jähriger, wenn er ins Arbeitsleben eintritt, heute
fragt, was er einmal von der Rente erwarten kann.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn?)


Ich finde, das sozialpolitisch Wichtigste ist, dass sich ein
Arbeitnehmer und eine Arbeitnehmerin in unserem Land
darauf verlassen können, Leistungen einer Sozialversi-
cherung zu erhalten, wenn sie in eine Lebenssituation
kommen, in der sie sich selber nicht mehr helfen können,
wenn sie also einen Unfall erleiden oder erkranken und
nicht mehr am Erwerbsleben teilnehmen können oder
zeitweise ausscheiden müssen.

Deshalb sind für mich die Verbesserungen bei der Be-
rechnung der Erwerbsminderungsrente, also der Rente
für diejenigen, die einfach nicht mehr arbeiten können
und vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden müs-
sen, und die Anhebung des Budgets für Rehaleistungen,
also für Gesundheitsmaßnahmen in dem Fall, dass man
krank ist und in eine Kur muss, Akte der Generationen-
gerechtigkeit. Auch die junge Generation kann sich da-
rauf verlassen: Wenn man sich selber nicht mehr helfen
kann, hilft die Rentenversicherung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die Erwerbsminderungsrentner bleiben bei Ihren Verbesserungen aber doch in der Grundsicherung!)


Natürlich geht es bei der Generationengerechtigkeit,
wenn man sie richtig durchbuchstabiert, nicht nur um
eine Generation. Dass wir heute endlich die Mütterrente
verbessern – die Anrechnungszeit wird für Mütter von
vor 1992 geborenen Kindern verdoppelt –, betrifft doch
vor allen Dingen Mütter, die damals keine U-3-Betreu-
ungsplätze und oft auch keinen Kindergartenplatz fan-
den, weil es noch keinen Rechtsanspruch auf U-3-Be-
treuung oder einen Kindergartenplatz gab. Deswegen
sind sie ganz oder teilweise aus dem Beruf ausgestiegen.

Die Kinder, die damals geboren wurden, stützen heute
als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihren Bei-
trägen unser Rentenversicherungssystem. Deswegen ist
es doch geradezu ein Gebot der Generationengerechtig-
keit, dass wir die Lebensleistung dieser Mütter besser
anerkennen. Deshalb ist das ein zentraler Punkt, den wir
mit diesem Rentenpaket durchsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, selbstver-
ständlich erwarten auch die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer, die in einer langen Lebensleistung mit ihren
Beiträgen das Sozialsystem insgesamt getragen und fi-
nanziert haben und mit ihren Steuern unseren Staat fi-
nanzieren, dass wir ihre Lebensleistung in besonderer
Weise würdigen. Deswegen wird man landauf, landab
stets hören: Wer 45 Jahre lang hart gearbeitet und etwas
für diesen Staat geleistet hat, dem darf man auch eine
Anerkennung in der Form zukommen lassen, dass er
nicht unbedingt noch länger arbeiten muss, sondern ohne
Abschläge in Rente gehen kann, wenn er das Rentenalter
erreicht hat. Ich halte auch das für einen Akt der Gerech-
tigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen haben wir übrigens in der letzten Großen
Koalition, als wir nach einem mühsamen Prozess mitein-
ander beschlossen hatten, die Regelaltersgrenze in der
Rentenversicherung von 65 Jahre auf 67 Jahre anzuhe-
ben, was richtig ist und auch so bleibt, gleichzeitig be-
schlossen: Wer 45 Beitragsjahre aufweist, der kann auch
in Zukunft mit 65 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen.
Das war für uns ein wesentlicher Bestandteil der Verein-
barung, um die Regelaltersgrenze in Deutschland anzu-
heben. Auf der anderen Seite wollen wir alles tun, um
nicht neue Frühverrentungsanreize zu schaffen; denn das
wäre das falsche Signal.

Wir steigen jetzt in die parlamentarischen Beratungen
ein. Es gibt unterschiedliche Ideen und Vorstellungen,
die wir miteinander prüfen. Für uns als Union ist aber
wichtig – ich glaube, die Sozialdemokraten sehen das
genauso –, dass am Ende eine Beschlussfassung im Bun-
destag mit folgendem Inhalt stehen muss: Ja zu diesem
Rentenpaket, aber Nein zu neuen Frühverrentungsanrei-
zen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zu Recht wird natürlich die Frage nach den Renten-
finanzen gestellt. Dabei sind zwei Dinge wichtig.

Das Erste ist: Ja, wir als Staat bezuschussen die Leis-
tungen der Rentenversicherung mit hohen Steuerbeträ-
gen. Mittlerweile kommt ein Drittel dessen, was ausge-
zahlt wird, nicht aus Beitragsmitteln, sondern vonseiten
des Staates aus Steuermitteln. Wir beschließen bereits
mit diesem Gesetz, dass wir zur nachhaltigen Finanzie-
rung der Rentenfinanzen in den nächsten vier Jahren zu-
sätzliche Steuermittel für die Rentenversicherung zur
Verfügung stellen.

Das Zweite ist – das ist noch wichtiger – der Beitrag
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der Präsident
der Bundesagentur für Arbeit hat vor zwei Tagen in sei-
ner Pressekonferenz erklärt, dass die Bundesagentur für
Arbeit davon ausgeht, dass wir in diesem Jahr einen
neuen Beschäftigungsrekord in Deutschland erreichen
können. Das zeigt: Solide Finanzen der Rentenversiche-
rung hängen zuallererst an einer guten Beschäftigungs-
situation und an den vielen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern, die mit ihren Beiträgen die Rentenversi-
cherung unterstützen.

Wir als Große Koalition können dieses Rentenpaket
deswegen mit gutem Gewissen beschließen, weil wir ei-
nerseits zusätzliche Generationengerechtigkeit schaffen
und wir andererseits durch eine gute wirtschaftliche Ent-
wicklung dafür sorgen, dass auch in Zukunft die Einnah-
men für die Rentenversicherung gesichert sind.

Vielen Dank.





Peter Weiß (Emmendingen)



(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802601800

Markus Kurth spricht nun für die Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802601900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Weiß, Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU dürfen das Wort „Generationengerechtig-
keit“, wenn Sie dieses Paket verabschieden, bis zum
Ende Ihres Lebens nicht mehr in den Mund nehmen.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der SPD)


Ich wollte diese Rede eigentlich nicht mit einer Be-
trachtung der finanziellen Folgen beginnen, aber Ihre
Reden provozieren nun wirklich sehr. Es muss einem
bange werden, wenn man sich ansieht, was im Jahr 2018
im Bereich Beitragssatzentwicklung dräut.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Herr Kurth, der Beitrag lag bei 20 Prozent!)


Zwar muss der Beitragssatz wegen der demografischen
Entwicklung 2018 sowieso steigen. Aber diese Entwick-
lung wird durch ihr Rentenpaket jetzt noch einmal ver-
stärkt.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Unter RotGrün, Herr Kurth, war der Beitragssatz bei 19,9 Prozent!)


– Max Straubinger, seien Sie doch einmal still und hören
Sie zu!


(Widerspruch bei der SPD – Burkhard Lischka [SPD]: Sie schreien doch herum!)


Erinnern Sie sich nicht daran, dass eine Serie von Bei-
tragssatzsteigerungen in der Vergangenheit Diskussio-
nen um das Leistungsniveau ausgelöst hat


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Der Beitragssatz sinkt, Herr Kurth!)


und es in der gesetzlichen Rentenversicherung tatsäch-
lich zu Niveauabsenkungen gekommen ist? Jetzt sind
wir aber im Unterschied zu der Zeit vor 10 oder 20 Jah-
ren an dem Punkt angelangt, dass das Rentenniveau kei-
nesfalls weiter absinken darf.

Ein Eckrentner wird im Jahr 2030 nach Steuern nur
noch 950 Euro netto haben. Dieses Niveau darf nicht un-
terschritten werden. Wenn die gesetzliche Rente selbst
nach einem halbwegs soliden Erwerbsleben nicht einmal
zur Armutsvermeidung reicht, dann ist es mit der Akzep-
tanz des Umlageverfahrens wirklich vorbei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wer hat denn das Rentenniveau abgesenkt? Das wart doch ihr!)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802602000

Herr Kollege Kurth, darf Ihnen der Kollege

Straubinger eine Zwischenfrage stellen?


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802602100

Ja, gerne. Bitte schön.


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1802602200

Herr Kollege Kurth, weil Sie sich vorhin so um den

Beitragssatz gesorgt haben: Könnten Sie mir bestätigen,
dass der Beitragssatz unter der rot-grünen Bundesregie-
rung bei 19,9 Prozent lag und er jetzt bei 18,9 Prozent
liegt und somit unter Unionsregierungen gesenkt worden
ist?


(Beifall bei der CDU/CSU)



Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802602300

Ich kann Ihnen Folgendes sagen: Als Rot-Grün 1998

an die Regierung kam, lag der Rentenbeitragssatz, den
wir von der Regierung Kohl übernommen haben, bei
etwa 20 Prozent. Wir haben daraufhin die Ökosteuer ein-
geführt, also Umweltverschmutzung finanziell belastet,
und die Erträge aus dieser Steuer in die gesetzliche Ren-
tenversicherung fließen lassen. Dann haben wir – auch
wenn man sich noch einmal kritisch damit befassen
muss – mit der Riester-Rente bzw. dem Riester-Faktor
eine zusätzliche Säule geschaffen. 2004 haben wir den
Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt, damit die Entwicklung
des zahlenmäßigen Verhältnisses von Beitragszahlern
und Rentnern berücksichtigt wird.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Beitragssatz!)


Das heißt, alles, was im Kern zu der guten Finanzent-
wicklung der heutigen Rentenversicherung geführt hat,
geht auf Fundamentalentscheidungen von Rot-Grün zu-
rück. Das ist die historische Wahrheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist ja das Problem! Deswegen sinkt das Rentenniveau!)


An dem Punkt muss man in der Tat darauf achten,
Herr Birkwald, dass man die Schraube nicht überdreht.
Jeder Autoschrauber weiß: Nach ganz fest kommt ganz
lose. Darum sagen ich hier ganz deutlich: Es ist auch
eine Frage der Generationengerechtigkeit, dass sich die-
jenigen, die heute einzahlen, darauf verlassen können,
dass das Rentenniveau auch in Zukunft armutsfest ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802602400

Darf der Kollege Ernst auch noch eine Zwischenbe-

merkung machen? Das ist dann allerdings die letzte, die
ich zulassen würde.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802602500

Ich bin offen für alle Hinweise, wenn ich helfen kann,

zur Erkenntnis beizutragen.






(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802602600

Bitte schön.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802602700

Danke schön, Kollege Kurth. Meine Bemerkung

schließt an das an, was der Kollege Straubinger gesagt
hat: In der Zeit, in der Sie regiert haben, ist doch genau
die Absenkung des Leistungsniveaus beschlossen wor-
den, die Sie jetzt kritisieren.


(Beifall bei der LINKEN – Heiterkeit bei der CDU/CSU – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!)



Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802602800

Nein. – Natürlich haben die Beschlüsse von Rot-Grün

zu einem sinkenden Rentenniveau bzw. zu einem langsa-
meren Anstieg der Rentenpunkte geführt.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Okay! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Bei höheren Beiträgen! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)


Das will doch niemand bestreiten. Wir haben nämlich
gesehen, dass es ein Spannungsfeld gibt, das wir bear-
beiten müssen: zwischen Beitragszahlern einerseits,
Rentnerinnen und Rentnern andererseits und dem erheb-
lichen Staatszuschuss auf der dritten Seite. Wir haben
versucht, das in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen,
und ich denke, das ist auch einigermaßen gut geglückt.


(Zurufe von der LINKEN)


Ich leugne doch gar nicht, dass wir an der einen oder
anderen Stelle Nachsteuerungsbedarf haben. Daran, dass
zum Beispiel die Riester-Rente und Möglichkeiten der
privaten und betrieblichen Altersvorsorge gerade von
denen, die geringste Einkommen haben, nicht in An-
spruch genommen werden, sehen wir, dass es zusätzli-
che Probleme gibt. Darauf haben wir Grüne auch re-
agiert. Wir schlagen das Modell einer sogenannten
Garantierente für Personen vor, die 30 Jahre lang versi-
chert waren und Beiträge gezahlt haben.

Bleiben Sie bitte stehen, Herr Ernst! Das gehört noch
zur Beantwortung der Frage, Herr Ernst. Nicht wegdu-
cken! Ah, Angst hat er!


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Meine Frage war ganz eindeutig!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802602900

Da muss ich Sie enttäuschen, Herr Kollege. Die

Frage, wie lange die Antwort des jeweiligen Redners
ohne Beachtung seiner eigentlichen Redezeit notwendig
und angemessen ist, entscheidet der amtierende Präsi-
dent.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Deswegen darf der Kollege Ernst sich jetzt wieder set-
zen, und Sie dürfen fortfahren.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)



Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802603000

Na ja. – Wir Grünen machen jedenfalls den Vor-

schlag, nach 30 Versicherungsjahren Renten, die unter-
halb des Grundsicherungsniveaus liegen, aufzustocken,
und zwar in der Form, dass sie über dem Grundsiche-
rungsniveau liegen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, auf 30 Entgeltpunkte! Aber Sie senken den Wert immer weiter!)


Das heißt, wir entwickeln an der Stelle Vorschläge zur
Armutsbekämpfung und steuern da, wo wir es erkennen
und wo es notwendig ist, natürlich nach.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Ernst, das gehört noch zu der Antwort auf Ihre
Frage, auch wenn die Redezeituhr schon weitergelaufen
ist.

Was die Aussichten bezüglich der Finanzierung an-
geht, finde ich es dramatisch, dass wir möglicherweise
ab dem Jahr 2018 wieder auf eine Kürzungsdebatte zu-
laufen. Wenn es ganz schlecht läuft, dann werden sich
nämlich die Rentengeschenke von heute als die Renten-
kürzung von morgen erweisen. Das müssen Sie dann
verantworten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In der knappen Zeit kann ich nur noch auf eines ein-
gehen: Sie erkennen auch wichtige Herausforderungen
nicht. Sie reden zwar von längerer Lebensarbeitszeit und
flexiblen Übergängen. Aber genau in der Hinsicht ma-
chen Sie gar nichts. Sie bieten nur Scheinlösungen wie
die sogenannte Rente mit 63 an. Wir brauchen aber Lö-
sungen für alle, die, sei es aus gesundheitlichen oder aus
anderen Gründen, das Renteneintrittsalter nicht errei-
chen können.

Diese Lösungen müssen möglichst individuell zuge-
schnitten sein. Das heißt, wir brauchen mehrere Ansätze,
etwa von einer zweiten Ausbildung im Berufsleben über
eine Teilrente bis hin zu einer vernünftigen Erwerbsmin-
derungsrente. Es muss also ein vielfältiges Instrumenta-
rium geben statt einfältige Einheitslösungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Am schlimmsten finde ich, dass mit der abschlags-
freien Rente nach 45 Beitragsjahren gar nicht diejenigen
erreicht werden, die es am dringendsten nötig hätten.
Ganz entgegen der SPD-Rhetorik kommen diese näm-
lich gerade nicht in den Genuss der sogenannten Rente
mit 63, weil sie die 45 Beitragsjahre längst nicht errei-
chen. Schauen Sie sich die Rentenzugangsstatistiken der
Versicherung an. Vier von zehn Bauarbeitern gehen vor-
zeitig in die Erwerbsminderungsrente, mehr als ein Drit-
tel der Maler und Lackierer, vier von zehn Hilfsarbei-
tern. So können Sie die Branchen durchgehen und sehen,
wer überhaupt nicht in den Genuss dieser neuen schönen
Sozialleistung kommt.





Markus Kurth


(A) (C)



(D)(B)

Ich finde es – das muss ich abschließend noch sagen –
empörend, dass diejenigen, die nach Jahrzehnten teils
härtester Arbeit aus gesundheitlichen Gründen mit ge-
kürzter Rente in den Ruhestand gehen müssen, von Ih-
nen auch noch zu hören kriegen, mit dem Rentenpaket
täten Sie etwas für diejenigen, die etwas geleistet haben.
Das kann doch im Umkehrschluss nur bedeuten, dass Sie
die anderen als Minderleister ansehen, mit deren Renten-
beiträgen Sie die Geschenke für die anderen finanzieren,
als Minderleister, deren Rentenniveau Sie ja auch kalt-
blütig absenken.


(Widerspruch bei der SPD)


– Nein, das ist genau so. – Sie spielen Arbeitnehmer ge-
geneinander aus. Ich wundere mich an der Stelle schon,
dass sich auch die Gewerkschaften, die die besonders
belasteten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vertre-
ten, nicht zu Wort melden. Erinnert sich noch jemand an
den Schattenarbeitsminister Klaus Wiesehügel? Er wird
sich jetzt wohl bewusst, dass er nur Wahlkampfkom-
parse war.


(Christine Lambrecht [SPD]: Jetzt wird es aber unterste Schublade!)


Nein, Ihre Politik geht an den wirklichen Herausfor-
derungen vorbei, und Sie leisten bei der Finanzierung
richtig schlechte Arbeit.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802603100

Das Wort erhält nun die Kollegin Katja Mast für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1802603200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Herr Kurth, Sie tun hier beim ersten gro-
ßen Gesetzespaket der Großen Koalition, als sei sie mor-
gen schon vorbei. Wir haben uns viel mehr vorgenom-
men als das, was wir heute vorlegen. Wir sind aber auch
stolz auf das Rentenpaket, das eine abschlagsfreie Rente
nach 45 Versicherungsjahren und die Mütterrente vor-
sieht, außerdem die Erwerbsminderungsrente für die
Leute, die Sie am Schluss erwähnt haben, verbessert und
auch den Rehadeckel anhebt, womit wir sehr viel für die
Vorsorge tun. Wir stehen zu diesem Rentenpaket.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe für meine Rede heute dank der Hanns-
Seidel-Stiftung


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Gute Stiftung!)


etwas gefunden, nämlich die Wahlplattform der CDU
und CSU aus dem Jahr 1998 für die Legislatur bis 2002.
In dieser Wahlplattform

(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Haben wir die Mütterrente gefordert!)


steht auf Seite 21 ein folgenschwerer Satz. Ich würde
gerne zitieren, wenn Sie, Herr Präsident, es zulassen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, nein! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802603300

Doch. Im Unterschied zum Fraktionsvorsitzenden der

Union gestatte ich Ihnen dieses Zitat ausdrücklich.


(Heiterkeit)


Es sollte sich allerdings im Rahmen Ihrer Redezeit ab-
spielen.


Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1802603400

Das versuche ich. Vielen Dank. – Dort steht der fol-

genschwere Satz:

Wer nach 45 Beitragsjahren in Rente geht, soll
keine Abschläge hinnehmen müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Max Straubinger [CDU/ CSU]: Das haben wir auch gemacht!)


Deshalb sind wir froh, dass wir diese Forderung jetzt
gemeinsam umsetzen und auch bei diesem Punkt unsere
in der Öffentlichkeit immer wieder hochgespielten Dis-
sense sicherlich in naher Zukunft zur gemeinsamen Zu-
friedenheit lösen werden.


(Beifall bei der SPD)


Ich würde gerne meinen Blick in die Zukunft richten
und an dieser Stelle – noch einmal mit Erlaubnis des
Herrn Präsidenten – unseren Koalitionsvertrag kurz zi-
tieren. In unserem Koalitionsvertrag steht auf Seite 72:

Deswegen wollen wir lebenslaufbezogenes Arbei-
ten unterstützen. Wir werden den rechtlichen Rah-
men für flexiblere Übergänge vom Erwerbsleben in
den Ruhestand verbessern.

Das heißt, wir wollen Hemmnisse beim Übergang in die
Rente gemeinsam abbauen, darüber ins Gespräch kom-
men und dazu künftig gemeinsame Initiativen hier star-
ten. Im Rentenrecht ist es übrigens heute schon so, dass
derjenige, der keine Vollrente bezieht und länger arbei-
tet, pro Monat, in dem er oder sie arbeitet, 0,5 Prozent-
punkte mehr Rente am Ende herausbekommt. Es gibt
also einen Bonus schon in unserem heutigen Renten-
recht.

Es gibt aber noch ein zweites Instrument, das uns am
Herzen liegt. Das ist die sogenannte Teilrente. Die Teil-
rente kann man ab 63 Jahren bekommen, wenn man ei-
nen Rentenanspruch hat. Heute ist es oft so: Wenn man
in Rente geht, dann empfindet man den Renteneintritt
wie ein Fallbeil. Man hat in der vorherigen Woche noch
39 Stunden am Band oder in der Altenpflege gearbeitet,
und in der kommenden Woche ist man – nicht immer zur
Freude der Familie – die ganze Zeit zu Hause. Deshalb
geht es auch darum, gleitende Übergänge in Rente zu or-
ganisieren.





Katja Mast


(A) (C)



(D)(B)

Die Teilrente im geltenden Gesetz ist aber leider sehr
starr und sehr kompliziert. Wenn wir mit unserem Koali-
tionspartner über lebenslauforientierte Übergänge in die
Rente für die kommenden Generationen reden, weisen
wir immer darauf hin, dass wir genau an dieser Stelle an-
setzen und die gesetzlichen Regelungen modernisieren
müssen. Das ist ein Punkt, der für uns ganz wichtig ist.
Gerade für diejenigen, die zum Beispiel jetzt auf der Zu-
schauertribüne sitzen – ich vermute, dass es sich bei den
jungen Damen und Herren um Schulklassen handelt –,
geht es darum, in ihren Erwerbsbiografien, die von An-
fang an von Flexibilität geprägt sind, den Übergang zur
Rente zu organisieren.

Unser Koalitionsvertrag trägt die Überschrift
„Deutschlands Zukunft gestalten“. Das ist nicht nur eine
Überschrift, sondern unsere Überzeugung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802603500

Nächster Redner ist der Kollege Stephan Stracke für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt passen Sie auf, Frau Kollegin! Jetzt kommt die Antwort!)



Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1802603600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Mit dem vorgelegten Rentenpaket setzen wir
zentrale rentenpolitische Verabredungen des Koalitions-
vertrages um. Der Gesetzentwurf trägt deutlich die
Handschrift der Union. Mit der Mütterrente und den Ver-
besserungen bei der Erwerbsminderungsrente und bei
der Reha greifen wir langjährige Forderungen der CSU
auf. Hiervon profitieren 10 Millionen Menschen in die-
sem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Rentenpaket ist Ausdruck zweier wesentlicher
Grundprinzipien: Generationengerechtigkeit und Leis-
tungsgerechtigkeit. Wir verbinden beide miteinander.
Leitgedanke ist: Wir wollen diejenigen belohnen, die ein
Leben lang viel geleistet haben. Deshalb ist die Mütter-
rente gerechtfertigt. Sie stellt den zentralen rentenpoliti-
schen Fortschritt in diesem Paket dar. Deshalb wird sie
zum 1. Juli dieses Jahres kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Rente ist ein Spiegel der gesamten Lebensleis-
tung. Zur Lebensleistung von über 9 Millionen Frauen in
diesem Land gehört auch, dass sie Kinder erzogen ha-
ben, und das unter Bedingungen, wie es sie jetzt nicht
mehr gibt. Die Generationen unserer Mütter und Groß-
mütter hatten nicht die hervorragenden Betreuungsmög-
lichkeiten, von denen beispielsweise meine Generation
profitieren kann. So wurde die Berufstätigkeit oftmals
über einen längeren Zeitraum unterbrochen oder gar
gänzlich aufgegeben. Das führte dann im Alter dazu,
dass sie niedrigere Renten beziehen, und das, obwohl sie
ein Leben lang viel geleistet haben. Das ist nicht gerecht.
Es ist auch nicht gerecht, dass sie bei der Anerkennung
von Kindererziehungszeiten deutlich schlechter gestellt
sind als die heutige Generation. Das haben viele gesell-
schaftliche Gruppen angesprochen. Wir haben das als
CSU aufgegriffen und auf die politische Agenda geho-
ben, und jetzt kommt es.

Dabei ist auch richtig und wichtig, zu betonen: Die
Mütterrente ist ein Generationenprojekt, ein Projekt, das
über alle Generationen hinweg geht. Gerade die junge
Generation


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bezahlt!)


muss sich sagen: Es geht um meine Eltern, um meine
Mutter, meinen Vater, meinen Opa, meine Oma. – Und
sie erkennt die Leistungen der vorangegangenen Genera-
tionen an, indem sie sagt: Ihr habt viel geleistet und habt
uns Chancen eröffnet, die ihr selber nicht hattet. Deswe-
gen sollt ihr auch von der Mütterrente profitieren. – Die-
jenigen, die hart gearbeitet haben, verdienen eine anstän-
dige Rente. Dafür sorgen wir mit der Mütterrente.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Unsere Eltern und Großeltern haben wie keine andere
Generation in der Bundesrepublik Deutschland zum Er-
halt des Generationenvertrags beigetragen. Aus den Kin-
dern von damals wurden die Beitragszahler von heute.
Genau sie sind es, die für die hervorragende wirtschaftli-
che Situation in diesem Land gesorgt haben. Deswegen
haben wir jetzt finanzielle Spielräume. Diese nutzen wir
für die Mütterrente. Wer viel geleistet hat, soll auch viel
profitieren. Das galt und gilt auch für die abschlagsfreie
Rente nach 45 Beitragsjahren. Wir haben im Übrigen,
Frau Kollegin Mast, immer von 45 Beitragsjahren ge-
sprochen. Von der Anerkennung von Arbeitslosenzeiten
war damals nicht die Rede.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Steht aber in Ihrem Koalitionsvertrag drin! – Katja Mast [SPD]: Sie haben aber doch dem Koalitionsvertrag zugestimmt, Herr Kollege!)


Es geht vielmehr ausschließlich darum, dass wir die
Leistung derjenigen, die viel und hart gearbeitet haben,
entsprechend anerkennen. Derjenige, der ein halbes
Jahrhundert lang mit seinen Beiträgen dazu beigetragen
hat, unser Rentensystem zu sichern und zu stabilisieren,
verdient am Ende seines Erwerbslebens Solidarität. Des-
wegen sagen wir: Die abschlagsfreie Rente mit 65 ist
richtig.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, ab 65! Da geht es auch wieder hin!)


– Ab 65 ist richtig. – Wir haben im Rahmen des Koali-
tionsvertrages vereinbart, dass wir diese Rente über-
gangsweise zwei Jahre vorziehen, auf 63. Dies bauen wir
wieder schrittweise bis zum Jahre 2028 auf. Dann errei-
chen wir wieder das Niveau, was wir vorher hatten.





Stephan Stracke


(A) (C)



(D)(B)


(Katja Mast [SPD]: Nein! Das steht nicht im Koalitionsvertrag! Bitte zitieren Sie den Koalitionsvertrag, Herr Kollege!)


Wenn wir im Übrigen Zeiten der Arbeitslosigkeit zeit-
lich begrenzt und übergangsweise anerkennen, dann
muss auch ein weiteres Prinzip gelten: Es kann nicht
sein, dass derjenige, der in das Rentenversicherungssys-
tem freiwillig Beiträge zahlt, schlechter gestellt wird als
derjenige, dem beispielsweise Zeiten von Arbeitslosig-
keit anerkannt werden. Es kann doch nicht sein, dass bei-
spielsweise ein Handwerker, der sehr viel arbeitet und
18 Jahre in die Pflichtversicherung gezahlt hat und sich
dann entscheidet, bis zur Rente freiwillig Beiträge zu
zahlen, schlechter gestellt wird als derjenige, dem Ar-
beitslosenzeiten gutgeschrieben werden. Das ist auch
eine Frage der Gerechtigkeit. Wir müssen diese Gerech-
tigkeitsfrage entsprechend lösen. Auch hier befinden wir
uns im Gespräch mit unserem Koalitionspartner.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Für uns ist ganz klar: Der Weg der Rente mit 67 ist
der richtige Weg. Daran halten wir auch fest; denn die
Rente mit 67 ist das schlichte Ergebnis praktischer Ver-
nunft. Wenn jemand, der heute mit 65 Jahren im Er-
werbsleben steht, noch knapp 19 Jahre unter guten Rah-
menbedingungen leben kann, dann ist es doch klar, dass
wir unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtig-
keit zusehen müssen, die Rentenversicherung dauerhaft
tragbar zu machen. An dem eingeschlagenen Weg
„Rente mit 67“ halten wir fest; hierfür braucht es aller-
dings auch soziale Flankierung. Genau dafür sorgen wir
jetzt, indem wir die Erwerbsminderungsrente verbessern
und gleichzeitig das Rehabudget aufstocken.

All das zeigt: Das Rentenpaket ist ein rundes Paket,
das insbesondere Verbesserungen bei der Mütterrente
mit sich bringt. Alle Vorhaben sind auch generationen-
gerecht finanziert. Das Rentenpaket ist generationenge-
recht, weil es mittel- und langfristig finanziert ist. Im
Rentenversicherungsbericht aus dem Jahr 2009 gab es
die Prognose, dass der Beitragssatz im Jahr 2014 bei
19,9 Prozent liegen wird. Tatsächlich liegen wir bei
18,9 Prozent. Das sind 10 Milliarden Euro Ersparnis
jährlich.


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Genau!)


Das zeigt, wie gut wir derzeit dastehen. Das hängt damit
zusammen, dass wir eine hervorragende wirtschaftliche
Entwicklung haben, dass wir für viele sozialversiche-
rungspflichtige Arbeitsplätze sorgen. Deswegen haben
wir jetzt die Spielräume, die Dinge so machen zu kön-
nen, wie es im Rentenpaket vereinbart ist. Das wollen
wir gemeinsam tun.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802603700

Martin Rosemann ist der nächste Redner für die SPD-

Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Martin Rosemann (SPD):
Rede ID: ID1802603800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Vorwurf ge-
genüber dem Rentenpaket der Bundesregierung, den ich
in den letzten Wochen immer wieder gehört und gelesen
habe und der heute aus den Reihen von Bündnis 90/Die
Grünen von Herrn Kurth und Frau Göring-Eckardt wie-
der erhoben wurde, ist, wir würden nicht dort ansetzen,
wo der Bedarf am größten ist.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, dem
liegt ein grundsätzliches Missverständnis


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Ihrer Politik, ja!)


über unser deutsches Rentenversicherungssystem zu-
grunde. Die Rente ist keine Sozialleistung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Natürlich soll die gesetzliche Rentenversicherung Al-
tersarmut verhindern. Deswegen nehmen wir die Verbes-
serungen bei der Erwerbsminderungsrente vor. Deswegen
werden wir als Große Koalition in dieser Legislaturpe-
riode auch die solidarische Lebensleistungsrente einfüh-
ren. Aber gleichermaßen muss die solidarische gesetzli-
che Rente Lebensleistung anerkennen. Deswegen wollen
wir die Mütterrente und auch die sogenannte Rente mit
63 Jahren. Damit erkennen wir vor allem die Leistung
der Menschen an, die sehr früh ins Arbeitsleben einge-
stiegen sind und dann lange und in der Regel körperlich
sehr hart gearbeitet haben. Von der Anerkennung der Le-
bensleistung hängt meines Erachtens das Vertrauen in
das System der gesetzlichen Rente ganz maßgeblich ab.
Vertrauen ist bei unseren sozialen Sicherungssystemen,
gerade auch bei der Rente, besonders wichtig.

In einer älter werdenden Gesellschaft müssen die
Leute im Durchschnitt auch länger arbeiten. Deshalb
wollen wir als SPD die Entwicklungen beim Rentenein-
trittsalter nicht zurückdrehen, und deshalb wollen wir
auch keine Rückkehr in die alte Frühverrentungslogik
der 80er- und 90er-Jahre.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wissen aber, dass es neben der demografischen Re-
alität auch eine gesellschaftliche Realität und eine Reali-
tät in den Betrieben gibt. Das verlangt von uns differen-
zierte Antworten, vor allem für erwerbsgeminderte
Personen und für Leute, die sehr früh ins Erwerbsleben
eingestiegen sind. Durch differenzierte Lösungen und
differenzierte Antworten schaffen wir auch neues Ver-
trauen. Das zeigt die große Zustimmung, die unser Ren-
tenpaket in der Bevölkerung insgesamt, aber gerade
auch in der jungen Generation erfährt.





Dr. Martin Rosemann


(A) (C)



(D)(B)

Meine Damen und Herren, wenn wir differenzierte
Lösungen wollen, müssen wir uns auch fragen, wie wir
mit der Anrechnung von Arbeitslosigkeit beim vorzeiti-
gen Renteneintritt umgehen. Herr Kollege Schiewerling
hat zu Recht auf die Vergangenheit verwiesen, auf die
großen Strukturkrisen in Ostdeutschland, aber auch im
Bergbau und in der Stahlindustrie. Genauso gilt das aber
angesichts zunehmend brüchiger Erwerbsbiografien und
der Tatsache, dass Krisen auch in Zukunft nicht ausge-
schlossen sind, aus unserer Sicht auch für die Zukunft.
Genau so steht es deshalb auch im Koalitionsvertrag.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zusammenfassend will ich sagen: Die Große Koali-
tion verbindet mit ihrer Rentenpolitik die Verantwortung
gegenüber der Lebensleistung der älteren Generation mit
der Verantwortung gegenüber zukünftigen Generatio-
nen. Wir sorgen für die notwendigen und von der Bevöl-
kerung auch gewollten Leistungsverbesserungen. Wir
bauen Gerechtigkeitslücken konsequent ab und sorgen
damit wieder für mehr Vertrauen in die gesetzliche
Rente.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802603900

Das Wort erhält nun die Kollegin Jana Schimke für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Jana Schimke (CDU):
Rede ID: ID1802604000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Land

schaut heute auf uns. Mit dem Rentenpaket beraten wir
eine zentrale soziale Frage – die der Alterssicherung. So

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1802604100
Kein Le-
bensabschnitt ist so differenziert in seiner Lebenslage
wie das Alter. – Die Bedeutung der Aussage von Norbert
Blüm nimmt immer mehr zu; denn die Lebenserwartung
steigt. Der spätere Lebensabschnitt war noch nie so lang
und noch nie so vielfältig wie heute. Während die Ruhe-
standszeit in den 60er-Jahren noch durchschnittlich
10 Jahre betrug, liegt sie heute bei 20 Jahren. Darauf
müssen wir uns einstellen – gesellschaftlich und poli-
tisch.

Doch der Lebensabend gestaltet sich nicht immer so,
wie man es sich wünscht. Es gibt Menschen, die Hilfe
benötigen. Durch eine schwere Krankheit oder eine Be-
hinderung benötigen sie die Unterstützung der Solidar-
und Versichertengemeinschaft. Um diese Menschen
noch stärker zu unterstützen, enthält unser Gesetzespa-
ket Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente.

Mit den geplanten Reformen wollen wir aber auch
vorbeugen. Dazu zählen Prävention und Rehabilitation.
In einer älter werdenden Gesellschaft werden Leistungen
dieser Art zunehmend beansprucht. Bereits heute ist je-
der Fünfte in Deutschland mindestens 65 Jahre alt. Ihr
Anteil wird bis zum Jahr 2060 voraussichtlich auf 34 Pro-
zent ansteigen. Deshalb wollen wir in Zukunft bei der
Berechnung des Rehabudgets die demografische Ent-
wicklung in Deutschland berücksichtigen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und warum senken Sie es dann wieder ab?)


Gleichzeitig gibt es – das ist auch eine Folge der älter
werdenden Gesellschaft – immer mehr Menschen, die
sich fit fühlen. Nicht ohne Grund tun sich viele schwer,
wenn der Renteneintritt näher rückt. Während sich der
eine auf den Ruhestand freut, fällt es dem anderen
schwer, diesen Schritt zu gehen und einen neuen Lebens-
abschnitt zu planen. Ein Blick in die Ratgeberrubrik im
Buchhandel spricht für sich. Dort gibt es rund 100 Publi-
kationen mit ähnlich lautenden Titeln wie Wenn der
Wecker nicht mehr klingelt oder 111 Gründe, sich auf
den Ruhestand zu freuen. Das zeigt: Der Ruhestand und
der Eintritt in den Ruhestand sind ein gesellschaftliches
Thema.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb brauchen wir für diesen Lebensabschnitt dif-
ferenzierte Lösungen. Auf dem Arbeitsmarkt nimmt die
Beschäftigung Älterer zu. Im Fortschrittsbericht zum
Fachkräftekonzept der Bundesregierung bekennt man
sich ausdrücklich zu den Potenzialen älterer Arbeitneh-
mer. Hier hatten wir in der Vergangenheit gute Erfolge
erzielt: Der Anteil älterer Arbeitnehmer ist seit 2000 ste-
tig gestiegen. Die Erwerbstätigenquote ist in diesem
Zeitraum von knapp 20 Prozent auf heute über 46 Pro-
zent angestiegen. Diese positive Entwicklung wollen wir
weiter fördern.

Uns eint das gemeinsame Ziel, die Rente mit 63 so
auszugestalten, dass diese beschäftigungspolitischen Er-
folge der letzten Jahrzehnte nicht gefährdet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Hier aber müssen wir einen Spagat schaffen. Deswegen
ist es gut, dass die Koalitionspartner diese Frage kon-
struktiv angehen, sich ihrer Verantwortung bewusst sind
und nach flexiblen Lösungen suchen.

Weil das Alter heute so vielfältig wie das Leben selbst
ist, sollten jene, die länger arbeiten möchten und die sich
noch fit fühlen, auch länger arbeiten dürfen. Damit hel-
fen sie übrigens auch, die Fachkräftelücke in unserem
Land zu schließen. Deshalb ist es notwendig, bestehende
Hürden für eine Weiterbeschäftigung im Rentenalter ab-
zubauen. Eine befristete Beschäftigung sollte nach Ren-
teneintritt zum Beispiel auch bei demselben Arbeitgeber
möglich sein. Der öffentliche Dienst praktiziert das be-
reits heute. In der Privatwirtschaft ist dies jedoch nicht
rechtssicher möglich. Das lässt sich auch daraus ablei-
ten, dass jüngere Arbeitnehmer in Deutschland zu
90 Prozent abhängig beschäftigt sind, während erwerbs-
tätige Rentner zu einem Drittel Freiberufler sind. Hier
sollten wir gleiche Zugangsmöglichkeiten schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Denn für die meisten Beschäftigten in Deutschland ist
Arbeit keine Strafe, sondern bedeutet Anerkennung,
Selbstverwirklichung und Erfolg.





Jana Schimke


(A) (C)



(D)(B)


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das stimmt!)


Eine Politik für die Menschen sollte dies auch beim
Übergang in die Rente berücksichtigen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802604200

Die Kollegin Dagmar Schmidt erhält nun das Wort für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802604300

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Ich habe
meine zwei Minuten Redezeit zwar nicht am Ende der
Debatte – das wird wohl der CDU/CSU vorbehalten
bleiben –, aber immerhin gegen Ende der Debatte. Ich
versuche trotzdem ein – natürlich sehr objektives – Re-
sümee.

Ich möchte mit einem Dank an die Ministerin begin-
nen. Wir halten Wort: Wir erkennen die Lebensleistung
von Müttern und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
an. Das ist nicht geschenkt, das ist verdient. Danke, dass
das Rentenpaket so schnell und gut auf den Weg ge-
bracht wurde.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe auch den Rednern der Linksfraktion zuge-
hört. Sie haben gesagt, dass sie es natürlich begrüßen,
dass es bessere Leistungen für Rentnerinnen und Rent-
ner geben soll; das finden sie gut. Was sie nicht so gut
finden, kann ich in meiner zweiminütigen Rede leider
nicht noch einmal nachvollziehen.


(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Es reicht ja, wenn wir es sagen!)


Aber immerhin hat man uns zugestanden, ein Renten-
päckchen zu beschließen. Das ist ja schon etwas.

Die SPD teilt die Freude mit der CDU/CSU über die
Mütterrente. Diese drückt den Respekt vor der Leistung
der Kindererziehung aus. Wenn diese über Steuern fi-
nanziert würde – das hätten wir uns gewünscht –,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wird ja teilweise!)


dann wäre unsere Freude noch größer gewesen.


(Beifall bei der SPD)


Ich danke Frau Göring-Eckardt, dass sie das Thema
Altersarmut angesprochen hat; denn das gibt uns Gele-
genheit, dazu ein paar Punkte zu sagen. Wir machen viel
in dem Rentenpaket, aber wir machen natürlich noch
nicht alles. Wir werden in dieser Legislatur mit der soli-
darischen Lebensleistungsrente aber einen wichtigen
Schritt zur Bekämpfung der Altersarmut tun.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit welchem Geld? Das haben Sie doch ausgegeben!)


Wir werden des Weiteren auch mit dem Tarifpaket ei-
nen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Altersarmut
leisten. Auch hier geht mein Dank an die Ministerin,
dass sie das schon auf den Weg gebracht hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben getan, was wir versprochen haben. Wir
sind dabei, Deutschland gerechter zu machen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802604400

Matthias Zimmer ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der SPD)



Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1802604500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man

gegen Ende der Debatte zu Wort kommt, ist ja vieles
schon gesagt worden. Ich bin nun wirklich kein Freund
von Reden nach dem Motto „Es ist schon vieles gesagt
worden, aber noch nicht von mir“. Deswegen will ich
nicht auf das Rentenpaket im Einzelnen eingehen, son-
dern stichwortartig einige Punkte hervorheben, von de-
nen ich glaube, dass sie die Debatte in den nächsten Wo-
chen noch bestimmen werden.

Zunächst einmal zur Erwerbsunfähigkeitsrente.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die gibt es schon nicht mehr! Die Erwerbsunfähigkeitsrente ist leider abgeschafft worden!)


Ich glaube, jeder, der die Möglichkeit hatte, 45 Jahre zu
arbeiten, kann sich glücklich schätzen, zumindest aus
der Sicht derjenigen, die eine Rente wegen Erwerbsunfä-
higkeit beziehen. Wer wegen Erwerbsunfähigkeit in
Rente gehen muss, hat neben den gesundheitlichen Ein-
schränkungen auch häufig eine deutlich geminderte
Rente. Durch die Ausweitung der Zurechnungszeiten
werden diese Menschen jetzt bessergestellt, ebenso da-
durch, dass die letzten vier Jahre vor Eintritt der Er-
werbsminderung nicht berücksichtigt werden, wenn sie
die Bewertung der Zurechnungszeit verringern. Das ist
insgesamt ein Schritt in die richtige Richtung.

Da wir die bekannte Großzügigkeit des Bundes-
finanzministers nicht überstrapazieren wollen, würde ich
mir wünschen, dass wir im Rahmen der parlamentari-
schen Beratungen die Gewichtung innerhalb des Renten-
paketes noch einmal ein wenig verschieben könnten.
Vielleicht ergibt sich ja in der Osterpause unter dem
Geist österlicher Versöhnung die Gelegenheit, hierüber
einmal konstruktiv nachzudenken.


(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])






Dr. Matthias Zimmer


(A) (C)



(D)(B)

Ein wenig mehr österliche Gelassenheit würde ich
mir im Übrigen auch bei so mancher öffentlichen De-
batte über das Rentenpaket wünschen. Fangen wir ein-
mal bei der Möglichkeit an, abschlagsfrei nach 45 Bei-
tragsjahren mit 63 Jahren in Rente zu gehen. Vielleicht
hilft ja der Hinweis, dass es die Möglichkeit zum Ren-
teneintritt ab 63 mit Abschlägen bereits seit 2008 gibt,
und zwar für langjährig Versicherte. Ich habe nicht den
Eindruck, dass es hier bereits zu einer nennenswerten
Frühverrentungswelle gekommen ist, und ich habe die
begründete Vermutung, dass das auch bei der abschlags-
freien Rente für langjährig Versicherte nicht passieren
wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist richtig: Die Arbeitswelt hat sich spürbar gewan-
delt. Die einstmals praktizierte Frühverrentung zulasten
der Sozialkassen gehört der Vergangenheit an. Dazu
kommt: Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
werden heute anders wertgeschätzt als noch vor 15 oder
20 Jahren. Sie werden im Arbeitsleben gebraucht. Das
ist auch gut so.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann aber auch die Sorgen derjenigen verstehen,
die sagen: Ist das nicht das falsche Signal? Schließlich
haben wir mit großen Mühen die Regelaltersgrenze zum
Renteneintritt stufenweise auf 67 Jahre angehoben. – Ich
glaube, die Symbolik der Zahlen ist hier nicht unwichtig.
Deswegen finde ich auch die Idee gut, zu sagen: Warum
lassen wir nicht die Menschen, die über die Regelalters-
grenze hinaus arbeiten wollen, dies auch tun? Die Mit-
telstandsvereinigung der Union hat hierzu einen, wie ich
denke, bemerkenswerten und klugen Vorschlag gemacht.
Ich meine, wenn Menschen Arbeit wichtig ist, sollten sie
auch ein wenig mehr Flexibilität hinsichtlich des Ren-
teneintritts bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist nicht nur gut für die Arbeitnehmer, sondern auch
für die Betriebe, die auf diese Art und Weise Erfahrung
und Know-how länger binden können. Ich will den ös-
terlichen Frieden ja nicht überstrapazieren, aber ich
würde mir eine konstruktive Aufnahme dieses Vor-
schlags wünschen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich nehme auch die Sorgen der jungen Generation
ernst, die fragt: Wie ist es um die Nachhaltigkeit des
Rentenpakets bestellt? Zahlen wir als junge Generation
nicht am Ende die Zeche? – Es ist ja richtig: Die Kosten
des Rentenpakets sind in der Gesamtbetrachtung hoch.
Aber nicht alles trägt die junge Generation. Auch Rent-
ner selbst werden ebenso wie Steuerzahler an der Finan-
zierung des Rentenpakets beteiligt.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Durch ein sinkendes Rentenniveau!)

Ich warne aber davor, hier einen Generationenkonflikt
herbeizureden; denn wir investieren an anderer Stelle
viel in die Chancen der jungen Generation, in ihre Bil-
dungschancen, in ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Und wir stellen mit Befriedigung fest: Wir haben eine
der niedrigsten Raten der Jugendarbeitslosigkeit in Eu-
ropa.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, der Kollege Kurth hat es
eben angesprochen: Ich glaube schon, dass die Tatsache,
dass wir ab 2015 keine neuen Schulden mehr machen,
ein wirklich guter Beitrag zur Generationengerechtigkeit
ist, und darauf können wir stolz sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Abschließend noch ein Gedanke. Wir werden auch in
dieser Legislaturperiode noch über die Frage zu reden
haben, wie wir auch über die Rentenpolitik Altersarmut
verhindern können. Wir werden mit dem Mindestlohn
einen kleinen Schritt gehen, um Altersarmut zu verhin-
dern, im Übrigen auch einen Schritt – so hoffe ich we-
nigstens –, um weitere Beiträge zur Rentenversicherung
zu generieren. Wir stehen mit dem Rentenpaket und dem
Gesetz über den Mindestlohn durchaus vor einer Zäsur,
die manchem unbehaglich ist. Diese Sorgen sollten wir
ernst nehmen und argumentativ entkräften, unaufgeregt
und sachlich. Und natürlich wünsche ich mir als Parla-
mentarier auch, dass das bessere Argument der Feind
des guten Arguments ist und wir mit Macht dem
Struck’schen Gesetz Geltung verschaffen, wonach noch
kein Gesetz den Bundestag so verlassen hat, wie es in
den Bundestag gekommen ist.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, dann hört mal auf die linke Opposition!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802604600

Nächster Redner ist der Kollege Albert Stegemann.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Albert Stegemann (CDU):
Rede ID: ID1802604700

Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe

Kollegen! Heute beraten wir in erster Lesung das Gesetz
über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Ren-
tenversicherung. Kein anderes politisches Projekt wird
zurzeit derart kontrovers diskutiert. Das Schauspiel, das
sich hier täglich auftut, erinnert mich immer an folgen-
des Zitat: „Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn
alle unzufrieden sind.“ – „Unzureichend geprüft“, „zu
teuer“, „ungerecht“ – das sind nur einige Schlagworte
von scheinbar sozialen Initiativen. Wenn diese und Wirt-
schaftsverbände befinden, dass wir an dieser Stelle zu
weit gehen, die Fraktion Die Linke uns aber vorwirft,
dass wir nicht weit genug gehen, dann scheinen wir das
Maß der Mitte nicht ganz aus den Augen verloren zu ha-
ben.





Albert Stegemann


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin selbst Unternehmer, jedoch umso mehr er-
staunt, welche selbsternannten Wirtschaftsexperten sich
mit verschärfter Rhetorik in dieser Debatte zu Wort mel-
den, und das ganz offenkundig, ohne das große Ganze
im Blick zu haben. Ehrlich gesagt, mir geht das langsam
auf die Nerven.

Schauen wir uns das vorliegende Gesetz noch einmal
genau an:

Bei der Mütterrente zweifelt doch kein Mensch in der
öffentlichen Diskussion an, dass wir bisher eine Un-
gleichbehandlung der Mütter haben, die ihre Kinder vor
bzw. nach 1992 geboren haben. Ferner zweifelt niemand
an, dass es sich hierbei um ein Gerechtigkeitsdefizit han-
delt. Wie man überhaupt auf die Idee kommt, das teil-
weise Schließen einer Gerechtigkeitslücke als ungerecht
zu bezeichnen, das muss mir erst mal einer erklären. Das
einzig Ungerechte an der Mütterrente ist, dass sie erst
jetzt kommt; vorher war sie jedoch nicht finanzierbar.

Mit den geplanten Verbesserungen bei der Erwerbs-
minderungsrente wollen wir soziale Härten abfedern.
Das betrifft jedes Jahr fast 170 000 Menschen, die aus
ihrem Job ausscheiden, bevor sie das Rentenalter errei-
chen. Den Arbeitsplatz zu verlieren, das berufliche Um-
feld aufzugeben und die eigene Lebenssituation neu zu
ordnen – dies bedeutet einen harten Einschnitt, oft mit
finanziellen Folgen verbunden. Es geht uns doch im We-
sentlichen darum, die Lücke im Rentenkonto aufzufül-
len, die durch fehlende Beitragszahlungen aufgrund ei-
ner verminderten Erwerbstätigkeit – sprich: durch
Krankheit – entstanden ist. Dies ist, mit Verlaub, nicht
überflüssig – nein, dies war überfällig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bei den Kosten des Rehabudgets, das ebenfalls Be-
standteil des Rentenpaketes ist, kann man sogar von ei-
ner Investition sprechen: Getreu dem Motto „Reha vor
Rente“ soll mit den zusätzlichen Mitteln des Rehabud-
gets ein aktiver Beitrag zu einem längeren Erwerbsleben
geleistet werden. Wer nach langer Krankheit wieder sei-
ner Beschäftigung nachgeht, ist ein Gewinn für die Ver-
sichertengemeinschaft. Das Rehabudget dient der Unter-
stützung betroffener Menschen, die ihr Leben noch
selbst aktiv gestalten wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich komme abschließend zu dem Teil des Rentenpa-
ketes, welcher besonders viele Gemüter zu erregen
scheint. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die ab-
schlagsfreie Rente für besonders langjährig Versicherte
heißt so, wie sie heißt, da der Begriff der Rente mit 63
vollkommen irreführend ist. Kein Abgeordneter inner-
halb der Unionsfraktion will eine Abkehr von der letzten
Rentenreform. Allen Akteuren ist klar, dass sich die de-
mografische Problematik nicht entspannt hat. Es geht
ausschließlich darum, Rentnern, die ihr Leben lang gear-
beitet haben, für eine Übergangszeit die Möglichkeit zu
geben, nach 45 Jahren abschlagsfrei mit 63 in Rente zu
gehen. Bislang müssen Arbeitnehmer Abschläge in Kauf
nehmen. Nur darum geht es. Deshalb liegen die Kosten
für diesen Teil des Rentenpaketes bei nur etwa 25 Pro-
zent der Gesamtkosten.

Apropos Kosten: Den Zeitgenossen, die dazu überge-
hen, die Kosten der Rentenreform auf 160 Milliarden
Euro bis 2030 zu schätzen, sei gesagt, dass diesen Kos-
ten Einnahmen in Höhe von 4 000 Milliarden, also 4 Bil-
lionen Euro, gegenüberstehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da hat er recht!)


– Danke schön, Herr Birkwald, das freut mich. – Was ich
damit sagen will: Das Kumulieren von Kosten über
lange Zeiträume führt nur zur Verwirrung und nicht zu
einem wirklichen Mehrwert in der Diskussion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ferner ist sich die Regierungskoalition darüber einig,
dass ein geeignetes Instrument zur Vermeidung einer
Frühverrentungswelle gefunden werden muss. Gerade
ältere Arbeitnehmer sind wertvolle Arbeitskräfte. Auf
ihr Wissen und ihre Erfahrung können wir nicht verzich-
ten. Daher muss ein flexibler Renteneintritt möglich
sein.

Für Arbeitnehmer, die im Einvernehmen mit ihren
Arbeitgebern über den Renteneintritt hinaus arbeiten
wollen, müssen wir vorhandene gesetzliche Barrieren
abbauen. Hier gilt es jedoch, rechtliche Prüfungen abzu-
warten. Somit sollte gelten: Gründlichkeit vor Schnellig-
keit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Regierungskoalition hat ihre Hausaufgaben ge-
macht. Es ist ein Kompromiss zwischen den Regierungs-
parteien gefunden worden, der zwar nicht alle Interessen
berücksichtigen kann; aber dennoch kommt die Koali-
tion ihrem Auftrag nach, im Sinne des Volkes und zu
dessen Wohl zu handeln.

Die Reformen sind Reaktionen auf die veränderte Le-
bensrealität unserer Mitbürger und auf die gute wirt-
schaftliche Situation. Deshalb schließe ich mit einem Zi-
tat eines Ehrenbürgers aus meiner Heimat:

Ich wünsche allen Beteiligten ein gesundes Maß
Gelassenheit und Gottvertrauen, wenn Interessen-
vertreter bzw. die Medien mal wieder dabei sind,
die eine oder andere Sau durchs Dorf zu treiben.

Vielen Dank.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802604800

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Tobias Zech für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Tobias Zech (CSU):
Rede ID: ID1802604900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der erste

Entwurf des Leistungsverbesserungsgesetzes in der ge-
setzlichen Rentenversicherung steht. Der Entwurf ist der
Bauplan für das Gebäude, das wir noch errichten müs-
sen; wir treten ja erst heute – das wurde mehrfach ange-
sprochen – in das parlamentarische Verfahren ein.

Die Grundlage ist gelegt. Jetzt geht es darum, an den
Details zu arbeiten. Ein Haus soll entstehen – um bei
diesem Bild zu bleiben –, in dem möglichst viele woh-
nen können: Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Alte und
Junge, Starke und Schwache. Es sollte auch nicht nach
einer Generation wieder einstürzen.

Zum Thema Generationenpolitik. Herr Kurth, ich
fand es gut, wie leidenschaftlich Sie vorhin Ihre Position
vertreten haben. Aber man muss eines sagen: Wir wer-
den zum ersten Mal seit 25 Jahren wieder Leistungsver-
besserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung er-
möglichen – und das, ohne die zentralen Aussagen
unseres Wahlprogramms zu verlassen, nämlich: keine
Steuererhöhungen und keine neuen Schulden. Das ist ge-
nerationengerechte Politik. Das ist Politik für die junge
Generation, für die ich hier sprechen darf.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Was sind also die Bausteine des Rentenpaketes? Die
Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente – Kol-
lege Schiewerling hat dies sehr deutlich ausgeführt –
sind aus meiner Sicht der wichtigste Bestandteil; denn
damit helfen wir denen, die von Altersarmut bedroht
sind, die keinerlei Aussicht darauf haben, im Rentenalter
ein entsprechendes Auskommen zu haben. Hier hätte
man durchaus mehr tun können, aber wir sind auf einem
richtigen Weg.

Das Thema Rente mit 63 ist nicht unbedingt mein
Wunschthema. Hinsichtlich der abschlagsfreien Rente
nach 45 Beitragsjahren sind wir uns, glaube ich, einig.
Die Frage ist, wie wir die Ausnahmen definieren. Wir
sind uns einig – das ist der erste Schritt –, dass wir keine
Frühverrentung wollen, weil wir die Fachkräfte, die gut
ausgebildeten älteren Mitarbeiter im Unternehmen be-
lassen wollen. Hier sollten wir ins Detail gehen und
schauen, wie wir damit umgehen können.

Es gibt einen Vorschlag: Erstattung von Beiträgen.
Das hatten wir schon einmal in Deutschland. Wir haben
gelernt, dass das nicht richtig funktioniert. Aus meiner
Sicht sollte man versuchen, die unbilligen Härten, die
Sie, Frau Ministerin, in Ihrem Begleitschreiben zum Ge-
setzentwurf gut beschrieben haben, abzufedern. Die
Grundlage des Gesetzentwurfs ist aber, dass man
45 Jahre lang Beiträge gezahlt hat, dass man 45 Jahre
lang eine Leistung erbracht hat. Insofern bin ich dafür,
dass wir für die Vergangenheit eine Arbeitslosenzeit von
bis zu fünf Jahren berücksichtigen, aber ab dem 1. Juli
2014 eine lückenlose Erwerbsbiografie fordern. Dann
haben wir ein zukunftsfähiges Konzept.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist ungerecht!)


– Das ist nicht ungerecht.
Unverständlich in diesem Zusammenhang ist, wes-
halb die freiwilligen Beitragszahler nicht in den Genuss
der abschlagsfreien Rente kommen sollen. Diverse Aus-
nahmen wurden vom Ministerium aufgezählt, die bei
den 45 Jahren richtigerweise berücksichtigt werden: Zei-
ten der Pflege und Kindererziehung, Wehrdienst, Weiter-
bildungen und sogar – für die Vergangenheit – Arbeitslo-
senzeiten. Was ist aber mit dem selbstständigen
Handwerker, der 45 Jahre freiwillig durchgehend einge-
zahlt hat? Für den soll das nicht gelten? Wille und Ziel
ist es doch, besonders langjährige Beitragszahler zu be-
lohnen und zu entlasten. Freiwillig Versicherte haben ge-
nauso lange gearbeitet, genauso hart geschuftet, genauso
eingezahlt und damit das Sozialversicherungssystem so-
gar freiwillig unterstützt. Hier sehe ich einen massiven
Nachbesserungsbedarf.

Die Rente nach 45 Beitragsjahren bedeutet eine Flexi-
bilisierung nach unten. In der jetzigen Zeit – das gilt ins-
besondere, wenn man den demografischen Wandel und
die Zukunftsfähigkeit unseres Landes betrachtet – soll-
ten wir auch in die andere Richtung flexibilisieren. Es
gibt ja schon Diskussionen über einen flexibleren Ren-
teneintritt. Ich denke, wir müssen über die Möglichkei-
ten diskutieren. Das fängt bei den Arbeitgeber- und
Arbeitnehmerbeiträgen zur Arbeitslosen- und Renten-
versicherung an. Wir müssen aber auch überlegen, wie
wir das Teilzeit- und Befristungsgesetz neu gestalten
können.

Ich freue mich auf die Diskussion. Es gibt genügend
Möglichkeiten. Packen wir es gemeinsam an! Frau
Ministerin, Sie haben vorhin gesagt, dass Sie schon
mehrmals gefragt wurden, ob Sie das schaffen. Ich
denke, Sie schaffen das, aber nur gemeinsam mit uns.


(Katja Mast [SPD]: Auf Grundlage unseres Koalitionsvertrages, Herr Kollege!)


Dann haben wir ein gutes Paket und eine gute Lösung
für die Rentner in Deutschland.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802605000

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/909 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 4:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch-
führung der Direktzahlungen an Inhaber
landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen von
Stützungsregelungen der Gemeinsamen Agrar-

(Direktzahlungen-Durchführungsgesetz – DirektZahlDurchfG)


Drucksache 18/908





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für diese Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Das ist
offenkundig einvernehmlich. Dann können wir so ver-
fahren.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich entnehme der Rednerliste, dass Kollege
Wiese heute seine erste Rede im Parlament hält.


(Dirk Wiese [SPD]: Das ist falsch!)


– Nicht. Dann haben wir heute vielleicht einen anderen
Neuling. Ich wollte damit nur darauf hinweisen, dass ich
zwar schon die eine oder andere Rede in diesem Hause
gehalten habe, aber meine heutige Rede zur Landwirt-
schaft meine erste in dieser Zuständigkeit ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Die Spannung ist entsprechend hoch!)


Insofern fühle ich mich mit den Erstrednern sehr verbun-
den.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1802605100

Herr Minister, das Präsidium verfolgt das natürlich

auch mit besonderer Aufmerksamkeit. Ich kann Ihnen
den Bonus für Erstredner, den das Präsidium im Übrigen
gelegentlich gewährt, trotzdem nicht in Aussicht stellen.


(Heiterkeit und Beifall)


Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:

Herr Präsident, herzlichen Dank. Aber man versucht
es doch immer wieder.


(Heiterkeit)


Ich will allerdings darauf hinweisen – wenn Sie noch
eine persönliche Bemerkung gestatten –, dass ich bisher
insbesondere in Ministerien tätig war, die nicht unmittel-
bar Erfahrungen mit dem Föderalismus in voller Intensi-
tät haben. Das Bundesministerium der Verteidigung und
das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammen-
arbeit und Entwicklung ziehen Bundeskreise, aber keine
stark föderalen Kreise. Das ändert sich jetzt natürlich für
mich sehr. Frau Kollegin Höfken, wir beide, Sie und ich,
und 15 andere Landesminister und Senatoren werden
sich ab heute Mittag in Cottbus zur Agrarministerkonfe-
renz treffen. Ich darf schon jetzt darauf hinweisen – ich
bedanke mich für das Verständnis bei allen Fraktionen –,
dass das für mich bedeutet, dass ich leider nicht die ge-
samte Debatte verfolgen kann,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Schade!)

sondern mich nach der ersten Runde hier verabschieden
muss; denn dann darf ich mich den geschätzten Kolle-
ginnen und Kollegen der Länder stellen.


(Ute Vogt [SPD]: Zuwenden!)


Landwirtschaft gehört in die Mitte der Gesellschaft.
Sie sichert unsere Lebensgrundlagen. Sie sichert auch
weite Teile unserer so geschätzten Lebensqualität. Des-
halb halte ich es für sehr angemessen und freue mich da-
rüber, dass die Landwirtschaft heute in der Kernzeit in
diesem Haus debattiert wird.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist Ausdruck von Wertschätzung für Wertschöpfung.
Darum wird sich mein Ministerium als Lebensministe-
rium in dieser Legislaturperiode kümmern, auch in der
Hoffnung, dass wir weitere Debatten zu guter Zeit füh-
ren können.

Die fast 300 000 Bauernfamilien, die wir in Deutsch-
land haben, stehen am Anfang der Wertschöpfungskette.
Im christlichen Sinne ziehen sie die Früchte aus dem Bo-
den und arbeiten als Gärtner mit der Schöpfung. Sie ha-
ben den Auftrag, Menschen zu ernähren und mit den
natürlichen Ressourcen schonend umzugehen. Dabei er-
füllen sie Aufgaben und Auflagen im Interesse der Ge-
sellschaft, die über den Preis nicht abgegolten werden
können. Zudem haben sie mit natürlichen Widrigkeiten
zu kämpfen. Mehr als alle anderen sind sie von der Wit-
terung und von klimatischen Entwicklungen betroffen.

Im Gegenzug, so meine ich, haben sie Unterstützung
verdient: Direktzahlungen, und zwar unabhängig davon,
wie viel und was sie produzieren – ich glaube, es ist der
richtige Weg, dies zu entkoppeln –, gebunden an die Flä-
che, die sie pflegen, und bald deutschlandweit in glei-
cher Höhe; bis heute fallen die Direktzahlungen in den
verschiedenen Bundesländern unterschiedlich hoch aus.
Verweigern wir unseren Bauern diese Unterstützung, ge-
fährden wir die vielfältigen Agrarstrukturen und beein-
druckenden Landschaften in Deutschland. Darum geht
es heute in dieser Debatte.

Wie gestalten wir ab 2015 ein System der Anerken-
nung für Leistungen, von denen wir alle als Verbrauche-
rinnen und Verbraucher profitieren? Ja, die Zahlungen
sollen der Natur und unseren Lebensgrundlagen und na-
türlich insbesondere der Landwirtschaft zugutekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe damit den Spannungsbogen dargestellt, in-
nerhalb dessen wir uns, wie ich meine, am besten in ei-
ner pragmatischen, vernünftigen Weise auseinanderset-
zen. Es geht um fundamentale Gerechtigkeitsfragen. Die
politischen Entscheidungen, ob in Brüssel, hier im Deut-
schen Bundestag oder im Bundesrat, wirken sich unmit-
telbar auf wirtschaftliche Existenzen und das Schicksal
von Menschen aus, die an erster Stelle in der Wertschöp-
fungskette Verantwortung übernehmen. Ich meine, dass
es richtig und gut ist, dass wir dem Anspruch auf Ver-
lässlichkeit und Planungssicherheit gerecht werden.





Bundesminister Christian Schmidt


(C)



(D)(B)

Die Direktzahlungen haben für viele Bauern im Land
eine Schlüsselbedeutung. Der durchschnittliche Anteil
der Direktzahlungen am Einkommen der Betriebe lag im
Wirtschaftsjahr 2012/2013 bei einem Drittel, bei 34 Pro-
zent. Mit anderen Worten: Die Direktzahlungen sind
eine ihrer Existenzgrundlagen. Unabhängig davon, wie
man sich dazu stellt, muss jedem klar sein: Wir müssen
unseren Landwirten diesen Ausgleich für besonders
hohe Anforderungen zubilligen.

Lassen Sie mich nebenbei bemerken, dass ich auf-
grund meiner langjährigen parlamentarischen Erfahrung
mit Regelwerken und Gesetzen glaube, ein wenig Ah-
nung zu haben. Aber angesichts der Volumina und De-
tails der Regelungen im landwirtschaftlichen Bereich
kommt es zu Überraschungseffekten,


(Ute Vogt [SPD]: Das kenne ich, ja!)


die auch alte Fahrensleute noch in tiefes Erstaunen ver-
setzen und manche Frage auslösen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Kollege Ostendorff, mir hat ein erfahrener grüner
Politiker – nicht mehr aktiv – vor ein paar Tagen gesagt:
Passt bitte auf, dass ihr bei der Ökoverordnung, die die
Europäer auf den Weg bringen wollen, keine Handbü-
cher schreibt,


(Heiterkeit des Abg. Willi Brase [SPD])


sodass sie niemand mehr wirklich umsetzen kann, vor
allem die kleineren Betriebe nicht. – Wir müssen den
deutschen Bauern, was die finanzielle Seite angeht, im
Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik Stabilität ver-
sprechen.

4,8 Milliarden Euro stehen pro Jahr für die Direktzah-
lungen zur Verfügung, und das bis zum Jahr 2020. Sie
wissen, dass wir vor einigen Jahren ganz andere Be-
fürchtungen hatten. Es gab allerhand Begehrlichkeiten,
ob sie nun von anderen europäischen Ländern – ich erin-
nere an die Diskussion mit den osteuropäischen Nach-
barn – oder von anderen Politikbereichen vorgetragen
wurden; es wurde gesagt, Landwirtschaft sei doch keine
Zukunftsbranche. Nein, die Landwirtschaft ist eine Zu-
kunftsbranche, und es ist ein großer politischer Erfolg,
dass es keine dramatischen Kürzungen geben wird. Ich
bedanke mich bei allen dafür.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Neben der Einkommenssicherung und der Risikovor-
sorge für unsere Landwirte haben wir ein weiteres Ziel
fest im Blick: Wir wollen die Bedingungen für eine
nachhaltige Landwirtschaft verbessern. Deshalb haben
wir einen Gesetzentwurf vorgelegt, der auch basierend
auf den Beratungen der Sonder-Agrarministerkonferenz
vom November letzten Jahres die Umschichtung der
Mittel fest verankert hat.

Wir wollen 4,5 Prozent der jährlichen Obergrenze für
die Direktzahlungen als zusätzliche Mittel für die För-
derung der ländlichen Entwicklung umschichten. Das
macht rund 229 Millionen Euro aus, Jahr für Jahr. Damit
stehen den Ländern 1,1 Milliarden Euro zusätzlich für
eine nachhaltige Landwirtschaft zur Verfügung. Dieses
Geld kann gut investiert werden: für Grünlandstandorte,
für eine besonders tiergerechte Haltung, für die Haltung
von Raufutterfressern, für Agrar-, Umwelt- und Klima-
schutzmaßnahmen, für den Ausbau des ökologischen
Landbaus. Ich bin froh, dass wir in eine Zeit kommen, in
der keine ideologischen Gegnerschaften mehr kultiviert
werden, sondern eher das Miteinander die Perspektive
ist.

Die Bundesländer haben sich verpflichtet, die zusätz-
lichen Mittel für diese Zwecke und damit landwirt-
schaftsnah zu verwenden. Ich nenne das politisch sinn-
voll und eine Umschichtung mit Augenmaß. Ja, wir
nehmen von dem Geld, das den Bauern bislang unmittel-
bar zugutegekommen ist; aber im Vorfeld waren hier
noch ganz andere Beträge in der Diskussion. Zugleich
hilft diese Umschichtung dabei, die Mittel im ländlichen
Raum zu halten. Es sind die EU-Fördermittel ja um ins-
gesamt fast 9 Prozent gekürzt worden.

Die Fördermittel sollen im Ergebnis um 4 Prozent an-
wachsen. Kein Zweifel: Beides, starke Landwirtschaft
und starke ländliche Entwicklung, geht bei uns, bei die-
ser Bundesregierung, Hand in Hand. Die Förderung der
Landwirtschaft wird umweltgerechter; denn 30 Prozent
der Direktzahlungen kommen künftig dem Umwelt- und
Klimaschutz zugute. Unsere Landwirte müssen zusätzli-
che Leistungen erbringen. Sie dienen dem Erhalt von
Dauergrünland, sie garantieren eine größere Vielfalt
beim Anbau der Feldfrüchte, und sie führen zu ökologi-
schen Vorrangflächen. Ab 2015 müssen unsere Land-
wirte 5 Prozent der Ackerflächen als ökologische Vor-
rangflächen bereitstellen. Das EU-Recht eröffnet ihnen
dabei einen Katalog von Möglichkeiten, den wir nutzen
sollten. Der reicht von Landschaftselementen wie
Hecken und Baumreihen über Pufferstreifen an Gewäs-
sern bis hin zu Feldrandstreifen und Brachflächen. Zum
Stichwort „Baumreihen“ sei nur ganz kurz gesagt: Ich
höre, dass in den Ausführungsbestimmungen der Euro-
päischen Kommission die Baumkronenbreite schon auf
genau 4 Meter festgelegt ist. Ein Wunsch an unsere
Techniker wäre dann, dass wir solche Messungen mögli-
cherweise satellitengestützt vornehmen könnten. Ich will
damit nur sagen: Liebe Leute, die ihr in Europa tätig
seid, lasst bitte mal die Kirche im Dorf und den Baum
dort, wo er steht!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Weiter zu nennen sind Flächen mit Zwischenfrüchten
und Eiweißpflanzen.

Mit all diesen Möglichkeiten werden wir unsere
Landwirte zukünftig zu mehr Umweltschutz und Bio-
diversität ermutigen, und das ist gut und richtig so.

Wenn wir es anders machen würden, müssten wir
stilllegen. Stilllegung ist aber keine Antwort; Stilllegung
ist eigentlich ein Stück Kapitulation vor dem, was an-
steht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


(A)






Bundesminister Christian Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Das heißt allerdings auch, dass wir auf ökologischen
Vorrangflächen eine Bewirtschaftung nach guter fachli-
cher Praxis zulassen wollen. Es findet sich ein hohes
Maß an Flexibilität in diesem Gesetzentwurf. Aber das
heißt auch, dass die gute fachliche Praxis bei Zwischen-
früchten und Eiweißpflanzen möglich sein muss. Wir
wollen den Landwirten mit unserem Gesetzentwurf
diese Flexibilität geben.

Ein Wort zur nationalen Umsetzung; das wird auch
Thema der Beratungen sein. Ich will das Struck’sche Ge-
setz jetzt nicht zitieren, zumal es sich um eine Vorlage
handelt, die ich eingebracht habe; aber dass das Europäi-
sche Parlament sich bei der Zustimmung zu den soge-
nannten delegierten Rechtsakten nach Art. 290 des Ver-
trags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
nach dem Lissabonner Vertrag – das ist ein neues Instru-
ment, das die Kommission hat – gegenwärtig schwertut,
zeigt, dass hier noch Gesprächs- und Erörterungsbedarf
ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir werden heute Abend mit der EU-Kommission das
eine oder andere besprechen können. An praktikablen
Lösungen für Themen wie „der aktive Landwirt“ müssen
wir noch weiter arbeiten.

Wir haben keine Kürzung oder Kappung der Direkt-
zahlungen für sehr große Betriebe vorgesehen. Wir sa-
gen nicht nur im Jahr der familienbetriebenen Landwirt-
schaft: Die kleineren und mittleren Betriebe sollten
schon gefördert werden, weil sie besondere Bedingun-
gen haben. – Es ist also keine Kappung, sondern eine ge-
wisse Unterstützung der kleineren Betriebe. Wir haben
uns, wie Sie wissen, auf zusätzlich rund 50 Euro pro
Hektar für die ersten 30 Hektar und etwa 30 Euro für die
nächsten 16 Hektar geeinigt.

„Der aktive Landwirt“ ist ein Begriff, der noch in eine
Auslegungsliste der EU-Kommission kommen muss.
Dazu sage ich: Wir dürfen nicht in zu starkem Maße mit
Negativlisten arbeiten.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Alles okay!)


– Herr Präsident, ich entnehme der Gestik des Herrn
Fraktionsvorsitzenden, dass er mir vielleicht noch etwas
schenkt.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir kämpfen für die Redezeit! – Heiterkeit)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802605200

Lieber Christian Schmidt, es ist Verhandlungssache,

wem wir dann die Redezeit wegnehmen. Aber ich will
Sie natürlich nicht unterbrechen. Das muss in Ihren Rei-
hen geklärt werden. – Bitte schön.

Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:

Vorschlag: Ich bin in Kürze fertig; dann sind die Ver-
handlungen, wie ich das gern habe, schiedlich-friedlich
konstruktiv zu Ende geführt.
Ich kann natürlich nicht eine Diversifizierung im Ein-
kommen fordern, sagen: „Ihr Landwirte müsst auch an-
dere Einkommensquellen sinnvoll erschließen“, und an-
schließend, wenn sie das tun, meinen: „Jetzt seid ihr aber
keine reinen Landwirte mehr. Ich muss euch ausschlie-
ßen.“ – Das geht nicht!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir brauchen ein System der Anerkennung für die
Bauernfamilien und ihre unverzichtbare Wertschöpfung.
Ich denke, dass uns dies bei diesem Gesetzentwurf in gu-
ter Weise gelungen ist.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802605300

Vielen Dank, Christian Schmidt. Viel Erfolg bei Ihrer

künftigen Arbeit, nicht nur für den ländlichen Raum!

Nächste Rednerin: Dr. Kirsten Tackmann für die
Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802605400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste! Ich verstehe sehr gut, dass alle Beteiligten
endlich wissen wollen, wohin der Hase läuft in der EU-
Agrarpolitik; es ist immerhin schon 2014. Aber Ent-
scheidungen schnell und demokratisch zu treffen, wider-
spricht sich manchmal. Zumindest der Linken ist eine
kluge und demokratisch gefasste Entscheidung allemal
wichtiger als eine schnelle,


(Beifall bei der LINKEN)


gerade weil die Beschlüsse bis 2020 gelten sollen und er-
heblichen Einfluss auf die Städte, die kleinen Dörfer und
auch auf die Landwirtschaft haben werden. Deshalb
lohnt sich trotz allem Zeitdruck durchaus ein sehr prü-
fender Blick auf die Vorschläge, die jetzt hier vorliegen.

Dazu gehört allerdings auch eine Bewertung der ak-
tuellen Situation, der Förderwirkungen und der Frage,
wer von den Fördermitteln bisher profitiert hat. Ich
selbst lebe in einem kleinen märkischen Dorf und
komme viel herum. Ich erlebe es, dass immer mehr Men-
schen genau wissen wollen, wo, wie und von wem die
Lebensmittel, die sie essen, hergestellt werden, Men-
schen, die sich gerade im so sensiblen Lebensmittelbe-
reich keinen rein wirtschaftlichen Verwertungsinteressen
und der Geldgier ausliefern wollen. Sie sind die Verbün-
deten aller Betriebe, die im Dorf Arbeitsplätze schaffen,
ihre Leute vernünftig bezahlen und mit der Natur in Ein-
klang produzieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist doch grotesk: Einerseits genießt die Landwirt-
schaft eine große Anerkennung in der Gesellschaft; Platz
drei in einer Emnid-Umfrage, welcher Beruf in der Zu-
kunft für die Gesellschaft besonders wertvoll und wich-
tig ist, zeigt das doch. Andererseits hört man zunehmend





Dr. Kirsten Tackmann


(A) (C)



(B)

Kritik an Landwirtschaftsbetrieben, Schlachtbetrieben
und Supermärkten. Das Vertrauen ist erschüttert, und das
nicht nur wegen Pferdefleisch und Antibiotikamiss-
brauch. Es geht um das Pflügen bis an den Gewässerrand
und den Waldrand heran. Es geht um Betriebe, die mit
den Dörfern überhaupt nichts mehr zu tun haben, weil
der Geschäftsführer nur noch einmal in der Woche
schaut, ob der Lohnunternehmer auf dem Acker seine
Arbeit getan hat. Es geht um Feldwege, die verschwin-
den. Es geht um zu viel Dünge- und Pflanzenschutzmit-
tel. Es geht um Äcker, die totgespritzt werden, um den
Erntezeitpunkt zu optimieren. Es geht um gentechnisch
veränderte Pflanzen, und es geht um das Verschwinden
von Allerweltsarten wie Lerche und Kiebitz. Gerade
junge Leute ernähren sich immer häufiger vegan oder
vegetarisch, weil sie die Tierhaltungsbedingungen nicht
mehr mitverantworten wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ja, immer mehr Menschen wissen nicht mehr, wie Le-
bensmittel auf dem Acker, im Stall und im Gewächshaus
produziert werden. Gerade deswegen brauchen wir einen
intensiven Dialog zwischen Verbraucherinnen und Ver-
brauchern und der Landwirtschaft – aber auf Augen-
höhe. Dann verstehen vielleicht mehr Menschen, welche
Probleme die Landwirtschaftsbetriebe haben. Ihre Pro-
bleme entstehen zum Beispiel, weil sie Äcker an den
Straßen- und Siedlungsbau, an nichtlandwirtschaftliche
Investoren oder an den Hochwasserschutz verlieren oder
weil erfolgreicher Artenschutz für sie zusätzliche Pro-
bleme bereitet, etwa mit Bibern oder Wölfen.

Aber viele Probleme sind auch die Folge einer fal-
schen EU-Agrarpolitik. Das fängt beim Preisdumping
auf dem Weltagrarmarkt an, geht weiter mit Agrarbetrie-
ben, die gegenüber immer größeren Schlachthöfen, Mol-
kereien und Supermärkten machtlos sind, und hört bei
der Preistreiberei beim Kauf oder bei der Pacht von
Äckern nicht auf. Deswegen sage ich ganz klar: Eine
noch so kluge Agrarförderpolitik wird scheitern, wenn
es keine sozial und ökologisch fairen Marktbedingun-
gen, wenn es nicht mehr regionale Verarbeitung und Ver-
marktung und wenn es keinen konsequenten Kampf ge-
gen Bodenspekulation gibt.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber auch eine falsche Agrarförderpolitik hat zu den
Problemen beigetragen. Es war zwar richtig, 2005 aus
der gekoppelten Produktion auszusteigen und auf die
Förderung der Flächenbewirtschaftung umzustellen;
aber die Verlierer sind zum Beispiel die Schaf- und Zie-
genhalter, die ohne Mutterschafprämie kaum noch über-
leben. Sie werden aber dringend gebraucht, zum Beispiel
für die Deichpflege oder für die Offenhaltung der Land-
schaft. Hecken sind der Flächenbeschaffung oft zum Op-
fer gefallen. Viele Betriebe haben die Tierhaltung aufge-
geben. Also: Ein einfaches Weiter-so ist überhaupt keine
Option.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb sagt die Linke ganz klar: Öffentliches För-
dergeld muss für öffentliche Leistungen zielgenauer aus-
gegeben werden, also für mehr Arbeitsplätze, für mehr
Umwelt und Klimaschutz. Aus Sicht der Linken wollte
EU-Agrarkommissar Ciolos genau die richtigen Wei-
chen stellen. Die Bundesregierung hat das aber lange
blockiert und ist erst im letzten Moment auf den fahren-
den Zug aufgesprungen, um sofort die Bremse zu über-
nehmen.

Zum Beispiel wollte Ciolos wie die Linke Betriebe
mit vielen Arbeitskräften fördern; denn eine große Ge-
nossenschaft mit vielen Beschäftigten ist eben etwas
anderes als eine große Agrargesellschaft. Dass diese
Möglichkeit ausgeschlagen wurde, ist eine klare Fehl-
entscheidung. Wir wollten nur aktive Landwirte fördern
und Konzerne von der Förderung ausschließen; auch das
wird wohl nur bedingt gelingen. Wir waren für ökologi-
sche Vorrangflächen in allen Betrieben, wollten dort
aber Eiweißpflanzenanbau ermöglichen. Die Bundesre-
gierung will nun, dass dort auch noch Düngemittel und
Pflanzenschutzmittel verwendet werden; aber das ist ab-
solut kontraproduktiv.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir waren für ein Verbot der Umwandlung von Grün-
land in Ackerland. Nun sollen aber auch Pflegeumbrü-
che auf allen Grünlandflächen in Natura-2000-Gebieten
verboten werden. Geplant ist also eine deutliche Nut-
zungseinschränkung, und das nur aus bürokratischen
Gründen. Das halten wir für völlig falsch.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt also noch viele offene Fragen, die wir in der
Anhörung am kommenden Montag dringend miteinan-
der besprechen müssen – im Interesse der Verbrauche-
rinnen und Verbraucher, der Landwirtschaft und des
ländlichen Raums.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802605500

Danke, Frau Kollegin. Nächste Rednerin: Ute Vogt

für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1802605600

Ganz herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kol-

leginnen und Kollegen! Ich will dem Ministerium dan-
ken, dass wir trotz des Wechsels, der in diesem Haus si-
cherlich nicht nur für Ruhe gesorgt hat, doch recht
schnell zur zügigen Umsetzung dieses ersten Teils der
EU-Agrarreform kommen. Ich bin Ihnen dankbar, Herr
Minister, dass Sie die nachhaltige Landwirtschaft als ein
wichtiges Ziel nicht nur für die Landwirtschaft, sondern
für unsere gesamte Gesellschaft ausdrücklich nach vorne
gestellt haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will nicht verhehlen, dass die EU-Agrarreform,
wie wir sie jetzt vorliegen haben, hinter den heutigen

(D)






Ute Vogt


(A) (C)



(D)(B)

Anforderungen an Ökologie und Nachhaltigkeit insge-
samt zurückbleibt. Das ist nun bis 2017 festgelegt. Es
gilt jetzt, das Beste daraus zu machen. Aber es stimmt
auch der Satz: Nach der Reform ist immer auch vor der
Reform. – Wir müssen das, was passiert, auf jeden Fall
kritisch begleiten, um daraus für die nächsten Schritte
schon heute die richtigen Schlüsse zu ziehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es geht heute in der Debatte ebenfalls darum, dass wir
darüber diskutieren, wie wir die Beschlüsse der Agrar-
ministerkonferenz umsetzen. Nur für jeden dritten Hof
findet sich in der heutigen Zeit noch ein Nachfolger,
ganz selten auch eine Nachfolgerin. Ich denke, es ist gut,
dass durch die Beschlüsse der Agrarministerkonferenz
die jungen Landwirte gestärkt werden. Es ist auch ein
wichtiger Schritt, dass kleinere Betriebe in Zukunft bes-
ser gefördert werden können. Die 220 Millionen Euro,
die von der ersten in die zweite Säule umgeschichtet
werden, helfen den Ländern durchaus, flexibel und sehr
zielorientiert zu steuern. Leider, muss ich sagen, haben
die Agrarminister der Länder es nicht geschafft, die
Spielräume etwas stärker zu nutzen. 4,5 Prozent der Mit-
tel – das sind diese 220 Millionen Euro – werden umge-
schichtet. Das ist ein erster Schritt; aber wir hätten die
Chance gehabt, bis zu 15 Prozent zu gehen. Ich sage für
meine Fraktion, dass wir es gerne gesehen hätten, wenn
das, was es an Umschichtungsmöglichkeiten gibt, ausge-
schöpft worden wäre;


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


denn diese Mittel geben uns Spielraum, zum Beispiel zur
Unterstützung artgerechter Tierhaltung, aber auch zur
Unterstützung der ökologischen Bewirtschaftung. 220 Mil-
lionen Euro – das klingt nach viel Geld, ist aber doch
nicht so viel, wenn man sieht, dass dieses Geld auf die
Länder und dann auch noch auf die Betriebe zu verteilen
ist.

Der einstimmige Beschluss der Länderagrarminister
ist von uns nicht mehr zu ändern, wir müssen ihn so neh-
men. Umso mehr kommt es jetzt darauf an, was wir in
der parlamentarischen Beratung aus der Gesetzesvorlage
machen. 30 Prozent der Direktzahlungen sind mit soge-
nannten Greening-Auflagen versehen. Es geht dabei um
die Einhaltung von Fruchtfolgen, es geht um den Erhalt
von Dauergrünland, es geht um ökologische Vorrangflä-
chen. In der Tat haben wir hier einiges noch zu sichern;
denn wenn wir uns die letzten Jahrzehnte anschauen, er-
kennen wir: Seit den 70er-Jahren sind in Bayern etwa
30 Prozent der früheren Grünlandflächen verloren ge-
gangen, in Ost- und Norddeutschland Untersuchungen
zufolge sogar bis zu 80 Prozent. Ich denke, es ist ein
wichtiges Ziel, dass Grünland in Zukunft nicht mehr ver-
loren geht, sondern im Zweifel auch wieder verstärkt
vorhanden ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dabei ist es wichtig, zu sehen, dass Grünland nicht
gleich Grünland ist. Der Wert dieser Flächen für den Kli-
maschutz und die Artenvielfalt hängt nämlich stark da-
von ab, welche Bewirtschaftungsweise angewandt wird.
Deshalb müssen wir bei den kommenden Beratungen,
angefangen mit der anstehenden Anhörung, auf alle
Fälle im Blick haben, dass die Art der Bewirtschaftung
dieser Flächen im Vordergrund steht. Es geht nicht allein
darum, Grünland zu erhalten; es muss auch eine sehr
sorgsame Bewirtschaftung stattfinden.

Ein besonderes Augenmerk will ich noch auf die öko-
logischen Vorrangflächen legen. Es findet ein teilweise
sogar sehr emotionaler und erbitterter Streit um dieses
Thema statt. Ich bin ausdrücklich dafür, dass wir zur Si-
cherung der Biodiversität und der Artenvielfalt strikte
Vorgaben für diese Vorrangflächen machen.

Allen, die aufgeregt schreien, kann man im Sinne des
Ministers, der auch schon dazu aufgefordert hat, nur sa-
gen: Lassen Sie die Kirche im Dorf. – Es geht um ganze
5 Prozent der Ackerflächen, die ökologische Vorrangflä-
chen werden sollen. Wenn man das umrechnet, sieht
man, dass das gerade einmal 595 000 Hektar von insge-
samt 11,9 Millionen Hektar bei uns sind. Ich denke, wir
täten gut daran, den ökologischen Vorrang für diese sehr
kleine Fläche am Ende wirklich besonders ernst zu neh-
men.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ökologischer Vorrang bedeutet, dass bei der Bewirt-
schaftung dieser Flächen ökologische Gesichtspunkte
Vorrang vor wirtschaftlichen haben müssen. Es geht da-
rum, dass wir hier unsere Spielräume nutzen, indem wir
zum Beispiel – das wurde in der Debatte schon erwähnt –
den Einsatz von Pestiziden auf diesen Flächen tatsäch-
lich untersagen. Das finde ich ein wichtiges Ziel. Wir
werden noch ein bisschen darüber diskutieren müssen –
sicherlich auch in der Koalition. Aber ich finde: Es gibt
hier Spielräume. Es geht nicht nur um Pestizide, sondern
auch um mineralische Dünger.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann schreiben Sie das doch rein!)


Ich glaube, bei der Ausgestaltung des Gesetzentwurfs
und den daraus folgenden Verordnungen haben wir noch
einiges zu tun.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht nicht drin im Entwurf!)


Ich will Ihnen auch für die Diskussion noch einmal in
Erinnerung rufen, dass die Vorgaben, die wir machen, im
Sinne des Gemeinwohls erfolgen; denn hier wird ja nicht
wenig Geld verteilt. Bei allem Verständnis dafür, dass
dies eine wichtige Unterstützung für die Landwirte ist,
die viel tun, um unsere Ernährung zu sichern und unsere
Kulturlandschaft zu erhalten, muss man deutlich ma-
chen, dass es sich um öffentliche Gelder, also Steuermit-
tel, handelt und dass es deshalb keine Anmaßung ist,
wenn man für die Vergabe dieser öffentlichen Gelder
entsprechende Auflagen vorsieht.

Ich freue mich auf die Beratungen und glaube, wir ha-
ben einiges zu diskutieren – durchaus auch strittig. Es





Ute Vogt


(A) (C)



(D)(B)

geht uns darum, im parlamentarischen Verfahren allen
Seiten Rechnung zu tragen. Das tun wir beispielsweise,
indem wir in der Anhörung alle Beteiligten zu Wort
kommen lassen. Aus dieser Anhörung wollen wir dann
unsere Schlüsse ziehen.

Wir wünschen uns, dass nicht nur das Gesetz, sondern
auch die Verordnungen die Handschrift der beiden
Ministerien tragen, die dies gemeinsam zu verantworten
haben. Wir haben vereinbart: Die Umsetzung auf dem
Verordnungswege geschieht im Einvernehmen zwischen
Umwelt- und Landwirtschaftsministerium. Ich glaube,
wenn wir bei der Umsetzung sowohl die Umweltaspekte
als auch die Bedürfnisse der Landwirte berücksichtigen,
dann haben wir eine Umsetzung geschafft, die unserer
Gesellschaft auf alle Fälle nutzen und das Wort „nach-
haltig“ mit Sicherheit verdienen wird.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802605700

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächste hat – und

ich begrüße sie recht herzlich – Staatsministerin Uli
Höfken, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Ernäh-
rung, Weinbau – das freut manche hier im Saal – und
Forsten das Wort für den Bundesrat. Frau Höfken, bitte.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1802605800

Ganz herzlichen Dank. – Ich danke auch der Grünen-

fraktion dafür, dass ich die Sicht der Länder hier vortra-
gen darf.

Das ist natürlich ein wichtiges Thema für diejenigen,
die dies alles umsetzen müssen. Wir haben in meinem
Bundesland Rheinland-Pfalz erreicht – und ich bin sehr
froh, dass ich dazu beitragen durfte –, dass sich die Be-
nachteiligung der bäuerlichen Betriebe bei der Direkt-
zahlung jetzt nach und nach dem Ende zuneigt. Ich muss
an dieser Stelle in diesem Hohen Hause aber auch darauf
hinweisen: Wir haben weniger Geld in der zweiten
Säule. Das liegt auch sehr stark an den Kürzungen bei
der Gemeinschaftsaufgabe. Ich darf die Abgeordneten
und die Ministerien an ihre Zusage erinnern, die Mittel
im Bereich des Hochwasserschutzes genauso wie die der
Gemeinschaftsaufgabe aufzustocken. Ich bitte Sie da-
rum, das in den Haushaltsberatungen wahr zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Nachhaltigkeit hängt ja auch an dieser Unterstüt-
zung, genauso wie Investitionsmöglichkeiten oder die
Bodenordnung.

Wir haben bei der GAP eine Reform auf den Weg ge-
bracht, die ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung
sein könnte, wenn nicht diese Bundesregierung – das
muss man natürlich sagen – wie auch die vorherige jeden
Fortschritt immer wieder ein ganzes Stück weit aushe-
beln würde, und zwar auf allen Ebenen.

Ein zentraler Punkt der GAP ist das Greening. Auch
der Umweltausschuss des Bundesrates wendet sich ge-
gen eine Verwässerung dieses elementaren Bestandteils
der Reform. Wir werden am 11. April diese Frage im
Bundesrat debattieren.

Herr Minister Schmidt ist offensichtlich schon unter-
wegs; dafür habe ich Verständnis.


(Zurufe von der CDU/CSU: Nein, er ist noch da!)


– Entschuldigung, ich hätte mich nur einmal umdrehen
müssen. Schön, dass Sie noch da sind. – Sie haben öf-
fentlich Gesprächsbereitschaft signalisiert. Ich freue
mich, dass wir uns heute Abend über dieses Thema un-
terhalten können.

Sie haben in diesem Zusammenhang auch vor überzo-
genen Kampagnen gewarnt. Dazu sage ich Ihnen: Wen-
den Sie sich da einmal an Ihre Kolleginnen und Kollegen
im Europäischen Parlament; denn diese drohen gerade
damit, das Instrument der delegierten Rechtsakte durch-
fallen zu lassen.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Das ist ein Zeichen der Vernunft!)


Das wäre eine echte Katastrophe für die Umsetzung auf
Landesebene und würde die Betriebe vor Probleme stel-
len, die wir so schnell gar nicht lösen können.

Diese Haltung der CDU/CSU im Europäischen Parla-
ment scheint dazu zu dienen, das Parlament dahin ge-
hend unter Druck zu setzen, weitere agrarindustrielle In-
teressen durchzusetzen.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Na, na, na!)


Das merken wir schon jetzt. Wir haben gestern die Aus-
legungsvorschläge der Kommission bekommen. Da sieht
man: Es geht um eine Reduzierung der Nachhaltigkeits-
elemente im Rahmen der GAP-Reform. Das werden wir
so nicht hinnehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich gehe auch davon aus, dass es hier – so habe ich
meine Vorrednerin, Frau Vogt, verstanden – nach wie
vor gemeinsame Ziele gibt, nämlich die Stärkung der
umwelt- und tiergerechten Erzeugung und die Stärkung
der bäuerlichen Landwirtschaft. Es geht auch darum, im
Deutschen Bundestag dafür zu sorgen, ein weiteres Ar-
tensterben, die Verseuchung des Trinkwassers oder die
Schädigung unserer Wälder zu verhindern. Das sind üb-
rigens auch ökonomische Faktoren. Fragen Sie dazu ein-
mal die Waldbesitzer.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir alle miteinander haben die Pflicht, die Artenviel-
falt, die Biodiversität zu erhalten. Ich erinnere an die
Biodiversitätsstrategie, die Sie selber verabschiedet ha-
ben, die Wasserrahmenrichtlinie und die nationalen Ge-
setze dazu genauso wie an den Klimaschutz. Die Umset-
zung dieser Ziele hat eng mit dem Greening zu tun.
Darum will ich kurz auf drei Punkte eingehen, die sich
vielleicht banal anhören, aber von großer Bedeutung
sind.

Der erste Punkt ist der Anbau von Zwischenfrüchten.
Die Frage ist: Erlaubt man den Anbau von Zwischen-





Staatsministerin Ulrike Höfken (Rheinland-Pfalz)



(A) (C)



(D)(B)

früchten als Greening-Maßnahme? Herr Minister Schmidt,
es ist eben nicht so, dass gute fachliche Praxis und Vor-
rangfläche grundsätzlich miteinander zu vereinbaren
sind, sondern es gibt durchaus Unterschiede zwischen
ökologischer Vorrangfläche und guter fachlicher Praxis;
das ist meine feste Auffassung. Der Anbau von Zwi-
schenfrüchten darf nicht zugelassen werden; das ist zwar
gute fachliche Praxis, aber keine ökologische Vorrang-
leistung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Wir machen da Erosionsschutz!)


– Ja, als Erosionsschutz ist das gut, aber der Biodiversi-
tät bringt das nichts.

Ein zweiter Punkt sind Pestizide und Dünger. Wir
möchten verhindern, dass auf ökologischen Vorrangflä-
chen Pestizide und Dünger ausgebracht werden. Das
würde das Ganze auf den Kopf stellen.


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Wir wollen keine Brennessel-Monokulturen!)


Der dritte Punkt. Grünland zu erhalten, ist eines der
wichtigsten Ziele der GAP-Reform wie auch, so habe
ich es verstanden, dieser Bundesregierung. Also muss es
darum gehen, Grünland zu erhalten und dafür zu sorgen
– das diskutieren wir auch auf der AMK –, dass es hier
ein Autorisierungssystem gibt, sodass wir nicht abwar-
ten, bis die nächsten 5 Prozent Grünland verschwunden
sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, was
Ministerin Hendricks zur Lage der Natur gesagt hat. Ich
möchte Sie alle beim Wort nehmen, gerade auch die
Kollegen der SPD, die sich zurzeit als Merkels brave
Helferlein etwas verspotten lassen müssen. Ich glaube,
dass wir alle ungeachtet dessen, was im Bericht zur Lage
der Natur steht, aufgefordert sind, dafür zu sorgen, dass
die nationalen Möglichkeiten zur Umsetzung des Gree-
nings auch wirklich wahrgenommen werden, damit das
ursprünglich in der GAP vereinbarte Ziel „öffentliche
Gelder für öffentliche Leistungen“ realisiert werden
kann. Ich hoffe, dass wir gemeinsam zu einem guten Er-
gebnis kommen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802605900

Vielen Dank, Frau Ministerin Höfken. – Jetzt hat

Gitta Connemann das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1802606000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer von

Ihnen kennt Jemgum?


(Johann Saathoff [SPD]: Hier!)

– Danke. Kollege Johann Saathoff, mein ostfriesischer
Nachbar. Sonst niemand? – Schade. Es ist dort nämlich
wie im Paradies, sagen jedenfalls die Einheimischen und
finden auch die Gänse. Jedes Jahr im Frühjahr und im
Herbst machen sie dort zu Zehntausenden Rast: Grau-
gänse, Nonnengänse und Blessgänse. Auf dem Weg vom
Süden in die nordischen Brutgebiete legen sie dort sozu-
sagen einen Boxenstopp ein; denn ihnen wird ein reich
gedeckter Tisch präsentiert: saftige grüne Wiesen.

Die Gemeinde Jemgum ist zu 80 Prozent europäi-
sches Vogelschutzgebiet. Das Gras genießen übrigens
auch die Schwarzbunten. Ostfriesland ist für seine Wei-
dekuhhaltung berühmt, und der Tourist erfreut sich an
dem Anblick dieser Kulturlandschaft – ja, Kulturland-
schaft; ich betone das –; denn ohne bäuerliche Pflege,
ohne Pflügen und Säen würde es das nicht geben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dann würde es auch keine Gänse geben. Dies zeigt ein-
mal mehr: Naturschutz und Vogelschutz gehen nur mit
der Landwirtschaft, nicht gegen sie.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dies ist auf europäischer Ebene erkannt worden. Des-
halb sollen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik
die Leistungen unserer Landwirte für Umwelt- und Na-
turschutz finanziell gestärkt und auch andere in Europa
dazu animiert werden. Denn es gibt ohne Frage auch
Agrarflächen, die ökologisch geschädigt sind: über-
düngte, versalzene oder vertrocknete Böden, die vom
Winde verweht werden, zerstörte Lebensräume für
Schmetterlinge und Bienen, zum Teil auch für Vögel
und Pflanzen. Hier braucht es mehr Anreize für Nach-
haltigkeit über das Greening der Direktzahlungen und
die Förderung von Agrarumweltmaßnahmen, aber – das
betonen wir – auf freiwilliger Basis, nicht durch Plan-
wirtschaft. So lautet jetzt auch der politische Wille der
EU. Dies war übrigens keine Selbstverständlichkeit;
denn an der Reform schieden sich die Geister. Da wurde
gestritten und gefeilscht; denn es geht um viel Geld, im-
merhin den größten Haushaltsposten der EU, die Direkt-
zahlungen. Ich betone: Das sind keine Subventionen
– Herr Minister Schmidt hat darauf hingewiesen –, son-
dern es ist ein Ausgleich für Leistungen, die die Land-
wirtschaft erbringt. Aber sie sind zum Teil an die geflos-
sen, die sie nicht brauchen: von großen Landbesitzern
wie die Queen bis zur Industrie. Deshalb war eine Neu-
ordnung erforderlich.

Aber wie sollte diese aussehen? Es gab Fraktionen,
die eine Agrarwende von oben wollten. Par ordre du
mufti sollten 15 Prozent aller Flächen stillgelegt werden,
und das in einer Zeit, in der Fläche so knapp und wert-
voll ist wie nie zuvor.


(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Vorschlag gab es nie! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Fraktion war das denn? Sie bauen einen Popanz auf, der gar nicht stimmt!)






Gitta Connemann


(A) (C)



(D)(B)

Bis zur Fruchtfolge sollte alles vorgeschrieben werden –
Planwirtschaft, ersonnen am grünen Tisch. Damit wäre
jeder Landwirt zum ausführenden Organ degradiert wor-
den. Dabei ist er der Fachmann, übrigens auch mit den
erforderlichen regionalen Kenntnissen; denn Deutsch-
land ist vielfältig,


(Beifall bei der CDU/CSU)


von der Alm bis zur Salzwiese, vom Wald bis zum Wein,
Frau Ministerin Höfken, übrigens immer von Menschen-
hand geschaffen, so wie in Jemgum. Deshalb ist es auch
gut, dass sich am Ende die Vernunft gegen staatliche Be-
vormundung durchgesetzt hat. Die Reform der Agrarpo-
litik bringt mehr Freiheit für Europas Landwirte.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802606100

Frau Connemann, erlauben Sie eine Zwischenfrage

von Harald Ebner?


Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1802606200

Immer besonders gerne.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802606300

Oh, Harald, was geht denn da ab?


Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802606400

Habe ich etwas falsch gemacht?


(Heiterkeit)


Liebe Frau Kollegin, Sie haben von Freiwilligkeit ge-
sprochen. Ich möchte das unterstreichen. Ich möchte Sie
dazu fragen, ob denn die Annahme von Direktzahlungen
und das Stellen eines gemeinsamen Antrags nicht auch
eine freiwillige Entscheidung eines Landwirtes ist; denn
nur mit dieser Annahme der Direktzahlungen und dem
Stellen eines gemeinsamen Antrags würden die mit der
GAP verbundenen Greening-Auflagen greifen. Deshalb
möchte ich Sie fragen, wie Sie es da mit der Freiwillig-
keit halten?


Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1802606500

Die Freiwilligkeit ist als Prinzip verankert, und das ist

gut so. Dass es natürlich im Detail schwierig werden
kann, ist klar. Das zeigt uns nicht nur dieses Gesetz, son-
dern das zeigen uns gerade die delegierten Rechtsakte,
die in Europa derzeit verhandelt werden. Ich bin übri-
gens unserem Kollegen Albert Deß, der dafür sorgt, dass
dort die Flexibilität wirklich hergestellt wird, die wir für
die Landwirte vor Ort brauchen, außerordentlich dank-
bar,


(Beifall bei der CDU/CSU)


und ich bin unserem Minister Christian Schmidt dank-
bar,


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der hat die ganzen Zahlungen infrage gestellt!)


der seine Zustimmung zu den delegierten Rechtsakten
verwehrt hat, weil, wie er gesagt hat, noch nicht alles
ausreichend klar ist. Im Übrigen hat sich der Amts-
schimmel tatsächlich im Kleingedruckten ausgetobt.
Deswegen ist es gut, dass wir dies kontrollieren, übri-
gens für mehr Flexibilität. Lieber Kollege Ebner, da bin
ich absolut bei Ihnen.

Wir waren bei der staatlichen Bevormundung.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, wir waren bei der Freiwilligkeit!)


Übrigens ist es immer gut für die Politik, auch in diesem
Haus, nicht zu entscheiden, was ein guter Betrieb bzw.
eine gute Bewirtschaftungsform ist und was nicht. Wir in
der Union sagen: Wir brauchen alle. Wir brauchen die
ökologischen, die biologischen und die konventionellen
Betriebe ebenso wie die kleinen und die großen; denn
wir brauchen Vielfalt für den Verbraucher, die er übri-
gens bei uns hat. Ich glaube, es gibt kein Land auf der
Welt, wo es so sichere Lebensmittel zu so bezahlbaren
Preisen gibt. Auf die Leistung, die die deutsche Land-
wirtschaft erbringt, können wir stolz sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nun geht es an die Umsetzung der Reform. Jetzt wird
es haarig; denn der Teufel steckt bekanntlich im Detail.
So warten wir auf die delegierten Rechtsakte und Ausle-
gungsvermerke. Wir hatten gerade darüber gesprochen.
Wir wünschen uns dort mehr Flexibilität. Aber ich sage
auch sehr deutlich: Diese Flexibilität müssen wir natio-
nal nutzen. Den ersten Aufschlag haben wir mit dem
Umverteilungsprämiengesetz getan, durch das kleinere
und mittlere Betriebe zukünftig eine bessere Unterstüt-
zung erhalten werden. Die Vorlage aus Ihrem Haus, lie-
ber Herr Minister, war gekonnt; denn dieser Gesetzent-
wurf ist ohne Gegenstimmen angenommen worden.

Jetzt folgt das zweite Gesetz, das Direktzahlungen-
Durchführungsgesetz, über das wir heute diskutieren.
Darin steckt ganz viel Gutes. Lieber Herr Minister, Sie
haben es dargestellt. Übrigens, für unsere Fraktion sage
ich deutlich: Wir sind froh, dass die Umschichtung der
Mittel auf 4,5 Prozent begrenzt wurde;


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


denn wir dürfen nie vergessen: Dies ist das Geld der
Landwirtschaft,


(Willi Brase [SPD]: Nein! – Ute Vogt [SPD]: Das Geld der Steuerzahler!)


und eine Umschichtung auf das Land ist für das Land
schön, geht aber im Ergebnis zulasten der Landwirt-
schaft.

Es gibt viele andere Punkte, die Sie angesprochen ha-
ben. Einen Punkt, lieber Herr Minister, beurteilen wir als
Agrarpolitiker der Union anders als Bund und Länder.
Wir halten den Plan, alles Dauergrünland in Natura-
2000-Gebieten, also in Vogelschutzgebieten und in FFH-
Gebieten, als umweltsensibles Dauergrünland festschrei-
ben zu wollen, für falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Denn daraus folgt ein generelles Umwandlungs-,
Tausch- und übrigens auch Pflugverbot. Keine Frage:
Niemand will Umwandlung; aber eine Pflegemaßnahme





Gitta Connemann


(A) (C)



(D)(B)

muss möglich bleiben. Alles andere ist fachlich nicht be-
gründet und rechtlich auch nicht notwendig.

Ohne Frage müssen wir Dauergrünland schützen;
denn Wiesen binden Kohlenstoff. Deshalb verlangt die
EU, entsprechende Gebiete zu identifizieren, unter ande-
rem extrem umweltgefährdete Gebiete innerhalb von
Natura-2000-Gebieten. Die EU gibt jedoch nicht vor,
sämtliches Grünland in diesen Gebieten unter Schutz zu
stellen. Dies ist auch vernünftig; denn häufig geht es bei
dem eigentlichen Schutzziel des Gebietes um etwas ganz
anderes, wie beim Vogelschutz in Jemgum.

Ich verstehe, dass Bund und Landesregierungen nach
einer einfachen Abgrenzung gesucht haben. Aber die ge-
fundene taugt, ehrlich gesagt, nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Denn Dauergrünland ist nicht Dauergrünland, und Na-
tura-2000-Gebiet ist nicht Natura-2000-Gebiet. Wir
brauchen hier differenzierte Betrachtungen. Dies schlägt
übrigens auch unser bundeseigenes Institut, das Thünen-
Institut, vor, das sich als Sachverständiger für die am
Montag stattfindende Anhörung gemeldet hat. Dieses In-
stitut sagt sehr deutlich: Bedenkt bitte, dass jede Vor-
schrift dieser Art eine erhebliche Einschränkung zulas-
ten eines Landwirts darstellt! Also macht es bitte nur
dort, wo es wirklich erforderlich ist! Keine Pauschalie-
rung! – Vor diesem Hintergrund muss ein Umbruch zum
Beispiel durch Pflügen möglich bleiben.

Es geht hier um Pflegemaßnahmen mit langer Tradi-
tion. Seit Generationen wird der Boden alle paar Jahre
gepflügt und neu eingesät. Gerade erst solche Maßnah-
men haben dazu geführt, dass wir besonders hochwerti-
ges Grünland haben. Was noch schwerer wiegt, ist, dass
wir anderenfalls das Vertrauen der Landwirte brechen;
denn die Landwirte in Deutschland verlassen sich auf die
Zusage der Politik, dass es nicht zu Bewirtschaftungs-
veränderungen kommt, wenn zum Beispiel ein Gebiet
als Vogelschutzgebiet ausgewiesen wird. Dieses Ver-
trauen ist schützenswert, jedenfalls für uns.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir wollen weiter Kühe auf der Weide. Wir wollen
auch Gänse. Wir wollen aber keine schleichende Enteig-
nung unserer Landwirte. Deshalb sagen wir deutlich
Nein zu der geplanten pauschalen Veränderungssperre.
Wir müssen über andere Lösungen sprechen. Etliche
Vorschläge liegen auf dem Tisch. Diese werden nun Ge-
genstand des laufenden Gesetzgebungsverfahrens sein.

Mein Parlamentarischer Geschäftsführer hat mir ge-
sagt, dass ich nicht das Struck’sche Gesetz zitieren soll,
weil darauf heute schon mehrfach hingewiesen wurde.
Deswegen halte ich es mit dem Kollegen Holzenkamp,
der immer sagt: Über uns Parlamentariern ist der blaue
Himmel. – So ist es auch. Ich freue mich auf den
blauen Himmel im Gesetzgebungsverfahren und auf
die – hoffentlich auch zukünftig – grünen Weiden un-
ter unseren Füßen, so wie in Jemgum.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802606600

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der Blick nach oben

gibt Ihnen recht, was den blauen Himmel angeht.

Kerstin Kassner für die Linke ist die nächste Redne-
rin.


(Beifall bei der LINKEN)



Kerstin Kassner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802606700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Ich darf Sie nun auf eine kleine gedankli-
che Fahrt zu mir nach Hause einladen. Entweder sind Sie
Städter – dann sehnen Sie sich regelmäßig nach dem
Grün und der freien Natur –, oder Sie sind wie ich ein
Bewohner der ländlichen Räume. Diese machen immer-
hin 58 Prozent der Fläche unserer Bundesrepublik aus.
Auf dieser großen Fläche lebt etwa jeder vierte Einwoh-
ner Deutschlands.

In der Internetpräsentation des Landwirtschaftsminis-
teriums steht, dass die ländlichen Räume nicht nur eine
romantische Idylle sind; das kann ich mit Fug und Recht
unterschreiben. Das ist in der Tat so. Ich denke nur an
mein Heimatland Mecklenburg-Vorpommern: wunder-
schöne Wiesen und Seen, nicht zu vergessen das Meer,
aber auch große landwirtschaftliche Flächen. Genauso
ist es auf meiner Heimatinsel Rügen. Dort steht neben
dem Tourismus die Landwirtschaft gleichermaßen an
erster Stelle; denn sie prägt das Landschaftsbild auf der
Insel maßgeblich. Wir wünschen uns ein hohes Maß an
Lebensqualität. Das ist aufgrund der räumlichen Bedin-
gungen, der guten Luft und allem, was dazu gehört, von
Natur aus gegeben; aber – das sage ich bewusst – es ge-
hört ganz viel bürgerschaftliches Engagement dazu, dies
auch dauerhaft zu gewährleisten.

Es gibt ein großes Gefälle zwischen den Bedingungen
in den ländlichen Räumen, dem Süden, dem Südwesten
und meiner Heimatregion. Ich betreue die beiden Wahl-
kreise 15 und 16, also im Großen und Ganzen Vorpom-
mern; Neubrandenburg gehört auch dazu. Wenn ich jetzt
entschuldigend zu den Greifswaldern und Stralsundern
sage, dass das ländlicher Raum pur ist, dann können Sie
mir glauben, dass ich weiß, wovon ich spreche. Es ist
leider eine Abwärtsspirale zu verzeichnen. Es gibt einen
Abwanderungstrend, der aufgehalten werden muss. Zu-
erst gehen die jungen Frauen weg und mit ihnen die un-
geborenen Kinder. Danach gehen auch die jungen Män-
ner weg; denn sie finden es bei uns dann auch nicht mehr
attraktiv. Das führt dazu, dass immer weniger Menschen
in den ländlichen Räumen leben. Damit stellt sich die
gesamte Situation schwieriger dar: die Kaufkraftent-
wicklung, die Schulen, die Versorgung mit ärztlichen
Leistungen, all das ist schwierig und nur mit großer
Mühe und Not aufrechtzuerhalten.

Mit der Verlagerung der Mittel in Höhe von 4,5 Pro-
zent aus dem Gesamtvolumen kann das, was uns im
Rahmen der Entwicklung ländlicher Räume weniger zur
Verfügung steht, mindestens kompensiert werden. Es
gibt so viele Möglichkeiten, wie man erreichen kann,
dass die ländlichen Räume für das Leben dort attraktiv
bleiben. Bei Besuchen vor Ort habe ich viele kreative





Kerstin Kassner


(A) (C)



(D)(B)

Ideen vorgefunden, die lohnenswert sind, nachgemacht
oder weiterentwickelt zu werden.

Es gibt zum Beispiel das Vorhaben, multiple Häuser
zu errichten oder vorhandene Gebäude entsprechend
umzunutzen. Dort können dann verschiedene Aufgaben
im Dorf erfüllt werden: Am Montag kommt die Ärztin.
Am Dienstag ist die Physiotherapeutin da. Am Mittwoch
sind die Vereine des Ortes anwesend. Am Donnerstag
findet dort die Sprechstunde des Bürgermeisters statt,
und die Gemeindevertretung trifft sich am Abend. Am
Wochenende wird natürlich das gemeindliche Leben ge-
pflegt, das Tanzbein geschwungen, oder es werden inte-
ressante Nachmittage veranstaltet.

Man kann sich auch andere Dinge einfallen lassen.
Ich kenne viele Beispiele. Im Rahmen von LEADER
hatten die Insel Rügen und viele andere ländliche Berei-
che mit dem Bottom-up-Prinzip Möglichkeiten, die au-
ßerordentlich erfolgreich waren. Dort haben sich viele
Menschen engagiert. Kulturelle Möglichkeiten wurden
entwickelt und genutzt. Zum Beispiel wurden die Kir-
chen vor Ort wieder hergerichtet und zum Kulturzent-
rum des Dorfes gemacht.

Das alles sind Möglichkeiten, die außerordentlich in-
teressant sind und bei denen sich ein Mitmachen lohnt.
Ich möchte, dass solche guten Ideen umgesetzt werden,
damit auch zukünftig den Bürgerinnen und Bürgern in
den ländlichen Räumen das Leben in ihrer Heimatregion
gefällt und sie dort bleiben.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich kann mir aber auch vorstellen, dies gezielt zu un-
terstützen, zum Beispiel durch eine Breitbandversor-
gung. Heutzutage sind viele Unternehmen unabhängig
von ihrem Standort. Wenn die Anbindung an das Netz
über eine Breitbandversorgung gewährleistet ist, ist ein
Arbeiten weit über die landwirtschaftsaffinen Bereiche
hinaus möglich. Aber es gibt auch andere Möglichkei-
ten: Landwirtschaftsbetriebe, die nicht nur Lebensmittel
produzieren, sondern sie auch verarbeiten. Aus einem
Sozialbetrieb ist bei uns eine Molkerei entstanden, ein-
hergehend mit touristischen Angeboten.


(Beifall bei der LINKEN)


Das sind gute Lösungen, wie man den ländlichen Raum
beleben kann. Deshalb würde ich mich freuen, wenn wir
uns auch zukünftig darauf verlassen könnten, dass die
Menschen im ländlichen Raum zufrieden sind und sich
dort wohlfühlen.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802606800

Danke, Frau Kollegin Kassner. – Nächster Redner ist

Dirk Wiese für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1802606900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt ist,
wie ich sehe, schon auf dem Weg zur Agrarministerkon-
fe
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1802607000
Wir halten heute zwar
nicht unsere erste Rede im Deutschen Bundestag, aber
wir reden auf jeden Fall beide zum ersten Mal zum
Thema Landwirtschaft. Das ist doch eine schöne Ge-
meinsamkeit, die wir heute haben. Richten Sie ihm bitte
schöne Grüße aus.

Ich komme zur Sache. Der ländliche Raum umfasst
90 Prozent der Fläche der Bundesrepublik Deutschland.
Hier lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Klein-
städten, Gemeinden und Dörfern. Er ist Heimat, er ist
Lebensmittelpunkt, und er ist vielerorts eine von mittel-
ständischen Familienunternehmen geprägte Industriere-
gion im Grünen. In dieser Region ist eine zukunftsorien-
tierte und dem Gedanken der Nachhaltigkeit zugetane
Landwirtschaft zu Hause. Das ist gerade mit Blick auf
das Jahr 2014, dem von den Vereinten Nationen ausgeru-
fenen Jahr der familienbetriebenen Landwirtschaft, von
Bedeutung.

Warum erwähne ich das an dieser Stelle explizit? Die
heute diskutierten Direktzahlungen sind nicht nur Sub-
ventionen im negativen Sinne. Sie verfolgen auch das
wichtige Ziel, die heimischen Landwirte in zweiter und
dritter Generation dabei zu unterstützen, unsere vielsei-
tige Kulturlandschaft zu bewahren und zu pflegen; denn
sie sorgen mit ihrer täglichen Arbeit dafür, dass jeder
hier im Raum von seinem Heimatwahlkreis sagen kann:
Wir leben und arbeiten dort, wo andere Urlaub machen –


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


obwohl das Sauerland – Frau Connemann, gestatten Sie
mir diese Anmerkung – natürlich etwas schöner ist als
alle anderen Wahlkreise und Regionen.


(Heiterkeit – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Frau Connemann sagt, hinter Ostfriesland fällt das weit ab!)


– Ja, Frau Connemann kommt aus Ostfriesland. Aber der
Nachteil von Ostfriesland ist, dass es nicht so hügelig ist
wie das Sauerland und man deshalb schon freitags weiß,
wer sonntags zu Besuch kommt. Da haben wir im Sauer-
land ein paar Vorteile.


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Aber in Ostfriesland haben sie mehr Wasser! – Zuruf von der CDU/CSU: Und mehr Wind!)


– Wir haben auch viele Seen. Aber darüber können wir
in kleiner Runde diskutieren.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802607100

Passen Sie auf, sonst muss ich Sie noch rügen. Ich

komme aus Schwaben. Da ist es auch schön.


(Heiterkeit)







(A) (C)



(D)(B)


Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1802607200

Fast so schön.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Reden Sie schnell weiter! – Norbert Schindler [CDU/ CSU]: Waren Sie schon mal an der Deutschen Weinstraße?)


– Da haben wir eine neue Debatte – sehr gut –; die füh-
ren wir weiter.

Zum Gesetzentwurf. Versuchen wir einmal, trotz der
sperrigen Überschrift der heutigen Debatte zur ersten
Lesung des Entwurfes eines Gesetzes zur Durchführung
der Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Be-
triebe im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemein-
samen Agrarpolitik etwas Licht ins Dunkel zu bringen;
denn die gesetzlichen Folgen der zu beratenden Rege-
lungen betreffen das Leben vieler Bürgerinnen und Bür-
ger unmittelbar, und zwar täglich.

Ute Vogt ist bereits ausführlich auf die Eckpunkte des
vorliegenden Gesetzentwurfs eingegangen. Zu den
Stichworten zählen die zusätzliche Förderung für die
ländliche Entwicklung im Rahmen der zweiten Säule,
der schrittweiser Abbau der regionalen Differenzen beim
Wert der Zahlungsansprüche, die Regelung in Bezug auf
das Dauergrünland und die Ausschöpfung der EU-recht-
lich maximal zulässigen Förderobergrenze bei der
Junglandwirteförderung.

Ich möchte in meiner Rede zwei Punkte schwerpunkt-
mäßig hervorheben: zum einen die Junglandwirteförde-
rung und zum anderen die regionale Begrenzung bei
Ausgleichsmaßnahmen. Junglandwirteförderung heißt
konkret: Es geht um die landwirtschaftlichen Fachkräfte
von morgen, die Unterstützung bei der Übernahme der
Höfe und Betriebe ihrer Eltern brauchen und in Zukunft
dafür Sorge tragen werden, dass wir – hoffentlich – täg-
lich gute Lebensmittel wie Brot, Milch, Obst, Gemüse
oder Fleisch kaufen können.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Genau!)


Regionale Begrenzung heißt ganz konkret: Die Fläche
muss sich da erholen können, wo sie auch intensiv ge-
nutzt wird. Wenn in einer Region die Fläche intensiv be-
wirtschaftet wird, dann muss sie sich auch für einen ge-
wissen Zeitraum erholen können. Man darf sich nicht in
anderen Regionen sozusagen freikaufen.


(Beifall bei der SPD)


Der vorliegende Gesetzentwurf stärkt die Jungland-
wirteförderung aus meiner Sicht. Eine finanziell gut aus-
gestattete Junglandwirteförderung ist für die kommende
Generation wichtig und von großer Bedeutung. Dies ha-
ben Vertreter des Bundes der deutschen Landjugend
beim Parlamentarischen Abend vor einiger Zeit erst wie-
der deutlich gemacht; viele Kolleginnen und Kollegen
waren an diesem Abend anwesend. Laut letzten Erhe-
bungen belief sich die Zahl der Landwirte über 65 Jahre
innerhalb der Europäischen Union auf rund 30 Prozent,
während die Zahl der unter 35-Jährigen bei 6 Prozent
verharrte. Dies ist eine große Herausforderung für die
Zukunft der Landwirtschaft.

(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ja!)


Darum begrüße ich die entsprechenden Regelungen
im vorliegenden Gesetzentwurf ausdrücklich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die aus meiner Sicht richtige Stärkung der Jungland-
wirte durch die Gemeinsame Agrarpolitik der EU führt
auch dazu, dass wir bei der anstehenden Reform der
Hofabgabeklausel auf Grundlage des fundierten Gutach-
tens des Thünen-Instituts – Abschlag von 10 Prozent;
wir reden darüber nach der Vorlage der Evaluierung von-
seiten des Bundeslandwirtschaftsministeriums zur Som-
merpause – zeitnah tätig werden können. So ist es ange-
kündigt. Dem einen oder anderen ist der Begriff der
Hofabgabeklausel vielleicht nicht so präsent. Darum an
dieser Stelle eine kurze Erläuterung, worum es dabei
geht: Wer im Alter von 65 Jahren Leistungen aus der
landwirtschaftlichen Rentenversicherung haben möchte,
an die er sein Leben lang ordnungsgemäß Beiträge ent-
richtet hat, der muss seine Flächen – einfach gesagt – ab-
geben.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht doch heute um die GAP, junger Mann! Das ist ein ganz anderes Thema!)


Tut er dies nicht, so hat er keinen Anspruch, auch wenn
er eingezahlt hat. Findet er keinen Käufer oder Erwerber
bzw. Nachfolger für seine Flächen, dann gibt es kein
Geld.

Das ist ungerecht. Diese einst strukturpolitisch völlig
richtige Weichenstellung aus dem Jahr 1957 ist aus mei-
ner Sicht und der Sicht der SPD-Bundestagsfraktion
heute unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtig-
keit eigentlich nicht mehr aufrechtzuerhalten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie stellt aus meiner persönlichen Sicht eine Zwangsab-
gabe dar. Darum müssen wir die Reform angehen. Das
haben wir im Koalitionsvertrag auch vereinbart.

Frau Höhn, an dieser Stelle: Es gibt hier eine Schnitt-
menge. Wir wollen die Junglandwirte durch die
Junglandwirteförderung stärken und haben dann auch
Spielraum bei der Hofabgabeklausel. An dieser Stelle
besteht ein Zusammenhang. Ich glaube, es ist wichtig,
dies heute noch einmal anzusprechen.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich auf
den zweiten Punkt eingehen. Aus Sicht der Region Süd-
westfalen, der Kreise Olpe, Märkischer Kreis, Soest,
Siegen-Wittgenstein und meiner Heimat Hochsauerland-
kreis – das ist ein Beispiel von vielen in der Republik –
ist es von immenser Bedeutung, die ökologischen Vor-
rangflächen in einen räumlichen Bezug zur Betriebs-
stätte zu legen, um insbesondere eine Verlagerung der
Verpflichtung aus landwirtschaftlichen Gunstregionen
mit intensiver Bewirtschaftung auf vermeintlich ertrags-
schwächere Standorte zu verhindern. Denn das, was mo-
mentan stattfindet, ist eigentlich absurd: Regionen mit





Dirk Wiese


(A) (C)



(D)(B)

einer intensiven landwirtschaftlichen Bewirtschaftung
erwerben in anderen Regionen Flächen und erfüllen so
ihre vorgeschriebenen Auflagen. Zur Verbesserung der
Böden in den belasteten Regionen trägt das nicht bei,
und in den betroffenen Regionen, in denen Flächen von-
seiten gebietsferner Landwirte gekauft oder gepachtet
werden, steigen infolge dessen die Preise pro landwirt-
schaftliche Fläche zum Schaden der ortsansässigen
Landwirte. Gerade bei uns im Sauerland ist das der Fall.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bis 2009 waren Ackerbauern bereits gehalten, einen
gewissen Prozentsatz ihrer Betriebsfläche stillzulegen.
Landwirte aus den großen maßgeblichen Ackerbauregio-
nen in Nordrhein-Westfalen kamen ihren Stilllegungs-
verpflichtungen seinerzeit nach, indem sie zum Beispiel
in der Region Südwestfalen landwirtschaftliche Nutzflä-
che anpachteten und stilllegten. Kurzum: Die damalige
Nichtbewirtschaftungsverpflichtung wurde in andere
Regionen verschoben, weil die für die Flächenstillle-
gung benötigten landwirtschaftlichen Nutzflächen dort
günstiger zu pachten waren als in den Ackerbauregio-
nen. Das stellt ein Problem dar. Als Grund für das niedri-
gere Pachtniveau im Sauerland wird immer angeführt, es
liege an der Höhenlage, der Topografie oder dem späte-
ren Vegetationsbeginn. Ich finde das manchmal gar nicht
schlecht. Aber nun gut, das sind die Gründe.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Stilllegungs-
flächen fehlen den Landwirten vor Ort. Das führt auch
dazu, dass auf den bewirtschafteten Flächen, die neben
den Stilllegungsflächen liegen, der Unkrautbewuchs zu-
nimmt und sinnvolle örtliche Kulturlandschaftspro-
gramme konterkariert werden. Diese werden durch Steu-
ermittel finanziert. Deshalb müssen wir uns, wie ich
meine, dieser Problematik annehmen.

Darum: Lassen wir doch das Struck’sche Gesetz, wo-
nach kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es hi-
neingekommen ist, zur vollen Entfaltung kommen und
richtige Änderungen bzw. Anpassungen am bestehenden
Entwurf vornehmen. Ich bin mir sicher: Nordrhein-
Westfalen wird sich dem im Bundesrat nicht verschlie-
ßen. Vielleicht kann man an dieser Stelle auch noch eine
Öffnungsklausel auf den Weg bringen.


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Da bin ich mal gespannt!)


Ansonsten kann ich den vorliegenden Gesetzentwurf
nur begrüßen. Bei den 4,5 Prozent in Bezug auf die
ELER-Mittel wäre vielleicht noch etwas mehr drin ge-
wesen.


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Nein!)


Aber nun gut.

Die europäische Agrarpolitik ist, um das am Schluss
auszuführen, nicht unumstritten. Eine Einigung der Mit-
gliedsländer auf europäischer Ebene ist nicht immer ein-
fach; oft erfolgt sie auf dem kleinsten gemeinsamen
Nenner. Wir haben hier einen Kompromiss vorliegen.
Wenn wir an der einen oder anderen Stelle etwas nach-
bessern, kann man das auf den Weg bringen. Ich glaube,
der zukünftige erste Präsident der Europäischen Kom-
mission aus Deutschland nach Walter Hallstein wird
nach dem 25. Mai vielleicht etwas mehr Schwung in die
Reformdebatte bringen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802607300

Danke, Herr Kollege aus dem Sauerland. – Jetzt

spricht Friedrich Ostendorff für Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im
Herbst 2010 legte EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos
einen Bericht vor, der die Grundlagen für einen Vor-
schlag zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik nach
2013, der zentralen agrarpolitischen Zukunftsentschei-
dung für die Bäuerinnen und Bauern Europas, darstellte.
Dieser Vorschlag von Kommissar Ciolos war und ist
wegweisend und notwendig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieser Vorschlag ist wegweisend, weil er auf einer
beispiellosen öffentlichen Debatte mit über 5 500
schriftlichen Beiträgen der europäischen Bürgerinnen
und Bürger basiert. Die Ergebnisse dieser Diskussion
sind nachvollziehbar in den Vorschlag des Kommissars
eingeflossen.

Meine Damen und Herren, der Vorschlag ist notwen-
dig; denn er geht von den großen Herausforderungen Er-
nährung, Klimawandel, Artensterben und Energie aus.
Er entwickelt Lösungsansätze für diese Probleme, die
unsere Lebensgrundlage insgesamt betreffen. Eines ist
klar: Ein Weiter-so in der Agrarpolitik kann es nicht ge-
ben. 50 Milliarden Euro EU-Agrarsubventionen ohne
Begründung kann es im 21. Jahrhundert nicht mehr ge-
ben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Gemeinsame Agrarpolitik braucht eine neue, eine
echte Legitimation, oder sie wird spätestens nach 2020
am Ende sein. Diese Legitimation, liebe Kolleginnen
und Kollegen, muss lauten: öffentliche Gelder für öffent-
liche Leistungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung aber hat bei den Verhandlungen
der GAP-Reform vom ersten Moment an auf der Bremse
gestanden. Sie hat schwerwiegende politische und hand-
werkliche Fehler begangen, die der Demokratie in Eu-
ropa nachhaltig schaden, die Lösung drängender Pro-
bleme behindern und die Zukunft der Gemeinsamen
Agrarpolitik insgesamt infrage stellen.

Erstens. Die Bundesregierung ist nicht dem demokra-
tischen und transparenten Ansatz von Kommissar Ciolos
gefolgt. Sie hat das eindeutige Votum der Bürgerinnen





Friedrich Ostendorff


(A) (C)



(D)(B)

und Bürger für eine ökologischere und gerechtere Agrar-
politik ignoriert. Sie hat die Zivilgesellschaft, die seit
vier Jahren mit 20 000 bis 30 000 Menschen im Januar
hier in Berlin unter dem Motto „Wir haben es satt!“ für
eine andere Agrarpolitik auf die Straße geht, permanent
diffamiert.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Wo sind wir denn?)


Stattdessen hat der Bauernverband weiterhin alleine die
Politik diktiert. Damit hat die Bundesregierung dem
Glauben der Bürgerinnen und Bürger an Europa schwe-
ren Schaden zugefügt.

Zweitens. Die Bundesregierung hat nicht erkannt,
dass nur mit einem starken europäischen Instrument wie
der Gemeinsamen Agrarpolitik die großen Herausforde-
rungen gelöst werden können. Der Vorschlag von Kom-
missar Ciolos hat die einmalige Chance eröffnet, EU-
weit Artensterben einzudämmen, den Klimawandel zu
bekämpfen und die Gerechtigkeitslücken zu schließen.
Mit ihrer Blockadehaltung hat die Bundesregierung
diese große Chance für Europa vertan.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Drittens. Die Bundesregierung hat sich so sehr um
Ausnahmen für ihre agrarindustrielle Klientel bemüht,
dass aus einem einfachen und transparenten Maßnah-
menkatalog nun eine Ausnahme- und Schlupflochbüro-
kratie zu werden droht. Es ist doch abenteuerlich, wie
der CSU-Mann Albert Deß im Europaparlament dieser
Tage herumläuft und versucht, durch Nachtreten im
Kleingedruckten diese Reform noch klientelfreundlicher
und damit vor allen Dingen noch bürokratischer zu ma-
chen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alois Gerig [CDU/CSU]: Das Gegenteil ist der Fall!)


Um die Interessen des Bauernverbands durchzuset-
zen, versucht Herr Deß, die Kommission zu erpressen,
und droht, die längst beschlossene Reform an Formalien
scheitern zu lassen, wenn der Kommissar nicht tut, was
die Bauernverbände wünschen. Dieses Vorgehen von
Herrn Deß schadet nicht nur den europäischen Bäuerin-
nen und Bauern, sondern vor allen Dingen denen in Bay-
ern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie, Herr Minister Schmidt, spielen dieses Spiel mit.
Das ist antidemokratisch. Das ist antieuropäisch. Das ist
Klientelpolitik in ihrer schmutzigsten Form. Hören Sie
doch auf, uns etwas von Ethik in der Agrarpolitik zu er-
zählen, solange Sie Ihre eigenen Seilschaften nicht im
Griff haben, Herr Minister.

Viertens. Ein weiterer großer Fehler der Bundesregie-
rung war, dass sie den einmaligen gesellschaftlichen
Konsens zur Umgestaltung, zum Umbau und damit zur
zukünftigen Sicherung der GAP ausgeschlagen hat.
Noch nie haben sich so viele Nichtregierungsorganisa-
tionen und Verbände gemeinsam für eine Erhaltung und
Entwicklung der GAP ausgesprochen, wenn die Zahlun-
gen zukünftig an gesellschaftliche Leistungen gebunden
werden. Die Bundesregierung hat diesen Konsens ausge-
schlagen und damit die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass
die GAP 2020 aus Mangel an gesellschaftlicher Akzep-
tanz an ihr Ende kommt. Dies war und ist ein verhäng-
nisvoller Fehler.

Noch sind einige grobe Fehler heilbar.

Erstens. Pestizide und Mineraldünger haben auf öko-
logischen Vorrangflächen nichts zu suchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ändern Sie das!

Zweitens. Grünlandschutz muss sofort kommen und
an allen sensiblen Standorten gelten. Die dramatisch
fortschreitende Grünlandzerstörung muss aufhören.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ändern Sie das, und machen Sie 2014 nicht zum Jahr der
Grünlandzerstörung!

Drittens. Eine Umschichtung von nur 4,5 Prozent der
Gelder von der ersten in die zweite Säule ist für die Fi-
nanzierung der Agrarumweltprogramme viel zu wenig.
Möglich sind 15 Prozent. Ändern Sie das!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Viertens. Horst Seehofer, Ministerpräsident von Bay-
ern, hat den Bundesländern eine Aufstockung der Mittel
zur Förderung der ländlichen Entwicklung um 200 Mil-
lionen Euro versprochen. Dieses Versprechen hat er lei-
der gebrochen. Ändern Sie das, und stellen Sie die Mittel
in den Bundeshaushalt 2014 ein!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Minister Schmidt, Ihre Partei hat bei dieser Re-
form viel Schaden angerichtet. Ich fordere Sie daher auf:
Beenden Sie die Blockade in Brüssel, beenden Sie die
bürokratischen Tricks! Setzen Sie diese Reform so um,
dass ihre Ziele erreicht werden können – für mehr Öko-
logie, für mehr Gerechtigkeit in Europa, für eine zu-
kunftsfähige, moderne bäuerliche Landwirtschaft im
Einklang mit der Natur.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802607400

Danke, Herr Kollege. – Nächster Redner in der leben-

digen Debatte ist Hermann Färber für die CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hermann Färber (CDU):
Rede ID: ID1802607500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-

ginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Zuschauertri-
bünen! 50 Prozent der Menschen in Deutschland leben
in ländlichen Regionen, aber 100 Prozent der Menschen
ernähren sich von landwirtschaftlichen Produkten. Wir
diskutieren hier also nicht über irgendein politisches
Randthema, sondern über einen Kernbereich, der täglich
über 80 Millionen Bundesbürger betrifft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Hermann Färber


(A) (C)



(D)(B)

Gestatten Sie mir, dass ich kurz auf die Worte meines
Vorredners eingehe. Lieber Friedrich Ostendorff, die
Landwirtschaft in Deutschland erbringt viele, viele Leis-
tungen für die Gesellschaft, die sie am Markt nicht ver-
gütet bekommt. Das möchte ich an dieser Stelle einfach
so sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen wollen wir das mit den Direktzahlungen so regeln!)


Die Direktzahlungen – Herr Ebner, bitte hören Sie zu,
sonst muss ich das nachher wiederholen – gehören in die
Hand dessen, der die Hand am Pflug hat, der draußen die
Arbeit macht, und nicht in die Hand dessen, der sich in
irgendwelchen Zirkeln und politischen Diskussionen im-
mer neue Gängeleien, Schikanen und Auflagen für die
Bauern ausdenkt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist mir wichtig, und das möchte ich an dieser Stelle
so gesagt haben.

Die Reform der europäischen Agrarpolitik war in der
Tat eine schwere Geburt. Bis heute ist noch nicht klar,
wie das Kind nachher aussehen wird. Wir wollen aber an
den weiteren Verhandlungen konstruktiv teilhaben. Es
liegt uns an einer schnellen und guten Regelung, die den
Landwirten die dringend benötigte Planungssicherheit
gibt.

Die Reform hat auch sehr viele gute Bestandteile:
Den schrittweisen Übergang zu einer einheitlichen Ba-
sisprämie finde ich sehr angemessen. Wir begrüßen die
Förderung der ersten Hektare, die wir schon für 2014 be-
schlossen haben – sie wurde schon erwähnt –: 50 Euro
für die ersten 30 Hektar und weitere 30 Euro für die
nächsten 16 Hektar. Damit wird gerade die Klientel der
Betriebe bedient, die eigentlich die Grundlage der Land-
wirtschaft bilden. Auch die Junglandwirteregelung ist
grundsätzlich positiv. Wir müssen aber noch daran arbei-
ten – da bitte ich Sie, dass wir gemeinsam daran arbei-
ten –, dass auch die Vater-Sohn-GbR, die sogenannte
Generationen-GbR, in jedem Bereich darunter fallen.
Die Generationen-GbR ist ein deutsches Phänomen; sie
ist aber auch ein Zeichen von Verantwortung und Nach-
haltigkeit in den Betrieben in der Phase des Generatio-
nenwechsels.

Bei der Umschichtung der Mittel von der ersten in die
zweite Säule haben wir uns auf einen Wert von 4,5 Pro-
zent geeinigt. Diese Einigung steht, und daran wird auch
nichts mehr geändert. Da müssen wir auch einen Punkt
setzen, meine Damen und Herren. Wir können von den
Landwirten nicht zusätzliche Leistungen einfordern,
aber nicht mehr bezahlen.

Es ist kein Geheimnis, dass wir nicht mit jeder Einzel-
regelung der Reform glücklich sind. Sie führt in der Tat
zu weiterem Bürokratisierungsaufwand für die Bauern.
Dabei müssen die Bauern schon heute 19 Cross-Compli-
ance-Richtlinien und die darin enthaltenen verbindlichen
2 680 Standards beachten. Das Ende der Fahnenstange
ist also schon längst erreicht. Deshalb ist es uns sehr
wichtig, dass es bei der Umsetzung der Reform zu kei-
nen weiteren Belastungen für die Landwirtschaft in
Deutschland kommt. Wir setzen uns für eine Eins-zu-
eins-Umsetzung ein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zum Thema Grünlandumbruchverbot. Im Gesetzent-
wurf ist eine klare Verschärfung der europäischen Rege-
lungen auf nationaler Ebene enthalten, und das lehnen
wir ab. Den Landwirten ist – das wurde heute schon
mehrfach gesagt – bei der Einführung der Natura-2000-
Gebiete immer wieder versprochen worden, dass es im
Nachhinein keine weiteren Verschärfungen der Bedin-
gungen geben soll.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Genau so ist es!)


Der damalige Umweltminister und jetzige Wirt-
schaftsminister Gabriel hat das richtig gesehen. Ich zi-
tiere aus einer Pressemeldung vom 17. Februar 2006, in
der stand:

Ich weiß, dass in einigen Regionen, in denen jetzt
weitere Gebiete gemeldet wurden, eine Verunsiche-
rung bei Betrieben und Bürgern entstanden ist, wel-
che Auswirkungen die Naturschutzmeldung nun für
sie hat. Gemeinsam mit den Ländern will ich dazu
beitragen, dass die Sorgen und Skepsis abgebaut
werden …

Genau dazu bietet sich jetzt die Gelegenheit. Setzen
Sie sich bitte mit dafür ein, dass über die Natura-2000-
Gebiete nach fachlichen Kriterien entschieden wird und
nicht nach Verwaltungsinteressen. Genau darum geht es
jetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Natura-2000-Gebiete umfassen insgesamt circa
15 Prozent der Fläche der Bundesrepublik. Es ist ver-
säumt worden, innerhalb der Natura-2000-Gebiete die
wirklich schutzbedürftigen Grünlandflächen auszuwei-
sen. Deshalb soll nun ein pauschales Umbruchverbot
gelten, das aus fachlicher, aus Naturschutzsicht über-
haupt keinen Sinn macht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Viele Natura-2000-Gebiete sind Vogelschutzgebiete. Ei-
nem Vogelschwarm ist es aber völlig egal, ob er rechts
oder links von der Straße landen kann, wichtig ist, dass
überhaupt eine Wiese vorhanden ist. Für diese Bereiche
jetzt ein pauschales Umbruchverbot zu erlassen, ist ein-
fach widersinnig. Wir brauchen hier eine ganz andere
Lösung.

Ein weiterer Bereich macht mir sehr große Sorgen:
die ökologischen Vorrangflächen, die sogenannten Gree-
ning-Flächen. Lieber Kollege Ostendorff, liebe Frau
Vogt,


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist immer noch euer Koalitionspartner!)






Hermann Färber


(A) (C)



(D)

bereits heute bestehen 19 Prozent der Fläche aus Land-
schaftselementen wie Hecken, Bachläufen und Bioto-
pen, und das ohne die ökologischen Vorrangflächen.
Diese Tatsache sollte man zur Kenntnis nehmen und an-
erkennen.

Jetzt werden zusätzliche ökologische Vorrangflächen
gefordert. Wir möchten, dass auf diesen zusätzlichen
Flächen der Anbau von Eiweißpflanzen möglich ist. Der
Anbau muss aber auch wirtschaftlich möglich sein. Wir
müssen hier für die entsprechenden Rahmenbedingun-
gen sorgen. Das beinhaltet auch Düngung und Pflanzen-
schutz, um nachher ein ordentliches Produkt, in diesem
Fall Eiweißpflanzen, ernten zu können. Mit pauschalen
Verboten ist der Natur auch hier nicht geholfen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen das Thema Nachhaltigkeit global be-
trachten. Dadurch, dass wir in Deutschland immer mehr
Flächen aus der Produktion nehmen – nichts anderes
wird doch gemacht, wenn Düngung und Pflanzenschutz
auf ökologischen Vorrangflächen verboten werden –,
wird doch nicht weniger konsumiert. Nein, es wird nur
woanders angebaut. Und wo soll das sein? Etwa im süd-
amerikanischen Regenwald? Ist das die Lösung, die wir
wollen? Nein!

Hier und heute haben wir sichere Lebensmittel von
bester Qualität wie nie zuvor in der Geschichte der
Menschheit.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben eine der schönsten Kulturlandschaften auf
dieser Welt, und nur hier haben wir Einfluss, wie und
was produziert werden soll.

Ich erwähnte es schon: Wir warten noch auf die Defi-
nition des aktiven Landwirts. Was seinerzeit Flughäfen
und Golfplätze von den Stützungszahlungen ausschlie-
ßen sollte, wird nun zu einem bürokratischen Monstrum
für Landwirte und gefährdet vor allem unsere Nebener-
werbslandwirte, die den Anforderungen kaum gerecht
werden können. Jeder, der sich neben seinem Betrieb ein
Zusatzeinkommen erschlossen hat, läuft jetzt Gefahr,
diese Zahlungen nicht zu bekommen. Hier sehen wir
Nachbesserungsbedarf.

Trotz aller Kritik im Einzelnen: Wir wollen Lösun-
gen, die der Landwirtschaft in Deutschland, so wie wir
sie kennen, eine gute Zukunft sichern. Unser Leitbild der
von Familien betriebenen, regional verankerten, flächen-
deckenden Landwirtschaft wird von breiten Teilen der
Bevölkerung geteilt. Gerade diese familiengeführten Be-
triebe sind von zusätzlichen bürokratischen Belastungen
immer ganz besonders betroffen.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802607600

Herr Kollege, bitte kommen Sie zum Ende.


Hermann Färber (CDU):
Rede ID: ID1802607700

Ich habe noch einen Satz. –


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Kommt auf die Kommas an!)

Wer die Vielfalt dieser Landwirtschaft sichern will, der
darf nicht mit Gängelung und Verboten arbeiten, der
muss Lösungen anbieten.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist jetzt die Botschaft?)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802607800

Danke, Herr Kollege. – Nächster Redner: Hans-Georg

von der Marwitz für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hans-Georg von der Marwitz (CDU):
Rede ID: ID1802607900

Sehr verehrte Präsidentin! Meine sehr verehrten Kol-

leginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Es ist vollbracht. Die Kernelemente der eu-
ropäischen Agrarreform sind beschlossen. Was ist ge-
blieben von den einst großen Zielen des Brüsseler Agrar-
kommissars? Nun will ich dem armen, viel gescholtenen
Ciolos nicht zu nahe treten; denn es war eine Sisyphusar-
beit, allen Wünschen und Interessen der Mitgliedstaaten,
der Kommission, des EP und nicht zuletzt der vielen
Lobbyisten gerecht zu werden. Insofern habe ich große
Achtung vor den geleisteten Arbeiten. Aber was sollte
die GAP doch gleich werden? Gerechter, ökologischer,
unbürokratischer und transparenter.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tja! Das haben wir erwartet!)


Kommen wir zum ersten Punkt, dem gerechten Ver-
teilen der Agrarsubventionen. Dazu müssen wir uns erst
einmal den bisherigen Verteilungsschlüssel in Deutsch-
land vor Augen führen. Die Mittel der ersten Säule, also
die Direktzahlungen an die Agrarbetriebe, werden mit-
hilfe des Hektarschlüssels ausgeschüttet. Das bedeutet:
Je mehr Hektar der Landwirt bewirtschaftet, desto mehr
Subventionen fließen in den Betrieb. Anders formuliert:
Wer hat, dem wird gegeben. Besonders die flächenstar-
ken ostdeutschen Agrarbetriebe sind die größten Profi-
teure dieses Verteilungssystems.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Synergie- und Skaleneffekte stärken sowieso schon die
Wirtschaftskraft dieser Unternehmen. Längst gibt es Be-
triebe, die mit weniger als 0,3 Arbeitskräften je 100 Hek-
tar wirtschaften. Da lag es nahe, über Kappung und de-
gressive Zahlungen zu diskutieren.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Petra Crone [SPD])


Die Brandenburger CDU-Landtagsfraktion hat sich
2011 in einem viel beachteten Positionspapier für die
Begrenzung von Direktzahlungen ausgesprochen Darin
heißt es:

Zur Förderung des Strukturwandels hin zu einer
leistungsfähigen bäuerlichen Landwirtschaft befür-
worten wir eine Deckelung der Direktzahlungen

(B)






Hans-Georg von der Marwitz


(A) (C)



(D)(B)

und ihre Koppelung an die Voraussetzung, dass sich
der jeweilige Betrieb im Eigentum von in der Re-
gion ansässigen Personen befindet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Landesbauernverband Brandenburg witterte
schon sehr früh Einbußen für seine Mitglieder und gab
den Slogan heraus: Hektar ist Hektar, egal von wem er
bewirtschaftet wird! Hände weg von der Kappung und
Degression! Jetzt wird es spannend; denn mit diesem
Slogan hat der Bauernverband einen dramatischen Rich-
tungswechsel gegenüber der bisherigen Argumentations-
kette geliefert. Agrarsubventionen wurden immer als
Einkommensausgleich und als Steuerungsmechanismus
gegen Landflucht und für den Erhalt vielschichtiger
Agrarstrukturen gesehen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Subventionen in der ersten und zweiten Säule seien das
wichtigste Planungsinstrument der Politik, die Entwick-
lung des ländlichen Raums positiv zu beeinflussen. Der
ehemalige Agrarminister Friedrich sagte in seiner An-
trittsrede bei der CDU/CSU-Arbeitsgruppe: Die bäuerli-
chen Familienbetriebe sind der Wirtschaftsmotor des
ländlichen Raums. – Wohl wahr.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Doch ausgerechnet der Brandenburger Bauernver-
band hat sich wortgewaltig gegen die Kappung und De-
gression der Agrarsubventionen gestemmt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Weil Genossenschaften etwas anderes sind!)


Damit konterkarierte ausgerechnet der landwirtschaftli-
che Berufsstand, der sich angeblich für die Familienbe-
triebe verantwortlich fühlt, deren Interessen, jedenfalls
in Brandenburg. Das ist, Gott sei Dank, nicht in ganz
Deutschland so.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Eben!)


Der Slogan des Brandenburger Bauernverbands, Hektar
sei Hektar, egal von wem er bewirtschaftet wird, hat dies
eindrücklich offenbart.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Hat das die Bundesregierung auch gesagt?)


Denn wer sind wohl ohne Änderung des Verteilungs-
schlüssels, also ohne Kappung und Degression, die größ-
ten Profiteure der Direktzahlungen? Vorrangig Agrarge-
sellschaften, deren Wirtschaftsprinzip kaum in das Bild
einer vielschichtigen familiengeführten und im Genera-
tionenkontext denkenden und handelnden Unterneh-
menslandschaft passt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist schon erstaunlich, dass die süd- und die west-
deutsche Fraktion des Verbandes diese Entwicklung zu-
mindest kommentarlos akzeptierten. Umso dankbarer
bin ich, dass die Agrarministerkonferenz der Länder im
November 2013 ein kleines Zeichen gegen diesen Trend
gesetzt hat. So macht Deutschland jetzt von der Mög-
lichkeit Gebrauch, Mittel aus der ersten in die zweite
Säule umzuschichten. 4,5 Prozent der Direktzahlungen
– das haben wir heute schon mehrfach gehört – sollen in
die Förderung des ländlichen Raums fließen. Bis zu
15 Prozent wären nach EU-Vorgaben möglich gewesen.
Leider haben wir den Rahmen nicht gänzlich ausge-
schöpft.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber wenn ich sehe, wie in einigen osteuropäischen
Ländern das Gegenteil passiert, nämlich dass Gelder von
der zweiten in die erste Säule fließen, kann ich nur sa-
gen: Wir setzen zumindest die richtigen Signale.

Wir fangen an, Strukturpolitik zu machen, auch wenn
die Auswirkungen des erzielten Kompromisses sehr
überschaubar bleiben werden. Von einem Paradigmen-
wechsel hin zu einer zielgerichteten Verteilung und einer
nachhaltigen Unterstützung bäuerlicher Familienbe-
triebe kann nicht gesprochen werden. Denn wer profi-
tiert auch in Zukunft am meisten von den europäischen
Agrarsubventionen? Es sind nach wie vor die flächen-
starken Betriebe, die den Mittelzufluss für weitere Kon-
zentrationen nutzen werden – lesen Sie dazu einmal die
Wirtschaftswoche Nr. 14 vom 31. März 2014, den Arti-
kel: „Mein Stück Acker“ –, außerdem Verpächter, die
längst erkannt haben, dass sie ihren Pächtern dank Brüs-
sel mehr aus den Rippen leiern können, und nicht zuletzt
die Betriebe mit hohem Eigentumsanteil, die über si-
chere Renditen verfügen und bei Pacht und Erwerb mehr
bieten können. Das System der pauschalen Flächenför-
derung hat sich offensichtlich überlebt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme aus einer Region, in der der Strukturwan-
del besonders krasse Formen angenommen hat. Einer
meiner Nachbarn bewirtschaftet im Gesellschaftsver-
bund derzeit rund 18 000 Hektar, eine Gemarkungsflä-
che von mehr als 20 Dörfern, und ein Ende weiterer Fu-
sionen ist nicht absehbar. Vielleicht verstehen Sie jetzt,
warum ich mir um die Strukturen der deutschen Land-
wirtschaft wirklich Sorgen mache.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben als Politiker kaum ein Steuerungsinstru-
ment gegen den grassierenden Strukturwandel in der
Hand, den die Bevölkerung erst wahrnehmen wird, wenn
die Auswirkungen offensichtlich werden, wenn der
Wirtschaftsmotor Landwirtschaft in den Dörfern den
Geist aufgibt. Lediglich mit den Agrarsubventionen kön-
nen wir Richtungen vorgeben.

Nun zum zweiten Punkt der Reformziele: der Ökolo-
gie. Zum ersten Mal in der Geschichte der GAP ist es ge-





Hans-Georg von der Marwitz


(A) (C)



(D)(B)

lungen, Direktzahlungen an ökologische Gegenleistun-
gen zu koppeln. Die Zeit bedingungsloser Förderungen
ist vorbei.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Doch wie so oft – auch das wurde heute schon gesagt –
steckt der Teufel im Detail. Bei der Bewertung dieses
Ansatzes sollten wir uns auf zwei Fragen konzentrieren:
Erfüllen die Auflagen erstens ihren Zweck, und sind sie
zweitens praxisgerecht überhaupt durchführbar?

Im Rahmen der Anbaudiversifizierung müssen min-
destens drei verschiedene Kulturen in einem Betrieb an-
gebaut werden. Dabei muss der Anteil jeder Kultur min-
destens 5 Prozent betragen und darf 70 Prozent nicht
überschreiten. Mit dieser Maßnahme sollen Monokultu-
ren verhindert und Biodiversität gefördert werden. Das
Gegenteil ist der Fall. Denn mit bis zu 70 Prozent einer
Kultur in der Anbaufläche kann man nicht einmal von
Fruchtwechsel sprechen.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das ist wohl wahr!)


So wird sich wohl für den beobachtenden Bürger in der
Landschaft wenig ändern.

Bei den ökologischen Vorrangflächen wird es kompli-
zierter. Ursprünglich sollten 5 Prozent der bewirtschafte-
ten Fläche ausschließlich nach ökologischen Gesichts-
punkten bewirtschaftet oder stillgelegt werden. Der jetzt
vorgelegte Maßnahmenkatalog wird dem anfänglichen
Greening-Gedanken kaum noch gerecht.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das ist so!)


Bäume, Waldflächen und Gräben haben wir schon vor
der Reform in unserer Agrarlandschaft gehabt, ohne sie
wirtschaftlich geltend machen zu können. Auch Grenz-
ertrags- und naturnahe Flächen werden durch die Gree-
ning-Auflagen an Wert gewinnen, sehr zum Verdruss der
Schäfer, die mir vergangene Woche ihr Leid geklagt ha-
ben. Bei uns in Brandenburg ist das besonders bedeu-
tend.

Damit sind wir beim dritten Punkt: Unbürokratischer
und transparenter sollte die GAP werden. Zur Bürokratie
stelle ich kurz und knapp fest: Zusätzliche Vorschriften
und Bürokratieabbau sind unüberbrückbare Gegensätze.
Dieser Ansatz war schon von Beginn der Agrarreform an
mehr als fragwürdig. Als CDU haben wir uns immer für
Entbürokratisierung eingesetzt. Diesen Grundsatz dürfen
wir auch in der europäischen Agrarpolitik nicht vernach-
lässigen.

Ich komme zum Schluss. Mein Fazit zur GAP lautet:
Der große Wurf ist mit Sicherheit nicht gelungen. Aber
vielleicht hat die zum Teil sehr kontroverse und polari-
sierte Diskussion der letzten vier Jahre manche Erkennt-
nis wachsen lassen. Nach der GAP ist vor der GAP; wir
haben es schon gehört. Auf europäischer Ebene drasti-
sche Veränderungen herbeiführen zu wollen, bedeutet
eine große Kraftanstrengung über einen langen Zeitraum
und bekanntlich das Bohren dicker Bretter, –

Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802608000

Jetzt müssen Sie wirklich zum Schluss kommen.


Hans-Georg von der Marwitz (CDU):
Rede ID: ID1802608100

– ich bin sofort fertig –, ganz im Sinne einer Aussage

der eben schon zitierten Wirtschaftswoche: „Je breiter
die Palette an Produkten und je stärker die Anbaugebiete
regional gestreut sind, desto stabiler ist das Geschäft.“ –
Ich sage: desto sicherer die Versorgungssicherheit, desto
sicherer die betriebliche Vielfalt und Stabilität.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802608200

Bitte, Herr Kollege, kommen Sie jetzt zum Schluss.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ihr habt doch schon so viel Redezeit!)



Hans-Georg von der Marwitz (CDU):
Rede ID: ID1802608300

Meine Damen und Herren, Subventionen sind Steuer-

mittel. Insofern muss der Grundsatz lauten: öffentliches
Geld für Aufgaben, die uns allen dienen. Deshalb: Las-
sen Sie uns in Zukunft gemeinsam überlegen, wie wir
mit den 4,8 Milliarden Euro aus der ersten Säule den
größten gesellschaftlichen Mehrwert ziehen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802608400

Das Wort hat der Kollege Willi Brase für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1802608500

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, mein Vor-
redner hat in bemerkenswerter Art und Weise auf die
Entwicklung der Diskussion über die GAP hingewiesen.
Ich kann nur sagen: Ich bin ein Stück weit begeistert,
was Sie hier ausgeführt haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Und Ostdeutschland gebasht!)


Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten – ich werde
seinen Titel zitieren, weil mir selten so etwas Tolles un-
tergekommen ist –,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


lautet „Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Di-
rektzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe
im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemeinsamen
Agrarpolitik“. Wir wollen 4,8 Milliarden Euro, 4,5 Pro-
zent der jährlichen nationalen Obergrenze für die Direkt-
zahlungen, als zusätzliche Förderung für die ländliche
Entwicklung bereitstellen. Dies soll im Rahmen der bis-
herigen Betriebsprämienregelung bestehende regionale





Willi Brase


(A) (C)



(D)(B)

Unterschiede beim Wert der Direktzahlungen bis 2019
abbauen. – Das hört sich schon gut an.

Wir wollen uns einer neuen Basisprämienregelung
schrittweise annähern, damit wir 2019 bundesweit ein-
heitliche Werte für Zahlungsansprüche je Hektar für die
Basisprämie haben. – So weit, so gut.

Wie wird dieser Anspruch umgesetzt? Frau Präsiden-
tin, Sie gestatten mir, dass ich aus dem § 9 des Gesetz-
entwurfs zitiere:

Für das Jahr 2015 wird der nach Anwendung des
§ 7 verbleibende Anteil der nationalen Obergrenze
für die Basisprämienregelung auf die Regionen wie
folgt aufgeteilt: Die Zahl der beantragten Zahlungs-
ansprüche je Region ohne beantragte Zahlungsan-
sprüche aus der nationalen Reserve wird mit dem
für die jeweilige Region in der Anlage für das Jahr

(Regionssumme 2015)

Regionen werden addiert (Bundessumme 2015).
Der Anteil einer Region am zu verteilenden Prä-
mienvolumen ergibt sich durch Division der jewei-
ligen Regionssumme 2015 durch die Bundessumme
2015. Die jeweilige regionale Obergrenze für 2015
ergibt sich, indem das zu verteilende Prämienvolu-
men mit dem so ermittelten Anteil der Region mul-
tipliziert wird.


(Heiterkeit bei der SPD)


Meine Damen und Herren, wenn ich Ihnen jetzt die
Begründung zu § 9 vorlesen würde, würde ich wahr-
scheinlich drei Minuten zitieren. Mir wäre aber immer
noch nicht klar, wie die regionalen Unterschiede bis
2019 auf den Punkt gebracht werden.


(Heiterkeit bei der SPD – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Dann komm mal zu mir! Ich bringe es dir bei!)


Wie ist das eigentlich zu verstehen? Was sagt uns die-
ser Text? Ich glaube, wenn wir so mit der Gemeinsamen
Agrarpolitik umgehen, dann wird es sehr schwer wer-
den, die Verhandlungen zwischen Landeswirtschaftsmi-
nistern und Bundeslandwirtschaftsministerium als klar
und deutlich darzustellen. Das wird nicht dazu führen,
dass die Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik
die Agrarpolitik besser finden; im Gegenteil: Sie werden
diesen Finanzierungsansatz nicht mehr verstehen. Ich
behaupte, dass auch eine Menge der Kolleginnen und
Kollegen im Bundestag diesen Ansatz nicht mehr ver-
steht.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Ich bringe es ihnen bei!)


Er ist ein Stück weit Ausdruck der vermachteten Land-
wirtschaftspolitik in unserem Land. Wenn wir mehr An-
erkennung der Agrarpolitik wollen, müssen wir eigent-
lich dafür sorgen, dass mehr Klarheit in der Sache
hergestellt wird, sehr geehrte Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Für mich ist dieses Beispiel auch ein Ausdruck dafür,
dass wir in der Perspektive darüber nachdenken müssen,
ob das Zwei-Säulen-Modell – Direktzahlungen und Ent-
wicklung des ländlichen Raums – eigentlich noch richtig
ist. Herr Staatssekretär, richten Sie dem Minister aus,
dass ich dankbar bin, dass er als langjähriger Parlamen-
tarier heute bei seiner ersten Rede als Minister indirekt
auf diesen Tatbestand hingewiesen hat, indem er ganz
klar zum Ausdruck gebracht hat, dass ihm manche Kom-
pliziertheiten im Gesetzgebungsverfahren so noch nicht
untergekommen sind. Ich halte diese Formulierung, mit
der wir das sozusagen zur Befriedung aller am Agrar-
markt Beteiligten umzusetzen versuchen, für nicht dien-
lich. Sie wird uns bei dem Ziel „mehr Anerkennung der
Gemeinsamen Agrarpolitik“ nicht weiterführen.

Ich will einen zweiten Punkt inhaltlich ansprechen, zu
dem mein Kollege Wiese schon Ausführungen gemacht
hat. Wir haben im Vorfeld und auch vor dem Hinter-
grund der Anhörung, die wir am kommenden Montag
durchführen werden, nachgefragt: Wie ist es eigentlich
mit der Anrechnung regional entfernt liegender Pachtflä-
chen als Greening-Flächen? Wir haben den Wissen-
schaftlichen Dienst bemüht. Der Wissenschaftliche
Dienst hat uns mitgeteilt: Wenn dort Änderungen ge-
wünscht sind, sind diesbezügliche gesetzliche Maßnah-
men nur auf der EU-Ebene zu treffen. – Deshalb finde
ich es gut und richtig, wenn unsere EU-Parlamentarier
diese Frage im Zusammenhang mit den delegierten
Rechtsakten diskutieren. Wir wollen nicht, dass sozusa-
gen über große Entfernungen hinweg zusätzliche Pach-
tungen vorgenommen werden und in den betroffenen
Regionen unsere Landwirte darunter leiden, dass die
Pachten steigen, möglicherweise auch die Kosten für Ei-
gentumserwerb steigen, und sie das Nachsehen haben
gegenüber den Betrieben, die von weither kommen und
solche Pachtungen vornehmen. Wir lehnen das ab, liebe
Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir fühlen uns in dieser Position ein Stück weit unter-
stützt durch die Debatte im Bundesrat, im Landwirt-
schaftsausschuss. Dort geht es darum – ich darf zitieren,
Frau Präsidentin –: Ökologische Vorrangflächen sollen
in einem räumlichen Bezug zur Betriebsstätte liegen, um
insbesondere eine Verlagerung der Verpflichtung von
landwirtschaftlichen Gunstregionen auf ertragsschwache
Standorte zu verhindern. – Ich finde, hier sollte sich end-
lich die Mehrheit der Landesagrarminister durchsetzen,
liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir die Regelung zur Basisprämie nach der An-
hörung in die endgültige Gesetzesform umgesetzt haben
und das 2019/20 dann auch bundesweit angeglichen ha-
ben, dann haben wir ein Ziel erreicht. Aber wir haben
noch ein zweites großes Ziel: Wir wollen mittelfristig
den Ausstieg aus den Direktzahlungen. Wir wollen, dass
die Förderung im Rahmen der ersten Säule weitestge-
hend übergeht in die Förderung im Rahmen der zweiten





Willi Brase


(A) (C)



(D)(B)

Säule. Wir wollen die Entwicklung der ländlichen
Räume. Das Prinzip „öffentliches Geld für öffentliche
Leistung“ soll und muss Zug um Zug umgesetzt werden.
Ich glaube, wenn man Steuergeld ausgibt, dann darf man
erwarten, dass dafür auch entsprechende Leistungen er-
bracht werden. Das ist ein richtiger Weg.

Von daher sehen wir als SPD-Fraktion den heute vor-
liegenden Gesetzentwurf – die endgültige Fassung bleibt
natürlich der weiteren Beratung vorbehalten – schon als
Weg dahin, dass wir 2020 mehr auf die zweite Säule
übergehen. Wir fangen mit nur 4,5 Prozent der Mittel an.
Herr von Marwitz, Sie hatten recht; vielleicht waren
oder sind wir nicht bereit, mehr dafür zu geben. 15 Pro-
zent wären oder sind noch möglich.


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Für was?)


Es gibt nun die Einigung; daran kommen wir nicht vor-
bei.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss ja entschieden werden!)


Aber wir fühlen uns auch durch das Thünen-Institut un-
terstützt. In dem für Montag vorgelegten Gutachten wird
deutlich ausgeführt: Mittel- und langfristig muss mit den
Unterschieden zwischen den Säulen der Gemeinsamen
Agrarpolitik Schluss sein. Wir wollen, dass hier eine Än-
derung erfolgt.

Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir
bei der nationalen Umsetzung der GAP besonders die
wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Entwicklun-
gen der ländlichen Räume im Auge haben. Wir wollen
diese Räume fördern. Für meine Fraktion sage ich hier:
Dies ist für uns Ausdruck einer Politik, die auf die Ent-
wicklung ländlicher Räume ausgerichtet ist. Wir wissen,
dass es in den ländlichen Räumen nicht nur um Land-
wirtschaft geht – das wurde heute in manchen Beiträgen
schon angesprochen –, sondern auch um Daseinsvor-
sorge, um Arbeitsplätze, um Bildung, um gute Arbeit
insgesamt und darum, für ältere Menschen das Leben in
ländlichen Räumen nach wie vor möglich zu machen.

Insofern wollen wir gemeinsam in der heutigen De-
batte – das geht ein bisschen über die GAP hinaus – die
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“ weiterentwickeln. Wenn wir
dieses Instrument über eine Grundgesetzänderung, auch
im Zusammenhang mit der GRW, vernünftig auf den
Weg bringen, dann sollten wir einen materiell ausrei-
chend hohen Anteil für den Küstenschutz bewahren.
Aber wir werden auch dazu übergehen müssen, für die
ländliche regionale Entwicklung zusätzliche Mittel zu
beantragen. Ich denke, da sind wir in der Koalition ge-
fordert, gemeinsam beim Finanzminister, hoffentlich mit
Unterstützung unseres Landwirtschaftsministers, mehr
Mittel zu beantragen, damit wir zu einer besseren und
stärkeren Unterstützung der ländlichen Regionen kom-
men.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir als Sozial-
demokraten unterstützen ausdrücklich das Leitbild einer
Landwirtschaft, die flächendeckend wirtschaftet, die
multifunktional ausgerichtet ist und die auch dem Ziel
einer ressourcenschonenden Produktionsweise ver-
pflichtet ist. An diesem Ziel sollten wir festhalten. Las-
sen Sie uns gemeinsam diesen Weg gehen, und lassen
Sie uns bei der Beratung des Gesetzentwurfs noch ein-
mal überlegen, ob wir es schaffen, bessere Formulierun-
gen als die in § 9 des Gesetzentwurfs – die kein Mensch
versteht – zu finden. Es ist nicht gut für das Parlament
und für die Landwirtschaftsminister – ich denke nicht
nur an das Bundeslandwirtschaftsministerium, sondern
auch an die Landwirtschaftsminister in den Ländern,
auch wenn die Bundesratsbank ministeriell nicht mehr
besetzt ist –, wenn es bis zum Schluss nur noch darum
geht, wer den kleinsten Anteil an den Direktzahlungen
hat. Wenn es so läuft, dann liegen wir falsch. So sollten
wir es nicht machen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802608600

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als letzte Rednerin in

dieser Debatte hat Marlene Mortler für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1802608700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Gemeinsame Agrarpolitik gehört seit Beginn der Ei-
nigung Europas zu den wichtigsten Aufgabenfeldern
europäischer Politik. Die GAP wurde dem Wandel der
Lebensverhältnisse in Europa immer wieder angepasst.
Anfangs stand der Wunsch der Menschen: Wir wollen
satt werden. Heute steht die Landwirtschaft im Span-
nungsfeld zwischen einerseits ökologischer und sozialer
Verantwortung und wachsenden gesellschaftlichen An-
sprüchen und andererseits wirtschaftlichen Zwängen für
nachhaltiges unternehmerisches Handeln.

Aber gerade die Ausführungen der Grünen haben
deutlich gemacht: Hier wird pauschal diffamiert. Wer
pauschal diffamiert, der wird nicht mehr ernst genom-
men.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gott sei Dank sehen über 70 Prozent der Menschen in
Deutschland und EU-weit die Landwirtschaft in einem
anderen Licht. Sie stehen hinter unseren Bäuerinnen und
Bauern, und sie stellen ihnen ein gutes Zeugnis aus.

Meine Damen und Herren, früher gab es Geld für die
Produktion. Heute gibt es Direktzahlungen nur dann,
wenn der Landwirt den hohen Auflagen im Bereich Tier-
schutz, Umweltschutz und Verbraucherschutz nach-
kommt.


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Ja!)






Marlene Mortler


(A) (C)



(D)(B)

Deshalb sage ich: Diese Agrarreform stärkt nicht nur un-
sere Bauern und Bäuerinnen, sie stärkt auch unsere Um-
welt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Für diese Politik hat Deutschland hart und erfolgreich in
Brüssel gekämpft. Daher ein herzliches Dankeschön der
damaligen Ministerin Aigner, Dr. Friedrich und
Christian Schmidt!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich danke ausdrücklich unserem Minister Schmidt
– kaum im Amt – für seinen großartigen Einsatz im Be-
reich Bioenergie im Rahmen der Verbesserung des EEG.

Auch wir Agrarpolitiker waren von Anfang an und
mit vollem Herzen dabei; denn viele von uns – das hat
man heute bei den Reden gespürt – sind nicht nur Theo-
retiker, sondern auch Praktiker; das heißt, wir kommen
aus der Landwirtschaft, wir arbeiten mit und in der Na-
tur. Deshalb wissen wir genau, dass die tägliche Frage
unserer Bauern und Bäuerinnen lautet: Wie komme ich
besser über die Runden? Wie sichere ich im Sinne der
Agenda 21 mein Ein- und Auskommen, nicht nur für
mich persönlich, sondern auch für meine Familie? Wel-
che Perspektiven habe ich? Wie verlässlich ist diese
Politik? Meine Antwort: Unsere Bäuerinnen und Bauern
können sich auf uns verlassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte das Ganze in einen größeren Zusammen-
hang stellen. Ob in Deutschland, in Europa oder welt-
weit: Kein anderer Wirtschaftszweig hat so sehr das
Potenzial zur Abmilderung des Klimawandels und zur
Sicherung unserer Ernährung wie die Landwirtschaft
selber. Deshalb haben die Vereinten Nationen das Jahr
2014 zum Internationalen Jahr der bäuerlichen Familien-
betriebe ausgerufen. Minister Schmidt hat kürzlich sel-
ber gesagt: Ernährungspolitik ist Sicherheitspolitik.
Selbst ich als neue Drogenbeauftragte der Bundesregie-
rung werde von diesem Thema immer wieder eingeholt,
ob bei der Tagung der Commission on Narcotic Drugs
kürzlich in Wien oder gestern im Gespräch mit Vertre-
tern des BMZ, der GIZ und des Auswärtigen Amtes oder
im Gespräch mit der zuständigen thailändischen Bot-
schafterin, die mithilfe Deutschlands in Nordthailand et-
was ganz Tolles geschafft hat, nämlich die Bauern vom
Drogenanbau wegzubringen und sie zum legalen Anbau
von Früchten, die ihnen ein Ein- und Auskommen si-
chern, zu bringen. Das ist unser Anspruch.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Diesen Anspruch können wir am besten erfüllen, wenn
wir selber weiter mit gutem Beispiel vorangehen, das
heißt unser Wissen und Können in der Praxis und in der
Wissenschaft befördern und nicht behindern.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802608800

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist vorbei.

Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1802608900

Deshalb, sehr geehrte verständnisvolle Präsidentin,


(Heiterkeit)


setze ich bei der weiteren Umsetzung dieses Gesetzge-
bungspaketes auf praxistaugliche, praktikable Lösungen.
Wie es der Minister formuliert hat: Stilllegung ist ein
Stück Kapitulation. – Unsere Frage lautet: Wie können
wir in Zukunft mit weniger Fläche mehr produzieren?
Das muss selbstverständlich nachhaltig erfolgen; denn
nicht nur wir in Deutschland und Europa, sondern die
Menschen weltweit haben das Menschenrecht auf Nah-
rung. Das ist unser Anspruch, und dem fühlen wir uns
nicht nur als Parlamentarier, sondern auch als Bundesre-
gierung verbunden.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802609000

Danke, Frau Kollegin. Auch danke für das „verständ-

nisvolle“; das ist bei diesen Landwirtschaftsdebatten im-
mer vonnöten. Danke für die lebendige Debatte.

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/908 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich bitte, den Platzwechsel zügig vorzunehmen, und
rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Rosemarie Hein, Diana Golze, Matthias W.
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Kooperationsverbot abschaffen – Gemein-
schaftsaufgabe Bildung im Grundgesetz ver-
ankern

Drucksache 18/588
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsauschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Frau Dr. Hein, warten wir noch eine Sekunde. – Liebe
Kolleginnen und Kollegen, könnten Sie sich bitte ent-
scheiden, ob Sie stehen, sitzen oder reden wollen? Zum
Reden rufe ich Sie dann auf.

Ich eröffne die Debatte. Das Wort hat Dr. Rosemarie
Hein für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802609100

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Sicherlich nicht nur ich werde immer
wieder gefragt, warum der Bund nicht endlich mehr Zu-
ständigkeit in der Bildung übernimmt. Gab es diese For-
derung noch vor zehn Jahren vor allem auf Veranstaltun-
gen im Osten, kann man nun auch in den westlichen
Bundesländern geradezu Begeisterungsstürme hervorru-
fen, wenn man quasi die Abschaffung der Bildungsho-
heit der Länder fordert.


(Beifall bei der LINKEN)


Keine Sorge: Das wollen wir nicht.


(Martin Rabanus [SPD]: Wer weiß!)


Wir müssen aber darüber reden, warum so viele für die
Abschaffung sind.

Schuld ist das 2006 verhängte Kooperationsverbot
zwischen Bund und Ländern in Bildungsfragen. Da das
Wort „Kooperationsverbot“ immer schlecht verstanden
wird, will ich noch einmal knapp erklären, was es bedeu-
tet:

2006 wurde im Zuge der Föderalismusreform auf
Drängen einiger Länder im Grundgesetz festgeschrie-
ben, dass der Bund in Fragen der Schul- und Hochschul-
politik nicht mehr mitfinanzieren darf. Es gibt ganz we-
nige Ausnahmen, und es gibt inzwischen eine Reihe von
Umwegen über sehr komische und scheinbar unverdäch-
tige Programme. Denn auch wenn die Länder über die
alleinige Zuständigkeit für Bildungsfragen überwiegend
glücklich waren, können sie die notwendigen Bildungs-
ausgaben heute nicht mehr schultern. Dies ist durch die
2009 erlassene Schuldenbremse für Bund und Länder
noch weiter verschärft worden.

Zu diesen Finanzierungsschwierigkeiten kommt hinzu,
dass sich das Bildungswesen in den Bundesländern im-
mer stärker auseinanderentwickelt. Das wollen wir mit
unserem Antrag ändern. Es geht uns um mehr soziale
Gerechtigkeit, um bessere Bildungsqualität und um
mehr Vergleichbarkeit zwischen den Bundesländern.

Gestatten Sie mir einige Erläuterungen dazu:

Die bundesdeutschen Schulsysteme sind durch mehr
als ein Dutzend unterschiedliche Schulformen für die
Klassen 5 bis 10, unterschiedlich lange Pflichtschulzei-
ten, unterschiedliche Abschlüsse mit unterschiedlichen
Berechtigungen, unterschiedliche Unterrichtsfächer und
unterschiedliche Schulzeitlängen – man denke nur an die
derzeitige Debatte um G 8 und G 9 – gekennzeichnet.
Das ist nur ein Teil des Irrgartens, durch den sich Fami-
lien quälen müssen, wenn sie das Bundesland wechseln
wollen oder müssen.

Das Problem geht nach der Ausbildung weiter: Weil
auch die Ausbildungen für viele Berufe – so zum Bei-
spiel für die Sozialarbeit, für Erziehungsberufe und für
das Lehramt – Ländersache sind, kann es schnell passie-
ren, dass man zwar in dem Herkunftsland einen aner-
kannten Beruf hat, aber in einem anderen Bundesland
entweder als ungelernte Kraft oder zu deutlich schlechte-
ren Tarifbedingungen eingestellt wird.
Frau Kramp-Karrenbauer hat in der Bundesratssit-
zung am 10. Februar 2012 erklärt:

Wir Länder müssen uns verdeutlichen, dass ein
Schulwechsel von einem Bundesland in ein anderes
zu den größten Abenteuern gehört, die eine Familie
zu bestehen hat.

Sie hat recht. Wenn man mit einem Kind nach der
fünften Klasse am Gymnasium aus Bayern nach Berlin
oder Brandenburg wechseln will oder muss, dann
kommt das Kind dort erst einmal in die Grundschule.
Schülerinnen und Schüler zum Beispiel aus Aachen kön-
nen ihren Fremdsprachenunterricht in einem anderen
Bundesland möglicherweise nicht so fortsetzen, wie sie
ihn begonnen haben, weil es ihn in dieser Weise in ande-
ren Bundesländern gar nicht gibt. Die Anzahl der Jahre
aber, die man eine Fremdsprache erlernt hat, ist aus-
schlaggebend dafür, ob man das Abitur erreichen kann
oder nicht.

Auch hinsichtlich der Lernmittel gibt es in den Bun-
desländern höchst verschiedene Regelungen: Gibt es in
Baden-Württemberg und Hessen beispielsweise noch
kostenfreie Schulbücher, so muss man in Nordrhein-
Westfalen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt sehr un-
terschiedlich hohe Leihgebühren bezahlen. Wechselt
man gar vom Saarland nach Rheinland-Pfalz, muss man
völlig neue Bücher kaufen; denn in beiden Ländern gibt
es, soviel ich weiß, keine Lernmittelfreiheit.

Manche meinen, das träfe nur Einzelfälle. Ich habe
mich einmal kundig gemacht und kann Ihnen sagen: Den
Umzug über Ländergrenzen hinweg müssen jedes Jahr
ungefähr 200 000 Kinder und Jugendliche im schul-
pflichtigen Alter verkraften.

Da diese Einsicht nun auch bei den Bundesländern
angekommen ist und man sich dennoch nicht auf eine
Harmonisierung der Bildungsgänge im Schulbereich ei-
nigen konnte, hat sich die Kulturministerkonferenz jetzt
zu einem revolutionären Schritt entschieden: Es gibt eine
Internetseite mit der Überschrift „Schulwechsel über
Ländergrenzen hinweg“. Ich habe sie angeklickt. Dort
finden Sie, fein säuberlich aufgelistet, für fast jedes Bun-
desland einen Link zu den entsprechenden gesetzlichen
Regelungen, die es in dem jeweiligen Land gibt. Da kön-
nen Sie sich durchwursteln. Bravo! Damit ist den Fami-
lien sehr geholfen. – Bitte verzeihen Sie mir diesen Sar-
kasmus, aber es nervt einfach.


(Beifall bei der LINKEN)


Es geht noch weiter. Auch bei der Schülerbeförderung
– dieses Beispiel müssen Sie sich noch anhören – gibt es
diese Unterschiede. In einigen Ländern werden die Kos-
ten der Schülerbeförderung bis zur zehnten Klasse von
Land und Schulträgern übernommen, zum Beispiel in
Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt. In
anderen Ländern gibt es nur einen Zuschuss zur Beför-
derung oder ein Schülerticket, wie in Berlin, Branden-
burg und Baden-Württemberg. Nur wenige Länder, wie
Sachsen-Anhalt und Bayern, übernehmen einen Teil der
Beförderungskosten bis zum Abitur. Der Besuch der
gymnasialen Oberstufe aber wird damit vor allen Dingen





Dr. Rosemarie Hein


(A) (C)



(D)(B)

den Kindern erschwert, die aus sozial benachteiligten
Familien kommen.

Nun hat die Bundesregierung ein Bildungs- und Teil-
habepaket beschlossen, in dem auch Mittel für die Schü-
lerbeförderungskosten vorgesehen sind. Davon profitie-
ren zwar manche Familien; aber den Ländern und
Schulträgern, die die Schüler bisher schon kostenfrei be-
fördert haben, bringt das überhaupt gar nichts. Wer also
in diesem Land sozial denkt, hat davon nichts. Das aller-
dings konnte die Mutter des Bildungs- und Teilhabepa-
ketes nicht wissen; denn die Mittel werden ja nicht über
den Bildungshaushalt verteilt, sondern über die Kosten
der Unterkunft. Diese haben bekanntlich nichts mit Bil-
dung zu tun.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich könnte noch
zahlreiche Beispiele dieser Art nennen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider!)


Sie belegen, dass das Verbot der Zusammenarbeit in Bil-
dungsfragen und die alleinige Zuständigkeit der Länder
mehr schaden als nützen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Ganztagsschulen – die SPD hat es leider nicht ge-
schafft, dass das Thema in den Koalitionsvertrag aufge-
nommen wird – sind ebenso wie die Schulsozialarbeit
davon betroffen. Auch das gemeinsame Lernen von Kin-
dern mit und ohne Handicap, also die Inklusion, kann
ohne eine Bundesbeteiligung nicht gestemmt werden.

Die Ungereimtheiten betreffen nahezu alle Bildungs-
bereiche. In der allgemeinen Schulbildung sind sie in-
zwischen himmelschreiend. Allerdings weiß ich, dass es
auch im Hochschulbereich – die Studierenden und auch
Vertreter von Hochschulen sowie der Länder haben sich
dazu kürzlich geäußert – solche Probleme gibt und dass
es nicht ausreicht, in der Zukunft über Exzellenzinitiati-
ven nur die Leuchttürme zu fördern.

Deshalb haben die Länder Schleswig-Holstein und
Hamburg vor einigen Jahren eine Bundesratsinitiative
ergriffen. Einige Länder sind ihr beigetreten, aber getan
hat sich leider nichts. Auch Lehrerverbände, Elternver-
bände und Wirtschaftsverbände fordern ein Umdenken
von uns. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf,
im Bundesrat endlich Flagge zu zeigen und mit den Län-
dern so lange zu diskutieren, bis eine Lösung gefunden
ist.


(Zuruf von der Linken: Bis weißer Rauch aufsteigt!)


Es gibt auf der Internetseite der Kultusministerkonfe-
renz noch eine andere interessante Seite, nämlich die für
die „Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen“.
Diese Zentralstelle kümmert sich um die Vergleichbar-
keit im Ausland erworbener Abschlüsse. Ich fürchte, es
ist Zeit für eine „Zentralstelle für das inländische Bil-
dungswesen“.


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Allerdings wäre es besser, wir könnten im Grundge-
setz endlich eine Gemeinschaftsaufgabe Bildung veran-
kern und wir ließen die gemeinsame Finanzierung über-
greifender Bildungsaufgaben endlich zu. Das nimmt den
Ländern nicht die Rechte, aber den Lernenden und ihren
Familien manche Sorge. Genau das wollen wir mit unse-
rem Antrag erreichen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der vergangenen
Legislatur haben Grüne, SPD und Linke jeweils mehrere
Anträge zu diesem Thema, die in die gleiche Richtung
gingen, eingebracht, zwar mit unterschiedlicher Schwer-
punktsetzung, aber sie gingen in die gleiche Richtung.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Ich hoffe sehr, dass die Einigkeit, die damals darüber be-
stand, dass das Kooperationsverbot für den gesamten
Bildungsbereich und nicht nur für die Hochschulen auf-
gehoben werden muss, bei der SPD auch nach der Wahl
noch Bestand hat.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802609200

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Das Wort für die Bun-

desregierung hat Stefan Müller.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


S
Stefan Müller (CSU):
Rede ID: ID1802609300


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man sich den Antrag der Linken ansieht und vor
allem Ihre Rede, Frau Hein, hört, dann könnte man ers-
tens den Eindruck bekommen, als würde das Grundge-
setz eine Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern
verbieten.


(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das tut es! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In dieser Frage ist das genau richtig!)


Das Gegenteil ist richtig. Wenn Sie das Grundgesetz
genau lesen, dann werden Sie feststellen, dass es zwar
ausschließt, dass der Bund sich in Felder der ausschließ-
lichen Länderzuständigkeit einmischen darf und dort hi-
neinregieren kann. Aber es verbietet gerade nicht die Zu-
sammenarbeit zwischen Bund und Ländern, sondern es
erlaubt sie. Die Wahrheit ist: So viel Kooperation wie
heute hat es in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland noch nicht gegeben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden über Bildung!)


– Ja. – Dafür gibt es ein paar Beispiele: Nehmen Sie den
Hochschulpakt, mit dem Bund und Länder gemeinsam
dafür gesorgt haben, dass es einen Aufwuchs bei den
Studienplätzen gegeben hat. Nehmen Sie die Exzellenz-
initiative, mit der Bund und Länder gemeinsam dafür ge-
sorgt haben, dass Bewegung in die Hochschullandschaft





Parl. Staatssekretär Stefan Müller


(A) (C)



(D)(B)

in Deutschland gekommen ist. Nehmen Sie den Pakt für
Forschung und Innovation oder als weiteres Beispiel die
Qualitätsoffensive Lehrerbildung.

Diese Beispiele zeigen: Kooperation ist möglich, und
sie funktioniert auch in diesem Land, liebe Kolleginnen
und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss sich auch im Haushalt wiederfinden!)


Zweitens. Im Antrag wird behauptet, dass seit dem
Bildungsgipfel von 2008 nicht viel passiert sei. Wenn
Sie einen Blick in den Umsetzungsbericht der KMK und
GWK werfen, dann werden Sie auch in dem Punkt fest-
stellen, dass das Gegenteil richtig ist.

Ich will auch hierzu ein paar Beispiele nennen: 2011
besuchten 95 Prozent der vierjährigen Kinder Vorschu-
len und Kindergärten. Das ist weit mehr als der OECD-
Durchschnitt. Der Anteil der Schulabgänger ohne
Hauptschulabschluss ist von 8 Prozent auf 5,9 Prozent
gesenkt worden. Die Zahl der Studienanfänger lag 2013
bei über 506 000 und damit rund 145 000 über dem
Stand von vor sechs Jahren. Es ließe sich fortsetzen: Die
Jugendarbeitslosigkeit ist mit 7,7 Prozent die niedrigste
in Europa, und die Weiterbildungsbeteiligung erreichte
2012 mit 49 Prozent Rekordniveau.

Herr Gehring, Sie haben gerade den Haushalt ange-
sprochen. Wenn Sie sich genau anschauen, was in
Deutschland für Bildung und Forschung ausgegeben
wird, dann müssen Sie erstens feststellen, dass die abso-
luten Bildungsausgaben von 153 Milliarden Euro auf
177 Milliarden Euro gestiegen sind, und zweitens, dass
die Ausgaben für Bildung und Forschung insgesamt bis
2012 auf 9,3 Prozent des BIP gesteigert werden konnten.
Das ist das Ergebnis einer gemeinsamen Kraftanstren-
gung von Bund und Ländern. Ich finde, wir können uns
über diese positive Entwicklung zu Recht freuen, liebe
Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Drittens. Im Antrag wird beklagt, die „Bundesauf-
gabe Hochschulbau“ sei abgeschafft worden. Diese Bun-
desaufgabe hat es aber nie gegeben. Der alte Art. 91 a
des Grundgesetzes vor der Föderalismusreform besagte,
dass der Bund bei der Erfüllung der Länderaufgabe
Hochschulbau mitwirkt. Ein Blick auf die aktuelle Situa-
tion zeigt, dass der Bund auch heute noch die Länder un-
terstützt, zum Beispiel im Rahmen der fortbestehenden
Gemeinschaftsaufgabe Forschungsbauten mit 300 Mil-
lionen Euro im Jahr. Außerdem gibt der Bund den Län-
dern für den Hochschulbau rund 700 Millionen Euro
jährlich an Entflechtungsmitteln. Das sind insgesamt
jährlich 1 Milliarde Euro.

Ich möchte noch einen vierten Punkt aus Ihrem An-
trag aufgreifen, nämlich die Forderung, dass der Bund
die Umsatzsteuerbeteiligung der Länder erhöhen soll,
die Sie sich, wenn ich das richtig verstehe, zu eigen ma-
chen. Das ist eine Forderung des Bundesrates. Ich gebe
zu, wir, die CDU/CSU, stehen dem sehr zurückhaltend
gegenüber. Wir glauben, dass gemeinsame Bund-Län-
der-Programme zweckdienlicher sind, weil es dadurch
möglich ist, gezielt bildungspolitische Herausforderun-
gen aufzugreifen, was sinnvoller ist, als den Ländern
einfach nur jedes Jahr mehr Geld zu überweisen.

Zwei Fragen sind hier entscheidend. Erstens. Wie
wollen und können wir sicherstellen, dass im Falle einer
höheren Umsatzsteuerbeteiligung der Länder dieses
Geld tatsächlich eins zu eins für Bildung und Forschung
in den Ländern ausgegeben wird? Die zweite Frage ist:
Wie wollen und können wir sicherstellen, dass das Geld
nicht an anderer Stelle weggenommen wird, wo es dann
fehlt?

Deswegen sagen wir: Eine höhere Umsatzsteuerbetei-
ligung der Länder ist für uns nicht der richtige Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben uns, neben vielen anderen Punkten, ge-
meinsam in dieser Koalition darauf verständigt, dass wir,
um ein Beispiel zu nennen, zu einer Grundfinanzierung
der Hochschulen vonseiten des Bundes kommen wollen.
Nach meiner Auffassung brauchen wir dafür eine Ände-
rung des Grundgesetzes. Einen entsprechenden Vorschlag
hat es in der vergangenen Legislaturperiode gegeben. Die-
ser Gesetzentwurf ist seinerzeit leider nicht umgesetzt
worden. Es ist kein Geheimnis, dass wir innerhalb der
Koalition noch unterschiedliche Auffassungen haben,
wie wir eine solche Grundfinanzierung hinbekommen.
Ich glaube, dass eine Änderung des Grundgesetzes dafür
der richtige Weg ist. Wir sind unterschiedlicher Mei-
nung, wie wir zu dieser Grundfinanzierung kommen,
aber dass wir sie erreichen wollen, ist jedenfalls Kon-
sens in dieser Großen Koalition. Das ist unstrittig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir brauchen diese Grundfinanzierung auch als we-
sentlichen Baustein, um die Wissenschaftspakte in den
nächsten Jahren fortzuentwickeln. Hochschulpakt, Ex-
zellenzinitiative, Pakt für Forschung und Innovation –
diese Pakte haben dafür gesorgt, dass Bewegung in die
Hochschul- und Wissenschaftslandschaft gekommen ist.
Internationale Vergleiche zeigen, dass wir unsere Posi-
tion als führende Wissenschaftsnation ausbauen konn-
ten. Jedenfalls erreicht auch die Innovationstätigkeit
neue internationale Spitzenwerte, und – das ist sehr er-
freulich – noch nie haben deutsche Hochschulen so viele
Talente aus dem Ausland angezogen. Kurzum: Deutsch-
land steht heute wirtschaftlich und sozial deutlich besser
da als viele andere Staaten im OECD-Raum. Das ist
auch Ergebnis unserer gemeinsamen Anstrengungen im
Bereich der Bildungs- und Forschungspolitik. Diesen
Weg wollen wir auch in dieser Wahlperiode fortsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802609400

Danke, Herr Kollege. – Der nächste Redner ist Kai

Gehring für Bündnis 90/Die Grünen.

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.






(A) (C)



(D)(B)


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802609500

Frau Präsidentin, auch Ihnen einen schönen Tag. –

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Staatssekretär, Ihre Rede war insofern
erhellend, als dass noch einmal offenkundig geworden
ist, dass sich die 80-Prozent-Mehrheit dieses Hauses bei
der Frage, wie sie mit dem Kooperationsverbot umgehen
will, noch nicht einig ist.

2006 hat die damalige Große Koalition dieser Repu-
blik das Kooperationsverbot eingebrockt. Wir waren da-
gegen, den Bund aus jeder Verantwortung für Bildung
herauszudrängen und dauerhaften Wissenschaftskoope-
rationen Steine in den Weg zu legen. Acht Jahre später
hat sich die heutige Große Koalition in ihrem Koalitions-
vertrag zu dieser Frage nicht verständigt. Es fehlt jede
Aussage zum Kooperationsverbot. Das ist eine schwere
Enttäuschung. Bei Bildung und Wissenschaft liefert die
Große Koalition bisher von A bis Z nur kleines Karo.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Luftnummern!)


Das Kooperationsverbot hat sich als Bildungsblo-
ckade und Wissenschaftsbremse ausgewirkt. Es war und
ist ein schwerer Fehler. Das hat auch Frank-Walter
Steinmeier hier so bezeichnet, bisher folgenlos. Wir
Grüne werben weiter für einen Bund-Länder-Konsens,
der das Kooperationsverbot kippt und eine Ermögli-
chungsverfassung schafft; denn Fehler kann man korri-
gieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE])


Es ist im gemeinsamen Interesse der Gesellschaft, der
Wirtschaft und aller staatlichen Ebenen, die Leistungsfä-
higkeit und die Qualität von Bildung und Wissenschaft
zu steigern; denn die hohen sozialen Kosten unterlasse-
ner Bildungs- und Forschungsinvestitionen tragen letzt-
lich wir alle. Die Leute haben die Nase voll von fehlen-
den Kitaplätzen, maroden Schulen und überfüllten
Hörsälen. Das Land der Dichter und Denker verträgt
keine Kleinstaaterei, wenn es um die Zukunft unserer
Kinder und Erfinder geht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Probleme unseres Wissenschaftssystems – es gibt
da viele Baustellen – lassen sich mit einem Koopera-
tionsverbot nicht dauerhaft lösen. Kurzfristige Sofort-
programme wie die Wissenschaftspakte, Hochschulpakt,
Pakt für Forschung und Innovation, Exzellenzinitiative,
haben die bundesweite Unterfinanzierung unserer Hoch-
schulen allenfalls abgemildert, aber nicht überwunden.
Unter der GroKo ist nicht einmal klar, ob und wie diese
Wissenschaftspakte weitergehen. Ministerin Wanka trifft
im Haushalt dafür jedenfalls keine Vorsorge, sondern sie
wird offenbar das erste Opfer von Schäubles schwarzer
Null.

Wir müssen endlich heraus aus der wissenschaftspoli-
tischen Lähmung und Selbstblockade der GroKo. Der
Reform- und der Finanzdruck steigen. Eine moderne
Wissensgesellschaft lässt sich nur in gesamtstaatlicher
Verantwortung gestalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Viele Bundesländer sind kaum in der Lage, ihr Bil-
dungs- und Wissenschaftssystem auskömmlich zu finan-
zieren, zumal sie die Vorgaben der Schuldenbremse er-
füllen sollen. Dieses Problem sollten wir nicht erst in
zwei Jahren lösen, wenn die Neuordnung der Bund-Län-
der-Finanzbeziehungen ansteht. Wir sollten den Ländern
nun aber auch nicht einfach 6 Milliarden Euro überwei-
sen, wie es der Koalitionsvertrag nahelegt. Wir brauchen
fachgebundene Programme, also eine Zweckbindung
von Zukunftsinvestitionen in Bildung und Wissenschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ohne feste Vereinbarung von Bund und Ländern, dass
die 6 Milliarden Euro in Schulen und Universitäten in-
vestiert werden, besteht einfach das Risiko, dass sie in
Haushaltslöchern oder Schlaglöchern landen. Das liegt
weder im Interesse der Steuerzahler noch im Interesse
der Fach- und Haushaltspolitiker dieses Hohen Hauses.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Der Verfassungsänderungsvorschlag von Schwarz-
Gelb wurde bereits angesprochen. Dieser war aus unse-
rer Sicht ungeeignet, die Erosion der Grundfinanzierung
der Hochschulen zu stoppen. Nur Leuchttürme mit inter-
nationaler Strahlkraft herauszuputzen, wäre uns zu we-
nig. Uns geht es vor allem um verlässlichen Studien-
platzausbau sowie Infrastruktur- und Hochschulbau. Wir
wollen letztlich das gesamte Wissenschaftssystem zum
Leuchten bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802609600

Apropos Leuchten, Herr Kollege, bei Ihnen leuchtet

die rote Lampe schon seit einiger Zeit.


(Heiterkeit)



Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802609700

Seit zehn Sekunden. Ich rede schnell.

Wir haben als Grüne viele Initiativen vorgeschlagen.
Jetzt ist die Bundesregierung am Zug. Sie müssen einen
neuen Vorschlag machen, um das Grundgesetz zu än-
dern. Wir würden ihn sehr sorgfältig prüfen – gerne auch
im Rahmen eines Reformkonvents, den wir hier mehr-
mals vorgeschlagen haben –, damit die notwendige
Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat zu-
stande kommt. Wir haben 2006 prophezeit, dass es min-
destens zehn Jahre dauert, das Grundgesetz zu ändern.
Bitte sorgen Sie dafür, dass wir nicht recht bekommen!
Sorgen wir gemeinsam für einen kooperativen Föderalis-
mus!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802609800

Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen

Dr. Ernst Dieter Rossmann, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1802609900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Staatssekretär Müller hat sich schon sehr profund mit
den Linken auseinandergesetzt. Ich will das nicht wie-
derholen, sondern nur einen Eindruck wiedergeben.
Meine Damen und Herren von der Linken, Sie können
so beredt über die Vielfalt des deutschen Schul- und Bil-
dungswesens diskutieren, aber Ihre Antwort, die Ände-
rung des Grundgesetzes, betrifft das überhaupt nicht. Ich
wünsche mir, dass bei Ihnen Rede und Initiative für das
Parlament irgendwann in einem Zusammenhang stehen.
Das kann nicht schaden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun darf ich mich im Namen der Großen Koalition
mit Ihnen, Herr Gehring, auseinandersetzen. Sie haben
recht, wenn Sie konstatieren, dass wir auf der Suche
sind. Aber Ihnen ergeht es nicht anders. Sie haben heute
in der taz in einem Nebensatz gesagt: „Aber die SPD
weiß nicht, was sie will.“ Ich darf Ihnen sagen: Die SPD
weiß sehr genau, was sie will. Wir haben dazu eindeu-
tige Parteibeschlüsse.


(Beifall bei der SPD)


Wir möchten gerne, dass Bund und Länder in bestimm-
ten Konstruktionen die Bildung fördern. Mir ist bekannt,
dass die Grünen ähnliche Beschlüsse gefasst haben.
Aber genauso wie wir sind auch Sie noch auf der Suche.
Denn ist Herr Kretschmann als gewichtiger Ministerprä-
sident von Baden-Württemberg nicht mehr Mitglied der
Grünen?


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Erinnere ich mich richtig, dass die Grünen den Minister-
präsidenten in Hessen stellen wollten? Wissen Sie ei-
gentlich noch, was Sie in Hessen werden können, wer-
den wollen oder werden dürfen?


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Wir müssen konstatieren: Wir alle befinden uns auf der
Suche nach der besten Lösung. Wir sollten uns nicht un-
sere Positionen vorhalten, sondern darüber nachdenken,
wie wir in einem bestimmten politischen Spektrum zu-
sammenkommen können.


(Beifall bei der SPD)


Ich werbe stark für eine solche Haltung und nicht für
eine Haltung des Vorrechnens und des Abrechnens.

Dass es zu Veränderungen und Lösungen kommen
muss, ist unstrittig. Aber in der letzten Legislaturpe-
riode, als wir Schulen vor Ort über eine Bildungsinitia-
tive fördern wollten, sind wir bei der Initiative „Kultur
macht stark“ geendet, weil mehr nicht ging. Auch beim
Bildungs- und Teilhabepaket mussten wir manchmal ei-
nen Umweg machen, weil es grundgesetzlich keine
Möglichkeiten gab, Kinder direkt in der Schule zu för-
dern. Wir haben vor allem erlebt, dass die Verfassung
Diener von politischer Entwicklung für die Verbesserung
im Bildungswesen ist und nicht umgekehrt. Denken Sie
an das legendäre Konjunkturpaket, das eine schnelle Än-
derung des Grundgesetzes zur Folge hatte, damit wir
nicht mehr abrechnen mussten, ob es 49 oder 51 Prozent
energetische Sanierung an Hochschulen oder Schulen
gab.

Wir müssen an dem Grundsatz arbeiten, dass über die
Verfassung Verbesserungen im Bildungswesen unter-
stützt werden. Ob wir dies in der ganzen Breite des Bil-
dungswesens erreichen können, wird zu klären und zu
diskutieren sein. Wir glauben zum Beispiel, dass der von
der SPD in einem Parteibeschluss einmütig festgehaltene
Ansatz, über einen neuen Art. 104 c des Grundgesetzes
dauerhafte Finanzhilfen an die Länder und Kommunen
geben zu können, sehr hilfreich ist. Es wäre in der ak-
tuellen Auseinandersetzung über die zukünftige Finanz-
architektur klug, sie mit der Verfassungsarchitektur ins
Benehmen zu setzen. Wir konstatieren genauso – hier
knüpfe ich unmittelbar an einen Punkt an, den der
Staatssekretär Müller für die Große Koalition gesetzt
hat –, dass es eine Möglichkeit geben muss, neue Instru-
mente der Bildungsförderung entsprechend den Verfas-
sungsvoraussetzungen zu schaffen.

Es wurden bereits Ausführungen über die Unterfinan-
zierung des Hochschulbereiches und die Verschiebung
der Gewichte im Hochschulbereich gemacht. Dort gibt
es viele – bei aller Sympathie für Wettbewerbsele-
mente –, die mittlerweise darüber stöhnen, dass es
immer mehr eine Drittmittelfinanzierung gibt, die die
Hochschulstrukturen verändert. Es wäre hilfreich, wir
hätten eine größere Stärkung bei der Grundfinanzierung.
Das ist dann natürlich nicht nur eine Finanzaufgabe, son-
dern auch eine Verfassungsaufgabe. Die Große Koalition
hat sich diese Aufgabe zu eigen gemacht. Im Koalitions-
vertrag steht, dass ein zusätzliches Ziel die Stärkung der
Grundfinanzierung der Hochschulen ist. Kundige wis-
sen, dass die Formulierung „zusätzlich“ merkwürdig ist,
weil es nach dem Grundgesetz gar nicht möglich ist.
Wenn man in den Koalitionsvertrag schreibt, dass man
zusätzlich etwas machen will, was nach dem Grundge-
setz noch nicht geht, ist dies zumindest ein Hinweis da-
rauf, dass dies zu einer sehr späten Stunde geschah.


(Beifall bei der SPD)


Jetzt, mit einem klareren Kopf, muss es doch ein An-
sporn für uns sein, zu tragfähigen Lösungen zwischen
den Koalitionspartnern, zwischen Bund und Ländern,
auch zwischen Regierungsfraktionen und Oppositions-
fraktionen, zu kommen, um das politisch maximal Mög-
liche zu erreichen, nämlich Bildung im Zusammenwir-
ken von Bund und Ländern zu fördern.

Herr Gehring, ich möchte mich direkt an Sie als Spre-
cher der Grünen wenden. Ich habe Ihre Rede so wahrge-
nommen, dass Sie es sehr wohl als Fortschritt begreifen
würden, wenn den Hochschulen dauerhaft zu einer stär-





Dr. Ernst Dieter Rossmann


(A) (C)



(D)(B)

keren Absicherung ihrer Finanzierung verholfen werden
kann, weil das ein wesentlicher Teil von Bildungsförde-
rung ist. Selbst wenn wir nur dieses und nicht mehr er-
reichen können, wofür wir sehr ernsthaft werben – auch
beim Koalitionspartner –, dann wäre es ein Erfolg. So
werben Sie bei Ihrem grünen Ministerpräsidenten und
dort, wo Sie Regierungsverantwortung haben. Wir wer-
ben ebenfalls.

Am Ende darf es in diesen vier Jahren der Großen
Koalition und Arbeit im Parlament aber nicht nur ein
ständiges Werben geben, sondern es muss auch zu einer
Entscheidung kommen. Wir sehen es als Auftrag für
diese Große Koalition und das Parlament an, diese Ent-
scheidung in einem Paket mit anderen Fragen zügig vor-
zubereiten, um dann daraus etwas zu machen. Es nutzt
am Ende nichts, eine Verfassung zu haben, die man ver-
bessert hat, und eine Wirklichkeit, die hinter der Verfas-
sung hinterherhinkt. Die Verfassungsarchitektur und die
Finanzarchitektur so zusammenzubringen, dass es un-
mittelbare und nachvollziehbare Auswirkungen auf die
Menschen hat, die in der Bildung arbeiten, die Bildung
erleben und Bildung als Zukunft verstehen, wird die
Aufgabe sein, der wir uns in aller Ernsthaftigkeit stellen
wollen.

Danke.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802610000

Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Tankred

Schipanski, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Tankred Schipanski (CDU):
Rede ID: ID1802610100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Unsere damalige Wissenschaftsministerin Annette
Schavan hat erstmals im März 2010 einen konkreten
Vorschlag unterbreitet, wie sie sich einen neuen ko-
operativen Föderalismus vorstellt. Diesen Impuls ha-
ben wir in einer Vielzahl von Debatten in diesem Ho-
hen Hause in der letzten Legislatur aufgegriffen. Nach
intensiver Diskussion legte dann die christlich-libe-
rale Koalition am 10. Oktober 2012 mit der Bundes-
tagsdrucksache 17/10956 einen ganz konkreten Ge-
setzentwurf vor, den wir alle kennen und der die
Änderung des Art. 91 b Abs. 1 Nr. 2 Grundgesetz vor-
sah. Es war ein Vorschlag, der einen gesellschaftli-
chen Konsens aufgriff


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann haben Sie den nie wieder eingebracht!)


und der die sensible Frage der Kernzuständigkeiten der
Bundesländer berücksichtigt und austariert hat.

Es gab in der Analyse und in den Schlussfolgerungen
einen Konsens. Alle Sachverständigen und Wissen-
schaftsorganisationen wiesen zu Recht darauf hin, dass
durch unseren Vorschlag der Änderung des Art. 91 b die
Unwucht zwischen außeruniversitärer und universitärer
Forschung behoben werden kann. Der Wissenschaftsrat
hat uns in seinem Gutachten zu den Perspektiven des
deutschen Wissenschaftssystems vom 12. Juli 2013 aus-
drücklich bestätigt, dass eine Änderung des Art. 91 b ein
richtiger und wichtiger Schritt zur Weiterentwicklung
unseres Wissenschaftssystems wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein Blick in den Koalitionsvertrag der Großen Koali-
tion zeigt, dass wir uns einig sind, dass unsere Universi-
täten – das Herzstück unseres Wissenschaftssystems –
Unterstützung vom Bund erhalten sollen. Das soll nicht
nur im Rahmen der bisherigen befristeten Vorhaben,
sondern – Kollege Rossmann hat es bereits gesagt – auch
mit Blick auf die Grundfinanzierung geschehen, also
ganz im Sinne des Formulierungsvorschlags des
Art. 91 b aus der letzten Legislatur.

Wir erörtern nunmehr, wie wir den Auftrag, den uns
der Koalitionsvertrag gibt, im gesamtstaatlichen Inte-
resse umsetzen. Eine Verfassungsänderung, also eine
Änderung des Art. 91 b, ist eine Variante. Sie kann so
aus dem Koalitionsvertrag herausgelesen werden. Ein
anderer Weg wäre die Weiterentwicklung unserer bishe-
rigen umfangreichen Kooperation zwischen Bund und
Ländern. Das gilt zum Beispiel für den Hochschulpakt,
die Exzellenzinitiative oder den Qualitätspakt Lehre; der
Herr Staatssekretär hat das angesprochen. Der Wissen-
schaftsrat hat mit seinem Gutachten richtige Impulse ge-
setzt.

Es zeigt sich, dass der Begriff des Kooperationsver-
botes sehr zugespitzt gewählt ist.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Denn wir erleben doch gerade eine umfangreiche Ko-
operationskultur. Kooperation ist im gesamtstaatlichen
Interesse. Dies ist im Übrigen auch die Idee des koopera-
tiven Föderalismus, den uns das Grundgesetz gebietet.
Das Grundgesetz unterscheidet ganz bewusst zwischen
Wissenschaft – Art. 5 – und Schule, Art. 7. Der heute zu
diskutierende Antrag der Linken greift aber nur die Ko-
operationskultur im Bildungsbereich auf. Das ist ein Po-
litikfeld, in dem wir keinen gesellschaftlichen Konsens
für eine Verfassungsänderung erkennen können, im Be-
sonderen keinen Konsens mit den Bundesländern, um
deren Kernkompetenzen es sich hier handelt. Ich ver-
weise auf die Anhörung vom 28. November 2012, die
unser Ausschuss in der letzten Legislatur mit Blick auf
eine Grundgesetzänderung durchführte. Dort konnten
wir erleben, wie sich die Länder im Bildungsbereich
schwertun, dem Bund lediglich eine koordinierende
Rolle zuzubilligen. Das ist aber eine Rolle, die der Bund
meines Erachtens von Verfassungs wegen her bereits be-
sitzt.

Wir sind uns über Fraktionsgrenzen hinweg in diesem
Hohen Hause einig, dass die Arbeit der Kultusminister-
konferenz – diplomatisch gesprochen – verbesserungs-
bedürftig ist. Seit 14 Jahren arbeitet dieses Gremium nun
an gemeinsamen Bildungsstandards und kommt nur
mühsam voran. Transparenz, Vergleichbarkeit der Ab-
schlüsse und bundesweite Bildungsmindeststandards





Tankred Schipanski


(A) (C)



(D)(B)

sind in unserem kooperativen Bildungsföderalismus not-
wendige Grundbausteine.

Das, was wir gegenwärtig im Rahmen der Diskussio-
nen um G 8 und G 9 in einigen Bundesländern erleben,
ist erschreckend.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Abenteuerlich!)


Es zeigt mir, dass die KMK eben nicht in der Lage ist,
nationale Verantwortung wahrzunehmen.

Der Antrag der Linken enthält keinen Lösungsansatz
für diese Probleme.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Doch, doch, doch!)


Weder lese ich etwas von der Vergleichbarkeit der
Schulabschlüsse noch von Mindeststandards und Trans-
parenz. In Ihrem Antrag geht es nicht um Inhalt, sondern
um Finanzströme. Sie machen nur einen einzigen Vor-
schlag, und der ist abenteuerlich. Sie wollen Landesgeld
durch Bundesgeld ersetzen. Sie wollen die Einnahmen
der Länder auf Kosten des Bundes erhöhen. Das ist Ego-
ismus und das Gegenteil von Bildungskooperation, wie
wir sie brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Da haben Sie schlecht gelesen!)


Kooperativer Föderalismus bedeutet für mich, dass
das Engagement des Bundes nicht das Engagement eines
Bundeslandes ersetzen darf, sondern nur ergänzen. Hie-
rauf haben wir uns im Wissenschaftsbereich mit den
Bundesländern verständigt. Diese Kooperationskultur
wollen wir ausbauen. Diesen Arbeitsauftrag haben wir
klar im Koalitionsvertrag formuliert und werden ihn
auch gemeinsam erfüllen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802610200

Als nächstem Redner erteile ich das Wort Özcan

Mutlu, Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte schön.


Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802610300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im

Januar dieses Jahres hatten wir hier eine lebhafte Diskus-
sion zu den Ergebnissen der Pisa-Studie. Mich hat damals
vor allem erheitert, dass Sie sich dazu gefeiert haben; denn
dank Ihres schwarz-roten Kooperationsverbotes können
und dürfen Sie mit diesem Ergebnis eigentlich nichts zu tun
haben.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Das Pisa-Ergebnis, egal wie man es bewertet – wir sind
da kritischer als Sie –, entspringt nämlich der Leistung
der Bundesländer. Darüber sollten Sie sich Gedanken
machen.

Im Wahlkampf hatte ich durchaus Hoffnung auf Bes-
serung verspürt; denn im Wahlprogramm der SPD stand
folgender Satz:
Mit dem Kooperationsverbot in der Bildung ist die
Politik einen Irrweg gegangen.

So ähnlich ist auch die parteiübergreifende Meinung vie-
ler Kolleginnen und Kollegen hier im Hause und in den
Landtagen der Republik.

Sind den blumigen Worten der SPD auch konkrete
Taten gefolgt? – Nein, leider nicht. Nicht einmal in den
Koalitionsvertrag hat es die Aufhebung des Koopera-
tionsverbotes geschafft. Da sage ich in Richtung der
SPD: Nicht die Politik ist einen Irrweg gegangen, son-
dern Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
sind mit Ihrer Zustimmung zum Kooperationsverbot ei-
nen Irrweg gegangen. Wir sagen: Lassen Sie uns ge-
meinsam in diesem Hause und in dieser Republik diesen
Irrweg beenden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)


Mit der Föderalismusreform 2006 haben Sie als
GroKo dem deutschen Bildungssystem ohne jede Not
eine ungenießbare Suppe eingebrockt. Von den Sozial-
verbänden über die Gewerkschaften bis hin zum BDI,
alle sprechen sich für eine Abschaffung des Koopera-
tionsverbotes aus. Deshalb sollten Sie, lieber Kollege
Rossmann, sich mit Ihren 80 Prozent in diesem Haus
nicht hinter einem grünen Ministerpräsidenten verste-
cken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erinnere mich
noch ganz gut an unser rot-grünes Ganztagsschulpro-
gramm. Gegen den zum Teil massiven Widerstand der
CDU-regierten Bundesländer sind mit dem rot-grünen
Programm 10 000 neue Ganztagsschulen entstanden.
Das ist unsere gemeinsame Erfolgsstory.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich denke, wir sind uns alle darüber einig, dass es ein gu-
tes Programm war und dass es richtig und wichtig ist,
dieses Programm weiterzuführen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit dem Kooperationsverbot ist das aber nicht mehr
möglich; es sei denn, Sie führen wieder ein indirektes
bildungspolitisches Sonderprogramm ein, um das leidige
Kooperationsverbot zu umgehen: „Bildungs- und Teilha-
bepaket“, sage ich nur.

Aber wozu diese Tricksereien? Lassen Sie uns doch
gemeinsam die Bundesländer überzeugen – ich will Ba-
den-Württemberg nicht ausschließen – und sie für eine
Kooperation zwischen Bund und Ländern gewinnen. Im
Mittelpunkt unserer Bestrebungen muss der Bildungser-
folg der Schülerinnen und Schüler stehen und damit die
Zukunft unserer Gesellschaft und unseres Landes. Nie-
mand will den Bundesländern ihre Kompetenzen in der
Bildung wegnehmen; das werden sie auch nicht zulas-
sen. Es muss um Kooperation gehen und um gemein-
same Anstrengungen für eine bessere Bildung statt um
bildungspolitische Kleinstaaterei, die nachweislich kont-
raproduktiv ist.





Özcan Mutlu


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Schauen Sie sich den finanziellen Zustand unserer
Länder und Kommunen doch einmal genauer an. Die
meisten Bundesländer sind pleite, und die Kommunen
sind pleite zum Quadrat. Es ist doch grotesk: Länder und
Kommunen streiten sich derzeit darüber, wer für die
Umsetzung der Inklusion die finanzielle Verantwortung
trägt. Der Bund hält sich dagegen bisher fein aus der De-
batte heraus. Dabei ist es offensichtlich, dass viele Bun-
desländer und Kommunen die riesigen Herausforderun-
gen der Bildungspolitik nicht alleine meistern können.
Es ist ja nicht so, dass wir Grünen jetzt fordern, der
Bund müsse alles mitfinanzieren und Geld bereitstellen.
Wenn Herr Seehofer, Herr Weil und Herr Kretschmann
kein Geld vom Bund wollen, dann auch gut. Aber jene,
die auf die Unterstützung durch den Bund angewiesen
sind, müssen in einer kooperativen Art und Weise unter-
stützt werden.

Nun höre ich auch hier, dass das Kooperationsverbot
für den Hochschulbereich anscheinend gelockert werden
soll. Ich erlaube mir, zu diesem Thema die Ministerin
Wanka zu zitieren – Herr Müller, Sie sollten genau zuhö-
ren –: „Es wird Zeit, dass wir dieses Relikt abschaffen.“
Recht hat sie. Dieses Relikt muss in Gänze abgeschafft
werden; denn das, was für den Hochschulbereich gilt,
gilt erst recht für die Allgemeinbildung und die schuli-
sche Bildung. Deshalb sage ich zum Schluss: Wir brau-
chen kein Verbot von Kooperation. Wir sollten uns statt-
dessen für ein Gebot zur Kooperation starkmachen. Ich
appelliere an Ihre Vernunft. Lassen Sie diese Spielchen
von Opposition und Regierung.


(Lachen und Beifall bei der SPD)


Lassen Sie uns hier im Interesse unseres Landes an ei-
nem Strang ziehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802610400

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kolle-

gen Swen Schulz, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Swen Schulz (SPD):
Rede ID: ID1802610500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bildungsföde-
ralismus ist in der Tat ein schwieriges Thema. Das liegt
unter anderem daran, dass es zwischen Bundes- und
Landespolitikern tendenziell unterschiedliche Meinun-
gen darüber gibt, wer was machen soll. Dieses Phäno-
men, Herr Kollege Mutlu, tritt in allen Parteien auf. Das
müssen wir einmal festhalten.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir versuchen, das einzudämmen! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind auch erfolgreich!)

– Sie versuchen bei den Grünen, das einzudämmen. Das
versuchen andere auch. – Festzuhalten ist: Wir können
hier nicht nur das machen, was wir gerne wollen, weil es
den Bundesrat und die Landespolitiker gibt, die schon
darauf achten, was wir aus ihrer Sicht machen sollten. Es
gibt eine Fülle von hervorragenden Beispielen der Zu-
sammenarbeit zwischen Bund und Ländern, vom Ganz-
tagsschulprogramm über den Hochschulpakt bis zum
Pakt für Forschung und Innovation. Es muss unser Ziel
sein, diese Kooperation zu stärken und auszubauen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine Grundgesetzänderung würde dabei zweifelsohne
helfen. Wir haben in den Koalitionsverhandlungen inten-
siv darüber gesprochen. Wir von der SPD konnten uns
mit unserem Vorschlag, der den Bildungsbereich in
Gänze, auch die Schulen, beinhalten würde, leider nicht
durchsetzen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt gar nicht!)


Damit bei der Bildung trotzdem etwas geschieht, ist im
Koalitionsvertrag gewissermaßen hilfsweise festge-
schrieben, dass die Länder um 6 Milliarden Euro entlas-
tet werden, um ihre Aufgaben im Bildungsbereich besser
wahrnehmen zu können. Jetzt laufen die Gespräche, wie
das im Einzelnen aussehen soll. Ich sage hier ganz klar:
Es muss sichergestellt werden, dass das Geld tatsächlich
in den Krippen, Kitas, Schulen und Hochschulen landet.
Wir dürfen nicht eine Art Blankoscheck austeilen nach
dem Motto „Länder, hier habt ihr das Geld; macht mal
schön, wir schauen gar nicht so genau hin“. Das darf es
nicht geben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann mal los!)


Eines will ich in diesem Zusammenhang hier offen
ansprechen: Ich habe mich über einige Wortmeldungen
der letzten Wochen aus den Reihen der CDU/CSU geär-
gert. Sie folgen immer derselben Melodie: Die SPD blo-
ckiert mit ihren gierigen Ländern die Finanzierung von
Bildungs- und Wissenschaftspolitik. – Da das mehrfach
öffentlich behauptet wurde, will ich an dieser Stelle klar-
stellen:


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Jetzt bin ich gespannt!)


Das stimmt nicht.


(Beifall bei der SPD)


Ich bitte Sie herzlich, Kollege Rupprecht und die an-
deren, dieses Märchen nicht weiterzuverbreiten.


(Willi Brase [SPD]: Das sind Märchen!)


Erstens unterscheiden sich die Länder in ihrem Trach-
ten nach dem Geld des Bundes höchstens graduell. Ein
Beispiel: Gerade hat der Finanzausschuss des Bundesra-
tes beschlossen, dass das Geld ohne Zweckbindung, zum
Beispiel in Form höherer Umsatzsteueranteile, an die
Länder fließen soll – Abstimmungsergebnis 15 : 1. Herr





Swen Schulz (Spandau)



(A) (C)



(D)(B)

Rupprecht und Herr Müller, die eine Gegenstimme kam
nicht etwa aus Bayern, sondern aus Bremen. Das nur
einmal zur Klarstellung.


(Willi Brase [SPD]: Da schaut her!)


Zweitens steht im Koalitionsvertrag eindeutig, dass
die Länder entlastet werden, und nicht, dass der Bund et-
was tut oder dass Frau Wanka die Milliarden zur freien
Verfügung erhält. Das muss man nicht gut finden. Aber
meiner Erinnerung nach ist der Koalitionsvertrag nicht
nur von Sigmar Gabriel, sondern auch von Angela
Merkel und Horst Seehofer unterschrieben worden.

Drittens rate ich den Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU, sich nicht zu weit aus dem Fenster zu
lehnen, wenn es um die Bildungsfinanzierung geht.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch sonst gefährlich!)


Denn die Geldprobleme des Bildungs- und Forschungs-
ministeriums haben ja nicht mit der Großen Koalition
begonnen, sondern es war Schwarz-Gelb, das uns ein Fi-
nanzloch von 5 Milliarden Euro hinterlassen hat.


(Beifall bei der SPD)


Es wurden Versprechungen im Umfang von 5 Milliarden
Euro gemacht, die in der Finanzplanung gar nicht vorge-
sehen sind. Im Gegenteil: In der mittelfristigen Finanz-
planung waren sogar Kürzungen im Bereich Bildung
und Forschung eingeplant. Unsere geschätzten Koali-
tionspartner sollten sich also lieber mit Frau Merkel,
Herrn Schäuble und Frau Wanka zusammensetzen, um
eine Lösung für die schwarz-gelben Altlasten zu finden,
anstatt abzulenken und mit dem Finger auf die Länder zu
zeigen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert hier eigentlich?)


Kolleginnen und Kollegen, wir haben in der Bil-
dungs- und Forschungspolitik einen sehr geringen finan-
ziellen Spielraum. Das ist auch das Ergebnis von politi-
schen Grundsatzentscheidungen. Diese Koalition hat
sich vorgenommen, keine Schulden mehr zu machen
und gleichzeitig keine Steuererhöhungen vorzunehmen.
Das hat einen Preis, nämlich engere finanzielle Spiel-
räume. Auch das muss man nicht gut finden, aber auch
damit müssen wir nun umgehen.

Ich will da ein Thema aufgreifen, das der Kollege
Rossmann angesprochen hat. Ich frage mich, was eine
Grundgesetzänderung vor diesem finanziellen Hinter-
grund derzeit überhaupt hilft. Denn ein geändertes
Grundgesetz alleine löst ja erst mal kein einziges Pro-
blem an irgendeiner Schule oder Hochschule. Das ist
wie der Bau einer Startbahn – eine Startbahn ist wunder-
bar, aber damit etwas passiert, braucht man erst mal ein
Flugzeug; doch wir können nicht mal die Tankfüllung
bezahlen, Kolleginnen und Kollegen.


(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Aber ohne Startbahn kann es auch nicht fliegen!)

Andererseits will ich die Hoffnung nicht aufgeben. Es
ist eine Grundsatzdebatte über die Finanzbeziehungen
zwischen Bund und Ländern vereinbart. Vielleicht erar-
beiten wir in diesem Rahmen eine tragfähige und aus-
finanzierte Architektur für den Bereich Bildung und
Wissenschaft in Bund und Ländern. Die Mühe wäre das
wert.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802610600

Zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag erteile

ich der Kollegin Sybille Benning, CDU/CSU-Fraktion,
das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Sybille Benning (CDU):
Rede ID: ID1802610700

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wol-
len die Dynamik der Exzellenzinitiative, des Hochschul-
pakts und des Pakts für Forschung und Innovation nut-
zen und diese Programme fortführen. Wir stehen zu
unserer Initiative aus der vergangenen Legislaturperiode
und möchten das Kooperationsverbot im Hochschulbe-
reich abschaffen, damit die Hochschulen mehr Geld für
die Grundfinanzierung zur Verfügung haben.

Unsere Hochschulen sind das Herzstück unseres Wis-
senschaftssystems. Sie müssen dauerhaft wettbewerbsfä-
hig sein und deshalb Planungssicherheit haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Schulbildung aber ist Ländersache. Hier muss ich
den Ausführungen in Ihrem Antrag klar widersprechen.
Die Schulpolitik beim Bund anzusiedeln, hieße, die
Schulbildung in Deutschland zu zentralisieren. Das ent-
spricht nicht unseren Vorstellungen von Föderalismus.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ihr Lösungsvorschlag scheint zu sein, dass der Bund den
Ländern einfach mehr Geld überweist, und zwar deutlich
mehr. Sie zitieren eine Forderung der GEW, wonach im
Bildungsbereich ein zusätzlicher jährlicher Finanzbedarf
von 56,8 Milliarden Euro bestehe. Das entspricht der
Hälfte aller Bildungsausgaben von Bund, Ländern und
Kommunen im Jahr 2013. Die Hälfte einfach noch mal
obendrauf – das ist, freundlich formuliert, eine Illusion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie behaupten in Ihrem Antrag außerdem, seit dem
Bildungsgipfel in Dresden sei nicht viel passiert. Unsere
Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsi-
denten der Länder haben 2008 ein umfassendes Pro-
gramm zur Stärkung von Bildung und Ausbildung in
Deutschland beschlossen. Seitdem hat die verbesserte
Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern – wie
eben auch schon mehrfach berichtet – bereits viele
Früchte getragen.





Sybille Benning


(A) (C)



(D)(B)

Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt die Er-
folge in einigen Bereichen etwas näher beleuchten, die
Sie mit den Worten „Nicht viel passiert“ beiseitewischen
wollen:

Erstens. Sie übersehen, dass der Anteil der Ausgaben
für Bildung und Forschung am Bruttoinlandsprodukt in
den letzten fünf Jahren auf 9,5 Prozent gestiegen ist. Da-
mit ist das in Dresden gesetzte Ziel eines Anteils von
10 Prozent in greifbarer Nähe.

Zweitens. Die frühkindliche Bildung hat sich in den
letzten Jahren enorm verbessert. 96 Prozent der Vierjäh-
rigen und 90 Prozent der Dreijährigen in Deutschland
nehmen an frühkindlicher Bildung teil. Deutschland
liegt damit weit über dem OECD-Durchschnitt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Gerne zähle ich weitere Punkte auf. Der Anteil der
Schulabgänger, die ohne einen Hauptschulabschluss die
Schule abbrechen, ist zwischen 2006 und 2012 auf
5,9 Prozent zurückgegangen. Das ist ein wichtiger Er-
folg. Für jeden einzelnen Jugendlichen, der einen Ab-
schluss macht, ist es ein Gewinn. Wir werden weiterhin
hart dafür arbeiten, dass möglichst alle ihren Abschluss
machen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In Deutschland bilden sich mehr Menschen weiter.
Das vereinbarte Ziel in Dresden lautete: 50 Prozent. Das
ist fast erreicht.

Nehmen Sie, meine Damen und Herren, bitte außer-
dem zur Kenntnis, dass in Deutschland ein vergleichs-
weise hohes Bildungsniveau herrscht. Derzeit haben
86 Prozent unserer Bevölkerung einen Hochschulab-
schluss, die Hochschulreife oder eine abgeschlossene
Berufsausbildung.

Außerdem ist die Bildungsbeteiligung überdurch-
schnittlich hoch. Ein Ziel des Programms zur Stärkung
von Bildung und Ausbildung ist natürlich, die Menschen
in Arbeit zu bringen. Wie erfolgreich Bund und Länder
hier zusammenarbeiten, sieht man sehr deutlich an der
geringen Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland, die mit
7,7 Prozent bei weitem die niedrigste in ganz Europa ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ganz besonders beeindruckend finde ich die Steige-
rung der Studienanfängerzahlen. Jeder Zweite eines Al-
tersjahrganges geht studieren. Die Studienanfängerquote
liegt ganze 10 Prozentpunkte über dem 2008 aufgestell-
ten 40-Prozent-Ziel, also bei 50 Prozent.

Innerhalb von sechs Jahren ist die Studienanfänger-
zahl um 145 000 Menschen gestiegen. Stellen Sie sich
vor: Das wäre das gesamte gefüllte Westfalenstadion,
plus die Arena auf Schalke, plus ein gefülltes Münche-
ner Stadion. So viele Menschen zusätzlich erwarten eine
hochwertige Ausbildung. Um dieser Erwartung zu ent-
sprechen, brauchen die Hochschulen unsere Unterstüt-
zung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich fasse zusammen: Die frühkindliche Bildung hat
sich enorm verbessert, der Anteil der Schulabgänger
ohne Hauptschulabschluss hat sich verringert, die Bil-
dungsausgaben sind deutlich gestiegen, mehr Menschen
bilden sich über ihren gesamten Berufsweg hin weiter,
viele Menschen beginnen ein Studium, und die Bil-
dungsbeteiligung hat sich deutlich erhöht.

Mit Ihrem Antrag haben Sie mir als neuer Abgeord-
neter die Gelegenheit gegeben, wichtige Erfolge im Bil-
dungs- und Forschungsbereich unter der Leitung der
Union im Bund darzustellen.


(Lachen des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dafür danke ich Ihnen. Klar ist aber: So, wie Sie es sich
vorstellen, geht es nicht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So, wie Sie es sich vorstellen, auch nicht!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802610800

Liebe Frau Kollegin Benning, das Präsidium beglück-

wünscht Sie zu Ihrer ersten Rede und wünscht Ihnen für
die Zukunft eine interessante parlamentarische Arbeit.


(Beifall)


Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
Martin Rabanus, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die zweite Oppositionsrede der SPD! Da bin ich schon gespannt!)



Martin Rabanus (SPD):
Rede ID: ID1802610900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

Verlauf der Debatte macht es mir ein bisschen schwieri-
ger, so einzusteigen, wie ich das als von Natur aus har-
moniebedürftiger Mensch eigentlich wollte. Ich wollte
als Erstes auf die Gemeinsamkeiten, die es im Hohen
Hause gibt, abheben.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut!)


Möglicherweise gelingt das auch. Wenn wir von der
Rede der Frau Kollegin Hein von der antragstellenden
Fraktion, von dem wolkenverhangenen parteipoliti-
schen Geklüngel der Grünen sowie von ein paar koali-
tionsinternen Hinweisen absehen, dann stellt man fest,
dass sich alle, einschließlich der Bundesregierung, dafür
ausgesprochen haben, das Koalitions-, Entschuldigung,
das Kooperationsverbot abzuschaffen.


(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Koali Martin Rabanus tionsverbot! – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das stimmt doch nicht!)





(A) (C)


(D)(B)


„Kooperationsverbot abschaffen“ – das ist – soweit
ich das erkennen konnte – die gemeinsame Überschrift.
Aber schon in der Debatte gab es den einen oder anderen
deutlichen Hinweis, dass man in den Fraktionen mögli-
cherweise, in Maßen, etwas Unterschiedliches darunter
versteht.


(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Es ist doch klar, was die SPD darunter versteht!)


– Was die SPD darunter versteht, ist in der Tat sehr klar,
Frau Kollegin Hein. Wir haben als einzige Partei sehr
frühzeitig einen zwischen der Bundesebene und den so-
zialdemokratisch regierten Ländern abgestimmten Text-
vorschlag zur Ergänzung des Grundgesetzes – Art. 104 c –
vorgelegt.


(Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb steht nichts davon im „Kooperationsverbot“!)


Dass die Union in Teilen andere Vorstellungen hat, ist
hier schon hinreichend deutlich geworden. Dass Sie den
Kulturföderalismus völlig anders einschätzen als wir, ist
auch deutlich geworden. Dass die Grünen, je nachdem,
in welcher Lage sie sich befinden, völlig unterschiedli-
che Aussagen tätigen, ist auch hinreichend deutlich ge-
worden.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So viel zu Ihrer Harmonie!)


Nach diesem wunderschönen Hinweis auf den Ver-
trag der Großen Koalition in Berlin möchte ich Ihre Auf-
merksamkeit auf Ihren eigenen Koalitionsvertrag in Hes-
sen richten; denn auch dort finden Sie keinerlei
Aussagen zum Umgang mit dem Kooperationsverbot.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wollen Sie denn jetzt eigentlich? Wie wäre es mit fachlichen Argumenten?)


Wenn ich mich erinnere, wie die Grünen in Hessen noch
im September letzten Jahres die Backen aufgeblasen ha-
ben,


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erst einmal an die eigene Nase fassen!)


wird mir klar, liebe Kordula Schulz-Asche, dass die Si-
tuation, in der man sich befindet, gelegentlich unter-
schiedliche Verbindlichkeiten und unterschiedliche Into-
nationen zur Folge hat.

Warum sage ich das?


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fragen wir uns auch!)


Ich sage das, weil es wichtig ist, bei so einem Thema
nicht in Gut und Böse, in Richtig und Falsch zu unter-
scheiden, weil es wichtig ist, nicht den moralischen Zei-
gefinger zu erheben. Wir haben es hier natürlich mit ei-
ner Gemengelage unterschiedlicher Interessen von Bund
und Ländern zu tun. Das ist deutlich geworden. Es gibt
unterschiedliche Konstellationen. Die für sich genom-
men jeweils legitimen Interessen müssen in den kom-
menden Wochen und Monaten einer kritischen Diskus-
sion zugeführt werden. Darauf ist in der Debatte unter
anderem vom Kollegen Rossmann hingewiesen worden.
Wenn wir in diesem Haus gemeinsam der Auffassung
sind, dass wir die Bildung in der gemeinsamen Verant-
wortung von Bund und Ländern stärken und voranbrin-
gen wollen, dann müssen wir uns einem solchen Prozess
unterziehen. Dann müssen wir uns alle an die eigene
Nase fassen. Vor allen Dingen müssen wir aber alle be-
reit sein, uns aufeinander zuzubewegen, um die Bildung
im Zusammenspiel von Bund und Ländern im Interesse
von Kindern und Jugendlichen tatsächlich zu stärken.


(Beifall bei der SPD)

Das ist das, was die Menschen draußen von uns er-

warten. Das ist das, was sich die SPD in der Koalition
vorgenommen hat.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann überzeugen Sie einmal Ihren Partner!)


Schaufensteranträge bringen uns dabei nicht weiter. Ich
glaube, dass sich auch die CDU in der Koalition genau
das vorgenommen hat. Ich glaube, am Ende, wenn sich
der Nebel etwas gelichtet hat, sind auch die Grünen be-
reit, sich an einer solchen Debatte konstruktiv zu beteili-
gen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann nehmen Sie unser Angebot an! Reform jetzt!)


Das jedenfalls wünsche ich mir. Das wünschen wir uns
als SPD-Fraktion in der Großen Koalition. Wir werden
sehen, ob das in den kommenden Wochen und Monaten
eingelöst wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802611000

Als Nächster erteile ich das Wort zu ihrer ersten Rede

im Deutschen Bundestag der Kollegin Alexandra
Dinges-Dierig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Alexandra Dinges-Dierig (CDU):
Rede ID: ID1802611100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Üblicherweise ist es ja so:
Wenn man etwas wiederholt, nützt das dem Lernen. Ich
denke, das passt hier ganz gut. Sie können sich vorstel-
len, dass ich als zehnte Rednerin in dieser Debatte nicht
viel Neues sagen werde. Aber vielleicht kombiniere ich
die Dinge etwas anders. Es kann aber sicherlich auch
nicht schaden, manches zwei- oder dreimal zu hören.

Deshalb möchte ich zu Beginn für die CDU/CSU
ganz klar feststellen, dass wir uns ausdrücklich zum Fö-
deralismus im Bereich der Bildung bekennen: von der
Kita über die Schule bis hin zur Hochschule.


(Beifall bei der CDU/CSU)






Alexandra Dinges-Dierig


(A) (C)



(D)(B)

Ich sage an dieser Stelle aber auch ganz klar: Bildung
und Finanzierung sind Aufgabe aller beteiligten Träger.
Bund, Länder und Kommunen tragen jeweils ihren Teil
der Finanzierung und damit auch ihrer Verantwortung in
unterschiedlicher Gewichtung. Dieser gemeinsamen
Verantwortung werden wir auch in Zukunft gerecht wer-
den.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Lin-
ken, liebe Frau Hein, es war für mich etwas schwierig,
das, was ich in Ihrem Antrag gelesen habe, mit dem, was
Sie heute ausgeführt haben, in Übereinstimmung zu
bringen.


(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das erkläre ich Ihnen noch einmal!)


Sie wollen uns mit Ihrem Antrag einreden, dass die Bil-
dungspolitik auf dem Holzweg ist. Sie gehen sogar so
weit, zu behaupten, dass sich bei Qualität und Finanzie-
rung nicht wirklich viel geändert hat. Ich glaube – das
haben Sie auch an den Ausführungen der Redner nach
Ihnen gemerkt –, dass Sie damit eindeutig falschliegen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Unsere Ergebnisse in Studien zur Bildung – einige
wurden heute genannt – sind stetig besser geworden. Wir
können jedes Jahr immer wieder die Ergebnisse vieler
Studien lesen, zum Beispiel TIMSS, PISA und entspre-
chende länderspezifische Auswertungen. Selbst die
OECD hat inzwischen verstanden – sie hat eine Weile
dazu gebraucht –, wie das deutsche Bildungssystem
funktioniert. Wenn wir Bildung auf einen Blick 2013 le-
sen, dann sehen wir, dass es in den Bereichen Schule und
Hochschule eindeutige positive Entwicklungen gibt und
dass wir im gesamten Ranking eindeutig nach oben rut-
schen. Ein Grund dafür ist ganz klar die von uns ange-
stoßene Exzellenzinitiative. Die wachsende Beteiligung
internationaler Wissenschaftler im Forschungsbereich ist
ein weiterer Beweis für diese positive Entwicklung.

Noch etwas hat mich am Antrag der Linken sehr irri-
tiert; deshalb möchte ich es an dieser Stelle ansprechen.
Sie behaupten an einer Stelle, dass Sanierungen und Re-
novierungen in Schulgebäuden nichts mit Bildungspoli-
tik und Lernergebnissen zu tun haben. Ich kann dazu nur
sagen: Wenn das wirklich Ihre Meinung ist – es steht in
Ihrem Antrag –, dann verstehen Sie nicht viel von Lern-
prozessen. Vielleicht überdenken Sie diesen Passus Ihres
Antrags noch einmal.

Für den Fall, dass es noch Zweifler gibt, möchte ich
noch einmal, aber nur ganz kurz, die Big Points nennen,
die wir insbesondere im Bereich der Bildungsfinanzie-
rung im Bund angeschoben haben, seitdem unsere Bun-
deskanzlerin Angela Merkel heißt. Es fing beim Auf-
wachsen unserer Budgets an und reichte bis hin zur
Exzellenzinitiative; darüber haben wir heute schon viel
gehört.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit dem 10-Prozent-Ziel? – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das war vor Frau Merkel!)

Ich denke natürlich auch an den Hochschulpakt und da-
ran, dass wir die Ausfinanzierung der wachsenden Stu-
dierendenzahlen durch den Hochschulpakt gewährleis-
ten. Das waren immerhin schlappe 10 Milliarden Euro.
Wir haben die Qualität der Lehre verbessert – Herr
Müller hat das ausgeführt – und die Qualitätsinitiative in
der Lehrerbildung aufgelegt.

Aber wir haben die Länder bei der Bewältigung ihrer
Aufgaben nicht nur im Bereich der Hochschulen massiv
unterstützt, sondern wir haben sie auch auf eine andere
Art und Weise unterstützt, und zwar mit dem Bildungs-
und Teilhabepaket für bildungsbenachteiligte Kinder;
auch davon war heute schon die Rede. Auch bei der Her-
kulesaufgabe Kitaausbau haben wir mit 5,4 Milliarden
Euro geholfen. Dazu kommt jetzt die jährliche Beteili-
gung des Bundes an den laufenden Kosten der Kitas.
Das ist ein Wort. Der Bund steht zu seiner Mitverant-
wortung im Bereich der Bildung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Da wir ja immer wieder von Finanzen sprechen: Im
Bereich der Bildung übernimmt der Bund auch an einer
anderen Stelle zusätzliche Verantwortung, indem er die
Länder ein Stück weit finanziell entlastet. Das bedeutet,
dass die Länder ihrer Verantwortung den Kommunen ge-
genüber besser gerecht werden können. Es geht dabei
um die Übernahme der Kosten für die Grundsicherung.
Das sind immerhin Entlastungen für die Länder von im
Schnitt über 5 Milliarden Euro im Jahr. Auch die Entlas-
tungen bei der Eingliederungshilfe werden kommen.
Das schafft Freiraum und ermöglicht es den Ländern,
zum Beispiel mehr in die Köpfe unserer Kinder und Ju-
gendlichen zu investieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Martin Rabanus [SPD] und Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Langer Rede kurzer Sinn: Diese Beispiele zeigen,
dass wir unsere gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahr-
nehmen und unserer Verantwortung gerecht werden. Un-
ser föderaler Staat lebt vom guten Miteinander aller Ebe-
nen. Das wird auch in Zukunft so sein. Aber wir müssen
auch berücksichtigen, dass wir eine Schuldenbremse ha-
ben. Der Bund ist sich der Begrenztheit der Mittel natür-
lich sehr bewusst und nicht unbegrenzt belastbar. Des-
halb müssen wir die Mittel effizient anlegen. Wir
müssen vor allem dafür sorgen, dass die Länder, wenn
der Bund weiter in Bildung investiert, ihren eigenen An-
teil an der Verantwortung für das weitere Gelingen der
Bildungsrepublik nicht zurückfahren.

Deshalb, meine Damen und Herren, werden wir in
dieser Legislaturperiode mit den Ländern über eine wei-
tere Verbesserung unserer Bildungslandschaft sprechen,
natürlich auch hinsichtlich ihrer Finanzierung. Ich bin
ganz zuversichtlich, auch angesichts der Ausführungen
meiner Vorredner, dass wir gemeinsam, vielleicht sogar
über die Grenzen der Koalition hinaus, eine Nachfolge-
lösung finden, sei es im Bereich der Exzellenzinitiative,
des Hochschulpaktes oder bei weiteren Bildungsthemen.
Wie wir das dann in Art. 91 b des Grundgesetzes nieder-
legen werden, wird unser gemeinsamer Dialog zeigen.





Alexandra Dinges-Dierig


(A) (C)



(D)(B)

Ich bedanke mich recht herzlich für Ihre Aufmerk-
samkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802611200

Herzlichen Glückwunsch, Frau Kollegin Dinges-

Dierig, zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag!
Auf eine gute weitere parlamentarische Zusammenar-
beit!


(Beifall)


Als letztem Redner in dieser Debatte, aber zu seiner
ersten Rede im Deutschen Bundestag gebe ich nun
Xaver Jung von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Xaver Jung (CDU):
Rede ID: ID1802611300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir brauchen eine differenzierte Neufassung
des Art. 91 b Grundgesetz, die Wissenschaft und schuli-
sche Bildung nicht in einen Topf wirft, wie die Linke das
tut.


(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Ach!)


Wir wollen, dass der Bund bei der Grundfinanzierung
von Universitäten und Fachhochschulen tätig werden
kann. Schule ist aber der klassische Kernbereich der
Länderzuständigkeit und soll es auch bleiben.


(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Hochschule auch!)


Um Schule zu optimieren, braucht es keine Änderung
des Grundgesetzes. Wir müssen stattdessen wieder viel
mehr über Inhalte reden. Was wir brauchen, ist noch
mehr Absprache, noch mehr Koordination zwischen den
Ländern. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Lin-
ken, eines muss ich Ihnen schon sagen: Unser Bildungs-
system und unsere Lehrer sind nicht so schlecht, wie Sie
es in Ihrem Antrag formuliert haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das steht da ja wohl auch nicht drin! Ein bisschen Fairness muss schon sein!)


Dass wir in Deutschland die Wirtschaftskrise in den
letzten Jahren so erfolgreich gemanagt haben, ist maß-
geblich der Qualität des deutschen Bildungssystems zu
verdanken. Wir haben es oft gehört – aber man kann es
nicht oft genug hören –: Wir haben die niedrigste Ju-
gendarbeitslosigkeit in der ganzen EU. Noch nie
wurde in Deutschland so viel in Bildung investiert
wie in den letzten Jahren. Für uns von der CDU/CSU-
Fraktion haben Bildung und Forschung auch weiter-
hin höchste Priorität. Deswegen haben wir im Koali-
tionsvertrag zusätzlich 9 Milliarden Euro für Bildung
vorgesehen. Wir werden in dieser Wahlperiode die
Ganztagsschule stärken, die digitale Bildung ausbauen,
die Inklusion voranbringen und die Durchlässigkeit des
Schulsystems stärken.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wollen Sie das mit dem Kooperationsverbot machen?)


Wir werden, Herr Schulz, auch weiterhin die Länder bei
deren Bildungsaufgaben unterstützen. Aber wir möchten
gerne mitreden, wenn es darum geht, wohin die Mittel
fließen. In Rheinland-Pfalz, wo ich herkomme, fließen
sie nämlich zum Beispiel in den Nürburgring; dann be-
zahlt man den damit.


(Zurufe von der SPD: Ah!)


Wir wollen wissen, wofür wir unser Geld ausgeben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD])


Was wir vor allem brauchen, ist die bundesweite Ver-
gleichbarkeit von Schulabschlüssen. Dazu müssen die
Länder ihre Lehrpläne besser miteinander abstimmen.
Es muss möglich sein – da gebe ich Ihnen recht –, dass
Eltern und Kinder problemlos in ein anderes Bundesland
wechseln. Das muss übrigens auch für Referendare und
Lehrer gelten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Richtig!)


Der Bund hat viel Geld auch in Bildungsforschung in-
vestiert. Schulvergleichsstudien bestätigen große Leis-
tungsunterschiede zwischen den Ländern. Aber das liegt
nicht allein am fehlenden Geld des Bundes, wie so oft
behauptet wird, sondern vor allem an der fehlenden poli-
tischen Kraft und am fehlenden Willen mancher Bundes-
länder, die richtigen Prioritäten zu setzen. Ein Vergleich
macht dies besonders deutlich: 2011 wendete Thüringen
für Bildung 8 500 Euro pro Kopf auf, NRW lediglich
5 600 Euro. Da hilft auch keine Grundgesetzänderung.

Die Linken fordern in ihrem Antrag, dass die Länder
ihre Bildungshoheit aufgeben. Das passt natürlich sehr
gut in ihre Ideologie. Sie fordern wieder einmal den Zen-
tralstaat.


(Lachen des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir wollen Vielfalt und Subsidiarität.


(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie den Antrag gelesen?)


Bei Gründung der Bundesrepublik hat man sich be-
wusst für eine dezentrale Organisation des Bildungswe-
sens entschieden. Die Föderalismuskommission hat dies
erneut bestätigt. Die Länder haben dieses gewollt. Sie
befinden sich jetzt in der Pflicht, endlich ihre Hausauf-
gaben zu machen.

Meine Damen und Herren, aus vielen Jahren Erfah-
rung als Lehrer und auch als Vater zweier schulpflichti-
ger Kinder weiß ich, dass Schule einen ganz entschei-
denden Bildungsauftrag hat, nämlich den Schülerinnen
und Schülern zu ermöglichen, sich zu eigenständigen
und selbstverantwortlichen Bürgern mit eigener Identität
zu entwickeln. Die deutsche Geschichte zeigt, dass Zen-





Xaver Jung


(A) (C)



(D)(B)

tralismus in der Bildung oft mit Gleichschaltung und
ideologischer Umerziehung verbunden war. Ziel Ihrer
Vorgängerpartei war es nie, den selbstverantwortlichen
Bürger zu eigener Identität zu erziehen.


(Zuruf von der LINKEN: Das musste ja kommen!)


Wir begrüßen den föderalistischen Aufbau.

Gute Bildung ist eine Grundlage für mehr Teilhabe,
Integration und Chancengerechtigkeit. Gute Bildung ist
der Schlüssel für sozialen Aufstieg. Gute Bildung ist die
Grundvoraussetzung für Wohlstand, Wachstum und Fort-
schritt in unserem Land sowie den Erfolg Deutschlands
im internationalen Wettbewerb. Bildung wird nicht bes-
ser durch die Aufhebung des Kooperationsverbots,


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)


sondern eher durch Wettbewerb um den besten Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gute Bildung ist nicht allein Aufgabe des Staates, son-
dern der gesamten Gesellschaft. Unterstützen wir unsere
Familien und die Eltern dabei!

Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten
Jahren die richtigen Prioritäten gesetzt. Wir werden
diese erfolgreiche Bildungspolitik auch in der neuen Ko-
alition gern fortsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Simone Raatz [SPD])



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802611400

Lieber Herr Kollege Jung, ich gratuliere im Namen

des Präsidiums recht herzlich zu Ihrer ersten Rede. Auf
gute parlamentarische Zusammenarbeit!


(Beifall)


Ich schließe hiermit die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/588 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch-
führung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012
sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften

Drucksache 18/823
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Friedrich Ostendorff, Claudia Roth

(Augsburg), weiterer Abgeordneter und der

Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Weltagrarbericht jetzt unterzeichnen

Drucksache 18/979
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Damit sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 f auf.
Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen,
zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 23 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss
des Rates zur Aufhebung des Beschlusses
2007/124/EG, Euratom des Rates

Drucksache 18/824

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


Drucksache 18/992

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/992, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 18/824 anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Dann ist der Gesetzentwurf von
allen Fraktionen des Hauses bei Enthaltung der Fraktion
der Linken so angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe-
ben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann
ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen aller Fraktionen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke in dritter Lesung
so angenommen.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 23 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 28 zu Petitionen

Drucksache 18/858

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Bei einer Enthaltung ist die Sammelüber-
sicht 28 angenommen.

Tagesordnungspunkt 23 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 29 zu Petitionen

Drucksache 18/859





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
und Enthaltungen bei der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen ist die Sammelübersicht 29 angenommen.

Tagesordnungspunkt 23 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 30 zu Petitionen

Drucksache 18/860

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 30 einstimmig
angenommen.

Tagesordnungspunkt 23 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 31 zu Petitionen

Drucksache 18/861

Hierzu liegen Erklärungen nach § 31 Abs. 1 der Ge-
schäftsordnung des Bundestages vor.1)

Wer stimmt für die Sammelübersicht 31? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Gegenstim-
men der Fraktion Die Linke und ohne Enthaltung ist die
Sammelübersicht 31 mit den Stimmen aller übrigen
Fraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 23 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 32 zu Petitionen

Drucksache 18/862

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 32 mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
und der Fraktion Die Linke angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und des

(3. Ausschuss)


Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der EU-geführten Ausbildungsmission
EUTM Somalia auf Grundlage des Ersuchens
der somalischen Regierung mit Schreiben vom
27. November 2012 und 11. Januar 2013 sowie
der Beschlüsse des Rates der Europäischen
Union 2010/96/GASP vom 15. Februar 2010
und 2013/44/GASP vom 22. Januar 2013 in
Verbindung mit der Resolution 1872 (2009)

des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen

Drucksachen 18/857, 18/994

1) Anlage 2
– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

Drucksache 18/995

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.

Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der
Bundesregierung werden wir später namentlich abstim-
men.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich gebe als erster Rednerin Dagmar Freitag, SPD-
Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1802611500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Afrika steht, wir wissen es, im Fokus internationaler und
nationaler Beratungen. Zurzeit läuft noch der zweitägige
EU-Afrika-Gipfel, der unter dem Motto „In Menschen,
Wohlstand und Frieden investieren“ steht. Rund 80 Na-
tionen beraten in Brüssel über das zukünftige Profil der
Zusammenarbeit. Einen entsprechenden Antrag der
Koalitionsfraktionen zu diesem Gipfel hat dieses Haus
bereits am 21. März dieses Jahres beschlossen. Darin ha-
ben wir deutlich zum Ausdruck gebracht: Wir dürfen
Afrika nicht nur als Krisenherd wahrnehmen, sondern
vor allem auch als einen Nachbarkontinent mit großen
Chancen und Potenzialen.


(Anita Schäfer [Saalstadt] [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Auf dieser Basis muss das Afrika-Konzept der Bundes-
regierung von 2011 weiterentwickelt werden. Ziel ist,
dass sich die Partner Europäische Union und Afrika in
einer Partnerschaft auf Augenhöhe – darauf liegt die
Betonung – verstehen.

Sicherheitspolitische Fragen werden bei diesem Gip-
fel natürlich eine entscheidende Rolle spielen. Frieden
und die Schaffung eines sicheren Umfeldes sind unab-
dingbare Voraussetzungen für die weitere Entwicklung
und für Wohlstand, aber auch – das möchte ich aus-
drücklich ergänzen – für die Durchführung ordnungs-
gemäßer Wahlen, die 2016 stattfinden sollen. Ziel muss
sein, die Stabilität in Afrika zu verbessern; denn insbe-
sondere fragile Staaten Nordafrikas und der Sahelzone
sind nach wie vor geprägt durch gewalttätige Konflikte
mit verheerenden Folgen für die Bevölkerung, die, wir
wissen es, unter Armut, Gewalt und Unterdrückung
leidet. Hier müssen deutliche Akzente in den Bereichen
Frieden, Sicherheit, zivilgesellschaftliche Organisation,
Klima, Energie, Wirtschaftsentwicklung gesetzt wer-
den. Ziel all dessen ist die Stärkung der unverzichtbaren
Eigenverantwortlichkeit vor Ort.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Zentrum der
heutigen Debatte steht das von einem langen und quälen-
den Bürgerkrieg geprägte Somalia im Kontext mit dem
von der Bundesregierung vorgelegten Antrag.

(B)






Dagmar Freitag


(A) (C)



(D)(B)

Es ist unstrittig: Die Lage in Somalia ist nach wie vor
fragil. Mit Blick auf die kommenden Jahre ist die ganz
entscheidende Frage – ich denke, da sind wir uns einig –:
Gelingt die Entwicklung dieses Landes, oder wird
Somalia als sogenannter Failed State enden und damit
die gesamte Region des Horns von Afrika und darüber
hinaus bedrohen?

Die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft
für den Friedens- und Stabilisierungsprozess ist und
bleibt notwendig. Wir wissen, mittlerweile gibt es 3 600
somalische Soldaten, die bis Ende 2013 von der Euro-
päischen Union ausgebildet wurden. Diese sollen die
Truppen der African Union Mission in Somalia,
AMISOM, vor allem im Kampf gegen die radikal isla-
mistische al-Schabab unterstützen.

Wir wissen natürlich auch um die Schwierigkeit
dieser Aufgabe. Aber nach allem, was wir wissen, haben
wir erstmals die Situation, dass zumindest große Städte
von AMISOM kontrolliert werden. Wir verzeichnen eine
durchaus positive Entwicklung im Norden des Landes.
Wir wissen um die Probleme in Zentral- und Südsoma-
lia.

Somalia benötigt vor allem Hilfen beim Aufbau von
Sicherheits- und Verwaltungsstrukturen auf zentraler,
aber auch – das will ich ausdrücklich erwähnen – auf
regionaler Ebene und natürlich bei der Etablierung von
völkerrechtlichen und menschenrechtlichen Standards.
Nur so – ich hoffe, da sind wir uns einig – kann ein
belastbarer Stabilisierungsprozess vorangetrieben wer-
den. Die EU spielt in diesem Prozess nach wie vor eine
entscheidende Rolle. Deutschland handelt dabei im Ver-
bund mit der EU gemäß der Leitlinie „Strategischer Rah-
men für das Horn von Afrika“, die im November 2011
beschlossen worden ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beraten heute
abschließend über die Beteiligung Deutschlands an der
EU-geführten Ausbildungsmission EUTM Somalia. Bis
zu 20 Soldatinnen und Soldaten sollen befristet bis zum
31. März 2015 eingesetzt werden. Im Mittelpunkt wer-
den stehen die Ausbildung der somalischen Streitkräfte
sowie – um diesen Auftrag soll der Einsatz erweitert
werden – strategische Beratungen des somalischen
Generalstabs und des Verteidigungsministeriums, was
als besonders wichtig erachtet wird. Dieser Einsatz – ich
denke, der Hinweis ist noch einmal wichtig – beinhaltet
jedoch ausdrücklich keinen Auftrag zur Teilnahme an
Kampfhandlungen und keine direkte Unterstützung mili-
tärischer Operationen der multinationalen Friedensmis-
sion der Afrikanischen Union.

Neu ist auch die Verlagerung der Mission von Uganda
direkt nach Mogadischu. Dort sollen in einem streng ge-
schützten Bereich des Flughafens, der nach vorliegenden
Informationen und Einschätzungen auch anderer Natio-
nen als weitgehend sicher gilt, unsere Soldaten statio-
niert werden. Ich glaube, die Verlagerung nach Mogadi-
schu ist sinnvoll. Somalische Probleme müssen im Land
selbst gelöst werden und nicht in Kampala.

Dieses Mandat mit einer festgelegten Obergrenze von
– ich habe es bereits erwähnt – maximal 20 deutschen
Soldatinnen und Soldaten ist ein vergleichsweise kleines
Mandat. Es ist ein Baustein im Kontext unterschiedli-
cher Maßnahmen und Hilfen für die somalische Bevöl-
kerung. Wir halten die Beteiligung an diesem Mandat für
vertretbar und bitten herzlich um Ihre Zustimmung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802611600

Als Nächster erteile ich das Wort der Kollegin Sevim

Dağdelen, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802611700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute soll

es wieder um die Zustimmung zu einem Auslandseinsatz
der Bundeswehr gehen. Mittlerweile vergeht kaum noch
eine Woche, in der nicht ein oder zwei Bundeswehrein-
sätze hier beschlossen werden sollen.


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Können Sie nicht zählen?)


Es gibt kaum ein Problem auf dieser Erde, auf das die
Große Koalition nicht mit Bundeswehrsoldaten antwor-
ten möchte. Zu diesem abenteuerlichen Kurs der Infla-
tionierung der Auslandseinsätze der Bundeswehr sagt
die Linke wie eine übergroße Mehrheit der Bevölkerung
klar und deutlich Nein.


(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der SPD)


Nach Jahren in Uganda wollen Sie Ihre Militärausbil-
der im Rahmen der Mission EUTM Somalia jetzt nach
Somalia schicken. Ich frage Sie: Wie sieht denn eigent-
lich Ihre bisherige Bilanz der militärischen Ausbildung
somalischer Milizen in Uganda aus? Nicht von der Hand
zu weisen ist: Sie haben auch Kindersoldaten mit ausge-
bildet.


(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Was?)


Sie haben Leute ausgebildet, denen schlimmste Men-
schenrechtsverbrechen vorgeworfen werden.


(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Das müssen Sie einmal erklären! – Zurufe von der SPD: Wir haben die ausgebildet? Ungeheuerlich ist der Vorwurf! So ein Unsinn!)


Und Sie haben Leute ausgebildet, von denen laut
Somalia Monitoring Group der Vereinten Nationen in
der Vergangenheit 80 Prozent mitsamt ihrer Ausrüstung
desertiert sind; einige von ihnen sind gar auf die andere
Seite übergelaufen.

Laut dem Sanktionsausschuss des UN-Sicherheitsra-
tes liefert selbst die Regierung, die Sie hier unterstützen,
Waffen an die Extremisten. Die Regierungsarmee sei
– ich zitiere – „die wichtigste Waffenquelle für die
Islamisten“ in Somalia. Bei solch einer furchterregenden
Bilanz muss hier doch eigentlich ein deutliches Stopp-
zeichen gesetzt werden.


(Beifall bei der LINKEN)






Sevim Dağdelen


(A) (C)



(D)(B)

Weil wir uns nicht mitschuldig machen wollen an diesen
Menschenrechtsverletzungen, sagen wir Nein zu diesem
Einsatz.


(Thomas Hitschler [SPD]: Dazu fällt mir nichts mehr ein!)


Sie verkünden hier erfundene Erfolgsmeldungen.
Dazu gehört, dass Sie es als Sieg verkaufen, dass die
Ausbildung jetzt nicht mehr in Uganda, sondern auf so-
malischem Boden stattfindet.


(Dagmar Freitag [SPD]: Wir verkaufen gar nichts! Was für ein Unsinn!)


Ich frage Sie: Ist es wirklich ein Erfolg, dass sich diese
Ausbildungsmission jetzt im Hochsicherheitstrakt des
Flughafens von Mogadischu verschanzt?

Ist es ein Erfolg, dass sich der somalische Bürgerkrieg
immer weiter internationalisiert? Ist es ein Erfolg, dass
Kenia infolgedessen aktuell beschlossen hat, alle
Somalis in Lagern zu internieren, weil diese als gefähr-
lich gelten?

Oder ist es für Sie ein Erfolg, wenn von deutschem
Boden aus gezielte Tötungen mit Drohnenangriffen in
Somalia stattfinden? Ich finde es jedenfalls ungeheuer-
lich, dass Sie gegen diese Morde, die vom US-Haupt-
quartier in Stuttgart aus begangen werden, nichts unter-
nehmen. Auch deshalb ist Deutschland natürlich Partei
in diesem dreckigen, schlimmen somalischen Bürger-
krieg.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich frage Sie vor diesem Hintergrund: Ist das Ihre werte-
geleitete Außenpolitik, von der Sie immer reden? Um
welche Werte handelt es sich hier eigentlich?


(Dagmar Freitag [SPD]: Das fragt die Richtige!)


Die Linke jedenfalls lehnt diese Drohnenmorde in So-
malia ab.


(Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sie lehnen alles ab, haben aber kein Konzept!)


Ich frage Sie auch, ob Sie sich jemals überlegt haben,
wen Sie dort in Somalia eigentlich unterstützen. Ange-
sichts der Leute, die Sie dort unterstützen, will ich Ihnen
einmal positiv unterstellen, dass Sie sich wahrscheinlich
noch nie damit beschäftigt haben.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das, was Sie hier wieder absondern, ist doch unsäglich!)


Der sogenannten Regierung in Somalia, die Sie mit Ihrer
Ausbildungsmission unterstützen, werden schlimmste
Menschenrechtsverbrechen vorgeworfen. Ihre sogenann-
ten Gerichte verhängen die Todesstrafe, ihre Politik steht
für Repression, für Gewalt und für Korruption.

Ich frage Sie: Haben Sie sich jemals mit der Verfas-
sung dieser Regierung auseinandergesetzt? Ich meine
hier nicht die ultrareaktionäre Ausrichtung mit einem
kompletten Abtreibungsverbot und der Verfolgung
sexueller Minderheiten, sondern ich meine hier die
Verfassungsbestimmungen, die ganz am Anfang dieser
Verfassung stehen. Sie legen fest, dass die Scharia über
allen anderen Gesetzen steht.


(Gabi Weber [SPD]: Also, jetzt ist es irgendwann einmal gut! Das ist unglaublich!)


Eine ganz enge reaktionäre Auslegung des Islam ist in
der Verfassung dieser Regierung, die Sie mit dieser Aus-
bildungsmission unterstützen, als Staatsreligion festge-
setzt.


(Dagmar Freitag [SPD]: Schämen Sie sich!)


– Ja, das ist so. Sie können doch nicht einfach die Augen
vor der Realität verschließen.


(Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das tun Sie ständig! – Thomas Hitschler [SPD]: Ihre Realität!)


Das heißt, dass viele Menschen gar keine Religionsfrei-
heit haben. Hindus, aber auch konfessionslose Christen,
Sufis und Schiiten: Sie alle sind der praktischen Verfol-
gung ausgeliefert. Solch eine autoritär-islamistische
Regierung unterstützen Sie mit der Bundeswehr.

Wie wollen Sie der Bevölkerung diesen Einsatz ei-
gentlich erklären? Wollen Sie sagen, dass Sie gerne
Steuergelder ausgeben, um Menschenrechtsverletzer
oder islamistische Autokraten zu unterstützen?

Die Linke lehnt Ihre Bundeswehreinsätze zur Unter-
stützung solcher Art von autoritären Regimen jedenfalls
ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir finden, es braucht endlich eine politische Lösung,
eine Verhandlungslösung in Somalia und nicht ein weite-
res Anheizen dieses Bürgerkrieges mit deutscher Hilfe
durch die deutsche Bundeswehr.


(Beifall bei der LINKEN – Dagmar Freitag [SPD]: Mein Gott! – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit wem sollen wir verhandeln?)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802611800

Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Philipp

Mißfelder, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1802611900

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!

Frau Dağdelen, normalerweise ist es so, dass diejenige,
die für Ihre Fraktion am häufigsten Verschwörungstheo-
rien vorträgt, Frau Buchholz ist.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Haben Sie sich die Verfassung angeschaut?)


Aber ich muss sagen: Sie haben sie heute wirklich ge-
toppt, und zwar im negativen Sinne.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)






Philipp Mißfelder


(A) (C)



(D)(B)

Ich finde wirklich, dass Sie es einfach sein lassen sollten,
hier solche Konstrukte vorzutragen.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sehr schwach! Das ist die Wahrheit! Sagen Sie doch etwas zur Verfassung!)


Ich sage jetzt etwas zum Mandat. Zum Mandat ge-
hört, dass wir unser Vorgehen gut überlegt haben und
dass wir das auch lange diskutiert haben.


(Dagmar Freitag [SPD]: So ist das!)


Frau Freitag hat es vorhin angesprochen: Die Sicherheit
unserer eigenen Soldaten steht für uns natürlich an erster
Stelle. Bei jedem Mandat, das wir hier beschließen,
muss angesichts der Sicherheitsrisiken zwischen der Si-
cherheit unserer Soldaten und dem Nutzen des Mandats
abgewogen werden. So sind wir auch bei der schwieri-
gen Frage in diesem Fall der Meinung, dass es trotz der
geringen Zahl der Soldaten richtig ist, gemäß dieser Ab-
wägung zu sagen: Wir können das verantworten.

Sie haben eben in Ihrem Wortbeitrag ausgeführt, dass
die Soldaten im Sicherheitstrakt des Flughafens von Mo-
gadischu arbeiten. Das geschieht nicht ohne Grund. Wir
wissen nämlich, dass Somalia ein gefährlicher Ort ist.
Weil Somalia in Zukunft aber Sicherheitsstrukturen
braucht, sind wir der Meinung, dass wir die Ertüchti-
gungsstrategie weiter fortführen müssen, sodass somali-
sche Autoritäten selbst in die Lage versetzt werden, in
Zukunft die Sicherheit in ihrem Land zu garantieren.
Deshalb bilden wir an dieser Stelle aus und beraten stra-
tegisch.

Dass Sie hier direkt Waffenlieferungen unterstellen,
muss ich an dieser Stelle zurückweisen. Mir sind die von
Ihnen angesprochenen UNO-Dokumente bekannt. Auch
wir sehen die Entwicklung im Land mit Sorge.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Ach so! Interessant!)


Aber gerade deshalb wollen wir uns in Somalia engagie-
ren, damit die Situation in diesem Land besser wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Sie gießen Öl ins Feuer! – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Also geben Sie mir doch recht?)


Ich sage es einmal anders: Jede finanzielle Hilfe, die
wir im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit ge-
währen, jede politische Initiative, die wir mit Blick auf
Somalia in der Vergangenheit gestartet haben und auch
in Zukunft starten wollen, bringt nur dann etwas, wenn
in diesem Failed State überhaupt wieder Sicherheits-
strukturen entstehen.

Wir stehen natürlich vor der Situation, abwägen zu
müssen: Wollen wir als Ausländer die Sicherheit im
Land garantieren oder alternativ Autoritäten vor Ort in
die Lage versetzen, in Zukunft selbst die Sicherheit zu
gewährleisten? Ich halte die zweite Variante in der Ab-
wägung für die vertretbarere, sonst müssten wir dort
dauerhaft militärisch stark und robust präsent sein.

(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Vor einigen Wochen haben Sie noch das Gegenteil behauptet, Herr Mißfelder! Da waren Sie noch gegen diesen Einsatz!)


Vor diesem Hintergrund kann man dieses Mandat gut
vertreten. Wir haben es auch über Wochen und Monate
diskutiert. Uns ist das nicht leichtgefallen. Früher gab es
die Ausbildungsmission in Uganda. Ich würde Ihnen
nicht darin zustimmen, dass diese Mission per se nicht
erfolgreich war, sondern ich würde ganz im Gegenteil
sagen, dass sich auch dort Deutschland verantwortungs-
bewusst und erfolgreich beteiligt hat.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: 80 Prozent desertiert! – Gegenruf der Abg. Dagmar Freitag [SPD]: Das ist Ihre Welt!)


Das wollen wir fortsetzen.

Ich glaube, dass insbesondere vor diesem Hintergrund
die Ertüchtigungsstrategie, die für Afrika insgesamt in
den Mittelpunkt unserer außenpolitischen Schwerpunkt-
setzung gerückt ist, ein Baustein sein kann. Das ist aber
nur ein Baustein. Daran werden wir weiterhin arbeiten.
Es ist auch in unserer Fraktion ausführlich diskutiert
worden: Inwiefern wollen und können wir in Afrika mit
militärischen Maßnahmen erfolgreich sein? Ich glaube,
dass das immer der geringere Beitrag von uns bleiben
sollte. Wir sind der festen Überzeugung, dass das, was
wir politisch und auch im Bereich der Entwicklungszu-
sammenarbeit leisten können, viel wichtiger ist. Aber all
das kann nur in einem Sicherheitsrahmen geschehen.
Diese Sicherheit muss eben auch ermöglicht werden.
Deshalb gibt es an dieser Stelle eine militärische Kom-
ponente – zugegebenermaßen in einem sehr kleinen Um-
fang. Angesichts dieses Umgangs ist Ihre Empörung in
Wahrheit ja nur gespielt; auch das muss man dazusagen.
Sie haben sich ja richtig angestrengt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das ist wirklich sehr schwach, Herr Mißfelder, was Sie hier erzählen!)


Wir wollen, dass für die Menschen in Somalia eine
bessere Zukunft möglich ist. Ich sage es noch einmal:
Wir wollen, dass dies innerhalb staatlicher Strukturen
möglich ist, von denen wir noch weit entfernt sind. Dort
trifft man zurzeit auf Stammesstrukturen und zum Teil
auch sehr unübersichtliche Strukturen. Wir haben ver-
sucht, sie zu analysieren. Wir werden versuchen, diesem
Zustand politisch eine Konzeption entgegenzusetzen.
Das ist allerdings sehr schwierig.

Natürlich kann keiner von diesem Pult aus eine Ga-
rantie dafür abgeben, dass sich das Blatt nicht wendet,
dass sich Situationen ändern und sich Frontverläufe ver-
schieben. Nichtsdestotrotz müssen wir uns vor diesem
Hintergrund immer überlegen: Schauen wir weg oder
sind wir aktiv? Hier sage ich ganz deutlich: Es ist besser,
in diesem begrenzten Umfang aktiv zu sein, als sich
nicht um die Zukunft Somalias zu scheren. Deshalb
setzte ich mich für dieses Mandat ein.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.





Philipp Mißfelder


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Aktionismus!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802612000

Als Nächster erteile ich der Kollegin Agnieszka

Brugger, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zah-
len sind erschreckend: 860 000 Somalierinnen und So-
malier sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Über
2 Millionen befinden sich auf der Flucht. Nach über
20 Jahren Bürgerkrieg sehnen sich die Menschen nach
Stabilität und Sicherheit, nach Frieden und Freiheit.
Trotz einiger Bemühungen der internationalen Gemein-
schaft ist dieses Ziel noch lange nicht erreicht. Bis heute
fehlt eine schlüssige Gesamtstrategie für die Lösung die-
ses Konfliktes.

Wir Grüne werden das Mandat der Bundesregierung
für eine Beteiligung an der europäischen Mission zur
Ausbildung somalischer Streitkräfte ablehnen, und zwar
nicht, weil wir finden, dass man in Somalia angesichts
der wirklich sehr, sehr schwierigen Lage nichts tun
sollte, sondern weil wir bezweifeln, dass Sie hier den
richtigen Ansatz verfolgen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In ihren Reden bei der Mandatseinbringung in der
letzten Sitzungswoche sind Verteidigungsministerin von
der Leyen und Staatsminister Roth kaum auf die Lage
vor Ort eingegangen. Schöne Schlagworte wie „Rah-
menstrategie“, „vernetzte Sicherheit“ oder „politische
Konsolidierung“ sind gefallen. Aber erläutern Sie bitte
einmal, was das ganz konkret für den Konflikt in Soma-
lia bedeutet! Denn die Ausbildungsmission für die soma-
lischen Streitkräfte kann nur einen langfristigen Beitrag
zur Konfliktlösung leisten, wenn sie in eine kohärente
Gesamtstrategie eingebettet ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das bisherige Engagement der internationalen Gemein-
schaft, der EU und insbesondere auch der Afrikanischen
Union genügt diesem Anspruch nicht. Aber um das zu
erkennen, muss man genauer hinsehen. Mir scheint, das
will die Bundesregierung nicht.

In den vergangenen Jahren sind die internationalen
Versuche, zentrale Strukturen in Somalia zu etablieren,
vorsichtig gesagt, wenig erfolgreich gewesen. Gerade im
Sinne der notleidenden Zivilbevölkerung muss eine ver-
nünftige dezentrale Machtbalance zwischen der Zentral-
regierung in Mogadischu und den Regionen, gerade
auch den Regierungen von Somaliland und Puntland, ge-
funden werden.

Meine Damen und Herren, das internationale Engage-
ment findet außerdem in einem Umfeld statt, in dem die
USA mit Drohnenangriffen völkerrechtswidrige ge-
zielte Tötungen von Aufständischen in Somalia verüben.
Dabei kommt es immer wieder zu zivilen Opfern, unter
denen sogar Kinder sind. Es gibt belastbare Hinweise,
dass über U.S. AFRICOM in Stuttgart und die Air Base
in Ramstein eine Beteiligung an der Planung und Aus-
führung dieser Angriffe von deutschem Staatsgebiet aus
erfolgt. Die Bundesregierung verweigert hierzu jegliche
Aufklärung und jegliche Auskunft. Auch hier wollen Sie
nicht wirklich hinschauen. Hören Sie endlich auf, die
Augen vor diesem Völkerrechtsbruch zu verschließen,
und setzen Sie sich für ein Ende dieser Drohnenangriffe
ein!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Diese gezielten Tötungen erweisen sich zudem als
höchst kontraproduktiv, da sie aufseiten der Aufständi-
schen Radikalisierung und Rekrutierung massiv beför-
dern.

Vielmehr sollte – auch vor dem Hintergrund der Er-
fahrungen in Afghanistan – eines klar sein: Militärisch
ist der Konflikt in Somalia nicht zu lösen. Damit der
Frieden in Somalia eine Chance hat, muss – so schwierig
das auch ist – mit allen Gewaltakteuren, auch mit den
moderaten al-Schabab-Mitgliedern, verhandelt werden,
damit das Kämpfen endlich ein Ende findet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, mit einem neuen Mandat
hat die Bundesregierung nicht nur die Möglichkeit, son-
dern aus grüner Sicht auch die Verantwortung, das bishe-
rige Engagement zu überprüfen, zu hinterfragen und ge-
gebenenfalls neu zu justieren. Wenn wir Grüne genauer
hinschauen, als Sie das offensichtlich tun, sehen wir
deutlich: Die Ausbildung von rund 3 600 somalischen
Kämpferinnen und Kämpfern bei der Vorgängermission
in Uganda hat ziemlich viele Probleme zum Vorschein
gebracht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Aus-
bildungsmission einfach als erfolgreich zu bezeichnen,
das ist reine Schönrednerei!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zum einen gibt es Hinweise, dass die somalischen
Streitkräfte überwiegend Mitglieder aus einem Klan re-
krutieren. In einem zerrissenen Land, in dem Identität
und Loyalität vorwiegend über Klans definiert wird,
schwächt das nicht nur den Rückhalt der Streitkräfte in
der Bevölkerung, sondern es verstärkt auch die Rivalitä-
ten zwischen verschiedenen Gruppen in Somalia.

Zum anderen gibt es immer wieder Berichte darüber,
dass große Teile der ausgebildeten Truppen auf dem
Weg von Uganda nach Somalia zu den Milizen überge-
laufen sind.

Nachdem das UN-Waffenembargo gegen Somalia ge-
lockert wurde, sind auch noch Waffen über staatliche
Stellen in die Hände von Milizen und Aufständischen
gelangt. Sie sehen, die Liste der Probleme ist lang.

Aus Ihrem Mandat und auch aus Ihren Reden geht in
keinster Weise hervor, wie Sie damit umgehen wollen,





Agnieszka Brugger


(A) (C)



(D)(B)

geschweige denn, dass Sie diese Probleme überhaupt zur
Kenntnis nehmen.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist doch nicht wahr!)


Wir haben Ihnen in den letzten Wochen so viele Fragen
gestellt, aber Sie agieren die ganze Zeit frei nach dem
Motto: Ich sehe nicht, was ich nicht sehen will. – Das ist
höchst verantwortungslos.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund
können wir diesem oberflächlichen Mandat nicht zu-
stimmen. Aber: Die Somalierinnen und Somalier haben
unsere Unterstützung verdient. Deshalb fordern wir Sie
auf: Reformieren Sie Ihre Somalia-Politik, und formulie-
ren Sie statt Schaufensterreden endlich eine engagierte,
schlüssige und überzeugende Gesamtstrategie zur Lö-
sung dieses Konfliktes!

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802612100

Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Thomas

Hitschler, SPD-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Thomas Hitschler (SPD):
Rede ID: ID1802612200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Vielleicht gelingt es mir, mit einem etwas an-
deren Ansatz in das Thema einzusteigen, als ich ihn bei
dem einen oder anderen jetzt gehört habe. Möglicher-
weise erinnern Sie sich noch an die Fußballweltmeister-
schaft 2010, an die bunten Bilder, an den Stolz der Men-
schen über die erste WM in Afrika, an die trötenden
Vuvuzelas und an die Aufbruchstimmung auf dem ge-
samten Kontinent. Dieser Optimismus und die gute
Stimmung wurden eingefangen von einem der erfolg-
reichsten Lieder dieser Zeit: Wavin’ Flag des Rappers
K’naan.

In der Originalversion hat dieses Stück wenig mit
dem braunen Zuckerwasser zu tun, für dessen Werbung
es während der WM eingesetzt wurde. Die Wavin’ Flag
im Originaltext steht nicht für fahnenschwenkende fei-
ernde Fußballfans, sondern für etwas viel Wichtigeres.
Geboren und aufgewachsen ist K’naan in Mogadischu.
Dessen Straßen bezeichnet er rückblickend als die
schlimmsten im Universum. Sein Lied handelt von die-
sen Straßen. Es handelt von Hunger, es handelt von Ar-
mut, und es handelt von Krieg. An Aktualität hat dieser
Song leider nichts eingebüßt.

Somalia gilt vielen als Muster eines Failed State – das
haben wir heute das eine oder das andere Mal schon ge-
hört –, eines gescheiterten Staates, der seit 1991 ohne im
gesamten Land anerkannte Regierung ist. Die Gefahr der
Piraterie ist allen präsent. Die Al-Schabab-Milizen terro-
risieren weite Teile des Landes. Ein staatliches Gewalt-
monopol existiert kaum. Leidtragend ist vor allem die
Bevölkerung. Wo es keine staatlichen Strukturen gibt,
gibt es auch keinen Schutz der Menschenrechte, gibt es
kaum soziale und kaum wirtschaftliche Entwicklung,
können selbst Hunger und Durst nicht ausreichend ge-
stillt werden.

Eine tragfähige Sicherheitsstruktur ist Grundvoraus-
setzung für jeden Rechtsstaat, ein Rechtsstaat die Grund-
voraussetzung für menschenwürdiges Leben. Um den
Aufbau dieser Sicherheitsstrukturen geht es bei der EU-
Trainingsmission in Somalia. Seit 2010 wurden 3 600
somalische Soldatinnen und Soldaten – auch diese Zahl
haben wir das eine oder andere Mal schon gehört – aus-
gebildet, ein Drittel der gesamten Armee Somalias. Da-
bei geht es nicht nur um die Vermittlung von militäri-
schen Fähigkeiten, es geht auch um das Verständnis
eines rechtsstaatlich eingebetteten und zivil kontrollier-
ten Militärs, ein Verständnis, das bereits einem Drittel
der somalischen Armee nähergebracht werden konnte,
auch dank der europäischen Mission, liebe Kolleginnen
und Kollegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben recht, liebe Kollegin Brugger: Natürlich
schließt das auch Rückschläge wie Fahnenflucht oder
Ähnliches, was Sie aufgezählt haben, nicht aus. So etwas
kommt in dieser Region immer wieder vor. Aber Fort-
schritt verläuft nicht linear, und der richtige Umgang mit
Rückschlägen entscheidet darüber, ob sich eine Gesell-
schaft langfristig nach vorne entwickeln kann.


(Dagmar Freitag [SPD]: Richtig!)


Einem Großteil der Armee ein solches Grundverständnis
zu vermitteln, trägt einen wichtigen Teil zu dieser Befä-
higung bei.

Die EU-Trainingsmission steht dabei nicht alleine da,
sondern ist Teil eines ganzheitlichen Ansatzes. Es han-
delt sich um ein Konzept, das entwicklungspolitische,
wirtschaftliche und militärische Aufbauarbeit zusam-
menbringt, ein Konzept, in dem internationale Partner
gemeinsam dafür arbeiten, Somalia nach vorne zu brin-
gen. Zu diesen Partnern gehören die Vereinten Nationen,
die Afrikanische Union, die Europäische Union, die
Nachbarstaaten und, ganz wichtig, die Menschen in So-
malia selbst.

Und es sind Erfolge erkennbar, auch wenn wir heute
von vielen Misserfolgen gehört haben. Im Kleinen gibt
es sogar Trendwenden. Die Piraterie konnte eingedämmt
werden, die Al-Schabab-Milizen konnten aus Mogadi-
schu zurückgedrängt werden. Es gibt sogar einen kleinen
wirtschaftlichen Aufschwung. Um diesen Fortschritt zu
sichern und auszubauen, sollten wir dem Antrag der
Bundesregierung folgen und die EU-Trainingsmission,
und zwar in Mogadischu, wieder aufnehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zwei Gründe dafür unterstreiche ich an dieser Stelle:

Erstens sollten wir als EU geschlossen auftreten. Dies
ist eine gemeinsame Mission, und daher ist es sinnvoll,





Thomas Hitschler


(A) (C)



(D)(B)

wenn wir auch gemeinsam an einem Ort zusammenar-
beiten.

Zweitens ist dies für die Menschen in Somalia ein
wichtiges Signal der Unterstützung, ein Signal, dass die
internationalen Partner vor Ort Präsenz zeigen und sicht-
bar sind, dass wir sie nicht allein lassen.

Ja, die Sicherheitslage ist angespannt und die Verle-
gung nicht ohne Risiko. Dieser Verantwortung sind wir
uns bewusst. Aber Verbesserungen sind sichtbar. Unsere
Partner und unsere eigenen Fachleute kommen zu dem
Schluss, dass dieser Schritt politisch und militärisch ver-
tretbar ist. Wir treffen diese Entscheidung also nicht
leichtfertig, wie ich es heute das eine oder andere Mal
gehört habe. Als Parlament fordern wir ganz klar, dass
der Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz
gewährleistet ist.

Im Song von K’naan heißt es:

Wenn ich älter bin, werde ich stärker sein. Sie wer-
den mich Freiheit nennen, so wie eine wehende
Fahne.

Die Waving Flag ist ein Symbol der Hoffnung in ei-
nem Land, das dringend Hoffnung braucht. Unsere Ent-
scheidung, die EU-Trainingsmission zurück nach Soma-
lia zu holen, ist ebenfalls ein Symbol der Hoffnung.
Darum bitte ich Sie: Geben wir den Menschen in Soma-
lia diese Hoffnung! Unser Beitrag wird gebraucht. Stim-
men Sie daher diesem Mandat zu!

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802612300

Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen

Klaus Brähmig, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1802612400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! „Die einzige und ehrlichste Hilfe ist die Hilfe
zur Selbsthilfe.“ Das sagte einmal der Schweizer Alfred
Selacher. Persönlich kann ich dieser Aussage nur zu-
stimmen.

Wir wollen mit der heutigen Mandatierung die afrika-
nischen Länder grundsätzlich und Somalia im Speziellen
ertüchtigen, sich selbst zu helfen. Dazu benötigen wir ei-
nen vernetzten Ansatz aus militärischer, diplomatischer,
ziviler und wirtschaftlicher Unterstützung. In diesem
Fall beraten wir Militärs vor Ort und bilden sie aus. Inso-
fern ist es meines Erachtens richtig und wichtig, dass wir
diese multinationale Mission der Bundeswehr in und für
Somalia fortführen.

Wir wissen, dass sich die Bundeswehr noch vor eini-
gen Monaten aus der Ausbildung von somalischen Sol-
daten zurückziehen wollte. Der Grund war, dass die
Ausbildung von Uganda nach Somalia verlegt werden
sollte. Damals sind die Verantwortlichen zu der Ent-
scheidung gekommen, dass die Situation zu gefährlich
werden könnte. Aber in den letzten Monaten hat sich die
Sicherheitslage stabilisiert. Die Bundesregierung kommt
gemeinsam mit unseren EU-Partnern zu einer Neube-
wertung der militärischen Lage vor Ort. Deshalb soll die
Mission an den Flughafen der somalischen Hauptstadt
Mogadischu verlagert werden.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Fahren Sie doch mal hin!)


Insofern kann ich die Bedenken einiger Kollegen gegen
diesen Einsatz vielleicht nachvollziehen. Aber glauben
Sie mir: Weder die militärische Führung noch wir als
Abgeordnete würden deutsche Soldaten einem unkalku-
lierbaren Sicherheitsrisiko aussetzen.

Richtig ist: Somalia gilt nunmehr seit über 20 Jahren
als ein sogenannter gescheiterter Staat. Die prekäre hu-
manitäre und menschenrechtliche Lage, Schmuggel, or-
ganisierte Kriminalität und die wachsenden Terroraktivi-
täten zwingen uns zum Handeln; denn die Lage bedroht
die Stabilität der gesamten Region am Horn von Afrika.
Die internationale Staatengemeinschaft kann es sich
schlicht nicht leisten, Somalia lediglich als hoffnungslo-
sen Fall abzustempeln. Gemeinsam mit der Afrikani-
schen Union gibt es ein breites Bündnis aus Staaten und
Organisationen, das sich seit Jahren engagiert. Es gibt
hier also keine nationalen Alleingänge. Mit unseren
Partnern sind wir der Überzeugung, dass eine Unterstüt-
zung der lokalen Initiativen vor Ort nachhaltiger wirkt
als der Versuch eines Staatsaufbaus von außen oder das
Implementieren von fremden Entwicklungsmodellen.
Diese Mission ist eingebettet unter dem Dach der Ver-
einten Nationen und wird gemeinsam von der Europäi-
schen und der Afrikanischen Union getragen.

Das Ziel ist meines Erachtens klar: Wir wollen die
Sicherheit der Region wiederherstellen und staatliche
Strukturen aufbauen. Schon heute können wir Erfolge
im Kampf gegen Piraterie und bei der Sicherung weite-
rer Regionen auf dem Festland feststellen. Im Rahmen
der EUTM-Ausbildungsmission, über die wir heute de-
battieren, wurden bis heute 3 600 Soldatinnen und Sol-
daten sowie rund 120 militärische Ausbilder ausgebildet.
Diese setzen sich bereits jetzt für Stabilität, Sicherheit
und den Schutz der Bevölkerung Somalias ein. Aller-
dings ist auch Realismus angezeigt. Eine nachhaltige
Gesamtlösung für Somalia wird uns langfristig nur dann
gelingen, wenn sich die wesentlichen politischen Ak-
teure und die Mehrheit der somalischen Bevölkerung
selbst auf ein Entwicklungsmodell verständigen und die-
ses auch umsetzen.

Deshalb sind zusätzlich auch nichtmilitärische
Schritte notwendig. Die gesellschaftliche Befriedung,
die Verbesserung der Lebensbedingungen, der Aufbau
einer Verwaltungsstruktur etc. sind unabdingbar. Inso-
fern müsste auch dem Letzten hier im Hohen Hause klar
werden, dass diese zivilen Strukturen nicht ohne Sicher-
heitsapparat aufgebaut werden können. Somalia braucht
die Sicherheitsstrukturen, damit zivile Hilfe überhaupt
möglich ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, genau hier setzt die
Mission EUTM Somalia an. Deshalb sollten wir diese
fortsetzen bzw. uns daran beteiligen. Angesichts der





Klaus Brähmig


(A) (C)



(D)(B)

oben genannten Zustandsbeschreibung der Sicherheits-
lage und der mangelnden Staatsstrukturen ist dieser Ein-
satz nicht ungefährlich. Umgekehrt sehen wir und unsere
Partner keine Chance auf einen nachhaltigen Frieden,
wenn wir nicht den zivilen Neuaufbau mit dem Aufbau
eines schlagkräftigen Sicherheitsapparates verbinden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sehr geehrte Damen und Herren, der geistige Vorden-
ker der geplanten Weltrevolution Wladimir Iljitsch
Lenin hat gesagt: „Pazifismus und abstrakte Frie-
denspredigt sind eine Form der Irreführung der Arbeiter-
klasse.“ Leider leiden einige Kollegen dieses Hauses an
dieser Form der Irreführung.

Meinen Dank richte ich an dieser Stelle natürlich be-
sonders an die Soldatinnen und Soldaten, die vor Ort
– auch in Mogadischu – in Zukunft agieren werden. Für
mich sind diese Frauen und Männer Friedensstifter für
Somalia.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Unsere Sicherheitskräfte leisten Hilfe für die leidgeprüf-
ten Menschen in Somalia. Von ihrem und unserem Er-
folg hängt es ab, ob und inwieweit dieses Land nach
Jahrzehnten des Bürgerkrieges Frieden erhalten wird.
Deswegen stimme ich mit meiner Fraktion für dieses
Mandat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802612500

Als letzter Rednerin in dieser Debatte erteile ich das

Wort der Kollegin Julia Bartz, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Julia Bartz (CSU):
Rede ID: ID1802612600

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Fast auf den Tag genau vor 20 Jahren verlie-
ßen unsere Soldaten der Gebirgsjägerbrigade 23 Soma-
lia. Zuvor waren zwei Bundeswehrkontingente in Soma-
lia im Einsatz, um im Rahmen des UN-Einsatzes
UNOSOM humanitäre Hilfe zu leisten. Doch leider wa-
ren weder dieser Einsatz der Bundeswehr noch die deut-
sche Entwicklungshilfe in den 1970er- und 1980er-Jah-
ren von nachhaltigem Erfolg für das somalische Volk
geprägt.

Somalia ist nach wie vor ein fragiler Staat. Es gibt
keine funktionierenden staatlichen Strukturen. Das so-
malische Volk musste Flut- und Hungerkatastrophen,
Dürre und Bürgerkrieg erleiden. Somalia ist nicht nur
ein humanitäres Katastrophengebiet, sondern auch ein
Rückzugsort für internationalen Terrorismus und Pirate-
rie.

An dieser Stelle scheiden sich jetzt die Geister. Einige
sagen: Trotzdem – ich sage: genau deswegen – reden wir
heute über eine Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungsmission
EUTM Somalia. Die Ausbildungsmission EUTM Soma-
lia ist ein wichtiger Baustein für die Sicherheit in Soma-
lia. Die Mission ist eingebettet in eine breite Allianz, be-
stehend aus der Afrikanischen Union und vielen anderen
Staaten und Organisationen, die sich allesamt seit Jahren
in Somalia engagieren. Unser gemeinsames Ziel ist es,
für Sicherheit in Somalia, vor allem auch im Seegebiet,
zu sorgen, staatliche Strukturen wieder aufzubauen und
das Land zu stabilisieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Vergleich zu 1994 greifen wir heute auf unsere Er-
fahrungen aus UNOSOM, KFOR, ISAF, EUTM Mali
und vielen anderen Auslandseinsätzen zurück. Unser
Engagement findet deshalb nicht nur in enger Abstim-
mung mit unseren afrikanischen Kooperationspartnern
statt, sondern auch in einem vernetzten Ansatz. Diplo-
matie, Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung arbei-
ten gemeinsam an einer Verbesserung der Lage am Horn
von Afrika.

Es gibt bereits sichtbare Erfolge:

Zum Beispiel beim Kampf gegen die Piraterie. Die
Angriffe auf Handelsschiffe und Hilfstransporte sind
deutlich zurückgegangen.

Zweitens können wir den Erfolg der afrikanischen
Friedensmission AMISOM betrachten, die bereits in ei-
nigen Regionen auf dem Festland in Somalia für Sicher-
heit gesorgt hat.

Es ist uns drittens gelungen, innerhalb weniger Jahre
– die Mission EUTM Somalia läuft ja erst seit 2010 –
3 600 somalische Soldatinnen und Soldaten auszubilden.
Dieser beachtliche Umfang zeigt, wie effektiv diese
Mission ist.

Wir wollen an diese Erfolge anknüpfen und uns wei-
terhin an der Ausbildung beteiligen. Dabei legen wir
jetzt vermehrt einen Schwerpunkt auf die Ausbildung
der Ausbilder. Das Training findet nun nicht mehr wie
bisher in Uganda, sondern in Mogadischu statt. Ja, die
Sicherheitslage vor Ort in Mogadischu ist nach wie vor
kritisch. Wir treffen aber Sicherheitsvorkehrungen, um
unsere Soldatinnen und Soldaten zu schützen. Zum Bei-
spiel findet der Transport vom Flughafen in das Ausbil-
dungscamp Jazeera ausschließlich in gepanzerten Fahr-
zeugen statt.

Dennoch bleibt auch dieser Einsatz mit einem Risiko
verbunden. Aber es gibt wohl kaum einen Auslandsein-
satz der Bundeswehr, der frei von Risiko ist. Ich betone
noch einmal: Es handelt sich nicht um einen Kampfein-
satz, sondern um eine reine Ausbildungsmission, zu der
wir zunächst 4 und maximal 20 Soldatinnen und Solda-
ten entsenden werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ausbildung so-
malischer Streitkräfte ist der Grundstein für eine lang-
fristig angelegte Sicherheitsarchitektur in Somalia. Sie
ist auch die Grundlage für eine nachhaltige Stabilisie-
rung dieses geschundenen Landes. Ich lade Sie alle dazu
ein, diesen Prozess zu begleiten, und bitte Sie um Ihre
Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802612700

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-

schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 18/994 zu dem Antrag der Bundesregierung
zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
EU-geführten Ausbildungsmission EUTM Somalia. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung,
den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/857
anzunehmen. Wir stimmen nun über die Beschlussemp-
fehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzuneh-
men. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist
der Fall. Ich eröffne die namentliche Abstimmung über
die Beschlussempfehlung.

Hat ein Mitglied des Hauses seine Stimme noch nicht
abgegeben? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich
die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die Auszählung vorzunehmen. Das Ergeb-
nis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später be-
kannt gegeben.1)

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/998. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Der Entschließungsantrag ist von allen Frak-
tionen mit Ausnahme der einbringenden Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 d auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu-
nität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) zu
dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD

Änderung der Geschäftsordnung zur beson-
deren Anwendung der Minderheitenrechte in
der 18. Wahlperiode

Drucksachen 18/481, 18/997

b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Sicherung der Oppositionsrechte in der
18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages

Drucksache 18/380

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung (1. Ausschuss)


Drucksache 18/997

c) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion
DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines
… Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes

(Artikel 23, 39, 44, 45a, 93)


Drucksache 18/838

1) Ergebnis siehe Seite 2067 C
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung (1. Ausschuss)


Drucksache 18/997

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu-
nität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) zu
dem Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und DIE LINKE

Änderung der Geschäftsordnung des Deut-
schen Bundestages zwecks Sicherung der
Minderheitenrechte der Opposition im
18. Deutschen Bundestag

Drucksachen 18/379, 18/997

Über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zum
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD so-
wie über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur
Änderung des Grundgesetzes werden wir später nament-
lich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, sich
bei dieser für das Parlament und die Öffentlichkeit wich-
tigen Frage entspannt auf Ihre Plätze zu setzen und den
Rednern zu lauschen oder, wenn es gar nicht anders
geht, das Plenum zu verlassen und die Gespräche drau-
ßen weiterzuführen.

Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen
Bernhard Kaster, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Bernhard Kaster (CDU):
Rede ID: ID1802612800

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Lassen Sie mich mit einem Zitat aus dem
Koalitionsvertrag beginnen – das ist immer eine gute Sa-
che –:


(Christine Lambrecht [SPD]: Genau!)


Eine starke Demokratie braucht die Opposition im
Parlament. CDU, CSU und SPD werden die Min-
derheitenrechte im Bundestag schützen. Auf Initia-
tive der Koalitionspartner wird der Bundestag einen
Beschluss fassen, der den Oppositionsfraktionen
die Wahrnehmung von Minderheitenrechten ermög-
licht sowie die Abgeordneten der Opposition bei
der Redezeitverteilung angemessen berücksichtigt.

So steht es im Koalitionsvertrag.


(Christine Lambrecht [SPD]: So ist es richtig!)


Ich denke, eine solche Stärkung der Oppositions-
rechte in einem Koalitionsvertrag dürfte wohl weltweit
einmalig sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)






Bernhard Kaster


(A) (C)



(D)(B)

Ein Wahlergebnis und auch eine Große Koalition ma-
chen es rechtlich, das heißt streng juristisch, nicht zwin-
gend erforderlich, bestehendes Recht oder eine beste-
hende Geschäftsordnung zu ändern. Die Debatte, die wir
führen, die wir auch führen wollen, ist eine Debatte über
die politische Kultur und das Selbstverständnis der par-
lamentarischen Demokratie. Darum geht es.

Unser im Koalitionsvertrag gegebenes Versprechen
setzen wir heute um. Die Zustimmung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen, für die wir nach diesen schwie-
rigen Gesprächen dankbar sind, zeigt, dass das Ganze
eine ausgewogene Regelung darstellt. Ich bedanke mich
ausdrücklich bei allen, die an diesen verständlicherweise
schwierigen, aber auch fairen Gesprächen teilgenommen
haben. Allen Beteiligten dafür noch einmal ein herzli-
ches Dankeschön!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir beschließen heute eine Sonderregelung in unserer
Geschäftsordnung, und zwar nur für diese Legislaturpe-
riode – und das bei einem Parlaments- und Geschäfts-
ordnungsrecht, das ohnehin überdurchschnittlich von
Minderheitenrechten geprägt ist, wie dies europa- und
weltweit kaum so zu finden ist. Wir haben zahlreiche
Rechte für einzelne Fraktionen, für einzelne Abgeord-
nete, seien es die Große oder die Kleine Anfrage, seien
es die Aktuelle Stunde, die Regierungsbefragung, die
Fragestunde etc. Wir haben auch Regeln, die gar nicht
niedergeschrieben, sondern Tradition sind. Ich erinnere
beispielsweise daran, dass der Vorsitz im Haushaltsaus-
schuss traditionell der Opposition zugestanden wird.
Uns geht es doch immer so, dass Kolleginnen und Kolle-
gen aus dem Ausland, die bei uns sind, angesichts dieser
Rechte, der ungeschriebenen und auch der geschriebe-
nen, nur staunen und das immer wieder hinterfragen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der oberste
Souverän sind die Wählerinnen und Wähler. Nach ei-
nem Wahlergebnis kann niemand Rechte einfordern
– auch nicht die Linke –, die der Wähler einer Partei
nicht gegeben hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Fraktion Die Linke beantragt heute nicht nur die
Änderung von fünf verschiedenen Gesetzen, sondern
schlägt zusätzlich sogar fünf – ich betone: fünf – Verfas-
sungsänderungen vor.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Die sind auch notwendig!)


Angesichts der Textvorschläge – vom Verfahren will ich
jetzt gar nicht sprechen – bitte ich doch um ein wenig
mehr Respekt vor unserer Verfassung.

Eines muss auch klar sein: Unabhängig von Wahler-
gebnissen müssen wir als Parlament unser Handeln dem
Recht anpassen und nicht das Recht dem Parlament. Das
können wir nicht jedes Mal drehen, wie es gerade passt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir beschließen heute eine Sonderregelung nur für
diese Legislaturperiode, und zwar in unserer Geschäfts-
ordnung. Über das Thema, dies in der Geschäftsordnung
zu regeln oder dazu ein Gesetz zu beschließen, ist oft
diskutiert worden. Man muss zugeben: Der Begriff „Ge-
schäftsordnung“ klingt sprachlich immer ein wenig nach
Vereinssatzung. Aber die Regeln der Geschäftsordnung
des Deutschen Bundestages sind nicht mehr und nicht
weniger als die Spielregeln der Demokratie in unserem
Land. Diesen Stellenwert hat unsere Geschäftsordnung
für unser Parlament.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bezüglich der Geschäftsordnung gilt: Der formulierte
Text ist das eine, die faire Anwendung das andere. Das
gilt für die Regierungsfraktionen genauso wie für die Op-
positionsfraktionen. In diesem Zusammenhang möchte
ich nur anmerken und den Hinweis geben, dass wir bereits
in der letzten Sitzungswoche einen Untersuchungsaus-
schuss nach den Regeln eingesetzt haben, die wir erst
heute beschließen werden. – So viel also zum fairen Um-
gang miteinander hier im deutschen Parlament.

In der öffentlichen Debatte haben vor allem die Rede-
zeiten eine große Rolle gespielt. Wir müssen dabei immer
drei Gesichtspunkte betrachten: erstens das statusrechtli-
che Rederecht eines jeden einzelnen Abgeordneten, zwei-
tens das Prinzip von Rede und Gegenrede und drittens die
Fraktionsstärke. Das sind die drei Elemente, die eine
Rolle spielen.

Die Oppositionsparteien erzielten bei der Bundestags-
wahl ein Wahlergebnis von zusammen 17 Prozent; sie
haben 20 Prozent der Sitze hier. Die jetzt vereinbarten
Redezeiten der Opposition bewegen sich je nach Debat-
tenlänge zwischen 25 und 32 Prozent. Wer sich bewusst
macht, dass alle 631 Kolleginnen und Kollegen in die-
sem Haus dieselben Rechte haben, dem wird auch klar:
Noch mehr hätte man nicht entgegenkommen können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein entscheidender Punkt war auch die Frage: Wie
definieren wir die Minderheit? Wie wird das in der Ge-
schäftsordnung formuliert? Wir haben uns geeinigt, dass
wir die Geltendmachung von Minderheitenrechten nicht
von der Unterstützung aller Kolleginnen und Kollegen
der Oppositionsfraktionen, also von 100 Prozent ihrer
Abgeordneten, abhängig machen wollen. Wir haben hier
mit der Festlegung der Zahl von 120 Abgeordneten eine,
wie ich denke, gute Regelung mit Augenmaß gefunden.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, jedes Minderhei-
tenrecht ist immer auch eine Einschränkung der Mehr-
heit und des Mehrheitsprinzips. Insofern liegt es in unse-
rer gemeinsamen Verantwortung, hier das richtige Maß
zu finden. Genau das ist hier in verantwortlicher Weise
gelungen, sodass jetzt auch für die Opposition gilt:
Künftig gilt der Inhalt. Hinter Formalien braucht man
sich jetzt nicht mehr zu verstecken; das ist geklärt. In
diesem Sinne können wir, die Regierungsfraktionen und





Bernhard Kaster


(A) (C)



(B)

die Oppositionsfraktionen, jetzt gemeinschaftlich die
Arbeit in diesem Hause mit den neuen Regeln gut fort-
setzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1802612900

Schönen Dank. – Ich gebe dem Haus das von den

Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb-
nis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgege-
bene Stimmen 591. Mit Ja haben gestimmt 471, mit Nein
haben gestimmt 118, zwei Kollegen haben sich ent-
halten. Damit ist die Beschlussempfehlung angenom-
men.

(D)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 589;
davon

ja: 469
nein: 118
enthalten: 2

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier-Heite
Dr. h. c. Gernot Erler
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

Nein

SPD

Klaus Barthel
Dr. Ute Finckh-Krämer
Petra Hinz (Essen)

Cansel Kiziltepe
Christian Petry
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)


DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer

Enthalten

SPD

Marco Bülow
Dr. Daniela De Ridder
Als Nächster erteile ich das Wort in dieser Debatte
Kollegin Dr. Petra Sitte, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802613000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den

Verhandlungen zu den Minderheitsrechten hier im Bun-
destag wurde der Opposition immer wieder vorgehalten,
dass die Große Koalition ja nun nichts für ihre Wahler-
gebnisse könne.


(Christine Lambrecht [SPD]: Das ist richtig!)


Nebenbei bemerkt: Auch ich bin dieser Meinung.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Katarina Barley [SPD] – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Natürlich können wir was für unsere Wahlergebnisse! Wir können nichts für Ihr Wahlergebnis! Was ist das denn? Sie haben da was verwechselt! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Regen Sie sich doch nicht auf!)


– Ich rege mich gar nicht auf; Sie schreien. – Sie lassen
uns nun wissen, dass diese Wahlergebnisse nicht durch
erweiterte oder gar Sonderrechte der Opposition ver-
fälscht werden dürften. Darum ist es uns in den Debatten
aber überhaupt nicht gegangen.
Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Professor
Mahrenholz hat da in unserer Expertenanhörung zu den
vorliegenden Lösungsvorschlägen sehr klar unterschie-
den. Er meinte, die aus dem Wahlergebnis resultierenden
Mehrheiten entfalteten erst in den Abstimmungen über
Gesetzentwürfe und Anträge ihre Wirkung. Das stellt
hier überhaupt niemand infrage.


(Christine Lambrecht [SPD]: Da haben wir noch mal Glück gehabt!)


Aber vor den Abstimmungen und unabhängig von ihnen
haben wir noch eine ganze Reihe anderer wichtiger Auf-
gaben zu erfüllen. So sind wir als Opposition durch die
Verfassung beauftragt, die Regierung zu kontrollieren


(Dr. Katarina Barley [SPD]: Das sind wir alle!)


und politische Alternativen aufzuzeigen. Davon sollten
sich Interessierte anhand von Rede und Gegenrede zwi-
schen Opposition und Koalition, wie das gerade darge-
stellt worden ist, selbst ein Bild machen können. Dieses
öffentliche Verhandeln, so wie es im Grundgesetz steht,
versteht das Bundesverfassungsgericht als wesentliches
Element der parlamentarischen Demokratie. Zugleich ver-
weist das Gericht auf die herausgehobene Stellung der
Opposition; es hat dies in Urteilsbegründungen mehrfach
beschrieben. Darauf haben wir als Opposition, aber eben
auch die Bürgerinnen und Bürger ein Recht. Deshalb ha-
ben wir, Bündnisgrüne und Linke, gemeinsam Vorschläge





Dr. Petra Sitte


(C)



(D)(B)

in den Bundestag eingebracht. Was ist den Linken beson-
ders wichtig?

Erstens. Wir wollen, dass die Regelungen in der
Rechtssystematik sauber und rechtssicher gestaltet wer-
den. Nun ist es aber so, dass die Geschäftsordnung ge-
genüber Gesetzen – und erst recht gegenüber dem
Grundgesetz – nachrangiges Recht ist. Wenn Sie die
Minderheitenrechte ausschließlich über die Geschäfts-
ordnung, wie Sie das beschrieben haben, anpassen,


(Christine Lambrecht [SPD]: Nein!)


dann wählen Sie den unsauberen Weg.

Wir erkennen selbstverständlich an, dass in Ihrem
Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung eine ganze
Reihe von Vorschlägen der Opposition aufgenommen
worden sind. Aber was ich mich immer wieder frage, ist:
Warum gehen Sie diesen Weg nicht konsequent zu
Ende? Warum ändern Sie die Gesetze nicht? Warum stel-
len Sie nicht die Frage, dass die im Grundgesetz nieder-
gelegten Quoren im Widerspruch dazu stehen?

Zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses bei-
spielsweise verlangt das Grundgesetz ganz klar die Zu-
stimmung eines Viertels der Mitglieder des Bundestages.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Nur zum Antrag! – Christine Lambrecht [SPD]: Nur zum Antrag, genau!)


– Lesen Sie es doch nach: ein Viertel der Mitglieder des
Bundestages; das ist sonnenklar darin beschrieben. –
Wenn dieses Quorum nun gesenkt werden soll, dann
muss über eine Änderung der einschlägigen Gesetze,
insbesondere des Grundgesetzes, nachgedacht werden.
In unserem Gesetzentwurf ist dies selbstverständlich ent-
halten.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Wir wollen unabdingbare Minderheiten-
rechte. Diese müssen verlässlich geregelt sein. Wir wol-
len von keinen Interpretationen oder pseudokreativen
Auslegungen der Geschäftsordnung abhängig sein. Be-
sonders heikel erscheint uns das mit Blick auf den Vertei-
digungsausschuss. Diesem werden im Grundgesetz die
Rechte eines Untersuchungsausschusses zugestanden.
Über das Minderheitenrecht kann ein Viertel der Mitglie-
der des Verteidigungsausschusses verlangen, dass dort
eine Angelegenheit zum Gegenstand einer Untersuchung
gemacht wird. Wir Oppositionsfraktionen stellen aber
eben nicht ein Viertel, sondern nur 6 der 32 Ausschuss-
mitglieder.

Im Geschäftsordnungsantrag der Koalition steht nun,
dass uns die Ausübung der Minderheitenrechte trotzdem
ermöglicht werden soll. Ich frage aber: Wie soll das
praktisch gehen? Bekanntermaßen ist der Verteidigungs-
ausschuss ein sehr konfliktreicher Ausschuss. Sollen in
Zukunft immer zwei Koalitionsabgeordnete – wer auch
immer das jeweils sein mag – gezwungen werden, mit
uns zu stimmen, um das notwendige Viertel zu errei-
chen? Was passiert eigentlich, wenn Sie keinen Ihrer Ab-
geordneten nötigen können, doch mit uns zu stimmen?
Das ist das Problem, das wir dabei sehen.

Drittens. Im Unterschied zu allen anderen Fraktionen
ist uns Linken die Befugnis zur Normenkontrollklage
wichtig. Das wundert mich, dass das nur uns wichtig zu
sein scheint, weil es hier ganz konkret um Rechte der
Betroffenen von in diesem Haus beschlossenen Gesetzen
geht. Bei der Normenkontrollklage – für jene, die das
noch nicht wissen – geht es darum, dass Gesetze auf ihre
Verfassungsmäßigkeit geprüft werden. Wir sind uns na-
türlich im Klaren, dass man nicht jede Woche eine sol-
che Normenkontrollklage anstreben kann – das haben
wir auch nie vorgehabt – und dass das Vorgehen einer
gewissen Sensibilität bedarf. Aber wir wollen uns nicht
gänzlich dieses Recht nehmen lassen. Die Erfahrungen
zeigen – so ist das in der Anhörung gesagt worden –,
dass die eingereichten Normenkontrollklagen höchst be-
rechtigt waren und dass zum Teil auch Verfassungswid-
rigkeit von Gesetzen festgestellt wurde.

Die Normenkontrollklage kann nach Expertenmei-
nung nur durch eine Ergänzung des Grundgesetzes gere-
gelt werden. Als Folge der Anhörung, die wir selber
durchgeführt haben, haben wir einen Gesetzentwurf zur
Änderung bzw. Ergänzung des Grundgesetzes einge-
bracht. Die Koalition lehnt eine entsprechende Ände-
rung des Grundgesetzes unter anderem deshalb ab, weil
auch eine Verfassungsbeschwerde eingereicht werden
könnte. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wis-
sen doch ganz genau, dass dies nicht für Fraktionen gilt,
sondern nur für diejenigen, die von einem Gesetz per-
sönlich betroffenen sind. Diese müssen sich im Regelfall
durch alle Instanzen der Gerichte klagen, bis die Sache
dann nach vielen Jahren unter Umständen beim Bundes-
verfassungsgericht landet und sie recht oder eben auch
nicht recht bekommen. Dieser Weg ist, was Umfang,
Zeit und Kosten angeht, sehr aufwendig. Deshalb ist uns
die Möglichkeit einer Normenkontrollklage so wichtig.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802613100

Frau Kollegin Sitte, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Abgeordneten Ströbele?


Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802613200

Herr Ströbele? – Ja, klar.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802613300

Herr Ströbele.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Kollegin, Sie haben gerade erklärt, dass man vor
einer Verfassungsbeschwerde immer erst den Instanzen-
weg gegangen sein muss. Das ist grundsätzlich richtig.
Haben Sie mitbekommen, dass, wenn Herr Gauweiler
oder andere gegen europäische Regelungen Verfassungs-
beschwerde eingelegt haben, das ohne den Instanzenweg
gegangen ist?


(Beifall des Abg. Dr. Johann Wadephul [CDU/ CSU)


(A)






Hans-Christian Ströbele


(A) (C)



(D)(B)

Haben Sie mitbekommen, dass das Bundesverfassungs-
gericht bei solch zentralen Fragen relativ weitzügig ent-
scheidet, Verfassungsbeschwerden zuzulassen, auch ohne
dass man vorher als Betroffener dagegen etwa den Ver-
waltungsrechtsweg eingeschlagen hat?

Als Zusatzfrage dazu. Sie haben vorhin gesagt, man
müsse jetzt klären, ob das Grundgesetz hinsichtlich der
Normenkontrollklage geändert werden kann. Würden
Sie mir auch in diesem Punkt recht geben, dass die Nor-
menkontrollklage, wenn sich eine solche Situation er-
gibt, durchaus von Fraktionen eingereicht werden kann?
Dann müsste das Bundesverfassungsgericht darüber ent-
scheiden, ob sie in diesem Ausnahmefall, wegen der
Konstellation im Deutschen Bundestag, möglicherweise
doch zulässig ist, entgegen dem Gesetzeswortlaut. Das
wäre nicht viel anders, als wenn Sie jetzt mit Ihrem
Wunsch zum Bundesverfassungsgericht gingen, das
Recht auf Erhebung einer Normenkontrollklage von der
Koalition zugebilligt zu bekommen.


Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802613400

Ich fange mit der zweiten Frage an. Wenn ich Sie

richtig verstanden habe, gehen Sie davon aus, dass wir,
ohne einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bun-
destag eingebracht zu haben, beim Bundesverfassungs-
gericht hätten vorstellig werden können. Wir gehen nach
der Rechtsberatung, die wir hatten, davon aus, dass es
zumindest einmal im Bundestag eine Gelegenheit gege-
ben haben muss, über diesen Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Grundgesetzes zu sprechen. Deshalb gehen wir
davon aus, dass das Verfassungsgericht zu uns sagen
würde: Liebe Fraktion Die Linke, liebe Grüne – falls die
Grünen mit dabei sind –, wenn Sie hier eine Normen-
kontrollklage anstrengen wollen oder – umgekehrt –
wenn Sie auf dem Wege einer Organklage nachweisen
wollen, dass Ihre Rechte eingeschränkt wurden, dann
müssen Sie wenigstens einmal im Bundestag darüber ge-
redet haben. – Das ist unser Ausgangspunkt. Deshalb ha-
ben wir nach der Auswertung der Anhörung im Aus-
schuss gesagt: Wir bringen einen Gesetzentwurf zur
Änderung des Grundgesetzes ein. Selbstverständlich
kann man keinem Verfassungsrechtler erklären, dass
man, wenn man die Quoren bei der Normenkontroll-
klage ändert, nicht konsequenterweise auch die anderen
Quoren ändert. Wir sind einfach nur den Weg zu Ende
gegangen. Es obliegt Ihnen, ob Sie sich dem anschlie-
ßen. Ich würde das begrüßen. Das ist die Antwort auf die
zweite Frage.

Helfen Sie mir bitte noch einmal: Was war Ihre erste
Frage?


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Instanzenweg! – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Da kann sich Herr Ströbele auch nicht mehr dran erinnern!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In der Frage ging es um den Instanzenweg, ob das
auch direkt geht. Ich habe mich selber darüber gewun-
dert, dass das geht.

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802613500

Selbstverständlich ist mir das bewusst. Das ist, wenn

ich mich recht erinnere, Art. 100 des Grundgesetzes. Ich
habe hier aber nur acht Minuten Redezeit. Daher kann
ich nicht jede Facette des Rechtsweges beschreiben.


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Dank der Zwischenfrage sind es schon mal zwölf Minuten! Fangen Sie mal an!)


Selbstverständlich – das ist völlig klar – ist uns das be-
wusst. Wir haben das, was bisher dazu gelaufen ist, ja
auch ausgewertet.

Ich will eines anfügen: Es ist doch höchst wider-
sprüchlich, wenn eine Landesregierung und die Bundes-
regierung eine Normenkontrollklage anstrengen können,
das aus diesem Haus heraus aber nicht möglich ist. Nun
muss man sehen: Wenn Sie als Bundesregierung hier ei-
nen Gesetzentwurf eingebracht haben, wenn Sie darüber
in den Ausschüssen beraten und das in voller Überzeu-
gung verabschiedet haben, dann werden Sie doch nicht
im nächsten Schritt – davon können wir doch nicht aus-
gehen – vor dem Bundesverfassungsgericht erscheinen,
um Ihre eigenen Gesetze zu einer Normenkontrollklage
anzumelden. Insofern ist das eher ein Oppositionsrecht,
ein Recht, das de facto oft von der Opposition genutzt
worden ist.

Wie wichtig Normenkontrolle sein könnte, zeigt sich
im Grunde genommen schon jetzt. Herr Kaster hat die
Koalitionsvereinbarung angesprochen. Während Sie noch
darüber verhandelt haben, haben wir eine ganze Reihe
parlamentarischer Initiativen eingebracht. Heute Morgen
zum Beispiel haben wir über das Rentenpaket gespro-
chen. Unsere Anträge hatten im Kern durchgängig das
Gerechtigkeitsproblem zum Gegenstand, ob das Mieten
waren, die Flüchtlingspolitik, der Mindestlohn oder auch
die Renten usw.

Jetzt zeigt sich zum Beispiel an diesem Gesetz – wir
sprechen von einer Gerechtigkeitslücke –, dass das ver-
fassungsrechtlich vielleicht problematisch sein könnte.
Deshalb wollten wir im Zuge dieses Gesamtpaketes über
die Möglichkeit einer Normenkontrollklage reden; denn
es kann sehr wohl sein, dass an dieser Stelle eine verfas-
sungsmäßige Überprüfung notwendig wird.

Insgesamt: Es ist gut, dass wir es heute endlich be-
schließen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das finden wir auch!)


Wir als Linksfraktion werden uns enthalten. Denn es
wird natürlich eine Geschäftsgrundlage für die nächsten
Jahre sein. Das macht nicht gegenstandslos, dass man
die Gesetze und das Grundgesetz eigentlich ändern
müsste. Aber wir werden das jetzt bereitgestellte Instru-
mentarium umfassend für unsere Arbeit für unsere poli-
tischen Alternativen nutzen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802613600

Vielen Dank. – Nächste Rednerin für die SPD-Frak-

tion ist Christine Lambrecht.


(Beifall bei der SPD)



Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1802613700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Ausgangssituation ist klar: 504 Abgeordneten der
Koalition stehen rein theoretisch 127 Abgeordnete der
Opposition gegenüber. Das sind die Zahlen, die auf dem
Tisch liegen. Dass dieses Verhältnis hier im Deutschen
Bundestag so besteht, ist aber nicht das Ergebnis von
Entscheidungen der Großen Koalition, sondern – wir ha-
ben es ja schon gehört – eine Entscheidung der Wähle-
rinnen und Wähler. Mit dieser Situation müssen wir jetzt
umgehen.

Eine ähnliche Situation hat es lediglich in einer Legis-
laturperiode gegeben, nämlich in der von 1966 bis 1969.
Da stand eine Große Koalition einer Oppositionsfraktion
gegenüber. Das war die FDP, die knapp 10 Prozent hatte.
Damals gab es allerdings keine Initiativen, um diese
Fraktion mit zusätzlichen Rechten auszustatten oder ihre
Rechte besonders sicherzustellen. Damals hat der Deut-
sche Bundestag nicht reagiert. Für uns als Große Koali-
tion war ganz schnell klar, dass das nicht der Weg ist,
den wir in dieser Situation gehen wollen. Deswegen
– Herr Kaster hat ja schon darauf hingewiesen – haben
wir das auch im Koalitionsvertrag verankert. Für uns ist
ganz klar: Wir stehen für ein lebendiges Parlament und
eine hörbare Opposition. Das ist unsere klare Ansage.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen haben wir zügig Gespräche mit den Oppo-
sitionsfraktionen aufgenommen, um auszuloten, wie die
Minderheitenrechte – nicht die Oppositionsrechte, son-
dern die Minderheitenrechte – in dieser Legislatur-
periode sichergestellt werden können, auch wenn die
Oppositionsfraktionen zusammen derzeit diese Quoren
nicht erfüllen. Darüber, dass Minderheitenrechte sicher-
gestellt werden müssen, gab es schnell Konsens. Ledig-
lich über das Wie ist intensiv gerungen worden. Auch
ich kann mich dem Dank anschließen: Es waren sehr
sachliche Auseinandersetzungen.

Es gab zuerst einen Vorschlag des Bundestagspräsi-
denten, dass man das Ganze durch einen Beschluss hier
im Bundestag sicherstellt. Die Bedenken hinsichtlich der
Rechtssicherheit, die von der Opposition kamen, haben
wir aufgenommen und daraufhin Veränderungen in der
Geschäftsordnung vorgeschlagen. Das ist auch der rich-
tige Ort; genau dorthin gehört es. Hier regeln wir unsere
Angelegenheiten, und genau darum geht es. Wir brau-
chen keine Gesetzesänderungen, die wir in der nächsten
Legislaturperiode bei anderen Mehrheitsverhältnissen
rückgängig machen müssten. Wir müssten die Gesetze
dann wieder verändern. Damit das nicht erforderlich
wird, sind wir der Ansicht, dass es ausreicht, die Ge-
schäftsordnung zu verändern.

In unserem ursprünglichen Entwurf hatten wir noch
vorgesehen, dass alle Mitglieder der nicht die Regierung
tragenden Fraktionen, also immer 127, entsprechende
Minderheitenrechte hätten geltend machen können. In
den Gesprächen, in den Beratungen ist dann relativ
schnell klar geworden, dass das teilweise eine recht
schwierige Situation zur Folge haben könnte, natürlich
zum einen, weil infrage steht, ob beide Oppositionsfrak-
tionen gemeinsam bestimmte Initiativen auf den Weg
bringen würden. Angesichts mancher inhaltlichen Aus-
einandersetzungen hat man nicht den Eindruck, dass es
„die Opposition“ überhaupt gibt, sondern dass in man-
chen Bereichen durchaus völlig unterschiedliche Auffas-
sungen bestehen.


(Zuruf der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Aber das lassen wir einmal völlig außen vor. Zum ande-
ren hätten Sie auch jedes Mal alle an Bord haben müs-
sen. Das wäre, beispielsweise wenn jemand lange er-
krankt ist, schwierig gewesen. Deswegen haben wir auch
in diesem Punkt die Bedenken aufgenommen und nicht
mehr an diesem Quorum festgehalten. Jetzt ist vorgese-
hen, dass 120 Abgeordnete ausreichen. Dieses Quorum
ist nicht an die Oppositionsfraktionen gebunden, son-
dern kann durchaus auch durch Mitglieder der Koali-
tionsfraktionen erreicht werden.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das war vernünftig!)


– Das war vernünftig. Deswegen sind wir auch auf die-
sen vernünftigen Vorschlag eingegangen. Deswegen
handelt es sich jetzt auch um echte Minderheitenrechte
und nicht um Oppositionsrechte, weil eben die Minder-
heit entscheidet.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Und die Normenkontrolle?)


– Dazu komme ich gleich.

Ich möchte auf einen anderen Punkt, den Frau Sitte
beschrieben hat, eingehen. Sie sagte: Es reicht nicht aus,
dass wir die Geschäftsordnung ändern, wenn es zum
Beispiel um Untersuchungsausschüsse geht,


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja!)


weil das Untersuchungsausschussgesetz in Verbindung
mit der Verfassung ein anderes Quorum vorsieht. – Frau
Sitte, ich kann es noch einmal sagen: Manchmal – das ist
ein alter Juristengrundsatz – reicht ein Blick ins Gesetz.
Denn bei diesem Quorum geht es nicht darum, dass wir
die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses be-
schließen, sondern es geht um das Antragsrecht. 120 Ab-
geordnete können die Einsetzung eines Untersuchungs-
ausschusses beantragen, und dann beschließt der
Deutsche Bundestag darüber; das ist der Weg. Dieser
Beschluss ist entscheidend. So kann es auch niemals
dazu kommen, dass sich ein Dritter, zum Beispiel ein
Zeuge, dadurch beschwert fühlt, dass ein Untersu-
chungsausschuss eingesetzt werden kann; das ist nicht
möglich. Deswegen bitte ich Sie, dieses Argument nicht
länger zu bringen. Das entspricht auch gar nicht dem Ni-
veau, das Sie in den Verhandlungen ansonsten gezeigt
haben.





Christine Lambrecht


(A) (C)



(D)(B)

Ich möchte noch etwas zur abstrakten Normen-
kontrollklage sagen. Bei uns gab es da keine Bewegung
– ja –, weil das aus unserer Sicht überhaupt kein originä-
res Minderheitenrecht ist. Es kann von der Bundesregie-
rung, es kann von Landesregierungen und es kann von
einem Viertel der Mitglieder des Deutschen Bundestages
wahrgenommen werden.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Wir haben keine Veranlassung gesehen, das zu ändern,
und zwar aufgrund dieser inhaltlichen Begründung. Es
ging uns nicht darum, Ihnen dieses Recht zu nehmen,
sondern wir haben uns so entschieden, weil das nach un-
serer Vorstellung kein Minderheitenrecht ist. Sie haben
andere Möglichkeiten – Herr Ströbele hat dankenswer-
terweise dazu ausgeführt –, all Ihre Einwände gegen den
Mindestlohn und was weiß ich noch alles vorzutragen.
Von Herrn Riexinger habe ich ja gehört, dass Sie gegen
den Mindestlohn als Erstes vorgehen möchten. Das lässt
tief blicken, dass auch gegen den Mindestlohn vorgegan-
gen werden soll.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Es geht uns nicht nur um den Mindestlohn! Wir wollen, dass das für alle Themen gilt!)


Mich freut, dass die Grünen diesen Lösungsvorschlä-
gen mit ihren vielen Veränderungen auch im Interesse
der Oppositionsfraktionen zustimmen werden. Ich
würde sagen: Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, dass wir
aufhören, uns mit uns selbst zu beschäftigen, und dass
wir uns an die Sacharbeit machen.

In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerk-
samkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802613800

Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte ist

Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802613900

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Besucherin-

nen und Besucher! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Ja, ich bin froh, dass wir heute das Thema „Wie ge-
hen wir künftig mit den Minderheitenrechten im
Deutschen Bundestag um?“ abschließen und endlich
eine rechtssichere Regelung in unsere Geschäftsordnung
aufnehmen. Wir beraten darüber seit Monaten. Ich finde
es gut, wenn vom heutigen Tag das klare Signal ausgeht:
Die Minderheitenrechte, die in einem umfassenden
Katalog von elf Punkten aufgeführt sind, sind in der
Geschäftsordnung verankert, und das kann – das ist eine
der wichtigsten Fragen, die im Beschlussvorschlag steht –
mit der Mehrheit der Großen Koalition nicht wieder ge-
ändert werden. Das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Kollege Kaster und die Kollegin Lambrecht ha-
ben darauf hingewiesen: Wir haben darüber sehr lange
verhandelt. Gestartet sind wir mit der Überlegung, im
Deutschen Bundestag einen Absichtsbeschluss zu fassen
und zu erklären, dass die Minderheitenrechte gewahrt
werden. Das war uns in der Tat zu wenig. Wir haben ge-
sagt: Wir wollen, dass das fixiert wird. Wir wollen, dass
das aufgeschrieben wird, dass wir das vereinbaren und
dass wir als Parlament den Beschluss fassen, dass es ei-
nen umfangreichen Katalog von Minderheitenrechten
gibt.

Dazu gehört zum Beispiel die Frage, einen Untersu-
chungsausschuss zu beantragen. Es muss ferner sicher-
gestellt werden, dass im Verteidigungsausschuss die
Untersuchung eines bestimmten Gegenstandes möglich
ist. Das hatten wir in der letzten Legislaturperiode oft.
Deshalb war uns das wichtig; man denke nur an das
Thema „Euro Hawk“ und den Untersuchungsausschuss
dazu in der letzten Legislaturperiode.

Ein weiteres Thema sind Ausschussanhörungen. Wir
wollen, dass die Opposition bzw. eine Minderheit
verlangen kann, dass öffentliche Anhörungen zu Gesetz-
entwürfen stattfinden. Ein anderes Thema ist die Ein-
richtung einer Enquete-Kommission. Darüber hinaus
werden die Minderheitenrechte in Bezug auf das ESM-
Finanzierungsgesetz und die Subsidiaritätsklage gesi-
chert sein. Das sind einfach wichtige Punkte, die jetzt in
diesen elf Nummern des neuen § 126 a Abs. 1 unserer
Geschäftsordnung fixiert werden für diese besondere
Situation: 80 Prozent Große Koalition und 20 Prozent
Opposition. Das ist uns ganz wichtig gewesen. Dass
diese dann auch noch abweichungsfest sind, das heißt
mit den Stimmen von Union und SPD nicht geändert
werden können, ist ein weiterer ganz wichtiger Punkt.
Ich bin froh, dass wir am Ende dieser Beratung hier ge-
landet sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es ist völlig klar, dass wir – das haben auch die Initia-
tiven von Grünen und Linken gemeinsam gezeigt – an
einem anderen Punkt gestartet sind. Wir hatten uns vor-
gestellt: Geschäftsordnung und Gesetze werden geän-
dert. – Wenn man verhandelt, muss man aber ab einem
bestimmten Punkt einfach zur Kenntnis nehmen, dass
bei den 80 Prozent im Deutschen Bundestag keine Be-
reitschaft besteht, auch Gesetze zu ändern. Dann muss
man gucken, dass man die Geschäftsordnung entspre-
chend ändert. An diesem Punkt sind wir jetzt.

Über das Ergebnis bin ich froh. Deshalb konnten wir
unserer Fraktion ganz klar sagen: Das bedeutet eine mas-
sive Verbesserung in der Situation, in der wir gerade
sind, nämlich 80 Prozent Mehrheit und 20 Prozent
Opposition. Unsere Minderheitenrechte werden in der
Geschäftsordnung fixiert. Wir können sie rechtssicher
verankern. Wir können sie gegenüber den anderen Frak-
tionen im Parlament einfordern und einklagen.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Einklagen nicht!)


Das ist klar. Das ist ein wichtiger Punkt.





Britta Haßelmann


(A) (C)



(D)(B)

Ich bin froh, dass wir heute hier stehen. Jetzt ist die
Arbeitsfähigkeit dieses Parlaments endlich ein Stück
weit mehr gesichert, und wir brauchen nicht jede Woche
darüber zu diskutieren: Wie gehen wir mit einzelnen
Fragen um? Haben wir jetzt das Recht auf Einsetzung ei-
nes Untersuchungsausschusses, oder nicht? Deshalb
können wir heute der vorgesehenen Änderung der Ge-
schäftsordnung sehr beruhigt zustimmen. Ich bin froh,
dass wir das hingekriegt haben.

Ich weiß, dass wir bei der Redezeit keine Verständi-
gung haben – aber die Redezeit ist heute nicht Gegen-
stand der Abstimmung; es geht hier um die elf Num-
mern. Aber sonst, finde ich, hat sich Beharrlichkeit
gelohnt. Es hat sich gelohnt, mit einer gewissen Hartnä-
ckigkeit darauf zu bestehen, dass wir das verankert
bekommen. Deshalb wird meine Fraktion heute auch zu-
stimmen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802614000

Schönen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Johann D.

Wadephul, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1802614100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich möchte der Kollegin Haßelmann ganz herz-
lich für den Redebeitrag danken. Er bringt das zum Aus-
druck, was im Geschäftsordnungsausschuss der Geist
der Auseinandersetzung gewesen ist – wir haben strei-
tige Beratungen gehabt –, aber er bringt auch zum Aus-
druck, zu welcher Einigung man in einer vernünftigen,
sachlichen und ergebnisorientierten Ausschussarbeit in
diesem Hause fähig ist. Ich denke, es ist ein Stück auch
der Kultur unseres Hauses, dass wir diese Legislaturpe-
riode mit einem solchen Projekt beginnen, nämlich dass
wir an dieser Stelle wichtige Rechte derjenigen Abge-
ordneten und derjenigen Fraktionen wahren, die die
Regierung nicht tragen. Das zu berücksichtigen, das zu
fixieren, das auch in einer Plenardebatte miteinander zu
erörtern und darüber abzustimmen – ich finde, darauf
kann der Deutsche Bundestag insgesamt stolz sein. Das
ist keine Selbstverständlichkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin etwas betrübt darüber, wie die Linksfraktion
sich in diesem Hause verhält, obwohl mein politisches
Seelenheil, dasjenige meiner Fraktion und, ich glaube,
auch dasjenige der Großen Koalition insgesamt nicht
davon abhängen.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Die Haltung ist doch sehr kulant!)


Dennoch, Frau Kollegin Sitte, Sie wissen: Wir haben
wirklich sehr gerungen. Wir sind auch an die Grenzen
dessen gegangen, was aus Sicht einer Majorität insge-
samt Berücksichtigung finden kann. Ich finde es schade,
dass Sie an dieser Stelle versuchen, Haare in der Suppe
zu finden, um eine Enthaltung Ihrer Fraktion noch ir-
gendwie zu begründen. Sie fangen jetzt an – ich habe das
vorhin nur so vernommen –, von Rechtsunsicherheiten
und pseudokreativer Auslegung der Geschäftsordnung
zu sprechen. Was sollen solche Begrifflichkeiten? Es
steht glasklar drin, was wir zusagen. Ich glaube, so etwas
hat es noch nie gegeben. Wir sagen Rechte zu: 120 Ab-
geordnete können etwas beantragen, und das ändern wir
nicht. – Ich kenne nicht so viele Gesetze, von denen wir
sagen: Die ändern wir in dieser Legislaturperiode defini-
tiv um keinen Millimeter. – Man möge mich eines Bes-
seren belehren! Wir legen uns hier für diese Legislatur-
periode glasklar fest.

Daran herumzukritteln, das irgendwie infrage zu stel-
len, das mit Rechtsunsicherheit in Verbindung zu brin-
gen, in diesem Zusammenhang Wörter wie „kreativ“
oder „pseudokreativ“ zu benutzen – ich meine, wenn wir
kreativ sind, sind wir richtig kreativ, nicht pseudokrea-
tiv; das am Rande –,


(Beifall des Abg. Ingo Gädechens [CDU/ CSU])


das Ganze hier irgendwie zu diskreditieren, finde ich un-
nötig. Das zeigt, dass Ihnen wirklich die Kraft dazu
fehlt, sich hier zu etwas zu bekennen und in diesem Haus
konstruktiv mitzuwirken. Diese Bemerkung sei mir ge-
stattet.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Ist aber falsch!)


– Sie sollten aber zur Kenntnis nehmen, dass die Verän-
derung, die wir nach den Ausschussberatungen vorge-
nommen haben, also das Zurückgehen auf 120 Abgeord-
nete, Ausdruck der Anerkenntnis war, dass wir das
Recht des einzelnen Abgeordneten, sich frei zu entschei-
den, nur seinem Gewissen gegenüber verantwortlich zu
sein, kennen und dass wir das auch mit Blick auf die
Oppositionsabgeordneten respektieren. Das heißt, dass
wir von Ihnen nicht verlangen – anders als es im ersten
Antragsentwurf stand –, dass die gesamten Fraktionen,
alle Abgeordneten einer Fraktion, immer zustimmen
müssen,


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Aber das haben wir auch nicht kritisiert!)


weil wir aus eigener Erfahrung wissen, Frau Sitte, dass
es immer einzelne Abgeordnete geben kann, die einer
Vorlage nicht zustimmen.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Keine Differenzen!)


Das ist für uns eine wichtige Sache, die wir an dieser
Stelle zugestanden haben.

Ich kann Ihnen nur noch sagen: Wenn Sie die Mög-
lichkeit haben, mit der Zustimmung von 120 Abgeord-
neten einen Untersuchungsausschuss – er ist das wich-
tigste Instrumentarium, über das wir in der Sache
miteinander streiten – einzusetzen, dann kann ich nur sa-
gen: In der Tat kann man uns das Wahlergebnis nicht
vorwerfen, aber Opposition machen müssen Sie am





Dr. Johann Wadephul


(A) (C)



(D)(B)

Schluss schon selber, meine sehr verehrten Damen und
Herren von der Linksfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das können wir Ihnen nicht auch noch abnehmen, son-
dern Sie müssen sich schon der Möglichkeiten bedienen,
die Sie an dieser Stelle haben.

Ich will etwas zu Ihren Gesetzentwürfen zu einer Ver-
fassungsänderung sagen; Sie haben das ja ganz offen
hier gerade eben noch einmal vorgetragen. Ich finde es
schon bedenklich: Der Ausschuss führt eine Anhörung
durch. Sie beantragen eine Änderung der Geschäftsord-
nung und eine Änderung einfacher Gesetze, unter ande-
rem des Parlamentarischen Untersuchungsausschuss-
gesetzes. Dazu sagt ein Sachverständiger, vielleicht auch
ein zweiter:


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Ein Verfassungsrichter!)


Das kann man wohl nicht machen, weil im Grundgesetz
etwas anderes steht. – Das ist übrigens auch unsere Auf-
fassung. Dann sagen Sie: Okay, dieser Satz reicht uns
aus. Wir beantragen mal eben fünf Verfassungsänderun-
gen. – Diese schlagen Sie uns hier vor. Darüber sollen
wir gleich namentlich abstimmen. Ich finde schon, was
die Debattenkultur und die Verhandlungskultur in die-
sem Hause angeht, dass das ein einmaliger Vorgang ist.
Man beginnt ja, sich Wolfgang Nešković zurückzuwün-
schen. Sie in der Linksfraktion vielleicht nicht; aber mir
geht es langsam so. Er hatte in diesen Fragen ja zumin-
dest noch Stil und Form.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie können doch nicht aus einer Anhörung, die sich
auf die Geschäftsordnung und einfache Gesetze bezieht,
einfach herleiten, dass man mal eben an fünf Stellen das
Grundgesetz verändert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dass wir darüber hier namentlich abstimmen, finde ich
ein wirklich sehr gewagtes Vorgehen. Das will ich an
dieser Stelle erklären.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802614200

Herr Kollege Wadephul, gestatten Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Sitte?


Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1802614300

Ja, bitte.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802614400

Bitte schön, Frau Sitte.


Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802614500

Herr Wadephul, zu der Frage „Kooperativität oder

nicht?“ will ich mich jetzt gar nicht äußern.
Wir haben im Ausschuss darüber geredet, ob wir dazu
eine Anhörung durchführen. Ich habe ausdrücklich da-
rum gebeten, dass wir diese Anhörung durchführen, weil
uns als Linke die Frage wichtig ist, ob sich die in unse-
rem gemeinsamen Antrag vorgeschlagene Regelung zur
Normenkontrollklage ohne Grundgesetzänderung über-
haupt rechtlich absichern lässt. Die Berechtigung dieser
Frage haben alle, nicht nur Professor Mahrenholz, gese-
hen. Selbst die Verfassungsrechtlerin der Grünen, die
diesen Vorschlag unterbreitet hat, hat am Ende dieser
Anhörung gesagt: Ja, meine Kollegen haben recht. Es
müsste eine Änderung oder eine Ergänzung des Grund-
gesetzes erfolgen. – Daraufhin habe ich angekündigt:
Wenn es sich tatsächlich bewahrheitet, dass sich der Weg
über eine Änderung des Bundesverfassungsgerichtsge-
setzes nicht realisieren lässt, dann werden wir den Ent-
wurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
einbringen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Hände weg vom Grundgesetz!)


Nun gab es einige Irritationen, weil wir diesen
Gesetzentwurf nach der Anhörung vorgelegt haben.
Wenn ich im Ausschuss zu Ihnen gesagt hätte: „Liebe
Kollegen, wir benötigen noch eine Anhörung zu unse-
rem Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes“,
dann hätten Sie gesagt: Wieso? Das haben wir doch ge-
rade ausführlich von den Expertinnen und Experten dar-
gestellt bekommen. – Insofern ist das ein Ergebnis dieser
Anhörung. Ich lege Wert darauf, dass mir hier nicht un-
terstellt wird, wir hätten an der Stelle gepokert. Das war
eine ganz klare Ansage, von Anfang an.

Ich habe es vorhin gesagt: Wir können bei der Nor-
menkontrolle doch nicht eine Änderung zu einem einzi-
gen Quorum vorlegen. Dann hätte doch jeder von Ihnen
gesagt: Das ist inkonsequent; es sind doch auch an ande-
rer Stelle des Grundgesetzes – ob es um die Einberufung
des Bundestages oder die Einsetzung eines Untersu-
chungsausschusses bzw. des Verteidigungsausschusses
als Untersuchungsausschuss angeht – entsprechende
Quoren. Man kann uns doch nicht vorwerfen, dass wir
an dieser Stelle die Ergänzung des Grundgesetzes konse-
quent zu Ende denken.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1802614600

In der Sache sehe ich da gar keinen Widerspruch. Ich

weiß, was die Sachverständigen gesagt haben, und ich
weiß auch, dass Sie gesagt haben, dass Sie auf eine wei-
tere Anhörung verzichten.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Brauche ich nicht!)


Ich habe Sie, weil mir das wichtig war, gestern im Aus-
schuss ausdrücklich gefragt, ob Sie dazu noch eine An-
hörung wollten. Da haben Sie gesagt: Nein. – Frau Sitte,
um das klar zu sagen: Es hat keine Anhörung zu Ihren
Vorschlägen zur Änderung des Grundgesetzes gegeben,
sondern es hat eine Anhörung gegeben zu Ihrem Antrag,
die Geschäftsordnung zu ändern, und zu Ihrem Gesetz-
entwurf zur Änderung des PUAG.





Dr. Johann Wadephul


(A) (C)



(D)(B)


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Aber das ist doch Bestandteil des Gesetzentwurfs!)


– Nein. Es ist schon ein großer Unterschied, ob man ei-
nen Sachverständigen dazu anhört, ob eine einfachge-
setzliche Änderung durchgeführt werden kann – ohne
das Grundgesetz zu ändern –, oder ob Sie – das hätte
dann erfolgen müssen – mehreren Sachverständigen
konkret die von Ihnen beabsichtigten Grundgesetzände-
rungen vorlegen. Dann hätten wir nämlich ganz andere
Fragen erörtert – auf diese Fragen kommt es aus meiner
Sicht an –: Ist es richtig vor der historischen Erfahrung,
die die Mütter und Väter des Grundgesetzes dazu bewo-
gen hat, gewisse Quoren festzulegen, nur weil wir in
dieser Wahlperiode Mehrheitsverhältnisse zwischen Ko-
alition und Opposition im Verhältnis 80 : 20 haben, das
Grundgesetz an mehreren Stellen zu ändern? Meine Ant-
wort darauf ist: Nein.


(Beifall des Abg. Peter Beyer [CDU/CSU])


Wir sollten das Grundgesetz nicht immer gleich zur Dis-
position stellen. Zu dieser Frage ist kein einziger Sach-
verständiger angehört worden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist meine Kritik, und diesen Punkt halte ich wirklich
für problematisch.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das hätten Sie mir aber auch in der Ausschusssitzung sagen können!)


– Na ja, wir haben zweimal miteinander über diese Frage
diskutiert, und Sie kennen unsere Auffassung dazu.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist der Punkt!)


Wenn Sie beklagen, dass die Mitwirkungsmöglichkei-
ten nach wie vor nicht ausreichend sind, möchte ich dazu
nur Folgendes sagen: Wenn wir den einzelnen Abgeord-
neten wertschätzen und zugestehen, dass nicht immer
alle Oppositionsabgeordneten zustimmen müssen, wenn
die Opposition ihre Minderheitenrechte ausüben möchte,
dann machen wir das deshalb, weil uns Art. 38 des
Grundgesetzes wichtig ist: Der einzelne Abgeordnete ist
nur seinem Gewissen unterworfen; er hat eine singuläre
Bedeutung für dieses Haus. Das gilt aber auch für die
Abgeordneten der Mehrheitsfraktionen, die bei den
Wünschen, die hier weiter vorgetragen worden sind, ins-
besondere was die Redezeit angeht, gegenüber Opposi-
tionsabgeordneten dann in eine wirklich deutlich nach-
rangige Position kommen würden. Es ist schon jetzt so,
dass Abgeordnete aus den Mehrheitsfraktionen hier sehr
viel weniger reden können als Abgeordnete aus den Op-
positionsfraktionen. Sie sollten darüber nachdenken,
dass wir hier gewisse Grenzen einhalten müssen,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist auch eine Frage der Verfassung!)


dass wir auch die Rechte derjenigen Abgeordneten ernst
nehmen müssen, die die Regierung jetzt tragen. Auch sie
sind frei gewählte Abgeordnete, auch sie müssen frei ab-
stimmen können, auch sie müssen ihre Möglichkeiten
hier frei entfalten können, reden können wie die Abge-
ordneten der Opposition. Deswegen, glaube ich, ist das
Ergebnis insgesamt sehr ausgewogen.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802614700

Herr Kollege Wadephul, wir haben auch jetzt schon

Regeln zur Redezeit.


Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1802614800

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802614900

Danke schön. – Nächste Rednerin ist Katja Keul,

Bündnis 90/Die Grünen.


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802615000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich bin wirklich sehr erleichtert, dass wir Sie
doch noch davon überzeugen konnten, die Geschäftsord-
nung zu ändern. Der Kollege Kaster hat zu Beginn seiner
Rede noch einmal betont, welche Bedeutung dieser Ge-
schäftsordnung zukommt. Es wäre doch höchst unbefrie-
digend gewesen, einen zusätzlichen Bundestagsbe-
schluss zu haben, wie Sie das ursprünglich beabsichtigt
hatten, der neben der Geschäftsordnung steht und auch
noch von dieser abweicht. Man hätte dann gleichrangi-
ges, sich widersprechendes Recht gehabt. Das wäre
wirklich kein Qualifikationsnachweis für einen Gesetz-
geber gewesen. Deswegen bin ich sehr erleichtert, dass
wir Sie davon überzeugen konnten, die Geschäftsord-
nung zu ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das haben wir gerne gemacht!)


Die meisten Punkte – nicht alle – ließen sich befriedi-
gend in der Geschäftsordnung regeln. Da wir nach dieser
Änderung der Geschäftsordnung 25 Prozent Opposi-
tionsvertreter in einen Untersuchungsausschuss schicken
können, kann das PUAG in seiner bisherigen Form an-
gewendet werden, weil die Quote von 25 Prozent für den
Untersuchungsausschuss erfüllt wird. Hier funktioniert
das also. Es funktioniert allerdings nicht beim Verteidi-
gungsausschuss, wenn er in seiner Gesamtheit zum Un-
tersuchungsausschuss wird, weil hier das Quorum nicht
erfüllt ist. An dieser Stelle hätte man eine Gesetzesände-
rung vornehmen müssen. Die Formulierung, die Sie jetzt
dazu vorgeschlagen haben, löst das Problem zwar nicht,
lässt aber zumindest Ihren guten Willen glaubhaft erken-
nen, sodass wir daran die Einigung nicht scheitern lassen
wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aufgrund der Einigung haben sich unsere beiden Vor-
lagen aus unserer Sicht erledigt. Leider blieb es uns ver-
wehrt, diese hier heute für erledigt zu erklären, da die
Fraktion Die Linke das anders sieht, sodass wir hier
noch darüber abstimmen werden.





Katja Keul


(A) (C)



(D)(B)

Eine Grundgesetzänderung haben wir von Anfang an
nicht für erforderlich gehalten; denn das Grundgesetz
legt in Art. 44 fest, dass wir das Recht und auf Antrag
von 25 Prozent der Mitglieder des Bundestages die
Pflicht haben, einen Untersuchungsausschuss einzuset-
zen. Das heißt also, dass der Bundestag ab 25 Prozent
keinen Spielraum mehr hat. Für die Fälle, in denen wir
darunter liegen, steht es uns als Bundestag frei, ander-
weitige Regelungen zu treffen, was wir heute tun. Frau
Sitte, ich will Ihnen Art. 44 Abs. 1 des Grundgesetzes
vorlesen. Darin steht:

Der Bundestag hat das Recht und auf Antrag eines
Viertels seiner Mitglieder die Pflicht, einen Unter-
suchungsausschuss einzusetzen …

Das heißt, wir haben das Recht, verbindlich zu beschlie-
ßen, schon bei einem Antrag von weniger als 25 Prozent
der Abgeordneten einen Untersuchungsausschuss ver-
bindlich einzurichten, und das tun wir jetzt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zuletzt komme ich zur Normenkontrolle. Dazu ist ja
schon viel gesagt worden. Das Grundgesetz sieht in
Art. 93 vor, dass die Normenkontrolle von einer Landes-
regierung, von der Bundesregierung oder auch von
25 Prozent der Mitglieder des Bundestages eingeleitet
werden kann. Wir haben durchaus ein Interesse daran,
darüber zu debattieren. Allein das ist der Grund dafür,
warum wir uns bei der Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion Die Linke freundlicherweise noch ent-
halten. Vor dem Hintergrund, dass Sie im Zusammen-
hang mit den Minderheitenrechten fünf umfangreiche
Grundgesetzänderungen im Schnellverfahren beantra-
gen, würden mir hier durchaus deutlichere Worte ein-
fallen. Ihr Vorgehen, diese Grundgesetzänderungen in
erster Lesung auch noch ohne Debatte auf die Tagesord-
nung gesetzt zu haben, zeigt ja, dass Sie es damit nicht
wirklich ernst meinen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das war die Übereinkunft, damit das im Paket bleibt!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802615100

Denken Sie bitte an die Redezeit!


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802615200

Mit der heutigen Änderung der Geschäftsordnung

zeigen wir, dass die Opposition auch in der heutigen Zu-
sammensetzung in der Lage ist, ihre Rechte angemessen
durchzusetzen, und dass der Bundestag eben doch ein
lernfähiges Parlament mit der erforderlichen demokrati-
schen Kultur ist.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802615300

Nächste Rednerin ist Frau Dr. Katarina Barley, SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Katarina Barley (SPD):
Rede ID: ID1802615400

Verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen

und Kollegen! Es ist ja nicht wirklich ein Geheimnis,
dass für einige Menschen in der Bundesrepublik
Deutschland diese Große Koalition nicht unbedingt die
Wunschkonstellation nach der letzten Bundestagswahl
war.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Doch, die Mehrheit wollte das so!)


Das hatte damit zu tun, dass diese übergroße Mehrheit in
der Öffentlichkeit als erdrückend wahrgenommen und
allgemein die Befürchtung geäußert wurde, die Minder-
heitenrechte könnten zu kurz kommen.

Nun hat der geschätzte Bundestagspräsident schon in
der konstituierenden Sitzung bemerkt, dass große Mehr-
heiten nicht per se verfassungswidrig sind.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!)


Aber daran, dass wir uns alle einig sind, dass eine funk-
tionierende Demokratie eine funktionierende und wir-
kungsvolle Opposition braucht, kann ja kein Zweifel be-
stehen.

Den Mehrheitsfraktionen war dieses Anliegen so
wichtig, dass wir es ausdrücklich im Koalitionsvertrag
aufgenommen haben. Ich sage das so ausdrücklich, weil
man sich das wirklich auf der Zunge zergehen lassen und
auch einmal in einen internationalen und historischen
Kontext stellen muss. Man muss sich das einmal vor Au-
gen führen: Wenn sich eine Mehrheit, die, wenn man es
einmal ganz salopp formuliert, alles plattmachen könnte,
wochenlang damit beschäftigt, wie man der Minderheit
am effektivsten und sinnvollsten bestimmte Rechte ein-
räumen kann, dann ist dies, wenn man es mit dem Vorge-
hen in vielen anderen Staaten mit durchaus längerer
demokratischer Tradition vergleicht, schon ein sehr be-
merkenswerter Vorgang,


(Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Allerdings!)


noch dazu in einem Land, das hinsichtlich seiner demo-
kratischen Tradition durchaus einige Anlaufschwierig-
keiten hatte. Vor diesem Hintergrund möchte ich sagen,
dass dieser Tag ein guter Tag für die Demokratie in
Deutschland und für unsere gemeinsame parlamentari-
sche Arbeit ist.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der erste Vorschlag unseres Bundestagspräsidenten
war, hier mit einem einfachen Bundestagsbeschluss vor-
zugehen. Das fand die Opposition zu wenig verbindlich.





Dr. Katarina Barley


(A) (C)



(D)(B)

Es war wohl auch ein Mangel an Vertrauen vorhanden,
dass wir das wirklich ernst meinen. Aber ich glaube,
dass der weitere Verlauf der Diskussionen und der Ver-
handlungen und auch das Ergebnis bewiesen haben, dass
dieses Misstrauen nicht gerechtfertigt war. Umso erfreuli-
cher ist es, dass wir aus der beiderseitigen Unzufrieden-
heit herausgefunden und sehr konstruktiv miteinander
verhandelt haben. Das erweiterte Berichterstatterge-
spräch mit den Sachverständigen wurde schon erwähnt;
das war sicherlich für alle Seiten sehr hilfreich. Wir ha-
ben es uns also nicht einfach gemacht. Im Ergebnis ha-
ben wir uns von beiden Seiten angenähert. Dafür be-
danke ich mich bei den Vertreterinnen und Vertretern
ausdrücklich aller Fraktionen noch einmal sehr herzlich.

Wir haben nun einen Antrag zur Änderung der Ge-
schäftsordnung vorliegen. Das war aus meiner Sicht,
verehrte Kollegin Keul, immer der richtige Ort, um Än-
derungen vorzunehmen, weil es die Bedürfnisse einer
spezifischen Legislaturperiode betrifft. Wir haben in die-
sem Antrag auch festgelegt, dass wir von den Änderun-
gen nicht mit Zweidrittelmehrheit abweichen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte betonen, dass ich die gefundene Lösung
für die systematisch bessere Lösung halte als die, die wir
ursprünglich vorgesehen hatten; denn bisher sind im
Grundgesetz Rechte für einzelne Abgeordnete, für Frak-
tionen und für eine bestimmte Anzahl von Abgeordneten
vorgesehen. Was es nicht gibt, sind Rechte der Opposi-
tion. Ich finde es gut, dass wir mit unserem Vorschlag in
der Systematik bleiben und nicht für eine Legislaturpe-
riode ein ganz neues Instrument schaffen, nämlich
Rechte von Angehörigen der Oppositionsfraktionen hier
im Plenum. Wir haben damit zwei Probleme ausge-
räumt. Ein Problem ist schon erwähnt worden: Der ur-
sprüngliche Entwurf sah vor, dass alle Abgeordneten der
Oppositionsfraktionen die Minderheitenrechte gemein-
sam wahrnehmen. Es wurde eingewandt, dass schon das
Fehlen eines Abgeordneten bzw. einer Einigung die Wahr-
nehmung der Minderheitenrechte verhindern könnte. Da-
rauf sind wir eingegangen. Die jetzt gefundene Lösung
ist ein sehr praktikables Instrument, auch für die Opposi-
tion; aber ich betone: auch für die Opposition.

Durch die Regelung, dass 120 Mitglieder des Parla-
ments die Minderheitenrechte wahrnehmen können,
wird nicht mehr zwischen Angehörigen der Regierungs-
fraktionen und Angehörigen der Oppositionsfraktionen
differenziert. Ursprünglich war vorgesehen – das war
das zweite Problem –, dass 20 Prozent der Oppositions-
fraktionen bestimmte Rechte hätten wahrnehmen kön-
nen. Bei den Mehrheitsfraktionen hätten es 25 oder eben
auch 33 Prozent sein müssen. Aber alle Abgeordneten
müssen im Grundsatz die gleichen Rechte haben; denn
wir alle gemeinsam und nicht nur die Opposition kon-
trollieren die Regierung. Das nennt man in Deutschland
Gewaltenteilung, und daran sollten wir festhalten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Natürlich haben Sie sich weiter gehende Änderungen
gewünscht. Die Kolleginnen und Kollegen von der Op-
position, in diesem Falle von der Linken, wollten meh-
rere Änderungen des Grundgesetzes erreichen. Das be-
trifft vor allen Dingen die abstrakte Normenkontrolle.
Dazu nur ganz kurz: Wenn Sie vor das Bundesverfas-
sungsgericht ziehen wollen, dann ist ein solcher Antrag
auf Normenkontrolle sicherlich zulässig, wenn es um
Ihre eigenen Rechte geht. Als Abgeordnete müssen Sie
kein Quorum einhalten; das ist so und das bleibt Gott sei
Dank auch so. Aber ich glaube nicht, dass ein solcher
Antrag begründet wäre; denn im Grundgesetz selbst ist
vorgesehen, dass ein Viertel der Abgeordneten das Quo-
rum für die abstrakte Normenkontrolle ist.


(Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802615500

Frau Kollegin, – –


Dr. Katarina Barley (SPD):
Rede ID: ID1802615600

Ich komme gleich zum Ende. – Es wird nicht ganz

einfach sein, vorzutragen, dass das Grundgesetz selbst in
diesem Punkt gegen das Grundgesetz verstößt. Es ist
auch nicht sachgerecht, das Grundgesetz in jeder Legis-
latur den veränderten Mehrheiten anzupassen. Aber vor
allen Dingen ist eben die Normenkontrolle kein Minder-
heitenrecht, sondern eine Verfahrensart unter mehreren
für verschiedene Akteure.

Kurz gesagt: Ich bin wirklich froh, dass wir eine so
breite Mehrheit für die Änderung der Geschäftsordnung
gefunden haben. Ich glaube, dass heute ein guter Tag für
die politische Kultur ist und dass es auch ein Signal nach
außen ist. Dafür möchte ich mich sehr herzlich bedan-
ken.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802615700

Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin

Wawzyniak.


Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802615800

Ich nutze das Instrument der Kurzintervention, weil

zum zweiten Mal eine Frage, die der Kollege Ströbele
der Kollegin Sitte gestellt hat und die ich weiterreichen
wollte, nicht beantwortet werden kann. Ich würde mich
freuen, wenn die nächsten Rednerinnen und Redner mir
bitte einmal erklären könnten, wie ich als Bundestagsab-
geordnete von Gesetzen, die zum Beispiel Hartz IV be-
treffen, selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen
sein soll, sodass ich Verfassungsbeschwerde einlegen
kann. Das Argument von Herrn Ströbele war ja, man
könne als Bundestagsabgeordneter Verfassungsbe-
schwerde einreichen. Vielleicht kann mir das einer der
nächsten Redner erklären. Ich freue mich auf die Erklä-
rung.

Danke.






(A) (C)



(D)(B)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802615900

Danke schön. – Frau Kollegin Barley, möchten Sie

darauf antworten? – Das ist nicht der Fall.

Dann hat jetzt Dr. Stefan Heck das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Stefan Heck (CDU):
Rede ID: ID1802616000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Ich freue mich, dass ich meine erste Rede im
Deutschen Bundestag zu diesem wichtigen verfassungs-
rechtlichen Thema halten darf.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für uns alle ist klar: Es entspricht dem Wesen der Demo-
kratie, dass am Ende die Mehrheit entscheidet. Es ist die-
ses Prinzip, das alle demokratischen Kräfte am Ende
eint. Aber zu einer funktionierenden und lebendigen De-
mokratie gehört darüber hinaus eine vernehmbare und
lebendige Opposition.

Es ist gut, dass wir bereits heute im europäischen Ver-
gleich sehr weit gehende Minderheitenrechte in der Ge-
schäftsordnung des Deutschen Bundestages verankert
haben. Jede Fraktion kann unabhängig von ihrer Größe
Gesetzentwürfe einbringen, namentliche Abstimmun-
gen verlangen, Große und Kleine Anfragen stellen, Ak-
tuelle Stunden beantragen und nicht zuletzt auch Regie-
rungsmitglieder herbeizitieren. Trotzdem haben die
Koalitionsfraktionen aufgrund der besonderen Situa-
tion, in der wir uns in dieser Legislaturperiode befinden,
von Anfang an zugesagt, die Minderheitenrechte noch
weiter auszubauen. Wir haben Wort gehalten und legen
Ihnen heute einen Vorschlag vor, der Ihnen sehr weit ent-
gegenkommt.

Wenn man die Wortbeiträge hier verfolgt, dann be-
steht kein Zweifel daran, dass das Thema, über das wir
heute sprechen, grundlegende Fragen berührt. Es ent-
spricht dem Wesen des Rechtsstaates, dass die Verfas-
sung über der Tagespolitik, über einzelnen Sachentschei-
dungen und nicht zuletzt auch über den jeweils
herrschenden Mehrheitsverhältnissen im Deutschen
Bundestag steht. Deswegen, Frau Kollegin Dr. Sitte,
sollten wir zurückhaltend sein, wenn es darum geht, das
Grundgesetz zu ändern. Das Grundgesetz ist kein Gesetz
wie jedes andere. Seine Änderung muss die Ausnahme
bleiben und darf nicht zur Regel werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Debatte, die wir in diesem Zusammenhang füh-
ren, ist gelegentlich etwas paradox: Zunächst hat die Op-
position in den ersten Wortmeldungen nach der Wahl
landauf, landab davor gewarnt, man müsse das Grundge-
setz vor der Zweidrittelmehrheit der Großen Koalition
schützen, und jetzt fordert die Linksfraktion, wir sollten
mit der gleichen, vormals angeblich noch bedrohlichen
Mehrheit die Verfassung in ihrem Sinne ändern, um die
Linksfraktion vor der Großen Koalition zu schützen.
Heute so und morgen anders. Wenn Sie meinen, mit
8,6 Prozent der Wählerstimmen die Verfassung jeweils
nach Ihrem Gusto gestalten zu können, dann stellen Sie
die Dinge reichlich auf den Kopf.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das passt nicht zusammen, und dabei machen wir nicht
mit.

Wir haben uns heute aus guten Gründen dafür ent-
schieden, dass wir die wesentlichen Punkte der Minder-
heitenrechte in der Geschäftsordnung statt in der Verfas-
sung ändern. Ich möchte gerne drei Punkte ansprechen,
die aus meiner Sicht wichtig sind.

Erstens. Es ist falsch, wenn Sie hier von Oppositions-
rechten sprechen. Die Verfassung kennt den Begriff der
Opposition nicht, und zwar aus gutem Grund. Es gibt im
Deutschen Bundestag keine Abgeordneten erster und
zweiter Klasse. Wir alle sind in unserer Rechtsstellung
gleich, unabhängig von unserem Lebensalter, unabhän-
gig von der Parlamentserfahrung und eben auch unab-
hängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Frak-
tion. Wir alle haben die gleichen Rechte, und wir alle
haben auch gemeinsame Aufgaben und gemeinsame
Pflichten. Das ist vor allem, die Regierung zu kontrollie-
ren.

Bei Fragen der Europäischen Union, der Integration,
aber auch bei Fragen unserer eigenen Rechtsstellung –
denken Sie an die Debatte über die Offenlegungspflich-
ten – haben sich in den verfassungsrechtlichen Verfahren
immer wieder ganz bemerkenswerte Allianzen quer
durch die Fraktionen gebildet. Es ist unsere gemeinsame
Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren, und diese Auf-
gabe sollten wir gemeinsam selbstbewusst wahrnehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Eines steht jedenfalls fest: Sie sind keine besseren Abge-
ordneten, nur weil Sie in der Opposition sind.

Zweitens. Der Ausgangspunkt unserer Arbeit ist und
bleibt die Wahl zum Deutschen Bundestag. Bei dieser
Wahl haben CDU und CSU fast die absolute Mehrheit
der Mandate erreicht. Trotzdem war es uns wichtig, Ih-
nen im Interesse des gesamten Parlamentes entgegenzu-
kommen. Bei den Redezeiten erhalten Sie bereits jetzt
zwischen 26 und sogar 32 Prozent, obwohl Ihnen nach
dem Wahlergebnis eigentlich nur 17 Prozent zustehen.
Darüber hinaus können Sie künftig schon mit 120 Abge-
ordneten Untersuchungsausschüsse und Enquete-Kom-
missionen einsetzen. Aber bei allem Entgegenkommen
in Verfahrensfragen muss am Ende auch deutlich blei-
ben, wo die Mehrheit in diesem Hause ist. Wir haben
von den Wählerinnen und Wählern einen klaren Gestal-
tungsauftrag bekommen, und den nehmen wir auch an.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Drittens. Ich möchte nochmals auf den bis zuletzt
streitigen Punkt der verfassungsrechtlichen Verfahren
eingehen. Das erforderliche Quorum für die abstrakte





Dr. Stefan Heck


(A) (C)



(D)(B)

Normenkontrolle wurde bereits 2008 von einem Drittel
auf ein Viertel der Mitglieder des Deutschen Bundesta-
ges abgesenkt. Wir haben uns heute mit guten Gründen,
wie ich finde, dafür entschieden, dieses Quorum nicht
noch weiter abzusenken. Die abstrakte Normenkontrolle
ist nämlich kein originäres Minderheitenrecht, sondern
in erster Linie ein objektives Beanstandungsverfahren.
Zudem – wir haben das eben von Ihnen, Herr Ströbele,
gehört – ist die abstrakte Normenkontrolle, die von ver-
schiedenen Antragstellern geltend gemacht werden
kann, insbesondere von Landesregierungen, nicht die
einzige Möglichkeit, ein Gesetz zur Überprüfung vor das
Bundesverfassungsgericht zu bringen. Es zeichnet unse-
ren Rechtsstaat gerade aus, dass wir die Möglichkeit ha-
ben, dass jeder Bürger über die Verfassungsbeschwerde
die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes geltend ma-
chen kann.

An dieser Stelle will ich noch auf eines hinweisen. Ich
finde, wir als Abgeordnete sollten uns auch davor hüten,
immer mehr politische Streitfragen unter juristischem
Vorwand von Berlin nach Karlsruhe zu verlagern oder
auch verlagern zu lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sollten die grundlegenden Entscheidungen unseres
Landes hier im Bundestag besprechen; denn hier gehö-
ren sie hin.

Zusammenfassend ist zu sagen: Wir haben heute nach
intensiven und konstruktiven Gesprächen einen guten
und ausgewogenen Änderungsvorschlag vorliegen, der
dem Mehrheitsprinzip Rechnung trägt, aber auch den be-
rechtigten Anliegen der Minderheit in diesem Parlament
sehr weitgehend entgegenkommt.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802616100

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Heck. Ich gratuliere

Ihnen ganz herzlich zu Ihrer ersten Rede.


(Beifall)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie noch
um zehn Minuten Konzentration. – Nächster Redner in
der Debatte ist Dr. Johannes Fechner, SPD-Fraktion, der
auch seine erste Rede hier hält.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1802616200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In der Tat gab es die Sorge, dass diese riesige Mehrheit
der Großen Koalition die Opposition in einer effektiven
Arbeit einschränkt. Aber schon im Koalitionsvertrag ha-
ben wir uns vorgenommen, die Minderheitenrechte an-
gesichts dieser sehr großen Mehrheit zu verbessern. Ich
möchte es nochmals zitieren, weil ich es schon für einen
einmaligen Vorgang halte, dass sich die Regierung so um
die Opposition kümmert.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Regierung? Ich dachte, das wäre die Koalition gewesen!)


Wir haben hier geregelt:
Eine starke Demokratie braucht die Opposition im
Parlament. CDU, CSU und SPD werden die Min-
derheitenrechte im Bundestag schützen.
Auf Initiative der Koalitionspartner wird der Bun-
destag einen Beschluss fassen, der den Opposi-
tionsfraktionen die Wahrnehmung von Minderhei-
tenrechten ermöglicht sowie die Abgeordneten der
Opposition bei der Redezeitverteilung angemessen
berücksichtigt.

Genau diese Zusage haben wir eingehalten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist ein wichtiges Zeichen für die politische Kultur in
Deutschland.

Ich freue mich, dass im Geschäftsordnungsausschuss
nahezu einstimmig – nur mit Ihrer Enthaltung – diese
Regelung beschlossen wurde. Dadurch verbessern wir
die Rechte der Opposition ganz erheblich. Sie können
jetzt einen Untersuchungsausschuss einsetzen, Subsidia-
ritätsklage erheben und die Einsetzung von Enquete-
Kommissionen verlangen, um nur die wichtigsten Mög-
lichkeiten zu nennen. Insbesondere bei der Einsetzung
von Untersuchungsausschüssen haben wir – ich will
mich hier kurzfassen, da das schon genannt wurde – die
Vorschläge der Sachverständigen aufgenommen und es
ermöglicht, dass schon 120 Mitglieder des Bundesta-
ges – Sie haben zusammen 127 – die Einsetzung eines
Untersuchungsausschusses erreichen können.

Außerdem sind wir Ihnen beim Schlüssel für die Ver-
teilung der Redezeiten entgegengekommen. Sie haben
jetzt mehr Redezeit, als Ihnen eigentlich zusteht. Das ha-
ben wir gemacht, obwohl das dazu führt, dass die Rede-
zeit der Mehrheitsfraktionen gekürzt wird. Es gibt eine
stattliche Anzahl von SPD- und Unionsabgeordneten,
die hier noch nie reden konnten, während bei Ihnen fast
jeder mindestens zweimal an der Reihe war. Also auch
hier gibt es ein erhebliches Entgegenkommen unserer-
seits.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Diese Verbesserungen der Minderheitenrechte sind in

der Geschichte der Demokratie in Deutschland, aber
auch in Europa beispiellos. Es gibt also überhaupt kei-
nen Grund, die parlamentarische Kultur der Großen Ko-
alition zu kritisieren; denn rein verfassungsrechtlich be-
trachtet – das möchte ich ausdrücklich sagen –, wären
die Änderungen überhaupt nicht erforderlich gewesen.
Aber sie sind politisch sinnvoll, und deswegen machen
wir das. Vorwürfe, dass die Große Koalition ihre Über-
macht an Stimmen ausnutze, sind vollkommen unbe-
gründet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Dr. Johannes Fechner


(A)



(D)(B)

Das Grundgesetz wollen wir nicht ändern; denn es
handelt sich um eine spezielle Regelung für die
18. Wahlperiode. Ich gehöre zu denjenigen, die darauf
setzen, dass die Große Koalition nicht zum Dauerzu-
stand wird, um es einmal salopp zu formulieren. Deswe-
gen wollen wir das Grundgesetz nicht ändern, erst recht
nicht auf die Art und Weise, wie Sie es tun wollen. Frau
Haßelmann hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir
eine verbindliche Regelung haben, wonach im normalen
Geschäftsbetrieb Änderungen durch eine Zweidrittel-
mehrheit, wie es nach der Geschäftsordnung möglich
wäre, nicht erfolgen können.

Ich möchte noch einen Satz zur abstrakten Normen-
kontrollklage sagen. Dieses Instrument ist gerade kein
subjektives Recht, sondern bezieht sich nur auf objektive
Rechtsverletzungen; nur darum geht es. Der Verfas-
sungsgeber hat ganz bewusst geregelt, dass durch die ab-
strakte Normenklage eine Fülle von Gesetzen angegrif-
fen werden kann – es gibt also einen sehr großen
Anwendungsbereich –, wollte aber im Gegenzug den
Personenkreis derjenigen, die diese Klage erheben kön-
nen, klein halten. Sie können also keine individuellen
Rechtsverletzungen geltend machen – es sei denn als
Abgeordnete – und nicht jedes Gesetz angreifen. Ich
halte es für eine sehr sinnvolle Regelung, dass der Perso-
nenkreis, der eine abstrakte Normenkontrollklage erhe-
ben kann, deutlich reduziert ist.

Da hier oft die Vorstellung mitschwingt, nur die Op-
position habe die Aufgabe, die Regierung zu kontrollie-
ren: So sehe ich es nicht. Denn trotz unserer großen
Mehrheit ist es Job aller Mitglieder der die Regierung
tragenden Koalitionsfraktionen, die Regierung zu kon-
trollieren. Auch wir diskutieren konstruktiv-kritisch über
das Regierungshandeln. Keine Vorlage der Regierung
wird von uns blind übernommen. Wir sind sicherlich
nicht bloße Abnicker des Regierungshandelns.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben Ihnen nun die Voraussetzungen für eine ef-
fektive Oppositionsarbeit geschaffen. Jetzt liegt es an Ih-
nen, konstruktiv damit umzugehen und eine effektive
Oppositionsarbeit zu leisten. Diesen Appell richte ich
vor allem an die Linksfraktion, die sich heute bedauerli-
cherweise enthalten wird.

Zum Schluss: Das ist meine erste Rede. Gestatten Sie
mir daher, meiner kleinen Tochter alles Gute zum heuti-
gen Geburtstag zu wünschen.

Vielen Dank.


(Beifall im ganzen Hause)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802616300

Vielen Dank. – Wir gratulieren Ihnen und natürlich

auch Ihrer Tochter ganz herzlich.


(Beifall)


Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Grosse-
Brömer, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Michael Grosse-Brömer (CDU):
Rede ID: ID1802616400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Gleich bei der ersten Rede das Glück zu ha-
ben, dass die kleine Tochter Geburtstag hat und ihr zu
gratulieren, ist bezogen auf die Sympathiewerte für den
nachfolgenden Redner die volle Katastrophe.


(Heiterkeit)


Wie dem auch sei.

Es ist natürlich schön, dass zwei junge Kollegen zum
Thema der Parlamentsrechte der Abgeordneten ihre erste
Rede halten konnten. Ich finde, das ist ein wichtiges
Thema. Es ist gut, dass wir uns intensiv um Regelungen
bemüht haben. Es ist richtig gesagt worden, man hätte
vielleicht gar nichts regeln müssen. Wir haben eine Ver-
fassung. Wir haben ein Parlamentsrecht. Das beinhaltet
in einer großen Fülle Minderheitenrechte. Im Übrigen
gibt es nicht nur für Fraktionen Minderheitenrechte, so
wie es bei den Reden, die wir bislang gehört haben, ein-
gefordert wurde, sondern jeder Einzelne von uns hat na-
türlich auch Minderheitenrechte. Das muss ich hier kei-
nem erklären. Aber das gehört sicher auch zur gesamten
Debatte.

Wir als Koalition machen heute etwas Einmaliges.
Wir geben freiwillig, nicht zuletzt aufgrund unserer
Größe, Rechte ab und regeln in der Geschäftsordnung
die Stärkung der Opposition. Wir tun das nicht aus Groß-
zügigkeit, sondern wir tun das – daran hat es auch keinen
Zweifel gegeben – aus Überzeugung, weil wir der Auf-
fassung sind, zu einer funktionierenden Demokratie ge-
hört eine starke, hörbare und sichtbare Opposition. Ich
bin davon überzeugt, dass das, was wir in der Geschäfts-
ordnung regeln, dazu führen wird, dass Sie jetzt, wenn
Sie gut sind – das müssen Sie noch ergänzend werden –,


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wir haben schon angefangen!)


nicht mehr sagen können: Oh Gott, sind wir klein; wir
haben gar keine Möglichkeiten. – Ab heute haben Sie
sie. Jetzt müssen Sie mit Oppositionsarbeit langsam an-
fangen. Das will ich auch noch einmal sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Heiterkeit bei der SPD)


Jetzt haben Sie alle Chancen, hörbar und sichtbar zu
werden. Wenn Sie es nicht schaffen, sind Sie ab heute
selber schuld.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wenn die Regierung nichts macht, können wir auch nichts tun!)


Ich will Ihnen noch eines sagen: Frau Haßelmann hat
klar und eindeutig gesagt, dass das, was wir als Koalition
vorgeschlagen haben und heute umsetzen, eine massive
Verbesserung der Oppositionsrechte ist.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Vor allem bei der Redezeit!)


Ich finde es gut, wenn man so viel Lob bekommt. Im
Übrigen finde ich es auch angemessen. Dann muss es an
dieser Stelle auch erwähnt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


(C)






Michael Grosse-Brömer


(A) (C)



(D)(B)

Zu dem Hinweis, wir hätten am Anfang gesagt, das
sei mit einem Beschluss ausreichend geregelt: Wir dür-
fen eines nicht vergessen, wir haben im Ältestenrat
– ganz klug – den Bundestagspräsidenten gebeten, uns
rechtlich und inhaltlich eine Vorgabe mitzugeben. Darin
lag es begründet, dass wir gesagt haben: Rechtlich und
wahrscheinlich auch hinsichtlich der Effizienz hätte ein
Beschluss dieses Bundestages völlig ausgereicht. Aber
nur weil Sie es wollten, haben wir es auch in der Ge-
schäftsordnung fixiert. Dies ist ein weiterer Nachweis
dafür, welch großes Verständnis wir für die kleine Oppo-
sition haben.

Wir haben die Rederechte sinnvollerweise auch aus-
geweitet. Obwohl Sie nur 17 Prozent bei den Wahlen be-
kommen haben – aus welchen Gründen auch immer –,
haben Sie bis zu 32 Prozent Redezeit. Ich finde das rich-
tig und sinnvoll. Man muss auch Rede- und Gegenrede
ermöglichen.

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Kollegin-
nen und Kollegen der Koalition gerade verfassungs-
rechtlich die gleichen Rechte haben wie die in der Oppo-
sition. Darauf ist schon hingewiesen worden. Ich hoffe,
wir haben gemeinsam die Chance, vernünftige und auch
strittige Debatten zu führen; denn die Demokratie lebt
nicht nur von Minderheitenrechten. Demokratie lebt
auch von einer lebendigen Debatte, von Widerspruch
und nicht von Harmonie. Diesem Parlament wird es gut-
tun, dass Sie Ihre heute garantierten Minderheitenrechte
in sachlicher Hinsicht ausnutzen. Werden Sie gut! Wir
als Regierungskoalition haben auch den Anspruch, gut
zu sein. Ich habe das Gefühl, wir haben es im Gegensatz
zu Ihnen schon ein Stück weit unter Beweis gestellt.
Deswegen ist es schön, wenn wir heute eines feststellen
können: Es gibt Länder in dieser Welt, da wird die Op-
position drangsaliert.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind besser als Russland!)


Bei uns ist es so, dass die Opposition rechtlich gestärkt
wird. Das ist doch auch ein Vorteil dieses Parlamentes
und auch der Koalition.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802616500

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
nung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD mit dem Titel „Änderung der Geschäftsordnung zur
besonderen Anwendung der Minderheitenrechte in der
18. Wahlperiode“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
18/997, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD auf Drucksache 18/481 in der Ausschussfassung
anzunehmen.

Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung auf
Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD na-
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die
Plätze an den Urnen besetzt? – Nein, hier vorne fehlt
noch ein Schriftführer oder eine Schriftführerin.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Was nützt die Stärkung der Opposition, wenn sie an den Urnen nicht erscheint?)


Die Minderheitenrechte sollten jetzt nicht dazu führen,
dass die rechte Urne von der Opposition nicht besetzt
wird. – Sind jetzt alle Urnen besetzt? – Ich eröffne die
Abstimmung.

Haben jetzt alle Mitglieder des Hauses abgestimmt?
– Nein. – Jetzt haben aber alle ihre Stimme abgegeben.
Die Abstimmung ist geschlossen. Die Schriftführer und
Schriftführerinnen beginnen mit der Auszählung. Das
Ergebnis der Auszählung wird Ihnen später bekannt ge-
geben.1)

Bevor wir zur nächsten namentlichen Abstimmung
kommen, haben wir eine einfache Abstimmung durchzu-
führen. Deshalb bitte ich Sie, sich zu Ihren Plätzen zu
begeben. – Ich bitte Sie alle, Platz zu nehmen. Sonst
können wir nicht mit der Abstimmung beginnen. – Auch
die Abgeordneten der SPD hier vorne würde ich bitten,
sich jetzt hinzusetzen. – Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, es macht keinen Sinn; wir können nicht abstimmen,
wenn Sie nicht Platz nehmen.

Wir stimmen jetzt über den Entwurf eines Gesetzes
der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke
zur Sicherung der Oppositionsrechte in der 18. Wahlpe-
riode des Deutschen Bundestages ab. Der Ausschuss für
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung emp-
fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/997, den Gesetzentwurf der Fraktionen
Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke auf Drucksa-
che 18/380 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen.
– Wer stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurf ist in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der
Linken abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ge-
schäftsordnung die weitere Beratung.

Tagesordnungspunkt 7 c. Abstimmung über den Ent-
wurf eines Gesetzes der Fraktion Die Linke zur Ände-
rung des Grundgesetzes, Art. 23, 39, 44, 45 a und 93.
Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung empfiehlt unter Buchstabe c seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/997, den Gesetz-
entwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/838
abzulehnen. Wir stimmen nun auf Verlangen der Frak-
tion Die Linke über den Gesetzentwurf namentlich ab.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an
den Urnen besetzt? – Ich sehe, das ist der Fall. Ich er-
öffne die Abstimmung über den Gesetzentwurf.

Haben jetzt alle Mitglieder des Hauses abgestimmt? –
Ich sehe, das ist der Fall.

1) Ergebnis siehe Seite 2085 C





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.1)

Wir setzen die Abstimmungen fort.

Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 7 d: Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung,
Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag der
Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke mit
dem Titel „Änderung der Geschäftsordnung des Deut-
schen Bundestages zwecks Sicherung der Minderheiten-
rechte der Opposition im 18. Deutschen Bundestag“. Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe d seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/997, den Antrag
der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke
auf Drucksache 18/379 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit
den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stim-
men von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke ange-
nommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes
zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsende-
gesetzes

Drucksache 18/910
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundes-
regierung hat die Kollegin Anette Kramme.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


A
Anette Kramme (SPD):
Rede ID: ID1802616600


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir alle haben in den letzten Jahren die Be-
richterstattung über die Zustände in den Schlachthöfen
verfolgt. Viele der Kollegen konnten uns hier ureigenst
erzählen, welche Zustände in vielen deutschen Schlacht-
höfen herrschen. Uns ist berichtet worden über nied-
rigste Löhne, vor allen Dingen bei entsandten Arbeitneh-
mern, die aus Rumänien, Bulgarien, Polen oder Ungarn
kommen. Uns ist berichtet worden über Stundenlöhne in
einer Größenordnung von 4 bis 6 Euro. Es gibt wohl
Einzelfälle, in denen die Löhne noch niedriger waren.
Vom Einsatz von unüberschaubaren Subunternehmer-
ketten, die ihren Sitz im Ausland haben, ist uns ebenfalls
berichtet worden. Tarifstrukturen waren bislang nur ein-
geschränkt vorhanden. Bis Ende 2013 gab es keinen

1) Ergebnis siehe Seite 2087 B
regionalen Tarifvertrag, geschweige denn einen Flächen-
tarifvertrag. Dabei handelt es sich um eine wirklich harte
und belastende Arbeit. Die Arbeit ist extreme Fließband-
arbeit, sehr anstrengend, monoton und hochgradig ar-
beitsteilig. Häufig wird nur ein einzelner Arbeitsschritt
durchgeführt. Ich kann Ihnen, liebe Kollegen und Kolle-
ginnen, nur empfehlen, einen solchen Schlachthof zu be-
sichtigen, in dem täglich Tausende von Tieren zerlegt
werden.

Wir sind sehr froh, dass die intensiven Diskussionen
über den gesetzlichen Mindestlohn in der Fleischbranche
ein Umdenken bewirkt haben. Anfang dieses Jahres ha-
ben sich die Tarifpartner auf einen Mindestlohntarifver-
trag für die Fleischbranche geeinigt. Es ist gut, dass es
der Branche gelungen ist, ihre Angelegenheiten selbst zu
regeln. Gerne haben wir dem Parlament einen Gesetz-
entwurf zur Erweiterung des Arbeitnehmer-Entsendege-
setzes vorgelegt. Damit werden künftig über 170 000
Arbeitnehmer dieser Branche potenziell geschützt. Ge-
schützt wird aber auch eine andere Gruppe. Geschützt
wird eine Gruppe, bestehend aus circa 23 000 entsandten
Arbeitnehmern, also denjenigen, die aus vielen anderen
Ländern der Europäischen Union hergekommen sind,
um die schwere Arbeit zu erledigen. Durch die Einbezie-
hung in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz und die an-
schließende Rechtsverordnung kann der Tarifvertrag
– das ist das Wichtige – nicht nur eine nationale, sondern
auch eine international zwingende Wirkung entfalten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ergeben sich aber noch andere positive Wirkungen.
Die Einhaltung des Mindestlohns wird künftig durch die
Finanzkontrolle Schwarzarbeit überwacht. Bei Verstö-
ßen können Bußgelder in einer Größenordnung bis zu
500 000 Euro verhängt werden, und – das ist ebenfalls
sehr wichtig für die entsandten Arbeitnehmer – der deut-
sche Generalunternehmer haftet, wenn ein Subunterneh-
men seinen Arbeitnehmern den Branchenmindestlohn
nicht zahlt.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es genügend Kontrollpersonal?)


Er kann sich dabei nicht darauf zurückziehen, er hätte
von den schlechten Arbeitsbedingungen nichts gewusst.
Ich weiß, dass einige kritische Geister unter Ihnen sofort
anmerken werden: Was nutzt das denn den ausländi-
schen Arbeitnehmern? Die kennen sich hier doch nicht
aus, wissen nicht Bescheid über das deutsche Recht.

Ich will die Gelegenheit nutzen und auf ein vom Bun-
desministerium für Arbeit und Soziales finanziertes und
vom DGB durchgeführtes Projekt verweisen. Es heißt
„Faire Mobilität – Arbeitnehmerfreizügigkeit sozial,
gerecht und aktiv“. An verschiedenen Standorten werden
ausländische Arbeitnehmer beraten, damit diese ihre
Rechte wahrnehmen können. In Hamburg geht es spe-
ziell um die Fleischbranche.

Von diesem Gesetz werden viele Arbeitnehmer profi-
tieren. Von dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie,
durch das der gesetzliche Mindestlohn kommen wird,





Parl. Staatssekretärin Anette Kramme


(A) (C)



(D)(B)

werden noch mehr profitieren. Ich finde, das sind gute
Botschaften für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerin-
nen,


(Beifall bei der SPD)


aber auch für die Arbeitgeber, die dem Lohndumping der
schwarzen Schafe nicht mehr ausgesetzt sind.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802616700

Nächste Rednerin ist Sabine Zimmermann, Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802616800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Im letzten Jahr
durften wir in diesem Hause eine Kostprobe der gesang-
lichen Fähigkeiten der damaligen SPD-Abgeordneten
Andrea Nahles hören. Mit Blick auf die Bundesregie-
rung sang sie damals frei nach Pippi Langstrumpf: Ich
mach mir die Welt, wie sie mir gefällt. – Keine Angst,
ich werde jetzt hier nicht singen, obwohl ich früher ein
junges Talent war.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Heute hat Frau Nahles als Bundesministerin die Mög-
lichkeit, die Welt zu verändern. Das ist bitter nötig,
schauen wir uns nur die Arbeitsverhältnisse hier in der
Fleischindustrie an.


(Beifall bei der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Das macht sie auch!)


In den deutschen Schlachthöfen haben sich in den
zurückliegenden 10, 20 Jahren unhaltbare Zustände ent-
wickelt. Beim Schlachten und in der Fleischverarbeitung
hat es einen enormen Erdrutsch bei den Löhnen und bei
den Arbeitsbedingungen gegeben. Als die Dienstleis-
tungsmärkte in Europa geöffnet wurden, versäumte es
die Politik – vielleicht sollten wir sagen: hat sie es be-
wusst unterlassen –, in den Mitgliedsländern für die Ent-
lohnung verbindliche Mindeststandards festzuschrei-
ben. Maßgeblich gefördert durch deutsche Regierungen
hat so eine falsche Politik der Europäischen Union zu ei-
nem dramatischen Sozialdumping geführt. Es sind vor
allem ausländische Beschäftigte, meist aus Osteuropa
entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die
über Werkverträge und Subunternehmen zu Hungerlöh-
nen beschäftigt werden. Sie leben oft zusammenge-
pfercht in menschenunwürdigen Unterbringungen, abge-
schottet von der deutschen Gesellschaft. Das ist moderne
Sklaverei und menschenunwürdig. Das muss endlich be-
endet werden.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten
schätzt: 80 Prozent der Beschäftigten in deutschen
Schlachthöfen sind Werkvertragsarbeitnehmer. Die
Zustände in den deutschen Schlachthöfen sind so kata-
strophal, dass sich Nachbarländer wie Frankreich, Däne-
mark und Belgien beschwert haben, Deutschland ver-
schaffe sich durch Lohndumping Wettbewerbsvorteile.
Belgien hat bei der EU-Kommission sogar eine offizielle
Beschwerde eingereicht. Das muss man doch endlich
einmal zur Kenntnis nehmen. Die Bundesregierung
macht hier wenig bis fast gar nichts. Der Gesetzentwurf,
der hier heute vorgelegt wird, ist zwar richtig und geht in
die richtige Richtung, aber die Lohnhöhe – darüber wer-
den wir noch reden – entspricht natürlich nicht unseren
Vorstellungen.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dafür, dass dies in Deutschland möglich ist, sollten
sich die politisch Verantwortlichen schämen. Es ist drin-
gend notwendig, zu handeln und bei den Löhnen Min-
deststandards für die Branche festzulegen. Der hier vor-
gelegte Gesetzentwurf bietet das einfach nicht. Das eine
ist natürlich, wie ich schon sagte, die Entgelthöhe. Wir
alle wissen: Die vereinbarten Tarife führen nicht aus
dem Niedriglohnsektor heraus. Der Branchenmindest-
lohn soll ab dem 1. Juli dieses Jahres 8 Euro betragen.
Die Niedriglohnschwelle lag aber schon im Jahr 2012
bei 9,30 Euro.

Besonders fatal ist: Die Beschäftigten werden im
kommenden Jahr zunächst nicht vom gesetzlichen Min-
destlohn profitieren. Denn hier wird vor allen Dingen die
Übergangsregelung greifen, in der festgelegt werden
soll, dass die Arbeitgeber diesen Beschäftigten den Min-
destlohn vorenthalten können. Auch das gehört zu Ihrem
Flickenteppich des Mindestlohns. Herr Schiewerling, ich
schaue Sie da ganz besonders an.


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Gut so!)


Sie sagen immer, der Mindestlohn, so wie Sie ihn ein-
führen, ist das Nonplusultra.

Das größte Problem ist aber die Umsetzung des Bran-
chenmindestlohns in der Praxis; Frau Kramme hat das
angesprochen. Erst massive Medienberichte haben dazu
geführt, dass die Arbeitgeber bereit waren, einen Tarif-
vertrag abzuschließen, der jetzt als allgemeinverbindlich
erklärt werden und für alle Beschäftigten gelten soll.
Schon jetzt ist klar, dass Arbeitgeber alles tun werden,
um die gesetzlichen Regelungen zu umgehen und zu
unterlaufen. Scheinselbstständigkeiten, falsche Stunden-
abrechnungen, Zwangsabgaben vom Lohn für überteu-
erte Unterkünfte, all das sind Praktiken, die wir alle
schon aus anderen Branchen kennen.

Eine effektive Kontrolle ist nur möglich, wenn die
Finanzkontrolle Schwarzarbeit personell ordentlich aus-
gestattet ist. Dies ist derzeit nicht der Fall. Um ordent-
lich zu kontrollieren, brauchen wir mindestens 2 500 Be-
schäftigte mehr. Das fordert die Zollgewerkschaft. Die
Bundesregierung muss dem Wildwuchs an Scheinwerk-
verträgen und Subunternehmen Einhalt gebieten. Sie





Sabine Zimmermann (Zwickau)



(A) (C)



(B)

muss auf europäischer Ebene für eine Durchsetzungs-
richtlinie sorgen, die nicht einem weiteren Lohndumping
hier in Deutschland Tür und Tor öffnet.


(Beifall bei der LINKEN)


Um auf die damalige Rede unserer heutigen Arbeits-
ministerin zurückzukommen: Solange in Deutschland
Menschen harte Arbeit unter krankmachenden Bedin-
gungen leisten und dafür auch noch Hungerlöhne in
Kauf nehmen müssen, solange Praktiken wie in Callcen-
tern, bei den Truckerfahrern oder in der Fleischindustrie
zu- und nicht abnehmen, so lange darf nichts bleiben,
wie es ist, und so lange ist nichts wunderbar auf unserem
Arbeitsmarkt. Hier – das möchte ich den beiden Staats-
sekretärinnen mit auf den Weg geben – muss Frau
Nahles endlich handeln.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802616900

Vielen Dank. – Bevor gleich der Kollege

Schiewerling das Wort erhält, darf ich Ihnen die von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten
Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt
geben.

Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung zu dem Antrag zur Änderung der
Geschäftsordnung zur besonderen Anwendung der Min-
derheitenrechte in der 18. Wahlperiode auf den Drucksa-
chen 18/481 und 18/997: abgegebene Stimmen 588. Mit
Ja haben gestimmt 531, mit Nein haben gestimmt 2, Ent-
haltungen 55. Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men.

(D)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 585;
davon

ja: 530
enthalten: 55

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)






Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier-Heite
Dr. h. c. Gernot Erler
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer

Enthalten

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)

Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgeset-
zes auf den Drucksachen 18/838 und 18/997: abgege-
bene Stimmen 582. Mit Ja haben gestimmt 54, mit Nein
haben gestimmt 470, Enthaltungen 58. Der Gesetzent-
wurf ist abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 583;
davon

ja: 55
nein: 470
enthalten: 58

Ja

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)






Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier-Heite
Dr. h. c. Gernot Erler
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Enthalten

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Aber knapp!)


Jetzt hat der Kollege Schiewerling das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1802617000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe sehr, dass die Zei-
tungsmeldungen von menschenunwürdigen Arbeits- und
Lebensbedingungen von Arbeitnehmern in der Fleisch-
industrie bald ein Ende haben. Da haben wohl einige
Unternehmer und Unternehmen die Liberalisierung des
Arbeitsmarktes, die in den Jahren 2003, 2004 und 2005
erfolgt ist, gründlich missverstanden. Wer glaubt, er
könne mit Arbeitnehmern umgehen wie mit dem
Fleisch, das man verarbeitet, der muss wissen, dass er
nicht nur sich selbst, sondern auch andere Unternehmer
und die Ethik des Unternehmers in höchstem Maße be-
schädigt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich möchte von denen, die dieses machen, nie mehr hö-
ren, dass der Staat zu viel reguliert. Wer so mit Men-
schen umgeht, braucht sich nicht zu wundern, wenn der
Staat eingreift.


(Beifall im ganzen Hause)


Das tun wir mit diesem Gesetz.

Meine Damen und Herren, ich bin sehr betroffen. In
meinem Wahlkreis Coesfeld, im Münsterland, im be-
nachbarten Emsland und im südlichen Oldenburger
Münsterland


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Bei uns auch!)


konzentrieren sich diese Probleme in massivster Weise.
Sie haben dort Wellen geschlagen und Ausmaße erreicht,
die man nicht für möglich gehalten hätte. Ich freue mich
sehr, dass die Menschen durch den Anblick der Unter-
künfte der Arbeitnehmer, die aus Rumänien und Bulga-
rien gekommen sind, auf die Situation aufmerksam ge-
worden sind und festgestellt haben, unter welch
unwürdigen Bedingungen diese Arbeitnehmer gelebt ha-
ben und leben. Weil man ja nicht hinter die Mauern der
Schlachthöfe schauen konnte, hatte man nur den Blick
dafür, wie die Menschen, die dort arbeiten, leben. Das
hat den – im besten Sinne des Wortes – heiligen Zorn der
Bevölkerung hervorgerufen.

Gott sei Dank haben sich die Gewerkschaft Nahrung-
Genuss-Gaststätten, die in den Regionen, von denen ich
gerade gesprochen habe, aber strukturell zu schwach
aufgestellt ist – das werfe ich ihr nicht vor; es ist leider
so –, und die Kirchen, insbesondere das Bistum Münster,
also die katholische Kirche, mit der Situation befasst,
und im südlichen Oldenburg hat Prälat Kossen mit un-
glaublicher Intensität auf die Missstände aufmerksam
gemacht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich darf darauf hinweisen, welch große Emotionen es
ausgelöst hat, als man ein totes Tier in seinen Briefkas-
ten gesteckt hat, als Hinweis darauf, was ihm passiert,
wenn er so weitermacht. Wissen Sie, bei solchen Ma-
chenschaften sträuben sich einem die Nackenhaare.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist eine reine Mafia!)


Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Das hat mit sozialer
Marktwirtschaft und verantwortungsvollem Unterneh-
mertum nichts, aber auch gar nichts zu tun.


(Beifall im ganzen Hause)


Deswegen reagieren wir. Wir haben im letzten Jahr
reagiert, indem wir zunächst mit allen Betroffenen gere-
det haben. Die Bundesarbeitsministerin hat sich einge-
schaltet. Franz-Josef Holzenkamp, der Kollege aus Süd-
Oldenburg, wo die Situation besonders eklatant ist, hat
die Betroffenen dazu gebracht, sich an einen Tisch zu
setzen.

Wir haben gesagt: Wir fallen nicht mit allen mögli-
chen gesetzlichen Regelungen ein, sondern wir zwingen
die Arbeitgeber, die Unternehmen, endlich dazu, einen
Arbeitgeberverband zu gründen, damit sie ordentliche
Tarifverträge mit der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-
Gaststätten schließen können. – Sie haben sich erst ge-
sträubt – nicht alle; einige haben sich in besonderer
Weise gesträubt –, aber dann konnten sie nicht mehr an-
ders; der öffentliche Druck war entscheidend. Wir sind
einen ordnungspolitisch sauberen Weg gegangen. Sie ha-
ben einen Arbeitgeberverband gegründet. Sie haben mit
der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten einen
Tarifvertrag geschlossen. Dieser Tarifvertrag – so haben
wir das in dieser Koalition einvernehmlich geklärt –
wird jetzt Gegenstand des Entsendegesetzes. Deswegen
werden in Zukunft die entsandten Arbeitnehmer aus Ru-
mänien, aus Bulgarien, woher auch immer sie kommen,
geschützt sein und zumindest das erhalten, was im Tarif-
vertrag steht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802617100

Herr Schiewerling, gestatten Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Vogler?


Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1802617200

Ja. Kollegen aus dem Münsterland muss man immer

die Möglichkeit geben, profunde Fragen zu stellen.


Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802617300

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischen-

frage oder Zwischenbemerkung zulassen. – Ich komme
– Sie haben das schon erwähnt – ebenfalls aus dem
Münsterland, aus Emsdetten. Da haben wir die Zu-
stände, die Sie beschrieben haben, in dem Betrieb von
Sprehe. Es gibt sehr viele Menschen, die sich für das
Wohl der betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter enga-
gieren.

Wir sehen noch ein großes Problem, das Sie mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf noch nicht angehen. Ich





Kathrin Vogler


(A) (C)



(D)(B)

würde Sie gern darauf hinweisen, dass es einen starken
ökonomischen Anreiz gibt, einen gesetzlichen Anreiz,
Normalarbeitsverhältnisse in diesem Bereich zu vermei-
den und auf Werkverträge und Leiharbeit zu setzen. Die-
sen Anreiz setzt das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit
der Möglichkeit für Unternehmen, sich durch einen ho-
hen Anteil von Leiharbeit und Werkverträgen von der
EEG-Umlage befreien zu lassen. Da sind in den letzten
Jahren Millionen Euro gespart worden, gerade in der
Schlachtbranche. Auf Anfrage der Grünen und auch auf
meine Anfrage hin hat die Bundesregierung das berich-
tet.

Jetzt haben Sie bestätigt, dass Sie eigentlich noch
keine Pläne dazu haben, genau diesen Punkt bei der Re-
form des EEG, die schon in der nächsten Woche im Ka-
binett auf der Tagesordnung steht, aufzunehmen. Ich
möchte Sie als Kollegen, der sich in der Materie aus-
kennt und der Empathie für die Beschäftigten mitbringt,
einfach bitten: Setzen Sie sich in Ihrer Fraktion und in
der Regierungskoalition insgesamt bitte dafür ein, dass
bei der Reform des EEG diese Regelung, dass Werkver-
träge und Leiharbeit dazu dienen können, eine Befreiung
von der EEG-Umlage zu bekommen, gestrichen wird,
damit wir auch in dieser Branche wieder ordentliche und
sichere Normalarbeitsverhältnisse bekommen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1802617400

Frau Kollegin, ich habe Ihnen noch gar nichts bestä-

tigt, sondern ich habe hier vorgetragen, was ist. Ich
nehme die Anregungen, die Sie mit Blick auf das Erneu-
erbare-Energien-Gesetz gegeben haben, zur Kenntnis.
Wir können aber in dem Gesetzgebungsverfahren, um
das es heute geht, nicht alle Dinge regeln.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber bei der EEG-Novelle!)


In diesem Gesetzgebungsverfahren regeln wir zunächst
einmal, dass die Menschen, die aus Rumänien, Bulga-
rien und von sonst wo zu uns kommen, faire Arbeitsbe-
dingungen haben. Wir werden alles tun, dass nicht am
Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik Fairness am
Arbeitsmarkt scheitert.

Alle anderen Fragen, die sich aus volkswirtschaftli-
chen Erwägungen ergeben oder die mit Energie zu tun
haben, müssen anderswo geklärt werden. Dazu werden
wir ganz sicher keine Lex Schlachthöfe machen. In wel-
cher Form das passiert, wird an anderer Stelle zu klären
sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zum vorliegenden Gesetzentwurf lassen Sie mich
noch darauf hinweisen, dass wir in Deutschland ein
funktionierendes, ein, wie ich finde, gut funktionieren-
des, Rechtssystem haben. Wir werden diejenigen, die
Missbrauch betreiben wollen, auch mit diesem Gesetz-
entwurf möglicherweise nicht hindern, Missbrauch zu
betreiben, aber wir bekommen damit die Möglichkeit,
Missbrauch gesetzlich zu ahnden. Ich freue mich sehr,
dass wir im Rahmen des Mindestlohngesetzes, das wir
noch beraten werden, und im Rahmen des vorliegenden
Gesetzes auch die Möglichkeiten des Zolls mit der Fi-
nanzkontrolle Schwarzarbeit deutlich verbessern wer-
den, damit wir dem Missbrauch dann auch auf die Spur
kommen. Dass es funktioniert, sehen wir zum Beispiel in
dem Kreis, aus dem Sie kommen. Da hat die Justiz zuge-
schlagen. Der Unternehmer, der geglaubt hat, sich so
verhalten zu können, sitzt hinter Schloss und Riegel. Er
ist verhaftet und verurteilt worden. Diejenigen aus der
Familie, die glauben, sie könnten das so weitermachen,
werden sich wundern; sie werden sehen, was mit ihnen
passiert.

Ich glaube, dass wir in diesem Punkt ein ordentliches
rechtsstaatliches Verfahren beschreiten. Ich bin sehr
froh, dass das, was wir noch in der letzten Legislaturpe-
riode auf den Weg gebracht haben, jetzt den Weg nimmt,
den wir eingeschlagen haben.

Lassen Sie mich auf folgende Fragen eingehen: Was
heißt es eigentlich, wenn wir diesen Gesetzentwurf ver-
abschieden? Welche Botschaften gehen davon eigentlich
aus? – Wir möchten gerne, dass von der Verabschiedung
dieses Gesetzentwurfs die Botschaft ausgeht, dass wir
für Fairness und für Mindeststandards auf dem Arbeits-
markt sind. Die Arbeitnehmer, die zu uns kommen, sol-
len wissen, dass wir nicht dulden, dass mit ihnen so ver-
fahren wird, wie bisher verfahren wurde. Ich kann die
Unternehmen, die Werkvertragsarbeitnehmer aus ande-
ren Ländern zu uns holen, nur inständig bitten, nicht zu
sagen, sie hätten mit deren Unterbringung und Lebens-
situation nichts zu tun. Vielmehr tragen diese Unterneh-
men Mitverantwortung; sie sollten also ethisch verant-
wortungsvoll handeln. Das sagen wir ihnen gemeinsam.

Ich kann nur darum bitten, dass das, was die Ge-
meinde Sögel im Emsland begonnen hat, andere Ge-
meinden übernehmen, nämlich durch Ortssatzungen und
Ortsstatuten dafür zu sorgen, dass Menschen, die aus an-
deren Ländern zu uns kommen, einen Mindeststandard
an ordnungsgemäßer, menschenwürdiger Unterbrin-
gung haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Hier haben die Kommunen Gestaltungsmöglichkeiten.
Das Ganze ist nicht nur eine Frage des Bundesgesetzge-
bers; vielmehr kann man die betreffenden Dinge vor Ort
regeln. Dafür setzen wir uns massiv ein.

Ich bin sehr froh, dass wir die Fleischbranche jetzt ins
Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufnehmen. Froh sind mit
mir alle Landwirte, die mit dem bisherigen Verfahren
nicht einverstanden waren, und alle Menschen, die sich
für die Menschen, mit denen man schlecht umgegangen
ist, engagiert haben. Ich glaube, wir sind auf einem gu-
ten Weg.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802617500

Nächste Rednerin ist Beate Müller-Gemmeke, Bünd-

nis 90/Die Grünen.






(A) (C)



(D)(B)


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Unlängst saß ich abends tatsächlich
einmal auf dem Sofa und habe mir als Tatort-Fan eine
Wiederholung angeschaut, und zwar Schweinegeld. Da
geht es um Mord in einem Schlachthof. Dieser Krimi
war nicht nur spannend; er zeigte vor allem eine unsägli-
che Realität in Deutschland. Damit ist nun endlich
Schluss, zumindest bei den Dumpinglöhnen. Endlich
wurde in der Fleischbranche wenigstens ein Mindestlohn
vereinbart. Und der wird jetzt auch zügig in das Arbeit-
nehmer-Entsendegesetz übernommen. Das haben wir
Grüne schon lange gefordert, und deshalb unterstützen
wir natürlich den Gesetzentwurf der Bundesregierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Auf den ersten Blick scheint es, als ob diese Über-
gangsregelung beim Mindestlohn zumindest in dieser
Branche die Tarifautonomie stärkt. Schlussendlich wird
sich das aber erst in der Zukunft zeigen. Wenn die Ar-
beitgeber der Fleischbranche diesen Mindestlohntarif-
vertrag nur auf den Weg gebracht haben, damit sie trotz
des gesetzlichen Mindestlohns noch eine Weile niedriger
entlohnen können, dann wäre diese Ausnahme fatal. Die
Arbeitgeber müssen die Zeit jetzt natürlich nutzen und in
weiter gehende Tarifverhandlungen einsteigen. Natürlich
muss es auch um höhere Löhne gehen. Passiert hier
nichts, dann war die Übergangsregelung lediglich ein
Geschenk an die Branche, und das wäre nicht akzepta-
bel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Neben den niedrigen Löhnen geht es natürlich auch
um die Arbeitsbedingungen, und die sind miserabel. In
NRW beispielsweise wurden bei zwei Dritteln der kon-
trollierten Betriebe massive Arbeitsschutzmängel festge-
stellt. Die Arbeitszeiten in der Branche sind katastro-
phal: 13 Stunden am Stück am Fließband sind häufig
Normalität. Die Gesundheitsvorsorge ist völlig unzurei-
chend. Arbeitsunfälle sind an der Tagesordnung, und die
fürchterlichen Zustände in den Unterkünften der Be-
schäftigten sind ebenfalls bekannt. Daher muss die Ar-
beitsministerin auch auf die Arbeitgeber Druck machen,
und vor allem muss es effektive Kontrollen geben; denn
alle Beschäftigten, auch in der Fleischbranche, haben
das Recht auf gute Arbeitsbedingungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Was für die Menschen nicht gut ist, schadet auch den
Tieren. Wenn Bandgeschwindigkeiten aus wirtschaftli-
chen Gründen immer schneller werden, dann bleiben nur
noch wenige Sekunden, um ein Tier zu betäuben und in
Würde zu töten. Jährlich werden so in Deutschland
770 Millionen Tiere geschlachtet, und wegen der enor-
men Geschwindigkeit wird eine nicht unbeträchtliche
Anzahl ohne jegliche Betäubung getötet. Auch diese
Probleme muss die Bundesregierung endlich in den
Blick nehmen; denn echter Tierschutz sieht anders aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Aber jetzt wieder zurück zu den Menschen und zum
Tatort Schweinegeld. In dem Film wird der Kommissar
durch den Betrieb geführt. Er fragt nach den Beschäftig-
ten. Die Sekretärin antwortet ganz selbstverständlich
und kurz: Das sind nicht unsere Arbeiter. – Genau so ist
es im echten Leben – es wurde schon angesprochen –:
Viele Beschäftigte kommen aus Rumänien oder Bulga-
rien, sie arbeiten unter menschenunwürdigen Bedingun-
gen, sie schlachten und zerlegen tagtäglich Tiere im Ak-
kord. Wenn sie überhaupt einen Arbeitgeber haben, dann
arbeiten sie teilweise für dubiose Firmen. Ihr Arbeitsver-
hältnis wird getarnt als Werkvertrag. – Auch das ist un-
sägliche Realität in Deutschland. Hier muss die Bundes-
regierung endlich tätig werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Im Koalitionsvertrag steht zwar, dass die Bundesre-
gierung gesetzeswidrige Werkverträge verhindern will;
bisher sind das aber nur spröde Worte und Pläne für das
nächste Jahr.


(Katja Mast [SPD]: Und was ist mit dem Mindestlohn?)


Wenn durch zweifelhafte Werkvertragskonstruktionen
immer mehr Firmen auf demselben Betriebsgelände ar-
beiten, dann zersplittern die Belegschaften – zulasten der
Beschäftigten, der Betriebsräte, der Gewerkschaften.
Die Ministerin will die Tarifautonomie stärken. Wenn sie
das wirklich ernst meint, dann muss endlich Schluss sein
mit diesem Missbrauch von Werkverträgen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Mein Fazit ist also: Der Mindestlohn in der Fleisch-
branche ist richtig und auch wichtig; aber er reicht nicht
aus. Notwendig sind bessere Arbeitsbedingungen und
auch klare Grenzen für Werkverträge. Notwendig sind
vor allem effektive Kontrollen, gerade in dieser Bran-
che; Herr Schiewerling, Sie haben es eben ausgeführt.
Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die letztlich alle
Mindestlöhne kontrollieren muss, hat aber schon heute
zu wenig Personal, und mehr Personal ist auch nicht ge-
plant. Hier muss die Arbeitsministerin beim Finanz-
minister endlich klare Kante zeigen; denn ein Mindest-
lohn nur auf dem Papier – das wäre nicht akzeptabel.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802617600

Vielen Dank. – Es spricht jetzt Bernd Rützel, SPD-

Fraktion.





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Bernd Rützel (SPD):
Rede ID: ID1802617700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich
ein kleiner Junge war, gab es einmal im Jahr bei uns zu
Hause ein besonderes Ereignis: Es war Schlachttag. Ein
ortsansässiger Metzger kam vorbei und zerlegte in der
heimischen Waschküche ein Schwein. So war der Bedarf
an Wurst, Schinken und Fleisch für Monate gedeckt.

Seither ist viel passiert: Heute sprechen wir von der
Fleischindustrie, und unser Hunger nach Fleisch wird in-
dustriell gestillt. Aus dem löblichen, ehrsamen Flei-
scherhandwerk ist eine Fleischindustrie entstanden,
die vor allem durch schlechte Arbeitsbedingungen auf
sich aufmerksam machte. Vor allem die Schlachtin-
dustrie hat lange Jahre auf das Geschäftsmodell aus
Werkverträgen und Subunternehmerketten gesetzt.
Für einen Monatslohn von umgerechnet 176 Euro
wurden – auch in meiner Heimat Bayern – Menschen
aus Rumänien durch Subunternehmen beschäftigt. Ich
kritisiere hier in keinster Weise, dass Menschen aus
anderen Ländern bei uns arbeiten. Ich bin für die Ar-
beitnehmerfreizügigkeit – aber zu fairen Bedingun-
gen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Politik hätte auf diese Missstände längst reagie-
ren können. Die Einführung eines flächendeckenden ge-
setzlichen Mindestlohnes hätte für Ordnung in dieser
Branche sorgen können. Deswegen freue ich mich, dass
ich heute an der Einführung eines Mindestlohnes mitar-
beiten kann. Ich habe mich gefreut, dass stellenweise
alle hier – über die Fraktionsgrenzen hinweg – applau-
diert haben. Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/ CSU)


Die Branche der fleischverarbeitenden Industrie
schlüpft unter die Decke des Arbeitnehmer-Entsendege-
setzes. Durch die Aufnahme in das Arbeitnehmer-Ent-
sendegesetz sorgen wir dafür, dass der allgemeinver-
bindliche Mindestlohn auch für nicht tarifgebundene
Betriebe gilt.

Der Tarifvertrag zwischen der Arbeitgebervereini-
gung Nahrung und Genuß und der Gewerkschaft Nah-
rung-Genuss-Gaststätten wird für allgemeinverbindlich
erklärt. Dadurch können die Löhne von vielen Tausend
Menschen in der Fleischbranche noch vor Einführung
des gesetzlichen Mindestlohnes am 1. Januar 2015 teils
deutlich erhöht werden – und das unabhängig davon, ob
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in regulärer
Beschäftigung oder in Leiharbeit sind oder ob es sich um
über Werkverträge mit Subunternehmen beschäftigte
Menschen handelt. Allein Letztere sind über 20 000
meist osteuropäische Werkvertragsnehmer, die für Nied-
rigstlöhne arbeiten.
In der deutschen Fleischbranche tätige Menschen sind
damit endlich gleichermaßen gegen die übelsten Formen
des Lohndumpings geschützt. Es geht am 1. Juli 2014
mit 7,75 Euro pro Stunde los. Im Dezember 2014 wer-
den es 8 Euro sein. Ab dem 1. Oktober des nächsten Jah-
res erhöht sich der Mindestlohn auf 8,60 Euro und ab
1. Dezember 2016 auf 8,75 Euro.

Aus drei Gründen freue ich mich heute besonders da-
rüber, dass jetzt auch diejenigen an den Fleischtöpfen
bedacht werden, die in unserem Teil der Welt die
Fleischtöpfe für uns füllen: Es kehrt ein Stück Gerech-
tigkeit ein; die Ausbeutung wird beendet. Es wurde end-
lich ein Mittel gegen die kriminelle Ausnutzung von
Werkverträgen gefunden. Es ist ein deutliches Zeichen
für andere Branchen, und der Mindestlohn wirkt bereits.

Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, enden wir
nicht wie Johanna Dark in Die heilige Johanna der
Schlachthöfe von Bertolt Brecht, die den ausgesperrten
Arbeitern auf den Schlachthöfen Chicagos den Glauben
an Gott näherbringen will und am Ende erkennen muss,
dass ihre Hoffnungen auf Gott und die Verhandlungen
mit den Kapitalisten gescheitert sind und dass sie den
Arbeitern, denen sie helfen wollte, nur geschadet hat.

Heute ist ein guter Schlachttag.

Danke schön.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802617800

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Wilfried Oellers

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1802617900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Heute ist ein guter Tag


(Heiterkeit bei der SPD)


für die Beseitigung von Missbrauch und ungewünschten
Arbeitsbedingungen in Deutschland und ein guter Tag
für die Tarifautonomie in unserem Land.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist es eben nicht!)


Mit der Aufnahme der Fleischbranche findet nunmehr
eine weitere und damit die 14. Branche Einzug ins Arbeit-
nehmer-Entsendegesetz. Damit wird ein weiterer bundes-
weiter Mindestlohn bzw. Mindeststandard geregelt.

Bei Zustimmung zum hier vorliegenden Gesetzent-
wurf gilt für die Fleischbranche ab dem 1. Juli 2014 ein
bundeseinheitlicher Mindestlohn in Höhe von 7,75 Euro
pro Stunde. Nach einer Anhebung des Mindestlohns ab
dem 1. Dezember 2014 auf 8 Euro und einer weiteren
Anhebung ab dem 1. Oktober 2015 auf 8,60 erreicht der
Mindestlohn ab dem 1. Dezember 2016 einen Betrag in
Höhe von 8,75 Euro.





Wilfried Oellers


(A) (C)



(D)(B)

Durch den am 13. Januar 2014 zwischen den Tarifver-
tragsparteien geschlossenen Tarifvertrag wird damit die
im Koalitionsvertrag vereinbarte Mindestlohnhöhe von
8,50 Euro mehr als ein Jahr vor dem Stichtag 1. Januar
2017, ab dem der bundesweit einheitliche Mindestlohn
in Höhe von 8,50 Euro auch für bis dahin noch gültige
anderweitige tarifvertragliche Vereinbarungen gelten
soll, überschritten.

Die aus dem Gesetzentwurf resultierende Aufnahme
des vereinbarten Tarifvertrags der Fleischindustrie in das
Arbeitnehmer-Entsendegesetz hat insbesondere zur
Folge, dass die Arbeitnehmer von ausländischen Subun-
ternehmern, die in Deutschland arbeiten, ebenfalls die
genannten Mindestlöhne und Mindeststandards zu erhal-
ten haben. Damit wird ein zu Recht an den Pranger ge-
stellter Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbei-
tern aus Osteuropa unterbunden; denn eine solche
Aufnahme erfolgt nach dem Arbeitnehmer-Entsendege-
setz mit dem Ziel, angemessene Mindestarbeitsbedin-
gungen für grenzüberschreitend entsandte und für regel-
mäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer zu schaffen und faire und funktionierende
Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten. Dies gilt bei
der Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für
alle Betriebe einer Branche.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Durch den geschilderten Missbrauch geriet nicht nur
die gesamte fleischverarbeitende Branche in Misskredit.
Diese negativen Zustände hatten eine gewisse Strahlwir-
kung und damit auch Auswirkungen auf das fleischpro-
duzierende landwirtschaftliche Gewerbe, das in dieser
Diskussion zu Unrecht in einem Atemzug mit der
Fleischwirtschaft genannt wurde.

Mit diesem Tarifvertrag haben es die Tarifvertrags-
parteien geschafft, Mindeststandards bundeseinheitlich
festzulegen, um so zukünftig den geschilderten Miss-
brauch zu unterbinden.

All die genannten Gründe rechtfertigen die Empfeh-
lung, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, um den negati-
ven Eindrücken der Vergangenheit entgegenzuwirken.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Insbesondere ist bei diesem Gesetzentwurf zu berück-
sichtigen, dass es der ausdrückliche Wunsch der Tarif-
vertragsparteien ist, den beschlossenen bundeseinheitli-
chen Tarifvertrag in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz
aufzunehmen. Der Gesetzgeber sollte sich diesem aus-
drücklichen Wunsch nicht entgegenstellen und damit die
Tarifautonomie stärken.

Die gewünschte Aufnahme der Fleischbranche in das
Arbeitnehmer-Entsendegesetz stellt damit den letzten
Schritt eines seit Frühjahr bzw. Sommer 2013 eingeleite-
ten Prozesses dar. Sie ist als wesentlicher Erfolg der
Union anzusehen, die sich sehr für den Abschluss eines
bundeseinheitlichen Tarifvertrags der Fleischbranche
ausgesprochen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Vor allem aber ist diese Aufnahme ein deutlicher Er-
folg für die Tarifautonomie. Sie stärkt damit die verfas-
sungsrechtlich garantierte Tarifvertragsfreiheit, für die
sich die Union stets eingesetzt hat. Dass nunmehr die 14.
Branche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufge-
nommen wird, ist ein deutliches positives Signal in
Richtung Tarifvertragsfreiheit. Diese positive Entwick-
lung sollte uns Anlass geben, die Tarifautonomie bei al-
len anderen anstehenden Entscheidungen weiter zu stär-
ken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Katja Mast [SPD]: Das machen wir ja mit den Tarifverträgen!)


Heute ist ein guter Tag für die Beseitigung von Miss-
ständen und für die Tarifautonomie in Deutschland. Las-
sen Sie uns weiter daran arbeiten, dass noch viele weitere
gute Tage für die Tarifautonomie und gegen Missbrauch
in Deutschland folgen werden!

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1802618000

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dennis Rohde,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dennis Rohde (SPD):
Rede ID: ID1802618100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendege-
setzes auf die Fleischwirtschaft steht unmittelbar bevor.
Der Weg ist frei, den zu Beginn dieses Jahres ausgehan-
delten Mindestlohn für allgemeinverbindlich zu erklä-
ren. Damit schieben wir der Ausbeutung von Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmern auch in diesem Bereich
endlich einen Riegel vor.


(Beifall bei der SPD)


Für uns als Land inmitten Europas ist dabei wichtig,
dass die Tarifbedingungen dann auch für Arbeitgeber
gelten, die ihren Sitz im Ausland haben und die Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer nach Deutschland ent-
senden. Als Abgeordneter aus der Region Weser-Ems
kann ich Ihnen aus Erfahrung sagen, dass dieses Thema
ein Dauerbrenner ist: allgegenwärtig in den Medien,
landauf, landab, Gesprächsrunde für Gesprächsrunde,
Diskussionen in den Räten, im Landtag oder in extra ein-
gerichteten Arbeitskreisen. Wir haben genau wie die an-
deren betroffenen Regionen lange auf den heutigen Tag
gewartet. Nicht zuletzt dank des Einsatzes von Bundes-
arbeitsministerin Nahles und des Abschlusses des Bran-
chendialoges im März 2014 können wir sagen: Auch die
Fleischindustrie bekommt endlich einen Mindestlohn.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Als Sozialdemokrat sage ich Ihnen: Stundenlöhne von
wenigen Euro zu bezahlen und den Beschäftigten dann





Dennis Rohde


(A) (C)



(D)(B)

noch überzogene Mieten für schmuddelige Gruppenun-
terkünfte abzuziehen, ist schamlos und kaltschnäuzig.
Das werden wir in diesem Hause nicht weiter hinneh-
men.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Denn uns ist doch klar: Solch unverfrorenes Handeln
verunglimpft auch die Betriebe, in denen es ordentlich
und nach Tarifrecht zugeht. Es verzerrt den Wettbewerb
und schädigt unsere Wirtschaft. Damit ist jetzt Schluss.

Zusammengefasst geht es also um zwei Dinge: ers-
tens um den Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern vor Dumpinglöhnen, vor Ausbeutung und nicht
angemessenen Arbeitsbedingungen und zweitens um die
Wiederherstellung von gleichen Wettbewerbsbedingun-
gen für unsere Unternehmen. Genau deshalb muss ein
Tarifvertrag für die ganze fleischverarbeitende Industrie
gelten und nicht nur für die Betriebe, die sich auch ohne
Gesetz an die guten Sitten halten.


(Beifall bei der SPD)


Es zeigt sich heute erneut: Tarifautonomie und ord-
nungspolitische Verantwortung harmonieren sehr gut
miteinander und führen gemeinsam zu vernünftigen
Ergebnissen. Denn es ist parlamentarische Pflicht, nicht
einfach alles laufen zu lassen. Wer unter dem Deckman-
tel des Mantras „Der Markt wird es schon regeln“ Unge-
rechtigkeiten wie bizarr niedrige Löhne kleinredet, der
braucht arbeitsmarktpolitische Nachhilfe. Denn genau
das ist nicht die sozial-marktwirtschaftliche Idee eines
fairen Zusammenspiels von Politik, Wirtschaft und Ge-
sellschaft.


(Beifall bei der SPD)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Große
Koalition liefert. Wir bauen keine Luftschlösser. Wir
verteilen keine rosaroten Brillen. Wir diskutieren und
beschließen pragmatische Lösungen und räumen syste-
matisch das ab, was in den letzten Jahren liegen geblie-
ben ist. Es liegt viel vor uns, und das sitzen wir nicht aus,
sondern wir packen es an. Es wurde auch Zeit.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802618200

Vielen Dank. – Nächster Redner für die CDU/CSU ist

der Kollege Matthäus Strebl.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Matthäus Strebl (CSU):
Rede ID: ID1802618300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Zum wiederholten Mal beraten wir heute
einen Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitnehmer-
Entsendegesetzes. Heute steht die Fleischindustrie in
ihrer ganzen Vielfalt vom Schlachten bis zur Fleisch-
verarbeitung im Mittelpunkt. Von der Aufnahme in das
Arbeitnehmer-Entsendegesetz sind über 80 000 Be-
schäftigte direkt betroffen. Sie sorgen unter hohen kör-
perlichen Belastungen letztlich für unser aller leibliches
Wohl, ohne entsprechend entlohnt zu werden.
Für bundesweite Empörung sorgte kürzlich, vor etwa
einem Dreivierteljahr, die Südfleisch, als bekannt wurde,
dass sie mithilfe von Werkverträgen osteuropäische
Arbeitnehmer ausbeutete.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir schon lange!)


In der Sendung Kontrovers des Bayerischen Fernsehens
wurde ausführlich darüber berichtet, dass eine rumäni-
sche Frau, die bei Südfleisch beschäftigt war und eigent-
lich 1 076 Euro hätte bekommen sollen, mit 170 Euro
abgefunden wurde. Sie konnte nicht einmal die Heim-
reise bezahlen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, da fehlt der
Respekt für geleistete Arbeit. Das ist beschämend, und
deswegen müssen wir darauf reagieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Unser Ziel ist es, mit dem Gesetz den Beschäftigten
der Fleischindustrie endlich eine vernünftige Bezahlung
zu sichern. Wir werden als Gesetzgeber die Beschäftig-
ten der Fleischindustrie vor Wildwuchs und Ausbeutung
schützen.

Lassen Sie mich kurz zurückblicken: Als das Arbeit-
nehmer-Entsendegesetz im April 2009 in Kraft trat, ging
es um – ich zitiere – „zwingende Arbeitsbedingungen für
grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im
Inland beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer“. Damit sollten faire und funktionierende Wett-
bewerbsbedingungen gewährleistet werden.

Zugleich galt es, sozialversicherungspflichtige Be-
schäftigung zu erhalten und die Ordnungs- und Befriedi-
gungsfunktion der Tarifautonomie zu wahren. Sieben
Branchen waren es, die anfangs in das Verzeichnis des
Entsendegesetzes aufgenommen wurden. Inzwischen
sind – zuletzt im Dezember des vergangenen Jahres mit
dem Friseurhandwerk – fünf weitere Branchen hinzuge-
kommen.

Trotz aller Fortschritte auf diesem Gebiet sind heute
und in Zukunft weitere Ergänzungen und Fortschreibun-
gen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes unerlässlich.
Das gilt ganz besonders für die Fleischindustrie. Denn
wir kommen nicht an der Tatsache vorbei: Aufgrund
einiger schwarzer Schafe ist die gesamte Branche in den
vergangenen Jahren zunehmend in Verruf geraten. Die
offenen Grenzen zu den osteuropäischen Ländern haben
dazu geführt, dass speziell in der Fleischindustrie – be-
sonders in den grenznahen Regionen – massenhaft Miss-
brauch mit der Not der Menschen aus diesen Ländern
betrieben wurde und teilweise noch wird.

Beispielhaft hierfür steht die Südfleisch, die ich be-
reits genannt habe. Dieses Unternehmen hat die Mög-
lichkeit genutzt – richtiger ist es, zu sagen: Missbrauch
betrieben –, Werkverträge mit Subunternehmen abzu-
schließen, statt die Arbeitnehmer zu fairen Bedingungen
selbst anzustellen. Werkverträge sind im Grunde genom-
men etwas Gutes. Das aber muss richtig betrieben wer-
den, und wenn hier Missbrauch betrieben wird, müssen
wir eingreifen.





Matthäus Strebl


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bekannt und leider durchaus keine Ausnahme ist,
dass in deutschen Schlachthöfen Arbeitnehmer vor allem
aus osteuropäischen Nachbarländern für weniger als
200 Euro im Monat schuften und Schwerstarbeit ver-
richten müssen. Solchen Erscheinungen wollen und
müssen wir entgegentreten. Deshalb ist die vorliegende
Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes überfäl-
lig und unverzichtbar. Das Bundeskabinett hat daher am
26. Februar 2014 einen Gesetzentwurf zur Änderung des
Arbeitnehmer-Entsendegesetzes beschlossen. Erst wenn
die Branche im Branchenkatalog des Arbeitnehmer-Ent-
sendegesetzes steht, kann der Mindestlohn für allge-
meinverbindlich erklärt werden.

Erfreulicherweise – das wurde von den Vorrednern
schon gesagt – hat die Tarifkommission der Fleischwirt-
schaft einen Mindestlohntarifvertrag vereinbart. Das war
am 13. Januar dieses Jahres. Das muss man dankenswer-
terweise sagen. Die Kollegen haben schon auf die Stei-
gerung hingewiesen. Der Stundenlohn soll beginnend
bei 7,75 Euro über 8 Euro und 8,60 Euro auf 8,75 Euro
steigen. Das müssen wir jetzt im Arbeitnehmer-Entsen-
degesetz aufnehmen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
uns da herangehen, die Fleischindustrie in den Bran-
chenkatalog des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf-
nehmen und dazu beitragen, dass ordentliche Löhne ge-
zahlt werden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802618400

Der Kollege Strebl hatte das letzte Wort zu diesem

Tagesordnungspunkt. Deshalb schließe ich hiermit die
Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/910 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 9 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta
Haßelmann, Kerstin Andreae, Dr. Thomas
Gambke, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Eine Milliarde Euro Entlastung für Kommu-
nen im Jahr 2014 umsetzen

Drucksache 18/975
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsauschuss (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Da sind wir mal gespannt, Frau Haßelmann!)



Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802618500

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir beschäftigen
uns jetzt in diesem Tagesordnungspunkt mit dem Thema
„Entlastung der Kommunen“. Es ist noch nicht so lange
her, da hat sich die Große Koalition für ihren Koalitions-
vertrag und das im Koalitionsvertrag beschriebene
Ausmaß, in dem die Kommunen von SPD und Union
entlastet werden sollen, schon gebührend gefeiert.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Mit Recht!)


Das ist wirklich unbegründet; denn alles, was Sie den
Kommunen versprochen haben, zum Beispiel die Ein-
gliederungshilfe und das Bundesteilhabegesetz, das in
dieser Legislaturperiode eingeführt werden sollte, und
zwar im Interesse der Menschen mit Beeinträchtigun-
gen, weil wir uns verpflichtet haben, die UN-Konvention
umzusetzen, haben Sie nicht gehalten. Eine Entlastung
von 5 Milliarden Euro, die Sie im Rahmen des Fiskal-
paktes mit den Ländern vereinbart haben, soll erst, man
höre und staune, 2018 kommen. Das ist nach der jetzigen
Legislaturperiode. Das sage ich insbesondere in Rich-
tung der Sozialdemokraten. Warum feiern Sie sich ei-
gentlich überall so, dass Sie die Kommunen entlasten
und ihnen 5 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode
versprechen? Ein Blick in den Haushaltsentwurf, über
den wir in der nächsten Woche beraten, zeigt aber: Diese
Entlastung kommt erst 2018, also nach dieser Legislatur-
periode. Versprochen und gebrochen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Darüber hinaus haben Sie den Kommunen zugesi-
chert, bis zum Inkrafttreten eines Bundesteilhabegeset-
zes – es ist sicherlich schwierig, ein solches Gesetz auf
den Weg zu bringen – übergangsweise 1 Milliarde Euro
zur Verfügung zu stellen. Da ich aus Nordrhein-Westfa-
len komme, weiß ich, wie Sie sich dafür vor Ort gefeiert
haben. Sie haben gesagt, dass die Kommunen im
Bereich der Bundesleistungsgesetze, für die wir hier in
Berlin verantwortlich sind, um 1 Milliarde Euro, die ab
2014 zur Verfügung steht, entlastet werden. Ein Blick in
den Haushaltsentwurf macht aber deutlich: Auch dieses
Versprechen wird nicht gehalten; denn die 1 Milliarde
Euro für den Übergang steht erst ab 2015 und nicht, wie
Sie die Menschen überall glauben gemacht haben, schon
ab 2014 zur Verfügung. Deshalb haben wir diesen An-
trag gestellt. Es ist wichtig, dass Sie seriöse Versprechen
machen, auf die man sich vor Ort verlassen kann.


(Johannes Kahrs [SPD]: Lesen Sie das erst einmal!)


– Herr Kahrs, im Gegensatz zu Ihnen habe ich das alles
gelesen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Aber lesen bildet!)






Britta Haßelmann


(A) (C)



(D)(B)

Sie entlasten die Kommunen um 1,1 Milliarden Euro
bei der Grundsicherung im Alter. Dieser Schritt wurde
zwischen der schwarz-gelben Regierung und den rot-
grün regierten Ländern sowie mit unserer Zustimmung
in der letzten Legislaturperiode vereinbart. So weit, so
gut. Das ist positiv für die Kommunen, weil damit die
Grundsicherung im Alter vom Bund zu 100 Prozent
übernommen wird. Der Bund trägt für diese Leistung
Verantwortung. Darüber hinaus haben Sie aber den
Kommunen 1 Milliarde Euro ab 2014 zugesichert.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch gar nicht!)


Zumindest haben Sie das überall, zum Beispiel in Nord-
rhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, erzählt. Aber im
Haushalt ist diese Milliarde nicht eingestellt. Entweder
sagen Sie den Kommunen: „Wir können das nicht finan-
zieren“, oder Sie unterlegen dieses Versprechen auch im
Haushalt. Darauf zielt unser Antrag ab. Wir wollen, dass
Sie Ihr Versprechen gegenüber der kommunalen Ebene
einhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Liebing, zu Ihrer Geschichte, den Kommunen
gehe es insgesamt so gut


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Woran liegt das wohl?)


– Herr Brinkhaus, das kann ich Ihnen erklären –, und
dort, wo es schlecht laufe, regiere Rot-Grün,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


kann ich nur sagen: Mein Gott! Wie peinlich ist diese
Analyse! Die Kommunen in Nordrhein-Westfalen wur-
den seit 2010 – seit diesem Zeitpunkt ist Jürgen Rüttgers
Gott sei Dank nicht mehr im Amt gewesen – um
300 Millionen bzw. 393 Millionen Euro pro Jahr entlas-
tet. Im Jahr 2014 gibt es eine Finanzausgleichsmasse im
Umfang von 9,4 Milliarden Euro. Im Rahmen des
Stärkungspakts für die Kommunen


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Schwächungspakt! Sie plündern die starken Kommunen aus!)


werden 4 Milliarden Euro des Landes zwischen 2011
und 2020 zur Verfügung gestellt. Dafür hat Rot-Grün in
Nordrhein-Westfalen gesorgt. In mehreren Konnexitäts-
urteilen wird darauf hingewiesen, dass Schwarz-Gelb
die Verpflichtungen gegenüber den Kommunen nicht
eingehalten hat. Die schwierige Lage gilt auch für an-
dere Bundesländer. Man muss nur genau hinschauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie können sich an dieser Stelle keinen schlanken Fuß
mit Verweis auf die verbesserte Lage machen. Bundes-
weit weisen die Kommunen zwar einen Überschuss von
1,1 Milliarden Euro auf. Es gibt aber bei den Kommunen
längst ein Gefälle, eine Zweiklassengesellschaft. Die
Gesamtverschuldung liegt bei 130 Milliarden Euro. Die
Kassenkredite belaufen sich auf 47 Milliarden Euro. Die
sozialen Kosten der Bundesleistungsgesetze, für die wir
hier in Berlin verantwortlich sind – es handelt sich um
Pflichtaufgaben der Kommunen –, belaufen sich auf
45 Milliarden Euro. Dafür kommen im Moment zu gro-
ßen Teilen die Kommunen auf. Ich merke, wie sehr das
Thema Sie aufregt, und kann nur sagen: Liefern Sie ein-
fach! Halten Sie Ihre Versprechen! Das sage ich in Rich-
tung der Sozialdemokraten, insbesondere derjenigen aus
Nordrhein-Westfalen. Ich finde es skandalös, dass Ihre
A-Länder-Kollegen auf der Finanzministerkonferenz des
Bundesrates den Antrag von Schleswig-Holstein und
Bremen, für die 2014er-Lösung einzustehen, abgelehnt
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802618600

Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der

Kollege Dr. André Berghegger.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. André Berghegger (CDU):
Rede ID: ID1802618700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau
Haßelmann, natürlich sind wir in der Interpretation die-
ser Situation unterschiedlicher Meinung.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es kann gar keine andere Meinung geben!)


Der vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen gibt mir die Gelegenheit, deutlich herauszustel-
len: CDU und CSU stehen für eine kommunalfreundli-
che Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind verlässliche Partner. Das ist bisher so gewesen,
und das wird auch in Zukunft mit der SPD so sein.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)


An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen,
dass nach unserer Finanzverfassung die Bundesländer
dafür verantwortlich sind, die Kommunen finanziell aus-
kömmlich auszustatten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Trotz dieser Aufgabenverteilung stehen wir fest an der
Seite der Kommunen und helfen selbstverständlich in
besonderen Situationen. Dazu ein Blick in die jüngere
Vergangenheit: Seit Übernahme der Regierungsverant-
wortung im Jahr 2005 hat die Union die Interessen der
Kommunen deutlich berücksichtigt. An dieser Stelle
möchte ich einige Stichworte erwähnen: Kosten der Un-
terkunft und Heizung im Rahmen der Grundsicherung
für Arbeitssuchende, das Steuervereinfachungsgesetz
2011, die Beteiligung am Hochschulpakt und an der Ex-
zellenzinitiative sowie die Entflechtungsmittel im Rah-
men der Verhandlungen über den Fiskalpakt.

Ich gehöre dem Hohen Haus zwar erst seit September
2013 an und habe damit an den parlamentarischen Ent-
scheidungen der Vergangenheit nicht mitgewirkt. Ich
glaube aber, dass ich die Situation aus Sicht der Kommu-





Dr. André Berghegger


(A) (C)



(D)(B)

nen gut beurteilen kann. In den letzten Jahren durfte ich
als hauptamtlicher Bürgermeister eines Mittelzentrums
im Landkreis Osnabrück in Niedersachsen daran mitwir-
ken, diese kommunalfreundliche Politik umzusetzen und
mitzugestalten.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Der Mann weiß, wovon er redet!)


Wir sollten uns immer wieder bewusst machen: Die Län-
der und die Kommunen konnten in der vergangenen Le-
gislaturperiode die größten finanziellen Entlastungen der
Geschichte durch den Bund verzeichnen. Die Regierung
hat nicht nur versprochen, Frau Haßelmann, sie hat auch
gehandelt. Das schafft Vertrauen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Johannes Kahrs [SPD])


Zwei wesentliche Punkte möchte ich betonen: zu-
nächst die Betreuung der Kinder unter drei Jahren. Der
Ausbau der Kleinkindbetreuung fällt grundsätzlich in die
Zuständigkeit der Länder. Dennoch hat der Bund vor-
bildlich tatkräftige Unterstützung geleistet. Dadurch
wurde der Krippenausbau flächendeckend erst richtig
angestoßen. Jeder von uns kann das im eigenen Wahl-
kreis erkennen. Insgesamt 5,4 Milliarden Euro hat der
Bund für den Ausbau der Kleinkindbetreuung und die
Finanzierung der Betriebskosten bereits in den Jahren
2009 bis 2014 bereitgestellt. Ab 2015 kommen noch ein-
mal jährlich 845 Millionen Euro für den Betrieb von
Kinderkrippen und Tagespflegestellen hinzu. Wir sehen
vor Ort, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird
deutlich gestärkt.

Ein weiteres Beispiel ist die Übernahme der Kosten
für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminde-
rung. Hier erkennen wir eine dynamische Entwicklung.
Noch im Koalitionsvertrag sind wir bei der Übernahme
der letzten Stufe der Grundsicherung von 1,1 Milliarden
Euro ausgegangen. Diese Entlastung beläuft sich derzeit
jedoch schon auf 1,6 Milliarden Euro. Die schrittweise
Erhöhung der Erstattung der Nettoausgaben bei den
Kommunen bewirkt eine Entlastung bis 2017 in der Grö-
ßenordnung von voraussichtlich über 25,4 Milliarden
Euro.

Sicherlich ist an dieser Stelle auch die allgemeine
wirtschaftliche Entwicklung zu nennen – das ist gar
keine Frage –, die wir nach der Finanz- und Wirtschafts-
krise verzeichnen. Jedoch sind maßgebliche Rahmenbe-
dingungen hierfür durch wachstumsfreundliche Ent-
scheidungen auf Bundesebene gesetzt worden. Zwar
lässt sich die Wirkung nicht quantifizieren, doch ohne
Zweifel sind auch die Kommunen an dieser positiven
konjunkturellen Entwicklung beteiligt.

Die Kommunen profitieren neben der Gesamtheit der
Länder auch von der positiven Einnahmeentwicklung,
den Entlastungen durch den Bund und den günstigen Fi-
nanzierungsbedingungen. Insgesamt konnten die Kom-
munen ihre Steuereinnahmen um rund 20 Milliarden
Euro gegenüber der Zeit vor der Finanz- und Wirt-
schaftskrise steigern. Die Zinszahlungen gingen im sel-
ben Zeitraum erheblich zurück. Insgesamt erzielten die
Kommunen im Jahr 2012 einen Finanzierungsüber-
schuss von 1,8 Milliarden Euro.

Natürlich gibt es weiterhin große Unterschiede bei
den Kommunen. Jede Kommune ist anders, und es gibt
vielfältige Ursachen für die jeweilige Situation. Wir sind
jedoch in unserem bewährten Föderalismus in der Viel-
falt geeint. Das zeichnet uns aus, und das ist richtig so.
Es muss weiter Anreize für eigene Konsolidierungsbe-
mühungen geben, ohne dass wir die finanziell schwäche-
ren Kommunen aus den Augen verlieren.

Insgesamt werden die Kommunen durch den Wettbe-
werb stärker.

Die Politik der Bundesregierung, eine angemessene
Finanzausstattung der föderalen Ebenen zu sichern, trägt
erste Früchte. Die Bundesländer sind jedoch weiter ge-
fordert, ihre Verantwortung für eine auskömmliche Fi-
nanzausstattung der Kommunen zu übernehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zu betonen ist nämlich, dass zu einem funktionierenden
föderalen System ebenso gehört, dass der Bund selbst
über eine angemessene Finanzausstattung verfügt.

Aus dem Koalitionsvertrag in seiner Gesamtheit lässt
sich Folgendes erkennen: Die Kommunen werden von
2015 bis 2017 jeweils um 1 Milliarde Euro entlastet, be-
vor eine Entlastung im Rahmen des Bundesteilhabege-
setzes in Höhe von 5 Milliarden Euro erfolgt. Diese
Maßnahmen sind gegenfinanziert. Darauf hat sich die
Koalition unter Abwägung aller Umstände verständigt.
Die im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen geforderte
Summe von 1 Milliarde Euro bereits im Jahr 2014 ist aus
Sicht der Kommunen zwar wünschenswert – da schlägt
mein kommunales Herz –, aber leider nicht zu finanzie-
ren, da keine Spielräume erkennbar sind. Einen entspre-
chenden Gegenfinanzierungsvorschlag habe ich Ihrem
Antrag nicht entnehmen können. Das wäre ein unge-
deckter Wechsel auf die Zukunft.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das geht so nicht. Vielmehr muss die Maxime gelten:
mit dem Einkommen auskommen! Dabei sind wir auf ei-
nem guten Weg. Gleichwohl werden wir unsere kommu-
nalfreundliche Politik fortsetzen. Hierzu sind im Koali-
tionsvertrag weitere Maßnahmen zugunsten der
Kommunen vereinbart. Dazu zählen etwa die Aufsto-
ckung der Städtebauförderung, der Ausbau der Breit-
bandversorgung oder die Verbesserung des Hochwasser-
schutzes. Der Koalitionsvertrag zeigt deutlich, dass die
Kommunalinteressen bei dieser Bundesregierung in gu-
ten Händen sind.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802618800

Herr Kollege Dr. Berghegger, das war Ihre erste

Rede. Ich gratuliere Ihnen herzlich dazu und wünsche
Ihnen viele weitere Reden im Hohen Hause.


(Beifall)






Vizepräsident Johannes Singhammer


(A) (C)



(D)(B)

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kolle-
gin Kerstin Kassner, Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Kerstin Kassner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802618900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Kol-

legen herzlichen Glückwunsch zu seiner ersten Rede!
Die Botschaft, dass die Kommunen von der neuen Bun-
desregierung gut versorgt werden, höre ich wohl, allein
mir fehlt der Glaube.


(Alois Karl [CDU/CSU]: Das ist ja Ihr Problem!)


Ich habe in meiner Funktion als Landrätin auf Rügen in
zehn Jahren sehr wohl erlebt, dass da Anspruch und
Wirklichkeit auseinanderdriften. Zuallererst Glück-
wunsch an die Kollegen von den Grünen, dass sie es ge-
schafft haben, hier einen Antrag vorzulegen, zu dem wir
uns äußern können, um die Situation hier klar und deut-
lich zu beschreiben und sie zu verändern.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Situation der Kommunen ist nach wie vor be-
denklich, und wir haben die Pflicht, hier darüber zu re-
den.

Herr Rehberg, trotz Ihres heutigen Geburtstages: Es
ist mir in meiner Zeit als Landrätin gelungen, ein Defizit
von 8 Millionen Euro im Haushalt des Landkreises Rü-
gen auf null zu reduzieren. Das muss erst einmal nachge-
macht werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe mir einmal angesehen, wie die Situation in
Mecklenburg-Vorpommern ist. Auch dafür trägt Herr
Rehberg Mitverantwortung.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was? – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Ich?)


In den letzten 20 Jahren gab es 12 defizitäre Jahre für
die Landkreise, nur 8 waren positiv. Am Ende steht
heute, mit Abschluss des Jahres 2013, für die Kommu-
nen ein Defizit von 412,4 Millionen Euro. Es ist also fast
eine halbe Milliarde Euro, die die Landkreise in Meck-
lenburg-Vorpommern quält. Das kann keine gute Bilanz
sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Sozialausgaben, Herr Rehberg, sind von 1995, als
alle Landkreise 618 Millionen Euro aufbringen mussten,
auf im Jahre 2013 mittlerweile 1,302 Milliarden Euro
gestiegen, haben sich also mehr als verdoppelt. Eine
ganz kräftige Zäsur war dabei die Einführung des Hartz-
IV-Gesetzes. In diesem Zusammenhang hat ein exorbi-
tanter Anstieg stattgefunden.

Ich will es mit Zahlen aus meinem Haushalt auf Rü-
gen untersetzen:


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Lassen Sie es lieber!)

Damals, bis zum Jahre 2004, hatten wir im Kreis Rügen
5 Millionen Euro für Sozialausgaben aufzubringen. Für
die Kosten der Unterkunft hatten wir dann von einem
Jahr zum nächsten 18 Millionen Euro aufzubringen. Ein
Teil wurde vom Bund gegenfinanziert, aber am Ende
mussten wir 15 Millionen Euro aus unserer Kasse auf-
bringen. Und wie es so ist: Der Kreis kann die Ausgaben
nur über die Kreisumlage refinanzieren. Das heißt, dass
wir allen Kommunen auf der Insel in die Tasche greifen
mussten. Ich denke, das muss der Bund verhindern. Des-
halb ist mein Appell an Sie als Verantwortliche in der
Großen Koalition: Prüfen Sie jedes Ihrer Vorhaben auf
seine Auswirkungen auf die Kommunen.

Dabei ist es nicht so einfach, eine mögliche Relevanz
für die Kommunen darzustellen. Denn oft ist es so, dass
sich ein Vorhaben im Durchschnitt zwar positiv auf die
Kommunen auswirkt; aber dasselbe Vorhaben kann für
die Gemeinden und die Landkreise, in denen die wirt-
schaftliche Konjunktur nach wie vor schwach ist, die so-
zialen Belastungen hoch sind, die Arbeitslosigkeit im-
mer noch annähernd bei 20 Prozent liegt und sehr viele
Menschen Leistungen im Rahmen der Grundsicherung
im Alter – Gott sei Dank hat jetzt der Bund diese Kosten
übernommen –, aber auch ergänzende Leistungen vom
Sozialamt oder vom Jobcenter erhalten, eine richtig
harte Zäsur bedeuten. Oft können sie sich ein Vorhaben
nicht leisten und müssen die entsprechenden Aufwen-
dungen über Kassenkredite finanzieren.

Ich will es ganz deutlich sagen: Wir haben in unserer
Fraktion einen Kommunal-TÜV eingeführt; jedes Vor-
haben, das wir auf den Weg bringen, wird auf seine Aus-
wirkungen auf die Kommunen hin untersucht. Das er-
warte ich, bitte schön, auch von der Großen Koalition.
Also: Hände weg von den Kommunen!

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802619000

Vielen Dank, Frau Kassner. – Nächster Redner ist für

die SPD der Kollege Bernhard Daldrup.


(Beifall bei der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: Guter Mann!)



Bernhard Daldrup (SPD):
Rede ID: ID1802619100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Berghegger, zunächst herzlichen Glückwunsch zu
Ihrer ersten Rede! Wie Sie wissen, rede auch ich für die
Koalition, wenn auch vielleicht nicht mit demselben Op-
timismus, obwohl es in der Sache in die gleiche Rich-
tung geht.

Ich möchte vorweg eine Bemerkung machen. Ich be-
grüße es sehr, dass die Grünen eine solche Gelegenheit
schaffen, über die Lage der Kommunen zu reden; das ist
in der Tat gut.


(Beifall der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aber ich will Frau Haßelmann doch auch fragen: Wenn
Sie der Meinung sind, dass die Mittel für die Eingliede-





Bernhard Daldrup


(A) (C)



(D)(B)

rungshilfe in Höhe von 5 Milliarden Euro früher bereit-
gestellt werden müssen, warum beantragen Sie es dann
nicht?


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2018!)


In Ihrem Antrag ist nur von 1 Milliarde Euro die Rede;
der Rest steht lediglich in der Begründung.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2018! Das haben Sie doch den Leuten versprochen!)


– Ich frage Sie ja nur, warum Sie es nicht beantragen.
Wenn Sie der Meinung sind, dass es richtig ist, dies frü-
her zu tun, sollten Sie am besten einen Deckungsvor-
schlag unterbreiten.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es in den Koalitionsvertrag geschrieben! Das ist interessant!)


Ich will sagen: Die Beschreibung der Situation der
Kommunen, die Sie abgeben, ist für viele Kommunen
tatsächlich zutreffend. Der Finanzierungssaldo liegt, was
die Kommunen angeht, insgesamt im Plus, und zwar bei
1,1 Milliarden Euro. Das verdeckt jedenfalls ein Stück
weit die Realität. Der Anstieg der Kassenkredite auf
48 Milliarden Euro ist trotz höherer Steuereinnahmen
dramatisch. Die Gesamtverschuldung schreitet voran.
Die Sozialausgaben der Kommunen sind bundesweit auf
46 Milliarden Euro gewachsen. Das ist schon eine dra-
matische Situation. Die Investitionstätigkeit der Kom-
munen ist mittlerweile auf das Niveau der 90er-Jahre zu-
rückgefallen. Das heißt mit anderen Worten, nüchtern
und ohne jede Schuldzuweisung festgestellt: Die Kom-
munen fahren in Deutschland auf Verschleiß. Das führt
zu einem Substanzverlust, der auch den Wirtschafts-
standort Deutschland insgesamt beeinträchtigt. Darauf
müssen wir uns konzentrieren.


(Beifall bei der SPD)


Die erste Feststellung ist also: Trotz wachsender Steuer-
einnahmen, höherer Beschäftigung und niedrigerer Zin-
sen können viele Kommunen die ihnen übertragenen
Aufgaben nicht finanzieren. Das ist durchaus ein Alarm-
zeichen.

Wenn man die Lage etwas differenzierter betrachtet,
dann erkennt man, dass die Dramatik eher zunimmt. Es
gibt zwar selbstverständlich viele gesunde, lebenswerte
Städte, Gemeinden und Landkreise in Deutschland
– keine Frage! –, aber ihnen steht eine größere Zahl von
Städten, Gemeinden und Landkreisen gegenüber, die je-
des Jahr tiefer in den Strudel der Verschuldung geraten.
Diese Situation, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist we-
der auf ein Bundesland noch auf eine Gemeindegrößen-
klasse beschränkt.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Außer Nordrhein-Westfalen!)


– Pirmasens liegt doch nicht in Nordrhein-Westfalen,
Kaiserslautern liegt doch nicht in Nordrhein-Westfalen.
Ich kann Ihnen reihenweise Beispiele aufzählen. Fallen
Sie doch nicht immer in die alten Muster zurück!


(Beifall bei der SPD)

Ich beschreibe erst einmal nur eine Situation und weise
gar keine Schuld zu. Ich sage ganz im Gegenteil: Ohne
die Unterstützung des Bundes würde diese Schere weiter
auseinandergehen. Das hat diese Koalition erkannt, und
sie wird etwas dagegen tun. Das heißt mit anderen Wor-
ten: Wir stehen mit Blick auf das ganze Land vor einer
Herausforderung. Bei dieser Gelegenheit sei mir die Be-
merkung gestattet: Ja, unsere Banken sind systemrele-
vant, aber unsere Kommunen sind es auch.


(Beifall bei der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802619200

Kollege Daldrup, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Kurth?


Bernhard Daldrup (SPD):
Rede ID: ID1802619300

Wenn ich das kann? – Ich habe das noch nie gemacht,

ich rede hier ja nicht so oft.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802619400

Bitte schön.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802619500

Ich hoffe, dass Sie das können. – Sie haben die Lage,

ähnlich wie Frau Haßelmann, richtig analysiert und ge-
sagt, die Bundesregierung würde etwas tun. Aber warum
tun Sie nicht das, was Sie im Koalitionsvertrag niederge-
schrieben haben bzw. was Sie insbesondere Ihre Partei-
freunde in den Kommunen in Nordrhein-Westfalen glau-
ben machen?


(Zuruf von der CDU/CSU: Tun wir doch!)


Im Januar waren die Bürgermeisterinnen und Bürger-
meister sowie die Landräte des Ruhrgebiets von CDU
und SPD hier in Berlin und haben mit den Bundestagsab-
geordneten des Ruhrgebiets, und zwar aller Fraktionen,
den Austausch gesucht. Sie haben unmissverständlich zu
erkennen gegeben, dass sie auf die Zusagen gebaut haben,
dass zumindest innerhalb dieser Legislaturperiode mit der
geplanten Entlastung der Kommunen in Höhe von 5 Mil-
liarden Euro begonnen wird und dass sie bereits ab 2014
jedes Jahr um 1 Milliarde Euro entlastet werden.

Könnte es sein, dass Sie in der Phase, als Sie, speziell
in der SPD, die Zustimmung für Ihren Koalitionsvertrag
brauchten, bewusst die eigenen Parteigänger in den struk-
turschwachen Kommunen in NRW und im Ruhrgebiet in
dem Glauben gelassen haben, die Entlastung käme – sonst
hätten sich die Bürgermeister ja nicht so geäußert –, und
dass Sie sie mit der Veröffentlichung der mittelfristigen
Finanzplanung jetzt im Endeffekt hinters Licht geführt
haben?


Bernhard Daldrup (SPD):
Rede ID: ID1802619600

Wissen Sie, ich bin seit elf Jahren Landesgeschäfts-

führer der SGK in Nordrhein-Westfalen. Wir sind zu-
ständig für 9 000 ehrenamtliche und hauptamtliche
Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker. Ich
glaube, ich kenne die Situation in Nordrhein-Westfalen
ganz gut.





Bernhard Daldrup


(A) (C)



(D)(B)

Ich kenne die Forderungen, ich habe sie zu einem gro-
ßen Teil mit formuliert. Ich kenne die Auseinanderset-
zungen, ich bin bei den Gesprächen dabei gewesen. Ich
sage Ihnen ganz offen: Stärker als bei jeder Bundestags-
wahl zuvor haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, die
Situation der Kommunen durch mehr Investitionen in
die Infrastruktur zu verbessern. Zum gegenwärtigen
Zeitpunkt passiert das im Bereich der Städtebauförde-
rung durch mehr unmittelbare finanzielle Entlastung,
und zwar sowohl 2014 und 2015 als auch 2016.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Antworten Sie auf die Frage!)


Wir werden relativ schnell mit der Umsetzung des
Bundesleistungsgesetzes beginnen. Man kann es nicht
übers Knie brechen, aber wir werden diese Zielsetzung
verfolgen. Insofern gebe ich Ihnen von vorne bis hinten
nicht recht; denn wir sind ehrlich mit unseren eigenen
Leuten umgegangen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will darauf aufmerksam machen – das knüpft an
Ihre Ausführungen an –, dass die Kommunen trotz In-
vestitionsverzicht, trotz dramatischer Einsparungen bei
den Personalkosten – wenn Sie die Antwort der Bundes-
regierung auf eine Anfrage der Linken lesen, werden Sie
sehen, dass die Kommunen deutlich mehr Personal ein-
gespart haben als etwa der Bund und erst recht als die
Länder –, trotz hoher lokaler Steuern und Gebühren
nicht in der Lage sind, ihre Haushalte auszugleichen,
weil die Dynamik der Sozialausgaben sehr viel dramati-
scher ist. Das ist der Grund, warum wir von einer Ver-
geblichkeitsfalle reden: nicht, weil wir anklagen, son-
dern weil die Schere, die immer weiter auseinandergeht,
nicht zu schließen ist. Deswegen brauchen wir hier kon-
krete Konzepte.

Ich will das Thema „klebende Finger der Länder“
aufgreifen. Wir alle wissen, dass es so etwas gibt. Wenn
neun Bundesländer in der Bundesrepublik Deutschland
jedoch mittlerweile Finanzierungsprogramme für struk-
turschwache Kommunen im eigenen Land mit eigenen
Mitteln ausstatten, dann kann man das so nicht einfach
stehen lassen. Da das Schwarze-Peter-Spiel auf Dauer
nicht weiterhilft, müssen wir uns den Ursachen zuwen-
den.


(Beifall bei der SPD)


Jetzt komme ich zum Thema Sozialausgaben. Es geht
hier nicht nur um die Eingliederungshilfe, aber ich spre-
che sie an, weil sie mit Abstand die größte Dynamik auf-
weist. Von 1991 bis 2011, also seit 20 Jahren, wächst die
Zahl derjenigen, die Eingliederungshilfe in Anspruch
nehmen von 324 000 auf 790 000 Personen. Die Auf-
wendungen sind in 20 Jahren von 4,1 Milliarden Euro
auf 14,4 Milliarden Euro gestiegen. Das war 2011, Herr
Kauder. Im Moment sind wir bei 16 Milliarden. Die
Kosten werden in neun Bundesländern der Bundesrepu-
blik Deutschland, die etwa 60 Millionen Menschen re-
präsentieren, allein von den Kommunen finanziert.
Diese Situation ist schlicht und ergreifend so nicht trag-
bar.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Was müssen wir tun? In Bezug auf die Eingliede-
rungshilfe müssen wir aus der Fürsorgeaufgabe der 60er-
Jahre eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe machen, erst
recht vor dem Hintergrund der Behindertenrechtskon-
vention, die wir gestalten wollen. „Gestalten wollen“
heißt nicht, die Angelegenheit auf dem Rücken der Be-
troffenen auszutragen. Dieses Thema werden wir ange-
hen. Das ist aber eine Aufgabe, die Zeit braucht.


(Beifall bei der SPD)


In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen,
dass es ein Ergebnis der Verhandlungen zwischen Bund
und Ländern war, dass die Kosten der Grundsicherung
im Alter vollständig vom Bund übernommen werden.
Ohne die SPD wäre das im Vermittlungsverfahren nicht
gelungen. Folgerichtig ist, dass die damit verbundene
dritte Stufe der Entlastung in Höhe von 1,1 Milliar-
den Euro im Koalitionsvertrag für 2014 aufgenommen
worden ist. Da stehen diese 1,1 Milliarden Euro drin.
Das ist nicht die zusätzliche Milliarde, die Sie, Frau
Haßelmann, fordern. Ich will an dieser Stelle aber darauf
hinweisen, dass diese zusätzliche Milliarde nicht einmal
der Bundesrat fordert. Auch das von Grün-Rot regierte
Baden-Württemberg fordert das nicht.

Der Ausbau dieser Finanzierungsmaßnahmen ist,
glaube ich, nachvollziehbar – eben ist schon einmal da-
rauf aufmerksam gemacht worden; ich habe es auch
schon gesagt –: Die Fortsetzung der Zahlung der Ent-
flechtungsmittel, steuer- oder bildungspolitische Ent-
scheidungen, Aufstockung der Mittel für die Städte-
bauförderung auf 700 Millionen Euro und die
Einführung des Mindestlohns – das will ich an dieser
Stelle einmal sagen –, die die Kommunen vermutlich um
einen dreistelligen Millionenbetrag entlasten wird, weil
die Zahl der Aufstocker deutlich zurückgehen wird, das
alles sind konkrete Entlastungen der Kommunen, für die
diese Koalition steht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auf dieser Linie liegt auch die finanzielle Entlastung
der Kommunen durch ein modernes Teilhaberecht. Es
geht nicht einfach nur um mehr Geld, sondern es geht
um ein Teilhaberecht, das die bestehende Ausgabendy-
namik bremst und keine neue schafft. Daran soll sich der
Bund aus gesamtgesellschaftlicher Verantwortung he-
raus beteiligen. Wir unterstützen deswegen die Bundes-
sozialministerin in ihrem Vorhaben, dieses Gesetz im
Jahre 2016 dem Parlament zur Beschlussfassung vorzu-
legen.


(Beifall bei der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802619700

Herr Kollege Daldrup, Sie denken an die vereinbarte

Redezeit?






(A) (C)



(D)(B)


Bernhard Daldrup (SPD):
Rede ID: ID1802619800

Selbstverständlich. Ich bin letztes Mal dafür gelobt

worden, dass ich sie eingehalten habe. Ich dachte, dass
ich einen kleinen Bonus hätte.


(Heiterkeit bei der SPD)


Ich will zum Schluss kommen. Was ist die Perspek-
tive des Bundesleistungsgesetzes? 2015 bzw. 2016
kommt die Milliarde; darauf ist hingewiesen worden.
Möglicherweise können wir uns hinsichtlich der KdU
verständigen. Das wäre durchaus wünschenswert und
angesichts der sozialpolitischen Herausforderungen ver-
nünftig.

Ich will darauf aufmerksam machen, dass die Koali-
tion die Kommunen an der Gestaltung der zukünftigen
Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern beteili-
gen will. Auch diesbezüglich werden die Kommunen
also dabei sein.

Eine letzte Bemerkung: Sie sehen, diese Koalition
macht die finanzielle Stärkung der Kommunen zu einem
Kernanliegen dieser Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für uns sind die Kommunen kein Kellergeschoss der
Demokratie. Für uns sind sie der Nukleus guter Lebens-
qualität. Die Sicherstellung der finanziellen Zukunftsfä-
higkeit der Kommunen ist deshalb ein Ziel, das wir mit
Entschiedenheit verfolgen werden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802619900

Jetzt spricht der Kollege Alois Karl für die CDU/

CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1802620000

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Im Mai sind in Nordrhein-Westfalen
Kommunalwahlen, und im April stellen die Grünen ei-
nen Antrag, die Kommunen um 1 Milliarde Euro zu ent-
lasten.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Passt doch, oder?)


Ein Schelm, der Übles dabei denkt.

Viele von uns sind auch Kommunalpolitiker. Wir wis-
sen, dass es strukturschwache Gegenden schon immer
gegeben hat, strukturstarke übrigens auch. Struktur-
schwäche, meine lieben Kollegen von den Grünen, die
Sie den Antrag gestellt haben, ist nichts Gottgegebenes,
ist etwas anderes als eine von den zehn Plagen, von de-
nen das Alte Testament spricht, die über Ägypten ge-
kommen sind, weil man sich dem Willen Gottes wider-
setzt hat. Die Strukturschwäche, von der Sie reden, ist
kein dauerhafter Schicksalsschlag. Dieses Argument
nutzt sich mit der Zeit ab. Sie meinen, indem wir 1 Mil-
liarde Euro über den Tisch schieben, könnten wir die
Probleme, die Sie in Ihrem Antrag angesprochen haben,
lösen. Mitnichten ist das der Fall. Sie gaukeln den Leu-
ten vor, dass man mit dem Herüberschieben eines Pake-
tes mit 1 Milliarde Euro die Probleme, die Sie angespro-
chen haben, lösen könnte. Mit nachhaltiger Politik, liebe
Frau Haßelmann, hat das nichts, aber auch gar nichts zu
tun, mit Populismus schon eher.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE])


Mir ist bei den Gedanken, die ich mir zu dieser Rede
gemacht habe, auch Bundeskanzler Helmut Kohl in den
Sinn gekommen, der von blühenden Landschaften ge-
sprochen hat. In der Tat: In vielen Gegenden unseres
Landes, in Sachsen, in Thüringen, in manchen anderen
Bundesländern auch und in meinem Bundesland Bayern
sowieso, können wir von blühenden Landschaften spre-
chen,


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die jahrzehntelang Geld aus NRW bekommen haben!)


aber nur deshalb, weil sich Strukturen geändert haben.
Seit Jahren haben wir uns darangemacht, Strukturen zu
verbessern.


(Zuruf des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE])


– Mein Guter, im Jahr 1957 ist das Saarland das elfte
Bundesland geworden. – Bayern lag damals mit Abstand
strukturpolitisch, finanzpolitisch und wirtschaftspoli-
tisch auf dem letzten Platz. Heute befinden wir uns bei
allen Rankings an erster oder zweiter Stelle,


(Manfred Zöllmer [SPD]: Wer hat euch damals geholfen?)


und zwar nur deshalb, weil damals der Mut vorhanden
war, alte Strukturen zu verändern.

Strukturschwäche hat damit zu tun, dass manche Ge-
genden nicht wettbewerbsfähig sind. „Nicht wettbe-
werbsfähig“ heißt: Unternehmungen und Unternehmer
siedeln sich nicht an, Arbeitsplätze werden nicht ge-
schaffen, die Arbeitslosigkeit steigt, Sozialabgaben ge-
hen nicht ein, Steuern werden nicht gezahlt, die kommu-
nalen Haushalte erleiden Defizite und müssen dies mit
Schulden ausgleichen. Das beraubt auch die nächste Ge-
neration der Freiheit. Unsere nächste Generation hat
nicht mehr die Freiheit, ordentlich Kommunalpolitik zu
betreiben, wenn sie einen großen Teil des Haushaltes für
den Schuldendienst aufbringen muss. Das ist der eigent-
liche große Skandal: dass wir häufig verschuldete Haus-
halte vorfinden.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Und was machen wir dagegen?)


Heute ist schon ein paar Mal angesprochen worden, dass
die Kommunen insgesamt gesehen im letzten Jahr 1,1 Mil-
liarden Euro Überschuss erzielt haben – so steht es auch in
Ihrem Antrag –, während der Bund 22 Milliarden Euro De-





Alois Karl


(A) (C)



(D)(B)

fizit gemacht hat. Wir haben ein Defizit von 22 Milliarden
Euro und sollen 1 Milliarde Euro zusätzlich zahlen. Allein
daran erkennen Sie schon, dass das so nicht geht.

Die Schulden sind ungleich verteilt; auch das ist
schon gesagt worden. Natürlich gibt es in Deutschland
zusammengerechnet etwa 130 Milliarden Euro Schulden
bei den Kommunen, etwa 47, 48 Milliarden Euro Kas-
senkredite. Wenn wir uns das anschauen, sehen wir, dass
die Schulden in der Tat ungleich verteilt sind. Etwa die
Hälfte der gesamten Kassenkredite, etwa 24 Milliarden
Euro, konzentrieren sich auf lediglich 27 Städte, 16 da-
von in Nordrhein-Westfalen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)


Ein Viertel dieser Kassenkredite, etwa 12 Milliarden
Euro, konzentrieren sich auf lediglich acht Städte, sieben
davon in Nordrhein-Westfalen. Ich muss Sie, liebe Frau
Haßelmann, fragen: Gibt es Ihnen nicht zu denken, dass
sich an diesen desaströsen Verhältnissen, die Sie selber
in Ihrem Antrag beschreiben, auch in der Zeit, in der Sie
in Nordrhein-Westfalen an der Regierung mitwirken,
bisher nichts, aber auch gar nichts zum Besseren gewen-
det hat? Diese Frage müssen wir Ihnen direkt stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Bernhard Daldrup [SPD]: Das stimmt doch nicht!)


Wenn Sie meinen, die Probleme dadurch lösen zu
können, dass 1 Milliarde Euro über den Tisch gehen
– es geht darum, sozusagen eine schnelle Mark zu
machen –, dann meine ich, machen Sie sich so, wie
Sie das ausgedrückt haben, einen schlanken Fuß. Da
gehen Ihnen sehr schnell die Argumente aus.

Auf die Finanzverfassung möchte ich nicht näher ein-
gehen; das hat Kollege Berghegger vorhin schon getan.
Dennoch sei gesagt, dass wir in dem Jahrzehnt leben, in
dem die Kommunen mehr entlastet werden als jemals
zuvor. Wenn Sie die Kosten für die Grundsicherung, die
Beiträge für den Ausbau der U-3-Betreuungsplätze, die
KdU, die Städtebauförderung, die Eingliederungshilfe
usw. zusammenrechnen, kommen Sie auf einen Betrag
von weit mehr als 150 Milliarden Euro. Dieses Geld
wird in diesem Jahrzehnt von Bundesseite auf die Seite
der Kommunen geschoben. Das ist eine großartige Leis-
tung, die wir erbringen, obwohl wir unseren Haushalt
sanieren.

Unsere Aufgabe ist es auch, für solide Finanzen im
Bund zu sorgen. Wir haben versprochen – wir werden
das machen und das Versprechen einhalten –, ab dem
nächsten Jahr, ab 2015, keine neuen Schulden zu ma-
chen. Auch das ist ein großartiger Beitrag zugunsten der
Kommunen.

In Wahrheit würden wir mit Ihren Vorschlägen nicht
ein einziges Problem lösen. Ich appelliere an Ihre Weit-
sicht und Ihre Ernsthaftigkeit: Unterstützen Sie unsere
Finanzpolitik! Sie ist nämlich auf eine langfristige Soli-
dität ausgerichtet. Sie ist auf Dauerhaftigkeit ausgerich-
tet und darauf, dass wir nicht mehr Geld ausgeben wol-
len, als wir einnehmen. Das ist nachhaltig. Frau
Haßelmann, so geht Politik. Ihr Antrag geht in die ver-
kehrte Richtung. Aus dem Grunde lehnen wir ihn ab.
Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802620100

Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen

Johannes Kahrs, SPD, das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1802620200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Bevor ich mich zu dem äußere, was der Kol-
lege Karl gesagt hat, möchte ich eingedenk des guten
Verhältnisses innerhalb unserer Koalition dem Kollegen
Eckhardt Rehberg zum 60. Geburtstag gratulieren.
Lieber Ecki, wir werden dich nachher noch angemessen
feiern.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nachdem ich jetzt sehr viel positives Kapital aufge-
baut habe,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


werde ich einen Teil davon wieder aufbrauchen. Der
Kollege Karl hat ja eben gesagt, dass man Strukturen än-
dern muss. Das ist richtig. Aber dafür braucht man Hilfe.
Bestes Beispiel: Bayern.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Richtig!)


Die sozialdemokratisch regierten Länder Hamburg,
Bremen, Nordrhein-Westfalen und Saarland haben in
den zurückliegenden Jahrzehnten viel Geld in Bayern in-
vestiert, um den Strukturwandel, der in Bayern statt-
gefunden hat, zu unterstützen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das heißt, ein Großteil der Republik war solidarisch und
hat geholfen, damit in Bayern auch Gegenden, die es
schwer haben, die Chance bekommen, sich etwas auf-
zubauen, das heute Früchte trägt. Das ist übrigens auch
gut so.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802620300

Herr Kollege Kahrs, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollege Karl?


Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1802620400

Aber selbstverständlich, ich schätze ihn ja sehr.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das stimmt nachdenklich!)



Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1802620500

Lieber Kollege Kahrs, wir schätzen uns beide. „k. und

k.“ kann man fast sagen – aber ich meine nicht die Mon-
archie.


(Vereinzelt Heiterkeit)






Alois Karl


(A) (C)



(D)(B)

Das Thema Länderfinanzausgleich habe ich bewusst
nicht angesprochen, weil ich niemandem zu sehr auf die
Füße treten und auch nicht zu beweihräuchernd wirken
wollte. Sie hätten die Gelegenheit gehabt, zu schweigen.
Sie haben das leider nicht gemacht.


(Heiterkeit)


Darum möchte ich der Wahrheit ein wenig Geltung ver-
schaffen. Wir haben in Bayern in der Tat über 38 Jahre – –


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802620600

Herr Kollege Karl, das ist eine Zwischenfrage.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, nein! Es gibt auch Bemerkungen!)


Sie sollten Ihre Bemerkung also in eine Frage kleiden.


Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1802620700

Herr Präsident, lassen Sie meiner Frage einen gewis-

sen Anlauf.


(Heiterkeit)


Wir sind sehr dankbar, dass Bayern als strukturschwa-
ches Land – ich habe das ausgeführt – über 38 Jahre
hinweg Mittel im Rahmen des Länderfinanzausgleichs
erhalten hat, lieber Kollege Kahrs, nämlich insgesamt
3,4 Milliarden Euro. Aber seit dem Jahr 2001, also die
letzten 13 Jahre, zahlt Bayern Geld zurück – Bayern ist
das einzige Land, das von einem Nehmerland zu einem
Geberland geworden ist –, bisher bereits einen Betrag in
Höhe von 46 Milliarden Euro.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht preisbereinigt!)


Wir haben im Jahr 2013 4,3 Milliarden Euro gezahlt.
Ich glaube schon, dass das ein gutes Beispiel dafür ist,
dass ein Land von einem strukturschwachen zu einem
strukturstarken Land und sogar zu einem Geberland wer-
den kann.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kaufkraftbereinigt müssen Sie das berechnen! Das ist ja billig!)


Meinen Sie nicht, lieber Herr Kollege Kahrs – das ist
meine Frage –, dass das auch für andere Länder ein
durchaus gutes Beispiel sein kann?


(Beifall bei der CDU/CSU – Abg. Alois Karl [CDU/CSU] nimmt wieder Platz)



Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1802620800

Herr Kollege, nach den Spielregeln des Hauses müs-

sen Sie stehen bleiben, während ich Ihre Frage beant-
worte.


(Heiterkeit bei der SPD – Abg. Alois Karl [CDU/CSU] erhebt sich)


In der Sache haben Sie selbstverständlich recht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

– Hat er. – Natürlich ist es so: Wenn es einem Land
schlecht geht, wie es Bayern schlecht gegangen ist, es
die Solidarität des Bundes erhält, man also hilft und aus
dem Land etwas Anständiges wird, dann ist das eine
gute Sache. Ich finde, dass Sie da recht haben, und ich
glaube, dass wir diese Chance auch anderen Ländern ge-
ben sollten.

Im Kern ist es doch so: Wenn das Prinzip, dass Hilfe
funktionieren kann, richtig ist und es nicht gottgegeben
ist, dass es denen, denen es schlecht geht, ewig schlecht
geht, sondern man ihnen hilft, damit es ihnen irgend-
wann besser geht – auch im Grundgesetz sind ja gleiche
Lebensverhältnisse in dieser Republik garantiert; wir
alle arbeiten daran –, dann ist es doch folgerichtig, dass
man versuchen sollte, das gute Beispiel, das Bayern
abgegeben hat, in anderen Ländern zu wiederholen. Wir
haben euch geholfen, ihr habt euch angemessen aufge-
führt,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


es hat funktioniert, und alles ist wunderbar. Das ist völlig
in Ordnung. Diesem Prinzip folgend, muss man sich
natürlich darüber unterhalten, ob diejenigen, die früher
geholfen haben – – Sie haben die Milliardenbeträge ge-
nannt – die D-Mark war in den 50er- und 60er-Jahren
deutlich mehr wert als der Euro heute –, die man sich je-
doch preisbereinigt angucken muss. Das sage ich, ohne
das bayerische Engagement schmälern zu wollen. Ich
möchte nur anmerken: Hamburg hat immer gezahlt.

Diesem Beispiel Bayerns folgend, müssten wir uns
jetzt eigentlich daranmachen – –


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Geh mal wieder zum Manuskript zurück!)


– Ich genieße doch, dass der Kollege steht.


(Heiterkeit)


Das reize ich jetzt so lange aus, wie der Präsident mir die
Chance dazu gibt.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Er kann ihn zum Sitzen bringen!)


Das heißt – damit komme ich zum Ende, damit der Kol-
lege sich setzen kann; man muss den Menschen die
Chance geben, etwas dazuzulernen –, dass wir diesem
Prinzip weiter folgen wollen. – Jetzt können Sie sich set-
zen, Herr Kollege; ich fahre fort.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Oberlehrerhaft! – Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU: Arrogant!)


– Das war nicht arrogant.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Doch! Das war es jetzt schon wieder!)


Da war ich einfach hilfsbereit im besten koalitionären
Sinne. Wir schätzen uns ja.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das merkt man!)






Johannes Kahrs


(A) (C)



(D)(B)

Das heißt also, dass wir in der Koalition – so steht es
auch in unserem Koalitionsvertrag – natürlich denjeni-
gen helfen wollen, die die Hilfe brauchen. Allerdings gilt
– das ist von dem Kollegen schon gesagt worden –:
Wenn man hilft, dann muss es auch zielgenau sein. In
unserem Koalitionsvertrag steht:

Die Gemeinden, Städte und Landkreise in Deutsch-
land sollen weiter finanziell entlastet werden.

Das ist von den Grünen schon erwähnt worden.

Im Jahr 2014 erfolgt ohnehin die letzte Stufe der
Übernahme der Grundsicherung im Alter durch den
Bund und damit eine Entlastung der Kommunen in
Höhe von 1,1 Mrd. Euro. Darüber hinaus sollen die
Kommunen im Rahmen der Verabschiedung des
Bundesteilhabegesetzes im Umfang von fünf
Milliarden jährlich von der Eingliederungshilfe ent-
lastet werden. Bereits vor der Verabschiedung des
Bundesteilhabegesetzes

– das muss ja erst noch geschehen –

beginnen wir mit einer jährlichen Entlastung der
Kommunen in Höhe von einer Milliarde Euro pro
Jahr.

Das wird in 2015 so anfangen.

Wenn man dem Prinzip des Kollegen Karl folgt, dass
man denjenigen helfen soll, denen es nicht so gut geht,
müssen wir einen Weg finden, wie wir denjenigen, de-
nen es besonders schlecht geht, dieses Geld zukommen
lassen. Das heißt, wir alle müssen uns gemeinsam
anstrengen, im Gesetzgebungsverfahren einen Weg zu
finden, wie wir die Finanzierung der Kommunen ver-
nünftig organisieren, damit das wie in Bayern läuft:
Denen, denen es nicht so gut geht, wird gegeben, damit
sie die Chance haben, ihre Verhältnisse zu verbessern.

Das ist in dieser Republik häufiger, in unterschiedli-
chen Variationen, gelungen. Ich glaube, das hat nichts
damit zu tun, ob man gut oder schlecht wirtschaftet; das
hat etwas mit Strukturwandel zu tun, mit Dingen, die auf
dem Weltmarkt laufen oder nicht. Das kann man sich
angucken. Es gibt Länder, die SPD-regiert waren und
Nehmerländer wurden. Es gibt CDU-regierte Länder,
denen es auch heute nicht gut geht. Da wird man einen
Weg finden müssen.

Deswegen hat diese Koalition – das finde ich wichtig,
richtig und gut – im Koalitionsvertrag an vielerlei Stel-
len gesagt, was wir alles für die Kommunen und für die
Länder tun wollen. Mir ist es wichtig, dass wir hier noch
einmal sagen, dass eine Entlastung der Länder nicht
heißt, dass alles bei den Ländern bleibt; auch die Länder
müssen in ihrem Rahmen dafür sorgen, dass die Kom-
munen entlastet werden. Das alles muss gemeinsam ver-
nünftig laufen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben das in den Koalitionsverhandlungen be-
schlossen; ich könnte jetzt den Koalitionsvertrag zitie-
ren. Dabei geht es um den Bereich der Städtebauförde-
rung; die Zahlen sind genannt worden. Dabei geht es
darum, dass wir 6 Milliarden Euro an die Länder geben
für den ganzen Bereich der Kinderbetreuung, für die
großen Herausforderungen wie Schule, Hochschule und
andere Dinge. Wir werden in den folgenden Wochen und
Monaten gemeinsam die Frage diskutieren: Wie macht
man das am vernünftigsten? Wie kriegen wir es hin, dass
die Kommunen, die Probleme haben, entlastet werden?

Ich glaube, dass es gut war, dass die SPD im Bundes-
tagswahlkampf dieses Thema aufgegriffen hat, dass ihr
alle gefolgt sind, dass dieses Thema jetzt auf die Tages-
ordnung kommt, dass wir alle ein Bewusstsein dafür ha-
ben: Man muss etwas für die Kommunen tun. – Das eint
uns in diesem Hohen Hause. Jetzt müssen Taten folgen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802620900

Letzter Redner in dieser Aussprache ist der Kollege

Ingbert Liebing, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ingbert Liebing (CDU):
Rede ID: ID1802621000

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Eigentlicher Anlass für diese Debatte ist der Antrag
der Grünen. Ich möchte gerne zu Beginn meiner Ausfüh-
rungen feststellen, dass manche Fakten, die Sie dort auf-
gelistet haben, sicherlich zutreffen. Es gibt viele Kom-
munen, die gewaltige finanzielle Probleme haben. Aber
Sie haben zu Recht auch auf die Unterschiedlichkeit der
Probleme hingewiesen. Nun könnte man durchdeklinie-
ren, in welchen Bundesländern die kommunalen Finanz-
probleme am größten sind. Man könnte darauf hinwei-
sen, dass das in erster Linie rot-grün regierte Länder
sind, vor allem Nordrhein-Westfalen, vor allem Rhein-
land-Pfalz. Ich will das gar nicht tun.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)


Von verschiedenen Rednern ist schon darauf hinge-
wiesen worden, dass in erster Linie die Bundesländer in
der Verantwortung stehen, für eine aufgabengerechte Fi-
nanzausstattung der Kommunen zu sorgen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde, es ist gerade deshalb lohnenswert, sich einmal
anzuschauen, wie sich die Grünen in der Regierungs-
verantwortung verhalten, dort wo sie Verantwortung für
die Kommunen tragen. Wir können nach Nordrhein-
Westfalen schauen. Da lassen sie die Kommunen beim
Thema Inklusion im Stich. Ich finde schon dreist, wenn
Frau Löhrmann gegenüber den Kommunen sagt: Über
das Thema Inklusion braucht ihr euch keine Gedanken
zu machen. Das bezahlt ja nachher der Bund mit der Ein-
gliederungshilfe. – Meine Damen und Herren, so haben
wir miteinander nicht gewettet.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Da lassen Sie die Kommunen im Stich.





Ingbert Liebing


(A) (C)



(B)

In Rheinland-Pfalz schlittert die rot-grüne Landes-
regierung in den nächsten Verfassungskonflikt mit den
Kommunen über den kommunalen Finanzausgleich. In
Niedersachsen gibt es einen Heidenärger über die Kom-
munalstrukturen. In meinem Heimatland, in Schleswig-
Holstein, feiert sich eine grüne Finanzministerin für ei-
nen positiven Jahresabschluss 2013: 115 Millionen Euro
Überschuss im Haushalt 2013. Aber sie verschweigt,
dass in diesem Jahr gleichzeitig 120 Millionen Euro aus
dem kommunalen Finanzausgleich zulasten der Kom-
munen entnommen wurden. Nur dadurch konnte diese
Rechnung aufgehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Von den Bundesmitteln, die im Bereich der Grund-
sicherung an die Länder fließen, behält diese grüne
Finanzministerin über 40 Millionen Euro in der Landes-
kasse ein – zulasten der Kommunen. Das ist die Wirk-
lichkeit, für die Sie in den Ländern Verantwortung tra-
gen. Auch das gehört zur Geschichte dazu.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eben ist schon viel über den Strukturwandel und die
Strukturprobleme gesagt worden, die ebenfalls zu den
Finanzproblemen der Kommunen führen. Ja, es ist si-
cherlich so, dass es Strukturprobleme gibt. Aber unser
Anspruch ist, dass wir die Ursachen dieser Probleme an-
gehen wollen, dass wir den Strukturwandel tatsächlich
gestalten wollen.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb 2018!)


Ich habe den Eindruck, bei Ihnen geht es nur darum,
möglichst viel Geld zu bekommen, um die Probleme
finanziell zu lösen. Wir dagegen wollen die Ursachen
dieser Probleme beseitigen. Das ist der Unterschied.


(Beifall bei der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich verweise Sie nur auf Ihren Koalitionsvertrag! Sagen Sie doch mal was dazu!)


Angesichts der Bilanz, für die Sie Verantwortung tra-
gen, brauchen wir uns von Ihnen, den Grünen, überhaupt
keine Nachhilfe erteilen zu lassen. Wir leisten etwas für
die Kommunen. Die Kollegen Alois Karl und André
Berghegger haben darauf bereits hingewiesen.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2018 regieren Sie doch vielleicht gar nicht mehr!)


Ich lade Sie ein, beim Thema Eingliederungshilfe, wenn
wir über ein Bundesleistungsgesetz sprechen, auch zu
liefern: mit dafür zu sorgen, dass die Ausgabendynamik
begrenzt wird, dass wir nicht jedes Jahr wieder neue
Ausgabensteigerungen zulasten der Kommunen haben
und dass am Ende tatsächlich eine Entlastung der Kom-
munen steht. Da können Sie liefern, Frau Haßelmann.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Besonders in Nordrhein-Westfalen wird sehr stark
eine Diskussion geführt, die Kritik in Richtung Bundes-
regierung und am Bundesfinanzminister persönlich ent-
hält. Ich lese, dass der eine oder andere schreibt,
Schäuble spare seinen Haushalt zulasten der Kommunen
zurecht. Unglaublich! Das ist schlichtweg falsch. Bei ei-
nem Bundeshaushalt 2014, der 1,6 Milliarden Euro mehr
für die Kommunen enthält als der Haushalt des Vorjah-
res, kann man doch nicht sagen, Herr Schäuble spare
sich den Haushalt zulasten der Kommunen zurecht. Das
genaue Gegenteil ist der Fall.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist auch kein Widerspruch, wenn wir sagen:
Unsere Politik ist eine kommunalfreundliche Politik; wir
wollen dort, wo wir können, den Kommunen helfen, und
wir leisten trotzdem Haushaltskonsolidierung. – Das
eine bedingt das andere. Nur dann, wenn wir unseren
Haushalt tatsächlich in Ordnung gebracht haben, sind
wir auch in der Lage, andere Aufgaben wahrzunehmen
und auch den Kommunen zu helfen.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann sind denn die Mittel für die Eingliederungshilfe eingestellt?)


Dass wir die Aufgabe der Grundsicherung im Alter
übernommen haben, war doch nur deswegen möglich,
weil wir in der vergangenen Wahlperiode ein konstantes
Ausgabenvolumen gehalten und nicht jedes Jahr drauf-
gepackt haben. Während wir das Ausgabenvolumen im
Bundeshaushalt über vier Jahre konstant gehalten haben
und gleichzeitig 5 Milliarden Euro zusätzlich für die
Kommunen im Bereich der Grundsicherung mobilisiert
haben, hat die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-
Westfalen das Ausgabenvolumen im Landeshaushalt um
11 Prozent gesteigert. Das ist der Unterschied. Deswe-
gen ist Nordrhein-Westfalen nicht in der Lage, die ei-
gene Verantwortung für die Kommunen wahrzunehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wir haben gezeigt, was kluge Politik ist. Diese
Politik hilft auch den Kommunen. Orientieren Sie sich
daran! Machen Sie dabei mit! Dann dient es auch den
Kommunen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802621100

Vielen Dank, Herr Kollege Liebing.

Damit kämen wir, wenn es nicht noch weitere Anmer-
kungen gibt, zum Schluss dieser Debatte.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es gäbe noch viel zu sagen!)


Dann schließe ich diese Debatte.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/975 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

(D)






Vizepräsident Johannes Singhammer


(A) (C)



(D)(B)

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Tätigkeitsbericht 2012/2013 der Bundesnetz-
agentur – Telekommunikation

mit

Sondergutachten der Monopolkommission –
Telekommunikation 2013: Vielfalt auf den
Märkten erhalten

Drucksache 18/209
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Erster Redner ist der Kollege Klaus Barthel, SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1802621200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Neben

dem Tätigkeitsbericht der Bundesnetzagentur zeigt das
zugehörige Sondergutachten der Monopolkommission
auf knapp 100 Seiten auf, was sich in der Telekommuni-
kationsbranche so tut. Auf über 250 Seiten wird darüber
hinaus dargestellt, was die Bundesnetzagentur in diesem
Bereich alles leistet: von der Marktregulierung über die
Nummerierung, die Frequenzvergabe, den Verbraucher-
schutz, den Datenschutz, die internationale Arbeit bis
hin zur technischen Überwachung, zur Störungsbearbei-
tung, zum Messdienst, zur elektromagnetischen Verträg-
lichkeit usw.

Ich glaube, es ist an dieser Stelle erst einmal geboten,
dass wir unsere Anerkennung aussprechen für die Ar-
beit, die bei dieser Behörde geleistet wird, zum einen in
der Zentrale, aber auch in den Außenstellen, die direkt in
den Regionen liegen und damit in den Wahlkreisen von
vielen von uns. Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir
auch heute noch einmal von hier das Signal senden, dass
wir uns bewusst sind, dass die Bundesnetzagentur dafür
auch die entsprechende personelle Ausstattung braucht,
und dass wir auch gemeinsam dafür eintreten, dass die
Zahl der Außenstellen in der Fläche nicht reduziert wird,
damit die Bundesnetzagentur in der Fläche präsent
bleibt.

Es ist der Bundesnetzagentur gelungen, denke ich
– das zeigt auch der Bericht –, ihre Unabhängigkeit zu
wahren. Das ist angesichts des Drucks, dem sie oft aus-
gesetzt ist, nicht einfach. Auf Veranstaltungen von ein-
schlägig Betroffenen aus der Branche wurden wir in re-
gelmäßigen Abständen – alle halbe Jahre, immer mal
wieder – mit totalen Untergangsszenarien konfrontiert,
zum Beispiel als es darum ging, den Endkundenpreis für
die TAL-Leitung neu festzulegen, oder als es um das
Vectoring ging. Jedes Mal war entweder die Rede davon,
dass jetzt der Wettbewerb endgültig zusammenbricht
und eine Remonopolisierung kommt oder dass die Deut-
sche Telekom ruiniert wird und Hunderttausende von
Arbeitsplätzen auf dem Spiel stehen. Die Bundesnetz-
agentur hat es offensichtlich geschafft, immer wieder ei-
nen Weg zu finden, der für alle Marktteilnehmer gangbar
und verkraftbar war. Das bestätigt auch die Stellung-
nahme der Monopolkommission. Deswegen muss man
dieses Lob auch an dieser Stelle noch einmal ausspre-
chen.

Ich glaube aber, wir müssen noch weiter schauen. In
dieser Runde ist es, denke ich, nicht nötig, etwas zur Be-
deutung von modernen, leistungsfähigen Telekommuni-
kationsinfrastrukturen zu sagen. Sie sind das Rückgrat
der digitalen Wirtschaft, wie es so oft heißt, und sie sind
auch das Rückgrat unserer Volkswirtschaft. Denken Sie
nur an die berühmten Datenautobahnen. Die entspre-
chenden Sonntagsreden kennen Sie alle. Dieses Rück-
grat spielt auch bei der digitalen Agenda eine besondere
Rolle.

Die IKT-Wirtschaft in Deutschland boomt: Der Jah-
resumsatz beträgt 228 Milliarden Euro mit ständig stei-
gender Tendenz, die Bruttowertschöpfung liegt bei
85 Milliarden Euro, die Investitionen belaufen sich auf
18,2 Milliarden Euro. 900 000 Arbeitsplätze gibt es di-
rekt in diesem Bereich und 360 000 in unmittelbarer Ab-
hängigkeit davon. Das ist vom ökonomischen Gewicht
her neben der Automobilindustrie und dem Maschinen-
bau also ein Kernbereich der deutschen Wirtschaft, und
das ist ein Leitmarkt mit überdurchschnittlichen Investi-
tionen und Innovationskraft.

Jetzt kommt das Aber: Wenn wir uns den Telekom-
munikationssektor anschauen, von dem in dem vorlie-
genden Tätigkeitsbericht die Rede ist, dann haben wir
schon Grund, uns mit der Sorge zu befassen, wie es um
das Rückgrat bestellt ist. Der Einschätzung der Bundes-
netzagentur kann ich nicht folgen, wenn hier viel von
Wachstumsdynamik und Wettbewerb die Rede ist; denn
die Fakten in dem Bericht sprechen eine klare Sprache:
Wir haben es im Telekommunikationssektor mit rückläu-
figen Umsätzen zu tun. Auf dem Höhepunkt Mitte der
2000er-Jahre waren es 67 Milliarden Euro, jetzt sind es
nur noch 57 Milliarden Euro. Es sind stagnierende bis
rückläufige Investitionen zu verzeichnen. Sie betragen
jedes Jahr nur noch gut 6 Milliarden Euro. Es waren ein-
mal viel mehr; 2007 waren es zum Beispiel noch
7,2 Milliarden Euro. Auch die Beschäftigung ist rück-
läufig; sie sank in den letzten zehn Jahren um etwa ein
Viertel. Daneben ist nach dem ehemaligen Internetboom
und der Dotcom-Blase eine nachhaltige Investitionsblo-
ckade festzustellen.

Der Wettbewerb ist intensiv, die Preise und Margen
sinken, aber auch die Investitionen gehen zurück und
konzentrieren sich immer mehr auf die Ballungsräume.
Es steht heute kaum noch jemand dagegen auf, wenn
man sagt, beim Aufbau der Telekommunikationsinfra-





Klaus Barthel


(A) (C)



(D)(B)

struktur in den ländlichen Räumen ist Marktversagen
festzustellen.

Das bedeutet, dass die Ziele der bisherigen Bundesre-
gierung im Hinblick auf die Breitbandstrategie ganz klar
verfehlt werden. Auch darum muss man nicht herumre-
den. 2014, also in diesem Jahr, sollten 75 Prozent der
Haushalte über einen Breitbandanschluss mit einer
Übertragungsrate von mindestens 50 Megabit pro Se-
kunde verfügen. Bis Ende 2012 wurden gerade einmal
56 Prozent erreicht.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das hängt bestimmt mit der alten Bundesregierung zusammen!)


Die alte Bundesregierung hat dieses Ziel verfehlt; Herr
Kollege Pfeiffer, daran waren Sie beteiligt. Sie hat im
Grund nichts gemacht, außer immer neue Ziele zu pro-
klamieren, anstatt sich darum zu bemühen, die gesetzten
erst einmal zu erreichen.

Ich denke, jetzt, in der Großen Koalition, ist festzu-
stellen: Wir bestätigen diese Ziele und kämpfen um ihre
Erreichung, aber wir wollen auch Maßnahmen ergreifen,
auf die ich jetzt nicht noch einmal im Einzelnen einge-
hen will, weil das zum Beispiel vor ein paar Wochen
– am 31. Januar 2014 – mein Kollege Martin Dörmann
hier an dieser Stelle schon getan hat: neues Regulie-
rungsregime, Zusammenwirken aller Akteure – Bund,
Länder, Gemeinden, Europäische Union, Bundesnetz-
agentur, Unternehmen –, Infrastrukturatlas, Breitbandat-
las, neue Finanzierungsinstrumente, Bürgerfonds, KfW-
Förderprogramm usw. Ich will stattdessen den Blick ins
Ausland lenken, weil das zeigt, dass wir in Deutschland
einfach mehr tun müssen:

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie hat in
der letzten Legislaturperiode beim TAB einen Bericht
zur Technikfolgenabschätzung mit dem Titel „Gesetzli-
che Regelungen für den Zugang zur Informationsgesell-
schaft“ angeregt. Neben den Themen Konvergenz und
Leitmedien hat er sich auch mit dem Breitbandausbau
beschäftigt und die Entwicklung zum Beispiel in Austra-
lien, in Finnland, in Großbritannien, in Japan, in den
USA und in Deutschland untersucht.

Das gemeinsame Ergebnis für all diese Vergleichsländer
ist, dass in den Ländern, in denen das Breitband erfolg-
reich ausgebaut worden ist, eine neue starke Rolle des
Staates festgestellt wird. All diese Länder – sie sind ja
sozialistischer Tendenzen gänzlich unverdächtig – sind
den Weg gegangen, die Nachfrage staatlich zu stützen
und anzuregen. Sie haben entweder wie Australien öf-
fentliche Investitionen getätigt und mit staatlichem Geld
eigene Infrastrukturen aufgebaut oder wie Finnland mit
einer Universaldienstverpflichtung und einem Univer-
saldienstfonds eine flächendeckende Versorgung umge-
setzt.

Finnland zum Beispiel hat das Recht etabliert, dass je-
dem Verbraucher bis 2015 eine Verbindung mit einer
Geschwindigkeit von mindestens 100 Megabit zur Ver-
fügung steht. Das Land wird dieses Ziel im nächsten
Jahr erreichen; das steht fest. Laut dem Monitoringbe-
richt der alten Bundesregierung ist Finnland dank einer
Universaldienstverpflichtung für alle beim Ausbau der
Telekommunikationsinfrastruktur Sieger auf der ganzen
Welt, Rang 1.

Das Beispiel Finnland zeigt auch, dass eine flächen-
deckende Versorgung möglich ist. Bei uns zum Beispiel
wird behauptet, die Europäische Union lasse das nach
ihrem Wettbewerbsrecht nicht zu. Aber Finnland ist
doch Mitglied der Europäischen Union, oder?


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Machen Sie die Mottenkiste zu!)


Das Gegenteil ist richtig. Brüssel hat jetzt darüber nach-
gedacht, ob man nicht doch neue Regulierungsregime
braucht, bei denen mehr Wert auf Investitionen gelegt
wird. Wir haben es gehört: Heute ist im Europäischen
Parlament darüber diskutiert und abgestimmt worden.

In unserem Koalitionsvertrag – ich weiß nicht, ob das
alle schon so richtig wahrgenommen haben – ist mit
Recht von einer „Daseinsvorsorge“ in diesem Bereich
die Rede. Im Grundgesetz heißt es dazu ganz klar: Der
Bund steht hier in der Pflicht. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, wenn hier der Bund in der Pflicht steht, dann
kann man nicht einfach sagen: Das sollen jetzt einmal
die Kommunen machen. – Hier gab es ja gerade eine De-
batte über die finanzielle Situation der Kommunen.
Wenn wir die Entwicklung so weiterlaufen lassen, wird
die Spaltung in unserem Land immer größer; denn die
Kommunen, die kein Geld haben, können die Breitband-
infrastruktur eben nicht ausbauen. Die anderen Kommu-
nen, die Geld haben, werden das umso stärker tun. Auch
das Telekommunikationsgesetz sieht hier eine Finanzie-
rung durch den Bund vor.

Ich denke – Frau Staatssekretärin Bär ist hier anwe-
send –, dass ich da beim Minister offene Türen einren-
nen müsste, weil sich die CSU im Landtags- und im
Bundestagswahlkampf zu der Auffassung, dass es sich
hierbei um Daseinsvorsorge handelt, und zu dem Instru-
ment des Universaldienstes bekannt hat. Wir warten hier
auf Taten.


(Beifall bei der SPD)


Wir müssen zusehen, dass die Bundesnetzagentur auf
einen neuen Pfad gesetzt wird. Sie ignoriert diese Inves-
titionsblockade ein wenig, leugnet die Notwendigkeit
weiterer gesetzlicher Maßnahmen und wird dabei auch
noch von der Monopolkommission, also der Gralshüte-
rin der reinen Marktwirtschaft, unterstützt. Da wird ge-
sagt: All das, was der Markt nicht leistet, soll mit För-
dergeldern des Staates aufgefangen werden. – Das kann
es nicht sein. Deswegen sage ich: Schluss mit den Denk-
verboten in diesem Bereich!

Wenn wir das Thema Netzneutralität ernst nehmen
– in dem Bericht der Bundesnetzagentur gibt es dazu
schöne Zitate –, dann müssten wir dahin kommen, dass
es Netzneutralität eigentlich nur dann geben kann, wenn
man gesetzlich definiert, welchen Anspruch alle Kunden
gegenüber allen Anbieterinnen und Anbietern haben.
Netzneutralität darf also nicht so verstanden werden,
dass einfach nur der Mangel gleichmäßig alle Inhaltean-
bieter betrifft. Vielmehr muss es darum gehen, eine Min-





Klaus Barthel


(A) (C)



(D)(B)

destkapazität für alle zu schaffen, womit garantiert wird,
dass die entsprechenden Angebote durchgeleitet werden.
Es ist also notwendig, hier klare rechtliche Regelungen
zu schaffen; ansonsten reden wir immer wieder nur da-
von, dass die vorhandenen Engpässe gleichmäßig übers
Land verteilt werden.

Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig, wie es in
diesem Bericht steht, dass viele Maßnahmen auf den
Weg gebracht sind: Vectoring, LTE-Ausbau und neue
Frequenzen.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802621300

Herr Kollege Barthel, denken Sie an Ihre Redezeit.


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1802621400

Das tue ich. Ich bin gerade beim Schlusssatz, Herr

Präsident.


(Lachen des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/ CSU] – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Endlich!)


Alle diese Maßnahmen sind richtig und zu unterstüt-
zen, aber in dem Bericht wird auch deutlich, dass all das
nicht ausreicht, sondern dass wir die Telekommunika-
tionspolitik weiterentwickeln müssen. Der Koalitions-
vertrag gibt dazu wertvolle Hinweise. Aber wir müssen
sie auch konkretisieren, statt sie einfach nur zur Kennt-
nis zu nehmen und abzuheften, um dann im nächsten
Jahr wieder von vorne anzufangen. Wir haben uns ge-
meinsam vorgenommen, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, dass wir in diesem Bereich jetzt endlich zum Han-
deln übergehen, nachdem bis jetzt ein paar Jahre
verloren worden sind.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802621500

Nächster Redner ist der Kollege Herbert Behrens, Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802621600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Preise runter, Service rauf – das ist die Zauberformel der
Privatisierung, über die wir hier reden. Sie hat es vor
20 Jahren notwendig gemacht, die Bundesnetzagentur,
damals noch als Regulierungsbehörde bezeichnet, einzu-
richten.

Preise runter, Service rauf – um nichts anderes ging
es, als vor 20 Jahren die Telekom privatisiert wurde.
Dem Unternehmen geht es heute gut, nicht aber allen
Beschäftigten. Die Telekom gehört zu den größten Tele-
kommunikationsunternehmen Europas und ist mit vielen
Töchtern weltweit vertreten. Sie kauft und verkauft Un-
ternehmen und deren Beschäftigte. Wenn die Geschäfte
einmal nicht gut laufen, dann werden Betriebe verscher-
belt oder Dienstleistungen ausgegliedert. Die Beschäf-
tigten bei T-Systems sind das jüngste Beispiel für diese
Seite des Wettbewerbs: 4 900 Kolleginnen und Kollegen
sollen bis 2015 ihren Arbeitsplatz verlieren, weil die Ge-
schäfte keinen Profit mehr abwerfen.

Davon ist natürlich nichts im Bericht der Bundesnetz-
agentur zu lesen.


(Klaus Barthel [SPD]: Doch!)


Für die Linke sind aber gerade diese sozialen Bedin-
gungen der Beschäftigten und sichere Arbeitsplätze die
zentralen Fragen, wenn wir über Wettbewerb in der Tele-
kommunikation reden.

Der vorliegende Bericht gibt uns auf 370 Seiten einen
tiefen Einblick in die Welt von Regulierung und Deregu-
lierung. Sicher, wir brauchen eine starke, unabhängige
und gründlich arbeitende Behörde, die den bei den Tele-
kommunikationsunternehmen ausgelösten Wettbewerb
überwacht. Aber mit großem Erstaunen muss man fest-
stellen, welcher Aufwand getrieben wird, um die negati-
ven Folgen eines freien Wettbewerbs in diesem Sektor
zu begrenzen. Da kommt bei mir der Gedanke auf, ob
die vielen personellen und finanziellen Ressourcen, die
da hineinfließen, nicht viel sinnvoller eingesetzt wären,
wenn damit ein wirklich gutes, kundenfreundliches An-
gebot geschaffen würde.


(Beifall bei der LINKEN)


Es würde manchem Dresdener Bürger gut gefallen,
wenn es ein vernünftiges Breitbandangebot gäbe. Mitten
in der Stadt steht dort heute den meisten Menschen nur
ein LTE-Angebot zur Verfügung, das regelmäßig dann
an seine Grenzen stößt, wenn sich zum Beispiel Studie-
rende und Touristen darüber ihren mobilen Internetzu-
gang holen.

Ein gut ausgebautes Netz, ausreichende Bandbreite,
verlässliche Vertragspartner: Das sind die Kriterien, an
denen sich der Erfolg von Privatisierung und Wettbe-
werb messen lassen muss.

Die Bundesregierung will bis zum Jahr 2018 flächen-
deckend schnelles Internet mit 50 Mbit erreichen. Davon
sind wir heute noch weit entfernt, und das nicht nur auf
dem flachen Land.


(Zuruf von der LINKEN: Sehr richtig!)


Knapp 80 Prozent der Anschlüsse in den Städten bieten
heute 50 Mbit, was aber nicht heißt, dass wir bereits ein
zukunftsweisendes Glasfasernetz hätten. Das Beispiel
Dresden zeigt es. Gleichwohl wird die Infrastruktur für
schnelles Internet in den Städten sehr viel schneller reali-
siert werden als anderswo. In den Ballungszentren rech-
nen sich die Investitionen, und die Telekommunikations-
unternehmen fahren beträchtliche Gewinne ein.

Auf dem Land aber haben die Menschen richtig große
Probleme. Der Handwerksmeister in der Prignitz in
Brandenburg zum Beispiel, der sich an Ausschreibungen
beteiligen will, ist auf einen vernünftigen Zugang zum
Netz angewiesen. Oder nehmen wir eine Grafikerin aus
Thedinghausen, einem Ort in meinem Wahlkreis: Sie
will eine aufwendige Präsentation an ihren Kunden schi-
cken. Das ist mit den Netzzugängen dort sehr schwierig.
Hier zeigen sich die negativen Folgen des Wettbewerb-
dogmas am deutlichsten.





Herbert Behrens


(A) (C)



(D)(B)

Fehlende Infrastruktur auf dem Land und anderswo
darf nicht mit dem Hinweis abgetan werden, dass die
Menschen dort gar kein Interesse am schnellen Internet
hätten, wie es im Bericht der Bundesnetzagentur ange-
deutet wird. Das ist doch glatter Unsinn!


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Jeder hat das Recht auf gleichwertige Lebensverhält-
nisse, egal wo er lebt. Das ist nicht nur eine politische
Forderung der Linken, das ist ein Grundgesetzauftrag. In
Art. 87 f Grundgesetz heißt es: Der Bund gewährleistet
„im Bereich des Postwesens und der Telekommunika-
tion flächendeckend angemessene und ausreichende
Dienstleistungen.“

Darum erwarte ich im nächsten Bericht der Bundesnetz-
agentur Aussagen darüber, mit welchen Maßnahmen
diese Ziele, nämlich eine angemessene, ausreichende
Dienstleistung, erreicht worden sind.

Der Bundesgerichtshof stellte 2013 fest – ich zitiere –:

Die Nutzbarkeit des Internets ist ein Wirtschaftsgut,
dessen ständige Verfügbarkeit … auch im privaten
Bereich für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung
… von zentraler Bedeutung ist.

Im Bericht der Bundesnetzagentur dagegen heißt es, es
sei – auch Zitat –

weiterhin fraglich, inwieweit durch die Nichtver-
fügbarkeit eines Breitbandanschlusses … eine so-
ziale Ausgrenzung zu befürchten ist.

Es wäre zum Totlachen, wenn es nicht so traurig wäre.
Es lässt sich wirklich fragen, wer diesen Bericht ge-
schrieben hat.

Wir als Linke fordern: Rücknahme der Deregulierung
dort, wo der Wettbewerb die Gewinne privatisiert hat
und Investitionen in die nicht profitablen Bereiche von
den Steuerzahlern und Steuerzahlerinnen finanziert wer-
den sollen.


(Zuruf des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/ CSU])


Die Breitbandversorgung muss zur Grundversorgung ge-
rechnet werden. Wir brauchen schnelles Internet für alle.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Kollege Barthel applaudiert gar nicht! – Gegenruf des Abg. Klaus Barthel [SPD]: Habt ihr ein Problem, oder was?)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802621700

Als nächstem Redner erteile ich für die CDU/CSU

dem Kollegen Hansjörg Durz das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hansjörg Durz (CSU):
Rede ID: ID1802621800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
16 Jahre nach Öffnung des Telekommunikationsmarktes
in Deutschland können wir auf diesem Markt erhebliche
Fortschritte konstatieren. Die Monopolkommission hat
ihr Sondergutachten, das wir heute gemeinsam mit dem
Tätigkeitsbericht der Bundesnetzagentur debattieren, mit
dem Anspruch „Vielfalt auf den Märkten erhalten“ über-
schrieben. Diesem Motto kann man nur zustimmen;
denn diese Vielfalt bedeutet, dass Bürger und Wirtschaft
heute von einer Vielzahl von Angeboten und Dienstleis-
tungen zu deutlich günstigeren Preisen profitieren. Zu-
dem haben sich die Infrastruktur und damit die Leis-
tungsfähigkeit der verschiedenen Netze und
Technologien in der Telekommunikation erheblich ver-
bessert.

Auch wenn wir heute über den Tätigkeitsbericht der
Regulierungsbehörde debattieren, deren Arbeit von uns
– das ist bereits erwähnt worden – hoch geschätzt wird
und deren Tätigwerden in vielen Bereichen für die Funk-
tionsfähigkeit der Teilmärkte im Telekommunikations-
bereich unverzichtbar ist, möchte ich festhalten: Regu-
lierung ist kein Selbstzweck, sondern muss immer auf
das erforderliche Maß begrenzt bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Regulierung ist dafür da, die Voraussetzungen zu schaf-
fen, dass Wettbewerb zwischen den Akteuren sein gan-
zes Potenzial entfalten kann, zum Wohle der Menschen.

Die Bundesnetzagentur hat zum Ende des letzten Jah-
res turnusgemäß ihren sehr umfassenden Tätigkeitsbe-
richt im Bereich der Telekommunikation vorgelegt, in
dem die Lage und die Entwicklung der Branche einge-
hend analysiert werden. Dem Bericht sind eine ganze
Reihe von Daten zu entnehmen, anhand derer sich die
Trends im Bereich der Telekommunikation eindrucks-
voll nachvollziehen lassen. Besonders bemerkenswert
finde ich dabei jene Statistiken, die den gefühlten und
immer wieder angesprochenen Trend der Digitalisierung
mit handfesten Zahlen untermauern.

Während sich die Gesprächsminuten im Festnetz
– sprich: die klassischen Telefongespräche – seit Jahren
rückläufig entwickeln, nimmt der über das Festnetz ab-
gewickelte Datenverkehr rasant zu. So hat sich das
durchschnittliche monatliche Datenvolumen, das über
das Festnetz in Deutschland abgewickelt wurde, in den
letzten fünf Jahren verdoppelt, im Vergleich zu 2005 so-
gar verfünffacht, Tendenz steigend. Gleiches lässt sich
im Mobilfunkbereich beobachten. Das mit Abstand
stärkste Wachstum zeigt auch dort das Datenvolumen,
das sich im mobilen Netz in vier Jahren verfünffacht hat.
Daran wird erkennbar: Die Menschen in unserem Land
sind immer häufiger und immer länger online, durch den
vermehrten Einsatz von Tablets und anderen mobilen
Endgeräten immer häufiger mobil online.

Die digitalen Endgeräte werden dabei selbstverständ-
lich sowohl im geschäftlichen wie im privaten Bereich
genutzt. Bankgeschäfte oder Urlaubsbuchungen werden
heute von einer Vielzahl von Menschen online erledigt.
Gleiches gilt für den Konsum von Unterhaltungsinhalten
via Mediatheken oder anderen Streamingangeboten. Von
der Bedeutung des Internets für die Wirtschaft ganz zu
schweigen. Wir wissen: Die Zukunftsfähigkeit unserer





Hansjörg Durz


(A) (C)



(D)(B)

Volkswirtschaft und damit auch der Wohlstand unserer
Gesellschaft sind abhängig vom Grad unserer Digitali-
sierung. Über diesbezügliche Zusammenhänge und Aus-
wirkungen haben wir in der vorletzten Sitzungswoche
im Zusammenhang mit dem Antrag der Koalitionsfrak-
tionen ausführlich debattiert.

Der Zugang zu schnellem Internet ist seit Jahren von
zentraler Bedeutung. Dieser Bedarf wird weiter und in
den nächsten Jahren massiv steigen, sowohl unter quali-
tativen als auch unter quantitativen Aspekten. Ange-
sichts dieser Entwicklung brauchen und wollen wir den
Ausbau hochleistungsfähiger Breitbandnetze auch im
ländlichen Raum. Wir wollen in Deutschland bis zum
Jahr 2018 die schon genannte flächendeckende Grund-
versorgung mit mindestens 50 Megabit erreichen. Infra-
strukturminister Alexander Dobrindt sprach unlängst
von Innovationsgerechtigkeit als Zielstellung. Dem
möchte ich mich ausdrücklich anschließen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die bisweilen feststellbare digitalisierte Spaltung
zwischen urbanen Ballungszentren und dem ländlichen
Raum darf sich nicht verfestigen. Gerade im ländlichen
Raum, in dem der Netzausbau naturgemäß mit höheren
Kosten verbunden ist, müssen wir mit Beihilfeprogram-
men des Bundes und der Länder unterstützen. Diese Pra-
xis wird auch von der Bundesnetzagentur in ihrem Be-
richt als sinnvoll erachtet. Der TÜV Rheinland hat in
einer Studie den Finanzbedarf allein für den flächende-
ckenden Breitbandausbau mit 50 Megabit auf insgesamt
20 Milliarden Euro beziffert.


(Zurufe des Abg. Klaus Barthel [SPD])


Darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen: Das Aus-
bauziel 50 Megabit ist nur ein Zwischenziel. Mittel- bis
langfristig werden weit höhere Kapazitäten nachgefragt
werden. Es dürfte allen Beteiligten klar sein: Um unsere
Ziele zu erreichen, bedarf es der Zusammenführung aller
vorhandenen Kapazitäten. Im Sondergutachten der Mo-
nopolkommission heißt es:

Entscheidend für den Fortbestand und die Intensi-
vierung des Wettbewerbs auf dem Markt für Breit-
bandanschlüsse ist, dass der Netzausbau weiterhin
wettbewerbsgetrieben und anhand von privaten In-
vestitionen erfolgt.

Mit anderen Worten: Wir brauchen ein gemeinsames
Projekt von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Die
von Bundesminister Dobrindt ins Leben gerufene Netz-
allianz Digitales Deutschland halte ich vor diesem Hin-
tergrund für eine hervorragende Initialzündung, um alle
vorhandenen Potenziale zu bündeln und möglichst effi-
zient auszuschöpfen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Tätigkeitsbericht der Bundesnetzagentur bietet
aber auch eine gute Gelegenheit, zu betrachten, was in
den vergangenen Jahren erreicht wurde, und im Rahmen
einer Bestandsaufnahme kritisch zu hinterfragen, ob die
getroffenen Maßnahmen auf dem Telekommunikations-
markt den erhofften Erfolg gebracht haben.
Dazu ist erstens festzustellen: Das wettbewerbliche
Leitbild hat sich als starker Motor für Investitionen,
Innovationen und Wachstum im Bereich der Telekom-
munikation absolut bewährt. Die Öffnung der Telekom-
munikationsmärkte vor 16 Jahren hat den dahinter ste-
henden Markt grundlegend verändert und dynamisiert.
Die Preise sind seither drastisch gesunken. Die Verbrau-
cher haben heute auf nahezu allen Teilmärkten echte
Auswahlmöglichkeiten zwischen einer Vielzahl von An-
geboten und Wettbewerbern. Private wie geschäftliche
Nutzer haben von dieser Entwicklung nachhaltig profi-
tiert, da die Kosten für Telefonate und Internetnutzung in
den letzten Jahren erheblich zurückgegangen sind. Der
Verbraucherpreisindex für Telekommunikation hat sich
seit 1998 um knapp 40 Prozent verringert, Tendenz wei-
ter fallend. Mit der Öffnung der Telekommunikations-
märkte wurden aber nicht nur die Preise drastisch zu-
gunsten der Verbraucher gesenkt, sondern auch die
angebotenen Leistungen sukzessive verbessert.

Das bringt mich zur zweiten Feststellung. Eine ver-
lässliche und kluge Regulierungspraxis ist die Voraus-
setzung dafür, dass Unternehmen in Breitband-
infrastrukturen investieren. Laut dem Bericht der
Bundesnetzagentur ist die Zahl der Breitbandanschlüsse
in Deutschland im letzten Jahr auf 28,4 Millionen gestie-
gen. Damit verfügt mittlerweile jeder dritte Haushalt in
der Bundesrepublik über einen Breitbandanschluss. Im
EU-weiten Vergleich liegt Deutschland damit auf Platz
vier. Das ist zwar nicht unser Anspruch; aber immerhin
ist es Platz vier. Auch diese Entwicklung verdanken wir
einem Mehr an Wettbewerb. Verschiedene Maßnahmen
der Regulierung haben dazu geführt, dass sich behutsam
ein Wettbewerb auf verschiedenen Teilmärkten entwi-
ckeln konnte. Hier sei exemplarisch auf den gesamten
Bereich der Vorleistungsprodukte verwiesen. Seit der
vollständigen Marktöffnung wurden in Deutschland be-
reits über 100 Milliarden Euro in den Netzausbau inves-
tiert, im Übrigen mehr als die Hälfte von Wettbewerbern
der Deutschen Telekom.

Die Beobachtung des Marktes lässt eine dritte
Schlussfolgerung zu. Unternehmen investieren vor allem
dort in den Netzausbau, wo sie mit anderen Anbietern im
Wettbewerb stehen. Um die Ziele beim Netzausbau zu
erreichen, müssen wir auf die verschiedensten Technolo-
gien zurückgreifen.

Die Entscheidung der Bundesnetzagentur zur Einfüh-
rung der Vectoring-Technologie hat im vergangenen Jahr
für viel Diskussionsstoff gesorgt. Durch Vectoring wird
eine zeitnahe und relativ kostengünstige Aufrüstung des
bestehenden Telekommunikationsnetzes ermöglicht. Als
Union begrüßen wir die Ausschöpfung der sich daraus
ergebenden Möglichkeiten ausdrücklich. Vectoring ist
für uns ein wichtiger Baustein zur Erreichung des Etap-
penziels. Auch die Monopolkommission würde Vecto-
ring als wünschenswerte Übergangstechnologie begrü-
ßen. Klar ist aber auch, dass mittels Vectoring im
Moment zwar gute Ergebnisse erzielt werden, in Zu-
kunft aber nur begrenzte Bandbreiten verfügbar sind.

Sichtbar ist übrigens, dass der Ausbau der Vectoring-
Technologie auch und gerade dort realisiert wird, wo





Hansjörg Durz


(A) (C)



(D)(B)

Kabelnetzbetreiber bereits Infrastruktur aufgebaut ha-
ben. Das ist in Ordnung, aber auch ein Beleg für mehr
Wettbewerb.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, unser Ziel ist es, Deutschland zum führenden
digitalen Standort in Europa auszubauen. Der Tätigkeits-
bericht der Bundesnetzagentur bestätigt, dass in den ver-
gangenen Jahren viel geschehen ist. Wir wissen aber
auch, dass uns auf dem Weg noch viel Arbeit bevorsteht.
Dafür müssen wir sicherlich öffentliche Mittel in die
Hand nehmen. Unser Ziel werden wir vor allem dann er-
reichen, wenn wir es schaffen, Vielfalt auf den Märkten
zu erhalten und mittels Wettbewerb die notwendigen In-
vestitionen anzustoßen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802621900

Danke schön. – Nächste Rednerin ist für Bündnis 90/

Die Grünen die Kollegin Katharina Dröge.


Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802622000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Mein Kollege Herr Durz hat schon vieles über
die positive Entwicklung auf dem Telekommunikations-
markt seit der Marktöffnung im Jahr 1999 gesagt. Des-
wegen will ich mich an dieser Stelle kurzfassen. Ich teile
Ihre Analyse und finde auch, dass die Marktöffnung ge-
zeigt hat, wie positiv der Wettbewerb für die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher sowie für die Unternehmen
in Deutschland sein kann. Seit der Marktöffnung erleben
wir drastische Senkungen bei den Preisen für Festnetz-,
Internet- und Handynutzung. In den ersten drei Jahren
nach der Marktöffnung hatten wir teilweise Preissenkun-
gen von bis zu 20 Prozent. Das ist eine gute Nachricht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


So viel von mir zur Analyse. Sie haben viel dazu ge-
sagt. Jetzt geht es darum, die Handlungsnotwendigkeiten
zu diskutieren.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Langsamer!)


– Langsamer? Es tut mir leid, ich rede jetzt langsamer.
Dann muss nicht so schnell mitgeschrieben werden. – Im
Rahmen der Handlungsnotwendigkeiten geht es nicht
nur um sinkende Preise, sondern natürlich auch um die
Themen Qualität und Verbraucherzufriedenheit. Genau
hier liegen für mich die Handlungsfelder, in denen sich
zeigt, wie eine gute Wettbewerbspolitik aussieht.
Märkte, die so kompliziert und unübersichtlich für die
Verbraucherinnen und Verbraucher sind wie die Tele-
kommunikation, brauchen Rahmensetzungen des Staa-
tes, die bei der Orientierung helfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn welcher Verbraucher ist schon in der Lage, wirk-
lich zu beurteilen, wie hoch die Datenübertragungsrate
ist, die bei ihm tatsächlich ankommt? Hier sind Informa-
tionspflichten wichtig.
Oder das Thema Anbieterwechsel. Ich weiß nicht,
wer hier im Saal schon einmal versucht hat, seinen Tele-
fonanbieter zu wechseln.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Hölle!)


Ich sage Ihnen: Tag für Tag versuchen es Menschen, und
sie haben mit vielen Hürden und Schwierigkeiten zu
kämpfen.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So ist es!)


Die neue Transparenzverordnung der Bundesnetz-
agentur ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung,
auch wenn an der einen oder anderen Stelle noch klei-
nere Nachbesserungen notwendig sind, die wir noch am
Montag im Beirat der Bundesnetzagentur diskutiert ha-
ben. Aber es ist wichtig, dass die Bundesnetzagentur
ganz klar sagt, dass im Hinblick auf Transparenz und
Verbraucherschutz die Selbstregulierung der Unterneh-
men allein nicht funktioniert, sondern dass es eines regu-
latorischen Rahmens hinsichtlich der Informations- und
Transparenzpflichten der Anbieter bedarf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wichtig beim
Thema Wettbewerb ist auch die Frage der Netzneutrali-
tät. Sie ist ein Garant für die Chancen von kleinen und
mittelständischen Unternehmen, sich in einem innova-
tiven Markt mit guten Ideen gegen große Konzerne
durchzusetzen. Ich freue mich deshalb sehr, dass das Eu-
ropaparlament sich heute in einer wegweisenden Ent-
scheidung für ein offenes und freies Internet ausgespro-
chen hat.


(Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Wir Grünen begrüßen es ausdrücklich, dass die Netzneu-
tralität nun als Grundprinzip in Europa verankert ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Doch wenn Sie, meine Damen und Herren von der
Bundesregierung, das Ziel eines fairen Wettbewerbs und
fairer Chancen tatsächlich ernst nehmen, dann müssen
Sie jetzt handeln. Sie sind aufgefordert, die Netzneutrali-
tät endlich effektiv gesetzlich in Deutschland zu veran-
kern bzw. sich dafür im Rat einzusetzen.

Das, was Herr Barthel – ich weiß nicht, wo er gerade
ist – in seiner Rede zum Thema Netzneutralität und zum
Thema Breitbandausbau gesagt hat, hat mich etwas ge-
wundert. Sie, liebe SPD, sind jetzt in der Regierung.
Das, was Herr Barthel hierzu gesagt hat, klang ein biss-
chen wie eine Oppositionsrede; er sprach davon, was
man sich alles wünscht. Setzen Sie es doch einfach um!
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich zum Schluss noch eine grundsätzli-
che Bemerkung machen. Ich finde es bezeichnend, dass
gerade Sie als Große Koalition – oder sollte ich besser





Katharina Dröge


(A) (C)



(D)(B)

sagen, als Monopolkoalition? – keine wirklich erkennba-
ren Anstrengungen unternehmen, um den Wettbewerb
um faire Verbraucherpreise in Deutschland zu fördern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das sieht man an Ihrem mangelnden Handeln in Sa-
chen Netzneutralität und Breitbandausbau. Das sieht
man genauso beim Thema Bahnpolitik. Das Bundeskar-
tellamt hat noch vor wenigen Wochen ein Missbrauchs-
verfahren gegen die Deutsche Bahn eingeleitet wegen
des Verdachts auf Behinderung des Wettbewerbs im
Fahrkartenverkauf. Die Monopolkommission hat ganz
klar gesagt, dass nur die Trennung des Schienennetzes
von den Transportunternehmen einen fairen Wettbewerb
garantieren kann. Doch im Koalitionsvertrag findet sich
das Gegenteil, nämlich ein integrierter Bahnkonzern. Ich
sage Ihnen: Eine verbraucherfreundliche Politik sieht an-
ders aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber ganz ehrlich – damit schließe ich auch –: Mich
wundert diese Politik nicht; denn die Strecke zwischen
Bahn und Kanzleramt ist wahrscheinlich die einzige in
Deutschland, die reibungslos funktioniert – garantiert
ohne Verspätung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802622100

Vielen Dank. – Abschließender Redner zu diesem Ta-

gesordnungspunkt ist der Kollege Thomas Jarzombek,
CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1802622200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kol-

legin Dröge, Sie haben vollkommen recht: Die Bahn ist
so pünktlich, dass der Kollege Barthel von der SPD
schon zum Bahnhof gesprintet ist. Das gibt mir jetzt die
Freiheit, ihn über die Ferne daran zu erinnern, dass wir
inzwischen in einer Koalition sind. Das sind möglicher-
weise für manche hier in diesem Hause verblüffende Er-
kenntnisse.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde es auch ganz erstaunlich, dass man im
Jahr 18 der Liberalisierung des Telekommunikations-
marktes ernsthaft diskutiert, ob Wettbewerb etwas Gutes
ist. Ich glaube, ja.

Ich bin jetzt 40 Jahre alt. Ich kann mich noch daran
erinnern, wie ich als junger Mensch mit dem Mond-
scheintarif gequält wurde, bei dem man wirklich genau
aufpassen musste, wie lange man telefoniert, weil einem
jede Minute ins Portemonnaie geschnitten hat. Das ist
vorbei. Als es noch ein Monopol in Deutschland gab und
die Deutsche Post das Breitbandnetz ausgebaut hat – da-
ran können Sie sich vielleicht erinnern –, gab es die
OPAL, die Optische Anschlussleitung. Das hat uns nicht
nach vorne gebracht, sondern das Gegenteil war der Fall.
Hier wurden Standards implementiert, die uns gerade im
Osten trotz Milliardeninvestitionen eben nicht ins Breit-
bandzeitalter geführt haben. Deshalb, glaube ich, ist es
gut, dass hier nicht ein Einziger nach eigenem Gusto ent-
scheidet, sondern der Markt eine Rolle spielt.

Es ist auch eine Frage dessen, wie man mit den Ver-
braucherrechten umgeht; Sie haben das ja gerade erwähnt.
Ich kenne viele Leute, die mit ihrem Anbieter unzufrieden
sind und sagen: Mir reicht es; ich kündige, ich wechsle.
– Das geht nur, wenn es mindestens zwei Anbieter gibt.
Deshalb ist Wettbewerb etwas ganz Essenzielles. Der
Wettbewerb hilft uns.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dann wird oft genug erklärt, der Wettbewerb schade
den Investitionen. Das ist eine Platte, die ich in den letz-
ten Monaten viel zu oft gehört habe. Ich glaube, gerade
der heute vorliegende Bericht beweist doch das Gegen-
teil. Die Investitionen sind so hoch wie seit Jahren nicht
mehr. Interessant ist der Blick darauf, wer denn hier ei-
gentlich investiert. Da sind die Zahlen klar verteilt:
3,5 Milliarden Euro kommen von den Privaten und nur
2,8 Milliarden Euro von der Deutschen Telekom. Ich
sage ganz klar nach Bonn: Ich finde, da geht noch was.

Insofern ist es gut, dass wir private Wettbewerber ha-
ben, die momentan offensichtlich die Mehrheit der In-
vestitionen stemmen, die wir brauchen, um Deutschland
ins Breitbandzeitalter zu bringen. Da hilft uns keine Dis-
kussion über einen Universaldienst, der genau das Ge-
genteil bewirkt, nämlich tatsächlich anfängt, den Wett-
bewerb wieder einzuschränken. In dem Augenblick, in
dem wir beschließen, dass wir mit Staatsknete das Breit-
bandnetz ausbauen, werden doch alle diejenigen, die
heute einen Ausbauplan irgendwo in Niedersachsen ha-
ben und gerade dabei sind, Kabelverzweiger zu ertüchti-
gen, sagen: Das stoppen wir jetzt erst einmal und warten
ab, was vom Bund an Geld kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dann gibt es den verwegenen Gedanken, man könnte
auf jeden Breitbandanschluss eine Umlage erheben. Das
wurde in den letzten Jahren von der damaligen Opposi-
tion viel diskutiert. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir be-
schäftigen uns ja jetzt im Ausschuss für Verkehr und di-
gitale Infrastruktur mit diesem Thema und wissen,
glaube ich, ganz gut, wie das angefangen hat, als man
auf Benzin eine Umlage für externe Kosten und dies und
das erhoben hat. Die Mineralölsteuer war zwischenzeit-
lich höher als der Preis des Benzins. Davor warne ich. Bei
allen Zielen, die wir hier verfolgen – wir reden immer so
viel über Megabit, vielleicht auch noch über Latenzzei-
ten –: Ich finde, der Preis eines Breitbandanschlusses ist
etwas sehr Wichtiges. Das ist eine Frage von gesellschaft-
licher Teilhabe. Früher war der Brockhaus ein Statussym-
bol. Ich weiß gar nicht, wie viel Tausend D-Mark er
gekostet hat. Mit soundso vielen Bänden, in Leder einge-
bunden, dokumentierte er das Bildungsbürgertum im Re-
gal. Das konnten sich nicht viele Leute leisten. Heute gibt
es für 19,90 Euro einen Breitbandanschluss, mit dem das
gesamte Wissen der Welt verfügbar ist. Ich finde, das ist
im Hinblick auf die gesellschaftliche Teilhabe ein Fort-
schritt.





Thomas Jarzombek


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb finde ich Äußerungen falsch, nach denen In-
ternetanschlüsse in Deutschland zu billig sind. Ich
glaube nicht, dass sie zu billig sind. Ich glaube, dass die
Herausforderung darin besteht, die Bevölkerung dahin
zu bringen, dass sie erstens die Anschlüsse bestellt und
zweitens erkennt, dass man sie zu mehr nutzen kann als
zur reinen Unterhaltung. Das ist eine wichtige Aufgabe
bei der Vermittlung von Medienkompetenz, die wir in
der Enquete-Kommission sehr umfangreich beleuchtet
haben.

Es gibt an dieser Stelle viel zu tun, aber auch deutli-
che Erfolge. Kollege Barthel hat angemerkt, dass Finn-
land bei der Breitbandversorgung auf Platz eins ist, und
sagte, was wir jetzt alles tun müssten. Meine Damen und
Herren, im Jahr 2008 hatten gerade einmal 55 Prozent
der deutschen Haushalte einen Breitbandanschluss; das
heißt, fast die Hälfte war gewissermaßen offline. Im letz-
ten Jahr waren es laut Eurostat 85 Prozent. Der Anteil
der Haushalte mit Breitbandanschlüssen ist also inner-
halb von fünf Jahren von 55 Prozent auf 85 Prozent an-
gestiegen. Damit liegen wir nur 3 Prozentpunkte hinter
Finnland zurück. Sicher ist es ein Ziel, den ersten Platz
zu erreichen; aber die Welt ist nicht so düster, wie der
Kollege es beschrieben hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)


An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen,
einmal dem Bundesminister Dobrindt wie auch der
Staatssekretärin Dorothee Bär, die heute bei uns ist, für
den sehr gelungenen Start und die gute Initiative der
Netzallianz Digitales Deutschland zu danken, mit der
man es geschafft hat, die Anbieter zusammenzubringen
und gezielt darüber zu reden, wie man zu mehr Investi-
tionen in den Breitbandausbau kommt. Das brauchen
wir.

Ich glaube, dass auch die Strategie, die formuliert
wurde, ein substanzieller Erfolg ist. Dabei geht es um die
Frage: Was machen wir im Bereich der mobilen Breit-
bandlösungen? Es gab gestern im Ausschuss einen Be-
richt des Breitbandbüros des Bundes. Da hat Herr
Brauckmüller, der Chef des Breitbandbüros, erklärt:
50 bis 60 Prozent der Nutzungen werden künftig mobil
sein. Wenn Sie selber einmal schauen, mit welchen Ge-
räten Sie heute online sind, dann werden Sie wenige
finden, die überhaupt noch einen Anschluss für einen
RJ-45-Netzstecker haben. Ich glaube, dass die mobile
Nutzung das Thema der Zukunft ist. Wir wollen im Ver-
kehr die Telematik einführen, die Maschine-zu-Ma-
schine-Kommunikation stärken und immer mehr Smart-
Geräte nutzen. Deshalb ist das wichtig.

Hier ist es ein Riesenerfolg, dass Minister wie Staats-
sekretärin es geschafft haben, dass, wenn es nach einer
Auktion oder Vergabe – was auch immer es sein wird;
ich finde übrigens, dass eine Auktion nicht unbedingt
das beste Instrument sein muss, ganz im Gegenteil – zu
einer Digitalen Dividende kommt, die entsprechenden
Erlöse in den Breitbandausbau gehen und nicht im allge-
meinen Haushalt versickern. Das ist ein großer Erfolg
des Bundesministers, und das muss man an dieser Stelle
klar herausstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein zweiter Punkt ist wichtig, wenn es darum geht,
die vorhandenen Möglichkeiten zu erschließen. Das
Breitbandbüro hat im Ausschuss ausgeführt, dass man
mit LTE-Advanced unter Nutzung der Frequenzen um
700 Megahertz aus der Digitalen Dividende 2 von heute
2 bis 6 Mbit mit LTE quasi mit einem Schnips auf
600 Mbit pro Sekunde kommen kann; damit wären
600 Mbit überall im ländlichen Raum verfügbar.

Das Ganze hängt jetzt an einer einzigen Stelle, näm-
lich bei den Ländern. Die Länder dürfen hier nicht
blockieren, sondern müssen diese Frequenzen freigeben.
Ganz entscheidend ist, dass die Länder am Ende nicht
das tun, was sie sonst immer tun, nämlich ein Preisschild
dranhängen,


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wegelagerei!)


also gar nicht mehr auf die Sachfrage schauen, sondern
nur noch fragen: Was kriegen wir denn jetzt eigentlich?
Wenn die Länder ein solches Preisschild dranhängen,
dann wird das zu Desinvestitionen führen. Insbesondere
wird die Nagelprobe für die Länder darin bestehen, zu
zeigen, dass auch sie selbst bereit sind, ihre Erlöse aus
dem Projekt in den Breitbandausbau zu investieren, also
bitte nicht in allen möglichen Kokolores.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist die Botschaft, die heute von hier ausgehen muss.

Insofern freue ich mich sowohl auf die weiteren Bera-
tungen in unserem neuen Ausschuss für Verkehr und di-
gitale Infrastruktur als auch die Beratungen zur Netzneu-
tralität im Ausschuss Digitale Agenda, der sich schon
nächste Woche mit den Beschlüssen des EU-Parlaments
beschäftigen wird. Auch das wird eine spannende Dis-
kussion, auf die ich mich sehr freue.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802622300

Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache zu

Tagesordnungspunkt 10.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/209 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Herbert
Behrens, Dr. Gregor Gysi, Caren Lay, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Nachtruhe am Flughafen Berlin Brandenburg
sicherstellen – Antrag des Landes Branden-
burg unterstützen
Drucksache 18/971





Vizepräsident Johannes Singhammer


(A) (C)



(D)(B)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol-
lege Thomas Nord, Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Thomas Nord (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802622400

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Mein Wahlkreis liegt in der Nähe des BER.
Das Volksbegehren für ein konsequentes Nachtflug-
verbot und einen neuen Standort hatte dort eine große
Lobby. Wir hätten das unterstützen können, meine Partei
hat jedoch darauf verzichtet. Niemand darf Milliarden
von bereits ausgegebenen Steuergeldern einfach ab-
schreiben.

Umso konsequenter ist die Linke der Auffassung,
dass die Fluglärmbetroffenen einen Anspruch auf best-
möglichen Schallschutz und ein konsequentes Nacht-
flugverbot haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Für diese Position habe ich bei Debatten mit Bürgerin-
nen und Bürgern nicht nur Zustimmung erfahren, aber
durchaus Respekt. Die Mehrheit der Brandenburgerin-
nen und Brandenburger ist bereit, die Realität zur Kennt-
nis zu nehmen, wenn die Politik zugleich bereit ist, die
Interessen der vom Fluglärm Betroffenen ernsthaft mit
in Rechnung zu stellen.


(Beifall bei der LINKEN)


Auf diese Ernsthaftigkeit von Politik können die Bürge-
rinnen und Bürger jedoch nicht mehr wirklich bauen.
Über Jahre hat sich Misstrauen entwickelt, und leider tun
auch jetzt die Regierungskoalitionen im Bund und in
Berlin alles dafür, dass sich dieses Misstrauen weiter
verfestigt.

Die Absicht, einen Flughafen bei Schönefeld zu
bauen, hat in diesem Jahr 18. Geburtstag. Im Mai 1996
einigten sich der Bund und die Länder Berlin und Bran-
denburg darauf, dort einen Single Airport zu entwickeln.
Der Traum vom BER wird in diesem Jahr also volljäh-
rig. Einige Verantwortliche haben jedoch aus den Ge-
burtsfehlern dieses Projektes offensichtlich nichts ge-
lernt. Am 7. April wird wahrscheinlich der Fehler von
1996 wiederholt. Brandenburgs Ministerpräsident
Manfred Stolpe wies damals noch einmal ausdrücklich
darauf hin, dass die Entscheidung für Schönefeld falsch
ist; die Bundesregierung und Berlin setzten sich aber da-
rüber hinweg.

Seitdem ist dieses Projekt ein Trauerspiel. Es gehört
– das wissen wir alle – zu den größten Desastern öffent-
licher Investitionen. Wenn heute auf die Wirtschaftlich-
keit des Projektes verwiesen wird, sobald es um die
Wahrung der Interessen der Anwohnerinnen und An-
wohner geht, dann klingt das wie ein Treppenwitz. Das
scheint der einzige Punkt zu sein, bei dem Wirtschaft-
lichkeit von Bedeutung ist. Anders lässt sich die Vielzahl
willkürlicher und milliardenschwerer Fehlentscheidun-
gen kaum erklären. Im Übrigen wird allen Bürgerinnen
und Bürgern in Art. 2 des Grundgesetzes körperliche
Unversehrtheit garantiert, unabhängig davon, ob sich das
rechnet oder nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Zur Wahrheit gehört, dass alle Entscheidungen immer
von allen drei Gesellschaftern des BER mitgetragen
wurden, also auch von brandenburgischen Landesregie-
rungen. Das gilt auch, wenn heute die brandenburgische
CDU, immerhin zehn Jahre mit in der Regierung, ver-
sucht, sich vom märkischen Acker der Mitverantwor-
tung zu machen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen
der Union in Brandenburg, lassen wir Ihnen nicht durch-
gehen. Darüber wird im Landtagswahlkampf sicherlich
zu reden sein.

Nach vielen Versuchen, sich Gehör zu verschaffen,
griffen Bürgerinnen und Bürger zum Mittel der direkten
Demokratie. Es fand das erste erfolgreiche Volksbegeh-
ren in Brandenburg statt. Über 106 000 Brandenburge-
rinnen und Brandenburger stimmten für ein konsequen-
tes Nachtflugverbot. Folgerichtig und in Respekt vor
diesem klaren Ergebnis hat die brandenburgische rot-
rote Regierungskoalition dieses Begehren mit einem
Landtagsbeschluss angenommen und verhandelt seit ei-
nem Jahr mit den anderen Gesellschaftern über dessen
Umsetzung. Die Landesregierung vertritt damit die Inte-
ressen der Bürgerinnen und Bürger Brandenburgs. Sie
hat gehofft, die Mitgesellschafter überzeugen zu können,
dass es gut wäre, die Interessen des BER mit denen der
Bürgerinnen und Bürger ins gesellschaftliche Gleichge-
wicht zu bringen.

Die Reaktionen der Bundesregierung und der Berliner
Landesregierung sind eindeutig. Sie sind in höchstem
Maße ignorant und wiederholen den Fehler von 1996.
Sie wollen sich, wie bei der Entscheidung für den Stand-
ort, über Brandenburg hinwegsetzen. Natürlich ist das
möglich. Besser aber wäre es, die Bundesregierung
würde hier und heute durch das Parlament gestoppt.


(Beifall bei der LINKEN)


Wirklich damit rechnen können wir aber leider nicht.

Weil dies so ist, hat Ministerpräsident Dietmar
Woidke gestern in einer Regierungserklärung weitere
Schritte auf die Mitgesellschafter zu gemacht. Sein
Kompromissvorschlag würde den höchstrichterlich aus-
geurteilten Planfeststellungsbeschluss unberührt lassen.
Danach soll die Flughafengesellschaft mit Zustimmung
der Luftfahrtbehörden in der Zeit zwischen 5 und 6 Uhr
morgens auf den Gebrauch ihrer Betriebsgenehmigung
freiwillig verzichten. Das hieße im Klartext, es gebe
wenigstens eine Stunde mehr Nachtruhe für die Anwoh-
nerinnen und Anwohner. Das liegt übrigens unter der
Forderung der brandenburgischen CDU, die eine Nacht-
ruhe von 23 bis 6 Uhr fordert. Ich warte noch auf den
entsprechenden Antrag aus den Reihen der Union, damit
ich ihm hier freudig zustimmen kann.

Die bisher vorliegenden Äußerungen aus der Bundes-
regierung und dem Land Berlin legen nahe, dass sie





Thomas Nord


(A) (C)



(D)(B)

nicht die Absicht haben, den Interessen der Betroffenen
entgegenzukommen.


(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen!)


Der Bund und Berlin, Regierungen aus Union und SPD,
wollen sich erneut über brandenburgische Interessen
hinwegsetzen. Das ist rücksichtslos gegenüber der Ge-
sundheit Hunderttausender Menschen, und es ist schäd-
lich für das Projekt BER. 2014 ist nicht mehr 1996. Wer
heute noch glaubt, so ein Vorhaben kompromisslos ge-
gen den Willen Hunderttausender und des Landes, das
die Hauptlast trägt, realisieren zu können, ist grenzenlos
arrogant und politisch höchst kurzsichtig.


(Beifall bei der LINKEN)


Nachhaltiges Brandenburger Engagement ist für den
BER unverzichtbar. Alle Gesellschafter sind aufeinander
angewiesen. Niemand wird sich auf Dauer den legitimen
Interessen des einen oder anderen entziehen können.
Wenn Sie unserem Antrag zustimmen, zeigen Sie in die-
ser Frage mehr Weitsicht als die Vertreter der Bundes-
regierung gegenwärtig.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802622500

Nächster Redner ist der Kollege Peter Wichtel, CDU/

CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Wichtel (CDU):
Rede ID: ID1802622600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich den
Antrag der Linksfraktion diese Woche in Händen hielt
– das war am 1. oder 2. April –, habe ich mir den Antrag
zweimal angeschaut, um mich zu vergewissern, ob es ein
Aprilscherz oder wirklich ein Antrag ist. So, wie er
formuliert worden ist, ist es, denke ich, eindeutig, dass es
keinen Grund gibt, hier im Bundestag darüber zu disku-
tieren. Das ist Wahlkampfgetöse im Vorfeld des Land-
tagswahlkampfes in Brandenburg. Ich denke, das ist der
einzige Grund, weshalb der Antrag hier eingebracht
wurde.

Was ich am bedauerlichsten finde, ist, dass im anste-
henden Wahlkampf mit Forderungen wie der nach einer
Ausweitung des Nachtflugverbots am Hauptstadtflug-
hafen BER unnötigerweise wieder einmal auf dem
Rücken der Bürger diskutiert wird. Jeder, der sich mit
der Thematik auch nur ein bisschen auskennt und sich
damit beschäftigt hat, weiß ganz genau, dass der Ruf
nach einer Ausweitung des Nachtflugverbots absolut un-
realistisch ist. Selbst der Brandenburger Ministerpräsi-
dent hat mittlerweile seine Bemühungen, die weiteren
Gesellschafter der FBB GmbH von einer solchen Aus-
weitung zu überzeugen, diese Woche eingestellt, wie ich
der Presse entnehmen konnte. Das heißt also, dass hier
und heute keiner der beteiligten Gesellschafter, weder
der Bund noch das Land Brandenburg noch das Land
Berlin, einen Antrag auf Verkürzung der Betriebszeiten
einbringt. Alle Beteiligten haben verstanden, dass eine
entsprechende Änderung des Planfeststellungsbeschlus-
ses abgelehnt würde. Nur die Fraktion der Linken im
Deutschen Bundestag hat dies offensichtlich nicht ver-
standen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bedauerlich ist bei den Forderungen nach einer weite-
ren Verkürzung der Betriebszeit insbesondere – dies
habe ich bereits angedeutet –, dass den Menschen im
Umfeld des Flughafens Versprechungen gemacht wer-
den, die nicht gehalten werden können.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1802622700

Herr Kollege Wichtel, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Nord?


Peter Wichtel (CDU):
Rede ID: ID1802622800

Das beabsichtige ich nicht. Nein.


(Zurufe von der LINKEN: Oh! – Pfui!)


Dieses unnötige Wahlkampfgetöse macht den Bür-
gern vollkommen falsche Hoffnungen und verunsichert
zudem die zukünftigen Akteure am Hauptstadtflughafen.
Das betrifft die Beschäftigten, die zukünftigen Laden-
betreiber und die Fluggesellschaften. Wenn es nach all
den Verzögerungen und Hiobsbotschaften um den BER
in den vergangenen Jahren eine Sache gibt, die das Pro-
jekt und auch die Menschen im Umfeld nicht gebrau-
chen können, dann sind das weitere Versprechungen, die
nicht gehalten werden können.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum können sie nicht gehalten werden?)


Ich will an dieser Stelle noch einmal deutlich machen,
warum die beteiligten Gesellschafter einer Erweiterung
des Nachtflugverbotes nicht zustimmen. Bei den Be-
triebszeiten des BER ist die Zeit von 0 bis 5 Uhr als un-
terbrochene Flugzeit, als Nachtruhe, vorgesehen. Dies ist
nach einem Planfeststellungsverfahren und nach einem
höchstrichterlichen Urteil des Bundesverwaltungsge-
richts so festgelegt worden. Jeder, der hier suggeriert,
dass man dies nach einem Planfeststellungsverfahren
einfach ändern kann, wenn es denn die Menschen wol-
len, sorgt nicht für Planungssicherheit, sondern für Pla-
nungsunsicherheit. Ich denke, das kann man so nicht ma-
chen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es gibt aber noch einen weiteren Grund, warum ich
denke, dass es richtig ist, die jetzt vorgesehene Regelung
der Betriebszeiten zu unterstützen, auch wenn man uns
mit dem heute vorliegenden Antrag genau das Gegenteil
weismachen will. Das Nachtflugverbot stellt bereits ei-
nen ausgewogenen Kompromiss zwischen den Interes-
sen der Anwohner und den betrieblichen Notwendigkei-
ten des Flughafens dar. Zudem sind in den Randzeiten
zwischen 5 und 6 Uhr sowie zwischen 23 und 0 Uhr zu-
sätzliche deutliche Einschränkungen bei Starts und Lan-
dungen vorgesehen. Die Bürgerinnen und Bürger im





Peter Wichtel


(A) (C)



(D)(B)

Umfeld des Flughafens werden mit den vorgesehenen
Betriebszeiten also bereits spürbar entlastet.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Brauchen Sie nur fünf Stunden Schlaf?)


Hier von einem dringend benötigten Kompromiss zu
sprechen, ist dementsprechend aus meiner Sicht irrefüh-
rend und falsch. Eine Ausweitung des Kompromisses
würde einen Kompromiss vom Kompromiss bedeuten.

Ich bin zudem davon überzeugt, dass viele Menschen
in Berlin und Brandenburg diese Ansicht nicht teilen und
sich nicht übermäßig vom Fluglärm belästigt fühlen.


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehen Sie mal hin, und reden Sie mit den Leuten! Jeder Mensch hat das Recht, zu lernen, auch Sie!)


Wie in einem vor kurzem in der Berliner Zeitung er-
schienenen Artikel anschaulich verdeutlicht wurde, ist
die Nachbarschaft rund um den Flughafen ein sehr be-
liebtes Gebiet für Wohnimmobilien. Makler berichten
zurzeit schon, dass in einigen Bereichen das Angebot
knapp wird, dass es kaum noch Grundstücke gibt und die
Grundstücke, wie der Volksmund so schön sagt, wie
warme Semmeln weggehen,


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da geht es um Gewerbeimmobilien!)


und das ungeachtet der steigenden Immobilienpreise.
Diese Situation haben wir übrigens, liebe Kollegin von
den Grünen, die dauernd dazwischenruft, an allen Ver-
kehrsflughäfen. Die Grundstücke in der Nähe der Flug-
häfen werden teurer; das versteht kein normaler Mensch.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!)


Berichte wie dieser verdeutlichen, dass die Bürger im
Umfeld des BER den Flughafen annehmen und dass sie
das, was ich vorgetragen habe, in der Mehrheit so sehen.

Abschließend betrachtet kann ich daher nur dafür plä-
dieren, dass sich alle beteiligten Gesellschafter endlich
um die hauptsächliche Herausforderung kümmern, näm-
lich darum, dass der BER fertiggestellt wird. Sie sollten
sich darauf konzentrieren und nicht mit durchsichtigen
Wahlkampfmanövern unnötig weitere unrealistische
Baustellen aufmachen.

Das darüber hinaus immer wieder beschworene ge-
deihliche Miteinander von Bürgern und Flughafen, das
in der Debatte über die Betriebszeiten ja immer über Ge-
bühr betont wird, kann nur dann gelingen, wenn die
Menschen, so gut es geht, einbezogen werden. Dazu ge-
hört aber auch, dass keine falschen Hoffnungen geschürt
werden, Hoffnungen, die ohnehin nicht umsetzbar sind.
Genau das ist der Fall, wenn man eine Ausweitung des
bereits vorhandenen rechtssicheren Nachtflugverbotes
fordert.

Leider beschreitet man seitens der brandenburgischen
Landesregierung weiter den Weg, leere Wahlkampfver-
sprechen zu machen. Denn auch der nun geäußerte Vor-
schlag, der Flughafenbetreiber solle die Nachtruhe doch
einfach freiwillig um eine weitere Stunde auf 6 Uhr aus-
dehnen, ist unrealistisch und aus meiner persönlichen
Sicht eine weitere Durchhalteparole für den Landtags-
wahlkampf.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das verstehe ich! Sie wirken jetzt auch nicht sehr ausgeschlafen!)


Aus diesem Grund und aus den anderen von mir vorge-
tragenen Gründen werden wir den vorliegenden Antrag
ablehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802622900

Als nächster Redner hat der Kollege Stephan Kühn

das Wort.

Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-
ginnen und Kollegen! Herr Kollege Wichtel, das, was
die Kollegen von der CDU im brandenburgischen Land-
tag zu diesem Thema sagen, hört sich doch etwas anders
an als das, was Sie gesagt haben; das nur als Bemerkung
am Rande.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh ja! Die bedanken sich für diese Rede!)


Mit Beschluss vom 27. Februar 2013 hat sich der
Brandenburger Landtag der Forderung des erfolgreichen
Bürgerbegehrens angeschlossen, das ein Nachtflugver-
bot in der Zeit von 22 bis 6 Uhr für den neuen Flughafen
Berlin Brandenburg fordert. Mit dem vorliegenden An-
trag will die Linke erreichen, dass sich der Bund als An-
teilseigner der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH
dieser Forderung anschließt. Dieses Ansinnen unterstüt-
zen wir.

Leider hat die rot-rote Regierung in Brandenburg
diese Position gerade geräumt. Ministerpräsident
Woidke hat dazu gestern eine Regierungserklärung ab-
gegeben. Dabei ist er von der geforderten Ausweitung
des Nachtflugverbots am künftigen Flughafen Berlin
Brandenburg abgerückt. Das Ergebnis des Volksbegeh-
rens wird also nicht umgesetzt, Brandenburg bekommt
nicht den Bürgerwillen gemäß dem Volksentscheid, und
der Rückzug erfolgt eigentlich, wenn man ehrlich sein
will, vor Verhandlungsbeginn.

Ministerpräsident Woidke ist vor Verhandlungsbeginn
umgefallen. Er hatte über ein Jahr Zeit,


(Peter Wichtel [CDU/CSU]: Und es wurde nichts gemacht!)


in den Gremien der Flughafengesellschaft einen Antrag
auf Änderung der Betriebsgenehmigung zu stellen. Das
ist nicht passiert. Man ist nicht tätig geworden. Der Vor-
schlag der Landesregierung – ein freiwilliger und auf
fünf Jahre begrenzter Verzicht auf den Nachtflugverkehr
in der Stunde von 5 bis 6 Uhr – ist eigentlich die Weige-
rung, überhaupt in den Kampf zu ziehen.





Stephan Kühn (Dresden)



(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Peter Wichtel [CDU/CSU])


Es gibt keinen Grund, hinter dieser Ausgangsposition
zurückzubleiben, solange nicht alle rechtlichen Mittel
ausgeschöpft sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In einem Rechtsgutachten vom 21. Januar dieses Jahres
werden Alternativen aufgezeigt, um zu einem Nachtflug-
verbot zu kommen. Mit dem jetzt vorgelegten Kompro-
missvorschlag hat Brandenburg seine Verhandlungsposi-
tion geschwächt. Ob dieser Minimalkompromiss überhaupt
erfolgreich sein wird, ist bekanntlich auch noch ungewiss.

Außerdem ist das Timing äußerst schlecht. Erst letzte
Woche hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen
der Bundesregierung ein Sondergutachten mit dem Titel
„Fluglärm reduzieren: Reformbedarf bei der Planung
von Flughäfen und Flugrouten“ vorgelegt, das deutlich
macht, dass Fluglärmschutz im geltenden Luftverkehrs-
recht nur unzureichend gewährleistet ist. Ich zitiere da-
raus:

Die gesetzliche Regelung der Fluglärmproblematik
im Luftverkehrsrecht ist unterentwickelt. Das
LuftVG enthält keine Grenzwerte. … Der Gesetz-
geber sollte Immissionsgrenzwerte für Fluglärm
zum Schutz der Flughafenanwohner normieren.

Die entscheidende Passage, die Herr Woidke, aber
auch die Herren Wowereit und Dobrindt lesen sollten, ist
die folgende – ich zitiere wieder –:

Um den Schutz der Nachtruhe besonders hervorzu-
heben, sollte die diesbezügliche Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts … kodifiziert wer-
den. Insoweit sollte allerdings der Schutz der ge-
samten Nachtzeit (22 bis 6 Uhr) gewährleistet blei-
ben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Weiter heißt es da:

Die von der Rechtsprechung vorgenommene Flexi-
bilisierung, die zwischen „Kernnacht“ und „Rand-
zeiten“ unterscheidet, muss vor dem Hintergrund
der staatlichen Schutzpflicht für die menschliche
Gesundheit aus Grundrechten eine besonders recht-
fertigungsbedürftige Ausnahme bleiben, die nicht
zu einer Entwertung des Schutzes der Nachtruhe
während dieser Randzeiten führen darf.

Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag ver-
sprochen, dass sie mehr gegen Fluglärm tun will. Insbe-
sondere Verkehrsminister Dobrindt ist aufgefordert, die-
sen Ankündigungen auch Taten folgen zu lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Umweltweisen der Bundesregierung, der genannte
Sachverständigenrat, haben hierzu qualifizierte Vor-
schläge gemacht. Die liegen auf dem Tisch. Die müssen
jetzt diskutiert werden.
Im Moment, muss man ehrlich sagen, ist der BER ein
Langzeitforschungsprojekt „lärmarmer Flughafen“.


(Heiterkeit – Sören Bartol [SPD]: Das war gut!)


Jetzt wird allerdings die Befürchtung geäußert,
durch eine Ausweitung des Nachtflugverbotes zwi-
schen 22 Uhr und 6 Uhr würde die Wirtschaftlichkeit
des Flughafens gefährdet. Unwirtschaftlich wird der
Flughafen durch die Kostenexplosion, deren Ende noch
nicht absehbar ist, und durch die weitere Verzögerung
des Eröffnungstermins, die jeden Monat einen zwei-
stelligen Millionenbetrag an zusätzlichen Kosten verur-
sacht. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unverändert regiert auf der Baustelle das Chaos. Die
Aussage von Flughafenchef Mehdorn „Wir haben den
BER im Griff“ war wohl nicht als Aprilscherz gedacht,
aber man muss sagen: Es ist einer. Nachdem Technik-
chef Amann alle Baumängel aufgelistet hat, ist mit Blick
auf die geplante bauliche Fertigstellung bis zum Ende
dieses Jahres im Wesentlichen nichts passiert.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Kosten auf über
5 Milliarden Euro steigen werden. Ich denke, es muss
endlich Schluss damit sein, dass wir weitere Durchhalte-
parolen und Ankündigungen geliefert bekommen. Wir
brauchen endlich Ergebnisse. Es ist nur doof, wenn man
ausgerechnet die Leute auf der Baustelle entlässt, die
sich mit den Problemen auskennen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


In dieser Woche ist wieder einem Bereichsleiter gekün-
digt worden. Er ist derjenige, der sich nach Medieninfor-
mationen mit den überbelegten Kabelkanälen im Haupt-
pier auskennt. Diese Überbelegung muss man beseitigen,
wenn man den Flughafen irgendwann in Betrieb nehmen
will. Dieser Fachmann ist nun entlassen worden.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802623000

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Ich komme zum Schluss.

Der Bund bekennt sich zum Bau des Flughafens
Berlin-Brandenburg BER.

So steht es im Koalitionsvertrag, meine Damen und Her-
ren.

Das reicht nicht. Wenn der Aufsichtsrat nächste Wo-
che tagt, muss endlich Transparenz über weitere Kosten,
den Umfang und den zeitlichen Ablauf der Umbaumaß-
nahmen hergestellt werden. Sonst wird die Meldung von
Radio Bayern 3 vom 1. April, dass ab Juli jeder Deut-
sche 1 Euro im Monat für den neuen Hauptstadtflugha-
fen zahlen soll, noch Realität, und das wollen wir alle,
glaube ich, nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802623100

Als nächster Redner hat der Kollege Martin Dörmann

das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Martin Dörmann (SPD):
Rede ID: ID1802623200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Flughäfen haben zwei Seiten. Auf der einen Seite sind
sie unverzichtbar für eine mobile Gesellschaft. Sie ver-
binden Städte, Länder und Regionen. Sie schaffen Wirt-
schaftswachstum und Arbeitsplätze. Zigtausenden Men-
schen verhelfen sie zu einem sicheren Einkommen.
Reisende erleben die Möglichkeit, mit einem Flieger an
unzählige Orte dieser Welt zu fliegen, als eine persönli-
che Freiheit, die sie nicht missen wollen.

Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Menschen,
die von einem Flughafen gar nicht begeistert sind, weil
sie nämlich unmittelbar in seiner Nähe wohnen und vom
Fluglärm betroffen sind. Wer von lauten Flugzeugen um
den Schlaf gebracht wird, erlebt dies als Einschränkung
seiner Freiheit, als Verlust von Lebensqualität und mög-
licherweise sogar als Schaden an seiner Gesundheit.


(Zustimmung der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es ist vor diesem Hintergrund Aufgabe nachhaltiger
Politik, wirtschaftliche Interessen und das Bedürfnis
nach Mobilität auf der einen Seite und den notwendigen
Schutz der betroffenen Bevölkerung vor Lärm und Ge-
sundheitsschäden auf der anderen Seite in einen ange-
messenen Ausgleich zu bringen.


(Beifall bei der SPD)


Gerade dies ist ein zentrales umwelt- und verkehrs-
politisches Anliegen der Großen Koalition. In unserem
Koalitionsvertrag haben wir uns auf eine Vielzahl von
Maßnahmen verständigt, um Fluglärm zu reduzieren,
Lärmschutz zu verbessern, und zwar auch und gerade in
den Nachtstunden. Dazu gehören beispielsweise lärmre-
duzierende flugbetriebliche Verfahren, eine Verschär-
fung der Lärmschutzgrenzwerte für neue Flugzeuge,
lärmabhängige Flughafenentgelte, die wir im Luftver-
kehrsgesetz verankern wollen. Außerdem werden wir
die Grenzwerte des Fluglärmschutzgesetzes in dieser Le-
gislaturperiode überprüfen.

Auch bei der Festlegung von Flugverfahren wollen
wir den Lärmschutz verbessern. Technische Innovatio-
nen im Luftverkehr und eine schnelle Modernisierung
der Flugzeugflotten mit leisen Flugzeugen sollen diese
Maßnahmen flankieren und verstärken. Wir wollen also
alle angemessenen Maßnahmen ergreifen, um Menschen
vor negativen Einflüssen eines Flughafens zu schützen.
Ich freue mich, dass damit ganz viele Punkte Eingang in
den Koalitionsvertrag gefunden haben, die die SPD-
Bundestagsfraktion in der vergangenen Wahlperiode in
einem besonderen Dialogprojekt mit dem Titel „Infra-
strukturkonsens“ in ein Gesamtkonzept gegossen hat.
Vieles davon findet sich im Koalitionsvertrag wieder.


(Beifall bei der SPD)

Bei allen notwendigen Bemühungen um verstärkten
Lärmschutz müssen Flughäfen aber auch die Möglich-
keit haben, dringende Verkehrsbedürfnisse abzudecken
und wirtschaftlich erfolgreich zu arbeiten. Zudem
braucht Deutschland einige Flughäfen, die auch nachts
angeflogen werden können. Daher haben wir uns in der
Koalition darauf verständigt, keine generellen Betriebs-
beschränkungen mit einem Nachtflugverbot vorzuneh-
men. So weit unsere Grundsatzposition.

Wie sieht es nun bezüglich des neuen Flughafens Ber-
lin Brandenburg aus? Welche Regelungen wurden dort
zum Schutz der Bevölkerung getroffen? Für den Flugha-
fen BER gelten so strenge Grenzwerte für die Tagseite
wie an keinem anderen internationalen Flughafen welt-
weit. Bevor ein Anspruch auf passiven Lärmschutz be-
steht, ist es ansonsten üblich, dass eine bestimmte An-
zahl von Flugbewegungen über einem bestimmten
Grenzwert liegt, nämlich in Deutschland üblicherweise
über 55 dB(A), und zwar gemessen im Rauminneren der
Wohnhäuser. Dies ist ein Lärmpegel, der etwa einer nor-
malen Unterhaltung entspricht.

An den meisten Flughäfen wird eine bestimmte An-
zahl von Flugbewegungen zugelassen, die über diesem
Lärmereignis liegen können, beispielsweise 6 oder 16
Flugbewegungen. Diese Zahl lautet für Berlin: 0. Also
bereits eine einzige Flugbewegung über diesem Lärmpe-
gel innerhalb der verkehrsreichsten sechs Monate eines
Jahres führt dazu, dass ein Anspruch auf passiven Lärm-
schutz besteht, beispielsweise eine entsprechende Fens-
terverglasung, die von der Flughafengesellschaft finan-
ziert werden muss. Dies bedeutet mehrere Hundert
Millionen Euro Zusatzkosten für Lärmschutzmaßnah-
men, die es an keinem anderen Flughafen gibt. Insge-
samt wird mit Kosten für den Schallschutz von mehr als
700 Millionen Euro gerechnet. Das ist, wie wir finden,
wirklich gut investiertes Geld für die Gesundheit der
Menschen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zudem gibt es am Flughafen Berlin Brandenburg ein
Nachtflugverbot in der Zeit von 0 bis 5 Uhr. Das Bun-
desverwaltungsgericht hat den entsprechenden Pla-
nungsergänzungsbeschluss ausdrücklich für rechtmäßig
erklärt. In den Randzeiten abends und morgens darf zu-
dem nur eine verminderte Anzahl von Flugzeugen star-
ten oder landen. Den Bedarf hierfür hat das Bundesver-
waltungsgericht allerdings aus mehreren Gründen als
„plausibel dargelegt“ bezeichnet, etwa weil Zeitver-
schiebungen und Streckenlängen bei Interkontinentalflü-
gen eben Abflüge bis 23.30 Uhr oder Landungen ab
5.30 Uhr nötig machen.

Nun debattieren wir heute über einen Antrag der
Fraktion Die Linke, der eine Ausweitung des Nachtflug-
verbotes für den neuen Flughafen BER auf die Zeit von
22 bis 6 Uhr fordert. Es ist bereits ausführlich dargelegt
worden, dass das vor dem Hintergrund geschieht, dass
die Landesregierung Brandenburg nach einem erfolgrei-
chen Volksbegehren eine entsprechende Position einge-
nommen hat.





Martin Dörmann


(A) (C)



(D)(B)

Es ist auch zu respektieren, dass eine Landesregie-
rung vor diesem Hintergrund und auch aufgrund einer
kritischen Stimmung in der Bevölkerung sich dazu ent-
schlossen hat, weitere Versuche zu unternehmen, um
weitere Maßnahmen zum Lärmschutz zu erreichen und
so die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen.

Ja, es ist wahr, wir als Politik müssen zur Kenntnis
nehmen, dass die Bevölkerung insgesamt – und aus
guten Gründen – kritischer mit Lärmbelastungen um-
geht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Eine offene Diskussion um das richtige Maß kann letzt-
lich dazu beitragen, die Akzeptanz gerade auch von
Flughäfen zu verbessern.In Abwägung aller Argumente
kommt die Große Koalition insgesamt dennoch zu einem
anderen Ergebnis als die Landesregierung Brandenburg.
Deshalb lehnen wir den Antrag der Linken hier ab, und
das möchte ich auch gerne noch einmal näher begrün-
den:

Wir alle wissen um den schwierigen Weg, den der
neue Flughafen bereits hinter sich hat. Er hat aber auch
noch ein gutes Stück Weg vor sich. Es war ein ernsthaf-
tes Ringen um einen breit angelegten Konsens, das sei-
nerzeit zu der Nachtruhezeit von 0 und 5 Uhr im Plan-
ergänzungsbeschluss geführt hat, übrigens federführend
erarbeitet vom zuständigen Landesverkehrsministerium
in Brandenburg. Nach langen Jahren vor Gericht gibt es
nun ein rechtskräftiges Urteil, das die Rechtmäßigkeit
der gefundenen Regelung und damit auch ihre Angemes-
senheit bestätigt hat. Von daher können die beiden ande-
ren Anteilseigner, nämlich Berlin und der Bund, sehr
wohl gute Argumente dafür anführen, den bereits gefun-
denen Kompromiss konsequent weiterzuverfolgen.

Hinzu kommt, dass es äußerst zweifelhaft ist, ob
selbst eine einvernehmlich von den Gesellschaftern be-
schlossene Ausweitung der Nachtruhezeit unter Zustim-
mung aller Anteilseigner rechtlich überhaupt haltbar
wäre. Der Flughafen hat nämlich auf Grundlage des
Planergänzungsbeschlusses eine Betriebspflicht in den
Stunden außerhalb der festgelegten Nachtruhezeit von
0 bis 5 Uhr.


(Zuruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Selbst wenn sich die Gesellschafter in der Gesellschaf-
terversammlung über eine Ausweitung der Nachtruhe-
zeit einig wären, könnte eine Fluggesellschaft darauf
klagen – mit Aussicht auf Erfolg –, in den Randzeiten,
um die es heute geht, fliegen zu dürfen. Jede Änderung
der im Planergänzungsbeschluss gefundenen Nachtruhe-
zeit würde also zu neuer Rechtsunsicherheit führen und
den wirtschaftlichen Erfolg des Flughafens infrage stel-
len.

In einem Gutachten wurde errechnet, dass, wenn man
die Nachtruhezeit auf die drei Randstunden ausdehnen
würde, mit Mindereinnahmen von 40 Millionen Euro
pro Jahr und einem Verlust von 8 000 Arbeitsplätzen zu
rechnen wäre. Da die Zahl der Flugbewegungen pro-
gnostisch sogar noch höher ist, wird der Verlust wahr-
scheinlich noch höher ausfallen.

Ich will zudem daran erinnern, dass der Flughafen
BER gerade deshalb außerhalb des Stadtgebiets neu ge-
plant wurde, um dort die Möglichkeiten für ein Flug-
drehkreuz zu schaffen, das den Menschen in Berlin und
Brandenburg neue Reiseziele ermöglicht und die hohen
– ja, die sehr hohen – Investitionskosten für alle Betei-
ligten rechtfertigt.

Wir alle wissen: Beim BER sind noch zahlreiche Pro-
bleme zu lösen. Wir sollten also dazu beitragen, die Vo-
raussetzungen für einen wirtschaftlichen Erfolg des
Flughafens zu bewahren. Ansonsten droht ein Dauer-
subventionsbetrieb, der auch nicht im Interesse der Bür-
gerinnen und Bürger sein kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht letztlich um
einen Dreiklang: Der Flughafen muss technisch funktio-
nieren, er muss wirtschaftlich betrieben werden können,
und die um ihn herum lebenden Menschen müssen kon-
sequent und angemessen vor vermeidbarem Lärm ge-
schützt werden. Auch wenn es in der heute diskutierten
Frage offensichtlich Akzentunterschiede gibt, so bin ich
doch hoffnungsvoll, dass am Ende des Tages alle Betei-
ligten, insbesondere die drei Anteilseigner, einen Weg
finden werden, um gemeinsam zum Erfolg des Flugha-
fens und zu einem guten Lärmschutz dort beizutragen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802623300

Jetzt hat Klaus-Dieter Gröhler das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD])



Klaus-Dieter Gröhler (CDU):
Rede ID: ID1802623400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-

gen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! 164, das ist die
Antwort auf die Frage, warum die Fraktion Die Linke ih-
ren Antrag hier heute eingebracht hat.

Die Frage nach dem Warum stellt sich ja inzwischen
besonders, seit der Ministerpräsident des Landes Bran-
denburg am letzten Montag das Scheitern seiner Forde-
rung nach einer Veränderung des Nachtflugverbots ein-
gestanden hat und jetzt nur noch appelliert, dass es Starts
zwischen 5 und 6 Uhr nicht geben soll. Damit ist die
Grundlage für diesen Antrag eigentlich entfallen. Ei-
gentlich, meine Damen und Herren, hätten Sie sich heute
hierhinstellen und sagen müssen: „Wir ziehen diesen
Antrag zurück“; denn er hat gar keine Basis mehr.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Warum Sie das nicht getan haben, lässt sich mit der
Zahl 164 erklären: In 164 Tagen wird in Brandenburg
ein neuer Landtag gewählt. Ich glaube, das ist der eigent-
liche Grund, weshalb dieser Antrag hier heute gestellt
worden ist. Die Linke will Flagge zeigen. Klar: Wenn
man praktisch in fünf Jahren Regierungsbeteiligung in





Klaus-Dieter Gröhler


(A) (C)



(D)(B)

Brandenburg nicht viele Erfolge vorzuweisen hat, dann
muss man versuchen, hier einen Schaufensterantrag zu
stellen.

Ich glaube, Ihnen geht es gar nicht wirklich um den
Lärmschutz und auch nicht um den Schutz der Men-
schen vor Ort, sondern darum, möglichst viele der
100 000 Stimmen beim damaligen Volksentscheid als
Wählerstimmen am 14. September 2014 an sich zu bin-
den;


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ist das verboten?)


denn die antragstellende Fraktion weiß: Selbst wenn der
Bund als Anteilseigner mit dem Land Brandenburg zu-
sammen für eine Änderung des Nachtflugverbots stim-
men würde, würden beide am Votum Berlins scheitern,
weil die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung
75 Prozent Zustimmung benötigen, um erfolgreich zu
sein. Das Land Berlin selbst hält aber 37 Prozent der An-
teile. Damit können die 75 Prozent gar nicht zusammen-
kommen.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind doch auch Ihre Parteikollegen! Da können Sie doch helfen, Herr Gröhler!)


– Liebe Frau Paus, der Berliner Senat hat sich aber klar
gegen eine Änderung des Nachtflugverbots ausgespro-
chen. Nun bin ich ja wahrlich nicht jemand, der sehr oft
einer Meinung mit dem Regierenden Bürgermeister mei-
ner schönen Heimatstadt Berlin ist, aber an der Stelle
finde ich es nun einmal richtig, dass Klaus Wowereit
eine klare Kante zeigt.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802623500

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kol-

legen Nord zu?


Klaus-Dieter Gröhler (CDU):
Rede ID: ID1802623600

Nein, Frau Präsidentin. Ich würde gerne im Zusam-

menhang ausführen, weil ich finde, dass gerade die An-
merkungen des Regierenden Bürgermeisters in diesem
Punkt sehr wichtig sind. – Er hat sich klar gegen eine
Ausdehnung des Nachtflugverbots ausgesprochen und
gesagt, er werde nicht zulassen, dass der BER zum Pro-
vinzflughafen wird. Ich sage einmal: Das ist auch gut so.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Vielleicht sollten die Linken einmal zur Kenntnis
nehmen, dass eine Übereinstimmung zwischen dem, was
Sie hier fordern, und dem, was Ihre Fraktion im Abge-
ordnetenhaus von Berlin fordert, nicht besteht.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das gilt aber für Ihre Fraktion in Brandenburg auch!)


Während Sie hier sagen, dass die im Planfeststellungs-
verfahren fixierten Nachtruhezeiten, die vom Bundes-
verwaltungsgericht bestätigt worden sind, korrigiert
werden sollen, fordern Sie im Abgeordnetenhaus von
Berlin lediglich, dass die Flugzeuge nicht mehr zwi-
schen 22 Uhr und 6 Uhr starten sollen. Von Landungen
spricht Ihre Fraktion in dem Antrag, den sie am 2. April
2014, also ganz aktuell, gestellt hat, überhaupt nicht.
Vielleicht können Sie einmal versuchen, zwischen den
Genossen hier und den Genossen da eine Harmonie her-
beizuführen.


(Thomas Nord [DIE LINKE]: Sie lassen mich ja nicht fragen!)


Ich darf noch einmal den Regierenden Bürgermeister
zitieren. Laut Frankfurter Allgemeiner Zeitung vom
19. Februar 2013 hat Klaus Wowereit gesagt: Jede Kor-
rektur beim Nachtflugverbot ist ein Schaden für die Re-
gion. – Diesen Schaden kann auch die Linke nicht wol-
len; denn sonst hätte sie im November 2009 nicht einen
Koalitionsvertrag mit der SPD in Brandenburg mit fol-
gendem Inhalt beschlossen – ich darf kurz zitieren –:

Die wirtschaftlichen Effekte des BBI sind bereits
heute spürbar, sie werden wichtiger Wachstumsim-
puls bleiben. Der BBI schafft bis zu 40.000 Arbeits-
plätze in der Region – vor allem durch steigende
Passagierzahlen, eine signifikante Verbesserung der
Standortgüte sowie zusätzliche Kaufkrafteffekte.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er muss aber erst einmal funktionieren!)


Damals haben Sie erkannt, dass ein Flughafen we-
sentliche Wachstumsimpulse für die Region Berlin/
Brandenburg initiieren kann, aber eben nur ein Flugha-
fen, der konkurrenzfähig ist und sich gegen die Ange-
bote seiner Mitbewerber behaupten kann. Von einem
Nachtflugverbot ist im damaligen Koalitionsvertrag
überhaupt gar keine Rede gewesen. Damals hätten Sie
diese Forderung mit unterbringen können, aber das ha-
ben Sie nicht.

Auch in Ihrer zehnjährigen Beteiligung an der Berli-
ner Landesregierung haben Sie sich übrigens nicht für
ein ausgedehntes Nachtflugverbot eingesetzt, und Ver-
treter der Linken hätten schon jahrelang in den Gremien
des Flughafens entsprechende Forderungen durchsetzen
können. Ich frage Sie: Wozu sitzen denn zwei linke Lan-
desminister im Aufsichtsrat, wenn die Bundestagsfrak-
tion hier kurz vor dem Brandenburger Landtagswahl-
kampf einen entsprechenden Schaufensterantrag stellen
muss?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Verstehen Sie mich nicht falsch: Schallschutz ist ein
wichtiges


(Thomas Nord [DIE LINKE]: Es ist schwer, Sie falsch zu verstehen!)


und grundgesetzlich geschütztes Gut für die Menschen.
Auch über meinem Berliner Wahlkreis Charlottenburg-
Wilmersdorf verlaufen Flugrouten.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht so niedrig!)


Deshalb ist es richtig und wichtig, dass die Flugrouten
nach der Inbetriebnahme des BER – ich lege mich hier
jetzt nicht auf ein Jahr fest; das wissen wir alle nicht ge-





Klaus-Dieter Gröhler


(A) (C)



(D)(B)

nau – von den zuständigen Behörden evaluiert, das heißt
überprüft und bewertet werden und dass dann unter Be-
rücksichtigung des aktuellen Standes der Technik der
Fluggeräte entsprechende, möglicherweise neue Ent-
scheidungen hinsichtlich der Flugrouten getroffen wer-
den.

Dabei ist aber auch wichtig, dass es hier nicht zu einer
Ausdehnung von Strecken kommt, weil Umweltschutz
– es geht hier auch um die Vermeidung von Wegen – und
Lärmschutz schon Hand in Hand gehen müssen. Das
Ganze wird man im Rahmen einer Untersuchung, eines
Umweltmonitorings, unter anderem für die Region am
Müggelsee, bewerten müssen. Dabei sind auch die Wirt-
schaftlichkeit des Flughafens und die Anbindung der Re-
gion wichtig und mit zu betrachten.

Schon heute zu fordern, dass ein Flughafen von 22 bis
6 Uhr geschlossen sein muss, obwohl wir noch nicht ein-
mal wissen, wann er seine Tore tatsächlich öffnen wird,
ist purer Populismus und hat mit einer ausgewogenen
und sachorientierten Politik nichts mehr zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lassen Sie mich zusammenfassen: Ja zu einem erfor-
derlichen und effektiven Lärmschutz für die Menschen
in den betroffenen Bereichen, Ja zum Umweltschutz in
der Flughafenregion, Ja zur Leistungsfähigkeit und Wirt-
schaftlichkeit des Flughafens, Nein zur Änderung des
bestehenden Nachtflugverbots und Nein zu Ihrem An-
trag.

Abschließend möchte ich noch einmal den Regieren-
den Bürgermeister zitieren, der in dieser Frage viel Rich-
tiges gesagt hat.


(Sören Bartol [SPD]: Jetzt wird es aber unheimlich! – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fällt Ihnen aber schwer, oder?)


Laut Tagesspiegel vom 21. März 2012 richtete er an alle
Flughafengegner eine interessante Warnung – Zitat –:

Und ich sage all denen, die jetzt protestieren: Wehe,
ich erwische einen davon, der am neuen Flughafen
eincheckt.

Lassen Sie mich hinzufügen: Ich bin gespannt, wie oft
ich Kollegen der Linksfraktion, falls der Flughafen ir-
gendwann einmal in Betrieb ist, morgens um 5.30 Uhr
treffe, wenn sie in ihren Flieger steigen.

Schönen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802623700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/971 mit dem Titel
„Nachtruhe am Flughafen Berlin Brandenburg sicher-
stellen – Antrag des Landes Brandenburg unterstützen“.
Wer stimmt für diesen Antrag? – Das sind die Fraktion
Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer
stimmt gegen diesen Antrag? – Das ist die Koalition.
Wer enthält sich? – Einige Enthaltungen. Damit ist der
Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men von Bündnis 90/Die Grünen und die Linke abge-
lehnt worden.

Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan
Mayer (Altötting), Armin Schuster (Weil am
Rhein), Clemens Binninger, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der
Abgeordneten Dr. Lars Castellucci, Gabriele
Fograscher, Uli Grötsch, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD

Herstellung des Einvernehmens des Deut-
schen Bundestages mit der Bestellung des
Instituts für Gesetzesfolgenabschätzung und
Evaluation beim Deutschen Forschungsinsti-
tut für Öffentliche Verwaltung, Speyer, als
wissenschaftlicher Sachverständiger im Rah-
men der Evaluierung des Rechtsextremismus-
Datei-Gesetzes

Drucksache 18/974

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat der Kollege
Clemens Binninger das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1802623800

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Dass wir heute über die Evaluierung eines Gesetzes
reden, hat vor allem mit der Zahl 36 zu tun. Sie be-
schreibt nämlich, warum wir solche Gesetze überhaupt
brauchen. 36 ist die Zahl der Sicherheitsbehörden, die in
Deutschland für die Bekämpfung des gewaltbereiten
Rechtsextremismus zuständig sind: 36 verschiedene Be-
hörden bei Polizei und Verfassungsschutz, beim Bund
und bei den Ländern.

Es war schon immer ein großes Anliegen, zu garantie-
ren, dass Informationen, die die Polizei bei der Verfol-
gung schwerer Straftaten oder zur Verhinderung von
Anschlägen braucht, möglichst ausgetauscht werden
können. Wie sah die Realität vor Inkrafttreten dieses Ge-
setzes und vor Einführung der Rechtsextremismusdatei
aus? Eines der bedrückendsten Beispiele dafür konnten
wir im vergangenen Jahr im Untersuchungsausschuss er-
leben. Es ging um die Aufklärung und Ermittlungen in
einer Serie von damals schon mehreren Morden. Die
Polizei eines Bundeslandes bat die Verfassungsschutzbe-
hörde desselben Bundeslandes um Informationen zu ge-
waltbereiten Rechtsextremisten, um die Ermittlungen
vorantreiben zu können. Wer jetzt glaubt, dass eine sol-
che Anfrage vielleicht in ein oder zwei Wochen – eine
gewisse Sorgfalt muss sicherlich sein – beantwortet ist,
der sah sich damals bitter getäuscht. Es hat neun Monate
gedauert, bevor zwischen zwei Landesbehörden Daten





Clemens Binninger


(A) (C)



(D)(B)

über gewaltbereite Rechtsextremisten ausgetauscht wur-
den.

Bei diesem Zustand konnten wir es nicht belassen.
Deshalb haben wir die Rechtsextremismusdatei auf den
Weg gebracht, übrigens damals schon mit mehr als nur
den Stimmen der Regierungskoalition. Die Kollegen der
SPD waren auch mit dabei. Die Datei ist ein wichtiges
Instrument, das wir im Kampf gegen den Rechtsextre-
mismus brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Über die Datei gab es lange politischen Streit – heute
wird er vielleicht nicht unbedingt geführt werden, weil
wir mehr über die Evaluierung reden – in der Frage:
Geht das überhaupt in Deutschland? Ist eine gemein-
same Datei von Verfassungsschutz und Polizei möglich,
oder verstößt das gegen das Trennungsgebot? Beim
Trennungsgebot geht es darum, dass Verfassungsschutz
und Polizei unterschiedliche Aufgaben haben. Der Ver-
fassungsschutz hat keinen Strafverfolgungszwang, aber
auch keine Zwangsmittel. Die Polizei hat Strafverfol-
gungszwang, und sie kann ihn mit Zwangsmitteln durch-
setzen.

Ich bin froh, dass diese Debatte zwischenzeitlich
höchstrichterlich entschieden wurde; denn wir haben ne-
ben der Rechtsextremismusdatei im Bereich des interna-
tionalen Terrorismus schon länger die Antiterrordatei,
die nach dem gleichen Prinzip arbeitet. Das Bundesver-
fassungsgericht in Karlsruhe hat am 24. April 2013 ent-
schieden, dass die Antiterrordatei grundsätzlich mit der
Verfassung vereinbar ist und dass das Trennungsgebot
beachtet wurde, dass aber Korrekturbedarf besteht. Ich
erwähne das, weil wir das Gesetz zur Rechtsextremis-
musdatei dem Antiterrordateigesetz nachempfunden ha-
ben. Es enthält in etwa die gleichen Befugnisse und die
gleichen Bestimmungen. Auch dort werden wir Korrek-
turen vornehmen müssen. Ich wage die Prognose, dass
sich das auch auf die Evaluierung auswirken wird.

Wir haben damals mit dem Gesetz beschlossen, dass
noch vor 2016 eine Evaluierung erfolgen soll. Sie soll
deutlich machen, ob das Gesetz die Anforderungen, die
wir stellen, überhaupt erfüllt hat, wie viele Daten erfasst
sind, ob es funktioniert, wie viele Abfragen gemacht
wurden oder ob am Ende keine Verbesserung erzielt
werden konnte – was ich nicht glaube. Die Erfahrungen
mit diesen Dateien werden, glaube ich, von den Prakti-
kern bislang durchaus positiv bewertet. Aber es war uns
wichtig, dass wir uns solchen Evaluierungen nicht ver-
schließen. Sie helfen uns, mit Sachverstand von außen
einen genaueren Blick darauf zu werfen, welche Wir-
kung Gesetzgebung hat und was wir vielleicht korrigie-
ren müssen.

Das Gesetz sieht auch vor, dass die Evaluierung unter
Einbeziehung eines oder mehrerer Sachverständiger, die
im Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag bestellt
werden, erfolgen muss. Um genau dieses Einvernehmen
geht es heute. Mit dem vorliegenden Antrag soll das Ein-
vernehmen hergestellt werden, damit der Bundesinnen-
minister einen Sachverständigen beauftragen kann.
Vorausgegangen ist ein Vergabeverfahren, bei dem
nach klaren Kriterien ausgewählt wurde. Diese Kriterien
sind zum Teil kritisiert worden wegen etwas unklarer
Oberbegriffe. Aber am Ende wurde ein Vorschlag präfe-
riert, nämlich das Institut in Speyer, das Erfahrungen mit
solchen Gesetzesfolgenabschätzungen hat. Es hat auch
schon das Informationsfreiheitsgesetz bewertet und sehr
gute und konstruktive Vorschläge gemacht.

Es geht darum, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
solche Instrumente zu nutzen, um wertvolle neue Hin-
weise zu bekommen. Es geht nicht darum, irgendwelche
Alibiveranstaltungen durchzuführen nach dem Motto
„Hauptsache, man hat das gemacht“, sondern darum, zu
erkennen: Lagen wir mit unserem Gesetzentwurf rich-
tig? Hat er die Wirkungen erbracht, die wir uns von ihm
erhofft haben? Ist die Zusammenarbeit zwischen Polizei
und Verfassungsschutz besser geworden? Hat es dazu
beigetragen, schwere Straftaten aufzuklären oder Gefah-
ren abzuwehren? Speisen die Behörden die notwendigen
Daten ein? Auch das ist ein Punkt, den man beachten
muss: Wie viele Daten sind erfasst? Wie tief ist der
Grundrechtseingriff? Wobei ich an dieser Stelle immer
dazusage: In dieser Datei sind gewaltbereite Rechts-
extremisten gespeichert. Dessen muss man sich immer
bewusst sein. Es geht darum, die Informationen darüber
unter den Behörden auszutauschen. – All das sind Fra-
gen, die sich mit dieser Evaluation verbinden und auf die
wir, wenn wir das Einvernehmen herstellen, kluge Ant-
worten erhalten werden.

Ich weiß nicht, ob der Zeitpunkt – das wird das Bun-
desinnenministerium im Detail abstimmen – vielleicht
etwas früh ist – wir hatten eine Frist bis Ende 2016 ge-
setzt – oder ob man noch etwas zuwarten sollte, um ein-
fach einen größeren praktischen Erfahrungsschatz und
mehr Anwendungsfälle zu haben. Aber ich glaube, wir
können darauf vertrauen, dass ein Zeitpunkt gewählt
wird, der zu dem bestmöglichen Ergebnis führt. Wenn
das der Fall ist, sollten wir uns hinterher mit diesen Er-
gebnissen auch befassen. Wir sollten sie nicht auf die
Seite legen und sagen: „Jetzt haben wir unsere Pflicht er-
füllt, wie es im Gesetz steht“, uns aber ansonsten nicht
weiter darum kümmern, sondern wir sollten sie natür-
lich, wenn notwendig, in Gesetzesänderungen einfließen
lassen.

Aber entscheidend ist – das muss man, glaube ich,
immer wieder betonen –: Unsere föderale Sicherheitsar-
chitektur ist in manchen Deliktsbereichen kompliziert.
Wir wollen sie aber so beibehalten. Sie muss aber dann
im Zusammenspiel funktionieren. Wenn es funktionieren
soll, dass 36 unterschiedliche Behörden Informationen
auf Deliktsfeldern austauschen, deren Bekämpfung uns
allen am Herzen liegt, und wenn die Polizei beispiels-
weise wissen möchte, ob der Verfassungsschutz in einem
anderen Bundesland über eine bestimmte gewaltbereite,
rechtsextreme Person schon Erkenntnisse hat, dann darf
eine solche Abfrage nicht mehr neun Monate dauern.
Das ist niemandem zu erklären. Dann ist mit dieser Datei
eine Abfrage innerhalb weniger Sekunden möglich. Da-
mit heben wir die Qualität der Zusammenarbeit der
36 Behörden auf eine neue Ebene.





Clemens Binninger


(A) (C)



(D)(B)

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir nicht nur
über die Evaluierung reden sollten, sondern auch die Er-
kenntnisse dazu nutzen sollten, eine grundsätzliche De-
batte darüber zu führen, wie wichtig diese Dateien sind.
Ohne wird es nicht gehen. Wir brauchen die Zusammen-
arbeit, und wir können nicht monatelang warten. Des-
halb sollten wir nicht von vornherein sagen, egal wie die
Evaluierung ausgeht: Unsere Position steht schon fest.
Wir lehnen das ab. – Wer das ablehnt, müsste eine Alter-
native bieten. Die sehe ich nirgends. Die Alternative zu
einer solchen gemeinsamen Datei von Polizei und Verfas-
sungsschutz, die evaluiert werden kann – dazu beschlie-
ßen wir heute den Antrag –, wäre die Zusammenarbeit in
alter Form: neun Monate warten auf Ergebnisse. Das
kann ernsthaft niemand wollen. Deshalb bitte ich heute
um Zustimmung zu diesem Antrag.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802623900

Jetzt spricht Ulla Jelpke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802624000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der

Tat sprechen wir heute über die Verbunddatei Rechts-
extremismus, die 2012 hier beschlossen worden ist. Der
Kollege Binninger hat eben schon gesagt: 36 Polizeibe-
hörden und Geheimdienste von Bund und Ländern ha-
ben Zugriff auf diese Datei.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat diese Datei
vor dem Hintergrund des Versagens der Sicherheitsbe-
hörden gegenüber der Mordserie der Naziterrororganisa-
tion NSU eingeführt. Wir sagen hier ganz klar, dass eine
Evaluierung dringend nötig ist. Aber die Frage ist eben:
In welcher Form und von wem wird sie durchgeführt?
Wir denken schon, dass Bürgerrechtsorganisationen ei-
gentlich die Richtigen wären, wenn man über die Evalu-
ierung spricht; denn gerade sie können am besten bewer-
ten, wie Grundrechte möglicherweise verletzt werden.

Wir von der Linken haben damals der Einrichtung
dieser Datei nicht zugestimmt, weil wir mehr als skep-
tisch waren. Das sind wir weiterhin. Wir leiden keines-
wegs unter Paranoia. Aber ich möchte daran erinnern,
dass dieses Haus beschlossen hatte, ein Abwehrzentrum
gegen rechts einzurichten. Das war im Prinzip richtig.
Aber unsere Befürchtung, dass aus der Datei möglicher-
weise eine Zentraldatei bzw. aus dem Abwehrzentrum
gegen rechts ganz schnell ein Abwehrzentrum gegen Ex-
tremismus wird, hat sich bewahrheitet. Nur wenige Mo-
nate nachdem dieses Abwehrzentrum gegen rechts ein-
gerichtet wurde, haben Sie ein Abwehrzentrum gegen
Extremismus eingerichtet. Damit haben Sie im Grunde
genommen den Kampf gegen Rechtsextremismus instru-
mentalisiert, um nicht nur Islamisten und Rechtsextre-
misten, sondern auch Antifaschisten und Antikapitalis-
ten einzubeziehen. Da macht die Linke auf gar keinen
Fall mit.


(Beifall bei der LINKEN)

Die Verstrickung des Verfassungsschutzes in den
NSU-Skandal und in den Nazisumpf, der sich hier auf-
getan hat, macht sehr deutlich, dass die Geheimdienste
im Grunde genommen zur Verschleierung beigetragen
haben, indem sie beispielsweise Akten vernichtet haben.
Die Geheimdienste sind nicht kontrollierbar. Nichtsdes-
totrotz bekommen sie mit der Datei und dem Abwehr-
zentrum mehr Rechte. In diesem Zusammenhang ist es
unbedingt notwendig, zu klären, wie mit dem grundge-
setzlichen Gebot der Trennung von Geheimdiensten und
Polizei verfahren werden soll. Die Linke hat dazu eine
klare Meinung. Die Trennung muss weiter bestehen, um
überhaupt Kontrollstrukturen einzurichten. Solche Struktu-
ren gibt es gegenwärtig kaum.


(Beifall bei der LINKEN)


Bei der Evaluierung ist für uns die Effektivität im
Kampf gegen Rechtsextremismus und Naziterror ent-
scheidend. Dabei muss nicht nur die Datei, sondern müs-
sen alle Instrumente unter grundgesetzlichen Aspekten
überprüft werden. Wie Herr Binninger eben gesagt hat,
wurden viele Institutionen geschaffen, bei denen es keine
Trennung zwischen polizeilicher und geheimdienstlicher
Arbeit gibt. Wir haben es bei der Rechtsextremismusda-
tei mit einer erneuten Aufweichung des grundgesetzli-
chen Trennungsgebots zu tun. Man kann nicht einfach
eine Sache klonen. Sie haben auf die Antiterrordatei hin-
gewiesen. Diese Datei, die sieben Jahre existiert, ist bis
heute nicht evaluiert, obwohl es immer wieder gefordert
wurde.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Intern evaluiert!)


Deswegen fordern wir eine weiter gehende Evaluierung,
und zwar nicht nur der Rechtsextremismusdatei.

Im Grunde genommen wird der Rechtsextremismus
instrumentalisiert, um den Grundrechteabbau fortzu-
schreiben. Wir gehen aber davon aus, dass es eher mehr
Demokratie bedarf, um Rechtsextremisten zu bekämp-
fen. Ich glaube, dass es für die Rechtsextremisten ein
Sieg wäre, wenn die Trennung von geheimdienstlicher
und polizeilicher Arbeit weiterhin so verläuft, wie Sie es
beschlossen haben.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802624100

Als nächster Redner hat Michael Hartmann das Wort.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Michael Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1802624200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Um es klar vorweg zu sagen: Was uns hier in diesem
Haus und weit darüber hinaus – bis hin zu den vielen
bürgerschaftlich engagierten Gruppen – eint, ist die
Klarheit, dass in unserem Land nie mehr, zu keiner Mi-
nute und an keiner Stelle, zugelassen werden darf, dass
die Rechten, die Nazis, noch einmal ihr Haupt erheben
und uns verhöhnen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)






Michael Hartmann (Wackernheim)



(A) (C)



(D)(B)

Nicht etwa der Abbau von Behördenkompetenzen und
behördlichem Handeln ist gefordert, um Nazis und ihre
Helfershelfer zu bekämpfen. Vielmehr sind und bleiben
effiziente und gute staatliche Strukturen die Antwort der
wehrhaften Demokratie im Kampf gegen rechts.


(Beifall bei der SPD)


Wir reden heute über die Evaluierung eines Gesetzes,
das im August 2012 verabschiedet wurde. Der Anlass
war schlimm genug. Es ist bekannt geworden, dass weit
über zehn Jahre hinweg ein Mördertrio durch unser Land
ziehen konnte, das glaubte, Menschen, nur weil sie ande-
rer Abstammung waren, töten zu können. Diese Erschüt-
terung, die uns allen noch in den Knochen steckt, hat
dazu geführt, dass wir uns gemeinsam überlegt haben,
welche Konsequenzen wir ziehen können und müssen.
Eine der ersten Konsequenzen war die Bildung dieser
Datei, weil sich gezeigt hat, dass wir bei vielen Behör-
den, an vielen Stellen Wissen über diese drei und ihr
Netzwerk hatten, dies aber nie vernünftig zusammenge-
führt wurde. Insofern ist die Bildung dieser Datei kein
Schlag gegen Bürgerrechte, liebe Ulla Jelpke, sondern
eine Bedingung, um zu verhindern, dass in Zukunft
Nazis weiter schadlos agieren können.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben, wie Sie, Herr Kollege Binninger, völlig zu
Recht gesagt haben, nicht nur diese Datei mit ausdrück-
licher Zustimmung der SPD eingerichtet. Es wurde auch
das Abwehrzentrum gegen rechts gegründet. Das waren
gute und notwendige Schritte; denn wir stellen immer
wieder fest: Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von
Behörden – zwischen Bund und Ländern, aber auch zwi-
schen den verschiedenen Behörden –, die sich oft genug
mit ungesundem Misstrauen begegnen, erst einmal ge-
meinsam am Tisch sitzen, sich in die Augen schauen und
Sachverhalte gemeinsam erörtern, dann wird jenes Miss-
trauen abgebaut und eine Kultur des Miteinanders und
der Zusammenarbeit geschaffen, die in einem föderalen
Staat die Grundvoraussetzung dafür ist, dass Sicherheits-
organe effizient funktionieren. Deshalb war es richtig,
diese Datei einzurichten. Aber eine Bedingung für die
Zustimmung der SPD war damals, dass jene Evaluie-
rung, über die wir heute reden, in das Gesetz aufgenom-
men wird. Das hat zwei Gründe.

Erstens. Es gehört zu einer modernen Gesetzgebung,
überhaupt zu evaluieren und nicht zu sagen: Das ist in
Stein gemeißelt und immer wahr. Die Verhältnisse
können sich ändern. Man kann feststellen, dass Fehler
begangen wurden, dass die angestrebte Tiefe nicht er-
reicht wurde oder dass das Übermaßverbot nicht gewahrt
wurde. Insofern gehört es dazu, Gesetze von Zeit zu Zeit
auf den Prüfstein zu stellen und sie gegebenenfalls zu
korrigieren oder sogar zurückzunehmen.

Zweitens. Natürlich bedeutet eine Datei, die zur Be-
kämpfung von Rechtsextremisten und Neonazis einge-
richtet wird, einen Eingriff in die Bürgerrechte. Deswe-
gen muss sehr sorgfältig und sorgsam damit
umgegangen werden. Darum haben wir gesagt – und wir
halten dies nach wie vor für richtig –, dass wir diesem
Gesetz nur zustimmen können, wenn wir nach einer ge-
wissen Zeit noch einmal prüfen: Wurde erreicht, was wir
erreichen wollten? Sind wir zu weit gegangen? Sind
vielleicht Personen oder Spuren zusammengeführt wor-
den, die wir in einer solchen Datei nicht zusammenge-
führt sehen wollen?

Das sind die beiden Gründe: Gründlichkeit moderner
Gesetzgebung und Schonung der Bürgerrechte. Deshalb
war es wichtig, die Evaluierung einzuführen, und des-
halb ist es richtig, heute zu beschließen, dass ein entspre-
chender Auftrag erteilt wird.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Erika Steinbach [CDU/CSU])


Damit sind wir aber nicht am Ende bei unserem
Kampf gegen den Nationalsozialistischen Untergrund
und gegen Rechtsextremisten. Es muss viel weiter ge-
hen. Die Große Koalition hat beschlossen, dass die Emp-
fehlung des NSU-Untersuchungsausschusses, die in er-
freulicher Gemeinschaftlichkeit beschlossen wurde – das
sage ich ausdrücklich –, eins zu eins umgesetzt wird.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir alle beschlossen, nicht nur die Koalition!)


– Ich habe gesagt: gemeinschaftlich beschlossen. Damit
meine ich: ausdrücklich auch mit Ihren Stimmen und in
einer guten Zusammenarbeit mit allen Fraktionen. Das
war eine Meisterleistung des Deutschen Bundestages
und des parlamentarischen Regierungssystems. Ich will
hier niemandem Anerkennung und Respekt dafür ver-
weigern, sondern – im Gegenteil – dies allen erweisen.

Aber Sie müssen schon anerkennen, dass diese Große
Koalition gesagt hat, dass alles eins zu eins abgearbeitet
und umgesetzt wird. Das ist keine Selbstverständlich-
keit. Auch hier mussten Hindernisse überwunden wer-
den. Wenn wir jetzt gemeinsam dafür sorgen, dass das
gemacht wird, dann setzen sich der gute Geist und die
gute Kultur des Untersuchungsausschusses fort.

Für uns bedeutet das mindestens, dass wir beim Um-
bau der Sicherheitsbehörden noch weiter gehen müssen,
dass beim Verfassungsschutz Fenster und Türen geöffnet
werden, dass gelüftet wird und eine andere Kultur der
Arbeit eintritt. Das bedeutet für uns auch, dass wir bei
der Führung von V-Personen sehr viel genauer, besser
und kritischer werden müssen, und, liebe Ulla Jelpke,
dass die Zusammenarbeit mit den Einrichtungen und In-
stitutionen, und zwar auch der kritischen und sehr kriti-
schen, in der Bürgergesellschaft intensiviert werden
muss.

Das alles und noch viel mehr gehört dazu, wenn wir
Lehren aus dem ziehen wollen, was uns dieses Mörder-
trio an schlimmer Geschichte in unser Stammbuch ge-
schrieben hat. Ich bin sicher, dass der Deutsche Bundes-
tag dies will. Wir halten die Beauftragung des Instituts in
Speyer für richtig, weil dort kompetente und erfahrene
Leute sitzen, die ihre Unabhängigkeit und hohe Exper-
tise bereits oft bewiesen haben, und hoffen, alle in die-
sem Hause sehen das ebenso.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802624300

Jetzt hat Irene Mihalic das Wort.


Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802624400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Vorhin ist schon mehrfach das Bundesverfassungs-
gerichtsurteil zur Antiterrordatei angesprochen worden,
in dem das informationelle Trennungsprinzip zwischen
Polizei und Nachrichtendiensten eindeutig festgestellt
wurde. Der erhebliche Prüf- und Änderungsbedarf, der
sich aus diesem Urteil ergibt, ist, glaube ich, hier im
Hause allen klar. Auch die von der Bundesregierung ge-
leitete Kommission hat in ihrem Abschlussbericht ein-
stimmig angemahnt, dass wegen der strukturellen Ver-
gleichbarkeit mit der Antiterrordatei auch hinsichtlich
der Rechtsextremismusdatei analysiert werden müsse,
welche konkreten Folgerungen aus diesem Urteil abzu-
leiten sind. Schön, könnte man jetzt denken, dann
kommt die wissenschaftliche Evaluierung der Rechts-
extremismusdatei ja gerade recht.

Kollege Binninger, Sie haben eben die sehr gute
Evaluierung des IFG angesprochen. Es gibt aber einen
Unterschied; denn bei der Evaluierung des IFG konnte
vonseiten des Deutschen Bundestages noch Einfluss auf
das Evaluierungsdesign genommen werden. Das stellt
sich hier aber anders dar, weil das BMI die Federführung
hat. Insofern muss man leider sagen, dass die Evaluie-
rungspraxis der Bundesregierung keine allzu rühmliche
Geschichte hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Beim Terrorismusbekämpfungsgesetz hat sich das
Bundesinnenministerium ganz ungeniert selbst evaluiert
mit dem Ergebnis, dass Eingriffsbefugnisse für die
Sicherheitsbehörden noch nicht weit genug gehen. Als
2010 dann das Terrorismusbekämpfungsergänzungsge-
setz evaluiert wurde, hat man die grundrechtsorientierte
Analyse gleich ganz vergessen. Zwar wurde noch
schnell ein Rechtsgutachten nachgeschoben; aber selbst
der damit beauftragte Gutachter Professor Dr. Amadeus
Wolff


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Guter Mann!)


hat öffentlich kritisiert, dass damit auch nicht bereinigt
werden könne, dass bei der Evaluierung wieder nur die
Vollzugsinteressen der Sicherheitsbehörden und nicht
die Grundrechte im Vordergrund gestanden haben.

Bei der Antiterrordatei sah es leider nicht viel besser
aus. Erst wurde die Evaluierung verschleppt, weil
Fristen nicht eingehalten wurden. Dann fehlte wieder
einmal die verfassungsrechtliche Analyse. Auch hier
wurde auf ein rechtswissenschaftliches Zweitgutachten
verwiesen, auf das wir aber bis heute warten.

Es ist zu befürchten, dass es bei der baugleichen
Rechtsextremismusdatei wieder so laufen wird, wobei
wir uns schon fragen, auf welcher sachlichen Grundlage
wir das heute hier im Bundestag entscheiden sollen;
denn, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
Sie haben es ja vermieden, Ihrem Antrag das Angebot
des Forschungsinstituts beizufügen, aus dem man das
Evaluierungsdesign hätte erkennen können. Was ich als
Mitglied des Innenausschusses darüber weiß, stimmt
mich alles andere als optimistisch, ob bei der Evaluie-
rung das Urteil berücksichtigt wird. Ich möchte hier ein-
deutig klarstellen: Es ist nicht so, dass ich die Kompe-
tenzen des Instituts anzweifle; ganz im Gegenteil. Aber
es ist zu befürchten, dass bei der Evaluierung wieder nur
die Vollzugsinteressen im Vordergrund stehen und nicht
die Grundrechte, und das, obwohl wir hier ein Bundes-
verfassungsgerichtsurteil umzusetzen haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, so geht es nicht. Es
ist unsere verfassungsrechtliche Pflicht, für eine verfas-
sungskonforme Gesetzgebung zu sorgen und die Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichts zu achten und
auch umzusetzen. Deshalb werden wir Grüne heute un-
ser Einvernehmen nicht erteilen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn wo Evaluierung draufsteht, muss auch Evaluie-
rung drin sein. Wenn wir hier unser Einvernehmen auf
Basis Ihres Antrages erteilen würden, dann würden wir
die Katze im Sack kaufen, weil wahrscheinlich außer
den Mitgliedern des Innenausschusses kaum jemand
etwas über das Evaluierungsdesign weiß.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Es sind aber auch Grüne im Ausschuss!)


Ich sage es noch einmal ganz ausdrücklich: Uns geht es
um eine Evaluierung am Maßstab der Verfassung und
der Grundrechte und nicht darum, hier das Institut in
Misskredit zu bringen. Den Namen des Instituts haben
Sie von der Koalition hier völlig ohne Not öffentlich ge-
macht und nicht wir.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Aber dann sind wir uns ja einig! – Clemens Binninger [CDU/CSU]: Der steht doch im Antrag, der Name des Instituts!)


Sie haben sich in Ihrem Antrag auf die Empfehlungen
des NSU-Untersuchungsausschusses und auf die Not-
wendigkeit bezogen, hier für einen besseren Informa-
tionsaustausch zu sorgen; das haben Sie eben in Ihren
Reden dargestellt. Aber man kann nicht sagen: Nur weil
wir eine Rechtsextremismusdatei haben, läuft es besser. –
Ein wesentliches Versagen im Zusammenhang mit dem
NSU bestand ja darin, dass man den Rechtsterrorismus
nicht erkannt hat. Man muss den Rechtsterrorismus doch
erst einmal erkennen, bevor man damit eine Datei füllen
kann. Auch das ist ein wichtiger Punkt.

Herr Binninger, Sie haben eben gesagt: Wenn man da-
gegen ist, dann muss man eine Alternative bieten. – Un-
sere Alternative ist eine gesetzliche Einhegung gemein-
samer Zentren, orientiert an verfassungsrechtlichen
Maßstäben und grundrechtlichen Aspekten.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802624500

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die

Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Druck-
sache 18/974 mit dem Titel „Herstellung des Einverneh-
mens des Deutschen Bundestages mit der Bestellung des
Instituts für Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation
beim Deutschen Forschungsinstitut für Öffentliche Ver-
waltung, Speyer, als wissenschaftlichen Sachverständi-
gen im Rahmen der Evaluierung des Rechtsextremis-
mus-Datei-Gesetzes“. Wer stimmt für diesen Antrag?
– Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dage-
gen? – Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die
Linke. Damit ist der Antrag gegen die Stimmen von
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Linken ange-
nommen worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise
Amtsberg, Volker Beck (Köln), Hans-Christian
Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kontoeröffnungen für Flüchtlinge ermögli-
chen

Drucksache 18/905
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Federführung strittig

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Beck als
erstem Redner das Wort.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802624600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein

Bankkonto ist der Schlüssel zur Teilhabe am gesell-
schaftlichen und wirtschaftlichen Leben. Gehälter
werden in aller Regel auf Konten überwiesen. Privat-
rechtliche Verträge haben oft zur Voraussetzung, dass
man ein Girokonto angeben kann, egal ob es um einen
Mobilfunkanbieter, ein Fitnessstudio, eine Vereinsmit-
gliedschaft oder einen Einkauf im Internet geht. Auch
das Anmieten einer Wohnung setzt oftmals ein Giro-
konto voraus. Auch erspartes Geld kann man nur anle-
gen, wenn man ein Konto hat.

Bis 2009 war das auch für geduldete Flüchtlinge in
diesem Land kein Problem. Dann hat man es mit dem
Geldwäschebekämpfungsgesetz zur Voraussetzung für
die Eröffnung eines Kontos gemacht, mit einem gültigen
amtlichen Lichtbildausweis die Identität nachzuweisen.
Damit verfolgt der Gesetzgeber ein wichtiges Anliegen:
Die Identifikation des Kontoinhabers soll eine effektive
Ermittlungsarbeit bei Geldwäsche oder Terrorismusfi-
nanzierung ermöglichen. Dieses Anliegen unterstützen
wir ausdrücklich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber vielen Geduldeten ist es nicht möglich, entspre-
chende Identitätspapiere vorzulegen. Sie haben nur eine
Bescheinigung über die Nichtabschiebung, die ihre
Duldung nachweist. Das ist oftmals ihr einziges Identi-
tätspapier. Wir meinen, man sollte die Rechtsgrundlage
dafür schaffen, dass dieses Papier die Voraussetzungen
des Geldwäschegesetzes hinsichtlich des Identitätsnach-
weises bei Eröffnung eines Kontos erfüllt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man im Lande unterwegs ist, wird man von vie-
len Flüchtlingsinitiativen auf diese Problematik ange-
sprochen. Ich habe das im letzten Jahr zum Anlass ge-
nommen, mich an den Deutschen Sparkassen- und
Giroverband zu wenden. Man hat mir daraufhin ge-
schrieben, dass man bis zum Inkrafttreten des Geldwä-
schebekämpfungsgesetzes gerne auch Flüchtlingen Gut-
habenkonten zur Verfügung gestellt hat, aber man sich
durch die neue Rechtslage nunmehr daran gehindert
sieht. Herr Fahrenschon hat mir geschrieben, man habe
diesen Sachverhalt vor einiger Zeit dem federführenden
Bundesfinanzministerium geschildert. Von dort erhielten
wir die Zusage, dass anlässlich der nächsten Gesetzesno-
velle im Geldwäschebereich wieder die alte Rechtslage
hergestellt werden soll.

Wie der Sparkassen- und Giroverband bin auch ich
der Meinung, dass die in Rede stehenden Ersatzpapiere
wieder in den Katalog der geeigneten Legitimationspa-
piere nach dem Geldwäschegesetz aufgenommen wer-
den müssen, damit Geduldete und Flüchtlinge am wirt-
schaftlichen Leben teilnehmen können und eine
eventuelle Arbeitsaufnahme nicht an den geltenden Vo-
raussetzungen scheitert.

Sie wissen, Geduldete sind in aller Regel Flüchtlinge.
Bei ihnen wurden im Rahmen des Identitätsnachweises
meist Fingerabdrücke genommen. Die Identität steht
also zweifelsfrei fest. Nur kommen viele Flüchtlinge
völlig unverschuldet nicht an Ausweispapiere heran. Die
Gründe dafür sind verschieden. Es gibt zum Beispiel
Botschaften hier in Berlin, die generell keine neuen Aus-
weise ausstellen, wie die Botschaft des Irak. Bei anderen
Staaten gibt es das Problem, dass man generell die
Staatsangehörigkeit anzweifelt. Dieses Problem haben
wir vor allen Dingen mit der Botschaft des Libanon.
Wieder andere Staaten, wie der Kongo, stellen an die
Ausstellung neuer Pässe hohe Anforderungen, die von
den meisten Flüchtlingen nicht erfüllt werden können.
Das fängt bei den hohen Gebühren an und endet bei den
Dokumenten, die man für einen neuen Pass vorlegen
muss.

Lassen Sie uns eine humanitäre Lösung für dieses
Problem finden. Die Koalition hat sich auf eine neue
Bleiberechtsregelung verständigt. Lassen Sie uns den
Geduldeten die Möglichkeit geben, am wirtschaftlichen
und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, indem
wir eine Änderung des Geldwäschegesetzes vornehmen.
Die Banken wollen es – das sieht man am Beispiel des
Sparkassen- und Giroverbandes –, und die Flüchtlings-
initiativen wollen das. Die Sicherheitsbedenken, die es





Volker Beck (Köln)



(A) (C)



(D)(B)

in diesem Zusammenhang gibt, kann man durch eine
entsprechende Verordnung ausräumen und so sicherstel-
len, dass kein Schindluder getrieben wird, da der Identi-
tätsnachweis zweifelsfrei erbracht wird.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802624700

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802624800

Das wäre gesellschaftspolitisch ein wichtiger Schritt

hin zur Integration, den wir gemeinsam gehen sollten.
Ich hoffe, dass die Zusage des Finanzministeriums gilt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802624900

Als nächster Redner hat Olav Gutting das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1802625000

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst will ich feststellen, dass es gut ist, dass wir uns
hier mit dem Schicksal und den Problemen von Flücht-
lingen beschäftigen.

Im Vergleich zum Vorjahr ist ein hoher Zuwachs an
Asylerstanträgen von über 70 Prozent zu verzeichnen.
Hauptherkunftsland ist derzeit Syrien. Wir wissen, die
Menschen dort flüchten vor einem schlimmen Bürger-
krieg, und wir haben in der CDU-geführten Bundesre-
gierung der humanitären Verpflichtung Deutschlands in
diesem Bereich bereits Rechnung getragen. Unter ande-
rem gibt es zwei Aufnahmeprogramme, mit denen wir
insgesamt 10 000 syrische Flüchtlinge in Deutschland
aufnehmen. Es ist völlig klar, dass Deutschland auch
nach Ausschöpfen der Kontingente syrischen Flüchtlin-
gen weiterhin Schutz bieten wird.

Wir helfen aus christlicher Nächstenliebe. Wir helfen
auch, weil wir aus unserer eigenen Vergangenheit heraus
schreckliche Erfahrungen mit Flucht und Vertreibung
gemacht haben. Auch deshalb hat sich die Bundesregie-
rung in Europa unter Federführung des BMF erfolgreich
und mit Nachdruck dafür eingesetzt, dass einem breiten
Berechtigtenkreis unter Einbeziehung von Flüchtlingen
mit berechtigtem Status der Zugang zu einem Bankkonto
eingeräumt wird. Auch wir wollen, dass Flüchtlinge die
Möglichkeit haben, hier ein Konto zu eröffnen; denn
– da haben Sie völlig recht, Herr Beck – das ist Voraus-
setzung, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Ursprünglich sah der Vorschlag der EU-Kommission
zur Zahlungskontenrichtlinie das subjektive Recht auf
Zugang zu einem Jedermannkonto lediglich für einen
ganz eng begrenzten Personenkreis vor. Deutschland hat
sich zusammen mit dem Europäischen Parlament mit
Nachdruck dafür ausgesprochen, dass erstens im Hin-
blick auf das Recht auf Zugang zu einem Jedermann-
konto eindeutig feststehen muss, wer zum Berechtigten-
kreis gehört, und dass zweitens klargestellt werden
muss, dass neben weiteren besonders schützenswerten
Personengruppen auch Flüchtlinge das Recht auf Zu-
gang zu einem Jedermannkonto haben. Beiden Anliegen
der Bundesregierung wurde zwischenzeitlich durch
mehrfache Anpassung der Richtlinie entsprochen. Die
Personengruppe der Asylsuchenden ist im Text sogar
ausdrücklich aufgenommen worden. Die Bundesregie-
rung hat sich in den Verhandlungen außerdem mit Erfolg
dafür eingesetzt, dass dieses zentrale Recht durch die
Hintertür nicht wieder ausgehebelt wird, etwa durch ent-
sprechend weit gefasste Ausgestaltungen der Verweige-
rungs- oder Kündigungsgründe.

Und jetzt kommen Sie von den Grünen mit dem An-
trag, das Geldwäschegesetz zu ändern. Ja, es ist richtig:
Nach dem Geldwäschegesetz braucht es einen Identitäts-
nachweis zur Kontoeröffnung. Aber bei allem Verständ-
nis: Dieser Antrag und diese Änderung sind nicht not-
wendig. Deswegen werden wir den Antrag ablehnen.
Wir werden Ihrem Ansinnen durch die kommende Zah-
lungskontenrichtlinie vollumfänglich Rechnung tragen
können. Vor zwei Wochen, am 20. März dieses Jahres,
wurde auf europäischer Ebene eine entsprechende Eini-
gung über den Inhalt der Zahlungskontenrichtlinie er-
zielt. Es gibt die klare Aussage und die Zusage des BMF,
dass nach deren Veröffentlichung zeitnah mit der natio-
nalen Umsetzung begonnen wird. Aus diesem Grund ist
eine isolierte Änderung des Geldwäschegesetzes heute
nicht notwendig. Wir werden das Problem über die euro-
päische Ebene lösen.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802625100

Herr Kollege Gutting, lassen Sie eine Zwischenfrage

durch den Kollegen Beck zu?


Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1802625200

Das darf er.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802625300

Mir ist es ziemlich einerlei, wie das Problem gelöst

wird; Hauptsache, es wird gelöst. Wir haben in der Be-
gründung unseres Antrags die Entschließung des Euro-
päischen Parlaments, die Grundlage der aktuellen Dis-
kussionen in Brüssel war, ausdrücklich erwähnt.

Durch welchen Rechtsetzungsakt in Deutschland
werden Sie jetzt dafür sorgen, dass Geduldete ohne ent-
sprechende Identitätspapiere in Zukunft Zugang zu ei-
nem Girokonto bekommen? Denn ohne nationale
Rechtsänderung sind die deutschen Geldinstitute weiter-
hin gehindert, das zu tun, was sie eigentlich gern tun
würden, nämlich den Leuten ein Girokonto zu ermögli-
chen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1802625400

Das ist völlig richtig. Die Zahlungskontenrichtlinie

muss in nationales Recht umgesetzt wird. Das wird sie
auch. Das Ergebnis wird sein, dass Flüchtlinge einen Zu-
gang zum Jedermannkonto haben, das sie unbedingt be-
nötigen.





Olav Gutting


(A) (C)



(D)(B)


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dann können Sie ja dem Grünen-Antrag zustimmen!)


Ob dazu in Teilen auch das Geldwäschegesetz geändert
werden muss, wird sich zeigen. Aber zunächst einmal
muss die Richtlinie veröffentlicht werden und vorliegen.
Erst dann kann man national entscheiden, wo und wie
man die entsprechenden Änderungen vornimmt.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gilt das dann für Geduldete?)


Es ist gut, dass Sie diesen Antrag stellen. Ich habe es
gesagt: Es ist schön, dass wir darüber reden. Wir sind
uns über das Ziel völlig einig. Nur, jetzt eine isolierte
Gesetzesänderung vorzunehmen, macht keinen Sinn.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Rechtsverordnung!)


Erst wenn die Richtlinie vorliegt, kann man die entspre-
chenden Änderungen nachhaltig und zielgerichtet durch-
führen.

Vielen Dank.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch für Geduldete oder nur für Asylbewerber?)


– Für Asylbewerber und Geduldete.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sind wir uns wenigstens einig!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802625500

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ulla Jelpke das

Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802625600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich

glaube, es ist völlig klar, dass die Grünen den ganzen
Prozess beschleunigen wollen, und das ist richtig. Ei-
gentlich ist es doch traurig, dass wir heute darüber reden,
dass Menschen, die in Deutschland leben, auch wenn sie
keinen Aufenthaltstitel, sondern nur eine Duldung ha-
ben, in Deutschland kein Bankkonto eröffnen können,
weil nach dem Geldwäschegesetz zur Einrichtung des
Kontos Dokumente benötigt werden. Ich finde, das ist
ein Skandal.


(Beifall bei der LINKEN)


Man muss es hier noch einmal ganz deutlich sagen:
Ohne ein Bankkonto haben Geduldete im Alltag un-
glaubliche Schwierigkeiten. Das fängt bei einem Handy-
vertrag an und geht weiter bei der Einzugsermächtigung,
wenn es um einen Mietvertrag geht. Ebenso können sie
oftmals keinen Arbeitsvertrag unterschreiben, weil die
Kontoverbindung verlangt wird. Wir kennen aus unserer
Praxis viele Fälle, in denen eine Arbeitsaufnahme daran
gescheitert ist, dass es kein Konto gibt. Durch das Fehlen
eines Girokontos wird im Grunde die wirtschaftliche und
soziale Integration verhindert. Man muss es hier noch
einmal sagen: Viele leben seit vielen Jahren in Deutsch-
land, manche seit mehr als zehn Jahren. Es ist einfach
nicht hinzunehmen, dass solche Hindernisse bestehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren und vor allen Dingen auch
liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, natür-
lich werden wir diesem Antrag zustimmen. Wir begrü-
ßen es, dass Menschen diese Erleichterung bekommen
sollen


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


bzw. dass man dafür sorgen will, dass sie ein Konto ein-
richten können. Aber ich will hier noch einmal sagen:
Alle Bleiberechtsregelungen haben bisher gezeigt, dass
diejenigen Geduldeten, die hier keine Aufenthaltserlaub-
nis haben, im Grunde genommen selbstständig für ihren
Lebensunterhalt aufkommen müssen. Deswegen denke
ich, der Antrag greift ein bisschen zu kurz. Ich verstehe
dieses Anliegen. Ihr wollt es beschleunigen, aber ich
finde, man muss mehr zur Diskussion stellen, wenn man
über die Situation geduldeter Menschen hier in Deutsch-
land redet.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn jetzt euer weitergehender Antrag?)


Denn viele können ihren Lebensunterhalt nicht selber
aufbringen. Sie brauchen einfach mehr Rechte.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht das Ende unserer Flüchtlingspolitik! Monty Python: Nun zu etwas ganz anderem!)


Das heißt, wir müssen hier im Grunde genommen,
wenn es um Geduldete und mehr Rechte für sie geht,
auch weiterhin über die Residenzpflicht, über die Unter-
bringung in Sammelunterkünften – da sitzen genau die-
jenigen, die geduldet werden –, die eingeschränkten
Sozialleistungen, die sie nur über das Asylbewerberleis-
tungsgesetz bekommen, und über die Arbeitsverbote
sprechen. Ich will hier auch noch einmal erwähnen, dass
die gesundheitliche Versorgung dieser Flüchtlinge nur
eine Notfallversorgung ist. Das heißt, bei Schmerzzu-
ständen oder bei Schwangerschaft und Geburt bekom-
men sie entsprechende Krankenscheine, um sich behan-
deln zu lassen. Hier sagen wir: Wir brauchen mehr und
umfassende Rechte für sogenannte geduldete Menschen
in Deutschland.

Zweitens will ich daran erinnern, dass nicht nur ge-
duldete Menschen kein Konto haben, sondern auch Ob-
dachlose oder Menschen, die überschuldet sind; deren
Konten werden von den Banken aufgelöst. Auch hier
muss man den Blick etwas weiter fassen. Übrigens muss
man sagen: In 28 Ländern der EU gibt es diese Garantie
auf ein Konto für alle diese Personengruppen, die ich
hier eben aufgezählt habe. Es ist einfach ein Skandal,
dass Deutschland da so hinterherhinkt.

Herr Gutting, ich habe Ihre Bemühungen zwar gese-
hen, aber es muss schneller gehen. Wir können hier nicht





Ulla Jelpke


(A) (C)



(D)(B)

lange bürokratische Wege gehen, bis das endlich für
Flüchtlinge, für Obdachlose oder auch Menschen, die
völlig überschuldet sind, umgesetzt wird. Deswegen
werden wir dem Antrag zustimmen, aber auch weiterge-
hende Debatten über die Situation dieser Menschen füh-
ren.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir machen gern mit!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802625700

Als nächster Redner hat Uli Grötsch das Wort.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Uli Grötsch (SPD):
Rede ID: ID1802625800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau

Kollegin Keul – ich glaube, sie hat gerade den Saal ver-
lassen –, aus den eben vom Kollegen Gutting beschrie-
benen Gründen können wir Ihrem Antrag nicht zustim-
men. Sie hätten Ihren Antrag aber noch zurückziehen
können; dann wären wir in der Tagesordnung der heuti-
gen Sitzung schon ein Stück weiter.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können den Antrag heute nicht ablehnen! Sie werden sich im Ausschuss noch damit quälen müssen!)


Frau Kollegin Jelpke hat gerade darauf hingewiesen: Die
EU-Richtlinie greift weiter als der Antrag von Bündnis
90/Die Grünen, schließt alle Menschen in die Regelung
ein und bezieht sich nicht ausschließlich auf Asylbewer-
ber und Flüchtlinge.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Argumente sind im Endeffekt die gleichen Ar-
gumente wie die des Kollegen Gutting, die eben schon
vorgetragen wurden. Sie sehen, welch große Einigkeit in
der Großen Koalition auch in solchen Detailfragen
herrscht. Auch wir sind der Meinung, dass man zu einem
Leben in Deutschland natürlich ein Bankkonto braucht,
dass man heutzutage eine Bankkarte braucht und dass
bargeldloses Einkaufen eine Selbstverständlichkeit ist.
Natürlich wissen auch wir, dass dies ohne Bankkonto
schlichtweg nicht möglich ist. Wer in Deutschland am
öffentlichen Leben teilhaben will, braucht ein Bank-
konto. Das ist natürlich kein Luxus, sondern eine Selbst-
verständlichkeit.

Nach Schätzung der Europäischen Kommission ha-
ben in Deutschland noch immer mehr als 670 000 Men-
schen über 15 Jahren kein Bankkonto, unter ihnen auch
viele Flüchtlinge und Asylbewerber, aber eben auch so-
zial schwache Menschen und die von Ihnen gerade
schon genannten anderen Gruppen unserer Bevölkerung.
Auch sie aber sind auf ein Bankkonto angewiesen, weil
sie zum Beispiel Ratenzahlungen tätigen müssen, etwa
für Anwälte, oder Flüchtlinge und Asylbewerber für
Deutschkurse, für Mitgliedschaften in Vereinen und für
vieles andere mehr. Deshalb hat der zuständige EU-
Kommissar Michel Barnier recht, wenn er sagt:

Wer heutzutage über kein Bankkonto mit grundle-
genden Funktionen verfügt, stößt im Alltagsleben
auf Schwierigkeiten und muss mehr bezahlen.

Wir sagen: Das darf nicht sein. Gerade die, die wenig ha-
ben, sollen nicht mehr bezahlen müssen.


(Beifall bei der SPD)


Bereits seit 1995 gibt es die eben schon erwähnte frei-
willige Selbstverpflichtung der Kreditinstitute, wonach
sie jedermann ein Guthabenkonto zur Verfügung stellen
wollen. Leider hat sich die Situation seit 1995 jedoch
nicht wirklich verbessert. Immer noch verweigern oder
kündigen Kreditinstitute gerade sozial schwachen oder
von Insolvenz betroffenen Bürgern das Konto.

Auch besonders schutzbedürftige Menschen wie
Asylbewerber und Flüchtlinge können zum Teil kein
Konto eröffnen, weil ein großer Teil von ihnen keine
Aufenthaltsgenehmigung hat. Sie haben zum Beispiel
– auch das wurde schon gesagt – Aufenthaltsgestattun-
gen, weil sie noch ein laufendes Asylverfahren haben,
oder sie haben aus ganz unterschiedlichen Gründen le-
diglich Duldungen, die sie dann gegebenenfalls in kur-
zen Abständen wieder verlängern müssen. Andere haben
auf der Flucht vor politischer Verfolgung ihre Reisedo-
kumente vernichtet, aus Angst davor, aufgespürt zu wer-
den. Deshalb beruhen die in Deutschland ausgestellten
Dokumente oftmals auf eigenen Angaben.

Ich begrüße die jüngste Einigung zwischen dem Eu-
ropäischen Parlament, dem Rat und der Kommission
zum Vorschlag einer Richtlinie über die Vergleichbarkeit
von Zahlungskontogebühren, den Wechsel von Zah-
lungskonten und den Zugang zu Zahlungskonten mit
grundlegenden Funktionen vom 20. März 2014, dem-
nach vier Tage, bevor Ihr Antrag eingereicht wurde.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dass wir das zitieren, ist Ihnen beim Lesen des Antrags schon aufgefallen, ja?)


– Ja, natürlich. Wir haben ihn aufmerksam gelesen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Okay! Das freut mich!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, meines Erachtens hat
sich Ihr Antrag erledigt, weil die gerade schon genannte
Trilogeinigung zur Zahlungskontorichtlinie bereits vier
Tage vor Ihrem Antrag eingereicht wurde.

Lassen Sie mich sagen, dass ich es für relativ gefähr-
lich oder zumindest schwierig halte, nachdem die Euro-
päische Union eine Richtlinie erlassen hat, eine Verord-
nung des Bundesinnenministeriums zum gleichen
Thema zu fordern. Wir sind wenige Wochen vor der Eu-
ropawahl. Jeder von uns ist daran interessiert, dass viele
Menschen zur Europawahl gehen, dass Europa in den
Köpfen der Menschen ankommt und dass all das ge-
schieht, was wir immer gerne über Europa sagen. Des-
wegen glaube ich, dass es schlichtweg schwierig ist, zu
sagen: Okay, die Europäische Union hat bereits eine





Uli Grötsch


(A) (C)



(D)(B)

Richtlinie erlassen. Aber jetzt muss auch noch eine
Rechtsverordnung seitens des Bundesinnenministe-
riums erlassen werden, weil das bei der Europäischen
Union immer so lange dauert. – Ich glaube, das lässt die
europäischen Institutionen zu Unrecht in einem Licht er-
scheinen, in das sie nicht gehören.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was mir am Ende meiner Ausführungen noch wichtig
ist, ist der Umstand, dass wir bei der Umsetzung der EU-
Richtlinie auch die Sicht der Banken in den Blick neh-
men sollten. Ich habe mich in dieser Frage mit meiner
Raiffeisenbank und der Sparkasse beraten. Ich meine,
dass man deren Anliegen durchaus ernst nehmen muss.
Wir werden bei der Umsetzung der Richtlinie darauf
achten müssen, dass wir die Kreditinstitute mit eventuell
auftretenden Problemen nicht allein lassen.

Meine Banken haben mir von ihren Erfahrungen mit
Kontoeröffnungen von Flüchtlingen und Asylbewerbern
berichtet. Es kommt zum Beispiel vor, dass sie Last-
schriften aus abgeschlossenen Handyverträgen aufgrund
fehlender Geldeingänge nicht einlösen können. Es
kommt wohl auch vor, das aufgrund der relativ kurzen
Verweildauer an einem Ort, zum Beispiel bei einem ab-
gelehnten Asylantrag, die Kontoinhaber ohne Kontoauf-
lösung wieder weg sind und die Bank dann die Kontoge-
bühren stornieren und das Konto auflösen muss.

Genauso geht es um die Fragen: Wie gehen wir mit
den Sprachbarrieren der Asylbewerber und der Flücht-
linge bei der Kontoeröffnung und der Kontoführung um?
Wie finden wir eine praktikable Lösung bei kurzen Ver-
weildauern an einem Ort und der Frage einer Kontover-
legung an einen neuen Aufenthaltsort?


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor 2005 war das kein Problem!)


Ich glaube, dass bei 110 000 Asylanträgen im Jahr,
von denen etwa 31 000 abgelehnt werden – die durch-
schnittliche Bearbeitungsdauer beträgt etwa sieben Mo-
nate –, wirklich viel Arbeit auf uns zukommt.


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie sind schon dafür, oder?)


Ich glaube aber auch, dass es diesen Aufwand und diese
Arbeit wert ist, um alle Menschen an unserem gesell-
schaftlichen Leben teilhaben zu lassen.

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen: Seien Sie unbesorgt! Wir werden uns mit dieser
Richtlinie zeitnah befassen und sie vernünftig und auch
zeitnah umsetzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802625900

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Andrea

Lindholz das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1802626000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Der Friedensnobelpreis ging 2006 zum ers-
ten Mal nach Bangladesch. Die dortige Grameen-Bank
und ihr Gründer, der Wirtschaftsprofessor Muhammad
Yunus, wurden ausgezeichnet für die Bereitstellung von
Finanzdienstleistungen für besonders arme Bevölke-
rungsschichten. Yunus und die Grameen-Bank eröffnen
mit ihrer Arbeit vielen Menschen einen Weg aus der Ar-
mut, und sie tragen zum Frieden bei.

Die Möglichkeit, ein Konto zu eröffnen – da sind wir
uns einig –, eine Banküberweisung zu tätigen oder einen
sogenannten Mikrokredit aufzunehmen, kann ein zentra-
ler Grundstein für wirtschaftliche und soziale Entwick-
lung sein.


(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)


In den Industrieländern halten wir Finanzdienstleistun-
gen für eine Selbstverständlichkeit. Doch das sind sie
nicht. Yunus spricht sogar von einem System der finan-
ziellen Apartheid, durch das zahllose Menschen auf der
Welt von Finanzdienstleistungen und somit vom Zugang
zum Wirtschaftskreislauf ausgeschlossen werden. Auch
in Europa haben 58 Millionen Menschen kein eigenes
Bankkonto. Diesen Menschen fehlt eine zentrale Voraus-
setzung, um am modernen Wirtschaftsleben teilnehmen
zu können.

Die Idee, mit der Bereitstellung von rudimentären Fi-
nanzdienstleistungen Armut zu bekämpfen, hat in
Deutschland eine lange Tradition. Im Grunde hat der
Friedensnobelpreisträger die Arbeit der beiden deut-
schen Sozialreformer Friedrich Wilhelm Raiffeisen und
Hermann Schulze-Delitzsch weiterentwickelt. Die bei-
den Urväter der Raiffeisen- und Volksbanken hatten be-
reits im 19. Jahrhundert, während der industriellen
Revolution in Deutschland, mithilfe von Kreditgenos-
senschaften der verarmten Landbevölkerung wirtschaft-
liche Entwicklung ermöglicht. Insofern, meine sehr ge-
ehrten Damen und Herren, ist die Grundidee des
vorliegenden Antrags nicht neu.

Auch das Kernanliegen des Antrages, nämlich Flücht-
lingen den Zugang zu Bankkonten zu ermöglichen, ist
nicht neu und ist überholt.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber seit Jahren ungelöst!)


– Herr Beck, ich bin Ihre Zwischenrufe gewöhnt. Ich
habe schon gesagt, Sie wollen mit mir unbedingt so wei-
termachen wie mit meinem Vorgänger, Herrn Geis.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie sich ja Fußstapfen ausgesucht!)


– Ich freue mich darauf. – Diese Idee wurde von der
Bundesregierung und insbesondere vom Bundesfinanz-
minister bereits in Angriff genommen, und zwar sehr
viel weiter gehend, als es im Antrag gefordert wird.

Die Bundesregierung unterstützt ausdrücklich das
Vorhaben der EU-Kommission, auf europäischer Ebene
für Verbraucher, auch, Herr Kollege Beck, für Verbrau-





Andrea Lindholz


(A) (C)



(D)(B)

cher ohne Aufenthaltserlaubnis, Asylbewerber, Verbrau-
cher ohne festen Wohnsitz und andere ein Recht auf Zu-
gang zu einem Zahlungskonto einzuführen. Im Rahmen
der sogenannten Zahlungskontenrichtlinie sollen Flücht-
linge nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa
ein Recht auf ein Guthabenkonto erhalten.

Bereits am 20. März 2014 wurde im Trilog zwischen
dem Rat, der Kommission und dem Europäischen Parla-
ment eine Einigung über die Zahlungskontenrichtlinie
erzielt. Das EU-Parlament wird sie voraussichtlich am
15. April 2014 verabschieden. Ich gehe davon aus, dass
das Bundesfinanzministerium, das hierfür zuständig ist,
sich umgehend an die Umsetzung der Richtlinie macht.
Der Antrag ist damit obsolet und kann aus unserer Sicht
aus diesem Grunde abgelehnt werden.

Entscheidend ist aber, dass dieses Konto für jeder-
mann – da möchte ich an Frau Jelpke anschließen – in
der Praxis auch tatsächlich umsetzbar ist. Es ist heute
schon so – das weiß ich aus meiner Tätigkeit als Fachan-
wältin für Familienrecht –, dass es für viele Menschen in
prekären Verhältnissen schwierig ist, überhaupt ein
Konto zu eröffnen. Es sind, Herr Kollege Grötsch, auch
nach meiner Erfahrung tatsächlich vor allen Dingen die
Raiffeisen- und Volksbanken, aber auch die Sparkassen,
die dieser sozialen Verpflichtung gerecht werden. Ich
stimme Ihnen zu: Wir können sie damit nicht allein-
lassen. Es ist weniger eine Frage des finanziellen Risikos
– das hat man bei einem Guthabenkonto nicht –, sondern
eher eine Frage des Aufwandes. Da muss es auch an uns
liegen, diesen so bankenfreundlich wie möglich zu ge-
stalten.

Ein letzter Punkt. Ich möchte an Sie, Herr Kollege
Grötsch, anknüpfen. Sie haben vorhin geschildert, was
von einem solchen Konto alles heruntergeht. Ich hoffe
nicht, dass die hier von uns genannten und betroffenen
Menschen Rechtsanwälten Raten zahlen müssen.


(Uli Grötsch [SPD]: Das weiß man heute nicht!)


Für die Bezahlung der Anwälte bietet sich die Prozess-
kostenhilfe oder die Verfahrenskostenhilfe an. Ich
glaube, meine Kollegen Rechtsanwälte müssen davon
nicht bezahlt werden. Insofern bitte ich Sie alle um Un-
terstützung für die Sache selbst bei der Umsetzung der
Vorgaben des Bundesfinanzministeriums. Der Antrag
hat sich überholt und wird daher von unserer Fraktion
heute abgelehnt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können ihn gar nicht ablehnen! Er wird in den Ausschuss überwiesen!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802626100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die

Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/905 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federfüh-
rung beim Finanzausschuss liegen soll. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Damit ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Atomwaffen ächten

Drucksachen 18/287, 18/399

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Kollegin Ute Finckh-Krämer das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Rede ID: ID1802626200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer oben
auf den Tribünen! Die nukleare Abrüstung ist mir und
vielen anderen Mitgliedern des Deutschen Bundestages,
aber auch zahlreichen engagierten Bürgerinnen und Bür-
gern sehr wichtig. Heute Morgen gab es zum Beispiel
ein abrüstungspolitisches Frühstück mit Vertreterinnen
und Vertretern der Ärzteorganisation IPPNW, dem Ab-
rüstungspolitischen Netzwerk ICAN, dem Deutschen
Roten Kreuz und einem Vertreter der niederländischen
Sektion von Pax Christi. Ich freue mich, dass bei diesem
Gespräch alle Fraktionen des Hauses vertreten waren,
und nehme dies als bestätigendes Zeichen dafür, dass un-
ter uns ein breiter Konsens zum Thema der nuklearen
Abrüstung besteht.

Durch den Beschluss des Deutschen Bundestages
vom 26. März 2010 im Vorfeld der Überprüfungskonfe-
renz zum Nichtverbreitungsvertrag im Mai 2010, dem
alle Fraktionen des Deutschen Bundestages zugestimmt
haben, haben wir uns zu der im Nichtverbreitungsvertrag
formulierten Zielsetzung einer weltweiten nuklearen Ab-
rüstung bekannt. Der Beschluss ist nicht nur Ausdruck
des Konsenses zur nuklearen Abrüstung im Deutschen
Bundestag, sondern repräsentiert auch die Meinung brei-
ter Teile unserer Bürgerinnen und Bürger. Nuklearwaf-
fen sollen in unserer Sicherheitsstrategie keinen dauer-
haften Platz einnehmen. Aus unserer Sicht bleibt dieser
Beschluss eine der Grundlagen für unsere zukünftige Ar-
beit im Deutschen Bundestag.


(Beifall bei der SPD)


Abrüstung und Rüstungskontrolle sind entscheidende
Elemente deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Nu-
kleare Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbrei-
tung sind daher nicht nur Verpflichtungen, an die unser
Staat als Mitglied des Atomwaffensperrvertrags gebun-
den ist. Sie tragen wesentlich zum Frieden sowie zu un-
serer Sicherheit bei. Leider hat es in diesem Bereich seit





Dr. Ute Finckh-Krämer


(A) (C)



(D)(B)

dem Abschluss des New-START-Abkommens zwischen
den USA und Russland kaum Fortschritte gegeben.
Diese Stagnation der nuklearen Abrüstung muss über-
wunden werden. Auch wir können dazu neue Impulse
geben.

Denn Nuklearwaffen bieten keine Sicherheit. Obwohl
ihre Anzahl seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes von
circa 65 000 bis heute auf circa 17 000 – es handelt sich
bei diesen Zahlen um Schätzungen – reduziert wurde,
gehen von ihnen immer noch immense Gefahren für
Mensch und Umwelt aus. Auch im 21. Jahrhundert glau-
ben jedoch einige unserer engsten Verbündeten weiter-
hin an den Nutzen dieser Waffen für die eigene Sicher-
heit. Außerdem halten nicht nur Pakistan und Indien,
sondern auch Russland am Konzept der atomaren Ab-
schreckung fest. Es ist also noch viel Überzeugungsar-
beit zu leisten, sowohl in Gesprächen mit unseren Part-
nern als auch mit den offiziellen und nichtoffiziellen
Atomwaffenstaaten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im nächsten Jahr
findet erneut eine Überprüfungskonferenz zum Nicht-
verbreitungsvertrag statt. Deutschland engagiert sich im
Vorfeld im Rahmen der Europäischen Union und im
Rahmen der Non-Proliferation and Disarmament Initia-
tive, NPDI, wie im eben veröffentlichten Jahresabrüs-
tungsbericht 2013 der Bundesregierung nachzulesen ist.

Die Verhandlungen werden schwierig, da viele der
Teilnehmerstaaten des Nichtverbreitungsvertrags von
der Entwicklung seit der letzten Überprüfungskonferenz
enttäuscht sind.

Der Beschluss der Überprüfungskonferenz, im Jahr
2012 eine Konferenz zur Errichtung einer massenver-
nichtungswaffenfreien Zone im Mittleren Osten unter
Beteiligung aller Staaten der Region abzuhalten, konnte
nicht umgesetzt werden. Trotz der engagierten Bemühun-
gen des finnischen Fazilitators Jaakko Laajava wurde die
Konferenz zunächst auf unbestimmte Zeit verschoben.
Ich bedauere, dass es hier bisher keine Fortschritte gege-
ben hat. Das darf uns aber nicht davon abhalten, weiter-
hin auf alle beteiligten Akteure einzuwirken, sich an ei-
ner solchen Konferenz zu beteiligen. Alle Staaten
müssen dabei die legitimen Sicherheitsinteressen der je-
weils anderen akzeptieren. Dann könnte eine solche
Konferenz ein Baustein eines Friedensprozesses sein.
Viele Mitgliedstaaten des Nichtverbreitungsvertrags be-
obachten diesen Prozess genau, und ihre Kompromiss-
bereitschaft auf der Überprüfungskonferenz hängt auch
von der Entwicklung dieses Prozesses ab. Eine Reduzie-
rung der Initiative auf eine atomwaffenfreie Zone im
Mittleren Osten wäre ein Rückschritt hinter die 2010 be-
schlossene Zielsetzung.

Weitere wichtige Punkte, die sich auch im Abschluss-
dokument der letzten Überprüfungskonferenz finden,
wären das Inkrafttreten des umfassenden Teststoppab-
kommens, Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty, und
die Verhandlungen über ein Abkommen zum Verbot der
Produktion von nuklearwaffenfähigem Material, Fissile
Material Cut-off Treaty.

Wir setzen uns innerhalb der NATO für eine Reduzie-
rung der Rolle nuklearer Waffen im Rahmen der Bünd-
nisstrategie ein. Eine solche Veränderung kann aber nur
unter Berücksichtigung der Sicherheitsbedürfnisse aller
NATO-Partner und Russlands zielführend sein, wenn sie
die Sicherheit und Stabilität in Europa verbessern soll.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, trotz des Völker-
rechtsbruchs durch Russland in Bezug auf die Krim
müssen wir mit Russland über nukleare Abrüstung wei-
ter reden und signalisieren, dass wir Russlands Sicher-
heitsbedenken Rechnung tragen. Der gegenwärtige rus-
sische Unwille zu nuklearer Abrüstung rührt meiner
Einschätzung nach auch aus einem Unterlegenheitsge-
fühl bei konventionellen Waffen her, das mit dem russi-
schen Nuklearwaffenpotenzial kompensiert werden soll.
Darüber hinaus sieht Russland den Aufbau einer strate-
gischen Raketenabwehr durch die NATO als potenzielle
Bedrohung für seine atomare Abschreckungsfähigkeit.

Gleichzeitig fühlen sich einige osteuropäische NATO-
Länder aus historisch nachvollziehbaren Gründen von
Russland bedroht und sehen in der nuklearen Abschre-
ckung eine Art Versicherung. Diese festgefahrene Situa-
tion müssen wir aufzubrechen versuchen. Ein möglicher
Weg wäre, Fragen der nuklearen und der konventionel-
len Rüstungskontrolle gemeinsam zu betrachten.

Wenn wir in dem für uns wichtigen Bereich der in
Europa und Deutschland stationierten taktischen Nu-
klearwaffen substanzielle Fortschritte erzielen wollen,
müssen wir die vorhandene Bedrohungsperzeption be-
rücksichtigen, ohne sie uns zu eigen zu machen. Aus
meiner Sicht machen diese Relikte des Kalten Krieges
sicherheitspolitisch keinen Sinn mehr. Das heißt, wir
müssen unsere Partner davon überzeugen, dass ihre Si-
cherheit unabhängig von der Stationierung dieser Waffen
gewährleistet ist.

Zum Schluss möchte ich mich noch bei den atomwaf-
fenkritischen Nichtregierungsorganisationen für ihre Ar-
beit bedanken. Wir als Abgeordnete freuen uns über ihre
Denkanstöße und Handlungsvorschläge. Deutschland
kooperiert mit Organisationen wie dem Expertennetz-
werk Middle Powers Initiative und dem Parlamentari-
schen Netzwerk für Nukleare Abrüstung und Nichtver-
breitung, PNND. Leider war ich im Februar beim
Jahrestreffen des PNND in Washington die einzige Ver-
treterin des Deutschen Bundestages. Es gab bereits in
der letzten Legislaturperiode eine gute Zusammenarbeit
mit dem Netzwerk. Es wäre daher wünschenswert, dass
sich an solchen Veranstaltungen zukünftig alle Fraktio-
nen des Hauses beteiligen, um zu zeigen, wie wichtig
uns dieses Thema ist.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802626300

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Rede ID: ID1802626400

Ja. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der geschil-

derten komplizierten Situation ist der Antrag der Frak-
tion Die Linke eher kontraproduktiv. Wir lehnen ihn da-
her, entsprechend der Beschlussempfehlung, ab.

Danke.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802626500

Als nächste Rednerin hat Inge Höger das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802626600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Zuschauerinnen und Zuschauer! Gerne würde ich hier
heute sagen können: Es gibt kein Risiko eines Atomkrie-
ges mehr. – Leider erleben wir gerade auch angesichts
der Krim-Krise aber das Gegenteil.

Das Berichtsblatt der Atomwissenschaftler veröffent-
licht regelmäßig die aktuelle Gefahr eines Atomkrieges.
Im Januar 2014 kam das Mitteilungsblatt zusammen mit
18 Nobelpreisträgern zu dem Ergebnis: Die Atomuhr
steht auf fünf Minuten vor zwölf. Gefährlicher war die
Lage nur zu Beginn des Kalten Krieges und während des
Wettrüstens in den 1980er-Jahren.

Angesichts dieser Situation wäre eine neue Dynamik
in der Abrüstungspolitik, wie sie im Koalitionsvertrag
versprochen wurde, dringend notwendig.


(Beifall bei der LINKEN)


Doch die Außenpolitik der Bundesregierung befördert
zunehmend Eskalation und Aufrüstung statt Entspan-
nung und Abrüstung.

Im letzten Oktober haben sich bei der UN-Vollversamm-
lung 124 Staaten für ein völkerrechtlich verbindliches Ver-
bot des Einsatzes von Atomwaffen ausgesprochen. Die
Bundesregierung hat ihre Unterschrift verweigert. Sie
hat sich damit ins friedenspolitische Abseits manövriert.

Diesen gefährlichen Kurs hat sie im Februar 2014 in
Mexiko auf der zweiten Konferenz zu den humanitären
Auswirkungen eines Atomkrieges fortgesetzt. Die Fak-
ten, die dort und auf der Vorgängerkonferenz in Oslo be-
sprochen wurden, sind eindeutig: Kein Staat und keine
Hilfsorganisation kann nach dem Einsatz von Atombom-
ben auch nur ansatzweise adäquate medizinische und
humanitäre Hilfe leisten. Es hilft nur die Ächtung von
Atomwaffen.


(Beifall bei der LINKEN)


Was hindert die Bundesregierung daran, die einzig lo-
gische Konsequenz zu ziehen? Das Problem hat einen
Namen: NATO. Aus angeblicher Bündnissolidarität hält
die Bundesregierung unbeirrt an der NATO-Doktrin der
nuklearen Abschreckung fest. Das zeigt einmal mehr,
dass die NATO ein Hindernis für Frieden ist.


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Ach, Frau Höger, sie ist ein Garant für Frieden!)


– Dann schaffen Sie zusammen mit der NATO die
Atomwaffen ab! – Aber selbst ein Verbleib in der NATO
verpflichtet Deutschland nicht, die verfehlte Atomwaf-
fenpolitik fortzusetzen. Die Bundesregierung hätte beim
NATO-Gipfel in Chicago auch Nein zur Modernisierung
der Atomwaffen sagen können.


(Zuruf von der LINKEN: Genau!)

Jede Bundesregierung kann die Stationierung von
US-Atomwaffen aufkündigen, die noch immer in Büchel
in Rheinland-Pfalz lagern.


(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Da sollen sie auch bleiben!)


Es gibt keine Verpflichtung aus der NATO-Mitglied-
schaft, weiterhin den Abwurf von Atombomben durch
die deutsche Luftwaffe üben zu lassen. Beenden Sie des-
wegen endlich die nukleare Teilhabe!


(Beifall bei der LINKEN)


Deutschland muss raus aus der Sackgasse der NATO-
Atomwaffenpolitik; denn die Pläne für die Moderni-
sierung der Atomwaffen machen ein neues atomares
Wettrüsten sehr wahrscheinlich. Ab 2020 sollen neue
atomare Lenkwaffen in Europa stationiert werden. Die
Gefahr eines Einsatzes der hier stationierten Atombom-
ben wird damit deutlich steigen, weil es mehr Optionen
für angeblich präzise Angriffe gibt.

Die Stationierung der neuen Atomwaffen wird ab
dem nächsten Jahr vorbereitet. Dazu gehören auch die
Umrüstung der deutschen Tornados für den Abwurf und
der Umbau des Stützpunktes für Atomwaffen in Büchel.
Das ist keine Friedenspolitik.


(Beifall bei der LINKEN)


Insgesamt sollen in fünf europäischen NATO-Län-
dern Kampfflugzeuge für den Einsatz der neuen Atom-
bomben umgerüstet werden, nämlich in der Türkei, in
Belgien, in den Niederlanden, in Italien und in Deutsch-
land. Sie alle sind aber offiziell keine Atomwaffenstaa-
ten. Der Umbau der Kampfflugzeuge kostet 1 Milliarde
US-Dollar. Hinzu kommen die Umbaukosten für die Mi-
litärbasen in Höhe von 154 Millionen US-Dollar.

Zum Glück rührt sich in all diesen Ländern auch Wi-
derstand aus der Friedensbewegung und teils weit da-
rüber hinaus. Auf den Ostermärschen in Deutschland
und vor allem in Büchel werden wieder viele Menschen
für eine atomwaffenfreie Welt demonstrieren.

In einem Jahr gedenken wir des 70. Jahrestages des
Atombombenabwurfes auf Hiroshima und Nagasaki. Ich
fordere deshalb die Bundesregierung auf: Überdenken
Sie Ihre Haltung, und arbeiten Sie daran mit, im nächs-
ten Jahr einen Verbotsantrag für den Einsatz von Atom-
waffen auf den Weg zu bringen!

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802626700

Als nächster Redner hat Carsten Müller das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Carsten Müller (CDU):
Rede ID: ID1802626800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Wir haben heute den Antrag einer Fraktion zu
beraten, die in Abrüstungsfragen intern tief zerstritten
ist.





Carsten Müller (Braunschweig)



(A) (C)



(D)(B)


(Inge Höger [DIE LINKE]: Das ist die einzige Fraktion, die konsequent für Frieden und für Abrüstung ist!)


Sie streiten sich im Moment außerordentlich lebhaft da-
rüber, ob sich Deutschland an der Vernichtung syrischer
Chemiewaffen beteiligen soll oder nicht. Dieser Streit
zeigt einmal mehr: Ihnen geht es überhaupt gar nicht um
die Sache.


(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Genau!)


Ihnen geht es überhaupt nicht um Abrüstungsfragen. Bei
Ihnen geht Populismus vor Problemlösung. Das nehmen
wir nicht hin.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist aber nichts Neues!)


Meine Damen und Herren, das Langfristziel der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion genauso wie der Bundes-
regierung steht ganz klar fest: Es geht um die Vernich-
tung von Nuklearwaffen und um eine atomwaffenfreie
Welt. Ich will die drei Meilensteine in diesem Zusam-
menhang aufzählen:

Erstens. Wir unterstützen ausdrücklich den Vorschlag
von Barack Obama, die strategischen Nuklearwaffenar-
senale zu reduzieren.

Zweitens. Wir beteiligen uns an den Gesprächen und
Diskussionen über die katastrophalen humanitären Aus-
wirkungen von Kernwaffendetonationen.

Drittens. Wir setzen uns für ein umfassendes Verbot
von Nuklearwaffentests ein. Diese dürfen auf dieser
Welt im 21. Jahrhundert keinen Platz mehr haben.

Aber Abrüstung ist eben kein schneller Prozess. Sie
bedarf einer globalen Sichtweise. Hier sind Marathon-
qualitäten gefragt. Es geht dabei auch ganz wesentlich
um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Wir haben uns als NATO-Mitglied zur nuklearen Teil-
habe verpflichtet. Meine Damen und Herren, es wäre
auch geradezu unverantwortlich, wenn wir uns dieser
Mitsprache, dieser Einflussmöglichkeit berauben wür-
den. Das geht überhaupt nicht an. Ebenso geht es im
Moment nicht an, auf die nukleare Abschreckung im
Rahmen der NATO-Doktrin zu verzichten.

Es ist nun erschreckenderweise eine gewisse Aktuali-
tät in die Diskussion gekommen. Einige erinnern sich
vielleicht daran, wie – das hat mich sehr schockiert; das
muss ich zugeben – im russischen Fernsehen vor etwa
zweieinhalb Wochen zur besten Sendezeit darüber
schwadroniert wurde, welche Reichweiten russische
Mittelstreckenraketen und Langstreckenraketen mit ato-
maren Sprengköpfen haben und welche fürchterlichen
Verwüstungen diese anrichten können.

Der heutigen Tagespresse können Sie entnehmen,
dass die Armee der Russischen Föderation offensichtlich
– das ist ziemlich aktuell – umfangreiche Manöver hat
stattfinden lassen, bei denen der Einsatz von Nuklear-
waffen wesentlicher Übungsbestandteil war. Das zeigt,
dass die Russische Föderation eben nicht immer zuver-
lässig und eben nicht immer glaubwürdig ist.

Das sehen Sie beispielhaft auch an dem Umgang mit
dem Budapester Memorandum von 1994. Das passt be-
dauerlicherweise zum Thema. In diesem Memorandum
– das muss ich Ihnen an sich nicht erklären – hatte Russ-
land als Gegenleistung für die Abgabe der Atomwaffen
durch die Ukraine zugesichert, dass die staatliche Souve-
ränität und die Grenzen geachtet werden. Wir haben ler-
nen müssen: 20 Jahre später ist diese Zusage nicht mehr
das Papier wert, auf dem sie geschrieben ist. Das ist ein
nicht hinnehmbarer Zustand.


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Russland hat diese wichtige Vereinbarung gebrochen.
Das ist Gift für die globale Abrüstung. An dieser Stelle
sollten wir es mit dem UNO-Generalsekretär Ban Ki-
moon halten, der beim Nukleargipfel in Den Haag davon
gesprochen hat, dass die Glaubwürdigkeit massiv unter-
graben worden ist und dass das natürlich tiefgreifende
Folgen für die Integrität des gesamten nuklearen Nicht-
verbreitungsprozesses haben wird.

Ich will schließen: Für eine Welt ohne Kernwaffen
brauchen wir einen Dreiklang aus Glaubwürdigkeit, Ver-
trauen und Verbindlichkeit. Der vorliegende Antrag trägt
diesem, insbesondere auch in Verbindung mit Ihren Aus-
führungen, bedauerlicherweise keine Rechnung.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802626900

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Agnieszka

Brugger das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Krim-Krise erfüllt uns aktuell mit großer Sorge. Aber
während derzeit alle – zu Recht natürlich – mit dem
kurzfristigen Management dieser schweren Krise vollauf
beschäftigt sind, wird deutlich, dass ihre Auswirkungen
auf die Abrüstungspolitik verheerend sind.

Durch die militärische Annexion der Krim hat Russ-
land das Budapester Memorandum verletzt. Die Ukraine
gab damals ihre Nuklearwaffen ab. Dafür verpflichteten
sich Russland, Großbritannien und die USA im Jahr
1994, als Gegenleistung die Souveränität und die beste-
henden Grenzen der Ukraine nicht nur zu achten, son-
dern sie zu schützen. Nun hat Russland als Schutzmacht
diese Abmachung massiv gebrochen und somit ein riesi-
ges Glaubwürdigkeitsproblem für die weltweite Abrüs-
tung und Nichtverbreitung geschaffen.

Auch wenn der Kollege Mißfelder, wie man bei sei-
nem Zuruf vorhin hören konnte, sich nicht daran erin-
nern kann: Wir haben uns alle gemeinsam in einem An-
trag für das Ziel einer atomwaffenfreien Welt und den
Abzug der Atomwaffen aus Deutschland ausgesprochen.





Agnieszka Brugger


(A) (C)



(D)(B)


(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Nein! Das war ein Missverständnis!)


Ich glaube, es wäre gut, wenn heute von dieser De-
batte das Zeichen ausgehen würde, dass wir alle
– Grüne, Union, SPD, aber auch Sie von der Linken –
das russische Verhalten an dieser Stelle klar verurtei-
len, weil es der Abrüstungspolitik sehr schadet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Denn ich frage mich: Wie will man Indien oder Paki-
stan nun davon überzeugen, ihre Atomwaffen abzuge-
ben? Wie sollen der Iran, Brasilien oder Saudi-Arabien
jetzt davon abgehalten werden, nach solchen zu streben,
wenn Sicherheitsgarantien offensichtlich nicht das Pa-
pier wert sind, auf dem sie stehen?

Zudem erscheint es gerade leider auch schwer vor-
stellbar, dass demnächst ein neuer Vertrag zur Abrüstung
substrategischer Atomwaffen mit Handschlag zwischen
Obama und Putin geschlossen werden wird.

Man könnte nun angesichts dieser düsteren Aussich-
ten vielleicht zu dem Schluss kommen, man brauche
jetzt nichts zu tun oder man könne vielleicht gar nichts
tun, und ich habe den nicht unbegründeten Verdacht,
dass Sie das in der schwarz-roten Koalition aus Bequem-
lichkeit auch so sehen werden.

Aber aus grüner Sicht ist das die völlig falsche Kon-
sequenz. Im Gegenteil, man muss jetzt mit viel Kraft die
Abrüstungspolitik wiederbeleben. Aber dafür braucht es
neue Ideen und kein verzagtes Warten, bis die beiden
größten und schwerfälligen Atommächte sich eines Ta-
ges wieder aufeinander zubewegen.

Es gibt neue Ansätze, die man mit Nachdruck verfol-
gen muss. Im Oktober letzten Jahres haben 124 Staaten
einen Antrag unterstützt, der den Einsatz von Atomwaffen
unter allen Umständen verurteilt und auf die katastropha-
len humanitären Folgen dieser Massenvernichtungswaf-
fen hinweist. Man glaubt es kaum: Die deutsche Bundes-
regierung hat ihre Zustimmung dazu verweigert. Als
Begründung lieferte sie ihre NATO-Mitgliedschaft.

Meine Damen und Herren, das finde ich doch ziem-
lich dürftig, denn Norwegen, Dänemark und Island ha-
ben den Antrag unterstützt; ihre NATO-Mitgliedschaft
scheint dabei offensichtlich kein Problem gewesen zu
sein. Wir Grünen teilen auch diese Kritik aus dem An-
trag der Linken, der in großen Teilen durchaus sinnvolle
Forderungen enthält. Aber leider werden wir uns enthal-
ten, weil sie mit der einseitigen Kündigung von Verträ-
gen mit NATO-Partnern auch hier eindeutig über das
Ziel hinausschießen.

Nicht nur international, sondern auch zu Hause legt
die Bundesregierung beim Thema nukleare Abrüstung
die Hände in den Schoß. Seit über einem Jahr fragen wir
die Bundesregierung zu der geplanten Modernisierung
der US-amerikanischen Atomwaffen in Deutschland,
und seit über einem Jahr kriegen wir total ausweichende
oder gar keine Antworten.
Dabei weiß die Bundesregierung sehr genau, wie der
Stand der Dinge ist. Erst jüngst war in den Medien zu le-
sen, dass die Bundesregierung sich mit knapp 31 Millio-
nen Dollar am Umbau des Nuklearwaffenlagers in Büchel
beteiligt. Gleichzeitig werden demnächst zusätzliche Mil-
lionen von Euro zulasten der deutschen Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler fällig, damit ein deutsches Kampfflug-
zeug die neuen Bomben tragen kann. Es hat mit Glaub-
würdigkeit wenig zu tun, schöne Bekundungen gegen
Atomwaffen auf den Lippen zu tragen und gleichzeitig
viel Geld für nukleare Aufrüstung auszugeben.

Meine Damen und Herren, die Zeiten für die Abrüs-
tungs- und Nichtverbreitungspolitik mögen auf den ers-
ten Blick düster erscheinen. Aber gerade deshalb braucht
es jetzt Staaten, die engagiert und im Sinne sicherheits-
politischer Weitsicht und mit Mut für den Frieden voran-
gehen, um neue Dynamik zu ermöglichen. Deshalb
sollte Deutschland sich nicht bei den Modernisierungs-
plänen ahnungslos in die Büsche schlagen und erst recht
nicht die wegweisende Initiative vieler Staaten weiter
blockieren und ausbremsen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802627000

Als letzter Redner in dieser Aussprache hat der Kol-

lege Hans-Peter Uhl das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1802627100

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen,

insbesondere von der Fraktion Die Linke! Ich komme
gleich zu den Gründen, warum wir Ihren Antrag ableh-
nen. Zuvor möchte ich aber die Intention Ihres Antrags
näher beleuchten, nämlich die sofortige Herstellung ei-
ner atomwaffenfreien Welt, beginnend mit einer einseiti-
gen Vorleistung der NATO-Staaten, in dem Kontext der
aktuellen politischen Vorkommnisse in der Ukraine, die
in dem Zusammenhang bereits zu Recht angesprochen
worden sind.

Mit der Annexion der Krim durch Russland kehren
längst vergangen geglaubte Konflikte wieder in die
Mitte Europas zurück. Russland hat – da sind wir uns alle
einig, selbst Ihr Fraktionsvorsitzender – auf eklatante
Weise das Völkerrecht gebrochen. Insbesondere der
Bruch des Budapester Memorandums von 1994 ist ein
schwerer Schlag. Die USA, Großbritannien und Russland
haben die Unabhängigkeit der Ukraine zugesichert,


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Integrität!)


die Integrität der Ukraine garantiert.


(Inge Höger [DIE LINKE]: Wollen Sie jetzt mit Atomwaffen drohen, oder was?)


Dies geschah als Gegenleistung für die Rückführung
sämtlicher Atomwaffen der Ukraine an Russland. Das ist
die Ausgangslage. Mit diesem Vertragsbruch hat Russ-





Dr. Hans-Peter Uhl


(A) (C)



(D)(B)

land der gesamten Welt einen schweren Schaden zuge-
fügt. In dieser Welt leben wir heute.

Weiterhin hat dieses Vorgehen, der Aufmarsch russi-
scher Streitkräfte an Russlands Westgrenze, gerade in
Mittel- und Osteuropa, gerade in den baltischen Staaten,
zu großer und verständlicher Besorgnis geführt. Man er-
wartet sich in diesen Teilen Europas Schutz. Von wem?
Schutz von der NATO und von niemand anderem.


(Inge Höger [DIE LINKE]: Mit Atomwaffen?)


Es ist unsere Aufgabe, mit dieser Besorgnis ernsthaft
umzugehen und nicht einseitig säbelrasselnderweise,
wenn ich es so formulieren darf, mit militärischen Dro-
hungen auf das zu antworten, was Russland gemacht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Inge Höger [DIE LINKE]: Abrüstung ist angesagt!)


Da kommen Sie allen Ernstes mit der Aussage, die
NATO, von der die Menschen dort Schutz erwarten, sei
ein Hindernis für den Frieden.


(Inge Höger [DIE LINKE]: Für die Abrüstung!)


Eine Verwirrung der Geister, kann ich nur sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es darf gerade jetzt in dieser Zeit keine einseitige
Vorleistung geben. Eine einseitige NATO-Abrüstung
bietet keinen zusätzlichen Schutz, im Gegenteil.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das setzt Russland aber mehr unter Druck, auch abzurüsten!)


Die Linken haben jeden Bezug zur Realität verloren.
Vielleicht geht es ihnen auch gar nicht um das, was wir
alle in diesem Hause wollen, nämlich eine atomare Ab-
rüstung. Ich kenne niemanden, wirklich niemanden, der
für atomare Aufrüstung ist. Wir alle sind uns in diesem
Ziel einig. Deswegen sollten Sie auch nicht den Versuch
unternehmen, auf unangenehme, unseriöse und intellek-
tuell unredliche Weise hier irgendwelchen Fraktionen zu
unterstellen, sie wären für atomare Aufrüstung. Wir alle
sind für den Frieden. Wir brauchen keine Belehrung von
den Linken, weder die SPD noch die Grünen noch die
CDU/CSU.

Die Koalition hat sich in einem Antrag – er wurde be-
reits von der Kollegin der Grünen zitiert – zusammen
mit den Grünen und der SPD in der letzten Wahlperiode
mit dem Thema befasst. Deutschland will sich für Ab-
rüstung und die Nichtverbreitung von Atomwaffen ein-
setzen und tut das in allen Gremien, allerdings – das
gebe ich gerne zu – nicht so, wie Sie von den Linken es
wollen, in einem Akt einseitiger Vorleistung, isoliert
vom Bündnis,


(Inge Höger [DIE LINKE]: Im Rahmen der UN!)


sondern nur im Bündnis mit den Partnern der NATO.
Dabei wird es auch bleiben, sosehr Sie von den Linken
die NATO auch bekämpfen mögen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Bundesregierung bedarf also keiner weiteren
Aufforderung von Ihnen, für Frieden und gegen Atom-
waffen zu sein. Wir sind es, so wie alle anderen Fraktio-
nen hier in diesem Hause auch. Es könnte jetzt noch eine
Aufzählung von verschiedenen Aktivitäten der Bundes-
regierung in den letzten Monaten und Jahren erfolgen.
Auf die will ich aber hier verzichten.

Meine Damen und Herren von den Linken, ich bitte
Sie, aufzuhören mit Ihren Bemühungen, in der Bevölke-
rung den Eindruck zu erwecken, als wären Sie die Frie-
denspartei


(Inge Höger [DIE LINKE]: Das ist aber so! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Das können wir schon selbst entscheiden!)


und als würden wir und alle anderen Parteien es mit dem
Frieden und der atomaren Abrüstung nicht so ernst neh-
men. Das verfängt nicht in der Bevölkerung, und das ist
auch gut so. Man nimmt Ihnen diese Schaufensterpolitik
nicht ab.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802627200

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die

Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussfassung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Atomwaffen ächten“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/399, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/287 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Das ist die Koalition.
Wer stimmt dagegen? – Das ist die Linke. Wer enthält
sich? – Bündnis 90/Die Grünen. Dann ist die Beschluss-
empfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Linken bei Enthaltung von Bündnis 90/Die
Grünen angenommen worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Nicole
Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zukunft der bäuerlichen Milchviehhaltung si-
chern

Drucksache 18/976
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Friedrich Ostendorff das Wort.






(A) (C)



(B)


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Die Milchviehhaltung ist eines der wichtigsten Stand-
beine der Landwirtschaft in Deutschland und erst recht
der wichtigste landschaftsprägende Betriebszweig.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Seit Juni geht es den Milchbauern gut!)


40 Prozent der landwirtschaftlichen Wertschöpfung
kommen aus der Milch. Die Kuh auf der Weide ist das
Bild, das Bürgerinnen und Bürger haben, wenn sie an
Landwirtschaft denken. Nach Jahren der niedrigen
Milchpreise haben wir endlich eine Situation, die eine
kostendeckende Erzeugung von Milch ermöglicht. Doch
trotz aktuell guter Marktlage ist der Druck auf die Milch-
betriebe ungebrochen groß. In den letzten zehn Jahren
haben wir ein Drittel der Milchviehbetriebe verloren.
Die Zahl ist von 126 000 Betrieben im Jahr 2002 auf
85 000 im Jahr 2012 gesunken. Das sind 11,2 aufgege-
bene Betriebe pro Tag.

Es kommt jetzt schon wieder zu einem deutlichen Ab-
rutschen der Preise auf dem globalen Markt. Analysten
warnen vor weiter sinkenden Milchpreisen im Mai und
Juni. Nachhaltig und tiergerecht wirtschaftende Milch-
viehbetriebe brauchen heute 45 bis 50 Cent pro Liter, um
ihre Kosten zu decken. Die Marktsituation wird sich
nach 2015 deutlich verschärfen; denn die augenblicklich
starke Nachfrage vor allem in China und Russland ist äu-
ßerst fragil.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Wir müssen deshalb in die Zukunft blicken und in weit-
gehend guten Zeiten für schlechte vorsorgen.

Ein Marktzusammenbruch nach dem 1. April 2015
muss unbedingt verhindert werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen deshalb eine Monitoringstelle für die
Marktbeobachtung, wie sie jetzt in Europa diskutiert
wird. Wir brauchen ein Frühwarnsystem, um auf kom-
mende Krisen frühzeitig zu reagieren. Wir brauchen Kri-
seninstrumente und Programme zum zeitweiligen Abbau
von Überkapazitäten, die zum Beispiel einen freiwilli-
gen Produktionsverzicht in Krisensituationen ausglei-
chen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht aber vor allem um unser milchpolitisches
Leitbild. Wir brauchen eine flächengebundene Milcher-
zeugung.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dringend!)


Es geht um das Tierwohl und die Erhaltung unserer
Agrarlandschaften gerade in den benachteiligten Regio-
nen. Es kann doch nicht sein, dass hinter den Bildern
von grasenden Kühen auf den Milchtüten in Wirklich-
keit auf einseitige Hochleistung gezüchtete und oft mit
Gensoja ernährte Tiere stehen, die niemals auf der Weide
waren und kaum älter als vier bis fünf Jahre werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Max Straubinger [CDU/CSU]: Hast du was gegen Leistung?)


Nur noch rund 30 Prozent der Kühe in Betrieben mit
über 100 Tieren stehen auf der Weide; das ist eine Aus-
sage der Bundesregierung. Das ist klassische Verbrau-
chertäuschung. Die Verbraucherinnen und Verbraucher
wollen Kühe auf der Weide. Sie wollen Qualitätsmilch
aus bäuerlicher Erzeugung, am besten Biomilch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir fordern deshalb, ein besonderes Augenmerk auf die
Situation der milcherzeugenden Betriebe zu legen. Dies
muss sich in marktbegleitenden Programmen widerspie-
geln. Wir fordern, dass die Kuh auf der Weide Realität
ist und dass Bedingungen geschaffen werden, die es den
Betrieben ermöglichen, dies umzusetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Biodiversitätsschutz ohne Kühe auf der Weide wird
nicht zu schaffen sein. Wir fordern deshalb eine flächen-
gebundene Milcherzeugung und eine Tierzüchtung, die
das Wohl der Tiere und die Lebensleistung statt kurzfris-
tiger Höchstleistungen zum Ziel hat. Das kann nur eine
bäuerliche Milchviehhaltung leisten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1802627300

Als nächster Redner hat der Kollege Kees de Vries

das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Kees de Vries (CDU):
Rede ID: ID1802627400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Der Antrag der Grünen ist überschrieben
mit dem Titel „Zukunft der bäuerlichen Milchviehhal-
tung sichern“. Dem kann ich nur zustimmen, und zwar
aus vollem Herzen. Was dann allerdings im Antrag folgt,
führt so zu nichts.

Dazu im Detail. Herr Ostendorff, Sie sehen die Milch-
politik derzeit auf Massenproduktion und Export ausge-
richtet. Tatsächlich haben wir dank Export endlich wie-
der gute Preise.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Warum sollte der bäuerliche Familienbetrieb hiervon
nicht profitieren dürfen? Meiner Meinung nach ist die
Größe nicht entscheidend. Es kommt darauf an – und
vielleicht unterscheiden wir uns da, Herr Ostendorff –,
dass der Milchviehhalter von seiner Arbeit leben kann.
Der größte Teil der Milchviehhalter kann bei diesen gu-
ten Preisen gewinnbringend arbeiten, ein kleiner Teil
aber leider immer noch nicht kostendeckend. Das war im
Übrigen schon immer so. Eine Frage der Größe ist das
nur in zweiter Linie. Fest steht natürlich, dass auch ein
Landwirtschaftsbetrieb einen bestimmten Mindestum-

(D)






Kees de Vries


(A) (C)



(D)(B)

satz, eine bestimmte Größe braucht, um ein Einkommen
realisieren zu können.

Dann fordern Sie auf Ebene der Europäischen Union
die Einrichtung einer Marktbeobachtungsstelle. Wir
freuen uns, dass inzwischen auch Sie den Nutzen dieser
Stelle erkennen. Diese Forderung erheben wir schon
lange. Sie ist faktisch schon zugesagt worden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Erzeugergemeinschaften, die Sie fordern, gibt es
ebenfalls bereits. Den Zusammenschluss der Milchvieh-
halter zu fördern, ist meines Erachtens jetzt schon mög-
lich. Sie zu organisieren, sehe ich nicht primär als Staats-
aufgabe; hier sind unsere Bauern selbst gefordert.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht aber auch im Antrag!)


Irritiert bin ich bei Ihrer Forderung nach „Regelungen
für eine nachfrageorientierte Milchmengenregulierung“.
Das ist aus meiner Sicht nichts anderes als die Milch-
quote, die wir gerade erst abzuschaffen beschlossen ha-
ben. Sie hatte sicher viele Vorteile, aber auch einen gro-
ßen Nachteil. Damit meine ich, dass die Betriebe viel, zu
viel Geld in Milchrechte investieren mussten. Damit ha-
ben Sie nicht nur die Neueinrichtung von Betrieben ver-
hindert, sondern auch Nachfolgeregelungen sehr er-
schwert.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eine solche Regelung führt aus meiner Sicht eher dazu,
dass kleine Betriebe gezwungen sind, aufzugeben. Das
kann auch nicht von Ihnen gewollt sein.

Zum Stichwort „Weidehaltung“ muss ich sagen, dass
wir dann auch eine qualitativ hochwertige Grasproduk-
tion sicherstellen müssen. Wenn nun 1,1 Millionen Hek-
tar Grünland – sehr nach Ihrem Geschmack – nicht
mehr, nicht mal zwecks Neuansaat, umgebrochen wer-
den dürfen, dann ist das kontraproduktiv.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch zur geforderten hohen Grundfutterleistung kann
ich nur sagen: Schlagen Sie sich auf die Seite der CDU/
CSU, und schützen Sie mit uns hochwertige, energie-
und eiweißreiche Wiesen. Nur so verhindern wir noch
mehr Mais- und Sojaimporte.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eine korrekte Kennzeichnung von Weidemilch und
Regionalvermarktung ist grundsätzlich zu begrüßen. Da-
mit kann sich der Verbraucher bewusst für eine be-
stimmte Produktionsrichtung entscheiden. Alles andere
sollten wir besser dem Markt überlassen. In aller Regel
wird es nicht besser, wenn sich die Politik einmischt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ich finde es
sehr wichtig, die Zukunft der Milchviehhaltung zu
sichern. Aber was mit diesem Antrag der Grünen ge-
fordert wird, ist zum einen schon realisiert und zum
anderen nicht zielführend. Deshalb ist dieser Antrag ab-
zulehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802627500

Das Wort hat die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802627600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste! Milch ist gesund. Das behaupten
zumindest viele. Aber die Milcherzeugerbetriebe sind al-
les andere als gesund, und zwar schon eine ganze Weile.
Vor allen Dingen 2009 gab es viele Proteste gegen viel
zu geringe Milchpreise. Sogar Milchbäuerinnen belager-
ten einige Tage das Kanzleramt. Im Durchschnitt gab es
damals 25 Cent pro Liter, vielfach sogar noch deutlich
weniger. Gefordert wurden aber 40 Cent, um die Pro-
duktionskosten ausgleichen zu können. Im vergangenen
Jahr gab es zumindest im Durchschnitt schon einmal
37 Cent, so viel wie noch nie nach der Wiedervereini-
gung. Erstmals bekamen sogar die Kühe in Ost und West
für ihre Arbeit das gleiche Gehalt.


(Beifall bei der LINKEN – Rainer Spiering [SPD]: Das finde ich gut!)


Aber der schöne Schein trügt ein wenig; denn kosten-
deckend ist auch dieser Preis immer noch nicht. Die gro-
ßen finanziellen Verluste aus den Krisenjahren konnten
damit nicht ausgeglichen werden. Der Spielraum für
existenzsichernde Löhne, Investitionen in mehr Tier-
wohl oder bessere Arbeitsbedingungen ist immer noch
sehr begrenzt. Die großen Preisschwankungen am
Markt, die gerade schon einmal Thema waren, sind ein
erhebliches Betriebsrisiko. Auch die steigenden Boden-
kauf- und -pachtpreise sind eine zusätzliche finanzielle
Belastung für die Betriebe. In Ostdeutschland steigt der
Bodenpreis ausgerechnet deshalb, weil ehemals volksei-
gene Flächen zum Wohle des Bundesfinanzministeriums
meistbietend verkauft werden. 400 bis 500 Millionen
Euro jährlich fließen so in die große Bundeskasse. Ich
finde das einfach unanständig.


(Beifall bei der LINKEN)


Zu niedrige Milchpreise zwingen immer mehr Be-
triebe zur Aufgabe. 2009 wurde erstmals die magische
Grenze von 100 000 Milchviehbetrieben unterschritten.
2012 waren es sogar nur noch 85 000. Gleichzeitig stieg
die durchschnittliche Größe der Milchviehherden von
43 auf 49 Kühe. Der Gesamtkuhbestand stagnierte zwar
knapp oberhalb von 4 Millionen, aber die durchschnittli-
che Milchleistung stieg wiederum. Unter dem Strich gibt
es also immer mehr Milch. Aktuell sind es 22 Prozent
mehr als der heimische Milchdurst. 2002 waren es nur
14 Prozent mehr.

Eine boomende, sich gesundschrumpfende Branche,
könnte man meinen. Aber vor Ort wird mir oft gesagt:
Ohne den Erlös aus der Biogas- oder Photovoltaikanlage
hätten wir die Kühe längst abschaffen müssen. – Inso-
fern stellt sich die Frage: Warum ist denn das so? Die EU
hat gerade eine interessante Studie dazu veröffentlicht.
Sie benennt als ein Problem die Gewinnverteilung in der





Dr. Kirsten Tackmann


(A) (C)



(D)(B)

Milchproduktion zugunsten der Verarbeitungsindustrie.
Das ist eigentlich auch kein Wunder; denn immer weni-
ger Molkereien werden immer größer und immer mäch-
tiger. Deshalb ist eine der Forderungen der Linken die
Stärkung der Milcherzeuger am Markt. Nur dann können
sie sich dem ruinösen Preisdumping der Verarbeiter und
des Handels entziehen und die Milch schonend für Kühe
und Umwelt produzieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir unterstützen zum Beispiel Erzeugergemeinschaf-
ten oder auch Produktionsgenossenschaften. Solche gibt
es übrigens auch in Bayern. Das ist eine Meldung vom
2. April, nicht vom 1. April. Insofern geht es da also
durchaus voran.

Darüber hinaus ist wichtig, dass die Milchmenge fle-
xibler an die Nachfrage angepasst werden kann. Das
sieht auch eine Studie im Auftrag des European Milk
Boards so. Darin wurde übrigens festgestellt, dass die
reale Einkommenssituation der Milchbetriebe trotz vie-
ler Strukturmaßnahmen in den letzten 20 Jahren nicht
verbessert worden ist. Das gilt auch für große Milchbe-
triebe, die zwar etwas höhere Einkommen, aber eben
auch eine größere Verschuldung aufweisen. Fazit der
Studie: Die Landwirte müssen die Menge der produzier-
ten Milch flexibler an die Nachfrage anpassen können.
Dazu wird ein selbst organisiertes Regulationssystem
gebraucht, bei dem die Milchviehbetriebe dann aber
auch wirklich ein ernsthaftes Wort mitreden können.

Ganz wichtig ist: Aus dem Liter Milch muss mehr
Wertschöpfung generiert werden. Das heißt: mehr Ver-
edlung und nicht Verramschen auf dem Weltmarkt. Das
heißt: mehr regionale Verarbeitung und Vermarktung.
Das heißt aber auch: Verbot täuschender Kennzeich-
nung. Wenn „Brandenburg“ auf der Milchverpackung
steht, muss die Milch auch von Brandenburger Kühen
sein. Wenn „Weidemilch“ draufsteht, darf keine Stall-
milch drin sein.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802627700

Das Wort hat der Kollege Rainer Spiering für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Rainer Spiering (SPD):
Rede ID: ID1802627800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Milchviehhaltung und die Kuh auf der Weide
sind für mich keine Fremdworte. Die Antragsteller sa-
gen: „Das Leitbild muss die Kuh auf der Weide sein.“
Als wahrhaftiges Kind vom Land habe ich dabei zwei
Gedanken: meine Kindheit und die Milka-Werbung.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Meine Kindheit war von dem Bild geprägt, das Ihrem
Ideal entspricht: kleine Ackerbauflächen, kleine Weide-
flächen, im Sommer Melkstände auf der Weide, zehn bis
zwölf Kühe, Schweine- und Hühnerhaltung auf jedem
Hof – und den Pflug zog nur 1 PS. Dieses Bild ist folklo-
ristisch, genau wie die Milka-Werbung, und entspricht
nicht mehr der Wahrheit in Deutschland im Jahre 2014.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Landwirtschaft hat heute auch in der bäuerlichen
Milchviehhaltung viel mit Hightech und Marktregulie-
rung zu tun. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die SPD
steht an der Seite der bäuerlichen Milchviehhaltung.


(Beifall bei der SPD)


Sie stellt hervorragende Produkte her. Im ländlichen
Raum hat sie eine eminente Bedeutung für die Schaffung
von Arbeitsplätzen. Ich verweise gerade auf die Region,
aus der ich komme, mit großen Landmaschinenherstel-
lern wie Claas, Amazone, Krone und vielen anderen
mehr. Die Landwirtschaft ist für die Schaffung von Ar-
beitsplätzen und die Erhaltung der regionalen Kultur-
landschaft zuständig; das sollte man dabei auf keinen
Fall vergessen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Ausstieg aus der Milchquote bereitet den Land-
wirten Sorge. Die EU verabschiedet sich im April 2015
von einem System, das mehr als 30 Jahre lang Preise und
Mengen diktierte. Bauern durften, zumindest theore-
tisch, nur eine bestimmte Menge Milch produzieren.
Wer darüber lag, musste Strafe zahlen. Künftig dürfen
die Landwirte so viel Milch produzieren, wie sie wollen,
und sich mit dem Markt auseinandersetzen.

Seit der Milchkrise 2009/2010 ist der Preis angestie-
gen. Zurzeit funktioniert das Geschäftsmodell. Die
Landwirte produzieren Höchstmengen, und das, obwohl
die Zahl der Betriebe seit Jahren sinkt. Knapp 80 000
Milchviehbetriebe gibt es noch, sagt die Statistik.
Deutschland ist inzwischen der größte Milchproduzent
in der EU. Der Preis, den die Bauern für ihre Milch be-
kommen, ist derzeit so hoch wie seit fünfeinhalb Jahren
nicht mehr. Im Schnitt wurden im vergangenen Jahr
knapp 38 Cent pro Kilogramm Milch gezahlt. Sind das
langfristig die Preise, mit denen die Milchbauern ihre
Kosten decken können? Wir haben hier gehört: Dazu
gibt es unterschiedliche Auffassungen. Der eine oder an-
dere hier weiß: Es kostet ein kleines Vermögen, Milch-
wirtschaft zu betreiben. Man braucht Ställe, technische
Ausstattung wie Melkanlagen und Hightechcomputer,
Land für seine Tiere entsprechend den Quoten, und man
muss natürlich am Markt Kapital generieren.

Die positive Entwicklung auf dem Milchmarkt wird
vor allem vom Export getrieben. In China, wo Lebens-
mittelskandale die Verbraucher immer häufiger verunsi-
chern, werden teilweise – so habe ich gelesen –
3,50 Euro für einen Liter Milch gezahlt, aber nur, wenn
sie aus dem Ausland stammt. Gerade die neue chinesi-
sche Mittelschicht hat Durst auf Milch.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Der Export deutscher Trinkmilch zum Beispiel nach
China hat sich seit 2007 vervielfacht. Der Milchmarkt





Rainer Spiering


(A) (C)



(D)

wird auch mit Blick auf das Auslaufen der Quotenrege-
lung als wachstumsfähig eingestuft. Die EU-Kommis-
sion sagt in ihrer Markteinschätzung einen Anstieg der
Milcherzeugung voraus.

In Deutschland bestimmt gerade einmal eine Hand-
voll Konzerne das Geschäft: Fünf Unternehmen – darun-
ter der Marktführer Deutsches Milchkontor, die dänische
Molkereigruppe Arla und Müllermilch – handeln mit
50 Prozent der produzierten Milchmenge. Zu befürchten
ist, dass die Molkereien ab kommendem Jahr ihre
Marktmacht noch stärker ausnutzen werden und die ho-
hen Gewinne, die sie auf dem Weltmarkt erzielen, nicht
an die Landwirte weitergeben.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Die gehören doch den Landwirten!)


Diese Entwicklung dürfen wir nicht hinnehmen. Deshalb
ist die Idee des EU-Milchpakets gut: Die Landwirte
schließen sich zusammen und handeln dann gemeinsam
einen Milchpreis mit den Molkereien aus.

Die Bündelung des Angebots und die Anerkennung
von Erzeugergemeinschaften und Branchenverbänden
verschaffen den Erzeugern Möglichkeiten zur Einfluss-
nahme. Gemeinsamkeit macht stark.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. FranzJosef Holzenkamp [CDU/CSU])


Der deutsche Gesetzgeber hat die naturgemäß schwä-
chere Marktstellung der Bauern berücksichtigt. Mit dem
Marktstrukturgesetz wird den Landwirten im Wettbe-
werbsrecht eine Ausnahmestellung eingeräumt. Das
Marktstrukturgesetz, also Erzeugerstärkung nach deut-
schem Modell, ist europaweit sinnvoll.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die starke Position des Handels und der Discounter
hat den deutschen Markt für Milchprodukte zu einem der
am härtesten umkämpften Märkte der Welt gemacht. Wir
haben das erlebt. Aber insgesamt ist der Markt auch glo-
baler geworden. Das beinhaltet auch globale Chancen.
Wie eingangs erwähnt, gibt es neue Absatzmöglichkei-
ten. Wenn Lidl und andere vergleichbare Großhändler
demnächst wieder einmal den Markt verengen, dann gibt
es jetzt andere Märkte, auf denen die Waren abgesetzt
werden können.

Man kann das Marktkriseninstrument „Freiwilliger
Produktionsverzicht gegen Ausfallentschädigung“ wie
Sie, Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, für eine
Option halten. Die Frage ist nur: Ist das Instrument sinn-
voll? Wie soll das System funktionieren? Wie soll das zu
vertretbaren Kosten europaweit umgesetzt werden?

Wenn der Landwirt eine Entschädigung bekommt, um
seine Produktion in Krisenzeiten einzuschränken, achtet
er weniger auf Marktsignale, und das wäre kontra-
produktiv. Signale, die über die Politik gesteuert werden,
sind im Regelfall langsamer als der Markt. Eine
Mengensteuerung hinkt der Marktentwicklung immer
hinterher.


(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Genau!)

Denn wenn der Beschluss auf politischer Ebene gefasst
ist, die Produktion einzuschränken, hat der Markt längst
wieder eine andere Richtung eingeschlagen.

Das Thünen-Institut – das ist ein wichtiger Fakt –
verweist auf massive finanzielle Folgen im Falle eines
Produktionsverzichts. Bereits eine Rückführung der
Gesamtmilcherzeugung in der EU um 1 Prozent erfor-
dere einen Ausgleich für die teilnehmenden Betriebe von
rund 240 Millionen Euro. Um einen Markteffekt zu er-
zielen, würde das vermutlich nicht ausreichen.

Die EU investiert in die Landwirtschaft viel Geld. Für
die SPD ist Agrarpolitik vor allen Dingen Teil einer
ganzheitlichen Politik für die ländlichen Räume und
nicht klientelbezogene Sektorpolitik. Ich kann nur sa-
gen: Die Kulturlandschaft, die ich zu Hause habe,
möchte ich auf keinen Fall missen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir wollen nach 2020 ganz aus dem System der
Direktzahlung aussteigen und die Mittel gezielt für die
Entwicklung ländlicher Räume und die Entlohnung von
gesellschaftlichen Leistungen einsetzen. Dazu gehören
auch die Leistungen, von denen im Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen die Rede ist: Erhalt von Grün-
land-Landschaften, von Traditionen und bäuerlicher
Kultur. Unser Prinzip heißt allerdings: öffentliches Geld
für öffentliche Leistung. Das ist unser Ziel. Ein Zurück
in die Marktregulierung wird es mit der SPD nicht
geben.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802627900

Kollege Spiering, das war Ihre erste Rede im Deut-

schen Bundestag. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg für
Ihre Arbeit.


(Beifall)


Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Artur Auernhammer das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Artur Auernhammer (CSU):
Rede ID: ID1802628000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wenn im Deutschen Bundestag von der bäuerli-
chen Milchviehhaltung die Rede ist und von fünf Red-
nern drei Milcherzeuger sind, dann freut mich das.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn in der Bundesregierung dann auch noch jemand
sitzt, der selbst Milchviehhalter ist, dann freut mich das
noch mehr. Aber wenn ich mir den Antrag der Grünen
anschaue, dann vergeht mir die Freude.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Man will wieder das Klischee von der glücklichen
Kuh auf der grünen Wiese aufzeigen, wahrscheinlich in
Lila, um dem Verbraucher zu suggerieren: Das ist das
Idealbild einer Kuh.

(B)






Artur Auernhammer


(A) (C)



(D)(B)


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Möglichst lila angestrichen! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen in Bayern sind die lila, oder was?)


– Meine Kühe sind schwarz-weiß und braun gefärbt.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Braun hätte ich in Bayern schon empfohlen!)


– Nein, Herr Kollege Ebner, Sie kennen sich anschei-
nend nicht mit den bayrischen Milchviehrassen aus! In
meinem Bestand habe ich eine vom Aussterben bedrohte
fränkische Milchrasse: das fränkische Gelbvieh. Ich bin
froh, diese zu halten. Aber damit der Milchtank auch
voll wird, nimmt man schwarz-weiße Holsteiner dazu.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, das sind die schwarz-weißen!)


Wenn Sie hier das Klischee aufzeigen wollen, dass
Kühe nur glücklich sind, wenn sie auf der grünen Wiese
gehalten werden, dann muss ich Ihnen sagen: Ich
komme aus Franken. Wenn es nach Ihren Vorstellungen
ginge und alle Milchviehhalter im Dorf ihre Kühe auf
die Weide stellen müssten – wir haben im Dorf im
Schnitt pro Betrieb 30 bis 40 Kühe –, dann müssten alle
Betriebe dichtmachen, weil aufgrund der strukturellen
Bedingungen keiner von uns in der Lage ist, seine Kühe
auf die Weide zu bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In den engen fränkischen Dörfern geht das einfach nicht.
Das geht vielleicht in Ihrer Wunschvorstellung.

Wie unterstützen wir die deutsche Milchviehhaltung?
Es kann nicht sein, dass wir in Größenordnungen den-
ken, die vielleicht die Kollegin Tackmann noch von frü-
her kennt. Als ich nach der Wende in den Osten gefahren
bin, haben mir die Kühe in diesen Stallanlagen leidgetan.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich war froh, dass wir in Bayern bessere Anlagen hatten
und unsere Tiere besser halten konnten. Ich weiß, es hat
sich viel getan, es hat sich viel entwickelt. Größen-
wachstum allein kann aber kein Gradmesser sein. In der
Politik muss die Vernunft einkehren: Das, was man ma-
chen kann, soll man machen, und das, was man nicht
mehr machen kann, soll man nicht mehr machen.

Wir wissen genau, dass in nicht einmal einem Jahr die
Milchquotenregelung ausläuft. Ob die Milchquotenrege-
lung für den Einzelbetrieb erfolgreich war, muss jeder
selbst entscheiden. Ich weiß, was ich in meinem Leben
für den Erwerb von Milchquoten ausgegeben habe.
Wenn ich das Geld hätte, wäre das anzeigepflichtig beim
Deutschen Bundestag.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb ist es wichtig, dass wir vor Auslaufen der
Milchquote Maßnahmen einleiten, um unsere Milch-
erzeuger zu entlasten. Ich möchte hier nur die drohende
Abgabe nennen und die Notwendigkeit, den Fettkorrek-
turfaktor endlich abzuschaffen.
Wenn wir in die Zukunft blicken, dann müssen wir
das optimistisch und positiv tun und dürfen keine
Schwarzmalerei hinsichtlich der Milchmärkte betreiben,
wie es die Grünen hier machen. Die größten Kosten-
faktoren in der Milchviehhaltung sind nicht die Boden-
kosten. Bei mir zum Beispiel sind es infolge der eklatan-
ten Wettbewerbsverzerrung, die in den letzten Jahren
durch die Energie- und Lebensmittelproduktion entstan-
den ist, die Flächenkosten. Wer als Milchviehhalter an
andere Betriebe Fläche verliert, kann diese nicht mehr
zurückpachten, weil einfach zu wenig Kapitel dafür
vorhanden ist. Deshalb müssen wir durch eine gezielte
Förderung unsere Milchviehhalter stärken. Wir können
Programme auflegen. Wir haben die Möglichkeit dazu.
Der Freistaat Bayern nutzt diese Möglichkeit intensiv.
Ich würde mich freuen, wenn auch die anderen Bundes-
länder – ich denke gerade an die Bundesländer, in denen
Parteien regieren, die hier in der Opposition vertreten
sind – das in dem Umfang machen würden wie Bayern.

Um die Zukunft der deutschen Milchviehhaltung ist
mir nicht bange. Deutsche und auch bayerische Milch-
produkte – Sie erlauben mir diesen Nebensatz – haben in
der Welt ein hohes Ansehen und werden stark nachge-
fragt. Die guten Chancen zum Export in die ganze Welt
wurden schon erwähnt. Wir sollten die Chancen nutzen.
Wir sollten unsere Milchviehhalter mit guten sachlichen
Argumenten stärken und nicht mit den Ideologievorstel-
lungen argumentieren, die leider Gottes bei den Grünen
noch immer vorherrschen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802628100

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/976 an den Ausschuss für Ernährung und
Landwirtschaft vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG
neu und verantwortungsvoll besetzen

Drucksache 18/592
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Ich bitte die notwendigen Umgruppierungen in den
Fraktionen so vorzunehmen, dass wir die nötige Aufmerk-
samkeit für die folgende Debatte herstellen können. –


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Wann geht es weiter?)


– Es geht weiter, wenn die CDU/CSU-Fraktion und die
SPD-Fraktion die notwendigen Umgruppierungen vor-
genommen und gegebenenfalls notwendige Gespräche
an den Rand des Plenums verlagert haben.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Sabine Leidig für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802628200

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Auf dem Nachrichtenportal Die Weltpresse konnte man
am 27. März dieses Jahres lesen – ich zitiere –:

Nach Limburg-Aus
Tebartz-van Elst wechselt zum Bahnvorstand

Ja, da schauen Sie, was?


(Zuruf von der CDU/CSU: Ist ja lustig!)


Das ist natürlich Satire. Aber es war keine Satire, als drei
Monate zuvor die Meldung durch die Presse ging, dass
der ehemalige Kanzleramtsminister Pofalla in den Vor-
stand der Deutschen Bahn AG wechselt.


(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Gute Entscheidung! Guter Mann!)


Offenbar geht dieses Vorhaben auf eine Absprache
zurück, die die Kanzlerin höchstpersönlich mit dem
Bahnvorstandsvorsitzenden Herrn Grube und dem Auf-
sichtsratsvorsitzenden Utz-Hellmuth Felcht getroffen
hat. Warum? Nicht etwa deshalb, weil Herr Pofalla ein
profunder Bahnkenner ist,


(Zuruf von der CDU/CSU: Wissen Sie doch gar nicht!)


sondern weil er offenbar für seinen Einsatz belohnt wer-
den sollte, der dazu führte, dass der Bahnaufsichtsrat das
Projekt „Stuttgart 21“ fortsetzte, obwohl dessen Unwirt-
schaftlichkeit nachgewiesen war.


(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das ist Ihre Meinung! – Zuruf der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Mit diesem Fakt stellt sich erneut die Frage – sie steht
sozusagen im Rampenlicht der Öffentlichkeit –, wer da
eigentlich in wessen Interesse Einfluss auf die Bahnpoli-
tik nimmt. Denn es ist ja keineswegs so, wie immer be-
hauptet wird, dass die Bahn quasi ein eigenmächtiger
und eigenständiger Konzern ist, auf den die Bundespoli-
tik überhaupt keinen Einfluss nehmen kann. Im Fall
Pofalla ist dies offensichtlich geworden. Selbstverständ-
lich gibt es auch andere Wege. Insbesondere ist es der
Bund, der den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG be-
setzt, zumindest den Teil, der die Aktionäre vertritt. Die
Aktionäre sind, so könnte man sagen, zu 100 Prozent die
Bundesbürgerinnen und Bundesbürger.
Die Neubesetzung dieses Aufsichtsrates steht zwar
erst in einem Jahr an, aber wenn man ein solches
Gremium neu und anders besetzen möchte – genau das
schlagen wir mit unserem Antrag der Fraktion Die Linke
vor –, dann ist ein Jahr keine lange Zeit. Wir sind der
Überzeugung, dass die Bundesregierung andere Persön-
lichkeiten in diesen Aufsichtsrat setzen muss, Persön-
lichkeiten, die wirklich das Interesse einer guten Bahn
für alle in den Mittelpunkt stellen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Erstens sind wir der Überzeugung, dass es an der Zeit
ist, endlich Frauen in diesem Aufsichtsrat zu sehen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Vom Bund aus müsste zumindest die Hälfte der Plätze
mit Frauen besetzt werden. Denn immerhin nutzen
überwiegend Frauen die Bahn; zumindest im Nahver-
kehr bilden sie die Mehrheit der Bahnnutzerinnen und
Bahnnutzer.

Zweitens wollen wir, dass über die Vorschlagsliste für
die Besetzung des Aufsichtsrates in der Öffentlichkeit dis-
kutiert wird und sie letztlich vom Parlament beschlossen


(Beifall bei der LINKEN)


und nicht hinter verschlossenen Türen ohne Einfluss
ausgemauschelt wird.

Drittens – das ist der wichtigste Punkt – sind wir der
Meinung, dass andere Interessen dort eine Rolle spielen
sollen.

Es gibt fünf Personen, die wir auf keinen Fall im
neuen Aufsichtsrat sehen wollen. Diese Personen sind
jetzt im Aufsichtsrat.


(Lachen bei der CDU/CSU)


Ich möchte sie Ihnen kurz vorstellen. Vielleicht vergeht
Ihnen dann das Lachen.


(Beifall bei der LINKEN)


Vielleicht haben Sie auch unseren Antrag gelesen und
wissen, um wen es sich handelt. Der Aufsichtsratsvorsit-
zende Utz-Hellmuth Felcht zeichnet sich nicht dadurch
aus, dass er mit Bahnunternehmen viel Erfahrung hat,
sondern er ist Managing Director eines großen Private-
Equity-Fonds. Warum ist er Aufsichtsratsvorsitzender
geworden? Der ehemalige Bundesverkehrsminister
Ramsauer hat diese Entscheidung 2010 damit begründet,
dass er ein exzellenter Kenner des Börsengeschehens
sei, was im Hinblick auf den nach wie vor politisch ge-
wünschten Börsengang der Deutschen Bahn AG wichtig
sei.


(Sören Bartol [SPD]: Ach, das hat doch so einen Bart!)


Ich bitte Sie: Der Börsengang der Deutschen Bahn AG
ist, so sagt es jedenfalls die Große Koalition,





Sabine Leidig


(A) (C)



(D)(B)


(Sören Bartol [SPD]: Nein, das sagt die Große Koalition nicht!)


kein Thema mehr, ist abgesagt.


(Sören Bartol [SPD]: Ja, genau!)


Ich bin der Meinung, wir brauchen einen Aufsichtsrats-
vorsitzenden, der sich dadurch qualifiziert, dass er ein
großes öffentliches Unternehmen gedeihlich entwickeln
kann.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802628300

Kollegin Leidig, die letzten vier Namen müssen Sie

bitte in Ihren letzten Satz fassen und zum Ende kommen.


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802628400

Die letzten vier Namen können Sie in unserem Antrag

nachlesen.


(Heiterkeit)


Wir haben Christoph Dänzer-Vanotti, der für Eon steht;
wir brauchen aber Leute, die für regenerative Energien
stehen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Die Bahn braucht aber auch Strom!)


Wir haben den Milliardär Heinrich Weiss, der Bombar-
dier vorsteht.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802628500

Kollegin Leidig, ich meine das ausgesprochen ernst.

Setzen Sie einen Punkt!


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802628600

Außerdem haben wir einen Klimaleugner, den wir

durch jemanden ersetzen müssen, der den Klimaschutz
ernst nimmt. Schließlich brauchen wir auch keinen
Stahlbaron wie Herrn Großmann,


(Sören Bartol [SPD]: So, Frau Leidig, das war der letzte Satz! Jetzt ist aber Schluss!)


sondern wir brauchen Leute, die Umweltschutz, Ver-
braucherinteressen und das Allgemeinwohl für die Deut-
sche Bahn vertreten.


(Beifall bei der LINKEN – Sören Bartol [SPD]: Schluss! Aus! Sie können doch nicht einfach über diese Leute so reden! Das ist doch unglaublich!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802628700

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege

Alexander Funk das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Alexander Funk (CDU):
Rede ID: ID1802628800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Ich wollte ja schon immer einmal im Bundestag
zu einer so späten Stunde sprechen. Das ist allerdings die
einzige Freude, die Sie mir mit diesem Antrag bereitet
haben.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das war nicht unsere Intention!)


Ansonsten bin ich mir noch nicht sicher, über was ich
mich mehr wundern soll: über die Widersprüchlichkeit
in Ihrem Antrag, über die Wahrnehmungsstörung oder
über die Unverschämtheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zum Widerspruch. Gleich zu Beginn Ihres Antrags
wollen Sie, dass der Bundestag feststellt, die Aktienge-
sellschaft sei nicht die geeignete Form, um die Bahn zu
führen, um dann später die Bundesregierung aufzufor-
dern, genau das zu überprüfen. Schon allein aufgrund
dieses Widerspruchs werden wir diesen Antrag ableh-
nen, weil das auch das Parlamentsverständnis betrifft.
Denn wenn der Bundestag etwas feststellt, egal was das
sein möge, dann fordert er nicht anschließend die Bun-
desregierung auf, diese Feststellung zu überprüfen. Aber
ich gehe einmal davon aus, das war nur ein Versehen Ih-
rerseits. Ich empfehle Ihnen an dieser Stelle, Ihren Zet-
telkasten neu zu sortieren.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Haben Sie den Antrag gelesen? Es gibt ja zwei verschiedene Optionen! – Dagmar Ziegler [SPD]: Wo er recht hat, hat er recht!)


Zur Wahrnehmungsstörung. Sie zeichnen ja ein ver-
heerendes Bild der Bahn im Jahr 2014. Aber zu einer
Analyse gehört natürlich zunächst einmal, dass man die
Ausgangslage betrachtet – 20 Jahre Bahnreform – und
sich fragt: Wie sah die Situation vor 20 Jahren aus? Bun-
desbahn und Reichsbahn waren hochdefizitär.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pleite!)


34 Milliarden Euro Schulden wurden angehäuft.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sind wir auch schon wieder bei über 20!)


Die Investitionen gingen zurück. Dafür übertrafen die
Personalaufwendungen die Umsatzerlöse um 50 Pro-
zent. Der Service war verheerend, was schon allein da-
ran zu sehen war, dass die Fahrgäste als Beförderungs-
fälle bezeichnet wurden;


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


heute sind sie Kunden. Von 1950 bis 1994 ist der Anteil
der Bahn am Personenverkehr von 36 Prozent auf 6 Pro-
zent zurückgegangen. – Das war die Ausgangslage im
Jahr 1994.






(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802628900

Kollege Funk, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-

kung der Kollegin Leidig?


(Sören Bartol [SPD]: Oh ja, unbedingt! – Zurufe von der CDU/CSU: Das gibt es doch gar nicht! – Auch das noch!)



Alexander Funk (CDU):
Rede ID: ID1802629000

Ja, gerne.


(Sören Bartol [SPD]: Das kann nur schlecht werden!)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802629100

Selbst auf die Gefahr hin, dass Sie Ihren Feierabend

noch um fünf Minuten verschieben müssen,


(Dagmar Ziegler [SPD]: Nein, das ist nicht das Problem! – Zuruf von der CDU/CSU: Für gute Wortbeiträge gerne!)


möchte ich doch die Frage stellen, ob Sie sich bewusst
sind, dass die Ziele, die vor 20 Jahren formuliert worden
sind, lauteten, erstens die Preise für den Bahnverkehr zu
senken, zweitens den Anteil der Bahn am Modal Split zu
erhöhen und drittens den Service, die Pünktlichkeit und
ähnliche Dinge zu verbessern. Faktisch – das möchte ich
einfach nur sagen – haben wir keinen steigenden Anteil
am Modal Split. Wir haben Fahrpreiserhöhungen, die
doppelt so hoch sind wie die Inflationsrate. Wir haben
einen Abbau von 4 500 Kilometern Bahnstrecken, was
nicht unbedingt für mehr Service steht.


Alexander Funk (CDU):
Rede ID: ID1802629200

Grundziel der Bahnreform war, mehr Verkehr auf die

Schiene zu bekommen. Das ist nachweislich gelungen.
Auch der Service ist deutlich verbessert. Die Investitio-
nen sind deutlich gesteigert worden. Heute haben wir ein
Bahnunternehmen, das jährlich einen Gewinn abwirft.

Ich bestreite überhaupt nicht, dass es nach wie vor
verärgerte Bahnkunden gibt. Bahnkunden ärgern sich
natürlich darüber, wenn ein Zug ausfällt, wenn es zu
Verspätungen kommt. So etwas ist angesichts von
25 000 Zugfahrten täglich und 5,6 Millionen Fahrgästen
täglich aber eigentlich auch nicht sonderlich verwunder-
lich. Das wird es immer wieder geben.

Daraus die Konsequenz zu ziehen, das Rad wieder zu-
rückzudrehen, halten wir für falsch. Wir wollen die
Bahnreform weiterentwickeln,


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


um an dem Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene zu be-
kommen, festzuhalten, um den Service weiter zu verbes-
sern. Wir wollen das erreichen, indem wir noch mehr
Wettbewerb im Bereich Schiene schaffen. Dazu hat die
Monopolkommission einige Vorschläge auf den Tisch
gelegt; darüber werden wir in den nächsten Monaten si-
cherlich noch diskutieren. Jedenfalls wollen wir nicht
zurück zu einem Staatskonzern, der politisch dominiert
wird.

Damit bin ich beim dritten Punkt, nämlich bei der Un-
verschämtheit in Ihrem Antrag.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Welcher?)


Die Art und Weise, wie Sie hier einen Aufsichtsrat dis-
kreditieren und versuchen, indirekt ein solches Licht da-
rauf zu werfen, als würden die dort ihre eigenen Interes-
sen verfolgen,


(Zuruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])


das ist eine Unverschämtheit; anders kann man das nicht
bezeichnen. Das weisen wir ausdrücklich zurück.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Es ist richtig in der Demokratie, das Licht darauf zu werfen! Das ist unsere Aufgabe!)


Wir jedenfalls sind froh, dass es diesen Aufsichtsrat
in dieser Zusammensetzung gibt – mit den Arbeitneh-
mervertretern, mit den Vertretern der Politik, die natür-
lich auch die politischen Interessen verfolgen müssen,
und mit gestandenen Managern, die Erfahrung mit dem
Bahngeschäft haben


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Die haben Erfahrung mit dem Flugzeuggeschäft, mit dem Bankgeschäft, dem Stromund dem Stahlgeschäft!)


und dazu beigetragen haben, dass die Bahn heute so gut
dasteht, dass sie ein erfolgreiches wirtschaftliches Unter-
nehmen ist. Wir danken diesem Aufsichtsrat ausdrück-
lich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Alles das sind Gründe dafür, dass wir Ihren Antrag
ablehnen werden.

Ansonsten darf ich jedem für später noch eine ange-
nehme Nachtruhe wünschen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Schlafen Sie weiter gut!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802629300

Der Kollege Matthias Gastel hat für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802629400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Dem Antrag der Linken sei Dank: Das Ple-
num diskutiert über Bahnpolitik, und es ist auch notwen-
dig und gut so, dass wir das heute machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und das sogar noch vor Mitternacht!)






Matthias Gastel


(A) (C)



(D)(B)

Seit Jahren singen DB-Vorstand, Union, SPD und
Teile der Gewerkschaften das immer gleiche Lied. Der
Refrain lautet: Die Deutsche Bahn ist gut und wird im-
mer besser. – Mit Selbstzufriedenheit aber, meine Da-
men und Herren, wird nichts besser. Notwendig ist, die
Bahnreform ehrlich zu bilanzieren, Defizite klar heraus-
zustellen und systematisch zu beheben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die Bilanz der Bahnreform ist durchwachsen. Weder
die Entwicklung der Fahrgastzahlen noch der Güterbe-
reich geben Anlass zur Zufriedenheit. Vor allem leidet
das System Schiene an den Folgen der Börsengangstra-
tegie: Strecken wurden stillgelegt; in manchen Berei-
chen wurde übertrieben viel Personal abgebaut. Mainz
lässt grüßen!

Wir fragen vor allem: Wieso diese internationale Aus-
richtung der Deutschen Bahn? DB Schenker ist der
größte Spediteur auf dem europäischen Markt. Was pas-
siert eigentlich, wenn die Bilanzen weiter abrutschen
und der Bund Steuergeld reinbuttern muss?

Äußerst problematisch ist auch, dass Gewinne aus der
Netzsparte der DB in den Bundeshaushalt abgezogen
werden – anstatt direkt ins Netz zurückinvestiert zu wer-
den. Der Netzzustand verschlechtert sich mehr und
mehr. Der Bund als Eigentümer und der Aufsichtsrat ha-
ben hier ganz offensichtlich versagt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Fakt ist: Von diesen Geschäften war bei der Bahnre-
form nicht die Rede, und davon steht auch nichts im
Grundgesetz. Was hat von diesen Geschäften der Fahr-
gast? Der Fahrgast erwartet Angebote in der Fläche,
pünktliche Züge, verlässliche Reiseketten, attraktive
Umsteigeangebote und funktionierende Internetverbin-
dungen in den Zügen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir müssen dringend einmal ausführlich darüber re-
den, wie umgegangen wird mit den kaum rentablen In-
vestitionen und unsinnigen Prestigeprojekten. Wir müs-
sen reden über die hohe Schuldenaufnahme der DB, die
ja noch steigen soll, wie wir seit der Pressekonferenz der
DB in der letzten Woche wissen. Wir müssen reden über
die wirklichen Bedürfnisse der Fahrgäste und über die
eigentlichen Aufgaben der Deutschen Bahn.

Wir sind der Meinung, Netz und Transport müssen
getrennt werden.


(Beifall der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Infrastruktur muss wieder in das unmittelbare Eigen-
tum des Bundes überführt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Da sind wir uns mit der Monopolkommission einig. Al-
les andere behindert einen fairen Wettbewerb auf der
Schiene und damit auch die notwendigen Innovationen.
Wir begrüßen die Ankündigung der Bundesregierung für
ein neues Eisenbahnregulierungsgesetz. Hier muss jetzt
Tempo rein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die GroKo will das Steuerungskonzept für die
DB AG überarbeiten. Darauf sind wir sehr gespannt.


(Sören Bartol [SPD]: Das ist ein guter Satz!)


Seit der Bahnreform fehlt nämlich ein schlüssiges Steue-
rungsinstrument. Die Bundesregierung greift nach Belie-
ben ein, mal zum Nachteil des Systems Schiene, wie bei
Stuttgart 21, und mal unterlässt sie das Eingreifen, wie
bei fragwürdigen Auslandsgeschäften. Nur eines gibt es
nicht: Transparenz.

Hier stimmen wir mit dem Antrag der Linken über-
ein: In den Aufsichtsrat gehören auch Vertreterinnen und
Vertreter von Fahrgast-, Umwelt- und Verbraucherinte-
ressen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir brauchen dort Leute, die nicht nur auf die Gewinne
schauen. Wir brauchen dort Leute, die dafür brennen,
das System Schiene zu stärken. Die DB AG hat sich, un-
terstützt durch die Politik, endlich auf ihr Kerngeschäft
zu konzentrieren: die Gewährleistung einer zuverlässi-
gen, ressourcenschonenden und klimafreundlichen Mo-
bilität auf der Schiene.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802629500

Kollege Gastel, das war Ihre erste Rede im Deutschen

Bundestag. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihre wei-
tere Arbeit.


(Beifall)


Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Martin
Burkert das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Martin Burkert (SPD):
Rede ID: ID1802629600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir wissen, Rituale sind wichtig. Man denke etwa an die
Förderung des Familienzusammenhalts zu Hause durch
das gemeinsame Abendessen. Unsere Rituale in diesem
Hause sind genauso wichtig; sie stärken das Zusammen-
gehörigkeitsgefühl der Parlamentarier. Ich denke an die
Feierstunden und Ähnliches. Vielleicht sollten wir so
manche Anträge einfach als freundliches Zeichen der
Fraktionen sehen, durch die unser Wirgefühl gestärkt
wird.

Alle Jahre wieder, Frau Leidig, reden wir über den
Bahnaufsichtsrat.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist eben nötig!)






Martin Burkert


(A) (C)



(D)(B)

Zu Beginn einer Legislaturperiode geschieht dies meist
sehr ausführlich. Regelmäßig wird von Ihnen bemängelt,
dass die Mitglieder im Aufsichtsrat, eigentlich beruflich
erfolgreiche Personen, Interessenskonflikten unterlie-
gen, dass sie für diese Aufgabe nicht geeignet sind.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Richtig!)


Ich sage Ihnen ganz deutlich: Sie lehnen in Ihrem Antrag
sogar Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter im Auf-
sichtsrat ab. Ich sage Ihnen: Wir, die SPD, stehen zur be-
trieblichen Mitbestimmung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das steht da gar nicht! Das entscheiden wir gar nicht!)


So einfach ist das in unserem Land. Wir halten die Pari-
tät in den Aufsichtsräten für eine wichtige und gute Er-
rungenschaft und befürworten es, wenn Arbeitnehmer-
vertretungen auch Beschäftigte des betroffenen
Konzerns in die Aufsichtsräte berufen.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das befürworten wir auch! Das ist eine völlige Verkennung unseres Antrags!)


Ja, wir wollen, dass die Mitglieder in diesen Auf-
sichtsräten wirtschaftliche Kompetenz mitbringen. Au-
ßerdem wollen wir, dass in den Aufsichtsräten, also auch
im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG, zukünftig, ab
2016, mindestens 30 Prozent Frauen sitzen. Herzlichen
Dank, Manuela Schwesig.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Florian Oßner [CDU/CSU] – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Da sind wir mal gespannt!)


Das sage ich in aller Deutlichkeit. Wir wollen auch, dass
in den Aufsichtsräten Menschen sitzen, die über geeig-
netes Fachwissen verfügen, zum Beispiel aufgrund ihrer
beruflichen Tätigkeiten. Wer ist denn Ihrer Ansicht nach
geeignet, aber ohne Interessenkonflikt? Ich sage Ihnen:
Diesen Interessenkonflikt könnte man an jeder Person
aufzeigen.

Aber ich sage auch: Es ist richtig, dass auch Parla-
mentarier im Aufsichtsrat sitzen. – Ich sage sogar: Das
sollte Normalität sein. – Die Arbeitnehmer wählen ihre
Aufsichtsräte in Urwahl; dagegen ist sicherlich über-
haupt nichts zu sagen.

Sie kritisieren 20 Jahre Bahnreform, eine Entschei-
dung, die vor 20 Jahren getroffen wurde. Wir feiern die-
ses Jahr das 20-jährige Jubiläum in unterschiedlichen
Veranstaltungen. Wir Sozialdemokraten sagen: Unter
dem Strich ist die Bahnreform ein großer Erfolg in
Deutschland und hat uns in ganz Europa ein Stück nach
vorne gebracht. Die Zuwachsraten sprechen eine deutli-
che Sprache: Steigerung im Regionalverkehr um 73 Pro-
zent, und selbst der Güterverkehr folgt mit knapp
71 Prozent.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Nur noch die Hälfte der Beschäftigten!)

Deswegen sagen wir: Mit der Bahnreform konnte der
Trend zur stetigen Abnahme der Bedeutung des Schie-
nenverkehrs im Vergleich zum Straßenverkehr zumin-
dest gestoppt werden.

Nicht alles stellt uns zufrieden – das will ich auch sa-
gen –; aber das hängt nicht mit der Zusammensetzung
des Aufsichtsrates der Deutschen Bahn AG zusammen.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wer weiß!)


Zu einer fairen Betrachtung gehört auch die Erörte-
rung kritischer Punkte – auch das will ich nicht ausspa-
ren –: Wir haben technische Probleme erlebt, insbeson-
dere beim ICE; hier bedarf es einer Nachsteuerung. Der
ständige Aufschub beim Ausliefern neuer ICE durch die
Fahrzeughersteller und auch die langwierigen Zulas-
sungsverfahren erleichtern der Deutschen Bahn nicht die
Arbeit. Beim Thema Zulassung haben wir uns im Koali-
tionsvertrag verständigt, dass wir noch in dieser Legisla-
tur nachhaltig tätig werden; auch das sage ich in aller
Deutlichkeit.


(Beifall bei der SPD)


Die Situation beim Eisenbahn-Bundesamt beschäftigt
uns nicht erst seit diesen Tagen. Sie ist weder für die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch für die Kunden
zufriedenstellend. Herr Staatssekretär Ferlemann, ich
gehe davon aus, dass mit diesem Haushalt endlich auch
eine Personalsteigerung für das Eisenbahn-Bundesamt
kommt; dafür ist es höchste Zeit. Ich bitte alle, da bei
den Haushaltsberatungen mitzuhelfen.

Wir erleben, dass trotz der Hindernisse, die es gibt
– ob von der DB AG selber verschuldet, vom Wettergott
oder von Graffitisprayern –, die Qualität in den Zügen
und beim Zugbegleitpersonal insgesamt beachtlich zuge-
nommen hat: Die Züge sind in der Regel sauber und
komfortabel, in der Regel fühlt man sich auch wohl. Das
ist vor allem das Verdienst der Beschäftigten dieses Un-
ternehmens. Auch hierfür muss man herzlichen Dank sa-
gen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen nach wie vor, dass immer mehr Menschen
vom Auto auf die Schiene umsteigen und dass auch der
Güterverkehr auf der Schiene zunimmt. Voraussetzungen
dafür sind erstens eine leistungsfähige und anwohner-
freundliche Schieneninfrastruktur, zweitens faire Wett-
bewerbsbedingungen gegenüber Konkurrenten auf der
Schiene und drittens faire Wettbewerbsbedingungen ge-
genüber den anderen Verkehrsträgern wie Straßenver-
kehr, Wasserstraßenverkehr und Luftverkehr.

Wir werden die Leistungs- und Finanzierungsverein-
barung mit neuen und genaueren Kennzahlen weiterent-
wickeln, mehr Geld in die Schieneninfrastruktur stecken
und vor allem beim barrierefreien Ausbau und beim
Lärmschutz in dieser Legislatur vorankommen. Ich bin
überzeugt, wir schaffen dies in der Großen Koalition.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies alles sind
wichtige Aspekte und dringende Probleme, die wir im
Bereich der Schiene lösen müssen. Hierüber machen wir





Martin Burkert


(A) (C)



(D)(B)

uns Gedanken, und hierzu haben wir im Koalitionsver-
trag vieles festgeschrieben. All diese Themen aber wer-
den nicht durch die Zusammensetzung des Bahn-Auf-
sichtsrats verursacht und würden auch nicht durch seine
Abschaffung gelöst. Darum: Lassen Sie uns gemeinsam
an die Arbeit gehen, um die Bahn in Deutschland zu-
kunftssicher aufzustellen – für die Kunden, für die Be-
schäftigten und nicht zuletzt für unsere Umwelt. Dieser
Aufruf ist durchaus als Appell, Frau Kollegin Leidig, an
das Wirgefühl aller Parlamentarier gedacht. Lassen Sie
uns daran arbeiten! Mir ist nicht bange um eine gute Zu-
kunft der Deutschen Bahn AG und der Schieneninfra-
struktur.

Ich wünsche einen schönen Abend.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802629700

Der Kollege Michael Donth hat für die CDU/CSU-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Donth (CDU):
Rede ID: ID1802629800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor 225 Jahren
kam in Reutlingen ein Mann zur Welt, der als Pionier
des Eisenbahnwesens in Deutschland gilt und es voran-
gebracht hat.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Den hätte man in den Aufsichtsrat tun sollen!)


Ich spreche von meinem schwäbischen Landsmann
Friedrich List.

Ich bin überzeugt: Er wäre stolz darauf, was aus sei-
ner Idee geworden ist. Er vertrat das Konzept, dass
Schienenwege die Voraussetzung für wirtschaftlichen
Wohlstand sind. Seine Idee ist Wirklichkeit geworden
und hat auch heute noch ihre Berechtigung.

Damit die Eisenbahn aber dauerhaft als Grundlage
des wirtschaftlichen Wohlstands funktioniert, muss sie
sich der Zeit anpassen. Dazu diente auch die große
Bahnreform vor 20 Jahren, die nach Ansicht der Linken
allerdings ein Misserfolg war.

20 Jahre Bahnreform: Manche mögen da eine weni-
ger positive Bilanz ziehen als ich. Eines ist aber klar: Die
Deutsche Bahn steht heute deutlich besser da als vor
20 Jahren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das sieht im Übrigen auch der Vorsitzende der Eisen-
bahn- und Verkehrsgewerkschaft Alexander Kirchner so.


(Martin Burkert [SPD]: Guter Mann!)


Die Ziele der Reform sind weitgehend erreicht, auch
wenn man noch nicht am Ende der Entwicklung ange-
kommen ist. Die bisherige positive Entwicklung ist
keine leere Behauptung, sondern in Zahlen greifbar. Da-
für nur zwei Belege: Im Personenverkehr ist die Ver-
kehrsleistung auf der Schiene um 36 Prozent gewachsen,
und auch der Anteil der Eisenbahn am Personenver-
kehrsmarkt ist angestiegen. Selbst im Güterbereich, in
dem es einen steigenden Konkurrenzdruck gibt, konnte
die Bahn ihren Marktanteil vergrößern.

Die Linke behauptet nun in ihrem Antrag, die Unter-
nehmensreform, die Bildung einer Aktiengesellschaft,
habe sich für die Deutsche Bahn als ungeeignet erwie-
sen. Ich sage: Genau das Gegenteil ist der Fall.

Die Umwandlung der Deutschen Bundesbahn und der
Deutschen Reichsbahn in eine einheitliche Aktiengesell-
schaft mit unternehmerischer Ausrichtung hat die Wei-
chen hin zu mehr Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit
und auch zu mehr Produktivität gestellt. Gerade dank der
Rechtsform, als AG, war es möglich, das Eisenbahnsys-
tem in Deutschland nach der deutschen Einheit zusam-
menzubringen und auf einer soliden finanziellen Basis
erfolgreich in die Zukunft zu führen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD])


Mit einer Anstalt des öffentlichen Rechts, mit der die
Linke in ihrem Antrag liebäugelt, könnten diese Ziele
nicht in dem Umfang erreicht werden; denn eine solche
Anstalt steht mit anderen Unternehmen im Wettbewerb
nicht auf derselben marktwirtschaftlichen Stufe, was
systembedingt wieder zu Wettbewerbsverzerrungen füh-
ren würde.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die GmbH! – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Aber die Bahn ist ein öffentliches Gut!)


Es ist gut, dass sich die Deutsche Bahn im Wettbe-
werb mit anderen Unternehmen behaupten muss und
auch behauptet. Wettbewerb fördert Qualität, Wirtschaft-
lichkeit und Vielfalt.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das kommt darauf an!)


Daher ist es ein gutes Zeichen, dass es in Deutschland im
Vergleich zu anderen Ländern Europas relativ viele Ei-
senbahnunternehmen gibt; denn nur ein Unternehmen,
das mit Konkurrenz zu tun hat, wird zu Höchstleistungen
angespornt.

Deshalb ist es richtig und gut, dass sich die Deutsche
Bahn die Expertise in ihr Führungspersonal holt, die sie
braucht, um im Wettbewerb zu bestehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dazu gehören auch, wie in anderen Konzernen ebenfalls
üblich, Persönlichkeiten, die Erfahrungen in verbunde-
nen Unternehmen oder in Konkurrenzunternehmen ge-
macht haben. Es ist eine böswillige Unterstellung – das
wurde schon angesprochen – und falsch, diesen Perso-
nen vorzuhalten, dass sie sich nicht für eine Stärkung des
Schienenverkehrs engagieren würden.

Im Übrigen ist es unglaubwürdig, dass sich ausge-
rechnet die Linke als Gralshüter der Bahn aufspielt;





Michael Donth


(A) (C)



(D)(B)


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das haben wir immer gemacht!)


denn als im Herbst 2011 mehrere Brandanschläge in und
um Berlin auf die Bahn verübt wurden, die bei der Bahn
Schäden in Millionenhöhe verursacht haben,


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Hä?)


hat sich Ihre damalige und heutige innenpolitische Spre-
cherin Ulla Jelpke mit diesen Attentätern solidarisiert.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist eine böswillige Verleumdung! Lüge!)


Wie soll man einer Fraktion mit einer solchen Grundein-
stellung abnehmen, dass sie sich glaubhaft für das Ge-
meinwohl und die Stärkung des Schienenverkehrs ein-
setzen möchte?


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


– Das steht auf Seite 6 der Frankfurter Rundschau vom
15. Oktober 2011.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Auch die Frankfurter Rundschau kann lügen!)


Wir sind auf jeden Fall für die Bahn und lehnen Ihren
Antrag ab.

Vielen Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802629900

Kollege Donth, das war Ihre erste Rede im Deutschen

Bundestag. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihre wei-
tere Arbeit.


(Beifall)


Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/592 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Katharina
Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Nationales Reformprogramm 2014 nutzen –
Wirtschaftspolitische Steuerung in der EU
ernst nehmen und Investitionen stärken
Drucksache 18/978
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsauschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Katharina Dröge für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Nicht wieder so schnell sprechen!)



Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1802630000

Ich bemühe mich. – Sehr geehrte Frau Präsidentin!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal ist es der
erste kleine Schritt, der viele Dinge bewegen kann. Bei
der Debatte über die makroökonomischen Ungleichge-
wichte kommt mir das gerade so vor.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat noch im letz-
ten Jahr die Meinung vertreten, dass es beim Thema
Leistungsbilanzüberschüsse kein Problem gebe,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist etwas Gutes! Das ist besser als Defizite!)


dass es eigentlich nur eine Debatte derjenigen sei, die
den Deutschen die Exporte nicht gönnen würden. Von
dieser Einschätzung sind Sie mittlerweile, wenigstens
teilweise, abgerückt. Zumindest im Entwurf der Bundes-
regierung für ein nationales Reformprogramm, den Sie
gestern im Wirtschaftsausschuss vorgestellt haben, las-
sen Sie sich auf die Analysen der Europäischen Kom-
mission ein. Das ist gut; denn endlich können wir da-
rüber debattieren, worum es eigentlich geht, nämlich um
die deutsche Binnennachfrage.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist zwar nur ein kleiner Schritt, aber dennoch ein
sehr wichtiger; denn ohne die Problemerkenntnis kämen
wir gar nicht zur Lösung des Problems. Über die Lösung
des Problems müssten Sie eigentlich im Zusammenhang
mit dem Entwurf für ein nationales Reformprogramm re-
den und diskutieren, und über dieses Reformprogramm
möchte ich gerne hier und heute mit Ihnen debattieren.

Da gibt es nur ein Problem: Der Entwurf für ein natio-
nales Reformprogramm liegt nicht vor. Darüber können
wir heute Abend nicht reden. Diesen Entwurf beschlie-
ßen Sie erst nächste Woche im Kabinett, dann, wenn es
keine Sitzungen mehr vor der Osterpause gibt, dann,
wenn wir hier im Bundestag dazu gar nicht mehr Stel-
lung nehmen können. Danach schicken Sie den Entwurf
nach Brüssel. Eine Debatte im Parlament hierüber ist
nicht vorgesehen. Ich finde: Das ist das absolut falsche
Signal zur falschen Zeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schäbig!)


Während zeitgleich die Europäische Zentralbank da-
rüber berät, wie sie verhindern kann, dass der Süden Eu-
ropas in eine Deflationsspirale fällt, haben wir keine
Möglichkeit, hier im Parlament das Verfahren zur koor-
dinierten Wirtschaftspolitik, das ein Teil des Stabilitäts-
mechanismus und auch eine Lösung für diese europäi-
sche Krise sein sollte, zu diskutieren.

Wir haben unseren Antrag gestellt, um hier zumindest
in Teilen eine Debatte zu ermöglichen, um zumindest ei-





Katharina Dröge


(A) (C)



(D)(B)

nige Vorstellungen von Ihnen zu hören, wie Sie die Pro-
bleme lösen wollen, und um Ihnen mit unserem Antrag
vielleicht einige Anregungen dazu zu geben, wie man
ein nationales Reformprogramm ausgestalten könnte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Nein!)


Wir sagen Ihnen: Wir brauchen endlich ein europäi-
sches Investitionsprogramm zur wirtschaftlichen Unter-
stützung der Krisenländer. Wir brauchen endlich verlässli-
che politische Rahmenbedingungen für die Unternehmen
hier in Deutschland, etwa bei der Energiewende, damit
die Investitionsneigung der privaten Unternehmen in
Deutschland wieder steigt. Wir brauchen schneller und
ohne merkwürdige Ausnahmen einen vernünftigen Min-
destlohn zur Steigerung der deutschen Binnennachfrage.
Und: Wir brauchen deutlich stärkere Investitionen der
öffentlichen Hand in unsere Infrastruktur.

Gerade zum letzten Punkt möchte ich Ihnen sagen:
Wenn Sie hier entschlossen handeln, dann tun Sie nicht
nur etwas für die Binnennachfrage, sondern damit eröff-
nen Sie auch Zukunfts- und Wachstumschancen für un-
ser Land. Statt das viele Geld in unnötige Steuerge-
schenke wie ökologisch schädliche Subventionen oder
den ermäßigten Steuersatz für Hotelübernachtungen
oder unsinnige Projekte wie das Betreuungsgeld zu ste-
cken,


(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Nichts Neues!)


können Sie etwas für die Zukunft unseres Landes tun.
Sie könnten mit Investitionen zum Wohle aller in
Deutschland und Europa beitragen. Ich bitte Sie, ganz
ernsthaft darüber nachzudenken, entsprechend zu han-
deln und mit uns unseren Antrag zu beschließen.

Ich danke Ihnen ganz herzlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802630100

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege

Dr. Andreas Lenz das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Andreas Lenz (CSU):
Rede ID: ID1802630200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Titel
des Antrags von Bündnis 90/Die Grünen beginnt mit den
Worten „Nationales Reformprogramm 2014 nutzen“.
Seien Sie sicher: Das machen wir. Wir werden das in al-
ler Ruhe und in aller Sorgfalt machen. Wir haben jetzt
auch beispielsweise, was die Redezeit angeht, mehr Zeit
als Sie. Deshalb verstehe ich, dass Sie so schnell gespro-
chen haben. Ich werde mir dementsprechend ein biss-
chen mehr Zeit lassen.

Wir nutzen das Reformprogramm, um die deutsche
Wirtschaft voranzubringen, und nicht wie Sie, um immer
wieder neue Anträge zu einer alten und längst bekannten
Thematik zu stellen. Sie kritisieren in Ihrem Antrag die
hohen Leistungsbilanzüberschüsse der Bundesrepublik
Deutschland. In der Tat liegt der Leistungsbilanzüber-
schuss mit rund 200 Milliarden Euro bei 7,3 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts. Als Schwellenwert gibt das
Scoreboard des wirtschaftlichen Überwachungsverfah-
rens einen Überschuss von 6 Prozent an. Es gilt festzu-
stellen, dass Deutschland damit lediglich 1,3 Prozent-
punkte über diesem angegebenen Schwellenwert liegt.

Hier muss noch einmal klar betont werden, dass die
Kommission mit Blick auf Deutschland eben gerade
keine zukunfts- und stabilitätsgefährdenden Ungleichge-
wichte festgestellt hat. Es handelt sich laut Kommission
zwar um Ungleichgewichte; sie sind aber nicht als ex-
zessiv zu bezeichnen.

Die deutschen Exportüberschüsse sind Ausdruck der
hohen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen,


(Beifall bei der CDU/CSU)


darunter zahlreiche kleine und mittelständische Unter-
nehmen, die in ihrem Bereich Weltmarktführer sind.
Deutsche Produkte werden nach wie vor auf den Welt-
märkten stark nachgefragt. EU-Wirtschaftskommissar
Olli Rehn meinte treffend, er wünsche sich, dass jedes
EU-Land bei Produktion und Ausfuhren so stark sei wie
Deutschland. Das wünschen wir uns auch.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Übrigen finden 43 Prozent der Wertschöpfung
deutscher Exportprodukte in Form von Vorleistungen im
EU-Ausland statt, und 57 Prozent aller deutschen Im-
porte stammen aus anderen EU-Mitgliedstaaten. Es lässt
sich überdies feststellen, dass der Anteil der deutschen
Exporte in Länder außerhalb der EU zunehmend wächst.
So beträgt der Handelsüberschuss mit Drittländern au-
ßerhalb der EU 140 Milliarden Euro und der Handels-
überschuss mit Euro-Ländern lediglich 1 Milliarde Euro.
Es schadet also auch hier nicht, eine europäische Per-
spektive einzunehmen. Die Euro-Zone für sich genom-
men konnte einen Handelsüberschuss in Höhe von
152 Milliarden Euro erzielen, und das, obwohl der Euro
rund 7 Prozent an Wert zugelegt hat, sich also die Ex-
porte in Relation verteuert haben.

Es gibt übrigens neben der Leistungsbilanz noch an-
dere Indikatoren beim wirtschaftspolitischen Überwa-
chungsverfahren, beispielsweise einen eventuellen
Rückgang des Exportanteils um mehr als 6 Prozent oder
auch die öffentliche Verschuldung sowie die durch-
schnittliche Arbeitslosenquote. Das alles sind Punkte, in
denen Deutschland, wie Sie wissen, sehr gut dasteht.

Definitionsgemäß messen Leistungsbilanzüber-
schüsse jenen Teil der Ersparnisse eines Landes, die
nicht im Inland investiert werden. Nicht nur die Kom-
mission, sondern auch die Bundesregierung weisen auf
die im internationalen Vergleich zu niedrige Investitions-
quote in Deutschland hin. Auch deshalb sieht der Koali-
tionsvertrag erhebliche öffentliche Investitionen vor. Wir
investieren in den nächsten vier Jahren 4 Milliarden
Euro in Forschung, 5 Milliarden Euro in die Verkehrsin-
frastruktur, 5 Milliarden Euro in die Entlastung der





Dr. Andreas Lenz


(A) (C)



(D)(B)

Kommunen und 6 Milliarden Euro in Bildung und Be-
treuung.

Mehr wäre immer schön. Dies alles steht allerdings unter
dem Primat der Fortführung einer wachstumsfreundli-
chen Haushaltskonsolidierung. Wir sollten es eben nicht
den Südländern gleichtun und vor allem kreditfinanziert
konsumieren. Wir stehen zum Ziel, für 2015 einen aus-
geglichenen Haushalt vorzulegen.

Im Übrigen hängt der Leistungsbilanzüberschuss
auch mit der Beteiligung an den fiskalischen Rettungs-
krediten zusammen. Diese sind, wie Sie wissen, momen-
tan notwendig und liegen im europäischen Interesse.

Sie fordern klare politische Ziele und verlässliche
Rahmenbedingungen bei der Energiewende und beim
Breitbandausbau. Auch hier lohnt sich ein Blick in den
Koalitionsvertrag. Der Ausbaukorridor für die erneuer-
baren Energien steht: bis zum Jahr 2025 40 bis 45 Pro-
zent der Stromerzeugung aus regenerativen Energien, bis
zum Jahr 2035 55 bis 60 Prozent. Auf europäischer
Ebene verfolgen wir die Zieltrias von Energieeffizienz,
Ausbau der Erneuerbaren und Treibhausgasreduktion.

Auch die Digitalisierung bietet unzählige Chancen für
Innovationen und Investitionen. Die Digitale Agenda
2014 – 2017 gibt von daher ein richtiges Signal. Beim
Breitbandausbau ist es das Ziel, dass es in Deutschland
bis 2018 eine flächendeckende Grundversorgung mit
mindestens 50 Megabit pro Sekunde gibt. Außerdem
werden wir mehr Investitionssicherheit für Netzbetreiber
im ländlichen Raum schaffen.

Nun ist es so, dass von den jährlichen Investitionen in
Deutschland in Höhe von circa 460 Milliarden Euro nur
rund 9 Prozent auf den öffentlichen Sektor entfallen.
Über 90 Prozent der Investitionen werden vom privaten
Sektor geleistet. Es gilt also vor allem, ein investitions-
freundliches Klima in Deutschland zu schaffen bzw.
weiterhin zu bewahren. Das machen wir beispielsweise
auch dadurch, dass wir die Steuern für die Unternehmen
nicht erhöht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich spielt die Nachfrageseite eine wichtige
Rolle. Anders als Sie in Ihrem Antrag formulieren, sehen
wir jedoch auch die Angebotsseite. Sie schreiben, dass
durch eine einseitige und sozial unausgewogene Sparpo-
litik der Bevölkerung große Opfer abverlangt werden,
dies aber ökonomisch und sozial nicht nachhaltig sei. Es
stimmt: Unseren Euro-Partnerländern werden hohe Op-
fer abverlangt. Dieser Prozess ist langwierig und schmerz-
haft für die Bevölkerung der betroffenen Staaten. Aber
gerade dieser Weg ist nachhaltig. Die Ungleichgewichte
im Außenhandel können realistischerweise nur dadurch
verringert werden, dass angebotsseitige Reformen
durchgeführt werden. Diese steigern die Wettbewerbsfä-
higkeit von ganz Europa.

Die Reformen zeigen auch Wirkung. Die Defizite der
öffentlichen Haushalte der Euro-Staaten sind deutlich
gesunken. Die Unterschiede in den nationalen Leis-
tungsbilanzen haben sich in den vergangenen Jahren
abgebaut. Spanien, Portugal, Irland und Griechenland
haben ihre Exporte spürbar gesteigert. Die Finanzie-
rungssituation in den Krisenländern hat sich deutlich
verbessert. Das ist ein Erfolg der Strategie „Europa
2020“ für Wachstum und Beschäftigung.

Wir haben heute eine positive Entwicklung bei den
Reallöhnen. Mit einem Bruttolohnzuwachs von 2,7 Pro-
zent und einem Reallohnzuwachs von 1,1 Prozent erwar-
ten wir 2014 den größten Lohnzuwachs seit 2010. Wir
betrachten bei der Einführung des Mindestlohns die Le-
benswirklichkeiten. Das machen wir im Bereich der
Ausbildungsverhältnisse, im Bereich der Praktika und
im Bereich des Ehrenamts. Wir wollen nicht, dass der
Mindestlohn zulasten der Beschäftigung in Deutschland
geht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Unser flexibler Arbeitsmarkt ermöglicht erst die Re-
kordbeschäftigung von 42,1 Millionen Beschäftigten,
die wir dieses Jahr erwarten. Diese Flexibilität dürfen
wir nicht gefährden. Ebenso würde die Bekämpfung der
kalten Progression zu mehr Binnennachfrage, zu mehr
Binnenkonsum führen.

Lassen Sie mich noch Folgendes betonen: Man wird
diese Ungleichgewichte nicht über Nacht abbauen kön-
nen. Da werden auch Ihre Anträge wenig bis gar nichts
helfen. Die Steigerung der Binnennachfrage wird in den
nächsten Jahren zur Reduktion des Defizits der Leis-
tungsbilanz beitragen. Wenn die Standortbedingungen
für Investitionen gut sind, kann sich eine Investitionsdy-
namik im privaten Sektor entwickeln, wodurch die Au-
ßenhandelsdefizite automatisch reduziert werden. Wir
stehen gerade am Beginn einer dynamischen Investiti-
onsentwicklung. Die Investitionen steigen sowohl im
privaten als auch im öffentlichen Sektor.

Wir legen dabei die Grundlagen für diese positive Ent-
wicklung und schaffen Stabilität für mehr Investitionen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802630300

Den Beitrag des Kollegen Klaus Ernst von der Frak-

tion Die Linke haben wir entsprechend unseren Regeln
zu Protokoll genommen.


(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Wir haben doch eine Debatte vereinbart! Da kann er doch nicht einfach abhauen! – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Zum Porsche putzen! – Gegenruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Es kann jemandem auch mal schlecht werden, oder? – Gegenruf des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Dann können Sie die Rede jetzt ja halten!)


Das Wort hat der Kollege Wolfgang Tiefensee für die
SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Wolfgang Tiefensee (SPD):
Rede ID: ID1802630400

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Sehr geehrte Frau Dröge, Sie haben uns gebeten,
dem Antrag Ihrer Fraktion zuzustimmen.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Das wollen wir nicht,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


und zwar zunächst aus dem ganz einfachen Grund, weil
Sie in Ihrer Analyse zum Teil nicht richtig liegen. Der
wesentliche Grund ist aber, dass Sie eine Menge von
dem fordern, was sich in unserem Koalitionsvertrag und
im Haushalt 2014 wiederfindet.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn? Konkret! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn? – Thomas Lutze [DIE LINKE]: Nach der Logik könnte man zustimmen!)


Deshalb ist der Antrag Ihrer Fraktion im Wesentlichen
überflüssig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir nehmen die Analyse der EU und die Kritik der
USA selbstverständlich ernst. Wir wissen, dass wir eine
zu geringe Investitionsquote haben.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Investitionsquote steigt nicht!)


Die Exportquote ist hoch; auch das wird kritisiert. Wir
wissen, dass die Binnennachfrage gesteigert werden
muss.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann machen Sie nichts? Sie tun ja nichts, um die Quote zu erhöhen!)


Aber, ich möchte Sie, Frau Dröge, und Sie, sehr geehrte
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, zu später
Stunde zunächst mit ein paar Fakten traktieren.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll das denn?)


Von Deutschlands internationaler Wettbewerbsfähig-
keit und Exportstärke profitiert im Gegensatz zu Ihrer
Annahme die EU, ja das gesamte Euro-Gebiet. Deutsch-
land ist eine der weltweit offensten Volkswirtschaften.
Dieser Offenheitsgrad wird nicht irgendwie bestimmt,
sondern ergibt sich aus Export und Import im Verhältnis
zum BIP. Unser Offenheitsgrad beträgt 97,7 Prozent, der
der USA 32 Prozent, der Japans 31 Prozent und der Chi-
nas 59 Prozent.

Deutschlands Stärke im Außenhandel ist eben keine
Einbahnstraße. Deutschland ist nicht nur drittgrößter Ex-
porteur, sondern zugleich auch drittgrößter Importeur
der Welt. Ein großer Teil der Importe stammt im Übrigen
von unseren europäischen Nachbarn. Der Importanteil
deutscher Exporte ist mit 42 Prozent höher als in allen
anderen großen Volkswirtschaften, zum Vergleich: USA
11 Prozent, Japan 13 Prozent, Italien 24 Prozent, Frank-
reich 23 Prozent und Russland 28 Prozent.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trotzdem gibt es einen riesigen Leistungsbilanzüberschuss!)


Erfolge deutscher Unternehmen auf den Weltmärkten
schaffen also Beschäftigung und Wohlstand nicht nur bei
uns, sondern durch Import von Vorprodukten und hoch-
wertigen Konsumgütern auch in der Euro-Zone und in
der EU.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben leider das Problem nicht verstanden! – Weitere Zurufe des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deutschland trägt also zum Abbau der Ungleichge-
wichte innerhalb der EU und der Währungsunion bei. Da
die deutschen Importe aus der EU in den vergangenen
Jahren mehr zunahmen als die Exporte in die EU, sind
die Handelsbilanzüberschüsse gegenüber der EU seit
2007 – hören Sie zu, Frau Dröge! –


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich höre Ihnen zu!)


von 174 Milliarden um ein Drittel auf zuletzt 116 Mil-
liarden Euro zurückgegangen. Es ist kontraproduktiv,
von Wachstum und Wohlstand generierenden sowie
leistungsfähigen und wettbewerbsorientierten Volks-
wirtschaften mit Leistungsbilanzüberschüssen eine
Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit durch expansive
Lohnerhöhungen oder administrative Maßnahmen zur
Reduktion der Sparneigung zu fordern.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die SPD ist jetzt gegen Lohnerhöhungen, oder wie? Das ist ganz neu!)


– Schade, dass Sie nicht zuhören! Ihr Antrag, auf den ich
jetzt ganz konkret eingehen möchte, fußt nämlich auf ei-
ner falschen Analyse.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gar keine Analyse! Das ist das Problem!)


– Ich habe gerade die Fakten dargelegt.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber am Thema vorbei!)


Ob sie Ihnen gefallen oder nicht, sie widersprechen nun
einmal Ihrer Analyse.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Nun zu Ihren Argumenten. Erstens. Zur Finanzierung
unter anderem von energetischen Sanierungen soll ein
nationaler Energiesparfonds eingerichtet werden; das ist
eine tolle Idee.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Wolfgang Tiefensee


(C)



(D)(B)

– Beklatschen Sie sich nicht selbst. – Sie sagen aber
nicht exakt, woher das Geld kommen soll. „Über den
Abbau klima- und umweltschädlicher Subventionen“,
das ist leicht gesagt.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abschaffung des Dienstwagenprivilegs! Das hat Sigmar Gabriel auch einmal gefordert! Oder die Subventionen des Luftverkehrs abbauen!)


Wir gehen einen soliden Weg und stellen 2014 aktuell
1,8 Milliarden Euro für die Förderung des energetischen
Bauens und Sanierens zur Verfügung. Hinzu kommen
die 1,5 Milliarden für KfW-Programme wie das Pro-
gramm „Energetische Stadtsanierung“.

Ihr zweites Argument: Wir sollen Investitionsanreize
für Unternehmen schaffen. Wir legen ja gerade – das
können Sie nachlesen – mit unserer stärkeren Ausrich-
tung auf Wirtschaftspolitik, mit Investitionen und Inno-
vationen den Grundstein dafür, dass Investitionsanreize
gegeben werden.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn? Sagen Sie es einmal konkret! – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was machen Sie denn?)


Wir haben die Investitionen des Bundes in den Jahren
2014 bis 2018 – der Kollege hat es bereits angespro-
chen – um insgesamt 7 Milliarden Euro erhöht.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Investitionsquote stagniert bei 8 Prozent!)


Im Rahmen des Europäischen Struktur- und Investitions-
fonds ist es uns gelungen, bis 2020 ausreichend Spiel-
räume, nämlich über 27,5 Milliarden Euro, zu gewinnen.

Wir reden über Industrie 4.0.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke: über Fakten!)


Das wird Anreize schaffen. Wir wollen das Programm
ZIM, das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand,
auf hohem Niveau, 513 Millionen Euro, fortführen. Die
für Forschung und Entwicklung vorgesehenen 2,5 Mil-
liarden Euro sind schon angesprochen worden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir wollen staatliche Investitionen erhöhen. Sie wissen,
dass wir in die Verkehrsinfrastruktur 5 Milliarden Euro
investieren wollen. Das müsste Sie eigentlich begeistern.
Beifall bitte von Ihrer Seite!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist viel zu wenig! – SvenChristian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber 0 Prozent bei Straßenerhalt!)


Außerdem wird es Investitionen in die Kinderbetreuung,
in Schulen und Hochschulen geben.

Drittes Argument: europäische Investitionspro-
gramme auflegen. Durch die erweiterte Kreditvergabe
der Europäischen Investitionsbank haben wir deren Ka-
pazitäten ausgeweitet. Sie wird allein ein zusätzliches
Kreditvolumen von 20 Milliarden Euro ausreichen.

Nächstes Argument: Mindestlohn zügig und flächen-
deckend einführen. Sie wissen ganz genau, warum wir
erst 2017 für einige Unternehmen den Mindestlohn ein-
führen, weil wir nämlich – das müsste auch Ihnen ge-
nehm sein – die Tarifbindung in unserem Land stärken
wollen. Der gesetzliche Mindestlohn in Höhe von
8,50 Euro wird die Binnennachfrage stärken.


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur für Langzeitarbeitslose!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Fakten
zeigen, dass Sie mit Ihrem Antrag nicht richtig liegen.
Die Analyse Ihrer Argumente zeigt,


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Analyse denn?)


dass die falschen Instrumente angewendet werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


In unserem Regierungsprogramm und dem Haushalt
2014 steht die richtige Antwort auf das, was wir von der
EU hören.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da stehen doch keine Investitionen drin! – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wo denn?)


Das wird erfolgreich sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1802630500

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/978 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Anja Hajduk, Volker Beck (Köln), wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Fördermitteltransparenz erhöhen

Drucksache 18/980
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsauschuss

Interfraktionell ist vereinbart, die Reden zu Proto-
koll zu geben.1)

1) Anlage 4

(A)






Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(B)

Ebenfalls interfraktionell wird die Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 18/980 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 4. April 2014, 9 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles
Gute bis zum Beginn morgen früh.