Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alleherzlich.Der Kollege Eckhardt Rehberg begeht heute seinen60. Geburtstag. Dazu möchte ich ihm ganz herzlich gra-tulieren
und alles Gute für das neue Lebensjahr wünschen. Wirgeben uns auch große Mühe, ein passendes Programmfür den heutigen Tag hier im Plenarsaal des DeutschenBundestages zu veranstalten,
damit der Tag in unauslöschlicher Erinnerung bleibt.Wir müssen vor Eintritt in die Tagesordnung nochzwei Wahlen durchführen.Für das Kuratorium der Stiftung Denkmal für dieermordeten Juden Europas schlägt die SPD-Fraktionvor, den Kollegen Michael Roth als Mitglied zu wählen.Sind Sie mit diesem Vorschlag einverstanden? – Das istoffensichtlich der Fall. Damit ist der Kollege Roth ge-wählt.Des Weiteren schlägt die SPD-Fraktion vor, für denausgeschiedenen Kollegen Heinz Paula die KolleginBirgit Kömpel als Mitglied des Beirats der Schlich-tungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr zuwählen. – Auch hierzu kann ich offensichtlich Einver-nehmen feststellen. Damit ist die Kollegin Kömpel alsBeiratsmitglied gewählt.Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die ver-bundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktlisteaufgeführten Punkte zu erweitern:ZP 1 Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNENKonsequenzen der Bundesregierung aus demIPCC-Weltklimabericht
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten StephanMayer , Armin Schuster (Weil amRhein), Clemens Binninger, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion der CDU/CSU sowie derAbgeordneten Dr. Lars Castellucci, GabrieleFograscher, Uli Grötsch, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der SPDHerstellung des Einvernehmens des Deut-schen Bundestages mit der Bestellung des In-stituts für Gesetzesfolgenabschätzung undEvaluation beim Deutschen Forschungsinsti-tut für Öffentliche Verwaltung, Speyer, alswissenschaftlichen Sachverständigen im Rah-men der Evaluierung des Rechtsextremismus-Datei-GesetzesDrucksache 18/974ZP 3 Beratung des Antrags der BundesregierungBeteiligung bewaffneter deutscher Streit-kräfte am maritimen Begleitschutz bei derHydrolyse syrischer Chemiewaffen an Bordder CAPE RAY im Rahmen der gemeinsamenVN/OVCW-Mission zur Vernichtung dersyrischen ChemiewaffenDrucksache 18/984Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungHaushaltsauschuss gemäß § 96 der GODabei soll wie üblich von der Frist für den Beginn derBeratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden.Nach dem Tagesordnungspunkt 11 soll der Antrag derFraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache18/974 zur Herstellung des Einvernehmens des Deut-schen Bundestages mit der Bestellung des Instituts fürGesetzesfolgenabschätzung und Evaluation beim Deut-schen Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung alswissenschaftlichem Sachverständigen im Rahmen der
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2002 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Evaluierung des Rechtsextremismus-Datei-Gesetzesaufgerufen werden. Dazu sind als Debattenzeit 25 Minu-ten vorgesehen.Der Tagesordnungspunkt 20 wird abgesetzt. An des-sen Stelle soll im Umfang von 38 Minuten der Antragder Bundesregierung auf Drucksache 18/984 zur Beteili-gung bewaffneter deutscher Streitkräfte am maritimenBegleitschutz im Rahmen der VN-Mission zur Vernich-tung der syrischen Chemiewaffen debattiert werden.Schließlich mache ich noch auf eine nachträglicheAusschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktlisteaufmerksam:Der am 14. Februar 2014 überwiesenenachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-schuss für Arbeit und Soziales zur Mit-beratung überwiesen werden:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Er-leichterung der Bewältigung von Konzernin-solvenzenDrucksache 18/407Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
FinanzausschussAusschuss für Arbeit und SozialesIch frage Sie, ob irgendjemand gegen irgendeine die-ser Vereinbarungen Einwände hat. – Das ist nicht zu er-kennen. Dann haben wir das damit so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes überLeistungsverbesserungen in der gesetzlichen
Drucksache 18/909Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsauschuss mitberatend und gemäß § 96 der GONach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Auch das istoffenkundig einvernehmlich. Dann können wir so ver-fahren.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort derBundesministerin für Arbeit und Soziales, AndreaNahles.
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit undSoziales:Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Die Bundesregierung legt heute ihr erstes wichtiges Ge-setzespaket vor. Das Rentenpaket hat eine klare Bot-schaft: Wir halten Wort. Denn das, was wir hier heuteauf dem Tisch liegen haben, haben wir den Menschen inunserem Land versprochen.Das Rentenpaket hat eine klare Aussage. Sie gehtüber den einzelnen Rentenbescheid hinaus. Wenn wir dieLebensleistung von Müttern sowie von langjährig Ver-sicherten, die unseren Sozialstaat über Jahrzehnte mit ih-ren Beiträgen stabilisiert und getragen haben, anerken-nen, dann schaffen wir mehr Gerechtigkeit, und dannsenden wir ein klares Signal: Wir erkennen die Lebens-leistung von Menschen in unserem Land an.
In vielen Begegnungen der letzten Wochen wurde mirdeutlich, dass die Botschaft auch ankommt. Als ich amInternationalen Frauentag in Andernach Rosen verteilte,kam eine Frau auf mich zu und erzählte mir: Ich habedrei Kinder großgezogen; die haben alle studiert. – Daswar ihr ganz wichtig; das hat sie mehrfach betont. – Dassdas endlich anerkannt wird, das freut mich. Kriegen Siedas Gesetz denn auch hin? – Ja, das kriege ich hin, sagteich.
Dieses Beispiel macht deutlich: Die Intention dieses Ge-setzes, das, was wir machen, kommt bei den Menschenwirklich an. Daran merkt man: Es ist nicht geschenkt, esist verdient. Das ist ein ganz zentraler Punkt.
Die Rentendebatte hat schon hohe Wellen geschlagen.Die Vorhaben werden von manchen als Nachteil für diejüngere Generation ausgelegt. Ich begegne vielen jungenMenschen: Die gehen nicht auf die Barrikaden. DerWohlstand unseres Landes hängt sehr stark damit zu-sammen, dass wir gute und leistungsfähige Unterneh-men haben, gut ausgebildete Fachkräfte, Menschen mitPflichtbewusstsein, die ihrer Arbeit nachgehen. DerWohlstand unseres Landes hängt aber auch damit zu-sammen, dass wir Solidarität üben, Solidarität zwischenArm und Reich, zwischen Jung und Alt. Das ist einKerngedanke der sozialen Marktwirtschaft, die Gott seiDank über Jahrzehnte unser Land geprägt hat.In diesem Geiste finden es die Jungen in einer über-großen Mehrheit völlig in Ordnung, dass wir das für ihreMütter, Großmütter und ihre Väter tun. Das, was wirheute vorlegen, finden sie vollkommen gerecht, auch ge-nerationengerecht.
Ich sage ganz deutlich, meine Kolleginnen und Kolle-gen: Wer sich um Kinder gekümmert hat, der hat seinenBeitrag zum Generationenvertrag geleistet.
Deswegen rechnen wir die Erziehungsleistungen stärkeran. Deswegen bekommen 10 Millionen Menschen – essind vor allem Frauen – eine höhere Mütterrente.Eine andere Begegnung: Als ich am letzten Wochen-ende nach Hause fliegen wollte und gerade meinen Flug-schein vorgezeigt habe, sagten zwei ältere Damen in ei-nem etwas rauen Ton, wie das in Berlin so üblich ist, zu
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2003
Bundesministerin Andrea Nahles
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mir: Kommen Sie mal mit! Ich dachte: Oje, was ist jetztlos? Ist mit meinem Flugschein etwas nicht in Ordnung?Aber es kam etwas völlig anderes. Die beiden älterenDamen erzählten mir, sie seien 62 und 63 Jahre alt undarbeiteten beide schon seit 44 Jahren. Eine der beidenDamen fragte mich: Schaffen Sie das mit der abschlags-freien Rente nach 45 Beitragsjahren? Da habe ich ge-sagt: Ja, das schaffe ich.
Was wir damit zum Ausdruck bringen, ist: Wer45 Jahre gearbeitet hat, also 45 Jahre lang Beiträge ge-zahlt hat, der hat gegenüber drei bis vier Generationenvon Rentnerinnen und Rentnern seine Pflicht im Genera-tionenvertrag erfüllt. Das erkennen wir an, indem eskeine Abschläge mehr geben soll. Das gilt jetzt für dierentennahen Jahrgänge, anschließend wächst es wiederauf.Auch diese Regelung wurde kritisiert: Sie gelte nurfür eine bestimmte Zahl von Menschen. – Das ist richtig.Genau diejenigen sind es, die unsere besondere Aner-kennung verdienen. Denn das sind diejenigen, die direktvon der Schule in den Beruf gegangen sind, die 45 Be-rufsjahre durchgezogen haben.
Diese Menschen haben noch durchschnittliche Arbeits-zeiten von 45 Stunden in der Woche gehabt. Der freieSamstag musste noch erkämpft werden. Auch der Ar-beitsschutz, der mittlerweile Standard ist, galt in den70er-Jahren noch nicht.
Vor diesem Hintergrund – das will ich Ihnen ehrlich sa-gen – ist es klar: Diese Leute haben ihr Soll erfüllt. IhreArbeitsjahre merken sie jeden Tag in den Knochen. Des-wegen ist diese Regelung gerecht. Deswegen werden wirsie auch umsetzen.
Ich will genauso klar sagen: Ich habe überhaupt keinInteresse daran, dass diese Regelung ausgenutzt wird,um neue Frühverrentungen zu befördern. Deswegen füh-ren wir – dafür bietet die parlamentarische Debatte dernächsten Wochen ja auch eine gute Gelegenheit – inten-sive Gespräche über die Frage: Wie kann man verfas-sungskonform verhindern, dass diese Regelung ausge-nutzt wird? Wenn es dabei zu Antworten imparlamentarischen Verfahren kommt, bin ich sehr frohdarüber.Ein wichtiger Punkt für mich ist die Tatsache, dassheute nur 14,7 Prozent der über 63-Jährigen einer sozial-versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. Dasmüssen wir ändern. Aus diesem Grund werden wir dieAltersgrenze schrittweise von 63 auf 65 Jahre anheben.Wenn wir es in demselben Zeitraum schaffen würden,die Zahl der Beschäftigten von 14,7 Prozent auf 50 Pro-zent zu bringen, dann hätten wir schon viel erreicht. Ichsage an dieser Stelle deswegen auch: Wir müssen dafürsorgen, dass von den Unternehmen – viele haben esschon verstanden; einige aber leider noch nicht – die Ar-beit von Älteren wertgeschätzt wird. In der Vergangen-heit war es oft genug so, dass Ältere ganz schnell zumalten Eisen zählten. Sie behinderten die Effizienz undden Erfolg im Wettbewerb. Das ist Schnee von gestern.Wir brauchen die Erfahrung der älteren Arbeitnehmer,der älteren Fachkräfte in unserem Land.
Das sehen wir ja auch hier im Bundestag. Hier im Ho-hen Haus ist niemand seit 45 Jahren dabei.
– Moment, Kollege Schäuble immerhin fast. Für das,was er in seinen 42 Jahren hier geleistet hat, hat er aufjeden Fall meine Anerkennung. Allerdings hat er nicht indie Rentenversicherung einbezahlt.
Ich will damit nur sagen: Wir wollen ausdrücklich,dass gerade die Erfahrung der Älteren in unserer Gesell-schaft ihren Platz hat. Ich habe auch kein Problem, da-rüber zu reden, wie wir den Übergang vom Erwerbsle-ben in die Rente zwischen 60 und 67 Jahren oder auchdanach besser und flexibler gestalten können, als wir dasjetzt tun. Dazu gibt es kluge Vorschläge. Die finde ichgut.
Ich sage Ihnen aber auch: Ich kann mir da vieles vor-stellen, solange ich dafür die finanziellen Möglichkeitenzur Verfügung gestellt bekomme.
In dem Rentenpaket, das jetzt vorliegt, geht es auchum eine bessere finanzielle Ausstattung der Reha. Fürgeburtenstarke Jahrgänge muss genug Geld da sein, da-mit die Forderung „Reha vor Rente“ auch eingelöst wer-den kann. Es geht nämlich um den Wiedereinstieg insBerufsleben und nicht um das Abschieben aufs Altenteil.Das ist der Kern der Vorschläge zum Rehabudget. Wo esam Ende aber nicht mehr geht, wo wir das nicht mehrschaffen, wo die Menschen krank sind, werden wir soli-darisch einstehen. Wer gesundheitlich nicht mehr in derLage ist, zu arbeiten, der wird künftig bei verminderterErwerbsfähigkeit besser abgesichert werden. Auch dasist beides im Rentenpaket enthalten.Das Rentenpaket umsetzen heißt Wort halten. Es isteine wichtige Weichenstellung für die Zukunft. Es zeigt,dass diese Koalition sich vorgenommen hat, gute Arbeit,gute Renten und ein gutes Leben für die Menschen inunserem Land zu realisieren.Vielen Dank.
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2004 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
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Das Wort erhält nun der Kollege Matthias Birkwald
für die Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Frau Nahles, Sie haben Ihr Rentenpaket vorgelegt,und ich sage: Ja, aber. In den vergangenen Jahrzehntenhaben wir immer nur über Rentenkürzungen diskutiert.Jetzt diskutieren wir endlich einmal über bessere Leis-tungen für Rentnerinnen und Rentner. Das findet dieLinke gut.
Mit Ihrem Rentenpaket gehen Sie mehrere Schritte indie richtige Richtung, aber
in Ihrem Rentenpaket finden sich – jetzt bitte gut aufpas-sen – zwei Gerechtigkeitslücken, ein großer Konstruk-tionsfehler, ein Tropfen auf den heißen Stein, eine Mo-gelpackung, eine zaghafte Verbesserung und eine offeneGroßbaustelle. Das, meine Damen und Herren, findet dieLinke schlecht.
Meine Überschrift für Ihr Rentenpaket lautet: Mancheswird besser, aber nichts wird gut.Gehen wir die Punkte mal im Einzelnen durch:Die sogenannte Mütterrente. Die Absicht ist gut:mehr Gerechtigkeit bei der Anerkennung von Kinder-erziehungszeiten. Aber die Umsetzung ist schlecht.
Für Kinder, die vor 1992 geboren wurden, Herr Kauder,soll es ab dem 1. Juli insgesamt gut 57 Euro Mütterrenteim Westen und knapp 53 Euro im Osten geben. Das istdie erste Gerechtigkeitslücke; das ist ungerecht und dasist falsch.
Ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall sind im Os-ten geborene Kinder auf dem Rentenkonto ihrer Elternimmer noch weniger wert als im Westen geborene Kin-der. Das ist beschämend.
Für Kinder, die nach 1992 geboren wurden, wird esab Juli im Westen 85 Euro und im Osten 79 Euro aufdem Rentenkonto von Mutter oder Vater geben. Das istdie zweite Gerechtigkeitslücke. Ich frage Sie, FrauNahles: Was soll das? – Sie sagen, Sie schlössen die Ge-rechtigkeitslücke bei den Kindererziehungszeiten, dochdas stimmt nur zur Hälfte. Jedes Kind muss der Gesell-schaft gleich viel wert sein, und zwar völlig egal, ob esin Leipzig geboren wurde oder in Köln, ob es 1960 ge-boren wurde oder 2010. Deswegen sagt die Linke: Wirwollen für jedes Kind rund 86 Euro auf dem Renten-konto von Mutter oder Vater haben.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-tion, Sie wollen die Mütterrente ernsthaft aus Beiträgender Versicherten finanzieren. Das bedeutet ganz schlicht:Die Altenpflegerin zahlt für die Mütterrente der Ärztin.Das ist der große Konstruktionsfehler in Ihrem Renten-paket, und zwar aus zwei Gründen: Kindererziehung istund bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Reiche,Beamtinnen und Beamte, Rechtsanwälte, Steuerberate-rinnen, Architektinnen und Politikerinnen und Politikermüssen sich an ihrer Finanzierung beteiligen. Deshalbmuss diese Mütterrente unbedingt aus Steuermitteln fi-nanziert werden.
Alles andere ist verfassungswidrig. Der zweite Grund:Dieses Geld fehlt dann bei der echten Armutsbekämp-fung. Das ist das zweite Problem bei der Finanzierungder Mütterrente.Das wird bei den Erwerbsminderungsrenten deutlich.Auch hier, Frau Nahles, ist Ihre Absicht gut: Wer krankist, darf nicht mit Almosen abgespeist werden. – Aberauch hier ist Ihre Umsetzung schlecht. Ihr Vorschlagbringt Kranken, die nicht mehr arbeiten können, gerademal 36 Euro netto. Das ist besser als nichts, aber es istnur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Niemand wird freiwillig krank, und darum sage ich: DieAbschläge bei der Erwerbsminderungsrente müssen ge-strichen werden, und zwar komplett. Das brächte imSchnitt 77 Euro im Monat. Wir Linken sagen: Die Zu-rechnungszeit muss um drei statt um zwei Jahre verlän-gert werden. Insgesamt brächte das 130 Euro mehr. Ichsage: So holt man kranke Menschen aus der Grundsiche-rung heraus, meine Damen und Herren.
Noch besser wäre es übrigens, wenn die Beschäftig-ten gar nicht erst dauerhaft krank werden würden. Dazubrauchen wir – Sie haben ja die Reha erwähnt – gute Re-hamaßnahmen. Die kosten Geld, und die Babyboomerkommen so langsam ins Rehaalter; das haben Sie er-kannt. Darum wollen Sie mehr Geld für Rehamaßnah-men ausgeben. Das ist gut. Aber warum um Himmelswillen, Frau Nahles, wollen Sie das Rehabudget ab 2017wieder zurückfahren? Die Deutsche Rheuma-Liga „be-zweifelt …, ob die geplanten Maßnahmen ausreichen,um den wachsenden Bedarf an Rehabilitationsmaßnah-men zukunftssicher zu gestalten“. Das ist richtig. – IhrVorschlag bringt nur eine zaghafte Verbesserung. Ichsage: Alle kranken Männer und Frauen, die eine Reha-maßnahme brauchen, sollen sie auch bekommen, unddeshalb muss der Rehadeckel weg.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2005
Matthias W. Birkwald
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Kommen wir zur Rente ab 63/65. Liebe Arbeitgeber,hören Sie jetzt bitte mal gut zu. Es geht nicht um Privi-legien; es geht um Menschen, die früh ins Berufslebeneingestiegen sind und ein Leben lang gearbeitet haben.Bisher werden diese Kolleginnen und Kollegen durchAbschläge bestraft. Nach 45 Beitragsjahren vorzeitig ab-schlagsfrei in Rente zu gehen, ist gerecht. Wer früh an-fängt, muss auch früh aufhören können.
So weit, so gut, Herr Oppermann, aber das Ganze isteine Mogelpackung; denn von der Regelung sind nursehr wenige Jahrgänge betroffen. Nur wer zwischen dem1. Juli 1951 und Silvester 1952 geboren wurde und die45 Beitragsjahre zusammenbekommt, nur für den oderdie gilt die Rente ab 63. Danach wächst sie in Zweimo-natsschritten wieder auf zur Rente ab 65. Das ist eineMogelpackung!
Ein weiterer Kritikpunkt ist: Sie wollen ernsthaftLangzeiterwerbslose von der Rente ab 63 ausschließen.Ich frage Sie jetzt einfach einmal – Frau Nahles, Ihr Va-ter ist Maurer, wie ich weiß –: Was ist denn der Unter-schied zwischen einem Maurer, der einmal vier Jahre ar-beitslos gewesen ist und einem Maurer, der viermal einJahr arbeitslos gewesen ist? Aus meiner Sicht habenbeide dieselbe Lebensleistung erbracht, und deswegenmüssen sie gleich behandelt werden. Die Linke fordert:Alle Zeiten der Arbeitslosigkeit müssen bei der Rente ab63 mit berücksichtigt werden.
Die Rente ab 63 ist übrigens auch deswegen einegroße Mogelpackung, weil in Wirklichkeit für fast alleMenschen gilt, dass sie in Zukunft bis 66 oder 67 arbei-ten müssen; wenn sie es denn können. Bei der großenMehrheit wird das nicht der Fall sein. Sie wird weiterhinmit Abschlägen bestraft. An dieser Situation ändern Sienichts. Das ist schlecht. Die Linke will deshalb die Renteerst ab 67 abschaffen, und zwar ohne Wenn und Aber.Das ist notwendig.
Ich fasse Ihr Rentenpaket zusammen: Viermal gut ge-meint, aber viermal schlecht gemacht.
Frau Nahles, Sie bauen in einem sanierungsbedürftigenHaus hier ein neues Waschbecken ein und da einenneuen Treppenabsatz an, aber Sie wagen sich nicht andas große Loch im Fundament. Das ist das Problem.
Die Kürzungsfaktoren in der Rentenanpassungsformeltasten Sie überhaupt nicht an. Das ist Ihre offene Groß-baustelle.
Deshalb wird das Rentenniveau weiter fallen – das stehtin Ihrem Gesetzentwurf drin –: auf 43,7 Prozent im Jahr2030. Das bedeutet: Von einer Rente von ehemals1 000 Euro werden dann nur noch 810 Euro übrig blei-ben. So wird aus Ihrem Rentenpaket ein Rentenpäck-chen. Diese Abwärtsspirale muss gestoppt werden.
Wir müssen die gesetzliche Rentenversicherung stär-ken, damit die Jungen, die heute in die Rentenkasse ein-zahlen, später eine Rente erhalten, die zum Leben reicht.Die Linke fordert echte Maßnahmen gegen Altersarmut.Außerdem wollen wir das Rentenniveau wieder auf53 Prozent anheben; das war das Niveau im Jahr 2001,bevor Schröder und Riester die Rente ruiniert haben.Das Rentenniveau muss steigen, und zwar dauerhaft.Das wäre generationengerecht; denn das nutzt den Jun-gen und den Alten.Herzlichen Dank.
Karl Schiewerling ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung bringtheute den Entwurf eines Gesetzes über Leistungsverbes-serungen in der gesetzlichen Rentenversicherung in dieparlamentarische Beratung ein. Ich zolle der Bundesar-beitsministerin, dem Bundesarbeitsministerium und derzuständigen Abteilung Respekt für die Zügigkeit, mitder sie diese Gesetzesinitiative angepackt haben.
Es geht in der Tat darum, die Situation vieler Men-schen zu verbessern. Für die Union war es im Wahl-kampf und auch schon lange davor ein zentrales Anlie-gen, die Situation der Frauen zu verbessern, die Kindererzogen haben, aber keine Möglichkeit hatten, Arbeits-welt und Familie miteinander zu vereinen, weil es keineBetreuung über Mittag und keine Kindertagesstättengab. Ihnen gebührt unser Respekt. Durch die Mütterrenteerkennen wir die Erziehungsleistungen dieser Frauen an.
Ich will an dieser Stelle mit dem Märchen aufräumen,dass die Mütterrente ausschließlich aus Beiträgen finan-ziert wird. Hören Sie mit dem Unfug auf!
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2006 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Karl Schiewerling
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Die Deutsche Rentenversicherung zahlt im Jahr 255 Mil-liarden Euro aus. Diese Summe wird zu einem Drittelvon den Arbeitnehmern finanziert, zu einem Drittel vonden Arbeitgebern, und ein Drittel ist Bundeszuschuss.Der Bundeszuschuss beträgt etwa 82 Milliarden Euro. Indiesen 82 Milliarden Euro befinden sich 12,6 MilliardenEuro für die Kindererziehungszeiten. Von diesen 12,6 Mil-liarden Euro geben wir heute etwa 5,9 Milliarden Eurofür die Kindererziehungszeiten aus. Die Rücklage vonetwa 32 Milliarden Euro setzt sich zusammen aus einemDrittel Beitrag der Versicherten, einem Drittel Beitragder Arbeitgeber und einem Drittel Steuern.
Das entspricht jeweils über 10 Milliarden Euro.Wir senken den Rentenversicherungsbeitrag nicht. Erbleibt bei 18,9 Prozent. Das hat zur Konsequenz, dassauch der Staat seinen Zuschuss an der Rentenversiche-rung nicht reduziert und auf diesem Weg auch seinenBeitrag zur Mütterrente zahlt. Deswegen ist diese Rege-lung verantwortungsvoll.
In der Tat geht es um Zukunftsgerechtigkeit, um Ge-rechtigkeit gegenüber den zukünftigen Generationen.Wir haben doch nie einen Hehl daraus gemacht, dassdiese Mütterrente von denjenigen finanziert werdenmuss, die jetzt Steuern und Beiträge zahlen. Wir tun das,weil diejenigen, die Kinder erzogen haben, erst dafür ge-sorgt haben, dass es unserem Land heute gut geht. Des-wegen unternehmen wir diesen Schritt. Das ist ein Bei-trag zur sozialen Gerechtigkeit in unserem Land.
Für die Union ist es zentral, dass wir mit Mut und Au-genmaß unter Leitung von Angela Merkel an den unterFederführung von Franz Müntefering getroffenen Be-schlüssen zur Rente mit 67 festhalten, und zwar ein-schließlich der abschlagsfreien Rente für diejenigen, dielange gearbeitet haben. Nach 45 Beitragsjahren soll manim Alter von 65 Jahren in Rente gehen können.
Die Begründungen für diese Rentenreform, die wir 2007durchgeführt haben, haben sich nicht geändert. Die Men-schen werden immer älter. Sie leben immer länger, übri-gens leben sie auch immer länger gesünder. Die Men-schen liegen nicht mit 65 Jahren schlagartig darnieder.
Es ist eine Tatsache, dass immer weniger Menschen ge-boren werden. Die Grundlagen der Rentenversicherung– das ist eine demografische Frage – haben sich nicht ge-ändert.Nun haben wir in der Koalition vereinbart, dass wirvon diesem Gesetz, das wir 2007 verabschiedet haben,vorübergehend abweichen und denjenigen, die besonderslange gearbeitet haben, die Möglichkeit geben wollen,mit 63 Jahren vorzeitig abschlagsfrei in Rente zu gehen.Ich glaube, dass die Begründungen, die die Bundes-arbeitsministerin in ihrem Begleitschreiben zu diesemGesetzentwurf geliefert hat, Argumente beinhalten, dienicht von der Hand zu weisen sind. Es geht – so steht esin der Begründung – insbesondere um die Menschen, diewährend der deutschen Wiedervereinigung besondereNachteile und Schwierigkeiten in Kauf nehmen mussten,die oft unverschuldet arbeitslos wurden, und es geht umdie Umbruchsituation in industriellen Kernzonen, zumBeispiel im Ruhrgebiet. Denjenigen, die davon beson-ders betroffen sind, soll nun in besonderer Weise gehol-fen werden.Wir legen großen Wert darauf, dass wir, wenn wir die-sen Schritt jetzt gehen, bis 2029, wenn die Rente mit 67erstmals voll greift, auch die Rente mit 65 nach 45 Bei-tragsjahren wieder erreicht haben und wir sie so erreichthaben, wie es ursprünglich gedacht war.
Die Bundesarbeitsministerin hat zu Recht darauf hinge-wiesen, dass es im parlamentarischen Beratungsverfah-ren noch Veränderungen geben wird. Hier gilt dasStuck’sche Gesetz: Kein Gesetzentwurf verlässt denBundestag so, wie er eingebracht wurde. Wir werden dasin guter, fairer und vernünftiger Art miteinander disku-tieren und bis zur endgültigen Abstimmung klären.Damit die Menschen bis 67 arbeiten können, damitdie Menschen auch dann, wenn sie gesundheitlicheSchwierigkeiten haben, die Möglichkeit haben, ihremErwerb nachzugehen und für ihre Altersvorsorge selbstzu sorgen, wollen wir die finanziellen Möglichkeiten derRehabilitation, der medizinischen wie der beruflichen,verbessern. Der Rehadeckel ist notwendig; denn es musshier auch Grenzen geben. Ich kann Ihnen einige Fällenennen, die zeigen, dass zum Teil Rehabilitationen ge-macht werden, die in dieser Dimension nicht nötig ge-wesen wären. Deswegen brauchen wir den Deckel. Aberes muss ein atmender, ein flexibler Deckel sein, der dannansteigt, wenn viele Menschen davon betroffen sind, undwieder sinkt, wenn weniger Menschen in der entspre-chenden Alterskohorte sind. Das halten wir für den rich-tigen Weg.
Deswegen ist der Weg, den wir im Gesetzgebungsver-fahren beschreiten, richtig.
Wir haben auch die besondere Situation der Men-schen im Blick, die krank geworden sind, ohne dass sieetwas dafür können, und eine Erwerbsminderungsrentebeziehen. Ja, wir als Union und übrigens auch unser Ko-alitionspartner, die SPD, hätten wirklich gerne nochmehr im Bereich der Erwerbsminderungsrente gemacht.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2007
Karl Schiewerling
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Aber wir haben auch andere Ziele im Blick zu behalten,nämlich die Ziele, die der Bundesfinanzminister hat. Esgeht dabei darum, die Steuern nicht zu erhöhen und dieStaatsausgaben in den Griff zu bekommen, damit wirüber diesen Weg eine nachhaltige Grundlage für unserLand schaffen.
Diese Ziele setzen uns gewisse Grenzen.
Auch wir wollen in der Tat flexiblere Übergänge indie Rente. Norbert Blüm hat jüngst in einem Interviewdargelegt, dass die Zeit des Gleichmarsches im Indus-triezeitalter längst vorbei ist. In unserer Gesellschaft gibtes unterschiedliche Lebenssituationen. Es gibt Men-schen, die weit länger als bis 67 arbeiten können und dasauch gerne möchten. Dann gibt es Menschen, die etwasfrüher in Rente gehen möchten, und es gibt Menschen,die vor dem Erreichen des Renteneintrittsalters gerne et-was kürzertreten möchten. Wir müssen uns der Verbes-serung dieser flexiblen Übergänge annehmen. Die Mög-lichkeiten, die es heute schon gibt, wollen wir nutzenund gegebenenfalls etwas gängiger machen. Wir werdenauch Vorschläge machen, wie wir diese Übergänge fürspätere Zeiten gestalten können.
Herr Kollege.
Ich sehe einen zentralen Punkt bei der Rentenreform,
über die wir jetzt diskutieren, der auch für die Zukunft
wichtig sein wird.
Herr Kollege, darf ich Sie darauf aufmerksam ma-
chen, dass es für die Diskussion weiterer interessanter
Gesichtspunkte die erforderliche Zeit nicht mehr gibt?
Ja. Ich nenne auch keinen weiteren Gesichtspunkt
mehr, sondern mache nur noch eine abschließende Be-
merkung, Herr Präsident. – Für uns ist zentral, dass die
Rentenversicherung das bleibt, was sie ist: eine Renten-
versicherung und keine Sozialleistung. Die Rente ist
keine Fürsorgeleistung des Staates, sondern selbst erar-
beitet. Wir müssen bei allem, was wir tun, darauf achten,
dass die Menschen wissen, dass sie das, was sie im Alter
bekommen, selbst verdient haben. Rente hat etwas damit
zu tun, dass man stolz auf seine Lebensleistung sein
kann. Wir wollen die Rahmenbedingungen so setzen,
dass diese Systeme nicht vermischt werden und dass die
Menschen stolz sein können auf das, was sie geleistet
haben. Der Staat wird dies honorieren.
Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nunKatrin Göring-Eckardt das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Schiewerling, Sie haben es gerade noch einmal sehrdeutlich gesagt: Bei der Rente geht es um Leistung. FrauNahles hat gesagt, dass es um die Anerkennung von Le-bensleistung geht. Wenn man sich Ihr Paket anschautund es ausgepackt hat, dann sieht man, dass es in ganzvielen Punkten eine Mogelpackung ist; denn es gehtnicht um die Lebensleistung aller, sondern nur um dieLebensleistung mancher. Das kritisieren wir. Wir sagenIhnen: Schauen Sie bitte genauer hin, wenn es gerechtzugehen soll. Schauen Sie sich bitte an, wie die Situationderer ist, die im Alter in Armut leben. Diese Menschenhaben Sie bei Ihrem Rentenpaket vergessen.
Was ist mit den Frauen, insbesondere im Westen derRepublik, die gar keine Chance hatten, tatsächlich solange zu arbeiten, weil sie keine Kinderbetreuung hatten,und die dann trotz guter Ausbildung nur Teilzeitjobsoder niedrig bezahlte Jobs hatten? Diese Frauen verges-sen Sie bei Ihrem Rentenpaket. Das ist ungerecht.
Was ist mit denen, deren Rentenniveau so weit sinkt,dass von Fairness, von Anerkennung in der Rente über-haupt nicht mehr die Rede sein kann?
Nein, meine Damen und Herren, der eigentliche Re-formbedarf in der Rentenversicherung ist riesig. AberSie legen ein Paket vor, das gerade nicht reformiert. Siemachen das Gegenteil. Ich sage Ihnen: Sie bauen vor al-len Dingen das Vertrauen ab, das es in dieses Systemeinmal gegeben hat; man muss sich nur einmal an-schauen, was man als junger Mensch überhaupt nochvon der Rentenversicherung erwarten kann. Das sage ichIhnen, obwohl ich es gut und richtig finde und obwohlauch ich den Älteren gönne, was sie jetzt bekommen.Aber fragen Sie einmal die 20-Jährigen, was die fürsich selbst von der Rentenversicherung erwarten.
Die erwarten nicht mehr, dass das eine Umlage ist. Dieerwarten noch nicht einmal mehr, dass es ein Nullsum-menspiel ist. Das sind Leute, bei denen wir davon ausge-hen, dass sie in einer nicht einfachen Situation hart ar-beiten werden, viele von ihnen wahrscheinlich 45 Jahreoder nach Ihren Vorstellungen sogar länger. Ich finde,wenn man über Gerechtigkeit redet, dann muss es um
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2008 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Katrin Göring-Eckardt
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Gerechtigkeit für alle gehen, die hart gearbeitet haben,und um Gerechtigkeit für alle, die gar keine Chance hat-ten, die Vorgaben zu erreichen, die Sie hier vorlegen.
Das Rentenniveau sinkt, die Altersarmut steigt, unddie Verbesserung bei den Erwerbsminderungsrentenmacht in Ihrem Paket noch nicht einmal 10 Prozent aus.Ich will Ihnen sagen, wie die Situation heute ist: Werheute arbeitsunfähig ist, der kriegt im Durchschnitt600 Euro im Monat. 600 Euro! Das liegt unterhalb desExistenzminimums. Wer so wenig Geld hat, der muss imAlter zum Sozialamt gehen. Wer ist überhaupt von Er-werbsminderung betroffen? Das sind nicht Leute, diefaul auf der Haut gelegen haben. Das sind nicht Leute,die in der Hängematte gelegen haben. Das sind Leute,die hart gearbeitet haben, und zwar so hart, dass siekrank geworden sind. Profitieren werden überhaupt nurdie, die nach dem 1. Juli dieses Jahres in Rente gehen.Die kriegen dann am Ende 40 Euro mehr im Monat, also600 Euro plus 40 Euro.
Dann haben die aber immer noch keine auskömmlicheRente, meine Damen und Herren. Da sage ich Ihnen klarund deutlich: Das hat mit Gerechtigkeit, so wie wir sieverstehen, nichts zu tun.
Ich verstehe nicht, warum Ihr Gerechtigkeitsempfindengerade bei denen aufhört, die besonders auf die Unter-stützung der Gemeinschaft angewiesen wären.Herr Schiewerling, ich finde, Ihre Einlassungen zuden Rehaleistungen haben gezeigt, mit welchem Zynis-mus Sie da herangehen.
– Nein.
– Herr Schiewerling, wenn Sie sich hier hinstellen undsagen: „Es gibt Leute, die Rehaleistungen in Anspruchnehmen, die sie eigentlich nicht brauchen“
– das haben Sie hier gesagt –, dann sage ich Ihnen ganzklar und deutlich: Das ist nicht meine und nicht unsereHaltung gegenüber denen, die vom Arbeiten krank ge-worden sind und Unterstützung brauchen. Das Reha-paket ist schon klein genug, und die Leistungen nehmendiejenigen in Anspruch, die sie tatsächlich brauchen.
Nun zur Lebensleistung derer, die so lange gearbeitethaben; Beispiele sind genannt worden. All diese Men-schen gehören einer bestimmten Generation an. Jetztkann man sagen: Ja, denen gönnen wir das. – Das istklar. Diejenigen, die zwischen 1951 und 1964 geborensind, haben die Chance auf eine Verbesserung. Einewirkliche Verbesserung gibt es aber nur für eine ganzkleine Gruppe. Nicht erreichen werden Sie die Jüngeren.Nicht erreichen werden Sie viele Frauen, die wenig ver-dient haben. Nicht erreichen werden Sie die Ostdeut-schen. Die haben bei Ihnen keine Chance.Man hat schon den Eindruck, Gerechtigkeit gibt esbei Ihnen nur für diejenigen, die Sie gut kennen,
nämlich für diejenigen, mit denen Sie auf der Schulbanksaßen, so nach dem Motto: Man kennt sich, und manhilft sich.
Die anderen, also diejenigen, die heute alt sind und inArmut leben, und diejenigen, die jung sind und nach Ih-ren Vorstellungen selbstverständlich länger arbeitenmüssen, haben Sie vergessen.
Auch das, meine Damen und Herren, ist nicht gerecht.Deswegen sage ich klar und deutlich: Die Gerechtigkeithört in Ihrem Rentenpaket da auf, wo Sie nicht hingu-cken können. Sie vergessen die, die wirklich Unterstüt-zung brauchen.
Natürlich werden wir eine Diskussion über Fach-kräfte führen. Wir werden eine Diskussion über Frühver-rentung haben. Ich verstehe nicht, wieso Sie Ihre Energienicht da hineinstecken, von den Unternehmen zu verlan-gen, dass es eine echte Kultur der Altersarbeit gibt, vonder dann am Ende alle profitieren, dass es tatsächlich fle-xible Übergänge gibt. Ich verstehe gar nicht, wieso Siedie Gewerkschaften nicht in die Pflicht nehmen, für Ar-beitsbedingungen zu sorgen, bei denen solche flexiblenÜbergänge möglich sind, und für Arbeitsbedingungen zusorgen, bei denen auch Ältere in Unternehmen noch an-ständig arbeiten können. Das ist die Aufgabe: die Ge-werkschaften und die Unternehmen in die Pflicht zu neh-men, politisch zu sagen: „Daran arbeiten wir“, und nichteinfach zu sagen: „Das ignorieren wir ab heute.“ – Denndie Leute gibt es. Es gibt die Leute, die lange arbeitenmüssen und die es sich gar nicht leisten können, auchnach Ihrem Paket nicht, mit 63 in Rente zu gehen, weilnämlich ihre Rente so verdammt niedrig ist, dass sie da-von am Ende nicht leben können. Meine Damen und
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2009
Katrin Göring-Eckardt
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Herren, ich sage Ihnen noch einmal: Gerecht geht an-ders.
Deswegen bitte ich Sie herzlich: Denken Sie dochwenigstens nach über die heutigen Kleinrentner, derenRentenniveau Sie senken! Denken Sie darüber nach, wasmit der Rentnerin ist, die in der zweiten Hälfte des Mo-nats an dem Ausflug nicht teilnehmen kann, weil sie sichKaffee und Kuchen schlicht und ergreifend nicht leistenkann!
– Schön, dass Sie darüber lachen.
Ich finde, ehrlich gesagt, dass diese Frau, die in Alters-armut lebt, Ihnen ein Anliegen sein muss.
Denken Sie im Übrigen auch darüber nach, was Sie mitdem Bundeshaushalt und mit der Rentenversicherungs-kasse machen! Sie wissen schon, dass es ab 2017/18nicht mehr reichen wird. Das, was Sie machen, hat mitZukunftsverantwortung nichts zu tun. Deswegen sageich Ihnen: Ihr Paket ist nicht gerecht, und es ist zukunfts-vergessen.Vielen Dank.
Zu einer direkten Erwiderung nach § 30 unserer Ge-
schäftsordnung erhält der Kollege Schiewerling das
Wort.
Frau Kollegin Göring-Eckardt, ich möchte Ihnen dan-
ken, dass Sie auf meinen Beitrag zur Rehabilitation ein-
gegangen sind, weil mir das die Gelegenheit gibt, Miss-
verständnisse, sollte es sie gegeben haben, an dieser
Stelle auszuräumen. Ich sage das auch als jemand, der
nun seit mehr als 30 Jahren in der Selbstverwaltung der
Deutschen Rentenversicherung tätig ist und auch Verant-
wortung für die Rehabilitation trägt.
Im Mittelpunkt meines Hinweises standen die vielfäl-
tigen Anfragen von Rehabilitationsträgern, das Reha-
budget unbegrenzt zu erhöhen. Wenn man jedoch Reha-
bilitationsträgern keine finanziellen Grenzen setzt, dann
ist die Gefahr groß, dass das Rehabudget ausufert. Es
geht also nicht darum, ob diejenigen, die eine Rehabilita-
tion brauchen, eine Rehabilitation auch bekommen – das
ist völlig unstrittig; deswegen wollen wir die Möglich-
keiten auch erweitern –, sondern es geht grundsätzlich
darum, den Rehadeckel beizubehalten, weil wir sonst die
Kosten nicht mehr in den Griff bekommen.
Das ist meine Intention gewesen. Meine Aussage be-
traf überhaupt nicht die Menschen, die eine Reha drin-
gend benötigen; im Gegenteil: Ich würde mir sehr wün-
schen, dass, wenn wir die Rehabilitationsmöglichkeiten
jetzt erweitern, möglichst viele, die eine Reha brauchen,
diese auch in Anspruch nehmen, damit sie wieder fit
werden für die Arbeitswelt. Das war meine Intention.
Mir lag daran, das an dieser Stelle klarzustellen. Auf alle
anderen Aussagen in Ihrer Rede will ich nicht eingehen;
ich denke, die Kolleginnen und Kollegen, die nach mir
reden, werden das tun.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Carola Reimann
für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selten habe ich zueinem geplanten Gesetz so viele Briefe, E-Mails undAnrufe von Bürgerinnen und Bürgern erhalten wie inden letzten Wochen zum Rentenpaket. Die persönlichenAnfragen und Reaktionen bestätigen das, was uns dieUmfragen der letzten Wochen auch sagen: Die Men-schen wollen das Rentenpaket, und sie wollen, dass esjetzt möglichst zügig umgesetzt wird.
Deshalb ist klar: Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen,dass das gesamte Paket wie angekündigt ab dem 1. Julibei den Leuten ankommt – nicht mehr und nicht weni-ger.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir verfolgen mitdem Rentenpaket ein klares Ziel: Wir wollen Gerechtig-keitslücken schließen und die Lebensleistung unsererRentnerinnen und Rentner besser honorieren. Niemandwird die Lebensleistung von Menschen anzweifeln, die45 Jahre gearbeitet haben und die 45 Jahre mit ihren Bei-trägen die gesetzliche Rentenversicherung stabil gehal-ten haben. Wir wollen nicht, dass sie nach Jahrzehntenharter Arbeit auch noch mit Abschlägen bestraft werden.Wir wollen ihre Lebensleistung honorieren und nicht be-strafen, auch wenn gesellschaftliche Umbrüche stattge-funden haben.Deshalb, Kolleginnen und Kollegen, wollen wir unsganz genau an den Koalitionsvertrag halten. Ich will da-raus noch einmal zitieren. Auf Seite 51 steht:Langjährig Versicherte, die durch 45 Beitragsjahre– Folgendes steht dort explizit –
ihren
Beitrag zur Stabilisierung der Rentenversicherungerbracht haben, können ab dem 1. Juli 2014 mitdem vollendeten 63. Lebensjahr abschlagsfrei inRente gehen.
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2010 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Dr. Carola Reimann
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Kolleginnen und Kollegen, Lebensleistungen aner-kennen, das gilt auch für die Erziehungsleistungen vonMüttern von vor 1992 geborenen Kindern. Auch diesewerden wir besser anerkennen. Außerdem werden wiretwas für Menschen tun, die aus gesundheitlichen Grün-den – das ist hier schon angeklungen – früher auf Leis-tungen aus der Rentenversicherung angewiesen sind.Zum einen sorgt das Rentenpaket für Verbesserungen beider Erwerbsminderungsrente, zum anderen wollen wirdie Rehabilitation stärken.Es ist wichtig, dass wir in der Rentenversicherung denFokus künftig stärker auf Gesundheit richten. Geradevor dem Hintergrund der demografischen Entwicklungist absehbar, dass die Notwendigkeit von Rehabilita-tionsmaßnahmen insgesamt wächst. Wir wollen, dassalle möglichst lange gesund und aktiv am Berufslebenteilnehmen können und auch nach einer Krankheit in dieArbeit zurückkehren können. Unser Motto ist da „Rehavor Rente“, gerade weil wir wissen, dass in Zukunft je-der Mann und jede Frau auf dem Arbeitsmarkt gebrauchtwird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, uns geht esalso um die Anerkennung von Lebensleistungen, umUnterstützung im Krankheitsfall und um Unterstützungbei der Rückkehr auf den Arbeitsmarkt. Wer dies abfäl-lig als „Wahlgeschenke“ abtut, hat offensichtlich keineAhnung, wie notwendig und wie wichtig die einzelnenMaßnahmen des Rentenpakets für viele sind. Wir spielenhier nicht das verspätete Christkind, sondern wir sorgendafür, dass die Rente besser und gerechter wird.
Natürlich gibt es das alles nicht zum Nulltarif. Aberwir sind in der Lage, die notwendigen Verbesserungenzu finanzieren, weil wir dank unserer wirtschaftlichenStärke finanziell gut aufgestellt sind. Diese wirtschaftli-che Stärke ist im Übrigen nicht vom Himmel gefallen;vielmehr ist sie ein Ergebnis weitreichender Reformen,die wir Sozialdemokraten in schwierigen Zeiten durch-gesetzt haben – auch bei der Rente.
Das war nicht populär, und das war für keinen von unsleicht; aber es war notwendig und an der Zeit. Genausoist es jetzt notwendig und an der Zeit, dass wir Gerech-tigkeitslücken in der Rente schließen.Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wirbrauchen hier keine Belehrungen. Wir haben bei unsererRentenpolitik der letzten Jahre immer beides im Blickgehabt: die mit der demografischen Entwicklung ver-bundenen Herausforderungen der Zukunft genauso wiedie Lebensleistungen und die Interessen der älteren Ge-neration.
Für uns ist das kein Widerspruch; für uns gehört das zu-sammen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir startennun mit den parlamentarischen Beratungen zum Renten-paket. Es ist ein Paket, das wir als Große Koalition be-reits in den Koalitionsverhandlungen vereinbart habenund das nach hervorragender Arbeit der MinisterinNahles und ihres Ministeriums nun in Gesetzesform hierim Bundestag angekommen ist. Der Generalsekretär derCDU, der Kollege Tauber – ich glaube, er ist geradenicht da –, hat kürzlich gesagt, er werde die Einführungder Mütterrente liebevoll begleiten. Das freut mich. Wirwerden das selbstverständlich mit genauso viel Hingabetun: bei der Mütterrente, bei der Rente mit 63, bei derVerbesserung der Erwerbsminderungsrente und auch beider Stärkung der Reha. Ich bin zuversichtlich, dass wirso gemeinsam das große Rentenpaket zügig auf den Wegbringen werden, damit es rechtzeitig ab dem 1. Juli 2014den Menschen zugutekommt.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sabine Zimmermann erhält nun das Wort für die
Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wenn man die Debatte hier so verfolgt, dannmuss man einfach denken: Sie kennen die Realität indiesem Land nicht, Sie wissen nicht, dass Millionen vonMenschen im Niedriglohnbereich arbeiten, teilweise mit4,50 Euro die Stunde nach Hause gehen, Sie wissennicht, dass viele Menschen die Grundsicherung im Alterbrauchen, weil sie in den ganzen Jahren so niedrigeLöhne hatten. Ich denke, dass Sie die Realität gar nichtkennen.Sie sprechen hier vollmundig über die Anerkennungder Lebensleistung und das Schließen von Gerechtig-keitslücken. Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kol-legen: Mein Kollege Matthias W. Birkwald hat recht,wenn er sagt: Bei den von Ihnen angekündigten Maß-nahmen handelt es sich nicht um ein Rentenpaket, eshandelt sich allenfalls um ein Rentenpäckchen und nochdazu um eine Mogelpackung.
„Rente muss zum Leben reichen“, das fordert auchder Deutsche Gewerkschaftsbund zu Recht in seinerKampagne. Dank Ihrer Senkung des Rentenniveaus undIhrer Rente ab 67 werden aber immer mehr Menschensagen müssen: Meine Rente reicht nicht zum Leben. –Hier ist Altersarmut vorprogrammiert. Und was tun Sie?Sie tun nichts, meine Damen und Herren.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2011
Sabine Zimmermann
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Ihre Maßnahmen haben mit Gerechtigkeit definitivnichts zu tun. Schauen wir uns die sogenannte Mütter-rente einmal an: Sie wollen die Erziehungszeiten für vor1992 geborene Kinder richtigerweise besser anerkennen.Statt ein Jahr lang soll künftig zwei Jahre lang derDurchschnittsbeitrag in die Rentenversicherung fließen.Bei den Eltern, deren Kinder nach 1992 geboren sind,werden aber drei Jahre anerkannt. Ich frage Sie: Ist dasgerecht? Gibt es für diese Ungleichbehandlung irgendei-nen sachlichen Grund? Ich höre keinen, und ich kann dasniemandem erklären, meine Damen und Herren.
Ihnen fehlen der Wille und der Mut, das für eine ge-rechte Lösung nötige Geld durch eine andere Steuerpoli-tik aufzubringen. Sie lassen die Verkäuferin, die Kran-kenschwester, den Müllwerker und prekär beschäftigteMenschen diese Mütterrente bezahlen, während derpraktizierende Arzt, die Rechtsanwältin oder wir alle alsAbgeordnete des Deutschen Bundestages fein raus sindund dort keinen müden Euro beisteuern müssen. Das istungerecht.
Was mich nicht nur als Frau aus dem Osten besondersempört: Sie halten auch an der Ungleichbehandlung zwi-schen Ost und West fest. Ich frage Sie, meine Damenund Herren – wir sind im 25. Jahr der deutschen Ein-heit –: Wie lange wollen Sie Ost und West noch unter-schiedlich behandeln? Soll es noch in 100 Jahren sosein? So kann es doch nicht weitergehen!
Erklären Sie der Frau in Dresden doch einmal, warumihre Erziehungsleistung weniger wert sein soll als die ei-ner Frau oder eines Mannes in Hamburg? Ich bin mir si-cher, auch das können Sie nicht erklären.Noch eines zur Rente ab 63 für langjährig Versi-cherte: Für diese Reform brennen Sie hier ein Riesenfeu-erwerk ab; dabei handelt es sich um nicht mehr als eineeigentlich selbstverständliche Übergangsregelung, dieschon bei der Einführung der Rente ab 67 ins Gesetz ge-hört hätte. Gleichzeitig zeigt Ihr Umgang mit Zeiten derArbeitslosigkeit einmal mehr, dass es Ihnen um manchesgehen mag, aber definitiv nicht um Rentengerechtigkeit.
Sie wollen nur kurzfristige Zeiten der Arbeitslosigkeitanerkennen; das ist schlimm genug. Aber ein starkesStück ist es, wenn Sie auch noch argumentieren, es gehehier um die Lebensleistung. Nun frage ich Sie – damöchte ich das Beispiel meines Kollegen noch einmalaufgreifen –: Was unterscheidet einen Maurer, der vier-mal ein Jahr arbeitslos war, von einem Maurer, der ein-mal vier Jahre arbeitslos war?
– Ja, Sie können sich aufregen; es ist aber so, und dasmüssen Sie den Leuten draußen erklären. – Die gleicheFrage können Sie bei einer Altenpflegerin stellen, dieauch hart arbeitet. Wo soll in diesen Fällen der Unter-schied in der Lebensleistung liegen? Da gibt es keinen.Dennoch verurteilen Sie Menschen, die langzeitarbeits-los sind, mit saftigen Abschlägen in Rente zu gehen oderaber länger zu arbeiten. Das hat nichts mit Gerechtigkeitzu tun.
So bleibt als Fazit des Rentenpäckchens eigentlich nur:Manches wird besser, nichts wird gut, und das wird auchso bleiben. Von einer Rentenreform sollten Sie erst wie-der sprechen, wenn Sie sich den eigentlichen Baustellenwidmen. Statt das Rentenniveau weiter abzusenken,muss es endlich wieder angehoben werden.
An der Rente mit 67, meine Damen und Herren, solltenSie nicht länger herumdoktern, sondern sie einfach beer-digen.Danke schön.
Das Wort erhält nun der Kollege Peter Weiß für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Was versprochen wurde, wird auch eingehalten: Dassteht eigentlich als Überschrift über diesem Rentenpa-ket.
Ich kann manche Kritik – vor allen Dingen mancheZeitungskommentare – nicht verstehen. Die Wählerin-nen und Wähler in unserem Land haben im Septembervergangenen Jahres unsere Wahlprogramme und nichtirgendwelche Zeitungskommentare gewählt.
Das, was sowohl im Wahlprogramm der Union als auchin dem der SPD steht, wird mit diesem Gesetzespaketumgesetzt, und ich sage ganz klar und deutlich: DieWählerinnen und Wähler haben auch einen Anspruchdarauf, dass wir das, was wir im Wahlprogramm zuge-sagt haben, jetzt auch konkret in Gesetzesform gießen.
Zu Recht stellt sich in jeder Rentendebatte auch dieFrage nach der Generationengerechtigkeit;
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2012 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Peter Weiß
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denn darauf fußt unser Rentensystem, und natürlich istes so, wie Frau Göring-Eckardt sagte, dass sich ein20-Jähriger, wenn er ins Arbeitsleben eintritt, heutefragt, was er einmal von der Rente erwarten kann.
Ich finde, das sozialpolitisch Wichtigste ist, dass sich einArbeitnehmer und eine Arbeitnehmerin in unserem Landdarauf verlassen können, Leistungen einer Sozialversi-cherung zu erhalten, wenn sie in eine Lebenssituationkommen, in der sie sich selber nicht mehr helfen können,wenn sie also einen Unfall erleiden oder erkranken undnicht mehr am Erwerbsleben teilnehmen können oderzeitweise ausscheiden müssen.Deshalb sind für mich die Verbesserungen bei der Be-rechnung der Erwerbsminderungsrente, also der Rentefür diejenigen, die einfach nicht mehr arbeiten könnenund vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden müs-sen, und die Anhebung des Budgets für Rehaleistungen,also für Gesundheitsmaßnahmen in dem Fall, dass mankrank ist und in eine Kur muss, Akte der Generationen-gerechtigkeit. Auch die junge Generation kann sich da-rauf verlassen: Wenn man sich selber nicht mehr helfenkann, hilft die Rentenversicherung.
Natürlich geht es bei der Generationengerechtigkeit,wenn man sie richtig durchbuchstabiert, nicht nur umeine Generation. Dass wir heute endlich die Mütterrenteverbessern – die Anrechnungszeit wird für Mütter vonvor 1992 geborenen Kindern verdoppelt –, betrifft dochvor allen Dingen Mütter, die damals keine U-3-Betreu-ungsplätze und oft auch keinen Kindergartenplatz fan-den, weil es noch keinen Rechtsanspruch auf U-3-Be-treuung oder einen Kindergartenplatz gab. Deswegensind sie ganz oder teilweise aus dem Beruf ausgestiegen.Die Kinder, die damals geboren wurden, stützen heuteals Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihren Bei-trägen unser Rentenversicherungssystem. Deswegen istes doch geradezu ein Gebot der Generationengerechtig-keit, dass wir die Lebensleistung dieser Mütter besseranerkennen. Deshalb ist das ein zentraler Punkt, den wirmit diesem Rentenpaket durchsetzen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, selbstver-ständlich erwarten auch die Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer, die in einer langen Lebensleistung mit ihrenBeiträgen das Sozialsystem insgesamt getragen und fi-nanziert haben und mit ihren Steuern unseren Staat fi-nanzieren, dass wir ihre Lebensleistung in besondererWeise würdigen. Deswegen wird man landauf, landabstets hören: Wer 45 Jahre lang hart gearbeitet und etwasfür diesen Staat geleistet hat, dem darf man auch eineAnerkennung in der Form zukommen lassen, dass ernicht unbedingt noch länger arbeiten muss, sondern ohneAbschläge in Rente gehen kann, wenn er das Rentenaltererreicht hat. Ich halte auch das für einen Akt der Gerech-tigkeit.
Deswegen haben wir übrigens in der letzten GroßenKoalition, als wir nach einem mühsamen Prozess mitein-ander beschlossen hatten, die Regelaltersgrenze in derRentenversicherung von 65 Jahre auf 67 Jahre anzuhe-ben, was richtig ist und auch so bleibt, gleichzeitig be-schlossen: Wer 45 Beitragsjahre aufweist, der kann auchin Zukunft mit 65 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen.Das war für uns ein wesentlicher Bestandteil der Verein-barung, um die Regelaltersgrenze in Deutschland anzu-heben. Auf der anderen Seite wollen wir alles tun, umnicht neue Frühverrentungsanreize zu schaffen; denn daswäre das falsche Signal.Wir steigen jetzt in die parlamentarischen Beratungenein. Es gibt unterschiedliche Ideen und Vorstellungen,die wir miteinander prüfen. Für uns als Union ist aberwichtig – ich glaube, die Sozialdemokraten sehen dasgenauso –, dass am Ende eine Beschlussfassung im Bun-destag mit folgendem Inhalt stehen muss: Ja zu diesemRentenpaket, aber Nein zu neuen Frühverrentungsanrei-zen.
Zu Recht wird natürlich die Frage nach den Renten-finanzen gestellt. Dabei sind zwei Dinge wichtig.Das Erste ist: Ja, wir als Staat bezuschussen die Leis-tungen der Rentenversicherung mit hohen Steuerbeträ-gen. Mittlerweile kommt ein Drittel dessen, was ausge-zahlt wird, nicht aus Beitragsmitteln, sondern vonseitendes Staates aus Steuermitteln. Wir beschließen bereitsmit diesem Gesetz, dass wir zur nachhaltigen Finanzie-rung der Rentenfinanzen in den nächsten vier Jahren zu-sätzliche Steuermittel für die Rentenversicherung zurVerfügung stellen.Das Zweite ist – das ist noch wichtiger – der Beitragder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der Präsidentder Bundesagentur für Arbeit hat vor zwei Tagen in sei-ner Pressekonferenz erklärt, dass die Bundesagentur fürArbeit davon ausgeht, dass wir in diesem Jahr einenneuen Beschäftigungsrekord in Deutschland erreichenkönnen. Das zeigt: Solide Finanzen der Rentenversiche-rung hängen zuallererst an einer guten Beschäftigungs-situation und an den vielen Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmern, die mit ihren Beiträgen die Rentenversi-cherung unterstützen.Wir als Große Koalition können dieses Rentenpaketdeswegen mit gutem Gewissen beschließen, weil wir ei-nerseits zusätzliche Generationengerechtigkeit schaffenund wir andererseits durch eine gute wirtschaftliche Ent-wicklung dafür sorgen, dass auch in Zukunft die Einnah-men für die Rentenversicherung gesichert sind.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2013
Peter Weiß
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Markus Kurth spricht nun für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Weiß, Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU dürfen das Wort „Generationengerechtig-
keit“, wenn Sie dieses Paket verabschieden, bis zum
Ende Ihres Lebens nicht mehr in den Mund nehmen.
Ich wollte diese Rede eigentlich nicht mit einer Be-
trachtung der finanziellen Folgen beginnen, aber Ihre
Reden provozieren nun wirklich sehr. Es muss einem
bange werden, wenn man sich ansieht, was im Jahr 2018
im Bereich Beitragssatzentwicklung dräut.
Zwar muss der Beitragssatz wegen der demografischen
Entwicklung 2018 sowieso steigen. Aber diese Entwick-
lung wird durch ihr Rentenpaket jetzt noch einmal ver-
stärkt.
– Max Straubinger, seien Sie doch einmal still und hören
Sie zu!
Erinnern Sie sich nicht daran, dass eine Serie von Bei-
tragssatzsteigerungen in der Vergangenheit Diskussio-
nen um das Leistungsniveau ausgelöst hat
und es in der gesetzlichen Rentenversicherung tatsäch-
lich zu Niveauabsenkungen gekommen ist? Jetzt sind
wir aber im Unterschied zu der Zeit vor 10 oder 20 Jah-
ren an dem Punkt angelangt, dass das Rentenniveau kei-
nesfalls weiter absinken darf.
Ein Eckrentner wird im Jahr 2030 nach Steuern nur
noch 950 Euro netto haben. Dieses Niveau darf nicht un-
terschritten werden. Wenn die gesetzliche Rente selbst
nach einem halbwegs soliden Erwerbsleben nicht einmal
zur Armutsvermeidung reicht, dann ist es mit der Akzep-
tanz des Umlageverfahrens wirklich vorbei.
Herr Kollege Kurth, darf Ihnen der Kollege
Straubinger eine Zwischenfrage stellen?
Ja, gerne. Bitte schön.
Herr Kollege Kurth, weil Sie sich vorhin so um den
Beitragssatz gesorgt haben: Könnten Sie mir bestätigen,
dass der Beitragssatz unter der rot-grünen Bundesregie-
rung bei 19,9 Prozent lag und er jetzt bei 18,9 Prozent
liegt und somit unter Unionsregierungen gesenkt worden
ist?
Ich kann Ihnen Folgendes sagen: Als Rot-Grün 1998
an die Regierung kam, lag der Rentenbeitragssatz, den
wir von der Regierung Kohl übernommen haben, bei
etwa 20 Prozent. Wir haben daraufhin die Ökosteuer ein-
geführt, also Umweltverschmutzung finanziell belastet,
und die Erträge aus dieser Steuer in die gesetzliche Ren-
tenversicherung fließen lassen. Dann haben wir – auch
wenn man sich noch einmal kritisch damit befassen
muss – mit der Riester-Rente bzw. dem Riester-Faktor
eine zusätzliche Säule geschaffen. 2004 haben wir den
Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt, damit die Entwicklung
des zahlenmäßigen Verhältnisses von Beitragszahlern
und Rentnern berücksichtigt wird.
Das heißt, alles, was im Kern zu der guten Finanzent-
wicklung der heutigen Rentenversicherung geführt hat,
geht auf Fundamentalentscheidungen von Rot-Grün zu-
rück. Das ist die historische Wahrheit.
An dem Punkt muss man in der Tat darauf achten,
Herr Birkwald, dass man die Schraube nicht überdreht.
Jeder Autoschrauber weiß: Nach ganz fest kommt ganz
lose. Darum sagen ich hier ganz deutlich: Es ist auch
eine Frage der Generationengerechtigkeit, dass sich die-
jenigen, die heute einzahlen, darauf verlassen können,
dass das Rentenniveau auch in Zukunft armutsfest ist.
Darf der Kollege Ernst auch noch eine Zwischenbe-
merkung machen? Das ist dann allerdings die letzte, die
ich zulassen würde.
Ich bin offen für alle Hinweise, wenn ich helfen kann,zur Erkenntnis beizutragen.
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2014 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
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(B)
Bitte schön.
Danke schön, Kollege Kurth. Meine Bemerkung
schließt an das an, was der Kollege Straubinger gesagt
hat: In der Zeit, in der Sie regiert haben, ist doch genau
die Absenkung des Leistungsniveaus beschlossen wor-
den, die Sie jetzt kritisieren.
Nein. – Natürlich haben die Beschlüsse von Rot-Grün
zu einem sinkenden Rentenniveau bzw. zu einem langsa-
meren Anstieg der Rentenpunkte geführt.
Das will doch niemand bestreiten. Wir haben nämlich
gesehen, dass es ein Spannungsfeld gibt, das wir bear-
beiten müssen: zwischen Beitragszahlern einerseits,
Rentnerinnen und Rentnern andererseits und dem erheb-
lichen Staatszuschuss auf der dritten Seite. Wir haben
versucht, das in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen,
und ich denke, das ist auch einigermaßen gut geglückt.
Ich leugne doch gar nicht, dass wir an der einen oder
anderen Stelle Nachsteuerungsbedarf haben. Daran, dass
zum Beispiel die Riester-Rente und Möglichkeiten der
privaten und betrieblichen Altersvorsorge gerade von
denen, die geringste Einkommen haben, nicht in An-
spruch genommen werden, sehen wir, dass es zusätzli-
che Probleme gibt. Darauf haben wir Grüne auch re-
agiert. Wir schlagen das Modell einer sogenannten
Garantierente für Personen vor, die 30 Jahre lang versi-
chert waren und Beiträge gezahlt haben.
Bleiben Sie bitte stehen, Herr Ernst! Das gehört noch
zur Beantwortung der Frage, Herr Ernst. Nicht wegdu-
cken! Ah, Angst hat er!
Da muss ich Sie enttäuschen, Herr Kollege. Die
Frage, wie lange die Antwort des jeweiligen Redners
ohne Beachtung seiner eigentlichen Redezeit notwendig
und angemessen ist, entscheidet der amtierende Präsi-
dent.
Deswegen darf der Kollege Ernst sich jetzt wieder set-
zen, und Sie dürfen fortfahren.
Na ja. – Wir Grünen machen jedenfalls den Vor-schlag, nach 30 Versicherungsjahren Renten, die unter-halb des Grundsicherungsniveaus liegen, aufzustocken,und zwar in der Form, dass sie über dem Grundsiche-rungsniveau liegen.
Das heißt, wir entwickeln an der Stelle Vorschläge zurArmutsbekämpfung und steuern da, wo wir es erkennenund wo es notwendig ist, natürlich nach.
Herr Ernst, das gehört noch zu der Antwort auf IhreFrage, auch wenn die Redezeituhr schon weitergelaufenist.Was die Aussichten bezüglich der Finanzierung an-geht, finde ich es dramatisch, dass wir möglicherweiseab dem Jahr 2018 wieder auf eine Kürzungsdebatte zu-laufen. Wenn es ganz schlecht läuft, dann werden sichnämlich die Rentengeschenke von heute als die Renten-kürzung von morgen erweisen. Das müssen Sie dannverantworten.
In der knappen Zeit kann ich nur noch auf eines ein-gehen: Sie erkennen auch wichtige Herausforderungennicht. Sie reden zwar von längerer Lebensarbeitszeit undflexiblen Übergängen. Aber genau in der Hinsicht ma-chen Sie gar nichts. Sie bieten nur Scheinlösungen wiedie sogenannte Rente mit 63 an. Wir brauchen aber Lö-sungen für alle, die, sei es aus gesundheitlichen oder ausanderen Gründen, das Renteneintrittsalter nicht errei-chen können.Diese Lösungen müssen möglichst individuell zuge-schnitten sein. Das heißt, wir brauchen mehrere Ansätze,etwa von einer zweiten Ausbildung im Berufsleben übereine Teilrente bis hin zu einer vernünftigen Erwerbsmin-derungsrente. Es muss also ein vielfältiges Instrumenta-rium geben statt einfältige Einheitslösungen.
Am schlimmsten finde ich, dass mit der abschlags-freien Rente nach 45 Beitragsjahren gar nicht diejenigenerreicht werden, die es am dringendsten nötig hätten.Ganz entgegen der SPD-Rhetorik kommen diese näm-lich gerade nicht in den Genuss der sogenannten Rentemit 63, weil sie die 45 Beitragsjahre längst nicht errei-chen. Schauen Sie sich die Rentenzugangsstatistiken derVersicherung an. Vier von zehn Bauarbeitern gehen vor-zeitig in die Erwerbsminderungsrente, mehr als ein Drit-tel der Maler und Lackierer, vier von zehn Hilfsarbei-tern. So können Sie die Branchen durchgehen und sehen,wer überhaupt nicht in den Genuss dieser neuen schönenSozialleistung kommt.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2015
Markus Kurth
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Ich finde es – das muss ich abschließend noch sagen –empörend, dass diejenigen, die nach Jahrzehnten teilshärtester Arbeit aus gesundheitlichen Gründen mit ge-kürzter Rente in den Ruhestand gehen müssen, von Ih-nen auch noch zu hören kriegen, mit dem Rentenpakettäten Sie etwas für diejenigen, die etwas geleistet haben.Das kann doch im Umkehrschluss nur bedeuten, dass Siedie anderen als Minderleister ansehen, mit deren Renten-beiträgen Sie die Geschenke für die anderen finanzieren,als Minderleister, deren Rentenniveau Sie ja auch kalt-blütig absenken.
– Nein, das ist genau so. – Sie spielen Arbeitnehmer ge-geneinander aus. Ich wundere mich an der Stelle schon,dass sich auch die Gewerkschaften, die die besondersbelasteten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vertre-ten, nicht zu Wort melden. Erinnert sich noch jemand anden Schattenarbeitsminister Klaus Wiesehügel? Er wirdsich jetzt wohl bewusst, dass er nur Wahlkampfkom-parse war.
Nein, Ihre Politik geht an den wirklichen Herausfor-derungen vorbei, und Sie leisten bei der Finanzierungrichtig schlechte Arbeit.Danke.
Das Wort erhält nun die Kollegin Katja Mast für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Herr Kurth, Sie tun hier beim ersten gro-
ßen Gesetzespaket der Großen Koalition, als sei sie mor-
gen schon vorbei. Wir haben uns viel mehr vorgenom-
men als das, was wir heute vorlegen. Wir sind aber auch
stolz auf das Rentenpaket, das eine abschlagsfreie Rente
nach 45 Versicherungsjahren und die Mütterrente vor-
sieht, außerdem die Erwerbsminderungsrente für die
Leute, die Sie am Schluss erwähnt haben, verbessert und
auch den Rehadeckel anhebt, womit wir sehr viel für die
Vorsorge tun. Wir stehen zu diesem Rentenpaket.
Ich habe für meine Rede heute dank der Hanns-
Seidel-Stiftung
etwas gefunden, nämlich die Wahlplattform der CDU
und CSU aus dem Jahr 1998 für die Legislatur bis 2002.
In dieser Wahlplattform
steht auf Seite 21 ein folgenschwerer Satz. Ich würde
gerne zitieren, wenn Sie, Herr Präsident, es zulassen.
Doch. Im Unterschied zum Fraktionsvorsitzenden der
Union gestatte ich Ihnen dieses Zitat ausdrücklich.
Es sollte sich allerdings im Rahmen Ihrer Redezeit ab-
spielen.
Das versuche ich. Vielen Dank. – Dort steht der fol-genschwere Satz:Wer nach 45 Beitragsjahren in Rente geht, sollkeine Abschläge hinnehmen müssen.
Deshalb sind wir froh, dass wir diese Forderung jetztgemeinsam umsetzen und auch bei diesem Punkt unserein der Öffentlichkeit immer wieder hochgespielten Dis-sense sicherlich in naher Zukunft zur gemeinsamen Zu-friedenheit lösen werden.
Ich würde gerne meinen Blick in die Zukunft richtenund an dieser Stelle – noch einmal mit Erlaubnis desHerrn Präsidenten – unseren Koalitionsvertrag kurz zi-tieren. In unserem Koalitionsvertrag steht auf Seite 72:Deswegen wollen wir lebenslaufbezogenes Arbei-ten unterstützen. Wir werden den rechtlichen Rah-men für flexiblere Übergänge vom Erwerbsleben inden Ruhestand verbessern.Das heißt, wir wollen Hemmnisse beim Übergang in dieRente gemeinsam abbauen, darüber ins Gespräch kom-men und dazu künftig gemeinsame Initiativen hier star-ten. Im Rentenrecht ist es übrigens heute schon so, dassderjenige, der keine Vollrente bezieht und länger arbei-tet, pro Monat, in dem er oder sie arbeitet, 0,5 Prozent-punkte mehr Rente am Ende herausbekommt. Es gibtalso einen Bonus schon in unserem heutigen Renten-recht.Es gibt aber noch ein zweites Instrument, das uns amHerzen liegt. Das ist die sogenannte Teilrente. Die Teil-rente kann man ab 63 Jahren bekommen, wenn man ei-nen Rentenanspruch hat. Heute ist es oft so: Wenn manin Rente geht, dann empfindet man den Renteneintrittwie ein Fallbeil. Man hat in der vorherigen Woche noch39 Stunden am Band oder in der Altenpflege gearbeitet,und in der kommenden Woche ist man – nicht immer zurFreude der Familie – die ganze Zeit zu Hause. Deshalbgeht es auch darum, gleitende Übergänge in Rente zu or-ganisieren.
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2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Katja Mast
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Die Teilrente im geltenden Gesetz ist aber leider sehrstarr und sehr kompliziert. Wenn wir mit unserem Koali-tionspartner über lebenslauforientierte Übergänge in dieRente für die kommenden Generationen reden, weisenwir immer darauf hin, dass wir genau an dieser Stelle an-setzen und die gesetzlichen Regelungen modernisierenmüssen. Das ist ein Punkt, der für uns ganz wichtig ist.Gerade für diejenigen, die zum Beispiel jetzt auf der Zu-schauertribüne sitzen – ich vermute, dass es sich bei denjungen Damen und Herren um Schulklassen handelt –,geht es darum, in ihren Erwerbsbiografien, die von An-fang an von Flexibilität geprägt sind, den Übergang zurRente zu organisieren.Unser Koalitionsvertrag trägt die Überschrift„Deutschlands Zukunft gestalten“. Das ist nicht nur eineÜberschrift, sondern unsere Überzeugung.
Nächster Redner ist der Kollege Stephan Stracke für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Mit dem vorgelegten Rentenpaket setzen wirzentrale rentenpolitische Verabredungen des Koalitions-vertrages um. Der Gesetzentwurf trägt deutlich dieHandschrift der Union. Mit der Mütterrente und den Ver-besserungen bei der Erwerbsminderungsrente und beider Reha greifen wir langjährige Forderungen der CSUauf. Hiervon profitieren 10 Millionen Menschen in die-sem Land.
Das Rentenpaket ist Ausdruck zweier wesentlicherGrundprinzipien: Generationengerechtigkeit und Leis-tungsgerechtigkeit. Wir verbinden beide miteinander.Leitgedanke ist: Wir wollen diejenigen belohnen, die einLeben lang viel geleistet haben. Deshalb ist die Mütter-rente gerechtfertigt. Sie stellt den zentralen rentenpoliti-schen Fortschritt in diesem Paket dar. Deshalb wird siezum 1. Juli dieses Jahres kommen.
Die Rente ist ein Spiegel der gesamten Lebensleis-tung. Zur Lebensleistung von über 9 Millionen Frauen indiesem Land gehört auch, dass sie Kinder erzogen ha-ben, und das unter Bedingungen, wie es sie jetzt nichtmehr gibt. Die Generationen unserer Mütter und Groß-mütter hatten nicht die hervorragenden Betreuungsmög-lichkeiten, von denen beispielsweise meine Generationprofitieren kann. So wurde die Berufstätigkeit oftmalsüber einen längeren Zeitraum unterbrochen oder gargänzlich aufgegeben. Das führte dann im Alter dazu,dass sie niedrigere Renten beziehen, und das, obwohl sieein Leben lang viel geleistet haben. Das ist nicht gerecht.Es ist auch nicht gerecht, dass sie bei der Anerkennungvon Kindererziehungszeiten deutlich schlechter gestelltsind als die heutige Generation. Das haben viele gesell-schaftliche Gruppen angesprochen. Wir haben das alsCSU aufgegriffen und auf die politische Agenda geho-ben, und jetzt kommt es.Dabei ist auch richtig und wichtig, zu betonen: DieMütterrente ist ein Generationenprojekt, ein Projekt, dasüber alle Generationen hinweg geht. Gerade die jungeGeneration
muss sich sagen: Es geht um meine Eltern, um meineMutter, meinen Vater, meinen Opa, meine Oma. – Undsie erkennt die Leistungen der vorangegangenen Genera-tionen an, indem sie sagt: Ihr habt viel geleistet und habtuns Chancen eröffnet, die ihr selber nicht hattet. Deswe-gen sollt ihr auch von der Mütterrente profitieren. – Die-jenigen, die hart gearbeitet haben, verdienen eine anstän-dige Rente. Dafür sorgen wir mit der Mütterrente.
Unsere Eltern und Großeltern haben wie keine andereGeneration in der Bundesrepublik Deutschland zum Er-halt des Generationenvertrags beigetragen. Aus den Kin-dern von damals wurden die Beitragszahler von heute.Genau sie sind es, die für die hervorragende wirtschaftli-che Situation in diesem Land gesorgt haben. Deswegenhaben wir jetzt finanzielle Spielräume. Diese nutzen wirfür die Mütterrente. Wer viel geleistet hat, soll auch vielprofitieren. Das galt und gilt auch für die abschlagsfreieRente nach 45 Beitragsjahren. Wir haben im Übrigen,Frau Kollegin Mast, immer von 45 Beitragsjahren ge-sprochen. Von der Anerkennung von Arbeitslosenzeitenwar damals nicht die Rede.
Es geht vielmehr ausschließlich darum, dass wir dieLeistung derjenigen, die viel und hart gearbeitet haben,entsprechend anerkennen. Derjenige, der ein halbesJahrhundert lang mit seinen Beiträgen dazu beigetragenhat, unser Rentensystem zu sichern und zu stabilisieren,verdient am Ende seines Erwerbslebens Solidarität. Des-wegen sagen wir: Die abschlagsfreie Rente mit 65 istrichtig.
– Ab 65 ist richtig. – Wir haben im Rahmen des Koali-tionsvertrages vereinbart, dass wir diese Rente über-gangsweise zwei Jahre vorziehen, auf 63. Dies bauen wirwieder schrittweise bis zum Jahre 2028 auf. Dann errei-chen wir wieder das Niveau, was wir vorher hatten.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2017
Stephan Stracke
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Wenn wir im Übrigen Zeiten der Arbeitslosigkeit zeit-lich begrenzt und übergangsweise anerkennen, dannmuss auch ein weiteres Prinzip gelten: Es kann nichtsein, dass derjenige, der in das Rentenversicherungssys-tem freiwillig Beiträge zahlt, schlechter gestellt wird alsderjenige, dem beispielsweise Zeiten von Arbeitslosig-keit anerkannt werden. Es kann doch nicht sein, dass bei-spielsweise ein Handwerker, der sehr viel arbeitet und18 Jahre in die Pflichtversicherung gezahlt hat und sichdann entscheidet, bis zur Rente freiwillig Beiträge zuzahlen, schlechter gestellt wird als derjenige, dem Ar-beitslosenzeiten gutgeschrieben werden. Das ist aucheine Frage der Gerechtigkeit. Wir müssen diese Gerech-tigkeitsfrage entsprechend lösen. Auch hier befinden wiruns im Gespräch mit unserem Koalitionspartner.
Für uns ist ganz klar: Der Weg der Rente mit 67 istder richtige Weg. Daran halten wir auch fest; denn dieRente mit 67 ist das schlichte Ergebnis praktischer Ver-nunft. Wenn jemand, der heute mit 65 Jahren im Er-werbsleben steht, noch knapp 19 Jahre unter guten Rah-menbedingungen leben kann, dann ist es doch klar, dasswir unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtig-keit zusehen müssen, die Rentenversicherung dauerhafttragbar zu machen. An dem eingeschlagenen Weg„Rente mit 67“ halten wir fest; hierfür braucht es aller-dings auch soziale Flankierung. Genau dafür sorgen wirjetzt, indem wir die Erwerbsminderungsrente verbessernund gleichzeitig das Rehabudget aufstocken.All das zeigt: Das Rentenpaket ist ein rundes Paket,das insbesondere Verbesserungen bei der Mütterrentemit sich bringt. Alle Vorhaben sind auch generationen-gerecht finanziert. Das Rentenpaket ist generationenge-recht, weil es mittel- und langfristig finanziert ist. ImRentenversicherungsbericht aus dem Jahr 2009 gab esdie Prognose, dass der Beitragssatz im Jahr 2014 bei19,9 Prozent liegen wird. Tatsächlich liegen wir bei18,9 Prozent. Das sind 10 Milliarden Euro Ersparnisjährlich.
Das zeigt, wie gut wir derzeit dastehen. Das hängt damitzusammen, dass wir eine hervorragende wirtschaftlicheEntwicklung haben, dass wir für viele sozialversiche-rungspflichtige Arbeitsplätze sorgen. Deswegen habenwir jetzt die Spielräume, die Dinge so machen zu kön-nen, wie es im Rentenpaket vereinbart ist. Das wollenwir gemeinsam tun.Herzlichen Dank.
Martin Rosemann ist der nächste Redner für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Vorwurf ge-genüber dem Rentenpaket der Bundesregierung, den ichin den letzten Wochen immer wieder gehört und gelesenhabe und der heute aus den Reihen von Bündnis 90/DieGrünen von Herrn Kurth und Frau Göring-Eckardt wie-der erhoben wurde, ist, wir würden nicht dort ansetzen,wo der Bedarf am größten ist.
Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, demliegt ein grundsätzliches Missverständnis
über unser deutsches Rentenversicherungssystem zu-grunde. Die Rente ist keine Sozialleistung.
Natürlich soll die gesetzliche Rentenversicherung Al-tersarmut verhindern. Deswegen nehmen wir die Verbes-serungen bei der Erwerbsminderungsrente vor. Deswegenwerden wir als Große Koalition in dieser Legislaturpe-riode auch die solidarische Lebensleistungsrente einfüh-ren. Aber gleichermaßen muss die solidarische gesetzli-che Rente Lebensleistung anerkennen. Deswegen wollenwir die Mütterrente und auch die sogenannte Rente mit63 Jahren. Damit erkennen wir vor allem die Leistungder Menschen an, die sehr früh ins Arbeitsleben einge-stiegen sind und dann lange und in der Regel körperlichsehr hart gearbeitet haben. Von der Anerkennung der Le-bensleistung hängt meines Erachtens das Vertrauen indas System der gesetzlichen Rente ganz maßgeblich ab.Vertrauen ist bei unseren sozialen Sicherungssystemen,gerade auch bei der Rente, besonders wichtig.In einer älter werdenden Gesellschaft müssen dieLeute im Durchschnitt auch länger arbeiten. Deshalbwollen wir als SPD die Entwicklungen beim Rentenein-trittsalter nicht zurückdrehen, und deshalb wollen wirauch keine Rückkehr in die alte Frühverrentungslogikder 80er- und 90er-Jahre.
Wir wissen aber, dass es neben der demografischen Re-alität auch eine gesellschaftliche Realität und eine Reali-tät in den Betrieben gibt. Das verlangt von uns differen-zierte Antworten, vor allem für erwerbsgemindertePersonen und für Leute, die sehr früh ins Erwerbslebeneingestiegen sind. Durch differenzierte Lösungen unddifferenzierte Antworten schaffen wir auch neues Ver-trauen. Das zeigt die große Zustimmung, die unser Ren-tenpaket in der Bevölkerung insgesamt, aber geradeauch in der jungen Generation erfährt.
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2018 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Dr. Martin Rosemann
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Meine Damen und Herren, wenn wir differenzierteLösungen wollen, müssen wir uns auch fragen, wie wirmit der Anrechnung von Arbeitslosigkeit beim vorzeiti-gen Renteneintritt umgehen. Herr Kollege Schiewerlinghat zu Recht auf die Vergangenheit verwiesen, auf diegroßen Strukturkrisen in Ostdeutschland, aber auch imBergbau und in der Stahlindustrie. Genauso gilt das aberangesichts zunehmend brüchiger Erwerbsbiografien undder Tatsache, dass Krisen auch in Zukunft nicht ausge-schlossen sind, aus unserer Sicht auch für die Zukunft.Genau so steht es deshalb auch im Koalitionsvertrag.
Zusammenfassend will ich sagen: Die Große Koali-tion verbindet mit ihrer Rentenpolitik die Verantwortunggegenüber der Lebensleistung der älteren Generation mitder Verantwortung gegenüber zukünftigen Generatio-nen. Wir sorgen für die notwendigen und von der Bevöl-kerung auch gewollten Leistungsverbesserungen. Wirbauen Gerechtigkeitslücken konsequent ab und sorgendamit wieder für mehr Vertrauen in die gesetzlicheRente.
Das Wort erhält nun die Kollegin Jana Schimke für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Land
schaut heute auf uns. Mit dem Rentenpaket beraten wir
eine zentrale soziale Frage – die der Alterssicherung. So
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kein Le-bensabschnitt ist so differenziert in seiner Lebenslagewie das Alter. – Die Bedeutung der Aussage von NorbertBlüm nimmt immer mehr zu; denn die Lebenserwartungsteigt. Der spätere Lebensabschnitt war noch nie so langund noch nie so vielfältig wie heute. Während die Ruhe-standszeit in den 60er-Jahren noch durchschnittlich10 Jahre betrug, liegt sie heute bei 20 Jahren. Daraufmüssen wir uns einstellen – gesellschaftlich und poli-tisch.Doch der Lebensabend gestaltet sich nicht immer so,wie man es sich wünscht. Es gibt Menschen, die Hilfebenötigen. Durch eine schwere Krankheit oder eine Be-hinderung benötigen sie die Unterstützung der Solidar-und Versichertengemeinschaft. Um diese Menschennoch stärker zu unterstützen, enthält unser Gesetzespa-ket Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente.Mit den geplanten Reformen wollen wir aber auchvorbeugen. Dazu zählen Prävention und Rehabilitation.In einer älter werdenden Gesellschaft werden Leistungendieser Art zunehmend beansprucht. Bereits heute ist je-der Fünfte in Deutschland mindestens 65 Jahre alt. IhrAnteil wird bis zum Jahr 2060 voraussichtlich auf 34 Pro-zent ansteigen. Deshalb wollen wir in Zukunft bei derBerechnung des Rehabudgets die demografische Ent-wicklung in Deutschland berücksichtigen.
Gleichzeitig gibt es – das ist auch eine Folge der älterwerdenden Gesellschaft – immer mehr Menschen, diesich fit fühlen. Nicht ohne Grund tun sich viele schwer,wenn der Renteneintritt näher rückt. Während sich dereine auf den Ruhestand freut, fällt es dem anderenschwer, diesen Schritt zu gehen und einen neuen Lebens-abschnitt zu planen. Ein Blick in die Ratgeberrubrik imBuchhandel spricht für sich. Dort gibt es rund 100 Publi-kationen mit ähnlich lautenden Titeln wie Wenn derWecker nicht mehr klingelt oder 111 Gründe, sich aufden Ruhestand zu freuen. Das zeigt: Der Ruhestand undder Eintritt in den Ruhestand sind ein gesellschaftlichesThema.
Deshalb brauchen wir für diesen Lebensabschnitt dif-ferenzierte Lösungen. Auf dem Arbeitsmarkt nimmt dieBeschäftigung Älterer zu. Im Fortschrittsbericht zumFachkräftekonzept der Bundesregierung bekennt mansich ausdrücklich zu den Potenzialen älterer Arbeitneh-mer. Hier hatten wir in der Vergangenheit gute Erfolgeerzielt: Der Anteil älterer Arbeitnehmer ist seit 2000 ste-tig gestiegen. Die Erwerbstätigenquote ist in diesemZeitraum von knapp 20 Prozent auf heute über 46 Pro-zent angestiegen. Diese positive Entwicklung wollen wirweiter fördern.Uns eint das gemeinsame Ziel, die Rente mit 63 soauszugestalten, dass diese beschäftigungspolitischen Er-folge der letzten Jahrzehnte nicht gefährdet werden.
Hier aber müssen wir einen Spagat schaffen. Deswegenist es gut, dass die Koalitionspartner diese Frage kon-struktiv angehen, sich ihrer Verantwortung bewusst sindund nach flexiblen Lösungen suchen.Weil das Alter heute so vielfältig wie das Leben selbstist, sollten jene, die länger arbeiten möchten und die sichnoch fit fühlen, auch länger arbeiten dürfen. Damit hel-fen sie übrigens auch, die Fachkräftelücke in unseremLand zu schließen. Deshalb ist es notwendig, bestehendeHürden für eine Weiterbeschäftigung im Rentenalter ab-zubauen. Eine befristete Beschäftigung sollte nach Ren-teneintritt zum Beispiel auch bei demselben Arbeitgebermöglich sein. Der öffentliche Dienst praktiziert das be-reits heute. In der Privatwirtschaft ist dies jedoch nichtrechtssicher möglich. Das lässt sich auch daraus ablei-ten, dass jüngere Arbeitnehmer in Deutschland zu90 Prozent abhängig beschäftigt sind, während erwerbs-tätige Rentner zu einem Drittel Freiberufler sind. Hiersollten wir gleiche Zugangsmöglichkeiten schaffen.
Denn für die meisten Beschäftigten in Deutschland istArbeit keine Strafe, sondern bedeutet Anerkennung,Selbstverwirklichung und Erfolg.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2019
Jana Schimke
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Eine Politik für die Menschen sollte dies auch beimÜbergang in die Rente berücksichtigen.Vielen Dank.
Die Kollegin Dagmar Schmidt erhält nun das Wort für
die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Ich habe
meine zwei Minuten Redezeit zwar nicht am Ende der
Debatte – das wird wohl der CDU/CSU vorbehalten
bleiben –, aber immerhin gegen Ende der Debatte. Ich
versuche trotzdem ein – natürlich sehr objektives – Re-
sümee.
Ich möchte mit einem Dank an die Ministerin begin-
nen. Wir halten Wort: Wir erkennen die Lebensleistung
von Müttern und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
an. Das ist nicht geschenkt, das ist verdient. Danke, dass
das Rentenpaket so schnell und gut auf den Weg ge-
bracht wurde.
Ich habe auch den Rednern der Linksfraktion zuge-
hört. Sie haben gesagt, dass sie es natürlich begrüßen,
dass es bessere Leistungen für Rentnerinnen und Rent-
ner geben soll; das finden sie gut. Was sie nicht so gut
finden, kann ich in meiner zweiminütigen Rede leider
nicht noch einmal nachvollziehen.
Aber immerhin hat man uns zugestanden, ein Renten-
päckchen zu beschließen. Das ist ja schon etwas.
Die SPD teilt die Freude mit der CDU/CSU über die
Mütterrente. Diese drückt den Respekt vor der Leistung
der Kindererziehung aus. Wenn diese über Steuern fi-
nanziert würde – das hätten wir uns gewünscht –,
dann wäre unsere Freude noch größer gewesen.
Ich danke Frau Göring-Eckardt, dass sie das Thema
Altersarmut angesprochen hat; denn das gibt uns Gele-
genheit, dazu ein paar Punkte zu sagen. Wir machen viel
in dem Rentenpaket, aber wir machen natürlich noch
nicht alles. Wir werden in dieser Legislatur mit der soli-
darischen Lebensleistungsrente aber einen wichtigen
Schritt zur Bekämpfung der Altersarmut tun.
Wir werden des Weiteren auch mit dem Tarifpaket ei-
nen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Altersarmut
leisten. Auch hier geht mein Dank an die Ministerin,
dass sie das schon auf den Weg gebracht hat.
Wir haben getan, was wir versprochen haben. Wir
sind dabei, Deutschland gerechter zu machen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Matthias Zimmer ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn mangegen Ende der Debatte zu Wort kommt, ist ja vielesschon gesagt worden. Ich bin nun wirklich kein Freundvon Reden nach dem Motto „Es ist schon vieles gesagtworden, aber noch nicht von mir“. Deswegen will ichnicht auf das Rentenpaket im Einzelnen eingehen, son-dern stichwortartig einige Punkte hervorheben, von de-nen ich glaube, dass sie die Debatte in den nächsten Wo-chen noch bestimmen werden.Zunächst einmal zur Erwerbsunfähigkeitsrente.
Ich glaube, jeder, der die Möglichkeit hatte, 45 Jahre zuarbeiten, kann sich glücklich schätzen, zumindest ausder Sicht derjenigen, die eine Rente wegen Erwerbsunfä-higkeit beziehen. Wer wegen Erwerbsunfähigkeit inRente gehen muss, hat neben den gesundheitlichen Ein-schränkungen auch häufig eine deutlich geminderteRente. Durch die Ausweitung der Zurechnungszeitenwerden diese Menschen jetzt bessergestellt, ebenso da-durch, dass die letzten vier Jahre vor Eintritt der Er-werbsminderung nicht berücksichtigt werden, wenn siedie Bewertung der Zurechnungszeit verringern. Das istinsgesamt ein Schritt in die richtige Richtung.Da wir die bekannte Großzügigkeit des Bundes-finanzministers nicht überstrapazieren wollen, würde ichmir wünschen, dass wir im Rahmen der parlamentari-schen Beratungen die Gewichtung innerhalb des Renten-paketes noch einmal ein wenig verschieben könnten.Vielleicht ergibt sich ja in der Osterpause unter demGeist österlicher Versöhnung die Gelegenheit, hierübereinmal konstruktiv nachzudenken.
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2020 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Dr. Matthias Zimmer
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Ein wenig mehr österliche Gelassenheit würde ichmir im Übrigen auch bei so mancher öffentlichen De-batte über das Rentenpaket wünschen. Fangen wir ein-mal bei der Möglichkeit an, abschlagsfrei nach 45 Bei-tragsjahren mit 63 Jahren in Rente zu gehen. Vielleichthilft ja der Hinweis, dass es die Möglichkeit zum Ren-teneintritt ab 63 mit Abschlägen bereits seit 2008 gibt,und zwar für langjährig Versicherte. Ich habe nicht denEindruck, dass es hier bereits zu einer nennenswertenFrühverrentungswelle gekommen ist, und ich habe diebegründete Vermutung, dass das auch bei der abschlags-freien Rente für langjährig Versicherte nicht passierenwird.
Es ist richtig: Die Arbeitswelt hat sich spürbar gewan-delt. Die einstmals praktizierte Frühverrentung zulastender Sozialkassen gehört der Vergangenheit an. Dazukommt: Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerwerden heute anders wertgeschätzt als noch vor 15 oder20 Jahren. Sie werden im Arbeitsleben gebraucht. Dasist auch gut so.
Ich kann aber auch die Sorgen derjenigen verstehen,die sagen: Ist das nicht das falsche Signal? Schließlichhaben wir mit großen Mühen die Regelaltersgrenze zumRenteneintritt stufenweise auf 67 Jahre angehoben. – Ichglaube, die Symbolik der Zahlen ist hier nicht unwichtig.Deswegen finde ich auch die Idee gut, zu sagen: Warumlassen wir nicht die Menschen, die über die Regelalters-grenze hinaus arbeiten wollen, dies auch tun? Die Mit-telstandsvereinigung der Union hat hierzu einen, wie ichdenke, bemerkenswerten und klugen Vorschlag gemacht.Ich meine, wenn Menschen Arbeit wichtig ist, sollten sieauch ein wenig mehr Flexibilität hinsichtlich des Ren-teneintritts bekommen.
Das ist nicht nur gut für die Arbeitnehmer, sondern auchfür die Betriebe, die auf diese Art und Weise Erfahrungund Know-how länger binden können. Ich will den ös-terlichen Frieden ja nicht überstrapazieren, aber ichwürde mir eine konstruktive Aufnahme dieses Vor-schlags wünschen.
Ich nehme auch die Sorgen der jungen Generationernst, die fragt: Wie ist es um die Nachhaltigkeit desRentenpakets bestellt? Zahlen wir als junge Generationnicht am Ende die Zeche? – Es ist ja richtig: Die Kostendes Rentenpakets sind in der Gesamtbetrachtung hoch.Aber nicht alles trägt die junge Generation. Auch Rent-ner selbst werden ebenso wie Steuerzahler an der Finan-zierung des Rentenpakets beteiligt.
Ich warne aber davor, hier einen Generationenkonfliktherbeizureden; denn wir investieren an anderer Stelleviel in die Chancen der jungen Generation, in ihre Bil-dungschancen, in ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt.Und wir stellen mit Befriedigung fest: Wir haben eineder niedrigsten Raten der Jugendarbeitslosigkeit in Eu-ropa.
Meine Damen und Herren, der Kollege Kurth hat eseben angesprochen: Ich glaube schon, dass die Tatsache,dass wir ab 2015 keine neuen Schulden mehr machen,ein wirklich guter Beitrag zur Generationengerechtigkeitist, und darauf können wir stolz sein.
Abschließend noch ein Gedanke. Wir werden auch indieser Legislaturperiode noch über die Frage zu redenhaben, wie wir auch über die Rentenpolitik Altersarmutverhindern können. Wir werden mit dem Mindestlohneinen kleinen Schritt gehen, um Altersarmut zu verhin-dern, im Übrigen auch einen Schritt – so hoffe ich we-nigstens –, um weitere Beiträge zur Rentenversicherungzu generieren. Wir stehen mit dem Rentenpaket und demGesetz über den Mindestlohn durchaus vor einer Zäsur,die manchem unbehaglich ist. Diese Sorgen sollten wirernst nehmen und argumentativ entkräften, unaufgeregtund sachlich. Und natürlich wünsche ich mir als Parla-mentarier auch, dass das bessere Argument der Feinddes guten Arguments ist und wir mit Macht demStruck’schen Gesetz Geltung verschaffen, wonach nochkein Gesetz den Bundestag so verlassen hat, wie es inden Bundestag gekommen ist.Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Albert Stegemann.
Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen! LiebeKollegen! Heute beraten wir in erster Lesung das Gesetzüber Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Ren-tenversicherung. Kein anderes politisches Projekt wirdzurzeit derart kontrovers diskutiert. Das Schauspiel, dassich hier täglich auftut, erinnert mich immer an folgen-des Zitat: „Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wennalle unzufrieden sind.“ – „Unzureichend geprüft“, „zuteuer“, „ungerecht“ – das sind nur einige Schlagwortevon scheinbar sozialen Initiativen. Wenn diese und Wirt-schaftsverbände befinden, dass wir an dieser Stelle zuweit gehen, die Fraktion Die Linke uns aber vorwirft,dass wir nicht weit genug gehen, dann scheinen wir dasMaß der Mitte nicht ganz aus den Augen verloren zu ha-ben.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2021
Albert Stegemann
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Ich bin selbst Unternehmer, jedoch umso mehr er-staunt, welche selbsternannten Wirtschaftsexperten sichmit verschärfter Rhetorik in dieser Debatte zu Wort mel-den, und das ganz offenkundig, ohne das große Ganzeim Blick zu haben. Ehrlich gesagt, mir geht das langsamauf die Nerven.Schauen wir uns das vorliegende Gesetz noch einmalgenau an:Bei der Mütterrente zweifelt doch kein Mensch in deröffentlichen Diskussion an, dass wir bisher eine Un-gleichbehandlung der Mütter haben, die ihre Kinder vorbzw. nach 1992 geboren haben. Ferner zweifelt niemandan, dass es sich hierbei um ein Gerechtigkeitsdefizit han-delt. Wie man überhaupt auf die Idee kommt, das teil-weise Schließen einer Gerechtigkeitslücke als ungerechtzu bezeichnen, das muss mir erst mal einer erklären. Daseinzig Ungerechte an der Mütterrente ist, dass sie erstjetzt kommt; vorher war sie jedoch nicht finanzierbar.Mit den geplanten Verbesserungen bei der Erwerbs-minderungsrente wollen wir soziale Härten abfedern.Das betrifft jedes Jahr fast 170 000 Menschen, die ausihrem Job ausscheiden, bevor sie das Rentenalter errei-chen. Den Arbeitsplatz zu verlieren, das berufliche Um-feld aufzugeben und die eigene Lebenssituation neu zuordnen – dies bedeutet einen harten Einschnitt, oft mitfinanziellen Folgen verbunden. Es geht uns doch im We-sentlichen darum, die Lücke im Rentenkonto aufzufül-len, die durch fehlende Beitragszahlungen aufgrund ei-ner verminderten Erwerbstätigkeit – sprich: durchKrankheit – entstanden ist. Dies ist, mit Verlaub, nichtüberflüssig – nein, dies war überfällig.
Bei den Kosten des Rehabudgets, das ebenfalls Be-standteil des Rentenpaketes ist, kann man sogar von ei-ner Investition sprechen: Getreu dem Motto „Reha vorRente“ soll mit den zusätzlichen Mitteln des Rehabud-gets ein aktiver Beitrag zu einem längeren Erwerbslebengeleistet werden. Wer nach langer Krankheit wieder sei-ner Beschäftigung nachgeht, ist ein Gewinn für die Ver-sichertengemeinschaft. Das Rehabudget dient der Unter-stützung betroffener Menschen, die ihr Leben nochselbst aktiv gestalten wollen.
Ich komme abschließend zu dem Teil des Rentenpa-ketes, welcher besonders viele Gemüter zu erregenscheint. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die ab-schlagsfreie Rente für besonders langjährig Versicherteheißt so, wie sie heißt, da der Begriff der Rente mit 63vollkommen irreführend ist. Kein Abgeordneter inner-halb der Unionsfraktion will eine Abkehr von der letztenRentenreform. Allen Akteuren ist klar, dass sich die de-mografische Problematik nicht entspannt hat. Es gehtausschließlich darum, Rentnern, die ihr Leben lang gear-beitet haben, für eine Übergangszeit die Möglichkeit zugeben, nach 45 Jahren abschlagsfrei mit 63 in Rente zugehen. Bislang müssen Arbeitnehmer Abschläge in Kaufnehmen. Nur darum geht es. Deshalb liegen die Kostenfür diesen Teil des Rentenpaketes bei nur etwa 25 Pro-zent der Gesamtkosten.Apropos Kosten: Den Zeitgenossen, die dazu überge-hen, die Kosten der Rentenreform auf 160 MilliardenEuro bis 2030 zu schätzen, sei gesagt, dass diesen Kos-ten Einnahmen in Höhe von 4 000 Milliarden, also 4 Bil-lionen Euro, gegenüberstehen.
– Danke schön, Herr Birkwald, das freut mich. – Was ichdamit sagen will: Das Kumulieren von Kosten überlange Zeiträume führt nur zur Verwirrung und nicht zueinem wirklichen Mehrwert in der Diskussion.
Ferner ist sich die Regierungskoalition darüber einig,dass ein geeignetes Instrument zur Vermeidung einerFrühverrentungswelle gefunden werden muss. Geradeältere Arbeitnehmer sind wertvolle Arbeitskräfte. Aufihr Wissen und ihre Erfahrung können wir nicht verzich-ten. Daher muss ein flexibler Renteneintritt möglichsein.Für Arbeitnehmer, die im Einvernehmen mit ihrenArbeitgebern über den Renteneintritt hinaus arbeitenwollen, müssen wir vorhandene gesetzliche Barrierenabbauen. Hier gilt es jedoch, rechtliche Prüfungen abzu-warten. Somit sollte gelten: Gründlichkeit vor Schnellig-keit.
Die Regierungskoalition hat ihre Hausaufgaben ge-macht. Es ist ein Kompromiss zwischen den Regierungs-parteien gefunden worden, der zwar nicht alle Interessenberücksichtigen kann; aber dennoch kommt die Koali-tion ihrem Auftrag nach, im Sinne des Volkes und zudessen Wohl zu handeln.Die Reformen sind Reaktionen auf die veränderte Le-bensrealität unserer Mitbürger und auf die gute wirt-schaftliche Situation. Deshalb schließe ich mit einem Zi-tat eines Ehrenbürgers aus meiner Heimat:Ich wünsche allen Beteiligten ein gesundes MaßGelassenheit und Gottvertrauen, wenn Interessen-vertreter bzw. die Medien mal wieder dabei sind,die eine oder andere Sau durchs Dorf zu treiben.Vielen Dank.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist derKollege Tobias Zech für die CDU/CSU-Fraktion.
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2022 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der erste
Entwurf des Leistungsverbesserungsgesetzes in der ge-
setzlichen Rentenversicherung steht. Der Entwurf ist der
Bauplan für das Gebäude, das wir noch errichten müs-
sen; wir treten ja erst heute – das wurde mehrfach ange-
sprochen – in das parlamentarische Verfahren ein.
Die Grundlage ist gelegt. Jetzt geht es darum, an den
Details zu arbeiten. Ein Haus soll entstehen – um bei
diesem Bild zu bleiben –, in dem möglichst viele woh-
nen können: Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Alte und
Junge, Starke und Schwache. Es sollte auch nicht nach
einer Generation wieder einstürzen.
Zum Thema Generationenpolitik. Herr Kurth, ich
fand es gut, wie leidenschaftlich Sie vorhin Ihre Position
vertreten haben. Aber man muss eines sagen: Wir wer-
den zum ersten Mal seit 25 Jahren wieder Leistungsver-
besserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung er-
möglichen – und das, ohne die zentralen Aussagen
unseres Wahlprogramms zu verlassen, nämlich: keine
Steuererhöhungen und keine neuen Schulden. Das ist ge-
nerationengerechte Politik. Das ist Politik für die junge
Generation, für die ich hier sprechen darf.
Was sind also die Bausteine des Rentenpaketes? Die
Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente – Kol-
lege Schiewerling hat dies sehr deutlich ausgeführt –
sind aus meiner Sicht der wichtigste Bestandteil; denn
damit helfen wir denen, die von Altersarmut bedroht
sind, die keinerlei Aussicht darauf haben, im Rentenalter
ein entsprechendes Auskommen zu haben. Hier hätte
man durchaus mehr tun können, aber wir sind auf einem
richtigen Weg.
Das Thema Rente mit 63 ist nicht unbedingt mein
Wunschthema. Hinsichtlich der abschlagsfreien Rente
nach 45 Beitragsjahren sind wir uns, glaube ich, einig.
Die Frage ist, wie wir die Ausnahmen definieren. Wir
sind uns einig – das ist der erste Schritt –, dass wir keine
Frühverrentung wollen, weil wir die Fachkräfte, die gut
ausgebildeten älteren Mitarbeiter im Unternehmen be-
lassen wollen. Hier sollten wir ins Detail gehen und
schauen, wie wir damit umgehen können.
Es gibt einen Vorschlag: Erstattung von Beiträgen.
Das hatten wir schon einmal in Deutschland. Wir haben
gelernt, dass das nicht richtig funktioniert. Aus meiner
Sicht sollte man versuchen, die unbilligen Härten, die
Sie, Frau Ministerin, in Ihrem Begleitschreiben zum Ge-
setzentwurf gut beschrieben haben, abzufedern. Die
Grundlage des Gesetzentwurfs ist aber, dass man
45 Jahre lang Beiträge gezahlt hat, dass man 45 Jahre
lang eine Leistung erbracht hat. Insofern bin ich dafür,
dass wir für die Vergangenheit eine Arbeitslosenzeit von
bis zu fünf Jahren berücksichtigen, aber ab dem 1. Juli
2014 eine lückenlose Erwerbsbiografie fordern. Dann
haben wir ein zukunftsfähiges Konzept.
– Das ist nicht ungerecht.
Unverständlich in diesem Zusammenhang ist, wes-
halb die freiwilligen Beitragszahler nicht in den Genuss
der abschlagsfreien Rente kommen sollen. Diverse Aus-
nahmen wurden vom Ministerium aufgezählt, die bei
den 45 Jahren richtigerweise berücksichtigt werden: Zei-
ten der Pflege und Kindererziehung, Wehrdienst, Weiter-
bildungen und sogar – für die Vergangenheit – Arbeitslo-
senzeiten. Was ist aber mit dem selbstständigen
Handwerker, der 45 Jahre freiwillig durchgehend einge-
zahlt hat? Für den soll das nicht gelten? Wille und Ziel
ist es doch, besonders langjährige Beitragszahler zu be-
lohnen und zu entlasten. Freiwillig Versicherte haben ge-
nauso lange gearbeitet, genauso hart geschuftet, genauso
eingezahlt und damit das Sozialversicherungssystem so-
gar freiwillig unterstützt. Hier sehe ich einen massiven
Nachbesserungsbedarf.
Die Rente nach 45 Beitragsjahren bedeutet eine Flexi-
bilisierung nach unten. In der jetzigen Zeit – das gilt ins-
besondere, wenn man den demografischen Wandel und
die Zukunftsfähigkeit unseres Landes betrachtet – soll-
ten wir auch in die andere Richtung flexibilisieren. Es
gibt ja schon Diskussionen über einen flexibleren Ren-
teneintritt. Ich denke, wir müssen über die Möglichkei-
ten diskutieren. Das fängt bei den Arbeitgeber- und
Arbeitnehmerbeiträgen zur Arbeitslosen- und Renten-
versicherung an. Wir müssen aber auch überlegen, wie
wir das Teilzeit- und Befristungsgesetz neu gestalten
können.
Ich freue mich auf die Diskussion. Es gibt genügend
Möglichkeiten. Packen wir es gemeinsam an! Frau
Ministerin, Sie haben vorhin gesagt, dass Sie schon
mehrmals gefragt wurden, ob Sie das schaffen. Ich
denke, Sie schaffen das, aber nur gemeinsam mit uns.
Dann haben wir ein gutes Paket und eine gute Lösung
für die Rentner in Deutschland.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 18/909 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esdazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dannist die Überweisung so beschlossen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 4:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch-führung der Direktzahlungen an Inhaberlandwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen vonStützungsregelungen der Gemeinsamen Agrar-
Drucksache 18/908
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2023
Präsident Dr. Norbert Lammert
(C)
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Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auchfür diese Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Das istoffenkundig einvernehmlich. Dann können wir so ver-fahren.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächstder Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich entnehme der Rednerliste, dass KollegeWiese heute seine erste Rede im Parlament hält.
– Nicht. Dann haben wir heute vielleicht einen anderenNeuling. Ich wollte damit nur darauf hinweisen, dass ichzwar schon die eine oder andere Rede in diesem Hausegehalten habe, aber meine heutige Rede zur Landwirt-schaft meine erste in dieser Zuständigkeit ist.
Insofern fühle ich mich mit den Erstrednern sehr verbun-den.
Herr Minister, das Präsidium verfolgt das natürlichauch mit besonderer Aufmerksamkeit. Ich kann Ihnenden Bonus für Erstredner, den das Präsidium im Übrigengelegentlich gewährt, trotzdem nicht in Aussicht stellen.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährungund Landwirtschaft:Herr Präsident, herzlichen Dank. Aber man versuchtes doch immer wieder.
Ich will allerdings darauf hinweisen – wenn Sie nocheine persönliche Bemerkung gestatten –, dass ich bisherinsbesondere in Ministerien tätig war, die nicht unmittel-bar Erfahrungen mit dem Föderalismus in voller Intensi-tät haben. Das Bundesministerium der Verteidigung unddas Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammen-arbeit und Entwicklung ziehen Bundeskreise, aber keinestark föderalen Kreise. Das ändert sich jetzt natürlich fürmich sehr. Frau Kollegin Höfken, wir beide, Sie und ich,und 15 andere Landesminister und Senatoren werdensich ab heute Mittag in Cottbus zur Agrarministerkonfe-renz treffen. Ich darf schon jetzt darauf hinweisen – ichbedanke mich für das Verständnis bei allen Fraktionen –,dass das für mich bedeutet, dass ich leider nicht die ge-samte Debatte verfolgen kann,
sondern mich nach der ersten Runde hier verabschiedenmuss; denn dann darf ich mich den geschätzten Kolle-ginnen und Kollegen der Länder stellen.
Landwirtschaft gehört in die Mitte der Gesellschaft.Sie sichert unsere Lebensgrundlagen. Sie sichert auchweite Teile unserer so geschätzten Lebensqualität. Des-halb halte ich es für sehr angemessen und freue mich da-rüber, dass die Landwirtschaft heute in der Kernzeit indiesem Haus debattiert wird.
Das ist Ausdruck von Wertschätzung für Wertschöpfung.Darum wird sich mein Ministerium als Lebensministe-rium in dieser Legislaturperiode kümmern, auch in derHoffnung, dass wir weitere Debatten zu guter Zeit füh-ren können.Die fast 300 000 Bauernfamilien, die wir in Deutsch-land haben, stehen am Anfang der Wertschöpfungskette.Im christlichen Sinne ziehen sie die Früchte aus dem Bo-den und arbeiten als Gärtner mit der Schöpfung. Sie ha-ben den Auftrag, Menschen zu ernähren und mit dennatürlichen Ressourcen schonend umzugehen. Dabei er-füllen sie Aufgaben und Auflagen im Interesse der Ge-sellschaft, die über den Preis nicht abgegolten werdenkönnen. Zudem haben sie mit natürlichen Widrigkeitenzu kämpfen. Mehr als alle anderen sind sie von der Wit-terung und von klimatischen Entwicklungen betroffen.Im Gegenzug, so meine ich, haben sie Unterstützungverdient: Direktzahlungen, und zwar unabhängig davon,wie viel und was sie produzieren – ich glaube, es ist derrichtige Weg, dies zu entkoppeln –, gebunden an die Flä-che, die sie pflegen, und bald deutschlandweit in glei-cher Höhe; bis heute fallen die Direktzahlungen in denverschiedenen Bundesländern unterschiedlich hoch aus.Verweigern wir unseren Bauern diese Unterstützung, ge-fährden wir die vielfältigen Agrarstrukturen und beein-druckenden Landschaften in Deutschland. Darum gehtes heute in dieser Debatte.Wie gestalten wir ab 2015 ein System der Anerken-nung für Leistungen, von denen wir alle als Verbrauche-rinnen und Verbraucher profitieren? Ja, die Zahlungensollen der Natur und unseren Lebensgrundlagen und na-türlich insbesondere der Landwirtschaft zugutekommen.
Ich habe damit den Spannungsbogen dargestellt, in-nerhalb dessen wir uns, wie ich meine, am besten in ei-ner pragmatischen, vernünftigen Weise auseinanderset-zen. Es geht um fundamentale Gerechtigkeitsfragen. Diepolitischen Entscheidungen, ob in Brüssel, hier im Deut-schen Bundestag oder im Bundesrat, wirken sich unmit-telbar auf wirtschaftliche Existenzen und das Schicksalvon Menschen aus, die an erster Stelle in der Wertschöp-fungskette Verantwortung übernehmen. Ich meine, dasses richtig und gut ist, dass wir dem Anspruch auf Ver-lässlichkeit und Planungssicherheit gerecht werden.
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2024 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Bundesminister Christian Schmidt
(B)
Die Direktzahlungen haben für viele Bauern im Landeine Schlüsselbedeutung. Der durchschnittliche Anteilder Direktzahlungen am Einkommen der Betriebe lag imWirtschaftsjahr 2012/2013 bei einem Drittel, bei 34 Pro-zent. Mit anderen Worten: Die Direktzahlungen sindeine ihrer Existenzgrundlagen. Unabhängig davon, wieman sich dazu stellt, muss jedem klar sein: Wir müssenunseren Landwirten diesen Ausgleich für besondershohe Anforderungen zubilligen.Lassen Sie mich nebenbei bemerken, dass ich auf-grund meiner langjährigen parlamentarischen Erfahrungmit Regelwerken und Gesetzen glaube, ein wenig Ah-nung zu haben. Aber angesichts der Volumina und De-tails der Regelungen im landwirtschaftlichen Bereichkommt es zu Überraschungseffekten,
die auch alte Fahrensleute noch in tiefes Erstaunen ver-setzen und manche Frage auslösen.
Kollege Ostendorff, mir hat ein erfahrener grünerPolitiker – nicht mehr aktiv – vor ein paar Tagen gesagt:Passt bitte auf, dass ihr bei der Ökoverordnung, die dieEuropäer auf den Weg bringen wollen, keine Handbü-cher schreibt,
sodass sie niemand mehr wirklich umsetzen kann, vorallem die kleineren Betriebe nicht. – Wir müssen dendeutschen Bauern, was die finanzielle Seite angeht, imRahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik Stabilität ver-sprechen.4,8 Milliarden Euro stehen pro Jahr für die Direktzah-lungen zur Verfügung, und das bis zum Jahr 2020. Siewissen, dass wir vor einigen Jahren ganz andere Be-fürchtungen hatten. Es gab allerhand Begehrlichkeiten,ob sie nun von anderen europäischen Ländern – ich erin-nere an die Diskussion mit den osteuropäischen Nach-barn – oder von anderen Politikbereichen vorgetragenwurden; es wurde gesagt, Landwirtschaft sei doch keineZukunftsbranche. Nein, die Landwirtschaft ist eine Zu-kunftsbranche, und es ist ein großer politischer Erfolg,dass es keine dramatischen Kürzungen geben wird. Ichbedanke mich bei allen dafür.
Neben der Einkommenssicherung und der Risikovor-sorge für unsere Landwirte haben wir ein weiteres Zielfest im Blick: Wir wollen die Bedingungen für einenachhaltige Landwirtschaft verbessern. Deshalb habenwir einen Gesetzentwurf vorgelegt, der auch basierendauf den Beratungen der Sonder-Agrarministerkonferenzvom November letzten Jahres die Umschichtung derMittel fest verankert hat.Wir wollen 4,5 Prozent der jährlichen Obergrenze fürdie Direktzahlungen als zusätzliche Mittel für die För-derung der ländlichen Entwicklung umschichten. Dasmacht rund 229 Millionen Euro aus, Jahr für Jahr. Damitstehen den Ländern 1,1 Milliarden Euro zusätzlich füreine nachhaltige Landwirtschaft zur Verfügung. DiesesGeld kann gut investiert werden: für Grünlandstandorte,für eine besonders tiergerechte Haltung, für die Haltungvon Raufutterfressern, für Agrar-, Umwelt- und Klima-schutzmaßnahmen, für den Ausbau des ökologischenLandbaus. Ich bin froh, dass wir in eine Zeit kommen, inder keine ideologischen Gegnerschaften mehr kultiviertwerden, sondern eher das Miteinander die Perspektiveist.Die Bundesländer haben sich verpflichtet, die zusätz-lichen Mittel für diese Zwecke und damit landwirt-schaftsnah zu verwenden. Ich nenne das politisch sinn-voll und eine Umschichtung mit Augenmaß. Ja, wirnehmen von dem Geld, das den Bauern bislang unmittel-bar zugutegekommen ist; aber im Vorfeld waren hiernoch ganz andere Beträge in der Diskussion. Zugleichhilft diese Umschichtung dabei, die Mittel im ländlichenRaum zu halten. Es sind die EU-Fördermittel ja um ins-gesamt fast 9 Prozent gekürzt worden.Die Fördermittel sollen im Ergebnis um 4 Prozent an-wachsen. Kein Zweifel: Beides, starke Landwirtschaftund starke ländliche Entwicklung, geht bei uns, bei die-ser Bundesregierung, Hand in Hand. Die Förderung derLandwirtschaft wird umweltgerechter; denn 30 Prozentder Direktzahlungen kommen künftig dem Umwelt- undKlimaschutz zugute. Unsere Landwirte müssen zusätzli-che Leistungen erbringen. Sie dienen dem Erhalt vonDauergrünland, sie garantieren eine größere Vielfaltbeim Anbau der Feldfrüchte, und sie führen zu ökologi-schen Vorrangflächen. Ab 2015 müssen unsere Land-wirte 5 Prozent der Ackerflächen als ökologische Vor-rangflächen bereitstellen. Das EU-Recht eröffnet ihnendabei einen Katalog von Möglichkeiten, den wir nutzensollten. Der reicht von Landschaftselementen wieHecken und Baumreihen über Pufferstreifen an Gewäs-sern bis hin zu Feldrandstreifen und Brachflächen. ZumStichwort „Baumreihen“ sei nur ganz kurz gesagt: Ichhöre, dass in den Ausführungsbestimmungen der Euro-päischen Kommission die Baumkronenbreite schon aufgenau 4 Meter festgelegt ist. Ein Wunsch an unsereTechniker wäre dann, dass wir solche Messungen mögli-cherweise satellitengestützt vornehmen könnten. Ich willdamit nur sagen: Liebe Leute, die ihr in Europa tätigseid, lasst bitte mal die Kirche im Dorf und den Baumdort, wo er steht!
Weiter zu nennen sind Flächen mit Zwischenfrüchtenund Eiweißpflanzen.Mit all diesen Möglichkeiten werden wir unsereLandwirte zukünftig zu mehr Umweltschutz und Bio-diversität ermutigen, und das ist gut und richtig so.Wenn wir es anders machen würden, müssten wirstilllegen. Stilllegung ist aber keine Antwort; Stilllegungist eigentlich ein Stück Kapitulation vor dem, was an-steht.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2025
Bundesminister Christian Schmidt
(C)
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Das heißt allerdings auch, dass wir auf ökologischenVorrangflächen eine Bewirtschaftung nach guter fachli-cher Praxis zulassen wollen. Es findet sich ein hohesMaß an Flexibilität in diesem Gesetzentwurf. Aber dasheißt auch, dass die gute fachliche Praxis bei Zwischen-früchten und Eiweißpflanzen möglich sein muss. Wirwollen den Landwirten mit unserem Gesetzentwurfdiese Flexibilität geben.Ein Wort zur nationalen Umsetzung; das wird auchThema der Beratungen sein. Ich will das Struck’sche Ge-setz jetzt nicht zitieren, zumal es sich um eine Vorlagehandelt, die ich eingebracht habe; aber dass das Europäi-sche Parlament sich bei der Zustimmung zu den soge-nannten delegierten Rechtsakten nach Art. 290 des Ver-trags über die Arbeitsweise der Europäischen Unionnach dem Lissabonner Vertrag – das ist ein neues Instru-ment, das die Kommission hat – gegenwärtig schwertut,zeigt, dass hier noch Gesprächs- und Erörterungsbedarfist.
Wir werden heute Abend mit der EU-Kommission daseine oder andere besprechen können. An praktikablenLösungen für Themen wie „der aktive Landwirt“ müssenwir noch weiter arbeiten.Wir haben keine Kürzung oder Kappung der Direkt-zahlungen für sehr große Betriebe vorgesehen. Wir sa-gen nicht nur im Jahr der familienbetriebenen Landwirt-schaft: Die kleineren und mittleren Betriebe solltenschon gefördert werden, weil sie besondere Bedingun-gen haben. – Es ist also keine Kappung, sondern eine ge-wisse Unterstützung der kleineren Betriebe. Wir habenuns, wie Sie wissen, auf zusätzlich rund 50 Euro proHektar für die ersten 30 Hektar und etwa 30 Euro für dienächsten 16 Hektar geeinigt.„Der aktive Landwirt“ ist ein Begriff, der noch in eineAuslegungsliste der EU-Kommission kommen muss.Dazu sage ich: Wir dürfen nicht in zu starkem Maße mitNegativlisten arbeiten.
– Herr Präsident, ich entnehme der Gestik des HerrnFraktionsvorsitzenden, dass er mir vielleicht noch etwasschenkt.
Lieber Christian Schmidt, es ist Verhandlungssache,
wem wir dann die Redezeit wegnehmen. Aber ich will
Sie natürlich nicht unterbrechen. Das muss in Ihren Rei-
hen geklärt werden. – Bitte schön.
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Vorschlag: Ich bin in Kürze fertig; dann sind die Ver-
handlungen, wie ich das gern habe, schiedlich-friedlich
konstruktiv zu Ende geführt.
Ich kann natürlich nicht eine Diversifizierung im Ein-
kommen fordern, sagen: „Ihr Landwirte müsst auch an-
dere Einkommensquellen sinnvoll erschließen“, und an-
schließend, wenn sie das tun, meinen: „Jetzt seid ihr aber
keine reinen Landwirte mehr. Ich muss euch ausschlie-
ßen.“ – Das geht nicht!
Wir brauchen ein System der Anerkennung für die
Bauernfamilien und ihre unverzichtbare Wertschöpfung.
Ich denke, dass uns dies bei diesem Gesetzentwurf in gu-
ter Weise gelungen ist.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Christian Schmidt. Viel Erfolg bei Ihrer
künftigen Arbeit, nicht nur für den ländlichen Raum!
Nächste Rednerin: Dr. Kirsten Tackmann für die
Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Gäste! Ich verstehe sehr gut, dass alle Beteiligtenendlich wissen wollen, wohin der Hase läuft in der EU-Agrarpolitik; es ist immerhin schon 2014. Aber Ent-scheidungen schnell und demokratisch zu treffen, wider-spricht sich manchmal. Zumindest der Linken ist einekluge und demokratisch gefasste Entscheidung allemalwichtiger als eine schnelle,
gerade weil die Beschlüsse bis 2020 gelten sollen und er-heblichen Einfluss auf die Städte, die kleinen Dörfer undauch auf die Landwirtschaft haben werden. Deshalblohnt sich trotz allem Zeitdruck durchaus ein sehr prü-fender Blick auf die Vorschläge, die jetzt hier vorliegen.Dazu gehört allerdings auch eine Bewertung der ak-tuellen Situation, der Förderwirkungen und der Frage,wer von den Fördermitteln bisher profitiert hat. Ichselbst lebe in einem kleinen märkischen Dorf undkomme viel herum. Ich erlebe es, dass immer mehr Men-schen genau wissen wollen, wo, wie und von wem dieLebensmittel, die sie essen, hergestellt werden, Men-schen, die sich gerade im so sensiblen Lebensmittelbe-reich keinen rein wirtschaftlichen Verwertungsinteressenund der Geldgier ausliefern wollen. Sie sind die Verbün-deten aller Betriebe, die im Dorf Arbeitsplätze schaffen,ihre Leute vernünftig bezahlen und mit der Natur in Ein-klang produzieren.
Es ist doch grotesk: Einerseits genießt die Landwirt-schaft eine große Anerkennung in der Gesellschaft; Platzdrei in einer Emnid-Umfrage, welcher Beruf in der Zu-kunft für die Gesellschaft besonders wertvoll und wich-tig ist, zeigt das doch. Andererseits hört man zunehmend
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2026 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Dr. Kirsten Tackmann
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Kritik an Landwirtschaftsbetrieben, Schlachtbetriebenund Supermärkten. Das Vertrauen ist erschüttert, und dasnicht nur wegen Pferdefleisch und Antibiotikamiss-brauch. Es geht um das Pflügen bis an den Gewässerrandund den Waldrand heran. Es geht um Betriebe, die mitden Dörfern überhaupt nichts mehr zu tun haben, weilder Geschäftsführer nur noch einmal in der Wocheschaut, ob der Lohnunternehmer auf dem Acker seineArbeit getan hat. Es geht um Feldwege, die verschwin-den. Es geht um zu viel Dünge- und Pflanzenschutzmit-tel. Es geht um Äcker, die totgespritzt werden, um denErntezeitpunkt zu optimieren. Es geht um gentechnischveränderte Pflanzen, und es geht um das Verschwindenvon Allerweltsarten wie Lerche und Kiebitz. Geradejunge Leute ernähren sich immer häufiger vegan odervegetarisch, weil sie die Tierhaltungsbedingungen nichtmehr mitverantworten wollen.
Ja, immer mehr Menschen wissen nicht mehr, wie Le-bensmittel auf dem Acker, im Stall und im Gewächshausproduziert werden. Gerade deswegen brauchen wir einenintensiven Dialog zwischen Verbraucherinnen und Ver-brauchern und der Landwirtschaft – aber auf Augen-höhe. Dann verstehen vielleicht mehr Menschen, welcheProbleme die Landwirtschaftsbetriebe haben. Ihre Pro-bleme entstehen zum Beispiel, weil sie Äcker an denStraßen- und Siedlungsbau, an nichtlandwirtschaftlicheInvestoren oder an den Hochwasserschutz verlieren oderweil erfolgreicher Artenschutz für sie zusätzliche Pro-bleme bereitet, etwa mit Bibern oder Wölfen.Aber viele Probleme sind auch die Folge einer fal-schen EU-Agrarpolitik. Das fängt beim Preisdumpingauf dem Weltagrarmarkt an, geht weiter mit Agrarbetrie-ben, die gegenüber immer größeren Schlachthöfen, Mol-kereien und Supermärkten machtlos sind, und hört beider Preistreiberei beim Kauf oder bei der Pacht vonÄckern nicht auf. Deswegen sage ich ganz klar: Einenoch so kluge Agrarförderpolitik wird scheitern, wennes keine sozial und ökologisch fairen Marktbedingun-gen, wenn es nicht mehr regionale Verarbeitung und Ver-marktung und wenn es keinen konsequenten Kampf ge-gen Bodenspekulation gibt.
Aber auch eine falsche Agrarförderpolitik hat zu denProblemen beigetragen. Es war zwar richtig, 2005 ausder gekoppelten Produktion auszusteigen und auf dieFörderung der Flächenbewirtschaftung umzustellen;aber die Verlierer sind zum Beispiel die Schaf- und Zie-genhalter, die ohne Mutterschafprämie kaum noch über-leben. Sie werden aber dringend gebraucht, zum Beispielfür die Deichpflege oder für die Offenhaltung der Land-schaft. Hecken sind der Flächenbeschaffung oft zum Op-fer gefallen. Viele Betriebe haben die Tierhaltung aufge-geben. Also: Ein einfaches Weiter-so ist überhaupt keineOption.
Deshalb sagt die Linke ganz klar: Öffentliches För-dergeld muss für öffentliche Leistungen zielgenauer aus-gegeben werden, also für mehr Arbeitsplätze, für mehrUmwelt und Klimaschutz. Aus Sicht der Linken wollteEU-Agrarkommissar Ciolos genau die richtigen Wei-chen stellen. Die Bundesregierung hat das aber langeblockiert und ist erst im letzten Moment auf den fahren-den Zug aufgesprungen, um sofort die Bremse zu über-nehmen.Zum Beispiel wollte Ciolos wie die Linke Betriebemit vielen Arbeitskräften fördern; denn eine große Ge-nossenschaft mit vielen Beschäftigten ist eben etwasanderes als eine große Agrargesellschaft. Dass dieseMöglichkeit ausgeschlagen wurde, ist eine klare Fehl-entscheidung. Wir wollten nur aktive Landwirte fördernund Konzerne von der Förderung ausschließen; auch daswird wohl nur bedingt gelingen. Wir waren für ökologi-sche Vorrangflächen in allen Betrieben, wollten dortaber Eiweißpflanzenanbau ermöglichen. Die Bundesre-gierung will nun, dass dort auch noch Düngemittel undPflanzenschutzmittel verwendet werden; aber das ist ab-solut kontraproduktiv.
Wir waren für ein Verbot der Umwandlung von Grün-land in Ackerland. Nun sollen aber auch Pflegeumbrü-che auf allen Grünlandflächen in Natura-2000-Gebietenverboten werden. Geplant ist also eine deutliche Nut-zungseinschränkung, und das nur aus bürokratischenGründen. Das halten wir für völlig falsch.
Es gibt also noch viele offene Fragen, die wir in derAnhörung am kommenden Montag dringend miteinan-der besprechen müssen – im Interesse der Verbrauche-rinnen und Verbraucher, der Landwirtschaft und desländlichen Raums.Vielen Dank.
Danke, Frau Kollegin. Nächste Rednerin: Ute Vogt
für die SPD.
Ganz herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Ich will dem Ministerium dan-ken, dass wir trotz des Wechsels, der in diesem Haus si-cherlich nicht nur für Ruhe gesorgt hat, doch rechtschnell zur zügigen Umsetzung dieses ersten Teils derEU-Agrarreform kommen. Ich bin Ihnen dankbar, HerrMinister, dass Sie die nachhaltige Landwirtschaft als einwichtiges Ziel nicht nur für die Landwirtschaft, sondernfür unsere gesamte Gesellschaft ausdrücklich nach vornegestellt haben.
Ich will nicht verhehlen, dass die EU-Agrarreform,wie wir sie jetzt vorliegen haben, hinter den heutigen
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2027
Ute Vogt
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Anforderungen an Ökologie und Nachhaltigkeit insge-samt zurückbleibt. Das ist nun bis 2017 festgelegt. Esgilt jetzt, das Beste daraus zu machen. Aber es stimmtauch der Satz: Nach der Reform ist immer auch vor derReform. – Wir müssen das, was passiert, auf jeden Fallkritisch begleiten, um daraus für die nächsten Schritteschon heute die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Es geht heute in der Debatte ebenfalls darum, dass wirdarüber diskutieren, wie wir die Beschlüsse der Agrar-ministerkonferenz umsetzen. Nur für jeden dritten Hoffindet sich in der heutigen Zeit noch ein Nachfolger,ganz selten auch eine Nachfolgerin. Ich denke, es ist gut,dass durch die Beschlüsse der Agrarministerkonferenzdie jungen Landwirte gestärkt werden. Es ist auch einwichtiger Schritt, dass kleinere Betriebe in Zukunft bes-ser gefördert werden können. Die 220 Millionen Euro,die von der ersten in die zweite Säule umgeschichtetwerden, helfen den Ländern durchaus, flexibel und sehrzielorientiert zu steuern. Leider, muss ich sagen, habendie Agrarminister der Länder es nicht geschafft, dieSpielräume etwas stärker zu nutzen. 4,5 Prozent der Mit-tel – das sind diese 220 Millionen Euro – werden umge-schichtet. Das ist ein erster Schritt; aber wir hätten dieChance gehabt, bis zu 15 Prozent zu gehen. Ich sage fürmeine Fraktion, dass wir es gerne gesehen hätten, wenndas, was es an Umschichtungsmöglichkeiten gibt, ausge-schöpft worden wäre;
denn diese Mittel geben uns Spielraum, zum Beispiel zurUnterstützung artgerechter Tierhaltung, aber auch zurUnterstützung der ökologischen Bewirtschaftung. 220 Mil-lionen Euro – das klingt nach viel Geld, ist aber dochnicht so viel, wenn man sieht, dass dieses Geld auf dieLänder und dann auch noch auf die Betriebe zu verteilenist.Der einstimmige Beschluss der Länderagrarministerist von uns nicht mehr zu ändern, wir müssen ihn so neh-men. Umso mehr kommt es jetzt darauf an, was wir inder parlamentarischen Beratung aus der Gesetzesvorlagemachen. 30 Prozent der Direktzahlungen sind mit soge-nannten Greening-Auflagen versehen. Es geht dabei umdie Einhaltung von Fruchtfolgen, es geht um den Erhaltvon Dauergrünland, es geht um ökologische Vorrangflä-chen. In der Tat haben wir hier einiges noch zu sichern;denn wenn wir uns die letzten Jahrzehnte anschauen, er-kennen wir: Seit den 70er-Jahren sind in Bayern etwa30 Prozent der früheren Grünlandflächen verloren ge-gangen, in Ost- und Norddeutschland Untersuchungenzufolge sogar bis zu 80 Prozent. Ich denke, es ist einwichtiges Ziel, dass Grünland in Zukunft nicht mehr ver-loren geht, sondern im Zweifel auch wieder verstärktvorhanden ist.
Dabei ist es wichtig, zu sehen, dass Grünland nichtgleich Grünland ist. Der Wert dieser Flächen für den Kli-maschutz und die Artenvielfalt hängt nämlich stark da-von ab, welche Bewirtschaftungsweise angewandt wird.Deshalb müssen wir bei den kommenden Beratungen,angefangen mit der anstehenden Anhörung, auf alleFälle im Blick haben, dass die Art der Bewirtschaftungdieser Flächen im Vordergrund steht. Es geht nicht alleindarum, Grünland zu erhalten; es muss auch eine sehrsorgsame Bewirtschaftung stattfinden.Ein besonderes Augenmerk will ich noch auf die öko-logischen Vorrangflächen legen. Es findet ein teilweisesogar sehr emotionaler und erbitterter Streit um diesesThema statt. Ich bin ausdrücklich dafür, dass wir zur Si-cherung der Biodiversität und der Artenvielfalt strikteVorgaben für diese Vorrangflächen machen.Allen, die aufgeregt schreien, kann man im Sinne desMinisters, der auch schon dazu aufgefordert hat, nur sa-gen: Lassen Sie die Kirche im Dorf. – Es geht um ganze5 Prozent der Ackerflächen, die ökologische Vorrangflä-chen werden sollen. Wenn man das umrechnet, siehtman, dass das gerade einmal 595 000 Hektar von insge-samt 11,9 Millionen Hektar bei uns sind. Ich denke, wirtäten gut daran, den ökologischen Vorrang für diese sehrkleine Fläche am Ende wirklich besonders ernst zu neh-men.
Ökologischer Vorrang bedeutet, dass bei der Bewirt-schaftung dieser Flächen ökologische GesichtspunkteVorrang vor wirtschaftlichen haben müssen. Es geht da-rum, dass wir hier unsere Spielräume nutzen, indem wirzum Beispiel – das wurde in der Debatte schon erwähnt –den Einsatz von Pestiziden auf diesen Flächen tatsäch-lich untersagen. Das finde ich ein wichtiges Ziel. Wirwerden noch ein bisschen darüber diskutieren müssen –sicherlich auch in der Koalition. Aber ich finde: Es gibthier Spielräume. Es geht nicht nur um Pestizide, sondernauch um mineralische Dünger.
Ich glaube, bei der Ausgestaltung des Gesetzentwurfsund den daraus folgenden Verordnungen haben wir nocheiniges zu tun.
Ich will Ihnen auch für die Diskussion noch einmal inErinnerung rufen, dass die Vorgaben, die wir machen, imSinne des Gemeinwohls erfolgen; denn hier wird ja nichtwenig Geld verteilt. Bei allem Verständnis dafür, dassdies eine wichtige Unterstützung für die Landwirte ist,die viel tun, um unsere Ernährung zu sichern und unsereKulturlandschaft zu erhalten, muss man deutlich ma-chen, dass es sich um öffentliche Gelder, also Steuermit-tel, handelt und dass es deshalb keine Anmaßung ist,wenn man für die Vergabe dieser öffentlichen Gelderentsprechende Auflagen vorsieht.Ich freue mich auf die Beratungen und glaube, wir ha-ben einiges zu diskutieren – durchaus auch strittig. Es
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2028 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Ute Vogt
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geht uns darum, im parlamentarischen Verfahren allenSeiten Rechnung zu tragen. Das tun wir beispielsweise,indem wir in der Anhörung alle Beteiligten zu Wortkommen lassen. Aus dieser Anhörung wollen wir dannunsere Schlüsse ziehen.Wir wünschen uns, dass nicht nur das Gesetz, sondernauch die Verordnungen die Handschrift der beidenMinisterien tragen, die dies gemeinsam zu verantwortenhaben. Wir haben vereinbart: Die Umsetzung auf demVerordnungswege geschieht im Einvernehmen zwischenUmwelt- und Landwirtschaftsministerium. Ich glaube,wenn wir bei der Umsetzung sowohl die Umweltaspekteals auch die Bedürfnisse der Landwirte berücksichtigen,dann haben wir eine Umsetzung geschafft, die unsererGesellschaft auf alle Fälle nutzen und das Wort „nach-haltig“ mit Sicherheit verdienen wird.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächste hat – und
ich begrüße sie recht herzlich – Staatsministerin Uli
Höfken, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Ernäh-
rung, Weinbau – das freut manche hier im Saal – und
Forsten das Wort für den Bundesrat. Frau Höfken, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ganz herzlichen Dank. – Ich danke auch der Grünen-fraktion dafür, dass ich die Sicht der Länder hier vortra-gen darf.Das ist natürlich ein wichtiges Thema für diejenigen,die dies alles umsetzen müssen. Wir haben in meinemBundesland Rheinland-Pfalz erreicht – und ich bin sehrfroh, dass ich dazu beitragen durfte –, dass sich die Be-nachteiligung der bäuerlichen Betriebe bei der Direkt-zahlung jetzt nach und nach dem Ende zuneigt. Ich mussan dieser Stelle in diesem Hohen Hause aber auch daraufhinweisen: Wir haben weniger Geld in der zweitenSäule. Das liegt auch sehr stark an den Kürzungen beider Gemeinschaftsaufgabe. Ich darf die Abgeordnetenund die Ministerien an ihre Zusage erinnern, die Mittelim Bereich des Hochwasserschutzes genauso wie die derGemeinschaftsaufgabe aufzustocken. Ich bitte Sie da-rum, das in den Haushaltsberatungen wahr zu machen.
Die Nachhaltigkeit hängt ja auch an dieser Unterstüt-zung, genauso wie Investitionsmöglichkeiten oder dieBodenordnung.Wir haben bei der GAP eine Reform auf den Weg ge-bracht, die ein wichtiger Schritt in die richtige Richtungsein könnte, wenn nicht diese Bundesregierung – dasmuss man natürlich sagen – wie auch die vorherige jedenFortschritt immer wieder ein ganzes Stück weit aushe-beln würde, und zwar auf allen Ebenen.Ein zentraler Punkt der GAP ist das Greening. Auchder Umweltausschuss des Bundesrates wendet sich ge-gen eine Verwässerung dieses elementaren Bestandteilsder Reform. Wir werden am 11. April diese Frage imBundesrat debattieren.Herr Minister Schmidt ist offensichtlich schon unter-wegs; dafür habe ich Verständnis.
– Entschuldigung, ich hätte mich nur einmal umdrehenmüssen. Schön, dass Sie noch da sind. – Sie haben öf-fentlich Gesprächsbereitschaft signalisiert. Ich freuemich, dass wir uns heute Abend über dieses Thema un-terhalten können.Sie haben in diesem Zusammenhang auch vor überzo-genen Kampagnen gewarnt. Dazu sage ich Ihnen: Wen-den Sie sich da einmal an Ihre Kolleginnen und Kollegenim Europäischen Parlament; denn diese drohen geradedamit, das Instrument der delegierten Rechtsakte durch-fallen zu lassen.
Das wäre eine echte Katastrophe für die Umsetzung aufLandesebene und würde die Betriebe vor Probleme stel-len, die wir so schnell gar nicht lösen können.Diese Haltung der CDU/CSU im Europäischen Parla-ment scheint dazu zu dienen, das Parlament dahin ge-hend unter Druck zu setzen, weitere agrarindustrielle In-teressen durchzusetzen.
Das merken wir schon jetzt. Wir haben gestern die Aus-legungsvorschläge der Kommission bekommen. Da siehtman: Es geht um eine Reduzierung der Nachhaltigkeits-elemente im Rahmen der GAP-Reform. Das werden wirso nicht hinnehmen.
Ich gehe auch davon aus, dass es hier – so habe ichmeine Vorrednerin, Frau Vogt, verstanden – nach wievor gemeinsame Ziele gibt, nämlich die Stärkung derumwelt- und tiergerechten Erzeugung und die Stärkungder bäuerlichen Landwirtschaft. Es geht auch darum, imDeutschen Bundestag dafür zu sorgen, ein weiteres Ar-tensterben, die Verseuchung des Trinkwassers oder dieSchädigung unserer Wälder zu verhindern. Das sind üb-rigens auch ökonomische Faktoren. Fragen Sie dazu ein-mal die Waldbesitzer.
Wir alle miteinander haben die Pflicht, die Artenviel-falt, die Biodiversität zu erhalten. Ich erinnere an dieBiodiversitätsstrategie, die Sie selber verabschiedet ha-ben, die Wasserrahmenrichtlinie und die nationalen Ge-setze dazu genauso wie an den Klimaschutz. Die Umset-zung dieser Ziele hat eng mit dem Greening zu tun.Darum will ich kurz auf drei Punkte eingehen, die sichvielleicht banal anhören, aber von großer Bedeutungsind.Der erste Punkt ist der Anbau von Zwischenfrüchten.Die Frage ist: Erlaubt man den Anbau von Zwischen-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2029
Staatsministerin Ulrike Höfken
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früchten als Greening-Maßnahme? Herr Minister Schmidt,es ist eben nicht so, dass gute fachliche Praxis und Vor-rangfläche grundsätzlich miteinander zu vereinbarensind, sondern es gibt durchaus Unterschiede zwischenökologischer Vorrangfläche und guter fachlicher Praxis;das ist meine feste Auffassung. Der Anbau von Zwi-schenfrüchten darf nicht zugelassen werden; das ist zwargute fachliche Praxis, aber keine ökologische Vorrang-leistung.
– Ja, als Erosionsschutz ist das gut, aber der Biodiversi-tät bringt das nichts.Ein zweiter Punkt sind Pestizide und Dünger. Wirmöchten verhindern, dass auf ökologischen Vorrangflä-chen Pestizide und Dünger ausgebracht werden. Daswürde das Ganze auf den Kopf stellen.
Der dritte Punkt. Grünland zu erhalten, ist eines derwichtigsten Ziele der GAP-Reform wie auch, so habeich es verstanden, dieser Bundesregierung. Also muss esdarum gehen, Grünland zu erhalten und dafür zu sorgen– das diskutieren wir auch auf der AMK –, dass es hierein Autorisierungssystem gibt, sodass wir nicht abwar-ten, bis die nächsten 5 Prozent Grünland verschwundensind.
Ich habe mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, wasMinisterin Hendricks zur Lage der Natur gesagt hat. Ichmöchte Sie alle beim Wort nehmen, gerade auch dieKollegen der SPD, die sich zurzeit als Merkels braveHelferlein etwas verspotten lassen müssen. Ich glaube,dass wir alle ungeachtet dessen, was im Bericht zur Lageder Natur steht, aufgefordert sind, dafür zu sorgen, dassdie nationalen Möglichkeiten zur Umsetzung des Gree-nings auch wirklich wahrgenommen werden, damit dasursprünglich in der GAP vereinbarte Ziel „öffentlicheGelder für öffentliche Leistungen“ realisiert werdenkann. Ich hoffe, dass wir gemeinsam zu einem guten Er-gebnis kommen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Ministerin Höfken. – Jetzt hat
Gitta Connemann das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer vonIhnen kennt Jemgum?
– Danke. Kollege Johann Saathoff, mein ostfriesischerNachbar. Sonst niemand? – Schade. Es ist dort nämlichwie im Paradies, sagen jedenfalls die Einheimischen undfinden auch die Gänse. Jedes Jahr im Frühjahr und imHerbst machen sie dort zu Zehntausenden Rast: Grau-gänse, Nonnengänse und Blessgänse. Auf dem Weg vomSüden in die nordischen Brutgebiete legen sie dort sozu-sagen einen Boxenstopp ein; denn ihnen wird ein reichgedeckter Tisch präsentiert: saftige grüne Wiesen.Die Gemeinde Jemgum ist zu 80 Prozent europäi-sches Vogelschutzgebiet. Das Gras genießen übrigensauch die Schwarzbunten. Ostfriesland ist für seine Wei-dekuhhaltung berühmt, und der Tourist erfreut sich andem Anblick dieser Kulturlandschaft – ja, Kulturland-schaft; ich betone das –; denn ohne bäuerliche Pflege,ohne Pflügen und Säen würde es das nicht geben.
Dann würde es auch keine Gänse geben. Dies zeigt ein-mal mehr: Naturschutz und Vogelschutz gehen nur mitder Landwirtschaft, nicht gegen sie.
Dies ist auf europäischer Ebene erkannt worden. Des-halb sollen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitikdie Leistungen unserer Landwirte für Umwelt- und Na-turschutz finanziell gestärkt und auch andere in Europadazu animiert werden. Denn es gibt ohne Frage auchAgrarflächen, die ökologisch geschädigt sind: über-düngte, versalzene oder vertrocknete Böden, die vomWinde verweht werden, zerstörte Lebensräume fürSchmetterlinge und Bienen, zum Teil auch für Vögelund Pflanzen. Hier braucht es mehr Anreize für Nach-haltigkeit über das Greening der Direktzahlungen unddie Förderung von Agrarumweltmaßnahmen, aber – dasbetonen wir – auf freiwilliger Basis, nicht durch Plan-wirtschaft. So lautet jetzt auch der politische Wille derEU. Dies war übrigens keine Selbstverständlichkeit;denn an der Reform schieden sich die Geister. Da wurdegestritten und gefeilscht; denn es geht um viel Geld, im-merhin den größten Haushaltsposten der EU, die Direkt-zahlungen. Ich betone: Das sind keine Subventionen– Herr Minister Schmidt hat darauf hingewiesen –, son-dern es ist ein Ausgleich für Leistungen, die die Land-wirtschaft erbringt. Aber sie sind zum Teil an die geflos-sen, die sie nicht brauchen: von großen Landbesitzernwie die Queen bis zur Industrie. Deshalb war eine Neu-ordnung erforderlich.Aber wie sollte diese aussehen? Es gab Fraktionen,die eine Agrarwende von oben wollten. Par ordre dumufti sollten 15 Prozent aller Flächen stillgelegt werden,und das in einer Zeit, in der Fläche so knapp und wert-voll ist wie nie zuvor.
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2030 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Gitta Connemann
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Bis zur Fruchtfolge sollte alles vorgeschrieben werden –Planwirtschaft, ersonnen am grünen Tisch. Damit wärejeder Landwirt zum ausführenden Organ degradiert wor-den. Dabei ist er der Fachmann, übrigens auch mit denerforderlichen regionalen Kenntnissen; denn Deutsch-land ist vielfältig,
von der Alm bis zur Salzwiese, vom Wald bis zum Wein,Frau Ministerin Höfken, übrigens immer von Menschen-hand geschaffen, so wie in Jemgum. Deshalb ist es auchgut, dass sich am Ende die Vernunft gegen staatliche Be-vormundung durchgesetzt hat. Die Reform der Agrarpo-litik bringt mehr Freiheit für Europas Landwirte.
Frau Connemann, erlauben Sie eine Zwischenfrage
von Harald Ebner?
Immer besonders gerne.
Oh, Harald, was geht denn da ab?
Habe ich etwas falsch gemacht?
Liebe Frau Kollegin, Sie haben von Freiwilligkeit ge-
sprochen. Ich möchte das unterstreichen. Ich möchte Sie
dazu fragen, ob denn die Annahme von Direktzahlungen
und das Stellen eines gemeinsamen Antrags nicht auch
eine freiwillige Entscheidung eines Landwirtes ist; denn
nur mit dieser Annahme der Direktzahlungen und dem
Stellen eines gemeinsamen Antrags würden die mit der
GAP verbundenen Greening-Auflagen greifen. Deshalb
möchte ich Sie fragen, wie Sie es da mit der Freiwillig-
keit halten?
Die Freiwilligkeit ist als Prinzip verankert, und das istgut so. Dass es natürlich im Detail schwierig werdenkann, ist klar. Das zeigt uns nicht nur dieses Gesetz, son-dern das zeigen uns gerade die delegierten Rechtsakte,die in Europa derzeit verhandelt werden. Ich bin übri-gens unserem Kollegen Albert Deß, der dafür sorgt, dassdort die Flexibilität wirklich hergestellt wird, die wir fürdie Landwirte vor Ort brauchen, außerordentlich dank-bar,
und ich bin unserem Minister Christian Schmidt dank-bar,
der seine Zustimmung zu den delegierten Rechtsaktenverwehrt hat, weil, wie er gesagt hat, noch nicht allesausreichend klar ist. Im Übrigen hat sich der Amts-schimmel tatsächlich im Kleingedruckten ausgetobt.Deswegen ist es gut, dass wir dies kontrollieren, übri-gens für mehr Flexibilität. Lieber Kollege Ebner, da binich absolut bei Ihnen.Wir waren bei der staatlichen Bevormundung.
Übrigens ist es immer gut für die Politik, auch in diesemHaus, nicht zu entscheiden, was ein guter Betrieb bzw.eine gute Bewirtschaftungsform ist und was nicht. Wir inder Union sagen: Wir brauchen alle. Wir brauchen dieökologischen, die biologischen und die konventionellenBetriebe ebenso wie die kleinen und die großen; dennwir brauchen Vielfalt für den Verbraucher, die er übri-gens bei uns hat. Ich glaube, es gibt kein Land auf derWelt, wo es so sichere Lebensmittel zu so bezahlbarenPreisen gibt. Auf die Leistung, die die deutsche Land-wirtschaft erbringt, können wir stolz sein.
Nun geht es an die Umsetzung der Reform. Jetzt wirdes haarig; denn der Teufel steckt bekanntlich im Detail.So warten wir auf die delegierten Rechtsakte und Ausle-gungsvermerke. Wir hatten gerade darüber gesprochen.Wir wünschen uns dort mehr Flexibilität. Aber ich sageauch sehr deutlich: Diese Flexibilität müssen wir natio-nal nutzen. Den ersten Aufschlag haben wir mit demUmverteilungsprämiengesetz getan, durch das kleinereund mittlere Betriebe zukünftig eine bessere Unterstüt-zung erhalten werden. Die Vorlage aus Ihrem Haus, lie-ber Herr Minister, war gekonnt; denn dieser Gesetzent-wurf ist ohne Gegenstimmen angenommen worden.Jetzt folgt das zweite Gesetz, das Direktzahlungen-Durchführungsgesetz, über das wir heute diskutieren.Darin steckt ganz viel Gutes. Lieber Herr Minister, Siehaben es dargestellt. Übrigens, für unsere Fraktion sageich deutlich: Wir sind froh, dass die Umschichtung derMittel auf 4,5 Prozent begrenzt wurde;
denn wir dürfen nie vergessen: Dies ist das Geld derLandwirtschaft,
und eine Umschichtung auf das Land ist für das Landschön, geht aber im Ergebnis zulasten der Landwirt-schaft.Es gibt viele andere Punkte, die Sie angesprochen ha-ben. Einen Punkt, lieber Herr Minister, beurteilen wir alsAgrarpolitiker der Union anders als Bund und Länder.Wir halten den Plan, alles Dauergrünland in Natura-2000-Gebieten, also in Vogelschutzgebieten und in FFH-Gebieten, als umweltsensibles Dauergrünland festschrei-ben zu wollen, für falsch.
Denn daraus folgt ein generelles Umwandlungs-,Tausch- und übrigens auch Pflugverbot. Keine Frage:Niemand will Umwandlung; aber eine Pflegemaßnahme
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2031
Gitta Connemann
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muss möglich bleiben. Alles andere ist fachlich nicht be-gründet und rechtlich auch nicht notwendig.Ohne Frage müssen wir Dauergrünland schützen;denn Wiesen binden Kohlenstoff. Deshalb verlangt dieEU, entsprechende Gebiete zu identifizieren, unter ande-rem extrem umweltgefährdete Gebiete innerhalb vonNatura-2000-Gebieten. Die EU gibt jedoch nicht vor,sämtliches Grünland in diesen Gebieten unter Schutz zustellen. Dies ist auch vernünftig; denn häufig geht es beidem eigentlichen Schutzziel des Gebietes um etwas ganzanderes, wie beim Vogelschutz in Jemgum.Ich verstehe, dass Bund und Landesregierungen nacheiner einfachen Abgrenzung gesucht haben. Aber die ge-fundene taugt, ehrlich gesagt, nicht.
Denn Dauergrünland ist nicht Dauergrünland, und Na-tura-2000-Gebiet ist nicht Natura-2000-Gebiet. Wirbrauchen hier differenzierte Betrachtungen. Dies schlägtübrigens auch unser bundeseigenes Institut, das Thünen-Institut, vor, das sich als Sachverständiger für die amMontag stattfindende Anhörung gemeldet hat. Dieses In-stitut sagt sehr deutlich: Bedenkt bitte, dass jede Vor-schrift dieser Art eine erhebliche Einschränkung zulas-ten eines Landwirts darstellt! Also macht es bitte nurdort, wo es wirklich erforderlich ist! Keine Pauschalie-rung! – Vor diesem Hintergrund muss ein Umbruch zumBeispiel durch Pflügen möglich bleiben.Es geht hier um Pflegemaßnahmen mit langer Tradi-tion. Seit Generationen wird der Boden alle paar Jahregepflügt und neu eingesät. Gerade erst solche Maßnah-men haben dazu geführt, dass wir besonders hochwerti-ges Grünland haben. Was noch schwerer wiegt, ist, dasswir anderenfalls das Vertrauen der Landwirte brechen;denn die Landwirte in Deutschland verlassen sich auf dieZusage der Politik, dass es nicht zu Bewirtschaftungs-veränderungen kommt, wenn zum Beispiel ein Gebietals Vogelschutzgebiet ausgewiesen wird. Dieses Ver-trauen ist schützenswert, jedenfalls für uns.
Wir wollen weiter Kühe auf der Weide. Wir wollenauch Gänse. Wir wollen aber keine schleichende Enteig-nung unserer Landwirte. Deshalb sagen wir deutlichNein zu der geplanten pauschalen Veränderungssperre.Wir müssen über andere Lösungen sprechen. EtlicheVorschläge liegen auf dem Tisch. Diese werden nun Ge-genstand des laufenden Gesetzgebungsverfahrens sein.Mein Parlamentarischer Geschäftsführer hat mir ge-sagt, dass ich nicht das Struck’sche Gesetz zitieren soll,weil darauf heute schon mehrfach hingewiesen wurde.Deswegen halte ich es mit dem Kollegen Holzenkamp,der immer sagt: Über uns Parlamentariern ist der blaueHimmel. – So ist es auch. Ich freue mich auf denblauen Himmel im Gesetzgebungsverfahren und aufdie – hoffentlich auch zukünftig – grünen Weiden un-ter unseren Füßen, so wie in Jemgum.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der Blick nach oben
gibt Ihnen recht, was den blauen Himmel angeht.
Kerstin Kassner für die Linke ist die nächste Redne-
rin.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Ich darf Sie nun auf eine kleine gedankli-che Fahrt zu mir nach Hause einladen. Entweder sind SieStädter – dann sehnen Sie sich regelmäßig nach demGrün und der freien Natur –, oder Sie sind wie ich einBewohner der ländlichen Räume. Diese machen immer-hin 58 Prozent der Fläche unserer Bundesrepublik aus.Auf dieser großen Fläche lebt etwa jeder vierte Einwoh-ner Deutschlands.In der Internetpräsentation des Landwirtschaftsminis-teriums steht, dass die ländlichen Räume nicht nur eineromantische Idylle sind; das kann ich mit Fug und Rechtunterschreiben. Das ist in der Tat so. Ich denke nur anmein Heimatland Mecklenburg-Vorpommern: wunder-schöne Wiesen und Seen, nicht zu vergessen das Meer,aber auch große landwirtschaftliche Flächen. Genausoist es auf meiner Heimatinsel Rügen. Dort steht nebendem Tourismus die Landwirtschaft gleichermaßen anerster Stelle; denn sie prägt das Landschaftsbild auf derInsel maßgeblich. Wir wünschen uns ein hohes Maß anLebensqualität. Das ist aufgrund der räumlichen Bedin-gungen, der guten Luft und allem, was dazu gehört, vonNatur aus gegeben; aber – das sage ich bewusst – es ge-hört ganz viel bürgerschaftliches Engagement dazu, diesauch dauerhaft zu gewährleisten.Es gibt ein großes Gefälle zwischen den Bedingungenin den ländlichen Räumen, dem Süden, dem Südwestenund meiner Heimatregion. Ich betreue die beiden Wahl-kreise 15 und 16, also im Großen und Ganzen Vorpom-mern; Neubrandenburg gehört auch dazu. Wenn ich jetztentschuldigend zu den Greifswaldern und Stralsundernsage, dass das ländlicher Raum pur ist, dann können Siemir glauben, dass ich weiß, wovon ich spreche. Es istleider eine Abwärtsspirale zu verzeichnen. Es gibt einenAbwanderungstrend, der aufgehalten werden muss. Zu-erst gehen die jungen Frauen weg und mit ihnen die un-geborenen Kinder. Danach gehen auch die jungen Män-ner weg; denn sie finden es bei uns dann auch nicht mehrattraktiv. Das führt dazu, dass immer weniger Menschenin den ländlichen Räumen leben. Damit stellt sich diegesamte Situation schwieriger dar: die Kaufkraftent-wicklung, die Schulen, die Versorgung mit ärztlichenLeistungen, all das ist schwierig und nur mit großerMühe und Not aufrechtzuerhalten.Mit der Verlagerung der Mittel in Höhe von 4,5 Pro-zent aus dem Gesamtvolumen kann das, was uns imRahmen der Entwicklung ländlicher Räume weniger zurVerfügung steht, mindestens kompensiert werden. Esgibt so viele Möglichkeiten, wie man erreichen kann,dass die ländlichen Räume für das Leben dort attraktivbleiben. Bei Besuchen vor Ort habe ich viele kreative
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2032 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Kerstin Kassner
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Ideen vorgefunden, die lohnenswert sind, nachgemachtoder weiterentwickelt zu werden.Es gibt zum Beispiel das Vorhaben, multiple Häuserzu errichten oder vorhandene Gebäude entsprechendumzunutzen. Dort können dann verschiedene Aufgabenim Dorf erfüllt werden: Am Montag kommt die Ärztin.Am Dienstag ist die Physiotherapeutin da. Am Mittwochsind die Vereine des Ortes anwesend. Am Donnerstagfindet dort die Sprechstunde des Bürgermeisters statt,und die Gemeindevertretung trifft sich am Abend. AmWochenende wird natürlich das gemeindliche Leben ge-pflegt, das Tanzbein geschwungen, oder es werden inte-ressante Nachmittage veranstaltet.Man kann sich auch andere Dinge einfallen lassen.Ich kenne viele Beispiele. Im Rahmen von LEADERhatten die Insel Rügen und viele andere ländliche Berei-che mit dem Bottom-up-Prinzip Möglichkeiten, die au-ßerordentlich erfolgreich waren. Dort haben sich vieleMenschen engagiert. Kulturelle Möglichkeiten wurdenentwickelt und genutzt. Zum Beispiel wurden die Kir-chen vor Ort wieder hergerichtet und zum Kulturzent-rum des Dorfes gemacht.Das alles sind Möglichkeiten, die außerordentlich in-teressant sind und bei denen sich ein Mitmachen lohnt.Ich möchte, dass solche guten Ideen umgesetzt werden,damit auch zukünftig den Bürgerinnen und Bürgern inden ländlichen Räumen das Leben in ihrer Heimatregiongefällt und sie dort bleiben.
Ich kann mir aber auch vorstellen, dies gezielt zu un-terstützen, zum Beispiel durch eine Breitbandversor-gung. Heutzutage sind viele Unternehmen unabhängigvon ihrem Standort. Wenn die Anbindung an das Netzüber eine Breitbandversorgung gewährleistet ist, ist einArbeiten weit über die landwirtschaftsaffinen Bereichehinaus möglich. Aber es gibt auch andere Möglichkei-ten: Landwirtschaftsbetriebe, die nicht nur Lebensmittelproduzieren, sondern sie auch verarbeiten. Aus einemSozialbetrieb ist bei uns eine Molkerei entstanden, ein-hergehend mit touristischen Angeboten.
Das sind gute Lösungen, wie man den ländlichen Raumbeleben kann. Deshalb würde ich mich freuen, wenn wiruns auch zukünftig darauf verlassen könnten, dass dieMenschen im ländlichen Raum zufrieden sind und sichdort wohlfühlen.Danke.
Danke, Frau Kollegin Kassner. – Nächster Redner ist
Dirk Wiese für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt ist,
wie ich sehe, schon auf dem Weg zur Agrarministerkon-
fe
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir halten heute zwar
nicht unsere erste Rede im Deutschen Bundestag, aber
wir reden auf jeden Fall beide zum ersten Mal zum
Thema Landwirtschaft. Das ist doch eine schöne Ge-
meinsamkeit, die wir heute haben. Richten Sie ihm bitte
schöne Grüße aus.
Ich komme zur Sache. Der ländliche Raum umfasst
90 Prozent der Fläche der Bundesrepublik Deutschland.
Hier lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Klein-
städten, Gemeinden und Dörfern. Er ist Heimat, er ist
Lebensmittelpunkt, und er ist vielerorts eine von mittel-
ständischen Familienunternehmen geprägte Industriere-
gion im Grünen. In dieser Region ist eine zukunftsorien-
tierte und dem Gedanken der Nachhaltigkeit zugetane
Landwirtschaft zu Hause. Das ist gerade mit Blick auf
das Jahr 2014, dem von den Vereinten Nationen ausgeru-
fenen Jahr der familienbetriebenen Landwirtschaft, von
Bedeutung.
Warum erwähne ich das an dieser Stelle explizit? Die
heute diskutierten Direktzahlungen sind nicht nur Sub-
ventionen im negativen Sinne. Sie verfolgen auch das
wichtige Ziel, die heimischen Landwirte in zweiter und
dritter Generation dabei zu unterstützen, unsere vielsei-
tige Kulturlandschaft zu bewahren und zu pflegen; denn
sie sorgen mit ihrer täglichen Arbeit dafür, dass jeder
hier im Raum von seinem Heimatwahlkreis sagen kann:
Wir leben und arbeiten dort, wo andere Urlaub machen –
obwohl das Sauerland – Frau Connemann, gestatten Sie
mir diese Anmerkung – natürlich etwas schöner ist als
alle anderen Wahlkreise und Regionen.
– Ja, Frau Connemann kommt aus Ostfriesland. Aber der
Nachteil von Ostfriesland ist, dass es nicht so hügelig ist
wie das Sauerland und man deshalb schon freitags weiß,
wer sonntags zu Besuch kommt. Da haben wir im Sauer-
land ein paar Vorteile.
– Wir haben auch viele Seen. Aber darüber können wir
in kleiner Runde diskutieren.
Passen Sie auf, sonst muss ich Sie noch rügen. Ichkomme aus Schwaben. Da ist es auch schön.
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Fast so schön.
– Da haben wir eine neue Debatte – sehr gut –; die füh-ren wir weiter.Zum Gesetzentwurf. Versuchen wir einmal, trotz dersperrigen Überschrift der heutigen Debatte zur erstenLesung des Entwurfes eines Gesetzes zur Durchführungder Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Be-triebe im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemein-samen Agrarpolitik etwas Licht ins Dunkel zu bringen;denn die gesetzlichen Folgen der zu beratenden Rege-lungen betreffen das Leben vieler Bürgerinnen und Bür-ger unmittelbar, und zwar täglich.Ute Vogt ist bereits ausführlich auf die Eckpunkte desvorliegenden Gesetzentwurfs eingegangen. Zu denStichworten zählen die zusätzliche Förderung für dieländliche Entwicklung im Rahmen der zweiten Säule,der schrittweiser Abbau der regionalen Differenzen beimWert der Zahlungsansprüche, die Regelung in Bezug aufdas Dauergrünland und die Ausschöpfung der EU-recht-lich maximal zulässigen Förderobergrenze bei derJunglandwirteförderung.Ich möchte in meiner Rede zwei Punkte schwerpunkt-mäßig hervorheben: zum einen die Junglandwirteförde-rung und zum anderen die regionale Begrenzung beiAusgleichsmaßnahmen. Junglandwirteförderung heißtkonkret: Es geht um die landwirtschaftlichen Fachkräftevon morgen, die Unterstützung bei der Übernahme derHöfe und Betriebe ihrer Eltern brauchen und in Zukunftdafür Sorge tragen werden, dass wir – hoffentlich – täg-lich gute Lebensmittel wie Brot, Milch, Obst, Gemüseoder Fleisch kaufen können.
Regionale Begrenzung heißt ganz konkret: Die Flächemuss sich da erholen können, wo sie auch intensiv ge-nutzt wird. Wenn in einer Region die Fläche intensiv be-wirtschaftet wird, dann muss sie sich auch für einen ge-wissen Zeitraum erholen können. Man darf sich nicht inanderen Regionen sozusagen freikaufen.
Der vorliegende Gesetzentwurf stärkt die Jungland-wirteförderung aus meiner Sicht. Eine finanziell gut aus-gestattete Junglandwirteförderung ist für die kommendeGeneration wichtig und von großer Bedeutung. Dies ha-ben Vertreter des Bundes der deutschen Landjugendbeim Parlamentarischen Abend vor einiger Zeit erst wie-der deutlich gemacht; viele Kolleginnen und Kollegenwaren an diesem Abend anwesend. Laut letzten Erhe-bungen belief sich die Zahl der Landwirte über 65 Jahreinnerhalb der Europäischen Union auf rund 30 Prozent,während die Zahl der unter 35-Jährigen bei 6 Prozentverharrte. Dies ist eine große Herausforderung für dieZukunft der Landwirtschaft.
Darum begrüße ich die entsprechenden Regelungenim vorliegenden Gesetzentwurf ausdrücklich.
Die aus meiner Sicht richtige Stärkung der Jungland-wirte durch die Gemeinsame Agrarpolitik der EU führtauch dazu, dass wir bei der anstehenden Reform derHofabgabeklausel auf Grundlage des fundierten Gutach-tens des Thünen-Instituts – Abschlag von 10 Prozent;wir reden darüber nach der Vorlage der Evaluierung von-seiten des Bundeslandwirtschaftsministeriums zur Som-merpause – zeitnah tätig werden können. So ist es ange-kündigt. Dem einen oder anderen ist der Begriff derHofabgabeklausel vielleicht nicht so präsent. Darum andieser Stelle eine kurze Erläuterung, worum es dabeigeht: Wer im Alter von 65 Jahren Leistungen aus derlandwirtschaftlichen Rentenversicherung haben möchte,an die er sein Leben lang ordnungsgemäß Beiträge ent-richtet hat, der muss seine Flächen – einfach gesagt – ab-geben.
Tut er dies nicht, so hat er keinen Anspruch, auch wenner eingezahlt hat. Findet er keinen Käufer oder Erwerberbzw. Nachfolger für seine Flächen, dann gibt es keinGeld.Das ist ungerecht. Diese einst strukturpolitisch völligrichtige Weichenstellung aus dem Jahr 1957 ist aus mei-ner Sicht und der Sicht der SPD-Bundestagsfraktionheute unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtig-keit eigentlich nicht mehr aufrechtzuerhalten.
Sie stellt aus meiner persönlichen Sicht eine Zwangsab-gabe dar. Darum müssen wir die Reform angehen. Dashaben wir im Koalitionsvertrag auch vereinbart.Frau Höhn, an dieser Stelle: Es gibt hier eine Schnitt-menge. Wir wollen die Junglandwirte durch dieJunglandwirteförderung stärken und haben dann auchSpielraum bei der Hofabgabeklausel. An dieser Stellebesteht ein Zusammenhang. Ich glaube, es ist wichtig,dies heute noch einmal anzusprechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich aufden zweiten Punkt eingehen. Aus Sicht der Region Süd-westfalen, der Kreise Olpe, Märkischer Kreis, Soest,Siegen-Wittgenstein und meiner Heimat Hochsauerland-kreis – das ist ein Beispiel von vielen in der Republik –ist es von immenser Bedeutung, die ökologischen Vor-rangflächen in einen räumlichen Bezug zur Betriebs-stätte zu legen, um insbesondere eine Verlagerung derVerpflichtung aus landwirtschaftlichen Gunstregionenmit intensiver Bewirtschaftung auf vermeintlich ertrags-schwächere Standorte zu verhindern. Denn das, was mo-mentan stattfindet, ist eigentlich absurd: Regionen mit
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2034 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Dirk Wiese
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einer intensiven landwirtschaftlichen Bewirtschaftungerwerben in anderen Regionen Flächen und erfüllen soihre vorgeschriebenen Auflagen. Zur Verbesserung derBöden in den belasteten Regionen trägt das nicht bei,und in den betroffenen Regionen, in denen Flächen von-seiten gebietsferner Landwirte gekauft oder gepachtetwerden, steigen infolge dessen die Preise pro landwirt-schaftliche Fläche zum Schaden der ortsansässigenLandwirte. Gerade bei uns im Sauerland ist das der Fall.
Bis 2009 waren Ackerbauern bereits gehalten, einengewissen Prozentsatz ihrer Betriebsfläche stillzulegen.Landwirte aus den großen maßgeblichen Ackerbauregio-nen in Nordrhein-Westfalen kamen ihren Stilllegungs-verpflichtungen seinerzeit nach, indem sie zum Beispielin der Region Südwestfalen landwirtschaftliche Nutzflä-che anpachteten und stilllegten. Kurzum: Die damaligeNichtbewirtschaftungsverpflichtung wurde in andereRegionen verschoben, weil die für die Flächenstillle-gung benötigten landwirtschaftlichen Nutzflächen dortgünstiger zu pachten waren als in den Ackerbauregio-nen. Das stellt ein Problem dar. Als Grund für das niedri-gere Pachtniveau im Sauerland wird immer angeführt, esliege an der Höhenlage, der Topografie oder dem späte-ren Vegetationsbeginn. Ich finde das manchmal gar nichtschlecht. Aber nun gut, das sind die Gründe.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Stilllegungs-flächen fehlen den Landwirten vor Ort. Das führt auchdazu, dass auf den bewirtschafteten Flächen, die nebenden Stilllegungsflächen liegen, der Unkrautbewuchs zu-nimmt und sinnvolle örtliche Kulturlandschaftspro-gramme konterkariert werden. Diese werden durch Steu-ermittel finanziert. Deshalb müssen wir uns, wie ichmeine, dieser Problematik annehmen.Darum: Lassen wir doch das Struck’sche Gesetz, wo-nach kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es hi-neingekommen ist, zur vollen Entfaltung kommen undrichtige Änderungen bzw. Anpassungen am bestehendenEntwurf vornehmen. Ich bin mir sicher: Nordrhein-Westfalen wird sich dem im Bundesrat nicht verschlie-ßen. Vielleicht kann man an dieser Stelle auch noch eineÖffnungsklausel auf den Weg bringen.
Ansonsten kann ich den vorliegenden Gesetzentwurfnur begrüßen. Bei den 4,5 Prozent in Bezug auf dieELER-Mittel wäre vielleicht noch etwas mehr drin ge-wesen.
Aber nun gut.Die europäische Agrarpolitik ist, um das am Schlussauszuführen, nicht unumstritten. Eine Einigung der Mit-gliedsländer auf europäischer Ebene ist nicht immer ein-fach; oft erfolgt sie auf dem kleinsten gemeinsamenNenner. Wir haben hier einen Kompromiss vorliegen.Wenn wir an der einen oder anderen Stelle etwas nach-bessern, kann man das auf den Weg bringen. Ich glaube,der zukünftige erste Präsident der Europäischen Kom-mission aus Deutschland nach Walter Hallstein wirdnach dem 25. Mai vielleicht etwas mehr Schwung in dieReformdebatte bringen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke, Herr Kollege aus dem Sauerland. – Jetztspricht Friedrich Ostendorff für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! ImHerbst 2010 legte EU-Agrarkommissar Dacian Cioloseinen Bericht vor, der die Grundlagen für einen Vor-schlag zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik nach2013, der zentralen agrarpolitischen Zukunftsentschei-dung für die Bäuerinnen und Bauern Europas, darstellte.Dieser Vorschlag von Kommissar Ciolos war und istwegweisend und notwendig.
Dieser Vorschlag ist wegweisend, weil er auf einerbeispiellosen öffentlichen Debatte mit über 5 500schriftlichen Beiträgen der europäischen Bürgerinnenund Bürger basiert. Die Ergebnisse dieser Diskussionsind nachvollziehbar in den Vorschlag des Kommissarseingeflossen.Meine Damen und Herren, der Vorschlag ist notwen-dig; denn er geht von den großen Herausforderungen Er-nährung, Klimawandel, Artensterben und Energie aus.Er entwickelt Lösungsansätze für diese Probleme, dieunsere Lebensgrundlage insgesamt betreffen. Eines istklar: Ein Weiter-so in der Agrarpolitik kann es nicht ge-ben. 50 Milliarden Euro EU-Agrarsubventionen ohneBegründung kann es im 21. Jahrhundert nicht mehr ge-ben.
Die Gemeinsame Agrarpolitik braucht eine neue, eineechte Legitimation, oder sie wird spätestens nach 2020am Ende sein. Diese Legitimation, liebe Kolleginnenund Kollegen, muss lauten: öffentliche Gelder für öffent-liche Leistungen.
Die Bundesregierung aber hat bei den Verhandlungender GAP-Reform vom ersten Moment an auf der Bremsegestanden. Sie hat schwerwiegende politische und hand-werkliche Fehler begangen, die der Demokratie in Eu-ropa nachhaltig schaden, die Lösung drängender Pro-bleme behindern und die Zukunft der GemeinsamenAgrarpolitik insgesamt infrage stellen.Erstens. Die Bundesregierung ist nicht dem demokra-tischen und transparenten Ansatz von Kommissar Ciolosgefolgt. Sie hat das eindeutige Votum der Bürgerinnen
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2035
Friedrich Ostendorff
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und Bürger für eine ökologischere und gerechtere Agrar-politik ignoriert. Sie hat die Zivilgesellschaft, die seitvier Jahren mit 20 000 bis 30 000 Menschen im Januarhier in Berlin unter dem Motto „Wir haben es satt!“ füreine andere Agrarpolitik auf die Straße geht, permanentdiffamiert.
Stattdessen hat der Bauernverband weiterhin alleine diePolitik diktiert. Damit hat die Bundesregierung demGlauben der Bürgerinnen und Bürger an Europa schwe-ren Schaden zugefügt.Zweitens. Die Bundesregierung hat nicht erkannt,dass nur mit einem starken europäischen Instrument wieder Gemeinsamen Agrarpolitik die großen Herausforde-rungen gelöst werden können. Der Vorschlag von Kom-missar Ciolos hat die einmalige Chance eröffnet, EU-weit Artensterben einzudämmen, den Klimawandel zubekämpfen und die Gerechtigkeitslücken zu schließen.Mit ihrer Blockadehaltung hat die Bundesregierungdiese große Chance für Europa vertan.
Drittens. Die Bundesregierung hat sich so sehr umAusnahmen für ihre agrarindustrielle Klientel bemüht,dass aus einem einfachen und transparenten Maßnah-menkatalog nun eine Ausnahme- und Schlupflochbüro-kratie zu werden droht. Es ist doch abenteuerlich, wieder CSU-Mann Albert Deß im Europaparlament dieserTage herumläuft und versucht, durch Nachtreten imKleingedruckten diese Reform noch klientelfreundlicherund damit vor allen Dingen noch bürokratischer zu ma-chen.
Um die Interessen des Bauernverbands durchzuset-zen, versucht Herr Deß, die Kommission zu erpressen,und droht, die längst beschlossene Reform an Formalienscheitern zu lassen, wenn der Kommissar nicht tut, wasdie Bauernverbände wünschen. Dieses Vorgehen vonHerrn Deß schadet nicht nur den europäischen Bäuerin-nen und Bauern, sondern vor allen Dingen denen in Bay-ern.
Sie, Herr Minister Schmidt, spielen dieses Spiel mit.Das ist antidemokratisch. Das ist antieuropäisch. Das istKlientelpolitik in ihrer schmutzigsten Form. Hören Siedoch auf, uns etwas von Ethik in der Agrarpolitik zu er-zählen, solange Sie Ihre eigenen Seilschaften nicht imGriff haben, Herr Minister.Viertens. Ein weiterer großer Fehler der Bundesregie-rung war, dass sie den einmaligen gesellschaftlichenKonsens zur Umgestaltung, zum Umbau und damit zurzukünftigen Sicherung der GAP ausgeschlagen hat.Noch nie haben sich so viele Nichtregierungsorganisa-tionen und Verbände gemeinsam für eine Erhaltung undEntwicklung der GAP ausgesprochen, wenn die Zahlun-gen zukünftig an gesellschaftliche Leistungen gebundenwerden. Die Bundesregierung hat diesen Konsens ausge-schlagen und damit die Wahrscheinlichkeit erhöht, dassdie GAP 2020 aus Mangel an gesellschaftlicher Akzep-tanz an ihr Ende kommt. Dies war und ist ein verhäng-nisvoller Fehler.Noch sind einige grobe Fehler heilbar.Erstens. Pestizide und Mineraldünger haben auf öko-logischen Vorrangflächen nichts zu suchen.
Ändern Sie das!Zweitens. Grünlandschutz muss sofort kommen undan allen sensiblen Standorten gelten. Die dramatischfortschreitende Grünlandzerstörung muss aufhören.
Ändern Sie das, und machen Sie 2014 nicht zum Jahr derGrünlandzerstörung!Drittens. Eine Umschichtung von nur 4,5 Prozent derGelder von der ersten in die zweite Säule ist für die Fi-nanzierung der Agrarumweltprogramme viel zu wenig.Möglich sind 15 Prozent. Ändern Sie das!
Viertens. Horst Seehofer, Ministerpräsident von Bay-ern, hat den Bundesländern eine Aufstockung der Mittelzur Förderung der ländlichen Entwicklung um 200 Mil-lionen Euro versprochen. Dieses Versprechen hat er lei-der gebrochen. Ändern Sie das, und stellen Sie die Mittelin den Bundeshaushalt 2014 ein!
Herr Minister Schmidt, Ihre Partei hat bei dieser Re-form viel Schaden angerichtet. Ich fordere Sie daher auf:Beenden Sie die Blockade in Brüssel, beenden Sie diebürokratischen Tricks! Setzen Sie diese Reform so um,dass ihre Ziele erreicht werden können – für mehr Öko-logie, für mehr Gerechtigkeit in Europa, für eine zu-kunftsfähige, moderne bäuerliche Landwirtschaft imEinklang mit der Natur.
Danke, Herr Kollege. – Nächster Redner in der leben-
digen Debatte ist Hermann Färber für die CDU/CSU.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Zuschauertri-bünen! 50 Prozent der Menschen in Deutschland lebenin ländlichen Regionen, aber 100 Prozent der Menschenernähren sich von landwirtschaftlichen Produkten. Wirdiskutieren hier also nicht über irgendein politischesRandthema, sondern über einen Kernbereich, der täglichüber 80 Millionen Bundesbürger betrifft.
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2036 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Hermann Färber
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Gestatten Sie mir, dass ich kurz auf die Worte meinesVorredners eingehe. Lieber Friedrich Ostendorff, dieLandwirtschaft in Deutschland erbringt viele, viele Leis-tungen für die Gesellschaft, die sie am Markt nicht ver-gütet bekommt. Das möchte ich an dieser Stelle einfachso sagen.
Die Direktzahlungen – Herr Ebner, bitte hören Sie zu,sonst muss ich das nachher wiederholen – gehören in dieHand dessen, der die Hand am Pflug hat, der draußen dieArbeit macht, und nicht in die Hand dessen, der sich inirgendwelchen Zirkeln und politischen Diskussionen im-mer neue Gängeleien, Schikanen und Auflagen für dieBauern ausdenkt.
Das ist mir wichtig, und das möchte ich an dieser Stelleso gesagt haben.Die Reform der europäischen Agrarpolitik war in derTat eine schwere Geburt. Bis heute ist noch nicht klar,wie das Kind nachher aussehen wird. Wir wollen aber anden weiteren Verhandlungen konstruktiv teilhaben. Esliegt uns an einer schnellen und guten Regelung, die denLandwirten die dringend benötigte Planungssicherheitgibt.Die Reform hat auch sehr viele gute Bestandteile:Den schrittweisen Übergang zu einer einheitlichen Ba-sisprämie finde ich sehr angemessen. Wir begrüßen dieFörderung der ersten Hektare, die wir schon für 2014 be-schlossen haben – sie wurde schon erwähnt –: 50 Eurofür die ersten 30 Hektar und weitere 30 Euro für dienächsten 16 Hektar. Damit wird gerade die Klientel derBetriebe bedient, die eigentlich die Grundlage der Land-wirtschaft bilden. Auch die Junglandwirteregelung istgrundsätzlich positiv. Wir müssen aber noch daran arbei-ten – da bitte ich Sie, dass wir gemeinsam daran arbei-ten –, dass auch die Vater-Sohn-GbR, die sogenannteGenerationen-GbR, in jedem Bereich darunter fallen.Die Generationen-GbR ist ein deutsches Phänomen; sieist aber auch ein Zeichen von Verantwortung und Nach-haltigkeit in den Betrieben in der Phase des Generatio-nenwechsels.Bei der Umschichtung der Mittel von der ersten in diezweite Säule haben wir uns auf einen Wert von 4,5 Pro-zent geeinigt. Diese Einigung steht, und daran wird auchnichts mehr geändert. Da müssen wir auch einen Punktsetzen, meine Damen und Herren. Wir können von denLandwirten nicht zusätzliche Leistungen einfordern,aber nicht mehr bezahlen.Es ist kein Geheimnis, dass wir nicht mit jeder Einzel-regelung der Reform glücklich sind. Sie führt in der Tatzu weiterem Bürokratisierungsaufwand für die Bauern.Dabei müssen die Bauern schon heute 19 Cross-Compli-ance-Richtlinien und die darin enthaltenen verbindlichen2 680 Standards beachten. Das Ende der Fahnenstangeist also schon längst erreicht. Deshalb ist es uns sehrwichtig, dass es bei der Umsetzung der Reform zu kei-nen weiteren Belastungen für die Landwirtschaft inDeutschland kommt. Wir setzen uns für eine Eins-zu-eins-Umsetzung ein.
Zum Thema Grünlandumbruchverbot. Im Gesetzent-wurf ist eine klare Verschärfung der europäischen Rege-lungen auf nationaler Ebene enthalten, und das lehnenwir ab. Den Landwirten ist – das wurde heute schonmehrfach gesagt – bei der Einführung der Natura-2000-Gebiete immer wieder versprochen worden, dass es imNachhinein keine weiteren Verschärfungen der Bedin-gungen geben soll.
Der damalige Umweltminister und jetzige Wirt-schaftsminister Gabriel hat das richtig gesehen. Ich zi-tiere aus einer Pressemeldung vom 17. Februar 2006, inder stand:Ich weiß, dass in einigen Regionen, in denen jetztweitere Gebiete gemeldet wurden, eine Verunsiche-rung bei Betrieben und Bürgern entstanden ist, wel-che Auswirkungen die Naturschutzmeldung nun fürsie hat. Gemeinsam mit den Ländern will ich dazubeitragen, dass die Sorgen und Skepsis abgebautwerden …Genau dazu bietet sich jetzt die Gelegenheit. SetzenSie sich bitte mit dafür ein, dass über die Natura-2000-Gebiete nach fachlichen Kriterien entschieden wird undnicht nach Verwaltungsinteressen. Genau darum geht esjetzt.
Die Natura-2000-Gebiete umfassen insgesamt circa15 Prozent der Fläche der Bundesrepublik. Es ist ver-säumt worden, innerhalb der Natura-2000-Gebiete diewirklich schutzbedürftigen Grünlandflächen auszuwei-sen. Deshalb soll nun ein pauschales Umbruchverbotgelten, das aus fachlicher, aus Naturschutzsicht über-haupt keinen Sinn macht.
Viele Natura-2000-Gebiete sind Vogelschutzgebiete. Ei-nem Vogelschwarm ist es aber völlig egal, ob er rechtsoder links von der Straße landen kann, wichtig ist, dassüberhaupt eine Wiese vorhanden ist. Für diese Bereichejetzt ein pauschales Umbruchverbot zu erlassen, ist ein-fach widersinnig. Wir brauchen hier eine ganz andereLösung.Ein weiterer Bereich macht mir sehr große Sorgen:die ökologischen Vorrangflächen, die sogenannten Gree-ning-Flächen. Lieber Kollege Ostendorff, liebe FrauVogt,
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2037
Hermann Färber
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bereits heute bestehen 19 Prozent der Fläche aus Land-schaftselementen wie Hecken, Bachläufen und Bioto-pen, und das ohne die ökologischen Vorrangflächen.Diese Tatsache sollte man zur Kenntnis nehmen und an-erkennen.Jetzt werden zusätzliche ökologische Vorrangflächengefordert. Wir möchten, dass auf diesen zusätzlichenFlächen der Anbau von Eiweißpflanzen möglich ist. DerAnbau muss aber auch wirtschaftlich möglich sein. Wirmüssen hier für die entsprechenden Rahmenbedingun-gen sorgen. Das beinhaltet auch Düngung und Pflanzen-schutz, um nachher ein ordentliches Produkt, in diesemFall Eiweißpflanzen, ernten zu können. Mit pauschalenVerboten ist der Natur auch hier nicht geholfen.
Wir müssen das Thema Nachhaltigkeit global be-trachten. Dadurch, dass wir in Deutschland immer mehrFlächen aus der Produktion nehmen – nichts andereswird doch gemacht, wenn Düngung und Pflanzenschutzauf ökologischen Vorrangflächen verboten werden –,wird doch nicht weniger konsumiert. Nein, es wird nurwoanders angebaut. Und wo soll das sein? Etwa im süd-amerikanischen Regenwald? Ist das die Lösung, die wirwollen? Nein!Hier und heute haben wir sichere Lebensmittel vonbester Qualität wie nie zuvor in der Geschichte derMenschheit.
Wir haben eine der schönsten Kulturlandschaften aufdieser Welt, und nur hier haben wir Einfluss, wie undwas produziert werden soll.Ich erwähnte es schon: Wir warten noch auf die Defi-nition des aktiven Landwirts. Was seinerzeit Flughäfenund Golfplätze von den Stützungszahlungen ausschlie-ßen sollte, wird nun zu einem bürokratischen Monstrumfür Landwirte und gefährdet vor allem unsere Nebener-werbslandwirte, die den Anforderungen kaum gerechtwerden können. Jeder, der sich neben seinem Betrieb einZusatzeinkommen erschlossen hat, läuft jetzt Gefahr,diese Zahlungen nicht zu bekommen. Hier sehen wirNachbesserungsbedarf.Trotz aller Kritik im Einzelnen: Wir wollen Lösun-gen, die der Landwirtschaft in Deutschland, so wie wirsie kennen, eine gute Zukunft sichern. Unser Leitbild dervon Familien betriebenen, regional verankerten, flächen-deckenden Landwirtschaft wird von breiten Teilen derBevölkerung geteilt. Gerade diese familiengeführten Be-triebe sind von zusätzlichen bürokratischen Belastungenimmer ganz besonders betroffen.
Herr Kollege, bitte kommen Sie zum Ende.
Ich habe noch einen Satz. –
Wer die Vielfalt dieser Landwirtschaft sichern will, der
darf nicht mit Gängelung und Verboten arbeiten, der
muss Lösungen anbieten.
Danke schön.
Danke, Herr Kollege. – Nächster Redner: Hans-Georg
von der Marwitz für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrte Präsidentin! Meine sehr verehrten Kol-leginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damenund Herren! Es ist vollbracht. Die Kernelemente der eu-ropäischen Agrarreform sind beschlossen. Was ist ge-blieben von den einst großen Zielen des Brüsseler Agrar-kommissars? Nun will ich dem armen, viel gescholtenenCiolos nicht zu nahe treten; denn es war eine Sisyphusar-beit, allen Wünschen und Interessen der Mitgliedstaaten,der Kommission, des EP und nicht zuletzt der vielenLobbyisten gerecht zu werden. Insofern habe ich großeAchtung vor den geleisteten Arbeiten. Aber was solltedie GAP doch gleich werden? Gerechter, ökologischer,unbürokratischer und transparenter.
Kommen wir zum ersten Punkt, dem gerechten Ver-teilen der Agrarsubventionen. Dazu müssen wir uns ersteinmal den bisherigen Verteilungsschlüssel in Deutsch-land vor Augen führen. Die Mittel der ersten Säule, alsodie Direktzahlungen an die Agrarbetriebe, werden mit-hilfe des Hektarschlüssels ausgeschüttet. Das bedeutet:Je mehr Hektar der Landwirt bewirtschaftet, desto mehrSubventionen fließen in den Betrieb. Anders formuliert:Wer hat, dem wird gegeben. Besonders die flächenstar-ken ostdeutschen Agrarbetriebe sind die größten Profi-teure dieses Verteilungssystems.
Synergie- und Skaleneffekte stärken sowieso schon dieWirtschaftskraft dieser Unternehmen. Längst gibt es Be-triebe, die mit weniger als 0,3 Arbeitskräften je 100 Hek-tar wirtschaften. Da lag es nahe, über Kappung und de-gressive Zahlungen zu diskutieren.
Die Brandenburger CDU-Landtagsfraktion hat sich2011 in einem viel beachteten Positionspapier für dieBegrenzung von Direktzahlungen ausgesprochen Darinheißt es:Zur Förderung des Strukturwandels hin zu einerleistungsfähigen bäuerlichen Landwirtschaft befür-worten wir eine Deckelung der Direktzahlungen
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2038 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Hans-Georg von der Marwitz
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und ihre Koppelung an die Voraussetzung, dass sichder jeweilige Betrieb im Eigentum von in der Re-gion ansässigen Personen befindet.
Der Landesbauernverband Brandenburg witterteschon sehr früh Einbußen für seine Mitglieder und gabden Slogan heraus: Hektar ist Hektar, egal von wem erbewirtschaftet wird! Hände weg von der Kappung undDegression! Jetzt wird es spannend; denn mit diesemSlogan hat der Bauernverband einen dramatischen Rich-tungswechsel gegenüber der bisherigen Argumentations-kette geliefert. Agrarsubventionen wurden immer alsEinkommensausgleich und als Steuerungsmechanismusgegen Landflucht und für den Erhalt vielschichtigerAgrarstrukturen gesehen.
Subventionen in der ersten und zweiten Säule seien daswichtigste Planungsinstrument der Politik, die Entwick-lung des ländlichen Raums positiv zu beeinflussen. Derehemalige Agrarminister Friedrich sagte in seiner An-trittsrede bei der CDU/CSU-Arbeitsgruppe: Die bäuerli-chen Familienbetriebe sind der Wirtschaftsmotor desländlichen Raums. – Wohl wahr.
Doch ausgerechnet der Brandenburger Bauernver-band hat sich wortgewaltig gegen die Kappung und De-gression der Agrarsubventionen gestemmt.
Damit konterkarierte ausgerechnet der landwirtschaftli-che Berufsstand, der sich angeblich für die Familienbe-triebe verantwortlich fühlt, deren Interessen, jedenfallsin Brandenburg. Das ist, Gott sei Dank, nicht in ganzDeutschland so.
Der Slogan des Brandenburger Bauernverbands, Hektarsei Hektar, egal von wem er bewirtschaftet wird, hat dieseindrücklich offenbart.
Denn wer sind wohl ohne Änderung des Verteilungs-schlüssels, also ohne Kappung und Degression, die größ-ten Profiteure der Direktzahlungen? Vorrangig Agrarge-sellschaften, deren Wirtschaftsprinzip kaum in das Bildeiner vielschichtigen familiengeführten und im Genera-tionenkontext denkenden und handelnden Unterneh-menslandschaft passt.
Es ist schon erstaunlich, dass die süd- und die west-deutsche Fraktion des Verbandes diese Entwicklung zu-mindest kommentarlos akzeptierten. Umso dankbarerbin ich, dass die Agrarministerkonferenz der Länder imNovember 2013 ein kleines Zeichen gegen diesen Trendgesetzt hat. So macht Deutschland jetzt von der Mög-lichkeit Gebrauch, Mittel aus der ersten in die zweiteSäule umzuschichten. 4,5 Prozent der Direktzahlungen– das haben wir heute schon mehrfach gehört – sollen indie Förderung des ländlichen Raums fließen. Bis zu15 Prozent wären nach EU-Vorgaben möglich gewesen.Leider haben wir den Rahmen nicht gänzlich ausge-schöpft.
Aber wenn ich sehe, wie in einigen osteuropäischenLändern das Gegenteil passiert, nämlich dass Gelder vonder zweiten in die erste Säule fließen, kann ich nur sa-gen: Wir setzen zumindest die richtigen Signale.Wir fangen an, Strukturpolitik zu machen, auch wenndie Auswirkungen des erzielten Kompromisses sehrüberschaubar bleiben werden. Von einem Paradigmen-wechsel hin zu einer zielgerichteten Verteilung und einernachhaltigen Unterstützung bäuerlicher Familienbe-triebe kann nicht gesprochen werden. Denn wer profi-tiert auch in Zukunft am meisten von den europäischenAgrarsubventionen? Es sind nach wie vor die flächen-starken Betriebe, die den Mittelzufluss für weitere Kon-zentrationen nutzen werden – lesen Sie dazu einmal dieWirtschaftswoche Nr. 14 vom 31. März 2014, den Arti-kel: „Mein Stück Acker“ –, außerdem Verpächter, dielängst erkannt haben, dass sie ihren Pächtern dank Brüs-sel mehr aus den Rippen leiern können, und nicht zuletztdie Betriebe mit hohem Eigentumsanteil, die über si-chere Renditen verfügen und bei Pacht und Erwerb mehrbieten können. Das System der pauschalen Flächenför-derung hat sich offensichtlich überlebt.
Ich komme aus einer Region, in der der Strukturwan-del besonders krasse Formen angenommen hat. Einermeiner Nachbarn bewirtschaftet im Gesellschaftsver-bund derzeit rund 18 000 Hektar, eine Gemarkungsflä-che von mehr als 20 Dörfern, und ein Ende weiterer Fu-sionen ist nicht absehbar. Vielleicht verstehen Sie jetzt,warum ich mir um die Strukturen der deutschen Land-wirtschaft wirklich Sorgen mache.
Wir haben als Politiker kaum ein Steuerungsinstru-ment gegen den grassierenden Strukturwandel in derHand, den die Bevölkerung erst wahrnehmen wird, wenndie Auswirkungen offensichtlich werden, wenn derWirtschaftsmotor Landwirtschaft in den Dörfern denGeist aufgibt. Lediglich mit den Agrarsubventionen kön-nen wir Richtungen vorgeben.Nun zum zweiten Punkt der Reformziele: der Ökolo-gie. Zum ersten Mal in der Geschichte der GAP ist es ge-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2039
Hans-Georg von der Marwitz
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lungen, Direktzahlungen an ökologische Gegenleistun-gen zu koppeln. Die Zeit bedingungsloser Förderungenist vorbei.
Doch wie so oft – auch das wurde heute schon gesagt –steckt der Teufel im Detail. Bei der Bewertung diesesAnsatzes sollten wir uns auf zwei Fragen konzentrieren:Erfüllen die Auflagen erstens ihren Zweck, und sind siezweitens praxisgerecht überhaupt durchführbar?Im Rahmen der Anbaudiversifizierung müssen min-destens drei verschiedene Kulturen in einem Betrieb an-gebaut werden. Dabei muss der Anteil jeder Kultur min-destens 5 Prozent betragen und darf 70 Prozent nichtüberschreiten. Mit dieser Maßnahme sollen Monokultu-ren verhindert und Biodiversität gefördert werden. DasGegenteil ist der Fall. Denn mit bis zu 70 Prozent einerKultur in der Anbaufläche kann man nicht einmal vonFruchtwechsel sprechen.
So wird sich wohl für den beobachtenden Bürger in derLandschaft wenig ändern.Bei den ökologischen Vorrangflächen wird es kompli-zierter. Ursprünglich sollten 5 Prozent der bewirtschafte-ten Fläche ausschließlich nach ökologischen Gesichts-punkten bewirtschaftet oder stillgelegt werden. Der jetztvorgelegte Maßnahmenkatalog wird dem anfänglichenGreening-Gedanken kaum noch gerecht.
Bäume, Waldflächen und Gräben haben wir schon vorder Reform in unserer Agrarlandschaft gehabt, ohne siewirtschaftlich geltend machen zu können. Auch Grenz-ertrags- und naturnahe Flächen werden durch die Gree-ning-Auflagen an Wert gewinnen, sehr zum Verdruss derSchäfer, die mir vergangene Woche ihr Leid geklagt ha-ben. Bei uns in Brandenburg ist das besonders bedeu-tend.Damit sind wir beim dritten Punkt: Unbürokratischerund transparenter sollte die GAP werden. Zur Bürokratiestelle ich kurz und knapp fest: Zusätzliche Vorschriftenund Bürokratieabbau sind unüberbrückbare Gegensätze.Dieser Ansatz war schon von Beginn der Agrarreform anmehr als fragwürdig. Als CDU haben wir uns immer fürEntbürokratisierung eingesetzt. Diesen Grundsatz dürfenwir auch in der europäischen Agrarpolitik nicht vernach-lässigen.Ich komme zum Schluss. Mein Fazit zur GAP lautet:Der große Wurf ist mit Sicherheit nicht gelungen. Abervielleicht hat die zum Teil sehr kontroverse und polari-sierte Diskussion der letzten vier Jahre manche Erkennt-nis wachsen lassen. Nach der GAP ist vor der GAP; wirhaben es schon gehört. Auf europäischer Ebene drasti-sche Veränderungen herbeiführen zu wollen, bedeuteteine große Kraftanstrengung über einen langen Zeitraumund bekanntlich das Bohren dicker Bretter, –
Jetzt müssen Sie wirklich zum Schluss kommen.
– ich bin sofort fertig –, ganz im Sinne einer Aussage
der eben schon zitierten Wirtschaftswoche: „Je breiter
die Palette an Produkten und je stärker die Anbaugebiete
regional gestreut sind, desto stabiler ist das Geschäft.“ –
Ich sage: desto sicherer die Versorgungssicherheit, desto
sicherer die betriebliche Vielfalt und Stabilität.
Bitte, Herr Kollege, kommen Sie jetzt zum Schluss.
Meine Damen und Herren, Subventionen sind Steuer-
mittel. Insofern muss der Grundsatz lauten: öffentliches
Geld für Aufgaben, die uns allen dienen. Deshalb: Las-
sen Sie uns in Zukunft gemeinsam überlegen, wie wir
mit den 4,8 Milliarden Euro aus der ersten Säule den
größten gesellschaftlichen Mehrwert ziehen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Willi Brase für die SPD.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, mein Vor-redner hat in bemerkenswerter Art und Weise auf dieEntwicklung der Diskussion über die GAP hingewiesen.Ich kann nur sagen: Ich bin ein Stück weit begeistert,was Sie hier ausgeführt haben.
Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten – ich werdeseinen Titel zitieren, weil mir selten so etwas Tolles un-tergekommen ist –,
lautet „Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Di-rektzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebeim Rahmen von Stützungsregelungen der GemeinsamenAgrarpolitik“. Wir wollen 4,8 Milliarden Euro, 4,5 Pro-zent der jährlichen nationalen Obergrenze für die Direkt-zahlungen, als zusätzliche Förderung für die ländlicheEntwicklung bereitstellen. Dies soll im Rahmen der bis-herigen Betriebsprämienregelung bestehende regionale
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2040 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Willi Brase
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Unterschiede beim Wert der Direktzahlungen bis 2019abbauen. – Das hört sich schon gut an.Wir wollen uns einer neuen Basisprämienregelungschrittweise annähern, damit wir 2019 bundesweit ein-heitliche Werte für Zahlungsansprüche je Hektar für dieBasisprämie haben. – So weit, so gut.Wie wird dieser Anspruch umgesetzt? Frau Präsiden-tin, Sie gestatten mir, dass ich aus dem § 9 des Gesetz-entwurfs zitiere:Für das Jahr 2015 wird der nach Anwendung des§ 7 verbleibende Anteil der nationalen Obergrenzefür die Basisprämienregelung auf die Regionen wiefolgt aufgeteilt: Die Zahl der beantragten Zahlungs-ansprüche je Region ohne beantragte Zahlungsan-sprüche aus der nationalen Reserve wird mit demfür die jeweilige Region in der Anlage für das Jahr
Regionen werden addiert .Der Anteil einer Region am zu verteilenden Prä-mienvolumen ergibt sich durch Division der jewei-ligen Regionssumme 2015 durch die Bundessumme2015. Die jeweilige regionale Obergrenze für 2015ergibt sich, indem das zu verteilende Prämienvolu-men mit dem so ermittelten Anteil der Region mul-tipliziert wird.
Meine Damen und Herren, wenn ich Ihnen jetzt dieBegründung zu § 9 vorlesen würde, würde ich wahr-scheinlich drei Minuten zitieren. Mir wäre aber immernoch nicht klar, wie die regionalen Unterschiede bis2019 auf den Punkt gebracht werden.
Wie ist das eigentlich zu verstehen? Was sagt uns die-ser Text? Ich glaube, wenn wir so mit der GemeinsamenAgrarpolitik umgehen, dann wird es sehr schwer wer-den, die Verhandlungen zwischen Landeswirtschaftsmi-nistern und Bundeslandwirtschaftsministerium als klarund deutlich darzustellen. Das wird nicht dazu führen,dass die Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublikdie Agrarpolitik besser finden; im Gegenteil: Sie werdendiesen Finanzierungsansatz nicht mehr verstehen. Ichbehaupte, dass auch eine Menge der Kolleginnen undKollegen im Bundestag diesen Ansatz nicht mehr ver-steht.
Er ist ein Stück weit Ausdruck der vermachteten Land-wirtschaftspolitik in unserem Land. Wenn wir mehr An-erkennung der Agrarpolitik wollen, müssen wir eigent-lich dafür sorgen, dass mehr Klarheit in der Sachehergestellt wird, sehr geehrte Damen und Herren.
Für mich ist dieses Beispiel auch ein Ausdruck dafür,dass wir in der Perspektive darüber nachdenken müssen,ob das Zwei-Säulen-Modell – Direktzahlungen und Ent-wicklung des ländlichen Raums – eigentlich noch richtigist. Herr Staatssekretär, richten Sie dem Minister aus,dass ich dankbar bin, dass er als langjähriger Parlamen-tarier heute bei seiner ersten Rede als Minister indirektauf diesen Tatbestand hingewiesen hat, indem er ganzklar zum Ausdruck gebracht hat, dass ihm manche Kom-pliziertheiten im Gesetzgebungsverfahren so noch nichtuntergekommen sind. Ich halte diese Formulierung, mitder wir das sozusagen zur Befriedung aller am Agrar-markt Beteiligten umzusetzen versuchen, für nicht dien-lich. Sie wird uns bei dem Ziel „mehr Anerkennung derGemeinsamen Agrarpolitik“ nicht weiterführen.Ich will einen zweiten Punkt inhaltlich ansprechen, zudem mein Kollege Wiese schon Ausführungen gemachthat. Wir haben im Vorfeld und auch vor dem Hinter-grund der Anhörung, die wir am kommenden Montagdurchführen werden, nachgefragt: Wie ist es eigentlichmit der Anrechnung regional entfernt liegender Pachtflä-chen als Greening-Flächen? Wir haben den Wissen-schaftlichen Dienst bemüht. Der WissenschaftlicheDienst hat uns mitgeteilt: Wenn dort Änderungen ge-wünscht sind, sind diesbezügliche gesetzliche Maßnah-men nur auf der EU-Ebene zu treffen. – Deshalb findeich es gut und richtig, wenn unsere EU-Parlamentarierdiese Frage im Zusammenhang mit den delegiertenRechtsakten diskutieren. Wir wollen nicht, dass sozusa-gen über große Entfernungen hinweg zusätzliche Pach-tungen vorgenommen werden und in den betroffenenRegionen unsere Landwirte darunter leiden, dass diePachten steigen, möglicherweise auch die Kosten für Ei-gentumserwerb steigen, und sie das Nachsehen habengegenüber den Betrieben, die von weither kommen undsolche Pachtungen vornehmen. Wir lehnen das ab, liebeKolleginnen und Kollegen.
Wir fühlen uns in dieser Position ein Stück weit unter-stützt durch die Debatte im Bundesrat, im Landwirt-schaftsausschuss. Dort geht es darum – ich darf zitieren,Frau Präsidentin –: Ökologische Vorrangflächen sollenin einem räumlichen Bezug zur Betriebsstätte liegen, uminsbesondere eine Verlagerung der Verpflichtung vonlandwirtschaftlichen Gunstregionen auf ertragsschwacheStandorte zu verhindern. – Ich finde, hier sollte sich end-lich die Mehrheit der Landesagrarminister durchsetzen,liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wenn wir die Regelung zur Basisprämie nach der An-hörung in die endgültige Gesetzesform umgesetzt habenund das 2019/20 dann auch bundesweit angeglichen ha-ben, dann haben wir ein Ziel erreicht. Aber wir habennoch ein zweites großes Ziel: Wir wollen mittelfristigden Ausstieg aus den Direktzahlungen. Wir wollen, dassdie Förderung im Rahmen der ersten Säule weitestge-hend übergeht in die Förderung im Rahmen der zweiten
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2041
Willi Brase
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Säule. Wir wollen die Entwicklung der ländlichenRäume. Das Prinzip „öffentliches Geld für öffentlicheLeistung“ soll und muss Zug um Zug umgesetzt werden.Ich glaube, wenn man Steuergeld ausgibt, dann darf manerwarten, dass dafür auch entsprechende Leistungen er-bracht werden. Das ist ein richtiger Weg.Von daher sehen wir als SPD-Fraktion den heute vor-liegenden Gesetzentwurf – die endgültige Fassung bleibtnatürlich der weiteren Beratung vorbehalten – schon alsWeg dahin, dass wir 2020 mehr auf die zweite Säuleübergehen. Wir fangen mit nur 4,5 Prozent der Mittel an.Herr von Marwitz, Sie hatten recht; vielleicht warenoder sind wir nicht bereit, mehr dafür zu geben. 15 Pro-zent wären oder sind noch möglich.
Es gibt nun die Einigung; daran kommen wir nicht vor-bei.
Aber wir fühlen uns auch durch das Thünen-Institut un-terstützt. In dem für Montag vorgelegten Gutachten wirddeutlich ausgeführt: Mittel- und langfristig muss mit denUnterschieden zwischen den Säulen der GemeinsamenAgrarpolitik Schluss sein. Wir wollen, dass hier eine Än-derung erfolgt.Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wirbei der nationalen Umsetzung der GAP besonders diewirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Entwicklun-gen der ländlichen Räume im Auge haben. Wir wollendiese Räume fördern. Für meine Fraktion sage ich hier:Dies ist für uns Ausdruck einer Politik, die auf die Ent-wicklung ländlicher Räume ausgerichtet ist. Wir wissen,dass es in den ländlichen Räumen nicht nur um Land-wirtschaft geht – das wurde heute in manchen Beiträgenschon angesprochen –, sondern auch um Daseinsvor-sorge, um Arbeitsplätze, um Bildung, um gute Arbeitinsgesamt und darum, für ältere Menschen das Leben inländlichen Räumen nach wie vor möglich zu machen.Insofern wollen wir gemeinsam in der heutigen De-batte – das geht ein bisschen über die GAP hinaus – dieGemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstrukturund des Küstenschutzes“ weiterentwickeln. Wenn wirdieses Instrument über eine Grundgesetzänderung, auchim Zusammenhang mit der GRW, vernünftig auf denWeg bringen, dann sollten wir einen materiell ausrei-chend hohen Anteil für den Küstenschutz bewahren.Aber wir werden auch dazu übergehen müssen, für dieländliche regionale Entwicklung zusätzliche Mittel zubeantragen. Ich denke, da sind wir in der Koalition ge-fordert, gemeinsam beim Finanzminister, hoffentlich mitUnterstützung unseres Landwirtschaftsministers, mehrMittel zu beantragen, damit wir zu einer besseren undstärkeren Unterstützung der ländlichen Regionen kom-men.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir als Sozial-demokraten unterstützen ausdrücklich das Leitbild einerLandwirtschaft, die flächendeckend wirtschaftet, diemultifunktional ausgerichtet ist und die auch dem Zieleiner ressourcenschonenden Produktionsweise ver-pflichtet ist. An diesem Ziel sollten wir festhalten. Las-sen Sie uns gemeinsam diesen Weg gehen, und lassenSie uns bei der Beratung des Gesetzentwurfs noch ein-mal überlegen, ob wir es schaffen, bessere Formulierun-gen als die in § 9 des Gesetzentwurfs – die kein Menschversteht – zu finden. Es ist nicht gut für das Parlamentund für die Landwirtschaftsminister – ich denke nichtnur an das Bundeslandwirtschaftsministerium, sondernauch an die Landwirtschaftsminister in den Ländern,auch wenn die Bundesratsbank ministeriell nicht mehrbesetzt ist –, wenn es bis zum Schluss nur noch darumgeht, wer den kleinsten Anteil an den Direktzahlungenhat. Wenn es so läuft, dann liegen wir falsch. So solltenwir es nicht machen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Als letzte Rednerin in
dieser Debatte hat Marlene Mortler für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Gemeinsame Agrarpolitik gehört seit Beginn der Ei-nigung Europas zu den wichtigsten Aufgabenfelderneuropäischer Politik. Die GAP wurde dem Wandel derLebensverhältnisse in Europa immer wieder angepasst.Anfangs stand der Wunsch der Menschen: Wir wollensatt werden. Heute steht die Landwirtschaft im Span-nungsfeld zwischen einerseits ökologischer und sozialerVerantwortung und wachsenden gesellschaftlichen An-sprüchen und andererseits wirtschaftlichen Zwängen fürnachhaltiges unternehmerisches Handeln.Aber gerade die Ausführungen der Grünen habendeutlich gemacht: Hier wird pauschal diffamiert. Werpauschal diffamiert, der wird nicht mehr ernst genom-men.
Gott sei Dank sehen über 70 Prozent der Menschen inDeutschland und EU-weit die Landwirtschaft in einemanderen Licht. Sie stehen hinter unseren Bäuerinnen undBauern, und sie stellen ihnen ein gutes Zeugnis aus.Meine Damen und Herren, früher gab es Geld für dieProduktion. Heute gibt es Direktzahlungen nur dann,wenn der Landwirt den hohen Auflagen im Bereich Tier-schutz, Umweltschutz und Verbraucherschutz nach-kommt.
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2042 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Marlene Mortler
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Deshalb sage ich: Diese Agrarreform stärkt nicht nur un-sere Bauern und Bäuerinnen, sie stärkt auch unsere Um-welt.
Für diese Politik hat Deutschland hart und erfolgreich inBrüssel gekämpft. Daher ein herzliches Dankeschön derdamaligen Ministerin Aigner, Dr. Friedrich undChristian Schmidt!
Ich danke ausdrücklich unserem Minister Schmidt– kaum im Amt – für seinen großartigen Einsatz im Be-reich Bioenergie im Rahmen der Verbesserung des EEG.Auch wir Agrarpolitiker waren von Anfang an undmit vollem Herzen dabei; denn viele von uns – das hatman heute bei den Reden gespürt – sind nicht nur Theo-retiker, sondern auch Praktiker; das heißt, wir kommenaus der Landwirtschaft, wir arbeiten mit und in der Na-tur. Deshalb wissen wir genau, dass die tägliche Frageunserer Bauern und Bäuerinnen lautet: Wie komme ichbesser über die Runden? Wie sichere ich im Sinne derAgenda 21 mein Ein- und Auskommen, nicht nur fürmich persönlich, sondern auch für meine Familie? Wel-che Perspektiven habe ich? Wie verlässlich ist diesePolitik? Meine Antwort: Unsere Bäuerinnen und Bauernkönnen sich auf uns verlassen.
Ich möchte das Ganze in einen größeren Zusammen-hang stellen. Ob in Deutschland, in Europa oder welt-weit: Kein anderer Wirtschaftszweig hat so sehr dasPotenzial zur Abmilderung des Klimawandels und zurSicherung unserer Ernährung wie die Landwirtschaftselber. Deshalb haben die Vereinten Nationen das Jahr2014 zum Internationalen Jahr der bäuerlichen Familien-betriebe ausgerufen. Minister Schmidt hat kürzlich sel-ber gesagt: Ernährungspolitik ist Sicherheitspolitik.Selbst ich als neue Drogenbeauftragte der Bundesregie-rung werde von diesem Thema immer wieder eingeholt,ob bei der Tagung der Commission on Narcotic Drugskürzlich in Wien oder gestern im Gespräch mit Vertre-tern des BMZ, der GIZ und des Auswärtigen Amtes oderim Gespräch mit der zuständigen thailändischen Bot-schafterin, die mithilfe Deutschlands in Nordthailand et-was ganz Tolles geschafft hat, nämlich die Bauern vomDrogenanbau wegzubringen und sie zum legalen Anbauvon Früchten, die ihnen ein Ein- und Auskommen si-chern, zu bringen. Das ist unser Anspruch.
Diesen Anspruch können wir am besten erfüllen, wennwir selber weiter mit gutem Beispiel vorangehen, dasheißt unser Wissen und Können in der Praxis und in derWissenschaft befördern und nicht behindern.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist vorbei.
Deshalb, sehr geehrte verständnisvolle Präsidentin,
setze ich bei der weiteren Umsetzung dieses Gesetzge-
bungspaketes auf praxistaugliche, praktikable Lösungen.
Wie es der Minister formuliert hat: Stilllegung ist ein
Stück Kapitulation. – Unsere Frage lautet: Wie können
wir in Zukunft mit weniger Fläche mehr produzieren?
Das muss selbstverständlich nachhaltig erfolgen; denn
nicht nur wir in Deutschland und Europa, sondern die
Menschen weltweit haben das Menschenrecht auf Nah-
rung. Das ist unser Anspruch, und dem fühlen wir uns
nicht nur als Parlamentarier, sondern auch als Bundesre-
gierung verbunden.
Danke schön.
Danke, Frau Kollegin. Auch danke für das „verständ-nisvolle“; das ist bei diesen Landwirtschaftsdebatten im-mer vonnöten. Danke für die lebendige Debatte.Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 18/908 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esdazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich bitte, den Platzwechsel zügig vorzunehmen, undrufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Rosemarie Hein, Diana Golze, Matthias W.Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion DIE LINKEKooperationsverbot abschaffen – Gemein-schaftsaufgabe Bildung im Grundgesetz ver-ankernDrucksache 18/588Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
InnenausschussAusschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für TourismusAusschuss Digitale AgendaHaushaltsauschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Frau Dr. Hein, warten wir noch eine Sekunde. – LiebeKolleginnen und Kollegen, könnten Sie sich bitte ent-scheiden, ob Sie stehen, sitzen oder reden wollen? ZumReden rufe ich Sie dann auf.Ich eröffne die Debatte. Das Wort hat Dr. RosemarieHein für die Linke.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2043
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Sicherlich nicht nur ich werde immerwieder gefragt, warum der Bund nicht endlich mehr Zu-ständigkeit in der Bildung übernimmt. Gab es diese For-derung noch vor zehn Jahren vor allem auf Veranstaltun-gen im Osten, kann man nun auch in den westlichenBundesländern geradezu Begeisterungsstürme hervorru-fen, wenn man quasi die Abschaffung der Bildungsho-heit der Länder fordert.
Keine Sorge: Das wollen wir nicht.
Wir müssen aber darüber reden, warum so viele für dieAbschaffung sind.Schuld ist das 2006 verhängte Kooperationsverbotzwischen Bund und Ländern in Bildungsfragen. Da dasWort „Kooperationsverbot“ immer schlecht verstandenwird, will ich noch einmal knapp erklären, was es bedeu-tet:2006 wurde im Zuge der Föderalismusreform aufDrängen einiger Länder im Grundgesetz festgeschrie-ben, dass der Bund in Fragen der Schul- und Hochschul-politik nicht mehr mitfinanzieren darf. Es gibt ganz we-nige Ausnahmen, und es gibt inzwischen eine Reihe vonUmwegen über sehr komische und scheinbar unverdäch-tige Programme. Denn auch wenn die Länder über diealleinige Zuständigkeit für Bildungsfragen überwiegendglücklich waren, können sie die notwendigen Bildungs-ausgaben heute nicht mehr schultern. Dies ist durch die2009 erlassene Schuldenbremse für Bund und Ländernoch weiter verschärft worden.Zu diesen Finanzierungsschwierigkeiten kommt hinzu,dass sich das Bildungswesen in den Bundesländern im-mer stärker auseinanderentwickelt. Das wollen wir mitunserem Antrag ändern. Es geht uns um mehr sozialeGerechtigkeit, um bessere Bildungsqualität und ummehr Vergleichbarkeit zwischen den Bundesländern.Gestatten Sie mir einige Erläuterungen dazu:Die bundesdeutschen Schulsysteme sind durch mehrals ein Dutzend unterschiedliche Schulformen für dieKlassen 5 bis 10, unterschiedlich lange Pflichtschulzei-ten, unterschiedliche Abschlüsse mit unterschiedlichenBerechtigungen, unterschiedliche Unterrichtsfächer undunterschiedliche Schulzeitlängen – man denke nur an diederzeitige Debatte um G 8 und G 9 – gekennzeichnet.Das ist nur ein Teil des Irrgartens, durch den sich Fami-lien quälen müssen, wenn sie das Bundesland wechselnwollen oder müssen.Das Problem geht nach der Ausbildung weiter: Weilauch die Ausbildungen für viele Berufe – so zum Bei-spiel für die Sozialarbeit, für Erziehungsberufe und fürdas Lehramt – Ländersache sind, kann es schnell passie-ren, dass man zwar in dem Herkunftsland einen aner-kannten Beruf hat, aber in einem anderen Bundeslandentweder als ungelernte Kraft oder zu deutlich schlechte-ren Tarifbedingungen eingestellt wird.Frau Kramp-Karrenbauer hat in der Bundesratssit-zung am 10. Februar 2012 erklärt:Wir Länder müssen uns verdeutlichen, dass einSchulwechsel von einem Bundesland in ein andereszu den größten Abenteuern gehört, die eine Familiezu bestehen hat.Sie hat recht. Wenn man mit einem Kind nach derfünften Klasse am Gymnasium aus Bayern nach Berlinoder Brandenburg wechseln will oder muss, dannkommt das Kind dort erst einmal in die Grundschule.Schülerinnen und Schüler zum Beispiel aus Aachen kön-nen ihren Fremdsprachenunterricht in einem anderenBundesland möglicherweise nicht so fortsetzen, wie sieihn begonnen haben, weil es ihn in dieser Weise in ande-ren Bundesländern gar nicht gibt. Die Anzahl der Jahreaber, die man eine Fremdsprache erlernt hat, ist aus-schlaggebend dafür, ob man das Abitur erreichen kannoder nicht.Auch hinsichtlich der Lernmittel gibt es in den Bun-desländern höchst verschiedene Regelungen: Gibt es inBaden-Württemberg und Hessen beispielsweise nochkostenfreie Schulbücher, so muss man in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt sehr un-terschiedlich hohe Leihgebühren bezahlen. Wechseltman gar vom Saarland nach Rheinland-Pfalz, muss manvöllig neue Bücher kaufen; denn in beiden Ländern gibtes, soviel ich weiß, keine Lernmittelfreiheit.Manche meinen, das träfe nur Einzelfälle. Ich habemich einmal kundig gemacht und kann Ihnen sagen: DenUmzug über Ländergrenzen hinweg müssen jedes Jahrungefähr 200 000 Kinder und Jugendliche im schul-pflichtigen Alter verkraften.Da diese Einsicht nun auch bei den Bundesländernangekommen ist und man sich dennoch nicht auf eineHarmonisierung der Bildungsgänge im Schulbereich ei-nigen konnte, hat sich die Kulturministerkonferenz jetztzu einem revolutionären Schritt entschieden: Es gibt eineInternetseite mit der Überschrift „Schulwechsel überLändergrenzen hinweg“. Ich habe sie angeklickt. Dortfinden Sie, fein säuberlich aufgelistet, für fast jedes Bun-desland einen Link zu den entsprechenden gesetzlichenRegelungen, die es in dem jeweiligen Land gibt. Da kön-nen Sie sich durchwursteln. Bravo! Damit ist den Fami-lien sehr geholfen. – Bitte verzeihen Sie mir diesen Sar-kasmus, aber es nervt einfach.
Es geht noch weiter. Auch bei der Schülerbeförderung– dieses Beispiel müssen Sie sich noch anhören – gibt esdiese Unterschiede. In einigen Ländern werden die Kos-ten der Schülerbeförderung bis zur zehnten Klasse vonLand und Schulträgern übernommen, zum Beispiel inHessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt. Inanderen Ländern gibt es nur einen Zuschuss zur Beför-derung oder ein Schülerticket, wie in Berlin, Branden-burg und Baden-Württemberg. Nur wenige Länder, wieSachsen-Anhalt und Bayern, übernehmen einen Teil derBeförderungskosten bis zum Abitur. Der Besuch dergymnasialen Oberstufe aber wird damit vor allen Dingen
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2044 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Dr. Rosemarie Hein
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den Kindern erschwert, die aus sozial benachteiligtenFamilien kommen.Nun hat die Bundesregierung ein Bildungs- und Teil-habepaket beschlossen, in dem auch Mittel für die Schü-lerbeförderungskosten vorgesehen sind. Davon profitie-ren zwar manche Familien; aber den Ländern undSchulträgern, die die Schüler bisher schon kostenfrei be-fördert haben, bringt das überhaupt gar nichts. Wer alsoin diesem Land sozial denkt, hat davon nichts. Das aller-dings konnte die Mutter des Bildungs- und Teilhabepa-ketes nicht wissen; denn die Mittel werden ja nicht überden Bildungshaushalt verteilt, sondern über die Kostender Unterkunft. Diese haben bekanntlich nichts mit Bil-dung zu tun.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich könnte nochzahlreiche Beispiele dieser Art nennen.
Sie belegen, dass das Verbot der Zusammenarbeit in Bil-dungsfragen und die alleinige Zuständigkeit der Ländermehr schaden als nützen.
Die Ganztagsschulen – die SPD hat es leider nicht ge-schafft, dass das Thema in den Koalitionsvertrag aufge-nommen wird – sind ebenso wie die Schulsozialarbeitdavon betroffen. Auch das gemeinsame Lernen von Kin-dern mit und ohne Handicap, also die Inklusion, kannohne eine Bundesbeteiligung nicht gestemmt werden.Die Ungereimtheiten betreffen nahezu alle Bildungs-bereiche. In der allgemeinen Schulbildung sind sie in-zwischen himmelschreiend. Allerdings weiß ich, dass esauch im Hochschulbereich – die Studierenden und auchVertreter von Hochschulen sowie der Länder haben sichdazu kürzlich geäußert – solche Probleme gibt und dasses nicht ausreicht, in der Zukunft über Exzellenzinitiati-ven nur die Leuchttürme zu fördern.Deshalb haben die Länder Schleswig-Holstein undHamburg vor einigen Jahren eine Bundesratsinitiativeergriffen. Einige Länder sind ihr beigetreten, aber getanhat sich leider nichts. Auch Lehrerverbände, Elternver-bände und Wirtschaftsverbände fordern ein Umdenkenvon uns. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf,im Bundesrat endlich Flagge zu zeigen und mit den Län-dern so lange zu diskutieren, bis eine Lösung gefundenist.
Es gibt auf der Internetseite der Kultusministerkonfe-renz noch eine andere interessante Seite, nämlich die fürdie „Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen“.Diese Zentralstelle kümmert sich um die Vergleichbar-keit im Ausland erworbener Abschlüsse. Ich fürchte, esist Zeit für eine „Zentralstelle für das inländische Bil-dungswesen“.
Allerdings wäre es besser, wir könnten im Grundge-setz endlich eine Gemeinschaftsaufgabe Bildung veran-kern und wir ließen die gemeinsame Finanzierung über-greifender Bildungsaufgaben endlich zu. Das nimmt denLändern nicht die Rechte, aber den Lernenden und ihrenFamilien manche Sorge. Genau das wollen wir mit unse-rem Antrag erreichen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der vergangenenLegislatur haben Grüne, SPD und Linke jeweils mehrereAnträge zu diesem Thema, die in die gleiche Richtunggingen, eingebracht, zwar mit unterschiedlicher Schwer-punktsetzung, aber sie gingen in die gleiche Richtung.
Ich hoffe sehr, dass die Einigkeit, die damals darüber be-stand, dass das Kooperationsverbot für den gesamtenBildungsbereich und nicht nur für die Hochschulen auf-gehoben werden muss, bei der SPD auch nach der Wahlnoch Bestand hat.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Das Wort für die Bun-
desregierung hat Stefan Müller.
S
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn man sich den Antrag der Linken ansieht und vorallem Ihre Rede, Frau Hein, hört, dann könnte man ers-tens den Eindruck bekommen, als würde das Grundge-setz eine Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländernverbieten.
Das Gegenteil ist richtig. Wenn Sie das Grundgesetzgenau lesen, dann werden Sie feststellen, dass es zwarausschließt, dass der Bund sich in Felder der ausschließ-lichen Länderzuständigkeit einmischen darf und dort hi-neinregieren kann. Aber es verbietet gerade nicht die Zu-sammenarbeit zwischen Bund und Ländern, sondern eserlaubt sie. Die Wahrheit ist: So viel Kooperation wieheute hat es in der Geschichte der BundesrepublikDeutschland noch nicht gegeben.
– Ja. – Dafür gibt es ein paar Beispiele: Nehmen Sie denHochschulpakt, mit dem Bund und Länder gemeinsamdafür gesorgt haben, dass es einen Aufwuchs bei denStudienplätzen gegeben hat. Nehmen Sie die Exzellenz-initiative, mit der Bund und Länder gemeinsam dafür ge-sorgt haben, dass Bewegung in die Hochschullandschaft
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Parl. Staatssekretär Stefan Müller
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in Deutschland gekommen ist. Nehmen Sie den Pakt fürForschung und Innovation oder als weiteres Beispiel dieQualitätsoffensive Lehrerbildung.Diese Beispiele zeigen: Kooperation ist möglich, undsie funktioniert auch in diesem Land, liebe Kolleginnenund Kollegen.
Zweitens. Im Antrag wird behauptet, dass seit demBildungsgipfel von 2008 nicht viel passiert sei. WennSie einen Blick in den Umsetzungsbericht der KMK undGWK werfen, dann werden Sie auch in dem Punkt fest-stellen, dass das Gegenteil richtig ist.Ich will auch hierzu ein paar Beispiele nennen: 2011besuchten 95 Prozent der vierjährigen Kinder Vorschu-len und Kindergärten. Das ist weit mehr als der OECD-Durchschnitt. Der Anteil der Schulabgänger ohneHauptschulabschluss ist von 8 Prozent auf 5,9 Prozentgesenkt worden. Die Zahl der Studienanfänger lag 2013bei über 506 000 und damit rund 145 000 über demStand von vor sechs Jahren. Es ließe sich fortsetzen: DieJugendarbeitslosigkeit ist mit 7,7 Prozent die niedrigstein Europa, und die Weiterbildungsbeteiligung erreichte2012 mit 49 Prozent Rekordniveau.Herr Gehring, Sie haben gerade den Haushalt ange-sprochen. Wenn Sie sich genau anschauen, was inDeutschland für Bildung und Forschung ausgegebenwird, dann müssen Sie erstens feststellen, dass die abso-luten Bildungsausgaben von 153 Milliarden Euro auf177 Milliarden Euro gestiegen sind, und zweitens, dassdie Ausgaben für Bildung und Forschung insgesamt bis2012 auf 9,3 Prozent des BIP gesteigert werden konnten.Das ist das Ergebnis einer gemeinsamen Kraftanstren-gung von Bund und Ländern. Ich finde, wir können unsüber diese positive Entwicklung zu Recht freuen, liebeKolleginnen und Kollegen.
Drittens. Im Antrag wird beklagt, die „Bundesauf-gabe Hochschulbau“ sei abgeschafft worden. Diese Bun-desaufgabe hat es aber nie gegeben. Der alte Art. 91 ades Grundgesetzes vor der Föderalismusreform besagte,dass der Bund bei der Erfüllung der LänderaufgabeHochschulbau mitwirkt. Ein Blick auf die aktuelle Situa-tion zeigt, dass der Bund auch heute noch die Länder un-terstützt, zum Beispiel im Rahmen der fortbestehendenGemeinschaftsaufgabe Forschungsbauten mit 300 Mil-lionen Euro im Jahr. Außerdem gibt der Bund den Län-dern für den Hochschulbau rund 700 Millionen Eurojährlich an Entflechtungsmitteln. Das sind insgesamtjährlich 1 Milliarde Euro.Ich möchte noch einen vierten Punkt aus Ihrem An-trag aufgreifen, nämlich die Forderung, dass der Bunddie Umsatzsteuerbeteiligung der Länder erhöhen soll,die Sie sich, wenn ich das richtig verstehe, zu eigen ma-chen. Das ist eine Forderung des Bundesrates. Ich gebezu, wir, die CDU/CSU, stehen dem sehr zurückhaltendgegenüber. Wir glauben, dass gemeinsame Bund-Län-der-Programme zweckdienlicher sind, weil es dadurchmöglich ist, gezielt bildungspolitische Herausforderun-gen aufzugreifen, was sinnvoller ist, als den Länderneinfach nur jedes Jahr mehr Geld zu überweisen.Zwei Fragen sind hier entscheidend. Erstens. Wiewollen und können wir sicherstellen, dass im Falle einerhöheren Umsatzsteuerbeteiligung der Länder diesesGeld tatsächlich eins zu eins für Bildung und Forschungin den Ländern ausgegeben wird? Die zweite Frage ist:Wie wollen und können wir sicherstellen, dass das Geldnicht an anderer Stelle weggenommen wird, wo es dannfehlt?Deswegen sagen wir: Eine höhere Umsatzsteuerbetei-ligung der Länder ist für uns nicht der richtige Weg.
Wir haben uns, neben vielen anderen Punkten, ge-meinsam in dieser Koalition darauf verständigt, dass wir,um ein Beispiel zu nennen, zu einer Grundfinanzierungder Hochschulen vonseiten des Bundes kommen wollen.Nach meiner Auffassung brauchen wir dafür eine Ände-rung des Grundgesetzes. Einen entsprechenden Vorschlaghat es in der vergangenen Legislaturperiode gegeben. Die-ser Gesetzentwurf ist seinerzeit leider nicht umgesetztworden. Es ist kein Geheimnis, dass wir innerhalb derKoalition noch unterschiedliche Auffassungen haben,wie wir eine solche Grundfinanzierung hinbekommen.Ich glaube, dass eine Änderung des Grundgesetzes dafürder richtige Weg ist. Wir sind unterschiedlicher Mei-nung, wie wir zu dieser Grundfinanzierung kommen,aber dass wir sie erreichen wollen, ist jedenfalls Kon-sens in dieser Großen Koalition. Das ist unstrittig.
Wir brauchen diese Grundfinanzierung auch als we-sentlichen Baustein, um die Wissenschaftspakte in dennächsten Jahren fortzuentwickeln. Hochschulpakt, Ex-zellenzinitiative, Pakt für Forschung und Innovation –diese Pakte haben dafür gesorgt, dass Bewegung in dieHochschul- und Wissenschaftslandschaft gekommen ist.Internationale Vergleiche zeigen, dass wir unsere Posi-tion als führende Wissenschaftsnation ausbauen konn-ten. Jedenfalls erreicht auch die Innovationstätigkeitneue internationale Spitzenwerte, und – das ist sehr er-freulich – noch nie haben deutsche Hochschulen so vieleTalente aus dem Ausland angezogen. Kurzum: Deutsch-land steht heute wirtschaftlich und sozial deutlich besserda als viele andere Staaten im OECD-Raum. Das istauch Ergebnis unserer gemeinsamen Anstrengungen imBereich der Bildungs- und Forschungspolitik. DiesenWeg wollen wir auch in dieser Wahlperiode fortsetzen.
Danke, Herr Kollege. – Der nächste Redner ist KaiGehring für Bündnis 90/Die Grünen.Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.
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2046 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
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Frau Präsidentin, auch Ihnen einen schönen Tag. –
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Staatssekretär, Ihre Rede war insofern
erhellend, als dass noch einmal offenkundig geworden
ist, dass sich die 80-Prozent-Mehrheit dieses Hauses bei
der Frage, wie sie mit dem Kooperationsverbot umgehen
will, noch nicht einig ist.
2006 hat die damalige Große Koalition dieser Repu-
blik das Kooperationsverbot eingebrockt. Wir waren da-
gegen, den Bund aus jeder Verantwortung für Bildung
herauszudrängen und dauerhaften Wissenschaftskoope-
rationen Steine in den Weg zu legen. Acht Jahre später
hat sich die heutige Große Koalition in ihrem Koalitions-
vertrag zu dieser Frage nicht verständigt. Es fehlt jede
Aussage zum Kooperationsverbot. Das ist eine schwere
Enttäuschung. Bei Bildung und Wissenschaft liefert die
Große Koalition bisher von A bis Z nur kleines Karo.
Das Kooperationsverbot hat sich als Bildungsblo-
ckade und Wissenschaftsbremse ausgewirkt. Es war und
ist ein schwerer Fehler. Das hat auch Frank-Walter
Steinmeier hier so bezeichnet, bisher folgenlos. Wir
Grüne werben weiter für einen Bund-Länder-Konsens,
der das Kooperationsverbot kippt und eine Ermögli-
chungsverfassung schafft; denn Fehler kann man korri-
gieren.
Es ist im gemeinsamen Interesse der Gesellschaft, der
Wirtschaft und aller staatlichen Ebenen, die Leistungsfä-
higkeit und die Qualität von Bildung und Wissenschaft
zu steigern; denn die hohen sozialen Kosten unterlasse-
ner Bildungs- und Forschungsinvestitionen tragen letzt-
lich wir alle. Die Leute haben die Nase voll von fehlen-
den Kitaplätzen, maroden Schulen und überfüllten
Hörsälen. Das Land der Dichter und Denker verträgt
keine Kleinstaaterei, wenn es um die Zukunft unserer
Kinder und Erfinder geht.
Die Probleme unseres Wissenschaftssystems – es gibt
da viele Baustellen – lassen sich mit einem Koopera-
tionsverbot nicht dauerhaft lösen. Kurzfristige Sofort-
programme wie die Wissenschaftspakte, Hochschulpakt,
Pakt für Forschung und Innovation, Exzellenzinitiative,
haben die bundesweite Unterfinanzierung unserer Hoch-
schulen allenfalls abgemildert, aber nicht überwunden.
Unter der GroKo ist nicht einmal klar, ob und wie diese
Wissenschaftspakte weitergehen. Ministerin Wanka trifft
im Haushalt dafür jedenfalls keine Vorsorge, sondern sie
wird offenbar das erste Opfer von Schäubles schwarzer
Null.
Wir müssen endlich heraus aus der wissenschaftspoli-
tischen Lähmung und Selbstblockade der GroKo. Der
Reform- und der Finanzdruck steigen. Eine moderne
Wissensgesellschaft lässt sich nur in gesamtstaatlicher
Verantwortung gestalten.
Viele Bundesländer sind kaum in der Lage, ihr Bil-
dungs- und Wissenschaftssystem auskömmlich zu finan-
zieren, zumal sie die Vorgaben der Schuldenbremse er-
füllen sollen. Dieses Problem sollten wir nicht erst in
zwei Jahren lösen, wenn die Neuordnung der Bund-Län-
der-Finanzbeziehungen ansteht. Wir sollten den Ländern
nun aber auch nicht einfach 6 Milliarden Euro überwei-
sen, wie es der Koalitionsvertrag nahelegt. Wir brauchen
fachgebundene Programme, also eine Zweckbindung
von Zukunftsinvestitionen in Bildung und Wissenschaft.
Ohne feste Vereinbarung von Bund und Ländern, dass
die 6 Milliarden Euro in Schulen und Universitäten in-
vestiert werden, besteht einfach das Risiko, dass sie in
Haushaltslöchern oder Schlaglöchern landen. Das liegt
weder im Interesse der Steuerzahler noch im Interesse
der Fach- und Haushaltspolitiker dieses Hohen Hauses.
Der Verfassungsänderungsvorschlag von Schwarz-
Gelb wurde bereits angesprochen. Dieser war aus unse-
rer Sicht ungeeignet, die Erosion der Grundfinanzierung
der Hochschulen zu stoppen. Nur Leuchttürme mit inter-
nationaler Strahlkraft herauszuputzen, wäre uns zu we-
nig. Uns geht es vor allem um verlässlichen Studien-
platzausbau sowie Infrastruktur- und Hochschulbau. Wir
wollen letztlich das gesamte Wissenschaftssystem zum
Leuchten bringen.
Apropos Leuchten, Herr Kollege, bei Ihnen leuchtet
die rote Lampe schon seit einiger Zeit.
Seit zehn Sekunden. Ich rede schnell.Wir haben als Grüne viele Initiativen vorgeschlagen.Jetzt ist die Bundesregierung am Zug. Sie müssen einenneuen Vorschlag machen, um das Grundgesetz zu än-dern. Wir würden ihn sehr sorgfältig prüfen – gerne auchim Rahmen eines Reformkonvents, den wir hier mehr-mals vorgeschlagen haben –, damit die notwendigeZweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat zu-stande kommt. Wir haben 2006 prophezeit, dass es min-destens zehn Jahre dauert, das Grundgesetz zu ändern.Bitte sorgen Sie dafür, dass wir nicht recht bekommen!Sorgen wir gemeinsam für einen kooperativen Föderalis-mus!
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Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
Dr. Ernst Dieter Rossmann, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Staatssekretär Müller hat sich schon sehr profund mitden Linken auseinandergesetzt. Ich will das nicht wie-derholen, sondern nur einen Eindruck wiedergeben.Meine Damen und Herren von der Linken, Sie könnenso beredt über die Vielfalt des deutschen Schul- und Bil-dungswesens diskutieren, aber Ihre Antwort, die Ände-rung des Grundgesetzes, betrifft das überhaupt nicht. Ichwünsche mir, dass bei Ihnen Rede und Initiative für dasParlament irgendwann in einem Zusammenhang stehen.Das kann nicht schaden.
Nun darf ich mich im Namen der Großen Koalitionmit Ihnen, Herr Gehring, auseinandersetzen. Sie habenrecht, wenn Sie konstatieren, dass wir auf der Suchesind. Aber Ihnen ergeht es nicht anders. Sie haben heutein der taz in einem Nebensatz gesagt: „Aber die SPDweiß nicht, was sie will.“ Ich darf Ihnen sagen: Die SPDweiß sehr genau, was sie will. Wir haben dazu eindeu-tige Parteibeschlüsse.
Wir möchten gerne, dass Bund und Länder in bestimm-ten Konstruktionen die Bildung fördern. Mir ist bekannt,dass die Grünen ähnliche Beschlüsse gefasst haben.Aber genauso wie wir sind auch Sie noch auf der Suche.Denn ist Herr Kretschmann als gewichtiger Ministerprä-sident von Baden-Württemberg nicht mehr Mitglied derGrünen?
Erinnere ich mich richtig, dass die Grünen den Minister-präsidenten in Hessen stellen wollten? Wissen Sie ei-gentlich noch, was Sie in Hessen werden können, wer-den wollen oder werden dürfen?
Wir müssen konstatieren: Wir alle befinden uns auf derSuche nach der besten Lösung. Wir sollten uns nicht un-sere Positionen vorhalten, sondern darüber nachdenken,wie wir in einem bestimmten politischen Spektrum zu-sammenkommen können.
Ich werbe stark für eine solche Haltung und nicht füreine Haltung des Vorrechnens und des Abrechnens.Dass es zu Veränderungen und Lösungen kommenmuss, ist unstrittig. Aber in der letzten Legislaturpe-riode, als wir Schulen vor Ort über eine Bildungsinitia-tive fördern wollten, sind wir bei der Initiative „Kulturmacht stark“ geendet, weil mehr nicht ging. Auch beimBildungs- und Teilhabepaket mussten wir manchmal ei-nen Umweg machen, weil es grundgesetzlich keineMöglichkeiten gab, Kinder direkt in der Schule zu för-dern. Wir haben vor allem erlebt, dass die VerfassungDiener von politischer Entwicklung für die Verbesserungim Bildungswesen ist und nicht umgekehrt. Denken Siean das legendäre Konjunkturpaket, das eine schnelle Än-derung des Grundgesetzes zur Folge hatte, damit wirnicht mehr abrechnen mussten, ob es 49 oder 51 Prozentenergetische Sanierung an Hochschulen oder Schulengab.Wir müssen an dem Grundsatz arbeiten, dass über dieVerfassung Verbesserungen im Bildungswesen unter-stützt werden. Ob wir dies in der ganzen Breite des Bil-dungswesens erreichen können, wird zu klären und zudiskutieren sein. Wir glauben zum Beispiel, dass der vonder SPD in einem Parteibeschluss einmütig festgehalteneAnsatz, über einen neuen Art. 104 c des Grundgesetzesdauerhafte Finanzhilfen an die Länder und Kommunengeben zu können, sehr hilfreich ist. Es wäre in der ak-tuellen Auseinandersetzung über die zukünftige Finanz-architektur klug, sie mit der Verfassungsarchitektur insBenehmen zu setzen. Wir konstatieren genauso – hierknüpfe ich unmittelbar an einen Punkt an, den derStaatssekretär Müller für die Große Koalition gesetzthat –, dass es eine Möglichkeit geben muss, neue Instru-mente der Bildungsförderung entsprechend den Verfas-sungsvoraussetzungen zu schaffen.Es wurden bereits Ausführungen über die Unterfinan-zierung des Hochschulbereiches und die Verschiebungder Gewichte im Hochschulbereich gemacht. Dort gibtes viele – bei aller Sympathie für Wettbewerbsele-mente –, die mittlerweise darüber stöhnen, dass esimmer mehr eine Drittmittelfinanzierung gibt, die dieHochschulstrukturen verändert. Es wäre hilfreich, wirhätten eine größere Stärkung bei der Grundfinanzierung.Das ist dann natürlich nicht nur eine Finanzaufgabe, son-dern auch eine Verfassungsaufgabe. Die Große Koalitionhat sich diese Aufgabe zu eigen gemacht. Im Koalitions-vertrag steht, dass ein zusätzliches Ziel die Stärkung derGrundfinanzierung der Hochschulen ist. Kundige wis-sen, dass die Formulierung „zusätzlich“ merkwürdig ist,weil es nach dem Grundgesetz gar nicht möglich ist.Wenn man in den Koalitionsvertrag schreibt, dass manzusätzlich etwas machen will, was nach dem Grundge-setz noch nicht geht, ist dies zumindest ein Hinweis da-rauf, dass dies zu einer sehr späten Stunde geschah.
Jetzt, mit einem klareren Kopf, muss es doch ein An-sporn für uns sein, zu tragfähigen Lösungen zwischenden Koalitionspartnern, zwischen Bund und Ländern,auch zwischen Regierungsfraktionen und Oppositions-fraktionen, zu kommen, um das politisch maximal Mög-liche zu erreichen, nämlich Bildung im Zusammenwir-ken von Bund und Ländern zu fördern.Herr Gehring, ich möchte mich direkt an Sie als Spre-cher der Grünen wenden. Ich habe Ihre Rede so wahrge-nommen, dass Sie es sehr wohl als Fortschritt begreifenwürden, wenn den Hochschulen dauerhaft zu einer stär-
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2048 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Dr. Ernst Dieter Rossmann
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keren Absicherung ihrer Finanzierung verholfen werdenkann, weil das ein wesentlicher Teil von Bildungsförde-rung ist. Selbst wenn wir nur dieses und nicht mehr er-reichen können, wofür wir sehr ernsthaft werben – auchbeim Koalitionspartner –, dann wäre es ein Erfolg. Sowerben Sie bei Ihrem grünen Ministerpräsidenten unddort, wo Sie Regierungsverantwortung haben. Wir wer-ben ebenfalls.Am Ende darf es in diesen vier Jahren der GroßenKoalition und Arbeit im Parlament aber nicht nur einständiges Werben geben, sondern es muss auch zu einerEntscheidung kommen. Wir sehen es als Auftrag fürdiese Große Koalition und das Parlament an, diese Ent-scheidung in einem Paket mit anderen Fragen zügig vor-zubereiten, um dann daraus etwas zu machen. Es nutztam Ende nichts, eine Verfassung zu haben, die man ver-bessert hat, und eine Wirklichkeit, die hinter der Verfas-sung hinterherhinkt. Die Verfassungsarchitektur und dieFinanzarchitektur so zusammenzubringen, dass es un-mittelbare und nachvollziehbare Auswirkungen auf dieMenschen hat, die in der Bildung arbeiten, die Bildungerleben und Bildung als Zukunft verstehen, wird dieAufgabe sein, der wir uns in aller Ernsthaftigkeit stellenwollen.Danke.
Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Tankred
Schipanski, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Unsere damalige Wissenschaftsministerin AnnetteSchavan hat erstmals im März 2010 einen konkretenVorschlag unterbreitet, wie sie sich einen neuen ko-operativen Föderalismus vorstellt. Diesen Impuls ha-ben wir in einer Vielzahl von Debatten in diesem Ho-hen Hause in der letzten Legislatur aufgegriffen. Nachintensiver Diskussion legte dann die christlich-libe-rale Koalition am 10. Oktober 2012 mit der Bundes-tagsdrucksache 17/10956 einen ganz konkreten Ge-setzentwurf vor, den wir alle kennen und der dieÄnderung des Art. 91 b Abs. 1 Nr. 2 Grundgesetz vor-sah. Es war ein Vorschlag, der einen gesellschaftli-chen Konsens aufgriff
und der die sensible Frage der Kernzuständigkeiten derBundesländer berücksichtigt und austariert hat.Es gab in der Analyse und in den Schlussfolgerungeneinen Konsens. Alle Sachverständigen und Wissen-schaftsorganisationen wiesen zu Recht darauf hin, dassdurch unseren Vorschlag der Änderung des Art. 91 b dieUnwucht zwischen außeruniversitärer und universitärerForschung behoben werden kann. Der Wissenschaftsrathat uns in seinem Gutachten zu den Perspektiven desdeutschen Wissenschaftssystems vom 12. Juli 2013 aus-drücklich bestätigt, dass eine Änderung des Art. 91 b einrichtiger und wichtiger Schritt zur Weiterentwicklungunseres Wissenschaftssystems wäre.
Ein Blick in den Koalitionsvertrag der Großen Koali-tion zeigt, dass wir uns einig sind, dass unsere Universi-täten – das Herzstück unseres Wissenschaftssystems –Unterstützung vom Bund erhalten sollen. Das soll nichtnur im Rahmen der bisherigen befristeten Vorhaben,sondern – Kollege Rossmann hat es bereits gesagt – auchmit Blick auf die Grundfinanzierung geschehen, alsoganz im Sinne des Formulierungsvorschlags desArt. 91 b aus der letzten Legislatur.Wir erörtern nunmehr, wie wir den Auftrag, den unsder Koalitionsvertrag gibt, im gesamtstaatlichen Inte-resse umsetzen. Eine Verfassungsänderung, also eineÄnderung des Art. 91 b, ist eine Variante. Sie kann soaus dem Koalitionsvertrag herausgelesen werden. Einanderer Weg wäre die Weiterentwicklung unserer bishe-rigen umfangreichen Kooperation zwischen Bund undLändern. Das gilt zum Beispiel für den Hochschulpakt,die Exzellenzinitiative oder den Qualitätspakt Lehre; derHerr Staatssekretär hat das angesprochen. Der Wissen-schaftsrat hat mit seinem Gutachten richtige Impulse ge-setzt.Es zeigt sich, dass der Begriff des Kooperationsver-botes sehr zugespitzt gewählt ist.
Denn wir erleben doch gerade eine umfangreiche Ko-operationskultur. Kooperation ist im gesamtstaatlichenInteresse. Dies ist im Übrigen auch die Idee des koopera-tiven Föderalismus, den uns das Grundgesetz gebietet.Das Grundgesetz unterscheidet ganz bewusst zwischenWissenschaft – Art. 5 – und Schule, Art. 7. Der heute zudiskutierende Antrag der Linken greift aber nur die Ko-operationskultur im Bildungsbereich auf. Das ist ein Po-litikfeld, in dem wir keinen gesellschaftlichen Konsensfür eine Verfassungsänderung erkennen können, im Be-sonderen keinen Konsens mit den Bundesländern, umderen Kernkompetenzen es sich hier handelt. Ich ver-weise auf die Anhörung vom 28. November 2012, dieunser Ausschuss in der letzten Legislatur mit Blick aufeine Grundgesetzänderung durchführte. Dort konntenwir erleben, wie sich die Länder im Bildungsbereichschwertun, dem Bund lediglich eine koordinierendeRolle zuzubilligen. Das ist aber eine Rolle, die der Bundmeines Erachtens von Verfassungs wegen her bereits be-sitzt.Wir sind uns über Fraktionsgrenzen hinweg in diesemHohen Hause einig, dass die Arbeit der Kultusminister-konferenz – diplomatisch gesprochen – verbesserungs-bedürftig ist. Seit 14 Jahren arbeitet dieses Gremium nunan gemeinsamen Bildungsstandards und kommt nurmühsam voran. Transparenz, Vergleichbarkeit der Ab-schlüsse und bundesweite Bildungsmindeststandards
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2049
Tankred Schipanski
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sind in unserem kooperativen Bildungsföderalismus not-wendige Grundbausteine.Das, was wir gegenwärtig im Rahmen der Diskussio-nen um G 8 und G 9 in einigen Bundesländern erleben,ist erschreckend.
Es zeigt mir, dass die KMK eben nicht in der Lage ist,nationale Verantwortung wahrzunehmen.Der Antrag der Linken enthält keinen Lösungsansatzfür diese Probleme.
Weder lese ich etwas von der Vergleichbarkeit derSchulabschlüsse noch von Mindeststandards und Trans-parenz. In Ihrem Antrag geht es nicht um Inhalt, sondernum Finanzströme. Sie machen nur einen einzigen Vor-schlag, und der ist abenteuerlich. Sie wollen Landesgelddurch Bundesgeld ersetzen. Sie wollen die Einnahmender Länder auf Kosten des Bundes erhöhen. Das ist Ego-ismus und das Gegenteil von Bildungskooperation, wiewir sie brauchen.
Kooperativer Föderalismus bedeutet für mich, dassdas Engagement des Bundes nicht das Engagement einesBundeslandes ersetzen darf, sondern nur ergänzen. Hie-rauf haben wir uns im Wissenschaftsbereich mit denBundesländern verständigt. Diese Kooperationskulturwollen wir ausbauen. Diesen Arbeitsauftrag haben wirklar im Koalitionsvertrag formuliert und werden ihnauch gemeinsam erfüllen.Vielen Dank.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort Özcan
Mutlu, Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte schön.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ImJanuar dieses Jahres hatten wir hier eine lebhafte Diskus-sion zu den Ergebnissen der Pisa-Studie. Mich hat damalsvor allem erheitert, dass Sie sich dazu gefeiert haben; denndank Ihres schwarz-roten Kooperationsverbotes könnenund dürfen Sie mit diesem Ergebnis eigentlich nichts zu tunhaben.
Das Pisa-Ergebnis, egal wie man es bewertet – wir sindda kritischer als Sie –, entspringt nämlich der Leistungder Bundesländer. Darüber sollten Sie sich Gedankenmachen.Im Wahlkampf hatte ich durchaus Hoffnung auf Bes-serung verspürt; denn im Wahlprogramm der SPD standfolgender Satz:Mit dem Kooperationsverbot in der Bildung ist diePolitik einen Irrweg gegangen.So ähnlich ist auch die parteiübergreifende Meinung vie-ler Kolleginnen und Kollegen hier im Hause und in denLandtagen der Republik.Sind den blumigen Worten der SPD auch konkreteTaten gefolgt? – Nein, leider nicht. Nicht einmal in denKoalitionsvertrag hat es die Aufhebung des Koopera-tionsverbotes geschafft. Da sage ich in Richtung derSPD: Nicht die Politik ist einen Irrweg gegangen, son-dern Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD,sind mit Ihrer Zustimmung zum Kooperationsverbot ei-nen Irrweg gegangen. Wir sagen: Lassen Sie uns ge-meinsam in diesem Hause und in dieser Republik diesenIrrweg beenden.
Mit der Föderalismusreform 2006 haben Sie alsGroKo dem deutschen Bildungssystem ohne jede Noteine ungenießbare Suppe eingebrockt. Von den Sozial-verbänden über die Gewerkschaften bis hin zum BDI,alle sprechen sich für eine Abschaffung des Koopera-tionsverbotes aus. Deshalb sollten Sie, lieber KollegeRossmann, sich mit Ihren 80 Prozent in diesem Hausnicht hinter einem grünen Ministerpräsidenten verste-cken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erinnere michnoch ganz gut an unser rot-grünes Ganztagsschulpro-gramm. Gegen den zum Teil massiven Widerstand derCDU-regierten Bundesländer sind mit dem rot-grünenProgramm 10 000 neue Ganztagsschulen entstanden.Das ist unsere gemeinsame Erfolgsstory.
Ich denke, wir sind uns alle darüber einig, dass es ein gu-tes Programm war und dass es richtig und wichtig ist,dieses Programm weiterzuführen.
Mit dem Kooperationsverbot ist das aber nicht mehrmöglich; es sei denn, Sie führen wieder ein indirektesbildungspolitisches Sonderprogramm ein, um das leidigeKooperationsverbot zu umgehen: „Bildungs- und Teilha-bepaket“, sage ich nur.Aber wozu diese Tricksereien? Lassen Sie uns dochgemeinsam die Bundesländer überzeugen – ich will Ba-den-Württemberg nicht ausschließen – und sie für eineKooperation zwischen Bund und Ländern gewinnen. ImMittelpunkt unserer Bestrebungen muss der Bildungser-folg der Schülerinnen und Schüler stehen und damit dieZukunft unserer Gesellschaft und unseres Landes. Nie-mand will den Bundesländern ihre Kompetenzen in derBildung wegnehmen; das werden sie auch nicht zulas-sen. Es muss um Kooperation gehen und um gemein-same Anstrengungen für eine bessere Bildung statt umbildungspolitische Kleinstaaterei, die nachweislich kont-raproduktiv ist.
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2050 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Özcan Mutlu
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Schauen Sie sich den finanziellen Zustand unsererLänder und Kommunen doch einmal genauer an. Diemeisten Bundesländer sind pleite, und die Kommunensind pleite zum Quadrat. Es ist doch grotesk: Länder undKommunen streiten sich derzeit darüber, wer für dieUmsetzung der Inklusion die finanzielle Verantwortungträgt. Der Bund hält sich dagegen bisher fein aus der De-batte heraus. Dabei ist es offensichtlich, dass viele Bun-desländer und Kommunen die riesigen Herausforderun-gen der Bildungspolitik nicht alleine meistern können.Es ist ja nicht so, dass wir Grünen jetzt fordern, derBund müsse alles mitfinanzieren und Geld bereitstellen.Wenn Herr Seehofer, Herr Weil und Herr Kretschmannkein Geld vom Bund wollen, dann auch gut. Aber jene,die auf die Unterstützung durch den Bund angewiesensind, müssen in einer kooperativen Art und Weise unter-stützt werden.Nun höre ich auch hier, dass das Kooperationsverbotfür den Hochschulbereich anscheinend gelockert werdensoll. Ich erlaube mir, zu diesem Thema die MinisterinWanka zu zitieren – Herr Müller, Sie sollten genau zuhö-ren –: „Es wird Zeit, dass wir dieses Relikt abschaffen.“Recht hat sie. Dieses Relikt muss in Gänze abgeschafftwerden; denn das, was für den Hochschulbereich gilt,gilt erst recht für die Allgemeinbildung und die schuli-sche Bildung. Deshalb sage ich zum Schluss: Wir brau-chen kein Verbot von Kooperation. Wir sollten uns statt-dessen für ein Gebot zur Kooperation starkmachen. Ichappelliere an Ihre Vernunft. Lassen Sie diese Spielchenvon Opposition und Regierung.
Lassen Sie uns hier im Interesse unseres Landes an ei-nem Strang ziehen.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kolle-
gen Swen Schulz, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bildungsföde-ralismus ist in der Tat ein schwieriges Thema. Das liegtunter anderem daran, dass es zwischen Bundes- undLandespolitikern tendenziell unterschiedliche Meinun-gen darüber gibt, wer was machen soll. Dieses Phäno-men, Herr Kollege Mutlu, tritt in allen Parteien auf. Dasmüssen wir einmal festhalten.
– Sie versuchen bei den Grünen, das einzudämmen. Dasversuchen andere auch. – Festzuhalten ist: Wir könnenhier nicht nur das machen, was wir gerne wollen, weil esden Bundesrat und die Landespolitiker gibt, die schondarauf achten, was wir aus ihrer Sicht machen sollten. Esgibt eine Fülle von hervorragenden Beispielen der Zu-sammenarbeit zwischen Bund und Ländern, vom Ganz-tagsschulprogramm über den Hochschulpakt bis zumPakt für Forschung und Innovation. Es muss unser Zielsein, diese Kooperation zu stärken und auszubauen.
Eine Grundgesetzänderung würde dabei zweifelsohnehelfen. Wir haben in den Koalitionsverhandlungen inten-siv darüber gesprochen. Wir von der SPD konnten unsmit unserem Vorschlag, der den Bildungsbereich inGänze, auch die Schulen, beinhalten würde, leider nichtdurchsetzen.
Damit bei der Bildung trotzdem etwas geschieht, ist imKoalitionsvertrag gewissermaßen hilfsweise festge-schrieben, dass die Länder um 6 Milliarden Euro entlas-tet werden, um ihre Aufgaben im Bildungsbereich besserwahrnehmen zu können. Jetzt laufen die Gespräche, wiedas im Einzelnen aussehen soll. Ich sage hier ganz klar:Es muss sichergestellt werden, dass das Geld tatsächlichin den Krippen, Kitas, Schulen und Hochschulen landet.Wir dürfen nicht eine Art Blankoscheck austeilen nachdem Motto „Länder, hier habt ihr das Geld; macht malschön, wir schauen gar nicht so genau hin“. Das darf esnicht geben.
Eines will ich in diesem Zusammenhang hier offenansprechen: Ich habe mich über einige Wortmeldungender letzten Wochen aus den Reihen der CDU/CSU geär-gert. Sie folgen immer derselben Melodie: Die SPD blo-ckiert mit ihren gierigen Ländern die Finanzierung vonBildungs- und Wissenschaftspolitik. – Da das mehrfachöffentlich behauptet wurde, will ich an dieser Stelle klar-stellen:
Das stimmt nicht.
Ich bitte Sie herzlich, Kollege Rupprecht und die an-deren, dieses Märchen nicht weiterzuverbreiten.
Erstens unterscheiden sich die Länder in ihrem Trach-ten nach dem Geld des Bundes höchstens graduell. EinBeispiel: Gerade hat der Finanzausschuss des Bundesra-tes beschlossen, dass das Geld ohne Zweckbindung, zumBeispiel in Form höherer Umsatzsteueranteile, an dieLänder fließen soll – Abstimmungsergebnis 15 : 1. Herr
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2051
Swen Schulz
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Rupprecht und Herr Müller, die eine Gegenstimme kamnicht etwa aus Bayern, sondern aus Bremen. Das nureinmal zur Klarstellung.
Zweitens steht im Koalitionsvertrag eindeutig, dassdie Länder entlastet werden, und nicht, dass der Bund et-was tut oder dass Frau Wanka die Milliarden zur freienVerfügung erhält. Das muss man nicht gut finden. Abermeiner Erinnerung nach ist der Koalitionsvertrag nichtnur von Sigmar Gabriel, sondern auch von AngelaMerkel und Horst Seehofer unterschrieben worden.Drittens rate ich den Kolleginnen und Kollegen vonder CDU/CSU, sich nicht zu weit aus dem Fenster zulehnen, wenn es um die Bildungsfinanzierung geht.
Denn die Geldprobleme des Bildungs- und Forschungs-ministeriums haben ja nicht mit der Großen Koalitionbegonnen, sondern es war Schwarz-Gelb, das uns ein Fi-nanzloch von 5 Milliarden Euro hinterlassen hat.
Es wurden Versprechungen im Umfang von 5 MilliardenEuro gemacht, die in der Finanzplanung gar nicht vorge-sehen sind. Im Gegenteil: In der mittelfristigen Finanz-planung waren sogar Kürzungen im Bereich Bildungund Forschung eingeplant. Unsere geschätzten Koali-tionspartner sollten sich also lieber mit Frau Merkel,Herrn Schäuble und Frau Wanka zusammensetzen, umeine Lösung für die schwarz-gelben Altlasten zu finden,anstatt abzulenken und mit dem Finger auf die Länder zuzeigen.
Kolleginnen und Kollegen, wir haben in der Bil-dungs- und Forschungspolitik einen sehr geringen finan-ziellen Spielraum. Das ist auch das Ergebnis von politi-schen Grundsatzentscheidungen. Diese Koalition hatsich vorgenommen, keine Schulden mehr zu machenund gleichzeitig keine Steuererhöhungen vorzunehmen.Das hat einen Preis, nämlich engere finanzielle Spiel-räume. Auch das muss man nicht gut finden, aber auchdamit müssen wir nun umgehen.Ich will da ein Thema aufgreifen, das der KollegeRossmann angesprochen hat. Ich frage mich, was eineGrundgesetzänderung vor diesem finanziellen Hinter-grund derzeit überhaupt hilft. Denn ein geändertesGrundgesetz alleine löst ja erst mal kein einziges Pro-blem an irgendeiner Schule oder Hochschule. Das istwie der Bau einer Startbahn – eine Startbahn ist wunder-bar, aber damit etwas passiert, braucht man erst mal einFlugzeug; doch wir können nicht mal die Tankfüllungbezahlen, Kolleginnen und Kollegen.
Andererseits will ich die Hoffnung nicht aufgeben. Esist eine Grundsatzdebatte über die Finanzbeziehungenzwischen Bund und Ländern vereinbart. Vielleicht erar-beiten wir in diesem Rahmen eine tragfähige und aus-finanzierte Architektur für den Bereich Bildung undWissenschaft in Bund und Ländern. Die Mühe wäre daswert.Herzlichen Dank.
Zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag erteile
ich der Kollegin Sybille Benning, CDU/CSU-Fraktion,
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wol-len die Dynamik der Exzellenzinitiative, des Hochschul-pakts und des Pakts für Forschung und Innovation nut-zen und diese Programme fortführen. Wir stehen zuunserer Initiative aus der vergangenen Legislaturperiodeund möchten das Kooperationsverbot im Hochschulbe-reich abschaffen, damit die Hochschulen mehr Geld fürdie Grundfinanzierung zur Verfügung haben.Unsere Hochschulen sind das Herzstück unseres Wis-senschaftssystems. Sie müssen dauerhaft wettbewerbsfä-hig sein und deshalb Planungssicherheit haben.
Die Schulbildung aber ist Ländersache. Hier muss ichden Ausführungen in Ihrem Antrag klar widersprechen.Die Schulpolitik beim Bund anzusiedeln, hieße, dieSchulbildung in Deutschland zu zentralisieren. Das ent-spricht nicht unseren Vorstellungen von Föderalismus.
Ihr Lösungsvorschlag scheint zu sein, dass der Bund denLändern einfach mehr Geld überweist, und zwar deutlichmehr. Sie zitieren eine Forderung der GEW, wonach imBildungsbereich ein zusätzlicher jährlicher Finanzbedarfvon 56,8 Milliarden Euro bestehe. Das entspricht derHälfte aller Bildungsausgaben von Bund, Ländern undKommunen im Jahr 2013. Die Hälfte einfach noch malobendrauf – das ist, freundlich formuliert, eine Illusion.
Sie behaupten in Ihrem Antrag außerdem, seit demBildungsgipfel in Dresden sei nicht viel passiert. UnsereBundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsi-denten der Länder haben 2008 ein umfassendes Pro-gramm zur Stärkung von Bildung und Ausbildung inDeutschland beschlossen. Seitdem hat die verbesserteZusammenarbeit zwischen Bund und Ländern – wieeben auch schon mehrfach berichtet – bereits vieleFrüchte getragen.
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2052 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Sybille Benning
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Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt die Er-folge in einigen Bereichen etwas näher beleuchten, dieSie mit den Worten „Nicht viel passiert“ beiseitewischenwollen:Erstens. Sie übersehen, dass der Anteil der Ausgabenfür Bildung und Forschung am Bruttoinlandsprodukt inden letzten fünf Jahren auf 9,5 Prozent gestiegen ist. Da-mit ist das in Dresden gesetzte Ziel eines Anteils von10 Prozent in greifbarer Nähe.Zweitens. Die frühkindliche Bildung hat sich in denletzten Jahren enorm verbessert. 96 Prozent der Vierjäh-rigen und 90 Prozent der Dreijährigen in Deutschlandnehmen an frühkindlicher Bildung teil. Deutschlandliegt damit weit über dem OECD-Durchschnitt.
Gerne zähle ich weitere Punkte auf. Der Anteil derSchulabgänger, die ohne einen Hauptschulabschluss dieSchule abbrechen, ist zwischen 2006 und 2012 auf5,9 Prozent zurückgegangen. Das ist ein wichtiger Er-folg. Für jeden einzelnen Jugendlichen, der einen Ab-schluss macht, ist es ein Gewinn. Wir werden weiterhinhart dafür arbeiten, dass möglichst alle ihren Abschlussmachen.
In Deutschland bilden sich mehr Menschen weiter.Das vereinbarte Ziel in Dresden lautete: 50 Prozent. Dasist fast erreicht.Nehmen Sie, meine Damen und Herren, bitte außer-dem zur Kenntnis, dass in Deutschland ein vergleichs-weise hohes Bildungsniveau herrscht. Derzeit haben86 Prozent unserer Bevölkerung einen Hochschulab-schluss, die Hochschulreife oder eine abgeschlosseneBerufsausbildung.Außerdem ist die Bildungsbeteiligung überdurch-schnittlich hoch. Ein Ziel des Programms zur Stärkungvon Bildung und Ausbildung ist natürlich, die Menschenin Arbeit zu bringen. Wie erfolgreich Bund und Länderhier zusammenarbeiten, sieht man sehr deutlich an dergeringen Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland, die mit7,7 Prozent bei weitem die niedrigste in ganz Europa ist.
Ganz besonders beeindruckend finde ich die Steige-rung der Studienanfängerzahlen. Jeder Zweite eines Al-tersjahrganges geht studieren. Die Studienanfängerquoteliegt ganze 10 Prozentpunkte über dem 2008 aufgestell-ten 40-Prozent-Ziel, also bei 50 Prozent.Innerhalb von sechs Jahren ist die Studienanfänger-zahl um 145 000 Menschen gestiegen. Stellen Sie sichvor: Das wäre das gesamte gefüllte Westfalenstadion,plus die Arena auf Schalke, plus ein gefülltes Münche-ner Stadion. So viele Menschen zusätzlich erwarten einehochwertige Ausbildung. Um dieser Erwartung zu ent-sprechen, brauchen die Hochschulen unsere Unterstüt-zung.
Ich fasse zusammen: Die frühkindliche Bildung hatsich enorm verbessert, der Anteil der Schulabgängerohne Hauptschulabschluss hat sich verringert, die Bil-dungsausgaben sind deutlich gestiegen, mehr Menschenbilden sich über ihren gesamten Berufsweg hin weiter,viele Menschen beginnen ein Studium, und die Bil-dungsbeteiligung hat sich deutlich erhöht.Mit Ihrem Antrag haben Sie mir als neuer Abgeord-neter die Gelegenheit gegeben, wichtige Erfolge im Bil-dungs- und Forschungsbereich unter der Leitung derUnion im Bund darzustellen.
Dafür danke ich Ihnen. Klar ist aber: So, wie Sie es sichvorstellen, geht es nicht.Vielen Dank.
Liebe Frau Kollegin Benning, das Präsidium beglück-
wünscht Sie zu Ihrer ersten Rede und wünscht Ihnen für
die Zukunft eine interessante parlamentarische Arbeit.
Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
Martin Rabanus, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerVerlauf der Debatte macht es mir ein bisschen schwieri-ger, so einzusteigen, wie ich das als von Natur aus har-moniebedürftiger Mensch eigentlich wollte. Ich wollteals Erstes auf die Gemeinsamkeiten, die es im HohenHause gibt, abheben.
Möglicherweise gelingt das auch. Wenn wir von derRede der Frau Kollegin Hein von der antragstellendenFraktion, von dem wolkenverhangenen parteipoliti-schen Geklüngel der Grünen sowie von ein paar koali-tionsinternen Hinweisen absehen, dann stellt man fest,dass sich alle, einschließlich der Bundesregierung, dafürausgesprochen haben, das Koalitions-, Entschuldigung,das Kooperationsverbot abzuschaffen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2053
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„Kooperationsverbot abschaffen“ – das ist – soweitich das erkennen konnte – die gemeinsame Überschrift.Aber schon in der Debatte gab es den einen oder anderendeutlichen Hinweis, dass man in den Fraktionen mögli-cherweise, in Maßen, etwas Unterschiedliches darunterversteht.
– Was die SPD darunter versteht, ist in der Tat sehr klar,Frau Kollegin Hein. Wir haben als einzige Partei sehrfrühzeitig einen zwischen der Bundesebene und den so-zialdemokratisch regierten Ländern abgestimmten Text-vorschlag zur Ergänzung des Grundgesetzes – Art. 104 c –vorgelegt.
Dass die Union in Teilen andere Vorstellungen hat, isthier schon hinreichend deutlich geworden. Dass Sie denKulturföderalismus völlig anders einschätzen als wir, istauch deutlich geworden. Dass die Grünen, je nachdem,in welcher Lage sie sich befinden, völlig unterschiedli-che Aussagen tätigen, ist auch hinreichend deutlich ge-worden.
Nach diesem wunderschönen Hinweis auf den Ver-trag der Großen Koalition in Berlin möchte ich Ihre Auf-merksamkeit auf Ihren eigenen Koalitionsvertrag in Hes-sen richten; denn auch dort finden Sie keinerleiAussagen zum Umgang mit dem Kooperationsverbot.
Wenn ich mich erinnere, wie die Grünen in Hessen nochim September letzten Jahres die Backen aufgeblasen ha-ben,
wird mir klar, liebe Kordula Schulz-Asche, dass die Si-tuation, in der man sich befindet, gelegentlich unter-schiedliche Verbindlichkeiten und unterschiedliche Into-nationen zur Folge hat.Warum sage ich das?
Ich sage das, weil es wichtig ist, bei so einem Themanicht in Gut und Böse, in Richtig und Falsch zu unter-scheiden, weil es wichtig ist, nicht den moralischen Zei-gefinger zu erheben. Wir haben es hier natürlich mit ei-ner Gemengelage unterschiedlicher Interessen von Bundund Ländern zu tun. Das ist deutlich geworden. Es gibtunterschiedliche Konstellationen. Die für sich genom-men jeweils legitimen Interessen müssen in den kom-menden Wochen und Monaten einer kritischen Diskus-sion zugeführt werden. Darauf ist in der Debatte unteranderem vom Kollegen Rossmann hingewiesen worden.Wenn wir in diesem Haus gemeinsam der Auffassungsind, dass wir die Bildung in der gemeinsamen Verant-wortung von Bund und Ländern stärken und voranbrin-gen wollen, dann müssen wir uns einem solchen Prozessunterziehen. Dann müssen wir uns alle an die eigeneNase fassen. Vor allen Dingen müssen wir aber alle be-reit sein, uns aufeinander zuzubewegen, um die Bildungim Zusammenspiel von Bund und Ländern im Interessevon Kindern und Jugendlichen tatsächlich zu stärken.
Das ist das, was die Menschen draußen von uns er-warten. Das ist das, was sich die SPD in der Koalitionvorgenommen hat.
Schaufensteranträge bringen uns dabei nicht weiter. Ichglaube, dass sich auch die CDU in der Koalition genaudas vorgenommen hat. Ich glaube, am Ende, wenn sichder Nebel etwas gelichtet hat, sind auch die Grünen be-reit, sich an einer solchen Debatte konstruktiv zu beteili-gen.
Das jedenfalls wünsche ich mir. Das wünschen wir unsals SPD-Fraktion in der Großen Koalition. Wir werdensehen, ob das in den kommenden Wochen und Monateneingelöst wird.Vielen Dank.
Als Nächster erteile ich das Wort zu ihrer ersten Rede
im Deutschen Bundestag der Kollegin Alexandra
Dinges-Dierig.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Üblicherweise ist es ja so:Wenn man etwas wiederholt, nützt das dem Lernen. Ichdenke, das passt hier ganz gut. Sie können sich vorstel-len, dass ich als zehnte Rednerin in dieser Debatte nichtviel Neues sagen werde. Aber vielleicht kombiniere ichdie Dinge etwas anders. Es kann aber sicherlich auchnicht schaden, manches zwei- oder dreimal zu hören.Deshalb möchte ich zu Beginn für die CDU/CSUganz klar feststellen, dass wir uns ausdrücklich zum Fö-deralismus im Bereich der Bildung bekennen: von derKita über die Schule bis hin zur Hochschule.
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2054 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Alexandra Dinges-Dierig
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Ich sage an dieser Stelle aber auch ganz klar: Bildungund Finanzierung sind Aufgabe aller beteiligten Träger.Bund, Länder und Kommunen tragen jeweils ihren Teilder Finanzierung und damit auch ihrer Verantwortung inunterschiedlicher Gewichtung. Dieser gemeinsamenVerantwortung werden wir auch in Zukunft gerecht wer-den.Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Lin-ken, liebe Frau Hein, es war für mich etwas schwierig,das, was ich in Ihrem Antrag gelesen habe, mit dem, wasSie heute ausgeführt haben, in Übereinstimmung zubringen.
Sie wollen uns mit Ihrem Antrag einreden, dass die Bil-dungspolitik auf dem Holzweg ist. Sie gehen sogar soweit, zu behaupten, dass sich bei Qualität und Finanzie-rung nicht wirklich viel geändert hat. Ich glaube – dashaben Sie auch an den Ausführungen der Redner nachIhnen gemerkt –, dass Sie damit eindeutig falschliegen.
Unsere Ergebnisse in Studien zur Bildung – einigewurden heute genannt – sind stetig besser geworden. Wirkönnen jedes Jahr immer wieder die Ergebnisse vielerStudien lesen, zum Beispiel TIMSS, PISA und entspre-chende länderspezifische Auswertungen. Selbst dieOECD hat inzwischen verstanden – sie hat eine Weiledazu gebraucht –, wie das deutsche Bildungssystemfunktioniert. Wenn wir Bildung auf einen Blick 2013 le-sen, dann sehen wir, dass es in den Bereichen Schule undHochschule eindeutige positive Entwicklungen gibt unddass wir im gesamten Ranking eindeutig nach oben rut-schen. Ein Grund dafür ist ganz klar die von uns ange-stoßene Exzellenzinitiative. Die wachsende Beteiligunginternationaler Wissenschaftler im Forschungsbereich istein weiterer Beweis für diese positive Entwicklung.Noch etwas hat mich am Antrag der Linken sehr irri-tiert; deshalb möchte ich es an dieser Stelle ansprechen.Sie behaupten an einer Stelle, dass Sanierungen und Re-novierungen in Schulgebäuden nichts mit Bildungspoli-tik und Lernergebnissen zu tun haben. Ich kann dazu nursagen: Wenn das wirklich Ihre Meinung ist – es steht inIhrem Antrag –, dann verstehen Sie nicht viel von Lern-prozessen. Vielleicht überdenken Sie diesen Passus IhresAntrags noch einmal.Für den Fall, dass es noch Zweifler gibt, möchte ichnoch einmal, aber nur ganz kurz, die Big Points nennen,die wir insbesondere im Bereich der Bildungsfinanzie-rung im Bund angeschoben haben, seitdem unsere Bun-deskanzlerin Angela Merkel heißt. Es fing beim Auf-wachsen unserer Budgets an und reichte bis hin zurExzellenzinitiative; darüber haben wir heute schon vielgehört.
Ich denke natürlich auch an den Hochschulpakt und da-ran, dass wir die Ausfinanzierung der wachsenden Stu-dierendenzahlen durch den Hochschulpakt gewährleis-ten. Das waren immerhin schlappe 10 Milliarden Euro.Wir haben die Qualität der Lehre verbessert – HerrMüller hat das ausgeführt – und die Qualitätsinitiative inder Lehrerbildung aufgelegt.Aber wir haben die Länder bei der Bewältigung ihrerAufgaben nicht nur im Bereich der Hochschulen massivunterstützt, sondern wir haben sie auch auf eine andereArt und Weise unterstützt, und zwar mit dem Bildungs-und Teilhabepaket für bildungsbenachteiligte Kinder;auch davon war heute schon die Rede. Auch bei der Her-kulesaufgabe Kitaausbau haben wir mit 5,4 MilliardenEuro geholfen. Dazu kommt jetzt die jährliche Beteili-gung des Bundes an den laufenden Kosten der Kitas.Das ist ein Wort. Der Bund steht zu seiner Mitverant-wortung im Bereich der Bildung.
Da wir ja immer wieder von Finanzen sprechen: ImBereich der Bildung übernimmt der Bund auch an eineranderen Stelle zusätzliche Verantwortung, indem er dieLänder ein Stück weit finanziell entlastet. Das bedeutet,dass die Länder ihrer Verantwortung den Kommunen ge-genüber besser gerecht werden können. Es geht dabeium die Übernahme der Kosten für die Grundsicherung.Das sind immerhin Entlastungen für die Länder von imSchnitt über 5 Milliarden Euro im Jahr. Auch die Entlas-tungen bei der Eingliederungshilfe werden kommen.Das schafft Freiraum und ermöglicht es den Ländern,zum Beispiel mehr in die Köpfe unserer Kinder und Ju-gendlichen zu investieren.
Langer Rede kurzer Sinn: Diese Beispiele zeigen,dass wir unsere gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahr-nehmen und unserer Verantwortung gerecht werden. Un-ser föderaler Staat lebt vom guten Miteinander aller Ebe-nen. Das wird auch in Zukunft so sein. Aber wir müssenauch berücksichtigen, dass wir eine Schuldenbremse ha-ben. Der Bund ist sich der Begrenztheit der Mittel natür-lich sehr bewusst und nicht unbegrenzt belastbar. Des-halb müssen wir die Mittel effizient anlegen. Wirmüssen vor allem dafür sorgen, dass die Länder, wennder Bund weiter in Bildung investiert, ihren eigenen An-teil an der Verantwortung für das weitere Gelingen derBildungsrepublik nicht zurückfahren.Deshalb, meine Damen und Herren, werden wir indieser Legislaturperiode mit den Ländern über eine wei-tere Verbesserung unserer Bildungslandschaft sprechen,natürlich auch hinsichtlich ihrer Finanzierung. Ich binganz zuversichtlich, auch angesichts der Ausführungenmeiner Vorredner, dass wir gemeinsam, vielleicht sogarüber die Grenzen der Koalition hinaus, eine Nachfolge-lösung finden, sei es im Bereich der Exzellenzinitiative,des Hochschulpaktes oder bei weiteren Bildungsthemen.Wie wir das dann in Art. 91 b des Grundgesetzes nieder-legen werden, wird unser gemeinsamer Dialog zeigen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2055
Alexandra Dinges-Dierig
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Ich bedanke mich recht herzlich für Ihre Aufmerk-samkeit.
Herzlichen Glückwunsch, Frau Kollegin Dinges-
Dierig, zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag!
Auf eine gute weitere parlamentarische Zusammenar-
beit!
Als letztem Redner in dieser Debatte, aber zu seiner
ersten Rede im Deutschen Bundestag gebe ich nun
Xaver Jung von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir brauchen eine differenzierte Neufassungdes Art. 91 b Grundgesetz, die Wissenschaft und schuli-sche Bildung nicht in einen Topf wirft, wie die Linke dastut.
Wir wollen, dass der Bund bei der Grundfinanzierungvon Universitäten und Fachhochschulen tätig werdenkann. Schule ist aber der klassische Kernbereich derLänderzuständigkeit und soll es auch bleiben.
Um Schule zu optimieren, braucht es keine Änderungdes Grundgesetzes. Wir müssen stattdessen wieder vielmehr über Inhalte reden. Was wir brauchen, ist nochmehr Absprache, noch mehr Koordination zwischen denLändern. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Lin-ken, eines muss ich Ihnen schon sagen: Unser Bildungs-system und unsere Lehrer sind nicht so schlecht, wie Siees in Ihrem Antrag formuliert haben.
Dass wir in Deutschland die Wirtschaftskrise in denletzten Jahren so erfolgreich gemanagt haben, ist maß-geblich der Qualität des deutschen Bildungssystems zuverdanken. Wir haben es oft gehört – aber man kann esnicht oft genug hören –: Wir haben die niedrigste Ju-gendarbeitslosigkeit in der ganzen EU. Noch niewurde in Deutschland so viel in Bildung investiertwie in den letzten Jahren. Für uns von der CDU/CSU-Fraktion haben Bildung und Forschung auch weiter-hin höchste Priorität. Deswegen haben wir im Koali-tionsvertrag zusätzlich 9 Milliarden Euro für Bildungvorgesehen. Wir werden in dieser Wahlperiode dieGanztagsschule stärken, die digitale Bildung ausbauen,die Inklusion voranbringen und die Durchlässigkeit desSchulsystems stärken.
Wir werden, Herr Schulz, auch weiterhin die Länder beideren Bildungsaufgaben unterstützen. Aber wir möchtengerne mitreden, wenn es darum geht, wohin die Mittelfließen. In Rheinland-Pfalz, wo ich herkomme, fließensie nämlich zum Beispiel in den Nürburgring; dann be-zahlt man den damit.
Wir wollen wissen, wofür wir unser Geld ausgeben.
Was wir vor allem brauchen, ist die bundesweite Ver-gleichbarkeit von Schulabschlüssen. Dazu müssen dieLänder ihre Lehrpläne besser miteinander abstimmen.Es muss möglich sein – da gebe ich Ihnen recht –, dassEltern und Kinder problemlos in ein anderes Bundeslandwechseln. Das muss übrigens auch für Referendare undLehrer gelten.
Der Bund hat viel Geld auch in Bildungsforschung in-vestiert. Schulvergleichsstudien bestätigen große Leis-tungsunterschiede zwischen den Ländern. Aber das liegtnicht allein am fehlenden Geld des Bundes, wie so oftbehauptet wird, sondern vor allem an der fehlenden poli-tischen Kraft und am fehlenden Willen mancher Bundes-länder, die richtigen Prioritäten zu setzen. Ein Vergleichmacht dies besonders deutlich: 2011 wendete Thüringenfür Bildung 8 500 Euro pro Kopf auf, NRW lediglich5 600 Euro. Da hilft auch keine Grundgesetzänderung.Die Linken fordern in ihrem Antrag, dass die Länderihre Bildungshoheit aufgeben. Das passt natürlich sehrgut in ihre Ideologie. Sie fordern wieder einmal den Zen-tralstaat.
Wir wollen Vielfalt und Subsidiarität.
Bei Gründung der Bundesrepublik hat man sich be-wusst für eine dezentrale Organisation des Bildungswe-sens entschieden. Die Föderalismuskommission hat dieserneut bestätigt. Die Länder haben dieses gewollt. Siebefinden sich jetzt in der Pflicht, endlich ihre Hausauf-gaben zu machen.Meine Damen und Herren, aus vielen Jahren Erfah-rung als Lehrer und auch als Vater zweier schulpflichti-ger Kinder weiß ich, dass Schule einen ganz entschei-denden Bildungsauftrag hat, nämlich den Schülerinnenund Schülern zu ermöglichen, sich zu eigenständigenund selbstverantwortlichen Bürgern mit eigener Identitätzu entwickeln. Die deutsche Geschichte zeigt, dass Zen-
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2056 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Xaver Jung
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tralismus in der Bildung oft mit Gleichschaltung undideologischer Umerziehung verbunden war. Ziel IhrerVorgängerpartei war es nie, den selbstverantwortlichenBürger zu eigener Identität zu erziehen.
Wir begrüßen den föderalistischen Aufbau.Gute Bildung ist eine Grundlage für mehr Teilhabe,Integration und Chancengerechtigkeit. Gute Bildung istder Schlüssel für sozialen Aufstieg. Gute Bildung ist dieGrundvoraussetzung für Wohlstand, Wachstum und Fort-schritt in unserem Land sowie den Erfolg Deutschlandsim internationalen Wettbewerb. Bildung wird nicht bes-ser durch die Aufhebung des Kooperationsverbots,
sondern eher durch Wettbewerb um den besten Weg.
Gute Bildung ist nicht allein Aufgabe des Staates, son-dern der gesamten Gesellschaft. Unterstützen wir unsereFamilien und die Eltern dabei!Meine Damen und Herren, wir haben in den letztenJahren die richtigen Prioritäten gesetzt. Wir werdendiese erfolgreiche Bildungspolitik auch in der neuen Ko-alition gern fortsetzen.
Lieber Herr Kollege Jung, ich gratuliere im Namendes Präsidiums recht herzlich zu Ihrer ersten Rede. Aufgute parlamentarische Zusammenarbeit!
Ich schließe hiermit die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/588 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch-führung der Verordnung Nr. 1215/2012sowie zur Änderung sonstiger VorschriftenDrucksache 18/823Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Recht und Verbraucherschutzb) Beratung des Antrags der Abgeordneten UweKekeritz, Friedrich Ostendorff, Claudia Roth
, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENWeltagrarbericht jetzt unterzeichnenDrucksache 18/979Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
Ausschuss für Ernährung und LandwirtschaftEs handelt sich um Überweisungen im vereinfach-ten Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall. Damit sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 f auf.Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen,zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 23 a:Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zum Vorschlag für einen Beschlussdes Rates zur Aufhebung des Beschlusses2007/124/EG, Euratom des RatesDrucksache 18/824Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses
Drucksache 18/992Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 18/992, den Gesetzentwurfder Bundesregierung auf Drucksache 18/824 anzuneh-men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-men? – Enthaltungen? – Dann ist der Gesetzentwurf vonallen Fraktionen des Hauses bei Enthaltung der Fraktionder Linken so angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe-ben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dannist der Gesetzentwurf mit den Stimmen aller Fraktionenbei Enthaltung der Fraktion Die Linke in dritter Lesungso angenommen.Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-titionsausschusses.Tagesordnungspunkt 23 b:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 28 zu PetitionenDrucksache 18/858Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Bei einer Enthaltung ist die Sammelüber-sicht 28 angenommen.Tagesordnungspunkt 23 c:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 29 zu PetitionenDrucksache 18/859
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2057
Vizepräsident Peter Hintze
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Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linkeund Enthaltungen bei der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen ist die Sammelübersicht 29 angenommen.Tagesordnungspunkt 23 d:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 30 zu PetitionenDrucksache 18/860Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 30 einstimmigangenommen.Tagesordnungspunkt 23 e:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 31 zu PetitionenDrucksache 18/861Hierzu liegen Erklärungen nach § 31 Abs. 1 der Ge-schäftsordnung des Bundestages vor.1)Wer stimmt für die Sammelübersicht 31? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Gegenstim-men der Fraktion Die Linke und ohne Enthaltung ist dieSammelübersicht 31 mit den Stimmen aller übrigenFraktionen angenommen.Tagesordnungspunkt 23 f:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 32 zu PetitionenDrucksache 18/862Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 32 mit denStimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktiongegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenund der Fraktion Die Linke angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:– Beratung der Beschlussempfehlung und des
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräftean der EU-geführten AusbildungsmissionEUTM Somalia auf Grundlage des Ersuchensder somalischen Regierung mit Schreiben vom27. November 2012 und 11. Januar 2013 sowieder Beschlüsse des Rates der EuropäischenUnion 2010/96/GASP vom 15. Februar 2010und 2013/44/GASP vom 22. Januar 2013 inVerbindung mit der Resolution 1872
des Sicherheitsrates der Vereinten NationenDrucksachen 18/857, 18/9941) Anlage 2– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der GeschäftsordnungDrucksache 18/995Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen vor.Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag derBundesregierung werden wir später namentlich abstim-men.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich gebe als erster Rednerin Dagmar Freitag, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Afrika steht, wir wissen es, im Fokus internationaler undnationaler Beratungen. Zurzeit läuft noch der zweitägigeEU-Afrika-Gipfel, der unter dem Motto „In Menschen,Wohlstand und Frieden investieren“ steht. Rund 80 Na-tionen beraten in Brüssel über das zukünftige Profil derZusammenarbeit. Einen entsprechenden Antrag derKoalitionsfraktionen zu diesem Gipfel hat dieses Hausbereits am 21. März dieses Jahres beschlossen. Darin ha-ben wir deutlich zum Ausdruck gebracht: Wir dürfenAfrika nicht nur als Krisenherd wahrnehmen, sondernvor allem auch als einen Nachbarkontinent mit großenChancen und Potenzialen.
Auf dieser Basis muss das Afrika-Konzept der Bundes-regierung von 2011 weiterentwickelt werden. Ziel ist,dass sich die Partner Europäische Union und Afrika ineiner Partnerschaft auf Augenhöhe – darauf liegt dieBetonung – verstehen.Sicherheitspolitische Fragen werden bei diesem Gip-fel natürlich eine entscheidende Rolle spielen. Friedenund die Schaffung eines sicheren Umfeldes sind unab-dingbare Voraussetzungen für die weitere Entwicklungund für Wohlstand, aber auch – das möchte ich aus-drücklich ergänzen – für die Durchführung ordnungs-gemäßer Wahlen, die 2016 stattfinden sollen. Ziel musssein, die Stabilität in Afrika zu verbessern; denn insbe-sondere fragile Staaten Nordafrikas und der Sahelzonesind nach wie vor geprägt durch gewalttätige Konfliktemit verheerenden Folgen für die Bevölkerung, die, wirwissen es, unter Armut, Gewalt und Unterdrückungleidet. Hier müssen deutliche Akzente in den BereichenFrieden, Sicherheit, zivilgesellschaftliche Organisation,Klima, Energie, Wirtschaftsentwicklung gesetzt wer-den. Ziel all dessen ist die Stärkung der unverzichtbarenEigenverantwortlichkeit vor Ort.Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Zentrum derheutigen Debatte steht das von einem langen und quälen-den Bürgerkrieg geprägte Somalia im Kontext mit demvon der Bundesregierung vorgelegten Antrag.
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2058 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Dagmar Freitag
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Es ist unstrittig: Die Lage in Somalia ist nach wie vorfragil. Mit Blick auf die kommenden Jahre ist die ganzentscheidende Frage – ich denke, da sind wir uns einig –:Gelingt die Entwicklung dieses Landes, oder wirdSomalia als sogenannter Failed State enden und damitdie gesamte Region des Horns von Afrika und darüberhinaus bedrohen?Die Unterstützung der internationalen Gemeinschaftfür den Friedens- und Stabilisierungsprozess ist undbleibt notwendig. Wir wissen, mittlerweile gibt es 3 600somalische Soldaten, die bis Ende 2013 von der Euro-päischen Union ausgebildet wurden. Diese sollen dieTruppen der African Union Mission in Somalia,AMISOM, vor allem im Kampf gegen die radikal isla-mistische al-Schabab unterstützen.Wir wissen natürlich auch um die Schwierigkeitdieser Aufgabe. Aber nach allem, was wir wissen, habenwir erstmals die Situation, dass zumindest große Städtevon AMISOM kontrolliert werden. Wir verzeichnen einedurchaus positive Entwicklung im Norden des Landes.Wir wissen um die Probleme in Zentral- und Südsoma-lia.Somalia benötigt vor allem Hilfen beim Aufbau vonSicherheits- und Verwaltungsstrukturen auf zentraler,aber auch – das will ich ausdrücklich erwähnen – aufregionaler Ebene und natürlich bei der Etablierung vonvölkerrechtlichen und menschenrechtlichen Standards.Nur so – ich hoffe, da sind wir uns einig – kann einbelastbarer Stabilisierungsprozess vorangetrieben wer-den. Die EU spielt in diesem Prozess nach wie vor eineentscheidende Rolle. Deutschland handelt dabei im Ver-bund mit der EU gemäß der Leitlinie „Strategischer Rah-men für das Horn von Afrika“, die im November 2011beschlossen worden ist.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beraten heuteabschließend über die Beteiligung Deutschlands an derEU-geführten Ausbildungsmission EUTM Somalia. Biszu 20 Soldatinnen und Soldaten sollen befristet bis zum31. März 2015 eingesetzt werden. Im Mittelpunkt wer-den stehen die Ausbildung der somalischen Streitkräftesowie – um diesen Auftrag soll der Einsatz erweitertwerden – strategische Beratungen des somalischenGeneralstabs und des Verteidigungsministeriums, wasals besonders wichtig erachtet wird. Dieser Einsatz – ichdenke, der Hinweis ist noch einmal wichtig – beinhaltetjedoch ausdrücklich keinen Auftrag zur Teilnahme anKampfhandlungen und keine direkte Unterstützung mili-tärischer Operationen der multinationalen Friedensmis-sion der Afrikanischen Union.Neu ist auch die Verlagerung der Mission von Ugandadirekt nach Mogadischu. Dort sollen in einem streng ge-schützten Bereich des Flughafens, der nach vorliegendenInformationen und Einschätzungen auch anderer Natio-nen als weitgehend sicher gilt, unsere Soldaten statio-niert werden. Ich glaube, die Verlagerung nach Mogadi-schu ist sinnvoll. Somalische Probleme müssen im Landselbst gelöst werden und nicht in Kampala.Dieses Mandat mit einer festgelegten Obergrenze von– ich habe es bereits erwähnt – maximal 20 deutschenSoldatinnen und Soldaten ist ein vergleichsweise kleinesMandat. Es ist ein Baustein im Kontext unterschiedli-cher Maßnahmen und Hilfen für die somalische Bevöl-kerung. Wir halten die Beteiligung an diesem Mandat fürvertretbar und bitten herzlich um Ihre Zustimmung.Vielen Dank.
Als Nächster erteile ich das Wort der Kollegin Sevim
Dağdelen, Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute solles wieder um die Zustimmung zu einem Auslandseinsatzder Bundeswehr gehen. Mittlerweile vergeht kaum nocheine Woche, in der nicht ein oder zwei Bundeswehrein-sätze hier beschlossen werden sollen.
Es gibt kaum ein Problem auf dieser Erde, auf das dieGroße Koalition nicht mit Bundeswehrsoldaten antwor-ten möchte. Zu diesem abenteuerlichen Kurs der Infla-tionierung der Auslandseinsätze der Bundeswehr sagtdie Linke wie eine übergroße Mehrheit der Bevölkerungklar und deutlich Nein.
Nach Jahren in Uganda wollen Sie Ihre Militärausbil-der im Rahmen der Mission EUTM Somalia jetzt nachSomalia schicken. Ich frage Sie: Wie sieht denn eigent-lich Ihre bisherige Bilanz der militärischen Ausbildungsomalischer Milizen in Uganda aus? Nicht von der Handzu weisen ist: Sie haben auch Kindersoldaten mit ausge-bildet.
Sie haben Leute ausgebildet, denen schlimmste Men-schenrechtsverbrechen vorgeworfen werden.
Und Sie haben Leute ausgebildet, von denen lautSomalia Monitoring Group der Vereinten Nationen inder Vergangenheit 80 Prozent mitsamt ihrer Ausrüstungdesertiert sind; einige von ihnen sind gar auf die andereSeite übergelaufen.Laut dem Sanktionsausschuss des UN-Sicherheitsra-tes liefert selbst die Regierung, die Sie hier unterstützen,Waffen an die Extremisten. Die Regierungsarmee sei– ich zitiere – „die wichtigste Waffenquelle für dieIslamisten“ in Somalia. Bei solch einer furchterregendenBilanz muss hier doch eigentlich ein deutliches Stopp-zeichen gesetzt werden.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2059
Sevim Dağdelen
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Weil wir uns nicht mitschuldig machen wollen an diesenMenschenrechtsverletzungen, sagen wir Nein zu diesemEinsatz.
Sie verkünden hier erfundene Erfolgsmeldungen.Dazu gehört, dass Sie es als Sieg verkaufen, dass dieAusbildung jetzt nicht mehr in Uganda, sondern auf so-malischem Boden stattfindet.
Ich frage Sie: Ist es wirklich ein Erfolg, dass sich dieseAusbildungsmission jetzt im Hochsicherheitstrakt desFlughafens von Mogadischu verschanzt?Ist es ein Erfolg, dass sich der somalische Bürgerkriegimmer weiter internationalisiert? Ist es ein Erfolg, dassKenia infolgedessen aktuell beschlossen hat, alleSomalis in Lagern zu internieren, weil diese als gefähr-lich gelten?Oder ist es für Sie ein Erfolg, wenn von deutschemBoden aus gezielte Tötungen mit Drohnenangriffen inSomalia stattfinden? Ich finde es jedenfalls ungeheuer-lich, dass Sie gegen diese Morde, die vom US-Haupt-quartier in Stuttgart aus begangen werden, nichts unter-nehmen. Auch deshalb ist Deutschland natürlich Parteiin diesem dreckigen, schlimmen somalischen Bürger-krieg.
Ich frage Sie vor diesem Hintergrund: Ist das Ihre werte-geleitete Außenpolitik, von der Sie immer reden? Umwelche Werte handelt es sich hier eigentlich?
Die Linke jedenfalls lehnt diese Drohnenmorde in So-malia ab.
Ich frage Sie auch, ob Sie sich jemals überlegt haben,wen Sie dort in Somalia eigentlich unterstützen. Ange-sichts der Leute, die Sie dort unterstützen, will ich Ihneneinmal positiv unterstellen, dass Sie sich wahrscheinlichnoch nie damit beschäftigt haben.
Der sogenannten Regierung in Somalia, die Sie mit IhrerAusbildungsmission unterstützen, werden schlimmsteMenschenrechtsverbrechen vorgeworfen. Ihre sogenann-ten Gerichte verhängen die Todesstrafe, ihre Politik stehtfür Repression, für Gewalt und für Korruption.Ich frage Sie: Haben Sie sich jemals mit der Verfas-sung dieser Regierung auseinandergesetzt? Ich meinehier nicht die ultrareaktionäre Ausrichtung mit einemkompletten Abtreibungsverbot und der Verfolgungsexueller Minderheiten, sondern ich meine hier dieVerfassungsbestimmungen, die ganz am Anfang dieserVerfassung stehen. Sie legen fest, dass die Scharia überallen anderen Gesetzen steht.
Eine ganz enge reaktionäre Auslegung des Islam ist inder Verfassung dieser Regierung, die Sie mit dieser Aus-bildungsmission unterstützen, als Staatsreligion festge-setzt.
– Ja, das ist so. Sie können doch nicht einfach die Augenvor der Realität verschließen.
Das heißt, dass viele Menschen gar keine Religionsfrei-heit haben. Hindus, aber auch konfessionslose Christen,Sufis und Schiiten: Sie alle sind der praktischen Verfol-gung ausgeliefert. Solch eine autoritär-islamistischeRegierung unterstützen Sie mit der Bundeswehr.Wie wollen Sie der Bevölkerung diesen Einsatz ei-gentlich erklären? Wollen Sie sagen, dass Sie gerneSteuergelder ausgeben, um Menschenrechtsverletzeroder islamistische Autokraten zu unterstützen?Die Linke lehnt Ihre Bundeswehreinsätze zur Unter-stützung solcher Art von autoritären Regimen jedenfallsab.
Wir finden, es braucht endlich eine politische Lösung,eine Verhandlungslösung in Somalia und nicht ein weite-res Anheizen dieses Bürgerkrieges mit deutscher Hilfedurch die deutsche Bundeswehr.
Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Philipp
Mißfelder, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!Frau Dağdelen, normalerweise ist es so, dass diejenige,die für Ihre Fraktion am häufigsten Verschwörungstheo-rien vorträgt, Frau Buchholz ist.
Aber ich muss sagen: Sie haben sie heute wirklich ge-toppt, und zwar im negativen Sinne.
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2060 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Philipp Mißfelder
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Ich finde wirklich, dass Sie es einfach sein lassen sollten,hier solche Konstrukte vorzutragen.
Ich sage jetzt etwas zum Mandat. Zum Mandat ge-hört, dass wir unser Vorgehen gut überlegt haben unddass wir das auch lange diskutiert haben.
Frau Freitag hat es vorhin angesprochen: Die Sicherheitunserer eigenen Soldaten steht für uns natürlich an ersterStelle. Bei jedem Mandat, das wir hier beschließen,muss angesichts der Sicherheitsrisiken zwischen der Si-cherheit unserer Soldaten und dem Nutzen des Mandatsabgewogen werden. So sind wir auch bei der schwieri-gen Frage in diesem Fall der Meinung, dass es trotz dergeringen Zahl der Soldaten richtig ist, gemäß dieser Ab-wägung zu sagen: Wir können das verantworten.Sie haben eben in Ihrem Wortbeitrag ausgeführt, dassdie Soldaten im Sicherheitstrakt des Flughafens von Mo-gadischu arbeiten. Das geschieht nicht ohne Grund. Wirwissen nämlich, dass Somalia ein gefährlicher Ort ist.Weil Somalia in Zukunft aber Sicherheitsstrukturenbraucht, sind wir der Meinung, dass wir die Ertüchti-gungsstrategie weiter fortführen müssen, sodass somali-sche Autoritäten selbst in die Lage versetzt werden, inZukunft die Sicherheit in ihrem Land zu garantieren.Deshalb bilden wir an dieser Stelle aus und beraten stra-tegisch.Dass Sie hier direkt Waffenlieferungen unterstellen,muss ich an dieser Stelle zurückweisen. Mir sind die vonIhnen angesprochenen UNO-Dokumente bekannt. Auchwir sehen die Entwicklung im Land mit Sorge.
Aber gerade deshalb wollen wir uns in Somalia engagie-ren, damit die Situation in diesem Land besser wird.
Ich sage es einmal anders: Jede finanzielle Hilfe, diewir im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit ge-währen, jede politische Initiative, die wir mit Blick aufSomalia in der Vergangenheit gestartet haben und auchin Zukunft starten wollen, bringt nur dann etwas, wennin diesem Failed State überhaupt wieder Sicherheits-strukturen entstehen.Wir stehen natürlich vor der Situation, abwägen zumüssen: Wollen wir als Ausländer die Sicherheit imLand garantieren oder alternativ Autoritäten vor Ort indie Lage versetzen, in Zukunft selbst die Sicherheit zugewährleisten? Ich halte die zweite Variante in der Ab-wägung für die vertretbarere, sonst müssten wir dortdauerhaft militärisch stark und robust präsent sein.
Vor diesem Hintergrund kann man dieses Mandat gutvertreten. Wir haben es auch über Wochen und Monatediskutiert. Uns ist das nicht leichtgefallen. Früher gab esdie Ausbildungsmission in Uganda. Ich würde Ihnennicht darin zustimmen, dass diese Mission per se nichterfolgreich war, sondern ich würde ganz im Gegenteilsagen, dass sich auch dort Deutschland verantwortungs-bewusst und erfolgreich beteiligt hat.
Das wollen wir fortsetzen.Ich glaube, dass insbesondere vor diesem Hintergrunddie Ertüchtigungsstrategie, die für Afrika insgesamt inden Mittelpunkt unserer außenpolitischen Schwerpunkt-setzung gerückt ist, ein Baustein sein kann. Das ist abernur ein Baustein. Daran werden wir weiterhin arbeiten.Es ist auch in unserer Fraktion ausführlich diskutiertworden: Inwiefern wollen und können wir in Afrika mitmilitärischen Maßnahmen erfolgreich sein? Ich glaube,dass das immer der geringere Beitrag von uns bleibensollte. Wir sind der festen Überzeugung, dass das, waswir politisch und auch im Bereich der Entwicklungszu-sammenarbeit leisten können, viel wichtiger ist. Aber alldas kann nur in einem Sicherheitsrahmen geschehen.Diese Sicherheit muss eben auch ermöglicht werden.Deshalb gibt es an dieser Stelle eine militärische Kom-ponente – zugegebenermaßen in einem sehr kleinen Um-fang. Angesichts dieses Umgangs ist Ihre Empörung inWahrheit ja nur gespielt; auch das muss man dazusagen.Sie haben sich ja richtig angestrengt.
Wir wollen, dass für die Menschen in Somalia einebessere Zukunft möglich ist. Ich sage es noch einmal:Wir wollen, dass dies innerhalb staatlicher Strukturenmöglich ist, von denen wir noch weit entfernt sind. Dorttrifft man zurzeit auf Stammesstrukturen und zum Teilauch sehr unübersichtliche Strukturen. Wir haben ver-sucht, sie zu analysieren. Wir werden versuchen, diesemZustand politisch eine Konzeption entgegenzusetzen.Das ist allerdings sehr schwierig.Natürlich kann keiner von diesem Pult aus eine Ga-rantie dafür abgeben, dass sich das Blatt nicht wendet,dass sich Situationen ändern und sich Frontverläufe ver-schieben. Nichtsdestotrotz müssen wir uns vor diesemHintergrund immer überlegen: Schauen wir weg odersind wir aktiv? Hier sage ich ganz deutlich: Es ist besser,in diesem begrenzten Umfang aktiv zu sein, als sichnicht um die Zukunft Somalias zu scheren. Deshalbsetzte ich mich für dieses Mandat ein.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2061
Philipp Mißfelder
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Als Nächster erteile ich der Kollegin AgnieszkaBrugger, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zah-len sind erschreckend: 860 000 Somalierinnen und So-malier sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Über2 Millionen befinden sich auf der Flucht. Nach über20 Jahren Bürgerkrieg sehnen sich die Menschen nachStabilität und Sicherheit, nach Frieden und Freiheit.Trotz einiger Bemühungen der internationalen Gemein-schaft ist dieses Ziel noch lange nicht erreicht. Bis heutefehlt eine schlüssige Gesamtstrategie für die Lösung die-ses Konfliktes.Wir Grüne werden das Mandat der Bundesregierungfür eine Beteiligung an der europäischen Mission zurAusbildung somalischer Streitkräfte ablehnen, und zwarnicht, weil wir finden, dass man in Somalia angesichtsder wirklich sehr, sehr schwierigen Lage nichts tunsollte, sondern weil wir bezweifeln, dass Sie hier denrichtigen Ansatz verfolgen.
In ihren Reden bei der Mandatseinbringung in derletzten Sitzungswoche sind Verteidigungsministerin vonder Leyen und Staatsminister Roth kaum auf die Lagevor Ort eingegangen. Schöne Schlagworte wie „Rah-menstrategie“, „vernetzte Sicherheit“ oder „politischeKonsolidierung“ sind gefallen. Aber erläutern Sie bitteeinmal, was das ganz konkret für den Konflikt in Soma-lia bedeutet! Denn die Ausbildungsmission für die soma-lischen Streitkräfte kann nur einen langfristigen Beitragzur Konfliktlösung leisten, wenn sie in eine kohärenteGesamtstrategie eingebettet ist.
Das bisherige Engagement der internationalen Gemein-schaft, der EU und insbesondere auch der AfrikanischenUnion genügt diesem Anspruch nicht. Aber um das zuerkennen, muss man genauer hinsehen. Mir scheint, daswill die Bundesregierung nicht.In den vergangenen Jahren sind die internationalenVersuche, zentrale Strukturen in Somalia zu etablieren,vorsichtig gesagt, wenig erfolgreich gewesen. Gerade imSinne der notleidenden Zivilbevölkerung muss eine ver-nünftige dezentrale Machtbalance zwischen der Zentral-regierung in Mogadischu und den Regionen, geradeauch den Regierungen von Somaliland und Puntland, ge-funden werden.Meine Damen und Herren, das internationale Engage-ment findet außerdem in einem Umfeld statt, in dem dieUSA mit Drohnenangriffen völkerrechtswidrige ge-zielte Tötungen von Aufständischen in Somalia verüben.Dabei kommt es immer wieder zu zivilen Opfern, unterdenen sogar Kinder sind. Es gibt belastbare Hinweise,dass über U.S. AFRICOM in Stuttgart und die Air Basein Ramstein eine Beteiligung an der Planung und Aus-führung dieser Angriffe von deutschem Staatsgebiet auserfolgt. Die Bundesregierung verweigert hierzu jeglicheAufklärung und jegliche Auskunft. Auch hier wollen Sienicht wirklich hinschauen. Hören Sie endlich auf, dieAugen vor diesem Völkerrechtsbruch zu verschließen,und setzen Sie sich für ein Ende dieser Drohnenangriffeein!
Diese gezielten Tötungen erweisen sich zudem alshöchst kontraproduktiv, da sie aufseiten der Aufständi-schen Radikalisierung und Rekrutierung massiv beför-dern.Vielmehr sollte – auch vor dem Hintergrund der Er-fahrungen in Afghanistan – eines klar sein: Militärischist der Konflikt in Somalia nicht zu lösen. Damit derFrieden in Somalia eine Chance hat, muss – so schwierigdas auch ist – mit allen Gewaltakteuren, auch mit denmoderaten al-Schabab-Mitgliedern, verhandelt werden,damit das Kämpfen endlich ein Ende findet.
Meine Damen und Herren, mit einem neuen Mandathat die Bundesregierung nicht nur die Möglichkeit, son-dern aus grüner Sicht auch die Verantwortung, das bishe-rige Engagement zu überprüfen, zu hinterfragen und ge-gebenenfalls neu zu justieren. Wenn wir Grüne genauerhinschauen, als Sie das offensichtlich tun, sehen wirdeutlich: Die Ausbildung von rund 3 600 somalischenKämpferinnen und Kämpfern bei der Vorgängermissionin Uganda hat ziemlich viele Probleme zum Vorscheingebracht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Aus-bildungsmission einfach als erfolgreich zu bezeichnen,das ist reine Schönrednerei!
Zum einen gibt es Hinweise, dass die somalischenStreitkräfte überwiegend Mitglieder aus einem Klan re-krutieren. In einem zerrissenen Land, in dem Identitätund Loyalität vorwiegend über Klans definiert wird,schwächt das nicht nur den Rückhalt der Streitkräfte inder Bevölkerung, sondern es verstärkt auch die Rivalitä-ten zwischen verschiedenen Gruppen in Somalia.Zum anderen gibt es immer wieder Berichte darüber,dass große Teile der ausgebildeten Truppen auf demWeg von Uganda nach Somalia zu den Milizen überge-laufen sind.Nachdem das UN-Waffenembargo gegen Somalia ge-lockert wurde, sind auch noch Waffen über staatlicheStellen in die Hände von Milizen und Aufständischengelangt. Sie sehen, die Liste der Probleme ist lang.Aus Ihrem Mandat und auch aus Ihren Reden geht inkeinster Weise hervor, wie Sie damit umgehen wollen,
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2062 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Agnieszka Brugger
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geschweige denn, dass Sie diese Probleme überhaupt zurKenntnis nehmen.
Wir haben Ihnen in den letzten Wochen so viele Fragengestellt, aber Sie agieren die ganze Zeit frei nach demMotto: Ich sehe nicht, was ich nicht sehen will. – Das isthöchst verantwortungslos.
Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrundkönnen wir diesem oberflächlichen Mandat nicht zu-stimmen. Aber: Die Somalierinnen und Somalier habenunsere Unterstützung verdient. Deshalb fordern wir Sieauf: Reformieren Sie Ihre Somalia-Politik, und formulie-ren Sie statt Schaufensterreden endlich eine engagierte,schlüssige und überzeugende Gesamtstrategie zur Lö-sung dieses Konfliktes!Vielen Dank.
Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Thomas
Hitschler, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Vielleicht gelingt es mir, mit einem etwas an-deren Ansatz in das Thema einzusteigen, als ich ihn beidem einen oder anderen jetzt gehört habe. Möglicher-weise erinnern Sie sich noch an die Fußballweltmeister-schaft 2010, an die bunten Bilder, an den Stolz der Men-schen über die erste WM in Afrika, an die trötendenVuvuzelas und an die Aufbruchstimmung auf dem ge-samten Kontinent. Dieser Optimismus und die guteStimmung wurden eingefangen von einem der erfolg-reichsten Lieder dieser Zeit: Wavin’ Flag des RappersK’naan.In der Originalversion hat dieses Stück wenig mitdem braunen Zuckerwasser zu tun, für dessen Werbunges während der WM eingesetzt wurde. Die Wavin’ Flagim Originaltext steht nicht für fahnenschwenkende fei-ernde Fußballfans, sondern für etwas viel Wichtigeres.Geboren und aufgewachsen ist K’naan in Mogadischu.Dessen Straßen bezeichnet er rückblickend als dieschlimmsten im Universum. Sein Lied handelt von die-sen Straßen. Es handelt von Hunger, es handelt von Ar-mut, und es handelt von Krieg. An Aktualität hat dieserSong leider nichts eingebüßt.Somalia gilt vielen als Muster eines Failed State – dashaben wir heute das eine oder das andere Mal schon ge-hört –, eines gescheiterten Staates, der seit 1991 ohne imgesamten Land anerkannte Regierung ist. Die Gefahr derPiraterie ist allen präsent. Die Al-Schabab-Milizen terro-risieren weite Teile des Landes. Ein staatliches Gewalt-monopol existiert kaum. Leidtragend ist vor allem dieBevölkerung. Wo es keine staatlichen Strukturen gibt,gibt es auch keinen Schutz der Menschenrechte, gibt eskaum soziale und kaum wirtschaftliche Entwicklung,können selbst Hunger und Durst nicht ausreichend ge-stillt werden.Eine tragfähige Sicherheitsstruktur ist Grundvoraus-setzung für jeden Rechtsstaat, ein Rechtsstaat die Grund-voraussetzung für menschenwürdiges Leben. Um denAufbau dieser Sicherheitsstrukturen geht es bei der EU-Trainingsmission in Somalia. Seit 2010 wurden 3 600somalische Soldatinnen und Soldaten – auch diese Zahlhaben wir das eine oder andere Mal schon gehört – aus-gebildet, ein Drittel der gesamten Armee Somalias. Da-bei geht es nicht nur um die Vermittlung von militäri-schen Fähigkeiten, es geht auch um das Verständniseines rechtsstaatlich eingebetteten und zivil kontrollier-ten Militärs, ein Verständnis, das bereits einem Drittelder somalischen Armee nähergebracht werden konnte,auch dank der europäischen Mission, liebe Kolleginnenund Kollegen.
Sie haben recht, liebe Kollegin Brugger: Natürlichschließt das auch Rückschläge wie Fahnenflucht oderÄhnliches, was Sie aufgezählt haben, nicht aus. So etwaskommt in dieser Region immer wieder vor. Aber Fort-schritt verläuft nicht linear, und der richtige Umgang mitRückschlägen entscheidet darüber, ob sich eine Gesell-schaft langfristig nach vorne entwickeln kann.
Einem Großteil der Armee ein solches Grundverständniszu vermitteln, trägt einen wichtigen Teil zu dieser Befä-higung bei.Die EU-Trainingsmission steht dabei nicht alleine da,sondern ist Teil eines ganzheitlichen Ansatzes. Es han-delt sich um ein Konzept, das entwicklungspolitische,wirtschaftliche und militärische Aufbauarbeit zusam-menbringt, ein Konzept, in dem internationale Partnergemeinsam dafür arbeiten, Somalia nach vorne zu brin-gen. Zu diesen Partnern gehören die Vereinten Nationen,die Afrikanische Union, die Europäische Union, dieNachbarstaaten und, ganz wichtig, die Menschen in So-malia selbst.Und es sind Erfolge erkennbar, auch wenn wir heutevon vielen Misserfolgen gehört haben. Im Kleinen gibtes sogar Trendwenden. Die Piraterie konnte eingedämmtwerden, die Al-Schabab-Milizen konnten aus Mogadi-schu zurückgedrängt werden. Es gibt sogar einen kleinenwirtschaftlichen Aufschwung. Um diesen Fortschritt zusichern und auszubauen, sollten wir dem Antrag derBundesregierung folgen und die EU-Trainingsmission,und zwar in Mogadischu, wieder aufnehmen.
Zwei Gründe dafür unterstreiche ich an dieser Stelle:Erstens sollten wir als EU geschlossen auftreten. Diesist eine gemeinsame Mission, und daher ist es sinnvoll,
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2063
Thomas Hitschler
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wenn wir auch gemeinsam an einem Ort zusammenar-beiten.Zweitens ist dies für die Menschen in Somalia einwichtiges Signal der Unterstützung, ein Signal, dass dieinternationalen Partner vor Ort Präsenz zeigen und sicht-bar sind, dass wir sie nicht allein lassen.Ja, die Sicherheitslage ist angespannt und die Verle-gung nicht ohne Risiko. Dieser Verantwortung sind wiruns bewusst. Aber Verbesserungen sind sichtbar. UnserePartner und unsere eigenen Fachleute kommen zu demSchluss, dass dieser Schritt politisch und militärisch ver-tretbar ist. Wir treffen diese Entscheidung also nichtleichtfertig, wie ich es heute das eine oder andere Malgehört habe. Als Parlament fordern wir ganz klar, dassder Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatzgewährleistet ist.Im Song von K’naan heißt es:Wenn ich älter bin, werde ich stärker sein. Sie wer-den mich Freiheit nennen, so wie eine wehendeFahne.Die Waving Flag ist ein Symbol der Hoffnung in ei-nem Land, das dringend Hoffnung braucht. Unsere Ent-scheidung, die EU-Trainingsmission zurück nach Soma-lia zu holen, ist ebenfalls ein Symbol der Hoffnung.Darum bitte ich Sie: Geben wir den Menschen in Soma-lia diese Hoffnung! Unser Beitrag wird gebraucht. Stim-men Sie daher diesem Mandat zu!Vielen Dank.
Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
Klaus Brähmig, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! „Die einzige und ehrlichste Hilfe ist die Hilfezur Selbsthilfe.“ Das sagte einmal der Schweizer AlfredSelacher. Persönlich kann ich dieser Aussage nur zu-stimmen.Wir wollen mit der heutigen Mandatierung die afrika-nischen Länder grundsätzlich und Somalia im Speziellenertüchtigen, sich selbst zu helfen. Dazu benötigen wir ei-nen vernetzten Ansatz aus militärischer, diplomatischer,ziviler und wirtschaftlicher Unterstützung. In diesemFall beraten wir Militärs vor Ort und bilden sie aus. Inso-fern ist es meines Erachtens richtig und wichtig, dass wirdiese multinationale Mission der Bundeswehr in und fürSomalia fortführen.Wir wissen, dass sich die Bundeswehr noch vor eini-gen Monaten aus der Ausbildung von somalischen Sol-daten zurückziehen wollte. Der Grund war, dass dieAusbildung von Uganda nach Somalia verlegt werdensollte. Damals sind die Verantwortlichen zu der Ent-scheidung gekommen, dass die Situation zu gefährlichwerden könnte. Aber in den letzten Monaten hat sich dieSicherheitslage stabilisiert. Die Bundesregierung kommtgemeinsam mit unseren EU-Partnern zu einer Neube-wertung der militärischen Lage vor Ort. Deshalb soll dieMission an den Flughafen der somalischen HauptstadtMogadischu verlagert werden.
Insofern kann ich die Bedenken einiger Kollegen gegendiesen Einsatz vielleicht nachvollziehen. Aber glaubenSie mir: Weder die militärische Führung noch wir alsAbgeordnete würden deutsche Soldaten einem unkalku-lierbaren Sicherheitsrisiko aussetzen.Richtig ist: Somalia gilt nunmehr seit über 20 Jahrenals ein sogenannter gescheiterter Staat. Die prekäre hu-manitäre und menschenrechtliche Lage, Schmuggel, or-ganisierte Kriminalität und die wachsenden Terroraktivi-täten zwingen uns zum Handeln; denn die Lage bedrohtdie Stabilität der gesamten Region am Horn von Afrika.Die internationale Staatengemeinschaft kann es sichschlicht nicht leisten, Somalia lediglich als hoffnungslo-sen Fall abzustempeln. Gemeinsam mit der Afrikani-schen Union gibt es ein breites Bündnis aus Staaten undOrganisationen, das sich seit Jahren engagiert. Es gibthier also keine nationalen Alleingänge. Mit unserenPartnern sind wir der Überzeugung, dass eine Unterstüt-zung der lokalen Initiativen vor Ort nachhaltiger wirktals der Versuch eines Staatsaufbaus von außen oder dasImplementieren von fremden Entwicklungsmodellen.Diese Mission ist eingebettet unter dem Dach der Ver-einten Nationen und wird gemeinsam von der Europäi-schen und der Afrikanischen Union getragen.Das Ziel ist meines Erachtens klar: Wir wollen dieSicherheit der Region wiederherstellen und staatlicheStrukturen aufbauen. Schon heute können wir Erfolgeim Kampf gegen Piraterie und bei der Sicherung weite-rer Regionen auf dem Festland feststellen. Im Rahmender EUTM-Ausbildungsmission, über die wir heute de-battieren, wurden bis heute 3 600 Soldatinnen und Sol-daten sowie rund 120 militärische Ausbilder ausgebildet.Diese setzen sich bereits jetzt für Stabilität, Sicherheitund den Schutz der Bevölkerung Somalias ein. Aller-dings ist auch Realismus angezeigt. Eine nachhaltigeGesamtlösung für Somalia wird uns langfristig nur danngelingen, wenn sich die wesentlichen politischen Ak-teure und die Mehrheit der somalischen Bevölkerungselbst auf ein Entwicklungsmodell verständigen und die-ses auch umsetzen.Deshalb sind zusätzlich auch nichtmilitärischeSchritte notwendig. Die gesellschaftliche Befriedung,die Verbesserung der Lebensbedingungen, der Aufbaueiner Verwaltungsstruktur etc. sind unabdingbar. Inso-fern müsste auch dem Letzten hier im Hohen Hause klarwerden, dass diese zivilen Strukturen nicht ohne Sicher-heitsapparat aufgebaut werden können. Somalia brauchtdie Sicherheitsstrukturen, damit zivile Hilfe überhauptmöglich ist.Liebe Kolleginnen und Kollegen, genau hier setzt dieMission EUTM Somalia an. Deshalb sollten wir diesefortsetzen bzw. uns daran beteiligen. Angesichts der
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2064 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Klaus Brähmig
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oben genannten Zustandsbeschreibung der Sicherheits-lage und der mangelnden Staatsstrukturen ist dieser Ein-satz nicht ungefährlich. Umgekehrt sehen wir und unserePartner keine Chance auf einen nachhaltigen Frieden,wenn wir nicht den zivilen Neuaufbau mit dem Aufbaueines schlagkräftigen Sicherheitsapparates verbinden.
Sehr geehrte Damen und Herren, der geistige Vorden-ker der geplanten Weltrevolution Wladimir IljitschLenin hat gesagt: „Pazifismus und abstrakte Frie-denspredigt sind eine Form der Irreführung der Arbeiter-klasse.“ Leider leiden einige Kollegen dieses Hauses andieser Form der Irreführung.Meinen Dank richte ich an dieser Stelle natürlich be-sonders an die Soldatinnen und Soldaten, die vor Ort– auch in Mogadischu – in Zukunft agieren werden. Fürmich sind diese Frauen und Männer Friedensstifter fürSomalia.
Unsere Sicherheitskräfte leisten Hilfe für die leidgeprüf-ten Menschen in Somalia. Von ihrem und unserem Er-folg hängt es ab, ob und inwieweit dieses Land nachJahrzehnten des Bürgerkrieges Frieden erhalten wird.Deswegen stimme ich mit meiner Fraktion für diesesMandat.
Als letzter Rednerin in dieser Debatte erteile ich das
Wort der Kollegin Julia Bartz, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen undKollegen! Fast auf den Tag genau vor 20 Jahren verlie-ßen unsere Soldaten der Gebirgsjägerbrigade 23 Soma-lia. Zuvor waren zwei Bundeswehrkontingente in Soma-lia im Einsatz, um im Rahmen des UN-EinsatzesUNOSOM humanitäre Hilfe zu leisten. Doch leider wa-ren weder dieser Einsatz der Bundeswehr noch die deut-sche Entwicklungshilfe in den 1970er- und 1980er-Jah-ren von nachhaltigem Erfolg für das somalische Volkgeprägt.Somalia ist nach wie vor ein fragiler Staat. Es gibtkeine funktionierenden staatlichen Strukturen. Das so-malische Volk musste Flut- und Hungerkatastrophen,Dürre und Bürgerkrieg erleiden. Somalia ist nicht nurein humanitäres Katastrophengebiet, sondern auch einRückzugsort für internationalen Terrorismus und Pirate-rie.An dieser Stelle scheiden sich jetzt die Geister. Einigesagen: Trotzdem – ich sage: genau deswegen – reden wirheute über eine Beteiligung bewaffneter deutscherStreitkräfte an der EU-geführten AusbildungsmissionEUTM Somalia. Die Ausbildungsmission EUTM Soma-lia ist ein wichtiger Baustein für die Sicherheit in Soma-lia. Die Mission ist eingebettet in eine breite Allianz, be-stehend aus der Afrikanischen Union und vielen anderenStaaten und Organisationen, die sich allesamt seit Jahrenin Somalia engagieren. Unser gemeinsames Ziel ist es,für Sicherheit in Somalia, vor allem auch im Seegebiet,zu sorgen, staatliche Strukturen wieder aufzubauen unddas Land zu stabilisieren.
Im Vergleich zu 1994 greifen wir heute auf unsere Er-fahrungen aus UNOSOM, KFOR, ISAF, EUTM Maliund vielen anderen Auslandseinsätzen zurück. UnserEngagement findet deshalb nicht nur in enger Abstim-mung mit unseren afrikanischen Kooperationspartnernstatt, sondern auch in einem vernetzten Ansatz. Diplo-matie, Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung arbei-ten gemeinsam an einer Verbesserung der Lage am Hornvon Afrika.Es gibt bereits sichtbare Erfolge:Zum Beispiel beim Kampf gegen die Piraterie. DieAngriffe auf Handelsschiffe und Hilfstransporte sinddeutlich zurückgegangen.Zweitens können wir den Erfolg der afrikanischenFriedensmission AMISOM betrachten, die bereits in ei-nigen Regionen auf dem Festland in Somalia für Sicher-heit gesorgt hat.Es ist uns drittens gelungen, innerhalb weniger Jahre– die Mission EUTM Somalia läuft ja erst seit 2010 –3 600 somalische Soldatinnen und Soldaten auszubilden.Dieser beachtliche Umfang zeigt, wie effektiv dieseMission ist.Wir wollen an diese Erfolge anknüpfen und uns wei-terhin an der Ausbildung beteiligen. Dabei legen wirjetzt vermehrt einen Schwerpunkt auf die Ausbildungder Ausbilder. Das Training findet nun nicht mehr wiebisher in Uganda, sondern in Mogadischu statt. Ja, dieSicherheitslage vor Ort in Mogadischu ist nach wie vorkritisch. Wir treffen aber Sicherheitsvorkehrungen, umunsere Soldatinnen und Soldaten zu schützen. Zum Bei-spiel findet der Transport vom Flughafen in das Ausbil-dungscamp Jazeera ausschließlich in gepanzerten Fahr-zeugen statt.Dennoch bleibt auch dieser Einsatz mit einem Risikoverbunden. Aber es gibt wohl kaum einen Auslandsein-satz der Bundeswehr, der frei von Risiko ist. Ich betonenoch einmal: Es handelt sich nicht um einen Kampfein-satz, sondern um eine reine Ausbildungsmission, zu derwir zunächst 4 und maximal 20 Soldatinnen und Solda-ten entsenden werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ausbildung so-malischer Streitkräfte ist der Grundstein für eine lang-fristig angelegte Sicherheitsarchitektur in Somalia. Sieist auch die Grundlage für eine nachhaltige Stabilisie-rung dieses geschundenen Landes. Ich lade Sie alle dazuein, diesen Prozess zu begleiten, und bitte Sie um IhreZustimmung zum Antrag der Bundesregierung.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2065
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Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 18/994 zu dem Antrag der Bundesregierung
zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
EU-geführten Ausbildungsmission EUTM Somalia. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung,
den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/857
anzunehmen. Wir stimmen nun über die Beschlussemp-
fehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzuneh-
men. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist
der Fall. Ich eröffne die namentliche Abstimmung über
die Beschlussempfehlung.
Hat ein Mitglied des Hauses seine Stimme noch nicht
abgegeben? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich
die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die Auszählung vorzunehmen. Das Ergeb-
nis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später be-
kannt gegeben.1)
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/998. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Der Entschließungsantrag ist von allen Frak-
tionen mit Ausnahme der einbringenden Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 d auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu-
nität und Geschäftsordnung zu
dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
Änderung der Geschäftsordnung zur beson-
deren Anwendung der Minderheitenrechte in
der 18. Wahlperiode
Drucksachen 18/481, 18/997
b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Sicherung der Oppositionsrechte in der
18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages
Drucksache 18/380
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung
Drucksache 18/997
c) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion
DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines
… Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
Drucksache 18/838
1) Ergebnis siehe Seite 2067 C
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung
Drucksache 18/997
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu-
nität und Geschäftsordnung zu
dem Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und DIE LINKE
Änderung der Geschäftsordnung des Deut-
schen Bundestages zwecks Sicherung der
Minderheitenrechte der Opposition im
18. Deutschen Bundestag
Drucksachen 18/379, 18/997
Über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zum
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD so-
wie über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur
Änderung des Grundgesetzes werden wir später nament-
lich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, sich
bei dieser für das Parlament und die Öffentlichkeit wich-
tigen Frage entspannt auf Ihre Plätze zu setzen und den
Rednern zu lauschen oder, wenn es gar nicht anders
geht, das Plenum zu verlassen und die Gespräche drau-
ßen weiterzuführen.
Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen
Bernhard Kaster, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Lassen Sie mich mit einem Zitat aus demKoalitionsvertrag beginnen – das ist immer eine gute Sa-che –:
Eine starke Demokratie braucht die Opposition imParlament. CDU, CSU und SPD werden die Min-derheitenrechte im Bundestag schützen. Auf Initia-tive der Koalitionspartner wird der Bundestag einenBeschluss fassen, der den Oppositionsfraktionendie Wahrnehmung von Minderheitenrechten ermög-licht sowie die Abgeordneten der Opposition beider Redezeitverteilung angemessen berücksichtigt.So steht es im Koalitionsvertrag.
Ich denke, eine solche Stärkung der Oppositions-rechte in einem Koalitionsvertrag dürfte wohl weltweiteinmalig sein.
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2066 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Bernhard Kaster
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Ein Wahlergebnis und auch eine Große Koalition ma-chen es rechtlich, das heißt streng juristisch, nicht zwin-gend erforderlich, bestehendes Recht oder eine beste-hende Geschäftsordnung zu ändern. Die Debatte, die wirführen, die wir auch führen wollen, ist eine Debatte überdie politische Kultur und das Selbstverständnis der par-lamentarischen Demokratie. Darum geht es.Unser im Koalitionsvertrag gegebenes Versprechensetzen wir heute um. Die Zustimmung der FraktionBündnis 90/Die Grünen, für die wir nach diesen schwie-rigen Gesprächen dankbar sind, zeigt, dass das Ganzeeine ausgewogene Regelung darstellt. Ich bedanke michausdrücklich bei allen, die an diesen verständlicherweiseschwierigen, aber auch fairen Gesprächen teilgenommenhaben. Allen Beteiligten dafür noch einmal ein herzli-ches Dankeschön!
Wir beschließen heute eine Sonderregelung in unsererGeschäftsordnung, und zwar nur für diese Legislaturpe-riode – und das bei einem Parlaments- und Geschäfts-ordnungsrecht, das ohnehin überdurchschnittlich vonMinderheitenrechten geprägt ist, wie dies europa- undweltweit kaum so zu finden ist. Wir haben zahlreicheRechte für einzelne Fraktionen, für einzelne Abgeord-nete, seien es die Große oder die Kleine Anfrage, seienes die Aktuelle Stunde, die Regierungsbefragung, dieFragestunde etc. Wir haben auch Regeln, die gar nichtniedergeschrieben, sondern Tradition sind. Ich erinnerebeispielsweise daran, dass der Vorsitz im Haushaltsaus-schuss traditionell der Opposition zugestanden wird.Uns geht es doch immer so, dass Kolleginnen und Kolle-gen aus dem Ausland, die bei uns sind, angesichts dieserRechte, der ungeschriebenen und auch der geschriebe-nen, nur staunen und das immer wieder hinterfragen.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der obersteSouverän sind die Wählerinnen und Wähler. Nach ei-nem Wahlergebnis kann niemand Rechte einfordern– auch nicht die Linke –, die der Wähler einer Parteinicht gegeben hat.
Die Fraktion Die Linke beantragt heute nicht nur dieÄnderung von fünf verschiedenen Gesetzen, sondernschlägt zusätzlich sogar fünf – ich betone: fünf – Verfas-sungsänderungen vor.
Angesichts der Textvorschläge – vom Verfahren will ichjetzt gar nicht sprechen – bitte ich doch um ein wenigmehr Respekt vor unserer Verfassung.Eines muss auch klar sein: Unabhängig von Wahler-gebnissen müssen wir als Parlament unser Handeln demRecht anpassen und nicht das Recht dem Parlament. Daskönnen wir nicht jedes Mal drehen, wie es gerade passt.
Wir beschließen heute eine Sonderregelung nur fürdiese Legislaturperiode, und zwar in unserer Geschäfts-ordnung. Über das Thema, dies in der Geschäftsordnungzu regeln oder dazu ein Gesetz zu beschließen, ist oftdiskutiert worden. Man muss zugeben: Der Begriff „Ge-schäftsordnung“ klingt sprachlich immer ein wenig nachVereinssatzung. Aber die Regeln der Geschäftsordnungdes Deutschen Bundestages sind nicht mehr und nichtweniger als die Spielregeln der Demokratie in unseremLand. Diesen Stellenwert hat unsere Geschäftsordnungfür unser Parlament.
Bezüglich der Geschäftsordnung gilt: Der formulierteText ist das eine, die faire Anwendung das andere. Dasgilt für die Regierungsfraktionen genauso wie für die Op-positionsfraktionen. In diesem Zusammenhang möchteich nur anmerken und den Hinweis geben, dass wir bereitsin der letzten Sitzungswoche einen Untersuchungsaus-schuss nach den Regeln eingesetzt haben, die wir erstheute beschließen werden. – So viel also zum fairen Um-gang miteinander hier im deutschen Parlament.In der öffentlichen Debatte haben vor allem die Rede-zeiten eine große Rolle gespielt. Wir müssen dabei immerdrei Gesichtspunkte betrachten: erstens das statusrechtli-che Rederecht eines jeden einzelnen Abgeordneten, zwei-tens das Prinzip von Rede und Gegenrede und drittens dieFraktionsstärke. Das sind die drei Elemente, die eineRolle spielen.Die Oppositionsparteien erzielten bei der Bundestags-wahl ein Wahlergebnis von zusammen 17 Prozent; siehaben 20 Prozent der Sitze hier. Die jetzt vereinbartenRedezeiten der Opposition bewegen sich je nach Debat-tenlänge zwischen 25 und 32 Prozent. Wer sich bewusstmacht, dass alle 631 Kolleginnen und Kollegen in die-sem Haus dieselben Rechte haben, dem wird auch klar:Noch mehr hätte man nicht entgegenkommen können.
Ein entscheidender Punkt war auch die Frage: Wiedefinieren wir die Minderheit? Wie wird das in der Ge-schäftsordnung formuliert? Wir haben uns geeinigt, dasswir die Geltendmachung von Minderheitenrechten nichtvon der Unterstützung aller Kolleginnen und Kollegender Oppositionsfraktionen, also von 100 Prozent ihrerAbgeordneten, abhängig machen wollen. Wir haben hiermit der Festlegung der Zahl von 120 Abgeordneten eine,wie ich denke, gute Regelung mit Augenmaß gefunden.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, jedes Minderhei-tenrecht ist immer auch eine Einschränkung der Mehr-heit und des Mehrheitsprinzips. Insofern liegt es in unse-rer gemeinsamen Verantwortung, hier das richtige Maßzu finden. Genau das ist hier in verantwortlicher Weisegelungen, sodass jetzt auch für die Opposition gilt:Künftig gilt der Inhalt. Hinter Formalien braucht mansich jetzt nicht mehr zu verstecken; das ist geklärt. Indiesem Sinne können wir, die Regierungsfraktionen und
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2067
Bernhard Kaster
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die Oppositionsfraktionen, jetzt gemeinschaftlich dieArbeit in diesem Hause mit den neuen Regeln gut fort-setzen.Vielen Dank.
Schönen Dank. – Ich gebe dem Haus das von denSchriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb-nis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgege-bene Stimmen 591. Mit Ja haben gestimmt 471, mit Neinhaben gestimmt 118, zwei Kollegen haben sich ent-halten. Damit ist die Beschlussempfehlung angenom-men.
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 589;davonja: 469nein: 118enthalten: 2JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferRonald PofallaEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter Ramsauer
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2068 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Vizepräsident Peter Hintze
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Eckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleGabriele Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseEdelgard BulmahnMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupSabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela Engelmeier-HeiteDr. h. c. Gernot ErlerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergUli GrötschWolfgang GunkelRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmThomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Bernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseGülistan YükselStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte Zypries
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2069
Vizepräsident Peter Hintze
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NeinSPDKlaus BarthelDr. Ute Finckh-KrämerPetra Hinz
Cansel KiziltepeChristian PetryWaltraud Wolff
DIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeKerstin KassnerKatja KippingJan KorteJutta KrellmannCaren LaySabine LeidigRalph LenkertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Martina RennerDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerBirgit WöllertHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockVolker Beck
Dr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselDr. Julia VerlindenBeate Walter-RosenheimerEnthaltenSPDMarco BülowDr. Daniela De RidderAls Nächster erteile ich das Wort in dieser DebatteKollegin Dr. Petra Sitte, Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In denVerhandlungen zu den Minderheitsrechten hier im Bun-destag wurde der Opposition immer wieder vorgehalten,dass die Große Koalition ja nun nichts für ihre Wahler-gebnisse könne.
Nebenbei bemerkt: Auch ich bin dieser Meinung.
– Ich rege mich gar nicht auf; Sie schreien. – Sie lassenuns nun wissen, dass diese Wahlergebnisse nicht durcherweiterte oder gar Sonderrechte der Opposition ver-fälscht werden dürften. Darum ist es uns in den Debattenaber überhaupt nicht gegangen.Der ehemalige Bundesverfassungsrichter ProfessorMahrenholz hat da in unserer Expertenanhörung zu denvorliegenden Lösungsvorschlägen sehr klar unterschie-den. Er meinte, die aus dem Wahlergebnis resultierendenMehrheiten entfalteten erst in den Abstimmungen überGesetzentwürfe und Anträge ihre Wirkung. Das stellthier überhaupt niemand infrage.
Aber vor den Abstimmungen und unabhängig von ihnenhaben wir noch eine ganze Reihe anderer wichtiger Auf-gaben zu erfüllen. So sind wir als Opposition durch dieVerfassung beauftragt, die Regierung zu kontrollieren
und politische Alternativen aufzuzeigen. Davon solltensich Interessierte anhand von Rede und Gegenrede zwi-schen Opposition und Koalition, wie das gerade darge-stellt worden ist, selbst ein Bild machen können. Diesesöffentliche Verhandeln, so wie es im Grundgesetz steht,versteht das Bundesverfassungsgericht als wesentlichesElement der parlamentarischen Demokratie. Zugleich ver-weist das Gericht auf die herausgehobene Stellung derOpposition; es hat dies in Urteilsbegründungen mehrfachbeschrieben. Darauf haben wir als Opposition, aber ebenauch die Bürgerinnen und Bürger ein Recht. Deshalb ha-ben wir, Bündnisgrüne und Linke, gemeinsam Vorschläge
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2070 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Dr. Petra Sitte
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in den Bundestag eingebracht. Was ist den Linken beson-ders wichtig?Erstens. Wir wollen, dass die Regelungen in derRechtssystematik sauber und rechtssicher gestaltet wer-den. Nun ist es aber so, dass die Geschäftsordnung ge-genüber Gesetzen – und erst recht gegenüber demGrundgesetz – nachrangiges Recht ist. Wenn Sie dieMinderheitenrechte ausschließlich über die Geschäfts-ordnung, wie Sie das beschrieben haben, anpassen,
dann wählen Sie den unsauberen Weg.Wir erkennen selbstverständlich an, dass in IhremAntrag zur Änderung der Geschäftsordnung eine ganzeReihe von Vorschlägen der Opposition aufgenommenworden sind. Aber was ich mich immer wieder frage, ist:Warum gehen Sie diesen Weg nicht konsequent zuEnde? Warum ändern Sie die Gesetze nicht? Warum stel-len Sie nicht die Frage, dass die im Grundgesetz nieder-gelegten Quoren im Widerspruch dazu stehen?Zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses bei-spielsweise verlangt das Grundgesetz ganz klar die Zu-stimmung eines Viertels der Mitglieder des Bundestages.
– Lesen Sie es doch nach: ein Viertel der Mitglieder desBundestages; das ist sonnenklar darin beschrieben. –Wenn dieses Quorum nun gesenkt werden soll, dannmuss über eine Änderung der einschlägigen Gesetze,insbesondere des Grundgesetzes, nachgedacht werden.In unserem Gesetzentwurf ist dies selbstverständlich ent-halten.
Zweitens. Wir wollen unabdingbare Minderheiten-rechte. Diese müssen verlässlich geregelt sein. Wir wol-len von keinen Interpretationen oder pseudokreativenAuslegungen der Geschäftsordnung abhängig sein. Be-sonders heikel erscheint uns das mit Blick auf den Vertei-digungsausschuss. Diesem werden im Grundgesetz dieRechte eines Untersuchungsausschusses zugestanden.Über das Minderheitenrecht kann ein Viertel der Mitglie-der des Verteidigungsausschusses verlangen, dass dorteine Angelegenheit zum Gegenstand einer Untersuchunggemacht wird. Wir Oppositionsfraktionen stellen abereben nicht ein Viertel, sondern nur 6 der 32 Ausschuss-mitglieder.Im Geschäftsordnungsantrag der Koalition steht nun,dass uns die Ausübung der Minderheitenrechte trotzdemermöglicht werden soll. Ich frage aber: Wie soll daspraktisch gehen? Bekanntermaßen ist der Verteidigungs-ausschuss ein sehr konfliktreicher Ausschuss. Sollen inZukunft immer zwei Koalitionsabgeordnete – wer auchimmer das jeweils sein mag – gezwungen werden, mituns zu stimmen, um das notwendige Viertel zu errei-chen? Was passiert eigentlich, wenn Sie keinen Ihrer Ab-geordneten nötigen können, doch mit uns zu stimmen?Das ist das Problem, das wir dabei sehen.Drittens. Im Unterschied zu allen anderen Fraktionenist uns Linken die Befugnis zur Normenkontrollklagewichtig. Das wundert mich, dass das nur uns wichtig zusein scheint, weil es hier ganz konkret um Rechte derBetroffenen von in diesem Haus beschlossenen Gesetzengeht. Bei der Normenkontrollklage – für jene, die dasnoch nicht wissen – geht es darum, dass Gesetze auf ihreVerfassungsmäßigkeit geprüft werden. Wir sind uns na-türlich im Klaren, dass man nicht jede Woche eine sol-che Normenkontrollklage anstreben kann – das habenwir auch nie vorgehabt – und dass das Vorgehen einergewissen Sensibilität bedarf. Aber wir wollen uns nichtgänzlich dieses Recht nehmen lassen. Die Erfahrungenzeigen – so ist das in der Anhörung gesagt worden –,dass die eingereichten Normenkontrollklagen höchst be-rechtigt waren und dass zum Teil auch Verfassungswid-rigkeit von Gesetzen festgestellt wurde.Die Normenkontrollklage kann nach Expertenmei-nung nur durch eine Ergänzung des Grundgesetzes gere-gelt werden. Als Folge der Anhörung, die wir selberdurchgeführt haben, haben wir einen Gesetzentwurf zurÄnderung bzw. Ergänzung des Grundgesetzes einge-bracht. Die Koalition lehnt eine entsprechende Ände-rung des Grundgesetzes unter anderem deshalb ab, weilauch eine Verfassungsbeschwerde eingereicht werdenkönnte. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wis-sen doch ganz genau, dass dies nicht für Fraktionen gilt,sondern nur für diejenigen, die von einem Gesetz per-sönlich betroffenen sind. Diese müssen sich im Regelfalldurch alle Instanzen der Gerichte klagen, bis die Sachedann nach vielen Jahren unter Umständen beim Bundes-verfassungsgericht landet und sie recht oder eben auchnicht recht bekommen. Dieser Weg ist, was Umfang,Zeit und Kosten angeht, sehr aufwendig. Deshalb ist unsdie Möglichkeit einer Normenkontrollklage so wichtig.
Frau Kollegin Sitte, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Abgeordneten Ströbele?
Herr Ströbele? – Ja, klar.
Herr Ströbele.
Frau Kollegin, Sie haben gerade erklärt, dass man voreiner Verfassungsbeschwerde immer erst den Instanzen-weg gegangen sein muss. Das ist grundsätzlich richtig.Haben Sie mitbekommen, dass, wenn Herr Gauweileroder andere gegen europäische Regelungen Verfassungs-beschwerde eingelegt haben, das ohne den Instanzenweggegangen ist?
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2071
Hans-Christian Ströbele
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(B)
Haben Sie mitbekommen, dass das Bundesverfassungs-gericht bei solch zentralen Fragen relativ weitzügig ent-scheidet, Verfassungsbeschwerden zuzulassen, auch ohnedass man vorher als Betroffener dagegen etwa den Ver-waltungsrechtsweg eingeschlagen hat?Als Zusatzfrage dazu. Sie haben vorhin gesagt, manmüsse jetzt klären, ob das Grundgesetz hinsichtlich derNormenkontrollklage geändert werden kann. WürdenSie mir auch in diesem Punkt recht geben, dass die Nor-menkontrollklage, wenn sich eine solche Situation er-gibt, durchaus von Fraktionen eingereicht werden kann?Dann müsste das Bundesverfassungsgericht darüber ent-scheiden, ob sie in diesem Ausnahmefall, wegen derKonstellation im Deutschen Bundestag, möglicherweisedoch zulässig ist, entgegen dem Gesetzeswortlaut. Daswäre nicht viel anders, als wenn Sie jetzt mit IhremWunsch zum Bundesverfassungsgericht gingen, dasRecht auf Erhebung einer Normenkontrollklage von derKoalition zugebilligt zu bekommen.
Ich fange mit der zweiten Frage an. Wenn ich Sie
richtig verstanden habe, gehen Sie davon aus, dass wir,
ohne einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bun-
destag eingebracht zu haben, beim Bundesverfassungs-
gericht hätten vorstellig werden können. Wir gehen nach
der Rechtsberatung, die wir hatten, davon aus, dass es
zumindest einmal im Bundestag eine Gelegenheit gege-
ben haben muss, über diesen Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Grundgesetzes zu sprechen. Deshalb gehen wir
davon aus, dass das Verfassungsgericht zu uns sagen
würde: Liebe Fraktion Die Linke, liebe Grüne – falls die
Grünen mit dabei sind –, wenn Sie hier eine Normen-
kontrollklage anstrengen wollen oder – umgekehrt –
wenn Sie auf dem Wege einer Organklage nachweisen
wollen, dass Ihre Rechte eingeschränkt wurden, dann
müssen Sie wenigstens einmal im Bundestag darüber ge-
redet haben. – Das ist unser Ausgangspunkt. Deshalb ha-
ben wir nach der Auswertung der Anhörung im Aus-
schuss gesagt: Wir bringen einen Gesetzentwurf zur
Änderung des Grundgesetzes ein. Selbstverständlich
kann man keinem Verfassungsrechtler erklären, dass
man, wenn man die Quoren bei der Normenkontroll-
klage ändert, nicht konsequenterweise auch die anderen
Quoren ändert. Wir sind einfach nur den Weg zu Ende
gegangen. Es obliegt Ihnen, ob Sie sich dem anschlie-
ßen. Ich würde das begrüßen. Das ist die Antwort auf die
zweite Frage.
Helfen Sie mir bitte noch einmal: Was war Ihre erste
Frage?
In der Frage ging es um den Instanzenweg, ob das
auch direkt geht. Ich habe mich selber darüber gewun-
dert, dass das geht.
Selbstverständlich ist mir das bewusst. Das ist, wennich mich recht erinnere, Art. 100 des Grundgesetzes. Ichhabe hier aber nur acht Minuten Redezeit. Daher kannich nicht jede Facette des Rechtsweges beschreiben.
Selbstverständlich – das ist völlig klar – ist uns das be-wusst. Wir haben das, was bisher dazu gelaufen ist, jaauch ausgewertet.Ich will eines anfügen: Es ist doch höchst wider-sprüchlich, wenn eine Landesregierung und die Bundes-regierung eine Normenkontrollklage anstrengen können,das aus diesem Haus heraus aber nicht möglich ist. Nunmuss man sehen: Wenn Sie als Bundesregierung hier ei-nen Gesetzentwurf eingebracht haben, wenn Sie darüberin den Ausschüssen beraten und das in voller Überzeu-gung verabschiedet haben, dann werden Sie doch nichtim nächsten Schritt – davon können wir doch nicht aus-gehen – vor dem Bundesverfassungsgericht erscheinen,um Ihre eigenen Gesetze zu einer Normenkontrollklageanzumelden. Insofern ist das eher ein Oppositionsrecht,ein Recht, das de facto oft von der Opposition genutztworden ist.Wie wichtig Normenkontrolle sein könnte, zeigt sichim Grunde genommen schon jetzt. Herr Kaster hat dieKoalitionsvereinbarung angesprochen. Während Sie nochdarüber verhandelt haben, haben wir eine ganze Reiheparlamentarischer Initiativen eingebracht. Heute Morgenzum Beispiel haben wir über das Rentenpaket gespro-chen. Unsere Anträge hatten im Kern durchgängig dasGerechtigkeitsproblem zum Gegenstand, ob das Mietenwaren, die Flüchtlingspolitik, der Mindestlohn oder auchdie Renten usw.Jetzt zeigt sich zum Beispiel an diesem Gesetz – wirsprechen von einer Gerechtigkeitslücke –, dass das ver-fassungsrechtlich vielleicht problematisch sein könnte.Deshalb wollten wir im Zuge dieses Gesamtpaketes überdie Möglichkeit einer Normenkontrollklage reden; dennes kann sehr wohl sein, dass an dieser Stelle eine verfas-sungsmäßige Überprüfung notwendig wird.Insgesamt: Es ist gut, dass wir es heute endlich be-schließen.
Wir als Linksfraktion werden uns enthalten. Denn eswird natürlich eine Geschäftsgrundlage für die nächstenJahre sein. Das macht nicht gegenstandslos, dass mandie Gesetze und das Grundgesetz eigentlich ändernmüsste. Aber wir werden das jetzt bereitgestellte Instru-mentarium umfassend für unsere Arbeit für unsere poli-tischen Alternativen nutzen.Danke schön.
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2072 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
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Vielen Dank. – Nächste Rednerin für die SPD-Frak-
tion ist Christine Lambrecht.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Ausgangssituation ist klar: 504 Abgeordneten derKoalition stehen rein theoretisch 127 Abgeordnete derOpposition gegenüber. Das sind die Zahlen, die auf demTisch liegen. Dass dieses Verhältnis hier im DeutschenBundestag so besteht, ist aber nicht das Ergebnis vonEntscheidungen der Großen Koalition, sondern – wir ha-ben es ja schon gehört – eine Entscheidung der Wähle-rinnen und Wähler. Mit dieser Situation müssen wir jetztumgehen.Eine ähnliche Situation hat es lediglich in einer Legis-laturperiode gegeben, nämlich in der von 1966 bis 1969.Da stand eine Große Koalition einer Oppositionsfraktiongegenüber. Das war die FDP, die knapp 10 Prozent hatte.Damals gab es allerdings keine Initiativen, um dieseFraktion mit zusätzlichen Rechten auszustatten oder ihreRechte besonders sicherzustellen. Damals hat der Deut-sche Bundestag nicht reagiert. Für uns als Große Koali-tion war ganz schnell klar, dass das nicht der Weg ist,den wir in dieser Situation gehen wollen. Deswegen– Herr Kaster hat ja schon darauf hingewiesen – habenwir das auch im Koalitionsvertrag verankert. Für uns istganz klar: Wir stehen für ein lebendiges Parlament undeine hörbare Opposition. Das ist unsere klare Ansage.
Deswegen haben wir zügig Gespräche mit den Oppo-sitionsfraktionen aufgenommen, um auszuloten, wie dieMinderheitenrechte – nicht die Oppositionsrechte, son-dern die Minderheitenrechte – in dieser Legislatur-periode sichergestellt werden können, auch wenn dieOppositionsfraktionen zusammen derzeit diese Quorennicht erfüllen. Darüber, dass Minderheitenrechte sicher-gestellt werden müssen, gab es schnell Konsens. Ledig-lich über das Wie ist intensiv gerungen worden. Auchich kann mich dem Dank anschließen: Es waren sehrsachliche Auseinandersetzungen.Es gab zuerst einen Vorschlag des Bundestagspräsi-denten, dass man das Ganze durch einen Beschluss hierim Bundestag sicherstellt. Die Bedenken hinsichtlich derRechtssicherheit, die von der Opposition kamen, habenwir aufgenommen und daraufhin Veränderungen in derGeschäftsordnung vorgeschlagen. Das ist auch der rich-tige Ort; genau dorthin gehört es. Hier regeln wir unsereAngelegenheiten, und genau darum geht es. Wir brau-chen keine Gesetzesänderungen, die wir in der nächstenLegislaturperiode bei anderen Mehrheitsverhältnissenrückgängig machen müssten. Wir müssten die Gesetzedann wieder verändern. Damit das nicht erforderlichwird, sind wir der Ansicht, dass es ausreicht, die Ge-schäftsordnung zu verändern.In unserem ursprünglichen Entwurf hatten wir nochvorgesehen, dass alle Mitglieder der nicht die Regierungtragenden Fraktionen, also immer 127, entsprechendeMinderheitenrechte hätten geltend machen können. Inden Gesprächen, in den Beratungen ist dann relativschnell klar geworden, dass das teilweise eine rechtschwierige Situation zur Folge haben könnte, natürlichzum einen, weil infrage steht, ob beide Oppositionsfrak-tionen gemeinsam bestimmte Initiativen auf den Wegbringen würden. Angesichts mancher inhaltlichen Aus-einandersetzungen hat man nicht den Eindruck, dass es„die Opposition“ überhaupt gibt, sondern dass in man-chen Bereichen durchaus völlig unterschiedliche Auffas-sungen bestehen.
Aber das lassen wir einmal völlig außen vor. Zum ande-ren hätten Sie auch jedes Mal alle an Bord haben müs-sen. Das wäre, beispielsweise wenn jemand lange er-krankt ist, schwierig gewesen. Deswegen haben wir auchin diesem Punkt die Bedenken aufgenommen und nichtmehr an diesem Quorum festgehalten. Jetzt ist vorgese-hen, dass 120 Abgeordnete ausreichen. Dieses Quorumist nicht an die Oppositionsfraktionen gebunden, son-dern kann durchaus auch durch Mitglieder der Koali-tionsfraktionen erreicht werden.
– Das war vernünftig. Deswegen sind wir auch auf die-sen vernünftigen Vorschlag eingegangen. Deswegenhandelt es sich jetzt auch um echte Minderheitenrechteund nicht um Oppositionsrechte, weil eben die Minder-heit entscheidet.
– Dazu komme ich gleich.Ich möchte auf einen anderen Punkt, den Frau Sittebeschrieben hat, eingehen. Sie sagte: Es reicht nicht aus,dass wir die Geschäftsordnung ändern, wenn es zumBeispiel um Untersuchungsausschüsse geht,
weil das Untersuchungsausschussgesetz in Verbindungmit der Verfassung ein anderes Quorum vorsieht. – FrauSitte, ich kann es noch einmal sagen: Manchmal – das istein alter Juristengrundsatz – reicht ein Blick ins Gesetz.Denn bei diesem Quorum geht es nicht darum, dass wirdie Einsetzung eines Untersuchungsausschusses be-schließen, sondern es geht um das Antragsrecht. 120 Ab-geordnete können die Einsetzung eines Untersuchungs-ausschusses beantragen, und dann beschließt derDeutsche Bundestag darüber; das ist der Weg. DieserBeschluss ist entscheidend. So kann es auch niemalsdazu kommen, dass sich ein Dritter, zum Beispiel einZeuge, dadurch beschwert fühlt, dass ein Untersu-chungsausschuss eingesetzt werden kann; das ist nichtmöglich. Deswegen bitte ich Sie, dieses Argument nichtlänger zu bringen. Das entspricht auch gar nicht dem Ni-veau, das Sie in den Verhandlungen ansonsten gezeigthaben.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2073
Christine Lambrecht
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Ich möchte noch etwas zur abstrakten Normen-kontrollklage sagen. Bei uns gab es da keine Bewegung– ja –, weil das aus unserer Sicht überhaupt kein originä-res Minderheitenrecht ist. Es kann von der Bundesregie-rung, es kann von Landesregierungen und es kann voneinem Viertel der Mitglieder des Deutschen Bundestageswahrgenommen werden.
Wir haben keine Veranlassung gesehen, das zu ändern,und zwar aufgrund dieser inhaltlichen Begründung. Esging uns nicht darum, Ihnen dieses Recht zu nehmen,sondern wir haben uns so entschieden, weil das nach un-serer Vorstellung kein Minderheitenrecht ist. Sie habenandere Möglichkeiten – Herr Ströbele hat dankenswer-terweise dazu ausgeführt –, all Ihre Einwände gegen denMindestlohn und was weiß ich noch alles vorzutragen.Von Herrn Riexinger habe ich ja gehört, dass Sie gegenden Mindestlohn als Erstes vorgehen möchten. Das lässttief blicken, dass auch gegen den Mindestlohn vorgegan-gen werden soll.
Mich freut, dass die Grünen diesen Lösungsvorschlä-gen mit ihren vielen Veränderungen auch im Interesseder Oppositionsfraktionen zustimmen werden. Ichwürde sagen: Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, dass wiraufhören, uns mit uns selbst zu beschäftigen, und dasswir uns an die Sacharbeit machen.In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerk-samkeit.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte ist
Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Besucherin-nen und Besucher! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Ja, ich bin froh, dass wir heute das Thema „Wie ge-hen wir künftig mit den Minderheitenrechten imDeutschen Bundestag um?“ abschließen und endlicheine rechtssichere Regelung in unsere Geschäftsordnungaufnehmen. Wir beraten darüber seit Monaten. Ich findees gut, wenn vom heutigen Tag das klare Signal ausgeht:Die Minderheitenrechte, die in einem umfassendenKatalog von elf Punkten aufgeführt sind, sind in derGeschäftsordnung verankert, und das kann – das ist eineder wichtigsten Fragen, die im Beschlussvorschlag steht –mit der Mehrheit der Großen Koalition nicht wieder ge-ändert werden. Das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt.
Der Kollege Kaster und die Kollegin Lambrecht ha-ben darauf hingewiesen: Wir haben darüber sehr langeverhandelt. Gestartet sind wir mit der Überlegung, imDeutschen Bundestag einen Absichtsbeschluss zu fassenund zu erklären, dass die Minderheitenrechte gewahrtwerden. Das war uns in der Tat zu wenig. Wir haben ge-sagt: Wir wollen, dass das fixiert wird. Wir wollen, dassdas aufgeschrieben wird, dass wir das vereinbaren unddass wir als Parlament den Beschluss fassen, dass es ei-nen umfangreichen Katalog von Minderheitenrechtengibt.Dazu gehört zum Beispiel die Frage, einen Untersu-chungsausschuss zu beantragen. Es muss ferner sicher-gestellt werden, dass im Verteidigungsausschuss dieUntersuchung eines bestimmten Gegenstandes möglichist. Das hatten wir in der letzten Legislaturperiode oft.Deshalb war uns das wichtig; man denke nur an dasThema „Euro Hawk“ und den Untersuchungsausschussdazu in der letzten Legislaturperiode.Ein weiteres Thema sind Ausschussanhörungen. Wirwollen, dass die Opposition bzw. eine Minderheitverlangen kann, dass öffentliche Anhörungen zu Gesetz-entwürfen stattfinden. Ein anderes Thema ist die Ein-richtung einer Enquete-Kommission. Darüber hinauswerden die Minderheitenrechte in Bezug auf das ESM-Finanzierungsgesetz und die Subsidiaritätsklage gesi-chert sein. Das sind einfach wichtige Punkte, die jetzt indiesen elf Nummern des neuen § 126 a Abs. 1 unsererGeschäftsordnung fixiert werden für diese besondereSituation: 80 Prozent Große Koalition und 20 ProzentOpposition. Das ist uns ganz wichtig gewesen. Dassdiese dann auch noch abweichungsfest sind, das heißtmit den Stimmen von Union und SPD nicht geändertwerden können, ist ein weiterer ganz wichtiger Punkt.Ich bin froh, dass wir am Ende dieser Beratung hier ge-landet sind.
Es ist völlig klar, dass wir – das haben auch die Initia-tiven von Grünen und Linken gemeinsam gezeigt – aneinem anderen Punkt gestartet sind. Wir hatten uns vor-gestellt: Geschäftsordnung und Gesetze werden geän-dert. – Wenn man verhandelt, muss man aber ab einembestimmten Punkt einfach zur Kenntnis nehmen, dassbei den 80 Prozent im Deutschen Bundestag keine Be-reitschaft besteht, auch Gesetze zu ändern. Dann mussman gucken, dass man die Geschäftsordnung entspre-chend ändert. An diesem Punkt sind wir jetzt.Über das Ergebnis bin ich froh. Deshalb konnten wirunserer Fraktion ganz klar sagen: Das bedeutet eine mas-sive Verbesserung in der Situation, in der wir geradesind, nämlich 80 Prozent Mehrheit und 20 ProzentOpposition. Unsere Minderheitenrechte werden in derGeschäftsordnung fixiert. Wir können sie rechtssicherverankern. Wir können sie gegenüber den anderen Frak-tionen im Parlament einfordern und einklagen.
Das ist klar. Das ist ein wichtiger Punkt.
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2074 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Britta Haßelmann
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Ich bin froh, dass wir heute hier stehen. Jetzt ist dieArbeitsfähigkeit dieses Parlaments endlich ein Stückweit mehr gesichert, und wir brauchen nicht jede Wochedarüber zu diskutieren: Wie gehen wir mit einzelnenFragen um? Haben wir jetzt das Recht auf Einsetzung ei-nes Untersuchungsausschusses, oder nicht? Deshalbkönnen wir heute der vorgesehenen Änderung der Ge-schäftsordnung sehr beruhigt zustimmen. Ich bin froh,dass wir das hingekriegt haben.Ich weiß, dass wir bei der Redezeit keine Verständi-gung haben – aber die Redezeit ist heute nicht Gegen-stand der Abstimmung; es geht hier um die elf Num-mern. Aber sonst, finde ich, hat sich Beharrlichkeitgelohnt. Es hat sich gelohnt, mit einer gewissen Hartnä-ckigkeit darauf zu bestehen, dass wir das verankertbekommen. Deshalb wird meine Fraktion heute auch zu-stimmen.Vielen Dank.
Schönen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Johann D.
Wadephul, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich möchte der Kollegin Haßelmann ganz herz-lich für den Redebeitrag danken. Er bringt das zum Aus-druck, was im Geschäftsordnungsausschuss der Geistder Auseinandersetzung gewesen ist – wir haben strei-tige Beratungen gehabt –, aber er bringt auch zum Aus-druck, zu welcher Einigung man in einer vernünftigen,sachlichen und ergebnisorientierten Ausschussarbeit indiesem Hause fähig ist. Ich denke, es ist ein Stück auchder Kultur unseres Hauses, dass wir diese Legislaturpe-riode mit einem solchen Projekt beginnen, nämlich dasswir an dieser Stelle wichtige Rechte derjenigen Abge-ordneten und derjenigen Fraktionen wahren, die dieRegierung nicht tragen. Das zu berücksichtigen, das zufixieren, das auch in einer Plenardebatte miteinander zuerörtern und darüber abzustimmen – ich finde, daraufkann der Deutsche Bundestag insgesamt stolz sein. Dasist keine Selbstverständlichkeit.
Ich bin etwas betrübt darüber, wie die Linksfraktionsich in diesem Hause verhält, obwohl mein politischesSeelenheil, dasjenige meiner Fraktion und, ich glaube,auch dasjenige der Großen Koalition insgesamt nichtdavon abhängen.
Dennoch, Frau Kollegin Sitte, Sie wissen: Wir habenwirklich sehr gerungen. Wir sind auch an die Grenzendessen gegangen, was aus Sicht einer Majorität insge-samt Berücksichtigung finden kann. Ich finde es schade,dass Sie an dieser Stelle versuchen, Haare in der Suppezu finden, um eine Enthaltung Ihrer Fraktion noch ir-gendwie zu begründen. Sie fangen jetzt an – ich habe dasvorhin nur so vernommen –, von Rechtsunsicherheitenund pseudokreativer Auslegung der Geschäftsordnungzu sprechen. Was sollen solche Begrifflichkeiten? Essteht glasklar drin, was wir zusagen. Ich glaube, so etwashat es noch nie gegeben. Wir sagen Rechte zu: 120 Ab-geordnete können etwas beantragen, und das ändern wirnicht. – Ich kenne nicht so viele Gesetze, von denen wirsagen: Die ändern wir in dieser Legislaturperiode defini-tiv um keinen Millimeter. – Man möge mich eines Bes-seren belehren! Wir legen uns hier für diese Legislatur-periode glasklar fest.Daran herumzukritteln, das irgendwie infrage zu stel-len, das mit Rechtsunsicherheit in Verbindung zu brin-gen, in diesem Zusammenhang Wörter wie „kreativ“oder „pseudokreativ“ zu benutzen – ich meine, wenn wirkreativ sind, sind wir richtig kreativ, nicht pseudokrea-tiv; das am Rande –,
das Ganze hier irgendwie zu diskreditieren, finde ich un-nötig. Das zeigt, dass Ihnen wirklich die Kraft dazufehlt, sich hier zu etwas zu bekennen und in diesem Hauskonstruktiv mitzuwirken. Diese Bemerkung sei mir ge-stattet.
– Sie sollten aber zur Kenntnis nehmen, dass die Verän-derung, die wir nach den Ausschussberatungen vorge-nommen haben, also das Zurückgehen auf 120 Abgeord-nete, Ausdruck der Anerkenntnis war, dass wir dasRecht des einzelnen Abgeordneten, sich frei zu entschei-den, nur seinem Gewissen gegenüber verantwortlich zusein, kennen und dass wir das auch mit Blick auf dieOppositionsabgeordneten respektieren. Das heißt, dasswir von Ihnen nicht verlangen – anders als es im erstenAntragsentwurf stand –, dass die gesamten Fraktionen,alle Abgeordneten einer Fraktion, immer zustimmenmüssen,
weil wir aus eigener Erfahrung wissen, Frau Sitte, dasses immer einzelne Abgeordnete geben kann, die einerVorlage nicht zustimmen.
Das ist für uns eine wichtige Sache, die wir an dieserStelle zugestanden haben.Ich kann Ihnen nur noch sagen: Wenn Sie die Mög-lichkeit haben, mit der Zustimmung von 120 Abgeord-neten einen Untersuchungsausschuss – er ist das wich-tigste Instrumentarium, über das wir in der Sachemiteinander streiten – einzusetzen, dann kann ich nur sa-gen: In der Tat kann man uns das Wahlergebnis nichtvorwerfen, aber Opposition machen müssen Sie am
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2075
Dr. Johann Wadephul
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Schluss schon selber, meine sehr verehrten Damen undHerren von der Linksfraktion.
Das können wir Ihnen nicht auch noch abnehmen, son-dern Sie müssen sich schon der Möglichkeiten bedienen,die Sie an dieser Stelle haben.Ich will etwas zu Ihren Gesetzentwürfen zu einer Ver-fassungsänderung sagen; Sie haben das ja ganz offenhier gerade eben noch einmal vorgetragen. Ich finde esschon bedenklich: Der Ausschuss führt eine Anhörungdurch. Sie beantragen eine Änderung der Geschäftsord-nung und eine Änderung einfacher Gesetze, unter ande-rem des Parlamentarischen Untersuchungsausschuss-gesetzes. Dazu sagt ein Sachverständiger, vielleicht auchein zweiter:
Das kann man wohl nicht machen, weil im Grundgesetzetwas anderes steht. – Das ist übrigens auch unsere Auf-fassung. Dann sagen Sie: Okay, dieser Satz reicht unsaus. Wir beantragen mal eben fünf Verfassungsänderun-gen. – Diese schlagen Sie uns hier vor. Darüber sollenwir gleich namentlich abstimmen. Ich finde schon, wasdie Debattenkultur und die Verhandlungskultur in die-sem Hause angeht, dass das ein einmaliger Vorgang ist.Man beginnt ja, sich Wolfgang Nešković zurückzuwün-schen. Sie in der Linksfraktion vielleicht nicht; aber mirgeht es langsam so. Er hatte in diesen Fragen ja zumin-dest noch Stil und Form.
Sie können doch nicht aus einer Anhörung, die sichauf die Geschäftsordnung und einfache Gesetze bezieht,einfach herleiten, dass man mal eben an fünf Stellen dasGrundgesetz verändert.
Dass wir darüber hier namentlich abstimmen, finde ichein wirklich sehr gewagtes Vorgehen. Das will ich andieser Stelle erklären.
Herr Kollege Wadephul, gestatten Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Sitte?
Ja, bitte.
Bitte schön, Frau Sitte.
Herr Wadephul, zu der Frage „Kooperativität oder
nicht?“ will ich mich jetzt gar nicht äußern.
Wir haben im Ausschuss darüber geredet, ob wir dazu
eine Anhörung durchführen. Ich habe ausdrücklich da-
rum gebeten, dass wir diese Anhörung durchführen, weil
uns als Linke die Frage wichtig ist, ob sich die in unse-
rem gemeinsamen Antrag vorgeschlagene Regelung zur
Normenkontrollklage ohne Grundgesetzänderung über-
haupt rechtlich absichern lässt. Die Berechtigung dieser
Frage haben alle, nicht nur Professor Mahrenholz, gese-
hen. Selbst die Verfassungsrechtlerin der Grünen, die
diesen Vorschlag unterbreitet hat, hat am Ende dieser
Anhörung gesagt: Ja, meine Kollegen haben recht. Es
müsste eine Änderung oder eine Ergänzung des Grund-
gesetzes erfolgen. – Daraufhin habe ich angekündigt:
Wenn es sich tatsächlich bewahrheitet, dass sich der Weg
über eine Änderung des Bundesverfassungsgerichtsge-
setzes nicht realisieren lässt, dann werden wir den Ent-
wurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
einbringen.
Nun gab es einige Irritationen, weil wir diesen
Gesetzentwurf nach der Anhörung vorgelegt haben.
Wenn ich im Ausschuss zu Ihnen gesagt hätte: „Liebe
Kollegen, wir benötigen noch eine Anhörung zu unse-
rem Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes“,
dann hätten Sie gesagt: Wieso? Das haben wir doch ge-
rade ausführlich von den Expertinnen und Experten dar-
gestellt bekommen. – Insofern ist das ein Ergebnis dieser
Anhörung. Ich lege Wert darauf, dass mir hier nicht un-
terstellt wird, wir hätten an der Stelle gepokert. Das war
eine ganz klare Ansage, von Anfang an.
Ich habe es vorhin gesagt: Wir können bei der Nor-
menkontrolle doch nicht eine Änderung zu einem einzi-
gen Quorum vorlegen. Dann hätte doch jeder von Ihnen
gesagt: Das ist inkonsequent; es sind doch auch an ande-
rer Stelle des Grundgesetzes – ob es um die Einberufung
des Bundestages oder die Einsetzung eines Untersu-
chungsausschusses bzw. des Verteidigungsausschusses
als Untersuchungsausschuss angeht – entsprechende
Quoren. Man kann uns doch nicht vorwerfen, dass wir
an dieser Stelle die Ergänzung des Grundgesetzes konse-
quent zu Ende denken.
In der Sache sehe ich da gar keinen Widerspruch. Ichweiß, was die Sachverständigen gesagt haben, und ichweiß auch, dass Sie gesagt haben, dass Sie auf eine wei-tere Anhörung verzichten.
Ich habe Sie, weil mir das wichtig war, gestern im Aus-schuss ausdrücklich gefragt, ob Sie dazu noch eine An-hörung wollten. Da haben Sie gesagt: Nein. – Frau Sitte,um das klar zu sagen: Es hat keine Anhörung zu IhrenVorschlägen zur Änderung des Grundgesetzes gegeben,sondern es hat eine Anhörung gegeben zu Ihrem Antrag,die Geschäftsordnung zu ändern, und zu Ihrem Gesetz-entwurf zur Änderung des PUAG.
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2076 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Dr. Johann Wadephul
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– Nein. Es ist schon ein großer Unterschied, ob man ei-nen Sachverständigen dazu anhört, ob eine einfachge-setzliche Änderung durchgeführt werden kann – ohnedas Grundgesetz zu ändern –, oder ob Sie – das hättedann erfolgen müssen – mehreren Sachverständigenkonkret die von Ihnen beabsichtigten Grundgesetzände-rungen vorlegen. Dann hätten wir nämlich ganz andereFragen erörtert – auf diese Fragen kommt es aus meinerSicht an –: Ist es richtig vor der historischen Erfahrung,die die Mütter und Väter des Grundgesetzes dazu bewo-gen hat, gewisse Quoren festzulegen, nur weil wir indieser Wahlperiode Mehrheitsverhältnisse zwischen Ko-alition und Opposition im Verhältnis 80 : 20 haben, dasGrundgesetz an mehreren Stellen zu ändern? Meine Ant-wort darauf ist: Nein.
Wir sollten das Grundgesetz nicht immer gleich zur Dis-position stellen. Zu dieser Frage ist kein einziger Sach-verständiger angehört worden.
Das ist meine Kritik, und diesen Punkt halte ich wirklichfür problematisch.
– Na ja, wir haben zweimal miteinander über diese Fragediskutiert, und Sie kennen unsere Auffassung dazu.
Wenn Sie beklagen, dass die Mitwirkungsmöglichkei-ten nach wie vor nicht ausreichend sind, möchte ich dazunur Folgendes sagen: Wenn wir den einzelnen Abgeord-neten wertschätzen und zugestehen, dass nicht immeralle Oppositionsabgeordneten zustimmen müssen, wenndie Opposition ihre Minderheitenrechte ausüben möchte,dann machen wir das deshalb, weil uns Art. 38 desGrundgesetzes wichtig ist: Der einzelne Abgeordnete istnur seinem Gewissen unterworfen; er hat eine singuläreBedeutung für dieses Haus. Das gilt aber auch für dieAbgeordneten der Mehrheitsfraktionen, die bei denWünschen, die hier weiter vorgetragen worden sind, ins-besondere was die Redezeit angeht, gegenüber Opposi-tionsabgeordneten dann in eine wirklich deutlich nach-rangige Position kommen würden. Es ist schon jetzt so,dass Abgeordnete aus den Mehrheitsfraktionen hier sehrviel weniger reden können als Abgeordnete aus den Op-positionsfraktionen. Sie sollten darüber nachdenken,dass wir hier gewisse Grenzen einhalten müssen,
dass wir auch die Rechte derjenigen Abgeordneten ernstnehmen müssen, die die Regierung jetzt tragen. Auch siesind frei gewählte Abgeordnete, auch sie müssen frei ab-stimmen können, auch sie müssen ihre Möglichkeitenhier frei entfalten können, reden können wie die Abge-ordneten der Opposition. Deswegen, glaube ich, ist dasErgebnis insgesamt sehr ausgewogen.
Herr Kollege Wadephul, wir haben auch jetzt schon
Regeln zur Redezeit.
Vielen Dank.
Danke schön. – Nächste Rednerin ist Katja Keul,
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich bin wirklich sehr erleichtert, dass wir Siedoch noch davon überzeugen konnten, die Geschäftsord-nung zu ändern. Der Kollege Kaster hat zu Beginn seinerRede noch einmal betont, welche Bedeutung dieser Ge-schäftsordnung zukommt. Es wäre doch höchst unbefrie-digend gewesen, einen zusätzlichen Bundestagsbe-schluss zu haben, wie Sie das ursprünglich beabsichtigthatten, der neben der Geschäftsordnung steht und auchnoch von dieser abweicht. Man hätte dann gleichrangi-ges, sich widersprechendes Recht gehabt. Das wärewirklich kein Qualifikationsnachweis für einen Gesetz-geber gewesen. Deswegen bin ich sehr erleichtert, dasswir Sie davon überzeugen konnten, die Geschäftsord-nung zu ändern.
Die meisten Punkte – nicht alle – ließen sich befriedi-gend in der Geschäftsordnung regeln. Da wir nach dieserÄnderung der Geschäftsordnung 25 Prozent Opposi-tionsvertreter in einen Untersuchungsausschuss schickenkönnen, kann das PUAG in seiner bisherigen Form an-gewendet werden, weil die Quote von 25 Prozent für denUntersuchungsausschuss erfüllt wird. Hier funktioniertdas also. Es funktioniert allerdings nicht beim Verteidi-gungsausschuss, wenn er in seiner Gesamtheit zum Un-tersuchungsausschuss wird, weil hier das Quorum nichterfüllt ist. An dieser Stelle hätte man eine Gesetzesände-rung vornehmen müssen. Die Formulierung, die Sie jetztdazu vorgeschlagen haben, löst das Problem zwar nicht,lässt aber zumindest Ihren guten Willen glaubhaft erken-nen, sodass wir daran die Einigung nicht scheitern lassenwollen.
Aufgrund der Einigung haben sich unsere beiden Vor-lagen aus unserer Sicht erledigt. Leider blieb es uns ver-wehrt, diese hier heute für erledigt zu erklären, da dieFraktion Die Linke das anders sieht, sodass wir hiernoch darüber abstimmen werden.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2077
Katja Keul
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Eine Grundgesetzänderung haben wir von Anfang annicht für erforderlich gehalten; denn das Grundgesetzlegt in Art. 44 fest, dass wir das Recht und auf Antragvon 25 Prozent der Mitglieder des Bundestages diePflicht haben, einen Untersuchungsausschuss einzuset-zen. Das heißt also, dass der Bundestag ab 25 Prozentkeinen Spielraum mehr hat. Für die Fälle, in denen wirdarunter liegen, steht es uns als Bundestag frei, ander-weitige Regelungen zu treffen, was wir heute tun. FrauSitte, ich will Ihnen Art. 44 Abs. 1 des Grundgesetzesvorlesen. Darin steht:Der Bundestag hat das Recht und auf Antrag einesViertels seiner Mitglieder die Pflicht, einen Unter-suchungsausschuss einzusetzen …Das heißt, wir haben das Recht, verbindlich zu beschlie-ßen, schon bei einem Antrag von weniger als 25 Prozentder Abgeordneten einen Untersuchungsausschuss ver-bindlich einzurichten, und das tun wir jetzt.
Zuletzt komme ich zur Normenkontrolle. Dazu ist jaschon viel gesagt worden. Das Grundgesetz sieht inArt. 93 vor, dass die Normenkontrolle von einer Landes-regierung, von der Bundesregierung oder auch von25 Prozent der Mitglieder des Bundestages eingeleitetwerden kann. Wir haben durchaus ein Interesse daran,darüber zu debattieren. Allein das ist der Grund dafür,warum wir uns bei der Abstimmung über den Gesetzent-wurf der Fraktion Die Linke freundlicherweise noch ent-halten. Vor dem Hintergrund, dass Sie im Zusammen-hang mit den Minderheitenrechten fünf umfangreicheGrundgesetzänderungen im Schnellverfahren beantra-gen, würden mir hier durchaus deutlichere Worte ein-fallen. Ihr Vorgehen, diese Grundgesetzänderungen inerster Lesung auch noch ohne Debatte auf die Tagesord-nung gesetzt zu haben, zeigt ja, dass Sie es damit nichtwirklich ernst meinen.
Denken Sie bitte an die Redezeit!
Mit der heutigen Änderung der Geschäftsordnung
zeigen wir, dass die Opposition auch in der heutigen Zu-
sammensetzung in der Lage ist, ihre Rechte angemessen
durchzusetzen, und dass der Bundestag eben doch ein
lernfähiges Parlament mit der erforderlichen demokrati-
schen Kultur ist.
Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist Frau Dr. Katarina Barley, SPD-
Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnenund Kollegen! Es ist ja nicht wirklich ein Geheimnis,dass für einige Menschen in der BundesrepublikDeutschland diese Große Koalition nicht unbedingt dieWunschkonstellation nach der letzten Bundestagswahlwar.
Das hatte damit zu tun, dass diese übergroße Mehrheit inder Öffentlichkeit als erdrückend wahrgenommen undallgemein die Befürchtung geäußert wurde, die Minder-heitenrechte könnten zu kurz kommen.Nun hat der geschätzte Bundestagspräsident schon inder konstituierenden Sitzung bemerkt, dass große Mehr-heiten nicht per se verfassungswidrig sind.
Aber daran, dass wir uns alle einig sind, dass eine funk-tionierende Demokratie eine funktionierende und wir-kungsvolle Opposition braucht, kann ja kein Zweifel be-stehen.Den Mehrheitsfraktionen war dieses Anliegen sowichtig, dass wir es ausdrücklich im Koalitionsvertragaufgenommen haben. Ich sage das so ausdrücklich, weilman sich das wirklich auf der Zunge zergehen lassen undauch einmal in einen internationalen und historischenKontext stellen muss. Man muss sich das einmal vor Au-gen führen: Wenn sich eine Mehrheit, die, wenn man eseinmal ganz salopp formuliert, alles plattmachen könnte,wochenlang damit beschäftigt, wie man der Minderheitam effektivsten und sinnvollsten bestimmte Rechte ein-räumen kann, dann ist dies, wenn man es mit dem Vorge-hen in vielen anderen Staaten mit durchaus längererdemokratischer Tradition vergleicht, schon ein sehr be-merkenswerter Vorgang,
noch dazu in einem Land, das hinsichtlich seiner demo-kratischen Tradition durchaus einige Anlaufschwierig-keiten hatte. Vor diesem Hintergrund möchte ich sagen,dass dieser Tag ein guter Tag für die Demokratie inDeutschland und für unsere gemeinsame parlamentari-sche Arbeit ist.
Der erste Vorschlag unseres Bundestagspräsidentenwar, hier mit einem einfachen Bundestagsbeschluss vor-zugehen. Das fand die Opposition zu wenig verbindlich.
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2078 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Dr. Katarina Barley
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Es war wohl auch ein Mangel an Vertrauen vorhanden,dass wir das wirklich ernst meinen. Aber ich glaube,dass der weitere Verlauf der Diskussionen und der Ver-handlungen und auch das Ergebnis bewiesen haben, dassdieses Misstrauen nicht gerechtfertigt war. Umso erfreuli-cher ist es, dass wir aus der beiderseitigen Unzufrieden-heit herausgefunden und sehr konstruktiv miteinanderverhandelt haben. Das erweiterte Berichterstatterge-spräch mit den Sachverständigen wurde schon erwähnt;das war sicherlich für alle Seiten sehr hilfreich. Wir ha-ben es uns also nicht einfach gemacht. Im Ergebnis ha-ben wir uns von beiden Seiten angenähert. Dafür be-danke ich mich bei den Vertreterinnen und Vertreternausdrücklich aller Fraktionen noch einmal sehr herzlich.Wir haben nun einen Antrag zur Änderung der Ge-schäftsordnung vorliegen. Das war aus meiner Sicht,verehrte Kollegin Keul, immer der richtige Ort, um Än-derungen vorzunehmen, weil es die Bedürfnisse einerspezifischen Legislaturperiode betrifft. Wir haben in die-sem Antrag auch festgelegt, dass wir von den Änderun-gen nicht mit Zweidrittelmehrheit abweichen können.
Ich möchte betonen, dass ich die gefundene Lösungfür die systematisch bessere Lösung halte als die, die wirursprünglich vorgesehen hatten; denn bisher sind imGrundgesetz Rechte für einzelne Abgeordnete, für Frak-tionen und für eine bestimmte Anzahl von Abgeordnetenvorgesehen. Was es nicht gibt, sind Rechte der Opposi-tion. Ich finde es gut, dass wir mit unserem Vorschlag inder Systematik bleiben und nicht für eine Legislaturpe-riode ein ganz neues Instrument schaffen, nämlichRechte von Angehörigen der Oppositionsfraktionen hierim Plenum. Wir haben damit zwei Probleme ausge-räumt. Ein Problem ist schon erwähnt worden: Der ur-sprüngliche Entwurf sah vor, dass alle Abgeordneten derOppositionsfraktionen die Minderheitenrechte gemein-sam wahrnehmen. Es wurde eingewandt, dass schon dasFehlen eines Abgeordneten bzw. einer Einigung die Wahr-nehmung der Minderheitenrechte verhindern könnte. Da-rauf sind wir eingegangen. Die jetzt gefundene Lösungist ein sehr praktikables Instrument, auch für die Opposi-tion; aber ich betone: auch für die Opposition.Durch die Regelung, dass 120 Mitglieder des Parla-ments die Minderheitenrechte wahrnehmen können,wird nicht mehr zwischen Angehörigen der Regierungs-fraktionen und Angehörigen der Oppositionsfraktionendifferenziert. Ursprünglich war vorgesehen – das wardas zweite Problem –, dass 20 Prozent der Oppositions-fraktionen bestimmte Rechte hätten wahrnehmen kön-nen. Bei den Mehrheitsfraktionen hätten es 25 oder ebenauch 33 Prozent sein müssen. Aber alle Abgeordnetenmüssen im Grundsatz die gleichen Rechte haben; dennwir alle gemeinsam und nicht nur die Opposition kon-trollieren die Regierung. Das nennt man in DeutschlandGewaltenteilung, und daran sollten wir festhalten.
Natürlich haben Sie sich weiter gehende Änderungengewünscht. Die Kolleginnen und Kollegen von der Op-position, in diesem Falle von der Linken, wollten meh-rere Änderungen des Grundgesetzes erreichen. Das be-trifft vor allen Dingen die abstrakte Normenkontrolle.Dazu nur ganz kurz: Wenn Sie vor das Bundesverfas-sungsgericht ziehen wollen, dann ist ein solcher Antragauf Normenkontrolle sicherlich zulässig, wenn es umIhre eigenen Rechte geht. Als Abgeordnete müssen Siekein Quorum einhalten; das ist so und das bleibt Gott seiDank auch so. Aber ich glaube nicht, dass ein solcherAntrag begründet wäre; denn im Grundgesetz selbst istvorgesehen, dass ein Viertel der Abgeordneten das Quo-rum für die abstrakte Normenkontrolle ist.
Frau Kollegin, – –
Ich komme gleich zum Ende. – Es wird nicht ganz
einfach sein, vorzutragen, dass das Grundgesetz selbst in
diesem Punkt gegen das Grundgesetz verstößt. Es ist
auch nicht sachgerecht, das Grundgesetz in jeder Legis-
latur den veränderten Mehrheiten anzupassen. Aber vor
allen Dingen ist eben die Normenkontrolle kein Minder-
heitenrecht, sondern eine Verfahrensart unter mehreren
für verschiedene Akteure.
Kurz gesagt: Ich bin wirklich froh, dass wir eine so
breite Mehrheit für die Änderung der Geschäftsordnung
gefunden haben. Ich glaube, dass heute ein guter Tag für
die politische Kultur ist und dass es auch ein Signal nach
außen ist. Dafür möchte ich mich sehr herzlich bedan-
ken.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin
Wawzyniak.
Ich nutze das Instrument der Kurzintervention, weilzum zweiten Mal eine Frage, die der Kollege Ströbeleder Kollegin Sitte gestellt hat und die ich weiterreichenwollte, nicht beantwortet werden kann. Ich würde michfreuen, wenn die nächsten Rednerinnen und Redner mirbitte einmal erklären könnten, wie ich als Bundestagsab-geordnete von Gesetzen, die zum Beispiel Hartz IV be-treffen, selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffensein soll, sodass ich Verfassungsbeschwerde einlegenkann. Das Argument von Herrn Ströbele war ja, mankönne als Bundestagsabgeordneter Verfassungsbe-schwerde einreichen. Vielleicht kann mir das einer dernächsten Redner erklären. Ich freue mich auf die Erklä-rung.Danke.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2079
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Danke schön. – Frau Kollegin Barley, möchten Sie
darauf antworten? – Das ist nicht der Fall.
Dann hat jetzt Dr. Stefan Heck das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Ich freue mich, dass ich meine erste Rede imDeutschen Bundestag zu diesem wichtigen verfassungs-rechtlichen Thema halten darf.
Für uns alle ist klar: Es entspricht dem Wesen der Demo-kratie, dass am Ende die Mehrheit entscheidet. Es ist die-ses Prinzip, das alle demokratischen Kräfte am Endeeint. Aber zu einer funktionierenden und lebendigen De-mokratie gehört darüber hinaus eine vernehmbare undlebendige Opposition.Es ist gut, dass wir bereits heute im europäischen Ver-gleich sehr weit gehende Minderheitenrechte in der Ge-schäftsordnung des Deutschen Bundestages verankerthaben. Jede Fraktion kann unabhängig von ihrer GrößeGesetzentwürfe einbringen, namentliche Abstimmun-gen verlangen, Große und Kleine Anfragen stellen, Ak-tuelle Stunden beantragen und nicht zuletzt auch Regie-rungsmitglieder herbeizitieren. Trotzdem haben dieKoalitionsfraktionen aufgrund der besonderen Situa-tion, in der wir uns in dieser Legislaturperiode befinden,von Anfang an zugesagt, die Minderheitenrechte nochweiter auszubauen. Wir haben Wort gehalten und legenIhnen heute einen Vorschlag vor, der Ihnen sehr weit ent-gegenkommt.Wenn man die Wortbeiträge hier verfolgt, dann be-steht kein Zweifel daran, dass das Thema, über das wirheute sprechen, grundlegende Fragen berührt. Es ent-spricht dem Wesen des Rechtsstaates, dass die Verfas-sung über der Tagespolitik, über einzelnen Sachentschei-dungen und nicht zuletzt auch über den jeweilsherrschenden Mehrheitsverhältnissen im DeutschenBundestag steht. Deswegen, Frau Kollegin Dr. Sitte,sollten wir zurückhaltend sein, wenn es darum geht, dasGrundgesetz zu ändern. Das Grundgesetz ist kein Gesetzwie jedes andere. Seine Änderung muss die Ausnahmebleiben und darf nicht zur Regel werden.
Die Debatte, die wir in diesem Zusammenhang füh-ren, ist gelegentlich etwas paradox: Zunächst hat die Op-position in den ersten Wortmeldungen nach der Wahllandauf, landab davor gewarnt, man müsse das Grundge-setz vor der Zweidrittelmehrheit der Großen Koalitionschützen, und jetzt fordert die Linksfraktion, wir solltenmit der gleichen, vormals angeblich noch bedrohlichenMehrheit die Verfassung in ihrem Sinne ändern, um dieLinksfraktion vor der Großen Koalition zu schützen.Heute so und morgen anders. Wenn Sie meinen, mit8,6 Prozent der Wählerstimmen die Verfassung jeweilsnach Ihrem Gusto gestalten zu können, dann stellen Siedie Dinge reichlich auf den Kopf.
Das passt nicht zusammen, und dabei machen wir nichtmit.Wir haben uns heute aus guten Gründen dafür ent-schieden, dass wir die wesentlichen Punkte der Minder-heitenrechte in der Geschäftsordnung statt in der Verfas-sung ändern. Ich möchte gerne drei Punkte ansprechen,die aus meiner Sicht wichtig sind.Erstens. Es ist falsch, wenn Sie hier von Oppositions-rechten sprechen. Die Verfassung kennt den Begriff derOpposition nicht, und zwar aus gutem Grund. Es gibt imDeutschen Bundestag keine Abgeordneten erster undzweiter Klasse. Wir alle sind in unserer Rechtsstellunggleich, unabhängig von unserem Lebensalter, unabhän-gig von der Parlamentserfahrung und eben auch unab-hängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Frak-tion. Wir alle haben die gleichen Rechte, und wir allehaben auch gemeinsame Aufgaben und gemeinsamePflichten. Das ist vor allem, die Regierung zu kontrollie-ren.Bei Fragen der Europäischen Union, der Integration,aber auch bei Fragen unserer eigenen Rechtsstellung –denken Sie an die Debatte über die Offenlegungspflich-ten – haben sich in den verfassungsrechtlichen Verfahrenimmer wieder ganz bemerkenswerte Allianzen querdurch die Fraktionen gebildet. Es ist unsere gemeinsameAufgabe, die Regierung zu kontrollieren, und diese Auf-gabe sollten wir gemeinsam selbstbewusst wahrnehmen.
Eines steht jedenfalls fest: Sie sind keine besseren Abge-ordneten, nur weil Sie in der Opposition sind.Zweitens. Der Ausgangspunkt unserer Arbeit ist undbleibt die Wahl zum Deutschen Bundestag. Bei dieserWahl haben CDU und CSU fast die absolute Mehrheitder Mandate erreicht. Trotzdem war es uns wichtig, Ih-nen im Interesse des gesamten Parlamentes entgegenzu-kommen. Bei den Redezeiten erhalten Sie bereits jetztzwischen 26 und sogar 32 Prozent, obwohl Ihnen nachdem Wahlergebnis eigentlich nur 17 Prozent zustehen.Darüber hinaus können Sie künftig schon mit 120 Abge-ordneten Untersuchungsausschüsse und Enquete-Kom-missionen einsetzen. Aber bei allem Entgegenkommenin Verfahrensfragen muss am Ende auch deutlich blei-ben, wo die Mehrheit in diesem Hause ist. Wir habenvon den Wählerinnen und Wählern einen klaren Gestal-tungsauftrag bekommen, und den nehmen wir auch an.
Drittens. Ich möchte nochmals auf den bis zuletztstreitigen Punkt der verfassungsrechtlichen Verfahreneingehen. Das erforderliche Quorum für die abstrakte
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2080 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Dr. Stefan Heck
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Normenkontrolle wurde bereits 2008 von einem Drittelauf ein Viertel der Mitglieder des Deutschen Bundesta-ges abgesenkt. Wir haben uns heute mit guten Gründen,wie ich finde, dafür entschieden, dieses Quorum nichtnoch weiter abzusenken. Die abstrakte Normenkontrolleist nämlich kein originäres Minderheitenrecht, sondernin erster Linie ein objektives Beanstandungsverfahren.Zudem – wir haben das eben von Ihnen, Herr Ströbele,gehört – ist die abstrakte Normenkontrolle, die von ver-schiedenen Antragstellern geltend gemacht werdenkann, insbesondere von Landesregierungen, nicht dieeinzige Möglichkeit, ein Gesetz zur Überprüfung vor dasBundesverfassungsgericht zu bringen. Es zeichnet unse-ren Rechtsstaat gerade aus, dass wir die Möglichkeit ha-ben, dass jeder Bürger über die Verfassungsbeschwerdedie Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes geltend ma-chen kann.An dieser Stelle will ich noch auf eines hinweisen. Ichfinde, wir als Abgeordnete sollten uns auch davor hüten,immer mehr politische Streitfragen unter juristischemVorwand von Berlin nach Karlsruhe zu verlagern oderauch verlagern zu lassen.
Wir sollten die grundlegenden Entscheidungen unseresLandes hier im Bundestag besprechen; denn hier gehö-ren sie hin.Zusammenfassend ist zu sagen: Wir haben heute nachintensiven und konstruktiven Gesprächen einen gutenund ausgewogenen Änderungsvorschlag vorliegen, derdem Mehrheitsprinzip Rechnung trägt, aber auch den be-rechtigten Anliegen der Minderheit in diesem Parlamentsehr weitgehend entgegenkommt.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Heck. Ich gratuliere
Ihnen ganz herzlich zu Ihrer ersten Rede.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie noch
um zehn Minuten Konzentration. – Nächster Redner in
der Debatte ist Dr. Johannes Fechner, SPD-Fraktion, der
auch seine erste Rede hier hält.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!In der Tat gab es die Sorge, dass diese riesige Mehrheitder Großen Koalition die Opposition in einer effektivenArbeit einschränkt. Aber schon im Koalitionsvertrag ha-ben wir uns vorgenommen, die Minderheitenrechte an-gesichts dieser sehr großen Mehrheit zu verbessern. Ichmöchte es nochmals zitieren, weil ich es schon für eineneinmaligen Vorgang halte, dass sich die Regierung so umdie Opposition kümmert.
Wir haben hier geregelt:Eine starke Demokratie braucht die Opposition imParlament. CDU, CSU und SPD werden die Min-derheitenrechte im Bundestag schützen.Auf Initiative der Koalitionspartner wird der Bun-destag einen Beschluss fassen, der den Opposi-tionsfraktionen die Wahrnehmung von Minderhei-tenrechten ermöglicht sowie die Abgeordneten derOpposition bei der Redezeitverteilung angemessenberücksichtigt.Genau diese Zusage haben wir eingehalten.
Das ist ein wichtiges Zeichen für die politische Kultur inDeutschland.Ich freue mich, dass im Geschäftsordnungsausschussnahezu einstimmig – nur mit Ihrer Enthaltung – dieseRegelung beschlossen wurde. Dadurch verbessern wirdie Rechte der Opposition ganz erheblich. Sie könnenjetzt einen Untersuchungsausschuss einsetzen, Subsidia-ritätsklage erheben und die Einsetzung von Enquete-Kommissionen verlangen, um nur die wichtigsten Mög-lichkeiten zu nennen. Insbesondere bei der Einsetzungvon Untersuchungsausschüssen haben wir – ich willmich hier kurzfassen, da das schon genannt wurde – dieVorschläge der Sachverständigen aufgenommen und esermöglicht, dass schon 120 Mitglieder des Bundesta-ges – Sie haben zusammen 127 – die Einsetzung einesUntersuchungsausschusses erreichen können.Außerdem sind wir Ihnen beim Schlüssel für die Ver-teilung der Redezeiten entgegengekommen. Sie habenjetzt mehr Redezeit, als Ihnen eigentlich zusteht. Das ha-ben wir gemacht, obwohl das dazu führt, dass die Rede-zeit der Mehrheitsfraktionen gekürzt wird. Es gibt einestattliche Anzahl von SPD- und Unionsabgeordneten,die hier noch nie reden konnten, während bei Ihnen fastjeder mindestens zweimal an der Reihe war. Also auchhier gibt es ein erhebliches Entgegenkommen unserer-seits.
Diese Verbesserungen der Minderheitenrechte sind inder Geschichte der Demokratie in Deutschland, aberauch in Europa beispiellos. Es gibt also überhaupt kei-nen Grund, die parlamentarische Kultur der Großen Ko-alition zu kritisieren; denn rein verfassungsrechtlich be-trachtet – das möchte ich ausdrücklich sagen –, wärendie Änderungen überhaupt nicht erforderlich gewesen.Aber sie sind politisch sinnvoll, und deswegen machenwir das. Vorwürfe, dass die Große Koalition ihre Über-macht an Stimmen ausnutze, sind vollkommen unbe-gründet.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2081
Dr. Johannes Fechner
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Das Grundgesetz wollen wir nicht ändern; denn eshandelt sich um eine spezielle Regelung für die18. Wahlperiode. Ich gehöre zu denjenigen, die daraufsetzen, dass die Große Koalition nicht zum Dauerzu-stand wird, um es einmal salopp zu formulieren. Deswe-gen wollen wir das Grundgesetz nicht ändern, erst rechtnicht auf die Art und Weise, wie Sie es tun wollen. FrauHaßelmann hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wireine verbindliche Regelung haben, wonach im normalenGeschäftsbetrieb Änderungen durch eine Zweidrittel-mehrheit, wie es nach der Geschäftsordnung möglichwäre, nicht erfolgen können.Ich möchte noch einen Satz zur abstrakten Normen-kontrollklage sagen. Dieses Instrument ist gerade keinsubjektives Recht, sondern bezieht sich nur auf objektiveRechtsverletzungen; nur darum geht es. Der Verfas-sungsgeber hat ganz bewusst geregelt, dass durch die ab-strakte Normenklage eine Fülle von Gesetzen angegrif-fen werden kann – es gibt also einen sehr großenAnwendungsbereich –, wollte aber im Gegenzug denPersonenkreis derjenigen, die diese Klage erheben kön-nen, klein halten. Sie können also keine individuellenRechtsverletzungen geltend machen – es sei denn alsAbgeordnete – und nicht jedes Gesetz angreifen. Ichhalte es für eine sehr sinnvolle Regelung, dass der Perso-nenkreis, der eine abstrakte Normenkontrollklage erhe-ben kann, deutlich reduziert ist.Da hier oft die Vorstellung mitschwingt, nur die Op-position habe die Aufgabe, die Regierung zu kontrollie-ren: So sehe ich es nicht. Denn trotz unserer großenMehrheit ist es Job aller Mitglieder der die Regierungtragenden Koalitionsfraktionen, die Regierung zu kon-trollieren. Auch wir diskutieren konstruktiv-kritisch überdas Regierungshandeln. Keine Vorlage der Regierungwird von uns blind übernommen. Wir sind sicherlichnicht bloße Abnicker des Regierungshandelns.
Wir haben Ihnen nun die Voraussetzungen für eine ef-fektive Oppositionsarbeit geschaffen. Jetzt liegt es an Ih-nen, konstruktiv damit umzugehen und eine effektiveOppositionsarbeit zu leisten. Diesen Appell richte ichvor allem an die Linksfraktion, die sich heute bedauerli-cherweise enthalten wird.Zum Schluss: Das ist meine erste Rede. Gestatten Siemir daher, meiner kleinen Tochter alles Gute zum heuti-gen Geburtstag zu wünschen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Wir gratulieren Ihnen und natürlich
auch Ihrer Tochter ganz herzlich.
Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Grosse-
Brömer, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Gleich bei der ersten Rede das Glück zu ha-ben, dass die kleine Tochter Geburtstag hat und ihr zugratulieren, ist bezogen auf die Sympathiewerte für dennachfolgenden Redner die volle Katastrophe.
Wie dem auch sei.Es ist natürlich schön, dass zwei junge Kollegen zumThema der Parlamentsrechte der Abgeordneten ihre ersteRede halten konnten. Ich finde, das ist ein wichtigesThema. Es ist gut, dass wir uns intensiv um Regelungenbemüht haben. Es ist richtig gesagt worden, man hättevielleicht gar nichts regeln müssen. Wir haben eine Ver-fassung. Wir haben ein Parlamentsrecht. Das beinhaltetin einer großen Fülle Minderheitenrechte. Im Übrigengibt es nicht nur für Fraktionen Minderheitenrechte, sowie es bei den Reden, die wir bislang gehört haben, ein-gefordert wurde, sondern jeder Einzelne von uns hat na-türlich auch Minderheitenrechte. Das muss ich hier kei-nem erklären. Aber das gehört sicher auch zur gesamtenDebatte.Wir als Koalition machen heute etwas Einmaliges.Wir geben freiwillig, nicht zuletzt aufgrund unsererGröße, Rechte ab und regeln in der Geschäftsordnungdie Stärkung der Opposition. Wir tun das nicht aus Groß-zügigkeit, sondern wir tun das – daran hat es auch keinenZweifel gegeben – aus Überzeugung, weil wir der Auf-fassung sind, zu einer funktionierenden Demokratie ge-hört eine starke, hörbare und sichtbare Opposition. Ichbin davon überzeugt, dass das, was wir in der Geschäfts-ordnung regeln, dazu führen wird, dass Sie jetzt, wennSie gut sind – das müssen Sie noch ergänzend werden –,
nicht mehr sagen können: Oh Gott, sind wir klein; wirhaben gar keine Möglichkeiten. – Ab heute haben Siesie. Jetzt müssen Sie mit Oppositionsarbeit langsam an-fangen. Das will ich auch noch einmal sagen.
Jetzt haben Sie alle Chancen, hörbar und sichtbar zuwerden. Wenn Sie es nicht schaffen, sind Sie ab heuteselber schuld.
Ich will Ihnen noch eines sagen: Frau Haßelmann hatklar und eindeutig gesagt, dass das, was wir als Koalitionvorgeschlagen haben und heute umsetzen, eine massiveVerbesserung der Oppositionsrechte ist.
Ich finde es gut, wenn man so viel Lob bekommt. ImÜbrigen finde ich es auch angemessen. Dann muss es andieser Stelle auch erwähnt werden.
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2082 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Michael Grosse-Brömer
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Zu dem Hinweis, wir hätten am Anfang gesagt, dassei mit einem Beschluss ausreichend geregelt: Wir dür-fen eines nicht vergessen, wir haben im Ältestenrat– ganz klug – den Bundestagspräsidenten gebeten, unsrechtlich und inhaltlich eine Vorgabe mitzugeben. Darinlag es begründet, dass wir gesagt haben: Rechtlich undwahrscheinlich auch hinsichtlich der Effizienz hätte einBeschluss dieses Bundestages völlig ausgereicht. Abernur weil Sie es wollten, haben wir es auch in der Ge-schäftsordnung fixiert. Dies ist ein weiterer Nachweisdafür, welch großes Verständnis wir für die kleine Oppo-sition haben.Wir haben die Rederechte sinnvollerweise auch aus-geweitet. Obwohl Sie nur 17 Prozent bei den Wahlen be-kommen haben – aus welchen Gründen auch immer –,haben Sie bis zu 32 Prozent Redezeit. Ich finde das rich-tig und sinnvoll. Man muss auch Rede- und Gegenredeermöglichen.Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Kollegin-nen und Kollegen der Koalition gerade verfassungs-rechtlich die gleichen Rechte haben wie die in der Oppo-sition. Darauf ist schon hingewiesen worden. Ich hoffe,wir haben gemeinsam die Chance, vernünftige und auchstrittige Debatten zu führen; denn die Demokratie lebtnicht nur von Minderheitenrechten. Demokratie lebtauch von einer lebendigen Debatte, von Widerspruchund nicht von Harmonie. Diesem Parlament wird es gut-tun, dass Sie Ihre heute garantierten Minderheitenrechtein sachlicher Hinsicht ausnutzen. Werden Sie gut! Wirals Regierungskoalition haben auch den Anspruch, gutzu sein. Ich habe das Gefühl, wir haben es im Gegensatzzu Ihnen schon ein Stück weit unter Beweis gestellt.Deswegen ist es schön, wenn wir heute eines feststellenkönnen: Es gibt Länder in dieser Welt, da wird die Op-position drangsaliert.
Bei uns ist es so, dass die Opposition rechtlich gestärktwird. Das ist doch auch ein Vorteil dieses Parlamentesund auch der Koalition.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-nung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU undSPD mit dem Titel „Änderung der Geschäftsordnung zurbesonderen Anwendung der Minderheitenrechte in der18. Wahlperiode“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-stabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache18/997, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU undSPD auf Drucksache 18/481 in der Ausschussfassunganzunehmen.Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung aufVerlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD na-mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind diePlätze an den Urnen besetzt? – Nein, hier vorne fehltnoch ein Schriftführer oder eine Schriftführerin.
Die Minderheitenrechte sollten jetzt nicht dazu führen,dass die rechte Urne von der Opposition nicht besetztwird. – Sind jetzt alle Urnen besetzt? – Ich eröffne dieAbstimmung.Haben jetzt alle Mitglieder des Hauses abgestimmt?– Nein. – Jetzt haben aber alle ihre Stimme abgegeben.Die Abstimmung ist geschlossen. Die Schriftführer undSchriftführerinnen beginnen mit der Auszählung. DasErgebnis der Auszählung wird Ihnen später bekannt ge-geben.1)Bevor wir zur nächsten namentlichen Abstimmungkommen, haben wir eine einfache Abstimmung durchzu-führen. Deshalb bitte ich Sie, sich zu Ihren Plätzen zubegeben. – Ich bitte Sie alle, Platz zu nehmen. Sonstkönnen wir nicht mit der Abstimmung beginnen. – Auchdie Abgeordneten der SPD hier vorne würde ich bitten,sich jetzt hinzusetzen. – Liebe Kolleginnen und Kolle-gen, es macht keinen Sinn; wir können nicht abstimmen,wenn Sie nicht Platz nehmen.Wir stimmen jetzt über den Entwurf eines Gesetzesder Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linkezur Sicherung der Oppositionsrechte in der 18. Wahlpe-riode des Deutschen Bundestages ab. Der Ausschuss fürWahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung emp-fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 18/997, den Gesetzentwurf der FraktionenBündnis 90/Die Grünen und Die Linke auf Drucksa-che 18/380 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen.– Wer stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurf ist in zwei-ter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPDgegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und derLinken abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ge-schäftsordnung die weitere Beratung.Tagesordnungspunkt 7 c. Abstimmung über den Ent-wurf eines Gesetzes der Fraktion Die Linke zur Ände-rung des Grundgesetzes, Art. 23, 39, 44, 45 a und 93.Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge-schäftsordnung empfiehlt unter Buchstabe c seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 18/997, den Gesetz-entwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/838abzulehnen. Wir stimmen nun auf Verlangen der Frak-tion Die Linke über den Gesetzentwurf namentlich ab.Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, dievorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze anden Urnen besetzt? – Ich sehe, das ist der Fall. Ich er-öffne die Abstimmung über den Gesetzentwurf.Haben jetzt alle Mitglieder des Hauses abgestimmt? –Ich sehe, das ist der Fall.1) Ergebnis siehe Seite 2085 C
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2083
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen späterbekannt gegeben.1)Wir setzen die Abstimmungen fort.Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 7 d: Be-schlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung,Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag derFraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke mitdem Titel „Änderung der Geschäftsordnung des Deut-schen Bundestages zwecks Sicherung der Minderheiten-rechte der Opposition im 18. Deutschen Bundestag“. DerAusschuss empfiehlt unter Buchstabe d seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 18/997, den Antragder Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linkeauf Drucksache 18/379 abzulehnen. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung mitden Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stim-men von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke ange-nommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzeszur Änderung des Arbeitnehmer-Entsende-gesetzesDrucksache 18/910Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für Ernährung und LandwirtschaftNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundes-regierung hat die Kollegin Anette Kramme.
A
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir alle haben in den letzten Jahren die Be-richterstattung über die Zustände in den Schlachthöfenverfolgt. Viele der Kollegen konnten uns hier ureigensterzählen, welche Zustände in vielen deutschen Schlacht-höfen herrschen. Uns ist berichtet worden über nied-rigste Löhne, vor allen Dingen bei entsandten Arbeitneh-mern, die aus Rumänien, Bulgarien, Polen oder Ungarnkommen. Uns ist berichtet worden über Stundenlöhne ineiner Größenordnung von 4 bis 6 Euro. Es gibt wohlEinzelfälle, in denen die Löhne noch niedriger waren.Vom Einsatz von unüberschaubaren Subunternehmer-ketten, die ihren Sitz im Ausland haben, ist uns ebenfallsberichtet worden. Tarifstrukturen waren bislang nur ein-geschränkt vorhanden. Bis Ende 2013 gab es keinen1) Ergebnis siehe Seite 2087 Bregionalen Tarifvertrag, geschweige denn einen Flächen-tarifvertrag. Dabei handelt es sich um eine wirklich harteund belastende Arbeit. Die Arbeit ist extreme Fließband-arbeit, sehr anstrengend, monoton und hochgradig ar-beitsteilig. Häufig wird nur ein einzelner Arbeitsschrittdurchgeführt. Ich kann Ihnen, liebe Kollegen und Kolle-ginnen, nur empfehlen, einen solchen Schlachthof zu be-sichtigen, in dem täglich Tausende von Tieren zerlegtwerden.Wir sind sehr froh, dass die intensiven Diskussionenüber den gesetzlichen Mindestlohn in der Fleischbrancheein Umdenken bewirkt haben. Anfang dieses Jahres ha-ben sich die Tarifpartner auf einen Mindestlohntarifver-trag für die Fleischbranche geeinigt. Es ist gut, dass esder Branche gelungen ist, ihre Angelegenheiten selbst zuregeln. Gerne haben wir dem Parlament einen Gesetz-entwurf zur Erweiterung des Arbeitnehmer-Entsendege-setzes vorgelegt. Damit werden künftig über 170 000Arbeitnehmer dieser Branche potenziell geschützt. Ge-schützt wird aber auch eine andere Gruppe. Geschütztwird eine Gruppe, bestehend aus circa 23 000 entsandtenArbeitnehmern, also denjenigen, die aus vielen anderenLändern der Europäischen Union hergekommen sind,um die schwere Arbeit zu erledigen. Durch die Einbezie-hung in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz und die an-schließende Rechtsverordnung kann der Tarifvertrag– das ist das Wichtige – nicht nur eine nationale, sondernauch eine international zwingende Wirkung entfalten.
Es ergeben sich aber noch andere positive Wirkungen.Die Einhaltung des Mindestlohns wird künftig durch dieFinanzkontrolle Schwarzarbeit überwacht. Bei Verstö-ßen können Bußgelder in einer Größenordnung bis zu500 000 Euro verhängt werden, und – das ist ebenfallssehr wichtig für die entsandten Arbeitnehmer – der deut-sche Generalunternehmer haftet, wenn ein Subunterneh-men seinen Arbeitnehmern den Branchenmindestlohnnicht zahlt.
Er kann sich dabei nicht darauf zurückziehen, er hättevon den schlechten Arbeitsbedingungen nichts gewusst.Ich weiß, dass einige kritische Geister unter Ihnen sofortanmerken werden: Was nutzt das denn den ausländi-schen Arbeitnehmern? Die kennen sich hier doch nichtaus, wissen nicht Bescheid über das deutsche Recht.Ich will die Gelegenheit nutzen und auf ein vom Bun-desministerium für Arbeit und Soziales finanziertes undvom DGB durchgeführtes Projekt verweisen. Es heißt„Faire Mobilität – Arbeitnehmerfreizügigkeit sozial,gerecht und aktiv“. An verschiedenen Standorten werdenausländische Arbeitnehmer beraten, damit diese ihreRechte wahrnehmen können. In Hamburg geht es spe-ziell um die Fleischbranche.Von diesem Gesetz werden viele Arbeitnehmer profi-tieren. Von dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie,durch das der gesetzliche Mindestlohn kommen wird,
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2084 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Parl. Staatssekretärin Anette Kramme
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werden noch mehr profitieren. Ich finde, das sind guteBotschaften für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerin-nen,
aber auch für die Arbeitgeber, die dem Lohndumping derschwarzen Schafe nicht mehr ausgesetzt sind.Herzlichen Dank.
Nächste Rednerin ist Sabine Zimmermann, Fraktion
Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Im letzten Jahrdurften wir in diesem Hause eine Kostprobe der gesang-lichen Fähigkeiten der damaligen SPD-AbgeordnetenAndrea Nahles hören. Mit Blick auf die Bundesregie-rung sang sie damals frei nach Pippi Langstrumpf: Ichmach mir die Welt, wie sie mir gefällt. – Keine Angst,ich werde jetzt hier nicht singen, obwohl ich früher einjunges Talent war.
Heute hat Frau Nahles als Bundesministerin die Mög-lichkeit, die Welt zu verändern. Das ist bitter nötig,schauen wir uns nur die Arbeitsverhältnisse hier in derFleischindustrie an.
In den deutschen Schlachthöfen haben sich in denzurückliegenden 10, 20 Jahren unhaltbare Zustände ent-wickelt. Beim Schlachten und in der Fleischverarbeitunghat es einen enormen Erdrutsch bei den Löhnen und beiden Arbeitsbedingungen gegeben. Als die Dienstleis-tungsmärkte in Europa geöffnet wurden, versäumte esdie Politik – vielleicht sollten wir sagen: hat sie es be-wusst unterlassen –, in den Mitgliedsländern für die Ent-lohnung verbindliche Mindeststandards festzuschrei-ben. Maßgeblich gefördert durch deutsche Regierungenhat so eine falsche Politik der Europäischen Union zu ei-nem dramatischen Sozialdumping geführt. Es sind vorallem ausländische Beschäftigte, meist aus Osteuropaentsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, dieüber Werkverträge und Subunternehmen zu Hungerlöh-nen beschäftigt werden. Sie leben oft zusammenge-pfercht in menschenunwürdigen Unterbringungen, abge-schottet von der deutschen Gesellschaft. Das ist moderneSklaverei und menschenunwürdig. Das muss endlich be-endet werden.
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststättenschätzt: 80 Prozent der Beschäftigten in deutschenSchlachthöfen sind Werkvertragsarbeitnehmer. DieZustände in den deutschen Schlachthöfen sind so kata-strophal, dass sich Nachbarländer wie Frankreich, Däne-mark und Belgien beschwert haben, Deutschland ver-schaffe sich durch Lohndumping Wettbewerbsvorteile.Belgien hat bei der EU-Kommission sogar eine offizielleBeschwerde eingereicht. Das muss man doch endlicheinmal zur Kenntnis nehmen. Die Bundesregierungmacht hier wenig bis fast gar nichts. Der Gesetzentwurf,der hier heute vorgelegt wird, ist zwar richtig und geht indie richtige Richtung, aber die Lohnhöhe – darüber wer-den wir noch reden – entspricht natürlich nicht unserenVorstellungen.
Dafür, dass dies in Deutschland möglich ist, solltensich die politisch Verantwortlichen schämen. Es ist drin-gend notwendig, zu handeln und bei den Löhnen Min-deststandards für die Branche festzulegen. Der hier vor-gelegte Gesetzentwurf bietet das einfach nicht. Das eineist natürlich, wie ich schon sagte, die Entgelthöhe. Wiralle wissen: Die vereinbarten Tarife führen nicht ausdem Niedriglohnsektor heraus. Der Branchenmindest-lohn soll ab dem 1. Juli dieses Jahres 8 Euro betragen.Die Niedriglohnschwelle lag aber schon im Jahr 2012bei 9,30 Euro.Besonders fatal ist: Die Beschäftigten werden imkommenden Jahr zunächst nicht vom gesetzlichen Min-destlohn profitieren. Denn hier wird vor allen Dingen dieÜbergangsregelung greifen, in der festgelegt werdensoll, dass die Arbeitgeber diesen Beschäftigten den Min-destlohn vorenthalten können. Auch das gehört zu IhremFlickenteppich des Mindestlohns. Herr Schiewerling, ichschaue Sie da ganz besonders an.
Sie sagen immer, der Mindestlohn, so wie Sie ihn ein-führen, ist das Nonplusultra.Das größte Problem ist aber die Umsetzung des Bran-chenmindestlohns in der Praxis; Frau Kramme hat dasangesprochen. Erst massive Medienberichte haben dazugeführt, dass die Arbeitgeber bereit waren, einen Tarif-vertrag abzuschließen, der jetzt als allgemeinverbindlicherklärt werden und für alle Beschäftigten gelten soll.Schon jetzt ist klar, dass Arbeitgeber alles tun werden,um die gesetzlichen Regelungen zu umgehen und zuunterlaufen. Scheinselbstständigkeiten, falsche Stunden-abrechnungen, Zwangsabgaben vom Lohn für überteu-erte Unterkünfte, all das sind Praktiken, die wir alleschon aus anderen Branchen kennen.Eine effektive Kontrolle ist nur möglich, wenn dieFinanzkontrolle Schwarzarbeit personell ordentlich aus-gestattet ist. Dies ist derzeit nicht der Fall. Um ordent-lich zu kontrollieren, brauchen wir mindestens 2 500 Be-schäftigte mehr. Das fordert die Zollgewerkschaft. DieBundesregierung muss dem Wildwuchs an Scheinwerk-verträgen und Subunternehmen Einhalt gebieten. Sie
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Sabine Zimmermann
(C)
muss auf europäischer Ebene für eine Durchsetzungs-richtlinie sorgen, die nicht einem weiteren Lohndumpinghier in Deutschland Tür und Tor öffnet.
Um auf die damalige Rede unserer heutigen Arbeits-ministerin zurückzukommen: Solange in DeutschlandMenschen harte Arbeit unter krankmachenden Bedin-gungen leisten und dafür auch noch Hungerlöhne inKauf nehmen müssen, solange Praktiken wie in Callcen-tern, bei den Truckerfahrern oder in der Fleischindustriezu- und nicht abnehmen, so lange darf nichts bleiben,wie es ist, und so lange ist nichts wunderbar auf unseremArbeitsmarkt. Hier – das möchte ich den beiden Staats-sekretärinnen mit auf den Weg geben – muss FrauNahles endlich handeln.Danke schön.
Vielen Dank. – Bevor gleich der KollegeSchiewerling das Wort erhält, darf ich Ihnen die von denSchriftführerinnen und Schriftführern ermitteltenErgebnisse der namentlichen Abstimmungen bekanntgeben.Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Be-schlussempfehlung zu dem Antrag zur Änderung derGeschäftsordnung zur besonderen Anwendung der Min-derheitenrechte in der 18. Wahlperiode auf den Drucksa-chen 18/481 und 18/997: abgegebene Stimmen 588. MitJa haben gestimmt 531, mit Nein haben gestimmt 2, Ent-haltungen 55. Die Beschlussempfehlung ist angenom-men.
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 585;davonja: 530enthalten: 55JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
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2086 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
(C)
(B)
Reiner MeierDr. Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerElisabeth MotschmannCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferRonald PofallaEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleGabriele Schmidt
Patrick SchniederNadine Schön
Dr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderSabine DittmarMartin DörmannSiegmund EhrmannMichaela Engelmeier-HeiteDr. h. c. Gernot ErlerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerDr. Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Bernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedoth
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2087
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
(C)
(B)
Axel Schäfer
Dr. Nina ScheerUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Dr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselDr. Julia VerlindenBeate Walter-RosenheimerEnthaltenDIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeKerstin KassnerKatja KippingJan KorteCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Martina RennerDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerBirgit WöllertHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über denEntwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgeset-zes auf den Drucksachen 18/838 und 18/997: abgege-bene Stimmen 582. Mit Ja haben gestimmt 54, mit Neinhaben gestimmt 470, Enthaltungen 58. Der Gesetzent-wurf ist abgelehnt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 583;davonja: 55nein: 470enthalten: 58JaDIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeKerstin KassnerKatja KippingJan KorteCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Martina RennerDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerBirgit WöllertHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
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2088 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
(C)
(B)
NeinCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerElisabeth MotschmannCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferRonald PofallaEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleGabriele Schmidt
Patrick SchniederNadine Schön
Dr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael Vietz
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2089
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
(C)
(B)
Volkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderSabine DittmarMartin DörmannSiegmund EhrmannMichaela Engelmeier-HeiteDr. h. c. Gernot ErlerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerDr. Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesEnthaltenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Dr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselDr. Julia VerlindenBeate Walter-Rosenheimer
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2090 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
(C)
(B)
Jetzt hat der Kollege Schiewerling das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe sehr, dass die Zei-
tungsmeldungen von menschenunwürdigen Arbeits- und
Lebensbedingungen von Arbeitnehmern in der Fleisch-
industrie bald ein Ende haben. Da haben wohl einige
Unternehmer und Unternehmen die Liberalisierung des
Arbeitsmarktes, die in den Jahren 2003, 2004 und 2005
erfolgt ist, gründlich missverstanden. Wer glaubt, er
könne mit Arbeitnehmern umgehen wie mit dem
Fleisch, das man verarbeitet, der muss wissen, dass er
nicht nur sich selbst, sondern auch andere Unternehmer
und die Ethik des Unternehmers in höchstem Maße be-
schädigt.
Ich möchte von denen, die dieses machen, nie mehr hö-
ren, dass der Staat zu viel reguliert. Wer so mit Men-
schen umgeht, braucht sich nicht zu wundern, wenn der
Staat eingreift.
Das tun wir mit diesem Gesetz.
Meine Damen und Herren, ich bin sehr betroffen. In
meinem Wahlkreis Coesfeld, im Münsterland, im be-
nachbarten Emsland und im südlichen Oldenburger
Münsterland
konzentrieren sich diese Probleme in massivster Weise.
Sie haben dort Wellen geschlagen und Ausmaße erreicht,
die man nicht für möglich gehalten hätte. Ich freue mich
sehr, dass die Menschen durch den Anblick der Unter-
künfte der Arbeitnehmer, die aus Rumänien und Bulga-
rien gekommen sind, auf die Situation aufmerksam ge-
worden sind und festgestellt haben, unter welch
unwürdigen Bedingungen diese Arbeitnehmer gelebt ha-
ben und leben. Weil man ja nicht hinter die Mauern der
Schlachthöfe schauen konnte, hatte man nur den Blick
dafür, wie die Menschen, die dort arbeiten, leben. Das
hat den – im besten Sinne des Wortes – heiligen Zorn der
Bevölkerung hervorgerufen.
Gott sei Dank haben sich die Gewerkschaft Nahrung-
Genuss-Gaststätten, die in den Regionen, von denen ich
gerade gesprochen habe, aber strukturell zu schwach
aufgestellt ist – das werfe ich ihr nicht vor; es ist leider
so –, und die Kirchen, insbesondere das Bistum Münster,
also die katholische Kirche, mit der Situation befasst,
und im südlichen Oldenburg hat Prälat Kossen mit un-
glaublicher Intensität auf die Missstände aufmerksam
gemacht.
Ich darf darauf hinweisen, welch große Emotionen es
ausgelöst hat, als man ein totes Tier in seinen Briefkas-
ten gesteckt hat, als Hinweis darauf, was ihm passiert,
wenn er so weitermacht. Wissen Sie, bei solchen Ma-
chenschaften sträuben sich einem die Nackenhaare.
Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Das hat mit sozialer
Marktwirtschaft und verantwortungsvollem Unterneh-
mertum nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Deswegen reagieren wir. Wir haben im letzten Jahr
reagiert, indem wir zunächst mit allen Betroffenen gere-
det haben. Die Bundesarbeitsministerin hat sich einge-
schaltet. Franz-Josef Holzenkamp, der Kollege aus Süd-
Oldenburg, wo die Situation besonders eklatant ist, hat
die Betroffenen dazu gebracht, sich an einen Tisch zu
setzen.
Wir haben gesagt: Wir fallen nicht mit allen mögli-
chen gesetzlichen Regelungen ein, sondern wir zwingen
die Arbeitgeber, die Unternehmen, endlich dazu, einen
Arbeitgeberverband zu gründen, damit sie ordentliche
Tarifverträge mit der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-
Gaststätten schließen können. – Sie haben sich erst ge-
sträubt – nicht alle; einige haben sich in besonderer
Weise gesträubt –, aber dann konnten sie nicht mehr an-
ders; der öffentliche Druck war entscheidend. Wir sind
einen ordnungspolitisch sauberen Weg gegangen. Sie ha-
ben einen Arbeitgeberverband gegründet. Sie haben mit
der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten einen
Tarifvertrag geschlossen. Dieser Tarifvertrag – so haben
wir das in dieser Koalition einvernehmlich geklärt –
wird jetzt Gegenstand des Entsendegesetzes. Deswegen
werden in Zukunft die entsandten Arbeitnehmer aus Ru-
mänien, aus Bulgarien, woher auch immer sie kommen,
geschützt sein und zumindest das erhalten, was im Tarif-
vertrag steht.
Herr Schiewerling, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Vogler?
Ja. Kollegen aus dem Münsterland muss man immer
die Möglichkeit geben, profunde Fragen zu stellen.
Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischen-frage oder Zwischenbemerkung zulassen. – Ich komme– Sie haben das schon erwähnt – ebenfalls aus demMünsterland, aus Emsdetten. Da haben wir die Zu-stände, die Sie beschrieben haben, in dem Betrieb vonSprehe. Es gibt sehr viele Menschen, die sich für dasWohl der betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter enga-gieren.Wir sehen noch ein großes Problem, das Sie mit demvorliegenden Gesetzentwurf noch nicht angehen. Ich
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2091
Kathrin Vogler
(C)
(B)
würde Sie gern darauf hinweisen, dass es einen starkenökonomischen Anreiz gibt, einen gesetzlichen Anreiz,Normalarbeitsverhältnisse in diesem Bereich zu vermei-den und auf Werkverträge und Leiharbeit zu setzen. Die-sen Anreiz setzt das Erneuerbare-Energien-Gesetz mitder Möglichkeit für Unternehmen, sich durch einen ho-hen Anteil von Leiharbeit und Werkverträgen von derEEG-Umlage befreien zu lassen. Da sind in den letztenJahren Millionen Euro gespart worden, gerade in derSchlachtbranche. Auf Anfrage der Grünen und auch aufmeine Anfrage hin hat die Bundesregierung das berich-tet.Jetzt haben Sie bestätigt, dass Sie eigentlich nochkeine Pläne dazu haben, genau diesen Punkt bei der Re-form des EEG, die schon in der nächsten Woche im Ka-binett auf der Tagesordnung steht, aufzunehmen. Ichmöchte Sie als Kollegen, der sich in der Materie aus-kennt und der Empathie für die Beschäftigten mitbringt,einfach bitten: Setzen Sie sich in Ihrer Fraktion und inder Regierungskoalition insgesamt bitte dafür ein, dassbei der Reform des EEG diese Regelung, dass Werkver-träge und Leiharbeit dazu dienen können, eine Befreiungvon der EEG-Umlage zu bekommen, gestrichen wird,damit wir auch in dieser Branche wieder ordentliche undsichere Normalarbeitsverhältnisse bekommen.
Frau Kollegin, ich habe Ihnen noch gar nichts bestä-
tigt, sondern ich habe hier vorgetragen, was ist. Ich
nehme die Anregungen, die Sie mit Blick auf das Erneu-
erbare-Energien-Gesetz gegeben haben, zur Kenntnis.
Wir können aber in dem Gesetzgebungsverfahren, um
das es heute geht, nicht alle Dinge regeln.
In diesem Gesetzgebungsverfahren regeln wir zunächst
einmal, dass die Menschen, die aus Rumänien, Bulga-
rien und von sonst wo zu uns kommen, faire Arbeitsbe-
dingungen haben. Wir werden alles tun, dass nicht am
Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik Fairness am
Arbeitsmarkt scheitert.
Alle anderen Fragen, die sich aus volkswirtschaftli-
chen Erwägungen ergeben oder die mit Energie zu tun
haben, müssen anderswo geklärt werden. Dazu werden
wir ganz sicher keine Lex Schlachthöfe machen. In wel-
cher Form das passiert, wird an anderer Stelle zu klären
sein.
Zum vorliegenden Gesetzentwurf lassen Sie mich
noch darauf hinweisen, dass wir in Deutschland ein
funktionierendes, ein, wie ich finde, gut funktionieren-
des, Rechtssystem haben. Wir werden diejenigen, die
Missbrauch betreiben wollen, auch mit diesem Gesetz-
entwurf möglicherweise nicht hindern, Missbrauch zu
betreiben, aber wir bekommen damit die Möglichkeit,
Missbrauch gesetzlich zu ahnden. Ich freue mich sehr,
dass wir im Rahmen des Mindestlohngesetzes, das wir
noch beraten werden, und im Rahmen des vorliegenden
Gesetzes auch die Möglichkeiten des Zolls mit der Fi-
nanzkontrolle Schwarzarbeit deutlich verbessern wer-
den, damit wir dem Missbrauch dann auch auf die Spur
kommen. Dass es funktioniert, sehen wir zum Beispiel in
dem Kreis, aus dem Sie kommen. Da hat die Justiz zuge-
schlagen. Der Unternehmer, der geglaubt hat, sich so
verhalten zu können, sitzt hinter Schloss und Riegel. Er
ist verhaftet und verurteilt worden. Diejenigen aus der
Familie, die glauben, sie könnten das so weitermachen,
werden sich wundern; sie werden sehen, was mit ihnen
passiert.
Ich glaube, dass wir in diesem Punkt ein ordentliches
rechtsstaatliches Verfahren beschreiten. Ich bin sehr
froh, dass das, was wir noch in der letzten Legislaturpe-
riode auf den Weg gebracht haben, jetzt den Weg nimmt,
den wir eingeschlagen haben.
Lassen Sie mich auf folgende Fragen eingehen: Was
heißt es eigentlich, wenn wir diesen Gesetzentwurf ver-
abschieden? Welche Botschaften gehen davon eigentlich
aus? – Wir möchten gerne, dass von der Verabschiedung
dieses Gesetzentwurfs die Botschaft ausgeht, dass wir
für Fairness und für Mindeststandards auf dem Arbeits-
markt sind. Die Arbeitnehmer, die zu uns kommen, sol-
len wissen, dass wir nicht dulden, dass mit ihnen so ver-
fahren wird, wie bisher verfahren wurde. Ich kann die
Unternehmen, die Werkvertragsarbeitnehmer aus ande-
ren Ländern zu uns holen, nur inständig bitten, nicht zu
sagen, sie hätten mit deren Unterbringung und Lebens-
situation nichts zu tun. Vielmehr tragen diese Unterneh-
men Mitverantwortung; sie sollten also ethisch verant-
wortungsvoll handeln. Das sagen wir ihnen gemeinsam.
Ich kann nur darum bitten, dass das, was die Ge-
meinde Sögel im Emsland begonnen hat, andere Ge-
meinden übernehmen, nämlich durch Ortssatzungen und
Ortsstatuten dafür zu sorgen, dass Menschen, die aus an-
deren Ländern zu uns kommen, einen Mindeststandard
an ordnungsgemäßer, menschenwürdiger Unterbrin-
gung haben.
Hier haben die Kommunen Gestaltungsmöglichkeiten.
Das Ganze ist nicht nur eine Frage des Bundesgesetzge-
bers; vielmehr kann man die betreffenden Dinge vor Ort
regeln. Dafür setzen wir uns massiv ein.
Ich bin sehr froh, dass wir die Fleischbranche jetzt ins
Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufnehmen. Froh sind mit
mir alle Landwirte, die mit dem bisherigen Verfahren
nicht einverstanden waren, und alle Menschen, die sich
für die Menschen, mit denen man schlecht umgegangen
ist, engagiert haben. Ich glaube, wir sind auf einem gu-
ten Weg.
Herzlichen Dank.
Nächste Rednerin ist Beate Müller-Gemmeke, Bünd-nis 90/Die Grünen.
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2092 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Unlängst saß ich abends tatsächlicheinmal auf dem Sofa und habe mir als Tatort-Fan eineWiederholung angeschaut, und zwar Schweinegeld. Dageht es um Mord in einem Schlachthof. Dieser Krimiwar nicht nur spannend; er zeigte vor allem eine unsägli-che Realität in Deutschland. Damit ist nun endlichSchluss, zumindest bei den Dumpinglöhnen. Endlichwurde in der Fleischbranche wenigstens ein Mindestlohnvereinbart. Und der wird jetzt auch zügig in das Arbeit-nehmer-Entsendegesetz übernommen. Das haben wirGrüne schon lange gefordert, und deshalb unterstützenwir natürlich den Gesetzentwurf der Bundesregierung.
Auf den ersten Blick scheint es, als ob diese Über-gangsregelung beim Mindestlohn zumindest in dieserBranche die Tarifautonomie stärkt. Schlussendlich wirdsich das aber erst in der Zukunft zeigen. Wenn die Ar-beitgeber der Fleischbranche diesen Mindestlohntarif-vertrag nur auf den Weg gebracht haben, damit sie trotzdes gesetzlichen Mindestlohns noch eine Weile niedrigerentlohnen können, dann wäre diese Ausnahme fatal. DieArbeitgeber müssen die Zeit jetzt natürlich nutzen und inweiter gehende Tarifverhandlungen einsteigen. Natürlichmuss es auch um höhere Löhne gehen. Passiert hiernichts, dann war die Übergangsregelung lediglich einGeschenk an die Branche, und das wäre nicht akzepta-bel.
Neben den niedrigen Löhnen geht es natürlich auchum die Arbeitsbedingungen, und die sind miserabel. InNRW beispielsweise wurden bei zwei Dritteln der kon-trollierten Betriebe massive Arbeitsschutzmängel festge-stellt. Die Arbeitszeiten in der Branche sind katastro-phal: 13 Stunden am Stück am Fließband sind häufigNormalität. Die Gesundheitsvorsorge ist völlig unzurei-chend. Arbeitsunfälle sind an der Tagesordnung, und diefürchterlichen Zustände in den Unterkünften der Be-schäftigten sind ebenfalls bekannt. Daher muss die Ar-beitsministerin auch auf die Arbeitgeber Druck machen,und vor allem muss es effektive Kontrollen geben; dennalle Beschäftigten, auch in der Fleischbranche, habendas Recht auf gute Arbeitsbedingungen.
Was für die Menschen nicht gut ist, schadet auch denTieren. Wenn Bandgeschwindigkeiten aus wirtschaftli-chen Gründen immer schneller werden, dann bleiben nurnoch wenige Sekunden, um ein Tier zu betäuben und inWürde zu töten. Jährlich werden so in Deutschland770 Millionen Tiere geschlachtet, und wegen der enor-men Geschwindigkeit wird eine nicht unbeträchtlicheAnzahl ohne jegliche Betäubung getötet. Auch dieseProbleme muss die Bundesregierung endlich in denBlick nehmen; denn echter Tierschutz sieht anders aus.
Aber jetzt wieder zurück zu den Menschen und zumTatort Schweinegeld. In dem Film wird der Kommissardurch den Betrieb geführt. Er fragt nach den Beschäftig-ten. Die Sekretärin antwortet ganz selbstverständlichund kurz: Das sind nicht unsere Arbeiter. – Genau so istes im echten Leben – es wurde schon angesprochen –:Viele Beschäftigte kommen aus Rumänien oder Bulga-rien, sie arbeiten unter menschenunwürdigen Bedingun-gen, sie schlachten und zerlegen tagtäglich Tiere im Ak-kord. Wenn sie überhaupt einen Arbeitgeber haben, dannarbeiten sie teilweise für dubiose Firmen. Ihr Arbeitsver-hältnis wird getarnt als Werkvertrag. – Auch das ist un-sägliche Realität in Deutschland. Hier muss die Bundes-regierung endlich tätig werden.
Im Koalitionsvertrag steht zwar, dass die Bundesre-gierung gesetzeswidrige Werkverträge verhindern will;bisher sind das aber nur spröde Worte und Pläne für dasnächste Jahr.
Wenn durch zweifelhafte Werkvertragskonstruktionenimmer mehr Firmen auf demselben Betriebsgelände ar-beiten, dann zersplittern die Belegschaften – zulasten derBeschäftigten, der Betriebsräte, der Gewerkschaften.Die Ministerin will die Tarifautonomie stärken. Wenn siedas wirklich ernst meint, dann muss endlich Schluss seinmit diesem Missbrauch von Werkverträgen.
Mein Fazit ist also: Der Mindestlohn in der Fleisch-branche ist richtig und auch wichtig; aber er reicht nichtaus. Notwendig sind bessere Arbeitsbedingungen undauch klare Grenzen für Werkverträge. Notwendig sindvor allem effektive Kontrollen, gerade in dieser Bran-che; Herr Schiewerling, Sie haben es eben ausgeführt.Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die letztlich alleMindestlöhne kontrollieren muss, hat aber schon heutezu wenig Personal, und mehr Personal ist auch nicht ge-plant. Hier muss die Arbeitsministerin beim Finanz-minister endlich klare Kante zeigen; denn ein Mindest-lohn nur auf dem Papier – das wäre nicht akzeptabel.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Es spricht jetzt Bernd Rützel, SPD-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2093
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich
ein kleiner Junge war, gab es einmal im Jahr bei uns zu
Hause ein besonderes Ereignis: Es war Schlachttag. Ein
ortsansässiger Metzger kam vorbei und zerlegte in der
heimischen Waschküche ein Schwein. So war der Bedarf
an Wurst, Schinken und Fleisch für Monate gedeckt.
Seither ist viel passiert: Heute sprechen wir von der
Fleischindustrie, und unser Hunger nach Fleisch wird in-
dustriell gestillt. Aus dem löblichen, ehrsamen Flei-
scherhandwerk ist eine Fleischindustrie entstanden,
die vor allem durch schlechte Arbeitsbedingungen auf
sich aufmerksam machte. Vor allem die Schlachtin-
dustrie hat lange Jahre auf das Geschäftsmodell aus
Werkverträgen und Subunternehmerketten gesetzt.
Für einen Monatslohn von umgerechnet 176 Euro
wurden – auch in meiner Heimat Bayern – Menschen
aus Rumänien durch Subunternehmen beschäftigt. Ich
kritisiere hier in keinster Weise, dass Menschen aus
anderen Ländern bei uns arbeiten. Ich bin für die Ar-
beitnehmerfreizügigkeit – aber zu fairen Bedingun-
gen.
Die Politik hätte auf diese Missstände längst reagie-
ren können. Die Einführung eines flächendeckenden ge-
setzlichen Mindestlohnes hätte für Ordnung in dieser
Branche sorgen können. Deswegen freue ich mich, dass
ich heute an der Einführung eines Mindestlohnes mitar-
beiten kann. Ich habe mich gefreut, dass stellenweise
alle hier – über die Fraktionsgrenzen hinweg – applau-
diert haben. Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg.
Die Branche der fleischverarbeitenden Industrie
schlüpft unter die Decke des Arbeitnehmer-Entsendege-
setzes. Durch die Aufnahme in das Arbeitnehmer-Ent-
sendegesetz sorgen wir dafür, dass der allgemeinver-
bindliche Mindestlohn auch für nicht tarifgebundene
Betriebe gilt.
Der Tarifvertrag zwischen der Arbeitgebervereini-
gung Nahrung und Genuß und der Gewerkschaft Nah-
rung-Genuss-Gaststätten wird für allgemeinverbindlich
erklärt. Dadurch können die Löhne von vielen Tausend
Menschen in der Fleischbranche noch vor Einführung
des gesetzlichen Mindestlohnes am 1. Januar 2015 teils
deutlich erhöht werden – und das unabhängig davon, ob
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in regulärer
Beschäftigung oder in Leiharbeit sind oder ob es sich um
über Werkverträge mit Subunternehmen beschäftigte
Menschen handelt. Allein Letztere sind über 20 000
meist osteuropäische Werkvertragsnehmer, die für Nied-
rigstlöhne arbeiten.
In der deutschen Fleischbranche tätige Menschen sind
damit endlich gleichermaßen gegen die übelsten Formen
des Lohndumpings geschützt. Es geht am 1. Juli 2014
mit 7,75 Euro pro Stunde los. Im Dezember 2014 wer-
den es 8 Euro sein. Ab dem 1. Oktober des nächsten Jah-
res erhöht sich der Mindestlohn auf 8,60 Euro und ab
1. Dezember 2016 auf 8,75 Euro.
Aus drei Gründen freue ich mich heute besonders da-
rüber, dass jetzt auch diejenigen an den Fleischtöpfen
bedacht werden, die in unserem Teil der Welt die
Fleischtöpfe für uns füllen: Es kehrt ein Stück Gerech-
tigkeit ein; die Ausbeutung wird beendet. Es wurde end-
lich ein Mittel gegen die kriminelle Ausnutzung von
Werkverträgen gefunden. Es ist ein deutliches Zeichen
für andere Branchen, und der Mindestlohn wirkt bereits.
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, enden wir
nicht wie Johanna Dark in Die heilige Johanna der
Schlachthöfe von Bertolt Brecht, die den ausgesperrten
Arbeitern auf den Schlachthöfen Chicagos den Glauben
an Gott näherbringen will und am Ende erkennen muss,
dass ihre Hoffnungen auf Gott und die Verhandlungen
mit den Kapitalisten gescheitert sind und dass sie den
Arbeitern, denen sie helfen wollte, nur geschadet hat.
Heute ist ein guter Schlachttag.
Danke schön.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Wilfried Oellers
für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Heute ist ein guter Tag
für die Beseitigung von Missbrauch und ungewünschtenArbeitsbedingungen in Deutschland und ein guter Tagfür die Tarifautonomie in unserem Land.
Mit der Aufnahme der Fleischbranche findet nunmehreine weitere und damit die 14. Branche Einzug ins Arbeit-nehmer-Entsendegesetz. Damit wird ein weiterer bundes-weiter Mindestlohn bzw. Mindeststandard geregelt.Bei Zustimmung zum hier vorliegenden Gesetzent-wurf gilt für die Fleischbranche ab dem 1. Juli 2014 einbundeseinheitlicher Mindestlohn in Höhe von 7,75 Europro Stunde. Nach einer Anhebung des Mindestlohns abdem 1. Dezember 2014 auf 8 Euro und einer weiterenAnhebung ab dem 1. Oktober 2015 auf 8,60 erreicht derMindestlohn ab dem 1. Dezember 2016 einen Betrag inHöhe von 8,75 Euro.
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2094 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Wilfried Oellers
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Durch den am 13. Januar 2014 zwischen den Tarifver-tragsparteien geschlossenen Tarifvertrag wird damit dieim Koalitionsvertrag vereinbarte Mindestlohnhöhe von8,50 Euro mehr als ein Jahr vor dem Stichtag 1. Januar2017, ab dem der bundesweit einheitliche Mindestlohnin Höhe von 8,50 Euro auch für bis dahin noch gültigeanderweitige tarifvertragliche Vereinbarungen geltensoll, überschritten.Die aus dem Gesetzentwurf resultierende Aufnahmedes vereinbarten Tarifvertrags der Fleischindustrie in dasArbeitnehmer-Entsendegesetz hat insbesondere zurFolge, dass die Arbeitnehmer von ausländischen Subun-ternehmern, die in Deutschland arbeiten, ebenfalls diegenannten Mindestlöhne und Mindeststandards zu erhal-ten haben. Damit wird ein zu Recht an den Pranger ge-stellter Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbei-tern aus Osteuropa unterbunden; denn eine solcheAufnahme erfolgt nach dem Arbeitnehmer-Entsendege-setz mit dem Ziel, angemessene Mindestarbeitsbedin-gungen für grenzüberschreitend entsandte und für regel-mäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer zu schaffen und faire und funktionierendeWettbewerbsbedingungen zu gewährleisten. Dies gilt beider Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz füralle Betriebe einer Branche.
Durch den geschilderten Missbrauch geriet nicht nurdie gesamte fleischverarbeitende Branche in Misskredit.Diese negativen Zustände hatten eine gewisse Strahlwir-kung und damit auch Auswirkungen auf das fleischpro-duzierende landwirtschaftliche Gewerbe, das in dieserDiskussion zu Unrecht in einem Atemzug mit derFleischwirtschaft genannt wurde.Mit diesem Tarifvertrag haben es die Tarifvertrags-parteien geschafft, Mindeststandards bundeseinheitlichfestzulegen, um so zukünftig den geschilderten Miss-brauch zu unterbinden.All die genannten Gründe rechtfertigen die Empfeh-lung, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, um den negati-ven Eindrücken der Vergangenheit entgegenzuwirken.
Insbesondere ist bei diesem Gesetzentwurf zu berück-sichtigen, dass es der ausdrückliche Wunsch der Tarif-vertragsparteien ist, den beschlossenen bundeseinheitli-chen Tarifvertrag in das Arbeitnehmer-Entsendegesetzaufzunehmen. Der Gesetzgeber sollte sich diesem aus-drücklichen Wunsch nicht entgegenstellen und damit dieTarifautonomie stärken.Die gewünschte Aufnahme der Fleischbranche in dasArbeitnehmer-Entsendegesetz stellt damit den letztenSchritt eines seit Frühjahr bzw. Sommer 2013 eingeleite-ten Prozesses dar. Sie ist als wesentlicher Erfolg derUnion anzusehen, die sich sehr für den Abschluss einesbundeseinheitlichen Tarifvertrags der Fleischbrancheausgesprochen hat.
Vor allem aber ist diese Aufnahme ein deutlicher Er-folg für die Tarifautonomie. Sie stärkt damit die verfas-sungsrechtlich garantierte Tarifvertragsfreiheit, für diesich die Union stets eingesetzt hat. Dass nunmehr die 14.Branche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufge-nommen wird, ist ein deutliches positives Signal inRichtung Tarifvertragsfreiheit. Diese positive Entwick-lung sollte uns Anlass geben, die Tarifautonomie bei al-len anderen anstehenden Entscheidungen weiter zu stär-ken.
Heute ist ein guter Tag für die Beseitigung von Miss-ständen und für die Tarifautonomie in Deutschland. Las-sen Sie uns weiter daran arbeiten, dass noch viele weiteregute Tage für die Tarifautonomie und gegen Missbrauchin Deutschland folgen werden!Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dennis Rohde,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendege-setzes auf die Fleischwirtschaft steht unmittelbar bevor.Der Weg ist frei, den zu Beginn dieses Jahres ausgehan-delten Mindestlohn für allgemeinverbindlich zu erklä-ren. Damit schieben wir der Ausbeutung von Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmern auch in diesem Bereichendlich einen Riegel vor.
Für uns als Land inmitten Europas ist dabei wichtig,dass die Tarifbedingungen dann auch für Arbeitgebergelten, die ihren Sitz im Ausland haben und die Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer nach Deutschland ent-senden. Als Abgeordneter aus der Region Weser-Emskann ich Ihnen aus Erfahrung sagen, dass dieses Themaein Dauerbrenner ist: allgegenwärtig in den Medien,landauf, landab, Gesprächsrunde für Gesprächsrunde,Diskussionen in den Räten, im Landtag oder in extra ein-gerichteten Arbeitskreisen. Wir haben genau wie die an-deren betroffenen Regionen lange auf den heutigen Taggewartet. Nicht zuletzt dank des Einsatzes von Bundes-arbeitsministerin Nahles und des Abschlusses des Bran-chendialoges im März 2014 können wir sagen: Auch dieFleischindustrie bekommt endlich einen Mindestlohn.
Als Sozialdemokrat sage ich Ihnen: Stundenlöhne vonwenigen Euro zu bezahlen und den Beschäftigten dann
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2095
Dennis Rohde
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noch überzogene Mieten für schmuddelige Gruppenun-terkünfte abzuziehen, ist schamlos und kaltschnäuzig.Das werden wir in diesem Hause nicht weiter hinneh-men.
Denn uns ist doch klar: Solch unverfrorenes Handelnverunglimpft auch die Betriebe, in denen es ordentlichund nach Tarifrecht zugeht. Es verzerrt den Wettbewerbund schädigt unsere Wirtschaft. Damit ist jetzt Schluss.Zusammengefasst geht es also um zwei Dinge: ers-tens um den Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmern vor Dumpinglöhnen, vor Ausbeutung und nichtangemessenen Arbeitsbedingungen und zweitens um dieWiederherstellung von gleichen Wettbewerbsbedingun-gen für unsere Unternehmen. Genau deshalb muss einTarifvertrag für die ganze fleischverarbeitende Industriegelten und nicht nur für die Betriebe, die sich auch ohneGesetz an die guten Sitten halten.
Es zeigt sich heute erneut: Tarifautonomie und ord-nungspolitische Verantwortung harmonieren sehr gutmiteinander und führen gemeinsam zu vernünftigenErgebnissen. Denn es ist parlamentarische Pflicht, nichteinfach alles laufen zu lassen. Wer unter dem Deckman-tel des Mantras „Der Markt wird es schon regeln“ Unge-rechtigkeiten wie bizarr niedrige Löhne kleinredet, derbraucht arbeitsmarktpolitische Nachhilfe. Denn genaudas ist nicht die sozial-marktwirtschaftliche Idee einesfairen Zusammenspiels von Politik, Wirtschaft und Ge-sellschaft.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die GroßeKoalition liefert. Wir bauen keine Luftschlösser. Wirverteilen keine rosaroten Brillen. Wir diskutieren undbeschließen pragmatische Lösungen und räumen syste-matisch das ab, was in den letzten Jahren liegen geblie-ben ist. Es liegt viel vor uns, und das sitzen wir nicht aus,sondern wir packen es an. Es wurde auch Zeit.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner für die CDU/CSU ist
der Kollege Matthäus Strebl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Zum wiederholten Mal beraten wir heuteeinen Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Heute steht die Fleischindustrie inihrer ganzen Vielfalt vom Schlachten bis zur Fleisch-verarbeitung im Mittelpunkt. Von der Aufnahme in dasArbeitnehmer-Entsendegesetz sind über 80 000 Be-schäftigte direkt betroffen. Sie sorgen unter hohen kör-perlichen Belastungen letztlich für unser aller leiblichesWohl, ohne entsprechend entlohnt zu werden.Für bundesweite Empörung sorgte kürzlich, vor etwaeinem Dreivierteljahr, die Südfleisch, als bekannt wurde,dass sie mithilfe von Werkverträgen osteuropäischeArbeitnehmer ausbeutete.
In der Sendung Kontrovers des Bayerischen Fernsehenswurde ausführlich darüber berichtet, dass eine rumäni-sche Frau, die bei Südfleisch beschäftigt war und eigent-lich 1 076 Euro hätte bekommen sollen, mit 170 Euroabgefunden wurde. Sie konnte nicht einmal die Heim-reise bezahlen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, da fehlt derRespekt für geleistete Arbeit. Das ist beschämend, unddeswegen müssen wir darauf reagieren.
Unser Ziel ist es, mit dem Gesetz den Beschäftigtender Fleischindustrie endlich eine vernünftige Bezahlungzu sichern. Wir werden als Gesetzgeber die Beschäftig-ten der Fleischindustrie vor Wildwuchs und Ausbeutungschützen.Lassen Sie mich kurz zurückblicken: Als das Arbeit-nehmer-Entsendegesetz im April 2009 in Kraft trat, ginges um – ich zitiere – „zwingende Arbeitsbedingungen fürgrenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig imInland beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mer“. Damit sollten faire und funktionierende Wett-bewerbsbedingungen gewährleistet werden.Zugleich galt es, sozialversicherungspflichtige Be-schäftigung zu erhalten und die Ordnungs- und Befriedi-gungsfunktion der Tarifautonomie zu wahren. SiebenBranchen waren es, die anfangs in das Verzeichnis desEntsendegesetzes aufgenommen wurden. Inzwischensind – zuletzt im Dezember des vergangenen Jahres mitdem Friseurhandwerk – fünf weitere Branchen hinzuge-kommen.Trotz aller Fortschritte auf diesem Gebiet sind heuteund in Zukunft weitere Ergänzungen und Fortschreibun-gen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes unerlässlich.Das gilt ganz besonders für die Fleischindustrie. Dennwir kommen nicht an der Tatsache vorbei: Aufgrundeiniger schwarzer Schafe ist die gesamte Branche in denvergangenen Jahren zunehmend in Verruf geraten. Dieoffenen Grenzen zu den osteuropäischen Ländern habendazu geführt, dass speziell in der Fleischindustrie – be-sonders in den grenznahen Regionen – massenhaft Miss-brauch mit der Not der Menschen aus diesen Ländernbetrieben wurde und teilweise noch wird.Beispielhaft hierfür steht die Südfleisch, die ich be-reits genannt habe. Dieses Unternehmen hat die Mög-lichkeit genutzt – richtiger ist es, zu sagen: Missbrauchbetrieben –, Werkverträge mit Subunternehmen abzu-schließen, statt die Arbeitnehmer zu fairen Bedingungenselbst anzustellen. Werkverträge sind im Grunde genom-men etwas Gutes. Das aber muss richtig betrieben wer-den, und wenn hier Missbrauch betrieben wird, müssenwir eingreifen.
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2096 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Matthäus Strebl
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Bekannt und leider durchaus keine Ausnahme ist,dass in deutschen Schlachthöfen Arbeitnehmer vor allemaus osteuropäischen Nachbarländern für weniger als200 Euro im Monat schuften und Schwerstarbeit ver-richten müssen. Solchen Erscheinungen wollen undmüssen wir entgegentreten. Deshalb ist die vorliegendeÄnderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes überfäl-lig und unverzichtbar. Das Bundeskabinett hat daher am26. Februar 2014 einen Gesetzentwurf zur Änderung desArbeitnehmer-Entsendegesetzes beschlossen. Erst wenndie Branche im Branchenkatalog des Arbeitnehmer-Ent-sendegesetzes steht, kann der Mindestlohn für allge-meinverbindlich erklärt werden.Erfreulicherweise – das wurde von den Vorrednernschon gesagt – hat die Tarifkommission der Fleischwirt-schaft einen Mindestlohntarifvertrag vereinbart. Das waram 13. Januar dieses Jahres. Das muss man dankenswer-terweise sagen. Die Kollegen haben schon auf die Stei-gerung hingewiesen. Der Stundenlohn soll beginnendbei 7,75 Euro über 8 Euro und 8,60 Euro auf 8,75 Eurosteigen. Das müssen wir jetzt im Arbeitnehmer-Entsen-degesetz aufnehmen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sieuns da herangehen, die Fleischindustrie in den Bran-chenkatalog des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf-nehmen und dazu beitragen, dass ordentliche Löhne ge-zahlt werden.Herzlichen Dank.
Der Kollege Strebl hatte das letzte Wort zu diesem
Tagesordnungspunkt. Deshalb schließe ich hiermit die
Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/910 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta
Haßelmann, Kerstin Andreae, Dr. Thomas
Gambke, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Eine Milliarde Euro Entlastung für Kommu-
nen im Jahr 2014 umsetzen
Drucksache 18/975
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsauschuss
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir beschäftigenuns jetzt in diesem Tagesordnungspunkt mit dem Thema„Entlastung der Kommunen“. Es ist noch nicht so langeher, da hat sich die Große Koalition für ihren Koalitions-vertrag und das im Koalitionsvertrag beschriebeneAusmaß, in dem die Kommunen von SPD und Unionentlastet werden sollen, schon gebührend gefeiert.
Das ist wirklich unbegründet; denn alles, was Sie denKommunen versprochen haben, zum Beispiel die Ein-gliederungshilfe und das Bundesteilhabegesetz, das indieser Legislaturperiode eingeführt werden sollte, undzwar im Interesse der Menschen mit Beeinträchtigun-gen, weil wir uns verpflichtet haben, die UN-Konventionumzusetzen, haben Sie nicht gehalten. Eine Entlastungvon 5 Milliarden Euro, die Sie im Rahmen des Fiskal-paktes mit den Ländern vereinbart haben, soll erst, manhöre und staune, 2018 kommen. Das ist nach der jetzigenLegislaturperiode. Das sage ich insbesondere in Rich-tung der Sozialdemokraten. Warum feiern Sie sich ei-gentlich überall so, dass Sie die Kommunen entlastenund ihnen 5 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiodeversprechen? Ein Blick in den Haushaltsentwurf, überden wir in der nächsten Woche beraten, zeigt aber: DieseEntlastung kommt erst 2018, also nach dieser Legislatur-periode. Versprochen und gebrochen!
Darüber hinaus haben Sie den Kommunen zugesi-chert, bis zum Inkrafttreten eines Bundesteilhabegeset-zes – es ist sicherlich schwierig, ein solches Gesetz aufden Weg zu bringen – übergangsweise 1 Milliarde Eurozur Verfügung zu stellen. Da ich aus Nordrhein-Westfa-len komme, weiß ich, wie Sie sich dafür vor Ort gefeierthaben. Sie haben gesagt, dass die Kommunen imBereich der Bundesleistungsgesetze, für die wir hier inBerlin verantwortlich sind, um 1 Milliarde Euro, die ab2014 zur Verfügung steht, entlastet werden. Ein Blick inden Haushaltsentwurf macht aber deutlich: Auch diesesVersprechen wird nicht gehalten; denn die 1 MilliardeEuro für den Übergang steht erst ab 2015 und nicht, wieSie die Menschen überall glauben gemacht haben, schonab 2014 zur Verfügung. Deshalb haben wir diesen An-trag gestellt. Es ist wichtig, dass Sie seriöse Versprechenmachen, auf die man sich vor Ort verlassen kann.
– Herr Kahrs, im Gegensatz zu Ihnen habe ich das allesgelesen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2097
Britta Haßelmann
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Sie entlasten die Kommunen um 1,1 Milliarden Eurobei der Grundsicherung im Alter. Dieser Schritt wurdezwischen der schwarz-gelben Regierung und den rot-grün regierten Ländern sowie mit unserer Zustimmungin der letzten Legislaturperiode vereinbart. So weit, sogut. Das ist positiv für die Kommunen, weil damit dieGrundsicherung im Alter vom Bund zu 100 Prozentübernommen wird. Der Bund trägt für diese LeistungVerantwortung. Darüber hinaus haben Sie aber denKommunen 1 Milliarde Euro ab 2014 zugesichert.
Zumindest haben Sie das überall, zum Beispiel in Nord-rhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, erzählt. Aber imHaushalt ist diese Milliarde nicht eingestellt. Entwedersagen Sie den Kommunen: „Wir können das nicht finan-zieren“, oder Sie unterlegen dieses Versprechen auch imHaushalt. Darauf zielt unser Antrag ab. Wir wollen, dassSie Ihr Versprechen gegenüber der kommunalen Ebeneeinhalten.
Herr Liebing, zu Ihrer Geschichte, den Kommunengehe es insgesamt so gut
– Herr Brinkhaus, das kann ich Ihnen erklären –, unddort, wo es schlecht laufe, regiere Rot-Grün,
kann ich nur sagen: Mein Gott! Wie peinlich ist dieseAnalyse! Die Kommunen in Nordrhein-Westfalen wur-den seit 2010 – seit diesem Zeitpunkt ist Jürgen RüttgersGott sei Dank nicht mehr im Amt gewesen – um300 Millionen bzw. 393 Millionen Euro pro Jahr entlas-tet. Im Jahr 2014 gibt es eine Finanzausgleichsmasse imUmfang von 9,4 Milliarden Euro. Im Rahmen desStärkungspakts für die Kommunen
werden 4 Milliarden Euro des Landes zwischen 2011und 2020 zur Verfügung gestellt. Dafür hat Rot-Grün inNordrhein-Westfalen gesorgt. In mehreren Konnexitäts-urteilen wird darauf hingewiesen, dass Schwarz-Gelbdie Verpflichtungen gegenüber den Kommunen nichteingehalten hat. Die schwierige Lage gilt auch für an-dere Bundesländer. Man muss nur genau hinschauen.
Sie können sich an dieser Stelle keinen schlanken Fußmit Verweis auf die verbesserte Lage machen. Bundes-weit weisen die Kommunen zwar einen Überschuss von1,1 Milliarden Euro auf. Es gibt aber bei den Kommunenlängst ein Gefälle, eine Zweiklassengesellschaft. DieGesamtverschuldung liegt bei 130 Milliarden Euro. DieKassenkredite belaufen sich auf 47 Milliarden Euro. Diesozialen Kosten der Bundesleistungsgesetze, für die wirhier in Berlin verantwortlich sind – es handelt sich umPflichtaufgaben der Kommunen –, belaufen sich auf45 Milliarden Euro. Dafür kommen im Moment zu gro-ßen Teilen die Kommunen auf. Ich merke, wie sehr dasThema Sie aufregt, und kann nur sagen: Liefern Sie ein-fach! Halten Sie Ihre Versprechen! Das sage ich in Rich-tung der Sozialdemokraten, insbesondere derjenigen ausNordrhein-Westfalen. Ich finde es skandalös, dass IhreA-Länder-Kollegen auf der Finanzministerkonferenz desBundesrates den Antrag von Schleswig-Holstein undBremen, für die 2014er-Lösung einzustehen, abgelehnthaben.
Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der
Kollege Dr. André Berghegger.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte FrauHaßelmann, natürlich sind wir in der Interpretation die-ser Situation unterschiedlicher Meinung.
Der vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen gibt mir die Gelegenheit, deutlich herauszustel-len: CDU und CSU stehen für eine kommunalfreundli-che Politik.
Wir sind verlässliche Partner. Das ist bisher so gewesen,und das wird auch in Zukunft mit der SPD so sein.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen,dass nach unserer Finanzverfassung die Bundesländerdafür verantwortlich sind, die Kommunen finanziell aus-kömmlich auszustatten.
Trotz dieser Aufgabenverteilung stehen wir fest an derSeite der Kommunen und helfen selbstverständlich inbesonderen Situationen. Dazu ein Blick in die jüngereVergangenheit: Seit Übernahme der Regierungsverant-wortung im Jahr 2005 hat die Union die Interessen derKommunen deutlich berücksichtigt. An dieser Stellemöchte ich einige Stichworte erwähnen: Kosten der Un-terkunft und Heizung im Rahmen der Grundsicherungfür Arbeitssuchende, das Steuervereinfachungsgesetz2011, die Beteiligung am Hochschulpakt und an der Ex-zellenzinitiative sowie die Entflechtungsmittel im Rah-men der Verhandlungen über den Fiskalpakt.Ich gehöre dem Hohen Haus zwar erst seit September2013 an und habe damit an den parlamentarischen Ent-scheidungen der Vergangenheit nicht mitgewirkt. Ichglaube aber, dass ich die Situation aus Sicht der Kommu-
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2098 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Dr. André Berghegger
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nen gut beurteilen kann. In den letzten Jahren durfte ichals hauptamtlicher Bürgermeister eines Mittelzentrumsim Landkreis Osnabrück in Niedersachsen daran mitwir-ken, diese kommunalfreundliche Politik umzusetzen undmitzugestalten.
Wir sollten uns immer wieder bewusst machen: Die Län-der und die Kommunen konnten in der vergangenen Le-gislaturperiode die größten finanziellen Entlastungen derGeschichte durch den Bund verzeichnen. Die Regierunghat nicht nur versprochen, Frau Haßelmann, sie hat auchgehandelt. Das schafft Vertrauen.
Zwei wesentliche Punkte möchte ich betonen: zu-nächst die Betreuung der Kinder unter drei Jahren. DerAusbau der Kleinkindbetreuung fällt grundsätzlich in dieZuständigkeit der Länder. Dennoch hat der Bund vor-bildlich tatkräftige Unterstützung geleistet. Dadurchwurde der Krippenausbau flächendeckend erst richtigangestoßen. Jeder von uns kann das im eigenen Wahl-kreis erkennen. Insgesamt 5,4 Milliarden Euro hat derBund für den Ausbau der Kleinkindbetreuung und dieFinanzierung der Betriebskosten bereits in den Jahren2009 bis 2014 bereitgestellt. Ab 2015 kommen noch ein-mal jährlich 845 Millionen Euro für den Betrieb vonKinderkrippen und Tagespflegestellen hinzu. Wir sehenvor Ort, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wirddeutlich gestärkt.Ein weiteres Beispiel ist die Übernahme der Kostenfür die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminde-rung. Hier erkennen wir eine dynamische Entwicklung.Noch im Koalitionsvertrag sind wir bei der Übernahmeder letzten Stufe der Grundsicherung von 1,1 MilliardenEuro ausgegangen. Diese Entlastung beläuft sich derzeitjedoch schon auf 1,6 Milliarden Euro. Die schrittweiseErhöhung der Erstattung der Nettoausgaben bei denKommunen bewirkt eine Entlastung bis 2017 in der Grö-ßenordnung von voraussichtlich über 25,4 MilliardenEuro.Sicherlich ist an dieser Stelle auch die allgemeinewirtschaftliche Entwicklung zu nennen – das ist garkeine Frage –, die wir nach der Finanz- und Wirtschafts-krise verzeichnen. Jedoch sind maßgebliche Rahmenbe-dingungen hierfür durch wachstumsfreundliche Ent-scheidungen auf Bundesebene gesetzt worden. Zwarlässt sich die Wirkung nicht quantifizieren, doch ohneZweifel sind auch die Kommunen an dieser positivenkonjunkturellen Entwicklung beteiligt.Die Kommunen profitieren neben der Gesamtheit derLänder auch von der positiven Einnahmeentwicklung,den Entlastungen durch den Bund und den günstigen Fi-nanzierungsbedingungen. Insgesamt konnten die Kom-munen ihre Steuereinnahmen um rund 20 MilliardenEuro gegenüber der Zeit vor der Finanz- und Wirt-schaftskrise steigern. Die Zinszahlungen gingen im sel-ben Zeitraum erheblich zurück. Insgesamt erzielten dieKommunen im Jahr 2012 einen Finanzierungsüber-schuss von 1,8 Milliarden Euro.Natürlich gibt es weiterhin große Unterschiede beiden Kommunen. Jede Kommune ist anders, und es gibtvielfältige Ursachen für die jeweilige Situation. Wir sindjedoch in unserem bewährten Föderalismus in der Viel-falt geeint. Das zeichnet uns aus, und das ist richtig so.Es muss weiter Anreize für eigene Konsolidierungsbe-mühungen geben, ohne dass wir die finanziell schwäche-ren Kommunen aus den Augen verlieren.Insgesamt werden die Kommunen durch den Wettbe-werb stärker.Die Politik der Bundesregierung, eine angemesseneFinanzausstattung der föderalen Ebenen zu sichern, trägterste Früchte. Die Bundesländer sind jedoch weiter ge-fordert, ihre Verantwortung für eine auskömmliche Fi-nanzausstattung der Kommunen zu übernehmen.
Zu betonen ist nämlich, dass zu einem funktionierendenföderalen System ebenso gehört, dass der Bund selbstüber eine angemessene Finanzausstattung verfügt.Aus dem Koalitionsvertrag in seiner Gesamtheit lässtsich Folgendes erkennen: Die Kommunen werden von2015 bis 2017 jeweils um 1 Milliarde Euro entlastet, be-vor eine Entlastung im Rahmen des Bundesteilhabege-setzes in Höhe von 5 Milliarden Euro erfolgt. DieseMaßnahmen sind gegenfinanziert. Darauf hat sich dieKoalition unter Abwägung aller Umstände verständigt.Die im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen geforderteSumme von 1 Milliarde Euro bereits im Jahr 2014 ist ausSicht der Kommunen zwar wünschenswert – da schlägtmein kommunales Herz –, aber leider nicht zu finanzie-ren, da keine Spielräume erkennbar sind. Einen entspre-chenden Gegenfinanzierungsvorschlag habe ich IhremAntrag nicht entnehmen können. Das wäre ein unge-deckter Wechsel auf die Zukunft.
Das geht so nicht. Vielmehr muss die Maxime gelten:mit dem Einkommen auskommen! Dabei sind wir auf ei-nem guten Weg. Gleichwohl werden wir unsere kommu-nalfreundliche Politik fortsetzen. Hierzu sind im Koali-tionsvertrag weitere Maßnahmen zugunsten derKommunen vereinbart. Dazu zählen etwa die Aufsto-ckung der Städtebauförderung, der Ausbau der Breit-bandversorgung oder die Verbesserung des Hochwasser-schutzes. Der Koalitionsvertrag zeigt deutlich, dass dieKommunalinteressen bei dieser Bundesregierung in gu-ten Händen sind.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Kollege Dr. Berghegger, das war Ihre ersteRede. Ich gratuliere Ihnen herzlich dazu und wünscheIhnen viele weitere Reden im Hohen Hause.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2099
Vizepräsident Johannes Singhammer
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Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kolle-gin Kerstin Kassner, Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Kol-
legen herzlichen Glückwunsch zu seiner ersten Rede!
Die Botschaft, dass die Kommunen von der neuen Bun-
desregierung gut versorgt werden, höre ich wohl, allein
mir fehlt der Glaube.
Ich habe in meiner Funktion als Landrätin auf Rügen in
zehn Jahren sehr wohl erlebt, dass da Anspruch und
Wirklichkeit auseinanderdriften. Zuallererst Glück-
wunsch an die Kollegen von den Grünen, dass sie es ge-
schafft haben, hier einen Antrag vorzulegen, zu dem wir
uns äußern können, um die Situation hier klar und deut-
lich zu beschreiben und sie zu verändern.
Die Situation der Kommunen ist nach wie vor be-
denklich, und wir haben die Pflicht, hier darüber zu re-
den.
Herr Rehberg, trotz Ihres heutigen Geburtstages: Es
ist mir in meiner Zeit als Landrätin gelungen, ein Defizit
von 8 Millionen Euro im Haushalt des Landkreises Rü-
gen auf null zu reduzieren. Das muss erst einmal nachge-
macht werden.
Ich habe mir einmal angesehen, wie die Situation in
Mecklenburg-Vorpommern ist. Auch dafür trägt Herr
Rehberg Mitverantwortung.
In den letzten 20 Jahren gab es 12 defizitäre Jahre für
die Landkreise, nur 8 waren positiv. Am Ende steht
heute, mit Abschluss des Jahres 2013, für die Kommu-
nen ein Defizit von 412,4 Millionen Euro. Es ist also fast
eine halbe Milliarde Euro, die die Landkreise in Meck-
lenburg-Vorpommern quält. Das kann keine gute Bilanz
sein.
Die Sozialausgaben, Herr Rehberg, sind von 1995, als
alle Landkreise 618 Millionen Euro aufbringen mussten,
auf im Jahre 2013 mittlerweile 1,302 Milliarden Euro
gestiegen, haben sich also mehr als verdoppelt. Eine
ganz kräftige Zäsur war dabei die Einführung des Hartz-
IV-Gesetzes. In diesem Zusammenhang hat ein exorbi-
tanter Anstieg stattgefunden.
Ich will es mit Zahlen aus meinem Haushalt auf Rü-
gen untersetzen:
Damals, bis zum Jahre 2004, hatten wir im Kreis Rügen
5 Millionen Euro für Sozialausgaben aufzubringen. Für
die Kosten der Unterkunft hatten wir dann von einem
Jahr zum nächsten 18 Millionen Euro aufzubringen. Ein
Teil wurde vom Bund gegenfinanziert, aber am Ende
mussten wir 15 Millionen Euro aus unserer Kasse auf-
bringen. Und wie es so ist: Der Kreis kann die Ausgaben
nur über die Kreisumlage refinanzieren. Das heißt, dass
wir allen Kommunen auf der Insel in die Tasche greifen
mussten. Ich denke, das muss der Bund verhindern. Des-
halb ist mein Appell an Sie als Verantwortliche in der
Großen Koalition: Prüfen Sie jedes Ihrer Vorhaben auf
seine Auswirkungen auf die Kommunen.
Dabei ist es nicht so einfach, eine mögliche Relevanz
für die Kommunen darzustellen. Denn oft ist es so, dass
sich ein Vorhaben im Durchschnitt zwar positiv auf die
Kommunen auswirkt; aber dasselbe Vorhaben kann für
die Gemeinden und die Landkreise, in denen die wirt-
schaftliche Konjunktur nach wie vor schwach ist, die so-
zialen Belastungen hoch sind, die Arbeitslosigkeit im-
mer noch annähernd bei 20 Prozent liegt und sehr viele
Menschen Leistungen im Rahmen der Grundsicherung
im Alter – Gott sei Dank hat jetzt der Bund diese Kosten
übernommen –, aber auch ergänzende Leistungen vom
Sozialamt oder vom Jobcenter erhalten, eine richtig
harte Zäsur bedeuten. Oft können sie sich ein Vorhaben
nicht leisten und müssen die entsprechenden Aufwen-
dungen über Kassenkredite finanzieren.
Ich will es ganz deutlich sagen: Wir haben in unserer
Fraktion einen Kommunal-TÜV eingeführt; jedes Vor-
haben, das wir auf den Weg bringen, wird auf seine Aus-
wirkungen auf die Kommunen hin untersucht. Das er-
warte ich, bitte schön, auch von der Großen Koalition.
Also: Hände weg von den Kommunen!
Danke schön.
Vielen Dank, Frau Kassner. – Nächster Redner ist für
die SPD der Kollege Bernhard Daldrup.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Berghegger, zunächst herzlichen Glückwunsch zuIhrer ersten Rede! Wie Sie wissen, rede auch ich für dieKoalition, wenn auch vielleicht nicht mit demselben Op-timismus, obwohl es in der Sache in die gleiche Rich-tung geht.Ich möchte vorweg eine Bemerkung machen. Ich be-grüße es sehr, dass die Grünen eine solche Gelegenheitschaffen, über die Lage der Kommunen zu reden; das istin der Tat gut.
Aber ich will Frau Haßelmann doch auch fragen: WennSie der Meinung sind, dass die Mittel für die Eingliede-
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Bernhard Daldrup
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rungshilfe in Höhe von 5 Milliarden Euro früher bereit-gestellt werden müssen, warum beantragen Sie es dannnicht?
In Ihrem Antrag ist nur von 1 Milliarde Euro die Rede;der Rest steht lediglich in der Begründung.
– Ich frage Sie ja nur, warum Sie es nicht beantragen.Wenn Sie der Meinung sind, dass es richtig ist, dies frü-her zu tun, sollten Sie am besten einen Deckungsvor-schlag unterbreiten.
Ich will sagen: Die Beschreibung der Situation derKommunen, die Sie abgeben, ist für viele Kommunentatsächlich zutreffend. Der Finanzierungssaldo liegt, wasdie Kommunen angeht, insgesamt im Plus, und zwar bei1,1 Milliarden Euro. Das verdeckt jedenfalls ein Stückweit die Realität. Der Anstieg der Kassenkredite auf48 Milliarden Euro ist trotz höherer Steuereinnahmendramatisch. Die Gesamtverschuldung schreitet voran.Die Sozialausgaben der Kommunen sind bundesweit auf46 Milliarden Euro gewachsen. Das ist schon eine dra-matische Situation. Die Investitionstätigkeit der Kom-munen ist mittlerweile auf das Niveau der 90er-Jahre zu-rückgefallen. Das heißt mit anderen Worten, nüchternund ohne jede Schuldzuweisung festgestellt: Die Kom-munen fahren in Deutschland auf Verschleiß. Das führtzu einem Substanzverlust, der auch den Wirtschafts-standort Deutschland insgesamt beeinträchtigt. Daraufmüssen wir uns konzentrieren.
Die erste Feststellung ist also: Trotz wachsender Steuer-einnahmen, höherer Beschäftigung und niedrigerer Zin-sen können viele Kommunen die ihnen übertragenenAufgaben nicht finanzieren. Das ist durchaus ein Alarm-zeichen.Wenn man die Lage etwas differenzierter betrachtet,dann erkennt man, dass die Dramatik eher zunimmt. Esgibt zwar selbstverständlich viele gesunde, lebenswerteStädte, Gemeinden und Landkreise in Deutschland– keine Frage! –, aber ihnen steht eine größere Zahl vonStädten, Gemeinden und Landkreisen gegenüber, die je-des Jahr tiefer in den Strudel der Verschuldung geraten.Diese Situation, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist we-der auf ein Bundesland noch auf eine Gemeindegrößen-klasse beschränkt.
– Pirmasens liegt doch nicht in Nordrhein-Westfalen,Kaiserslautern liegt doch nicht in Nordrhein-Westfalen.Ich kann Ihnen reihenweise Beispiele aufzählen. FallenSie doch nicht immer in die alten Muster zurück!
Ich beschreibe erst einmal nur eine Situation und weisegar keine Schuld zu. Ich sage ganz im Gegenteil: Ohnedie Unterstützung des Bundes würde diese Schere weiterauseinandergehen. Das hat diese Koalition erkannt, undsie wird etwas dagegen tun. Das heißt mit anderen Wor-ten: Wir stehen mit Blick auf das ganze Land vor einerHerausforderung. Bei dieser Gelegenheit sei mir die Be-merkung gestattet: Ja, unsere Banken sind systemrele-vant, aber unsere Kommunen sind es auch.
Kollege Daldrup, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Kurth?
Wenn ich das kann? – Ich habe das noch nie gemacht,
ich rede hier ja nicht so oft.
Bitte schön.
Ich hoffe, dass Sie das können. – Sie haben die Lage,
ähnlich wie Frau Haßelmann, richtig analysiert und ge-
sagt, die Bundesregierung würde etwas tun. Aber warum
tun Sie nicht das, was Sie im Koalitionsvertrag niederge-
schrieben haben bzw. was Sie insbesondere Ihre Partei-
freunde in den Kommunen in Nordrhein-Westfalen glau-
ben machen?
Im Januar waren die Bürgermeisterinnen und Bürger-
meister sowie die Landräte des Ruhrgebiets von CDU
und SPD hier in Berlin und haben mit den Bundestagsab-
geordneten des Ruhrgebiets, und zwar aller Fraktionen,
den Austausch gesucht. Sie haben unmissverständlich zu
erkennen gegeben, dass sie auf die Zusagen gebaut haben,
dass zumindest innerhalb dieser Legislaturperiode mit der
geplanten Entlastung der Kommunen in Höhe von 5 Mil-
liarden Euro begonnen wird und dass sie bereits ab 2014
jedes Jahr um 1 Milliarde Euro entlastet werden.
Könnte es sein, dass Sie in der Phase, als Sie, speziell
in der SPD, die Zustimmung für Ihren Koalitionsvertrag
brauchten, bewusst die eigenen Parteigänger in den struk-
turschwachen Kommunen in NRW und im Ruhrgebiet in
dem Glauben gelassen haben, die Entlastung käme – sonst
hätten sich die Bürgermeister ja nicht so geäußert –, und
dass Sie sie mit der Veröffentlichung der mittelfristigen
Finanzplanung jetzt im Endeffekt hinters Licht geführt
haben?
Wissen Sie, ich bin seit elf Jahren Landesgeschäfts-führer der SGK in Nordrhein-Westfalen. Wir sind zu-ständig für 9 000 ehrenamtliche und hauptamtlicheKommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker. Ichglaube, ich kenne die Situation in Nordrhein-Westfalenganz gut.
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Bernhard Daldrup
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Ich kenne die Forderungen, ich habe sie zu einem gro-ßen Teil mit formuliert. Ich kenne die Auseinanderset-zungen, ich bin bei den Gesprächen dabei gewesen. Ichsage Ihnen ganz offen: Stärker als bei jeder Bundestags-wahl zuvor haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, dieSituation der Kommunen durch mehr Investitionen indie Infrastruktur zu verbessern. Zum gegenwärtigenZeitpunkt passiert das im Bereich der Städtebauförde-rung durch mehr unmittelbare finanzielle Entlastung,und zwar sowohl 2014 und 2015 als auch 2016.
Wir werden relativ schnell mit der Umsetzung desBundesleistungsgesetzes beginnen. Man kann es nichtübers Knie brechen, aber wir werden diese Zielsetzungverfolgen. Insofern gebe ich Ihnen von vorne bis hintennicht recht; denn wir sind ehrlich mit unseren eigenenLeuten umgegangen.
Ich will darauf aufmerksam machen – das knüpft anIhre Ausführungen an –, dass die Kommunen trotz In-vestitionsverzicht, trotz dramatischer Einsparungen beiden Personalkosten – wenn Sie die Antwort der Bundes-regierung auf eine Anfrage der Linken lesen, werden Siesehen, dass die Kommunen deutlich mehr Personal ein-gespart haben als etwa der Bund und erst recht als dieLänder –, trotz hoher lokaler Steuern und Gebührennicht in der Lage sind, ihre Haushalte auszugleichen,weil die Dynamik der Sozialausgaben sehr viel dramati-scher ist. Das ist der Grund, warum wir von einer Ver-geblichkeitsfalle reden: nicht, weil wir anklagen, son-dern weil die Schere, die immer weiter auseinandergeht,nicht zu schließen ist. Deswegen brauchen wir hier kon-krete Konzepte.Ich will das Thema „klebende Finger der Länder“aufgreifen. Wir alle wissen, dass es so etwas gibt. Wennneun Bundesländer in der Bundesrepublik Deutschlandjedoch mittlerweile Finanzierungsprogramme für struk-turschwache Kommunen im eigenen Land mit eigenenMitteln ausstatten, dann kann man das so nicht einfachstehen lassen. Da das Schwarze-Peter-Spiel auf Dauernicht weiterhilft, müssen wir uns den Ursachen zuwen-den.
Jetzt komme ich zum Thema Sozialausgaben. Es gehthier nicht nur um die Eingliederungshilfe, aber ich spre-che sie an, weil sie mit Abstand die größte Dynamik auf-weist. Von 1991 bis 2011, also seit 20 Jahren, wächst dieZahl derjenigen, die Eingliederungshilfe in Anspruchnehmen von 324 000 auf 790 000 Personen. Die Auf-wendungen sind in 20 Jahren von 4,1 Milliarden Euroauf 14,4 Milliarden Euro gestiegen. Das war 2011, HerrKauder. Im Moment sind wir bei 16 Milliarden. DieKosten werden in neun Bundesländern der Bundesrepu-blik Deutschland, die etwa 60 Millionen Menschen re-präsentieren, allein von den Kommunen finanziert.Diese Situation ist schlicht und ergreifend so nicht trag-bar.
Was müssen wir tun? In Bezug auf die Eingliede-rungshilfe müssen wir aus der Fürsorgeaufgabe der 60er-Jahre eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe machen, erstrecht vor dem Hintergrund der Behindertenrechtskon-vention, die wir gestalten wollen. „Gestalten wollen“heißt nicht, die Angelegenheit auf dem Rücken der Be-troffenen auszutragen. Dieses Thema werden wir ange-hen. Das ist aber eine Aufgabe, die Zeit braucht.
In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen,dass es ein Ergebnis der Verhandlungen zwischen Bundund Ländern war, dass die Kosten der Grundsicherungim Alter vollständig vom Bund übernommen werden.Ohne die SPD wäre das im Vermittlungsverfahren nichtgelungen. Folgerichtig ist, dass die damit verbundenedritte Stufe der Entlastung in Höhe von 1,1 Milliar-den Euro im Koalitionsvertrag für 2014 aufgenommenworden ist. Da stehen diese 1,1 Milliarden Euro drin.Das ist nicht die zusätzliche Milliarde, die Sie, FrauHaßelmann, fordern. Ich will an dieser Stelle aber daraufhinweisen, dass diese zusätzliche Milliarde nicht einmalder Bundesrat fordert. Auch das von Grün-Rot regierteBaden-Württemberg fordert das nicht.Der Ausbau dieser Finanzierungsmaßnahmen ist,glaube ich, nachvollziehbar – eben ist schon einmal da-rauf aufmerksam gemacht worden; ich habe es auchschon gesagt –: Die Fortsetzung der Zahlung der Ent-flechtungsmittel, steuer- oder bildungspolitische Ent-scheidungen, Aufstockung der Mittel für die Städte-bauförderung auf 700 Millionen Euro und dieEinführung des Mindestlohns – das will ich an dieserStelle einmal sagen –, die die Kommunen vermutlich umeinen dreistelligen Millionenbetrag entlasten wird, weildie Zahl der Aufstocker deutlich zurückgehen wird, dasalles sind konkrete Entlastungen der Kommunen, für diediese Koalition steht.
Auf dieser Linie liegt auch die finanzielle Entlastungder Kommunen durch ein modernes Teilhaberecht. Esgeht nicht einfach nur um mehr Geld, sondern es gehtum ein Teilhaberecht, das die bestehende Ausgabendy-namik bremst und keine neue schafft. Daran soll sich derBund aus gesamtgesellschaftlicher Verantwortung he-raus beteiligen. Wir unterstützen deswegen die Bundes-sozialministerin in ihrem Vorhaben, dieses Gesetz imJahre 2016 dem Parlament zur Beschlussfassung vorzu-legen.
Herr Kollege Daldrup, Sie denken an die vereinbarteRedezeit?
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Selbstverständlich. Ich bin letztes Mal dafür gelobt
worden, dass ich sie eingehalten habe. Ich dachte, dass
ich einen kleinen Bonus hätte.
Ich will zum Schluss kommen. Was ist die Perspek-
tive des Bundesleistungsgesetzes? 2015 bzw. 2016
kommt die Milliarde; darauf ist hingewiesen worden.
Möglicherweise können wir uns hinsichtlich der KdU
verständigen. Das wäre durchaus wünschenswert und
angesichts der sozialpolitischen Herausforderungen ver-
nünftig.
Ich will darauf aufmerksam machen, dass die Koali-
tion die Kommunen an der Gestaltung der zukünftigen
Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern beteili-
gen will. Auch diesbezüglich werden die Kommunen
also dabei sein.
Eine letzte Bemerkung: Sie sehen, diese Koalition
macht die finanzielle Stärkung der Kommunen zu einem
Kernanliegen dieser Bundesregierung.
Für uns sind die Kommunen kein Kellergeschoss der
Demokratie. Für uns sind sie der Nukleus guter Lebens-
qualität. Die Sicherstellung der finanziellen Zukunftsfä-
higkeit der Kommunen ist deshalb ein Ziel, das wir mit
Entschiedenheit verfolgen werden.
Herzlichen Dank.
Jetzt spricht der Kollege Alois Karl für die CDU/
CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Im Mai sind in Nordrhein-WestfalenKommunalwahlen, und im April stellen die Grünen ei-nen Antrag, die Kommunen um 1 Milliarde Euro zu ent-lasten.
Ein Schelm, der Übles dabei denkt.Viele von uns sind auch Kommunalpolitiker. Wir wis-sen, dass es strukturschwache Gegenden schon immergegeben hat, strukturstarke übrigens auch. Struktur-schwäche, meine lieben Kollegen von den Grünen, dieSie den Antrag gestellt haben, ist nichts Gottgegebenes,ist etwas anderes als eine von den zehn Plagen, von de-nen das Alte Testament spricht, die über Ägypten ge-kommen sind, weil man sich dem Willen Gottes wider-setzt hat. Die Strukturschwäche, von der Sie reden, istkein dauerhafter Schicksalsschlag. Dieses Argumentnutzt sich mit der Zeit ab. Sie meinen, indem wir 1 Mil-liarde Euro über den Tisch schieben, könnten wir dieProbleme, die Sie in Ihrem Antrag angesprochen haben,lösen. Mitnichten ist das der Fall. Sie gaukeln den Leu-ten vor, dass man mit dem Herüberschieben eines Pake-tes mit 1 Milliarde Euro die Probleme, die Sie angespro-chen haben, lösen könnte. Mit nachhaltiger Politik, liebeFrau Haßelmann, hat das nichts, aber auch gar nichts zutun, mit Populismus schon eher.
Mir ist bei den Gedanken, die ich mir zu dieser Redegemacht habe, auch Bundeskanzler Helmut Kohl in denSinn gekommen, der von blühenden Landschaften ge-sprochen hat. In der Tat: In vielen Gegenden unseresLandes, in Sachsen, in Thüringen, in manchen anderenBundesländern auch und in meinem Bundesland Bayernsowieso, können wir von blühenden Landschaften spre-chen,
aber nur deshalb, weil sich Strukturen geändert haben.Seit Jahren haben wir uns darangemacht, Strukturen zuverbessern.
– Mein Guter, im Jahr 1957 ist das Saarland das elfteBundesland geworden. – Bayern lag damals mit Abstandstrukturpolitisch, finanzpolitisch und wirtschaftspoli-tisch auf dem letzten Platz. Heute befinden wir uns beiallen Rankings an erster oder zweiter Stelle,
und zwar nur deshalb, weil damals der Mut vorhandenwar, alte Strukturen zu verändern.Strukturschwäche hat damit zu tun, dass manche Ge-genden nicht wettbewerbsfähig sind. „Nicht wettbe-werbsfähig“ heißt: Unternehmungen und Unternehmersiedeln sich nicht an, Arbeitsplätze werden nicht ge-schaffen, die Arbeitslosigkeit steigt, Sozialabgaben ge-hen nicht ein, Steuern werden nicht gezahlt, die kommu-nalen Haushalte erleiden Defizite und müssen dies mitSchulden ausgleichen. Das beraubt auch die nächste Ge-neration der Freiheit. Unsere nächste Generation hatnicht mehr die Freiheit, ordentlich Kommunalpolitik zubetreiben, wenn sie einen großen Teil des Haushaltes fürden Schuldendienst aufbringen muss. Das ist der eigent-liche große Skandal: dass wir häufig verschuldete Haus-halte vorfinden.
Heute ist schon ein paar Mal angesprochen worden, dassdie Kommunen insgesamt gesehen im letzten Jahr 1,1 Mil-liarden Euro Überschuss erzielt haben – so steht es auch inIhrem Antrag –, während der Bund 22 Milliarden Euro De-
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Alois Karl
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fizit gemacht hat. Wir haben ein Defizit von 22 MilliardenEuro und sollen 1 Milliarde Euro zusätzlich zahlen. Alleindaran erkennen Sie schon, dass das so nicht geht.Die Schulden sind ungleich verteilt; auch das istschon gesagt worden. Natürlich gibt es in Deutschlandzusammengerechnet etwa 130 Milliarden Euro Schuldenbei den Kommunen, etwa 47, 48 Milliarden Euro Kas-senkredite. Wenn wir uns das anschauen, sehen wir, dassdie Schulden in der Tat ungleich verteilt sind. Etwa dieHälfte der gesamten Kassenkredite, etwa 24 MilliardenEuro, konzentrieren sich auf lediglich 27 Städte, 16 da-von in Nordrhein-Westfalen.
Ein Viertel dieser Kassenkredite, etwa 12 MilliardenEuro, konzentrieren sich auf lediglich acht Städte, siebendavon in Nordrhein-Westfalen. Ich muss Sie, liebe FrauHaßelmann, fragen: Gibt es Ihnen nicht zu denken, dasssich an diesen desaströsen Verhältnissen, die Sie selberin Ihrem Antrag beschreiben, auch in der Zeit, in der Siein Nordrhein-Westfalen an der Regierung mitwirken,bisher nichts, aber auch gar nichts zum Besseren gewen-det hat? Diese Frage müssen wir Ihnen direkt stellen.
Wenn Sie meinen, die Probleme dadurch lösen zukönnen, dass 1 Milliarde Euro über den Tisch gehen– es geht darum, sozusagen eine schnelle Mark zumachen –, dann meine ich, machen Sie sich so, wieSie das ausgedrückt haben, einen schlanken Fuß. Dagehen Ihnen sehr schnell die Argumente aus.Auf die Finanzverfassung möchte ich nicht näher ein-gehen; das hat Kollege Berghegger vorhin schon getan.Dennoch sei gesagt, dass wir in dem Jahrzehnt leben, indem die Kommunen mehr entlastet werden als jemalszuvor. Wenn Sie die Kosten für die Grundsicherung, dieBeiträge für den Ausbau der U-3-Betreuungsplätze, dieKdU, die Städtebauförderung, die Eingliederungshilfeusw. zusammenrechnen, kommen Sie auf einen Betragvon weit mehr als 150 Milliarden Euro. Dieses Geldwird in diesem Jahrzehnt von Bundesseite auf die Seiteder Kommunen geschoben. Das ist eine großartige Leis-tung, die wir erbringen, obwohl wir unseren Haushaltsanieren.Unsere Aufgabe ist es auch, für solide Finanzen imBund zu sorgen. Wir haben versprochen – wir werdendas machen und das Versprechen einhalten –, ab demnächsten Jahr, ab 2015, keine neuen Schulden zu ma-chen. Auch das ist ein großartiger Beitrag zugunsten derKommunen.In Wahrheit würden wir mit Ihren Vorschlägen nichtein einziges Problem lösen. Ich appelliere an Ihre Weit-sicht und Ihre Ernsthaftigkeit: Unterstützen Sie unsereFinanzpolitik! Sie ist nämlich auf eine langfristige Soli-dität ausgerichtet. Sie ist auf Dauerhaftigkeit ausgerich-tet und darauf, dass wir nicht mehr Geld ausgeben wol-len, als wir einnehmen. Das ist nachhaltig. FrauHaßelmann, so geht Politik. Ihr Antrag geht in die ver-kehrte Richtung. Aus dem Grunde lehnen wir ihn ab.Vielen herzlichen Dank.
Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen
Johannes Kahrs, SPD, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Bevor ich mich zu dem äußere, was der Kol-
lege Karl gesagt hat, möchte ich eingedenk des guten
Verhältnisses innerhalb unserer Koalition dem Kollegen
Eckhardt Rehberg zum 60. Geburtstag gratulieren.
Lieber Ecki, wir werden dich nachher noch angemessen
feiern.
Nachdem ich jetzt sehr viel positives Kapital aufge-
baut habe,
werde ich einen Teil davon wieder aufbrauchen. Der
Kollege Karl hat ja eben gesagt, dass man Strukturen än-
dern muss. Das ist richtig. Aber dafür braucht man Hilfe.
Bestes Beispiel: Bayern.
Die sozialdemokratisch regierten Länder Hamburg,
Bremen, Nordrhein-Westfalen und Saarland haben in
den zurückliegenden Jahrzehnten viel Geld in Bayern in-
vestiert, um den Strukturwandel, der in Bayern statt-
gefunden hat, zu unterstützen.
Das heißt, ein Großteil der Republik war solidarisch und
hat geholfen, damit in Bayern auch Gegenden, die es
schwer haben, die Chance bekommen, sich etwas auf-
zubauen, das heute Früchte trägt. Das ist übrigens auch
gut so.
Herr Kollege Kahrs, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollege Karl?
Aber selbstverständlich, ich schätze ihn ja sehr.
Lieber Kollege Kahrs, wir schätzen uns beide. „k. undk.“ kann man fast sagen – aber ich meine nicht die Mon-archie.
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2104 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Alois Karl
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Das Thema Länderfinanzausgleich habe ich bewusstnicht angesprochen, weil ich niemandem zu sehr auf dieFüße treten und auch nicht zu beweihräuchernd wirkenwollte. Sie hätten die Gelegenheit gehabt, zu schweigen.Sie haben das leider nicht gemacht.
Darum möchte ich der Wahrheit ein wenig Geltung ver-schaffen. Wir haben in Bayern in der Tat über 38 Jahre – –
Herr Kollege Karl, das ist eine Zwischenfrage.
Sie sollten Ihre Bemerkung also in eine Frage kleiden.
Herr Präsident, lassen Sie meiner Frage einen gewis-
sen Anlauf.
Wir sind sehr dankbar, dass Bayern als strukturschwa-
ches Land – ich habe das ausgeführt – über 38 Jahre
hinweg Mittel im Rahmen des Länderfinanzausgleichs
erhalten hat, lieber Kollege Kahrs, nämlich insgesamt
3,4 Milliarden Euro. Aber seit dem Jahr 2001, also die
letzten 13 Jahre, zahlt Bayern Geld zurück – Bayern ist
das einzige Land, das von einem Nehmerland zu einem
Geberland geworden ist –, bisher bereits einen Betrag in
Höhe von 46 Milliarden Euro.
Wir haben im Jahr 2013 4,3 Milliarden Euro gezahlt.
Ich glaube schon, dass das ein gutes Beispiel dafür ist,
dass ein Land von einem strukturschwachen zu einem
strukturstarken Land und sogar zu einem Geberland wer-
den kann.
Meinen Sie nicht, lieber Herr Kollege Kahrs – das ist
meine Frage –, dass das auch für andere Länder ein
durchaus gutes Beispiel sein kann?
Herr Kollege, nach den Spielregeln des Hauses müs-sen Sie stehen bleiben, während ich Ihre Frage beant-worte.
In der Sache haben Sie selbstverständlich recht.
– Hat er. – Natürlich ist es so: Wenn es einem Landschlecht geht, wie es Bayern schlecht gegangen ist, esdie Solidarität des Bundes erhält, man also hilft und ausdem Land etwas Anständiges wird, dann ist das einegute Sache. Ich finde, dass Sie da recht haben, und ichglaube, dass wir diese Chance auch anderen Ländern ge-ben sollten.Im Kern ist es doch so: Wenn das Prinzip, dass Hilfefunktionieren kann, richtig ist und es nicht gottgegebenist, dass es denen, denen es schlecht geht, ewig schlechtgeht, sondern man ihnen hilft, damit es ihnen irgend-wann besser geht – auch im Grundgesetz sind ja gleicheLebensverhältnisse in dieser Republik garantiert; wiralle arbeiten daran –, dann ist es doch folgerichtig, dassman versuchen sollte, das gute Beispiel, das Bayernabgegeben hat, in anderen Ländern zu wiederholen. Wirhaben euch geholfen, ihr habt euch angemessen aufge-führt,
es hat funktioniert, und alles ist wunderbar. Das ist völligin Ordnung. Diesem Prinzip folgend, muss man sichnatürlich darüber unterhalten, ob diejenigen, die frühergeholfen haben – – Sie haben die Milliardenbeträge ge-nannt – die D-Mark war in den 50er- und 60er-Jahrendeutlich mehr wert als der Euro heute –, die man sich je-doch preisbereinigt angucken muss. Das sage ich, ohnedas bayerische Engagement schmälern zu wollen. Ichmöchte nur anmerken: Hamburg hat immer gezahlt.Diesem Beispiel Bayerns folgend, müssten wir unsjetzt eigentlich daranmachen – –
– Ich genieße doch, dass der Kollege steht.
Das reize ich jetzt so lange aus, wie der Präsident mir dieChance dazu gibt.
Das heißt – damit komme ich zum Ende, damit der Kol-lege sich setzen kann; man muss den Menschen dieChance geben, etwas dazuzulernen –, dass wir diesemPrinzip weiter folgen wollen. – Jetzt können Sie sich set-zen, Herr Kollege; ich fahre fort.
– Das war nicht arrogant.
Da war ich einfach hilfsbereit im besten koalitionärenSinne. Wir schätzen uns ja.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2105
Johannes Kahrs
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Das heißt also, dass wir in der Koalition – so steht esauch in unserem Koalitionsvertrag – natürlich denjeni-gen helfen wollen, die die Hilfe brauchen. Allerdings gilt– das ist von dem Kollegen schon gesagt worden –:Wenn man hilft, dann muss es auch zielgenau sein. Inunserem Koalitionsvertrag steht:Die Gemeinden, Städte und Landkreise in Deutsch-land sollen weiter finanziell entlastet werden.Das ist von den Grünen schon erwähnt worden.Im Jahr 2014 erfolgt ohnehin die letzte Stufe derÜbernahme der Grundsicherung im Alter durch denBund und damit eine Entlastung der Kommunen inHöhe von 1,1 Mrd. Euro. Darüber hinaus sollen dieKommunen im Rahmen der Verabschiedung desBundesteilhabegesetzes im Umfang von fünfMilliarden jährlich von der Eingliederungshilfe ent-lastet werden. Bereits vor der Verabschiedung desBundesteilhabegesetzes– das muss ja erst noch geschehen –beginnen wir mit einer jährlichen Entlastung derKommunen in Höhe von einer Milliarde Euro proJahr.Das wird in 2015 so anfangen.Wenn man dem Prinzip des Kollegen Karl folgt, dassman denjenigen helfen soll, denen es nicht so gut geht,müssen wir einen Weg finden, wie wir denjenigen, de-nen es besonders schlecht geht, dieses Geld zukommenlassen. Das heißt, wir alle müssen uns gemeinsamanstrengen, im Gesetzgebungsverfahren einen Weg zufinden, wie wir die Finanzierung der Kommunen ver-nünftig organisieren, damit das wie in Bayern läuft:Denen, denen es nicht so gut geht, wird gegeben, damitsie die Chance haben, ihre Verhältnisse zu verbessern.Das ist in dieser Republik häufiger, in unterschiedli-chen Variationen, gelungen. Ich glaube, das hat nichtsdamit zu tun, ob man gut oder schlecht wirtschaftet; dashat etwas mit Strukturwandel zu tun, mit Dingen, die aufdem Weltmarkt laufen oder nicht. Das kann man sichangucken. Es gibt Länder, die SPD-regiert waren undNehmerländer wurden. Es gibt CDU-regierte Länder,denen es auch heute nicht gut geht. Da wird man einenWeg finden müssen.Deswegen hat diese Koalition – das finde ich wichtig,richtig und gut – im Koalitionsvertrag an vielerlei Stel-len gesagt, was wir alles für die Kommunen und für dieLänder tun wollen. Mir ist es wichtig, dass wir hier nocheinmal sagen, dass eine Entlastung der Länder nichtheißt, dass alles bei den Ländern bleibt; auch die Ländermüssen in ihrem Rahmen dafür sorgen, dass die Kom-munen entlastet werden. Das alles muss gemeinsam ver-nünftig laufen.
Wir haben das in den Koalitionsverhandlungen be-schlossen; ich könnte jetzt den Koalitionsvertrag zitie-ren. Dabei geht es um den Bereich der Städtebauförde-rung; die Zahlen sind genannt worden. Dabei geht esdarum, dass wir 6 Milliarden Euro an die Länder gebenfür den ganzen Bereich der Kinderbetreuung, für diegroßen Herausforderungen wie Schule, Hochschule undandere Dinge. Wir werden in den folgenden Wochen undMonaten gemeinsam die Frage diskutieren: Wie machtman das am vernünftigsten? Wie kriegen wir es hin, dassdie Kommunen, die Probleme haben, entlastet werden?Ich glaube, dass es gut war, dass die SPD im Bundes-tagswahlkampf dieses Thema aufgegriffen hat, dass ihralle gefolgt sind, dass dieses Thema jetzt auf die Tages-ordnung kommt, dass wir alle ein Bewusstsein dafür ha-ben: Man muss etwas für die Kommunen tun. – Das eintuns in diesem Hohen Hause. Jetzt müssen Taten folgen.Vielen Dank.
Letzter Redner in dieser Aussprache ist der Kollege
Ingbert Liebing, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Eigentlicher Anlass für diese Debatte ist der Antragder Grünen. Ich möchte gerne zu Beginn meiner Ausfüh-rungen feststellen, dass manche Fakten, die Sie dort auf-gelistet haben, sicherlich zutreffen. Es gibt viele Kom-munen, die gewaltige finanzielle Probleme haben. AberSie haben zu Recht auch auf die Unterschiedlichkeit derProbleme hingewiesen. Nun könnte man durchdeklinie-ren, in welchen Bundesländern die kommunalen Finanz-probleme am größten sind. Man könnte darauf hinwei-sen, dass das in erster Linie rot-grün regierte Ländersind, vor allem Nordrhein-Westfalen, vor allem Rhein-land-Pfalz. Ich will das gar nicht tun.
Von verschiedenen Rednern ist schon darauf hinge-wiesen worden, dass in erster Linie die Bundesländer inder Verantwortung stehen, für eine aufgabengerechte Fi-nanzausstattung der Kommunen zu sorgen.
Ich finde, es ist gerade deshalb lohnenswert, sich einmalanzuschauen, wie sich die Grünen in der Regierungs-verantwortung verhalten, dort wo sie Verantwortung fürdie Kommunen tragen. Wir können nach Nordrhein-Westfalen schauen. Da lassen sie die Kommunen beimThema Inklusion im Stich. Ich finde schon dreist, wennFrau Löhrmann gegenüber den Kommunen sagt: Überdas Thema Inklusion braucht ihr euch keine Gedankenzu machen. Das bezahlt ja nachher der Bund mit der Ein-gliederungshilfe. – Meine Damen und Herren, so habenwir miteinander nicht gewettet.
Da lassen Sie die Kommunen im Stich.
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2106 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Ingbert Liebing
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In Rheinland-Pfalz schlittert die rot-grüne Landes-regierung in den nächsten Verfassungskonflikt mit denKommunen über den kommunalen Finanzausgleich. InNiedersachsen gibt es einen Heidenärger über die Kom-munalstrukturen. In meinem Heimatland, in Schleswig-Holstein, feiert sich eine grüne Finanzministerin für ei-nen positiven Jahresabschluss 2013: 115 Millionen EuroÜberschuss im Haushalt 2013. Aber sie verschweigt,dass in diesem Jahr gleichzeitig 120 Millionen Euro ausdem kommunalen Finanzausgleich zulasten der Kom-munen entnommen wurden. Nur dadurch konnte dieseRechnung aufgehen.
Von den Bundesmitteln, die im Bereich der Grund-sicherung an die Länder fließen, behält diese grüneFinanzministerin über 40 Millionen Euro in der Landes-kasse ein – zulasten der Kommunen. Das ist die Wirk-lichkeit, für die Sie in den Ländern Verantwortung tra-gen. Auch das gehört zur Geschichte dazu.
Eben ist schon viel über den Strukturwandel und dieStrukturprobleme gesagt worden, die ebenfalls zu denFinanzproblemen der Kommunen führen. Ja, es ist si-cherlich so, dass es Strukturprobleme gibt. Aber unserAnspruch ist, dass wir die Ursachen dieser Probleme an-gehen wollen, dass wir den Strukturwandel tatsächlichgestalten wollen.
Ich habe den Eindruck, bei Ihnen geht es nur darum,möglichst viel Geld zu bekommen, um die Problemefinanziell zu lösen. Wir dagegen wollen die Ursachendieser Probleme beseitigen. Das ist der Unterschied.
Angesichts der Bilanz, für die Sie Verantwortung tra-gen, brauchen wir uns von Ihnen, den Grünen, überhauptkeine Nachhilfe erteilen zu lassen. Wir leisten etwas fürdie Kommunen. Die Kollegen Alois Karl und AndréBerghegger haben darauf bereits hingewiesen.
Ich lade Sie ein, beim Thema Eingliederungshilfe, wennwir über ein Bundesleistungsgesetz sprechen, auch zuliefern: mit dafür zu sorgen, dass die Ausgabendynamikbegrenzt wird, dass wir nicht jedes Jahr wieder neueAusgabensteigerungen zulasten der Kommunen habenund dass am Ende tatsächlich eine Entlastung der Kom-munen steht. Da können Sie liefern, Frau Haßelmann.
Besonders in Nordrhein-Westfalen wird sehr starkeine Diskussion geführt, die Kritik in Richtung Bundes-regierung und am Bundesfinanzminister persönlich ent-hält. Ich lese, dass der eine oder andere schreibt,Schäuble spare seinen Haushalt zulasten der Kommunenzurecht. Unglaublich! Das ist schlichtweg falsch. Bei ei-nem Bundeshaushalt 2014, der 1,6 Milliarden Euro mehrfür die Kommunen enthält als der Haushalt des Vorjah-res, kann man doch nicht sagen, Herr Schäuble sparesich den Haushalt zulasten der Kommunen zurecht. Dasgenaue Gegenteil ist der Fall.
Es ist auch kein Widerspruch, wenn wir sagen:Unsere Politik ist eine kommunalfreundliche Politik; wirwollen dort, wo wir können, den Kommunen helfen, undwir leisten trotzdem Haushaltskonsolidierung. – Daseine bedingt das andere. Nur dann, wenn wir unserenHaushalt tatsächlich in Ordnung gebracht haben, sindwir auch in der Lage, andere Aufgaben wahrzunehmenund auch den Kommunen zu helfen.
Dass wir die Aufgabe der Grundsicherung im Alterübernommen haben, war doch nur deswegen möglich,weil wir in der vergangenen Wahlperiode ein konstantesAusgabenvolumen gehalten und nicht jedes Jahr drauf-gepackt haben. Während wir das Ausgabenvolumen imBundeshaushalt über vier Jahre konstant gehalten habenund gleichzeitig 5 Milliarden Euro zusätzlich für dieKommunen im Bereich der Grundsicherung mobilisierthaben, hat die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen das Ausgabenvolumen im Landeshaushalt um11 Prozent gesteigert. Das ist der Unterschied. Deswe-gen ist Nordrhein-Westfalen nicht in der Lage, die ei-gene Verantwortung für die Kommunen wahrzunehmen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, wir haben gezeigt, was kluge Politik ist. DiesePolitik hilft auch den Kommunen. Orientieren Sie sichdaran! Machen Sie dabei mit! Dann dient es auch denKommunen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Liebing.Damit kämen wir, wenn es nicht noch weitere Anmer-kungen gibt, zum Schluss dieser Debatte.
Dann schließe ich diese Debatte.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/975 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2107
Vizepräsident Johannes Singhammer
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Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf:Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungTätigkeitsbericht 2012/2013 der Bundesnetz-agentur – TelekommunikationmitSondergutachten der Monopolkommission –Telekommunikation 2013: Vielfalt auf denMärkten erhaltenDrucksache 18/209Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für Verkehr und digitale InfrastrukturAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitAusschuss für TourismusAusschuss für Kultur und MedienAusschuss Digitale AgendaNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auchfür diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Erster Redner ist der Kollege Klaus Barthel, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nebendem Tätigkeitsbericht der Bundesnetzagentur zeigt daszugehörige Sondergutachten der Monopolkommissionauf knapp 100 Seiten auf, was sich in der Telekommuni-kationsbranche so tut. Auf über 250 Seiten wird darüberhinaus dargestellt, was die Bundesnetzagentur in diesemBereich alles leistet: von der Marktregulierung über dieNummerierung, die Frequenzvergabe, den Verbraucher-schutz, den Datenschutz, die internationale Arbeit bishin zur technischen Überwachung, zur Störungsbearbei-tung, zum Messdienst, zur elektromagnetischen Verträg-lichkeit usw.Ich glaube, es ist an dieser Stelle erst einmal geboten,dass wir unsere Anerkennung aussprechen für die Ar-beit, die bei dieser Behörde geleistet wird, zum einen inder Zentrale, aber auch in den Außenstellen, die direkt inden Regionen liegen und damit in den Wahlkreisen vonvielen von uns. Deswegen ist es ganz wichtig, dass wirauch heute noch einmal von hier das Signal senden, dasswir uns bewusst sind, dass die Bundesnetzagentur dafürauch die entsprechende personelle Ausstattung braucht,und dass wir auch gemeinsam dafür eintreten, dass dieZahl der Außenstellen in der Fläche nicht reduziert wird,damit die Bundesnetzagentur in der Fläche präsentbleibt.Es ist der Bundesnetzagentur gelungen, denke ich– das zeigt auch der Bericht –, ihre Unabhängigkeit zuwahren. Das ist angesichts des Drucks, dem sie oft aus-gesetzt ist, nicht einfach. Auf Veranstaltungen von ein-schlägig Betroffenen aus der Branche wurden wir in re-gelmäßigen Abständen – alle halbe Jahre, immer malwieder – mit totalen Untergangsszenarien konfrontiert,zum Beispiel als es darum ging, den Endkundenpreis fürdie TAL-Leitung neu festzulegen, oder als es um dasVectoring ging. Jedes Mal war entweder die Rede davon,dass jetzt der Wettbewerb endgültig zusammenbrichtund eine Remonopolisierung kommt oder dass die Deut-sche Telekom ruiniert wird und Hunderttausende vonArbeitsplätzen auf dem Spiel stehen. Die Bundesnetz-agentur hat es offensichtlich geschafft, immer wieder ei-nen Weg zu finden, der für alle Marktteilnehmer gangbarund verkraftbar war. Das bestätigt auch die Stellung-nahme der Monopolkommission. Deswegen muss mandieses Lob auch an dieser Stelle noch einmal ausspre-chen.Ich glaube aber, wir müssen noch weiter schauen. Indieser Runde ist es, denke ich, nicht nötig, etwas zur Be-deutung von modernen, leistungsfähigen Telekommuni-kationsinfrastrukturen zu sagen. Sie sind das Rückgratder digitalen Wirtschaft, wie es so oft heißt, und sie sindauch das Rückgrat unserer Volkswirtschaft. Denken Sienur an die berühmten Datenautobahnen. Die entspre-chenden Sonntagsreden kennen Sie alle. Dieses Rück-grat spielt auch bei der digitalen Agenda eine besondereRolle.Die IKT-Wirtschaft in Deutschland boomt: Der Jah-resumsatz beträgt 228 Milliarden Euro mit ständig stei-gender Tendenz, die Bruttowertschöpfung liegt bei85 Milliarden Euro, die Investitionen belaufen sich auf18,2 Milliarden Euro. 900 000 Arbeitsplätze gibt es di-rekt in diesem Bereich und 360 000 in unmittelbarer Ab-hängigkeit davon. Das ist vom ökonomischen Gewichther neben der Automobilindustrie und dem Maschinen-bau also ein Kernbereich der deutschen Wirtschaft, unddas ist ein Leitmarkt mit überdurchschnittlichen Investi-tionen und Innovationskraft.Jetzt kommt das Aber: Wenn wir uns den Telekom-munikationssektor anschauen, von dem in dem vorlie-genden Tätigkeitsbericht die Rede ist, dann haben wirschon Grund, uns mit der Sorge zu befassen, wie es umdas Rückgrat bestellt ist. Der Einschätzung der Bundes-netzagentur kann ich nicht folgen, wenn hier viel vonWachstumsdynamik und Wettbewerb die Rede ist; denndie Fakten in dem Bericht sprechen eine klare Sprache:Wir haben es im Telekommunikationssektor mit rückläu-figen Umsätzen zu tun. Auf dem Höhepunkt Mitte der2000er-Jahre waren es 67 Milliarden Euro, jetzt sind esnur noch 57 Milliarden Euro. Es sind stagnierende bisrückläufige Investitionen zu verzeichnen. Sie betragenjedes Jahr nur noch gut 6 Milliarden Euro. Es waren ein-mal viel mehr; 2007 waren es zum Beispiel noch7,2 Milliarden Euro. Auch die Beschäftigung ist rück-läufig; sie sank in den letzten zehn Jahren um etwa einViertel. Daneben ist nach dem ehemaligen Internetboomund der Dotcom-Blase eine nachhaltige Investitionsblo-ckade festzustellen.Der Wettbewerb ist intensiv, die Preise und Margensinken, aber auch die Investitionen gehen zurück undkonzentrieren sich immer mehr auf die Ballungsräume.Es steht heute kaum noch jemand dagegen auf, wennman sagt, beim Aufbau der Telekommunikationsinfra-
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2108 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Klaus Barthel
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struktur in den ländlichen Räumen ist Marktversagenfestzustellen.Das bedeutet, dass die Ziele der bisherigen Bundesre-gierung im Hinblick auf die Breitbandstrategie ganz klarverfehlt werden. Auch darum muss man nicht herumre-den. 2014, also in diesem Jahr, sollten 75 Prozent derHaushalte über einen Breitbandanschluss mit einerÜbertragungsrate von mindestens 50 Megabit pro Se-kunde verfügen. Bis Ende 2012 wurden gerade einmal56 Prozent erreicht.
Die alte Bundesregierung hat dieses Ziel verfehlt; HerrKollege Pfeiffer, daran waren Sie beteiligt. Sie hat imGrund nichts gemacht, außer immer neue Ziele zu pro-klamieren, anstatt sich darum zu bemühen, die gesetztenerst einmal zu erreichen.Ich denke, jetzt, in der Großen Koalition, ist festzu-stellen: Wir bestätigen diese Ziele und kämpfen um ihreErreichung, aber wir wollen auch Maßnahmen ergreifen,auf die ich jetzt nicht noch einmal im Einzelnen einge-hen will, weil das zum Beispiel vor ein paar Wochen– am 31. Januar 2014 – mein Kollege Martin Dörmannhier an dieser Stelle schon getan hat: neues Regulie-rungsregime, Zusammenwirken aller Akteure – Bund,Länder, Gemeinden, Europäische Union, Bundesnetz-agentur, Unternehmen –, Infrastrukturatlas, Breitbandat-las, neue Finanzierungsinstrumente, Bürgerfonds, KfW-Förderprogramm usw. Ich will stattdessen den Blick insAusland lenken, weil das zeigt, dass wir in Deutschlandeinfach mehr tun müssen:Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie hat inder letzten Legislaturperiode beim TAB einen Berichtzur Technikfolgenabschätzung mit dem Titel „Gesetzli-che Regelungen für den Zugang zur Informationsgesell-schaft“ angeregt. Neben den Themen Konvergenz undLeitmedien hat er sich auch mit dem Breitbandausbaubeschäftigt und die Entwicklung zum Beispiel in Austra-lien, in Finnland, in Großbritannien, in Japan, in denUSA und in Deutschland untersucht.Das gemeinsame Ergebnis für all diese Vergleichsländerist, dass in den Ländern, in denen das Breitband erfolg-reich ausgebaut worden ist, eine neue starke Rolle desStaates festgestellt wird. All diese Länder – sie sind jasozialistischer Tendenzen gänzlich unverdächtig – sindden Weg gegangen, die Nachfrage staatlich zu stützenund anzuregen. Sie haben entweder wie Australien öf-fentliche Investitionen getätigt und mit staatlichem Geldeigene Infrastrukturen aufgebaut oder wie Finnland miteiner Universaldienstverpflichtung und einem Univer-saldienstfonds eine flächendeckende Versorgung umge-setzt.Finnland zum Beispiel hat das Recht etabliert, dass je-dem Verbraucher bis 2015 eine Verbindung mit einerGeschwindigkeit von mindestens 100 Megabit zur Ver-fügung steht. Das Land wird dieses Ziel im nächstenJahr erreichen; das steht fest. Laut dem Monitoringbe-richt der alten Bundesregierung ist Finnland dank einerUniversaldienstverpflichtung für alle beim Ausbau derTelekommunikationsinfrastruktur Sieger auf der ganzenWelt, Rang 1.Das Beispiel Finnland zeigt auch, dass eine flächen-deckende Versorgung möglich ist. Bei uns zum Beispielwird behauptet, die Europäische Union lasse das nachihrem Wettbewerbsrecht nicht zu. Aber Finnland istdoch Mitglied der Europäischen Union, oder?
Das Gegenteil ist richtig. Brüssel hat jetzt darüber nach-gedacht, ob man nicht doch neue Regulierungsregimebraucht, bei denen mehr Wert auf Investitionen gelegtwird. Wir haben es gehört: Heute ist im EuropäischenParlament darüber diskutiert und abgestimmt worden.In unserem Koalitionsvertrag – ich weiß nicht, ob dasalle schon so richtig wahrgenommen haben – ist mitRecht von einer „Daseinsvorsorge“ in diesem Bereichdie Rede. Im Grundgesetz heißt es dazu ganz klar: DerBund steht hier in der Pflicht. Liebe Kolleginnen undKollegen, wenn hier der Bund in der Pflicht steht, dannkann man nicht einfach sagen: Das sollen jetzt einmaldie Kommunen machen. – Hier gab es ja gerade eine De-batte über die finanzielle Situation der Kommunen.Wenn wir die Entwicklung so weiterlaufen lassen, wirddie Spaltung in unserem Land immer größer; denn dieKommunen, die kein Geld haben, können die Breitband-infrastruktur eben nicht ausbauen. Die anderen Kommu-nen, die Geld haben, werden das umso stärker tun. Auchdas Telekommunikationsgesetz sieht hier eine Finanzie-rung durch den Bund vor.Ich denke – Frau Staatssekretärin Bär ist hier anwe-send –, dass ich da beim Minister offene Türen einren-nen müsste, weil sich die CSU im Landtags- und imBundestagswahlkampf zu der Auffassung, dass es sichhierbei um Daseinsvorsorge handelt, und zu dem Instru-ment des Universaldienstes bekannt hat. Wir warten hierauf Taten.
Wir müssen zusehen, dass die Bundesnetzagentur aufeinen neuen Pfad gesetzt wird. Sie ignoriert diese Inves-titionsblockade ein wenig, leugnet die Notwendigkeitweiterer gesetzlicher Maßnahmen und wird dabei auchnoch von der Monopolkommission, also der Gralshüte-rin der reinen Marktwirtschaft, unterstützt. Da wird ge-sagt: All das, was der Markt nicht leistet, soll mit För-dergeldern des Staates aufgefangen werden. – Das kannes nicht sein. Deswegen sage ich: Schluss mit den Denk-verboten in diesem Bereich!Wenn wir das Thema Netzneutralität ernst nehmen– in dem Bericht der Bundesnetzagentur gibt es dazuschöne Zitate –, dann müssten wir dahin kommen, dasses Netzneutralität eigentlich nur dann geben kann, wennman gesetzlich definiert, welchen Anspruch alle Kundengegenüber allen Anbieterinnen und Anbietern haben.Netzneutralität darf also nicht so verstanden werden,dass einfach nur der Mangel gleichmäßig alle Inhaltean-bieter betrifft. Vielmehr muss es darum gehen, eine Min-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2109
Klaus Barthel
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destkapazität für alle zu schaffen, womit garantiert wird,dass die entsprechenden Angebote durchgeleitet werden.Es ist also notwendig, hier klare rechtliche Regelungenzu schaffen; ansonsten reden wir immer wieder nur da-von, dass die vorhandenen Engpässe gleichmäßig übersLand verteilt werden.Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig, wie es indiesem Bericht steht, dass viele Maßnahmen auf denWeg gebracht sind: Vectoring, LTE-Ausbau und neueFrequenzen.
Herr Kollege Barthel, denken Sie an Ihre Redezeit.
Das tue ich. Ich bin gerade beim Schlusssatz, Herr
Präsident.
Alle diese Maßnahmen sind richtig und zu unterstüt-
zen, aber in dem Bericht wird auch deutlich, dass all das
nicht ausreicht, sondern dass wir die Telekommunika-
tionspolitik weiterentwickeln müssen. Der Koalitions-
vertrag gibt dazu wertvolle Hinweise. Aber wir müssen
sie auch konkretisieren, statt sie einfach nur zur Kennt-
nis zu nehmen und abzuheften, um dann im nächsten
Jahr wieder von vorne anzufangen. Wir haben uns ge-
meinsam vorgenommen, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, dass wir in diesem Bereich jetzt endlich zum Han-
deln übergehen, nachdem bis jetzt ein paar Jahre
verloren worden sind.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Herbert Behrens, Die
Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Preise runter, Service rauf – das ist die Zauberformel derPrivatisierung, über die wir hier reden. Sie hat es vor20 Jahren notwendig gemacht, die Bundesnetzagentur,damals noch als Regulierungsbehörde bezeichnet, einzu-richten.Preise runter, Service rauf – um nichts anderes ginges, als vor 20 Jahren die Telekom privatisiert wurde.Dem Unternehmen geht es heute gut, nicht aber allenBeschäftigten. Die Telekom gehört zu den größten Tele-kommunikationsunternehmen Europas und ist mit vielenTöchtern weltweit vertreten. Sie kauft und verkauft Un-ternehmen und deren Beschäftigte. Wenn die Geschäfteeinmal nicht gut laufen, dann werden Betriebe verscher-belt oder Dienstleistungen ausgegliedert. Die Beschäf-tigten bei T-Systems sind das jüngste Beispiel für dieseSeite des Wettbewerbs: 4 900 Kolleginnen und Kollegensollen bis 2015 ihren Arbeitsplatz verlieren, weil die Ge-schäfte keinen Profit mehr abwerfen.Davon ist natürlich nichts im Bericht der Bundesnetz-agentur zu lesen.
Für die Linke sind aber gerade diese sozialen Bedin-gungen der Beschäftigten und sichere Arbeitsplätze diezentralen Fragen, wenn wir über Wettbewerb in der Tele-kommunikation reden.Der vorliegende Bericht gibt uns auf 370 Seiten einentiefen Einblick in die Welt von Regulierung und Deregu-lierung. Sicher, wir brauchen eine starke, unabhängigeund gründlich arbeitende Behörde, die den bei den Tele-kommunikationsunternehmen ausgelösten Wettbewerbüberwacht. Aber mit großem Erstaunen muss man fest-stellen, welcher Aufwand getrieben wird, um die negati-ven Folgen eines freien Wettbewerbs in diesem Sektorzu begrenzen. Da kommt bei mir der Gedanke auf, obdie vielen personellen und finanziellen Ressourcen, dieda hineinfließen, nicht viel sinnvoller eingesetzt wären,wenn damit ein wirklich gutes, kundenfreundliches An-gebot geschaffen würde.
Es würde manchem Dresdener Bürger gut gefallen,wenn es ein vernünftiges Breitbandangebot gäbe. Mittenin der Stadt steht dort heute den meisten Menschen nurein LTE-Angebot zur Verfügung, das regelmäßig dannan seine Grenzen stößt, wenn sich zum Beispiel Studie-rende und Touristen darüber ihren mobilen Internetzu-gang holen.Ein gut ausgebautes Netz, ausreichende Bandbreite,verlässliche Vertragspartner: Das sind die Kriterien, andenen sich der Erfolg von Privatisierung und Wettbe-werb messen lassen muss.Die Bundesregierung will bis zum Jahr 2018 flächen-deckend schnelles Internet mit 50 Mbit erreichen. Davonsind wir heute noch weit entfernt, und das nicht nur aufdem flachen Land.
Knapp 80 Prozent der Anschlüsse in den Städten bietenheute 50 Mbit, was aber nicht heißt, dass wir bereits einzukunftsweisendes Glasfasernetz hätten. Das BeispielDresden zeigt es. Gleichwohl wird die Infrastruktur fürschnelles Internet in den Städten sehr viel schneller reali-siert werden als anderswo. In den Ballungszentren rech-nen sich die Investitionen, und die Telekommunikations-unternehmen fahren beträchtliche Gewinne ein.Auf dem Land aber haben die Menschen richtig großeProbleme. Der Handwerksmeister in der Prignitz inBrandenburg zum Beispiel, der sich an Ausschreibungenbeteiligen will, ist auf einen vernünftigen Zugang zumNetz angewiesen. Oder nehmen wir eine Grafikerin ausThedinghausen, einem Ort in meinem Wahlkreis: Siewill eine aufwendige Präsentation an ihren Kunden schi-cken. Das ist mit den Netzzugängen dort sehr schwierig.Hier zeigen sich die negativen Folgen des Wettbewerb-dogmas am deutlichsten.
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2110 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Herbert Behrens
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Fehlende Infrastruktur auf dem Land und anderswodarf nicht mit dem Hinweis abgetan werden, dass dieMenschen dort gar kein Interesse am schnellen Internethätten, wie es im Bericht der Bundesnetzagentur ange-deutet wird. Das ist doch glatter Unsinn!
Jeder hat das Recht auf gleichwertige Lebensverhält-nisse, egal wo er lebt. Das ist nicht nur eine politischeForderung der Linken, das ist ein Grundgesetzauftrag. InArt. 87 f Grundgesetz heißt es: Der Bund gewährleistet„im Bereich des Postwesens und der Telekommunika-tion flächendeckend angemessene und ausreichendeDienstleistungen.“Darum erwarte ich im nächsten Bericht der Bundesnetz-agentur Aussagen darüber, mit welchen Maßnahmendiese Ziele, nämlich eine angemessene, ausreichendeDienstleistung, erreicht worden sind.Der Bundesgerichtshof stellte 2013 fest – ich zitiere –:Die Nutzbarkeit des Internets ist ein Wirtschaftsgut,dessen ständige Verfügbarkeit … auch im privatenBereich für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung… von zentraler Bedeutung ist.Im Bericht der Bundesnetzagentur dagegen heißt es, essei – auch Zitat –weiterhin fraglich, inwieweit durch die Nichtver-fügbarkeit eines Breitbandanschlusses … eine so-ziale Ausgrenzung zu befürchten ist.Es wäre zum Totlachen, wenn es nicht so traurig wäre.Es lässt sich wirklich fragen, wer diesen Bericht ge-schrieben hat.Wir als Linke fordern: Rücknahme der Deregulierungdort, wo der Wettbewerb die Gewinne privatisiert hatund Investitionen in die nicht profitablen Bereiche vonden Steuerzahlern und Steuerzahlerinnen finanziert wer-den sollen.
Die Breitbandversorgung muss zur Grundversorgung ge-rechnet werden. Wir brauchen schnelles Internet für alle.Vielen Dank.
Als nächstem Redner erteile ich für die CDU/CSU
dem Kollegen Hansjörg Durz das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!16 Jahre nach Öffnung des Telekommunikationsmarktesin Deutschland können wir auf diesem Markt erheblicheFortschritte konstatieren. Die Monopolkommission hatihr Sondergutachten, das wir heute gemeinsam mit demTätigkeitsbericht der Bundesnetzagentur debattieren, mitdem Anspruch „Vielfalt auf den Märkten erhalten“ über-schrieben. Diesem Motto kann man nur zustimmen;denn diese Vielfalt bedeutet, dass Bürger und Wirtschaftheute von einer Vielzahl von Angeboten und Dienstleis-tungen zu deutlich günstigeren Preisen profitieren. Zu-dem haben sich die Infrastruktur und damit die Leis-tungsfähigkeit der verschiedenen Netze undTechnologien in der Telekommunikation erheblich ver-bessert.Auch wenn wir heute über den Tätigkeitsbericht derRegulierungsbehörde debattieren, deren Arbeit von uns– das ist bereits erwähnt worden – hoch geschätzt wirdund deren Tätigwerden in vielen Bereichen für die Funk-tionsfähigkeit der Teilmärkte im Telekommunikations-bereich unverzichtbar ist, möchte ich festhalten: Regu-lierung ist kein Selbstzweck, sondern muss immer aufdas erforderliche Maß begrenzt bleiben.
Regulierung ist dafür da, die Voraussetzungen zu schaf-fen, dass Wettbewerb zwischen den Akteuren sein gan-zes Potenzial entfalten kann, zum Wohle der Menschen.Die Bundesnetzagentur hat zum Ende des letzten Jah-res turnusgemäß ihren sehr umfassenden Tätigkeitsbe-richt im Bereich der Telekommunikation vorgelegt, indem die Lage und die Entwicklung der Branche einge-hend analysiert werden. Dem Bericht sind eine ganzeReihe von Daten zu entnehmen, anhand derer sich dieTrends im Bereich der Telekommunikation eindrucks-voll nachvollziehen lassen. Besonders bemerkenswertfinde ich dabei jene Statistiken, die den gefühlten undimmer wieder angesprochenen Trend der Digitalisierungmit handfesten Zahlen untermauern.Während sich die Gesprächsminuten im Festnetz– sprich: die klassischen Telefongespräche – seit Jahrenrückläufig entwickeln, nimmt der über das Festnetz ab-gewickelte Datenverkehr rasant zu. So hat sich dasdurchschnittliche monatliche Datenvolumen, das überdas Festnetz in Deutschland abgewickelt wurde, in denletzten fünf Jahren verdoppelt, im Vergleich zu 2005 so-gar verfünffacht, Tendenz steigend. Gleiches lässt sichim Mobilfunkbereich beobachten. Das mit Abstandstärkste Wachstum zeigt auch dort das Datenvolumen,das sich im mobilen Netz in vier Jahren verfünffacht hat.Daran wird erkennbar: Die Menschen in unserem Landsind immer häufiger und immer länger online, durch denvermehrten Einsatz von Tablets und anderen mobilenEndgeräten immer häufiger mobil online.Die digitalen Endgeräte werden dabei selbstverständ-lich sowohl im geschäftlichen wie im privaten Bereichgenutzt. Bankgeschäfte oder Urlaubsbuchungen werdenheute von einer Vielzahl von Menschen online erledigt.Gleiches gilt für den Konsum von Unterhaltungsinhaltenvia Mediatheken oder anderen Streamingangeboten. Vonder Bedeutung des Internets für die Wirtschaft ganz zuschweigen. Wir wissen: Die Zukunftsfähigkeit unserer
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2111
Hansjörg Durz
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Volkswirtschaft und damit auch der Wohlstand unsererGesellschaft sind abhängig vom Grad unserer Digitali-sierung. Über diesbezügliche Zusammenhänge und Aus-wirkungen haben wir in der vorletzten Sitzungswocheim Zusammenhang mit dem Antrag der Koalitionsfrak-tionen ausführlich debattiert.Der Zugang zu schnellem Internet ist seit Jahren vonzentraler Bedeutung. Dieser Bedarf wird weiter und inden nächsten Jahren massiv steigen, sowohl unter quali-tativen als auch unter quantitativen Aspekten. Ange-sichts dieser Entwicklung brauchen und wollen wir denAusbau hochleistungsfähiger Breitbandnetze auch imländlichen Raum. Wir wollen in Deutschland bis zumJahr 2018 die schon genannte flächendeckende Grund-versorgung mit mindestens 50 Megabit erreichen. Infra-strukturminister Alexander Dobrindt sprach unlängstvon Innovationsgerechtigkeit als Zielstellung. Demmöchte ich mich ausdrücklich anschließen.
Die bisweilen feststellbare digitalisierte Spaltungzwischen urbanen Ballungszentren und dem ländlichenRaum darf sich nicht verfestigen. Gerade im ländlichenRaum, in dem der Netzausbau naturgemäß mit höherenKosten verbunden ist, müssen wir mit Beihilfeprogram-men des Bundes und der Länder unterstützen. Diese Pra-xis wird auch von der Bundesnetzagentur in ihrem Be-richt als sinnvoll erachtet. Der TÜV Rheinland hat ineiner Studie den Finanzbedarf allein für den flächende-ckenden Breitbandausbau mit 50 Megabit auf insgesamt20 Milliarden Euro beziffert.
Darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen: Das Aus-bauziel 50 Megabit ist nur ein Zwischenziel. Mittel- bislangfristig werden weit höhere Kapazitäten nachgefragtwerden. Es dürfte allen Beteiligten klar sein: Um unsereZiele zu erreichen, bedarf es der Zusammenführung allervorhandenen Kapazitäten. Im Sondergutachten der Mo-nopolkommission heißt es:Entscheidend für den Fortbestand und die Intensi-vierung des Wettbewerbs auf dem Markt für Breit-bandanschlüsse ist, dass der Netzausbau weiterhinwettbewerbsgetrieben und anhand von privaten In-vestitionen erfolgt.Mit anderen Worten: Wir brauchen ein gemeinsamesProjekt von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Dievon Bundesminister Dobrindt ins Leben gerufene Netz-allianz Digitales Deutschland halte ich vor diesem Hin-tergrund für eine hervorragende Initialzündung, um allevorhandenen Potenziale zu bündeln und möglichst effi-zient auszuschöpfen.
Der Tätigkeitsbericht der Bundesnetzagentur bietetaber auch eine gute Gelegenheit, zu betrachten, was inden vergangenen Jahren erreicht wurde, und im Rahmeneiner Bestandsaufnahme kritisch zu hinterfragen, ob diegetroffenen Maßnahmen auf dem Telekommunikations-markt den erhofften Erfolg gebracht haben.Dazu ist erstens festzustellen: Das wettbewerblicheLeitbild hat sich als starker Motor für Investitionen,Innovationen und Wachstum im Bereich der Telekom-munikation absolut bewährt. Die Öffnung der Telekom-munikationsmärkte vor 16 Jahren hat den dahinter ste-henden Markt grundlegend verändert und dynamisiert.Die Preise sind seither drastisch gesunken. Die Verbrau-cher haben heute auf nahezu allen Teilmärkten echteAuswahlmöglichkeiten zwischen einer Vielzahl von An-geboten und Wettbewerbern. Private wie geschäftlicheNutzer haben von dieser Entwicklung nachhaltig profi-tiert, da die Kosten für Telefonate und Internetnutzung inden letzten Jahren erheblich zurückgegangen sind. DerVerbraucherpreisindex für Telekommunikation hat sichseit 1998 um knapp 40 Prozent verringert, Tendenz wei-ter fallend. Mit der Öffnung der Telekommunikations-märkte wurden aber nicht nur die Preise drastisch zu-gunsten der Verbraucher gesenkt, sondern auch dieangebotenen Leistungen sukzessive verbessert.Das bringt mich zur zweiten Feststellung. Eine ver-lässliche und kluge Regulierungspraxis ist die Voraus-setzung dafür, dass Unternehmen in Breitband-infrastrukturen investieren. Laut dem Bericht derBundesnetzagentur ist die Zahl der Breitbandanschlüssein Deutschland im letzten Jahr auf 28,4 Millionen gestie-gen. Damit verfügt mittlerweile jeder dritte Haushalt inder Bundesrepublik über einen Breitbandanschluss. ImEU-weiten Vergleich liegt Deutschland damit auf Platzvier. Das ist zwar nicht unser Anspruch; aber immerhinist es Platz vier. Auch diese Entwicklung verdanken wireinem Mehr an Wettbewerb. Verschiedene Maßnahmender Regulierung haben dazu geführt, dass sich behutsamein Wettbewerb auf verschiedenen Teilmärkten entwi-ckeln konnte. Hier sei exemplarisch auf den gesamtenBereich der Vorleistungsprodukte verwiesen. Seit dervollständigen Marktöffnung wurden in Deutschland be-reits über 100 Milliarden Euro in den Netzausbau inves-tiert, im Übrigen mehr als die Hälfte von Wettbewerbernder Deutschen Telekom.Die Beobachtung des Marktes lässt eine dritteSchlussfolgerung zu. Unternehmen investieren vor allemdort in den Netzausbau, wo sie mit anderen Anbietern imWettbewerb stehen. Um die Ziele beim Netzausbau zuerreichen, müssen wir auf die verschiedensten Technolo-gien zurückgreifen.Die Entscheidung der Bundesnetzagentur zur Einfüh-rung der Vectoring-Technologie hat im vergangenen Jahrfür viel Diskussionsstoff gesorgt. Durch Vectoring wirdeine zeitnahe und relativ kostengünstige Aufrüstung desbestehenden Telekommunikationsnetzes ermöglicht. AlsUnion begrüßen wir die Ausschöpfung der sich darausergebenden Möglichkeiten ausdrücklich. Vectoring istfür uns ein wichtiger Baustein zur Erreichung des Etap-penziels. Auch die Monopolkommission würde Vecto-ring als wünschenswerte Übergangstechnologie begrü-ßen. Klar ist aber auch, dass mittels Vectoring imMoment zwar gute Ergebnisse erzielt werden, in Zu-kunft aber nur begrenzte Bandbreiten verfügbar sind.Sichtbar ist übrigens, dass der Ausbau der Vectoring-Technologie auch und gerade dort realisiert wird, wo
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2112 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Hansjörg Durz
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Kabelnetzbetreiber bereits Infrastruktur aufgebaut ha-ben. Das ist in Ordnung, aber auch ein Beleg für mehrWettbewerb.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, unser Ziel ist es, Deutschland zum führendendigitalen Standort in Europa auszubauen. Der Tätigkeits-bericht der Bundesnetzagentur bestätigt, dass in den ver-gangenen Jahren viel geschehen ist. Wir wissen aberauch, dass uns auf dem Weg noch viel Arbeit bevorsteht.Dafür müssen wir sicherlich öffentliche Mittel in dieHand nehmen. Unser Ziel werden wir vor allem dann er-reichen, wenn wir es schaffen, Vielfalt auf den Märktenzu erhalten und mittels Wettbewerb die notwendigen In-vestitionen anzustoßen.Vielen Dank.
Danke schön. – Nächste Rednerin ist für Bündnis 90/
Die Grünen die Kollegin Katharina Dröge.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Mein Kollege Herr Durz hat schon vieles überdie positive Entwicklung auf dem Telekommunikations-markt seit der Marktöffnung im Jahr 1999 gesagt. Des-wegen will ich mich an dieser Stelle kurzfassen. Ich teileIhre Analyse und finde auch, dass die Marktöffnung ge-zeigt hat, wie positiv der Wettbewerb für die Verbrau-cherinnen und Verbraucher sowie für die Unternehmenin Deutschland sein kann. Seit der Marktöffnung erlebenwir drastische Senkungen bei den Preisen für Festnetz-,Internet- und Handynutzung. In den ersten drei Jahrennach der Marktöffnung hatten wir teilweise Preissenkun-gen von bis zu 20 Prozent. Das ist eine gute Nachricht.
So viel von mir zur Analyse. Sie haben viel dazu ge-sagt. Jetzt geht es darum, die Handlungsnotwendigkeitenzu diskutieren.
– Langsamer? Es tut mir leid, ich rede jetzt langsamer.Dann muss nicht so schnell mitgeschrieben werden. – ImRahmen der Handlungsnotwendigkeiten geht es nichtnur um sinkende Preise, sondern natürlich auch um dieThemen Qualität und Verbraucherzufriedenheit. Genauhier liegen für mich die Handlungsfelder, in denen sichzeigt, wie eine gute Wettbewerbspolitik aussieht.Märkte, die so kompliziert und unübersichtlich für dieVerbraucherinnen und Verbraucher sind wie die Tele-kommunikation, brauchen Rahmensetzungen des Staa-tes, die bei der Orientierung helfen.
Denn welcher Verbraucher ist schon in der Lage, wirk-lich zu beurteilen, wie hoch die Datenübertragungsrateist, die bei ihm tatsächlich ankommt? Hier sind Informa-tionspflichten wichtig.Oder das Thema Anbieterwechsel. Ich weiß nicht,wer hier im Saal schon einmal versucht hat, seinen Tele-fonanbieter zu wechseln.
Ich sage Ihnen: Tag für Tag versuchen es Menschen, undsie haben mit vielen Hürden und Schwierigkeiten zukämpfen.
Die neue Transparenzverordnung der Bundesnetz-agentur ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung,auch wenn an der einen oder anderen Stelle noch klei-nere Nachbesserungen notwendig sind, die wir noch amMontag im Beirat der Bundesnetzagentur diskutiert ha-ben. Aber es ist wichtig, dass die Bundesnetzagenturganz klar sagt, dass im Hinblick auf Transparenz undVerbraucherschutz die Selbstregulierung der Unterneh-men allein nicht funktioniert, sondern dass es eines regu-latorischen Rahmens hinsichtlich der Informations- undTransparenzpflichten der Anbieter bedarf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wichtig beimThema Wettbewerb ist auch die Frage der Netzneutrali-tät. Sie ist ein Garant für die Chancen von kleinen undmittelständischen Unternehmen, sich in einem innova-tiven Markt mit guten Ideen gegen große Konzernedurchzusetzen. Ich freue mich deshalb sehr, dass das Eu-ropaparlament sich heute in einer wegweisenden Ent-scheidung für ein offenes und freies Internet ausgespro-chen hat.
Wir Grünen begrüßen es ausdrücklich, dass die Netzneu-tralität nun als Grundprinzip in Europa verankert ist.
Doch wenn Sie, meine Damen und Herren von derBundesregierung, das Ziel eines fairen Wettbewerbs undfairer Chancen tatsächlich ernst nehmen, dann müssenSie jetzt handeln. Sie sind aufgefordert, die Netzneutrali-tät endlich effektiv gesetzlich in Deutschland zu veran-kern bzw. sich dafür im Rat einzusetzen.Das, was Herr Barthel – ich weiß nicht, wo er geradeist – in seiner Rede zum Thema Netzneutralität und zumThema Breitbandausbau gesagt hat, hat mich etwas ge-wundert. Sie, liebe SPD, sind jetzt in der Regierung.Das, was Herr Barthel hierzu gesagt hat, klang ein biss-chen wie eine Oppositionsrede; er sprach davon, wasman sich alles wünscht. Setzen Sie es doch einfach um!Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine grundsätzli-che Bemerkung machen. Ich finde es bezeichnend, dassgerade Sie als Große Koalition – oder sollte ich besser
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2113
Katharina Dröge
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sagen, als Monopolkoalition? – keine wirklich erkennba-ren Anstrengungen unternehmen, um den Wettbewerbum faire Verbraucherpreise in Deutschland zu fördern.
Das sieht man an Ihrem mangelnden Handeln in Sa-chen Netzneutralität und Breitbandausbau. Das siehtman genauso beim Thema Bahnpolitik. Das Bundeskar-tellamt hat noch vor wenigen Wochen ein Missbrauchs-verfahren gegen die Deutsche Bahn eingeleitet wegendes Verdachts auf Behinderung des Wettbewerbs imFahrkartenverkauf. Die Monopolkommission hat ganzklar gesagt, dass nur die Trennung des Schienennetzesvon den Transportunternehmen einen fairen Wettbewerbgarantieren kann. Doch im Koalitionsvertrag findet sichdas Gegenteil, nämlich ein integrierter Bahnkonzern. Ichsage Ihnen: Eine verbraucherfreundliche Politik sieht an-ders aus.
Aber ganz ehrlich – damit schließe ich auch –: Michwundert diese Politik nicht; denn die Strecke zwischenBahn und Kanzleramt ist wahrscheinlich die einzige inDeutschland, die reibungslos funktioniert – garantiertohne Verspätung.
Vielen Dank. – Abschließender Redner zu diesem Ta-
gesordnungspunkt ist der Kollege Thomas Jarzombek,
CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kol-legin Dröge, Sie haben vollkommen recht: Die Bahn istso pünktlich, dass der Kollege Barthel von der SPDschon zum Bahnhof gesprintet ist. Das gibt mir jetzt dieFreiheit, ihn über die Ferne daran zu erinnern, dass wirinzwischen in einer Koalition sind. Das sind möglicher-weise für manche hier in diesem Hause verblüffende Er-kenntnisse.
Ich finde es auch ganz erstaunlich, dass man imJahr 18 der Liberalisierung des Telekommunikations-marktes ernsthaft diskutiert, ob Wettbewerb etwas Gutesist. Ich glaube, ja.Ich bin jetzt 40 Jahre alt. Ich kann mich noch daranerinnern, wie ich als junger Mensch mit dem Mond-scheintarif gequält wurde, bei dem man wirklich genauaufpassen musste, wie lange man telefoniert, weil einemjede Minute ins Portemonnaie geschnitten hat. Das istvorbei. Als es noch ein Monopol in Deutschland gab unddie Deutsche Post das Breitbandnetz ausgebaut hat – da-ran können Sie sich vielleicht erinnern –, gab es dieOPAL, die Optische Anschlussleitung. Das hat uns nichtnach vorne gebracht, sondern das Gegenteil war der Fall.Hier wurden Standards implementiert, die uns gerade imOsten trotz Milliardeninvestitionen eben nicht ins Breit-bandzeitalter geführt haben. Deshalb, glaube ich, ist esgut, dass hier nicht ein Einziger nach eigenem Gusto ent-scheidet, sondern der Markt eine Rolle spielt.Es ist auch eine Frage dessen, wie man mit den Ver-braucherrechten umgeht; Sie haben das ja gerade erwähnt.Ich kenne viele Leute, die mit ihrem Anbieter unzufriedensind und sagen: Mir reicht es; ich kündige, ich wechsle.– Das geht nur, wenn es mindestens zwei Anbieter gibt.Deshalb ist Wettbewerb etwas ganz Essenzielles. DerWettbewerb hilft uns.
Dann wird oft genug erklärt, der Wettbewerb schadeden Investitionen. Das ist eine Platte, die ich in den letz-ten Monaten viel zu oft gehört habe. Ich glaube, geradeder heute vorliegende Bericht beweist doch das Gegen-teil. Die Investitionen sind so hoch wie seit Jahren nichtmehr. Interessant ist der Blick darauf, wer denn hier ei-gentlich investiert. Da sind die Zahlen klar verteilt:3,5 Milliarden Euro kommen von den Privaten und nur2,8 Milliarden Euro von der Deutschen Telekom. Ichsage ganz klar nach Bonn: Ich finde, da geht noch was.Insofern ist es gut, dass wir private Wettbewerber ha-ben, die momentan offensichtlich die Mehrheit der In-vestitionen stemmen, die wir brauchen, um Deutschlandins Breitbandzeitalter zu bringen. Da hilft uns keine Dis-kussion über einen Universaldienst, der genau das Ge-genteil bewirkt, nämlich tatsächlich anfängt, den Wett-bewerb wieder einzuschränken. In dem Augenblick, indem wir beschließen, dass wir mit Staatsknete das Breit-bandnetz ausbauen, werden doch alle diejenigen, dieheute einen Ausbauplan irgendwo in Niedersachsen ha-ben und gerade dabei sind, Kabelverzweiger zu ertüchti-gen, sagen: Das stoppen wir jetzt erst einmal und wartenab, was vom Bund an Geld kommt.
Dann gibt es den verwegenen Gedanken, man könnteauf jeden Breitbandanschluss eine Umlage erheben. Daswurde in den letzten Jahren von der damaligen Opposi-tion viel diskutiert. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir be-schäftigen uns ja jetzt im Ausschuss für Verkehr und di-gitale Infrastruktur mit diesem Thema und wissen,glaube ich, ganz gut, wie das angefangen hat, als manauf Benzin eine Umlage für externe Kosten und dies unddas erhoben hat. Die Mineralölsteuer war zwischenzeit-lich höher als der Preis des Benzins. Davor warne ich. Beiallen Zielen, die wir hier verfolgen – wir reden immer soviel über Megabit, vielleicht auch noch über Latenzzei-ten –: Ich finde, der Preis eines Breitbandanschlusses istetwas sehr Wichtiges. Das ist eine Frage von gesellschaft-licher Teilhabe. Früher war der Brockhaus ein Statussym-bol. Ich weiß gar nicht, wie viel Tausend D-Mark ergekostet hat. Mit soundso vielen Bänden, in Leder einge-bunden, dokumentierte er das Bildungsbürgertum im Re-gal. Das konnten sich nicht viele Leute leisten. Heute gibtes für 19,90 Euro einen Breitbandanschluss, mit dem dasgesamte Wissen der Welt verfügbar ist. Ich finde, das istim Hinblick auf die gesellschaftliche Teilhabe ein Fort-schritt.
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2114 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Thomas Jarzombek
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Deshalb finde ich Äußerungen falsch, nach denen In-ternetanschlüsse in Deutschland zu billig sind. Ichglaube nicht, dass sie zu billig sind. Ich glaube, dass dieHerausforderung darin besteht, die Bevölkerung dahinzu bringen, dass sie erstens die Anschlüsse bestellt undzweitens erkennt, dass man sie zu mehr nutzen kann alszur reinen Unterhaltung. Das ist eine wichtige Aufgabebei der Vermittlung von Medienkompetenz, die wir inder Enquete-Kommission sehr umfangreich beleuchtethaben.Es gibt an dieser Stelle viel zu tun, aber auch deutli-che Erfolge. Kollege Barthel hat angemerkt, dass Finn-land bei der Breitbandversorgung auf Platz eins ist, undsagte, was wir jetzt alles tun müssten. Meine Damen undHerren, im Jahr 2008 hatten gerade einmal 55 Prozentder deutschen Haushalte einen Breitbandanschluss; dasheißt, fast die Hälfte war gewissermaßen offline. Im letz-ten Jahr waren es laut Eurostat 85 Prozent. Der Anteilder Haushalte mit Breitbandanschlüssen ist also inner-halb von fünf Jahren von 55 Prozent auf 85 Prozent an-gestiegen. Damit liegen wir nur 3 Prozentpunkte hinterFinnland zurück. Sicher ist es ein Ziel, den ersten Platzzu erreichen; aber die Welt ist nicht so düster, wie derKollege es beschrieben hat.
An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen,einmal dem Bundesminister Dobrindt wie auch derStaatssekretärin Dorothee Bär, die heute bei uns ist, fürden sehr gelungenen Start und die gute Initiative derNetzallianz Digitales Deutschland zu danken, mit derman es geschafft hat, die Anbieter zusammenzubringenund gezielt darüber zu reden, wie man zu mehr Investi-tionen in den Breitbandausbau kommt. Das brauchenwir.Ich glaube, dass auch die Strategie, die formuliertwurde, ein substanzieller Erfolg ist. Dabei geht es um dieFrage: Was machen wir im Bereich der mobilen Breit-bandlösungen? Es gab gestern im Ausschuss einen Be-richt des Breitbandbüros des Bundes. Da hat HerrBrauckmüller, der Chef des Breitbandbüros, erklärt:50 bis 60 Prozent der Nutzungen werden künftig mobilsein. Wenn Sie selber einmal schauen, mit welchen Ge-räten Sie heute online sind, dann werden Sie wenigefinden, die überhaupt noch einen Anschluss für einenRJ-45-Netzstecker haben. Ich glaube, dass die mobileNutzung das Thema der Zukunft ist. Wir wollen im Ver-kehr die Telematik einführen, die Maschine-zu-Ma-schine-Kommunikation stärken und immer mehr Smart-Geräte nutzen. Deshalb ist das wichtig.Hier ist es ein Riesenerfolg, dass Minister wie Staats-sekretärin es geschafft haben, dass, wenn es nach einerAuktion oder Vergabe – was auch immer es sein wird;ich finde übrigens, dass eine Auktion nicht unbedingtdas beste Instrument sein muss, ganz im Gegenteil – zueiner Digitalen Dividende kommt, die entsprechendenErlöse in den Breitbandausbau gehen und nicht im allge-meinen Haushalt versickern. Das ist ein großer Erfolgdes Bundesministers, und das muss man an dieser Stelleklar herausstellen.
Ein zweiter Punkt ist wichtig, wenn es darum geht,die vorhandenen Möglichkeiten zu erschließen. DasBreitbandbüro hat im Ausschuss ausgeführt, dass manmit LTE-Advanced unter Nutzung der Frequenzen um700 Megahertz aus der Digitalen Dividende 2 von heute2 bis 6 Mbit mit LTE quasi mit einem Schnips auf600 Mbit pro Sekunde kommen kann; damit wären600 Mbit überall im ländlichen Raum verfügbar.Das Ganze hängt jetzt an einer einzigen Stelle, näm-lich bei den Ländern. Die Länder dürfen hier nichtblockieren, sondern müssen diese Frequenzen freigeben.Ganz entscheidend ist, dass die Länder am Ende nichtdas tun, was sie sonst immer tun, nämlich ein Preisschilddranhängen,
also gar nicht mehr auf die Sachfrage schauen, sondernnur noch fragen: Was kriegen wir denn jetzt eigentlich?Wenn die Länder ein solches Preisschild dranhängen,dann wird das zu Desinvestitionen führen. Insbesonderewird die Nagelprobe für die Länder darin bestehen, zuzeigen, dass auch sie selbst bereit sind, ihre Erlöse ausdem Projekt in den Breitbandausbau zu investieren, alsobitte nicht in allen möglichen Kokolores.
Das ist die Botschaft, die heute von hier ausgehen muss.Insofern freue ich mich sowohl auf die weiteren Bera-tungen in unserem neuen Ausschuss für Verkehr und di-gitale Infrastruktur als auch die Beratungen zur Netzneu-tralität im Ausschuss Digitale Agenda, der sich schonnächste Woche mit den Beschlüssen des EU-Parlamentsbeschäftigen wird. Auch das wird eine spannende Dis-kussion, auf die ich mich sehr freue.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache zuTagesordnungspunkt 10.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/209 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten HerbertBehrens, Dr. Gregor Gysi, Caren Lay, weitererAbgeordneter und der Fraktion DIE LINKENachtruhe am Flughafen Berlin Brandenburgsicherstellen – Antrag des Landes Branden-burg unterstützenDrucksache 18/971
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2115
Vizepräsident Johannes Singhammer
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auchfür diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol-lege Thomas Nord, Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen undKollegen! Mein Wahlkreis liegt in der Nähe des BER.Das Volksbegehren für ein konsequentes Nachtflug-verbot und einen neuen Standort hatte dort eine großeLobby. Wir hätten das unterstützen können, meine Parteihat jedoch darauf verzichtet. Niemand darf Milliardenvon bereits ausgegebenen Steuergeldern einfach ab-schreiben.Umso konsequenter ist die Linke der Auffassung,dass die Fluglärmbetroffenen einen Anspruch auf best-möglichen Schallschutz und ein konsequentes Nacht-flugverbot haben.
Für diese Position habe ich bei Debatten mit Bürgerin-nen und Bürgern nicht nur Zustimmung erfahren, aberdurchaus Respekt. Die Mehrheit der Brandenburgerin-nen und Brandenburger ist bereit, die Realität zur Kennt-nis zu nehmen, wenn die Politik zugleich bereit ist, dieInteressen der vom Fluglärm Betroffenen ernsthaft mitin Rechnung zu stellen.
Auf diese Ernsthaftigkeit von Politik können die Bürge-rinnen und Bürger jedoch nicht mehr wirklich bauen.Über Jahre hat sich Misstrauen entwickelt, und leider tunauch jetzt die Regierungskoalitionen im Bund und inBerlin alles dafür, dass sich dieses Misstrauen weiterverfestigt.Die Absicht, einen Flughafen bei Schönefeld zubauen, hat in diesem Jahr 18. Geburtstag. Im Mai 1996einigten sich der Bund und die Länder Berlin und Bran-denburg darauf, dort einen Single Airport zu entwickeln.Der Traum vom BER wird in diesem Jahr also volljäh-rig. Einige Verantwortliche haben jedoch aus den Ge-burtsfehlern dieses Projektes offensichtlich nichts ge-lernt. Am 7. April wird wahrscheinlich der Fehler von1996 wiederholt. Brandenburgs MinisterpräsidentManfred Stolpe wies damals noch einmal ausdrücklichdarauf hin, dass die Entscheidung für Schönefeld falschist; die Bundesregierung und Berlin setzten sich aber da-rüber hinweg.Seitdem ist dieses Projekt ein Trauerspiel. Es gehört– das wissen wir alle – zu den größten Desastern öffent-licher Investitionen. Wenn heute auf die Wirtschaftlich-keit des Projektes verwiesen wird, sobald es um dieWahrung der Interessen der Anwohnerinnen und An-wohner geht, dann klingt das wie ein Treppenwitz. Dasscheint der einzige Punkt zu sein, bei dem Wirtschaft-lichkeit von Bedeutung ist. Anders lässt sich die Vielzahlwillkürlicher und milliardenschwerer Fehlentscheidun-gen kaum erklären. Im Übrigen wird allen Bürgerinnenund Bürgern in Art. 2 des Grundgesetzes körperlicheUnversehrtheit garantiert, unabhängig davon, ob sich dasrechnet oder nicht.
Zur Wahrheit gehört, dass alle Entscheidungen immervon allen drei Gesellschaftern des BER mitgetragenwurden, also auch von brandenburgischen Landesregie-rungen. Das gilt auch, wenn heute die brandenburgischeCDU, immerhin zehn Jahre mit in der Regierung, ver-sucht, sich vom märkischen Acker der Mitverantwor-tung zu machen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegender Union in Brandenburg, lassen wir Ihnen nicht durch-gehen. Darüber wird im Landtagswahlkampf sicherlichzu reden sein.Nach vielen Versuchen, sich Gehör zu verschaffen,griffen Bürgerinnen und Bürger zum Mittel der direktenDemokratie. Es fand das erste erfolgreiche Volksbegeh-ren in Brandenburg statt. Über 106 000 Brandenburge-rinnen und Brandenburger stimmten für ein konsequen-tes Nachtflugverbot. Folgerichtig und in Respekt vordiesem klaren Ergebnis hat die brandenburgische rot-rote Regierungskoalition dieses Begehren mit einemLandtagsbeschluss angenommen und verhandelt seit ei-nem Jahr mit den anderen Gesellschaftern über dessenUmsetzung. Die Landesregierung vertritt damit die Inte-ressen der Bürgerinnen und Bürger Brandenburgs. Siehat gehofft, die Mitgesellschafter überzeugen zu können,dass es gut wäre, die Interessen des BER mit denen derBürgerinnen und Bürger ins gesellschaftliche Gleichge-wicht zu bringen.Die Reaktionen der Bundesregierung und der BerlinerLandesregierung sind eindeutig. Sie sind in höchstemMaße ignorant und wiederholen den Fehler von 1996.Sie wollen sich, wie bei der Entscheidung für den Stand-ort, über Brandenburg hinwegsetzen. Natürlich ist dasmöglich. Besser aber wäre es, die Bundesregierungwürde hier und heute durch das Parlament gestoppt.
Wirklich damit rechnen können wir aber leider nicht.Weil dies so ist, hat Ministerpräsident DietmarWoidke gestern in einer Regierungserklärung weitereSchritte auf die Mitgesellschafter zu gemacht. SeinKompromissvorschlag würde den höchstrichterlich aus-geurteilten Planfeststellungsbeschluss unberührt lassen.Danach soll die Flughafengesellschaft mit Zustimmungder Luftfahrtbehörden in der Zeit zwischen 5 und 6 Uhrmorgens auf den Gebrauch ihrer Betriebsgenehmigungfreiwillig verzichten. Das hieße im Klartext, es gebewenigstens eine Stunde mehr Nachtruhe für die Anwoh-nerinnen und Anwohner. Das liegt übrigens unter derForderung der brandenburgischen CDU, die eine Nacht-ruhe von 23 bis 6 Uhr fordert. Ich warte noch auf denentsprechenden Antrag aus den Reihen der Union, damitich ihm hier freudig zustimmen kann.Die bisher vorliegenden Äußerungen aus der Bundes-regierung und dem Land Berlin legen nahe, dass sie
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2116 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Thomas Nord
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nicht die Absicht haben, den Interessen der Betroffenenentgegenzukommen.
Der Bund und Berlin, Regierungen aus Union und SPD,wollen sich erneut über brandenburgische Interessenhinwegsetzen. Das ist rücksichtslos gegenüber der Ge-sundheit Hunderttausender Menschen, und es ist schäd-lich für das Projekt BER. 2014 ist nicht mehr 1996. Werheute noch glaubt, so ein Vorhaben kompromisslos ge-gen den Willen Hunderttausender und des Landes, dasdie Hauptlast trägt, realisieren zu können, ist grenzenlosarrogant und politisch höchst kurzsichtig.
Nachhaltiges Brandenburger Engagement ist für denBER unverzichtbar. Alle Gesellschafter sind aufeinanderangewiesen. Niemand wird sich auf Dauer den legitimenInteressen des einen oder anderen entziehen können.Wenn Sie unserem Antrag zustimmen, zeigen Sie in die-ser Frage mehr Weitsicht als die Vertreter der Bundes-regierung gegenwärtig.Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Peter Wichtel, CDU/
CSU.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich den
Antrag der Linksfraktion diese Woche in Händen hielt
– das war am 1. oder 2. April –, habe ich mir den Antrag
zweimal angeschaut, um mich zu vergewissern, ob es ein
Aprilscherz oder wirklich ein Antrag ist. So, wie er
formuliert worden ist, ist es, denke ich, eindeutig, dass es
keinen Grund gibt, hier im Bundestag darüber zu disku-
tieren. Das ist Wahlkampfgetöse im Vorfeld des Land-
tagswahlkampfes in Brandenburg. Ich denke, das ist der
einzige Grund, weshalb der Antrag hier eingebracht
wurde.
Was ich am bedauerlichsten finde, ist, dass im anste-
henden Wahlkampf mit Forderungen wie der nach einer
Ausweitung des Nachtflugverbots am Hauptstadtflug-
hafen BER unnötigerweise wieder einmal auf dem
Rücken der Bürger diskutiert wird. Jeder, der sich mit
der Thematik auch nur ein bisschen auskennt und sich
damit beschäftigt hat, weiß ganz genau, dass der Ruf
nach einer Ausweitung des Nachtflugverbots absolut un-
realistisch ist. Selbst der Brandenburger Ministerpräsi-
dent hat mittlerweile seine Bemühungen, die weiteren
Gesellschafter der FBB GmbH von einer solchen Aus-
weitung zu überzeugen, diese Woche eingestellt, wie ich
der Presse entnehmen konnte. Das heißt also, dass hier
und heute keiner der beteiligten Gesellschafter, weder
der Bund noch das Land Brandenburg noch das Land
Berlin, einen Antrag auf Verkürzung der Betriebszeiten
einbringt. Alle Beteiligten haben verstanden, dass eine
entsprechende Änderung des Planfeststellungsbeschlus-
ses abgelehnt würde. Nur die Fraktion der Linken im
Deutschen Bundestag hat dies offensichtlich nicht ver-
standen.
Bedauerlich ist bei den Forderungen nach einer weite-
ren Verkürzung der Betriebszeit insbesondere – dies
habe ich bereits angedeutet –, dass den Menschen im
Umfeld des Flughafens Versprechungen gemacht wer-
den, die nicht gehalten werden können.
Herr Kollege Wichtel, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Nord?
Das beabsichtige ich nicht. Nein.
Dieses unnötige Wahlkampfgetöse macht den Bür-gern vollkommen falsche Hoffnungen und verunsichertzudem die zukünftigen Akteure am Hauptstadtflughafen.Das betrifft die Beschäftigten, die zukünftigen Laden-betreiber und die Fluggesellschaften. Wenn es nach allden Verzögerungen und Hiobsbotschaften um den BERin den vergangenen Jahren eine Sache gibt, die das Pro-jekt und auch die Menschen im Umfeld nicht gebrau-chen können, dann sind das weitere Versprechungen, dienicht gehalten werden können.
Ich will an dieser Stelle noch einmal deutlich machen,warum die beteiligten Gesellschafter einer Erweiterungdes Nachtflugverbotes nicht zustimmen. Bei den Be-triebszeiten des BER ist die Zeit von 0 bis 5 Uhr als un-terbrochene Flugzeit, als Nachtruhe, vorgesehen. Dies istnach einem Planfeststellungsverfahren und nach einemhöchstrichterlichen Urteil des Bundesverwaltungsge-richts so festgelegt worden. Jeder, der hier suggeriert,dass man dies nach einem Planfeststellungsverfahreneinfach ändern kann, wenn es denn die Menschen wol-len, sorgt nicht für Planungssicherheit, sondern für Pla-nungsunsicherheit. Ich denke, das kann man so nicht ma-chen.
Es gibt aber noch einen weiteren Grund, warum ichdenke, dass es richtig ist, die jetzt vorgesehene Regelungder Betriebszeiten zu unterstützen, auch wenn man unsmit dem heute vorliegenden Antrag genau das Gegenteilweismachen will. Das Nachtflugverbot stellt bereits ei-nen ausgewogenen Kompromiss zwischen den Interes-sen der Anwohner und den betrieblichen Notwendigkei-ten des Flughafens dar. Zudem sind in den Randzeitenzwischen 5 und 6 Uhr sowie zwischen 23 und 0 Uhr zu-sätzliche deutliche Einschränkungen bei Starts und Lan-dungen vorgesehen. Die Bürgerinnen und Bürger im
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2117
Peter Wichtel
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Umfeld des Flughafens werden mit den vorgesehenenBetriebszeiten also bereits spürbar entlastet.
Hier von einem dringend benötigten Kompromiss zusprechen, ist dementsprechend aus meiner Sicht irrefüh-rend und falsch. Eine Ausweitung des Kompromisseswürde einen Kompromiss vom Kompromiss bedeuten.Ich bin zudem davon überzeugt, dass viele Menschenin Berlin und Brandenburg diese Ansicht nicht teilen undsich nicht übermäßig vom Fluglärm belästigt fühlen.
Wie in einem vor kurzem in der Berliner Zeitung er-schienenen Artikel anschaulich verdeutlicht wurde, istdie Nachbarschaft rund um den Flughafen ein sehr be-liebtes Gebiet für Wohnimmobilien. Makler berichtenzurzeit schon, dass in einigen Bereichen das Angebotknapp wird, dass es kaum noch Grundstücke gibt und dieGrundstücke, wie der Volksmund so schön sagt, wiewarme Semmeln weggehen,
und das ungeachtet der steigenden Immobilienpreise.Diese Situation haben wir übrigens, liebe Kollegin vonden Grünen, die dauernd dazwischenruft, an allen Ver-kehrsflughäfen. Die Grundstücke in der Nähe der Flug-häfen werden teurer; das versteht kein normaler Mensch.
Berichte wie dieser verdeutlichen, dass die Bürger imUmfeld des BER den Flughafen annehmen und dass siedas, was ich vorgetragen habe, in der Mehrheit so sehen.Abschließend betrachtet kann ich daher nur dafür plä-dieren, dass sich alle beteiligten Gesellschafter endlichum die hauptsächliche Herausforderung kümmern, näm-lich darum, dass der BER fertiggestellt wird. Sie solltensich darauf konzentrieren und nicht mit durchsichtigenWahlkampfmanövern unnötig weitere unrealistischeBaustellen aufmachen.Das darüber hinaus immer wieder beschworene ge-deihliche Miteinander von Bürgern und Flughafen, dasin der Debatte über die Betriebszeiten ja immer über Ge-bühr betont wird, kann nur dann gelingen, wenn dieMenschen, so gut es geht, einbezogen werden. Dazu ge-hört aber auch, dass keine falschen Hoffnungen geschürtwerden, Hoffnungen, die ohnehin nicht umsetzbar sind.Genau das ist der Fall, wenn man eine Ausweitung desbereits vorhandenen rechtssicheren Nachtflugverbotesfordert.Leider beschreitet man seitens der brandenburgischenLandesregierung weiter den Weg, leere Wahlkampfver-sprechen zu machen. Denn auch der nun geäußerte Vor-schlag, der Flughafenbetreiber solle die Nachtruhe docheinfach freiwillig um eine weitere Stunde auf 6 Uhr aus-dehnen, ist unrealistisch und aus meiner persönlichenSicht eine weitere Durchhalteparole für den Landtags-wahlkampf.
Aus diesem Grund und aus den anderen von mir vorge-tragenen Gründen werden wir den vorliegenden Antragablehnen.
Als nächster Redner hat der Kollege Stephan Kühndas Wort.Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen! Herr Kollege Wichtel, das, wasdie Kollegen von der CDU im brandenburgischen Land-tag zu diesem Thema sagen, hört sich doch etwas andersan als das, was Sie gesagt haben; das nur als Bemerkungam Rande.
Mit Beschluss vom 27. Februar 2013 hat sich derBrandenburger Landtag der Forderung des erfolgreichenBürgerbegehrens angeschlossen, das ein Nachtflugver-bot in der Zeit von 22 bis 6 Uhr für den neuen FlughafenBerlin Brandenburg fordert. Mit dem vorliegenden An-trag will die Linke erreichen, dass sich der Bund als An-teilseigner der Flughafen Berlin Brandenburg GmbHdieser Forderung anschließt. Dieses Ansinnen unterstüt-zen wir.Leider hat die rot-rote Regierung in Brandenburgdiese Position gerade geräumt. MinisterpräsidentWoidke hat dazu gestern eine Regierungserklärung ab-gegeben. Dabei ist er von der geforderten Ausweitungdes Nachtflugverbots am künftigen Flughafen BerlinBrandenburg abgerückt. Das Ergebnis des Volksbegeh-rens wird also nicht umgesetzt, Brandenburg bekommtnicht den Bürgerwillen gemäß dem Volksentscheid, undder Rückzug erfolgt eigentlich, wenn man ehrlich seinwill, vor Verhandlungsbeginn.Ministerpräsident Woidke ist vor Verhandlungsbeginnumgefallen. Er hatte über ein Jahr Zeit,
in den Gremien der Flughafengesellschaft einen Antragauf Änderung der Betriebsgenehmigung zu stellen. Dasist nicht passiert. Man ist nicht tätig geworden. Der Vor-schlag der Landesregierung – ein freiwilliger und auffünf Jahre begrenzter Verzicht auf den Nachtflugverkehrin der Stunde von 5 bis 6 Uhr – ist eigentlich die Weige-rung, überhaupt in den Kampf zu ziehen.
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2118 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Stephan Kühn
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Es gibt keinen Grund, hinter dieser Ausgangspositionzurückzubleiben, solange nicht alle rechtlichen Mittelausgeschöpft sind.
In einem Rechtsgutachten vom 21. Januar dieses Jahreswerden Alternativen aufgezeigt, um zu einem Nachtflug-verbot zu kommen. Mit dem jetzt vorgelegten Kompro-missvorschlag hat Brandenburg seine Verhandlungsposi-tion geschwächt. Ob dieser Minimalkompromiss überhaupterfolgreich sein wird, ist bekanntlich auch noch ungewiss.Außerdem ist das Timing äußerst schlecht. Erst letzteWoche hat der Sachverständigenrat für Umweltfragender Bundesregierung ein Sondergutachten mit dem Titel„Fluglärm reduzieren: Reformbedarf bei der Planungvon Flughäfen und Flugrouten“ vorgelegt, das deutlichmacht, dass Fluglärmschutz im geltenden Luftverkehrs-recht nur unzureichend gewährleistet ist. Ich zitiere da-raus:Die gesetzliche Regelung der Fluglärmproblematikim Luftverkehrsrecht ist unterentwickelt. DasLuftVG enthält keine Grenzwerte. … Der Gesetz-geber sollte Immissionsgrenzwerte für Fluglärmzum Schutz der Flughafenanwohner normieren.Die entscheidende Passage, die Herr Woidke, aberauch die Herren Wowereit und Dobrindt lesen sollten, istdie folgende – ich zitiere wieder –:Um den Schutz der Nachtruhe besonders hervorzu-heben, sollte die diesbezügliche Rechtsprechungdes Bundesverwaltungsgerichts … kodifiziert wer-den. Insoweit sollte allerdings der Schutz der ge-samten Nachtzeit gewährleistet blei-ben.
Weiter heißt es da:Die von der Rechtsprechung vorgenommene Flexi-bilisierung, die zwischen „Kernnacht“ und „Rand-zeiten“ unterscheidet, muss vor dem Hintergrundder staatlichen Schutzpflicht für die menschlicheGesundheit aus Grundrechten eine besonders recht-fertigungsbedürftige Ausnahme bleiben, die nichtzu einer Entwertung des Schutzes der Nachtruhewährend dieser Randzeiten führen darf.Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag ver-sprochen, dass sie mehr gegen Fluglärm tun will. Insbe-sondere Verkehrsminister Dobrindt ist aufgefordert, die-sen Ankündigungen auch Taten folgen zu lassen.
Die Umweltweisen der Bundesregierung, der genannteSachverständigenrat, haben hierzu qualifizierte Vor-schläge gemacht. Die liegen auf dem Tisch. Die müssenjetzt diskutiert werden.Im Moment, muss man ehrlich sagen, ist der BER einLangzeitforschungsprojekt „lärmarmer Flughafen“.
Jetzt wird allerdings die Befürchtung geäußert,durch eine Ausweitung des Nachtflugverbotes zwi-schen 22 Uhr und 6 Uhr würde die Wirtschaftlichkeitdes Flughafens gefährdet. Unwirtschaftlich wird derFlughafen durch die Kostenexplosion, deren Ende nochnicht absehbar ist, und durch die weitere Verzögerungdes Eröffnungstermins, die jeden Monat einen zwei-stelligen Millionenbetrag an zusätzlichen Kosten verur-sacht. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.
Unverändert regiert auf der Baustelle das Chaos. DieAussage von Flughafenchef Mehdorn „Wir haben denBER im Griff“ war wohl nicht als Aprilscherz gedacht,aber man muss sagen: Es ist einer. Nachdem Technik-chef Amann alle Baumängel aufgelistet hat, ist mit Blickauf die geplante bauliche Fertigstellung bis zum Endedieses Jahres im Wesentlichen nichts passiert.Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Kosten auf über5 Milliarden Euro steigen werden. Ich denke, es mussendlich Schluss damit sein, dass wir weitere Durchhalte-parolen und Ankündigungen geliefert bekommen. Wirbrauchen endlich Ergebnisse. Es ist nur doof, wenn manausgerechnet die Leute auf der Baustelle entlässt, diesich mit den Problemen auskennen.
In dieser Woche ist wieder einem Bereichsleiter gekün-digt worden. Er ist derjenige, der sich nach Medieninfor-mationen mit den überbelegten Kabelkanälen im Haupt-pier auskennt. Diese Überbelegung muss man beseitigen,wenn man den Flughafen irgendwann in Betrieb nehmenwill. Dieser Fachmann ist nun entlassen worden.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Ich komme zum Schluss.Der Bund bekennt sich zum Bau des FlughafensBerlin-Brandenburg BER.So steht es im Koalitionsvertrag, meine Damen und Her-ren.Das reicht nicht. Wenn der Aufsichtsrat nächste Wo-che tagt, muss endlich Transparenz über weitere Kosten,den Umfang und den zeitlichen Ablauf der Umbaumaß-nahmen hergestellt werden. Sonst wird die Meldung vonRadio Bayern 3 vom 1. April, dass ab Juli jeder Deut-sche 1 Euro im Monat für den neuen Hauptstadtflugha-fen zahlen soll, noch Realität, und das wollen wir alle,glaube ich, nicht.
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Als nächster Redner hat der Kollege Martin Dörmann
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Flughäfen haben zwei Seiten. Auf der einen Seite sindsie unverzichtbar für eine mobile Gesellschaft. Sie ver-binden Städte, Länder und Regionen. Sie schaffen Wirt-schaftswachstum und Arbeitsplätze. Zigtausenden Men-schen verhelfen sie zu einem sicheren Einkommen.Reisende erleben die Möglichkeit, mit einem Flieger anunzählige Orte dieser Welt zu fliegen, als eine persönli-che Freiheit, die sie nicht missen wollen.Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Menschen,die von einem Flughafen gar nicht begeistert sind, weilsie nämlich unmittelbar in seiner Nähe wohnen und vomFluglärm betroffen sind. Wer von lauten Flugzeugen umden Schlaf gebracht wird, erlebt dies als Einschränkungseiner Freiheit, als Verlust von Lebensqualität und mög-licherweise sogar als Schaden an seiner Gesundheit.
Es ist vor diesem Hintergrund Aufgabe nachhaltigerPolitik, wirtschaftliche Interessen und das Bedürfnisnach Mobilität auf der einen Seite und den notwendigenSchutz der betroffenen Bevölkerung vor Lärm und Ge-sundheitsschäden auf der anderen Seite in einen ange-messenen Ausgleich zu bringen.
Gerade dies ist ein zentrales umwelt- und verkehrs-politisches Anliegen der Großen Koalition. In unseremKoalitionsvertrag haben wir uns auf eine Vielzahl vonMaßnahmen verständigt, um Fluglärm zu reduzieren,Lärmschutz zu verbessern, und zwar auch und gerade inden Nachtstunden. Dazu gehören beispielsweise lärmre-duzierende flugbetriebliche Verfahren, eine Verschär-fung der Lärmschutzgrenzwerte für neue Flugzeuge,lärmabhängige Flughafenentgelte, die wir im Luftver-kehrsgesetz verankern wollen. Außerdem werden wirdie Grenzwerte des Fluglärmschutzgesetzes in dieser Le-gislaturperiode überprüfen.Auch bei der Festlegung von Flugverfahren wollenwir den Lärmschutz verbessern. Technische Innovatio-nen im Luftverkehr und eine schnelle Modernisierungder Flugzeugflotten mit leisen Flugzeugen sollen dieseMaßnahmen flankieren und verstärken. Wir wollen alsoalle angemessenen Maßnahmen ergreifen, um Menschenvor negativen Einflüssen eines Flughafens zu schützen.Ich freue mich, dass damit ganz viele Punkte Eingang inden Koalitionsvertrag gefunden haben, die die SPD-Bundestagsfraktion in der vergangenen Wahlperiode ineinem besonderen Dialogprojekt mit dem Titel „Infra-strukturkonsens“ in ein Gesamtkonzept gegossen hat.Vieles davon findet sich im Koalitionsvertrag wieder.
Bei allen notwendigen Bemühungen um verstärktenLärmschutz müssen Flughäfen aber auch die Möglich-keit haben, dringende Verkehrsbedürfnisse abzudeckenund wirtschaftlich erfolgreich zu arbeiten. Zudembraucht Deutschland einige Flughäfen, die auch nachtsangeflogen werden können. Daher haben wir uns in derKoalition darauf verständigt, keine generellen Betriebs-beschränkungen mit einem Nachtflugverbot vorzuneh-men. So weit unsere Grundsatzposition.Wie sieht es nun bezüglich des neuen Flughafens Ber-lin Brandenburg aus? Welche Regelungen wurden dortzum Schutz der Bevölkerung getroffen? Für den Flugha-fen BER gelten so strenge Grenzwerte für die Tagseitewie an keinem anderen internationalen Flughafen welt-weit. Bevor ein Anspruch auf passiven Lärmschutz be-steht, ist es ansonsten üblich, dass eine bestimmte An-zahl von Flugbewegungen über einem bestimmtenGrenzwert liegt, nämlich in Deutschland üblicherweiseüber 55 dB(A), und zwar gemessen im Rauminneren derWohnhäuser. Dies ist ein Lärmpegel, der etwa einer nor-malen Unterhaltung entspricht.An den meisten Flughäfen wird eine bestimmte An-zahl von Flugbewegungen zugelassen, die über diesemLärmereignis liegen können, beispielsweise 6 oder 16Flugbewegungen. Diese Zahl lautet für Berlin: 0. Alsobereits eine einzige Flugbewegung über diesem Lärmpe-gel innerhalb der verkehrsreichsten sechs Monate einesJahres führt dazu, dass ein Anspruch auf passiven Lärm-schutz besteht, beispielsweise eine entsprechende Fens-terverglasung, die von der Flughafengesellschaft finan-ziert werden muss. Dies bedeutet mehrere HundertMillionen Euro Zusatzkosten für Lärmschutzmaßnah-men, die es an keinem anderen Flughafen gibt. Insge-samt wird mit Kosten für den Schallschutz von mehr als700 Millionen Euro gerechnet. Das ist, wie wir finden,wirklich gut investiertes Geld für die Gesundheit derMenschen.
Zudem gibt es am Flughafen Berlin Brandenburg einNachtflugverbot in der Zeit von 0 bis 5 Uhr. Das Bun-desverwaltungsgericht hat den entsprechenden Pla-nungsergänzungsbeschluss ausdrücklich für rechtmäßigerklärt. In den Randzeiten abends und morgens darf zu-dem nur eine verminderte Anzahl von Flugzeugen star-ten oder landen. Den Bedarf hierfür hat das Bundesver-waltungsgericht allerdings aus mehreren Gründen als„plausibel dargelegt“ bezeichnet, etwa weil Zeitver-schiebungen und Streckenlängen bei Interkontinentalflü-gen eben Abflüge bis 23.30 Uhr oder Landungen ab5.30 Uhr nötig machen.Nun debattieren wir heute über einen Antrag derFraktion Die Linke, der eine Ausweitung des Nachtflug-verbotes für den neuen Flughafen BER auf die Zeit von22 bis 6 Uhr fordert. Es ist bereits ausführlich dargelegtworden, dass das vor dem Hintergrund geschieht, dassdie Landesregierung Brandenburg nach einem erfolgrei-chen Volksbegehren eine entsprechende Position einge-nommen hat.
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Martin Dörmann
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Es ist auch zu respektieren, dass eine Landesregie-rung vor diesem Hintergrund und auch aufgrund einerkritischen Stimmung in der Bevölkerung sich dazu ent-schlossen hat, weitere Versuche zu unternehmen, umweitere Maßnahmen zum Lärmschutz zu erreichen undso die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen.Ja, es ist wahr, wir als Politik müssen zur Kenntnisnehmen, dass die Bevölkerung insgesamt – und ausguten Gründen – kritischer mit Lärmbelastungen um-geht.
Eine offene Diskussion um das richtige Maß kann letzt-lich dazu beitragen, die Akzeptanz gerade auch vonFlughäfen zu verbessern.In Abwägung aller Argumentekommt die Große Koalition insgesamt dennoch zu einemanderen Ergebnis als die Landesregierung Brandenburg.Deshalb lehnen wir den Antrag der Linken hier ab, unddas möchte ich auch gerne noch einmal näher begrün-den:Wir alle wissen um den schwierigen Weg, den derneue Flughafen bereits hinter sich hat. Er hat aber auchnoch ein gutes Stück Weg vor sich. Es war ein ernsthaf-tes Ringen um einen breit angelegten Konsens, das sei-nerzeit zu der Nachtruhezeit von 0 und 5 Uhr im Plan-ergänzungsbeschluss geführt hat, übrigens federführenderarbeitet vom zuständigen Landesverkehrsministeriumin Brandenburg. Nach langen Jahren vor Gericht gibt esnun ein rechtskräftiges Urteil, das die Rechtmäßigkeitder gefundenen Regelung und damit auch ihre Angemes-senheit bestätigt hat. Von daher können die beiden ande-ren Anteilseigner, nämlich Berlin und der Bund, sehrwohl gute Argumente dafür anführen, den bereits gefun-denen Kompromiss konsequent weiterzuverfolgen.Hinzu kommt, dass es äußerst zweifelhaft ist, obselbst eine einvernehmlich von den Gesellschaftern be-schlossene Ausweitung der Nachtruhezeit unter Zustim-mung aller Anteilseigner rechtlich überhaupt haltbarwäre. Der Flughafen hat nämlich auf Grundlage desPlanergänzungsbeschlusses eine Betriebspflicht in denStunden außerhalb der festgelegten Nachtruhezeit von0 bis 5 Uhr.
Selbst wenn sich die Gesellschafter in der Gesellschaf-terversammlung über eine Ausweitung der Nachtruhe-zeit einig wären, könnte eine Fluggesellschaft daraufklagen – mit Aussicht auf Erfolg –, in den Randzeiten,um die es heute geht, fliegen zu dürfen. Jede Änderungder im Planergänzungsbeschluss gefundenen Nachtruhe-zeit würde also zu neuer Rechtsunsicherheit führen undden wirtschaftlichen Erfolg des Flughafens infrage stel-len.In einem Gutachten wurde errechnet, dass, wenn mandie Nachtruhezeit auf die drei Randstunden ausdehnenwürde, mit Mindereinnahmen von 40 Millionen Europro Jahr und einem Verlust von 8 000 Arbeitsplätzen zurechnen wäre. Da die Zahl der Flugbewegungen pro-gnostisch sogar noch höher ist, wird der Verlust wahr-scheinlich noch höher ausfallen.Ich will zudem daran erinnern, dass der FlughafenBER gerade deshalb außerhalb des Stadtgebiets neu ge-plant wurde, um dort die Möglichkeiten für ein Flug-drehkreuz zu schaffen, das den Menschen in Berlin undBrandenburg neue Reiseziele ermöglicht und die hohen– ja, die sehr hohen – Investitionskosten für alle Betei-ligten rechtfertigt.Wir alle wissen: Beim BER sind noch zahlreiche Pro-bleme zu lösen. Wir sollten also dazu beitragen, die Vo-raussetzungen für einen wirtschaftlichen Erfolg desFlughafens zu bewahren. Ansonsten droht ein Dauer-subventionsbetrieb, der auch nicht im Interesse der Bür-gerinnen und Bürger sein kann.Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht letztlich umeinen Dreiklang: Der Flughafen muss technisch funktio-nieren, er muss wirtschaftlich betrieben werden können,und die um ihn herum lebenden Menschen müssen kon-sequent und angemessen vor vermeidbarem Lärm ge-schützt werden. Auch wenn es in der heute diskutiertenFrage offensichtlich Akzentunterschiede gibt, so bin ichdoch hoffnungsvoll, dass am Ende des Tages alle Betei-ligten, insbesondere die drei Anteilseigner, einen Wegfinden werden, um gemeinsam zum Erfolg des Flugha-fens und zu einem guten Lärmschutz dort beizutragen.Vielen Dank.
Jetzt hat Klaus-Dieter Gröhler das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-gen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! 164, das ist dieAntwort auf die Frage, warum die Fraktion Die Linke ih-ren Antrag hier heute eingebracht hat.Die Frage nach dem Warum stellt sich ja inzwischenbesonders, seit der Ministerpräsident des Landes Bran-denburg am letzten Montag das Scheitern seiner Forde-rung nach einer Veränderung des Nachtflugverbots ein-gestanden hat und jetzt nur noch appelliert, dass es Startszwischen 5 und 6 Uhr nicht geben soll. Damit ist dieGrundlage für diesen Antrag eigentlich entfallen. Ei-gentlich, meine Damen und Herren, hätten Sie sich heutehierhinstellen und sagen müssen: „Wir ziehen diesenAntrag zurück“; denn er hat gar keine Basis mehr.
Warum Sie das nicht getan haben, lässt sich mit derZahl 164 erklären: In 164 Tagen wird in Brandenburgein neuer Landtag gewählt. Ich glaube, das ist der eigent-liche Grund, weshalb dieser Antrag hier heute gestelltworden ist. Die Linke will Flagge zeigen. Klar: Wennman praktisch in fünf Jahren Regierungsbeteiligung in
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2121
Klaus-Dieter Gröhler
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Brandenburg nicht viele Erfolge vorzuweisen hat, dannmuss man versuchen, hier einen Schaufensterantrag zustellen.Ich glaube, Ihnen geht es gar nicht wirklich um denLärmschutz und auch nicht um den Schutz der Men-schen vor Ort, sondern darum, möglichst viele der100 000 Stimmen beim damaligen Volksentscheid alsWählerstimmen am 14. September 2014 an sich zu bin-den;
denn die antragstellende Fraktion weiß: Selbst wenn derBund als Anteilseigner mit dem Land Brandenburg zu-sammen für eine Änderung des Nachtflugverbots stim-men würde, würden beide am Votum Berlins scheitern,weil die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung75 Prozent Zustimmung benötigen, um erfolgreich zusein. Das Land Berlin selbst hält aber 37 Prozent der An-teile. Damit können die 75 Prozent gar nicht zusammen-kommen.
– Liebe Frau Paus, der Berliner Senat hat sich aber klargegen eine Änderung des Nachtflugverbots ausgespro-chen. Nun bin ich ja wahrlich nicht jemand, der sehr ofteiner Meinung mit dem Regierenden Bürgermeister mei-ner schönen Heimatstadt Berlin ist, aber an der Stellefinde ich es nun einmal richtig, dass Klaus Wowereiteine klare Kante zeigt.
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Nord zu?
Nein, Frau Präsidentin. Ich würde gerne im Zusam-menhang ausführen, weil ich finde, dass gerade die An-merkungen des Regierenden Bürgermeisters in diesemPunkt sehr wichtig sind. – Er hat sich klar gegen eineAusdehnung des Nachtflugverbots ausgesprochen undgesagt, er werde nicht zulassen, dass der BER zum Pro-vinzflughafen wird. Ich sage einmal: Das ist auch gut so.
Vielleicht sollten die Linken einmal zur Kenntnisnehmen, dass eine Übereinstimmung zwischen dem, wasSie hier fordern, und dem, was Ihre Fraktion im Abge-ordnetenhaus von Berlin fordert, nicht besteht.
Während Sie hier sagen, dass die im Planfeststellungs-verfahren fixierten Nachtruhezeiten, die vom Bundes-verwaltungsgericht bestätigt worden sind, korrigiertwerden sollen, fordern Sie im Abgeordnetenhaus vonBerlin lediglich, dass die Flugzeuge nicht mehr zwi-schen 22 Uhr und 6 Uhr starten sollen. Von Landungenspricht Ihre Fraktion in dem Antrag, den sie am 2. April2014, also ganz aktuell, gestellt hat, überhaupt nicht.Vielleicht können Sie einmal versuchen, zwischen denGenossen hier und den Genossen da eine Harmonie her-beizuführen.
Ich darf noch einmal den Regierenden Bürgermeisterzitieren. Laut Frankfurter Allgemeiner Zeitung vom19. Februar 2013 hat Klaus Wowereit gesagt: Jede Kor-rektur beim Nachtflugverbot ist ein Schaden für die Re-gion. – Diesen Schaden kann auch die Linke nicht wol-len; denn sonst hätte sie im November 2009 nicht einenKoalitionsvertrag mit der SPD in Brandenburg mit fol-gendem Inhalt beschlossen – ich darf kurz zitieren –:Die wirtschaftlichen Effekte des BBI sind bereitsheute spürbar, sie werden wichtiger Wachstumsim-puls bleiben. Der BBI schafft bis zu 40.000 Arbeits-plätze in der Region – vor allem durch steigendePassagierzahlen, eine signifikante Verbesserung derStandortgüte sowie zusätzliche Kaufkrafteffekte.
Damals haben Sie erkannt, dass ein Flughafen we-sentliche Wachstumsimpulse für die Region Berlin/Brandenburg initiieren kann, aber eben nur ein Flugha-fen, der konkurrenzfähig ist und sich gegen die Ange-bote seiner Mitbewerber behaupten kann. Von einemNachtflugverbot ist im damaligen Koalitionsvertragüberhaupt gar keine Rede gewesen. Damals hätten Siediese Forderung mit unterbringen können, aber das ha-ben Sie nicht.Auch in Ihrer zehnjährigen Beteiligung an der Berli-ner Landesregierung haben Sie sich übrigens nicht fürein ausgedehntes Nachtflugverbot eingesetzt, und Ver-treter der Linken hätten schon jahrelang in den Gremiendes Flughafens entsprechende Forderungen durchsetzenkönnen. Ich frage Sie: Wozu sitzen denn zwei linke Lan-desminister im Aufsichtsrat, wenn die Bundestagsfrak-tion hier kurz vor dem Brandenburger Landtagswahl-kampf einen entsprechenden Schaufensterantrag stellenmuss?
Verstehen Sie mich nicht falsch: Schallschutz ist einwichtiges
und grundgesetzlich geschütztes Gut für die Menschen.Auch über meinem Berliner Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf verlaufen Flugrouten.
Deshalb ist es richtig und wichtig, dass die Flugroutennach der Inbetriebnahme des BER – ich lege mich hierjetzt nicht auf ein Jahr fest; das wissen wir alle nicht ge-
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Klaus-Dieter Gröhler
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nau – von den zuständigen Behörden evaluiert, das heißtüberprüft und bewertet werden und dass dann unter Be-rücksichtigung des aktuellen Standes der Technik derFluggeräte entsprechende, möglicherweise neue Ent-scheidungen hinsichtlich der Flugrouten getroffen wer-den.Dabei ist aber auch wichtig, dass es hier nicht zu einerAusdehnung von Strecken kommt, weil Umweltschutz– es geht hier auch um die Vermeidung von Wegen – undLärmschutz schon Hand in Hand gehen müssen. DasGanze wird man im Rahmen einer Untersuchung, einesUmweltmonitorings, unter anderem für die Region amMüggelsee, bewerten müssen. Dabei sind auch die Wirt-schaftlichkeit des Flughafens und die Anbindung der Re-gion wichtig und mit zu betrachten.Schon heute zu fordern, dass ein Flughafen von 22 bis6 Uhr geschlossen sein muss, obwohl wir noch nicht ein-mal wissen, wann er seine Tore tatsächlich öffnen wird,ist purer Populismus und hat mit einer ausgewogenenund sachorientierten Politik nichts mehr zu tun.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Ja zu einem erfor-derlichen und effektiven Lärmschutz für die Menschenin den betroffenen Bereichen, Ja zum Umweltschutz inder Flughafenregion, Ja zur Leistungsfähigkeit und Wirt-schaftlichkeit des Flughafens, Nein zur Änderung desbestehenden Nachtflugverbots und Nein zu Ihrem An-trag.Abschließend möchte ich noch einmal den Regieren-den Bürgermeister zitieren, der in dieser Frage viel Rich-tiges gesagt hat.
Laut Tagesspiegel vom 21. März 2012 richtete er an alleFlughafengegner eine interessante Warnung – Zitat –:Und ich sage all denen, die jetzt protestieren: Wehe,ich erwische einen davon, der am neuen Flughafeneincheckt.Lassen Sie mich hinzufügen: Ich bin gespannt, wie oftich Kollegen der Linksfraktion, falls der Flughafen ir-gendwann einmal in Betrieb ist, morgens um 5.30 Uhrtreffe, wenn sie in ihren Flieger steigen.Schönen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/971 mit dem Titel
„Nachtruhe am Flughafen Berlin Brandenburg sicher-
stellen – Antrag des Landes Brandenburg unterstützen“.
Wer stimmt für diesen Antrag? – Das sind die Fraktion
Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer
stimmt gegen diesen Antrag? – Das ist die Koalition.
Wer enthält sich? – Einige Enthaltungen. Damit ist der
Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men von Bündnis 90/Die Grünen und die Linke abge-
lehnt worden.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan
Mayer , Armin Schuster (Weil am
Rhein), Clemens Binninger, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der
Abgeordneten Dr. Lars Castellucci, Gabriele
Fograscher, Uli Grötsch, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
Herstellung des Einvernehmens des Deut-
schen Bundestages mit der Bestellung des
Instituts für Gesetzesfolgenabschätzung und
Evaluation beim Deutschen Forschungsinsti-
tut für Öffentliche Verwaltung, Speyer, als
wissenschaftlicher Sachverständiger im Rah-
men der Evaluierung des Rechtsextremismus-
Datei-Gesetzes
Drucksache 18/974
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat der Kollege
Clemens Binninger das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Dass wir heute über die Evaluierung eines Gesetzesreden, hat vor allem mit der Zahl 36 zu tun. Sie be-schreibt nämlich, warum wir solche Gesetze überhauptbrauchen. 36 ist die Zahl der Sicherheitsbehörden, die inDeutschland für die Bekämpfung des gewaltbereitenRechtsextremismus zuständig sind: 36 verschiedene Be-hörden bei Polizei und Verfassungsschutz, beim Bundund bei den Ländern.Es war schon immer ein großes Anliegen, zu garantie-ren, dass Informationen, die die Polizei bei der Verfol-gung schwerer Straftaten oder zur Verhinderung vonAnschlägen braucht, möglichst ausgetauscht werdenkönnen. Wie sah die Realität vor Inkrafttreten dieses Ge-setzes und vor Einführung der Rechtsextremismusdateiaus? Eines der bedrückendsten Beispiele dafür konntenwir im vergangenen Jahr im Untersuchungsausschuss er-leben. Es ging um die Aufklärung und Ermittlungen ineiner Serie von damals schon mehreren Morden. DiePolizei eines Bundeslandes bat die Verfassungsschutzbe-hörde desselben Bundeslandes um Informationen zu ge-waltbereiten Rechtsextremisten, um die Ermittlungenvorantreiben zu können. Wer jetzt glaubt, dass eine sol-che Anfrage vielleicht in ein oder zwei Wochen – einegewisse Sorgfalt muss sicherlich sein – beantwortet ist,der sah sich damals bitter getäuscht. Es hat neun Monategedauert, bevor zwischen zwei Landesbehörden Daten
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2123
Clemens Binninger
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über gewaltbereite Rechtsextremisten ausgetauscht wur-den.Bei diesem Zustand konnten wir es nicht belassen.Deshalb haben wir die Rechtsextremismusdatei auf denWeg gebracht, übrigens damals schon mit mehr als nurden Stimmen der Regierungskoalition. Die Kollegen derSPD waren auch mit dabei. Die Datei ist ein wichtigesInstrument, das wir im Kampf gegen den Rechtsextre-mismus brauchen.
Über die Datei gab es lange politischen Streit – heutewird er vielleicht nicht unbedingt geführt werden, weilwir mehr über die Evaluierung reden – in der Frage:Geht das überhaupt in Deutschland? Ist eine gemein-same Datei von Verfassungsschutz und Polizei möglich,oder verstößt das gegen das Trennungsgebot? BeimTrennungsgebot geht es darum, dass Verfassungsschutzund Polizei unterschiedliche Aufgaben haben. Der Ver-fassungsschutz hat keinen Strafverfolgungszwang, aberauch keine Zwangsmittel. Die Polizei hat Strafverfol-gungszwang, und sie kann ihn mit Zwangsmitteln durch-setzen.Ich bin froh, dass diese Debatte zwischenzeitlichhöchstrichterlich entschieden wurde; denn wir haben ne-ben der Rechtsextremismusdatei im Bereich des interna-tionalen Terrorismus schon länger die Antiterrordatei,die nach dem gleichen Prinzip arbeitet. Das Bundesver-fassungsgericht in Karlsruhe hat am 24. April 2013 ent-schieden, dass die Antiterrordatei grundsätzlich mit derVerfassung vereinbar ist und dass das Trennungsgebotbeachtet wurde, dass aber Korrekturbedarf besteht. Icherwähne das, weil wir das Gesetz zur Rechtsextremis-musdatei dem Antiterrordateigesetz nachempfunden ha-ben. Es enthält in etwa die gleichen Befugnisse und diegleichen Bestimmungen. Auch dort werden wir Korrek-turen vornehmen müssen. Ich wage die Prognose, dasssich das auch auf die Evaluierung auswirken wird.Wir haben damals mit dem Gesetz beschlossen, dassnoch vor 2016 eine Evaluierung erfolgen soll. Sie solldeutlich machen, ob das Gesetz die Anforderungen, diewir stellen, überhaupt erfüllt hat, wie viele Daten erfasstsind, ob es funktioniert, wie viele Abfragen gemachtwurden oder ob am Ende keine Verbesserung erzieltwerden konnte – was ich nicht glaube. Die Erfahrungenmit diesen Dateien werden, glaube ich, von den Prakti-kern bislang durchaus positiv bewertet. Aber es war unswichtig, dass wir uns solchen Evaluierungen nicht ver-schließen. Sie helfen uns, mit Sachverstand von außeneinen genaueren Blick darauf zu werfen, welche Wir-kung Gesetzgebung hat und was wir vielleicht korrigie-ren müssen.Das Gesetz sieht auch vor, dass die Evaluierung unterEinbeziehung eines oder mehrerer Sachverständiger, dieim Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag bestelltwerden, erfolgen muss. Um genau dieses Einvernehmengeht es heute. Mit dem vorliegenden Antrag soll das Ein-vernehmen hergestellt werden, damit der Bundesinnen-minister einen Sachverständigen beauftragen kann.Vorausgegangen ist ein Vergabeverfahren, bei demnach klaren Kriterien ausgewählt wurde. Diese Kriteriensind zum Teil kritisiert worden wegen etwas unklarerOberbegriffe. Aber am Ende wurde ein Vorschlag präfe-riert, nämlich das Institut in Speyer, das Erfahrungen mitsolchen Gesetzesfolgenabschätzungen hat. Es hat auchschon das Informationsfreiheitsgesetz bewertet und sehrgute und konstruktive Vorschläge gemacht.Es geht darum, verehrte Kolleginnen und Kollegen,solche Instrumente zu nutzen, um wertvolle neue Hin-weise zu bekommen. Es geht nicht darum, irgendwelcheAlibiveranstaltungen durchzuführen nach dem Motto„Hauptsache, man hat das gemacht“, sondern darum, zuerkennen: Lagen wir mit unserem Gesetzentwurf rich-tig? Hat er die Wirkungen erbracht, die wir uns von ihmerhofft haben? Ist die Zusammenarbeit zwischen Polizeiund Verfassungsschutz besser geworden? Hat es dazubeigetragen, schwere Straftaten aufzuklären oder Gefah-ren abzuwehren? Speisen die Behörden die notwendigenDaten ein? Auch das ist ein Punkt, den man beachtenmuss: Wie viele Daten sind erfasst? Wie tief ist derGrundrechtseingriff? Wobei ich an dieser Stelle immerdazusage: In dieser Datei sind gewaltbereite Rechts-extremisten gespeichert. Dessen muss man sich immerbewusst sein. Es geht darum, die Informationen darüberunter den Behörden auszutauschen. – All das sind Fra-gen, die sich mit dieser Evaluation verbinden und auf diewir, wenn wir das Einvernehmen herstellen, kluge Ant-worten erhalten werden.Ich weiß nicht, ob der Zeitpunkt – das wird das Bun-desinnenministerium im Detail abstimmen – vielleichtetwas früh ist – wir hatten eine Frist bis Ende 2016 ge-setzt – oder ob man noch etwas zuwarten sollte, um ein-fach einen größeren praktischen Erfahrungsschatz undmehr Anwendungsfälle zu haben. Aber ich glaube, wirkönnen darauf vertrauen, dass ein Zeitpunkt gewähltwird, der zu dem bestmöglichen Ergebnis führt. Wenndas der Fall ist, sollten wir uns hinterher mit diesen Er-gebnissen auch befassen. Wir sollten sie nicht auf dieSeite legen und sagen: „Jetzt haben wir unsere Pflicht er-füllt, wie es im Gesetz steht“, uns aber ansonsten nichtweiter darum kümmern, sondern wir sollten sie natür-lich, wenn notwendig, in Gesetzesänderungen einfließenlassen.Aber entscheidend ist – das muss man, glaube ich,immer wieder betonen –: Unsere föderale Sicherheitsar-chitektur ist in manchen Deliktsbereichen kompliziert.Wir wollen sie aber so beibehalten. Sie muss aber dannim Zusammenspiel funktionieren. Wenn es funktionierensoll, dass 36 unterschiedliche Behörden Informationenauf Deliktsfeldern austauschen, deren Bekämpfung unsallen am Herzen liegt, und wenn die Polizei beispiels-weise wissen möchte, ob der Verfassungsschutz in einemanderen Bundesland über eine bestimmte gewaltbereite,rechtsextreme Person schon Erkenntnisse hat, dann darfeine solche Abfrage nicht mehr neun Monate dauern.Das ist niemandem zu erklären. Dann ist mit dieser Dateieine Abfrage innerhalb weniger Sekunden möglich. Da-mit heben wir die Qualität der Zusammenarbeit der36 Behörden auf eine neue Ebene.
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2124 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Clemens Binninger
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Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir nicht nurüber die Evaluierung reden sollten, sondern auch die Er-kenntnisse dazu nutzen sollten, eine grundsätzliche De-batte darüber zu führen, wie wichtig diese Dateien sind.Ohne wird es nicht gehen. Wir brauchen die Zusammen-arbeit, und wir können nicht monatelang warten. Des-halb sollten wir nicht von vornherein sagen, egal wie dieEvaluierung ausgeht: Unsere Position steht schon fest.Wir lehnen das ab. – Wer das ablehnt, müsste eine Alter-native bieten. Die sehe ich nirgends. Die Alternative zueiner solchen gemeinsamen Datei von Polizei und Verfas-sungsschutz, die evaluiert werden kann – dazu beschlie-ßen wir heute den Antrag –, wäre die Zusammenarbeit inalter Form: neun Monate warten auf Ergebnisse. Daskann ernsthaft niemand wollen. Deshalb bitte ich heuteum Zustimmung zu diesem Antrag.Herzlichen Dank.
Jetzt spricht Ulla Jelpke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der
Tat sprechen wir heute über die Verbunddatei Rechts-
extremismus, die 2012 hier beschlossen worden ist. Der
Kollege Binninger hat eben schon gesagt: 36 Polizeibe-
hörden und Geheimdienste von Bund und Ländern ha-
ben Zugriff auf diese Datei.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat diese Datei
vor dem Hintergrund des Versagens der Sicherheitsbe-
hörden gegenüber der Mordserie der Naziterrororganisa-
tion NSU eingeführt. Wir sagen hier ganz klar, dass eine
Evaluierung dringend nötig ist. Aber die Frage ist eben:
In welcher Form und von wem wird sie durchgeführt?
Wir denken schon, dass Bürgerrechtsorganisationen ei-
gentlich die Richtigen wären, wenn man über die Evalu-
ierung spricht; denn gerade sie können am besten bewer-
ten, wie Grundrechte möglicherweise verletzt werden.
Wir von der Linken haben damals der Einrichtung
dieser Datei nicht zugestimmt, weil wir mehr als skep-
tisch waren. Das sind wir weiterhin. Wir leiden keines-
wegs unter Paranoia. Aber ich möchte daran erinnern,
dass dieses Haus beschlossen hatte, ein Abwehrzentrum
gegen rechts einzurichten. Das war im Prinzip richtig.
Aber unsere Befürchtung, dass aus der Datei möglicher-
weise eine Zentraldatei bzw. aus dem Abwehrzentrum
gegen rechts ganz schnell ein Abwehrzentrum gegen Ex-
tremismus wird, hat sich bewahrheitet. Nur wenige Mo-
nate nachdem dieses Abwehrzentrum gegen rechts ein-
gerichtet wurde, haben Sie ein Abwehrzentrum gegen
Extremismus eingerichtet. Damit haben Sie im Grunde
genommen den Kampf gegen Rechtsextremismus instru-
mentalisiert, um nicht nur Islamisten und Rechtsextre-
misten, sondern auch Antifaschisten und Antikapitalis-
ten einzubeziehen. Da macht die Linke auf gar keinen
Fall mit.
Die Verstrickung des Verfassungsschutzes in den
NSU-Skandal und in den Nazisumpf, der sich hier auf-
getan hat, macht sehr deutlich, dass die Geheimdienste
im Grunde genommen zur Verschleierung beigetragen
haben, indem sie beispielsweise Akten vernichtet haben.
Die Geheimdienste sind nicht kontrollierbar. Nichtsdes-
totrotz bekommen sie mit der Datei und dem Abwehr-
zentrum mehr Rechte. In diesem Zusammenhang ist es
unbedingt notwendig, zu klären, wie mit dem grundge-
setzlichen Gebot der Trennung von Geheimdiensten und
Polizei verfahren werden soll. Die Linke hat dazu eine
klare Meinung. Die Trennung muss weiter bestehen, um
überhaupt Kontrollstrukturen einzurichten. Solche Struktu-
ren gibt es gegenwärtig kaum.
Bei der Evaluierung ist für uns die Effektivität im
Kampf gegen Rechtsextremismus und Naziterror ent-
scheidend. Dabei muss nicht nur die Datei, sondern müs-
sen alle Instrumente unter grundgesetzlichen Aspekten
überprüft werden. Wie Herr Binninger eben gesagt hat,
wurden viele Institutionen geschaffen, bei denen es keine
Trennung zwischen polizeilicher und geheimdienstlicher
Arbeit gibt. Wir haben es bei der Rechtsextremismusda-
tei mit einer erneuten Aufweichung des grundgesetzli-
chen Trennungsgebots zu tun. Man kann nicht einfach
eine Sache klonen. Sie haben auf die Antiterrordatei hin-
gewiesen. Diese Datei, die sieben Jahre existiert, ist bis
heute nicht evaluiert, obwohl es immer wieder gefordert
wurde.
Deswegen fordern wir eine weiter gehende Evaluierung,
und zwar nicht nur der Rechtsextremismusdatei.
Im Grunde genommen wird der Rechtsextremismus
instrumentalisiert, um den Grundrechteabbau fortzu-
schreiben. Wir gehen aber davon aus, dass es eher mehr
Demokratie bedarf, um Rechtsextremisten zu bekämp-
fen. Ich glaube, dass es für die Rechtsextremisten ein
Sieg wäre, wenn die Trennung von geheimdienstlicher
und polizeilicher Arbeit weiterhin so verläuft, wie Sie es
beschlossen haben.
Danke.
Als nächster Redner hat Michael Hartmann das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Um es klar vorweg zu sagen: Was uns hier in diesemHaus und weit darüber hinaus – bis hin zu den vielenbürgerschaftlich engagierten Gruppen – eint, ist dieKlarheit, dass in unserem Land nie mehr, zu keiner Mi-nute und an keiner Stelle, zugelassen werden darf, dassdie Rechten, die Nazis, noch einmal ihr Haupt erhebenund uns verhöhnen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2125
Michael Hartmann
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Nicht etwa der Abbau von Behördenkompetenzen undbehördlichem Handeln ist gefordert, um Nazis und ihreHelfershelfer zu bekämpfen. Vielmehr sind und bleibeneffiziente und gute staatliche Strukturen die Antwort derwehrhaften Demokratie im Kampf gegen rechts.
Wir reden heute über die Evaluierung eines Gesetzes,das im August 2012 verabschiedet wurde. Der Anlasswar schlimm genug. Es ist bekannt geworden, dass weitüber zehn Jahre hinweg ein Mördertrio durch unser Landziehen konnte, das glaubte, Menschen, nur weil sie ande-rer Abstammung waren, töten zu können. Diese Erschüt-terung, die uns allen noch in den Knochen steckt, hatdazu geführt, dass wir uns gemeinsam überlegt haben,welche Konsequenzen wir ziehen können und müssen.Eine der ersten Konsequenzen war die Bildung dieserDatei, weil sich gezeigt hat, dass wir bei vielen Behör-den, an vielen Stellen Wissen über diese drei und ihrNetzwerk hatten, dies aber nie vernünftig zusammenge-führt wurde. Insofern ist die Bildung dieser Datei keinSchlag gegen Bürgerrechte, liebe Ulla Jelpke, sonderneine Bedingung, um zu verhindern, dass in ZukunftNazis weiter schadlos agieren können.
Wir haben, wie Sie, Herr Kollege Binninger, völlig zuRecht gesagt haben, nicht nur diese Datei mit ausdrück-licher Zustimmung der SPD eingerichtet. Es wurde auchdas Abwehrzentrum gegen rechts gegründet. Das warengute und notwendige Schritte; denn wir stellen immerwieder fest: Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vonBehörden – zwischen Bund und Ländern, aber auch zwi-schen den verschiedenen Behörden –, die sich oft genugmit ungesundem Misstrauen begegnen, erst einmal ge-meinsam am Tisch sitzen, sich in die Augen schauen undSachverhalte gemeinsam erörtern, dann wird jenes Miss-trauen abgebaut und eine Kultur des Miteinanders undder Zusammenarbeit geschaffen, die in einem föderalenStaat die Grundvoraussetzung dafür ist, dass Sicherheits-organe effizient funktionieren. Deshalb war es richtig,diese Datei einzurichten. Aber eine Bedingung für dieZustimmung der SPD war damals, dass jene Evaluie-rung, über die wir heute reden, in das Gesetz aufgenom-men wird. Das hat zwei Gründe.Erstens. Es gehört zu einer modernen Gesetzgebung,überhaupt zu evaluieren und nicht zu sagen: Das ist inStein gemeißelt und immer wahr. Die Verhältnissekönnen sich ändern. Man kann feststellen, dass Fehlerbegangen wurden, dass die angestrebte Tiefe nicht er-reicht wurde oder dass das Übermaßverbot nicht gewahrtwurde. Insofern gehört es dazu, Gesetze von Zeit zu Zeitauf den Prüfstein zu stellen und sie gegebenenfalls zukorrigieren oder sogar zurückzunehmen.Zweitens. Natürlich bedeutet eine Datei, die zur Be-kämpfung von Rechtsextremisten und Neonazis einge-richtet wird, einen Eingriff in die Bürgerrechte. Deswe-gen muss sehr sorgfältig und sorgsam damitumgegangen werden. Darum haben wir gesagt – und wirhalten dies nach wie vor für richtig –, dass wir diesemGesetz nur zustimmen können, wenn wir nach einer ge-wissen Zeit noch einmal prüfen: Wurde erreicht, was wirerreichen wollten? Sind wir zu weit gegangen? Sindvielleicht Personen oder Spuren zusammengeführt wor-den, die wir in einer solchen Datei nicht zusammenge-führt sehen wollen?Das sind die beiden Gründe: Gründlichkeit modernerGesetzgebung und Schonung der Bürgerrechte. Deshalbwar es wichtig, die Evaluierung einzuführen, und des-halb ist es richtig, heute zu beschließen, dass ein entspre-chender Auftrag erteilt wird.
Damit sind wir aber nicht am Ende bei unseremKampf gegen den Nationalsozialistischen Untergrundund gegen Rechtsextremisten. Es muss viel weiter ge-hen. Die Große Koalition hat beschlossen, dass die Emp-fehlung des NSU-Untersuchungsausschusses, die in er-freulicher Gemeinschaftlichkeit beschlossen wurde – dassage ich ausdrücklich –, eins zu eins umgesetzt wird.
– Ich habe gesagt: gemeinschaftlich beschlossen. Damitmeine ich: ausdrücklich auch mit Ihren Stimmen und ineiner guten Zusammenarbeit mit allen Fraktionen. Daswar eine Meisterleistung des Deutschen Bundestagesund des parlamentarischen Regierungssystems. Ich willhier niemandem Anerkennung und Respekt dafür ver-weigern, sondern – im Gegenteil – dies allen erweisen.Aber Sie müssen schon anerkennen, dass diese GroßeKoalition gesagt hat, dass alles eins zu eins abgearbeitetund umgesetzt wird. Das ist keine Selbstverständlich-keit. Auch hier mussten Hindernisse überwunden wer-den. Wenn wir jetzt gemeinsam dafür sorgen, dass dasgemacht wird, dann setzen sich der gute Geist und diegute Kultur des Untersuchungsausschusses fort.Für uns bedeutet das mindestens, dass wir beim Um-bau der Sicherheitsbehörden noch weiter gehen müssen,dass beim Verfassungsschutz Fenster und Türen geöffnetwerden, dass gelüftet wird und eine andere Kultur derArbeit eintritt. Das bedeutet für uns auch, dass wir beider Führung von V-Personen sehr viel genauer, besserund kritischer werden müssen, und, liebe Ulla Jelpke,dass die Zusammenarbeit mit den Einrichtungen und In-stitutionen, und zwar auch der kritischen und sehr kriti-schen, in der Bürgergesellschaft intensiviert werdenmuss.Das alles und noch viel mehr gehört dazu, wenn wirLehren aus dem ziehen wollen, was uns dieses Mörder-trio an schlimmer Geschichte in unser Stammbuch ge-schrieben hat. Ich bin sicher, dass der Deutsche Bundes-tag dies will. Wir halten die Beauftragung des Instituts inSpeyer für richtig, weil dort kompetente und erfahreneLeute sitzen, die ihre Unabhängigkeit und hohe Exper-tise bereits oft bewiesen haben, und hoffen, alle in die-sem Hause sehen das ebenso.Vielen Dank.
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2126 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
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Jetzt hat Irene Mihalic das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Vorhin ist schon mehrfach das Bundesverfassungs-gerichtsurteil zur Antiterrordatei angesprochen worden,in dem das informationelle Trennungsprinzip zwischenPolizei und Nachrichtendiensten eindeutig festgestelltwurde. Der erhebliche Prüf- und Änderungsbedarf, dersich aus diesem Urteil ergibt, ist, glaube ich, hier imHause allen klar. Auch die von der Bundesregierung ge-leitete Kommission hat in ihrem Abschlussbericht ein-stimmig angemahnt, dass wegen der strukturellen Ver-gleichbarkeit mit der Antiterrordatei auch hinsichtlichder Rechtsextremismusdatei analysiert werden müsse,welche konkreten Folgerungen aus diesem Urteil abzu-leiten sind. Schön, könnte man jetzt denken, dannkommt die wissenschaftliche Evaluierung der Rechts-extremismusdatei ja gerade recht.Kollege Binninger, Sie haben eben die sehr guteEvaluierung des IFG angesprochen. Es gibt aber einenUnterschied; denn bei der Evaluierung des IFG konntevonseiten des Deutschen Bundestages noch Einfluss aufdas Evaluierungsdesign genommen werden. Das stelltsich hier aber anders dar, weil das BMI die Federführunghat. Insofern muss man leider sagen, dass die Evaluie-rungspraxis der Bundesregierung keine allzu rühmlicheGeschichte hat.
Beim Terrorismusbekämpfungsgesetz hat sich dasBundesinnenministerium ganz ungeniert selbst evaluiertmit dem Ergebnis, dass Eingriffsbefugnisse für dieSicherheitsbehörden noch nicht weit genug gehen. Als2010 dann das Terrorismusbekämpfungsergänzungsge-setz evaluiert wurde, hat man die grundrechtsorientierteAnalyse gleich ganz vergessen. Zwar wurde nochschnell ein Rechtsgutachten nachgeschoben; aber selbstder damit beauftragte Gutachter Professor Dr. AmadeusWolff
hat öffentlich kritisiert, dass damit auch nicht bereinigtwerden könne, dass bei der Evaluierung wieder nur dieVollzugsinteressen der Sicherheitsbehörden und nichtdie Grundrechte im Vordergrund gestanden haben.Bei der Antiterrordatei sah es leider nicht viel besseraus. Erst wurde die Evaluierung verschleppt, weilFristen nicht eingehalten wurden. Dann fehlte wiedereinmal die verfassungsrechtliche Analyse. Auch hierwurde auf ein rechtswissenschaftliches Zweitgutachtenverwiesen, auf das wir aber bis heute warten.Es ist zu befürchten, dass es bei der baugleichenRechtsextremismusdatei wieder so laufen wird, wobeiwir uns schon fragen, auf welcher sachlichen Grundlagewir das heute hier im Bundestag entscheiden sollen;denn, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,Sie haben es ja vermieden, Ihrem Antrag das Angebotdes Forschungsinstituts beizufügen, aus dem man dasEvaluierungsdesign hätte erkennen können. Was ich alsMitglied des Innenausschusses darüber weiß, stimmtmich alles andere als optimistisch, ob bei der Evaluie-rung das Urteil berücksichtigt wird. Ich möchte hier ein-deutig klarstellen: Es ist nicht so, dass ich die Kompe-tenzen des Instituts anzweifle; ganz im Gegenteil. Aberes ist zu befürchten, dass bei der Evaluierung wieder nurdie Vollzugsinteressen im Vordergrund stehen und nichtdie Grundrechte, und das, obwohl wir hier ein Bundes-verfassungsgerichtsurteil umzusetzen haben.Liebe Kolleginnen und Kollegen, so geht es nicht. Esist unsere verfassungsrechtliche Pflicht, für eine verfas-sungskonforme Gesetzgebung zu sorgen und die Recht-sprechung des Bundesverfassungsgerichts zu achten undauch umzusetzen. Deshalb werden wir Grüne heute un-ser Einvernehmen nicht erteilen.
Denn wo Evaluierung draufsteht, muss auch Evaluie-rung drin sein. Wenn wir hier unser Einvernehmen aufBasis Ihres Antrages erteilen würden, dann würden wirdie Katze im Sack kaufen, weil wahrscheinlich außerden Mitgliedern des Innenausschusses kaum jemandetwas über das Evaluierungsdesign weiß.
Ich sage es noch einmal ganz ausdrücklich: Uns geht esum eine Evaluierung am Maßstab der Verfassung undder Grundrechte und nicht darum, hier das Institut inMisskredit zu bringen. Den Namen des Instituts habenSie von der Koalition hier völlig ohne Not öffentlich ge-macht und nicht wir.
Sie haben sich in Ihrem Antrag auf die Empfehlungendes NSU-Untersuchungsausschusses und auf die Not-wendigkeit bezogen, hier für einen besseren Informa-tionsaustausch zu sorgen; das haben Sie eben in IhrenReden dargestellt. Aber man kann nicht sagen: Nur weilwir eine Rechtsextremismusdatei haben, läuft es besser. –Ein wesentliches Versagen im Zusammenhang mit demNSU bestand ja darin, dass man den Rechtsterrorismusnicht erkannt hat. Man muss den Rechtsterrorismus docherst einmal erkennen, bevor man damit eine Datei füllenkann. Auch das ist ein wichtiger Punkt.Herr Binninger, Sie haben eben gesagt: Wenn man da-gegen ist, dann muss man eine Alternative bieten. – Un-sere Alternative ist eine gesetzliche Einhegung gemein-samer Zentren, orientiert an verfassungsrechtlichenMaßstäben und grundrechtlichen Aspekten.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2127
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Druck-
sache 18/974 mit dem Titel „Herstellung des Einverneh-
mens des Deutschen Bundestages mit der Bestellung des
Instituts für Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation
beim Deutschen Forschungsinstitut für Öffentliche Ver-
waltung, Speyer, als wissenschaftlichen Sachverständi-
gen im Rahmen der Evaluierung des Rechtsextremis-
mus-Datei-Gesetzes“. Wer stimmt für diesen Antrag?
– Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dage-
gen? – Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die
Linke. Damit ist der Antrag gegen die Stimmen von
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Linken ange-
nommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise
Amtsberg, Volker Beck , Hans-Christian
Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kontoeröffnungen für Flüchtlinge ermögli-
chen
Drucksache 18/905
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Federführung strittig
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Beck als
erstem Redner das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! EinBankkonto ist der Schlüssel zur Teilhabe am gesell-schaftlichen und wirtschaftlichen Leben. Gehälterwerden in aller Regel auf Konten überwiesen. Privat-rechtliche Verträge haben oft zur Voraussetzung, dassman ein Girokonto angeben kann, egal ob es um einenMobilfunkanbieter, ein Fitnessstudio, eine Vereinsmit-gliedschaft oder einen Einkauf im Internet geht. Auchdas Anmieten einer Wohnung setzt oftmals ein Giro-konto voraus. Auch erspartes Geld kann man nur anle-gen, wenn man ein Konto hat.Bis 2009 war das auch für geduldete Flüchtlinge indiesem Land kein Problem. Dann hat man es mit demGeldwäschebekämpfungsgesetz zur Voraussetzung fürdie Eröffnung eines Kontos gemacht, mit einem gültigenamtlichen Lichtbildausweis die Identität nachzuweisen.Damit verfolgt der Gesetzgeber ein wichtiges Anliegen:Die Identifikation des Kontoinhabers soll eine effektiveErmittlungsarbeit bei Geldwäsche oder Terrorismusfi-nanzierung ermöglichen. Dieses Anliegen unterstützenwir ausdrücklich.
Aber vielen Geduldeten ist es nicht möglich, entspre-chende Identitätspapiere vorzulegen. Sie haben nur eineBescheinigung über die Nichtabschiebung, die ihreDuldung nachweist. Das ist oftmals ihr einziges Identi-tätspapier. Wir meinen, man sollte die Rechtsgrundlagedafür schaffen, dass dieses Papier die Voraussetzungendes Geldwäschegesetzes hinsichtlich des Identitätsnach-weises bei Eröffnung eines Kontos erfüllt.
Wenn man im Lande unterwegs ist, wird man von vie-len Flüchtlingsinitiativen auf diese Problematik ange-sprochen. Ich habe das im letzten Jahr zum Anlass ge-nommen, mich an den Deutschen Sparkassen- undGiroverband zu wenden. Man hat mir daraufhin ge-schrieben, dass man bis zum Inkrafttreten des Geldwä-schebekämpfungsgesetzes gerne auch Flüchtlingen Gut-habenkonten zur Verfügung gestellt hat, aber man sichdurch die neue Rechtslage nunmehr daran gehindertsieht. Herr Fahrenschon hat mir geschrieben, man habediesen Sachverhalt vor einiger Zeit dem federführendenBundesfinanzministerium geschildert. Von dort erhieltenwir die Zusage, dass anlässlich der nächsten Gesetzesno-velle im Geldwäschebereich wieder die alte Rechtslagehergestellt werden soll.Wie der Sparkassen- und Giroverband bin auch ichder Meinung, dass die in Rede stehenden Ersatzpapierewieder in den Katalog der geeigneten Legitimationspa-piere nach dem Geldwäschegesetz aufgenommen wer-den müssen, damit Geduldete und Flüchtlinge am wirt-schaftlichen Leben teilnehmen können und eineeventuelle Arbeitsaufnahme nicht an den geltenden Vo-raussetzungen scheitert.Sie wissen, Geduldete sind in aller Regel Flüchtlinge.Bei ihnen wurden im Rahmen des Identitätsnachweisesmeist Fingerabdrücke genommen. Die Identität stehtalso zweifelsfrei fest. Nur kommen viele Flüchtlingevöllig unverschuldet nicht an Ausweispapiere heran. DieGründe dafür sind verschieden. Es gibt zum BeispielBotschaften hier in Berlin, die generell keine neuen Aus-weise ausstellen, wie die Botschaft des Irak. Bei anderenStaaten gibt es das Problem, dass man generell dieStaatsangehörigkeit anzweifelt. Dieses Problem habenwir vor allen Dingen mit der Botschaft des Libanon.Wieder andere Staaten, wie der Kongo, stellen an dieAusstellung neuer Pässe hohe Anforderungen, die vonden meisten Flüchtlingen nicht erfüllt werden können.Das fängt bei den hohen Gebühren an und endet bei denDokumenten, die man für einen neuen Pass vorlegenmuss.Lassen Sie uns eine humanitäre Lösung für diesesProblem finden. Die Koalition hat sich auf eine neueBleiberechtsregelung verständigt. Lassen Sie uns denGeduldeten die Möglichkeit geben, am wirtschaftlichenund am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, indemwir eine Änderung des Geldwäschegesetzes vornehmen.Die Banken wollen es – das sieht man am Beispiel desSparkassen- und Giroverbandes –, und die Flüchtlings-initiativen wollen das. Die Sicherheitsbedenken, die es
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2128 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Volker Beck
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in diesem Zusammenhang gibt, kann man durch eineentsprechende Verordnung ausräumen und so sicherstel-len, dass kein Schindluder getrieben wird, da der Identi-tätsnachweis zweifelsfrei erbracht wird.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Das wäre gesellschaftspolitisch ein wichtiger Schritt
hin zur Integration, den wir gemeinsam gehen sollten.
Ich hoffe, dass die Zusage des Finanzministeriums gilt.
Als nächster Redner hat Olav Gutting das Wort.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst will ich feststellen, dass es gut ist, dass wir uns
hier mit dem Schicksal und den Problemen von Flücht-
lingen beschäftigen.
Im Vergleich zum Vorjahr ist ein hoher Zuwachs an
Asylerstanträgen von über 70 Prozent zu verzeichnen.
Hauptherkunftsland ist derzeit Syrien. Wir wissen, die
Menschen dort flüchten vor einem schlimmen Bürger-
krieg, und wir haben in der CDU-geführten Bundesre-
gierung der humanitären Verpflichtung Deutschlands in
diesem Bereich bereits Rechnung getragen. Unter ande-
rem gibt es zwei Aufnahmeprogramme, mit denen wir
insgesamt 10 000 syrische Flüchtlinge in Deutschland
aufnehmen. Es ist völlig klar, dass Deutschland auch
nach Ausschöpfen der Kontingente syrischen Flüchtlin-
gen weiterhin Schutz bieten wird.
Wir helfen aus christlicher Nächstenliebe. Wir helfen
auch, weil wir aus unserer eigenen Vergangenheit heraus
schreckliche Erfahrungen mit Flucht und Vertreibung
gemacht haben. Auch deshalb hat sich die Bundesregie-
rung in Europa unter Federführung des BMF erfolgreich
und mit Nachdruck dafür eingesetzt, dass einem breiten
Berechtigtenkreis unter Einbeziehung von Flüchtlingen
mit berechtigtem Status der Zugang zu einem Bankkonto
eingeräumt wird. Auch wir wollen, dass Flüchtlinge die
Möglichkeit haben, hier ein Konto zu eröffnen; denn
– da haben Sie völlig recht, Herr Beck – das ist Voraus-
setzung, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Ursprünglich sah der Vorschlag der EU-Kommission
zur Zahlungskontenrichtlinie das subjektive Recht auf
Zugang zu einem Jedermannkonto lediglich für einen
ganz eng begrenzten Personenkreis vor. Deutschland hat
sich zusammen mit dem Europäischen Parlament mit
Nachdruck dafür ausgesprochen, dass erstens im Hin-
blick auf das Recht auf Zugang zu einem Jedermann-
konto eindeutig feststehen muss, wer zum Berechtigten-
kreis gehört, und dass zweitens klargestellt werden
muss, dass neben weiteren besonders schützenswerten
Personengruppen auch Flüchtlinge das Recht auf Zu-
gang zu einem Jedermannkonto haben. Beiden Anliegen
der Bundesregierung wurde zwischenzeitlich durch
mehrfache Anpassung der Richtlinie entsprochen. Die
Personengruppe der Asylsuchenden ist im Text sogar
ausdrücklich aufgenommen worden. Die Bundesregie-
rung hat sich in den Verhandlungen außerdem mit Erfolg
dafür eingesetzt, dass dieses zentrale Recht durch die
Hintertür nicht wieder ausgehebelt wird, etwa durch ent-
sprechend weit gefasste Ausgestaltungen der Verweige-
rungs- oder Kündigungsgründe.
Und jetzt kommen Sie von den Grünen mit dem An-
trag, das Geldwäschegesetz zu ändern. Ja, es ist richtig:
Nach dem Geldwäschegesetz braucht es einen Identitäts-
nachweis zur Kontoeröffnung. Aber bei allem Verständ-
nis: Dieser Antrag und diese Änderung sind nicht not-
wendig. Deswegen werden wir den Antrag ablehnen.
Wir werden Ihrem Ansinnen durch die kommende Zah-
lungskontenrichtlinie vollumfänglich Rechnung tragen
können. Vor zwei Wochen, am 20. März dieses Jahres,
wurde auf europäischer Ebene eine entsprechende Eini-
gung über den Inhalt der Zahlungskontenrichtlinie er-
zielt. Es gibt die klare Aussage und die Zusage des BMF,
dass nach deren Veröffentlichung zeitnah mit der natio-
nalen Umsetzung begonnen wird. Aus diesem Grund ist
eine isolierte Änderung des Geldwäschegesetzes heute
nicht notwendig. Wir werden das Problem über die euro-
päische Ebene lösen.
Herr Kollege Gutting, lassen Sie eine Zwischenfrage
durch den Kollegen Beck zu?
Das darf er.
Mir ist es ziemlich einerlei, wie das Problem gelöst
wird; Hauptsache, es wird gelöst. Wir haben in der Be-
gründung unseres Antrags die Entschließung des Euro-
päischen Parlaments, die Grundlage der aktuellen Dis-
kussionen in Brüssel war, ausdrücklich erwähnt.
Durch welchen Rechtsetzungsakt in Deutschland
werden Sie jetzt dafür sorgen, dass Geduldete ohne ent-
sprechende Identitätspapiere in Zukunft Zugang zu ei-
nem Girokonto bekommen? Denn ohne nationale
Rechtsänderung sind die deutschen Geldinstitute weiter-
hin gehindert, das zu tun, was sie eigentlich gern tun
würden, nämlich den Leuten ein Girokonto zu ermögli-
chen.
Das ist völlig richtig. Die Zahlungskontenrichtliniemuss in nationales Recht umgesetzt wird. Das wird sieauch. Das Ergebnis wird sein, dass Flüchtlinge einen Zu-gang zum Jedermannkonto haben, das sie unbedingt be-nötigen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2129
Olav Gutting
(C)
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Ob dazu in Teilen auch das Geldwäschegesetz geändertwerden muss, wird sich zeigen. Aber zunächst einmalmuss die Richtlinie veröffentlicht werden und vorliegen.Erst dann kann man national entscheiden, wo und wieman die entsprechenden Änderungen vornimmt.
Es ist gut, dass Sie diesen Antrag stellen. Ich habe esgesagt: Es ist schön, dass wir darüber reden. Wir sinduns über das Ziel völlig einig. Nur, jetzt eine isolierteGesetzesänderung vorzunehmen, macht keinen Sinn.
Erst wenn die Richtlinie vorliegt, kann man die entspre-chenden Änderungen nachhaltig und zielgerichtet durch-führen.Vielen Dank.
– Für Asylbewerber und Geduldete.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ulla Jelpke das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichglaube, es ist völlig klar, dass die Grünen den ganzenProzess beschleunigen wollen, und das ist richtig. Ei-gentlich ist es doch traurig, dass wir heute darüber reden,dass Menschen, die in Deutschland leben, auch wenn siekeinen Aufenthaltstitel, sondern nur eine Duldung ha-ben, in Deutschland kein Bankkonto eröffnen können,weil nach dem Geldwäschegesetz zur Einrichtung desKontos Dokumente benötigt werden. Ich finde, das istein Skandal.
Man muss es hier noch einmal ganz deutlich sagen:Ohne ein Bankkonto haben Geduldete im Alltag un-glaubliche Schwierigkeiten. Das fängt bei einem Handy-vertrag an und geht weiter bei der Einzugsermächtigung,wenn es um einen Mietvertrag geht. Ebenso können sieoftmals keinen Arbeitsvertrag unterschreiben, weil dieKontoverbindung verlangt wird. Wir kennen aus unsererPraxis viele Fälle, in denen eine Arbeitsaufnahme darangescheitert ist, dass es kein Konto gibt. Durch das Fehleneines Girokontos wird im Grunde die wirtschaftliche undsoziale Integration verhindert. Man muss es hier nocheinmal sagen: Viele leben seit vielen Jahren in Deutsch-land, manche seit mehr als zehn Jahren. Es ist einfachnicht hinzunehmen, dass solche Hindernisse bestehen.
Meine Damen und Herren und vor allen Dingen auchliebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, natür-lich werden wir diesem Antrag zustimmen. Wir begrü-ßen es, dass Menschen diese Erleichterung bekommensollen
bzw. dass man dafür sorgen will, dass sie ein Konto ein-richten können. Aber ich will hier noch einmal sagen:Alle Bleiberechtsregelungen haben bisher gezeigt, dassdiejenigen Geduldeten, die hier keine Aufenthaltserlaub-nis haben, im Grunde genommen selbstständig für ihrenLebensunterhalt aufkommen müssen. Deswegen denkeich, der Antrag greift ein bisschen zu kurz. Ich verstehedieses Anliegen. Ihr wollt es beschleunigen, aber ichfinde, man muss mehr zur Diskussion stellen, wenn manüber die Situation geduldeter Menschen hier in Deutsch-land redet.
Denn viele können ihren Lebensunterhalt nicht selberaufbringen. Sie brauchen einfach mehr Rechte.
Das heißt, wir müssen hier im Grunde genommen,wenn es um Geduldete und mehr Rechte für sie geht,auch weiterhin über die Residenzpflicht, über die Unter-bringung in Sammelunterkünften – da sitzen genau die-jenigen, die geduldet werden –, die eingeschränktenSozialleistungen, die sie nur über das Asylbewerberleis-tungsgesetz bekommen, und über die Arbeitsverbotesprechen. Ich will hier auch noch einmal erwähnen, dassdie gesundheitliche Versorgung dieser Flüchtlinge nureine Notfallversorgung ist. Das heißt, bei Schmerzzu-ständen oder bei Schwangerschaft und Geburt bekom-men sie entsprechende Krankenscheine, um sich behan-deln zu lassen. Hier sagen wir: Wir brauchen mehr undumfassende Rechte für sogenannte geduldete Menschenin Deutschland.Zweitens will ich daran erinnern, dass nicht nur ge-duldete Menschen kein Konto haben, sondern auch Ob-dachlose oder Menschen, die überschuldet sind; derenKonten werden von den Banken aufgelöst. Auch hiermuss man den Blick etwas weiter fassen. Übrigens mussman sagen: In 28 Ländern der EU gibt es diese Garantieauf ein Konto für alle diese Personengruppen, die ichhier eben aufgezählt habe. Es ist einfach ein Skandal,dass Deutschland da so hinterherhinkt.Herr Gutting, ich habe Ihre Bemühungen zwar gese-hen, aber es muss schneller gehen. Wir können hier nicht
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2130 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Ulla Jelpke
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lange bürokratische Wege gehen, bis das endlich fürFlüchtlinge, für Obdachlose oder auch Menschen, dievöllig überschuldet sind, umgesetzt wird. Deswegenwerden wir dem Antrag zustimmen, aber auch weiterge-hende Debatten über die Situation dieser Menschen füh-ren.Danke schön.
Als nächster Redner hat Uli Grötsch das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! FrauKollegin Keul – ich glaube, sie hat gerade den Saal ver-lassen –, aus den eben vom Kollegen Gutting beschrie-benen Gründen können wir Ihrem Antrag nicht zustim-men. Sie hätten Ihren Antrag aber noch zurückziehenkönnen; dann wären wir in der Tagesordnung der heuti-gen Sitzung schon ein Stück weiter.
Frau Kollegin Jelpke hat gerade darauf hingewiesen: DieEU-Richtlinie greift weiter als der Antrag von Bündnis90/Die Grünen, schließt alle Menschen in die Regelungein und bezieht sich nicht ausschließlich auf Asylbewer-ber und Flüchtlinge.
Meine Argumente sind im Endeffekt die gleichen Ar-gumente wie die des Kollegen Gutting, die eben schonvorgetragen wurden. Sie sehen, welch große Einigkeit inder Großen Koalition auch in solchen Detailfragenherrscht. Auch wir sind der Meinung, dass man zu einemLeben in Deutschland natürlich ein Bankkonto braucht,dass man heutzutage eine Bankkarte braucht und dassbargeldloses Einkaufen eine Selbstverständlichkeit ist.Natürlich wissen auch wir, dass dies ohne Bankkontoschlichtweg nicht möglich ist. Wer in Deutschland amöffentlichen Leben teilhaben will, braucht ein Bank-konto. Das ist natürlich kein Luxus, sondern eine Selbst-verständlichkeit.Nach Schätzung der Europäischen Kommission ha-ben in Deutschland noch immer mehr als 670 000 Men-schen über 15 Jahren kein Bankkonto, unter ihnen auchviele Flüchtlinge und Asylbewerber, aber eben auch so-zial schwache Menschen und die von Ihnen geradeschon genannten anderen Gruppen unserer Bevölkerung.Auch sie aber sind auf ein Bankkonto angewiesen, weilsie zum Beispiel Ratenzahlungen tätigen müssen, etwafür Anwälte, oder Flüchtlinge und Asylbewerber fürDeutschkurse, für Mitgliedschaften in Vereinen und fürvieles andere mehr. Deshalb hat der zuständige EU-Kommissar Michel Barnier recht, wenn er sagt:Wer heutzutage über kein Bankkonto mit grundle-genden Funktionen verfügt, stößt im Alltagslebenauf Schwierigkeiten und muss mehr bezahlen.Wir sagen: Das darf nicht sein. Gerade die, die wenig ha-ben, sollen nicht mehr bezahlen müssen.
Bereits seit 1995 gibt es die eben schon erwähnte frei-willige Selbstverpflichtung der Kreditinstitute, wonachsie jedermann ein Guthabenkonto zur Verfügung stellenwollen. Leider hat sich die Situation seit 1995 jedochnicht wirklich verbessert. Immer noch verweigern oderkündigen Kreditinstitute gerade sozial schwachen odervon Insolvenz betroffenen Bürgern das Konto.Auch besonders schutzbedürftige Menschen wieAsylbewerber und Flüchtlinge können zum Teil keinKonto eröffnen, weil ein großer Teil von ihnen keineAufenthaltsgenehmigung hat. Sie haben zum Beispiel– auch das wurde schon gesagt – Aufenthaltsgestattun-gen, weil sie noch ein laufendes Asylverfahren haben,oder sie haben aus ganz unterschiedlichen Gründen le-diglich Duldungen, die sie dann gegebenenfalls in kur-zen Abständen wieder verlängern müssen. Andere habenauf der Flucht vor politischer Verfolgung ihre Reisedo-kumente vernichtet, aus Angst davor, aufgespürt zu wer-den. Deshalb beruhen die in Deutschland ausgestelltenDokumente oftmals auf eigenen Angaben.Ich begrüße die jüngste Einigung zwischen dem Eu-ropäischen Parlament, dem Rat und der Kommissionzum Vorschlag einer Richtlinie über die Vergleichbarkeitvon Zahlungskontogebühren, den Wechsel von Zah-lungskonten und den Zugang zu Zahlungskonten mitgrundlegenden Funktionen vom 20. März 2014, dem-nach vier Tage, bevor Ihr Antrag eingereicht wurde.
– Ja, natürlich. Wir haben ihn aufmerksam gelesen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meines Erachtens hatsich Ihr Antrag erledigt, weil die gerade schon genannteTrilogeinigung zur Zahlungskontorichtlinie bereits vierTage vor Ihrem Antrag eingereicht wurde.Lassen Sie mich sagen, dass ich es für relativ gefähr-lich oder zumindest schwierig halte, nachdem die Euro-päische Union eine Richtlinie erlassen hat, eine Verord-nung des Bundesinnenministeriums zum gleichenThema zu fordern. Wir sind wenige Wochen vor der Eu-ropawahl. Jeder von uns ist daran interessiert, dass vieleMenschen zur Europawahl gehen, dass Europa in denKöpfen der Menschen ankommt und dass all das ge-schieht, was wir immer gerne über Europa sagen. Des-wegen glaube ich, dass es schlichtweg schwierig ist, zusagen: Okay, die Europäische Union hat bereits eine
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2131
Uli Grötsch
(C)
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Richtlinie erlassen. Aber jetzt muss auch noch eineRechtsverordnung seitens des Bundesinnenministe-riums erlassen werden, weil das bei der EuropäischenUnion immer so lange dauert. – Ich glaube, das lässt dieeuropäischen Institutionen zu Unrecht in einem Licht er-scheinen, in das sie nicht gehören.
Was mir am Ende meiner Ausführungen noch wichtigist, ist der Umstand, dass wir bei der Umsetzung der EU-Richtlinie auch die Sicht der Banken in den Blick neh-men sollten. Ich habe mich in dieser Frage mit meinerRaiffeisenbank und der Sparkasse beraten. Ich meine,dass man deren Anliegen durchaus ernst nehmen muss.Wir werden bei der Umsetzung der Richtlinie daraufachten müssen, dass wir die Kreditinstitute mit eventuellauftretenden Problemen nicht allein lassen.Meine Banken haben mir von ihren Erfahrungen mitKontoeröffnungen von Flüchtlingen und Asylbewerbernberichtet. Es kommt zum Beispiel vor, dass sie Last-schriften aus abgeschlossenen Handyverträgen aufgrundfehlender Geldeingänge nicht einlösen können. Eskommt wohl auch vor, das aufgrund der relativ kurzenVerweildauer an einem Ort, zum Beispiel bei einem ab-gelehnten Asylantrag, die Kontoinhaber ohne Kontoauf-lösung wieder weg sind und die Bank dann die Kontoge-bühren stornieren und das Konto auflösen muss.Genauso geht es um die Fragen: Wie gehen wir mitden Sprachbarrieren der Asylbewerber und der Flücht-linge bei der Kontoeröffnung und der Kontoführung um?Wie finden wir eine praktikable Lösung bei kurzen Ver-weildauern an einem Ort und der Frage einer Kontover-legung an einen neuen Aufenthaltsort?
Ich glaube, dass bei 110 000 Asylanträgen im Jahr,von denen etwa 31 000 abgelehnt werden – die durch-schnittliche Bearbeitungsdauer beträgt etwa sieben Mo-nate –, wirklich viel Arbeit auf uns zukommt.
Ich glaube aber auch, dass es diesen Aufwand und dieseArbeit wert ist, um alle Menschen an unserem gesell-schaftlichen Leben teilhaben zu lassen.Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von denGrünen: Seien Sie unbesorgt! Wir werden uns mit dieserRichtlinie zeitnah befassen und sie vernünftig und auchzeitnah umsetzen.Vielen Dank.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Andrea
Lindholz das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Der Friedensnobelpreis ging 2006 zum ers-ten Mal nach Bangladesch. Die dortige Grameen-Bankund ihr Gründer, der Wirtschaftsprofessor MuhammadYunus, wurden ausgezeichnet für die Bereitstellung vonFinanzdienstleistungen für besonders arme Bevölke-rungsschichten. Yunus und die Grameen-Bank eröffnenmit ihrer Arbeit vielen Menschen einen Weg aus der Ar-mut, und sie tragen zum Frieden bei.Die Möglichkeit, ein Konto zu eröffnen – da sind wiruns einig –, eine Banküberweisung zu tätigen oder einensogenannten Mikrokredit aufzunehmen, kann ein zentra-ler Grundstein für wirtschaftliche und soziale Entwick-lung sein.
In den Industrieländern halten wir Finanzdienstleistun-gen für eine Selbstverständlichkeit. Doch das sind sienicht. Yunus spricht sogar von einem System der finan-ziellen Apartheid, durch das zahllose Menschen auf derWelt von Finanzdienstleistungen und somit vom Zugangzum Wirtschaftskreislauf ausgeschlossen werden. Auchin Europa haben 58 Millionen Menschen kein eigenesBankkonto. Diesen Menschen fehlt eine zentrale Voraus-setzung, um am modernen Wirtschaftsleben teilnehmenzu können.Die Idee, mit der Bereitstellung von rudimentären Fi-nanzdienstleistungen Armut zu bekämpfen, hat inDeutschland eine lange Tradition. Im Grunde hat derFriedensnobelpreisträger die Arbeit der beiden deut-schen Sozialreformer Friedrich Wilhelm Raiffeisen undHermann Schulze-Delitzsch weiterentwickelt. Die bei-den Urväter der Raiffeisen- und Volksbanken hatten be-reits im 19. Jahrhundert, während der industriellenRevolution in Deutschland, mithilfe von Kreditgenos-senschaften der verarmten Landbevölkerung wirtschaft-liche Entwicklung ermöglicht. Insofern, meine sehr ge-ehrten Damen und Herren, ist die Grundidee desvorliegenden Antrags nicht neu.Auch das Kernanliegen des Antrages, nämlich Flücht-lingen den Zugang zu Bankkonten zu ermöglichen, istnicht neu und ist überholt.
– Herr Beck, ich bin Ihre Zwischenrufe gewöhnt. Ichhabe schon gesagt, Sie wollen mit mir unbedingt so wei-termachen wie mit meinem Vorgänger, Herrn Geis.
– Ich freue mich darauf. – Diese Idee wurde von derBundesregierung und insbesondere vom Bundesfinanz-minister bereits in Angriff genommen, und zwar sehrviel weiter gehend, als es im Antrag gefordert wird.Die Bundesregierung unterstützt ausdrücklich dasVorhaben der EU-Kommission, auf europäischer Ebenefür Verbraucher, auch, Herr Kollege Beck, für Verbrau-
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2132 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Andrea Lindholz
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cher ohne Aufenthaltserlaubnis, Asylbewerber, Verbrau-cher ohne festen Wohnsitz und andere ein Recht auf Zu-gang zu einem Zahlungskonto einzuführen. Im Rahmender sogenannten Zahlungskontenrichtlinie sollen Flücht-linge nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europaein Recht auf ein Guthabenkonto erhalten.Bereits am 20. März 2014 wurde im Trilog zwischendem Rat, der Kommission und dem Europäischen Parla-ment eine Einigung über die Zahlungskontenrichtlinieerzielt. Das EU-Parlament wird sie voraussichtlich am15. April 2014 verabschieden. Ich gehe davon aus, dassdas Bundesfinanzministerium, das hierfür zuständig ist,sich umgehend an die Umsetzung der Richtlinie macht.Der Antrag ist damit obsolet und kann aus unserer Sichtaus diesem Grunde abgelehnt werden.Entscheidend ist aber, dass dieses Konto für jeder-mann – da möchte ich an Frau Jelpke anschließen – inder Praxis auch tatsächlich umsetzbar ist. Es ist heuteschon so – das weiß ich aus meiner Tätigkeit als Fachan-wältin für Familienrecht –, dass es für viele Menschen inprekären Verhältnissen schwierig ist, überhaupt einKonto zu eröffnen. Es sind, Herr Kollege Grötsch, auchnach meiner Erfahrung tatsächlich vor allen Dingen dieRaiffeisen- und Volksbanken, aber auch die Sparkassen,die dieser sozialen Verpflichtung gerecht werden. Ichstimme Ihnen zu: Wir können sie damit nicht allein-lassen. Es ist weniger eine Frage des finanziellen Risikos– das hat man bei einem Guthabenkonto nicht –, sonderneher eine Frage des Aufwandes. Da muss es auch an unsliegen, diesen so bankenfreundlich wie möglich zu ge-stalten.Ein letzter Punkt. Ich möchte an Sie, Herr KollegeGrötsch, anknüpfen. Sie haben vorhin geschildert, wasvon einem solchen Konto alles heruntergeht. Ich hoffenicht, dass die hier von uns genannten und betroffenenMenschen Rechtsanwälten Raten zahlen müssen.
Für die Bezahlung der Anwälte bietet sich die Prozess-kostenhilfe oder die Verfahrenskostenhilfe an. Ichglaube, meine Kollegen Rechtsanwälte müssen davonnicht bezahlt werden. Insofern bitte ich Sie alle um Un-terstützung für die Sache selbst bei der Umsetzung derVorgaben des Bundesfinanzministeriums. Der Antraghat sich überholt und wird daher von unserer Fraktionheute abgelehnt.Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/905 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federfüh-
rung beim Finanzausschuss liegen soll. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Damit ist die Überwei-
sung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Atomwaffen ächten
Drucksachen 18/287, 18/399
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Kollegin Ute Finckh-Krämer das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer obenauf den Tribünen! Die nukleare Abrüstung ist mir undvielen anderen Mitgliedern des Deutschen Bundestages,aber auch zahlreichen engagierten Bürgerinnen und Bür-gern sehr wichtig. Heute Morgen gab es zum Beispielein abrüstungspolitisches Frühstück mit Vertreterinnenund Vertretern der Ärzteorganisation IPPNW, dem Ab-rüstungspolitischen Netzwerk ICAN, dem DeutschenRoten Kreuz und einem Vertreter der niederländischenSektion von Pax Christi. Ich freue mich, dass bei diesemGespräch alle Fraktionen des Hauses vertreten waren,und nehme dies als bestätigendes Zeichen dafür, dass un-ter uns ein breiter Konsens zum Thema der nuklearenAbrüstung besteht.Durch den Beschluss des Deutschen Bundestagesvom 26. März 2010 im Vorfeld der Überprüfungskonfe-renz zum Nichtverbreitungsvertrag im Mai 2010, demalle Fraktionen des Deutschen Bundestages zugestimmthaben, haben wir uns zu der im Nichtverbreitungsvertragformulierten Zielsetzung einer weltweiten nuklearen Ab-rüstung bekannt. Der Beschluss ist nicht nur Ausdruckdes Konsenses zur nuklearen Abrüstung im DeutschenBundestag, sondern repräsentiert auch die Meinung brei-ter Teile unserer Bürgerinnen und Bürger. Nuklearwaf-fen sollen in unserer Sicherheitsstrategie keinen dauer-haften Platz einnehmen. Aus unserer Sicht bleibt dieserBeschluss eine der Grundlagen für unsere zukünftige Ar-beit im Deutschen Bundestag.
Abrüstung und Rüstungskontrolle sind entscheidendeElemente deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Nu-kleare Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbrei-tung sind daher nicht nur Verpflichtungen, an die unserStaat als Mitglied des Atomwaffensperrvertrags gebun-den ist. Sie tragen wesentlich zum Frieden sowie zu un-serer Sicherheit bei. Leider hat es in diesem Bereich seit
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2133
Dr. Ute Finckh-Krämer
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dem Abschluss des New-START-Abkommens zwischenden USA und Russland kaum Fortschritte gegeben.Diese Stagnation der nuklearen Abrüstung muss über-wunden werden. Auch wir können dazu neue Impulsegeben.Denn Nuklearwaffen bieten keine Sicherheit. Obwohlihre Anzahl seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes voncirca 65 000 bis heute auf circa 17 000 – es handelt sichbei diesen Zahlen um Schätzungen – reduziert wurde,gehen von ihnen immer noch immense Gefahren fürMensch und Umwelt aus. Auch im 21. Jahrhundert glau-ben jedoch einige unserer engsten Verbündeten weiter-hin an den Nutzen dieser Waffen für die eigene Sicher-heit. Außerdem halten nicht nur Pakistan und Indien,sondern auch Russland am Konzept der atomaren Ab-schreckung fest. Es ist also noch viel Überzeugungsar-beit zu leisten, sowohl in Gesprächen mit unseren Part-nern als auch mit den offiziellen und nichtoffiziellenAtomwaffenstaaten.Liebe Kolleginnen und Kollegen, im nächsten Jahrfindet erneut eine Überprüfungskonferenz zum Nicht-verbreitungsvertrag statt. Deutschland engagiert sich imVorfeld im Rahmen der Europäischen Union und imRahmen der Non-Proliferation and Disarmament Initia-tive, NPDI, wie im eben veröffentlichten Jahresabrüs-tungsbericht 2013 der Bundesregierung nachzulesen ist.Die Verhandlungen werden schwierig, da viele derTeilnehmerstaaten des Nichtverbreitungsvertrags vonder Entwicklung seit der letzten Überprüfungskonferenzenttäuscht sind.Der Beschluss der Überprüfungskonferenz, im Jahr2012 eine Konferenz zur Errichtung einer massenver-nichtungswaffenfreien Zone im Mittleren Osten unterBeteiligung aller Staaten der Region abzuhalten, konntenicht umgesetzt werden. Trotz der engagierten Bemühun-gen des finnischen Fazilitators Jaakko Laajava wurde dieKonferenz zunächst auf unbestimmte Zeit verschoben.Ich bedauere, dass es hier bisher keine Fortschritte gege-ben hat. Das darf uns aber nicht davon abhalten, weiter-hin auf alle beteiligten Akteure einzuwirken, sich an ei-ner solchen Konferenz zu beteiligen. Alle Staatenmüssen dabei die legitimen Sicherheitsinteressen der je-weils anderen akzeptieren. Dann könnte eine solcheKonferenz ein Baustein eines Friedensprozesses sein.Viele Mitgliedstaaten des Nichtverbreitungsvertrags be-obachten diesen Prozess genau, und ihre Kompromiss-bereitschaft auf der Überprüfungskonferenz hängt auchvon der Entwicklung dieses Prozesses ab. Eine Reduzie-rung der Initiative auf eine atomwaffenfreie Zone imMittleren Osten wäre ein Rückschritt hinter die 2010 be-schlossene Zielsetzung.Weitere wichtige Punkte, die sich auch im Abschluss-dokument der letzten Überprüfungskonferenz finden,wären das Inkrafttreten des umfassenden Teststoppab-kommens, Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty, unddie Verhandlungen über ein Abkommen zum Verbot derProduktion von nuklearwaffenfähigem Material, FissileMaterial Cut-off Treaty.Wir setzen uns innerhalb der NATO für eine Reduzie-rung der Rolle nuklearer Waffen im Rahmen der Bünd-nisstrategie ein. Eine solche Veränderung kann aber nurunter Berücksichtigung der Sicherheitsbedürfnisse allerNATO-Partner und Russlands zielführend sein, wenn siedie Sicherheit und Stabilität in Europa verbessern soll.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, trotz des Völker-rechtsbruchs durch Russland in Bezug auf die Krimmüssen wir mit Russland über nukleare Abrüstung wei-ter reden und signalisieren, dass wir Russlands Sicher-heitsbedenken Rechnung tragen. Der gegenwärtige rus-sische Unwille zu nuklearer Abrüstung rührt meinerEinschätzung nach auch aus einem Unterlegenheitsge-fühl bei konventionellen Waffen her, das mit dem russi-schen Nuklearwaffenpotenzial kompensiert werden soll.Darüber hinaus sieht Russland den Aufbau einer strate-gischen Raketenabwehr durch die NATO als potenzielleBedrohung für seine atomare Abschreckungsfähigkeit.Gleichzeitig fühlen sich einige osteuropäische NATO-Länder aus historisch nachvollziehbaren Gründen vonRussland bedroht und sehen in der nuklearen Abschre-ckung eine Art Versicherung. Diese festgefahrene Situa-tion müssen wir aufzubrechen versuchen. Ein möglicherWeg wäre, Fragen der nuklearen und der konventionel-len Rüstungskontrolle gemeinsam zu betrachten.Wenn wir in dem für uns wichtigen Bereich der inEuropa und Deutschland stationierten taktischen Nu-klearwaffen substanzielle Fortschritte erzielen wollen,müssen wir die vorhandene Bedrohungsperzeption be-rücksichtigen, ohne sie uns zu eigen zu machen. Ausmeiner Sicht machen diese Relikte des Kalten Kriegessicherheitspolitisch keinen Sinn mehr. Das heißt, wirmüssen unsere Partner davon überzeugen, dass ihre Si-cherheit unabhängig von der Stationierung dieser Waffengewährleistet ist.Zum Schluss möchte ich mich noch bei den atomwaf-fenkritischen Nichtregierungsorganisationen für ihre Ar-beit bedanken. Wir als Abgeordnete freuen uns über ihreDenkanstöße und Handlungsvorschläge. Deutschlandkooperiert mit Organisationen wie dem Expertennetz-werk Middle Powers Initiative und dem Parlamentari-schen Netzwerk für Nukleare Abrüstung und Nichtver-breitung, PNND. Leider war ich im Februar beimJahrestreffen des PNND in Washington die einzige Ver-treterin des Deutschen Bundestages. Es gab bereits inder letzten Legislaturperiode eine gute Zusammenarbeitmit dem Netzwerk. Es wäre daher wünschenswert, dasssich an solchen Veranstaltungen zukünftig alle Fraktio-nen des Hauses beteiligen, um zu zeigen, wie wichtiguns dieses Thema ist.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ja. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der geschil-derten komplizierten Situation ist der Antrag der Frak-tion Die Linke eher kontraproduktiv. Wir lehnen ihn da-her, entsprechend der Beschlussempfehlung, ab.Danke.
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2134 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
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Als nächste Rednerin hat Inge Höger das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Zuschauerinnen und Zuschauer! Gerne würde ich hier
heute sagen können: Es gibt kein Risiko eines Atomkrie-
ges mehr. – Leider erleben wir gerade auch angesichts
der Krim-Krise aber das Gegenteil.
Das Berichtsblatt der Atomwissenschaftler veröffent-
licht regelmäßig die aktuelle Gefahr eines Atomkrieges.
Im Januar 2014 kam das Mitteilungsblatt zusammen mit
18 Nobelpreisträgern zu dem Ergebnis: Die Atomuhr
steht auf fünf Minuten vor zwölf. Gefährlicher war die
Lage nur zu Beginn des Kalten Krieges und während des
Wettrüstens in den 1980er-Jahren.
Angesichts dieser Situation wäre eine neue Dynamik
in der Abrüstungspolitik, wie sie im Koalitionsvertrag
versprochen wurde, dringend notwendig.
Doch die Außenpolitik der Bundesregierung befördert
zunehmend Eskalation und Aufrüstung statt Entspan-
nung und Abrüstung.
Im letzten Oktober haben sich bei der UN-Vollversamm-
lung 124 Staaten für ein völkerrechtlich verbindliches Ver-
bot des Einsatzes von Atomwaffen ausgesprochen. Die
Bundesregierung hat ihre Unterschrift verweigert. Sie
hat sich damit ins friedenspolitische Abseits manövriert.
Diesen gefährlichen Kurs hat sie im Februar 2014 in
Mexiko auf der zweiten Konferenz zu den humanitären
Auswirkungen eines Atomkrieges fortgesetzt. Die Fak-
ten, die dort und auf der Vorgängerkonferenz in Oslo be-
sprochen wurden, sind eindeutig: Kein Staat und keine
Hilfsorganisation kann nach dem Einsatz von Atombom-
ben auch nur ansatzweise adäquate medizinische und
humanitäre Hilfe leisten. Es hilft nur die Ächtung von
Atomwaffen.
Was hindert die Bundesregierung daran, die einzig lo-
gische Konsequenz zu ziehen? Das Problem hat einen
Namen: NATO. Aus angeblicher Bündnissolidarität hält
die Bundesregierung unbeirrt an der NATO-Doktrin der
nuklearen Abschreckung fest. Das zeigt einmal mehr,
dass die NATO ein Hindernis für Frieden ist.
– Dann schaffen Sie zusammen mit der NATO die
Atomwaffen ab! – Aber selbst ein Verbleib in der NATO
verpflichtet Deutschland nicht, die verfehlte Atomwaf-
fenpolitik fortzusetzen. Die Bundesregierung hätte beim
NATO-Gipfel in Chicago auch Nein zur Modernisierung
der Atomwaffen sagen können.
Jede Bundesregierung kann die Stationierung von
US-Atomwaffen aufkündigen, die noch immer in Büchel
in Rheinland-Pfalz lagern.
Es gibt keine Verpflichtung aus der NATO-Mitglied-
schaft, weiterhin den Abwurf von Atombomben durch
die deutsche Luftwaffe üben zu lassen. Beenden Sie des-
wegen endlich die nukleare Teilhabe!
Deutschland muss raus aus der Sackgasse der NATO-
Atomwaffenpolitik; denn die Pläne für die Moderni-
sierung der Atomwaffen machen ein neues atomares
Wettrüsten sehr wahrscheinlich. Ab 2020 sollen neue
atomare Lenkwaffen in Europa stationiert werden. Die
Gefahr eines Einsatzes der hier stationierten Atombom-
ben wird damit deutlich steigen, weil es mehr Optionen
für angeblich präzise Angriffe gibt.
Die Stationierung der neuen Atomwaffen wird ab
dem nächsten Jahr vorbereitet. Dazu gehören auch die
Umrüstung der deutschen Tornados für den Abwurf und
der Umbau des Stützpunktes für Atomwaffen in Büchel.
Das ist keine Friedenspolitik.
Insgesamt sollen in fünf europäischen NATO-Län-
dern Kampfflugzeuge für den Einsatz der neuen Atom-
bomben umgerüstet werden, nämlich in der Türkei, in
Belgien, in den Niederlanden, in Italien und in Deutsch-
land. Sie alle sind aber offiziell keine Atomwaffenstaa-
ten. Der Umbau der Kampfflugzeuge kostet 1 Milliarde
US-Dollar. Hinzu kommen die Umbaukosten für die Mi-
litärbasen in Höhe von 154 Millionen US-Dollar.
Zum Glück rührt sich in all diesen Ländern auch Wi-
derstand aus der Friedensbewegung und teils weit da-
rüber hinaus. Auf den Ostermärschen in Deutschland
und vor allem in Büchel werden wieder viele Menschen
für eine atomwaffenfreie Welt demonstrieren.
In einem Jahr gedenken wir des 70. Jahrestages des
Atombombenabwurfes auf Hiroshima und Nagasaki. Ich
fordere deshalb die Bundesregierung auf: Überdenken
Sie Ihre Haltung, und arbeiten Sie daran mit, im nächs-
ten Jahr einen Verbotsantrag für den Einsatz von Atom-
waffen auf den Weg zu bringen!
Vielen Dank.
Als nächster Redner hat Carsten Müller das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Wir haben heute den Antrag einer Fraktion zuberaten, die in Abrüstungsfragen intern tief zerstrittenist.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2135
Carsten Müller
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Sie streiten sich im Moment außerordentlich lebhaft da-rüber, ob sich Deutschland an der Vernichtung syrischerChemiewaffen beteiligen soll oder nicht. Dieser Streitzeigt einmal mehr: Ihnen geht es überhaupt gar nicht umdie Sache.
Ihnen geht es überhaupt nicht um Abrüstungsfragen. BeiIhnen geht Populismus vor Problemlösung. Das nehmenwir nicht hin.
Meine Damen und Herren, das Langfristziel derCDU/CSU-Bundestagsfraktion genauso wie der Bundes-regierung steht ganz klar fest: Es geht um die Vernich-tung von Nuklearwaffen und um eine atomwaffenfreieWelt. Ich will die drei Meilensteine in diesem Zusam-menhang aufzählen:Erstens. Wir unterstützen ausdrücklich den Vorschlagvon Barack Obama, die strategischen Nuklearwaffenar-senale zu reduzieren.Zweitens. Wir beteiligen uns an den Gesprächen undDiskussionen über die katastrophalen humanitären Aus-wirkungen von Kernwaffendetonationen.Drittens. Wir setzen uns für ein umfassendes Verbotvon Nuklearwaffentests ein. Diese dürfen auf dieserWelt im 21. Jahrhundert keinen Platz mehr haben.Aber Abrüstung ist eben kein schneller Prozess. Siebedarf einer globalen Sichtweise. Hier sind Marathon-qualitäten gefragt. Es geht dabei auch ganz wesentlichum eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.Wir haben uns als NATO-Mitglied zur nuklearen Teil-habe verpflichtet. Meine Damen und Herren, es wäreauch geradezu unverantwortlich, wenn wir uns dieserMitsprache, dieser Einflussmöglichkeit berauben wür-den. Das geht überhaupt nicht an. Ebenso geht es imMoment nicht an, auf die nukleare Abschreckung imRahmen der NATO-Doktrin zu verzichten.Es ist nun erschreckenderweise eine gewisse Aktuali-tät in die Diskussion gekommen. Einige erinnern sichvielleicht daran, wie – das hat mich sehr schockiert; dasmuss ich zugeben – im russischen Fernsehen vor etwazweieinhalb Wochen zur besten Sendezeit darüberschwadroniert wurde, welche Reichweiten russischeMittelstreckenraketen und Langstreckenraketen mit ato-maren Sprengköpfen haben und welche fürchterlichenVerwüstungen diese anrichten können.Der heutigen Tagespresse können Sie entnehmen,dass die Armee der Russischen Föderation offensichtlich– das ist ziemlich aktuell – umfangreiche Manöver hatstattfinden lassen, bei denen der Einsatz von Nuklear-waffen wesentlicher Übungsbestandteil war. Das zeigt,dass die Russische Föderation eben nicht immer zuver-lässig und eben nicht immer glaubwürdig ist.Das sehen Sie beispielhaft auch an dem Umgang mitdem Budapester Memorandum von 1994. Das passt be-dauerlicherweise zum Thema. In diesem Memorandum– das muss ich Ihnen an sich nicht erklären – hatte Russ-land als Gegenleistung für die Abgabe der Atomwaffendurch die Ukraine zugesichert, dass die staatliche Souve-ränität und die Grenzen geachtet werden. Wir haben ler-nen müssen: 20 Jahre später ist diese Zusage nicht mehrdas Papier wert, auf dem sie geschrieben ist. Das ist einnicht hinnehmbarer Zustand.
Russland hat diese wichtige Vereinbarung gebrochen.Das ist Gift für die globale Abrüstung. An dieser Stellesollten wir es mit dem UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon halten, der beim Nukleargipfel in Den Haag davongesprochen hat, dass die Glaubwürdigkeit massiv unter-graben worden ist und dass das natürlich tiefgreifendeFolgen für die Integrität des gesamten nuklearen Nicht-verbreitungsprozesses haben wird.Ich will schließen: Für eine Welt ohne Kernwaffenbrauchen wir einen Dreiklang aus Glaubwürdigkeit, Ver-trauen und Verbindlichkeit. Der vorliegende Antrag trägtdiesem, insbesondere auch in Verbindung mit Ihren Aus-führungen, bedauerlicherweise keine Rechnung.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin AgnieszkaBrugger das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieKrim-Krise erfüllt uns aktuell mit großer Sorge. Aberwährend derzeit alle – zu Recht natürlich – mit demkurzfristigen Management dieser schweren Krise vollaufbeschäftigt sind, wird deutlich, dass ihre Auswirkungenauf die Abrüstungspolitik verheerend sind.Durch die militärische Annexion der Krim hat Russ-land das Budapester Memorandum verletzt. Die Ukrainegab damals ihre Nuklearwaffen ab. Dafür verpflichtetensich Russland, Großbritannien und die USA im Jahr1994, als Gegenleistung die Souveränität und die beste-henden Grenzen der Ukraine nicht nur zu achten, son-dern sie zu schützen. Nun hat Russland als Schutzmachtdiese Abmachung massiv gebrochen und somit ein riesi-ges Glaubwürdigkeitsproblem für die weltweite Abrüs-tung und Nichtverbreitung geschaffen.Auch wenn der Kollege Mißfelder, wie man bei sei-nem Zuruf vorhin hören konnte, sich nicht daran erin-nern kann: Wir haben uns alle gemeinsam in einem An-trag für das Ziel einer atomwaffenfreien Welt und denAbzug der Atomwaffen aus Deutschland ausgesprochen.
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2136 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Agnieszka Brugger
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Ich glaube, es wäre gut, wenn heute von dieser De-batte das Zeichen ausgehen würde, dass wir alle– Grüne, Union, SPD, aber auch Sie von der Linken –das russische Verhalten an dieser Stelle klar verurtei-len, weil es der Abrüstungspolitik sehr schadet.
Denn ich frage mich: Wie will man Indien oder Paki-stan nun davon überzeugen, ihre Atomwaffen abzuge-ben? Wie sollen der Iran, Brasilien oder Saudi-Arabienjetzt davon abgehalten werden, nach solchen zu streben,wenn Sicherheitsgarantien offensichtlich nicht das Pa-pier wert sind, auf dem sie stehen?Zudem erscheint es gerade leider auch schwer vor-stellbar, dass demnächst ein neuer Vertrag zur Abrüstungsubstrategischer Atomwaffen mit Handschlag zwischenObama und Putin geschlossen werden wird.Man könnte nun angesichts dieser düsteren Aussich-ten vielleicht zu dem Schluss kommen, man brauchejetzt nichts zu tun oder man könne vielleicht gar nichtstun, und ich habe den nicht unbegründeten Verdacht,dass Sie das in der schwarz-roten Koalition aus Bequem-lichkeit auch so sehen werden.Aber aus grüner Sicht ist das die völlig falsche Kon-sequenz. Im Gegenteil, man muss jetzt mit viel Kraft dieAbrüstungspolitik wiederbeleben. Aber dafür braucht esneue Ideen und kein verzagtes Warten, bis die beidengrößten und schwerfälligen Atommächte sich eines Ta-ges wieder aufeinander zubewegen.Es gibt neue Ansätze, die man mit Nachdruck verfol-gen muss. Im Oktober letzten Jahres haben 124 Staateneinen Antrag unterstützt, der den Einsatz von Atomwaffenunter allen Umständen verurteilt und auf die katastropha-len humanitären Folgen dieser Massenvernichtungswaf-fen hinweist. Man glaubt es kaum: Die deutsche Bundes-regierung hat ihre Zustimmung dazu verweigert. AlsBegründung lieferte sie ihre NATO-Mitgliedschaft.Meine Damen und Herren, das finde ich doch ziem-lich dürftig, denn Norwegen, Dänemark und Island ha-ben den Antrag unterstützt; ihre NATO-Mitgliedschaftscheint dabei offensichtlich kein Problem gewesen zusein. Wir Grünen teilen auch diese Kritik aus dem An-trag der Linken, der in großen Teilen durchaus sinnvolleForderungen enthält. Aber leider werden wir uns enthal-ten, weil sie mit der einseitigen Kündigung von Verträ-gen mit NATO-Partnern auch hier eindeutig über dasZiel hinausschießen.Nicht nur international, sondern auch zu Hause legtdie Bundesregierung beim Thema nukleare Abrüstungdie Hände in den Schoß. Seit über einem Jahr fragen wirdie Bundesregierung zu der geplanten Modernisierungder US-amerikanischen Atomwaffen in Deutschland,und seit über einem Jahr kriegen wir total ausweichendeoder gar keine Antworten.Dabei weiß die Bundesregierung sehr genau, wie derStand der Dinge ist. Erst jüngst war in den Medien zu le-sen, dass die Bundesregierung sich mit knapp 31 Millio-nen Dollar am Umbau des Nuklearwaffenlagers in Büchelbeteiligt. Gleichzeitig werden demnächst zusätzliche Mil-lionen von Euro zulasten der deutschen Steuerzahlerinnenund Steuerzahler fällig, damit ein deutsches Kampfflug-zeug die neuen Bomben tragen kann. Es hat mit Glaub-würdigkeit wenig zu tun, schöne Bekundungen gegenAtomwaffen auf den Lippen zu tragen und gleichzeitigviel Geld für nukleare Aufrüstung auszugeben.Meine Damen und Herren, die Zeiten für die Abrüs-tungs- und Nichtverbreitungspolitik mögen auf den ers-ten Blick düster erscheinen. Aber gerade deshalb brauchtes jetzt Staaten, die engagiert und im Sinne sicherheits-politischer Weitsicht und mit Mut für den Frieden voran-gehen, um neue Dynamik zu ermöglichen. Deshalbsollte Deutschland sich nicht bei den Modernisierungs-plänen ahnungslos in die Büsche schlagen und erst rechtnicht die wegweisende Initiative vieler Staaten weiterblockieren und ausbremsen.Vielen Dank.
Als letzter Redner in dieser Aussprache hat der Kol-
lege Hans-Peter Uhl das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen,insbesondere von der Fraktion Die Linke! Ich kommegleich zu den Gründen, warum wir Ihren Antrag ableh-nen. Zuvor möchte ich aber die Intention Ihres Antragsnäher beleuchten, nämlich die sofortige Herstellung ei-ner atomwaffenfreien Welt, beginnend mit einer einseiti-gen Vorleistung der NATO-Staaten, in dem Kontext deraktuellen politischen Vorkommnisse in der Ukraine, diein dem Zusammenhang bereits zu Recht angesprochenworden sind.Mit der Annexion der Krim durch Russland kehrenlängst vergangen geglaubte Konflikte wieder in dieMitte Europas zurück. Russland hat – da sind wir uns alleeinig, selbst Ihr Fraktionsvorsitzender – auf eklatanteWeise das Völkerrecht gebrochen. Insbesondere derBruch des Budapester Memorandums von 1994 ist einschwerer Schlag. Die USA, Großbritannien und Russlandhaben die Unabhängigkeit der Ukraine zugesichert,
die Integrität der Ukraine garantiert.
Dies geschah als Gegenleistung für die Rückführungsämtlicher Atomwaffen der Ukraine an Russland. Das istdie Ausgangslage. Mit diesem Vertragsbruch hat Russ-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2137
Dr. Hans-Peter Uhl
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land der gesamten Welt einen schweren Schaden zuge-fügt. In dieser Welt leben wir heute.Weiterhin hat dieses Vorgehen, der Aufmarsch russi-scher Streitkräfte an Russlands Westgrenze, gerade inMittel- und Osteuropa, gerade in den baltischen Staaten,zu großer und verständlicher Besorgnis geführt. Man er-wartet sich in diesen Teilen Europas Schutz. Von wem?Schutz von der NATO und von niemand anderem.
Es ist unsere Aufgabe, mit dieser Besorgnis ernsthaftumzugehen und nicht einseitig säbelrasselnderweise,wenn ich es so formulieren darf, mit militärischen Dro-hungen auf das zu antworten, was Russland gemacht hat.
Da kommen Sie allen Ernstes mit der Aussage, dieNATO, von der die Menschen dort Schutz erwarten, seiein Hindernis für den Frieden.
Eine Verwirrung der Geister, kann ich nur sagen.
Es darf gerade jetzt in dieser Zeit keine einseitigeVorleistung geben. Eine einseitige NATO-Abrüstungbietet keinen zusätzlichen Schutz, im Gegenteil.
Die Linken haben jeden Bezug zur Realität verloren.Vielleicht geht es ihnen auch gar nicht um das, was wiralle in diesem Hause wollen, nämlich eine atomare Ab-rüstung. Ich kenne niemanden, wirklich niemanden, derfür atomare Aufrüstung ist. Wir alle sind uns in diesemZiel einig. Deswegen sollten Sie auch nicht den Versuchunternehmen, auf unangenehme, unseriöse und intellek-tuell unredliche Weise hier irgendwelchen Fraktionen zuunterstellen, sie wären für atomare Aufrüstung. Wir allesind für den Frieden. Wir brauchen keine Belehrung vonden Linken, weder die SPD noch die Grünen noch dieCDU/CSU.Die Koalition hat sich in einem Antrag – er wurde be-reits von der Kollegin der Grünen zitiert – zusammenmit den Grünen und der SPD in der letzten Wahlperiodemit dem Thema befasst. Deutschland will sich für Ab-rüstung und die Nichtverbreitung von Atomwaffen ein-setzen und tut das in allen Gremien, allerdings – dasgebe ich gerne zu – nicht so, wie Sie von den Linken eswollen, in einem Akt einseitiger Vorleistung, isoliertvom Bündnis,
sondern nur im Bündnis mit den Partnern der NATO.Dabei wird es auch bleiben, sosehr Sie von den Linkendie NATO auch bekämpfen mögen.
Die Bundesregierung bedarf also keiner weiterenAufforderung von Ihnen, für Frieden und gegen Atom-waffen zu sein. Wir sind es, so wie alle anderen Fraktio-nen hier in diesem Hause auch. Es könnte jetzt noch eineAufzählung von verschiedenen Aktivitäten der Bundes-regierung in den letzten Monaten und Jahren erfolgen.Auf die will ich aber hier verzichten.Meine Damen und Herren von den Linken, ich bitteSie, aufzuhören mit Ihren Bemühungen, in der Bevölke-rung den Eindruck zu erwecken, als wären Sie die Frie-denspartei
und als würden wir und alle anderen Parteien es mit demFrieden und der atomaren Abrüstung nicht so ernst neh-men. Das verfängt nicht in der Bevölkerung, und das istauch gut so. Man nimmt Ihnen diese Schaufensterpolitiknicht ab.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe dieAussprache.Wir kommen zur Beschlussfassung des Auswärti-gen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion DieLinke mit dem Titel „Atomwaffen ächten“. Der Aus-schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 18/399, den Antrag der Fraktion Die Linkeauf Drucksache 18/287 abzulehnen. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Das ist die Koalition.Wer stimmt dagegen? – Das ist die Linke. Wer enthältsich? – Bündnis 90/Die Grünen. Dann ist die Beschluss-empfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen dieStimmen der Linken bei Enthaltung von Bündnis 90/DieGrünen angenommen worden.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenFriedrich Ostendorff, Harald Ebner, NicoleMaisch, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENZukunft der bäuerlichen Milchviehhaltung si-chernDrucksache 18/976Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung und LandwirtschaftNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazukeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat derKollege Friedrich Ostendorff das Wort.
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2138 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Die Milchviehhaltung ist eines der wichtigsten Stand-beine der Landwirtschaft in Deutschland und erst rechtder wichtigste landschaftsprägende Betriebszweig.
40 Prozent der landwirtschaftlichen Wertschöpfungkommen aus der Milch. Die Kuh auf der Weide ist dasBild, das Bürgerinnen und Bürger haben, wenn sie anLandwirtschaft denken. Nach Jahren der niedrigenMilchpreise haben wir endlich eine Situation, die einekostendeckende Erzeugung von Milch ermöglicht. Dochtrotz aktuell guter Marktlage ist der Druck auf die Milch-betriebe ungebrochen groß. In den letzten zehn Jahrenhaben wir ein Drittel der Milchviehbetriebe verloren.Die Zahl ist von 126 000 Betrieben im Jahr 2002 auf85 000 im Jahr 2012 gesunken. Das sind 11,2 aufgege-bene Betriebe pro Tag.Es kommt jetzt schon wieder zu einem deutlichen Ab-rutschen der Preise auf dem globalen Markt. Analystenwarnen vor weiter sinkenden Milchpreisen im Mai undJuni. Nachhaltig und tiergerecht wirtschaftende Milch-viehbetriebe brauchen heute 45 bis 50 Cent pro Liter, umihre Kosten zu decken. Die Marktsituation wird sichnach 2015 deutlich verschärfen; denn die augenblicklichstarke Nachfrage vor allem in China und Russland ist äu-ßerst fragil.
Wir müssen deshalb in die Zukunft blicken und in weit-gehend guten Zeiten für schlechte vorsorgen.Ein Marktzusammenbruch nach dem 1. April 2015muss unbedingt verhindert werden.
Wir brauchen deshalb eine Monitoringstelle für dieMarktbeobachtung, wie sie jetzt in Europa diskutiertwird. Wir brauchen ein Frühwarnsystem, um auf kom-mende Krisen frühzeitig zu reagieren. Wir brauchen Kri-seninstrumente und Programme zum zeitweiligen Abbauvon Überkapazitäten, die zum Beispiel einen freiwilli-gen Produktionsverzicht in Krisensituationen ausglei-chen können.
Es geht aber vor allem um unser milchpolitischesLeitbild. Wir brauchen eine flächengebundene Milcher-zeugung.
Es geht um das Tierwohl und die Erhaltung unsererAgrarlandschaften gerade in den benachteiligten Regio-nen. Es kann doch nicht sein, dass hinter den Bildernvon grasenden Kühen auf den Milchtüten in Wirklich-keit auf einseitige Hochleistung gezüchtete und oft mitGensoja ernährte Tiere stehen, die niemals auf der Weidewaren und kaum älter als vier bis fünf Jahre werden.
Nur noch rund 30 Prozent der Kühe in Betrieben mitüber 100 Tieren stehen auf der Weide; das ist eine Aus-sage der Bundesregierung. Das ist klassische Verbrau-chertäuschung. Die Verbraucherinnen und Verbraucherwollen Kühe auf der Weide. Sie wollen Qualitätsmilchaus bäuerlicher Erzeugung, am besten Biomilch.
Wir fordern deshalb, ein besonderes Augenmerk auf dieSituation der milcherzeugenden Betriebe zu legen. Diesmuss sich in marktbegleitenden Programmen widerspie-geln. Wir fordern, dass die Kuh auf der Weide Realitätist und dass Bedingungen geschaffen werden, die es denBetrieben ermöglichen, dies umzusetzen.
Biodiversitätsschutz ohne Kühe auf der Weide wirdnicht zu schaffen sein. Wir fordern deshalb eine flächen-gebundene Milcherzeugung und eine Tierzüchtung, diedas Wohl der Tiere und die Lebensleistung statt kurzfris-tiger Höchstleistungen zum Ziel hat. Das kann nur einebäuerliche Milchviehhaltung leisten.
Als nächster Redner hat der Kollege Kees de Vries
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Der Antrag der Grünen ist überschriebenmit dem Titel „Zukunft der bäuerlichen Milchviehhal-tung sichern“. Dem kann ich nur zustimmen, und zwaraus vollem Herzen. Was dann allerdings im Antrag folgt,führt so zu nichts.Dazu im Detail. Herr Ostendorff, Sie sehen die Milch-politik derzeit auf Massenproduktion und Export ausge-richtet. Tatsächlich haben wir dank Export endlich wie-der gute Preise.
Warum sollte der bäuerliche Familienbetrieb hiervonnicht profitieren dürfen? Meiner Meinung nach ist dieGröße nicht entscheidend. Es kommt darauf an – undvielleicht unterscheiden wir uns da, Herr Ostendorff –,dass der Milchviehhalter von seiner Arbeit leben kann.Der größte Teil der Milchviehhalter kann bei diesen gu-ten Preisen gewinnbringend arbeiten, ein kleiner Teilaber leider immer noch nicht kostendeckend. Das war imÜbrigen schon immer so. Eine Frage der Größe ist dasnur in zweiter Linie. Fest steht natürlich, dass auch einLandwirtschaftsbetrieb einen bestimmten Mindestum-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2139
Kees de Vries
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satz, eine bestimmte Größe braucht, um ein Einkommenrealisieren zu können.Dann fordern Sie auf Ebene der Europäischen Uniondie Einrichtung einer Marktbeobachtungsstelle. Wirfreuen uns, dass inzwischen auch Sie den Nutzen dieserStelle erkennen. Diese Forderung erheben wir schonlange. Sie ist faktisch schon zugesagt worden.
Die Erzeugergemeinschaften, die Sie fordern, gibt esebenfalls bereits. Den Zusammenschluss der Milchvieh-halter zu fördern, ist meines Erachtens jetzt schon mög-lich. Sie zu organisieren, sehe ich nicht primär als Staats-aufgabe; hier sind unsere Bauern selbst gefordert.
Irritiert bin ich bei Ihrer Forderung nach „Regelungenfür eine nachfrageorientierte Milchmengenregulierung“.Das ist aus meiner Sicht nichts anderes als die Milch-quote, die wir gerade erst abzuschaffen beschlossen ha-ben. Sie hatte sicher viele Vorteile, aber auch einen gro-ßen Nachteil. Damit meine ich, dass die Betriebe viel, zuviel Geld in Milchrechte investieren mussten. Damit ha-ben Sie nicht nur die Neueinrichtung von Betrieben ver-hindert, sondern auch Nachfolgeregelungen sehr er-schwert.
Eine solche Regelung führt aus meiner Sicht eher dazu,dass kleine Betriebe gezwungen sind, aufzugeben. Daskann auch nicht von Ihnen gewollt sein.Zum Stichwort „Weidehaltung“ muss ich sagen, dasswir dann auch eine qualitativ hochwertige Grasproduk-tion sicherstellen müssen. Wenn nun 1,1 Millionen Hek-tar Grünland – sehr nach Ihrem Geschmack – nichtmehr, nicht mal zwecks Neuansaat, umgebrochen wer-den dürfen, dann ist das kontraproduktiv.
Auch zur geforderten hohen Grundfutterleistung kannich nur sagen: Schlagen Sie sich auf die Seite der CDU/CSU, und schützen Sie mit uns hochwertige, energie-und eiweißreiche Wiesen. Nur so verhindern wir nochmehr Mais- und Sojaimporte.
Eine korrekte Kennzeichnung von Weidemilch undRegionalvermarktung ist grundsätzlich zu begrüßen. Da-mit kann sich der Verbraucher bewusst für eine be-stimmte Produktionsrichtung entscheiden. Alles anderesollten wir besser dem Markt überlassen. In aller Regelwird es nicht besser, wenn sich die Politik einmischt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ich finde essehr wichtig, die Zukunft der Milchviehhaltung zusichern. Aber was mit diesem Antrag der Grünen ge-fordert wird, ist zum einen schon realisiert und zumanderen nicht zielführend. Deshalb ist dieser Antrag ab-zulehnen.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für
die Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Gäste! Milch ist gesund. Das behauptenzumindest viele. Aber die Milcherzeugerbetriebe sind al-les andere als gesund, und zwar schon eine ganze Weile.Vor allen Dingen 2009 gab es viele Proteste gegen vielzu geringe Milchpreise. Sogar Milchbäuerinnen belager-ten einige Tage das Kanzleramt. Im Durchschnitt gab esdamals 25 Cent pro Liter, vielfach sogar noch deutlichweniger. Gefordert wurden aber 40 Cent, um die Pro-duktionskosten ausgleichen zu können. Im vergangenenJahr gab es zumindest im Durchschnitt schon einmal37 Cent, so viel wie noch nie nach der Wiedervereini-gung. Erstmals bekamen sogar die Kühe in Ost und Westfür ihre Arbeit das gleiche Gehalt.
Aber der schöne Schein trügt ein wenig; denn kosten-deckend ist auch dieser Preis immer noch nicht. Die gro-ßen finanziellen Verluste aus den Krisenjahren konntendamit nicht ausgeglichen werden. Der Spielraum fürexistenzsichernde Löhne, Investitionen in mehr Tier-wohl oder bessere Arbeitsbedingungen ist immer nochsehr begrenzt. Die großen Preisschwankungen amMarkt, die gerade schon einmal Thema waren, sind einerhebliches Betriebsrisiko. Auch die steigenden Boden-kauf- und -pachtpreise sind eine zusätzliche finanzielleBelastung für die Betriebe. In Ostdeutschland steigt derBodenpreis ausgerechnet deshalb, weil ehemals volksei-gene Flächen zum Wohle des Bundesfinanzministeriumsmeistbietend verkauft werden. 400 bis 500 MillionenEuro jährlich fließen so in die große Bundeskasse. Ichfinde das einfach unanständig.
Zu niedrige Milchpreise zwingen immer mehr Be-triebe zur Aufgabe. 2009 wurde erstmals die magischeGrenze von 100 000 Milchviehbetrieben unterschritten.2012 waren es sogar nur noch 85 000. Gleichzeitig stiegdie durchschnittliche Größe der Milchviehherden von43 auf 49 Kühe. Der Gesamtkuhbestand stagnierte zwarknapp oberhalb von 4 Millionen, aber die durchschnittli-che Milchleistung stieg wiederum. Unter dem Strich gibtes also immer mehr Milch. Aktuell sind es 22 Prozentmehr als der heimische Milchdurst. 2002 waren es nur14 Prozent mehr.Eine boomende, sich gesundschrumpfende Branche,könnte man meinen. Aber vor Ort wird mir oft gesagt:Ohne den Erlös aus der Biogas- oder Photovoltaikanlagehätten wir die Kühe längst abschaffen müssen. – Inso-fern stellt sich die Frage: Warum ist denn das so? Die EUhat gerade eine interessante Studie dazu veröffentlicht.Sie benennt als ein Problem die Gewinnverteilung in der
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Dr. Kirsten Tackmann
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Milchproduktion zugunsten der Verarbeitungsindustrie.Das ist eigentlich auch kein Wunder; denn immer weni-ger Molkereien werden immer größer und immer mäch-tiger. Deshalb ist eine der Forderungen der Linken dieStärkung der Milcherzeuger am Markt. Nur dann könnensie sich dem ruinösen Preisdumping der Verarbeiter unddes Handels entziehen und die Milch schonend für Küheund Umwelt produzieren.
Wir unterstützen zum Beispiel Erzeugergemeinschaf-ten oder auch Produktionsgenossenschaften. Solche gibtes übrigens auch in Bayern. Das ist eine Meldung vom2. April, nicht vom 1. April. Insofern geht es da alsodurchaus voran.Darüber hinaus ist wichtig, dass die Milchmenge fle-xibler an die Nachfrage angepasst werden kann. Dassieht auch eine Studie im Auftrag des European MilkBoards so. Darin wurde übrigens festgestellt, dass diereale Einkommenssituation der Milchbetriebe trotz vie-ler Strukturmaßnahmen in den letzten 20 Jahren nichtverbessert worden ist. Das gilt auch für große Milchbe-triebe, die zwar etwas höhere Einkommen, aber ebenauch eine größere Verschuldung aufweisen. Fazit derStudie: Die Landwirte müssen die Menge der produzier-ten Milch flexibler an die Nachfrage anpassen können.Dazu wird ein selbst organisiertes Regulationssystemgebraucht, bei dem die Milchviehbetriebe dann aberauch wirklich ein ernsthaftes Wort mitreden können.Ganz wichtig ist: Aus dem Liter Milch muss mehrWertschöpfung generiert werden. Das heißt: mehr Ver-edlung und nicht Verramschen auf dem Weltmarkt. Dasheißt: mehr regionale Verarbeitung und Vermarktung.Das heißt aber auch: Verbot täuschender Kennzeich-nung. Wenn „Brandenburg“ auf der Milchverpackungsteht, muss die Milch auch von Brandenburger Kühensein. Wenn „Weidemilch“ draufsteht, darf keine Stall-milch drin sein.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Rainer Spiering für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Milchviehhaltung und die Kuh auf der Weidesind für mich keine Fremdworte. Die Antragsteller sa-gen: „Das Leitbild muss die Kuh auf der Weide sein.“Als wahrhaftiges Kind vom Land habe ich dabei zweiGedanken: meine Kindheit und die Milka-Werbung.
Meine Kindheit war von dem Bild geprägt, das IhremIdeal entspricht: kleine Ackerbauflächen, kleine Weide-flächen, im Sommer Melkstände auf der Weide, zehn biszwölf Kühe, Schweine- und Hühnerhaltung auf jedemHof – und den Pflug zog nur 1 PS. Dieses Bild ist folklo-ristisch, genau wie die Milka-Werbung, und entsprichtnicht mehr der Wahrheit in Deutschland im Jahre 2014.
Landwirtschaft hat heute auch in der bäuerlichenMilchviehhaltung viel mit Hightech und Marktregulie-rung zu tun. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die SPDsteht an der Seite der bäuerlichen Milchviehhaltung.
Sie stellt hervorragende Produkte her. Im ländlichenRaum hat sie eine eminente Bedeutung für die Schaffungvon Arbeitsplätzen. Ich verweise gerade auf die Region,aus der ich komme, mit großen Landmaschinenherstel-lern wie Claas, Amazone, Krone und vielen anderenmehr. Die Landwirtschaft ist für die Schaffung von Ar-beitsplätzen und die Erhaltung der regionalen Kultur-landschaft zuständig; das sollte man dabei auf keinenFall vergessen.
Der Ausstieg aus der Milchquote bereitet den Land-wirten Sorge. Die EU verabschiedet sich im April 2015von einem System, das mehr als 30 Jahre lang Preise undMengen diktierte. Bauern durften, zumindest theore-tisch, nur eine bestimmte Menge Milch produzieren.Wer darüber lag, musste Strafe zahlen. Künftig dürfendie Landwirte so viel Milch produzieren, wie sie wollen,und sich mit dem Markt auseinandersetzen.Seit der Milchkrise 2009/2010 ist der Preis angestie-gen. Zurzeit funktioniert das Geschäftsmodell. DieLandwirte produzieren Höchstmengen, und das, obwohldie Zahl der Betriebe seit Jahren sinkt. Knapp 80 000Milchviehbetriebe gibt es noch, sagt die Statistik.Deutschland ist inzwischen der größte Milchproduzentin der EU. Der Preis, den die Bauern für ihre Milch be-kommen, ist derzeit so hoch wie seit fünfeinhalb Jahrennicht mehr. Im Schnitt wurden im vergangenen Jahrknapp 38 Cent pro Kilogramm Milch gezahlt. Sind daslangfristig die Preise, mit denen die Milchbauern ihreKosten decken können? Wir haben hier gehört: Dazugibt es unterschiedliche Auffassungen. Der eine oder an-dere hier weiß: Es kostet ein kleines Vermögen, Milch-wirtschaft zu betreiben. Man braucht Ställe, technischeAusstattung wie Melkanlagen und Hightechcomputer,Land für seine Tiere entsprechend den Quoten, und manmuss natürlich am Markt Kapital generieren.Die positive Entwicklung auf dem Milchmarkt wirdvor allem vom Export getrieben. In China, wo Lebens-mittelskandale die Verbraucher immer häufiger verunsi-chern, werden teilweise – so habe ich gelesen –3,50 Euro für einen Liter Milch gezahlt, aber nur, wennsie aus dem Ausland stammt. Gerade die neue chinesi-sche Mittelschicht hat Durst auf Milch.
Der Export deutscher Trinkmilch zum Beispiel nachChina hat sich seit 2007 vervielfacht. Der Milchmarkt
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Rainer Spiering
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wird auch mit Blick auf das Auslaufen der Quotenrege-lung als wachstumsfähig eingestuft. Die EU-Kommis-sion sagt in ihrer Markteinschätzung einen Anstieg derMilcherzeugung voraus.In Deutschland bestimmt gerade einmal eine Hand-voll Konzerne das Geschäft: Fünf Unternehmen – darun-ter der Marktführer Deutsches Milchkontor, die dänischeMolkereigruppe Arla und Müllermilch – handeln mit50 Prozent der produzierten Milchmenge. Zu befürchtenist, dass die Molkereien ab kommendem Jahr ihreMarktmacht noch stärker ausnutzen werden und die ho-hen Gewinne, die sie auf dem Weltmarkt erzielen, nichtan die Landwirte weitergeben.
Diese Entwicklung dürfen wir nicht hinnehmen. Deshalbist die Idee des EU-Milchpakets gut: Die Landwirteschließen sich zusammen und handeln dann gemeinsameinen Milchpreis mit den Molkereien aus.Die Bündelung des Angebots und die Anerkennungvon Erzeugergemeinschaften und Branchenverbändenverschaffen den Erzeugern Möglichkeiten zur Einfluss-nahme. Gemeinsamkeit macht stark.
Der deutsche Gesetzgeber hat die naturgemäß schwä-chere Marktstellung der Bauern berücksichtigt. Mit demMarktstrukturgesetz wird den Landwirten im Wettbe-werbsrecht eine Ausnahmestellung eingeräumt. DasMarktstrukturgesetz, also Erzeugerstärkung nach deut-schem Modell, ist europaweit sinnvoll.
Die starke Position des Handels und der Discounterhat den deutschen Markt für Milchprodukte zu einem deram härtesten umkämpften Märkte der Welt gemacht. Wirhaben das erlebt. Aber insgesamt ist der Markt auch glo-baler geworden. Das beinhaltet auch globale Chancen.Wie eingangs erwähnt, gibt es neue Absatzmöglichkei-ten. Wenn Lidl und andere vergleichbare Großhändlerdemnächst wieder einmal den Markt verengen, dann gibtes jetzt andere Märkte, auf denen die Waren abgesetztwerden können.Man kann das Marktkriseninstrument „FreiwilligerProduktionsverzicht gegen Ausfallentschädigung“ wieSie, Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, für eineOption halten. Die Frage ist nur: Ist das Instrument sinn-voll? Wie soll das System funktionieren? Wie soll das zuvertretbaren Kosten europaweit umgesetzt werden?Wenn der Landwirt eine Entschädigung bekommt, umseine Produktion in Krisenzeiten einzuschränken, achteter weniger auf Marktsignale, und das wäre kontra-produktiv. Signale, die über die Politik gesteuert werden,sind im Regelfall langsamer als der Markt. EineMengensteuerung hinkt der Marktentwicklung immerhinterher.
Denn wenn der Beschluss auf politischer Ebene gefasstist, die Produktion einzuschränken, hat der Markt längstwieder eine andere Richtung eingeschlagen.Das Thünen-Institut – das ist ein wichtiger Fakt –verweist auf massive finanzielle Folgen im Falle einesProduktionsverzichts. Bereits eine Rückführung derGesamtmilcherzeugung in der EU um 1 Prozent erfor-dere einen Ausgleich für die teilnehmenden Betriebe vonrund 240 Millionen Euro. Um einen Markteffekt zu er-zielen, würde das vermutlich nicht ausreichen.Die EU investiert in die Landwirtschaft viel Geld. Fürdie SPD ist Agrarpolitik vor allen Dingen Teil einerganzheitlichen Politik für die ländlichen Räume undnicht klientelbezogene Sektorpolitik. Ich kann nur sa-gen: Die Kulturlandschaft, die ich zu Hause habe,möchte ich auf keinen Fall missen.
Wir wollen nach 2020 ganz aus dem System derDirektzahlung aussteigen und die Mittel gezielt für dieEntwicklung ländlicher Räume und die Entlohnung vongesellschaftlichen Leistungen einsetzen. Dazu gehörenauch die Leistungen, von denen im Antrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen die Rede ist: Erhalt von Grün-land-Landschaften, von Traditionen und bäuerlicherKultur. Unser Prinzip heißt allerdings: öffentliches Geldfür öffentliche Leistung. Das ist unser Ziel. Ein Zurückin die Marktregulierung wird es mit der SPD nichtgeben.Herzlichen Dank fürs Zuhören.
Kollege Spiering, das war Ihre erste Rede im Deut-
schen Bundestag. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg für
Ihre Arbeit.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Artur Auernhammer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wenn im Deutschen Bundestag von der bäuerli-chen Milchviehhaltung die Rede ist und von fünf Red-nern drei Milcherzeuger sind, dann freut mich das.
Wenn in der Bundesregierung dann auch noch jemandsitzt, der selbst Milchviehhalter ist, dann freut mich dasnoch mehr. Aber wenn ich mir den Antrag der Grünenanschaue, dann vergeht mir die Freude.
Man will wieder das Klischee von der glücklichenKuh auf der grünen Wiese aufzeigen, wahrscheinlich inLila, um dem Verbraucher zu suggerieren: Das ist dasIdealbild einer Kuh.
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Artur Auernhammer
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– Meine Kühe sind schwarz-weiß und braun gefärbt.
– Nein, Herr Kollege Ebner, Sie kennen sich anschei-nend nicht mit den bayrischen Milchviehrassen aus! Inmeinem Bestand habe ich eine vom Aussterben bedrohtefränkische Milchrasse: das fränkische Gelbvieh. Ich binfroh, diese zu halten. Aber damit der Milchtank auchvoll wird, nimmt man schwarz-weiße Holsteiner dazu.
Wenn Sie hier das Klischee aufzeigen wollen, dassKühe nur glücklich sind, wenn sie auf der grünen Wiesegehalten werden, dann muss ich Ihnen sagen: Ichkomme aus Franken. Wenn es nach Ihren Vorstellungenginge und alle Milchviehhalter im Dorf ihre Kühe aufdie Weide stellen müssten – wir haben im Dorf imSchnitt pro Betrieb 30 bis 40 Kühe –, dann müssten alleBetriebe dichtmachen, weil aufgrund der strukturellenBedingungen keiner von uns in der Lage ist, seine Küheauf die Weide zu bringen.
In den engen fränkischen Dörfern geht das einfach nicht.Das geht vielleicht in Ihrer Wunschvorstellung.Wie unterstützen wir die deutsche Milchviehhaltung?Es kann nicht sein, dass wir in Größenordnungen den-ken, die vielleicht die Kollegin Tackmann noch von frü-her kennt. Als ich nach der Wende in den Osten gefahrenbin, haben mir die Kühe in diesen Stallanlagen leidgetan.
Ich war froh, dass wir in Bayern bessere Anlagen hattenund unsere Tiere besser halten konnten. Ich weiß, es hatsich viel getan, es hat sich viel entwickelt. Größen-wachstum allein kann aber kein Gradmesser sein. In derPolitik muss die Vernunft einkehren: Das, was man ma-chen kann, soll man machen, und das, was man nichtmehr machen kann, soll man nicht mehr machen.Wir wissen genau, dass in nicht einmal einem Jahr dieMilchquotenregelung ausläuft. Ob die Milchquotenrege-lung für den Einzelbetrieb erfolgreich war, muss jederselbst entscheiden. Ich weiß, was ich in meinem Lebenfür den Erwerb von Milchquoten ausgegeben habe.Wenn ich das Geld hätte, wäre das anzeigepflichtig beimDeutschen Bundestag.
Deshalb ist es wichtig, dass wir vor Auslaufen derMilchquote Maßnahmen einleiten, um unsere Milch-erzeuger zu entlasten. Ich möchte hier nur die drohendeAbgabe nennen und die Notwendigkeit, den Fettkorrek-turfaktor endlich abzuschaffen.Wenn wir in die Zukunft blicken, dann müssen wirdas optimistisch und positiv tun und dürfen keineSchwarzmalerei hinsichtlich der Milchmärkte betreiben,wie es die Grünen hier machen. Die größten Kosten-faktoren in der Milchviehhaltung sind nicht die Boden-kosten. Bei mir zum Beispiel sind es infolge der eklatan-ten Wettbewerbsverzerrung, die in den letzten Jahrendurch die Energie- und Lebensmittelproduktion entstan-den ist, die Flächenkosten. Wer als Milchviehhalter anandere Betriebe Fläche verliert, kann diese nicht mehrzurückpachten, weil einfach zu wenig Kapitel dafürvorhanden ist. Deshalb müssen wir durch eine gezielteFörderung unsere Milchviehhalter stärken. Wir könnenProgramme auflegen. Wir haben die Möglichkeit dazu.Der Freistaat Bayern nutzt diese Möglichkeit intensiv.Ich würde mich freuen, wenn auch die anderen Bundes-länder – ich denke gerade an die Bundesländer, in denenParteien regieren, die hier in der Opposition vertretensind – das in dem Umfang machen würden wie Bayern.Um die Zukunft der deutschen Milchviehhaltung istmir nicht bange. Deutsche und auch bayerische Milch-produkte – Sie erlauben mir diesen Nebensatz – haben inder Welt ein hohes Ansehen und werden stark nachge-fragt. Die guten Chancen zum Export in die ganze Weltwurden schon erwähnt. Wir sollten die Chancen nutzen.Wir sollten unsere Milchviehhalter mit guten sachlichenArgumenten stärken und nicht mit den Ideologievorstel-lungen argumentieren, die leider Gottes bei den Grünennoch immer vorherrschen.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/976 an den Ausschuss für Ernährung undLandwirtschaft vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-standen? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung sobeschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten SabineLeidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weitererAbgeordneter und der Fraktion DIE LINKEDen Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AGneu und verantwortungsvoll besetzenDrucksache 18/592Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitAusschuss für TourismusNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2143
Vizepräsidentin Petra Pau
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Ich bitte die notwendigen Umgruppierungen in denFraktionen so vorzunehmen, dass wir die nötige Aufmerk-samkeit für die folgende Debatte herstellen können. –
– Es geht weiter, wenn die CDU/CSU-Fraktion und dieSPD-Fraktion die notwendigen Umgruppierungen vor-genommen und gegebenenfalls notwendige Gesprächean den Rand des Plenums verlagert haben.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-gin Sabine Leidig für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Auf dem Nachrichtenportal Die Weltpresse konnte manam 27. März dieses Jahres lesen – ich zitiere –:Nach Limburg-AusTebartz-van Elst wechselt zum BahnvorstandJa, da schauen Sie, was?
Das ist natürlich Satire. Aber es war keine Satire, als dreiMonate zuvor die Meldung durch die Presse ging, dassder ehemalige Kanzleramtsminister Pofalla in den Vor-stand der Deutschen Bahn AG wechselt.
Offenbar geht dieses Vorhaben auf eine Absprachezurück, die die Kanzlerin höchstpersönlich mit demBahnvorstandsvorsitzenden Herrn Grube und dem Auf-sichtsratsvorsitzenden Utz-Hellmuth Felcht getroffenhat. Warum? Nicht etwa deshalb, weil Herr Pofalla einprofunder Bahnkenner ist,
sondern weil er offenbar für seinen Einsatz belohnt wer-den sollte, der dazu führte, dass der Bahnaufsichtsrat dasProjekt „Stuttgart 21“ fortsetzte, obwohl dessen Unwirt-schaftlichkeit nachgewiesen war.
Mit diesem Fakt stellt sich erneut die Frage – sie stehtsozusagen im Rampenlicht der Öffentlichkeit –, wer daeigentlich in wessen Interesse Einfluss auf die Bahnpoli-tik nimmt. Denn es ist ja keineswegs so, wie immer be-hauptet wird, dass die Bahn quasi ein eigenmächtigerund eigenständiger Konzern ist, auf den die Bundespoli-tik überhaupt keinen Einfluss nehmen kann. Im FallPofalla ist dies offensichtlich geworden. Selbstverständ-lich gibt es auch andere Wege. Insbesondere ist es derBund, der den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG be-setzt, zumindest den Teil, der die Aktionäre vertritt. DieAktionäre sind, so könnte man sagen, zu 100 Prozent dieBundesbürgerinnen und Bundesbürger.Die Neubesetzung dieses Aufsichtsrates steht zwarerst in einem Jahr an, aber wenn man ein solchesGremium neu und anders besetzen möchte – genau dasschlagen wir mit unserem Antrag der Fraktion Die Linkevor –, dann ist ein Jahr keine lange Zeit. Wir sind derÜberzeugung, dass die Bundesregierung andere Persön-lichkeiten in diesen Aufsichtsrat setzen muss, Persön-lichkeiten, die wirklich das Interesse einer guten Bahnfür alle in den Mittelpunkt stellen.
Erstens sind wir der Überzeugung, dass es an der Zeitist, endlich Frauen in diesem Aufsichtsrat zu sehen.
Vom Bund aus müsste zumindest die Hälfte der Plätzemit Frauen besetzt werden. Denn immerhin nutzenüberwiegend Frauen die Bahn; zumindest im Nahver-kehr bilden sie die Mehrheit der Bahnnutzerinnen undBahnnutzer.Zweitens wollen wir, dass über die Vorschlagsliste fürdie Besetzung des Aufsichtsrates in der Öffentlichkeit dis-kutiert wird und sie letztlich vom Parlament beschlossen
und nicht hinter verschlossenen Türen ohne Einflussausgemauschelt wird.Drittens – das ist der wichtigste Punkt – sind wir derMeinung, dass andere Interessen dort eine Rolle spielensollen.Es gibt fünf Personen, die wir auf keinen Fall imneuen Aufsichtsrat sehen wollen. Diese Personen sindjetzt im Aufsichtsrat.
Ich möchte sie Ihnen kurz vorstellen. Vielleicht vergehtIhnen dann das Lachen.
Vielleicht haben Sie auch unseren Antrag gelesen undwissen, um wen es sich handelt. Der Aufsichtsratsvorsit-zende Utz-Hellmuth Felcht zeichnet sich nicht dadurchaus, dass er mit Bahnunternehmen viel Erfahrung hat,sondern er ist Managing Director eines großen Private-Equity-Fonds. Warum ist er Aufsichtsratsvorsitzendergeworden? Der ehemalige BundesverkehrsministerRamsauer hat diese Entscheidung 2010 damit begründet,dass er ein exzellenter Kenner des Börsengeschehenssei, was im Hinblick auf den nach wie vor politisch ge-wünschten Börsengang der Deutschen Bahn AG wichtigsei.
Ich bitte Sie: Der Börsengang der Deutschen Bahn AGist, so sagt es jedenfalls die Große Koalition,
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2144 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Sabine Leidig
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kein Thema mehr, ist abgesagt.
Ich bin der Meinung, wir brauchen einen Aufsichtsrats-vorsitzenden, der sich dadurch qualifiziert, dass er eingroßes öffentliches Unternehmen gedeihlich entwickelnkann.
Kollegin Leidig, die letzten vier Namen müssen Sie
bitte in Ihren letzten Satz fassen und zum Ende kommen.
Die letzten vier Namen können Sie in unserem Antrag
nachlesen.
Wir haben Christoph Dänzer-Vanotti, der für Eon steht;
wir brauchen aber Leute, die für regenerative Energien
stehen.
Wir haben den Milliardär Heinrich Weiss, der Bombar-
dier vorsteht.
Kollegin Leidig, ich meine das ausgesprochen ernst.
Setzen Sie einen Punkt!
Außerdem haben wir einen Klimaleugner, den wir
durch jemanden ersetzen müssen, der den Klimaschutz
ernst nimmt. Schließlich brauchen wir auch keinen
Stahlbaron wie Herrn Großmann,
sondern wir brauchen Leute, die Umweltschutz, Ver-
braucherinteressen und das Allgemeinwohl für die Deut-
sche Bahn vertreten.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege
Alexander Funk das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Ich wollte ja schon immer einmal im Bundestagzu einer so späten Stunde sprechen. Das ist allerdings dieeinzige Freude, die Sie mir mit diesem Antrag bereitethaben.
Ansonsten bin ich mir noch nicht sicher, über was ichmich mehr wundern soll: über die Widersprüchlichkeitin Ihrem Antrag, über die Wahrnehmungsstörung oderüber die Unverschämtheit.
Zum Widerspruch. Gleich zu Beginn Ihres Antragswollen Sie, dass der Bundestag feststellt, die Aktienge-sellschaft sei nicht die geeignete Form, um die Bahn zuführen, um dann später die Bundesregierung aufzufor-dern, genau das zu überprüfen. Schon allein aufgrunddieses Widerspruchs werden wir diesen Antrag ableh-nen, weil das auch das Parlamentsverständnis betrifft.Denn wenn der Bundestag etwas feststellt, egal was dassein möge, dann fordert er nicht anschließend die Bun-desregierung auf, diese Feststellung zu überprüfen. Aberich gehe einmal davon aus, das war nur ein Versehen Ih-rerseits. Ich empfehle Ihnen an dieser Stelle, Ihren Zet-telkasten neu zu sortieren.
Zur Wahrnehmungsstörung. Sie zeichnen ja ein ver-heerendes Bild der Bahn im Jahr 2014. Aber zu einerAnalyse gehört natürlich zunächst einmal, dass man dieAusgangslage betrachtet – 20 Jahre Bahnreform – undsich fragt: Wie sah die Situation vor 20 Jahren aus? Bun-desbahn und Reichsbahn waren hochdefizitär.
34 Milliarden Euro Schulden wurden angehäuft.
Die Investitionen gingen zurück. Dafür übertrafen diePersonalaufwendungen die Umsatzerlöse um 50 Pro-zent. Der Service war verheerend, was schon allein da-ran zu sehen war, dass die Fahrgäste als Beförderungs-fälle bezeichnet wurden;
heute sind sie Kunden. Von 1950 bis 1994 ist der Anteilder Bahn am Personenverkehr von 36 Prozent auf 6 Pro-zent zurückgegangen. – Das war die Ausgangslage imJahr 1994.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2145
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Kollege Funk, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
kung der Kollegin Leidig?
Ja, gerne.
Selbst auf die Gefahr hin, dass Sie Ihren Feierabend
noch um fünf Minuten verschieben müssen,
möchte ich doch die Frage stellen, ob Sie sich bewusst
sind, dass die Ziele, die vor 20 Jahren formuliert worden
sind, lauteten, erstens die Preise für den Bahnverkehr zu
senken, zweitens den Anteil der Bahn am Modal Split zu
erhöhen und drittens den Service, die Pünktlichkeit und
ähnliche Dinge zu verbessern. Faktisch – das möchte ich
einfach nur sagen – haben wir keinen steigenden Anteil
am Modal Split. Wir haben Fahrpreiserhöhungen, die
doppelt so hoch sind wie die Inflationsrate. Wir haben
einen Abbau von 4 500 Kilometern Bahnstrecken, was
nicht unbedingt für mehr Service steht.
Grundziel der Bahnreform war, mehr Verkehr auf die
Schiene zu bekommen. Das ist nachweislich gelungen.
Auch der Service ist deutlich verbessert. Die Investitio-
nen sind deutlich gesteigert worden. Heute haben wir ein
Bahnunternehmen, das jährlich einen Gewinn abwirft.
Ich bestreite überhaupt nicht, dass es nach wie vor
verärgerte Bahnkunden gibt. Bahnkunden ärgern sich
natürlich darüber, wenn ein Zug ausfällt, wenn es zu
Verspätungen kommt. So etwas ist angesichts von
25 000 Zugfahrten täglich und 5,6 Millionen Fahrgästen
täglich aber eigentlich auch nicht sonderlich verwunder-
lich. Das wird es immer wieder geben.
Daraus die Konsequenz zu ziehen, das Rad wieder zu-
rückzudrehen, halten wir für falsch. Wir wollen die
Bahnreform weiterentwickeln,
um an dem Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene zu be-
kommen, festzuhalten, um den Service weiter zu verbes-
sern. Wir wollen das erreichen, indem wir noch mehr
Wettbewerb im Bereich Schiene schaffen. Dazu hat die
Monopolkommission einige Vorschläge auf den Tisch
gelegt; darüber werden wir in den nächsten Monaten si-
cherlich noch diskutieren. Jedenfalls wollen wir nicht
zurück zu einem Staatskonzern, der politisch dominiert
wird.
Damit bin ich beim dritten Punkt, nämlich bei der Un-
verschämtheit in Ihrem Antrag.
Die Art und Weise, wie Sie hier einen Aufsichtsrat dis-
kreditieren und versuchen, indirekt ein solches Licht da-
rauf zu werfen, als würden die dort ihre eigenen Interes-
sen verfolgen,
das ist eine Unverschämtheit; anders kann man das nicht
bezeichnen. Das weisen wir ausdrücklich zurück.
Wir jedenfalls sind froh, dass es diesen Aufsichtsrat
in dieser Zusammensetzung gibt – mit den Arbeitneh-
mervertretern, mit den Vertretern der Politik, die natür-
lich auch die politischen Interessen verfolgen müssen,
und mit gestandenen Managern, die Erfahrung mit dem
Bahngeschäft haben
und dazu beigetragen haben, dass die Bahn heute so gut
dasteht, dass sie ein erfolgreiches wirtschaftliches Unter-
nehmen ist. Wir danken diesem Aufsichtsrat ausdrück-
lich.
Alles das sind Gründe dafür, dass wir Ihren Antrag
ablehnen werden.
Ansonsten darf ich jedem für später noch eine ange-
nehme Nachtruhe wünschen.
Der Kollege Matthias Gastel hat für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Dem Antrag der Linken sei Dank: Das Ple-num diskutiert über Bahnpolitik, und es ist auch notwen-dig und gut so, dass wir das heute machen.
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2146 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Matthias Gastel
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Seit Jahren singen DB-Vorstand, Union, SPD undTeile der Gewerkschaften das immer gleiche Lied. DerRefrain lautet: Die Deutsche Bahn ist gut und wird im-mer besser. – Mit Selbstzufriedenheit aber, meine Da-men und Herren, wird nichts besser. Notwendig ist, dieBahnreform ehrlich zu bilanzieren, Defizite klar heraus-zustellen und systematisch zu beheben.
Die Bilanz der Bahnreform ist durchwachsen. Wederdie Entwicklung der Fahrgastzahlen noch der Güterbe-reich geben Anlass zur Zufriedenheit. Vor allem leidetdas System Schiene an den Folgen der Börsengangstra-tegie: Strecken wurden stillgelegt; in manchen Berei-chen wurde übertrieben viel Personal abgebaut. Mainzlässt grüßen!Wir fragen vor allem: Wieso diese internationale Aus-richtung der Deutschen Bahn? DB Schenker ist dergrößte Spediteur auf dem europäischen Markt. Was pas-siert eigentlich, wenn die Bilanzen weiter abrutschenund der Bund Steuergeld reinbuttern muss?Äußerst problematisch ist auch, dass Gewinne aus derNetzsparte der DB in den Bundeshaushalt abgezogenwerden – anstatt direkt ins Netz zurückinvestiert zu wer-den. Der Netzzustand verschlechtert sich mehr undmehr. Der Bund als Eigentümer und der Aufsichtsrat ha-ben hier ganz offensichtlich versagt.
Fakt ist: Von diesen Geschäften war bei der Bahnre-form nicht die Rede, und davon steht auch nichts imGrundgesetz. Was hat von diesen Geschäften der Fahr-gast? Der Fahrgast erwartet Angebote in der Fläche,pünktliche Züge, verlässliche Reiseketten, attraktiveUmsteigeangebote und funktionierende Internetverbin-dungen in den Zügen.
Wir müssen dringend einmal ausführlich darüber re-den, wie umgegangen wird mit den kaum rentablen In-vestitionen und unsinnigen Prestigeprojekten. Wir müs-sen reden über die hohe Schuldenaufnahme der DB, dieja noch steigen soll, wie wir seit der Pressekonferenz derDB in der letzten Woche wissen. Wir müssen reden überdie wirklichen Bedürfnisse der Fahrgäste und über dieeigentlichen Aufgaben der Deutschen Bahn.Wir sind der Meinung, Netz und Transport müssengetrennt werden.
Die Infrastruktur muss wieder in das unmittelbare Eigen-tum des Bundes überführt werden.
Da sind wir uns mit der Monopolkommission einig. Al-les andere behindert einen fairen Wettbewerb auf derSchiene und damit auch die notwendigen Innovationen.Wir begrüßen die Ankündigung der Bundesregierung fürein neues Eisenbahnregulierungsgesetz. Hier muss jetztTempo rein.
Die GroKo will das Steuerungskonzept für dieDB AG überarbeiten. Darauf sind wir sehr gespannt.
Seit der Bahnreform fehlt nämlich ein schlüssiges Steue-rungsinstrument. Die Bundesregierung greift nach Belie-ben ein, mal zum Nachteil des Systems Schiene, wie beiStuttgart 21, und mal unterlässt sie das Eingreifen, wiebei fragwürdigen Auslandsgeschäften. Nur eines gibt esnicht: Transparenz.Hier stimmen wir mit dem Antrag der Linken über-ein: In den Aufsichtsrat gehören auch Vertreterinnen undVertreter von Fahrgast-, Umwelt- und Verbraucherinte-ressen.
Wir brauchen dort Leute, die nicht nur auf die Gewinneschauen. Wir brauchen dort Leute, die dafür brennen,das System Schiene zu stärken. Die DB AG hat sich, un-terstützt durch die Politik, endlich auf ihr Kerngeschäftzu konzentrieren: die Gewährleistung einer zuverlässi-gen, ressourcenschonenden und klimafreundlichen Mo-bilität auf der Schiene.
Kollege Gastel, das war Ihre erste Rede im Deutschen
Bundestag. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihre wei-
tere Arbeit.
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Martin
Burkert das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir wissen, Rituale sind wichtig. Man denke etwa an dieFörderung des Familienzusammenhalts zu Hause durchdas gemeinsame Abendessen. Unsere Rituale in diesemHause sind genauso wichtig; sie stärken das Zusammen-gehörigkeitsgefühl der Parlamentarier. Ich denke an dieFeierstunden und Ähnliches. Vielleicht sollten wir somanche Anträge einfach als freundliches Zeichen derFraktionen sehen, durch die unser Wirgefühl gestärktwird.Alle Jahre wieder, Frau Leidig, reden wir über denBahnaufsichtsrat.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2147
Martin Burkert
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Zu Beginn einer Legislaturperiode geschieht dies meistsehr ausführlich. Regelmäßig wird von Ihnen bemängelt,dass die Mitglieder im Aufsichtsrat, eigentlich beruflicherfolgreiche Personen, Interessenskonflikten unterlie-gen, dass sie für diese Aufgabe nicht geeignet sind.
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Sie lehnen in Ihrem Antragsogar Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter im Auf-sichtsrat ab. Ich sage Ihnen: Wir, die SPD, stehen zur be-trieblichen Mitbestimmung.
So einfach ist das in unserem Land. Wir halten die Pari-tät in den Aufsichtsräten für eine wichtige und gute Er-rungenschaft und befürworten es, wenn Arbeitnehmer-vertretungen auch Beschäftigte des betroffenenKonzerns in die Aufsichtsräte berufen.
Ja, wir wollen, dass die Mitglieder in diesen Auf-sichtsräten wirtschaftliche Kompetenz mitbringen. Au-ßerdem wollen wir, dass in den Aufsichtsräten, also auchim Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG, zukünftig, ab2016, mindestens 30 Prozent Frauen sitzen. HerzlichenDank, Manuela Schwesig.
Das sage ich in aller Deutlichkeit. Wir wollen auch, dassin den Aufsichtsräten Menschen sitzen, die über geeig-netes Fachwissen verfügen, zum Beispiel aufgrund ihrerberuflichen Tätigkeiten. Wer ist denn Ihrer Ansicht nachgeeignet, aber ohne Interessenkonflikt? Ich sage Ihnen:Diesen Interessenkonflikt könnte man an jeder Personaufzeigen.Aber ich sage auch: Es ist richtig, dass auch Parla-mentarier im Aufsichtsrat sitzen. – Ich sage sogar: Dassollte Normalität sein. – Die Arbeitnehmer wählen ihreAufsichtsräte in Urwahl; dagegen ist sicherlich über-haupt nichts zu sagen.Sie kritisieren 20 Jahre Bahnreform, eine Entschei-dung, die vor 20 Jahren getroffen wurde. Wir feiern die-ses Jahr das 20-jährige Jubiläum in unterschiedlichenVeranstaltungen. Wir Sozialdemokraten sagen: Unterdem Strich ist die Bahnreform ein großer Erfolg inDeutschland und hat uns in ganz Europa ein Stück nachvorne gebracht. Die Zuwachsraten sprechen eine deutli-che Sprache: Steigerung im Regionalverkehr um 73 Pro-zent, und selbst der Güterverkehr folgt mit knapp71 Prozent.
Deswegen sagen wir: Mit der Bahnreform konnte derTrend zur stetigen Abnahme der Bedeutung des Schie-nenverkehrs im Vergleich zum Straßenverkehr zumin-dest gestoppt werden.Nicht alles stellt uns zufrieden – das will ich auch sa-gen –; aber das hängt nicht mit der Zusammensetzungdes Aufsichtsrates der Deutschen Bahn AG zusammen.
Zu einer fairen Betrachtung gehört auch die Erörte-rung kritischer Punkte – auch das will ich nicht ausspa-ren –: Wir haben technische Probleme erlebt, insbeson-dere beim ICE; hier bedarf es einer Nachsteuerung. Derständige Aufschub beim Ausliefern neuer ICE durch dieFahrzeughersteller und auch die langwierigen Zulas-sungsverfahren erleichtern der Deutschen Bahn nicht dieArbeit. Beim Thema Zulassung haben wir uns im Koali-tionsvertrag verständigt, dass wir noch in dieser Legisla-tur nachhaltig tätig werden; auch das sage ich in allerDeutlichkeit.
Die Situation beim Eisenbahn-Bundesamt beschäftigtuns nicht erst seit diesen Tagen. Sie ist weder für dieMitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch für die Kundenzufriedenstellend. Herr Staatssekretär Ferlemann, ichgehe davon aus, dass mit diesem Haushalt endlich aucheine Personalsteigerung für das Eisenbahn-Bundesamtkommt; dafür ist es höchste Zeit. Ich bitte alle, da beiden Haushaltsberatungen mitzuhelfen.Wir erleben, dass trotz der Hindernisse, die es gibt– ob von der DB AG selber verschuldet, vom Wettergottoder von Graffitisprayern –, die Qualität in den Zügenund beim Zugbegleitpersonal insgesamt beachtlich zuge-nommen hat: Die Züge sind in der Regel sauber undkomfortabel, in der Regel fühlt man sich auch wohl. Dasist vor allem das Verdienst der Beschäftigten dieses Un-ternehmens. Auch hierfür muss man herzlichen Dank sa-gen.
Wir wollen nach wie vor, dass immer mehr Menschenvom Auto auf die Schiene umsteigen und dass auch derGüterverkehr auf der Schiene zunimmt. Voraussetzungendafür sind erstens eine leistungsfähige und anwohner-freundliche Schieneninfrastruktur, zweitens faire Wett-bewerbsbedingungen gegenüber Konkurrenten auf derSchiene und drittens faire Wettbewerbsbedingungen ge-genüber den anderen Verkehrsträgern wie Straßenver-kehr, Wasserstraßenverkehr und Luftverkehr.Wir werden die Leistungs- und Finanzierungsverein-barung mit neuen und genaueren Kennzahlen weiterent-wickeln, mehr Geld in die Schieneninfrastruktur steckenund vor allem beim barrierefreien Ausbau und beimLärmschutz in dieser Legislatur vorankommen. Ich binüberzeugt, wir schaffen dies in der Großen Koalition.Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies alles sindwichtige Aspekte und dringende Probleme, die wir imBereich der Schiene lösen müssen. Hierüber machen wir
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2148 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Martin Burkert
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uns Gedanken, und hierzu haben wir im Koalitionsver-trag vieles festgeschrieben. All diese Themen aber wer-den nicht durch die Zusammensetzung des Bahn-Auf-sichtsrats verursacht und würden auch nicht durch seineAbschaffung gelöst. Darum: Lassen Sie uns gemeinsaman die Arbeit gehen, um die Bahn in Deutschland zu-kunftssicher aufzustellen – für die Kunden, für die Be-schäftigten und nicht zuletzt für unsere Umwelt. DieserAufruf ist durchaus als Appell, Frau Kollegin Leidig, andas Wirgefühl aller Parlamentarier gedacht. Lassen Sieuns daran arbeiten! Mir ist nicht bange um eine gute Zu-kunft der Deutschen Bahn AG und der Schieneninfra-struktur.Ich wünsche einen schönen Abend.
Der Kollege Michael Donth hat für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Vor 225 Jahrenkam in Reutlingen ein Mann zur Welt, der als Pionierdes Eisenbahnwesens in Deutschland gilt und es voran-gebracht hat.
Ich spreche von meinem schwäbischen LandsmannFriedrich List.Ich bin überzeugt: Er wäre stolz darauf, was aus sei-ner Idee geworden ist. Er vertrat das Konzept, dassSchienenwege die Voraussetzung für wirtschaftlichenWohlstand sind. Seine Idee ist Wirklichkeit gewordenund hat auch heute noch ihre Berechtigung.Damit die Eisenbahn aber dauerhaft als Grundlagedes wirtschaftlichen Wohlstands funktioniert, muss siesich der Zeit anpassen. Dazu diente auch die großeBahnreform vor 20 Jahren, die nach Ansicht der Linkenallerdings ein Misserfolg war.20 Jahre Bahnreform: Manche mögen da eine weni-ger positive Bilanz ziehen als ich. Eines ist aber klar: DieDeutsche Bahn steht heute deutlich besser da als vor20 Jahren.
Das sieht im Übrigen auch der Vorsitzende der Eisen-bahn- und Verkehrsgewerkschaft Alexander Kirchner so.
Die Ziele der Reform sind weitgehend erreicht, auchwenn man noch nicht am Ende der Entwicklung ange-kommen ist. Die bisherige positive Entwicklung istkeine leere Behauptung, sondern in Zahlen greifbar. Da-für nur zwei Belege: Im Personenverkehr ist die Ver-kehrsleistung auf der Schiene um 36 Prozent gewachsen,und auch der Anteil der Eisenbahn am Personenver-kehrsmarkt ist angestiegen. Selbst im Güterbereich, indem es einen steigenden Konkurrenzdruck gibt, konntedie Bahn ihren Marktanteil vergrößern.Die Linke behauptet nun in ihrem Antrag, die Unter-nehmensreform, die Bildung einer Aktiengesellschaft,habe sich für die Deutsche Bahn als ungeeignet erwie-sen. Ich sage: Genau das Gegenteil ist der Fall.Die Umwandlung der Deutschen Bundesbahn und derDeutschen Reichsbahn in eine einheitliche Aktiengesell-schaft mit unternehmerischer Ausrichtung hat die Wei-chen hin zu mehr Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeitund auch zu mehr Produktivität gestellt. Gerade dank derRechtsform, als AG, war es möglich, das Eisenbahnsys-tem in Deutschland nach der deutschen Einheit zusam-menzubringen und auf einer soliden finanziellen Basiserfolgreich in die Zukunft zu führen.
Mit einer Anstalt des öffentlichen Rechts, mit der dieLinke in ihrem Antrag liebäugelt, könnten diese Zielenicht in dem Umfang erreicht werden; denn eine solcheAnstalt steht mit anderen Unternehmen im Wettbewerbnicht auf derselben marktwirtschaftlichen Stufe, wassystembedingt wieder zu Wettbewerbsverzerrungen füh-ren würde.
Es ist gut, dass sich die Deutsche Bahn im Wettbe-werb mit anderen Unternehmen behaupten muss undauch behauptet. Wettbewerb fördert Qualität, Wirtschaft-lichkeit und Vielfalt.
Daher ist es ein gutes Zeichen, dass es in Deutschland imVergleich zu anderen Ländern Europas relativ viele Ei-senbahnunternehmen gibt; denn nur ein Unternehmen,das mit Konkurrenz zu tun hat, wird zu Höchstleistungenangespornt.Deshalb ist es richtig und gut, dass sich die DeutscheBahn die Expertise in ihr Führungspersonal holt, die siebraucht, um im Wettbewerb zu bestehen.
Dazu gehören auch, wie in anderen Konzernen ebenfallsüblich, Persönlichkeiten, die Erfahrungen in verbunde-nen Unternehmen oder in Konkurrenzunternehmen ge-macht haben. Es ist eine böswillige Unterstellung – daswurde schon angesprochen – und falsch, diesen Perso-nen vorzuhalten, dass sie sich nicht für eine Stärkung desSchienenverkehrs engagieren würden.Im Übrigen ist es unglaubwürdig, dass sich ausge-rechnet die Linke als Gralshüter der Bahn aufspielt;
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2149
Michael Donth
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denn als im Herbst 2011 mehrere Brandanschläge in undum Berlin auf die Bahn verübt wurden, die bei der BahnSchäden in Millionenhöhe verursacht haben,
hat sich Ihre damalige und heutige innenpolitische Spre-cherin Ulla Jelpke mit diesen Attentätern solidarisiert.
Wie soll man einer Fraktion mit einer solchen Grundein-stellung abnehmen, dass sie sich glaubhaft für das Ge-meinwohl und die Stärkung des Schienenverkehrs ein-setzen möchte?
– Das steht auf Seite 6 der Frankfurter Rundschau vom15. Oktober 2011.
Wir sind auf jeden Fall für die Bahn und lehnen IhrenAntrag ab.Vielen Dank!
Kollege Donth, das war Ihre erste Rede im Deutschen
Bundestag. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihre wei-
tere Arbeit.
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/592 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Katharina
Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Nationales Reformprogramm 2014 nutzen –
Wirtschaftspolitische Steuerung in der EU
ernst nehmen und Investitionen stärken
Drucksache 18/978
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsauschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Katharina Dröge für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Ich bemühe mich. – Sehr geehrte Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal ist es dererste kleine Schritt, der viele Dinge bewegen kann. Beider Debatte über die makroökonomischen Ungleichge-wichte kommt mir das gerade so vor.Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat noch im letz-ten Jahr die Meinung vertreten, dass es beim ThemaLeistungsbilanzüberschüsse kein Problem gebe,
dass es eigentlich nur eine Debatte derjenigen sei, dieden Deutschen die Exporte nicht gönnen würden. Vondieser Einschätzung sind Sie mittlerweile, wenigstensteilweise, abgerückt. Zumindest im Entwurf der Bundes-regierung für ein nationales Reformprogramm, den Siegestern im Wirtschaftsausschuss vorgestellt haben, las-sen Sie sich auf die Analysen der Europäischen Kom-mission ein. Das ist gut; denn endlich können wir da-rüber debattieren, worum es eigentlich geht, nämlich umdie deutsche Binnennachfrage.
Es ist zwar nur ein kleiner Schritt, aber dennoch einsehr wichtiger; denn ohne die Problemerkenntnis kämenwir gar nicht zur Lösung des Problems. Über die Lösungdes Problems müssten Sie eigentlich im Zusammenhangmit dem Entwurf für ein nationales Reformprogramm re-den und diskutieren, und über dieses Reformprogrammmöchte ich gerne hier und heute mit Ihnen debattieren.Da gibt es nur ein Problem: Der Entwurf für ein natio-nales Reformprogramm liegt nicht vor. Darüber könnenwir heute Abend nicht reden. Diesen Entwurf beschlie-ßen Sie erst nächste Woche im Kabinett, dann, wenn eskeine Sitzungen mehr vor der Osterpause gibt, dann,wenn wir hier im Bundestag dazu gar nicht mehr Stel-lung nehmen können. Danach schicken Sie den Entwurfnach Brüssel. Eine Debatte im Parlament hierüber istnicht vorgesehen. Ich finde: Das ist das absolut falscheSignal zur falschen Zeit.
Während zeitgleich die Europäische Zentralbank da-rüber berät, wie sie verhindern kann, dass der Süden Eu-ropas in eine Deflationsspirale fällt, haben wir keineMöglichkeit, hier im Parlament das Verfahren zur koor-dinierten Wirtschaftspolitik, das ein Teil des Stabilitäts-mechanismus und auch eine Lösung für diese europäi-sche Krise sein sollte, zu diskutieren.Wir haben unseren Antrag gestellt, um hier zumindestin Teilen eine Debatte zu ermöglichen, um zumindest ei-
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2150 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Katharina Dröge
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nige Vorstellungen von Ihnen zu hören, wie Sie die Pro-bleme lösen wollen, und um Ihnen mit unserem Antragvielleicht einige Anregungen dazu zu geben, wie manein nationales Reformprogramm ausgestalten könnte.
Wir sagen Ihnen: Wir brauchen endlich ein europäi-sches Investitionsprogramm zur wirtschaftlichen Unter-stützung der Krisenländer. Wir brauchen endlich verlässli-che politische Rahmenbedingungen für die Unternehmenhier in Deutschland, etwa bei der Energiewende, damitdie Investitionsneigung der privaten Unternehmen inDeutschland wieder steigt. Wir brauchen schneller undohne merkwürdige Ausnahmen einen vernünftigen Min-destlohn zur Steigerung der deutschen Binnennachfrage.Und: Wir brauchen deutlich stärkere Investitionen deröffentlichen Hand in unsere Infrastruktur.Gerade zum letzten Punkt möchte ich Ihnen sagen:Wenn Sie hier entschlossen handeln, dann tun Sie nichtnur etwas für die Binnennachfrage, sondern damit eröff-nen Sie auch Zukunfts- und Wachstumschancen für un-ser Land. Statt das viele Geld in unnötige Steuerge-schenke wie ökologisch schädliche Subventionen oderden ermäßigten Steuersatz für Hotelübernachtungenoder unsinnige Projekte wie das Betreuungsgeld zu ste-cken,
können Sie etwas für die Zukunft unseres Landes tun.Sie könnten mit Investitionen zum Wohle aller inDeutschland und Europa beitragen. Ich bitte Sie, ganzernsthaft darüber nachzudenken, entsprechend zu han-deln und mit uns unseren Antrag zu beschließen.Ich danke Ihnen ganz herzlich.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege
Dr. Andreas Lenz das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Titeldes Antrags von Bündnis 90/Die Grünen beginnt mit denWorten „Nationales Reformprogramm 2014 nutzen“.Seien Sie sicher: Das machen wir. Wir werden das in al-ler Ruhe und in aller Sorgfalt machen. Wir haben jetztauch beispielsweise, was die Redezeit angeht, mehr Zeitals Sie. Deshalb verstehe ich, dass Sie so schnell gespro-chen haben. Ich werde mir dementsprechend ein biss-chen mehr Zeit lassen.Wir nutzen das Reformprogramm, um die deutscheWirtschaft voranzubringen, und nicht wie Sie, um immerwieder neue Anträge zu einer alten und längst bekanntenThematik zu stellen. Sie kritisieren in Ihrem Antrag diehohen Leistungsbilanzüberschüsse der BundesrepublikDeutschland. In der Tat liegt der Leistungsbilanzüber-schuss mit rund 200 Milliarden Euro bei 7,3 Prozent desBruttoinlandsprodukts. Als Schwellenwert gibt dasScoreboard des wirtschaftlichen Überwachungsverfah-rens einen Überschuss von 6 Prozent an. Es gilt festzu-stellen, dass Deutschland damit lediglich 1,3 Prozent-punkte über diesem angegebenen Schwellenwert liegt.Hier muss noch einmal klar betont werden, dass dieKommission mit Blick auf Deutschland eben geradekeine zukunfts- und stabilitätsgefährdenden Ungleichge-wichte festgestellt hat. Es handelt sich laut Kommissionzwar um Ungleichgewichte; sie sind aber nicht als ex-zessiv zu bezeichnen.Die deutschen Exportüberschüsse sind Ausdruck derhohen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen,
darunter zahlreiche kleine und mittelständische Unter-nehmen, die in ihrem Bereich Weltmarktführer sind.Deutsche Produkte werden nach wie vor auf den Welt-märkten stark nachgefragt. EU-WirtschaftskommissarOlli Rehn meinte treffend, er wünsche sich, dass jedesEU-Land bei Produktion und Ausfuhren so stark sei wieDeutschland. Das wünschen wir uns auch.
Im Übrigen finden 43 Prozent der Wertschöpfungdeutscher Exportprodukte in Form von Vorleistungen imEU-Ausland statt, und 57 Prozent aller deutschen Im-porte stammen aus anderen EU-Mitgliedstaaten. Es lässtsich überdies feststellen, dass der Anteil der deutschenExporte in Länder außerhalb der EU zunehmend wächst.So beträgt der Handelsüberschuss mit Drittländern au-ßerhalb der EU 140 Milliarden Euro und der Handels-überschuss mit Euro-Ländern lediglich 1 Milliarde Euro.Es schadet also auch hier nicht, eine europäische Per-spektive einzunehmen. Die Euro-Zone für sich genom-men konnte einen Handelsüberschuss in Höhe von152 Milliarden Euro erzielen, und das, obwohl der Eurorund 7 Prozent an Wert zugelegt hat, sich also die Ex-porte in Relation verteuert haben.Es gibt übrigens neben der Leistungsbilanz noch an-dere Indikatoren beim wirtschaftspolitischen Überwa-chungsverfahren, beispielsweise einen eventuellenRückgang des Exportanteils um mehr als 6 Prozent oderauch die öffentliche Verschuldung sowie die durch-schnittliche Arbeitslosenquote. Das alles sind Punkte, indenen Deutschland, wie Sie wissen, sehr gut dasteht.Definitionsgemäß messen Leistungsbilanzüber-schüsse jenen Teil der Ersparnisse eines Landes, dienicht im Inland investiert werden. Nicht nur die Kom-mission, sondern auch die Bundesregierung weisen aufdie im internationalen Vergleich zu niedrige Investitions-quote in Deutschland hin. Auch deshalb sieht der Koali-tionsvertrag erhebliche öffentliche Investitionen vor. Wirinvestieren in den nächsten vier Jahren 4 MilliardenEuro in Forschung, 5 Milliarden Euro in die Verkehrsin-frastruktur, 5 Milliarden Euro in die Entlastung der
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Dr. Andreas Lenz
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Kommunen und 6 Milliarden Euro in Bildung und Be-treuung.Mehr wäre immer schön. Dies alles steht allerdings unterdem Primat der Fortführung einer wachstumsfreundli-chen Haushaltskonsolidierung. Wir sollten es eben nichtden Südländern gleichtun und vor allem kreditfinanziertkonsumieren. Wir stehen zum Ziel, für 2015 einen aus-geglichenen Haushalt vorzulegen.Im Übrigen hängt der Leistungsbilanzüberschussauch mit der Beteiligung an den fiskalischen Rettungs-krediten zusammen. Diese sind, wie Sie wissen, momen-tan notwendig und liegen im europäischen Interesse.Sie fordern klare politische Ziele und verlässlicheRahmenbedingungen bei der Energiewende und beimBreitbandausbau. Auch hier lohnt sich ein Blick in denKoalitionsvertrag. Der Ausbaukorridor für die erneuer-baren Energien steht: bis zum Jahr 2025 40 bis 45 Pro-zent der Stromerzeugung aus regenerativen Energien, biszum Jahr 2035 55 bis 60 Prozent. Auf europäischerEbene verfolgen wir die Zieltrias von Energieeffizienz,Ausbau der Erneuerbaren und Treibhausgasreduktion.Auch die Digitalisierung bietet unzählige Chancen fürInnovationen und Investitionen. Die Digitale Agenda2014 – 2017 gibt von daher ein richtiges Signal. BeimBreitbandausbau ist es das Ziel, dass es in Deutschlandbis 2018 eine flächendeckende Grundversorgung mitmindestens 50 Megabit pro Sekunde gibt. Außerdemwerden wir mehr Investitionssicherheit für Netzbetreiberim ländlichen Raum schaffen.Nun ist es so, dass von den jährlichen Investitionen inDeutschland in Höhe von circa 460 Milliarden Euro nurrund 9 Prozent auf den öffentlichen Sektor entfallen.Über 90 Prozent der Investitionen werden vom privatenSektor geleistet. Es gilt also vor allem, ein investitions-freundliches Klima in Deutschland zu schaffen bzw.weiterhin zu bewahren. Das machen wir beispielsweiseauch dadurch, dass wir die Steuern für die Unternehmennicht erhöht haben.
Natürlich spielt die Nachfrageseite eine wichtigeRolle. Anders als Sie in Ihrem Antrag formulieren, sehenwir jedoch auch die Angebotsseite. Sie schreiben, dassdurch eine einseitige und sozial unausgewogene Sparpo-litik der Bevölkerung große Opfer abverlangt werden,dies aber ökonomisch und sozial nicht nachhaltig sei. Esstimmt: Unseren Euro-Partnerländern werden hohe Op-fer abverlangt. Dieser Prozess ist langwierig und schmerz-haft für die Bevölkerung der betroffenen Staaten. Abergerade dieser Weg ist nachhaltig. Die Ungleichgewichteim Außenhandel können realistischerweise nur dadurchverringert werden, dass angebotsseitige Reformendurchgeführt werden. Diese steigern die Wettbewerbsfä-higkeit von ganz Europa.Die Reformen zeigen auch Wirkung. Die Defizite deröffentlichen Haushalte der Euro-Staaten sind deutlichgesunken. Die Unterschiede in den nationalen Leis-tungsbilanzen haben sich in den vergangenen Jahrenabgebaut. Spanien, Portugal, Irland und Griechenlandhaben ihre Exporte spürbar gesteigert. Die Finanzie-rungssituation in den Krisenländern hat sich deutlichverbessert. Das ist ein Erfolg der Strategie „Europa2020“ für Wachstum und Beschäftigung.Wir haben heute eine positive Entwicklung bei denReallöhnen. Mit einem Bruttolohnzuwachs von 2,7 Pro-zent und einem Reallohnzuwachs von 1,1 Prozent erwar-ten wir 2014 den größten Lohnzuwachs seit 2010. Wirbetrachten bei der Einführung des Mindestlohns die Le-benswirklichkeiten. Das machen wir im Bereich derAusbildungsverhältnisse, im Bereich der Praktika undim Bereich des Ehrenamts. Wir wollen nicht, dass derMindestlohn zulasten der Beschäftigung in Deutschlandgeht.
Unser flexibler Arbeitsmarkt ermöglicht erst die Re-kordbeschäftigung von 42,1 Millionen Beschäftigten,die wir dieses Jahr erwarten. Diese Flexibilität dürfenwir nicht gefährden. Ebenso würde die Bekämpfung derkalten Progression zu mehr Binnennachfrage, zu mehrBinnenkonsum führen.Lassen Sie mich noch Folgendes betonen: Man wirddiese Ungleichgewichte nicht über Nacht abbauen kön-nen. Da werden auch Ihre Anträge wenig bis gar nichtshelfen. Die Steigerung der Binnennachfrage wird in dennächsten Jahren zur Reduktion des Defizits der Leis-tungsbilanz beitragen. Wenn die Standortbedingungenfür Investitionen gut sind, kann sich eine Investitionsdy-namik im privaten Sektor entwickeln, wodurch die Au-ßenhandelsdefizite automatisch reduziert werden. Wirstehen gerade am Beginn einer dynamischen Investiti-onsentwicklung. Die Investitionen steigen sowohl imprivaten als auch im öffentlichen Sektor.Wir legen dabei die Grundlagen für diese positive Ent-wicklung und schaffen Stabilität für mehr Investitionen.Herzlichen Dank.
Den Beitrag des Kollegen Klaus Ernst von der Frak-tion Die Linke haben wir entsprechend unseren Regelnzu Protokoll genommen.
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Tiefensee für dieSPD-Fraktion.
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2152 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
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Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Sehr geehrte Frau Dröge, Sie haben uns gebeten,dem Antrag Ihrer Fraktion zuzustimmen.
Das wollen wir nicht,
und zwar zunächst aus dem ganz einfachen Grund, weilSie in Ihrer Analyse zum Teil nicht richtig liegen. Derwesentliche Grund ist aber, dass Sie eine Menge vondem fordern, was sich in unserem Koalitionsvertrag undim Haushalt 2014 wiederfindet.
Deshalb ist der Antrag Ihrer Fraktion im Wesentlichenüberflüssig.
Wir nehmen die Analyse der EU und die Kritik derUSA selbstverständlich ernst. Wir wissen, dass wir einezu geringe Investitionsquote haben.
Die Exportquote ist hoch; auch das wird kritisiert. Wirwissen, dass die Binnennachfrage gesteigert werdenmuss.
Aber, ich möchte Sie, Frau Dröge, und Sie, sehr geehrteKolleginnen und Kollegen von den Grünen, zu späterStunde zunächst mit ein paar Fakten traktieren.
Von Deutschlands internationaler Wettbewerbsfähig-keit und Exportstärke profitiert im Gegensatz zu IhrerAnnahme die EU, ja das gesamte Euro-Gebiet. Deutsch-land ist eine der weltweit offensten Volkswirtschaften.Dieser Offenheitsgrad wird nicht irgendwie bestimmt,sondern ergibt sich aus Export und Import im Verhältniszum BIP. Unser Offenheitsgrad beträgt 97,7 Prozent, derder USA 32 Prozent, der Japans 31 Prozent und der Chi-nas 59 Prozent.Deutschlands Stärke im Außenhandel ist eben keineEinbahnstraße. Deutschland ist nicht nur drittgrößter Ex-porteur, sondern zugleich auch drittgrößter Importeurder Welt. Ein großer Teil der Importe stammt im Übrigenvon unseren europäischen Nachbarn. Der Importanteildeutscher Exporte ist mit 42 Prozent höher als in allenanderen großen Volkswirtschaften, zum Vergleich: USA11 Prozent, Japan 13 Prozent, Italien 24 Prozent, Frank-reich 23 Prozent und Russland 28 Prozent.
Erfolge deutscher Unternehmen auf den Weltmärktenschaffen also Beschäftigung und Wohlstand nicht nur beiuns, sondern durch Import von Vorprodukten und hoch-wertigen Konsumgütern auch in der Euro-Zone und inder EU.
Deutschland trägt also zum Abbau der Ungleichge-wichte innerhalb der EU und der Währungsunion bei. Dadie deutschen Importe aus der EU in den vergangenenJahren mehr zunahmen als die Exporte in die EU, sinddie Handelsbilanzüberschüsse gegenüber der EU seit2007 – hören Sie zu, Frau Dröge! –
von 174 Milliarden um ein Drittel auf zuletzt 116 Mil-liarden Euro zurückgegangen. Es ist kontraproduktiv,von Wachstum und Wohlstand generierenden sowieleistungsfähigen und wettbewerbsorientierten Volks-wirtschaften mit Leistungsbilanzüberschüssen eineVerringerung der Wettbewerbsfähigkeit durch expansiveLohnerhöhungen oder administrative Maßnahmen zurReduktion der Sparneigung zu fordern.
– Schade, dass Sie nicht zuhören! Ihr Antrag, auf den ichjetzt ganz konkret eingehen möchte, fußt nämlich auf ei-ner falschen Analyse.
– Ich habe gerade die Fakten dargelegt.
Ob sie Ihnen gefallen oder nicht, sie widersprechen nuneinmal Ihrer Analyse.
Nun zu Ihren Argumenten. Erstens. Zur Finanzierungunter anderem von energetischen Sanierungen soll einnationaler Energiesparfonds eingerichtet werden; das isteine tolle Idee.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014 2153
Wolfgang Tiefensee
(B)
– Beklatschen Sie sich nicht selbst. – Sie sagen abernicht exakt, woher das Geld kommen soll. „Über denAbbau klima- und umweltschädlicher Subventionen“,das ist leicht gesagt.
Wir gehen einen soliden Weg und stellen 2014 aktuell1,8 Milliarden Euro für die Förderung des energetischenBauens und Sanierens zur Verfügung. Hinzu kommendie 1,5 Milliarden für KfW-Programme wie das Pro-gramm „Energetische Stadtsanierung“.Ihr zweites Argument: Wir sollen Investitionsanreizefür Unternehmen schaffen. Wir legen ja gerade – daskönnen Sie nachlesen – mit unserer stärkeren Ausrich-tung auf Wirtschaftspolitik, mit Investitionen und Inno-vationen den Grundstein dafür, dass Investitionsanreizegegeben werden.
Wir haben die Investitionen des Bundes in den Jahren2014 bis 2018 – der Kollege hat es bereits angespro-chen – um insgesamt 7 Milliarden Euro erhöht.
Im Rahmen des Europäischen Struktur- und Investitions-fonds ist es uns gelungen, bis 2020 ausreichend Spiel-räume, nämlich über 27,5 Milliarden Euro, zu gewinnen.Wir reden über Industrie 4.0.
Das wird Anreize schaffen. Wir wollen das ProgrammZIM, das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand,auf hohem Niveau, 513 Millionen Euro, fortführen. Diefür Forschung und Entwicklung vorgesehenen 2,5 Mil-liarden Euro sind schon angesprochen worden.
Wir wollen staatliche Investitionen erhöhen. Sie wissen,dass wir in die Verkehrsinfrastruktur 5 Milliarden Euroinvestieren wollen. Das müsste Sie eigentlich begeistern.Beifall bitte von Ihrer Seite!
Außerdem wird es Investitionen in die Kinderbetreuung,in Schulen und Hochschulen geben.Drittes Argument: europäische Investitionspro-gramme auflegen. Durch die erweiterte Kreditvergabeder Europäischen Investitionsbank haben wir deren Ka-pazitäten ausgeweitet. Sie wird allein ein zusätzlichesKreditvolumen von 20 Milliarden Euro ausreichen.Nächstes Argument: Mindestlohn zügig und flächen-deckend einführen. Sie wissen ganz genau, warum wirerst 2017 für einige Unternehmen den Mindestlohn ein-führen, weil wir nämlich – das müsste auch Ihnen ge-nehm sein – die Tarifbindung in unserem Land stärkenwollen. Der gesetzliche Mindestlohn in Höhe von8,50 Euro wird die Binnennachfrage stärken.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Faktenzeigen, dass Sie mit Ihrem Antrag nicht richtig liegen.Die Analyse Ihrer Argumente zeigt,
dass die falschen Instrumente angewendet werden.
In unserem Regierungsprogramm und dem Haushalt2014 steht die richtige Antwort auf das, was wir von derEU hören.
Das wird erfolgreich sein.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/978 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten KerstinAndreae, Anja Hajduk, Volker Beck , wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENFördermitteltransparenz erhöhenDrucksache 18/980Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
InnenausschussAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungHaushaltsauschussInterfraktionell ist vereinbart, die Reden zu Proto-koll zu geben.1)1) Anlage 4
Metadaten/Kopzeile:
2154 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 3. April 2014
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
Ebenfalls interfraktionell wird die Überweisung derVorlage auf Drucksache 18/980 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Siedamit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist dieÜberweisung so beschlossen.Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord-nung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf morgen, Freitag, den 4. April 2014, 9 Uhr,ein.Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen allesGute bis zum Beginn morgen früh.