Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ichbegrüße Sie alle herzlich.Wie meistens am Donnerstagvormittag gibt es einigeMitteilungen, bevor wir in unsere Tagesordnung eintre-ten.Zunächst möchte ich den Kollegen Walter Kolbow,Dr. Hermann Scheer und Dr. Gernot Erler zu ihren65. Geburtstagen gratulieren, die sie vor einigen Tagenbegangen haben.
Es gibt auch zwei 60. Geburtstage, und zwar der Kol-legen Dr. Hans Michelbach und Rüdiger Veit. Im Na-men des ganzen Hauses gratuliere ich den Jubilarennachträglich auch auf diesem Wege herzlich und wün-sche alles Gute.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Ta-gesordnung um die in der weiteren Zusatzpunktliste auf-geführten Punkte zu erweitern:RedetZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-fahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurStärkung der Rechte von Verletzten und
– Drucksache 16/12812 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendb) Erste Beratung des von den FraktionenCSU und SPD eingebrachten Entwurfsten Gesetzes zur Änderung des Ge
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zur Regelung des Assistenzpflegebe-darfs im Krankenhaus– Drucksache 16/12855 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungd) Erste Beratung des von den Abgeordneten JosefPhilip Winkler, Volker Beck , EkinDeligöz, weiteren Abgeordneten und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur Streichung des Op-tionszwangs aus dem Staatsangehörigkeits-recht– Drucksache 16/12849 –extÜberweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfee) Beratung des Antrags der Abgeordneten HorstMeierhofer, Frank Schäffler, Michael Kauch,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPSteuerprivilegien öffentlich-rechtlicher Unter-nehmen abschaffen – Fairen Wettbewerb auchin der Abfallwirtschaft ermöglichen– Drucksache 16/5728 –ngsvorschlag:chuss
huss für Wirtschaft und Technologie für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit der CDU/ eines Ers-setzes zurÜberweisuFinanzaussInnenausscAusschussAusschuss
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Präsident Dr. Norbert Lammertf) Beratung des Antrags der Abgeordneten GiselaPiltz, Detlef Parr, Dr. Max Stadler, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der FDPDatei „Gewalttäter Sport“ auf verfassungsmä-ßige Grundlage stellen– Drucksache 16/11752 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
SportausschussRechtsausschussg) Beratung des Antrags der Abgeordneten UlrikeHöfken, Thilo Hoppe, Ute Koczy, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNENMilch-Exportsubventionen sofort stoppen –Weitere Zerstörung der Märkte in Entwick-lungsländern verhindern– Drucksache 16/12308 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
FinanzausschussAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungh) Beratung des Antrags der Abgeordneten GiselaPiltz, Dr. Max Stadler, Christian Ahrendt, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der FDPGemeinsames Internetzentrum auf gesetzlicheGrundlage stellen– Drucksache 16/12471 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Rechtsausschussi) Beratung des Antrags der Abgeordneten HartfridWolff , Gisela Piltz, Dr. MaxStadler, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDPEuroparechtskonformes und nachvollziehba-res Nachzugsrecht schaffen – Metock-Urteildes EuGH sofort gesetzlich verankern– Drucksache 16/12732 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionj) Beratung des Antrags der Abgeordneten IngbertLiebing, Marie-Luise Dött, Peter Bleser, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSUsowie der Abgeordneten Mechthild Rawert,Christoph Pries, Marco Bülow, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der SPDDelfinschutz voranbringen– Drucksache 16/12868 –ZZ
Grütters, Wolfgang Börnsen , PeterAlbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSU, der Abgeordneten Steffen Reiche
, Monika Griefahn, Dr. Herta Däubler-
Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPDsowie der Abgeordneten Hans-Joachim Otto
, Christoph Waitz, Burkhardt Müller-
Sönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDPSchutz des Klosters Mor Gabriel sicherstellen– Drucksache 16/12866 –b) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, CorneliaHirsch, weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKEDauerhaften Schutz des Klosters Mor Gabrielsicherstellen– Drucksache 16/12848 –c) Beratung des Antrags der Abgeordneten ClaudiaRoth , Ekin Deligöz, Kai Gehring,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENSchutz des Klosters Mor Gabriel sicherstellen– Drucksache 16/12867 –d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Rechtsausschusses zuder Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Verordnung des Europäi-schen Parlaments und des Rates über dieFahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr undzur Änderung der Verordnung Nr. 2006/2004 über die Zusammenarbeit zwischen denfür die Durchsetzung der Verbraucherschutz-gesetze zuständigen nationalen Behörden
KOM(2008) 817 endg.; Ratsdok. 16933/08– Drucksachen 16/11721 Nr. A.10, 16/12897 –Berichterstattung:Abgeordnete Michael Grosse-BrömerDirk ManzewskiMechthild DyckmansSevim DağdelenJerzy MontagP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionender CDU/CSU und der SPD:
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Präsident Dr. Norbert LammertGemeinsam gegen Gewalt – Ächtung der Aus-schreitungen und schweren Gewaltstraftatenam 1. MaiZP 7 Beratung des Antrags der AbgeordnetenIrmingard Schewe-Gerigk, Markus Kurth,Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENErwerbsminderungsrente gerechter gestalten– Drucksache 16/12865 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschussVon der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-weit erforderlich, abgewichen werden.Der Tagesordnungspunkt 38 f wird abgesetzt.Sind Sie damit einverstanden? – Das sieht so aus.Dann ist das so beschlossen.Wir kommen dann zu den Tagesordnungspunkten15 a und 15 b:a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Bekämpfung der Steuerhinterzie-
– Drucksache 16/12852 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Auswärtiger AusschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschussb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Finanzausschusses
– zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSUund der SPDSteuerhinterziehung bekämpfen– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. VolkerWissing, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDPSteuervollzug effektiver machen– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. HermannOtto Solms, Dr. Volker Wissing, FrankSchäffler, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der FDPUmstellung der Umsatzsteuer von der Soll-auf die Istbesteuerung– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. HerbertSchui, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, wei-dhntuBSdzbihhhzDtksDUb2S
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Kanada, Spanien, Polen und Portugal. All diese Ländergehen einen ähnlichen Weg, weil sie das gleiche Pro-blem haben und Steueroasen diesen Ländern einen gro-ßen Schaden zufügen. Wer diesen Schaden bekämpfenwill, muss sich überlegen, ob er anders kooperiert alsbisher. 17 OECD-Mitgliedstaaten verfolgen übrigens diegleiche Idee wie wir.vWtbwfDFDpDsdsSrdhSmuvzSwdhdkthtgrBswDrdnssgtkszDp
eil wir damit niemanden unter Generalverdacht stellen.ie Exekutive kann sehen, ob die Kooperation mit ande-en Staaten funktioniert oder nicht, und die Steuerbehör-en können unmittelbar sehen, wer kooperiert und wericht. Bei Bedarf können sofort Maßnahmen in Kraft ge-etzt werden, um die Steuerbürger ehrlich zu machen.Ich glaube, ein Gesetzentwurf, mit dem den Men-chen geholfen wird, sich ehrlich zu machen, ist ein sehruter Gesetzentwurf. Deshalb bin ich auch sehr optimis-isch, dass wir einen großen Schritt auf dem Weg zur Be-ämpfung der Steuerhinterziehung weitergekommenind. Ich glaube, dass es schon lange an der Zeit war, dasu tun. Manche Skandale, durch die den Bürgern dieringlichkeit verdeutlicht wurde, sind uns dabei sehr zu-assgekommen.
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Lothar Binding
Ich möchte jeden Steuerbürger, der seine Steuern ehr-lich zahlt, beglückwünschen. Nun sind wir mit diesemGesetzentwurf dabei, auch alle anderen in diese Rich-tung zu bewegen.Schönen Dank.
Dr. Hermann Otto Solms von der FDP-Fraktion ist
der nächste Redner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Bundesregierung legt uns heute den Ent-wurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerhinter-ziehung vor. Wer wollte etwas dagegen haben? Natürlichmuss Steuerhinterziehung bekämpft werden.
– Einen Moment! Sie müssen auf den Inhalt achten.Wenn man sich den Inhalt ansieht, muss man sagen:Das ist kein Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Steuer-hinterziehung, sondern ein Gesetzentwurf zur Bekämp-fung von Steueroasen. Das genau ist der Inhalt. Steuer-oasen sind Länder, die sich nicht bereit erklären, denSteuerstandards der OECD zu folgen. So ist es definiert.Sie müssen dann in der Liste der OECD nachschauen,welche Länder gemeint sind. Diese Liste aus dem Inter-net können Sie sich ausdrucken lassen. Sie stellen dannfest, dass auf der sogenannten schwarzen Liste kein ein-ziges Land steht. Alle Länder, die früher draufstanden,haben offiziell erklärt und zugesagt, dass sie sich diesenStandards unterwerfen und dass sie mitarbeiten und beider Verfolgung von Steuerhinterziehung kooperieren.
Sie haben also einen Gesetzentwurf zur Bekämpfungvon etwas gemacht, was gar nicht vorhanden ist.
Ich habe gelernt, dass man Gesetzentwürfe dann vorle-gen soll, wenn es notwendig ist. Wenn es nicht notwen-dig ist, soll man keine Gesetzentwürfe vorlegen, weilman sie nicht braucht.
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st es doch besser – das war immer unsere gemeinsameolitik –, zu verhandeln, um zu Ergebnissen zu kommen,tatt mit Kraftmeierei zu drohen und Verbalradikalismusn den Tag zu legen,
er dem Bundesfinanzminister leider zu eigen ist. Dasedauerliche an seiner Wortwahl ist, dass dahinter häu-ig ein völlig unklares Geschichtsbild steht.Er hat zum Beispiel gesagt, die 7. Kavallerie in Fortuma solle man ausreiten lassen. Die Indianer müsstenissen, dass es sie gibt. – Mit den Indianern meinte erffenkundig die Schweizer und mit der 7. Kavallerie dieeutschen Ermittlungsbehörden. Wenn Sie die Ge-chichte richtig in Erinnerung haben würden, dann wüss-en Sie, dass die 7. Kavallerie unter General Custer amittle Big Horn in eine Falle der Indianer gegangen undernichtet worden ist. Wollen Sie also, dass die Schwei-er den deutschen Ermittlungsbehörden Fallen bauen,m sie zu vernichten? Wollen Sie sie in das Unglück hi-einreiten lassen?Jetzt haben Sie einen anderen Vergleich gebracht,ämlich den mit Burkina Faso. Sie haben gesagt, Lu-emburg, Liechtenstein, die Schweiz, Österreich unduagadougou stünden unter Verdacht. Nun sollten Sieufgrund Ihrer Geografiekenntnisse wissen, dass Ouaga-ougou kein Land, sondern die Hauptstadt von Burkinaaso ist. Dieses Land steht überhaupt nicht auf der Listeer OECD und auch nicht auf der grauen Liste. Wahr-cheinlich haben Sie es mit Liberia verwechselt; dennas steht auf der grauen Liste. Dieses Land liegt aller-ings tausend Kilometer entfernt.
Es wäre gut, wenn Sie Ihre Bilder richtigstellen undon diesen Verbalradikalismen Abstand nehmen wür-en. Es wäre besser, Sie würden mit befreundeten Län-ern verhandeln, statt sie zu bedrohen.
as gilt insbesondere gegenüber der Schweiz, die ihrenemokratieprozess bereits 1291 begonnen hat, also ge-enüber einem Land mit einer langen demokratischenradition. Die Schweiz könnte auch heute noch Vorbildür uns sein; denken Sie nur an die Instrumente der di-ekten Demokratie in der Schweiz. Wir haben denchweizern keine Vorschriften zu machen. Wir haben sieicht zu belehren, sondern im Zweifelsfall mit ihnen zuerhandeln, um zu gemeinsamen Ergebnissen zu kom-en.
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Dr. Hermann Otto SolmsEntscheidend ist aber nicht der Umgang – auch wenner eine unschöne Sache ist –, sondern die Frage nach denUrsachen der Steuerhinterziehung und der Steuerflucht.
Warum entziehen sich deutsche Steuerbürger der deut-schen Besteuerung?
Weil sie charakterlos sind! – Weitere Zurufevon der SPD)Sie tun das, weil das deutsche Steuerrecht unsäglichkompliziert, unüberschaubar und unverständlich ist.
Wenn Sie erreichen wollen, dass die deutschen Bürgerauf Schwarzarbeit und Steuerflucht verzichten, wennSie wollen, dass sie darauf verzichten, Investitionen insAusland zu verlagern, dann müssen Sie in Deutschlandein Steuerrecht schaffen, das vom Bürger akzeptiertwird; denn der Bürger ist der Souverän des Staates. DerStaat hat den Bürger nicht zu bevormunden, sondern Ge-setze zu erlassen, die der Bürger zu akzeptieren bereitist.
Deswegen ist eine große Steuerreform in diesem Landüberfällig.
Sie ist dringend notwendig. Dabei geht es nicht in ersterLinie um die Steuersätze, sondern darum, ein einfachesund verständliches Steuerrecht zu schaffen, welches be-wirkt, dass die Bürger auf einen fairen Steuerstaat ver-trauen. Wenn Sie das geschaffen haben, werden Sie mitdie Steuerbekämpfung nur noch die geringste Mühe ha-ben.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort erhält nun der Kollege Eduard Oswald für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Je-dem muss klar sein: Steuerhinterziehung ist kein Kava-liersdelikt.
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hne Steuern ist kein Staat zu machen. Das Zusammen-eben der Menschen in einer Gemeinschaft wäre nicht zurganisieren.Steuerhinterziehung zu bekämpfen, ist auch ein An-iegen, wenn es darum geht, Wettbewerbsverzerrun-en zu beseitigen. Mit den Mehreinnahmen können dieteuersätze für ehrliche Steuerbürger gesenkt werden.
avon würde der ehrliche Steuerbürger also profitieren.teuerhinterziehung führt zu Wettbewerbsverzerrungen.nternehmen, die ihre Einnahmen nicht ordnungsgemäßersteuern, haben einen Wettbewerbsvorteil, und Staa-en, die Steuerhinterziehung ermöglichen, haben einentandortvorteil. Diese ungerechtfertigten Vorteile sollenurch die Bekämpfung der Steuerhinterziehung beseitigterden.
Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ist be-eit, Steuern zu zahlen. Sie wollen – und das zu Recht –,ass der Staat mit den Einnahmen verantwortungsbe-usst umgeht und dass die Steuermittel sinnvoll für dieemeinschaft eingesetzt werden. Darum muss das Steu-rrecht so gestaltet sein, dass es von den Menschen alserecht empfunden wird.Wir dürfen nicht zulassen – auch das muss klar sein –,ass Bürgerinnen und Bürger mit einem höheren Ein-ommen automatisch im Verdacht stehen, Steuern hin-erziehen zu wollen. Wir gehen vom ehrlichen Bürgernd vom ehrlichen Steuerzahler aus.
ir werden es auch keinesfalls zulassen, dass ein Unter-ehmer, der mit dem Ausland Geschäfte macht, schonllein deswegen der Steuerhinterziehung verdächtigtird. Wer eine Antipathie gegen die sogenannten Rei-hen entwickelt und suggeriert, sie würden Steuern hin-erziehen, spaltet unsere Gesellschaft. Das wäre ver-ängnisvoll.
Christlich-demokratische und christlich-soziale Poli-ik ist, sich für ein Steuersystem einzusetzen, das ein-ach, gerecht und, wenn es die Finanzlage zulässt, mitöglichst niedrigen Sätzen gestaltet ist. Trotzdem istlar: Ohne Steuereinnahmen kann kein Staat, kein Ge-einwesen existieren; ohne Steuern kann eine ausrei-hende Daseinsfürsorge für all unsere Bürgerinnen undürger nicht zur Verfügung gestellt werden. Es ist aberuch immer Aufgabe von uns, den politisch Handelnden,eutlich zu machen, wofür die Steuereinnahmen inommunen, Ländern und Bund – wiederum im Interesseer Gemeinschaft – verwendet werden.
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Eduard OswaldWir stehen inmitten einer sehr schweren und dramati-schen weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise. Alle Be-teiligten betonen immer wieder, wie wichtig es ist, ausFehlern zu lernen, die die aktuelle Finanzkrise verur-sacht haben. Daher hat die Schaffung einer neuen Fi-nanzmarktarchitektur Priorität. Es ist eine Chance inder Krise, dass die Welt hier zusammensteht. Eine bessereRegulierung und Überwachung der Finanzmärkte, -pro-dukte und -akteure ist dringend erforderlich, um dieWiederholung einer solchen Krise zu verhindern. Nie-mand darf sagen: Nach der Krise gehen wir wieder zurTagesordnung über und machen es wie vorher.
Zu diesem Thema gehört auch die gemeinsame – ichbetone: gemeinsame – strenge Ahndung von Steuer-flüchtlingen und Staaten, die möglicherweise die Steuer-hinterziehung begünstigen. Im Umgang mit unseren be-freundeten Ländern empfehle ich aber allen, sprachlichabzurüsten.
Auch die Lebenserfahrung wohl von uns allen zeigtnicht nur, dass man sich immer zweimal begegnet,
sondern auch, dass es besser ist, mehr miteinander zu re-den als übereinander.
Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung derSteuerhinterziehung soll die Hinterziehung von Steuerndurch Nutzung von Staaten und Gebieten erschwert wer-den, die die Standards der OECD möglicherweise nichtakzeptieren. Zugleich wollen wir die Akzeptanz derOECD-Standards im Bereich des Steuervollzugs för-dern. Damit werden die Möglichkeiten eines zeitnahenund flexibleren Handelns im Rahmen eines internationalabgestimmten Vorgehens verbessert. Wir beschäftigenuns heute mit diesem Gesetzentwurf in erster Lesung.Diese Maßnahmen stehen nunmehr umfassend – Kol-lege Lothar Binding hat dies gesagt – unter dem Vorbe-halt einer später noch zu verabschiedenden Rechts-verordnung. Der Bundesregierung ist es hierdurchmöglich, vor Erlass der Rechtsverordnung zu prüfen, inwelchem Zeitraum und Umfang die Staaten ihre Ankün-digungen umsetzen, den OECD-Standard beim Informa-tionsaustausch einzuführen. Die mit diesem Gesetz an-gedrohten Maßnahmen werden dazu führen, dass dieStaaten ihre Ankündigungen nun auch in die Tat umset-zen. Einerseits wird also der internationale Druck auf-rechterhalten; andererseits kann den Staaten, die sicherst kürzlich bereit erklärt haben, den OECD-Standardeinzuführen, die Zeit eingeräumt werden, diesen einzu-führen. Ebenso bleibt es möglich, die angedrohten Maß-nahmen dann und so anzuwenden, wie es möglicher-weise international noch konkreter abgesprochen wird.ldnGvZbdmrmMmmSzkOtSrasgfddSrrdgczSmlDrfvoaugShc
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Oskar Lafontaine
für die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Der Gesetzentwurf sieht bescheidende Verbesserun-gen zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung vor. Diesist zu begrüßen.
Die Verbesserungen sind zwar nur sehr bescheiden;gleichwohl sind sie zu unterstützen. Dass die Verbesse-rungen so bescheiden ausfallen, ist ein Ergebnis derkoalitionsinternen Auseinandersetzungen. Die Presseschreibt, dass hier eine abgespeckte Form vorgelegt wor-den ist. Dies ist sicherlich keine unsachgemäße Beurtei-lung.Im Übrigen ist hinzuzufügen, dass wir es nicht für guthalten, dass hier im Grunde genommen nur eine Rechts-verordnung der Regierung erlaubt wird. Wir sind derAuffassung, dass der ständige Drang, das Parlamentnicht an wichtigen Entscheidungen zu beteiligen, auchan dieser Stelle falsch ist. Es wäre besser gewesen, dasParlament direkt zu beteiligen.
Für uns ist das Thema Steuerhinterziehung ein Un-terthema des allgemeinen Themas Steuergerechtigkeit.Wer Steuerhinterziehung glaubwürdig und glaubhaft be-kämpfen will, muss glaubwürdig und glaubhaft sein,wenn es darum geht, Steuergerechtigkeit in diesemLande herzustellen.
Wenn man die Bilanz der Großen Koalition an dieserStelle betrachtet, dann sieht man, dass die Mehrwert-steuererhöhung rund 25 Milliarden Euro ausmacht, dassdie Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversiche-rung rund 25 Milliarden Euro ausmacht – davon entfälltdie Hälfte auf die Unternehmerseite – und dass eine Un-ternehmensteuerreform durchgeführt worden ist; unter-schiedliche Schätzungen beziffern hier Entlastungenzwischen 8 und 10 Milliarden Euro. Das ist keine Steu-ergerechtigkeit, sondern eine Umverteilung von untennach oben. Daran hat sich überhaupt nichts geändert.Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache.avwhgswgfnDdahtSnefLneAebdsdtsnstfhbüdwSv
Es geht aber nicht nur um diese Steuerpolitik, sondernuch um die Behandlung einzelner Themen. Ich habeorhin Herrn Solms genau zugehört, als er gefragt hat,er etwas gegen die Bekämpfung der Steuerhinterzie-ung haben wollte. Es ist klar: Wenn wir einen Antragegen Steuerhinterziehung einbringen, werden alle zu-timmen. Die entscheidende Frage ist aber, wie glaub-ürdig das verbale Bekenntnis ist und ob entsprechendehandelt wird.
In der Diskussion über das Bankgeheimnis wird so-ort klar, dass zumindest Teile dieses Hauses überhaupticht bereit sind, Steuerhinterziehung zu bekämpfen.
er Normalbürger versteht unter Bankgeheimnis, dasser Nachbar nicht einfach nachschauen kann, was manuf dem Konto hat, um dies in der ganzen Nachbarschafterumzuerzählen oder sonst etwas mit dieser Informa-ion zu tun. Dem Normalbürger kommt aber nicht in deninn, dass das Bankgeheimnis bedeutet, dass man es Fi-anzbeamten verbietet, im Zuge ihrer Pflichten Steuer-hrlichkeit zu überprüfen, und dass man ihnen keine In-ormationen über das Bankkonto gibt. Für uns sindeute, die unter Bankgeheimnis verstehen, dass das Fi-anzamt keine Kontrollmöglichkeit hat, Hehler der Steu-rhinterziehung.
n der Situation hat sich noch nichts geändert, um dasinmal in aller Klarheit zu sagen.Insofern möchte ich sagen: Wenn der Finanzministereispielsweise verbale Attacken gegen die Länder reitet,ie Hehler der Steuerhinterziehung sind, dann hat er un-ere Unterstützung. Wir würden uns nur wünschen, dassie kräftigen Worte auch von kräftigem Handeln beglei-et werden. Dann würden wir Ihnen noch viel mehr zu-timmen, Herr Bundesfinanzminister.
Was die Steuerpolitik betrifft, fand allerdings nichtur eine leidige Diskussion über das Bankgeheimnistatt. Bis vor einiger Zeit gab es sogar noch eine Amnes-ie für Steuersünder. Wer vor einiger Zeit eine Amnestieür Steuersünder befürwortet hat, der ist wenig glaub-aft, wenn er ihnen jetzt auf einmal mit Strafe droht. Wiregrüßen diesen Gesinnungswandel. Daran, dass esberhaupt einmal eine Amnestie für Steuersünder gab,ie natürlich weit weniger gebracht hat, als damals er-artet worden ist, wird aber deutlich, dass hier einiges inchieflage geraten ist. Aufgrund einer jahrzehntelangerfehlten Politik ist das Empfinden für Steuergerechtig-
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Oskar Lafontainekeit insbesondere bei denjenigen, die dieses Empfindeneigentlich haben müssten, verloren gegangen.
Wenn wir Steuerhinterziehung und Steueroasen be-kämpfen wollen, dann dürfen wir beim Steuerdumpingin Europa nicht Vorreiter sein. Davon, dass dies der Fallist, ist aber nie die Rede. Zugespitzt formuliert könnteman sagen: Bei der Vermögensteuer und der Körper-schaftsteuer ist Deutschland in Europa eine Art Steuer-oase. Hinzu kommt, dass wir die anderen europäischenLänder praktisch zwingen, diesen Weg auch zu gehenund die Vermögenden immer weniger zu besteuern. Dasist ein Widerspruch: Wer die Steuerhinterziehung vonPersonen mit hohem Einkommen bzw. großem Vermö-gen bekämpfen will, der darf bei der Vermögensteuernicht an der Spitze der Steuerdumper in Europa stehen.
Meine Damen und Herren, nun nenne ich Ihnen dieneuesten Zahlen, die jedermann zugänglich sind. DerAnteil der Einnahmen aus der Vermögensteuer am Brut-tosozialprodukt beträgt in Deutschland 0,9 Prozent, inGroßbritannien 4,6 Prozent. Wenn man diese Differenzauf das deutsche Bruttosozialprodukt umrechnet, stelltman fest: Allein aufgrund der laxen Vermögensbesteue-rung entgehen dem deutschen Staat, wie die internatio-nale Statistik zeigt, über 90 Milliarden Euro pro Jahr.
Auch das muss in dieser Debatte, die immer völlig los-gelöst von Zahlen und Fakten geführt wird, einmal er-wähnt werden.Jetzt komme ich auf die Körperschaftsteuer zu spre-chen; denn auch dieses Thema ist von Bedeutung. In derTabelle, in der die Körperschaftsteuersätze ausgewiesensind, steht Deutschland fast ganz unten. Etwas geringereKörperschaftsteuersätze gibt es nur in der Schweiz, inBulgarien, Zypern und Irland. In allen anderen Staatenwird eine viel höhere Körperschaftsteuer als in Deutsch-land erhoben. Auf diesem Gebiet haben Sie Steuerdum-ping betrieben. Solange Sie hier nach wie vor an vor-derster Front stehen, sind Sie unglaubwürdig, wenn Sievom Austrocknen der Steueroasen sprechen.
Abgesehen von der Politik, die man im Inland be-treibt, gibt es zwei verschiedene Vorgehensweisen, umSteueroasen trockenzulegen. Die erste Methode bestehtdarin, auf internationaler Ebene entsprechende Bemü-hungen anzustoßen. Herr Solms hat recht, dass der Hin-weis auf die OECD-Liste natürlich lächerlich ist, weilmittlerweile alle entsprechenden Länder von dieser Listeverschwunden sind. Wer also unter Verweis auf dieseListe einen Gesetzentwurf einbringt, der macht sich zu-mindest etwas unglaubwürdig.
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ch möchte es etwas anders formulieren: Lassen Sie Ih-en kräftigen Worten Taten folgen, Herr Bundesfinanz-inister. Dann haben Sie die Linke auf Ihrer Seite. Anhren Taten mangelt es leider.
Das wird auch deutlich, wenn man sich ansieht, wieie Steueroasen bekämpfen wollen. Natürlich kann manit viel Temperament und vollmundig vortragen, dassan mit der Insel Jersey ein Abkommen getroffen hat.enn man dabei aber unterschlägt, dass dieses Abkom-en überhaupt nichts wert ist, weil die Informationen,ie erforderlich sind, überhaupt nicht vorliegen, da eseine Bücher und keine Unterlagen gibt, dann täuschtan die Öffentlichkeit.
er bei der Bekämpfung der Steueroasen auf diese Artnd Weise vorgeht, der ist nicht besonders glaubwürdig.Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt nochine andere Methode, wie man gegen Steueroasen vorge-en kann – wir haben immer wieder gefordert, dieseneg einzuschlagen –: Man muss sicherstellen, dass imnland, also hier in Deutschland, keine kriminellen Ge-chäfte, wie Herr Eichel sie in seinem Aufsatz bezeich-et, getätigt werden können. Wäre der Bundesfinanzmi-ister auf diesem Gebiet genauso tapfer und mutig, wier es in verbaler Hinsicht gegenüber der Schweiz und ge-enüber Luxemburg ist, dann würden wir ihn erst rechtnterstützen. Hier fehlt es ihm aber an jeglichem Elan.
Einen einfachen Weg, wie man hier vorgehen kann, hater ehemalige Bundeskanzler Schmidt vorgezeichnet. Erat – wir haben das als Antrag eingebracht – schlicht undinfach gesagt: Wenn jemand krumme Geschäfte, krimi-
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Oskar Lafontainenelle Geschäfte – ich zitiere den ehemaligen Bundes-finanzminister Eichel – in großem Umfang macht, dannist das strafzubewehren. Das ist der sicherste und verläss-lichste Weg. Wer kriminelle Geschäfte mit Steueroasenmacht, muss bestraft werden.
Sie lehnen das ab und deuten hier nur bescheideneSanktionen an, zum Beispiel eine verschärfte Nachweis-pflicht. Mit der Nachweispflicht sind ja in den vergange-nen Jahrzehnten Erfahrungen gesammelt worden. Jetztheißt es – ich formuliere das einmal so, dass es einiger-maßen verständlich ist –: Wenn ihr der Nachweispflichtnicht nachkommt, könnt ihr bestimmte Dinge nicht mehrabsetzen. Im Grundsatz ist das – ich wiederhole es –durchaus zu begrüßen; aber ob das der entscheidendeSchlag gegen diese Praktiken ist, daran haben wir ernst-hafte Zweifel.Im Übrigen komme ich nicht daran vorbei, darauf hin-zuweisen, dass, wer solche krummen Geschäfte ernsthaftuntersagen will, auch bei den Hedgefonds glaubwürdighandeln sowie Zweckgesellschaften, mit denen Ge-schäfte außerhalb der Bilanz getätigt werden, und denHandel mit Giftpapieren verbieten müsste. Was nützengroße Ankündigungen, dass man Steueroasen bekämpfenwolle, wenn beispielsweise die mit 18 Milliarden Eurogesponserte Commerzbank weiterhin mit Giftpapierenhandeln, Geschäfte außerhalb der Bilanz tätigen undkrumme Geschäfte mit Hedgefonds und anderem unter-stützen kann?
Entscheidend ist letztendlich, dass die Bestimmungenauch auf der internationalen Ebene eher in die andereRichtung gehen. Ich habe schon bei der Diskussion überden Europavertrag, den sogenannten Lissabon-Ver-trag, mehrfach darauf hingewiesen, dass nach diesemVertrag Beschränkungen des Kapitalverkehrs mit Staa-ten der Europäischen Gemeinschaft, aber auch mit Dritt-staaten untersagt sind. Das ist doch völlig unzeitgemäß.Wie passt diese Passage zu dem Vorhaben, Steueroasenauszutrocknen?
Wenn man Steueroasen austrocknen will, indem manGeschäfte mit Steueroasen verbietet, darf man nicht ei-nem Vertrag zustimmen, der Beschränkungen des Kapi-talverkehrs mit Drittstaaten ausschließt. Das alles ist völ-lig widersprüchlich; doch dazu hören wir kein einzigesWort.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich fasse zu-sammen: Steuerhinterziehung zu bekämpfen, ist sicher-lich eine ehrenvolle Absicht. Aber Glaubwürdigkeit ver-mittelt sich nicht über Worte, sondern ausschließlichüber Taten. Man muss die Praxis sehen, wie wo was indiesem Lande sanktioniert wird. Eine Gegenüberstellungdes Falls Zumwinkel und des Falls Emmely zeigt diewirkliche Situation in unserer Gesellschaft: Auf der ei-nen Seite ist ein Steuerhinterzieher, der mit 20 MillionenEw–SgWrDh1wwdgBHmdeStkstkAsswesM–n
Sie mögen das so sehen, Herr Poß. – Auf der andereneite ist eine Frau, die angeblich 1,30 Euro unterschla-en hat, entlassen worden. Das ist eine Ungerechtigkeit.ir sehen das so, und die große Mehrheit der Bevölke-ung sieht das ganz genauso.
as ist die Lage in unserem Lande: Der Steuerhinterzie-er lebt in Schlössern, während einer Frau, die angeblich,30 Euro unterschlagen hat, die Existenz vernichtetird.Hier stellt sich die Frage nach der Gerechtigkeit. Nurenn Gerechtigkeit in unserem Lande wieder Grundlagees Handelns wird, kann man Steuerhinterziehunglaubwürdig bekämpfen.
Jürgen Trittin ist der nächste Redner für die Fraktion
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebererr Solms, ich habe Ihnen aufmerksam zugehört. Wennan die Konsequenz aus Ihrer Rede zieht, dann heißtas: Die Ursache der Steuerhinterziehung ist, dass Steu-rn erhoben werden. Mit dieser Logik, lieber Herrolms, haben Sie sich außerhalb der Seriosität katapul-iert. Das wäre eher eine Bewerbungsrede als Honorar-onsul in Hessen für das Fürstentum Liechtenstein.
Lieber, Herr Binding, auch Ihnen habe ich aufmerk-am zugehört. Sie haben gesagt, dass gegen Steuerhin-erziehung etwas geschehen soll. Wir kennen diese An-ündigung schon aus der Debatte um den G-20-Gipfelnfang April. Wir haben allerdings festzustellen, dassich an der Praxis in Guernsey oder auf den Cayman-In-eln bis heute nichts geändert hat. Das ist das Problem,enn man den Versuch macht, mit Gordon Brown Steu-roasen trockenzulegen: Das ist ungefähr so erfolgver-prechend, als versuchte man, mit Silvio Berlusconi dieafia zu bekämpfen.
Außer Herrn Westerwelle mit seinen großen internatio-alen Kenntnissen hat das hier jeder verstanden.
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Jürgen Trittin
Wenn Sie jetzt etwas für die Bekämpfung der Steuer-hinterziehung tun wollen, dann frage ich Sie, Herr Fi-nanzminister, warum es so lange gedauert hat, bis dieserGesetzentwurf den Weg in den Bundestag gefundenhat. Ich habe einige Regierungserfahrung; aber ich habees noch nie erlebt, dass ein Gesetzentwurf so oft auf derTagesordnung stand und wieder abgesetzt worden ist wiedieser. Wie erklären Sie sich das? Wie erklären Sie essich, dass Herr Kauder an vorderster Stelle für die CDU/CSU darangegangen ist, etwas, das angeblich in diesemHause Common Sense ist – nämlich die Bekämpfung derSteuerhinterziehung –, mit Unterstützung der Kanzlerinmehrfach bzw. regelmäßig von der Tagesordnung desKabinetts abzusetzen?
Dabei sagen Sie, Herr Oswald, dass Steuerhinterzie-hung kein Kavaliersdelikt ist. Wenn es ein ernstes Pro-blem ist, dann dürfen Sie es nicht in dieser Form desVertagens, Verzögerns und Verwässerns behandeln, wieSie es praktiziert haben.
Ich verstehe, dass dem Finanzminister angesichts derLangsamkeit irgendwann der Geduldsfaden gerissen ist.Anders kann ich mir die verbalen Entgleisungen andieser Stelle nicht erklären. Dazu zählen Vergleiche wieder mit einem Land, das übrigens nicht auf der grauenListe steht, oder der Vergleich mit der Kavallerie, mit derman die Schweizer wie einst die Indianer erschreckenwollte. Das ist übrigens eine Beleidigung – nicht für dieSchweizer Banken, sondern für die Indianer.
Die Indianer haben immer versucht, im Einklang mit dennatürlichen Ressourcen zu leben. Mir ist kein Indianer be-kannt, der dadurch richtig groß Geld gemacht hat, dass erallein bei den Schweizer Banken Vermögen aus der Bun-desrepublik Deutschland im Wert von ungefähr 120 Mil-liarden Euro dem Fiskus entzogen hätte. Beides auf eineStufe zu stellen, war in der Tat beleidigend für die India-ner, aber nicht für die Schweizer Banken, Herr Steinbrück.
Denn deren Geschäftsmodell ist in der Tat Hehlerei mitSchwarzgeld. Diese Praxis muss beendet werden.Deswegen ist es, denke ich, richtig, dass wir einensolchen Gesetzentwurf diskutieren. Dabei stellt sich aberdie Frage, ob dieser Gesetzentwurf geeignet ist, der Pra-xis der legalen Steuerkürzungen der Müllermilchs undBoris Beckers in der Schweiz und der illegalen Steuer-hinterziehung der Zumwinkels und anderer wirklich ei-nen Riegel vorzuschieben. Daran habe ich Zweifel. Ichhabe Zweifel an einer Gesetzeskonstruktion, die vor-sieht, dass Steuervergünstigungen nur dann in Anspruchgenommen werden können, wenn kooperiert wird. DasijIeUlhSitsfRmDdtuiSEmwnuGwadEzsdfLmdnmud
Man kann doch nicht auf der einen Seite zu Recht mitrhobenem Zeigefinger anmahnen, dass Menschen, dienterstützung vom Staat bekommen – etwa Arbeits-osengeld II –, wahrheitsgemäß über ihre Vermögensver-ältnisse Auskunft geben müssen, aber auf der andereneite bei solchen Fällen für Intransparenz plädieren. Dasst in der Tat extrem ungerecht und verletzt das Gerech-igkeitsgefühl vieler Menschen.
Wird dieser Gesetzentwurf jemals in die Praxis umge-etzt werden? Sie haben die Anwendung des Gesetzesür jeden Einzelfall explizit daran gebunden, dass es eineechtsverordnung gibt. Diese Rechtsverordnung mussit Zustimmung des Bundesrates verabschiedet werden.as ist eine interessante Konstruktion, wenn man be-enkt, wie einzelne Bundesländer mit der Steuerkon-rolle und Steuereintreibung gerade in diesem Bereichmgehen.Wir wissen heute, dass in bestimmten Bundesländern,nsbesondere südlich der Mainlinie – also dort, wo Herreehofer die Verantwortung trägt –, insbesondere beiinkommensmillionären außerordentlich zurückhaltendit der Prüfung von Einkommen vorgegangen wird. Wirissen, dass in diesem Bereich – weil man diesen Perso-enkreis am Starnberger See halten möchte – schlichtnd ergreifend lasch kontrolliert wird. Das ist einer derründe, warum wir sagen: Wir hätten schon längst eineirkliche Bundessteuerverwaltung schaffen müssen, umus diesem Mechanismus herauszukommen.
Lieber Herr Steinbrück und liebe Christdemokraten,as hieße, mit einer Politik gegen Steuerhinterziehungrnst zu machen und Steueroasen im eigenen Land auf-uheben. Wir könnten das übrigens auch ohne Bundes-teuerverwaltung schaffen. Wir müssten den Ländernann zugestehen, dass ihnen die Ergebnisse der Steuer-ahndungen uneingeschränkt zur Verfügung stehen.assen Sie uns hier doch einen föderalen Wettbewerbachen und tatsächlich dafür sorgen, dass diejenigen,ie über große Vermögen und Einkommen verfügen undicht der Quellenbesteuerung unterliegen wie jede nor-ale Arbeitnehmerin und jeder normale Arbeitnehmernd jeder Beamter in diesem Land, vom Fiskus anstän-ig kontrolliert werden!Letzte Bemerkung.
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Jürgen TrittinLieber Herr Steinbrück, Sie haben gesagt, Sie wolltendas sehr ernst nehmen und dagegen vorgehen. Ich habeaber gelegentlich den Eindruck: Manchmal spielen Sieauch selber gerne Indianer und sind nicht die Kavallerie.Es gibt inzwischen eine Reihe von Banken in diesemLand, die mit massiven Bürgschaften von Steuergelderndaran gehindert werden, in die Insolvenz oder in Kon-kurs zu gehen. Es gibt inzwischen auch Banken, die teil-verstaatlicht sind, darunter zum Beispiel die Commerz-bank. Sie gehört uns zu 25 Prozent plus einer Aktie. Esist interessant, zu sehen, was die Commerzbank zusam-men mit ihrer leidenden Tochter Dresdner Bank macht.Diese Bank findet es nach wie vor hoch attraktiv, mitStandorten und Tochterunternehmen in der Schweiz, inLuxemburg, auf den Kanalinseln und den Cayman-In-seln aktiv zu sein. Das alles sind Orte, die auf der grauenListe der OECD stehen. Lieber Herr Steinbrück, wo istdenn da Ihre Kavallerie? Habe ich die an dieser Stelleschon einmal gesehen?
Ist schon einmal ein Beamter des Bundesfinanzministe-riums an dieser Stelle aktiv geworden? Die Commerz-bank gehört Ihnen doch quasi. Stattdessen wird in denProspekten dieser Bank mit „attractive tax laws“ um ver-mögende Privatkunden geworben. Es wird beteuert: „Allbank employees in the Principality of Monaco are re-quired to observe strict banking secrecy.“ In einer teil-weise bundeseigenen Bank werden solche Produkte an-geboten. Lieber Herr Steinbrück, Sie sind bei derCommerzbank gegen unsere Empfehlung nur stiller Ge-sellschafter. Das heißt aber für mich, zurzeit sind Sietrotz aller Lautstärke, die Sie in der Politik an den Taglegen, stiller Gesellschafter an Geschäftsmodellen, diedeutschen Steuerzahlern Milliarden erlassen. Das, lieberHerr Steinbrück, macht Ihren Kampf gegen Steueroasenunglaubwürdig.
Ich empfehle Ihnen eines: leiser sprechen, strikter undkonsequenter handeln. Dann müssen Sie sich nicht demVorwurf aussetzen, zu langsam, zu laut und zu lax zusein, und das alles zugleich.
Das Wort erhält nun der Bundesfinanzminister Peer
Steinbrück.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Zuerst möchte ich mich bei Herrn Solms bedanken,dass er weite Teile seiner Redezeit dazu genutzt hat, sichmit mir zu befassen. Ich habe mich ein bisschen darübergewundert, wie wenig er sich mit dem eigentlichen Phä-nomen oder Problem der Steuerhinterziehung bzw. desSteuerbetruges befasst hat. Aber ich danke ihm herzlich;dbGmdzddebuhDLrfdlgBumvbdOrgtEidieadwTHnzkenSsvv
as erklärt auch nicht, warum Deutschland von anderenändern maßgeblich unterstützt wird, in denen nach Ih-er Wahrnehmung das Steuergesetzgebungssystem of-enbar sehr viel weniger komplex und einfacher ist.Ich weise auf die Unterstützung hin, die wir innerhalber OECD von Ländern wie den USA bekommen. Ähn-iches gilt auch für Frankreich: gleiche Phänomene undleiche Erscheinungsformen. Offenbar ist weltweit dieesteuerung so hoch, dass deshalb Steuerhinterziehungnd Steuerbetrug betrieben werden. Ich glaube, dassan dieses Phänomen nicht damit entschuldigen odererharmlosen kann, indem man auf die Steuergesetzge-ung in Deutschland verweist. Im Übrigen bewegt sichie Steuerquote in Deutschland im Durchschnitt derECD- und der 27 EU-Länder.Wenn Sie darauf hinweisen, dass die Bundesregie-ung hier tatenlos sei, dann verstehe ich nicht die Aufre-ung und die Reaktion im Ausland auf unsere Aktivitä-en.
s ist maßgeblich diese Bundesregierung gewesen, diennerhalb der OECD, der G 7 und der G 20 tätig gewor-en ist. Es ist maßgeblich dieser Bundesregierung undhren Aktivitäten zu verdanken, dass sich inzwischenine ganze Reihe von Steueroasen, Jurisdiktionen unduch Nationalstaaten mit uns in Verbindung setzen, dieen Art. 26 des OECD-Musterabkommens anerkennenollen. Insofern lasse ich mir nicht vorwerfen, dass hieratenlosigkeit oder Laxheit vorherrscht, wie auch immererr Trittin das genannt hat. Wir sind in den letzten Mo-aten mit Blick auf die Bekämpfung von Steuerhinter-iehung und Steuerbetrug vielmehr deutlich vorange-ommen; das freut mich.Ich nenne es beim Namen: Steuerhinterziehung undrst recht Steuerbetrug sind schlicht und einfach krimi-ell.
chätzungen des Internationalen Währungsfonds wei-en aus, dass sich die verlorenen Einnahmen für dieerschiedenen Fisci weltweit in der Größenordnungon 2 bis 12 Billionen US-Dollar bewegen dürften. Ge-
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Bundesminister Peer Steinbrückmäß den Schätzungen für Deutschland verlieren die öf-fentlichen Haushalte durch Steuerhinterziehung undSteuerbetrug wahrscheinlich weit über 100 MilliardenEuro. Das ist der Punkt. Darüber reden wir diplomatischnicht mehr hinweg. Vielmehr ist dieses Phänomen beimNamen zu nennen und zu bekämpfen.
Sie haben recht, Herr Trittin: Das gilt auch für die Ak-tivitäten von deutschen Banken, allerdings nicht nurdort, wo der Bund beteiligt ist, etwa bei der Commerz-bank, sondern insbesondere auch bei staatseigenen Ban-ken.
Deshalb bin ich sehr dankbar, wenn die Grünen dort, wosie in der Regierung sind und wo Landesbanken eben-falls betroffen sind, dieselben Aktivitäten wie wir entfal-ten.
Insofern sollte man immer vorsichtig sein, mit einemFinger auf jemanden zu zeigen, wenn drei Finger auf ei-nen selbst zeigen.
Warum ist der Verlust von Einnahmen von so großerBedeutung? Erstens. Man könnte mit diesen Einnahmenin der Tat – ich glaube, Herr Oswald hat das gesagt – inDeutschland die Steuersätze senken. Zweitens. Wennwir diese Einnahmen hätten, dann könnten wir inDeutschland Investitionen in die Zukunft tätigen.
Drittens. Viele Menschen – das ist noch wichtiger – füh-len sich, wenn sie ihre Steuern ehrlich zahlen, als dieDummen. Das berührt in der Tat – das will ich nicht vomTisch wischen – die Steuergerechtigkeit und die Not-wendigkeit, dass der Staat die Anerkennung und Erfül-lung der Steuergesetzgebung in Deutschland herbeiführt.Das ist der Grund, warum dieses Thema sehr hochrangigzu veranschlagen ist.Mein Eindruck ist auch, dass nicht zuletzt vor demHintergrund der derzeitigen Finanz- und Wirtschafts-krise viele Menschen umso eher erwarten, dass wir Steu-erbetrug und Steuerhinterziehung sehr ernsthaft und ehr-geizig verfolgen. Das spielt in der Wahrnehmung vonGerechtigkeit, Balance und Ausgleich in dieser Situationeine große Rolle. Ohnehin haben schon viele Menschenden Eindruck, dass Verluste sozialisiert werden, nach-dem vorher exorbitante Gewinne privatisiert wordensind, und dass darüber eine Unwucht in unser Wirt-schafts- und Sozialsystem hineingekommen ist.
Darüber hinaus habe ich keine Veranlassung, meineBilder zu wiederholen oder meine Erfahrungen aus demAvswtnshz–d––tbhBvbtswwadluOdSWfkghkpuSIisas
Ich behaupte, dass das im Fall der Schweiz ganz klarer Fall ist. Gleiches gilt für Liechtenstein.
Selbstverständlich ist es das.
Luxemburg ist zusammen mit Österreich dabei, das zuun, was wir für richtig erachten: Diese Entwicklung ha-en wir mit ausgelöst, indem wir diese Länder gebetenaben – dem werden sie entsprechen –, dass sie auf derasis des Art. 26 des OECD-Musterabkommens mit unserhandeln. Mit Luxemburg und Österreich führen wirereits solche Gespräche. Damit haben wir den Informa-ionsaustausch, den wir herbeiführen wollen; und in die-en Fällen ist das Problem beseitigt. Im Fall der Schweizarte ich darauf, dass wir über Sondierungen hinaus, dieir bereits durchgeführt haben, konkrete Verhandlungenufnehmen. Ich werde den Standpunkt einnehmen, dassiese nicht jahrelang dauern dürfen, sondern dass sie re-ativ schnell zum Abschluss gebracht werden müssen,nd zwar auf der Basis des Musterabkommens derECD, und ich hoffe, dass der Informationsaustauschann erfolgt.
Im Übrigen beobachte ich sehr genau, wie anderetaaten, insbesondere die USA, damit umgehen, Herresterwelle. Mit einer gewissen Bewunderung stelle ichest, wie weit die Amerikaner in der Schweiz vorange-ommen sind, um die Informationen über US-Steuerbür-er zu bekommen, die sie benötigen, um Steuerhinterzie-ung zu bekämpfen. Ich denke insbesondere an eineonkrete Bank. Ich wäre sehr dankbar, wenn auch Sieersönlich bei Ihren Besuchen in der Schweiz mich darinnterstützen würden, dass wir diesen Fortschritt bei derchweiz erreichen.
ch denke dabei gerade auch an Ihre Vorträge, wo immern der Schweiz diese stattfinden. Es wäre gut, wenn Sieich weniger in Bezug auf meine Person mit Stilfragenufhalten würden – über die kann ich gerne reden –, wirollten vielmehr zur Substanz dieses Themas kommen,
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Bundesminister Peer Steinbrückund die Substanz heißt: Steuerhinterziehung und Steuer-betrug.
Mit Blick auf das, was in London und auf OECD-Ebene verabredet worden ist, bedanke ich mich aus-drücklich bei meinem französischen Kollegen ÉricWoerth, der verantwortlich dafür ist, dass wir im Herbstletzten Jahres eine folgenreiche Konferenz zusammenmit der OECD in Paris haben veranstalten können. Ichwerde eine Nachfolgekonferenz im Juni in Deutschlandeinberufen. Selbstverständlich werden die Länder einge-laden, die OECD-Mitglieder sind. Bei der Pariser Veran-staltung sind leider einige von diesen nicht gekommen,aber sie waren herzlich eingeladen. Sie hätten sich gernean dem Prozess beteiligen können. Es ist ihre souveräneEntscheidung, das nicht getan zu haben. Ich bitte aberdarum, sich nicht hinterher zu beklagen, dass keine ein-ladende Offerte ihnen gegenüber gemacht worden sei.Ich strebe, wie ich unterstreichen möchte, die maß-gebliche Unterstützung aus anderen Ländern an, insbe-sondere aus den USA. Ich freue mich über die inzwi-schen ergriffene Initiative der EU-Kommission, auch dieEU-Zinsrichtlinie zu erweitern, und zwar materiell wieauch geografisch. Das soll dahin gehend erfolgen, dasswir uns nicht nur auf die Zinseinkünfte beziehen, son-dern auf Kapitaleinkünfte jedweder Art, angefangen beiVeräußerungsgewinnen über Dividenden bis hin zu denZinsen. Weiterhin sollen nicht nur persönliche Stiftun-gen, sondern auch juristische Stiftungen ins Visier ge-nommen werden. Mit der EU-Zinsrichtlinie soll allenEU-Mitgliedstaaten zur Auflage gemacht werden, dasssie bei den Verhandlungen über Doppelbesteuerungsab-kommen mit Drittstaaten, will sagen: mit außereuropäi-schen Staaten, den Art. 26 des OECD-Musterabkom-mens zugrunde legen. Ich wäre sehr dankbar, wenn dieseBemühungen der EU-Kommission auch vom Europäi-schen Parlament, namentlich von der EVP, unterstütztwürden; denn das ist wichtig, um zu Steuerehrlichkeit inDeutschland beizutragen.
Insofern kann ich den Vorwurf des Attentismus, derindirekt von Herrn Trittin, massiv von Herrn Lafontaine– das gehört offenbar zu seinem Auftritt – kam, keines-wegs nachvollziehen. Ich weise den Vorwurf mit Blickauf die Anstrengungen der Bundesregierung, die in denvergangenen Monaten gemacht worden sind, zurück.Richtig ist, dass wir uns nicht nur auf internationalerEbene einsetzen können; wir müssen uns vielmehr auchauf nationaler Ebene einsetzen. Das ist der Grund desvorliegenden Gesetzentwurfes, von dem jeder steuerehr-liche Bürger in Deutschland nichts zu befürchten hat,rein gar nichts.
Insofern sind der Vorwurf des gläsernen Steuerbürgersund diese ganzen Horrorgemälde völlig unangebracht.Sie haben mit den Fakten nichts zu tun.sOkmebptgVSAbgasgszkSkdBfOdsNvin–i–kndKLngdD
Besteht mit dem jeweiligen Staat bzw. Gebiet ein Ab-ommen, das die Übermittlung der Auskünfte nach demtandard der OECD gewährleistet, oder ist sonstige Aus-unftsübermittlung sichergestellt, entstehen keine beson-eren Mitwirkungs- und Informationspflichten für dieürgerinnen und Bürger in Deutschland. Dies halte ichür richtig und notwendig.Ich will abschließend darauf hinweisen, dass dieseECD-Liste in dieser Debatte etwas unvollkommen, je-enfalls nicht vollständig dargestellt worden ist. Sie be-teht aus drei Kategorien. In der einen Kategorie sindationalstaaten aufgeführt, die darüber teilweise sehrerwundert, aufgeregt oder erbost sind. Insofern kannch Ihre Bewertung über die Wirkungskraft dieser Listeicht nachvollziehen, Herr Trittin.
Ja. Nehmen wir es mit Humor, Herr Westerwelle. Derst Ihnen doch auch zu eigen.
Sie müssen es wieder bemühen. Keine Frage, manann es auch anders ausdrücken, aber wir wollen hiericht alles so gestanzt von uns geben.Ich war stehen geblieben bei der Bemerkung, dassiese Liste aus drei Kategorien besteht. Ich gestehe denritikern außerhalb Deutschlands gern zu, dass dieseiste nicht widerspruchsfrei und an manchen Stellenicht vollzählig ist. Andere Gebiete hätten auch mit auf-eführt werden müssen. Aber mir war wichtig, dassiese Liste eine Wirkungskraft entfaltet, und das tut sie.as sage ich übrigens auch mit Blick auf die von jeman-)
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Bundesminister Peer Steinbrückdem – ich glaube, von Herrn Trittin – zitierten Jurisdik-tionen im Bereich des Vereinigten Königreiches in Be-zug auf die Inseln Jersey und Guernsey. Eine dieserInseln hat bereits den OECD-Standard akzeptiert, anderesind dazu bereit, haben sich dementsprechend erklärt.Bei diesem Thema geht es um alles andere als einRäuber-und-Gendarm-Spiel der Politik. Ich glaube, es istdie unbedingte Pflicht der Politik, gegen diejenigen vor-zugehen, die in Deutschland Steuern hinterziehen; dennSteuerhinterziehung – da stimme ich dem zu, was HerrOswald gesagt hat – ist kein Kavaliersdelikt. Jeder inDeutschland hat die Pflicht, Steuern zu zahlen, auch undgerade diejenigen, die am ehesten in der Lage sind, Ka-pital in andere Länder zu transferieren. Das ist erkennbarnicht der Metallarbeiter in der untersten Tariflohn-gruppe, das ist erkennbar nicht die alleinerziehende Ver-käufern, die mit 1 000 Euro netto oder weniger nachHause kommt, sondern die Forderung richtet sich in derTat an andere Bevölkerungs- und Einkommensschich-ten. Auch dies darf beim Namen genannt werden, ohnedass daraus immer wieder eine Neiddebatte geborenwird.
Gerade diesen Einkommensschichten, sehr stark ver-treten auch in den Funktionseliten unserer Gesellschaft,verlange ich gerade in dieser Zeit eine besondere Vor-bildfunktion ab. Je stärker sie glauben, dass Steuerhin-terziehung und Steuerbetrug Kavaliersdelikte sind, destostärker tragen sie in dieser Krise dazu bei, dass dasbewährte Ordnungsmodell der sozialen Marktwirtschaftin seinen Legitimationsgrundlagen hinterfragt wird. Essind nicht diejenigen, die dieses System verändern wol-len, sondern es sind die Protagonisten selber, die durchSteuerhinterziehung und Steuerbetrug, durch Korruptionund andere Erscheinungsformen wie Maßlosigkeit, Ex-zesse, Übertreibungen dieses Wirtschafts- und Sozial-modell infrage stellen.Herzlichen Dank fürs Zuhören.
Nächster Redner ist der Kollege Frank Schäffler für
die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Herr Finanzminister, es geht nicht darum, dass wir
nicht gegen Steuerbetrug sind. Es geht hier um den Stil,
den Sie an den Tag legen. Der eigentliche Skandal ist,
dass die Bundeskanzlerin daneben sitzt und nichts dazu
sagt und dass der Außenminister, also Ihr Kanzlerkandi-
dat, ebenfalls schweigt,
während Sie gleichzeitig einen Flurschaden in Europa
und international anrichten. Das ist der Skandal.
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uf die Länder, die Sie genannt haben, wirkt es beleidi-
end, wenn Sie sie mit den ärmsten Ländern dieser Welt
uf eine Stufe stellen. Das ist in diesen Ländern mit
echt kritisiert worden. Nachdem Sie das afrikanische
and Burkina Faso als Beispiel genannt hatten, habe ich
estern im Finanzausschuss nachgefragt, ob Ouagadougou
atsächlich auch zu dieser Konferenz eingeladen wird.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ouagadougou bekommt keine Einladung zu Ihreronferenz. Man ist sich also innerhalb Ihres eigenen Mi-isteriums nicht einig, wen man zu dieser Konferenzinladen will. Das zeigt die Zerrissenheit in Ihrem eige-en Ministerium.
an darf nicht immer nur herausposaunen, sondern manuss am Ende auch zu dem stehen, was man öffentlichesagt hat.
Herr Minister, Sie messen mit zweierlei Maß. Sie tuno, als wenn Sie als Minister und Ihre Regierung saubernd ehrlich gegenüber dem Steuerbürger in Deutschlandären. Das Gegenteil ist der Fall – das will ich Ihnenanz deutlich sagen –: In dieser Legislaturperiode hatiese Bundesregierung allein 51 Nichtanwendungs-rlasse veröffentlicht.
öchstrichterliche Urteile zur betrieblichen Altersvor-orge, zu Dienstwagen etc. wurden nicht in Rechtskraftmgesetzt. Diese Urteile sind also nicht auf die Allge-einheit angewandt, sondern nur im Einzelfall berück-ichtigt worden. Herr Minister, Sie haben die Finanz-ehörden angewiesen, den Menschen nicht zu gewähren,as ihnen zusteht. Das ist ein Skandal, der an diesertelle ebenfalls diskutiert werden muss.
ie können nicht immer nur auf andere zeigen, sondernüssen auch in Ihrem eigenen Haus aufräumen und Ver-rauen unter den Steuerbürgern schaffen. Das Miss-rauen, das Sie – mit Recht – beklagen, haben Sie teil-eise selbst erzeugt.Der Bundesrat hat Ihnen ins Stammbuch geschrie-en, dass Sie mit diesem Gesetz über das Ziel hinaus-chießen. Davon betroffen sind nämlich nicht nur dieje-igen, die Sie erreichen wollen; vielmehr greifen Sieanz massiv in die Angelegenheiten von Unternehmennd Bürgern ein, die mit den genannten Ländern ganzormale Geschäfte betreiben. Ich will aus der Empfeh-ung der Ausschüsse des Bundesrates zitieren:Die erhöhten Mitwirkungspflichten treffen auchden steuerehrlichen Unternehmer, der Geschäftsbe-ziehungen zu einem Staat unterhält, der der deut-schen Steuerverwaltung keine Auskünfte in Steuer-sachen erteilt.
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Frank SchäfflerSie sehen, selbst die Landesregierungen sind skep-tisch, was das von Ihnen avisierte Maß angeht.Meine große Sorge ist, dass Sie an dieser Stelle dasKind auch insofern mit dem Bade ausschütten, als Sieeine Politik des Protektionismus befördern. Ähnlichesmachen Sie schon bei den Staatsfonds, indem Sie poten-zielle ausländische Investoren dadurch abschrecken,dass Sie deren Investitionen von der Zustimmung der je-weiligen Regierung abhängig machen. Hinzu kommt,dass Sie durch dieses Gesetz auch die inländischen Un-ternehmen abschrecken, weil Sie sie dazu zwingen, hier,in unserem Land, Geschäfte zu betreiben.Meine Erkenntnis ist: Sie haben aus der Weltwirt-schaftskrise der 30er-Jahre des vergangenen Jahrhun-derts nichts gelernt. Diese Weltwirtschaftskrise wurdenämlich durch Abschottung, durch Steuererhöhungenund durch Protektionismus unnötig verlängert.Hören Sie endlich auf, eine Symbolpolitik zu betrei-ben, die letztendlich auf den Wahlkampf im Inland aus-gerichtet ist! Dadurch hinterlassen Sie außenpolitisch ei-nen Scherbenhaufen. Die Kanzlerin muss Einhaltgebieten, wenn es der Finanzminister selbst nicht merkt.Es ist Zeit, dass sowohl die Kanzlerin als auch der Außen-minister, der ja Ihr Kanzlerkandidat ist, den politischenAmoklauf des Finanzministers stoppen.
Vielen Dank.
Manfred Kolbe ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Steuerehrlichkeit und Bekämpfung der Steuer-hinterziehung stehen seit der spektakulären Verhaftungdes Exvorstandsvorsitzenden der Post, Klaus Zumwinkel,im Mittelpunkt des öffentliches Interesses, und – dassage ich ganz deutlich – das ist auch gut so.Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Steuer-hinterziehung muss von uns energisch bekämpft werden.Deshalb verabschieden wir heute den Antrag der Koali-tionsfraktionen mit dem Titel „Steuerhinterziehung be-kämpfen“. Wir bringen zudem den Koalitionsentwurf ei-nes Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes ein.Ich sage aber auch deutlich an beide Seiten des Hau-ses: Wie bei jeglicher Kriminalitätsbekämpfung bestehtdie Bekämpfung auch hier aus Prävention und Repres-sion. Das eine geht nicht ohne das andere. Das gilt fürDrogendelikte genauso wie für Steuerhinterziehung.Deshalb müssen wir durch unsere Steuergesetzge-bung präventiv die Steuerehrlichkeit fördern. Wir habendtSDcSzHiwDuLkdhDNw4nngsfdzzekhuKrhWnursJThVmrs
Wir waren bei der Gesetzgebung aktiv. Diese Großeoalition war erfolgreicher als ihre rot-grüne Vorgänge-in, was die gesetzgeberische Bekämpfung der Steuer-interziehung betrifft.
ir haben den verunglückten § 370 a der Abgabenord-ung abgeschafft, der nicht rechtsstaatlich fassbar war,nd haben die Qualifizierungen rechtsstaatsfest neu ge-egelt. Wir haben die Verjährungsfrist für besonderschwere Fälle der Steuerhinterziehung von fünf auf zehnahre verlängert. Wir haben erstmals die Möglichkeit derelekommunikationsüberwachung bei Steuerhinterzie-ung geschaffen: Bei der bandenmäßigen Umsatz- underbrauchsteuerhinterziehung ist künftig eine Telekom-unikationsüberwachung möglich. Diese Bundesregie-ung war also aktiv, und sie wird das auch in Zukunftein.
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Manfred KolbeWir haben gemeinsam den Antrag „Steuerhinterzie-hung bekämpfen“ eingebracht, der eine Vielzahl vonMaßnahmen enthält. Ich greife einmal die wichtigstenheraus. Wir wollen eine Überarbeitung und umfassendeErweiterung der Europäischen Richtlinie zur Zinsbe-steuerung. Diese Richtlinie muss für alle Kapitalein-künfte gelten, und sie muss alle Personen erfassen. Wirbrauchen einen verbesserten Informationsaustausch aufinternationaler Ebene. Wir können nur international er-folgreich sein.Herr Bundesminister Steinbrück, deshalb frage ichSie auch: Waren Äußerungen, wie ich sie vor zwei Tagengelesen habe, in denen Luxemburg, Liechtenstein, dieSchweiz, Österreich sowie Ouagadougou sozusagen aufeine Stufe gestellt wurden, wirklich nötig? Der alteCicero hat einmal gesagt: Suaviter in modo, fortiter in re.Das heißt: Moderat im Ton, hart in der Sache. Ichglaube, das ist der richtige Weg, um bei der Bekämpfungder Steuerhinterziehung mehr Erfolge zu erzielen.
Herr Trittin, als stellvertretender Vorsitzender derdeutsch-italienischen Parlamentariergruppe muss ichIhre Äußerung von vorhin aufgreifen. Ich habe das soverstanden: Mit XY die Steuerhinterziehung zu bekämp-fen ist genauso vergeblich, wie mit Berlusconi die Ma-fia zu bekämpfen. Vielleicht können Sie sich dazu nocheinmal erklären. Ich halte diese Äußerung für äußerstproblematisch.
– Wir werden uns darüber noch unterhalten. Ich bin aufIhre Erklärung sehr gespannt.In unserem Antrag geht es neben internationalen Maß-nahmen aber auch um Maßnahmen auf nationaler Ebene.Wir wollen eine wohl bestehende gesetzgeberische Lü-cke bei den Hinterziehungszinsen schließen. Bisherwird der Hinterzieher mit einem Strafzins von 6 Prozentbestraft. Derjenige, der brav seine Steuererklärung ab-gibt, dann aber vergisst, pünktlich zu bezahlen – seineÜberweisung geht zwei Tage später heraus –, zahlt 1 Pro-zent Zinsen pro Monat, also 12 Prozent per annum. Diesist unserer Ansicht nach ein Wertungswiderspruch. Auchdies werden wir prüfen und gegebenenfalls ändern.Lassen Sie mich abschließend zum Steuerhinterzie-hungsbekämpfungsgesetz kommen. Dieser Gesetzentwurfsoll die Steuerhinterziehung durch Nutzung von Staaten,die nicht die OECD-Auskunftsstandards akzeptieren, er-schweren bzw. verhindern. Insbesondere will es dieInformationsdefizite der Finanzverwaltung bei der Auf-klärung grenzüberschreitender Besteuerungssachver-halte beseitigen. Hierzu sieht es zweierlei vor: erstensverbesserte Möglichkeiten der Finanzverwaltung zurAufklärung grenzüberschreitender Sachverhalte durcherweiterte Mitwirkungs- und Aufklärungspflichten, undzweitens die Eröffnung der Sanktionsmöglichkeit durchRechtsverordnung, nicht kooperativen Steuerpflichtigenden Betriebsausgabenabzug, die Entlastung von Kapital-eumtaSriRstiHtddb„vgemagtvpnDdtvberfhSdaS
Zweitens zäumt der Gesetzentwurf das Pferd von hin-en auf. Er geht den indirekten Weg über die Ausübungon Druck auf den Steuerpflichtigen. Das, was man aufolitischem Wege mit nicht auskunftswilligen Staatenoch nicht erreicht hat, versucht man auf dem Wege überruck auf die Steuerpflichtigen zu reparieren, die mitiesen Staaten Handel und Dienstleistungsaustauschreiben. Dies ist nicht der Königsweg.Drittens halten wir es für nicht ganz unproblematisch,om Einkommensteuergesetz gewährte Abzüge – Wer-ungskosten, Betriebskosten – durch Rechtsverordnunginzuschränken. Auch dies werden wir uns in der Anhö-ung genau anschauen müssen.Trotzdem werden wir diesen Weg mitgehen und prü-en, was möglich ist. Die internationale Steuerhinterzie-ung muss genauso energisch bekämpft werden wie dieteuerhinterziehung auf nationaler Ebene. Deshalb wer-en wir diesen Gesetzentwurf beraten und sicherlichuch noch verbessern.Danke.
Das Wort erhält nun die Kollegin Lydia Westrich,PD-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mirist in dieser Debatte wichtig, deutlich zu machen, dassDeutschland ein Land mit einer relativ hohen Steuermo-ral ist. Ich bin Finanzbeamtin und habe sehr viele Bür-gerinnen und Bürger im Laufe meines Berufslebens be-gleitet,
die zwar nicht gerade freudig, aber doch pflichtbewusstihre Steuern gezahlt haben.Die meisten unserer Bürgerinnen und Bürger erbrin-gen – das müssen wir konstatieren – steuerehrlich ent-sprechend ihrer Leistungsfähigkeit ihren Beitrag zumGemeinwohl. Steuermoral und Steuerehrlichkeit habeneinen hohen Stellenwert in unserem Land, das sich alsSozialstaat versteht und für alle Bürgerinnen und Bürgereinen guten Weg in die Zukunft gestalten will. Das heißt,wir brauchen einen starken Staat.
Umso sensibler müssen wir Politiker mit der PflanzeSteuerehrlichkeit und Steuermoral umgehen. Es gibt beiuns natürlich auch die anderen; über die haben wir schongesprochen. Wenn unsere ehrlichen Steuerzahler in stär-kerem Maße davon ausgehen müssen, dass diese ande-ren, eventuell ihre Nachbarn, ihre Chefs, die Eliten unse-res Landes, relativ problemlos Steuern hinterziehenkönnen, ohne dass sie nennenswert bestraft bzw. ohnedass sie überhaupt erwischt werden, dann können wirPolitiker zusehen, wie die Steuermoral in diesem Landrapide sinkt. Das können wir uns einfach nicht erlauben.
Deshalb sind für mich zwei Dinge in dieser Debatteäußerst wichtig. Der erste Punkt ist: Alle Fraktionen ha-ben sich in Anträgen dem Ziel verschrieben, Steuerhin-terziehung zu bekämpfen. Das ist auch verbal gesche-hen; selbst Herr Schäffler hat es hier noch einmaldeutlich gemacht.
Das ist ein klares Signal an die Bürgerinnen und Bürger,dass wir Steuerhinterziehung als Diebstahl an uns allenansehen. Dabei geht es nicht um eine Stilfrage, HerrSchäffler, sondern um mehr. Wir alle verurteilen Men-schen, die alles nutzen, was der Staat an Infrastruktur zurVerfügung stellt, aber nicht daran denken, sich an der Fi-nanzierung dieser Infrastruktur zu beteiligen, ob dasStraßen, Schulen oder Krankenhäuser sind, ob das dieinnere oder äußere Sicherheit oder unser Rechtssystembetrifft. Dass all das zur Verfügung steht, ist selbstver-ständlich, und deswegen müssen es auch alle mitbezah-len.Wir stellen in den vorliegenden Anträgen, die HerrKolbe zum Teil beschrieben hat, parteiübergreifendÜberlegungen an, wie wir dem Diebstahl am Allgemein-gut begegnen können. Jede Fraktion tut das nach ihreruuhmsgmNhwsgsrsStgBgeMdmDBkuakfwctDbiasKkadleHwadHs
un hoffe ich, dass aus diesem Antrag, den Herr Kolbeier vorgestellt hat, tatsächlich Gesetzesinitiativen er-achsen. Denn nur dann ist ein solcher Antrag, der müh-am erarbeitet worden ist, wirklich glaubhaft.Der zweite für mich wichtige Punkt ist, dass die Re-ierung einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der sehrelbstbewusst, wie ich finde, die internationale Solida-ität einfordert und der Steuerverwaltung endlich eincharfes Schwert in die Hand gibt, wie es die Deutscheteuer-Gewerkschaft schon lange fordert. Die Koali-ionsfraktionen haben sich diesen Gesetzentwurf zu ei-en gemacht. Er darf im anstehenden parlamentarischeneratungsprozess nicht verwässert werden. Was ich hierehört habe, macht mir ein bisschen Sorgen.Die Liechtenstein-Affäre hat in unserer Bevölkerunginen tiefen Eindruck hinterlassen. Wenn Sie mit denenschen reden, zeigt sich immer wieder Unverständnisarüber, dass die Politik nicht in der Lage ist, dieser kri-inellen Praktiken Herr zu werden. Steuerbetrug istiebstahl an uns allen. So sehen es die meisten unsererürgerinnen und Bürger, die sich aufgrund ihrer Ehrlich-eit unfair behandelt fühlen. Gerade sie erwarten vonns Politikerinnen und Politikern, dass wir das Anrechtuf eine gerechte Besteuerung für alle durchsetzen undeine Schlupflöcher lassen, auch nicht, wenn sie in be-reundete Staaten führen.Ich als Sozialdemokratin kann es nicht akzeptieren,enn Länder ihre Wirtschaftskraft dahin gehend entwi-keln, Bürger anderer Staaten beim Steuerbetrug zu un-erstützen und zu beschützen. Hehlerei nennt es dereutsche Gewerkschaftsbund. Von Oskar Lafontaine ha-en wir Ähnliches gehört. Das ist starker Tobak. Aber esst konsequent, wenn Steuerhinterziehung als Diebstahlm Gemeinwohl betrachtet wird, wie das von allen be-tätigt worden ist. Deshalb muss der Gesetzentwurf deroalition in die parlamentarischen Beratungen als star-es Schwert der Steuerverwaltung einfließen und dieseuch wieder als starkes Schwert verlassen. Wir dürfeniesen Gesetzentwurf nicht verwässern lassen.
Wir haben in den letzten Jahren viele Kontrollmög-ichkeiten zur Verhinderung und Bekämpfung von Steu-rkriminalität in Gang gesetzt. Die Sozialdemokraten,err Kolbe, haben sich immer an die Spitze dieser Be-egung gestellt. Von uns gingen die meisten Initiativenus. Jede einzelne Maßnahme, Herr Schäffler, die wirer Finanzverwaltung und der Steuerfahndung an dieand gegeben haben, mussten wir gegen den teilweiseehr erbitterten Widerstand von Fraktionen, aber auch
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Lydia Westrichvon Interessenverbänden durchsetzen. Aber wir haben esmithilfe unseres Partners, der CDU/CSU-Fraktion, ge-tan. Dies war der Mühe wert.
Wir werden nicht lockerlassen. Zuerst muss die dem Staatzustehende Steuerbasis gesichert werden, bevor manneue Einkommensquellen erschließt oder neue Schulden-berge aufhäuft. Das sind wir auch den Kindern schuldig.Steuerkriminalität hat ganz gravierende Auswirkun-gen auf die Volkswirtschaft. Sie führt häufig zu Wettbe-werbsverzerrungen und vernichtet damit reguläre Ar-beitsplätze. In der Wirtschaftskrise können wir es unsüberhaupt nicht erlauben, keine Maßnahmen zu ergrei-fen, um Arbeitsplätze zu erhalten. Das können und wol-len wir nicht hinnehmen. Ihren Antrag zur Umstellungder Umsatzsteuer von der Soll- auf die Istbesteuerung,der zwar ein Tor zum Steuermissbrauch schließt, abergleichzeitig ein Scheunentor zum Missbrauch öffnet,können wir leider nicht annehmen.
Denn Sie wollen natürlich nicht, dass die Istbesteuerungvon einem bürokratischen Monstrum wie dem Cross-Check-Verfahren begleitet wird, sondern wollen dies derBeliebigkeit anheimfallen lassen. Das ist der falscheWeg. Deswegen werden wir Ihren Antrag, so gut er auchgemeint ist, ablehnen müssen.Wir sehen den Föderalismus in Deutschland sehr po-sitiv. Deswegen können wir dem Antrag der Linken zurBildung einer Bundessteuerverwaltung ebenfalls nichtzustimmen. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen undich würden eine Bundessteuerverwaltung gerne sehen.Ich respektiere aber die Ablehnung der Länder, die ihreVerwaltungshoheit behalten wollen und gut mit uns zu-sammenarbeiten.Deshalb ist der Antrag der CDU/CSU und der SPDder praktikabelste. Wenn wir das alles in Zukunft durch-setzen könnten, was wir in diesem Antrag formuliert ha-ben, dann wären wir im Kampf für Steuergerechtigkeitein gutes Stück weitergekommen. Ich appelliere an dieKolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, dass sie die-sen Kampf mit uns fortführen. Die sozialdemokratischeFraktion ist da der beste Partner.Vielen Dank.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Otto Bernhardt, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der Verlauf dieser Debatte hat gezeigt, dass alleFsiGdwJswdsgDdssdaedrLdhmbcDDewOdDGedtlgbsighiIns
ie Union geht von dem ehrlichen Steuerzahler aus. Zuinem Generalverdacht sagen wir Nein.Mit dem Weg, der jetzt gefunden worden ist, könnenir leben. Es wird nämlich gesagt: Für Länder, die denECD-Standard nicht einhalten, können Verordnungen,ie bestimmte Auflagen enthalten, erlassen werden.iese Auflagen können die Betroffenen etwa durch dieewährung von Informationsrechten erfüllen, sodassntsprechende Strafmaßnahmen nicht durchgeführt wer-en.Ich vermisse einen Ansatz, den die Vereinigten Staa-en verfolgen und den ich für viel wichtiger halte. Viel-eicht lebt er im Rahmen der parlamentarischen Beratun-en noch auf. Man sollte sich die Kreditinstitute einisschen mehr als andere Unternehmen anschauen. Ichage nur: Der Tatbestand, dass fast alle großen Kredit-nstitute in Deutschland und, um auch das deutlich zu sa-en, alle Landesbanken in diesen Steueroasen Töchteraben, sollte uns zumindest nachdenklich stimmen; dennrgendwann müssen dem ja Politiker zugestimmt haben.n den Verwaltungsräten sitzen ja Politiker aller Fraktio-en. Ich halte fest: Der Ansatzpunkt Kreditinstitutecheint mir ein sehr wichtiger zu sein.
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Otto Bernhardt
Es gibt allerdings einen Dissens, der einer der Gründedafür ist, dass das Thema so schwer zu behandeln ist.Zunächst einmal bin ich froh, dass dieser Gesetzentwurferst nach dem G-20-Gipfel in London diskutiert wird;denn dort hat sich einiges verändert. In London hat mansich darauf geeinigt, dass für alle Länder dieser Welt derOECD-Standard Maßstab sein soll. Das heißt ganzschlicht: Wenn ein Land konkrete Anhaltspunkte dafürhat, dass einer seiner Bürger über ein entsprechendesLand Steuern hinterzieht, dann muss die Steuerverwal-tung dieses Landes behilflich sein.
Die meisten Länder in der Welt tun das – völlig klar –,einige wenige aber nicht. Mein Eindruck ist nun, HerrMinister, dass Sie gerne weitergehen wollten und IhrHaus nicht in den gleichen Bahnen wie die anderen euro-päischen Länder denkt. Ich glaube, Sie hätten am liebs-ten weltweit ein solches Kontoabfrageverfahren, wie wires in Deutschland haben.In Deutschland gibt es ja nur noch ein sehr begrenztesBankgeheimnis. Schweden kennt gar keines mehr. Wirmüssen aber berücksichtigen, dass es Länder gibt, diehinsichtlich des Bankgeheimnisses eine andere Erwar-tung haben. In Österreich hat es nun einmal Verfassungs-charakter, und auch in der Schweiz hat es eine besondereBedeutung. Das heißt, wir werden es nicht erreichen,dass die Schweiz anhand einer Liste der deutschenStaatsbürger nachschauen wird, wer dort ein Konto hat.Das bekommen wir nicht hin. Wer das Ziel erreichenwill, der ist auf dem Holzweg. Wir haben nur eineChance über den OECD-Standard.Sie von der FDP haben natürlich recht: All die Betrof-fenen haben inzwischen erklärt, dass sie das tun. Einigehaben mir erklärt, sie würden das sogar sehr schnell tun,aber die Verhandlungen mit dem Ministerium über Dop-pelbesteuerungsabkommen – es stehen dafür ja nur we-nige Mitarbeiter zur Verfügung – würden relativ langedauern. Das kann ich verstehen. Die Verhandlungen lau-fen.
Die Frage, ob wir das Gesetz nachher überhaupt nochbrauchen, ist jetzt also offen. Ich argumentiere hier aberähnlich wie beim Enteignungsgesetz: Wir werden dasEnteignungsgesetz Gott sei Dank wohl nicht anwendenmüssen, weil wir die notwendige Mehrheit bei der HypoReal Estate wahrscheinlich auch ohne eine Enteignungerreichen.
Aber ohne das Gesetz wären wir vielleicht nicht so weitgekommen. Deshalb müssen wir auch hier weiterma-chen, damit die Ankündigung der Länder, sie würdenden OECD-Standard beachten, dann auch wirklich Rea-lität wird.
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ch habe mich vor kurzem in einem Interview mit demchweizer Fernsehen für das Verhalten „meines Minis-ers“ – so habe ich das gesagt – entschuldigt. Das kam iner Schweizer Tagesschau. Ich habe unwahrscheinlichiele Briefe bekommen, in denen stand: Endlich einmal!ie Äußerungen des Ministers stellen nämlich einenorme Belastung dar. Sie werden sehen: Insbesondereür die Bürger in Bayern und Baden-Württemberg, dieehr enge Beziehungen zu Österreich, zur Schweiznd zu Liechtenstein haben,
st das eine unerträgliche Belastung.
ch finde, diesen Weg darf man nicht gehen.Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Wir werdenas Gesetz verabschieden, aber es ist nicht hilfreich,enn Sie, Herr Steinbrück, jetzt schon wieder in Zeitun-en und nicht in internen Gesprächen sagen, dass Sie,obald das Gesetz verabschiedet ist, die Verordnung inang setzen werden. Das können Sie gar nicht, Herr Mi-ister.
ir müssen diesen Ländern ein paar Monate Zeit geben,m sich anzupassen.
ott sei Dank haben wir den Bundesrat, und diese Ver-rdnungen bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.ch sage sehr deutlich: Es macht doch keinen Sinn, Staa-en, mit denen wir seit Jahrhunderten freundschaftlichusammenarbeiten, mit solchen Drohungen zu kom-en.
In diesem Sommer werden sehr viele Deutsche Ur-aub in Österreich und der Schweiz machen. Sie sollenort weiterhin freundlich aufgenommen werden.
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Otto BernhardtVoraussetzung dafür ist, dass wir mit diesen Ländernweiterhin anständig und diplomatisch umgehen. Darauflegen wir größten Wert.
Abschließend sage ich für meine Fraktion in allerDeutlichkeit: Wir werden weiterhin alles tun,
um den ehrlichen Steuerzahler vor dem Steuerhinterzie-her zu schützen, aber wir werden uns nicht dazu hinrei-ßen lassen, andere Länder und deren Bürger zu beleidi-gen, und wir werden auch nicht zulassen, dass andereLänder unter Druck gesetzt werden.Ich habe den Eindruck, dass wir international auf ei-nem vernünftigen Weg sind. Wir werden in diesem Zu-sammenhang unseren Beitrag leisten. Aber bitte keineDrohungen gegenüber befreundeten Staaten und keinGeneralverdacht gegen unsere Bürger!Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf der Drucksache 16/12852 an die in der Tages-ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibtes dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.Dann ist die Überweisung so beschlossen.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanz-ausschusses auf der Drucksache 16/12826.Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seinerBeschlussempfehlung die Annahme des Antrags derFraktionen von CDU/CSU und SPD auf derDrucksache 16/11389 mit dem Titel „Steuerhinterzie-hung bekämpfen“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Dann ist diese Beschlussempfehlung mit der Mehrheitder Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung der Oppo-sitionsfraktionen angenommen.Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags derFraktion der FDP auf Drucksache 16/11734 mit dem Ti-tel „Steuervollzug effektiver machen“. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mitMehrheit angenommen.Weiter empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe cseiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antragsder Fraktion der FDP auf der Drucksache 16/9836 mitdem Titel „Umstellung der Umsatzsteuer von der Soll-auf die Istbesteuerung“. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hbfFtnWsBdssßWsADbAmhaBAGHBehsu
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Beschleunigung des Ausbaus der Höchst-spannungsnetze– Drucksache 16/10491 –Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
– Drucksache 16/12898 –Berichterstattung:Abgeordneter Hans-Josef Fellb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-nologie
– zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-KurtHill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKE
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Präsident Dr. Norbert LammertStromübertragungsleitungen bedarfsgerechtausbauen – Bürgerinnen- und Bürgerbeteili-gung sowie Energiewende umfassend be-rücksichtigen– zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-JosefFell, Kerstin Andreae, Bärbel Höhn, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENStromnetze zukunftsfähig ausbauen– zu dem Entwurf einer Entschließung in derBeschlussempfehlung des Ausschusses fürUmwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitzu dem Gesetzentwurf der Bundesregierungzur Neuregelung des Rechts der Erneuerba-ren Energien im Strombereich und zur Än-derung damit zusammenhängender Vor-schriften– Drucksachen 16/10842, 16/10590, 16/8148,16/8393, 16/9477 Ziffer II, 16/12898 –Berichterstattung:Abgeordneter Hans-Josef FellZum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen einÄnderungsantrag der Fraktion der FDP sowie ein Ent-schließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann können wir so verfahren.Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst fürdie Bundesregierung das Wort dem ParlamentarischenStaatssekretär Hartmut Schauerte.H
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen undKollegen! Gestern haben wir in erster Lesung über dasCCS-Gesetz beraten. Heute beraten wir über ein Ener-gieleitungsausbaugesetz, das den Ausbau der Hochspan-nungsnetze beschleunigen soll. Das zeigt: In Zeiten derFinanz- und Wirtschaftskrise gibt es keinen Stillstand inder Energiepolitik. Im Gegenteil: Wir handeln und tunalles für eine sichere, nachhaltige und bezahlbare Strom-versorgung.Insbesondere im Hinblick auf die Versorgungssi-cherheit sind der Ausbau und die Modernisierung derNetze wichtige Themen. Die Zukunft wird sehr wahr-scheinlich zeigen, dass der Energiemix bei der Stromer-zeugung eine noch größere Rolle spielen wird als heute.Auch deswegen haben wir allen Anlass, rechtzeitig zuhandeln. Wir brauchen moderne und leistungsfähigeNetze. In diesem Bereich stehen wir vor besonderenNotwendigkeiten.Im Norden Deutschlands entstehen große, leistungs-fähige Windparks; gerade die Offshore-Windenergiewird massiv ausgebaut. Viel neuer Strom wird im Nor-den hergestellt, der bisher nicht zentraler Standort fürEnergiegewinnung war. Nordrhein-Westfalen wird hier– wenn ich das so sagen darf – ein Stück weit abgelöst.DddDSabINdNdwSpmdndfbniDgEsAVSsdwwnDkskuRdgktkadfrws
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Deswegen ist hier allergrößte Vorsicht geboten. DieDeckelung der Mehrkosten ist absolut notwendig. Wirverlieren die Wirtschaftlichkeit in der Stromversorgungnicht aus dem Auge.Wir wollen moderne Netze, die den Strom aus erneu-erbaren Energiequellen und aus neuen hocheffizientenkonventionellen Kraftwerken abtransportieren können.Wir müssen sie zudem fit für den EU-weiten Stromhan-del machen. Hierzu ist keine Staatsbeteiligung an denNetzen nötig – ich komme zum Schluss meiner Rede –,so willkommen auch eine einheitliche Netzgesellschaftfür die Übertragungsnetze wäre. Wir setzen auf vertrag-liche Gestaltung und auf unternehmerische Lösung, abernicht auf Staatsbeteiligung.Wir haben bereits durch das Energiewirtschaftsgesetzund durch Anreizmaßnahmen für entsprechende Regu-lierung gesorgt. Dies ist die Alternative. Wer StaatsnetzehkhurdderFsAuFmsWtgnggdhnlgFdtedzGdKdddndnad
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Der nächste Redner ist Hans-Kurt Hill für die Frak-
ion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ie Chance, die Energienetze zukunftsgerecht auszu-ichten, wurde nach meiner Meinung von Ihnen vertan.ie greifen dabei mit der Gesetzesvorlage massiv in dieitbestimmungsrechte der Bürgerinnen und Bürger ein.
Es wundert mich, Herr Obermeier, dass sich dieDU/CSU und die SPD in der Großen Koalition über-aupt noch auf sachliche Inhalte einigen konnten. Beier Entwicklung der Energienetze haben Sie offensicht-ich erkannt, dass wir nicht alles den Stromkonzernenberlassen dürfen. Ich sage Ihnen voraus, liebe Kollegin-en und Kollegen: So wie Sie sich mittlerweile viele An-räge der Linken zu eigen machen und eins zu eins über-ehmen,
um Beispiel bei der Enteignung von wild gewordenenanken, so werden Sie über kurz oder lang unserer For-erung nach Überführung der Energienetze in die öffent-iche Hand ebenfalls folgen.
Einzelne Inhalte des Entwurfs zeigen durchaus in dieichtige Richtung. Erdkabel werden bei Hochspannungs-rassen gegenüber Freileitungen bei den Netzentgeltenessergestellt. Das macht die unterirdische Verlegungei 110 000-Volt-Leitungen wirtschaftlich. Neu errich-ete Stromspeicher werden für den Zeitraum von zehnahren von den Netzentgelten befreit, und die Anbin-ung von Offshorewindparks wird vereinfacht. Dasar es aber leider schon. Das reicht einfach nicht aus.
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Hans-Kurt HillIch habe es anfangs bereits gesagt: Sie haben dieChance, die Energienetze zukunftsgerecht auszurichten,absolut vertan. Sie reden davon, Deutschland sei einStromtransitland, ignorieren dabei aber Zukunftstechni-ken wie Gleichstromübertragungen komplett. Immerhinredet man schon davon. Dabei ist bekannt, dass geradediese Technologien bei der Übertragung über weite Stre-cken die höchste Effizienz aufweisen. Sie haben sich derStromlobby gebeugt. So dürfen im Prinzip Hochspan-nungstrassen mit 380 000 Volt weiter uneingeschränktals Freileitung gebaut werden. Sie nehmen keine Rück-sicht auf die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürgerund die Natur. Dabei ist gerade hier der Elektrosmogsehr hoch, und riesige Masten zerschneiden die Land-schaft.
Pilotvorhaben für die Erdverkabelung von380 000-Volt-Trassen werden nicht nach fachlichen Kri-terien ausgewählt. Es ist für mich nicht zu erkennen, wa-rum die Uckermarkleitung, wie von uns und auch vonden Kolleginnen und Kollegen der CDU vor Ort gefor-dert, nicht in das Vorhaben aufgenommen wird.
Die Linke fordert deshalb eine grundsätzliche Prüfungder Erdkabelverlegung in jedem Einzelfall.Es ist ein Skandal, dass die Beteiligungsrechte be-troffener Bürgerinnen und Bürger und Gemeinden mas-siv eingeschränkt werden und sie somit der Willkür derEnergieversorger ausgesetzt sind. Deshalb ist dieses Ge-setz vom Grundsatz her nicht zustimmungswürdig.
Sie arbeiten Hand in Hand mit den Energiekonzernengegen die Bürgerinnen und Bürger, und das ist in vielenFällen typisch für diese Koalition.Es gibt weitere Lücken im Gesetz. Es fehlen Vor-schriften, die den Netzausbau auf das erforderliche Maßmindern. So könnten bestehende Stromleitungen durchbesseres Management und technische Modernisierungbis zu 50 Prozent mehr Strom, erzeugt auch aus Windund Sonne, aufnehmen. Auffällig ist, dass an den jetztgeplanten Stromtrassen – Herr Hempelmann hat es ebenangesprochen – zufällig auch riesige Kohlekraftwerkegeplant sind. Damit bremsen die Energiekonzerne denschnell wachsenden Ausbau der Nutzung erneuerbarerEnergien gezielt aus. Erklären Sie, Herr Hempelmann,den Thüringern, wieso Kohlestrom aus Lubmin oderStendal durch den Thüringer Wald bei Zerstörung desNaturraums nach Bayern oder weiter transportiert wer-den soll!
So können Sie in der Bevölkerung keine Akzeptanz fürStromtrassen erreichen. Das ist ein Gesetz, das dieRechte der Bürgerinnen und Bürger massiv beschneidetund nur den Energiebossen dient. Ginge es nach Vatten-fall und Co., würden riesige Strommasten durch dasLand gezogen, um noch mehr Kohlestrom in die Nach-barstaaten zu exportieren. Die Folgen, nämlich einSSvevDoSrgSzdVvgdDegtwÜVgwtZznDlNlarndzBHmE
Um die Defizite in der Gesetzesvorlage der Bundesre-ierung zu heilen, hat die Linke einen Antrag zum be-arfsgerechten Ausbau der Energienetze eingebracht.er Energieleitungsausbau muss den Anforderungeniner klimafreundlichen und dezentralen Energieversor-ung Rechnung tragen. Dazu müssen bestehende Strom-rassen zügig dem neuesten Stand der Technik angepassterden. Ein Leitungstemperaturmonitoring für dasbertragungsnetz ist gesetzlich festzuschreiben. Für denerbundbetrieb mehrerer Erneuerbare-Energien-Anla-en über das Leitungsnetz, sogenannte virtuelle Kraft-erke, müssen die Netzgebühren entfallen, um eine in-elligente und dezentrale Stromproduktion zu fördern.ur weiteren Entlastung der Übertragungsnetze sind de-entrale Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen gegenübereuen fossilen Großkraftwerken besserzustellen.
er Netzausbau auf 110 000-Volt-Ebene ist ausschließ-ich in Form der Erdverkabelung durchzuführen. Demetzausbau auf 380 000-Volt-Ebene muss eine Erforder-ichkeitsprüfung vorausgehen, bei der die Erdkabelvari-nte verpflichtender Teil der Betrachtung sein muss.Fazit: Der vorgelegte Gesetzentwurf der Bundesregie-ung ist Flickschusterei, vernichtet Rechte von Bürgerin-en und Bürgern und beinhaltet deutlich zu wenig, umen künftigen Anforderungen im Energiebereich gerechtu werden. Wir werden ihn deswegen ablehnen.Vielen Dank.
Der nächste Redner ist Hans-Josef Fell für das
ündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Der Ausbau erneuerbarer Energien kann unduss beschleunigt werden. Die erfolgreiche industriellentwicklung ist ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung
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Hans-Josef Fellder Wirtschaftskrise. Der Ausbau ist dynamisch und mitexponentiellen Wachstumsraten sehr wohl in der Lage,bis 2030 eine hundertprozentige Versorgung mit er-neuerbaren Energien im Stromsektor zu realisieren.Den vielen Zweiflern in der Großen Koalition und inder FDP sei deutlich vor Augen geführt, dass auch in an-deren industriellen Zweigen solche Ausbaugeschwindig-keiten zunächst für unmöglich gehalten, dann aber den-noch realisiert wurden. Noch vor 20 Jahren hattefaktisch niemand einen Laptop, und in 15 Jahren erober-ten Mobilfunkgeräte die Welt. Können Sie mir einen ver-nünftigen Grund nennen, warum die Branchen Wind-energie, Fotovoltaik, Biogas oder Geothermie nichtähnliche industrielle Erfolgsgeschichten schreiben könn-ten?
Der Bundesverband Erneuerbare Energien hat ange-kündigt, bis 2020 47 Prozent der Stromerzeugung mit er-neuerbaren Energien abzudecken. Statt diese gigantischeChance für Klimaschutz und zur Sicherung unsererEnergieversorgung zu ergreifen, hält die Bundesregie-rung ängstlich an ihrem nicht ambitionierten Ziel von30 Pro-zent bis 2020 fest. Die SPD setzt lieber auf denAusbau der klimaschädlichen Kohlekraftwerke und dieUnion auf die Laufzeitverlängerung von Atomreaktoren.Beides wird den Ausbau erneuerbarer Energien bremsenstatt beschleunigen.Aber immerhin haben wir von Frau Kopp heute etwasNeues gehört. Sie hat gesagt: Wenn die Atomreaktorenim Süden abgeschaltet werden – dort trägt die FDP jaRegierungsmitverantwortung –, dann brauchen wir denAusbau neuer Netze. – Gut, dass Sie endlich die Not-wendigkeit des Atomausstiegs anerkennen.
Meine Damen und Herren, ein beschleunigter Ausbauerneuerbarer Energien ist natürlich nur dann möglich,wenn die entsprechenden politischen Rahmenbedin-gungen geschaffen werden. Dazu gehört unter anderemdie Anpassung der Netzinfrastruktur an die Erforder-nisse einer Vollversorgung mit Strom aus erneuerbarenEnergien. Notwendig sind zum Beispiel Speichersys-teme zum Ausgleich der Angebotsschwankungen beiSonne und Wind und der Ausbau neuer Hoch- undHöchstspannungsnetze, um das reichliche Windstroman-gebot aus Nord- und Ostdeutschland mit den städtischenRegionen in der Mitte, im Süden und im Westen zu ver-binden.Längst haben sich die Blockaden der großen Netzbe-treiber beim Ausbau der Netze als Bremse für denschnellen Ausbau der Ökostromerzeugung erwiesen.Zum Teil blockieren sie, um die ungeliebte Konkurrenzder erneuerbaren Energien zurückzuhalten, zum Teilscheitern sie aber auch an langwierigen Genehmigungs-verfahren für den Ausbau von Höchstspannungsnetzenund an Widerständen in Teilen der betroffenen Bevölke-rung.Wir Grünen stehen hinter dem Ziel der Beschleuni-gung des Ausbaus der Höchstspannungsnetze. In unse-rwddzddggLtmPGiSswMtPgSEIvdOtglIAMwdwdtimLwbnacl
tatt den Forderungen von berechtigten Bürgerinteres-en entgegenzukommen, setzen Sie in Ihrem Gesetzent-urf auf den Abbau von Bürgerbeteiligungsrechten.eine Damen und Herren von Union und SPD, Sie soll-en sich nicht beschweren, wenn in diesen Regionen dieolitikverdrossenheit erneut zunimmt. Ihre Argumenteegen Erdkabel gleichen denen, die von den großentromversorgern vorgetragen werden. Sie behaupten,rdkabel seien zu teuer und technisch nicht ausgereift.n der Anhörung des Wirtschaftsausschusses wurde dasom Verband der europäischen Kabelhersteller ganz an-ers dargestellt.
ftmals können die wesentlich niedrigeren Betriebskos-en von Erdkabeln die höheren Investitionskosten aus-leichen. Ihre Blockade gegen die flächendeckende Zu-assung von Erdkabeln ist damit ein erneuter Beweis fürhre Politik des Schutzes der Interessen der Kohle- undtomkonzerne.
it den Kampagnen pro Atom und für neue Kohlekraft-erke haben diese Konzerne längst bewiesen, dass sieen schnellen Ausbau erneuerbarer Energien behindernollen.Wir verkennen nicht, meine Damen und Herren voner Koalition, dass Sie als Parlamentarier durchaus wich-ge Verbesserungen am Regierungsentwurf vorgenom-en haben. Die Möglichkeiten für Erdkabel in 110-kV-eitungen finden unsere Zustimmung. Auch begrüßenir, dass Pumpspeicherkraftwerke von Netzentgeltenefreit werden. Leider soll diese Befreiung aber nur füreue Projekte und nur für zehn Jahre gelten. Das reichtls Anreiz für den dringend erforderlichen Bau von Spei-hern bei weitem nicht aus. Sinnvoll ist auch die Mög-ichkeit des Anschlusses an moderne HGÜ-Leitungen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23997
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Hans-Josef FellDies alles darf nicht darüber hinwegtäuschen, dassdieses Gesetz die Handschrift der Stromkonzerne trägtund wegen des Abbaus der Bürgerbeteiligungsrechteeine bedenkliche antidemokratische Komponente auf-weist. Den Ausbau der erneuerbaren Energien wird die-ses Gesetz nicht beflügeln; vielmehr bleibt das Problembestehen, dass Investoren für Windparks weiterhin jahre-lang auf Leitungen warten müssen, und das nicht wegender Proteste der Bürger, sondern weil die Energiekon-zerne wenig Interesse haben, die Konkurrenten ans Netzanzuschließen.Hier liegt das Kernproblem. Die Koalition blendetvöllig aus, dass die Energiekonzerne selber die dringendnotwendigen Investitionen in die Stromnetze verzögern.
Dieses Problem muss gelöst werden, und zwar durch diebaldige Gründung einer unabhängigen Netzgesellschaft.Nur mit „neutralen“ Netzen wird es die erforderlichenInvestitionen in den zukunftsfähigen Ausbau der Strom-netze geben.
Aber dazu ist in der Koalition keine Aktivität erkennbar.So werden Sie den Anforderungen an Klimaschutz undVersorgungssicherheit leider nicht gerecht.
Der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer hat jetzt das Wort
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Netze sind nicht alles; aber ohne Netze ist fastalles nichts, weil dann nämlich nichts funktioniert. Wirbekommen das leider öfter vorgeführt, wenn es – ausverschiedenen Gründen – zu Blackouts kommt. DieWahrscheinlichkeit, dass es zu Blackouts kommt, wirdsteigen, wenn wir nicht schnell und engagiert reagieren.Genau das tun wir mit diesem Gesetz zur Beschleuni-gung des Ausbaus der Höchstspannungsnetze.Wir stehen, was das Stromnetz angeht, vor Herausfor-derungen, die sich in den letzten 50 Jahren in Deutsch-land und in Europa so nicht gestellt haben. Deutschlandist mittlerweile Stromtransitland Nummer eins in Eur-opa. Wir wollen den europäischen Binnenmarkt. Wennwir den europäischen Binnenmarkt im Bereich Stromgenauso wie in den Bereichen Schiene und Straße wol-len – dort knüpfen wir transeuropäische Netze –, dannmüssen wir Interkonnektoren, also Verbindungen zwi-schen den Ländern, schaffen. Ich verweise auch auf dieMöglichkeit, Seekabel, beispielsweise durch die Nord-see, zu legen, und zwar schnell, damit der binnenökono-mische Blutkreislauf funktionieren kann.dWzNVzdunShIbiSntnbmssnGSgfanEshsdwUhdbidudkL
Durch die 380-kV-Freileitung in der Uckermarkönnte die 220-kV-Freileitung von 37 Kilometernänge, die bisher durch das Gebiet geht, abgebaut wer-)
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Dr. Joachim Pfeifferden. Das wäre beim Erdkabel nicht möglich. Das istpraktizierter Landschaftsschutz.
Wir haben uns das sehr genau angeschaut. Dabei sindnicht allein die Kosten entscheidend. Beim Erdkabelwäre der Eingriff in die Landschaft weitaus größer undwäre auch die zusätzliche Belastung für das Biosphären-reservat größer als bei einer Freileitung, die über 400 bis500 Meter sozusagen an der Ecke des Biosphärenreser-vats vorhanden wäre.
– Erzählen Sie hier nichts wider besseres Wissen!
Wir haben im parlamentarischen Verfahren beispiels-weise auch noch das Verursacherprinzip gestärkt. Wirhaben den Umlageschlüssel geändert, sodass die Ge-samtkosten für die Pilotprojekte nicht bundesweit umge-legt werden. Nur die Mehrkosten, die für die Pilotpro-jekte zur Erdverkabelung verursacht werden, werdenumgelegt. Das führt auch zu mehr Effizienz im gesamtenVerfahren. Das ist der richtige Weg, den wir nicht nur beiden Pilotprojekten, sondern auch bei anderem beschrei-ten müssen.Das Thema „110 kV“ ist angesprochen worden. Wirwollen mit einer moderaten Begrenzung von 60 Prozentarbeiten. Das ist nicht nichts; wir reden unter Umständenüber Milliardenbeträge. Die fallen nicht vom Himmel,sondern die muss über eine Umlage der Stromverbrau-cher aufbringen.
Wir sind aber bereit, diesen Weg zu gehen, wenn wir hierzu einer Beschleunigung kommen.Zu dem 20 Kilometer breiten Küstenstreifen gibt eseine Klarstellung, sodass das dort schneller und bessergeht.Wenn wir hier nicht schneller vorankommen, liegt dasdaran, dass über Gerichtsverfahren, Einsprüche usw.verzögert wird. Da sind die Opportunitätskosten oftmalshöher als einmalig höhere Investitionskosten im 110-kV-Bereich. Auch dazu schlagen wir eine Lösung vor.Anders als im Höchstspannungsbereich brauchen wirim 110-kV-Bereich keine großen Erfahrungen mehr zusammeln. Auch der Eingriff in die Natur ist nicht sogroß. Sie sollten hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichenund nicht wider besseres Wissen reden.
Wir befreien die neuen Speicher, und zwar technolo-gieoffen – denkbar sind nicht nur Pumpspeicher, sondernauch Druckluftspeicher und anderes im Bereich der er-neuerbaren Energien –, für zehn Jahre von den Netznut-zungsentgelten, um Anreize zu setzen. Neben den Net-zen verbessern wir gleichzeitig die Speicherung undbvzDHkwaEbfNdmP7eduOSdwmncweTSKv
Herr Pfeiffer, zur Antwort!
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23999
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Herr Kollege Hill, unser Bundestagskollege, der dort
seinen Wahlkreis hat, hat sich vor Ort ganz klar gegen
die Erdverkabelung ausgesprochen. Insofern weiß ich
nicht, wie sich die CDU vor Ort anders verhalten haben
sollte, als sie es hier im Plenum tut.
Die von Ihnen genannten 70 Meter kann ich über-
haupt nicht nachvollziehen. Die Freileitung überbrückt
diesen Naturraum mit Masten. Im Gegensatz dazu zer-
schneidet das Erdkabel das Biosphärenreservat mit ei-
nem 20 Meter breiten Streifen.
– Ja, in der Erde; das wird aber nicht per Tunnel hin-
durchgebohrt. Es wird eine Schneise durch das Biosphä-
renreservat angelegt, und hinzu kommen Sonderbau-
werke wie Tunnel und Brücken über Straßen und Flüsse.
Der Eingriff in die Natur ist hundertfach höher als bei ei-
ner Freileitung. Das sind die Fakten, nicht das, was Sie
hier behaupten, Herr Hill.
Jetzt gebe ich Marko Mühlstein das Wort für die SPD-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen! Als im Jahre 2000 in diesem Ho-hen Hause das Erneuerbare-Energien-Gesetz verabschie-det wurde, hat man sich zum Ziel gesetzt, im Jahre 2010einen Anteil der erneuerbaren Energien an der Strompro-duktion von 12,5 Prozent zu haben. Im Jahr 2008 hattenwir bereits einen Anteil von 15 Prozent am Stromver-brauch.
Im ersten Quartal 2009 lag der Anteil schon bei17 Prozent. Die Kritiker von damals reiben sich die Au-gen, Herr Fell.Im Bereich der erneuerbaren Energien haben wir bisheute über 275 000 Arbeitsplätze geschaffen. Im Jahre2020 – so sind die Prognose und unser Ziel – werden so-gar 500 000 Arbeitsplätze durch unsere gute Klimapoli-tik geschaffen sein.
Deutschland ist Exportweltmeister auch im Bereichder Umwelttechnologie nicht zuletzt durch die erneuer-baren Energien.
Unser Ziel ist es, im Jahre 2020 einen Anteil der erneu-erbaren Energien von 30 Prozent im Strombereich zu ha-bSbbkgensddstdlHiddhnRlakdrZltaEdcgamSRmvpIb–
ch hoffe zumindest, dass Sie sich in einem Lernprozessefinden, Herr Hill.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, genau.
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24000 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009
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Marko MühlsteinMeine sehr verehrten Damen und Herren, die Wind-kraft auf See, die sogenannte Offshorewindkraft, ist inZukunft eine wichtige Säule der erneuerbaren Energien.Nach der Offshorestrategie der Bundesregierung sollenim Jahre 2020 10 000 Megawatt Leistung offshore in-stalliert sein. Im Jahre 2030 können das sogar 25 000Megawatt sein. Mit der Konkretisierung der Anbin-dungspflicht des Energiewirtschaftsgesetzes durch dieBundesnetzagentur wird eine Initiative der Koalition be-rücksichtigt, nämlich die Erleichterung der Anbindungvon Offshoreanlagen zu gewährleisten. Dank dieser Ini-tiative und der Konkretisierung ist es möglich, die Off-shorestrategie umzusetzen und zu realisieren.Die temporären Energiequellen Sonne und Wind stel-len uns vor Herausforderungen. Wir wissen, dass wirauch in Zukunft einen hohen Bedarf an Speicherkapazi-täten und Pufferung im Gesamtnetz haben werden. Des-wegen ist es eine wichtige Entscheidung, Pumpspeicher-kraftwerke und andere Speicher vom Netzentgelt zubefreien. Das ist ein bedeutender Schritt, um in Zukunftdie Speicherkapazitäten ausbauen zu können.Um ein modernes und leistungsfähiges Stromnetz inDeutschland zu schaffen, brauchen wir ein europäischesVerbundnetz. Dafür legen wir heute den Grundstein.Mit der heutigen Verabschiedung des Energieleitungs-ausbaugesetzes werden unabdingbare Weichen auf demWeg zu mehr Versorgungssicherheit, Netzstabilität undeinem kontinuierlichen Ausbau der erneuerbaren Ener-gien in Deutschland gestellt. Kurzum, es ist ein wichti-ger Baustein für eine nachhaltige, dezentrale und zu-kunftsweisende Energieversorgung.
Ich möchte die verbleibende Zeit nutzen, um den Kol-legen Rolf Hempelmann und Herrn Dr. Pfeiffer für die au-ßerordentlich konstruktive Zusammenarbeit zu danken.Um mit den Worten eines Fußballfreundes zu sprechen,lieber Rolf Hempelmann: Ich denke, die Beratungen wa-ren ein faires Spiel mit zahlreichen Verlängerungsrunden;aber am Ende gibt es einen Sieger, und das ist die zukünf-tige Energieversorgung Deutschlands.Ganz herzlichen Dank.
Franz Obermeier hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bis vor einigen Jahren galt das bundesdeutsche Strom-
netz sowohl in der Niederspannungsebene als auch in
der Hoch- und Höchstspannungsebene als vorbildlich in
Europa. Die Veränderungen in der Erzeugungsstruk-
tur haben uns schon in den 90er-Jahren vor Augen ge-
führt, dass ein Leitungsausbau dringend notwendig ist.
Dieser Leitungsausbau muss möglichst rasch vollzogen
werden, weil sich völlig veränderte Strukturen dadurch
ergeben, dass sich der Verbrauch überwiegend im Wes-
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öchten Sie das?
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24001
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Selbstverständlich.
Bitte schön.
Herr Obermeier, ich gebe Ihnen vollkommen recht,
dass der Ausbau der Erdverkabelung teurer ist. Die Ge-
lehrten streiten sich ja über die Schaffung eines Aus-
gleichs für die Wartung und die Verluste.
Sie haben hier mit Ihrem bayerischen Akzent gespro-
chen und geben mir doch bestimmt recht, dass es für die
Energieversorgung – insbesondere die in Bayern – wich-
tig wäre, dass man dort mit Windenergie endlich richtig
„pushen“ würde.
Zweiter Punkt. Sie geben mir doch bestimmt auch
vollkommen recht, dass es wesentlich weniger Ein-
schnitte in die Natur geben würde, wenn wir mit HGÜ-
Leitungen arbeiten würden. Wir könnten die vorhande-
nen Leitungen entsprechend optimieren. Durch ein Tem-
peraturmonitoring könnten wir wesentlich mehr Strom
über die vorhandenen Netze leiten. Warum setzen wir
denn nicht dort an?
Ich gebe Ihnen insofern recht, als die HGÜ-Leitun-
gen, nach allem, was wir jetzt wissen, hinsichtlich des
gesamten Unterhaltungsaufwandes erheblich günstiger
sind. Bei den Gleichstromleitungen haben wir aber so
gut wie keine Erfahrungen hinsichtlich großer Übertra-
gungsnetze.
Das führt uns dazu, zu sagen: Das probieren wir.
Herr Hill, ich habe mir bei Ihrer Rede im Übrigen no-
tiert, dass Sie meinen, wir sollten in Bayern auf Wind-
kraft setzen. Dafür müssten Sie schon den Wind dorthin
bringen.
Wenn Sie es mit Ihrer linken Politik schaffen, dass der
Wind in Bayern so wie in der norddeutschen Tiefebene
oder an der Nordsee- oder Ostseeküste bläst, dann bauen
wir die Windkraftanlagen auch in Bayern, ohne dass wir
unser schönes Land dort verschandeln.
Herr Kollege, es gibt einen weiteren Wunsch, eine
Zwischenfrage zu stellen, und zwar den des Kollegen
Hans-Josef Fell. Möchten Sie die auch noch zulassen?
Ja, selbstverständlich.
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Herr Fell, ich stimme Ihnen überhaupt nicht zu. Wennie sich den Windatlas von Bayern anschauen – unab-ängig von Nabenhöhen, neuen Techniken und Ähnli-hem – und ihn mit dem Windkataster für die norddeut-che Tiefebene und die Nordsee vergleichen, dann sehenie auch als Laie, dass hier völlig andere Verhältnisseelten.
Im Übrigen will ich Ihnen Folgendes sagen: Ichenne sehr viele Regionen in Bayern – im Übrigen auchn Ihrem schönen Franken –, die es sich überhaupt nichtorstellen können, dass Windkraftanlagen mit hohen Na-enhöhen und großen Durchmessern bei ihnen errichteterden. Sie wollen das nicht und setzen auf andereinge.
tromtrassen sind etwas anderes als Windparks im schö-en Frankenland. Viele Leute wollen das nicht, und wirichten uns schon nach dem Nutzen und dem Schaden.as ist für meine Begriffe die richtige Politik.
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24002 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009
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Franz Obermeier
Zum Abschluss noch ein paar Sätze zu Ihnen, HerrHill, weil Sie sich über die Gesundheit und den Schutzder Gesundheit der Menschen ausgelassen haben.
Ich weiß, dass Sie Saarländer sind, und ich werfe IhnenIhren Dialekt nicht vor, aber wenn Sie studieren wollen,wie man den Schutz der Gesundheit der Menschen miss-achten kann, dann führen Sie sich vor Augen, was imUrsprungsland Ihrer kommunistischen Partei stattgefun-den hat.
Ich habe 1990 in ein paar Gemeinden in der Nähe vonLauchhammer gesehen, wie man im kommunistischenUrsprungssystem mit der Gesundheit der Menschen um-gegangen ist. Sie sollten dieses Beispiel nicht bringen. InDeutschland wird auf die Gesundheit der Menschen sehrwohl Rücksicht genommen.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Als Thüringerin stelle ich fest, dass hier Dialekte je-der Art erlaubt sind, soweit sie für andere verständlichbleiben.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Be-schleunigung des Ausbaus der Höchstspannungsnetze.Zur Abstimmung liegen drei Erklärungen nach § 31 un-serer Geschäftsordnung vor, und zwar von den KollegenDr. Hans Georg Faust, Hans Peter Tuhl und Jochen-Konrad Fromme.1)Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-fiehlt unter Nr. 1 Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 16/12898, den Gesetzentwurf derBundesregierung auf Drucksache 16/10491 in der Aus-schussfassung anzunehmen.Hierzu liegt ein Änderungsantrag der FDP vor, überden wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Ände-rungsantrag auf Drucksache 16/12901? – Die Gegen-stimmen? – Die Enthaltungen? – Damit ist der Ände-rungsantrag bei Zustimmung durch die einbringendeFraktion, bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen und Ablehnung im übrigen Haus abgelehnt.Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf inder Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-zeichen. – Die Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damitist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustim-mdseuiEBvß1–EngaEsgdteeleADgubfDCtDdDkeDCdFdEssngwt1) Anlage 2
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24003
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gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu-regelung des Rechts des Naturschutzes undder Landschaftspflege– Drucksache 16/12785 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
SportausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für TourismusHaushaltsausschussb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu-regelung des Wasserrechts– Drucksache 16/12786 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
InnenausschussSportausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungHaushaltsausschussc) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Rege-lung des Schutzes vor nichtionisierender Strah-lung– Drucksache 16/12787 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzVerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitHaushaltsausschussd) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereini-gung des Bundesrechts im Geschäftsbereichdes Bundesministeriums für Umwelt, Natur-
– Drucksache 16/12788 –
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Sat-zung vom 26. Januar 2009 der InternationalenOrganisation für erneuerbare Energien– Drucksache 16/12789 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzg) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs einesErsten Gesetzes zur Änderung des Treibhaus-gas-Emissionshandelsgesetzes– Drucksache 16/12853 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für TourismusHaushaltsausschussh) Beratung des Antrags der Abgeordneten CorneliaPieper, Patrick Meinhardt, Uwe Barth, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDPHIV/AIDS-Forschung vorantreiben– Drucksache 16/11673 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Gesundheiti) Beratung des Antrags des Bundesministeriumsder FinanzenEntlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 2008 – Vorlage der Haushalts-
– Drucksache 16/12620 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschussj) Beratung des Antrags der Abgeordneten KarinBinder, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEVerbraucherinformationsgesetz umgehendüberarbeiten– Drucksache 16/12847 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Technologiek) Beratung des Antrags der Abgeordneten UndineKurth , Cornelia Behm, UlrikeHöfken, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
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24004 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009
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Vizepräsidentin Katrin Göring-EckardtEinführung einer Positivliste zur Haltung vonTieren im Zirkus– Drucksache 16/12864 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionl) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Anton Hofreiter, Bettina Herlitzius, WinfriedHermann, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENCarsharing-Stellplätze baldmöglichst privile-gieren– Drucksache 16/12863 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieZP 4a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-kung der Rechte von Verletzten und Zeugenim Strafverfahren
– Drucksache 16/12812 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendb) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs einesErsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzeszur Regelung der Rechtsverhältnisse der Hel-fer der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk– Drucksache 16/12854 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendc) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Regelung des Assistenzpflege-bedarfs im Krankenhaus– Drucksache 16/12855 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungd) Erste Beratung des von den Abgeordneten JosefPhilip Winkler, Volker Beck , EkinDeligöz, weiteren Abgeordneten und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur Streichung des Op-tionszwangs aus dem Staatsangehörigkeits-recht– Drucksache 16/12849 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Meierhofer, Frank Schäffler, Michael Kauch,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPSteuerprivilegien öffentlich-rechtlicher Unter-nehmen abschaffen – Fairen Wettbewerb auchin der Abfallwirtschaft ermöglichen– Drucksache 16/5728 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitf) Beratung des Antrags der Abgeordneten GiselaPiltz, Detlef Parr, Dr. Max Stadler, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der FDPDatei „Gewalttäter Sport“ auf verfassungs-mäßige Grundlage stellen– Drucksache 16/11752 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
SportausschussRechtsausschussg) Beratung des Antrags der Abgeordneten UlrikeHöfken, Thilo Hoppe, Ute Koczy, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNENMilch-Exportsubventionen sofort stoppen –Weitere Zerstörung der Märkte in Entwick-lungsländern verhindern– Drucksache 16/12308 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
FinanzausschussAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungh) Beratung des Antrags der Abgeordneten GiselaPiltz, Dr. Max Stadler, Christian Ahrendt, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der FDPGemeinsames Internetzentrum auf gesetzlicheGrundlage stellen– Drucksache 16/12471 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Rechtsausschussi) Beratung des Antrags der Abgeordneten HartfridWolff , Gisela Piltz, Dr. MaxStadler, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDPEuroparechtskonformes und nachvollziehba-res Nachzugsrecht schaffen – Metock-Urteildes EuGH sofort gesetzlich verankern– Drucksache 16/12732 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24005
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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardtj) Beratung des Antrags der Abgeordneten IngbertLiebing, Marie-Luise Dött, Peter Bleser, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSUsowie der Abgeordneten Mechthild Rawert,Christoph Pries, Marco Bülow, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der SPDDelfinschutz voranbringen– Drucksache 16/12868 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzEs handelt sich hier um Überweisungen im verein-fachten Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall. Dann ist so beschlossen.Wir kommen zu den Beschlussfassungen zu Vorla-gen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 39 a:Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrateingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-derung der Bundesnotarordnung und andererGesetze– Drucksache 16/8696 –Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 16/12896 –Berichterstattung:Abgeordnete Markus GrübelDr. Carl-Christian DresselChristine LambrechtMechthild DyckmansSevim DağdelenJerzy MontagDer Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/12896, den Gesetzent-wurf des Bundesrates auf Drucksache 16/8696 in derAusschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratungeinstimmig angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Wer möchte für den Gesetzent-wurf stimmen? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – DerGesetzentwurf ist in dritter Beratung einstimmig ange-nommen.Tagesordnungspunkt 39 b:Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines ErstenGesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Er-ffdnsmzuEGueGiwewzzEm
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24006 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009
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zu dem Antrag der Abgeordneten
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– Drucksachen 16/11819 Nr. A.28, 16/12827 –Berichterstattung:Abgeordnete Carsten Müller
Willi BrasePatrick MeinhardtCornelia HirschPriska Hinz
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich-tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt fürdie Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthal-tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-men von CDU/CSU, SPD und FDP angenommen. DieLinke hat dagegengestimmt. Bündnis 90/Die Grünen ha-ben sich enthalten.Tagesordnungspunkte 39 j bis 39 q. Wir kommen zuden Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.Tagesordnungspunkt 39 j:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 553 zu Petitionen– Drucksache 16/12701 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 39 k:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 554 zu Petitionen– Drucksache 16/12702 –Wer stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? –Einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 39 l:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 555 zu Petitionen– Drucksache 16/12703 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen vonCDU/CSU, SPD und FDP angenommen. Die Linke hatdagegengestimmt. Bündnis 90/Die Grünen haben sichenthalten.Tagesordnungspunkt 39 m:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 556 zu Petitionen– Drucksache 16/12704 –ttdHtssGtCdgtCü
, Monika Griefahn, Dr. Herta Däubler-
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24008 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009
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weitere Erklärung der Kollegin Luc Jochimsen wirdmündlich vorgetragen. Die mündliche Erklärung werdenwir nach der Abstimmung hören.Jetzt bitte ich diejenigen, die für diesen Antrag stim-men wollen, die Hand zu heben. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Damit ist der Antrag gegen die Stim-men von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion DieLinke mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionenabgelehnt. Die FDP hat sich enthalten.Frau Jochimsen, bitte.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe dem Antrag der Koalitionsfraktionen zuge-
stimmt, weil er wichtig und richtig ist und obwohl ich
mich und die Arbeit meiner Fraktion durch diesen An-
trag auf das Äußerste diskriminiert sehe. Ich habe zuge-
stimmt, obwohl der Antrag der Koalitionsfraktionen ur-
sprünglich von mir initiiert und zum großen Teil verfasst
worden ist, nachdem ich mich zusammen mit den Kolle-
ginnen Claudia Roth und Monika Griefahn im Kloster
Mor Gabriel erkundigt habe.
Ich habe dem Antrag zugestimmt, weil wir uns in der
Sache vollkommen einig sind. Die Koalitionsfraktionen
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1) Anlage 3
Zusatzpunkt 5 d:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Rechtsausschusses zuder Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Verordnung des Europäi-schen Parlaments und des Rates über dieFahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr undzur Änderung der Verordnung Nr. 2006/2004 über die Zusammenarbeit zwischen denfür die Durchsetzung der Verbraucherschutz-gesetze zuständigen nationalen Behörden
KOM(2008) 817 endg.; Ratsdok. 16933/08– Drucksachen 16/11721 Nr. A.10, 16/12897 –Berichterstattung:Abgeordnete Michael Grosse-BrömerDirk ManzewskiMechthild DyckmansSevim DağdelenJerzy MontagDer Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich-ung eine Entschließung anzunehmen. Wer ist für dieseeschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-en? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmenon CDU/CSU, SPD und FDP angenommen. Dagegenestimmt hat niemand. Enthalten haben sich Bündnis 90/ie Grünen und die Fraktion Die Linke.Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU undder SPDGemeinsam gegen Gewalt – Ächtung der Aus-schreitungen und schweren Gewaltstraftatenam 1. MaiDas Wort als erster Redner in dieser Debatte hat derollege Hartmut Koschyk für die CDU/CSU-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24009
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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Die CDU/CSU-Fraktion hat auf der Durchführung dieser
Aktuellen Stunde bestanden, weil es für uns nicht erklär-
bar und nicht akzeptabel wäre, wenn sich die Menschen
in ganz Deutschland über die Eskalation der Gewalt am
1. Mai hier in Berlin und anderenorts zu Recht empören,
im Deutschen Bundestag aber kein Wort darüber verlo-
ren wird.
Deshalb ist es richtig, dass diese Aktuelle Stunde heute
stattfindet.
Gestern Abend hat die Berliner Polizei das traurige
vorläufige Resümee dieser Maikrawalle mitgeteilt: Ins-
gesamt wurden 479 Polizeibeamte zum Teil schwer ver-
letzt. 27 von ihnen sind bis heute nicht wieder dienstfä-
hig. An Verletzungen haben die Polizeibeamten schwere
Prellungen erlitten; sie haben schwere Hämatome an den
Beinen und am Oberkörper, verursacht durch Treffer von
Wurfgeschossen. Die schwereren Verletzungsbefunde
reichen von Bänderrissen am Fuß über Kopfplatzwun-
den, Brüche, Augenverletzungen durch Glassplitter bis
hin zu Knalltraumata durch Böller.
Den verletzten Polizistinnen und Polizisten und ihren
Angehörigen gehört unser Mitgefühl. Wir danken ihnen
dafür, dass sie hier in Berlin und anderenorts, Leib und
Leben gefährdend, ihren Dienst für Rechtsstaatlichkeit
und Demokratie geleistet haben.
Wir danken der Berliner Staatsanwaltschaft, die klar
ausspricht, was Sache ist, und Verfahren wegen versuch-
ten Mordes eröffnet. Ich sage sehr deutlich: Wir hätten
uns eine so klare Benennung der Sachverhalte nicht nur
von der Berliner Staatsanwaltschaft, sondern auch von
anderen, von den politisch Verantwortlichen, gewünscht.
Es ist der Kernauftrag moderner Staatlichkeit, Gewalt
und vor allem die Eskalation von Gewalt durch das staat-
liche Gewaltmonopol verlässlich zu unterbinden. Im
Rechtsstaat darf es keine rechtsfreien Räume geben. Die
Demokratie, der Rechtsstaat darf den öffentlichen Raum
auch nicht ansatzweise extremistischer Randale überlas-
sen.
Es ist völlig egal, ob bei solchen Eskalationen und Ge-
waltausbrüchen rechte oder linke Parolen gebrüllt wer-
den: Gewalteskalationen dieser Art müssen mit allen le-
gitimen Mitteln des Rechtsstaates entschieden bekämpft
werden.
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Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Ich habe in Spiegel
nline vom 24. April dieses Jahres ein interessantes Zi-
at von Oskar Lafontaine gefunden: „Wenn die französi-
chen Arbeiter sauer sind, dann sperren sie Manager mal
in.“ Dann sagt er weiter: Das würde ich mir auch hier
ünschen.
Herr Kollege, Sie müssen dringend zum Ende kom-
en.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Linken,
er einen Vorturner hat, der solche Äußerungen macht,
er muss sich nicht wundern, wenn manche aus Ihren Rei-
en meinen, Demonstrationen anmelden zu müssen, –
Herr Kollege.
– die in einem solchen Gewaltchaos enden wie am. Mai dieses Jahres in Berlin.
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24010 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009
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Markus Löning hat das Wort für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Las-sen Sie mich mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin,einige Aussagen von beteiligten Polizisten zitieren. ZweiPolizisten der Bereitschaftspolizei Hamburg haben Fol-gendes vorgetragen:Die Nacht des 1. Mai in Kreuzberg gehört mit zuden schlimmsten Einsätzen unserer Laufbahn.... Esflogen Steine und Flaschen. Vor uns waren BerlinerKollegen, die in kleinen Gruppen vorgehen muss-ten. Das war wie ein Opfergang. Die hatten keineRückendeckung, wurden von allen Seiten bewor-fen. Uns fehlten die Wasserwerfer. Es gab keinenSchutz an den Flanken. Neben mir fielen Kollegenum, die von Wurfgeschossen getroffen wurden …Feuerwerksraketen wurden auf uns abgeschossen…Der Einsatz in Berlin war eine Frechheit. Wir wur-den verheizt. Die Festnahmen sind kein Erfolg. Siesind wegen der Planlosigkeit und der Inkonsequenzder Polizeiführung teuer erkauft.Ein weiterer Polizist:Wir kamen uns vor wie ein Bauernopfer … DieStimmung auf der Demo war aufgeladen, bald flo-gen die ersten Steine und Flaschen. Über Funk rie-fen Kollegen bereits um Hilfe, doch es gab die An-weisung, keine Festnahmen zu machen … Kollegenvon mir flüchteten über einen Zaun, ich habe esnicht geschafft und rannte um mein Leben.Ein anderer Polizist:Als der Umzug bei uns auftauchte, wurden wir so-fort bespuckt, beleidigt, beworfen, bedroht. Plötz-lich flogen Steine auf uns … Der Einsatzleiter gabden Befehl: Umzug passieren lassen! Keine Fest-nahmen! Wir waren entsetzt. Die Straftäter mar-schierten an uns vorbei und lachten uns aus. Ver-letzte Kollegen wurden nach 20 bis 30 Minutenbehandelt …Die Feuerwehr musste warten. Weiter sagt dieser Poli-zist:Die Polizei hat an diesem Tag rechtsfreie Räumezugelassen … Ich habe keine Lust mehr, für politi-sche Idioten den Hampelmann zu spielen!
Ich könnte weitere Zitate vortragen. Das, was wir hierhören, ist erschütternd. Es ist die Frage nach der politi-schen Verantwortung zu stellen. Es ist ganz klar, werhier die politische Verantwortung trägt: Das ist der Berli-ner Innensenator.
Er hat dieses verfehlte Einsatzkonzept zu vertreten. Wirhören, dass 479 Kolleginnen und Kollegen von der Poli-zei verletzt sind. Ich möchte von dieser Stelle aus diesenKsIsnzutuWvgDgEaücPshsdwLwMIDdttWtwmauu
ch möchte all denjenigen Polizisten Anerkennung aus-prechen, die an diesem sehr schweren Einsatz teilge-ommen haben.Eines ist klar: Die Gewalttäter meinen uns alle. Sieielen auf Demokratie, sie zielen auf Rechtsstaatlichkeit,nd sie zielen auf Freiheit. Was wir dort erleben muss-en, ist ein Angriff auf unseren freiheitlichen Rechtsstaatnd offenbart ein menschenverachtendes Denken.
er Steine wirft, wer in Kauf nimmt, dass Menschenerletzt werden, und wer letzten Endes das Risiko ein-eht, dass Menschen getötet werden, offenbart totalitäresenken. Dem treten wir mit aller Entschiedenheit entge-en.
Frau Lötzsch, Sie kommen hier nicht so billig davon.s ist mir unverständlich, dass Sie mit großer Empörunguf die Straße gehen, wenn Rechtsradikale Gewalt aus-ben; Sie empören sich zu Recht darüber. Aber was ma-hen Sie, wenn ein Mitglied und ein Mandatsträger Ihrerartei nicht nur eine solche Versammlung anmeldet, wis-end, was dann dort passieren wird, sondern das hinter-er auch noch legitimiert? Er sagte im Fernsehen: Es istchade, wenn Unbeteiligte betroffen sind. – Was heißtenn das? Das heißt doch, dass er es in Ordnung findet,enn Polizisten verletzt werden. Ich frage mich, wie dieinkspartei damit leben kann und umgehen will. Sieollen nun ein pädagogisches Gespräch mit diesemann führen. Das ist doch nicht in Ordnung.
n Ordnung wäre es gewesen, wenn Sie gesagt hätten:er Mann fliegt aus unserer Partei. – Das wäre eineeutliche Distanzierung gewesen. Ich vermisse Ihre Dis-anzierung von diesem totalitären und menschenverach-enden Denken in Ihrer Partei.Wir, die Liberalen, verteidigen unseren Rechtsstaat.
ir stellen uns gegen jeden – egal ob Gewalt und totali-äres Denken mit rechten oder linken Parolen verbrämterden –, der den Rechtsstaat, die Freiheit und die De-okratie angreift. Ich fordere alle anderen Demokratenuf, dies ebenfalls zu tun und ohne Unterschied Gewaltnd Angriffe auf Freiheit und Rechtsstaatlichkeit zu ver-rteilen.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24011
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Sebastian Edathy spricht jetzt für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich vordem Hintergrund der beiden bereits erfolgten Debatten-beiträge zwei Vorbemerkungen machen. Erstens. Ichglaube, es wäre dem Thema nicht angemessen, wenn wirnun dazu übergingen, es parteipolitisch zu instrumentali-sieren.
Zweitens. Wir sollten nicht den Eindruck erwecken,dass der Bundestag aus 612 potenziellen Demonstra-tionseinsatzführern besteht. Ich habe grundsätzlich Ver-trauen darin, dass diejenigen, die in der Exekutive und inleitender Polizeifunktion tätig sind, ihrer Verantwortungdurchaus gerecht werden.
Man sollte ihnen nicht Böswilligkeit oder Fahrlässigkeitunterstellen.Gemeinsam gegen Gewalt, so lautet der Titel der heu-tigen Aktuellen Stunde. Dieser Satz gilt nicht nur mitBlick auf den 1. Mai, sondern 365 Tage im Jahr. Manmuss im Zusammenhang mit dieser Diskussion zweiDinge klar im Auge behalten. Erstens. Die Demonstra-tionsfreiheit ist ein fundamentales Grundrecht. Zweitens.Selbst wenn es manchmal schwerfällt – mir fällt es oftschwer, das zu bejahen –: Dazu gehört, dass auch Extre-misten zunächst einmal Grundrechtsträger sind. DieWahrnehmung der Grundrechte findet natürlich ihre Be-schränkung dort, wo die Rechte anderer verletzt werden.Das hat am 1. Mai in Hannover dazu geführt, dass eineDemonstration wegen zu erwartender massiver Gewalt-tätigkeit aus den Reihen von Rechtsextremisten – wieich finde: völlig zu Recht – verboten wurde.
– Darüber entscheiden nicht die Landesregierungen,sondern die Gerichte in unserem Land.
Für Berlin gilt: Das Geschehen vom 1. Mai sollte zumAnlass genommen werden, künftig möglicherweiseebenso zu verfahren, zumindest aber strengere Auflagenzu machen.
Mehr als 100 Bundespolizisten wurden am 1. Mai inder Hauptstadt verletzt. Diese Beamten und ihre Länder-kollegen stehen für das Gewaltmonopol des Staates ein.Es ist unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker,sicherzustellen, dass sie diese Aufgabe unter zumutbarenBedingungen erfüllen können.
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er bestehende Strafrahmen reicht allerdings für diehndung solcher Straftaten völlig aus.
ichtig erscheint mir, die gerichtliche Aburteilung zeit-ah erfolgen zu lassen. Dazu ist es nicht zuletzt erforder-ich, dass vor Ort eine ausreichende Zahl an Staatsan-älten vorhanden ist.Sorge macht mir, dass wir am 1. Mai in Dortmund,ber auch im Nachgang zu einer Neonazidemonstrationn Dresden am 14. Februar gewaltsame Übergriffe vonechtsextremisten erleben mussten. Wir hatten es mitarodierenden Banden zu tun, die zum Teil auf der An-eise oder der Abreise zu oder von einer Demonstrationaren. Es gehört zur Einhaltung rechtsstaatlicher Grund-ätze dazu, dass wir die Polizei in die Lage versetzen,olche umherziehenden Gruppierungen stärker zu be-bachten und im Einzelfall auch zu begleiten.1 937 Personen wurden nach der jüngst vorgestelltenolizeilichen Kriminalitätsstatistik im Jahr 2008 Opferon politisch motivierten Körperverletzungen. Lassenie mich für meine Fraktion zwei Dinge unmissver-tändlich sagen:Erstens. Diese Zahlen – auch die Zahl der Opfer, dieir im Nachgang dieser unsäglichen Demonstration vom. Mai in Berlin feststellen mussten – sind Realität. Aberir dürfen niemals dazu kommen, diese Zahlen als Nor-alität zu betrachten.
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Sebastian Edathy
Zweitens. Wir feiern in diesem Jahr das 60-jährigeBestehen unserer Verfassung. Es gilt, immer wieder da-für zu sorgen, dass die Grundsätze unserer Demokratieverteidigt und auch durchgesetzt werden können. Dazugehört zuallererst die Unantastbarkeit der menschlichenWürde. Dazu gehört auch, die Versammlungsfreiheitnicht einzuschränken, aber zugleich, ihren Missbrauchnicht zuzulassen. Das gilt in diesem Land nicht nur am1. Mai. Das gilt in diesem Land an jedem Tag.
Dr. Gesine Lötzsch hat jetzt für die Fraktion Die
Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Wir führen hier eine Debatte, die eigentlich indas Berliner Landesparlament gehört.
Aber ich habe nach den Beiträgen der Abgeordneten vonCDU/CSU und FDP den Eindruck, dass nicht nur derBild-Zeitung, sondern auch einigen politischen Vertre-tern diese Unruhen und Krawalle wie gerufen kommen.
Stellen Sie sich doch nur einen Moment vor, es hättediese Ausschreitungen nicht gegeben! Dann hätten wirheute über die Sicherung von Arbeitsplätzen bei Opel,die Forderung der Gewerkschaften und der Linken nacheinem dringend notwendigen 100-Milliarden-Euro-Kon-junkturprogramm,
die Forderung unserer Fraktion nach einer Millionärsab-gabe oder über die gewalttätigen Ausschreitungen derNazis gegen friedliche Demonstranten am 1. Mai in dergesamten Bundesrepublik sprechen müssen.
Um es ganz klar zu sagen: Die Linke ist gegen Ge-walt. Das weiß jedes Kind; aber ich sage es hier nocheinmal ganz deutlich.
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Die Bild-Zeitung forderte nun – das klang in der De-atte schon an –, dass man den Anmelder der 1.-Mai-emo sofort wegsperren solle. Damit zeigen die Bild-eitungsredakteure, dass sie das Grundgesetz nicht ken-en.
ch darf Ihnen Art. 8 des Grundgesetzes zitieren:Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmel-dung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zuversammeln.
ie Anmeldung einer 1.-Mai-Demonstration ist also bei-eibe kein Grund, jemanden einzusperren, wie es dieild-Zeitung gefordert hat, sondern ein Grundrecht, dasn unserem Grundgesetz festgelegt ist.
Der 21-jährige Kirill Jermak hat diese Demonstrationeder im Auftrag noch mit Wissen von Gremien derartei Die Linke angemeldet.
ber, verehrter Kollege Löning, wir lassen uns von derDP nicht vorschreiben, ob wir jemanden aus unsererartei ausschließen, um das ganz klar zu sagen.
err Jermak hat einen Fehler gemacht, weil er sich soerhalten hat, wie es unsere politischen Gegner gewolltaben, um von den Problemen in unserem Land abzulen-en. Er hat für eine Demonstration Verantwortung über-ommen, die er nicht tragen konnte. Das ist der Fehler,en er gemacht hat. Ich sage Ihnen aber noch einmal klarnd deutlich: Wir lassen uns hier im Bundestag keinearteiausschlussdebatten aufzwingen. Da sind Sie an deröllig falschen Adresse.
Ein Skandal sind die Überfälle am 1. Mai in Dort-und, Rotenburg und vielen anderen Städten auf friedli-he Demonstranten.
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Dr. Gesine Lötzsch
In der Dortmunder Innenstand gingen 300 Neonazis mitHolzstangen und Steinen auf Teilnehmer einer DGB-Kundgebung los. In Berlin demonstrierten Bürger fried-lich und erfolgreich gegen eine Demonstration der NPDin Treptow-Köpenick.
Abgeordnete der Linken waren vor Ort und berichtetenüber die Brutalität des Polizeieinsatzes.
Es ist für mich völlig unverständlich, dass der Aufstandder Anständigen, der so oft gefordert wird, niederge-knüppelt wird, um die Demonstration einer verfassungs-feindlichen Partei zu schützen.
Hier gebe ich nicht allein der Polizei die Schuld, sondernauch denjenigen, die sich seit Jahren gegen ein Verbots-verfahren gegen die NPD stellen. Wir brauchen das Ver-botsverfahren jetzt. Dann gibt es nicht solche Situatio-nen, in die auch die Polizei getrieben wird.
Ich kann Ihnen den Artikel Lob der Unruhe vonHeribert Prantl aus der Süddeutschen Zeitung vom letz-ten Wochenende empfehlen. – Herr Kauder, melden Siesich doch zur Debatte, und rufen Sie nicht immer dazwi-schen. Sie sind immerhin Fraktionsvorsitzender. – DasZitat von Herrn Prantl lautet:Ordnung ist gut, Freiheit ist schlecht. Das klingtnoch heute in den politischen Debatten durch, mitdenen neue Sicherheitsgesetze begründet werden;
die Beschränkung der Freiheitsrechte soll mehr Si-cherheit bringen. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht,Unruhe eine Pflichtverletzung.Ich warne alle davor, die sinnlosen und brutalen Kra-walle am 1. Mai zum Vorwand zu nehmen, um die Men-schen einzuschüchtern. Die fernsehgerechten Bilder, diein den Tagen davor herbeigewünscht und heimlich her-beigeschrieben wurden,
die brennenden Mülltonnen und Autos werden von Ih-nen instrumentalisiert, um die Menschen davon abzuhal-ten, ihre Bürgerrechte in Anspruch zu nehmen.–DdbdsDWgArsfHssdAtHDunImst
Ich kann es wiederholen, damit es sich alle merken:ie Linke ist für friedliche Mittel, für friedliche Verän-erung der Gesellschaft. Da können Sie noch so vielrüllen. Sie werden nicht verhindern können, dass wiriese Position immer und immer wieder vertreten.
Die Forderung, jemanden, der das Grundrecht in An-pruch nimmt,
emonstrationen anzumelden, einzusperren, ist absurd.ir als Linke werden das Grundgesetz weiter gegen An-riffe verteidigen.
uch das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut, das ge-ade in Krisenzeiten genutzt und verteidigt werden muss.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wün-che uns noch eine erfreuliche Debatte.
Die Kollegin Dr. Kristina Köhler hat jetzt das Wort
ür die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen underren! Die Gewalttaten am 1. Mai waren keine Überra-chung, sie waren vorher angekündigt. Überraschtchauten nur die, die sich eigentlich um die Sicherheit iner Stadt hätten kümmern sollen.
uf jeden Fall hat sich eines erneut bestätigt: Diese Ex-remisten beantworten das Prinzip der ausgestrecktenand mit dem Prinzip des ausgestreckten Mittelfingers.iese Menschen mögen unser Land hassen, sie mögennsere Gesellschaft verachten, und sie mögen immeroch an ihre ewig gestrigen und menschenverachtendendeologien glauben; aber lassen Sie uns heute den Extre-isten, und zwar jeglicher Coleur, in aller Deutlichkeitagen: Sie werden ihren Kampf gegen unsere Demokra-ie nicht gewinnen.
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Dr. Kristina Köhler
Nun geistert immer wieder die These herum, inKreuzberg habe man es im Grunde mit ein paar Chaotenohne großen politischen Hintergrund zu tun gehabt. Ichgebe zu, dass die intellektuelle Kraft der Argumente, dieman bei dieser Demo gehört hat, etwas zu wünschen üb-rig ließ.
Wenn man sich aber die Unterstützerliste dieser 18-Uhr-Demonstration anschaut, liest sich das wie das Who’swho des Linksradikalismus und des Linksextremismusin Berlin. Ich nenne nur exemplarisch die Antifaschisti-sche Linke Berlin, die Antifaschistische RevolutionäreAktion Berlin, die DKP Berlin, die Jugendantifa Berlin,die Sozialistische Deutsche ArbeiterInnenjugend Berlinund interessanterweise auch die Gruppe „Bildungsblo-ckaden einreißen“, die Gruppe, die im letzten Jahr dieangebliche Schülerdemonstration veranstaltet hat, ausderen Mitte heraus dann eine Ausstellung der Humboldt-Universität über jüdisches Leben in Deutschland zerstörtwurde.
Es zeigt sich also ganz klar: Diese Ausbrüche am 1. Maiwaren keine Ausbrüche ein paar unpolitischer Chaoten;es waren linksextreme Gewalttaten.
Dieser 1. Mai mahnt uns daher eindrücklich, auch dielinksextremistische Gefahr nicht aus dem Auge zu ver-lieren. Die wehrhafte Demokratie darf auf keinem Augeblind sein.
Sie darf es nicht auf dem rechten Auge sein – gegen dieNPD hat man am 1. Mai demonstriert, und das war rich-tig –, sie darf es aber auch nicht auf dem linken Augesein. Mir ist leider nicht bekannt, dass eine Demonstra-tion gegen die Linksextremisten in Kreuzberg angemel-det wurde. Wo war denn die Gegendemonstration für dieRechte der Menschen, deren Autos in den letzten Jahrenabgefackelt wurden? Wo war denn die Gegendemonstra-tion für die Rechte der Berliner, deren Garagen oderHäuser zerstört wurden? Wo war denn die Gegende-monstration für Solidarität mit den Polizisten oder mitden Unbeteiligten, die mit Molotowcocktails und Stra-ßenplatten malträtiert wurden? Die gab es nicht. Es gabkeinen Aufstand der Anständigen.Stattdessen wird einer demokratischen Volksparteiwie der CDU ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ver-wehrt.
Die CDU wollte auf dem Myfest einen Informations-stand errichten. Daraufhin wurden die Mitglieder derCDU an Leib und Leben bedroht, und der Berliner Poli-zeipräsident ließ verlauten, er könne für ihre Sicherheitnicht garantieren. Die Kommunistische Plattform derLCWglLdLastbeSaSghbguhRbbeeBGgA
ir müssen also feststellen: Es gibt in dieser Stadt No-o-Areas für Demokraten.
Darüber schmunzeln Sie bei der Linken jetzt viel-eicht; aber Sie sollten sich einmal an das Zitat Rosauxemburgs erinnern: „Freiheit ist immer die Freiheiter Andersdenkenden.“ Von dieser Erkenntnis sind dieseinksautonomen meilenweit entfernt.
Meine Damen und Herren, das waren menschenver-chtende Anschläge der übelsten Sorte. Die Gewerk-chaft der Polizei berichtet, dass Polizisten mit Molo-owcocktails, mit Pflastersteinen und mit Gehwegplatteneworfen wurden. Schon im Jahr 2008 verübten Links-xtremisten in Deutschland 635 politisch motiviertetraftaten allein gegen die Polizei. Dazu trägt natürlichuch bei, dass autonome Gruppen und Gewalttäter vorelbstbewusstsein inzwischen geradezu strotzen. Sielauben, durch die Finanz- und Wirtschaftskrise Rück-alt in der Bevölkerung zu genießen. Zu diesem Selbst-ewusstsein haben sicherlich auch diejenigen beigetra-en, die in den letzten Wochen in geradezunverantwortlicher Weise soziale Unruhen herbeigeredetaben.
Wir müssen zeigen, dass der Extremismus keinenückhalt in der Bevölkerung genießt. Das zeigen wireim Kampf gegen Rechtsextremismus, das zeigen wireim Kampf gegen Islamismus, und das müssen wirndlich auch beim entschiedenen Kampf gegen Links-xtremismus zeigen.
Hans-Christian Ströbele hat jetzt das Wort füründnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-en! Liebe Öffentlichkeit! Ich habe gestern am spätenbend im Berliner Lokalfernsehen einen Bericht über
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24015
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Hans-Christian Ströbeleden 1. Mai gesehen. Da wurden die Schmerzensschreieeines von einem Stein an der Schläfe getroffenen Man-nes wiedergegeben. Diese Schreie gingen durch Markund Bein. Ich sage deshalb, Herr Kollege Koschyk:Nicht nur die Verletzungen der Polizeibeamten, sondernauch die der Unbeteiligten – in diesem Fall war es wahr-scheinlich ein Journalist –
und der verletzten Demonstranten sind äußerst zu bedau-ern. Ich wünsche allen Verletzten gute Besserung. Ichhoffe, dass sie keine Schmerzen mehr haben und keinebleibenden Schäden zurückbehalten. Ich mache keinenUnterschied zwischen Polizisten und anderen.
– Die anderen kamen bei Ihnen nicht vor, Herr Kollege.
Ich war am 1. Mai dabei.
Ich war von 13 Uhr bis in die späte Nacht auf zwei Fes-ten. Frau Kollegin Köhler, es gab zwei Maifeste: einMyfest und ein Maifest. Ich war auf beiden.
Diese Feste waren nicht nur Stätten des Feierns und derpolitischen Diskussion von 40 000 Menschen, sondernsie waren auch ein Mittel der Deeskalation; sie waren einMittel, um an diesem 1. Mai Gewalttätigkeiten und Aus-schreitungen möglichst zu verhindern.
Angesichts der Berliner Geschichte versuchen wir seitMitte der 80er-Jahre, zu erreichen, dass in Kreuzberg– auch am 1. Mai – keine Gewalt stattfindet.
Sie haben diesen Bemühungen mit dieser AktuellenStunde überhaupt nicht gedient.
Herr Kollege Koschyk, ich habe von Ihnen und anderenbisher nicht den Hauch eines Vorschlages gehört, wieman damit umgeht.
Ich habe die revolutionäre Demonstration am 1. Maivon 18.40 Uhr bis etwa 22 Uhr begleitet. Ich war selberAugenzeuge – fast wäre ich selber Betroffener gewesen –,als Polizeibeamte mit Steinen beworfen wurden. Ichhabe Flaschenwürfe und auch prügelnde PolizeibeamtegussMNdghGtIsuc8DsA1gcuWmA–cda
Es gibt Politstrategen in der Szene, die sagen: Ohneewalt nimmt man unsere Proteste, unsere Demonstra-ion nicht wahr.
ch kann nur sagen: Mit Ihrer Hilfe haben sie es ge-chafft, in den Deutschen Bundestag zu kommen
nd hier zum Thema zu werden, ohne dass eine sachli-he Auseinandersetzung mit dem Phänomen stattfindet.
Nach all unseren Erfahrungen können wir nicht in die0er-Jahre zurückgehen. Nicht verschärfte Strafen, nichtemonstrationsverbote, nicht Versammlungsverboteind die Lösung.
ll das hat viel mehr Gewalt gebracht, 1987, 1988,989, auch in der Zeit CDU-geführter Senate. Wir habenelernt und praktizieren seit Jahren eine immer erfolgrei-here Strategie der Deeskalation.
Dieser 1. Mai war leider ein Rückschlag. Wir solltenns jetzt im Wahlkampf nicht mit wohlfeilen Parolen zuort melden: Da muss härter zugeschlagen werden. Dauss verboten werden. – Das sind nicht die richtigenntworten.
Wir müssen die Deeskalationsstrategie weiterentwi-keln. Wir müssen nüchtern analysieren, wieso es aniesem 1. Mai gerade an den Stellen, möglicherweiseuch durch Einsatzfehler der Polizei,
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Hans-Christian Ströbelezu solchen Auseinandersetzungen gekommen ist. Da-nach müssen wir Schlussfolgerungen ziehen.Ich wünsche mir, dass darüber diskutiert wird, und ichlade alle ein – das tun wir Jahr für Jahr –: DiskutierenSie mit uns und arbeiten Sie mit uns weiter an einer De-eskalationsstrategie, die irgendwann erreicht, dass am1. Mai auch in Kreuzberg die Aktionen und Demonstra-tionen friedlich verlaufen!
Herr Kollege!
Alle Gutwilligen sind dazu eingeladen und sollen mit-
diskutieren. Hier finde ich die Gutwilligen nicht.
Marco Bülow hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Um es gleich vorweg zu sagen: Die Gewalteskalation inBerlin wird von uns natürlich abgelehnt und muss ent-schieden bekämpft werden.
Das gilt aber auch für die Gewalteskalation, die es in an-deren Städten gegeben hat. Dazu habe ich von Ihnen bis-her wenig gehört.
Leider glauben wohl immer noch zu viele, Faschis-mus und rechtsextreme Gewalt, das sei eine Rander-scheinung, ein Problem, das es vielleicht da und dort ineinigen Regionen gebe, das sehr begrenzt und zu ver-nachlässigen sei.
Dazu kann ich nur sagen: Machen Sie die Augen auf,und richten Sie Ihren Blick nicht nur auf Berlin – sowichtig das für uns auch ist –, sondern zum Beispielauch auf meine Heimatstadt Dortmund! Dort gab es einefriedliche Maidemonstration, so wie sie jedes Jahr statt-findet und an der wir Sozialdemokraten uns immer betei-ligen. Wir standen dort sehr friedlich und waren ab-marschbereit, als mehrere Hundert Rechtsextremistenmit Holzlatten einströmten und auf uns, auf unbeteiligteBürgerinnen und Bürger – dazwischen standen auchkleine Kinder hilflos herum – einprügelten. Die leidernwMnfAvnvsDWgsHdddDrdmndnDcsEludbneesgwvWuDttsDdA
Die Aussagen, die ich gerade genannt habe, stellenine neue Dimension der rechten Gewalt dar. Hier gibts einen organisierten Hass gerade gegenüber Gewerk-chaftern. Gestern waren es die Migrantinnen und Mi-ranten, die Obdachlosen und andere, heute sind es Ge-erkschafter und Polizisten, morgen sind es dannielleicht Politiker, Unternehmer und engagierte Bürger.as muss noch passieren, damit wir die Augen öffnennd uns diesen extremen Rechten entgegenstellen?
Es wurde gerade zu Recht angemahnt, dass es keineemonstrationen gegen linke Gewalt und linke Eskala-ion gebe. Es gibt Gott sei Dank genügend Demonstra-ionen gegen Rassismus und Extremismus. Bei denenehe ich aber die bürgerlichen Parteien nicht. Bei uns inortmund sehe ich keine Abgeordneten der CDU under FDP; auch heute sehe ich sie in der Debatte nicht.uch dort sollten Sie sich sehr stark engagieren.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24017
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Marco Bülow
Wir müssen uns diesen Kräften mit allem, was wir ha-ben, entgegenstellen. Wir müssen den Gewerkschaftern,den engagierten Kirchenvertretern sowie den engagier-ten Verbänden und Vereinen zeigen, dass sie in ihremKampf gegen Rechtsextremismus nicht allein sind, son-dern dass wir an ihrer Seite stehen. Natürlich müssen wirdie Frage eines NPD-Verbots auf die Tagesordnung set-zen und auch die Kampftruppen verbieten, die die NPDunterstützen.Wir haben jetzt gute Grundlagen auch für die Polizei-präsidenten in den Regionen – als Beispiel nenne ichnoch einmal Dortmund –, dass Demonstrationen derRechten, wie sie beispielsweise für den 5. Septemberwieder angemeldet sind, verboten werden. Für noch vielwichtiger halte ich es, dass alle demokratischen Kräftegemeinsam am 5. September überall, wo Demonstratio-nen angemeldet worden sind, selber die Plätze besetzenund für Toleranz und gegen Rassismus demonstrieren.
Es geht aber nicht nur um die Kampftruppen, sondernauch um die geistigen Brandstifter, also um diejenigen,die Rechtsextremismus in die Köpfe der Menschen brin-gen wollen. Wir müssen dazu beitragen, dass sich derRechtsextremismus nicht in den Köpfen der Menschenverhakt. Andernfalls bekämen wir viele Probleme in un-serem Land, mit denen wir uns auseinandersetzen müss-ten. Gemeinsam sollten wir uns dagegen zur Wehr set-zen.Vielen Dank.
Der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Jedermann – so steht es im Grundgesetz; dies wurde be-reits zitiert, und es ist gut, dass es zitiert wurde, weil eswichtig ist – hat das Recht, sich friedlich und ohne Waf-fen zu versammeln. Dieses Versammlungsrecht ist einSchlüsselgrundrecht für eine lebhafte Demokratie undfür die politische Willensbildung im Lande von eminen-ter Bedeutung. Es wird gesagt, das Schwungrad der De-mokratie sei das Versammlungsrecht. So will es dasGbdlhwRgscsnglzghhDslsAMgpWsLikDsflSPvw
ieses Thema muss hier besprochen werden. Jederechste Bundespolizist ist verletzt aus dieser Versamm-ung herausgekommen. Das waren ja kriegsähnliche Zu-tände!
utos in Brand setzen, Menschen durch Steinwürfe undolotowcocktails schwer verletzen – das sind Handlun-en, bei denen jede Strategie der Deeskalation völlig de-latziert ist, Herr Ströbele. Darüber müssen wir reden.ir müssen uns fragen: Wie geht man mit solchen Men-chen um?
Ich glaube, es war gut, dass Sie, Frau Lötzsch, für dieinken gesprochen haben; denn so haben die Menschenm Lande gesehen und gehört, wes Geistes Kind die Lin-en sind.
iese gewalttätige, brutale, rechtsbrecherische Ver-ammlung, die von den Linken angemeldet und durchge-ührt worden ist, wurde hinterher trotz der vielen Ver-etzten von den Linken für gut erklärt. Sie sind diechutzpatronin dieser Chaoten.
Wenn selbst Antikonfliktteams, also unbewaffneteolizisten, die für Deeskalation sorgen sollen,
on diesen Chaoten zusammengeschlagen werden, werill da noch von einer Deeskalationsstrategie reden?
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24018 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009
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Dr. Hans-Peter Uhl
Das ist doch Narretei.Die Ereignisse waren kein Schicksalsschlag, sondernsie waren öffentlich angekündigt. Am 18. April, zweiWochen vor der Versammlung, war ein Plakat zu sehen,das folgenden Wortlaut hatte:Wir wollen die Bullen aus unserem Kiez vertreiben,jeden Tag und besonders am 1. Mai! Zerstört ihreFahrzeuge!Schande für Ihre Partei!
Jetzt geht es um die Frage, wie eine Landesregierung,in diesem Fall der rot-rote Senat in Berlin, verantwor-tungsbewusst mit solchen Ereignissen umgeht.
Herr Ströbele, Sie wollten ja konkrete Vorschläge hören.Sie haben reichlich Demonstrationserfahrung, ich eben-falls; wir kommen nur von verschiedenen Seiten.
Was hier geschehen ist, gehört zum kleinen Einmaleinsfür die Behörde, die für die Versammlungen zuständigist, und für den Einsatzleiter der Polizei. Jeder Gewaltbe-reite macht immer dasselbe: Er wird Teil eines sich for-mierenden schwarzen Blockes und umgibt sich mög-lichst mit mannshohen Transparenten, um aus demSchutz dieser Abgeschlossenheit, dieser Uneinsehbar-keit heraus Molotowcocktails und Steine zu werfen,ohne dabei gefilmt oder erkannt werden zu können.
Herr Ströbele, wo sich ein Demonstrationszug sol-chermaßen formiert – und genau so war es –, muss diePolizei von der politischen Leitung den Auftrag bekom-men, zu fordern: Runter mit den Plakaten, sonst setztsich der Zug nicht in Bewegung! – Dann muss die Poli-zei eine Sperre bilden, damit sich der Demonstrations-zug keinen Meter bewegen kann. Einen solchen politi-schen Auftrag hat es nicht gegeben.
Im Versammlungsbescheid steht die Auflage, dassSeitentransparente von zwei Metern Höhe verboten sind.Wann ist das von der Polizei durchgesetzt worden? Daswurde von politischer Seite verhindert. Herr Benneter,das wissen Sie genau. Und warum? Man nimmt im rot-rpWnBEddmsvH–nDGGzHoFwugEgahIDF
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.enn es mit der Strategie in Berlin so weitergeht, kön-en wir Bundespolitiker es nicht länger verantworten,undespolizisten nach Berlin zu entsenden.
s ist nicht zu verantworten, dass wir Bundespolizistener Gefahr einer Steinigung aussetzen. Jedermann hatas Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versam-eln. Aber für die Berliner Chaoten haben wir Hand-chellen und Haftanstalten.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Matthias Miersch
on der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alsannoveraner
hören Sie erst einmal zu und seien Sie ruhig – kann ichur sagen: Diese Debatte befremdet etwas.
ie Aktuelle Stunde hat das Thema: „Gemeinsam gegenewalt – Ächtung der Ausschreitungen und schwerenewaltstraftaten am 1. Mai“. Dieses Thema ist doch vielu wertvoll, als dass wir uns als Demokraten in diesemause gegenseitig vorwerfen sollten, dass wir das eineder andere billigen. Jeder in diesem Haus ist gegen jedeorm von Gewalt; da bin ich mir sicher.
Mit dem Hinweis auf politische Verantwortungenäre ich sehr vorsichtig. Die Aktuelle Stunde hat nichtmsonst das Thema: „Ausschreitungen am 1. Mai“. Eseht dabei nicht nur um den 1. Mai 2009. Jeder, der dientwicklung der letzten Jahre verfolgt hat, weiß ganzenau, dass der 1. Mai nicht nur in Berlin, sondern auchn anderen Orten in der Bundesrepublik Deutschlandäufig Anlass für schwere Ausschreitungen gewesen ist.ch erinnere nur an den 1. Mai 2008 in Hamburg.
ort gab es keinen rot-roten Senat, sondern eine andereührung; damit möchte ich aber nicht sagen, dass die
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24019
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Dr. Matthias MierschSchuld bei den Trägern der politischen Verantwortungliegt.
Ich wäre auch vorsichtig, zu sagen: In Niedersachsengibt es ja eine gelb-schwarze Landesregierung. Deswe-gen ist die Sache da besser abgelaufen. – Schauen Siesich einmal die entsprechende Gerichtsentscheidung an;ich komme darauf gleich zurück. Ein Argument für dasVerbot der NPD-Demonstration war, dass der Polizeiprä-sident gesagt hat, er berufe sich auf den polizeilichenNotstand, weil die Polizeibehörden angesichts der Kon-stellationen keine Sicherheit mehr gewährleisten könn-ten. Insofern trägt meines Erachtens auch die politischeSeite eine große Verantwortung dafür, über Strategiennachzudenken, dass es am 1. Mai weder in Berlin nochin Hamburg oder in Hannover zu einem solchen polizei-lichen Notstand kommt.Was wir am 1. Mai 2009 in Hannover geschafft ha-ben, ist, glaube ich, ein wichtiges Zeichen gewesen. Ichsage ganz bewusst: Es ist gemeinsam geschafft worden.Es ist von Vertretern der CDU, der FDP, der Linken, derGrünen und der SPD geschafft worden. Über 15 000Bürgerinnen und Bürger sind aufgestanden und habensich gegen jegliche Form des Extremismus gewandt. Ichfinde, das sollte man auch in diesem Hause honorieren.
Es hat eine monatelange Vorbereitung seitens desDeutschen Gewerkschaftsbundes in Zusammenarbeitmit Oberbürgermeister Stephan Weil gegeben. Man hatversucht, alle gesellschaftlichen Gruppen zu mobilisie-ren. Es ist ein bundesweit enorm beachtetes Zeichen ge-wesen, dass die palästinensische und die israelische Ge-meinde gemeinsam in Hannover demonstriert haben.Was für ein Zeichen des Miteinanders; was für ein Zei-chen des Friedenswillens!
Ich empfehle jedem, einmal die entsprechende Ge-richtsentscheidung zu studieren. Die Entscheidung desVerfassungsgerichts wird nicht begründet, weil eine ent-sprechende Beschwerde nicht angenommen worden ist.Es gibt dazu jedoch Leitsätze des Oberverwaltungsge-richts Lüneburg. Die sollten wir uns – gerade wir alsRechtspolitiker – einmal sehr genau anschauen. Darinwird gesagt, es müsse eine gewisse Anforderung an diePrognosen der Gewaltausschreitung geben. Diese dürf-ten nicht überhöht sein. Das Versammlungsrecht alswichtigstes Grundrecht müsse erfüllt sein, aber nicht umjeden Preis. Die Entscheidung des niedersächsischenOberverwaltungsgerichts hat Signalcharakter. Es ist gut,dass wir diejenigen, die dieses hohe Gut gefährden wol-len, ausgrenzen.
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Das Wort hat der Kollege Kai Wegner von der CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sieich als Berliner Bundestagsabgeordneter zu Beginneiner Rede ganz herzlich Dank sagen. Ich darf michicht nur bei der Bundespolizei, die allein über 100 ver-etzte Polizisten zu beklagen hat, für ihre Unterstützungedanken, sondern ich möchte mich auch ganz herzlichei den Berliner Kolleginnen und Kollegen der Polizeind natürlich auch bei den Unterstützungskräften ausamburg, aus Niedersachsen, aus Sachsen-Anhalt undus Thüringen für ihren beherzten Einsatz bedanken. Sieaben einen schweren Einsatz erleben müssen. Von da-er gebührt ihnen unser aller Dank.
Frau Lötzsch, ich wollte gar nicht auf Ihren Beitragingehen, weil mich das emotional viel zu sehr mit-immt. Aber nach Ihrem Zwischenruf von vorhin mussch doch auf Ihre Einlassung hier eingehen. Ich findeas, was Sie heute an diesem Rednerpult von sich gege-en haben, unverantwortlich. Es ist unverantwortlich, zuagen, es gebe einige in diesem Hause, die die Gefahrurch rechtsextreme Demonstranten und durch rechts-xtremes Gedankengut sowie Gewaltexzesse von rechtserunterspielen wollen. Sie tun so, als ob es nur auf die-er Seite extremes Gedankengut gibt. Wenn ich die Dis-ussion in der letzten Dreiviertelstunde richtig verfolgtabe, dann wurde klar, dass CDU/CSU und FDP ganzeutlich gesagt haben, dass es egal ist, von welcher Seiteewalt ausgeht. Wer die Freiheit, die Demokratie undnser Rechtssystem bekämpfen will, dem gehört die rotearte gezeigt, Frau Lötzsch. Das erwarte ich endlichuch einmal von Ihrer Fraktion.
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24020 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009
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Kai Wegner
– Nein, lieber Herr Benneter, das hat die Kollegin sonicht erzählt.
Ich will auch noch einmal den Fall Jermak aufgreifen.Es ist schon viel dazu gesagt worden. Deswegen will ichgar nicht alles wiederholen. Es ist ein Skandal an sich,dass ein wichtiger Nachwuchspolitiker Ihrer Partei eineDemonstration anmeldet, die in den letzten Jahren im-mer mit gewalttätigen Auseinandersetzungen endete.Herr Jermak hat gesagt, er stehe natürlich hinter den In-halten dieser Demonstration. Was wurde im Vorfeld ge-sagt? – Im Vorfeld wurde gesagt, in der Berliner Polizeigebe es einen faschistischen Korpsgeist, und im Vorfelddieser Demonstration wurde zu Unruhen aufgerufen.Herr Jermak hat auch unterstützt, dass die „Bullen“ sichaus dem Bezirk entfernen sollen. Er hat außerdem geäu-ßert, dass bei gewalttätigen Auseinandersetzungen imZweifel natürlich die Polizei schuld ist. Herr Jermak isthier kein Einzeltäter. Eine Abgeordnete aus dem Landes-parlament in Berlin hat das bekräftigt.Zu behaupten, die Polizei sei schuld an diesen gewalt-tätigen Exzessen, die dort vonstatten gehen, ist auch eineUnverschämtheit. Die Kolleginnen und Kollegen der Po-lizei setzen sich für uns alle ein: für Recht und Freiheit,für unser Rechtssystem. Sie wollen am 1. Mai nicht indiese Bezirke. Sie würden am 1. Mai lieber zu Hause beiihren Familien sitzen. Dank solcher Typen müssen siesich ohne jegliche politische Unterstützung von diesemSenat dem Steinhagel aussetzen. Das ist eine Unver-schämtheit, Frau Lötzsch.
– Nein, das ist keine Frechheit.Ich hätte mir übrigens auch gewünscht, dass HerrKörting heute einmal hier wäre. Hier hätte er nicht, wiekurz vor dem 1. Mai aus Kreuzberg, fliehen müssen.
Hier hätte er in Ruhe sitzen und vielleicht einmal einigeSachen klarstellen können, liebe Frau Kollegin.
Wann hat sich der Innensenator eigentlich einmal beiden Polizistinnen und Polizisten, die am 1. Mai auf derStraße waren, bedankt? Das Einzige, was ich vom Poli-zeipräsidenten gehört habe, war, dass die Unterstüt-zungskräfte aus anderen Ländern nicht mit der Polizei-taktik klargekommen sind. Dass die Unterstützungs-kräfte mit dieser Taktik nicht klargekommen sind,sgtinWBvdMdmflsWdzzDfgwfR–uk–wdvdkgEM
as hat nicht Herr Jermak gesagt, sondern die Polizei-ührung von Berlin.In diesem Jahr wurden auch keine Wasserwerfer ein-esetzt, weil sie provozieren würden. Ich glaube, dasar erstmals der Fall; Herr Ströbele, Sie haben mehr Er-ahrung damit. Früher wurden sie eingesetzt, auch unterot-Rot.
Dann lesen Sie einmal die Berichte der Kolleginnennd Kollegen, die vor der Aral-Tankstelle standen. Dieann ich Ihnen nachher gerne zeigen.
Es ging auch darum, dass keine Masken eingesetzterden durften.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wen wundert es,ass diese Polizistinnen und Polizisten nicht mehr moti-iert sind, für Sicherheit zu sorgen? Wen wundert es,ass diese Polizisten frustriert und verunsichert sind? Ichann Ihnen nur sagen – ich hätte es Herrn Körting hiererne persönlich gesagt –:
in Innensenator, der keine Verantwortung für seineitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernimmt, und ein
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Kai WegnerPolizeipräsident, der ebenfalls keine Verantwortung fürseine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernimmt, soll-ten sich überlegen, ob sie die richtigen Leute für die Ber-liner Polizei sind.
Rot-Rot wird immer mehr zum Sicherheitsrisiko in die-ser Stadt. Wir brauchen eine motivierte Polizei. Deswe-gen ist es richtig, Frau Lötzsch, dass wir hier und heutedarüber gesprochen haben.
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Uwe Benneter
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-lege Wegner, mit Ihren Ausbrüchen haben Sie dieser De-batte nun wirklich keinen Gefallen getan.
Was die Polizisten angeht, sind wir uns doch alle einig.Herr Körting wollte hier sein.
Er hatte das zugesagt, aber die Fraktionsführungen die-ser Koalition, die wir noch gemeinsam stellen, habenentschieden, dass es besser wäre, wenn wir die Debatteuntereinander führen würden.
Und genau das tun wir jetzt.
Alle fragen sich, warum diese Debatte in den Bundes-tag gehört. Frau Kollegin Lötzsch, sie gehört auch in dasBerliner Landesparlament, aber eben nicht nur dorthin.Ich denke, dass die Diskussion, die im Berliner Landes-parlament darüber stattfinden wird, nicht so gruselig seinwird, wie es ein Teil der Beiträge der Berliner Bundes-tagabgeordneten in dieser Debatte war.Ich bin über die Gewaltausbrüche und die blindwüti-gen Angriffe entsetzt. Die traurige Bilanz muss uns alleerschüttern. Dem Dank an die Polizei haben wir uns alleangeschlossen. Wir alle wünschen uns, dass die Verletz-ten – egal ob Polizisten oder Unbeteiligte – schnellstenswieder gesund werden.hgmnVdlWadwIgtvtaDVeZgfrBsSD1mSlA
ir dürfen zwar nichts kleinreden, wir dürfen es aberuch nicht aufbauschen. Das ist unsere Aufgabe im Bun-estag.
Herr Uhl, Sie haben geklatscht, als der Kollege sagte,ir seien alle keine Einsatzleiter. Aber Sie haben aufhre Vergangenheit Bezug genommen und hier genau an-egeben, wie Sie eine solche Demonstration geführt hät-en.
Ihre Parteifreunde Werthebach und Schönbohm, dieor einigen Jahren Innensenatoren in Berlin waren, hat-en es damals mit Ihrer Hau-drauf-Strategie probiert;ber sie haben üblen Schiffbruch damit erlitten.
eshalb bin ich dankbar, dass es in Kreuzberg ein großesolksfest gab,
in Maifest, wie es wirklich nicht besser sein könnte.ehntausende haben sich dort friedlich über den Maibe-inn gefreut, haben den Tag der Arbeit gemeinsam ge-eiert; ich selbst war mit Zehntausenden Arbeitnehme-innen und Arbeitnehmern hier in Berlin vor demrandenburger Tor auf einer Maidemonstration. Darüberpricht überhaupt keiner mehr. Das ist der eigentlichekandal.
en Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die am. Mai für die Arbeitnehmerrechte eingetreten sind, wid-et man keine Aktuelle Stunde.
ie kämpfen beispielsweise dafür, dass Opel in Deutsch-and gerettet wird. Das wäre es auch wert, hier in einerktuellen Stunde debattiert zu werden.
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Klaus Uwe BenneterKollege Ströbele ist wirklich ein Kenner der Materie.Er weiß: Die Deeskalation hat in den letzten Jahrenwirklich Erfolg gehabt.
Die Ankündigungen, die man auf Plakaten lesen konnte,gab es auch in den letzten Jahren immer. Dennoch war esrichtig, dass die Polizeiführung in ihrem Ermessen undim Rahmen ihrer Möglichkeiten, jeweils abzuwägen,wie im Einzelfall vorzugehen ist, die entsprechendenAnweisungen gegeben hat.Alle Polizisten hatten, soweit ich das auf den Bilderngesehen habe, Schutzhelme auf; ich habe keinen ohne ei-nen Schutzhelm gesehen. Es ist also Unsinn, wenn hiervorgetragen wird, dass es andere Anweisungen gegebenhätte.Wie gesagt: Die Deeskalation und die Gewaltpräven-tion waren erfolgreich, jedenfalls erfolgreicher als das,was die Kollegen Werthebach und Schönbohm in denvergangenen Jahren am 1. Mai zu verantworten hatten.
Ich meine, auch am 1. Mai muss das Gewaltmonopoldes demokratischen Rechtsstaates durchgesetzt werden,auch in Kreuzberg und Friedrichshain. Darüber, denkeich, kann es überhaupt keine Diskussion geben.
Nur die Polizei, keine wild gewordenen Anarchisten ha-ben dieses Recht. Das gilt auch in Berlin. Das hat bisherin Berlin gegolten und wird auch weiterhin gelten.
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Clemens Binninger
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Bei aller Unterschiedlichkeit in der Debatte sind wir uns,glaube ich, über eines einig: Wir treten jeder Form vonGewalt, egal ob von links oder rechts, die sich gegen un-seren Staat, seine Funktionsträger, gegen Unschuldigeund Unbeteiligte richtet, entschieden entgegen. Auch dasist ein Signal, das von der heutigen Aktuellen Stundeausgeht.
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Es gab die vom Kollegen Uhl angesprochenen Pla-ate, die gezielt zu Gewalt gegen Polizeibeamte aufrie-en. Es gab Straßenzüge und Plätze, an denen sich dieolizei aus Angst vor Übergriffen nicht zeigen durftend konnte. Seit mehreren Jahren brennen durchschnitt-ch jede dritte Nacht in Berlin Autos. Es sollte einen Info-tand der CDU geben. Obwohl dieser am helllichten Tagitten in der Hauptstadt stehen sollte, sagten die Sicher-eitsbehörden: Den können wir nicht genehmigen, weilir nicht für dessen Sicherheit garantieren können.
a müssen wir uns doch fragen: Woran liegt das? Wirdier zu viel weggesehen, statt entschieden und konse-uent gegen Gewalt vorzugehen?
Weil es sich immer wiederholt und nicht bessert, istein Eindruck, dass die politische Führung in Berlin vorer Gewalt kapituliert hat.
arunter leiden die Männer und Frauen der Polizei. Da-unter leiden unbescholtene Bürger. Darunter leidenriedliche Demonstranten. Darunter leidet am Ende aucher Rechtsstaat mit all seinen Funktionsträgern.
as dürfen wir nicht hinnehmen. Dem müssen wir ent-chieden entgegentreten.
Wenn der Polizeipräsident von Berlin nach den Kra-allen – wohlgemerkt: danach – von einem bewährtenonzept spricht, das ohne Alternative ist,
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Clemens Binningerdann empfinde ich das mehr als Drohung statt als Hilfe.Man kann nur sagen: Hier halten Leute das für ein Kon-zept, was sie jedes Jahr aufs Neue falsch machen.
Das ist sicher kein Konzept.
– Herr Kollege Edathy, wenn Sie dazwischenrufen, obich eine Patentlösung habe, dann darf ich – das sei mirgestattet – auf meine Berufserfahrung hinweisen. Es gibtkeine Patentlösung. Bei schwierigen Einsätzen passierenimmer Fehler. Aber schauen Sie einmal auf die Häufig-keit und die Art der Fehler, die hier passiert sind.Ich habe mich mit Polizeibeamten unterhalten, die amEinsatz beteiligt waren.
Ich will nur ein paar wenige unverständliche Fehler nen-nen, die die Einsatzleitung und die politisch Zuständigenzu verantworten haben.Beispiel eins: Der gewalttätige Demozug, der schonnach wenigen Metern als gewalttätig erkennbar war,wurde nur von Antikonfliktteams begleitet, die nicht ge-schützt und schlecht ausgerüstet waren und am Ende umihr Leben laufen mussten.
Beispiel zwei: Wasserwerfer durften nicht gegen Steine-werfer eingesetzt werden, sondern nur zum Löschen be-reits brennender Barrikaden.
– Nein, ist es eben nicht.Beispiel drei: Auch Sie, Herr Edathy, haben ange-sprochen, dass man bei solchen Demos Vorkontrollendurchführen sollte.
Vorkontrollen wurden hier ausdrücklich nicht gestattet.Sie wurden nicht durchgeführt. Damit kann man keineGewaltbereiten im Vorfeld erkennen.Deshalb bleibt der Eindruck, dass die politische undpolizeiliche Führung der Hauptstadt dieses Problemnicht nur unterschätzt haben, sondern weggesehen undfalsch gehandelt haben. Daher muss man sich fragen, obsie in der Lage sind, die Sicherheit in unserer Hauptstadtim Interesse der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleis-ten.Nun zum Innensenator, der heute nicht hier ist.
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n seine Adresse sage ich nur: Erfolgreiche Innenpolitikacht man entweder ganz oder gar nicht.
er Innensenator hat sich offensichtlich für „gar nicht“ntschieden. Das ist kein Weg. Wir stehen dem entge-en.Herzlichen Dank.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Spieth, Dr. Martina Bunge, Dr. Ilja Seifert, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion die Linke
Für eine solidarische Gesundheits- und Pflege-
absicherung
– Drucksache 16/12846 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Wider-
pruch dagegen? – Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile als ers-
em Redner das Wort dem Kollegen Frank Spieth von
er Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-en! Sehr geehrte Damen und Herren! Wer arm ist, mussrüher sterben. Wenn Sie im wohlhabenden Berliner Be-irk Charlottenburg-Wilmersdorf in die U-Bahn steigennd ins ärmere Friedrichshain-Kreuzberg fahren, nimmtie Lebenserwartung von Männern in Ihrer Umgebungit jeder Station, an der sie halten, um ein gutes halbesahr ab. In Charlottenburg-Wilmersdorf ist die Lebenser-artung um vier Jahre höher als in Friedrichshain-
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Frank SpiethKreuzberg. Dies belegt die Berliner Gesundheitsbericht-erstattung.Diese Armutsfolgen sind nicht nur in Berlin zu beob-achten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschunghat festgestellt, dass Frauen mit geringem Einkommenim Vergleich zu Frauen, die der Gruppe der Bezieherhöchster Einkommen angehören, in Deutschland achtJahre früher sterben. Bei Männern beträgt dieser Unter-schied bundesweit sogar 14 Jahre. Ich meine, das ist einungeheuerlicher Skandal.
In der Gesundheitsberichterstattung des Bundes wirddeutlich gemacht, dass diese Unterschiede sogar eher zu-als abnehmen. Das darf unmöglich folgenlos bleiben.Die Politik muss endlich Schlussfolgerungen aus dieserFehlentwicklung ziehen. Wir müssen die Probleme ander Wurzel packen. Dazu brauchen wir einen anderengesundheits- und sozialpolitischen Ansatz. Wir müssendort ansetzen, wo die Menschen wohnen, arbeiten undihre Freizeit verbringen. Gesunde Wohnbedingungenund gesunde Arbeitsbedingungen – kurz: gesunde Le-bensbedingungen – sind lebenswichtig.
Der Aldi-Chef kann sie sich leisten, die Aldi-Kassiererinaber nicht. Deshalb muss die Gesundheitsförderung andieser Stelle ansetzen.Das versprochene Präventionsgesetz ist leider in derKoalition gescheitert. Auch die aktuelle Gesundheitspo-litik ist nach meiner Auffassung gescheitert. Die Privati-sierung und die Kommerzialisierung des Gesundheits-systems zementieren die Zweiklassenmedizin inDeutschland geradezu.Ein Beispiel: Bei den Hilfsmitteln hat die Koalitionden Krankenkassen vorgegeben, dass sie Leistungenausschreiben können.
In einer Ausschreibung steht in der Regel aber nichtsvon Qualität. Der billigste Anbieter erhält den Zuschlag.Wenn es um Inkontinenzwindeln geht, hat dies zur Folge– das haben wir bereits des Öfteren erlebt –, dass die Pa-tientinnen und Patienten über Nacht einnässen, weil beiihren Windeln ein paar Cent eingespart werden sollen.Das ist doch Unfug! Diese Einsparungen werden an an-derer Stelle Mehrkosten auslösen, zum Beispiel bei derdadurch notwendig gewordenen Behandlung von Haut-krankheiten. Die dadurch entstehenden Kosten betragenin vielen Fällen ein Vielfaches der Einsparungen. Das istnicht logisch und nicht schlüssig.
Fakt ist: Wer es sich leisten kann, kauft sich privat bes-sere Windeln. Wer sich das nicht leisten kann, schläft imNassen. Das ist die Zweiklassenmedizin in Deutschland.
Die Linke sagt: Jeder hat das gleiche Recht auf die er-forderliche gesundheitliche Versorgung. Union, SPDuzRl5adDGDfESPnKls1hDpdhraWbwVrDdkWncsGdDdc
ezeptfreie Arzneimittel muss man komplett selbst zah-en, rezeptpflichtige Medikamente kosten den Patienten bis 10 Euro pro Packung, beim Arzt, auch beim Zahn-rzt, wird Eintritt fällig, und im Krankenhaus kostet je-er Tag 10 Euro, um nur einige Beispiele zu nennen.iese Zuzahlungen sind ungerecht; denn sie belasteneringverdiener über Gebühr.
ie Linke will diese Zuzahlungen abschaffen. Denn in-olge dieser Zuzahlungen lassen Menschen mit geringeminkommen häufig wichtige Behandlungen ausfallen.Die Zweiklassenmedizin wird auch an einer anderentelle des Gesundheitswesens deutlich. Selbstzahler undrivatversicherte erhalten sämtliche Leistungen und ei-en bevorzugten Zugang zu einem Arzt oder einemrankenhaus. Für die gesetzlich Krankenversicherten al-erdings werden nicht mehr alle Leistungen bereitge-tellt, und sie müssen lange auf Termine warten. EtwaMillion sogenannter Illegaler sind von der Gesund-eitsversorgung in Deutschland völlig ausgeschlossen.ies, meine Damen und Herren, ist mit dem UN-Sozial-akt, dem die Bundesrepublik 1973 beigetreten ist unden sie vorbehaltlos ratifiziert hat, nicht vereinbar.
Noch einmal: Jeder hat das gleiche Recht auf gesund-eitliche Versorgung. Die Linke lehnt eine Privatisie-ung und Kommerzialisierung des Gesundheitssystemsb.
ir wollen stattdessen, dass alle Bürger in einer bezahl-aren Bürgerversicherung versichert sind, der Pförtnerie der Chef, und dass eine umfassende wohnortnaheersorgung, und zwar unabhängig vom Einkommen, ga-antiert wird.
azu brauchen wir Ärzte, die sich wieder weniger miter Vergütung und mehr mit dem Patienten beschäftigenönnen.
ir brauchen öffentliche Krankenhäuser, die wohnort-ah qualifizierte Versorgung gewährleisten. Wir brau-hen Apotheken, die nicht nur Arzneimittel verteilen,ondern auch gut beraten.Dazu brauchen wir Krankenkassen, die ausreichendeld zur Finanzierung dieser Aufgaben erhalten. Das isturch den Gesundheitsfonds nicht dauerhaft gesichert.er Gesundheitsfonds ist unterfinanziert, mit der Folge,ass die Krankenversicherten schon bald flächende-kend Zusatzbeiträge von bis zu 1 Prozent ihres Ein-
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Frank Spiethkommens zahlen müssen. Ich rechne damit – ich sagedas ganz offen –, dass selbst die Deckelung von 1 Pro-zent des Einkommens nach der Bundestagswahl fällt.
Die Krankenkassen werden gezwungen sein, ihr Leis-tungsangebot immer stärker einzuschränken. Das ist mitSicherheit nicht zum Vorteil der Versicherten.Auch die Pflegeabsicherung ist chronisch unterfinan-ziert. Die Pflegeversicherung ist eine Teilkaskoversiche-rung. Deshalb können sich arme Menschen keine ausrei-chende Pflegeassistenz leisten. Die Linke findet es gut,dass jetzt eine Kommission empfohlen hat, die Leistun-gen der Pflegeversicherung zukünftig danach zu bemes-sen, wie stark die Selbstständigkeit eingeschränkt ist.Die jetzige Regelung, in der auf die Minute genau fest-gelegt ist, wie viel Zeit zum Beispiel für Waschen undKämmen aufgewendet werden darf, ist nicht akzeptabel.Es geht um die Pflege von Menschen, nicht um Maschi-nen.
Es geht um Zuwendung, und es geht darum, dass pflege-bedürftige Menschen weiter am Leben teilnehmen kön-nen.Die anderen Fraktionen werden uns jetzt vorwerfen,dass wir mit unserem Antrag einen Wünsch-dir-was-Ka-talog erstellt hätten,
der nicht bezahlbar ist. Dieser Vorwurf ist mit Sicherheitfalsch. Würde unser Vorschlag, eine Bürgerinnen-und-Bürger-Versicherung einzuführen, umgesetzt, könntenwir die Leistungen mit einem Beitragssatz von10 Prozent gewährleisten, und das bei Abschaffung allerZuzahlungen.
Das Gesundheitssystem wird durch die derzeit zu be-obachtende Kommerzialisierung immer mehr auf dieje-nigen ausgerichtet, die mit der Krankheit der Versicher-ten Profit machen wollen. Das ist eine absoluteFehlentwicklung. Mit unserem Antrag wollen wir dasGesundheitssystem vom Kopf wieder auf die Füße stel-len: Der Patient gehört in den Mittelpunkt des Gesche-hens – damit jeder, unabhängig von seinem Einkommen,die bestmögliche Versorgung erhalten kann. Darum giltes zu streiten. Ich bin gespannt auf die weiteren Beratun-gen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Hermann-Josef Scharf
on der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Wir beschäftigen uns heute mit einem Antrager Fraktion Die Linke, mit dem die Bundesregierungufgefordert wird, die Gesundheits- und Pflegeversiche-ung zu verstaatlichen und zentralistisch, durch den Ge-etzgeber, zu führen. Die Linke will jeglichen Wettbe-erb unter den Leistungserbringern unterbinden. Sietellt eine Forderung nach der anderen auf. Einen Hin-eis, wie all das finanziert werden soll, findet man je-och nicht, Herr Spieth.
Ein verstaatlichtes, zentralistisches Gesundheitssys-em nach dem Motto „Gesundheitsversorgung für alleum Nulltarif“ hatten wir schon einmal in einem Teil un-eres Vaterlandes.
0 Jahre lang gab es Vollversorgung, allerdings – vonen SED-Spitzen abgesehen – auf niedrigem Niveau.lück hatte der, der nicht auf Gesundheitsversorgungngewiesen war. Unterhalten Sie sich einmal mit denenschen, die auf eine notwendige Operation wie deninbau einer künstlichen Hüfte Jahre warten mussten!
der bedenken Sie, was für eine erbärmliche Situationn den wenigen Pflegeheimen herrschte! Die Menschenonnten froh sein, einen der wenigen Plätze ergattert zuaben. Meist ging das nur, wenn man die nötigen Bezie-ungen hatte.
elbst dann war der Stellenschlüssel sehr schlecht. Unterrbärmlichen Verhältnissen wurden die Menschen ge-flegt. Oft fehlte es an einfachsten Heil- und Hilfsmit-eln.
ie Ärzte, Schwestern und Pfleger mussten mit viel Hin-abe und Fantasie versuchen, den kranken Menschenenigstens das Nötigste zu ermöglichen.
o etwas darf es nie mehr geben.
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Hermann-Josef Scharf
Wir, die Koalitionsfraktionen, haben in dieser Legis-laturperiode die Weichen für ein zukunftsfähiges, trans-parentes und solidarisches Gesundheitssystem gestellt,das es allen Menschen ermöglicht, an Fortschritt und In-novation im Gesundheitsbereich teilzuhaben. Und das istgut so.
Die Pflegereform war dabei eine unserer wichtigstensozialpolitischen Gesetzgebungen. Mit der Pflegere-form 2008 haben wir es geschafft, für rund 2,1 Millionenpflegebedürftige Menschen bessere Leistungen sicherzu-stellen und ein tragfähiges Konzept zur Fortentwicklungder Pflege zu schaffen. Das war seit Jahren überfällig.Wir als Union haben es mit unserem Koalitionspartnerauf den Weg gebracht.Für uns als Union war dabei ausschlaggebend, dassdie zusätzlichen Mittel und Leistungsverbesserungen di-rekt bei den Betroffenen ankommen, statt in bürokrati-schen Strukturen zu verschwinden. 2,5 Milliarden Eurofließen nun zusätzlich in das System. Dadurch finanzie-ren wir erstmalig die Erhöhung des Pflegegeldes seit1995. Auch wenn Sie das als wenig bezeichnen, dieMenschen sind uns dafür dankbar.Mit der Pflegereform wurden erstmals rund 700 000Demenzkranke in die Pflegeversicherung einbezogen.Dadurch erhalten diese Menschen erstmals dringendnotwendige Unterstützungsleistungen. Gleichsam be-deutsam ist aber auch, dass wir dadurch die Demenzer-krankung endlich in den Mittelpunkt unserer gesell-schaftlichen Diskussion gerückt haben. Noch voreinigen Jahren waren Angehörige von Dementen völligauf sich alleine gestellt und mussten mit der belastendenund schmerzhaften Situation alleine fertig werden.Wer einmal erfahren hat, was es heißt, wenn ein liebgewonnener Mensch sein Gedächtnis verliert und seineAngehörigen nicht mehr erkennt, der ist dankbar, durcheine mögliche Kurzzeit- oder Tagespflege auch einmalselbst eine Entlastung von der aufopferungsvollen Pflegezu erfahren. Für den Bereich Demenz geben wir durchdie Pflegereform etwa 1,5 Milliarden Euro mehr aus.Danken möchte ich namens der CDU/CSU allenHaupt- und Ehrenamtlichen, aber auch den Familienmit-gliedern für ihre hervorragende Arbeit. Sie sind oft diewahren Helden unserer Gesellschaft.
Selbstverständlich wird es auch in Zukunft Weiterent-wicklungen in der Pflegeversicherung geben müssen. Indem Antrag der Linken lesen wir lauter gut klingendeForderungen nach noch mehr Leistungen. Sie müssenden Menschen ehrlicherweise aber auch sagen, wie Siedas alles finanzieren wollen, nämlich durch einen um einVdsWtkpkabHvtdkatswFdhrNnGgWgmrdaftESwnVbnvuwcEw
In dieser Legislaturperiode haben wir auch die Hos-izarbeit und die Palliativmedizin gestärkt. Schwerst-ranke haben nun einen Anspruch auf eine spezialisiertembulante Palliativversorgung, die es ihnen ermöglicht,is zum Tod zu Hause betreut zu werden. Ambulanteospizdienste können jetzt ihre Dienste neben dem pri-aten Bereich auch in Alten- und Pflegeheimen anbie-en, wo sie, wie ich meine, dringend benötigt werden.Ich hoffe sehr, dass die aufgetretenen Probleme beier Umsetzung bald gelöst werden; denn viele Schwerst-ranke warten auf diese Dienste. Ich appelliere dringendn die Selbstverwaltung der Kassen, hier etwas zu tun.Die Anforderungen an Gesundheits- und Pflegeleis-ungen werden auch in Zukunft steigen. Unsere Sozial-ysteme müssen also auch in Zukunft weiterentwickelterden, um Lösungen für die Deckung des steigendeninanzierungsbedarfs zu finden. Nach der Reform ist vorer Reform. Die demografische Entwicklung stellt unsierbei vor große Herausforderungen. Bei allen Verände-ungen müssen wir immer die Menschen mitnehmen.ur so können wir das nötige Vertrauen schaffen, damitotwendige politische Veränderungen auch von unsereresellschaft mitgetragen werden. Große Versprechun-en, die falsche Hoffnungen wecken, sind der falscheeg. Eine Staatsmedizin mit einer einheitlichen und ein-eschränkten Versorgung der Versicherten ohne Wahl-öglichkeiten ist nicht das, was die Menschen in unse-em Land wollen.Wir als Union schaffen Rahmenbedingungen, unterenen die Versicherten und Leistungserbringer eigenver-ntwortlich gestalten und entscheiden können. Wir tretenür eine solidarische Absicherung ein, die eine hochwer-ige medizinische Versorgung ermöglicht, aber auchigenverantwortlichkeit bei kleinen Risiken und eineelbstbeteiligung erfordert. Wir wollen ein Gesundheits-esen, das transparent ist, eine Kostenkontrolle und we-iger Bürokratie erlaubt sowie Wahlfreiheiten für dieersicherten offenhält. Durch die Gesundheitsreform ha-en wir bereits zahlreiche positive Änderungen vorge-ommen. Einige Leistungen der gesetzlichen Kranken-ersicherung wie im Bereich der Rehabilitation, Kurennd Impfungen sind in den Pflichtkatalog übernommenorden. Versicherte können heute unter unterschiedli-hen Wahl- und Bonustarifen wählen. Aber auch dieinführung der Versicherungspflicht für alle ist einichtiges Element eines modernen Sozialstaats.
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Hermann-Josef ScharfWir haben in dieser Wahlperiode viele wichtige Wei-chen für eine zukunftsfähige Weitergestaltung unsererSozialsysteme gestellt. Diesen Weg werden wir im Sinneder Menschen engagiert weitergehen. Ein krankesVEB-Gesundheitswesen ist keine Alternative.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Konrad Schily von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlichwollte ich der Versuchung nicht erliegen, nach der Lek-türe des vorliegenden Antrags auf die Geschichte derDDR zu verweisen.
Aber, lieber Herr Spieth, wenn Sie auf die höhere Le-benserwartung in Wilmersdorf verweisen, muss ich Siedaran erinnern, dass sich die Lebenserwartung der Bür-ger der ehemaligen DDR – ich meine die einfachenMenschen – nach ihrem Beitritt zum Westen um Jahreverbessert hat.
Sie treten für eine solidarische Gesundheits- und Pfle-geabsicherung ein. Was verstehen Sie unter Solidarität?
Sie schreiben am Ende der Seite 1 Ihres Antrags:Jeder Mensch hat das gleiche Recht auf medizini-sche Versorgung.Daraus leiten Sie ab:Deshalb ist das Gesundheitssystem von den Regelndes Marktes zu befreien und öffentlich zu regulie-ren.Herr Scharf hat es gesagt: Sie wollen das Gesundheits-system verstaatlichen.Was macht denn der Staat, wenn er die Solidarität fürdie Bürger übernimmt? Er nimmt sie ihnen und gibt ebennicht die Gewähr. Ein solidarisches System ist nur dannwirklich solidarisch – das heißt solide, fest –, wenn derEinzelne die Verantwortung für sich, in seiner Gemein-schaft, in seinen Pflichten und natürlich auch in seinenRechten und Ansprüchen behält.
HitstdWdDKKwdMPwv–sgpwmHdGm–ddznethEsgS
ie Gemeinden konnten keine weiteren Kredite für dieserankenhäuser aufnehmen. Schauen Sie sich doch dieserankenhäuser an! Erheben Sie nicht den Generalvor-urf, dass die Menschen dort schlecht behandelt wer-en! Oft werden die Menschen dort besser behandelt.an macht nach der Privatisierung ab sofort bei jedematienten einen Diener, wenn er hereinkommt, und maneiß sogar seinen Namen.
Es ist doch nicht so, dass staatliche Verwaltung vonornherein die bessere ist.
Sie muss auch nicht von vornherein die schlechtereein. Jedes Unternehmen, egal ob profitorientiert oderemeinnützig, jedes Krankenhaus, jeder Arzt, jede Arzt-raxis hat eine unternehmerische Seite: Es muss mit je-eils begrenzten wirtschaftlichen Ressourcen ein Opti-um erreicht werden. Wenn ein Unternehmen aber inunderten, ja in Tausenden von Regeln erstickt wird,ann kann es eben nicht mehr wirtschaften. Das war derrund, warum viele öffentliche Krankenhäuser aufgebenussten: Sie erstickten in Regeln und Tarifverträgen.
Ach, Frau Ferner, das ist wirklich billig.
Es geht nicht darum, Tarifverträge abzuschaffen, son-ern es geht darum, eine Solidarität zu beschreiben, iner der Einzelne Verantwortung hat und in der der Ein-elne freiberuflich arbeiten kann. Das kann er eben in ei-em verstaatlichten System nicht. Deswegen finde ich estwas merkwürdig, dass hier der inhabergeführten Apo-heke das Wort geredet wurde. Das passt nämlich über-aupt nicht hinein.
s ist nur eine Frage der Zeit, wann auch sie vergesell-chaftet werden muss.
Sie beziehen sich – Herr Scharf ist schon darauf ein-egangen – auf die Zweiklassenmedizin: Auf der eineneite der normale Bürger, auf der anderen Seite die Rei-
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Dr. Konrad Schilysekader, die besser behandelt werden. Dann kommt dieForderungskette.
– Sie kennen sich wahrscheinlich noch besser aus. Dasist das Wort, das ich am besten kenne.
Eine Zweiklassenmedizin können Sie nur dadurch über-winden, dass Sie das Gesundheitswesen von den Fes-seln, die es jetzt bindet, befreit.
– Verweisen Sie doch nicht auf die USA!
– Solidarität müssen Sie einfach neu denken und neu ler-nen.
– Sie fragen: Was ist eine Fessel? Wenn Sie nicht tundürfen, was Sie tun müssten, wenn Sie aber etwas tunmüssen, was unsinnig ist, beispielsweise als Arzt, dannist das eine Fessel. Es gibt unheimlich viele Dinge, beidenen man nach dem gesunden Menschenverstand undnach ärztlichem Verstand sagen würde: Das ist richtig.Aber es ist verboten.
Denken Sie doch an die Positivliste. Denken Sie an dieDinge, bei denen der Staat sagt: Wir sind der richtige Be-handler. Wir wissen, wie es geht. – Es ist der Freiberuflervor Ort, der am besten weiß, wie es geht, aus jeder Situa-tion nicht nur therapeutisch das Optimum zu machen,sondern auch das wirtschaftliche Optimum zu erreichen.
Herr Kollege Schily, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Ilja Seifert?
Er ist ja ein Geburtstagskind.
Herr Seifert, bitte.
Herr Kollege Schily, können Sie mir bitte erklären,
was es mit Solidarität zu tun haben soll, wenn Kranken-
häuser Profit erwirtschaften müssen?
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Ein Krankenhaus, das wirtschaftlich keinen Mehrwert
chafft, ist nicht mehr investitionsfähig und fällt damit
us der Solidargemeinschaft schnell heraus.
In Ihrem Antrag wird ausgeführt, dass alles mit Steu-
rgeldern finanziert werden soll. Auch wenn eine Kran-
enkasse nach dem neuen GKV-Wettbewerbsstärkungs-
esetz nicht gut wirtschaftet, soll sie mit Steuermitteln
m Leben erhalten werden. Das hat nach meiner Ansicht
it Solidarität nichts zu tun.
as heißt, die Kosten im Gesundheitswesen werden ein-
ig und allein aus Steuermitteln gedeckt. Damit entste-
en keine Preise.
Nun werden Sie gleich wieder sagen: Was ist so
urchtbar daran, im Gesundheitswesen nicht die Preise
u kennen? Der Preis gibt doch nur an, wie viel etwas
ostet. Der Preis ist nur das Instrument. Indem Sie den
reis verweigern – das zeigt die gesamte Systematik Ih-
es Antrags –, können Sie gar nicht mehr sagen, wohin
elcher Zuschuss in welchem Maße gegeben werden
uss.
ie wissen gar nicht mehr, was los ist. Das geht unter im
llgemeinen, undurchsichtigen Gemenge.
ann schaffen Sie mit Sicherheit eine neue Behörde, die
ufklärung schaffen soll, wohin das viele Geld gegan-
en ist. Sie bewegen sich in einer Abwärtsspirale. Das,
as wir als FDP bedauern, ist, dass wir diese Abwärts-
pirale in den letzten Jahren gehabt haben. Deswegen
lauben wir, dass wir das Sozialgesetzbuch V neu
chreiben müssen und zu einem neuen solidarischen An-
atz kommen müssen, der aber die Freiheit und die Ei-
enverantwortung des Einzelnen nicht beschneidet. Das
olidarische, das Soziale ist nicht unter Umgehung der
reiheit zu erreichen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Elke Ferner von derPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Herr Kollege Spieth hat schon am Ende seiner Rede
ganz richtig gesagt, dass wir jetzt fragen werden, wie
man die Wünsche, die die Linke in ihrem Antrag formu-
liert hat, finanziert. Erstaunlich ist, dass Sie für jeden
etwas im Gepäck haben, selbst für die Apotheker. Sie
wollen ein neues Ärztehonorarsystem, ohne näher zu er-
läutern, wie das konkret aussehen soll. Sie entlassen so-
gar die Länder aus ihrer Verpflichtung, was die Bereit-
stellung von ausreichenden Investitionsmitteln für die
Krankenhäuser anbelangt; denn Sie sehen plötzlich den
Bund mit in der Pflicht. Ich glaube, so einfach kann man
sich das nicht machen. Sie verfahren nach dem Motto:
„Im Himmel ist Jahrmarkt, Freibier für alle.“ Das kön-
nen Sie machen, weil Sie nie in die Lage kommen wer-
den, das in konkrete Politik im Deutschen Bundestag
umsetzen zu müssen.
– Ich habe hier vom Deutschen Bundestag gesprochen,
Herr Kollege Bahr. Sie müssen genau zuhören.
Außerdem wird über die gesetzliche Krankenversiche-
rung nicht in einem Landtag, auch nicht in dem Landtag
des schönsten Bundeslandes, das wir haben, entschie-
den;
die Gesundheitspolitik findet immer noch hier im Deut-
schen Bundestag statt.
Sie erwecken in Ihrem Antrag den Eindruck – deshalb
ist der Ansatz auch nicht richtig –, gut sei gleich teuer.
Ich finde allerdings, dass wir es den Beitragszahlerinnen
und Beitragszahlern schuldig sind, dass wir darauf ach-
ten, dass die Mittel, die sie jeden Monat an die gesetzli-
che Krankenversicherung abführen, zielgerichtet ver-
wendet werden, und dass die Menschen, die wirklich
eine teure und intensive Behandlung brauchen, diese Be-
handlung bekommen können. Deshalb halte ich es für
gerechtfertigt, dass diejenigen, die eine – in Anführungs-
zeichen – Allerweltskrankheit haben, in der Auswahl der
Arzneimittel etwas eingeschränkter sind. Das ist besser,
als die ganze Bandbreite vom teuersten bis zum billigs-
ten Arzneimittel zur Verfügung zu stellen.
Was wir eben von der FDP gehört haben, war eine be-
sondere Definition von Solidarität. Auch das war einmal
anders. Wenn Solidarität so verstanden wird, dass jeder
für sich selber sorgt und damit für alle gesorgt ist,
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ir feiern in diesem Monat den 60. Jahrestag des
rundgesetzes. Im Grundgesetz herrscht ein ganz ande-
es Verständnis von Solidarität als das, was Sie hier zum
esten geben.
Die Sozialversicherungssysteme, die wir in Deutsch-
and haben, sind staatlich organisierte Solidarität. Der
nterschied zwischen Ihnen und uns ist, dass wir der
uffassung sind, dass jeder nach seiner Leistungsfähig-
eit dafür sorgen soll, dass die Menschen, die in Not ge-
aten, die krank werden und die pflegebedürftig sind, die
ersorgung erhalten, die sie brauchen. Was Sie meinen,
st der Wohlfahrtsstaat. Das heißt, es hängt vom Gutdün-
en derer, die vielleicht etwas bezahlen können, ab, ob
ie bereit sind, anderen, die in Not sind, zu helfen. Das
st der Unterschied. Ich glaube nicht, dass Sie mit Ihrer
altung viel Anklang in der Bevölkerung finden.
Frau Kollegin Ferner, erlauben Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Schily?
Gerne, wenn Sie die Uhr anhalten.
Bitte schön.
Frau Kollegin, wo leiten Sie aus meinen Ausführun-
en, aus meiner Definition der Solidarität, ab, dass die
DP den Einzelnen alleine lassen will?
Das zeigt sich in Ihrem eigenen Antrag, den wir vorenigen Wochen hier im Deutschen Bundestag disku-iert und auf den Sie eben selber verwiesen haben. Sieaben gesagt, Sie wollen das SGB V, also das Gesetz, inem die gesetzliche Krankenversicherung und auch de-en Finanzierung geregelt ist, komplett umschreiben.as geht nicht nur aus Ihrem Antrag hervor, sondern dasar auch in Ihren Pressemitteilungen und in denen vonerrn Bahr zu lesen. Sie möchten die gesetzliche Kran-enversicherung abschaffen.
Ich suche es Ihnen heraus und schicke es Ihnen; dannönnen Sie sich das am Wochenende gerne noch einmalurchlesen.
ie möchten, dass jeder sich privat versichert. Wer abereiß, wie private Krankenversicherung funktioniert,
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Elke FernerHerr Kollege Schily, der weiß auch, dass diese Kranken-versicherung Risikoprüfungen durchführt und Menschenmit bestimmten Krankheiten überhaupt nicht versichertoder nur zu so teuren Prämien, die sich wirklich nurnoch Millionäre leisten können. Es ist auch bekannt,dass es nichts Besseres gibt, als dass Menschen für Men-schen einstehen. Private Versicherungen arbeiten ersteinmal profitorientiert. Sie wollten lange Zeit nichtKranke, sondern nur Gesunde versichern. Wir haben mitder letzten Gesundheitsreform deshalb die Pflicht zurVersicherung eingeführt.
Insofern gibt es genügend Indizien für eine solcheSchlussfolgerung.
Ich möchte den Rest meiner Redezeit dazu nutzen,noch einmal deutlich zu machen, was wir wollen. Füruns ist Gesundheitspolitik wirklich eine zentrale Auf-gabe staatlicher Daseinsvorsorge, die privat nicht funk-tioniert. Der Staat muss sich zu eigen machen, für einegleich gute und qualitativ hochwertige medizinischeVersorgung aller Menschen zu sorgen; denn der Marktwird es nicht richten.
Wie diese Versorgung organisiert wird, ist die zweiteFrage. Da haben wir wahrscheinlich auch unterschiedli-che Vorstellungen.Wir wollen eine solidarische und gerechte Finanzie-rung. Bereits im letzten Bundestagswahlkampf sind wirfür eine Bürgerversicherung eingetreten, in die alle Men-schen einbezogen werden, in die jeder entsprechend sei-nem jeweiligen Einkommen und seiner individuellen Fä-higkeit einbezahlt, damit alle Menschen die medizinischeund pflegerische Versorgung bekommen, die sie brau-chen.
Wir wollen auch einen gerechten Ausgleich zwischenden unterschiedlichen Risiken in den bisherigen Syste-men, zwischen gesetzlicher und privater Krankenversi-cherung, zwischen sozialer Pflegeversicherung und pri-vater Pflegeversicherung. Nur damit erreichen wir einewirklich dauerhaft tragfähige Finanzierungsgrundlage,weil die sozialversicherungspflichtigen Einkommennicht in dem Maße wachsen, wie die Ausgaben im Ge-sundheitsbereich steigen.
Wir wollen den heutigen Sonderbeitrag von 0,9 Bei-tragssatzpunkten wieder paritätisch finanzieren,
und wir wollen natürlich auch einen gleichen Zugang zurmedizinischen Versorgung für alle Menschen.kkdtsveWlSevndpAsWucaLsggbW–mBnLgntazss
uch dadurch werden die sozialen Ungleichheiten in un-erer Gesellschaft verstärkt.
Ich will zum Schluss sagen, dass die Wähler undählerinnen sich darauf verlassen können, dass es mitns keine Zerschlagung der gesetzlichen Krankenversi-herung geben wird, wie es die FDP fordert. Wir werdenuch nicht die Hand reichen zu einer Reduzierung deseistungskataloges, wie es die Union noch bei der Ge-undheitsreform gefordert hat. Mit uns wird es keine un-erechten Kopfprämien geben. Wer auch in Zukunft eineute, gerecht finanzierte gesundheitliche Versorgung ha-en will, der hat am 27. September die Chance, eine guteahl zu treffen, nämlich SPD zu wählen.
Ich hätte gern Ihre Zwischenfrage beantwortet; abereine Redezeit ist leider zu Ende.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgitt Bender,
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werdeicht von der DDR reden. Beim Lesen des Antrags derinken habe ich mich aber sehr wohl an etwas erinnertefühlt, und zwar an die CSU: an den freundlichen Die-er gegenüber den niedergelassenen Ärztinnen und Ärz-en, an das Bekenntnis zur inhabergeführten Apotheke,n die Rhetorik gegen profitorientierte Gesundheitskon-erne. Das alles habe ich schon einmal gelesen. Das allesind Bausteine der jüngsten gesundheitspolitischen Be-chlüsse aus Bayern.
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Birgitt BenderIch halte diese Parallelen nicht für Zufall. Beide Par-teien wollen als Regionalparteien ihre Klientel auch un-ter den kleinen Gewerbetreibenden im Gesundheitswe-sen bedienen. Auch in dieser Hinsicht versucht sich dieLinke als CSU des Ostens.
Ich bin mir sicher: Wenn die Geschäftszentrale einesführenden Privatversicherers nicht in München, sondernin Leipzig wäre, dann hätte das, lieber Herr Spieth, Aus-wirkungen auf die Ausgestaltung Ihres Bürgerversiche-rungskonzeptes. Darauf könnte ich wetten.
Allerdings belässt es die Linke nicht beim Klientelis-mus. In diesem Antrag kommen 50 Positionen vor, mitdenen die Kranken- und Pflegeversicherung verbessertwerden soll. Viele dieser Positionen kann man guten Ge-wissens teilen. Wer hat schon etwas gegen ein demokra-tisches und am Bedarf der Bevölkerung ausgerichtetesGesundheitssystem? Wer will seine Stimme dagegen er-heben, dass Gesundheits- und Pflegeberufe attraktiverwerden? Auch die Forderung, den Gesundheitsfonds fi-nanziell so auszustatten, dass die Krankenkassen keineZusatzbeiträge nehmen müssen, wird zwar nicht denBeifall der Koalition finden, ist aber richtig, jedenfalls solange, wie der Gesundheitsfonds nicht abgeschafft ist.Trotzdem ist dieser Antrag völlig belanglos, weil kon-turlos wie ein Pudding. In der Gesundheitspolitik gibt esZielkonflikte, gibt es Interessengegensätze, und daherstellen sich immer wieder Fragen der Finanzierbarkeit.In Ihrem Antrag kommt das alles nicht vor.Ein Beispiel: die Krankenhausversorgung. Wie schonerwähnt wurde, fordern Sie, die Privatisierung von Kran-kenhäusern zu unterbinden und bereits privatisierteKrankenhäuser wieder in die öffentliche Trägerschaft zuführen. Da kann ich nur sagen: Ich wünsche gute Ver-richtung.
Schauen Sie sich einmal Folgendes an: Bundesweit sind30 Prozent der Krankenhäuser in privater Trägerschaft;in Teilen Ostdeutschlands liegt dieser Anteil wesentlichhöher. Würden Ihre Beschlüsse umgesetzt, müsstenKommunen, die sich von ihren Krankenhäusern oft ge-rade erst getrennt haben, weil sie sie nicht mehr finanzie-ren konnten,
versuchen, diese Krankenhäuser wieder selber zu finan-zieren. Das Ergebnis wäre, dass es in weiten Teilen desOstens keine Krankenhäuser mehr gäbe. Dort bräche dieVersorgung zusammen.Hinzu kommt – ich verweise auf Ihren entsprechen-den Antrag –: Auch für Sie ist der Investitionsstau beidWmmSwfgmt–JsdhsaesnwtgspmWsDgr
Auch nicht zu Ende gedacht ist bei Ihnen die Pharma-reispolitik. Sie beschweren sich darüber, dass die Phar-aindustrie Profite auf Kosten der Versicherten mache.as schließen Sie daraus? Sie wollen die Mehrwert-teuer auf Arzneimittel auf 7 Prozent reduzieren.
a die Pharmaindustrie aber nun einmal in keiner Weiseezwungen ist, dann mit den Preisen entsprechend he-unterzugehen, heißt das im schlechtesten Fall,
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Birgitt Bender
dass die Versicherten doppelt zahlen, erstens die hohenBeiträge und zweitens für den Verlust von Steuermittelnin Höhe von 6 Milliarden Euro, die sie mit ihren Steuernausgleichen müssen. Da kann ich nur sagen: HerzlichenGlückwunsch!
So, wie die Linke glaubt, nämlich einfach mit einemWunschzettel, funktioniert die Reform des Gesundheits-wesens jedenfalls nicht.Damit es hier nicht zu gemütlich wird, will ich nichtversäumen, zu sagen, dass die Koalition an den zentralenReformaufgaben im Gesundheitswesen gründlich ge-scheitert ist.
Die Prävention führt weiterhin ein Schattendasein. Beider Reform der Krankenhausfinanzierung sind Sie überAnsätze nicht hinausgekommen. Die Finanzreform inder gesetzlichen Krankenversicherung wurde schlichtvertagt. Alles, was Sie auf die Reihe bekommen haben,ist, mit dem Gesundheitsfonds eine Geldsammelstelle zuschaffen, die viele Probleme nicht löst, aber dafür vieleschafft.Wenn sich bei der Bundestagswahl nichts ändert, be-deutet das, dass spätestens danach den Bürgern und Bür-gerinnen in Form flächendeckend erhobener Zusatzbei-träge die Rechnung präsentiert wird. Deswegen brauchenwir bei dieser Wahl, gerade auch wegen der Gesundheits-politik, Alternativen. Aber mit voluminösen Wunschzet-teln und Liebedienerei gegenüber den verschiedenenKlientelgruppen – das sage ich an die Adresse der Links-partei – arbeitet man nicht an einer solchen Alternative.Da empfehle ich die grüne Bürgerversicherung.Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Hennrich für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beratenheute den Antrag der Linken zum Thema der solidari-schen Gesundheits- und Pflegeversicherung. Sie von denLinken haben Leitsätze und Zielsetzungen formuliert,ohne konkret dazu Stellung zu beziehen, ob diese inDeutschland erfüllt werden. Sie haben auf den UN-So-zialpakt von 1966 verwiesen, in welchem das Recht aufmedizinische Versorgung festgeschrieben ist. HerrSebnDbhedMrdUrdv„rwrFdGmmfudtbfFdEsüSladbkAfuhprrset
Weil vielleicht auch viele Fernsehzuschauer diese De-atte verfolgen, will ich noch einmal ausdrücklich beto-en, dass wir in Deutschland im Gegensatz zur früherenDR ein gut funktionierendes Gesundheitssystem ha-en. Es gibt eine flächendeckende Versorgung auf ho-em Niveau. Bei allen Diskussionen mit den Leistungs-rbringern erfahren wir: Es sind motivierte Menschen,ie in diesem System arbeiten. – Wir haben ein hohesaß an Finanzierungsgerechtigkeit in diesem System er-eicht. – Das sind nicht meine Feststellungen; das sindie Feststellungen der OECD sowie der Europäischennion.Ich will nicht leugnen, dass wir ständig vor neuen He-ausforderungen stehen, Herr Spieth, aber die Herausfor-erungen heißen nicht „Kommerzialisierung“ oder „Pri-atisierung“, sondern „demografische Entwicklung“ undmedizinischer Fortschritt“. Das sind Begriffe, die in Ih-em Antrag keinen Platz gefunden haben.Wir fragen uns als Große Koalition täglich neu: Wieerden wir diesen Herausforderungen gerecht? Wie er-eichen wir, dass die Versicherten am medizinischenortschritt teilhaben? Wie hat die Gesundheitspolitik aufie demografische Entwicklung zu reagieren? Gerade imKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz haben wir noch ein-al deutlich zum Ausdruck gebracht, dass dies die do-inierenden Themen sind. Ich nenne nur: Schutzimp-ung als Pflichtleistung, Ausweitung der Rehabilitationnd der Palliativversorgung, Erweiterung des Begriffser häuslichen Pflege. Dies alles sind medizinische Leis-ungen, die gerade die Lage der älteren Menschen ver-essern und eine unmittelbare Antwort auf die demogra-ische Entwicklung geben.Wir haben in der Tat Probleme, was die langfristigeinanzierung angeht, und stellen uns immer wieder neuie Frage, wie wir Finanzierungsgerechtigkeit schaffen.s ist richtig, wenn Sie feststellen, dass wir unser Ge-undheitssystem in Zukunft nicht mehr ausschließlichber den Faktor Arbeit finanzieren können. Die hohenozialversicherungsbeiträge sind eine zunehmende Be-astung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aberuch für die Arbeitgeber. Dies erleben wir gerade jetzt inieser schwierigen wirtschaftlichen Zeit. Deswegen ha-en wir im Rahmen des Konjunkturpakets II die Kran-enversicherungsbeiträge gleichermaßen zugunsten vonrbeitnehmern und Arbeitgebern gesenkt. Ich hielte esür ein fatales Zeichen, in dieser Situation Arbeitgebernd Arbeitnehmer gegeneinander auszuspielen. Es gehtier schlicht und ergreifend um den Erhalt der Arbeits-lätze.Bei der Frage der Finanzierung achten wir auch da-auf, dass sie sich an den Bedürfnissen derjenigen aus-ichtet, die auf medizinische Leistungen angewiesenind. Deswegen haben wir mit dem Gesundheitsfondsine einheitliche Pauschale geschaffen, die mit morbidi-ätsabhängigen Zuschlägen operiert. Wir haben den
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24033
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Michael HennrichWettbewerb der Krankenkassen um junge und gesundeVersicherte abgeschafft. Für uns stehen diejenigen imMittelpunkt, die auf medizinische Hilfe und Gesund-heitsleistungen angewiesen sind.Meine Damen und Herren, unser Ziel ist die Sicher-stellung der Teilhabe am medizinischen Fortschritt unab-hängig von der finanziellen Leistungsfähigkeit desEinzelnen. Das heißt aber auch ganz konkret, wie es derKollege Dr. Schily schon angedeutet hat, dass der Ein-zelne für dieses System, für dessen Leistungsfähigkeitund dessen kosten- und preisbewusste InanspruchnahmeVerantwortung trägt. Nur so können wir langfristig die-ses System finanzieren. Deswegen ist es ganz wichtig,dass wir darauf achten, von den Versicherten Eigenver-antwortung zu verlangen, und dem Wirtschaftlich-keitsgebot gerecht werden. Gerade die Zuzahlungs-regelungen sind meines Erachtens hier ein wirksamesSteuerungsinstrument.
Dies sehen wir beim Thema Praxisgebühr und bei denZuzahlungen für die Arzneimittel. Warum soll der Ein-zelne nicht Verantwortung dafür tragen, dass er ein kos-tengünstiges Medikament kauft, und warum sollen wirnicht zum Beispiel diejenigen belohnen, die dann nochdeutlich günstigere Medikamente verwenden? Hier ha-ben wir die Zuzahlungsverpflichtung abgeschafft. Esgibt heute viele Medikamente, die von der Zuzahlungbefreit sind. Das übt wieder Druck auf die Pharmaindus-trie aus. Dies alles ist nicht staatlich gelenkt, sondern ba-siert auf wettbewerblichen Grundsätzen.
Der Begriff Wettbewerb ist bei den Linken negativbesetzt. Ich habe ein positives Verständnis von Wettbe-werb. Wettbewerb bedeutet für mich Innovation undEntwicklung. Sie sehen Wettbewerb nur als Mittel zurSteigerung des Profits und zur Durchsetzung der Kom-merzialisierung. Wenn es um Wettbewerb geht, sprechenwir über Preis- und Qualitätswettbewerb. In Ihrem An-trag ist dies – Frau Bender, Sie sind darauf schon einge-gangen – nirgends deutlicher als bei Ihren Ausführungenzu den medizinischen Versorgungszentren geworden. Siesprechen hier von reinen Profitzentren und Wertschöp-fungsketten. Uns geht es bei den medizinischen Versor-gungszentren um eine medizinische Versorgung aus ei-ner Hand, um eine zusätzliche Versorgungsform. DerEinzelne soll die Wahl haben, welche Form von Leistunger in Anspruch nimmt. Niemand ist gezwungen, medizi-nische Versorgungszentren aufzusuchen. Wir haben freieArztwahl.
Zur freien Arztwahl finde ich in Ihrem Antrag keinerleiAussage.Sie fordern in Ihrem Antrag die Trennung von ambu-lanten und stationären Einrichtungen in der Gesund-heitsvorsorge. Wie wollen Sie dann flächendeckendeambulante und vor allem fachärztliche Versorgung si-cndUgndDkSsrKFgWgldPkvrHKheRzg–DSMs–S
ie ist dagegen, dass deren Tätigkeit auf das Zusatzver-icherungsgeschäft beschränkt bleibt. Anders als in derein umlagefinanzierten GKV haben wir bei den privatenrankenversicherungen eine mittel- und langfristigeinanzierung sichergestellt. Es gibt Altersrückstellun-en.
enn Sie heute die PKV-Versicherten in ein rein umla-efinanziertes System überführen, haben Sie sich viel-eicht kurzfristig etwas Luft geschafft, aber langfristigie Finanzierung infrage gestellt. Damit bürden Sie dierobleme der demografischen Entwicklung komplettünftigen Generationen auf.Sie wollen Kapital- und Mieteinkünfte in eine Bürger-ersicherung einbeziehen. Sie müssen mir einmal erklä-en, wie Sie das machen wollen. Ich bin Mitglied eineraus- und Grundstückseigentümerorganisation. Meinelientel sind Menschen, die älter als 65 Jahre sind. Sieaben in ihrem Leben Geld angespart und Immobilienrworben, mit denen sie schlicht und ergreifend ihrenuhestand finanzieren wollen. Denen wollen Sie jetztusätzliche Leistungen aufbürden. Das ist ein klarer An-riff auf alle Rentnerinnen und Rentner.
Herr Spieth, ich bin Ihnen dankbar für den Hinweis.as ist gesetzlich geregelt in § 62 des SGB V. Fragenie einmal bei Ihren Krankenkassen nach, wie vieleenschen zusätzliche Einnahmen haben! Es werden nullein. Wie also wollen Sie das organisieren?
Ich habe ja von den Mieten gesprochen.
Herr Kollege Hennrich, kommen Sie bitte zumchluss.
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Ich will abschließend sagen: Wir wollen kein staatlich
organisiertes Gesundheitswesen, sondern eines, das auf
Wettbewerb ausgerichtet ist. Wir setzen auf Eigenverant-
wortung statt auf Bevormundung, und wir lehnen es ab,
etablierte und bewährte Strukturen zu zerstören, wie Sie
es laut Ihrem Antrag mit der ambulanten fachärztlichen
Versorgung oder den privaten Krankenversicherungen
vorhaben. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab.
Herzlichen Dank.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Frank Spieth.
Frau Bender, ich hatte mich vorhin auf Ihren Beitrag
hin gemeldet, und darum geht es nach wie vor. Sie hatten
darauf hingewiesen, dass unser Vorschlag, die privati-
sierten Krankenhäuser in öffentliche Trägerschaft zu-
rückzuführen, kaum zu realisieren sei; Sie haben das als
nicht machbar und politisch absurd dargestellt. Das war
der Kern Ihrer Aussage.
– Ich will mit Ihnen jetzt gar nicht über den Osten reden,
sondern über den Westen. In Hessen hat Herr Koch zwei
Universitätskliniken privatisiert und an das Rhön-Klini-
kum verkauft. Im rot-grünen Koalitionsvertrag von Hes-
sen, der vor kurzem leider aufgrund anderer Geschichten
gescheitert ist, ist festgelegt, dass die Privatisierung der
Universitätskliniken Gießen und Marburg zurückgenom-
men werden soll und dass das Land Hessen dem Rhön-
Klinikum eine entsprechende Abfindung zu zahlen hat,
weil die von Schwarz durchgeführte Privatisierung ge-
gen die Interessen, auch gegen die berechtigten Versor-
gungsinteressen, der Bevölkerung sei. Spinnen die Grü-
nen in Hessen?
Frau Kollegin Bender, wollen Sie erwidern?
Keineswegs. Das war eine gute Idee. Denn die Priva-
tisierung dieser Uniklinik hat sich nach allem, was ich
gehört habe, nicht bewährt. Da gibt es Schwierigkeiten
mit der Forschung, der Lehre usw.
Sie aber wollen alle privaten Kliniken in öffentliche Trä-
gerschaft überführen.
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Das Wort hat jetzt die Parlamentarische Staatssekretä-
in Marion Caspers-Merk.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wiriskutieren heute über einen Antrag der Fraktion Dieinke. Die Art der Debatte macht mich sehr zuversicht-ich; denn das Haus ist sich weitgehend einig, dass dieinke eine Parallelwelt aufbaut, indem sie zunächst einerrbild des Gesundheitswesens vorlegt, um dann mitiner Wunschliste aus 50 Einzelforderungen, die malben kurz vor den letzten vier Sitzungswochen vorgelegterden – daran sieht man die Seriosität dieser Arbeit –,edem etwas anzubieten. Die Freiberufler bekommen et-as angeboten. Die Kliniken bekommen etwas angebo-en. Es werden im Zusammenhang mit der Pflegeversi-herung neue Forderungen erhoben.Herr Kollege Spieth, ich schätze Sie als einen Kolle-en, der im Fachausschuss hoch sachkundig ist. Entwe-er Sie haben bewusst zugelassen, dass, mit Ihrer Personerbunden, ein Antrag formuliert wird, der mit der Rea-ität überhaupt nichts zu tun hat, oder Sie haben um einesilligen Wahlkampfgags willen Ihre Reputation aufspiel gesetzt; denn dieses Vademekum, diese Wunschlisteönnen Sie nicht wirklich ernst meinen.
Einige Kollegen haben schon auf offensichtliche Wi-ersprüche in Ihrem Antrag hingewiesen. Da wird zumeispiel ein Forderungskatalog beim Thema Pflege auf-emacht. Da wird mal eben für demenziell Erkrankteber das, was wir von der Koalition auf den Weg gebrachtaben – jetzt werden im Rahmen der Pflegeversicherungerbesserungen in einer Größenordnung von 2 Milliardenuro vorgenommen –, das Füllhorn der Wohltaten aus-eschüttet. Da wird der für demenziell Erkrankte vorge-ehene Betrag mal eben von 2 000 Euro auf 6 000 Euroro Person angehoben.
ies ist eine Verdreifachung. Dies führt zu einer Kosten-teigerung von 6 Milliarden Euro.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24035
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Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-MerkDann haben Sie eine sofortige Dynamisierung undeine sofortige Erhöhung des Pflegegeldes vorgesehen.Zudem wollen Sie für die persönliche Assistenz einenBetrag in unbegrenzter Höhe sofort einführen.
Wenn man das, was Sie im Rahmen der Pflegeversiche-rung fordern, addiert, kommt man noch in dieser Legis-laturperiode auf eine Summe von über 10 MilliardenEuro. Das hat mit seriöser Politik nichts zu tun, weil Siedie Antwort schuldig bleiben, wie Sie dies finanzierenwollen.
Selbst wir, die wir eine Bürgerversicherung in der Pflegewollen,
wissen ganz genau, dass diese nur ein Finanzierungs-volumen von vielleicht 2 Milliarden Euro zusätzlich er-schließt.
Das heißt, Sie machen Ihre Forderungen durch das, wasSie hier mal eben so formuliert haben, unglaubwürdig.Die Kollegin Bender hat recht: Bei den Krankenhäu-sern besteht das gleiche Problem. Auf der einen Seitesind Sie gegen MVZs an Kliniken; auf der anderen Seitesollen sie für die Ambulanz geöffnet werden. Schon diesist in sich widersprüchlich. Dann entlassen Sie die Bun-desländer aus ihrer Verantwortung für die Investitionenund sagen: Bund und Länder sollen gemeinsam fürKrankenhausinvestitionen von 50 Milliarden Euro gera-destehen. Na prima! Sie sagen natürlich wiederum nicht,wie das Ganze finanziert werden soll.
Herr Kollege Spieth, ich kann an dieser Stelle nur sa-gen: Es besteht ein Unterschied zwischen Protestlinkenund Gestaltungslinken. Bei Ihnen reicht es aus, wennman einfach alles mal aufschreibt. Wir müssen es umset-zen. Deswegen würden wir so eine Wunschliste niemalsohne eine Gegenfinanzierung präsentieren.
Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass Siemeines Erachtens eine Struktur in Ihre Begründung brin-gen, die völlig an der Realität vorbeigeht. KollegeHennrich hat recht, wenn er sagt, Sie hätten die inter-nationalen Studien nicht zur Kenntnis genommen. Dawird gesagt, was alles schlecht sei; aber es wird ein Zerr-bild gezeichnet, das mit der Wahrnehmung nichts zu tunhat. Die OECD und die WHO haben Deutschland gelobt.Frau Dr. Chan hat ja ebenso wie ein Mitglied Ihrer Frak-tion an der diesbezüglichen Debatte teilgenommen. Siehat den universellen Zugang zu hochwertigen medizini-sdgsldr––s–dtWDUvtnEfSrdhingdrtun
Man muss doch einmal sehen, was international Stan-ard ist. Das alles aber wird von Ihnen im Prinzip igno-iert.
Der Einwurf, dass es keine Wartezeiten gibt, ist prima.
An Ihrer Stelle wäre ich hier einmal vorsichtig. Ange-ichts der Wartezeiten, die es früher in der DDR gabund nun fordern Sie wiederum eine Verstaatlichunges Systems –, wäre ich ganz vorsichtig, die Wartezei-en, die es bei uns gibt, zu kritisieren.
Es gibt kein anderes europäisches Land, in dem dieartezeiten so kurz sind wie in der Bundesrepublikeutschland.
mgekehrt gibt es eine Debatte: Patienten aus skandina-ischen Staaten oder Großbritannien fragen bei uns sta-ionäre Leistungen nach, weil sie in ihren Ländern in ei-er bestimmten Zeit nicht erbracht werden.
rzählen Sie hier also doch nichts, was der Realität ein-ach nicht entspricht.Ich möchte auch noch einmal darauf hinweisen, dassie, Herr Kollege Spieth, als Sie in den vergangenen Jah-en die Gelegenheit dazu hatten, daran mitzuwirken, dassas System gerechter wird, ihre Mitwirkung verweigertaben. Sie haben bei den Verbesserungen, zum Beispielm Rahmen des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes,icht mitgewirkt. Dort haben wir aber echte Verbesserun-en erreicht. Wir haben Pflegestützpunkte eingeführt undie Leistungen für Demenzerkrankte verbessert. Wo wa-en Sie denn da? Sie haben sich da doch in Fundamen-alopposition begeben
nd legen jetzt, kurz vor den Wahlen, noch einmal billigach.Ich glaube, Ihr Antrag ist unseriös.
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24036 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009
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Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-MerkSie zeigen damit, dass Sie eine große gesundheitspoliti-sche Ahnungslosigkeit haben,
denn der Antrag wird der Debattenstruktur nicht gerecht.Ich finde einfach, dass Sie damit auch unserer Debatte,die wir im Fachausschuss geführt haben,
nicht gerecht werden; denn auf dem Niveau, auf dem Siestehen geblieben sind, bewegen wir uns im Prinzipschon seit langem nicht mehr. Ich bedauere, dass so et-was eben einmal schnell hingeschrieben wurde, wohlnach dem Motto: Wir schreiben das einmal auf, weil dieAblehnung garantiert ist.Vielen Dank.
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich der Kollegin Dr. Carola Reimann von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Die Debatte zeigt, dass der Wettbewerb um dasbeste Konzept in der Gesundheits- und Pflegepolitik be-reits begonnen hat.
Und das ist gut; denn die Menschen wollen wissen, wiees in den nächsten Jahren weitergehen soll. Sie wollenwissen, wie wir auch künftig eine gute Versorgung si-cherstellen, wie wir den medizinischen Fortschritt füralle ermöglichen und wie wir diese Gesundheits- undPflegeaufgaben finanzieren.Die Linke hat in ihrem Antrag ihre Vorstellungen dar-gelegt, und sie ist ihrem Ruf dabei treu geblieben: Lagedramatisieren, in allen Bereichen immer das Maximumfordern, was erfolgreich läuft, schlechtreden, über Fi-nanzierung nur ganz am Rande reden und ansonsten im-mer schön im Ungefähren bleiben. Sie setzen aufschnelle Effekte, auf eine Wunschliste und auf Stimmen-fang, aber nicht auf nachhaltige und konkrete Konzepte.
50 verschiedene Vorschläge sind kein Konzept.
Durch das Papier machen Sie auch klar: Sie wollen garnicht regieren, schon gar nicht in Zeiten einer Wirt-schaftskrise. Sie wollen Ihre Pläne erst gar nicht derRealität aussetzen; denn auch Sie wissen, dass diesePläne an der Realität scheitern würden.
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aben wir uns verwundert die Augen gerieben. Sie wol-en das bewährte System der gesetzlichen Krankenkas-en abschaffen und in der größten Finanzkrise, die wirislang erlebt haben, auf Kapitaldeckung umstellen.azu kann ich nur sagen: Gute Reise!
s wird eine sehr einsame Reise werden. Ich kann miricht vorstellen, dass Ihre Vorschläge außerhalb der pri-aten Versicherungswirtschaft auf große Begeisterungtoßen.
Wohin die Reise bei der CDU/CSU geht, kann ich lei-er noch nicht ganz erkennen.
uf die Ähnlichkeiten zwischen den Vorstellungen derSU und der Linken hat die Kollegin Bender schon hin-ewiesen. Durch die Redebeiträge konnte das nicht auf-eklärt werden. Diesbezüglich besteht offensichtlichoch Klärungsbedarf. Ich hoffe, dass Sie bis zum Sommerin Konzept vorlegen können; denn die Bürgerinnen undürger möchten wissen, mit welchen Kopfpauschalen sieach Ihrem Konzept künftig zu rechnen haben.
Die SPD hat ein Konzept: Wir setzen bei Gesundheitnd Pflege auf die Bürgerversicherung.
ir wollen das, was wir in den letzten Jahren durchset-en konnten, konsequent weiterentwickeln. Mit einemerbesserten morbiditätsorientierten Risikostrukturaus-leich, mit der Versicherungspflicht für alle und mit deminstieg in eine stärkere Steuerfinanzierung haben wirine gute Basis geschaffen. Inzwischen müssten eigent-ich auch die letzten Kritiker erkannt haben, dass der Ge-undheitsfonds reibungslos angelaufen ist und jetzt, ineiten der Wirtschaftskrise, dafür sorgt, dass der Kran-enkassenbeitrag stabil bleibt und die Einnahmebasiser Kassen gesichert ist.
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Frau Kollegin Reimann, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Lanfermann?
Gerne.
Bitte schön, Herr Lanfermann.
Frau Kollegin Dr. Reimann, Sie haben gesagt, dass
Sie nicht erkennen können, wie andere ihr Konzept fi-
nanzieren wollen, und zugleich die Bürgerversicherung
gelobt. Im Antrag der Linken steht, dass Kapitalein-
künfte, Mieten und Ähnliches herangezogen werden sol-
len. Die Kollegin Ferner hat vorhin erklärt, dass die
lohnabhängigen Bezüge nicht steigen werden, jedenfalls
nicht in dem Maße, dass damit die Krankheitskosten fi-
nanziert werden können.
Ich möchte Sie daher ausdrücklich fragen: Wonach
sollen Ihrer Meinung nach die Beiträge für die Bürger-
versicherung, also für das Modell der SPD, bemessen
werden? Soll es außer den lohnbezogenen Beiträgen, die
auch derzeit erhoben werden, weitere Beiträge geben,
und auf welche Vermögens- und Einkommensarten sol-
len sie erhoben werden? Haben Sie vielleicht auch schon
eine Vorstellung von der Höhe?
Herr Kollege, Sie wissen, dass wir mit der Bürgerver-
sicherung ein Konzept verfolgen, das alle in die Versi-
cherung einbezieht. Wir wollen eine Versicherungs-
pflicht für alle. Wir setzen auf Beiträge und auf
Steuerfinanzierung. Das habe ich gerade ausgeführt. Das
wird die gemeinsame Basis für ein solidarisch finanzier-
tes Gesundheitssystem sein. Das werden wir weiterent-
wickeln. Der Gesundheitsfonds – das habe ich gerade
schon erläutert – ist ein Einstieg.
Ich will fortfahren – auf die Finanzierung werde ich
noch zu sprechen kommen –: In den letzten zwei, drei
Jahren sind einige Dinge nicht gelungen. Diese Punkte
möchten wir natürlich noch umsetzen. Wir haben zwar
viel erreicht, aber – das will ich nicht verschweigen –
nicht alles umsetzen können, was wir uns gewünscht ha-
ben. Das gilt sowohl für die umfassendere Steuerfinan-
zierung – Herr Lanfermann, damit bin ich bei Ihrer
Frage – als auch für die Einbeziehung der privaten Kran-
kenversicherung – auch das sollte Sie interessieren – in
einen wirklich vollständigen Risikostrukturausgleich.
Leider hat das die Union blockiert.
Aber genau das sind unserer Meinung nach Grundvo-
raussetzungen für ein solidarisches und solide finanzier-
tes Gesundheitssystem.
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Frau Kollegin Reimann, Sie haben in Ihrem Beitraguch die CSU erwähnt. Sie haben gesagt, dass Sie nichtissen, wie unser Konzept aussieht. Ich empfehle Ihnen,nseren Parteivorstandsbeschluss zu lesen. Dort wurdeas sehr konkret ausgeführt.
Ich habe eine Nachfrage im Nachgang zur Frage desollegen Lanfermann. Ich möchte konkret wissen, obur Finanzierung der Bürgerversicherung zukünftig Ein-ünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie Kapi-aleinkünfte herangezogen werden? Ist die Bürgerversi-herung ohne Beitragsbemessungsgrenze konzipiert,der wird es eine Beitragsbemessungsgrenze geben?
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24038 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009
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Herr Kollege, auch ich habe den Parteivorstandsbe-
schluss der CSU gelesen; dort wurden solche Konkreti-
sierungen nicht vorgenommen. Wir werden – so viel
kann ich sagen – die Einnahmebasis schlicht verbreitern.
Dazu werden auch Einnahmen aus Vermietung und Ver-
pachtung und andere herangezogen.
Das ist nichts Neues. Das erzählen wir seit langem; wir
sind da sehr konsequent und konsistent. Wir möchten
eine Versicherungspflicht für alle und eine Bürgerversi-
cherung, in die alle einbezogen werden.
Das gilt auch für die private Krankenversicherung.
– Nein.
Frau Reimann will keine Zwischenfrage mehr zulas-
sen. Sie haben das Wort, Frau Reimann. – Bitte schön.
Ich würde gern mit dem Bereich der Pflege fortfahren.
Wir sind da in den letzten vier Jahren ein gutes Stück vo-
rangekommen. Die Pflegereform 2008 hat wichtige Leis-
tungsverbesserungen insbesondere für Demenzkranke
gebracht, aber auch die Grundlagen für mehr Qualität
und mehr Transparenz gelegt. Die von uns durchgesetz-
ten Pflegestützpunkte ermöglichen eine wohnortnahe
und umfassende Beratung über alle pflegerischen, medi-
zinischen und sozialen Leistungen.
Insgesamt haben wir mit den Maßnahmen der Pflege-
reform die Qualität der Pflege erhöht und neue Unter-
stützungsmöglichkeiten für Betroffene, aber auch – das
will ich hier betonen – für Angehörige geschaffen. Die
Angehörigen leisten nämlich tolle Arbeit, pflegen mit
hohem Engagement und viel Energie. Dafür zollen wir
hohen Respekt. Wir können den Dank, den der Kollege
geäußert hat, nur verstärken. Es bedarf aber auch einer
Unterstützung der Angehörigen.
Wie im Bereich Gesundheit wollen wir im Bereich
Pflege das Erreichte konsequent weiterentwickeln. Dazu
gehören der Finanzausgleich zwischen privater und ge-
setzlicher Pflegeversicherung, aber auch – um die Ange-
hörigen zu unterstützen – der Anspruch auf bezahlte
Freistellung für zehn Tage und die Umsetzung des neuen
Pflegebedürftigkeitsbegriffs.
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Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 16/12846 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
o beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Unterrichtung durch den Parlamen-
tarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung
Bericht des Parlamentarischen Beirats für
nachhaltige Entwicklung
– Drucksache 16/12560 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Wider-
pruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
chlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
er das Wort dem Kollegen Dr. Matthias Miersch von
er SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dasrgebnis vorweg: Ich glaube, wir sind gut beraten, demächsten Bundestag zu empfehlen, den Parlamentari-chen Beirat für nachhaltige Entwicklung in der nächs-en Legislaturperiode so schnell wie möglich einzurich-en.
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Dr. Matthias Miersch
Es ist ein dickes Brett, wenn man sich mit der Frageder nachhaltigen Entwicklung auseinandersetzt, weilheutzutage alles und nichts nachhaltig ist. In jeder politi-schen Debatte kommt der Begriff „Nachhaltigkeit“ mehr-mals vor. Man stellt sich unweigerlich die Frage: Was isteigentlich nachhaltig?Umso mehr kann man sagen: Es ist diesem Beirat inden letzten drei Jahren gelungen, diesen Begriff auch imparlamentarischen Umfeld mit Leben zu füllen, indemwir dazu beigetragen haben, dass unser politisches Den-ken nicht nur auf das Heute und Jetzt gerichtet ist, son-dern auch über die Wahlperiode hinaus gefragt wird,welche Auswirkungen die eine oder andere Entschei-dung auf künftige Generationen hat.Ich bin davon überzeugt: Sich mit nachhaltiger Ent-wicklung zu beschäftigen, ist der Schlüssel für die Lö-sung vieler Probleme, die wir aktuell haben. StichwortFinanzkrise: Man hat auf den kurzfristigen Gewinn ge-setzt und die langfristigen und mittelfristigen Folgenverkannt. Stichworte Krise im Energiebereich undVerknappung von natürlichen Ressourcen: Wenn wir As-pekte der nachhaltigen Entwicklung ernst nehmen, kön-nen wir diese Probleme lösen.Wir haben im Parlamentarischen Beirat an den unter-schiedlichsten Dingen gearbeitet. Wir haben in einerForm zusammengearbeitet, die wir – das sollten wir unsalle gemeinsam überlegen – auch für weitere parlamen-tarische Verfahren einmal ein bisschen bewerben sollten.Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, die Arbeit derer,die schon vor vielen Jahren für nachhaltige Entwicklunggestritten haben, in den letzten dreieinhalb Jahren fortzu-setzen.Ich bedanke mich ausdrücklich für die Zusammen-arbeit mit dem Bundesumweltministerium. Die Parla-mentarische Staatssekretärin Astrid Klug ist eine solcheVordenkerin. Vielen Dank für die Zusammenarbeit inden letzten dreieinhalb Jahren!
Ich möchte mich auch ausdrücklich bei Herrn de Maizièrebedanken – er war eben noch im Saal; wahrscheinlichhört er uns jetzt irgendwo zu –, der im Kanzleramt fürden größten Erfolg gesorgt hat, den wir in den letztendreieinhalb Jahren erzielen konnten: In der Gemeinsa-men Geschäftsordnung der Ministerien wird künftig eineNachhaltigkeitsprüfung vorgesehen sein. Das ist nichtselbstverständlich, sondern, wie ich meine, ein Meilen-schritt. Viele haben ihn vielleicht noch gar nicht als sol-chen erkannt. Ich bin mir sicher: Es ist von großem Vor-teil, wenn sich das federführende Ressort dazu bekennenmuss, welche Auswirkungen ein Gesetz in der Zukunfthat. Das war in der Vergangenheit nicht selbstverständ-lich.
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Das Wort hat der Kollege Michael Kauch von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debat-tieren heute den Tätigkeitsbericht des ParlamentarischenBeirats für nachhaltige Entwicklung. Da ich schon diezweite Wahlperiode Mitglied dieses Gremiums bin, kannich Ihnen sagen: Gerade in dieser Wahlperiode warendas Klima und die Zusammenarbeit ausgesprochen gut.Dafür danke ich allen Kolleginnen und Kollegen, insbe-sondere dem Vorsitzenden des Beirats, Günter Krings,der durch seine ausgleichende Art viel dazu beigetragenhat.
Der Kollege Miersch hat in der Tat recht, wenn ersagt, dass nur wenige Begriffe so sehr missbraucht wer-den wie der der Nachhaltigkeit. Deshalb sollte man sichimmer wieder vergegenwärtigen, was diesen Begriff imKern ausmacht und was das Thema Nachhaltigkeit vomStreit um die gute Lösung unterscheidet. Ich meine, dasist die Frage der Generationengerechtigkeit: Wie schaf-fen wir es, Politik für die kommenden Jahrzehnte undnicht nur für die jeweilige Wahlperiode zu machen?Dass diese Frage im Mittelpunkt steht, ist der entschei-dende Unterschied zu den Debatten, die wir sonst häufigim Parlament führen.Es ist notwendig, dass wir eine nationale Nachhaltig-keitsstrategie erarbeiten, die auch im Falle eines Regie-rungswechsels zumindest als eine Art roter Faden dienenkann. Regierungen kommen und gehen. Aber die Grund-entscheidungen, die in dieser Republik und für unserenPlaneten getroffen werden müssen, bleiben auch überdas Ende von Wahlperioden hinaus bestehen. Deshalb istevlzdsbvsEbeawnEssGnkatndfkGnhBdmnlaInn„lsd
in Beispiel hierfür, das wir in dieser Woche erlebt ha-en, war die Rentendebatte. Daran wurde deutlich, wieine Politik aussieht, die gerade nicht auf Langfristigkeitusgerichtet ist.
Meine Damen und Herren, es ist sehr wichtig, dassir im Hinblick auf die Schaffung von mehr Generatio-engerechtigkeit institutionelle Vorkehrungen schaffen.s ist ein Fortschritt, dass die Bundesregierung ihre Ge-chäftsordnung auch auf Initiative des Parlamentari-chen Beirats hin dahin gehend ändern wird, dass jedesesetz künftig nicht mehr nur mit Blick auf das Preis-iveau, die Geschlechtergerechtigkeit und die Auswir-ungen auf den Mittelstand geprüft wird, sondern auchuf die Auswirkungen, die es in den nächsten Jahrzehn-en auf die Menschen hat. Diese sollen ja auch dannoch gut in Deutschland leben können.
Ich würde mich freuen, wenn es uns gelingen würde,ass der Deutsche Bundestag diese Nachhaltigkeitsprü-ung der Bundesregierung auch faktisch kontrollierenönnte; an dieser Stelle sind auch die Parlamentarischeneschäftsführer der in diesem Haus vertretenen Fraktio-en gefragt. Bei Subsidiaritätsprüfungen im Zusammen-ang mit dem Europarecht haben wir gesehen, dass derundestag manchmal zu anderen Ergebnissen kommt alsie Regierung. Deshalb ist es wichtig, dass wir als Parla-ent ein Wörtchen mitreden können.
Die FDP befürwortet die Einführung von Generatio-enbilanzen, um Transparenz zu schaffen über die Zah-ungsverpflichtungen, die künftige Generationen heutels Last mit auf den Weg bekommen, aber auch über dienvestitionen, die wir heute tätigen, damit künftige Ge-erationen ein gutes Leben haben.Ich bin – das sage ich als einzelner Abgeordneter,icht für meine Fraktion – auch Mitinitiator der InitiativeGenerationengerechtigkeit ins Grundgesetz“. Der Par-amentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung hatich dafür ausgesprochen, dass der Deutsche Bundestagiese Initiative umsetzt und endlich auch eine Schutz-
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Michael Kauchklausel für die Menschen, die noch nicht geboren sind,ins Grundgesetz aufgenommen wird. Hier besteht eindeutlicher Unterschied zu der Debatte über die Auf-nahme von Kinderrechten ins Grundgesetz.In der nächsten Wahlperiode sind wir als DeutscherBundestag gefordert, die institutionelle Verankerung derNachhaltigkeitsprüfung in die Praxis umzusetzen undTransparenz über die Auswirkungen, die Gesetze auf dieZukunft haben, zu schaffen. Dann wird es möglich sein,Sonntagsreden an dem, was in der Praxis passiert, zumessen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Marcus Weinberg von der
CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Ich kann mich – daran merken Sie dieHarmonie im Parlamentarischen Beirat für nachhaltigeEntwicklung – beiden Vorrednern in nahezu allen Punk-ten nur anschließen.Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwick-lung hat zwar die Pflicht, einen Arbeitsbericht zu erstel-len, aber wir schauen zugleich in der Diskussion immerkonstruktiv-kritisch nach vorne und stellen die Frage,was wir in Zukunft leisten müssen. Es stellt für uns keinelästige Pflicht dar, diesen Arbeitsbericht vorzustellen,sondern wir nutzen gern die Gelegenheit, für Nachhal-tigkeit zu werben. Wir nutzen daher – häufig harmo-nisch, auf jeden Fall aber in der Sache geeint – jede Ge-legenheit, hier im Parlament gemeinsam für unsereSache, für die Nachhaltigkeit, zu werben. Wir wollen mitdiesem Bericht aber auch kritisch beleuchten, wo wirnoch Potenzial sehen, die Entwicklung nachhaltiger zugestalten.Ich will ganz kurz einige Schwerpunkte unserer Ar-beit in der 16. Wahlperiode nennen und danach zwei,drei Anmerkungen zur zukünftigen Konstruktion ma-chen.Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwick-lung hat insbesondere die Nachhaltigkeitsstrategie derBundesregierung kritisch begleitet und einen detaillier-ten Kommentar zum Fortschrittsbericht 2008 – das kön-nen Sie da nachlesen – abgegeben. Das betrifft zum Bei-spiel die Bereiche „Nachhaltigkeitsmanagement derBundesregierung“ und „Weiterentwicklung der Indikato-ren“. Die Weiterentwicklung der Indikatoren ist als dau-erhafter Prozess eine hochwichtige Aufgabe. Wir habenin den Reden von der Finanzkrise gehört und davon,dass es jetzt darum geht, nachhaltig in die Bildung zu in-vestieren. Dies ist permanent zu erneuern und im Pro-zess weiterzuentwickeln. Das ist auch unsere Aufgabe;dNdrAmgisrfhfeltAssbdtgvwFdmsgdBmTksmmmbtWZasrdssdsD
estzuhalten ist auch, dass wir immer sehr vorsichtig miten genannten Instrumenten umgegangen sind.Der zweite Punkt ist die Federführung. Dem Umwelt-inisterium wurde schon gedankt. Ausdrücklich an-chließen möchte ich mich auch dem Dank an die Kolle-innen und Kollegen aus dem Umweltausschuss, beiem die Federführung liegt. Allerdings ist dies für deneirat für nachhaltige Entwicklung nicht ganz unproble-atisch. Wenn wir nicht einmal bei unserem ureigenenhema – der Fortschreibung der nationalen Nachhaltig-eitsstrategie – federführend verantwortlich sind, danntellt sich die Frage, wie wir uns bei anderen Themenehr einbringen können. Ich glaube, hierüber müsstean nachdenken. Trotzdem war die Kooperation geradeit den Kollegen aus dem Umweltausschuss exzellent.Drittens. In unserer Stellungnahme zum Fortschritts-ericht 2008 zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie hat-en wir den Wunsch geäußert – wir sind so bescheiden,ünsche zu äußern –, dass im Bundeskanzleramt dieuständigkeit für die nationale Nachhaltigkeitsstrategieus dem für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitowie nachhaltige Entwicklung zuständigen Referat he-ausgelöst und auf eine eigene Einheit übertragen wer-en möge. Ein Dank an den Kanzleramtsminister istchon ausgesprochen worden. Vor kurzem hat ein Ge-präch mit ihm stattgefunden. Es ist deutlich sichtbar,ass ein Schwerpunkt der Bundesregierung auf der Um-etzung der Nachhaltigkeitsstrategie liegt. Ein herzlichesankeschön dafür.
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Marcus WeinbergOb in Zukunft ein eigenes Referat „Nachhaltige Ent-wicklung“ geschaffen oder ein anderer Weg gewähltwird, sei dahingestellt. Denkbar ist aber, dass der Kanzler-amtsminister, der im Grunde bereits für die Bundes-regierung die Verantwortung trägt, auch offiziell zumBeauftragten für die Umsetzung der nationalen Nachhal-tigkeitsstrategie ernannt und mit entsprechenden Res-sourcen ausgestattet wird. Das sollte man zügig diskutie-ren, um entsprechende politische Signale zu setzen.Viertens. Bevor wir uns damit befassen, wie sich dieNachhaltigkeit in den Strukturen der Bundesregierungwiderspiegeln soll, müssen wir zunächst einmal an unsselbst als Parlamentarier denken. Dabei geht es um dieFrage – das ist schon angeklungen –, wie wir die Eigen-ständigkeit des Themas Nachhaltigkeit und damit aucheine stärkere Verdeutlichung im parlamentarischenRaum sicherstellen könnten. Denn Nachhaltigkeit ist– das ist zu Recht festgestellt worden – eine Querschnitts-aufgabe, die nicht eindeutig einzelnen Ausschüssen zu-zuordnen ist. Trotzdem ist zu überlegen, wie wir inner-halb der Struktur der Ausschüsse bzw. bei dem Einset-zungsverfahren einen stärkeren Akzent setzen können.Damit meine ich nicht, dass wir neue Strukturen schaf-fen sollten, die letztlich zulasten der Effizienz gingen. Esgeht mir nicht um Überfrachtung. Ich bin für klareStrukturen, wobei deutlich werden soll, wo es um Nach-haltigkeit geht, damit diejenigen, die das Thema im Fo-kus ihrer politischen Arbeit haben, entsprechendeSchwerpunkte setzen können: transparent, effizient, aberdurchaus auch mit geänderten Strukturen.Auch die erst relativ spät erfolgte Einsetzung des Par-lamentarischen Beirats im April 2006 – also ein halbesJahr nach der Bundestagswahl – ist zu monieren. Nettohaben wir, glaube ich, nur drei von vier Jahren gearbei-tet. Auch hier wäre es sicherlich geboten, die Diskussionbereits heute zu führen, damit man zügig nach der Wahlim September die Strukturen im Konsens festlegen kann.Eine frühzeitige Einsetzung des ParlamentarischenBeirates wäre sicherlich wünschenswert. Wir sind uns si-cherlich alle einig – das haben alle Reden gezeigt, unddas wird sich wohl auch in den folgenden Beiträgennicht ändern –, dass dies möglich ist.Ich glaube, wir können rückblickend mit den Ergeb-nissen der vergangenen dreieinhalb Jahre zufrieden sein.Wir dürfen uns aber nicht zurücklehnen, sondern müssenuns fragen, wie wir das Thema in Zukunft effizienter ge-stalten können. Denn der technologische, ökonomischeund gesellschaftliche Fortschritt muss sich an diesemPrinzip messen lassen.
Herr Kollege.
Das ist im Zusammenhang mit der Finanzkrise, den
Bildungsfragen und anderen Themen deutlich geworden.
Wir als Mitglieder des Parlamentarischen Beirats laden
alle ein, an diesem Prozess mitzuwirken.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Lutz Heilmann hat jetzt das Wort für die Fraktion Die
inke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ich treibt eine Frage um: Was bleibt von der Arbeit desarlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklunger zurückliegenden Wahlperiode? Richtig ist, Herr Kol-ege Miersch – darin bin ich mit Ihnen völlig einig –,ass wir ein erhebliches Arbeitspensum hinter uns ge-racht haben. Wir haben mehrere Anhörungen zu durch-us wichtigen Themen wie Infrastruktur und Demografieder die Nachhaltigkeitsprüfung durchgeführt.Richtig ist auch, dass zum ersten Thema ein fraktions-bergreifender Antrag im Verkehrsausschuss vorlag undass die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundes-inisterien geändert wird, um Gesetzesvorhaben aufachhaltigkeit hin zu prüfen.Ich denke aber, dass das gerade bei dem zweitenhema nur ein erster Schritt sein kann. Die Diskussionber eine Nachhaltigkeitsprüfung muss fortgesetzt wer-en.
as Gesetzgebungsverfahren muss transparent und fürlle Menschen nachvollziehbar werden.Der Beirat hat Reisen durchgeführt und dabei interna-ionale Kontakte geknüpft. Wir hatten Studenteninitiati-en da und haben mit ihnen diskutiert, genauso wie Un-ernehmerorganisationen. Ich möchte aber nicht denericht des Beirats wiederholen, zumal vieles schon er-ähnt wurde. Ich möchte vielmehr auf die anfangs ge-tellten Fragen zurückkommen: Reicht das? Was bleibt?at der Beirat einen Beitrag dazu geleistet, dass dasrinzip der nachhaltigen Entwicklung in der Gesell-chaft, der Politik und der Gesetzgebung mehr Eingangand? Hat der Beirat irgendetwas bewirken können?chauen wir uns die Praxis an. Zur Erinnerung: Daseitbild einer nachhaltigen Entwicklung umfasst denusgleich wirtschaftlicher, sozialer und ökologischerelange im Hinblick auf die Interessen heutiger undünftiger Generationen. Ich glaube, Herr Kollegeauch, spätestens an diesem Punkt haben wir ein unter-chiedliches Verständnis. Sie denken bei Nachhaltigkeitn Generationenbilanzen und glauben, man könne allesuf Euro und Cent sozusagen ausrechnen. Fragen nachkologischen und sozialen Belangen haben Sie heuteberhaupt nicht gestellt. Hier zeigt sich deutlich, wo Sietehen.Gestern wurde ein Antrag im Umweltausschuss be-chlossen, auf dem der Name meiner Partei nicht auf-aucht. Das hat auch seine Gründe. Sie haben nämlich iner Begründung ausgeführt, dass das Leitbild der nach-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24043
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Lutz Heilmannhaltigen Entwicklung auf vielen Politikfeldern verankertist. Ich frage Sie: Auf welchen Politikfeldern ist es denntatsächlich verankert? Gestern haben wir eine umfang-reiche Anhörung zum Bau einer festen Fehmarnbelt-Querung im Verkehrsausschuss durchgeführt. Unabhän-gig davon, dass offensichtlich einigen hier im Hause dieUmweltauswirkungen völlig gleichgültig sind, ist es einUnding, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, dass ein von Ihnen benannter Sachverständigerdort öffentlich äußert, auf ein paar Hundert MillionenEuro mehr oder weniger komme es bei diesem Projektnicht an. Welch ein Verständnis von finanzieller Nach-haltigkeit ist das?
Offenbar sind Sie eher von den Baukonzernen, die hinterdem Projekt stehen, getrieben als von den Interessenkünftiger Generationen, die Sie hier immer so hervorhe-ben. Beachteten Sie dabei die Interessen künftiger Ge-nerationen, dann kämen Sie ganz schnell dazu, diesesBrückenprojekt – genauso wie es der Umweltministervor reichlich einem Jahr getan hat – als bekloppte Ideezu bezeichnen und ganz einfach zu begraben.Schauen wir weiter. Nehmen wir die Abwrackprämie.Wollen Sie diese allen Ernstes als Beispiel für eine nach-haltige Politik nennen? Ist es nachhaltig, völlig intakteAutos zu verschrotten? Kommen Sie mir jetzt nicht mitdem Argument, dass dafür umweltschonende Autos ge-kauft werden. Die Bundesregierung hat mir als Antwortauf eine Kleine Anfrage schriftlich mitgeteilt, dass über-haupt nicht nach den CO2-Werten der neuen Autos ge-fragt wird. Insofern können darüber gar keine Aussagengemacht werden. Ihre Behauptung, es würden haupt-sächlich umweltschonende Autos gekauft, stimmt alsonicht. Was machen Sie, wenn diese zusätzlichen Wahl-kampfmittel ausgegeben sind? Was passiert dann in denAutowerken und den Autohäusern? Ich frage Sie aber,liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Wer hattedenn die Idee der Abwrackprämie? Nach meiner Erinne-rung war das Ihr Kanzlerkandidat.
Selbst der Kanzleramtsminister Thomas de Maizière hatin der letzten Beiratssitzung – das wurde heute schon öf-ter angesprochen – deutlich gemacht, dass er Zweifelhat, ob die Abwrackprämie einer Nachhaltigkeitsprü-fung standgehalten hätte. Ich bitte Sie: Wie sieht denndie Praxis aus?Als letztes Beispiel das Generationengerechtigkeits-gesetz. Herr Kollege Kauch, ich finde es schon bemer-kenswert, dass gerade diejenigen, die den Gesetzentwurfeingebracht haben, im Beirat als neutrale Beobachtereine Stellungnahme abgegeben haben. Mit Ihrem Zwangzum Sparen auf Kosten künftiger Generationen raubenSie diesen die Zukunft und erhalten sie nicht.
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Sylvia Kotting-Uhl hat das Wort für Bündnis 90/Die
rünen.
So ein Kompliment am Anfang bringt mich ganzurcheinander.
as ist völlig ungewohnt.
ch will damit beginnen, dass im Parlamentarischen Bei-at das Konsensprinzip gilt. Das habe ich gestern im
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24044 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009
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Sylvia Kotting-UhlAusschuss sehr gelobt habe, weil es ein erfrischenderGegensatz zu dem ist, was wir ansonsten alle ohne Aus-nahme betreiben. Es ist für die Einschätzung des Parla-mentarischen Beirats, für seine Arbeit und für die Vor-stellung, wie die Arbeit weitergehen soll, bezeichnend.Dieses Prinzip gilt mit einer kleinen Ausnahme: HerrHeilmann, ich gebe Ihnen teilweise recht, aber nicht inder grundsätzlichen Einschätzung. Da schließe ich michHerrn Miersch, Herrn Kauch und Herrn Weinberg an.Deswegen will ich darüber nicht so viel reden, weil ichnur das wiederholen könnte, was vorhin schon gesagtwurde.Ich möchte gerne über die Frage reden – das gehtmehr dahin, was Sie aufgeworfen haben, Herr Heilmann –:Was bleibt? Ich möchte es aber eher so formulieren: Wasist das dicke Brett, das der Parlamentarische Beirat zubohren hat? Die Frage „Was bleibt?“ kann man mit dergleichen Berechtigung bezüglich der Arbeit eines jedenAusschusses stellen. Wenn ich auf der einen Seite dieZeit, die vielen Abgeordneten und die Ressourcen, diehineinfließen, betrachte und auf der anderen Seite minu-tiös aufliste, was dabei herauskommt, dann kann manimmer sagen: Die Arbeit dieses Ausschusses ist ineffizi-ent.Aber ich glaube, Demokratie hat nun einmal den Ma-kel, ineffizient zu sein. Wir müssen immer viele Interes-sen berücksichtigen und diese Interessen ausgleichen.Letztlich stimmt der Begriff „dicke Bretter bohren“ fürdie Arbeit des Parlamentarischen Beirats genauso wiefür die Arbeit eines jeden anderen Ausschusses.Unser dickes Brett lässt sich wie folgt beschreiben:Wie erreichen wir einen Fortschritt – wir haben sehrlange über den Fortschrittsbericht der Bundesregierunggeredet – dergestalt, dass wir hinsichtlich der Nachhal-tigkeit vom Reden ins Handeln übergehen? Das ist wiebei vielen anderen Dingen – das war damals bei der Um-weltpolitik genauso – ziemlich schwierig. Wir erlebenzumindest in Sitzungswochen tagtäglich das genaue Ge-genteil dessen, was als dritte Forderung im Entschlie-ßungsantrag steht: Die Nachhaltigkeitsziele sollen nichtanderen kurzfristigen Zielen untergeordnet werden,wenn damit langfristig eine soziale, ökologische undökonomische Entwicklung gefährdet wird. – Wir erlebenin Sitzungswochen täglich, dass diese Forderung nichteingehalten werden kann.Ich will das aber nicht kleinreden. Ich glaube, Redenist der erste Schritt, etwas durchzusetzen. Es kann nichtsofort mit dem Handeln begonnen werden. Dass dieKanzlerin und Minister davon reden, was wir tun müs-sen, wie wir die Gesellschaft verändern wollen und wiewir Politik so gestalten, dass sie nachhaltig ist, ist einerster Schritt und darf daher nicht kleingeredet werden.
Es ist auch für Nachhaltigkeitspolitiker und Nachhal-tigkeitspolitikerinnen, wenn ich uns einmal so nennendarf, schwierig, die drei Säulen der Nachhaltigkeit insGleichgewicht zu bringen. Staatssekretär Müller hat ges-tern im Ausschuss davon geredet, dass die Ökologie so-zebsged–wzlbggichlszÖsAwmtitelnwnrPuItrsvwGeshNsohfrjcw
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen. Man kannich manchmal mit der Einführung neuer Indikatorender neuer Teilindikatoren ein Stück weit vertun. Wiraben, was eigentlich ein Erfolg ist, Ersatzindikatorenür den bisherigen Indikator 14, Gesundheit und Ernäh-ung, der immer etwas unfassbar war, eingeführt. Es gibtetzt drei neue Indikatoren: vorzeitige Sterblichkeit, Rau-herquote und Menschen mit Adipositas. Wenn wir das,as wir als Indikatoren festlegen und was sich nachher
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Sylvia Kotting-Uhlin den Fortschrittsberichten wiederfindet, in der Politikumsetzen wollen, also den Fortschritt tatsächlich voran-bringen wollen, dann ist zumindest bei den IndikatorenRaucherquote und Menschen mit Adipositas die Präven-tion absolut entscheidend, wenn wir Erfolge erzielenwollen. Deshalb hat der Beirat einhellig bemängelt, dassbei diesen Indikatoren nicht der Anteil der Jugendlichenherausgefiltert wird, und zwar sowohl beim Rauchen– denn häufig handelt es sich um Minderjährige – alsauch bei dem Indikator Adipositas. Beidem ist nur zu be-gegnen, wenn wir präventiv arbeiten. Dazu müssen wirwissen, wie viele junge Menschen davon betroffen sind.Es nützt uns nichts, zu wissen, wie viele fettleibige Men-schen wir in unserer Gesellschaft haben, es nützt unsnur, wenn wir wissen, wie viele Jugendliche mit diesemDefizit ins Erwachsenenleben starten. Nur dann kannman geeignete Strategien entwickeln.Ich will zum Schluss – die Zeit geht doch schnellerherum, als man denkt – noch an eines erinnern. EinigeMitglieder des Beirats für nachhaltige Entwicklung ha-ben eine Reise nach Norwegen unternommen. Mir istdieses Land als unglaubliches Beispiel für Nachhaltig-keit in Erinnerung geblieben, vor allem deshalb, weilNorwegen seine immensen Einnahmen, die es aus denÖl- und Gasverkäufen erzielt, nicht in den Haushaltsteckt, sondern in einen Staatsfonds einbringt. DieserStaatsfonds ist für die nachfolgenden Generationen be-stimmt, wenn Öl und Gas verbraucht sind. Alles, wasvom Staat erwartet wird – das ist relativ viel, zum Bei-spiel Infrastruktur usw; da wird fast mehr als bei uns ge-leistet –, wird über Steuern finanziert. Das heißt, dieMenschen zahlen ihre Steuern, obwohl sie wissen, dassungeheuer viel Geld in einem Staatsfonds ist, das nichtangegriffen wird. Das tun sie, wenn ich das richtig mit-bekomme, mit weniger Gemecker als bei uns. Das isteine Vereinbarung zwischen Politik und Gesellschaft,die ich bewundernswert finde. Ich frage mich vor demHintergrund schon, warum bei uns etliche glauben, siemüssten in einem Wahljahr, wenn es auf die Bundestags-wahl zugeht, den Menschen Steuersenkungen verspre-chen, obwohl kein Mensch weiß –
Frau Kollegin.
– ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin –, wie das mit
Konjunkturprogrammen und Bürgschaften, die im Ernst-
fall auch einmal abgerufen werden können – sonst
brauchte man sie nicht –, und einer doch immerhin beab-
sichtigten Konsolidierung des Haushaltes zusammenge-
hen soll. Das ist absolute Unnachhaltigkeit.
Frau Kollegin.
Es ist leider auch ein Beispiel dafür, dass das Tun
vom Reden noch nicht eingeholt worden ist.
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Als Nächster spricht Ernst Kranz für die SPD-Frak-
ion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Heute liegt uns der zweite Tätigkeitsberichtes Beirates für nachhaltige Entwicklung vor. Weil dieetzte Legislaturperiode verkürzt wurde, konnten wir da-als den Tätigkeitsbericht des Beirates nicht mehr be-prechen. Wir haben dann aber am 6. April, Herreilmann, als der Deutsche Bundestag den Parlamenta-ischen Beirat wieder ins Leben gerufen hat, über dieufgaben des Beirates gesprochen.So wichtig und unbestritten auch die Einsetzung war,am doch etwas in der ganzen Diskussion zu kurz: Wiraben nicht über unsere personelle Ausstattung, über un-ere Kompetenzen und über das, was wir nicht leistenonnten, gesprochen. Mein Kollege Weinberg hat daschon gestreift. Ich möchte seine Ausführungen einfachit einigen Beispielen begleiten und sagen, dass es na-ürlich wichtig ist, dass wir uns mit Nachhaltigkeit be-assen. Aber es ist auch wichtig, dass wir als Gremiumahrgenommen werden und die notwendigen Mittel zurerfügung gestellt bekommen, um überhaupt wirken zuönnen.Gemäß dem Grundsatz der von der Legislaturperiodenabhängigen und konsensualen Arbeitsweise konnteer Beirat in der jetzigen Legislaturperiode unter Rot-chwarz sofort da weitermachen, wo er unter Rot-Grünufgehört hatte. Das zeigt schon, dass die Arbeitsweisees Beirates nachhaltig ist.Aufgrund der vorgezogenen Bundestagswahl konntenir in der letzten Legislaturperiode die Anhörung zumhema demografischer Wandel nicht mehr durchführen.ir haben sie gleich zu Beginn dieser Legislaturperiodeieder auf die Tagesordnung gesetzt, weil wir der Mei-ung waren und sind, dass dieses Problem durch die Ge-ellschaft und von allen, die in der Gesellschaft Verant-ortung tragen, viel stärker wahrgenommen werdenuss.Ich bin Mitglied im Ausschuss für Verkehr, Bau undtadtentwicklung und weiß deshalb sehr gut, dass wirns gerade in diesem Bereich um nachhaltige Infrastruk-ur bemühen. Als Beispiel nenne ich den Wohnungsbau.ahre- oder jahrzehntelang wurden in Deutschland Woh-ungen gebaut, weil der Bedarf da war, aber in den 90er-ahren stellten wir dann fest, dass es vor allem im Ostenohnungsleerstand gibt. Als Konsequenz hat die Regie-ung 2002 das Programm „Stadtumbau Ost“ aufgelegt,nd im Ausschuss beraten wir gerade darüber, es bisum Jahr 2016 zu verlängern. Auch hier haben wir er-
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Ernst Kranzkannt, dass man handeln muss. Die Ursachen sind unsallen bekannt.Das ist nur ein Beispiel von vielen. Ich kann immernur Beispiele aus dem Ministerium zitieren, für dessenBereich ich mitverantwortlich bin. Herr Heilmann, ichglaube schon, dass wir auch viele positive Dinge erwäh-nen können.In der Anhörung zum Thema „Demografischer Wan-del und nachhaltige Infrastrukturplanung“ – der Berichtwurde hier im Plenum bereits beraten – ging es um dieFrage, inwieweit der Staat die öffentliche Daseinsvor-sorge im ländlichen Raum noch gewährleisten kann, wasja eigentlich seine Aufgabe ist. In dem Zusammenhangstellt sich aber auch die Frage: Wie ist es möglich, diesauch zu finanzieren und diese Finanzierung für den Bür-ger erträglich zu gestalten?Das waren im Prinzip die Probleme, mit denen wiruns beschäftigt haben und die im Bericht auch darge-stellt werden. Wir haben Stellungnahmen des Ministe-riums angefordert, und ich bedanke mich an dieser Stelleausdrücklich bei dem Parlamentarischen StaatssekretärKasparick dafür, dass wir alle erbetenen Stellungnahmenpünktlich bekommen haben. Wir werden uns im Beiratdamit noch vor Ablauf dieser Legislaturperiode beschäf-tigen.Der Bericht zeigt, dass der Beirat, weil er kein eige-nes Initiativrecht hat, die Kooperation und Zusammen-arbeit mit den bestehenden Gremien umso intensiver su-chen muss.Die wichtigste Aufgabe des Beirats ist die Begleitungder Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung. Wirhaben sie schon im Jahre 2004 begleitet – als der Beirateingesetzt wurde, war diese Strategie gerade veröffent-licht worden –, und wir haben sie mit den nachfolgendenBerichten ebenfalls begleitet. Ich verweise auf den„Indikatorenbericht 2006“, der – anders als vorgesehen –durch das Statistische Bundesamt erstellt und vorgelegtwurde. Nach unserer Einschätzung hat er eine gute Qualität.Außerdem verweise ich auf den „Fortschrittsbericht 2008der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie Deutschlands“der Bundesregierung.Wir als Beirat sind damit einverstanden, dass esfortan alle vier Jahre einen Fortschrittsbericht geben soll;in den Jahren dazwischen soll der Bericht über die Ent-wicklung der 21 Nachhaltigkeitsindikatoren vorgelegtwerden.Vergleicht man die Relevanz der Nachhaltigkeits-aspekte in den politischen Aktivitäten, kommt man zudem Ergebnis, dass seit dem Jahr 2002 durch die Imple-mentierung der Nachhaltigkeitsstrategie das Bewusst-sein für dieses Anliegen immens erweitert worden ist.
Eines der wichtigsten Ergebnisse des erweitertenBewusstseins ist die aktuelle Zusage der Regierung– hierüber wurde schon gesprochen –, die Nachhaltig-keitsprüfung künftig im Gesetz zu verankern.sbgzSHApursrddnLrtpdrddZstdbtresIzdfg–z
Patrick Döring hat das Wort für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!unächst einmal sind wir gut beraten, darauf hinzuwei-en – die Kolleginnen und Kollegen haben das schon ge-an –, wie gut, harmonisch und auch sachorientiert wir iniesem Parlamentarischen Beirat bisher gearbeitet ha-en. Herausgekommen sind nicht nur Papier und gutach-erliche Stellungnahmen. Ich verweise ganz bewusst da-auf – das kann ich guten Gewissens tun; schließlich hats einen Konsens gegeben –, dass wir als Parlamentari-cher Beirat seinerzeit im Bericht über Demografie undnfrastruktur vorgeschlagen haben, ein Programm analogum KfW-Gebäudesanierungsprogramm aufzulegen,urch das der altersgerechte Umbau von Wohnungen ge-ördert wird. Dass die Bundesregierung und die sie tra-ende Mehrheit das im Bundeshaushalt umgesetzt haben das darf man als Opposition einmal lobend erwähnen –,eigt, dass dieser Beirat an manchen Punkten Avant-
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Patrick Döringgarde war. Am Ende ist vieles von dem, was er erarbeitethat, in praktische Politik umgesetzt worden.
So stellen wir uns Parlament vor. Ich hoffe sehr, dasssich auch die Bürgerinnen und Bürger Parlament so vor-stellen, dass sich gute Ideen am Ende – unabhängig vonder Frage, ob sie von Vertretern der Oppositions- oderder Regierungsfraktionen vertreten werden – durchset-zen.Ich kann mir nicht verkneifen, Folgendes zu den Aus-führungen des Kollegen Heilmann zu sagen. Ich finde esschon bemerkenswert, dass Sie sich nach dreieinhalbJahren immer noch intellektuell verweigern, zur Kennt-nis zu nehmen, dass Generationenbilanzen nicht aus-schließlich eine Betrachtung der monetären Auswirkun-gen auf kommende Generationen sind.
Wenn Anhörungen in diesem Haus überhaupt einen Sinnmachen sollen, dann doch wohl den, dass Erkenntnissegewonnen werden und man nicht seine Vorurteile perpe-tuiert. Aber ganz offensichtlich ist das zu viel verlangt.Wenn es ein bewiesenermaßen nicht nachhaltiges Sys-tem gab, dann war es der real existierende Sozialismusauf deutschem Boden, sehr geschätzter Herr KollegeHeilmann.
Die Empirie ist manchmal wertvoller als der eine oderandere träumerische Gedanke, sei er auch noch so oftaufgeschrieben. Deshalb sind wir gut beraten, uns an dasanzulehnen, was die Kollegin Kotting-Uhl hier einge-führt hat. Es ist die Forstwirtschaft, aus der der Nachhal-tigkeitsgedanke stammt, entwickelt seinerzeit übrigensnicht so sehr wegen der Schönheit der Bäume und derWälder, sondern aus ganz nüchternem Gewinnstreben.Das zeigt wieder einmal, dass Ökologie und Ökonomiesehr gut zusammenpassen
und dass nachhaltiges Wirtschaften am Ende auch zunachhaltigen Gewinnen führt. Diese Gewinne könnenübrigens 25 Prozent Rendite auf das Eigenkapital über-steigen. Man muss es nur richtig machen. Das ist eineFrage unternehmerischer Glaubwürdigkeit und unter-nehmerischen Mutes.
Das zeigt aus meiner Sicht auch, geschätzte Kollegin-nen und Kollegen: Wir alle hier im Hause – ich glaube,das darf man sagen – müssen aufpassen, dass wir nichtden Zerrbildern erliegen, die uns gelegentlich vorgeführtwerden, sei es durch die elektronischen Medien, sei esdurch Interessengruppen. Die Mehrheit der Unterneh-men in Deutschland wirtschaftet nachhaltig, langfristigund solide. Die meisten mittelständischen Unternehmenbei uns sind sehr viel älter als die BundesrepublikDudgnnWbmgdgzMfgnkwlDmnngnsnmWaiwvkravB
Der Kollege Dr. Andreas Scheuer hat jetzt das Wort
ür die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-en! Das gute Klima im Parlamentarischen Beirat fürachhaltige Entwicklung darf heute auch der Öffentlich-eit präsentiert werden, nämlich durch einen Glück-unsch der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an den Kol-egen Döring, der gestern Geburtstag gehabt hat.
as soll nur ein Beispiel dafür sein, dass wir im Parla-entarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung mit ei-igen Images von Politik aufräumen.Ein Image von Politik ist, dass sie nicht über denächsten Wahltag hinausdenken kann. Gerade wir Kolle-innen und Kollegen im Parlamentarischen Beirat fürachhaltige Entwicklung demonstrieren mit dem Kon-ensprinzip, dass es uns nicht darum geht, bis zumächsten Wahltermin effekthascherisch einen Punkt zuachen, sondern darum, visionär über den nächstenahltag hinauszudenken. In solch einer Debatte mussuch einmal gesagt werden, dass Politik durchaus fähigst, über lange Zeiträume visionär zu denken. Das lebenir in diesem Beirat vor.
Das nächste Image von Politik ist, dass sie nicht nach-ollziehbar ist. Gerade durch die Nationale Nachhaltig-eitsstrategie der Bundesregierung, den Indikatorenbe-icht und den Fortschrittsbericht ist Politik messbar unduch transparenter geworden. Es gibt da Indikatoren miterschiedenen Unterkategorien. Wenn Bürgerinnen undürger ins Internet gehen und sich informieren, werden
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Dr. Andreas Scheuersie feststellen, dass Politik über solche Indikatoren mess-bar ist. Fragen der Art „Wie gut war die Politik? Wieschlecht hat sie auf bestimmte Umstände reagiert?“ las-sen sich so beantworten. Die Politik wird messbar undtransparenter.Es ist eine gute Botschaft, wenn wir den Bürgerinnenund Bürgern sagen, dass wir eine Leistungsbilanz vorle-gen und aufzeigen können, bei welchen Indikatoren mannachbessern muss. Ich erinnere an den Indikator „Güter-transportintensität“. Dieser Indikator hat in Zeiten, in de-nen die Wirtschaft floriert, natürlich höhere Werte. Wennwir uns aber im Abschwung, in der Rezession befinden,dann geht die Gütertransportintensität zurück. Dieszeigt, dass Veränderungen der Nachhaltigkeit nicht nurvon der Politik, sondern auch von wirtschaftlichem Han-deln beeinflusst werden.Indikatoren sind Teil eines dynamischen Prozesses.Daher haben wir uns vor Augen zu führen, dass wir Indi-katoren immer wieder nachbessern und aktuell anpassenmüssen. Die Botschaft soll aber sein, dass Politik mess-bar und transparent ist. Dazu haben wir in diesem Parla-mentarischen Beirat beigetragen.
Ein weiteres Image von Politik besagt, dass Politikersich nicht über Fraktionsgrenzen hinweg einigen kön-nen. Gerade im Parlamentarischen Beirat für nachhaltigeEntwicklung zeigen wir durch fraktionsübergreifendesHandeln, auch wenn man in den Fraktionen manchmalheilige Kühe aufgeben oder sich etwas reduzieren muss,dass wir zum Kompromiss und letztlich zum Konsenskommen. Die Botschaft lautet: Es gibt in der Demokratienicht nur Streit. Streit um Positionen gehört natürlichdazu; das ist nichts Nachteiliges. Aber gerade in diesemParlamentarischen Beirat – Herr Heilmann, es gibt einpaar Ausnahmen – werden wir uns auch in Zukunft nachdem Konsensprinzip einigen, weil wir ein gutes Klimapflegen, uns aber auch über die Botschaften einig sind,die wir in die Zukunft hineintragen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Demografie undInfrastruktur waren ein Schwerpunktthema. Gerade diesoziale Frage von Mobilität – dies sage ich auch als Ver-kehrspolitiker – wird eine Herausforderung sein.
Die ländlichen Räume müssen zu den Ballungsräumenin Bezug gesetzt werden. Wir haben uns darüber sehrviele Gedanken gemacht.Wenn wir in die Zukunft schauen, fallen mir zweiBausteine ein, die in den nächsten Monaten, aber auch inder nächsten Wahlperiode für den ParlamentarischenBeirat wichtig sein werden: Erstens wird es im Hinblickauf die Frage, wie wir in Europa, insbesondere aber inder Bundesrepublik Deutschland die Energieversorgungorganisieren, natürlich Streit unter den Fraktionen ge-ben. Bei diesem Thema werden wir uns nicht so leichtim Konsensprinzip einigen können. Zweitens wird es umdgrmKdswtIklAkcgsmAiwKgEBBsdEcrGzisFErhsgKssBg
Jetzt hat Gabriele Groneberg das Wort für die SPD-
raktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!s ist schon einiges über die Breite der Arbeit des Bei-ats gesagt worden. Wir haben auch viel über die Nach-altigkeitsstrategie der Bundesregierung und unsere Po-itionen dazu gesprochen sowie unsere Kritik deutlichemacht.Ich möchte jetzt auf einen Punkt eingehen, den dieollegin Kotting-Uhl schon kurz gestreift hat. Der Fort-chrittsbericht wie auch der Bericht des Parlamentari-chen Beirats setzen sich ausführlich mit dem deutscheneitrag zum Thema Welternährung auseinander. Ichlaube, wir brauchen nicht darüber zu streiten, dass die
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Gabriele Gronebergglobale Dimension, die wir darin ansprechen, sehr wich-tig ist und dass wir sie beim Thema Nachhaltigkeit zuberücksichtigen haben.
Unsere nationalen Bestrebungen, den Menschen undder Umwelt gerecht zu werden, dürfen nicht zulasten an-derer gehen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Biomasse-nutzung. Wir haben, lieber Kollege Heilmann, auch dazuim Konsens eine Aussage getroffen, die ganz erstaunlichist. Auf der einen Seite stehen die BemühungenDeutschlands und der EU, die CO2-Bilanz zu verbessern.Deshalb haben wir unter anderem die Quote der Biomas-senutzung im Kraftstoffbereich erhöht. Aber auch dieVerwendung von Biomasse zur Erzeugung von Biogasist mit Blick auf unser Ziel, den Anteil der erneuerbarenEnergien an der Strom- und Wärmeerzeugung massiv zuerhöhen, von sehr großer Bedeutung. Diese Ansätze sindfür uns mit vielen Vorteilen verbunden, gar keine Frage.Sie sind sinnvoll, um unseren Energiebedarf langfristigund nachhaltig zu sichern.Aber auf der anderen Seite sind mit dem erhöhten Be-darf und dem Import von Biomasse Risiken verbunden,die in erster Linie Schwellen- und Entwicklungsländerbetreffen. Durch die Konkurrenz bei der Nutzung vonFlächen besteht die Gefahr, dass der Anbau von Energie-pflanzen zu Nahrungsengpässen bei der armen ländli-chen und urbanen Bevölkerung führt. Das ist auch imFortschrittsbericht der Bundesregierung ganz explizitbeschrieben, der sich zu einem Großteil auch mit derEntwicklungspolitik beschäftigt. Das kann man dort alsonoch einmal ausführlich nachlesen. Ähnliche Folgen ha-ben Preissteigerungen bei Lebensmitteln wie Reis undGetreide, die zum Teil auf die erhöhte Produktion vonEnergiepflanzen zurückzuführen sind.Aber nicht nur im Ausland, sondern auch bei unsexistieren in einigen Regionen bereits negative Effektedurch den massiven Einsatz von Biomasse zur Biogas-erzeugung. Ich weiß, wovon ich rede; denn ich kommeaus einem Landkreis, in dem es die größte Dichte an Bio-gasanlagen gibt. Die Folge sind Monokulturen durch denAnbau von Mais für Biogasanlagen und höhere Pacht-preise für Ackerland, die von Landwirten bezahlt wer-den müssen, die Getreide, Gemüse oder Obst anbauen.Und die Landwirte, die Viehzucht betreiben, müssen hö-here Preise für Futtermittel bezahlen. Das zeigt uns, dasswir die Entwicklung in diesem Punkt nicht unkontrolliertlaufen lassen dürfen.Ich betone an dieser Stelle ausdrücklich, dass nichtnur wir vom Einsatz von Biomasse profitieren, sondernauch die Entwicklungsländer, indem zum Beispiel dieZunahme der Biomasseimporte aus Schwellen- und Ent-wicklungsländern zu wünschenswert steigenden Export-erlösen für diese führen. Dadurch werden Mittel zur Ar-mutsbekämpfung in den Ländern freigesetzt.
Die Biomasseproduktion führt zu erhöhter Wertschöp-fung und Beschäftigung im ländlichen Raum. Deshalbwäre es vollkommen falsch, den Einsatz von Biomassein den unterschiedlichen Bereichen zu verteufeln. Es istjwwgDskdrmbasBptgcZrAddnbniguzaddltivtrkdmndsdmez
Im Fortschrittsbericht wie auch im Bericht des Beiratsibt es dazu Stellungnahmen mit deutlichen Aussagen.as finde ich, gerade durch den Konsens der Fraktionen,ehr bemerkenswert. Wir sind nämlich der Ansicht – daann man wirklich sagen: wir –, dass in den Fällen, inenen Konflikte nicht auszuräumen sind, die Ernäh-ungssicherung Vorrang vor anderen Nutzungen habenuss.
Auch der Konsultationsprozess zu dem Fortschritts-ericht hat deutlich gezeigt, dass er bei den Menschenngekommen ist. Gerade zu diesem Punkt haben sichehr viele geäußert. Sie haben sich mit den Risiken deriomasseproduktion auseinandergesetzt und sich dazuositioniert.Wir wollen auf jeden Fall, auch im Sinne der Nachhal-igkeitsstrategie, nicht darin nachlassen, Fehlentwicklun-en in den Bereichen Klimaschutz und Ernährungssi-herheit zu vermeiden. Wir brauchen dazu ein wirksamesertifizierungsinstrument – auch das haben wir in unse-em Bericht festgestellt –, das die Nachhaltigkeit beimnbau und bei der Produktion von Biomasse sicherstellt.Nun gibt es endlich die EU-Nachhaltigkeitsrichtlinie,ie wir schon lange erwartet haben. Deutschland war iniesem Zusammenhang Vorreiter, wir wollten dazu eineationale Verordnung verabschieden. Wir sind dann einisschen ausgebremst worden, weil die EU eine Verord-ung beschließen wollte, die für die ganze EU gilt; dasst ja auch sehr sinnvoll. Es hat nun ein bisschen längeredauert; aber es gibt sie jetzt endlich. Wir können nunnsere beiden geplanten Nachhaltigkeitsverordnungenum Strom und zu Kraftstoffen mit der EU-Richtliniebgleichen und im Parlament verabschieden. Wir wer-en ganz besonders darauf achten, dass die Kriterien füren Biomasseanbau in diesen Verordnungen so festge-egt werden, dass hier Nachhaltigkeit besteht. Als nächs-en Schritt müssen wir dringend – damit werden wir unsm Beirat in der nächsten Legislaturperiode im Rahmenon Energiefragen beschäftigen – die Zertifizierungssys-eme für den Biomasseanbau international implementie-en. Ohne diesen Schritt werden wir in diesem Bereicheinen nachhaltigen Erfolg erreichen.Wir haben mit Sicherheit bei unserer Arbeit eineseutlich gemacht: Es ist auch wichtig, die globale Di-ension zu berücksichtigen. Wir werden uns in denächsten Jahren sicherlich noch häufig damit auseinan-erzusetzen haben, welche Auswirkungen unsere Ent-cheidungen im internationalen Kontext haben. Geradeie Finanz- und Wirtschaftskrise hat gezeigt, dass keinerehr ohne den anderen ist. Insoweit ist es für den Beiratine Aufgabe, genau diesen Punkt stärker in den Fokusu nehmen.)
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Gabriele Groneberg
Dem Kollegen Dr. Günter Krings gebe ich jetzt das
Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Als Vorsitzender des Parlamentarischen Beiratsfür nachhaltige Entwicklung freue ich mich, in der letz-ten Debatte, die wir in dieser Wahlperiode dazu führenwerden, das Wort zum Abschluss ergreifen zu dürfen.Wir blicken auf in der Tat drei arbeitsreiche Jahre zu-rück. Von daher kann man unseren Bericht heute mit Fugund Recht als Arbeitsbericht bezeichnen. Gewisser-maßen ist er auch ein Abschlussbericht, wobei das nichtganz stimmt; denn wir arbeiten weiter – wir werden alleSitzungswochen, die uns verbleiben, ausnutzen – an denperspektivischen Fragen, daran, wie wir Nachhaltigkeitauch in der nächsten Wahlperiode im Bundestag im Ge-setzgebungsverfahren verankern können.Wir haben uns mit einer Reihe von Themen beschäf-tigt – die meisten sind genannt worden –: Es gabAnhörungen und gutachterliche Stellungnahmen zumKlimawandel, gemeinsam mit dem Umweltausschuss,bis hin zu Generationenbilanzen, Nachhaltigkeitsprüfun-gen, Demografie und Infrastruktur, zum Generationen-gerechtigkeitsgesetz, also dazu, Generationengerechtig-keit als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen. Wirhaben dabei eine Reihe von Akzenten gesetzt, vor allemaber deutlich gemacht – heute wird es leider etwas über-deutlich –, dass Nachhaltigkeit eine parlamentarischeAufgabe und nicht nur eine Aufgabe der Exekutive, derBundesregierung, ist. Angesichts der Wichtigkeit diesesThemas ist es richtig, das deutlich zu machen.
Im Hinblick auf den Nachhaltigkeitsprozess sind wirjetzt – das haben die Debattenbeiträge gezeigt – bei ei-nem ganz entscheidenden Punkt. Die Nachhaltigkeits-strategie der Bundesregierung ist durch mehrere Fort-schrittsberichte relativ gut ausgereift. Sie muss natürlichweiter überarbeitet werden. Aber jetzt geht es um diepraktische Relevanz. Besteht diese schon? Ich sage ein-mal: Sie besteht bedingt. In Sachen Nachhaltigkeits-management, bei der Umsetzung der Ziele der Strategiein praktische Politik, in praktische Gesetzgebungsarbeit,ist noch jede Menge zu leisten. Es gibt sehr positiveAnsätze. Ich habe mich beispielsweise gefreut, dass derStaatssekretärsausschuss – neudeutsch: das Green Cabinet –fast monatlich zusammenkommt. Es gibt deutlich ver-mehrte Sitzungsfolgen unter Vorsitz von Kanzleramts-chef de Mazière. Wir haben das Thema Nachhaltigkeits-prüfung – Herr Kollege Miersch hat es angesprochen –der Bundesregierung so nahegebracht, dass sie es in ei-ndUeGsmagRGsWeugnaotaBchfmBaDNZBkaHDADsw3eknom
Bei diesem Thema wird es sicherlich von Vorteil sein,ach dem Vorbild des Normenkontrollrats auch eine un-bhängige Instanz zu haben, die noch einmal gegenprüft,b das, was sich ein Ministerium zum Thema Nachhal-igkeit ausgedacht hat, nicht nur weiße Salbe, sondernuch ernst gemeint ist. Um einmal ein ganz konkreteseispiel zu nennen: Ich glaube, dass wir die Pflegeversi-herung bei einer Nachhaltigkeitsprüfung auch heuteätten, sie würde aber vielleicht auf einer solidereninanziellen Grundlage stehen.Wenn wir uns über das Thema Nachhaltigkeits-anagement unterhalten, müssen wir dafür sorgen, dassund, Länder und Kommunen hier stärker zusammen-rbeiten. Nehmen wir das Beispiel Flächenverbrauch.ie Zielvorgabe lautet 30 Hektar am Tag.
ach dem Istzustand sind es 120 Hektar am Tag. Dasiel erreichen wir nicht allein durch Maßnahmen desundes. Die Länder müssen hier stärker mit ins Boot.
Das Thema Nachhaltigkeit ist in diesen Tagen – manönnte fast sagen: in diesen Monaten und Jahren –ktueller denn je. Der Klimawandel ist auch in diesemaus seit geraumer Zeit ein Gegenstand bedeutenderebatten. Ihm entgegenzuwirken ist eine klassischeufgabe im Rahmen einer nachhaltigen Umweltpolitik.abei geht es beispielsweise nicht darum, sofort sichtbaraubere Flüsse zu erhalten, sondern darum, eine Um-eltvorsorge zu betreiben, bei der wir dann in 20 bis0 Jahren die Auswirkungen unseres heutigen Handelnsrleben. Wenn wir richtig handeln, werden die Auswir-ungen positiv sein. Das ist eine klassische Aufgabe derachhaltigen Umweltpolitik im Gegensatz zur tages-rientierten Umweltpolitik.Das zweite Beispiel ist die Schuldenkontrolle. Manag die Arbeit der Föderalismuskommission II in vielen
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24051
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Dr. Günter KringsEinzelpunkten kritisieren, dass wir aber eine neue Per-spektive haben, mit einer neuen Schuldenbremse jeden-falls einen neuen ernsthaften Versuch zu machen, ist fürdas Thema gut und wichtig und wird, so glaube ich, auchvon der übergroßen Zahl der Mitglieder dieses Beiratssehr unterstützt.Das dritte Beispiel – ich glaube, das sollte man in die-sen Tagen in jedem Falle nennen – ist die Nachhaltigkeitin der Wirtschaft. Die Nachhaltigkeit betrifft nicht nurdie Politik, sondern auch die Akteure in der privatenWirtschaft. Ich glaube, auch hier erkennt man, dass einerein kurzfristige Einstellung beim wirtschaftlichen Han-deln zu den Ergebnissen führt, die wir heute beobachtenkönnen. Wir als Staat müssen jetzt mithelfen, die ent-sprechenden Auswirkungen zu begrenzen.Das Leitbild Nachhaltigkeit sollte in Form einer Vor-bildfunktion auch in der Wirtschaft stärker zum Tragenkommen, in dem einen oder anderen Punkt aber sicher-lich auch durch gesetzgeberische Maßnahmen unterfüt-tert werden, um gerade den Unternehmen – teilweisevielleicht auch den größeren –, die im eigenen Interesseund im Interesse von Aktionären und anderen Fehlent-wicklungen unterlegen sind, ein wenig auf die Sprüngezu helfen, soweit das im Rahmen unseres freiheitlichenLeitbildes funktioniert und sinnvoll ist. Die Finanz- undWirtschaftskrise ist nicht durch einzelne Maßnahmen,sondern perspektivisch, so glaube ich, nur unter demBlickpunkt nachhaltiger Wirtschaftsentwicklung zu lö-sen.Ich will zum Schluss – das ist mir ein persönlichesBedürfnis – meinen Dank für die gute Zusammenarbeitin diesem Beirat ausdrücken, der – das wurde schon ge-sagt – mit 20 ordentlichen und 20 stellvertretenden Mit-gliedern ein großes Gremium ist. Die Arbeit war konsens-orientiert, aber mehr noch vertrauensvoll. Es war gut, indiesem überparteilichen Gremium arbeiten zu können,auch wenn wir nicht so tun dürfen, als ob das sozusagendas alleinige Handlungsprinzip eines Parlaments seinkönnte. Streit gehört auch dazu. Wir haben uns gelegent-lich auch gestritten, aber in diesem Gremium stand ebennicht der Streit, sondern die Konsenssuche im Vorder-grund.Ich bedanke mich beim Sekretariat des Beirats, undich bedanke mich bei der Bundesregierung und all denMitarbeitern, angefangen beim Chef des Kanzleramts,Herrn de Maizière; ich habe ihn bereits genannt. Stell-vertretend für die anderen Ressorts darf ich die Staats-sekretärin im Umweltministerium, Astrid Klug, nennen,weil sie in der letzten Wahlperiode eben auch Vorgänge-rin in diesem Amt als Vorsitzende dieses Beirats war.Bei vielen anderen Häusern dürfen wir uns ebenso fürdie Zusammenarbeit bedanken.Ich danke dem Nachhaltigkeitsrat mit seinem Sekre-tariat, der bei diesem Thema eine wichtige Scharnier-stelle zwischen der Gesellschaft und der Politik ist, undden vielen Verbänden und Initiativen, die sich demThema Nachhaltigkeit verpflichtet haben.Ich habe diese Arbeit im Parlamentarischen Beirat ne-ben der Arbeit im Hinblick auf einige andere Themen,dHDavggtzsewcedpsawhsDsWHunastfSdW
Ich schließe die Aussprache.
Zwischen den Fraktionen ist verabredet, die Vorlage
uf Drucksache 16/12560 an die Ausschüsse zu über-
eisen, die in der Tagesordnung aufgeführt sind. – Dazu
öre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
en.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Humanitäre Katastrophe in Sri Lanka verhin-
dern
– Drucksache 16/12869 –
Hierzu soll eine halbe Stunde debattiert werden. –
azu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
chlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als Erstem erteile ich das
ort Johannes Jung für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! In Sri Lanka spielen sich grausame Szenen ab,nd die eigentliche Katastrophe steht möglicherweiseoch bevor. Der seit 25 Jahren andauernde, gewaltsamusgetragene Konflikt zwischen der Regierung und denogenannten Befreiungstigern tritt offenbar in seine mili-ärische Endphase ein. Ein sofortiger humanitärer Waf-enstillstand, wie ihn auch Außenminister Frank-Walterteinmeier fordert, ist daher die dringendste unserer For-erungen.
Sri Lanka ist eine dieser paradoxen Gegenden derelt, in denen einerseits ein Krieg stattfindet – mit bis-
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24052 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009
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Johannes Jung
her rund 70 000 Toten – und andererseits mit TourismusGeld verdient wird; schätzungsweise waren dies400 Millionen US-Dollar im letzten Jahr.Bekanntlich konzentrieren sich die Kämpfe mittler-weile auf ein relativ kleines Gebiet im Nordosten. Wieimmer sind es Zivilisten, die in der Schusslinie stehen.Das gilt insbesondere jetzt. Die Zahl der Schwerverletz-ten steigt von Tag zu Tag. Im Kriegsgebiet ist die huma-nitäre Lage katastrophal, eine Versorgung mit Wasser,Nahrung und Medikamenten praktisch nicht vorhanden.Hilfe kann es nur von außen geben. Deshalb fordern wirdie völlige Kooperation der Kriegsparteien bei der Ver-sorgung und Evakuierung der Zivilbevölkerung. Wirwissen um die Schwierigkeiten bei der Durchsetzungsolcher Forderungen. Ich glaube aber, es ist angesagt,diese Forderung zu erheben – im Sinne der Menschlich-keit und im Sinne des humanitären Völkerrechts.
Es besteht die Gefahr, dass Auffanglager für Flücht-linge zu Dauereinrichtungen werden, um die tamilischeBevölkerung dort besser kontrollieren zu können. Des-halb muss die Regierung Sri Lankas alles daransetzen,die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimatregionen zuermöglichen.In dem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD,FDP und Bündnis 90/Die Grünen wird die Lage richtigeingeschätzt und werden die richtigen Forderungen ge-stellt. Ich will diese hier nicht im Einzelnen vortragen,sondern auf einige Punkte aufmerksam machen, die inder Öffentlichkeit weniger stark wahrgenommen wer-den. An dieser Stelle sollte gesagt werden, dass die Be-richterstattung in den deutschen Medien in den letztenWochen und Monaten eigentlich sehr gut war und einungeschöntes, höchst kundiges Bild von der Lage in SriLanka und den Hintergründen vermittelt hat. Dadurch istes der breiten Öffentlichkeit möglich, sich recht gut zuinformieren.Einer der Punkte, auf die ich aufmerksam machenmöchte, weil sie in der Berichterstattung nicht die Rollespielen, die sie eigentlich spielen sollten, ist die Lage derKinder, die als sogenannte unbegleitete minderjährigeFlüchtlinge auf sich allein gestellt sind. Die Lage dieserunbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge muss uns ganzbesonders alarmieren. Sie sind stark durch Misshand-lung und Missbrauch gefährdet. Sie sollten unbedingt re-gistriert werden, um irgendwann eine Rückführung zuihren Familien und Angehörigen zu ermöglichen. Wir inDeutschland kennen die Debatte um solche Kinder– häufig einfachere Fälle, die unter einfacheren Bedin-gungen auftraten – zur Genüge und wissen um dieSchwierigkeit.Ferner gibt es eine große Zahl von Kindersoldaten un-ter den Kämpferinnen und Kämpfern der sogenanntenBefreiungstiger. Sie sind Opfer und Täter zugleich. Siesind – so ist zu vermuten – meist schwer traumatisiert.Gemäß den Pariser Prinzipien vom Februar 2007 mussfUEzkLdzsüznmLddnsDGgKsddwsezwgLsgtsdzKutadjhüwH
hemalige Kindersoldaten sind in erster Linie als Opferu betrachten. Gerichtliche Verfahren müssen im Ein-lang mit der UN-Kinderrechtskonvention stehen.
Ein weiteres Problem betrifft die Lage der Presse imande insgesamt. Nicht nur Hilfsorganisationen, son-ern auch Journalistinnen und Journalisten muss Zugangu den umkämpften Gebieten gewährt werden. In die-em Zusammenhang möchte ich unseren Respekt gegen-ber dem bisherigen deutschen Botschafter in Sri Lankaum Ausdruck bringen. Herr Botschafter Jürgen Werthahm kürzlich demonstrativ an der Beerdigung des er-ordeten Herausgebers des Sunday Leader, Herrnasantha Wickrematunge, teil und hielt dort eine Rede,ie ihm bei den offiziellen Stellen in Sri Lanka und beier regierungstreuen Presse – das war absehbar und kei-esfalls das erste Mal – viel Ärger einbrachte. Die deut-che Diplomatie macht offensichtlich eine gute Arbeit.as verdient unsere Hochachtung.
anz in diesem Sinne fordern auch wir eine unabhän-ige Untersuchung von Kriegsverbrechen, was allen amonflikt beteiligten Seiten – das ist anderenorts genauso –chwerfallen wird.Wir fordern den Stopp von Waffenlieferungen sowieie Überprüfung von Zollpräferenzen – sie müssen voner Einhaltung der Menschenrechte abhängig gemachterden – und setzen uns bei der Weltbank für die Aus-etzung von Entwicklungskooperationen mit Sri Lankain, die nicht als humanitäre Hilfe gelten. Um es kurzusammenzufassen: Sri Lanka ist von Good Governanceeit entfernt.Letztlich führt kein Weg an gemeinsamen Bemühun-en der internationalen Gemeinschaft um eine politischeösung des Konflikts vorbei, weil eine militärische Lö-ung – wie immer – nicht zu erreichen ist. Deshalb er-eht die Aufforderung zur Mitwirkung an Indien, Pakis-an, Russland, China und Japan.Zum Schluss komme ich kurz auf das – meiner An-icht nach – Standardproblem unserer Zeit zu sprechen,as auch in Sri Lanka auf so schreckliche Art und Weiseutage tritt. Im Falle Sri Lankas geht es wie in anderenrisenregionen darum, multinationale Gesellschaftennd Staaten verträglich, tolerant, am besten demokra-isch zu organisieren. Dazu braucht es die Einbeziehungller Bevölkerungsgruppen. Grundbedingung dafür ister Respekt vor den Menschen- und Bürgerrechten eineseden einzelnen Menschen unabhängig von seiner Zuge-örigkeit zu der einen, der anderen, der dritten oder derbernächsten Bevölkerungsgruppe. In Sri Lanka sindir von der Erfüllung dieser Bedingung nicht nur iminblick auf die Tamilen weit entfernt.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24053
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Johannes Jung
Darüber hinaus könnte die Schaffung föderaler Struk-turen in der Tat ein Baustein der längerfristigen Befrie-dung und des Ausgleichs in Sri Lanka sein. Dabei erlie-gen wir in Deutschland gern der Versuchung, unserenauch nicht sehr erfolgreichen Föderalismus als Modellanzupreisen.Es ist gut und richtig, dass Deutschland, der DeutscheBundestag und die Bundesregierung, in diesem Falle, indem wir kurz vor der ganz großen Katastrophe stehen,mithelfen will. Jetzt hat der Schutz der drangsalierten Zi-vilisten Priorität; aber ohne politische Lösung wird eskeinen Frieden geben. Wir sind bereit, an einer politi-schen Lösung mitzuwirken.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Harald Leibrecht spricht jetzt für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir debattieren heute zum zweiten Mal inner-halb kurzer Zeit über die humanitäre Katastrophe in SriLanka. Dabei bin ich sehr froh, dass dieses Mal vierFraktionen in diesem Hohen Haus einen gemeinsamenAntrag vorlegen, der der Dringlichkeit der Ereignisse inSri Lanka gerecht wird.Ich habe in meiner Rede vor gut einem Monat hiergesagt, dass die Berichte und Bilder, die man aus SriLanka und den Flüchtlingscamps erhält, absolut scho-ckierend sind. Leider hat sich die Lage seither weiterverschlechtert. Mit roher Gewalt und erschreckenderBrutalität gehen Militär und tamilische Rebellen aufei-nander los und nehmen dabei keine Rücksicht auf dieZivilbevölkerung. Seit Januar dieses Jahres sind insge-samt etwa 190 000 Menschen aus den umkämpften Ge-bieten geflohen; 115 000 davon alleine seit dem20. April.Die tamilischen Rebellen der LTTE sind auf einemwinzigen Küstenstreifen eingekesselt, und die sogenann-ten Befreiungstiger benutzen die Zivilbevölkerung alsSchutzschild und töten jeden, der aus der Kampfzonefliehen will. Die Regierung wiederum schießt auf alles,was sich bewegt, und nimmt dabei auch keine Rücksichtauf die Flüchtlinge. Entgegen Äußerungen der Regie-rung in Colombo werden dort nach wie vor schwereWaffen eingesetzt.Laut den Vereinten Nationen sind seit Februar 2009etwa 6 500 Zivilisten getötet worden; darunter waren500 Kinder. Unter den 14 000 Verwundeten sind schät-zungsweise 1 700 Kinder. Es sind also einmal mehr– Kollege Jung hat es gerade eindrucksvoll geschildert –die Schwächsten in der Gesellschaft, die unter diesemKonflikt leiden.Derzeit erleben wir in Sri Lanka ein abscheulichesSpiel mit Menschenleben. Dafür sind sowohl die tamili-srMsmmdLdaadmhdNgdLmbdSmzdGmeLRduegdsvdLcludOzsh
Ein zentraler Ansatz von internationaler Seite mussas Ende von Waffenlieferungen nach Sri Lanka sein.leichzeitig müssen wir uns darüber Gedanken machen,it welchen langfristigen politischen Lösungen es nachiner Beendigung des gewaltsamen Konflikts in Srianka weitergehen kann. Wie stellt sich die sri-lankischeegierung das Zusammenleben mit der tamilischen Min-erheit nach einem militärischen Sieg über die Befrei-ngstiger vor? Die Regierung Sri Lankas muss hierzuin schlüssiges und menschenwürdiges Konzept vorle-en. Die tamilische Bevölkerung in kasernierten Wehr-örfern anzusiedeln, wie es jetzt von vielen Hilfsorgani-ationen befürchtet wird, ist keine Alternative.Beim IWF wird derzeit über Kredite für Sri Lankaerhandelt. Die Einhaltung von Menschenrechtsstan-ards gegenüber allen Bevölkerungsgruppen in Srianka sollte eine Mindestbedingung für die Vergabe sol-her Kredite sein. Die Europäische Union und Deutsch-and müssen gegenüber Colombo geschlossen auftretennd deutlich machen, dass uns die Menschenleben iniesem Konflikt, der in den letzten vier Monaten mehrpfer gefordert hat als zum Beispiel die Auseinanderset-ungen in Afghanistan und Pakistan zusammen – sieind schrecklich genug –, nicht egal sind und dass wirier handeln müssen.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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24054 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009
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Der Kollege Jürgen Klimke hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieKollegen Jung und Leibrecht haben die dramatische Si-tuation in Sri Lanka schon sehr eindrücklich geschildert.Lassen Sie mich einige persönliche Bemerkungen ma-chen, die auf eine Reise nach Bali zurückgehen, die dieKollegin Kortmann und ich zur Jahrestagung der ADB,der Asiatischen Entwicklungsbank, unternommen ha-ben.Als wir am letzten Montag dort waren, haben wirauch Vertreter der Regierung Sri Lankas getroffen, umihnen mitzuteilen, dass wir heute im Deutschen Bundes-tag einen Antrag zur humanitären Katastrophe in SriLanka debattieren. Wir haben mit ihnen über diesen An-trag diskutiert und über die Situation in Sri Lanka sowieüber unsere politische Einschätzung der Lage gespro-chen. Wir haben versucht, dafür zu sorgen, dass die Zu-sagen der ADB und der Weltbank an Sri Lanka zunächsteinmal nicht verlängert werden, es sei denn, es werdenbestimmte Voraussetzungen erfüllt.Die Antwort des Verhandlungsführers von Sri Lankawar absolut inakzeptabel. Uns wurde gesagt, unsere De-legation würde sich in die inneren Angelegenheiten ei-nes freien und unabhängigen Staates einmischen,
und wir Deutschen hätten aus unserer Geschichte offen-sichtlich nichts gelernt. Denn wer hätte sich um die Op-fer der Gestapo gekümmert? Wer hätte sich um die Men-schen, die an der Mauer ums Leben gekommen sind,gekümmert? Darüber sei hierzulande nicht diskutiertworden. Insofern sei unsere Einmischung in die Angele-genheiten Sri Lankas völlig inakzeptabel. Wenn man sozynisch, anmaßend und ignorant behandelt wird, wennman sich für Menschen einsetzt, wie wir es versucht ha-ben, ist das eine Frechheit. Dieses Verhalten hat auchdazu geführt, dass wir das Gespräch nicht weitergeführthaben.
So große geschichtliche Ignoranz und so viele Unwahr-heiten in einem direkten Gespräch habe ich selten erlebt.Meine Damen und Herren, in diesem Gespräch istnoch etwas deutlich geworden, etwas, was wir nicht nurin Asien, sondern auch auf der Weltbühne beobachtenkönnen: Staaten haben verschiedene Eigeninteressen. Sogibt es die Eigeninteressen der asiatischen Staaten, dieWaffenhandelsinteressen Chinas und Pakistans, die geo-strategischen Interessen Russlands und Indiens und dieleisen diplomatischen Bemühungen Japans. Diese ver-schiedenen Eigeninteressen haben zur Folge, dass eseine geschlossene Haltung zur Situation in Sri Lankanicht gibt und dass es uns nicht gelang, unsere Forderun-gen über die ADB und die Weltbank durchzusetzen. Dasist ein sehr schlechtes Signal.wbguttSkskmzcfmwebvKsdeduesddlinwnLndpbgnasbwsmftn
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watchezeichnet das Vorgehen der Armee Sri Lankas als per-ersen Endkampf. Es handelt sich um einen perversenrieg, den intime Kenner der Situation in Sri Lankachon vor langer Zeit haben kommen sehen. Inzwischenauert er schon ein Vierteljahrhundert, und er wird nochinmal so lange dauern, wenn die Minderheitenrechteer Tamilen in Zukunft weiterhin nicht geachtet werdennd wenn die Tamilen nach wie vor ihrem Traumgebildeines souveränen Staates nachgehen.Meine Damen und Herren, in den letzten 25 Jahrenind in diesem Krieg 70 000 Menschen getötet worden,ie Hälfte davon in den letzten zwei Jahren und 7 500 inen ersten drei Monaten dieses Jahres. Diesen Zahlenegt ein Gemisch aus vergiftetem kolonialen Erbe, Natio-alismus und militärischem Größenwahn zugrunde, dasir aus Ruanda, aus Kenia, aber auch aus Bosnien ken-en.Wir, die Weltgemeinschaft, sprechen im Fall Srianka – ich wiederhole mich – immer noch nicht mit ei-er Stimme. Das kann nicht sein. Insofern begrüßen wiren Antrag, der hier auf Bundestagsebene, auf dieserolitischen Bühne, vorgelegt wird, ausdrücklich.Die Tragik dieses Krieges liegt darin begründet, dasseide Seiten schon immer diesen Konflikt erst dann alselöst ansehen wollen, wenn die andere Seite total ver-ichtet ist. Verhandlungen und strategisches Auf-den-nderen-Zugehen gab es nie. Die Religion der Singhalesenpielt bei dem Konflikt eine entscheidende Rolle: Deruddhistische Klerus der Singhalesen predigt nicht Ge-altfreiheit, ganz im Gegenteil: Er predigt einen aggres-iven Chauvinismus gegenüber den hinduistischen Ta-ilen.Für die Gegenseite ist festzustellen: Dieser Krieg istür die LTTE zum Selbstzweck geworden. Mit der Tak-ik von Selbstmordattentaten wollen sie einen souverä-en Staat erreichen. Dieses Vorgehen ist zu verdammen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24055
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Jürgen KlimkeWie wir gehört haben, mordet die LTTE, bildet Kinder-soldaten aus und bringt friedliche tamilische Parteienzum Schweigen. Einen gewaltfreien politischen Flügel,sozusagen ein Pendant zur irischen Sinn Féin, haben sieaus kriegstaktischen Gründen nicht gegründet und versu-chen das auch nicht.Am schlimmsten ist dieser Krieg aber für die unbetei-ligten Menschen auf Sri Lanka. Das Land ist fast bank-rott. Die Regierung ist korrupt. Der Beamtenapparat istaufgeblasen. Eine wirtschaftliche Weiterentwicklung desLandes ist schwer möglich. Armee und Polizei lassen inden von der LTTE „befreiten“ Gebieten regelmäßigMenschen verschwinden und terrorisieren in den Städtenkritische Bürgerrechtler, Anwälte und Journalisten.Sri Lanka ist ein typischer Failing State geworden. Indiesem Licht ist zu sehen, was aus der VermittlerrolleNorwegens geworden ist und was die Einrichtung der SriLanka Monitoring Mission gebracht hat sowie dass diesogenannten Tokyo Co-Chairs aufgelöst und dass westli-che Botschafter ausgewiesen wurden. Der deutsche Bot-schafter ist freiwillig ausgereist, nachdem er auf dieFrage der Pressefreiheit aufmerksam gemacht hatte – fürmich ein ungeheuerlicher Vorgang.
Menschenrechtsverletzungen werden kaum oder garnicht aufgeklärt. Die von der internationalen Gemein-schaft beauftragte ehemalige Hochkommissarin der Ver-einten Nationen hat schon 2007 bei einem Besuch aufdie Situation der Menschenrechte auf Sri Lanka hin-gewiesen. Dennoch hat sich dort nicht viel getan. Diebewaffneten Befreiungstiger der LTTE, die Karuna-Gruppe und andere Gewaltgruppen auf Sri Lanka versto-ßen massiv gegen die UN-Charta und gegen die dort ver-ankerten Menschenrechte: Sie töten Menschen, sie ver-gewaltigen Frauen. Es wäre übrigens ein Trugschluss, zuglauben, dass die Tamilen vor der LTTE, also vor ihreneigenen Blutsbrüdern, geschützt sind. Niemand ist ir-gendwo sicher, das ist die Situation auf Sri Lanka.Genau wie die EU fordern wir als Unionsfraktion einesofortige Beendigung der Menschenrechtsverletzungenund die Wiedereinführung humanitärer Grundstandards.Dieses Ziel hat eine humanitäre und eine entwicklungs-politische Dimension, die ich mit den folgenden Punktennoch einmal ansprechen möchte.Zur Entwicklungspolitik. 2007 haben wir unsere Gel-der gestoppt. 30 Millionen Euro für 2008 liegen noch aufEis. Dieses Geld kann natürlich nicht ausgezahlt werden.Ein abgedrehter Geldhahn ist die einzige Sprache, diedie derzeitige Regierung Sri Lankas versteht.
In anderer Beziehung müssen wir, allerdings unter-halb der Schwelle bilateraler Beziehungen, engagiertbleiben. Wir müssen mit Konfliktstrategien den Willenzum Dialog und zur Achtung der Rechte des GegenübersfNdneirAmmrtIdFBwZnddedewwwzlsemGdh
Michael Leutert ist der nächste Redner für die Frak-
ion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ch stelle gleich zu Beginn fest: Bei diesem Thema wer-en wir uns inhaltlich sicherlich nicht zerstreiten.
akt ist: In Sri Lanka tobt seit 25 Jahren ein blutigerürgerkrieg, der zulasten der Zivilbevölkerung geführtird. Fakt ist aber auch, dass dieser Krieg die meisteeit außerhalb des öffentlichen und auch unseres eige-en Bewusstseins stattfindet.Es gehört zum einen zu einem ehrlichen Umgang mitem Thema, nach den Gründen dafür zu fragen. Zum an-eren muss man die Geschichte kennen, wenn man aniner langfristigen Lösungsstrategie interessiert ist. Bei-es ist zwar nicht das Thema, um das es heute geht, abers gehört meines Erachtens trotzdem dazu, darauf hinzu-eisen, dass Europa nicht bloß eine humanitäre Verant-ortung hat, wie sie für alle Staaten gilt, sondern dassir auch eine Verantwortung haben, die in der Kolonial-eit begründet ist, weil dieser Konflikt damals maßgeb-ich verschärft wurde.
In den letzten Monaten ist der Konflikt eskaliert. Zwi-chen der LTTE und den Regierungstruppen ist einenorme Gewalt entfesselt worden, die keine Rücksichtehr auf die Zivilbevölkerung nimmt. Aus diesemrund ist der Antrag völlig zu Recht darauf fokussiert,ass eine noch schlimmere humanitäre Katastrophe ver-indert werden soll.
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24056 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009
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Michael LeutertDer Begriff der humanitären Katastrophe ist manch-mal umstritten oder etwas unklar. In diesem Fall ist er esdefinitiv nicht. Weil die Menschen, die vor dem Kriegfliehen, unter Generalverdacht gestellt werden, Aufstän-dische zu sein, kann man die Flüchtlingslager zu Rechtals Internierungslager bezeichnen. Denn der Zugang zurechtsstaatlichen Verfahren ist nicht gewährleistet, undmenschenrechtliche und insbesondere humanitäre Min-deststandards werden nicht mehr eingehalten.Vor diesem Hintergrund sind die in dem Antrag erho-benen Forderungen vernünftig und richtig. Selbstver-ständlich sind auch wir Linken dafür, dass sich die Bun-desregierung für einen sofortigen Waffenstillstandeinsetzen soll. Auch wir Linken fordern, dass die Bun-desregierung auf die Einhaltung der humanitären Min-deststandards drängen soll, und auch wir Linken fordern,dass sie sich dafür einsetzen soll, dass die Zivilbevölke-rung schnellstmöglich evakuiert und Zugang zu denFlüchtlingslagern gewährt wird.
Insgesamt sind in dem Antrag 14 Forderungen formu-liert. Weil sie vernünftig und richtig sind, werden wirdem Antrag selbstverständlich zustimmen.In diesem Rahmen müssen allerdings auch zwei Fra-gen erlaubt sein. Erstens. Wenn wir uns in diesem Hausein diesen Fragen einig sind, frage ich mich, warum dieCDU/CSU- und die SPD-Fraktion dem Antrag der Lin-ken auf einen sofortigen Abschiebestopp für Flüchtlingeaus Sri Lanka, der vor zwei Monaten in den Fachaus-schüssen behandelt wurde, nicht zugestimmt haben.
Zweitens. Meine Fraktion war an dem interfraktionel-len Antrag nicht beteiligt. Was bringt Sie zu der Ansicht,dass wir diesem Antrag nicht zustimmen könnten? Esmuss diese Annahme gegeben haben, sonst wäre jemandauf uns zugekommen. Dafür könnte es inhaltlicheGründe geben, aber es ist auch kein Geheimnis – dasmuss hier nicht erörtert werden –, dass die CDU/CSUnicht möchte, dass wir an solchen Anträgen zu humani-tären Fragen beteiligt werden. Dafür kann es verschie-dene Gründe geben. Das kann plumper Antikommunis-mus sein.
Es kann auch der Wunsch nach einem Feindbild oderauch die Tatsache sein, dass wir uns im Wahlkampf be-finden.Ich weise Sie darauf hin, dass Sie mit diesem Verhal-ten die Kraft des Antrags absolut schmälern. Denn es istimmer besser, wenn alle Fraktionen und nicht nur fastalle Fraktionen einen solchen Antrag mittragen.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ch will gleich zu Beginn klar sagen: Es ist gut, dass wireute, ausgehend von einem Antrag der Grünen, einenemeinsamen, interfraktionellen Antrag zur aktuellenage in Sri Lanka beschließen. Ich will für meine Frak-ion sehr deutlich sagen: Ich finde es bedauerlich und ei-entlich auch albern, dass es selbst nach vier Jahrenoch immer nicht möglich ist, die Linke bei einer sol-hen Sache einzubinden. Wir finden das falsch.
Wir brauchen jetzt ein Signal der Geschlossenheit;enn noch immer gehen die Kämpfe in aller Härte wei-er; die Kollegen Vorredner haben es bereits dargelegt.ausende sind bereits getötet worden. Zehntausende be-inden sich noch immer auf der Flucht und sind nachochen des Dauerbombardements am Ende ihrerräfte. Wirklich fürchterlich ist das, was man über dieirca 50 000 Menschen – wie viele es genau sind, weißan nicht – hört, die auf einem winzigen Stück Landingekesselt sind, in der Falle der Tamil Tigers sitzennd gleichzeitig von den Regierungstruppen beschossenerden. Sie sind ohne Wasser, Nahrung und medizini-che Versorgung. Das Vordringlichste ist – es ist wichtig,ass das in unserem Antrag steht –, dass die dortige Re-ierung eine humanitäre Waffenruhe eingeht, damitiese Zivilisten, die nicht verantwortlich gemacht wer-en können, die Kampfzone verlassen können.
Ein weiterer Punkt ist ebenfalls sehr wichtig. Wennie Regierung fatalerweise auf den militärischen End-ieg setzt, dann muss sie – genauso wie die Tamil Tigers –enigstens die Mindeststandards des humanitären Völ-errechts einhalten. Das ist die klare Botschaft, die wir,er Deutsche Bundestag, heute nach Sri Lanka senden.ußerdem müssen die Vereinten Nationen und die inter-ationalen Hilfsorganisationen ungehinderten Zugangur Kampfzone erhalten. Unabhängige Beobachter vonU und UN müssen hineingelassen werden, genauso wienabhängige Journalisten; denn bis heute haben wir imrunde kein eigenes Bild von der Lage. Umso wichtigerst, dass überhaupt berichtet wird.Circa 180 000 Flüchtlingen ist die Flucht in soge-annte Wohltätigkeitslager – so drückt es die dortige Re-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24057
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Kerstin Müller
gierung aus; wir machen uns ihre Begrifflichkeit natür-lich nicht zu eigen –, der Regierungen gelungen.Allerdings ist auch hier die Lage schwierig, weil selbstdem UN-Flüchtlingshilfswerk kein uneingeschränkterZugang gewährt wird. Es gibt Berichte über verschwun-dene Personen und vieles mehr. Dieser Zustand ist völliginakzeptabel.
In einer solchen Situation ist es ein besondersschlechtes Zeichen, wenn der UN-Sicherheitsrat nicht inder Lage ist, formell zusammenzukommen und ein kla-res Signal mit einer Resolution zu setzen. Auf Druck vonChina und Russland gab es bisher nur ein informellesTreffen. Das ist ein Offenbarungseid. Ban Ki-moon wirdjetzt vermutlich in die Region reisen. Aber wir sehen– das ist bedauerlich –, dass selbst solche humanitärenAnliegen den Machtinteressen zum Opfer fallen und dieinternationale Gemeinschaft nicht in der Lage ist, an ei-nem Strang zu ziehen. Dann könnte man vielleicht wirk-samer helfen.
Der französische und der britische Außenministersind leider gescheitert; das wurde bereits erwähnt. Essoll noch einen Versuch der Troika geben. Ich hoffe, dasssie Erfolg haben wird, obwohl man pessimistisch seinmuss. Rajapakse hat ein Zugeständnis gemacht und er-klärt, auf Luftschläge und den Einsatz schwerer Waffenzu verzichten. Aber auch das wird nicht eingehalten. Vorwenigen Tagen wurde ein Notkrankenhaus bombardiert,und auch diejenigen, die der Hölle entfliehen konnten,berichten ganz eindeutig etwas anderes. Es ist sicherlichgut, dass noch ein Versuch der Verständigung unternom-men wird. Wichtig ist aber auch, dass diejenigen, diehinfahren, entsprechende Druckmittel in der Hand ha-ben. Herr Leibrecht hat bereits den IWF-Kredit ange-sprochen und geschildert, wie hervorragend man sich beider Weltbank verhalten hat. Herr Klimke hat dann ge-sagt, im Grunde genommen müsse alles versucht werdenund nur ein abgedrehter Geldhahn sei die Sprache, diedie Regierung verstehe.Insofern bitte ich die Bundesregierung, an der Stellekeine Zusage für die nächste Tranche beim IWF-Kredit,für die Verlängerung von Handelspräferenzen oder fürProgramme des Wiederaufbaus zu machen, wenn diesenicht an eine Verbesserung der Menschenrechtssituationgebunden sind. Sie sollten außerdem an unsere humani-tären Forderungen gebunden sein, die da lauten: Waffen-stillstand, die Möglichkeit für die Zivilisten, die Zone zuverlassen, und langfristig friedliche Verhandlungen.Diese Forderungen müssen endlich seitens der Regie-rung erfüllt werden.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
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Ich komme zum Schluss. – Manchmal kommt es ei-
em so vor, als sei man hilflos. Ich glaube aber, dass das
etztlich nicht der Fall ist. Nach dreijähriger Schlacht ist
ri Lanka ausgeblutet, auch finanziell. Das Land wird
ieder auf uns zukommen, da es auf finanzielle Hilfe
ngewiesen sein wird. Daher ist es wichtig, dass die in-
ernationale Gemeinschaft an einem Strang zieht, indem
ie sagt: Wir werden nur Hilfe leisten, wenn Schritte auf
ie Tamilen zu gemacht werden, und wenn versucht
ird, sich mit den Tamilen auszusöhnen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag
er Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/
ie Grünen auf Drucksache 16/12869 mit dem Titel
Humanitäre Katastrophe in Sri Lanka verhindern“. Wer
timmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthal-
ungen? – Damit ist der Antrag einstimmig angenom-
en.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Wieland, Manuel Sarrazin, Marieluise
Beck , weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Europäische Innenpolitik rechtsstaatlich ge-
stalten
– Drucksache 16/11918 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Es ist verabredet, dazu eine halbe Stunde zu debattie-
en. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so be-
chlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
ollegen Manuel Sarrazin für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die jet-igen Zeiten sind große Zeiten der europäischen Innen-olitik. Die Zukunftsgruppe für das Post-Haager-Pro-ramm hat im Juni letzten Jahres ein Papier vorgelegt.m Juni dieses Jahres wird die Kommission eine Mittei-ung über ihren Entwurf für das Stockholmer Programmorlegen. Im Dezember soll dann in Stockholm verab-chiedet werden, wie der Raum der Sicherheit, der Frei-eit und des Rechts in Zukunft gestaltet werden soll.Damit dieser Raum der Sicherheit, der Freiheit undes Rechts nicht nur ein hehres Ziel ist, legen wir mitnserem Antrag Maßgaben vor, zum Beispiel den Maß-tab, dass die Innenpolitik der Europäischen Union denedürfnissen, den Rechten und den Schutzrechten derürgerinnen und Bürger genügen muss. Solange der Lis-abonner Vertrag nicht in Kraft ist, haben wir, die natio-
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24058 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009
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Manuel Sarrazinnalen Parlamente, die besondere Aufgabe, unsere Regie-rungen, die im Rat relativ losgelöst über die Innenpolitikder Europäischen Union entscheiden können, zu kontrol-lieren, sie aber auch durch Maßgaben auf die Schienenzu bringen, auf denen wir sie haben wollen. Die Anlie-gen, Interessen und Rechte der Bürgerinnen und Bürgermüssen der Maßstab der Innenpolitik sein.Aus unserer Sicht wird diesem Maßstab bisher nichtausreichend Genüge getan.
Deswegen geben wir in unserem Antrag die Maßgabeauf, die Trennungsgebote zu bewahren. Dazu zählen dieTrennungsgebote zwischen geheimdienstlichen Aktivi-täten und Polizei, zwischen Militär und Polizei und auchzwischen Bund und Ländern, wenn es um Deutschlandgeht. Dazu zählt natürlich auch das Trennungsgebot,dass die Innenpolitik nicht zu einem Mittel der Außen-politik gemacht werden darf und dass die Außenpolitiknicht für repressive innenpolitische Begründungen her-halten darf.
Wer einen europäischen Raum der Freiheit, der Si-cherheit und des Rechts will, der muss dabei strengstensauf den Datenschutz achten. Er muss darauf achten, dassRahmenbeschlüsse und andere europäische Beschlüsse,vor allem in Bezug auf Datenbanken und grenzüber-schreitenden Informationsaustausch zwischen Sicher-heitsbehörden, datenschutzrechtlichen Maßstäben genü-gen.
Vertraulichkeit, Zweckbindung und die Beschränkungder Zugriffsrechte dürfen nicht über die Hintertür Brüs-sel ausgehebelt werden, so wie es Innenminister – auchdeutsche Innenminister – leider immer noch zu gernetun.
Aber auch die europäischen Agenturen wie Europol oderauch mögliche zukünftige gemeinsame europäische Vor-haben im Rahmen der Terrorbekämpfung müssen trans-parent sein und der parlamentarischen Kontrolle unter-liegen. Wenn Sie dazu heute und in den kommendenBeratungen einen Beitrag leisten wollen, dann müssenSie, meine verehrten Damen und Herren von den Koali-tionsfraktionen, unseren Antrag wenigstens mit Wohl-wollen, wenn nicht mit purer Unterstützung begleiten.
Vor dem Hintergrund, dass gestern der tschechischeSenat den Lissabonner Vertrag dem Präsidenten zur Ra-tifizierung zugeleitet hat, sollten wir hier auch erwähnen,dass es gerade für den Bereich der Justiz und der Innen-politik der Europäischen Union ein Meilenstein ist,wenn dieser Vertrag endlich in Kraft tritt, trotz der fünfJahre Aufschub, die sich die Innenminister noch erlau-ben können. Der wichtigste Schritt hin zu mehr Bürger-rsGgpBGEdVttbd–gomtfntFAsrUDhBsmdgu
Natürlich sind die Schlepper und Schleuser die Haupt-egner. Aber solange die Staats- und Regierungschefsder die Innenminister nicht dafür sorgen, dass es ge-einsame Leitlinien bei FRONTEX gibt, damit wenigs-ens ein Rechtsstandard in der Auslegung von Seerechtür alle Mitgliedstaaten gilt, so lange dürfen Sie sichicht hinter Schleppern und Schleusern verstecken. –
Da es Zwischenrufe aus den Reihen der Unionsfrak-ion gibt, möchte ich eine ehrliche Bitte an Sie äußern:angen Sie nicht im Europawahlkampf an, weil Siengst vor der Fünfprozenthürde haben, gegen – Zitat –chwarzafrikanische Asylanten zu stänkern! Polemisie-en und Polarisieren ist nicht gut für die Europäischenion.
amit machen wir Parolen von ganz rechts hier hoffä-ig. Lesen Sie die Aussagen von Herrn Ramsauer in derild-Zeitung von Anfang dieses Monats. Ich finde, Sieollten da aufpassen und sich diese Bitte zu Herzen neh-en.Vielen Dank.
Jetzt hat Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion
as Wort.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-innen! Sehr geehrte Kollegen! Herr Kollege Sarrazin,m es gleich vorweg zu sagen: Einen Gefallen werde ich
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24059
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Stephan Mayer
Ihnen nicht tun. Die CDU/CSU-Fraktion wird den An-trag der Grünen weder wohlwollend begleiten noch ihmzustimmen.
Dieser Antrag ist nämlich in höchstem Maße unverant-wortlich und unredlich, weil er ein Bild zeichnet, dasnicht der Realität entspricht. Sie stigmatisieren die Ar-beit dieser Zukunftsgruppe und unterstellen, diese Arbeitwürde auf dem schnellsten Weg in ein inhumanes, einunmenschliches Rechtssystem auf europäischer Ebeneführen. Dies trifft einfach nicht zu.Ich will die Historie bemühen. Um was geht es? Esgeht darum, dass im Januar 2007 eine informelle Zu-kunftsgruppe unter großer Beteiligung der Mitgliedstaa-ten – federführend geleitet von der EU-Kommission –eingerichtet worden ist. Sämtliche Ratspräsidentschaftender letzten Jahre und der kommenden Jahre waren ver-treten, um ein möglichst breites Spektrum von unter-schiedlichen Meinungen aufzunehmen. Diese Zukunfts-gruppe hat im Juni letzten Jahres ihren Bericht unter derfranzösischen Ratspräsidentschaft abgeschlossen und er-hebt überhaupt keine Forderungen, geschweige dennmacht sie konkrete Vorschläge für Rechtsetzungsmaß-nahmen. Es werden nur Diskussionen eröffnet, die mei-nes Erachtens notwendig sind. Wir sind beileibe nichtauf dem direkten Weg in ein inhumanes Rechtssystemoder in eine inhumane Rechtsordnung auf europäischerinnenpolitischer Ebene. Ganz im Gegenteil.Es ist meines Erachtens sachgerecht und richtig, dasssich die Innenpolitik auf unterschiedlichen politischenEbenen Gedanken macht, wie wir das Haager Pro-gramm, das im Jahr 2009 ausläuft, weiterentwickeln.Es geht darum, sich Gedanken über das StockholmerProgramm für die Jahre 2010 bis 2014 zu machen, wasdie europäische Innenpolitik anbelangt. Dieser Forde-rungskatalog bzw. diese Zusammenstellung des Diskus-sionsstandes ist meines Erachtens ein vollkommen um-fassender und sachgerechter Ansatz, dem in der Formauch zuzustimmen ist. Es ist wichtig, dass wir uns imBereich der europäischen Innenpolitik stärker daraufverständigen, dass es eines kohärenten, abgestimmtenAnsatzes zwischen den unterschiedlichen politischenEbenen bedarf: der nationalen Ebene, der europäischenEbene und auch der regionalen Ebene. Europäische In-nenpolitik umfasst nun einmal Themen wie Migrations-politik, Zuwanderungspolitik, Grenzsicherung und dasThema Asylrecht – in diesem Zusammenhang sowohldie illegale Migration als auch die legale Migration –,vor allem aber auch die Bekämpfung des internationalenTerrorismus.Der Nukleus dieses Papiers besteht letztendlich ausdrei Herausforderungen. Um welche drei Herausforde-rungen geht es? Zum einen geht es darum – ich glaube,das ist in vollem Umfang unterstützenswert –, das er-folgreiche europäische Modell fortzuführen. Es geht da-rum, ein Gleichgewicht zwischen den Aspekten Mobili-tät, Sicherheit und Privatsphäre herzustellen. Um es ganzdeutlich zu machen: Ich halte es in höchstem Maße füruTAFwwIsdusbsznanDhaMh2dezndehth–habnEShaDrId
ie schwafeln hier davon – das ist meines Erachtens inöchstem Maße unverantwortlich –, wir seien in Europauf dem besten Wege nach Guantánamo, wenn dieseiskussion weitergeführt wird. Ich halte das nicht füredlich, weil es einfach nicht zutreffend ist.
ch möchte nur ein Zitat aus diesem Bericht vortragen,as meines Erachtens in herausragender Weise doku-
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Stephan Mayer
mentiert, dass dem hohen Schutzstandard in Bezug aufden Abgleich und den Austausch von Daten in Zukunftauch nach Ansicht der europäischen Innenpolitik Rech-nung zu tragen ist. Ich zitiere:Um ein ausreichendes Schutzniveau zu erreichenund im Zeitalter des Cyberspace zivile und politi-sche Rechte zu gewährleisten, sind Technologienzur Verbesserung des Datenschutzes ... unbedingterforderlich.Also ist das Gegenteil dessen der Fall, was Sie mit IhremAntrag zu insinuieren versuchen, nämlich dass wir aufdem besten Weg in einen Überwachungsstaat seien, ineinen Staat à la George Orwell. Es wird hier deutlich ge-macht, dass die hohen Datenschutzstandards natürlich invollem Umfang zu achten sind.Genauso unverantwortlich ist Ihre Behauptung, wirseien auf dem besten Weg, ein Feindstrafrecht zu schaf-fen. Das ist nicht der Fall. Wir müssen einfach zurKenntnis nehmen: Die Bedrohungslage in Europa– nicht nur in Spanien und in England, sondern auch inDeutschland – hat sich geändert. Es ist deshalb unab-dingbar, dass die Strafverfolgungsbehörden in Europastärker kooperieren. Sie können mir glauben: Ich alsVertreter der CSU bin zuallervorderst der Auffassung,dass die nationalen Kompetenzen – bei all diesen Bemü-hungen, stärker zusammenzuarbeiten – selbstverständ-lich vollumfänglich zu achten sind. Die nationalen Straf-verfolgungsbehörden müssen natürlich weiterhin dieHerren des Verfahrens sein. Das heißt im Umkehrschlussaber nicht, dass man sich im Bereich von Europol, vonEurojust oder von Eurodac nicht stärker vernetzt – natür-lich unter Wahrung sämtlicher hoher Datenschutzstan-dards und der Rechte der informationellen Selbstbestim-mung. Gegen eine stärkere Zusammenarbeit ist meinesErachtens nichts einzuwenden.
Unverantwortlich von Ihnen ist auch, dass Sie in Ih-rem Antrag unterstellen, die Expertengruppe fordere,dass es eine Aufweichung zwischen polizeilichen undmilitärischen Aspekten gibt.
Das Gegenteil ist der Fall. Es wird keineswegs die For-derung aufgestellt, dass die Mitgliedstaaten paramilitäri-sche Einheiten haben. Sie nehmen doch mit Sicherheitnicht im Entferntesten an – unter Ihnen sind einige, diemit Italien eine große Freundschaft pflegen –, dass diedeutsche Regierung oder eine europäische InstitutionItalien auffordern wird, die Carabinieri abzuschaffen.
Es gibt einfach unterschiedliche Polizeitraditionen inden 27 Mitgliedsländern. Diese unterschiedlichen Poli-zeitraditionen sind zu achten und zu respektieren.siaovgszksDwPrJsgDfAfetfswSdssGeWubdwd
ie Dinge, die Sie hier unterstellen, sind in vollem Um-
ang unredlich und unzutreffend. Deswegen ist diesem
ntrag in jeder Hinsicht eine Ablehnung zu erteilen.
Der nächste Redner ist der Kollege Christian Ahrendt
ür die FDP-Fraktion. Wir wünschen ihm für seine Rede
benso viel Glück wie zu seinem heutigen Geburtstag.
Danke schön. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehr-en Damen und Herren! Lassen Sie uns eines vorwegeststellen: Gestern hat Tschechien dem Vertrag von Lis-abon zugestimmt. Damit ist Europa ein ganzes Stückeitergekommen. Der Vertrag von Lissabon bringt mehricherheit und mehr Freiheit im Raum der Sicherheit,er Freiheit und des Rechts für Europa, den er stärkenoll. Entscheidend dabei ist, dass das EU-Parlament ge-tärkt wird. Entscheidend ist auch, dass der Europäischeerichtshof mehr Zuständigkeiten erhält. Beides dientinem verbesserten Grundrechtsschutz.Man muss an dieser Stelle eines ganz klar sehen: Dereg nach Europa ist ein Weg der Umwege. Wir hättenns eher den Verfassungsvertrag gewünscht. Stattdessenekommen wir den Vertrag von Lissabon. Die Umwege,ie auf dem Weg zu einem geeinten Europa gegangenerden, stehen für die Schwierigkeiten, mit denen wir iner Innenpolitik zu kämpfen haben, und zwar aus dem
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Christian Ahrendteinfachen Grunde, weil die europäische Innenpolitikeher durch den Rat als durch das Europäische Parlamentgemacht wird. Auf der europäischen Ebene konnten des-wegen in den vergangenen Jahren eher Standards für Si-cherheit durchgesetzt werden als ein nachhaltigerGrundrechtsschutz.
Seit dem Aktionsplan für Terrorismus im Nachgangzu den Anschlägen vom 11. September 2001 sind in Eu-ropa insgesamt 160 Einzelmaßnahmen umgesetzt wor-den, die den Bereich der Polizei, der Visapolitik, desGrenzschutzes und der Luft- und Seesicherheit betreffen.Was umgesetzt worden ist, wird fortlaufend weiterent-wickelt. In diese Richtung geht auch das Konzept derZukunftsgruppe, das wir heute zum Teil mit diskutieren.In derselben Zeit ist es aber noch nicht gelungen, Be-schuldigtenrechte in Europa fest zu installieren, was abernötig wäre, um dem, was an Sicherheit geschaffen wor-den ist, auch einen entsprechenden Rechtsschutz aufsei-ten der Bürger gegenüberzustellen. Das ist ein Nachteil.Das zeigt deutlich, wo die Probleme liegen.Wenn man das Konzept der Zukunftsgruppe liest – eshat einen Umfang von ungefähr 50 Seiten –, dann er-kennt man, dass sich die Vorschläge mehrheitlich auf denBereich der Sicherheit konzentrieren; in dem Papier wirdaber nur sehr wenig zu den Rechtsschutzmöglichkeitengesagt, also dazu, wie ich meine persönliche Freiheit ge-genüber dem Zuwachs an Sicherheit in Europa und demZuwachs im Sicherheitsapparat selbst schützen kann.Deswegen müssen wir an der Stelle klar sagen: Sicher-heit dient der Freiheit des Einzelnen – das ist richtig –,aber Sicherheit ist kein Selbstzweck.
Ein Gewinn an Rechtsschutz für die Freiheit des Ein-zelnen ist nicht zu erkennen; vielmehr scheint man aufeuropäischer Ebene eher Dinge befördern zu wollen, dieman in den nationalen Parlamenten nicht so durchsetzenkann, wie man das, insbesondere von den Regierungs-fraktionen, an der einen oder anderen Stelle gern täte.
Im Konzept der Zukunftsgruppe kann man lesen, dassoptimale Resultate bei der Terrorabwehr einen optimalenAustausch von Daten zwischen Polizei und Nachrichten-diensten erfordern. Das ist nichts anderes als die Forde-rung nach Aufgabe des Trennungsgebotes auf europäi-scher Ebene, weil man es in diesem Hause nichtdurchsetzen könnte.
Erschreckend ist der Punkt 78 in dem Programm derZukunftsgruppe – das ist schon angesprochen worden –,in dem gesagt wird, wenn auch ein bisschen verschlüs-selt, man wolle die Zusammenarbeit von Polizei und Mi-litär. Man will im Grunde genommen den Bundeswehr-einsatz im Innern. Da wird wieder auf die berühmteaaneehrEsukdguwSEtdInbdsgtwaöDdkeIwPaage
Es gibt einen Kritikpunkt im Antrag der Grünen, derin wichtiges Thema betrifft; die Mahnung richtet sichher an uns selber. Wir dürfen uns nicht der Vorstellungingeben, dass mit dem Lissabon-Vertrag in Europa aus-eichende Möglichkeiten für das Parlament und denuGH geschaffen werden, Schranken zu setzen. Ent-cheidend ist, dass das Parlament hier besser wird, sichm die innenpolitischen Themen auf europäischer Ebeneümmert und im entscheidenden Moment – die FDP hatas gerade gestern vorgetragen – gemäß Art. 23 Grund-esetz die Innenpolitik von hier aus mitbestimmt, damitnser Parlament nicht zum Notar einer Innenpolitikird, die in Brüssel gemacht wird.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Michael Roth hat jetzt das Wort für die Fraktion der
PD.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!s dürfte innerhalb der Europäischen Union keinen Poli-ikbereich geben, der in den nächsten Jahren so an Be-eutung gewinnen wird wie der Innen- und Justizsektor.nsofern bin ich den Kolleginnen und Kollegen der Grü-en durchaus dankbar, dass sie uns die Gelegenheit ge-en, heute im Plenum des Deutschen Bundestages überieses Thema zu sprechen. So viel Selbstkritik mussein: Es ist uns in den vergangenen Jahren sicher nichtelungen, uns in diesem essenziellen Bereich parlamen-arisch so einzubringen, wie es eigentlich erforderlichäre.Wie das Geburtstagskind – meinen Glückwunsch! –,ber auch die anderen Kollegen schon gesagt haben, er-ffnet uns der Vertrag von Lissabon neue Möglichkeiten.as sind aber nicht nur neue Rechte; ich verstehe dasurchaus auch als Pflicht, die parlamentarische Mitwir-ung auszubauen. Für mich ist das die Voraussetzung fürin Mehr an Politikgestaltung auf europäischer Ebene imnnen- und Justizbereich.Für uns eröffnen sich dabei zwei Chancen: Zum einenird durch den Vertrag von Lissabon das Europäischearlament in seinen Möglichkeiten gestärkt, und zumnderen erhält der Deutsche Bundestag – wie auch dienderen nationalen Parlamente – die Chance, frühzeiti-er und umfassender auf diesen zentralen Politikbereichinzuwirken. Das macht es erforderlich, dass uns die
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Michael Roth
Bundesregierung, wie sie das bislang schon tut, frühzei-tig und bestmöglich informiert. Nur so können wir inden Gremien, entweder im Ausschuss oder im Plenum,die Debatte darüber verantwortungsvoll führen.Mir scheint, dass in den vergangenen Jahren ein star-kes Gewicht auf die restriktiven Maßnahmen gelegtwurde. Wir brauchen nur an das Tampere-Programm unddas gegenwärtig noch in Kraft befindliche Haager Pro-gramm zu denken, die unweigerlich vor dem Hinter-grund der schlimmen Terroranschläge nicht nur 2001 inden Vereinigten Staaten von Amerika, sondern auch inLondon und Madrid zu sehen sind. Diese haben dazu ge-führt, dass zum Teil mit großer Rasanz restriktive Maß-nahmen ergriffen worden sind. Sie sind nicht auf unsherniedergegangen, sondern wir haben durchaus ver-sucht, sie mit zu gestalten. Gleichwohl halte ich es fürmehr als berechtigt, die Frage zu stellen, inwieweit mandie beiden Prinzipien Sicherheit und Freiheit in eine aus-gewogene Balance bringen kann.Vizepräsident Barrot war kürzlich bei uns im Europa-ausschuss und hat die Eckpunkte des Stockholmer Pro-gramms präsentiert. Ich war insofern beruhigt, als ichden Eindruck hatte, dass die EU-Kommission verstan-den hat, dass man nicht immer nur ein Mehr an restrikti-ven Maßnahmen auf den Weg bringen kann, sondernsich auch gleichzeitig fragen muss, wie man die indivi-duellen Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürgernund die für alle geltenden Grundrechte innerhalb der Eu-ropäischen Union in konkretes politisches Handeln gie-ßen kann. Hier müssen wir am Ball bleiben und die neueEU-Kommission – viel wird sich in den nächsten Wo-chen leider nicht mehr tun – in die Pflicht nehmen. DasStockholmer Programm wird wohl noch vor Ende derLegislaturperiode präsentiert werden. Aber leider wirdeine erste Beratung des Europäischen Parlaments vordem Hintergrund der späten Präsentation nicht mehrmöglich sein; dies wird dann unsere gemeinsame Auf-gabe nach der Sommerpause sein.Viele Punkte sind auch hier zwischen den Fraktionenim Detail umstritten. Ich denke nur daran, was auf EU-Ebene an Harmonisierung beim Umgang mit Migrantin-nen und Migranten, mit Asylbewerberinnen und Asylbe-werbern erfolgen muss. Im Hinblick auf entsprechendeRichtlinienentwürfe der EU liegen bereits die ersten De-battenbeiträge vor. Dieser Diskussion sollten wir unsselbstbewusst stellen, weil es nicht darum gehen darf,dass die Europäische Union Freiheitsrechte, sozialeRechte und Sicherheitsrechte durch die Hintertür auf-weicht. Wir müssen natürlich auch auf unsere Traditio-nen aufbauen können.
– Ich sage deutlich, dass ich es unter humanitären Ge-sichtspunkten als ziemlich peinlich empfinde, dass Asyl-bewerber in Deutschland von 187 Euro im Monat lebenmüssen.MddcsWrsüdmSmddßümMserDFndtshwcwsinhnUvPd
an kann durchaus auch einmal darüber diskutieren, ober Vorschlag der Europäischen Union diskussionswür-ig ist, dass für alle Menschen in Deutschland die glei-hen Mindestsozialleistungen gelten. Ein solcher Vor-chlag ist jetzt aus Brüssel auf unseren Tisch gekommen.er Humanität ernst nimmt und nicht nur als Sonntags-ede missbraucht,
ollte zumindest einer ernsthaften Auseinandersetzungber diesen aus meiner Sicht wichtigen Punkt nicht ausem Weg gehen.
In einem Punkt haben Sie sicherlich einen Fehler ge-acht, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen.ie haben sich lediglich den Zukunftsbericht der Innen-inister herausgesucht. Dies ist ein Diskussionsbeitrag,er viele wichtige Aspekte beinhaltet. Aber Sie habenen entsprechenden Bericht der Justizminister völlig au-er Acht gelassen. Dies würde ich in der Diskussionber das Stockholmer Programm gern stärker zusam-enführen. Dabei wird eines deutlich: In den meistenitgliedstaaten gibt es eine bewährte Trennung zwi-chen der politischen Verantwortung für die Justizpolitikinerseits und die Innenpolitik andererseits. Auf der eu-opäischen Ebene ist das leider nicht so.
eswegen untermauere ich heute noch einmal unsereorderung, dass es in der neuen Kommission eine Tren-ung zwischen der Verantwortung für Innenpolitik under Verantwortung für Justizpolitik geben muss. Dasrägt dann vielleicht auch dazu bei, dass die von mir alschwierig bezeichnete Balance zwischen innerer Sicher-eit und Freiheit stärker und ausgewogener beachteterden kann.
Sie haben die europäische Gendarmerie angespro-hen. Auch da ermahne ich uns alle, argumentativ einenig abzurüsten. Es geht hier um einen freiwilligen Zu-ammenschluss. Der Bundesrepublik Deutschland mithrer bewährten Trennungskultur wird hier überhauptichts vorgegeben oder gar vorgeschrieben. Deswegenaben wir uns an der europäischen Gendarmerie auchicht beteiligt. In den Mitgliedstaaten der Europäischennion gibt es unterschiedliche Rechtstraditionen underschiedene Organisationsformen. Hier sollten wir dieferde nicht scheu machen und keine Ängste schüren,ie völlig unbegründet sind.Benjamin Franklin wird das Zitat zugeschrieben:Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewin-nen, wird am Ende beides verlieren.
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Michael Roth
In diesem Sinne ermuntere ich uns alle, nicht nur diedemnächst anstehende Präsentation des Entwurfs desStockholmer Programms ernst zu nehmen, sondern auchhier im Deutschen Bundestag um Lösungen zu ringen,wie man die Europäische Union als einen gemeinsamenRaum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in dieBalance bringen kann, die unserer Rechtsstaatstraditionund den besten europäischen Traditionen entspricht.Vielen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Jan
Korte das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Im Antrag ist Folgendes richtig formuliert:Es bleibt also die Verantwortung der Bundesregie-rung, auf europäischer Ebene konsequent für denSchutz der Bürgerrechte einzutreten …Das ist auch wirklich dringend notwendig, hätte aller-dings – angesichts von Otto Schilys Politik auf europäi-scher Ebene – schon für die rot-grüne Bundesregierunggegolten;
aber darum geht es jetzt ja nicht.Dass der Antrag in die richtige Richtung geht, will ichan zwei Beispielen deutlich machen, die die Bürgerinnenund Bürger immer bewegt haben, und zwar an der Vor-ratsdatenspeicherung und der Biometrie in den Pässen.Das ist ganz gezielt von Schäuble – zum Teil auch vonSchily – über die europäische Ebene gespielt worden,weil das in diesem Land nicht einfach durchzusetzen ge-wesen wäre. So ist argumentiert worden, das komme ausBrüssel und deswegen müssten wir das machen. Ausdiesem Grund ist das, was im Antrag formuliert ist, rich-tig. Gegen ein solches Vorgehen ist Prophylaxe notwen-dig. Deswegen unterstützen wir diesen Antrag.
Wir können es nicht zulassen, dass die EU für diese Poli-tik des Law and Order missbraucht wird.
Das schadet dem Ansehen der EU, und es ist grundsätz-lich die falsche Politik.Bei dem zweiten Punkt, den ich ansprechen will, han-delt es sich um Schäubles Lieblingsprojekt, nämlich denEinsatz der Bundeswehr im Innern. Wenn man sich dieinzwischen 77 Seiten des Berichts der Zukunftsgruppedurchliest, findet man diverse Indizien dafür, dass Sieauch hier wieder den bekannten Trick versuchen. Daswird zwar nicht funktionieren, aber Sie versuchen es im-mohurnwsIfKwHGmTdGspTrDzdcwlttiKkGpt–vgdwsDmcwS
Es wäre schön, wenn die Bundesregierung mit ihrernnenpolitik und ihrer Europapolitik einmal positiv auf-allen würde. Sie könnte zum Beispiel die treibenderaft in Sachen Demokratisierung und Bürgerrechteerden. Das wäre einmal etwas anderes; es würde denorizont erweitern und wäre eine spannende Sache.Es wird argumentiert, eine Trennung von Polizei undeheimdiensten sowie von Militär und Polizei kennean in anderen europäischen Ländern nicht. Das ist zumeil sicher richtig; aber diese Länder haben auch nichtie Geschichte, die wir haben. Wir haben aus unserereschichte die richtige Lehre gezogen. Es wäre einchönes Zeichen, wenn die Bundesregierung auf euro-äischer Ebene deutlich machte, warum wir auf demrennungsgebot beharren und inwieweit die Bürger-echte dadurch gestützt werden.Der dritte Punkt, den ich ansprechen will, sind dieatenbanken. In Deutschland gibt es bereits eine Viel-ahl von Datenbanken. Aber angesichts Ihrer spannen-en Ideen, welche weiteren Datenbanken wir noch brau-hen könnten, wird einem ganz anders, wenn man sieht,as auf europäischer Ebene technisch mittlerweile mög-ich ist.Ich will ein Beispiel nennen: Alle europäischen Da-enbanken und insbesondere das Visa-Informationssys-em sollen nun – so sieht es die Zukunftsgruppe vor; dasst ein erklärtes Ziel, wie Sie in der Beantwortung vonleinen Anfragen zugegeben haben – systematisch undonsequent für Geheimdienstzugriffe geöffnet werden.erade beim Visa-Informationssystem besteht das Kern-roblem, dass es zuerst die Migrantinnen und Migrantenrifft, die Sie sowieso immer auf dem Kieker haben.
Genau, sagt Herr Grindel. Also getroffen! – Das musserhindert werden. Den Geheimdiensten muss der Zu-riff darauf verwehrt werden. Das ist ganz entscheidend.
Ich fasse zusammen: Es wäre schön, wenn die Bun-esregierung eine grundsätzlich andere Politik machenürde. Da das Bitten offensichtlich nicht hilft, müssenolche Anträge wie der vorliegende gestellt werden.eswegen wird er von uns unterstützt. Kern der Politikuss eine Abrüstung der EU nach außen sein. Wir brau-hen erst recht eine Abrüstung nach innen und keineeitere Aufrüstung bei der inneren Sicherheit, so wieie es wollen.
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Jan Korte
Denn das führt nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu we-niger Freiheit. Die Linken haben es mal wieder erkannt,und Herr Grindel kommt damit gar nicht klar.Schönen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/11918 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung
EU-Jahresbericht 2008 zur Menschenrechts-
lage
Ratsdok. 14146/08
– Drucksachen 16/10958 A.43, 16/12729 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Holger Haibach
Christoph Strässer
Burkhardt Müller-Sönksen
Michael Leutert
Volker Beck
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Dr. Herta Däubler-Gmelin für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir behandeln heute nicht nur eine Beschlussempfeh-lung, sondern auch den zehnten Jahresbericht der Euro-päischen Union zur Menschenrechtslage, der den Zeit-raum von Mitte 2007 bis Mitte 2008 umfasst. Es ist eininteressanter Bericht. Lassen Sie mich Ihnen sagen: Eslohnt sich, hineinzuschauen. Wenn ich mich hier so um-blicke, stelle ich fest, dass wir Menschenrechtsfragenheute wieder in gewohnt „vollem Haus“
mit der Präsenz aller Menschenrechtspolitiker und Men-schenrechtsaktivisten behandeln. Ein ähnlich geringesInteresse ist auch an der Reaktion der Öffentlichkeit zuerkennen. Lassen Sie mich anmerken: Das zeigt, dass dieBmdldseMuBsdUdfhMMEgwiwDPzdZEMahsrMMFZdwtMlhhtAsdBmSw
Lassen Sie mich, bevor ich auf den europäischenenschenrechtsbericht zu sprechen komme, ein Beispielus den letzten Wochen erwähnen. Die Bundesregierungat vor dem Forum der Vereinten Nationen für Men-chenrechte ihren Bericht über die Lage der Menschen-echte in der Bundesrepublik Deutschland und über ihreenschenrechtspolitik abgegeben. Wir, die wir vomenschenrechtsausschuss dort waren – es waren alleraktionen vertreten –, haben es eigentlich mit großerufriedenheit zur Kenntnis genommen, dass objektivargestellt wurde, welche Menschenrechtsstandards,elchen Menschenrechtsschutz und welche Möglichkei-en wir haben. Das ist weltweit gesehen eine ganzeenge. Wenn wir das europaweit vergleichen, dann stel-en wir fest, dass das immer noch sehr gut ist. Dadurchaben unsere Bürgerinnen und Bürger eine große Sicher-eit.Es war aber natürlich auch gut, dass Herr Staatsminis-er Erler und Herr Parlamentarischer Staatssekretärltmaier auch darauf hingewiesen haben, dass Men-chenrechtsschutz und Menschenrechtsstandards immerann in Gefahr geraten, wenn sich die Bürgerinnen undürger und die Öffentlichkeit nicht selber darum küm-ern. Sie können aber selber etwas dafür tun, damit dietandards erhalten und ausgebaut und Probleme über-unden werden.
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Dr. Herta Däubler-GmelinEs war deswegen auch gut, dass mit dem Finger aufProbleme gezeigt wurde, zum Beispiel auf die Benach-teiligung der Kinder hinsichtlich der Bildungschancen,die in ihren Familien keine entsprechende Unterstützungbekommen. Da geht vor allem um die Bildungschancenvon Kindern aus Migrantenfamilien oder aus Familienanderer benachteiligter Gruppen. Ich nenne auch die vie-len ohne gültige Ausweispapiere bei uns lebenden Men-schen und ihren Zugang zur Gesundheitsversorgung undzu Bildungseinrichtungen, aber auch zu Beratungen undRechtsschutz. Hier gibt es noch eine Menge zu tun.
Worauf es mir jetzt ankommt: Die Tatsache, dass wireine gute Menschenrechtsarbeit machen und dass dieBundesregierung auch Erfolge zu vermelden hat, hatdazu geführt, dass in den Medien nichts über dieseTätigkeit berichtet wurde. Hin und wieder wurde aus ei-nem Teil der Schattenberichte der zivilgesellschaftlichenOrganisationen über den einen oder anderen Mangel be-richtet. Manchmal habe ich den Eindruck, man sollte einbisschen mehr Skandale produzieren, damit die Men-schenrechtsarbeit, die wir hier machen, tatsächlich ein-mal zur Kenntnis genommen wird. Es ist nämlich wich-tig, dass das geschieht.
Sie wissen, dass ich das mit dem Produzieren von Skan-dalen nicht ernst meine. Die Nichtbeachtung ärgert michaber manchmal. Es muss ja nicht sein, dass man aus sei-nem Herzen eine Mördergrube macht.Bei dem Jahresbericht der Europäischen Union ist esähnlich. In ihm wird eine ganze Menge an vernünftigenund wichtigen Fakten der Menschenrechtsarbeit aufge-zeigt.Es wird aufgezeigt – und das ist gut –, dass sichEuropa seiner Bindung an die Menschenrechte immerdeutlich bewusst ist. Das gilt, obwohl die europäischeGrundrechtecharta wegen des noch nicht in Kraft getre-tenen Lissabonner Vertrags noch nicht rechtsverbindlichist. Es gibt nur eine Selbstbindung, was auch schon gutist.Es wird aufgezeigt, dass wir mittlerweile immer stär-ker ein gemeinsames europäisches Menschenrechtsbe-wusstsein entwickeln. Auch das ist gut. Das müssen wirnoch fördern, aber das kann man auch fördern. In diesemBericht wird auch aufgezeigt, dass die EuropäischeUnion die Menschenrechte als wichtiges Element ihrerAußenpolitik betrachtet. Auch das ist stark ausbaufähigund auf einem guten Weg.Lassen Sie mich sehr deutlich sagen: Ich halte auchdie hohe Zahl der Menschenrechtsdialoge, die Europaführt, für gut, unter der Voraussetzung, dass sie auf dereinen Seite partnerschaftlich und auf der anderen Seitegut überlegt und schließlich auch unter Einbindung derZivilgesellschaft und der Öffentlichkeit erfolgen.In dem EU-Bericht werden auch Erfolge aufgezeigt.Ich nenne zum Beispiel die gemeinsamen europäischenIiadddddffgswmmecrtnadwLdPtguimVundIdurmuOezRGDa
Lassen Sie mich aber auch noch darauf hinweisen,ass sich in diesem europäischen Jahresbericht zur Lageer Menschenrechte meiner Meinung nach auch zeigt,ass wir in Europa unser Gesellschaftsmodell, das aufer Achtung der Menschenrechte aufbaut – der liberalen,reiheitlichen und sozialen Menschenrechte –, als Er-olgsmodell durchaus ein bisschen stärker in den Vorder-rund stellen sollten, auch dann, wenn es um ökonomi-che und soziale Bewertungen geht. Es ist ganz gut,enn wir das nicht mit erhobenem Zeigefinger tun. Dasuss auch gar nicht moralinsauer sein, aber der Hinweisuss erlaubt sein, dass eine zukunftsfähige Gesellschaft,ine Gesellschaft, die stark sein und auch ein menschli-hes Antlitz haben will, gut daran tut, die Menschen-echte als wesentlichen Bestandteil von Recht und Poli-ik herauszustellen.Mir wäre es sehr recht, wenn wir über dieses Themaicht nur in Sonntagsreden sprechen würden, sondern esuch bei politischen Verhandlungen mit anderen Län-ern deutlicher und öffentlich einbringen würden. Dasürde bedeuten, dass man über solche Fragen auch mitändern redet, die die Folter nicht abschaffen wollen,ie Folter verharmlosen, die der Meinung sind, sie durchresidential Orders legitimieren zu können, oder die Fol-erer straflos lassen wollen. Dann muss man sagen: Soeht das nicht. Das ist nicht nur unethisch, rechtswidrignd politisch falsch, sondern schwächt die Gesellschaftnsgesamt. – Deswegen wollen wir das nicht. Deswegenuss das geändert werden.
Vor einigen Tagen war der neue Justizminister derereinigten Staaten hier. Er hat die Foltervorkommnissend Guantánamo als Fehler der alten Regierung bezeich-et, die man überwinden müsse. Ich bin der Meinung,ie EU kann und soll dabei helfen.
n den Verhandlungen sollte die EU darauf hinweisen,ass ihre Instrumente zur Förderung von Demokratiend Menschenrechten auch Maßnahmen zur Rehabilitie-ung von Gefolterten und Hilfen für durch Folter Trau-atisierte umfassen. Es ist gut, dass diese Instrumente innseren Zentren, in denen man sich zum Beispiel umpfer von Folter während der Balkankriege kümmert,ingesetzt werden. Das zeigt, die grundsätzliche Über-eugung, dass man Gefolterten helfen muss, dass manecht wiederherstellen muss und die Rechtstellung derefolterten anerkennen muss, gehört zu unseren Werten.as ist etwas, was von anderen Regierungen oder vonnderen Regionen durchaus kopiert werden kann.Ein letzter Punkt.
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Frau Kollegin Däubler-Gmelin, trotz aller Grundsätz-
lichkeit und Wichtigkeit des Themas: Achten Sie bitte
auf die Redezeit.
Das tue ich. Vielen herzlichen Dank für den Hinweis. –
Der letzte Punkt: Wir haben in Europa noch eine Menge
zu tun: bei der Behandlung der Minderheiten, bezüglich
des Internationalen Strafgerichtshofs und bei der Zusam-
menarbeit mit dem Europarat. All das wissen Sie. Ich
denke aber, wir sind auf einem guten Weg. Weil wir auf
der bisher geleisteten Tätigkeit aufbauen können, emp-
fehle ich Ihnen sehr, die Beschlussfassung unseres Aus-
schusses anzunehmen.
Herzlichen Dank.
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Burkhardt
Müller-Sönksen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Kollegin Däubler-Gmelin, ich möchte mich sehrherzlich für Ihre Werbung für die Menschenrechte be-danken. Das unterstützen wir. Dennoch bitte ich um Ver-ständnis dafür, dass wir, ohne diesen Grundkonsens auf-zuheben, eine etwas andere Meinung zu diesem EU-Bericht vortragen. Vielleicht ist es sogar in Ihrem Sinn,wenn wir kontrovers über den Bericht debattieren.Schließlich können unterschiedliche Sichtweisen dasThema für die Medien interessanter machen und sie ver-anlassen, darüber zu berichten. Es ist gut, wenn über dasThema Menschenrechte häufiger in den Medien berich-tet wird.Der EU-Jahresbericht 2008 zur Menschenrechtslagezeigt, dass die Europäische Union ein beständiger Ak-teur im Bereich der internationalen Menschenrechtspoli-tik ist. Dabei ist jedoch in weiten Teilen eine Schwer-punktsetzung auf außenpolitische Aspekte erkennbar,die menschenrechtliche Herausforderungen innerhalbder EU ein wenig zu sehr in den Hintergrund treten lässt.
Trotzdem wird der Bericht – auch unserer Meinungnach – seinem Anspruch gerecht, die Öffentlichkeit überdie Aktivitäten der EU zur Förderung der Menschen-rechte zu informieren. Information ist aber nicht gleich-zusetzen mit einem qualifizierten, strategischen undnachhaltigen Handeln. Fast könnte man dem Bericht einwenig Eigenlob unterstellen. So heißt es, dass im Be-richtszeitraum zwischen Juli 2007 und Juni 2008 – ichzitiere – „echte Fortschritte bei den Menschenrechten er-zielt worden“ sind. Scheinbar gibt es auch unechte Fort-schritte oder – besser ausgedrückt – widersprüchliche indiesem Bericht.rsSBuGkrddvSrsUc–svdDhkIbMkAecdsZkbsm
Auf das Thema Todesstrafe komme ich gerne noch zuprechen.Zum zweiten Kernfeld zählt das Spannungsverhältnison Wirtschaft und Menschenrechten. Ich zitiere ausem Bericht:Die Menschenrechtsthematik muss … in allen an-deren einschlägigen Politikbereichen der EU, ein-schließlich der Handelsabkommen, stärker berück-sichtigt werden.as ist ein Hinweis ohne Taten. Über diese Feststellunginaus hat die europäische Menschenrechtspolitik nocheine ausreichend klare Position dazu gefunden, wie dernteressenkonflikt zwischen der Sicherung des Rohstoff-edarfs und dem Einstehen für die Gewährleistung vonenschenrechten auch in diesen Ländern gelöst werdenann. Aus Sicht der FDP ist es notwendig, die europäischeußen- und Menschenrechtspolitik derart zu stärken, dassinzelne EU-Mitgliedstaaten in ihren menschenrechtli-hen Bestrebungen nicht gegeneinander ausgespielt wer-en können. Europa braucht deswegen einen abge-timmten Außenauftritt.Wirtschafts- und Menschenrechtsfragen werden imeitalter der Globalisierung zunehmend miteinander ver-nüpft. Die freiwillige Selbstverpflichtung über den Glo-al Compact stellt nach unserer Meinung einen richtigen,innvollen und zukunftsweisenden Ansatz dar. Weiterhinuss sich die europäische Menschenrechtspolitik stärker
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Burkhardt Müller-Sönksenauf Schlüsselländer konzentrieren. Dies sind ökono-misch starke Länder, deren Wirtschaft global verflochtenist und die deshalb einen besonderen Einfluss auf dieMenschenrechtssituation in den Ländern besitzen, in de-nen sie sich wirtschaftlich engagieren. Ein Beispiel hier-für ist China, das mit seiner Afrikapolitik ständig interna-tionale Menschenrechtsbestrebungen unterläuft.
Ziel muss es sein, dass Länder wie China in ihren Wirt-schafts- und Außenbeziehungen menschenrechtspoliti-sche Gesichtspunkte uneingeschränkt beachten und ihrwirtschaftliches Potenzial zur Förderung der Menschen-rechte nutzen.
Drittens gehe ich auf die Bestrebungen der EU – Kol-lege Strässer hat darauf schon hingewiesen – zur welt-weiten Abschaffung der Todesstrafe ein. Ob hier, wie esim Bericht heißt, ein „historischer Erfolg“ erzielt wurde,kann unterschiedlich bewertet werden. Zweifelsohne un-terstützen wir die Bestrebungen auf europäischer Ebene.Die Todesstrafe ist aus vielen Gründen unvertretbar.Dass in China beispielsweise Todesurteile zur zweijähri-gen Bewährung ausgesetzt werden, kann aus keiner kul-turellen Tradition hergeleitet werden.Ich möchte mit einem Zitat von Thomas Dehlerschließen, der einst feststellte:Ich würde die Todesstrafe … auch deswegen als ei-nen Fremdkörper empfinden, weil es nach den Vor-stellungen unserer Zeit die entscheidende, mindes-tens doch die wesentliche Aufgabe der Strafe ist, zuresozialisieren, den Menschen zu bessern.Wir Liberale werden die künftigen europäischen Ini-tiativen weiterhin aktiv begleiten und ab September hof-fentlich auch aktiv gestalten.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
Holger Haibach.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich bin der Vorsitzenden des Ausschusses für Menschen-rechte und humanitäre Hilfe ausgesprochen dankbar,dass sie ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu derFrage der Menschenrechte in Europa und den entspre-chenden Institutionen gemacht hat. Diese Debatte bieteteinen guten Anlass dazu.Lieber Kollege Müller-Sönksen, ich bin mir nicht si-cher, ob der Streit hier zwingend das richtige Mittel ist.
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nsofern sollten wir schauen, dass wir vielleicht ein an-eres Verständnis für dieses Thema bekommen.Wir beobachten hier ein Phänomen, das wir auch anielen anderen Stellen sehen, zum Beispiel bei der zivi-en Krisenprävention. Wie bewerten Sie eine Katastro-he, die nicht eingetreten ist? Wie verkaufen Sie dieachricht, dass eine Katastrophe nicht eingetreten ist?as ist extrem schwierig. Natürlich ist es viel einfachernd – das sage ich in Anführungszeichen – viel schönerür Journalisten, darüber zu berichten, dass eine Kata-trophe passiert ist, dass irgendwo ein Militäreinsatz not-endig ist, als darüber zu berichten, dass mit relativ we-ig Geld eine Katastrophe oder auch eine humanitäreotsituation verhindert werden konnte. Darum geht esetztendlich. Die Aufgabe der Politik ist es, diese Früh-arnmechanismen so stark wie möglich zu machen, umo wenig wie nötig in die andere Richtung, in die repres-ive Richtung, gehen zu müssen.
Dieser Jahresbericht zeigt sehr deutlich – das ist hierchon angeklungen –, dass sich die Europäische Unionmmer mehr ihrer Aufgabe in diesem Bereich bewusstird. Es ist richtig: Die Außenpolitik spielt immer nochine relativ große Rolle, eine ungleichgewichtig größereolle. Ein Grund hierfür ist historischer Natur. Schauenie sich einmal an, wie die ersten Berichte der jeweili-en Bundesregierung zur Frage der Menschenrechteberschrieben wurden, bis 1998/1999 der Menschen-echtsausschuss ein Vollausschuss wurde: Bericht derundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in denuswärtigen Beziehungen und in anderen Politikberei-hen. Erst danach ist die Innenpolitik dazugekommen.Ich denke, dass es in dem Maße, in dem in Europa,uch innerhalb der Europäischen Union, das Bewusst-ein dafür wächst, dass das Thema Menschenrechteicht nur in den Außenbeziehungen eine große Rollepielt, sondern auch im inneren Zusammenhalt der Euro-äischen Union wichtig ist, dazu kommen wird, dassieser Bericht stärker die Situation innerhalb Europas inugenschein nehmen wird.Man kann es an einem Beispiel sehr deutlich machen.ir sind bis jetzt immer davon ausgegangen, dass jederitgliedstaat die Kopenhagener Kriterien erfüllt und dieinhaltung der Menschenrechte bei den Mitgliedstaatener Europäischen Union per se garantiert ist. Die Tatsa-he, dass mit dem Beitritt von Rumänien und Bulgarienwei Staaten zum ersten Mal sozusagen einer Form vonost-Monitoring unterworfen worden sind, weil es defi-itiv Defizite in den Bereichen Justiz und Strafverfol-ung und bei der Bekämpfung der Korruption gibt, zeigtehr deutlich, dass in der Europäischen Union ein Be-usstsein dafür gewachsen ist, dass die Staaten nach
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Holger Haibachdem Beitritt nicht aus ihrer Pflicht entlassen werden kön-nen. Das zeigt auch deutlich, dass die EuropäischeUnion offensichtlich willens ist, an der Stelle zu han-deln.Jetzt kann man lange darüber streiten, ob dort effektivgenug gehandelt wird. Man kann auch lange darüberstreiten, ob es vor diesem Hintergrund richtig gewesenist, die Aufnahme dieser beiden Staaten zu empfehlen.Ich glaube, es zeigt ganz deutlich, dass die EuropäischeUnion ein Verständnis dafür hat, dass wir innerhalb un-serer Gremien dafür sorgen müssen, dass Menschen-rechte eingehalten werden. Denn es ist wahr: Glaubwür-digkeit entsteht nur durch eigenes Handeln.
Die im Bericht angesprochenen Punkte sind allewichtig: Todesstrafe, Folter, Menschenrechtsdialoge,Kinder in bewaffneten Konflikten, Menschenrechtsver-teidiger und Rechte der Kinder. Die Tatsache, dass es dasEuropäische Instrument für Demokratie und Menschen-rechte gibt, das mit immerhin 11 Millionen Euro proJahr ausgestattet wird, zeigt, dass sich die EuropäischeUnion durchaus der Tatsache bewusst ist, dass Handelndort notwendig ist.Kollege Müller-Sönksen hat gerade gesagt: Europamuss nach außen mit einer Stimme auftreten. Das istzwar zweifelsohne richtig, aber, ich glaube, wir solltenan dieser Stelle realistisch bleiben. Wenn es um eine ge-meinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitikgeht, ist es nicht so einfach, Hoheitsrechte an Europa ab-zugeben. Habe ich noch eine Hoheit über meine eigeneAußenpolitik? Habe ich noch eine Hoheit über meine ei-gene Verteidigungspolitik? Diese Fragen sind oft wichti-ger als die Frage, welche Rechte im Bereich der Wirt-schaft man abgibt. Man darf nämlich die Symbolik andieser Stelle nicht unterschätzen. Insofern sollten wiruns nicht verheben. Aber es bleibt natürlich das Ziel amEnde des Tages; das ist gar keine Frage.Die Frage der Kohärenz – handelt die EuropäischeUnion in allen Fällen gleich? – ist mindestens genausowichtig. Diese Frage muss angesichts der vielen schonerwähnten Menschenrechtsdialoge und Konsultationengestellt werden. Ich bin dafür, dass wir diese Dialogeführen. Aber ich finde auch, sie sollten mit einer klarenZielsetzung verbunden sein. Manchmal würde ich mirwünschen, etwas genauer zu wissen, was mit welchemZiel verhandelt wird und welches Ergebnis am Ende derVerhandlungen stehen soll.
Das wäre ein wichtiger Beitrag zur Herstellung vonmehr Transparenz. Ich habe den Eindruck, Transparenzist etwas, was die Europäische Union an der einen oderanderen Stelle durchaus gut gebrauchen kann.
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Wie Sie wissen, finden vor der Sommerpause nuroch vier Sitzungswochen statt. Da ich nicht weiß, wieiele Debatten wir noch zum Thema Menschenrechteühren werden, habe ich mir ein paar grundsätzliche Be-erkungen erlaubt. Ich glaube, es ist wichtig, auch ein-al in Form eines Resümees darüber nachzudenken,as wir in den letzten vier Jahren eigentlich gemacht ha-en. In Detailfragen können wir natürlich unterschiedli-her Meinung sein. Aber ich denke, dass insbesondereer Menschenrechtsausschuss in den letzten vier Jahrenine ordentliche Arbeit geleistet hat. Das liegt auch da-an, dass seine Mitglieder bei allem notwendigen Streitjetzt komme ich zum Beginn meiner Rede zurück undiederhole: Streit ist notwendig – immer versucht ha-en, die Dinge im Interesse der Menschen voranzutrei-en.Eine große Bedeutung im vorliegenden Bericht zurenschenrechtslage haben die Menschenrechtsverteidi-er. An anderer Stelle habe ich schon einmal darauf hin-ewiesen, dass ich mich manchmal frage, wie man es
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Holger Haibachschaffen kann, obwohl man jahrzehntelang in einem to-talitären System lebt, für die Einhaltung der Menschen-rechte zu kämpfen, nicht nur für sich selbst, sondernauch für andere. In diesem Zusammenhang habe ich fol-gendes schönes Zitat von Václav Havel gefunden – ichhabe dieses Zitat schon einmal angeführt, tue es an die-ser Stelle aber gerne noch einmal, weil, wie ich finde,keine andere Formulierung besser zum Ausdruck bringt,worum es geht –:Hoffnung ist eben nicht Optimismus, ist nicht Über-zeugung, daß etwas gut ausgeht, sondern Gewiss-heit, daß etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf,wie es ausgeht.In diesem Sinne sollten wir unsere Arbeit fortsetzen.Danke sehr.
Das Wort hat der Kollege Michael Leutert für die
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der EU-Jahresbericht 2008 zur Menschenrechtslage bie-tet in vielerlei Hinsicht Anlass zu einer inhaltlichen De-batte. Einige wesentliche Punkte sind bereits angespro-chen worden. Nun möchte ich Ihre Aufmerksamkeitallerdings auf einen Aspekt lenken, der noch nicht er-wähnt wurde. Durch diesen Bericht wird nämlich etwasdeutlich, was gar nicht im Bericht steht. Dieser Berichtoffenbart die Machtfülle von Europäischer Kommissionund Europäischem Rat, und er offenbart ein Demokratie-defizit, das in der EU gegenwärtig herrscht.Das möchte ich an einem Beispiel deutlich machen.In letzter Zeit diskutieren wir immer wieder über diemögliche Aufnahme unschuldig gefangen genommenerGuantánamo-Häftlinge in der Europäischen Union bzw.in Deutschland; dieses Thema wurde auch in der gestri-gen Sitzung des Menschenrechtsausschusses debattiert.In recht engem Zusammenhang damit steht natürlich derVorwurf gegenüber den USA, dass die CIA auf dem Ter-ritorium der EU rechtswidrig Menschen gefangen gehal-ten oder befördert hat. Mit dieser Thematik hat sich dasEuropäische Parlament natürlich beschäftigt. Dazu gibtes Entschließungen, die Forderungen an die EuropäischeUnion und an die Mitgliedstaaten beinhalten, Forderun-gen, die von der Aufklärung über diese Praxis bis zurBeendigung dieser Praxis reichen. Wer sich die Ent-schließungen des Europäischen Parlamentes anschaut,wird feststellen: Mit zunehmender Schärfe wird die Auf-forderung zum Handeln formuliert, weil sich offensicht-lich niemand dafür interessiert hat.So gibt es zum Menschenrechtsbericht 2007 eine Ent-schließung des Europäischen Parlamentes, in der esheißt: Das Europäische ParlamentdsmslesfvtdstscEsrnlgKbsfshpadgng
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun derKollege Rainder Steenblock das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Kollege Leutert, vielen Dank für das Plädoyer fürdie Annahme des Verfassungsvertrages! Denn das De-mokratiedefizit, das Sie zu Recht beschrieben haben,wird damit, jedenfalls weitgehend, gelöst.
In dem Menschenrechtsbericht, der uns vorliegt, steht– gar keine Frage – viel Richtiges. Wir müssen an die-sem Bericht aber auch eine Menge kritisieren. Ich willmit einigen strukturellen Fragen beginnen; einige Kolle-gen vor mir haben sie schon angesprochen.Erstens. Wir können den EU-Jahresbericht zur Men-schenrechtslage nicht nur als ein außenpolitisches Instru-ment sehen. Wenn wir glaubwürdig bleiben wollen, dannmüssen wir in diesem Bericht auch die Situation inner-halb der Europäischen Union untersuchen. Die Gerichts-urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschen-rechte zeigen, dass es sehr viele Urteile und Klagen ausMitgliedsländern der Europäischen Union gibt. Deshalbist es notwendig, dass die Europäische Union stärker indiesem Bericht berücksichtigt wird.
– Es ist gut, wenn wir uns einig sind.ipmtEUddvesddfd–ZahzisrlaaaseuDwigwSRWwrvIdn
Ich komme zu einem dritten strukturellen Änderungs-orschlag. Wir haben in der EU die Grundrechteagenturingeführt. Gerade diejenigen, die im Europarat tätigind, haben einige Kritik daran. Dazu steht aber nichts inem Bericht. Auch die kritische Auseinandersetzung miter Arbeit der Agentur gehört in den Bericht hinein. Ichinde, auch das gehört eigentlich in die Stellungnahmees Parlaments.
Ja gut, es steht am Schluss.Ich komme zu einem weiteren Punkt. Es ist ein guteseichen, dass zu diesem Thema drei Kollegen reden, dieuch im Europarat aktiv tätig sind. Der Kollege Haibachat in der letzten Woche einen hervorragenden Berichtum Thema Menschenrechtsverteidiger vorgelegt. Dasst eine sehr gute Debatte. Ich empfehle Ihnen allen, die-en Bericht und die konkreten Forderungen des Europa-ats in der Frage der Menschenrechtspolitik – Herr Kol-ege Strässer und Frau Kollegin Däubler-Gmelinrbeiten ebenso wie Frau Leutheusser-Schnarrenbergeruf dieser Ebene – zur Kenntnis zu nehmen. Das hat einendere Qualität. Die Berichte sind hervorragend undehr konkret in ihren Aussagen.Insofern fehlt in der Stellungnahme des Parlamentsin Absatz, der die Zusammenarbeit zwischen der EUnd dem Europarat in Menschenrechtsfragen beschreibt.as ist notwendig. Wir werden nur dann Erfolge haben,enn wir das kombinieren. Der Kollege Haibach hat dasn seiner Arbeit auch über Fraktionsgrenzen hinweg sehrut dokumentiert. Vielen Dank dafür!
Ich möchte noch kurz einen Grund nennen, warumir der Beschlussempfehlung der CDU/CSU- und derPD-Bundestagsfraktion nicht zustimmen. Sie sagen zuecht, dass Sie den EU-Menschenrechtsleitlinien eineeiterung des Kinderschutzes beifügen wollen. Aberir als Grüne sagen sehr deutlich: Solange die Bundes-egierung ihre Vorbehalte gegen die Kinderrechtskon-ention der Vereinten Nationen nicht zurücknimmt, isthre Politik scheinheilig. Die Koalitionsfraktionen kün-igen immer wieder an, das zu machen, aber bisher istichts passiert.
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Rainder Steenblock
– Versuchen Sie einfach, sich selber als verantwortlicherPolitiker darzustellen, der diese Regierung unterstützt.Aber Sie kriegen das nicht gebacken.
– Das ist nur eine Kritik an dem, was jetzt ist.Der nächste Punkt, den ich noch erwähnen möchte,betrifft die Menschenrechtsdialoge.
– Seien Sie doch nicht so kleinlich. Ich habe die CDU/CSU gerade gelobt, und jetzt fangen Sie mit pieseligenArgumenten an. Stellen Sie sich doch Ihrer Verantwor-tung! In Bezug auf die Kinderrechtskonvention der Ver-einten Nationen haben Sie nichts unternommen; so istdas.
Was den Menschenrechtsdialog angeht, ist es wün-schenswert, dass der Bericht eine andere Tiefe bekommt.Usbekistan ist angesprochen worden. Wir können nichtauf der Ebene dieser Berichte arbeiten. Hier ist Copy andPaste gemacht worden. In den Berichten zu den EU-Menschenrechtsdialogen findet sich keine Tiefe.Als letzten Punkt komme ich zur Folterkonvention.
Kollege Steenblock, einen neuen Punkt können Sie
jetzt nicht mehr ansprechen. Achten Sie bitte auf die Re-
dezeit.
Ein allerletzter Punkt: Ich stimme Herrn Leutert zu.
Wenn man über Folter spricht, dann muss man über
Guantánamo und die Aufnahme von Flüchtlingen hier
reden und ansprechen, dass es bei uns nicht zu einer
ernsthaften Aufklärung der geheimen Gefangenenflüge
gekommen ist. Auch das ist ein Fehler, der begangen
worden ist. Solche Themen gehörten in den Bericht hi-
nein.
Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die KolleginDäubler-Gmelin hat diese Debatte mit der richtigen Fest-stellung eingeleitet, dass wir hier über grundsätzlicheund sehr wichtige Fragen sprechen. Welches Präsidiums-mitglied möchte schon einem Thomas Dehler oder ei-nWiügBAsureHtreßfDUbBsZAFkD
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– Das wäre eine Möglichkeit, Herr Kollege. – Der wich-tigste ist, dass nach meinem Dafürhalten Ziel einer vo-rausschauenden und den Bedürfnissen der Menschen ge-recht werdenden Rentenpolitik sein muss, nicht nur dieprivate und die betriebliche Altersvorsorge als Ergän-zung zur Regelaltersrente zu stärken – das ist ohnehinwichtig –, sondern auch die Möglichkeiten der privatenVorsorge zur Absicherung des Erwerbsminderungsrisi-kos zu verbessern. Die Nachfrage danach ist – das ist miraus zahlreichen Gesprächen mit Bürgerinnen und Bür-gern bekannt – groß. Die Menschen, die einen privatenVersicherungsschutz vor dem Erwerbsunfähigkeitsri-siko suchen, sind zahlreich. Die Gründe dafür sind ohneWeiteres nachzuvollziehen. Ich will sie nennen.Im Jahr 2000 hat die rot-grüne Bundesregierung mitder Reform der Erwerbsminderungsrente den Erwerbs-minderungsschutz für Rentner um bis zu 10,8 Prozentreduziert. Heute liegt die durchschnittliche Erwerbsmin-derungsrente in den alten Ländern bei 715 Euro und inden neuen Ländern bei 650 Euro. Wenn man bedenkt,dass das Niveau der Grundsicherung derzeit rund660 Euro beträgt, und weiterhin berücksichtigt, dass mitder Reform aus dem Jahr 2000, die in Verantwortungvon Rot-Grün durchgeführt wurde, die Höhe der gesetz-lichen Erwerbsminderungsrente bis 2030 um mehr als20 Prozent sinken wird, dann wird jedem klar: Die Zahlder erwerbsgeminderten Menschen, die Grundsicherungbeantragen müssen, wird künftig stark wachsen, wenn esnicht gelingt, das Erwerbsunfähigkeitsrisiko noch aufanderem Weg privat abzusichern. Wie Sie wissen, gibt esjedes Jahr rund 160 000 Neuzugänge in die Erwerbsmin-derungsrente. Der Bestand liegt derzeit bei 1,6 Millio-nen. Das macht die ganze Tragweite dieses Problemsdeutlich. Für die FDP-Bundestagsfraktion steht fest: DieAbsicherung gegen das Erwerbsminderungs- und Er-werbsunfähigkeitsrisiko ist lückenhaft und muss verbes-sert werden.
Viele Menschen können in fortgeschrittenem Alterkeine Erwerbsunfähigkeitsversicherung mehr abschlie-ßen, wenn sie beispielsweise eine Vorerkrankung auf-weisen. Über die staatlich geförderte private Altersvor-sorge, also über die Riester- und die Rürup-Rente, ist einSchutz vor Erwerbsunfähigkeit bisher nur unzureichendgegeben. Bei der Riester-Rente kann man nur bis zu15 Prozent der Einzahlungen in die Absicherung des Er-werbsminderungsrisikos investieren. Wesentlich bessersieht es auch bei der Rürup-Rente nicht aus, da der Ab-setzbetrag für Arbeiter und Angestellte begrenzt ist undein ausreichendes Schutzniveau nicht erreicht werdenkann. Während die staatliche Vorsorge und die staatlicheFörderung der Vorsorge bisher fast ausschließlich aufdas Ziel der Lebensstandardsicherung fokussiert, bleibtdmgghmoGScRAbortgd„sddtucifuPVssvanetievgrsdswn
Es kommt natürlich darauf an, das Ganze für die Ver-icherungsunternehmen sinnvoll auszugestalten, bei-pielsweise dadurch, dass der Garantiezins für Alters-orsorgeleistungen versicherungsmathematisch korrektngepasst wird.Eine moderne Rentenpolitik, die den Bürger ernstimmt, verfolgt keine rückwärtsgewandten Ansätze, wies beispielsweise die Fraktion der Grünen mit ihrem An-rag zur Absicherung des Erwerbsunfähigkeitsrisikos tut,ndem sie das Wiederherabsetzen des Referenzalters fürine abschlagsfreie Erwerbsminderungsrente auf 63 Jahreorschlägt. Eine moderne Rentenpolitik fummelt übri-ens auch nicht immer wieder an der Rentenformel he-um, wie es die Bundesregierung in diesen Tagen bei-pielhaft vorführt. Das sind die Menschen leid.
Eine moderne Rentenpolitik ist ehrlich und setzt aufie mündigen Bürger. Sie vermittelt den Bürgern, wasie von der gesetzlichen Rente – egal ob Alters- oder Er-erbsminderungsrente – erwarten können und wie sieach freier Wahl selbst einen Beitrag dazu leisten kön-
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Dr. Heinrich L. Kolbnen, ihren Versicherungsschutz mit staatlicher Förde-rung zu ergänzen.Die Bürgerinnen und Bürger sind bereit, mehr für ihreAbsicherung zu tun, als manchmal angenommen wird;die große Nachfrage nach einem besseren privaten Er-werbsminderungsschutz beweist das. Dies muss ihnenaber ermöglicht werden. Genau das ist der Weg, den dieFDP mit ihrem Antrag ebnen will. Ich bitte Sie, diesemAntrag zu folgen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Peter
Weiß das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Zu den großen sozialen Leistungen der gesetzlichenRentenversicherung gehört, dass sie nicht nur Renten imAlter ausbezahlt, sondern dass sie auch Leistungen fürjüngere Menschen erbringt, wenn diese wegen Krank-heit oder Behinderung nur noch eingeschränkt arbeitenkönnen oder, weil sie voll erwerbsgemindert sind, über-haupt nicht mehr arbeiten können.Wir erleben immer wieder, dass in der ÖffentlichkeitDiskussionen über die Rendite der gesetzlichen Renten-versicherung stattfinden; dies wird auch von einigen Zei-tungen angefeuert. Es wird behauptet, die Rendite ande-rer Versicherungsformen sei viel besser. Bei solchenRenditebetrachtungen fällt aber oft unter den Tisch, dassdie gesetzliche Rente im Gegensatz zu anderen Alters-vorsorgesystemen, die ihr im Hinblick auf die Renditeangeblich den Rang ablaufen, im Falle eines Falles be-reits vor Erreichen des Rentenalters Erwerbsminde-rungsrente zahlt. Um es klar und deutlich zu sagen: Diegesetzliche Rente ist deswegen so wichtig, wertvoll undunverzichtbar, weil sie auch bei Erwerbsminderung hilft.Die Erwerbsminderungsrente ist eine der großartigen so-lidarischen Leistungen der Versichertengemeinschaft inder gesetzlichen Rentenversicherung.
Nun sorgen die Veränderungen im Rentenrecht, diewir in den kommenden Jahren schrittweise weiter voll-ziehen, weil wir eine Antwort auf die demografische He-rausforderung geben müssen – der Altersaufbau der Ge-sellschaft ändert sich, und es wird mehr Ältere undweniger Jüngere geben –, dafür, dass sich jeder zusätz-lich zur gesetzlichen Rente weitere Säulen der Altersver-sorgung aufbauen muss. Die Bedingungen und Förder-möglichkeiten für den Aufbau einer betrieblichenAltersvorsorge als einem weiteren Standbein und einerprivaten, kapitalgedeckten Altersvorsorge, die wir in derRegel kurz Riester-Rente nennen, sind in den letztenJlpdiwdvrnRfEhRtnavlsrbhmsEdZghbb1IVmtüncIdzssek
Wenn zusätzliche Vorsorge für jeden, der künftig inente geht, ein absolutes Muss ist, dann gilt das genausoür diejenigen, die vor Erreichen des Rentenalters leiderrwerbsminderungsrente beantragen müssen. Deshalbat übrigens die Große Koalition eine nicht unwichtigeeform beschlossen. Für die private, kapitalgedeckte Al-ersvorsorge, also für das, was man Riester-Sparenennt, sind seit dem vergangenen Jahr, seit 2008, auchlle Personen förderberechtigt, die eine Rente wegenollständiger Erwerbsminderung beziehen. Auch sie sol-en eine Chance haben, zusätzlich weiter für das Alter zuparen und eine zusätzliche Altersvorsorge aufzubauen.
Nun haben zwei Oppositionsfraktionen weitere Neu-egelungen für Bezieher von Erwerbsminderungsrenteeantragt. So sehr ich es für wichtig und notwendigalte, alles dafür zu tun, dass Menschen mit Erwerbs-inderung ein auskömmliches Leben mit den ihnen zu-tehenden Leistungen führen können, sollte man meinesrachtens Folgendes bedenken:Erstens. Die vermeintlich unzureichende Absicherunger Erwerbsunfähigkeit wird seit Jahren vor allem imusammenhang mit dem Wegfall der früheren Rente we-en Berufsunfähigkeit diskutiert. Herr Kolb, übrigensaben die FDP und die CDU/CSU das zusammen 1997eschlossen. Als dann Rot und Grün ab 1998 regiert ha-en, haben sie das erst einmal rückgängig gemacht, aber999 genau dieses wieder gemeinsam beschlossen.
ch will deutlich machen, dass alle vier Fraktionen dafürerantwortung tragen. Der Punkt ist folgender: Das Aus-aß der materiellen Auswirkungen des Wegfalls der al-en Berufsunfähigkeitsrente wird meines Erachtens weitberschätzt; denn der Wegfall dieser alten Rente bedeuteticht, dass die betroffenen Versicherten in der gesetzli-hen Rentenversicherung keinen Schutz mehr genießen.n aller Regel ist die Erwerbsfähigkeit von Versicherten,ie ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben können,ugleich auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einge-chränkt. Sie haben dann aus der gesetzlichen Rentenver-icherung meist aus arbeitsmarktbedingten Gründen sogarinen Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente.Zweitens. Die von der FDP beantragte Wahlmöglich-eit, im Rahmen der Riester-Rente wie auch der Rürup-
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Peter Weiß
Rente, also der privaten, kapitalgedeckten Altersvor-sorge, das Risiko der Erwerbsunfähigkeit allein absichernzu lassen,
würde zwangsläufig zulasten der Altersvorsorge gehen.Mit der Riester-Rente wollten wir dafür sorgen, dass sichdie Menschen ergänzend zur gesetzlichen Rente etwasfür das Rentenalter aufbauen. Wenn wir jetzt die Wahl-möglichkeit einräumen, den gesamten in der sogenann-ten Riester-Rente angesparten Betrag für die Absiche-rung des Erwerbsminderungsrisikos einzusetzen, dannfehlt dieses Geld natürlich bei der zusätzlichen Alters-vorsorge.
Übrigens hat der Gesetzgeber deshalb bei der Riester-Rente die Absicherung des Erwerbsminderungsrisikosauf 15 Prozent und bei der Rürup-Rente, die sich in ers-ter Linie an Selbstständige wendet, auf 49 Prozent derBeiträge begrenzt. Die alleinige Absicherung der Er-werbsunfähigkeit im Rahmen der Riester-Rente, dienach dem Antrag der FDP zukünftig möglich wäre,würde eben nicht mehr dem ursprünglichen Sinn undZweck der Riester-Rente, nämlich zusätzlicher Alters-vorsorge, entsprechen,
mit der die künftige Minderung der Leistungen aus dergesetzlichen Rentenversicherung ausgeglichen werdensoll. Mit anderen Worten: Herr Kolb, Ihr Vorschlag gehtschlichtweg auf Kosten der Alterssicherung, und es stelltsich die Frage: Kann man das verantworten?
Weiter wird die Forderung aufgestellt, allen steuer-pflichtigen Personen die Möglichkeit zum Abschluss ei-nes Riester-Sparvertrages zu eröffnen, um dafür diestaatliche Förderung zu erhalten.
Die Erfüllung dieser schon öfter gestellten Forderungwürde natürlich in erheblichem Maße Geld kosten. An-gesichts der zusätzlichen Belastungen der öffentlichenHaushalte durch die Maßnahmen zur Bekämpfung derFinanz- und Kapitalmarktkrise stellt sich die Frage, obman in dieser Zeit eine solche Zusatzleistung beantragensollte.Wir werden die Anträge der beiden Oppositionsfrak-tionen in den Ausschüssen des Bundestages ausführlichberaten. Bei den Beratungen gilt für mich ein Maßstab:Die zusätzliche Altersvorsorge ergänzend zur gesetzli-chen Rente, für die wir die Menschen in Deutschland inden letzten Jahren erfreulicherweise in zunehmendemMaße gewonnen haben, muss sicherer und leistungsfähi-gpddFIPwzZidphsrRdwGuBdgisJSzdlGdsBihs
Das Wort hat der Kollege Volker Schneider für die
raktion DIE LINKE.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ch hoffe, dass wir uns zumindest in einem zentralenunkt einig sind: Der Schutz vor den Risiken der Er-erbsminderung ist eine der dringlichsten Aufgaben so-ialer Sicherungssysteme.
umindest die Sozialdemokraten, die sich ihrer Wurzelnn der Arbeiterbewegung erinnern, wissen, dass geradeer Schutz im Falle der Invalidität einer der Ausgangs-unkte der sozialstaatlichen Entwicklung im 19. Jahr-undert war.Und heute? Herr Weiß, Ihre recht optimistische Ein-chätzung der sozialen Situation von Erwerbsminde-ungsrentern hat mich etwas überrascht; denn mit dereform der Erwerbsminderungsrente im Jahr 2000urch SPD und Grüne hat sich die Absicherung des Er-erbsminderungsrisikos massiv verschlechtert. Rot-rün hat mit Verweis auf den allgemeinen Arbeitsmarktnd auf das sogenannte Restleistungsvermögen für dieetroffenen den Zugang zur Erwerbsminderungsrenteeutlich erschwert.Im Jahr 2000 gingen noch 200 000 Menschen auf-rund ihrer gesundheitlich bedingten Arbeitsunfähigkeitn Rente, 2007 waren es 40 000 weniger. Ist es wirklicho, fragen wir uns als Linke, dass diese 40 000 Jahr fürahr weniger Solidarität bedürfen, oder verweigert derozialstaat ihnen schlicht die notwendige Unterstüt-ung?Ein weiteres Problem ist der dramatische Rückganger durchschnittlichen Leistungshöhe. Diese liegt mitt-erweile gesamtdeutsch mit 662 Euro pro Monat aufrundsicherungsniveau. Was hat es noch mit einem wür-evollen Leben zu tun, fragen wir als Linke, wenn Men-chen mit schweren körperlichen und gesundheitlicheneeinträchtigungen nicht einmal mehr ausreichend Geldn der Tasche haben?Vergessen wir nicht – beide Anträge weisen daraufin –, dass bis 2030 das allgemeine Rentenniveau weiterinken wird, und zwar um rund 20 Prozent. Das wird das
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24075
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Volker Schneider
Problem der unzureichenden Absicherung bei Erwerbs-minderung in den kommenden Jahren noch weiter ver-schärfen; denn die Absenkung des Rentenniveausschlägt auch bei der Erwerbsminderungsrente volldurch. Damit erreichen Erwerbsgeminderte im Schnittnicht einmal mehr das Grundsicherungsniveau. Wie tiefwollen Sie denn die Würde dieser Menschen noch hän-gen?
Hinzu kommt, dass den Betroffenen bei vorzeitigemBezug Abschläge von bis zu 10,8 Prozent drohen. DieVerbesserung der Zurechnungszeiten im Zuge der2000er-Reform kann die Abschläge kaum kompensie-ren. Es ist doch nicht so, dass sich die Betroffenen frei-willig aussuchen, ab wann sie die Erwerbsminderungs-rente in Anspruch nehmen müssen. Da ist es doch keinWunder, dass die Abschläge von den Betroffenen alswillkürlich und ungerecht wahrgenommen werden. DieRente ab 67 wird den Wert der Erwerbsminderungsren-ten weiter mindern.Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten lehnen wirLinke ab,
weil es nicht im Belieben der Betroffenen steht, wann sieeine solche Rente in Anspruch nehmen müssen, weilsich die Betroffenen eben nicht aussuchen können, abwann körperliche und gesundheitliche Beeinträchtigun-gen ein Weiterarbeiten nicht mehr möglich machen. Wirfordern Abschlagsfreiheit ab dem 60. Lebensjahr undnicht erst ab dem 63. Lebensjahr, wie von den Grünengefordert.
Der Vorwurf, man mache so wieder ein Scheunentorfür eine neue Frühverrentungspolitik auf, liebe KolleginSchewe-Gerigk, ist doch eigentlich unsinnig; schließlichfindet vor der Frühverrentung eine strenge medizinischePrüfung statt.
Die Abschläge können schon deshalb keine steuerndeWirkung entfalten.Die Forderung der FDP, dem Versicherungsnehmerdas Wahlrecht zu ermöglichen, bei seiner staatlich sub-ventionierten privaten Altersvorsorge auch das Risikoder Erwerbsminderung abzusichern, lehnen wir ent-schieden ab. Ihre Realitätsverweigerung gegenüber Ur-sachen und Wirkungen der Finanzmarktkrise ist schonerstaunlich.
Dass Riester-Produkte sich oft durch Intransparenz undIneffizienz auszeichnen, ist bei der FDP offensichtlichnoch nicht angekommen. Dass bei einigen fondsgebun-denen Riester-Verträgen die Versicherten Verluste vonbis zu 80 Prozent zu beklagen haben, ist Ihnen wohlgleichgültig. Oder geht es Ihnen in erster Linie darum,esmgdwnSkwedFrDkssAssbmwdnVdMdtd
as ist faktisch bei jedem Antrag dieser Art so. Manann sich das Lesen dieser Anträge sparen, weil die Es-enz immer dieselbe ist: Die Lebensrisiken der Men-chen sollen privatisiert werden; die Gesellschaft, dierbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Versichertenollen entsolidarisiert werden.
Wenn man sich Ihren jetzt vorliegenden Antrag an-chaut, dann erkennt man genau das, was ich beschrie-en habe: Einen Teil eines Lebensrisikos, nämlich nichtehr arbeiten zu können, erwerbsgemindert zu sein,ollen Sie individualisieren und privatisieren und überie Krücke der Riester-Rente finanzieren, und das sogaroch mit staatlicher Unterstützung.Man sollte schauen, was dort steht: Sie wollen denersicherungsunternehmen die Möglichkeit eröffnen,as Ganze sinnvoll zu gestalten.
it „sinnvoll“ bezeichnen Sie, dass die garantierte Ren-ite aus den Riester-Verträgen – natürlich vor dem Hin-ergrund eines erhöhten Risikoschutzes – abgesenkt wer-en kann.
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24076 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009
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Anton SchaafWas heißt das allerdings in der Konsequenz? Die Un-ternehmen verdienen an der Riester-Rente, die staatlichgefördert ist, im Zweifel mehr;
die Gewinnmargen werden größer. Sie wollen dieRiester-Rente schlichtweg attraktiver für die Unterneh-men und nicht für die Beschäftigten machen. Das ist inIhren Anträgen eindeutig zu lesen.
Mir ist mittlerweile wirklich schleierhaft, wie man indieser Zeit so erkenntnisresistent sein kann. Wir befin-den uns in einer Weltfinanzkrise, in einer Weltwirt-schaftskrise, deren Ursachen wirklich beschreibbar sind.Eine Auswirkung dieser Krise ist, dass zum Beispiel inGroßbritannien oder in den Vereinigten Staaten Millio-nen älterer Menschen – vor dem Hintergrund, dass siesich nur privat für das Alter absichern konnten – jetztvor dem Nichts stehen. Dass man angesichts einer sol-chen Auswirkung die zusätzliche Privatisierung einesLebensrisikos hier in einem Antrag einfordert, ist schonmehr als bemerkenswert.
Kollege Schaaf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kolb?
Nein. Herr Kolb, Sie hatten die Möglichkeit, IhrenAntrag vorzustellen. Wir werden auch im Ausschussausführlich über das Thema diskutieren. Im Gegensatzzu Ihnen will ich heute Abend noch zum Maifest desDGB. Die Präsidentin hat auch schon darauf hingewie-sen, dass wir etwas überzogen haben. Von daher solltenwir das jetzt lassen.Sie beantworten überhaupt nicht die Frage: Was ma-chen wir mit den 12 Millionen Menschen, die schon ge-riestert haben? Für die bräuchten wir neue Verträge. Wieist das dann mit der Gesundheitsuntersuchung, die Versi-cherungskonzerne immer fordern?Wie ist überhaupt zu erklären, dass sich so wenigeMenschen privat gegen das Risiko der Berufsunfähigkeitabsichern?
Ich sage Ihnen, womit das zu erklären ist: Die Verträge,die angeboten werden, sind wirklich alles andere alslukrativ; unglaublich hohe Beiträge für miserable Leis-tungen.
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Die SPD-Bundestagsfraktion wie die SPD in Gänzest der Ansicht, dass weitere Privatisierungen bei der Al-ersvorsorge oder bei anderen Lebensrisiken, die dieenschen zu tragen haben, nun wirklich nicht verant-ortbar sind. Wir haben an einer Stelle privatisiert,
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Anton Schaafum auf die demografische Entwicklung zu reagieren.
Aber wir sollten nicht jedes Problem, das wir in unserensozialen Sicherungssystemen haben, zu lösen versuchen,indem wir privatisieren, so wie Sie es wollen.
Das ist der untauglichste Versuch, den es gibt, wie dieGeschichte gerade bewiesen hat.
– Die Frage, ob man angesichts von 12 Millionen Men-schen, die riestern, die Riester-Rente sinnvollerweise zu-rücknehmen kann,
ist abstrus und stellt sich nicht.Vor dem Hintergrund der jetzt gemachten Erfahrun-gen mit der Finanzkrise, in der Milliarden und Abermil-liarden versenkt worden sind – damit auch die Erspar-nisse der Menschen fürs Alter –,
eine Debatte darüber zu führen, ob zusätzliche Risikenindividualisiert werden können, ist nun wirklich abstrus.An dieser Stelle werden Sie die Sozialdemokraten mitSicherheit nicht an Ihrer Seite haben. Aber Sie könnensich auch sicher sein, dass wir alle Details, die Sie ge-rade mit mir noch besprechen wollten, im Ausschussmiteinander diskutieren werden. Ich habe nur – wie auchder Kollege Weiß – den Eindruck, dass meine Fraktionzu keinem anderen Ergebnis kommen kann. Eine weiterePrivatisierung individueller Lebensrisiken ist mit derSPD nicht zu machen.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun dieKollegin Irmingard Schewe-Gerigk das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zu Recht weist der Präsident der Deutschen Rentenver-sicherung Bund auf das steigende Risiko von Armut imAlter gerade bei erwerbsgeminderten Versicherten hinund fordert von uns im Parlament Nachbesserung. Eswurde gerade gesagt, dass die allgemeine Niveauabsen-kEimzgFmhakbcibWdtgAgWgsKcwBkuedrSG6ntwcszgrw
Die FDP macht in ihrem Antrag Vorschläge zur Nach-esserung in den Bereichen der privaten und betriebli-hen Altersvorsorge, damit auch die Erwerbsminderungn diesen Säulen abgesichert ist. Wir Bündnisgrünen ha-en uns die Frage gestellt: Welches ist der vorrangigeeg, damit Menschen, die aus gesundheitlichen Grün-en oder wegen einer Behinderung nicht bis zum Ren-enalter arbeiten können, dennoch vor Armut im Altereschützt sind?Unsere grundsätzliche Antwort lautet: Der Schutz vorrmut im Alter muss im Rahmen der ersten Säule erfol-en, also in der gesetzlichen Rentenversicherung.
ir wollen nicht, dass nur Versicherte, die sich eine er-änzende Altersvorsorge leisten können, vor Armut ge-chützt sind. Die FDP hat da offensichtlich eine anderelientel vor Augen. Dieser Grundsatz wird umso deutli-her, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass eine teil-eise oder auch vollständige Erwerbsminderung undehinderung bereits in sehr jungen Jahren eintretenann.Damit die Erwerbsminderungsrente gerechter wirdnd einen besseren Schutz vor Armut im Alter bietet, ists grundsätzlich erforderlich, die Zurechnungszeit bis zuem Zeitpunkt der abschlagsfreien Erwerbsminderungs-ente anzuheben, auch wenn dies Geld kostet, Kollegechaaf.
egenwärtig müsste die Zurechnungszeit bis zum3. Lebensjahr fortgeführt werden. Nur so kann eine Be-achteiligung infolge einer gesundheitlichen Beeinträch-igung oder Behinderung in jungen Jahren ausgeglichenerden. Dies mag Geld kosten; aber die Menschen su-hen sich das nicht aus.
Wir fordern erneut, das Zugangsalter für eine ab-chlagsfreie Erwerbsminderungsrente mit 63 Jahren bei-ubehalten und somit die Anhebung nach dem Alters-renzenanpassungsgesetz von 63 auf 65 Jahre wiederückgängig zu machen.
Bereits bei der Debatte um die Rente mit 67 hattenir verdeutlicht, dass eine Anhebung des Zugangsalters
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Irmingard Schewe-Gerigkfür die Erwerbsminderungsrente willkürlich ist. Eine ab-schlagsfreie Erwerbsminderungsrente mit 63 Jahren istgerechter als Ausnahmeregelungen für langjährig Versi-cherte, die eben das Glück haben, über eine robustereGesundheit zu verfügen, oder die unter weniger belas-tenden Arbeitsbedingungen arbeiten konnten.Die Öffnung der Riester-Rente für das existenzielleRisiko der Erwerbsminderung halten wir durchaus fürrichtig, Herr Kollege Kolb; aber dies gibt es schon, wiewir gerade gehört haben. Die anderen Vorschläge desFDP-Antrags lehnen wir ab. Sie sind überflüssig und ha-ben mit solidarischer Absicherung nun wirklich garnichts zu tun.
Die FDP scheint vor allem bei der zweiten Forderungin ihrem Antrag mehr die Interessen der Versicherungs-wirtschaft denn die der Versicherten im Auge zu haben.
Natürlich würden sich die Versicherungen freuen, wennsie den Garantiezins senken könnten. Dass dies nicht nö-tig ist, zeigen die Tarifverträge der Chemie- und der Me-tallbranche. Mit diesen Tarifverträgen wird deutlich,dass die Berufs- und Erwerbsminderungsrente zu günsti-gen Konditionen für die Versicherten auch in die betrieb-liche Altersvorsorge eingebaut werden kann.Ich fasse zusammen: Damit die Erwerbsminderungs-rente auch gesundheitlich beeinträchtigte Beschäftigebesser vor Armut im Alter schützt, ist ein ausreichenderSchutz in der ersten Säule der Alterssicherung geboten.Dazu fordern wir eine Beibehaltung des Referenzaltersvon 63 Jahren. Zusätzlich muss die Zurechnungszeit an-gepasst werden, und zwar grundsätzlich bis zur ab-schlagsfreien Erwerbsminderungsrente.Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss und bitteSie, das zu unterstützen.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/10872 und 16/12865 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuer-
gesetzen
– Drucksachen 16/12257, 16/12675 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses
– Drucksachen 16/12878, 16/12903 –
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rung auf Kosten der niedrigen und mittleren Einkom-mensbezieher durch die Erhöhung des Mehrwertsteuer-satzes.Die Vereinheitlichung der Verfahrensweise und diestärkere Kontrolle bei den Verbrauchsteuern sind einkleiner Schritt in die richtige Richtung – aber leider nurein sehr kleiner: Es werden ja nicht einmal die Steuer-sätze angeglichen. Es ist typisch für die EU-Politik, dassbei den unbedeutenden und zudem die niedrigen Einkom-men stärker betreffenden Steuern angefangen wird: Dieeuropaweite Vereinheitlichung der Bemessungsgrund-lage und die Einführung von Mindeststeuersätzen für Ka-pitaleinkommen und bei der Unternehmensbesteuerungwird dagegen regelmäßig blockiert – auch von der Bun-desregierung.
Mit dem vorliegenden Entwurf der Bundesregierung
eines Vierten Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteu-
ergesetzen wird eine EU-Richtlinie in deutsches Recht
umgesetzt. Dabei geht es um die Einführung eines EDV-
gestützten Verfahrens bei der Beförderung von ver-
brauchsteuerbaren Waren wie Tabakwaren, Alkohol oder
Energieerzeugnissen zwischen den EU-Ländern. Durch
die Einführung dieses EDV-Verfahrens wird die bisherige
Papierabwicklung der Besteuerung ersetzt. Damit soll
eine Vereinfachung des Verfahrens für alle Beteiligten er-
reicht werden. Außerdem soll auf diese Weise der Steuer-
betrug bekämpft werden. Diese Ziele teilen wir.
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um dem Bundestag und der Bundesregierung Zeit zuverschaffen, ausführlich über diese Fragen zu diskutie-ren.Was fordern wir? Wir fordern erstens eine unabhän-gige Expertengruppe, die mit Vertretern aus Bürger-rechtsorganisationen, Anwaltsvereinen, Richtervereinen,Datenschutzvereinigungen und Gewerkschaften besetztwerden soll.
Diese Truppe soll darüber diskutieren, wie es um dieGrundrechte in diesem Land bestellt ist. Ich halte das füreinen sehr guten Vorschlag.
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Viertens schlagen wir vor – das halte ich in der Tat fürine wirklich wichtige Sache; denn die Begründung fürlle Gesetze, die wir hier verabschiedet haben, war im-er, dass wir Verschiedenes machen müssen, um größt-ögliche Sicherheit in unserem Land zu erreichen –, ne-en der Frage der Grund- und Freiheitsrechte zunalysieren und zu evaluieren, ob das Ganze wirklich zuehr Sicherheit geführt hat oder ob es einfach nur eintrohfeuer gewesen ist. Deswegen wollen wir eine unab-ängige Überprüfung dessen und nicht, dass das Bun-esministerium des Innern, wie es dies ansonsten – manann sagen: durchaus lustig – macht, seine eigenen Ge-etze evaluiert
nd zu dem Schluss kommt, dass die Gesetze hervorra-end sind. So geht es natürlich nicht. Vielmehr wollenir das Ganze unabhängig gestalten. Bis dahin fordernir – das ist der Kern unseres Antrages –, auf neue Ge-etze zu verzichten,
rst einmal in sich zu gehen und nachzudenken.Kollege Wieland, ich habe einen Beweis dafür, wa-um das dringend notwendig ist. Heute bekam ich vomollegen Peter Altmaier die Antwort auf unsere Kleinenfrage „Kompetenzausweitung für das Bundesamt fürerfassungsschutz“. Wir haben gefragt, ob die Ergeb-isse der Onlinedurchsuchungen nach Meinung der Bun-esregierung auch dem Bundesamt für Verfassungs-chutz zur Verfügung gestellt werden sollten. Sie könnenich denken, dass wir das nicht wollen. Sie hat ehrlicharauf geantwortet und gesagt – das ist zumindest eineosition –, dass das natürlich so sein sollte. Zitat: Eineegelung wird in die Prüfung des Handlungsbedarfs derächsten Wahlperiode einbezogen.
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Jan KorteUnser Antrag ist natürlich aktueller denn je, um demvorzubeugen, dass das nicht so kommt, wie Sie sich dasvorstellen.
An dieser Stelle möchte ich durchaus Kritik dahin ge-hend zulassen, dass der Antrag schon etwas älter ist.
– Ich kann es nicht ändern, dass die Verfahren hier solangsam sind. Ich würde sie auch lieber beschleunigen. –Nach den letzten Urteilen gibt es ein neues Grundrecht,und zwar ein Grundrecht auf die Gewährleistung derVertraulichkeit und Integrität informationstechnischerSysteme.
Ziel unseres Antrages ist, dass man dieses neue Grund-recht in Zukunft bei allen Gesetzentwürfen, über die wirhier diskutieren, im Vorfeld mitbedenkt. Das ist auch fürdie Bundesregierung hilfreich, weil sie dann nicht dummdasteht, wenn das Verfassungsgericht sagt: So geht esnicht, wie ihr das vorgeschlagen habt. – Das ist doch ein-mal ein konstruktiver Vorschlag.
Das ist der Kern dieses Antrags. Es ist eine Chance füruns alle, einmal in sich zu gehen, sachlich zu diskutierenund mit Bürgerinnen und Bürgern, Vereinen, Verbändenund Gewerkschaften darüber ins Gespräch zu kommen,wie wir die Innenpolitik in diesem Land in den nächstenJahren gestalten wollen. Deswegen bitte ich um einewohlwollende Prüfung unseres hervorragenden Antra-ges.Schönen Dank.
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
Helmut Brandt.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen undKollegen! Wenn das Thema nicht so ernst wäre, würdenwir alle über Ihren Antrag lachen, wie Sie selber überihn gelacht haben.
Ich denke, man sollte dieses Thema sachlich debattierenund nicht solche Anträge formulieren, zu denen mandann selber dem Grunde nach nicht steht.–mwmvwGueBEtiNbdhvkHkuimmAPMtTdsdsihnt
Das ist wahr, Kollege Wieland. Insofern schließe ichich Ihnen an.Da wir aber über diesen Antrag debattieren, in demir bzw. die Bundesregierung aufgefordert werden, zu-indest teilweise auf die Vorlage und Verabschiedungon Gesetzentwürfen zu verzichten, die – wie beispiels-eise das vor wenigen Monaten verabschiedete BKA-esetz – für die Gewährleistung der inneren Sicherheitnabdingbar sind,
rlauben Sie mir, dass ich zu Beginn ein paar allgemeineemerkungen mache.Der vorliegende Antrag soll ganz offensichtlich denindruck erwecken, als seien die von uns verabschiede-en Gesetzentwürfe der letzten Monate im Bereich dernneren Sicherheit quasi aus Jux und Tollerei entstanden.och schlimmer: Die Fraktion Die Linke versucht offen-ar, den Eindruck zu vermitteln, als seien die Gesetze,ie in jüngster Zeit auf dem Gebiet der inneren Sicher-eit beschlossen wurden, nicht verfassungskonform underfolgten lediglich den Zweck, unsere Bürger mehr zuontrollieren und auszuspionieren.
err Korte, abgesehen davon, dass dieser Eindruck voll-ommen an der Realität vorbeigeht
nd Sie die derzeitige Sicherheitslage auf der Welt undn Deutschland, die diese Gesetze erst notwendig ge-acht hat, komplett ignorieren, erschüttern Sie – das istein Vorwurf an Sie; das ist Ihre wahre Absicht – mitnträgen wie diesem das Vertrauen des Bürgers in dasarlament; zumindest tragen Sie in ganz erheblichemaße dazu bei. Das ist in unseren Augen verantwor-ungslos.
Es kann gar kein Zweifel daran bestehen, dass dererrorismus auch Deutschland erreicht hat. Immer ein-ringlicher warnen Experten vor der Gefahr eines An-chlags auch in Deutschland. Ich kann nur sagen: Weras nicht begriffen hat und weiterhin, zumindest unter-chwellig, behauptet, durch die Terrorismusbekämpfungn Deutschland werde übermäßig in die persönliche Frei-eit des Einzelnen eingegriffen, hat den Ernst der Lageicht begriffen oder handelt, wie Sie es mit Ihren Vorhal-ungen tun, verantwortungslos.
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24084 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009
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Helmut Brandt– Ich komme ja jetzt zu Ihrem Antrag, Herr Korte.
Als Erstes – Sie haben es eben wiederholt – fordern Siedie Einrichtung einer unabhängigen Expertengruppe, inder Bürgerrechts-, Rechtsanwalts-, Journalisten-, Rich-ter- und Datenschutzvereinigungen sowie Verbände undGewerkschaften vertreten sein sollen. Welche Verbändedas sind, haben Sie nicht gesagt. Ich vermute, dass Siekeine Verbände von Stasigeschädigten meinen; dennsonst hätten Sie diese hier sicherlich aufgeführt. Aberauch, welche besonderen Kompetenzen Gewerkschaf-ten in diesem Zusammenhang haben sollen, haben Sienicht deutlich machen können.Ich sage Ihnen: So, wie der Antrag formuliert ist, ister es schon von seiner Unbestimmtheit her eigentlichnicht wert, dass man sich näher damit beschäftigt. Eswird aber wenigstens deutlich, dass Sie über die Bedeu-tung und die Aufgabe des Bundesdatenschutzbeauftrag-ten völlig hinweggehen.Aufgabe des Bundesbeauftragten für den Datenschutzund die Informationsfreiheit ist es unter anderem, insbe-sondere im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren Emp-fehlungen auszusprechen und Gutachten zu erstellen.Dementsprechend wurde und wird der Bundesdaten-schutzbeauftragte von der Regierung bei Gesetzen, dieden Datenschutz tangieren, bereits sehr früh mit in dieBeratungen einbezogen.
In Ihrem Antrag fordern Sie darüber hinauseine umfassende Evaluation aller in der Vergangen-heit beschlossenen Sicherheitsgesetze mit Blick aufderen Verhältnismäßigkeit und objektive Wirksam-keit für die Sicherheit …
– Dagegen spricht nichts. Ich werde Ihnen aber jetzt sa-gen, was Ihnen in den letzten Monaten alles nicht aufge-fallen ist:Der Gesetzgeber ist natürlich verpflichtet, die Aus-wirkungen seiner Entscheidungen, insbesondere im Be-reich der Grundrechte und der ihn insoweit treffendenSchutzpflichten, im Blick zu behalten und, falls erforder-lich, auf Fehlentwicklungen zu reagieren. Ich bin mir si-cher, dass dies zumindest den Juristen unter Ihnen geläu-fig ist.Erstaunt bin ich aber vor allen Dingen deshalb, weilIhnen offensichtlich entgangen ist, dass wir bei allen zu-letzt verabschiedeten Gesetzen im Bereich der innerenSicherheit eine solche Evaluation bereits vorgesehen ha-ben.
– Ich werde das im Einzelnen darlegen, Herr Korte. – Essteht dem Gesetzgeber dem Grunde nach ja frei, wie erder von mir gerade erwähnten Verpflichtung nachkommt.Das Parlament muss nicht mit jeder Ermächtigung zuGrundrechtseingriffen zugleich eine förmliche Verpflich-tdbvegdEvBZkafaSHGduwlfdfwRmßfnawgguvbwa–i
Meine Damen und Herren von der Linksfraktion, icheiß, dass Sie das alles nicht gerne hören, aber es ist dieealität. Ihre Forderung nach einer Evaluierung ist da-it vollkommen überflüssig. Ich denke, ich konnte au-erdem gerade auch aufzeigen, dass sich die Koalitions-raktionen einer möglichen Grundrechtsbetroffenheiticht nur bewusst gewesen sind, sondern dass wir daraufuch durchaus besonnen reagiert haben.
Ich versichere Ihnen noch etwas: Selbstverständlicherden Bundestag und Bundesregierung auch bei künfti-en Gesetzesvorhaben die verfassungsrechtlichen Vor-aben hinsichtlich des Grundrechts auf Vertraulichkeitnd Integrität informationstechnischer Systeme, dasom Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 in Ver-indung mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes abgeleiteturde, strikt beachten.Ihre Forderung nach einem Moratorium im Hinblickuf die Novellierung des Bundeskriminalamtgesetzesdamit bin ich bei der letzten Forderung Ihres Antrages –st deshalb überholt und nicht erforderlich.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24085
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Helmut BrandtÜberdies wäre es aber auch unzulässig, der Bundesre-gierung die Vorlage von Gesetzentwürfen zu untersagenund ihr damit die Möglichkeit zu nehmen, auf bestehen-den gesetzlichen Regelungsbedarf zu reagieren.
– Ja, das ist besonders unzulässig. Das ist sozusagen un-zulässig unzulässig. Da gibt es leider kaum noch eineSteigerungsform. – Ein Gesetz, Herr Korte, wird ge-schaffen, weil man die Notwendigkeit einer Regelungerkannt hat. Sie allerdings weigern sich, von dieser Not-wendigkeit Kenntnis zu nehmen. Allein aus diesemGrund ist Ihre Forderung nach einem Moratorium ab-surd. Man denke einmal darüber nach, welche Konse-quenzen ein solcher Beschluss hätte.Zum Schluss möchte ich noch einmal betonen, dassfür die von uns in jüngster Zeit geschaffenen Einflussbe-fugnisse wie die sogenannte Onlinedurchsuchung nichtnur hohe Hürden aufgestellt wurden – sie unterliegenbeispielsweise einem Richtervorbehalt –, wodurch Ein-griffe in das Recht auf Datenschutz des Einzelnen auf ei-nige ganz wenige Fälle beschränkt sind. Ich denke, es istaußerdem deutlich geworden, dass wir über genügendKontrollmechanismen verfügen, um rechtzeitig und an-gemessen auf Fehlentwicklungen reagieren zu können.Eigentlich bräuchte ich es nicht mehr zu sagen: Es istselbstverständlich, dass wir Ihren Antrag ablehnen.Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz für die FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Liebe Zuschauer! Als ich den Antrag, über den wirheute hier debattieren, zum ersten Mal gelesen habe, istmir durch den Kopf gegangen, dass es viele, leider zuviele Initiativen hier im Bundestag gibt, die sozusagenals Tiger starten und als Bettvorleger in der Mitte diesesHauses landen. Ich glaube, diesem Antrag wird es genauso ergehen. Das wäre dann sogar noch ein Kompliment.Richtig ist, dass die Bundesregierung oft genug dieGrundrechte mangelhaft achtet.Richtig ist auch, dass die Bundesregierung, und zwarleider nicht erst diese schwarz-rote, sondern auch schon– ich schaue jetzt die Grünen an – die rot-grüne zuvor,mit zahlreichen Gesetzen an die Grenze der Verfassunggegangen ist,
u–v–kgadndn–s–dKgwDzpltsodDwWGü
Das Luftsicherheitsgesetz hat ja wohl Rot-Grün hiererabschiedet.
Einmal ist aber nicht keinmal. Man muss schon zählenönnen.
Richtig ist, dass das Bundesverfassungsgesetz die Re-ierung – egal wie die Mehrheitsverhältnisse aussahen –ufgrund verfehlter Gesetzgebung hier und da auch inie Schranken weisen musste.Richtig ist auch, dass das neue IT-Grundrecht sichicht in der Schrankensetzung für heimliche Online-urchsuchungen erschöpft, sondern generell gilt.Falsch, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü-en, ist aber Ihre Schlussfolgerung.
Die Linke. Entschuldigung, habe ich „die Grünen“ ge-agt? Oh Gott.
Davon träumst du nachts! – Entschuldigung, wenn ichas einmal außerhalb des Protokolls sagen darf!Auf einen furiosen Auftakt, liebe Kolleginnen undollegen von der Linken, folgt nichts. Eine Experten-ruppe? Also wirklich! Wenn ich nicht mehr weitereiß, gründe ich einen Arbeitskreis.
as kann doch wirklich nicht die Antwort sein. Die ein-ige verfassungsrechtlich richtige Antwort in unsererarlamentarischen Demokratie ist doch, dass wir als Par-ament diese Aufgabe wahrnehmen und unserem Auf-rag nachkommen, verfassungsgemäße Gesetze zu be-chließen. Ich kann doch meine Verantwortung nichtutsourcen. Das wollen Sie aber tun. Das ist absolut un-emokratisch.
as ist aus unserer Sicht der falsche Weg.Das Parlament als Vertreter des deutschen Volkes,ir, die Abgeordneten, in freier, geheimer und gleicherahl vom Volk gewählt, müssen verfassungsgemäßeesetze machen. Das können wir nicht jemand anderemberlassen.
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24086 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009
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Gisela PiltzWir müssen evaluieren, nicht irgendwelche demokra-tisch nicht legitimierten Gruppen und Grüppchen, dienach Gusto von der Regierung zusammengesetzt wer-den. Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein.
Natürlich gehört es auch zu einer ernsthaften Gesetz-gebung, sich Expertenmeinungen anzuhören.
Dafür gibt es Anhörungen;
Sie können mit jedem sprechen und überall hinfahren.Das ist überhaupt keine Frage. Auch ich bedaure zwar,dass es im Moment oft genug Anhörungen gibt, die ei-gentlich überflüssig sind – das sehe ich sehr wohl –, weildie sogenannte Große Koalition das Parlament oft genugals Abnickgremium begreift;
aber das kann doch nicht zur Selbstentmachtung diesesParlamentes führen.
– Ich finde es falsch, dass Sie versuchen, Ihre Verant-wortung, die Ihnen vom Wähler übertragen worden ist,outzusourcen und jemand anderem zuzuschieben; sokann man mit seiner eigenen Verantwortung nicht umge-hen.
Die Evaluierung von Sicherheitsgesetzen ist richtigund wichtig. Das fordern wir auch; wir teilen diese Mei-nung. Noch wichtiger wäre es doch, gar nicht erst frag-würdige Gesetze zu beschließen und so die Verantwor-tung für Grundrechtseingriffe auf später zu verschieben.Wie gesagt: Wir sind das Parlament. Das hier ist keinLaborversuch. Hier geht es nicht um Trial and Error,auch wenn diese Woche oft genug versucht worden ist,uns das weiszumachen. Wir sind die Gesetzgeber; wirmüssen die Verantwortung wahrnehmen. Das gilt auchfür das neue IT-Grundrecht. Dieses nur von einer Exper-tengruppe mit Leben füllen zu lassen, ist völlig falsch.Das müssen wir tun. Das kann man nicht outsourcen.Ich erinnere an Art. 1 Abs. 3 des Grundgesetzes – ichweiß nicht, ob Sie da einmal reingeschaut haben –:
Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzge-bung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung alsunmittelbar geltendes Recht.Das bedeutet doch: Bei allem staatlichen Handeln, beider Gesetzgebung ebenso wie beim Erlass von Verwal-tsIGdrdesktownsnSMedhvOzumgdSCWsErrde
Die FDP-Fraktion bekennt sich zur Verantwortunges Deutschen Bundestages gegenüber unseren Wähle-innen und Wählern,
ie ein Parlament gewählt haben, von dem sie zu Rechtrwarten, dass es verfassungsgemäße Gesetze be-chließt. Die FDP-Fraktion bekennt sich zu einem star-en Parlament, das in der Lage ist, all das zu gewährleis-en. Deshalb brauchen wir keine Expertengruppe, diehne jegliche demokratische Legitimation eingesetztird. Wir müssen den Kopf hinhalten und dürfen dasicht irgendwelchen Expertengruppen überlassen. Wirind verantwortlich. Deshalb können wir diesen Antragicht sehr wohlwollend begleiten.
Vielen Dank!
Das Wort hat der Kollege Frank Hofmann für die
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine Damen und Herren! Lieber Herr Korte, ich hätterwartet, dass die Linke den Antrag zurückzieht, nach-em wir Sozialdemokraten in der Koalition durchgesetztaben, dass wir uns erst nach einem Urteil des Bundes-erfassungsgerichts mit der Frage der Verankerung vonnlinedurchsuchungen im BKA-Gesetz beschäftigen,umal wir die Vorgaben des ersten Verfassungsgerichts-rteils quasi buchstäblich in das BKA-Gesetz übernom-en haben.Ihr Antrag ist vom 25. April 2008. Das BKA-Gesetzilt seit dem 1. Januar 2009. Man hätte also Zeit gehabt,en Antrag zurückzunehmen, statt ihn jetzt vorzulegen.o muss Ihr Antrag zerlegt werden, ob von der CDU/SU, der FDP oder – das erwarte ich – von Herrnieland. Das, was Sie schreiben, ist nämlich einfachchwach. Sie betreiben hier Sandkastenspiele.Das betrifft zum Beispiel Ihre Forderung nach einervaluierung. Jeder bringt heute das Stichwort Evaluie-ung. Ich habe mich mit Wissenschaftlern oft genug da-über unterhalten, wie schwierig es ist, eine Evaluierungurchzuführen. Es geht schon gar nicht, im Nachhineinine Evaluierung irgendwelcher Gesetze durchzuführen;
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24087
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Frank Hofmann
man muss vorher die Indikatoren festlegen. Als der ersteGesetzentwurf vorlag und wir gesagt haben, dass wir ei-nen unabhängigen, von uns bestimmten Wissenschaftlerbenötigen, der sich mit der Evaluierung beschäftigt, hatdas Innenministerium wohlweislich gleich eine entspre-chende Stelle ausgeschrieben; denn der Wissenschaftlermuss die Entstehung des Gesetzes von Anfang an beglei-ten, er muss Indikatoren entwickeln und festlegen, wiedie Evaluierung durchgeführt werden soll. Man kann mitder Evaluierung nicht erst im Nachhinein beginnen; daskann man nur fordern, wenn man keine Ahnung hat.
– Nein, Sie müssen vorher die Indikatoren festlegen. DiePolizeibeamten müssen wissen, was sie überhaupt auf-schreiben, was sie statistisch erfassen sollen. Ansonstenfällt es weg; es kann nicht anders funktionieren.Hinsichtlich der Kritik, die Sie an diesem Staat üben,sage ich: Bitte zeigen Sie mir ein Beispiel aus einemwestlichen Rechtsstaat, wo derartige Hürden für dieExekutive aufgebaut wurden und so weitgehende Trans-parenz gesetzlich fixiert wurde, wie wir es beim BKA-Gesetz gemacht haben.
– Bitte zeigen Sie mir trotzdem erst einmal diesen west-lichen Rechtsstaat. Das, was Sie jetzt machen, ist reineTheorie. Sie sagen: Es muss immer noch etwas bessergehen.
– Ja, wir geben uns alle Mühe; wir wollen noch bessersein.In Ihrer Antragsbegründung begeben Sie sich auf einehohe moralische Position. Ich wünschte mir, dass diesedurchgängig in der Partei Die Linke vorhanden wäre. Ichhabe heute Mittag bei der Aktuellen Stunde genau aufge-passt. Rund um den 1. Mai haben Sie aus meiner Sichtetwas anderes gezeigt.
Ich will es wiederholen: Der Anmelder für die Demons-tration zum 1. Mai ist Bezirksverordneter der Linken. Erist keine Kooperation mit der Polizei eingegangen, ob-wohl öffentlich bekannt war, dass Demonstrationsteil-nehmer auf Gewalt aus waren. Der Anmelder aber hatnichts unternommen, um sich davon zu distanzieren oderzu einer gewaltlosen Demonstration aufzurufen.
– Jetzt rede ich, nicht Herr Edathy.Die Linke in Berlin und im Deutschen Bundestaghätte sich distanzieren können, zum Beispiel mit einemolDhdtnggDHthPegGtctsREstebmkhulcvugluwczt
as, was Frau Lötzsch von den Linken im Nachhineineute in der Aktuellen Stunde abgeliefert hat, genügtem nicht. Das ist eine Verschlimmbesserung.
Vor diesem Hintergrund möchte ich sagen: Die Frak-ion Die Linke faselt im Deutschen Bundestag von ei-em Moratorium, und Sie tun so, als ob Sie die Verteidi-er der Freiheit wären. Tatsächlich wird die Freiheiterade aus den Reihen Ihrer Partei mit Füßen getreten.as ist nur schwer auszuhalten.
err Korte, was tun Sie in einer Partei, die ein ungeklär-es Verhältnis zur Gewalt hat?Der Antrag der Linken zum Moratorium für Sicher-eitsgesetze, mit dem wir uns heute beschäftigen, ist dasapier nicht wert, auf dem er steht. Meine Fraktion hatrfolgreich gegenüber dem Innenminister darauf gedrun-en, mit der Verabschiedung einer Novelle des BKA-esetzes, die Onlinedurchsuchungen erlaubt, auf das Ur-eil des Bundesverfassungsgerichtes zu warten.Ich will Ihnen sagen: Wir haben im Bereich der Si-herheit Standards entwickelt. Dazu zählen die Evalua-ion, die Befristung von Gesetzen – das ist nicht immero, wie ich es mir wünsche; aber es zählt dazu – und dieechtswegegarantie, auf die wir bei allen heimlicheningriffen großen Wert legen. Das haben wir in der ge-amten Zeit, seitdem ich dies im Innenausschuss ver-rete, immer durchgesetzt. Ich denke, wir haben damitinen Standard erreicht, den Sie noch nicht erreicht ha-en. Wir erleben nämlich, dass Sie im Zusammenhangit Ihrem Antrag Nachhilfestunden von allen Seiten be-ommen. Ich hoffe, dass Sie jetzt endlich einmal einse-en, wie es im Bereich der inneren Sicherheit aussiehtnd welche Politik man da machen kann und welche Po-itik gemacht wird.Es mag sein, dass wir nicht immer alles richtig ma-hen. Ich denke aber, dass wir gute Standards haben. Wirersuchen, möglichst geringe Eingriffe vorzunehmen,nd lassen sie nur bei den schwerwiegendsten Rechts-ütern zu. Auch anhand dessen – das wissen Sie eigent-ich –, wie im Innenausschuss darüber diskutiert wirdnd wie vorsichtig wir damit umgehen, zeigt sich, dassir nicht mit dem großen Hammer ausholen, um für Si-herheit zu sorgen, sondern dass wir das Spannungsfeldwischen Sicherheit und Freiheit immer wieder betrach-en und, wie ich glaube, sorgfältig damit umgehen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Frank Hofmann
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
der Kollege Wolfgang Wieland.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Jan Korte – Genosse Jan Korte! Sie empfehlen
mir ja immer, einen festen Klassenstandpunkt einzuneh-
men.
– Ja, das ist seine ständige Empfehlung.
Aber egal, vom Standpunkt welcher Klasse aus ich
diesen Antrag auch betrachte: Er ist und bleibt grober
Unsinn.
– Ja, das war klasse, aber kein Klassenstandpunkt.
Den aber fordert Herr Korte – so tuend, als wüsste er,
was das ist – immer bei mir ein.
Jetzt aber im Ernst, mein lieber Herr Korte –
auch die Kollegen Brandt und Hofmann haben ja ernst-
haft über Ihren Antrag referiert –: Es lag an Ihnen, dass
Ihr Antrag ein Jahr lang nicht aufgesetzt wurde, wie man
so schön sagt. Wenn es Ihnen ernst gewesen wäre, hätten
Sie das tun müssen.
Selbst wenn dieser Antrag angenommen würde, würde
zwangsweise ein Moratorium entstehen, weil die Wahl-
periode zu Ende ist. Damit liegt es an der Wählerin und
am Wähler, ein ganz großes Moratorium herbeizuführen,
nämlich die Ablösung dieser Bundesregierung,
insbesondere die Ablösung des Bundesinnenministers,
der uns viele der Probleme, von denen in Ihrem Antrag
die Rede ist, beschert hat.
Die Chance, über eine tatsächliche Verbesserung der
Evaluierung nachzudenken, hat der Kollege Hofmann
genutzt. Für eine Verbesserung der Evaluierung zu sor-
gen, wird in Zukunft unsere Aufgabe sein. Sie hingegen
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Schließlich fordern Sie, eine Kommission einzuset-
en – aber ganz ohne Befristung. Diese Kommission
önnte so ein Jahr oder zwei Jahre tagen. In dieser Zeit
ollte der Gesetzgeber nichts tun. Obwohl eigentlich je-
er von uns schon jetzt weiß, zu welchem Ergebnis eine
olche Kommission unter den jetzigen Voraussetzungen
ommen würde, erwarten Sie, dass diese Kommission zu
em Ergebnis kommt, dass die Gesetzgebung in Zukunft
uf eine ganz neue Grundlage gestellt werden muss.
azu kann ich Ihnen nur sagen: Wir sind der Deutsche
undestag und nicht der Quatsch Comedy Club.
Mehr fällt mir dazu nicht ein.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 16/8981 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
o beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung der Dienstleistungsrichtlinie im Gewer-
berecht und in weiteren Rechtsvorschriften
– Drucksache 16/12784 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
eden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
eden der folgenden Kolleginnen und Kollegen: Lena
trothmann für die Unionsfraktion, Doris Barnett für die
PD-Fraktion, Ernst Burgbacher für die FDP-Fraktion,
lla Lötzer für die Fraktion Die Linke und Dr. Thea
ückert für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Wir begannen in den Jahren 2004 und 2005 mit derebatte um die Dienstleistungsrichtlinie. Einige empfan-en diese Richtlinie als größte Bedrohung des wirtschaft-ichen Gefüges in Europa und in Deutschland. Heute wis-en wir, wo die eigentlichen Gefahren liegen. Nach wieor ist es auch im Hinblick auf die Finanzkrise richtig:ie Öffnung der europäischen Dienstleistungsmärkte
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bietet große Chancen für mehr Wachstum und mehr Ar-beit in Deutschland. Die deutsche Dienstleistungsbran-che, zu der zum Beispiel das Handwerk und die freien Be-rufe gehören, ist im Vergleich mit unseren europäischenNachbarn modern und leistungsfähig. Unser Anspruchwar und ist, dass wir nach dem Vorbild des Exportwelt-meisters – diesen Titel haben wir trotz der chinesischenKonkurrenz erneut sichern können – auch einen Spitzen-platz beim Handel mit Dienstleistungen einnehmen.Dennoch, die damals vorgetragenen Sorgen wurden zuRecht ernst genommen und wurden in dem geändertenVorschlag und letztendlich auch im Beschluss berück-sichtigt: Ich erinnere daran: Unser Arbeitsrecht, Sozial-recht und Anerkennung der Berufsqualifikation und diezugrunde liegenden Standards bleiben von der Dienst-leistungsrichtlinie unberührt. Die Entsenderichtlinie – inder deutschen Umsetzung das Entsendegesetz als Schutzvor ausländischen Dumpinglöhnen – bleibt unbehelligt.Vor allem bleiben unsere Behörden die Kontrollinstanzfür die ausländischen Dienstleister. Der gesamte Gesund-heitsbereich bleibt ausgeklammert, und Steuern und dasinternationale Privatrecht sind ausgenommen.In den vergangenen Monaten hat sich auch gezeigt,dass viele der Befürchtungen nicht eingetreten sind.Konnten wir vor zwei oder drei Jahren ahnen, dass zumBeispiel im Grenzbereich zu Polen deutsche Handwerkernicht allein mit Qualität überzeugen, sondern auch beiden Preisen konkurrenzfähig sind und verstärkt für Auf-träge in Polen den Zuschlag erhalten? Dass auch der um-gekehrte Weg möglich ist, steht außer Frage. Um es nocheinmal klarzustellen: Es ist nicht Aufgabe der DLR, unserbewährtes Qualifikationssystem, Standards und Geneh-migungspflichten auszuhöhlen. Es geht vielmehr darum,die ungerechtfertigten Hürden abzubauen.Die Dienstleistungsfreiheit ist ein europäisches Grund-prinzip. Dienstleistungen haben an unserem Bruttoin-landsprodukt immer noch den hohen Anteil von knapp70 Prozent, der grenzüberschreitende Handel ist aber im-mer noch gering. Ein Grund dafür waren sicherlich diehohen Hürden, die die einzelnen Mitgliedstaaten errich-tet haben. Ein weiteres Problem bzw. Ärgernis ist ausSicht der Dienstleister, zunächst einmal herauszufinden,welche Vorschriften es im Ausland überhaupt gibt. Diesebeiden Punkte, die Kenntnis über die Genehmigungs-pflichten und die Schwierigkeiten, diese Hürden zu über-winden, sind in der Dienstleistungsrichtlinie geregelt.Die Mitgliedstaaten und somit auch Deutschland hat-ten also zwei große Aufgaben zu bewältigen, um die na-tionale Umsetzung vorzubereiten. Erstens: Dienstleistersollen zukünftig bei einer einzigen Stelle alle Fragen be-antwortet bekommen. Diese einheitliche Stelle als zentra-ler Anlaufpunkt ist in Deutschland bereits im Verwal-tungsverfahrensgesetz geregelt worden und kann nundurch diesen Gesetzentwurf auch für das Gewerberechtetc. angewendet werden, übrigens: nicht nur im Rahmender Dienstleistungsrichtlinie, sondern auch darüber hi-naus. Die Gestaltung der einheitlichen Stelle als soge-nannter Einheitlicher Ansprechpartner obliegt inDeutschland der Zuständigkeit der Bundesländer. Meh-rtnKmDgdsBhddtmddudSKeRsnpeaapztwmNLrwadlsnügsbWubalelrwZu Protokoll ge
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stellungen und Forderungen umsetzen konnten, ist aller-dings keine neue Erfahrung.Die Niederlassungsfreiheit wird gemäß Art. 43 desVertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaftgewährleistet und Art. 49 des Vertrags regelt den freienDienstleistungsverkehr. Allerdings gab es bisher natio-nalstaatliche Beschränkungen für die Entwicklung vonDienstleistungstätigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten.Die Europäische Kommission gibt als Begründung für dieBeseitigung von derartigen Beschränkungen, die durchdie Dienstleistungsrichtlinie erfolgen soll, auch an, dassdamit die Ziele „ein stärkeres Zusammenwachsen derVölker Europas“ und „die Förderung eines ausgewoge-nen und nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Fort-schritts“ verfolgt werden. Beide Adressaten, also Kapitalund Arbeit, sind gleichwertig und sollten deshalb auchnicht gegeneinander ausgespielt werden. Bei der Umset-zung der Dienstleistungsrichtlinie haben wir diese Vor-gabe im Focus.Der vorliegende Gesetzentwurf berücksichtigt die Er-gebnisse der vorgegebenen Überprüfung unseres dienst-leistungsrelevanten Rechts im Rahmen der Normenprü-fung. Im Bund ist sie bereits abgeschlossen; in denLändern und Kommunen befindet sie sich noch im Gange.Das hat seinen Grund in den komplexen Strukturen unse-res föderalen Aufbaus, der zu einem großen AufwandfmSsksftndSUgcmRmbtVmülAsgnGVb§kgwvDlgmAPBdgmzgilSucwdlMgZu Protokoll ge
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Thilo HoppeIn manchen Ländern hat dieses Land-Grabbing schon zusozialen Unruhen geführt, auf Madagaskar sogar zumSturz der Regierung.Wenn zwielichtige Investmentfonds oder Staaten wieSaudi-Arabien, einige andere Ölstaaten oder China– also Staaten, die es mit den Menschenrechten eh nichtso genau nehmen – Land-Grabbing betreiben, gibt es all-seits Kritik. IFPRI, das renommierte Internationale For-schungsinstitut für Nahrungsmittelpolitik, hat allerdingsherausgefunden, dass auch etliche deutsche, englischeund schwedische Unternehmen an dem Run auf denknappen Rohstoff Land beteiligt sind. Es sind also nichtallein die bekannten Bad Guys.Um nicht missverstanden zu werden: Nicht jeder Er-werb von Grund und Boden in Entwicklungsländerndurch ausländische Investoren soll unter Generalver-dacht gestellt werden. Es gibt durchaus sinnvolle, ent-wicklungspolitisch wertvolle Investitionen, durch dieArbeitsplätze gesichert und bei denen Sozial-, Umwelt-und Menschenrechtsstandards eingehalten werden.Bei genauerem Betrachten muss man aber leider fest-stellen: Das sind Ausnahmen. Die meisten dieser Land-nahmen sind mit Vertreibung und Verelendung verbun-den. Ich könnte eine lange Reihe von Beispielenaufzählen, nicht nur Beispiele aus Afrika, auch Beispieleaus Indonesien, Kolumbien und vielen anderen Ländernder Welt.Der Energiehunger der Industrienationen – auch unserEnergiehunger – hat den Run auf den Rohstoff Land unddie Spekulation mit Grund und Boden natürlich weiterangeheizt. Es trifft leider, wie so oft, die Schwächsten,die Ärmsten der Armen, diejenigen, die sich keinen An-walt leisten können, diejenigen, die keine Lobby haben,diejenigen, die sich nicht wehren können.Dieser Trend erfordert die Reaktion der Politik. Zu-nächst einmal muss eine Bestandsaufnahme gemachtwerden, in welcher Größenordnung sich zurzeit Land-Grabbing ereignet. Zweitens stehen wir vor der Heraus-forderung des Gegensteuerns und Regulierens. Ein Codeof Conduct, ein freiwilliger Verhaltenskodex reicht danicht aus. Multilaterale Organisationen, vor allem dieFAO, sind gefordert, verbindliche, einklagbare Stan-dards auszuarbeiten.Ich fordere die Bundesregierung auf, dieses Thema,das noch nicht genügend Beachtung findet, auf dieAgenda zu setzen und Konferenzen dazu abzuhalten.Wir im Entwicklungsausschuss machen dies. Wir habenfür die nächste Sitzung den neuen Sonderberichterstatterder Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung,Olivier De Schutter, eingeladen, uns diese Entwicklunggenauer vorzustellen. Das ist ein Auftakt.Ich fordere Sie auf, Aktivitäten wie den Antrag, denwir eingebracht haben, zu unterstützen, und zwar in die-ser und in der nächsten Legislaturperiode. Hier muss un-bedingt reagiert werden.
Kollege Hoppe, achten Sie bitte auf die Zeit.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Wolf Bauer für die Uni-
nsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren!iebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heuten erster Beratung einen Antrag der Grünen, der unsben vorgestellt worden ist. Der Antrag ist inhaltlich pere nicht falsch, aber warum er gerade jetzt kommt, istir nicht ganz erklärlich. Denn wie bereits anklang, ha-en wir schon öfters im Ausschuss – beispielsweise imahmen der Debatten über ländliche Entwicklung – undei Veranstaltungen unserer Fraktion das Thema disku-iert, Kritik geäußert und festgestellt, was getan werdenuss. Auch ich hatte mich bereits im letzten Jahr an dieegierung gewandt, um das Vorgehen von Daewoo, dasie angesprochen haben, äußerst kritisch begleitet zuissen.Das Thema ist also wahrlich nicht neu. Darüber hi-aus sind wir uns bei diesem Thema auch fraktionsüber-reifend im Wesentlich inhaltlich einig. Auch ich habeorge vor möglichen Gefahren, die aus dem sogenann-en Land-Grabbing entstehen können, und kann daheren vorliegenden Antrag in vielen Punkten mittragennd unterstützen.Auch die Forderung, mögliche negative Auswüchsees Land-Grabbing mit den Instrumenten der Entwick-ungszusammenarbeit zu verhindern und die Land- undigentumsrechte der lokalen Bevölkerung zu stärken, istin unterstützenswertes Ansinnen. Vieles von dem, wasm Antrag steht, wird aber bereits vom BMZ und denurchführungsorganisationen gemacht. Doch ich be-ürchte, dass der Antragsteller die Möglichkeiten derntwicklungszusammenarbeit in diesem Fall schlicht-eg überschätzt.Das Überschätzen zieht sich wie ein roter Fadenurch den Antrag, wogegen wichtige andere Ansatz- undchwerpunkte vernachlässigt werden. So werden zumeispiel die Rolle einer guten Regierungsführung undie Eigenverantwortung der nationalen Regierungen beier rechtlichen Ausgestaltung von Boden- und Eigen-umsfragen kaum beleuchtet. Aber gerade hier ist derebel für eine vernünftige und vor allem auf die sozialenelange der Bevölkerung abgestimmte Ausgestaltungntsprechender Verträge anzusetzen. Daher stellt sich dierage, warum der Antragsteller die nationalen Regierun-en aus der Pflicht nimmt. Es macht zumindest den Ein-ruck, als wäre das der Fall.
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Dr. Wolf Bauer
Gerade die nationalen Regierungen können, ja müssender zentrale Akteur sein, der den Unterschied ausmacht.Denn bei allen Gefahren, die mit dem Land-Grabbingverbunden sind, darf man auch nicht unterschätzen, dasssogenannte FDIs auch eine Chance für das jeweiligeEntwicklungsland sein können – das haben Sie dankens-werterweise angeführt –, wenn sie von den Regierungenvertraglich richtig ausgestaltet und partizipativ mit um-gesetzt werden.Ich erinnere mich noch gut an diverse Appelle unse-res Ausschusses an die Wirtschaft, sich mehr in Ent-wicklungsländern zu engagieren bzw. dort zu investie-ren. Gelegentlich kommt es mir – frei nach Goethe – sovor, als ob zwei Seelen in unserer Brust schlagen.Aus meiner Sicht sollten wir uns besonders um An-reize bemühen, die sozialen Belange der örtlichen Be-völkerung bei der Vertragsgestaltung in den Fokus zu rü-cken. Ein möglicher Hebel leitet sich aus der Zielsetzungdes Land-Grabbing ab. Der Antrag definiert Land-Grab-bing als Aufkauf großer Flächen in Entwicklungsländerndurch Drittstaaten oder Unternehmen zum Nahrungsmit-telanbau für den eigenen Binnenmarkt oder Gewinnungvon Bioenergie. Wenn also Land-Grabbing beispiels-weise mit dem Ziel erfolgt, Bioenergie zu gewinnen,dann können wir in Deutschland oder auch in Europaüber maßvolle Beimischquoten zum Beispiel beim Bio-sprit viel erreichen.
Wir brauchen – auch das ist bereits angesprochenworden – ein entsprechendes WTO-konformes Zertifi-zierungssystem unter Einbeziehung von Sozialstandards.
Das ist überaus wichtig, und genau dafür wirbt unsereFraktion. Ich freue mich, dass wir auch Unterstützungvon der FDP bekommen.
Dazu – besonders zur WTO-Frage – hätte ich mir imvorliegenden Antrag mehr gewünscht als nur einen Ab-satz, der wie ein Appendix drangehängt wird. Geradedieser Weg scheint mir realistischer zu sein als vieles,was im Antrag sonst in aller Breite vorgeschlagen wird;denn ich befürchte, dass der Einfluss der Bundesregie-rung auf die Ausgestaltung der Vertragswerke zwischenden Investoren und den nationalen Regierungen rechtbegrenzt ist. Der Antrag sollte nichts anderes suggerie-ren.Leider muss ich feststellen, dass – fast ist man ge-willt, zu sagen: wieder – einige ideologisch motivierteAussagen im Antrag zu finden sind. Die Unionsfraktionkann diese nicht mittragen; denn wieder einmal wird einallein seligmachendes kleinbäuerliches Ideal propagiert.Ich erinnere nur daran, dass dies in der letzten AnhörungvdGznNWNdsdigGiwfedußmFGdlibinzmZdcms–bDlS
Das Wort hat der Kollege Hellmut Königshaus für die
DP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Land-rabbing ist in der Tat ein Problem. Völlig zu Recht wer-en im Antrag der Grünen die negativen Folgen darge-egt, die mit dem sogenannten Land-Grabbing – darunterst eine großflächige Landaneignung zu verstehen – ver-unden sind. Aber das eigentliche Problem wird zumindest Teilen schamhaft umschrieben. Schon die englische Be-eichnung verhüllt den Skandal. Bei den vielfältigen For-en der Landnahme geht es um den Diebstahl konkreterukunftschancen der Entwicklungsländer. Diejenigen,ie es sich leisten können, verschaffen sich eigene Chan-en zulasten der ärmsten Länder. Sie kooperieren dazuit korrupten und skrupellosen Eliten, die Land und Roh-toffvorkommen verscherbeln.
Lieber Kollege Hoppe, das sind nicht nur die wohlha-enden Länder.
iese Ausbeuter sind häufig auch die großen Schwellen-änder und ihre Staatskonzerne.Ich will mein Lieblingsbeispiel anführen – das wirdie nicht verwundern –: China. In einem regierungsamt-
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Hellmut Königshauslichen Papier aus dem Jahr 2008 fordert das chinesischeLandwirtschaftsministerium die chinesischen Unterneh-men auf, im Ausland Boden zu erwerben. Damit solle– so heißt es dort – Chinas Nahrungsmittelversorgunglangfristig sichergestellt werden, wohlgemerkt ChinasNahrungsmittelversorgung. Das ist Klartext. Der tut auchuns in diesem Zusammenhang gut. Wir können dann auchoffen über die Rolle dieser Länder in der Entwicklungs-politik sprechen. Wir Liberale fordern seit geraumer Zeitein Umdenken gerade im Umgang mit den Schwellenlän-dern, mit Brasilien, China, Indien, Südafrika usw. Wirwollen sie auf gemeinsame Werte verpflichten und sievon Hilfsempfängern zu Partnern machen, damit auch siesich der Entwicklung der ärmsten Länder verpflichtetfühlen und sich nicht nur an der eigenen Entwicklung undam eigenen Vorankommen orientieren.Bleiben wir beim Beispiel China. China ist nicht nur,aber vorwiegend in Afrika aktiv. Sein Vorgehen dort istrücksichtslos. Es gefährdet die Eigenversorgung der dor-tigen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln. Das konterka-riert unsere entwicklungspolitischen Ansätze in vielenBereichen. Wir brauchen nach der Finanzkrise sicherlichnicht eine zusätzliche große Nahrungsmittelkrise in denbetreffenden Regionen.Die FDP betont schon seit langer Zeit, wie wichtig esist, die Eigentumsrechte im ländlichen Raum in den Ent-wicklungsländern zu stärken. Wir wiederholen immerwieder den Grundsatz: Ohne Katasteramt und ohneGrundbuchamt gibt es keine nachhaltige ländliche Ent-wicklung. Ownership ist an der Basis, also bei der ländli-chen Bevölkerung, zu fördern und nicht bei den häufigkleptokratischen Eliten in den Städten. Wir haben in denvergangenen Jahren gesehen, welche Folgen die rapidesteigenden Nahrungsmittelpreise haben. Wir haben auchsehr intensiv über einige der Gründe gesprochen: verän-derte Konsumgewohnheiten, Biokraftstoffe – Sie habendas eben auch angesprochen –, Nahrungsmittelkonkur-renz, um nur einige zu nennen.
Worüber wir auch sprechen müssen, ist die Ursachedes Land-Grabbing. Täter sind nicht nur die angeblichbösen Öl- und Rohstoffkonzerne des Westens, wie dasBeispiel China zeigt. Gerade in Afrika verfolgt das Landeine besonders egoistische Politik der Ressourcensiche-rung, die zulasten der Menschen dort geht. Wir brauchen– das sollte uns in der nächsten Zeit gemeinsam beschäf-tigen – ein international verbindliches und klares Regel-werk. Es muss für die Investoren klar sein, was geht, wasnicht geht, was verantwortbar ist und was nicht verant-wortbar ist.
Es muss eindeutige Sanktionsmöglichkeiten geben, dieauch angewandt werden, wenn Staaten oder Staatskon-zerne gegen das Regelwerk verstoßen.Es steht außer Frage: Investitionen in die Landwirt-schaft der Entwicklungsländer sind nötig, wenn wir denHerausforderungen, auch denen aus dem Ausland, be-guNgwthvuAhtESHlaluMsblsarmMmzaHbsBE
Das Wort hat der Kollege Dr. Sascha Raabe aus der
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Dass wir heute das Augenmerk wieder auf dieändlichen Regionen dieser Erde richten, erinnert michn den Antrag zur Förderung der ländlichen Entwick-ung, den die Koalitionsfraktionen eingebracht haben,nd an die Debatte dazu, die wir hier zuletzt Anfangärz zu Recht sehr breit geführt haben.Damals haben wir bereits Folgendes festgestellt – dasteht in unserem Antrag, den wir damals beschlossen ha-en –:Unterernährung und Hunger sind nicht nur ein Pro-blem der absolut produzierten Nahrungsmittel-menge, sondern vorrangig eine Frage des Zugangsder Bevölkerung zu Nahrung.Es ist richtig, dass wir den Menschen in den Entwick-ungsländern helfen, da sie tagtäglich darauf angewiesenind, ihr Leben und das ihrer Familien mit dem, was sieuf ihren kleinen landwirtschaftlichen Flächen produzie-en, zu sichern; in Deutschland ist das ganz anders. Wirüssen dafür sorgen, dass diese Menschen weiterhin dieöglichkeit dazu haben.Es ist in der Tat ein Phänomen, das einen fassungslosacht: Heute gibt es zwei Gruppen von Land-Grabbern,um einen Staaten und zum anderen – das wurde bereitsm Rande erwähnt – Finanzspekulanten, die mit demunger der Menschen spekulieren und aus den Lebens-edingungen der ärmsten Bauern dieser Erde Profitchlagen wollen. Diesem Treiben sollten wir alle hier imundestag die rote Karte zeigen; denn dem muss einnde gesetzt werden.
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Dr. Sascha RaabeIch betrachte die Finanzspekulanten als eine Gruppe,die zur Nahrungsmittelkrise beigetragen hat, da siedurch Spekulationen auf Weizen und andere Nahrungs-mittel die Preise in die Höhe getrieben hat. Man mussaber auch auf diejenigen schauen, die Landkäufe tätigen,um ihre eigene Bevölkerung zu ernähren. Gerade wur-den China und Korea angesprochen. Die Regierungendieser Länder haben Angst, dass sie ihre Bevölkerungnicht mehr ernähren können. Es ist aber der falsche Weg,dem durch eine Art Neokolonialismus entgegenzuwir-ken und zum Teil sogar selbst Arbeiter in diese Länderzu schicken, um ohne langfristige nachhaltige Perspek-tive den Boden auszubeuten.Denn oft werden nach Ablauf der Pacht ausgebeuteteBöden und kaputtes Land zurückgelassen. Die Men-schen vor Ort haben dann gar keine Möglichkeit mehr,diese Felder und Äcker nachhaltig weiter nutzen zu kön-nen. In dem Sinne sind dort Investitionen von ausländi-schem Direktkapital, die wir den Entwicklungsländernin anderen Sektoren durchaus wünschen, sicherlich ge-fährlich. Das sollte unterbunden werden.Die Frage ist allerdings, wie wir des Problems Herrwerden können; denn eine Sache ist es, vom Bundestagaus einen Appell zu richten – es ist gut, dass aufgrunddes Antrags der Grünen dieses Thema auf die Tagesord-nung gesetzt worden ist –, eine andere Sache ist es, wiewir tatsächlich verhindern können, dass so etwas ge-schieht. Auch da müssen wir unterscheiden. Es gibt kor-rupte Regierungen, die Verträge vermeintlich zumWohle der eigenen Bevölkerung abschließen. So wirdbehauptet, die Pachtverträge kämen der eigenen Bevöl-kerung zugute, indem sie zu Investitionen und der Ver-mittlung von Know-how führen. Diese Regierungen ste-cken das Geld aber oft in die eigene Tasche. Ich glaube,wir können nur Erfolg haben, wenn wir auf UN-Ebenemit einem Rat für ökonomische, ökologische und sozialeEntwicklung, wie ihn Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul vorgeschlagen hat und wie er im Regierungspro-gramm meiner Partei steht, die Möglichkeit bekommen,sogenannte sittenwidrige Verträge auch auf internationa-ler Ebene im Nachhinein für ungültig zu erklären, weildie Verträge nicht im langfristigen Interesse der Bevöl-kerung sind, auch wenn sie von einer Regierung abge-schlossen worden sind, die demokratisch gewählt wurde.Das kann aber nur in Extremfällen so sein; denn es istauch klar, dass wir die Eigenverantwortung der Länderrespektieren müssen, wenn wir Demokratie fördern wol-len.Damit komme ich zu der Frage, was wir machen kön-nen, um in diesen Ländern Landreformen zu fördern unddie Demokratie zu stärken. In diesem Zusammenhangmöchte Sie an den Antrag erinnern, den wir AnfangMärz dieses Jahres hier beschlossen haben. Manchmalist es gut, nicht ständig neue Anträge zu stellen. Das istmeine einzige Kritik an Teilen des Antrags der Grünen.Dort werden Dinge aufgegriffen, die wir erst vor einigenMonaten hier beschlossen haben. Ich finde es gut, dasswir es uns im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammen-arbeit und Entwicklung zur Übung gemacht haben, im-mer wieder zu kontrollieren, was von den Anträgen, diewir beschlossen haben, umgesetzt wird. Ich möchte zumABwanMHiiMkKW9ucAddbBEeLbM
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Hüseyin-
enan Aydin das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ir nehmen zur Kenntnis, dass es weltweit bereits über00 Millionen Menschen gibt, die hungern. Landlosend landarme Bauern in den Ländern des Südens ma-hen 70 Prozent der Hungernden aus. Die Jagd nachgrarland, über die wir heute sprechen, hat nicht erst iniesem Jahr begonnen. Aber die Nahrungsmittelkrise,er Boom bei Agrartreibstoffen und die Finanzkrise ha-en diese Entwicklung massiv verstärkt. Es begann eineieterschlacht um verfügbares Land. Vor allem dierdöl produzierenden arabischen Staaten, aber auchuropäische und asiatische Konzerne brauchen mehrand, um Nahrungsmittel und Energiepflanzen anzu-auen. In Ländern wie Madagaskar, Uganda, Sudan,ali, Brasilien oder Indonesien werden zurzeit Flächen
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Hüseyin-Kenan Aydinverkauft oder verpachtet. Um Ausfuhrstopps zu umge-hen, werden oft intransparente Verträge abgeschlossen.Ein saudischer Geschäftsmann bestätigt, dass in den Ver-trägen ein geringer Prozentsatz für die lokalen Märktevorgesehen ist, „um sicherzustellen, dass Land undLeute uns keine Probleme bereiten.“ Das ist zynisch.
Landraub ist ein schamloses Ausnutzen der Krisen-situation von Menschen, von Gesetzeslücken und vonnationalen Konflikten. In vielen Ländern sind die Land-rechte vor allem der indigenen Bevölkerung ungeklärt.In Krisengebieten wie im Kongo oder im Sudan verlas-sen Menschen auf der Flucht ihr Land und können keineBesitzansprüche erheben.Auch die Entwicklungspolitik hat den Kampf umLand verschärft. Das 1,2-Milliarden-Dollar-Programmder Weltbank als Reaktion auf die Krise 2008 beinhaltetmarktorientierte Reformen des Bodenrechts. Das bedeu-tet die direkte Bevorzugung von exportorientiertenGroßkonzernen. Die ärmeren Bauern verkaufen ihrLand, verführt durch für hiesige Verhältnisse hohe Land-preise oder gezwungen durch Schulden und fehlendePerspektiven.Der Antrag der Grünen greift viele wichtige Punkteauf, um Landraub zu beenden und eine gerechte Land-verteilung in den Ländern zu unterstützen. In der bilate-ralen Entwicklungszusammenarbeit muss eine Gewähr-leistung des Menschenrechts auf Nahrung und gerechteLandreformen unbedingte Priorität haben.
Ich warne eindringlich davor, Land zu einer handelbarenWare zu machen. Die Eigenversorgung mit Grundnah-rungsmitteln muss oberste Priorität haben.Das mosambikanische Landgesetz ist eine gute Vor-lage, der andere Länder folgen können. Darin werden dieLandrechte der Subsistenzbauern – das sind fast 60 Pro-zent der Bevölkerung – gesetzlich abgesichert. Der Staatvergibt Landnutzungsrechte auch an Gruppen, die denBoden seit mindestens zehn Jahren bewirtschaften. Be-vor ein Titel an einen Investor vergeben wird, muss dieBevölkerung der Vergabe zustimmen. Dieses Gesetz istsehr fortschrittlich. Wir sollten es unterstützen.
Die Kollegen der CDU/CSU meinen, der vorliegendeAntrag setze falsche Schwerpunkte. Die Regierung habekeinen Einfluss auf Verträge zwischen Entwicklungslän-dern und Investoren, heißt es auf ihrer Homepage. Dasist ebenso falsch wie fadenscheinig. Der Fall des bilate-ralen Investitionsabkommens zwischen Deutschland undParaguay beweist das Gegenteil.Viele haben dort Land aus Spekulationsgründen ge-kauft, unter ihnen auch Deutsche. Eine indigene Ge-meinschaft im Chaco-Gebiet fordert seit 1991 die Rück-gabe ihres traditionellen Territoriums, das sich im Besitzdes deutschen Großgrundbesitzers Roedel befindet. SomZdWndsSgtikWdwARnrsmwiLiiksFbAgisDtibwdwDKd
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wodarg für die
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-en! Wir haben es hier wieder mit Fällen von Ausbeu-ung zu tun. Die Länder, die ausgebeutet werden, sindmmer dieselben. Es sind Länder, die sich nicht wehrenönnen. Sie werden ausgebeutet in ihren Rohstoffen.enn man zum Beispiel im Kongo die Diamanten undas Gold abtransportiert, ohne dass die Bevölkerung et-as davon hat, dann ist das eine schlimme Form derusbeutung. Diese Ausbeutung wird von den dortigenegierungen toleriert. Die Regierungen und die einzel-en Personen in den Regierungen verdienen selbst da-an. Sie sind korrupt.Wir sehen hier eine neue Form der Ausbeutung. Wirehen, dass nicht nur die Rohstoffe aus der Erde entnom-en werden. Nicht nur das Öl, nicht nur die Diamantenerden genommen, die Erde selbst wird genommen. Dasst besonders schlimm, weil die Menschen in diesenändern nicht einmal mehr in der Lage sind, sich selbsthre Nahrung zu erzeugen. Weil sie verjagt werden, wirdhnen die Chance genommen, das zu tun, was sie nochönnen und wissen, sich mit Saatgut selbst etwas zu es-en zu produzieren. Das ist eine besonders schlimmeorm der Ausbeutung.Dass sie stattfindet, hat verschiedene Gründe; wir ha-en davon schon gehört. In einigen Staaten hat manngst, dass die Bevölkerung zu wenig zu essen hat. Dortibt es ein starkes Bevölkerungswachstum; häufig isthre Fläche klein. Diese Angst besteht in einigen asiati-chen Staaten; Südkorea und China sind Beispiele dafür.iese Form der Ausbeutung findet aber auch durch Staa-en statt, in denen es eigentlich genug zu essen gibt; dortsst man sogar zu viel, was häufig gesundheitliche Pro-leme bereitet: Viele sind zu fett.Wir sind auch an dieser Ausbeutung beteiligt, weilir landwirtschaftliche Produkte, die dort angebaut wer-en, importieren. Das ist unverantwortlich. Das heißt,ir sind wieder einmal der Motor für diese Ausbeutung.ie British East India Company, die Britische Ostindien-ompanie, war ein Wirtschaftsunternehmen, das das in-ische Volk mit Gewalt geknechtet hat. So etwas gibt es
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Dr. Wolfgang Wodargjetzt wieder. Kompanien dieser Art bedienen sich auchprivater Militärfirmen. Sie sorgen oft sogar mit Gewaltfür ihre Interessen. Sie sind verantwortlich dafür, dassMenschen mit Gewalt verjagt werden. Derartige Dienst-leistungen kann man heutzutage kaufen. Wir haben die-ses Thema kürzlich auch hier im Bundestag behandelt.Diese Entwicklung führt dazu, dass staatliche Verant-wortung und Kohäsion in einer Bevölkerung durch Men-schen zerstört werden, die von außen in das Land kom-men. Das ist völkerrechtlich nicht in Ordnung.
Es gibt Regelungen in vielerlei Hinsicht: Es gibt dasRecht auf Nahrung. Es gibt auch das Recht auf Heimat.Man darf von dort, wo man wohnt, nicht vertrieben wer-den. Es gibt auch das Recht auf Teilhabe an der Gesell-schaft. Das gehört implizit und sogar explizit zu denMenschenrechten.Es gibt folgendes Problem: Die komplexen Formender Landnahme, das Enteignen ganzer Bevölkerungs-schichten, werden vertraglich so geregelt, dass wirmanchmal machtlos sind. Ich erinnere an die Debatte,die wir heute Morgen über Steuerhinterziehung geführthaben. Wir haben darüber gesprochen, dass es in EuropaStaaten gibt, die als Hehler davon profitieren, dass es beiuns Steuerdiebe gibt. Diesen Staaten geht es gut, weil siesich als Hehler das Geld aneignen, das bestimmte Leutediesem Staat, dieser Gesellschaft wegnehmen. So ähn-lich ist es da auch. Wir, Deutschland und andere reicheStaaten, sind auch eine Art Hehler, weil wir zum Bei-spiel das Coltan dieser Länder nachfragen, weil wir esihnen abnehmen, um es zu verbrauchen. Wir wissen ge-nau: Dieses Gut wird diesen Ländern gestohlen. Dahermüssen wir uns auch an die eigene Nase fassen.Ich bin sehr zuversichtlich, dass das Problembewusst-sein in der Bevölkerung stärker wird: Wir brauchen ei-nen fairen Handel;
wir müssen fair mit den Menschen umgehen. Ich freuemich, dass es in Deutschland Städte gibt, die diesen An-satz sogar zu einem kommunalen Programm machen.Sie „scannen“ ihre Händler und schauen, ob es Lädengibt, in denen Waren verkauft werden, bei deren Erwerbman eigentlich ein schlechtes Gewissen haben müsste.Das ist ein Modell, mit dem wir selbst etwas tun kön-nen. Wenn wir ihm folgen, unterstützen wir durch unsereKonsumgewohnheiten die verbrecherischen Handlungs-weisen, die es auf der Welt gibt, nicht. Wir müssengleichzeitig internationale Regeln schaffen, und wirmüssen aufpassen, dass wir selbst nicht der Motor fürdiese negative Entwicklung sind.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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on 16 bis 18 Jahren die Teilnahme am europäischenugendparlament. Dieses Jahr findet das Parlament imchwedischen Mölndal vom 1. bis 6. Oktober statt.Drittens. Alljährlich veranstaltet die linksjugend [`so-id] Sachsen zu Pfingsten ein mehrtägiges offenes, politi-ches und kulturelles Treffen, das Pfingstcamp. Im Jahr009 findet das Camp zum elften Mal statt und zum neun-en Mal heißt der Veranstaltungsort Srbska Kamenice iner Tschechischen Republik. In der Vergangenheit nah-en jährlich circa 400 Interessierte im Alter zwischen3 und 45 Jahren aus allen drei Ländern der Euroregioneiße teil.Viertens. Die Initiative Kinder von Tschernobyl undnderen umweltgeschädigten Regionen aus Zittau lädteit 1990 jährlich 15 bis 20 Kinder aus der Gegend umogatschov in Weißrussland zu einem Aufenthalt von dreiis vier Wochen ein. Dass Die Linke und auch ich persön-ich für viele solcher Projekte spendeten, sei hier nur amande erwähnt.Neben Ihrer Ahnungslosigkeit, liebe Kolleginnen undollegen von der Koalition, muss ich auch – und diesicht zum ersten Mal – Ihren tourismuspolitischen Ansatzinterfragen. Ausgangspunkt Ihres Antrags ist nicht dieörderung von internationalen Begegnungen zwischenugendlichen, um ihnen zu ermöglichen, andere Spra-hen, Kulturen und Bräuche in unserem gemeinsamenuropa kennenzulernen. Für Sie geht es in erster Liniem „diese Staaten als Quellmarkt für den Deutschland-ourismus“, um bessere Wettbewerbsbedingen undarktchancen für die deutsche Tourismuswirtschaft. Dieinke steht für eine Tourismuspolitik, die Reisen für allermöglichen will, Reisen, die dem Bedürfnis auf Erho-ung, Bildung und Gesundheit Rechnung tragen. Hier ister Unterschied und damit kommt Die Linke auch zu an-eren Schlussfolgerungen.Dieser Antrag taugt meines Erachtens nicht mal alschaufensterantrag für den Wahlkampf, geschweige dennür eine ernsthafte Debatte. Das ist schade und das habeniejenigen, die sich seit vielen Jahren sowohl in den Be-eichen der grenznahen Tourismuskooperation als auchei der Organisation von internationalen Kinder- und Ju-endbegegnungen oder der Entwicklung von Städtepart-erschaften engagieren, nicht verdient.
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Jens Ackermanngebene Reden
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Wir haben im Augenblick die Situation, dass die jewei-
lige Grenze als trennendes Element in allen neuen EU-
Staaten noch spürbar ist. Aber solange die Entwicklungen
im Tourismusbereich selbst innerdeutsch häufig nebenei-
nander ablaufen und eine Zusammenarbeit oftmals an den
politischen Grenzen scheitert, können wir nicht erwarten,
dass die grenzüberschreitende Tourismuskooperation ein-
facher zu handeln ist.
Gerade die grenzüberschreitende Tourismuskooperation
ist erschwert durch unterschiedliche Sprachen, die Kom-
pliziertheit der EU-Förderprogramme, hohe bürokratische
Hürden und unterschiedliche Verwaltungsstrukturen in den
einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Ich glaube, das haben wir
fraktionsübergreifend aus unserer Anhörung zu grenz-
überschreitenden Tourismuskooperationen mitgenommen.
An dieser Stelle besteht Handlungsbedarf: Strukturelle
internationale touristische Zusammenarbeit zwischen
Grenzregionen ist bislang einfach nicht vorgesehen. Auch
grenzüberschreitende Vernetzungen in anderen Berei-
chen wie Kultur und Wirtschaft existieren bislang leider
noch viel zu selten.
Außerdem ist besonders in den neuen EU-Staaten vieler-
orts die Infrastruktur noch schwach entwickelt. So stellen
reizvolle Landschaften und unberührte Natur bislang un-
genutzte Entwicklungspotenziale dar.
Aus grüner Sicht ist es wichtig, dass die EU, aber auch
Bund und Länder Informationen und Beratung für touris-
tische Leistungsträger zur grenzüberschreitenden Vernet-
zung der Tourismusakteure zur Verfügung stellen. Nur so
können wir überhaupt erreichen, dass eine Mobilisierung
und Initiierung touristischer Aktionen zur Stärkung des
Gemeinschaftsgefühls vorangeht. Eine kulturell-touristische
Vernetzung in europäischen Grenzregionen ist sinnvoll.
Ziel muss sein, ein grenzüberschreitendes gemeinsames
touristisches Marketing zu entwickeln und voneinander
zu partizipieren.
Eine Zusammenarbeit bei der touristischen Vermarktung
und Produktentwicklung leistet schließlich auch einen
wichtigen Beitrag zum Abbau der Grenzen in den Köpfen
der Bevölkerung beiderseits der Grenzen und stärkt die
Position im internationalen Wettbewerb.
Darüber hinaus irritiert aus meiner Sicht die Verbindung
von Tourismus und Jugendaustausch im vorliegenden An-
trag. Auch wenn Tourismuspolitik ein Querschnittsthema
ist, stehen für mich beim Jugendaustausch pädagogische
Aspekte der Bildung und der Völkerverständigung ein-
deutig im Vordergrund. In diesem Sinne müssen wir auch
die finanziellen Mittel dafür bereitstellen. Hier brauchen
wir verlässliche Rahmenbedingungen und verbindliche
Strukturen. In diesem vorliegenden Koalitionsantrag
werden einfach zu viele Themen miteinander vermischt.
Jugendaustausch erschließt neue Horizonte für die
Teilnehmenden und sensibilisiert für gesellschaftliche
Probleme im Gastland. Es ist deshalb sicher ein guter
Ansatz, internationale Jugendpolitik auch in den Zusam-
menhang mit anderen Politikfeldern zu stellen. Aber die
potenziell vorhergesagte rein ökonomisch positive Aus-
wirkung auf die Tourismuswirtschaft scheint mir da doch
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Zum Abschluss, denke ich, können wir das heute tun.Ich möchte Sie auf eine Textzeile in der ersten Stro-he aufmerksam machen. Sie lautet:Ei, wir tun dir nichts zu leide,Flieg nur aus in Wald und Heide!Hoffmann von Fallersleben, dem wir diese Zeilenerdanken, hat 1835 eine allgemeine Tatsache wiederge-eben: Niemand hat die Absicht, Honigbienen zu jagender sie an ihrem Tun zu hindern. Sie waren und sindertvolle Nutzinsekten, ohne die es keine Pflanzenbe-täubung und damit kein Obst, keine Fortpflanzung undeinen Honig geben würde.
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Dr. Peter JahrSo ist es kein Wunder, dass das Wort „Biene“ sehr po-sitiv besetzt ist. Die Biene gilt als das ehrlich und unei-gennützig arbeitende Individuum.
Fleißig wie eine Biene zu sein, ist eine Auszeichnung fürjeden arbeitenden Menschen.
Die Bienen verfügen über eine ausgeprägte Arbeitstei-lung. Das Sozialgefüge der Bienen macht mir allerdingsSorgen. Wenn mich nicht alles täuscht, werden diemännlichen Angehörigen der Bienenvölker nach getanerArbeit, rausgeschmissen.
Ein Parlament der Bienen würde also, was die Ge-schlechterverteilung betrifft, etwas anders aussehen. –Man hat es nicht einmal versucht, und das finde ich be-dauerlich. Ich kenne die Vorwürfe. Zumindest hätte maneinen Resozialisierungsplan entwickeln können. All daswurde unterlassen.
Aber Spaß beiseite und zum Thema! Sicher war da-mals, als Hoffmann von Fallersleben jene Verszeile auf-geschrieben hat, kaum vorstellbar, dass das industrielleZeitalter und das moderne Leben den nützlichen Bienendas Dasein zunehmend erschweren würde. Szenarienwie das massenhafte Bienensterben durch die Varroa-Milbe, die ungeklärten Bienenvölkerfluchten in denUSA und die Bedrohung der Bienen durch Elektrosmogsowie durch technisch falsch behandeltes Saatgut wärenwohl niemandem in den Sinn gekommen. Das ist leiderRealität.Wir Menschen sind es, die das Versprechen: „Ei, wirtun dir nichts zu leide“ nun auch aktiv in die Tat umset-zen müssen. Wir tun das seit geraumer Zeit; ich werdedarauf noch eingehen.Die Wirksamkeit unserer Bemühungen hängt davonab, wie gut und genau wir in der Lage sind, das Lebender Bienenvölker zu verstehen. Sosehr die Arbeit vonTausenden von Imkerinnen und Imkern – oft ehrenamt-lich – zu schätzen ist: Ohne breite wissenschaftlicheGrundlagen sind unerwünschte Erscheinungen nicht ef-fektiv zu erklären, geschweige denn Gefahren abzuweh-ren und wirksam zu bekämpfen. Aktionismus schadetdaher.
Die seit Jahren stetig abnehmende Zahl der Bienen-völker ist ein Alarmsignal. Wenn, wie in diesem Jahr,das sehr warme Frühjahrswetter Mitte April eine fastgleichzeitige Blüte vieler Bäume und anderer PflanzenmiklRIngsmwhren„FDnssncgiwnpfsKmIinkamAEd5z2pFLddw
m Ergebnis stelle ich aber fest, dass er gegenstandslosst. Die Bundesregierung hat bereits sehr effektive Maß-ahmen zum Schutz der Bienen ergriffen, sodass icheine politischen Handlungsdefizite in den im Antragngesprochenen Bereichen erkennen kann. Lassen Sieich dies bitte anhand der einzelnen Forderungen desntrags im Detail etwas genauer ausführen:Die Bundesregierung nimmt die problematischenntwicklungen der Bienenpopulation sehr ernst. Genaueshalb wurden in den letzten fünf Jahren rundMillionen Euro für Projekte in der Bienenforschungur Verfügung gestellt; allein im Jahr 2008 waren esMillionen Euro. Dazu gehören zahlreiche Forschungs-rojekte wie die des Julius-Kühn-Instituts und desriedrich-Loeffler-Instituts. Zudem gibt es auch auf derandesebene verschiedene Einrichtungen, die sich miter Bienenforschung beschäftigen. Insgesamt sind da-urch alle Bereiche, die derzeit von Bedeutung sind,issenschaftlich abgedeckt.
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Dr. Peter JahrHinsichtlich der Bekämpfung der Varroa-Milbe wirdseit 2008 ein Verbundprojekt zur verbesserten Bekämp-fung gefördert. Im Mittelpunkt dieses Projekts steht dieVerbesserung der Imkerpraxis zur allgemeinen Krank-heitsprävention. Für das Vorhaben stellt das Bundes-ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-cherschutz insgesamt rund 500 000 Euro zur Verfügung.Auch mit dem Bienenmonitoring ist dieses Projekt ver-knüpft, da die Zuwendungsempfänger in dessen Beiratmitwirken.Zur Forderung der FDP nach einer konsequenten Be-kämpfung der Varroose verweise ich auf die Bienen-seuchen-Verordnung, die vorschreibt, dass Bienen inBienenbeständen, die mit Varroa-Milben befallen sind,jährlich gegen die Varroose zu behandeln sind. Um hiereine langfristige Lösung finden zu können, werden vomBundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz Forschungsprojekte zur Zucht vonBienen auf Toleranz gegen die Varroa-Milbe gefördert.Um Bienen vor Krankheitserregern aus anderen Ländernzu schützen, unterliegen die Einfuhranforderungen seitdem Jahr 2000 europarechtlich harmonisierten Vor-schriften.Ein Wort zu den Pflanzenschutzmitteln, die als Ge-fährdungspotenzial für die Bienen gesehen werden:Grundsätzlich gilt, dass durch das Pflanzenschutzgesetzund die darauf beruhenden Verordnungen ein hohesSchutzniveau für die Honigbiene gewahrt ist. Bei sach-gerechter Anwendung von Pflanzenschutzmitteln ist voneiner Schädigung der Biene daher nicht auszugehen.Dennoch hat das für die Zulassung von Pflanzenschutz-mitteln zuständige Bundesamt für Verbraucherschutzund Lebensmittelsicherheit bereits die Arbeiten für eineÜberprüfung der Zulassungsverfahren aufgenommen.Gleichwohl sollen für die Ausbringung von Saatgutstrengere Regeln geschaffen werden, um eine unsachge-mäße Anwendung künftig zu vermeiden, wie sie in Süd-deutschland durch das Insektizid Clothianidin vorge-kommen ist. Dies war letztlich auch ein technischesAusbringungsproblem; mit dieser Problematik mussman sich natürlich beschäftigen.
Dies alles zeigt, dass wir dieses Problem sehr ernst undkeineswegs auf die leichte Schulter nehmen.Abschließend gehe ich auf die letzte Forderung derFDP zur Unterstützung der Imkerei ein: Die finanzielleFörderung der Imker erfolgt in Deutschland in erster Li-nie durch EU-Programme im Rahmen der GemeinsamenAgrarpolitik. Ein Schwerpunkt der Förderung sind Schu-lungs- und Weiterbildungsmaßnahmen. Zudem wird derBereich der Nachwuchsarbeit und Berufsbildung durchdie Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen füreine qualitativ hochwertige Aus- und Fortbildung vonFach- und Führungskräften unterstützt. Der Erfolg dieserMaßnahmen zeigt sich vor allem darin, dass die von derFsBAizDdeKHsbfwHnnIfzzmdda–w
Das Wort hat die Kollegin Dr. Christel Happach-
asan für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err Kollege Jahr, Sie haben mit dem „Summ, summ,umm“ ganz nett angefangen; aber der Rest war doch einisschen dürftig und leider völlig ohne Engagement. Ichinde das schade, denn Imker leisten in Deutschland eineertvolle Arbeit, und wir brauchen sie weiterhin.
Es ist die Zeit der gelben Rapsfelder unter blauemimmel, die zum Spaziergang einladen, insbesondereatürlich die Liberalen; aber ich hoffe, auch Sie gehenach draußen.
m Übrigen ist Raps eine ganz wichtige Trachtpflanzeür die Biene; deswegen ist es richtig, mit dem Raps an-ufangen.Bienen erfahren bei uns eine sehr hohe Wertschät-ung. Der Fleiß der Bienen ist sprichwörtlich. Als ich beiir im Büro herumgefragt habe, habe ich festgestellt,ass man bei Bienen nicht an „Summ, summ, summ“enkt, sondern an die Biene Maja,
n die Zeichentrickfilme und das Lied von Karel Gott.
Das kann gut sein; vielen Dank für den Hinweis. Dasird der Unterschied sein. – Man denkt gerne an die
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Dr. Christel Happach-KasanBiene Maja, die mit ihrer Pfiffigkeit den Gefahren ge-trotzt hat.Bei uns in Deutschland sind die meisten Imker Hob-byimker; 80 000 sind es. Sie haben Freude an der Hal-tung ihrer Bienen und an der Arbeit in der Natur. Be-lohnt werden sie durch eine Honigernte. Obwohl wireine Minderung der Anzahl der Bienenvölker zu ver-zeichnen haben, ist die Honigernte in den letzen Jahr-zehnten kontinuierlich angestiegen. Das ist ein Zeichenfür die gute Arbeit, die unsere Imker leisten.Es gibt gute Gründe dafür, dass sich der DeutscheBundestag mit dem Schutz von Bienenvölkern beschäf-tigt; denn so gut ist die Situation nicht, wie der KollegeJahr uns hat glauben machen wollen. Bienen sind nichtnur wegen des Honigs wichtig; vielmehr sind sie insbe-sondere aufgrund ihrer Bestäubungsleistung für unsereNatur, aber auch für Landwirtschaft und Obstbau vonbesonderer Bedeutung. Landwirtschaft, Obstbau und Im-ker sind aufeinander angewiesen. Deswegen ist eineKonfrontation zwischen den Berufsfeldern nicht gut.Wir brauchen eine verbesserte, konstruktive Zusammen-arbeit. Landwirtschaft und Obstbau brauchen die Be-stäubungsleistung der Bienen; aber die Imker brauchenauch die Aussaat von Trachtpflanzen, um ihre Bienen er-nähren zu können.Bienen sind gefährdet – der Kollege Jahr hat es ange-sprochen –, insbesondere durch die Varroa-Milbe. ImWinter 2002/2003 haben Imker ein Viertel der Bienen-völker verloren. In der Folge ist das sogenannte Bienen-monitoring eingeführt worden.Wir als FDP-Bundestagsfraktion wollen, dass mit in-novativen, effektiven, konsequenten Bekämpfungsme-thoden der Befall durch die Varroa-Milbe gemindertwird. Die Reaktionen auf meine Rundschreiben an Im-ker haben deutlich gemacht, dass in Zukunft wohl einbisschen mehr getan werden muss, um eine solche Situa-tion wie im Winter 2002/2003 nicht noch einmal zu erle-ben.Außerdem ist eine sehr sorgfältige Kontrolle der Im-porte notwendig. Da sollten wir uns meines ErachtensAustralien als Beispiel nehmen, das die Importe sehr vielsorgfältiger kontrolliert und damit sicherstellt, dass dieBienenvölker nicht durch Ektoparasiten und andere Pa-rasiten befallen werden.Bienenvölker sind auch durch die fehlerhafte An-wendung von Pflanzenschutzmitteln gefährdet. Wir ha-ben im vergangenen Frühjahr den Fall gehabt, dass11 000 Völker durch Pflanzenschutzmittel teilweise schwergeschädigt worden sind. 2 Millionen Euro an Entschädi-gungszahlungen sind dafür geleistet worden. Deswegenfordern wir eine Qualitätskontrolle des gebeizten Saat-gutes und insbesondere – da hat die Bundesregierungüberhaupt nichts getan –, dass bei der Zulassung vonPflanzenschutzmitteln die besondere Sensitivität derBienenbrut berücksichtigt wird. Das ist zurzeit nochvollkommen außerhalb der Diskussion. Da gibt es eini-ges zu tun.Bienen sind, anders als die öffentliche Diskussion esglauben macht, nicht durch den Anbau von gentechnischvrtHzddvSrkgtasdtngrddduwlvsdLHNnwsh1)
Das Wort hat die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für
ie Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Gäste! Werte Kolleginnennd Kollegen! Dass wir die Biene Maja kennen, habenir gerade festgestellt. Auch die Ossis kennen sie mitt-erweile. Wie wichtig die Bienen aber sind, werden wirielleicht erst merken, wenn sie nicht mehr vorhandenind. Als Bestäuber – das ist schon angesprochen wor-en – sind sie wichtige Garanten für die Erträge in derandwirtschaft und im Gartenbau. Sie sorgen für denonig. Die Bienen sind damit eines der wichtigstenutztiere, die wir überhaupt haben.Es geht den Bienen aber nicht gut. Auch den Imkerin-en und Imkern geht es nicht gut.Erstes Beispiel. Dass im vergangenen Jahr die An-endung eines Beizmittels zur Behandlung des Mais-aatgutes zum Tod von 11 500 Bienenvölkern geführtat – dieser Skandal ist schon angesprochen worden –, Anlage 4
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Dr. Kirsten Tackmannwar zwar auf eine technische Panne zurückzuführen.Aber ich finde, dass es angesichts eines solchen Ausma-ßes eigentlich nicht mehr wichtig ist, ob die UrsacheSorglosigkeit oder ob es gewollt gewesen ist.Ein Imker schrieb mir auf diesen Vorfall hin: StellenSie sich vor, Sie fahren mit einem Auto über das Landund sehen Hunderte tote Kühe auf einer Weide liegen.Jeder normal denkende Mensch würde sofort die Polizeiverständigen; Medien und Nachrichten würden berich-ten. Wissenschaftler würden eifrig nach dem Grund fürden Massentod forschen. So ist die Situation bei denBienen. Es gibt Millionen und Abermillionen von Lei-chen; aber es gibt keine Polizei und keinen Aufschrei. –Ich denke, das sollte uns durchaus zum Nachdenkenbringen.Zweites Beispiel. Wenn Bienen gentechnisch verän-derte Pflanzen anfliegen, ist der Honig nicht mehr ver-kehrsfähig. Hierzu gibt es ein offenes Gerichtsverfahren;widerlegt ist dies noch nicht. Zu gut Deutsch: Man mussdiesen Honig im Rahmen eines Vorsorgeverfahrens ver-nichten.Drittes Beispiel. Die Bienen finden immer seltener at-traktive Blüten. In der ausgeräumten Agrarlandschaftfehlen Brachflächen und Kulturpflanzenvielfalt. Mono-kulturen und eingeschränkte Fruchtfolgen verstärkendiesen Effekt.Viertes Beispiel. Ein Bienenmonitoring wird zwardurchgeführt – dies ist schon angesprochen worden –,aber merkwürdigerweise sind gerade Pestiziduntersu-chungen nur am Rande Teil dieses Bienenmonitorings.Das wundert einen schon. Vielleicht ist der Grund, dassdie Industrie dieses Bienenmonitoring mitfinanziert.Fünftes Beispiel. Die Bienen werden von immer we-niger, immer älteren Imkerinnen und Imkern betreut, im-mer häufiger „nur“ als Hobby. Immer weniger fangenneu an. Das ist ein Zukunftsproblem, das auch mit denRahmenbedingungen zu tun hat.Es gibt also viele Probleme, die zu lösen sind. DerAntrag der FDP ist angesichts dieser Situation allerdingsscheinheilig. Er ist ein Trojanisches Pferd. Auf den ers-ten Blick sieht er zwar gut aus.
Aber es steckt Unheil in ihm. Unter dem Mäntelchen derBienenfreundlichkeit verdeckt die FDP den Lobgesangauf ihre beiden einzigen Klassiker: Pestizide und Agro-gentechnik. Aber gerade diese beiden Aspekte stellendie zentralen Probleme der Imkerei dar; das werden vieleImkerinnen und Imker bestätigen.Dazu zwei Beispiele. Die FDP will – das ist geradevorgetragen worden – den Maiswurzelbohrer mit ihrerAllzweckwaffe, der Agrogentechnik, bekämpfen.
Aber die Imkerinnen und Imker gehen schon jetzt wegender Agrogentechnik auf die Straße und protestieren. DieFDP will den Imkernachwuchs fördern. Das wollen wiratsgaAgkauIvnsknnsdABwnnKKslnaduIUsbrDzLL
as hat wohl mit der Industrielastigkeit der FDP-Politiku tun.Immerhin haben Sie die Probleme der industriellenandwirtschaft und der Monokulturen angesprochen.eider ziehen Sie daraus aber keine Schlussfolgerungen.
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Ulrike HöfkenDie Varroa-Milbe ist zwar ein großes Problem, beileibeaber nicht das einzige. Das von der FDP vorgeschlageneKonzept einer Impfung ist nach Aussage von renom-mierten Bienenexperten nichts als Unfug.Die Bieneninstitute, so haben wir auf einer Anhörungder Grünen gehört, haben schon sehr wirkungsvolleMaßnahmen zur Bekämpfung der Varroa-Milbe vorge-schlagen, die sich auch entwikkeln. Wir sollten auch dar-über nachdenken, ob wir den Imkern bei der Bekämp-fung der Seuche jetzt durch weniger Auflagen undBürokratie und mehr finanzielle Unterstützung helfenkönnen.
Es ist schon so, wie Frau Tackmann es auch gesagthat: Ihre Allheilwaffe, nämlich der Genmais, spielt hierwieder eine Rolle. Das Allerabsurdeste ist, dass Sie jetztauch noch indirekt den Vorschlag machen, die Pestizid-belastung in der Landwirtschaft durch die Einführung ei-nes lebenden Pestizids, nämlich des Genmaises, zu sen-ken. Man muss dazu sagen: Gerade durch die Initiativevon Bayern – da gibt es eine FDP/CSU-Regierung –wurde der Genmais MON 810 wegen großer Gefahrenfür die Umwelt, zum Beispiel für die nützlichen Insek-ten, verboten. Es kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein, hiersolche absurden Vorschläge zu machen.Ein weiteres gravierendes Problem stellen die Pesti-zide dar. Clothianidin ist schon erwähnt worden. Das istaber eben kein Einzelfall oder Unfall, sondern nur dieSpitze des Eisberges. Belegt ist ja auch die Vergiftungvon 1 200 Bienenvölkern durch die Pestizidanwendungauf niedersächsischen Kartoffelfeldern.
Die Behauptung der FDP, dass es in den letzten Jah-ren gelungen sei, die Gefährdung der Bienen durch Pes-tizide auszuschließen, ist reine Schönfärberei, weil demJulius-Kühn-Institut nur noch ein Bruchteil der tatsächli-chen Vergiftungsfälle gemeldet wird. Der Imker solldann eine Pflanzenprobe dazulegen. Das ist bei dem gro-ßen Gebiet, das eine Biene anfliegt, aber außerordentlichschwierig. Bienenvergiftungen werden durch Bürokratieund fehlende Analysekapazitäten daher nur teilweise er-fasst. Hier wäre Geld richtig eingesetzt, um die Unter-suchungsmöglichkeiten zu verbessern.
Zu den subletalen Effekten – auch sie wurden schonangesprochen –: Hier gibt es einen erheblichen Bedarfan Untersuchungen. Darin sind wir uns vielleicht sogareinig. Ganz klar ist aber: Die französische Zulassungsbe-hörde für Pflanzenschutzmittel hat die Daten des deut-schen Bienenmonitorings nicht von ungefähr als unge-eignet für die Zulassung von Clothianidin beurteilt. Dasgilt übrigens ebenso für die Beurteilung des Monitoringsfür den Genmais. Man muss auch sagen: Die Mitfinan-zierung der Agroindustrie und die Ausklammerung die-ser ganzen Problemlage haben wohl miteinander zu tun.Klar ist, dass die Beizmittel mit technischen Lösun-gen allein nicht zu verbessern sind, vor allem dann nicht,wvaWdfbSnSnunscTsDadWSFGmtRRLS
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-chusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-herschutz zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit demitel „Schutz der Bienenvölker sicherstellen“. Der Aus-chuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufrucksache 16/12267, den Antrag der Fraktion der FDPuf Drucksache 16/10322 abzulehnen. Wer stimmt füriese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –er enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit dentimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, derraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Dierünen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenom-en.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:Beratung der Großen Anfrage der AbgeordnetenVolker Beck , Marieluise Beck (Bremen),Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENZur Menschenrechtssituation in den Ländernder Andengemeinschaft und Venezuela– Drucksachen 16/9866, 16/11297 –Hierzu liegen zwei Entschließungsanträge der Frak-ion Bündnis 90/Die Grünen vor.Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieeden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um dieeden der folgenden Kolleginnen und Kollegen: Eduardintner für die Unionsfraktion, Wolfgang Gunkel für diePD-Fraktion, Florian Toncar für die FDP-Fraktion,
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Vizepräsidentin Petra PauMichael Leutert für die Fraktion Die Linke und ThiloHoppe für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Vor ziemlich genau einem Jahr fand an dieser Stelle
eine große Debatte über die Beziehungen Deutschlands
und Europas zu den lateinamerikanischen Ländern statt.
Die Bundeskanzlerin hat mit ihrer Lateinamerika-Reise
wenig später auch noch einmal die Bedeutung unserer
Beziehungen zu diesem Teil der Welt unterstrichen. Meine
Fraktion hat zu dieser Lateinamerika-Offensive der deut-
schen Politik ein eigenes Strategiepapier beigesteuert, in
dem ganz bewusst auch der Stellenwert von Demokratie
und Menschenrechten betont wird. Damit haben wir uns
dazu bekannt, dass der Dialog über diese Themen einer
der Eckpfeiler des europäisch-lateinamerikanischen Aus-
tausches sein muss und dass wir für eine aktive Förde-
rung auf diesem Gebiet eintreten. Daher begrüße ich
auch die sich heute bietende Gelegenheit, nach einem
Jahr nun eine Bestandsaufnahme der menschenrechtli-
chen Situation in der Andengemeinschaft und Venezuela
zu machen.
Wichtig ist zunächst einmal, dass die Regierungen al-
ler hier behandelten Staaten sich zu Demokratie und
Menschenrechten bekennen. Dies war früher nicht selbst-
verständlich und stellt deshalb einen positiven Trend dar.
Im Detail gibt es dann aber doch merkliche Unterschiede
zwischen den einzelnen Staaten. So hat sich die Men-
schenrechtssituation in Kolumbien in den vergangenen
Jahren merklich verbessert. Dies ist vor allem darauf zu-
rückzuführen, dass es der Regierung gelungen ist, den
Bürgerkrieg einzudämmen und die nichtstaatlichen Ge-
waltakteure in ihre Schranken zu weisen. Dadurch ist das
Leben vieler Menschen in Kolumbien friedlicher und si-
cherer geworden. Aber die Umtriebe von mächtigen Ban-
den sind nach wie vor ein bedrückendes Problem.
Kolumbien braucht daher nach wie vor die Unterstützung
der internationalen Gemeinschaft bei der Bekämpfung
dieser Banden. Das Konzept, diese Gruppen als legitime
politische Akteure anzuerkennen und in einen politischen
Prozess einzubinden, wie es in der Vergangenheit von
manchen Kollegen hier im Hause gefordert worden ist,
kann keine Lösung sein.
Für Venezuela ist festzuhalten, dass der Drang von
Staatschef Hugo Chávez, seine Macht gegen Kritik und
Kontrolle abzuschirmen, zu einer Erosion demokrati-
scher Teilhabe und zur Aushöhlung von Bürgerrechten
geführt hat. Auch mit vermeintlichen Verbesserungen bei
der Verwirklichung der sozialen Menschenrechte, wie sie
der Antrag der Grünen anführt, lassen sich die Gefahren
nicht relativieren. Man wird sowieso abwarten müssen,
ob der venezolanische Staat angesichts sinkender Erlöse
für seine Ölexporte weiterhin in der Lage sein wird, seine
Sozialprogramme im bisherigen Umfang zu finanzieren.
Andere Staatschefs in Lateinamerika, zum Beispiel in
Ecuador und Bolivien, wollen offenbar den Führungsstil
von Chávez kopieren. Von der Verbreitung des venezola-
nischen Herrschaftsmodells geht daher momentan eine
der größten Gefahren für die Entwicklung von Demokra-
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durch den Leuchtenden Pfad (Sendero
auch einige Verantwortliche aus dem Staatsapparat juris-tisch zur Rechenschaft gezogen. Allerdings wurden diesewenigen Erfolge gegen den zähen Widerstand der Streit-kräfte errungen. Ein Lichtblick ist die Verurteilung desehemaligen Präsidenten Alberto Fujimori im April 2009,dsAinMtd„ddssdwsaPwWfgäglddtdtrtihgbdPüAGsrzhzRnJdAdMnvnZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24113
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24114 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009
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FDP geantwortet, dass die Beeinflussungen des Grund-
wasserstandes durch den Kanalausbau kleiner als die
normalen jährlichen Schwankungen sind. Außerdem sei
Potsdam in seinem Status als Weltkulturerbe nicht beein-
trächtigt. Gilt das alles nicht mehr, weil die Grünen jetzt
in der Opposition sind?
Auch verkehrswirtschaftliche Entwicklungen verursa-
chen keinen neuen Entscheidungsdruck. Eindeutig ist,
dass der Kanalausbau ohne Alternative ist, weil eine
Nordumgehung nicht nur teurer, sondern auch umwelt-
schädigender wäre. Eine alleinige Sanierung des Kanals
ist ebenfalls nicht sinnvoll, weil dann in drei betroffenen
Seen Wartestellen einzurichten wären.
Mit Bedauern ist weiterhin festzuhalten, dass der all-
gemeine Zustand der Wasserstraßen in den neuen Län-
dern auch 20 Jahre nach dem Mauerfall immer noch
schlecht ist, teilweise sogar schlechter als zu Zeiten der
DDR. Die von Anfang an zu niedrigen Mittelzuweisungen
wurden unter Rot-Grün noch einmal verschlechtert.
Umso wichtiger ist es, dass wir uns endlich der Fertig-
stellung des VDE 17 nähern.
Zu Recht weisen die Industrie- und Handelskammern
auf die Standortwirkung des fertigen VDE 17 hin.
120 Häfen und Umschlagstellen werden hierdurch ver-
bunden. Wir können nicht immer nur von der Verlagerung
des Güterverkehrs von der Straße auf Wasserwege reden,
wir müssen dann auch die Voraussetzungen für eine sol-
che Verlagerung schaffen.
Die Planungen zum Sacrow-Paretzer-Kanal sind einSchildbürgerstreich erster Güte. Was sich die Wasser-und Schifffahrtsdirektion Ost – WSD Ost – hier leistet,muss einmal in aller Ausführlichkeit gewürdigt werden.An erster Stelle auf dieser Negativ-Würdigungslistesteht für mich, dass ein Planfeststellungsbeschluss ohnesubstanzielle Begründung erlassen wurde. Mit substan-ziell meine ich, dass keine konkreten Verkehrszahlen ge-nannt werden. Ein so großes Projekt zu planen, ohne esmit konkreten Fakten zu unterlegen, ist nicht nur für michmehr als fragwürdig. Wer sich ein wenig mit Verkehrspo-litik beschäftigt, weiß: Verkehrsprojekte werden damit be-gtSwgnpdhadAmddBPFbrawrlvwdbtifrvafwplvsAdkakWb2SsnPggkwZu Protokoll ge
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ist ein Überbleibsel aus einer Zeit großer
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Sie sprechen mir aus dem Herzen, wenn Sie fordern,
die Kompetenzen des Bundeskartellamtes zu erweitern.
Auch ich halte gut aufgestellte Wettbewerbshüter für das
Funktionieren einer Marktwirtschaft für unerlässlich.
Wenn wir in wirtschaftspolitischen Entscheidungen
Macht und Schutzregeln umstrukturieren, um der Markt-
wirtschaft ihren Rahmen zu setzen, schreit jede Lobby
auf, die bisher davon profitierte: mal die Gewerkschaften,
mal die Unternehmen. Sie alle werden im Gesetzgebungs-
verfahren über die Verbändeanhörungen berücksichtigt.
Wettbewerb hingegen hat keine Lobby. Deshalb müssen
wir – das Parlament und die Regierung – ihn durch unser
Handeln durchsetzen und schützen. Alleine können wir
diese Arbeit nicht leisten, darum haben wir die Kartell-
und Regulierungsbehörden. Dass sie gestärkt werden
müssen, steht außer Frage. Funktionierender Wettbewerb
ist ein hohes Gut in unserem Wirtschaftssystem. Wenn der
Wettbewerb ausgeschaltet wird, zahlt der Verbraucher
letzten Endes die Zeche.
Wissen Sie, dass unser ehemaliger Bundeswirtschafts-
minister Glos ein Anhörungsrecht für das Bundeskartell-
amt als Anwalt des Wettbewerbs noch während seiner
Amtszeit wiederholt gefordert hat? Auch unser derzeitiger
Wirtschaftsminister zu Guttenberg vertritt diese Meinung.
Und ja, auch ich sehe, dass unser momentaner wirt-
schaftspolitischer Kurs – als beispielhaft möchte ich hier
die Mindestlöhne, die Abwrackprämie oder auch die
Gesundheitsreform benennen – in eine Richtung geht, die
einen überzeugten Ordnungs- und Wettbewerbspolitiker
wie mich sehr nachdenklich stimmt. Manchmal drängt sich
mir der Eindruck auf, als sei uns politischen Entscheidungs-
trägern im stürmischen Koalitionsmeer der Kompass
abhanden gekommen – der Kompass, der uns zeigt,
welche gravierenden wettbewerblichen Auswirkungen so
manche bereits getroffene politische Entscheidung hat.
Staatliche Markteingriffe laufen immer Gefahr, wesent-
liche Anreizmechanismen für Unternehmen außer Kraft
zu setzen. Wettbewerb kann also – und das müssen wir uns
mehr denn je vor Augen führen – von zwei Seiten einge-
schränkt werden: den Unternehmen einerseits, aber
andererseits auch durch staatliches Handeln.
Unternehmerische Wettbewerbsbeschränkungen erfor-
dern von den Kartellbehörden in der heutigen Welt opti-
mierte kartellrechtliche Instrumente und geeignete Koope-
rationsmechanismen. Hieran arbeiten wir beständig.
Staatlich verursachte Wettbewerbsverzerrungen erfordern,
dass die Kartellbehörden die Möglichkeit haben, für das
Wettbewerbsprinzip offensiv einzustehen und zu werben.
Bisher haben sie diese Möglichkeit nur über Umwege:
Mögliche praktische Marktauswirkungen eines Gesetzes
im Gesetzgebungsprozess werden nur mittelbar über
Interventionen bzw. gelegentliche Anhörungen des Bun-
deskartellamts über das BMWi berücksichtigt. Hier muss
dringend Abhilfe geschaffen und den Wettbewerbshütern
mehr Gehör verschafft werden.
Die Monopolkommission schlug in ihrem Sonder-
gutachten letztes Jahr vor, dass dem Bundeskartellamt
zumindest vor der Allgemeinverbindlicherklärung von
Tarifverträgen ein Anhörungsrecht eingeräumt werden
solle. Dabei sollte sich das Amt insbesondere zu der
Frage äußern, wie die zu erwartenden wettbewerblichen
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Wir stimmen der FDP zu, dass wir ein starkes Bundes-kartellamt mit klaren Befugnissen, einer adäquaten Aus-stattung und einem konsistenten ordnungspolitischenAuftrag brauchen. Deswegen haben wir stets eine Aufsto-ckung des Personalhaushalts des Bundeskartellamts ge-fordert, die im Haushalt 2009 von der Regierung über-nommen wurde.Ich möchte die FDP-Fraktion daran erinnern, dass dieHauptaufgaben des Bundeskartellamtes die Durchset-zung des Kartellverbots, die Durchführung der Zusam-menschlusskontrolle sowie die Ausübung der Miss-brauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmensind. Es kann die Zusammenschlüsse von Unternehmenverbieten, missbräuchliche Verhaltensweisen untersagen,Auflagen erteilen, Geldbußen verhängen und verfügtüber weitgehende Ermittlungsbefugnisse. Das ist gut so,und daran soll sich auch nichts ändern.Wir wollen aber nicht, dass das Bundeskartellamt inZukunft Einfluss auf wirtschaftspolitische oder sozial-politische Entscheidungen nimmt, die nicht im engerenSinne etwas mit Wettbewerbsrecht zu tun haben. Die Ent-scheidungen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik sollenwie eh und je von den Parlamenten und der Regierung ge-troffen werden und nicht vom Bundeskartellamt politi-siert werden.Die Problematik des FDP-Antrags wird bereits imzweiten Absatz deutlich. Die FDP verweist auf einen Vor-schlag der Monopolkommission, die – wie auch dieFDP – empfiehlt, dass sich das Bundeskartellamt in sei-ner Stellungnahme über die Auswirkungen der Allge-meinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen aufProduktmärkte äußern sollte. Die FDP geht sogar nocheinen Schritt weiter und fordert ein generelles Anhö-rungsrecht des Bundeskartellamts zu wirtschaftspoliti-schen Fragen. Davon halten wir überhaupt nichts. DasBundeskartellamt hat mit der konsequenten Anwendungdes Wettbewerbsrechts genug zu tun. Es soll sich mit wett-bewerbsrechtlichen Fragen auseinandersetzen und sichaus der Sozial- und Tarifpolitik heraushalten. DeswegenldDfvsRRHSHFsülBrnsassmdddlwfSwbds
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In ihrem Antrag begrüßt die FDP die Anhebung deragatellgrenze für Beihilfen auf 200 000 Euro und for-ert, dass die Bagatellgrenzen für Bürgschaften der öf-entlichen Hand an Unternehmen seitens der Kommissionoch gesetzt werden. Ich muss zugeben: Ich bin erstauntber den Antrag der FDP. Ich dachte, die FDP würde fürinen konsequenten Subventionsabbau eintreten. Dazuöchte ich kurz aus einem Antrag der Fraktion der FDPitieren. Darin ist zu lesen: „Jede“ – ich wiederhole:ede! – „Intervention der öffentlichen Hand in den Markt-rozess stört das freie Spiel von Angebot und Nachfragend somit den Wettbewerb.“ Und weiter heißt es: „Somitind sämtliche Subventionen zu befristen und alle Finanz-ilfen degressiv zu gestalten.“ Demnach wäre also dieosition der FDP, sämtliche Subventionen zu befristennd alle Finanzhilfen degressiv zu gestalten. In dem An-rag, der uns heute vorliegt, steht hingegen etwas völlignderes. So begrüßt die FDP die pauschale Anhebunger Bagatellgrenze seitens der EU-Kommission auf00 000 Euro. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegenon der FDP: Sie müssen sich mal entscheiden, was Sieigentlich wollen. Wollen Sie Subventionen erleichternder erschweren? Wollen Sie mehr Transparenz oderehr Intransparenz? Wollen Sie mehr Kontrolle bei denubventionen oder weniger Kontrolle? Das erklären Sieal. Das versteht nämlich niemand mehr.Jetzt fordern Sie in Ihrem Antrag, auch die Bagatell-renze für Bürgschaften von 1,7 Millionen Euro weiter zurhöhen und die Unterscheidung transparente versus in-ransparente Beihilfen in der Richtlinie abzuschaffen.elbstverständlich ist es richtig, immer wieder zu über-rüfen, ob wir den Unternehmen und gerade den kleinen und mittelständischen Unternehmen übermäßigen büro-ratischen Aufwand zumuten. Deswegen unterstützen wirie Abschaffung der Unterscheidung von transparenten
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24137
gebene Reden
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Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhnversus intransparenten Beihilfen in der Richtlinie.Gleichzeitig brauchen wir aber auch mehr Transparenzbei den Beihilfen und den Bürgschaften seitens der öffent-lichen Hand. Jeder Bürger und jede Bürgerin und auchjeder Wettbewerber muss nachvollziehen können, wer ei-gentlich von den Beihilfen und Bürgschaften profitiert.Deswegen fordern wir Grünen die Veröffentlichung allerSubventionsempfänger.Die pauschale Anhebung der Bagatellgrenzen fürBürgschaften über 1,7 Millionen Euro, wie die FDP for-dert, lehnen wir ab. Das ist der völlig falsche Weg. DieFrage bei den Beihilfen und Bürgschaften ist doch, wel-che Effekte und Folgen diese haben. Führen sie zu einerWettbewerbsverzerrung auf Kosten der öffentlichenHand; werden also mit den Beihilfen Kosten zuungunstender öffentlichen Kassen externalisiert? Dann sind solcheBeihilfen und Bürgschaften grundsätzlich – und dabeispielt dann die Höhe keine Rolle – abzulehnen. Oder för-dern sie den Strukturwandel hin zu einem ökologischen,energie- und ressourceneffizienten Wirtschaften? In die-sem Falle sind Beihilfen und gerade Bürgschaften sehr zubegrüßen. Dann sind es nämlich Anschubfinanzierungenfür ökologische Technologien und ressourceneffizientesWirtschaften. Und diese brauchen wir dringend, um demKlimawandel entschieden entgegenzutreten.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/7730, den Antrag
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3149 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der
SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen gegen Stimmen der FDP-Frak-
tion angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 36 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Christel Happach-
Kasan, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Biologische Kohlenstoffsenken für den Klima-
schutz nutzen
– Drucksachen 16/2088, 16/7147 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung
Frank Schwabe
Michael Kauch
Eva Bulling-Schröter
Dr. Reinhard Loske
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden auch
hier die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich
um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:
Andreas Jung für die Unionsfraktion, Frank Schwabe für
die SPD-Fraktion, Dr. Christel Happach-Kasan für die
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DP-Fraktion, Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die
inke und Bärbel Höhn für die Fraktion Bündnis 90/Die
rünen.
Ende dieses Jahres findet die UN-Klimakonferenz in
openhagen statt. Dort soll ein Nachfolgeprotokoll für
as Kioto-Abkommen verabschiedet werden, das 2012
usläuft. In Kopenhagen besteht die Chance, der globa-
en Herausforderung des Klimawandels durch inter-
ational abgestimmtes Handeln entgegenzutreten; denn
ationale Alleingänge sind nicht zielführend. Ähnlich wie
n der Finanzkrise ist ein gemeinsames energisches Vor-
ehen Grundvoraussetzung für den Erfolg.
Im Rahmen des Kioto-Protokolls gibt es die sogenann-
en flexiblen Instrumente. Es handelt sich dabei um Joint
mplimentation, JI, und Clean-Development-Mechanism,
DM. CDM ermöglicht es Industrie- und Entwicklungs-
ändern, gemeinsam Klimaschutzprojekte in Entwick-
ngsländern durchzuführen. JI wiederum bietet Industrie-
ndern eine Möglichkeit zur Minderung der Treibhausgase
m gastgebenden Industrieland entsprechend ihrer Ver-
flichtung im Kioto-Protokoll.
Darüber hinaus eröffnet das Protokoll die Möglich-
eit, die Reduzierung von Kohlenstoff auf Emissionsre-
uktionsverpflichtungen anzurechnen, wenn die Kohlen-
toffeinbindung in sogenannten Senken, zum Beispiel in
äldern, erfolgt.
Ich fasse die Forderungen der FDP kurz zusammen:
Erstens. Die Bundesregierung solle diese Option des
ioto-Protokolls für Wälder in Deutschland wahrnehmen
nd darauf hinarbeiten, dass innerhalb des europäischen
missionshandels mit Zertifikaten die Nutzung von
aldsenkenprojekten berücksichtigt wird.
Zweitens. Darüber hinaus solle bei internationalen
erhandlungen darauf hingewirkt werden, dass auch die
ohlenstoffspeicherung im Holz aus nachhaltig genutz-
en Wäldern berücksichtigt wird.
Drittens. In Pilotregionen sollten Monitoringsysteme
ür Kohlenstoffsenkenprojekte entwickelt und die Techno-
ogieentwicklung zur energetischen Nutzung von Bio-
asse aus Wäldern gefördert werden.
Grundsätzlich teilen wir die Auffassung, dass die Ver-
nüpfung der Herausforderungen des Klimaschutzes mit
er Notwendigkeit des Waldschutzes wichtig ist. Deshalb
st es auch richtig, die Thematik in die internationalen
limaverhandlungen einzubringen und ihr dort noch
ehr Bedeutung beizumessen. Besonderes Augenmerk
uss dabei aber auf die Auswahl geeigneter und zielfüh-
ender Instrumente gelegt werden. Mitnahmeeffekte müs-
en unbedingt vermieden werden. Auch im Bereich der
enken gilt: Wir wollen mehr Klimaschutz, aber nicht
ehr Anrechnungsmöglichkeiten auf Reduktionsver-
flichtungen ohne zusätzliche Maßnahmen.
Aus diesem Grund sollte bei der Option der Senken der
chwerpunkt der Bemühungen eher bei der Frage liegen,
nwieweit Urwälder geschützt, Brandrodungen vermie-
en und wie insbesondere in Entwicklungsländern wieder
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aufgeforstet werden kann. Deshalb müssen jetzt Konzepte
entwickelt werden, wie Senkengutschriften in den inter-
nationalen Emissionshandel integriert werden können.
Ziel muss sein, die Erlöse in einen Fonds zu überführen,
der der Förderung des Waldschutzes dient.
Auf diesem Weg müssen wir weiter vorankommen; den
FDP-Antrag lehnen wir heute ab.
Die Zeit drängt. In etwa 31 Monaten läuft das Kioto-Protokoll aus. Es gilt seit 2008 und endet 2012. Deshalbverhandelt die internationale Klimadiplomatie geradeein Kioto-Nachfolgeabkommen für die Zeit nach 2012,das im Dezember auf der Klimakonferenz in Kopenhagenverabschiedet werden soll. In diesen Verhandlungen mussbis zum 1. Juli ein Vertragstext bei den Vereinten Natio-nen hinterlegt werden, der dann auf dem Kopenhagen-Gipfel beschlossen werden muss. Und bis zum Gipfel inKopenhagen sind es gerade noch 213 Tage!Um die Auswirkungen des Klimawandels für Men-schen und Natur auf ein noch kontrollierbares Maß be-grenzen zu können und existenzielle Bedrohungen vor al-lem für kleine Inselstaaten abzuwehren, muss der Anstiegder globalen Durchschnittstemperatur auf maximal Zwei-Grad-Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau um1800 eingedämmt werden. Der Weltklimabericht desIPCC von 2007 setzt dafür eine Verringerung des Treib-hausgas-Ausstoßes in den Industrieländern bis 2020 ummindestens 25 bis 40 Prozent gegenüber 1990 voraus.Parallel dazu muss es gelingen, die weitere Emissionsent-wicklung gerade in den wachstumsstarken Schwellenlän-dern um 15 bis 30 Prozent gegenüber dem jetzt stark stei-genden Trend zu mindern. Der weitere Anstieg derweltweiten Emissionen muss innerhalb der nächsten zehnJahre gestoppt werden, weil sonst deutlich höhere Reduk-tionsziele in noch kürzerer Zeit erreicht werden müssen.Langfristig zeigen die IPCC-Szenarien, dass bis 2050eine Minderung der globalen Treibhausgas-Emissioneninsgesamt um mindestens 50 Prozent notwendig ist – ver-glichen mit dem Stand von 1990, nicht dem höheren vonheute! Für die Industrieländer, und damit auch fürDeutschland, ergibt sich daraus eine Minderungsver-pflichtung von 80 bis 95 Prozent weniger CO2 bis zumJahre 2050. Andernfalls ist mit irreversiblen Veränderun-gen und Schädigungen natürlicher Systeme zu rechnen,die dramatische Folgen für Mensch und Natur haben. DieKioto-Verpflichtungen reichen zur Erreichung diesesZwei-Grad-Ziels bei Weitem nicht aus. Tatsächlich liegtdie derzeitige Emissionsentwicklung seit 2005 über demschlimmsten Szenario des Weltklimarates. Gleichzeitighat die Fähigkeit von natürlichen Ökosystemen wie Wäl-dern, Mooren und Meeren, Kohlenstoff der Atmosphärezu entziehen und dauerhaft zu binden, in den letzten50 Jahren global um etwa fünf Prozent abgenommen.Diese Entwicklung wird sich künftig durch den Klima-wandel, Naturzerstörung und nicht-nachhaltige Landnut-zungen noch weiter verschärfen.Waldschutz ist eine der Hauptsäulen des globalen Kli-maschutzes. Entwaldung und Walddegradierung verur-sachen etwa 22 Prozent der jährlichen globalen Treib-hausgasemissionen – mehr als die gesamten EmissionendnKndmdNhvfwdhEzgdnmrWmdbzSprsKlnhvmmdthAmhDtgsWfdtfhfuwdusZu Protokoll ge(C(Des globalen Verkehrssektors. Daher muss die inter-ationale Staatengemeinschaft im Rahmen des neuenlimaschutzabkommens einen neuen, globalen Mecha-ismus zu Verringerung globaler Emissionen aus Entwal-ung als eine der zentralen Säulen verankern. Dabeiüssen wir uns immer vor Augen halten, dass 80 Prozenter Urwälder auf dieser Erde schon vernichtet wurden.ur 20 Prozent der ehemaligen Urwälder existiereneute noch in großen zusammenhängenden Gebieten. Dieerbleibenden Wälder dieser Welt sind Lebensgrundlageür Mensch, Tier und Pflanzen. Der ungebremste Klima-andel kann schon zwischen 2040 und 2060 zum Kollapses Amazonas-Regenwaldes führen. Zugleich ist die Ab-olzung einer der starken Treiber des Klimawandels.ine umfangreiche, globale Strategie zu dessen Begren-ung ist eine Chance, über bisherige Waldschutzstrate-ien hinauszugehen und Wälder, ihre Biodiversität sowieas globale Klima in Kooperation mit den in und mit ih-en lebenden Menschen für die Zukunft zu erhalten.Entscheidend ist nun zu klären, mit welchen Instru-enten wir das Ziel von Klimaschutz und Waldschutz er-eichen. Die FDP hat in ihrem Antrag vorgeschlagen, dieälder in das System des Emissionshandels aufzuneh-en. Was würde passieren, wenn wir das machen wür-en? Es würde zur Überschwemmung des Marktes mitilligen CO2-Zertifikaten und zum Ausfall des Preisanrei-es führen, Maßnahmen in den Industrie- und in denchwellenländern zu ergreifen. Dabei ist der Kohlenstoff-reis der wichtigste Treiber dafür, die notwendigen An-eize zu setzen, dass Investitionen im Sinne des Klima-chutzes erfolgen. Genau dieser Treiber würde außerraft gesetzt. Die notwendigen Klimaziele, vor allem dieangfristigen, würden nicht erreicht werden. Deshalb leh-en wir die Einbeziehung der Wälder in den Emissions-andel als falsches Instrument ab.Da die Emissionen aus Entwaldung 20 Prozent derom Menschen produzierten Treibhausgase betragen,uss der Schutz von Wäldern in die internationalen Kli-averhandlungen einbezogen werden. Wir setzen unseshalb dafür ein, dass die Staatengemeinschaft bis spä-estens Ende 2009 wirksame Maßnahmen gegen das Ab-olzen tropischer Urwälder entwickelt . Dasbkommen muss Anreizsysteme und Finanzierungs-echanismen für die Vermeidung von Entwaldung ent-alten. Zudem belegte der Stern-Report , dass dierosselung der weltweiten Entwaldung ein äußerst kos-engünstiger Weg sein kann, zum Klimaschutz beizutra-en. Ein zukünftiger Mechanismus muss so konzipiertein, dass die Einsparungen von Emissionen aus demaldbereich zusätzlich zu denen im Energiesektor statt-inden. Industrieländer dürfen sich nicht durch den Han-el mit waldbezogenen Zertifikaten von ihren Verpflich-ungen zur Einsparung von Emissionen im Energiesektorreikaufen können. Ein Teil des Erlöses des Emissions-andels muss dafür verwendet werden, über einen Wald-onds den internationalen Waldschutz zu finanzieren. Innserem Entwurf für das Regierungsprogramm habenir als SPD klargemacht, dass wir alle Einnahmen auser Versteigerung der Emissionszertifikate für Klima-nd Umweltschutzmaßnahmen nutzen wollen. Wald-chutz aus Erlösen des Emissionshandels ist der richtige
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24139
Andreas Jung
gebene Reden
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Ansatz. Die Einbeziehung der Wälder in den Emissions-handel hingegen führt in eine Sackgasse.Der Waldfonds muss unter der Klimarahmenkonven-tion angesiedelt werden. Außerdem müssen Förder-ansätze zur vermiedenen Entwaldung strikt von denen fürAufforstung getrennt werden. Auch muss ein Post-2012-Abkommen ein „Co-Benefit“ für die Biodiversität enthal-ten. Dies ist auch ein wichtiger Aspekt der Initiative derBundeskanzlerin und des Bundesumweltministers auf derBiodiversitätskonferenz CBD letztes Jahr in Bonn gewe-sen. Der zukünftige Mechanismus muss die Rechte der lo-kalen Bevölkerung stärken und ihr Verdienstmöglichkei-ten eröffnen. Er muss „performance based“ sein. Dasheißt, dass die Zahlungen an die Erfüllung der nationalenVerpflichtungen und den Rückgang der Entwaldung ge-koppelt sind. Dabei ist die besondere Situation in denverschiedenen Entwicklungsländern zu berücksichtigen.Die deutsche Regierung wird – wie von BundeskanzlerinMerkel angekündigt – in den Jahren 2009 bis 2012 einenzusätzlichen Betrag von 500 Millionen Euro, und ab 2013eine halbe Milliarde jährlich, für den internationalenWaldschutz bereitstellen. Diese Gelder sollen im Rahmeneines Programms die REDD-Diskussion begleiten undunterstützen.So weit die Leitplanken, wie ein solcher Mechanismusaussehen muss. Wichtig ist nun, dass wir schnell zu einemVerhandlungstext kommen. Denn die nächste Vorberei-tungskonferenz für Kopenhagen ist schon in dreieinhalbWochen. Nutzen wir die Zeit, um für ein ambitioniertesKioto-Anschlussabkommen zu werben und zu begeistern!Denn Klimaschutz ist keine Belastung, sondern eine Lö-sung aus der gegenwärtigen Krise!
In der Klimaschutzkonferenz in Kioto im Jahr 1997wurden erstmals international rechtlich verbindlicheZiele zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen fest-gesetzt. Nachdem das Kioto-Protokoll 2005 in Kraft ge-treten ist, besteht die Möglichkeit, die Kohlenstoffeinbin-dung in Senken, zum Beispiel in Wäldern oder auch inMoorgebieten, innerhalb bestimmter Grenzen auf die je-weiligen nationalen Emissionsreduktionsverpflichtungenanzurechnen.Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt, dass die Bun-desregierung im Gegensatz zur rot-grünen Vorgänger-regierung entsprechend den Forderungen in unserem be-reits im Sommer 2006 gestellten Antrag entschieden hat,dass deutsche Wälder als Kohlenstoffsenken angerechnetwerden können. Seither ist allerdings nicht viel gesche-hen. Der im März dieses Jahres – also zwei volle Jahrenach dem Beschluss der Bundesregierung – vom Deut-schen Holzwirtschaftsrat durchgeführte parlamentari-sche Abend „Mit Wald und Holz aus der Klimakrise“ ver-deutlichte, dass noch erheblicher Handlungsbedarfbesteht. Die Bundesregierung ist nach wie vor weit davonentfernt, konkret zu sagen, in welcher Weise sie die Be-rücksichtigung der Wälder als Kohlenstoffsenken organi-sieren will.Die große Bedeutung der Kohlenstoffsenken für denTreibhausgashaushalt der Erde ist wissenschaftlich un-btdwdWggsifdddsldLAicdbsamdbgEesltfHswhtzmWwtWedwedNsDlsZu Protokoll ge(C(Destritten. Zahlreiche technische Fragen wie die Defini-ionen, Einzelheiten des Anrechnungsverfahrens sowieie Anforderungen an eine Kontrolle, Monitoring, sindeitgehend geklärt. Probleme bestehen bislang noch beier genaueren Quantifizierung. Besonders auf welcheeise die CO2-senkende Wirkung der deutschen Wälderemessen werden soll, ist bislang nicht hinreichend fest-elegt. Das genaue Verfahren, wie die Waldbesitzer in un-erem Land für diese Leistung honoriert werden sollen,st offen. Ferner steht die Ausarbeitung bestimmter Ver-ahrensfragen für Senkenprojekte in Entwicklungslän-ern aus. Hier ist die Bundesregierung gefordert.Grundsätzlich gilt es, Klimaschutz und Emissionshan-el auf größtmögliche Wirkung und Kostenminimierungurch die Verknüpfung und integrale Anwendung aller In-trumente des Kioto-Protokolls einschließlich der Koh-enstoffsenken zu verpflichten. Damit werden die Vorteileer Kioto-Instrumente nicht zuletzt auch der deutschenand- und Forstwirtschaft zugänglich. Neben nationalennstrengungen zur Verminderung der CO2-Emissionenst es unerlässlich, alle flexiblen Mechanismen zur Errei-hung des Klimaschutzziels zu nutzen. Dazu zählt auchie Möglichkeit der CO2-Bindung in Kohlenstoffsenken.Für die verstärkte Bindung von CO2 sind gerade auchiologische Methoden geeignet. Wälder binden Kohlen-toff. Der Aufbau stabiler Wälder ist somit geeignet, dennthropogen beeinflussten Klimawandel zu verlangsa-en. Dabei werden zusätzlich die Biodiversität gestärkt,ie Böden geschützt und die Trinkwasserversorgung ver-essert. Das Instrument der Kohlenstoffsenke ist kosten-ünstig und effizient. Es leistet wichtige Beiträge für dienergie- und Rohstoffversorgung, für die Technologie-ntwicklung und sorgt für Beschäftigung in struktur-chwachen ländlichen Regionen – im Inland wie im Aus-and.In Mitteleuropa, wo die potenzielle natürliche Vegeta-ion Wälder hervorbringt, haben diese bei der Bekämp-ung des Klimawandels eine Schlüsselrolle inne. Dasolz der Waldbäume und die humusreichen Waldbödenpeichern Kohlenstoff. Wird der Speicher Wald zerstört,erden die im Holz und den Böden gespeicherten Treib-ausgase in die Atmosphäre abgegeben. Laut IPCC, In-ergovernmental Panel on Climate Change, stammen bisu 30 Prozent der zusätzlichen Belastung der Atmosphäreit CO2 in den letzten 100 Jahren aus der Zerstörung vonäldern, zum Beispiel durch illegalen Holzeinschlag so-ie durch Brandrodung. Durch Urwaldschutz, Auffors-ung und nachhaltige Bewirtschaftung von bestehendenäldern kann umgekehrt der Atmosphäre CO2 wiederntzogen und langfristig gebunden werden. Somit bieteter Wald eine kostengünstige Möglichkeit, den Klima-andel zu verlangsamen und Ökosystemen mehr Zeit fürine Anpassung an das sich ändernde Klima zu geben.Die FDP-Bundestagsfraktion setzt sich dafür ein, dassie Bundesregierung die Option des Kioto-Protokolls, dieutzung von Waldsenkenprojekten innerhalb des europäi-chen Emissionshandels, stärker vorantreibt als bislang.arüber hinaus soll künftig bei internationalen Verhand-ungen darauf hingewirkt werden, dass auch die Kohlen-toffspeicherung im Holz aus nachhaltig genutzten
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Frank Schwabegebene Reden
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Wäldern berücksichtigt wird. Schließlich müssen nachEinschätzung der FDP künftig in Pilotregionen spezielleMonitoring-Systeme für Kohlenstoffsenkenprojekte ent-wickelt werden. Die bislang gefassten Regelungen zurAnrechnung der CO2-Speicherleistung in der deutschenForst- und Holzwirtschaft sind nach Einschätzung derFDP-Bundestagsfraktion zurzeit noch zu kompliziert undaufwendig und daher zu bürokratisch. Im Kioto-Protokollwird bislang nur die Senke im Wald honoriert. Weiterhinist die Bindung von Kohlenstoff in fertigen Holzproduktenin die Senkenfunktion zu integrieren.
Wie Sie wissen, konnte bislang die weltweite Entwal-
dung nicht gestoppt werden. Jährlich werden weltweit
rund 13 Millionen Hektar Wald abgebrannt oder gerodet.
Diese Zerstörung trägt mit circa 20 Prozent der globalen
Treibhausgasemissionen wesentlich zum Klimawandel
bei. Im Kampf gegen die Erderwärmung gewinnt daher
der Erhalt der Wälder immer mehr an Bedeutung. Auch
zum Schutz der Biodiversität und der lokalen Bevölke-
rung, die besonders in den Tropen von den Wäldern als
Lebensraum abhängig ist, muss die Entwaldung und
Walddegradierung – also die Verringerung der Baumbe-
stände, die noch nicht den Status einer „Entwaldung“ er-
reicht hat – gestoppt werden.
Im Antrag der FDP ist der Schutz der Wälder in gewis-
ser Weise Mittel zum Zweck. Natürlich sind auch die
Liberalen für den Waldschutz. Er soll aber in die Emis-
sionshandelsysteme einbezogen werden. Er soll so den
Klimaschutz für die Industriestaaten preiswerter machen.
Und genau hier sehen wir massive Probleme, die ich im
Folgenden darstellen will.
In der internationalen Debatte um den Waldschutz
geht es seit ein paar Jahren um Mechanismen, die ökono-
mische Anreize dafür schaffen sollen, die Abholzung zu
stoppen oder wenigstens das Tempo von Entwaldung und
Walddegradierung zu bremsen. Das wichtigste Instru-
ment hierbei firmiert unter dem Kürzel „REDD“, redu-
cing emissions from deforestation and degradation –
Reduzierung der Emissionen aus Entwaldung und Wald-
degradierung. Das geplante System basiert darauf, dass
dem in den Wäldern gespeicherten Kohlenstoff künftig
ein wirtschaftlicher Wert beigemessen wird. So soll es fi-
nanziell lohnenswert werden, den Wald zu schützen, an-
statt ihn abzuholzen.
Das Bündel der Modelle, die hierfür in der Diskussion
sind, eint, dass nicht nur eine Vielzahl von politischen,
sondern auch von methodischen Problemen bestehen. So
ist die Berechnung der Menge an Treibhausgasen, die
durch weniger Abholzung „vermieden“ würde, alles an-
dere als banal. Das fängt dabei an, welches Referenzsze-
nario benutzt werden soll. Historische Entwaldungsraten
oder Prognosewerte? Über welchen Zeitraum soll als
Vergleich zurückgeblickt werden? Wie soll die Menge be-
rechnet werden, wenn es eine mangelhafte Datenlage für
den Referenzzeitraum oder die Waldtypen gibt? Und die
gibt es fast überall. Was geschieht, wenn in einem Gebiet
vermiedene Entwaldung honoriert wird, die Motorsägen
in einem anderen dafür umso länger kreischen? Und lässt
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ich das Ganze überhaupt kontrollieren? Nicht zuletzt die
rage: Wird das neue System mit oder gegen die Bewoh-
er und Nutzer der Wälder durchgesetzt, wer profitiert
avon vor Ort?
Hinsichtlich der Finanzierung könnten zwei Hauptli-
ien unterschieden werden: zum einen Fonds, in die In-
ustriestaaten einzahlen, zum anderen Bestrebungen,
ieses System nach einer Pilotphase in ein Emissionshan-
elssystem zu überführen, so wie es die FDP will. Letzte-
es System könnte ähnlich dem CDM-System, Clean
evelopment Mechanism, des Kioto-Protokolls funktio-
ieren. Dessen Emissionsgutschriften für Klimaschutz-
nvestitionen der Industriestaaten in Entwicklungslän-
ern können sich Investoren auf eigene Verpflichtungen
nrechnen lassen oder gewinnbringend verkaufen.
Der CDM-Mechanismus ist allerdings wegen seiner
rheblichen Missbrauchspotenziale in Verruf gekommen.
ie vielen offenen systematischen und methodischen Fra-
en bei REDD könnten ähnlich viel Raum für Manipula-
ionen und klimapolitische Fehlsteuerungen bieten wie
as CDM-Regime. Vor allem aber muss der Tropenwald-
chutz zusätzlich zu den Einsparzielen im Kioto- und Ko-
enhagen-Prozess erfolgen. Auch darum wendet sich die
inke strikt dagegen, den Waldschutz in Emissionshan-
elssysteme einzubinden. Ansonsten könnte ein geschütz-
er Wald mehr im Süden gleichzeitig ein neues Kohle-
raftwerk mehr in Europa bedeuten. Und dies wäre exakt
as Gegenteil von nachhaltigem Klimaschutz.
Der Waldschutz ist von zentraler Bedeutung für die Er-eichung der internationalen Klimaschutzziele und für denrfolgreichen Abschluss eines neuen weltweiten Klima-bkommens Ende des Jahres in Kopenhagen.Laut IPCC macht die Entwaldung rund 20 Prozent derlobalen Treibhausgasemissionen aus, und es ist die Ent-aldung, die Indonesien inzwischen zum drittgrößten CO2-mittenten der Welt macht. Ohne erhebliche Fortschritteeim Waldschutz wird die Begrenzung der Erderwärmunguf unter 2 Grad deshalb kaum zu erreichen sein.Sir Nicholas Stern hat vorgerechnet, dass Waldschutzuch eine besonders kostengünstige Form des Klima-chutzes ist. Auch deshalb steht die Reduzierung von Emis-ionen aus Entwaldung und Walddegradation spätestenseit der Konferenz von Bali ganz oben auf der Agenda desnternationalen Klimaschutzes.Die in Bali beschlossenen ersten Schritte – wie Studien,ilotprogramme, Capacity Building – haben wir in diesemaus fraktionsübergreifend begrüßt. Einschneidende Er-lge sind aber bislang ausgeblieben. Trotz aller Bemühun-en schreitet Waldzerstörung ungebremst voran. Obwohlrasilien einiges für den Waldschutz getan hat, wurdenllein dort in den letzten drei Jahren 6 Millionen Hektarald vernichtet. Das ist knapp zweimal die Fläche vonRW. Die Maßnahmen der waldreichen Staaten und dernternationalen Gemeinschaft zum Schutz der Wälderind offenkundig unzureichend.Deshalb ist es richtig und notwendig, über eine wirkungs-olle Stärkung des Systems des internationalen Wald-
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Dr. Christel Happach-Kasangebene Reden
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Bärbel Höhnschutzes nachzudenken. Der Ansatz des vorliegendenFDP-Antrags geht dabei aber in die falsche Richtung. Sieschlagen vor, den Wald in den internationalen Handel mitTreibhausgaszertifikaten einzubeziehen. Dieser Ansatzhat einen Reiz: Er könnte privates Kapital für dringendbenötigte Investitionen in den Waldschutz gewinnen undso einen Finanzierungsmechanismus für den Waldschutzschaffen, der nicht von der wankelmütigen Großzügigkeitvon Finanzministern abhängig ist.Das Problem ist: Diese privaten Investitionen werdennur getätigt werden, wenn es den Unternehmen in denIndustrieländern auf diesem Wege möglich wird, teureeigene Klimaschutzanstrengungen zu vermeiden. DieSchattenseite von mehr Waldprojekten am Amazonaswären dann mehr Kohlekraftwerke hier in Deutschland.Das aber wäre klimapolitisch kontraproduktiv.Das IPCC hat es ganz klar gesagt: Für das Zwei-Grad-Ziel brauchen wir 25 bis 40 Prozent Emissions-reduktionen in den Industrieländern plus Emissionsmin-derungen in den Entwicklungsländern. Eine Anrechnungvon Waldschutzzertifikaten müsste also zusätzlich zu denEinsparungen in Europa erfolgen. Die europäischenZiele müssten entsprechend angehoben werden, deutlichüber 30 Prozent hinaus. Wer in Poznan war und dasGezerre um das europäische Klimapaket miterlebt hat,der weiß, wie schwer das durchzusetzen wäre.Wenn es bei den bisherigen CO2-Zielen bleibt, würdedie Einbeziehung des Waldschutzes den Klimaschutz inEuropa zum Stillstand bringen. Wir würden die Probleme,die wir heute schon mit CDM haben, vervielfachen. Stattunsere klimaschädlichen Strukturen in Europa zu ändern,würde der Klimaschutz nach China, Indien oder Brasilienabgeschoben, und das mit unzureichenden Kontrollen undUmweltstandards. Auf diese Weise retten wir vielleichtden Regenwald, geben aber das grönländische Eisschildauf.Die bessere Lösung ist deshalb ein internationalerWaldschutzfonds, wie wir Grüne ihn schon mehrfach vor-geschlagen haben. Auch ein solches Modell ist nicht ohneSchwierigkeiten, vor allem wenn es darum geht, dienotwendigen Mittel in einer Größenordnung von jährlich10 bis 15 Milliarden US-Dollar aufzubringen. Hier kannin der Tat eine Verknüpfung zum Emissionshandel Sinnmachen, nämlich die Reservierung eines festen Anteilsder Versteigerungserlöse aus dem Emissionshandel fürden Waldschutz. Darüber wird in Kopenhagen zu verhan-deln sein.Eine Verknüpfung von Waldschutz und Emissionshandelin dem von der FDP intendierten Sinne, die auf einen klima-politischen Ablasshandel der Industriestaaten hinauslau-fen würde, lehnen wir Grüne hingegen ab.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7147,
den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/2088
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
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eschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unions-
raktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und
er Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
er FDP-Fraktion angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 37 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz zu
dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael
Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Dr.
Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Chancen am Weltmarkt durch marktwirt-
schaftliche Weiterentwicklung der Gemeinsa-
men Agrarpolitik und Subventionsabbau nut-
zen
– Drucksachen 16/4185, 16/9800 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Marlene Mortler
Manfred Zöllmer
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
eden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
eden folgender Kolleginnen und Kollegen: Franz-Josef
olzenkamp für die Unionsfraktion, Manfred Zöllmer
ür die SPD-Fraktion, Hans-Michael Goldmann für die
DP-Fraktion, Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion
ie Linke und Ulrike Höfken für die Fraktion Bünd-
is 90/Die Grünen.
Der FDP-Antrag kann ja schon auf eine längere Ver-angenheit blicken. Ende Januar 2007 eingebracht, de-attieren wir heute fast anderthalb Jahre später abschlie-end über ihn.In der Zwischenzeit ist bekanntlich einiges im Bereicher Politik, auch der Agrarpolitik geschehen. Die Bundes-egierung hat ihre EU-Präsidentschaft sehr erfolgreicheendet. Auch der Health Check, also die sogenannte Ge-undheitsüberprüfung der europäischen Agrarpolitik,ann als abgeschlossen bezeichnet werden.Den Antrag als obsolet zu bezeichnen, fände ich aberoch unangemessen, weil ihm das im Rückblick nicht ge-echt würde. Nein, der FDP-Antrag ist in Teilen sogarehr gut; denn er beschreibt, sozusagen vorausschauend,ie gute Arbeit, die das Agrarministerium für die deut-che Landwirtschaft geleistet hat und leistet.Der Titel des Antrages bringt es genau auf den Punkt,as mit der Gesundheitsüberprüfung im vergangenemahr geleistet worden ist: der Weg hin zu mehr Marktwirt-chaft in der Landwirtschaft wurde bestätigt. Nur die Mit-el wurden etwas angepasst. Dieser Weg wurde und wirdit den europäischen Agrarreformen beginnend 1988ber 1992 bis hin zu 2003 beschritten. Davon – da sindich alle europäischen Mitgliedstaaten einig – wird und
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kann auch nicht mehr abgewichen werden. Der Gesund-heitscheck markiert eine systematisch folgerichtige Wei-terentwicklung.Allen sind die Ergebnisse der Gesundheitsüberprü-fung vom vergangenen Jahr bekannt. Ich brauche daraufjetzt nicht näher einzugehen. Nur so viel: Dem Bundes-ministerium, namentlich Frau Ministerin Aigner, ist es zuverdanken, dass im Ergebnis eine gute Balance zwischenWeiterentwicklung der Marktöffnung und notwendigerUnterstützung der Landwirtschaft gelungen ist. Die ur-sprünglichen Vorschläge der Kommission sahen nochganz anders aus.Warum erwähne ich das? Die deutsche Landwirtschaftsteht vor großen Herausforderungen, die sich unter dreiStichpunkten kurz zusammenfassen lassen: Welternäh-rung, Energie und Schutz natürlicher Ressourcen. Sozu-sagen unter einen Hut gebracht werden müssen einerseitsder stark steigende Bedarf an Nahrungsmitteln für die ex-plodierende Weltbevölkerung und das Ziel, immer mehrklassische Energieträger durch nachwachsende Roh-stoffe zu substituieren, mit der Verpflichtung, dies beigleichzeitig nachhaltiger Ressourcenschonung zu errei-chen.Fakt ist, der Bedarf an Nahrungsmitteln und Agrar-rohstoffen wird in den kommenden Jahren weiter steigen.Die hohen Agrarpreise der vergangenen Jahre stehenbeispielhaft dafür. Mittelfristig steigenden Agrarpreisensteht aber auch eine deutliche Preisvolatilität gegenüber.Die derzeit fallenden Preise im Agrarsektor zeigen dies:Sie sind unter anderem der aktuellen Finanz- und Wirt-schaftskrise geschuldet und verdeutlichen, wie eng dieAgrarwirtschaft mit den übrigen Wirtschaftssektorenweltweit verknüpft ist. Ein Übriges zu den Preisschwan-kungen nach oben oder unten tut das Klima.Diese Gemengelage birgt große Chancen für unsereLandwirtschaft, aber auch Risiken, für die sie sich ausrei-chend wappnen muss. Vor diesem Hintergrund muss auchder Reformweg der europäischen Agrarpolitik gesehenwerden. Der Weg der Liberalisierung, also einer allmäh-lichen Marktöffnung, ist richtig, muss aber mit Augenmaßgegangen werden.Einer unserer Leitgedanken muss sein: Chancen gibtes nur, wenn auf Augenhöhe konkurriert wird – welt- wieeuropaweit. Das heißt, was nützt uns die hohe Nachfragenach Agrarprodukten, wenn unsere Landwirte aufgrundhöherer Naturschutz-, Tierschutz- und Qualitätsstan-dards preislich nicht mit brasilianischen oder US-ameri-kanischen Landwirten konkurrieren können? Nichts! Wirwürden über kurz oder lang unsere landwirtschaftlichenArbeitsplätze in diese Länder exportieren.Es geht also nicht anders: Wir brauchen weltweite,über die WTO verankerte Produktionsstandards. Ich binmir sehr wohl bewusst, dass dies eine kühne Forderungist. Viele wichtige Konkurrenten der europäischen unddeutschen Landwirtschaft dürften sich mit Händen undFüßen dagegen sträuben.Genau deshalb wird es mit der Union in naher Zukunftkeine übermäßige Absenkung der Direktzahlungen ge-ben. Landwirte als Subventionsempfänger zu diffamieren,imwlsshgagswhAbAVdnlwcsfgeVnPdutGpiAzdblBSwtsEgsFmtnZu Protokoll ge(C(Dst ja ein beliebtes Spiel. Ich kann denjenigen, die das im-er wieder versuchen, nur ins Stammbuch schreiben: Sieürden sich schön wundern! Streichen wir die Direktzah-ungen, die ja nichts anderes als eine Entschädigung un-erer Landwirte für hohe Produktionsstandards sind – sieind übrigens die höchsten in der Welt –, würden wir se-enden Auges unsere Landwirtschaft nachhaltig schädi-en.In der Frage der Wettbewerbsgleichheit müssen wirber gar nicht so weit in die Welt schauen; denn die Un-leichheit liegt doch so nah. Beispiel: die Agrardiesel-teuersätze in Europa. Leider sind die deutschen Land-irte mal wieder Spitze: Sie zahlen europaweit dieöchsten Steuern auf Agrardiesel. Seit 1998 hat sich diegrardieselsteuer vervierfacht. Das führt zu einem Wett-ewerbsnachteil von etwa 40 bis 50 Euro pro Hektar.uch hier wäre eine europäische Angleichung notwendig.Die für die hohen Steuern verantwortliche rot-grüneorgängerregierung hat das ja versucht – vergeblich. Mitem Versuch zu brüsten brauchen Sie sich allerdingsicht; denn der musste scheitern. Welches EU-Mitglieds-and wollte schon die Agrardieselsteuern auf das wettbe-erbsschädliche deutsche Niveau anheben. Die einheitli-hen europäischen Sätze sind also ferne Zukunftsmusik.Deshalb fordert die CDU/CSU-Bundestagsfraktionchon seit langem eine Absenkung der deutschen Steuernür Agrardiesel. Unser Koalitionspartner sagt aber kate-orisch nein. Das wundert mich nicht. Herr Kelber hat jarst kürzlich in seinem Newsletter geschrieben, wie vielerständnis er für die Nöte heimischer Landwirte hat,ämlich keines.Ich möchte an dieser Stelle noch auf einen anderenunkt eingehen, der mir wichtig erscheint, wenn wir überie Frage des Nutzens von Chancen sprechen. Tue Gutesnd rede darüber ist ein bekannter PR-Grundsatz. Über-ragen auf unsere Landwirtschaft heißt das: Produziereutes und rede darüber. Ich meine die Exportförderung.Die Exportförderung ist ein ganz wesentlicher Eck-feiler, damit die deutsche Agrarwirtschaft sich nicht nurn Europa, sondern auch und vor allem im europäischenusland behaupten kann. Das Verfassungsgerichtsurteilur CMA und ZMP ist vor diesem Hintergrund nur zu be-auern. Die wichtigsten europäischen Konkurrenten ha-en schlagkräftige Agrar-Marketingagenturen. Deutsch-and steht hier zurzeit im Regen.Nicht hoch genug sind daher die Exportaktivitäten desundesministeriums zu begrüßen. Die Einrichtung dertabsstelle Export und deren kontinuierliche Weiterent-icklung – auch im Hinblick auf die finanzielle Ausstat-ung – sind elementar. Allerdings ist nun auch die deut-che Wirtschaft gefordert, ihren Teil zu einer kohärentenxportförderung für deutsche Agrarprodukte beizutra-en. Sonst steht sie in wenigen Jahren nicht im Regen,ondern auf dem Trockenen.Lassen Sie mich abschließend noch einmal auf dierage des Risikos bzw. der Sicherheit zu sprechen kom-en. Ich sprach eingangs von der zunehmenden Volatili-ät der Agrarmärkte. Eine deutliche Marktöffnung hatatürlich auch zur Folge, dass frühere Marktsicherungs-
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maßnahmen der EU abgebaut werden. Die Landwirtewerden künftig noch stärker die Volatilität der Märkte zuspüren bekommen. Deshalb muss für die europäischeLandwirtschaft zumindest ein unteres Auffangnetz überinterne Stützungsmaßnahmen und einen gewissen Außen-schutz bestehen bleiben.Je weniger Schutz die EU ihren Landwirten gewährt,desto stärker rückt auch private Vorsorge gegenüberMarktrisiken, wie zum Beispiel Ernte- oder Tierversiche-rungen, in den Fokus. Die in der Gesundheitsüberprü-fung beschlossenen, für die Mitgliedstaaten freiwilligenVersicherungsmodelle wurden vom Agrarministerium zuRecht abgelehnt. Denn dies hätte eine Kürzung der Di-rektzahlungen und damit den Entzug von Investivkapitalaus der Landwirtschaft zur Folge gehabt.Vielmehr sollte hier eine nationale Lösung über eineRisikoausgleichsrücklage angestrebt werden. Ich halteein Modell für zukunftsfest, in dem Landwirte eigenver-antwortlich als Ausgleich für kommende risikobedingteErtragsschwankungen in guten Jahren eine steuermin-dernde Rücklage bilden dürfen – vergleichbar dem Forst-schäden-Ausgleichsgesetz. Dadurch können zum BeispielErtragsschwankungen oder Unwetterschäden austariertwerden. Hier muss sich das Finanzministerium noch be-wegen.Unsere Landwirtschaft steht vor großen Herausforde-rungen. Die Märkte – daran gibt es keinen Zweifel – wer-den sich immer stärker öffnen. Das birgt Chancen wieRisiken. Uns muss daran gelegen sein, mit flankierenden,unterstützenden Maßnahmen unsere Landwirtschaft da-für weiter fit zu machen. Hierbei – das möchte ich beto-nen – helfen uns keine Luftschlösser und Utopien.Nur wenn es uns gelingt, die richtigen Rahmenbedin-gungen zu setzen, wird die deutsche Agrarwirtschaft aufden Märkten der Zukunft weiterhin eine gewichtige Rollespielen können.
Die Agrarpolitik war immer ein zentraler Bereicheuropäischer Politik. Dies begann bereits mit den Römi-schen Verträgen von 1957. Darin wurde der Grundsteinfür eine europäische Agrarpolitik – GAP – gelegt. DieserBereich der Politik wird seitdem zentral durch die EU be-stimmt. In der Nachkriegszeit galt die Herstellung vonErnährungssicherheit in Europa zunächst als ein zentra-les Ziel der Agrarpolitik. Daneben war es Absicht, dieProduktivität der Landwirtschaft zu steigern, für ein an-gemessenes Einkommen der in der Landwirtschaft Be-schäftigten zu sorgen und die Versorgung der Verbrau-cherinnen und Verbraucher mit Lebensmitteln zuangemessenen Preisen zu sichern.Der europäische Agrarmarkt war in den ersten Jahr-zehnten deutlich vom Weltmarkt abgeschottet. Der Schutzvor billigen Agrarimporten stand ganz oben auf derAgenda. Für bestimmte Agrarprodukte gab es Garantie-preise, zu denen die Landwirte ihre Produkte abliefernkonnten. Die europäische Agrarpolitik war bei der Errei-chung ihrer Ziele extrem erfolgreich. Die eingeführtenPvscdSüPgwsÜswüPfM–tigmlapdssw1LndkMaSgfKfGMutmnasgrsngtSZu Protokoll ge(C(Dreis- und Abnahmegarantien führten zu einem Wechselon der Mangel- zur Überschusswirtschaft.Eine landwirtschaftliche Arbeitskraft ist heute inzwi-chen neunmal so produktiv wie 1950, die durchschnittli-hen Erträge haben sich seitdem verdoppelt. 1959 wur-en in Deutschland 26 Kilogramm mineralischertickstoff pro Hektar und Jahr ausgebracht, heute sind esber 110 Kilogramm. Dies veranschaulicht die enormeroduktivitätssteigerung, die in der Landwirtschaft statt-efunden hat. Diese Produktionsdynamik führte zu einemachsenden Strukturwandel. Viele kleine Höfe ver-chwanden vom Markt.In den 70er-Jahren entwickelte sich zunehmend dieberschussproduktion in der europäischen Landwirt-chaft. Neben der Einlagerung von Überschussproduktenurden mithilfe von Exporterstattungen die Agrar-berschüsse auf dem Weltmarkt verkauft. Ausländischerodukte wurden durch Zölle vom europäischen Markterngehalten. Daneben wurden Überschussprodukte vomarkt genommen, oft vernichtet und mit Quotensystemen zum Beispiel Milchquoten – wurde versucht, die Produk-on zu verringern. Mit weiteren Marktentlastungspro-rammen, wie zum Beispiel Flächenstillegungsprogram-en, wurde ferner versucht, die Überschussproduktion vonndwirtschaftlichen Produkten einzudämmen.Die Kritik an den Fehlentwicklungen der EU-Agrar-olitik spitzte sich weiter zu. Die drastische Zuspitzunger Probleme führte in den 90er-Jahren zu einem Um-teuern in der EU-Agrarpolitik. „Der Status quo lässtich weder verteidigen noch aufrechterhalten. Und ob-ohl die Mittel für den Agrarsektor zwischen 1990 und991 um fast 30 Prozent aufgestockt wurden, müssen dieandwirte in allen Mitgliedstaaten weitere Einbußen hin-ehmen. Wir haben mit unserer Politik nicht zu verhin-ern gewusst, dass die Landwirte in Scharen ihre Tätig-eit aufgeben“, formulierte der damalige EU-KommissarcSharry. In der Konsequenz dieser Kritik wurden diegrarpolitischen Instrumente verändert. Es wurde einystem der „gekoppelten Preisausgleichzahlungen“ ein-eführt.Im weiteren Verlauf kam es zu einer erneuten Re-ormrunde mit dem Vorschlag zur Agenda 2000 durch denommissar Fischler. Dies war der Auftakt zu einem Re-ormmarathon, der eine wirkliche Neuausrichtung derAP zur Folge hatte. Zielsetzung waren eine stärkerearktorientierung der landwirtschaftlichen Produktionnd die Verstärkung der Wettbewerbsfähigkeit auf den in-ernationalen Märkten durch Annäherung an die Welt-arktpreise sowie eine stärkere Orientierung an unter-ehmerischer Initiative der Landwirtschaft. Dies waruch deshalb notwendig, weil die internationale Diskus-ion um die Rolle der Landwirtschaft bei den Verhandlun-en in der damaligen Uruguay-Runde zur Liberalisie-ung des internationalen Handels eine große Rollepielte. Die direkten Subventionen, die Exportsubventio-en und die Abschottung der europäischen Agrarmärkteegenüber Drittländern standen im Mittelpunkt der Kri-ik.Mit der Agrarreform von 2003 wurde ein umfassenderchritt in Richtung auf Entkopplung der Direktzahlungen
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von der Produktion gemacht. Damit wurde ein Großteilder handelsverzerrenden Subventionen beseitigt. Ein be-stimmter Teil der Direktzahlungen wurde für die Entwick-lung des ländlichen Raumes verwendet .Diese Darstellung der Entwicklung der GAP in der EUzeigt deutlich, dass die europäische Agrarpolitik aufeinem erfolgreichen Kurs der marktwirtschaftlichenNeuausrichtung ist. Die Einbindung der europäischenAgrarwirtschaft in den internationalen Handel ist weitfortgeschritten. Mit den Angeboten zur vollständigen Ab-schaffung der Exportsubventionen bis 2013 auf der WTO-Konferenz in Hongkong hat die EU deutlich gemacht,dass sie ihren Beitrag zu einem erfolgreichen Abschlussder laufenden Doha-Runde leisten will. Mit den Be-schlüssen zur Abschaffung der Milchquote bis 2015 ha-ben die EU-Agrarminister deutlich gemacht, dass sie inihrer Mehrheit den Weg der Marktorientierung weiterge-hen wollen.Der vorliegende Antrag der FDP bringt keinen einzi-gen neuen Gedanken. Dies gilt für alle Forderungen. Erbleibt völlig unkonkret in seinen allgemeinen Appellen.Die FDP scheut sich zum Beispiel, für die laufenden Ver-handlungen in der WTO konkrete Vorschläge für weitereZugeständnisse in der Agrarpolitik zu machen. Auf ak-tuelle Problemlagen und die vielfältigen Herausforde-rungen der Agrarpolitik angesichts des Klimawandels,bedrohter Biodiversität und der weltweit steigenden Be-völkerung geht der Antrag nicht ein. Der vorliegende An-trag der FDP ist nicht nur flüssig – er ist vollständigüberflüssig.
In mehr als den letzten 15 Jahren war die GemeinsameAgrarpolitik einem rasanten Wandel unterworfen. WTO-Handelsrunden, Reformen der GAP in den Jahren 1992,1999 und im Juni 2003 führten zu einemagrarpolitischen „Reformmarathon“. Mit der vorerstletzten GAP-Reform in 2003 war ein Paradigmenwechselverbunden, der zu einer stärkeren Orientierung an denPrinzipien der sozialen Marktwirtschaft und der Nach-haltigkeit führte. Die Europäische Union hat mit diesemagrarpolitischen „Reformmarathon“ im Bereich derGAP ihren Teil für einen erfolgreichen Abschluss der lau-fenden Welthandelsrunde geschaffen.Liberale Grundprinzipien für eine zukunftsweisendeeuropäische Landwirtschaft orientieren sich am Leitbilddes unternehmerischen, eigenverantwortlichen Land-wirts. Die Potenziale des kompletten Spektrums von mo-derner „Hightechlandwirtschaft“ bis zum ökologischenLandbau müssen genutzt werden. Unsere Landwirte ken-nen Standortfaktoren und Produktionstechnologien selbstam besten. Gesetzliche Regulierungen dürfen deshalbnicht die Land- und Forstwirtschaft belasten, sondernmüssen verhältnismäßig sein und sie im Wettbewerb stär-ken. Der moderne Landwirt muss in die Lage versetztwerden, die Chancen des Marktes zu nutzen, und darfnicht durch einen überbordenden Verwaltungsaufwanddaran gehindert werden. Nur dann werden sich effizientelandwirtschaftliche Produktionsverfahren, basierend aufeiner leistungsfähigen Agrarforschung, auf nationaleruwdSsagnmNDurulgRadIwbDvwFEzsbV1apdptldabLedickGmVswmdveZu Protokoll ge(C(Dnd internationaler Ebene durchsetzen und helfen, dieachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Nicht zuletztie am meisten von Hunger und Armut betroffenenchwellen- und Entwicklungsländer könnten von einemystematischen Wissenstransfer profitieren. Dazu sollteuch die verantwortbare Nutzung der Grünen Gentechnikehören, da sie Umweltbelastungen vermindert, die Er-ährungssicherung und die Qualität von Nahrungs-itteln verbessert sowie Pflanzen für die industrielleutzung als nachwachsender Rohstoff optimieren kann.eshalb ist das Ergebnis des Health-Checks auch doppeltnbefriedigend gewesen. Nicht nur hat die Bundesregie-ung ihr Versprechen gebrochen, an der Ersten Säulenverändert festzuhalten, und der Erhöhung der Modu-ation zugestimmt, sondern es kam auch nicht zu den an-ekündigten Erleichterungen bei den Cross-Compliance-egelungen.Trotz der aktuellen Wirtschaftskrise, die mittlerweileuch die Landwirtschaft erreicht hat, ist festzuhalten,ass ein Abschluss der WTO-Welthandelsrunde imnteresse sowohl der heimischen Land- und Ernährungs-irtschaft als auch der Entwicklungsländer ist. Die Le-ensmittelproduktion für den heimischen Verbrauch ineutschland und der EU bleibt dabei aber weiterhin dieorrangige Aufgabe der Landwirtschaft.Durch die weiter rasant wachsende Weltbevölkerungird mittel- und langfristig die Nachfrage nach Getreide,leisch und Milch sowie Milchprodukten steigen. Diesentwicklung wird durch eine steigende Flächennutzungur Erzeugung nachwachsender Rohstoffe wie zum Bei-piel zur Herstellung biogener Kraftstoffe verstärkt undeschleunigt. Schließlich resultiert aus den klimatischeneränderungen ein Verlust landwirtschaftlicher Fläche.Zudem werden bereits heute weltweit auf mehr als20 Millionen Hektar gentechnisch veränderte Pflanzenngebaut. Das ist mit umwelt-, agrar- und entwicklungs-olitischen Vorteilen verbunden, von denen insbesondereer Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschlandrofitieren kann. Deshalb ist der augenblickliche populis-ische Kurs der Landwirtschaftsministerin unverantwort-ich. Statt diffuse Ängste zu schüren, sollte die Regierungie Bevölkerung aufklären. Wir erwarten von einer ver-ntwortungsvoll handelnden Bundesregierung, dass sieerechtige Interessen der innovativen und erfolgreichenand- und Ernährungswirtschaftsbranche auf nationaler,uropäischer und internationaler Ebene mit dem notwen-igen Nachdruck vertritt, damit diese Zukunftsbranchehre vielfältigen Potenziale auch in Deutschland zur Si-herung und Schaffung von Arbeitsplätzen ausschöpfenann.Als FDP sind wir aber davon überzeugt, dass wir einenrundsockel in der Ersten Säule auch über 2013 erhaltenüssen. Auch künftig wird es einen Ausgleich für die imergleich zum Weltmaßstab höheren Belastungen durchtrengere Produktionsregeln geben müssen, wenn wirollen, dass die europäischen Landwirte sich am Welt-arkt durchsetzen und behaupten können. Eines aberarf es nach 2013 definitiv nicht mehr geben: Exportsub-entionen. Es ist nicht länger zu verantworten, dass durchuropäische Exportsubventionen Märkte in der Dritten
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24145
Manfred Zöllmergebene Reden
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Welt überschwemmt werden und die dortige Landwirt-schaft zerstört wird. Exportsubventionen sind ein Ana-chronismus und gehören schnellstmöglich abgeschafft.
Der Antrag der FDP ist längst überholt. Auch die Aus-gangslage ist heute völlig anders als zur Antragstellung.Im Jahr 2007 stiegen die Erzeugerpreise. Selbst für dieMilch wurden zwischendurch ungewohnt hohe 45 Centpro Liter gezahlt. Heute sind wir wieder weit davon ent-fernt. Die kurzzeitige Preisblase für landwirtschaftlicheErzeugnisse ist sehr schnell geplatzt. Der durchschnittli-che Erzeugerpreis für Milch hat sich seitdem halbiert.Damit wird auch eines sehr deutlich: Nicht die erhöhteNachfrage aus Asien bei knappem Weltmarktangebot hatzum Preisschub geführt. Es waren vor allem die Spekula-tionsgeschäfte an landwirtschaftlichen Rohstoffmärkten.Das Finanzkapital flüchtete aus dem unsicher geworde-nen amerikanischen Immobilienmarkt in die Agrarroh-stoff- und Bodenmärkte. Eine virtuelle Nachfrage wurdeerzeugt. Ernten wurden gehandelt, für die noch nicht malgesät war.Bei dieser zunächst eher nüchternen Situationsbe-schreibung dürfen wir eines nicht vergessen: Wir redenhier über den Einfluss von Spekulanten auf Nahrungs-mittelpreise. Das hat selbstverständlich eine völlig an-dere gesellschaftliche und humanitäre Dimension alsPreisschwankungen bei Industriegütern oder privatenDienstleistungen. Insofern braucht der Agrarmarkt einegesellschaftliche Kontrolle – noch nötiger als die Finanz-wirtschaft. Aber gerade dem deregulierten Agrarmarkt,der Ursache der beschriebenen Entwicklung ist, redet dieFDP mit ihrem Antrag weiter das Wort, obwohl er wederaus Landwirtschafts- noch aus Verbrauchersicht akzepta-bel ist. Die FDP fordert eine verstärkte marktwirtschaft-liche Ausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik – GAP –in Richtung Weltmarkt. Deutschlands und Europas Land-wirtschaft solle sich in erster Linie durch Agrarexporteentwickeln. Damit würden die gravierenden Einkommens-probleme im Agrarsektor gelöst, behaupten die Libera-len. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Orientierung amWeltmarkt führt in Deutschland zu sinkenden Erzeuger-preisen, bindet unnötig dringend benötigte Flächen undvergeudet natürliche Ressourcen.Für die Linke ist klar: Spekulationsgesteuerte Märktesind keine Basis für eine umweltgerechte, regional veran-kerte Landwirtschaft mit sozialer Stabilisierungsfunk-tion. Entfesselte Marktwirtschaft denkt ausschließlich be-triebswirtschaftlich, nicht volkswirtschaftlich. Sie löstkeine ökologischen oder sozialen Probleme im Interesseder Gesellschaft. Sie löst keine Ungerechtigkeiten in derglobalen Ernährungs- und Einkommensverteilung. In ei-ner nach den aktuellen Regeln der WTO globalisiertenAgrarpolitik spielen Recht auf Nahrung, regionale Er-nährungssicherung und Einkommensziele in ländlichenRäumen keine Rolle. Kurzfristiger Profit ist wichtiger alsökologische und soziale Standards. Das ist die Welt, diesich die Liberalen wünschen. Aber das ist mit der Linkennicht zu machen! Wir wollen eine Agrarwirtschaft, die ih-rer gesellschaftlichen Rolle gerecht wird: mit sozialerund ökologischer Verantwortung die regionale Ernäh-rglluttrvEpsumfaztvClBusuSFMfndssddsuwhglgsddsMrVsJKwZu Protokoll ge(C(Dungssouveränität und zunehmend auch Energieversor-ung abzusichern. Sie ist mehr als ein marktwirtschaft-ich auszurichtender Wirtschaftssektor. Sie ist in vielenändlichen Regionen eine tragende Säule des sozialennd wirtschaftlichen Lebens. Sie prägt Natur- und Kul-urlandschaften. In vielen Teilen der Welt ist sie die wich-igste Einkommensquelle für die Menschen. Sie ist Basisegionaler Wertschöpfungsketten.Die gemeinsame EU-Agrarpolitik – GAP – muss dieseielfältigen Funktionen der Agrarwirtschaft unterstützen.ine auf Nachhaltigkeit orientierte europäische Agrar-olitik muss zudem die Entwicklung einer Agrarwirt-chaft in Entwicklungs- und Schwellenländern fördernnd darf sie nicht zerstören. In den WTO-Verhandlungenüssen ökologische und soziale Aspekte endlich Einganginden. Den Antrag der FDP lehnen wir ab.Ulrike Höfken
Hauptaussage des Antrags der FDP ist die Forderungn die Bundesregierung, „einen definitiven Beschlussum Ausstieg aus der Milchmengenregulierung spätes-ens bis zum 31. Januar 2015 zu verabschieden“. Solchöllige Deregulierung ist nach Ansicht der FDP „diehance auf dem Weltmarkt“. Die Folgen der neolibera-en Freibriefe für die Märkte sind allerdings aktuell ameispiel der Finanzkrise schmerzhaft für Steuerzahlernd Betroffene zu spüren und haben zur schwersten Wirt-chaftskrise der letzten Jahrzehnte geführt.Der Deutsche Bauernverband, die Bundesregierungnd allen voran die Fraktionen der Koalition CDU, CSU,PD haben sich mit eindeutigen Beschlüssen ins gleicheahrwasser begeben und mit dem „Soft Landing“ dieilchmengenerhöhung lange Zeit mitgetragen. Die „er-olgreiche“ FDP-Politik gab den Landwirten nicht „Pla-ungssicherheit und Verlässlichkeit“, stattdessen stehenie Milchbauern deutschlandweit vor dem Aus. Die Aus-icht der Handelsketten auf intensives ungezügeltes Mas-enangebot und die wieder entstandenen Übermengenrücken die Preise für die Erzeuger auf 18 bis 25 Cent,eutlich unter die Gestehungskosten.Selbst wenn die Front der Neoliberalen jetzt ange-ichts der Proteste auch in den Bundesländern bröckeltnd Ministerin Aigner einen weiteren Eiertanz vollzieht,ird nicht endlich mit Mengenbegrenzung politisch ge-andelt, sondern es werden die Brüsseler Beschlüsse fürottgegeben erklärt. Doch das war noch nie so. Mit deretzten Agrarreform wurden tatsächlich endlich einigeute Gegenstrategien zu Fehlentwicklungen wie Über-chusserzeugung, Marktverzerrung, Lebensmittelskan-alen und ökologischen Folgeschäden entwickelt. Dochie Probleme im Milchmarkt haben die Luxemburger Be-chlüsse offen gelassen. Die getroffenen Beschlüsse zumilchmarkt beinhalten konkret: eine zeitliche Verlänge-ung der Milchquotenregelung bis 2015, eine zeitlicheerschiebung der bereits mit der Agenda 2000 beschlos-enen Quotenaufstockung von 3 mal 0,5 Prozent um einahr, das heißt einen Start erst in 2006; der Vorschlag derommission, die Milchquote in 2007/2008 zu erhöhen,urde nicht verabschiedet.
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24146 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009
Hans-Michael Goldmanngebene Reden
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Ulrike Höfken
Die Luxemburger Beschlüsse zur Milchquote wurdenumgesetzt in der Verordnung Nr. 1788/2003. Dasteht zur Milchquote: „Ab dem 1. April 2004 wird für elfaufeinander folgende Zeiträume von zwölf Monaten
begin-
nend mit dem 1. April auf die im jeweiligen Zwölfmonats-zeitraum vermarkteten Mengen von Kuhmilch oder ande-ren Milcherzeugnissen, die die in Anhang I festgesetzteneinzelstaatlichen Referenzmengen überschreiten, eineAbgabe erhoben …“Ich darf die damalige LandwirtschaftsministerinRenate Künast aus der Bundestagsrede zu den Luxembur-ger Beschlüssen zitieren: „Das Ergebnis der längerenBeratung an der Stelle war: Erstens. Die Quotenregelungwird bis 2015 verlängert. Sie alle wissen, dass noch imJanuar/Februar die Mehrheit des Agrarrates gegen dieseVerlängerung war. Herr Deß, wenn Sie merken, dass imJuni etwas herauskommt, wovon Sie im Januar nicht zuträumen wagten, könnten Sie ruhig ein freundliches Ge-sicht machen. Zweitens. Die von der Kommission vorge-schlagene Milchquotenerhöhung ab 2007/08, die denDruck auf den Markt noch mehr erhöht hätte, ist erst ein-mal vom Tisch. Drittens. Wir haben durchgesetzt – Sie ha-Klar ist jedenfalls: Steuerzahler-Gelder für Export-subventionen zulasten der Entwicklungsländer, Aus-gleichsfonds oder die immer wiederkehrenden Agrar-diesel-Forderungen können und dürfen die Weltmarkt-Illusionen der Bundesregierung, der FDP und des Bau-ernverbandes sowie die Interessen des Handels und derVerarbeiter nicht finanzieren.Die Reform der GAP muss für 2013 weiterentwickeltund den neuen Herausforderungen wie der Entwicklungder ländlichen Räume und Arbeitsplätze, dem Klima-schutz, der stärkeren Nachfrage nach gesunden Produk-ten und Biolebensmitteln, nach Bioenergie und der welt-weiten Nachfrage nach Lebensmitteln muss nachhaltigRechnung getragen werden. Immer mehr Masse, immermehr Chemie und Gentechnik, wie es die FDP will: Dasschafft nicht Wertschöpfung, sondern Wertvernichtungund Armut.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Er-
nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9800,
den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4185
ben sich noch nicht einmal getraut, das zu fordern –, dass
die bereits in der Agenda 2000 beschlossenen Regelun-
gen zur Milchquotenerhöhung erst einmal verschoben
werden.“ Es geht also doch, mit Durchsetzungskraft und
Realitätsnähe.
In den Luxemburger Beschlüssen steht nichts drin, wie
es nach diesen elf Zeiträumen von zwölf Monaten weiter-
gehen soll. Tatsache ist lediglich, dass die Kommission
als Einzige ein Vorschlagsrecht zur Änderung der Verord-
nung hat und sich bisher weigert, hier neue Vorschläge zu
machen. Da sollten die Europawahlen doch weiterhelfen
und den vernünftigen Vorschlägen einer Mengenregulie-
rung nach Angebot und Nachfrage zur Durchsetzung ver-
helfen, wie der Bund der Milchviehhalter sie in die Dis-
kussion bringt.
a
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B
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(D
bzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
ung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
eschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unions-
raktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und
er Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
er FDP-Fraktion angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
chluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf Mittwoch, den 13. Mai 2009, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen er-
olgreiche Tage.