Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Inter-fraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesord-nung zu erweitern:ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten WolfgangBörnsen , Dr. Norbert Lammert,Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSU,der Abgeordneten Dr. h. c. Wolfgang Thierse,Markus Meckel, Dr. Gerhard Botz, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der SPDsowie der Abgeordneten Cornelia Pieper, Hans-Joachim Otto , Christoph Waitz, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der FDPErrichtung eines Freiheits- und Einheits-Denkmals– Drucksache 16/6925 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und MedienZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.Lothar Bisky, Dr. Lukrezia Jochimsen, Petra Pau,Redeweiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEErrichtung eines Denkzeichens mit Dokumen-tationszentrum zur Erinnerung an die friedli-che Revolution 1989– Drucksache 16/6926 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und MedienZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten KatrinGöring-Eckardt, Grietje Bettin, Ekin Deligöz,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENDiskussionsprozess über ein FreEinheitsdenkmal unter breit angelligung der Öffentlichkeit initiieren– Drucksache 16/6927 –tzung 7. November 20073.00 UhrÜberweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und MedienDie Anträge sollen ohne Aussprache an den Aus-schuss für Kultur und Medien überwiesen werden. SindSie mit den Aufsetzungen und den Überweisungen ein-verstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist dasso beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettsitzung mitgeteilt: Nationale Strategie zur biolo-gischen Vielfalt.Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit, Sigmar Gabriel.Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich binmir angesichts der geringen Zahl anwesender Parlamen-tarier nicht ganz sicher, ob ich im Namen der Regierungeinen langen Bericht abgeben sollte. Ich möchte aber zu-mindest darauf verweisen, dass wir zum ersten Mal seittext1993 eine Strategie zur biologischen Vielfalt fürDeutschland vorgelegt haben. Die BundesrepublikDeutschland ist Unterzeichnerin der Konvention derVereinten Nationen zum Schutz der biologischen Vielfaltund wäre seit 1993 verpflichtet gewesen, eine solcheStrategie vorzulegen. Wir tun dies jetzt erstmals.Es ist wichtig, zu betonen, dass dies keine Strategiedes Bundesumweltministeriums ist, sondern eine der ge-samten Regierung. Das heißt, all die Maßnahmen, die indieser Strategie zum Erhalt der Artenvielfalt beschriebenwerden, verpflichten nicht nur das Bundesumweltminis-terium, sondern auch alle andere Fachressorts, also dieRegierung insgesamt. Das ist von Bedeutung, weil dieeine ist, das Messen dieser Strategie an derraktisches Verhalten aber das andere.ie geht davon aus, dass man anhand von Indi-iheits- undegter Betei-Strategie dasRealität und pDie Strategkatoren die Entwicklung der Artenvielfalt in Deutschland
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Bundesminister Sigmar Gabrielfeststellen kann, also messen kann, ob es in unseremLand hinsichtlich der Artenvielfalt Verschlechterungenoder Verbesserungen gibt. Wir wollen darüber mindes-tens alle vier Jahre im Kabinett beraten. Ich finde, dieRegierung sollte jährlich einen Bericht über die Umset-zung dieser Strategie vorlegen. Wir setzen uns hier selbsterstmalig unter Druck, Anforderungen erfüllen zu müs-sen. Das ist Sinn der Sache und auch notwendig; dennwir sind Gastgeber der 9. Vertragsstaatenkonferenz derKonvention über die biologische Vielfalt.Die Konvention zum Schutz der biologischen Vielfaltist keine Naturschutzkonvention. Mit ihr wird vielmehrversucht, die nachhaltige Nutzung der Natur mit demSchutz der Natur in Einklang zu bringen. Mit der Kon-vention zum Schutz der biologischen Vielfalt wird nichtversucht, die Notwendigkeit der Nutzung zu verschlei-ern. Im Gegenteil: Sie weist darauf hin, von welch un-glaublich großem Wert die Natur für die wirtschaftlicheEntwicklung in vielen Teilen der Erde ist, auch inDeutschland. Mit ihr wird versucht, diesen Wert für un-sere Kinder und Enkelkinder und deren Kinder und En-kelkinder zu sichern, damit die Grundlagen wirtschaftli-chen Handelns und gesunden Lebens auf der Erde nichtzerstört werden.Deutschland profitiert in hohem Maße von der Nut-zung der biologischen Vielfalt. Allein der jährlicheMarktwert der genetischen Ressourcen und der darausentstehenden Produkte wird weltweit auf 500 bis800 Milliarden US-Dollar geschätzt. Die pharmazeuti-sche Industrie ist einer der großen Nutznießer. Circa50 Prozent der heute in Deutschland gebräuchlichenArzneimittel basieren auf Heilpflanzen bzw. deren In-haltsstoffen. Etwa 70 bis 90 Prozent dieser getrocknetenpflanzlichen Stoffe werden immer noch wild gesammeltund häufig in einer Art und Weise, dass dabei die Pflan-zen insgesamt zerstört werden; das kann das Aussterbender Pflanzen zur Folge haben. Wer sich also für den Er-halt der Pflanzen einsetzt, sichert damit gleichzeitig dieRohstoffbasis für wichtige Bestandteile von Arzneimit-teln unserer pharmazeutischen Industrie. Weltweit be-trägt der Umsatz an Arzneimitteln pflanzlichen Ur-sprungs 20 Milliarden US-Dollar.Es ist ganz interessant, einmal in die Strategie hinein-zuschauen. Wir haben versucht, deutlich zu machen,welch riesigen wirtschaftlichen Vorteil wir durch den Er-halt von Arten haben. Mammutbäume haben uns zumBeispiel gelehrt, wie man bessere Flamm- und Brand-schutzmittel, bei dessen Gebrauch sich weniger Rauchentwickelt, erzeugen kann. Wir haben durch den Galapa-goshai gelernt, wie man aerodynamisch bessere undleichtere Flugzeuge bauen kann, sodass weniger Treib-stoff verbraucht und die Belastung der Atmosphäre redu-ziert wird. Die Lotusblume hat uns den Selbstreini-gungseffekt auf Oberflächen gelehrt. Wir reduzierendurch den Einsatz entsprechend ausgestatteter Farbenund Lacke den Verbrauch von Reinigungsmitteln undvermindern die Belastung von Abwässern.Wir erleben aber auch, dass häufig Späßchen über Ar-tenschutz gemacht werden. Ganze Wahlkämpfe werdenüber Fledermäuse geführt. Ich rate allen, die so etwasmachen, dazu, sich genau zu überlegen, was sie da tun.Ich wünsche niemandem, dass er einmal in die Lagekommt, Wirkstoffe von genau diesen Tieren zu benöti-gen, um selber überleben zu können. Es gibt Fleder-mäuse, deren Enzyme zur Produktion von Medikamen-ten gegen Schlaganfall wichtig sind. Ich rate dringend,sich zu überlegen, ob man nicht bei populistischen De-batten über Fledermäuse sein eigenes Leben aufs Spielsetzt. Stirbt diese Art aus, fehlen uns nämlich die En-zyme für Medikamente zur Bekämpfung von Schlagan-fall. Das gilt ebenso für die vom Aussterben bedrohtePazifische Eibe. Verschwindet diese, fehlen uns die ge-netischen Ressourcen zur Produktion von Medikamen-ten gegen Krebs. Deswegen rate ich auch angesichts ei-nes geneigten Publikums dazu, aufzupassen, dass mannicht des Stammtischs wegen Dinge öffentlich propa-giert, die einmal das eigene Leben kosten können.Selbstverständlich müssen wir angesichts wachsenderWeltbevölkerung und begrenzter fossiler Rohstoffe – Kup-fer ist zum Beispiel seltener als Erdöl – auch darauf ach-ten, dass die Datenbasis der Natur möglichst umfang-reich bleibt. Damit sorgen wir dafür, dass unsere Kinderund Enkel natürliche Rohstoffe für den Ersatz sehr be-grenzter fossiler Rohstoffe, die wir für die Industriepro-duktion brauchen, vorfinden. In Braunschweig beispiels-weise forscht das Deutsche Zentrum für Luft- undRaumfahrt, wie man im Flugzeugbau Stahl, Aluminiumoder Kunststoff durch pflanzliche Rohstoffe ersetzenkann. Das heißt, es kann eine ganze Menge erreicht wer-den, wenn wir keine Monokulturen erzeugen, sondernfür Nachhaltigkeit sorgen, indem wir die Überlebensfä-higkeit der Arten verbessern und deren Zerstörung nichtweiter so vorantreiben.Zurzeit ist die Aussterbensrate weltweit hundert- bistausendfach höher als die natürliche Aussterbensrate.Auch in unserem Land sind Arten bedroht. Wir habenaber auch Erfolge zu verzeichnen. Einer der großen Er-folge ist die Umsetzung der Natura-2000-Richtlinie derEuropäischen Union. Wir haben immerhin rund 14 Pro-zent der Landfläche als FFH-Gebiete oder Vogelschutz-gebiete unter Schutz gestellt, und über 40 Prozent unsererMeeresflächen sind maritime Schutzgebiete. Eine posi-tive Entwicklung ist auch, dass im Rhein beispielsweisefast alle Fischarten, die vor der Industrialisierung dort ge-funden wurden, heute wieder dort zu finden sind. Nurzwei Fischarten, die vor der Industrialisierung dort leb-ten, gibt es dort heute nicht mehr. Das sind große Erfolge.Insofern ist es fatal, wenn ausgerechnet Bundeslän-der, die davon profitieren, am kommenden Freitag imBundesrat diese FFH- und Vogelschutzrichtlinien unterder Überschrift „Überbürokratisierung“ sozusagen an-greifen wollen. Ich meine, dass diese Verfahren langedauern, liegt nicht an den Richtlinien, sondern daran,dass die Bundesländer zum Teil bis heute – sechs Jahrenach ihrer Verabschiedung! – die europäischen Richtli-nien nicht umgesetzt haben und der BundesrepublikDeutschland deshalb Zwangsgeldverfahren drohen. Gottsei dank ist das bei FFH ausgeschlossen worden.Es ist auch völliger Unsinn, zu behaupten, diese Na-turschutzrichtlinien würden wirtschaftliche Entwick-
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Bundesminister Sigmar Gabriellung nicht zulassen. Ich will ein dramatisches Beispielnennen: Das Mühlenberger Loch im Verlauf der Elbe beiHamburg, das zugeschüttet wurde, damit ein Flugzeugwie der A380 landen kann, lag mitten in einem FFH-Ge-biet. Natürlich werden auch die Schiffe der Meyer Werftweiterhin über die Ems das Meer erreichen können. Alldas ist im FFH-Gebiet möglich.Wenn man Eingriffe in die Natur vornimmt, mussman die Schäden, die der Eingriff verursacht hat, aus-gleichen oder, noch besser, überkompensieren. DieseMühe muss man sich allerdings machen. Wenn man siesich nicht macht, liegt der Schluss nahe, dass alle Lip-penbekenntnisse zum Heimatschutz, zum Natur- undUmweltschutz, zum Erhalt der Schöpfung Gottes undzur Verantwortung vor den eigenen Kindern und Enkel-kindern nichts anderes als Sonntagsreden sind.Wir glauben, dass wir mit dieser Strategie ein sehrambitioniertes Programm vorgelegt haben. Es ist denMitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Umweltministeri-ums und aller anderen Ressorts, aber auch den Verant-wortlichen der Länder und der Kommunen sowie denAktivisten bei den Umweltverbänden zu verdanken, diein einem sehr langen Prozess daran mitgearbeitet haben.Ich will ausdrücklich dafür danken. Ich freue mich, dasserste Bundesländer, wie beispielsweise Bayern, ange-kündigt haben, diese nationale Strategie in eine landes-weite umzusetzen und im Rahmen ihrer eigenen Zustän-digkeiten daran zu arbeiten. Das zeigt, dass es durchausLänder gibt, die diese Aufgabe offensiv angehen. Dafürsollten wir werben.Vielen Dank dafür, dass Sie mir Gelegenheit gegebenhaben, Ihnen das hier heute vorzustellen.
Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Kurth, Sie haben
die erste Frage.
Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Bundesum-
weltminister, erst einmal vielen Dank für die Darstel-
lung. Ich glaube, alle, die sich mit dem Thema ernsthaft
befassen, bedauern, dass bei diesem wichtigen Thema
nicht mehr Abgeordnete im Plenum sind.
– Wir sind auch nicht gerade ein wunderbares Vorbild.
Deshalb beziehe ich uns alle ein. Ich finde nicht, dass
man sich selber da herausreden sollte.
Aber ich will Sie etwas fragen. Sie haben eben das
doch sehr bedenkliche Vorgehen Hessens im Rahmen
der Bundesratsinitiative angesprochen und dabei betont,
dass die Biodiversitätsstrategie natürlich nur dann er-
folgreich sein kann, wenn alle Ebenen gemeinsam daran
arbeiten. Meine Frage lautet: Wie schätzen Sie die Mög-
lichkeiten der Zusammenarbeit und eines gemeinsamen
Erfolges angesichts der vorliegenden Bundesratsinitia-
tive für die Zukunft ein?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:
Zunächst hoffe ich, dass die Initiative keine Mehrheit
bekommt. Ansonsten kommt es darauf an, dass die Öf-
fentlichkeit diesem Thema mehr Aufmerksamkeit
schenkt, als das hier im Plenum der Fall ist.
Herr Heilmann, bitte.
Herr Minister, ich danke Ihnen für Ihre Ausführun-
gen. Ich finde es richtig, dass wir in Deutschland jetzt
endlich eine Strategie für Biodiversität haben, obwohl
sie nach meiner Einschätzung zu unverbindlich ist. Sie
sagen immer: „Wir streben an.“ Ich hätte es besser ge-
funden, wenn da auch einmal deutlich dringestanden
hätte: „Wir verpflichten uns.“ Das wäre etwas kräftiger.
Nun zu meiner Frage. Wir haben in der letzten Sit-
zungswoche die kleine Novelle zum Bundesnaturschutz-
gesetz verabschiedet. Sie haben ja ausgeführt, wie wich-
tig die kleine Fledermaus oder der Hai oder was auch
immer ist. Sind Sie der Auffassung, dass diese kleine
Novelle – ich möchte an Ihren Fraktionskollegen Herrn
Becker erinnern – der Strategie gerecht wird, da ja be-
kanntermaßen nach FFH-Richtlinie geschützte Arten ei-
nem stärkerem Regime unterstellt werden als nur natio-
nal geschützte Arten?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:
Zunächst zu Ihrer Vorbemerkung. Die Strategie ent-
hält, glaube ich, 430 Maßnahmen und 330 Ziele. Sie
werden weltweit nichts Konkreteres finden. Bei den
430 Maßnahmen steht nicht, was wir uns wünschen oder
was wir wollen, sondern da steht, was wir tun. Da Sie für
eine der Oppositionsfraktionen sprechen, kann ich mir
Ihre Ausführungen erklären. Ein Blick über die Grenzen
wird Ihnen aber zeigen, dass es außerhalb Deutschlands
kein Land gibt, das sich so stark verpflichtet und sich
selbst so unter Druck setzt wie wir. Sicherlich werden
Sie uns in acht Jahren als Oppositionsabgeordneter fra-
gen: Was hat die Regierung eigentlich zwei Legislatur-
perioden lang zur Umsetzung dieser Ziele getan?
Nun zu Ihrer Frage: Ich glaube, dass die kleine Natur-
schutznovelle keinerlei Probleme bei der Sicherung von
FFH-Gebieten mit sich bringen wird, weil FFH-Gebiete
und deren Schutz europäischem Recht unterliegen. Was
immer auch an öffentlichen Interpretationen da ist: Das
ist geltendes europäisches Recht. Natürlich gilt das auch
im deutschen Naturschutzrecht.
Frau Kollegin Behm.
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Herr Minister, ich schließe mich den lobenden Wortender Vorredner an. Ich finde es sehr positiv, dass Sie ge-sagt haben, Sie wollen jährlich einen Bericht vorlegen.Das will ich ausdrücklich erwähnen; denn wir sind ge-rade heute Vormittag im Agrarausschuss mit der Tatsa-che konfrontiert worden, dass Berichte im Agrarbereich– zum Beispiel der Waldzustandsbericht – nur noch allevier Jahre vorgelegt werden sollen. Sie haben ja ganzdeutlich gesagt: Indem wir diese Berichte erstellen, trei-ben wir uns selbst. – Das finde ich sehr gut.Sie haben darauf hingewiesen, dass diese Strategiedie Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung ist. Weilich aus dem Agrarbereich komme, fällt mir allerdingsauf, dass sich das Ressortdenken darin sehr breit macht.Im Vergleich zum Entwurf sind insbesondere auf Druckder Landwirtschaft viele Aspekte, die sie betreffen, he-rausgefallen, sei es die Reduzierung der Anwendung vonPflanzenschutzmitteln um 15 Prozent, sei es die Redu-zierung des Nitratüberschusses auf 50 Kilogramm proHektar bis 2015, oder sei es das ambitionierte Ziel, denAnteil des Ökolandbaus bis 2010 auf 20 Prozent zu er-höhen. Außerdem findet man in der Biodiversitätsstrate-gie kein klares Bekenntnis, dass die Bundesregierungden Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen ablehnt.Ich bewerte es sehr kritisch, dass all das in dieser Strate-gie nicht mehr enthalten ist.Meine Fragen: Wie schätzen Sie die Gefahr des Aus-kreuzens und Verwilderns sowie das Potenzial der Eta-blierung und Ausbreitung von gentechnisch verändertenPflanzen im Hinblick auf die biologische Vielfalt ein?Wie bewerten Sie persönlich die aktuelle Entwicklungim Bereich von Gentechnik und ökologischer Landwirt-schaft, vor allen Dingen in Bezug auf die Freisetzungs-experimente? Es wäre hilfreich, wenn Sie mir auf dieseFragen klare Antworten geben könnten.Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit:Klare Antworten finden Sie in unserer Strategie. Dortheißt es im Hinblick auf gentechnisch veränderte Orga-nismen, dass bei der Forschung, der Entwicklung undbei ihrem Einsatz eine Schädigung der Natur durchGVO-Auskreuzungen ausgeschlossen werden muss.Hierzu haben Sie und die Bundesregierung allerdingsprinzipiell unterschiedliche Auffassungen. Sie sagen ge-nerell: Finger weg von gentechnisch veränderten Orga-nismen. – Wir sagen: Unter bestimmten Bedingungenhalten wir ihren Einsatz für zulässig. – Diese Bewertungfindet man natürlich auch in unserer Strategie, durch diedie prinzipielle Haltung der Bundesregierung zu diesemThema nicht verändert wird.Ich möchte das verdeutlichen: Wenn BASF eine gen-technisch veränderte Kartoffel entwickelt und sie aus-schließlich in geschlossenen Kreisläufen der chemischenIndustrie zur Produktion von Stärke einsetzt, dadurch80 Prozent Wasser spart und gleichzeitig deutlich mehrStärke produziert, dann haben wir kein Problem mit derZulassung dieser Kartoffel. Wenn diese Kartoffel aber inFuttermittel gelangen sollte und vielleicht noch über ei-nen Genmarker verfügt, der Antibiotikaresistenzen her-vorruft, dann sind wir selbstverständlich dagegen, dieseKartoffel zuzulassen. Das ist ein Beispiel dafür, wie wirmit dem Thema Gentechnik umgehen wollen. Das ist einanderer Umgang, als ihn sich die prinzipiellen Gegnerder Gentechnik wünschen.Vor dem Hintergrund der dramatischen Probleme,auch auf dem Energiesektor – Stichwort: Rohstoffe –,glauben wir aber, dass die entsprechende Forschung zu-lässig sein muss, allerdings unter bestimmten Bedingun-gen. Auch diese Bewertung findet sich in unserer Strate-gie wieder. Würden wir in diese Strategie etwas anderesschreiben als das, was die Regierung insgesamt geplanthat, wäre das ein Widerspruch.Zum Thema Pflanzenschutz. In der nationalen Nach-haltigkeitsstrategie, die unter Rot-Grün, also unter IhrerBeteiligung – damals haben Sie übrigens die Landwirt-schaftsministerin gestellt –, verabredet wurde, hieß es:Ziel ist es, den Stickstoffüberschuss in der Gesamtbilanzauf 80 Kilogramm pro Hektar landwirtschaftlicher Flä-che zu verringern. – Dafür gab es damals großenApplaus. Diese Position haben wir in unsere Strategieübernommen. In ihr steht allerdings auch, dass wir eineweitere Reduzierung erreichen wollen. Zunächst einmalhaben wir aber die Positionierung der nationalen Nach-haltigkeitsstrategie übernommen, die, soweit ich weiß,unter Ihrer Beteiligung entwickelt wurde. Von daherglaube ich, dass sich der Landwirtschaftsminister an die-ser Stelle ein sehr ambitioniertes Ziel gesetzt hat.Ich möchte ein zweites Beispiel anführen. Der Kol-lege Seehofer hat zugestimmt, das aus Zeiten der rot-grünen Regierung stammende Ziel, den Anteil des Öko-landbaus bis 2010 auf 20 Prozent zu erhöhen, in die Stra-tegie aufzunehmen. Ich glaube, dieses Ziel wurde imJahre 2000 formuliert. Unter unserer Vorgängerregie-rung wurde dieser Bereich allerdings nicht gerade zügigweiterentwickelt. Zu dem Zeitpunkt, als Sie dieses Zielformuliert haben, hatten Sie noch zehn Jahre Zeit, um eszu erreichen. Kollege Seehofer hat zugestimmt, diesesZiel in unsere Strategie aufzunehmen, obwohl er dafürjetzt nur noch knapp drei Jahre Zeit hat.Ich möchte auf eines hinweisen: Die Kolleginnen undKollegen, die an der Erarbeitung dieser Strategie mitge-wirkt haben, haben sich nach meinem Eindruck auf-grund der ambitionierten Ziele nicht weggeduckt. Jetztwird es aber auf uns ankommen: auf das Parlament, aufdie Regierung, auf die Länder, auf die Kommunen undauf die Zivilgesellschaft. Wir müssen bei den Entschei-dungen, die wir treffen, darauf achten, dass die Ziele derStrategie eingehalten werden, beispielsweise beimThema Hochwasserschutz: Der Deichrückbau muss fort-gesetzt werden, da wir mehr Retentionsflächen brau-chen. Es ist doch Wahnsinn, wenn ein deutscher Um-weltminister zuerst mit der Kreissäge – oder was auchimmer er in der Hand hielt – Auenwälder absägt undsich hinterher über Hochwasserschäden beklagt.
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Bundesminister Sigmar GabrielIch weiß nicht, was da der Hintergrund war. Aber esmuss ein paar Verirrungen gegeben haben; denn natür-lich ist das das Gegenteil dessen, was man tun darf.Ich glaube, dass die eigentliche Aufgabe darin be-steht, das, was hier steht, zur Leitlinie unserer Entschei-dungen in der Praxis zu machen. Ich nehme an, dass dasdie wesentlich schwierigere Aufgabe werden wird.
Frau Enkelmann, bitte.
Herr Minister, Sie haben das Thema Ökolandbau ge-
nannt. Da kann ich gleich anschließen. Sie haben die
Verantwortung auf den Kollegen Seehofer abgeschoben.
Im Entwurf für die Nachhaltigkeitsstrategie stand noch,
das Ziel sei, 20 Prozent Ökolandbau zu erreichen. Wie
ist es zu bewerten, wenn dieses Ziel jetzt aus Ihrer Nach-
haltigkeitsstrategie gestrichen ist? Bedeutet das einen
Ausstieg? Bedeutet das eine Verschiebung?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:
Ich suche gerade die Stelle, an der es um die
20 Prozent geht; sie stehen natürlich weiter drin. – Viel-
leicht kann mir das jemand geben; dann lese ich Ihnen
das gerne vor. – Aha, hier:
Beibehaltung einer angemessenen Förderung des
ökologischen Landbaus. In der Nachhaltigkeitsstra-
tegie der Bundesregierung wird für den ökologi-
schen Landbau ein 20 %-Ziel bis 2010 angestrebt.
Erstens. Ich habe nichts abgeschoben. Zweitens. Sie
haben das nicht gelesen. Drittens. Der Umweltverband,
der Ihnen das aufgeschrieben hat, hat es auch nicht gele-
sen. Wollen wir uns darauf einigen? So ist das Leben.
Frau Kollegin Kurth.
Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Herr Minister, noch eine Frage zum Leben. Sie haben
gesagt, dass man soziale, wirtschaftliche und ökologi-
sche Interessen zusammenführen muss; das geht alles
unter der großen Überschrift „gerechter Vorteilsaus-
gleich“. Wir wissen, dass lokale Gruppen und indigene
Völker davon besonders betroffen sind. Da ist es ja
manchmal schwer, konkret zu werden. Was hat Ihr Haus,
was haben Sie vor/während/mit der COP 9 vor, um das
so verbindlich wie möglich umzusetzen, und in welcher
Form wollen Sie die nationalen und die internationalen
Unternehmen einbinden? Das ist ja eines der ganz gro-
ßen und sehr diffizilen Themen.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:
Sie haben völlig recht. Eines der großen Themen der
nächsten Vertragsstaatenkonferenz ist das, was in der
UN unter dem Begriff „Access and Benefit Sharing“
läuft. Für diejenigen, die damit anders als Sie, die Sie
sich exzellent auskennen, nicht jeden Tag zu tun haben:
Wir gewinnen zum Beispiel aus den Regenwäldern der
Entwicklungsländer genetische Ressourcen und machen
daraus, wie ich vorhin beschrieben habe, Medikamente.
Die Entwicklungsländer haben aber nichts von dem Pro-
fit, der durch diese Medikamente entsteht. Wir sagen Ih-
nen gewissermaßen: Schütze bitte deine Regenwälder!
Verzichte auf den wirtschaftlichen Nutzen der Bewirt-
schaftung der Flächen der Regenwälder! Sieh zu, dass
deine Bauern ihr Lohn und Brot anders verdienen! Aber
lass die Regenwälder Regenwälder sein und lass uns die
genetischen Ressourcen nutzen, denn wir brauchen sie
für unsere Industrieproduktion! – Doch wenn die Ent-
wicklungsländer das machen – Brasilien hat 50 Prozent
des Regenwaldes aus der Nutzung genommen – und mit
uns darüber reden möchten, wo das, was daran verdient
wird, bleibt, antworten wir ihnen: Tut uns leid; das ist
privatwirtschaftlich geregelt. – Ich glaube, dass das so
nicht weitergehen kann. Deutschland ist übrigens das
einzige Land, das seine Verpflichtung aus der Initiative
des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, gemäß der
Brasilien 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt
werden sollten, wenn es den Regenwald aus der Nutzung
nimmt, eingehalten hat. Die 200 Millionen, zu denen wir
uns verpflichtet haben, sind geflossen. Kein anderer hat
das gemacht.
Wir müssen im Mai in Bonn eine internationale Ver-
einbarung erreichen, in der Folgendes klar geregelt wird:
Erstens. Wie sieht ein gerechter Vorteilsausgleich aus?
Das ist komplizierte Rechtsmaterie, und dabei geht es
letztlich um Geld. Zweitens. Wie bekommen wir den
Zugang zu den genetischen Ressourcen? Brasilien hat ja
inzwischen die Konsequenz gezogen und den Export
von genetischen Ressourcen verboten. Das ist eine der
Folgen davon. Wie die technischen Verhandlungen aus-
sehen, kann ich Ihnen aus dem Stegreif nicht sagen; wir
arbeiten gerade im Rahmen der Europäischen Union da-
ran. Übrigens hat auch die Europäische Union lange ge-
zögert, diesen Schritt zu gehen, und auch Deutschland ist
nicht immer an der Spitze der Bewegung gewesen. Jetzt
stehen wir in Europa unter anderem deshalb unter
Druck, weil es auch eine Verbindung zu den Klimaver-
handlungen gibt und weil wir selber Gastgeber sind. Die
Europäische Union hat nun also Position bezogen. Wenn
Sie das im Detail interessiert, wäre ich dankbar, wenn
Sie damit einverstanden wären, dass wir Ihnen die Ver-
handlungstexte, die wir dafür vorbereitet haben, zusen-
den. Das tun wir gerne.
Herr Kollege Göppel.
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Eine Vorbemerkung zu dieser nationalen Strategie,
Herr Minister: Ich denke, die Tiefenschärfe und die Kon-
kretheit der Forderungen an uns selbst, an uns Deutsche,
sind international vorbildlich.
Ich möchte jetzt aber zu meiner Frage kommen. Eine
der Forderungen an uns selbst ist, im eigenen Land den
Naturschutz auf freiwilligem Wege voranzubringen. Das
Stichwort Vertragsnaturschutz steht dabei im Vorder-
grund. Nun ist es aber so: In allen 16 deutschen Bundes-
ländern zusammen werden bisher 140 Millionen Euro
pro Jahr für den Vertragsnaturschutz ausgegeben. Nach
Untersuchung der landwirtschaftlichen und naturschutz-
bezogenen wissenschaftlichen Institute bräuchten wir
aber mindestens 600 Millionen Euro pro Jahr. Ich spre-
che das deshalb noch einmal an, weil die Glaubwürdig-
keit der Strategie für den Naturschutz im eigenen Land
sehr eng mit dieser Tatsache zusammenhängt.
Unser Ziel – das ist auch das, was Sie in der Strategie
niedergelegt haben – ist ja, dass wir im durchtechnisier-
ten zivilsatorischen Lebensgefüge der Menschen die Le-
benswelt unserer Mitgeschöpfe, der Pflanzen und Tiere,
erhalten und dabei auch ihren Austausch ermöglichen,
sodass quasi zwei Lebenswelten im gleichen Raum mit-
einander bestehen können. Dafür sind eben diese Natur-
schutzmittel notwendig.
Ich bitte Sie um eine Aussage dazu, welche Strategie
die Bundesregierung hierfür vorsieht.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:
In der Tat sind die Mittel für den Vertragsnaturschutz
verdammt knapp geworden, unter anderem dadurch,
dass die zweite Säule der europäischen Agrarförderung
bei der Entscheidung über die europäische Finanzpolitik
ziemlich zurechtgestutzt worden ist. Ich habe das aus
zweierlei Gründen bedauert:
Der erste Grund ist, weil dies insbesondere den bäuer-
lichen Landwirten, den kleinen Betrieben und den natur-
nah arbeitenden Betrieben schadet. Hier haben sich Teile
der Agrarlobby durchgesetzt, die ausgerechnet auch
noch aus Ländern kommt, die am stärksten negativ da-
von betroffen sind, weil sie eine sehr kleinteilig struktu-
rierte Wirtschaft ohne große Veredelungsbetriebe und
anderes haben.
Der zweite Grund ist, dass dadurch in der Tat Mittel
für den Vertragsnaturschutz fehlen. Hier ist es zu einem
ziemlichen Mitteleinbruch gekommen. Wir hätten es gut
gefunden, wenn jetzt von der fakultativen Modulation
Gebrauch gemacht worden wäre. Innerhalb der Bundes-
regierung und auch in der Debatte mit den Agrarverbän-
den haben wir uns nicht durchsetzen können.
Ich glaube, 2008 wird es zur Revision der europäi-
schen Agrarförderung kommen. Wir gehen davon aus,
dass die Kommission einen Vorschlag machen wird. Ich
weiß nicht, ob er für die Mitgliedstaaten besser ist. Hin-
sichtlich der Flexibilität der Mittel könnte es schwieriger
werden. Hinsichtlich der Höhe vermute ist, dass die
Kommission vorschlagen wird, stärker die obligatori-
sche Modulation einzuführen, was dazu führen wird,
dass diejenigen, die das dann nicht für den Vertragsna-
turschutz nutzen, Geld verlieren.
Das wird uns sicherlich noch einmal in Zugzwang
setzen. Ich glaube aber, dass an dieser Stelle der ent-
scheidende Hebel zur Erhöhung der Mittel für den Ver-
tragsnaturschutz liegt. Übrigens: Auf der vorhin schon
zitierten Seite 72 der Nationalen Strategie zur biologi-
schen Vielfalt steht auch, dass wir einen kontinuierlichen
Ausbau der Mittel für den Vertragsnaturschutz anstre-
ben. Entweder geht das über die zweite Säule, oder die
Bundesregierung wird darüber beraten müssen, wie sie
dafür Mittel an anderer Stelle zur Verfügung stellt. Die
Länder werden das auch tun müssen.
Aber der eigentliche Kernpunkt ist die Debatte über
die erste und zweite Säule, über fakultative und obligato-
rische Modulation.
Frau Kollegin Brunkhorst, bitte.
Herr Minister, Sie haben verschiedentlich darauf hin-gewiesen, dass Klimawandel und Artenvielfalt an dereinen oder anderen Stelle durchaus in Beziehung stehen.In Deutschland haben wir teilweise Strategien, zum Bei-spiel die Biomassestrategie für die Nutzung von Ener-giepflanzen zur Herstellung von Strom und von Bio-kraftstoffen, wo es jetzt schon Engpässe gibt, wie icheinmal ganz vornehm sagen möchte. Jedenfalls gibt esdort zunehmend Probleme. Der tropische Regenwald istein riesiges Ökosystem, und wir müssen uns Gedankendarüber machen, dass wir mit Konzeptionen, die hier inEuropa zunächst vielversprechend sind, letztendlichnicht anderswo negative Auswirkungen verursachen. Zudiesem Punkt bitte ich um eine kurze Stellungnahme.Eine zweite Frage. Wir wissen noch relativ wenigüber die Artenvielfalt; hier handelt es sich um ein riesi-ges Forschungsgebiet. Meine Fraktion hat sich die Mühegemacht, Institute zu besuchen und zu befragen. DieBiodiversität ist ebenso wie Botanik oder Molekularbio-logie nur Teilmenge anderer Forschungsgebiete. Was isteigentlich im Bereich der Forschung geplant? Wird manda bündeln und unter Umständen wirklich einen eigenenForschungsschwerpunkt etablieren? Wie wird die Ver-netzung erfolgen können?Zum Schluss noch zur Forschung an sich: Es gibt rie-sige Archive mit Materialien wie getrockneten Pflanzen-teilen – so etwa Samenbanken –, die zum Teil noch nichteinmal ordnungsgemäß katalogisiert sind. Hier gibt eseinen sehr großen personellen Bedarf und einen Bedarfan Finanzmitteln. Wird man dem in Zukunft gerechtwerden wollen, oder ist dies nicht im Fokus?Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit:Zuerst zum letzten Teil Ihrer Frage: Sie finden aufden Seiten 136 bis 139 die Maßnahmen zur Umsetzungdes Handlungsziels für EU/Bund, was das Thema For-
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Bundesminister Sigmar Gabrielschung angeht. Dort sind die Stärkung der Biodiversi-tätsforschung im Rahmen des 7. Rahmenprogramms derEuropäischen Gemeinschaft für Forschung, technologi-sche Entwicklung und Demonstration sowie eine Reiheweiterer Maßnahmenprogramme im Bereich der For-schung, die wir verstärken wollen, aufgeführt.Wir haben allerdings auch noch etwas anderes vor.Die Klimadebatte hat auch dadurch an Dynamik gewon-nen, dass Nicholas Stern seinen Bericht über die Kostendes Klimaschutzes und die Kosten des Verzichts auf Kli-maschutz vorgelegt hatte. Während der G-8-Umweltmi-nisterkonferenz haben wir, und auf unseren Vorschlaghin hinterher auch die Staats- und Regierungschefs derG 8, in Heiligendamm beschlossen, dass wir in einem„Stern-Review“ den Wert des Naturhaushaltes und dieKosten aufgrund drohender Gefahren und Verluste dar-stellen.Damit werden wir im Bereich der maritimen Bio-diversität beginnen – dies ist schwieriger als beim Kli-mawandel; man muss sich einzelne Segmente nachei-nander anschauen –, weil hier die Gefährdung derzeit amdeutlichsten ist. Machen wir beim weltweiten Fischfangso weiter wie bisher, wird es im Jahre 2050 auf der gan-zen Welt keinen kommerziellen Fischfang mehr geben.Was dies für die Welternährungssituation bei einer wach-senden Weltbevölkerung bedeutet, kann man sich un-schwer vorstellen. In diesem Bereich wollen wir die For-schung ausbauen. Ansonsten läuft dies im Rahmen derkonkreten Programme, die ab Seite 136 der Strategieaufgezählt sind.Hätte die FDP-Fraktion an dieser Stelle Hinweise,Initiativen und Ideen, was man aus ihrer Sicht mehr ma-chen muss, wären wir natürlich hochgradig daran inter-essiert, mit Ihnen darüber zu reden. Ohne es genauer an-gesehen zu haben, kann ich mir vorstellen, dass dieVielfalt von Biodiversität auch zu einer Vielfalt von For-schungssegmenten führt und es Sinn macht, dafür einegemeinsame Plattform zu finden. Wir behaupten ja nichtvon uns, wir hätten alles bis ins letzte Detail bedacht.Vielleicht könnten Sie uns auch Ihre Erfahrungen ausden von Ihnen angesprochenen Besuchen übermitteln.Der erste Teil Ihrer Frage betrifft in der Tat eines dergrößten Probleme, die wir weltweit haben. Es nützt rela-tiv wenig, bei uns Biokraftstoffe herzustellen, die weni-ger CO2 emittieren, wenn gleichzeitig die Regenwälderabgeholzt oder die Moore abgefackelt werden wie in In-donesien. Deswegen ist der Ausschluss von Biomasse,die nicht aus nachhaltigem Anbau stammt, Bestandteilall dessen, was wir im Dezember im Kabinett zu den er-neuerbaren Energien, zu den Biokraftstoffen und zur er-neuerbaren Wärme verabschieden wollen. Dafür wollenwir Zertifizierungssysteme anwenden. Dies ist auch aufeuropäischer Ebene vorgesehen; in der EuropäischenUnion werden im Herbst entsprechende Vorschläge vor-gelegt. Es gibt eine Reihe von Ländern – darunter übri-gens auch Brasilien –, die bereit sind, mit uns entspre-chende vertragliche Vereinbarungen zu schließen.Man darf aber, meine ich, nicht alles ablehnen. Wennnachgewiesen werden kann, dass die Produkte nicht ausMonokulturen, sondern aus nachhaltigem Anbau stam-men und nicht zulasten des Regenwaldes erzeugt wur-den, dann muss man auch bereit sein, sie anzunehmen.Sonst kommt es wieder zu einer Schieflage, sodass dieEntwicklungsländer uns vorhalten, dass wir von ihnenden Erhalt des Regenwaldes fordern, ohne unsererseitsbereit zu sein, ihre Produkte zu fairen Vertragsbedingun-gen abzunehmen. Ich glaube, dass wir das über dennachhaltigen Anbau und über Zertifizierungssysteme si-cherstellen können.Im Übrigen finde ich, dass das längst in die Vereinba-rungen der Welthandelsorganisation gehört hätte. Dortgibt es zwar den größten Widerstand, aber ich stimmeder Bundeskanzlerin zu, dass es nicht angeht, die Nach-haltigkeit im Welthandel nicht zum Gegenstand der Be-ratungen zu machen. Es geht nicht darum, uns lästigeKonkurrenten vom Leib zu halten, sondern darum, auchnoch den nachfolgenden Generationen den Welthandelzu ermöglichen.Wir werden das im Zusammenhang mit dem Einsatzerneuerbarer Energien und nachwachsender Rohstoffezur Bedingung machen. Das wird auch auf europäischerEbene der Fall sein.
Herr Kollege Kauch.
Herr Minister, zunächst einmal herzlichen Dank da-für, dass Sie in Ihren Ausführungen auch auf den wirt-schaftlichen Wert von Naturschutz eingegangen sind unddie Nutzung der Natur in den Mittelpunkt gestellt haben.Wir haben heute im Umweltausschuss von Kollegen derGroßen Koalition Gegenteiliges hören müssen, als es umeinen Antrag der FDP-Fraktion zu den Grundsätzen desNaturschutzes ging.
Aber das nur am Rande. Meine Frage zielt auf dasVerhältnis der heute von Ihnen vorgestellten Strategiezur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Sie haben mess-bare Indikatoren angesprochen. Diese gibt es auch in dernationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Der Parlamentari-sche Beirat für nachhaltige Entwicklung hat in der letz-ten Wahlperiode bereits darauf hingewiesen, dass insbe-sondere einige Indikatoren, die das Thema biologischeVielfalt betreffen, überarbeitungsbedürftig sind. Bei-spielsweise wird der Flächenverbrauch in der nationalenNachhaltigkeitsstrategie gegenwärtig rein quantitativ inder Gesamtsumme gemessen; dabei kommt es für dieLebensräume der Arten eher auf die regionale Verteilungund darauf an, ob es zu Zerschneidungen von Biotopenkommt.Deshalb lautet meine Frage, ob vor dem Hintergrundder Biodiversitätsstrategie geplant ist, die Indikatorender nationalen Nachhaltigkeitsstrategie zu überarbeiten.Die Bundesregierung will Ende des Monats ein erstesPapier dazu vorlegen. Wird es schon bei dieser Gelegen-
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Michael Kauchheit oder erst bei der späteren Überarbeitung zu Verände-rungen kommen?Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit:Wir haben die Ziele aus der Nachhaltigkeitsstrategieübernommen. Zusätzlich haben wir Indikatoren einge-führt und ein eigenes Kapitel zur Verhinderung von Zer-schneidung bestehender geschlossener Landschaftsge-biete aufgenommen. Dazu gehört auch die Verpflichtung,dass bei Gebieten, die – nach meinem derzeitigen Kennt-nisstand – größer als 100 Quadratkilometer sind, keiner-lei Zersiedlung oder Zerschneidung durch Verkehrspro-jekte erfolgen darf. Insofern ist diesem Thema eineigenes Kapitel gewidmet.Des Weiteren wird auf die Ziele der Nachhaltigkeits-strategie verwiesen, die übernommen werden sollen, undes gibt eine Reihe von Indikatoren, mit denen wir ver-suchen wollen, die Messbarkeit herzustellen. LetztenEndes müssen die Daten in eine allgemeinverbindlicheSprache übersetzt werden, damit politischer Druck ent-steht, wenn man dagegen verstößt. Mit der Messbarkeitund dem Berichtswesen soll öffentlich dokumentiertwerden, was in diesem Bereich passiert.
Frau Bulling-Schröter, bitte.
Ich habe eine Frage zum gerechten Vorteilsausgleich.
Mir haben Ihre Ausführungen sehr gut gefallen. Es gibt
eine Reihe von Diskussionen seitens der NOGs und der
Umweltverbände, die dieses Thema in den Mittelpunkt
ihrer Arbeit stellen. Dabei geht es zum Beispiel darum,
dass kein Wald abgeholzt werden soll. Es gibt auch den
Vorschlag, Geld zu geben, wenn darauf verzichtet wird,
in Regenwaldgebieten Öl zu fördern.
Meine Fragen an Sie lauten: Gibt es von Ihrer Seite
bilaterale Gespräche über dieses Thema? Werden Sie auf
Bali – da die CO2-Reduktion beim Klimaschutz eine we-
sentliche Rolle spielt – den gerechten Vorteilsausgleich
als europäischen Vorschlag in die Debatte einbringen?
Gibt es also dazu einen konkreten Vorschlag Ihrerseits?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:
Es gibt konkrete, sehr intensive Gespräche, zum Bei-
spiel mit Brasilien über die Fortsetzung eines schon län-
ger existierenden Projektes. Ich glaube – das weiß ich
nicht ganz genau –, es gibt auch Bemühungen im Kongo.
In der Tat gibt es eine Schnittstelle zwischen den Kli-
maverhandlungen und dem Thema Biodiversität, wenn
es um die Frage geht, wie wir CO2-Senken, also Wälder,
erhalten bzw. wie wir für Wiederaufforstung sorgen kön-
nen. Sie erinnern sich vielleicht, dass die Bundesregie-
rung vorgeschlagen hat – ich glaube, das wird auch
Thema im Umweltausschuss sein –, von den 400 Mil-
lionen Euro Auktionierungserlösen 120 Millionen Euro
für internationale Klimaschutzprojekte einzusetzen. Mit
einem Teil sollte meiner Meinung nach die Beteiligung
am Erhalt und an der Wiederaufforstung von Wäldern
gefördert werden. Das ist ein Angebot, das sehr große
Aufmerksamkeit gefunden hat.
Mein Vorschlag auf europäischer Ebene und auf Bali
wird sein, dass wir beim Thema Adaption, also Anpas-
sung an den Klimawandel, verstärkt die Möglichkeiten
nutzen, Finanzmittel aus dem Kohlenstoffmarkt zu neh-
men und beispielsweise für den Erhalt von CO2-Senken
– Schutzgebiete, Wälder und Moore – einzusetzen. Nach
meinem Dafürhalten darf das nicht aus staatlichen Bud-
gets finanziert werden, sondern letztendlich verursacher-
gerecht, also von denjenigen, die die Klimaprobleme
verursachen. Das betrifft die Industrieproduktion. Wenn
wir CO2 einen Preis geben wollen – dazu dient der Emis-
sionshandel –, dann müssen die Mittel auch aus dem
Kohlenstoffmarkt kommen. Wir haben die Absicht, ei-
nen Teil der 120 Millionen Euro aus dem Auktionie-
rungsprogramm dafür einzusetzen. Die Erlöse aus der
Auktionierung sollen also nicht nur für den Technolo-
gietransfer aufgewendet werden, sondern auch an der
Schnittstelle von Anpassung an den Klimawandel,
Armutsbekämpfung und Sicherung der biologischen
Vielfalt eingesetzt werden. Das betrifft den Schutz der
Wälder, insbesondere der Regenwälder, und die Wieder-
aufforstung.
Wir glauben, dass das eine sehr preiswerte Form des
Klimaschutzes ist, und hoffen, dass sich auch andere da-
ran beteiligen. Bei den Entwicklungsländern ist das auf
riesengroße Aufmerksamkeit gestoßen. Es wäre gut,
wenn die Europäische Union ein solches Programm be-
fürwortete. Ob das bis Bali zu schaffen ist, weiß ich
nicht. Die Bundesregierung hat jedenfalls auf dem letz-
ten Europäischen Umweltrat sehr stark dafür geworben
und ihr Programm vorgestellt.
Mir liegen noch drei Wortmeldungen vor. Diese
werde ich noch zulassen. Dann schließe ich die Regie-
rungsbefragung, und wir kommen zur Fragestunde.
Herr Kollege Caesar, bitte.
Herr Minister, Sie haben dankenswerterweise denSchutz und den Erhalt der Wälder angesprochen. Ichmöchte darauf gerne noch einmal eingehen; denn ichglaube, dass das ein zentrales Thema im Hinblick auf dieArtenvielfalt und deren Erhaltung bzw. deren Wieder-herstellung sowie den Klimaschutz und die CO2-Redu-zierung ist. Wir haben in der Vergangenheit viele Dingeversucht, angefangen bei dem Entwurf eines Urwald-schutzgesetzes. Man muss aber beachten, dass alle Maß-nahmen möglichst unbürokratisch umzusetzen sind.Können Sie sich vorstellen, dass wir im Bereich desUrwaldschutzes vermehrt dazu übergehen, beispiels-weise Konzessionen, die in den betreffenden Ländernvergeben werden, zu erwerben, damit wir für eine nach-haltige Bewirtschaftung der dortigen Wälder sorgenkönnen? Wir dürfen nicht vergessen, dass Schutzgebietenicht nur Kernzonen in Form von Totalreservaten auf-weisen sollten, sondern in der Fläche auch nachhaltig
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Cajus Caesarbewirtschaftet werden sollten, damit der Erlös zum Le-bensunterhalt der dort lebenden armen Bevölkerung bei-trägt. Gleichzeitig dürfen nur die Ressourcen exportiertwerden, die aus nachhaltiger Bewirtschaftung stammen.Dabei sollte man sicherlich – ich glaube, darin sindwir uns einig – zusätzlich darauf achten, dass diese nach-haltige Bewirtschaftung nicht nur nach Masse, sondernauch nach Sorten erfolgt, damit sich die Artenvielfaltwie gewünscht vererben kann. Teilen Sie meine Auffas-sung, dass das a) ein sehr wichtiger Bereich ist, den wirinternational voranbringen müssen, auch bei der Konfe-renz in Bonn, und dass wir b) in diesem Bereich zusätz-lich neue Wege gehen sollten, die so, wie von mir be-schrieben, aussehen könnten?Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit:Meine spontane Antwort lautet: Ja. Ich bin zwar nichtganz sicher, ob ich alle Konsequenzen des Vorschlags b)überblicke, aber für mich hört sich der Vorschlag ersteinmal so an – in der Sache ist das sowieso richtig –,dass man gerade marktwirtschaftliche Prozesse nutzenkann, um Nachhaltigkeit durchzusetzen. Ich finde dasrichtig.
Herr Kollege Heilmann.
Herr Minister, wir können uns sicherlich noch zwei,drei Stunden trefflich darüber streiten, ob „wir verpflich-ten“ mehr als „wir streben an“ ist. Ich habe aber nochweitere Nachfragen: Sind denn die Behörden angesichtsdes vom SRU festgestellten dramatischen Rückgangsvon personellen und finanziellen Ressourcen nach IhrerAuffassung überhaupt in der Lage, die Umsetzung derBiodiversitätsstrategie, so wie Sie sie uns vorgelegt ha-ben, zu gewährleisten? Meinen Sie, dass die seit Jahrenvorgenommene kontinuierliche Kürzung der Mittel fürFlächenankauf, Forschung und Naturschutz der richtigeWeg ist, um diese Strategie zu realisieren? Sollte danicht ein bisschen mehr von Ihnen kommen?Nächstes Jahr findet die neunte Vertragsstaatenkonfe-renz in Bonn statt. Darüber, dass diese vor allem zulas-ten des praktischen Naturschutzes finanziert wird, habenwir in der Haushaltsdebatte schon diskutiert. MeinenSie, dass es der richtige Weg ist, die Mittel immer mehrzu kürzen, wodurch die entsprechenden Stellen nichtmehr in der Lage sind, das durchzuführen, was zum Er-reichen der beabsichtigten Ziele notwendig ist? Was dieZiele angeht, stimme ich Ihnen zu, wenn Sie sie auchnicht verbindlich festschreiben.Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit:Herr Kollege Heilmann, Strategien haben es – daskennen Sie aus Ihrer Partei – so an sich, dass sie ebennur Strategien und keine Gesetze sind. Die Frage ist, obman im Alltag bereit ist, immer dann, wenn es konkretwird, diese Strategien in die Praxis umzusetzen. EineStrategie soll dazu dienen, Dinge öffentlich transparentzu machen – das wollen und brauchen wir eigentlich –und dann, wenn jemand davon abweicht, ihn zumindestzu einer Begründung für sein Abweichen zu zwingen,damit Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben,darüber zu entscheiden, ob sie mit dieser Begründungeinverstanden sind oder ob sie diese Person bei dernächsten Wahl dafür bestrafen wollen. Das ist das Funk-tionsprinzip der Demokratie im Umgang mit solchenStrategien.Wir können die Länder nicht dazu verpflichten, mehrPersonal einzustellen. Bei uns ist kein Personal in die-sem Bereich gestrichen worden, jedenfalls nicht über dashinaus, zu dem Sie als Abgeordnete des Deutschen Bun-destags uns durch Abstimmung über den Haushalt ange-halten haben.Wir haben übrigens auch keine Mittel gekürzt. Wennin den Ländern – da haben Sie recht und darauf weist derSachverständigenrat hin – Sach- und Personalmittel ge-kürzt worden sind, dann ist das in der Tat bedenklich;denn die Aufgaben wachsen. Wir erleben, dass be-stimmte Behörden inzwischen kaum noch in der Lagesind, beispielsweise die Abwägung von Naturschutz undNaturnutzungsinteressen zeitgerecht in die Planfeststel-lungsverfahren einzubringen. Einen solchen Vorgang ha-ben wir derzeit. In einem Fall hat ein Landesumwelt-minister die zuständige Behörde sogar angewiesen,keine naturschutzfachliche Stellungnahme abzugeben.Das halte ich für katastrophal.Die Antwort auf Ihre Frage, ob man diese Strategiemit weniger Personal und weniger Mitteln in den Län-dern umsetzen kann, lautet: Nein, natürlich nicht. Das istaber eine Angelegenheit, die im Rahmen der politischenAuseinandersetzung in den Ländern geklärt werdenmuss. Alle hier vertretenen Parteien sind, glaube ich, anirgendeiner Landesregierung beteiligt. Gilt das auch fürdie Grünen?
– Entschuldigung, in Bremen sind Sie dabei.
Ich dachte eigentlich, es handele sich um Niedersachsen.Natürlich sind alle Abgeordneten in den Länderparla-menten und auch in den kommunalen Parlamenten auf-gefordert – zum Beispiel entscheidet die Kommune undnicht das Land über eine Entlassung aus dem Land-schaftsschutzgebiet –, dafür Sorge zu tragen, dass diePolitik dort umgesetzt wird.Wenn wir uns die Länderparlamente und die Landes-regierungen – auch solche, an denen Ihre Partei beteiligtist oder war – genauer anschauen würden, dann würdenwir vermutlich feststellen, dass wir alle in unseren Par-teien Mittäter sind: Wir alle haben an den Kürzungsbe-schlüssen mitgewirkt, wir alle haben Mittel reduziert,und wir alle stehen vor dem Problem, dass solche Zielemit dieser Entwicklung in der Tat nicht vereinbar sind.
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Bundesminister Sigmar GabrielDa hat der Sachverständigenrat schlicht und ergreifendrecht.Wir wollen auch denjenigen Argumentationsmaterialzur Verfügung stellen, die vor Ort dafür streiten, dassdieser negative Trend umgekehrt wird.
Frau Brunkhorst, Frau Kollegin Behm hat sich lange
vor Ihnen zu Wort gemeldet. Ich kann Ihre Frage nicht
mehr zulassen, weil wir zehn Minuten über der Zeit sind.
Ich bitte um Verständnis.
Das Wort zu einer letzten Frage hat Frau Kollegin
Behm.
Sowohl für den Klimaschutz als auch für den Schutz
der Biodiversität spielen die Wälder weltweit eine he-
rausragende Rolle. Das ist keine neue Erkenntnis. Der
Deutsche Bundestag hat sich schon in der 11. Legislatur-
periode damit ausführlich befasst: 1990 hat er mit sei-
nem Abschlussbericht zum Schutz der Tropenwälder ei-
nen ganz breiten Maßnahmenkatalog vorgelegt.
Dramatisch ist allerdings, dass sich die Waldvernich-
tung dennoch fortgesetzt hat. Die in diesem Katalog be-
schriebenen Maßnahmen sind nicht ergriffen worden,
bzw. sie haben nicht gegriffen. Meine Fraktion hat des-
wegen einen Entwurf für ein Urwaldschutzgesetz vorge-
legt, den die Regierungskoalition abgelehnt hat. Ich erin-
nere mich noch an die Ausschussdiskussion, in der es
hieß: Ja, wir werden FLEGT verbessern; wir müssen da
etwas machen, aber Ihr Gesetzentwurf ist nicht geeignet.
Ob das stimmt, sei einmal dahingestellt. FLEGT ist je-
denfalls ein zahnloser Tiger.
Ich frage Sie: Haben Sie eine Vorstellung davon, wie
Sie dem Problem im Rahmen Ihrer Strategie oder wie
auch immer begegnen wollen? Werden Sie noch vor
COP 9 – ich glaube, es wäre wichtig, das zu tun – ein
entsprechendes Gesetz zum Schutz der Urwälder vorzu-
legen?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:
Frau Kollegin, ich wünschte mir, ich hätte die Mög-
lichkeit, einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen. Das
Europarecht hindert uns aber schlicht und ergreifend da-
ran. Ich kann jetzt nur wiedergeben, was ausgebildete
Juristen meines Ministeriums zu diesem Thema sagen.
Herr Flasbarth, Abteilungsleiter Naturschutz und nach-
haltige Naturnutzung, hätte sicherlich lieber einen sol-
chen Gesetzentwurf vorgelegt als darauf verzichtet.
Auch seine Einschätzung ist, dass wir hier in Europa-
recht eingreifen würden, womit wir letztlich scheitern
würden.
Derzeit versuchen wir auf europäischer Ebene, die,
wie auch ich finde, nicht zureichende europäische Rege-
lung Schritt für Schritt zu verschärfen, zu verbessern und
im Zweifel auch für eine Novelle einzutreten. Unterhalb
dieser Ebene versuchen wir, bilaterale Verträge zu
schließen. Die Zertifizierungssysteme werden übrigens
auch da Druck entfalten.
Außerdem versuchen wir, Finanzmittel bereitzustel-
len, um zu helfen. Der Kollege aus der CDU/CSU-Frak-
tion hat einen bedenkenswerten Vorschlag gemacht: Er
hat vorgeschlagen, so etwas auf marktwirtschaftlicher
Basis, nämlich über Konzessionen, zu erreichen. Ich
fände es gut, wenn wir diese Themen sowohl im Um-
welt- als auch im Landwirtschaftsausschuss vor der COP
noch einmal intensiv beraten würden.
Wenn mich jemand davon überzeugt, dass ein solches
Gesetz nicht europarechtswidrig ist, dann habe ich kein
Problem damit; übrigens die Koalitionsfraktionen auch
nicht. Wir haben in den Koalitionsverhandlungen auch
über diese Frage geredet. Aus meiner Sicht ist es in der
Tat ein Problem, dass es in diesem Bereich bereits Euro-
parecht gibt. Die Existenzberechtigung von Juristen
gründet sich auf die Tatsache, dass es zu einem rechtli-
chen Problem mindestens zwei Meinungen gibt. Das ist
noch nichts Ehrenrühriges; das ist erst einmal nur eine
Feststellung. In meinem Berufsstand – ich bin Lehrer –
gibt es mindestens drei Meinungen zu einem Problem.
Ich wäre dankbar, wenn wir einen solchen Gesetzent-
wurf vorlegen könnten. Lassen Sie uns darüber noch ein-
mal nachdenken. Ich bitte darum, solche Vorschläge in
die Debatte einzubringen, wie sie seitens der CDU/CSU-
Fraktion eben gemacht worden sind.
Vielen Dank, Herr Minister, für die Beantwortung der
Fragen. – Ich schließe die Befragung der Bundesregie-
rung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksache 16/6903 –
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums der Justiz auf. Zur Beantwortung der Fragen steht
der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Wolfgang Wieland
auf:
Trifft ein Bericht des Spiegel
zu, wonach bereits im Jahr 2004 eine vorzeitige Haftentlas-
sung von Kazem Darabi von der Bundesregierung zugesagt
wurde, wenn im Gegenzug durch die Regierung der Islami-
schen Republik Iran oder die Hisbollah Informationen über
das Schicksal des 1986 im Libanon verschollenen israelischen
Piloten Ron Arad mitgeteilt würden?
A
Herr Kollege Wieland, meine Antwort auf Ihre Fragelautet: Auf Bitte der israelischen Regierung unterstütztdie Bundesregierung aus humanitären Erwägungen seitvielen Jahren die Bemühungen zur Aufklärung des Fal-les des seit 1986 im Libanon verschollenen Ron Arad.Unter den verschiedenen internationalen Gesprächspart-nern wurde Vertraulichkeit vereinbart. Über Einzelheitendieser Unterstützung kann ich daher in der Öffentlichkeit
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Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbachkeine Aussagen machen. Dabei möchte ich unterstrei-chen, Herr Kollege Wieland, dass daraus nicht abzulei-ten ist, dass es die in Ihrer Frage formulierte Zusage ge-geben hat.Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch einmal Fol-gendes betonen: Die mit der Ausweisung und Abschie-bung verbundene Entscheidung des Generalbundesan-walts über die vorzeitige Haftentlassung der von Ihnengenannten Person beruht, wie ich in meiner Antwort aufIhre Frage aus der Fragestunde am 13. Juni 2007, die Sieschriftlich bekommen haben, bereits ausgeführt habe,auf § 456 a der Strafprozessordnung. Dieser Entschei-dung liegen keine Absprachen mit iranischen Stellenzugrunde. Die Bundesregierung hat beim Generalbun-desanwalt auch sonst in keiner Weise auf ein entspre-chendes Vorgehen gedrängt.
Ihre Zusatzfragen.
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär Hartenbach, eine
Freilassung im Gegenzug für Informationen über Ron
Arad wäre wenigstens plausibel. Wenn Sie jetzt sagen,
das sei kein Geschäft auf Gegenseitigkeit, dann muss ich
Sie noch einmal fragen: Wieso lassen Sie nach 15 Jahren
und zwei Monaten den Hauptverurteilten im Mykonos-
Verfahren frei, obwohl es weder erkennbare – schon gar
nicht öffentliche – Reue noch ein Geständnis der Tatbe-
teiligung und erst recht keinen Versuch einer Schadens-
wiedergutmachung gegenüber den Opfern gegeben hat?
Wieso gelten sämtliche Kriterien, die wir im Zusammen-
hang mit den RAF-Tätern im Frühjahr dieses Jahres
– auch unter Beteiligung Ihres Hauses – in der Öffent-
lichkeit breit diskutiert haben, in diesem Fall nicht? Wa-
rum gab es eine nicht nur von mir, sondern von der Öf-
fentlichkeit generell nicht nachvollziehbare Freilassung,
für die es nach Ihrer Aussage noch nicht einmal eine in-
ternationale Gegenleistung gab?
A
Herr Kollege Wieland, wir gehören ja beide zu dem
soeben von Herrn Bundesminister Gabriel kritisierten
Stand der Juristen. Aber es gibt diesbezüglich eigentlich
keine Auslegungsfragen. Ich wundere mich ein bisschen,
dass Sie als ehemaliger Justizsenator und Nebenkläger-
vertreter im Prozess „Darabi“ nicht die feine Unterschei-
dung zwischen einer sogenannten bedingten Entlassung
nach dem Strafgesetzbuch und der Entlassung nach
§ 456 a der Strafprozessordnung machen.
Ich kann mir vorstellen, dass Sie als Justizsenator in
der Zeit zwischen Juni 2001 und Januar 2002 sehr wohl
in die Entscheidung der Ausländerbehörde Berlin über
die Ausweisung von Herrn Darabi involviert waren, die
dann am 2. Februar 2002 – also wenige Tage nachdem
Sie nicht mehr Justizsenator waren – ausgesprochen
wurde. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Sie da mit-
diskutiert und auch sehr genau gewusst haben, dass eine
Ausweisung im Raum steht. Der § 456 a der Strafpro-
zessordnung verlangt nur, dass eine Ausweisung ausge-
sprochen worden ist.
Sie wissen auch, dass das Kammergericht im
Jahr 2006 die Höchstverbüßungsdauer für den zu lebens-
langer Freiheitsstrafe verurteilten Darabi auf 23 Jahre
festgesetzt hat. Er wird im nächsten Jahr, im März,
glaube ich, 15 Jahre verbüßt haben.
Ich wiederhole: Vermengen Sie bitte nicht die be-
dingte Entlassung nach den §§ 56 ff. des Strafgesetz-
buchs und die Ausweisung mit der damit verbundenen
Unterbrechung der Haft nach § 456 a der Strafprozess-
ordnung! Dabei haben die Dinge, die Sie ansprechen,
überhaupt keine Bedeutung.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär Hartenbach, ich gebe mir große
Mühe mit der Differenzierung. Das Kammergericht hat
nicht die Höchstverbüßungszeit, sondern die Mindest-
verbüßungszeit – das ist ja wohl ein Unterschied – fest-
gelegt, und zwar auf 23 Jahre. Nun wird er im Ergebnis
so behandelt, als habe man die Schwere der Schuld bei
ihm tatgerichtlich nicht festgestellt. Man hat sie aber ge-
rade festgestellt. Das heißt, er wird im Grunde so freige-
lassen, als gäbe es diese Feststellung nicht. – Ich vermi-
sche hier gar nichts.
Auch der von Ihnen zitierte Paragraf der Strafprozess-
ordnung enthält keinen Automatismus. Er besagt doch
nicht: „Ihr müsst dann irgendwie freilassen“, sondern: Ihr
könnt es tun; ihr müsst aber die Gesamtumstände berück-
sichtigen. – Es ist im Übrigen eine Entscheidung der Ge-
neralbundesanwaltschaft, von der die jetzige General-
bundesanwältin, wie man hört – ich sage: wie man hört –,
nicht beglückt ist, die sie aber in dem Sinne meint vorge-
funden zu haben, jedenfalls eine in dem Sinne exekutive
Entscheidung.
Wenn ich Sie noch beruhigen darf: Im Land Berlin ist
es so, dass über Ausweisungen der Innensenator und
nicht der Justizsenator entscheidet, und zwar im Rahmen
seines Fachressorts, seiner Fachzuständigkeit. Dann liegt
es bei der unabhängigen Justiz. Das heißt, ein Justizsena-
tor hat daran gar nichts zu rühren.
In einer Hinsicht war ich allerdings damit befasst, und
damit kommen wir zur Ausgangsfrage zurück. Von dem
seinerzeitigen Geheimdienstkoordinator wurde ich gera-
dezu bekniet, an den Haftverhältnissen von Herrn Darabi
nichts zu verändern, ihn nach dem 11.9. insbesondere
nicht aus Berlin heraus zu verlegen, weil er als Gefange-
ner im internationalen Zusammenhang mit Iran, mit der
Hisbollah wichtig sei, also genau in dem Zusammen-
hang, den Sie jetzt geleugnet haben.
A
Herr Wieland, ich bitte Sie, Ihre Worte ein bisschensorgfältiger zu wählen. Ich habe überhaupt nichts ge-leugnet. Es gibt für mich nämlich nichts zu leugnen. Ich
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Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbachhabe Ihnen etwas erklärt. Sie scheinen es immer nochnicht verstanden zu haben.Ich sage noch einmal: Sie waren damals obersterWächter über Herrn Darabi. Als Justizsenator hatten Sieauch die Dienstaufsicht über die Justizvollzugsanstalt.Das haben Sie eben selbst noch eingeräumt.
Deswegen kann ich mir schon vorstellen – ich weiß esnicht –, dass ein Justizsenator gefragt wird, wenn dieMöglichkeit besteht, dass jemand aus seinem Zuständig-keitsbereich herausgenommen wird. Wenn eine Ent-scheidung zur Ausweisung schon einmal vorliegt, kannder nächste Schritt die Entscheidung nach § 456 a derStrafprozessordnung sein, die Haft zu beenden und diesePerson auszuweisen – aus welchen Gründen auch im-mer. Viele Gründe sind vorstellbar, zum Beispiel derGrund, dass man einen weiteren Haftplatz für deutscheStraftäter in der Justizvollzugsanstalt Tegel braucht, inder Herr Darabi ja einen guten Platz eingenommen hat.Es hat mich gewundert, welches Interesse Sie an die-ser Sache haben. Ich gehe nun davon aus, dass es nichtdas Interesse des Abgeordneten Wieland ist,
sondern dass es ein ganz anderes Interesse an dieserFrage gibt. Ich gehe davon aus, dass Sie sehr genau wis-sen, was damals Gegenstand der Verhandlungen war. Dawissen Sie mehr als ich.Nach dem, was mir bekannt ist, und auch nach dem,was Frau Harms möglicherweise geäußert hat, kann ichnur sagen: Frau Harms wird diese Entscheidung, die ge-troffen worden ist, tragen.
Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Wolfgang Wieland
auf:
Entspricht es den Tatsachen, dass der israelische Minister-
präsident Ehud Olmert die Bundesregierung anlässlich des
Beschlusses zur vorzeitigen Haftentlassung Kazem Darabis
im Jahr 2007 ersucht hat, im Gegenzug von der Regierung der
Islamischen Republik Iran oder der Hisbollah Informationen
über das Schicksal Ron Arads zu fordern?
A
Diese Frage geht in die gleiche Richtung. Ich sagte
Ihnen eben schon: Die Bundesregierung war immer be-
müht, zu helfen. Da aber Vertraulichkeit vereinbart wor-
den ist, kann ich Ihnen hierzu öffentlich keine weiteren
Auskünfte geben. Sie müssten gegebenenfalls das Parla-
mentarische Kontrollgremium befragen und dort Ihre
Probleme vorbringen.
Ihre Zusatzfragen.
Herr Kollege, Sie wissen sicherlich, dass ich zu die-
sem Gremium keinen Zugang habe und der Kollege, der
dort sitzt, mit mir nicht über Erkenntnisse dieses Gremi-
ums reden darf. Dieser Hinweis geht also ins Leere. Er
ist vielleicht typisch juristisch, aber er hilft nicht wirk-
lich.
Können Sie denn wenigstens bestätigen, dass die
Tochter von Ron Arad in die Bundesrepublik gereist ist,
um darum zu bitten, dass man Herrn Darabi nicht aus der
Hand gibt, bevor nicht das Schicksal ihres Vaters geklärt
ist?
A
Das kann ich Ihnen bestätigen. Die Tochter und der
Bruder von Herrn Arad waren am 16. Oktober dieses
Jahres bei der Generalbundesanwältin. Die Generalbun-
desanwältin hat den beiden erklärt, dass die vorgenom-
mene Haftentlassung und Ausweisung keinerlei Fragen
anderer Art nach sich zieht.
Das wird die Tochter absolut überzeugt haben, wenn
ihr das so gesagt wurde.
Weitere Frage: Ist Ihnen bekannt, dass eine Delega-
tion iranischer Parlamentarierinnen als Gast der Bundes-
republik Deutschland heute Vormittag in Ihrem Haus
war, dort mit Ihrem Kollegen Diwell und vorgestern mit
uns, mit Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitikern so-
wie Innenpolitikerinnen und Innenpolitikern, geredet hat
und dass diese Parlamentarierinnen zu der Frage des
Mykonos-Attentats eindeutig gesagt haben, dass der Iran
damit nichts zu tun hat, dass das eine innerkurdische
Auseinandersetzung war? Ist Ihnen bekannt, dass der
Iran nach wie vor bestreitet, Urheber dieses Attentats zu
sein, dass er sich nach wie vor nicht der Verantwortung
stellt und auch nicht, wie etwa Libyen, Entschädigungs-
zahlungen leistet? Wie stellen Sie sich unter diesen Um-
ständen den Empfang von Herrn Darabi im Iran vor,
wenn Sie ihn am 8. Dezember oder davor oder danach
ins Flugzeug setzen werden?
A
Ich bedanke mich sehr herzlich, dass Sie mich überIhre Gespräche mit iranischen Parlamentarierinnen auf-geklärt haben.
– Das finde ich auch sehr gut. – Ich weiß aber nicht, wel-che justiziellen Befugnisse und welche Erkenntnissediese fünf iranischen Parlamentarierinnen hatten. Des-wegen kann ich Ihnen auch nichts dazu sagen, was mitHerrn Darabi – der sich übrigens nicht dagegen wehrt –geschieht, wenn er in den Iran kommt. Ich weiß nicht, ober mit Blumen empfangen wird oder sonst wie. Über dasGespräch mit Herrn Diwell werde ich mich noch infor-mieren. Vielleicht können Sie beim nächsten Mal eine
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Parl. Staatssekretär Alfred HartenbachFrage dazu stellen, was dort besprochen worden ist.Dann können wir uns weiter darüber unterhalten.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereiches. Vie-
len Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der
Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung der
Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär
Christian Schmidt zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Christian Ströbele
auf:
Wird die Bundesregierung nach dem Urteil des Bundes-
pflichtige während einer Berufsausbildung im sogenannten
dualen Studium nicht mehr vom Grundwehrdienst zurückge-
stellt werden müssen, nun gemäß dem Änderungsverlangen
des Bundesrates vom 11. Mai 2007 zu ihrem Entwurf eines
Wehrrechtsänderungsgesetzes
sowie gemäß dem einhelligen Votum der Bildungspolitiker
auch der Koalitionsfraktionen eine ausdrückliche gesetzliche
Gleichbehandlung der dual Auszubildenden mit anderen Aus-
zubildenden anstreben, und wird die Bundesregierung schon
in ihrer Gegenäußerung zu dieser Stellungnahme des Bundes-
rates verdeutlichen, dass sie der ohne Gesetzesänderung dro-
henden Unterbrechung, weiteren Erschwerung und Attraktivi-
tätsminderung eines dualen Studiums sowie Verzögerung des
Arbeitsmarktzugangs dieser Fachkräfte nachdrücklich entge-
gentreten wird?
C
Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Die Bundesregierung begrüßt die Entscheidung des Bun-
desverwaltungsgerichts, in der die Einberufungs- und
Zurückstellungspraxis des Bundesministeriums der Ver-
teidigung für rechtens erklärt worden ist. Die Gegen-
äußerung zur Stellungnahme des Bundesrates wird nun
innerhalb der Bundesregierung erarbeitet und dem Bun-
destag zugeleitet werden.
Ihre Zusatzfragen, Herr Kollege.
Ich danke zwar zunächst für diese Beantwortung. Die
Auffassung der Bundesregierung wird aber eigentlich
nicht deutlich. Welche Auffassung haben Sie denn jetzt
dazu, wie es weitergehen soll? Welchen Tenor wird Ihre
Stellungnahme haben, die Sie dazu erarbeiten, oder gibt
es noch gar keine Auffassung?
C
Nachdem ich Ihnen, Herr Kollege, gerade gesagt
habe, dass eine Stellungnahme erarbeitet und abge-
stimmt wird, kann ich keine abschließende Prognose
über die genauere Formulierung dieser Stellungnahme
abgeben. Ich kann allerdings darauf hinweisen, dass wir
seit jeher der Auffassung gewesen sind, dass die Einbe-
rufungspraxis in Ordnung ist. Ungeachtet der gesetzli-
chen Regelungen wollen wir jedoch im Sinne eines prag-
matischen Vorgehens darauf Wert legen, dass diejenigen,
die sich in einem dualen Ausbildungsgang, also in einem
sogenannten Masterstudiengang befinden, der sich so-
wohl auf eine berufliche Ausbildung als auch auf ein
Fachhochschulstudium erstreckt, zeitnah einberufen
werden – zeitnah heißt: sobald sie zum Wehrdienst her-
angezogen werden können –, um im Hinblick auf die re-
lativ lang dauernde Ausbildung und das Studium zu ver-
hindern, dass sie eine Grenze überschreiten und nicht
mehr zum Wehrdienst herangezogen werden könnten.
Das ist ein pragmatischer Ansatz.
Wir werden dann zu sehen haben, inwieweit die
Überlegungen, das Studium und die Ausbildung der jun-
gen Männer in einem zeitnahen und kompakten Rahmen
stattfinden zu lassen, in der Gesetzgebung berücksichtigt
werden können. Wir werden das innerhalb der Bundesre-
gierung und sicherlich auch mit Blick auf die Vorstellun-
gen des einen oder anderen aus dem Bereich des Bun-
destages zu bewerten haben.
Darf ich noch eine Zusatzfrage stellen?
Sie dürfen noch eine Zusatzfrage stellen.
Was begrüßt denn dann eigentlich die Bundesregie-
rung an der Entscheidung des Bundesverwaltungsge-
richts, wenn sie sich noch gar keine abschließende Auf-
fassung dazu gebildet hat? Worauf bezog sich Ihre
Anfangsbemerkung?
C
Herr Kollege, als Rechtsanwalt wissen Sie ja, dassman sich immer freut, wenn man einen Prozess gewinnt.Diesen Prozess hat die Bundesregierung gewonnen; ihreRechtsauffassung ist bestätigt worden. Gestatten Sie mirdeswegen, dass ich mich für die Bundesregierung freue,dass dies so ist.Welche Konsequenzen sich in der weiteren Verfol-gung des Entwurfs eines Wehrrechtsänderungsgesetzesaus diesem für die Bundesregierung und die Wehrver-waltung entstehenden Vorteil ergeben, wird sich zeigen.Wir werden uns nicht allein von der Freude über einengewonnenen Prozess leiten lassen, sondern von derÜberlegung, welche Entscheidungen im Rahmen derweiteren Gesetzgebung und möglicherweise in Bezugauf administrative Maßnahmen im Hinblick auf die Be-dürfnisse derjenigen, die zum Wehrdienst anstehen, aberauch im Hinblick auf die Notwendigkeit einer funktions-
Metadaten/Kopzeile:
12688 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2007
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Christian Schmidtfähigen Bundeswehr optimiert zu treffen sind. DieseEntscheidungen werden wir dann dem Bundestag vorle-gen.Die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stel-lungnahme des Bundesrates wird sich daran orientieren.Ich gehe davon aus, dass diese dem Bundestag in einemüberschaubaren Zeitraum nach Beschlussfassung in derBundesregierung vorgelegt werden wird.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung
der Fragen.
Die Frage 4 im Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes der Kollegin Marieluise Beck wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers
der Finanzen auf. Die Fragen beantwortet Frau Parla-
mentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks.
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter
auf:
Wie ist der Sachstand bei der Gründung der Partnerschaf-
ten Deutschland Gesellschaft AG, PDG AG, und mit welchem
Instrumentarium soll die Objektivität der Prüfung konkreter
ÖPP-Projekte in Sachen Wirtschaftlichkeit durch die
PDG AG sichergestellt werden?
– Ja, wir wollen das gelten lassen.
D
Herr Kollege Hofreiter, die konzeptionellen Vorarbei-
ten zur Gründung der Partnerschaften Deutschland Ge-
sellschaft AG, also PDG AG, sind weit fortgeschritten
und werden im Lichte der Stellungnahme des Bundes-
beauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung
noch weiter geprüft.
Die notwendigen Haushaltsmittel sollen im Rahmen
der parlamentarischen Beratungen des Haushaltsent-
wurfs 2008 bewilligt werden. Nach Abschluss der Bera-
tungen des Haushaltsausschusses des Deutschen Bun-
destages am 15. November 2007 soll das Bundeskabinett
das Bundesministerium der Finanzen in enger Zusam-
menarbeit mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung mit den Vorbereitungen zur Grün-
dung der PDG beauftragen.
Die Objektivität im Wirtschaftlichkeitsvergleich zwi-
schen konventioneller Beschaffung und ÖPP-Varianten
ist ein zentrales Ziel der PDG und soll in der Satzung des
Unternehmens verankert werden. Sie liegt zudem im In-
teresse der öffentlichen Mehrheitseigentümer. Durch ge-
eignete rechtliche Regelungen wird sichergestellt, dass
die privaten Minderheitsgesellschafter ihr Know-how in
die Grundlagenarbeit einbringen, aber keinen Einfluss
auf konkrete Projektberatungen nehmen können.
Ihre Zusatzfragen, Herr Kollege Hofreiter.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin, für die Antwort. – Meine erste Zusatz-
frage wäre: Wer sind denn die privaten Partner? Kann
man sie näher benennen? Sind zum Beispiel die Com-
merzbank, die Deutsche Bank oder Landesbanken da-
bei? Es wäre schön, wenn Sie die privaten Partner be-
nennen könnten.
D
Herr Kollege, diese kann ich in der Tat im Moment
nicht benennen. Es gibt aber eine Anzahl von Interessen-
ten, die in dem Bereich mitwirken wollen. Das liegt auf
der einen Seite natürlich an deren geschäftlichen Interes-
sen, auf der anderen Seite aber auch an deren Erfah-
rungen, die sie im Bereich von Projekten in öffentlich-
privater Partnerschaft schon sammeln konnten. Dazu ge-
hören Finanzdienstleister, dazu gehören auch namhafte
Unternehmen zum Beispiel der Hoch- oder Tiefbaubran-
che und weitere.
Klar ist aber, dass die privaten Unternehmen nicht un-
mittelbar eine Beteiligung an der PDG erwerben können,
sondern nur über eine Beteiligungsgesellschaft. Die pri-
vaten Interessenten müssen sich also zu einer BT GmbH
zusammenschließen, einer eigenen Beteiligungsgesell-
schaft, die mittelbar unter 50 Prozent, also maximal
49,9 Prozent, der Anteile an der PDG halten kann.
Unternehmen, die sich an PDG-Vorhaben beteiligen
wollen, dürfen keine Mitarbeiter in die PDG entsenden.
Es ist also klar, dass das getrennt ist, dass die Interessen
unterschiedlich sind. Es gibt keine unmittelbare Beteili-
gung einzelner Unternehmen.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Ich sehe anhand der Antwort Ihr eindeutiges Bemü-hen, das Ganze so erscheinen zu lassen, als ob die priva-ten Beteiligten kein Interesse hätten, auf das objektiveBeratungsergebnis Einfluss zu nehmen. Aber meinen Siewirklich, dass es mit der Praxis in einer Gesellschaftübereinstimmt, dass sie keinen Einfluss nehmen?49 Prozent private Anteilseigner haben mittelbar natür-lich ein Interesse daran, dass ÖPP-Projekte positiv beur-teilt werden. Wie wollen Sie ausschließen, dass sie tat-sächlich Einfluss nehmen? Wie schauen die rechtlichenRegelungen, die Sie vorschlagen, genau aus?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2007 12689
(C)
(D)
D
Herr Kollege, über die Vertragsgestaltung kann ich
Ihnen im Einzelnen zurzeit noch keine Auskünfte geben;
so weit sind wir einfach noch nicht. Selbstverständlich
ist in Rechnung zu stellen, dass es im Interesse der öf-
fentlichen Mehrheitsanteilseigner liegt, dass durch ge-
eignete rechtliche Regelungen sichergestellt wird, dass
die privaten Minderheitsgesellschafter keinen Einfluss
auf die konkrete Projektberatung nehmen können. Dies
wird durch die Vertragsgestaltung sichergestellt werden.
Es liegt selbstverständlich im öffentlichen Interesse,
dass eine vorurteilsfreie und keine interessengeleitete
Beratung erfolgt. Darauf werden die Mehrheitsanteils-
eigner in der PDG achten. Es wird geeignete rechtliche
Rahmenbedingungen dafür geben.
Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Britta Haßelmann
auf:
Welche Folgen für die zahlreichen steuerlichen Querver-
bünde in der Trägerschaft kommunaler Gebietskörperschaften
sind aus Sicht der Bundesregierung aus dem Urteil des Bun-
desfinanzhofes vom 22. August 2007 zu erwarten,
wonach die Übernahme von Dauerverlusten einer selbststän-
digen Tochtergesellschaft im Rahmen einer kommunalen Hol-
ding steuerlich als eine verdeckte Gewinnausschüttung an die
Trägerkommune zu behandeln ist, und welche Maßnahmen
– beispielsweise einen Nichtanwendungserlass oder eine Ge-
setzesinitiative – plant die Bundesregierung in der Reaktion
auf das oben genannte Urteil zur Sicherung des Fortbestandes
steuerlicher Querverbünde?
D
Der Bundesregierung ist die Bedeutung der steuer-
lichen Querverbünde für die Kommunen bekannt. Sie
wird sich daher dafür einsetzen, dass das BFH-Urteil
vom 22. August 2007 von der Finanzverwaltung zu-
nächst nicht allgemein angewendet wird. Die Folgen, die
das BFH-Urteil für diese Verbünde haben kann, und ge-
gebenenfalls erforderliche gesetzliche Regelungen wird
die Bundesregierung mit den obersten Finanzbehörden
der Länder erörtern. Sie wird auch Gespräche mit den
kommunalen Spitzenverbänden aufnehmen.
Ihre Zusatzfrage.
Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin, vielen Dank
für die Beantwortung der Frage. Plant das Finanzminis-
terium eine parlamentarische Befassung mit diesem
Thema? Ist zum Beispiel die Durchführung einer Anhö-
rung geplant? Liegen Ihnen schon Stellungnahmen der
kommunalen Spitzenverbände vor? Inwieweit wird die
Bund-Länder-Kooperation hinsichtlich der Bewertung
dieses Urteils Einfluss auf die in den einzelnen Bundes-
ländern sehr unterschiedlichen rechtlichen Vorgaben zur
wirtschaftlichen Betätigung haben?
D
Frau Kollegin Haßelmann, die Vorarbeiten, die wir
zurzeit zusammen mit den Ländern durchführen – Be-
wertung des Urteils hinsichtlich seiner Auswirkungen –,
und die Gespräche mit den kommunalen Spitzenverbän-
den dienen im Zweifelsfall natürlich der Vorbereitung ei-
ner gesetzlichen Regelung. Ich gehe davon aus, dass eine
gesetzliche Regelung notwendig sein wird. Ich kann
aber noch nicht sagen, in welche Richtung diese Rege-
lung zielen wird, weil wir das Urteil bisher noch nicht
ausgewertet haben.
Dieses Urteil wird über den entschiedenen Einzelfall
hinaus vorerst nicht angewandt. Das wird auf Dauer aber
nicht haltbar sein, sodass sich der Gesetzgeber diesbe-
züglich Gedanken machen muss. Ein parlamentarisches
Verfahren wird selbstverständlich die Folge sein. Ich
kann aber noch nicht sagen, in welche Richtung es gehen
wird.
Davon unabhängig ist aber der zweite Teil Ihrer Frage
zu sehen. Die Frage, was den Kommunen an wirtschaft-
licher Geschäftsbetätigung durch Landesrecht erlaubt
wird, ist nicht mit der steuerlichen Frage zu vermengen.
Ich kann mir vorstellen, vor welchem Hintergrund Sie
diese Frage gestellt haben, nämlich vor dem Hintergrund
der erheblichen Einschränkung der wirtschaftlichen Ge-
schäftstätigkeit der Kommunen durch die schwarz-gelbe
Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Dieser Sach-
verhalt ist aber getrennt von dem Urteil des Bundes-
finanzhofes zu sehen, das sich nur um die steuerlichen
Fragen des Querverbundes dreht. In diesem Urteil wird
keine Aussage dazu gemacht, welche Betätigungen
Kommunen ausüben dürfen.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Herzlichen Dank für die Beantwortung meiner Fra-
gen. In der Tat intendierte meine Frage die Beurteilung
der aus meiner Sicht dramatischen Beschneidung der
wirtschaftlichen Betätigung insbesondere in Nordrhein-
Westfalen. Wenn man das zum Beispiel mit Bayern ver-
gleicht, muss man feststellen, dass das eine erhebliche
Verschlechterung für die Kommunen und die Kommu-
nalwirtschaft in Nordrhein-Westfalen bedeutet.
Frau Hendricks, mich würde interessieren, inwieweit
sich der Bundesrat mit der Frage befasst hat. Sind dem
Finanzministerium einzelne Vorstöße seitens des Bun-
desrates dazu bekannt?
D
Frau Kollegin, der Bundesrat als Teil der institutionel-len Organisationsstruktur hat sich bislang noch nicht da-mit befasst. Selbstverständlich gibt es aber zur Frage dessteuerlichen Querverbundes schon seit längerer Zeit eineArbeitsgruppe des Bundes und der Länder. Dieses Urteildes Bundesfinanzhofs hat uns insofern nicht vollkom-men überrascht. Wir müssen das Urteil aber bewerten.
Metadaten/Kopzeile:
12690 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2007
(C)
(D)
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara HendricksDie Interessen sind durchaus unterschiedlich; das istselbstverständlich klar. Der Bundesrat als Institution hatsich noch nicht damit befasst. Die entsprechenden Gre-mien des Bundes und der Länder sind allerdings im Ge-spräch und bleiben im Gespräch. Sie werden, sobald siemit der Erarbeitung so weit sind, den gesetzgebendenKörperschaften, sowohl dem Bundestag als auch demBundesrat, einen Vorschlag unterbreiten.
Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Christine Scheel
auf:
Mit welchem Modell will die Regierung Kostenneutralität
bei der Neuregelung der Entfernungspauschale ab dem ersten
Kilometer herstellen?
D
Frau Kollegin Scheel, die Bundesregierung plant
keine Änderung der derzeit geltenden Regelung zur Ent-
fernungspauschale.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Staatssekretärin, das überrascht mich jetzt ge-
rade nicht besonders. Allerdings würde mich interessie-
ren, wie Sie denn mit den Steuerpflichtigen umgehen
werden, die in diesem Jahr einen Freibetrag haben ein-
tragen lassen, der davon ausgeht, dass ab dem ersten Ki-
lometer 30 Cent gewährt werden. Müssen diese Steuer-
pflichtigen dann im nächsten Jahr eventuell alles
zurückzahlen, oder wie soll das funktionieren?
D
Frau Kollegin Scheel, zunächst einmal kann man al-
len Steuerpflichtigen nur raten, das Urteil des Bundes-
verfassungsgerichts abzuwarten. Denn es ist schon durch
die Finanzverwaltung von Bund und Ländern öffentlich
mitgeteilt worden und die Finanzämter sind angewiesen
worden, dass alle Steuerbescheide vorläufig ergehen.
Das heißt, ein Bürger, der jetzt überhaupt keine Aktion
ergreift, würde, falls das Verfassungsgericht der Auffas-
sung sein wird, dass das geltende Recht nicht verfas-
sungsgemäß ist, automatisch in seinen Rechtsstand ver-
setzt und würde die Nachzahlung bekommen, die ihm
dann zustehen würde.
Die andere Frage, die Sie anschließen, geht von der
Bedingung aus, dass das Verfassungsgericht die jetzt
geltende Rechtslage bestätigt. In der Tat muss man sa-
gen, dass, wenn das Bundesverfassungsgericht die gel-
tende Rechtslage bestätigt – davon gehen wir aus –, die-
jenigen, die sich jetzt Freibeträge eintragen lassen, zur
Nachzahlung verpflichtet sein werden. Deswegen kann
ich nicht dazu raten, sich Freibeträge eintragen zu lassen.
Ich rate dazu, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
gelassen abzuwarten. Denn wenn das Bundesverfas-
sungsgericht gegen den Bundestag als Gesetzgeber ent-
scheiden sollte, dann werden die Bürger automatisch in
ihren Rechtsstand versetzt.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Scheel.
Ja. – Frau Staatssekretärin, es gibt zwei Gerichte in
zwei Bundesländern, die die Auffassung der Bundes-
regierung und des Finanzministeriums nicht teilen. Auch
der Bundesfinanzhof hat sich bezüglich der Verfassungs-
mäßigkeit dieser Maßnahme sehr kritisch geäußert. Des-
wegen frage ich: Haben Sie nicht großes Verständnis da-
für, dass die Steuerpflichtigen hier kein Geld verlieren
wollen und auf ihrer Lohnsteuerkarte diesen Freibetrag
eintragen lassen?
Einmal angenommen, das Bundesverfassungsgericht
teilt Ihre Auffassung nicht: Das würde doch bedeuten,
dass Sie Steuerausfälle in der Größenordnung von 2 bis
3 Milliarden Euro riskieren, weil die Freibeträge, die
30 Cent ab dem ersten Kilometer berücksichtigen, einge-
tragen sind. Dieses Geld können Sie den Leuten ja nicht
mehr wegnehmen. Wie wollen Sie damit umgehen?
D
Wenn das Bundesverfassungsgericht so entscheidet,würde das nicht nur diejenigen finanziell gesehen positivbetreffen, die den Freibetrag haben eintragen lassen,sondern das würde natürlich auch alle anderen finanziellbetrachtet positiv betreffen, deren Steuerbescheide vonAmts wegen für vorläufig erklärt worden sind. Um die-ses Geld dann im Zweifelsfall zu bekommen, sofern dasBundesverfassungsgericht so entscheidet, muss man alsokeinerlei Aktion unternehmen. Man bekäme das Geldauch, wenn man einfach abwartet, was das Bundesver-fassungsgericht entscheidet; aber eben nur dann, wenndas Bundesverfassungsgericht so entscheidet.Ich darf im Übrigen auf Folgendes hinweisen: Es hatbisher fünf Urteile von Finanzgerichten gegeben. Vondiesen fünf Urteilen haben zwei Zweifel an der Verfas-sungsmäßigkeit dieses Gesetzes geäußert. Drei habenkeine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzesund auch keine Vorlagebeschlüsse zum Bundesfinanzhofgemacht. Der Bundesfinanzhof hat in einem Verfahrenim Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erklärt, es be-stünden ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeitdes Gesetzes.Dies ist aber auch nicht von der Hand zu weisen; dennwenn von fünf Finanzgerichten, die bisher dazu geurteilthaben, zwei so und drei anders entschieden haben, dannliegt es auf der Hand, dass Zweifel bestehen. Wenn vonfünf Leuten zwei der einen Auffassung und drei der an-deren Auffassung sind, dann bestehen immer Zweifel.Insofern ist die Richtigkeit der Aussage, dass Zweifel ander Verfassungsgemäßheit bestehen, nicht von der Handzu weisen. Ähnlich gelagert ist folgendes Beispiel: Wenn
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2007 12691
(C)
(D)
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricksvon fünf Leuten zwei die Position A und drei die Posi-tion B vertreten, dann müsste der Sechste, der dazu-kommt, auch feststellen, dass zweifelhaft ist, wer hiernun recht hat. So ähnlich hat sich der Bundesfinanzhofverhalten. Damit ist aber noch keine Entscheidung in derSache getroffen. Diese bleibt dem Bundesverfassungsge-richt vorbehalten.
Wir kommen jetzt zu Frage 8 der Kollegin Christine
Scheel:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Ar-
beitnehmerpauschbetrag von derzeit 920 Euro ein wichtiger
Beitrag zur Vereinfachung des Steuerrechts und zum Bürokra-
tieabbau ist, und teilt die Regierung die Auffassung, dass vor
einer Absenkung des Pauschbetrages der Normenkontrollrat
diese zusätzlichen bürokratischen Lasten für Bürgerinnen und
Bürger, kleine und mittlere Unternehmen und für die Finanz-
ämter bewerten müsste?
D
Die Bundesregierung teilt die Auffassung, dass in
dem Arbeitnehmerpauschbetrag ein Beitrag zur Steuer-
vereinfachung zu sehen ist. Nach § 4 des Gesetzes zur
Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates sind
die Ressorts verpflichtet, den Normenkontrollrat bei
Rechtsetzungsvorhaben vor der Kabinettsbefassung zu
beteiligen.
Ihre Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Frau Staatssekretärin, habe ich Sie richtig verstanden,
dass Sie an dem derzeit geltenden Pauschbetrag auf-
grund der dadurch gegebenen Steuervereinfachung – sie
ist ja mit Pauschbeträgen immer verbunden – nicht rüt-
teln werden, auch dann nicht, wenn Sie im Zusammen-
hang mit der Kilometerpauschale, die, wie wir jetzt ge-
hört haben, ziemlich chaotisch organisiert ist – worunter
wieder die armen Steuerpflichtigen und auch die Finanz-
behörden leiden; das scheint irgendwie so die Arbeit der
Regierung zu sein; aber das sei einmal dahingestellt –,
Änderungen vornehmen? Halten Sie auch dann daran
fest? Denn wenn Sie es ändern müssten, dann würden
Sie es ja wahrscheinlich ab dem ersten Kilometer än-
dern. Der Finanzminister hat gefordert, dass das aufkom-
mensneutral ist. Auch die Frau Bundeskanzlerin hat ge-
sagt, dass es aufkommensneutral sein muss. Wie soll das
denn dann gehen?
D
Da die Bundesregierung – wie ich Ihnen in Beantwor-
tung Ihrer ersten Frage gesagt habe – keine Änderungen
bei der derzeit geltenden Regelung zur Entfernungspau-
schale plant, ist auch eine – wie immer denkbare – Ge-
genfinanzierung zur Herstellung einer Aufkommensneu-
tralität nicht notwendig.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir bestätigen, dass
es Berechnungen in Ihrem Hause gibt, aus denen hervor-
geht, dass, würde man die Entfernungspauschale
beispielsweise auf 20 Cent ab dem ersten Kilometer fest-
legen, der Arbeitnehmerpauschbetrag auf 660 Euro ge-
senkt werden müsste, um eine Aufkommensneutralität
zu erreichen?
D
Frau Kollegin Scheel, man kann zu allen Dingen Be-
rechnungen vorlegen. Wenn man zum Beispiel die Ent-
fernungspauschale auf der einen und den Arbeitnehmer-
pauschbetrag auf der anderen Seite sieht, so erschließt es
sich einem: Das wäre natürlich ein Prinzip kommunizie-
render Röhren. Wenn man das eine anhebt, senkt man
das andere. Man könnte zur Herstellung einer Auf-
kommensneutralität natürlich auch völlig andere Maß-
nahmen ergreifen. Man müsste nicht zwingend den
Arbeitnehmerpauschbetrag ändern. Man könnte sich
auch andere Rechnungen vorstellen. Aber ich sage: Das
ist rein hypothetisch. Die Bundesregierung plant keine
Änderungen bei der Entfernungspauschale. Deswegen
sind auch – wie auch immer geartete – Rechnungen zur
Herstellung einer gedachten Aufkommensneutralität
nicht notwendig.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwor-
tung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Wirtschaft und Technologie auf. Die Fragen
beantwortet Frau Parlamentarische Staatssekretärin
Dagmar Wöhrl.
Die Frage 9 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wird
schriftlich beantwortet.
Deswegen rufe ich die Frage 10 der Kollegin Sabine
Zimmermann auf:
In welcher Höhe wurden bisher öffentliche Finanzmittel
von EU, Bundesregierung und Bundesländern zur Schließung
von Breitbandlücken in Deutschland eingesetzt, und in wel-
cher Höhe sollen Fördermittel für dieses Ziel jährlich bis 2013
eingesetzt werden?
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe KolleginZimmermann, ich kann Ihnen dahin gehend Antwort ge-ben, dass die Bundesregierung die Summe der öffentli-chen Finanzmittel aus EU-, Bundes- und Landespro-grammen nicht genau ermitteln kann, da sie keinenZugriff auf entsprechende Daten hat. Für uns ist festzu-halten, dass wir nichtsdestoweniger auf vielfältige Weise
Metadaten/Kopzeile:
12692 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2007
(C)
(D)
Parl. Staatssekretärin Dagmar Wöhrlder Bedeutung des Breitbandinternet Rechnung tragen.Den Schwerpunkt setzen wir bei der Erarbeitung vonMaßnahmen zur Entwicklung einer zielgerichteten In-formations- und Koordinierungspolitik. Von besondererBedeutung ist außerdem die Schaffung günstiger regu-lierungs- und frequenzpolitischer Rahmenbedingungenfür die Unternehmen, damit sie entsprechende Leistun-gen bereitstellen können.Die Bundesregierung betrachtet finanzielle Förder-programme, die dazu beitragen sollen, einen flächende-ckenden Zugang zu realisieren, als Ultima Ratio. Nichts-destotrotz besteht eine Reihe von Fördermöglichkeiten.Es gibt Förderprogramme mit regionalpolitischem Be-zug und die beiden nationalen Bund-Länder-Programme,die GA und die neue GAK, die Gemeinschaftsaufgabe„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschut-zes“.Inzwischen haben sich einige Länder entschlossen,auf Mittel aus europäischen Förderprogrammen zurück-zugreifen. Um den Breitbandzugang für die Kommunenund für die Unternehmen vor Ort zu verbessern, bezie-hen sie zum Beispiel Mittel aus dem EuropäischenFonds für regionale Entwicklung, dem EFRE, oder ausdem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Ent-wicklung des ländlichen Raums, dem ELER.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Danke schön. – Frau Staatssekretärin, dass Sie über
keine Zahlen verfügen, stimmt mich natürlich etwas kri-
tisch. Ich frage mich: Wie wollen Sie es schaffen, für
eine 100-prozentige Abdeckung zu sorgen, wenn Sie
nicht einmal wissen, wie viel Geld dafür überhaupt not-
wendig ist?
Es werden ja große Gewinne gemacht, zum Beispiel
von der Telekom. Vielleicht darf ich Ihnen ein paar Zah-
len nennen: Von 2004 bis 2006 hat die Telekom im
Breitband- und im Festnetzbereich Gewinne von 14 Mil-
liarden Euro erzielt. Meine Frage: Wie stehen Sie zu
dem Vorschlag, dass die Bundesregierung darauf einwir-
ken sollte, dass ein Teil dieser Gewinne in den Regionen
eingesetzt wird, in denen es keinen Breitbandzugang
gibt?
D
Wie ich in meiner Antwort auf Ihre schriftliche Frage
bereits dargelegt habe, setzen wir nicht nur auf öffentli-
che Förderprogramme. Die Entwicklung im Bereich
Breitband ist positiv. Es gibt zwar noch keinen flächen-
deckenden Zugang, aber die Abdeckungsquote beträgt
inzwischen deutschlandweit 97,7 Prozent. Das ist, wie
ich glaube, kein schlechtes Ergebnis. Dennoch versu-
chen wir auf vielfältige Art und Weise, die noch vorhan-
dene Lücke von 2,3 Prozent zu schließen.
Unter anderem findet am 12. November dieses Jahres
hier in Berlin ein Kongress des DIHK statt, zu dem wir
alle 800 Gemeinden, in denen es noch keinen Breitband-
zugang gibt, eingeladen haben, um ihnen alternative
Möglichkeiten vorzustellen. Schließlich bestehen solche
alternativen Möglichkeiten, vor allem im Bereich der
Funktechnologien. Darüber hinaus gibt es das Projekt
„Breitbandatlas“ und vieles andere. Natürlich hoffen wir,
dass wir diese Situation weiter verbessern können und
dass die Deutsche Telekom überprüft, wo sie den Breit-
bandzugang in Zukunft ausbaut.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Im Grunde kann man also sagen, dass die Gewinne,
die in den Ballungszentren erzielt werden, in denen ein
Breitbandzugang vorhanden ist, privatisiert werden und
dass der Breitbandzugang in den ländlichen Gegenden,
in denen es ihn noch nicht gibt, mit öffentlichen Förder-
geldern geschaffen werden muss. Sind Sie hier mit mir
einer Meinung?
D
Nein, ich bin mit Ihnen nicht einer Meinung. Ich habe
dargelegt, dass wir die öffentliche Förderung als Ultima
Ratio betrachten. Auf öffentliche Förderungen können
die Länder zugreifen. Es gibt eine Förderung durch die
GA und eine Förderung im Rahmen der Fonds auf euro-
päischer Ebene. Das soll aber immer die Ultima Ratio
sein und nur zu dem Zweck genutzt werden, die letzten
noch vorhandenen Lücken zu schließen.
Es gibt alternative Anschlussmöglichkeiten auch für
die Fläche. Wir sehen die Notwendigkeit, die Kommu-
nen darauf hinzuweisen, welche anderen Möglichkeiten
bestehen. Hier ist noch mehr Aufklärungsarbeit zu leis-
ten. Um diese Aufklärungsarbeit zu betreiben, haben wir
alle Kommunen eingeladen, an dem Kongress teilzuneh-
men, der in der nächsten Woche in Berlin stattfindet.
Aber wir werden keinen politischen Einfluss darauf neh-
men, wie die Telekom ihre Gewinne zukünftig verwen-
det.
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Rainder
Steenblock auf:
Warum weigert sich die Bundesregierung, die Akten über
Planung und Bau der Erdgaspipeline durch die Ostsee sowie
die Unterlagen der Kreditbürgschaft des Bundes öffentlich zu-
D
Lieber Kollege Steenblock, bei der Nord-Stream-Pipeline handelt es sich, wie Sie wissen, um ein privat-wirtschaftliches Projekt der drei Unternehmen Gasprom,Eon und BASF. Das heißt, ob die Pipeline gebaut wirdund wer sie zukünftig betreiben soll, ist eine Entschei-dung der beteiligten Unternehmen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2007 12693
(C)
(D)
Parl. Staatssekretärin Dagmar WöhrlDie Akten enthalten eine politische Bewertung desProjekts. Herr Steenblock, sie sind lange genug dabei,um zu wissen, dass eine Veröffentlichung die internepolitische Einschätzung der Bundesregierung und damitdie Position der Bundesregierung gegenüber ausländi-schen Partnern erkennen lassen würde. Das würde unse-ren zukünftigen Verhandlungsspielraum einschränken.Für so einen Fall ist im Informationsfreiheitsgesetz gere-gelt, dass, wenn ein Bekanntwerden der Informationnachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehun-gen haben kann, eine Einschränkung des Zugangs zu In-formationen möglich ist.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Wenn ich die
Bundesregierung bisher richtig verstanden habe, geht sie
davon aus, dass dieses Projekt im gemeinsamen europäi-
schen Interesse ist. Von daher kann die Konkurrenz, die
Sie befürchten, überhaupt nicht eintreten. Sie haben Ihre
Weigerung, die Akten öffentlich zugänglich zu machen,
mit dem Informationsfreiheitsgesetz begründet; das
muss dann entweder nach § 3 oder nach § 4 geschehen.
Wenn die Bundesregierung jetzt die Veröffentlichung
der Akten eines nach ihren eigenen Aussagen unumstrit-
tenen Projektes ablehnt, würde mich interessieren, auf
welcher Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes sie
das tun will, sprich: welche öffentlichen Belange bzw.
welche Entscheidungsprozesse sie dadurch schützen
will. Sie sind ja gemäß § 9 Informationsfreiheitsgesetz
verpflichtet, bei einer Ablehnung mitzuteilen, ob und
wann Sie bereit sind, diese Akten öffentlich zu machen.
Ist das absehbar?
D
Das ist nicht absehbar, und es ist auch nicht geplant.
Sie haben vollkommen recht: Das ist ein unternehmeri-
sches Projekt mit einer europäischen Dimension; das ist,
glaube ich, unstrittig. Aber in diesen Akten ist, wie ge-
sagt, eine interne politische Einschätzung der Bundes-
regierung mit niedergelegt, und es ist nicht beabsichtigt,
diese öffentlich darzulegen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, können Sie sich vorstellen, dass
die Kritik, die es in den baltischen Ländern und in Polen,
aber auch in den skandinavischen Ländern sowohl an der
Grundsatzentscheidung für das Projekt, aber auch am
Verlauf dieser Pipeline gibt, dadurch, dass die Bundes-
regierung nicht bereit ist, ihre Position öffentlich zu
machen, noch gestärkt wird und dass sich unsere euro-
päischen Partner von so einem Verhalten der Bundes-
regierung ausgesprochen verletzt fühlen?
D
Ich glaube nicht, dass sie sich ausgesprochen verletzt
fühlen. Sie wissen, dass dieses Projekt in die transeuro-
päischen Netze aufgenommen worden ist und dem alle
Mitgliedstaaten zustimmen mussten. Es bestehen perma-
nent Kontakte zwischen den einzelnen Ländern, und es
werden viele bilaterale Gespräche geführt, hinsichtlich
der Umweltverträglichkeitsprüfung und vielem anderen
mehr. Uns ist nicht bekannt, dass sich wegen der Nicht-
veröffentlichung irgendjemand beschwert hätte.
Ich rufe die Frage 12 des Kollegen Rainder
Steenblock auf:
Wie schätzt die Bundesregierung die Konsequenzen des
deutsch-russischen Projekts für die Beziehungen zu den Ost-
seeanrainern und EU-Mitgliedern Polen, Estland und Lettland
vor dem Hintergrund der erheblichen Bedenken hinsichtlich
der ökologischen Verträglichkeit und besonders auf polni-
scher Seite hinsichtlich der gesicherten Energieversorgung
ein?
D
Mit Ihrer vorherigen Frage haben Sie auch schon ein
wenig das Thema der Frage 12 angesprochen.
Wir wissen, dass es bezüglich des Projekts – also
nicht bezüglich der Nichtveröffentlichung der Unterla-
gen, worüber wir vorhin gesprochen haben – in Polen
und in den baltischen Staaten kritische Stimmen gibt.
Aber wie gesagt: Das Europäische Parlament und auch
die Europäische Kommission haben die Pipeline am
6. September 2006 in die Liste der transeuropäischen
Energienetze aufgenommen. Das ist ein Rechtsakt, der
für alle Mitgliedstaaten verbindlich ist. Weil das ein lau-
fendes Projekt ist, besteht ein permanenter Kontakt der
Kommission mit Polen, den baltischen Staaten und auch
den anderen Ostseeanrainern.
Darüber hinaus werden alle betroffenen Staaten im
Rahmen der derzeit laufenden Durchführung der grenzü-
berschreitenden Umweltverträglichkeitsstudie nach der
Espoo-Konvention regelmäßig unterrichtet. Im Rahmen
internationaler Kooperationen, wie zum Beispiel der
Helsinki-Kommission, der Kommission zum Schutz der
Meeresumwelt des Ostseegebiets, informiert die Bun-
desregierung die Anrainerstaaten in bilateralen Kontak-
ten über den Fortgang des Projektes. Darüber hinaus
führt auf polnischen Wunsch eine deutsch-polnische Ar-
beitsgemeinschaft auf Staatssekretärsebene bilaterale
Gespräche.
Ihre erste Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wenn Sie sich das Verhalten derRegierung Estlands hinsichtlich des Trassenverlaufs an-sehen, die ihren Protest gegen diese Pipeline, wie andereeuropäische Länder auch, noch einmal sehr deutlich ge-macht hat, werden Sie Verständnis dafür haben, dass
Metadaten/Kopzeile:
12694 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2007
(C)
(D)
Rainder Steenblockmeine Einschätzung dieses Konsultationsprozesses deut-lich anders aussieht.Wir haben jetzt die Mitteilung bekommen, dass derZeitplan für die Ostseepipeline nicht zu halten ist, son-dern dass er zunächst um ein halbes Jahr verschobenwird, mit der Option, dies deutlich zu verlängern. Dar-aufhin gab es eine Stellungnahme der polnischen Regie-rung, dass das eine Chance ist, das Gesamtprojekt zukippen. In vielen europäischen Ländern gibt es alsodeutliche Widerstandslinien dazu.Wie beurteilt die Bundesregierung vor diesem Hinter-grund den zukünftigen Zeitplan inklusive der geplantenUmweltverträglichkeitsprüfung und der Frage, wie manmit den Munitionsaltlasten in der Ostsee bei dem geplan-ten Trassenverlauf umgehen kann? Sehen Sie die Mög-lichkeit, andere Arbeitsformen zu entwickeln, um gerademit unseren östlichen Nachbarländern hier zu einemKonsens zu kommen?D
Wie ich vorhin ausgeführt habe, ist die Aufnahme des
Projektes in die Liste der TEN-Projekte ein verbindli-
cher Rechtsakt. Ich glaube, uns allen ist daran gelegen,
dass wir zu einer Diversifizierung der Transportwege,
also zu mehr europäischer Sicherheit, kommen. Wir wis-
sen natürlich, dass hier an den Transport von Gas aus
neu erschlossenen Gasfeldern gedacht ist.
Uns ist aber natürlich auch bekannt, dass es Wider-
stände gibt – das ist ganz klar –, vor allem von polni-
scher Seite. Wir wissen auch von eventuellen Interessen
auf polnischer Seite – hinsichtlich der eigenen Wirt-
schaft und der Transitgebühren. Das ist Ihnen ebenfalls
bekannt. Es gibt aber völkerrechtliche Verpflichtungen
bezüglich der Umwelt, die bei dieser Trassenbeteiligung
eingehalten werden müssen. Deswegen wird zurzeit
auch die grenzüberschreitende Umweltverträglichkeits-
prüfung durchgeführt.
Die längere Dauer ist kein Grund, dass von dem Pro-
jekt Abstand genommen werden sollte.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin, um die Akzeptanz in den balti-
schen Ländern und in Polen zu erhöhen, wurde immer
wieder diskutiert, ob eventuell eine Abzweigung in diese
Länder realisiert werden soll und die Verfügungshoheit
über diese Abzweigung nicht der Gasprom, sondern ei-
nem internationalen Gremium unterstellt werden soll.
Gibt es solche Überlegungen auch innerhalb der Bundes-
regierung? Damit könnte ja die Akzeptanz erhöht wer-
den. Wird auf solche Vorschläge, die aus Polen und dem
Baltikum kommen, eingegangen?
D
Es werden Gespräche geführt. Die Wünsche und An-
regungen der betroffenen Anrainerstaaten sind uns na-
türlich bekannt. Aber es sind diesbezüglich keine Ent-
scheidungen getroffen.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. –
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwor-
tung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Die
Fragen beantwortet Herr Parlamentarischer Staatssekre-
tär Dr. Hermann Kues.
Die Frage 13 des Kollegen Dr. Ilja Seifert wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 14 der Kollegin Elke Reinke auf:
Welche weiteren Freiwilligendienste sind neben den Ju-
gendfreiwilligendiensten wie das freiwillige soziale Jahr/der
freiwillige soziale Dienst oder das freiwillige ökologische
Jahr/der freiwillige ökologische Dienst, welche beim Bundes-
ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend angesie-
delt sind, und dem entwicklungspolitischen Freiwilligendienst
„weltwärts“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung in den anderen Ministerien in
Planung, und wie sollen diese ausgestaltet sein?
D
Ich beantworte die Frage wie folgt: Außer den im
BMFSFJ angesiedelten, gesetzlich geregelten Jugend-
freiwilligendiensten freiwilliges soziales Jahr und frei-
williges ökologisches Jahr sowie dem entwicklungspoli-
tischen Freiwilligendienst „weltwärts“ des BMZ werden
derzeit keine zusätzlichen Freiwilligendienste von der
Bundesregierung geplant. Das BMI erwägt, im Rahmen
des freiwilligen sozialen Jahres ein neues Einsatzfeld im
Bereich des Zivil- und Katastrophenschutzes unter mög-
licher Trägerschaft des THW anzubieten. Gedacht ist zu-
nächst an eine geringe Teilnehmerzahl von 20 bis
30 Freiwilligen. Das BMWF plant ein freiwilliges tech-
nisches Jahr; so lautet zumindest der Arbeitstitel. Ziel
des in 2008 anlaufenden Programms ist die Förderung
der Studierbereitschaft für technisch-naturwissenschaft-
liche Studiengänge durch eine mehrmonatige berufliche
Orientierung in Forschungseinrichtungen oder Unter-
nehmen. Dieses Projekt, gedacht als Berufsorientierung
im Sinne des § 26 des Berufsbildungsgesetzes – hier ist
also ein anderes Vertragsverhältnis vorgesehen –, stellt
keinen Freiwilligendienst im engeren Sinne dar.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sieunsere Befürchtungen, dass durch diese schlecht abge-stimmte Ausweitung der Freiwilligendienste der konse-quente Bildungsaspekt verloren geht und stattdesseneine neue „Generation Praktikum“ herangezogen wird?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2007 12695
(C)
(D)
D
Diese Gefahr sehe ich nicht. Im Gegenteil, ich halte
es für eine gute Entwicklung, dass in den unterschiedli-
chen Ressorts Aktivitäten entfaltet worden sind. Im Üb-
rigen bemühen wir uns, die Dinge im Rahmen des ge-
planten Jugendfreiwilligengesetzes so zu koordinieren
und zu bündeln, dass es eine einheitliche Linie gibt. Ent-
scheidend ist dabei, dass für die Jugendlichen, die einen
dieser Dienste anstreben werden, ein überzeugendes An-
gebot vorhanden sein wird.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Vielen Dank. – Meine weitere Frage: Was gedenken
Sie dagegen zu tun, dass bürgerschaftliches Engagement
– hier in Form der Freiwilligendienste – immer häufiger
reguläre sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze ver-
drängt?
D
Dies ist unserer Auffassung nach nicht der Fall. Denn
es ist zu beachten, dass die Jugendfreiwilligendienste
eine andere Funktion, eine andere Aufgabe haben und
teilweise dazu dienen, sozialem Engagement einen be-
sonderen Rahmen zu geben, teilweise aber auch eine
wichtige Rolle bei der Berufsfindung spielen. Insoweit
gibt es einen großen Unterschied zwischen Jugendfrei-
willigendiensten und Freiwilligendiensten für Ältere, bei
denen eine andere Motivationslage gegeben ist. Wir se-
hen diese Gefahr überhaupt nicht.
Eine weitere Zusatzfrage stellt der Kollege Gehring.
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, mich interessiert,
wie Sie die Bedenken beurteilen und auf sie erwidern,
dass von Freiwilligendienstträgern und aus den Reihen
der Opposition, aber sogar von einzelnen Abgeordneten
der Regierungsfraktionen gesagt wird, es sei nicht ganz
nachzuvollziehen, dass die Jugendfreiwilligendienste
aus dem Kinder- und Jugendplan des Bundes herausge-
löst werden. Ist dies mit dem Ziel vereinbar, den jugend-
und bildungspolitischen Charakter der Freiwilligen-
dienste zu stärken? Ich sehe da erst einmal einen Wider-
spruch, wenn man dies allein unter bürgerschaftlichem
Engagement abbucht. Wieso wollen Sie die Jugendfrei-
willigendienste aus dem KJP herauslösen? Das ist ja eine
berechtigte Frage.
D
Sie haben es schon selbst angesprochen: Es geht da-
rum, unter dem Gesamtlabel „Bürgerschaftliches En-
gagement“ einen Weg zu finden, der auch für die jugend-
lichen Interessenten von Bedeutung ist und ihnen
gegenüber eine einheitliche Ansprache ermöglicht. Inso-
fern ist es eine Ergänzung zu vielen Aktivitäten, die auch
im Kinder- und Jugendplan verankert sind.
Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Kai Gehring auf:
Was sind nach Planung der Bundesregierung die Zeit-
punkte für die Vorlage des neuen Gesetzentwurfs zur Novelle
zum Jugendschutzgesetz und zum Abschluss des Gesetzge-
bungsverfahrens, und teilt die Bundesregierung die von einem
Abgeordneten der Fraktion der CDU/CSU geäußerte Auffas-
sung , bei der
genannten Novelle mit Blick auf Gewaltvideos und soge-
nannte Killerspiele „eine große Lösung“ anstreben zu wollen
und damit in diesem Bereich über die Frage von Testkäufen
hinaus vom bisherigen Entwurf abzuweichen?
D
Herr Kollege Gehring, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Für die Bundesregierung ist Kinder- und Jugend-
medienschutz ein ganz besonders wichtiges Anliegen.
Hier besteht auch mit den Ländern völlige Übereinstim-
mung. Ein effektiver Schutz hat oberste Priorität. Ge-
meinsames Ziel ist es, den Schutz von Kindern und Ju-
gendlichen vor schädlichen Einflüssen zu verbessern.
Seit dem 30. Oktober 2007 liegt der Endbericht „Ana-
lyse des Jugendmedienschutzsystems – Jugendschutzge-
setz und Jugendmedienschutz-Staatsvertrag“ des Hans-
Bredow-Instituts vor. Es gilt nun, diesen Bericht – er
umfasst 387 Seiten – auszuwerten. Sobald Bund und
Länder Einvernehmen über die notwendigen Änderun-
gen im Jugendschutzgesetz des Bundes und im Jugend-
medienschutz-Staatsvertrag der Länder erzielt haben,
sind diese mit Blick auf die Konvergenz der verzahnten
Medienregelungswerke des Bundes und der Länder zeit-
gleich gemeinsam zu novellieren. Dennoch meinen wir,
dass bereits feststehende Erkenntnisse nicht ignoriert
werden dürfen, sondern dass sie auf die Handlungsebene
transportiert werden müssen. Denn in einigen entschei-
denden Punkten hat sich der Bedarf an einer Änderung
der Jugendschutzvorschriften bereits nach Vorlage des
vom Hans-Bredow-Institut Anfang Juni 2007 vorgeleg-
ten Berichts „Das deutsche Jugendschutzsystem im Be-
reich der Video- und Computerspiele“ gezeigt. Insofern
wird das Sofortprogramm des Bundesjugendministeri-
ums und des Jugendministeriums NRW für einen verbes-
serten Jugendmedienschutz bestätigt. Dies gilt auch
nicht zuletzt für die Notwendigkeit, verbesserte Rah-
menbedingungen für die zuständigen Kontrollbehörden
vor Ort zu schaffen.
Der Entwurf eines ersten Gesetzes zur Änderung des
Jugendschutzgesetzes ist nach der öffentlichen Diskus-
sion zurückgestellt worden. Zunächst soll bei dem von
Frau Bundesfamilienministerin einberufenen runden
Tisch zum Jugendschutzgesetz und zur Verbesserung des
gesetzlichen Vollzugs am 28. November 2007 geklärt
werden, welche Rahmenbedingungen für einen wirksa-
men Vollzug für die zuständigen Kontrollbehörden zu
schaffen sind.
Ihre Zusatzfragen, Herr Kollege.
Metadaten/Kopzeile:
12696 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2007
(C)
(D)
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Hintergrund für
meine schriftliche Frage und meine Nachfrage ist, dass
die Bundesfamilienministerin ihren Gesetzentwurf zur
Novelle des Jugendschutzgesetzes nach massiven öffent-
lichen Protesten zurückziehen musste, insbesondere weil
sie Kinder als Testkäufer und damit ein Stück weit auch
als Lückenbüßer für fehlende oder mangelnde staatliche
Kontrollen vor Ort einsetzen wollte. Sie haben darauf
verwiesen, dass Sie zu einem runden Tisch einladen wol-
len, zu dem Sie auch die Oppositionsfraktionen einladen.
Wir sind gesprächsbereit und werden daran teilnehmen.
Mich interessiert in diesem Zusammenhang die Ge-
sprächsgrundlage für den runden Tisch. Werden wir
noch einmal über die Gesetzesnovelle reden, oder geht
es sozusagen nur um Umsetzungsdefizite vor Ort? Des
Weiteren interessiert mich der Teilnehmerinnen- und
Teilnehmerkreis. Werden zum Beispiel der Hotel- und
Gaststättenverband, der Einzelhandelsverband oder die
Kommunen mit am Tisch sitzen? Denn insbesondere die
DEHOGA und andere Verbände müssen stark in die
Pflicht genommen werden. Ist der runde Tisch als ein-
malige Veranstaltung geplant, oder bildet er den Auftakt
zu einer Gesprächsreihe?
D
Zunächst einmal: Der Gesetzentwurf ist nicht zurück-
gezogen worden; vielmehr hat das Kabinett seinerzeit
entschieden, die Beratung zurückzustellen. Das wird
beim runden Tisch zu erörtern sein. Ob andere Instru-
mente vorgeschlagen werden, die ebenso geeignet sind,
bleibt abzuwarten. Ich gebe Ihnen völlig recht: Sich über
den Jugendschutz Gedanken zu machen und Normen
einzufordern, die man dann nicht überprüft, macht wenig
Sinn. Es wird auch über die zeitliche Abfolge zu reden
sein.
Der runde Tisch ist ein informelles Treffen. Wir mei-
nen, dass er eine gute Methode ist, um bei einem Thema,
das offenkundig die Öffentlichkeit aufwühlt, zu Ergeb-
nissen zu kommen. Daran sollen Vertreter der kommu-
nalen Spitzenverbände, der Bundesländer, die hier feder-
führend sind, sowie unterschiedlicher Bundesressorts
teilnehmen. Wir haben natürlich auch das Parlament ein-
geladen, sich daran zu beteiligen. Es werden zudem Ver-
treter der Wirtschaft, der Spitzenverbände, der Fachver-
bände sowie der Kinder- und Jugendschutzverbände
teilnehmen, die sich in der Anhörung seinerzeit geäußert
und in der öffentlichen Debatte Position bezogen haben,
genauso wie andere wichtige Akteure, die auf diesem
Feld aktiv sind.
Ich gehe davon aus, dass der runde Tisch ein-, zwei-
mal tagt. Nach dem ersten Mal wird man weitersehen
und im parlamentarischen Raum erörtern, wie mit den
Ergebnissen des runden Tisches umzugehen ist.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Ich habe vor allen Dingen den Medien entnommen,
dass Sie Kernbestandteile Ihres Entwurfs leider zurück-
stellen mussten, und zwar nach einem Machtwort der
Bundeskanzlerin. Vor diesem Hintergrund interessiert
mich, ob Sie in die Gespräche des runden Tisches ei-
gene, neue Vorschläge für einen verbesserten Kinder-
und Jugendschutz sowie zur Behebung der Umsetzungs-
defizite einbringen werden.
Um auf Ihre Antwort auf meine erste Frage zurückzu-
kommen: Mich interessiert, ob im weiteren Verfahren
die Ergebnisse der Evaluation des Berichtes zum
Jugendmedienschutz, der vor kurzem vorgelegt wurde
– Sie haben das erwähnt –, in der Novelle Berücksichti-
gung finden.
Dr
Diese Bundeskanzlerin neigt nicht zu Machtworten;
das wissen Sie auch, Herr Kollege Gehring.
Man hat vielmehr die Beratungen zurückgestellt. Wir
wollen nun in einem Zwischenschritt, mit dem runden
Tisch, zügig zu Ergebnissen kommen, sodass abschlie-
ßend entschieden werden kann, wie damit umgegangen
werden soll. Die vorliegende umfängliche Studie des
Hans-Bredow-Instituts muss in aller Ruhe ausgewertet
werden. Darüber muss mit Fachleuten gesprochen wer-
den. Es muss zudem politisch erörtert werden, welche
Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Erst dann ist ein
Gesetzgebungsverfahren möglich. Das wird ein längerer
Prozess sein. Gleichzeitig muss erörtert werden, ob man
so lange mit dem Umsetzen der Ergebnisse in dem Be-
reich warten will, für den bereits Vorschläge vorliegen.
Das wird auch mit den Jugendministern zu erörtern sein.
Wir kommen nun zur Frage 16 des Kollegen Gehring:
In welcher Höhe veranschlagt die Bundesregierung die zu
erwartenden Kosten für die von ihr geplante Einführung eines
Betreuungsgeldes, welche laut aktuellen Presseberichten im
Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau der Kindertagesbetreu-
ung für unter Dreijährige enthalten ist?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Dr
Ich antworte wie folgt: Eine Formulierung zum Be-treuungsgeld im Rahmen der anstehenden Änderung desSGB VIII wird den Festlegungen des Koalitionsaus-schusses folgen. Finanzielle Konsequenzen für die öf-fentlichen Haushalte werden sich hieraus nicht ableitenlassen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2007 12697
(C)
(D)
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege Gehring? –
Bitte.
Mich interessiert, welches Verhalten die Bundesregie-
rung von einer armen, bildungsfernen Familie oder einer
stark benachteiligten Familie mit Migrationshintergrund
erwartet, wenn diese vor die Wahl gestellt wird, entwe-
der das Kind in eine Krippe oder in eine Kindertages-
stätte zu geben – der Besuch solcher Einrichtungen kos-
tet die Eltern in der Regel Geld – oder 150 Euro für die
Betreuung des Kindes zu Hause zu erhalten. Es würde
mich interessieren, wie Sie in diesem Zusammenhang
die Erfahrungen insbesondere aus Thüringen bewerten;
wir haben dazu viel in den Medien gelesen. Ich frage
auch vor dem Hintergrund, dass die Ministerin hier im
Bundestag in Plenardebatten immer wieder deutlich ge-
macht hat, dass sie ein Betreuungsgeld als eine – Zitat –
„bildungspolitische Katastrophe“ einschätzen würde.
Dr
Sie wissen, dass der Beschluss des Koalitionsaus-
schusses vorsieht, dass über eine finanzielle Förderung
ab 2013 – da ist unter anderem das Betreuungsgeld ge-
nannt – nachgedacht werden soll. Wir werden also eine
Menge Zeit haben, in Ruhe über Vorteile, Nachteile und
mögliche Auswirkungen zu diskutieren. Diese Zeit wird
notwendig sein, um das mit Fachleuten im Einzelnen zu
erörtern. Ich glaube des Weiteren, dass man zwischen ei-
ner grundsätzlichen, politischen Diskussion und einer
gesetzestechnischen Debatte, in der erörtert wird, wie et-
was ganz konkret umgesetzt werden soll, unterscheiden
muss, zumal eine erhebliche Zeitspanne vor uns liegt.
Das erklärt, warum die Akzente unterschiedlich gesetzt
werden.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Das ist nicht
der Fall.
Die Fragen 17 und 18 der Kollegin Krista Sager wer-
den schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 19 der Frau Kollegin Lenke:
Inwieweit gibt es hinsichtlich des Anteils derjenigen Kin-
der, die Kindertageseinrichtungen besuchen oder im Rahmen
der Tagespflege betreut werden, Unterschiede zwischen den-
jenigen Bundesländern, in denen Landeserziehungsgeld ge-
währt wird, und solchen, die diese Leistung nicht vorsehen,
und welche Schlüsse zieht die Bundesregierung hieraus?
D
Ich beantworte die Frage wie folgt: Das Landeserzie-
hungsgeld wird nach Kenntnis der Bundesregierung in
fünf Bundesländern gezahlt. Untersuchungen über Zu-
sammenhänge zwischen der Zahlung von Landeserzie-
hungsgeld und dem Besuch von Kindertageseinrichtun-
gen sind der Bundesregierung nicht bekannt. Es gibt
Mutmaßungen über einen solchen Zusammenhang, aber
die sind für eine abschließende Bewertung sicherlich
nicht zielführend; denn zum einen zahlen die Länder das
Erziehungsgeld unter unterschiedlichen Konditionen,
sodass eine Vergleichbarkeit praktisch nicht gegeben ist,
zum anderen sagen auch Vorher-nachher-Vergleiche we-
nig aus, solange nicht gleichzeitig untersucht wird, wel-
che Motive Eltern hatten, ihr Kind in eine Einrichtung zu
schicken oder das nicht zu tun.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade gesagt, der
Bundesregierung lägen keine Erkenntnisse vor. Mir liegt
die Erkenntnis des Thüringer Landesamtes für Statistik
vom Oktober vor, wonach die Besuchsquote von Kin-
dern im Alter von zwei bis unter drei Jahren um
6,1 Prozent zurückgegangen ist. Was sagen Sie zu die-
sem Rückgang, der in keiner anderen Altersgruppe sonst
stattfindet?
D
Die statistische Zahl ist der Bundesregierung durch-
aus bekannt. Man muss allerdings wissen – das darf man
nicht unter den Tisch fallen lassen –, dass die Besuchs-
quoten für die beiden früheren Altersjahrgänge leicht ge-
stiegen sind. Insofern lässt sich kein Trend ablesen. Der
Rückgang liegt deutlich unter 10 Prozent. Deswegen
kann man keine voreiligen Schlüsse ziehen. Ich glaube
allerdings schon, dass man die Entwicklung weiter beob-
achten muss.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, dann würde ich Ihnen gerne über
die Entwicklung aus Norwegen, das 1998 die Zahlung
des Betreuungsgeldes eingeführt hat, berichten. 80 Pro-
zent der Familien mit einem nicht westlichen Einwande-
rungshintergrund haben das Betreuungsgeld in Anspruch
genommen und ihre Kinder nicht in Betreuungseinrich-
tungen geschickt. Wir wissen alle, dass das Erlernen der
Sprache für Kinder ganz wichtig ist, gerade für Kinder
von Menschen, die nicht ihr ganzes Leben in Norwegen
gewohnt haben und die norwegische Sprache nicht per-
fekt beherrschen. Ich würde gern noch bemerken, – –
Frau Kollegin, Sie stellen eine Frage?
Ich möchte meine Frage dadurch unterfüttern, dassich Ihnen sage, dass die norwegische Regierung die festeAbsicht hat, das Betreuungsgeld wieder abzuschaffen,wenn der Bedarf an Kindergartenplätzen gedeckt ist,weil die Erfahrungen im sozialen Bereich sehr schlechtsind. Stimmen Sie mir da zu?
Metadaten/Kopzeile:
12698 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2007
(C)
(D)
Dr
Ich muss zunächst einmal sagen: Was die Bewertung
bestimmter statistischer Zahlen angeht, ist eine Ver-
gleichbarkeit eigentlich nicht zulässig – das können Sie
auch auf die unterschiedlichen Ergebnisse in den fünf
Bundesländern, von denen ich gesprochen habe, bezie-
hen –; denn die Betreuungsangebote sind sehr unter-
schiedlich, und sie werden unterschiedlich wahrgenom-
men. Da gibt es also große Differenzen. Das zeigt ganz
offenkundig, dass man sich das genauer anschauen
muss. Auch die Rahmenbedingungen muss man analy-
sieren.
Wie Sie wissen, hat Norwegen eine ganz andere In-
frastruktur im Hinblick auf Kinderbetreuung und auch
ein ganz anderes Förderinstrumentarium. Daher sind die
dortigen Verhältnisse mit denen bei uns überhaupt nicht
vergleichbar. Wenn man zu vernünftigen Schlussfolge-
rungen kommen will, dann muss man belastbare Verglei-
che anstellen. Das gilt sowohl für unsere Bundesländer
als auch für Nachbarländer.
Herr Kollege Grund, bitte.
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, können Sie mir
bestätigen, dass statistische Zahlen über Betreuungsfor-
men – ich denke sowohl an Formen der häuslichen Be-
treuung als auch an staatliche Betreuungsangebote –
noch lange nichts über die Qualität der Betreuung aussa-
gen?
Können Sie mir außerdem bestätigen, dass die Zahl
der Familien mit nicht westlichem Hintergrund in Thü-
ringen bei weit unter 2 Prozent liegt, weswegen die Zah-
len aus skandinavischen Ländern mit denen aus
Deutschland und damit auch aus Thüringen nicht ver-
gleichbar sind?
Dr
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen das im Wesentli-
chen bestätigen. Ich habe ja darauf hingewiesen, dass
statistische Zahlen allein keine Vergleichbarkeit ermög-
lichen. Man muss alle Daten zugrunde legen; man muss
auch unterschiedliche Motive und unterschiedliche
Strukturen berücksichtigen und bewerten. Erst wenn
man das getan hat, kann man eine objektive Einschät-
zung vornehmen. Das zeigt im Übrigen noch einmal
ganz deutlich, dass wir durchaus intensiven Beratungs-
bedarf haben. So wie das Ganze bis jetzt angelegt ist, ha-
ben wir dafür die notwendige Zeit.
Die Frage 20 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wird
schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwor-
tung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf. Zur
Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Karin Roth zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 21 des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter:
Welche Ergebnisse der nach Aussagen der Bayerischen
Jahreshälfte 2007 geplanten erneuten Aktualisierung der Nut-
zen-Kosten-Untersuchungen, NKU, des Projekts zweite
S-Bahn-Stammstrecke in München, die mit einem Bundeszu-
schuss von 799,98 Millionen Euro das größte Nahverkehrs-
projekt in Deutschland darstellt und dessen Verkehrsbedeu-
tung weit über München hinausreicht, liegen inzwischen vor,
und welche Auswirkungen hat dieses Ergebnis auf die Förder-
fähigkeit des Projekts nach dem Gemeindeverkehrsfinanzie-
rungsgesetz?
K
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Dr. Hofreiter,
ich kann Ihnen dazu Folgendes mitteilen: Dem Bundes-
ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung liegt
die Aktualisierung der Nutzen-Kosten-Untersuchungen
noch nicht vor. Die Auswirkungen der Aktualisierung
der Nutzen-Kosten-Untersuchungen auf die Förderfähig-
keit des Projektes können somit noch nicht bewertet
werden. Eine positive Nutzen-Kosten-Untersuchung ist
jedoch die Voraussetzung dafür, eine Förderung aus dem
Bereich der Bundesfinanzhilfen im Rahmen des
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes zu erhalten.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Frau
Staatssekretärin, erst einmal vielen Dank für die Ant-
wort. Gibt es eine Schätzung, bis wann das vorliegen
wird? Ihre Angabe muss jetzt nicht auf den Tag genau
sein, aber eine Monatsangabe wäre schön.
K
Ich verstehe Ihr Anliegen sehr gut; schließlich sollte
die Förderung ab 2008 erfolgen. Ich kann noch nicht be-
urteilen, woran es hakt, dass die Ergebnisse dieser Un-
tersuchung noch nicht vorliegen. Wir sind bereit, nach
ihrem Vorliegen so schnell wie möglich zu arbeiten, da-
mit das wie geplant umgesetzt werden kann.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2007 12699
(C)
(D)
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass bereitsdie alte Nutzen-Kosten-Analyse einen Faktor von nur1,01 erbracht hat und dass mittlerweile Abschichtungenbei der Anmeldung des Projekts erfolgt sind, die erwar-ten lassen, dass der Nutzen-Kosten-Faktor weiter sinkenwird?Gibt es eine Alternativplanung? Denn nach allem,was zu befürchten und zu erwarten ist – und von anderenLeuten auch erhofft wird –, wird dieses Projekt nichtmehr mit dem Faktor 1,01 zu realisieren sein.K
Herr Dr. Hofreiter, es ist gerade die Aufgabe der
neuen Nutzen-Kosten-Untersuchung, zu belegen, dass
dieses Projekt mit Blick auf die Förderfähigkeit geför-
dert werden kann. Sonst würden wir diese Runde nicht
ein zweites Mal drehen.
Die Fragen 22 und 23 des Kollegen Klaus Hofbauer,
die Fragen 24 und 25 des Kollegen Jürgen Koppelin und
die Frage 26 der Kollegin Veronika Bellmann werden
schriftlich beantwortet.
Wir sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Frau
Staatssekretärin, ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen steht
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Peter Altmaier zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 27 der Kollegin Sevim Dağdelen
auf:
Handelt es sich bei dem kursierenden Arbeitsentwurf
„Nationaler Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland
zur Bekämpfung von Rassismus, Rassendiskriminierung,
Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und darauf bezogene
Intoleranz“ vom Oktober 2007 um einen
offiziellen Entwurf der Bundesregierung, der jetzt von den
Verbänden und Nichtregierungsorganisationen diskutiert wer-
den soll, oder welchen Status hat dieses Papier?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich beantworte diese
Frage wie folgt: Es handelt sich bei diesem Entwurf, der
den einschlägigen Nichtregierungsorganisationen vor-
liegt und bei ihnen zirkuliert, um einen im Ressortkreis
der Bundesregierung abgestimmten Arbeitsentwurf für
einen Nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Ras-
sismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit,
Antisemitismus und darauf bezogene Intoleranz. Ein
offizieller Entwurf der Bundesregierung liegt erst dann
vor, wenn das Kabinett darüber beschlossen hat. Ein sol-
cher Beschluss ist für die erste Dezemberhälfte vorgese-
hen.
Haben Sie eine Nachfrage? – Bitte sehr.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Herr
Altmaier, es ist schon einmal gut, dass wir den Status
dieses Papiers geklärt haben, das wohl nach der Plenar-
debatte zum Antrag der Linksfraktion zu einem Nationa-
len Aktionsplan gegen Rassismus am Abend des
20. September 2007 an die betreffenden Organisationen
herausgegangen ist – und zwar ohne ein entsprechendes
Anschreiben –, dass dies ein Entwurf ist, auf den sie re-
agieren sollen.
Meine Frage ist folgende: Es gab in den Stellungnah-
men sowohl vom Forum Menschenrechte als auch von
der Aktion Courage zu dem Entwurf, über den wir reden,
massive Kritik. Laut dieser Kritik verdient der Entwurf
nicht den Titel „Aktionsplan“, da keines der angeführten
Kriterien für einen nationalen Aktionsplan – sprich: Pro-
blembeschreibung, Maßnahmen, Umsetzung, Evaluation –
erfüllt sei. Wie steht die Bundesregierung zu dieser fun-
damentalen Kritik der Fachleute?
P
Es ist nichts Ungewöhnliches, wenn einige wenige
Organisationen im Rahmen einer solchen Diskussion
fundamentale Kritik üben. Die Bundesregierung macht
sich diese Kritik nicht zu eigen. Allerdings werden sämt-
liche inhaltlichen Vorschläge, die von diesen Nichtregie-
rungsorganisationen gemacht werden, von der Bundesre-
gierung sorgfältig geprüft werden. Das Ergebnis wird
Eingang in die endgültige Version des Berichtes finden,
wie er dann in der ersten Dezemberhälfte vom Kabinett
beschlossen werden wird.
Haben Sie eine zweite Nachfrage? – Bitte sehr.
Trifft zu, Herr Kollege Altmaier, was Kollegin
Fograscher in ihrer zu der Plenardebatte vom
20. September zu Protokoll gegebenen Rede geäußert
hat, nämlich dass das Forum gegen Rassismus, dessen
Geschäftsstelle beim Bundesinnenministerium ange-
siedelt ist, als nationaler runder Tisch im Sinne der
Grundsätze der Europäischen Stelle zur Beobachtung
von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit fungiert und
mittlerweile rund 80 Organisationen, darunter 60 bun-
desweit bzw. überregional tätige Nichtregierungsorgani-
sationen, umfasst? Trifft es ferner zu, dass für diesen
Bereich federführend die Abteilung V des Bundesinnen-
ministeriums – die Abteilung Innere Sicherheit – zustän-
dig ist, dass sie letztlich diese AG leitet, und in dieser
AG keine Abstimmungen zugelassen sind?
P
Es ist richtig, dass Frau Fograscher dies so dargelegthat, wobei ich jetzt nicht jeden einzelnen Punkt verifizie-ren kann, weil mir das Protokoll nicht vorliegt.Es ist auch richtig, dass wir im Rahmen einer vielfäl-tigen Abstimmung mit den Akteuren der Zivilgesell-
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12700 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2007
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Parl. Staatssekretär Peter Altmaierschaft und im Rahmen ständiger Debatten über diesenAktionsplan auf der letzten Sitzung des Forums gegenRassismus am 29. und 30. Oktober 2007 eine ausführli-che Diskussion zu diesem Thema hatten. Dort hatten dieNichtregierungsorganisationen – das sind einige, wie Siewahrscheinlich wissen – die Möglichkeit, Kommentareabzugeben sowie Ergänzungs- und Änderungsvor-schläge zu machen. Diese Möglichkeit bestand nicht nurin der Sitzung dieses Forums, sondern sie besteht dieganze Zeit, auch jetzt noch. Die Bundesregierung mussletztendlich im Rahmen ihrer Verantwortung entschei-den, welche dieser Vorschläge und Änderungsanträge sieaufgreift.
Zu einer Zusatzfrage Frau Kollegin Zimmermann,
bitte.
Danke, Frau Präsidentin. – Ich habe eine ganz kon-
krete Frage: Wann gedenkt die Bundesregierung, die Er-
gebnisse der UN-Weltkonferenz, die 2001 in Durban
stattgefunden hat, endlich ins Deutsche zu übersetzen
und zu publizieren? In der inoffiziellen Übersetzung
– das wird Ihnen sicherlich bekannt sein – wird teilweise
eine rassistische Sprache verwendet, werden zum Bei-
spiel Sinti und Roma als „Zigeuner“ bezeichnet.
P
Das ist mir, ehrlich gesagt, nicht bekannt. Ich bitte
auch um Verständnis dafür, dass ich die Frage, ob und,
wenn ja, für wann eine solche Übersetzung geplant ist,
jetzt nicht beantworten kann. Die Antwort wird Ihnen
aber schriftlich nachgereicht.
Damit rufe ich die Frage 28 der Kollegin Sevim
Dağdelen auf:
Welchen Status hat das für den 23. November 2007 ge-
plante abschließende Fachgespräch zum Entwurf des Nationa-
len Aktionsplans gegen Rassismus beim Deutschen Institut
für Menschenrechte, und inwieweit sind angesichts des engen
Zeitplans eine grundlegende Auseinandersetzung, Diskussion
und Einflussnahme seitens der Nichtregierungsorganisationen
mit bzw. auf den Entwurf überhaupt noch möglich, wenn der
Nationale Aktionsplan bis spätestens 31. Dezember 2007
an die Vereinten Nationen übersandt werden soll?
P
Sie wissen, Frau Kollegin, dass entsprechend dem
Durbaner Programme of Action die UN-Mitgliedstaaten
aufgefordert sind, einen Nationalen Aktionsplan vorzu-
legen. Ein solcher wird im Dezember im Kabinett be-
schlossen werden. Er wird mit der Zivilgesellschaft dis-
kutiert und gemeinsam erstellt. Das Deutsche Institut für
Menschenrechte, DIMR, hat sich dankenswerterweise
bereit erklärt, diese Diskussion mit den einschlägigen zi-
vilgesellschaftlichen Akteuren zu führen. Sie hat um-
fänglich stattgefunden.
Es handelt sich bei dem Gespräch am 23. November
um ein abschließendes Gespräch, wie Sie selbst treffend
bemerkt haben. Wir sind der Auffassung, dass es nach
der großen Zahl von Gesprächen, die bislang stattgefun-
den haben, irgendwann einmal geboten ist, die Diskus-
sion abzuschließen; denn wir wollen, wie Sie wissen,
den Aktionsplan nach einer entsprechenden Beschluss-
fassung im Kabinett bis Ende des Jahres an die UN über-
mitteln.
Die bislang geführten Diskussionen mit den Nichtre-
gierungsorganisationen haben im Übrigen strukturell
wie inhaltlich bereits Einfluss auf die Gestaltung des Ar-
beitsentwurfs gehabt. Ich muss allerdings zum Ausdruck
bringen, dass es die Entscheidung der Exekutive ist, wel-
che Anregungen letztendlich übernommen werden; denn
der Nationale Aktionsplan ist ein Programm der Exeku-
tive, und das soll er nach dem Willen der Vereinten Na-
tionen auch sein. Dennoch sind und bleiben wir, wie in
der Vergangenheit auch, jederzeit gesprächsbereit.
Haben Sie eine Zusatzfrage?
Ja, ich habe eine Zusatzfrage. – Es ist wirklich begrü-
ßenswert, dass Sie so gesprächsbereit sind. Das wün-
schen wir uns als Oppositionsfraktion von dieser Bun-
desregierung auch immer.
Eine der wichtigen Besonderheiten der Weltkonferenz
und der Selbstverpflichtungen der Regierungen – Herr
Altmaier, Sie werden sich daran erinnern, auch wenn es
lange zurückliegt; das war 2001 – war, dass man mit den
beteiligten Gruppen, die zum Thema Rassismus arbei-
ten, ein Konsultationsverfahren verabredet und mit ih-
nen zusammen das Ganze entwickelt. Wie soll das ge-
schehen, wenn die Bundesregierung über sechs Jahre
braucht, um einen Entwurf zu erarbeiten, und gleichzei-
tig davon ausgeht, dass der Entwurf am 20. September
vorgelegt wird – NGOs haben ganz andere Ressourcen
zur Verfügung als eine Bundesregierung – und am
23. November ein abschließendes Gespräch geführt
wird, weil am 12. Dezember die Kabinettsentscheidung
ansteht und bis spätestens 31. Dezember der Entwurf an
die UN gehen soll? Ist die Bundesregierung für den Fall,
dass es weitere Stellungnahmen geben wird, die Kritik
und auch Anregungen beinhalten werden, bereit, den
Zeitplan zu verändern, um ein besseres Ergebnis zuguns-
ten eines Vorgehens gegen Rassismus im Land zu erzie-
len?
P
Es wird, Frau Kollegin, Ihrer geschätzten Aufmerk-samkeit nicht entgangen sein, dass die jetzige Bundes-regierung erst seit ihrem Amtsantritt Verantwortungträgt. Das ist ein überschaubarer Zeitraum, in dem wiruns bemüht haben, eine möglichst breite Diskussion inGang zu setzen und zu führen. Erfreulich viele habensich an dieser Diskussion beteiligt. Sie werden aus Ihrereigenen Praxis wissen, dass es eine Zeit für Diskussio-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2007 12701
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Peter Altmaiernen und eine Zeit für Entscheidungen gibt. Wir halten esfür wichtig, dass wir, auch um die Ernsthaftigkeit unse-res Engagements gegenüber den Vereinten Nationendeutlich zu machen, an unserem Vorhaben festhalten,diesen Aktionsplan bis Ende des Jahres zu übermitteln.Das heißt, dass er vorher im Kabinett beschlossen wer-den muss. Die Diskussion, die wir über mehrere Monateintensiv geführt haben, auf der einen Seite und die Ent-scheidung, die wir Anfang/Mitte Dezember treffen wer-den, auf der anderen Seite bedingen zwangsläufig denhohen Zeitaufwand.
Eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr.
Danke, Frau Präsidentin. – Lieber Herr Altmaier,
Themenschwerpunkte des Nationalen Aktionsplans soll-
ten laut UN-Weltkonferenz 2001 auch Kolonialismus,
historische Schuld und Entwicklungszusammenarbeit
sein. Bemerkenswerterweise haben die Organisationen,
die den Arbeitsentwurf vom BMI bekommen haben, be-
mängelt, dass diese Themen dort völlig ausgeblendet
worden sind. Können Sie uns erklären, aus welchem
Grund die Bundesregierung diese Themen in dem Ent-
wurf nicht behandelt?
P
Es handelt sich hier um eine indikative, nicht um eine
abschließende und schon gar nicht um eine verbindliche
Aufzählung. Es ist, glaube ich, selbstverständlich, dass
jedes Land, das sich mit einem eigenen Aktionsplan be-
teiligt, die aus seiner Sicht wichtigen Akzente setzt. Das
ist uns, wie wir glauben, auch vor dem Hintergrund der
geschichtlichen Situation und der aktuellen Probleme in
der Bundesrepublik Deutschland, sehr gut gelungen. In-
sofern sehen wir hier kein Defizit.
Frau Kollegin Zimmermann, Sie haben eine Zusatz-
frage.
Danke, Frau Präsidentin. – Ich habe dazu eine Nach-
frage. Es existieren ja sogenannte Guidelines bzw. Eck-
punkte zur Erstellung eines nationalen Aktionsplans.
Warum entspricht der Entwurf der Bundesregierung in
keiner Weise den hier vorgeschlagenen Eckpunkten?
P
Diese Frage kann ich nicht beantworten; denn nach
unserer festen Auffassung orientiert sich der Entwurf
sehr wohl an diesen Eckpunkten. Das wird auch im Duk-
tus des Entwurfes ausgesprochen deutlich.
Wir kommen nun zur Frage 29 des Kollegen Omid
Nouripour:
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der am
30. Oktober 2007 im Rahmen einer Studie vorgestellten Kritik
des Deutschen Instituts für Menschenrechte am Verhalten der
EU-Staaten bei der Behandlung und Rettung von Bootsflücht-
lingen an den südlichen EU-Außengrenzen?
P
Herr Kollege Nouripour, Sie wissen selbst, dass die-
ses sehr umfangreiche Gutachten eine breit angelegte
flüchtlings- und menschenrechtliche Aufbereitung der
Problematik der gemischten Migrationsströme auf dem
Seeweg in die EU enthält. Dieses Thema ist von großer
Aktualität und von rechtlicher Komplexität. Deshalb ist
es auch verständlich, dass sich die Bundesregierung sehr
intensiv mit dem Gutachten und der von ihm behandel-
ten Problematik auseinandersetzt.
Dies gilt ungeachtet der Frage, ob die im Gutachten
vertretenen Positionen im Ergebnis geteilt werden. Eine
Stellungnahme zu den rechtlichen Überlegungen ist zum
jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich, weil die Prüfung
des Gutachtens andauert und derzeit Gespräche in den
zuständigen Ministerien auch mit Vertretern des Deut-
schen Instituts für Menschenrechte geführt werden.
Im Hinblick auf die im Gutachten geäußerte Kritik
am Verhalten einzelner EU-Staaten – das war ja der we-
sentliche Aspekt Ihrer Frage – ist die Bundesregierung
zu einer Stellungnahme deshalb nicht imstande, weil ihr
dazu keine eigenen nachprüfbaren Informationen vorlie-
gen. Wir vertrauen insoweit auf die Tätigkeit der EU-
Kommission und der zuständigen Behörden in den be-
treffenden Ländern.
Haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte sehr.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär
Altmaier, in dieser Studie gibt es relativ deutliche Be-
züge auf die Europäische Menschenrechtskonvention
wie auch auf die Genfer Flüchtlingskonvention. Eine der
strittigsten Thesen sagte ja aus – diese These war zumin-
dest strittig, solange es diese Studie noch nicht gab –,
dass das Refoulement-Verbot auch auf hoher See gilt.
Nun haben Sie gesagt, die Bundesregierung überprüfe
das Gutachten. Wann können wir beispielsweise zu die-
ser Fragestellung ein Ergebnis erwarten? Wann werden
Sie beurteilen, ob die Studie rechtlich richtig ist?
P
Soweit es sich um die rechtlichen Probleme handelt,
können Sie davon ausgehen, dass wir dies in der gebote-
nen Gründlichkeit, aber auch in der gebotenen Schnel-
ligkeit tun. Ich kann mich nicht auf eine oder zwei Wo-
chen festlegen; aber ich gehe davon aus, dass wir bis
Ende dieses Jahres, Anfang nächsten Jahres zu einem
Ergebnis kommen werden.
Ihre zweite Zusatzfrage.
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12702 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2007
(C)
(D)
Herzlichen Dank. – Meine zweite Frage bezieht sich
auf die Schnelligkeit, die Sie angesprochen haben. Dabei
geht es dann vielleicht doch um einen Zeitraum von zwei
bis drei Monaten. Sie haben auf eine von mir gestellte
mündliche Frage am 13. Juni ausgeführt, dass die Ver-
pflichtungen des Völkerrechts, insbesondere des interna-
tionalen Seerechts und des Flüchtlingsrechts, unbedingt
einzuhalten seien. Was ist vor dem Hintergrund der Ka-
tastrophe im Atlantik mit mehr als 45 Toten in einem
Boot, von der wir heute gehört haben, seit dem 13. Juni
bis heute seitens der Bundesregierung konkret unter-
nommen worden?
P
Zum einen ist die Antwort auf Ihre damalige Frage un-
eingeschränkt richtig: Diese Verpflichtungen sind einzu-
halten, von den zuständigen Stellen in allererster Linie
des jeweiligen Mitgliedstaates. Sie sind auch dann einzu-
halten, wenn beispielsweise Angehörige der Bundespoli-
zei oder der deutschen Polizei etwa an Einsätzen im Rah-
men der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX
teilnehmen. Sie wissen, dass es solche Einsätze gegeben
hat. Mir ist kein Fall bekannt, bei dem einem deutschen
Teilnehmer an solchen Einsätzen von wem auch immer in
irgendeiner Weise der Vorwurf gemacht worden wäre,
dass er solche Verpflichtungen nicht eingehalten hätte.
Insofern hat die Bundesregierung an dieser Stelle keinen
Grund zu irgendeiner Form von Selbstkritik.
Das, was Sie im Hinblick auf die tragischen Vor-
kommnisse der letzten Tage ansprechen, bestätigt das,
was ich vorhin gesagt habe: Sie werden verstehen, dass
die Bundesregierung nicht imstande ist und es für falsch
hält, sich vor dem Hintergrund von Presseveröffentli-
chungen über die Frage zu äußern, ob und in welcher
Form andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union ih-
rerseits ihren Verpflichtungen gerecht geworden sind. Sie
selbst haben darauf hingewiesen, dass alle Mitgliedstaa-
ten der Europäischen Union Unterzeichnerstaaten der
Europäischen Menschenrechtskonvention sind. Darin
sind entsprechende Rechtsschutzmechanismen vorgese-
hen. Es gibt die Verantwortlichkeit der Europäischen
Kommission in Brüssel als Hüterin der europäischen
Verträge. Wir gehen davon aus, dass alle Beteiligten die-
ser Verantwortung gerecht werden.
Wir kommen zur Frage 30 des Kollegen Nouripour:
Welchen Stellenwert hat aus Sicht der Bundesregierung
die Ausbildung des an den EU-Außengrenzen zur Grenzsiche-
rung eingesetzten Polizeipersonals der EU-Mitgliedstaaten in
Fragen des Schutzes von Menschen- und Flüchtlingsrechten?
P
Die Frage 30 schließt sich in gewisser Weise an die
vorherige Frage an. Hierzu kann ich Ihnen sagen, dass
man zunächst einmal klarstellen muss, dass der Schutz
und die Sicherung der Außengrenzen natürlich in der
originären Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten
liegen und von diesen unter Einhaltung der entsprechen-
den Verpflichtungen wahrgenommen werden müssen.
Was Deutschland angeht, so sind die Sicherung und
der Schutz von Flüchtlings- und Menschenrechten inte-
grale Bestandteile der Ausbildung der Bundespolizei.
Dies gilt im Besonderen auch für diejenigen Angehöri-
gen der Bundespolizei, die im Rahmen von Operationen
der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX außer-
halb des deutschen Hoheitsgebietes eingesetzt werden,
etwa auf See, wie dies bei der Operation Nautilus der
Fall war.
Die europäische Agentur selbst unterstützt die Mit-
gliedstaaten bei der Ausbildung von nationalen Grenz-
schutzbeamten und legt unter anderem gemeinsame
Ausbildungsnormen fest. Bei diesen gemeinsamen Aus-
bildungsnormen spielt der Schutz der Menschenrechte in
den Lehrplänen von FRONTEX eine tragende Rolle.
Dies gilt sowohl für den Bereich der Fortbildung, spezi-
ell für die schnellen Eingreifteams, die sogenannten
RABITs, die wir unter deutschem Vorsitz in einem Be-
schluss der Europäischen Union eingerichtet haben und
die für schnelle Einsätze zur Verfügung stehen, als auch
für das neue FRONTEX -Arbeitsprogramm für das Jahr
2008.
Haben Sie eine Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär Altmaier, von Ihnen ist ausgeführt
worden, dass es bisher keinerlei Vorwürfe gegen deut-
sche Beamte im Rahmen der FRONTEX-Einsätze gebe.
Etwas anderes wollte ich nicht behaupten.
Nichtsdestotrotz: Wenn man sich beispielsweise im
Internet auf den Foren umschaut, auf denen sich diese
Personen austauschen, muss man feststellen, dass es
große Unklarheiten die Aufgabenstellung betreffend
gibt, dass es auch große Unklarheiten mit Blick auf das
Europäische Parlament gibt, Stichwort demokratische
Kontrolle und Transparenz dessen, was FRONTEX
macht.
Teilen Sie die Auffassung, dass auf der einen Seite die
demokratische Kontrolle von FRONTEX und auf der an-
deren Seite die Klarheit der Aufgabenstellung für dieje-
nigen, die diese Aufgaben übernehmen sollen, deutlich
verbesserungswürdig sind?
P
Wir müssen diese beiden Bereiche trennen. Die Auf-gabenstellung von FRONTEX bei den jeweiligen Opera-tionen wird im Mandat von FRONTEX festgelegt. In derVergangenheit hat es Kritik daran gegeben, dass die Ret-tung von Flüchtlingen in diesem Mandat nicht explizitals Ziel der Operation festgelegt ist. Das schließt abernicht aus – ganz im Gegenteil –, dass Menschen, die sichin Not oder sogar Lebensgefahr befinden, vonFRONTEX-Mitarbeitern gerettet werden. Dies ist aus-drücklich klargestellt worden. Ich habe das auch in der
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2007 12703
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Peter Altmaierletzten Sitzung des Innenausschusses noch einmal aus-drücklich ausgeführt.Das gilt im Übrigen für alle: In einer Situation, woGefahr für Leib und Leben von Personen besteht, müs-sen alle die gebotene Hilfe leisten. Dies wird selbstver-ständlich auch von FRONTEX getan, ohne dass das imMandat explizit formuliert werden muss.Die zweite Frage richtet sich auf die parlamentarischeKontrolle von FRONTEX durch die zuständigen Gre-mien der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union.Wie Sie wissen, informiert die Bundesregierung, so oftdies gewünscht wird und so oft Anlass dazu besteht, dasParlament hier in Deutschland über die Tätigkeit vonFRONTEX und über den Ablauf von Missionen. Ichhabe auch im Europa-Ausschuss, dem Sie angehören,mehrfach zu dieser Problematik vorgetragen. Im Übri-gen wird im Europäischen Parlament ebenfalls überdiese Fragestellungen debattiert und diskutiert.Ich gehe davon aus, dass nicht zuletzt das Inkrafttre-ten des Änderungsvertrages, der maßgeblich unter deut-scher Präsidentschaft auf den Weg und voran gebrachtworden ist, dazu beitragen wird, dass die parlamentari-sche Legitimation und Kontrolle erheblich verstärkt wer-den können.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ja, ich habe noch eine Frage zu dem, was Sie über die
Flüchtlingsschutzmechanismen in den einzelnen Mit-
gliedstaaten gesagt haben. Herr Staatssekretär Altmaier,
Sie erwähnten, das sei eine nationale Angelegenheit. Das
stimmt.
Gleichzeitig haben wir die Situation, dass Menschen-
rechtsverletzungen von Beitrittskandidaten richtiger-
weise sehr stark und sehr häufig von der Bundesregierung
und Deutschland auch in der Öffentlichkeit angesprochen
werden.
Wir haben derzeit massive Vorwürfe von Pro Asyl auf
dem Tisch liegen betreffend Menschenrechtsverletzun-
gen gegenüber Flüchtlingen sowohl auf See als auch in
Aufnahmelagern in Griechenland. Gibt es dazu Aktivitä-
ten der Bundesregierung in Richtung der griechischen
Administration, oder sind Menschenrechtsverletzungen
nicht mehr ansprechbar, wenn ein Land in die EU hi-
neingekommen ist?
P
Herr Kollege, Sie vermischen zwei Dinge: Das eine
sind die Vorwürfe, die auf dem Tisch liegen. Diese müs-
sen selbstverständlich geprüft werden. Ich gehe davon
aus, dass die dazu berufenen nationalen und europäi-
schen Institutionen diese Vorwürfe sehr ernsthaft prüfen
werden. Das gilt sowohl für das Land, dem eine solche
Verletzung vorgeworfen wird, als auch für die Einrich-
tungen der Europäischen Union, insbesondere die Euro-
päische Kommission. Die Bundesregierung tut alles, was
sie auf Arbeitsebene tun kann, um in den zuständigen
Gremien etwa der Europäischen Union an dieser Arbeit
mitzuwirken. Das Zweite ist die Frage, ob ein solcher
Verstoß tatsächlich vorliegt. Das kann man – das ist
nachvollziehbar – erst nach einer solchen Prüfung ent-
scheiden. Wenn ein solcher Verstoß vorliegt, stellt sich
selbstverständlich die Frage, was man tun kann, um ihn
abzustellen.
Sie werden verstehen, dass – das möchte noch einmal
ganz deutlich sagen – sich die Bundesregierung an einer
Vorverurteilung von Mitgliedstaaten der Europäischen
Union, die allesamt Rechtsstaaten sind und die Europäi-
sche Menschenrechtskonvention unterzeichnet haben,
nicht beteiligen möchte.
Wir kommen zur Frage 31 des Kollegen Hans-
Christian Ströbele:
Wie entsprachen die Bundesregierung bzw. nachgeordnete
Behörden einer Anfrage von US-amerikanischen Behörden
aus dem ersten Halbjahr 2002, anhand einer mitgesandten Da-
tensammlung mit circa 200 Namen und Fingerabdrücken von
Guantánamo-Häftlingen zu überprüfen, ob Erkenntnisse zu
diesen Personen bei deutschen Behörden vorliegen, und zu
wie vielen Personen dieser Liste sind Erkenntnisse an US-
amerikanische Behörden übermittelt worden?
P
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Ströbele, ich
kann Ihre Frage wie folgt beantworten: Der Legal Atta-
ché des FBI an der US-Botschaft in Berlin hat dem Bun-
deskriminalamt mit Schreiben vom 22. März 2002 eine
CD mit 197 Fingerabdrucksätzen von auf Guantánamo
Bay festgehaltenen Personen mit der Bitte übersandt,
diese mit den beim BKA gespeicherten Fingerabdrücken
zu vergleichen. Das BKA hat dem FBI mit Schreiben
vom 5. April 2002 mitgeteilt, dass im BKA identische
Fingerabdrücke zu drei der übermittelten Fingerabdruck-
sätze vorliegen.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege? – Bitte.
Herr Staatssekretär, ist von deutscher Seite lediglich
diese Information an die US-Behörden weitergegeben
worden, oder sind darüber hinaus Informationen über
weitere vorliegende Erkenntnisse über die drei Identifi-
zierten mitgeteilt worden, und wenn ja, welche Erkennt-
nisse?
P
Herr Kollege Ströbele, es liegt in der Natur der Sache,dass im Rahmen der internationalen Polizeizusammenar-beit nach Erkenntnissen gefragt worden ist, die zu diesenPersonen vorliegen. Bei uns ist geprüft worden, welcheErkenntnisse vorliegen und aufgrund welcher Erkennt-nisse in Deutschland eine erkennungsdienstliche Be-handlung stattgefunden hat. Sie können davon ausgehen,
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(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Peter Altmaierdass über solche Erkenntnisse mit den amerikanischenKollegen gesprochen worden ist. Ich bitte um Verständ-nis, dass ich Einzelheiten dazu an dieser Stelle nicht mit-teilen kann.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, ist die Übermittlung von weiteren
Erkenntnissen an die US-Behörden an Bedingungen ge-
knüpft worden, etwa, dass, wenn den betroffenen Perso-
nen in Guantánamo diese Erkenntnisse vorgehalten wer-
den, keine Folter angewandt werden darf und keine
folterähnlichen Bedingungen herrschen dürfen?
P
Herr Kollege Ströbele, soweit mir bekannt ist – Sie
wissen, dass sich dieser Vorgang nicht unter der Verant-
wortung dieser Bundesregierung abgespielt hat –, gab es
keinerlei Anzeichen dafür, dass die Erkenntnisse, die
übermittelt worden sind, in irgendeinem Zusammenhang
mit der Ausübung oder Anwendung von Folter stehen
würden.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs
und der Fragestunde. Herr Staatssekretär Altmeier, ich
danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Haltung der Bundesregierung zu den durch
die Bundeskartellbehörde festgestellten Preis-
und Marktabsprachen der vier großen deut-
schen Stromkonzerne
Als erstem Redner erteile ich nun das Wort dem Kol-
legen Hans-Kurt Hill für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr verehrte Damen und Herren! Der Spiegel erklärteam Montag RWE, Eon, Vattenfall und EnBW zum Kar-tell der Abkassierer. Er bezieht sich auf ein 30-seitigesPapier der Bundeskartellbehörde. Danach haben dieseKonzerne den Strommarkt jahrelang schamlos miss-braucht. Führende Manager sollen sich in geheimen Zir-keln abgesprochen haben, sensible Marktdaten und Stra-tegien wurden ausgetauscht, Absprachen zum Vorgehenauf den Strom- und Gasmärkten wurden getroffen. DerMarktpreis für Strom soll maßgeblich beeinflusst wor-den sein. Wie ernst diese Vorwürfe sind, hat das Bundes-kartellamt am Montag in der Anhörung des Wirtschafts-ausschusses bestätigt.Einmal zur Klarstellung: Seit dem Jahr 2000 ist derStrom um 50 Prozent teurer geworden. Das bedeutet füreine Familie jährliche Mehrkosten in Höhe von 300 bis500 Euro. Die vier Konzerne dagegen haben seit 2000einen Profit von 90 Milliarden Euro gemacht; allein imletzten Jahr waren es 17,2 Milliarden Euro. Renditenvon 20 bis 30 Prozent bei Produkten der Daseinsvor-sorge sind mit nichts zu rechtfertigen. Das ist Diebstahlper Steckdose.
Ich frage die Bundesregierung: Wann gedenken Siediesem Treiben ein Ende zu machen? Wann werden Siewirksam in das Energiekartell eingreifen? Wie lange solldiese Abzocke noch dauern? Heute ist es der Strom,morgen das Wasser, und übermorgen nehmen sie uns dieLuft.Die Bundeskanzlerin wünscht sich eine transparentePreispolitik. Schön, aber davon sinken die Strompreisenicht. Ich sage: Handeln Sie endlich! Sie wissen seit ei-nem Jahr von den Missbrauchsvorwürfen und handelnnicht. Fakt ist: Bisher haben Sie das Energiekartell nurunterstützt. Ich hätte gedacht, dass jemand von der Re-gierungsbank heute hierzu Stellung nehmen würde.Sie haben die Strompreiskontrolle abgeschafft. Siefördern eine Kraftwerksplanung, die die Macht desStromkartells für die nächsten 40 Jahre zementiert. DieEU-Kommission hat erkannt, dass man die Kartellstruk-turen zerschlagen soll. Was machen Sie? Sie sind auch indiesem Fall schlauer als der Papst und blockieren mitdem Kanzlerinnenveto die Kommission in ihrer Absicht.CDU, CSU und SPD zeichnen sich vor allem durch ei-nes aus: In dem Maße, in dem ihre soziale Verantwor-tung sinkt, steigen die Strompreise.Vielleicht liegt das auch daran, dass man bei denChrist- oder Sozialdemokraten Karriere machen kann,wenn man vorher fleißig für Energiekonzerne tätig war.Oder war es umgekehrt? Erst wenn man bei der SPDwar, kommt man bei RWE, der Ruhrkohle AG und Eonunter. Wirtschaftsminister Glos war jahrelang bei EonBayern im Beirat. Herr Clement ist im RWE-Aufsichts-rat, und sein Vorgänger, Herr Müller, hat gerade als Vor-sitzender der Ruhrkohle AG mit dem Steinkohleausstiegein Milliardengeschäft eingeläutet, und das Ganze aufKosten der Steuerzahler.
Tatsache ist, dass die Strompreise trotz anderer Ver-lautbarungen und Versprechungen der Regierung immerschneller steigen. Manche Bürgerinnen und Bürgerkönnten auf die Idee kommen, dass es da einen Zusam-menhang gibt. Vielleicht sollte zukünftig auf der Strom-rechnung die Nähe einzelner Bundestagskollegen zumEnergiekartell ausgewiesen werden oder die Konzern-nähe auf dem Stimmzettel zur Wahl.
Eines ist aber klar: So geht es nicht weiter.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2007 12705
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Hans-Kurt Hill
Bitte halten Sie uns jetzt nicht noch einen Vortrag überdie Kartellrechtsnovelle. Denn sie wird – wie andereDinge auch – keine Auswirkungen haben und nicht zuStrompreissenkungen führen.
Ich sage Ihnen: Die Linke fordert ganz konkreteSchritte: Erstens: Zerschlagung des Energiekartells. DieKonzerne müssen entmachtet werden.
– Genau so, Herr Obermeier. – Die Energieversorgunggehört in die Hand der Kommunen.
Zweitens: wirksame Preisaufsicht über Strom- undGastarife und ein Klagerecht von Verbraucherschützern.
Drittens: verpflichtende Sozialtarife für private Haus-halte mit geringem Einkommen und Anhebung derHartz-IV-Sätze.
Viertens: Offenlegung der Stromhandelspreise, umMissbrauch durch Energieversorger zu unterbinden.Fünftens – ich sage Ihnen das immer wieder –: die Über-führung der Stromnetze und Gasnetze in die öffentlicheHand. Ich verspreche Ihnen, wir werden Sie so lange voruns hertreiben, bis Sie diese Forderungen erfüllt haben.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Fuchs
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen, liebe Kollegen! Wenn ich der Linken sozuhöre, dann kriege ich noch mehr graue Haare, als ichschon habe; denn Sie gehen einfach hin und behaupten,dass das, was im Spiegel steht, so stimmt, dass das Tatsa-chen sind. Ich zitiere:Der Vorsitzende der Monopolkommission – sagtIhnen etwas, Herr Jürgen Basedow – hat heuteMorgen bekräftigt, dass ihm keine Tatsachen be-kannt sind, die den Vorwurf der Preisabsprache be-weisen.– Ich halte mich da lieber an Fakten als an irgendwelcheArtikel im Spiegel; tut mir leid.
Gegenwärtig befinden Sie sich ausschließlich imReich der Vermutungen,
und das ist ein bedeutender Unterschied. Auch für diedeutsche Wirtschaft gilt: In dubio pro reo. Anders solltenwir es nicht handhaben. Aber natürlich fällt Ihnen dasschwer. Statt mit ernsthaften Argumenten in die Sachdis-kussion einzusteigen, zetteln Sie lieber Ihre üblichenSchlammschlachten an, bei denen Sie Gelegenheit ha-ben, Ihre Verschwörungstheorien zu verbreiten.
Als Populismusweltmeister, der Sie sind, fällt Ihnensubstanziell grundsätzlich sowieso nichts ein.
Sie wittern Verrat, unheimliche Mächte und unterstellenden Menschen grundsätzlich etwas Falsches, schon garnicht, dass sie sich selbst helfen können; das fällt Ihnennicht ein. Sie möchten wieder zurück zur VEB Stromund Gas. Das wollen wir nicht.
Wir wollen keine Verstaatlichung, Herr Hill, wie Sie esgerade gesagt haben.
Wir wollen keine sozialistische Gleichmacherei. Wirwollen auch keinen staatlichen Dirigismus, mit dem Sie– das haben Sie bewiesen – ein Land zugrunde gerichtethaben,
wofür die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland heutenoch bluten müssen. Für Ihre sozialistische Gleichma-cherei müssen wir heute noch bluten.
Ich habe auch keine Lust, mir Ihre Gruselkabinettvor-schläge aus der prästalinistischen Zeit hier weiter anzu-hören.
Meine Damen und Herren, die Monopolkommissionhat gestern ihr Sondergutachten zum Energiesektor vor-gelegt. Die Kommission bemängelt, dass auf den Märk-ten der leitungsgebundenen Energieversorgung keinfunktionierender Wettbewerb entsteht bzw. vorhandenist. Da hat sie recht. Wir sind aufgefordert, dafür zu sor-gen, dass da so viel Wettbewerb wie möglich hinein-kommt. Damit haben wir mit der GWB-Novelle begon-nen. Das ist genau der richtige Weg. Wir müssen seriösan die Sache herangehen und dafür sorgen, dass auf die-sem Sektor endlich so viel Wettbewerb wie möglich ent-
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12706 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2007
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(D)
Dr. Michael Fuchssteht. Die Große Koalition ist sich hier ihrer Verantwor-tung voll und ganz bewusst.
Wir brauchen eine konsequente europaweite Liberali-sierung der Strom- und Gasmärkte. Das ist eine der Vo-raussetzungen dafür, dass wir die Monopole in diesemBereich, die es überall gibt, knacken. Daran müssen wirarbeiten, und das tun wir gemeinsam.Wir müssen uns auch noch einmal mit der LeipzigerBörse beschäftigen; denn die Leipziger Börse wird zumTeil von vier Oligopolisten gefüttert. Da muss man über-legen, ob der Angebotsbereich richtig funktioniert, ob dagenügend Angebot ist. Das ist zu untersuchen; wir wer-den das tun.Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wirmarktwirtschaftliche Preise in diesem Sektor haben, wo-bei wir fairerweise immer akzeptieren müssen, dass einGroßteil der Preiserhöhungen, die Sie eben erwähnt ha-ben, Herr Kollege Hill,
vom Jahre 2000 bis heute staatlich induziert ist. DieStichworte lauten: EEG, KWK etc.
Wir sollten fairerweise zugeben: 40 Prozent desStrompreises sind staatliche Steuern und Abgaben. Dassollten auch Sie zugeben. Sie wollen das ja auch. Siewollen den staatlichen Anteil sogar weiter erhöhen.Denn in dem Moment, in dem man die Kernkraftwerkeabschaltet – auch das fordern Sie permanent –,
werden die Strompreise steigen.
Haben Sie Ihren Wählern eigentlich schon einmal ge-sagt, dass Sie die Strompreise erhöhen wollen? Wennman die Kernkraftwerke abschalten würde, würde näm-lich genau das passieren.
Unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass wir markt-wirtschaftliche Strompreise bekommen.
Wir müssen dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bür-ger ihren Strom bezahlen können und dass die Miet-nebenkosten die Miete nicht übertrumpfen; diese Gefahrbesteht nämlich sehr wohl.
Wir müssen außerdem dafür sorgen, dass die Unterneh-men Strompreise haben, die sie wettbewerbsfähig ma-chen.Die Bundeskanzlerin hat gestern auf dem Steinkohle-tag in Essen völlig zu Recht gesagt, dass wir einen breitgefächerten Energiemix brauchen. Zu diesem Energie-mix gehören erneuerbare Energien, dazu gehören ver-nünftig funktionierende Gaskraftwerke, und dazu gehö-ren moderne Kohlekraftwerke. Wir dürfen auch dieBraunkohle, die einzige natürliche Ressource, die wir inDeutschland haben, nicht außer Acht lassen. Wichtig istaußerdem, dass wir die Kernkraftwerke nicht abschalten,
sondern die günstigste, sauberste und in Deutschland ne-benbei auch sicherste Technologie erhalten.Vielen Dank.
Das Wort hat nun die Kollegin Gudrun Kopp für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!Schon der Titel der heutigen Aktuellen Stunde ist nichtkorrekt.
Die Linke spricht von „festgestellten Preis- und Markt-absprachen“. Ich kann nur davor warnen, irgendwelcheDinge als „festgestellt“ zu deklarieren. Es sind – das istübrigens schlimm genug – vermutete Preisabsprachen,also Hinweise, die dringend geprüft werden müssen. Esmuss festgestellt werden, ob es an dem ist oder nicht.Seien Sie mit Ihrem Populismus also bitte ein bisschenvorsichtiger.Wir haben zweifellos ein riesengroßes Wettbewerbs-problem. Das wurde auch in den Gutachten festgestellt,die uns jetzt vorliegen; Herr Kollege Fuchs hat das Son-dergutachten der Monopolkommission gerade erwähnt.In der Tat haben wir noch immer zu wenig Wettbewerb,obwohl wir in bestimmten Bereichen schon vorange-kommen sind.Die Netze stellen nicht das Problem dar, auch das hatdie Monopolkommission dargestellt. Sie hat gesagt, dassdurch die Regulierung der Anteil der Netzgebühren vonvormals 38 auf aktuell 31 Prozent gesunken ist. Immer-hin, auch das ist ein Schritt in die richtige Richtung. ImGutachten der Monopolkommission heißt es außerdem,dass eine eigentumsrechtliche Entflechtung zum jetzigenZeitpunkt verfrüht wäre und nicht den gewünschtenPush zur Schaffung von mehr Wettbewerb zur Folgehätte. Ich finde, auch das sollten wir beachten.Selbstverständlich stellt sich die Frage, was zu tun ist.Das Hauptproblem besteht darin, die Erzeugung mög-
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Gudrun Kopplichst so zu strukturieren, dass viele neue Anbieter aufden Markt kommen. Darauf müssen wir setzen. Hiersind wir in wettbewerblicher Hinsicht gefordert, nichtstaatlich-zentralistisch, Herr Kollege Hill. Das ist dervöllig falsche Weg.Wenn man über Preisabsprachen spricht, muss manberücksichtigen: Zwei Drittel der Erzeugungskapazitä-ten liegen bei den Konzernen RWE und Eon. Diese bei-den Konzerne haben natürlich Möglichkeiten, Einflusszu nehmen.
Von daher ist es sehr wichtig, auf mehr Wettbewerb zusetzen und dafür zu sorgen, dass mehr Erzeuger auf demMarkt sind. Ich kann nur immer wieder sagen: Die Ka-pazität der Grenzkuppelstellen muss dringend erweitertwerden; darauf müssen wir ein Auge haben. Wir brau-chen neue Anbieter, wenn wir mehr Wettbewerb schaf-fen und die wechselwilligen Strom- und Gaskunden wei-terhin zum Wechsel ihres Anbieters motivieren wollen.Das ist aber längst nicht alles. Der Kollege Fuchssprach die Börse an. Hier brauchen wir Regeln für mehrTransparenz. Wir müssen mehr über die Stillstandszeitender Kraftwerke erfahren. Diese Daten müssen zeitnahzur Verfügung stehen, damit es weniger Möglichkeitengibt, direkt Einfluss zu nehmen.Auch das ist absolut erforderlich. Aber, Herr KollegeFuchs, am Montag haben wir bei der Anhörung zurGWB-Novelle gehört, dass das, was Sie vorhaben, allen-falls Placebos sein werden und nicht den gewünschtenErfolg haben wird.
Es gibt natürlich einige Elemente der Novelle, die mandurchaus erwägen kann, etwa die Beweislastumkehr.Aber das, was Sie sich von der Novelle erhoffen: sektor-spezifisch, also für eine Branche, eine Wettbewerbsnormeinzuführen, und dies auch noch zeitlich befristet, bis2012, das ist Theorie und hat mit der Praxis nichts zutun; das hat die Anhörung am vergangenen Montag nocheinmal erbracht.Wichtig ist uns als FDP-Bundestagsfraktion die Stär-kung des Bundeskartellamtes. Wir haben immer gesagt:Markt braucht Regeln, und es muss auch überprüft wer-den, dass die Regeln eingehalten werden.
Wir haben im Wirtschaftsausschuss gerade verschiedeneAnträge beraten. Wir haben – andere Fraktionen auch –noch einmal den Antrag eingebracht, die Zahl der Stel-len beim Bundeskartellamt erheblich zu erhöhen, undzwar um circa 20. Dieser Stellenaufwuchs finanziert sichdurch die hohen Bußgeldeinnahmen, die das Bundeskar-tellamt hat, von selbst; das ist eigentlich ein Win-win-Spiel. Leider haben die Regierungsfraktionen dieses An-sinnen abgelehnt. Wenn wir den Wettbewerb stärkenwollen und wenn wir die Regeln dafür entsprechend set-zen wollen, dann brauchen wir diese Kontrolle, und dieWettbewerbshüter Nummer eins, das Bundeskartellamt,müssen uns diesen Stellenaufwuchs wert sein.Insofern kann ich nur sagen: Wir sind insgesamt aufeinem recht guten Weg. Wir sind aber längst nicht weitgenug. Wir haben noch vieles an kleineren und größerenMaßnahmen auf den Weg zu bringen, und wir müssendies mit Konsequenz tun und nicht mit Populismus. DieBürger merken das nämlich, und dann müssen Sie denBürgern erklären, warum ihre Strom- und ihre Gasrech-nung ständig steigen. Daran müssen wir arbeiten: denWettbewerb stärken und auf gar keinen Fall in RichtungStaat arbeiten. Es hat sich häufig genug gezeigt, dass im-mer mehr Staat immer mehr Probleme bringt.Vielen Dank.
Nächster Redner ist nun der Kollege Rolf
Hempelmann für die SPD-Fraktion.
Liebe Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!Wir haben eine Aktuelle Stunde, deren Thema – das ha-ben wir eben gehört – von dem Einbringer nicht ganzkorrekt wiedergegeben worden ist. In dem Zeitungsbe-richt, um den es geht, wurde nicht festgestellt, dass esPreisabsprachen gegeben habe, sondern es wurden Ver-dachtsmomente geschildert, für die es gleichwohl – dassage ich auch – starke Indizien gibt.
Es stimmt: Die SPD-Fraktion hat die Anhörung amMontag genutzt, um den Präsidenten des Bundeskartell-amts zu fragen: Gab es geheime Absprachen zwischenEnergieunternehmen? Sind sensible Geschäftsgeheim-nisse ausgetauscht worden? Gab es Preisabsprachen?Herr Heitzer hat in dieser Sitzung von starken Indiziengesprochen. Er hat aber ausdrücklich festgestellt, dass esbisher keine Beweise im juristischen Sinne gebe. Inso-fern sollten wir sagen: Grundlage unserer Debatte
über den Wettbewerb auf dem deutschen Strom- undGasmarkt sollte vor allen Dingen das sein, was in Gut-achten festgestellt worden ist, mit denen wir uns ja vorund in der Anhörung am Montag befasst haben.Wir hätten uns gewünscht, dass das Gutachten derMonopolkommission nicht gestern, sondern einen Tagfrüher vorgestellt worden wäre. In ihm kommt eines sehrdeutlich heraus: Ja, in der Tat, wir haben noch keinen zu-friedenstellenden Wettbewerb im Strom- und Gasmarkt.Das ist der erste Teil der Nachricht. Der zweite Teil:Aber die Situation hat sich in den letzten Jahren durchdas Tätigwerden von Politik deutlich verbessert. Mit„Tätigwerden von Politik“ meine ich zum Teil die rot-
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Rolf Hempelmanngrüne Bundesregierung, zum Teil aber auch die jetzigeGroße Koalition.Die Monopolkommission verweist ausdrücklich da-rauf, dass es gut und richtig war, etwa die operationelleund rechtliche Entflechtung vorzunehmen, und dass dasdazu geführt hat, dass es hinsichtlich eines diskriminie-rungsfreien Netzzuganges Fortschritte gegeben hat unddass die Zahl der Wechsel von Lieferanten gesteigertwurde. Man sollte das zur Kenntnis nehmen und sichdarüber freuen.Die Monopolkommission sagt auch, dass die von unsgegründete Bundesnetzagentur eine gute Arbeit macht,und zwar insofern – das ist eben schon angeklungen –,als das Netz eben keine Wettbewerbsbarriere mehr istund wir hier auf einem sehr guten Weg sind. Sie machtaber auch darauf aufmerksam – das ist auch in den Stel-lungnahmen am Montag deutlich geworden –, dass wirhier noch sehr viel mehr tun müssen. Die Monopolkom-mission nennt Stichworte. Ich sage dazu, dass manchesvon dem, was sie vorschlägt, von der Politik schon aufden Weg gebracht wird.Die Verbesserung des Zugangs zum Gasnetz hinkt derVerbesserung des Zugangs zum Stromnetz in der Tathinterher. Gerade in jüngster Zeit ist die Bundesnetz-agentur hier aber vorangegangen. Wir dürfen damit rech-nen, dass sich die Situation gerade hier zeitnah verbes-sert. Oder die Beseitigung von Netzengpässen: Wirhaben ein Infrastrukturbeschleunigungsgesetz verab-schiedet, bei dem wir feststellen, dass wir das eine oderandere noch weiterentwickeln müssen, um zu tatsächli-chen Beschleunigungen im Genehmigungs- und Pla-nungsverfahren zu kommen. Da sind wir dran.Eine ganze Reihe anderer Dinge ist vorgeschlagenworden. Das gilt übrigens nicht für die eigentumsrechtli-che Entflechtung, den Vorschlag der Linken. Das istnicht die Politik und der Vorschlag der Monopolkom-mission.
Wenn man das Ganze ein wenig nüchterner betrach-tet, dann muss man feststellen: Ja, das Problem ist schonseit Jahren erkannt. Ja, es wird gehandelt. – Viele derMaßnahmen, die wir bisher ergriffen haben, wirken abermittel- oder auch längerfristig; das ist nun einmal so.Wenn man Rahmenbedingungen beispielsweise für mehrLiquidität und mehr Kraftwerke setzt, dann wirkt sichdas erst dann auf den Wettbewerb aus, wenn diese auchgeplant und gebaut wurden. Die Kraftwerksanschluss-verordnung, die wir verabschiedet haben und die übri-gens auch gelobt wird, dient genau diesem Zweck.Meine Damen und Herren, es bleibt die GWB-No-velle. Am Montag ist deutlich geworden, dass dies dieeinzige Maßnahme ist, von der man sich eine kurzfris-tige Wirkung versprechen darf.
Dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen und auchkritische Stimmen; das ist klar. Niemand hat uns aber einanderes Instrument genannt, das ähnlich kurzfristig Wir-kungen entfalten kann. Deswegen wird die Koalitiondiese GWB-Novelle mit dem einen oder anderen Beden-ken im Detail zeitnah verabschieden. Ich denke, dass wiruns noch in dieser Woche inhaltlich verständigen kön-nen.Von daher: Ja, wir sind auf dem Weg. Ja, die Vor-würfe, die im Spiegel verbreitet worden sind, sind ernstzu nehmen. Zunächst einmal sind es aber Vorwürfe.Sollten sie sich bestätigen, dann wird das sicherlich nichtnur Schadensersatzforderungen gegenüber den Unter-nehmen zur Konsequenz haben. Lassen Sie uns ansons-ten bei unserer Arbeit bleiben. Ich denke, wir sind auf ei-nem guten Weg.
Nun hat die Kollegin Kerstin Andreae für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Fuchs und Herr Hempelmann: Sie fragenernsthaft, ob es richtig ist, von Preisabsprachen und kar-tellmäßigem Vorgehen zu sprechen?Der Spiegel-Artikel fußt auf einem 30-seitigen Be-richt des Kartellamtes. Wenn Sie gestern die SendungFrontal 21 im Fernsehen gesehen haben, dann wissenSie, dass dort aus diesem Bericht zitiert wurde. Die Listeder Vorwürfe, die hier vorgebracht wird, liest sich wieeine Liste aus dem Lehrbuch für Marktmissbrauch. Eswird von Preismanipulationen und -absprachen in Ge-heimzirkeln, vom Austausch sensibler Geschäftsgeheim-nisse, von detaillierten Absprachen über das Vorgehen,von kartellrechtlich unzulässigen Kooperationen, vonkeiner gegenseitigen Konkurrenz, sondern einem Unter-laufen des Wettbewerbs durch Absprachen und vonPreismanipulationen an der Strombörse gesprochen.Tun Sie mir jetzt einen Gefallen: Halten Sie sich nichtdamit auf, dass die Linke vielleicht einen juristisch un-sauberen Titel für diese Aktuelle Stunde gewählt hat,sondern gehen Sie diesen Vorwürfen nach, schauen Siesich an, was dort passiert, und überlegen Sie sich, wasSie dagegen tun können!
Sie sagen nun, Sie brächten die GWB-Novelle aufden Weg. Die Anhörungen werden – das ist immer so –sehr unterschiedlich interpretiert. Wir behaupten, dassdie Mehrheit der Experten bei der Anhörung gesagt hat,die in der GWB-Novelle enthaltenen Maßnahmen bräch-ten nichts. Dies gilt auch für die Beweislastumkehr undden Sofortvollzug, weil wir nicht einmal wissen, welcherKostenbegriff zugrunde liegt. Wie wollen Sie denn eineBeweislastumkehr hinbekommen, wenn die Unterneh-men zwar beweisen müssen, dass die Preise korrekt sind,aber darauf verweisen können, dass dies nicht von heute
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Kerstin Andreaeauf morgen geht, und von daher mit den Beweisen solange brauchen, dass ein Sofortvollzug unmöglich ist?Das eigentlich Kritische bei dieser GWB-Novelle istdie Preisdeckelung. Wir müssen als Opposition Seit’ anSeit’ gegen Sie kämpfen, wenn Sie jetzt anfangen, Preisezu deckeln und damit Marktmechanismen außer Kraft zusetzen.
Marktmechanismus heißt Preisbildung durch Angebotund Nachfrage, und Marktmechanismus heißt Wettbe-werb. Mit Ihrer Preisdeckelung verhindern Sie aber denMarktzutritt von neuen Anbietern. Das ist kein Wettbe-werb.
Überhaupt wird der Ruf nach staatlicher Preisaufsichtimmer dann laut, wenn die Preise ansteigen. Das ist sehrpopulär; man kann dann sagen, man gehe jetzt daran undführe staatliche Preisaufsichten ein. Wir brauchen aberStrukturveränderungen. Dazu liegen Vorschläge auf demTisch, im Übrigen aus Ihren Reihen. Die Zerschlagungbei den großen Energieversorgern kommt aus Ihren Rei-hen; das ist ein guter Vorschlag.
Der hessische Wirtschaftsminister Rhiel hat angekün-digt, er werde im Bundesrat einen Vorschlag vorlegen.Unterstützen Sie dies, bringen Sie einen eigenen Vor-schlag ein, gehen Sie dieses Thema an!Es geht darum, wie wir Wettbewerb auf den Energie-märkten hinbekommen. Hierbei ist ein Thema, monopo-listische und oligopolistische Strukturen zu zerschlagen,wenn es sein muss. In diesem Fall heißt Zerschlagen, andie Energieversorger heranzugehen. Dem sollten Siesich einmal stellen.
Das Zweite, das diskutiert wird, ist die Entflechtung.Auch hier verstehe ich Sie nicht. Ich bin davon über-zeugt, dass die Entflechtung kommen wird. Über kurzoder lang werden wir uns mit der Tatsache auseinander-setzen, dass die EU-Kommission eine Entflechtung beiden Übertragungsnetzen vorschreibt. Es ist richtig, beidiesen Netzen eine Entflechtung vorzunehmen, weil vondiesen Netzen der Zugang auf Teilmärkte abhängt. Wennein Energieversorger das Netz selber kontrolliert, dannkontrolliert er den Zugang zu den Märkten. Das heißt, erkontrolliert den Zugang von anderen Anbietern, also vonWettbewerbern, in diese Netze. Deshalb muss man hierentflechten. Unterstützen Sie die EU dabei, anstatt zubremsen und auszusitzen!
Letzter Punkt: Die Monopolkommission hat vorge-schlagen, den Neubau von Kraftwerken durch die Ener-gieversorger zu unterbinden. Ja, das kann richtig sein.Wenn die jetzigen Energieversorger neue Kraftwerkebauen können, dann perpetuieren sie damit ihre Markt-macht.Dies sind drei ganz konkrete Punkte, die Sie angehenkönnten. Aber was machen Sie? Sie sprechen sich füreine Preisdeckelung durch die GWB-Novelle aus und ar-gumentieren, mit ihr habe man ein kurzfristig wirksamesInstrument an der Hand. Na, bravo! Dies zieht dochkeine langfristigen Strukturveränderungen nach sich.Hier ist diskutiert worden, dass wir Wettbewerb aufden Energiemärkten brauchen.
– Ja, damit haben wir angefangen. Wir haben die Libera-lisierung der Energiemärkte vorangebracht, wenn auchmit Webfehlern, keine Frage. Die Webfehler werden an-gegangen. Wir haben die Bundesnetzagentur, wir habendie Anreizregulierung.
Aber wir brauchen bei der Liberalisierung auf denEnergiemärkten weitere Schritte – allerdings nicht sokleine wie die in der GWB-Novelle –, um Wettbewerbauf den Energiemärkten zu erreichen. Die Vorschlägeliegen auf dem Tisch. Wettbewerb heißt transparenteMärkte, informierte Verbraucher, funktionierende Markt-mechanismen. Wir brauchen vor allem deswegen Wett-bewerb, weil wir die Energiewende nur dann hinbekom-men, wenn es auf dem Energiemarkt neue Anbieter gibt.Die alten Energieversorger – die großen Vier – sindkeine Verbündeten bei der Energiewende. Wir brauchenneue Anbieter. Deswegen appelliere ich an Sie, Wettbe-werb zuzulassen. Wettbewerb braucht Wettbewerber,aber nicht Instrumente, die den Markt zumachen. Mit derGWB-Novelle machen Sie jedoch genau dies, undStrukturveränderungen nehmen Sie nicht in Angriff.Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Julia Klöckner für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Natürlich sind wir uns alle einig, dass erhöhte Strom-preise, die die Verbraucherinnen und Verbraucher, aberauch die Unternehmen belasten – Strompreiserhöhungenmachen gerade den Unternehmen in energieintensivenBranchen wenig Spaß –, nicht sehr witzig sind.Im Gegenteil: Steigende Energiekosten rufen in derTat auch Politiker auf die Bühne. Ich denke, wir solltenim Deutschen Bundestag seriös bleiben.
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Julia Klöckner
Ich halte es nicht gerade für seriös, Presseberichte re-flexartig zum Anlass zu nehmen – wie es mehrfach derFall war –, eine Aktuelle Stunde zu beantragen, wenn-gleich bereits in der vergangenen Woche eine zu diesemThema durchgeführt wurde.
Ich halte es auch nicht für seriös, Presseberichte, dieIndizien enthalten, in denen aber noch keine Fakten undBeweise dargelegt wurden, im Deutschen Bundestag alsBeweise wahrzunehmen. Wir machen uns zum Gespöttder Menschen, wenn wir uns nicht die Zeit nehmen, sol-chen Indizien nachzugehen und die Unterlagen zu prü-fen. Ich weiß, dass Seriosität nicht gerade die Stärke derLinksfraktion ist, weil Sie auch sonst nichts vorzuweisenhaben.
Sie können davon ausgehen, dass wir bzw. die Bun-desregierung uns mit vielen klugen Menschen ans Werkmachen. Damit haben wir auch schon begonnen. Aber eshilft nicht, wenn man Forderungen erhebt, die kurzfristignicht zu Lösungen führen.
Es ist vielmehr wichtig, so vorzugehen, wie es die Bun-desregierung tut. Ich kann Sie nur auffordern, der Kar-tellrechtsnovelle letztendlich zuzustimmen; denn derVorschlag von Bundeswirtschaftsminister Glos, die Be-weislastumkehr einzuführen, ist der richtige Weg. Dasheißt, dass die Konzerne künftig begründen müssen, wa-rum sie ihre Tarife anheben. Das ist ein wichtiger Teil ei-nes ganzen Maßnahmenbündels.Warum ist Wettbewerb letztlich der richtige Weg?Wettbewerb ist eine der grundlegenden Voraussetzungenfür einen guten Verbraucherschutz.
Damit komme ich zu BundesverbraucherschutzministerHorst Seehofer; denn auch der Verbraucherschutz ist einwichtiger Aspekt. Es geht nicht um eine Neiddebatte ge-gen irgendwelche Konzerne, sondern darum, von denVerbrauchern in unserem Land auszugehen, die im Ener-giebereich auf die Grundversorgung angewiesen sind.
Letztlich zahlt der Endkunde die Zeche.Deshalb sagen wir ganz klar: Wettbewerb ist für unsdie richtige Antwort, aber erst einmal muss der Weg fürWettbewerb geebnet werden.
– Ihre Frage, wie lange noch, ist wunderbar, aber mankann nicht einfach dazwischenrufen, ohne die Realitätim Blick zu haben.
Das heißt, Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. Esstehen Vorschläge im Raum: Trennung von Netz undProduktion, Zerschlagung der Konzerne und das Verbotder Erweiterung von Erzeugungskapazitäten. Das allessind Überlegungen, über die wir sprechen müssen. Eskann aber nicht sein, dass wir zu kurz springen und An-hörungen ignorieren.
– Natürlich ist es nicht neu. Sie hätten das unter Rot-Grün gerne machen können.
Uns geht es um die Energieversorgung und Energie-sicherheit in Deutschland und um die Grundversorgungin diesem Bereich. Es kann nicht unser Ansinnen sein,unsere eigenen Unternehmen in Deutschland zu schwä-chen und zu zerschlagen und die Chancen für andereWettbewerber aus dem Ausland zu stärken, ihrerseitsgrößere Unternehmen zu bilden.
Wichtig ist, das Kartellrecht zu stärken
und die Beweislast umzukehren. Michael Glos und dieBundesregierung haben wichtige Schritte eingeleitet.Die Kraftwerks-Netzanschlussverordnung, durch die in-nerdeutsche Netzengpässe durch befristete Zugänge vonBewerbern bzw. prioritäre Zugänge überwunden wer-den. Das ist ein guter Punkt. Dass wir die anreizorien-tierte Regulierung der Netzentgelte planen, die auch ein-geführt werden, ist der zweite wichtige Schritt.Jetzt geht es aber um die Kartellrechtsnovelle. Sie for-dern lauthals, dass Träumereien umgesetzt werden, sindaber nicht bereit, den ersten Schritt zu einem längerenLauf mit uns zu gehen.
Das ist die Wahrheit, die wir unseren Bürgerinnen undBürgern draußen im Lande mitteilen sollten. Wo Sie ge-fragt sind, sind Sie nicht bereit, zu springen,
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Julia Klöcknersondern beschränken sich wieder auf Schwarzweißmale-rei und driften letztlich in Populismus ab.Gehen Sie den Weg mit uns mit! Wir werden sehen,dass es der richtige Weg ist.
Das Wort hat nun die Kollegin Ulla Lötzer für die
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Nocheinmal kurz zu Folgendem, weil Frau Andreae und an-dere darauf schon ausführlich eingegangen sind: DasBundeskartellamt hat in der Anhörung am Montag den30-seitigen Bericht ausdrücklich bestätigt. Herr Heitzerhat darauf hingewiesen, dass es Indizien für Preisabspra-chen gibt. Auch die EU-Kommission geht davon aus undwird auf dieser Grundlage Schritte unternehmen. Vor derRealität der Preiserhöhungen seit der Liberalisierungkönnen wir die Augen nicht verschließen. Sie ist so of-fensichtlich, dass man endlich einmal genauer hin-schauen sollte,
auch auf die Folgen. Das wäre Seriosität.Schuldnerberatungsstellen und Sozialverbände mel-den, dass zunehmend mehr Familien mit niedrigem Ein-kommen infolge dieser Politik der Strom abgestellt wird,weil sie ihn nicht mehr bezahlen können. Das heißt: Fa-milien ohne Kühlschrank, ohne Waschmaschine, ohneKochmöglichkeit und ohne Licht, von Radio und Fern-sehen ganz zu schweigen. Diese Familien sitzen wegendieser Preispolitik im Dunkeln, während die anderenMonopolgewinne in Milliardenhöhe scheffeln, so Eonallein im ersten Halbjahr 2007 5,4 Milliarden Euro. Dasist das Ergebnis Ihrer Politik bzw. Ihrer Ungleichheits-politik, Herr Fuchs.
Was tun Sie von der Bundesregierung? Denen, die imDunkeln sitzen, sagen Sie in einer Antwort auf eineKleine Anfrage meiner Fraktion, sie seien selber schuld;sie müssten eben besser mit ihrem Geld haushalten. Diegroßen vier Energiekonzerne dagegen werden gepäppelt.Sie sind das Ergebnis Ihrer Liberalisierungspolitik, derLiberalisierung der Energiemärkte.
Herr Fuchs behauptet, die Lösung des Problems sei, dieLiberalisierung europaweit zu forcieren. Aber dadurchwird das Problem nicht gelöst, sondern auf ganz Europaausgedehnt.
Die Herausbildung der großen Vier ist das ErgebnisIhrer Politik. Sie haben zugeschaut und mit der Minister-erlaubnis die Herausbildung dieser vier noch gefördert.Erst dadurch konnte Eon die Ruhrgas AG schlucken. DieEinsetzung einer Regulierungsbehörde wurde ver-schleppt. Die staatliche Preisaufsicht wurde abgeschafft,und zwar mit der Folge – auch das gehört zur Wahrheit,Frau Andreae –, dass nun die großen Vier noch einmalzulangen. So will Eon die Preise zum 1. Januar 2008noch einmal um bis zu 10 Prozent anheben, und alle ma-chen mit. Auch das ist eine Folge der Abschaffung derstaatlichen Preisaufsicht.
Bezahlbare Energiepreise oder sogar eine ökologischeEnergiewende sind eben nicht das Ziel Ihrer Politik. Siewollen nationale Energiechampions. Dafür nehmen Siedie Extraprofite der großen Vier in Kauf. Sie tun nichtsdagegen.Frau Wöhrl, Sie haben erklärt, die Bundesregierunghabe die Kartellrechtsnovelle auf den Weg gebracht. Daskann nicht Ihr Ernst sein. Frau Kopp hat recht: DieseKartellrechtsnovelle ist – das hat die Anhörung amMontag deutlich gemacht; darin waren sich alle Sachver-ständigen einig – nicht die Lösung dieses Problems. HerrProfessor Möschel brachte es am deutlichsten auf denPunkt. Er hat gesagt, diese Novelle sei eine reine Ab-wehrgesetzgebung, um wirksame Maßnahmen gegen dasKartell zu verhindern. Die Missbrauchsaufsicht des Bun-deskartellamtes setzt erst dann ein, wenn die Preise mehrals 10 Prozent von konkurrierenden, billigeren Angebo-ten abweichen. Aber wo es keinen Wettbewerb gibt, gibtes keine Abweichungen. Bei Preisabsprachen stellt sicherst recht die Frage, welches die Bezugsgröße für dieAbweichung sein soll. Was hilft dagegen die Beweislast-umkehr, die Sie einführen wollen?
Frau Merkel hat eine schärfere Gangart angekündigtund – man höre und staune – Transparenz eingefordert.Transparenz, was den Machtmissbrauch der großen Vierund seine Folgen angeht, haben wir eigentlich genug.Die brauchen wir nicht. Wir brauchen Handeln gegen dieMacht und zur Zerschlagung der Macht der Konzerne imInteresse der Verbraucherinnen und Verbraucher und derWirtschaft – übrigens nicht nur der privaten –, anstattdass wir uns länger von den Konzernen auf der Nase he-rumtanzen lassen.
Herr Hempelmann, die Verbraucherinnen und Ver-braucher können nicht noch einmal zehn Jahre warten,um festzustellen, dass Ihre Maßnahmen nicht gegriffenhaben und erst dann schärfere Maßnahmen getroffenwerden. Jetzt ist Handeln gefragt.Es liegen zwar keine Entflechtungsforderungen derMonopolkommission, wohl aber solche der EU-Kom-mission auf dem Tisch. Hören Sie endlich auf, diese zublockieren! Das wäre ein notwendiger Schritt. Der be-zahlbare Zugang zu Energie und die ökologische Wendesind eine Überlebensnotwendigkeit. Deshalb müssen
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Ulla Lötzerendlich Maßnahmen nicht nur gegen Kartellabsprachen,sondern auch gegen die Kartellbildung selber getroffenwerden. Das heißt, Rekommunalisierung, Überführungdes Netzes in die öffentliche Hand.
Das heißt aber auch, als kurzfristige Maßnahme diestaatliche Preisaufsicht wieder einzuführen.Danke.
Nächster Redner ist nun der Kollege Manfred
Zöllmer für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Offensichtlich haben die großen Stromkonzerneeinen bekannten Werbespruch für sich in „Gier ist geil“abgewandelt.
Nachdem wir uns in der letzten Sitzungswoche mit derneuerlichen Ankündigung von Strompreiserhöhungenbeschäftigen mussten, die in der Tat nicht durch die Her-stellungskosten begründet wurden, geht es jetzt um denVorwurf illegaler Preisabsprachen und Preismanipulatio-nen. Die Leidtragenden dieser Strategie der großen Kon-zerne sind die Verbraucherinnen und Verbraucher inDeutschland.Detailliert beschreibt der Spiegel in dieser Woche dasGebaren der großen Vier, wie es sich nach Ermittlungendurch das Bundeskartellamt und Untersuchungen durchdie EU-Kommissarin vorerst darstellt. Dieses 30-seitigeDossier ist nun bekannt geworden. Insgesamt geht esaber darum, 60 000 beschlagnahmte Seiten auszuwerten.Wenn sich diese Vorwürfe bestätigen, dann wäre dies inder Tat ein dreister Griff in das Portemonnaie der Ver-braucherinnen und Verbraucher und gleichzeitig ein un-verzeihlicher Verstoß gegen die Grundregeln der sozia-len Marktwirtschaft.In Deutschland gilt zu Recht das Prinzip der Un-schuldsvermutung. Wir haben aber bereits gehört, dassder Präsident des Bundeskartellamtes von deutlichen In-dizien spricht und den großen Unternehmen eine Mani-pulation der Preise vorwirft. Die Ermittlungsarbeit liegtbei den zuständigen Behörden. Es muss daher sehrschnell ermittelt werden, was an diesen Vorwürfen dranist.Zum Gutachten der Monopolkommission ist schon ei-niges gesagt worden. Auf 283 Seiten hat die Kommis-sion die Situation auf diesen Märkten analysiert. Sie hatfestgestellt, dass in Deutschland nicht von einem – inAnführungszeichen – „funktionsfähigen Wettbewerb“ ge-sprochen werden kann und diese Feststellung begründet.Es wird auf Markteintrittsbarrieren für neue Unterneh-men verwiesen, und es wird beklagt, dass ein grenzüber-schreitender Handel aufgrund zu geringer Kapazitätenkaum stattfindet. Sehr kritisch wird die Verflechtungs-situation analysiert.Eine faire Preisgestaltung im Energiebereich bekom-men wir nur, wenn wir Wettbewerb haben, liebe Kolle-ginnen und Kollegen von der Linkspartei, Wettbewerb inder sozialen Marktwirtschaft. Es ist bereits deutlich ge-worden, dass diese Bundesregierung für den Wettbewerbviel getan und eine ganze Menge auf den Weg gebrachthat.
Dort, liebe Kollegin Lötzer, wo es diesen Wettbewerbnicht gibt, wird es zukünftig eine verschärfte Miss-brauchsaufsicht geben. Das ist gut und richtig so. DieKraftwerks-Netzanschlussverordnung wird dafür sorgen,dass die Markteintrittsbarrieren für Wettbewerber ge-senkt werden.Ich bin sehr dafür, dass wir die Anregungen der Mono-polkommission, die Zugänge für echte Newcomer zu ver-bessern, aufgreifen. Wir sollten auch die Rolle der Stadt-werke für den Wettbewerb stärker im Blick behalten. EineStärkung der Stadtwerke verbessert den Wettbewerb undliegt damit im Interesse einer wohlverstandenen Verbrau-cherpolitik. Eine stringente Wettbewerbspolitik ist ausmeiner Sicht die beste Verbraucherpolitik, die wir ma-chen können.Sie von der Opposition sollten vielleicht auch einmalzur Kenntnis nehmen: Die Monopolkommission würdigtzu Recht die Wettbewerbsfortschritte, die bisher erreichtworden sind, und stellt wörtlich fest: „Die mit der Netz-regulierung bislang gemachten Erfahrungen sind alsweitgehend positiv zu bewerten.“ Nehmen Sie das alsOpposition doch einfach einmal zur Kenntnis!
Darüber hinaus weist die Monopolkommission zuRecht darauf hin – ich habe das auch schon in meinerletzten Rede gesagt –, dass uns die Entflechtungsdiskus-sion nicht weiterbringt. Sie fordert, liebe KolleginAndreae, die Wirkung des Regulierungsrahmens, dererst 2005 in Kraft getreten ist – wir haben das damals ge-meinsam auf den Weg gebracht –, abzuwarten. Das istvernünftig.In meiner letzten Rede habe ich darauf hingewiesen,dass die Strombörse in Leipzig ein großes Problem dar-stellt, dass dort wenig Transparenz herrscht. Es wird nurein geringer Teil der Strommenge über die Börse gehan-delt. Dies steht in keinem Verhältnis zu der Bedeutung,die dieser Preis für den Endpreis des Stromes hat. Ichpersönlich halte den Vorschlag der Monopolkommis-sion, eine verbesserte Marktüberwachung einzuführen,für sehr sinnvoll. Es muss darum gehen, den bösen Ver-dacht der Preismanipulation zu untersuchen und zukünf-tig zu unterbinden. Wer nichts zu verbergen hat, kannsich gegen Überwachung und Transparenz nicht ernst-haft wehren.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2007 12713
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Manfred ZöllmerHier geht es natürlich auch darum, entsprechendeSanktionen zu verhängen. Die Geschädigten dieser Ma-nipulation – wenn sie sich denn als zutreffend erweist –wären die Verbraucherinnen und Verbraucher in derBundesrepublik. Ihnen ist das Geld entzogen worden.Dieses Geld gehört den Verbraucherinnen und Verbrau-chern. Sie müssen entschädigt werden. Das ist eine ganzwichtige Forderung in diesem Zusammenhang.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun der Kollege Franz Obermeier für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Auch ineiner sozialen Marktwirtschaft reguliert ein freier Marktüber Angebot und Nachfrage den Preis.
Wenn über den Strommarkt also leicht Milliardenge-winne erzielt werden können – von „Profitgier“ ist dieRede –, dann stellt sich die Frage: Warum hat sich inDeutschland in den zurückliegenden Jahren seit der Li-beralisierung kein neuer Kreis von Stromproduzentenaufgebaut?
Warum ist es nicht gelungen, Neuinvestoren in unseremLand in diesem hochprofitablen Markt zu implementie-ren? Diese Frage müssen wir uns stellen. Auch ichmöchte die Frage stellen, warum Investitionen vonneuen Playern in Deutschland nicht in dem Maße getä-tigt worden sind, wie es wünschenswert wäre.Es ist unstrittig: Der Strompreis in Deutschland ist zuhoch: Den Schaden zahlen sämtliche Verbraucher ein-schließlich der Wirtschaft. Das macht stromintensivenBetrieben das Leben schwer. Im Vergleich zu anderenLändern stimmt hier einiges nicht. Allerdings solltenwir, die Politik, es uns nicht zu leicht machen. Für39 Prozent dessen, was die Verbraucher zahlen, sind wirhier in diesem Parlament verantwortlich. Das müssenwir der Ehrlichkeit halber immer wieder sagen.Die Rahmenbedingungen für Stromerzeugungsanla-gen in Deutschland sind meiner Meinung nach so, dasses für ausländische und für inländische Investoren nichtgenügend lukrativ ist, hier einzusteigen. Das ist das eine.Das andere ist: Es wird so getan, auch von Ihnen,Frau Andreae, als hätten die Verbraucher nicht die Mög-lichkeit, den Anbieter zu wechseln. Der Anbieterwechselist für den Verbraucher relativ komfortabel möglich; dermuss nicht viel machen. Die Preisdifferenzen in den zu-rückliegenden Jahren waren ja nicht unbedeutend. Wirhatten Anbieter, die zu um mehrere Cent niedrigerenPreisen angeboten haben, und trotzdem haben unsereBürger von der Möglichkeit des Wechsels keinen Ge-brauch gemacht. Da scheint aber eine Veränderung aufdem Weg zu sein. Denn in diesem Jahr haben bereits520 000 Anschlussnehmer ihren Stromlieferanten ge-wechselt. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen,dass da einiges in Bewegung ist – und zwar im positivenSinne – und die Anschlussnehmer sich tatsächlich über-legen, ob sie nicht von dieser Möglichkeit Gebrauch ma-chen sollten.Ich möchte noch schnell auf ein anderes Phänomeneingehen. Dass wir in Deutschland mehr Player, mehrProduzenten brauchen, damit der Markt funktioniert, istdas eine. Das andere ist, dass wir uns – wenn wir einenfunktionierenden Markt wollen, und den wollen wir indiesem Haus wohl alle – Instrumente überlegen müssen,mit denen die Grenzkuppelstellen ausgebaut und die Lei-tungen vor und hinter diesen Kuppelstellen leistungsfä-hig gestaltet werden können. Ohne diese grenzüber-schreitende Möglichkeit wird es in Deutschland und aufdem europäischen Strommarkt keinen funktionierendenWettbewerb geben.Lassen Sie mich zum Abschluss noch etwas zu FrauAndreae sagen. Frau Andreae, Sie haben so getan, alswären Sie nie an der Regierung gewesen.
Frau Lötzer hat gesagt, seit der Liberalisierung sei derStrompreis gestiegen.
Das stimmt auch nicht.
Der Strompreis ist nach der Liberalisierung gesunken.
Ab 2000 ist der Strompreis wieder gestiegen.
Warum hat Rot-Grün dann ab 2000 – bis 2005 waren Sienoch an der Regierung – nichts getan?
– Gegen die Bundesnetzagentur sage ich gar nichts, diefunktioniert auch. Es war aber klar, dass es fundamenta-ler Veränderungen bedurfte, und man hätte fünf JahreZeit gehabt, denn die Tendenzen waren ab 2000 klar er-kennbar.
Ordnungsrecht ist manchmal gut, aber in diesem Punktist es nicht gut. Verbessern wir die Rahmenbedingungenfür die Stromerzeugung in Deutschland, dann erreichen
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Franz Obermeierwir sicherlich ein vernünftiges Ergebnis für unsere Ver-braucher!Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Garrelt Duin für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich will mich bei Frau Klöckner, die uns jetzt leiderschon verlassen will,
ausdrücklich für das bedanken, was sie in ihrer Rede hatanklingen lassen, dass es nämlich nicht darum gehenkann, möglichst populistisch in der einen oder anderenRichtung auf aktuelle Meldungen oder Zeitungsartikel– zum Beispiel im Spiegel – zu reagieren. Manche habenoffensichtlich die Vorstellung – oder möchten sie für ihrePolitik nutzen –, dass es sofort mafiöse Strukturen hat,wenn sich führende Vertreter von Unternehmen treffen.
Manche möchten gerne glauben, dass jede Energiepreis-erhöhung das Ergebnis dunkler Machenschaften ist. Um-gekehrt füge ich im Sinne von Frau Klöckner ausdrück-lich hinzu: Es ist ganz billiger Populismus, wenn man indiesen Wochen – insbesondere als zuständiger Ministerin einem Bundesland, in dem demnächst gewählt wird –Begriffe wie „Zerschlagung von Konzernen“ benutzt;die Linkspartei und leider auch die Grünen haben dieseBegriffe heute ebenfalls benutzt. Damit soll nur Wasserauf die eigenen Mühlen geleitet werden, es ist aber keinkonstruktiver Beitrag zur Lösung der Probleme.
Wir wollen deutlich machen und nicht verschweigen,dass es natürlich um das Problem der künstlichen Ver-knappung geht.
Es geht um das Problem des fehlenden Wettbewerbs.
Frau Lötzer, Sie haben von Familien gesprochen, diedurch die Strompreiserhöhung in eine schwierige Lagekommen. Dazu sage ich Ihnen: Sie sind nicht die Einzi-gen, die das wissen.
Bei allen Abgeordneten – davon gehe ich aus – sitzenFamilien in der Bürgersprechstunde und schildern, dasssie sich vernünftigerweise eine Wohnung mit einer be-zahlbaren Miete gesucht haben, aber aufgrund der Ne-benkostenentwicklung in der letzten Zeit in Schwierig-keiten kommen. Bei den Nebenkosten handelt es sichnämlich – das Stichwort ist vorhin schon gefallen – imGrunde um eine zweite Miete.Aber die Antwort darauf kann doch nicht einfachsein: Dann muss Hartz IV erhöht werden. – Wir müssendazu kommen, mit den Versorgern über intelligente neuePreismodelle nachzudenken, meine Damen und Herren.
Warum soll es bei uns nicht möglich sein, über eine Ver-einbarung zu sprechen – deswegen finde ich die Idee desEnergiepaktes durchaus richtig –, nach der die erstenKilowattstunden zu einem anderen Preis angeboten wer-den, um bei Familien mit niedrigem Einkommen – da-rum geht es uns ja – eine entsprechende Entlastung her-beizuführen?
Das ist ein sehr viel intelligenterer Weg, als bei jeder Sit-zung, bei jedem Thema, egal worum es eigentlich geht,zu sagen: „Die Hartz-IV-Sätze müssen steigen“, wieHerr Hill das vorhin wieder gemacht hat.
Ich will auf einen Punkt hinweisen, der in dieser Dis-kussion bisher kaum eine Rolle gespielt hat. Der Stand-ort Deutschland gerät für bestimmte Gewerbe und Bran-chen aufgrund der Preissteigerungen massiv unterDruck. Bei Aluminium haben wir eine solche Entwick-lung leider schon zu einem Teil erlebt. Aber auch Chlor,Chemie, Papier, Stahl, Zement sind wichtige Branchenfür unser Land. Wir wissen, dass es dort wirklich zu gro-ßen Problemen kommt und Arbeitsplätze massiv gefähr-det sind. Es wird über Standortverlegungen nachgedacht,weil die Stromkosten in diesen Branchen zum Teil höhersind als die Lohnkosten. Deswegen sollte uns das Themaauch an dieser Stelle bewegen, und wir sollten nach Lö-sungen suchen.
Die Ursachen, liebe Kollegin Kopp, liegen nicht da-rin, wie Sie das in der letzten Debatte gesagt haben, dasslediglich der Staat zu viel draufschlage.
Man hat in dieser Debatte schon die unmöglichsten Ar-gumente gehört, zum Glück nicht heute. Immer wiederheißt es, dass die Steigerung des Ölpreises für die Steige-rung des Strompreises verantwortlich sei, dass der Aus-stieg aus der Atomenergie, Herr Fuchs, Ursache für dieEntwicklung sei oder dadurch jedenfalls Preissteigerun-gen drohen würden, dass die Ökosteuer Ursache sei usw.Das ist nicht der Fall.
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Garrelt DuinIch möchte an Ihre Adresse einmal Folgendes sagen:Wir haben uns 1998 – das war noch unter einem FDP-Wirtschaftsminister – dafür entschieden, dass wir mehrWettbewerb wollen. Im Laufe der Zeit danach ist einesklar geworden: Ihre Denke „Wirtschaft wird in der Wirt-schaft gemacht“ funktioniert nicht. Deswegen war esrichtig, dass wir unter Rot-Grün die Bundesnetzagenturund die Anreizregulierung auf den Weg gebracht haben.Ich glaube, dass das GWB dazugehört und dass es damitin die richtige Richtung geht.
Nur, einen Fehler dürfen wir nicht machen; ich bitteSie wirklich, darüber einmal nachzudenken. Wenn wirnach Alternativen in diesem Wettbewerb suchen, dannspielen meiner Meinung nach die Stadtwerke dabei einegroße Rolle. Es sind aber meist die Vertreter Ihrer Partei,die in jedem zweiten Kommunalparlament oder auchüberall sagen: Wir müssen darüber nachdenken, ob esnicht Private besser machen können, und wir müssendarüber nachdenken, ob wir nicht unsere Stadtwerkebzw. unsere Anteile daran verkaufen.
Dieser Weg führt nicht zu mehr Wettbewerb, sondern erführt in die Sackgasse, wie wir bei der aktuellen Ent-wicklung sehen.
Wir müssen die Stadtwerke und die öffentliche Hand indiesem Bereich stärken und dürfen sie nicht zerschlagen.Es ist völlig falsch, da über eine Zerschlagung nachzu-denken, wie Sie das immer tun.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist nun der Kollege Kurt Segner für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Jahren muss derVerbraucher immer tiefer in die Tasche greifen, um seineEnergiekosten zu finanzieren. Die Liberalisierung desdeutschen Energiemarktes im Jahr 1996 hatte das Ziel,mehr Wettbewerb im Strommarkt zu schaffen. Damitsollten auch mehr Vorteile für den Verbraucher erreichtwerden.Was ist in den letzten Jahren passiert? Die vier großenEnergiekonzerne haben den Strommarkt unter sich auf-geteilt und damit den Wettbewerb größtenteils verhin-dert. In den letzten Tagen konnte man lesen, dass einigeGroßkonzerne zum Jahreswechsel die Preise wieder an-heben. Anfang der Woche – wir haben das heute schondes Öfteren gehört – wurde in den Medien über geheimeAbsprachen der Energiekonzerne berichtet. Ziel der Ab-sprachen soll es gewesen sein, den Wettbewerb auszuhe-beln und die eigenen Gewinne zu erhöhen. Mit solchenSchlagzeilen wird das Vertrauen der Verbraucher in diedeutsche Energiewirtschaft zerstört.Natürlich haben die betroffenen Konzerne die gehei-men Absprachen bestritten. Wir sollten auch heute keineVorverurteilungen vornehmen. Das Bundeskartellamtund die EU-Wettbewerbsaufsicht werden die Vorwürfeaufklären. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, dannmüssen die Konzerne die volle Härte des Gesetzes spü-ren.
Dass auf dem deutschen Energiemarkt zu wenig Wett-bewerb herrscht,
ist schon länger bekannt. Welche Probleme sich aus demfehlenden Wettbewerb für den Verbraucher ergeben,wurde bereits in der letzten Sitzungswoche in einerAktuellen Stunde diskutiert. Insofern ist die heutigeAktuelle Stunde, die wieder von der Linkspartei bean-tragt wurde, eigentlich überflüssig.
Auch die Forderung der Linken, die Strom- und Gas-netze zu verstaatlichen, ist abzulehnen.
Dafür sprechen historische Beispiele. Durch Verstaatli-chung werden weder Investitionen noch Leistungsfähig-keit noch Effizienz gesteigert.
Meine Damen und Herren, wir bekennen uns zursozialen Marktwirtschaft.
Zur sozialen Marktwirtschaft gehört, dass UnternehmenGewinne machen; sie müssen sogar Gewinne machen.Das gilt auch für die Energiewirtschaft. Gewinne sindnotwendig, damit in effiziente Kraftwerke und leistungs-fähige Leitungsnetze investiert wird. Dies dient nicht nurdem Klimaschutz, sondern auch der Versorgungssicher-heit des Verbrauchers.Zur sozialen Marktwirtschaft gehört seit LudwigErhard auch, dass der Wettbewerb kontrolliert und derVerbraucher vor Preistreiberei marktbeherrschender Un-ternehmen geschützt wird. Deshalb ist es richtig, dasswir für die Energiewirtschaft das Wettbewerbsrecht ver-schärfen.Eine weitere wichtige Maßnahme ist die Kraftwerks-Netzanschlussverordnung. Durch diese Verordnung wer-den der Marktzugang neuer Anbieter und der Bau neuerKraftwerke erleichtert.
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12716 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 122. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. November 2007
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Kurt SegnerDer Markt braucht mehr Anbieter, damit der Wettbe-werb besser funktioniert. Aber ich sage Ihnen auch: DerVerbraucher muss bereit sein, neue Kraftwerke zu ak-zeptieren.
Wir müssen den Verbraucher ebenso dazu motivieren– dies wurde heute schon angesprochen –, den Anbieterzu wechseln. An dieser Stelle möchte ich den Verbrau-cherzentralen für deren Kampagne, in der der Verbrau-cher aufgefordert wird, seinen Anbieter zu wechseln, einLob aussprechen.Ich schließe mit den Worten: Wenn wir mehr Anbie-ter, mehr Strom und mehr Markt haben, kommt dies demVerbraucher zugute.Danke schön.
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Klaus Barthel für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir haben vor 14 Tagen die gleiche Diskussion geführt.Ich wundere mich, warum es noch einmal zu dieser Dis-kussion gekommen ist
und wie der Anlass, Herr Hill, zu dem passt, was hiervorgetragen wird. Denn wenn es stimmt, was Sie sagen,nämlich dass es, wie die Bundeskartellbehörde festge-stellt hat, zu Preis- und Marktabsprachen gekommen ist,dann ist die Bundeskartellbehörde am Zug, dagegen vor-zugehen. Dafür hat sie gesetzliche Mittel, und diesemuss sie dann anwenden.
Dabei kommt es nicht auf die Haltung der Bundesregie-rung zu dieser Frage und erst recht nicht auf all diePunkte an, die hier gebetsmühlenartig von verschiede-nen Seiten immer wieder vorgetragen werden. Dennwenn es diese Absprachen gibt, dann helfen weder eineVerstaatlichung des Netzes noch eine eigentümerrechtli-che Entbündelung noch eine Senkung der politischenKosten noch eine längere Laufzeit von Atomkraftwer-ken. Solche Diskussionen zu benutzen, um gewisser-maßen all die Säue, die es gibt, wieder durchs Dorf zutreiben, bringt uns keinen Zentimeter weiter.
Fakt ist erstens: Unser Energiesystem befindet sich imUmbau: einerseits in einer Liberalisierungsphase und an-dererseits in einem ökologischen Umbau. Wir sagen hiernicht, dass es für alle Ewigkeit billigen Strom gebenmuss.
Wir bekennen uns dazu, dass dieser Umbau auch Kostenverursacht.Deswegen bringt es auch nichts, immer wieder staatli-che Lasten zu beklagen. Denn jeder, der das tut, müsstesagen, wie er sie senken will: Wollen wir einen verrin-gerten Mehrwertsteuersatz? Wer soll diese Ausfälle be-zahlen, und wie rechtfertigen wir das? Wollen wir dieÖkosteuer senken und damit Löcher in der Rentenkasseaufreißen? Wollen wir das Einspeisungsgesetz im Hin-blick auf erneuerbare Energien abschaffen und damitden Umbau unseres Energiesystems blockieren? Wassoll also diese Diskussion?Schauen wir uns zum Beispiel das EEG an, das dieStromerzeuger benutzen, um Preiserhöhungen zu be-gründen. Sage und schreibe 0,1 Cent pro KilowattstundeStrom wird die Erhöhung, die EEG-bedingt ist, imnächsten Jahr ausmachen. Das sind 30 Cent pro Haushaltund Monat.
Die Preiserhöhung, die Eon angekündigt hat, ist 15-malso hoch. Damit zu kommen, ist doch absurd.
Die EEG-Kosten werden schon jetzt überproportionalabkassiert, weil sie nicht entsprechend den tatsächlichenRegelungen erhoben werden. Schon jetzt senken die er-neuerbaren Energien die Energiekosten insgesamt in derVolkswirtschaft um 5 Milliarden Euro im Jahr.
Fakt ist zweitens, dass die Privatisierung und die Li-beralisierung der Energiemärkte eben nicht automatischniedrigere Preise und Innovationen hervorbringen; dasist schon richtig. Aber deswegen in einer Einheitsfrontvon Herrn Möschel, den Grünen und den Linken zu sa-gen: „Jetzt steigen halt die Preise, weil diese Liberalisie-rung nun einmal Oligopole hervorbringt, und nur wenndie Preise steigen, gehen auch andere in den Markt“,
ist Teil einer Verelendungsstrategie; so muss ich sagen,Frau Andreae. Ich muss mich schon sehr darüber wun-dern, dass man sagt: Jetzt lassen wir erst einmal diePreise ad ultimum hochgehen,
damit dann Wettbewerb entsteht, und schauen zu, wasdie hier treiben. Deswegen machen wir keine GWB-No-velle, die genau das verhindern soll, dass diese Markt-
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Klaus Barthelmacht jetzt benutzt wird, um Preise hochzutreiben. – Ichhabe die Papiere schon gelesen, die in der Anhörungvorgelegt sind.Fakt ist drittens auch – das hat der Kollege Zöllmerhier schon angesprochen –, dass die Netzregulierung er-folgreich ist und eine Kostensenkung von 13 Prozent imNetz gebracht hat. Das heißt, die eingeleitete Regulie-rung funktioniert. Aber sie hat keine Auswirkung aufden Erzeugungsbereich, weil dieser nicht reguliert ist.
Deshalb bringt eine Verstaatlichung der Netze oder einOwnership-Unbundling überhaupt nichts, weil dadurchdas Problem des Erzeugungsbereichs nicht angegangenwird.Denn wir haben im Energiemarkt nicht eine solcheSituation wie auf anderen Märkten. Deswegen brauchenwir diese Übergangsregelung im Wettbewerbsgesetz.Eine Sondersituation rechtfertigt Sonderinstrumente.Viertens. Wir müssen den Umbau vorantreiben, an-statt Atomkraftwerke weiterlaufen zu lassen. Der Um-bau durch regenerative Energien hat vom Jahr 2005 auf2006 bereits die Kapazität eines Atomkraftwerks ersetzt.Das zeigt, wie erfolgreich dieser Weg ist.
Herr Kollege, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern!
Es bringt auch nichts, den Großen zu verbieten, neue
Kraftwerke zu bauen. Wie sollen denn neue Produk-
tionskapazitäten, moderne und regenerative Kraftwerke
auf den Markt kommen, wenn diejenigen, die das Geld
haben, gehindert werden, diese Investitionen zu tätigen?
Die Strategie muss also sein: erstens die Netzregulie-
rung konsequent fortsetzen, dabei aber die kleinen Wett-
bewerber, insbesondere die Stadtwerke, nicht kaputt zu
machen. Das heißt auch, dass wir die Regulierung noch
nachjustieren müssen
– Garrelt Duin hat darauf hingewiesen –, weil Unglei-
ches durch die Regulierungsbehörde nicht gleich behan-
delt werden kann. Man muss da einmal über so etwas
wie asymmetrische Regulierung nachdenken.
Zweitens. Die Länder müssen die Kommunen befähi-
gen, für kommunale Energiedienstleister stark genug zu
sein und Wettbewerb zu schaffen.
Drittens. Die wettbewerbsrechtlichen Instrumente
müssen geschärft werden.
Fünftens. Wir müssen uns dem unbequemen Di-
lemma stellen – das will ich auch noch sagen –, wie man
es unter einen Hut kriegen will –
Sie haben Ihre Redezeit bereits überschritten.
– denn da werden die Volksreden von vorher schnell
wieder vergessen –, auf der einen Seite wettbewerbsfä-
hige Energieunternehmen in Deutschland zu haben, die
auch europaweit wettbewerbsfähig sind, und auf der an-
deren Seite unsere Verbraucherinnen und Verbraucher
vor Abzockerei zu schützen.
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Wir sind am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages für morgen, Donnerstag, 8. November, 9 Uhr,
ein.
Ich schließe die Sitzung.