Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebeKolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Der Deutsche Bundestag trauert um sein MitgliedGert Willner, der gestern im Alter von 59 Jahren einemschweren Leiden erlegen ist.Gert Willner wurde am 16. April 1940 in Deutsch-Gabel geboren. Nach einer Verwaltungsausbildung, dieer mit dem Grad eines Diplomverwaltungswirts ab-schloss, war er als Referent bei der schleswig-holsteinischen Landesregierung tätig, bis er zum haupt-amtlichen Bürgermeister der Stadt Quickborn gewähltwurde. Dieses Amt hatte er 18 Jahre lang inne. Auch inseiner folgenden Aufgabe als Geschäftsführer einesVerbandes von Wohnungsbauunternehmen und als Ab-geordneter des Deutschen Bundestages hat er sich derKommunalpolitik verbunden gefühlt. Seine Ämter in derKommunalpolitischen Vereinigung der CDU belegendies ebenso wie seine Mitgliedschaft in der Enquete-Kommission „Kommunalverfassungsrecht“ des Schles-wig-Holsteinischen Landtages und in einer Experten-kommission für die Kommunalverfassung für Mecklen-burg-Vorpommern.Gert Willner wurde 1994 in den Deutschen Bundes-tag gewählt. Als ordentliches Mitglied gehörte er in der13. Legislaturperiode dem Ausschuss für Raumordung,Wohnungswesen und Städtebau sowie dem Innenaus-schuss an, in der 14. Legislaturperiode dem Ausschussfür Verkehr, Bau- und Wohnungswesen sowie der En-quete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen En-gagements“.Alle seine Kollegen, die einen persönlichen Kontaktmit dem Verstorbenen hatten, werden seine menschli-che, ruhige und gelassene Art in Erinnerung behalten.Sein vermittelndes Wesen und sein hintergründiger Hu-mor halfen oft, Konflikte zu schlichten oder sie zu ent-schärfen. In der Interessenvertretung für seinen Wahl-kreis und für seine schleswig-holsteinische Heimat zeig-te er ein hohes Maß an Zielstrebigkeit und Beharrlich-keit. Die Sorgen und Wünsche der Bürger waren ihmRichtschnur seiner politischen Tätigkeit.Der Deutsche Bundestag wird seinem Mitglied GertWillner ein ehrendes Gedenken bewahren. Ich sprecheseiner Witwe im Namen des Deutschen Bundestages un-ser tief empfundenes Mitgefühl aus.Ich danke Ihnen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf: 16 a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ludwig Stiegler, MonikaGriefhahn, Jörg Tauss, weiteren Abgeordne-ten und der Fraktion der SPD sowie den Ab-geordneten Klaus Müller, Dr. Antje Vollmer,Oswald Metzger, weiteren Abgeordneten undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurweiteren steuerlichen Förderung vonStiftungen – Drucksache 14/2340 –
Zweite und dritte Beratung des von den Ab-geordneten Hans-Joachim Otto ,Rainer Funke, Dr. Klaus Kinkel, weiterenAbgeordneten und der Fraktion der F.D.P.eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
– Drucksache 14/336 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
– Drucksache 14/3010 – Berichterstattung: Abgeordnete Jörg Tauss Dr. Norbert Lammert
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Dr. Antje Vollmer Hans-Joachim Otto
Dr. Heinrich Fink b) Beratung der Beschlussempfehlung und desBerichts des Ausschusses für Kultur und Me-dien zu dem Antrag der Frak-tion der CDU/CSU Ein modernes Stiftungs-recht für das 21. Jahrhundert – Drucksachen 14/2029, 14/3010 –Berichterstattung: Abgeordnete Jörg Tauss Dr. Norbert Lammert Dr. Antje Vollmer Hans-Joachim Otto
Dr. Heinrich FinkEs liegen vier Änderungsanträge der Fraktion derCDU/CSU vor, von denen wir später einen namentlichabstimmen werden. Außerdem liegen ein Änderungsan-trag der Fraktion der F.D.P. sowie je ein Entschlie-ßungsantrag der F.D.P. und der PDS vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstemdem Berichterstatter, dem Abgeordneten Hans-JoachimOtto, für eine kurze Ergänzung zum Bericht das Wort.
Herr Prä-
sident! Meine Damen und Herren! Bei der schriftlichen
Abfassung des Berichtes hat es leider eine kleine Unter-
lassung gegeben, und zwar ist dort nicht erwähnt, dass
der Gesetzentwurf der F.D.P.-Fraktion auf der Drucksa-
che 14/336 durch einen Änderungsantrag der F.D.P.-
Fraktion ergänzt worden ist, der Ihnen jetzt noch einmal
gesondert unter der Drucksache 14/3043 ausgeteilt wird
und über den wir heute gesondert abzustimmen haben.
Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass der Bericht inso-
weit eine kleine Unterlassung aufweist – auch Kulturpo-
litiker begehen manchmal kleine Unterlassungen –, da-
mit darüber nachher korrekt abgestimmt werden kann.
Vielen Dank.
Herzlichen Dank. –
Nun erteile ich das Wort dem Staatsminister Michael
Naumann.
D
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Wir debattieren heute abschließend über das Stiftung-steuerrecht und damit über neue Wege, das Wort vonder Bürgergesellschaft mit neuem Leben zu erfüllen.Dem Stiftungsteuerrecht soll – das ist unsere Hoffnungund der Plan – die Reform des zivilrechtlichen Teils desStiftungsrechts folgen. Aber: Das erste wichtige und damit sicherlich auchdas schwierigste Stück des Weges liegt nun hinter uns.Diese Regierungskoalition hat mit dem vorliegendenGesetzentwurf nach jahrelangem Stillstand auf diesemFeld einen Durchbruch geschafft. Bekanntlich war dasnicht unser Stillstand.
Es ist schön, meine Damen und Herren von der Op-position, bei dieser Gelegenheit noch einmal die ableh-nenden Briefe des Finanzministers Waigel zu lesen.
Es geht hierbei jedoch nicht nur um abstrakte Steuervor-schriften, sondern auch um neue gesellschaftspolitischeChancen. Ich glaube, dass heute endlich einmal wiedernicht von windigen Spendern mit unbekannten Kontendie Rede ist, die mit irgendwelchen Tricks ihr Geld ander Steuer und am Gesetz vorbeischummeln wollen.
Wer stiftet, will mitgestalten. Dies soll er aber bitte of-fen tun.
Stifter geben nicht nur ihr Geld. Sie stiften auch ihreZeit und ihre Begeisterung für eine gute Sache. Sie über-nehmen Verantwortung für das Gemeinwohl. Die Bür-gerinnen und Bürger dieses Landes wollen Investitionenin die Zukunft nicht allein der Wirtschaft und der Politiküberlassen. Sie wollen selbst Investoren sein. Stiftungen sind jahrhundertealter Ausdruck von In-vestitionen in das Gemeinwohl. Sie sind gewissermaßendie Rechtsform des klassischen römischen Begriffes derVita activa, die da lautet: tua res agitur. Es geht um dei-ne Sache; handele mit.Das gilt nicht allein für die Kultur und für die Kultur-politik, für die ich hier spreche, sondern auch für Sozia-les, für Umwelt, Wissenschaft und Sport. Sie alle profi-tieren vom Willen der Bürgerinnen und Bürger, sich mitfreiwilligen Leistungen an der Entwicklung der Gesell-schaft zu beteiligen. Die Spendenfreude der Deutschen in Krisen- und Ka-tastrophenfällen ist bekannt, ja legendär. Das ist eben-falls Ausdruck eines ausgeprägten Bewusstseins der Ge-sellschaft – oder soll ich bei dieser Gelegenheit einmalsagen: der Bevölkerung oder des Volkes – für die Ver-antwortung des Einzelnen.
Dieses Verantwortungsgefühl gilt es zu stärken. Esgilt, offene Anreize – ich betone: offene Anreize – zu schaffen, damit gute Vorhaben in die bessere Tatumgesetzt werden können. Das will diese Regierung mitder Reform des Stiftungsrechts erreichen. Einen nichtunbeträchtlichen Teil haben wir erreicht. Wir wollen potenziellen Stiftern die Steine aus dem Weg räumen,die das geltende Stiftungsrecht, das über Jahrhunderte Präsident Wolfgang Thierse
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gewachsen und dann schließlich seit mehr als einemJahrhundert festgegossen ist, in den Weg gelegt hat. Mit dem Stiftungsteuerrecht will der Staat seinen An-teil in einem fairen, für alle Partner erfolgreichen Ge-schäft beitragen. Der Staat verzichtet fortan auf Steuer-einnahmen zugunsten eines etwas höheren Wertes,den Stiftungen für das Gemeinwohl schaffen können.Es ist kein Geheimnis, dass es nicht so einfach war,die Finanzpolitiker auch in unseren eigenen Fraktionenvon der Sinnhaftigkeit dieses Projektes zu überzeugen.Ich stehe auch nicht an, darauf hinzuweisen, dass es inletzter Instanz der Bundeskanzler war, der hier seineRichtlinienkompetenz wahrgenommen hat.
Wir haben mit dem vorliegenden Gesetzentwurf aucheine Forderung aus der Koalitionsvereinbarung einge-löst. Wer stiftet, spart Steuern. Bis zu 40 000 DM sind vonder Steuer abzugsfähig, wenn sie einer Stiftung zugutekommen. Damit sollen vor allem Besitzer kleinerer undmittlerer Vermögen die Chance erhalten, sich stärker anStiftungen zu beteiligen. Zugleich wird der Stiftungsge-danke in die Mitte der Gesellschaft gerückt.
Ich bin überzeugt davon, die Gründung und Unter-stützung von Bürgerstiftungen wird durch die Reformeinen kräftigen Schub erfahren. Die Bereitschaft und –gottlob! – auch das Geld dazu sind da. Auf diesen posi-tiven Effekt haben die Künstlerinnen und Künstler ge-wartet. Die Kulturinstitutionen sind immer stärker darauf angewiesen. Bürgerstiftungen sind eine der wich-tigsten gesellschaftspolitischen Innovationen der letztenJahre im Bereich der privaten Kulturförderung. Fast jededritte Stiftung in Deutschland ist seit 1990 entstanden.Die kleinen, sehr von ambitionierten Persönlichkeitengeprägten regional tätigen Stiftungen sichern die kultu-relle Vielfalt einer Stadt bzw. einer Region. Sie sindAusdruck eines gelebten Subsidiaritätsprinzips. Durch die jetzt möglich gewordene großzügige För-derung wollen wir noch mehr Menschen ermutigen undanregen, durch Zustiftung von 5 000, 10 000 oder gar40 000 DM, die von der Steuer abgezogen werden kön-nen, praktischen Bürgersinn zu zeigen.
Dadurch zeigt der Staat, dass er die Selbstorganisationdes Bürgers vorbehaltlos ermöglichen will. Die großeStiftungslandschaft im Deutschland der Jahrhundert-wende ist unter dem Ansturm des Totalitarismus zu-sammengebrochen. Sie ist langsam wieder aufgewach-sen. Jetzt geben wir ihr einen neuen Schub. Dies alles soll in einer Zeit ermutigen, in der allzu oftund sehr schnell nach dem Staat als Problemlöser geru-fen wird. Wir wollen – quasi als Kontrapunkt – den Wegebnen, selbstbewusst mehr Eigenverantwortung wahr-zunehmen.
– Herr Otto, das schöne Erlebnis war ja, dass im Grundegenommen alle Kulturpolitiker im Kulturausschuss indieser Sache einer Meinung waren. Es ist natürlich auchklar, dass Sie mehr gefordert haben, als Sie in den ver-gangenen 16 Jahren auch nur ansatzweise haben erfüllenkönnen. Wir alle gemeinsam haben ja den Widerstanderfahren.
Natürlich brauchen wir auch den reichen Mäzen.Deshalb enthält die Gesetzesinitiative auch interessanteAnreize für größere Vermögen. So ist vorgesehen, Sach-zuwendungen aus dem Betriebsvermögen für Stiftun-gen des Privatrechts künftig nicht mehr nach dem Teil-wert, sondern nach dem Buchwert zu bemessen. Ganzwichtig ist die vorgesehene Befreiung der Erben von derErbschaftsteuer, wenn sie ererbtes Vermögen an einegemeinnützige Stiftung weiterreichen. Angesichts deserwarteten Erbvermögens in Höhe von über 350 Mil-liarden DM in den nächsten zehn Jahren sollte man mei-nen, dass die Idee der Gemeinnützigkeit in Deutschlanddurch dieses Gesetz massiv, gerade auch materiell, un-terstützt und realisiert wird.
Doch kann der Staat, meine Damen und Herren, diewirklich großen Vermögen – man kann es nicht oft ge-nug betonen – nicht ausschließlich mit steuerrechtlichenVergünstigungen locken. Hierfür ist die Pflege der ide-ellen Werte unserer Gesellschaft – ich denke an Trans-parenz und Tugenden wie Gerechtigkeit, Ehrlichkeit undsicherlich auch Ehrenhaftigkeit – wesentlich wichtiger.Auf diesem Feld ist eine Klimaverbesserung nötig, diesich übrigens nicht zuletzt im Umgang von Stiftungsbe-hörden und Finanzämtern mit potenziellen Stiftern, aberauch in der öffentlichen Würdigung von Stiftern zeigenmuss.
Lassen Sich mich an dieser Stelle ganz kurz auf örtli-che Ereignisse Bezug nehmen: Es kann überhaupt keinZweifel daran bestehen, dass der Rücktritt der Senato-rin Thoben – schön, dass Sie jetzt zuhören, meine Her-ren von der Opposition –,
eine Ihrer besten Politikerinnen, in einer Situation er-folgt, in der einem Stifter dieser Stadt – wir reden ja vonStiftungen – mitgeteilt wird, dass von seiner Stiftung inHöhe von über 300 000 DM lediglich 165 000 DM Staatsminister Dr. Michael Naumann
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gebraucht werden. Solch ein Umgang mit Stiftungenmuss endlich aufhören.
Die beste Stiftungspolitik nützt nichts – hier rede ichschon auch von dieser Stadt –, wenn sich die Stiftungenund die Stifter, die Mäzene und die Kunstfreunde sicheiner Verwaltung, einer Behörde und einer Politik ge-genübersehen, in der auch die schönsten Stiftungen innicht transparenten Haushaltspolitiken und in einer ka-tastrophalen Kulturpolitik zu versickern drohen,
die hier seit Jahrzehnten ganz eindeutig zu dem Resultatgeführt hat, das wir heute leider, leider beklagen müs-sen.
Ich persönlich wünschte, Frau Thoben wäre geblieben.Das darf ich Ihnen zurufen.
In einem zweiten Schritt der Stiftungsrechtsreform,nämlich der Reform des zivilen Stiftungsrechts, sollendie Regelungen über Stiftungsgründungen und Aufsichtund Publizität reformiert werden. Ich freue mich, dasssich in dieser Frage nun auch bei den Bundesländern dieReformbereitschaft durchzusetzen scheint. Eine Bund-Länder-Gruppe unter Leitung des federführenden Bun-desjustizministeriums wird in Kürze mit der Arbeit be-ginnen. Auch die Kultur wird sich in dieser Arbeits-gruppe zu Wort melden. Ich denke, wir werden auchdieses Gesetzeswerk noch in dieser Legislaturperiodewenn nicht beschließen, so doch einen entscheidendenSchritt vorwärts bringen können.
Das ist auch Sache des Bundesrates.Erforderlich ist eine andere Außendarstellung derStiftungsbehörden, die schon in der Bezeichnung derOrganisationseinheit zum Ausdruck kommen sollte.Statt Stiftungsaufsicht, wie es zum Beispiel hier in Ber-lin heißt, könnte man auch weniger obrigkeitsfixierteBegriffe wie etwa Stiftungsberatung oder schlicht Stif-tungsamt wählen.
Ich hoffe darum, dass sich auch in den Köpfen der Mit-arbeiter ein Wandel vollzieht, nämlich in erster Linie ei-ne Serviceeinheit zu sein und gerade auch im Interessedes Staates die Gründung gemeinwohlorientierter Stif-tungen mit größtmöglicher Hilfestellung zu fördern undzu begleiten.Gestatten Sie mir abschließend, Herr Präsident, ganzkurz noch einige Worte zu der von mir geplanten Bun-deskulturstiftung, die einige in den Ländern mit Furchtund Schrecken zu erfüllen scheint. Warum, ist nichtganz klar. Sie wäre ja kein Angriff auf die Kulturhoheitder Länder. Vielmehr ist es eine Art Feuerwehrtopf fürkulturelle Projekte von nationalem Gewicht – jedenfallsist die Stiftung so gedacht –, die aus öffentlichen Kassenansonsten nicht zu finanzieren wären. Kultur findetselbstverständlich auf regionaler und Landesebene statt.
Es gibt keine abstrakten Kulturereignisse des Bundes,sondern Kultur, Kulturprojekte, Kulturereignisse sindimmer konkret. Die länderübergreifende Finanzierungscheint es zu sein, die uns so außerordentliche Schwie-rigkeiten macht. Meine Damen und Herren, die Ligatur von allem –das hat einmal ein Mann gesagt, der auch mit unsererPartei viel zu tun hat; er hat da nicht ganz falsch gele-gen – ist Geld. Leider! Auch in der Kulturpolitik, abernicht nur dort. Trotzdem wollen wir mit der Reform desStiftungsrechts – wenn Sie so wollen – eine verspäteteAntwort auf einen verzweifelten Brief einer berühmtenLyrikerin geben. Das war Else Lasker-Schüler, die ei-nem ihrer Mäzene einmal einen Brief schrieb, der mitden Zeilen endete: Sie fragen mich, was mir fehle. Ich sag‘s Ihnengerne:
Geld, Geld, Geld, Geld, Geld.Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Norbert Lammert, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die zweite und dritteLesung der eingebrachten Gesetzentwürfe und Anträgezu einem modernen Stiftungsrecht gibt uns Gelegenheit,noch einmal zu sortieren, was uns bei diesem wichtigenThema eint und was uns möglicherweise trennt. Unseint, dass wir alle ein neues, modernes, wirklich über-zeugendes Stiftungsrecht wollen. Uns trennt aber dieBeurteilung der Frage, was denn Bestandteil eines sol-chen Gesetzes sein muss, damit man von einem wirklichmodernen, überzeugenden, leistungsfähigen Stiftungs-recht sprechen kann.Wenn Sie, Herr Staatsminister Naumann, heute Mor-gen sagen, das schwierigste Stück des Weges liege hin-ter uns, dann kann ich das nur für eine gut gemeinte, imÜbrigen aber hoffnungslose Übertreibung halten.
Staatsminister Dr. Michael Naumann
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Natürlich ist wahr, dass etwas immer mehr ist als garnichts. Insofern stehen wir auch nicht dem Bemühen imWege, das Wenige nun heute auf den Weg zu bringen.
– Herr Kollege Stiegler, ich werde Ihren Zwischenrufmit besonderer Liebe und Sorgfalt aufgreifen, weil daszu den Legendenbildungen gehört, die Sie zur Ver-schönerung des Bildes eines im Ganzen doch eher be-scheidenen Gesetzentwurfes ganz offenkundig dringendbenötigen.
Ich will nur noch einmal sagen: Natürlich ist es bes-ser, etwas zu machen, als gar nichts zu machen. Aberviel mehr kommt hier leider nicht zustande. Dies bleibtweit hinter den Ankündigungen und Erwartungen zu-rück, die Sie mit Ihren eigenen Erklärungen zu Beginndieser Legislaturperiode ausgelöst haben.
Hier ist nach einem großen Anlauf ein ganz kleinerSprung zustande gekommen.
Weil Kollege Stiegler so viel Wert darauf legt, dievergangenen 16 Jahre noch einmal zu beleuchten, willich ihm diesen Gefallen tun. In der Tat haben wir – ohneden Anspruch einer Reform des Stiftungsrechts – in ei-ner Serie von Änderungen im Steuerrecht, im Vereins-recht vermutlich mehr an konkreten Verbesserungen derArbeitsfähigkeit und vor allen Dingen auch der steuerli-chen Absetzungsmöglichkeit für Spenden und Stiftun-gen in unserer Amtszeit durchgesetzt, als Sie sich dasmit Ihrem Gesetzentwurf zutrauen.Wir haben 1986 im Steuerbereinigungsgesetz erst-mals Rücklagen zur dauerhaften Erhaltung der Leis-tungskraft zugelassen. Wir haben im Vereinsförde-rungsgesetz dafür gesorgt, dass es zahlreiche Verbesse-rungen für gemeinnützige Körperschaften gibt, die nichtnur, aber auch von den Stifterverbänden gefordert wor-den sind. Damals haben wir die Überschussgrenze von12 000 DM im Dreijahresdurchschnitt für die Zweckbe-triebsgemeinschaft kultureller Einrichtungen und Veran-staltungen abgeschafft. Wir haben eine neue Freigrenzevon 60 000 DM Einnahmen im Jahr für die Ertragsbe-steuerung von wirtschaftlichen Betätigungen eingeführt.Wir haben Freigrenzen bei Körperschafts- und Gewer-besteuern in echte Freibeträge umgewandelt.Wir haben damals den Abzugsatz für Spenden zurFörderung mildtätiger Zwecke von 5 auf 10 Prozent desGesamtbetrages der Einkünfte angehoben und verdop-pelt. Wir haben damals also genau die Sätze eingeführt,die schlicht zu bestätigen heute Ihre ganze Kraft reicht,während unser Vorschlag, diese Sätze jetzt zu verdop-peln und damit kräftig, nachhaltig und sichtbar im Inte-resse eines neuen Stiftungsrechts und einer neuen Ermu-tigung für Stifter anzuheben, leider an Ihrem Widerstandscheitert.
Ich könnte noch eine ganze Serie von Verbesserun-gen der letzten Jahre aufführen. Wir haben damals fürGroßspender die Möglichkeit des Abzugs von Einzel-spenden von mindestens 50 000 DM pro Jahr auf einenZeitraum von insgesamt acht Jahren durchgesetzt. Wirhaben die Erbschaftsteuerbefreiung bei Zuwendungen angemeinnützige Körperschaften ins Steuerrecht einge-führt, die Ausweitung steuerfreier Entschädigungen undvieles mehr.
Meine Redezeit reicht nicht, Herr Stiegler, um denNachholbedarf zu decken, den Sie mit Ihren ständigenZwischenrufen provozieren.Ich halte nur noch einmal für das Protokoll fest: Inden vergangenen Jahren ist hinsichtlich der Zahl und derReichweite der Vorschläge unendlich mehr für die Ver-besserungen von Stiftern und Stiftungen geleistet wor-den, als unter dem gigantischen Anspruch eines neuenStiftungsrechts mit dem Gesetzentwurf nun erfolgt, denSie heute hier verabschieden wollen.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass über die vorhande-nen Möglichkeiten der Absetzung im Steuerrecht hinaus,die Sie leider nicht deutlich verbessern wollen, nun fürkleinere Spenden ein zusätzlicher Abzugsbetrag von40 000 DM im Jahr eröffnet werden soll. Ich muss abernoch einmal mein ausdrückliches Bedauern darüber zumAusdruck bringen, dass sich selbst im Zusammenhangmit der ausdrücklich von uns allen gewünschten Förde-rung gemeinnütziger Organisationen und Aktivitäten Ihraltes Misstrauen gegen höhere Einkommen und Vermö-gen auch an dieser Stelle gegenüber neuen und besserenEinsicht durchgesetzt,
nach dem Motto: Wir wollen lieber höhere Einnahmenzu 40 oder 50 Prozent besteuern, als sie zu 100 Prozentder Gemeinschaft für gemeinnützige Aktivitäten zurVerfügung stellen zu lassen.
Es wäre zu schön gewesen, Herr Staatsminister undmeine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Koaliti-on, wenn Sie sich hätten entschließen können, die gut gemeinten und zielführenden Hinweise aus derSachverständigenanhörung zur Grundlage einer Verbes-serung Ihres Gesetzentwurfes zu machen. Bei diesenAnhörungen ist von den Experten serienweise daraufDr. Norbert Lammert
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hingewiesen worden, dass man erstens den Zusammen-hang zwischen Steuerrecht und Zivilrecht herstellenmuss und nicht auseinander reißen darf
und dass zweitens die vorgesehenen Änderungen imSteuerrecht – nur die stehen heute hier zur Debatte –dringend einen mutigeren, einen überzeugenderen unddeswegen spürbareren Ansatz benötigt hätten.
– Ich empfehle Ihnen, Herr Stiegler, dass Sie das, wasSie vorhin aufgrund Ihrer vielen Zwischenrufe wahr-scheinlich nicht so schnell aufnehmen konnten, im Pro-tokoll nachlesen. Ich stelle Ihnen die übrigen Änderun-gen, die wir durchgesetzt haben und die ich nicht mehrvorgetragen habe, im Rahmen eines gesonderten priva-ten Schriftwechsels gerne zur Verfügung. Nur, Herr Kollege Stiegler – darauf möchte ich nochhinweisen –, wenn Ihnen dieses Thema so wichtig istund wenn Sie den vorliegenden Gesetzentwurf in seinerjetzigen Fassung für ein ganz besonders eindrucksvollesReformwerk dieser Legislaturperiode halten, dann wärees schön gewesen, wenn mehr Mitglieder dieser Koaliti-on einschließlich einzelner Mitglieder der Bundesregie-rung dieser Debatte die Ehre ihrer leibhaftigen Anwe-senheit hätten zuteil werden lassen.
Kollege Lammert,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vollmer?
Aber gerne.
Herr Kollege Lammert, erinnern Sie sich daran, dass ich
in einer Debatte aus der letzten Legislaturperiode genau
den Standpunkt, den Sie jetzt vortragen, vertreten habe,
nämlich man könne doch schon zivilrechtlich etwas ma-
chen, wenn man meint, steuerrechtlich noch nichts ma-
chen zu können, und dass die damals höchste Autorität
der Koalition, nämlich der Bundeskanzler höchstpersön-
lich, gesagt hat, zivilrechtliche Änderungen seien gar
nicht nötig – er hat es vertreten; meine Meinung ist das
überhaupt nicht – und dem Stiftungsrecht könne man
nur durch das Steuerrecht aufhelfen. Das wolle er im
Rahmen einer großen Steuerreform machen, die er aber
jetzt noch nicht durchführen könne. Was sagen Sie zu
dieser damaligen Meinung? – Ich glaube, das war da-
mals die Meinung der gesamten Koalition.
Frau KolleginVollmer, erstens erinnere ich mich gut. Zweitens beant-worte ich gerne die Frage nach der Einschätzung derdamaligen Meinung: Wir haben sie geändert!
Wir haben in unserem von jedem nachzulesenden An-trag zum Ausdruck gebracht, was nach unserem heuti-gen Erkenntnisstand geschehen muss, damit wir einwirklich modernes Stiftungsrecht bekommen.Ich erinnere mich im Übrigen auch an eine besonderszielführende Bemerkung in der Sachverständigenanhö-rung, wo einer der geladenen Experten darauf hin-gewiesen hat, er halte „den ursprünglichen Entwurf derFraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Beschlussemp-fehlung der CDU/CSU im Wesentlichen für den richti-gen Weg“. – Es wäre schön gewesen, wenn wir das ge-meinsam hätten umsetzen können und wenn sich dieKoalition hätte entschließen können, die geradezu lei-denschaftlichen Appelle aufzunehmen, die in dieser An-hörung von allen Seiten vorgetragen worden sind, näm-lich nicht den steuerrechtlichen und den zivilrechtlichenTeil voneinander abzukoppeln. Wir alle wissen, dass dieschwierige Operation, viele Beteiligten einschließlichder Länder von der Notwendigkeit einer durchgreifen-den Verbesserung zu überzeugen, nicht dadurch leichterwird, dass die steuerrechtlichen Veränderungen, die vonden meisten gewollt werden, vorab beschlossen werden,und dass damit ein wesentlicher Hebel aus der Hand ge-geben wird, um einen Gesamtzusammenhang herzustel-len, der den Namen eines modernen Stiftungsrechtswirklich verdient.
Ich möchte nur noch auf einen Aspekt hinweisen,weil wir an der Stelle ein gemeinsames Anliegen habenund weil es offensichtlich der Regierung und der Koali-tion hilft, wenn die Opposition dabei besonders hart-näckig auf der Umsetzung der gemeinsamen Einsichtenbesteht. Es ist nicht nur in der vom federführenden Aus-schuss durchgeführten Sachverständigenanhörung – aber auch dort – mehrfach darauf hingewiesen worden,dass das jetzige Stiftungs- und Gemeinnützigkeitsrechtsehr stark auf einer Staatsauffassung beruhe, die ausdem 19. Jahrhundert stammt, dass wir heute nicht nurein anderes Staatsverständnis, sondern auch eine ganzandere Vorstellung von einer modernen Bürgergesell-schaft haben und dass es heute glücklicherweise vieleBürgerinnen und Bürger gibt, die bereit und in der Lagesind, mit eigenem kräftigen und vorzeigbaren Engage-ment die Aufgaben wahrzunehmen, zu deren Erfüllung,die öffentlichen Hände nur noch begrenzt in der Lagesind. Es wäre ein Drama, wenn ausgerechnet der Ge-setzgeber diese vorhandene Bereitschaft zur tatkräftigenHilfe nicht nur nicht fördern, sondern sogar weiter be-grenzen würde, wie das angesichts des gegenwärtigenSteuer- und Zivilrechts leider der Fall ist.
Dr. Norbert Lammert
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8899
Ich möchte gar nicht die zum Teil verzweifelten Brie-fe zitieren, die an den Bundeskanzler persönlich zurVerbesserung der damals absehbaren Gesetzgebungs-arbeit der Koalition geschrieben worden sind und in de-nen mit Nachdruck darauf hingewiesen wurde, dass esdoch nicht ernsthaft der ganze Reformwille dieser Koali-tion sein könne, mit der vergleichsweise läppischenMöglichkeit,
40 000 DM zusätzlich abzusetzen,
das Stiftungsrecht modernisieren zu wollen.
Es ist klar, dass die 40 000-DM-Regelung vor allemkleinere Stiftungen oder Zustiftungen begünstigt. Wirbekommen damit aber keine substanziellen neuen Initia-tiven, bei denen Millionenkapital entsteht. Das brauchenwir natürlich für viele der großen Vorhaben, zu denensich die öffentlichen Hände immer weniger in der Lagesehen.
Wir stehen selbstverständlich den bescheidenen Ver-änderungen nicht im Wege. Aber wir haben mit einerReihe von konkreten Änderungsanträgen, die der Kolle-ge Bernhardt und Frau Kollegin Süssmuth nachher imEinzelnen erläutern werden, deutlich gemacht, wie wirgenauer, besser und überzeugender eine neue Stiftungs-kultur in Deutschland herbeiführen wollen. Wir werdensehr darauf achten, dass die in der Beschlussempfehlungund im Bericht formulierte gemeinsame Überzeugungdes federführenden Ausschusses festgehalten wird, dassdas heute verabschiedete Gesetz der erste Schritt für einReformwerk ist. Hier dürfen wir aber nicht stehen blei-ben, sondern dieser Schritt muss aufgegriffen werden,und zwar nicht irgendwann, sondern möglichst bald indiesem Jahr,
damit dies in dieser Legislaturperiode, Herr Stiegler,noch abgeschlossen werden kann. In diesem Zusammenhang können wir dann auchnoch das Ärgernis beseitigen, dass bei der Überführungvon Sachwerten, insbesondere von Kunstwerken, in Stif-tungen oder für gemeinnützige Aktivitäten durch diePflicht zur Umsatzsteuerzahlung,
insbesondere bei Kunstwerken mit hohem Marktwert,eine prohibitive Wirkung für die Bereitschaft zu Stiftun-gen entsteht.
Das hat die geradezu abstruse Wirkung, dass der Staatauf diese Weise weder seine Umsatzsteuer noch Gemäl-de, Skulpturen oder andere Sachwerte bekommt, die fürgemeinnützige Aktivitäten oder Museen hätten zur Ver-fügung gestellt werden können. Diesen Unsinn solltenwir schnellstmöglich beseitigen. Das sollten wir gemein-sam tun.
So, wie sich auch nach der für heute vorgesehenenÄnderung des Steuerrechts unser Stiftungsrecht darstellt,muss man sagen: Es bleibt leider mit einem Fuß im19. Jahrhundert stecken, mit dem anderen Fuß trauen Siesich nicht so recht ins 21. Jahrhundert.
Ich erteile dem Kol-legen Klaus Wolfgang Müller, Bündnis 90/Die Grünen,das Wort. Klaus Wolfgang Müller (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnenund Kollegen! Herr Dr. Lammert, um in Ihrem Bild zubleiben: Ich glaube, die Koalition steht mit beiden Bei-nen fest in der Realität, sowohl in der Stiftungsrealitätals auch in der Haushaltsrealität.
Sie wird beides zusammenführen. Dazu möchte ich heu-te gerne sprechen. Die rot-grüne Koalition fördert das Mäzenatentum.Wer hätte das gedacht? Ich glaube, es gibt viele Men-schen – vielleicht auch in unseren beiden Parteien, viel-leicht etwas mehr bei unserem Koalitionspartner –, diedas so nicht vermutet haben. Die Förderung einer neuenStiftungskultur widerspricht einem obrigkeitsgetreuenDenken nach dem Motto: Der gute Bürger, die guteBürgerin zahlen ihre Steuern; das muss als gemeinnützi-ges Engagement reichen. Der Staat füllt dann die Kultur-regale der Nation, und der Bürger steht als Kunde in derSchlange.Mit der Förderung der Stiftungskultur steigen diegemeinsame Verantwortung und die aktive Teilnahmean der Gestaltung unserer Gesellschaft. Dies ist ein mo-derner Bürgersinn. Das kommt zwei Grundwerten ent-gegen, bei denen die grüne Seele jubiliert: dem Plura-lismus und der Subsidiarität. Dies wäre „Gesellschaftvon unten“ mit Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger.Gerade die Frage nach den Bedingungen für ein pluralis-tisches und lebendiges Engagement stellt sich immerwieder neu.Zwar hat der Gemeinsinn in der Industriegesellschaftseine bewährten Institutionen gefunden: Parteien, Kir-chen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände, um hierdie großen Säulen der gesellschaftlichen Teilhabe zunennen. Aber gerade auf dem Weg in die Kommunikati-onsgesellschaft ergeben sich zunehmend neue Beteili-gungsformen: ein Netz aus vielen kleinen Initiativen undDr. Norbert Lammert
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8900 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
Bewegungen. Wer einen Blick ins Internet wirft, findetdort bereits einen bunten Strauß an Stiftungen, einen be-achtlichen Strauß, der aber noch wesentlich bunter wer-den kann. Rot-Grün präsentiert sich heute als Förderer der Mä-zene. Wir lösen damit ein wichtiges Versprechen desKoalitionsvertrages und – das will ich deutlich sagen –des grünen Wahlkampfes an dieser Stelle ein.
Herr Dr. Lammert, ich habe gespürt, wie es Sie ge-schmerzt hat, dass Sie in den letzten 16 Jahren eben nurkleine Trippelschritte gemacht haben.
Sie haben sie uns aufgezählt. Sie will ich gar nicht leug-nen. Aber eine mutige Erweiterung im Rahmen der Erb-schaftsteuerreform, ein mutiger Schritt in Richtung zumehr Bürgerstiftungen haben bei Ihnen gefehlt. Einemutige Ausweitung des Stiftungszwecks für weitere re-levante Bereiche haben Sie nicht gewagt. Das kaschie-ren Sie jetzt mit Anträgen, deren Tenor ist: Eure Ent-würfe reichen nicht weit genug, wir wollen es größer,schneller, lauter – und das am liebsten sofort.
Ich kann – auch als Finanzer – gut verstehen, dass Siegerne mehr steuerrechtliche Vergünstigungen gehabthätten. Sie haben sicherlich Recht: Wenn man hier nochgroßzügiger herangehen würde, würden wahrscheinlichnoch mehr Menschen ihr Vermögen für gemeinnützigeZwecke zur Verfügung stellen, dann würde vielleicht dieStiftungsbereitschaft noch größer sein, als sie jetzt durchdas ist, was Rot-Grün ermöglichen wird. Das ist plausi-bel, aber ich will Ihnen gerade aus Finanzersicht erklä-ren, warum dies in der jetzigen Situation gerade nichtmöglich ist und warum Rot-Grün deshalb den optimalenWurf macht, der momentan möglich ist. Auch die Stiftungspolitiker kommen um die leerenKassen, die Sie, meine Damen und Herren von der Op-position, uns vererbt haben, nicht herum. An dieser Stel-le möchte ich Ihnen, Herr Naumann, gern widerspre-chen, weil Sie zumindest bei den grünen Finanzerinnenund Finanzern von Anfang an ein offenes Ohr für dieseMöglichkeiten gefunden haben; das kann ich aus ganzerÜberzeugung sagen.
– Auch die Kollegen Haushälter haben mitgezogen. Steuervergünstigungen bedeuten nun einmal zumin-dest kurzfristig Mindereinnahmen. Mir ist klar, dass dasStiftungswesen langfristig – darum machen wir das –auch für den Staat fiskalisch eine lohnende Sache ist. Wenn die Stiftungskultur sich voll entfaltet, wird derStaat in vielen Bereichen sein Engagement zurückneh-men können, weil hier private Initiativen eingreifen unddiese Bereiche übernehmen. Es gibt unzählig viele Be-reiche wie Kultur, Forschung, Wissenschaft, Ökologie,Soziales, Jugend oder Sport, in denen viele Aufgaben,die momentan vom Staat wahrgenommen werden, ge-nauso gut von Stiftungen übernommen werden können.Vielleicht können sie das in manchen Bereichen sogarbesser. Damit wird die Republik lebendiger, auch wenndie mittelfristigen Steuerausfälle vielleicht schmerzen.Aber das ist uns die Sache auf jeden Fall wert.
– So weit sind wir noch nicht, Herr Otto. In den vergangenen Monaten haben wir zusammendas Sparpaket verabschiedet, welches nicht nur für dieSteuerreform, sondern auch dafür eine wichtige Voraus-setzung war, um jetzt an anderer Stelle von staatlicherSeite großzügig sein zu können. Auch die klimatischen Bedingungen sind wichtig, siewerden für das „Pflänzchen“ Stiftungskultur in Deutsch-land eine wichtige Rolle spielen. Unser erster Reform-schritt wird weder als deutliche Klimaänderung oder –nur von Ihnen von der Opposition – als kaum merkbarerTemperaturwechsel bewertet. Es wird Sie nicht wun-dern, dass ich natürlich zu denen zähle, die der erstenMeinung sind, nämlich dass wir mit dieser Reform einendurchaus deutlichen Klimaumschwung einleiten werden.Aber zu den klimatischen Bedingungen gehört sicher-lich mehr als reine Steuerpolitik. Erstens gehört dazu –ganz wichtig – das gesellschaftliche Verhältnis zumMäzenatentum.
In der Debatte um diese Reform haben wir ein neues ge-sellschaftliches Interesse, ein öffentliches Interesse auchvon Medien und von Leuten wahrgenommen, die ange-fragt haben, wann es endlich so weit sei, wann sie end-lich selbst eine eigene Stiftung gründen können. DieMedien haben durch die Bank positiv darüber berichtet,dass Rot-Grün diese Initiative ergreift. Wir erleben inder Gesellschaft keine Neiddebatte.
Es wird niemand in die Ecke gestellt, sondern es gibt ei-ne Akzeptanz dafür, dass Menschen ihr Geld für ge-meinnützige Zwecke verwenden.Unterstützend für eine neue Stiftungskultur ist die ge-sellschaftliche Debatte über eine neue Zivil- oder Bür-gergesellschaft. Selbst die „Zeit“ klagt inzwischen nichtmehr über den Rückgang des gesellschaftlichen Enga-gements, sondern hat eine Reformwerkstatt für eine ak-tive Zivilgesellschaft, Inklusion und Demokratie ge-gründet. Letzte Woche titelte das Hamburger Wochen-blatt „Freiwillige vor!“ und „Der Gemeinsinn wächst –trotz Geldfiebers und schwarzer Konten. Ehrlichkeit undMitmenschlichkeit gehen nicht unter.“
Klaus Wolfgang Müller
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8901
Die UNO will das Jahr 2001 zum Jahr der Freiwilli-gen machen. Die Enquete-Kommission zur Zukunft desbürgerschaftlichen Engagements hat gerade ihre Arbeitaufgenommen. Das beschreibt aus unserer Sicht die ge-sellschaftlichen Rahmenbedingungen, in die ein solchesStiftungsgesetz eingebettet sein muss, ziemlich gut. Aufdas Zweite haben Sie, Herr Dr. Lammert, hingewiesenund darin will ich Ihnen ausdrücklich zustimmen. Siehaben Recht: Das ist der erste Schritt, den wir machenmüssen. Ich will auch an dieser Stelle deutlich sagen,dass die Koalition für den zweiten Schritt bereit ist. Manmuss nur Schritt für Schritt vorgehen und darf die Lattenicht so hoch legen, dass man womöglich von Anfangan darunter durchgehen muss.
Das ist uns wichtig. Darum werden wir auch noch zu einer zivilrechtlichen Reform des Stiftungsrechteskommen.Drittens geht es um das Steuerrecht. Hier stimme ichmeiner Kollegin Antje Vollmer nachdrücklich zu. Ichhabe das – gerade als Finanzer – auch selbst erlebt, wieschwierig manchmal die Verhandlungen mit dem Fi-nanzministerium waren. Manch böse Stimme hat ge-unkt, dass die Antworten, die man von dort als Parla-mentarier bekommen hat, noch aus der Zeit von vor1998 stammten.
Wir sind aber froh, dass die Spitze des Hauses letztend-lich das Projekt unterstützt hat und dass wir deshalb hiergemeinsam vorwärts gehen können.
Wir sind mit unseren Steuerreformplänen – das ist dervierte Baustein, der dazu gehört – wesentliche Schrittein Richtung Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, derUnternehmen, der Wirtschaft, der Selbstständigen ge-gangen. Allein private Haushalte werden durch Rot-Grün bis zum Jahr 2005 um über 50 Milliarden DM ent-lastet. Die Unternehmen werden um 17 Milliarden DMentlastet.Ich will an dieser Stelle deutlich die Hoffnung aus-sprechen, dass sehr viele Leute, wenn sie dann nettomehr in der Tasche haben, entscheiden mögen, ein Stückweit diese zusätzlichen Spielräume zu nutzen, diesesGeld auch in gesellschaftliches Engagement zu stecken,gemeinnützige Initiativen, Stiftungen zu fördern.Mit diesem Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen undKollegen, machen wir den ersten Schritt in Richtung ei-ner längst überfälligen Reform. Das ist ein deutlichesSignal. Liebe Vermögende in dieser Republik, es gibtnichts Gutes, außer, man tut es!
Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine persönlicheBemerkung. Vorbehaltlich der Zustimmung von zweiParteitagen am kommenden Wochenende und einer er-folgreichen Wahl der neuen schleswig-holsteinischenMinisterpräsidentin wird dieses voraussichtlich meinevorerst letzte Rede in diesem Hause sein.
Ich werde dann, wenn alles klappt, am kommen-den Dienstag in das Amt des schleswig-holsteinischenUmweltministers wechseln, in den schönen hohen Nor-den. Ich bin froh zu sagen, dass wir es im Koalitionsver-trag schwarz auf weiß untergebracht haben, dassSchleswig-Holstein im Bundesrat die Reform des Stif-tungsrechts unterstützen wird.
Aus dieser Sicht wird zumindest ein Bundesland Rot-Grün in Berlin unterstützen.Dieses ist der Zeitpunkt, sich für heftige und schöneDebatten in diesem Haus zu bedanken, sich gleichzeitigbei den Kolleginnen und Kollegen zu entschuldigen, ge-genüber denen ich hart ausgeteilt habe, sich noch einmalbei denen zu bedanken, die hart zurückgegeben haben.Gerade für einen jungen Abgeordneten waren die letztenanderthalb Jahre sehr schön, sehr nett, sehr lehrreich.Dafür möchte ich mich ganz herzlich bei Ihnen bedan-ken. Ich wünsche Ihnen noch eine gute Arbeit.Vielen Dank.
Lieber Kollege
Müller, wenn denn dies Ihre letzte Rede als Bundestags-
abgeordneter gewesen sein sollte, dann wollen wir Ihnen
auch alle guten Wünsche für Ihr neues Amt mitgeben.
Vielleicht sehen wir uns gelegentlich wieder, wenn Sie
dann von der Bundesratsbank her ans Rednerpult treten.
Alles Gute!
Damit erteile ich dem Kollegen Hans-Joachim Otto,
F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Prä-sident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr KollegeMüller, auch wir stehen nicht an, Ihnen für das neueAmt alles Gute zu wünschen, aber wir werden auch ei-nes tun: Wir werden Ihre hehren Worte von heute an denTaten im neuen Amt messen. Sie werden vielerlei Gele-genheiten haben, die Stiftungsrechtsreform auch vonSchleswig-Holstein aus aktiv zu unterstützen.Klaus Wolfgang Müller
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8902 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
Herr Dr. Naumann, Sie bemühen gern – so auch heu-te in Ihrer Rede – lateinische Aphorismen. Als Humanistmöchte ich Ihnen mit einer „altdeutschen“ Spruchweis-heit entgegnen: Nicht kleckern, sondern klotzen solltihr!
Diese Weisheit gilt in besonderem Maße für die Stif-tungsrechtsreform, wollen wir doch ein laut vernehm-bares Signal in unsere Gesellschaft senden, nämlich:Mehr Bürgersinn, weg von der Vollkaskomentalitätdurch den Staat. Oder profaner ausgedrückt: Gerade beidiesem Reformvorhaben kommt es entscheidend aufseine psychologische Wirkung bei potenziellen Stifternan.Aber statt eines Posaunenklanges für die Belebungder Stiftungskultur in Deutschland vernehmen wir jetztnur noch eine dissonante Tröte. Einige Begleitmusikeraus den Reihen von SPD und Grünen intonieren einevöllig andere Melodie, als wir es heute von Herrn Naumann gehört haben. Nicht irgendeiner, sondern im-merhin der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion,Spiller, kritisiert die steuerliche Förderung von Stiftun-gen mit den Worten:Wo kämen wir denn hin, wenn jeder, statt Steuernzu zahlen, selbst darüber entscheiden kann, was mitseinem Geld passiert?Dieses Zitat lässt wirklich tief blicken.Noch schriller, Herr Kollege Müller, äußern sich IhreLandtagskollegen in Hessen. Sie sind gerade vor weni-gen Tagen gegen die von der dortigen Landesregierunggeplante Stiftungsreform mit der Mär Sturm gelaufen,Stiftungen dienten nur dazu, „um auf Kosten der Allge-meinheit Steuern sparen zu können“. Lieber Herr Kolle-ge Müller, ich hoffe, Sie werden sich dafür einsetzen,dass Ihre eigenen Landtagskollegen in Hessen ein biss-chen klüger werden als bisher. Vielleicht sollten sie sicheinmal Ihre heutige Rede durchlesen; das könnte zu ih-rer Weisheit beitragen.
Meine Damen und Herren, solche Neidkomplexe, wiesie leider – ich füge hinzu: gelegentlich, nicht bei allen –hier geweckt werden, sind nicht dazu angetan, ein mä-zenatisches Klima in Deutschland zu fördern, ganz imGegenteil. Diese pawlowschen Reflexe haben bei SPDund Grünen offenbar auch die Halbherzigkeit und In-konsequenz hervorgerufen, die Ihr heutiges Reförmchenkennzeichnet.Ich möchte dies am Beispiel Ihres neuen Sonderaus-gabenabzugs verdeutlichen. Mit maximal 40 000 DMwerden Sie nicht eine einzige neue Stiftung initiierenkönnen.
So genehmigt beispielsweise die Stiftungsaufsicht inNordrhein-Westfalen Stiftungen überhaupt erst ab einemMindestkapital von 100 000 DM und hält eine Kapital-ausstattung von mindestens 1 Million DM für wün-schenswert. Ähnliche Regelungen gibt es auch in ande-ren Bundesländern. Mit einer Höchstgrenze von40 000 DM schaffen Sie im Übrigen auch keinen Anreizfür die wirklichen Spitzenverdiener. Herr Dr. Naumannhat das in seiner Rede insoweit korrekt zum Ausdruckgebracht: Wir schaffen Anreize für die Bezieher kleinerund mittleren Einkommen. Nur, Herr Dr. Naumann, wobleibt der Anreiz für die größeren? Ich lese heute in ei-nem Artikel in der „taz“ einen Beitrag von Bundeskanz-ler Schröder, in dem er mitteilt:Das neue Stiftungsrecht wird denen, die es wollen,Möglichkeiten schaffen, hier in größeren Dimensi-onen tätig zu werden. Sozialdemokraten haben kei-nen Grund, gegen das Mäzenatentum zu sein.
– Ja, da klatsche ich auch, Frau Vollmer.
Nur, was tun Sie denn dafür? Mit 40 000 DM geht es si-cherlich nicht.Meine Damen und Herren, in Ihrem Entwurf gibt esauch schwere Widersprüche. Der bloße Wortlaut IhresGesetzentwurfes und die öffentlichen Bekundungen ins-besondere Frau Vollmers vermitteln den Anschein, aberauch nur den Anschein, als könne zusätzlich zu den40 000 DM auch der herkömmliche Abzug in Höhe von5 Prozent des Einkommens in Anspruch genommenwerden.
– Oder 10 Prozent, ja, aber nur scheinbar. Die amtlicheBegründung Ihres eigenen Entwurfes spricht nämlicheine andere, und zwar völlig eindeutige Sprache:Dabei ist die Höhe der in einer Steuerungsperiode– das ist ein kleiner Fehler; Sie meinen wohl Veranla-gungszeitraum –abzugsfähigen Aufwendungen auf 40 000 DeutscheMark begrenzt.Das ist völlig eindeutig; man kann die beiden Steuerver-günstigungen nicht nebeneinander in Anspruch nehmen.Man muss sich also entweder für die 40 000 DM oderdie 5 Prozent entscheiden. Liebe Frau Dr. Vollmer, auchIhre süßesten Schalmeienklänge bekommen leider nichtGesetzeskraft und können auch die künftige Auslegungdes Gesetzes nicht beeinflussen. Manchmal bedauere ichdas sogar.Ihr Gesetzentwurf leidet unter einem weiteren Wider-spruch: Wenn Sie bei 40 000 DM kappen, dann tun Siepraktisch nur etwas für bereits bestehende Stiftungen. Hans-Joachim Otto
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8903
Vor diesem Hintergrund ist Ihre Weigerung geradezugrotesk, Zustiftungen seitens anderer Stiftungen, so ge-nannte Endowments, steuerlich anzuerkennen. DieseUnterlassung hat schon die Qualität eines kapitalen Ei-gentores. Jetzt erlaube ich Herrn Stiegler eine Frage, sofern derHerr Präsident es zulässt.
Ich frage Sie und Sie
haben es bereits erlaubt. – Bitte, Herr Kollege Stiegler.
Herr Kollege, wir sollten
vermeiden, dass von vornherein verkehrte Auslegungen
vorgenommen werden. Wenn Sie die Güte haben, sich
Art. 3 Nr. 2 anzuschauen, dann erkennen Sie, dass dort
steht, dass „darüber hinaus bis zur Höhe von 40 000
Deutsche Mark“ gezahlt werden kann. Ich wiederhole:
„darüber hinaus“. Wenn Worte noch einen Sinn haben,
dann heißt das nicht: inklusive. Lasst uns wenigstens
hier verhindern, dass falsche Töne in die Kommentarli-
teratur hineinkommen.
Sind wir gemeinsam der Auffassung, dass diese
40 000 DM zusätzlich, additiv, und nicht kumulativ ge-
zahlt werden?
Lieber
Herr Stiegler, unserer Meinung nach sollte es in der Tat
so sein, dass man das kumulativ in Anspruch nehmen
kann. Wenn Sie aber bitte die amtliche Begründung Ih-
res eigenen Entwurfes zur Hand nehmen, dann erkennen
Sie, dass in der Begründung nach der Darstellung der
beiden steuerlichen Möglichkeiten der Satz folgt:
Dabei ist die Höhe der in einer Steuerungsperiode
abzugsfähigen Aufwendungen auf 40 000 Deutsche
Mark begrenzt.
Ich muss Ihnen zumindest den Vorhalt machen, dass
diese in der Begründung enthaltene Regelung jeden, der
später mit dem Gesetz umzugehen hat, in tiefe Verwir-
rung stürzt. Deswegen wäre es gut gewesen – wir haben
im Ausschuss lange darüber diskutiert –, wenn Sie die-
sen Widerspruch aufgehoben hätten.
Um zum Ende meiner Antwort etwas Versöhnliches
zu sagen: Ich bin mit Ihnen der Meinung, dass diese bei-
den Vergünstigungen tatsächlich kumulativ erfolgen
sollten. Nur, ich sehe es im Gesetzentwurf so nicht ver-
wirklicht.
Der größte Fehler Ihres Entwurfes ist es – dazu hat
schon der Kollege Dr. Lammert Richtiges gesagt –, die
eigentliche Reform des Stiftungsrechts, also den kom-
pletten zivilrechtlichen Teil, zu vertagen. Um Ihren Re-
formeifer zu beflügeln – wir unterstützen ja die Regie-
rung –, fordern wir in einem Entschließungsantrag die
Regierung auf, das Versäumte noch im Laufe dieses Jah-
res nachzuholen. Hierzu wird mein Kollege Funke spä-
ter noch Wegweisendes sagen.
Ihr Gesetzentwurf ist in drei Punkten identisch mit
dem unseren. Die Änderungen halten wir natürlich nach
wie vor für sinnvoll. Das gilt insbesondere auch für die
von uns vorgeschlagene Öffnung bei der Erbschaftsteu-
er. Der zentrale Unterschied zwischen Ihrem und unse-
rem Gesetzentwurf liegt darin, dass in unserem nachhal-
tige Anreize auch zur Gründung neuer Stiftungen ge-
schaffen werden, während Ihrer in dieser Richtung
nichts bewegen wird. Er weckt Erwartungen, die er nicht
erfüllen kann; insofern birgt Ihr Reförmchen die Gefahr,
den objektiv weiterhin bestehenden Reformbedarf zu
verschleiern.
– Herr Müller, wenn der Herr Präsident das erlaubt,
dann würde ich Ihre Zwischenfrage gerne entgegenneh-
men. Einem künftigen Minister soll man das Wort nicht
verwehren.
Bitte schön, Herr
Müller.
Klaus Wolfgang Müller (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Kollege, weil Sie jetzt schon wieder
auf die vermeintlich zu geringen Spielräume eingehen,
möchte ich Sie fragen: Sind Sie denn bereit anzuerken-
nen, dass wir im gesamten Bereich des Erbschaftsteuer-
rechts die Stiftungszwecke sehr erweitert haben? Für die
Stiftungszwecke gibt es beträchtliche finanzielle Spiel-
räume, die man dann in eine Stiftung einbringen kann.
Das ist doch ein erheblicher Schritt.
Sehen Sie,Herr Kollege, jetzt kann ich Sie wirklich in Freude undHarmonie nach Schleswig-Holstein verabschieden. Dasist genau der Punkt, den auch die F.D.P. in ihrem Ge-setzentwurf gefordert hat. Darin sind wir mit Ihnen völ-lig einer Meinung. Der wichtigste Teil Ihrer Reform ist,dass im Erbschaftsteuerrecht eine Öffnung geschaffenwurde. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise nach Schleswig-Holstein und uns weiterhin gute Zusammenarbeit beidiesem Gesetzentwurf.
Beispiele aus anderen Ländern beweisen uns: Wernur halbherzige Trippelschritte macht, der kann keinegroßherzige Stiftungskultur erreichen. Was wir jetztbrauchen, ist ein mutiger Befreiungsschlag zugunstender Wiederbelebung des Mäzenatentums. Verehrte Hans-Joachim Otto
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8904 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ich kündi-ge Ihnen an, dass wir Liberalen weiterhin Druck inRichtung auf eine konsequente und umfassende Reformdes Stiftungsrechts machen werden. Zur Stärkung des Bürgersinnes gibt es keine Alterna-tive. Es liegt an Ihnen, ob Sie unsere Angebote zum ge-meinsamen Engagement in dieser Sache aufgreifen odernicht. Ich hoffe, wir werden noch in diesem Jahr Gele-genheit haben, den zweiten Teil Ihrer Reform zu verab-schieden. Ich sichere Ihnen zu: Die F.D.P. wird in die-sem Bereich sehr aktiv bleiben. Wir werden Sie erfor-derlichenfalls auch treiben. Ich verspreche es Ihnen.Nehmen Sie es ernst!Danke schön.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Heinrich Fink, PDS-Fraktion.
Sehr verehrter Herr Präsi-dent! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!Während der Debatte zur Reform des Stiftungswesens,die in dieser Legislaturperiode mit einem Gesetzentwurfder F.D.P. eingeleitet wurde, hat sich in der betroffenenund deshalb sehr interessierten Öffentlichkeit in intensi-ven Diskussionen die Auffassung herausgebildet, dasszur Schaffung einer relevanten, in der Bevölkerung ak-zeptierten Stiftungskultur vor allem neue zivilrechtlicheRahmenbedingungen erstellt werden müssten. Zu die-ser Meinungsbildung haben sachkundige Experten aussehr unterschiedlichen Erfahrungsbereichen beigetragen.Als Beispiel möchte ich die äußerst kompetente Rundebeim Maecenata-Institut nennen.
Mit Besorgnis und Enttäuschung muss ich feststellen,dass Ergebnisse dieses beachtlichen Prozesses demokra-tischer Meinungsbildung außerhalb des Parlamentesnicht in das heute zu beschließende Gesetz eingeflossensind.
Dieses deprimierende Ergebnis war bereits vorauszuse-hen, als der Gesetzentwurf in die Öffentlichkeit gelang-te.Als einer, der erst seit zehn Jahren an bürgerlich-demokratischen Prozessen der Meinungs- und Willens-bildung beteiligt ist, möchte ich mein Befremden überdie Nichtberücksichtigung dieser außerparlamentari-schen Forderungen zum Ausdruck bringen, zumal vorwenigen Tagen in diesem Hohen Hause voller Anerken-nung hervorgehoben wurde, wie bürgermeinungsbezo-gen die Arbeitsweise der ersten frei gewählten Volks-kammer der DDR gewesen sei. Angesichts des zur Verabschiedung vorliegenden Ge-setzentwurfes geht es uns nicht um filigrane Vorschlägezur Textveränderung. Trotzdem möchte ich in dreiPunkten die grundsätzliche Position meiner Fraktionverdeutlichen: Erstens. Die PDS hat seit Beginn der Debatte über dieReform des Stiftungswesens eingeräumt, dass dieses Po-litikfeld für sie weitgehend Neuland darstellt. Deshalbhaben wir uns – im Unterschied zu vielen anderen Poli-tikfeldern – Zurückhaltung hinsichtlich eigener Vor-schläge zur konkreten Ausgestaltung der Stiftungsland-schaft auferlegt. In der öffentlichen Debatte haben wirdie Vorschläge unterstützt, die wir im Einklang mit un-seren grundsätzlichen Positionen sehen. Von diesenGrundpositionen aus werden wir uns zukünftig zu-nehmend intensiver an dieser Debatte beteiligen. Dervorliegende Entschließungsantrag der PDS ist dafür einBeweis. Für uns muss eine Reform des Stiftungswesens einenBeitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit leisten und sichdamit als ein Bestandteil des Prozesses erweisen, mitdem – entgegen der bisherigen Richtung – eine Umver-teilung des von der Gesellschaft geschaffenen Reich-tums von oben nach unten erfolgt.Für uns muss eine Reform des Stiftungswesens dazuführen, dass über Stiftungen ausschließlich zusätzlicheprivate Mittel und privates Engagement für gemein-wohlorientierte Zwecke mobilisiert werden – und nichtetwa umgekehrt, nämlich dass mit diesem erhofften pri-vaten Engagement plötzlich die Felder abgedeckt wer-den, die der sich aus der Verantwortung ziehende Staatzurücklässt.
Stiftungsengagement würde erst recht missbraucht,wenn damit dem Staat der Weg für diesen Rückzug auchnoch gebahnt würde. Eine Reform des Stiftungswesens muss für uns darumschließlich eingebettet sein in eine breite und differen-zierte öffentliche Debatte zur Herausbildung der zwaroft beschworenen, aber immer noch sehr verschwom-men erscheinenden Bürgergesellschaft. Denn eine sol-che Gesellschaft der Bürgerinnen und Bürger darf sichnicht darauf beschränken, den Aktionsradius etablierterEliten und Mittelschichten zwischen Markt und Staat zuvergrößern.Wir verstehen unter Bürgergesellschaft auch solcheVeränderungen von Staat und Markt, durch die denjeni-gen ein größerer Spielraum bei der Gestaltung des Le-bens ermöglicht wird, die, durch Massenarbeitslosigkeit,wachsende soziale Ungleichheit und Armut betroffen,nicht mehr gleichberechtigte Partner der Bürgergesell-schaft sein können.
Hans-Joachim Otto
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8905
Zweitens. Für die PDS waren und sind darum die vonvielen Seiten geforderten neuen zivilrechtlichen Rah-menbedingungen Voraussetzung einer durchgreifendenReform, die zur Entwicklung einer neuen, transparentenStiftungskultur führt. Die wichtigsten Gründe dafür habe ich bei der erstenLesung vorgetragen: Durch neue zivilrechtliche Rah-menbedingungen müsste sichergestellt werden, dassStiftungen ausnahmslos an gemeinnützige Zwecke ge-bunden sind, dass eine breite Schicht von am Gemein-wohl orientierten Interessierten zu Spenden motiviertwerden und dass die Öffentlichkeit in die Lage versetztwird, sich einen klaren Einblick darüber zu verschaffen,wie und mit welchen Ergebnissen mit Stiftungsmittelnumgegangen wird, die als Steuerertrag den öffentlichenHaushalten nun nicht mehr zur Verfügung stehen.Mit diesem Gesetz wird keines dieser Erfordernissegewährleistet. Deshalb wäre es notwendig gewesen, dasssich die Einbringer des Gesetzentwurfs zumindest indem einführenden Text wesentlich verbindlicher zu ihrerAbsicht bekannt hätten, ein Bundesstiftungsgesetz mitzivilrechtlicher Reform unverzüglich auf den Weg zubringen.
Unser Entschließungsantrag enthält deshalb die Auf-forderung an die Bundesregierung, ein solches Gesetzbis zum Ende dieses Jahres vorzulegen.
Materialien dafür sind hinreichend vorhanden. Dazuzähle ich auch den Antrag der CDU/CSU-Fraktion, derin dieser Hinsicht sehr umfassend ist.Drittens. Hinsichtlich der steuerrechtlichen Seitekommen für uns die weitreichenden steuerlichen Be-günstigungen, wie sie von den anderen Oppositions-parteien verlangt werden, nicht in Betracht, erst rechtnicht ohne ein entsprechendes neues transparentes Stif-tungsrecht. Demgegenüber anerkennen die meisten meiner Frak-tionskolleginnen und -kollegen die vorgesehenen steuer-lichen Begünstigungen im Gesetzentwurf der Koalitionmit ihrer Orientierung auf Bürger- und Gemeinschafts-stiftungen als angemessen, wobei – ich wiederhole –diese Regelung ohne neue zivilrechtliche Rahmenbedin-gungen kaum die Wirksamkeit erlangen kann, die vonihr erhofft wird.Darüber hinaus empfindet meine Fraktion es als eineaußerordentliche Zumutung, wenn sich die Koalitions-parteien für Stiftungen ausgerechnet mit dem Argumenteinsetzen, dass dadurch private Mittel zusätzlich für ge-sellschaftliche Belange aktiviert werden. Aber gleichzei-tig rücken sie ab von der Wiedereinführung der dringendnötigen Versteuerung von sehr großen Vermögen undeiner entsprechenden Reform der Erbschaftsteuer.
Es steht wohl außer Zweifel, dass durch verhältnismäßiggerechtfertigte Steuern unverhältnismäßig großer priva-ter Reichtum im Interesse des Gemeinwohls verfügbargemacht werden könnte.Liebe Kolleginnen und Kollegen, da ich weiß, dassbesonders Menschen, die sich im kulturellen Bereichengagieren, mit dem vorliegenden Gesetz – trotz seinerUnzulänglichkeit – bestimmte Hoffnungen verbinden,werde ich dem Gesetz zustimmen. Ich kann es einigenmeiner Fraktionskolleginnen und -kollegen jedoch nichtverdenken, wenn sie aus ihren Arbeits- und Erfahrungs-bereichen heraus das anders sehen.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dieter Grasedieck, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Herr Otto sprachvorhin von „nicht kleckern, sondern klotzen“. HerrLammert mahnte den Reformbedarf an. Alle schriennach Reformen. Aber 16 Jahre lang geschah wenig bisganz wenig. Nach einem Jahr haben wir schon viel er-reicht. In den nächsten Jahren können Sie noch mehrerwarten.
Sie von der Opposition stellen Anträge über Anträge.Heute soll das Stiftungsrecht erweitert werden. 35 Pro-zent Spitzensteuersatz wird gefordert. Sie gehen genaunach dem alten System vor: Sie geben aus; die Bundes-bank bezahlt. Da machen wir nicht mit.
Herr Otto, eines muss ich Ihnen sagen: Lesen Siedoch bitte Art. 3 des Gesetzentwurfs nach. Dort steht un-ter Abs. 2:Zuwendungen ... sind darüber hinaus bis zur Höhevon 40 000 Deutsche Mark abziehbar.Ein Blick ins Gesetz schafft also Klarheit. Insofern wärees von Vorteil gewesen, wenn Sie es getan hätten.
– Es ist wichtig, dass man das wiederholt, weil das, wasSie vorhin gesagt haben, Herr Kollege Otto, falsch war.Alle Sozialverbände, alle Sportvereine, alle kirch-lichen Organisationen sind dafür. Sie unterstützen unse-ren Gesetzentwurf. Nur die Opposition findet noch einige Haare in der Suppe und kritisiert an vielen Stel-len. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Sie neidischsind.Dr. Heinrich Fink
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8906 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
Meine Damen und Herren, Sie sind nicht davon ausge-gangen, dass wir ein solches Stiftungsrecht schaffen.
Sie sind nicht davon ausgegangen, dass wir die Steuerre-form einbringen. Sie sind nicht davon ausgegangen, dasswir auch beim Unternehmensteuergesetz so weit voran-gekommen sind. Die Koalition diskutiert nicht nur, sielöst Probleme und entscheidet auch.
Meine Damen, meine Herren, Neid ist aber die höchs-te Form der Anerkennung. Das muss man sehen. Herzli-chen Dank dafür!
Neidisch können Sie natürlich sein, wenn man einmalbetrachtet, was wir im Stiftungsrecht umgesetzt haben.Die Sportvereine begrüßen das, die Sportvereine könnenneue Stiftungen gründen. Es ist im Sozialbereich mög-lich. Auch bei kirchlichen Organisationen ist es denkbar.Das sind wesentliche Vorteile. Die Stifter wollen Ein-zelschicksale unterstützen und Einzelschicksale fördern.Alt und Jung wollen an dieser Stelle helfen. Unser Stif-tungsrecht fördert diese Hilfsbereitschaft durch erwei-terte Steuerabschreibung. Gerade die Grundzellen desLebens – das ist vorhin auch vom Herrn Minister ange-sprochen worden – in den Kirchengemeinden, dieGrundzellen in den Selbsthilfegruppen, die Grundzellenin den Sozialverbänden müssen unterstützt und gefördertwerden. Das ist durch unser Steuerrecht möglich.Wenn man sich einmal die Unterschiede der ver-schiedenen Gesetzesvorschläge der CDU/CSU und derF.D.P. ansieht, dann muss man feststellen, dass es vieleGemeinsamkeiten gibt. Die Ziele sind fast identisch, fasthundertprozentig gleich. Der Thesaurierungssatz und dieAnsparsumme sind auch identisch. Auch wir sind derMeinung, dass das Gesetz zu einer Vereinfachung füh-ren soll. Das wollen wir umsetzen, obwohl das allesproblematisch ist, das wissen wir. Interessant ist aucheine Zeitungsmeldung vor kurzem, in der stand, dass dieAmerikaner schon darauf warten, dass unser neues Stif-tungsrecht umgesetzt wird. Hier sollen Stiftungen füramerikanische Hochschulen gegründet werden. Viel-leicht haben Sie das auch in der Zeitung gelesen.Wenn man sich einmal fragt, welche wichtigen Un-terschiede es eigentlich gibt, so stellen wir fest, dass esim Prinzip nur einen entscheidenden Unterschied gibt.Das betrifft die Zuwendung von 40 000 DM, Herr Otto,additiv 5 und 10 Prozent. Das ist ein entscheidenderPunkt.
Sie fordern nur 20 Prozent. Das ist ein Unterschied zuunserem Vorschlag. Die CDU/CSU hat noch eine Son-derausgabe von 1 Million DM vorgesehen.Sie von der Opposition sehen hauptsächlich die grö-ßeren Stiftungen. Wir brauchen aber große und kleineStiftungen.
Wenn man einmal die Ausarbeitungen der Institutebetrachtet, stellt man fest, dass man gerade bei den klei-nen Gruppierungen Förderungen benötigt. Da ist dasEhrenamt zu Hause, da wird ehrenamtlich gearbeitet,
während das bei den großen Organisationen weniger derFall ist. Wir haben damit in den Parteien zu kämpfen.Wir haben damit in den Kirchen und in den Gewerk-schaften zu kämpfen. Aber gerade in den kleinen Grup-pen wird ehrenamtlich gearbeitet, zum Beispiel in Hos-pizgruppen. Dort werden Menschen bis zum Tode be-gleitet. Man kann vor solchen ehrenamtlichen Tätigkei-ten nur den Hut ziehen.
Genau das wollen wir unterstützen. Da treffen wirexakt den Nerv der Menschen, das, was die Menschenwünschen. Das ist auch das Bedürfnis der Menschen.Ich bin durch meinen Wahlkreis gefahren und habe mitden Vertretern der Kirchen und mit den Selbsthilfegrup-pen gesprochen. Die Kirchenvertreter sagten mir, das istideal, weil wir eine Sammelstiftung gründen können.Die Sammelstiftung war so noch nicht möglich. Daskönnen wir hier schaffen.
Die Selbsthilfegruppen sagen mir, es ist ideal, da wirauch eine kleine Stiftung gründen auf bauen können.
40 000 DM und danach kommt das Erbe: Das ist Zielunserer Überlegung.Die Million, das Erbe kommen dazu. Das ist dann na-türlich der zweite Schritt. Die Menschen wollen stiften,wollen helfen. Die Menschen wollen aber auch ihr An-denken bewahren. Das ist ebenfalls Ziel der Stiftung undauch das wollen wir unterstützen. An dieser Stelle be-stimmt der Bürger und nicht der Staat. Aber der Staatprofitiert trotzdem, weil dann eben viele soziale Aufga-ben, ökologische Aufgaben ehrenamtlich geleistet wer-den.Wenn man einmal die Vorteile unseres Gesetzent-wurfs betrachtet, stellt man sich die Frage: Warumstimmt die Opposition, warum stimmen die CDU/CSUund die F.D.P. nicht zu? Ich möchte Ihnen von der Op-position einen Rat geben: Nicht Neid bringt Erfolge.Kreativität und Innovation bringen Erfolge. Dieter Grasedieck
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8907
Sie haben heute eine Chance. In den Geschichtsbüchernwird dann stehen: Auch die Opposition unterstützte dieerfolgreiche Regierungsarbeit. Das Stiftungsrecht wurdeverabschiedet.
Unsere Gesellschaft wird durch Gemeinsinn unddurch das Ehrenamt getragen. Das wollen wir fördern.Wir haben dafür vier entscheidende Gründe, die in un-serem Gesetzentwurf stecken. Erstens. Die Sammelstiftung ist möglich. Diese Mög-lichkeiten werden in der kommenden Zeit erweitert.Zweitens. Die Einzelstiftung mit 40 000 DM plus5 Prozent beziehungsweise 10 Prozent des Gesamtbei-trages der Einlage wird steuerlich abgeschrieben. Das istnatürlich eine Förderung. Drittens. Die Ansparsumme wird wesentlich erhöht –darin waren Sie ja mit uns einer Meinung –, von25 Prozent auf 33 1/3 Prozent.Viertens. Die Erbschaftsteuer fällt weg.Zusammenfassend können wir feststellen: Wir habendas bessere Gesetz. Blamieren Sie sich doch nicht! Siemüssen zustimmen!
Das Wort hat nun
der Kollege Otto Bernhardt von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Wir können zunächsteinmal feststellen – das haben die erste Lesung und auchder bisherige Verlauf dieser Debatte gezeigt –: Es gibt indiesem Hause Übereinstimmung darüber, dass wir etwastun müssen, damit Stiftungen in Deutschland einen hö-heren Stellenwert bekommen. Im Vergleich zu anderenLändern, etwa den Vereinigten Staaten und Großbritan-nien, haben wir in dieser Frage eine unterentwickelte Si-tuation. Selbst bezogen auf unsere eigene Situation kön-nen wir feststellen, dass es um die Jahrhundertwende inDeutschland viel mehr Stiftungen als heute gab. Einerder Gründe dafür ist sicherlich der, dass die rechtlichenRahmenbedingungen unbefriedigend sind.Im Grunde wollen wir alle ein stiftungsfreundlicheresKlima schaffen.
Potenzielle Stifter – lassen Sie mich das sehr deutlichsagen – dürfen nicht, wie es immer noch vorkommt, alsBittsteller betrachtet werden. Stifter verdienen unserenRespekt und unsere Anerkennung.
Die entscheidenden Unterschiede – auch das hat die De-batte bisher gezeigt – liegen einfach darin, dass wir derAuffassung sind, man sollte jetzt einen großen Wurfwagen und den steuerrechtlichen und den zivilrechtli-chen Bereich in einem Gesetz regeln,
während Sie sagen – so lautet auch das Gesetz, das wirheute verabschieden –, es geht zunächst nur um densteuerlichen Bereich.
Ich sage bewusst „nur“ und ich widerspreche auch HerrnDr. Naumann, wenn er sagt: „Der schwierigste Teil liegthinter uns.“ Nein, meine Damen und Herren, derschwierigste Teil liegt vor uns; der liegt im zivilrechtli-chen Teil. Das werden die Diskussionen noch zeigen.Ich habe einen Zwischenton sehr genau gehört, HerrDr. Naumann.Wir sind bisher davon ausgegangen, dass wir noch indieser Legislaturperiode den zivilrechtlichen Bereich –hoffentlich gemeinsam – verabschieden können. Aberwenn ich Sie richtig verstanden habe, dann haben Siegesagt, wir werden ihn sicher in dieser Legislaturperiodediskutieren; ob es allerdings zu einer Verabschiedungkommt, ist offen.
Lassen Sie uns zunächst noch einmal festhalten: Wasist eigentlich der Inhalt des Gesetzentwurfs, den wirheute verabschieden?Es geht schlicht um drei Punkte: erstens die verbesserteRücklagenbildung – dem stimmen wir zu, das ist inOrdnung –, zweitens die Erweiterung des so genanntenBuchwertprivilegs, dass man Gegenstände aus dem Be-triebsvermögen ohne Auflösung stiller Reserven in eineStiftung übertragen kann – ein wichtiger Punkt –, unddrittens als zentralen Punkt die viel zitierten 40 000 DM,die jetzt zusätzlich kommen sollen.Ich glaube, im Zusammenhang mit diesen 40 000 DMund der Art, wie Sie sie jetzt im Gesetz verankern wer-den, sollten wir einmal ein Schreiben des Bundes-verbandes Deutscher Stiftungen, des wichtigsten Ver-bandes in diesem Bereich, vom 11. dieses Monats zurKenntnis nehmen, in dem es heißt: Dieser Vorschlagführt zu einer weiteren Komplizierung des geltendenSpendenrechts, gerät in Konflikt mit dem Gleichheits-satz und bringt vor allem keine Verbesserung für größe-re Stifter. – Auch das ist hier wiederholt gesagt worden.
Aber es kommt ein weiterer Kritikpunkt des Bundes-verbandes Deutscher Stiftungen. Viele Briefe, die wirbekommen haben, unterstreichen, dass es hier ein Pro-blem gibt, und zwar das Problem des Gleichheitsgrund-satzes. Der Verband schreibt:Dieter Grasedieck
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Warum sollen die vielen kirchlichen Stiftungen desöffentlichen Rechts, Stiftungs-Vereine und ge-meinnützige Stiftungs-GmbHs ... von den neuenBegünstigungen ausgeschlossen werden? Hiermit werden wir noch unsere Probleme bekommen.
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen,der aus meiner Sicht sehr enttäuschend ist, gerade nachder Diskussion, die wir in der ersten Lesung hatten. Stel-len wir uns einmal die Frage: Welchen Unterschied gibtes eigentlich zwischen dem, was wir in der ersten Le-sung beraten haben, und dem, was heute verabschiedetwerden soll? Sie werden es nicht glauben: lediglich ein Punkt, und zwar, dass ab 1. Januar 2002 nicht40 000 DM, sondern 20 450 Euro als Sonderausgabegeltend gemacht werden können.
Das ist die einzige Änderung – sie läuft natürlich unter„Formulierungshilfe“ –, die wir heute zu berücksichti-gen haben. Das heißt, alle Argumente der ersten Lesung,die gesamte parlamentarische Diskussion in vielen Aus-schüssen, alle Schreiben und Eingaben der Stiftungsver-bände sind unberücksichtigt geblieben. Dies ist ein trau-riges Ergebnis, um das ganz klar zu sagen.
Wir haben unsere Wünsche daher in vier Ände-rungsanträgen zusammengefasst. Dabei geht es imWesentlichen um drei Komplexe. Erstens geht es um dieAufhebung des so genannten Zustiftungsverbots. Wirsind der Meinung – ich habe es in der ersten Lesung ge-sagt –, Stiftungen sollen die Möglichkeit haben, andereStiftungen zu unterstützen. Das ist weiterhin nicht mög-lich. Der zweite Punkt – natürlich der entscheidende inder Substanz –: Wir sind für eine Verdoppelung von5 auf 10 bzw. 10 auf 20 Prozent bezogen auf das steuer-pflichtige Einkommen. Der dritte Punkt: Verbesserungder steuerlichen Möglichkeiten für Großspender. Auchdazu ist viel gesagt worden; dies ist dringend erforder-lich.Lassen Sie mich abschließend feststellen: Dieser Ge-setzentwurf, der wahrscheinlich gleich Gesetz wird, istmit Sicherheit nicht der große Durchbruch. Sie waren al-lerdings im Verkaufen schon immer besser als wir.
Sie haben diese wenigen Punkte in der Öffentlichkeitdeutlich besser verkauft, als wir all das verkaufen konn-ten, was wir in den letzten 16 Jahren gemacht haben.
Der Kollege Dr. Lammert hat darauf hingewiesen.Ich sage deshalb sehr deutlich: Wir sehen uns nicht inder Lage, Ihrem Gesetz unsere Zustimmung zu geben.Wir werden uns der Stimme enthalten.Danke schön.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Antje Vollmer, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichhabe genau fünf Minuten Zeit, um mehr als fünf JahreArbeit an diesem großen Thema zusammenzufassen.Lassen Sie mich kurz zurückblicken. Als wir Grünendamals anfingen, das Thema Stiftung zu behandeln, gabes ein unglaubliches gesellschaftliches Geraune, bei denKonservativen eine regelrechte Empörung: Was machengerade die Grünen mit diesem Thema? Es gab eine ArtErbbaurecht auf das Thema Stiftung. Auch im rot-grünen Bereich haben viele gesagt: Was ist das denn fürein Thema? Ein bisschen abgehoben vielleicht. – Ichmeine, die fünfjährige Debatte hat sich außerordentlichbewährt.
Erstes und wichtigstes Thema: Das Bewusstsein fürdie Kraft der Bürgergesellschaft ist ungeheuer ge-wachsen. Ich möchte einmal den Artikel des Bundes-kanzlers von heute positiv aufgreifen und sagen: Ichglaube, wir brauchen den Begriff der „neuen Mitte“ garnicht mehr. Rot-Grün hat längst den Aufbau der Zivil-und Bürgergesellschaft zum zentralen Thema gemacht.
Das bedeutet auch eine Abkehr von der alten Metho-de, bei der politische Linke und politische Rechte nachdem Modell der römischen Phalanx immer aufeinanderprallten. Ich glaube, wir haben vielmehr begriffen, dassman an die positive Kraft in der Gesellschaft, an ihreKreativität glauben und an sie appellieren muss und dassman so den Reformstau, den es in diesem Land gegebenhat, von unten auflösen kann.
Der zweite – auch nicht ganz unwichtige – Punkt istfolgender: Wir haben die Atmosphäre, die es gegenüberStiftern und Mäzenen gegeben hat, gründlich verändert.
Es gab so etwas wie Sozialneid; das ist schon gesagtworden. Es gab in manchen Debatten auch einregelrechtes Mobbing gegenüber solchen Leuten. Siehaben jetzt Platz. Unser großer Wunsch ist: Es mögenOtto Bernhardt
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jetzt Platz. Unser großer Wunsch ist: Es mögen ganzviele werden, die diesen Platz jetzt ausfüllen.
Drittens. Ich meine, wir haben mit diesem Gesetz-entwurf so etwas wie ein Stückchen Resozialisierung derBegriffe „stiften“ und „spenden“ betrieben.
Wir befreien sie vom machtpolitischen Missbrauch undzeigen das Gegenteil davon, nämlich dass Stiften undSpenden der Gemeinnützigkeit und der Gesellschaft gel-ten. Dann wird es auch honoriert werden.
Unser Versprechen ist: Das war nur der erste Schritt:Der zivilrechtliche Teil soll und wird folgen. Ich willdazu fünf Grundgedanken sagen. Wir Grünen habenschon in unserem Entwurf von 1997, den ich immernoch recht gut finde,
gesagt, in welchem Sinne wir das zivilrechtlich machenwollen.Erstens. Das neue Zivilrecht für Stiftungen muss ein-fach sein. Der Stifter soll sich Gedanken über denZweck seiner Stiftung machen und nicht darüber, wie eres an den komplizierten Bürokratien vorbeischiebenmuss. Der erste Gedanke ist also: einfach.
Zweiter Gedanke: Das Zivilrecht muss transparentsein. Wenn die Gesellschaft schon besondere Privilegienschafft, dann muss auch gewährleistet sein, dass die Ge-sellschaft in die Bilanzen der Stiftungen hineinschauenkann.
Dritter Gedanke: Das Zivilrecht soll zweckoffen seinund vom Gedanken der Freiheit getragen werden. Dasheißt, der Staat soll und darf den Bürgern nicht vor-schreiben, wofür sie Stiftungen machen. Natürlichkommen nur die Stiftungen in den Genuss der Ge-meinnützigkeit, die auch wirklich gemeinnützig sind.Wir gehen davon aus, dass freie Bürger sinnvolle Pro-jekte wählen, zumal wenn sie ihren Namen damit ver-binden.Vierter Gedanke – das ist sehr wichtig –: Das Zivil-recht muss sicherstellen, dass das Stiftungsrecht miss-brauchsfest ist. Das wird der komplizierteste undschwierigste Teil sein. Das wird aber auch der Teil sein,an dem gemessen wird, ob die gesellschaftliche Akzep-tanz hält. Wir wissen, dass wir dafür sehr gründlicheDebatten brauchen. Wir fordern alle – auch diejenigenaus den Stiftungen – auf, uns in diesen Debatten zu un-terstützen.
Fünfter und letzter Gedanke: Der Staat soll sich inseinem Verhältnis zu den Stiftern ändern. Wir wollennicht mehr eine staatliche Aufsicht, aber doch eine Bera-tung und eine Ermöglichungskultur. Das heißt, wir ge-ben es nicht völlig frei. Es wird weiterhin eine staatlicheZuständigkeit geben, damit Stifter wissen, dass das, wassie hinsichtlich der Gemeinnützigkeit gewollt haben,auch nach ihrem Tode geschieht. Damit geben wir demStaat auch die Möglichkeit, an diesen Bürgerfreiheitenpositiv und unterstützend teilzunehmen.In diesem Sinne hoffe ich, dass mit diesem erstenSchritt nun wirklich der Stiftungsfrühling eintritt, denwir alle wünschen.
Das Wort hat nun
der Kollege Rainer Funke, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Es ist sehr erfreulich, dass ein breiterKonsens darüber besteht, dass die Gründung von Stif-tungen und die Übertragung von größeren und auchkleineren Vermögen auf Stiftungen eine große gesell-schaftspolitische Aufgabe ist. Das gilt umso mehr, alsdamit zu rechnen ist, dass in den nächsten Jahren proJahr 250 Milliarden DM auf die Erbengeneration über-gehen werden. Deswegen ist es wichtig, dass der Ge-danke des Stiftertums gefördert und die Errichtung vonStiftungen erleichtert wird. Die Koalitionsfraktionen haben sich nur auf densteuerrechtlichen Teil verständigen können. DieF.D.P.-Fraktion hat ein ganzheitliches Gesetz vorgelegt,das sowohl das Steuerrecht als auch das materielleRecht, also das Zivilrecht, berücksichtigt. Ich bedaure,dass die zuständige Ministerin für das materielle Recht –für das Zivilrecht – heute durch Abwesenheit glänzt.Das ist, wie ich meine, eine Missachtung des Parla-ments.
– An den Beratungen hat sie die ganze Zeit nicht teilge-nommen. Sie ist gerade erst hereingekommen. Das wis-sen auch Sie ganz genau. Auf der Regierungsbank je-denfalls hat das Justizministerium durch Abwesenheitgeglänzt.In der Tat ist das Stiftungsrecht reformbedürftig, weiles den modernen Anforderungen – das haben Sie, Herr Kollege, auch schon gesagt – nicht mehr entspricht.Das obrigkeitsstaatliche Konzessionssystem ist über-holt und sollte durch ein System von Normativbe-dingungen ersetzt werden. Der Stifter soll selber einRecht auf Stiftung haben und nicht vom staatlichenDr. Antje Vollmer
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Konzessionssystem abhängig sein. Das schließt nichtaus, dass die Landesverwaltungen eine staatliche Auf-sicht wahrnehmen. Aber das darf nicht zur Gängelei füh-ren; Frau Vollmer hat darauf schon hingewiesen. Esmacht überhaupt keinen Sinn, dass zum Beispiel kleine-re Stiftungen bei uns in Hamburg von der Senatskanzleiund zusätzlich noch von den Fachbehörden beaufsichtigtwerden. Dieser Wust an Bürokratie muss beseitigt wer-den.
Die F.D.P.-Fraktion räumt in ihrem Entwurf dem Stiftereine möglichst große Autonomie für die Durchsetzungseines Stifterwillens ein, denn der Stifter stellt sein Geldund sein Vermögen zur Verfügung. Während der Diskussion in den letzten fünf Jahren –Frau Vollmer hat das erwähnt – wurden vielfältigeÜberlegungen zum materiellen Stiftungsrecht ange-stellt. Es wäre daher besser gewesen, wenn die Bundes-regierung wie die F.D.P. eine umfassende Regelung desBundesstiftungsrechts vorgelegt hätte. Wir haben nochviele Fragen zu klären. Einige sind von Ihnen erwähntworden. Ich will nur einige Stichworte nennen: Wie be-handle ich Familienstiftungen? Wie soll die Vermögens-ausstattung der Stiftungen generell aussehen? Bedarf eseiner Stiftungsgenehmigung? Ist ein Stiftungsregister zuführen? Wie hat die Satzung der Stiftung auszusehen?Wie werden die Stiftungsorgane in Zukunft bestellt?Kann die Satzung auch noch nach dem Tode des Stiftersgeändert werden? Was muss bundeseinheitlich geregeltwerden, damit es keinen Flickenteppich im deutschenStiftungsrecht gibt? Ich bin sicher, dass wir bei zukünf-tigen Beratungen über das materielle Stiftungsrecht aufden Entwurf der F.D.P.-Fraktion zurückkommen wer-den, auch wenn Sie ihn heute ablehnen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Jörg Tauss von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr ver-ehrten Damen und Herren! Ich bemühe mich immer umeinen dynamischen Auftritt. Sie haben doch heute Mor-gen Posaunenklang verlangt, Kollege Otto; also liefernwir den hier noch ein bisschen. Wir haben gehört, dassdie grüne Seele jubiliert. Ich kann allen, die hier heutegesprochen haben, nur zustimmen: Es ist heute nicht nurein schöner Frühlingstag, sondern auch ein schöner Tagfür das Stiftungswesen in Deutschland. Das wollen wireinmal festhalten.
Wir können – das haben wir bereits nach der ersten Le-sung im Dezember sagen können – auf dieses Ergebnisrot-grüner Erfolgspolitik stolz sein. Wir sind auch stolzdarauf. Dieses sage ich gleich zu Beginn noch einmal inaller Deutlichkeit.
Der Kollege Grasedieck hat völlig zu Recht auf diesteuerlichen Punkte hingewiesen: Sonderabzug für Stif-tungen und die Möglichkeit – Kollege Stiegler hat esebenfalls erwähnt –, die 40 000 DM je nach Zweck dif-ferenziert noch einmal um 5 oder 10 Prozent aufzusto-cken. Herr Kollege Bernhardt, ich darf jetzt ausdrücklichden Stifterverband zitieren – es ist ja manchmal gut,wenn man die Unterlagen dabeihat –: Dieser Vorschlag,unser Vorschlag hilft in erster Linie den Stiftungen mitvielen Stiftern, zum Beispiel Bürgerstiftungen, um es indie Breite zu bringen.
Genau das, was uns hier bestätigt wird, war unser Ziel. Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht. Herr Kolle-ge Fink, Sie haben die Briefe von Maecenata nicht ge-nau gelesen. Es war eine ausdrückliche Forderung vonMaecenata, im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht daszu tun, was wir getan haben, nämlich die Regelung aufalle gemeinnützigen Bereiche auszudehnen. Mit dem Buchwertprivileg haben wir eine weitereForderung der Maecenata und der Stiftungsverbände re-alisiert. Ich kann nur sagen: Hier ist es künftig möglich,aus betrieblichen Vermögen einer gemeinnützigen Stif-tung zu spenden, ohne dies als verdeckte Gewinnent-nahme – das war doch unter Ihrer Regierungszeit so –versteuern zu müssen. Das ist der wichtige Reform-schritt – auch von den Stiftungsverbänden gefordert.
Herr Kollege Lammert, in diesem Zusammenhangstimme ich Ihnen zu: Die Umsatzsteuerproblematik,die – wie uns das Finanzministerium sagt – eine europä-ische Problematik ist, müssen wir in den Griff kriegen.Hier wollen wir nochmals eine Aufforderung zur Prü-fung an die Bundesregierung richten. Dann können die Stiftungen bis zu einem Drittel ihrerErträge zur Sicherung des Stiftungskapitals zurücklegen.Auch das ist ein ganz wichtiger Punkt, Kollege Fink, ei-ne Forderung von Maecenata. Wir fördern im Bereich des Stiftungsgedankens alles,was die AO vorsieht: Wissenschaft, Forschung, Bildung,Erziehung, Kultur, Religion, Völkerverständigung; esgibt die Förderung der Jugend- und der Altenhilfe, desWohlfahrtswesens und die allgemeine Förderung desdemokratischen Staatswesens. Letzteres ist nach denSkandalen, die Sie in diesem Land abgeliefert haben,besonders wichtig, meine sehr verehrten Damen undHerren.
Rainer Funke
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Jetzt geht es darum, diese neuen Chancen zu nutzen.Ein Drittel der Erträge aus Stiftungen fließen schon heu-te in die Bereiche Bildung und Forschung. Das freutmich als Bildungs- und Forschungspolitiker natürlichganz besonders, und als Kulturpolitiker füge ich hinzu:Ein großer Teil der Erträge geht schon heute an kulturel-le Einrichtungen. Auch das kann nicht hoch genug ge-würdigt werden. Das wollen wir noch ausweiten.
Wir haben in vielen gemeinnützigen Bereichen gro-ßen Handlungsbedarf. Allen, die da Sorgen haben, sageich: Dies kann und darf selbstverständlich nicht dazuführen, dass der Staat gesellschaftliche Aufgaben fallenlässt,
auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer falsch ver-standenen Subsidiarität, dass er an falschen Stellen spartund die Verantwortung für Vorsorgeaufgaben auch imBereich Kultur, Forschung, soziale Aufgaben der Zufäl-ligkeit des Vorhandenseins privater Sponsoren überlässt.Das kann nicht unser Ziel sein. Hier unterscheiden wiruns wahrscheinlich ein Stück weit von dem neoliberalenTeil der F.D.P., meine Damen und Herren.
Nein, Staat und Gesellschaft können und müssen dieChance fördern, dass privat finanzierte gemeinnützigeStiftungen Ergänzungsfunktionen zu Aufgaben der öf-fentlichen Hand auch im Gemeinnützigkeitsrahmenwahrnehmen. Den von uns gewünschten Stiftungenkommt diese Funktion ausdrücklich zu. In dem Rahmen,den ich genannt habe, können jetzt wünschenswerte Pro-jekte für das Gemeinwohl auf den Weg gebracht wer-den. Es ist festzustellen, dass der Bedarf in weiten ge-meinnützigen sozialen, kulturellen, wissenschaftlichenund ökologischen Bereichen stärker wächst als die Mög-lichkeit des Staates, in all diesen Bereichen das Wün-schenswerte und Notwendige tatsächlich auch zu finan-zieren. Hier erhoffen wir uns von der Verbreiterung desStiftungsgedankens eine Verbreiterung der Chance, neueProjekte finanzieren zu können. Kollege Lammert, Sie haben ja heute Morgen einbisschen über Ihre Erfolge reden wollen. Das ist natür-lich nicht ganz einfach, wenn man wenig vorzuweisenhat.
Sie haben 16 Jahre lang überwiegend eben doch nur ver-tröstet. Sie haben die potenziellen Stiftungen und dieStiftungsverbände bitter enttäuscht. Das, was Sie hiervorgetragen haben, waren für mich nicht die Reform-schritte. Es waren nicht Nägel mit Köpfen. Nein, diesind jetzt eingeschlagen worden. Neid ist angesprochen worden. Herr Kollege Grasedieck, ich halte es nicht für eine gute Tugend,wenn die Opposition neidisch ist. Aber Sie könnten jetztwenigstens mit uns fröhlich sein und sagen: Ihr habt et-was geschafft; wir loben diese Bundesregierung. – Daskönnte euch ja ausnahmsweise ganz gut anstehen, meineDamen und Herren.
– Das ist nicht ein Eigenlob, das stinkt. Wenn man Er-folge hat, soll man darüber auch reden. Gutes tun unddarüber reden, das gilt in der Politik genauso wie an an-deren Stellen.
Kollege Tauss, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lammert?
Aber bitte schön, lieber Kollege
Lammert.
Herr Kollege
Tauss, darf ich in Ihrer überbordenden Begeisterung für
eine möglichst kraftvolle, in diesem Zusammenhang
steuerliche Unterstützung von Stiftungen entnehmen,
dass Sie doch noch ernsthaft beabsichtigen, die nicht
allgemeinen, sondern konkreten Änderungsanträge zur
Verbesserung des Steuerrechts, die wir dem Hohen Hau-
se gleich in namentlicher Abstimmung vorlegen, mit
Zustimmung versehen zu lassen?
Lieber Kollege Lammert, inneun Monaten ist Weihnachten; die Zeit, in der manWünsche äußern kann, naht also. Aber momentan sehenwir uns dem Frühling des Stiftungswesens gegenüber.Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Es gibtnoch weitere Punkte, die wir verbessern können. Nur,wir sind eben in der Situation – darauf müssen uns dieMenschen, die im Finanzministerium Verantwortungtragen, immer wieder aufmerksam machen –, dass wirnach 16 Jahren unter Ihrer Regierung einen Schulden-berg vorfinden, der zu meinem großen Bedauern dazuführt, dass wir nicht alles das, was in diesem Bereichsteuerlich wünschenswert ist, realisieren können.Nicht alles von dem, was Sie uns heute vorlegen, istim Übrigen sinnlos. Vieles ist ja von den Stiftungsver-bänden vorgeschlagen worden; da brauchten Sie nur ab-zuschreiben. Ich würde gerne in diesen Punkten vorstel-lig werden, aber leider erlaubt dies die Situation, die Sieuns hinterlassen haben, noch nicht. Aber seien Sie gutenMutes: Sobald wir in den Kassen wieder Geld finden –wir sind ja sehr solide bei dem Vorhaben, die Finanzenzu konsolidieren –, werden wir mit Ihnen weiter über dieVerbesserung des Stiftungswesens diskutieren. Ich ver-spreche Ihnen das an dieser Stelle; wir halten das auchein.
Jörg Tauss
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich willmich übrigens noch einmal ausdrücklich bei dem Kolle-gen Jörg-Otto Spiller bedanken. Wie er hier zitiert wor-den ist, das war nicht fair. Der Kollege Spiller als derSprecher der SPD-Arbeitsgruppe im Bereich Finanzenhat alles getan, damit das, was wir anstoßen wollten, tat-sächlich auf den Weg gebracht wurde. Insofern war die-se Kritik nicht gerechtfertigt.
Der zivilrechtliche Teil ist schon an unterschiedlichenStellen angesprochen worden. Auch diesbezüglich sindwir in einer sehr guten Diskussion mit der Justizministe-rin. Der Finanzminister und die Justizministerin unter-stützen uns in diesem Bereich. Aber machen wir uns, was diesen Teil angeht, dochnichts vor: Wir sind darauf angewiesen, mit den Ländernzu reden. Das tun wir. Deswegen ist eine Arbeitsgrup-pe des Bundes und der Länder zur Reform des Stiftungs-rechts eingesetzt worden. Hochverehrter Kollege Funke,ich habe noch einmal im „Kürschner“ nachgeschaut,was Sie in den letzten Jahren getrieben haben. Da stehtdoch allen Ernstes, dass Sie Staatssekretär im Justizmi-nisterium waren. Verflixt noch mal, wer hat Sie denndaran gehindert, in dieser Zeit mit den Ländern all daszu machen, was Sie uns heute so großartig vorgetragenhaben?
Ich bin ja völlig verblüfft. Da müssen wir noch einmal inden alten Aktennotizen nachschauen. Es werden ja hof-fentlich nicht alle Ordner in den Ministerien, die wir übernommen haben, verschwunden sein. Also guckenwir doch noch einmal, was Sie in diesem Bereich ge-macht haben!
Kollegin Vollmer hat viele wichtige Punkte ange-sprochen und darauf hingewiesen, dass wir ein Recht aufStiftung verankern wollen. Frau Ministerin, ich glaube,damit würden wir niemandem wehtun, aber könnten einSignal setzen für diejenigen, die bereit sind, für die Ge-sellschaft etwas zu realisieren.Sie haben vorhin müde Ihr Haupt geschüttelt, als FrauVollmer Transparenz eingefordert hat – als ob das et-was Schädliches wäre! Nicht alle Stiftungen, insbeson-dere jene, die von der CDU eingerichtet worden sind,haben sich durch Transparenz ausgezeichnet – das istschon richtig –, aber Sie brauchen sich in dem Zusam-menhang keine Sorgen zu machen:
Die Stiftungsverbände fordern ausdrücklich ein Mehr anTransparenz für die Stiftungen, weil, so sagen sie, mehrTransparenz dazu führt, dass der Stiftungsgedanke nichtdesavouiert wird, und dazu beiträgt, dass die Bedenkender Beamten in den Behörden dort, wo der Stiftungsge-danke noch negativ gesehen wird, zerstreut werden. In-sofern macht dies den Weg wirklich frei.Der nächste Punkt betrifft das Stiftungsregister. Ichbin da völlig leidenschaftslos. Wir brauchen die Mitwir-kung der Länder auch in diesem Bereich. Deshalb kannich nur an den Bundesrat appellieren – die Bundesrats-bank ist heute nicht so furchtbar stark besetzt –: MachenSie mit! Ich bin mal gespannt, Herr Otto, ob Hessen undRheinland-Pfalz – das sind ja die beiden verbliebenenLänder, in denen Sie noch mitregieren dürfen – dazu einpaar Initiativen einbringen.
– Ach, Baden-Württemberg habe ich vergessen. Wieheißt euer Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg?
– Ja, ich hatte es vergessen, Entschuldigung! Herr Döring wäre ja durchaus in der Lage, etwas zu tun.Herr Kollege Lammert, lesen Sie noch einmal nach,was damals zu den Reformen, die Sie wollten, gesagtworden ist. Staatssekretär Hauser hat gesagt – das wardas Ergebnis der Anhörung damals –: Wir verbessernvielleicht die Durchlaufspenden. – Aber noch nicht ein-mal diesen Punkt haben Sie während Ihrer Regierungs-zeit in Angriff genommen.
Wir dagegen erledigen das ganz ohne Getöse im Bun-desrat so nebenbei.
Aber um versöhnlich zu werden – ich sage es nocheinmal, Herr Lammert –: In neun Monaten ist schonwieder Weihnachten, die Zeit der Freude bricht an. Siekönnen Wünsche äußern. Freuen Sie sich über unserenErfolg! Zerreden sie ihn nicht! Freuen wir uns heute über den Frühling im Stiftungsrecht, den wir Ihrem kal-ten Winter folgen lassen.Meine Damen und Herren auf den Zuschauertribü-nen, freuen Sie sich mit. Sie haben heute live ein schö-nes Stück Politikgestaltung in Deutschland erlebt. Da-rauf sind wir stolz. Noch einen schönen Tag in Berlin!
Nun hat Kollegin
Rita Süssmuth von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Tauss, ich habeden Eindruck, die Posaune hat ein solches Getöse verur-sacht, dass man überhaupt keine Töne mehr gehört hat. Jörg Tauss
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Offenbar ist Getöse notwendig, damit niemand auf dieIdee kommt, das zu kritisieren, was zu kritisieren ist. Ichhabe den Eindruck, das richtige Denken und Wissenvorzubringen ist immer einfacher, als das Richtige zuentscheiden. Es bleibt dabei: Es gibt keinen Neid über die40 000 DM. Mehrere Mitglieder meiner Fraktion habengesagt: Dem stimmen wir zu. Es ist ein Fortschritt. Da-ran gibt es nichts zu kritisieren. Aber gemessen an denAnsprüchen, die in der Reformdiskussion der letztenWahlperiode gestellt wurden – das sage ich mit allerDeutlichkeit –, sind wir ganz am Anfang. Kollegin Vollmer, es ist richtig: Es gibt ein verän-dertes Stiftungsklima. Aber wir Abgeordnete solltenuns nicht einbilden, wir hätten es erzeugt. Es gibt inDeutschland – das möchte ich ganz nachdrücklich sa-gen – trotz zunehmender Verstaatlichung, Bürokratisie-rung und der Grenzen der staatlichen Möglichkeiten eineBürgerschaft, an deren Engagement wir uns messen soll-ten. Die Bürger sind weiter als wir mit unseren Reform-entscheidungen.
Wir müssen uns mehr und mehr fragen, ob wir diesemEngagement eigentlich gerecht werden und ob wir esausreichend unterstützen.Erstens. Wenn wir die unterstützenden Stellungnah-men des Stifterverbandes Maecenata zur Kenntnis ge-nommen haben, dann sollten wir auch die Stimmen ausden anderen Organisationen hören, die uns nachdrück-lich auffordern: Nur dann, wenn ihr Zivilrecht undSteuerrecht konsequent miteinander verbindet, schafftihr jene Bürgergesellschaft, für die ihr in euren Gesetz-entwürfen eintretet. Deswegen muss man wissen: Solange wie im Zivil-recht festgelegt ist – ich weiß, dass hier Bund und Län-der höchst unterschiedlicher Meinung sind –, dass derStaat der beste Reglementierer ist und dass seine Ein-sicht in jedem Falle höher zu bewerten ist als Freiheitund Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger, so lan-ge wird das bürgerschaftliche Engagement eher blo-ckiert als gefördert. Deswegen brauchen wir die Einheitvon Zivil- und Steuerrecht. Zweitens. Wenn der jetzt vorliegende Gesetzentwurfverabschiedet ist, zweifle ich sehr – das weiß ich aus ei-genem Regierungshandeln –, ob in dieser Wahlperiodenoch ein weiteres Gesetz folgen wird. Es wird nicht weitüber den jetzigen Diskussionsentwurf hinausgehen. Da-mit fördern wir nicht die Aktivitäten, sondern lähmensie.Das Dritte, das für unsere Auseinandersetzung ent-scheidend ist, ist die Frage: Wie gehen wir mit den ver-schiedenen Organisationen und Gruppierungen um? Mirist es im Augenblick wichtig, dass wir es auf den privat-rechtlichen Teil beschränken; denn der zusätzlicheSpendenabzug wird nur für Zuwendungen an Stiftun-gen privaten Rechts gewährt und nicht – wie bei anderenBegünstigungen – auch für Zuwendungen an anderesteuerbegünstigte Stiftungen. Ist es wirklich Absicht desGesetzgebers, dass die der Zahl nach häufiger vorkom-menden nicht rechtsfähigen Stiftungen mit der Unsi-cherheit leben müssen, ob sie als Stiftungen privatenRechts anzusehen sind oder nicht?
– Die sind ja hier berücksichtigt. Das ist eben schon ge-sagt worden.Jetzt möchte ich auf den Grundansatz eingehen.Wenn wir der Überzeugung sind, Stiftungen erfüllteneine wesentliche Ergänzungs- und Innovationsfunktion –auch im Gesetzentwurf der SPD stehen neue soziale undkulturelle Projekte im Vordergrund –, dann müssen wirmit den Entscheidungen, die wir treffen, auch das Zielerreichen. Wenn der Fiskus in erster Linie immer damit argu-mentiert, was dem Staat entgeht, dann kann ich daraufnur entgegnen, dass wir weit mehr gewinnen würden,wenn wir nicht ständig rechneten, was uns entgeht, son-dern überlegten, was an Mitteln freigesetzt würde, wennwir einen größeren Schritt wagen würden.
Hier zeigt sich ganz deutlich – ich komme noch ein-mal auf das Maecenata-Institut zurück –, dass die Be-rechnung, dem Staat entgehe eine Milliarde, durchnichts belegt ist. Es gibt überhaupt keine quantifizieren-den Berechnungen.
Deswegen kann ich nur sagen: Lasst es uns doch end-lich wagen, Bürgerinnen und Bürger über ihr Einkom-men und Vermögen gemeinwohlorientiert entscheidenzu lassen! Hemmen wir sie nicht ständig! Wir spracheneben von Neid. Ich halte diese Diskussion um die klei-neren Bürgerstiftungen und die größeren Vermögen fürvöllig abwegig. Machen wir beides! Wir können dabeinur gewinnen und nicht verlieren.
Nun noch einmal zu der Frage: Was ist an diesem zivilrechtlichen Teil so wichtig? Ich glaube, dass dieGesetzentwürfe, zum Beispiel jener der Grünen oder jener unserer Fraktion, darin übereinstimmen, dass sieeinfach, übersichtlich, transparent, bürgerfreundlich undgemeinwohlorientiert sind. Dass es darin Missbrauchs-tatbestände gibt, weiß jeder und auch, dass wir sie so weit reduzieren müssen wie eben möglich. Aber dasswir vor lauter Angst vor Missbrauch die Menschen überhaupt erst gar nicht handeln lassen, ist für jede Bürgergesellschaft kontraproduktiv. Dr. Rita Süssmuth
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Es ist eben gefragt worden, was in Baden-Würt-temberg passiert. Wenn es überall in den Bundesländernso viel an Initiativen im Bereich von Vereinen, Stiftun-gen und gemeinwohlorientierter Arbeit gäbe, dann wä-ren wir in der Bundesrepublik schon weiter und sozial-kulturell innovativer. Dann würden wir uns nicht ständigblockieren.
In diesem Sinne möchte ich noch einmal am Ende sa-gen: Es ist in der Tat ein kleiner und weiterer wichtigerSchritt, aber es ist nicht die überfällige Stiftungsreform,für die wir gearbeitet haben und die die Bürgerschaftlängst erwartet.
Deswegen ist es meine Hoffnung – ich möchte sienicht aufgeben –, dass wir in dieser Wahlperiode viel-leicht doch noch das eine tun und das andere nicht las-sen. Nur wenn wir diesen Schritt im Konzept der Steuer-reform gehen, wird die neue Sozialstaatlichkeit reform-fähig werden. Bisher sind wir noch sehr auf den altenPfaden und haben immer noch davor Angst, dass wir esanders als bisher machen könnten und dass allesschlechter würde. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Bürgerwissen längst, dass wir neue Wege einschlagen müssen.Dem sollten wir folgen. Danke.
Ich erteile der Kolle-
gin Monika Griefahn, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine lie-ben Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir habenheute eine richtig frühlingshaft beschwingte Debatte ge-habt gemäß dem Motto: Wir haben einen Stiftungsfrüh-ling. Das ist das Schöne an der Debatte, die wir seit ei-nem Jahr führen, dass nicht nur hier im Parlament, son-dern eben auch in der Gesellschaft das Stiftungsrechtbzw. das Stiften wieder diskutiert wird. Das ist das ei-gentlich Wichtige an der Situation.
Noch etwas Schönes ist für uns heute festzustellen:Wir beschließen heute das erste Gesetz, das der neueAusschuss für Kultur und Medien in diesem HohenHause betreut und begleitet hat. Ich bin sehr froh da-rüber, dass wir das mit einem positiven Ergebnis und ei-ner guten Debatte abschließen können.
Die Reformierung des Stiftungsrechts ist überfällig.Wir wollen bürgerschaftliches Engagement. Das wirdjetzt beflügelt. Der neue Ausschuss hat sich darin einStück weit bewährt auch als Lobby, als Lobby für dieje-nigen, die immer gedrängelt haben.
Machen wir uns nichts vor: Wenn es nicht diesenAusschuss gegeben hätte – hier möchte ich ausdrücklichalle Fraktionen einschließen –, dann wäre diese Reformnicht so in Gang gekommen und dann wären wir nichtan dieser Stelle. Dann würden wir – wie Herr Lammertdas vorgeschlagen hat – noch zwei Jahre warten müssen,bis auch alle anderen Fragen geklärt sind. Aber genaudas wollen wir nicht. Wir wollen jetzt schon wenigstenseinen Schritt machen und etwas vorantreiben.
Herr Otto, ich möchte noch etwas zu Ihnen sagen:Wenn Sie das nächste Mal Zitate als altdeutsche Zitatedarstellen – „nicht kleckern, sondern klotzen“ –, zitierenSie lieber nicht den Panzergeneral Guderian, der dasbeim Überfall auf Frankreich gesagt hat, sondern suchenSie sich ein anderes Sprichwort, das in dem Zusammen-hang besser passt.
Wir hoffen, dass es nicht bei den 250 Milliarden DMbleibt, sondern dass auch ein Teil von den5 Billionen DM, die auf Konten irgendwo herumliegen,für soziale und ökologische Zwecke, für die Förderungder Künste und für die Kultur mobilisiert wird. Es scha-det aber auch nichts, wenn man nicht nur den Betragstiftet, der steuerlich absetzbar ist, sondern vielleichtnoch ein bisschen obendrauf packt.
Dabei können wir uns vielleicht durch die Debatte be-flügelt sehen und uns ein Beispiel an dem angelsächsi-schen Raum nehmen. Dort gibt es Stiftungen, bei denenes nicht nur um die steuerliche Absetzbarkeit geht. Ichdenke zum Beispiel an Herrn Gates, der mal eben1 Milliarde Dollar für ein Projekt spendet. Bei uns gibtes – gerade auch in dieser Branche – Leute, die sehr vielGeld verdienen und auch ein wenig mehr Geld zur Ver-fügung stellen könnten als nur das, was sie von der Steu-er absetzen können. Das sollte man nicht unterdrücken.
Ich sehe, dass Stiftungen in diesem Lande auch bis-lang schon sehr engagiert gearbeitet haben. Ich denkehier an Firmenstiftungen wie die von Bertelsmann oderVW, die tatsächlich mitgeholfen haben, Dinge voranzu-bringen.Aber was fehlt, sind nicht die großen Stiftungen, son-dern die kleinen. Es geht um die Leute, die vielleicht einbisschen über den Durst haben, aber sagen: Wenn ichnoch einen steuerlichen Anreiz wie diese 40 000 DMbekomme, gebe ich das Geld; sonst überlege ich mir, obich es auf die hohe Kante lege. Das ist die Grundlage für kleinere Stiftungen, für Bürgerstiftungen, für das, was sich im sozialen Engagement, in einem kleinen Dr. Rita Süssmuth
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8915
Kulturzentrum, in örtlichen Initiativen niederschlägt. Ichglaube, das ist das Wesentliche, das wir hier mit auf denWeg bringen: nicht nur die großen, sondern gerade diekleinen Einheiten.
Ich wünsche mir auch, dass sich die Unternehmen,die zum Beispiel Stiftungen in den USA unterstützen –ich habe gerade gehört, dass eine große Stiftung einesdeutschen Unternehmens 20 Millionen an eine Universi-tät in den USA gibt –, auch wieder hier engagieren undhier etwas unterstützen.
Ich wünsche mir, dass gerade diese Unternehmen, dieimmer sagen: Wir wollen nicht stets auf den Staatschauen, jetzt erklären: Wir gründen Stiftungen an denSitzen unserer Tochterunternehmen und unterstützendort zum Beispiel das örtliche Goethe-Institut oder dieörtliche soziale Arbeit für die Bürgerinnen und Bürgeraus unserem Land.
Das werden wir damit hoffentlich ein Stück voranbrin-gen können.Ich denke, entscheidend ist, was auch Frau Vollmerausgeführt hat, nämlich dass wir das Klima veränderthaben, dass Stiften oder Spenden nicht mehr etwas Ne-gatives ist, was man am besten hinter vorgehaltenerHand tut. Deswegen hat das reformierte Stiftungsrechteine Doppelwirkung, es hat nämlich eine kulturpoliti-sche und eine gesellschaftspolitische Funktion. Beide,Staat und Gesellschaft, Menschen, die den Staat bilden,sollen zusammenarbeiten. Der Staat bietet den Rahmenund die Menschen engagieren sich selbst. Genau hierfürmüssen wir den nächsten Schritt gemeinsam mit denLändern vorbereiten. Die Frau Justizministerin hat be-reits zu der Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingeladen,damit dies vorankommt.
Das ist der entscheidende Punkt. Es darf nicht immernur Misstrauen und das Gefühl geben, wir würden nichtsmachen. Wir sind vielmehr auf dem Wege, wir arbeitendaran. Sie werden sicherlich davon ausgehen können,dass auch der Kulturausschuss sehr darauf achten wird,dass es vorangeht. Wir werden natürlich auch mit unse-ren Kolleginnen und Kollegen in den Ländern darübersprechen.
Ich bitte auch die Damen und Herren der CDU undder F.D.P., in ihren Ländern noch einmal engagiert dafürzu werben, denn die Länder sind diejenigen, die sich imMoment am schwersten damit tun, das Stiftungsgesetzvoranzubringen, weil sie sagen: Vielleicht haben wirauch noch Steuerausfälle. Da geistern dann astronomi-sche Zahlen durch die Gegend – 1 Milliarde DM,3 Milliarden DM, 5 Milliarden DM. Ich kann nur sagen:Wie froh wäre ich, wenn diese Steuerausfälle in diesemFalle rein durch die Stiftungsrechtsreform zustande kä-men, denn dann würden durch die neuen Arbeitsplätze,die durch diese dann entstehenden Stiftungen tatsächlichgeschaffen würden, auf der anderen Seite enorme Steu-ermehreinnahmen kommen.
Das darf man ja nicht vergessen. 1 Milliarde DM Steu-erausfälle entsprächen 4 Milliarden DM, die tatsächlichgestiftet würden, und mit diesem Geld würde ja etwasgetan. Dieses, was getan würde, müssen wieder Leutetun.
Kollegin Griefahn,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Otto?
Ja, natürlich. Immer, ger-
ne.
Liebe
Frau Kollegin Griefahn, darf ich Sie um Ihre Unterstüt-
zung bitten?
Die hessische Landesregierung unter Beteiligung der
F.D.P. hat einen sehr vernünftigen Entwurf für eine Stif-
tungsrechtsreform in den Bundesrat eingebracht. Ihre
Kollegen in der hessischen SPD bekämpfen diesen Ge-
setzentwurf, obwohl er zu weiten Teilen mit dem über-
einstimmt, was Sie hier fordern. Nehmen Sie bitte zur
Kenntnis, dass wir als F.D.P. in Hessen unsere Aufga-
ben erledigt haben.
Darf ich Sie darum bitten, dass Sie einmal mit Ihren
hessischen Kolleginnen und Kollegen reden, damit sie
auf die Linie einschwenken, die Sie heute dargestellt ha-
ben, und nicht diese Neidkomplexe, die in den letzten
Monaten zutage getreten sind, pflegen?
Herr Kollege Otto, ich sag-te Ihnen ja bereits: Die Frau Justizministerin hat zu ei-nem Bund-Länder-Gespräch eingeladen. Ich bin sehrdaran interessiert, dass wir dadurch zu gemeinsamen Li-nien kommen. Ich sagte, wir werden mit unseren Kollegen in denLändern sprechen, damit wir ein gemeinsames Konzepttatsächlich voranbringen und nicht wieder alles zer-reden.
– Ja, genau. Herr Tauss sagte gerade, Hessen hat dies imBundesrat abgelehnt. Das ist doch ein interessanterPunkt.Ich denke, wir sollten – weil es im Moment ja so sehrin ist, amerikanisch zu sein – uns noch einmal auf einWort von Kennedy besinnen, der gesagt hat:Frage nicht immer, was das Land für dich tut. Fra-ge, was du für das Land tun kannst.Monika Griefahn
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8916 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
In dem Sinne hoffe ich, dass sich viele beteiligen.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aus-
sprache.
Bevor wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen zur weiteren steuerlichen Förderung von Stif-
tungen in der Ausschussfassung auf Drucksache
14/3010 Nr. 1 kommen, erteile ich der Kollegin Barbara
Höll, PDS-Fraktion, das Wort zur Abgabe einer persön-
lichen Erklärung zur Abstimmung.
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich möchte begründen, warum ich ge-
gen den Gesetzentwurf der SPD und der Grünen stimme,
obwohl und gerade weil ich mir der Bedeutung und des
Wertes von Stiftungen sowie der gemeinnützigen Tätig-
keit verschiedenster Art überhaupt sehr wohl bewusst
bin.
Ich meine, Ihr Gesetzentwurf ist in der jetzigen Form
nicht geeignet, den Erfordernissen der Zeit gerecht zu
werden. Ich lehne ihn ab, weil er sich erstens ausschließ-
lich auf die steuerlichen Regelungen beschränkt und den
Hauptmakel des deutschen Stiftungswesens, die In-
transparenz, nicht beseitigt.
Ich stimme dagegen, weil Erfahrungen, wie sie aus
dem Musterland des Stiftungsrechts, den USA, vorlie-
gen, überhaupt nicht genutzt wurden. Es hat sich näm-
lich gezeigt, dass deren Stiftungsrechtsreform von 1969
mit den zivilrechtlichen Regelungen die Schwächen
ausgelöscht hat, deren Behebung Sie sich heute durch
ein bisschen Änderung des Steuerrechts erhoffen.
Ich stimme zweitens dagegen, weil Sie, wenn Sie sich
schon auf das Steuerrecht beschränken, dieses auch noch
schusselig gemacht haben. Die möglichen steuerlichen
Missbrauchstatbestände wurden nicht ausgeräumt. Ich
möchte Sie hier ausdrücklich auf die Abgabenordnung
verweisen, nach der eine gemeinnützige Stiftung bis zu
einem Drittel ihres Einkommens steuerfrei zum Unter-
halt des Stifters oder seiner Familienangehörigen ver-
wenden kann. Das bedeutet eine steuerfreie Alimentie-
rung.
Drittens lehne ich diesen Gesetzentwurf ab, weil mit
dem wichtigen Prinzip der steuerlichen Berücksichti-
gung gemeinnützigen Engagements gebrochen wird.
Es geht nicht mehr ausschließlich um den Zweck bei der
steuerlichen Ermäßigung, sondern Sie bevorzugen hier
eindeutig nur ein Engagement im Bereich des Stif-
tungswesens. Sie erreichen damit eine Verschiebung auf
dem Spendenmarkt. Wie in der Debatte heute betont
wurde, drängt sich in Verbindung mit den Regelungen
zur Erbschaftsteuer der Verdacht auf, dass es bei Ihrem
Gesetzentwurf in einem nicht unerheblichen Maße um
einen steuerfreien Vermögenstransfer geht.
Viertens lehne ich diesen Gesetzentwurf ab, weil er
so, wie er vorliegt, einen Meilenstein Ihres politischen
Weges darstellt. Langfristig geht es Ihnen – dies beweist
die eichelsche Sparpolitik – um den Abbau von
Staatsausgaben für soziale und kulturelle Zwecke.
An die Stelle einer von der öffentlichen Hand finanzier-
ten sozialen und kulturellen Grundversorgung sollen
Stifter, Spender und Mäzene treten. Sie selbst verweisen
in Ihrem Gesetzentwurf ausdrücklich auf die Grenzen
der Steuerfinanzierung dieser Aufgaben und stellen sich
langfristig auf leere Kassen ein. Man muss feststellen:
Sie organisieren sich Ihre eigene Handlungsunfähigkeit
durch Ihre Steuerpolitik. Ich verweise nur auf die Unter-
nehmensteuerreform.
Ich stimme dagegen, weil Ihr Gesetzentwurf so, wie
er zustande kam, eine Art politischen Tauschhandels
darstellt, den man nicht mittragen kann.
Frau Kollegin, Ihre
Redezeit ist abgelaufen. Im Übrigen weise ich darauf
hin, dass Sie im Rahmen einer Erklärung zur Abstim-
mung keinen Sachbeitrag leisten dürfen.
– Wir sind da an der Grenze. Sie haben das Wort, aber
bitte kommen Sie zum Schluss.
Ich möchte diesen Gedan-
ken abschließen: Sie haben die Vermögensteuer, womit
eine leistungsgerechte Besteuerung in der Bundesrepu-
blik wieder erreicht werden sollte, gegen freiwillige
Spenden ausgetauscht.
Dies kann ich nicht mittragen.
Ich bedanke mich.
Meine Damen undHerren, wir kommen nun zur Abstimmung über den Ge-setzentwurf der Fraktionen von SPD und Bündnis90/Die Grünen zur weiteren steuerlichen Förderung vonStiftungen in der Ausschussfassung auf Drucksa-che 14/3010 Nr. 1. Dazu liegen vier Änderungsanträgeder Fraktion der CDU/CSU vor, über die wir zuerst ab-stimmen.Änderungsantrag auf Drucksache 14/3014. Die Frak-tion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung.Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, dievorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnenbesetzt? – Dann eröffne ich die Abstimmung.Monika Griefahn
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8917
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme noch nicht abgegeben hat? – Alle haben ihreStimmkarte abgegeben. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mitder Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstim-mung wird Ihnen später bekannt gegeben. Wir setzen die Beratung mit Abstimmungen fort.Wir stimmen über weitere Änderungsanträge derCDU/CSU-Fraktion ab.Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Druck-sache 14/3013. Wer stimmt für diesen Änderungsan-trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – DerÄnderungsantrag ist abgelehnt.Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Druck-sache 14/3015. Wer stimmt für den Änderungsantrag? –Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Auch dieser Ände-rungsantrag ist abgelehnt.Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Druck-sache 14/3016. Wer stimmt für diesen Änderungsan-trag? – Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? –Dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichenAbstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache14/3014 unterbreche ich für einige Minuten die Sitzung.
Die unterbrocheneSitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab-stimmung über den Änderungsantrag der Fraktion derCDU/CSU, Drucksache 14/3014, zum Gesetzentwurfzur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen aufden Drucksachen 14/2340 und 14/3010 Nr. 1 bekannt:Abgegebene Stimmen 535. Mit Ja haben gestimmt 214,mit Nein haben gestimmt 321. Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 533 ja: 213 nein: 319 ungültig: 1JaCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannBrigitte BaumeisterMeinrad BelleDr. Sabine Bergmann-PohlOtto BernhardtDr. Joseph-Theodor BlankRenate BlankPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang Börnsen
Sylvia BonitzJochen BorchertWolfgang BosbachKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepePaul BreuerGeorg BrunnhuberHartmut Büttner
Cajus CaesarManfred Carstens
Leo DautzenbergHubert DeittertAlbert DeßRenate DiemersThomas DörflingerMarie-Luise Dött Hansjürgen DossRainer EppelmannIlse FalkDr. Hans Georg FaustAlbrecht FeibelDirk Fischer
Herbert FrankenhauserDr. Gerhard Friedrich
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeDr. Jürgen GehbNorbert GeisGeorg GirischMichael GlosPeter GötzKurt-Dieter GrillManfred GrundHorst Günther
Carl-Detlev Freiherr vonHammersteinGerda HasselfeldtHansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen HedrichHelmut HeiderichManfred HeiseSiegfried HeliasHans Jochen HenkePeter HintzeJoachim Hörster Klaus HofbauerMartin HohmannKlaus HoletschekSiegfried HornungHubert HüppeGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkDr. Harald KahlBartholomäus KalbDr.-Ing. Dietmar KansyIrmgard KarwatzkiVolker KauderEckart von KlaedenUlrich KlinkertDr. Helmut KohlNorbert KönigshofenEva-Maria KorsHartmut KoschykThomas KossendeyRudolf KrausDr. Martina KrogmannDr.-Ing. Paul KrügerDr. Hermann KuesDr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertDr. Paul LaufsWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Eduard LintnerDr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred LischewskiWolfgang Lohmann
Dr. Michael LutherErich Maaß
Erwin Marschewski
Dr. Martin Mayer
Dr. Michael MeisterHans MichelbachDr. Gerd MüllerBernward Müller
Elmar Müller
Bernd Neumann
Claudia NolteGünter NookeFranz ObermeierFriedhelm OstEduard OswaldNorbert Otto
Anton PfeiferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaMarlies PretzlaffThomas RachelDr. Peter RamsauerHelmut RauberPeter RauenChrista Reichard
Erika ReinhardtHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberHannelore Rönsch
Franz RomerHeinrich-Wilhelm RonsöhrDr. Klaus RoseKurt J. RossmanithAdolf Roth
Dr. Christian RuckVolker RüheAnita SchäferDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteHeinz SchemkenKarl-Heinz ScherhagGerhard ScheuNorbert SchindlerChristian Schmidt
Andreas Schmidt
Birgit Schnieber-JastramDr. Andreas SchockenhoffReinhard Freiherr vonSchorlemerDiethard Schütze
Vizepräsidentin Anke Fuchs
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8918 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
Wolfgang SchulhoffDr. Christian Schwarz-SchillingHeinz SeiffertRudolf SeitersBernd SiebertWerner SiemannJohannes SinghammerBärbel SothmannMargarete SpäteWolfgang SteigerErika SteinbachDorothea Störr-Ritter Andreas StormMax StraubingerMatthäus StreblThomas StroblDr. Rita SüssmuthDr. Susanne TiemannEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlGunnar UldallAngelika VolquartzAndrea VoßhoffPeter Weiß
Gerald Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Klaus-Peter WillschMatthias WissmannWerner WittlichDagmar WöhrlAribert WolfElke WülfingWolfgang ZeitlmannWolfgang ZöllerF.D.P.Hildebrecht Braun
Ernst BurgbacherJörg van EssenUlrike FlachHorst Friedrich
Rainer FunkeDr. Wolfgang GerhardtDr. Karlheinz GuttmacherKlaus HauptDr. Helmut HaussmannUlrich HeinrichWalter HircheBirgit HomburgerUlrich IrmerDr. Klaus KinkelDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppJürgen KoppelinIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerDirk NiebelGünther Friedrich NoltingHans-Joachim Otto
Cornelia Pieper Dr. Günter Rexrodt Dr. Edzard Schmidt-JortzigGerhard SchüßlerMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsCarl-Ludwig ThieleJürgen TürkDr. Guido WesterwelleNeinSPDBrigitte AdlerGerd AndresIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-InglauWolfgang BehrendtDr. Axel BergHans-Werner BertlFriedhelm Julius BeucherPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigKlaus BrandnerAnni Brandt-ElsweierWilli BraseRainer Brinkmann
Wolf-Michael CatenhusenDr. Herta Däubler-Gmelin Dr. Peter DanckertChristel DeichmannKarl DillerPeter DreßenRudolf DreßlerDetlef DzembritzkiDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserPeter EndersGernot ErlerPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherIris FollakNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagLilo Friedrich
Harald FrieseAnke Fuchs
Arne FuhrmannMonika GanseforthKonrad GilgesIris GleickeGünter GloserRenate GradistanacGünter Graf
Angelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl-Hermann Haack
Hans-Joachim HackerKlaus HagemannManfred HampelChristel HanewinckelAnke HartnagelKlaus HasenfratzNina HauerHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogMonika HeubaumReinhold Hiller
Stephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid HolzhüterEike Maria HovermannChristel HummeBrunhilde IrberGabriele IwersenRenate JägerJann-Peter JanssenIlse JanzVolker Jung
Johannes KahrsUlrich KasparickSusanne KastnerHans-Peter KemperMarianne KlappertFritz Rudolf Körper Walter KolbowKarin KortmannAnette KrammeNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelDr. Uwe Küster Ute KumpfKonrad KunickWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherChristine LehderRobert LeidingerDr. Elke LeonhardEckhart LeweringChrista Lörcher Götz-Peter Lohmann
Erika LotzDr. Christine LucygaWinfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkUlrike MascherChristoph MatschieHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggChristoph MoosbauerJutta Müller
Christian Müller
Franz MünteferingAndrea NahlesVolker Neumann
Dr. Edith NiehuisDietmar NietanGünter OesinghausLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Willfried PennerDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes PflugDr. Eckhart PickKarin Rehbock-ZureichDr. Carola ReimannMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterReinhold RobbeGudrun RoosRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannBirgit Roth
Marlene RupprechtThomas SauerGudrun Schaich-WalchDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerDieter SchlotenHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Carsten SchneiderDr. Emil SchnellKarsten SchönfeldFritz SchösserOlaf ScholzOttmar SchreinerGisela SchröterDr. Mathias SchubertRichard Schuhmann
Brigitte Schulte
Vizepräsidentin Anke Fuchs
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8919
Reinhard Schultz
Volkmar Schultz
Ewald SchurerDr. R. Werner SchusterDr. Angelica Schwall-DürenRolf SchwanitzBodo SeidenthalErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerLudwig StieglerRolf StöckelRita Streb-HesseReinhold StroblDr. Peter StruckJoachim StünkerJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerWolfgang ThierseFranz ThönnesAdelheid TröscherHans-Eberhard UrbaniakRüdiger VeitSimone ViolkaUte Vogt
Hans Georg WagnerHedi WegenerDr. Konstanze WegnerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitGert Weisskirchen
Dr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerJochen WeltDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelDr. Norbert WieczorekJürgen Wieczorek
Helmut Wieczorek
Dieter WiefelspützHeino Wiese
Brigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenHanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie WrightUta ZapfPeter ZumkleyBÜNDNIS 90/ DIE GRÜ-NENGila Altmann
Marieluise Beck
Volker Beck
Angelika BeerAnnelie BuntenbachEkin DeligözDr. Thea DückertFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef FellAndrea Fischer
Katrin Dagmar Göring-EckardtRita GrießhaberWinfried HermannAntje HermenauKristin HeyneUlrike HöfkenMichaele HustedtMonika KnocheDr. Angelika Köster-LoßackSteffi LemkeDr. Reinhard LoskeOswald MetzgerKlaus Wolfgang Müller
Kerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsCem ÖzdemirChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkAlbert Schmidt
Werner Schulz
Christian SimmertChristian SterzingHans-Christian StröbeleJürgen TrittinDr. Antje VollmerDr. Ludger VolmerSylvia VoßHelmut Wilhelm
Margareta Wolf
PDSMonika BaltDr. Dietmar BartschPetra BlässMaritta BöttcherEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Heinrich FinkDr. Ruth FuchsWolfgang GehrckeDr. Klaus GrehnUwe HikschDr. Barbara HöllCarsten HübnerSabine JüngerDr. Evelyn KenzlerDr. Heidi Knake-WernerHeidi LippmannUrsula LötzerHeidemarie Lüth Dr. Christa LuftAngela MarquardtManfred Müller
Kersten NaumannRosel NeuhäuserPetra PauChristina SchenkGustav-Adolf SchurDr. Ilja SeifertDr. Winfried WolfUngültigSPDHans-Günter BruckmannEntschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver-sammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder derIPUAbgeordneteBehrendt, Wolfgang, Bühler , Klaus, Neumann (Gotha), Gerhard, Siebert, Bernd, SPD CDU/CSU SPD CDU/CSU___________________________________Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wir stimmen jetzt über den Gesetzentwurf in derAusschussfassung ab. Wer stimmt dafür? – Die Gegen-probe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit inzweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bünd-nis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen derF.D.P. bei Stimmenthaltung der CDU/CSU angenom-men worden.
– Richtig. Gleichwohl ist er in zweiter Beratung ange-nommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Jetztdürft ihr euch wieder setzen. – Wer dagegen stimmenmöchte, den bitte ich, sich zu erheben. – Wer enthältsich? – Die F.D.P. stimmt dagegen, die CDU/CSU ent-hält sich und bei der PDS ist das Stimmenverhältnis hal-be-halbe, so sage ich einmal. Damit ist der Gesetzent-wurf angenommen.
Vizepräsidentin Anke Fuchs
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8920 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-ßungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-che 14/3021. Wer stimmt für diesen Entschließungs-antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Bei Stimmenthaltung der F.D.P. und Zustimmung derPDS ist dieser Antrag abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-wurf der Fraktion der F.D.P. zur Reform des Stiftungs-rechts auf Drucksache 14/336. Der Ausschuss für Kulturund Medien empfiehlt auf Drucksache 14/3010 unterNr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen .Zu diesem Gesetzentwurf liegt auf Druck-sache 14/3043 ein Änderungsantrag der Fraktion derF.D.P. vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ände-rungsantrag ist abgelehnt. Ich lasse jetzt übe den Gesetzentwurf der Fraktion derF.D.P. auf Drucksache 14/336 abstimmen. Ich bitte die-jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, umdas Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? Der Gesetzentwurf ist bei Zustimmung der F.D.P.,Enthaltung der CDU/CSU und Ablehnung im Übrigenabgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäfts-ordnung die weitere Beratung.Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kulturund Medien auf Drucksache 14/3010 Nr. 3 zu dem An-trag der CDU/CSU „Ein modernes Stiftungsrecht für das21. Jahrhundert“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antragauf Drucksache 14/2029 abzulehnen. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damitangenommen.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-ßungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksa-che 14/3022. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DerEntschließungsantrag ist abgelehnt.Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 bauf: 17. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eduard Lintner, Dirk Fischer , Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion der CDU/CSU Bahnreform 2 – Neuer Schwung für dieBahn – Drucksache 14/2691 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrages der AbgeordnetenHorst Friedrich , Hans-MichaelGoldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P Bahnreform fortsetzen, Schienenverkehrstärken – vom Staatsbahnmonopol zumeuropäischen Wettbewerb um den Eisen-bahnkunden – Drucksache 14/2781 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union HaushaltsausschussIch bitte alle Kolleginnen und Kollegen, hier zu blei-ben, weil es ein interessantes Thema ist.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich hö-re keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat dasWort der Kollege Eduard Lintner, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Prä-sidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag derCDU/CSU-Bundestagsfraktion mit dem Titel „Bahnre-form 2 – Neuer Schwung für die Bahn“ schafft genauzum richtigen Zeitpunkt die Gelegenheit, dieses brisanteThema im Deutschen Bundestag zu erörtern.
Damit kehrt die Diskussion wieder dorthin zurück,wo dieser wichtige Teil der Verkehrspolitik eigentlichhingehört, nämlich ins Parlament. Es ist ja zurzeit üb-lich, dass Verkehrspolitik vorwiegend in Form von In-terviews in Tageszeitungen und seit neuestem auch inForm von Demonstrationen auf der Straße gemachtwird. Das hat die ohnehin vorhandene Verwirrung überden weiteren Weg der Bundesregierung und der Deut-schen Bahn AG in der Verkehrspolitik noch vergrößert.Im Grunde genommen können uns die Regierungsfrak-tionen heute dafür dankbar sein, dass sie die Gelegenheiterhalten, diese Widersprüchlichkeiten nunmehr zu besei-tigen.Zunächst müssen die Zielsetzung und der Zeitplander Bahnreform von 1993 angesprochen werden. DasZiel ist ja, die so genannte Börsenfähigkeit der Bahnherzustellen, und zwar bis zum Jahre 2003. Daran hatsich nichts geändert. Es war und ist zugegebenermaßennatürlich ein sehr ehrgeiziges Vorhaben; denn aus derfrüheren Behördenbahn soll ein sich selbstständig amMarkt behauptendes Unternehmen, die DB AG, geschaf-fen werden.Der Vorstandsvorsitzender der Bahn, Herr Mehdorn,hat dabei in einem Interview in der „FAZ“ das Jahr 2000 als das Schlüsseljahr für die Entwicklung der Bahn bezeichnet. Zusammen mit seinen täglichen Vizepräsidentin Anke Fuchs
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8921
Alarmmeldungen über Verluste, zu viel Personal undsonstige diverse Missstände drängt sich aber jetzt derEindruck auf, dass er Ziel und Zeitplan der Bahnreformgegenwärtig für dramatisch gefährdet sieht. Ein Schei-tern des gesamten Reformwerkes aber würde für dieBahn ein wahres Desaster mit völlig ungewissem Aus-gang bedeuten.Dann droht ja nicht nur der Rückfall in die alte Un-rentabilität – dem Bund würde damit ein Subventions-loch in Milliardenhöhe drohen –, sondern auch die we-nigen positiven Ansätze, zum Beispiel der Zugewinn anFahrgästen im Personenverkehr, wären dann ernsthaftgefährdet. Das könnte selbstverständlich niemand ver-antworten. Deshalb sollte die Bundesregierung ent-schlossen darangehen, Herr Minister, die notwendigenKorrekturen in ihrer Verkehrspolitik zur Sicherung derZukunft der Bahn jetzt endlich vorzunehmen.
Das heißt zunächst einmal, dass die Bahn vom Staat,von der Politik Rahmenbedingungen erhalten muss, diesie überhaupt erst in die Lage versetzen, diesen schwie-rigen Wandel zum marktwirtschaftlich geführten Unter-nehmen erfolgreich zu gestalten. Das verlangt in ersterLinie natürlich eine faire, eine konkurrenzfähige Aus-gangslage für die DB, und zwar nicht nur in Europa,sondern auch in Deutschland, im nationalen Rahmen.Es ist zum Beispiel – Herr Mehdorn hat es mehrfachangesprochen – bei der steuerlichen Belastung keineWettbewerbsgleicheit vorhanden. Als einzige Bahn inEuropa zahlt die Deutsche Bundesbahn beispielsweiseden vollen Mehrwertsteuersatz, Frau Kollegin.
Das führt zu einem konkreten Wettbewerbsnachteil von700 Millionen DM pro Jahr.
– Sie wissen ja gar nicht, was wir getan hätten, wenn wirnoch an der Regierung wären. Beruhigen Sie sich wie-der.
Ein paar Hausaufgaben müssen wir Ihnen auch nochhinterlassen, denn sonst wäre es völlig überflüssig, dasses Sie gibt.
Es kommt die Mineralölsteuerbelastung hinzu, die ei-nen Nachteil von etwa 400 Millionen DM bedeutet. Wirhaben aber auch ein originäres Kind Ihrer Zeit, nämlichdie Belastung des Schienenpersonennahverkehrs mitdem halben Ökosteuersatz, was auch keine besondereBegünstigung dieses wichtigen Verkehrsweges darstellt.
Zusätzlich – auch das ist eine Erfindung von Ihnen –soll die Bahn plötzlich für die Dienste des BGS, wofürer gesetzlich zuständig ist, blechen, nämlich 250 Mil-lionen DM im Jahr. Allein dieser Betrag bringt die Bahnheuer schon in rote Zahlen. Meine Damen und Herren,Sie können sich also nicht mit dem billigen Hinweis aufdie Vergangenheit aus den Widersprüchlichkeiten IhrerVerkehrspolitik befreien.
Es gibt auch noch Weiteres: Die Bundesregierung hates beispielsweise nicht geschafft, den von der EU vor-gegebenen ungehinderten Zugang zur Nutzung desNetzes durch Dritte gegenüber den anderen EU-Partnern, vor allem Frankreich, durchzusetzen. InDeutschland ist dieser freie Zugang zur Nutzung desNetzes bereits Wirklichkeit. Die Bundesregierung hatsich offenbar sogar damit einverstanden erklärt, dassNetzbenutzern nur wie in den anderen EU-Ländern, indenen es staatliche Bahngesellschaften gibt – offenbargewollt –, die so genannten Grenzkosten in Rechnunggestellt werden dürfen.
Aber dann entsteht sofort, Herr Schmidt, für die Bahndie lebenswichtige Frage, wer die Differenz zwischendiesen Grenzkosten und den tatsächlich anfallendenKosten zahlen soll. Diese Frage hat die Bundesregierungbis heute nicht beantwortet. Es geht dabei nicht um Pea-nuts, sondern es geht um Beträge in einer Größenord-nung von bis zu 6 Milliarden DM im Jahr. Das heißt,wenn sich die Bundesregierung in der Konsequenz ver-weigert, steht im Grunde genommen die Existenzfähig-keit der Bahn auf dem Spiel.Dass die Bahn ihrerseits das eine oder andere tut, daspotenzielle Kunden eher verprellt als anzieht, kommtnoch hinzu. Ein schlimmes Beispiel dafür, finde ich, istder Güterverkehr auf der Schiene. Die Bahn verliertständig an Boden. Auch die Prognosen für die nächsteZeit lassen keine Wende erwarten. Der Straßengüterver-kehr, meine Damen und Herren, wird in diesem Jahr umetwa 10 Prozent wachsen, der Güterverkehr auf derSchiene nur um 4 Prozent, wenn überhaupt.Fragt man bei den Betroffenen nach, warum es zumBeispiel im kombinierten Ladungsverkehr nicht vor-wärts geht, dann hört man immer wieder: Die Bahn istzu langsam, sie ist zu teuer und sie ist zu schadensanfäl-lig. Verspätungen von vielen Stunden seien üblich unddie Trassenpreise seien willkürlich gestaltet. So kostetbeispielsweise der Bahnkilometer für die Konzern-schwester DB-Cargo nur 4,80 DM, aber für Drittnutzerzwischen 10 und 12 DM. Das ist kein fairer, kein ein-wandfreier Marktzugang.
Dabei wäre es gerade beim Güterverkehr wün-schenswert, wenn der Schiene künftig ein größerer Anteil zukommen würde, weil damit nämlich etwasEduard Lintner
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8922 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
Wirksames gegen den drohenden Verkehrskollaps aufunseren Straßen getan werden könnte.
Allerdings, meine Damen und Herren, habe ich denEindruck, dass die Regierungsfraktionen in diesem Zu-sammenhang dazu neigen, vor allem die Grünen, dieMöglichkeiten der Verlagerung des Verkehrs von derStraße auf die Schiene aus ideologischen Gründen unre-alistisch groß einzuschätzen. Denn von dem Glauben,dass es gelingen könnte, vom heute in Deutschland ins-gesamt stattfindenden Güterverkehr der Schiene einenwesentlich größeren Anteil zu sichern als bisher, sollteman sich verabschieden. Es wäre schon ein Erfolg, wennes gelingen würde, der Eisenbahn von dem beim Güter-verkehr prognostizierten Zuwachs einen wachsendenAnteil zu sichern. Dazu müssen aber wiederum nochviele Engpässe beseitigt werden, erst noch neue, schnel-le Verbindungen geschaffen werden. Wenn jetzt die Bundesregierung darangeht, mit derscheinheiligen Begründung, sparen sei notwendig, diefür eine Verbesserung des Schienenverkehrs erforderli-chen Investitionsmittel um sage und schreibe 3,5 Mil-liarden DM zu kürzen, und wichtige Teilprojekte über-haupt fallen lässt, dann sind die Perspektiven für dieBahn aus dieser Sicht alles andere als rosig.
Und es muss auch noch den letzten Rest an Vertrauen indie Verlässlichkeit der Verkehrsplanung der Bundesre-gierung kosten, wenn sie nach Jahren mit aufwendigsterund teuerster Planung vorbereitete Investitionen plötz-lich einfach fallen lässt. So geschehen mit der Transra-pidstrecke von Hamburg nach Berlin,
mit der Neubaustrecke von Nürnberg nach Erfurt, wobeiletztere sogar eine transeuropäische Magistrale ist, alsoeigentlich der nationalen Entscheidungskompetenzlängst entzogen sein müsste. Man stelle sich vor, bereitsHunderte von Millionen DM sind für diese Planungenund für die Vorbereitung dieser Projekte aufgewendetworden. Alles für die Katz, sagt die Bundesregierungjetzt, wenn sie diese Projekte nicht mehr weiterverfolgenwill.Andererseits will sie aber die DB beispielsweise diemilliardenschweren Kostensteigerungen bei der Neu-baustrecke Köln–Frankfurt und beim Bahnknoten Ber-lin-Mitte allein tragen lassen, wenn ich die Äußerungenrichtig verstanden habe. Auch das ist ein Risiko, das dieZahlungsunfähigkeit der Bahn provozieren kann.Meine Damen und Herren, der Bundesverkehrsminis-ter kann sich nicht einfach aus der Verantwortung steh-len. Er wusste um die Risiken der Kostenschätzungenund der Bund ist Eigentümer der Bahn; er ist also nichtirgendjemand, er ist deshalb auch den Mitarbeitern derBahn gegenüber kein unbeteiligter Zuschauer, sondernist ihnen gegenüber zu vernünftiger Fürsorge verpflich-tet.Ich habe viel Verständnis für die Personalvertretun-gen der Eisenbahner, die sich jetzt öffentlich gegen dieGefahr betriebsbedingter Kündigungen zur Wehr setzen.Das ist übrigens eine Form von Kündigung, die zu unse-rer Zeit eigentlich nie in Erwägung gezogen werdenmusste. Das wirksamste Mittel gegen den Abbau von Ar-beitsplätzen sind Investitionen in die Bahn, zum Beispielins Netz, aber auch ins rollende Material; im Güterver-kehr – das will ich nur kurz andeuten – mutet der techni-sche Standard ja teilweise vorsintflutlich an. Wenn aber die Bundesregierung heute mit dem Ar-gument, die künftigen Generationen nicht belasten zuwollen, bei den Investitionen auf dem Verkehrssektorspart, so belastet sie in Wirklichkeit die nachfolgendenGenerationen. Sie halst ihnen nämlich auch Altlastenaus den unterbliebenen Investitionen der Vergangenheitauf. Hier wird also das Sparen von heute zur Hypothekvon morgen. Ob die Bahn diese Hypothek tragen kann,daran habe ich meine großen Zweifel. Es gibt vieles zu tun, meine Damen und Herren, wennman die Situation der Bahn verbessern will. Herr Mehdorn liegt beispielsweise richtig, wenn er darangeht,den bestehenden Tarifwirrwarr abzuschaffen. Es musssicher auch darüber geredet werden, ob weiterhin leereZüge durch die Gegend fahren sollen oder ob dafür nichtkostengünstigere und auch umweltschonendere Ver-kehrsmittel zur Verfügung stehen. Aber das war ja beiden Grünen bisher ein Tabuthema. Jetzt kündigt sich of-fenbar ein radikaler Wandel an; denn kein anderer alsder verkehrspolitische Sprecher der Grünen, HerrSchmidt, hat sich zu dieser Problemlage in einem Inter-view mit der „Süddeutschen Zeitung“ am 13. März wiefolgt geäußert:Es nutzt doch nichts,– so hat er gesagt –wenn ich Züge anbiete, mit denen niemand fährt.
Und weiter:Nur ein gut besetzter Zug ist ökologisch wertvollund nicht der Zug, der fährt, weil er fährt.
Herr Schmidt, ich gratuliere zu diesem Gesinnungs-wandel, nur die Crux liegt darin, dass viele Ihrer Frakti-onskollegen draußen vor Ort eben ganz anders reden, alsSie sich als Mitglied des Aufsichtsrates der Bahn mitt-lerweile zu äußern pflegen.
Eduard Lintner
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8923
Es ist sicher richtig, das rollende Material zügig zumodernisieren und dabei neue Techniken, zum Beispieldie Neigetechnik, zu nutzen. Auch die Entrümpelungdes Regelwerks der Eisenbahn- Bau- und Betriebsord-nung könnte hilfreich sein.
Hier hat die Bundesregierung Einsicht signalisiert. Siewill uns bis zum Herbst dazu Vorschläge machen.Im Mittelpunkt der Anstrengungen der Eisenbahnmüssen aber die Kunden stehen. Ihre Zufriedenheit, ihreSicherheit bei der Nutzung der Bahn sind unverzichtbareVoraussetzungen für den Erfolg des Unternehmens undseiner Mitarbeiter. Beklagenswert ist in dem Zusam-menhang beispielsweise der Zustand vieler Bahnhöfe,vor allem auf dem flachen Land. Das können auch dieneuen Tempel an Modernität in einigen Großstädtennicht verdecken.
– Dass Sie sich jetzt schon über Selbstverständlichkeitenaufregen, wundert mich doch etwas.
Sie können doch nicht im Ernst widersprechen, wenn ichsage, dass sich Bahnhöfe möglichst gut präsentierenmüssen, denn sie sollen ja eigentlich eine Einladung da-zu sein, Bahn zu fahren.
Des Weiteren stehen bei vielen Nebenstrecken Sanie-rungsinvestitionen von erheblicher Höhe an. Hier wer-den jetzt Versäumnisse der Bahn aufgedeckt, die nichteinfach den Ländern und den Gemeinden aufgedrücktwerden können. So wird das nicht laufen. Der bayeri-sche Wirtschaftsminister Otto Wiesheu hat dazu schondeutlich seine Meinung gesagt. Wenn es daher dem-nächst auf solchen Nebenstrecken zu technisch beding-ten Stilllegungen kommt, dann sind die Bundesregierungund die Bahn und nicht die Länder und Kommunen odersonst wer dafür verantwortlich. Die Führung der Bahnsollte sich nicht täuschen: Der Kunde, der sich erst insAuto setzen muss, um zur Hauptstrecke zu gelangen,verzichtet womöglich ganz auf die Bahn.
Im Übrigen möchte ich anmahnen, dass die Führungder Bahn in diesem Zusammenhang dafür sorgen muss,dass nicht mit verschiedenen Zungen gesprochen wird.In meinem Wahlkreis ist es nämlich passiert, dass vorkurzem der Stadt Bad Kissingen die großzügigsten Zu-sagen hinsichtlich des künftigen Verkehrs auf den dorti-gen Schienenverbindungen gegeben worden sind. NeueInterregio-Verbindungen sind zugesagt worden, Kurs-wagen sollen wieder nach Bad Kissingen fahren, einTaktverkehr mit neuen Zuggarnituren wurde offenbarversprochen, während zur gleichen Zeit der Vorstands-vorsitzende Mehdorn rigorose Einsparungen geradebeim Interregio-Netz und auf Nebenstrecken ankündigt.Deshalb ist der Vorstand der Bahn aufzufordern, dass ersich klar zu seinen Absichten hinsichtlich der einzelnenStrecken äußert. Dabei muss er allerdings die nach wievor bestehende Verantwortung gegenüber der betroffe-nen Bevölkerung beachten.Auch der Bundesverkehrsminister muss sich davorhüten, die öffentliche Ankündigung seines Wunschvor-standsvorsitzenden populistisch für im „Einzelfall nichtmaßgeblich“ zu erklären. Es könnte nämlich sein, HerrMinister, dass Sie dann – wie gelegentlich schon ge-schehen – zurückrudern müssen, weil Sie der Bahn fürdie Konsequenzen Ihrer Haltung gegenüber der Bahnkeine Hilfe anbieten können. Es kann natürlich nichtsein, dass Sie die Bahn daran hindern, das Notwendigezu tun, aber den Ausfall, der damit verbunden ist, nichtersetzen.Mein Fazit: Auf die Verkehrspolitik kommen arbeits-reiche Zeiten zu. Es wird viel Mühe bereiten, Klarheit indie Verkehrspolitik der Regierung zu bringen
und der Bahn eine gesicherte Zukunft zu geben. Wirwerden uns – das darf ich heute für die CDU/CSU an-kündigen – regelmäßig und intensiv mit den damit zu-sammenhängenden Fragen und Problemen beschäftigen.Die heutige Debatte ist nach unserem Verständnis nurein erster und – das hoffen wir sehr – in einzelnen Punk-ten nicht vergeblicher Schritt dazu.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt
der Kollege Klaus Hasenfratz, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsi-dentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Ich hatte gehofft, dass wir die heutigeDebatte dazu nutzen könnten, die Konfliktverschärfungzwischen GdED und Bahn etwas zu mildern. Aber, HerrLintner, mit den von Ihnen hier vorgetragenen Vorwür-fen gegen die Bundesregierung hinsichtlich Versäumnis-sen und anderen Dingen, die die Bundesregierung zuverantworten habe, haben Sie natürlich die Chance ver-passt, die Schärfe etwas herauszunehmen.Sie werden auch nicht glaubwürdiger, wenn Sie unterKrokodilstränen beklagen, dass zu wenig Mittel zur Ver-fügung stehen. Wir haben, wenn ich es richtig in Erinne-rung habe, in den letzten Wochen im Ausschuss sechsoder acht Stunden lang über das Investitionsprogrammund das Anti-Stau-Programm debattiert.
Eduard Lintner
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8924 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
Sie scheinen aus den Augen verloren zu haben, dass indiesen beiden Programmen auch Schienenprojekte ent-halten sind.
Ich habe in diesen Debatten – man kann das in demProtokoll nachlesen – von Ihnen kaum das Wort „Bahn“gehört. Frau Blank hat beklagt, dass die Bundes-regierung im Straßenbau 4,7 Milliarden DM gestrichenhat.
– Sie werden auch noch erwähnt, Herr Fischer.
Eine Woche später hat Herr Fischer dieses in wunder-samer Weise auf 5 Milliarden DM beziffert. Der KollegeFriedrich hat gefordert, die Vignetten-Einnahmen inHöhe von 870 Millionen DM sofort für den Fernstra-ßenbau einzusetzen.
Gleichzeitig beklagen Sie, dass die Bundesregierung zuwenig Mittel für die Schienenwege bereitstellt. Wie Siedas alles finanzieren wollen, ist mir rätselhaft.
Anscheinend, Kolleginnen und Kollegen, verfügen Sieüber größere Innovationen bei der Geldbeschaffung.
Wir wollen diesen Weg nicht beschreiten. Wenn Sie heute beklagen, die jetzige Bundesregie-rung habe die Probleme bei der Deutschen Bahn verur-sacht, dann scheinen Sie an Gedächtnisschwund zu lei-den. Ich will einmal den Kollegen Fischer aus der gro-ßen Debatte zur Bahnreform 1993 zitieren:Dynamik, Tatkraft, Sachverstand aus Wirtschaftund Industrie sowie unternehmerisches Geschickmüssen sicherstellen, dass der zweite Schritt derBahnreform, nämlich die innere Reform, jetzt in ei-nem mehrjährigen Prozess zu einem erfolgreichenUnternehmensprodukt auf dem europäischen Ver-kehrsmarkt führt.Das ist gut. Deshalb weiß ich auch nicht, warum Herr Lintner in der Einführungsrede kritisiert hat, dass wir diesen Prozess jetzt gemeinsam bestreiten wol-len. Der Kollege Fischer hat von der „inneren Reform“gesprochen. Diese aber ist von der Bahn zu leisten undnicht von einer Bundesregierung.
In der gleichen Debatte hat Herr Wissmann erklärt,dass im Bundesverkehrswegeplan erstmals mehr Inves-titionen in die Schienenwege vorgesehen seien als injeden anderen Verkehrsweg. Der Ansatz, den Sie in Ih-rem Antrag auf 10 Milliarden DM beziffern, war derrichtige Weg.
– So steht es in Ihrem Antrag: Investitionsmittel in Höhevon 10 Milliarden DM sind notwendig.
– Vielleicht haben Sie Alzheimer, Herr Fischer, aber ichtrage es Ihnen nach. Im ersten Jahr der Bahnreform, 1994, haben Sie7,7 Milliarden DM eingestellt.
1995 waren es 9,2 Milliarden DM. A la bonne heure, Siehaben aufgestockt.
Dann aber geht es los: 1996 waren es 7,2 MilliardenDM, 1997 nur 6,7 Milliarden DM.
1998 haben Sie es geschafft, den selbst gewählten An-satz von 10 Milliarden DM auf 5,7 Milliarden DM zu-rückzuführen.
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer?
Nein.
„Rosstäuschertrick“
ist zwar für Hamburg noch akzeptabel, aber nicht für
den Deutschen Bundestag.
Von Herrn Fischer bin ichnichts anderes gewohnt.Klaus Hasenfratz
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8925
Wie Sie es geschafft haben, dass die Bahn wirtschaft-lich nicht prosperiert, haben Sie bei der Strecke Ham-burg–Berlin deutlich gemacht. Da haben Sie sich an demPrestigeobjekt Transrapid festgebissen. Sie haben dieseStrecke strategisch-planerisch so heruntergefahren, dassdie Bahn dort wirklich keine Erträge erwirtschaften kon-nte. Das wissen wir.
Das können Sie der damaligen Opposition nicht in dieSchuhe schieben. Dafür waren Sie verantwortlich.
In allen Debatten haben Sie gesagt – ich zitiere bei-spielhaft wieder Herrn Wissmann – : Wir alle wissen…, dass eine Verlagerung auf dieSchiene im Nahverkehr, Güterverkehr und im Per-sonenfernverkehr dringend geboten ist. Was haben Sie gemacht? – Fehlanzeige! Und wenn wirin den Ausschusssitzungen über Verkehrspolitik undInfrastrukturpolitik diskutieren, fordern Sie immer nureines: mehr Geld für die Straße. Das ist der Widerspruchin Ihrer Politik. Sie müssen doch langsam merken, dassIhre Glaubwürdigkeit immer weiter unter die Räderkommt.
Diese Koalition setzt auf eine zukunftsweisende undnachvollziehbare Verkehrspolitik. VerkehrsministerKlimmt hat es in beispielloser Weise mit sachpolitischerArbeit geschafft, dass die Verkehrsinfrastruktur imRahmen eines Anti-Stau-Programms erstmals strengengpassorientiert ausgebaut wird. Hierfür steht ein zu-sätzliches Volumen in Höhe von 7,4 Milliarden DM in-klusive 2,8 Milliarden DM für die Schiene zur Verfü-gung. Das verdient angesichts der maroden Kassen, dieSie von der CDU/CSU und F.D.P. uns hinterlassen ha-ben, noch mehr Anerkennung.
Kolleginnen und Kollegen, dass die Bahn vor sehrwichtigen Entscheidungen steht, brauche ich hier nichtzu wiederholen. Ich hoffe aber darauf, bin mir sogar si-cher, dass die Tarifpartner in Verantwortung für das ge-samte Unternehmen und die Beschäftigten heute Nach-mittag einen Kompromiss zustande bringen. Ich wün-sche mir, dass dieser Kompromiss Arbeit sichern wirdund nicht gegen Arbeitsplätze gerichtet sein wird. Am Ende möchte ich noch einmal an alle appellieren:Die Ziele dieser Bahnreform, die von uns gemeinsam inbreitem Konsens festgelegt wurden, dürfen nicht durchfadenscheinige Polemik oder überzogene Anträge ge-fährdet werden. Bei einem Scheitern dieser Bahnreformwird es keine Gewinner geben. Das sollten wir uns allemerken. Schönen Dank.
Ich möchte dem
Kollegen Fischer sagen, dass ich den Begriff „Rosstäu-
schertrick“ nicht für parlamentarisch halte.
Wir müssen bei gegenseitigen Beschuldigungen ein we-
nig aufpassen, zumal er es wiederholt hat. Nun ist das
aber erledigt.
Jetzt hat das Wort der Kollege Horst Friedrich,
F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsiden-tin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!Die Debatten zur Bahnreform, auch die heutige, wie siebis jetzt geführt wurde, zeigen, dass das eigentlicheProblem hier im Hause noch nicht abschließend disku-tiert worden ist. Es geht um die Fragen: Was für eineBahn wollen wir tatsächlich? Was haben wir mit denbisherigen Schritten der Bahnreform erreicht? Wohinsoll die Bahnreform tatsächlich führen? Bisher höre ichnur davon, dass Auswirkungen auskuriert werden sollen.Das ist aber nicht die Lösung des eigentlichen Problems. Ich habe den Eindruck, dass trotz der Bahnreform ei-nige immer noch glauben, es hätte sich bei der Bahn nurdas Türschild geändert, indem aus der Deutschen Bun-desbahn die Deutsche Bahn AG wurde, aber ansonsteneben nichts. Das gilt für das Hineinreden in unternehme-rische Entscheidungen der Bahn genauso wie umgekehrtfür das Agieren der Bahn. Sie redet von Marktwirt-schaft nur dort, wo es ihr nützt, aber da, wo es ihr scha-det, will sie nichts davon wissen. Sie macht zum Bei-spiel alles, um Wettbewerb zu verhindern.
Das ist die entscheidende Frage und das eigentlich unge-löste Problem. Es nützt dann auch nicht, darauf hinzuweisen, wie derKollege Lintner, dass die Bahn steuerlich benachteiligtwerde. Dieses Problem hätten wir, wenn wir es politischgewollt hätten, auch lösen können. Genauso scheinheiligist es, wenn uns das Rot-Grün zum Vorwurf macht.Wenn Sie schon wissen, dass das so ist, dann kann mandie Bahn doch nicht noch zusätzlich mit Ökosteuer undden Kosten für den Bundesgrenzschutz belasten.Klaus Hasenfratz
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8926 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
Man sollte sich schon überlegen, mit welchem Maßstabman sich gegenseitig misst und wohin das alles laufensoll. Das wird auch nicht dadurch besser, dass der Ver-kehrsminister immer ein entschiedenes „Sowohl – alsauch“ in Bezug auf die Bahn vertritt, und zwar öffent-lich. Er sagt, Mehdorn habe den Auftrag – immerhin derdritte Vorstandsvorsitzende seit In-Kraft-Treten derBahnreform –, die Bahn börsenfähig zu machen. Daswürde ja bedeuten, dass der Zusatz „AG“ tatsächlich imwahrsten Sinne des Wortes verstanden wird und derBund als Alleineigentümer der Aktiengesellschaft, wannauch immer, einmal ausscheidet. Herr Klimmt kann sichauch vorstellen, dass das Konsequenzen für das Personalhat, sagt aber gleichzeitig: Betriebsbedingte Kündigun-gen darf es nicht geben.Er verschweigt dabei, dass er die Frage offen lässt,was denn mit der Differenz gegenüber den Mehdorn’-schen Planungen von schätzungsweise 1 Milliarde DM –wohlgemerkt: jährlich – passieren soll. Will er die HerrnMehdorn dann zusätzlich zur Verfügung stellen? Odersoll sich das dort von ihm schon prognostizierte Defizitweiter aufbauen? Herr Mehdorn sagt sehr berechtigt undaus meiner Sicht nachvollziehbar: Wenn sich bei derBahn nichts ändert, haben wir bis 2003 im Betriebser-gebnis eine neue Verschuldensdimension von 13 Mil-liarden DM, wohlgemerkt: neue Schulden in Höhe von20 Milliarden DM nach der Bahnreform. Das würde dasEnde des Eigenkapitalanteils in der AG und konsequen-terweise den Gang zum Konkursrichter bedeuten. Da bleibt Herr Klimmt die Antwort allerdings schul-dig. Er hofft mittlerweile auf die Vernunft der Tarifpart-ner. Auf die hoffe auch ich. Wenn man aber das Wohldes Unternehmens als Ganzes im Auge haben will, mussman wenigstens einmal nachdenken und Ursachenfor-schung betreiben dürfen, was tatsächlich Grundlage derSituation ist.
Nun komme ich zu dem für uns eigentlich entschei-denden Faktor, nämlich: Was macht die Bahn tatsäch-lich mit dem Wettbewerb auf der Schiene? – Das vonuns als Liberale schon bei der ersten Bahnreform vorge-schlagene Herauslösen der Netz AG aus dem Verbundder Bahn ist auch unter Mithilfe der Sozialdemokratenüber den Bundesrat verhindert worden. Offiziell habenwir den diskriminierungsfreien Zugang Dritter zumSchienenweg. Es wird auch immer das Märchen erzählt,es gebe schließlich schon 130 Wettbewerbsunterneh-men. Dass die tatsächlich sage und schreibe nur3 Prozent des kompletten Schienenverkehrs bewältigen,wird stets klammheimlich vergessen. Nur: Ob ich mit100 Prozent oder mit 97 Prozent Monopolist bin, ist re-lativ unbedeutend. Wenn die Bahn tatsächlich in den Wettbewerb muss –das wird sie demnächst über eine EU-Richtlinie müs-sen –, macht es Sinn, die Netz AG aus dem Verbund derBahn AG herauszulösen. Das ist Inhalt unseres Antrags.Wir sind der Meinung: Nur so ist für die Bahn der Wegin die Zukunft geebnet. Alles andere ist der Schritt zu-rück zur Staatsbahn. Und das bedeutet das Ende der Fi-nanzierungsmöglichkeiten der Bahn durch uns. Dasmuss man sich überlegen. Ich wäre dankbar, wenn sich der Verkehrsausschussbei den anschließenden Beratungen auf eine gemeinsa-me Anhörung zu dieser Thematik einigen könnte.
Ich hoffe auf Unterstützung von allen Seiten und bedan-ke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetztder Kollege Albert Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen.Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Gestatten Sie mir, bevor ich zum Thema spre-che, eine kleine persönliche Anmerkung. Ich habe heuteVormittag mit Bestürzung und mit tiefer Betroffenheiterfahren, dass unser Kollege Gert Willner, der jahrelangmit uns im Ausschuss zusammengearbeitet hat, leider anden Folgen seiner schweren Erkrankung verstorben ist.Für meine Fraktion, aber auch für mich ganz persönlichmöchte ich sagen: Wir verlieren mit ihm nicht nur einensehr kompetenten, sehr fairen, auch im Umgangston sehrfeinen Kollegen, sondern auch einen sehr liebenswürdi-gen Menschen. Das möchte ich in dieser Runde gesagthaben. Ich möchte allen Angehörigen unsere große An-teilnahme aussprechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Deutsche BahnAG befindet sich im Moment in einer kritischen Situati-on. Die Kosten auf den Großbaustellen explodieren. Jah-relang – das ist die Folge schlechter Verträge von frü-her – wurden Investitionen in das Nahverkehrsnetzversäumt und verschleppt. Die Folgen sind zu besichti-gen.
Bezüglich der Produktivität des Unternehmens hates zwar erhebliche Fortschritte gegeben, auch und gera-de mit Beteiligung und unter großen Anstrengungen derBelegschaft und des Betriebsrates. Sie hat aber immernoch nicht das überlebensnotwendige Niveau erreicht.Schließlich werden die Zuwendungen der Bundesregie-rung für die Altlastenbewältigung der Reichsbahn, dievon vornherein degressiv angelegt waren, im Laufe dernächsten Jahre über kurz oder lang gegen Null zurück-gefahren werden.Dies alles rechtfertigt durchaus, die Zukunft der Bahnoffensiv zum Thema zu machen, sei es von der Unter-nehmensführung, sei es von der Politik. Nur: Die ganzeHorst Friedrich
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8927
Debatte um die Bahn konzentriert sich mir zu stark aufdie Kostensenkungen; von Umsatzsteigerungen – aufDeutsch gesagt: wie wir mehr Geschäft ins Unterneh-men bringen können – ist dagegen kaum die Rede.
Ich möchte noch etwas zum Stichwort Börsengangsagen: Der Börsengang des Unternehmens ist keinSelbstzweck. Das Ziel der Bahnreform war in erster Li-nie, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Das sollso bleiben. Nur, dazu brauchen wir ein gesundes, ein sa-niertes und kapitalmarktfähiges Unternehmen. Aber dasist die Reihenfolge der Zielsetzung: Den verkehrspoliti-schen Zielen haben sich die wirtschaftspolitischenSchritte unterzuordnen.Immer dann, wenn von Visionen oder Zukunftskon-zepten die Rede ist, hat das für meinen Geschmack zusehr den Charakter einer metropolenfixierten Konzepti-on. Dabei wird übersehen, dass 90 Prozent des Fahr-gastaufkommens auf den Nahverkehr entfallen. Das istdas wirtschaftliche und verkehrliche Standbein des Un-ternehmens. Dort wird 60 Prozent des Umsatzes ge-macht. Das ist auch der Bereich, in dem täglich Millio-nen von Menschen unterwegs sind. Deswegen müssenwir die Aufmerksamkeit viel stärker auf diesen Bereichrichten.
Ich möchte noch eines für meine Fraktion sagen –denn dieses Thema ist in den letzten Wochen im Zu-sammenhang mit den Regionalisierungsplänen für Ne-bennetze durch die Landschaft gegeistert –: Der Nah-verkehr kann und darf nicht zum Steinbruch undifferen-zierter Einsparungen gemacht werden. Der Nahverkehrist nicht nur ein Standbein, er ist in vielen Bereichen,vor allem auch in den ländlichen Regionen, das Rück-grat für die Mobilität. Eine Schrumpfbahn – eine Bahnmit einem weit gehenden Rückzug aus der Fläche –kommt für Bündnis 90/Die Grünen nicht infrage.
Wir sind allerdings der Meinung, dass mit innovati-ven Konzepten durchaus auch in der Fläche ein attrakti-ves und wirtschaftliches Zugangebot gesichert und aus-gebaut werden kann. Dazu möchte ich Ihnen gerne eini-ge Anregungen geben: Der Ansatz, der sich unter derÜberschrift „Regent“ verbirgt, nämlich die Regionali-sierung von Teilnetzen, von Nebenstrecken – sozusagenmittelständische Produktionsstrukturen im Unternehmenzu schaffen –, weist nach unserer Einschätzung durchausin die richtige Richtung. Denn selbstverständlich kanndas Nahverkehrsangebot – bis hin zur Bewirtschaftungvon Strecken – dezentral, mittelständisch und bürgernahviel exakter, viel effizienter und viel kostengünstigergestaltet werden. Der Regionalisierungsgedanke, der jabei der Bestellung von Zügen umgesetzt worden ist –dies wird ja bekanntlich nicht von Berlin oder Frankfurtaus getan, sondern das haben die Länder oder dieZweckverbände zu verantworten –, kann selbstverständ-lich weiter gedacht und auf die Nebenbahnen und Ne-benstrecken in den peripheren Netzen ausgedehnt wer-den. Hier gibt es sehr wohl Effizienzpotenziale und Sy-nergieeffekte. Das ist nicht Theorie oder Ideologie, son-dern gründet sich auf Erfahrung.
– Das ist der Knackpunkt, Herr Kollege; keine Sorge,darauf komme ich gleich. Diese Erfahrung haben wir überall dort gemacht, wodas einmal ausprobiert worden ist, zum Beispiel bei derUsedomer Bäderbahn, einer hundertprozentigen DB-Tochter, die vor Ort wie ein mittelständisches Unter-nehmen agiert und dabei sehr erfolgreich ist.
Das gilt aber auch für zahlreiche kommunale Bahnen,die Dürener Kreisbahn, die Albtalbahn, aber auch fürPrivatbahnen wie die Württembergische Eisenbahn-gesellschaft, die Schönbuchbahn usw.Es gibt also durchaus zukunftsweisende Ideen. Nur,die Kernfrage ist – da sind wir beim entscheidendenPunkt, Herr Kollege Oswald –: Wie schaut es mit derFinanzierung der Strecken aus, die sanierungsbedürftigsind? Oder andersherum ausgedrückt: Es kann dochniemand im Ernst glauben, dass man den Kommunenoder den Ländern den Schrott vor die Füße kippen kannund die dann dafür zahlen. Das wird nicht gehen.
Ich sage Ihnen: Die Sicherung der Finanzierung einessolchen Konzeptes ist die zentrale Bedingung für denErfolg. Das kann nur so gehen, dass wir gemeinsam da-für sorgen, liebe Kolleginnen und Kollegen – auch inden Bundesländern muss man genau mitdenken –, dassdie 20 Prozent, die das Bundesschienenwegeausbauge-setz als den Anteil festschreibt, der in Nahverkehrs-projekte fließen soll, auch tatsächlich in diesem Bereichankommen.
Das ist bisher nicht annähernd der Fall gewesen, weildieses Geld bisher nur als zinsloses Darlehen gewährtwurde, mit dem Ergebnis, dass die Bahn das Darlehennicht in Anspruch genommen hat, weil sie sagt: Auf ei-ner Strecke, in deren Verlauf eine Brücke Kosten mit ei-nem Kostenaufwand von vielleicht 12 Millionen DMsaniert werden muss, fahren wir angesichts der paar Zü-ge täglich das Geld doch nie mehr ein.Deshalb schlage ich vor, dass diese Investitionenkünftig wie bei den Bedarfsplanprojekten und wie auchbei den Fernprojekten in Form von Baukostenzu-schüssen gewährt werden. Dann gibt es eine völlig Albert Schmidt
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8928 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
andere Finanzierungslage: Die Strecken werden nichtmehr totgerechnet, sondern wirklich angepackt. Darinmuss doch unser gemeinsames Interesse bestehen. –Jetzt können Sie, Herr Oswald, auch klatschen. Sie woll-ten doch die Finanzierungsfrage beantwortet haben.
Es gibt eine Reihe weiterer Bedingungen, die ich jetztim Einzelnen nicht ansprechen kann. Ich möchte nurnoch einen Gedanken ausführen: Die Bahn braucht inder jetzigen schwierigen Phase politischen Flanken-schutz. Nach meiner Meinung ist es scheinheilig, wennausgerechnet diejenigen, die 16 Jahre Zeit dazu gehabthätten, die steuerliche Gleichstellung der DeutschenBahn mit anderen europäischen Eisenbahnen fordern.Sie haben ja in der Sache Recht. Aber warum um Him-mels willen haben Sie das, was Sie jetzt von uns verlan-gen, in all den Jahren Ihrer Regierung nicht getan?
Der realistische Zeitpunkt, um solche Forderungen zuerheben, ist dann gekommen, wenn im Verkehrsbereichzusätzliche Staatseinnahmen in Milliardenhöhe generiertwerden, nämlich durch die LKW-Maut, die Schwerver-kehrsabgabe, ab 2003. Erst ab diesem Zeitpunkt kannnach meiner Meinung ernsthaft über eine steuerlicheEntlastung der Deutschen Bahn AG im Sinne einerGleichstellung mit allen anderen europäischen Bahnenbezüglich Mehrwertsteuer und bezüglich Mineralölsteu-er geredet und entschieden werden. Das ist unser Vor-schlag.
Der Kollege Dr.Winfried Wolf von der PDS-Fraktion hat seine Rede zuProtokoll gegeben.*) Sind Sie damit einverstanden? –Das ist der Fall. Ich erteile jetzt das Wort dem VerkehrsministerReinhard Klimmt.Reinhard Klimmt, Bundesminister für Verkehr,Bau- und Wohnungswesen: Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Heute finden Verhandlungen zwi-schen dem Bahnvorstand und den Gewerkschaften stattüber die Weiterentwicklung der inneren Strukturender Bahn, über Arbeitsorganisation und auch über diesensible Frage der Entlohnung. Dass die Tarifpartnerdarüber entscheiden, ist richtig. Wir haben diese Ver-antwortlichkeiten bewusst so geregelt, damit die Zeitender Behördenbahn vorbei sind, in denen immer von obenLeitlinien vorgegeben wurden, mit denen gleichzeitigauch finanzielle Verpflichtungen verbunden waren. Die Bahnreform, die eine wirtschaftliche Zuordnunggebracht hat, haben alle in diesem Hause gewollt. Sie ___________*) Anlage 2hat bisher – das ist unsere Bilanz – Licht und Schattenmit sich gebracht. Das Ziel muss es sein – das wird esauch bleiben –, bis zum Jahre 2003 die Wirtschaftlich-keit der Bahn herzustellen. Ich möchte deutlich sagen:Der Begriff „Börsenfähigkeit“, der immer wieder ange-führt wird, bedeutet nicht, dass der Börsengang auch tat-sächlich erfolgt. Mit diesem Begriff soll nur unser Inte-resse daran dokumentiert werden, dass die Bahn auf ei-genen Füßen stehen kann und in der Lage ist, aus eige-ner Kraft positive wirtschaftliche Ergebnisse zu erzielen.
Das Engagement des Bundes, diesen Weg zu flan-kieren, ist ungebrochen. Ich möchte daran erinnern, dasswir allein im Rahmen des diesjährigen Haushalts14 Milliarden DM an das Eisenbahnvermögen überwei-sen, damit Strukturschwächen und Strukturfehler derVergangenheit ausgeglichen werden können. Für dieRegionalisierung werden jedes Jahr 13 Milliarden DMüberwiesen, mit steigender Tendenz. Aber das sind nichtdie einzigen Bahnprobleme, an deren Lösung wir uns fi-nanziell beteiligen. Wir sind auch im investiven Bereichbemüht, der Bahn zu helfen, genauso wie in vielen ande-ren Bereichen.
Insofern können wir zu Recht sagen, dass wir die Inte-ressen der Bahn als ein Teil unserer Verkehrsinfrastruk-tur und gleichzeitig auch die Interessen der dort beschäf-tigten Menschen sehr wohl im Auge behalten.
Dennoch dürfen die Interessen nicht so definiert werden,dass wir vonseiten des Bundes praktisch jede auftretendeSchwierigkeit bewältigen müssen. Auch diejenigen, diebei der Deutschen Bahn Verantwortung haben, müssenunbequeme Probleme lösen. Deswegen werden die jet-zigen Verhandlungen schwierig sein. Ich möchte auf einen Punkt eingehen, der vorhin kri-tisch angemerkt worden ist. Die Bahn hat bis dato denschwierigen Prozess des Abbaus von Personal vollzo-gen. Da ist sehr viel gemacht worden. Aber es ist nachdem Prinzip gemacht worden, nicht mit betriebsbeding-ten Kündigungen zu arbeiten. Ich sage noch einmal mei-ne Meinung zu diesem Punkt: Dabei soll es bleiben. Esmuss ohne betriebsbedingte Kündigungen möglich sein.
Wir sind uns darüber einig, was die Bahn braucht. Siebraucht wirtschaftliche Strukturen, die es uns ermögli-chen, dass wir uns irgendwann nicht mehr nur über Per-sonalabbau unterhalten, sondern endlich einmal wiederdarüber reden, wie es zum Beispiel bei den Informati-onstechnologien der Fall ist, dass wir wieder Personalbrauchen. Das ist das eigentliche Ziel unserer Arbeit.Hier können und müssen wir Fortschritte erwarten.Albert Schmidt
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In den Anträgen sind dazu viele wichtige und hilfreicheArgumente genannt worden. Um das genannte Ziel zuerreichen, brauchen wir auch den europäischen Be-reich. Die Bahn muss über Grenzen hinweg operierenkönnen. Hier muss noch vieles geschehen. Wir arbeitendaran. Auch sind wir der Meinung, dass die Infrastrukturverbessert werden muss, nicht nur für den Fernverkehr,sondern auch für den Nahverkehrsbereich. Dies werdenwir ungeachtet knapper Kassen im Rahmen unsererMöglichkeiten mit großem Engagement begleiten. Selbstverständlich braucht die Bahn auch organisa-torische Flexibilität. Es ist wichtig, dass wir, wenn esum die Region geht, auch das Argument Mittelstand –Herr Albert Schmidt hat es schon ausführlicher erläu-tert – mit in die konzeptionellen Überlegungen einbau-en. Auf diese Weise ist es meines Erachtens möglich,dem Ziel der Wirtschaftlichkeit und einer umfassendenInfrastruktur für die Bahn wieder ein Stück näher zukommen. Auch die Partner, die jetzt miteinander am Tisch sit-zen, müssen wissen, dass die Bahn ein sensibler Orga-nismus ist. Sie ist kein kraftstrotzendes Aggregat, aufdem man sich nach Belieben hin- und herbewegen könn-te. Deswegen muss bei den Verhandlungen vonseitendes Vorstandes, aber auch vonseiten der GewerkschaftenKompromissfähigkeit gezeigt werden. Diese Kompro-missfähigkeit war mit ein Grund dafür, dass es im Rah-men der Bahnreform vorangegangen ist. Sie wird unsauch jetzt helfen weiterzukommen. Ich möchte Sie, meine Damen und Herren von derOpposition, bitten, dass Sie zumindest zu dem Grund-willen, voranzukommen, dadurch beitragen, dass Sieehrlich anerkennen, was wir von Ihnen an Problemenhaben übernehmen müssen. Herr Friedrich hat es dan-kenswerterweise schon gesagt; auch er saß mit im Boot.Wenn Sie begreifen, dass wir jetzt die Fehler auszuba-den haben, die Sie mitverursacht haben, und gleichzeitigbereit sind, selbst mit anzupacken und mitzuhelfen, dannbin ich sicher, dass die heutige Woche wie auch die wei-teren Wochen und Monate, die uns zur Lösung der Pro-bleme bleiben, unser Vorhaben zu einem positiven Endeführen werden. Vielen Dank.
Jetzt hat die Kolle-
gin Karin Rehbock-Zureich, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben heuteeine wichtige Diskussion auf der Tagesordnung. Sie ha-ben dazu Anträge eingebracht nach dem Motto: Was in-teressiert mich heute mein Handeln von gestern?
Die Anträge, die Sie hier eingebracht haben, wären sehrviel hilfreicher gewesen,
wenn Sie in den vergangenen Jahren, als Sie in der Re-gierung Verantwortung hatten, Teile davon angegangenwären. Dann hätten wir die heutige Situation weder beider Bahn noch in unseren Haushalten.
Warum haben Sie es denn versäumt, auf europäischerEbene Harmonisierung und Liberalisierung in Über-einstimmung zu bringen? Der Bundesregierung ist esGott sei Dank gelungen, mit Frankreich erste Ansätze imBereich des Güterverkehrs in Gang zu setzen, sodasshier die Öffnung der Märkte in Zukunft stattfinden kann.Hier gibt es also ein Versäumnis, das Sie zu vertretenhaben. Sie beklagen die Rahmenbedingungen der Politik.Wer hat denn in den vergangenen 16 Jahren diese Rah-menbedingungen als Grundlage der Situation, die wirheute haben, geschaffen? Sie tragen dafür seit der Bahn-reform 1993 die Verantwortung.
Unbestreitbar ist sicherlich, dass auch die Bahn ihreHausaufgaben machen muss. Wir benötigen attraktiveAngebote vor allen Dingen für die Fläche. Als Aktien-gesellschaft muss die Bahn wirtschaftlich operieren undgleichzeitig weiterhin ihr Zugpferd, die Fläche, bedie-nen.
Die Bahn hat in den vergangenen Jahren darunter ge-litten, dass mit Großprojekten begonnen worden ist, deren Finanzierung in keiner Weise wirtschaftlichdurchgerechnet war.
Die Bahn leidet heute somit auch unter dem Milliarden-defizit, das zum Beispiel durch Großprojekte im RaumKöln und im Verkehrsknotenpunkt Berlin entstanden ist.Ich erinnere nur an die Luftnummer Transrapid, den Siewährend Ihrer Regierungszeit immer als wirtschaftlichbezeichnet haben.
Es bringt uns jedoch nicht weiter – ich bedaure dengegenwärtigen Stand der Diskussion –, wenn wir in allerBundesminister Reinhard Klimmt
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Aufgeregtheit gegeneinander reden. Deshalb sollten wirversuchen, die Rahmenbedingungen für die Bahn ge-meinsam zu schaffen, und die Bahn konstruktiv beglei-ten. Bahnchef Mehdorn hat damit begonnen – Gott seiDank, kann man nur sagen – eine ehrliche Bilanz vorzu-legen, die auch die Defizite ausweist. Sofern es um die Belange der Beschäftigten geht,wird die Bahnreform nur dann eine positive Entwick-lung nehmen, wenn neue Konzeptionen und Entwick-lungen gemeinsam mit den Gewerkschaften angedachtwerden. Sie wird nur dann positiv und sinnvoll sein,wenn wir gemeinsam mit den Ländern ein Konzept fürden Regionalverkehr, für den Verkehr in der Flächeentwickeln. Denn eines ist uns allen – über die Partei-grenzen hinweg – klar: Die Strukturen der Bahn müssenverändert werden. Ich möchte Sie auffordern, diese Re-form gemeinsam mit der Bahn und mit uns in der Regie-rungsverantwortung positiv zu begleiten. Ich begrüße es, dass Herr Mehdorn immer deutlichgemacht hat, dass es ihm wichtig ist, den Verkehr in derFläche zu erhalten, dafür zu sorgen, dass Regionalver-kehr nicht ausgedünnt wird. Gleichzeitig will er dieWirtschaftlichkeit der Bahn steigern. Diese Quadraturdes Kreises muss von uns begleitet werden. Hinsichtlich der Rahmenbedingungen möchte ichnoch einmal darauf hinweisen, dass wir als Regierungs-koalition zum Beispiel im Engpassbeseitigungspro-gramm damit begonnen haben, die Bahn mit Mitteln ineiner Größenordnung von zusätzlich 2,8 Milliarden DMzu unterstützen. Sie haben nie ein Programm in dieserGrößenordnung zusätzlich zu den im Haushalt verbuch-ten Mitteln aufgelegt. Wir sind hier auf dem richtigenWeg.
Wir haben ferner ein Investitionsprogramm aufge-legt, in dem die westlichen Bundesländer die Mittel fürdie Bahn bei 55 Prozent festgeschrieben haben. Auchdies ist eine Hilfe für die Bahn auf dem Weg zu sicherenFinanzen. Wenn auch Sie die Bahn begleiten wollen,sollten Sie daran denken, dass Sie nur mit uns gemein-sam etwas zustande bringen werden. Wir haben 1993 dieBahnreform gemeinsam – Regierung, Opposition undGewerkschaften – auf den Weg gebracht. Wer ein wirk-liches Interesse an der Weiterentwicklung der Bahn hatund nicht nur Showanträge stellt, wird auch in Zukunftkonstruktiv hieran mitarbeiten. Dazu kann ich Sie nurauffordern. Herrn Friedrich möchte ich noch sagen, dass wir eineZerschlagung der Bahn, wie Ihr Antrag sie festschreibt,nie angedacht haben.Vielen Dank.
Ich schließe die
Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/2691 und 14/2781 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Niebel, Ernst Burgbacher, Hildebrecht Braun
, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der F.D.P.
Jährliche Vorlage einer Generationenbilanz
und Aufnahme der Daten in die Haushalts-
statistik des Bundes
– Drucksache 14/1758 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
diese Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Dirk Niebel, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Generationengerechtig-keit setzt Fairness bei der Belastung jeder einzelnen Ge-neration voraus. Nach Angaben des Statistischen Bun-desamtes schrumpft unsere Bevölkerung und wird deut-lich älter. Wenn heute noch 22 Prozent der Bevölkerungüber 60 Jahre alt sind, so werden es im Jahr 2040 bereits37 Prozent sein. Sind heute noch 21 Prozent der Bevöl-kerung unter 20 Jahre alt, werden es im Jahr 204015 Prozent sein. Bis 2030 wird sich die Zahl der Rentnervon jetzt 13,7 Millionen auf 17,6 Millionen erhöhen,während auf der anderen Seite die Zahl der Erwerbs-personen von jetzt 33 Millionen auf 29 Millionen zu-rückgehen wird.Die Generationenbilanz, die wir Ihnen heute hier vor-schlagen, soll die Toleranz zwischen den Generatio-nen verbessern und die Möglichkeit schaffen, der Politikeine Entscheidungsgrundlage für zukünftige, wegwei-sende Schritte in der Sozial- und Finanzpolitik zu geben.Die älteren Menschen in diesem Land haben denWohlstand und die soziale Sicherung, die wir hier ha-ben, erarbeitet. Sie haben aber der jüngeren Generationauch eine Hypothek in Form von Staatsverschuldung,unverbrieften Schulden oder auch ökologischen Folge-schäden der politischen Entscheidungen der Vergangen-heit mit auf den Weg gegeben. Die Bundesbank hat festgestellt, dass jeder noch nichtgeborene Jahrgang nach 1996 mit 149 Prozent höherenZahlungen an den Staat belastet werden wird als dieKarin Rehbock-Zureich
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1996 Geborenen. Ein männlicher Deutscher, der 1996geboren ist, wird im Verlauf seines Lebens mit einerNettobelastung von 400 000 DM rechnen können. Dasist der Gegenwert einer Doppelhaushälfte, meine sehrverehrten Damen und Herren.Insgesamt wurden 1996 in Deutschland 47 902 Jun-gen geboren. Sie werden mit der Summe von19 Milliarden 160 Millionen und 800 Tausend Markmehr belastet, als sie selber aus den staatlichen Kassenbeziehen werden. Davon könnte man eine mittlereKleinstadt bauen.Wir brauchen eine Kursänderung in der Finanz-und Sozialpolitik und müssen wegkommen von der Ge-fälligkeitspolitik mit dem kurzfristigen Ziel, nur Wähle-rinnen und Wähler bei einer bevorstehenden Wahl zubefriedigen. Wir müssen die Konsequenzen unserer poli-tischen Entscheidungen für nachfolgende Generationenwesentlich mehr im Blick haben, als das in der Vergan-genheit der Fall gewesen ist.
Im Privatleben kann man eine überschuldete Erb-schaft ausschlagen. Kommenden Generationen ist esnicht möglich, dies zu tun. Sie müssen mit der Staats-verschuldung, sie müssen mit den umlagefinanzier-ten Sicherungssystemen, sie müssen mit der ökologi-schen Belastung und vielem anderen – auch mit viel-leicht noch gar nicht absehbaren Problemen – in Zukunftleben.Bereits in der 13. Wahlperiode dieses Bundestageshat der Generalsekretär der F.D.P., Guido Westerwelle,in der Koalitionsrunde versucht, die Einführung einerGenerationenbilanz durchzusetzen. Das ist damals amEinspruch der CDU/CSU gescheitert.In der Sitzung des Deutschen Bundestages am30. September 1999 sagte Kollegin Birgit Schnieber-Jastram – ich zitiere –:Legen Sie diesem Hause regelmäßig eine Generati-onenbilanz vor!Mithilfe dieser Generationenbilanz können Sie dieBelastung der heutigen Generation und der nach-folgenden Generationen miteinander vergleichen.An dem Ergebnis der Generationenbilanz müssenSie sich messen lassen. Daran wird erkennbar, obSie einen Kurs steuern, der zu mehr Gerechtigkeitzwischen den Generationen führt.Frau Schnieber-Jastram, ich freue mich, dass die Unionmittlerweile zu dem Schluss gekommen ist, dass dieGenerationenbilanz ein hilfreiches Entscheidungsmit-tel für die Politik ist.
Ich finde es allerdings sehr schade, dass Sie sie in einenumfassenderen Antrag zur Rentenpolitik eingebettet ha-ben, der aller Voraussicht nach in diesem Hause keineMehrheit finden wird. Aus diesem Grunde beantragt dieF.D.P.-Bundestagsfraktion die eigenständige Einführungeiner Generationenbilanz, weil diese hier durchausmehrheitsfähig sein müsste.
Auch Walter Riester hat in derselben Debatte Interessean dieser Generationenbilanz bekundet.Auf der einen Seite werden in einer Generationenbi-lanz die Leistungen der älteren Generation zum Beispielfür Infrastruktur, Bildung und Ausbildung aufgeführt.Auf der anderen Seite wird dagegengerechnet, welcheBelastungen kommende Generationen zu erwarten ha-ben. Ich sprach sie schon an: Verschuldung der öffentli-chen Hand, Verschuldung der sozialen Sicherungssys-teme, ökologische und soziale Folgelasten, die wir heutevielleicht noch gar nicht kennen.Die Ergebnisse einer Generationenbilanz müssen indie Haushaltsgesetzgebung des Bundes eingeführt wer-den; denn nur so hat man den direkten Vergleich mit denHaushaltszahlen des Bundes und nur so kann man er-kennen, ob die Ergebnisse dieser Bilanz in konkretes po-litisches Handeln umgesetzt worden sind. Diese Umset-zung muss unter anderem Messlatte für die Effizienzund den Erfolg der Politik einer Bundesregierung sein.Sie muss sich vorhalten lassen, wenn sie Entscheidun-gen trifft, die kommende Generationen stärker belasten,dass sie dies bewusst getan hat, und kann sich nicht da-mit herausreden, dass sie keine konkreten Datenmateria-lien zur Verfügung hatte. Die Generationenbilanz ist einIndikator für die Zahlungsverpflichtungen, aber auch fürdie Handlungsfähigkeit eines Staates, und sie soll dieFairness für alle Generationen als zentrales Anliegendeutscher Politik untermauern.Walter Riester hat in der Debatte vom 30. September1999 hier in diesem Hause gesagt:Zunächst komme ich zu der ... Forderung ..., eineGenerationenbilanz vorzulegen. Diese Grundliniehalte ich für spannend und wichtig. ... Gleichwohlwill ich diese Überlegung aufnehmen. Ich wäresehr daran interessiert, wenn wir an dieser Frageeiner Generationenbilanz arbeiten könnten.Lieber Herr Staatssekretär, teilen Sie Herrn Riester bittemit, dass wir schon heute damit anfangen können.Vielen Dank.
Nun hat die Kollegin
Ute Kumpf, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege DirkNiebel, mir kommen schier die Tränen. Sie hatten16 Jahre lang Zeit – nicht Sie selbst, aber Ihre Frak-tion –, sich in diesem Hohen Hause um Nachhaltigkeitzu kümmern. Dass auch wir die Politik der Nachhaltig-keit und der Generationengerechtigkeit als wichtigesZiel unserer politischen Konzepte ansehen, müsste sichbei Ihnen herumgesprochen haben. Zur Nachhaltigkeitin der Sozialpolitik gehört, dass wir die finanziellen Las-ten nicht auf unsere Kinder abladen. Sie haben Kinder;ich habe auch ein Kind.Dirk Niebel
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Bilanzieren und Haushalten ist nie verkehrt – daswissen Sie als Baden-Württemberger –, wenn man denBlick für die Realität und die Bodenhaftung nicht verlie-ren will. Sie hatten aber, wie gesagt, 16 Jahre lang Zeitund die Erblasten haben Sie und Ihre Fraktion uns hin-terlassen.
– Frau Schnieber-Jastram, am 30. September haben Sieden Schlüsselsatz gesagt:Sozial gerecht ist nur das, was auch zwischen denGenerationen gerecht ist.Diesen Satz haben Sie wohl in den 16 Jahren zuvor nieim Kopf gehabt.
Ich finde es schön, das die F.D.P. lernfähig ist undjetzt auch die Nachhaltigkeit entdeckt und diese mit ei-nem Antrag zur Generationenbilanz umsetzen will. HerrNiebel, Sie haben eben schon darauf hingewiesen, dasswir am 30. September 1999 bereits darüber debattierthaben. Nun haben Sie mit zeitlicher Verzögerung IhrenAntrag eingebracht. Das kann einmal passieren; Haupt-sache, Sie sind lernfähig.Vonseiten der SPD hat Herr Kollege Kurt Bodewig,der jetzt in neuer Funktion auf der Regierungsbanksitzt – herzliche Gratulation –,
damals schon seine Kritik an dieser Bilanz geäußert.Walter Riester, der sich gegenüber den Fraktionen vonF.D.P. und CDU/CSU stets sehr kooperativ, umgänglichund freundlich verhält – manchmal denke ich sogar, zufreundlich –,
hat in dieser Debatte ausgeführt, dass er die Aufstellungeiner Generationenbilanz für „spannend und wichtig“halte. Er hat aber hinzugefügt – auch das können Sie imProtokoll nachlesen –, dass Beispiele im Ausland, etwain den USA, gezeigt hätten, dass Generationenbilanzendurchaus ihre Fallstricke und Tücken in der Aufstellungund Anwendung haben.Bevor es nun zu einer allgemeinen Rentendebattekommt, möche ich konkret zu Ihrem heutigen Antragsprechen. Sie fordern mit Ihrem Antrag eine Generatio-nenbilanz, die zunächst einmal jährlich vorzulegen ist.Mittels dieser Generationenbilanz sollen alle wichti-gen steuer- und sozialpolitischen Reformvorhaben aufihre Nachhaltigkeit überprüft werden. Darüber hinaussoll die Generationenbilanz in die offizielle Haushalts-statistik aufgenommen werden. So weit Ihre Forderun-gen.Ich muss schon sagen, Herr Niebel – Herr Kolb istjetzt leider nicht da –: Ich finde Ihre Kehrtwendung undIhre neu entdeckte Liebe zur Berichterstattung sehr ver-wunderlich. Wir haben in diesem Hause vor einigenWochen einen Antrag eingebracht, eine nationale Be-richterstattung zum Thema von Armut und Reichtumvorzunehmen. Herr Kolb von Ihrer Fraktion hat sichdamals vehement dagegen ausgesprochen, einen Ar-muts- und Reichtumsbericht, der schon längst überfälligist und Grundlagen für ein politisches Handeln bietensoll, vorzulegen.
Ich frage mich nur: Haben Sie mehr eine Vorliebe fürScience-Fiction als für grundanständige, solide Hinter-grundberichte, die politisches Handeln möglich machen?
Was ist unter dem Instrument der Generationenbi-lanz – das hört sich erst einmal ganz toll an; es wird ineinigen Ländern bereits angewandt – zu verstehen? Waswird denn eigentlich bilanziert? Mit Hilfe der Generati-onenbilanz soll die Nachhaltigkeit der öffentlichenHaushalte untersucht werden. Es wird versucht, diehypothetischen Einnahmen und Ausgaben ganzer Gene-rationen auszurechnen und denen zukünftiger Generati-onen gegenüberzustellen – so weit der Ansatz. Unterdiesen Voraussetzungen werden über einen Zeitraumvon – ich betone das – etwa 200 Jahren Generationen-konten gebildet, die über den Zustand der öffentlichenHaushalte heute und in Zukunft Aufschluss geben sol-len.
Meine Damen und Herren von der F.D.P.: KommenSie herunter vom Raumschiff Orion auf den Boden derRealität! Sie fordern mit Ihrem Antrag nämlich ein Da-tenmaterial für 200 Jahre Zukunft – ein gigantischer An-spruch. Dies ist gerade von Ihrer Seite verwunderlich, daSie noch nicht einmal in der Lage waren, zum Beispielden Mangel an qualifizierten Kräften im IT-Bereich – erwar offensichtlich – zu erkennen und entsprechende po-litische, handwerklich saubere Konzepte vorzulegen.
Ich halte es für sehr ehrenvoll, dass Sie der SPD und derRegierung hellseherische Fähigkeiten zutrauen. So vieleKugeln können wir aber gar nicht bestellen, um diesehellseherischen Fähigkeiten für 200 Jahre Prognose un-ter Beweis zu stellen. Sie berufen sich in Ihrem Antrag auf eine Untersu-chung der Bundesbank vom November 1997. HättenSie diese Untersuchung vor der Erstellung des Antragsvollständig und ein bisschen genauer gelesen, wären Siein Ihrem Optimismus hinsichtlich dieser Genera-tionenbilanz zurückhaltender. Die Bundesbank nennt inihrer Untersuchung einige Schwachpunkte des Kon-zepts, die dessen Aussagekraft erheblich einschränken.
Ute Kumpf
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Der Hauptkritikpunkt liegt auf der Hand: Wir habenheute schon Schwierigkeiten, den Rentenbeitrag und dasRentenniveau für einen Zeitraum von 30 Jahren halb-wegs zuverlässig zu prognostizieren. PrognostischeAussagen über einen Zeitraum von 200 Jahren sind miteiner um ein Vielfaches größeren Unsicherheit behaftet.Wer versucht, mit solchen Zahlen Politik zu machen,handelt schlicht unseriös.
Werfen Sie nur einmal einen Blick zurück. Welche ge-sellschaftlichen Umwälzungen der letzten 200 Jahre hät-ten Sie zuverlässig prognostizieren können? Ich sagenur: Nostradamus lässt grüßen!Nun im Einzelnen zu den Schwachpunkten des Kon-zepts: Erstens. Bei den Generationenbilanzen geht es nichtum ein realistisches Abbild der Zukunft; vielmehr wer-den stark vereinfachende Annahmen zugrunde gelegt,insbesondere hinsichtlich des gesamtwirtschaftlichenWachstums und der Beschäftigung.Zweitens. Bei der Generationenbilanz wird unter-stellt, dass der Staat seine Einnahmen- und Ausgaben-struktur nicht ändert. Es werden somit solche Maßnah-men nicht berücksichtigt, die bereits beschlossen sind,aber erst in der Zukunft wirken bzw. automatisch durch-geführt werden.Drittens. Unsicherheiten und unvorhergeseheneEntwicklungen können von Generationenbilanzen nichterfasst werden. Bestes Beispiel: Die deutsche Einheitmit ihren finanziellen Folgewirkungen wäre bei derprognostizierten zukünftigen Finanzentwicklung unbe-rücksichtigt geblieben.Viertens. Die Generationenbilanz arbeitet mit unvoll-ständigen Datenbasen. In der Regel liegen nur vergan-genheitsbezogene Stichproben vor, die durch Schätzun-gen ergänzt werden. Es heißt, dass bei den bisher be-obachteten methodischen Vorgehensweisen und Zuord-nungen bei der Erstellung von GenerationenbilanzenManipulationen Tür und Tor geöffnet sind.Noch ein Blick über den Zaun unserer Landesgrenzenhinweg nach Europa und darüber hinaus: Schaut mansich bei den OECD-Staaten um, dann bestätigt sich dieThese, dass die Aussagekraft von Generationenbilan-zen begrenzt ist. In den meisten Staaten werden Genera-tionenbilanzen nämlich nicht von oder im Namen derRegierung, sondern, wenn überhaupt, auf Initiative vonForschungsinstituten veröffentlicht und vorgelegt. Eine Ausnahme bilden die Niederlande und Norwe-gen. In den Niederlanden werden Generationenbilanzenvom staatlichen Zentralen Planungsbüro veröffentlicht.Norwegen fügt seine Generationenbilanz dem Haushaltbei. In diesen beiden Ländern sind die Generationenbi-lanzen deswegen so ausgeglichen, weil die dort vorhan-denen Rohstoffreserven – Stichwort: Öl – einbezogenwerden. In den USA, der Heimat der Generationenbilanz,werden seit 1996 Generationenbilanzen nicht mehr alsTeil des Haushalts veröffentlicht. Die Amerikaner sindzu dem Schluss gekommen, dass Generationenbilanzennicht der Weisheit letzter Schluss sind. So wurdeKotlikoff, einer der Väter dieser Methode, als er 1994für die Clinton-Administration Generationenbilanzenerstellen sollte, von offizieller Seite aufgefordert, alsAnnahme hinsichtlich der Fiskalpolitik zu unterstellen,dass der Absolutwert der staatlichen Ausgaben ab demJahr 2000 konstant sei. Was hätte das bedeutet? Im Zeitverlauf hätte dasein relatives Verschwinden der Staatstätigkeit bedeutet.Diese Annahme kann man zwar machen – vorstellbar istsie –; aber sie ist, realistisch betrachtet, wenig plausibel.Sie hätte die Zukunftsbilanzen vor allem positiver wir-ken lassen. Kotlikoff widersetzte sich diesem Ansinnenmit dem Ergebnis, dass seit 1996 Generationenbilanzennicht mehr Teil des US-Haushalts sind. Was kann man nun zusammenfassend dazu sagen,was ist das Fazit? Aus wissenschaftlicher Sicht heißtdas, dass es sich bei Generationenbilanzen nicht um einPrognose-, sondern um ein Gedankenexperiment han-delt, das ausdrücklich nicht auf Realitätsnähe angelegtist. Gedanken kann man zwar machen; aber ob man siezum Teil des Haushaltes machen sollte, daran habe ichZweifel. Die Vielzahl methodischer Vorgehensweisenund Zuordnungen bei der Erstellung von Generationen-bilanzen – das habe ich bereits ausgeführt – öffnet zu-dem Manipulationen Tür und Tor. Schwerwiegender als alle methodischen Problemesind jedoch die politischen Bedenken. Die Ergebnissevon Generationenbilanzen würden in der Öffentlichkeitfür bare Münze genommen. Mögliche Fehlschätzun-gen – dieses Konzept impliziert solche Fehlschätzun-gen – hätten einen großen Vertrauensverlust der Bevöl-kerung in die Politik zur Folge. Ich denke, das ist ein un-taugliches Mittel zur Bekämpfung von Politikverdros-senheit.Für die politische Planung sind möglichst konkretePrognosen erforderlich. Das müssten auch Sie als Ar-beitsmarktpolitiker wissen und daraus sollten SieSchlussfolgerungen ziehen. Aber eines muss, so denkeich, erkennbar sein: der Zeitpunkt, zu dem finanzielleBelastungen, insbesondere als Folge der demographi-schen Entwicklung, auf zukünftige Generationen zu-kommen. Eine Generationenbilanz, wie sie bisher praktiziertwird, leistet dies schlichtweg nicht. Ihre Ergebnisse sindlediglich qualitativ verwertbar. Die Grundidee – ichglaube, darin besteht Einigkeit – ist richtig: Wir dürfenes nicht zulassen, heute auf Kosten zukünftiger Genera-tionen zu leben.
Mit anderen Worten: Wer die Substanz einer Volkswirt-schaft verkleinert, schmälert gleichzeitig deren zukünf-tige Erträge.Wir wollen im Interesse der heutigen jungen Genera-tionen die Substanz erhalten. Daher kann es nicht falschUte Kumpf
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sein, Messinstrumente zu entwickeln, die den Wohlstandzukünftiger Generationen prognostizieren. Aber Genera-tionenbilanzen sind nicht seriös und Messinstrumentesind kein Ersatz für Politik.
– Herr Niebel, ich habe mich informiert, vielleicht mehrals Sie.
Ziel der SPD ist, in Zukunft die Nachhaltigkeitunseres Renten- und Finanzsystems sicherzustellen.Heute arbeiten wir daran und wir werden auch nochmorgen daran arbeiten. Entscheidend für zukünftige Ge-nerationen ist, dass sie gute Startbedingungen haben. Zunennen sind in diesem Zusammenhang die Teilhabe anden sozialen Sicherungssystemen zu akzeptablen Bei-tragssätzen, finanzielle Spielräume zum Aufbau einerzusätzlichen Altersvorsorge durch Steuerentlastung undsteuerlich geförderte Vermögensbildung sowie vor allemJobs und eine zukunftssichere Ausbildung.Genau dies tun wir. Diesen Weg beschreiten wir. Wirhalten die Beitragssätze für die Rente auf einem kon-stanten Niveau. Wir haben die Arbeitnehmer und dieArbeitnehmerinnen steuerlich entlastet – dies werdenwir in den nächsten Schritten der Steuerreform fortset-zen – und wir steuern bei der Vermögensbildung in derAltersvorsorge um. Die größte Sorge der zukünftigen Generationen, dieSie in Ihrem Antrag indirekt ansprechen wollen, ist je-doch, von welchem Geld sie heute leben. Dazu brauchensie ausreichend Arbeitsplätze und Qualifikationen, unddie ermöglichen wir ihnen. Danke schön.
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Ralf
Brauksiepe.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da mir das Themawichtig ist, will ich mit einer nicht parteipolitischenBemerkung anfangen. Ich denke, die berechtigten Interessen der jungen Generation verdienen in der zu-künftigen politischen Auseinandersetzung insgesamt ei-ne stärkere Beachtung, als es in der Vergangenheit derFall war.
Ich sage grundsätzlich im Hinblick auf alle Parteien:Alle Parteien haben sich in der Vergangenheit mehr oderweniger schwer getan, im politischen Tagesgeschäft dieeher langfristig ausgerichteten Interessen junger Men-schen zu berücksichtigen. Das liegt sicher nicht zuletztdaran, dass junge Menschen in den Parlamenten nachwie vor unterrepräsentiert sind. Diesbezüglich habenCDU und CSU in der Vergangenheit deutliche Fort-schritte gemacht.
Die Regierungsfraktionen haben mittlerweile etwasnachgezogen, sodass ich die Hoffnung habe, dass sichdies in der Zukunft – anders als in den letzten anderthalbJahren – auch günstig auf Ihre Politik im Interesse derjungen Menschen auswirkt.Natürlich hatte die Politik gerade in den letzten10 Jahren sehr wichtige, nicht unbedingt jugendspezifi-sche Aufgaben gerade im Zusammenhang mit der Wie-dervereinigung Deutschlands zu lösen. Im Zuge dieserWiedervereinigung sind natürlich – das darf man nichtvergessen – gerade in den neuen Ländern erheblicheVermögenswerte neu geschaffen worden. All das, wasnach 40 Jahren real existierendem Sozialismus wiederaufgebaut worden ist, hat eben nicht nur Schulden ge-bracht, sondern auch zu einem deutlichen Zuwachs desVolksvermögens geführt. Es gehört zu jeder seriösen Bi-lanz, natürlich auch zur Generationenbilanz, dass beidesberücksichtigt wird.Ich sage das ganz bewusst vor dem Hintergrund dervon den Regierungsvertretern so gebetsmühlenartigwiederholten Behauptung – wir haben sie auch hier ge-hört –, dass am Ende von 16 Jahren CDU/CSU-geführterBundesregierung ein hoher Schuldenstand zu verzeich-nen sei.
Diese Behauptung ist zumindest irreführend angesichtsder großen Herausforderungen, die wir bei der Bewälti-gung von 40 Jahren Sozialismus zu schultern hatten, undauch angesichts dessen, was in diesem Bereich erreichtworden ist.Lassen Sie mich als jemand, der aus dem Ruhrgebietkommt, folgende Bemerkung machen: Ich bin sicherlichniemand, der der Meinung ist, man sollte im Bereich derSteinkohle mit einem radikalen Schnitt die Kumpel ein-fach auf die Straße setzen. Ich habe aber noch sehr gutin Erinnerung, wie Sie die Menschen auf die Straße ge-hetzt und auf die Barrikaden gebracht haben,
als es darum ging, eine Anschlussregelung für den Koh-lepfennig zu finden. Das heißt: Als es um Subventionenin diesem Bereich ging, haben Sie dagegen protestiert,dass wir Ausgabenkürzungen vornehmen wollten.
Sie haben doch jede einzelne Maßnahme torpediert.Wenn wir uns in den 16 Jahren nach Ihnen gerichtet hät-ten, wären die Schulden, nicht der Vermögensstand heu-te erheblich höher. Wenn wir Ihnen gefolgt wären,müssten wir jetzt über einen ganz anderen Schul-denstand reden.Ute Kumpf
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Die heutige junge Generation will den Generatio-nenvertrag nicht aufkündigen. Ich denke, auch dieseFeststellung ist wichtig. Es geht uns um ein ganz-heitliches Konzept – wie es schon in verschiedenenLändern erfolgreich durchgeführt worden ist –, bei demeben die zeitliche Entwicklung fiskalischer Lasten er-mittelt wird und die Auswirkungen neuer finanz- undsozialpolitischer Entscheidungen transparent gemachtwerden sollen. Das ist der Grundansatz, um den es geht.Diesen Ansatz hat die F.D.P. in ihrem Antrag, wie ichdenke, zu Recht verfolgt. Es ist der Ansatz, den dieCDU/CSU-Fraktion schon im letzen Jahr in einem An-trag formuliert hat und an dem wir als junge Gruppe inunserer Fraktion in Form einer Anhörung und andererInitiativen mitgearbeitet haben. Ich denke im Übrigen, das Erstgeburtsrecht ist garnicht so wichtig, Herr Kollege Niebel. Wir beide warenja nicht dabei.
Ich könnte mir aber vorstellen, dass eine gewisse Reser-viertheit bei unserer Fraktion einfach damit zu tun hat,dass Sie am Rande angesprochen haben, mit den umla-gefinanzierten sozialen Sicherungssystemen könne esnicht so weitergehen. Da bestand vielleicht bei unsererFraktion einfach der Verdacht, Sie wollten dieses Ana-lyseinstrument dazu nutzen, etwas über Bord zu werfen,an dem wir im Grundsatz festhalten. Ich könnte mir vor-stellen, dass das eine Rolle gespielt hat.
Es ist wichtig, dass wir die Generationensolidaritätgerade vor dem Hintergrund der demographischen Ent-wicklung neu definieren, um zu neuen Antworten imSinne einer Stärkung der Generationensolidarität zukommen. Das ist im Übrigen auch die Position fast allerJugendverbände in diesem Bereich. Die Jugendverbändewollen keinen Kampf zwischen den Generationen. Siewollen diese Solidarität unter veränderten Rahmenbe-dingungen neu definieren. Da kann die Generationenbi-lanz wichtige Anhaltspunkte geben.
Natürlich – um auf die Kollegin von der SPD einzu-gehen – haben solche Bilanzen begrenzte Aussagekraft,wie übrigens jede staatliche Haushaltsrechnung, wie je-des fiskalische Konzept. Das ist kein spezielles Problemvon Generationenbilanzen.Die Probleme traditioneller Konzepte liegen auf derHand. Der staatliche Finanzierungssaldo sagt nichts überdie Umverteilung zwischen Jung und Alt und nichts über die für die Zukunft eingegangenen Verpflichtun-gen, also über die so genannte unsichtbare Staatsschuld,aus. Das ist darin nicht enthalten.Es gibt unterschiedliche Studien. Wie so häufigkommen die unterschiedlichen Studien auch zu unter-schiedlichen Ergebnissen. Ich will aber doch festhalten,dass die Unterschiede in den Ergebnissen nicht in dergroben Richtung liegen, sondern in bestimmten Tenden-zen. Die grobe Richtung ist eigentlich klar. Es stellt sichbei diesen Studien immer wieder heraus, dass zukünftigeGenerationen in Deutschland mit bereits eingegangenenVerpflichtungen sehr hoch belastet sind. Vor diesemHintergrund ist es notwendig, die Weichen für die Zu-kunft so zu stellen, dass aus den schon jetzt sehr hohenBelastungen nicht unerträglich hohe Belastungen mit derFolge werden, dass der Generationenvertrag von derjungen Generation insgesamt in Frage gestellt wird.Ich glaube, in der Vergangenheit hat die Politik zuhäufig danach getrachtet, neue Einnahmemöglichkeitenzur Finanzierung sozialer Sicherungssysteme zu finden,und weniger darüber nachgedacht, durch immanente Re-formen diese Systeme zukunftsfähig zu machen.
Ich will in diesem Zusammenhang zum Thema Renteeines sagen: Sie rühmen sich, dass Sie die Beitragssätzein der Rentenversicherung gesenkt hätten. Sie wissen je-doch genauso gut wie jeder andere in diesem Hause,dass das nichts anderes ist als Augenwischerei, denn Siehaben in die eine Tasche hineingesteckt, was Sie aus deranderen Tasche, mit Ihrer so genannten Ökosteuer he-rausgenommen haben.
Das ist das, was Sie gemacht haben, wodurch Sie vorü-bergehend eine Beitragssatzsenkung erreicht haben. Esist ein reiner Verschiebebahnhof. Es ist aber nicht nurdas: Wenn Sie behaupten – das tun Sie ja –, dass wir ei-ne bestimmte Umweltbelastung brauchen, um über dieEinnahmen aus der Ökosteuer die Rentenversicherungfinanzieren zu können, dann sagen Sie damit umgekehrt:Wir brauchen diese Umweltbelastung weiterhin, weilnur dann die Renten sicher sind. Damit versündigen Siesich an dem Gedanken der ökologischen Zukunftssiche-rung.
Das ist ein wichtiger Gedanke, der auch zur Generatio-nensolidarität gehört. Den diskreditieren Sie, wenn Siesagen: Wir sind auf dieses finanzielle Volumen ange-wiesen, um auf diese Weise die Renten zu finanzieren.So stellen wir uns eine Generationenbilanz und die poli-tischen Schlüsse daraus nicht vor.Lassen Sie mich auf eines abschließend hinweisen,weil ich glaube, dass darüber auch Konsens besteht. Ei-ne Generationenbilanz ist natürlich kein Politik-Ersatz.Aus der Generationenbilanz sind keine konkreten politi-schen Maßnahmen abzuleiten. Deswegen wundert esmich, dass Sie die Bilanz als solche schon scheuen. Sieist kein Politik-Ersatz, aber sie schafft Transparenz fürdie Folgen bestimmter politischer Maßnahmen, diffe-renziert nach einzelnen Generationen. Diese Transpa-renz wollen wir, und wir wollen Maßnahmen, die denInteressen der unterschiedlichen Generationen gerechtwerden. Je eher wir dazu kommen, desto besser ist es fürDr. Ralf Brauksiepe
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alle Generationen und gerade auch für das Miteinandervon Jung und Alt.Vielen Dank.
Das Wort hat nun
die Kollegin Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.
FrauPräsidentin! Liebe Schriftführer! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich selber bin Schriftführerin und finde esganz nett, wenn man auch einmal wahrgenommen wird.
Wir alle wissen – darin sind wir uns sicherlich ei-nig –: Es ist ungerecht, wenn wir auf Kosten zukünftigerGenerationen leben. Das gilt in der Haushaltspolitik, inder Finanzpolitik und in der Ökologie genauso wie inder Ökonomie. Gerade wir Grüne haben dieses Anliegender nachhaltigen Entwicklung und der Generationen-gerechtigkeit über zwei Jahrzehnte hinweg eingebracht,immer wieder verteidigt und sind damit durch alle Insti-tutionen marschiert. Unser Motto war: Wir haben dieErde von unseren Kindern nur geborgt. Das war unserLeitprinzip, unser Leitspruch, dessentwegen wir jahre-lang verhöhnt wurden, den wir über die Jahre hinwegaber immer wieder verteidigt haben.Nun setzen wir gerade dieses Denken an diesemPunkt in praktisches Regierungshandeln um.Die Idee einer Generationenbilanz, wie Sie sie hiervorgebracht haben, ist in diesem Sinne eigentlich allesandere als neu. Es ist ein sehr richtiger Ansatz, ein wich-tiger und unterstützenswerter Ansatz – das gebe ich zu –; allerdings bringt uns das Ganze nur dann etwas,wenn wir es in einem Gesamtkonzept verbunden sehenkönnen und als ein Gesamtkonzept betrachten können.Aber davon sind Sie in der F.D.P. mit Ihrem Vorschlagleider etwas entfernt.
Sie berufen sich auf die Generationenbilanz der Bun-desbank. Ich denke, Sie hätten sich die Schwachstellen,die von der Bundesbank selber angeführt werden, ge-nauer anschauen sollen. Hätten Sie das getan, hätten Siediesen Vorschlag so nicht eingebracht. Gerade die Bun-desbank legt nämlich Wert auf die Feststellung, dass dieUmsetzungskonzepte, die wir derzeit haben, in der Ge-nerationenbilanz auch massive Nachteile mit sich brin-gen. Das ist zum einen, dass sie manipulierbar ist, dasssie in ihrer Aussagekraft etwas begrenzt ist und das istzum anderen das Hauptproblem dieses Ansatzes, dasswir gegenwärtige Entwicklungen einfach linear fort-schreiben.Was heißt das? Das heißt Folgendes: Wenn wir zumBeispiel ein Basisjahr nehmen – Sie schlagen ja das Ba-sisjahr 1996 vor – und das über Jahrzehnte hinweg fort-setzen, dann bedeutet das, dass wir die Einmaligkeit vonbestimmten Faktoren von Belastungen auch über Jahr-zehnte hinweg kontinuierlich fortsetzen. Für das Jahr1996 – also das Basisjahr, das Sie vorschlagen – heißtdas, dass sich bestimmte Konjunkturflauten, bestimmteMaßnahmen auch in diesem Sinne fortsetzen. Geradedas Jahr 1996 war solch ein Jahr, in dem eine Konjunk-turflaute stattgefunden hat. Gerade das Jahr 1996 warein Jahr, in dem sich die Belastungen der deutschenEinheit massiv niedergeschlagen haben. In der Fortent-wicklung über 10, 20, 30 Jahre hätten wir dann also ir-gendwann einmal ein Horrorszenario, auf dem wir dannunsere Politik aufbauen sollten. Im Gegensatz dazu, wenn wir zum Beispiel das Jahr 2von Rot-Grün als Grundlage nähmen, also das Jahr2000,
hätten wir dann doch wirklich um einiges rosigere Wer-te. Das wäre doch eine Sache!
Bei vielen Faktoren, die für die zukünftige Entwick-lung entscheidend sind, sind wir in der Tat auf mancheFormen von Spekulationen angewiesen. Zum Beispielin der Gesetzesfolgenabschätzung müssen wir dann,wenn wir Regeln aufstellen, natürlich gewissermaßenauch hantieren. Wir können nicht alles genau voraussa-gen. Aber gerade in der Haushaltsstatistik taugen Speku-lationen doch nichts. Kaffeesatzlesen können wir nicht,Hellsehen können wir auch nicht, auch mit der Kugel –da haben Sie sich mit Ihrem Zwischenruf geirrt, HerrKollege – können wir nicht hellsehen. Deshalb könnenwir all das gerade in der Haushaltsstatistik nur begrenzteinsetzen.Nun gibt es in der Tat Länder, die schon eine Art Ge-nerationenbilanz haben – zum Beispiel Norwegen. Aberauch dort müssen wir unsere Augen aufhalten und dür-fen uns nicht an Mogelpackungen orientieren. GeradeNorwegen führt seine gigantischen Einnahmen ausNordseeöl und aus Nordseegas in seine Generationenbi-lanz ein. Da wissen wir aber auch, dass die Einnahmenaus diesen Bereichen vielleicht noch 15 Jahre, vielleichtauch noch 20 Jahre reichen werden. Aber das, was da-nach in der Fortschreibung passiert, ist offen. Ich denke,das kann für uns kein Orientierungspunkt sein, weil die-se Bilanz doch sehr unkorrekt wäre. Was ist aber, wenn wir solche Maßnahmen haben –Sie sprechen das ja so schön an –, die gerade die Zu-kunftschancen der kommenden Generationen unter-stützen und fortschreiben? Das ist zum Beispiel der Be-reich Ausstieg aus der Atomenergie, Einstieg in alterna-tive Energien, wodurch ja auch die Zukunftstechnolo-gien gefördert werden, wodurch auch in diesem gesam-ten Bereich der Wirtschaft etwas zusammengebaut wirdund wodurch auch für unsere Generation ein Stück weitZukunft und auch ein Stück weit Lebensqualität ökono-misch und ökologisch verbessert werden. Gerade dasmüssen wir doch mit hineinnehmen, aber das sind dieDr. Ralf Brauksiepe
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Folgen von politischen Entscheidungen, die man dochso weit überhaupt nicht vorhersehen kann. Daran sehen Sie auch, dass wir diesem Vorschlag imGroßen und Ganzen sehr offen gegenüberstehen. Des-halb unterstützen wir auch gerade in diesem Bereich dieForschung und die Fortentwicklung. Deshalb wollen wirauch, dass das Ganze so umgesetzt werden kann, dass esrealistisch und pragmatisch ist. Aber das, was wir brau-chen, sind nicht einfach irgendwelche Sonntagsreden,sondern es sind vernetzte Konzepte, ganzheitliche Kon-zepte in der Wirtschafts-, in der Sozial-, in der Umwelt-politik, in der Ökonomie wie in der Ökologie. Genau dasbrauchen wir und genau das bietet uns Ihr Modell der-zeit nicht.Einen Punkt möchte ich noch erwähnen. Die Politikist sehr an ein lineares Denken gewöhnt. Gerade Siesollten wissen, dass man in der Wirtschaft sehr oft Spiel-theorien benutzt und auch als Entscheidungsgrundlagenimmt. Das lernen wir in der BWL und das haben auchSie sicherlich in Ihren Ausbildungen gelernt.
Ich empfehle Ihnen, einmal einen Kurs in Kybernetikoder systemischem Denken zu machen oder Ökopoly zuspielen. Das gibt es inzwischen sogar in der Computer-version. Dann würden Sie feststellen, dass Ihre Propa-ganda gegen die Ökosteuer schlichtweg unsinnig ist.
Kurz gefasst: Die Methode, die Sie derzeit vorschla-gen, ist eigentlich recht banal.
Aber dass wir ein Problem mit dem Generationenvertraghaben, wissen wir. Gerade dieser Frage stellen wir uns.
Wir debattieren darüber in der Haushaltspolitik, in derFinanzpolitik und in der Rentenpolitik. Aber wir holenin der Tat nicht das Blaue vom Himmel herunter undmachen den Leuten keine Versprechungen, die wir nichthalten können.Zum letzten Punkt. Die Grundannahme in Ihrem An-trag – auch das muss ich hier festhalten – stimmt nicht.Sie sagen zum Beispiel zu Beginn Ihres Antrages: DieArbeitslosigkeit steigt. Mit Verlaub, Herr Niebel: DieArbeitslosigkeit sinkt. Das haben uns die Statistiken ge-zeigt.
Sie wird unter dieser Regierung auch immer weiter sin-ken.
Es wird Zeit, dass Sie in der Wirklichkeit ankommen.Gerade Sie, Herr Kollege Niebel, sollten die Statistikenganz gut lesen können, denn Sie kommen ja aus derBranche.Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Ihr Antrag,Herr Kollege Niebel, der der F.D.P.-Fraktion, ist sicher-lich sehr gut gemeint. Aber sein Ansatz ist in gewisserForm abgekupfert.
Er ist inhaltlich so nicht umsetzbar, weil er nicht realis-tisch und schlichtweg schlecht ist. Deshalb ist meineBeurteilung: ein schlichtes Blendwerk und in diesemSinne ein echter Niebel.
Ich möchte alle Kol-
leginnen und Kollegen, die jenseits der Statistik an die-
sem Thema interessiert sind, auf die umfangreichen Be-
richte und Erfahrungen der Enquete-Kommission „De-
mographischer Wandel“ des Deutschen Bundestages
hinweisen. Darin steht eine ganze Menge von dem, was
hier heute diskutiert wird.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Klaus Grehn.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Kollege Niebel, dasWegweisende in Ihrem Antrag habe ich nicht erkennenkönnen.
Ich meine, der vorliegende Antrag ist eher ein taubesPflänzchen im Garten der parlamentarischen InitiativenIhrer Fraktion. Die Anwesenheit Ihrer Fraktion scheintdafür schon ein Symptom zu sein.
Die Forderung nach einer Generationenbilanz zurGuillotine für sozialpolitische Reformvorhaben zu ma-chen, Kollege Niebel, ist absurd. Im zweiten Absatz derBegründung des Antrages wird dann auch die Katze ausdem Sack gelassen: Es geht um die Kürzung der Alters-sicherung und die Abschaffung des Umlageverfahrens.
Der angeblich viel zu teure Wohlfahrtsstaat belastetdie F.D.P.-Kinder und -Enkel allzu sehr. Die Fraktion der PDS wird allen Versuchen ent-schieden entgegentreten, den Staat aus seiner Veran-wortung für die Wohlfahrt aller Bürgerinnen undBürger zu entlassen.Ekin Deligöz
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Es ist dies sogar seine vorrangigste Aufgabe. Wenn esdenn ein Generationsproblem gibt, dann besteht es darin,dass als Folge des Rückzuges von Unternehmen aus ih-rer Verantwortung einerseits für die Jugend immer we-niger Ausbildungs- und Arbeitsplätze zur Verfügung ge-stellt werden und andererseits immer mehr und immerjüngere ältere Arbeitnehmer aus dem Arbeitsprozessausgesondert werden.Zu Recht werden von diesem Hause gegensteuerndeEntscheidungen erwartet. Es ist moralisch zutiefst ver-werflich, dem Bürger immer dann mit mehr angeblicherEigeninitiative und weniger Staat zu kommen, wenn esschlichtweg um seine berechtigten Ansprüche geht.Wenn der Staat wegen einer falschen Finanz- und Steu-erpolitik, einer kinderfeindlichen Familienpolitik, einerUmverteilung von unten nach oben und Steuergeschen-ken an die falsche Adresse immer weniger Geld zur Er-füllung seiner Fürsorgepflicht hat, so lässt sich das nichtmit der altersmäßigen Zusammensetzung der Bevölke-rung übertünchen.Die PDS hat ausreichend viele Vorschläge unterbrei-tet, wie das Defizit in den Kassen ausgeglichen werdenkann. Wir sind gerne bereit, dazu Seminare durchzufüh-ren, um Ihnen die Gedanken nahe zu bringen.
Wir werden uns niemals mit dem Gedanken anfreun-den, die Menschen dafür zu bestrafen, dass sie älterwerden, oder das Altsein den Jüngeren als Last zu sug-gerieren.
In der Tat, Kollegin Kumpf, Nostradamus und dieSchatten der Zukunft scheinen die Kollegen von derSPD dazu zu bringen, für das Heute und die heute Le-benden das Falsche zu fordern. Es wird Zeit, dass wiraufhören, uns selbst und unseren Kindern einen Genera-tionenkonflikt einzureden, wenn wir Unzulänglichkeitenund Fehlleistungen der Regierenden meinen. JungenMenschen einzureden, dass ihre Arbeitslosigkeit, dasAusbleiben von Förderung, ihre Perspektivlosigkeit undgesellschaftliche Missachtung damit zusammenhängen,dass ihre Eltern und Großeltern zu alt werden und zuviel Geld für sich verbrauchen, ist eine moralische Untatund eine Lüge.
Wenn man schon fiskalische Vergleiche anstellt, Kol-lege Niebel, dann muss man festhalten: Es ist nicht so,dass die Seniorinnen und Senioren nur Nehmende des-sen sind, was die arbeitenden Jüngeren an Sozialabga-ben abführen. Zumindest als konsumfreudige Nachfra-ger schaffen und erhalten sie Arbeitsplätze. Das Umla-geverfahren und der Generationenvertrag waren auchschon in Kraft, als die Älteren noch berufstätig waren.Sie haben sich die Alterssicherung verdient; sie ist zu-tiefst moralisch und gerecht.Natürlich muss man die Belastung des einzelnen Ar-beitnehmers durch Steuern und Sozialabgaben in ver-tretbaren Grenzen halten. Das gilt für heute genauso,wie es für die künftigen Generationen gilt. Ich habe imÜbrigen Vertrauen in meine Enkel, dass sie sich eineRegierung wählen, die das besser und gerechter regelnwird, als es in der Vergangenheit geschehen ist.Die Kollegen von der F.D.P. haben sich Sorgen umdie finanzielle Belastung der noch nicht Geborenen ge-macht. Sie hätten sich besser Gedanken darüber ge-macht, wie es heute den Eltern, insbesondere den Müt-tern, dieser Kinder geht. Vernachlässigt man diese Über-legungen, dann werden die Kinder nämlich gar nicht erstgeboren oder sie wachsen ohne soziale Sicherheit sowieohne Bildung und Ausbildung auf und sind die Arbeits-losen von morgen.Dafür zu sorgen, dass all das nicht zutrifft, darin be-steht die Aufgabe dieses Parlaments. Wir können unend-lich viel dafür tun, den kommenden Generationen eineintakte und gerechte Welt zu überlassen. Die Abschaf-fung oder Reduzierung von Fürsorge und Wohlfahrt ge-hört nicht dazu, das Schüren von Missgunst und Neid,das Herbeireden von Konflikten zwischen Kindern, El-tern und Großeltern genauso wenig.
Jetzt hat das Wort
die Kollegin Birgit Schnieber-Jastram, CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsi-dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich ei-nes aus dieser Debatte mitnehmen darf, dann ist es, liebeFrau Kumpf, dass Sie heute den ersten Rückzug ange-kündigt haben;
denn ich kann mich gut an die Aussagen des Ministerserinnern, die er vor kurzem in der Debatte zur Generati-onenbilanz gemacht hat. Dort hat er sich sehr positiv ge-äußert. Sie haben eben gesagt, er sei manchmal zu nettzu uns.
Zunächst einmal stimmt das nicht, aber wenn es inder Frage so gewesen sein sollte, dann bereiten Sie, wiegesagt, jetzt den Rückzug vor.Frau Deligöz, ein bisschen habe ich schon den Ein-druck, dass die Grünen eingenordet wurden, dass siewieder einmal vom Thema der Nachhaltigkeit, das sielange Zeit sehr positiv besetzt haben, abgekommen sind.Dr. Klaus Grehn
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Sie sind regierungstreu. Sie sagen jetzt auch hier: Wirsind zwar im Prinzip offen, aber noch lieber nicht, undwir müssen alles noch lange überlegen.
Das Thema der Generationenbilanz ist, glaube ich,viel zu wichtig, Frau Kumpf, als dass wir uns darüberstreiten sollten. Die Zahlen sind noch einmal sehr deut-lich geworden; die Studie der Deutschen Bundesbank isterwähnt worden. Es gibt eine umfangreiche Forschung.Alle Zahlen machen eines deutlich: Wir müssen die Be-lastung für die nachfolgende Generation drastisch ab-bauen und langfristig eine ausgeglichene Generationen-bilanz erreichen. Herr Dr. Grehn, das hat mit dem, was Sie hier gesagthaben, wirklich überhaupt nichts zu tun. Vielmehr glau-be ich, dass dieses Handeln in Verantwortung vor allenGenerationen notwendig ist. Wir dürfen die finanziellenLasten nicht länger auf die Kinder abschieben. LassenSie uns in diesem Bereich schnell und klar handeln!
Deswegen haben wir damals unseren Antrag einge-bracht. Wir freuen uns darüber, Herr Niebel, dass dieF.D.P. jetzt einen Vorschlag eingebracht hat; denn da-durch haben wir einmal mehr Anlass, uns im zuständi-gen Ausschuss wirklich zu überlegen: Wie gehen wirmit diesem Thema um? Wie führen wir es einer Lösungzu? Wie können wir dafür sorgen, dass wir auf diesemGebiet weiterkommen und uns mit dem Thema nicht nurverbal auseinander setzen?Eines muss doch wirklich ganz klar sein: Das Ziel derGenerationengerechtigkeit und das Ziel der Nachhal-tigkeit in der Alterssicherung können nur im Konsensaller Parteien erreicht werden.
Das ist übrigens auch der Grund gewesen, warum wirdamals auf die Regierung zugegangen sind und Verhandlungen über einen Rentenkonsens angeboten haben.
Ich sage es noch einmal ganz deutlich: CDU und CSUwollen einen Kompromiss mit der Regierung in derRentenfrage. Mit diesem Ziel sind wir in die Rentenge-spräche gegangen. Dazu stehen wir nach wie vor. Aller-dings akzeptieren wir, Frau Lotz, nur einen soliden Ren-tenkompromiss, der die Alterssicherung langfristig ga-rantiert und gleichzeitig den Beitragssatz in vernünftigenGrenzen hält. Nur so ist Gerechtigkeit zwischen den Ge-nerationen herzustellen und nur so kann eine Akzeptanzder gesetzlichen Rentenversicherung durch die jüngereGeneration, die uns am Herzen liegen muss, erreichtwerden.
Ich muss Ihnen leider sagen: Sie betreiben bisher kei-ne Politik der Nachhaltigkeit und der Generationenge-rechtigkeit.
Ich will Ihnen das gerne auch anhand von einigen Bei-spielen beweisen.Erstes Beispiel. Mit der von Ihnen beschlossenenRente nach Kassenlage vermengen Sie die problemati-sche Situation der Rentenversicherung mit der aktuellenHaushaltslage.
Es wird gespart, ohne eine echte Strukturreform in derRentenversicherung in Angriff zu nehmen. Das ist keinePolitik der Nachhaltigkeit.
Erinnern Sie sich doch noch einmal: Wir haben Sie beider Verabschiedung des Haushaltssanierungsgesetzes imletzten Jahr gewarnt und gesagt: Die Rente nach Kassen-lage ist willkürlich und unberechenbar. Aber Sie habenschon damals nicht auf uns hören wollen. Heute erntenSie die Früchte Ihrer eigenen falschen und unsozialenPolitik.
Was stellt sich denn jetzt heraus? Die Rentner be-kommen in diesem Jahr noch nicht einmal einen Aus-gleich für die Inflationsrate.
Die Rentenanpassung zum 1. Juli 2000 wird deutlich ge-ringer ausfallen als der Anstieg der Verbraucherpreise indiesem Jahr. Die Rentner bekommen eine Rentenerhö-hung, die 1 Prozent niedriger liegt, als ihnen zugesagtwar. Das macht, da beißt die Maus keinen Faden ab, cir-ca 240 DM Verlust im Jahr pro Rentner aus. Das ist einherber Verlust.
Was stellt sich weiter heraus? Das den Rentnern auf-erlegte Sparopfer bringt noch nicht einmal die erwarte-ten Einsparungen im Haushalt der Rentenversicherung.
VdK-Präsident Hirrlinger sagt dazu: Riester habe Be-rechnungen in die Welt gesetzt, die vorne und hintennicht stimmen. – Sogar Kollegen aus Ihren eigenen Rei-hen schimpfen. Und der DGB – wahrlich eine nicht uns,sondern eher Ihnen nahe stehende Vereinigung – bringtes auf den Punkt: Es wäre gescheiter gewesen, diesen willkürlichenEingriff zu unterlassen – zumal er unnötig war.Recht hat der DGB an dieser Stelle. Birgit Schnieber-Jastram
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Damit aber nicht genug: Längst ist klar, dass Sie IhrVersprechen nicht halten können, im Jahre 2002 zurnettolohnbezogenen Rente zurückzukehren. Jetztsuchen Sie nach neuen Wegen und wollen die Rentnerbelasten, indem Sie die Nettolöhne neu definieren, imÜbrigen ohne die junge Generation zu entlasten.
Sie werden nicht darum herumkommen, bezüglich derRente die Frage zu beantworten, wie Sie mit der demo-graphischen Entwicklung umgehen wollen,
damit der Sozialstaat auch für unsere Kinder langfristigbezahlbar bleibt.Ich möchte ein zweites Beispiel nennen – ich halte esfür sehr wichtig, das zu sagen –: Die im Bündnis für Ar-beit wiederbelebte „Rente mit 60“ ist ebenfalls ein An-schlag auf die Generationengerechtigkeit. Die Auswei-tung der Möglichkeiten eines vorzeitigen Rentenbeginnsist das völlig falsche Signal, weil hierdurch der Genera-tionenkonflikt verschärft wird. Junge Arbeitnehmermüssen in einen Fonds einzahlen, obwohl sie selber da-von nie profitieren können. Das Geld wird für zweifel-hafte Frühverrentungsprogramme
anstatt zur langfristigen Sicherung von Rentenansprü-chen der jüngeren Generation genutzt.
Die Signale sind verheerend: Bei den Arbeitgebernentsteht der Eindruck, der über 50-Jährige stehe bereitskurz davor, ein sozialpolitischer „Entsorgungsfall“ zuwerden. So schaden Sie mit der Förderung der Frühver-rentung sowohl den jüngeren wie auch den älteren Ar-beitnehmern.
Weiterbildung mit 50 ist wichtiger als Rente mit 60.
In diesem Zusammenhang kann man nur begrüßen,dass die Tarifparteien der Chemieindustrie in ihrer jetztgetroffenen Vereinbarung auf die Einführung der „Rentemit 60“ verzichtet haben
und stattdessen ein sinnvolles Altersteilzeitmodell favo-risiert haben.
Das ist noch ein Beispiel dafür, dass Ihre Politik nichtauf Nachhaltigkeit angelegt ist. Sie rühmen sich immerdamit, den Beitragssatz in der Rentenversicherung abge-senkt zu haben.
Die Absenkung des Beitragssatzes war aber nicht des-wegen möglich,
weil Sie eine grundlegende Strukturreform auf den Weggebracht haben; sie war nur möglich, weil Sie Einnah-men aus der Ökosteuer in den Bundeshaushalt gepumpthaben.
Dabei übersteigt der Bundeszuschuss schon jetzt
die Höhe der versicherungsfremden Leistungen in derRentenversicherung.
Damit auch diese Zahlen klar sind, will ich ein Wortzu den Belastungen der Rentner aufgrund der Ökosteu-er sagen. Das sind nach soliden Berechnungen im Jahr2000 389 DM,
im Jahr 2001 479 DM, im Jahr 2002 569 DM und imJahr 2003 659 DM zusätzliche Belastung für den norma-len Rentner.
Das sage ich, damit hier ganz klar wird, dass das nichtan den Rentnern vorbeigeht.
Lassen Sie uns gemeinsam vernünftig darüber nach-denken, wie wir mit dem Thema der Generationenbilan-zen umgehen, damit wir ein klares Kriterium dafür ha-ben, vor welchem Horizont wir uns bewegen, welcheSpielräume wir in der Sozialpolitik haben.
Verdrängen Sie das nicht! Sie werden es sehr bereuen,wenn Sie an dieser Stelle sagen: „Das wollen wir nicht“, Birgit Schnieber-Jastram
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8941
weil Sie am Ende immer Rechenschaft über Ihre eigenenVersprechungen ablegen müssen, die Sie in allen Wahl-kämpfen und auch hier und heute immer wieder ge-macht haben.
Ich
schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überwei-
sung der Vorlage auf Drucksache 14/1758 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz
der Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopp-
lung
– Drucksache 14/2765 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
– Drucksache 14/3007 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Volker Jung
Es liegen vier Änderungsanträge der Fraktion der
PDS vor. Über den Gesetzentwurf und einen Ände-
rungsantrag der Fraktion der PDS werden wir nachher in
namentlicher Abstimmung entscheiden.
Weiterhin liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich hö-
re keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Volker Jung von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Der heute zur Beschlussfas-sung vorliegende Gesetzentwurf enthält ein Überbrü-ckungsprogramm für besonders gefährdete Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, dem alsbald ein Gesetzzum Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung folgen soll.Denn die gekoppelte Erzeugung von Strom und Wärmeist eine ökologisch wertvolle und wirtschaftliche ver-nünftige Energieerzeugungsart, die in der Vergangenheitdeshalb auch massiv politisch gefördert worden ist.
Wenn ihre Wirtschaftlichkeit wegen des dramati-schen Preisverfalls auf dem Strommarkt gegenwärtig in-frage steht, so ist dies das Ergebnis eines ungezügeltenWettbewerbs und mangelnder Vorsorge bei der Gesetz-gebung, ein für unsere Energiepolitik inakzeptabler Zu-stand, dem abgeholfen werden muss.Der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung wurde nichtzuletzt von der alten Bundesregierung, aber auch vonden Landesregierungen über Jahrzehnte hinweg mitstaatlichen Milliardenprogrammen gefördert. Dass dieälteren KWK-Anlagen in der öffentlichen Versorgungdie am wenigsten wirtschaftlichen sind und vorwiegendmit heimischer Steinkohle befeuert werden, ist auch keinZufall, denn ihre Förderung hat etwas mit der Kohlevor-rangpolitik der alten Bundesregierung zu tun, die wir alsOpposition allerdings auch nachdrücklich unterstützthaben.
Wir wollen diese Anlagen, die in der gegenwärtigenNiedrigpreisphase ineffizient geworden sind, nicht län-ger an den Netzen halten, als es aus ökologischen undökonomischen Grünen unbedingt erforderlich ist. Wirbekennen uns zu dem Strukturwandel, der durch denWettbewerb vorangetrieben wird. Deshalb legen wir un-ser Überbrückungsprogramm auch degressiv an undbegrenzen es zeitlich. Aber die Betreiber müssen wenigstens die Chance er-halten, diese Anlagen, die von einem Tag auf den ande-ren unwirtschaftlich geworden sind, unter vernünftigenRahmenbedingungen zu modernisieren, effizienter zugestalten oder auch zu ersetzen. Es macht ökologischüberhaupt keinen Sinn, KWK-Anlagen, die in geschütz-ten Märkten für einen relativ genau abschätzbaren Wär-mebedarf und Stromabsatz konzipiert wurden, stillzule-gen, den Strom aus billigeren Quellen zu beziehen undzur Bereitstellung des Wärmebedarfs in unseren Nah-und Fernwärmesystemen neue Heizkraftwerke zu bauen,die den Energieverbrauch erhöhen und unsere CO2-Bilanz verschlechtern.
Es macht auch ökonomisch überhaupt keinen Sinn, den Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung in einem Jahrzehnt verdoppeln zu wollen – wie es die Euro-päische Union zum Ziel erhoben hat, was von der altenBundesregierung unterstützt wurde und auch von unse-rer Bundesregierung erst kürzlich wieder bekräftigtworden ist –, wenn man jetzt erst einmal einen großenTeil dieser Anlagen vom Netz gehen lässt, insbesondereangesichts der Tatsache, dass sich ein Teil der Anlagennach der gegenwärtigen Marktbereinigungsphase beiwieder ansteigenden Strompreisen, wovon jeder Fach-mann ausgeht, am Ende durchaus rechnen würde.Das ganze Ausmaß des Dilemmas wurde deutlich, alsder Wettbewerb mit Kampfpreisen auf Grenzkostenba-sis, teilweise sogar mit Dumpingpreisen auf demStrommarkt begann. Wenn man die Ausführungen inunserer Anhörung und auch die Ergebnisse der Studien,Birgit Schnieber-Jastram
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8942 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
die inzwischen vorliegen, ordentlich analysiert, dannstellt man fest, dass fast alle zu dem Ergebnis kommen,dass die Preisnachlässe für Haushaltskunden bei rund10 Prozent, für Gewerbekunden bei 30 Prozent und inder Industrie bei mehr als 40 Prozent liegen. Das hat fatale Folgen: Diese Preisnachlässe haben die indexierten Einspeisevergütungen für erneuerbare Energien unter die Wirtschaftlichkeitsgrenze gedrückt.Die Banken haben inzwischen die Kredite verweigert,Anlagenbestellungen wurden storniert und die Anla-genhersteller drohten in Existenznot zu geraten. Das ha-ben wir mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz korri-giert.
Die Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen in der allgemei-nen Versorgung, die anlagenspezifisch mit Stromgeste-hungskosten von 8 bis 15 Pfennig pro Kilowattstundearbeiten, müssen heute mit durchschnittlichen Stromlie-ferpreisen konkurrieren, die von mehr als 14 Pfennig auf 6 Pfennig je Kilowattstunde und weniger gefallensind. Sie sind allesamt in ihrer Existenz bedroht. Die industrielle Kraft-Wärme-Kopplung, die wegen ihreshohen und kontinuierlichen Prozesswärmeabsatzes betriebswirtschaftlich sehr viel rentabler arbeitet, aber mit Industriestrompreisen von 4 bis 5 Pfennig kon-kurrieren muss, ist inzwischen ebenfalls in diesen Soggeraten.Meine Damen und Herren, wenn es nach mir gegan-gen wäre, dann hätten wir die industrielle Kraft-Wärme-Kopplung in unser Überbrückungsprogramm einbezo-gen, allerdings mit deutlich niedrigeren Fördersätzen.Denn eine formale Gleichbehandlung der industriellenKraft-Wärme-Kopplung würde bei den beschriebenenbetriebswirtschaftlichen Vorteilen zu einer faktischenUngleichbehandlung der Kraft-Wärme-Kopplung in derallgemeinen Versorgung führen. Aber leider haben wiruns da nicht durchsetzen können. Dies muss einer An-schlussregelung vorbehalten bleiben.Es ist uns lediglich gelungen, den Teil der industriel-len Kraft-Wärme-Kopplung, der Strom für die allgemei-ne Versorgung von Letztverbrauchern liefert, in unserÜberbrückungsprogramm einzubeziehen. Das ist wichtiggenug, denke ich: Das wird in Ostdeutschland mehrereTausend Arbeitsplätze retten, die heute akut bedrohtsind.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine Be-merkung zu den Eckpunkten unseres Gesetzentwurfesmachen. Wir wollen alle Kraft-Wärme-Kopplungsan-lagen der allgemeinen Versorgung auf der Basis vonBraun- und Steinkohle, Gas, Öl und Abfall einbezie-hen – Kernenergie gehört ausdrücklich nicht dazu –, dieam 1. Januar 2000 am Netz waren. Es werden auch die-jenigen Anlagen in die Förderung einbezogen, die be-reits bestellt, aber noch nicht geliefert worden sind. Dashat sich als notwendig erwiesen, um Ersatzinvestitionenin moderne Anlagen nicht zu gefährden.Wir wollen die Förderung auf Unternehmen be-schränken, die mehr als 25 Prozent der installierten Leis-tung durch Kraft-Wärme-Kopplung erzielen und mehrals 10 Prozent KWK-Strom auskoppeln. Es wird an-genommen, dass unterhalb dieser Grenze der unter-nehmerische Spielraum ausreicht, um KWK-Anlagendurch betriebswirtschaftliche Maßnahmen am Netz zuhalten. Wir wollen eine Einspeisevergütung von anfänglich9 Pfennig pro Kilowattstunde festlegen, wobei 3 Pfennigauf die vorgelagerte Netzebene umgelegt werden können. Die Vergütung sinkt jährlich um einen hal-ben Pfennig. Diese Vergütungssätze werden zu ei-nem geringfügigen Anstieg der Strompreise um rund0,25 Pfennig führen. Bei den derzeitigen Preiseinbrü-chen ist das eine durchaus vertretbare Größenordnung. Das jetzt vorliegende Gesetz wird uns eine Atempau-se verschaffen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.Wenn wir uns daranmachen, noch in diesem Jahr eineAnschlussregelung zu entwickeln, dann werden wir beieiner Reihe von Ansatzpunkten sicherlich umdenkenmüssen. Der Marktdruck soll nach unserer Auffassungerhalten bleiben, um alle Potenziale zur Effizienzstei-gerung auszuschöpfen. Darum kommt nur eine wettbe-werbskonforme Lösung infrage. Nach meiner Überzeu-gung erfüllt eine Quotenregelung mit einem Zerti-fikathandel diese Anforderung am besten.
Wir wollen alle Anlagen in das Fördersystem einbe-ziehen, also auch die industrielle Kraft-Wärme-Kopplung, weil hier die größten Wachstumspotenzialeim Wärmemarkt liegen. Das ist ein klares Signal an dieIndustrie, in ihre Kostenkalkulation auch diesen Zu-kunftsmarkt einzubeziehen. Wir werden vom derzeitigenAnteil der Kraft-Wärme-Kopplung ausgehen und dieQuote regelmäßig anheben, um unser Ziel zu erreichen,ihren Anteil in einem Jahrzehnt zu verdoppeln. Wir wollen auch ein nach Europa geöffnetes Systemschaffen, allerdings auf strikter Gegenseitigkeit. Ländernwie Dänemark und Holland, die die Kraft-Wärme-Kopplung fördern und in denen diese Technik bereitseinen hohen Marktanteil erreicht hat, sollte unser Marktoffen stehen und umgekehrt, den anderen Ländern nicht.Das ist europarechtlich möglich und würde auch die eu-ropäische Integration fördern. Die Kraft-Wärme-Kopplung leistet mit 27 Mil-lionen Tonnen bereits heute einen wesentlichen Beitragzur Einsparung von CO2-Emissionen. Mit dem be-absichtigten Ausbau bis 2010 können weitere Einspa-rungen in Höhe von 23 Millionen Tonnen kostengünstigrealisiert werden. Alle anderen Möglichkeiten, die CO2-Emissionen im Energiesektor zu senken – die natürlichauch weiter verfolgt werden müssen –, halten einemKostenvergleich mit der Kraft-Wärme-Kopplung nichtstand. Es bleibt insbesondere mit Blick auf den europäi-schen Binnenmarkt nach meiner Auffassung nur derWeg eines gemeinsamen Marktes für erneuerbare Ener-Volker Jung
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gien und Kraft-Wärme-Kopplung, der sich in ganz Eu-ropa an den anerkannten Zielen der Preisgünstigkeit, derVersorgungssicherheit und des Umweltschutzes orien-tiert. Zum Aufbau eines solchen Marktes können undmüssen wir unseren Beitrag leisten.Ich danke Ihnen.
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Franz
Obermeier von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Kol-leginnen und Kollegen! Neben den erneuerbaren Ener-gien ist die Kraft-Wärme-Kopplung grundsätzlich einegeeignete Technologie, die Effizienz der Energieum-wandlung zu erhöhen und dadurch umweltrelevanteEmissionen zu vermeiden. Dies gilt allerdings nicht pau-schal für alle Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Nichtjede ist per se ökologisch. Häufig sind ökologische undökonomische Vorteile der Kraft-Wärme-Kopplung engmiteinander verbunden, quasi miteinander verkoppelt.Ökonomisch sinnvolle Anlagen sind auch ökologischsinnvolle Anlagen. Vor diesem Hintergrund ist es schon interessant, wasdie Regierungskoalition im Gesetzentwurf festgehaltenhat. Sie fördert überwiegend kommunale Anlagen, un-geachtet der Umweltgesichtspunkte und der Energieeffi-zienz, mit anfangs 9 Pfennig je Kilowattstunde. Hiersetzt unsere Kritik an. Mit dem Gesetz schützen Sieauch die ökologisch ungünstigen Anlagen und suggerie-ren, dass alle Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen klima-und umweltfreundlich Strom erzeugen. Für uns in derCDU/CSU-Fraktion geht es beim Schutz der Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen darum, den energie- undumweltpolitischen Vorteil zu erhalten. Deswegen ist ei-ne unterschiedliche Behandlung, abhängig von den Ei-gentumsverhältnissen, mit nichts zu rechtfertigen.
Die Koalitionsfraktionen erkennen zwar, dass die in-dustrielle Kraft-Wärme-Kopplung notleidend ist, abervom Gesetz werden diese Anlagen weitgehend nicht er-fasst, obwohl zurzeit monatlich rund 200 MegawattLeistung vom Netz gehen und die Anlagen eingemottetwerden. Ihre Ignoranz in dieser Sache richtet einen er-heblichen Schaden bei den Betrieben bis hin zu Firmen-zusammenbrüchen und Arbeitsplatzverlusten an. In dem Gesetzentwurf unterscheiden Sie zwischenguten und schlechten Anlagen. Man muss wissen, dasses in Deutschland 900 Stadtwerke gibt. Mehr als dieHälfte davon bezieht ihren Strom von einem fremdenVersorger. Das heißt, sie profitieren von der Liberalisie-rung. Nur 60 Stadtwerke in Deutschland erzeugen Stromaus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Von diesen istwiederum nur ein Teil im Wettbewerb ökonomischproblematisch. Aus dieser Sicht ist es unerklärbar, aus welchenGründen fast alle kommunalen KKWs gestützt werden,die „stranded investments“ der Industrie aber weitge-hend ausgeschlossen werden. Die Abgrenzung der in-dustriellen Kraft-Wärme-Kopplung ist reine Willkür.Das nenne ich Klientelpolitik.
Wenn schon in dirigistischer Weise eingegriffen wer-den muss – in der CDU/CSU-Fraktion bekennen wir unsdazu, dass wir hier eingreifen und helfen –,
dann im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes für alle„stranded investments“ und dies zeitlich befristet und ef-fizienzorientiert. Ebenso willkürlich sind Ihre Stichtagsregelungennach § 2 Abs. 1 des Gesetzes. Das Gesetz muss meinesErachtens zulassen, dass Ausgliederungen von „strandedinvestments“ aus Konzernunternehmen für die Vergü-tung unschädlich sind. Ihre Regelung hat zur Folge, dassnotwendige Strukturbereinigungen auf dem liberalisier-ten Strommarkt aufgeschoben werden. Betroffen sinddavon wichtige Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, unteranderem hier in Berlin. Die Kosten für diese erneute Subvention vonEnergietechniken werden dank rot-grüner Umvertei-lungsmethode wieder einmal direkt beim Verbraucherlanden. Man muss schon sagen: Über das Erneuerbare-Energien-Gesetz werden bis zu 4, vielleicht sogar 5 Mil-liarden DM auf den Verbraucher umgelegt. Jetzt kommtdie Kaft-Wärme-Kopplungsregelung mit wahrschein-lich noch 1 Milliarde DM hinzu. Was später durchNachfolgeregelungen kommt, muss man abwarten. Dies geschieht, obwohl die Ökosteuer schon eine steigende Belastung für die Bürger bringt. Diese fragensich nach dem Ziel der Bundesregierung bei dieser Poli-tik.Für mich stellt sich das Ziel der Bundesregierung sodar, dass der Verbrauch von Energie so teuer gemachtwerden muss, dass jeder einzelne Bürger seinen Ver-brauch von Benzin, Strom, Diesel, Gas und Heizöl ausökonomischen Gründen zurücknehmen muss.
Das ist das Moderne an der Politik der Schröder-Regierung. Die Familien, die Rentner, die Jugendlichenund die Betriebe – das betrifft die Arbeitsplätze – wer-den sich dafür bedanken,
Sie verstehen nicht, warum notwendige Hilfen für not-leidende Energieerzeugungsanlagen nicht aus den Öko-steuereinnahmen finanziert werden. Volker Jung
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8944 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
Nein, Sie satteln noch einmal drauf und erzählen denBürgerinnen und Bürgern in Sonntagsreden nach demMotto „Steter Tropfen höhlt den Stein“, dass sie seitAmtsantritt der rot-grünen Regierung mehr Geld im Por-temonnaie hätten, und meinen auch noch, dass die Leutedies glauben. Dies betrifft insbesondere Familien mitmehreren Kindern, für die zwingend Fahrt- undEnergiekosten entstehen. Ihnen sagen Sie: Fahr doch bit-te ein Dreiliterauto; dann sparst du. – Ich nenne das Be-vormundung des Bürgers über den Geldbeutel durch dieRegierung Schröder.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, auf dieRede des Bundesumweltministers in der gestrigen De-batte einzugehen.
– Es rentiert sich nicht, aber es ist doch interessant. Der Bundesumweltminister führte aus, dass in Bay-ern Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen von Kernkraft-werksbetreibern mit Gewinnen aus den abgeschriebenenKernkraftanlagen zu hohen Preisen aufgekauft und still-gelegt werden. Ich fordere den Herrn Bundesumwelt-minister auf, diese Aussage so zu präzisieren, dass sieauf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden kann.Bayern ist das Land, das mit zielführender Politik derStaatsregierung im Umwelt-, Natur- und Klimaschutzbeste Erfolge erzielt hat.
In meiner Gemeinde steht ein Kraft-Wärme-gekoppeltesSteinkohlekraftwerk, das die Große Kreisstadt Freisingund den Flughafen München versorgt. In meinem Wahl-kreis entsteht gerade ein Kraft-Wärme-gekoppeltesBiomasse-Heizkraftwerk mit guten Kennziffern. Wirwollen aus Verantwortung gegenüber unseren Kin-dern, das Mögliche verwirklichen – und das, obwohl das Land Bayern für sich das Klimaschutzziel einer 25-prozentigen Minderung der CO2-Emissionen erreicht hat.
Vor wenigen Tagen habe ich einen Vertrag über denBau eines neuen Kraftwerks mit einer Leistung von40 Megawatt Strom – einschließlich Wärme und Brenn-stoffe – gesehen. Der Nutzungsgrad beträgt 85 bis90 Prozent. Sie sehen: Es tut sich etwas und das ist gutso. Deswegen interessiere ich mich für die vom Bundes-umweltminister dargelegten Umstände des Kaufs derKraft-Wärme-Kopplungsanlagen und dessen Folgen. Nach der gestrigen Debatte über das energiepolitischeKonzept der Bundesregierung darf ich den Koalitions-fraktionen noch einen Zahn ziehen: In der Diskussionum den Ausstieg aus der Kernenergie vertritt Rot-Gründie Auffassung, dass die Grundlast der Kernkraftwerkebei deren Ausfall von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagenkompensiert werden kann. In den Heizkraftwerken mitStromproduktion reduziert der steigende Wärmebedarfim Winter die Stromerzeugung ganz erheblich. Genauzu dieser Jahreszeit haben wir aber auch den höchstenStromverbrauch. In der Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion schreibt die Bundesregierung, dass sie es fürabwegig hält, dass die erneuerbaren Energien im nächs-ten Jahrzehnt für die Elektrizitätsversorgung in derGrundlast verfügbar sind. Das heißt im Prinzip, dass dieGrundlast eines jeden abgeschalteten Kernkraftwerksdurch mit fossilen Brennstoffen befeuerte Kraftwerkeersetzt werden muss. Unser Klimaschutzziel – minus25 Prozent CO2-Emissionen und Spurengase – wird so nicht erreicht werden. Das werden wir Ihnen nichtdurchgehen lassen.
Die in § 3 Abs. 2 aufgenommene Ausschlussregelungnach mindestens 25 Prozent Leistung KWK und 10 Pro-zent Stromerzeugung ist willkürlich, diskriminierendund mit dem Gleichheitsgrundsatz unvereinbar. HabenSie dafür eine vernünftige Begründung? Warum habenSie nicht die Grenzwerte 20 Prozent und 8 Prozent oder30 Prozent und 15 Prozent gewählt?Meine Damen und Herren, Kriterien von Ökologieund Ökonomie bleiben völlig außer Acht. Durch denÄnderungsantrag wird es auch nicht klarer. Im Übrigen:Wenn man ihn so deuten würde, dass mehr Anlageneinbezogen werden, erkenne ich einen Widerspruch zu§ 3 Abs. 1, der davon wieder abweicht.Die CDU/CSU-Fraktion bietet mit dem vorliegendenEntschließungsantrag eine Alternative, die an der erfor-derlichen Effizienz der Anlagen orientiert ist, nicht amEigentümer, und die wettbewerbsneutrale Haushaltslö-sungen vorsieht. Vor wenigen Tagen haben wir diesesGesetz im Ausschuss diskutiert. Es war uns nicht mög-lich, die Inhalte insbesondere des Änderungsantrages de-tailliert zu beraten. Aber das ist ja kein Wunder, denndas vorliegende Gesetz knüpft nahtlos an die Qualitätder Gesetzesarbeit der Regierung Schröder an. Es ist ge-nauso schlecht wie vieles andere, was wir vorgelegt be-kommen: unklar im Detail, geringe Ökorelevanz, dafürKlientelbegünstigung, ein Fehlschuss zulasten der Ver-braucher.Der Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion istzielgerichtet, orientiert sich an der erforderlichen Effi-zienz der Anlagen und nicht am Eigentümer und isthaushaltsfinanziert.
Das ist verantwortbare Energie-, Sozial- und Umweltpo-litik.Franz Obermeier
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Dem Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen können wir nicht zustimmen.
Als
nächste Rednerin hat Kollegin Michaele Hustedt von
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! HerrObermeier, ich wollte nicht mit der Debatte von gesternanfangen, aber da Sie daran angeknüpft haben, tue ich esdoch. Ich habe einmal reflektiert, wie die Debatte ges-tern war. Ich muss sagen: Ich habe im Rückblick keineneinzigen Redner von Ihnen in Erinnerung, der über et-was anderes als über Atomkraft geredet hätte.
Ihre Gedanken kreisen nur um diesen einen Punkt.
Ihre Gedanken sind so eingeengt von diesen ideologi-schen Scheuklappen, dass Sie alle anderen großen Fra-gen überhaupt völlig aus dem Blick verlieren.
Keiner hat über das Problem geredet, wie wir die er-neuerbaren Energien weiterentwickeln. Keiner hat da-rüber geredet, wie wir die Effizienz bei der Nutzung derfossilen Energieträger weiterentwickeln können. Dazu,was Ihre Konzepte sind, habe ich hier jetzt auch nochnichts gehört.Keiner hat über Energieeinsparung geredet, keiner hatzur Weiterentwicklung des Wettbewerbs überhaupt ei-nen interessanten Gedanken vorgebracht.Sie werfen uns vor, wir hätten kein Energiekonzept.Ich sage Ihnen: Schritt für Schritt, ganz pragmatisch undsolide bauen wir das neue Haus der Energiepolitik vonunten nach oben langsam auf.
Die Leitlinie dabei ist, Umweltschutz und Wettbewerbmiteinander zu versöhnen.Wir haben die Verbändevereinbarung weiterentwi-ckelt, sodass jetzt ein Netzzugang wesentlich fairer alsbisher, unter Ihrer Regierung, zu erreichen ist. Das istWeiterentwicklung des Wettbewerbs, Frau Homburger.Wir haben die erneuerbaren Energien sehr frühzeitigdurch Förderprogramme protegiert und haben jetzt mitdem Gesetz über die erneuerbaren Energien das weltweitambitionierteste Instrumentarium, um die erneuerbarenEnergien, um den Einstieg ins Solarzeitalter voranzu-bringen.
Der dritte Baustein ist die Kraft-Wärme-Kopplung.Genauer gesagt: Wenn wir schon auf absehbare Zeit fos-sile Energieträger einsetzen werden, dann müssen wirsie so effizient wie irgend möglich nutzen. Es dürfennicht weiter 60 Prozent des Energiegehalts ungenutzt indie Atmosphäre entlassen werden.
Der dritte Baustein ist also die effiziente Nutzung vonKohle, Öl und Gas.Zurzeit werden Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen still-gelegt. Die Ursache dafür ist nicht, dass diese Anlagenunwirtschaftlich wären. Vergleicht man eine neue, mo-derne KWK-Anlage mit einer ebenso neuen und moder-nen anderen Anlage – erneuerbare Energien nehme ichjetzt einmal aus –, dann stellt sich heraus, dass die Kraft-Wärme-Kopplungsanlage durchaus wirtschaftlich ist.Heute konkurrieren allerdings alte, abgeschriebene An-lagen, die hoch subventioniert waren – zum Beispiel dieAtomkraftwerke, die in diesem Land über Jahrzehntehoch subventioniert wurden –, mit Dumpingpreisen un-ter Erzeugungskosten gegen die Kraft-Wärme-Kopp-lungsanlagen auf dem Markt.Dies wirkt sich dadurch besonders heftig aus, dass dieAkteure auf dem Markt unterschiedliche strategische In-teressen haben. Die einen kämpfen um ihre strategischePosition auf dem Markt und sind bereit, dafür ihreKriegskassen aus Monopolzeiten ein Stück weit abzu-schmelzen. Die anderen, die Industrieunternehmen undauch die Stadtwerke, haben keine Kriegskassen; zumin-dest befinden sie sich nicht in der strategischen Situati-on, sich am Markt unbedingt behaupten zu müssen.Deswegen gehen diese Anlagen vom Netz.Wir haben nun eine Soforthilfe auf den Weg ge-bracht. Sie ist eine Übergangslösung, bis wir über eindauerhaftes Instrument zum Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung verfügen werden. An dieser Stelle muss ichIhnen, Herr Obermeier, sagen, dass mir Ihre Krokodils-tränen fürchterlich Leid tun. Ist es nicht sehr doppelzün-gig, auf der einen Seite zu fordern, wir sollten die indus-triellen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen in die Sofort-hilfe aufnehmen, und auf der anderen Seite zu beklagen,dass dies die Bürger belaste? Es geht nur das eine oderdas andere. Wir haben die Soforthilfe auch deswegenbegrenzt, weil wir die Belastung für die Bürger auf0,2 oder 0,3 Pfennig begrenzen wollten. Die Aufnahmeder industriellen Anlage hätte mindestens eine Verdopp-lung bedeutet.
Man kann also nicht die Aufnahme der Industrieanlagenfordern und gleichzeitig wegen der höheren KostenKrokodilstränen weinen.Franz Obermeier
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8946 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
Wir mussten bei der Soforthilfe eine Grenze ziehen und haben das in doppelter Weise getan: Es gibt einenUnterschied zwischen der öffentlichen und der indus-triellen Wärmeversorgung. Die industrielle ist etwaswirtschaftlicher, weil die Wärme das ganze Jahr überkontinuierlich abgenommen wird. Hingegen ist dieWärmeversorgung im öffentlichen Bereich wirtschaft-lich problematischer, weil im Sommer weniger Wärmeals im Winter gebraucht wird. Deswegen haben wir hiereine Grenzziehung vorgenommen.
Die zweite Grenzziehung bezieht sich darauf, dasswir nur diejenigen in die Soforthilfe aufnehmen, dienicht ein oder zwei Anlagen haben, sondern die 25 Pro-zent und mehr des Stromes durch Kraft-Wärme-Kopp-lung erzeugen, die also besonders betroffen sind. Natür-lich ist eine solche Grenzziehung willkürlich. Aber ihrliegt eine einleuchtende Logik zugrunde. Dies alles bedeutet, dass wir sehr zügig über das dau-erhafte Instrument für den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung reden müssen, bei dem selbstverständlich dieindustrielle Kraft-Wärme-Kopplung ebenfalls eine zen-trale Rolle spielen wird, vor allem deswegen, weil dortde große Ausbaupotenziale sind.Bei diesem Thema habe ich übrigens schon wiederdie Opposition vermisst. Gestern fand im Rahmen des „Energiedialogs“ eine große Anhörung über die Po-tenziale in diesem Bereich und das mögliche Instrumen-tarium statt. Alle gesellschaftlichen Gruppen, vonStromkonzernen über Stadtwerke bis zu Umweltverbän-den, waren dort vertreten, auch die Regierungsfraktio-nen.
Wer wieder einmal fehlte und sich nicht an diesem ge-sellschaftlich organisierten Diskussionsprozess beteilig-te, waren die CDU/CSU und die F.D.P.
– Hören Sie doch auf! Die Veranstaltung fand amNachmittag statt. Zu der Zeit waren auch nicht alle vonIhnen hier im Plenum.Ich finde es richtig: Wir nehmen die Anregungen derEU auf, eine Diskussion über einen Zertifikatshandelauch in Deutschland durchzuführen und dieses Vorha-ben in die Praxis umzusetzen. Wir können einen Beitragdazu leisten, dass die Diskussion über einen Zertifikats-handel in der EU vorankommt.Ich wünsche mir von Ihnen, dass Sie, wie gesagt, hiernicht Krokodilstränen über die industrielle Kraft-Wärme-Kopplung vergießen, sondern auch einmal Kon-zepte auf den Tisch legen, wie fossile Energieträger effi-zient ausgenutzt werden und wie erreicht werden kann,dass diese neue Technologie keinen Fadenriss durch dieLiberalisierung bekommt; denn Sie haben damals, alsdie Liberalisierung eingeführt wurde, unsere Bedenken,dass gerade diese Technologie unter die Räder zu kom-men droht, beiseite gewischt. Jetzt stehen wir in der Praxis vor genau dieser Situa-tion und jetzt sind auch Sie aufgefordert, Antworten zuentwickeln. Wenn Sie es nicht tun: Wir werden welcheentwickeln. Wir befinden uns in der Erarbeitung einesdauerhaften Modells, um die Kraft-Wärme-Kopplung inden nächsten zehn Jahren zu verdoppeln.Danke.
Das
Wort hat jetzt der Kollege Walter Hirche von der
F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Die F.D.P. unterstützt Kraft-Wärme-Kopplung als einen sinnvollen Beitrag zu mehr Energie-effizienz, zu Energieeinsparungen und auch zur Vermei-dung von CO2-Emissionen; deswegen haben wir in der Vergangenheit die Fernwärmeausbauprogramme unter-stützt. Die Öffentlichkeit weiß vielleicht gar nicht, dassin diesem Hause eine beispielhafte KWK-Anlage vor-handen ist, die mit Pflanzenöl betrieben wird.
Das heißt, der Bundestag hat mit Zustimmung al-ler Fraktionen diese Art von Energiegewinnung einge-setzt. Dennoch werden wir diesen Gesetzentwurf ablehnen;dafür nenne ich vier Gründe: Erstens. Der Gesetzent-wurf verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz. Es wer-den nur Anlagen der allgemeinen Versorgung undkommunale Eigentümer gefördert, sonst nichts. Indus-trielle Anlagen werden ausgeschlossen, sofern sie nichtder allgemeinen Versorgung dienen. Aber dort gibt esdie gleichen Übergangsprobleme. Fazit: Der Staat sorgtnur für sich selbst.Zweitens. Rot-Grün pfeift mit diesem Gesetzentwurfauf den Klimaschutz. Wenn es nämlich um Klimaschutzginge, dann müssten alle KWK-Anlagen gefördert wer-den, weil industrielle Anlagen denselben Beitrag wiekommunale Anlagen leisten.
Sie müssten wegen ihrer höheren Effizienz zuerst geför-dert werden, Herr Jung. Ihr Hinweis darauf, wir würdennicht helfen, weil sie effizienter seien, hat mich zu Trä-nen gerührt. Das ist so, als müsste man einem Sonder-schüler für den gleichen Job mehr Geld zahlen, weil erschlechtere Voraussetzungen als ein Akademiker hat.Knüpfen Sie doch an der Effizienz an und fördern Siedort, wo wir wirklich etwas für den Klimaschutz tunkönnen!Michaele Hustedt
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Drittens. Es fehlen jegliche Qualitätskriterien für dieFörderung, zum Beispiel Mindestnutzungsgrade. Es feh-len Vorschriften über eine Kontrolle der Brennstoffaus-nutzungsgrade.Viertens. Es ist wieder einmal eine Umlage vorgese-hen. Zwar profitieren im Grundsatz nur kommunale An-lagen – unter Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes –,
aber die Kosten werden fürsorglich auf alle Stromkun-den abgewälzt und belasten damit die Arbeitsplätze.Kommunale Interessen werden geschützt, während dieKosten auf die Betriebe überwälzt werden. Richtig wäre – davor drücken Sie sich, FrauHustedt, – demgegenüber ein Sofortprogramm fürschwierige Einzelfälle mit zeitlich befristeter Förderungaus dem Bundeshaushalt. Umweltmindeststandardsmüssten zugrunde gelegt werden. Falsch ist doch dervon Ihnen betriebene Eigentümerlobbyismus, nach demMotto: Es bedient sich, wer an der Macht ist. – Eine fa-belhafte Moral, die Sie da an den Tag legen!
Vielleicht ist es zu früh, zu gratulieren, Frau Kolle-gin, weil die dritte Lesung noch aussteht. Aber schonjetzt – Herr Kollege Jung hat das klar gemacht – istdeutlich: Dieser Gesetzentwurf von Rot-Grün dient aus-schließlich den Interessen der Organisationen des Ver-bandes kommunaler Unternehmen. In der Praxis, HerrKollege, wird dieses Gesetz schnell den Namen „Jung-Brunnen-Gesetz“ erhalten, weil dort die Mittel sprudeln,die Herr Jung hier freigemacht hat. Der Gesetzentwurfist eine krasse Form der Selbstbedienung für den kom-munalen Bereich mit Hilfe des Deutschen Bundestageszulasten der Stromzahler.
Wer mehr erneuerbare Energien und mehr Energieef-fizienz will, der wird auch KWK fördern. Wir wartenmit Spannung auf den von Ihnen angekündigten Gesetz-entwurf. Eines kann ich Ihnen sagen: Eine Quotenrege-lung einschließlich einer Zertifikatslösung nur fürKWKs ist ein völlig falscher Weg. Wenn Sie das wirk-lich wollten, dann müssten Sie alle regenerativen Ener-gien in den Wettbewerb einbeziehen bzw. ihm ausset-zen.
Dann erhielten Sie den notwendigen Innovationsdruck,den wir auch im Interesse der erneuerbaren Energienbrauchen. Dazu bekennen wir Liberale uns.Der vorliegende Gesetzentwurf ist kein Beitrag zurKlimapolitik, sondern eine plumpe Bedienung kommu-naler Interessen. Verbal und virtuell sind Sie für die Energieeinsparung und den Klimaschutz; aber der Ge-setzentwurf selbst straft Sie Lügen. Mit dem Verzichtauf Unterstützung der industriellen Kraft-Wärme-Kopp--lung verzichten Sie zugleich auf den Vorrang von Kli-mapolitik. Meine Damen und Herren, die F.D.P. muss diesenGesetzentwurf leider ablehnen. Ich fordere Sie auf: Er-greifen Sie wieder Maßnahmen, die insgesamt das Eti-kett „Klimaschutz“ verdienen und die nicht nur auf dieBedienung von Klientelinteressen ausgerichtet sind. Vielen Dank.
Der
nächste Redner ist der Kollege Rolf Kutzmutz von der
PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Ich kann mir vorstellen, dass sichheute Abend, falls der vorliegende Gesetzentwurf verab-schiedet wird, der eine oder andere Verbandsfunktionärnach der Devise „Wenn einem so viel Gutes widerfährt“ein Gläschen genehmigt. Es sei ihnen gegönnt, aller-dings nur einigen. Insofern bedauere ich, liebe Kollegin-nen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, wie Siein den beiden vergangenen Wochen mit diesem wirt-schafts- und umweltpolitisch wichtigen Thema umge-gangen sind.Mit Ihren vorgestern im Wirtschaftsausschuss durch-gesetzten Änderungen des eigenen Gesetzentwurfes ha-ben Sie nicht nur die Anhörung von Montag letzter Wo-che ignoriert. Nein, Sie haben ihn auch noch ver-schlimmbessert, zumindest dann, wenn man die Chan-cen auf den Erhalt und den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung als ressourcen- und damit umweltschonendeTechnologie und nicht nur die Interessen einiger ausge-wählter Betreiber bestimmter Anlagen tatsächlich imAuge behalten will.Wer auf der gegenwärtig stattfindenden Hannover-Messe mit Betreibern und Produzenten solcher Anlagen,vor allem solcher im Megawattbereich, gesprochen hat,der kann nachvollziehen, dass diese aufgrund des heutezu beschließenden Gesetzes die Erfüllung ihrer Hoff-nungen und letztlich auch den Erhalt von Arbeitsplätzenin fahrlässiger Weise gefährdet sehen. Herr Kollege Jung, ich hätte mir deshalb gewünscht,dass es nach Ihnen gegangen wäre. Leider haben Sie undauch Frau Hustedt nicht die Frage beantwortet, nachwem es denn gegangen ist. Denn dies war schließlichein Gesetzentwurf der beiden Koalitionsfraktionen. EineBeantwortung dieser Frage wäre schon wichtig. Dennwer den vorliegenden Gesetzentwurf heute unverändertin der Ausschussfassung beschließt, der muss sich spä-testens im Sommer nach Vorlage des nächsten Klima-schutzberichtes fragen lassen, wie er in den nächstenfünf Jahren das selbst gesteckte Ziel, den Kohlendioxid-ausstoß im Vergleich zu 1990 um ein Viertel zu reduzie-ren, erreichen will. Auch wir von der PDS plädieren angesichts des vonder schwarz-gelben Regierung übergangslos geöffnetenStrommarktes dafür, Stadtwerken mit HeizkraftwerkenWalter Hirche
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8948 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
und damit auch deren Beschäftigten schnelle Hilfen zugewähren.
Denn wir waren es, die dieses Thema im Rahmen einerAktuellen Stunde im September vergangenen Jahres undmit einem am 16. Februar dieses Jahres eingebrachtenGesetzentwurf hier im Plenum zur Diskussion gestellthaben. Aber wir haben ebenfalls von vornherein gesagt, dassdie Rettung solcher in den letzten Jahrzehnten politischvon Bund, Ländern und Kommunen vorgegebenen In-vestitionen schnellstens in ein Gesamtkonzept einge-bettet werden muss. Der Bestand rein industriell betrie-bener KWK und die damit verbundenen Arbeitsplätzesind vom Preisdumping der großen Stromversorger zu-mindest ebenso bedroht wie kommunale Anlagen. DieseKWK erzeugen bisher nicht nur das Gros des einschlä-gigen Stromes; durch den kontinuierlicheren Wärmebe-darf in diesem Bereich ist der Klimaschutzeffekt derTechnologie sogar noch größer.Die Koalition hat nicht nur all dies ignoriert. Viel-mehr hat sie mit ihren letzten Änderungen auch noch dieAussicht auf eine vernünftige Perspektive verschlech-tert. Die neue Überschrift nimmt dem Gesetz den Cha-rakter von etwas Vorläufigem. Denn welchen Grundsollte es sonst geben, aus dem Wort „Vorschaltgesetz“das Wort „Gesetz“ zu machen? Das scheint allerdingsbeabsichtigt. Schließlich können kommunale Versorgermit dieser Regelung über Jahre gut leben, wodurch sichder außerparlamentarische und wohl auch der parla-mentarische Druck – ich denke dabei an die Interes-senvertreter des VKU in diesem Hause – auf eine zügigelängerfristige Förderung von KWK-Strom zurRessourcenschonung absehbar vermindern würde. Dennjetzt soll nicht nur jeglicher Strom, also nicht nur der echte KWK-Strom aus öffentlichen Altanlagen, einenAufschlag erhalten, sondern sogar Strom aus jenenHeizkraftwerken, deren – ich zitiere – „wesentlichenAnlagenteile“ – was auch immer das bedeuten soll –spätestens Silvester vergangenen Jahres bestellt wordensind.Nicht nur am Rande möchte ich dazu erwähnen, dassdie Urheber damit die ganze Regelung sehr angreifbarmachen und damit eigentlich das Gegenteil unseres ge-meinsamen Zieles erreichen könnten. Hatte schon derbisherige Entwurf wenig mit Klimaschutz, sondern ei-gentlich nur mit Vertrauensschutz zu tun, so wird nunauch noch ohne Not dieses Argument, die Verhinderungvon „stranded investments“, ad absurdum geführt. Dennwer noch vor drei Monaten – eineinhalb Jahre nachAusbruch des gnadenlosen Verdrängungskampfes gegenKraft-Wärme-Kopplung – solche Anlagen bestellte, derist vielleicht – oder sogar ganz sicher – ein Umwelt-freund, aber ganz gewiss kein guter Kaufmann. So wiees gestrickt ist, kann das Gesetz aber vor Gericht nurBestand haben, wenn es tatsächlich Letztere auchschützt. Die ganze Stichtagsregelung muss deshalb ver-schwinden. Sonst ist absehbar weder der Umwelt nochden Stadtwerken geholfen.
Die PDS wird sich trotz der Kritik, die ich geäußerthabe, diesem Gesetzesprojekt nicht verweigern, denndas Gesetz ist immer noch besser als eine lang hinausge-schobene, nicht voraussehbare Lösung des Problems. Eskann aber nur gelingen, wenn zumindest die wichtigsteunserer vorgeschlagenen Änderungen berücksichtigtwird. Über sie werden wir namentlich abstimmen.Damit die umwelt- und wirtschaftspolitische Dimen-sion dieser Technologie nicht im jetzigen kurzatmigenAktivismus untergeht, bleibt auch unser Gesetzentwurfauf dem Tisch des Hauses. Sie werden sich also, liebeKolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, derHerausforderung KWK in diesem Jahr erneut stellenmüssen.
Als letz-
tem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt gebe ich das
Wort dem Kollegen Michael Müller von der SPD-
Fraktion. Ich mache aber schon jetzt darauf aufmerksam,
dass wir im Anschluss daran zwei namentliche Abstim-
mungen durchführen werden. – Herr Müller, bitte schön.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Ge-setzentwurf macht die rot-grüne Koalition einen weite-ren und wichtigen Schritt, um die Stagnation in der Energiepolitik zu überwinden und um die Fehler derVergangenheit zu beseitigen. Vor allem deshalb ist esein wichtiges Gesetz.
Herr Hirche, Sie müssen sehen, dass man dieses Ge-setz nicht isoliert stehen lassen darf. Sie müssen bitteunsere Ankündigungen ernst nehmen. Wir machen hierein Gesetz zur Nothilfe. Es wird in kürzester Zeit um ein Gesetz zum Ausbau des Kraft-Wärme-Kopp-lungsbereichs ergänzt, wobei wir hier natürlich einenSchwerpunkt auf die industrielle Kraft-Wärme-Kopp-lung, auf die Nahversorgung und auf die WHKWs legenwerden. Das sind die Hauptbereiche, in denen wir erheb-lichen Spielraum haben, um im Sinne des Klimaschutzeszu wesentlich besseren Leistungen zu kommen, als dasheute der Fall ist. Ich glaube, dass man hier keinen Wi-derspruch aufbauen sollte, sondern dass man dies in ei-nem engen Zusammenhang mit der Modernisierung derEnergieversorgung im Interesse ihrer ökologischen Ver-träglichkeit sehen muss.
– Das ist ein unglaublicher Widerspruch bei Ihnen. Auf der einen Seite begrüßen Sie, dass wir etwas für die Kraft-Wärme-Kopplung tun. Auf der anderen Seite sagen Sie, es dürfe nichts kosten. Diese beidenAuffassungen passen nicht zusammen. Wenn man will,dass mehr für die Kraft-Wärme-Kopplung und für denKlimaschutz getan wird, dann muss man auch die Kon-sequenzen tragen.Rolf Kutzmutz
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Das hat natürlich preisrelevante Folgen. Man kann nichtsagen: Wir tun etwas, aber es darf nichts kosten. Dasgeht nicht. In diesem Punkt sind Sie sehr unglaub-würdig. Das ist nicht in Ordnung.
Herr Hirche, ich möchte darauf hinweisen, dass wir inder Vergangenheit, als wir in der Opposition waren, inder Energiepolitik glücklicherweise sehr viel mehr Kon-sens und Gemeinsamkeit hatten. Es wäre manchmalschön, wenn Sie die Energiepolitik nicht zu einemSchlaginstrument machen würden. Wir sollten uns viel-mehr gemeinsam unserer Verantwortung insgesamt, alsoauch der Verantwortung für die nationale Ressourcensi-cherheit, bewusst sein.Wir haben erstens heute aus zwei Gründen eine sehrschwierige Situation für die Kraft-Wärme-Kopplung.Zum einen bestehen große Überkapazitäten und zum an-deren wird bei bestehenden Kraft-Wärme-Kopplungs-anlagen mit Preisen, die an und zum Teil unter denGrenzkosten liegen, operiert. Wir stehen zweitens vorder Situation, dass daher auch neue Anlagen im Augen-blick kaum eine Chance haben. Wir sehen drittens dieGefahr, dass auch langfristig der wichtige Anteil derKraft-Wärme-Kopplung wegbricht, wenn wir nicht dieRahmenbedingungen insgesamt verbessern.Wir können das Klimaschutzziel nicht erreichen,wenn wir nicht insgesamt die Bedingungen für dieKraft-Wärme-Kopplung verbessern. Dies ist in dreierleiHinsicht wichtig: Erstens. Kraft-Wärme-Kopplung istein Beitrag zur Sicherung der Produktions- und Energie-standorte in der Bundesrepublik. Zweitens. Sie ist einwichtiger Beitrag zur Sicherung von Beschäftigung. Esist alarmierend, wie viel Beschäftigung in den letztenJahren in diesem Bereich weggebrochen ist. Auch da-raus ergibt sich ein Handlungsbedarf. Drittens. Wir müs-sen die Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen für mehr Kli-maschutz unbedingt ausbauen. Wir können, wenn wir eshochrechnen, durch eine Verdopplung des Anteils derKraft-Wärme-Kopplung, insbesondere im Nahwärmebe-reich, im industriellen Bereich und bei den Blockheiz-kraftwerken, die Reduktion von CO2 um weitere 25 Millionen erhöhen. Dies ist unverzichtbar, um dasKlimaschutzziel in der Bundesrepublik zu erreichen. In-sofern sagen wir, wir machen eine Politik zugunsten derKraft-Wärme-Kopplung aus Beschäftigungsgründen, zurSicherung der Erzeugung in der Bundesrepublik und un-ter Klimagesichtspunkten. Dies ist ein dreifaches Ziel,das wir in einem Ansatz miteinander verbinden können.Das ist richtige Politik. Sie alle sagen, dass Sie für Kraft-Wärme-Kopplungsind. Dann müssen wir auch die Konsequenzen ziehen.Wir machen einen doppelten Schritt. Denn es machtkeinen Sinn, in Zukunft die Kraft-Wärme-Kopplungauszubauen, aber heute die Kraft-Wärme-Kopplungsan-lagen kaputt gehen zu lassen. Das passt nicht zusammen.Das geht einfach nicht.
Dies ist der erste gewaltige Schritt. Wir sichern und stel-len jetzt gleichzeitig die Weichen für eine Erneuerung.Ich sagen Ihnen: Wir halten den Ansatz über einmarktgängiges Bonussystem, das in die Richtung vonZertifikatslösungen geht, für einen sinnvollen Ansatz.Auf dieser Basis kann man ein zukunftsträchtiges, wett-bewerbsorientiertes Modell durchsetzen, das Ökonomieund Ökologie miteinander verbindet und deshalb nach-haltig und zukunftsverträglich ist.Meine Damen und Herren, mit unserem Gesetz haltenwir Wort. Es kann nicht sein, dass beispielsweise kom-munale Stadtwerke, die in der Vergangenheit im Interes-se des Allgemeinwohls, im Interesse des Umweltschut-zes in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen investiert haben,jetzt von uns im Stich gelassen werden. Das geht nicht.Das machen wir nicht. Wir stehen im Interesse des All-gemeinwohls zu unserem Wort.
Wir sagen auch: Es muss hier natürlich viel moderni-siert werden. Deshalb haben wir es degressiv und befris-tet angelegt bzw. deshalb führen wir es in ein allgemei-nes Gesetz zur Förderung und Stützung der Kraft-Wär-me-Kopplung über. Dies ist in diesem Zusammenhangein richtiger Ansatz, meine Damen und Herren. Siche-rung und Ausbau, so müssen Sie es verstehen.In diesem Sinne bitte ich Sie um Ihre Unterstützung.
Ichschließe die Aussprache.Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich be-kannt, dass von einigen Kollegen eine Erklärung gemäߧ 31 der Geschäftsordnung zur Abstimmung vorliegt,die wir zu Protokoll nehmen. Dies sind die KollegenHerr Werner Labsch, Herr Albrecht Papenroth, Herr Dr. Peter Danckert, Frau Barbara Wittig und Herr Jürgen Wieczorek.*)Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz-entwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/DieGrünen zum Schutz der Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung in der Ausschussfassung auf Druck-sache 14/3007. Dazu liegen vier Änderungsanträge vor,über die wir zuerst abstimmen.Wir stimmen über den Änderungsantrag der PDS aufDrucksache 14/3017 ab. Die Fraktion der PDS verlangteine namentliche Abstimmung. Ich weise gleich darauf-hin, dass wir im Anschluss an die namentliche Abstim-mung abwarten müssen, wie das Ergebnis ist, bevor wirzur Schlussabstimmung kommen können. Ich bitte dieSchriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen___________*) Anlage 4Michael Müller
Metadaten/Kopzeile:
8950 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Dasscheint der Fall zu sein.Ich eröffne die Abstimmung.Haben alle Mitglieder ihre Stimmkarte abgegeben? –Das ist der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich bittedie Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus-zählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmungwird Ihnen später bekannt gegeben. Wir setzen die Bera-tungen fort, aber ich weise darauf hin, dass wir noch ei-ne namentliche Abstimmung haben werden, und zwarim Rahmen der Schlussabstimmung.Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-che 14/3018. Wer stimmt für den Änderungsantrag derPDS auf Drucksache 14/3018? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich der Stimme? – Dann ist der Ände-rungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen,der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen derPDS abgelehnt worden.Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-che 14/3019. Wer stimmt für den Änderungsantrag? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit istder Änderungsantrag bei gleichem Stimmenverhältnisabgelehnt.Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-che 14/3020. Wer stimmt für den Änderungsantrag? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit istder Änderungsantrag mit dem gleichen Stimmenverhält-nis abgelehnt.Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichenAbstimmung unterbreche ich jetzt die Sitzung für weni-ge Minuten. Ich bitte aber, hier zu bleiben, weil wir an-schließend eine weitere namentliche Abstimmung abzu-halten haben.
Die un-terbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-mung über den Änderungsantrag der Abgeordneten RolfKutzmutz und der Fraktion der PDS zur zweiten Bera-tung des von den Fraktionen der SPD und des Bündnis-ses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zum Schutz der Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung, Drucksachen 14/2765, 14/3007 und 14/3017,bekannt: Abgegebene Stimmen 479. Mit Ja haben ge-stimmt 26, mit Nein 453. Der Änderungsantrag ist damitabgelehnt. Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 476 ja: 26 nein: 446 ungültig: 4JaPDSDr. Dietmar BartschPetra BlässMaritta BöttcherEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Heinrich FinkDr. Ruth FuchsWolfgang GehrckeDr. Klaus GrehnUwe HikschCarsten HübnerSabine JüngerDr. Evelyn KenzlerDr. Heidi Knake-WernerRolf KutzmutzHeidi LippmannUrsula LötzerHeidemarie Lüth Dr. Christa LuftAngela MarquardtManfred Müller
Kersten NaumannChristine OstrowskiChristina SchenkGustav-Adolf SchurDr. Ilja SeifertNeinSPDBrigitte AdlerGerd AndresIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-InglauWolfgang BehrendtDr. Axel BergHans-Werner BertlFriedhelm JuliusBeucherPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigKlaus BrandnerAnni Brandt-ElsweierRainer Brinkmann
Wolf-MichaelCatenhusenDr. Herta Däubler-Gmelin Dr. Peter DanckertChristel DeichmannKarl DillerPeter DreßenRudolf DreßlerDetlef DzembritzkiDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserPeter EndersGernot ErlerPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherIris FollakNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagLilo Friedrich
Harald FrieseAnke Fuchs
Arne FuhrmannMonika GanseforthGünter GloserRenate GradistanacGünter Graf
Angelika Graf
Achim GroßmannWolfgang GrotthausKarl-Hermann Haack
Hans-Joachim HackerKlaus HagemannManfred HampelChristel HanewinckelKlaus HasenfratzNina HauerHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannGustav HerzogMonika HeubaumReinhold Hiller
Stephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid HolzhüterEike Maria HovermannChristel HummeBrunhilde IrberGabriele IwersenRenate JägerVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8951
Ilse JanzVolker Jung
Johannes KahrsUlrich KasparickSusanne KastnerHans-Peter KemperKlaus KirschnerMarianne KlappertFritz Rudolf KörperWalter KolbowKarin KortmannAnette KrammeNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelDr. Uwe KüsterUte KumpfKonrad KunickWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherRobert LeidingerDr. Elke LeonhardEckhart LeweringChrista LörcherGötz-Peter Lohmann
Erika LotzDr. Christine LucygaWinfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkUlrike MascherHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggChristoph MoosbauerMichael Müller
Jutta Müller
Christian Müller
Franz MünteferingAndrea NahlesVolker Neumann
Dr. Edith NiehuisDietmar NietanGünter OesinghausLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Willfried PennerDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes PflugDr. Eckhart PickKarin Rehbock-ZureichDr. Carola ReimannMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterReinhold RobbeRené Röspel Gudrun RoosDr. Ernst DieterRossmannBirgit Roth
Marlene RupprechtThomas SauerGudrun Schaich-WalchRudolf ScharpingDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerDieter SchlotenHorst Schmidbauer
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Regina Schmidt-ZadelCarsten SchneiderDr. Emil SchnellKarsten SchönfeldFritz SchösserOlaf ScholzOttmar SchreinerDr. Mathias SchubertRichard Schuhmann
Brigitte Schulte
Volkmar Schultz
Ewald SchurerDr. R. Werner SchusterDr. Angelica Schwall-DürenRolf SchwanitzBodo SeidenthalErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerLudwig StieglerRolf StöckelRita Streb-HesseReinhold StroblDr. Peter StruckJoachim StünkerJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerWolfgang ThierseFranz ThönnesAdelheid TröscherHans-Eberhard UrbaniakRüdiger VeitSimone ViolkaUte Vogt
Hans Georg WagnerHedi WegenerDr. Konstanze WegnerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitGert Weisskirchen
Dr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerJochen WeltDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelDr. Norbert WieczorekJürgen Wieczorek
Helmut Wieczorek
Dieter WiefelspützHeino Wiese
Brigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenHanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie WrightUta ZapfPeter ZumkleyCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannBrigitte BaumeisterDr. Sabine Bergmann-PohlOtto BernhardtDr. Maria BöhmerWolfgang Börnsen
Sylvia BonitzJochen BorchertWolfgang BosbachKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepePaul BreuerGeorg BrunnhuberHartmut Büttner
Cajus CaesarLeo DautzenbergAlbert DeßRenate DiemersThomas DörflingerHansjürgen DossMarie-Luise DöttIlse FalkDr. Hans Georg FaustAlbrecht FeibelDirk Fischer
Herbert FrankenhauserDr. Gerhard Friedrich
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeDr. Jürgen GehbNorbert GeisGeorg GirischPeter GötzKurt-Dieter GrillManfred GrundCarl-Detlev Freiherr vonHammersteinKlaus-Jürgen HedrichHelmut HeiderichManfred HeiseSiegfried HeliasHans Jochen HenkePeter HintzeJoachim HörsterKlaus HofbauerMartin HohmannKlaus HoletschekSiegfried HornungHubert HüppeGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkDr. Harald KahlDr.-Ing. Dietmar KansyVolker KauderEckart von KlaedenUlrich KlinkertNorbert KönigshofenDr. Helmut KohlEva-Maria KorsHartmut KoschykThomas KossendeyRudolf KrausDr. Martina KrogmannDr.-Ing. Paul KrügerDr. Hermann KuesDr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertDr. Paul LaufsWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Eduard LintnerDr. Manfred LischewskiWolfgang Lohmann
Dr. Michael LutherErich Maaß
Dr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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8952 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
Dr. Michael MeisterFriedrich MerzHans MichelbachBernward Müller
Elmar Müller
Bernd Neumann
Claudia NolteGünter NookeFranz ObermeierFriedhelm OstEduard OswaldNorbert Otto
Anton PfeiferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaMarlies PretzlaffThomas RachelDr. Peter RamsauerHelmut RauberHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberHannelore Rönsch
Franz RomerHeinrich-WilhelmRonsöhrKurt J. RossmanithDr. Christian RuckAnita SchäferDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteHeinz SchemkenGerhard ScheuChristian Schmidt
Andreas Schmidt
Birgit Schnieber-JastramDr. AndreasSchockenhoffReinhard Freiherr vonSchorlemerHeinz SeiffertBernd SiebertWerner SiemannJohannes SinghammerBärbel SothmannMargarete SpäteWolfgang SteigerDorothea Störr-RitterAndreas StormMax StraubingerMatthäus StreblThomas StroblDr. Susanne TiemannEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlGunnar UldallAngelika VolquartzAndrea VoßhoffPeter Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Matthias WissmannWerner WittlichDagmar WöhrlAribert WolfWolfgang ZöllerBÜNDNIS 90/DIEGRÜNENGila Altmann
Marieluise Beck
Volker Beck
Angelika BeerAnnelie BuntenbachEkin DeligözDr. Thea DückertFranziska Eichstädt-BohligHans-Josef FellAndrea Fischer
Katrin Dagmar Göring-EckardtRita GrießhaberWinfried HermannAntje HermenauKristin HeyneUlrike HöfkenMichaele HustedtMonika KnocheDr. Angelika Köster-LoßackSteffi LemkeDr. Reinhard LoskeOswald MetzgerKlaus Wolfgang Müller
Christa NickelsChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkAlbert Schmidt
Werner Schulz
Christian SimmertChristian SterzingHans-Christian StröbeleJürgen TrittinDr. Antje VollmerDr. Ludger VolmerSylvia VoßMargareta Wolf
F.D.P.Jörg van EssenRainer FunkeDr. Wolfgang GerhardtDr. KarlheinzGuttmacherUlrich HeinrichWalter HircheBirgit HomburgerUlrich IrmerGudrun KoppJürgen KoppelinIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerDirk NiebelGünther FriedrichNoltingCornelia PieperDr. Günter RexrodtDr. Edzard Schmidt-JortzigGerhard SchüßlerMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsCarl-Ludwig ThieleDr. Guido WesterwelleUngültigSPDHans-Günter BruckmannDieter GrasedieckHeinz SchmittBÜNDNIS 90/DIEGRÜNENKerstin Müller
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver-sammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder derIPUAbgeordneteBehrendt, Wolfgang, Bühler , Klaus, Neumann (Gotha), Gerhard, Siebert, Bernd, SPD CDU/CSU SPD CDU/CSU__________________________________Wir stimmen jetzt über den Gesetzentwurf in derAusschussfassung ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetz-entwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali-tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen vonCDU/CSU und F.D.P. angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Die Fraktion der SPD verlangtnamentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerin-nen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu-nehmen. – Sind die Urnen besetzt? – Dann eröffne ichdie Abstimmung.Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarteabgegeben? – Haben jetzt alle Mitglieder des Hauses ih-re Stimmkarte abgegeben? – Ich schließe den Wahlgangund bitte auszuzählen. – Das Ergebnis der Abstimmungwird Ihnen später bekannt gegeben.*)__________*) Seite 8960Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8953
Wir setzen die Beratungen fort und kommen zur Ab-stimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionder CDU/CSU auf Drucksache 14/3008. Wer stimmt fürdiesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantragmit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen dieStimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung derPDS-Fraktion abgelehnt.Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 19 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verglei-chenden Werbung und zur Änderung wettbe-werbsrechtlicher Vorschriften – Drucksache 14/2959 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieInterfraktionell ist vereinbart worden, die Redebeiträ-ge zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu ge-ben.*) Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage aufDrucksache 14/2959 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Auch das ist der Fall. Dann ist die Über-weisung so beschlossen.Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 20 a und 20 bauf: 20 a) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD,CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund F.D.P. Einsetzung einer Enquete-Kommission„Recht und Ethik der modernen Medizin“– Drucksache 14/3011 –b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Angela Marquardt, Dr. Ilja Seifert, Dr. RuthFuchs, weiterer Abgeordneter und der Frakti-on der PDSEinsetzung einer Enquete-Kommission„Menschenrechte, Ethik und Politik für ei-ne Medizin der Zukunft“– Drucksache 14/2153 –Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat dasWort der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg von der SPD-Fraktion.__________*) Anlage 3
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Als vor gut 13 Jahren dieEnquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gen-technologie“ des 10. Deutschen Bundestages ihren Ab-schlussbericht vorlegte, hat man die Geschwindigkeitder Entwicklung noch nicht abschätzen können. Seitherhat sich die medizinische Genetik, die so genannte roteGentechnik, mit einer ungeheuren Geschwindigkeitentwickelt. Noch in diesem Jahr wollen die im ProjektHUGO kooperierenden 16 internationalen Sequenzie-rungszentren eine Arbeitsversion des menschlichen Ge-noms fertig gestellt haben, die mit einer Fehlerrate vonnur 1 Promille 90 Prozent der menschlichen Gene erfas-sen soll.Das Industrieunternehmen Celera Genomics hat aufdiesem Gebiet seine Claims durch Patente sichern lassenund lässt mehr als 200 automatische Sequenziermaschi-nen Gendaten von einem Supercomputer analysieren.Von Anfang September bis Mitte Oktober vorigen Jah-res hatte dieses Unternehmen bereits 6 500 Patente aufvermeintlich interessante DNA-Regionen des menschli-chen Genoms beantragt.Als Clinton und Blair vor gut einer Woche den freienZugang zu allen Gendaten des Menschen forderten, gabes heftige Kurseinbrüche bei Biotech-Aktien, die sicherst wieder erholten, als der britische Konzern PPL The-rapeutics fünf geklonte Ferkel vorstellte und verkündete,dass es bald möglich sein werde, menschliche Ersatzor-gane in Schweinen heranwachsen zu lassen und diesedurch Klonen in ausreichender Zahl auf den Markt zubringen.Die Bemühungen, menschliche Ersatzteile durch Ge-webs- und Organzüchtung aus embryonalen Stammzel-len herzustellen, führt zu einer Wachstumseuphorie undtreibt seltsame Blüten. So schützte das Europäische Pa-tentamt – wir haben hier darüber debattiert – ein Verfah-ren zur Zucht gentechnisch veränderter menschlicherEmbryonen. Das war ein klarer Verstoß gegen geltendesRecht. Grundsätzlich wird das Heranzüchten und Paten-tieren von biologischem Material, wie es in der europä-ischen Patentrichtlinie heißt, in aller Welt, so auch inDeutschland, als legitimes Vorgehen akzeptiert. DieFormulierung „biologisches Material“ erinnert an denschrecklichen Ausdruck „Menschenmaterial“ ausKriegszeiten. Damals wie heute wird dem Gegenstandsolcher Begrifflichkeit ein Selbstzweck aberkannt. AusLeben wird biologisches Material, wird bloße Ware. Professor Joseph Coates aus Washington hat auf einerTagung des dänischen Ethikrates in Kopenhagen kürz-lich eine Abschätzung der künftigen Entwicklung der sogenannten roten Gentechnik in den Vereinigten Staatenvorgestellt. Ich möchte hier einiges aus diesem Szenariovorstellen: Er prognostiziert, dass das Interesse wohlhabenderEinkommensschichten an genetischer Diagnostik undTherapie zunehmen wird und dass deren Kosten bis zumJahre 2025 deutlich sinken werden. Der Einstieg in denMarkt werde über die Vermeidung genetisch vererb-barer Krankheiten erfolgen. Aus diesem Grunde wür-den immer mehr Eltern Techniken der künstlichen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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8954 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
Befruchtung akzeptieren, um Kinder mit Behinderun-gen oder genetisch bedingten Erkrankungen vor der Im-plantation des befruchteten Eies auszusortieren. In eini-gen Staaten dieser Welt werde die dabei gewonnene Er-fahrung genutzt werden, um so genannte Enhancement-Techniken zur Anwendung zu bringen. Wenn es mög-lich sei, musikalische, intelligente oder körperlich opti-mierte Menschen zu selektieren, würden, so schätzt Coa-tes, einzelne Staaten diese Technologie auch nutzen.Unweigerlich werde das zu einem internationalen Druckin Richtung Optimierung führen. Coates spricht symbolisch von drei Olympiaden, diees dann geben müsste, einer normalen, einer für Behin-derte und einer für Enhanced People. Dopingtechnikenkönnten dadurch jedenfalls überflüssig werden. In den Vereinigten Staaten, die den Eltern bei der Er-zeugung und Gestaltung ihres Nachwuchses nicht hi-neinreden wollen, käme es, so vermutet Coates, erst inzehn Jahren zu einer gesetzlichen Einschränkung dieserTechnologien. Dort werden diese Technologien alsokräftig, den Marktgesetzen folgend, wachsen. In Ameri-ka rechnet man mit etwa 6 Millionen Elternpaaren, diehier als Nachfrager auftreten könnten. Um die Akzep-tanz für Eingriffe in die Keimbahn zu verbessern, wirdman zuerst erlauben, das Gen für Typ-I-Diabetes immenschlichen Genom auszuschalten. Da gibt es dasgrößte Einverständnis. Coates prognostizierte, dass bereits in etwa 20 Jahrenin vielen Staaten dieser Welt eine humangenetische Be-ratung und Untersuchung zukünftiger Eltern zur Pflichtgemacht werden würde. Im Jahr 2030 wird etwa jeder dritte amerikanischeErwachsene Informationen über große Teile seines Ge-noms zur Verfügung haben. Bei Kindern werden es über80 Prozent sein. Mit einer politischen Anti-Gen-Bewegung rechnet man in den USA erst Mitte der 30er-Jahre. Dabei wird auf Erfahrungen mit anderen Risiko-technologien zurückgegriffen, wie zum Beispiel derKernenergie. Die Bundesärztekammer präsentierte vor einigenWochen den Entwurf einer Richtlinie, welche die Selek-tion minderwertiger Embryonen im Rahmen derkünstlichen Befruchtung erlaubt. Begrenzt einstweilenauf einige wenige Fälle bestimmter Erbkrankheitenzeichnet sich hier bereits eine Entwicklung ab, die dasSchutzniveau unseres Embryonenschutzgesetzes auf-weicht. Noch etwas: Vor wenigen Tagen hörten wir, dass diebritische Regierung per Gesetz Versicherungsunterneh-men gestatten will, die Höhe der Versicherungsprämiedem genetischen Risiko der Versicherten anzupassen. Esist überall dasselbe Phänomen: Wir sind fasziniert vonden technischen Möglichkeiten und merken gar nicht,dass wir nach und nach die Grundlage des menschlichenMiteinanders verändern,
dass Werte und Tabus, die bisher unser Zusammenlebengeregelt haben, in den Labors außer Kraft gesetzt wer-den und dass die Geschwindigkeit dieser Entwicklungoft vom irrationalen Treiben an den Börsen gesteuertwird.
Ich bitte,
allmählich zum Schluss zu kommen.
Wir haben verabre-det, dass ich diese Rede zu Ende halten kann, wenn ichdas darf.
Ich frage mich: Ist das dies, was die Menschen wol-len? Wissen sie, wissen wir als ihre Vertreter, was dawirklich abläuft? Wenn da etwas aus der Bahn gerät,können wir es rechtzeitig beeinflussen? Alles ist doch viel zu kompliziert, heißt es, man kannsowieso nichts mehr machen, zurzeit läuft es doch pri-ma – so sind die gängigen Verdrängungsmechanismen.Ich bin froh, dass sich die Fraktionen des DeutschenBundestages durchgerungen haben, sich diesem Themazu stellen.
Ich weiß, dass unser Tun von der Pharmaindustrie undvon den Life-Science-Unternehmen intensiv beachtetwird und dass es nicht an Versuchen und Beeinflussun-gen mangeln wird. Wir haben jedoch auch gegenüberdiesem wichtigen Wirtschaftszweig die Aufgabe – kurz-fristigen Kapitalinteressen zum Trotz –, für eine nach-haltige Entwicklung zu sorgen. Wir sind in Deutschland stolz darauf, dass unsere Au-tomobilindustrie die umweltfreundlichsten Autos ent-wickelt und weltweit vermarktet. Hermann Scheer hatgestern in einer sehr beeindruckenden Rede deutlichgemacht, dass auch im Energiewirtschaftsbereich nurderjenige eine Zukunft haben kann, der nachhaltig plantund auch in die soziale und ökologischen Verträglichkeitseiner Produkte investiert. Gleiches gilt uneingeschränkt auch für den Bereichder Biotechnologie. Es wäre falsch und wir wären falschberaten, wenn wir hier plötzlich mit Mindeststandardszufrieden wären. Unsere Nachbarn – das weiß ich ausder Parlamentarischen Versammlung des Europarates –erwarten von Deutschland auch im Bereich der Biotech-nologie anspruchsvolle Entwicklungen. AnspruchsvolleEntwicklungen im Bereich der Life-Sciences könnenaber nur dann nachhaltig genannt werden, wenn die ethi-schen Grundwerte, wenn das Menschenbild und dieMenschenrechte durch diese Entwicklung, durch dieProdukte und die Verfahren, die hier entstehen, nicht ge-fährdet werden.Der Deutsche Bundestag als Gesetzgeber hat dieseZiele bei seinen Regelungen bisher hochgehalten undsollte davon nicht abgehen. Wir wollen ihm durch dieEnquete-Kommission „Recht und Ethik der modernenDr. Wolfgang Wodarg
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8955
Medizin“ ein dafür unentbehrliches Instrument zur Ver-fügung stellen. Die Einsetzung der Enquete-Kom-mission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ imDeutschen Bundestag ist unverzichtbar. Sie kann abernur dann ihre Funktion als Instrument der ethischenRückkopplung wahrnehmen, wenn sie in ihrer Zusam-mensetzung und in ihrer Arbeitsweise nicht durch mäch-tige Forschungs- und Wirtschaftsinteressen, die bis indas Parlament hineinreichen, entwertet wird. Wer die Enquete-Kommission aus innerster Überzeu-gung für überflüssig hält und dieses innerhalb und au-ßerhalb des Parlaments laut und deutlich kundtut, mitdem will ich mich trefflich streiten. Schlimm wäre es,wenn die Sitzungen der Enquete-Kommission zu Alibi-oder Feigenblattveranstaltungen werden, wie das Bei-spiel vieler Ethik-Kommissionen in Amerika zeigt.Die Enquete-Kommission soll nicht Marketingin-strument für Fachleute sein, die ohnehin schon meinen,alles zu wissen. In ihr soll gerungen werden, und zwaröffentlich, damit später kein Parlamentarier sagen kann,er habe nicht gewusst, was in diesen, die Grundrechteder Menschen dieses Landes direkt betreffenden Fragenim Deutschen Bundestag entschieden wurde.
Als
nächstem Redner gebe ich dem Kollegen Werner
Lensing von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Mei-ne sehr verehrten Kolleginnen! Meine Kollegen! DerDeutsche Bundestag trifft heute mit der Einsetzung einerEnquete-Kommission „Recht und Ethik der modernenMedizin“ eine ausgesprochen bedeutsame Entscheidung;denn diese Thematik ist von außerordentlicher Tragwei-te, ergeben sich doch in der biomedizinischen Forschungumwälzende Erkenntnisse in einem wahrhaft atembe-raubenden, ja manchmal sogar in einem wirklich be-ängstigenden Tempo. Entstehen und Werden des menschlichen Lebens sindendgültig ihrer Geheimnisse entkleidet. Sie werden im-mer häufiger ins medizinische Labor verlagert. Die voll-ständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms mitall seinen Segens-, aber auch Horrorversionen ist nurnoch eine Frage der Zeit. Biomedizinische Forschung –das beweist die alltägliche Erfahrung – ist längst nichtmehr an nationale Grenzen gebunden. Vielmehr verbrei-tet sich wissenschaftliches Know-how mit außerge-wöhnlicher Geschwindigkeit weltweit und gewinnt da-mit zugleich ein erhebliches – wir haben es schon ge-hört – ökonomisches Potenzial. Können über diese bestürzende Entwicklung über-haupt keine Zweifel bestehen, so klaffen auf nationalerwie internationaler Ebene die Ansichten über die An-wendung und mehr noch über die ethischen Grenzendieser Anwendung genauso weit auseinander wie dieBeurteilung ihrer politischen und rechtlichen Konse-quenzen. Bedauerlicherweise kann von einem breitenethischen Konsens leider nirgends mehr die Rede sein.Gesetzestexte werden gleichsam über Nacht hinfällig,wie dies beispielsweise der nach dem Klonen des Scha-fes Dolly im Jahre 1998 erstellte Bericht der Bundesre-gierung zum Handlungsbedarf beim Embryonen-schutzgesetz zeigt. Nicht zuletzt die jüngste unverant-wortliche Fehlentscheidung des Europäisches Patentam-tes zur Vergabe eines Patents auf Genmanipulationam menschlichen Erbgut zeigt in dramatischer Weise diedringende Notwendigkeit einer öffentlichen Diskussionder zugrunde liegenden ethischen Fragen.
Zunehmende Forderungen aus der Wissenschaft nacheiner Nivellierung der strengen deutschen Standards tunihr Übriges, den Druck auf die Legislative zu erhöhen.Deshalb brauchen wir den öffentlichen Diskurs jetzt undnicht erst dann, wenn die rasanten Entwicklungen dieReaktionsfähigkeit des Staates bereits überfordern. Hierwird die Enquete-Kommission einen entscheidendenund unverwechselbaren Beitrag zu leisten haben. Wie weit unser Zeitgeist bereits von den klassischenWerten einer traditionellen, der Menschenwürde ver-pflichteten Ethik entfernt ist, zeigt die Absichtserklärungdes schottischen Dolly-Vaters Wilmut, zukünftig – manhöre! – embryonale Stammzellen zu, wie es absolut ver-harmlosend heißt, „therapeutischen Zwecken“ zu klo-nen. Er wird zitiert mit:Die meisten Menschen denken bei Embryonen ansehr kleine Menschen. Tatsächlich ist ein menschli-cher Embryo nach sechs oder sieben Tagen nur einkleiner Zellball ohne Persönlichkeit.Ich halte diese Behauptung für ungeheuerlich, degradiertman doch damit bewusst den Embryo zu einemmateriellen Etwas und damit zu einem seelenlosenKonglomerat von Zellen, das zu Untersuchungszweckendurchaus zerstückelt, gentechnisch manipuliert und jenach Forschungsprogramm sogar vollkommen ungeniertzu fremdbestimmten Zwecken verwandt werden darf.„Träume und Albträume des modernen Lebens“,stellt der Mainzer Moraltheologe Johannes Reiter fest,„stehen sich in kaum einem anderen Bereich so schroffgegenüber wie gerade in der Medizin“. Angesichts sol-cher schrankenlosen Eigengesetzlichkeit der biomedizi-nischen Entwicklung mangelt es nicht an verzagtenStimmen. Daher hört man schon heute wiederholt, dieOhnmacht des Staates sei gegenüber den explosivenVorgängen von Biotechnologie und Biomedizin längstoffensichtlich.Deswegen ist es so wichtig, dass wir in dieser Situati-on unsere Enquete-Kommission einsetzen, will diesedoch den betroffenen gesellschaftlichen Gruppen, Insti-tutionen und Verbänden sowie den Kirchen ein will-kommenes öffentliches Forum bieten, sich angemessenund deutlich in den öffentlichen Entscheidungsprozesseinzubringen.Zudem – dessen bin ich mir sehr sicher – werden die angestrebten sachorientierten Ergebnisse einen Dr. Wolfgang Wodarg
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8956 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
erheblichen Beitrag zur fundierten Bewertung einzelnerTechnologien, zugleich aber auch zur Vermeidung vor-schneller und womöglich in kürzester Zeit überholterReaktionen des Gesetzgebers leisten. Schließlich solltenwir uns nicht grundlos neuen und viel versprechendenTherapiemöglichkeiten der Biomedizin durch eine zurigide Gesetzgebung verschließen.Andererseits gilt auch dies: Eine ethische und sozialeBewertung neuer Handlungsperspektiven darf nicht al-lein durch die betroffenen Wissenschaftler erfolgen.
Ob Embryonenforschung oder Gentechnologie, ob For-schung an nicht einwilligungsfähigen Personen oder Abtreibung, ob Präimplantationsdiagnostik oder Xeno-transplantation – bei grundlegenden Fragestellungen,welche die Würde des Menschen betreffen, brauchenwir den öffentlichen gesellschaftlichen Dialog.
Dass es einen deutlichen Klärungsbedarf gibt, dafürgibt es genügend Beispiele. Ich nenne nur einige weni-ge. Zur Pränataldiagnostik: Pränatale Medizin hat – daswissen wir –, ich betone: zu Recht – einen hohen undpositiven Stellenwert. Durch das Erkennen einer sichungestört entwickelnden Schwangerschaft wird zahllo-sen Frauen die Angst vor einem kranken Kind genom-men. Das ist gut so. Andererseits erhöht die Pränataldiagnostik zugleichin außerordentlicher Weise den Druck auf die Schwan-geren. So soll nicht übersehen werden, dass die Präna-taldiagnostik bei Unsicherheiten oder möglichen leich-ten Behinderungen des Fötus immer häufiger zu einertödlichen Indikation führt, gemäß dem Motto: Ohne ge-netisches Gütesiegel keine Austragung!
Zur somatischen Gendiagnostik: Auch hier liegenuns nicht nur Ergebnisse, sondern auch Fragen vor. Sostellt sich beispielsweise die Frage: Ist eine Röntgen-schwester, bei der eine genetisch bedingte Veranlagungzu Krebs diagnostiziert wird, verpflichtet, dies ihremArbeitgeber zu sagen? Wie soll dieser reagieren, wennes ihm mitgeteilt wird? Wie sollen wir das Schicksal einer jungen ameri-kanischen Frau bewerten, die sich bei einer Eliteuniver-sität bewarb und alle Eingangsprüfungen bestand, aberanschließend aufgrund eines Gentests, der eine Disposi-tion bezüglich einer bestimmten schweren Erkrankungergab, ausgeschlossen wurde, mit der menschenverach-tenden Begründung, der Kostenaufwand stehe in keinemVerhältnis zum Nutzen?Ich bin der Auffassung, dass wir uns auf vier Punktebesonders konzentrieren sollten: Erstens. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse undMöglichkeiten der modernen Medizin erfordern zurWahrung der menschlichen Würde unsere ganz beson-dere Verantwortung. Zweitens. Auf der einen Seite verpflichtet uns zwarder christliche Schöpfungsauftrag, die Forschung, dieMedizin und die Technik überall dort zu nutzen und zufördern, wo sie dem Leben dienen. Aber auf der anderenSeite gebietet unser christliches Verständnis vom Men-schen mit der gleichen Deutlichkeit, überall dort absolu-te Schranken zu setzen, wo es das Gebot der Un-verfügbarkeit des Lebens erfordert.
Der Mensch wird sich spätestens dort selbst zur Bedro-hung, wo die von ihm geschaffene Technik nicht mehrdem Leben, seiner Unantastbarkeit und seiner Entfaltungdient. Drittens. Entsprechend dem Zeugnis der Bibel ist derMensch geschaffen nach Gottes Bild. Daher hat mensch-liches Leben von Beginn an, also ab der Verschmelzungvon Ei und Samenzelle, den höchsten Anspruch aufSchutz und Achtung seiner Würde, und dies unabhängigvon einem späteren Erfolg oder Misserfolg, unabhängigvon einer Behinderung oder Krankheit, unabhängig vonseiner weiteren Lebensperspektive und vor allem unab-hängig vom wertenden Urteil des Forschers, des Arztes,der Eltern oder gar eines Versicherungsvertreters.
Viertens. Alle Versuche, den Menschen physiolo-gisch oder genetisch auf bestimmte Zwecke hin zu „op-timieren“ – ein fürchterlicher Begriff –, verstoßen gegendie menschliche Würde. Solche Versuche wären auchunmoralisch, weil menschliches Leben nicht Produkt,sondern unmittelbare Schöpfung Gottes ist und damitder Machbarkeit entzogen wird. Diese vier Kriterien sind die unverrückbaren Positio-nen, unter denen die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihreArbeit in der Enquete-Kommission „Recht und Ethik dermodernen Medizin“ aufnehmen wird. Die Freigabe ge-netischer Erbsubstanz zur Manipulation oder gar die Zu-lassung der Tötung von menschlichem Leben hätte au-ßerordentlich fatale und unverantwortbare Wirkungenauf unser gesellschaftliches Zusammenleben. Deshalb gilt – ich wiederhole es –: Die unbedingteLebensgarantie und die stärkste Kontrolle haben beimSchutz behinderten oder ungeborenen Lebens absolutePriorität. Schließlich ist es keineswegs konsequent, auf der ei-nen Seite – zu Recht – mit erbitterter Härte gegen Klon-experimente, gegen Präimplantationsdiagnostik, gegenKeimbahnmanipulation oder gegen die Erzeugung em-bryonaler Stammzellen vorzugehen, auf der anderen Sei-te jedoch zugleich mit gleichgültiger Miene hinzuneh-men, wenn beispielsweise ungeborene Kinder im achtenMonat Gefahr laufen, schon wegen einer Hasenscharteabgetrieben zu werden.
Werner Lensing
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Eine von christlichen Grundsätzen geprägte konse-quente Haltung gebietet es daher, im Rahmen unsererArbeit in der Enquete-Kommission, für den Schutz derMenschenwürde in allen Bereichen mit Verantwor-tungsgefühl und Überzeugungskraft zu streiten. Ich danke Ihnen.
Das
Wort hat jetzt die Kollegin Monika Knoche von Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Her-ren und Damen! Noch keine Kultur und noch keine Ge-sellschaft vor uns stand davor, dass durch die Anwen-dung einer Technik der Begriff vom Menschen selbstvon seiner Auflösung bedroht ist. Im Zuge der Akzeptanzförderung der Biomedizinwerden für den Beginn und das Ende des Lebens neueDefinitionen von Personalität in die Welt geworfen.Vielleicht glaubt man tatsächlich, damit der Ethik Ge-nüge zu tun, aber es wird im Kern jenseits der Men-schenrechtsdogmatik zweckrational argumentiert. Manstellt das Menschenrecht, das Projekt der Moderne, einerpostmodernen Beliebigkeit anheim. Was ist der Mensch? Ab wann und bis wann ist erSubjekt? Die Unterscheidung zwischen Mensch undPerson ist eine definitorische Aufspaltung des Untrenn-baren. Um welche unermessliche Dimension vonFremdbestimmung des Menschen würde es sich einmalhandeln, wenn wir zuließen, dass die Keimbahn gen-technischer Manipulation unterworfen, der Mensch alsIndividuum und als Gattungsart seiner Einzigartigkeitberaubt würde?Das sind Fragen grundsätzlicher Art. Wir sind imwerteprogressiven Sinn aufgefordert, in der Traditionder Menschenrechtskultur Tabus zu halten. Tabu undAufklärung gehören zusammen. Der menschliche Em-bryo in seiner frühen Phase der Entwicklung ist bereitsObjekt kommerzieller Verwendung in Form von paten-tierbarem biologischen Material geworden. Er ist Aus-gangsmaterie zur Herstellung und Herausbildung vonMenschenteilen für die Verwendung in der medizini-schen Therapie: nicht in Deutschland, aber anderswo. So taucht die Frage auf: Sind nationale, kulturelle, ethische Grenzen, grund- und verfassungsrechtliche Ga-rantien in einer globalisierten Welt noch zu halten, inder durch die Verbindung von Informations- und Gen-technologie diese Forschung an allen Orten der Weltnach Anwendung drängt? Nicht nur auf welchem Ver-ständnis vom Menschen sind unsere Werte, unsere wert-vollen Tabus gebaut, sondern auch wie können wir sieüber den nationalen Wertekonsens hinaus normgebenddem europäischen Grundrechtscharta-Konvent befruch-tend hinzufügen? Wie können wir diesen Prozess gestal-ten? Ich bin der festen Überzeugung, dass wir diesen enormen Herausforderungen nur gerecht werden, wennwir mit aller Emphase und Sachlichkeit die Arbeit derEnquete-Kommission des Deutschen Bundestagesbetreiben. Was im Dienste der Menschheit geforscht undangewendet wird, muss sich auf das verfassungsrecht-lich geschützte, ganzheitliche Menschenbild und dieMenschenwürde beziehen. An niemand anderen könnendiese Norm- und Regelsetzungen delegiert werden. Dasmuss das Parlament tun.
Um auf eine aktuelle Frage einzugehen: Nach dembestehenden Embryonenschutzgesetz ist es egal, ob dieZellentwicklung in das Stadium der Toti- oder Pluripo-tenz fortgeschritten ist. Der Embryo ist zu keinem ande-ren Zweck entstanden als zu dem, von einer Frau gebo-ren zu werden. Hier bleibt kein Interpretationsspielraumoffen, auch wenn Gen-Ingenieure das hoffen.
Die entleibte Fruchtbarkeit der Frau hat die größtenBegehrlichkeiten auf die Nutzbarmachung menschlichenLebens geweckt. Ob Präimplantation oder Pränataldia-gnostik, sie alle betreffen die Frau, ihre Selbstbestim-mung und die soziale und gesellschaftliche Dimensionvon Mutterschaft in einer Weise, wie das noch mit keiner Technik je geschehen ist. Die Entschlüsselungder genetischen Beschaffenheit generiert die Entschei-dung über Krankheitswertigkeit und Lebenswert. Aus-tragungsort von Selektion ist der Körper der Frau. Ichmöchte nicht, dass wir diese Perspektive vergessen. Wir haben die Aufgabe, die Komplexität des Themastransparent und allgemein verständlich zu machen, dennwir wollen den Austausch mit der Bevölkerung. Dasmuss die Enquete-Kommission leisten. Gerade heutesoll nicht vergessen werden: Es ist dem nachhaltigenEngagement einer informierten und aufgeklärten Öffent-lichkeit sowie der Presse entscheidend mitzuverdanken,dass die Enquete-Kommission letztlich doch eingesetztwird. Sie, die Kirchen, die Natur- und Geisteswissen-schaften, die Behindertenverbände, gehören unverzicht-bar zu den dialogführenden Parteien dazu. Diese habenihre aufgeklärte Position nicht zuletzt in ihrer Kritik ander europäischen Bioethik-Konvention formuliert, diediesen unverzichtbaren Schutzstandard eben geradenicht hinreichend garantieren kann. Wir müssen sehrernsthaft daran arbeiten, dass es nicht über die suprana-tionale Ebene zu einer Nivellierung unserer Standardskommt. Die deutsche Enquete-Kommission hat unbedingt ei-ne europäische Wirkung. Wenn jetzt beispielsweise inEngland der DNA-Chip für die private Krankenversi-cherung Verwendung findet, zeigt das: Die Entschlüsse-lung des menschlichen Genoms darf niemals mit einemWerner Lensing
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individuellen Krankheitsrisiko in Verbindung gebrachtwerden.
Das Krankheitsrisiko zu individualisieren bedeutetdie Autonomie zu pervertieren. Was Selbstbestimmunggenannt wird, ist Diskriminierung, ist das Gegenteil vonFreiheit und Gleichheit. So wie der Zivilität eine zu-kunftsfähige Weiterentwicklung des solidarischen Sozi-alstaats zugrunde zu legen ist, so darf Leitbild der gene-tisch und molekular ausgerichteten Biomedizin nicht diegenetische Verbesserung des Menschen sein. Wenn dassicher ist, bewegen wir uns auf festem Grund.Ich danke Ihnen.
Als
nächster Redner hat der Kollege Professor Schmidt-
Jortzig von der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsi-
dent! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen!
Meine Herren! Die F.D.P. begrüßt die Einsetzung der
Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen
Medizin“ nachdrücklich. Wir glauben, dass es dringend
geboten ist, dass sich auch und gerade das Parlament mit
diesen Fragen und den Problemen auf diesem Gebiet
umfassend beschäftigt. Wir sind uns – gottlob – noch
gar nicht ganz einig darüber, was alles dazu gehört.
Manche Aspekte haben wir schon gehört. Herr Kollege
Lensing und Herr Kollege Wodarg, Sie haben darauf
hingewiesen.
Ich möchte nur einen zusätzlichen Bereich anspre-
chen, der auch in diesem Problemfeld anzusiedeln ist.
Dies ist der große Fragenkomplex um Sterbehilfe,
Sterbebegleitung und/oder die Palliativmedizin. Wir
wissen, dass die wissenschaftliche Forschung täglich
weiter greift. Hier ergeben sich allenthalben Fragen so-
wohl bezüglich segensreicher Therapiemöglichkeiten als
auch umgekehrt bezüglich Horrorvorstellungen. Darauf
ist schon hingewiesen worden. Man denke nur daran,
dass die berühmt-berüchtigte Dolly-Methode auch bei
Menschen anwendbar ist.
Es gibt also eine Fülle von Problemen, die alle einer
Erörterung und eben auch der rechtlichen Regulierung
bedürfen, weil man nie ausschließen kann, dass sich hier
Experimentierer bar eigener ethischer Beschränkungen
tummeln und Dinge treiben, die mit unserem Men-
schenbild, unserer Verpflichtung vor der Verfassung und
vor allem der Verantwortung vor den nachfolgenden
Generationen ebenso wie vor unserer spezifischen Ver-
gangenheit nicht vereinbar sind.
Hier zu gemeinsamen Grundregeln zu kommen ist
bestimmt schwierig, aber davor zu kapitulieren und sich
schnell in das Argument mit der Unabstimmbarkeit zu
flüchten wäre meines Erachtens unvertretbar.
Vielmehr gilt es, dass das Parlament sich auf seine Füh-
rungsaufgabe und seine Funktion als Anstoßgeber für
öffentliche und tief gehende Diskussionen besinnt.
Ich glaube jedenfalls, dass das demokratische Mandat
im Grunde und erst recht wohl in diesem Bereich we-
niger dazu berechtigt, allgemeinen Meinungen, Ängsten
oder eben Entscheidungsverweigerungen nachzugeben,
als vielmehr dazu verpflichtet, sich in noch so schwieri-
gen Situationen persönlich zu bekennen, miteinander um
ein möglichst gutes Urteil und eine möglichst gemein-
verträgliche Lösung zu ringen, die Verantwortung zu
akzeptieren und dann eben auch Entscheidungen zu tref-
fen.
Meine Damen und Herren, freilich weiß man zusätz-
lich – das hat mich jedenfalls die Erfahrung aus der letz-
ten Legislaturperiode mit dem Gesetz über die Organ-
transplantation gelehrt –, als wie unangenehm die Befas-
sung mit solch existenziellen Themen von vielen emp-
funden wird. Möglicherweise – ich will das nur ganz
zart andeuten – beruht darauf im Übrigen auch, dass der
jetzige Tagesordnungspunkt so ganz am Ende der Wo-
chenagenda versteckt wurde. Nur als ein Beispiel für ei-
nen Tagesordnungspunkt, der deutlich vorangestellt
wurde, sei etwa der tourismuspolitische Bericht der
Bundesregierung erwähnt. Ich hoffe sehr, dass das mit
den Ergebnissen der Enquete-Kommission nicht so ge-
hen wird.
Für die Arbeit ist es ja vielleicht gar nicht so schlecht,
wenn wir etwas ruhiger beginnen.
Also: Lassen wir uns von Schwierigkeiten nicht be-
eindrucken, sondern gehen wir die große Aufgabe guten
Mutes an. Die Liberalen jedenfalls wollen sich hier be-
herzt einbringen.
Vielen Dank.
Das
Wort hat jetzt Kollege Dr. Ilja Seifert von der PDS-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! In gar nichtallzu ferner Zukunft soll es durch einen kleinen geneti-schen Eingriff möglich sein, Krankheiten zu heilen, vordenen wir alle Angst haben. Ist das nicht ein hehres Ziel,eine ethisch hoch stehende Aufgabe? Leider kann manmit denselben Methoden auch andere Dinge tun, mitdenselben Techniken, mit denselben Instrumenten undauch von denselben Menschen ausgeführt: Man kannumweltresistente Menschen herstellen. Wollen wir das?Man kann dem Schönheitswahn, der uns durch die Wer-bung aufgezwungen wird, dadurch Nahrung geben, dassman sagt: Wir machen euch so schön, wie ihr sein wollt!Und: Ihr bleibt ewig jung. Das ist alles möglich.Ist es aber nicht in Wirklichkeit so, dass das eigent-lich Menschliche darin besteht, dass wir alle voller Feh-ler sind, dass es die Menschen gerade ausmacht, dassMonika Knoche
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8959
wir nicht perfekt sind, dass uns auch einmal etwas weh-tut?Wir setzen heute eine Bioethik-Enquete-Kommis-sion ein, und ich bin froh darüber. Endlich hat der Druckvieler Behindertenorganisationen, vieler Wohlfahrtsver-bände, vieler Selbsthilfegruppen und auch der Druckvon Einzelpersönlichkeiten dazu geführt, dass hier imBundestag diese Kommission eingesetzt wird. Nicht zu-fällig auch ein bisschen, weil die PDS schon im Novem-ber vergangenen Jahres einen entsprechenden Antrageingebracht hat. Wir wollen heute, auch wenn alle, diebisher geredet haben, sich sehr positiv äußerten, nicht sotun, als ob es nicht so gewesen wäre, dass in den großenFraktionen erheblicher Widerstand gegen die Einsetzungeiner solchen Kommission bestand. Und das ist bedauer-lich.Ich will nicht verhehlen, dass ich es nach wie vorauch bedauere, dass ideologische Verbohrtheit bei Ih-nen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von derCDU/CSU, verhindert hat, dass wir einen gemeinsamenAntrag einbringen konnten.
In der Sache sind wir doch gar nicht auseinander. Daherhatte ich eigentlich gedacht, dass wir, nachdem wir inder Behindertenpolitik schon einmal gemeinsame An-träge einbringen konnten, das auch bei so wichtigenDingen tun könnten. Das Zeichen nach außen wäre ge-wesen, dass der Bundestag um die Wichtigkeit der Auf-gabe weiß und mit parteipolitischem Hickhack aufhört,der hier wirklich nicht angebracht ist.Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um dieFrage, ob wir wirklich alles tun wollen, was wir tunkönnen. Ich glaube es nicht. Die Enquete-Kommissionwird die schwierige Aufgabe haben, all das zu bespre-chen. Diejenigen, die warnen und sagen, die Risiken sei-en so groß, dass wir sie nicht alle eingehen sollten, er-scheinen als Fortschrittsverhinderer. Aber bitte schön,meine Damen und Herren, welch ein Fortschritt ist es,wenn am Ende das, was Sie, die Sie religiös geprägtsind, Schöpfung nennen, nicht mehr existiert?Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Als letz-
ter Rednerin gebe ich der Kollegin Margot von Renesse
von der SPD-Fraktion das Wort. – Bedauerlicherweise
bleiben Ihnen nur noch drei Minuten Redezeit, Frau von
Renesse. Beim nächsten Tagesordnungspunkt sind Sie
allerdings als erste Rednerin vorgesehen.
Das ist dann die Kom-pensation.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da mirwenig Zeit bleibt, möchte ich nach den vielen sehr be-herzigenswerten grundsätzlichen Reden, die wir ebengehört haben, versuchen, Sie an einem, wie man sagt,Schlüsselerlebnis teilhaben zu lassen, das ich vor etwa17 Jahren hatte.Damals hatte ich mich zum ersten Mal mit der seiner-zeit auch für mich unerhörten Reproduktionsmedizinzu befassen. Die medizinisch unterstützte Fortpflanzungschien mir eine Entschleierung von Tabus – des Ge-heimnisvollen, des Dunklen und des Liebevollen, auchdes Menschenwürdigen – zu sein, abgesehen davon,dass meine familienrechtlichen Vorstellungen völligdurcheinander kamen. Als ich mich damit beschäftigte,war für mich der zwingende Gedanke: Das ist allesfurchtbar, ab damit ins Strafgesetzbuch. Mir war klar,dass angesichts der Vielzahl dieser Techniken, die mög-lich werden würden, Menschenwürde in einem ganzwichtigen Stadium von Menschsein, nämlich bei derEntstehung des Menschen, erheblich in Gefahr geriet.Menschenwürde ist ja immer in Grenzsituationen ge-fragt: beim Entstehen und Beenden von Leben, beiKrankheit und Behinderung. Wir brauchen die Men-schenwürde eines 35-jährigen Olympioniken in der Re-gel nicht zu schützen. Aber da, wo die Menschenwürdein Gefahr ist, tritt auch ihr Ernstfall ein.Damals rief ich meine Schwester an, die Radiothera-peutin und urologische Onkologin in Oslo und eine sehrfromme Frau ist, die morgens Bibellesungen macht. Ichfragte sie, ob sie von diesen Möglichkeiten wisse undwas sie davon halte. Sie antwortete: Was willst du, da-mit arbeite ich. Auf meine erstaunte Nachfrage erläuter-te sie mir, ein großer Teil ihrer Patienten seien jungeHodenkrebspatienten. Müsse man ihnen sagen, dass sieKrebs haben, sei es schon schwierig genug. Müsse manihnen darüber hinaus sagen, dass sie Hodenkrebs haben,dann – das war für meine Schwester nachvollziehbar;übrigens im Gegensatz zu vielen Gynäkologen in Bezugauf Frauen mit gynäkologischen Krebsen – sei das fürsie ein Einbruch in ihr Selbstverständnis. Da die Thera-pie sehr langwierig und belastend war, konnte sie ihrePatienten nur heilen, wenn sie nicht in Depressionenverfielen. Sie brauchte daher diese Techniken, um denjungen Männer sagen zu können, sie könnten mit Si-cherheit leibliche Kinder haben, wenn sie es wollten. Sokonnte sie sie heilen. Inzwischen ist der Hodenkrebsweitgehend heilbar.Das war für mich ein Schlüsselerlebnis. Ich habe im An-schluss daran über etwas nachgedacht, was ein mensch-liches Grundgesetz ist: die Ambivalenz all dessen, waswir tun. Als am Ende des finsteren, des nicht wissen-schaftlichen Mittelalters Wissenschaft auf der Bildflächeerschien, sprach man von „aude sapere“: „Wage es, et-was zu wissen.“ Dies war ein Aufbruch und zugleich ei-ne Verurteilung. Die tragische Dialektik menschlichen Tuns wird unsbeschäftigen. Hoffentlich schlagen wir Brücken zu denverschiedenen Ebenen, in denen leider noch unterschied-liche Ethiken existieren. Die Scientific Society denktmanchmal anders als die Betroffenen. Hoffentlich schla-gen wir Brücken zwischen den Nationen und zwischenden verschiedenen Perzeptionsschichten. Es ist nicht al-les des Teufels, was Menschen tun, aber alles kann desTeufels sein!Dr. Ilja Seifert
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8960 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
Danke.
Ichschließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag derFraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zurEinsetzung einer Enquete-Kommission auf Drucksa-che 14/3011. Wer stimmt für diesen Antrag? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag istdamit einstimmig angenommen. Die Enquete-Kommis-sion „Recht und Ethik der modernen Medizin“ ist damiteingesetzt.Wir kommen zur Abstimmung der Fraktion der PDS zur Einsetzung einer Enquete-Kommission „Menschen-rechte, Ethik und Politik für eine Medizin der Zukunft“auf Drucksache 14/2153. Wer stimmt dafür? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist derAntrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen beiEnthaltung von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stim-men der PDS abgelehnt.Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe,will ich das von den Schriftführern und Schriftführe-rinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-mung über den „Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der
90/Die Grünen, Drucksache 14/2765, bekannt geben.Abgegebene Stimmen 479. Mit Ja haben gestimmt 308,mit Nein haben gestimmt 171, Enthaltungen keine. Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 476davon ja: 302 nein: 171 ungültig: 3JaSPDBrigitte AdlerGerd AndresIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHermann BachmaierErnst BahrDoris BarnettDr. Hans Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Ingrid Becker-InglauWolfgang BehrendtDr. Axel BergHans-Werner BertlFriedhelm JuliusBeucherPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigKlaus BrandnerAnni Brandt-ElsweierRainer Brinkmann
Hans-Günter BruckmannDr. Michael BürschWolf-MichaelCatenhusenDr. Herta Däubler-GmelinDr. Peter DanckertChristel DeichmannKarl DillerPeter DreßenRudolf DreßlerDetlef DzembritzkiDr. Peter EckardtSebastian EdathyLudwig EichMarga ElserPeter EndersGernot ErlerPetra ErnstbergerAnnette FaßeLothar Fischer
Gabriele FograscherIris FollakNorbert FormanskiRainer FornahlHans ForsterDagmar FreitagLilo Friedrich
Harald FrieseAnke Fuchs
Arne FuhrmannMonika GanseforthGünter GloserRenate GradistanacGünter Graf
Angelika Graf
Achim GroßmannWolfgang GrotthausKarl-Hermann Haack
Hans-Joachim HackerKlaus HagemannManfred HampelChristel HanewinckelKlaus HasenfratzNina HauerHubertus HeilReinhold HemkerFrank HempelRolf HempelmannGustav HerzogMonika HeubaumReinhold Hiller
Stephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Ingrid HolzhüterEike Maria HovermannChristel HummeBrunhilde IrberGabriele IwersenRenate JägerIlse JanzVolker Jung
Johannes KahrsUlrich KasparickSusanne KastnerHans-Peter KemperKlaus KirschnerMarianne KlappertFritz Rudolf KörperWalter KolbowKarin KortmannAnette KrammeNicolette KresslVolker KröningAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaErnst KüchlerHelga Kühn-MengelDr. Uwe KüsterKonrad KunickWerner LabschChristine LambrechtBrigitte LangeChristian Lange
Detlev von LarcherRobert LeidingerDr. Elke LeonhardEckhart LeweringChrista LörcherGötz-Peter Lohmann
Erika LotzDr. Christine LucygaWinfried ManteDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkUlrike MascherHeide MattischeckMarkus MeckelUlrike MehlUlrike MertenAngelika MertensDr. Jürgen Meyer
Ursula MoggChristoph MoosbauerMichael Müller
Jutta Müller
Christian Müller
Franz MünteferingAndrea NahlesVolker Neumann
Dr. Edith NiehuisDietmar NietanGünter OesinghausLeyla OnurManfred OpelHolger OrtelAdolf OstertagKurt PalisAlbrecht PapenrothDr. Willfried PennerDr. Martin PfaffGeorg PfannensteinJohannes PflugMargot von Renesse
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8961
Dr. Eckhart Pick Karin Rehbock-ZureichDr. Carola ReimannMargot von RenesseRenate RennebachBernd ReuterDr. Edelbert RichterReinhold RobbeRené RöspelGudrun RoosDr. Ernst DieterRossmannBirgit Roth
Marlene RupprechtThomas SauerGudrun Schaich-WalchRudolf ScharpingDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerDieter SchlotenHorst Schmidbauer
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Carsten SchneiderDr. Emil SchnellKarsten SchönfeldFritz SchösserOlaf ScholzOttmar SchreinerGisela SchröterDr. Mathias SchubertRichard Schuhmann
Brigitte Schulte
Volkmar Schultz
Ewald SchurerDr. R. Werner SchusterDr. Angelica Schwall-DürenRolf SchwanitzBodo SeidenthalErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWieland SorgeWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerLudwig StieglerRolf StöckelRita Streb-HesseReinhold StroblDr. Peter StruckJoachim StünkerJoachim TappeJörg TaussJella TeuchnerWolfgang ThierseFranz ThönnesAdelheid TröscherHans-Eberhard UrbaniakRüdiger VeitSimone ViolkaUte Vogt
Hans Georg WagnerHedi WegenerDr. Konstanze WegnerWolfgang WeiermannReinhard Weis
Matthias WeisheitGert Weisskirchen
Dr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerJochen WeltDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelDr. Norbert WieczorekJürgen Wieczorek
Helmut Wieczorek
Dieter WiefelspützHeino Wiese
Brigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenHanna Wolf
Waltraud Wolff
Heidemarie WrightUta ZapfPeter ZumkleyBÜNDNIS 90/ DIE GRÜ-NENGila Altmann
Marieluise Beck
Angelika BeerAnnelie BuntenbachEkin DeligözDr. Thea DückertFranziska Eichstädt-BohligHans-Josef FellAndrea Fischer
Katrin Dagmar Göring-EckardtRita GrießhaberWinfried HermannAntje HermenauKristin HeyneUlrike HöfkenMichaele HustedtMonika KnocheDr. Angelika Köster-LoßackSteffi LemkeDr. Reinhard LoskeOswald MetzgerKlaus Wolfgang Müller
Christa NickelsChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkAlbert Schmidt
Werner Schulz
Christian SimmertChristian SterzingHans-Christian StröbeleJürgen TrittinDr. Antje VollmerDr. Ludger VolmerSylvia VoßHelmut Wilhelm
Margareta Wolf
PDSDr. Dietmar BartschPetra BlässMaritta BöttcherEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Heinrich FinkWolfgang GehrckeDr. Klaus GrehnUwe HikschCarsten HübnerSabine JüngerDr. Evelyn KenzlerDr. Heidi Knake-WernerRolf KutzmutzHeidi LippmannUrsula LötzerHeidemarie LüthDr. Christa LuftAngela MarquardtManfred Müller
Kersten NaumannChristine OstrowskiChristina SchenkGustav-Adolf SchurDr. Ilja SeifertNeinCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannBrigitte BaumeisterDr. Sabine Bergmann-PohlOtto BernhardtDr. Maria BöhmerWolfgang Börnsen
Sylvia BonitzJochen BorchertWolfgang BosbachKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepePaul BreuerGeorg BrunnhuberHartmut Büttner
Cajus CaesarLeo DautzenbergAlbert DeßRenate DiemersThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjürgen DossIlse FalkDr. Hans Georg FaustAlbrecht FeibelDirk Fischer
Herbert FrankenhauserDr. Gerhard Friedrich
Dr. Hans-Peter Friedrich
Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeDr. Jürgen GehbNorbert GeisGeorg GirischPeter GötzKurt-Dieter GrillManfred GrundKlaus-Jürgen HedrichHelmut HeiderichManfred HeiseSiegfried HeliasHans Jochen HenkePeter HintzeJoachim HörsterKlaus HofbauerMartin HohmannKlaus HoletschekSiegfried HornungHubert HüppeGeorg JanovskyDr.-Ing. Rainer JorkDr. Harald KahlDr.-Ing. Dietmar KansyVolker KauderEckart von KlaedenUlrich KlinkertNorbert KönigshofenDr. Helmut KohlEva-Maria KorsHartmut KoschykThomas KossendeyRudolf KrausDr. Martina KrogmannDr.-Ing. Paul KrügerDr. Hermann KuesDr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertDr. Paul LaufsWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Eduard LintnerDr. Manfred LischewskiVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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8962 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
Wolfgang Lohmann
Dr. Michael LutherErich Maaß
Dr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterFriedrich MerzHans MichelbachBernward Müller
Elmar Müller
Bernd Neumann
Claudia NolteGünter NookeFranz ObermeierFriedhelm OstEduard OswaldNorbert Otto
Anton PfeiferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaMarlies PretzlaffThomas RachelDr. Peter RamsauerHelmut RauberHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberHannelore Rönsch
Franz RomerHeinrich-WilhelmRonsöhrKurt J. RossmanithDr. Christian RuckAnita SchäferDr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteHeinz SchemkenGerhard ScheuChristian Schmidt
Andreas Schmidt
Birgit Schnieber-JastramDr. AndreasSchockenhoffReinhard Freiherr vonSchorlemerHeinz SeiffertBernd SiebertWerner SiemannJohannes SinghammerBärbel SothmannMargarete SpäteWolfgang SteigerDorothea Störr-RitterAndreas StormMax StraubingerMatthäus StreblThomas StroblDr. Susanne TiemannEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlGunnar UldallAngelika VolquartzAndrea VoßhoffPeter Weiß
Annette Widmann-MauzHeinz Wiese
Hans-Otto Wilhelm
Matthias WissmannWerner WittlichDagmar WöhrlAribert WolfWolfgang ZöllerF.D.P.Jörg van EssenRainer FunkeDr. Wolfgang GerhardtDr. KarlheinzGuttmacherUlrich HeinrichWalter HircheBirgit HomburgerUlrich IrmerGudrun KoppJürgen KoppelinIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerDirk NiebelGünther FriedrichNoltingCornelia PieperDr. Günter RexrodtDr. Edzard Schmidt-JortzigGerhard SchüßlerMarita SehnDr. Hermann Otto SolmsCarl-Ludwig ThieleDr. Guido WesterwelleUngültigCDU/CSUDieter GrasedieckBÜNDNIS 90/ DIEGRÜNENVolker Beck
Kerstin Müller
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver-sammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder derIPUAbgeordneteBehrendt, Wolfgang, Bühler , Klaus, Neumann (Gotha), Gerhard, Siebert, Bernd, CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU__________________________________Der Gesetzentwurf ist angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b so-wie den Zusatzpunkt 8 auf: 21 a) Beratung des Antrags der AbgeordnetenChristina Schenk, Ulla Jelpke, Sabine Jünger,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derPDSUnrechtserklärung der nationalsozialisti-schen §§ 175 und 175 a Nr. 4 Reichsstraf-gesetzbuch sowie Rehabilitierung und Ent-schädigung für die schwulen und lesbi-schen Opfer des NS-Regimes– Drucksache 14/2619 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der AbgeordnetenChristina Schenk, Ulla Jelpke, Sabine Jünger,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derPDSRehabilitierung und Entschädigung für diestrafrechtliche Verfolgung einvernehmli-cher gleichgeschlechtlicher sexueller Hand-lungen zwischen Erwachsenen in der Bun-desrepublik Deutschland und der Deut-schen Demokratischen Republik– Drucksache 14/2620 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der AbgeordnetenAlfred Hartenbach, Margot von Renesse,Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8963
Wilhelm Schmidt , Dr. PeterStruck und der Fraktion der SPD sowie derAbgeordneten Volker Beck , KerstinMüller , Rezzo Schlauch und der Frak-tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rehabilitierung der im Nationalsozialismusverfolgten Homosexuellen– Drucksache 14/2984 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei diePDS fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-derspruch. Dann ist so beschlossen.Als erster Rednerin gebe ich der Kollegin Margot vonRenesse das Wort.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Als wir in der letzten Legislaturpe-riode über das NS-Aufhebungsgesetz sprachen – HerrBeck, Sie erinnern sich –, waren wir uns darüber einig,dass die Homosexuellen – die Menschen mit dem „rosaWinkel“, in den Geltungsbereich dieses Gesetzes einzu-beziehen sind: Sie konnten, sowohl was Rehabilitierungals auch was Entschädigung angeht, nicht anders behan-delt werden als alle, die einem speziellen NS-Unrechtzum Opfer gefallen waren – gleichgültig, ob sie nochlebten oder durch die Täter von damals vernichtet wor-den sind. Es war uns zu diesem Zeitpunkt völlig klar,dass ihre Ehre wiederhergestellt werden muss. Seinerzeit gab es gerade auch über diesen PunktStreit. Ich will an einen anderen Sachzusammenhang er-innern, der sozusagen den Vorwand dafür lieferte, dasses überhaupt dazu kommen konnte. Wir waren uns inder letzten Legislaturperiode zum Glück einig, dass je-denfalls diejenigen, die durch die Erbgesundheitsgerich-te der NS-Zeit so etwas Schreckliches wie Zwangssteri-lisierung haben erdulden müssen, vom Gesetz erfasstwerden mussten.Das war lange Zeit nicht klar. Denn die Frage, ob essich um spezielles NS-Unrecht handelte, war streitig,und zwar deshalb, weil es das – gerade bei Zwangssteri-lisationen ist das ein erschreckender Tatbestand – inner-halb Deutschlands und auch außerhalb Deutschlands vorder nationalsozialistischen Zeit und auch noch danachgegeben hat. Es wird gefragt, wieso das ein speziellesNS-Unrecht sei. Das hat es doch immer gegeben, wennauch während der nationalsozialistischen Zeit in beson-ders schlimmer Weise. In der letzten Legislaturperiode war Gott sei Dank al-len klar, dass das, was die Nazis aus einem furchtbarenIrrtum heraus, der schon vor und noch nach der natio-nalsozialistischen Zeit obwaltete, gemacht hatten, nurnoch begrenzt mit einem furchtbaren Irrtum zu tun hatte.Das Vorgehen der Nazis war vielmehr von Vernich-tungswillen, Verfolgung sowie Beseitigung der – wiedas manchmal in solchen Entscheidungen hieß – Ele-mente des Abschaums und der Volkszerstörung und-vernichtung geprägt. Ähnliche Probleme – Herr Beckerinnert sich auch daran – hatten wir auch bei denDeserteuren. Die Spezifität des nationalsozialistischenUnrechts erschien hier unklar. Zum Glück ist das ausge-standen. Damals bestand für mich, für uns alle die Frage: Wie-so trifft das eigentlich immer noch nicht für die Opfervon Verurteilungen nach § 175 RStGB zu? Diese sindin der Weimarer Republik und in der Nazizeit eben nichtnur verurteilt worden. – So schlimm diese Urteile auchwaren. Es war ja keine leichte Sache, nach § 175 RStGBverurteilt zu werden. – Diese Verurteilungen hattennichts mehr mit juristischer Praxis zu tun. Es handeltesich nur noch um Tötung, Vernichtung, Beseitigung undAusmerzung und führte bis hin zu den KZs. Diese Auseinandersetzung haben wir jetzt Gott seiDank hinter uns. Mit der neuen Regierung ist klar – auchder vorliegende Antrag macht dies deutlich; uns wardies eigentlich von Anfang an klar –, dass wir spätestensdann, wenn wir die Gesamtheit der die homosexuellenPaare betreffenden Rechtsbestimmungen ändern wollen,eine endgültige Bereinigung auch dieses Kapitels her-beiführen müssen. Nach wie vor stellt sich die Frage der Vorgehenswei-se. Ist das mit dem alten Gesetz erreichbar oder bedürfenwir eines neuen? Falls es eines neuen Gesetzes bedarf,werden wir es einbringen. Daran gibt es überhaupt kei-nen Zweifel. In diesem Zusammenhang bestehen inzwi-schen Gott sei Dank keine Fragen mehr. Ich nehme an,auch die andere Seite dieses Hauses sieht dies angesichtsder übrigen von mir angesprochenen Sachzusammen-hänge so.
– Na wunderbar. Dann gibt es in dieser Frage wahr-scheinlich Einheitlichkeit in diesem Hause. Ein Extraproblem ist die Frage: Was machen wir mitden Verurteilungen nach § 175 StGB nach 1945?Denn es hat sie auch nach 1945 gegeben. Erst die GroßeKoalition hat damit 1969 unter Führung des damaligenJustizministers Dr. Gustav Heinemann ein Ende ge-macht. Bis 1969 galt in der alten Bundesrepublik der§ 175 StGB fort. Erst in der vergangenen Legislaturperi-ode haben wir die letzten Unterschiede in der Straf-rechtsbehandlung homosexueller und heterosexuellerHandlungen endgültig bereinigt. Es hat schrecklich lan-ge gedauert.Was machen wir also mit den nach § 175 StGB Ver-urteilten? Inzwischen wissen wir – Straßburger Urteilemachen dies deutlich –: Bei all diesen Verurteilungenhandelt es sich um Verstöße gegen die Menschenrechts-konvention des Europarates. Wie gehen wir damit um?Ein uraltes strafrechtliches Problem, mit dem wir unsauseinander setzen müssen, ist, dass Unrechtsurteile,auch wenn sie falsch sind bzw. auf falschem Rechtberuhen, nicht schon deswegen automatisch aufhebbarsind. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Das ist anders – ich komme noch einmal auf einenbereits von mir angesprochenen Punkt zurück – bei denVorgehensweisen in der Zeit zwischen 1933 und 1945.Weil alle diese Urteile keine Urteile waren, die einenTatbestand umsetzten, und zwar so deutlich, dass nichteinmal mehr juristisch argumentiert wurde, sondern nurnoch der Vernichtungswille zum Ausdruck kam, deswe-gen kann man sie genauso generell aufheben, wie mandas auch im Hinblick auf die Waldheim-Urteile getanhat, wohl wissend, dass es sich um Menschen handelte,die auch in einem Rechtsstaat der Verurteilung hättenzugeführt werden müssen. Aber weil dies Urteile waren,die nicht einmal mehr die Qualität eines Urteils hatten,deswegen haben wir uns entschlossen, die Waldheim-Urteile alle aufzuheben. Das haben wir auch bei den De-sertionsurteilen getan. Meines Erachtens – das sage ich hier ganz persön-lich – kann man das bei den Urteilen gegen Homosexu-elle aus der Zeit von 1933 bis 1945 ohne Weiteres auchtun. Ich persönlich sage sogar: Man muss es tun.
Wir werden uns damit auseinander zu setzen haben.Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen; deswegen gibtes noch kein eindeutiges Ergebnis, eines, das für allefeststeht. Mein Ergebnis habe ich bereits genannt. Ich denke, dass man auch denjenigen, die nach 1945verurteilt worden sind, zumindest in einem Punkt ent-gegen kommen muss: Man muss ihnen ihre Ehre wie-dergeben. Es würde nichts verschlagen, wenn sich dieBevölkerung, vertreten durch dieses Parlament, bei alldenen entschuldigt, die im Namen dieses Staates zu lei-den hatten, obwohl sie niemandem Unrecht getan haben.Das ist mein Wunsch. Ich hoffe, dass die Bundesregie-rung entsprechend handelt.Danke sehr.
Als
nächstem Redner gebe ich das Wort dem Kollegen
Dr. Jürgen Gehb von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Mei-ne Damen und Herren! In der Debatte über den Entwurfeines Gesetzes zum verbesserten Schutz der Bundes-wehr vor Verunglimpfung hat der Abgeordnete Beckam 30. September letzten Jahres seinen Redebeitrag mitden Worten begonnen: „Die Wiedervorlagemappe derUnion scheint wirklich unerschöpflich zu sein.“ Weitersagte er, dass es die Union mit ihrem Antrag gar nicht soernst zu nehmen scheine; denn sie präsentiere ihn nach1996 zum zweiten Mal.
In dem Redebeitrag des Abgeordneten Stünker in dergleichen Debatte, den er mit der Feststellung begonnenhat, dass sich der Bundestag nicht zum ersten Mal mitdiesem Gesetz beschäftige, findet sich der Zwischenrufwiederum des Abgeordneten Beck: „Das ist inzwischenein Running Gag!“ Ein weiterer Zuruf vom Bündnis 90/Die Grünen lautete: „Denen fällt nichts mehr ein!“ Ichmöchte die heutige Debatte nicht mit der Beck‘schenGeringschätzung führen,
wenngleich ich feststellen muss, dass auch dieses Gesetznicht zum ersten Mal den Deutschen Bundestag beschäf-tigt.Ich bin zum ersten Mal Redner zu diesem Gesetz. Ichweiß, dass man sich sehr schnell der Gefahr und demVorwurf aussetzt, ein Ewiggestriger zu sein, wenn mandiese Anträge, die auf dem Tisch liegen, nicht sofort un-kritisch und unreflektiert in vollem Umfang bejaht. Da-mit Sie der Debatte ganz entspannt folgen können, kannich Ihnen für mich – ich denke, auch für meine ganzeFraktion – klipp und klar sagen: Ich begrüße die Aufhe-bung von § 175 und § 175 a Nr. 4. Bedauerlicherweisekam die Aufhebung vielleicht viel zu spät. Ich verurteileaufs Schärfste die Rechtsanwendungspraxis der Gerichtebezüglich der NS-Zeit.Dennoch gebieten die Vorlagen, dass man sich mitihnen differenziert auseinander setzt, wobei ich eine ob-jektive Betrachtung unter Ausblendung der Urheber-schaft zweier Anträge vornehmen möchte. Es ist aberschon befremdlich, dass ausgerechnet die PDS als Nach-folgepartei der SED diese Anträge stellt, die ebenfalls ineinem Unrechtsstaat vor Terror, Mord, Bespitzelung,Denunziation und Rechtsbeugung keinen Halt gemachthat.
Soweit der Antrag darauf zielt, dass der Bundestagfeststellen möge, dass die Verschärfung der Vorschriftenoder die Vorschriften selber typisch nationalsozialisti-sches Unrecht seien, muss ich Ihnen unter Ausblendungder Urheberschaft sagen – ich will jetzt keine Rechts-exegese vornehmen, aber die Dogmatik gebietet es nuneinmal das zu sagen –, dass der Bundestag dafür der fal-sche Adressat ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 1957in der amtlichen Entscheidungssammlung Band 6 aufSeite 389 ff. festgestellt, dass die Vorschriften der§§ 175 ff. kein typisch nationalsozialistisches Unrechtsind. Nun könnte man über den Inhalt trefflich streiten.Das will ich aber gar nicht tun. Möglicherweise würdeman heute unter den gegebenen Lebensverläufen undAnschauungen auch anders urteilen. Aber diese Ent-scheidung, die auf eine Verfassungsbeschwerde einesvom Landgericht Hamburg verurteilten Homosexuellenerging, entfaltet nun einmal Bindungskraft. § 31 desBundesverfassungsgerichtsgesetzes legt fest: Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtsbinden die Verfassungsorgane des Bundes und derLänder sowie alle Gerichte und Behörden. Margot von Renesse
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Daran kommt man nicht vorbei. Es mag ein formalis-tisch anmutender Einwand sein. Aber jedenfalls steht erdiesem Petitum der PDS entgegen.Um eine andere Geschichtsklitterung gar nicht auf-kommen zu lassen, möchte ich einen ganz kleinen histo-rischen Exkurs machen. Die §§ 175 und 175 a Nr. 4des Reichsstrafgesetzbuches sind nicht das Gewächs derNationalsozialisten. Es kam ihnen sehr zupass, wie dieVerschärfung und die unmenschlichen Anwendung spä-ter gezeigt haben. Aber die Geschichte der strafrechtli-chen Würdigung gleichgeschlechtlicher Beziehungengeht zurück auf das Alte Testament, das dritte BuchMoses, ging fort über die Constitutio Criminalis Caroli-na im 16. Jahrhundert und wurde schließlich im gemei-nen deutschen Recht 1871 in das Reichsstrafgesetzbuchübernommen.
Das ist in der Tat nicht das Problem. Die Problemefokussieren sich, soweit es um die Aufhebung geht, aufdie Zeit zwischen 1935 und 1945, wie meine Vorredne-rin schon gesagt hat.Frau Renesse, Sie haben Ihre Regierung im Übrigenzu Unrecht als Urheber genannt. Dies geschah noch un-ter der Regierung von CDU/CSU und F.D.P.
Das möchte ich der Richtigkeit halber sagen, ohne po-lemisch zu werden. Da wir Juristen aber einen hohenAnspruch haben, gebietet es die Richtigkeit.In dem Gesetz über die Aufhebung nationalsozialisti-scher Unrechtsurteile gibt es in § 1 eine Generalklausel,wonach Urteile aufzuheben und die Verfahren einzustel-len sind, wenn sie die Grundsätze der Menschlichkeitverletzen, wenn sie religiöser oder rassistischer Natursind. Dann gibt es eine Spezialklausel, nämlich § 2Nr. 3, und dazu einen Kanon in der Anlage. Es ist da-rüber ein Streit entstanden, ob die §§ 175 und 175 aNr. 4 des Reichsstrafgesetzbuches mit in den Kanon von§ 2 Nr. 3 aufgenommen werden sollen, mit der Konse-quenz, dass alle in der Zeit zwischen 1935 und 1945 ge-fällten Urteile automatisch dem Verfall anheim gegebenwerden und die Verfahren eingestellt werden.
Es gibt einen ähnlichen – oder sogar gleich lauten-den – Antrag der Freien und Hansestadt Hamburg, derzurzeit im Rechtsausschuss des Bundesrates behandeltwird. Dort wird über genau diese Frage gestritten. Be-zeichnenderweise war es ein Vertreter des Bundesjus-tizministeriums, der die Schwierigkeit aufgezeigt hat,wenn man eine Pauschalaufhebung und keine Einzelan-tragstellung und Einzelrehabilitierung macht, wenn allein den Jahren 1935 bis 1945 erfolgten Urteile aufgeho-ben werden, ohne Ansehen dessen, ob eine Tatbe-standswidrigkeit vorgelegen hat oder ob sie im justiz-förmlichen Verfahren ergangen sind.Es spricht in der Tat eine fast unwiderlegbare Vermu-tung dafür, dass alle Urteile Nichturteile oder ein Aliudzu Urteilen sind, dass aber in der Zeit vor 1935 und nach1945 die Urteile Bestand haben. Diejenigen, die voroder nach dieser Zeit verurteilt worden sind, könnten na-türlich sagen: Wäre ich nur in dieser Zeit verurteilt wor-den, so würde an mir kein Stigma haften.Es ist eine fast tragische Situation, dass man mit derAbschaffung des einen Unrechts sozusagen einen neuenUngleichtatbestand schafft, indem man die einen rehabi-litiert, und zwar pauschal über die Generalklausel des§ 1, und die anderen hängen lässt. Insofern könnte ichmich mit dem Prüfantrag der SPD anfreunden, obwohlich nicht weiß, wie viele Erkenntnisse man noch gewin-nen will, wenn man das an anderer Stelle diskutiert.Vielleicht gibt es empirische Erfahrungen, ob es einenFall gibt, bei dem jemand, der zwischen 1935 und 1945verurteilt worden ist, auf Antrag nicht rehabilitiert wur-de. Das kann ich mir nicht vorstellen. Daher halte ichdie Aufnahme der §§ 175 und 175a Nr. 4 des Reichs-strafgesetzbuches in diesen Kanon für obsolet. Ich finde,dass die Fälle in dem Gesetz, das in der letzten Legisla-turperiode beschlossen worden ist, abschließend geregeltworden sind. Deswegen komme ich nun zu den übrigen Anträgen,die eher abstrakt formuliert worden sind. In dem Antragder SPD wird jede Form der Gewaltanfeindung und-diskriminierung von Schwulen und Lesben verurteilt.Meine Damen und Herren von der SPD, dieser Antraghat einen geradezu trivialen Charakter, weil ich nicht nurGewaltdiskriminierung und -anfeindung von Schwulenund Lesben verurteile, sondern auch gegenüber allenanderen Personengruppen, und übrigens auch gegenüberden Mitgliedern der österreichischen Bundesregierungund dem Überwachungspersonal von Castor-Transporte
auch gegenüber Soldaten, Polizisten und jeder Art vonMenschen- und Personengruppen, ohne Ansehen, ob sieheterosexuell oder homosexuell sind.
Soweit Sie eine Entschuldigung durch den Deut-schen Bundestag begehren, so möchte ich darauf hin-weisen, dass ich am Anfang gesagt habe, dass ich mitBedauern festgestellt habe, dass die Aufhebung der§§ 175 und 175 a Nr. 4 zunächst 1969 und dann endgül-tig 1994 vielleicht zu spät gekommen ist. Aber wenn wiruns für alles, was der Gesetzgeber bei retrospektiver Be-trachtungsweise als Unrecht erkennt und aufhebt,gleichzeitig immer wieder bedauern und entschuldigenwollen,
dann erinnert mich das ein bisschen – ich muss es sagen,meine Damen und Herren an Koketterie.
Dr. Jürgen Gehb
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8966 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
Die Aufhebung des Gesetzes und die Streichung sinddoch sicherlich nicht unter ausdrücklicher Zurückstel-lung des Bedauerns oder der Entschuldigung geschehen.Deswegen muss ich Ihnen ehrlich sagen: Ich könnte da-mit leben, wenn sich der Deutsche Bundestag nicht wie-der einmal ausdrücklich dafür entschuldigt; denn es gibtauch viele andere Verurteilungen, die auf Strafnormenfußen, die im Laufe von Strafrechtsreformen weggefal-len sind. Ich nenne zum Beispiel den Kuppelparagraphen.Ich bin 1952 geboren. Als pubertierender Jüngling, soglaube ich, noch vor der Strafrechtsreform 1969 wurdeich von der Mutter meiner damaligen Freundin vor22 Uhr nach Hause geschickt worden, weil es hieß: Ichwill mich doch nicht noch wegen Kuppelei anzeigen las-sen.Meine Damen und Herren, das ist im Recht eben so.Insofern stehen zwei Prinzipien sozusagen unversöhn-lich im Raum: das Prinzip der formellen Gerechtigkeitoder Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit.Ich habe dafür auch keinen genialen Vorschlag und weißkein Rezept dafür. Ich weiß nur, dass beiden PrinzipienRechnung getragen werden muss, und glaube deshalb,dass das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischerUnrechtsurteile in der letzten Legislaturperiode einenwürdigen Schlusspunkt darstellt.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Volker Beck
das Wort.
Herr Gehb, Ihre Rede hat, so glaube ich, deutlich ge-macht, wie wichtig es ist, dass wir diese Debatte nocheinmal hier im Hohen Haus führen. Wir widmen uns heute einem besonders dunklen Ka-pitel der deutschen Rechtsgeschichte. 1935 wurde der§ 175 in Tatbestandsfassung und Strafmaß massiv ver-schärft. Waren zuvor nur bestimmte Sexualpraktikenstrafbar, wurde nun die totale Kriminalisierung vonHomosexualität verordnet. Tausende schwule Männerwurden in Konzentrationslager verschleppt, in denen sieeinen rosa Winkel tragen mussten. Nur die wenigstenüberlebten den Terror der Lager. 50 000 Männer wurdenvon der NS-Justiz wegen – wie es damals hieß – wider-natürlicher Unzucht verurteilt. Von bundesdeutschenGerichten wurden bis 1969 nochmals 50 000 Verurtei-lungen nach § 175 des Strafgesetzbuches ausgesprochen.Dieser Paragraph hat auch in der Bundesrepublik Exis-tenzen vernichtet. Die drohende Strafverfolgung hat dasLeben ganzer Generationen von Homosexuellen über-schattet.Ein zentrales Anliegen unseres Antrages ist es daher,dass sich der Deutsche Bundestag ausdrücklich von die-ser unseligen Rechtstradition distanziert.
Als Gesetzgeber müssen wir endlich die Kraft haben,uns bei den homosexuellen Bürgern ausdrücklich fürdiese Verfolgung zu entschuldigen. Ein solches Schuld-bekenntnis des Gesetzgebers ist wirklich eine histori-sche Zäsur. Es ist ein längst überfälliges Signal an dieSchwulen und Lesben, aber auch an die Gesellschaftinsgesamt.Der Antrag befasst sich auch mit der noch ausstehen-den vollen gesetzlichen Rehabilitierung der Opfer des§ 175 in der NS-Zeit. Bündnis 90/Die Grünen und SPDsind 1998 noch mit dem Anliegen gescheitert, § 175 indas Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Un-rechtsurteile aufzunehmen. Deshalb ist es selbstver-ständlich, dass man unter neuen Mehrheitsverhältnissenversucht, nun dieses Anliegen durchzusetzen.Herr Gehb, ich darf Sie einmal daran erinnern: Waswar der Hintergrund des Gesetzes zur Aufhebung natio-nalsozialistischer Unrechtsurteile? Anlass dafür, dassFrau Lore Peschel-Gutzeit als Berliner Justizsenatorindiese Diskussion hier in Berlin im Abgeordnetenhausangestoßen hat, war, dass die Schüler einer BerlinerSchule, die nach Niemöller benannt war, gesagt haben:Wir wollen, dass das Strafrechtsurteil gegen diesen Wi-derstandskämpfer aus der Zeit des Nationalsozialismusaufgehoben wird. Wir brauchten zwei Jahre, bis wir he-rausgefunden haben, dass dieses Urteil bereits aufgeho-ben war. Dann haben wir gesagt: Eine solche Debatte istdoch unwürdig. Es ist unwürdig, dass wir nicht wissen,ob das Urteil gilt oder nicht. Deshalb haben wir damalstrotz der Feststellung, dass das Urteil aufgehoben war,ein Gesetz gefordert, das die alte Koalition schließlichmitgetragen hat.Dieselbe Situation wie bei Niemöller haben wir dochjetzt bei den homosexuellen Opfern. Durch die General-klausel besteht die Möglichkeit, dass manche Urteileaufgehoben sind, manche auch nicht. Das Justizministe-rium hat in der letzten Wahlperiode gesagt, zumindestseien es nicht alle. Keiner weiß, was gilt. Wollen Siedenn 80-jährige Männer zur Staatsanwaltschaft schi-cken, damit diejenigen, die sie als Institution über Jahreauch in der Bundesrepublik verfolgt haben, ihnen sagen,ob ihr Urteil gilt oder nicht? Das ist doch ein unwürdi-ges Verfahren; das können wir diesen Menschen nichtzumuten.
Deshalb sollten wir hier Rechtsklarheit schaffen. DasGleiche gilt übrigens für die Wehrmachtsdeserteure. DieRechtsgrundlagen der Verurteilung gehören in die Anla-gen des § 2. Das sind wir diesen Opfern wirklich schul-dig.
Eine solche pauschale Aufhebung wäre auch keineSonderbehandlung, sondern würde lediglich Homo-Dr. Jürgen Gehb
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sexuelle in Sachen Rehabilitierung mit den anderen Op-fern der NS-Justiz gleichstellen.Herr Kollege, Sie haben das Bundesverfassungsge-richtsurteil von 1957 angesprochen. Sie haben es falschzitiert. Damals hat Karlsruhe gesagt, § 175 – in diesemPunkt haben Sie sich geirrt – sei nicht insoweit national-sozialistisches Unrecht, dass ihm in einem Rechtsstaatjede Wirkung versagt bleiben müsste. Sie haben behaup-tet, Karlsruhe habe festgestellt, das sei kein nationalso-zialistisches Unrecht. Das hat Karlsruhe nicht gesagt.Karlsruhe konnte sich zu dieser Frage damals auch nurwenig qualifiziert äußern, denn die erste wissen-schaftliche Publikation über nationalsozialistische Ho-mosexuellenverfolgung ist 20 Jahre jünger als dieses Ur-teil. Deshalb kann man es den Karlsruher Richtern nichtwirklich zum Vorwurf machen, dass sie sich in zweiPunkten geirrt haben: ob es grundgesetzkonform ist undob es mit der europäischen Menschenrechtskonventionübereinstimmt. Sie haben damals auch gesagt, es stimmemit der europäischen Menschenrechtskonvention über-ein. Inzwischen gibt es vier Urteile des EuropäischenGerichtshofs für Menschenrechte, die vergleichbareRechtslagen in anderen Ländern als menschenrechtswid-rig und als Konventionsverstoß geahndet und die Auf-hebung dieser Vorschriften herbeigeführt haben.Lassen Sie uns daher das Karlsruher Urteil liegen las-sen! Lassen Sie uns Recht nach moralischen Kriterienschaffen! Lassen Sie uns gemeinsam den Opfern die Eh-re zurückgeben und uns als Bundestag für unsere histo-rischen Verfehlungen als Institution entschuldigen! Ichglaube, es ist eine Größe der Demokratie, Fehler zu er-kennen. Die Demokratie erlaubt eine Fehlerkorrektur imdemokratischen Prozess. Diese Freiheit sollten wir unsnehmen.Eine weitere Frage wird im Antrag angesprochen,nämlich die der Entschädigung. Homosexuelle NS-Op-fer wurden nicht als Verfolgte im Sinne des Bundesent-schädigungsgesetzes anerkannt. Sie wurden auf minder-rangige Gesetze und Härtefonds verwiesen. Eine Ent-schädigung im eigentlichen Sinne hat es für diese Grup-pe nicht gegeben. Nur sehr wenige Menschen aus dieserGruppe haben überlebt und leben noch heute. Deshalbist es wichtig, dass wir im Einzelfall helfen können. ImKoalitionsvertrag haben wir eine Tür dafür, nämlich diezweite Bundesstiftung Entschädigung für NS-Unrecht,über die wir in den nächsten Jahren noch diskutierenmüssen und mit der wir auch dieser Gruppe helfen müs-sen.Aber eine weitere Frage ist noch offen. Unverzüglichnach ihrem Machtantritt zerschlugen die Nationalsozia-listen die homosexuelle Bürgerrechtsbewegung derWeimarer Republik. Vereine wurden aufgelöst, Zeit-schriften verboten. Die Selbstorganisation homosexuel-ler Männer und Frauen wurde damit so nachhaltig ge-troffen, dass in vielen Bereichen der damalige Standjahrzehntelang nicht wieder erreicht werden konnte.Hier wird intensiv zu beraten sein, ob es Möglichkeitengibt, bezüglich des Ausbleibens einer Entschädigungund Restitution nach dem damaligen Entschädigungs-und Restitutionsrecht für diese juristischen Personen ei-ne politische Lösung zu schaffen. Unweit von hier, dort, wo die „schwangere Auster“steht, stand vor einigen Jahrzehnten das Institut für Se-xualwissenschaft von Magnus Hirschfeld. Dort war derSitz des Wissenschaftlichen Humanitären Komitees.Dieses wurde 1933 von der SA und der NSDAP ge-stürmt. Die Bücher wurden auf dem Platz der Bücherverbren-nung verbrannt. Das Institut wurde nach 1945 nicht wie-der zurückgegeben, sondern das Eigentum ging an dasLand Berlin über und wurde damals dem Stiftungszweckder Stiftung, die dort bestand, entzogen. Wir brauchenhier eine politische Lösung. Wir müssen darüber reden,wie wir auch dieses Unrecht wieder gutmachen. DieGruppe der Homosexuellen können wir für dieses Un-recht entschädigen und dafür sollten wir einen Anlaufunternehmen.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Jörg van Essen.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Da ich heute im Vergleich zu denanderen die kürzeste Redezeit habe, habe ich nur dieGelegenheit, einige wenige Gedanken anzusprechen. Dass wir über dieses Thema aufgrund verschiedenerAnträge schon oft diskutieren mussten, kann man nuraußerordentlich begrüßen. Es gibt viele Opfergruppen,die zu Recht im Mittelpunkt des öffentlichen Interessesstehen. Aber es gibt auch Opfergruppen, bei denen dasnicht der Fall ist. Ich denke, dass die Opfergruppe, dieheute Gegenstand der Debatte ist, zu denen gehört, diehäufig vergessen werden. Man merkt es bei Inschriftenvon Denkmalen und bei vielen anderen Gelegenheiten.Deshalb begrüße ich es, dass wir uns heute wieder ein-mal mit dieser Frage beschäftigen müssen. Für uns ist klar, dass der § 175 RStGB des Reichs-tagsgesetzbuches und die Verschärfung, die durch denNationalsozialismus durchgesetzt worden ist, zu typi-schem NS-Unrecht gehören. Ich hatte im Rahmen mei-ner beruflichen Tätigkeit Gelegenheit, Urteile aus derNS-Zeit zu lesen. Das, was Sie vorhin angesprochen ha-ben, Frau von Renesse, lugte aus jedem einzelnen Worthervor, nämlich der pure Vernichtungswille, der pureWille, sich mit einer Person überhaupt nicht zu beschäf-tigen
– Ja –. Es war der pure Vernichtungswille, der dazuführte, dass Urteile verhängt wurden, die außerhalb jederVernunft und außerhalb jeder Akzeptanz sind. Deshalbbegrüße ich es, dass wir darüber nachdenken, wie wirmit diesem Unrecht umgehen. Volker Beck
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8968 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
Wir haben vor ein paar Jahren das Aufhebungsgesetzverabschiedet. Damals ist darüber diskutiert worden,inwieweit das ausreichend ist. Wir als F.D.P. hätten unsdurchaus mehr vorstellen können. Eines allerdings hatmich überrascht: Beide Vertreter der Koalition habenangedeutet, dass sie in Richtung einer generellen Auf-hebung gehen. Wenn das Ihre Auffassung ist, wundertes mich aber, dass Sie hier nicht einen entsprechendenAntrag, sondern lediglich einen Prüfantrag eingebrachthaben. Ich denke, das wäre konsequent gewesen.
Ich glaube, man sollte hier nicht große Ankündigun-gen machen, wenn die Antragslage dann weit dahinterzurückbleibt. Aber ich will das nicht zum Streitpunktmachen, weil ich denke, dass es uns allen nicht nützt,wenn wir das tun. Ich glaube sogar, dass es sehr wichtigist, hier zu einer breiten politischen Übereinstimmung zukommen. Deshalb will ich für meine Fraktion signalisie-ren, dass wir zu diesen Gesprächen bereit sind.Ich persönlich neige sehr stark zu einer generellenAufhebung, nämlich weil das, was Sie vorhin angespro-chen haben, Herr Gehb, zutreffen wird: Wir werden keinUrteil finden, das rechtsstaatlichen Maßstäben ent-spricht. Die Wahrscheinlichkeit dafür wird so geringsein, dass sich nach meiner Auffassung eine generelleAufhebung geradezu aufdrängt.Aber auch das Problem, wie wir mit der Zeit nach1945 umgehen, wird nicht ganz leicht zu lösen sein. Esgibt in diesem Zusammenhang Urteile, die die Lebens-perspektive von vielen Menschen zerstört haben. DieseKonsequenz ist nicht deswegen eingetreten, weil sie ir-gendetwas getan haben, worüber man diskutieren kann,sondern sie ist deswegen eingetreten, weil Menschensich geliebt haben. Ich denke, dass wir gut beraten sind,auch hier einen Weg zu finden, wobei ich gestehenmuss, dass ich ähnliche Fragen wie Herr Gehb habe, undzwar vor dem Hintergrund der Tatsache, dass wir auchin anderen Bereichen in den 50er-Jahren Moralvorstel-lungen, aber auch Urteile hatten, bei denen wir heute dieHände über dem Kopf zusammenschlagen.
Sie haben den Kuppeleiparagraphen und viele andereUrteile genannt. Es sind für kleinste Vergehen hoheFreiheitsstrafen verhängt worden, die dann auch verbüßtwerden mussten. Aber bei all den Verurteilungen gibt eseinen Unterschied: Die Verurteilungen nach § 175 desStrafgesetzubuches wirkten sich sehr viel intensiver aufBerufschancen, auf Lebenschancen und viele andereDinge aus, sodass von daher sicherlich eine unterschied-liche Behandlung geboten ist. Ich bin froh, dass wirwieder darüber diskutieren, einen neuen Anlauf unter-nehmen und neue Chancen bekommen. Ich glaube, dieSache ist es wert.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Christina Schenk, PDS-
Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Die Debatte über den Umgang mitOpfern des § 175 sowohl zu nationalsozialistischer Zeitals auch in der Nachkriegszeit ist von der PDS auf dieTagesordnung des Bundestages gesetzt worden. DerGrund ist folgender: Der Bundestag hat 1998 beschlos-sen, typisch nationalsozialistische Urteile als Unrechtanzuerkennen und per Gesetz aufzuheben. Mit diesemGesetz sollte ein Schlussstrich unter das Justizunrechtaus der Zeit des Nationalsozialismus gezogen werden.Das ist – so muss man leider konstatieren – nicht gelun-gen. Die konservative Mehrheit des Bundestages – ge-nauer gesagt: die CDU/CSU-Fraktion – hat verhindert,dass auch die Urteile nach dem berüchtigten Schwulen-Paragraphen 175 und 175a Nr. 4 des Reichsstrafgesetz-buches, zu einen Bestandteil der Liste im Gesetz zurAufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile wur-den. In der Praxis muten wir es bis heute den betroffenenOpfern zu, in Einzelfallverfahren bei der Staatsanwalt-schaft überprüfen zu lassen, ob ihnen in ihrem speziellenFall nationalsozialistisches Unrecht angetan wurde. Ichhalte das für unzumutbar und freue mich darüber, dassoffensichtlich auf mehreren Seiten die Bereitschaft be-steht, hier etwas zu ändern. Die Pflicht zur Einzelfall-prüfung unterstellt ja, dass es Verurteilungen nach die-sen Paragraphen gab, die nicht unter Verstoß gegen ele-mentare Gedanken der Gerechtigkeit und unter Verlet-zung der Menschenwürde erfolgten. Damit wird auchgeleugnet, dass die in § 175 und § 175a Nr. 4 sanktio-nierte strafrechtliche Verfolgung Homosexueller ein Teilder Umsetzung der nationalsozialistischen Ideologiewar. Die PDS fordert in ihrem Antrag, dass die entspre-chenden Urteile, auf die ich verwiesen habe, als typischnationalsozialistische Unrechtsurteile anerkannt und ge-nerell aufgehoben werden.
Ich meine, das ist das Mindeste, was die Bundesregie-rung tun muss, wenn sie will, dass ihre Aussage, siewolle der Diskriminierung von Homosexuellen ein Endebereiten, noch ernst genommen werden soll. Die Ehreder Opfer muss endlich wieder hergestellt werden unddie Betroffenen sind zu entschädigen. Das geschiehtspät; für die meisten Opfer ist es schon zu spät. Es ist durchaus zu begrüßen, dass SPD und Bünd-nis 90/Die Grünen vorgestern zur heutigen Debatte nochschnell einen Antrag zur Rehabilitierung der im Natio-nalsozialismus verfolgten Homosexuellen vorgelegt ha-ben. Leider bleibt der jetzige Antrag weit hinter denForderungen der Grünen aus der letzten Legislaturperio-de zurück.
Jörg van Essen
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Damals wurde noch eine umfassende rechtliche und mo-ralische Rehabilitierung sowie eine finanzielle Entschä-digung der Opfer gefordert. Jetzt wird lediglich verlangt,der Bundestag möge sein Bedauern aussprechen. Ichmeine, das reicht nicht aus.
Es kommt noch schlimmer: Die Bundesregierungwird gebeten zu prüfen, ob die jetzige Praxis der Einzel-fallprüfung ausreichend ist. Nachdem sie schon andert-halb Jahre regiert, ist das peinlich. Das hätte man längsttun können.
De facto wird mit dem Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen indirekt die jetzige Praxis der Einzelfallprü-fung legitimiert. Sie fallen damit den Opfern und ihrenAngehörigen in den Rücken. Das muss man so klar sa-gen.
Enttäuschend ist auch, dass sich in Ihrem Antrag kei-ne Forderung nach kollektiven Entschädigungsleis-tungen mehr findet. Die Homosexuellen-Verfolgung derNazis – das haben Sie ja auch gesagt – richtete sich nichtnur gegen einzelne Personen, zerstört bzw. zerschlagenwurde die gesamte sozio-kulturelle Infrastruktur vonLesben und Schwulen in der damaligen Zeit. Die PDS-Fraktion fordert deshalb die Einrichtung einer öffentlichfinanzierten Stiftung als eine Form der kollektiven Wie-dergutmachung an den Lesben und Schwulen.Die strafrechtliche Verfolgung – Sie wissen das – vonMenschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung warnach 1945 nicht zu Ende.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Schenk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Beck?
Aber bitte.
Frau Kollegin, bevor hier falsche Dinge über die An-
tragslage in Umlauf geraten, frage ich Sie: Sind Sie be-
reit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in Punkt IV Ziffer 2
die Frage der kollektiven Schädigung, also die Vernich-
tung der Einrichtungen der homosexuellen Bürger-
rechtsbewegung angesprochen, ein Bericht der Bundes-
regierung zu dem Umfang dieser Vorgänge eingefordert
und die Bundesregierung ersucht wird,
„gegebenenfalls Vorschläge zu entwickeln, wie Lü-
cken bei der Entschädigung, Rückerstattung und
beim Rentenschadensausgleich für homosexuelle
NS-Opfer geschlossen werden können“,
also auch die juristischen Personen in diesem Zusam-
menhang mit eingeschlossen werden, dass damit Ihr Pe-
titum, das Sie ja dankenswerterweise bis ins Detail aus
unserer Vorlage von 1995 übernommen haben, aufge-
nommen wurde und wir diese Fragen mit der Bundesre-
gierung im Ausschuss auf der Grundlage dieses Antra-
ges diskutieren wollen?
Herr Beck, ich nehme zurKenntnis, dass ein Bericht – Sie haben es vorgelesen –gefordert wird und dazu aufgefordert wird, gegebenen-falls Vorschläge zu entwickeln. Herr Beck, Sie waren inder letzten Legislaturperiode schon sehr viel weiter.
Sie werfen uns vor, dass wir aus Ihrem Antrag aus derdamaligen Zeit abgeschrieben haben. Das ist im Übrigennicht wahr. Wahrscheinlich kennen Sie Ihren eigenenAntrag nicht mehr. Also, es bleibt bei der skandalösenSituation, dass Sie lediglich einen Bericht einfordern,statt hier endlich Taten sprechen zu lassen. Es ist wirk-lich schwach – gerade für die Bündnisgrünen –, das hierauch noch verteidigen zu wollen.
Herr Gehb, vielleicht wird es für Sie jetzt besondersinteressant. Ich möchte – möglicherweise ist das hiernicht allen klar – noch Folgendes sagen. Die DDR istbereits 1950 zur Weimarer Fassung des § 175 zurück-gekehrt, der wurde auch nur noch bis 1958 angewandtwurde. Er stand zwar bis zur Strafrechtsreform 1968noch im Strafgesetzbuch der DDR, aber angewandtwurde er nur bis 1958. Die Verfolgungsintensität undauch die Zahl der Verurteilungen waren außerordentlichgering. Es handete sich um einige Hundert Fälle. In der Bundesrepublik hingegen wurden Schwulenach der nationalsozialistischen Fassung des § 175 bis1969 strafrechtlich verfolgt. Das war ein eklatanter Ver-stoß gegen das Menschenrecht auf Selbstbestimmung.Das unterscheidet diesen Fall auch von anderen Fällen,die Sie Herr Gehb, hier angeführt und, von denen Siegesagt haben, dass sich natürlich die Auffassung zu be-stimmten Strafrechtsparagraphen ändern kann und mannicht in jedem Fall eine Entschuldigung des Bundesta-ges verlangen kann. Aber hier handelt es sich von An-fang an um die Verletzung von Menschenrechten. Daswar schon damals Unrecht. Deswegen ist es eine andereSituation. Die Zahl der Verurteilten überstieg sogar noch diein der NS-Zeit. Es handelt sich um 50 000 bis 60 000Fälle. Das muss man sich einmal vorstellen! Hier geht esnach unserer Auffassung darum, die Strafen aus demStrafregister zu tilgen und die Betroffenen zu entschä-digen, so wie es der zweite Antrag der PDS hier vor-sieht.
Wiedergutmachung – das muss hier klar sein – istnicht zum Nulltarif zu haben. Es reicht nicht aus, wennder Bundestag lediglich sein Bedauern ausdrückt, wie eseben der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünenfordert.Christina Schenk
Metadaten/Kopzeile:
8970 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000
(C) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Den Opfern der Homosexuellenverfolgung in der Nazi-und auch in der Nachkriegszeit gerecht zu werden, heißt,sie rechtlich und moralisch zu rehabilitieren und ange-messen zu entschädigen. Erst dann kann ein Schluss-strich unter das leidvolle Kapitel der Homosexuellenver-folgung in Deutschland gezogen werden.Danke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 14/2619 und 14/2620 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 14/2984 zur federführenden Beratung
an den Rechtsausschuss und zur Mitberatung an den In-
nenausschuss, den Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend, den Ausschuss für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe und den Haushaltsausschuss zu
überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? –
Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Schluss
unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 5. April 2000, 13 Uhr ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, die bis
zum Schluss ausgeharrt haben, ein erholsames – wenn
auch sicherlich arbeitsreiches – Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.