Protokoll:
14096

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 96

  • date_rangeDatum: 24. März 2000

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:34 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Nachruf auf den Abgeordneten Gert Willner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8893 A Tagesordnungspunkt 16: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ludwig Stiegler, Monika Griefhahn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion SPD sowie den Abgeordne- ten Klaus Müller, Dr. Antje Vollmer, wei- teren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen (Drucksachen 14/2340, 14/3010) . . . . . . . 8893 C – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frank- furt), Rainer Funke, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurReform des Stiftungsrechts (StiftRReformG) (Drucksachen 14/336, 14/3010) . . . . . . . . 8893 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Fraktion CDU/CSU: Ein modernes Stiftungsrecht für das 21. Jahrhundert (Drucksachen 14/2029, 14/3010) . . . . . . . 8894 A Hans-Joachim Otto (Frankfurt) F.D.P. . . . . . . . . . 8894 A Dr. Michael Naumann, Staatsminister BK . . . . . . 8894 B Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 8896 D Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8898 B Klaus Wolfgang Müller (Kiel) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8899 C Hans-Joachim Otto (Frankfurt) F.D.P. . . . . . . 8901 D Ludwig Stiegler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 8903 A Klaus Wolfgang Müller (Kiel) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8903 C Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8904 A Dieter Grasedieck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8905 C Otto Bernhardt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 8907 B Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8908 C Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8909 C Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8910 B Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . . 8911 C Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 8912 D Monika Griefahn SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8914 B Hans-Joachim Otto (Frankfurt) F.D.P. . . . . 8915 C Dr. Barbara Höll PDS (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8916 A Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 8916 D Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8917 C Tagesordnungspunkt 17: a) Antrag der Abgeordneten Eduard Lint- ner, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Bahnreform 2 – Neuer Schwung für die Bahn (Drucksache 14/2691) . . . . . . . . . . . . . 8920 B b) Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Bahnreform fortsetzen, Schienenverkehr stärken Plenarprotokoll 14/96 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 96. Sitzung Berlin, Freitag, den 24. März 2000 I n h a l t : – vom Staatsbahnmonopol zum eu- ropäischen Wettbewerb um den Ei- senbahnkunden (Drucksache 14/2781) . . . . . . . . . . . . . 8920 C Eduard Lintner CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 8920 C Klaus Hasenfratz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8923 D Horst Friedrich (Bayreuth) F.D.P. . . . . . . . . . . 8925 C Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8926 C Reinhard Klimmt, Bundesminister BMVBW 8928 B Karin Rehbock-Zureich SPD . . . . . . . . . . . . . 8929 B Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Jährliche Vorla- ge einer Generationenbilanz und Auf- nahme der Daten in die Haushaltsstatis- tik des Bundes (Drucksache 14/1758) . . . 8930 C Dirk Niebel F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8930 D Ute Kumpf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8931 D Dr. Ralf Brauksiepe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 8934 B Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 8936 A Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8937 D Birgit Schnieber-Jastram CDU/CSU . . . . . . . 8938 D Zusatztagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der Stromer- zeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung (KWK-Vorschaltgesetz) (Drucksachen 14/2765, 14/3007) . . . . . . . 8941 A Volker Jung (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . . . . 8941 B Franz Obermeier CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 8943 A Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8945 A Walter Hirche F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8946 C Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8947 C Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . 8948 C Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . . 8949 D Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8950 C Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur vergleichenden Werbung und zur Änderung wettbewerbsrechtlicher Vor- schriften (Drucksache 14/2959) . . . . . . . . . . . . . . . . 8953 A Tagesordnungspunkt 20: a) Antrag der Fraktionen SPD, CDU/ CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Einsetzung einerEnquete- Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ (Drucksache 14/3011) . . . . . . . . . . . . . 8953 B b) Antrag der Abgeordneten Angela Marquardt, Dr. Ilja Seifert, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion PDS: Ein- setzung einer Enquete-Kommission „Menschenrechte, Ethik und Politik für eine Medizin der Zukunft“ (Drucksache 14/2153) . . . . . . . . . . . . . 8953 B Dr. Wolfgang Wodarg SPD . . . . . . . . . . . . . . . 8953 C Werner Lensing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 8955 B Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8957 A Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. . . . . . . . . . 8958 A Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8958 D Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 8959 B Tagesordnungspunkt 21: a) Antrag der Abgeordneten Christina Schenk, Ulla Jelpke, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion PDS: Unrechts- erklärung der nationalsozialisti- schen §§ 175 und 175 a Nr. 4 Reichs- strafgesetzbuch sowie Rehabilitie- rung und Entschädigung für die schwulen und lesbischen Opfer des NS-Regimes (Drucksache 14/2619) . . . . . . . . . . . . . 8962 B b) Antrag der Abgeordneten Christina Schenk, Ulla Jelpke, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion PDS: Rehabili- tierung und Entschädigung für die strafrechtliche Verfolgung einver- nehmlicher gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen zwischen Er- wachsenen in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen De- mokratischen Republik (Drucksache 14/2620) . . . . . . . . . . . . . 8962 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Alfred Hartenbach, Margot von Renesse, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion SPD sowie der Abge- ordneten Volker Beck (Köln), Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rehabilitierung der im Nationalsozialis- mus verfolgten Homosexuellen (Drucksache 14/2984) . . . . . . . . . . . . . . . . 8963 A Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000II Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 8963 A Dr. Jürgen Gehb CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 8964 B Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8966 B Jörg van Essen F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8967 C Christina Schenk PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8968 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8969 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8970 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 8971 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Anträge: – Bahnreform 2 – Neuer Schwung für die Bahn – Bahnreform fortsetzen, Schienenverkehr stärken – vom Staatsmonopol zum eu- ropäischen Wettbewerb um den Eisen- bahnkunden (Tagesordnungspunkt 17 a und b) Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8972 B Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur vergleichen- den Werbung und zur Änderung wettbewerbs- rechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 19) Dirk Manzewski SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8973 C Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU . . . . . . . . . . . 8974 B Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8975 C Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8975 D Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 8976 C Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8977 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Werner Labsch, Albrecht Papenroth, Dr. Peter Danckert, Barbara Wittig und Jürgen Wieczorek (Böhlen) (alle SPD) zur namentlichen Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Stromerzeugung aus Kraft-Wärme- Kopplung (KWK-Vorschaltgesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . 8978 A Anlage 5 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8978 C Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 III Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8893 (A) (B) (C) (D) 96. Sitzung Berlin, Freitag, den 24. März 2000 Beginn: 9.00 Uhr
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    Christina Schenk Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8971 (C) (D) (A) (B) Berninger, Matthias BÜNDNIS 90/ 24.03.2000 DIE GRÜNEN Dr. Blens, Heribert CDU/CSU 24.03.2000 Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 24.03.2000 Bohl, Friedrich CDU/CSU 24.03.2000 Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 24.03.2000 Dr. Brecht, Eberhard SPD 24.03.2000 Brinkmann (Detmold), SPD 24.03.2000 Rainer Brudlewsky, Monika CDU/CSU 24.03.2000 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 24.03.2000*** Klaus Bulmahn, Edelgard SPD 24.03.2000 Burchardt, Ursula SPD 24.03.2000 Bury, Hans Martin SPD 24.03.2000 Büttner (Ingolstadt), SPD 24.03.2000 Hans Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 24.03.2000 Peter H. Caspers-Merk, Marion SPD 24.03.2000 Dehnel, Wolfgang CDU/CSU 24.03.2000 Dzewas, Dieter SPD 24.03.2000 Eichhorn, Maria CDU/CSU 24.03.2000 Fischbach, Ingrid CDU/CSU 24.03.2000 Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 24.03.2000 Joseph DIE GRÜNEN Frick, Gisela F.D.P. 24.03.2000 Friedhoff, Paul K. F.D.P. 24.03.2000 Friedrich (Altenburg), SPD 24.03.2000 Peter Gebhardt, Fred PDS 24.03.2000 Dr. Göhner, Reinhard CDU/CSU 24.03.2000 Goldmann, F.D.P. 24.03.2000 Hans-Michael Göllner, Uwe SPD 24.03.2000 Gröhe, Hermann CDU/CSU 24.03.2000 Günther (Duisburg), CDU/CSU 24.03.2000 Horst Dr. Gysi, Gregor PDS 24.03.2000 Haschke (Großhennersdorf ),CDU/CSU 24.03.2000 Gottfried Heinen, Ursula CDU/CSU 24.03.2000 Hinsken, Ernst CDU/CSU 24.03.2000 Dr. Hornhues, CDU/CSU 24.03.2000 Karl-Heinz Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 24.03.2000 Ibrügger, Lothar SPD 24.03.2000 Imhof, Barbara SPD 24.03.2000 Janssen, Jann-Peter SPD 24.03.2000 Jelpke, Ulla PDS 24.03.2000 Dr. Jens, Uwe SPD 24.03.2000 Kaspereit, Sabine SPD 24.03.2000 Laumann, Karl-Josef CDU/CSU 24.03.2000 Lehn, Waltraud SPD 24.03.2000 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 24.03.2000 Maaß (Herne), Dieter SPD 24.03.2000 Michels, Meinolf CDU/CSU 24.03.2000 Mosdorf, Siegmar SPD 24.03.2000 Ohl, Eckhard SPD 24.03.2000 Parr, Detlef F.D.P. 24.03.2000 Dr. Pick, Eckhart SPD 24.03.2000 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 24.03.2000 Poß, Joachim SPD 24.03.2000 Probst, Simone BÜNDNIS 90/ 24.03.2000 DIE GRÜNEN Raidel, Hans CDU/CSU 24.03.2000 Reiche, Katherina CDU/CSU 24.03.2000 Dr. Rössel, Uwe-Jens PDS 24.03.2000 Roth (Heringen), Michael SPD 24.03.2000 entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Dr. Rüttgers, Jürgen CDU/CSU 24.03.2000 Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 24.03.2000 Scheelen, Bernd SPD 24.03.2000 Schild, Horst SPD 24.03.2000 Schily, Otto SPD 24.03.2000 Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 90/ 24.03.2000 DIE GRÜNEN Schlee, Dietmar CDU/CSU 24.03.2000 Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 24.03.2000 Schmidt (Aachen), Ulla SPD 24.03.2000 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 24.03.2000 Hans Peter von Schmude, Michael CDU/CSU 24.03.2000 Schröder, Gerhard SPD 24.03.2000 Dr. Schuchardt, Erika CDU/CSU 24.03.2000 Schwalbe, Clemens CDU/CSU 24.03.2000 Siebert, Bernd CDU/CSU 24.03.2000 ** Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 24.03.2000 Dr. Stadler, Max F.D.P. 24.03.2000 Dr. Staffelt, Ditmar SPD 24.03.2000 Dr. Thalheim, Gerald SPD 24.03.2000 Vaatz, Arnold CDU/CSU 24.03.2000 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 24.03.2000 Wieczorek-Zeul, SPD 24.03.2000 Heidemarie Wiesehügel, Klaus SPD 24.03.2000 Wimmer (Karlsruhe), SPD 24.03.2000 Brigitte Dr. Zöpel, Christoph SPD 24.03.2000 **) für die Teilnahme an Sitzungen der Palarmentarischen Versamm-lung des Europarates ***)für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung derAnträge: – Bahnreform 2 – Neuer Schwung für die Bahn – Bahnreform fortsetzen, Schienenverkehr stär- ken – vom Staatsmonopol zum europäischen Wett- bewerb um den Eisenbahnkunden (Tagesordnungspunkt 17 a und b) Dr. Winfried Wolf (PDS): Es hat immer einen gewis- sen Reiz, wenn ehemalige Regierungsparteien sich vom harten Oppositions-Gestühl zu Dingen äußern, für die sie zuvor selbst Verantwortung trugen. Meist wird es dann of- fener und ehrlicher. So verhält es sich auch bei den bei- den vorliegenden Anträgen von CDU/CSU und FDP zur Bahnprivatisierung. Da stellt beispielsweise der CDU/CSU-Antrag frank und frei fest: „Der Anteil der Bahn am modal split aller Verkehrsträger hat weiter abgenommen.“ Konstatiert wird für den Güterverkehr, dass das Potential für 2010 statt mit 90 Millionen nach neusten Studien nur noch mit 40 Millionen Tonnen angenommen wird. Das ist wahrlich eine harte Bilanz. Die Güterverkehrs- leistung wird bei weniger als der Hälfte dessen liegen, was die CDU/CSU als Partei, die 16 Jahre lang die Verkehrs- minister stellte, vorhergesehen hatte. Eine solche „Plan- untererfüllung“ hätte selbst in einem SED-Staat als kata- strophal gegolten. Dabei lautete das Geschwätz von ge- stern des Verkehrsminister Wissmann: Man liege voll im Plan. Das Bäumchen-wechsle-dich-Spiel von Regierung und Opposition gibt Gelegenheit zu christlicher Einkehr, Reue und Erkenntnis. Der CDU/CSU-Antrag konstatiert weiter, es gebe un- stimmige Wettbewerbsverzerrungen zuungunsten der Bahn und listet dabei jährliche Belastungen „der DB AG aus Mineralölsteuer und Mehrwertsteuer“ von 2,3 Milli- arden DM auf, die die anderen EU-Bahnen nicht belaste- ten. Hinzu seien „Öko-Steuer und die Gebühr für die Leis- tungen des Bundesgrenzschutzes in Höhe von zusammen weiteren 650 Millionen DM jährlich“ gekommen. Das macht summa summarum 3,5 Milliarden DM, um die nach Ansicht der CDU/CSU die Bahn zu entlasten wäre, um Wettbewerbsgleichheit herzustellen. Das ist die Hälf- te dessen, was die Bahn jährlich an Investitionshilfen vom Bund erhält! Zu fragen wäre: Warum sah sich diese Partei nicht in der Lage, in ihrer langen Regierungszeit diese Wettbe- werbsverzerrungen aufzuheben? Es gab genügend Anträ- ge unter anderem der Grünen, beispielsweise die Belas- tung der Bahn mit der Mineralölsteuer zu beseitigen und damit „Waffengleichheit“ zum Beispiel mit dem Flug- verkehr herzustellen. Warum stimmte die CDU/CSU im letzten Jahr nicht für den Antrag der PDS, die Bahn von der „zusätzlichen Belastung“ der Ökosteuer ganz zu be- freien? Dass all das viel Wind ist, mit dem Stimmungs- mache betrieben und Stimmen bei den Bahnbeschäftigten gewonnen werden sollen, zeigt dann die grundlegende Zielsetzung. Der CDU/CSU-Antrag geht davon aus, dass trotz die- ser für die Bahn katastrophalen Verkehrsbilanz und trotz der weiter bestehenden enormen Wettbewerbsverzerrun- gen zu „erwarten“ sei, „dass die Börsenfähigkeit des Un- ternehmens entsprechend den zeitlichen Vorstellungen bei der Verabschiedung der Bahnreform circa 10 Jahre nach der Umwandlung der DB in ein Unternehmen er- reicht wird“. Einmal abgesehen von der sprachlichen Groteske, die Bahn erst ab 1994, mit Bildung der DB AG als „ein Unternehmen“ zu erkennen, bleibt festzustellen: Als Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 20008972 (C) (D) (A) (B) Regierungspartei hat die CDU/CSU niemals erklärt, die Bahn müsse 2004 an die Börse. Immer wurde betont, die- se sei generell eine „Möglichkeit“ und der Zeitpunkt dafür stehe ohnehin nicht fest. Umgekehrt war es die PDS als einzige Partei, die ge- gen die Bahnprivatisierung stimmte und die damit erklär- te, es gehe nicht um eine Reform, es gehe vielmehr um ei- ne Zerschlagung, wobei das entscheidende Mittel dafür der Börsengang sei. Wir argumentieren: Weil die Bahn auf dem Verkehrsmarkt der schwächste Verkehrsträger sei, weil die Rahmenbedingungen ihr eine extrem schlechte Ausgangsposition zuwiesen, weil die Wettbewerbsbedin- gungen grundsätzlich und im Detail zuungunsten der Bahn gestaltet seien, würde ein Börsengang nur heißen, dass der Niedergang des Schienenverkehrs sich be- schleunigen würde. Damals wussten wir noch nicht, dass die Bilanz sieben Jahre nach der Umwandlung von Bun- desbahn und Reichsbahn zur Deutschen Bahn AG eine derart verheerende sein würde, wie es nun auch allgemein eingestanden wird. Der FDP-Antrag hält sich dann mit Kleinigkeiten erst gar nicht auf. Obgleich ihr verkehrspolitischer Sprecher Friedrich die Details von der katastrophalen Lage der Bahn kennt, vertritt er hier einen knallharten Liberalisie- rungs-Antrag: Der Konzernverbund der Bahn ist auf- zulösen und bis zum Ende des Jahres 2003 „vollständig zu privatisieren“. Die FDPmeint auch zu wissen: „Die mit der Struktur- reform geplanten Ziele wurden zu einem großen Teil er- reicht.“ Dass es damals hieß, es müsse mehr Verkehr auf die Schiene, interessiert da wenig. Es bleibt die brutale In- teressiertheit am Stoff: dem Börsengang. Die besondere Forderung des FDP-Antrags, „die Netz AG sofort aus dem Konzernverbund der DB AG heraus- zulösen“, ist dann unter diesem Aspekt zu sehen. Nach- dem die Bahnhöfe über die Station und Service AG und nachdem alle verwertbaren Immobilien über die neue – sechste – AG Immobilien ausgegliedert und auf dem Weg zur Börse sind, soll das Netz – vorläufig zumindest – doch beim Bund bleiben. Schließlich erkennt auch die FDP, dass es eine Weile noch einigen Schienenverkehr geben werde. Und dafür braucht man auch ein Netz. Wenn die Züge dann teure We- gelagerergebühren bei einer privatisierten AG Station und Service bezahlen müssen, wird die Funktion der Verge- sellschaftung von Verlusten und der Privatisierung von Gewinnen schließlich auf diesem Weg strukturell ge- währleistet. Die Regierungsparteien werden die beiden Anträge voraussichtlich ablehnen. Allerdings hat auch dies etwas mit dem Bäumchen-wechsle-dich-Spiel von Regierung und Opposition zu tun: In der Regierung können SPD und Bündnisgrüne nicht offen sagen, dass sie den größten Teil der Börsen-Ziele in den Anträgen teilen. Was sie allerdings können, ist, dies umzusetzen in eine verkehrspolitische Praxis, die genau in diese Richtung läuft. Es bleibt zu hoffen, dass der Widerstand, der sich der- zeit bei der Bahn und den Gewerkschaften gegenüber den Weiterungen dieser Bahnprivatisierungspolitik regt, die- ser zerstörerischen Tendenz Einhalt gebietet. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur vergleichenden Werbung und zur Änderung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften (Tagesord- nungspunkt 19) Dirk Manzewski (SPD): Am heutigen Tag debattie- ren wir hier im Deutschen Bundestag über den Gesetzes- entwurf der Regierungskoalition zur vergleichenden Wer- bung und zur Änderung wettbewerbsrechtlicher Vor- schriften. Ziel des Gesetzentwurfs ist in erster Linie die Umsetzung der entsprechenden Richtlinie des Europäi- schen Parlaments zur Änderung der Richtlinie über irre- führende Werbung zwecks Einbeziehung der verglei- chenden Werbung. Mit dieser Richtlinie ist ein wichtiger Bestandteil des Wettbewerbsrechts im Bereich des Binnenmarktes har- monisiert worden. Bislang war vergleichende Werbung im deutschen Recht nicht ausdrücklich geregelt. Die Recht- sprechung beurteilte die verschiedenen Formen verglei- chender Werbung und hielt sie grundsätzlich für unzu- lässig. Vergleichende Werbung war danach nur unter bestimmten, einschränkenden Bedingungen aus- nahmsweise zulässig. Die vorgeschlagene Ergänzung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb wird zu einer Liberalisierung des Wettbewerbsrechts und zu mehr Rechtsklarheit und Rechtssicherheit führen. Vergleichen- de Werbung wird künftig grundsätzlich zulässig sein. In einem umfassenden Kriterienkatalog wird entsprechend der Systematik des UWG in einem Verbotstatbestand je- doch deutlich klargestellt, wann vergleichende Werbung als sittenwidrig und damit unzulässig in diesem Zusam- menhang anzusehen ist. So darf ein Werbetreibender Kun- den nicht durch einen Werbevergleich irreführen. Werbung darf auch nicht zu einer Verwechselung der verglichenen Produkte führen oder den Mitbewerber und die von ihm vertriebenen Produkte herabsetzen oder verunglimpfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Umsetzungsver- pflichtung der europäischen Richtlinie haben wir zu dem Anlass genommen, im Gesetz gegen den unlauteren Wett- bewerb Änderungen und Klarstellungen vorzunehmen. Diese sind auf die Ergebnisse der „Arbeitsgruppe zur Überprüfung des Wettbewerbsrechts“ zurückzuführen. Diese ist Anfang 1995 vom Bundesministerium der Justiz eingesetzt worden, um den Reformbedarf in Bezug auf das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb umfassend zu prüfen. Im Einzelnen sind folgende Vorschläge aufgegriffen worden: Von § 6 c UWG sollen künftig auch die in der Pra- xis häufigen Gewinnspiele erfasst werden, bei denen die Teilnehmer die erwarteten „besonderen Vorteile“ nicht vom Veranstalter selbst, sondern von Dritten, insbeson- dere weiteren Mitspielern, erhalten. Auch soll die Reichweite der Regelung in § 7 Abs. 1 UWG, wonach Sonderveranstaltungen außerhalb des re- gelmäßigen Geschäftsverkehrs zur Beschleunigung des Warenabsatzes nicht den Eindruck besonderer Kaufvor- teile erwecken dürfen, klargestellt werden. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8973 (C) (D) (A) (B) Zudem sollen zur Bekämpfung von Missbräuchen bei Räumungsverkäufen die Überwachungsmöglichkeiten der Industrie- und Handelskammern und der Handwerks- kammern verbessert werden. Des Weiteren soll präzisiert werden, dass nur Be- klagte im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung ver- klagt werden können, die weder einen inländischen Wohnsitz noch eine inländische gewerbliche Niederlas- sung haben. Die Liberalisierung der vergleichenden Werbung er- fordert im Übrigen eine entsprechende Ergänzung bei § 11 des Gesetzes über die Werbung auf dem Gebiet des Heilwesens. Soweit die Arbeitsgruppe zur Überprüfung des Wett- bewerbsrechts außerdem empfohlen hat, der Zustellung eines Antrags auf einstweilige Verfügung oder einer einst- weiligen Verfügung eine verjährungsunterbrechende Wir- kung zuzuerkennen, ist hiervon zunächst abgesehen wor- den. Da die „Kommission zur Überarbeitung des Schuld- rechts“ auch dieses Problem gesehen hat und in absehbarer Zeit mit der Umsetzung ihrer Ergebnisse zu rechnen ist, soll dieser Vorschlag erst im Rahmen der Schuldrechtsreform aufgegriffen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die AGV und ver- schiedene Wirtschaftsverbände sind frühzeitig in das Ge- setzesvorhaben eingebunden worden. Der Gesetzentwurf ist dabei grundsätzlich positiv aufgenommen worden. Ich gehe daher von einer breiten Zustimmung aus und hoffe, dass auch Sie den Gesetzentwurf konstruktiv begleiten werden. Dr. Susanne Tiemann (CDU/CSU):Mit dem Gesetz zur vergleichenden Werbung und zur Änderung wettbe- werbsrechtlicher Vorschriften wird eine notwendige Ent- scheidung eingeleitet: Die vom Europäischen Parlament und vom Rat am 6. Oktober 1997 verabschiedete Richtli- nie 97/55/EG ist bis zum 23. April 2000 in nationales Recht umzusetzen. Sie erklärt vergleichende Werbung grundsätzlich für zulässig, allerdings unter bestimmten Voraussetzungen. Hierzu ist eine Ergänzung des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb erforderlich. Es ist be- dauerlich, dass die Umsetzung erst jetzt erfolgt, da diese Terminplanung den Gesetzgeber wieder einmal unter er- heblichen Zeitdruck setzt. Weitere Änderungen des UWG tragen den Empfeh- lungen der Arbeitsgruppe „Überprüfung des Wettbe- werbs“ Rechnung, die 1995, also während unserer Re- gierungszeit, in vorausschauender Weise eingesetzt wor- den ist. Sie hat ihren Abschlussbericht 1996 vorgelegt. Insgesamt ist die Umsetzung der Richtlinie nach der Rechtsprechung des EuGH auch erforderlich. Die Zuläs- sigkeit der vergleichenden Werbung ist im deutschen Recht bisher nicht ausdrücklich geregelt. Vergleichende Werbung ist von der Rechtsprechung immer als grundsätzlich unzulässig, weil wettbewerbswidrig, ange- sehen worden. Bereits nach Verabschiedung der Richtli- nie hat der Bundesgerichtshof aber in verschiedenen Rechtsstreitigkeiten im Jahre 1998 erklärt, dass er von sei- ner bisherigen Rechtsprechung abweiche und im Rahmen des § 1 UWG die materiellen Bestimmungen der Richtli- nie anwenden wolle. Ein wirklicher Umbruch des Wett- bewerbsrechts hat sich damit aufgrund der Richtlinie ab- gezeichnet. Umso mehr muss es das Anliegen sein, eine Umsetzung der Richtlinie behutsam vorzunehmen und dabei nicht über das Ziel hinauszuschießen. Auch aus die- sem Grunde ist dem Gesetzentwurf insofern zuzustimmen, als er manche Vorschriften nicht für umsetzungsbedürftig ansieht, weil entweder das deutsche Recht den Richtlini- enbestimmungen bereits Rechnung trägt oder das eu- ropäische Recht an anderer Stelle schon entsprechende Regelungen vorgibt. Dem nationalen Gesetzgeber verbleibt bei der Umset- zung zwar die Wahl der Form und Mittel; die Form des Umsetzungsaktes hängt aber auch von den Vorgaben der Richtlinie ab. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind bei der Umsetzung von Richtlinien strengere Anforde- rungen an Klarheit und Transparenz zu stellen, wenn de- taillierte Regelungen in nationales Recht transformiert werden sollen. Die Richtlinie enthält zum Teil sehr de- taillierte Vorgaben. Die Tendenz, Richtlinien mit der Be- stimmtheit von Verordnungen zu verabschieden, hat in der letzten Zeit bedauerlicherweise erheblich zugenommen. Dabei erscheint es immer fraglicher, ob dem einzelnen Mitgliedstaat tatsächlich noch die Wahl der Form und ge- eignetsten Methode überlassen bleibt. Umso wichtiger ist es, dass das umsetzende Gesetz in ganz besonderer Wei- se klar und eindeutig gestaltet sein muss, um den Willen des nationalen Gesetzgebers eindeutig zum Ausdruck zu bringen. Im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssi- cherheit müssen die Werbenden wissen, welche Rechte und Pflichten von ihnen konkret zu beachten sind. Obwohl in der Richtlinie der Katalog der Kriterien, un- ter denen eine vergleichende Werbung zulässig sein soll, sehr detailliert ist, sollte geprüft werden, inwieweit Aus- legungsspielräume verbleiben. Sie müssen bei der Um- setzung soweit wie möglich genutzt werden. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass die einzelnen Kriterien so- wohl hinreichende als auch notwendige Bedingungen für die Zulässigkeit der vergleichenden Werbung sind. Dabei ist immer davon auszugehen, dass die Richtlinie die Re- gelung vergleichender Werbung und ihrer entsprechenden Einschränkungen für erforderlich für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes hält. In § 2 soll nun bestimmt werden, wann vergleichende Werbung gegen die guten Sitten im Sinne des § 1 UWG verstößt. Dies ist außerordentlich sensibel, weil gerade die vergleichende Werbung, also „Werbung, die unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder die von einem Mitbewerber angebotenen Waren oder Dienstleistungen erkennbar macht“, in besonderem Maße geeignet ist, bei exzessiver Wahrnehmung zu Irreführungen des Markt- teilnehmers bzw. zu ungerechtfertigten Vorteilen auf dem Markt zu führen. Bei der Umsetzung ist deshalb große Vorsicht angebracht und die Sorgfalt, tatsächlich auch al- le irreführenden Angaben zu erfassen. Dabei muss immer wieder in Erinnerung gerufen wer- den: Mit dem Wettbewerbsrecht ist sorgfältig umzuge- hen. Es bildet eine wesentliche Basis für das Funktio- nieren unserer sozialen Marktwirtschaft. Verfügen wir nicht über ein ausgewogenes Wettbewerbsrecht, hat dies Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 20008974 (C) (D) (A) (B) tief greifende Folgen für unsere Wirtschaftsordnung, für die Balance zwischen Freiheit und Bindung des Markt- handelns. Dieses Erfordernis sorgfältigen Handelns gilt gerade auch für die weiteren Regelungen unseres Wettbe- werbsrechts. Es ist an sich folgerichtig, die vorgeschla- genen Änderungen und Präzisierungen entsprechend den Vorschlägen der „Arbeitsgruppe zur Überprüfung des Wettbewerbsrechts“ in das vorliegende Gesetz mit einzubeziehen. Denn die Arbeitsgruppe hat in ihrem Be- richt vom 17. Dezember 1996 eine eigenständige No- vellierung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbe- werb abgelehnt, aber eine Korrektur einzelner Bestim- mungen empfohlen. Die Vorschläge der Arbeitsgruppe sind durchaus sinnvoll und tragen dazu bei, Unklarhei- ten zu beseitigen. Sie beziehen sich auf Regelungen zu Sonderveranstaltungen, Räumungsverkäufen und die Beibehaltung des Verbots der vergleichenden Werbung bei Heilmitteln. So werden z. B. von § 6 c UWG in Zu- kunft auch solche Gewinnspiele erfasst, bei denen die Teilnehmer die erwarteten „besonderen Vorteile“ nicht vom Veranstalter selbst, sondern von Dritten erhalten. Zu begrüßen ist, dass die im Referentenentwurf vorge- sehene Regelung, dass auch Zweigniederlassungen Räumungsverkäufe durchführen dürfen, gestrichen wurde. Im laufenden Gesetzgebungsverfahren bleibt aller- dings zu überprüfen, ob die Ergänzung des Gesetzent- wurfs um die Aufnahme einer dem alten § 6 d UWG ent- sprechenden Norm geeignet ist, vielfach aufgetretene und kritisierte Missstände zu beseitigen. Im Einzelhandel fand in den letzten Jahren ein uner- bittlicher Preiskampf statt, der zur Vernichtung vieler mit- telständischer Existenzen führte. Dieser Prozess ist volks- wirtschaftlich schädlich. Der Mittelstand ist nicht nur Rückgrat der Volkswirtschaft, sondern auch Basis eines funktionierenden Wettbewerbs in der sozialen Markt- wirtschaft. Am Ende eines derartige Preiskrieges stünde nur erneute Monopolisierung. Ziel sollte es vielmehr sein, die Anzahl der Anbieter auf einem hohen Niveau zu hal- ten, damit eine stetige Konkurrenz der Anbieter unterei- nander für einen dauerhaften Wettbewerb sorgt. Dies könnte dadurch erreicht werden, dass den konkurrieren- den Wettbewerbern ein Instrument in die Hand gegeben wird, welches ihnen ermöglicht, gegen so genannte „Lockvogelangebote“ mit Unterlassungsansprüchen vor- zugehen. Der Handel würde so mit marktwirtschaftlichen Mitteln Einkaufsvorteilen und möglichen ungerechtfer- tigten Konditionsspreizungen der Industrie im Interesse des Nachteilsausgleichs für kleinere und mittlere Unter- nehmen die Spitze nehmen können. Die alte Regelung des § 6 d UWG hatte zwar keinen Be- stand vor der Rechtsprechung, weil der damalige Wortlaut zwischen Kunde und Wiederverkäufer differenzierte, wo- bei gegenüber dem Wiederverkäufer allerdings nur ein völliger Ausschluss, nicht aber eine mengenmäßige Be- schränkung der Warenabgabe, für einen Unterlassungs- anspruch ausreichte. Bei den Überlegungen, ob eine ver- gleichbare Neuregelung abermals in das UWG aufge- nommen wird, sollte dies keinen Hinderungsgrund darstellen. Jedenfalls wäre es höchste Zeit, hier praktikable und wirkungsvolle wettbewerbsrechtliche Instrumente zu schaffen, um gerade im Zeitalter der großen Fusionen den mittelständischen Unternehmen Chancengleichheit im Wettbewerb zu ermöglichen. Angesichts der Eile, mit der dieses Gesetz verabschiedet werden muss, wird keine Zeit bleiben für eine sorgfältige Ausarbeitung derartiger In- strumente. Dies ist außerordentlich zu bedauern. Wir wer- den aber alles tun, damit in einem erneuten Gesetzge- bungsvorhaben dem berechtigten Anliegen der mittel- ständischen Wirtschaft Rechnung getragen wird. Ein modernes Wettbewerbsrecht kann darauf nicht verzichten. Dem vorliegenden Gesetzentwurf stehen wir nicht von vornherein ablehnend gegenüber, wohl aber in konstruk- tiver Skepsis. Rainer Funke (F.D.P.): Der Gesetzentwurf der Bun- desregierung zur vergleichenden Werbung ist im Hinblick auf die Umsetzung der europäischen Richtlinie weitest- gehend unproblematisch. Hier hat der Gesetzgeber kaum Möglichkeiten, von der europäischen Richtlinie abzu- weichen. Die vergleichende Werbung wird in Zukunft zu- zulassen sein und entspricht ja auch der inzwischen geän- derten Rechtsauffassung des BGHs. Insoweit sagen wir auch eine zügige Beratung im Rechtsausschuss zu, zumal der Entwurf des Gesetzes reichlich spät dem Deutschen Bundestag zugewiesen worden ist, da bereits am 23. April die Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt sein muss. Diskussionswürdig erscheinen uns jedoch die zusätz- lichen wettbewerbsrechtlichen Änderungen im UWG, da dort insbesondere zu den §§ 7 und 8. Ob durch die Neu- fassung des § 7 UWG hinsichtlich der Sonderveranstal- tungen tatsächlich mehr Rechtsklarheit entsteht, muss in der Praxis besprochen werden. Hier kann man zumindest erhebliche Zweifel haben. Dasselbe gilt für den § 8 UWG, also den Räumungsverkauf. Es besteht hier die Gefahr, dass auf der einen Seite mehr Bürokratie, auf der anderen Seite missbräuchliche Räu- mungsverkäufe nicht verhindert werden. Um es klar zu sa- gen: Auch wir wollen zum Schutz des mittelständischen, seriösen Einzelhandels missbräuchliche Räumungsver- käufe verhindern. Ob dies durch mehr Bürokratie und mehr Einsichtnah- men in Geschäftsunterlagen geschaffen wird, wage ich zu bezweifeln. Dass die Berufsvertretungen in Zukunft sogar Einsichtnahme in eine zusammenfassende Auskunft über die zur Verfügung stehenden Unterlagen erhalten, ist schon ein sehr weit gehender Eingriff in das Geschäfts- geheimnis der Kaufleute. Das gilt umso mehr, wenn man die einzelnen Berufsvertretungen kennt. Hierzu müssten wir uns im Rechtsausschuss ausführlich besprechen. Es wäre wohl besser gewesen, die europäische Richt- linie zur vergleichenden Werbung zügig in nationales Recht umzusetzen und den Gesetzentwurf zur Änderung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften gründlich und mit den Fraktionen ausführlich zu beraten. Werner Schulz (Leipzig) (Bündnis 90/Die Grü- nen): Durch das vorliegende Gesetz wird die verglei- chende Werbung in der Europäischen Union harmonisiert. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8975 (C) (D) (A) (B) Die vergleichende Werbung ist künftig auch in Deutsch- land möglich. Dadurch dürfen Produkte aufgrund objekti- ver und beweisbarer Kriterien, beispielsweise über den Preis, in der Werbung miteinander verglichen werden. Nicht gestattet ist es auch, in Zukunft, den Mitbewerber oder sein Produkt herabzusetzen oder zu verunglimpfen. Grundlage ist die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 1997. Das Gesetz schafft darüber hinaus Klarheit bei der Auslegung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften und ver- bessert die Kontrolle bei Räumungsverkäufen. So können in Zukunft die häufigen Irreführungen von Verbrauchern bei Räumungsverkäufen effektiver bekämpft und der mit- telständische Einzelhandel besser geschützt werden. Die Industrie- und Handelskammern sollen künftig vom Ver- anstalter des Räumungsverkaufs die Einsicht in Ge- schäftspapiere und den Nachweis der Einkaufspreise ver- langen können. Dadurch soll sichergestellt werden, dass tatsächlich ein Räumungsverkauf vorliegt und der Händ- ler dies nicht nur zu Werbezwecken vortäuscht. Nach unserer Auffassung sollten wir dabei nicht stehen bleiben. Denkbar wäre eine Aufhebung des Rabattgeset- zes sowie eine deutliche Lockerung der Zugabeverord- nung, um den Wettbewerb von veralteten Beschränkungen zu befreien und den Verbrauchern günstigere Angebote nicht länger vorzuenthalten. Das Rabattgesetz regelt zulässige Preisnachlässe bei Waren des täglichen Bedarfs für den Endverbraucher. Nach der Rechtsprechung ist der Kreis der betroffenen Waren weit zu ziehen. Lediglich langlebige und seltene Luxusgüter sind von der Regelung ausgenommen. Das Gesetz schränkt einen Teilbereich des Preiswett- bewerbs im Einzelhandel ein: Die situationsbedingte oder auf eine bestimmten Kunden oder Kundenkreis ab- zielende Reduzierung des angekündigten Preises. Damit hat Deutschland eine der strengsten Regelungen in Euro- pa und auf der Welt gegen Rabatte. Überspitzt ausge- drückt: Nur das dreiprozentige Skonto ist erlaubt. Alle weiteren Rabatte sind verboten. Die Verbraucher sind bis- her die größten Verlierer der bestehenden Regelung. Den Preiswettbewerb zu unterdrücken, geht zulasten der Ver- braucher und der wettbewerbsaktiven, auch kleinen und mittleren Einzelhändler. Zurzeit gerät das Rabattgesetz durch die in Kürze zu verabschiedende EG-Richtlinie un- ter Druck: Nach Artikel 3 des Entwurfs der Richtlinie müssten europäische Unternehmen, die via Internet auf dem deutschen Markt anbieten, in Zukunft nur noch das Recht ihres Herkunftslandes anwenden; was für den deut- schen Unternehmer einen enormen Nachteil darstellen würde, da hier bekanntlich Rabatte praktisch verboten sind. Die Bundesregierung sollte die Gelegenheit aktiv nutzen und die nationale Gesetzgebung kontinuierlich zu- gunsten der Verbraucher an die liberaleren Regelungen der anderen EU-Staaten anzupassen. Mit Sorge verfolge ich dagegen die Folgen, die sich aus der E-Commerce-Richtlinie auf das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb (UWG) ergeben. Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in der EU ist durch eine kaum noch überschaubare Zahl sekundärrechtlicher Harmoni- sierungsmaßnahmen geprägt. Trotz dieser Vielzahl ge- meinschaftsrechtlicher Rechtsakte sind aber bislang nur begrenzte Bereiche von der Angleichung erfasst. Im Übri- gen handelt es sich zumeist um eine Angleichung durch Richtlinien, die zudem oft nur Mindestanforderungen ent- halten. Da sich die nationalen Wettbewerbsrechtsordnun- gen in ihren Systemen, ihrer Zielrichtung und vor allem in ihrem Schutzumfang zum Teil beträchtlich voneinan- der unterscheiden, Deutschland aber über ein relativ ho- hes Schutzniveau beim unlauteren Wettbewerb verfügt, kommt der Frage nach der Zukunft des deutschen UWG und einer weiteren europäischen Harmonisierung auf ho- hem Niveau eine erhebliche Bedeutung zu. Die Bundes- regierung wird sich bei der Europäischen Kommission dafür einsetzen müssen, dass es zu keiner Absenkung des Schutzniveaus sowohl aus wettbewerbs- als auch ver- braucherpolitischer Sicht kommt! Ich bin der Auffassung, dass der Erhalt des hohen Schutzniveaus von Verbrau- chern und Mitbewerbern durch das deutsche UWG hohe Priorität haben sollte. Dr. Evelyn Kenzler (PDS):Grundsätzlich begrüßt die PDS, dass es der Bundesregierung wieder einmal zu ge- lingen scheint, eine EU-Richtlinie pünktlich umzusetzen. Jedenfalls an uns wird die Termintreue nicht scheitern. Den Dank an das federführende Bundesjustizministe- rium möchte ich dennoch mit der Frage verbinden, wa- rum in diesem – relativ unkomplizierten – Fall trotzdem so lange gebraucht wurde: Die Richtlinie ist schließlich fast eineinhalb Jahre, die einschlägigen Vorschläge der deutschen „Arbeitsgruppe zur Überprüfung des Wettbe- werbsrechts“ sind gar schon drei Jahre alt! Ganz zu schweigen von Art. 2 des Gesetzentwurfes, der Teile ei- ner acht Jahre alten EU-Richtlinie endlich in deutsches Recht umsetzt. So gesehen war der nun wieder einmal ent- standene Zeitdruck auf Bundestag und Bundesrat durch- aus vermeidbar. Zu den Regelungen im Einzelnen: Wir begrüßen die Neuregelungen ganz überwiegend. Das gilt insbesondere für die Klarstellungen zur Bewerbung von Arzneimitteln per Art. 2; zum Gerichtsstand bei ausländischen Beklag- ten – Art. 1, Nr. 7 –; zum Charakter tatsächlich unlauterer Sonderverkaufsveranstaltungen – Art. 1, Nr. 5 – sowie zur Einbeziehung der Schneeballsysteme in strafbaren unlau- teren Wettbewerb, Art. 1, Nr. 4. Bei der ebenfalls unterstützenswerten Präzisierung des Rechts der Räumungsverkäufe ist uns besonders wichtig, dass die noch im Referentenentwurf enthaltene Einbezie- hung von Filialisten wieder vom Tisch ist und auch nicht wieder auf diesen kommt. Das wäre ein weiteres Einfalls- tor zur Liquidierung des klein- und mittelständischen Ein- zelhandels gewesen, die mit uns nicht zu machen ist. Handelsketten ist bei Aufgabe einer Filiale schließlich problemlos zuzumuten, noch nicht abgesetzte Ware auf andere Niederlassungen zu verteilen, statt über Laden-auf- Laden-zu-Spiele mittels permanenter „Räumungsware“- Angebote Konkurrenten vom Markt zu „räumen“. Die Neuregelung zur vergleichenden Werbung ist ausdrücklich zu begrüßen. Die Möglichkeit, in der Wer- bung sachliche Vergleiche zwischen Waren und Dienst- leistungen vornehmen zu können, ist ganz im Sinne der Verbraucher. Allerdings wird es in der Praxis darauf Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 20008976 (C) (D) (A) (B) ankommen, aggressive oder gar irreführende Werbung zu unterbinden. Die ausgewogenen Regelungsvorschläge stimmen uns dabei optimistisch. Sie dürften zur Rechts- sicherheit durch Rechtsklarheit beitragen. An einem Punkt sehen wir allerdings noch Beratungsbedarf in den Ausschüssen: Der letzte Satz des § 2 Abs. 3 sollte ersatz- los gestrichen werden. Sonderangebote nach dem Motto „Solange der kleine Vorrat reicht“ sind insbesondere in den am härtesten um- kämpften Branchen wie Möbel, Computer oder Heim- elektronik eine beliebte unlautere Wettbewerbsmethode. Da reicht dann der „Vorrat“ für ganze fünf oder zehn Kun- den. Aber das Unternehmen hat erreicht, dass das Wo- chenende oder gar die Woche über das Geschäft voller Menschen ist, von denen etliche dann doch mit Einkäu- fen, aber teureren als den angekündigten, nach Hause ge- hen. Solches unlautere Geschäftsgebaren sollte nicht noch ausdrücklich legalisiert werden. Wer so genannte Schnäppchen bewirbt, der soll diese Angebote außerhalb der gesetzlichen Schlussverkäufe auch für eine bestimm- te Zeitspanne – und wenn es für einen Tag ist – garantie- ren müssen. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Justiz:Die Bundesregierung verfolgt mit dem Gesetzent- wurf zwei Ziele: erstens die Umsetzung der Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur vergleichenden Werbung, zweitens kleinere Korrek- turen im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, die auf Empfehlungen einer im Bundesministerium der Justiz ge- bildeten Arbeitsgruppe zur Überprüfung des Wettbe- werbsrechts aus dem Jahr 1997 zurückgehen. Schwerpunkt des von der Bundesregierung beschlos- senen Gesetzentwurfs ist die Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur vergleichen- den Werbung. Diese Richtlinie harmonisiert die rechtli- chen Rahmenbedingungen der vergleichenden Werbung im Binnenmarkt und führt in Deutschland zur Liberali- sierung der bestehenden Vorschriften. Vergleichende Werbung soll der Information der Verbraucher dienen und transparente Marktbedingungen schaffen. Bisher galt im deutschen Recht – von eng umrissenen, von der Rechtsprechung entwickelten Ausnahmen abge- sehen – ein grundsätzliches Verbot vergleichender Wer- bung wegen Sittenwidrigkeit im Sinne von § 1 UWG. Das bislang bestehende Regel-Ausnahme-Verhältnis hat sich nach der Verabschiedung der Richtlinie 1997 umgekehrt: Mittlerweile gehen auch der Bundesgerichtshof und die Instanzgerichte von der grundsätzlichen Zulässigkeit aus und wenden die Kriterien der Richtlinie im Vorgriff auf die Umsetzung bereits an. Die Richtlinie muss dennoch aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit umge- setzt werden, denn bereits vor der Umsetzung der Richt- linie hat sich die Werbepraxis diese neue Form zu Eigen gemacht. Sie kennen den Einsatz von Werbevergleichen vor- zugsweise durch Anbieter von Telekommunikations- Dienstleistungen: Call-by-Call-Anbieter, Internetanbie- ter und Autovermieter, zum Beispiel Avis, Sixt, Hertz, Eu- ropcar. Werbevergleiche helfen gerade Newcomern, die Besonderheiten ihres neuen Produkts oder ihrer Dienst- leistung gegenüber herkömmlichen und bekannten Pro- dukten oder Dienstleistungen hervorzuheben. Mit diesem Gesetz wollen wir jetzt verlässliche Rah- menbedingungen für moderne, zeitgemäße Werbeformen schaffen. Wir versprechen uns von der Regelung eine po- sitiven Effekt: „Mehr Wettbewerb durch mehr transpa- rente Werbung.“ Welche Vorschläge enthält der Gesetzentwurf? Art. 1 schlägt zunächst eine Ergänzung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, UWG, vor, nach der vergleichen- de Werbung künftig grundsätzlich zulässig sein soll. Im Interesse der sachgerechten Information des Ver- brauchers und der Fairness im Wettbewerb müssen aber folgende Bedingungen eingehalten werden: Erstens. Der Werbevergleich muss sachlich sein, darf nicht irreführen oder Verwechslungen der Produkte her- vorrufen. Täuschende Werbeaussagen sollen damit unter- bleiben. Zweitens. Es dürfen nur wesentliche, typische und nachprüfbare Eigenschaften von Waren und Dienstleis- tungen oder – und das ist besonders wichtig – der Preis ge- genübergestellt werden. Auch in Zukunft bleiben nicht überprüfbare Aussagen zum Geschmack oder Geruch, wie etwa: „Unser Produkt A schmeckt besser als das Pro- dukt B von XY“ unzulässig, da solche Bewertungen höchst subjektiv vom Konsumentengeschmack abhän- gen. Drittens. Der Mitbewerber und die von ihm vertriebe- nen Produkte dürfen nicht herabgesetzt oder verunglimpft werden. Polemik und Rufschädigung auf Kosten des Mit- bewerbers sind bei vergleichender Werbung nämlich nicht erwünscht. Werden diese Kriterien nicht eingehalten, ist der Wer- bevergleich sittenwidrig und damit unzulässig. Art. 2 des Entwurfs enthält außerdem eine Ergänzung des § 11 des Gesetzes über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens, HWG. Dies ist wegen der besonderen Vorgaben in der Humanarzneimittelrichtlinie für die sen- sible Werbung mit Arzneimitteln notwendig geworden. Den Gesetzentwurf haben wir außerdem zum Anlass genommen, einige Empfehlungen zur Klarstellung und Verbesserung der Rechtslage aufzugreifen, die die Ar- beitsgruppe des Bundesministeriums der Justiz zur Überprüfung des Wettbewerbsrechts aus Vertretern der beteiligten Kreise, der Gerichte und der Wissenschaft ge- macht hat: Vor allem Missbräuche im Bereich der Räu- mungsverkäufe sollten künftig mittels verbesserter Kon- trolle durch die Industrie- und Handelskammern bekämpft werden. Dazu wird der Anspruch auf Einsicht in Geschäftspapiere und auf Nachweis der Einkaufsprei- se erweitert. Nicht mehr im Regierungsentwurf weiterverfolgt wird hingegen der noch im Referentenentwurf enthaltene Vor- schlag, Räumungsverkäufe auch für einzelne Filialen zu- zulassen. Die Bundesregierung legt nämlich großen Wert darauf, dass die kleinen und mittleren Unternehmen im Wettbewerb nicht benachteiligt werden. Daher haben Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8977 (C) (D) (A) (B) Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 20008878 (C) (D) (A) (B) uns die Argumente der kleinen und mittelständischen Unternehmen des Einzelhandels überzeugt, dass die Ge- fahr des Missbrauchs und Verdrängungswettbewerbs bei einer derartigen Liberalisierung zu groß wäre. Die Bundesregierung setzt – auch im Hinblick auf die Umsetzungsfrist für die Richtlinie bis 23. April 2000 – auf eine zügige Prüfung und Beratung in den Ausschüssen. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Werner Labsch, Albrecht Papenroth, Dr. Peter Danckert, Barbara Wittig und Jürgen Wieczorek (Böhlen) (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung (KW-Vorschalt- gesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 7) Gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages geben wir zum „Kraft-Wärme-Kopplungs- gesetz“ folgende Erklärung ab: Diesem Gesetz haben die Unterzeichner dieser Er- klärung ihre Zustimmung aus folgenden Gründen gege- ben: 1. Dem Anliegen der ressourcenschonenden, umwelt- und klimafreundlichen Energieerzeugung wird mit der Förde- rung der Kraft-Wärme-Kopplung Rechnung getragen. 2. Den Stadtwerken wird eine notwendige Anpassungs- hilfe am Strommarkt gewährt. Die Unterzeichner sehen für das Gesetz jedoch auch Ablehnungsgründe: 1. Die Vergütung erscheint überhöht. 2. Eine Belastung für den unter Druck geratenen ostdeut- schen Stromerzeuger VEAG ist durch die hohen Ab- schreibungskosten bereits gegeben. Darüber hinaus be- nachteiligt der § 2 (2) die VEAG im Grund- und Mittel- lastbereich. Es besteht nach Ansicht der Unterzeichner Nachbesse- rungsbedarf. Anlage 5 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die EU-Vorlagen bzw. Unter- richtungen durch das Europäische Parlament zur Kennt- nis genommen und von einer Beratung abgesehen hat. Haushaltsausschuss Drucksache 14/2009 Nr. 2.1Drucksache 14/2414 Nr. 2.2 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 14/2609 Nr. 1.2Drucksache 14/2609 Nr. 1.3Drucksache 14/2609 Nr. 1.4Drucksache 14/2609 Nr. 1.5Drucksache 14/2609 Nr. 1.7Drucksache 14/2609 Nr. 1.12Drucksache 14/2609 Nr. 1.13 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 14/2747 Nr. 2.19Drucksache 14/2747 Nr. 2.25Drucksache 14/2747 Nr. 2.37Drucksache 14/2747 Nr. 2.38Drucksache 14/2817 Nr. 2.7Drucksache 14/2817 Nr. 2.8Drucksache 14/2817 Nr. 2.31 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 14/272 Nr. 1.87Drucksache 14/1276 Nr. 2.1Drucksache 14/1617 Nr. 2.1Drucksache 14/1617 Nr. 2.53Drucksache 14/2104 Nr. 2.22 Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409600000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.


(Die Anwesenden erheben sich)

Der Deutsche Bundestag trauert um sein Mitglied

Gert Willner, der gestern im Alter von 59 Jahren einem
schweren Leiden erlegen ist.

Gert Willner wurde am 16. April 1940 in Deutsch-
Gabel geboren. Nach einer Verwaltungsausbildung, die
er mit dem Grad eines Diplomverwaltungswirts ab-
schloss, war er als Referent bei der schleswig-
holsteinischen Landesregierung tätig, bis er zum haupt-
amtlichen Bürgermeister der Stadt Quickborn gewählt
wurde. Dieses Amt hatte er 18 Jahre lang inne. Auch in
seiner folgenden Aufgabe als Geschäftsführer eines
Verbandes von Wohnungsbauunternehmen und als Ab-
geordneter des Deutschen Bundestages hat er sich der
Kommunalpolitik verbunden gefühlt. Seine Ämter in der
Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU belegen
dies ebenso wie seine Mitgliedschaft in der Enquete-
Kommission „Kommunalverfassungsrecht“ des Schles-
wig-Holsteinischen Landtages und in einer Experten-
kommission für die Kommunalverfassung für Mecklen-
burg-Vorpommern.

Gert Willner wurde 1994 in den Deutschen Bundes-
tag gewählt. Als ordentliches Mitglied gehörte er in der
13. Legislaturperiode dem Ausschuss für Raumordung,
Wohnungswesen und Städtebau sowie dem Innenaus-
schuss an, in der 14. Legislaturperiode dem Ausschuss
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen sowie der En-
quete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen En-
gagements“.

Alle seine Kollegen, die einen persönlichen Kontakt
mit dem Verstorbenen hatten, werden seine menschli-
che, ruhige und gelassene Art in Erinnerung behalten.
Sein vermittelndes Wesen und sein hintergründiger Hu-
mor halfen oft, Konflikte zu schlichten oder sie zu ent-
schärfen. In der Interessenvertretung für seinen Wahl-
kreis und für seine schleswig-holsteinische Heimat zeig-
te er ein hohes Maß an Zielstrebigkeit und Beharrlich-

keit. Die Sorgen und Wünsche der Bürger waren ihm
Richtschnur seiner politischen Tätigkeit.

Der Deutsche Bundestag wird seinem Mitglied Gert
Willner ein ehrendes Gedenken bewahren. Ich spreche
seiner Witwe im Namen des Deutschen Bundestages un-
ser tief empfundenes Mitgefühl aus.

Ich danke Ihnen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf:

16 a) Zweite und dritte Beratung des von den
Abgeordneten Ludwig Stiegler, Monika
Griefhahn, Jörg Tauss, weiteren Abgeordne-
ten und der Fraktion der SPD sowie den Ab-
geordneten Klaus Müller, Dr. Antje Vollmer,
Oswald Metzger, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
weiteren steuerlichen Förderung von
Stiftungen

– Drucksache 14/2340 –

(Erste Beratung 79. Sitzung)

Zweite und dritte Beratung des von den Ab-
geordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Rainer Funke, Dr. Klaus Kinkel, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P.
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur

(StiftRReformG)


– Drucksache 14/336 –

(Erste Beratung 31. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-


(23. Ausschuss)


– Drucksache 14/3010 –
Berichterstattung:

Abgeordnete Jörg Tauss
Dr. Norbert Lammert






(A)



(B)



(C)



(D)


Dr. Antje Vollmer
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

Dr. Heinrich Fink

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Kultur und Me-
dien (23. Ausschuss) zu dem Antrag der Frak-
tion der CDU/CSU Ein modernes Stiftungs-
recht für das 21. Jahrhundert

– Drucksachen 14/2029, 14/3010 –
Berichterstattung:

Abgeordnete Jörg Tauss
Dr. Norbert Lammert
Dr. Antje Vollmer
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

Dr. Heinrich Fink

Es liegen vier Änderungsanträge der Fraktion der
CDU/CSU vor, von denen wir später einen namentlich
abstimmen werden. Außerdem liegen ein Änderungsan-
trag der Fraktion der F.D.P. sowie je ein Entschlie-
ßungsantrag der F.D.P. und der PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstem
dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Hans-Joachim
Otto, für eine kurze Ergänzung zum Bericht das Wort.


Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1409600100
Herr Prä-
sident! Meine Damen und Herren! Bei der schriftlichen
Abfassung des Berichtes hat es leider eine kleine Unter-
lassung gegeben, und zwar ist dort nicht erwähnt, dass
der Gesetzentwurf der F.D.P.-Fraktion auf der Drucksa-
che 14/336 durch einen Änderungsantrag der F.D.P.-
Fraktion ergänzt worden ist, der Ihnen jetzt noch einmal
gesondert unter der Drucksache 14/3043 ausgeteilt wird
und über den wir heute gesondert abzustimmen haben.

Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass der Bericht inso-
weit eine kleine Unterlassung aufweist – auch Kulturpo-
litiker begehen manchmal kleine Unterlassungen –, da-
mit darüber nachher korrekt abgestimmt werden kann.

Vielen Dank.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409600200
Herzlichen Dank. –
Nun erteile ich das Wort dem Staatsminister Michael
Naumann.

D
Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1409600300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Wir debattieren heute abschließend über das Stiftung-
steuerrecht und damit über neue Wege, das Wort von
der Bürgergesellschaft mit neuem Leben zu erfüllen.
Dem Stiftungsteuerrecht soll – das ist unsere Hoffnung
und der Plan – die Reform des zivilrechtlichen Teils des
Stiftungsrechts folgen.

Aber: Das erste wichtige und damit sicherlich auch
das schwierigste Stück des Weges liegt nun hinter uns.

Diese Regierungskoalition hat mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf nach jahrelangem Stillstand auf diesem
Feld einen Durchbruch geschafft. Bekanntlich war das
nicht unser Stillstand.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist schön, meine Damen und Herren von der Op-
position, bei dieser Gelegenheit noch einmal die ableh-
nenden Briefe des Finanzministers Waigel zu lesen.


(Jörg Tauss [SPD]: O ja!)

Es geht hierbei jedoch nicht nur um abstrakte Steuervor-
schriften, sondern auch um neue gesellschaftspolitische
Chancen. Ich glaube, dass heute endlich einmal wieder
nicht von windigen Spendern mit unbekannten Konten
die Rede ist, die mit irgendwelchen Tricks ihr Geld an
der Steuer und am Gesetz vorbeischummeln wollen.


(Jörg Tauss [SPD]: Nach Liechtenstein!)

Wer stiftet, will mitgestalten. Dies soll er aber bitte of-
fen tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Stifter geben nicht nur ihr Geld. Sie stiften auch ihre
Zeit und ihre Begeisterung für eine gute Sache. Sie über-
nehmen Verantwortung für das Gemeinwohl. Die Bür-
gerinnen und Bürger dieses Landes wollen Investitionen
in die Zukunft nicht allein der Wirtschaft und der Politik
überlassen. Sie wollen selbst Investoren sein.

Stiftungen sind jahrhundertealter Ausdruck von In-
vestitionen in das Gemeinwohl. Sie sind gewissermaßen
die Rechtsform des klassischen römischen Begriffes der
Vita activa, die da lautet: tua res agitur. Es geht um dei-
ne Sache; handele mit.

Das gilt nicht allein für die Kultur und für die Kultur-
politik, für die ich hier spreche, sondern auch für Sozia-
les, für Umwelt, Wissenschaft und Sport. Sie alle profi-
tieren vom Willen der Bürgerinnen und Bürger, sich mit
freiwilligen Leistungen an der Entwicklung der Gesell-
schaft zu beteiligen.

Die Spendenfreude der Deutschen in Krisen- und Ka-
tastrophenfällen ist bekannt, ja legendär. Das ist eben-
falls Ausdruck eines ausgeprägten Bewusstseins der Ge-
sellschaft – oder soll ich bei dieser Gelegenheit einmal
sagen: der Bevölkerung oder des Volkes – für die Ver-
antwortung des Einzelnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieses Verantwortungsgefühl gilt es zu stärken. Es
gilt, offene Anreize – ich betone: offene Anreize –
zu schaffen, damit gute Vorhaben in die bessere Tat
umgesetzt werden können. Das will diese Regierung mit
der Reform des Stiftungsrechts erreichen. Einen nicht
unbeträchtlichen Teil haben wir erreicht. Wir wollen
potenziellen Stiftern die Steine aus dem Weg räumen,
die das geltende Stiftungsrecht, das über Jahrhunderte

Präsident Wolfgang Thierse






(A)



(B)



(C)



(D)


gewachsen und dann schließlich seit mehr als einem
Jahrhundert festgegossen ist, in den Weg gelegt hat.

Mit dem Stiftungsteuerrecht will der Staat seinen An-
teil in einem fairen, für alle Partner erfolgreichen Ge-
schäft beitragen. Der Staat verzichtet fortan auf Steuer-
einnahmen zugunsten eines etwas höheren Wertes,
den Stiftungen für das Gemeinwohl schaffen können.

Es ist kein Geheimnis, dass es nicht so einfach war,
die Finanzpolitiker auch in unseren eigenen Fraktionen
von der Sinnhaftigkeit dieses Projektes zu überzeugen.
Ich stehe auch nicht an, darauf hinzuweisen, dass es in
letzter Instanz der Bundeskanzler war, der hier seine
Richtlinienkompetenz wahrgenommen hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Ein guter Kanzler!)


Wir haben mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auch
eine Forderung aus der Koalitionsvereinbarung einge-
löst.

Wer stiftet, spart Steuern. Bis zu 40 000 DM sind von
der Steuer abzugsfähig, wenn sie einer Stiftung zugute
kommen. Damit sollen vor allem Besitzer kleinerer und
mittlerer Vermögen die Chance erhalten, sich stärker an
Stiftungen zu beteiligen. Zugleich wird der Stiftungsge-
danke in die Mitte der Gesellschaft gerückt.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich bin überzeugt davon, die Gründung und Unter-
stützung von Bürgerstiftungen wird durch die Reform
einen kräftigen Schub erfahren. Die Bereitschaft und –
gottlob! – auch das Geld dazu sind da. Auf diesen posi-
tiven Effekt haben die Künstlerinnen und Künstler ge-
wartet. Die Kulturinstitutionen sind immer stärker
darauf angewiesen. Bürgerstiftungen sind eine der wich-
tigsten gesellschaftspolitischen Innovationen der letzten
Jahre im Bereich der privaten Kulturförderung. Fast jede
dritte Stiftung in Deutschland ist seit 1990 entstanden.
Die kleinen, sehr von ambitionierten Persönlichkeiten
geprägten regional tätigen Stiftungen sichern die kultu-
relle Vielfalt einer Stadt bzw. einer Region. Sie sind
Ausdruck eines gelebten Subsidiaritätsprinzips.

Durch die jetzt möglich gewordene großzügige För-
derung wollen wir noch mehr Menschen ermutigen und
anregen, durch Zustiftung von 5 000, 10 000 oder gar
40 000 DM, die von der Steuer abgezogen werden kön-
nen, praktischen Bürgersinn zu zeigen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dadurch zeigt der Staat, dass er die Selbstorganisation
des Bürgers vorbehaltlos ermöglichen will. Die große
Stiftungslandschaft im Deutschland der Jahrhundert-
wende ist unter dem Ansturm des Totalitarismus zu-
sammengebrochen. Sie ist langsam wieder aufgewach-
sen. Jetzt geben wir ihr einen neuen Schub.

Dies alles soll in einer Zeit ermutigen, in der allzu oft
und sehr schnell nach dem Staat als Problemlöser geru-
fen wird. Wir wollen – quasi als Kontrapunkt – den Weg

ebnen, selbstbewusst mehr Eigenverantwortung wahr-
zunehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: Eine richtig liberale Botschaft!)


– Herr Otto, das schöne Erlebnis war ja, dass im Grunde
genommen alle Kulturpolitiker im Kulturausschuss in
dieser Sache einer Meinung waren. Es ist natürlich auch
klar, dass Sie mehr gefordert haben, als Sie in den ver-
gangenen 16 Jahren auch nur ansatzweise haben erfüllen
können. Wir alle gemeinsam haben ja den Widerstand
erfahren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Natürlich brauchen wir auch den reichen Mäzen.
Deshalb enthält die Gesetzesinitiative auch interessante
Anreize für größere Vermögen. So ist vorgesehen, Sach-
zuwendungen aus dem Betriebsvermögen für Stiftun-
gen des Privatrechts künftig nicht mehr nach dem Teil-
wert, sondern nach dem Buchwert zu bemessen. Ganz
wichtig ist die vorgesehene Befreiung der Erben von der
Erbschaftsteuer, wenn sie ererbtes Vermögen an eine
gemeinnützige Stiftung weiterreichen. Angesichts des
erwarteten Erbvermögens in Höhe von über 350 Mil-
liarden DM in den nächsten zehn Jahren sollte man mei-
nen, dass die Idee der Gemeinnützigkeit in Deutschland
durch dieses Gesetz massiv, gerade auch materiell, un-
terstützt und realisiert wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Doch kann der Staat, meine Damen und Herren, die
wirklich großen Vermögen – man kann es nicht oft ge-
nug betonen – nicht ausschließlich mit steuerrechtlichen
Vergünstigungen locken. Hierfür ist die Pflege der ide-
ellen Werte unserer Gesellschaft – ich denke an Trans-
parenz und Tugenden wie Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und
sicherlich auch Ehrenhaftigkeit – wesentlich wichtiger.
Auf diesem Feld ist eine Klimaverbesserung nötig, die
sich übrigens nicht zuletzt im Umgang von Stiftungsbe-
hörden und Finanzämtern mit potenziellen Stiftern, aber
auch in der öffentlichen Würdigung von Stiftern zeigen
muss.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sich mich an dieser Stelle ganz kurz auf örtli-
che Ereignisse Bezug nehmen: Es kann überhaupt kein
Zweifel daran bestehen, dass der Rücktritt der Senato-
rin Thoben – schön, dass Sie jetzt zuhören, meine Her-
ren von der Opposition –,


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Vielen Dank, Herr Oberlehrer! Schauen Sie einmal, wer auf der Regierungsbank sitzt! Kein einziger Minister hört Ihnen zu! Skandalös!)


eine Ihrer besten Politikerinnen, in einer Situation er-
folgt, in der einem Stifter dieser Stadt – wir reden ja von
Stiftungen – mitgeteilt wird, dass von seiner Stiftung in
Höhe von über 300 000 DM lediglich 165 000 DM

Staatsminister Dr. Michael Naumann






(A)



(B)



(C)



(D)


gebraucht werden. Solch ein Umgang mit Stiftungen
muss endlich aufhören.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.])


Die beste Stiftungspolitik nützt nichts – hier rede ich
schon auch von dieser Stadt –, wenn sich die Stiftungen
und die Stifter, die Mäzene und die Kunstfreunde sich
einer Verwaltung, einer Behörde und einer Politik ge-
genübersehen, in der auch die schönsten Stiftungen in
nicht transparenten Haushaltspolitiken und in einer ka-
tastrophalen Kulturpolitik zu versickern drohen,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


die hier seit Jahrzehnten ganz eindeutig zu dem Resultat
geführt hat, das wir heute leider, leider beklagen müs-
sen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Ja!)

Ich persönlich wünschte, Frau Thoben wäre geblieben.
Das darf ich Ihnen zurufen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


In einem zweiten Schritt der Stiftungsrechtsreform,
nämlich der Reform des zivilen Stiftungsrechts, sollen
die Regelungen über Stiftungsgründungen und Aufsicht
und Publizität reformiert werden. Ich freue mich, dass
sich in dieser Frage nun auch bei den Bundesländern die
Reformbereitschaft durchzusetzen scheint. Eine Bund-
Länder-Gruppe unter Leitung des federführenden Bun-
desjustizministeriums wird in Kürze mit der Arbeit be-
ginnen. Auch die Kultur wird sich in dieser Arbeits-
gruppe zu Wort melden. Ich denke, wir werden auch
dieses Gesetzeswerk noch in dieser Legislaturperiode
wenn nicht beschließen, so doch einen entscheidenden
Schritt vorwärts bringen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist auch Sache des Bundesrates.
Erforderlich ist eine andere Außendarstellung der

Stiftungsbehörden, die schon in der Bezeichnung der
Organisationseinheit zum Ausdruck kommen sollte.
Statt Stiftungsaufsicht, wie es zum Beispiel hier in Ber-
lin heißt, könnte man auch weniger obrigkeitsfixierte
Begriffe wie etwa Stiftungsberatung oder schlicht Stif-
tungsamt wählen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich hoffe darum, dass sich auch in den Köpfen der Mit-
arbeiter ein Wandel vollzieht, nämlich in erster Linie ei-
ne Serviceeinheit zu sein und gerade auch im Interesse
des Staates die Gründung gemeinwohlorientierter Stif-
tungen mit größtmöglicher Hilfestellung zu fördern und
zu begleiten.

Gestatten Sie mir abschließend, Herr Präsident, ganz
kurz noch einige Worte zu der von mir geplanten Bun-
deskulturstiftung, die einige in den Ländern mit Furcht
und Schrecken zu erfüllen scheint. Warum, ist nicht
ganz klar. Sie wäre ja kein Angriff auf die Kulturhoheit
der Länder. Vielmehr ist es eine Art Feuerwehrtopf für
kulturelle Projekte von nationalem Gewicht – jedenfalls
ist die Stiftung so gedacht –, die aus öffentlichen Kassen
ansonsten nicht zu finanzieren wären. Kultur findet
selbstverständlich auf regionaler und Landesebene statt.


(Zuruf der [SPD]: Soll auch!)

Es gibt keine abstrakten Kulturereignisse des Bundes,
sondern Kultur, Kulturprojekte, Kulturereignisse sind
immer konkret. Die länderübergreifende Finanzierung
scheint es zu sein, die uns so außerordentliche Schwie-
rigkeiten macht.

Meine Damen und Herren, die Ligatur von allem –
das hat einmal ein Mann gesagt, der auch mit unserer
Partei viel zu tun hat; er hat da nicht ganz falsch gele-
gen – ist Geld. Leider! Auch in der Kulturpolitik, aber
nicht nur dort. Trotzdem wollen wir mit der Reform des
Stiftungsrechts – wenn Sie so wollen – eine verspätete
Antwort auf einen verzweifelten Brief einer berühmten
Lyrikerin geben. Das war Else Lasker-Schüler, die ei-
nem ihrer Mäzene einmal einen Brief schrieb, der mit
den Zeilen endete:

Sie fragen mich, was mir fehle. Ich sag‘s Ihnen
gerne:


(Monika Griefahn [SPD]: Na, was?)

Geld, Geld, Geld, Geld, Geld.

Ich danke Ihnen.

(Dr. Elke Leonhard [SPD]: Das ist aber traurig! – Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409600400
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Norbert Lammert, CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1409600500
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die zweite und dritte
Lesung der eingebrachten Gesetzentwürfe und Anträge
zu einem modernen Stiftungsrecht gibt uns Gelegenheit,
noch einmal zu sortieren, was uns bei diesem wichtigen
Thema eint und was uns möglicherweise trennt. Uns
eint, dass wir alle ein neues, modernes, wirklich über-
zeugendes Stiftungsrecht wollen. Uns trennt aber die
Beurteilung der Frage, was denn Bestandteil eines sol-
chen Gesetzes sein muss, damit man von einem wirklich
modernen, überzeugenden, leistungsfähigen Stiftungs-
recht sprechen kann.

Wenn Sie, Herr Staatsminister Naumann, heute Mor-
gen sagen, das schwierigste Stück des Weges liege hin-
ter uns, dann kann ich das nur für eine gut gemeinte, im
Übrigen aber hoffnungslose Übertreibung halten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Staatsminister Dr. Michael Naumann






(A)



(B)



(C)



(D)


Natürlich ist wahr, dass etwas immer mehr ist als gar
nichts. Insofern stehen wir auch nicht dem Bemühen im
Wege, das Wenige nun heute auf den Weg zu bringen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Während Sie gar nichts gemacht haben! 16 Jahre lang nicht!)


– Herr Kollege Stiegler, ich werde Ihren Zwischenruf
mit besonderer Liebe und Sorgfalt aufgreifen, weil das
zu den Legendenbildungen gehört, die Sie zur Ver-
schönerung des Bildes eines im Ganzen doch eher be-
scheidenen Gesetzentwurfes ganz offenkundig dringend
benötigen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Ja, warum müssen wir denn etwas machen, wenn ihr schon was gemacht habt!)


Ich will nur noch einmal sagen: Natürlich ist es bes-
ser, etwas zu machen, als gar nichts zu machen. Aber
viel mehr kommt hier leider nicht zustande. Dies bleibt
weit hinter den Ankündigungen und Erwartungen zu-
rück, die Sie mit Ihren eigenen Erklärungen zu Beginn
dieser Legislaturperiode ausgelöst haben.


(Zuruf von der SPD: Wir haben ja noch zwei Jahrzehnte vor uns!)


Hier ist nach einem großen Anlauf ein ganz kleiner
Sprung zustande gekommen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: 16 Jahre Null – anderthalb Jahre eine ganze Menge!)


Weil Kollege Stiegler so viel Wert darauf legt, die
vergangenen 16 Jahre noch einmal zu beleuchten, will
ich ihm diesen Gefallen tun. In der Tat haben wir – ohne
den Anspruch einer Reform des Stiftungsrechts – in ei-
ner Serie von Änderungen im Steuerrecht, im Vereins-
recht vermutlich mehr an konkreten Verbesserungen der
Arbeitsfähigkeit und vor allen Dingen auch der steuerli-
chen Absetzungsmöglichkeit für Spenden und Stiftun-
gen in unserer Amtszeit durchgesetzt, als Sie sich das
mit Ihrem Gesetzentwurf zutrauen.

Wir haben 1986 im Steuerbereinigungsgesetz erst-
mals Rücklagen zur dauerhaften Erhaltung der Leis-
tungskraft zugelassen. Wir haben im Vereinsförde-
rungsgesetz dafür gesorgt, dass es zahlreiche Verbesse-
rungen für gemeinnützige Körperschaften gibt, die nicht
nur, aber auch von den Stifterverbänden gefordert wor-
den sind. Damals haben wir die Überschussgrenze von
12 000 DM im Dreijahresdurchschnitt für die Zweckbe-
triebsgemeinschaft kultureller Einrichtungen und Veran-
staltungen abgeschafft. Wir haben eine neue Freigrenze
von 60 000 DM Einnahmen im Jahr für die Ertragsbe-
steuerung von wirtschaftlichen Betätigungen eingeführt.
Wir haben Freigrenzen bei Körperschafts- und Gewer-
besteuern in echte Freibeträge umgewandelt.

Wir haben damals den Abzugsatz für Spenden zur
Förderung mildtätiger Zwecke von 5 auf 10 Prozent des
Gesamtbetrages der Einkünfte angehoben und verdop-
pelt. Wir haben damals also genau die Sätze eingeführt,
die schlicht zu bestätigen heute Ihre ganze Kraft reicht,
während unser Vorschlag, diese Sätze jetzt zu verdop-
peln und damit kräftig, nachhaltig und sichtbar im Inte-

resse eines neuen Stiftungsrechts und einer neuen Ermu-
tigung für Stifter anzuheben, leider an Ihrem Widerstand
scheitert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Ludwig Stiegler [SPD]: Was sagen denn die Länder dazu?)


Ich könnte noch eine ganze Serie von Verbesserun-
gen der letzten Jahre aufführen. Wir haben damals für
Großspender die Möglichkeit des Abzugs von Einzel-
spenden von mindestens 50 000 DM pro Jahr auf einen
Zeitraum von insgesamt acht Jahren durchgesetzt. Wir
haben die Erbschaftsteuerbefreiung bei Zuwendungen an
gemeinnützige Körperschaften ins Steuerrecht einge-
führt, die Ausweitung steuerfreier Entschädigungen und
vieles mehr.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Und woher kam dann der Reformbedarf?)


Meine Redezeit reicht nicht, Herr Stiegler, um den
Nachholbedarf zu decken, den Sie mit Ihren ständigen
Zwischenrufen provozieren.

Ich halte nur noch einmal für das Protokoll fest: In
den vergangenen Jahren ist hinsichtlich der Zahl und der
Reichweite der Vorschläge unendlich mehr für die Ver-
besserungen von Stiftern und Stiftungen geleistet wor-
den, als unter dem gigantischen Anspruch eines neuen
Stiftungsrechts mit dem Gesetzentwurf nun erfolgt, den
Sie heute hier verabschieden wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir begrüßen ausdrücklich, dass über die vorhande-
nen Möglichkeiten der Absetzung im Steuerrecht hinaus,
die Sie leider nicht deutlich verbessern wollen, nun für
kleinere Spenden ein zusätzlicher Abzugsbetrag von
40 000 DM im Jahr eröffnet werden soll. Ich muss aber
noch einmal mein ausdrückliches Bedauern darüber zum
Ausdruck bringen, dass sich selbst im Zusammenhang
mit der ausdrücklich von uns allen gewünschten Förde-
rung gemeinnütziger Organisationen und Aktivitäten Ihr
altes Misstrauen gegen höhere Einkommen und Vermö-
gen auch an dieser Stelle gegenüber neuen und besseren
Einsicht durchgesetzt,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Ludwig Stiegler [SPD]: Die Pleite des Staatshaushalts, die Sie uns hinterlassen haben, die ist das Problem!)


nach dem Motto: Wir wollen lieber höhere Einnahmen
zu 40 oder 50 Prozent besteuern, als sie zu 100 Prozent
der Gemeinschaft für gemeinnützige Aktivitäten zur
Verfügung stellen zu lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es wäre zu schön gewesen, Herr Staatsminister und

meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Koaliti-
on, wenn Sie sich hätten entschließen können, die
gut gemeinten und zielführenden Hinweise aus der
Sachverständigenanhörung zur Grundlage einer Verbes-
serung Ihres Gesetzentwurfes zu machen. Bei diesen
Anhörungen ist von den Experten serienweise darauf

Dr. Norbert Lammert






(A)



(B)



(C)



(D)


hingewiesen worden, dass man erstens den Zusammen-
hang zwischen Steuerrecht und Zivilrecht herstellen
muss und nicht auseinander reißen darf


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Dr. Elke Leonhard [SPD]: Haben wir doch!)


und dass zweitens die vorgesehenen Änderungen im
Steuerrecht – nur die stehen heute hier zur Debatte –
dringend einen mutigeren, einen überzeugenderen und
deswegen spürbareren Ansatz benötigt hätten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Ludwig Stiegler [SPD]: Was hat euch denn der Kollege Waigel erlaubt? Nichts! – Gegenruf von der CDU/CSU: Herr Stiegler, stellen Sie doch einmal eine Zusatzfrage!)


– Ich empfehle Ihnen, Herr Stiegler, dass Sie das, was
Sie vorhin aufgrund Ihrer vielen Zwischenrufe wahr-
scheinlich nicht so schnell aufnehmen konnten, im Pro-
tokoll nachlesen. Ich stelle Ihnen die übrigen Änderun-
gen, die wir durchgesetzt haben und die ich nicht mehr
vorgetragen habe, im Rahmen eines gesonderten priva-
ten Schriftwechsels gerne zur Verfügung.

Nur, Herr Kollege Stiegler – darauf möchte ich noch
hinweisen –, wenn Ihnen dieses Thema so wichtig ist
und wenn Sie den vorliegenden Gesetzentwurf in seiner
jetzigen Fassung für ein ganz besonders eindrucksvolles
Reformwerk dieser Legislaturperiode halten, dann wäre
es schön gewesen, wenn mehr Mitglieder dieser Koaliti-
on einschließlich einzelner Mitglieder der Bundesregie-
rung dieser Debatte die Ehre ihrer leibhaftigen Anwe-
senheit hätten zuteil werden lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409600600
Kollege Lammert,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vollmer?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1409600700
Aber gerne.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409600800

Herr Kollege Lammert, erinnern Sie sich daran, dass ich
in einer Debatte aus der letzten Legislaturperiode genau
den Standpunkt, den Sie jetzt vortragen, vertreten habe,
nämlich man könne doch schon zivilrechtlich etwas ma-
chen, wenn man meint, steuerrechtlich noch nichts ma-
chen zu können, und dass die damals höchste Autorität
der Koalition, nämlich der Bundeskanzler höchstpersön-
lich, gesagt hat, zivilrechtliche Änderungen seien gar
nicht nötig – er hat es vertreten; meine Meinung ist das
überhaupt nicht – und dem Stiftungsrecht könne man
nur durch das Steuerrecht aufhelfen. Das wolle er im
Rahmen einer großen Steuerreform machen, die er aber
jetzt noch nicht durchführen könne. Was sagen Sie zu
dieser damaligen Meinung? – Ich glaube, das war da-
mals die Meinung der gesamten Koalition.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1409600900
Frau Kollegin
Vollmer, erstens erinnere ich mich gut. Zweitens beant-
worte ich gerne die Frage nach der Einschätzung der
damaligen Meinung: Wir haben sie geändert!


(Beifall bei der CDU/CSU und Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben in unserem von jedem nachzulesenden An-
trag zum Ausdruck gebracht, was nach unserem heuti-
gen Erkenntnisstand geschehen muss, damit wir ein
wirklich modernes Stiftungsrecht bekommen.

Ich erinnere mich im Übrigen auch an eine besonders
zielführende Bemerkung in der Sachverständigenanhö-
rung, wo einer der geladenen Experten darauf hin-
gewiesen hat, er halte „den ursprünglichen Entwurf der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Beschlussemp-
fehlung der CDU/CSU im Wesentlichen für den richti-
gen Weg“. – Es wäre schön gewesen, wenn wir das ge-
meinsam hätten umsetzen können und wenn sich die
Koalition hätte entschließen können, die geradezu lei-
denschaftlichen Appelle aufzunehmen, die in dieser An-
hörung von allen Seiten vorgetragen worden sind, näm-
lich nicht den steuerrechtlichen und den zivilrechtlichen
Teil voneinander abzukoppeln. Wir alle wissen, dass die
schwierige Operation, viele Beteiligten einschließlich
der Länder von der Notwendigkeit einer durchgreifen-
den Verbesserung zu überzeugen, nicht dadurch leichter
wird, dass die steuerrechtlichen Veränderungen, die von
den meisten gewollt werden, vorab beschlossen werden,
und dass damit ein wesentlicher Hebel aus der Hand ge-
geben wird, um einen Gesamtzusammenhang herzustel-
len, der den Namen eines modernen Stiftungsrechts
wirklich verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte nur noch auf einen Aspekt hinweisen,

weil wir an der Stelle ein gemeinsames Anliegen haben
und weil es offensichtlich der Regierung und der Koali-
tion hilft, wenn die Opposition dabei besonders hart-
näckig auf der Umsetzung der gemeinsamen Einsichten
besteht. Es ist nicht nur in der vom federführenden Aus-
schuss durchgeführten Sachverständigenanhörung –
aber auch dort – mehrfach darauf hingewiesen worden,
dass das jetzige Stiftungs- und Gemeinnützigkeitsrecht
sehr stark auf einer Staatsauffassung beruhe, die aus
dem 19. Jahrhundert stammt, dass wir heute nicht nur
ein anderes Staatsverständnis, sondern auch eine ganz
andere Vorstellung von einer modernen Bürgergesell-
schaft haben und dass es heute glücklicherweise viele
Bürgerinnen und Bürger gibt, die bereit und in der Lage
sind, mit eigenem kräftigen und vorzeigbaren Engage-
ment die Aufgaben wahrzunehmen, zu deren Erfüllung,
die öffentlichen Hände nur noch begrenzt in der Lage
sind. Es wäre ein Drama, wenn ausgerechnet der Ge-
setzgeber diese vorhandene Bereitschaft zur tatkräftigen
Hilfe nicht nur nicht fördern, sondern sogar weiter be-
grenzen würde, wie das angesichts des gegenwärtigen
Steuer- und Zivilrechts leider der Fall ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Norbert Lammert






(A)



(B)



(C)



(D)


Ich möchte gar nicht die zum Teil verzweifelten Brie-
fe zitieren, die an den Bundeskanzler persönlich zur
Verbesserung der damals absehbaren Gesetzgebungs-
arbeit der Koalition geschrieben worden sind und in de-
nen mit Nachdruck darauf hingewiesen wurde, dass es
doch nicht ernsthaft der ganze Reformwille dieser Koali-
tion sein könne, mit der vergleichsweise läppischen
Möglichkeit,


(Jörg Tauss [SPD]: Na, na!)

40 000 DM zusätzlich abzusetzen,


(Monika Griefahn [SPD]: Für viele Leute ist das eine Menge Geld!)


das Stiftungsrecht modernisieren zu wollen.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Für Bimbeskoffer ist das natürlich läppisch!)

Es ist klar, dass die 40 000-DM-Regelung vor allem
kleinere Stiftungen oder Zustiftungen begünstigt. Wir
bekommen damit aber keine substanziellen neuen Initia-
tiven, bei denen Millionenkapital entsteht. Das brauchen
wir natürlich für viele der großen Vorhaben, zu denen
sich die öffentlichen Hände immer weniger in der Lage
sehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir stehen selbstverständlich den bescheidenen Ver-

änderungen nicht im Wege. Aber wir haben mit einer
Reihe von konkreten Änderungsanträgen, die der Kolle-
ge Bernhardt und Frau Kollegin Süssmuth nachher im
Einzelnen erläutern werden, deutlich gemacht, wie wir
genauer, besser und überzeugender eine neue Stiftungs-
kultur in Deutschland herbeiführen wollen. Wir werden
sehr darauf achten, dass die in der Beschlussempfehlung
und im Bericht formulierte gemeinsame Überzeugung
des federführenden Ausschusses festgehalten wird, dass
das heute verabschiedete Gesetz der erste Schritt für ein
Reformwerk ist. Hier dürfen wir aber nicht stehen blei-
ben, sondern dieser Schritt muss aufgegriffen werden,
und zwar nicht irgendwann, sondern möglichst bald in
diesem Jahr,


(Ludwig Stiegler [SPD]: Und Sie kümmern sich um Ihre Länder! – Dr. Elke Leonhard [SPD]: Nächste Woche!)


damit dies in dieser Legislaturperiode, Herr Stiegler,
noch abgeschlossen werden kann.

In diesem Zusammenhang können wir dann auch
noch das Ärgernis beseitigen, dass bei der Überführung
von Sachwerten, insbesondere von Kunstwerken, in Stif-
tungen oder für gemeinnützige Aktivitäten durch die
Pflicht zur Umsatzsteuerzahlung,


(Beifall des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.])


insbesondere bei Kunstwerken mit hohem Marktwert,
eine prohibitive Wirkung für die Bereitschaft zu Stiftun-
gen entsteht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Das hat die geradezu abstruse Wirkung, dass der Staat
auf diese Weise weder seine Umsatzsteuer noch Gemäl-
de, Skulpturen oder andere Sachwerte bekommt, die für
gemeinnützige Aktivitäten oder Museen hätten zur Ver-
fügung gestellt werden können. Diesen Unsinn sollten
wir schnellstmöglich beseitigen. Das sollten wir gemein-
sam tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

So, wie sich auch nach der für heute vorgesehenen

Änderung des Steuerrechts unser Stiftungsrecht darstellt,
muss man sagen: Es bleibt leider mit einem Fuß im
19. Jahrhundert stecken, mit dem anderen Fuß trauen Sie
sich nicht so recht ins 21. Jahrhundert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409601000
Ich erteile dem Kol-
legen Klaus Wolfgang Müller, Bündnis 90/Die Grünen,
das Wort.

Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Herr Dr. Lammert, um in Ihrem Bild zu
bleiben: Ich glaube, die Koalition steht mit beiden Bei-
nen fest in der Realität, sowohl in der Stiftungsrealität
als auch in der Haushaltsrealität.


(Dr. Elke Leonhard [SPD]: Natürlich auch im 21. Jahrhundert!)


Sie wird beides zusammenführen. Dazu möchte ich heu-
te gerne sprechen.

Die rot-grüne Koalition fördert das Mäzenatentum.
Wer hätte das gedacht? Ich glaube, es gibt viele Men-
schen – vielleicht auch in unseren beiden Parteien, viel-
leicht etwas mehr bei unserem Koalitionspartner –, die
das so nicht vermutet haben. Die Förderung einer neuen
Stiftungskultur widerspricht einem obrigkeitsgetreuen
Denken nach dem Motto: Der gute Bürger, die gute
Bürgerin zahlen ihre Steuern; das muss als gemeinnützi-
ges Engagement reichen. Der Staat füllt dann die Kultur-
regale der Nation, und der Bürger steht als Kunde in der
Schlange.

Mit der Förderung der Stiftungskultur steigen die
gemeinsame Verantwortung und die aktive Teilnahme
an der Gestaltung unserer Gesellschaft. Dies ist ein mo-
derner Bürgersinn. Das kommt zwei Grundwerten ent-
gegen, bei denen die grüne Seele jubiliert: dem Plura-
lismus und der Subsidiarität. Dies wäre „Gesellschaft
von unten“ mit Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger.
Gerade die Frage nach den Bedingungen für ein pluralis-
tisches und lebendiges Engagement stellt sich immer
wieder neu.

Zwar hat der Gemeinsinn in der Industriegesellschaft
seine bewährten Institutionen gefunden: Parteien, Kir-
chen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände, um hier
die großen Säulen der gesellschaftlichen Teilhabe zu
nennen. Aber gerade auf dem Weg in die Kommunikati-
onsgesellschaft ergeben sich zunehmend neue Beteili-
gungsformen: ein Netz aus vielen kleinen Initiativen und

Dr. Norbert Lammert






(A)



(B)



(C)



(D)


Bewegungen. Wer einen Blick ins Internet wirft, findet
dort bereits einen bunten Strauß an Stiftungen, einen be-
achtlichen Strauß, der aber noch wesentlich bunter wer-
den kann.

Rot-Grün präsentiert sich heute als Förderer der Mä-
zene. Wir lösen damit ein wichtiges Versprechen des
Koalitionsvertrages und – das will ich deutlich sagen –
des grünen Wahlkampfes an dieser Stelle ein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Dr. Lammert, ich habe gespürt, wie es Sie ge-
schmerzt hat, dass Sie in den letzten 16 Jahren eben nur
kleine Trippelschritte gemacht haben.


(Jörg Tauss [SPD]: Rückwärts!)

Sie haben sie uns aufgezählt. Sie will ich gar nicht leug-
nen. Aber eine mutige Erweiterung im Rahmen der Erb-
schaftsteuerreform, ein mutiger Schritt in Richtung zu
mehr Bürgerstiftungen haben bei Ihnen gefehlt. Eine
mutige Ausweitung des Stiftungszwecks für weitere re-
levante Bereiche haben Sie nicht gewagt. Das kaschie-
ren Sie jetzt mit Anträgen, deren Tenor ist: Eure Ent-
würfe reichen nicht weit genug, wir wollen es größer,
schneller, lauter – und das am liebsten sofort.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich kann – auch als Finanzer – gut verstehen, dass Sie
gerne mehr steuerrechtliche Vergünstigungen gehabt
hätten. Sie haben sicherlich Recht: Wenn man hier noch
großzügiger herangehen würde, würden wahrscheinlich
noch mehr Menschen ihr Vermögen für gemeinnützige
Zwecke zur Verfügung stellen, dann würde vielleicht die
Stiftungsbereitschaft noch größer sein, als sie jetzt durch
das ist, was Rot-Grün ermöglichen wird. Das ist plausi-
bel, aber ich will Ihnen gerade aus Finanzersicht erklä-
ren, warum dies in der jetzigen Situation gerade nicht
möglich ist und warum Rot-Grün deshalb den optimalen
Wurf macht, der momentan möglich ist.

Auch die Stiftungspolitiker kommen um die leeren
Kassen, die Sie, meine Damen und Herren von der Op-
position, uns vererbt haben, nicht herum. An dieser Stel-
le möchte ich Ihnen, Herr Naumann, gern widerspre-
chen, weil Sie zumindest bei den grünen Finanzerinnen
und Finanzern von Anfang an ein offenes Ohr für diese
Möglichkeiten gefunden haben; das kann ich aus ganzer
Überzeugung sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Aber nicht bei allen Haushältern!)


– Auch die Kollegen Haushälter haben mitgezogen.
Steuervergünstigungen bedeuten nun einmal zumin-

dest kurzfristig Mindereinnahmen. Mir ist klar, dass das
Stiftungswesen langfristig – darum machen wir das –
auch für den Staat fiskalisch eine lohnende Sache ist.

Wenn die Stiftungskultur sich voll entfaltet, wird der
Staat in vielen Bereichen sein Engagement zurückneh-
men können, weil hier private Initiativen eingreifen und

diese Bereiche übernehmen. Es gibt unzählig viele Be-
reiche wie Kultur, Forschung, Wissenschaft, Ökologie,
Soziales, Jugend oder Sport, in denen viele Aufgaben,
die momentan vom Staat wahrgenommen werden, ge-
nauso gut von Stiftungen übernommen werden können.
Vielleicht können sie das in manchen Bereichen sogar
besser. Damit wird die Republik lebendiger, auch wenn
die mittelfristigen Steuerausfälle vielleicht schmerzen.
Aber das ist uns die Sache auf jeden Fall wert.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: Sind Sie der neue Finanzminister?)


– So weit sind wir noch nicht, Herr Otto.
In den vergangenen Monaten haben wir zusammen

das Sparpaket verabschiedet, welches nicht nur für die
Steuerreform, sondern auch dafür eine wichtige Voraus-
setzung war, um jetzt an anderer Stelle von staatlicher
Seite großzügig sein zu können.

Auch die klimatischen Bedingungen sind wichtig, sie
werden für das „Pflänzchen“ Stiftungskultur in Deutsch-
land eine wichtige Rolle spielen. Unser erster Reform-
schritt wird weder als deutliche Klimaänderung oder –
nur von Ihnen von der Opposition – als kaum merkbarer
Temperaturwechsel bewertet. Es wird Sie nicht wun-
dern, dass ich natürlich zu denen zähle, die der ersten
Meinung sind, nämlich dass wir mit dieser Reform einen
durchaus deutlichen Klimaumschwung einleiten werden.

Aber zu den klimatischen Bedingungen gehört sicher-
lich mehr als reine Steuerpolitik. Erstens gehört dazu –
ganz wichtig – das gesellschaftliche Verhältnis zum
Mäzenatentum.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


In der Debatte um diese Reform haben wir ein neues ge-
sellschaftliches Interesse, ein öffentliches Interesse auch
von Medien und von Leuten wahrgenommen, die ange-
fragt haben, wann es endlich so weit sei, wann sie end-
lich selbst eine eigene Stiftung gründen können. Die
Medien haben durch die Bank positiv darüber berichtet,
dass Rot-Grün diese Initiative ergreift. Wir erleben in
der Gesellschaft keine Neiddebatte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es wird niemand in die Ecke gestellt, sondern es gibt ei-
ne Akzeptanz dafür, dass Menschen ihr Geld für ge-
meinnützige Zwecke verwenden.

Unterstützend für eine neue Stiftungskultur ist die ge-
sellschaftliche Debatte über eine neue Zivil- oder Bür-
gergesellschaft. Selbst die „Zeit“ klagt inzwischen nicht
mehr über den Rückgang des gesellschaftlichen Enga-
gements, sondern hat eine Reformwerkstatt für eine ak-
tive Zivilgesellschaft, Inklusion und Demokratie ge-
gründet. Letzte Woche titelte das Hamburger Wochen-
blatt „Freiwillige vor!“ und „Der Gemeinsinn wächst –
trotz Geldfiebers und schwarzer Konten. Ehrlichkeit und
Mitmenschlichkeit gehen nicht unter.“


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Klaus Wolfgang Müller (Kiel)







(A)



(B)



(C)



(D)


Die UNO will das Jahr 2001 zum Jahr der Freiwilli-
gen machen. Die Enquete-Kommission zur Zukunft des
bürgerschaftlichen Engagements hat gerade ihre Arbeit
aufgenommen. Das beschreibt aus unserer Sicht die ge-
sellschaftlichen Rahmenbedingungen, in die ein solches
Stiftungsgesetz eingebettet sein muss, ziemlich gut. Auf
das Zweite haben Sie, Herr Dr. Lammert, hingewiesen
und darin will ich Ihnen ausdrücklich zustimmen. Sie
haben Recht: Das ist der erste Schritt, den wir machen
müssen. Ich will auch an dieser Stelle deutlich sagen,
dass die Koalition für den zweiten Schritt bereit ist. Man
muss nur Schritt für Schritt vorgehen und darf die Latte
nicht so hoch legen, dass man womöglich von Anfang
an darunter durchgehen muss.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Das ist uns wichtig. Darum werden wir auch noch zu
einer zivilrechtlichen Reform des Stiftungsrechtes
kommen.

Drittens geht es um das Steuerrecht. Hier stimme ich
meiner Kollegin Antje Vollmer nachdrücklich zu. Ich
habe das – gerade als Finanzer – auch selbst erlebt, wie
schwierig manchmal die Verhandlungen mit dem Fi-
nanzministerium waren. Manch böse Stimme hat ge-
unkt, dass die Antworten, die man von dort als Parla-
mentarier bekommen hat, noch aus der Zeit von vor
1998 stammten.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! Ich erinnere mich!)


Wir sind aber froh, dass die Spitze des Hauses letztend-
lich das Projekt unterstützt hat und dass wir deshalb hier
gemeinsam vorwärts gehen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind mit unseren Steuerreformplänen – das ist der
vierte Baustein, der dazu gehört – wesentliche Schritte
in Richtung Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, der
Unternehmen, der Wirtschaft, der Selbstständigen ge-
gangen. Allein private Haushalte werden durch Rot-
Grün bis zum Jahr 2005 um über 50 Milliarden DM ent-
lastet. Die Unternehmen werden um 17 Milliarden DM
entlastet.

Ich will an dieser Stelle deutlich die Hoffnung aus-
sprechen, dass sehr viele Leute, wenn sie dann netto
mehr in der Tasche haben, entscheiden mögen, ein Stück
weit diese zusätzlichen Spielräume zu nutzen, dieses
Geld auch in gesellschaftliches Engagement zu stecken,
gemeinnützige Initiativen, Stiftungen zu fördern.

Mit diesem Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und
Kollegen, machen wir den ersten Schritt in Richtung ei-
ner längst überfälligen Reform. Das ist ein deutliches
Signal. Liebe Vermögende in dieser Republik, es gibt
nichts Gutes, außer, man tut es!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine persönliche
Bemerkung. Vorbehaltlich der Zustimmung von zwei

Parteitagen am kommenden Wochenende und einer er-
folgreichen Wahl der neuen schleswig-holsteinischen
Ministerpräsidentin wird dieses voraussichtlich meine
vorerst letzte Rede in diesem Hause sein.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist aber echt schade!)


Ich werde dann, wenn alles klappt, am kommen-
den Dienstag in das Amt des schleswig-holsteinischen
Umweltministers wechseln, in den schönen hohen Nor-
den.

Ich bin froh zu sagen, dass wir es im Koalitionsver-
trag schwarz auf weiß untergebracht haben, dass
Schleswig-Holstein im Bundesrat die Reform des Stif-
tungsrechts unterstützen wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aus dieser Sicht wird zumindest ein Bundesland Rot-
Grün in Berlin unterstützen.

Dieses ist der Zeitpunkt, sich für heftige und schöne
Debatten in diesem Haus zu bedanken, sich gleichzeitig
bei den Kolleginnen und Kollegen zu entschuldigen, ge-
genüber denen ich hart ausgeteilt habe, sich noch einmal
bei denen zu bedanken, die hart zurückgegeben haben.
Gerade für einen jungen Abgeordneten waren die letzten
anderthalb Jahre sehr schön, sehr nett, sehr lehrreich.
Dafür möchte ich mich ganz herzlich bei Ihnen bedan-
ken. Ich wünsche Ihnen noch eine gute Arbeit.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie der Abg. Angelika Volquartz [CDU/CSU] und des Abg. Otto Bernhardt [CDU/CSU])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409601100
Lieber Kollege
Müller, wenn denn dies Ihre letzte Rede als Bundestags-
abgeordneter gewesen sein sollte, dann wollen wir Ihnen
auch alle guten Wünsche für Ihr neues Amt mitgeben.


(Dr. Elke Leonhard [SPD]: Die kommen aber auch alle wieder zurück!)


Vielleicht sehen wir uns gelegentlich wieder, wenn Sie
dann von der Bundesratsbank her ans Rednerpult treten.
Alles Gute!


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Damit erteile ich dem Kollegen Hans-Joachim Otto,
F.D.P.-Fraktion, das Wort.


Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1409601200
Herr Prä-
sident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege
Müller, auch wir stehen nicht an, Ihnen für das neue
Amt alles Gute zu wünschen, aber wir werden auch ei-
nes tun: Wir werden Ihre hehren Worte von heute an den
Taten im neuen Amt messen. Sie werden vielerlei Gele-
genheiten haben, die Stiftungsrechtsreform auch von
Schleswig-Holstein aus aktiv zu unterstützen.

Klaus Wolfgang Müller (Kiel)







(A)



(B)



(C)



(D)


Herr Dr. Naumann, Sie bemühen gern – so auch heu-
te in Ihrer Rede – lateinische Aphorismen. Als Humanist
möchte ich Ihnen mit einer „altdeutschen“ Spruchweis-
heit entgegnen: Nicht kleckern, sondern klotzen sollt
ihr!


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)


Diese Weisheit gilt in besonderem Maße für die Stif-
tungsrechtsreform, wollen wir doch ein laut vernehm-
bares Signal in unsere Gesellschaft senden, nämlich:
Mehr Bürgersinn, weg von der Vollkaskomentalität
durch den Staat. Oder profaner ausgedrückt: Gerade bei
diesem Reformvorhaben kommt es entscheidend auf
seine psychologische Wirkung bei potenziellen Stiftern
an.

Aber statt eines Posaunenklanges für die Belebung
der Stiftungskultur in Deutschland vernehmen wir jetzt
nur noch eine dissonante Tröte. Einige Begleitmusiker
aus den Reihen von SPD und Grünen intonieren eine
völlig andere Melodie, als wir es heute von Herrn
Naumann gehört haben. Nicht irgendeiner, sondern im-
merhin der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion,
Spiller, kritisiert die steuerliche Förderung von Stiftun-
gen mit den Worten:

Wo kämen wir denn hin, wenn jeder, statt Steuern
zu zahlen, selbst darüber entscheiden kann, was mit
seinem Geld passiert?

Dieses Zitat lässt wirklich tief blicken.
Noch schriller, Herr Kollege Müller, äußern sich Ihre

Landtagskollegen in Hessen. Sie sind gerade vor weni-
gen Tagen gegen die von der dortigen Landesregierung
geplante Stiftungsreform mit der Mär Sturm gelaufen,
Stiftungen dienten nur dazu, „um auf Kosten der Allge-
meinheit Steuern sparen zu können“. Lieber Herr Kolle-
ge Müller, ich hoffe, Sie werden sich dafür einsetzen,
dass Ihre eigenen Landtagskollegen in Hessen ein biss-
chen klüger werden als bisher. Vielleicht sollten sie sich
einmal Ihre heutige Rede durchlesen; das könnte zu ih-
rer Weisheit beitragen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, solche Neidkomplexe, wie
sie leider – ich füge hinzu: gelegentlich, nicht bei allen –
hier geweckt werden, sind nicht dazu angetan, ein mä-
zenatisches Klima in Deutschland zu fördern, ganz im
Gegenteil. Diese pawlowschen Reflexe haben bei SPD
und Grünen offenbar auch die Halbherzigkeit und In-
konsequenz hervorgerufen, die Ihr heutiges Reförmchen
kennzeichnet.

Ich möchte dies am Beispiel Ihres neuen Sonderaus-
gabenabzugs verdeutlichen. Mit maximal 40 000 DM
werden Sie nicht eine einzige neue Stiftung initiieren
können.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


So genehmigt beispielsweise die Stiftungsaufsicht in
Nordrhein-Westfalen Stiftungen überhaupt erst ab einem
Mindestkapital von 100 000 DM und hält eine Kapital-
ausstattung von mindestens 1 Million DM für wün-
schenswert. Ähnliche Regelungen gibt es auch in ande-
ren Bundesländern. Mit einer Höchstgrenze von
40 000 DM schaffen Sie im Übrigen auch keinen Anreiz
für die wirklichen Spitzenverdiener. Herr Dr. Naumann
hat das in seiner Rede insoweit korrekt zum Ausdruck
gebracht: Wir schaffen Anreize für die Bezieher kleiner
und mittleren Einkommen. Nur, Herr Dr. Naumann, wo
bleibt der Anreiz für die größeren? Ich lese heute in ei-
nem Artikel in der „taz“ einen Beitrag von Bundeskanz-
ler Schröder, in dem er mitteilt:

Das neue Stiftungsrecht wird denen, die es wollen,
Möglichkeiten schaffen, hier in größeren Dimensi-
onen tätig zu werden. Sozialdemokraten haben kei-
nen Grund, gegen das Mäzenatentum zu sein.

(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN])

– Ja, da klatsche ich auch, Frau Vollmer.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nur, was tun Sie denn dafür? Mit 40 000 DM geht es si-
cherlich nicht.

Meine Damen und Herren, in Ihrem Entwurf gibt es
auch schwere Widersprüche. Der bloße Wortlaut Ihres
Gesetzentwurfes und die öffentlichen Bekundungen ins-
besondere Frau Vollmers vermitteln den Anschein, aber
auch nur den Anschein, als könne zusätzlich zu den
40 000 DM auch der herkömmliche Abzug in Höhe von
5 Prozent des Einkommens in Anspruch genommen
werden.


(Jörg Tauss [SPD]: Oder 10!)

– Oder 10 Prozent, ja, aber nur scheinbar. Die amtliche
Begründung Ihres eigenen Entwurfes spricht nämlich
eine andere, und zwar völlig eindeutige Sprache:

Dabei ist die Höhe der in einer Steuerungsperiode
– das ist ein kleiner Fehler; Sie meinen wohl Veranla-
gungszeitraum –

abzugsfähigen Aufwendungen auf 40 000 Deutsche
Mark begrenzt.

Das ist völlig eindeutig; man kann die beiden Steuerver-
günstigungen nicht nebeneinander in Anspruch nehmen.
Man muss sich also entweder für die 40 000 DM oder
die 5 Prozent entscheiden. Liebe Frau Dr. Vollmer, auch
Ihre süßesten Schalmeienklänge bekommen leider nicht
Gesetzeskraft und können auch die künftige Auslegung
des Gesetzes nicht beeinflussen. Manchmal bedauere ich
das sogar.

Ihr Gesetzentwurf leidet unter einem weiteren Wider-
spruch: Wenn Sie bei 40 000 DM kappen, dann tun Sie
praktisch nur etwas für bereits bestehende Stiftungen.

Hans-Joachim Otto (Frankfurt)







(A)



(B)



(C)



(D)



(Abg. Ludwig Stiegler [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Vor diesem Hintergrund ist Ihre Weigerung geradezu
grotesk, Zustiftungen seitens anderer Stiftungen, so ge-
nannte Endowments, steuerlich anzuerkennen. Diese
Unterlassung hat schon die Qualität eines kapitalen Ei-
gentores.

Jetzt erlaube ich Herrn Stiegler eine Frage, sofern der
Herr Präsident es zulässt.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409601300
Ich frage Sie und Sie
haben es bereits erlaubt. – Bitte, Herr Kollege Stiegler.


Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1409601400
Herr Kollege, wir sollten
vermeiden, dass von vornherein verkehrte Auslegungen
vorgenommen werden. Wenn Sie die Güte haben, sich
Art. 3 Nr. 2 anzuschauen, dann erkennen Sie, dass dort
steht, dass „darüber hinaus bis zur Höhe von 40 000
Deutsche Mark“ gezahlt werden kann. Ich wiederhole:
„darüber hinaus“. Wenn Worte noch einen Sinn haben,
dann heißt das nicht: inklusive. Lasst uns wenigstens
hier verhindern, dass falsche Töne in die Kommentarli-
teratur hineinkommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sind wir gemeinsam der Auffassung, dass diese
40 000 DM zusätzlich, additiv, und nicht kumulativ ge-
zahlt werden?


Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1409601500
Lieber
Herr Stiegler, unserer Meinung nach sollte es in der Tat
so sein, dass man das kumulativ in Anspruch nehmen
kann. Wenn Sie aber bitte die amtliche Begründung Ih-
res eigenen Entwurfes zur Hand nehmen, dann erkennen
Sie, dass in der Begründung nach der Darstellung der
beiden steuerlichen Möglichkeiten der Satz folgt:

Dabei ist die Höhe der in einer Steuerungsperiode
abzugsfähigen Aufwendungen auf 40 000 Deutsche
Mark begrenzt.

Ich muss Ihnen zumindest den Vorhalt machen, dass
diese in der Begründung enthaltene Regelung jeden, der
später mit dem Gesetz umzugehen hat, in tiefe Verwir-
rung stürzt. Deswegen wäre es gut gewesen – wir haben
im Ausschuss lange darüber diskutiert –, wenn Sie die-
sen Widerspruch aufgehoben hätten.

Um zum Ende meiner Antwort etwas Versöhnliches
zu sagen: Ich bin mit Ihnen der Meinung, dass diese bei-
den Vergünstigungen tatsächlich kumulativ erfolgen
sollten. Nur, ich sehe es im Gesetzentwurf so nicht ver-
wirklicht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der größte Fehler Ihres Entwurfes ist es – dazu hat
schon der Kollege Dr. Lammert Richtiges gesagt –, die
eigentliche Reform des Stiftungsrechts, also den kom-
pletten zivilrechtlichen Teil, zu vertagen. Um Ihren Re-

formeifer zu beflügeln – wir unterstützen ja die Regie-
rung –, fordern wir in einem Entschließungsantrag die
Regierung auf, das Versäumte noch im Laufe dieses Jah-
res nachzuholen. Hierzu wird mein Kollege Funke spä-
ter noch Wegweisendes sagen.

Ihr Gesetzentwurf ist in drei Punkten identisch mit
dem unseren. Die Änderungen halten wir natürlich nach
wie vor für sinnvoll. Das gilt insbesondere auch für die
von uns vorgeschlagene Öffnung bei der Erbschaftsteu-
er. Der zentrale Unterschied zwischen Ihrem und unse-
rem Gesetzentwurf liegt darin, dass in unserem nachhal-
tige Anreize auch zur Gründung neuer Stiftungen ge-
schaffen werden, während Ihrer in dieser Richtung
nichts bewegen wird. Er weckt Erwartungen, die er nicht
erfüllen kann; insofern birgt Ihr Reförmchen die Gefahr,
den objektiv weiterhin bestehenden Reformbedarf zu
verschleiern.


(Abg. Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Herr Müller, wenn der Herr Präsident das erlaubt,
dann würde ich Ihre Zwischenfrage gerne entgegenneh-
men. Einem künftigen Minister soll man das Wort nicht
verwehren.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409601600
Bitte schön, Herr
Müller.

Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Kollege, weil Sie jetzt schon wieder
auf die vermeintlich zu geringen Spielräume eingehen,
möchte ich Sie fragen: Sind Sie denn bereit anzuerken-
nen, dass wir im gesamten Bereich des Erbschaftsteuer-
rechts die Stiftungszwecke sehr erweitert haben? Für die
Stiftungszwecke gibt es beträchtliche finanzielle Spiel-
räume, die man dann in eine Stiftung einbringen kann.
Das ist doch ein erheblicher Schritt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)



Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1409601700
Sehen Sie,
Herr Kollege, jetzt kann ich Sie wirklich in Freude und
Harmonie nach Schleswig-Holstein verabschieden. Das
ist genau der Punkt, den auch die F.D.P. in ihrem Ge-
setzentwurf gefordert hat. Darin sind wir mit Ihnen völ-
lig einer Meinung. Der wichtigste Teil Ihrer Reform ist,
dass im Erbschaftsteuerrecht eine Öffnung geschaffen
wurde.

Ich wünsche Ihnen eine gute Reise nach Schleswig-
Holstein und uns weiterhin gute Zusammenarbeit bei
diesem Gesetzentwurf.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Beispiele aus anderen Ländern beweisen uns: Wer

nur halbherzige Trippelschritte macht, der kann keine
großherzige Stiftungskultur erreichen. Was wir jetzt
brauchen, ist ein mutiger Befreiungsschlag zugunsten
der Wiederbelebung des Mäzenatentums. Verehrte

Hans-Joachim Otto (Frankfurt)







(A)



(B)



(C)



(D)


Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ich kündi-
ge Ihnen an, dass wir Liberalen weiterhin Druck in
Richtung auf eine konsequente und umfassende Reform
des Stiftungsrechts machen werden.

Zur Stärkung des Bürgersinnes gibt es keine Alterna-
tive. Es liegt an Ihnen, ob Sie unsere Angebote zum ge-
meinsamen Engagement in dieser Sache aufgreifen oder
nicht. Ich hoffe, wir werden noch in diesem Jahr Gele-
genheit haben, den zweiten Teil Ihrer Reform zu verab-
schieden. Ich sichere Ihnen zu: Die F.D.P. wird in die-
sem Bereich sehr aktiv bleiben. Wir werden Sie erfor-
derlichenfalls auch treiben. Ich verspreche es Ihnen.
Nehmen Sie es ernst!

Danke schön.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Monika Griefahn [SPD]: Wir lassen uns gerne von Ihnen treiben! – Jörg Tauss [SPD]: Aber hoffentlich kommen Sie beim Treiben dann hinter uns her! – Gegenruf des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: Keine Sorge, Herr Kollege!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409601800
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Heinrich Fink, PDS-Fraktion.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1409601900
Sehr verehrter Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Während der Debatte zur Reform des Stiftungswesens,
die in dieser Legislaturperiode mit einem Gesetzentwurf
der F.D.P. eingeleitet wurde, hat sich in der betroffenen
und deshalb sehr interessierten Öffentlichkeit in intensi-
ven Diskussionen die Auffassung herausgebildet, dass
zur Schaffung einer relevanten, in der Bevölkerung ak-
zeptierten Stiftungskultur vor allem neue zivilrechtliche
Rahmenbedingungen erstellt werden müssten. Zu die-
ser Meinungsbildung haben sachkundige Experten aus
sehr unterschiedlichen Erfahrungsbereichen beigetragen.
Als Beispiel möchte ich die äußerst kompetente Runde
beim Maecenata-Institut nennen.


(Beifall bei der PDS sowie des Abg. HansJoachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.])


Mit Besorgnis und Enttäuschung muss ich feststellen,
dass Ergebnisse dieses beachtlichen Prozesses demokra-
tischer Meinungsbildung außerhalb des Parlamentes
nicht in das heute zu beschließende Gesetz eingeflossen
sind.


(Jörg Tauss [SPD]: Nein! – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D:P.]: Da hat er auch Recht!)


Dieses deprimierende Ergebnis war bereits vorauszuse-
hen, als der Gesetzentwurf in die Öffentlichkeit gelang-
te.

Als einer, der erst seit zehn Jahren an bürgerlich-
demokratischen Prozessen der Meinungs- und Willens-
bildung beteiligt ist, möchte ich mein Befremden über
die Nichtberücksichtigung dieser außerparlamentari-
schen Forderungen zum Ausdruck bringen, zumal vor

wenigen Tagen in diesem Hohen Hause voller Anerken-
nung hervorgehoben wurde, wie bürgermeinungsbezo-
gen die Arbeitsweise der ersten frei gewählten Volks-
kammer der DDR gewesen sei.

Angesichts des zur Verabschiedung vorliegenden Ge-
setzentwurfes geht es uns nicht um filigrane Vorschläge
zur Textveränderung. Trotzdem möchte ich in drei
Punkten die grundsätzliche Position meiner Fraktion
verdeutlichen:

Erstens. Die PDS hat seit Beginn der Debatte über die
Reform des Stiftungswesens eingeräumt, dass dieses Po-
litikfeld für sie weitgehend Neuland darstellt. Deshalb
haben wir uns – im Unterschied zu vielen anderen Poli-
tikfeldern – Zurückhaltung hinsichtlich eigener Vor-
schläge zur konkreten Ausgestaltung der Stiftungsland-
schaft auferlegt. In der öffentlichen Debatte haben wir
die Vorschläge unterstützt, die wir im Einklang mit un-
seren grundsätzlichen Positionen sehen. Von diesen
Grundpositionen aus werden wir uns zukünftig zu-
nehmend intensiver an dieser Debatte beteiligen. Der
vorliegende Entschließungsantrag der PDS ist dafür ein
Beweis.

Für uns muss eine Reform des Stiftungswesens einen
Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit leisten und sich
damit als ein Bestandteil des Prozesses erweisen, mit
dem – entgegen der bisherigen Richtung – eine Umver-
teilung des von der Gesellschaft geschaffenen Reich-
tums von oben nach unten erfolgt.

Für uns muss eine Reform des Stiftungswesens dazu
führen, dass über Stiftungen ausschließlich zusätzliche
private Mittel und privates Engagement für gemein-
wohlorientierte Zwecke mobilisiert werden – und nicht
etwa umgekehrt, nämlich dass mit diesem erhofften pri-
vaten Engagement plötzlich die Felder abgedeckt wer-
den, die der sich aus der Verantwortung ziehende Staat
zurücklässt.


(Beifall bei der PDS)

Stiftungsengagement würde erst recht missbraucht,
wenn damit dem Staat der Weg für diesen Rückzug auch
noch gebahnt würde.

Eine Reform des Stiftungswesens muss für uns darum
schließlich eingebettet sein in eine breite und differen-
zierte öffentliche Debatte zur Herausbildung der zwar
oft beschworenen, aber immer noch sehr verschwom-
men erscheinenden Bürgergesellschaft. Denn eine sol-
che Gesellschaft der Bürgerinnen und Bürger darf sich
nicht darauf beschränken, den Aktionsradius etablierter
Eliten und Mittelschichten zwischen Markt und Staat zu
vergrößern.

Wir verstehen unter Bürgergesellschaft auch solche
Veränderungen von Staat und Markt, durch die denjeni-
gen ein größerer Spielraum bei der Gestaltung des Le-
bens ermöglicht wird, die, durch Massenarbeitslosigkeit,
wachsende soziale Ungleichheit und Armut betroffen,
nicht mehr gleichberechtigte Partner der Bürgergesell-
schaft sein können.


(Beifall bei der PDS)


Hans-Joachim Otto (Frankfurt)







(A)



(B)



(C)



(D)


Zweitens. Für die PDS waren und sind darum die von
vielen Seiten geforderten neuen zivilrechtlichen Rah-
menbedingungen Voraussetzung einer durchgreifenden
Reform, die zur Entwicklung einer neuen, transparenten
Stiftungskultur führt.

Die wichtigsten Gründe dafür habe ich bei der ersten
Lesung vorgetragen: Durch neue zivilrechtliche Rah-
menbedingungen müsste sichergestellt werden, dass
Stiftungen ausnahmslos an gemeinnützige Zwecke ge-
bunden sind, dass eine breite Schicht von am Gemein-
wohl orientierten Interessierten zu Spenden motiviert
werden und dass die Öffentlichkeit in die Lage versetzt
wird, sich einen klaren Einblick darüber zu verschaffen,
wie und mit welchen Ergebnissen mit Stiftungsmitteln
umgegangen wird, die als Steuerertrag den öffentlichen
Haushalten nun nicht mehr zur Verfügung stehen.

Mit diesem Gesetz wird keines dieser Erfordernisse
gewährleistet. Deshalb wäre es notwendig gewesen, dass
sich die Einbringer des Gesetzentwurfs zumindest in
dem einführenden Text wesentlich verbindlicher zu ihrer
Absicht bekannt hätten, ein Bundesstiftungsgesetz mit
zivilrechtlicher Reform unverzüglich auf den Weg zu
bringen.


(Beifall bei der PDS)

Unser Entschließungsantrag enthält deshalb die Auf-

forderung an die Bundesregierung, ein solches Gesetz
bis zum Ende dieses Jahres vorzulegen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: Da sind wir uns ja einig! – Monika Griefahn [SPD]: Was ist denn das für eine Koalition?)


Materialien dafür sind hinreichend vorhanden. Dazu
zähle ich auch den Antrag der CDU/CSU-Fraktion, der
in dieser Hinsicht sehr umfassend ist.

Drittens. Hinsichtlich der steuerrechtlichen Seite
kommen für uns die weitreichenden steuerlichen Be-
günstigungen, wie sie von den anderen Oppositions-
parteien verlangt werden, nicht in Betracht, erst recht
nicht ohne ein entsprechendes neues transparentes Stif-
tungsrecht.

Demgegenüber anerkennen die meisten meiner Frak-
tionskolleginnen und -kollegen die vorgesehenen steuer-
lichen Begünstigungen im Gesetzentwurf der Koalition
mit ihrer Orientierung auf Bürger- und Gemeinschafts-
stiftungen als angemessen, wobei – ich wiederhole –
diese Regelung ohne neue zivilrechtliche Rahmenbedin-
gungen kaum die Wirksamkeit erlangen kann, die von
ihr erhofft wird.

Darüber hinaus empfindet meine Fraktion es als eine
außerordentliche Zumutung, wenn sich die Koalitions-
parteien für Stiftungen ausgerechnet mit dem Argument
einsetzen, dass dadurch private Mittel zusätzlich für ge-
sellschaftliche Belange aktiviert werden. Aber gleichzei-
tig rücken sie ab von der Wiedereinführung der dringend
nötigen Versteuerung von sehr großen Vermögen und
einer entsprechenden Reform der Erbschaftsteuer.


(Beifall bei der PDS sowie der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es steht wohl außer Zweifel, dass durch verhältnismäßig
gerechtfertigte Steuern unverhältnismäßig großer priva-
ter Reichtum im Interesse des Gemeinwohls verfügbar
gemacht werden könnte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da ich weiß, dass
besonders Menschen, die sich im kulturellen Bereich
engagieren, mit dem vorliegenden Gesetz – trotz seiner
Unzulänglichkeit – bestimmte Hoffnungen verbinden,
werde ich dem Gesetz zustimmen. Ich kann es einigen
meiner Fraktionskolleginnen und -kollegen jedoch nicht
verdenken, wenn sie aus ihren Arbeits- und Erfahrungs-
bereichen heraus das anders sehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409602000
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dieter Grasedieck, SPD-Fraktion.


Dieter Grasedieck (SPD):
Rede ID: ID1409602100
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Otto sprach
vorhin von „nicht kleckern, sondern klotzen“. Herr
Lammert mahnte den Reformbedarf an. Alle schrien
nach Reformen. Aber 16 Jahre lang geschah wenig bis
ganz wenig. Nach einem Jahr haben wir schon viel er-
reicht. In den nächsten Jahren können Sie noch mehr
erwarten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie von der Opposition stellen Anträge über Anträge.
Heute soll das Stiftungsrecht erweitert werden. 35 Pro-
zent Spitzensteuersatz wird gefordert. Sie gehen genau
nach dem alten System vor: Sie geben aus; die Bundes-
bank bezahlt. Da machen wir nicht mit.


(Beifall bei der SPD – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: Meine Güte!)


Herr Otto, eines muss ich Ihnen sagen: Lesen Sie
doch bitte Art. 3 des Gesetzentwurfs nach. Dort steht un-
ter Abs. 2:

Zuwendungen ... sind darüber hinaus bis zur Höhe
von 40 000 Deutsche Mark abziehbar.

Ein Blick ins Gesetz schafft also Klarheit. Insofern wäre
es von Vorteil gewesen, wenn Sie es getan hätten.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: Darüber haben wir schon diskutiert!)


– Es ist wichtig, dass man das wiederholt, weil das, was
Sie vorhin gesagt haben, Herr Kollege Otto, falsch war.

Alle Sozialverbände, alle Sportvereine, alle kirch-
lichen Organisationen sind dafür. Sie unterstützen unse-
ren Gesetzentwurf. Nur die Opposition findet noch
einige Haare in der Suppe und kritisiert an vielen Stel-
len. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Sie neidisch
sind.

Dr. Heinrich Fink






(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, Sie sind nicht davon ausge-
gangen, dass wir ein solches Stiftungsrecht schaffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie sind nicht davon ausgegangen, dass wir die Steuerre-
form einbringen. Sie sind nicht davon ausgegangen, dass
wir auch beim Unternehmensteuergesetz so weit voran-
gekommen sind. Die Koalition diskutiert nicht nur, sie
löst Probleme und entscheidet auch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen, meine Herren, Neid ist aber die höchs-
te Form der Anerkennung. Das muss man sehen. Herzli-
chen Dank dafür!


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Neidisch können Sie natürlich sein, wenn man einmal
betrachtet, was wir im Stiftungsrecht umgesetzt haben.
Die Sportvereine begrüßen das, die Sportvereine können
neue Stiftungen gründen. Es ist im Sozialbereich mög-
lich. Auch bei kirchlichen Organisationen ist es denkbar.
Das sind wesentliche Vorteile. Die Stifter wollen Ein-
zelschicksale unterstützen und Einzelschicksale fördern.
Alt und Jung wollen an dieser Stelle helfen. Unser Stif-
tungsrecht fördert diese Hilfsbereitschaft durch erwei-
terte Steuerabschreibung. Gerade die Grundzellen des
Lebens – das ist vorhin auch vom Herrn Minister ange-
sprochen worden – in den Kirchengemeinden, die
Grundzellen in den Selbsthilfegruppen, die Grundzellen
in den Sozialverbänden müssen unterstützt und gefördert
werden. Das ist durch unser Steuerrecht möglich.

Wenn man sich einmal die Unterschiede der ver-
schiedenen Gesetzesvorschläge der CDU/CSU und der
F.D.P. ansieht, dann muss man feststellen, dass es viele
Gemeinsamkeiten gibt. Die Ziele sind fast identisch, fast
hundertprozentig gleich. Der Thesaurierungssatz und die
Ansparsumme sind auch identisch. Auch wir sind der
Meinung, dass das Gesetz zu einer Vereinfachung füh-
ren soll. Das wollen wir umsetzen, obwohl das alles
problematisch ist, das wissen wir. Interessant ist auch
eine Zeitungsmeldung vor kurzem, in der stand, dass die
Amerikaner schon darauf warten, dass unser neues Stif-
tungsrecht umgesetzt wird. Hier sollen Stiftungen für
amerikanische Hochschulen gegründet werden. Viel-
leicht haben Sie das auch in der Zeitung gelesen.

Wenn man sich einmal fragt, welche wichtigen Un-
terschiede es eigentlich gibt, so stellen wir fest, dass es
im Prinzip nur einen entscheidenden Unterschied gibt.
Das betrifft die Zuwendung von 40 000 DM, Herr Otto,
additiv 5 und 10 Prozent. Das ist ein entscheidender
Punkt.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: Hätten Sie bei meiner Rede besser zugehört, dann hätten Sie mehr Unterschiede gefunden!)


Sie fordern nur 20 Prozent. Das ist ein Unterschied zu
unserem Vorschlag. Die CDU/CSU hat noch eine Son-
derausgabe von 1 Million DM vorgesehen.

Sie von der Opposition sehen hauptsächlich die grö-
ßeren Stiftungen. Wir brauchen aber große und kleine
Stiftungen.


(Beifall bei der SPD)

Wenn man einmal die Ausarbeitungen der Institute

betrachtet, stellt man fest, dass man gerade bei den klei-
nen Gruppierungen Förderungen benötigt. Da ist das
Ehrenamt zu Hause, da wird ehrenamtlich gearbeitet,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


während das bei den großen Organisationen weniger der
Fall ist. Wir haben damit in den Parteien zu kämpfen.
Wir haben damit in den Kirchen und in den Gewerk-
schaften zu kämpfen. Aber gerade in den kleinen Grup-
pen wird ehrenamtlich gearbeitet, zum Beispiel in Hos-
pizgruppen. Dort werden Menschen bis zum Tode be-
gleitet. Man kann vor solchen ehrenamtlichen Tätigkei-
ten nur den Hut ziehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Genau das wollen wir unterstützen. Da treffen wir
exakt den Nerv der Menschen, das, was die Menschen
wünschen. Das ist auch das Bedürfnis der Menschen.
Ich bin durch meinen Wahlkreis gefahren und habe mit
den Vertretern der Kirchen und mit den Selbsthilfegrup-
pen gesprochen. Die Kirchenvertreter sagten mir, das ist
ideal, weil wir eine Sammelstiftung gründen können.
Die Sammelstiftung war so noch nicht möglich. Das
können wir hier schaffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Selbsthilfegruppen sagen mir, es ist ideal, da wir
auch eine kleine Stiftung gründen auf bauen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


40 000 DM und danach kommt das Erbe: Das ist Ziel
unserer Überlegung.

Die Million, das Erbe kommen dazu. Das ist dann na-
türlich der zweite Schritt. Die Menschen wollen stiften,
wollen helfen. Die Menschen wollen aber auch ihr An-
denken bewahren. Das ist ebenfalls Ziel der Stiftung und
auch das wollen wir unterstützen. An dieser Stelle be-
stimmt der Bürger und nicht der Staat. Aber der Staat
profitiert trotzdem, weil dann eben viele soziale Aufga-
ben, ökologische Aufgaben ehrenamtlich geleistet wer-
den.

Wenn man einmal die Vorteile unseres Gesetzent-
wurfs betrachtet, stellt man sich die Frage: Warum
stimmt die Opposition, warum stimmen die CDU/CSU
und die F.D.P. nicht zu? Ich möchte Ihnen von der Op-
position einen Rat geben: Nicht Neid bringt Erfolge.
Kreativität und Innovation bringen Erfolge.

Dieter Grasedieck






(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben heute eine Chance. In den Geschichtsbüchern
wird dann stehen: Auch die Opposition unterstützte die
erfolgreiche Regierungsarbeit. Das Stiftungsrecht wurde
verabschiedet.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unsere Gesellschaft wird durch Gemeinsinn und
durch das Ehrenamt getragen. Das wollen wir fördern.
Wir haben dafür vier entscheidende Gründe, die in un-
serem Gesetzentwurf stecken.

Erstens. Die Sammelstiftung ist möglich. Diese Mög-
lichkeiten werden in der kommenden Zeit erweitert.

Zweitens. Die Einzelstiftung mit 40 000 DM plus
5 Prozent beziehungsweise 10 Prozent des Gesamtbei-
trages der Einlage wird steuerlich abgeschrieben. Das ist
natürlich eine Förderung.

Drittens. Die Ansparsumme wird wesentlich erhöht –
darin waren Sie ja mit uns einer Meinung –, von
25 Prozent auf 33 1/3 Prozent.

Viertens. Die Erbschaftsteuer fällt weg.
Zusammenfassend können wir feststellen: Wir haben

das bessere Gesetz. Blamieren Sie sich doch nicht! Sie
müssen zustimmen!


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409602200
Das Wort hat nun
der Kollege Otto Bernhardt von der CDU/CSU-Fraktion.


Otto Bernhardt (CDU):
Rede ID: ID1409602300
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Wir können zunächst
einmal feststellen – das haben die erste Lesung und auch
der bisherige Verlauf dieser Debatte gezeigt –: Es gibt in
diesem Hause Übereinstimmung darüber, dass wir etwas
tun müssen, damit Stiftungen in Deutschland einen hö-
heren Stellenwert bekommen. Im Vergleich zu anderen
Ländern, etwa den Vereinigten Staaten und Großbritan-
nien, haben wir in dieser Frage eine unterentwickelte Si-
tuation. Selbst bezogen auf unsere eigene Situation kön-
nen wir feststellen, dass es um die Jahrhundertwende in
Deutschland viel mehr Stiftungen als heute gab. Einer
der Gründe dafür ist sicherlich der, dass die rechtlichen
Rahmenbedingungen unbefriedigend sind.

Im Grunde wollen wir alle ein stiftungsfreundlicheres
Klima schaffen.


(Dr. Elke Leonhard [SPD]: Dann müssen wir es erst einmal machen!)


Potenzielle Stifter – lassen Sie mich das sehr deutlich
sagen – dürfen nicht, wie es immer noch vorkommt, als
Bittsteller betrachtet werden. Stifter verdienen unseren
Respekt und unsere Anerkennung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die entscheidenden Unterschiede – auch das hat die De-
batte bisher gezeigt – liegen einfach darin, dass wir der
Auffassung sind, man sollte jetzt einen großen Wurf
wagen und den steuerrechtlichen und den zivilrechtli-
chen Bereich in einem Gesetz regeln,


(Zuruf von der SPD: Dazu müssen wir Missbrauch einschränken!)


während Sie sagen – so lautet auch das Gesetz, das wir
heute verabschieden –, es geht zunächst nur um den
steuerlichen Bereich.


(Jörg Tauss [SPD]: Was heißt hier „nur“?)

Ich sage bewusst „nur“ und ich widerspreche auch Herrn
Dr. Naumann, wenn er sagt: „Der schwierigste Teil liegt
hinter uns.“ Nein, meine Damen und Herren, der
schwierigste Teil liegt vor uns; der liegt im zivilrechtli-
chen Teil. Das werden die Diskussionen noch zeigen.

Ich habe einen Zwischenton sehr genau gehört, Herr
Dr. Naumann.
Wir sind bisher davon ausgegangen, dass wir noch in
dieser Legislaturperiode den zivilrechtlichen Bereich –
hoffentlich gemeinsam – verabschieden können. Aber
wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann haben Sie
gesagt, wir werden ihn sicher in dieser Legislaturperiode
diskutieren; ob es allerdings zu einer Verabschiedung
kommt, ist offen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Naumann würde ihn lieber vorgestern als heute haben! Das liegt an den Ländern!)


Lassen Sie uns zunächst noch einmal festhalten: Was
ist eigentlich der Inhalt des Gesetzentwurfs, den wir
heute verabschieden?
Es geht schlicht um drei Punkte: erstens die verbesserte
Rücklagenbildung – dem stimmen wir zu, das ist in
Ordnung –, zweitens die Erweiterung des so genannten
Buchwertprivilegs, dass man Gegenstände aus dem Be-
triebsvermögen ohne Auflösung stiller Reserven in eine
Stiftung übertragen kann – ein wichtiger Punkt –, und
drittens als zentralen Punkt die viel zitierten 40 000 DM,
die jetzt zusätzlich kommen sollen.

Ich glaube, im Zusammenhang mit diesen 40 000 DM
und der Art, wie Sie sie jetzt im Gesetz verankern wer-
den, sollten wir einmal ein Schreiben des Bundes-
verbandes Deutscher Stiftungen, des wichtigsten Ver-
bandes in diesem Bereich, vom 11. dieses Monats zur
Kenntnis nehmen, in dem es heißt: Dieser Vorschlag
führt zu einer weiteren Komplizierung des geltenden
Spendenrechts, gerät in Konflikt mit dem Gleichheits-
satz und bringt vor allem keine Verbesserung für größe-
re Stifter. – Auch das ist hier wiederholt gesagt worden.


(Dr. Elke Leonhard [SPD]: Wir brauchen Transparenz der größeren!)


Aber es kommt ein weiterer Kritikpunkt des Bundes-
verbandes Deutscher Stiftungen. Viele Briefe, die wir
bekommen haben, unterstreichen, dass es hier ein Pro-
blem gibt, und zwar das Problem des Gleichheitsgrund-
satzes. Der Verband schreibt:

Dieter Grasedieck






(A)



(B)



(C)



(D)


Warum sollen die vielen kirchlichen Stiftungen des
öffentlichen Rechts, Stiftungs-Vereine und ge-meinnützige Stiftungs-GmbHs ... von den neuen
Begünstigungen ausgeschlossen werden?

Hiermit werden wir noch unsere Probleme bekommen.

(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht, wenn Sie private Stiftungen machen!)


Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen,
der aus meiner Sicht sehr enttäuschend ist, gerade nach
der Diskussion, die wir in der ersten Lesung hatten. Stel-
len wir uns einmal die Frage: Welchen Unterschied gibt
es eigentlich zwischen dem, was wir in der ersten Le-
sung beraten haben, und dem, was heute verabschiedet
werden soll? Sie werden es nicht glauben: lediglich
ein Punkt, und zwar, dass ab 1. Januar 2002 nicht
40 000 DM, sondern 20 450 Euro als Sonderausgabe
geltend gemacht werden können.


(Dr. Elke Leonhard [SPD]: Lächerliche Aussage, die Sie machen!)


Das ist die einzige Änderung – sie läuft natürlich unter
„Formulierungshilfe“ –, die wir heute zu berücksichti-
gen haben. Das heißt, alle Argumente der ersten Lesung,
die gesamte parlamentarische Diskussion in vielen Aus-
schüssen, alle Schreiben und Eingaben der Stiftungsver-
bände sind unberücksichtigt geblieben. Dies ist ein trau-
riges Ergebnis, um das ganz klar zu sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Die haben alle kein Geld mitgeschickt!)


Wir haben unsere Wünsche daher in vier Ände-
rungsanträgen zusammengefasst. Dabei geht es im
Wesentlichen um drei Komplexe. Erstens geht es um die
Aufhebung des so genannten Zustiftungsverbots. Wir
sind der Meinung – ich habe es in der ersten Lesung ge-
sagt –, Stiftungen sollen die Möglichkeit haben, andere
Stiftungen zu unterstützen. Das ist weiterhin nicht mög-
lich. Der zweite Punkt – natürlich der entscheidende in
der Substanz –: Wir sind für eine Verdoppelung von
5 auf 10 bzw. 10 auf 20 Prozent bezogen auf das steuer-
pflichtige Einkommen. Der dritte Punkt: Verbesserung
der steuerlichen Möglichkeiten für Großspender. Auch
dazu ist viel gesagt worden; dies ist dringend erforder-
lich.

Lassen Sie mich abschließend feststellen: Dieser Ge-
setzentwurf, der wahrscheinlich gleich Gesetz wird, ist
mit Sicherheit nicht der große Durchbruch. Sie waren al-
lerdings im Verkaufen schon immer besser als wir.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Sie haben diese wenigen Punkte in der Öffentlichkeit
deutlich besser verkauft, als wir all das verkaufen konn-
ten, was wir in den letzten 16 Jahren gemacht haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Danke für das Kompliment!)


Der Kollege Dr. Lammert hat darauf hingewiesen.
Ich sage deshalb sehr deutlich: Wir sehen uns nicht in

der Lage, Ihrem Gesetz unsere Zustimmung zu geben.
Wir werden uns der Stimme enthalten.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409602400
Ich erteile das Wort
der Kollegin Antje Vollmer, Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409602500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
habe genau fünf Minuten Zeit, um mehr als fünf Jahre
Arbeit an diesem großen Thema zusammenzufassen.

Lassen Sie mich kurz zurückblicken. Als wir Grünen
damals anfingen, das Thema Stiftung zu behandeln, gab
es ein unglaubliches gesellschaftliches Geraune, bei den
Konservativen eine regelrechte Empörung: Was machen
gerade die Grünen mit diesem Thema? Es gab eine Art
Erbbaurecht auf das Thema Stiftung. Auch im rot-
grünen Bereich haben viele gesagt: Was ist das denn für
ein Thema? Ein bisschen abgehoben vielleicht. – Ich
meine, die fünfjährige Debatte hat sich außerordentlich
bewährt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Erstes und wichtigstes Thema: Das Bewusstsein für
die Kraft der Bürgergesellschaft ist ungeheuer ge-
wachsen. Ich möchte einmal den Artikel des Bundes-
kanzlers von heute positiv aufgreifen und sagen: Ich
glaube, wir brauchen den Begriff der „neuen Mitte“ gar
nicht mehr. Rot-Grün hat längst den Aufbau der Zivil-
und Bürgergesellschaft zum zentralen Thema gemacht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das bedeutet auch eine Abkehr von der alten Metho-
de, bei der politische Linke und politische Rechte nach
dem Modell der römischen Phalanx immer aufeinander
prallten. Ich glaube, wir haben vielmehr begriffen, dass
man an die positive Kraft in der Gesellschaft, an ihre
Kreativität glauben und an sie appellieren muss und dass
man so den Reformstau, den es in diesem Land gegeben
hat, von unten auflösen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der zweite – auch nicht ganz unwichtige – Punkt ist
folgender: Wir haben die Atmosphäre, die es gegenüber
Stiftern und Mäzenen gegeben hat, gründlich verändert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es gab so etwas wie Sozialneid; das ist schon gesagt
worden. Es gab in manchen Debatten auch ein
regelrechtes Mobbing gegenüber solchen Leuten. Sie
haben jetzt Platz. Unser großer Wunsch ist: Es mögen

Otto Bernhardt






(A)



(B)



(C)



(D)


jetzt Platz. Unser großer Wunsch ist: Es mögen ganz
viele werden, die diesen Platz jetzt ausfüllen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Drittens. Ich meine, wir haben mit diesem Gesetz-
entwurf so etwas wie ein Stückchen Resozialisierung der
Begriffe „stiften“ und „spenden“ betrieben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir befreien sie vom machtpolitischen Missbrauch und
zeigen das Gegenteil davon, nämlich dass Stiften und
Spenden der Gemeinnützigkeit und der Gesellschaft gel-
ten. Dann wird es auch honoriert werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Unser Versprechen ist: Das war nur der erste Schritt:
Der zivilrechtliche Teil soll und wird folgen. Ich will
dazu fünf Grundgedanken sagen. Wir Grünen haben
schon in unserem Entwurf von 1997, den ich immer
noch recht gut finde,


(Zuruf von der SPD: Das ist er auch!)

gesagt, in welchem Sinne wir das zivilrechtlich machen
wollen.

Erstens. Das neue Zivilrecht für Stiftungen muss ein-
fach sein. Der Stifter soll sich Gedanken über den
Zweck seiner Stiftung machen und nicht darüber, wie er
es an den komplizierten Bürokratien vorbeischieben
muss. Der erste Gedanke ist also: einfach.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Das ist richtig!)

Zweiter Gedanke: Das Zivilrecht muss transparent

sein. Wenn die Gesellschaft schon besondere Privilegien
schafft, dann muss auch gewährleistet sein, dass die Ge-
sellschaft in die Bilanzen der Stiftungen hineinschauen
kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Elke Leonhard [SPD]: Das ist wichtig!)


Dritter Gedanke: Das Zivilrecht soll zweckoffen sein
und vom Gedanken der Freiheit getragen werden. Das
heißt, der Staat soll und darf den Bürgern nicht vor-
schreiben, wofür sie Stiftungen machen. Natürlich
kommen nur die Stiftungen in den Genuss der Ge-
meinnützigkeit, die auch wirklich gemeinnützig sind.
Wir gehen davon aus, dass freie Bürger sinnvolle Pro-
jekte wählen, zumal wenn sie ihren Namen damit ver-
binden.

Vierter Gedanke – das ist sehr wichtig –: Das Zivil-
recht muss sicherstellen, dass das Stiftungsrecht miss-
brauchsfest ist. Das wird der komplizierteste und
schwierigste Teil sein. Das wird aber auch der Teil sein,
an dem gemessen wird, ob die gesellschaftliche Akzep-
tanz hält. Wir wissen, dass wir dafür sehr gründliche
Debatten brauchen. Wir fordern alle – auch diejenigen
aus den Stiftungen – auf, uns in diesen Debatten zu un-
terstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Fünfter und letzter Gedanke: Der Staat soll sich in
seinem Verhältnis zu den Stiftern ändern. Wir wollen
nicht mehr eine staatliche Aufsicht, aber doch eine Bera-
tung und eine Ermöglichungskultur. Das heißt, wir ge-
ben es nicht völlig frei. Es wird weiterhin eine staatliche
Zuständigkeit geben, damit Stifter wissen, dass das, was
sie hinsichtlich der Gemeinnützigkeit gewollt haben,
auch nach ihrem Tode geschieht. Damit geben wir dem
Staat auch die Möglichkeit, an diesen Bürgerfreiheiten
positiv und unterstützend teilzunehmen.

In diesem Sinne hoffe ich, dass mit diesem ersten
Schritt nun wirklich der Stiftungsfrühling eintritt, den
wir alle wünschen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409602600
Das Wort hat nun
der Kollege Rainer Funke, F.D.P.-Fraktion.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1409602700
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Es ist sehr erfreulich, dass ein breiter
Konsens darüber besteht, dass die Gründung von Stif-
tungen und die Übertragung von größeren und auch
kleineren Vermögen auf Stiftungen eine große gesell-
schaftspolitische Aufgabe ist. Das gilt umso mehr, als
damit zu rechnen ist, dass in den nächsten Jahren pro
Jahr 250 Milliarden DM auf die Erbengeneration über-
gehen werden. Deswegen ist es wichtig, dass der Ge-
danke des Stiftertums gefördert und die Errichtung von
Stiftungen erleichtert wird.

Die Koalitionsfraktionen haben sich nur auf den
steuerrechtlichen Teil verständigen können. Die
F.D.P.-Fraktion hat ein ganzheitliches Gesetz vorgelegt,
das sowohl das Steuerrecht als auch das materielle
Recht, also das Zivilrecht, berücksichtigt. Ich bedaure,
dass die zuständige Ministerin für das materielle Recht –
für das Zivilrecht – heute durch Abwesenheit glänzt.
Das ist, wie ich meine, eine Missachtung des Parla-
ments.


(Beifall bei der F.D.P. – Dr. Elke Leonhard [SPD]: Sie ist doch da! – Gegenruf des Abg. Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sie kommt gerade erst herein! Sie hat noch nicht einmal ihre Tasche abgelegt!)


– An den Beratungen hat sie die ganze Zeit nicht teilge-
nommen. Sie ist gerade erst hereingekommen. Das wis-
sen auch Sie ganz genau. Auf der Regierungsbank je-
denfalls hat das Justizministerium durch Abwesenheit
geglänzt.

In der Tat ist das Stiftungsrecht reformbedürftig, weil
es den modernen Anforderungen – das haben Sie,
Herr Kollege, auch schon gesagt – nicht mehr entspricht.
Das obrigkeitsstaatliche Konzessionssystem ist über-
holt und sollte durch ein System von Normativbe-
dingungen ersetzt werden. Der Stifter soll selber ein
Recht auf Stiftung haben und nicht vom staatlichen

Dr. Antje Vollmer






(A)



(B)



(C)



(D)


Konzessionssystem abhängig sein. Das schließt nicht
aus, dass die Landesverwaltungen eine staatliche Auf-
sicht wahrnehmen. Aber das darf nicht zur Gängelei füh-
ren; Frau Vollmer hat darauf schon hingewiesen. Es
macht überhaupt keinen Sinn, dass zum Beispiel kleine-
re Stiftungen bei uns in Hamburg von der Senatskanzlei
und zusätzlich noch von den Fachbehörden beaufsichtigt
werden. Dieser Wust an Bürokratie muss beseitigt wer-
den.


(Beifall bei der F.D.P.)

Die F.D.P.-Fraktion räumt in ihrem Entwurf dem Stifter
eine möglichst große Autonomie für die Durchsetzung
seines Stifterwillens ein, denn der Stifter stellt sein Geld
und sein Vermögen zur Verfügung.

Während der Diskussion in den letzten fünf Jahren –
Frau Vollmer hat das erwähnt – wurden vielfältige
Überlegungen zum materiellen Stiftungsrecht ange-
stellt. Es wäre daher besser gewesen, wenn die Bundes-
regierung wie die F.D.P. eine umfassende Regelung des
Bundesstiftungsrechts vorgelegt hätte. Wir haben noch
viele Fragen zu klären. Einige sind von Ihnen erwähnt
worden. Ich will nur einige Stichworte nennen: Wie be-
handle ich Familienstiftungen? Wie soll die Vermögens-
ausstattung der Stiftungen generell aussehen? Bedarf es
einer Stiftungsgenehmigung? Ist ein Stiftungsregister zu
führen? Wie hat die Satzung der Stiftung auszusehen?
Wie werden die Stiftungsorgane in Zukunft bestellt?
Kann die Satzung auch noch nach dem Tode des Stifters
geändert werden? Was muss bundeseinheitlich geregelt
werden, damit es keinen Flickenteppich im deutschen
Stiftungsrecht gibt? Ich bin sicher, dass wir bei zukünf-
tigen Beratungen über das materielle Stiftungsrecht auf
den Entwurf der F.D.P.-Fraktion zurückkommen wer-
den, auch wenn Sie ihn heute ablehnen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409602800
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Jörg Tauss von der SPD-Fraktion.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: Jetzt kommt wieder ein dynamischer Auftritt!)



Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1409602900
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Ich bemühe mich immer um
einen dynamischen Auftritt. Sie haben doch heute Mor-
gen Posaunenklang verlangt, Kollege Otto; also liefern
wir den hier noch ein bisschen. Wir haben gehört, dass
die grüne Seele jubiliert. Ich kann allen, die hier heute
gesprochen haben, nur zustimmen: Es ist heute nicht nur
ein schöner Frühlingstag, sondern auch ein schöner Tag
für das Stiftungswesen in Deutschland. Das wollen wir
einmal festhalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir können – das haben wir bereits nach der ersten Le-
sung im Dezember sagen können – auf dieses Ergebnis

rot-grüner Erfolgspolitik stolz sein. Wir sind auch stolz
darauf. Dieses sage ich gleich zu Beginn noch einmal in
aller Deutlichkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Kollege Grasedieck hat völlig zu Recht auf die
steuerlichen Punkte hingewiesen: Sonderabzug für Stif-
tungen und die Möglichkeit – Kollege Stiegler hat es
ebenfalls erwähnt –, die 40 000 DM je nach Zweck dif-
ferenziert noch einmal um 5 oder 10 Prozent aufzusto-
cken.

Herr Kollege Bernhardt, ich darf jetzt ausdrücklich
den Stifterverband zitieren – es ist ja manchmal gut,
wenn man die Unterlagen dabeihat –: Dieser Vorschlag,
unser Vorschlag hilft in erster Linie den Stiftungen mit
vielen Stiftern, zum Beispiel Bürgerstiftungen, um es in
die Breite zu bringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Genau das, was uns hier bestätigt wird, war unser Ziel.
Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht. Herr Kolle-

ge Fink, Sie haben die Briefe von Maecenata nicht ge-
nau gelesen. Es war eine ausdrückliche Forderung von
Maecenata, im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht das
zu tun, was wir getan haben, nämlich die Regelung auf
alle gemeinnützigen Bereiche auszudehnen.

Mit dem Buchwertprivileg haben wir eine weitere
Forderung der Maecenata und der Stiftungsverbände re-
alisiert. Ich kann nur sagen: Hier ist es künftig möglich,
aus betrieblichen Vermögen einer gemeinnützigen Stif-
tung zu spenden, ohne dies als verdeckte Gewinnent-
nahme – das war doch unter Ihrer Regierungszeit so –
versteuern zu müssen. Das ist der wichtige Reform-
schritt – auch von den Stiftungsverbänden gefordert.


(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Lammert, in diesem Zusammenhang

stimme ich Ihnen zu: Die Umsatzsteuerproblematik,
die – wie uns das Finanzministerium sagt – eine europä-
ische Problematik ist, müssen wir in den Griff kriegen.
Hier wollen wir nochmals eine Aufforderung zur Prü-
fung an die Bundesregierung richten.

Dann können die Stiftungen bis zu einem Drittel ihrer
Erträge zur Sicherung des Stiftungskapitals zurücklegen.
Auch das ist ein ganz wichtiger Punkt, Kollege Fink, ei-
ne Forderung von Maecenata.

Wir fördern im Bereich des Stiftungsgedankens alles,
was die AO vorsieht: Wissenschaft, Forschung, Bildung,
Erziehung, Kultur, Religion, Völkerverständigung; es
gibt die Förderung der Jugend- und der Altenhilfe, des
Wohlfahrtswesens und die allgemeine Förderung des
demokratischen Staatswesens. Letzteres ist nach den
Skandalen, die Sie in diesem Land abgeliefert haben,
besonders wichtig, meine sehr verehrten Damen und
Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Rainer Funke






(A)



(B)



(C)



(D)


Jetzt geht es darum, diese neuen Chancen zu nutzen.
Ein Drittel der Erträge aus Stiftungen fließen schon heu-
te in die Bereiche Bildung und Forschung. Das freut
mich als Bildungs- und Forschungspolitiker natürlich
ganz besonders, und als Kulturpolitiker füge ich hinzu:
Ein großer Teil der Erträge geht schon heute an kulturel-
le Einrichtungen. Auch das kann nicht hoch genug ge-
würdigt werden. Das wollen wir noch ausweiten.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben in vielen gemeinnützigen Bereichen gro-

ßen Handlungsbedarf. Allen, die da Sorgen haben, sage
ich: Dies kann und darf selbstverständlich nicht dazu
führen, dass der Staat gesellschaftliche Aufgaben fallen
lässt,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer falsch ver-
standenen Subsidiarität, dass er an falschen Stellen spart
und die Verantwortung für Vorsorgeaufgaben auch im
Bereich Kultur, Forschung, soziale Aufgaben der Zufäl-
ligkeit des Vorhandenseins privater Sponsoren überlässt.
Das kann nicht unser Ziel sein. Hier unterscheiden wir
uns wahrscheinlich ein Stück weit von dem neoliberalen
Teil der F.D.P., meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD)

Nein, Staat und Gesellschaft können und müssen die

Chance fördern, dass privat finanzierte gemeinnützige
Stiftungen Ergänzungsfunktionen zu Aufgaben der öf-
fentlichen Hand auch im Gemeinnützigkeitsrahmen
wahrnehmen. Den von uns gewünschten Stiftungen
kommt diese Funktion ausdrücklich zu. In dem Rahmen,
den ich genannt habe, können jetzt wünschenswerte Pro-
jekte für das Gemeinwohl auf den Weg gebracht wer-
den. Es ist festzustellen, dass der Bedarf in weiten ge-
meinnützigen sozialen, kulturellen, wissenschaftlichen
und ökologischen Bereichen stärker wächst als die Mög-
lichkeit des Staates, in all diesen Bereichen das Wün-
schenswerte und Notwendige tatsächlich auch zu finan-
zieren. Hier erhoffen wir uns von der Verbreiterung des
Stiftungsgedankens eine Verbreiterung der Chance, neue
Projekte finanzieren zu können.

Kollege Lammert, Sie haben ja heute Morgen ein
bisschen über Ihre Erfolge reden wollen. Das ist natür-
lich nicht ganz einfach, wenn man wenig vorzuweisen
hat.


(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie haben 16 Jahre lang überwiegend eben doch nur ver-
tröstet. Sie haben die potenziellen Stiftungen und die
Stiftungsverbände bitter enttäuscht. Das, was Sie hier
vorgetragen haben, waren für mich nicht die Reform-
schritte. Es waren nicht Nägel mit Köpfen. Nein, die
sind jetzt eingeschlagen worden.

Neid ist angesprochen worden. Herr Kollege
Grasedieck, ich halte es nicht für eine gute Tugend,
wenn die Opposition neidisch ist. Aber Sie könnten jetzt
wenigstens mit uns fröhlich sein und sagen: Ihr habt et-
was geschafft; wir loben diese Bundesregierung. – Das

könnte euch ja ausnahmsweise ganz gut anstehen, meine
Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Siegfried Hornung [CDU/ CSU]: Meinen Sie nicht, dass Eigenlob stinkt?)


– Das ist nicht ein Eigenlob, das stinkt. Wenn man Er-
folge hat, soll man darüber auch reden. Gutes tun und
darüber reden, das gilt in der Politik genauso wie an an-
deren Stellen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409603000
Kollege Tauss, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lammert?


Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1409603100
Aber bitte schön, lieber Kollege
Lammert.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1409603200
Herr Kollege
Tauss, darf ich in Ihrer überbordenden Begeisterung für
eine möglichst kraftvolle, in diesem Zusammenhang
steuerliche Unterstützung von Stiftungen entnehmen,
dass Sie doch noch ernsthaft beabsichtigen, die nicht
allgemeinen, sondern konkreten Änderungsanträge zur
Verbesserung des Steuerrechts, die wir dem Hohen Hau-
se gleich in namentlicher Abstimmung vorlegen, mit
Zustimmung versehen zu lassen?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: Das wollen wir doch hoffen!)



Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1409603300
Lieber Kollege Lammert, in
neun Monaten ist Weihnachten; die Zeit, in der man
Wünsche äußern kann, naht also. Aber momentan sehen
wir uns dem Frühling des Stiftungswesens gegenüber.

Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Es gibt
noch weitere Punkte, die wir verbessern können. Nur,
wir sind eben in der Situation – darauf müssen uns die
Menschen, die im Finanzministerium Verantwortung
tragen, immer wieder aufmerksam machen –, dass wir
nach 16 Jahren unter Ihrer Regierung einen Schulden-
berg vorfinden, der zu meinem großen Bedauern dazu
führt, dass wir nicht alles das, was in diesem Bereich
steuerlich wünschenswert ist, realisieren können.

Nicht alles von dem, was Sie uns heute vorlegen, ist
im Übrigen sinnlos. Vieles ist ja von den Stiftungsver-
bänden vorgeschlagen worden; da brauchten Sie nur ab-
zuschreiben. Ich würde gerne in diesen Punkten vorstel-
lig werden, aber leider erlaubt dies die Situation, die Sie
uns hinterlassen haben, noch nicht. Aber seien Sie guten
Mutes: Sobald wir in den Kassen wieder Geld finden –
wir sind ja sehr solide bei dem Vorhaben, die Finanzen
zu konsolidieren –, werden wir mit Ihnen weiter über die
Verbesserung des Stiftungswesens diskutieren. Ich ver-
spreche Ihnen das an dieser Stelle; wir halten das auch
ein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Jörg Tauss






(A)



(B)



(C)



(D)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will
mich übrigens noch einmal ausdrücklich bei dem Kolle-
gen Jörg-Otto Spiller bedanken. Wie er hier zitiert wor-
den ist, das war nicht fair. Der Kollege Spiller als der
Sprecher der SPD-Arbeitsgruppe im Bereich Finanzen
hat alles getan, damit das, was wir anstoßen wollten, tat-
sächlich auf den Weg gebracht wurde. Insofern war die-
se Kritik nicht gerechtfertigt.


(Beifall bei der SPD)

Der zivilrechtliche Teil ist schon an unterschiedlichen

Stellen angesprochen worden. Auch diesbezüglich sind
wir in einer sehr guten Diskussion mit der Justizministe-
rin. Der Finanzminister und die Justizministerin unter-
stützen uns in diesem Bereich.

Aber machen wir uns, was diesen Teil angeht, doch
nichts vor: Wir sind darauf angewiesen, mit den Ländern
zu reden. Das tun wir. Deswegen ist eine Arbeitsgrup-
pe des Bundes und der Länder zur Reform des Stiftungs-
rechts eingesetzt worden. Hochverehrter Kollege Funke,
ich habe noch einmal im „Kürschner“ nachgeschaut,
was Sie in den letzten Jahren getrieben haben. Da steht
doch allen Ernstes, dass Sie Staatssekretär im Justizmi-
nisterium waren. Verflixt noch mal, wer hat Sie denn
daran gehindert, in dieser Zeit mit den Ländern all das
zu machen, was Sie uns heute so großartig vorgetragen
haben?


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin ja völlig verblüfft. Da müssen wir noch einmal in
den alten Aktennotizen nachschauen. Es werden ja hof-
fentlich nicht alle Ordner in den Ministerien, die wir
übernommen haben, verschwunden sein. Also gucken
wir doch noch einmal, was Sie in diesem Bereich ge-
macht haben!


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kollegin Vollmer hat viele wichtige Punkte ange-
sprochen und darauf hingewiesen, dass wir ein Recht auf
Stiftung verankern wollen. Frau Ministerin, ich glaube,
damit würden wir niemandem wehtun, aber könnten ein
Signal setzen für diejenigen, die bereit sind, für die Ge-
sellschaft etwas zu realisieren.

Sie haben vorhin müde Ihr Haupt geschüttelt, als Frau
Vollmer Transparenz eingefordert hat – als ob das et-
was Schädliches wäre! Nicht alle Stiftungen, insbeson-
dere jene, die von der CDU eingerichtet worden sind,
haben sich durch Transparenz ausgezeichnet – das ist
schon richtig –, aber Sie brauchen sich in dem Zusam-
menhang keine Sorgen zu machen:


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Stiftungsverbände fordern ausdrücklich ein Mehr an
Transparenz für die Stiftungen, weil, so sagen sie, mehr
Transparenz dazu führt, dass der Stiftungsgedanke nicht
desavouiert wird, und dazu beiträgt, dass die Bedenken
der Beamten in den Behörden dort, wo der Stiftungsge-

danke noch negativ gesehen wird, zerstreut werden. In-
sofern macht dies den Weg wirklich frei.

Der nächste Punkt betrifft das Stiftungsregister. Ich
bin da völlig leidenschaftslos. Wir brauchen die Mitwir-
kung der Länder auch in diesem Bereich. Deshalb kann
ich nur an den Bundesrat appellieren – die Bundesrats-
bank ist heute nicht so furchtbar stark besetzt –: Machen
Sie mit! Ich bin mal gespannt, Herr Otto, ob Hessen und
Rheinland-Pfalz – das sind ja die beiden verbliebenen
Länder, in denen Sie noch mitregieren dürfen – dazu ein
paar Initiativen einbringen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: Baden-Württemberg haben wir auch noch!)


– Ach, Baden-Württemberg habe ich vergessen. Wie
heißt euer Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg?


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: Döring heißt der!)


– Ja, ich hatte es vergessen, Entschuldigung! Herr
Döring wäre ja durchaus in der Lage, etwas zu tun.

Herr Kollege Lammert, lesen Sie noch einmal nach,
was damals zu den Reformen, die Sie wollten, gesagt
worden ist. Staatssekretär Hauser hat gesagt – das war
das Ergebnis der Anhörung damals –: Wir verbessern
vielleicht die Durchlaufspenden. – Aber noch nicht ein-
mal diesen Punkt haben Sie während Ihrer Regierungs-
zeit in Angriff genommen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Sehr wahr!)

Wir dagegen erledigen das ganz ohne Getöse im Bun-
desrat so nebenbei.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber um versöhnlich zu werden – ich sage es noch

einmal, Herr Lammert –: In neun Monaten ist schon
wieder Weihnachten, die Zeit der Freude bricht an. Sie
können Wünsche äußern. Freuen Sie sich über unseren
Erfolg! Zerreden sie ihn nicht! Freuen wir uns heute
über den Frühling im Stiftungsrecht, den wir Ihrem kal-
ten Winter folgen lassen.

Meine Damen und Herren auf den Zuschauertribü-
nen, freuen Sie sich mit. Sie haben heute live ein schö-
nes Stück Politikgestaltung in Deutschland erlebt. Da-
rauf sind wir stolz. Noch einen schönen Tag in Berlin!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der F.D.P.: Helau!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409603400
Nun hat Kollegin
Rita Süssmuth von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt wird es wieder solider!)



Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1409603500
Herr Präsident!
Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Tauss, ich habe
den Eindruck, die Posaune hat ein solches Getöse verur-
sacht, dass man überhaupt keine Töne mehr gehört hat.

Jörg Tauss






(A)



(B)



(C)



(D)



(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ludwig Stiegler [SPD]: Wer Ohren hat, der höre!)


Offenbar ist Getöse notwendig, damit niemand auf die
Idee kommt, das zu kritisieren, was zu kritisieren ist. Ich
habe den Eindruck, das richtige Denken und Wissen
vorzubringen ist immer einfacher, als das Richtige zu
entscheiden.

Es bleibt dabei: Es gibt keinen Neid über die
40 000 DM. Mehrere Mitglieder meiner Fraktion haben
gesagt: Dem stimmen wir zu. Es ist ein Fortschritt. Da-
ran gibt es nichts zu kritisieren. Aber gemessen an den
Ansprüchen, die in der Reformdiskussion der letzten
Wahlperiode gestellt wurden – das sage ich mit aller
Deutlichkeit –, sind wir ganz am Anfang.

Kollegin Vollmer, es ist richtig: Es gibt ein verän-
dertes Stiftungsklima. Aber wir Abgeordnete sollten
uns nicht einbilden, wir hätten es erzeugt. Es gibt in
Deutschland – das möchte ich ganz nachdrücklich sa-
gen – trotz zunehmender Verstaatlichung, Bürokratisie-
rung und der Grenzen der staatlichen Möglichkeiten eine
Bürgerschaft, an deren Engagement wir uns messen soll-
ten. Die Bürger sind weiter als wir mit unseren Reform-
entscheidungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir müssen uns mehr und mehr fragen, ob wir diesem
Engagement eigentlich gerecht werden und ob wir es
ausreichend unterstützen.

Erstens. Wenn wir die unterstützenden Stellungnah-
men des Stifterverbandes Maecenata zur Kenntnis ge-
nommen haben, dann sollten wir auch die Stimmen aus
den anderen Organisationen hören, die uns nachdrück-
lich auffordern: Nur dann, wenn ihr Zivilrecht und
Steuerrecht konsequent miteinander verbindet, schafft
ihr jene Bürgergesellschaft, für die ihr in euren Gesetz-
entwürfen eintretet.

Deswegen muss man wissen: Solange wie im Zivil-
recht festgelegt ist – ich weiß, dass hier Bund und Län-
der höchst unterschiedlicher Meinung sind –, dass der
Staat der beste Reglementierer ist und dass seine Ein-
sicht in jedem Falle höher zu bewerten ist als Freiheit
und Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger, so lan-
ge wird das bürgerschaftliche Engagement eher blo-
ckiert als gefördert. Deswegen brauchen wir die Einheit
von Zivil- und Steuerrecht.

Zweitens. Wenn der jetzt vorliegende Gesetzentwurf
verabschiedet ist, zweifle ich sehr – das weiß ich aus ei-
genem Regierungshandeln –, ob in dieser Wahlperiode
noch ein weiteres Gesetz folgen wird. Es wird nicht weit
über den jetzigen Diskussionsentwurf hinausgehen. Da-
mit fördern wir nicht die Aktivitäten, sondern lähmen
sie.

Das Dritte, das für unsere Auseinandersetzung ent-
scheidend ist, ist die Frage: Wie gehen wir mit den ver-
schiedenen Organisationen und Gruppierungen um? Mir
ist es im Augenblick wichtig, dass wir es auf den privat-
rechtlichen Teil beschränken; denn der zusätzliche
Spendenabzug wird nur für Zuwendungen an Stiftun-

gen privaten Rechts gewährt und nicht – wie bei anderen
Begünstigungen – auch für Zuwendungen an andere
steuerbegünstigte Stiftungen. Ist es wirklich Absicht des
Gesetzgebers, dass die der Zahl nach häufiger vorkom-
menden nicht rechtsfähigen Stiftungen mit der Unsi-
cherheit leben müssen, ob sie als Stiftungen privaten
Rechts anzusehen sind oder nicht?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: Was ist mit den kirchlichen Stiftungen?)


– Die sind ja hier berücksichtigt. Das ist eben schon ge-
sagt worden.

Jetzt möchte ich auf den Grundansatz eingehen.
Wenn wir der Überzeugung sind, Stiftungen erfüllten
eine wesentliche Ergänzungs- und Innovationsfunktion –
auch im Gesetzentwurf der SPD stehen neue soziale und
kulturelle Projekte im Vordergrund –, dann müssen wir
mit den Entscheidungen, die wir treffen, auch das Ziel
erreichen.

Wenn der Fiskus in erster Linie immer damit argu-
mentiert, was dem Staat entgeht, dann kann ich darauf
nur entgegnen, dass wir weit mehr gewinnen würden,
wenn wir nicht ständig rechneten, was uns entgeht, son-
dern überlegten, was an Mitteln freigesetzt würde, wenn
wir einen größeren Schritt wagen würden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hier zeigt sich ganz deutlich – ich komme noch ein-
mal auf das Maecenata-Institut zurück –, dass die Be-
rechnung, dem Staat entgehe eine Milliarde, durch
nichts belegt ist. Es gibt überhaupt keine quantifizieren-
den Berechnungen.


(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Jörg Tauss [SPD]: Sie können es aber auch nicht widerlegen!)


Deswegen kann ich nur sagen: Lasst es uns doch end-
lich wagen, Bürgerinnen und Bürger über ihr Einkom-
men und Vermögen gemeinwohlorientiert entscheiden
zu lassen! Hemmen wir sie nicht ständig! Wir sprachen
eben von Neid. Ich halte diese Diskussion um die klei-
neren Bürgerstiftungen und die größeren Vermögen für
völlig abwegig. Machen wir beides! Wir können dabei
nur gewinnen und nicht verlieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Nun noch einmal zu der Frage: Was ist an diesem
zivilrechtlichen Teil so wichtig? Ich glaube, dass die
Gesetzentwürfe, zum Beispiel jener der Grünen oder
jener unserer Fraktion, darin übereinstimmen, dass sie
einfach, übersichtlich, transparent, bürgerfreundlich und
gemeinwohlorientiert sind. Dass es darin Missbrauchs-
tatbestände gibt, weiß jeder und auch, dass wir sie
so weit reduzieren müssen wie eben möglich. Aber dass
wir vor lauter Angst vor Missbrauch die Menschen
überhaupt erst gar nicht handeln lassen, ist für jede
Bürgergesellschaft kontraproduktiv.

Dr. Rita Süssmuth






(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Es ist eben gefragt worden, was in Baden-Würt-
temberg passiert. Wenn es überall in den Bundesländern
so viel an Initiativen im Bereich von Vereinen, Stiftun-
gen und gemeinwohlorientierter Arbeit gäbe, dann wä-
ren wir in der Bundesrepublik schon weiter und sozial-
kulturell innovativer. Dann würden wir uns nicht ständig
blockieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


In diesem Sinne möchte ich noch einmal am Ende sa-
gen: Es ist in der Tat ein kleiner und weiterer wichtiger
Schritt, aber es ist nicht die überfällige Stiftungsreform,
für die wir gearbeitet haben und die die Bürgerschaft
längst erwartet.


(Dr. Elke Leonhard [SPD]: Wir gehen peu à peu voran!)


Deswegen ist es meine Hoffnung – ich möchte sie
nicht aufgeben –, dass wir in dieser Wahlperiode viel-
leicht doch noch das eine tun und das andere nicht las-
sen. Nur wenn wir diesen Schritt im Konzept der Steuer-
reform gehen, wird die neue Sozialstaatlichkeit reform-
fähig werden. Bisher sind wir noch sehr auf den alten
Pfaden und haben immer noch davor Angst, dass wir es
anders als bisher machen könnten und dass alles
schlechter würde. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Bürger
wissen längst, dass wir neue Wege einschlagen müssen.
Dem sollten wir folgen.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409603600
Ich erteile der Kolle-
gin Monika Griefahn, SPD-Fraktion, das Wort.


Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1409603700
Herr Präsident! Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir haben
heute eine richtig frühlingshaft beschwingte Debatte ge-
habt gemäß dem Motto: Wir haben einen Stiftungsfrüh-
ling. Das ist das Schöne an der Debatte, die wir seit ei-
nem Jahr führen, dass nicht nur hier im Parlament, son-
dern eben auch in der Gesellschaft das Stiftungsrecht
bzw. das Stiften wieder diskutiert wird. Das ist das ei-
gentlich Wichtige an der Situation.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Noch etwas Schönes ist für uns heute festzustellen:

Wir beschließen heute das erste Gesetz, das der neue
Ausschuss für Kultur und Medien in diesem Hohen
Hause betreut und begleitet hat. Ich bin sehr froh da-
rüber, dass wir das mit einem positiven Ergebnis und ei-
ner guten Debatte abschließen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Reformierung des Stiftungsrechts ist überfällig.

Wir wollen bürgerschaftliches Engagement. Das wird
jetzt beflügelt. Der neue Ausschuss hat sich darin ein

Stück weit bewährt auch als Lobby, als Lobby für dieje-
nigen, die immer gedrängelt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Machen wir uns nichts vor: Wenn es nicht diesen

Ausschuss gegeben hätte – hier möchte ich ausdrücklich
alle Fraktionen einschließen –, dann wäre diese Reform
nicht so in Gang gekommen und dann wären wir nicht
an dieser Stelle. Dann würden wir – wie Herr Lammert
das vorgeschlagen hat – noch zwei Jahre warten müssen,
bis auch alle anderen Fragen geklärt sind. Aber genau
das wollen wir nicht. Wir wollen jetzt schon wenigstens
einen Schritt machen und etwas vorantreiben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Otto, ich möchte noch etwas zu Ihnen sagen:
Wenn Sie das nächste Mal Zitate als altdeutsche Zitate
darstellen – „nicht kleckern, sondern klotzen“ –, zitieren
Sie lieber nicht den Panzergeneral Guderian, der das
beim Überfall auf Frankreich gesagt hat, sondern suchen
Sie sich ein anderes Sprichwort, das in dem Zusammen-
hang besser passt.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Wir hoffen, dass es nicht bei den 250 Milliarden DM

bleibt, sondern dass auch ein Teil von den
5 Billionen DM, die auf Konten irgendwo herumliegen,
für soziale und ökologische Zwecke, für die Förderung
der Künste und für die Kultur mobilisiert wird. Es scha-
det aber auch nichts, wenn man nicht nur den Betrag
stiftet, der steuerlich absetzbar ist, sondern vielleicht
noch ein bisschen obendrauf packt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dabei können wir uns vielleicht durch die Debatte be-

flügelt sehen und uns ein Beispiel an dem angelsächsi-
schen Raum nehmen. Dort gibt es Stiftungen, bei denen
es nicht nur um die steuerliche Absetzbarkeit geht. Ich
denke zum Beispiel an Herrn Gates, der mal eben
1 Milliarde Dollar für ein Projekt spendet. Bei uns gibt
es – gerade auch in dieser Branche – Leute, die sehr viel
Geld verdienen und auch ein wenig mehr Geld zur Ver-
fügung stellen könnten als nur das, was sie von der Steu-
er absetzen können. Das sollte man nicht unterdrücken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sehe, dass Stiftungen in diesem Lande auch bis-
lang schon sehr engagiert gearbeitet haben. Ich denke
hier an Firmenstiftungen wie die von Bertelsmann oder
VW, die tatsächlich mitgeholfen haben, Dinge voranzu-
bringen.

Aber was fehlt, sind nicht die großen Stiftungen, son-
dern die kleinen. Es geht um die Leute, die vielleicht ein
bisschen über den Durst haben, aber sagen: Wenn ich
noch einen steuerlichen Anreiz wie diese 40 000 DM
bekomme, gebe ich das Geld; sonst überlege ich mir, ob
ich es auf die hohe Kante lege. Das ist die Grundlage
für kleinere Stiftungen, für Bürgerstiftungen, für das,
was sich im sozialen Engagement, in einem kleinen

Dr. Rita Süssmuth






(A)



(B)



(C)



(D)


Kulturzentrum, in örtlichen Initiativen niederschlägt. Ich
glaube, das ist das Wesentliche, das wir hier mit auf den
Weg bringen: nicht nur die großen, sondern gerade die
kleinen Einheiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich wünsche mir auch, dass sich die Unternehmen,
die zum Beispiel Stiftungen in den USA unterstützen –
ich habe gerade gehört, dass eine große Stiftung eines
deutschen Unternehmens 20 Millionen an eine Universi-
tät in den USA gibt –, auch wieder hier engagieren und
hier etwas unterstützen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich wünsche mir, dass gerade diese Unternehmen, die

immer sagen: Wir wollen nicht stets auf den Staat
schauen, jetzt erklären: Wir gründen Stiftungen an den
Sitzen unserer Tochterunternehmen und unterstützen
dort zum Beispiel das örtliche Goethe-Institut oder die
örtliche soziale Arbeit für die Bürgerinnen und Bürger
aus unserem Land.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das werden wir damit hoffentlich ein Stück voranbrin-
gen können.

Ich denke, entscheidend ist, was auch Frau Vollmer
ausgeführt hat, nämlich dass wir das Klima verändert
haben, dass Stiften oder Spenden nicht mehr etwas Ne-
gatives ist, was man am besten hinter vorgehaltener
Hand tut. Deswegen hat das reformierte Stiftungsrecht
eine Doppelwirkung, es hat nämlich eine kulturpoliti-
sche und eine gesellschaftspolitische Funktion. Beide,
Staat und Gesellschaft, Menschen, die den Staat bilden,
sollen zusammenarbeiten. Der Staat bietet den Rahmen
und die Menschen engagieren sich selbst. Genau hierfür
müssen wir den nächsten Schritt gemeinsam mit den
Ländern vorbereiten. Die Frau Justizministerin hat be-
reits zu der Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingeladen,
damit dies vorankommt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist der entscheidende Punkt. Es darf nicht immer
nur Misstrauen und das Gefühl geben, wir würden nichts
machen. Wir sind vielmehr auf dem Wege, wir arbeiten
daran. Sie werden sicherlich davon ausgehen können,
dass auch der Kulturausschuss sehr darauf achten wird,
dass es vorangeht. Wir werden natürlich auch mit unse-
ren Kolleginnen und Kollegen in den Ländern darüber
sprechen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bitte auch die Damen und Herren der CDU und

der F.D.P., in ihren Ländern noch einmal engagiert dafür
zu werben, denn die Länder sind diejenigen, die sich im
Moment am schwersten damit tun, das Stiftungsgesetz
voranzubringen, weil sie sagen: Vielleicht haben wir
auch noch Steuerausfälle. Da geistern dann astronomi-
sche Zahlen durch die Gegend – 1 Milliarde DM,
3 Milliarden DM, 5 Milliarden DM. Ich kann nur sagen:
Wie froh wäre ich, wenn diese Steuerausfälle in diesem
Falle rein durch die Stiftungsrechtsreform zustande kä-

men, denn dann würden durch die neuen Arbeitsplätze,
die durch diese dann entstehenden Stiftungen tatsächlich
geschaffen würden, auf der anderen Seite enorme Steu-
ermehreinnahmen kommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das darf man ja nicht vergessen. 1 Milliarde DM Steu-
erausfälle entsprächen 4 Milliarden DM, die tatsächlich
gestiftet würden, und mit diesem Geld würde ja etwas
getan. Dieses, was getan würde, müssen wieder Leute
tun.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409603800
Kollegin Griefahn,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Otto?


Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1409603900
Ja, natürlich. Immer, ger-
ne.


Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1409604000
Liebe
Frau Kollegin Griefahn, darf ich Sie um Ihre Unterstüt-
zung bitten?

Die hessische Landesregierung unter Beteiligung der
F.D.P. hat einen sehr vernünftigen Entwurf für eine Stif-
tungsrechtsreform in den Bundesrat eingebracht. Ihre
Kollegen in der hessischen SPD bekämpfen diesen Ge-
setzentwurf, obwohl er zu weiten Teilen mit dem über-
einstimmt, was Sie hier fordern. Nehmen Sie bitte zur
Kenntnis, dass wir als F.D.P. in Hessen unsere Aufga-
ben erledigt haben.

Darf ich Sie darum bitten, dass Sie einmal mit Ihren
hessischen Kolleginnen und Kollegen reden, damit sie
auf die Linie einschwenken, die Sie heute dargestellt ha-
ben, und nicht diese Neidkomplexe, die in den letzten
Monaten zutage getreten sind, pflegen?


(Beifall bei der F.D.P.)



Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1409604100
Herr Kollege Otto, ich sag-
te Ihnen ja bereits: Die Frau Justizministerin hat zu ei-
nem Bund-Länder-Gespräch eingeladen. Ich bin sehr
daran interessiert, dass wir dadurch zu gemeinsamen Li-
nien kommen.

Ich sagte, wir werden mit unseren Kollegen in den
Ländern sprechen, damit wir ein gemeinsames Konzept
tatsächlich voranbringen und nicht wieder alles zer-
reden.


(Jörg Tauss [SPD]: Hessen hat das abgelehnt in der Innenministerkonferenz!)


– Ja, genau. Herr Tauss sagte gerade, Hessen hat dies im
Bundesrat abgelehnt. Das ist doch ein interessanter
Punkt.

Ich denke, wir sollten – weil es im Moment ja so sehr
in ist, amerikanisch zu sein – uns noch einmal auf ein
Wort von Kennedy besinnen, der gesagt hat:

Frage nicht immer, was das Land für dich tut. Fra-
ge, was du für das Land tun kannst.

Monika Griefahn






(A)



(B)



(C)



(D)


In dem Sinne hoffe ich, dass sich viele beteiligen.
Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1409604200
Ich schließe die Aus-
sprache.

Bevor wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen zur weiteren steuerlichen Förderung von Stif-
tungen in der Ausschussfassung auf Drucksache
14/3010 Nr. 1 kommen, erteile ich der Kollegin Barbara
Höll, PDS-Fraktion, das Wort zur Abgabe einer persön-
lichen Erklärung zur Abstimmung.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1409604300
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich möchte begründen, warum ich ge-
gen den Gesetzentwurf der SPD und der Grünen stimme,
obwohl und gerade weil ich mir der Bedeutung und des
Wertes von Stiftungen sowie der gemeinnützigen Tätig-
keit verschiedenster Art überhaupt sehr wohl bewusst
bin.

Ich meine, Ihr Gesetzentwurf ist in der jetzigen Form
nicht geeignet, den Erfordernissen der Zeit gerecht zu
werden. Ich lehne ihn ab, weil er sich erstens ausschließ-
lich auf die steuerlichen Regelungen beschränkt und den
Hauptmakel des deutschen Stiftungswesens, die In-
transparenz, nicht beseitigt.

Ich stimme dagegen, weil Erfahrungen, wie sie aus
dem Musterland des Stiftungsrechts, den USA, vorlie-
gen, überhaupt nicht genutzt wurden. Es hat sich näm-
lich gezeigt, dass deren Stiftungsrechtsreform von 1969
mit den zivilrechtlichen Regelungen die Schwächen
ausgelöscht hat, deren Behebung Sie sich heute durch
ein bisschen Änderung des Steuerrechts erhoffen.

Ich stimme zweitens dagegen, weil Sie, wenn Sie sich
schon auf das Steuerrecht beschränken, dieses auch noch
schusselig gemacht haben. Die möglichen steuerlichen
Missbrauchstatbestände wurden nicht ausgeräumt. Ich
möchte Sie hier ausdrücklich auf die Abgabenordnung
verweisen, nach der eine gemeinnützige Stiftung bis zu
einem Drittel ihres Einkommens steuerfrei zum Unter-
halt des Stifters oder seiner Familienangehörigen ver-
wenden kann. Das bedeutet eine steuerfreie Alimentie-
rung.

Drittens lehne ich diesen Gesetzentwurf ab, weil mit
dem wichtigen Prinzip der steuerlichen Berücksichti-
gung gemeinnützigen Engagements gebrochen wird.
Es geht nicht mehr ausschließlich um den Zweck bei der
steuerlichen Ermäßigung, sondern Sie bevorzugen hier
eindeutig nur ein Engagement im Bereich des Stif-
tungswesens. Sie erreichen damit eine Verschiebung auf
dem Spendenmarkt. Wie in der Debatte heute betont
wurde, drängt sich in Verbindung mit den Regelungen
zur Erbschaftsteuer der Verdacht auf, dass es bei Ihrem
Gesetzentwurf in einem nicht unerheblichen Maße um
einen steuerfreien Vermögenstransfer geht.

Viertens lehne ich diesen Gesetzentwurf ab, weil er
so, wie er vorliegt, einen Meilenstein Ihres politischen
Weges darstellt. Langfristig geht es Ihnen – dies beweist
die eichelsche Sparpolitik – um den Abbau von
Staatsausgaben für soziale und kulturelle Zwecke.


( V o r s i t z : Vizepräsidentin Anke Fuchs)

An die Stelle einer von der öffentlichen Hand finanzier-
ten sozialen und kulturellen Grundversorgung sollen
Stifter, Spender und Mäzene treten. Sie selbst verweisen
in Ihrem Gesetzentwurf ausdrücklich auf die Grenzen
der Steuerfinanzierung dieser Aufgaben und stellen sich
langfristig auf leere Kassen ein. Man muss feststellen:
Sie organisieren sich Ihre eigene Handlungsunfähigkeit
durch Ihre Steuerpolitik. Ich verweise nur auf die Unter-
nehmensteuerreform.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das eine Erklärung zur Abstimmung?)


Ich stimme dagegen, weil Ihr Gesetzentwurf so, wie
er zustande kam, eine Art politischen Tauschhandels
darstellt, den man nicht mittragen kann.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1409604400
Frau Kollegin, Ihre
Redezeit ist abgelaufen. Im Übrigen weise ich darauf
hin, dass Sie im Rahmen einer Erklärung zur Abstim-
mung keinen Sachbeitrag leisten dürfen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS])


– Wir sind da an der Grenze. Sie haben das Wort, aber
bitte kommen Sie zum Schluss.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1409604500
Ich möchte diesen Gedan-
ken abschließen: Sie haben die Vermögensteuer, womit
eine leistungsgerechte Besteuerung in der Bundesrepu-
blik wieder erreicht werden sollte, gegen freiwillige
Spenden ausgetauscht.


(Susanne Kastner [SPD]: Schluss jetzt!)

Dies kann ich nicht mittragen.

Ich bedanke mich.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1409604600
Meine Damen und
Herren, wir kommen nun zur Abstimmung über den Ge-
setzentwurf der Fraktionen von SPD und Bündnis
90/Die Grünen zur weiteren steuerlichen Förderung von
Stiftungen in der Ausschussfassung auf Drucksa-
che 14/3010 Nr. 1. Dazu liegen vier Änderungsanträge
der Fraktion der CDU/CSU vor, über die wir zuerst ab-
stimmen.

Änderungsantrag auf Drucksache 14/3014. Die Frak-
tion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen
besetzt? – Dann eröffne ich die Abstimmung.

Monika Griefahn






(A)



(B)



(C)



(D)


Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Alle haben ihre
Stimmkarte abgegeben. Ich schließe die Abstimmung.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstim-
mung wird Ihnen später bekannt gegeben.

Wir setzen die Beratung mit Abstimmungen fort.
Wir stimmen über weitere Änderungsanträge der

CDU/CSU-Fraktion ab.
Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Druck-

sache 14/3013. Wer stimmt für diesen Änderungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Änderungsantrag ist abgelehnt.

Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Druck-
sache 14/3015. Wer stimmt für den Änderungsantrag? –
Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Auch dieser Ände-
rungsantrag ist abgelehnt.

Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Druck-
sache 14/3016. Wer stimmt für diesen Änderungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? –
Dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.

Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache
14/3014 unterbreche ich für einige Minuten die Sitzung.


(Unterbrechung von 11.07 bis 11.11 Uhr)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1409604700
Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-
führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab-
stimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU, Drucksache 14/3014, zum Gesetzentwurf
zur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen auf
den Drucksachen 14/2340 und 14/3010 Nr. 1 bekannt:
Abgegebene Stimmen 535. Mit Ja haben gestimmt 214,
mit Nein haben gestimmt 321.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 533
ja: 213
nein: 319
ungültig: 1
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Cajus Caesar
Manfred Carstens (Emstek)

Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers

Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjürgen Doss
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Dirk Fischer (Hamburg)

Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Michael Glos
Peter Götz
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Horst Günther

(Duisburg)


Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Joachim Hörster
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Siegfried Hornung
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork

Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr.-Ing. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)


Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Dr. Michael Luther
Erich Maaß

(Wilhelmshaven)


Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Dr. Michael Meister
Hans Michelbach
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Bernd Neumann (Bremen)


Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Franz Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)

Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Diethard Schütze (Berlin)


Vizepräsidentin Anke Fuchs






(A)



(B)



(C)



(D)


Wolfgang Schulhoff
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Heinz Seiffert
Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dorothea Störr-Ritter
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Cornelia Pieper Dr. Günter Rexrodt Dr. Edzard Schmidt-Jortzig

Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann (Detmold)

Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck

Monika Griefahn
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Maria Hovermann
Christel Humme
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Marianne Klappert
Fritz Rudolf Körper
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Dr. Uwe Küster
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Robert Leidinger
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Christa Lörcher
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Winfried Mante

Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Dr. Edith Niehuis
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Birgit Roth (Speyer)

Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Gudrun Schaich-Walch
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte

(Hameln)


Vizepräsidentin Anke Fuchs






(A)



(B)



(C)



(D)


Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit

Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Brigitte Wimmer

(Karlsruhe)


Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff (Zielitz)

Heidemarie Wright
Uta Zapf
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/ DIE GRÜ-
NEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig

Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Katrin Dagmar Göring-
Eckardt

Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller

(Kiel)


Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

PDS
Monika Balt

Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Sabine Jünger
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Dr. Christa Luft
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Ungültig
SPD
Hans-Günter Bruckmann
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver-
sammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der
IPU
Abgeordnete
Behrendt, Wolfgang, Bühler (Bruchsal), Klaus, Neumann (Gotha), Gerhard, Siebert, Bernd,
SPD CDU/CSU SPD CDU/CSU

___________________________________

Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Gesetzentwurf in der

Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür? – Die Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bünd-
nis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen der
F.D.P. bei Stimmenthaltung der CDU/CSU angenom-
men worden.


(Wolfgang Thierse [SPD]: Einige Stimmen der PDS dafür!)


– Richtig. Gleichwohl ist er in zweiter Beratung ange-
nommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Jetzt
dürft ihr euch wieder setzen. – Wer dagegen stimmen
möchte, den bitte ich, sich zu erheben. – Wer enthält
sich? – Die F.D.P. stimmt dagegen, die CDU/CSU ent-
hält sich und bei der PDS ist das Stimmenverhältnis hal-
be-halbe, so sage ich einmal. Damit ist der Gesetzent-
wurf angenommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Vizepräsidentin Anke Fuchs






(A)



(B)



(C)



(D)


Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/3021. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Bei Stimmenthaltung der F.D.P. und Zustimmung der
PDS ist dieser Antrag abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion der F.D.P. zur Reform des Stiftungs-
rechts auf Drucksache 14/336. Der Ausschuss für Kultur
und Medien empfiehlt auf Drucksache 14/3010 unter
Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen .

Zu diesem Gesetzentwurf liegt auf Druck-
sache 14/3043 ein Änderungsantrag der Fraktion der
F.D.P. vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ände-
rungsantrag ist abgelehnt.

Ich lasse jetzt übe den Gesetzentwurf der Fraktion der
F.D.P. auf Drucksache 14/336 abstimmen. Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? Der Gesetzentwurf ist bei Zustimmung der F.D.P.,
Enthaltung der CDU/CSU und Ablehnung im Übrigen
abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäfts-
ordnung die weitere Beratung.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur
und Medien auf Drucksache 14/3010 Nr. 3 zu dem An-
trag der CDU/CSU „Ein modernes Stiftungsrecht für das
21. Jahrhundert“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 14/2029 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit
angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksa-
che 14/3022. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Entschließungsantrag ist abgelehnt.

Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b
auf:

17. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Eduard Lintner, Dirk Fischer (Hamburg),
Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der CDU/CSU

Bahnreform 2 – Neuer Schwung für die
Bahn

– Drucksache 14/2691 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-

heit Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen

Union
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrages der Abgeordneten
Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael
Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P

Bahnreform fortsetzen, Schienenverkehr
stärken – vom Staatsbahnmonopol zum
europäischen Wettbewerb um den Eisen-
bahnkunden

– Drucksache 14/2781 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen

Union
Haushaltsausschuss

Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, hier zu blei-
ben, weil es ein interessantes Thema ist.


(Heiterkeit)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die

Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich hö-
re keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Kollege Eduard Lintner, CDU/CSU-Fraktion.


Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1409604800
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit dem Titel „Bahnre-
form 2 – Neuer Schwung für die Bahn“ schafft genau
zum richtigen Zeitpunkt die Gelegenheit, dieses brisante
Thema im Deutschen Bundestag zu erörtern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Damit kehrt die Diskussion wieder dorthin zurück,

wo dieser wichtige Teil der Verkehrspolitik eigentlich
hingehört, nämlich ins Parlament. Es ist ja zurzeit üb-
lich, dass Verkehrspolitik vorwiegend in Form von In-
terviews in Tageszeitungen und seit neuestem auch in
Form von Demonstrationen auf der Straße gemacht
wird. Das hat die ohnehin vorhandene Verwirrung über
den weiteren Weg der Bundesregierung und der Deut-
schen Bahn AG in der Verkehrspolitik noch vergrößert.
Im Grunde genommen können uns die Regierungsfrak-
tionen heute dafür dankbar sein, dass sie die Gelegenheit
erhalten, diese Widersprüchlichkeiten nunmehr zu besei-
tigen.

Zunächst müssen die Zielsetzung und der Zeitplan
der Bahnreform von 1993 angesprochen werden. Das
Ziel ist ja, die so genannte Börsenfähigkeit der Bahn
herzustellen, und zwar bis zum Jahre 2003. Daran hat
sich nichts geändert. Es war und ist zugegebenermaßen
natürlich ein sehr ehrgeiziges Vorhaben; denn aus der
früheren Behördenbahn soll ein sich selbstständig am
Markt behauptendes Unternehmen, die DB AG, geschaf-
fen werden.

Der Vorstandsvorsitzender der Bahn, Herr Mehdorn,
hat dabei in einem Interview in der „FAZ“ das Jahr
2000 als das Schlüsseljahr für die Entwicklung der Bahn bezeichnet. Zusammen mit seinen täglichen

Vizepräsidentin Anke Fuchs






(A)



(B)



(C)



(D)


Alarmmeldungen über Verluste, zu viel Personal und
sonstige diverse Missstände drängt sich aber jetzt der
Eindruck auf, dass er Ziel und Zeitplan der Bahnreform
gegenwärtig für dramatisch gefährdet sieht. Ein Schei-
tern des gesamten Reformwerkes aber würde für die
Bahn ein wahres Desaster mit völlig ungewissem Aus-
gang bedeuten.

Dann droht ja nicht nur der Rückfall in die alte Un-
rentabilität – dem Bund würde damit ein Subventions-
loch in Milliardenhöhe drohen –, sondern auch die we-
nigen positiven Ansätze, zum Beispiel der Zugewinn an
Fahrgästen im Personenverkehr, wären dann ernsthaft
gefährdet. Das könnte selbstverständlich niemand ver-
antworten. Deshalb sollte die Bundesregierung ent-
schlossen darangehen, Herr Minister, die notwendigen
Korrekturen in ihrer Verkehrspolitik zur Sicherung der
Zukunft der Bahn jetzt endlich vorzunehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Das heißt zunächst einmal, dass die Bahn vom Staat,
von der Politik Rahmenbedingungen erhalten muss, die
sie überhaupt erst in die Lage versetzen, diesen schwie-
rigen Wandel zum marktwirtschaftlich geführten Unter-
nehmen erfolgreich zu gestalten. Das verlangt in erster
Linie natürlich eine faire, eine konkurrenzfähige Aus-
gangslage für die DB, und zwar nicht nur in Europa,
sondern auch in Deutschland, im nationalen Rahmen.

Es ist zum Beispiel – Herr Mehdorn hat es mehrfach
angesprochen – bei der steuerlichen Belastung keine
Wettbewerbsgleicheit vorhanden. Als einzige Bahn in
Europa zahlt die Deutsche Bundesbahn beispielsweise
den vollen Mehrwertsteuersatz, Frau Kollegin.


(Angelika Mertens [SPD]: Seit anderthalb Jahren?)


Das führt zu einem konkreten Wettbewerbsnachteil von
700 Millionen DM pro Jahr.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie uns das hinterlassen? Warum haben Sie das nicht geändert?)


– Sie wissen ja gar nicht, was wir getan hätten, wenn wir
noch an der Regierung wären. Beruhigen Sie sich wie-
der.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ein paar Hausaufgaben müssen wir Ihnen auch noch
hinterlassen, denn sonst wäre es völlig überflüssig, dass
es Sie gibt.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist so lächerlich wie nur was!)


Es kommt die Mineralölsteuerbelastung hinzu, die ei-
nen Nachteil von etwa 400 Millionen DM bedeutet. Wir
haben aber auch ein originäres Kind Ihrer Zeit, nämlich
die Belastung des Schienenpersonennahverkehrs mit
dem halben Ökosteuersatz, was auch keine besondere
Begünstigung dieses wichtigen Verkehrsweges darstellt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zusätzlich – auch das ist eine Erfindung von Ihnen –

soll die Bahn plötzlich für die Dienste des BGS, wofür
er gesetzlich zuständig ist, blechen, nämlich 250 Mil-
lionen DM im Jahr. Allein dieser Betrag bringt die Bahn
heuer schon in rote Zahlen. Meine Damen und Herren,
Sie können sich also nicht mit dem billigen Hinweis auf
die Vergangenheit aus den Widersprüchlichkeiten Ihrer
Verkehrspolitik befreien.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es gibt auch noch Weiteres: Die Bundesregierung hat

es beispielsweise nicht geschafft, den von der EU vor-
gegebenen ungehinderten Zugang zur Nutzung des
Netzes durch Dritte gegenüber den anderen EU-
Partnern, vor allem Frankreich, durchzusetzen. In
Deutschland ist dieser freie Zugang zur Nutzung des
Netzes bereits Wirklichkeit. Die Bundesregierung hat
sich offenbar sogar damit einverstanden erklärt, dass
Netzbenutzern nur wie in den anderen EU-Ländern, in
denen es staatliche Bahngesellschaften gibt – offenbar
gewollt –, die so genannten Grenzkosten in Rechnung
gestellt werden dürfen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist gut!)


Aber dann entsteht sofort, Herr Schmidt, für die Bahn
die lebenswichtige Frage, wer die Differenz zwischen
diesen Grenzkosten und den tatsächlich anfallenden
Kosten zahlen soll. Diese Frage hat die Bundesregierung
bis heute nicht beantwortet. Es geht dabei nicht um Pea-
nuts, sondern es geht um Beträge in einer Größenord-
nung von bis zu 6 Milliarden DM im Jahr. Das heißt,
wenn sich die Bundesregierung in der Konsequenz ver-
weigert, steht im Grunde genommen die Existenzfähig-
keit der Bahn auf dem Spiel.

Dass die Bahn ihrerseits das eine oder andere tut, das
potenzielle Kunden eher verprellt als anzieht, kommt
noch hinzu. Ein schlimmes Beispiel dafür, finde ich, ist
der Güterverkehr auf der Schiene. Die Bahn verliert
ständig an Boden. Auch die Prognosen für die nächste
Zeit lassen keine Wende erwarten. Der Straßengüterver-
kehr, meine Damen und Herren, wird in diesem Jahr um
etwa 10 Prozent wachsen, der Güterverkehr auf der
Schiene nur um 4 Prozent, wenn überhaupt.

Fragt man bei den Betroffenen nach, warum es zum
Beispiel im kombinierten Ladungsverkehr nicht vor-
wärts geht, dann hört man immer wieder: Die Bahn ist
zu langsam, sie ist zu teuer und sie ist zu schadensanfäl-
lig. Verspätungen von vielen Stunden seien üblich und
die Trassenpreise seien willkürlich gestaltet. So kostet
beispielsweise der Bahnkilometer für die Konzern-
schwester DB-Cargo nur 4,80 DM, aber für Drittnutzer
zwischen 10 und 12 DM. Das ist kein fairer, kein ein-
wandfreier Marktzugang.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dabei wäre es gerade beim Güterverkehr wün-

schenswert, wenn der Schiene künftig ein größerer
Anteil zukommen würde, weil damit nämlich etwas

Eduard Lintner






(A)



(B)



(C)



(D)


Wirksames gegen den drohenden Verkehrskollaps auf
unseren Straßen getan werden könnte.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Allerdings, meine Damen und Herren, habe ich den

Eindruck, dass die Regierungsfraktionen in diesem Zu-
sammenhang dazu neigen, vor allem die Grünen, die
Möglichkeiten der Verlagerung des Verkehrs von der
Straße auf die Schiene aus ideologischen Gründen unre-
alistisch groß einzuschätzen. Denn von dem Glauben,
dass es gelingen könnte, vom heute in Deutschland ins-
gesamt stattfindenden Güterverkehr der Schiene einen
wesentlich größeren Anteil zu sichern als bisher, sollte
man sich verabschieden. Es wäre schon ein Erfolg, wenn
es gelingen würde, der Eisenbahn von dem beim Güter-
verkehr prognostizierten Zuwachs einen wachsenden
Anteil zu sichern. Dazu müssen aber wiederum noch
viele Engpässe beseitigt werden, erst noch neue, schnel-
le Verbindungen geschaffen werden.

Wenn jetzt die Bundesregierung darangeht, mit der
scheinheiligen Begründung, sparen sei notwendig, die
für eine Verbesserung des Schienenverkehrs erforderli-
chen Investitionsmittel um sage und schreibe 3,5 Mil-
liarden DM zu kürzen, und wichtige Teilprojekte über-
haupt fallen lässt, dann sind die Perspektiven für die
Bahn aus dieser Sicht alles andere als rosig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Und es muss auch noch den letzten Rest an Vertrauen in
die Verlässlichkeit der Verkehrsplanung der Bundesre-
gierung kosten, wenn sie nach Jahren mit aufwendigster
und teuerster Planung vorbereitete Investitionen plötz-
lich einfach fallen lässt. So geschehen mit der Transra-
pidstrecke von Hamburg nach Berlin,


(Widerspruch bei der SPD – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Schutz der Bahn haben wir das gemacht!)


mit der Neubaustrecke von Nürnberg nach Erfurt, wobei
letztere sogar eine transeuropäische Magistrale ist, also
eigentlich der nationalen Entscheidungskompetenz
längst entzogen sein müsste. Man stelle sich vor, bereits
Hunderte von Millionen DM sind für diese Planungen
und für die Vorbereitung dieser Projekte aufgewendet
worden. Alles für die Katz, sagt die Bundesregierung
jetzt, wenn sie diese Projekte nicht mehr weiterverfolgen
will.

Andererseits will sie aber die DB beispielsweise die
milliardenschweren Kostensteigerungen bei der Neu-
baustrecke Köln–Frankfurt und beim Bahnknoten Ber-
lin-Mitte allein tragen lassen, wenn ich die Äußerungen
richtig verstanden habe. Auch das ist ein Risiko, das die
Zahlungsunfähigkeit der Bahn provozieren kann.

Meine Damen und Herren, der Bundesverkehrsminis-
ter kann sich nicht einfach aus der Verantwortung steh-
len. Er wusste um die Risiken der Kostenschätzungen
und der Bund ist Eigentümer der Bahn; er ist also nicht
irgendjemand, er ist deshalb auch den Mitarbeitern der
Bahn gegenüber kein unbeteiligter Zuschauer, sondern

ist ihnen gegenüber zu vernünftiger Fürsorge verpflich-
tet.

Ich habe viel Verständnis für die Personalvertretun-
gen der Eisenbahner, die sich jetzt öffentlich gegen die
Gefahr betriebsbedingter Kündigungen zur Wehr setzen.
Das ist übrigens eine Form von Kündigung, die zu unse-
rer Zeit eigentlich nie in Erwägung gezogen werden
musste.

Das wirksamste Mittel gegen den Abbau von Ar-
beitsplätzen sind Investitionen in die Bahn, zum Beispiel
ins Netz, aber auch ins rollende Material; im Güterver-
kehr – das will ich nur kurz andeuten – mutet der techni-
sche Standard ja teilweise vorsintflutlich an.

Wenn aber die Bundesregierung heute mit dem Ar-
gument, die künftigen Generationen nicht belasten zu
wollen, bei den Investitionen auf dem Verkehrssektor
spart, so belastet sie in Wirklichkeit die nachfolgenden
Generationen. Sie halst ihnen nämlich auch Altlasten
aus den unterbliebenen Investitionen der Vergangenheit
auf. Hier wird also das Sparen von heute zur Hypothek
von morgen. Ob die Bahn diese Hypothek tragen kann,
daran habe ich meine großen Zweifel.

Es gibt vieles zu tun, meine Damen und Herren, wenn
man die Situation der Bahn verbessern will. Herr
Mehdorn liegt beispielsweise richtig, wenn er darangeht,
den bestehenden Tarifwirrwarr abzuschaffen. Es muss
sicher auch darüber geredet werden, ob weiterhin leere
Züge durch die Gegend fahren sollen oder ob dafür nicht
kostengünstigere und auch umweltschonendere Ver-
kehrsmittel zur Verfügung stehen. Aber das war ja bei
den Grünen bisher ein Tabuthema. Jetzt kündigt sich of-
fenbar ein radikaler Wandel an; denn kein anderer als
der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Herr
Schmidt, hat sich zu dieser Problemlage in einem Inter-
view mit der „Süddeutschen Zeitung“ am 13. März wie
folgt geäußert:

Es nutzt doch nichts,
– so hat er gesagt –

wenn ich Züge anbiete, mit denen niemand fährt.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist das!)

Und weiter:

Nur ein gut besetzter Zug ist ökologisch wertvoll
und nicht der Zug, der fährt, weil er fährt.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist nichts Neues, Herr Lintner!)


Herr Schmidt, ich gratuliere zu diesem Gesinnungs-
wandel, nur die Crux liegt darin, dass viele Ihrer Frakti-
onskollegen draußen vor Ort eben ganz anders reden, als
Sie sich als Mitglied des Aufsichtsrates der Bahn mitt-
lerweile zu äußern pflegen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: In welcher Funktion hat er denn das Interview gegeben? – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein politisches Streitgespräch!)


Eduard Lintner






(A)



(B)



(C)



(D)


Es ist sicher richtig, das rollende Material zügig zu
modernisieren und dabei neue Techniken, zum Beispiel
die Neigetechnik, zu nutzen. Auch die Entrümpelung
des Regelwerks der Eisenbahn- Bau- und Betriebsord-
nung könnte hilfreich sein.


(Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Hier hat die Bundesregierung Einsicht signalisiert. Sie
will uns bis zum Herbst dazu Vorschläge machen.

Im Mittelpunkt der Anstrengungen der Eisenbahn
müssen aber die Kunden stehen. Ihre Zufriedenheit, ihre
Sicherheit bei der Nutzung der Bahn sind unverzichtbare
Voraussetzungen für den Erfolg des Unternehmens und
seiner Mitarbeiter. Beklagenswert ist in dem Zusam-
menhang beispielsweise der Zustand vieler Bahnhöfe,
vor allem auf dem flachen Land. Das können auch die
neuen Tempel an Modernität in einigen Großstädten
nicht verdecken.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Und das ist erst seit anderthalb Jahren spürbar? – Angelika Mertens [SPD]: Das ist doch die Höhe!)


– Dass Sie sich jetzt schon über Selbstverständlichkeiten
aufregen, wundert mich doch etwas.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wenn Sie es einmal mit Selbstkritik versuchen würden, Herr Lintner!)


Sie können doch nicht im Ernst widersprechen, wenn ich
sage, dass sich Bahnhöfe möglichst gut präsentieren
müssen, denn sie sollen ja eigentlich eine Einladung da-
zu sein, Bahn zu fahren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Des Weiteren stehen bei vielen Nebenstrecken Sanie-

rungsinvestitionen von erheblicher Höhe an. Hier wer-
den jetzt Versäumnisse der Bahn aufgedeckt, die nicht
einfach den Ländern und den Gemeinden aufgedrückt
werden können. So wird das nicht laufen. Der bayeri-
sche Wirtschaftsminister Otto Wiesheu hat dazu schon
deutlich seine Meinung gesagt. Wenn es daher dem-
nächst auf solchen Nebenstrecken zu technisch beding-
ten Stilllegungen kommt, dann sind die Bundesregierung
und die Bahn und nicht die Länder und Kommunen oder
sonst wer dafür verantwortlich. Die Führung der Bahn
sollte sich nicht täuschen: Der Kunde, der sich erst ins
Auto setzen muss, um zur Hauptstrecke zu gelangen,
verzichtet womöglich ganz auf die Bahn.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Im Übrigen möchte ich anmahnen, dass die Führung
der Bahn in diesem Zusammenhang dafür sorgen muss,
dass nicht mit verschiedenen Zungen gesprochen wird.
In meinem Wahlkreis ist es nämlich passiert, dass vor
kurzem der Stadt Bad Kissingen die großzügigsten Zu-
sagen hinsichtlich des künftigen Verkehrs auf den dorti-
gen Schienenverbindungen gegeben worden sind. Neue
Interregio-Verbindungen sind zugesagt worden, Kurs-

wagen sollen wieder nach Bad Kissingen fahren, ein
Taktverkehr mit neuen Zuggarnituren wurde offenbar
versprochen, während zur gleichen Zeit der Vorstands-
vorsitzende Mehdorn rigorose Einsparungen gerade
beim Interregio-Netz und auf Nebenstrecken ankündigt.
Deshalb ist der Vorstand der Bahn aufzufordern, dass er
sich klar zu seinen Absichten hinsichtlich der einzelnen
Strecken äußert. Dabei muss er allerdings die nach wie
vor bestehende Verantwortung gegenüber der betroffe-
nen Bevölkerung beachten.

Auch der Bundesverkehrsminister muss sich davor
hüten, die öffentliche Ankündigung seines Wunschvor-
standsvorsitzenden populistisch für im „Einzelfall nicht
maßgeblich“ zu erklären. Es könnte nämlich sein, Herr
Minister, dass Sie dann – wie gelegentlich schon ge-
schehen – zurückrudern müssen, weil Sie der Bahn für
die Konsequenzen Ihrer Haltung gegenüber der Bahn
keine Hilfe anbieten können. Es kann natürlich nicht
sein, dass Sie die Bahn daran hindern, das Notwendige
zu tun, aber den Ausfall, der damit verbunden ist, nicht
ersetzen.

Mein Fazit: Auf die Verkehrspolitik kommen arbeits-
reiche Zeiten zu. Es wird viel Mühe bereiten, Klarheit in
die Verkehrspolitik der Regierung zu bringen


(Angelika Mertens [SPD]: Na, na, na!)

und der Bahn eine gesicherte Zukunft zu geben. Wir
werden uns – das darf ich heute für die CDU/CSU an-
kündigen – regelmäßig und intensiv mit den damit zu-
sammenhängenden Fragen und Problemen beschäftigen.
Die heutige Debatte ist nach unserem Verständnis nur
ein erster und – das hoffen wir sehr – in einzelnen Punk-
ten nicht vergeblicher Schritt dazu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1409604900
Das Wort hat jetzt
der Kollege Klaus Hasenfratz, SPD-Fraktion.


Klaus Hasenfratz (SPD):
Rede ID: ID1409605000
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Ich hatte gehofft, dass wir die heutige
Debatte dazu nutzen könnten, die Konfliktverschärfung
zwischen GdED und Bahn etwas zu mildern. Aber, Herr
Lintner, mit den von Ihnen hier vorgetragenen Vorwür-
fen gegen die Bundesregierung hinsichtlich Versäumnis-
sen und anderen Dingen, die die Bundesregierung zu
verantworten habe, haben Sie natürlich die Chance ver-
passt, die Schärfe etwas herauszunehmen.

Sie werden auch nicht glaubwürdiger, wenn Sie unter
Krokodilstränen beklagen, dass zu wenig Mittel zur Ver-
fügung stehen. Wir haben, wenn ich es richtig in Erinne-
rung habe, in den letzten Wochen im Ausschuss sechs
oder acht Stunden lang über das Investitionsprogramm
und das Anti-Stau-Programm debattiert.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Investitionskürzungsprogramm!)


Eduard Lintner






(A)



(B)



(C)



(D)


Sie scheinen aus den Augen verloren zu haben, dass in
diesen beiden Programmen auch Schienenprojekte ent-
halten sind.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Aber gekürzt! Zusammengestrichen!)


Ich habe in diesen Debatten – man kann das in dem
Protokoll nachlesen – von Ihnen kaum das Wort „Bahn“
gehört. Frau Blank hat beklagt, dass die Bundes-
regierung im Straßenbau 4,7 Milliarden DM gestrichen
hat.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: 5 Milliarden DM!)


– Sie werden auch noch erwähnt, Herr Fischer.

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das wird auch erwartet!)

Eine Woche später hat Herr Fischer dieses in wunder-

samer Weise auf 5 Milliarden DM beziffert. Der Kollege
Friedrich hat gefordert, die Vignetten-Einnahmen in
Höhe von 870 Millionen DM sofort für den Fernstra-
ßenbau einzusetzen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: 780 Millionen DM!)


Gleichzeitig beklagen Sie, dass die Bundesregierung zu
wenig Mittel für die Schienenwege bereitstellt. Wie Sie
das alles finanzieren wollen, ist mir rätselhaft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Anscheinend, Kolleginnen und Kollegen, verfügen Sie
über größere Innovationen bei der Geldbeschaffung.


(Angelika Mertens [SPD]: Das ist richtig! Das haben sie ja bewiesen! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kohl geht sammeln!)


Wir wollen diesen Weg nicht beschreiten.
Wenn Sie heute beklagen, die jetzige Bundesregie-

rung habe die Probleme bei der Deutschen Bahn verur-
sacht, dann scheinen Sie an Gedächtnisschwund zu lei-
den. Ich will einmal den Kollegen Fischer aus der gro-
ßen Debatte zur Bahnreform 1993 zitieren:

Dynamik, Tatkraft, Sachverstand aus Wirtschaft
und Industrie sowie unternehmerisches Geschick
müssen sicherstellen, dass der zweite Schritt der
Bahnreform, nämlich die innere Reform, jetzt in ei-
nem mehrjährigen Prozess zu einem erfolgreichen
Unternehmensprodukt auf dem europäischen Ver-
kehrsmarkt führt.

Das ist gut. Deshalb weiß ich auch nicht, warum
Herr Lintner in der Einführungsrede kritisiert hat,
dass wir diesen Prozess jetzt gemeinsam bestreiten wol-
len.

Der Kollege Fischer hat von der „inneren Reform“
gesprochen. Diese aber ist von der Bahn zu leisten und
nicht von einer Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Sie verschlechtern die Rahmenbedingungen, Herr Kollege!)


In der gleichen Debatte hat Herr Wissmann erklärt,
dass im Bundesverkehrswegeplan erstmals mehr Inves-
titionen in die Schienenwege vorgesehen seien als in
jeden anderen Verkehrsweg. Der Ansatz, den Sie in Ih-
rem Antrag auf 10 Milliarden DM beziffern, war der
richtige Weg.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Was?)

– So steht es in Ihrem Antrag: Investitionsmittel in Höhe
von 10 Milliarden DM sind notwendig.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Und Sie streichen über 3 Milliarden DM heraus!)


– Vielleicht haben Sie Alzheimer, Herr Fischer, aber ich
trage es Ihnen nach.

Im ersten Jahr der Bahnreform, 1994, haben Sie
7,7 Milliarden DM eingestellt.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Sie müssen die Darlehen dazurechnen!)


1995 waren es 9,2 Milliarden DM. A la bonne heure, Sie
haben aufgestockt.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Nicht verschleiern!)


Dann aber geht es los: 1996 waren es 7,2 Milliarden
DM, 1997 nur 6,7 Milliarden DM.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Es ist falsch, was Sie sagen! Sie müssen die Darlehen noch dazurechnen!)


1998 haben Sie es geschafft, den selbst gewählten An-
satz von 10 Milliarden DM auf 5,7 Milliarden DM zu-
rückzuführen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1409605100
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer?


Klaus Hasenfratz (SPD):
Rede ID: ID1409605200
Nein.

(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Weil Sie den Rosstäuschertrick machen, deshalb!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1409605300
„Rosstäuschertrick“
ist zwar für Hamburg noch akzeptabel, aber nicht für
den Deutschen Bundestag.


(Beifall bei der SPD)



Klaus Hasenfratz (SPD):
Rede ID: ID1409605400
Von Herrn Fischer bin ich
nichts anderes gewohnt.

Klaus Hasenfratz






(A)



(B)



(C)



(D)



(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Er weiß schon, warum er das nicht will: Damit der Rosstäuschertrick nicht enttarnt wird!)


Wie Sie es geschafft haben, dass die Bahn wirtschaft-
lich nicht prosperiert, haben Sie bei der Strecke Ham-
burg–Berlin deutlich gemacht. Da haben Sie sich an dem
Prestigeobjekt Transrapid festgebissen. Sie haben diese
Strecke strategisch-planerisch so heruntergefahren, dass
die Bahn dort wirklich keine Erträge erwirtschaften kon-
nte. Das wissen wir.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Sie wissen, dass das falsch ist!)


Das können Sie der damaligen Opposition nicht in die
Schuhe schieben. Dafür waren Sie verantwortlich.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


In allen Debatten haben Sie gesagt – ich zitiere bei-
spielhaft wieder Herrn Wissmann – :

Wir alle wissen…, dass eine Verlagerung auf die
Schiene im Nahverkehr, Güterverkehr und im Per-
sonenfernverkehr dringend geboten ist.

Was haben Sie gemacht? – Fehlanzeige! Und wenn wir
in den Ausschusssitzungen über Verkehrspolitik und
Infrastrukturpolitik diskutieren, fordern Sie immer nur
eines: mehr Geld für die Straße. Das ist der Widerspruch
in Ihrer Politik. Sie müssen doch langsam merken, dass
Ihre Glaubwürdigkeit immer weiter unter die Räder
kommt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Walter Hirche [F.D.P.]: Wir brauchen auch mehr Geld für die Straße!)


Diese Koalition setzt auf eine zukunftsweisende und
nachvollziehbare Verkehrspolitik. Verkehrsminister
Klimmt hat es in beispielloser Weise mit sachpolitischer
Arbeit geschafft, dass die Verkehrsinfrastruktur im
Rahmen eines Anti-Stau-Programms erstmals streng
engpassorientiert ausgebaut wird. Hierfür steht ein zu-
sätzliches Volumen in Höhe von 7,4 Milliarden DM in-
klusive 2,8 Milliarden DM für die Schiene zur Verfü-
gung. Das verdient angesichts der maroden Kassen, die
Sie von der CDU/CSU und F.D.P. uns hinterlassen ha-
ben, noch mehr Anerkennung.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Kolleginnen und Kollegen, dass die Bahn vor sehr
wichtigen Entscheidungen steht, brauche ich hier nicht
zu wiederholen. Ich hoffe aber darauf, bin mir sogar si-
cher, dass die Tarifpartner in Verantwortung für das ge-
samte Unternehmen und die Beschäftigten heute Nach-
mittag einen Kompromiss zustande bringen. Ich wün-
sche mir, dass dieser Kompromiss Arbeit sichern wird
und nicht gegen Arbeitsplätze gerichtet sein wird.

Am Ende möchte ich noch einmal an alle appellieren:
Die Ziele dieser Bahnreform, die von uns gemeinsam in

breitem Konsens festgelegt wurden, dürfen nicht durch
fadenscheinige Polemik oder überzogene Anträge ge-
fährdet werden. Bei einem Scheitern dieser Bahnreform
wird es keine Gewinner geben. Das sollten wir uns alle
merken.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1409605500
Ich möchte dem
Kollegen Fischer sagen, dass ich den Begriff „Rosstäu-
schertrick“ nicht für parlamentarisch halte.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Der wird auch durch Wiederholungen nicht besser!)


Wir müssen bei gegenseitigen Beschuldigungen ein we-
nig aufpassen, zumal er es wiederholt hat. Nun ist das
aber erledigt.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Da hat es hier Schlimmeres gegeben!)


Jetzt hat das Wort der Kollege Horst Friedrich,
F.D.P.-Fraktion.


Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1409605600
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Die Debatten zur Bahnreform, auch die heutige, wie sie
bis jetzt geführt wurde, zeigen, dass das eigentliche
Problem hier im Hause noch nicht abschließend disku-
tiert worden ist. Es geht um die Fragen: Was für eine
Bahn wollen wir tatsächlich? Was haben wir mit den
bisherigen Schritten der Bahnreform erreicht? Wohin
soll die Bahnreform tatsächlich führen? Bisher höre ich
nur davon, dass Auswirkungen auskuriert werden sollen.
Das ist aber nicht die Lösung des eigentlichen Problems.

Ich habe den Eindruck, dass trotz der Bahnreform ei-
nige immer noch glauben, es hätte sich bei der Bahn nur
das Türschild geändert, indem aus der Deutschen Bun-
desbahn die Deutsche Bahn AG wurde, aber ansonsten
eben nichts. Das gilt für das Hineinreden in unternehme-
rische Entscheidungen der Bahn genauso wie umgekehrt
für das Agieren der Bahn. Sie redet von Marktwirt-
schaft nur dort, wo es ihr nützt, aber da, wo es ihr scha-
det, will sie nichts davon wissen. Sie macht zum Bei-
spiel alles, um Wettbewerb zu verhindern.


(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das ist die entscheidende Frage und das eigentlich unge-
löste Problem.

Es nützt dann auch nicht, darauf hinzuweisen, wie der
Kollege Lintner, dass die Bahn steuerlich benachteiligt
werde. Dieses Problem hätten wir, wenn wir es politisch
gewollt hätten, auch lösen können. Genauso scheinheilig
ist es, wenn uns das Rot-Grün zum Vorwurf macht.
Wenn Sie schon wissen, dass das so ist, dann kann man
die Bahn doch nicht noch zusätzlich mit Ökosteuer und
den Kosten für den Bundesgrenzschutz belasten.

Klaus Hasenfratz






(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Man sollte sich schon überlegen, mit welchem Maßstab
man sich gegenseitig misst und wohin das alles laufen
soll.

Das wird auch nicht dadurch besser, dass der Ver-
kehrsminister immer ein entschiedenes „Sowohl – als
auch“ in Bezug auf die Bahn vertritt, und zwar öffent-
lich. Er sagt, Mehdorn habe den Auftrag – immerhin der
dritte Vorstandsvorsitzende seit In-Kraft-Treten der
Bahnreform –, die Bahn börsenfähig zu machen. Das
würde ja bedeuten, dass der Zusatz „AG“ tatsächlich im
wahrsten Sinne des Wortes verstanden wird und der
Bund als Alleineigentümer der Aktiengesellschaft, wann
auch immer, einmal ausscheidet. Herr Klimmt kann sich
auch vorstellen, dass das Konsequenzen für das Personal
hat, sagt aber gleichzeitig: Betriebsbedingte Kündigun-
gen darf es nicht geben.

Er verschweigt dabei, dass er die Frage offen lässt,
was denn mit der Differenz gegenüber den Mehdorn’-
schen Planungen von schätzungsweise 1 Milliarde DM –
wohlgemerkt: jährlich – passieren soll. Will er die Herrn
Mehdorn dann zusätzlich zur Verfügung stellen? Oder
soll sich das dort von ihm schon prognostizierte Defizit
weiter aufbauen? Herr Mehdorn sagt sehr berechtigt und
aus meiner Sicht nachvollziehbar: Wenn sich bei der
Bahn nichts ändert, haben wir bis 2003 im Betriebser-
gebnis eine neue Verschuldensdimension von 13 Mil-
liarden DM, wohlgemerkt: neue Schulden in Höhe von
20 Milliarden DM nach der Bahnreform. Das würde das
Ende des Eigenkapitalanteils in der AG und konsequen-
terweise den Gang zum Konkursrichter bedeuten.

Da bleibt Herr Klimmt die Antwort allerdings schul-
dig. Er hofft mittlerweile auf die Vernunft der Tarifpart-
ner. Auf die hoffe auch ich. Wenn man aber das Wohl
des Unternehmens als Ganzes im Auge haben will, muss
man wenigstens einmal nachdenken und Ursachenfor-
schung betreiben dürfen, was tatsächlich Grundlage der
Situation ist.


(Beifall bei der F.D.P.)

Nun komme ich zu dem für uns eigentlich entschei-

denden Faktor, nämlich: Was macht die Bahn tatsäch-
lich mit dem Wettbewerb auf der Schiene? – Das von
uns als Liberale schon bei der ersten Bahnreform vorge-
schlagene Herauslösen der Netz AG aus dem Verbund
der Bahn ist auch unter Mithilfe der Sozialdemokraten
über den Bundesrat verhindert worden. Offiziell haben
wir den diskriminierungsfreien Zugang Dritter zum
Schienenweg. Es wird auch immer das Märchen erzählt,
es gebe schließlich schon 130 Wettbewerbsunterneh-
men. Dass die tatsächlich sage und schreibe nur
3 Prozent des kompletten Schienenverkehrs bewältigen,
wird stets klammheimlich vergessen. Nur: Ob ich mit
100 Prozent oder mit 97 Prozent Monopolist bin, ist re-
lativ unbedeutend.

Wenn die Bahn tatsächlich in den Wettbewerb muss –
das wird sie demnächst über eine EU-Richtlinie müs-
sen –, macht es Sinn, die Netz AG aus dem Verbund der
Bahn AG herauszulösen. Das ist Inhalt unseres Antrags.
Wir sind der Meinung: Nur so ist für die Bahn der Weg

in die Zukunft geebnet. Alles andere ist der Schritt zu-
rück zur Staatsbahn. Und das bedeutet das Ende der Fi-
nanzierungsmöglichkeiten der Bahn durch uns. Das
muss man sich überlegen.

Ich wäre dankbar, wenn sich der Verkehrsausschuss
bei den anschließenden Beratungen auf eine gemeinsa-
me Anhörung zu dieser Thematik einigen könnte.


(Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich hoffe auf Unterstützung von allen Seiten und bedan-
ke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1409605700
Das Wort hat jetzt
der Kollege Albert Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gestatten Sie mir, bevor ich zum Thema spre-
che, eine kleine persönliche Anmerkung. Ich habe heute
Vormittag mit Bestürzung und mit tiefer Betroffenheit
erfahren, dass unser Kollege Gert Willner, der jahrelang
mit uns im Ausschuss zusammengearbeitet hat, leider an
den Folgen seiner schweren Erkrankung verstorben ist.
Für meine Fraktion, aber auch für mich ganz persönlich
möchte ich sagen: Wir verlieren mit ihm nicht nur einen
sehr kompetenten, sehr fairen, auch im Umgangston sehr
feinen Kollegen, sondern auch einen sehr liebenswürdi-
gen Menschen. Das möchte ich in dieser Runde gesagt
haben. Ich möchte allen Angehörigen unsere große An-
teilnahme aussprechen.


(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Deutsche Bahn

AG befindet sich im Moment in einer kritischen Situati-
on. Die Kosten auf den Großbaustellen explodieren. Jah-
relang – das ist die Folge schlechter Verträge von frü-
her – wurden Investitionen in das Nahverkehrsnetz
versäumt und verschleppt. Die Folgen sind zu besichti-
gen.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Der Bund hat gut gearbeitet, die Bahn hat schlecht gearbeitet! – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Die Verträge hat die Bahn unterschrieben!)


Bezüglich der Produktivität des Unternehmens hat
es zwar erhebliche Fortschritte gegeben, auch und gera-
de mit Beteiligung und unter großen Anstrengungen der
Belegschaft und des Betriebsrates. Sie hat aber immer
noch nicht das überlebensnotwendige Niveau erreicht.
Schließlich werden die Zuwendungen der Bundesregie-
rung für die Altlastenbewältigung der Reichsbahn, die
von vornherein degressiv angelegt waren, im Laufe der
nächsten Jahre über kurz oder lang gegen Null zurück-
gefahren werden.

Dies alles rechtfertigt durchaus, die Zukunft der Bahn
offensiv zum Thema zu machen, sei es von der Unter-
nehmensführung, sei es von der Politik. Nur: Die ganze

Horst Friedrich (Bayreuth)







(A)



(B)



(C)



(D)


Debatte um die Bahn konzentriert sich mir zu stark auf
die Kostensenkungen; von Umsatzsteigerungen – auf
Deutsch gesagt: wie wir mehr Geschäft ins Unterneh-
men bringen können – ist dagegen kaum die Rede.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der CDU/CSU – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das gefällt mir gut!)


Ich möchte noch etwas zum Stichwort Börsengang
sagen: Der Börsengang des Unternehmens ist kein
Selbstzweck. Das Ziel der Bahnreform war in erster Li-
nie, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Das soll
so bleiben. Nur, dazu brauchen wir ein gesundes, ein sa-
niertes und kapitalmarktfähiges Unternehmen. Aber das
ist die Reihenfolge der Zielsetzung: Den verkehrspoliti-
schen Zielen haben sich die wirtschaftspolitischen
Schritte unterzuordnen.

Immer dann, wenn von Visionen oder Zukunftskon-
zepten die Rede ist, hat das für meinen Geschmack zu
sehr den Charakter einer metropolenfixierten Konzepti-
on. Dabei wird übersehen, dass 90 Prozent des Fahr-
gastaufkommens auf den Nahverkehr entfallen. Das ist
das wirtschaftliche und verkehrliche Standbein des Un-
ternehmens. Dort wird 60 Prozent des Umsatzes ge-
macht. Das ist auch der Bereich, in dem täglich Millio-
nen von Menschen unterwegs sind. Deswegen müssen
wir die Aufmerksamkeit viel stärker auf diesen Bereich
richten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Aber der Bund gibt doch 13 Milliarden im Jahr dafür!)


Ich möchte noch eines für meine Fraktion sagen –
denn dieses Thema ist in den letzten Wochen im Zu-
sammenhang mit den Regionalisierungsplänen für Ne-
bennetze durch die Landschaft gegeistert –: Der Nah-
verkehr kann und darf nicht zum Steinbruch undifferen-
zierter Einsparungen gemacht werden. Der Nahverkehr
ist nicht nur ein Standbein, er ist in vielen Bereichen,
vor allem auch in den ländlichen Regionen, das Rück-
grat für die Mobilität. Eine Schrumpfbahn – eine Bahn
mit einem weit gehenden Rückzug aus der Fläche –
kommt für Bündnis 90/Die Grünen nicht infrage.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind allerdings der Meinung, dass mit innovati-
ven Konzepten durchaus auch in der Fläche ein attrakti-
ves und wirtschaftliches Zugangebot gesichert und aus-
gebaut werden kann. Dazu möchte ich Ihnen gerne eini-
ge Anregungen geben: Der Ansatz, der sich unter der
Überschrift „Regent“ verbirgt, nämlich die Regionali-
sierung von Teilnetzen, von Nebenstrecken – sozusagen
mittelständische Produktionsstrukturen im Unternehmen
zu schaffen –, weist nach unserer Einschätzung durchaus
in die richtige Richtung. Denn selbstverständlich kann
das Nahverkehrsangebot – bis hin zur Bewirtschaftung
von Strecken – dezentral, mittelständisch und bürgernah
viel exakter, viel effizienter und viel kostengünstiger
gestaltet werden. Der Regionalisierungsgedanke, der ja

bei der Bestellung von Zügen umgesetzt worden ist –
dies wird ja bekanntlich nicht von Berlin oder Frankfurt
aus getan, sondern das haben die Länder oder die
Zweckverbände zu verantworten –, kann selbstverständ-
lich weiter gedacht und auf die Nebenbahnen und Ne-
benstrecken in den peripheren Netzen ausgedehnt wer-
den. Hier gibt es sehr wohl Effizienzpotenziale und Sy-
nergieeffekte. Das ist nicht Theorie oder Ideologie, son-
dern gründet sich auf Erfahrung.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das darf nur nicht zur Kostenverlagerung auf die Kommune führen!)


– Das ist der Knackpunkt, Herr Kollege; keine Sorge,
darauf komme ich gleich.

Diese Erfahrung haben wir überall dort gemacht, wo
das einmal ausprobiert worden ist, zum Beispiel bei der
Usedomer Bäderbahn, einer hundertprozentigen DB-
Tochter, die vor Ort wie ein mittelständisches Unter-
nehmen agiert und dabei sehr erfolgreich ist.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Ja, jetzt!)

Das gilt aber auch für zahlreiche kommunale Bahnen,
die Dürener Kreisbahn, die Albtalbahn, aber auch für
Privatbahnen wie die Württembergische Eisenbahn-
gesellschaft, die Schönbuchbahn usw.

Es gibt also durchaus zukunftsweisende Ideen. Nur,
die Kernfrage ist – da sind wir beim entscheidenden
Punkt, Herr Kollege Oswald –: Wie schaut es mit der
Finanzierung der Strecken aus, die sanierungsbedürftig
sind? Oder andersherum ausgedrückt: Es kann doch
niemand im Ernst glauben, dass man den Kommunen
oder den Ländern den Schrott vor die Füße kippen kann
und die dann dafür zahlen. Das wird nicht gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich sage Ihnen: Die Sicherung der Finanzierung eines
solchen Konzeptes ist die zentrale Bedingung für den
Erfolg. Das kann nur so gehen, dass wir gemeinsam da-
für sorgen, liebe Kolleginnen und Kollegen – auch in
den Bundesländern muss man genau mitdenken –, dass
die 20 Prozent, die das Bundesschienenwegeausbauge-
setz als den Anteil festschreibt, der in Nahverkehrs-
projekte fließen soll, auch tatsächlich in diesem Bereich
ankommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist bisher nicht annähernd der Fall gewesen, weil
dieses Geld bisher nur als zinsloses Darlehen gewährt
wurde, mit dem Ergebnis, dass die Bahn das Darlehen
nicht in Anspruch genommen hat, weil sie sagt: Auf ei-
ner Strecke, in deren Verlauf eine Brücke Kosten mit ei-
nem Kostenaufwand von vielleicht 12 Millionen DM
saniert werden muss, fahren wir angesichts der paar Zü-
ge täglich das Geld doch nie mehr ein.

Deshalb schlage ich vor, dass diese Investitionen
künftig wie bei den Bedarfsplanprojekten und wie auch
bei den Fernprojekten in Form von Baukostenzu-
schüssen gewährt werden. Dann gibt es eine völlig

Albert Schmidt (Hitzhofen)







(A)



(B)



(C)



(D)


andere Finanzierungslage: Die Strecken werden nicht
mehr totgerechnet, sondern wirklich angepackt. Darin
muss doch unser gemeinsames Interesse bestehen. –
Jetzt können Sie, Herr Oswald, auch klatschen. Sie woll-
ten doch die Finanzierungsfrage beantwortet haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es gibt eine Reihe weiterer Bedingungen, die ich jetzt
im Einzelnen nicht ansprechen kann. Ich möchte nur
noch einen Gedanken ausführen: Die Bahn braucht in
der jetzigen schwierigen Phase politischen Flanken-
schutz. Nach meiner Meinung ist es scheinheilig, wenn
ausgerechnet diejenigen, die 16 Jahre Zeit dazu gehabt
hätten, die steuerliche Gleichstellung der Deutschen
Bahn mit anderen europäischen Eisenbahnen fordern.
Sie haben ja in der Sache Recht. Aber warum um Him-
mels willen haben Sie das, was Sie jetzt von uns verlan-
gen, in all den Jahren Ihrer Regierung nicht getan?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der realistische Zeitpunkt, um solche Forderungen zu
erheben, ist dann gekommen, wenn im Verkehrsbereich
zusätzliche Staatseinnahmen in Milliardenhöhe generiert
werden, nämlich durch die LKW-Maut, die Schwerver-
kehrsabgabe, ab 2003. Erst ab diesem Zeitpunkt kann
nach meiner Meinung ernsthaft über eine steuerliche
Entlastung der Deutschen Bahn AG im Sinne einer
Gleichstellung mit allen anderen europäischen Bahnen
bezüglich Mehrwertsteuer und bezüglich Mineralölsteu-
er geredet und entschieden werden. Das ist unser Vor-
schlag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1409605800
Der Kollege Dr.
Winfried Wolf von der PDS-Fraktion hat seine Rede zu
Protokoll gegeben.*) Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall.

Ich erteile jetzt das Wort dem Verkehrsminister
Reinhard Klimmt.

Reinhard Klimmt, Bundesminister für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen: Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Heute finden Verhandlungen zwi-
schen dem Bahnvorstand und den Gewerkschaften statt
über die Weiterentwicklung der inneren Strukturen
der Bahn, über Arbeitsorganisation und auch über die
sensible Frage der Entlohnung. Dass die Tarifpartner
darüber entscheiden, ist richtig. Wir haben diese Ver-
antwortlichkeiten bewusst so geregelt, damit die Zeiten
der Behördenbahn vorbei sind, in denen immer von oben
Leitlinien vorgegeben wurden, mit denen gleichzeitig
auch finanzielle Verpflichtungen verbunden waren.

Die Bahnreform, die eine wirtschaftliche Zuordnung
gebracht hat, haben alle in diesem Hause gewollt. Sie

___________
*) Anlage 2

hat bisher – das ist unsere Bilanz – Licht und Schatten
mit sich gebracht. Das Ziel muss es sein – das wird es
auch bleiben –, bis zum Jahre 2003 die Wirtschaftlich-
keit der Bahn herzustellen. Ich möchte deutlich sagen:
Der Begriff „Börsenfähigkeit“, der immer wieder ange-
führt wird, bedeutet nicht, dass der Börsengang auch tat-
sächlich erfolgt. Mit diesem Begriff soll nur unser Inte-
resse daran dokumentiert werden, dass die Bahn auf ei-
genen Füßen stehen kann und in der Lage ist, aus eige-
ner Kraft positive wirtschaftliche Ergebnisse zu erzielen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Engagement des Bundes, diesen Weg zu flan-
kieren, ist ungebrochen. Ich möchte daran erinnern, dass
wir allein im Rahmen des diesjährigen Haushalts
14 Milliarden DM an das Eisenbahnvermögen überwei-
sen, damit Strukturschwächen und Strukturfehler der
Vergangenheit ausgeglichen werden können. Für die
Regionalisierung werden jedes Jahr 13 Milliarden DM
überwiesen, mit steigender Tendenz. Aber das sind nicht
die einzigen Bahnprobleme, an deren Lösung wir uns fi-
nanziell beteiligen. Wir sind auch im investiven Bereich
bemüht, der Bahn zu helfen, genauso wie in vielen ande-
ren Bereichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Insofern können wir zu Recht sagen, dass wir die Inte-
ressen der Bahn als ein Teil unserer Verkehrsinfrastruk-
tur und gleichzeitig auch die Interessen der dort beschäf-
tigten Menschen sehr wohl im Auge behalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dennoch dürfen die Interessen nicht so definiert werden,
dass wir vonseiten des Bundes praktisch jede auftretende
Schwierigkeit bewältigen müssen. Auch diejenigen, die
bei der Deutschen Bahn Verantwortung haben, müssen
unbequeme Probleme lösen. Deswegen werden die jet-
zigen Verhandlungen schwierig sein.

Ich möchte auf einen Punkt eingehen, der vorhin kri-
tisch angemerkt worden ist. Die Bahn hat bis dato den
schwierigen Prozess des Abbaus von Personal vollzo-
gen. Da ist sehr viel gemacht worden. Aber es ist nach
dem Prinzip gemacht worden, nicht mit betriebsbeding-
ten Kündigungen zu arbeiten. Ich sage noch einmal mei-
ne Meinung zu diesem Punkt: Dabei soll es bleiben. Es
muss ohne betriebsbedingte Kündigungen möglich sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sind uns darüber einig, was die Bahn braucht. Sie
braucht wirtschaftliche Strukturen, die es uns ermögli-
chen, dass wir uns irgendwann nicht mehr nur über Per-
sonalabbau unterhalten, sondern endlich einmal wieder
darüber reden, wie es zum Beispiel bei den Informati-
onstechnologien der Fall ist, dass wir wieder Personal
brauchen. Das ist das eigentliche Ziel unserer Arbeit.
Hier können und müssen wir Fortschritte erwarten.

Albert Schmidt (Hitzhofen)







(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In den Anträgen sind dazu viele wichtige und hilfreiche
Argumente genannt worden. Um das genannte Ziel zu
erreichen, brauchen wir auch den europäischen Be-
reich. Die Bahn muss über Grenzen hinweg operieren
können. Hier muss noch vieles geschehen. Wir arbeiten
daran.

Auch sind wir der Meinung, dass die Infrastruktur
verbessert werden muss, nicht nur für den Fernverkehr,
sondern auch für den Nahverkehrsbereich. Dies werden
wir ungeachtet knapper Kassen im Rahmen unserer
Möglichkeiten mit großem Engagement begleiten.

Selbstverständlich braucht die Bahn auch organisa-
torische Flexibilität. Es ist wichtig, dass wir, wenn es
um die Region geht, auch das Argument Mittelstand –
Herr Albert Schmidt hat es schon ausführlicher erläu-
tert – mit in die konzeptionellen Überlegungen einbau-
en. Auf diese Weise ist es meines Erachtens möglich,
dem Ziel der Wirtschaftlichkeit und einer umfassenden
Infrastruktur für die Bahn wieder ein Stück näher zu
kommen.

Auch die Partner, die jetzt miteinander am Tisch sit-
zen, müssen wissen, dass die Bahn ein sensibler Orga-
nismus ist. Sie ist kein kraftstrotzendes Aggregat, auf
dem man sich nach Belieben hin- und herbewegen könn-
te. Deswegen muss bei den Verhandlungen vonseiten
des Vorstandes, aber auch vonseiten der Gewerkschaften
Kompromissfähigkeit gezeigt werden. Diese Kompro-
missfähigkeit war mit ein Grund dafür, dass es im Rah-
men der Bahnreform vorangegangen ist. Sie wird uns
auch jetzt helfen weiterzukommen.

Ich möchte Sie, meine Damen und Herren von der
Opposition, bitten, dass Sie zumindest zu dem Grund-
willen, voranzukommen, dadurch beitragen, dass Sie
ehrlich anerkennen, was wir von Ihnen an Problemen
haben übernehmen müssen. Herr Friedrich hat es dan-
kenswerterweise schon gesagt; auch er saß mit im Boot.
Wenn Sie begreifen, dass wir jetzt die Fehler auszuba-
den haben, die Sie mitverursacht haben, und gleichzeitig
bereit sind, selbst mit anzupacken und mitzuhelfen, dann
bin ich sicher, dass die heutige Woche wie auch die wei-
teren Wochen und Monate, die uns zur Lösung der Pro-
bleme bleiben, unser Vorhaben zu einem positiven Ende
führen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1409605900
Jetzt hat die Kolle-
gin Karin Rehbock-Zureich, SPD-Fraktion, das Wort.


Karin Rehbock-Zureich (SPD):
Rede ID: ID1409606000
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben heute
eine wichtige Diskussion auf der Tagesordnung. Sie ha-
ben dazu Anträge eingebracht nach dem Motto: Was in-
teressiert mich heute mein Handeln von gestern?


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das ist Unsinn!)


Die Anträge, die Sie hier eingebracht haben, wären sehr
viel hilfreicher gewesen,


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Sie haben sie nicht gelesen!)


wenn Sie in den vergangenen Jahren, als Sie in der Re-
gierung Verantwortung hatten, Teile davon angegangen
wären. Dann hätten wir die heutige Situation weder bei
der Bahn noch in unseren Haushalten.


(Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Warum haben Sie es denn versäumt, auf europäischer
Ebene Harmonisierung und Liberalisierung in Über-
einstimmung zu bringen? Der Bundesregierung ist es
Gott sei Dank gelungen, mit Frankreich erste Ansätze im
Bereich des Güterverkehrs in Gang zu setzen, sodass
hier die Öffnung der Märkte in Zukunft stattfinden kann.
Hier gibt es also ein Versäumnis, das Sie zu vertreten
haben.

Sie beklagen die Rahmenbedingungen der Politik.
Wer hat denn in den vergangenen 16 Jahren diese Rah-
menbedingungen als Grundlage der Situation, die wir
heute haben, geschaffen? Sie tragen dafür seit der Bahn-
reform 1993 die Verantwortung.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Wenn ich mich recht erinnere, war die Bahnreform voll zustimmungspflichtig!)


Unbestreitbar ist sicherlich, dass auch die Bahn ihre
Hausaufgaben machen muss. Wir benötigen attraktive
Angebote vor allen Dingen für die Fläche. Als Aktien-
gesellschaft muss die Bahn wirtschaftlich operieren und
gleichzeitig weiterhin ihr Zugpferd, die Fläche, bedie-
nen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bahn hat in den vergangenen Jahren darunter ge-
litten, dass mit Großprojekten begonnen worden
ist, deren Finanzierung in keiner Weise wirtschaftlich
durchgerechnet war.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau so war es!)


Die Bahn leidet heute somit auch unter dem Milliarden-
defizit, das zum Beispiel durch Großprojekte im Raum
Köln und im Verkehrsknotenpunkt Berlin entstanden ist.
Ich erinnere nur an die Luftnummer Transrapid, den Sie
während Ihrer Regierungszeit immer als wirtschaftlich
bezeichnet haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Wer hat denn Köln–Rhein/Main unterschrieben, war das der Bund oder war das die Bahn?)


Es bringt uns jedoch nicht weiter – ich bedaure den
gegenwärtigen Stand der Diskussion –, wenn wir in aller

Bundesminister Reinhard Klimmt






(A)



(B)



(C)



(D)


Aufgeregtheit gegeneinander reden. Deshalb sollten wir
versuchen, die Rahmenbedingungen für die Bahn ge-
meinsam zu schaffen, und die Bahn konstruktiv beglei-
ten. Bahnchef Mehdorn hat damit begonnen – Gott sei
Dank, kann man nur sagen – eine ehrliche Bilanz vorzu-
legen, die auch die Defizite ausweist.

Sofern es um die Belange der Beschäftigten geht,
wird die Bahnreform nur dann eine positive Entwick-
lung nehmen, wenn neue Konzeptionen und Entwick-
lungen gemeinsam mit den Gewerkschaften angedacht
werden. Sie wird nur dann positiv und sinnvoll sein,
wenn wir gemeinsam mit den Ländern ein Konzept für
den Regionalverkehr, für den Verkehr in der Fläche
entwickeln. Denn eines ist uns allen – über die Partei-
grenzen hinweg – klar: Die Strukturen der Bahn müssen
verändert werden. Ich möchte Sie auffordern, diese Re-
form gemeinsam mit der Bahn und mit uns in der Regie-
rungsverantwortung positiv zu begleiten.

Ich begrüße es, dass Herr Mehdorn immer deutlich
gemacht hat, dass es ihm wichtig ist, den Verkehr in der
Fläche zu erhalten, dafür zu sorgen, dass Regionalver-
kehr nicht ausgedünnt wird. Gleichzeitig will er die
Wirtschaftlichkeit der Bahn steigern. Diese Quadratur
des Kreises muss von uns begleitet werden.

Hinsichtlich der Rahmenbedingungen möchte ich
noch einmal darauf hinweisen, dass wir als Regierungs-
koalition zum Beispiel im Engpassbeseitigungspro-
gramm damit begonnen haben, die Bahn mit Mitteln in
einer Größenordnung von zusätzlich 2,8 Milliarden DM
zu unterstützen. Sie haben nie ein Programm in dieser
Größenordnung zusätzlich zu den im Haushalt verbuch-
ten Mitteln aufgelegt. Wir sind hier auf dem richtigen
Weg.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben ferner ein Investitionsprogramm aufge-

legt, in dem die westlichen Bundesländer die Mittel für
die Bahn bei 55 Prozent festgeschrieben haben. Auch
dies ist eine Hilfe für die Bahn auf dem Weg zu sicheren
Finanzen. Wenn auch Sie die Bahn begleiten wollen,
sollten Sie daran denken, dass Sie nur mit uns gemein-
sam etwas zustande bringen werden. Wir haben 1993 die
Bahnreform gemeinsam – Regierung, Opposition und
Gewerkschaften – auf den Weg gebracht. Wer ein wirk-
liches Interesse an der Weiterentwicklung der Bahn hat
und nicht nur Showanträge stellt, wird auch in Zukunft
konstruktiv hieran mitarbeiten. Dazu kann ich Sie nur
auffordern.

Herrn Friedrich möchte ich noch sagen, dass wir eine
Zerschlagung der Bahn, wie Ihr Antrag sie festschreibt,
nie angedacht haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: So ein Blödsinn! Selbst der Wissenschaftliche Beirat beim Verkehrsminister hat das vorgeschlagen!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1409606100
Ich schließe die
Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/2691 und 14/2781 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk

Niebel, Ernst Burgbacher, Hildebrecht Braun

(Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der F.D.P.

Jährliche Vorlage einer Generationenbilanz
und Aufnahme der Daten in die Haushalts-
statistik des Bundes

– Drucksache 14/1758 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
diese Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Dirk Niebel, F.D.P.-Fraktion, das Wort.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1409606200
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Generationengerechtig-
keit setzt Fairness bei der Belastung jeder einzelnen Ge-
neration voraus. Nach Angaben des Statistischen Bun-
desamtes schrumpft unsere Bevölkerung und wird deut-
lich älter. Wenn heute noch 22 Prozent der Bevölkerung
über 60 Jahre alt sind, so werden es im Jahr 2040 bereits
37 Prozent sein. Sind heute noch 21 Prozent der Bevöl-
kerung unter 20 Jahre alt, werden es im Jahr 2040
15 Prozent sein. Bis 2030 wird sich die Zahl der Rentner
von jetzt 13,7 Millionen auf 17,6 Millionen erhöhen,
während auf der anderen Seite die Zahl der Erwerbs-
personen von jetzt 33 Millionen auf 29 Millionen zu-
rückgehen wird.

Die Generationenbilanz, die wir Ihnen heute hier vor-
schlagen, soll die Toleranz zwischen den Generatio-
nen verbessern und die Möglichkeit schaffen, der Politik
eine Entscheidungsgrundlage für zukünftige, wegwei-
sende Schritte in der Sozial- und Finanzpolitik zu geben.

Die älteren Menschen in diesem Land haben den
Wohlstand und die soziale Sicherung, die wir hier ha-
ben, erarbeitet. Sie haben aber der jüngeren Generation
auch eine Hypothek in Form von Staatsverschuldung,
unverbrieften Schulden oder auch ökologischen Folge-
schäden der politischen Entscheidungen der Vergangen-
heit mit auf den Weg gegeben.

Die Bundesbank hat festgestellt, dass jeder noch nicht
geborene Jahrgang nach 1996 mit 149 Prozent höheren
Zahlungen an den Staat belastet werden wird als die

Karin Rehbock-Zureich






(A)



(B)



(C)



(D)


1996 Geborenen. Ein männlicher Deutscher, der 1996
geboren ist, wird im Verlauf seines Lebens mit einer
Nettobelastung von 400 000 DM rechnen können. Das
ist der Gegenwert einer Doppelhaushälfte, meine sehr
verehrten Damen und Herren.

Insgesamt wurden 1996 in Deutschland 47 902 Jun-
gen geboren. Sie werden mit der Summe von
19 Milliarden 160 Millionen und 800 Tausend Mark
mehr belastet, als sie selber aus den staatlichen Kassen
beziehen werden. Davon könnte man eine mittlere
Kleinstadt bauen.

Wir brauchen eine Kursänderung in der Finanz-
und Sozialpolitik und müssen wegkommen von der Ge-
fälligkeitspolitik mit dem kurzfristigen Ziel, nur Wähle-
rinnen und Wähler bei einer bevorstehenden Wahl zu
befriedigen. Wir müssen die Konsequenzen unserer poli-
tischen Entscheidungen für nachfolgende Generationen
wesentlich mehr im Blick haben, als das in der Vergan-
genheit der Fall gewesen ist.


(Beifall bei der F.D.P.)

Im Privatleben kann man eine überschuldete Erb-

schaft ausschlagen. Kommenden Generationen ist es
nicht möglich, dies zu tun. Sie müssen mit der Staats-
verschuldung, sie müssen mit den umlagefinanzier-
ten Sicherungssystemen, sie müssen mit der ökologi-
schen Belastung und vielem anderen – auch mit viel-
leicht noch gar nicht absehbaren Problemen – in Zukunft
leben.

Bereits in der 13. Wahlperiode dieses Bundestages
hat der Generalsekretär der F.D.P., Guido Westerwelle,
in der Koalitionsrunde versucht, die Einführung einer
Generationenbilanz durchzusetzen. Das ist damals am
Einspruch der CDU/CSU gescheitert.

In der Sitzung des Deutschen Bundestages am
30. September 1999 sagte Kollegin Birgit Schnieber-
Jastram – ich zitiere –:

Legen Sie diesem Hause regelmäßig eine Generati-
onenbilanz vor!
Mithilfe dieser Generationenbilanz können Sie die
Belastung der heutigen Generation und der nach-
folgenden Generationen miteinander vergleichen.
An dem Ergebnis der Generationenbilanz müssen
Sie sich messen lassen. Daran wird erkennbar, ob
Sie einen Kurs steuern, der zu mehr Gerechtigkeit
zwischen den Generationen führt.

Frau Schnieber-Jastram, ich freue mich, dass die Union
mittlerweile zu dem Schluss gekommen ist, dass die
Generationenbilanz ein hilfreiches Entscheidungsmit-
tel für die Politik ist.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich finde es allerdings sehr schade, dass Sie sie in einen
umfassenderen Antrag zur Rentenpolitik eingebettet ha-
ben, der aller Voraussicht nach in diesem Hause keine
Mehrheit finden wird. Aus diesem Grunde beantragt die
F.D.P.-Bundestagsfraktion die eigenständige Einführung
einer Generationenbilanz, weil diese hier durchaus
mehrheitsfähig sein müsste.


(Beifall bei der F.D.P.)

Auch Walter Riester hat in derselben Debatte Interesse
an dieser Generationenbilanz bekundet.

Auf der einen Seite werden in einer Generationenbi-
lanz die Leistungen der älteren Generation zum Beispiel
für Infrastruktur, Bildung und Ausbildung aufgeführt.
Auf der anderen Seite wird dagegengerechnet, welche
Belastungen kommende Generationen zu erwarten ha-
ben. Ich sprach sie schon an: Verschuldung der öffentli-
chen Hand, Verschuldung der sozialen Sicherungssys-
teme, ökologische und soziale Folgelasten, die wir heute
vielleicht noch gar nicht kennen.

Die Ergebnisse einer Generationenbilanz müssen in
die Haushaltsgesetzgebung des Bundes eingeführt wer-
den; denn nur so hat man den direkten Vergleich mit den
Haushaltszahlen des Bundes und nur so kann man er-
kennen, ob die Ergebnisse dieser Bilanz in konkretes po-
litisches Handeln umgesetzt worden sind. Diese Umset-
zung muss unter anderem Messlatte für die Effizienz
und den Erfolg der Politik einer Bundesregierung sein.
Sie muss sich vorhalten lassen, wenn sie Entscheidun-
gen trifft, die kommende Generationen stärker belasten,
dass sie dies bewusst getan hat, und kann sich nicht da-
mit herausreden, dass sie keine konkreten Datenmateria-
lien zur Verfügung hatte. Die Generationenbilanz ist ein
Indikator für die Zahlungsverpflichtungen, aber auch für
die Handlungsfähigkeit eines Staates, und sie soll die
Fairness für alle Generationen als zentrales Anliegen
deutscher Politik untermauern.

Walter Riester hat in der Debatte vom 30. September
1999 hier in diesem Hause gesagt:

Zunächst komme ich zu der ... Forderung ..., eine
Generationenbilanz vorzulegen. Diese Grundlinie
halte ich für spannend und wichtig. ... Gleichwohl
will ich diese Überlegung aufnehmen. Ich wäre
sehr daran interessiert, wenn wir an dieser Frage
einer Generationenbilanz arbeiten könnten.

Lieber Herr Staatssekretär, teilen Sie Herrn Riester bitte
mit, dass wir schon heute damit anfangen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1409606300
Nun hat die Kollegin
Ute Kumpf, SPD-Fraktion, das Wort.


Ute Kumpf (SPD):
Rede ID: ID1409606400
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Dirk
Niebel, mir kommen schier die Tränen. Sie hatten
16 Jahre lang Zeit – nicht Sie selbst, aber Ihre Frak-
tion –, sich in diesem Hohen Hause um Nachhaltigkeit
zu kümmern. Dass auch wir die Politik der Nachhaltig-
keit und der Generationengerechtigkeit als wichtiges
Ziel unserer politischen Konzepte ansehen, müsste sich
bei Ihnen herumgesprochen haben. Zur Nachhaltigkeit
in der Sozialpolitik gehört, dass wir die finanziellen Las-
ten nicht auf unsere Kinder abladen. Sie haben Kinder;
ich habe auch ein Kind.

Dirk Niebel






(A)



(B)



(C)



(D)


Bilanzieren und Haushalten ist nie verkehrt – das
wissen Sie als Baden-Württemberger –, wenn man den
Blick für die Realität und die Bodenhaftung nicht verlie-
ren will. Sie hatten aber, wie gesagt, 16 Jahre lang Zeit
und die Erblasten haben Sie und Ihre Fraktion uns hin-
terlassen.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Neue Schallplatte! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das muss immer mal wieder gesagt werden, sonst vergessen Sie es!)


– Frau Schnieber-Jastram, am 30. September haben Sie
den Schlüsselsatz gesagt:

Sozial gerecht ist nur das, was auch zwischen den
Generationen gerecht ist.

Diesen Satz haben Sie wohl in den 16 Jahren zuvor nie
im Kopf gehabt.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich finde es schön, das die F.D.P. lernfähig ist und
jetzt auch die Nachhaltigkeit entdeckt und diese mit ei-
nem Antrag zur Generationenbilanz umsetzen will. Herr
Niebel, Sie haben eben schon darauf hingewiesen, dass
wir am 30. September 1999 bereits darüber debattiert
haben. Nun haben Sie mit zeitlicher Verzögerung Ihren
Antrag eingebracht. Das kann einmal passieren; Haupt-
sache, Sie sind lernfähig.

Vonseiten der SPD hat Herr Kollege Kurt Bodewig,
der jetzt in neuer Funktion auf der Regierungsbank
sitzt – herzliche Gratulation –,


(Beifall bei der SPD)

damals schon seine Kritik an dieser Bilanz geäußert.
Walter Riester, der sich gegenüber den Fraktionen von
F.D.P. und CDU/CSU stets sehr kooperativ, umgänglich
und freundlich verhält – manchmal denke ich sogar, zu
freundlich –,


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Jetzt kommen uns aber die Tränen!)


hat in dieser Debatte ausgeführt, dass er die Aufstellung
einer Generationenbilanz für „spannend und wichtig“
halte. Er hat aber hinzugefügt – auch das können Sie im
Protokoll nachlesen –, dass Beispiele im Ausland, etwa
in den USA, gezeigt hätten, dass Generationenbilanzen
durchaus ihre Fallstricke und Tücken in der Aufstellung
und Anwendung haben.

Bevor es nun zu einer allgemeinen Rentendebatte
kommt, möche ich konkret zu Ihrem heutigen Antrag
sprechen. Sie fordern mit Ihrem Antrag eine Generatio-
nenbilanz, die zunächst einmal jährlich vorzulegen ist.
Mittels dieser Generationenbilanz sollen alle wichti-
gen steuer- und sozialpolitischen Reformvorhaben auf
ihre Nachhaltigkeit überprüft werden. Darüber hinaus
soll die Generationenbilanz in die offizielle Haushalts-
statistik aufgenommen werden. So weit Ihre Forderun-
gen.

Ich muss schon sagen, Herr Niebel – Herr Kolb ist
jetzt leider nicht da –: Ich finde Ihre Kehrtwendung und
Ihre neu entdeckte Liebe zur Berichterstattung sehr ver-
wunderlich. Wir haben in diesem Hause vor einigen
Wochen einen Antrag eingebracht, eine nationale Be-
richterstattung zum Thema von Armut und Reichtum
vorzunehmen. Herr Kolb von Ihrer Fraktion hat sich
damals vehement dagegen ausgesprochen, einen Ar-
muts- und Reichtumsbericht, der schon längst überfällig
ist und Grundlagen für ein politisches Handeln bieten
soll, vorzulegen.


(Erika Lotz [SPD]: Hört! Hört!)

Ich frage mich nur: Haben Sie mehr eine Vorliebe für
Science-Fiction als für grundanständige, solide Hinter-
grundberichte, die politisches Handeln möglich machen?


(Beifall bei der SPD)

Was ist unter dem Instrument der Generationenbi-

lanz – das hört sich erst einmal ganz toll an; es wird in
einigen Ländern bereits angewandt – zu verstehen? Was
wird denn eigentlich bilanziert? Mit Hilfe der Generati-
onenbilanz soll die Nachhaltigkeit der öffentlichen
Haushalte untersucht werden. Es wird versucht, die
hypothetischen Einnahmen und Ausgaben ganzer Gene-
rationen auszurechnen und denen zukünftiger Generati-
onen gegenüberzustellen – so weit der Ansatz. Unter
diesen Voraussetzungen werden über einen Zeitraum
von – ich betone das – etwa 200 Jahren Generationen-
konten gebildet, die über den Zustand der öffentlichen
Haushalte heute und in Zukunft Aufschluss geben sol-
len.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das kann man!)

Meine Damen und Herren von der F.D.P.: Kommen

Sie herunter vom Raumschiff Orion auf den Boden der
Realität! Sie fordern mit Ihrem Antrag nämlich ein Da-
tenmaterial für 200 Jahre Zukunft – ein gigantischer An-
spruch. Dies ist gerade von Ihrer Seite verwunderlich, da
Sie noch nicht einmal in der Lage waren, zum Beispiel
den Mangel an qualifizierten Kräften im IT-Bereich – er
war offensichtlich – zu erkennen und entsprechende po-
litische, handwerklich saubere Konzepte vorzulegen.


(Beifall bei der SPD)

Ich halte es für sehr ehrenvoll, dass Sie der SPD und der
Regierung hellseherische Fähigkeiten zutrauen. So viele
Kugeln können wir aber gar nicht bestellen, um diese
hellseherischen Fähigkeiten für 200 Jahre Prognose un-
ter Beweis zu stellen.

Sie berufen sich in Ihrem Antrag auf eine Untersu-
chung der Bundesbank vom November 1997. Hätten
Sie diese Untersuchung vor der Erstellung des Antrags
vollständig und ein bisschen genauer gelesen, wären Sie
in Ihrem Optimismus hinsichtlich dieser Genera-
tionenbilanz zurückhaltender. Die Bundesbank nennt in
ihrer Untersuchung einige Schwachpunkte des Kon-
zepts, die dessen Aussagekraft erheblich einschränken.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist besser als gar keine Aussage!)


Ute Kumpf






(A)



(B)



(C)



(D)


Der Hauptkritikpunkt liegt auf der Hand: Wir haben
heute schon Schwierigkeiten, den Rentenbeitrag und das
Rentenniveau für einen Zeitraum von 30 Jahren halb-
wegs zuverlässig zu prognostizieren. Prognostische
Aussagen über einen Zeitraum von 200 Jahren sind mit
einer um ein Vielfaches größeren Unsicherheit behaftet.
Wer versucht, mit solchen Zahlen Politik zu machen,
handelt schlicht unseriös.


(Beifall der Abg. Erika Lotz [SPD])

Werfen Sie nur einmal einen Blick zurück. Welche ge-
sellschaftlichen Umwälzungen der letzten 200 Jahre hät-
ten Sie zuverlässig prognostizieren können? Ich sage
nur: Nostradamus lässt grüßen!

Nun im Einzelnen zu den Schwachpunkten des Kon-
zepts:

Erstens. Bei den Generationenbilanzen geht es nicht
um ein realistisches Abbild der Zukunft; vielmehr wer-
den stark vereinfachende Annahmen zugrunde gelegt,
insbesondere hinsichtlich des gesamtwirtschaftlichen
Wachstums und der Beschäftigung.

Zweitens. Bei der Generationenbilanz wird unter-
stellt, dass der Staat seine Einnahmen- und Ausgaben-
struktur nicht ändert. Es werden somit solche Maßnah-
men nicht berücksichtigt, die bereits beschlossen sind,
aber erst in der Zukunft wirken bzw. automatisch durch-
geführt werden.

Drittens. Unsicherheiten und unvorhergesehene
Entwicklungen können von Generationenbilanzen nicht
erfasst werden. Bestes Beispiel: Die deutsche Einheit
mit ihren finanziellen Folgewirkungen wäre bei der
prognostizierten zukünftigen Finanzentwicklung unbe-
rücksichtigt geblieben.

Viertens. Die Generationenbilanz arbeitet mit unvoll-
ständigen Datenbasen. In der Regel liegen nur vergan-
genheitsbezogene Stichproben vor, die durch Schätzun-
gen ergänzt werden. Es heißt, dass bei den bisher be-
obachteten methodischen Vorgehensweisen und Zuord-
nungen bei der Erstellung von Generationenbilanzen
Manipulationen Tür und Tor geöffnet sind.

Noch ein Blick über den Zaun unserer Landesgrenzen
hinweg nach Europa und darüber hinaus: Schaut man
sich bei den OECD-Staaten um, dann bestätigt sich die
These, dass die Aussagekraft von Generationenbilan-
zen begrenzt ist. In den meisten Staaten werden Genera-
tionenbilanzen nämlich nicht von oder im Namen der
Regierung, sondern, wenn überhaupt, auf Initiative von
Forschungsinstituten veröffentlicht und vorgelegt.

Eine Ausnahme bilden die Niederlande und Norwe-
gen. In den Niederlanden werden Generationenbilanzen
vom staatlichen Zentralen Planungsbüro veröffentlicht.
Norwegen fügt seine Generationenbilanz dem Haushalt
bei. In diesen beiden Ländern sind die Generationenbi-
lanzen deswegen so ausgeglichen, weil die dort vorhan-
denen Rohstoffreserven – Stichwort: Öl – einbezogen
werden.

In den USA, der Heimat der Generationenbilanz,
werden seit 1996 Generationenbilanzen nicht mehr als

Teil des Haushalts veröffentlicht. Die Amerikaner sind
zu dem Schluss gekommen, dass Generationenbilanzen
nicht der Weisheit letzter Schluss sind. So wurde
Kotlikoff, einer der Väter dieser Methode, als er 1994
für die Clinton-Administration Generationenbilanzen
erstellen sollte, von offizieller Seite aufgefordert, als
Annahme hinsichtlich der Fiskalpolitik zu unterstellen,
dass der Absolutwert der staatlichen Ausgaben ab dem
Jahr 2000 konstant sei.

Was hätte das bedeutet? Im Zeitverlauf hätte das
ein relatives Verschwinden der Staatstätigkeit bedeutet.
Diese Annahme kann man zwar machen – vorstellbar ist
sie –; aber sie ist, realistisch betrachtet, wenig plausibel.
Sie hätte die Zukunftsbilanzen vor allem positiver wir-
ken lassen. Kotlikoff widersetzte sich diesem Ansinnen
mit dem Ergebnis, dass seit 1996 Generationenbilanzen
nicht mehr Teil des US-Haushalts sind.

Was kann man nun zusammenfassend dazu sagen,
was ist das Fazit? Aus wissenschaftlicher Sicht heißt
das, dass es sich bei Generationenbilanzen nicht um ein
Prognose-, sondern um ein Gedankenexperiment han-
delt, das ausdrücklich nicht auf Realitätsnähe angelegt
ist. Gedanken kann man zwar machen; aber ob man sie
zum Teil des Haushaltes machen sollte, daran habe ich
Zweifel. Die Vielzahl methodischer Vorgehensweisen
und Zuordnungen bei der Erstellung von Generationen-
bilanzen – das habe ich bereits ausgeführt – öffnet zu-
dem Manipulationen Tür und Tor.

Schwerwiegender als alle methodischen Probleme
sind jedoch die politischen Bedenken. Die Ergebnisse
von Generationenbilanzen würden in der Öffentlichkeit
für bare Münze genommen. Mögliche Fehlschätzun-
gen – dieses Konzept impliziert solche Fehlschätzun-
gen – hätten einen großen Vertrauensverlust der Bevöl-
kerung in die Politik zur Folge. Ich denke, das ist ein un-
taugliches Mittel zur Bekämpfung von Politikverdros-
senheit.

Für die politische Planung sind möglichst konkrete
Prognosen erforderlich. Das müssten auch Sie als Ar-
beitsmarktpolitiker wissen und daraus sollten Sie
Schlussfolgerungen ziehen. Aber eines muss, so denke
ich, erkennbar sein: der Zeitpunkt, zu dem finanzielle
Belastungen, insbesondere als Folge der demographi-
schen Entwicklung, auf zukünftige Generationen zu-
kommen.

Eine Generationenbilanz, wie sie bisher praktiziert
wird, leistet dies schlichtweg nicht. Ihre Ergebnisse sind
lediglich qualitativ verwertbar. Die Grundidee – ich
glaube, darin besteht Einigkeit – ist richtig: Wir dürfen
es nicht zulassen, heute auf Kosten zukünftiger Genera-
tionen zu leben.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Aber ihr macht das doch!)


Mit anderen Worten: Wer die Substanz einer Volkswirt-
schaft verkleinert, schmälert gleichzeitig deren zukünf-
tige Erträge.

Wir wollen im Interesse der heutigen jungen Genera-
tionen die Substanz erhalten. Daher kann es nicht falsch

Ute Kumpf






(A)



(B)



(C)



(D)


sein, Messinstrumente zu entwickeln, die den Wohlstand
zukünftiger Generationen prognostizieren. Aber Genera-
tionenbilanzen sind nicht seriös und Messinstrumente
sind kein Ersatz für Politik.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Sie sollten sich da noch einmal informieren!)


– Herr Niebel, ich habe mich informiert, vielleicht mehr
als Sie.


(Beifall bei der SPD)

Ziel der SPD ist, in Zukunft die Nachhaltigkeit

unseres Renten- und Finanzsystems sicherzustellen.
Heute arbeiten wir daran und wir werden auch noch
morgen daran arbeiten. Entscheidend für zukünftige Ge-
nerationen ist, dass sie gute Startbedingungen haben. Zu
nennen sind in diesem Zusammenhang die Teilhabe an
den sozialen Sicherungssystemen zu akzeptablen Bei-
tragssätzen, finanzielle Spielräume zum Aufbau einer
zusätzlichen Altersvorsorge durch Steuerentlastung und
steuerlich geförderte Vermögensbildung sowie vor allem
Jobs und eine zukunftssichere Ausbildung.

Genau dies tun wir. Diesen Weg beschreiten wir. Wir
halten die Beitragssätze für die Rente auf einem kon-
stanten Niveau. Wir haben die Arbeitnehmer und die
Arbeitnehmerinnen steuerlich entlastet – dies werden
wir in den nächsten Schritten der Steuerreform fortset-
zen – und wir steuern bei der Vermögensbildung in der
Altersvorsorge um.

Die größte Sorge der zukünftigen Generationen, die
Sie in Ihrem Antrag indirekt ansprechen wollen, ist je-
doch, von welchem Geld sie heute leben. Dazu brauchen
sie ausreichend Arbeitsplätze und Qualifikationen, und
die ermöglichen wir ihnen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1409606500
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Ralf
Brauksiepe.


Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1409606600
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da mir das Thema
wichtig ist, will ich mit einer nicht parteipolitischen
Bemerkung anfangen. Ich denke, die berechtigten
Interessen der jungen Generation verdienen in der zu-
künftigen politischen Auseinandersetzung insgesamt ei-
ne stärkere Beachtung, als es in der Vergangenheit der
Fall war.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage grundsätzlich im Hinblick auf alle Parteien:
Alle Parteien haben sich in der Vergangenheit mehr oder
weniger schwer getan, im politischen Tagesgeschäft die
eher langfristig ausgerichteten Interessen junger Men-
schen zu berücksichtigen. Das liegt sicher nicht zuletzt

daran, dass junge Menschen in den Parlamenten nach
wie vor unterrepräsentiert sind. Diesbezüglich haben
CDU und CSU in der Vergangenheit deutliche Fort-
schritte gemacht.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: So ist es!)

Die Regierungsfraktionen haben mittlerweile etwas
nachgezogen, sodass ich die Hoffnung habe, dass sich
dies in der Zukunft – anders als in den letzten anderthalb
Jahren – auch günstig auf Ihre Politik im Interesse der
jungen Menschen auswirkt.

Natürlich hatte die Politik gerade in den letzten
10 Jahren sehr wichtige, nicht unbedingt jugendspezifi-
sche Aufgaben gerade im Zusammenhang mit der Wie-
dervereinigung Deutschlands zu lösen. Im Zuge dieser
Wiedervereinigung sind natürlich – das darf man nicht
vergessen – gerade in den neuen Ländern erhebliche
Vermögenswerte neu geschaffen worden. All das, was
nach 40 Jahren real existierendem Sozialismus wieder
aufgebaut worden ist, hat eben nicht nur Schulden ge-
bracht, sondern auch zu einem deutlichen Zuwachs des
Volksvermögens geführt. Es gehört zu jeder seriösen Bi-
lanz, natürlich auch zur Generationenbilanz, dass beides
berücksichtigt wird.

Ich sage das ganz bewusst vor dem Hintergrund der
von den Regierungsvertretern so gebetsmühlenartig
wiederholten Behauptung – wir haben sie auch hier ge-
hört –, dass am Ende von 16 Jahren CDU/CSU-geführter
Bundesregierung ein hoher Schuldenstand zu verzeich-
nen sei.


(Erika Lotz [SPD]: Was wahr ist, ist wahr!)

Diese Behauptung ist zumindest irreführend angesichts
der großen Herausforderungen, die wir bei der Bewälti-
gung von 40 Jahren Sozialismus zu schultern hatten, und
auch angesichts dessen, was in diesem Bereich erreicht
worden ist.

Lassen Sie mich als jemand, der aus dem Ruhrgebiet
kommt, folgende Bemerkung machen: Ich bin sicherlich
niemand, der der Meinung ist, man sollte im Bereich der
Steinkohle mit einem radikalen Schnitt die Kumpel ein-
fach auf die Straße setzen. Ich habe aber noch sehr gut
in Erinnerung, wie Sie die Menschen auf die Straße ge-
hetzt und auf die Barrikaden gebracht haben,


(Erika Lotz [SPD]: Sie sind wegen Ihrer Politik auf die Straße gegangen!)


als es darum ging, eine Anschlussregelung für den Koh-
lepfennig zu finden. Das heißt: Als es um Subventionen
in diesem Bereich ging, haben Sie dagegen protestiert,
dass wir Ausgabenkürzungen vornehmen wollten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


Sie haben doch jede einzelne Maßnahme torpediert.
Wenn wir uns in den 16 Jahren nach Ihnen gerichtet hät-
ten, wären die Schulden, nicht der Vermögensstand heu-
te erheblich höher. Wenn wir Ihnen gefolgt wären,
müssten wir jetzt über einen ganz anderen Schul-
denstand reden.

Ute Kumpf






(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die heutige junge Generation will den Generatio-

nenvertrag nicht aufkündigen. Ich denke, auch diese
Feststellung ist wichtig. Es geht uns um ein ganz-
heitliches Konzept – wie es schon in verschiedenen
Ländern erfolgreich durchgeführt worden ist –, bei dem
eben die zeitliche Entwicklung fiskalischer Lasten er-
mittelt wird und die Auswirkungen neuer finanz- und
sozialpolitischer Entscheidungen transparent gemacht
werden sollen. Das ist der Grundansatz, um den es geht.

Diesen Ansatz hat die F.D.P. in ihrem Antrag, wie ich
denke, zu Recht verfolgt. Es ist der Ansatz, den die
CDU/CSU-Fraktion schon im letzen Jahr in einem An-
trag formuliert hat und an dem wir als junge Gruppe in
unserer Fraktion in Form einer Anhörung und anderer
Initiativen mitgearbeitet haben.

Ich denke im Übrigen, das Erstgeburtsrecht ist gar
nicht so wichtig, Herr Kollege Niebel. Wir beide waren
ja nicht dabei.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Aber wir machen es wenigstens!)


Ich könnte mir aber vorstellen, dass eine gewisse Reser-
viertheit bei unserer Fraktion einfach damit zu tun hat,
dass Sie am Rande angesprochen haben, mit den umla-
gefinanzierten sozialen Sicherungssystemen könne es
nicht so weitergehen. Da bestand vielleicht bei unserer
Fraktion einfach der Verdacht, Sie wollten dieses Ana-
lyseinstrument dazu nutzen, etwas über Bord zu werfen,
an dem wir im Grundsatz festhalten. Ich könnte mir vor-
stellen, dass das eine Rolle gespielt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dirk Niebel [F.D.P.]: Da müssten Sie sich unsere Beschlusslage anschauen! Dann wüssten Sie es!)


Es ist wichtig, dass wir die Generationensolidarität
gerade vor dem Hintergrund der demographischen Ent-
wicklung neu definieren, um zu neuen Antworten im
Sinne einer Stärkung der Generationensolidarität zu
kommen. Das ist im Übrigen auch die Position fast aller
Jugendverbände in diesem Bereich. Die Jugendverbände
wollen keinen Kampf zwischen den Generationen. Sie
wollen diese Solidarität unter veränderten Rahmenbe-
dingungen neu definieren. Da kann die Generationenbi-
lanz wichtige Anhaltspunkte geben.


(Beifall des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.])

Natürlich – um auf die Kollegin von der SPD einzu-

gehen – haben solche Bilanzen begrenzte Aussagekraft,
wie übrigens jede staatliche Haushaltsrechnung, wie je-
des fiskalische Konzept. Das ist kein spezielles Problem
von Generationenbilanzen.

Die Probleme traditioneller Konzepte liegen auf der
Hand. Der staatliche Finanzierungssaldo sagt nichts über
die Umverteilung zwischen Jung und Alt und nichts
über die für die Zukunft eingegangenen Verpflichtun-
gen, also über die so genannte unsichtbare Staatsschuld,
aus. Das ist darin nicht enthalten.

Es gibt unterschiedliche Studien. Wie so häufig
kommen die unterschiedlichen Studien auch zu unter-

schiedlichen Ergebnissen. Ich will aber doch festhalten,
dass die Unterschiede in den Ergebnissen nicht in der
groben Richtung liegen, sondern in bestimmten Tenden-
zen. Die grobe Richtung ist eigentlich klar. Es stellt sich
bei diesen Studien immer wieder heraus, dass zukünftige
Generationen in Deutschland mit bereits eingegangenen
Verpflichtungen sehr hoch belastet sind. Vor diesem
Hintergrund ist es notwendig, die Weichen für die Zu-
kunft so zu stellen, dass aus den schon jetzt sehr hohen
Belastungen nicht unerträglich hohe Belastungen mit der
Folge werden, dass der Generationenvertrag von der
jungen Generation insgesamt in Frage gestellt wird.

Ich glaube, in der Vergangenheit hat die Politik zu
häufig danach getrachtet, neue Einnahmemöglichkeiten
zur Finanzierung sozialer Sicherungssysteme zu finden,
und weniger darüber nachgedacht, durch immanente Re-
formen diese Systeme zukunftsfähig zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich will in diesem Zusammenhang zum Thema Rente

eines sagen: Sie rühmen sich, dass Sie die Beitragssätze
in der Rentenversicherung gesenkt hätten. Sie wissen je-
doch genauso gut wie jeder andere in diesem Hause,
dass das nichts anderes ist als Augenwischerei, denn Sie
haben in die eine Tasche hineingesteckt, was Sie aus der
anderen Tasche, mit Ihrer so genannten Ökosteuer he-
rausgenommen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.])


Das ist das, was Sie gemacht haben, wodurch Sie vorü-
bergehend eine Beitragssatzsenkung erreicht haben. Es
ist ein reiner Verschiebebahnhof. Es ist aber nicht nur
das: Wenn Sie behaupten – das tun Sie ja –, dass wir ei-
ne bestimmte Umweltbelastung brauchen, um über die
Einnahmen aus der Ökosteuer die Rentenversicherung
finanzieren zu können, dann sagen Sie damit umgekehrt:
Wir brauchen diese Umweltbelastung weiterhin, weil
nur dann die Renten sicher sind. Damit versündigen Sie
sich an dem Gedanken der ökologischen Zukunftssiche-
rung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das ist ein wichtiger Gedanke, der auch zur Generatio-
nensolidarität gehört. Den diskreditieren Sie, wenn Sie
sagen: Wir sind auf dieses finanzielle Volumen ange-
wiesen, um auf diese Weise die Renten zu finanzieren.
So stellen wir uns eine Generationenbilanz und die poli-
tischen Schlüsse daraus nicht vor.

Lassen Sie mich auf eines abschließend hinweisen,
weil ich glaube, dass darüber auch Konsens besteht. Ei-
ne Generationenbilanz ist natürlich kein Politik-Ersatz.
Aus der Generationenbilanz sind keine konkreten politi-
schen Maßnahmen abzuleiten. Deswegen wundert es
mich, dass Sie die Bilanz als solche schon scheuen. Sie
ist kein Politik-Ersatz, aber sie schafft Transparenz für
die Folgen bestimmter politischer Maßnahmen, diffe-
renziert nach einzelnen Generationen. Diese Transpa-
renz wollen wir, und wir wollen Maßnahmen, die den
Interessen der unterschiedlichen Generationen gerecht
werden. Je eher wir dazu kommen, desto besser ist es für

Dr. Ralf Brauksiepe






(A)



(B)



(C)



(D)


alle Generationen und gerade auch für das Miteinander
von Jung und Alt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1409606700
Das Wort hat nun
die Kollegin Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409606800
Frau
Präsidentin! Liebe Schriftführer! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich selber bin Schriftführerin und finde es
ganz nett, wenn man auch einmal wahrgenommen wird.


(Vereinzelt Zustimmung)

Wir alle wissen – darin sind wir uns sicherlich ei-

nig –: Es ist ungerecht, wenn wir auf Kosten zukünftiger
Generationen leben. Das gilt in der Haushaltspolitik, in
der Finanzpolitik und in der Ökologie genauso wie in
der Ökonomie. Gerade wir Grüne haben dieses Anliegen
der nachhaltigen Entwicklung und der Generationen-
gerechtigkeit über zwei Jahrzehnte hinweg eingebracht,
immer wieder verteidigt und sind damit durch alle Insti-
tutionen marschiert. Unser Motto war: Wir haben die
Erde von unseren Kindern nur geborgt. Das war unser
Leitprinzip, unser Leitspruch, dessentwegen wir jahre-
lang verhöhnt wurden, den wir über die Jahre hinweg
aber immer wieder verteidigt haben.

Nun setzen wir gerade dieses Denken an diesem
Punkt in praktisches Regierungshandeln um.

Die Idee einer Generationenbilanz, wie Sie sie hier
vorgebracht haben, ist in diesem Sinne eigentlich alles
andere als neu. Es ist ein sehr richtiger Ansatz, ein wich-
tiger und unterstützenswerter Ansatz – das gebe ich
zu –; allerdings bringt uns das Ganze nur dann etwas,
wenn wir es in einem Gesamtkonzept verbunden sehen
können und als ein Gesamtkonzept betrachten können.
Aber davon sind Sie in der F.D.P. mit Ihrem Vorschlag
leider etwas entfernt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie berufen sich auf die Generationenbilanz der Bun-
desbank. Ich denke, Sie hätten sich die Schwachstellen,
die von der Bundesbank selber angeführt werden, ge-
nauer anschauen sollen. Hätten Sie das getan, hätten Sie
diesen Vorschlag so nicht eingebracht. Gerade die Bun-
desbank legt nämlich Wert auf die Feststellung, dass die
Umsetzungskonzepte, die wir derzeit haben, in der Ge-
nerationenbilanz auch massive Nachteile mit sich brin-
gen. Das ist zum einen, dass sie manipulierbar ist, dass
sie in ihrer Aussagekraft etwas begrenzt ist und das ist
zum anderen das Hauptproblem dieses Ansatzes, dass
wir gegenwärtige Entwicklungen einfach linear fort-
schreiben.

Was heißt das? Das heißt Folgendes: Wenn wir zum
Beispiel ein Basisjahr nehmen – Sie schlagen ja das Ba-
sisjahr 1996 vor – und das über Jahrzehnte hinweg fort-
setzen, dann bedeutet das, dass wir die Einmaligkeit von

bestimmten Faktoren von Belastungen auch über Jahr-
zehnte hinweg kontinuierlich fortsetzen. Für das Jahr
1996 – also das Basisjahr, das Sie vorschlagen – heißt
das, dass sich bestimmte Konjunkturflauten, bestimmte
Maßnahmen auch in diesem Sinne fortsetzen. Gerade
das Jahr 1996 war solch ein Jahr, in dem eine Konjunk-
turflaute stattgefunden hat. Gerade das Jahr 1996 war
ein Jahr, in dem sich die Belastungen der deutschen
Einheit massiv niedergeschlagen haben. In der Fortent-
wicklung über 10, 20, 30 Jahre hätten wir dann also ir-
gendwann einmal ein Horrorszenario, auf dem wir dann
unsere Politik aufbauen sollten.

Im Gegensatz dazu, wenn wir zum Beispiel das Jahr 2
von Rot-Grün als Grundlage nähmen, also das Jahr
2000,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der F.D.P.)


hätten wir dann doch wirklich um einiges rosigere Wer-
te. Das wäre doch eine Sache!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dirk Niebel [F.D.P.]: Im Jahre 2 seit Schröder!)


Bei vielen Faktoren, die für die zukünftige Entwick-
lung entscheidend sind, sind wir in der Tat auf manche
Formen von Spekulationen angewiesen. Zum Beispiel
in der Gesetzesfolgenabschätzung müssen wir dann,
wenn wir Regeln aufstellen, natürlich gewissermaßen
auch hantieren. Wir können nicht alles genau voraussa-
gen. Aber gerade in der Haushaltsstatistik taugen Speku-
lationen doch nichts. Kaffeesatzlesen können wir nicht,
Hellsehen können wir auch nicht, auch mit der Kugel –
da haben Sie sich mit Ihrem Zwischenruf geirrt, Herr
Kollege – können wir nicht hellsehen. Deshalb können
wir all das gerade in der Haushaltsstatistik nur begrenzt
einsetzen.

Nun gibt es in der Tat Länder, die schon eine Art Ge-
nerationenbilanz haben – zum Beispiel Norwegen. Aber
auch dort müssen wir unsere Augen aufhalten und dür-
fen uns nicht an Mogelpackungen orientieren. Gerade
Norwegen führt seine gigantischen Einnahmen aus
Nordseeöl und aus Nordseegas in seine Generationenbi-
lanz ein. Da wissen wir aber auch, dass die Einnahmen
aus diesen Bereichen vielleicht noch 15 Jahre, vielleicht
auch noch 20 Jahre reichen werden. Aber das, was da-
nach in der Fortschreibung passiert, ist offen. Ich denke,
das kann für uns kein Orientierungspunkt sein, weil die-
se Bilanz doch sehr unkorrekt wäre.

Was ist aber, wenn wir solche Maßnahmen haben –
Sie sprechen das ja so schön an –, die gerade die Zu-
kunftschancen der kommenden Generationen unter-
stützen und fortschreiben? Das ist zum Beispiel der Be-
reich Ausstieg aus der Atomenergie, Einstieg in alterna-
tive Energien, wodurch ja auch die Zukunftstechnolo-
gien gefördert werden, wodurch auch in diesem gesam-
ten Bereich der Wirtschaft etwas zusammengebaut wird
und wodurch auch für unsere Generation ein Stück weit
Zukunft und auch ein Stück weit Lebensqualität ökono-
misch und ökologisch verbessert werden. Gerade das
müssen wir doch mit hineinnehmen, aber das sind die

Dr. Ralf Brauksiepe






(A)



(B)



(C)



(D)


Folgen von politischen Entscheidungen, die man doch
so weit überhaupt nicht vorhersehen kann.

Daran sehen Sie auch, dass wir diesem Vorschlag im
Großen und Ganzen sehr offen gegenüberstehen. Des-
halb unterstützen wir auch gerade in diesem Bereich die
Forschung und die Fortentwicklung. Deshalb wollen wir
auch, dass das Ganze so umgesetzt werden kann, dass es
realistisch und pragmatisch ist. Aber das, was wir brau-
chen, sind nicht einfach irgendwelche Sonntagsreden,
sondern es sind vernetzte Konzepte, ganzheitliche Kon-
zepte in der Wirtschafts-, in der Sozial-, in der Umwelt-
politik, in der Ökonomie wie in der Ökologie. Genau das
brauchen wir und genau das bietet uns Ihr Modell der-
zeit nicht.

Einen Punkt möchte ich noch erwähnen. Die Politik
ist sehr an ein lineares Denken gewöhnt. Gerade Sie
sollten wissen, dass man in der Wirtschaft sehr oft Spiel-
theorien benutzt und auch als Entscheidungsgrundlage
nimmt. Das lernen wir in der BWL und das haben auch
Sie sicherlich in Ihren Ausbildungen gelernt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wie war denn Ihr Schein?)


Ich empfehle Ihnen, einmal einen Kurs in Kybernetik
oder systemischem Denken zu machen oder Ökopoly zu
spielen. Das gibt es inzwischen sogar in der Computer-
version. Dann würden Sie feststellen, dass Ihre Propa-
ganda gegen die Ökosteuer schlichtweg unsinnig ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Kurz gefasst: Die Methode, die Sie derzeit vorschla-
gen, ist eigentlich recht banal.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist ein doppelter Rittberger! Die Grünen sind dafür und deswegen lehnen sie ab!)


Aber dass wir ein Problem mit dem Generationenvertrag
haben, wissen wir. Gerade dieser Frage stellen wir uns.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das ist leider nicht zu erkennen!)


Wir debattieren darüber in der Haushaltspolitik, in der
Finanzpolitik und in der Rentenpolitik. Aber wir holen
in der Tat nicht das Blaue vom Himmel herunter und
machen den Leuten keine Versprechungen, die wir nicht
halten können.

Zum letzten Punkt. Die Grundannahme in Ihrem An-
trag – auch das muss ich hier festhalten – stimmt nicht.
Sie sagen zum Beispiel zu Beginn Ihres Antrages: Die
Arbeitslosigkeit steigt. Mit Verlaub, Herr Niebel: Die
Arbeitslosigkeit sinkt. Das haben uns die Statistiken ge-
zeigt.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Ja, Ihre Statistiken!)

Sie wird unter dieser Regierung auch immer weiter sin-
ken.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Die Erwerbslosenzahl nimmt ab! Deshalb sinken die Arbeitslosenzahlen!)


Es wird Zeit, dass Sie in der Wirklichkeit ankommen.
Gerade Sie, Herr Kollege Niebel, sollten die Statistiken
ganz gut lesen können, denn Sie kommen ja aus der
Branche.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Ihr Antrag,
Herr Kollege Niebel, der der F.D.P.-Fraktion, ist sicher-
lich sehr gut gemeint. Aber sein Ansatz ist in gewisser
Form abgekupfert.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Wie stimmen Sie denn jetzt ab?)


Er ist inhaltlich so nicht umsetzbar, weil er nicht realis-
tisch und schlichtweg schlecht ist. Deshalb ist meine
Beurteilung: ein schlichtes Blendwerk und in diesem
Sinne ein echter Niebel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1409606900
Ich möchte alle Kol-
leginnen und Kollegen, die jenseits der Statistik an die-
sem Thema interessiert sind, auf die umfangreichen Be-
richte und Erfahrungen der Enquete-Kommission „De-
mographischer Wandel“ des Deutschen Bundestages
hinweisen. Darin steht eine ganze Menge von dem, was
hier heute diskutiert wird.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die Arbeit dieser Enquete-Kommission geht weiter!)


Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Klaus Grehn.


Dr. Klaus Grehn (PDS):
Rede ID: ID1409607000
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Kollege Niebel, das
Wegweisende in Ihrem Antrag habe ich nicht erkennen
können.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das wundert mich nicht!)


Ich meine, der vorliegende Antrag ist eher ein taubes
Pflänzchen im Garten der parlamentarischen Initiativen
Ihrer Fraktion. Die Anwesenheit Ihrer Fraktion scheint
dafür schon ein Symptom zu sein.


(Beifall bei der PDS – Dirk Niebel [F.D.P.]: Dafür hat Ihr Redner vorhin zu Protokoll gegeben!)


Die Forderung nach einer Generationenbilanz zur
Guillotine für sozialpolitische Reformvorhaben zu ma-
chen, Kollege Niebel, ist absurd. Im zweiten Absatz der
Begründung des Antrages wird dann auch die Katze aus
dem Sack gelassen: Es geht um die Kürzung der Alters-
sicherung und die Abschaffung des Umlageverfahrens.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Quatsch! Sie haben es ja überhaupt nicht gelesen!)


Der angeblich viel zu teure Wohlfahrtsstaat belastet
die F.D.P.-Kinder und -Enkel allzu sehr.

Die Fraktion der PDS wird allen Versuchen ent-
schieden entgegentreten, den Staat aus seiner Veran-
wortung für die Wohlfahrt aller Bürgerinnen und
Bürger zu entlassen.

Ekin Deligöz






(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei der PDS)

Es ist dies sogar seine vorrangigste Aufgabe. Wenn es
denn ein Generationsproblem gibt, dann besteht es darin,
dass als Folge des Rückzuges von Unternehmen aus ih-
rer Verantwortung einerseits für die Jugend immer we-
niger Ausbildungs- und Arbeitsplätze zur Verfügung ge-
stellt werden und andererseits immer mehr und immer
jüngere ältere Arbeitnehmer aus dem Arbeitsprozess
ausgesondert werden.

Zu Recht werden von diesem Hause gegensteuernde
Entscheidungen erwartet. Es ist moralisch zutiefst ver-
werflich, dem Bürger immer dann mit mehr angeblicher
Eigeninitiative und weniger Staat zu kommen, wenn es
schlichtweg um seine berechtigten Ansprüche geht.
Wenn der Staat wegen einer falschen Finanz- und Steu-
erpolitik, einer kinderfeindlichen Familienpolitik, einer
Umverteilung von unten nach oben und Steuergeschen-
ken an die falsche Adresse immer weniger Geld zur Er-
füllung seiner Fürsorgepflicht hat, so lässt sich das nicht
mit der altersmäßigen Zusammensetzung der Bevölke-
rung übertünchen.

Die PDS hat ausreichend viele Vorschläge unterbrei-
tet, wie das Defizit in den Kassen ausgeglichen werden
kann. Wir sind gerne bereit, dazu Seminare durchzufüh-
ren, um Ihnen die Gedanken nahe zu bringen.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Haben Sie auch einmal mit Ihren jüngeren Kollegen geredet?)


Wir werden uns niemals mit dem Gedanken anfreun-
den, die Menschen dafür zu bestrafen, dass sie älter
werden, oder das Altsein den Jüngeren als Last zu sug-
gerieren.


(Wihelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer will denn das?)


In der Tat, Kollegin Kumpf, Nostradamus und die
Schatten der Zukunft scheinen die Kollegen von der
SPD dazu zu bringen, für das Heute und die heute Le-
benden das Falsche zu fordern. Es wird Zeit, dass wir
aufhören, uns selbst und unseren Kindern einen Genera-
tionenkonflikt einzureden, wenn wir Unzulänglichkeiten
und Fehlleistungen der Regierenden meinen. Jungen
Menschen einzureden, dass ihre Arbeitslosigkeit, das
Ausbleiben von Förderung, ihre Perspektivlosigkeit und
gesellschaftliche Missachtung damit zusammenhängen,
dass ihre Eltern und Großeltern zu alt werden und zu
viel Geld für sich verbrauchen, ist eine moralische Untat
und eine Lüge.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das finden wir auch!)


Wenn man schon fiskalische Vergleiche anstellt, Kol-
lege Niebel, dann muss man festhalten: Es ist nicht so,
dass die Seniorinnen und Senioren nur Nehmende des-
sen sind, was die arbeitenden Jüngeren an Sozialabga-
ben abführen. Zumindest als konsumfreudige Nachfra-
ger schaffen und erhalten sie Arbeitsplätze. Das Umla-
geverfahren und der Generationenvertrag waren auch
schon in Kraft, als die Älteren noch berufstätig waren.
Sie haben sich die Alterssicherung verdient; sie ist zu-
tiefst moralisch und gerecht.

Natürlich muss man die Belastung des einzelnen Ar-beitnehmers durch Steuern und Sozialabgaben in ver-
tretbaren Grenzen halten. Das gilt für heute genauso,
wie es für die künftigen Generationen gilt. Ich habe im
Übrigen Vertrauen in meine Enkel, dass sie sich eine
Regierung wählen, die das besser und gerechter regeln
wird, als es in der Vergangenheit geschehen ist.

Die Kollegen von der F.D.P. haben sich Sorgen um
die finanzielle Belastung der noch nicht Geborenen ge-
macht. Sie hätten sich besser Gedanken darüber ge-
macht, wie es heute den Eltern, insbesondere den Müt-
tern, dieser Kinder geht. Vernachlässigt man diese Über-
legungen, dann werden die Kinder nämlich gar nicht erst
geboren oder sie wachsen ohne soziale Sicherheit sowie
ohne Bildung und Ausbildung auf und sind die Arbeits-
losen von morgen.

Dafür zu sorgen, dass all das nicht zutrifft, darin be-
steht die Aufgabe dieses Parlaments. Wir können unend-
lich viel dafür tun, den kommenden Generationen eine
intakte und gerechte Welt zu überlassen. Die Abschaf-
fung oder Reduzierung von Fürsorge und Wohlfahrt ge-
hört nicht dazu, das Schüren von Missgunst und Neid,
das Herbeireden von Konflikten zwischen Kindern, El-
tern und Großeltern genauso wenig.


(Beifall bei der PDS – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So, wie Sie das gerade gemacht haben! – Dirk Niebel [F.D.P.]: Genau das! Eine ziemlich rückwärts gewandte Rede, mindestens zehn Jahre rückwärts gewandt! – Willhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: In der Sache sind wir uns einig, Herr Niebel!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1409607100
Jetzt hat das Wort
die Kollegin Birgit Schnieber-Jastram, CDU/CSU-
Fraktion.


Birgit Schnieber-Jastram (CDU):
Rede ID: ID1409607200
Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich ei-
nes aus dieser Debatte mitnehmen darf, dann ist es, liebe
Frau Kumpf, dass Sie heute den ersten Rückzug ange-
kündigt haben;


(Ute Kumpf [SPD]: Was? Leider nein!)

denn ich kann mich gut an die Aussagen des Ministers
erinnern, die er vor kurzem in der Debatte zur Generati-
onenbilanz gemacht hat. Dort hat er sich sehr positiv ge-
äußert. Sie haben eben gesagt, er sei manchmal zu nett
zu uns.


(Ute Kumpf [SPD]: Er hat eben Sitte und Anstand!)


Zunächst einmal stimmt das nicht, aber wenn es in
der Frage so gewesen sein sollte, dann bereiten Sie, wie
gesagt, jetzt den Rückzug vor.

Frau Deligöz, ein bisschen habe ich schon den Ein-
druck, dass die Grünen eingenordet wurden, dass sie
wieder einmal vom Thema der Nachhaltigkeit, das sie
lange Zeit sehr positiv besetzt haben, abgekommen sind.

Dr. Klaus Grehn






(A)



(B)



(C)



(D)


Sie sind regierungstreu. Sie sagen jetzt auch hier: Wir
sind zwar im Prinzip offen, aber noch lieber nicht, und
wir müssen alles noch lange überlegen.


(Zuruf der Abg. Ute Kumpf [SPD])

Das Thema der Generationenbilanz ist, glaube ich,

viel zu wichtig, Frau Kumpf, als dass wir uns darüber
streiten sollten. Die Zahlen sind noch einmal sehr deut-
lich geworden; die Studie der Deutschen Bundesbank ist
erwähnt worden. Es gibt eine umfangreiche Forschung.
Alle Zahlen machen eines deutlich: Wir müssen die Be-
lastung für die nachfolgende Generation drastisch ab-
bauen und langfristig eine ausgeglichene Generationen-
bilanz erreichen.

Herr Dr. Grehn, das hat mit dem, was Sie hier gesagt
haben, wirklich überhaupt nichts zu tun. Vielmehr glau-
be ich, dass dieses Handeln in Verantwortung vor allen
Generationen notwendig ist. Wir dürfen die finanziellen
Lasten nicht länger auf die Kinder abschieben. Lassen
Sie uns in diesem Bereich schnell und klar handeln!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deswegen haben wir damals unseren Antrag einge-

bracht. Wir freuen uns darüber, Herr Niebel, dass die
F.D.P. jetzt einen Vorschlag eingebracht hat; denn da-
durch haben wir einmal mehr Anlass, uns im zuständi-
gen Ausschuss wirklich zu überlegen: Wie gehen wir
mit diesem Thema um? Wie führen wir es einer Lösung
zu? Wie können wir dafür sorgen, dass wir auf diesem
Gebiet weiterkommen und uns mit dem Thema nicht nur
verbal auseinander setzen?

Eines muss doch wirklich ganz klar sein: Das Ziel der
Generationengerechtigkeit und das Ziel der Nachhal-
tigkeit in der Alterssicherung können nur im Konsens
aller Parteien erreicht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das ist übrigens auch der Grund gewesen, warum wir
damals auf die Regierung zugegangen sind und
Verhandlungen über einen Rentenkonsens angeboten
haben.


(Erika Lotz [SPD]: Ihr habt ihn gebrochen!)

Ich sage es noch einmal ganz deutlich: CDU und CSU
wollen einen Kompromiss mit der Regierung in der
Rentenfrage. Mit diesem Ziel sind wir in die Rentenge-
spräche gegangen. Dazu stehen wir nach wie vor. Aller-
dings akzeptieren wir, Frau Lotz, nur einen soliden Ren-
tenkompromiss, der die Alterssicherung langfristig ga-
rantiert und gleichzeitig den Beitragssatz in vernünftigen
Grenzen hält. Nur so ist Gerechtigkeit zwischen den Ge-
nerationen herzustellen und nur so kann eine Akzeptanz
der gesetzlichen Rentenversicherung durch die jüngere
Generation, die uns am Herzen liegen muss, erreicht
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Erika Lotz [SPD])


Ich muss Ihnen leider sagen: Sie betreiben bisher kei-
ne Politik der Nachhaltigkeit und der Generationenge-
rechtigkeit.


(Zuruf von der CDU/CSU: Eine Politik der Kurzatmigkeit! – Erika Lotz [SPD]: Sie erzählen Märchen!)


Ich will Ihnen das gerne auch anhand von einigen Bei-
spielen beweisen.

Erstes Beispiel. Mit der von Ihnen beschlossenen
Rente nach Kassenlage vermengen Sie die problemati-
sche Situation der Rentenversicherung mit der aktuellen
Haushaltslage.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es wird gespart, ohne eine echte Strukturreform in der
Rentenversicherung in Angriff zu nehmen. Das ist keine
Politik der Nachhaltigkeit.


(Erika Lotz [SPD]: Jetzt machen Sie hier NRW-Wahlkampf!)


Erinnern Sie sich doch noch einmal: Wir haben Sie bei
der Verabschiedung des Haushaltssanierungsgesetzes im
letzten Jahr gewarnt und gesagt: Die Rente nach Kassen-
lage ist willkürlich und unberechenbar. Aber Sie haben
schon damals nicht auf uns hören wollen. Heute ernten
Sie die Früchte Ihrer eigenen falschen und unsozialen
Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf der Abg. Erika Lotz [SPD])


Was stellt sich denn jetzt heraus? Die Rentner be-
kommen in diesem Jahr noch nicht einmal einen Aus-
gleich für die Inflationsrate.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Skandal! – Erika Lotz [SPD]: Sie wiederholen hier eine Lüge!)


Die Rentenanpassung zum 1. Juli 2000 wird deutlich ge-
ringer ausfallen als der Anstieg der Verbraucherpreise in
diesem Jahr. Die Rentner bekommen eine Rentenerhö-
hung, die 1 Prozent niedriger liegt, als ihnen zugesagt
war. Das macht, da beißt die Maus keinen Faden ab, cir-
ca 240 DM Verlust im Jahr pro Rentner aus. Das ist ein
herber Verlust.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Erika Lotz [SPD]: Ungeheuerlich, was Sie hier von sich geben! – Weiterer Zuruf von der SPD: Lügen werden durch Wiederholung nicht wahrer! – Lügen haben kurze Beine!)


Was stellt sich weiter heraus? Das den Rentnern auf-
erlegte Sparopfer bringt noch nicht einmal die erwarte-
ten Einsparungen im Haushalt der Rentenversicherung.


(Erika Lotz [SPD]: Wahlkampf pur!)

VdK-Präsident Hirrlinger sagt dazu: Riester habe Be-
rechnungen in die Welt gesetzt, die vorne und hinten
nicht stimmen. – Sogar Kollegen aus Ihren eigenen Rei-
hen schimpfen. Und der DGB – wahrlich eine nicht uns,
sondern eher Ihnen nahe stehende Vereinigung – bringt
es auf den Punkt:

Es wäre gescheiter gewesen, diesen willkürlichen
Eingriff zu unterlassen – zumal er unnötig war.

Recht hat der DGB an dieser Stelle.

Birgit Schnieber-Jastram






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(B)



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(D)



(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Damit aber nicht genug: Längst ist klar, dass Sie Ihr

Versprechen nicht halten können, im Jahre 2002 zur
nettolohnbezogenen Rente zurückzukehren. Jetzt
suchen Sie nach neuen Wegen und wollen die Rentner
belasten, indem Sie die Nettolöhne neu definieren, im
Übrigen ohne die junge Generation zu entlasten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben Verschuldung mit ungedeckten Schecks vor!)


Sie werden nicht darum herumkommen, bezüglich der
Rente die Frage zu beantworten, wie Sie mit der demo-
graphischen Entwicklung umgehen wollen,


(Zuruf von der SPD: Der Wahlkampf ist vorbei!)


damit der Sozialstaat auch für unsere Kinder langfristig
bezahlbar bleibt.

Ich möchte ein zweites Beispiel nennen – ich halte es
für sehr wichtig, das zu sagen –: Die im Bündnis für Ar-
beit wiederbelebte „Rente mit 60“ ist ebenfalls ein An-
schlag auf die Generationengerechtigkeit. Die Auswei-
tung der Möglichkeiten eines vorzeitigen Rentenbeginns
ist das völlig falsche Signal, weil hierdurch der Genera-
tionenkonflikt verschärft wird. Junge Arbeitnehmer
müssen in einen Fonds einzahlen, obwohl sie selber da-
von nie profitieren können. Das Geld wird für zweifel-
hafte Frühverrentungsprogramme


(Erika Lotz [SPD]: Wahlkampf pur!)

anstatt zur langfristigen Sicherung von Rentenansprü-
chen der jüngeren Generation genutzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Signale sind verheerend: Bei den Arbeitgebern

entsteht der Eindruck, der über 50-Jährige stehe bereits
kurz davor, ein sozialpolitischer „Entsorgungsfall“ zu
werden. So schaden Sie mit der Förderung der Frühver-
rentung sowohl den jüngeren wie auch den älteren Ar-
beitnehmern.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat Ihnen das aufgeschrieben?)


Weiterbildung mit 50 ist wichtiger als Rente mit 60.

(Beifall bei der CDU/CSU)


In diesem Zusammenhang kann man nur begrüßen,
dass die Tarifparteien der Chemieindustrie in ihrer jetzt
getroffenen Vereinbarung auf die Einführung der „Rente
mit 60“ verzichtet haben


(Zuruf von der SPD: Was soll der Schwachsinn?)


und stattdessen ein sinnvolles Altersteilzeitmodell favo-
risiert haben.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Daran waren Sie beteiligt, oder was?)


Das ist noch ein Beispiel dafür, dass Ihre Politik nicht
auf Nachhaltigkeit angelegt ist. Sie rühmen sich immer
damit, den Beitragssatz in der Rentenversicherung abge-
senkt zu haben.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir auch! Sie haben ihn ja jahrelang erhöht!)


Die Absenkung des Beitragssatzes war aber nicht des-
wegen möglich,


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das mit der Mehrwertsteuer auf den Weg gebracht!)


weil Sie eine grundlegende Strukturreform auf den Weg
gebracht haben; sie war nur möglich, weil Sie Einnah-
men aus der Ökosteuer in den Bundeshaushalt gepumpt
haben.


(Peter Dreßen [SPD]: Wir haben Ordnung gemacht! Wir haben Ihr Chaos beseitigt!)


Dabei übersteigt der Bundeszuschuss schon jetzt

(Erika Lotz [SPD]: Hören Sie auf mit Ihrem Quatsch!)

die Höhe der versicherungsfremden Leistungen in der
Rentenversicherung.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die Mehrwertsteuer benutzt, Frau Schnieber! Was ist mit der Mehrwertsteuer?)


Damit auch diese Zahlen klar sind, will ich ein Wort
zu den Belastungen der Rentner aufgrund der Ökosteu-
er sagen. Das sind nach soliden Berechnungen im Jahr
2000 389 DM,


(Erika Lotz [SPD]: Wahlkampf, Wahlkampf!)

im Jahr 2001 479 DM, im Jahr 2002 569 DM und im
Jahr 2003 659 DM zusätzliche Belastung für den norma-
len Rentner.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Echte soziale Gerechtigkeit!)


Das sage ich, damit hier ganz klar wird, dass das nicht
an den Rentnern vorbeigeht.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 0,03 Prozent Preissteigerung für Rentnerhaushalte! – Gegenruf der Abg. Erika Lotz [SPD]: 0,02 Prozent für Rentner!)


Lassen Sie uns gemeinsam vernünftig darüber nach-
denken, wie wir mit dem Thema der Generationenbilan-
zen umgehen, damit wir ein klares Kriterium dafür ha-
ben, vor welchem Horizont wir uns bewegen, welche
Spielräume wir in der Sozialpolitik haben.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Verdrängen Sie das nicht! Sie werden es sehr bereuen,
wenn Sie an dieser Stelle sagen: „Das wollen wir nicht“,

Birgit Schnieber-Jastram






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(D)



(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten einmal zu den Renten sprechen und nicht zu diesem Thema! – Erika Lotz [SPD]: Wie heißt der Tagesordnungspunkt? Worüber reden wir heute?)


weil Sie am Ende immer Rechenschaft über Ihre eigenen
Versprechungen ablegen müssen, die Sie in allen Wahl-
kämpfen und auch hier und heute immer wieder ge-
macht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Das wird nicht besser dadurch! – Weiterer Zuruf von der SPD: So ein Wahlkampf!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409607300
Ich
schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überwei-
sung der Vorlage auf Drucksache 14/1758 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-

nen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz
der Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopp-
lung (KWK-Vorschaltgesetz)

– Drucksache 14/2765 –

(Erste Beratung 91. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)

– Drucksache 14/3007 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Volker Jung (Düsseldorf)


Es liegen vier Änderungsanträge der Fraktion der
PDS vor. Über den Gesetzentwurf und einen Ände-
rungsantrag der Fraktion der PDS werden wir nachher in
namentlicher Abstimmung entscheiden.

Weiterhin liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich hö-
re keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Volker Jung von der SPD-Fraktion das Wort.


Volker Jung (SPD):
Rede ID: ID1409607400
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Der heute zur Beschlussfas-
sung vorliegende Gesetzentwurf enthält ein Überbrü-
ckungsprogramm für besonders gefährdete Kraft-
Wärme-Kopplungsanlagen, dem alsbald ein Gesetz
zum Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung folgen soll.
Denn die gekoppelte Erzeugung von Strom und Wärme
ist eine ökologisch wertvolle und wirtschaftliche ver-
nünftige Energieerzeugungsart, die in der Vergangenheit
deshalb auch massiv politisch gefördert worden ist.


(Beifall bei der SPD)

Wenn ihre Wirtschaftlichkeit wegen des dramati-

schen Preisverfalls auf dem Strommarkt gegenwärtig in-
frage steht, so ist dies das Ergebnis eines ungezügelten
Wettbewerbs und mangelnder Vorsorge bei der Gesetz-
gebung, ein für unsere Energiepolitik inakzeptabler Zu-
stand, dem abgeholfen werden muss.

Der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung wurde nicht
zuletzt von der alten Bundesregierung, aber auch von
den Landesregierungen über Jahrzehnte hinweg mit
staatlichen Milliardenprogrammen gefördert. Dass die
älteren KWK-Anlagen in der öffentlichen Versorgung
die am wenigsten wirtschaftlichen sind und vorwiegend
mit heimischer Steinkohle befeuert werden, ist auch kein
Zufall, denn ihre Förderung hat etwas mit der Kohlevor-
rangpolitik der alten Bundesregierung zu tun, die wir als
Opposition allerdings auch nachdrücklich unterstützt
haben.


(Beifall bei der SPD)

Wir wollen diese Anlagen, die in der gegenwärtigen

Niedrigpreisphase ineffizient geworden sind, nicht län-
ger an den Netzen halten, als es aus ökologischen und
ökonomischen Grünen unbedingt erforderlich ist. Wir
bekennen uns zu dem Strukturwandel, der durch den
Wettbewerb vorangetrieben wird. Deshalb legen wir un-
ser Überbrückungsprogramm auch degressiv an und
begrenzen es zeitlich.

Aber die Betreiber müssen wenigstens die Chance er-
halten, diese Anlagen, die von einem Tag auf den ande-
ren unwirtschaftlich geworden sind, unter vernünftigen
Rahmenbedingungen zu modernisieren, effizienter zu
gestalten oder auch zu ersetzen. Es macht ökologisch
überhaupt keinen Sinn, KWK-Anlagen, die in geschütz-
ten Märkten für einen relativ genau abschätzbaren Wär-
mebedarf und Stromabsatz konzipiert wurden, stillzule-
gen, den Strom aus billigeren Quellen zu beziehen und
zur Bereitstellung des Wärmebedarfs in unseren Nah-
und Fernwärmesystemen neue Heizkraftwerke zu bauen,
die den Energieverbrauch erhöhen und unsere CO2-Bilanz verschlechtern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es macht auch ökonomisch überhaupt keinen Sinn,
den Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung in einem
Jahrzehnt verdoppeln zu wollen – wie es die Euro-
päische Union zum Ziel erhoben hat, was von der alten
Bundesregierung unterstützt wurde und auch von unse-
rer Bundesregierung erst kürzlich wieder bekräftigt
worden ist –, wenn man jetzt erst einmal einen großen
Teil dieser Anlagen vom Netz gehen lässt, insbesondere
angesichts der Tatsache, dass sich ein Teil der Anlagen
nach der gegenwärtigen Marktbereinigungsphase bei
wieder ansteigenden Strompreisen, wovon jeder Fach-
mann ausgeht, am Ende durchaus rechnen würde.

Das ganze Ausmaß des Dilemmas wurde deutlich, als
der Wettbewerb mit Kampfpreisen auf Grenzkostenba-
sis, teilweise sogar mit Dumpingpreisen auf dem
Strommarkt begann. Wenn man die Ausführungen in
unserer Anhörung und auch die Ergebnisse der Studien,

Birgit Schnieber-Jastram






(A)



(B)



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die inzwischen vorliegen, ordentlich analysiert, dann
stellt man fest, dass fast alle zu dem Ergebnis kommen,
dass die Preisnachlässe für Haushaltskunden bei rund
10 Prozent, für Gewerbekunden bei 30 Prozent und in
der Industrie bei mehr als 40 Prozent liegen.

Das hat fatale Folgen: Diese Preisnachlässe haben
die indexierten Einspeisevergütungen für erneuerbare
Energien unter die Wirtschaftlichkeitsgrenze gedrückt.
Die Banken haben inzwischen die Kredite verweigert,
Anlagenbestellungen wurden storniert und die Anla-
genhersteller drohten in Existenznot zu geraten. Das ha-
ben wir mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz korri-
giert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen in der allgemei-
nen Versorgung, die anlagenspezifisch mit Stromgeste-
hungskosten von 8 bis 15 Pfennig pro Kilowattstunde
arbeiten, müssen heute mit durchschnittlichen Stromlie-
ferpreisen konkurrieren, die von mehr als 14 Pfennig
auf 6 Pfennig je Kilowattstunde und weniger gefallen
sind. Sie sind allesamt in ihrer Existenz bedroht. Die
industrielle Kraft-Wärme-Kopplung, die wegen ihres
hohen und kontinuierlichen Prozesswärmeabsatzes
betriebswirtschaftlich sehr viel rentabler arbeitet,
aber mit Industriestrompreisen von 4 bis 5 Pfennig kon-
kurrieren muss, ist inzwischen ebenfalls in diesen Sog
geraten.

Meine Damen und Herren, wenn es nach mir gegan-
gen wäre, dann hätten wir die industrielle Kraft-Wärme-
Kopplung in unser Überbrückungsprogramm einbezo-
gen, allerdings mit deutlich niedrigeren Fördersätzen.
Denn eine formale Gleichbehandlung der industriellen
Kraft-Wärme-Kopplung würde bei den beschriebenen
betriebswirtschaftlichen Vorteilen zu einer faktischen
Ungleichbehandlung der Kraft-Wärme-Kopplung in der
allgemeinen Versorgung führen. Aber leider haben wir
uns da nicht durchsetzen können. Dies muss einer An-
schlussregelung vorbehalten bleiben.

Es ist uns lediglich gelungen, den Teil der industriel-
len Kraft-Wärme-Kopplung, der Strom für die allgemei-
ne Versorgung von Letztverbrauchern liefert, in unser
Überbrückungsprogramm einzubeziehen. Das ist wichtig
genug, denke ich: Das wird in Ostdeutschland mehrere
Tausend Arbeitsplätze retten, die heute akut bedroht
sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine Be-
merkung zu den Eckpunkten unseres Gesetzentwurfes
machen. Wir wollen alle Kraft-Wärme-Kopplungsan-
lagen der allgemeinen Versorgung auf der Basis von
Braun- und Steinkohle, Gas, Öl und Abfall einbezie-
hen – Kernenergie gehört ausdrücklich nicht dazu –, die
am 1. Januar 2000 am Netz waren. Es werden auch die-
jenigen Anlagen in die Förderung einbezogen, die be-
reits bestellt, aber noch nicht geliefert worden sind. Das
hat sich als notwendig erwiesen, um Ersatzinvestitionen
in moderne Anlagen nicht zu gefährden.

Wir wollen die Förderung auf Unternehmen be-
schränken, die mehr als 25 Prozent der installierten Leis-
tung durch Kraft-Wärme-Kopplung erzielen und mehr
als 10 Prozent KWK-Strom auskoppeln. Es wird an-
genommen, dass unterhalb dieser Grenze der unter-
nehmerische Spielraum ausreicht, um KWK-Anlagen
durch betriebswirtschaftliche Maßnahmen am Netz zu
halten.

Wir wollen eine Einspeisevergütung von anfänglich
9 Pfennig pro Kilowattstunde festlegen, wobei 3 Pfennig
auf die vorgelagerte Netzebene umgelegt werden
können. Die Vergütung sinkt jährlich um einen hal-
ben Pfennig. Diese Vergütungssätze werden zu ei-
nem geringfügigen Anstieg der Strompreise um rund
0,25 Pfennig führen. Bei den derzeitigen Preiseinbrü-
chen ist das eine durchaus vertretbare Größenordnung.

Das jetzt vorliegende Gesetz wird uns eine Atempau-
se verschaffen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Wenn wir uns daranmachen, noch in diesem Jahr eine
Anschlussregelung zu entwickeln, dann werden wir bei
einer Reihe von Ansatzpunkten sicherlich umdenken
müssen. Der Marktdruck soll nach unserer Auffassung
erhalten bleiben, um alle Potenziale zur Effizienzstei-
gerung auszuschöpfen. Darum kommt nur eine wettbe-
werbskonforme Lösung infrage. Nach meiner Überzeu-
gung erfüllt eine Quotenregelung mit einem Zerti-
fikathandel diese Anforderung am besten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen alle Anlagen in das Fördersystem einbe-
ziehen, also auch die industrielle Kraft-Wärme-
Kopplung, weil hier die größten Wachstumspotenziale
im Wärmemarkt liegen. Das ist ein klares Signal an die
Industrie, in ihre Kostenkalkulation auch diesen Zu-
kunftsmarkt einzubeziehen. Wir werden vom derzeitigen
Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung ausgehen und die
Quote regelmäßig anheben, um unser Ziel zu erreichen,
ihren Anteil in einem Jahrzehnt zu verdoppeln.

Wir wollen auch ein nach Europa geöffnetes System
schaffen, allerdings auf strikter Gegenseitigkeit. Ländern
wie Dänemark und Holland, die die Kraft-Wärme-
Kopplung fördern und in denen diese Technik bereits
einen hohen Marktanteil erreicht hat, sollte unser Markt
offen stehen und umgekehrt, den anderen Ländern nicht.
Das ist europarechtlich möglich und würde auch die eu-
ropäische Integration fördern.

Die Kraft-Wärme-Kopplung leistet mit 27 Mil-
lionen Tonnen bereits heute einen wesentlichen Beitrag
zur Einsparung von CO2-Emissionen. Mit dem be-absichtigten Ausbau bis 2010 können weitere Einspa-
rungen in Höhe von 23 Millionen Tonnen kostengünstig
realisiert werden. Alle anderen Möglichkeiten, die CO2-Emissionen im Energiesektor zu senken – die natürlich
auch weiter verfolgt werden müssen –, halten einem
Kostenvergleich mit der Kraft-Wärme-Kopplung nicht
stand.

Es bleibt insbesondere mit Blick auf den europäi-
schen Binnenmarkt nach meiner Auffassung nur der
Weg eines gemeinsamen Marktes für erneuerbare Ener-

Volker Jung (Düsseldorf)







(A)



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(D)


gien und Kraft-Wärme-Kopplung, der sich in ganz Eu-
ropa an den anerkannten Zielen der Preisgünstigkeit, der
Versorgungssicherheit und des Umweltschutzes orien-
tiert. Zum Aufbau eines solchen Marktes können und
müssen wir unseren Beitrag leisten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409607500
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Franz
Obermeier von der CDU/CSU-Fraktion.


Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1409607600
Herr Präsident! Kol-
leginnen und Kollegen! Neben den erneuerbaren Ener-
gien ist die Kraft-Wärme-Kopplung grundsätzlich eine
geeignete Technologie, die Effizienz der Energieum-
wandlung zu erhöhen und dadurch umweltrelevante
Emissionen zu vermeiden. Dies gilt allerdings nicht pau-
schal für alle Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Nicht
jede ist per se ökologisch. Häufig sind ökologische und
ökonomische Vorteile der Kraft-Wärme-Kopplung eng
miteinander verbunden, quasi miteinander verkoppelt.
Ökonomisch sinnvolle Anlagen sind auch ökologisch
sinnvolle Anlagen.

Vor diesem Hintergrund ist es schon interessant, was
die Regierungskoalition im Gesetzentwurf festgehalten
hat. Sie fördert überwiegend kommunale Anlagen, un-
geachtet der Umweltgesichtspunkte und der Energieeffi-
zienz, mit anfangs 9 Pfennig je Kilowattstunde. Hier
setzt unsere Kritik an. Mit dem Gesetz schützen Sie
auch die ökologisch ungünstigen Anlagen und suggerie-
ren, dass alle Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen klima-
und umweltfreundlich Strom erzeugen. Für uns in der
CDU/CSU-Fraktion geht es beim Schutz der Kraft-
Wärme-Kopplungsanlagen darum, den energie- und
umweltpolitischen Vorteil zu erhalten. Deswegen ist ei-
ne unterschiedliche Behandlung, abhängig von den Ei-
gentumsverhältnissen, mit nichts zu rechtfertigen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Die Koalitionsfraktionen erkennen zwar, dass die in-
dustrielle Kraft-Wärme-Kopplung notleidend ist, aber
vom Gesetz werden diese Anlagen weitgehend nicht er-
fasst, obwohl zurzeit monatlich rund 200 Megawatt
Leistung vom Netz gehen und die Anlagen eingemottet
werden. Ihre Ignoranz in dieser Sache richtet einen er-
heblichen Schaden bei den Betrieben bis hin zu Firmen-
zusammenbrüchen und Arbeitsplatzverlusten an.

In dem Gesetzentwurf unterscheiden Sie zwischen
guten und schlechten Anlagen. Man muss wissen, dass
es in Deutschland 900 Stadtwerke gibt. Mehr als die
Hälfte davon bezieht ihren Strom von einem fremden
Versorger. Das heißt, sie profitieren von der Liberalisie-
rung. Nur 60 Stadtwerke in Deutschland erzeugen Strom
aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Von diesen ist
wiederum nur ein Teil im Wettbewerb ökonomisch
problematisch.

Aus dieser Sicht ist es unerklärbar, aus welchen
Gründen fast alle kommunalen KKWs gestützt werden,
die „stranded investments“ der Industrie aber weitge-
hend ausgeschlossen werden. Die Abgrenzung der in-
dustriellen Kraft-Wärme-Kopplung ist reine Willkür.
Das nenne ich Klientelpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU – Walter Hirche [F.D.P.]: Interessengeleitete Politik!)


Wenn schon in dirigistischer Weise eingegriffen wer-
den muss – in der CDU/CSU-Fraktion bekennen wir uns
dazu, dass wir hier eingreifen und helfen –,


(Volker Jung [Düsseldorf] [SPD] Das ist schon einmal sehr wichtig!)


dann im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes für alle
„stranded investments“ und dies zeitlich befristet und ef-
fizienzorientiert.

Ebenso willkürlich sind Ihre Stichtagsregelungen
nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes. Das Gesetz muss meines
Erachtens zulassen, dass Ausgliederungen von „stranded
investments“ aus Konzernunternehmen für die Vergü-
tung unschädlich sind. Ihre Regelung hat zur Folge, dass
notwendige Strukturbereinigungen auf dem liberalisier-
ten Strommarkt aufgeschoben werden. Betroffen sind
davon wichtige Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, unter
anderem hier in Berlin.

Die Kosten für diese erneute Subvention von
Energietechniken werden dank rot-grüner Umvertei-
lungsmethode wieder einmal direkt beim Verbraucher
landen. Man muss schon sagen: Über das Erneuerbare-
Energien-Gesetz werden bis zu 4, vielleicht sogar 5 Mil-
liarden DM auf den Verbraucher umgelegt. Jetzt kommt
die Kaft-Wärme-Kopplungsregelung mit wahrschein-
lich noch 1 Milliarde DM hinzu. Was später durch
Nachfolgeregelungen kommt, muss man abwarten.
Dies geschieht, obwohl die Ökosteuer schon eine
steigende Belastung für die Bürger bringt. Diese fragen
sich nach dem Ziel der Bundesregierung bei dieser Poli-
tik.

Für mich stellt sich das Ziel der Bundesregierung so
dar, dass der Verbrauch von Energie so teuer gemacht
werden muss, dass jeder einzelne Bürger seinen Ver-
brauch von Benzin, Strom, Diesel, Gas und Heizöl aus
ökonomischen Gründen zurücknehmen muss.


(Peter Dreßen [SPD]: Sagen Sie einmal, wie sie entlastet werden!)


Das ist das Moderne an der Politik der Schröder-
Regierung. Die Familien, die Rentner, die Jugendlichen
und die Betriebe – das betrifft die Arbeitsplätze – wer-
den sich dafür bedanken,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Peter Dreßen [SPD]: Die Ökosteuer geben wir voll zurück! Das wissen Sie scheinbar noch nicht!)


Sie verstehen nicht, warum notwendige Hilfen für not-
leidende Energieerzeugungsanlagen nicht aus den Öko-
steuereinnahmen finanziert werden.

Volker Jung (Düsseldorf)







(A)



(B)



(C)



(D)



(Peter Dreßen [SPD]: Sie wollen nicht erkennen, dass wir es wieder zurückgeben!)


Nein, Sie satteln noch einmal drauf und erzählen den
Bürgerinnen und Bürgern in Sonntagsreden nach dem
Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“, dass sie seit
Amtsantritt der rot-grünen Regierung mehr Geld im Por-
temonnaie hätten, und meinen auch noch, dass die Leute
dies glauben. Dies betrifft insbesondere Familien mit
mehreren Kindern, für die zwingend Fahrt- und
Energiekosten entstehen. Ihnen sagen Sie: Fahr doch bit-
te ein Dreiliterauto; dann sparst du. – Ich nenne das Be-
vormundung des Bürgers über den Geldbeutel durch die
Regierung Schröder.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, auf die

Rede des Bundesumweltministers in der gestrigen De-
batte einzugehen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das rentiert sich nicht!)


– Es rentiert sich nicht, aber es ist doch interessant.
Der Bundesumweltminister führte aus, dass in Bay-

ern Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen von Kernkraft-
werksbetreibern mit Gewinnen aus den abgeschriebenen
Kernkraftanlagen zu hohen Preisen aufgekauft und still-
gelegt werden. Ich fordere den Herrn Bundesumwelt-
minister auf, diese Aussage so zu präzisieren, dass sie
auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden kann.

Bayern ist das Land, das mit zielführender Politik der
Staatsregierung im Umwelt-, Natur- und Klimaschutz
beste Erfolge erzielt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Das ist aber neu! – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Richtig!)


In meiner Gemeinde steht ein Kraft-Wärme-gekoppeltes
Steinkohlekraftwerk, das die Große Kreisstadt Freising
und den Flughafen München versorgt. In meinem Wahl-
kreis entsteht gerade ein Kraft-Wärme-gekoppeltes
Biomasse-Heizkraftwerk mit guten Kennziffern. Wir
wollen aus Verantwortung gegenüber unseren Kin-
dern, das Mögliche verwirklichen – und das, obwohl
das Land Bayern für sich das Klimaschutzziel einer
25-prozentigen Minderung der CO2-Emissionen erreicht hat.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: So ist es!)

Vor wenigen Tagen habe ich einen Vertrag über den

Bau eines neuen Kraftwerks mit einer Leistung von
40 Megawatt Strom – einschließlich Wärme und Brenn-
stoffe – gesehen. Der Nutzungsgrad beträgt 85 bis
90 Prozent. Sie sehen: Es tut sich etwas und das ist gut
so. Deswegen interessiere ich mich für die vom Bundes-
umweltminister dargelegten Umstände des Kaufs der
Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen und dessen Folgen.

Nach der gestrigen Debatte über das energiepolitische
Konzept der Bundesregierung darf ich den Koalitions-
fraktionen noch einen Zahn ziehen: In der Diskussion

um den Ausstieg aus der Kernenergie vertritt Rot-Grün
die Auffassung, dass die Grundlast der Kernkraftwerke
bei deren Ausfall von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen
kompensiert werden kann. In den Heizkraftwerken mit
Stromproduktion reduziert der steigende Wärmebedarf
im Winter die Stromerzeugung ganz erheblich. Genau
zu dieser Jahreszeit haben wir aber auch den höchsten
Stromverbrauch.

In der Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU-
Fraktion schreibt die Bundesregierung, dass sie es für
abwegig hält, dass die erneuerbaren Energien im nächs-
ten Jahrzehnt für die Elektrizitätsversorgung in der
Grundlast verfügbar sind. Das heißt im Prinzip, dass die
Grundlast eines jeden abgeschalteten Kernkraftwerks
durch mit fossilen Brennstoffen befeuerte Kraftwerke
ersetzt werden muss. Unser Klimaschutzziel – minus
25 Prozent CO2-Emissionen und Spurengase – wird so nicht erreicht werden. Das werden wir Ihnen nicht
durchgehen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Nein! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Das war aber eine kraftvolle Drohung!)


Die in § 3 Abs. 2 aufgenommene Ausschlussregelung
nach mindestens 25 Prozent Leistung KWK und 10 Pro-
zent Stromerzeugung ist willkürlich, diskriminierend
und mit dem Gleichheitsgrundsatz unvereinbar. Haben
Sie dafür eine vernünftige Begründung? Warum haben
Sie nicht die Grenzwerte 20 Prozent und 8 Prozent oder
30 Prozent und 15 Prozent gewählt?

Meine Damen und Herren, Kriterien von Ökologie
und Ökonomie bleiben völlig außer Acht. Durch den
Änderungsantrag wird es auch nicht klarer. Im Übrigen:
Wenn man ihn so deuten würde, dass mehr Anlagen
einbezogen werden, erkenne ich einen Widerspruch zu
§ 3 Abs. 1, der davon wieder abweicht.

Die CDU/CSU-Fraktion bietet mit dem vorliegenden
Entschließungsantrag eine Alternative, die an der erfor-
derlichen Effizienz der Anlagen orientiert ist, nicht am
Eigentümer, und die wettbewerbsneutrale Haushaltslö-
sungen vorsieht. Vor wenigen Tagen haben wir dieses
Gesetz im Ausschuss diskutiert. Es war uns nicht mög-
lich, die Inhalte insbesondere des Änderungsantrages de-
tailliert zu beraten. Aber das ist ja kein Wunder, denn
das vorliegende Gesetz knüpft nahtlos an die Qualität
der Gesetzesarbeit der Regierung Schröder an. Es ist ge-
nauso schlecht wie vieles andere, was wir vorgelegt be-
kommen: unklar im Detail, geringe Ökorelevanz, dafür
Klientelbegünstigung, ein Fehlschuss zulasten der Ver-
braucher.

Der Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion ist
zielgerichtet, orientiert sich an der erforderlichen Effi-
zienz der Anlagen und nicht am Eigentümer und ist
haushaltsfinanziert.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Bravo!)

Das ist verantwortbare Energie-, Sozial- und Umweltpo-
litik.

Franz Obermeier






(A)



(B)



(C)



(D)


Dem Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen können wir nicht zustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409607700
Als
nächste Rednerin hat Kollegin Michaele Hustedt von
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409607800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Obermeier, ich wollte nicht mit der Debatte von gestern
anfangen, aber da Sie daran angeknüpft haben, tue ich es
doch. Ich habe einmal reflektiert, wie die Debatte ges-
tern war. Ich muss sagen: Ich habe im Rückblick keinen
einzigen Redner von Ihnen in Erinnerung, der über et-
was anderes als über Atomkraft geredet hätte.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist falsch!)

Ihre Gedanken kreisen nur um diesen einen Punkt.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Haben Sie nicht zugehört, als ich über Wasserkraft geredet habe?)


Ihre Gedanken sind so eingeengt von diesen ideologi-
schen Scheuklappen, dass Sie alle anderen großen Fra-
gen überhaupt völlig aus dem Blick verlieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Peter Dreßen [SPD]: Alle atomisiert!)


Keiner hat über das Problem geredet, wie wir die er-
neuerbaren Energien weiterentwickeln. Keiner hat da-
rüber geredet, wie wir die Effizienz bei der Nutzung der
fossilen Energieträger weiterentwickeln können. Dazu,
was Ihre Konzepte sind, habe ich hier jetzt auch noch
nichts gehört.

Keiner hat über Energieeinsparung geredet, keiner hat
zur Weiterentwicklung des Wettbewerbs überhaupt ei-
nen interessanten Gedanken vorgebracht.

Sie werfen uns vor, wir hätten kein Energiekonzept.
Ich sage Ihnen: Schritt für Schritt, ganz pragmatisch und
solide bauen wir das neue Haus der Energiepolitik von
unten nach oben langsam auf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der F.D.P.: Sie und solide!)


Die Leitlinie dabei ist, Umweltschutz und Wettbewerb
miteinander zu versöhnen.

Wir haben die Verbändevereinbarung weiterentwi-
ckelt, sodass jetzt ein Netzzugang wesentlich fairer als
bisher, unter Ihrer Regierung, zu erreichen ist. Das ist
Weiterentwicklung des Wettbewerbs, Frau Homburger.
Wir haben die erneuerbaren Energien sehr frühzeitig
durch Förderprogramme protegiert und haben jetzt mit
dem Gesetz über die erneuerbaren Energien das weltweit
ambitionierteste Instrumentarium, um die erneuerbaren

Energien, um den Einstieg ins Solarzeitalter voranzu-
bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der dritte Baustein ist die Kraft-Wärme-Kopplung.
Genauer gesagt: Wenn wir schon auf absehbare Zeit fos-
sile Energieträger einsetzen werden, dann müssen wir
sie so effizient wie irgend möglich nutzen. Es dürfen
nicht weiter 60 Prozent des Energiegehalts ungenutzt in
die Atmosphäre entlassen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der dritte Baustein ist also die effiziente Nutzung von
Kohle, Öl und Gas.

Zurzeit werden Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen still-
gelegt. Die Ursache dafür ist nicht, dass diese Anlagen
unwirtschaftlich wären. Vergleicht man eine neue, mo-
derne KWK-Anlage mit einer ebenso neuen und moder-
nen anderen Anlage – erneuerbare Energien nehme ich
jetzt einmal aus –, dann stellt sich heraus, dass die Kraft-
Wärme-Kopplungsanlage durchaus wirtschaftlich ist.
Heute konkurrieren allerdings alte, abgeschriebene An-
lagen, die hoch subventioniert waren – zum Beispiel die
Atomkraftwerke, die in diesem Land über Jahrzehnte
hoch subventioniert wurden –, mit Dumpingpreisen un-
ter Erzeugungskosten gegen die Kraft-Wärme-Kopp-
lungsanlagen auf dem Markt.

Dies wirkt sich dadurch besonders heftig aus, dass die
Akteure auf dem Markt unterschiedliche strategische In-
teressen haben. Die einen kämpfen um ihre strategische
Position auf dem Markt und sind bereit, dafür ihre
Kriegskassen aus Monopolzeiten ein Stück weit abzu-
schmelzen. Die anderen, die Industrieunternehmen und
auch die Stadtwerke, haben keine Kriegskassen; zumin-
dest befinden sie sich nicht in der strategischen Situati-
on, sich am Markt unbedingt behaupten zu müssen.
Deswegen gehen diese Anlagen vom Netz.

Wir haben nun eine Soforthilfe auf den Weg ge-
bracht. Sie ist eine Übergangslösung, bis wir über ein
dauerhaftes Instrument zum Ausbau der Kraft-Wärme-
Kopplung verfügen werden. An dieser Stelle muss ich
Ihnen, Herr Obermeier, sagen, dass mir Ihre Krokodils-
tränen fürchterlich Leid tun. Ist es nicht sehr doppelzün-
gig, auf der einen Seite zu fordern, wir sollten die indus-
triellen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen in die Sofort-
hilfe aufnehmen, und auf der anderen Seite zu beklagen,
dass dies die Bürger belaste? Es geht nur das eine oder
das andere. Wir haben die Soforthilfe auch deswegen
begrenzt, weil wir die Belastung für die Bürger auf
0,2 oder 0,3 Pfennig begrenzen wollten. Die Aufnahme
der industriellen Anlage hätte mindestens eine Verdopp-
lung bedeutet.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Sie brauchen das doch nicht über die Umlage zu finanzieren! Das ist doch der Grundfehler!)


Man kann also nicht die Aufnahme der Industrieanlagen
fordern und gleichzeitig wegen der höheren Kosten
Krokodilstränen weinen.

Franz Obermeier






(A)



(B)



(C)



(D)


Wir mussten bei der Soforthilfe eine Grenze ziehen und haben das in doppelter Weise getan: Es gibt einen
Unterschied zwischen der öffentlichen und der indus-
triellen Wärmeversorgung. Die industrielle ist etwas
wirtschaftlicher, weil die Wärme das ganze Jahr über
kontinuierlich abgenommen wird. Hingegen ist die
Wärmeversorgung im öffentlichen Bereich wirtschaft-
lich problematischer, weil im Sommer weniger Wärme
als im Winter gebraucht wird. Deswegen haben wir hier
eine Grenzziehung vorgenommen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Die unwirtschaftlichen Anlagen werden ausgebaut, die wirtschaftlichen kaputtgemacht!)


Die zweite Grenzziehung bezieht sich darauf, dass
wir nur diejenigen in die Soforthilfe aufnehmen, die
nicht ein oder zwei Anlagen haben, sondern die 25 Pro-
zent und mehr des Stromes durch Kraft-Wärme-Kopp-
lung erzeugen, die also besonders betroffen sind. Natür-
lich ist eine solche Grenzziehung willkürlich. Aber ihr
liegt eine einleuchtende Logik zugrunde.

Dies alles bedeutet, dass wir sehr zügig über das dau-
erhafte Instrument für den Ausbau der Kraft-Wärme-
Kopplung reden müssen, bei dem selbstverständlich die
industrielle Kraft-Wärme-Kopplung ebenfalls eine zen-
trale Rolle spielen wird, vor allem deswegen, weil dort
de große Ausbaupotenziale sind.

Bei diesem Thema habe ich übrigens schon wieder
die Opposition vermisst. Gestern fand im Rahmen
des „Energiedialogs“ eine große Anhörung über die Po-
tenziale in diesem Bereich und das mögliche Instrumen-
tarium statt. Alle gesellschaftlichen Gruppen, von
Stromkonzernen über Stadtwerke bis zu Umweltverbän-
den, waren dort vertreten, auch die Regierungsfraktio-
nen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Wir haben gestern Plenarsitzung gehabt!)


Wer wieder einmal fehlte und sich nicht an diesem ge-
sellschaftlich organisierten Diskussionsprozess beteilig-
te, waren die CDU/CSU und die F.D.P.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Sie haben ein seltsames Parlamentsverständnis!)


– Hören Sie doch auf! Die Veranstaltung fand am
Nachmittag statt. Zu der Zeit waren auch nicht alle von
Ihnen hier im Plenum.

Ich finde es richtig: Wir nehmen die Anregungen der
EU auf, eine Diskussion über einen Zertifikatshandel
auch in Deutschland durchzuführen und dieses Vorha-
ben in die Praxis umzusetzen. Wir können einen Beitrag
dazu leisten, dass die Diskussion über einen Zertifikats-
handel in der EU vorankommt.

Ich wünsche mir von Ihnen, dass Sie, wie gesagt, hier
nicht Krokodilstränen über die industrielle Kraft-
Wärme-Kopplung vergießen, sondern auch einmal Kon-
zepte auf den Tisch legen, wie fossile Energieträger effi-
zient ausgenutzt werden und wie erreicht werden kann,
dass diese neue Technologie keinen Fadenriss durch die

Liberalisierung bekommt; denn Sie haben damals, als
die Liberalisierung eingeführt wurde, unsere Bedenken,
dass gerade diese Technologie unter die Räder zu kom-
men droht, beiseite gewischt.

Jetzt stehen wir in der Praxis vor genau dieser Situa-
tion und jetzt sind auch Sie aufgefordert, Antworten zu
entwickeln. Wenn Sie es nicht tun: Wir werden welche
entwickeln. Wir befinden uns in der Erarbeitung eines
dauerhaften Modells, um die Kraft-Wärme-Kopplung in
den nächsten zehn Jahren zu verdoppeln.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409607900
Das
Wort hat jetzt der Kollege Walter Hirche von der
F.D.P.-Fraktion.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1409608000
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Die F.D.P. unterstützt Kraft-Wärme-
Kopplung als einen sinnvollen Beitrag zu mehr Energie-
effizienz, zu Energieeinsparungen und auch zur Vermei-
dung von CO2-Emissionen; deswegen haben wir in der Vergangenheit die Fernwärmeausbauprogramme unter-
stützt. Die Öffentlichkeit weiß vielleicht gar nicht, dass
in diesem Hause eine beispielhafte KWK-Anlage vor-
handen ist, die mit Pflanzenöl betrieben wird.


(Beifall des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.])

Das heißt, der Bundestag hat mit Zustimmung al-
ler Fraktionen diese Art von Energiegewinnung einge-
setzt.

Dennoch werden wir diesen Gesetzentwurf ablehnen;
dafür nenne ich vier Gründe: Erstens. Der Gesetzent-
wurf verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz. Es wer-
den nur Anlagen der allgemeinen Versorgung und
kommunale Eigentümer gefördert, sonst nichts. Indus-
trielle Anlagen werden ausgeschlossen, sofern sie nicht
der allgemeinen Versorgung dienen. Aber dort gibt es
die gleichen Übergangsprobleme. Fazit: Der Staat sorgt
nur für sich selbst.

Zweitens. Rot-Grün pfeift mit diesem Gesetzentwurf
auf den Klimaschutz. Wenn es nämlich um Klimaschutz
ginge, dann müssten alle KWK-Anlagen gefördert wer-
den, weil industrielle Anlagen denselben Beitrag wie
kommunale Anlagen leisten.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie müssten wegen ihrer höheren Effizienz zuerst geför-
dert werden, Herr Jung. Ihr Hinweis darauf, wir würden
nicht helfen, weil sie effizienter seien, hat mich zu Trä-
nen gerührt. Das ist so, als müsste man einem Sonder-
schüler für den gleichen Job mehr Geld zahlen, weil er
schlechtere Voraussetzungen als ein Akademiker hat.
Knüpfen Sie doch an der Effizienz an und fördern Sie
dort, wo wir wirklich etwas für den Klimaschutz tun
können!

Michaele Hustedt






(A)



(B)



(C)



(D)


Drittens. Es fehlen jegliche Qualitätskriterien für die
Förderung, zum Beispiel Mindestnutzungsgrade. Es feh-
len Vorschriften über eine Kontrolle der Brennstoffaus-
nutzungsgrade.

Viertens. Es ist wieder einmal eine Umlage vorgese-
hen. Zwar profitieren im Grundsatz nur kommunale An-
lagen – unter Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes –,


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Bei Umlagen sind die immer groß!)


aber die Kosten werden fürsorglich auf alle Stromkun-
den abgewälzt und belasten damit die Arbeitsplätze.
Kommunale Interessen werden geschützt, während die
Kosten auf die Betriebe überwälzt werden.

Richtig wäre – davor drücken Sie sich, Frau
Hustedt, – demgegenüber ein Sofortprogramm für
schwierige Einzelfälle mit zeitlich befristeter Förderung
aus dem Bundeshaushalt. Umweltmindeststandards
müssten zugrunde gelegt werden. Falsch ist doch der
von Ihnen betriebene Eigentümerlobbyismus, nach dem
Motto: Es bedient sich, wer an der Macht ist. – Eine fa-
belhafte Moral, die Sie da an den Tag legen!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vielleicht ist es zu früh, zu gratulieren, Frau Kolle-
gin, weil die dritte Lesung noch aussteht. Aber schon
jetzt – Herr Kollege Jung hat das klar gemacht – ist
deutlich: Dieser Gesetzentwurf von Rot-Grün dient aus-
schließlich den Interessen der Organisationen des Ver-
bandes kommunaler Unternehmen. In der Praxis, Herr
Kollege, wird dieses Gesetz schnell den Namen „Jung-
Brunnen-Gesetz“ erhalten, weil dort die Mittel sprudeln,
die Herr Jung hier freigemacht hat. Der Gesetzentwurf
ist eine krasse Form der Selbstbedienung für den kom-
munalen Bereich mit Hilfe des Deutschen Bundestages
zulasten der Stromzahler.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wer mehr erneuerbare Energien und mehr Energieef-
fizienz will, der wird auch KWK fördern. Wir warten
mit Spannung auf den von Ihnen angekündigten Gesetz-
entwurf. Eines kann ich Ihnen sagen: Eine Quotenrege-
lung einschließlich einer Zertifikatslösung nur für
KWKs ist ein völlig falscher Weg. Wenn Sie das wirk-
lich wollten, dann müssten Sie alle regenerativen Ener-
gien in den Wettbewerb einbeziehen bzw. ihm ausset-
zen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Dann erhielten Sie den notwendigen Innovationsdruck,
den wir auch im Interesse der erneuerbaren Energien
brauchen. Dazu bekennen wir Liberale uns.

Der vorliegende Gesetzentwurf ist kein Beitrag zur
Klimapolitik, sondern eine plumpe Bedienung kommu-
naler Interessen. Verbal und virtuell sind Sie für die
Energieeinsparung und den Klimaschutz; aber der Ge-
setzentwurf selbst straft Sie Lügen. Mit dem Verzicht
auf Unterstützung der industriellen Kraft-Wärme-Kopp-

-lung verzichten Sie zugleich auf den Vorrang von Kli-
mapolitik.

Meine Damen und Herren, die F.D.P. muss diesen
Gesetzentwurf leider ablehnen. Ich fordere Sie auf: Er-
greifen Sie wieder Maßnahmen, die insgesamt das Eti-
kett „Klimaschutz“ verdienen und die nicht nur auf die
Bedienung von Klientelinteressen ausgerichtet sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409608100
Der
nächste Redner ist der Kollege Rolf Kutzmutz von der
PDS-Fraktion.


Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1409608200
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Ich kann mir vorstellen, dass sich
heute Abend, falls der vorliegende Gesetzentwurf verab-
schiedet wird, der eine oder andere Verbandsfunktionär
nach der Devise „Wenn einem so viel Gutes widerfährt“
ein Gläschen genehmigt. Es sei ihnen gegönnt, aller-
dings nur einigen. Insofern bedauere ich, liebe Kollegin-
nen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, wie Sie
in den beiden vergangenen Wochen mit diesem wirt-
schafts- und umweltpolitisch wichtigen Thema umge-
gangen sind.

Mit Ihren vorgestern im Wirtschaftsausschuss durch-
gesetzten Änderungen des eigenen Gesetzentwurfes ha-
ben Sie nicht nur die Anhörung von Montag letzter Wo-
che ignoriert. Nein, Sie haben ihn auch noch ver-
schlimmbessert, zumindest dann, wenn man die Chan-
cen auf den Erhalt und den Ausbau der Kraft-Wärme-
Kopplung als ressourcen- und damit umweltschonende
Technologie und nicht nur die Interessen einiger ausge-
wählter Betreiber bestimmter Anlagen tatsächlich im
Auge behalten will.

Wer auf der gegenwärtig stattfindenden Hannover-
Messe mit Betreibern und Produzenten solcher Anlagen,
vor allem solcher im Megawattbereich, gesprochen hat,
der kann nachvollziehen, dass diese aufgrund des heute
zu beschließenden Gesetzes die Erfüllung ihrer Hoff-
nungen und letztlich auch den Erhalt von Arbeitsplätzen
in fahrlässiger Weise gefährdet sehen.

Herr Kollege Jung, ich hätte mir deshalb gewünscht,
dass es nach Ihnen gegangen wäre. Leider haben Sie und
auch Frau Hustedt nicht die Frage beantwortet, nach
wem es denn gegangen ist. Denn dies war schließlich
ein Gesetzentwurf der beiden Koalitionsfraktionen. Eine
Beantwortung dieser Frage wäre schon wichtig. Denn
wer den vorliegenden Gesetzentwurf heute unverändert
in der Ausschussfassung beschließt, der muss sich spä-
testens im Sommer nach Vorlage des nächsten Klima-
schutzberichtes fragen lassen, wie er in den nächsten
fünf Jahren das selbst gesteckte Ziel, den Kohlendioxid-
ausstoß im Vergleich zu 1990 um ein Viertel zu reduzie-
ren, erreichen will.

Auch wir von der PDS plädieren angesichts des von
der schwarz-gelben Regierung übergangslos geöffneten
Strommarktes dafür, Stadtwerken mit Heizkraftwerken

Walter Hirche






(A)



(B)



(C)



(D)


und damit auch deren Beschäftigten schnelle Hilfen zu
gewähren.


(Beifall bei der PDS)

Denn wir waren es, die dieses Thema im Rahmen einer
Aktuellen Stunde im September vergangenen Jahres und
mit einem am 16. Februar dieses Jahres eingebrachten
Gesetzentwurf hier im Plenum zur Diskussion gestellt
haben.

Aber wir haben ebenfalls von vornherein gesagt, dass
die Rettung solcher in den letzten Jahrzehnten politisch
von Bund, Ländern und Kommunen vorgegebenen In-
vestitionen schnellstens in ein Gesamtkonzept einge-
bettet werden muss. Der Bestand rein industriell betrie-
bener KWK und die damit verbundenen Arbeitsplätze
sind vom Preisdumping der großen Stromversorger zu-
mindest ebenso bedroht wie kommunale Anlagen. Diese
KWK erzeugen bisher nicht nur das Gros des einschlä-
gigen Stromes; durch den kontinuierlicheren Wärmebe-
darf in diesem Bereich ist der Klimaschutzeffekt der
Technologie sogar noch größer.

Die Koalition hat nicht nur all dies ignoriert. Viel-
mehr hat sie mit ihren letzten Änderungen auch noch die
Aussicht auf eine vernünftige Perspektive verschlech-
tert. Die neue Überschrift nimmt dem Gesetz den Cha-
rakter von etwas Vorläufigem. Denn welchen Grund
sollte es sonst geben, aus dem Wort „Vorschaltgesetz“
das Wort „Gesetz“ zu machen? Das scheint allerdings
beabsichtigt. Schließlich können kommunale Versorger
mit dieser Regelung über Jahre gut leben, wodurch sich
der außerparlamentarische und wohl auch der parla-
mentarische Druck – ich denke dabei an die Interes-
senvertreter des VKU in diesem Hause – auf eine zügige
längerfristige Förderung von KWK-Strom zur
Ressourcenschonung absehbar vermindern würde. Denn
jetzt soll nicht nur jeglicher Strom, also nicht nur der
echte KWK-Strom aus öffentlichen Altanlagen, einen
Aufschlag erhalten, sondern sogar Strom aus jenen
Heizkraftwerken, deren – ich zitiere – „wesentlichen
Anlagenteile“ – was auch immer das bedeuten soll –
spätestens Silvester vergangenen Jahres bestellt worden
sind.

Nicht nur am Rande möchte ich dazu erwähnen, dass
die Urheber damit die ganze Regelung sehr angreifbar
machen und damit eigentlich das Gegenteil unseres ge-
meinsamen Zieles erreichen könnten. Hatte schon der
bisherige Entwurf wenig mit Klimaschutz, sondern ei-
gentlich nur mit Vertrauensschutz zu tun, so wird nun
auch noch ohne Not dieses Argument, die Verhinderung
von „stranded investments“, ad absurdum geführt. Denn
wer noch vor drei Monaten – eineinhalb Jahre nach
Ausbruch des gnadenlosen Verdrängungskampfes gegen
Kraft-Wärme-Kopplung – solche Anlagen bestellte, der
ist vielleicht – oder sogar ganz sicher – ein Umwelt-
freund, aber ganz gewiss kein guter Kaufmann. So wie
es gestrickt ist, kann das Gesetz aber vor Gericht nur
Bestand haben, wenn es tatsächlich Letztere auch
schützt. Die ganze Stichtagsregelung muss deshalb ver-
schwinden. Sonst ist absehbar weder der Umwelt noch
den Stadtwerken geholfen.


(Beifall bei der PDS)


Die PDS wird sich trotz der Kritik, die ich geäußert
habe, diesem Gesetzesprojekt nicht verweigern, denn
das Gesetz ist immer noch besser als eine lang hinausge-
schobene, nicht voraussehbare Lösung des Problems. Es
kann aber nur gelingen, wenn zumindest die wichtigste
unserer vorgeschlagenen Änderungen berücksichtigt
wird. Über sie werden wir namentlich abstimmen.

Damit die umwelt- und wirtschaftspolitische Dimen-
sion dieser Technologie nicht im jetzigen kurzatmigen
Aktivismus untergeht, bleibt auch unser Gesetzentwurf
auf dem Tisch des Hauses. Sie werden sich also, liebe
Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, der
Herausforderung KWK in diesem Jahr erneut stellen
müssen.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409608300
Als letz-
tem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt gebe ich das
Wort dem Kollegen Michael Müller von der SPD-
Fraktion. Ich mache aber schon jetzt darauf aufmerksam,
dass wir im Anschluss daran zwei namentliche Abstim-
mungen durchführen werden. – Herr Müller, bitte schön.


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1409608400
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf macht die rot-grüne Koalition einen weite-
ren und wichtigen Schritt, um die Stagnation in der
Energiepolitik zu überwinden und um die Fehler der
Vergangenheit zu beseitigen. Vor allem deshalb ist es
ein wichtiges Gesetz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Hirche, Sie müssen sehen, dass man dieses Ge-
setz nicht isoliert stehen lassen darf. Sie müssen bitte
unsere Ankündigungen ernst nehmen. Wir machen hier
ein Gesetz zur Nothilfe. Es wird in kürzester Zeit um
ein Gesetz zum Ausbau des Kraft-Wärme-Kopp-
lungsbereichs ergänzt, wobei wir hier natürlich einen
Schwerpunkt auf die industrielle Kraft-Wärme-Kopp-
lung, auf die Nahversorgung und auf die WHKWs legen
werden. Das sind die Hauptbereiche, in denen wir erheb-
lichen Spielraum haben, um im Sinne des Klimaschutzes
zu wesentlich besseren Leistungen zu kommen, als das
heute der Fall ist. Ich glaube, dass man hier keinen Wi-
derspruch aufbauen sollte, sondern dass man dies in ei-
nem engen Zusammenhang mit der Modernisierung der
Energieversorgung im Interesse ihrer ökologischen Ver-
träglichkeit sehen muss.


(Beifall bei der SPD – Gunnar Uldall [CDU/ CSU]: Energieverteuerungsgesetz!)


– Das ist ein unglaublicher Widerspruch bei Ihnen.
Auf der einen Seite begrüßen Sie, dass wir etwas für
die Kraft-Wärme-Kopplung tun. Auf der anderen
Seite sagen Sie, es dürfe nichts kosten. Diese beiden
Auffassungen passen nicht zusammen. Wenn man will,
dass mehr für die Kraft-Wärme-Kopplung und für den
Klimaschutz getan wird, dann muss man auch die Kon-
sequenzen tragen.

Rolf Kutzmutz






(A)



(B)



(C)



(D)



(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das hat natürlich preisrelevante Folgen. Man kann nicht
sagen: Wir tun etwas, aber es darf nichts kosten. Das
geht nicht. In diesem Punkt sind Sie sehr unglaub-
würdig. Das ist nicht in Ordnung.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Wie bei der Steinkohle aus dem Haushalt!)


Herr Hirche, ich möchte darauf hinweisen, dass wir in
der Vergangenheit, als wir in der Opposition waren, in
der Energiepolitik glücklicherweise sehr viel mehr Kon-
sens und Gemeinsamkeit hatten. Es wäre manchmal
schön, wenn Sie die Energiepolitik nicht zu einem
Schlaginstrument machen würden. Wir sollten uns viel-
mehr gemeinsam unserer Verantwortung insgesamt, also
auch der Verantwortung für die nationale Ressourcensi-
cherheit, bewusst sein.

Wir haben erstens heute aus zwei Gründen eine sehr
schwierige Situation für die Kraft-Wärme-Kopplung.
Zum einen bestehen große Überkapazitäten und zum an-
deren wird bei bestehenden Kraft-Wärme-Kopplungs-
anlagen mit Preisen, die an und zum Teil unter den
Grenzkosten liegen, operiert. Wir stehen zweitens vor
der Situation, dass daher auch neue Anlagen im Augen-
blick kaum eine Chance haben. Wir sehen drittens die
Gefahr, dass auch langfristig der wichtige Anteil der
Kraft-Wärme-Kopplung wegbricht, wenn wir nicht die
Rahmenbedingungen insgesamt verbessern.

Wir können das Klimaschutzziel nicht erreichen,
wenn wir nicht insgesamt die Bedingungen für die
Kraft-Wärme-Kopplung verbessern. Dies ist in dreierlei
Hinsicht wichtig: Erstens. Kraft-Wärme-Kopplung ist
ein Beitrag zur Sicherung der Produktions- und Energie-
standorte in der Bundesrepublik. Zweitens. Sie ist ein
wichtiger Beitrag zur Sicherung von Beschäftigung. Es
ist alarmierend, wie viel Beschäftigung in den letzten
Jahren in diesem Bereich weggebrochen ist. Auch da-
raus ergibt sich ein Handlungsbedarf. Drittens. Wir müs-
sen die Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen für mehr Kli-
maschutz unbedingt ausbauen. Wir können, wenn wir es
hochrechnen, durch eine Verdopplung des Anteils der
Kraft-Wärme-Kopplung, insbesondere im Nahwärmebe-
reich, im industriellen Bereich und bei den Blockheiz-
kraftwerken, die Reduktion von CO2 um weitere 25 Millionen erhöhen. Dies ist unverzichtbar, um das
Klimaschutzziel in der Bundesrepublik zu erreichen. In-
sofern sagen wir, wir machen eine Politik zugunsten der
Kraft-Wärme-Kopplung aus Beschäftigungsgründen, zur
Sicherung der Erzeugung in der Bundesrepublik und un-
ter Klimagesichtspunkten. Dies ist ein dreifaches Ziel,
das wir in einem Ansatz miteinander verbinden können.
Das ist richtige Politik.

Sie alle sagen, dass Sie für Kraft-Wärme-Kopplung
sind. Dann müssen wir auch die Konsequenzen ziehen.
Wir machen einen doppelten Schritt. Denn es macht
keinen Sinn, in Zukunft die Kraft-Wärme-Kopplung
auszubauen, aber heute die Kraft-Wärme-Kopplungsan-
lagen kaputt gehen zu lassen. Das passt nicht zusammen.
Das geht einfach nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies ist der erste gewaltige Schritt. Wir sichern und stel-
len jetzt gleichzeitig die Weichen für eine Erneuerung.

Ich sagen Ihnen: Wir halten den Ansatz über ein
marktgängiges Bonussystem, das in die Richtung von
Zertifikatslösungen geht, für einen sinnvollen Ansatz.
Auf dieser Basis kann man ein zukunftsträchtiges, wett-
bewerbsorientiertes Modell durchsetzen, das Ökonomie
und Ökologie miteinander verbindet und deshalb nach-
haltig und zukunftsverträglich ist.

Meine Damen und Herren, mit unserem Gesetz halten
wir Wort. Es kann nicht sein, dass beispielsweise kom-
munale Stadtwerke, die in der Vergangenheit im Interes-
se des Allgemeinwohls, im Interesse des Umweltschut-
zes in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen investiert haben,
jetzt von uns im Stich gelassen werden. Das geht nicht.
Das machen wir nicht. Wir stehen im Interesse des All-
gemeinwohls zu unserem Wort.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sagen auch: Es muss hier natürlich viel moderni-
siert werden. Deshalb haben wir es degressiv und befris-
tet angelegt bzw. deshalb führen wir es in ein allgemei-
nes Gesetz zur Förderung und Stützung der Kraft-Wär-
me-Kopplung über. Dies ist in diesem Zusammenhang
ein richtiger Ansatz, meine Damen und Herren. Siche-
rung und Ausbau, so müssen Sie es verstehen.

In diesem Sinne bitte ich Sie um Ihre Unterstützung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409608500
Ich

schließe die Aussprache.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich be-

kannt, dass von einigen Kollegen eine Erklärung gemäß
§ 31 der Geschäftsordnung zur Abstimmung vorliegt,
die wir zu Protokoll nehmen. Dies sind die Kollegen
Herr Werner Labsch, Herr Albrecht Papenroth, Herr
Dr. Peter Danckert, Frau Barbara Wittig und Herr
Jürgen Wieczorek.*)

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die
Grünen zum Schutz der Stromerzeugung aus Kraft-
Wärme-Kopplung in der Ausschussfassung auf Druck-
sache 14/3007. Dazu liegen vier Änderungsanträge vor,
über die wir zuerst abstimmen.

Wir stimmen über den Änderungsantrag der PDS auf
Drucksache 14/3017 ab. Die Fraktion der PDS verlangt
eine namentliche Abstimmung. Ich weise gleich darauf-
hin, dass wir im Anschluss an die namentliche Abstim-
mung abwarten müssen, wie das Ergebnis ist, bevor wir
zur Schlussabstimmung kommen können. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
___________
*) Anlage 4

Michael Müller (Düsseldorf)







(A)



(B)



(C)



(D)


Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Das
scheint der Fall zu sein.

Ich eröffne die Abstimmung.
Haben alle Mitglieder ihre Stimmkarte abgegeben? –

Das ist der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus-
zählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung
wird Ihnen später bekannt gegeben. Wir setzen die Bera-
tungen fort, aber ich weise darauf hin, dass wir noch ei-
ne namentliche Abstimmung haben werden, und zwar
im Rahmen der Schlussabstimmung.

Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/3018. Wer stimmt für den Änderungsantrag der
PDS auf Drucksache 14/3018? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich der Stimme? – Dann ist der Ände-
rungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen,
der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der
PDS abgelehnt worden.

Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/3019. Wer stimmt für den Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist
der Änderungsantrag bei gleichem Stimmenverhältnis
abgelehnt.

Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-

che 14/3020. Wer stimmt für den Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist
der Änderungsantrag mit dem gleichen Stimmenverhält-
nis abgelehnt.

Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich jetzt die Sitzung für weni-
ge Minuten. Ich bitte aber, hier zu bleiben, weil wir an-
schließend eine weitere namentliche Abstimmung abzu-
halten haben.


(Unterbrechung: 13.59 bis 14.01 Uhr)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409608600
Die un-
terbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-
führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Rolf
Kutzmutz und der Fraktion der PDS zur zweiten Bera-
tung des von den Fraktionen der SPD und des Bündnis-
ses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zum Schutz der Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-
Kopplung, Drucksachen 14/2765, 14/3007 und 14/3017,
bekannt: Abgegebene Stimmen 479. Mit Ja haben ge-
stimmt 26, mit Nein 453. Der Änderungsantrag ist damit
abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 476
ja: 26
nein: 446
ungültig: 4
Ja
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Uwe Hiksch
Carsten Hübner
Sabine Jünger
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Dr. Christa Luft
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Christine Ostrowski

Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter
Bartels

Eckhardt Barthel

(Berlin)


Klaus Barthel

(Starnberg)


Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius
Beucher

Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding

(Heidelberg)


Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Rainer Brinkmann

(Detmold)


Wolf-Michael
Catenhusen

Dr. Herta Däubler-
Gmelin

Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer

(Homburg)


Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich

(Mettmann)


Harald Friese
Anke Fuchs

(Köln)


Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)


Angelika Graf

(Rosenheim)


Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller

(Lübeck)


Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann

(Chemnitz)


Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann

(Wismar)


Frank Hofmann

(Volkach)


Ingrid Holzhüter
Eike Maria Hovermann
Christel Humme
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






(A)



(B)



(C)



(D)


Ilse Janz
Volker Jung

(Düsseldorf)


Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Fritz Rudolf Körper
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-
Leißner

Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Dr. Uwe Küster
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange

(Backnang)


Detlev von Larcher
Robert Leidinger
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Christa Lörcher
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Michael Müller

(Düsseldorf)


Jutta Müller

(Völklingen)


Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann

(Bramsche)


Dr. Edith Niehuis
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner

Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
René Röspel
Gudrun Roos
Dr. Ernst Dieter
Rossmann

Birgit Roth (Speyer)

Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Silvia Schmidt

(Eisleben)


Dagmar Schmidt

(Meschede)


Wilhelm Schmidt

(Salzgitter)


Regina Schmidt-Zadel
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte

(Hameln)


Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dr. Angelica Schwall-
Düren

Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-
Sperk

Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Wolfgang Thierse

Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek

(Böhlen)


Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Brigitte Wimmer

(Karlsruhe)


Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff (Zielitz)

Heidemarie Wright
Uta Zapf
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Dr. Sabine Bergmann-
Pohl

Otto Bernhardt
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Albert Deß
Renate Diemers

Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Dirk Fischer (Hamburg)

Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Peter Götz
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Joachim Hörster
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Siegfried Hornung
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Dr. Helmut Kohl
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr.-Ing. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link

(Diepholz)


Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Dr. Michael Luther
Erich Maaß

(Wilhelmshaven)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






(A)



(B)



(C)



(D)


Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Bernward Müller

(Jena)


Elmar Müller

(Kirchheim)


Bernd Neumann

(Bremen)


Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto

(Erfurt)


Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Franz Romer
Heinrich-Wilhelm
Ronsöhr

Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Gerhard Scheu
Christian Schmidt

(Fürth)


Andreas Schmidt

(Mülheim)


Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas
Schockenhoff

Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Dorothea Störr-Ritter
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß

(Emmendingen)



(GroßGerau)


Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese

(Ehingen)


Hans-Otto Wilhelm

(Mainz)


Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck

(Bremen)


Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-
Bohlig

Hans-Josef Fell
Andrea Fischer

(Berlin)


Katrin Dagmar Göring-
Eckardt

Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-
Loßack

Steffi Lemke
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Klaus Wolfgang Müller

(Kiel)


Christa Nickels
Christine Scheel
Irmingard Schewe-
Gerigk

Albert Schmidt

(Hitzhofen)


Werner Schulz

(Leipzig)


Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Margareta Wolf

(Frankfurt)


F.D.P.
Jörg van Essen
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Dr. Karlheinz
Guttmacher

Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günther Friedrich
Nolting

Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-
Jortzig

Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Guido Westerwelle

Ungültig
SPD
Hans-Günter Bruckmann
Dieter Grasedieck
Heinz Schmitt
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Müller (Köln)


Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver-
sammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der
IPU
Abgeordnete
Behrendt, Wolfgang, Bühler (Bruchsal), Klaus, Neumann (Gotha), Gerhard, Siebert, Bernd,
SPD CDU/CSU SPD CDU/CSU

__________________________________

Wir stimmen jetzt über den Gesetzentwurf in der

Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetz-
entwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Die Fraktion der SPD verlangt
namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerin-

nen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu-
nehmen. – Sind die Urnen besetzt? – Dann eröffne ich
die Abstimmung.

Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte
abgegeben? – Haben jetzt alle Mitglieder des Hauses ih-
re Stimmkarte abgegeben? – Ich schließe den Wahlgang
und bitte auszuzählen. – Das Ergebnis der Abstimmung
wird Ihnen später bekannt gegeben.*)
__________
*) Seite 8960

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






(A)



(B)



(C)



(D)


Wir setzen die Beratungen fort und kommen zur Ab-
stimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/3008. Wer stimmt für
diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der
PDS-Fraktion abgelehnt.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 19 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verglei-
chenden Werbung und zur Änderung wettbe-
werbsrechtlicher Vorschriften

– Drucksache 14/2959 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Interfraktionell ist vereinbart worden, die Redebeiträ-
ge zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu ge-
ben.*) Sind Sie damit einverstanden? –


(Zuruf von SPD: Sehr!)

Das ist der Fall.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 14/2959 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Auch das ist der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 20 a und 20 b
auf:
20 a) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD,

CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und F.D.P.

Einsetzung einer Enquete-Kommission
„Recht und Ethik der modernen Medizin“
– Drucksache 14/3011 –

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Angela Marquardt, Dr. Ilja Seifert, Dr. Ruth
Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on der PDS
Einsetzung einer Enquete-Kommission
„Menschenrechte, Ethik und Politik für ei-
ne Medizin der Zukunft“
– Drucksache 14/2153 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg von der SPD-
Fraktion.

__________
*) Anlage 3


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1409608700
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Als vor gut 13 Jahren die
Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gen-
technologie“ des 10. Deutschen Bundestages ihren Ab-
schlussbericht vorlegte, hat man die Geschwindigkeit
der Entwicklung noch nicht abschätzen können. Seither
hat sich die medizinische Genetik, die so genannte rote
Gentechnik, mit einer ungeheuren Geschwindigkeit
entwickelt. Noch in diesem Jahr wollen die im Projekt
HUGO kooperierenden 16 internationalen Sequenzie-
rungszentren eine Arbeitsversion des menschlichen Ge-
noms fertig gestellt haben, die mit einer Fehlerrate von
nur 1 Promille 90 Prozent der menschlichen Gene erfas-
sen soll.

Das Industrieunternehmen Celera Genomics hat auf
diesem Gebiet seine Claims durch Patente sichern lassen
und lässt mehr als 200 automatische Sequenziermaschi-
nen Gendaten von einem Supercomputer analysieren.
Von Anfang September bis Mitte Oktober vorigen Jah-
res hatte dieses Unternehmen bereits 6 500 Patente auf
vermeintlich interessante DNA-Regionen des menschli-
chen Genoms beantragt.

Als Clinton und Blair vor gut einer Woche den freien
Zugang zu allen Gendaten des Menschen forderten, gab
es heftige Kurseinbrüche bei Biotech-Aktien, die sich
erst wieder erholten, als der britische Konzern PPL The-
rapeutics fünf geklonte Ferkel vorstellte und verkündete,
dass es bald möglich sein werde, menschliche Ersatzor-
gane in Schweinen heranwachsen zu lassen und diese
durch Klonen in ausreichender Zahl auf den Markt zu
bringen.

Die Bemühungen, menschliche Ersatzteile durch Ge-
webs- und Organzüchtung aus embryonalen Stammzel-
len herzustellen, führt zu einer Wachstumseuphorie und
treibt seltsame Blüten. So schützte das Europäische Pa-
tentamt – wir haben hier darüber debattiert – ein Verfah-
ren zur Zucht gentechnisch veränderter menschlicher
Embryonen. Das war ein klarer Verstoß gegen geltendes
Recht. Grundsätzlich wird das Heranzüchten und Paten-
tieren von biologischem Material, wie es in der europä-
ischen Patentrichtlinie heißt, in aller Welt, so auch in
Deutschland, als legitimes Vorgehen akzeptiert. Die
Formulierung „biologisches Material“ erinnert an den
schrecklichen Ausdruck „Menschenmaterial“ aus
Kriegszeiten. Damals wie heute wird dem Gegenstand
solcher Begrifflichkeit ein Selbstzweck aberkannt. Aus
Leben wird biologisches Material, wird bloße Ware.

Professor Joseph Coates aus Washington hat auf einer
Tagung des dänischen Ethikrates in Kopenhagen kürz-
lich eine Abschätzung der künftigen Entwicklung der so
genannten roten Gentechnik in den Vereinigten Staaten
vorgestellt. Ich möchte hier einiges aus diesem Szenario
vorstellen:

Er prognostiziert, dass das Interesse wohlhabender
Einkommensschichten an genetischer Diagnostik und
Therapie zunehmen wird und dass deren Kosten bis zum
Jahre 2025 deutlich sinken werden. Der Einstieg in den
Markt werde über die Vermeidung genetisch vererb-
barer Krankheiten erfolgen. Aus diesem Grunde wür-
den immer mehr Eltern Techniken der künstlichen

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






(A)



(B)



(C)



(D)


Befruchtung akzeptieren, um Kinder mit Behinderun-
gen oder genetisch bedingten Erkrankungen vor der Im-
plantation des befruchteten Eies auszusortieren. In eini-
gen Staaten dieser Welt werde die dabei gewonnene Er-
fahrung genutzt werden, um so genannte Enhancement-
Techniken zur Anwendung zu bringen. Wenn es mög-
lich sei, musikalische, intelligente oder körperlich opti-
mierte Menschen zu selektieren, würden, so schätzt Coa-
tes, einzelne Staaten diese Technologie auch nutzen.
Unweigerlich werde das zu einem internationalen Druck
in Richtung Optimierung führen.

Coates spricht symbolisch von drei Olympiaden, die
es dann geben müsste, einer normalen, einer für Behin-
derte und einer für Enhanced People. Dopingtechniken
könnten dadurch jedenfalls überflüssig werden.

In den Vereinigten Staaten, die den Eltern bei der Er-
zeugung und Gestaltung ihres Nachwuchses nicht hi-
neinreden wollen, käme es, so vermutet Coates, erst in
zehn Jahren zu einer gesetzlichen Einschränkung dieser
Technologien. Dort werden diese Technologien also
kräftig, den Marktgesetzen folgend, wachsen. In Ameri-
ka rechnet man mit etwa 6 Millionen Elternpaaren, die
hier als Nachfrager auftreten könnten. Um die Akzep-
tanz für Eingriffe in die Keimbahn zu verbessern, wird
man zuerst erlauben, das Gen für Typ-I-Diabetes im
menschlichen Genom auszuschalten. Da gibt es das
größte Einverständnis.

Coates prognostizierte, dass bereits in etwa 20 Jahren
in vielen Staaten dieser Welt eine humangenetische Be-
ratung und Untersuchung zukünftiger Eltern zur Pflicht
gemacht werden würde.

Im Jahr 2030 wird etwa jeder dritte amerikanische
Erwachsene Informationen über große Teile seines Ge-
noms zur Verfügung haben. Bei Kindern werden es über
80 Prozent sein. Mit einer politischen Anti-Gen-
Bewegung rechnet man in den USA erst Mitte der 30er-
Jahre. Dabei wird auf Erfahrungen mit anderen Risiko-
technologien zurückgegriffen, wie zum Beispiel der
Kernenergie.

Die Bundesärztekammer präsentierte vor einigen
Wochen den Entwurf einer Richtlinie, welche die Selek-
tion minderwertiger Embryonen im Rahmen der
künstlichen Befruchtung erlaubt. Begrenzt einstweilen
auf einige wenige Fälle bestimmter Erbkrankheiten
zeichnet sich hier bereits eine Entwicklung ab, die das
Schutzniveau unseres Embryonenschutzgesetzes auf-
weicht.

Noch etwas: Vor wenigen Tagen hörten wir, dass die
britische Regierung per Gesetz Versicherungsunterneh-
men gestatten will, die Höhe der Versicherungsprämie
dem genetischen Risiko der Versicherten anzupassen. Es
ist überall dasselbe Phänomen: Wir sind fasziniert von
den technischen Möglichkeiten und merken gar nicht,
dass wir nach und nach die Grundlage des menschlichen
Miteinanders verändern,


(Beifall der Abg. Gudrun Roos [SPD])

dass Werte und Tabus, die bisher unser Zusammenleben
geregelt haben, in den Labors außer Kraft gesetzt wer-

den und dass die Geschwindigkeit dieser Entwicklung
oft vom irrationalen Treiben an den Börsen gesteuert
wird.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409608800
Ich bitte,
allmählich zum Schluss zu kommen.


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1409608900
Wir haben verabre-
det, dass ich diese Rede zu Ende halten kann, wenn ich
das darf.


(Margot von Renesse [SPD]: Ich rede weniger!)


Ich frage mich: Ist das dies, was die Menschen wol-
len? Wissen sie, wissen wir als ihre Vertreter, was da
wirklich abläuft? Wenn da etwas aus der Bahn gerät,
können wir es rechtzeitig beeinflussen?

Alles ist doch viel zu kompliziert, heißt es, man kann
sowieso nichts mehr machen, zurzeit läuft es doch pri-
ma – so sind die gängigen Verdrängungsmechanismen.

Ich bin froh, dass sich die Fraktionen des Deutschen
Bundestages durchgerungen haben, sich diesem Thema
zu stellen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich weiß, dass unser Tun von der Pharmaindustrie und
von den Life-Science-Unternehmen intensiv beachtet
wird und dass es nicht an Versuchen und Beeinflussun-
gen mangeln wird. Wir haben jedoch auch gegenüber
diesem wichtigen Wirtschaftszweig die Aufgabe – kurz-
fristigen Kapitalinteressen zum Trotz –, für eine nach-
haltige Entwicklung zu sorgen.

Wir sind in Deutschland stolz darauf, dass unsere Au-
tomobilindustrie die umweltfreundlichsten Autos ent-
wickelt und weltweit vermarktet. Hermann Scheer hat
gestern in einer sehr beeindruckenden Rede deutlich
gemacht, dass auch im Energiewirtschaftsbereich nur
derjenige eine Zukunft haben kann, der nachhaltig plant
und auch in die soziale und ökologischen Verträglichkeit
seiner Produkte investiert.

Gleiches gilt uneingeschränkt auch für den Bereich
der Biotechnologie. Es wäre falsch und wir wären falsch
beraten, wenn wir hier plötzlich mit Mindeststandards
zufrieden wären. Unsere Nachbarn – das weiß ich aus
der Parlamentarischen Versammlung des Europarates –
erwarten von Deutschland auch im Bereich der Biotech-
nologie anspruchsvolle Entwicklungen. Anspruchsvolle
Entwicklungen im Bereich der Life-Sciences können
aber nur dann nachhaltig genannt werden, wenn die ethi-
schen Grundwerte, wenn das Menschenbild und die
Menschenrechte durch diese Entwicklung, durch die
Produkte und die Verfahren, die hier entstehen, nicht ge-
fährdet werden.

Der Deutsche Bundestag als Gesetzgeber hat diese
Ziele bei seinen Regelungen bisher hochgehalten und
sollte davon nicht abgehen. Wir wollen ihm durch die
Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen

Dr. Wolfgang Wodarg






(A)



(B)



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(D)


Medizin“ ein dafür unentbehrliches Instrument zur Ver-
fügung stellen. Die Einsetzung der Enquete-Kom-
mission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ im
Deutschen Bundestag ist unverzichtbar. Sie kann aber
nur dann ihre Funktion als Instrument der ethischen
Rückkopplung wahrnehmen, wenn sie in ihrer Zusam-
mensetzung und in ihrer Arbeitsweise nicht durch mäch-
tige Forschungs- und Wirtschaftsinteressen, die bis in
das Parlament hineinreichen, entwertet wird.

Wer die Enquete-Kommission aus innerster Überzeu-
gung für überflüssig hält und dieses innerhalb und au-
ßerhalb des Parlaments laut und deutlich kundtut, mit
dem will ich mich trefflich streiten. Schlimm wäre es,
wenn die Sitzungen der Enquete-Kommission zu Alibi-
oder Feigenblattveranstaltungen werden, wie das Bei-
spiel vieler Ethik-Kommissionen in Amerika zeigt.

Die Enquete-Kommission soll nicht Marketingin-
strument für Fachleute sein, die ohnehin schon meinen,
alles zu wissen. In ihr soll gerungen werden, und zwar
öffentlich, damit später kein Parlamentarier sagen kann,
er habe nicht gewusst, was in diesen, die Grundrechte
der Menschen dieses Landes direkt betreffenden Fragen
im Deutschen Bundestag entschieden wurde.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409609000
Als
nächstem Redner gebe ich dem Kollegen Werner
Lensing von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Werner Lensing (CDU):
Rede ID: ID1409609100
Herr Präsident! Mei-
ne sehr verehrten Kolleginnen! Meine Kollegen! Der
Deutsche Bundestag trifft heute mit der Einsetzung einer
Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen
Medizin“ eine ausgesprochen bedeutsame Entscheidung;
denn diese Thematik ist von außerordentlicher Tragwei-
te, ergeben sich doch in der biomedizinischen Forschung
umwälzende Erkenntnisse in einem wahrhaft atembe-
raubenden, ja manchmal sogar in einem wirklich be-
ängstigenden Tempo.

Entstehen und Werden des menschlichen Lebens sind
endgültig ihrer Geheimnisse entkleidet. Sie werden im-
mer häufiger ins medizinische Labor verlagert. Die voll-
ständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms mit
all seinen Segens-, aber auch Horrorversionen ist nur
noch eine Frage der Zeit. Biomedizinische Forschung –
das beweist die alltägliche Erfahrung – ist längst nicht
mehr an nationale Grenzen gebunden. Vielmehr verbrei-
tet sich wissenschaftliches Know-how mit außerge-
wöhnlicher Geschwindigkeit weltweit und gewinnt da-
mit zugleich ein erhebliches – wir haben es schon ge-
hört – ökonomisches Potenzial.

Können über diese bestürzende Entwicklung über-
haupt keine Zweifel bestehen, so klaffen auf nationaler
wie internationaler Ebene die Ansichten über die An-
wendung und mehr noch über die ethischen Grenzen
dieser Anwendung genauso weit auseinander wie die
Beurteilung ihrer politischen und rechtlichen Konse-
quenzen. Bedauerlicherweise kann von einem breiten
ethischen Konsens leider nirgends mehr die Rede sein.

Gesetzestexte werden gleichsam über Nacht hinfällig,
wie dies beispielsweise der nach dem Klonen des Scha-
fes Dolly im Jahre 1998 erstellte Bericht der Bundesre-
gierung zum Handlungsbedarf beim Embryonen-
schutzgesetz zeigt. Nicht zuletzt die jüngste unverant-
wortliche Fehlentscheidung des Europäisches Patentam-
tes zur Vergabe eines Patents auf Genmanipulation
am menschlichen Erbgut zeigt in dramatischer Weise die
dringende Notwendigkeit einer öffentlichen Diskussion
der zugrunde liegenden ethischen Fragen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Zunehmende Forderungen aus der Wissenschaft nach
einer Nivellierung der strengen deutschen Standards tun
ihr Übriges, den Druck auf die Legislative zu erhöhen.
Deshalb brauchen wir den öffentlichen Diskurs jetzt und
nicht erst dann, wenn die rasanten Entwicklungen die
Reaktionsfähigkeit des Staates bereits überfordern. Hier
wird die Enquete-Kommission einen entscheidenden
und unverwechselbaren Beitrag zu leisten haben.

Wie weit unser Zeitgeist bereits von den klassischen
Werten einer traditionellen, der Menschenwürde ver-
pflichteten Ethik entfernt ist, zeigt die Absichtserklärung
des schottischen Dolly-Vaters Wilmut, zukünftig – man
höre! – embryonale Stammzellen zu, wie es absolut ver-
harmlosend heißt, „therapeutischen Zwecken“ zu klo-
nen. Er wird zitiert mit:

Die meisten Menschen denken bei Embryonen an
sehr kleine Menschen. Tatsächlich ist ein menschli-
cher Embryo nach sechs oder sieben Tagen nur ein
kleiner Zellball ohne Persönlichkeit.

Ich halte diese Behauptung für ungeheuerlich, degradiert
man doch damit bewusst den Embryo zu einem
materiellen Etwas und damit zu einem seelenlosen
Konglomerat von Zellen, das zu Untersuchungszwecken
durchaus zerstückelt, gentechnisch manipuliert und je
nach Forschungsprogramm sogar vollkommen ungeniert
zu fremdbestimmten Zwecken verwandt werden darf.

„Träume und Albträume des modernen Lebens“,
stellt der Mainzer Moraltheologe Johannes Reiter fest,
„stehen sich in kaum einem anderen Bereich so schroff
gegenüber wie gerade in der Medizin“. Angesichts sol-
cher schrankenlosen Eigengesetzlichkeit der biomedizi-
nischen Entwicklung mangelt es nicht an verzagten
Stimmen. Daher hört man schon heute wiederholt, die
Ohnmacht des Staates sei gegenüber den explosiven
Vorgängen von Biotechnologie und Biomedizin längst
offensichtlich.

Deswegen ist es so wichtig, dass wir in dieser Situati-
on unsere Enquete-Kommission einsetzen, will diese
doch den betroffenen gesellschaftlichen Gruppen, Insti-
tutionen und Verbänden sowie den Kirchen ein will-
kommenes öffentliches Forum bieten, sich angemessen
und deutlich in den öffentlichen Entscheidungsprozess
einzubringen.

Zudem – dessen bin ich mir sehr sicher – werden
die angestrebten sachorientierten Ergebnisse einen

Dr. Wolfgang Wodarg






(A)



(B)



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(D)


erheblichen Beitrag zur fundierten Bewertung einzelner
Technologien, zugleich aber auch zur Vermeidung vor-
schneller und womöglich in kürzester Zeit überholter
Reaktionen des Gesetzgebers leisten. Schließlich sollten
wir uns nicht grundlos neuen und viel versprechenden
Therapiemöglichkeiten der Biomedizin durch eine zu
rigide Gesetzgebung verschließen.

Andererseits gilt auch dies: Eine ethische und soziale
Bewertung neuer Handlungsperspektiven darf nicht al-
lein durch die betroffenen Wissenschaftler erfolgen.


(Beifall des Abg. Hubert Hüppe [CDU/CSU])

Ob Embryonenforschung oder Gentechnologie, ob For-
schung an nicht einwilligungsfähigen Personen oder
Abtreibung, ob Präimplantationsdiagnostik oder Xeno-
transplantation – bei grundlegenden Fragestellungen,
welche die Würde des Menschen betreffen, brauchen
wir den öffentlichen gesellschaftlichen Dialog.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Dass es einen deutlichen Klärungsbedarf gibt, dafür
gibt es genügend Beispiele. Ich nenne nur einige weni-
ge.

Zur Pränataldiagnostik: Pränatale Medizin hat – das
wissen wir –, ich betone: zu Recht – einen hohen und
positiven Stellenwert. Durch das Erkennen einer sich
ungestört entwickelnden Schwangerschaft wird zahllo-
sen Frauen die Angst vor einem kranken Kind genom-
men. Das ist gut so.

Andererseits erhöht die Pränataldiagnostik zugleich
in außerordentlicher Weise den Druck auf die Schwan-
geren. So soll nicht übersehen werden, dass die Präna-
taldiagnostik bei Unsicherheiten oder möglichen leich-
ten Behinderungen des Fötus immer häufiger zu einer
tödlichen Indikation führt, gemäß dem Motto: Ohne ge-
netisches Gütesiegel keine Austragung!


(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: So ist es!)

Zur somatischen Gendiagnostik: Auch hier liegen

uns nicht nur Ergebnisse, sondern auch Fragen vor. So
stellt sich beispielsweise die Frage: Ist eine Röntgen-
schwester, bei der eine genetisch bedingte Veranlagung
zu Krebs diagnostiziert wird, verpflichtet, dies ihrem
Arbeitgeber zu sagen? Wie soll dieser reagieren, wenn
es ihm mitgeteilt wird?

Wie sollen wir das Schicksal einer jungen ameri-
kanischen Frau bewerten, die sich bei einer Eliteuniver-
sität bewarb und alle Eingangsprüfungen bestand, aber
anschließend aufgrund eines Gentests, der eine Disposi-
tion bezüglich einer bestimmten schweren Erkrankung
ergab, ausgeschlossen wurde, mit der menschenverach-
tenden Begründung, der Kostenaufwand stehe in keinem
Verhältnis zum Nutzen?

Ich bin der Auffassung, dass wir uns auf vier Punkte
besonders konzentrieren sollten:

Erstens. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse und
Möglichkeiten der modernen Medizin erfordern zur

Wahrung der menschlichen Würde unsere ganz beson-
dere Verantwortung.

Zweitens. Auf der einen Seite verpflichtet uns zwar
der christliche Schöpfungsauftrag, die Forschung, die
Medizin und die Technik überall dort zu nutzen und zu
fördern, wo sie dem Leben dienen. Aber auf der anderen
Seite gebietet unser christliches Verständnis vom Men-
schen mit der gleichen Deutlichkeit, überall dort absolu-
te Schranken zu setzen, wo es das Gebot der Un-
verfügbarkeit des Lebens erfordert.


(Beifall des Abg. Hubert Hüppe [CDU/CSU])

Der Mensch wird sich spätestens dort selbst zur Bedro-
hung, wo die von ihm geschaffene Technik nicht mehr
dem Leben, seiner Unantastbarkeit und seiner Entfaltung
dient.

Drittens. Entsprechend dem Zeugnis der Bibel ist der
Mensch geschaffen nach Gottes Bild. Daher hat mensch-
liches Leben von Beginn an, also ab der Verschmelzung
von Ei und Samenzelle, den höchsten Anspruch auf
Schutz und Achtung seiner Würde, und dies unabhängig
von einem späteren Erfolg oder Misserfolg, unabhängig
von einer Behinderung oder Krankheit, unabhängig von
seiner weiteren Lebensperspektive und vor allem unab-
hängig vom wertenden Urteil des Forschers, des Arztes,
der Eltern oder gar eines Versicherungsvertreters.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Viertens. Alle Versuche, den Menschen physiolo-
gisch oder genetisch auf bestimmte Zwecke hin zu „op-
timieren“ – ein fürchterlicher Begriff –, verstoßen gegen
die menschliche Würde. Solche Versuche wären auch
unmoralisch, weil menschliches Leben nicht Produkt,
sondern unmittelbare Schöpfung Gottes ist und damit
der Machbarkeit entzogen wird.

Diese vier Kriterien sind die unverrückbaren Positio-
nen, unter denen die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihre
Arbeit in der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der
modernen Medizin“ aufnehmen wird. Die Freigabe ge-
netischer Erbsubstanz zur Manipulation oder gar die Zu-
lassung der Tötung von menschlichem Leben hätte au-
ßerordentlich fatale und unverantwortbare Wirkungen
auf unser gesellschaftliches Zusammenleben.

Deshalb gilt – ich wiederhole es –: Die unbedingte
Lebensgarantie und die stärkste Kontrolle haben beim
Schutz behinderten oder ungeborenen Lebens absolute
Priorität.

Schließlich ist es keineswegs konsequent, auf der ei-
nen Seite – zu Recht – mit erbitterter Härte gegen Klon-
experimente, gegen Präimplantationsdiagnostik, gegen
Keimbahnmanipulation oder gegen die Erzeugung em-
bryonaler Stammzellen vorzugehen, auf der anderen Sei-
te jedoch zugleich mit gleichgültiger Miene hinzuneh-
men, wenn beispielsweise ungeborene Kinder im achten
Monat Gefahr laufen, schon wegen einer Hasenscharte
abgetrieben zu werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Werner Lensing






(A)



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Eine von christlichen Grundsätzen geprägte konse-
quente Haltung gebietet es daher, im Rahmen unserer
Arbeit in der Enquete-Kommission, für den Schutz der
Menschenwürde in allen Bereichen mit Verantwor-
tungsgefühl und Überzeugungskraft zu streiten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409609200
Das
Wort hat jetzt die Kollegin Monika Knoche von Bünd-
nis 90/Die Grünen.


Monika Knoche (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1409609300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Her-
ren und Damen! Noch keine Kultur und noch keine Ge-
sellschaft vor uns stand davor, dass durch die Anwen-
dung einer Technik der Begriff vom Menschen selbst
von seiner Auflösung bedroht ist.

Im Zuge der Akzeptanzförderung der Biomedizin
werden für den Beginn und das Ende des Lebens neue
Definitionen von Personalität in die Welt geworfen.
Vielleicht glaubt man tatsächlich, damit der Ethik Ge-
nüge zu tun, aber es wird im Kern jenseits der Men-
schenrechtsdogmatik zweckrational argumentiert. Man
stellt das Menschenrecht, das Projekt der Moderne, einer
postmodernen Beliebigkeit anheim.

Was ist der Mensch? Ab wann und bis wann ist er
Subjekt? Die Unterscheidung zwischen Mensch und
Person ist eine definitorische Aufspaltung des Untrenn-
baren. Um welche unermessliche Dimension von
Fremdbestimmung des Menschen würde es sich einmal
handeln, wenn wir zuließen, dass die Keimbahn gen-
technischer Manipulation unterworfen, der Mensch als
Individuum und als Gattungsart seiner Einzigartigkeit
beraubt würde?

Das sind Fragen grundsätzlicher Art. Wir sind im
werteprogressiven Sinn aufgefordert, in der Tradition
der Menschenrechtskultur Tabus zu halten. Tabu und
Aufklärung gehören zusammen. Der menschliche Em-
bryo in seiner frühen Phase der Entwicklung ist bereits
Objekt kommerzieller Verwendung in Form von paten-
tierbarem biologischen Material geworden. Er ist Aus-
gangsmaterie zur Herstellung und Herausbildung von
Menschenteilen für die Verwendung in der medizini-
schen Therapie: nicht in Deutschland, aber anderswo.

So taucht die Frage auf: Sind nationale, kulturelle,
ethische Grenzen, grund- und verfassungsrechtliche Ga-
rantien in einer globalisierten Welt noch zu halten, in
der durch die Verbindung von Informations- und Gen-
technologie diese Forschung an allen Orten der Welt
nach Anwendung drängt? Nicht nur auf welchem Ver-
ständnis vom Menschen sind unsere Werte, unsere wert-
vollen Tabus gebaut, sondern auch wie können wir sie
über den nationalen Wertekonsens hinaus normgebend
dem europäischen Grundrechtscharta-Konvent befruch-

tend hinzufügen? Wie können wir diesen Prozess gestal-
ten?

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir diesen
enormen Herausforderungen nur gerecht werden, wenn
wir mit aller Emphase und Sachlichkeit die Arbeit der
Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages
betreiben. Was im Dienste der Menschheit geforscht und
angewendet wird, muss sich auf das verfassungsrecht-
lich geschützte, ganzheitliche Menschenbild und die
Menschenwürde beziehen. An niemand anderen können
diese Norm- und Regelsetzungen delegiert werden. Das
muss das Parlament tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der PDS und des Abg. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [F.D.P.])


Um auf eine aktuelle Frage einzugehen: Nach dem
bestehenden Embryonenschutzgesetz ist es egal, ob die
Zellentwicklung in das Stadium der Toti- oder Pluripo-
tenz fortgeschritten ist. Der Embryo ist zu keinem ande-
ren Zweck entstanden als zu dem, von einer Frau gebo-
ren zu werden. Hier bleibt kein Interpretationsspielraum
offen, auch wenn Gen-Ingenieure das hoffen.


(Beifall im ganzen Hause)

Die entleibte Fruchtbarkeit der Frau hat die größten

Begehrlichkeiten auf die Nutzbarmachung menschlichen
Lebens geweckt. Ob Präimplantation oder Pränataldia-
gnostik, sie alle betreffen die Frau, ihre Selbstbestim-
mung und die soziale und gesellschaftliche Dimension
von Mutterschaft in einer Weise, wie das noch mit
keiner Technik je geschehen ist. Die Entschlüsselung
der genetischen Beschaffenheit generiert die Entschei-
dung über Krankheitswertigkeit und Lebenswert. Aus-
tragungsort von Selektion ist der Körper der Frau. Ich
möchte nicht, dass wir diese Perspektive vergessen.

Wir haben die Aufgabe, die Komplexität des Themas
transparent und allgemein verständlich zu machen, denn
wir wollen den Austausch mit der Bevölkerung. Das
muss die Enquete-Kommission leisten. Gerade heute
soll nicht vergessen werden: Es ist dem nachhaltigen
Engagement einer informierten und aufgeklärten Öffent-
lichkeit sowie der Presse entscheidend mitzuverdanken,
dass die Enquete-Kommission letztlich doch eingesetzt
wird. Sie, die Kirchen, die Natur- und Geisteswissen-
schaften, die Behindertenverbände, gehören unverzicht-
bar zu den dialogführenden Parteien dazu. Diese haben
ihre aufgeklärte Position nicht zuletzt in ihrer Kritik an
der europäischen Bioethik-Konvention formuliert, die
diesen unverzichtbaren Schutzstandard eben gerade
nicht hinreichend garantieren kann. Wir müssen sehr
ernsthaft daran arbeiten, dass es nicht über die suprana-
tionale Ebene zu einer Nivellierung unserer Standards
kommt.

Die deutsche Enquete-Kommission hat unbedingt ei-
ne europäische Wirkung. Wenn jetzt beispielsweise in
England der DNA-Chip für die private Krankenversi-
cherung Verwendung findet, zeigt das: Die Entschlüsse-
lung des menschlichen Genoms darf niemals mit einem

Werner Lensing






(A)



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(D)


individuellen Krankheitsrisiko in Verbindung gebracht
werden.


(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])

Das Krankheitsrisiko zu individualisieren bedeutet

die Autonomie zu pervertieren. Was Selbstbestimmung
genannt wird, ist Diskriminierung, ist das Gegenteil von
Freiheit und Gleichheit. So wie der Zivilität eine zu-
kunftsfähige Weiterentwicklung des solidarischen Sozi-
alstaats zugrunde zu legen ist, so darf Leitbild der gene-
tisch und molekular ausgerichteten Biomedizin nicht die
genetische Verbesserung des Menschen sein. Wenn das
sicher ist, bewegen wir uns auf festem Grund.

Ich danke Ihnen.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409609400
Als
nächster Redner hat der Kollege Professor Schmidt-
Jortzig von der F.D.P.-Fraktion das Wort.


Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP):
Rede ID: ID1409609500
Herr Präsi-
dent! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen!
Meine Herren! Die F.D.P. begrüßt die Einsetzung der
Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen
Medizin“ nachdrücklich. Wir glauben, dass es dringend
geboten ist, dass sich auch und gerade das Parlament mit
diesen Fragen und den Problemen auf diesem Gebiet
umfassend beschäftigt. Wir sind uns – gottlob – noch
gar nicht ganz einig darüber, was alles dazu gehört.
Manche Aspekte haben wir schon gehört. Herr Kollege
Lensing und Herr Kollege Wodarg, Sie haben darauf
hingewiesen.

Ich möchte nur einen zusätzlichen Bereich anspre-
chen, der auch in diesem Problemfeld anzusiedeln ist.
Dies ist der große Fragenkomplex um Sterbehilfe,
Sterbebegleitung und/oder die Palliativmedizin. Wir
wissen, dass die wissenschaftliche Forschung täglich
weiter greift. Hier ergeben sich allenthalben Fragen so-
wohl bezüglich segensreicher Therapiemöglichkeiten als
auch umgekehrt bezüglich Horrorvorstellungen. Darauf
ist schon hingewiesen worden. Man denke nur daran,
dass die berühmt-berüchtigte Dolly-Methode auch bei
Menschen anwendbar ist.

Es gibt also eine Fülle von Problemen, die alle einer
Erörterung und eben auch der rechtlichen Regulierung
bedürfen, weil man nie ausschließen kann, dass sich hier
Experimentierer bar eigener ethischer Beschränkungen
tummeln und Dinge treiben, die mit unserem Men-
schenbild, unserer Verpflichtung vor der Verfassung und
vor allem der Verantwortung vor den nachfolgenden
Generationen ebenso wie vor unserer spezifischen Ver-
gangenheit nicht vereinbar sind.

Hier zu gemeinsamen Grundregeln zu kommen ist
bestimmt schwierig, aber davor zu kapitulieren und sich
schnell in das Argument mit der Unabstimmbarkeit zu
flüchten wäre meines Erachtens unvertretbar.
Vielmehr gilt es, dass das Parlament sich auf seine Füh-
rungsaufgabe und seine Funktion als Anstoßgeber für
öffentliche und tief gehende Diskussionen besinnt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich glaube jedenfalls, dass das demokratische Mandat
im Grunde und erst recht wohl in diesem Bereich we-
niger dazu berechtigt, allgemeinen Meinungen, Ängsten
oder eben Entscheidungsverweigerungen nachzugeben,
als vielmehr dazu verpflichtet, sich in noch so schwieri-
gen Situationen persönlich zu bekennen, miteinander um
ein möglichst gutes Urteil und eine möglichst gemein-
verträgliche Lösung zu ringen, die Verantwortung zu
akzeptieren und dann eben auch Entscheidungen zu tref-
fen.

Meine Damen und Herren, freilich weiß man zusätz-
lich – das hat mich jedenfalls die Erfahrung aus der letz-
ten Legislaturperiode mit dem Gesetz über die Organ-
transplantation gelehrt –, als wie unangenehm die Befas-
sung mit solch existenziellen Themen von vielen emp-
funden wird. Möglicherweise – ich will das nur ganz
zart andeuten – beruht darauf im Übrigen auch, dass der
jetzige Tagesordnungspunkt so ganz am Ende der Wo-
chenagenda versteckt wurde. Nur als ein Beispiel für ei-
nen Tagesordnungspunkt, der deutlich vorangestellt
wurde, sei etwa der tourismuspolitische Bericht der
Bundesregierung erwähnt. Ich hoffe sehr, dass das mit
den Ergebnissen der Enquete-Kommission nicht so ge-
hen wird.


(Beifall im ganzen Hause)

Für die Arbeit ist es ja vielleicht gar nicht so schlecht,
wenn wir etwas ruhiger beginnen.

Also: Lassen wir uns von Schwierigkeiten nicht be-
eindrucken, sondern gehen wir die große Aufgabe guten
Mutes an. Die Liberalen jedenfalls wollen sich hier be-
herzt einbringen.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409609600
Das
Wort hat jetzt Kollege Dr. Ilja Seifert von der PDS-
Fraktion.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1409609700
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! In gar nicht
allzu ferner Zukunft soll es durch einen kleinen geneti-
schen Eingriff möglich sein, Krankheiten zu heilen, vor
denen wir alle Angst haben. Ist das nicht ein hehres Ziel,
eine ethisch hoch stehende Aufgabe? Leider kann man
mit denselben Methoden auch andere Dinge tun, mit
denselben Techniken, mit denselben Instrumenten und
auch von denselben Menschen ausgeführt: Man kann
umweltresistente Menschen herstellen. Wollen wir das?
Man kann dem Schönheitswahn, der uns durch die Wer-
bung aufgezwungen wird, dadurch Nahrung geben, dass
man sagt: Wir machen euch so schön, wie ihr sein wollt!
Und: Ihr bleibt ewig jung. Das ist alles möglich.

Ist es aber nicht in Wirklichkeit so, dass das eigent-
lich Menschliche darin besteht, dass wir alle voller Feh-
ler sind, dass es die Menschen gerade ausmacht, dass

Monika Knoche






(A)



(B)



(C)



(D)


wir nicht perfekt sind, dass uns auch einmal etwas weh-
tut?

Wir setzen heute eine Bioethik-Enquete-Kommis-
sion ein, und ich bin froh darüber. Endlich hat der Druck
vieler Behindertenorganisationen, vieler Wohlfahrtsver-
bände, vieler Selbsthilfegruppen und auch der Druck
von Einzelpersönlichkeiten dazu geführt, dass hier im
Bundestag diese Kommission eingesetzt wird. Nicht zu-
fällig auch ein bisschen, weil die PDS schon im Novem-
ber vergangenen Jahres einen entsprechenden Antrag
eingebracht hat. Wir wollen heute, auch wenn alle, die
bisher geredet haben, sich sehr positiv äußerten, nicht so
tun, als ob es nicht so gewesen wäre, dass in den großen
Fraktionen erheblicher Widerstand gegen die Einsetzung
einer solchen Kommission bestand. Und das ist bedauer-
lich.

Ich will nicht verhehlen, dass ich es nach wie vor
auch bedauere, dass ideologische Verbohrtheit bei Ih-
nen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, verhindert hat, dass wir einen gemeinsamen
Antrag einbringen konnten.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der Sache sind wir doch gar nicht auseinander. Daher
hatte ich eigentlich gedacht, dass wir, nachdem wir in
der Behindertenpolitik schon einmal gemeinsame An-
träge einbringen konnten, das auch bei so wichtigen
Dingen tun könnten. Das Zeichen nach außen wäre ge-
wesen, dass der Bundestag um die Wichtigkeit der Auf-
gabe weiß und mit parteipolitischem Hickhack aufhört,
der hier wirklich nicht angebracht ist.

Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die
Frage, ob wir wirklich alles tun wollen, was wir tun
können. Ich glaube es nicht. Die Enquete-Kommission
wird die schwierige Aufgabe haben, all das zu bespre-
chen. Diejenigen, die warnen und sagen, die Risiken sei-
en so groß, dass wir sie nicht alle eingehen sollten, er-
scheinen als Fortschrittsverhinderer. Aber bitte schön,
meine Damen und Herren, welch ein Fortschritt ist es,
wenn am Ende das, was Sie, die Sie religiös geprägt
sind, Schöpfung nennen, nicht mehr existiert?

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409609800
Als letz-
ter Rednerin gebe ich der Kollegin Margot von Renesse
von der SPD-Fraktion das Wort. – Bedauerlicherweise
bleiben Ihnen nur noch drei Minuten Redezeit, Frau von
Renesse. Beim nächsten Tagesordnungspunkt sind Sie
allerdings als erste Rednerin vorgesehen.


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1409609900
Das ist dann die Kom-
pensation.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da mir
wenig Zeit bleibt, möchte ich nach den vielen sehr be-
herzigenswerten grundsätzlichen Reden, die wir eben

gehört haben, versuchen, Sie an einem, wie man sagt,
Schlüsselerlebnis teilhaben zu lassen, das ich vor etwa
17 Jahren hatte.

Damals hatte ich mich zum ersten Mal mit der seiner-
zeit auch für mich unerhörten Reproduktionsmedizin
zu befassen. Die medizinisch unterstützte Fortpflanzung
schien mir eine Entschleierung von Tabus – des Ge-
heimnisvollen, des Dunklen und des Liebevollen, auch
des Menschenwürdigen – zu sein, abgesehen davon,
dass meine familienrechtlichen Vorstellungen völlig
durcheinander kamen. Als ich mich damit beschäftigte,
war für mich der zwingende Gedanke: Das ist alles
furchtbar, ab damit ins Strafgesetzbuch. Mir war klar,
dass angesichts der Vielzahl dieser Techniken, die mög-
lich werden würden, Menschenwürde in einem ganz
wichtigen Stadium von Menschsein, nämlich bei der
Entstehung des Menschen, erheblich in Gefahr geriet.
Menschenwürde ist ja immer in Grenzsituationen ge-
fragt: beim Entstehen und Beenden von Leben, bei
Krankheit und Behinderung. Wir brauchen die Men-
schenwürde eines 35-jährigen Olympioniken in der Re-
gel nicht zu schützen. Aber da, wo die Menschenwürde
in Gefahr ist, tritt auch ihr Ernstfall ein.

Damals rief ich meine Schwester an, die Radiothera-
peutin und urologische Onkologin in Oslo und eine sehr
fromme Frau ist, die morgens Bibellesungen macht. Ich
fragte sie, ob sie von diesen Möglichkeiten wisse und
was sie davon halte. Sie antwortete: Was willst du, da-
mit arbeite ich. Auf meine erstaunte Nachfrage erläuter-
te sie mir, ein großer Teil ihrer Patienten seien junge
Hodenkrebspatienten. Müsse man ihnen sagen, dass sie
Krebs haben, sei es schon schwierig genug. Müsse man
ihnen darüber hinaus sagen, dass sie Hodenkrebs haben,
dann – das war für meine Schwester nachvollziehbar;
übrigens im Gegensatz zu vielen Gynäkologen in Bezug
auf Frauen mit gynäkologischen Krebsen – sei das für
sie ein Einbruch in ihr Selbstverständnis. Da die Thera-
pie sehr langwierig und belastend war, konnte sie ihre
Patienten nur heilen, wenn sie nicht in Depressionen
verfielen. Sie brauchte daher diese Techniken, um den
jungen Männer sagen zu können, sie könnten mit Si-
cherheit leibliche Kinder haben, wenn sie es wollten. So
konnte sie sie heilen. Inzwischen ist der Hodenkrebs
weitgehend heilbar.
Das war für mich ein Schlüsselerlebnis. Ich habe im An-
schluss daran über etwas nachgedacht, was ein mensch-
liches Grundgesetz ist: die Ambivalenz all dessen, was
wir tun. Als am Ende des finsteren, des nicht wissen-
schaftlichen Mittelalters Wissenschaft auf der Bildfläche
erschien, sprach man von „aude sapere“: „Wage es, et-
was zu wissen.“ Dies war ein Aufbruch und zugleich ei-
ne Verurteilung.

Die tragische Dialektik menschlichen Tuns wird uns
beschäftigen. Hoffentlich schlagen wir Brücken zu den
verschiedenen Ebenen, in denen leider noch unterschied-
liche Ethiken existieren. Die Scientific Society denkt
manchmal anders als die Betroffenen. Hoffentlich schla-
gen wir Brücken zwischen den Nationen und zwischen
den verschiedenen Perzeptionsschichten. Es ist nicht al-
les des Teufels, was Menschen tun, aber alles kann des
Teufels sein!

Dr. Ilja Seifert






(A)



(B)



(C)



(D)


Danke.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409610000
Ich
schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur
Einsetzung einer Enquete-Kommission auf Drucksa-
che 14/3011. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist
damit einstimmig angenommen. Die Enquete-Kommis-
sion „Recht und Ethik der modernen Medizin“ ist damit
eingesetzt.

Wir kommen zur Abstimmung der Fraktion der PDS

zur Einsetzung einer Enquete-Kommission „Menschen-
rechte, Ethik und Politik für eine Medizin der Zukunft“
auf Drucksache 14/2153. Wer stimmt dafür? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Enthaltung von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stim-
men der PDS abgelehnt.

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe,
will ich das von den Schriftführern und Schriftführe-
rinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung über den „Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der

(KWKVorschaltgesetz)

90/Die Grünen, Drucksache 14/2765, bekannt geben.
Abgegebene Stimmen 479. Mit Ja haben gestimmt 308,
mit Nein haben gestimmt 171, Enthaltungen keine.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 476
davon
ja: 302
nein: 171
ungültig: 3

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter
Bartels

Eckhardt Barthel

(Berlin)


Klaus Barthel

(Starnberg)


Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius
Beucher

Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding

(Heidelberg)


Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Rainer Brinkmann

(Detmold)


Hans-Günter
Bruckmann

Dr. Michael Bürsch

Wolf-Michael
Catenhusen

Dr. Herta Däubler-
Gmelin

Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Detlef Dzembritzki
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer

(Homburg)


Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich

(Mettmann)


Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf

(Rosenheim)


Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer

Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller

(Lübeck)


Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann

(Chemnitz)


Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann

(Volkach)


Ingrid Holzhüter
Eike Maria Hovermann
Christel Humme
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Ilse Janz
Volker Jung

(Düsseldorf)


Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Fritz Rudolf Körper
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-
Leißner

Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Dr. Uwe Küster
Konrad Kunick
Werner Labsch
Christine Lambrecht

Brigitte Lange
Christian Lange

(Backnang)


Detlev von Larcher
Robert Leidinger
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Christa Lörcher
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Michael Müller

(Düsseldorf)


Jutta Müller

(Völklingen)


Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann

(Bramsche)


Dr. Edith Niehuis
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug

Margot von Renesse






(A)



(B)



(C)



(D)


Dr. Eckhart Pick Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
René Röspel
Gudrun Roos
Dr. Ernst Dieter
Rossmann

Birgit Roth (Speyer)

Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Silvia Schmidt

(Eisleben)


Dagmar Schmidt

(Meschede)


Wilhelm Schmidt

(Salzgitter)


Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte

(Hameln)


Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dr. Angelica Schwall-
Düren

Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-
Sperk

Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes

Adelheid TröscherHans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek

(Böhlen)


Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Brigitte Wimmer

(Karlsruhe)


Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff (Zielitz)

Heidemarie Wright
Uta Zapf
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/ DIE GRÜ-
NEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck

(Bremen)


Angelika Beer
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-
Bohlig

Hans-Josef Fell
Andrea Fischer

(Berlin)


Katrin Dagmar Göring-
Eckardt

Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-
Loßack

Steffi Lemke
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger

Klaus Wolfgang Müller (Kiel)

Christa Nickels
Christine Scheel
Irmingard Schewe-
Gerigk

Albert Schmidt

(Hitzhofen)


Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm

(Amberg)


Margareta Wolf

(Frankfurt)


PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Uwe Hiksch
Carsten Hübner
Sabine Jünger
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Dr. Christa Luft
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Christine Ostrowski
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Dr. Sabine Bergmann-
Pohl

Otto Bernhardt
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach

Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjürgen Doss
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Dirk Fischer (Hamburg)

Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Peter Götz
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Joachim Hörster
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Siegfried Hornung
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Dr. Helmut Kohl
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr.-Ing. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link

(Diepholz)


Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






(A)



(B)



(C)



(D)


Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Dr. Michael Luther
Erich Maaß

(Wilhelmshaven)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller

(Kirchheim)


Bernd Neumann

(Bremen)


Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Franz Romer
Heinrich-Wilhelm
Ronsöhr

Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Gerhard Scheu
Christian Schmidt

(Fürth)


Andreas Schmidt

(Mülheim)


Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas
Schockenhoff

Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Dorothea Störr-Ritter
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall

Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß

(Emmendingen)



(GroßGerau)


Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese

(Ehingen)


Hans-Otto Wilhelm

(Mainz)


Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Jörg van Essen
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Dr. Karlheinz
Guttmacher

Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günther Friedrich
Nolting

Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-
Jortzig

Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Guido Westerwelle

Ungültig
CDU/CSU
Dieter Grasedieck
BÜNDNIS 90/ DIE
GRÜNEN
Volker Beck (Köln)

Kerstin Müller (Köln)


Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver-
sammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der
IPU
Abgeordnete
Behrendt, Wolfgang, Bühler (Bruchsal), Klaus, Neumann (Gotha), Gerhard, Siebert, Bernd,
CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU

__________________________________

Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b so-

wie den Zusatzpunkt 8 auf:
21 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten

Christina Schenk, Ulla Jelpke, Sabine Jünger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
PDS
Unrechtserklärung der nationalsozialisti-
schen §§ 175 und 175 a Nr. 4 Reichsstraf-
gesetzbuch sowie Rehabilitierung und Ent-
schädigung für die schwulen und lesbi-
schen Opfer des NS-Regimes
– Drucksache 14/2619 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christina Schenk, Ulla Jelpke, Sabine Jünger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
PDS
Rehabilitierung und Entschädigung für die
strafrechtliche Verfolgung einvernehmli-
cher gleichgeschlechtlicher sexueller Hand-
lungen zwischen Erwachsenen in der Bun-
desrepublik Deutschland und der Deut-
schen Demokratischen Republik
– Drucksache 14/2620 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Alfred Hartenbach, Margot von Renesse,

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






(A)



(B)



(C)



(D)


Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dr. Peter
Struck und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kerstin
Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rehabilitierung der im Nationalsozialismus
verfolgten Homosexuellen
– Drucksache 14/2984 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
PDS fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.

Als erster Rednerin gebe ich der Kollegin Margot von
Renesse das Wort.


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1409610100
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Als wir in der letzten Legislaturpe-
riode über das NS-Aufhebungsgesetz sprachen – Herr
Beck, Sie erinnern sich –, waren wir uns darüber einig,
dass die Homosexuellen – die Menschen mit dem „rosa
Winkel“, in den Geltungsbereich dieses Gesetzes einzu-
beziehen sind: Sie konnten, sowohl was Rehabilitierung
als auch was Entschädigung angeht, nicht anders behan-
delt werden als alle, die einem speziellen NS-Unrecht
zum Opfer gefallen waren – gleichgültig, ob sie noch
lebten oder durch die Täter von damals vernichtet wor-
den sind. Es war uns zu diesem Zeitpunkt völlig klar,
dass ihre Ehre wiederhergestellt werden muss.

Seinerzeit gab es gerade auch über diesen Punkt
Streit. Ich will an einen anderen Sachzusammenhang er-
innern, der sozusagen den Vorwand dafür lieferte, dass
es überhaupt dazu kommen konnte. Wir waren uns in
der letzten Legislaturperiode zum Glück einig, dass je-
denfalls diejenigen, die durch die Erbgesundheitsgerich-
te der NS-Zeit so etwas Schreckliches wie Zwangssteri-
lisierung haben erdulden müssen, vom Gesetz erfasst
werden mussten.

Das war lange Zeit nicht klar. Denn die Frage, ob es
sich um spezielles NS-Unrecht handelte, war streitig,
und zwar deshalb, weil es das – gerade bei Zwangssteri-
lisationen ist das ein erschreckender Tatbestand – inner-
halb Deutschlands und auch außerhalb Deutschlands vor
der nationalsozialistischen Zeit und auch noch danach
gegeben hat. Es wird gefragt, wieso das ein spezielles
NS-Unrecht sei. Das hat es doch immer gegeben, wenn
auch während der nationalsozialistischen Zeit in beson-
ders schlimmer Weise.

In der letzten Legislaturperiode war Gott sei Dank al-
len klar, dass das, was die Nazis aus einem furchtbaren
Irrtum heraus, der schon vor und noch nach der natio-
nalsozialistischen Zeit obwaltete, gemacht hatten, nur
noch begrenzt mit einem furchtbaren Irrtum zu tun hatte.
Das Vorgehen der Nazis war vielmehr von Vernich-
tungswillen, Verfolgung sowie Beseitigung der – wie

das manchmal in solchen Entscheidungen hieß – Ele-
mente des Abschaums und der Volkszerstörung und
-vernichtung geprägt. Ähnliche Probleme – Herr Beck
erinnert sich auch daran – hatten wir auch bei den
Deserteuren. Die Spezifität des nationalsozialistischen
Unrechts erschien hier unklar. Zum Glück ist das ausge-
standen.

Damals bestand für mich, für uns alle die Frage: Wie-
so trifft das eigentlich immer noch nicht für die Opfer
von Verurteilungen nach § 175 RStGB zu? Diese sind
in der Weimarer Republik und in der Nazizeit eben nicht
nur verurteilt worden. – So schlimm diese Urteile auch
waren. Es war ja keine leichte Sache, nach § 175 RStGB
verurteilt zu werden. – Diese Verurteilungen hatten
nichts mehr mit juristischer Praxis zu tun. Es handelte
sich nur noch um Tötung, Vernichtung, Beseitigung und
Ausmerzung und führte bis hin zu den KZs.

Diese Auseinandersetzung haben wir jetzt Gott sei
Dank hinter uns. Mit der neuen Regierung ist klar – auch
der vorliegende Antrag macht dies deutlich; uns war
dies eigentlich von Anfang an klar –, dass wir spätestens
dann, wenn wir die Gesamtheit der die homosexuellen
Paare betreffenden Rechtsbestimmungen ändern wollen,
eine endgültige Bereinigung auch dieses Kapitels her-
beiführen müssen.

Nach wie vor stellt sich die Frage der Vorgehenswei-
se. Ist das mit dem alten Gesetz erreichbar oder bedürfen
wir eines neuen? Falls es eines neuen Gesetzes bedarf,
werden wir es einbringen. Daran gibt es überhaupt kei-
nen Zweifel. In diesem Zusammenhang bestehen inzwi-
schen Gott sei Dank keine Fragen mehr. Ich nehme an,
auch die andere Seite dieses Hauses sieht dies angesichts
der übrigen von mir angesprochenen Sachzusammen-
hänge so.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Ja!)

– Na wunderbar. Dann gibt es in dieser Frage wahr-
scheinlich Einheitlichkeit in diesem Hause.

Ein Extraproblem ist die Frage: Was machen wir mit
den Verurteilungen nach § 175 StGB nach 1945?
Denn es hat sie auch nach 1945 gegeben. Erst die Große
Koalition hat damit 1969 unter Führung des damaligen
Justizministers Dr. Gustav Heinemann ein Ende ge-
macht. Bis 1969 galt in der alten Bundesrepublik der
§ 175 StGB fort. Erst in der vergangenen Legislaturperi-
ode haben wir die letzten Unterschiede in der Straf-
rechtsbehandlung homosexueller und heterosexueller
Handlungen endgültig bereinigt. Es hat schrecklich lan-
ge gedauert.

Was machen wir also mit den nach § 175 StGB Ver-
urteilten? Inzwischen wissen wir – Straßburger Urteile
machen dies deutlich –: Bei all diesen Verurteilungen
handelt es sich um Verstöße gegen die Menschenrechts-
konvention des Europarates. Wie gehen wir damit um?
Ein uraltes strafrechtliches Problem, mit dem wir uns
auseinander setzen müssen, ist, dass Unrechtsurteile,
auch wenn sie falsch sind bzw. auf falschem Recht
beruhen, nicht schon deswegen automatisch aufhebbar
sind.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






(A)



(B)



(C)



(D)


Das ist anders – ich komme noch einmal auf einen
bereits von mir angesprochenen Punkt zurück – bei den
Vorgehensweisen in der Zeit zwischen 1933 und 1945.
Weil alle diese Urteile keine Urteile waren, die einen
Tatbestand umsetzten, und zwar so deutlich, dass nicht
einmal mehr juristisch argumentiert wurde, sondern nur
noch der Vernichtungswille zum Ausdruck kam, deswe-
gen kann man sie genauso generell aufheben, wie man
das auch im Hinblick auf die Waldheim-Urteile getan
hat, wohl wissend, dass es sich um Menschen handelte,
die auch in einem Rechtsstaat der Verurteilung hätten
zugeführt werden müssen. Aber weil dies Urteile waren,
die nicht einmal mehr die Qualität eines Urteils hatten,
deswegen haben wir uns entschlossen, die Waldheim-
Urteile alle aufzuheben. Das haben wir auch bei den De-
sertionsurteilen getan.

Meines Erachtens – das sage ich hier ganz persön-
lich – kann man das bei den Urteilen gegen Homosexu-
elle aus der Zeit von 1933 bis 1945 ohne Weiteres auch
tun. Ich persönlich sage sogar: Man muss es tun.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)


Wir werden uns damit auseinander zu setzen haben.
Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen; deswegen gibt
es noch kein eindeutiges Ergebnis, eines, das für alle
feststeht. Mein Ergebnis habe ich bereits genannt.

Ich denke, dass man auch denjenigen, die nach 1945
verurteilt worden sind, zumindest in einem Punkt ent-
gegen kommen muss: Man muss ihnen ihre Ehre wie-
dergeben. Es würde nichts verschlagen, wenn sich die
Bevölkerung, vertreten durch dieses Parlament, bei all
denen entschuldigt, die im Namen dieses Staates zu lei-
den hatten, obwohl sie niemandem Unrecht getan haben.
Das ist mein Wunsch. Ich hoffe, dass die Bundesregie-
rung entsprechend handelt.

Danke sehr.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1409610200
Als
nächstem Redner gebe ich das Wort dem Kollegen
Dr. Jürgen Gehb von der CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Jürgen Gehb (CDU):
Rede ID: ID1409610300
Herr Präsident! Mei-
ne Damen und Herren! In der Debatte über den Entwurf
eines Gesetzes zum verbesserten Schutz der Bundes-
wehr vor Verunglimpfung hat der Abgeordnete Beck
am 30. September letzten Jahres seinen Redebeitrag mit
den Worten begonnen: „Die Wiedervorlagemappe der
Union scheint wirklich unerschöpflich zu sein.“ Weiter
sagte er, dass es die Union mit ihrem Antrag gar nicht so
ernst zu nehmen scheine; denn sie präsentiere ihn nach
1996 zum zweiten Mal.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der PDS: Leider nicht!)


In dem Redebeitrag des Abgeordneten Stünker in der
gleichen Debatte, den er mit der Feststellung begonnen
hat, dass sich der Bundestag nicht zum ersten Mal mit

diesem Gesetz beschäftige, findet sich der Zwischenruf
wiederum des Abgeordneten Beck: „Das ist inzwischen
ein Running Gag!“ Ein weiterer Zuruf vom Bündnis 90/
Die Grünen lautete: „Denen fällt nichts mehr ein!“ Ich
möchte die heutige Debatte nicht mit der Beck‘schen
Geringschätzung führen,


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Er ist immer so!)

wenngleich ich feststellen muss, dass auch dieses Gesetz
nicht zum ersten Mal den Deutschen Bundestag beschäf-
tigt.

Ich bin zum ersten Mal Redner zu diesem Gesetz. Ich
weiß, dass man sich sehr schnell der Gefahr und dem
Vorwurf aussetzt, ein Ewiggestriger zu sein, wenn man
diese Anträge, die auf dem Tisch liegen, nicht sofort un-
kritisch und unreflektiert in vollem Umfang bejaht. Da-
mit Sie der Debatte ganz entspannt folgen können, kann
ich Ihnen für mich – ich denke, auch für meine ganze
Fraktion – klipp und klar sagen: Ich begrüße die Aufhe-
bung von § 175 und § 175 a Nr. 4. Bedauerlicherweise
kam die Aufhebung vielleicht viel zu spät. Ich verurteile
aufs Schärfste die Rechtsanwendungspraxis der Gerichte
bezüglich der NS-Zeit.

Dennoch gebieten die Vorlagen, dass man sich mit
ihnen differenziert auseinander setzt, wobei ich eine ob-
jektive Betrachtung unter Ausblendung der Urheber-
schaft zweier Anträge vornehmen möchte. Es ist aber
schon befremdlich, dass ausgerechnet die PDS als Nach-
folgepartei der SED diese Anträge stellt, die ebenfalls in
einem Unrechtsstaat vor Terror, Mord, Bespitzelung,
Denunziation und Rechtsbeugung keinen Halt gemacht
hat.


(Zurufe von der PDS: Oh! – Christina Schenk [PDS]: Sie müssen sich einmal informieren!)


Soweit der Antrag darauf zielt, dass der Bundestag
feststellen möge, dass die Verschärfung der Vorschriften
oder die Vorschriften selber typisch nationalsozialisti-
sches Unrecht seien, muss ich Ihnen unter Ausblendung
der Urheberschaft sagen – ich will jetzt keine Rechts-
exegese vornehmen, aber die Dogmatik gebietet es nun
einmal das zu sagen –, dass der Bundestag dafür der fal-
sche Adressat ist.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Richtig!)

Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 1957

in der amtlichen Entscheidungssammlung Band 6 auf
Seite 389 ff. festgestellt, dass die Vorschriften der
§§ 175 ff. kein typisch nationalsozialistisches Unrecht
sind. Nun könnte man über den Inhalt trefflich streiten.
Das will ich aber gar nicht tun. Möglicherweise würde
man heute unter den gegebenen Lebensverläufen und
Anschauungen auch anders urteilen. Aber diese Ent-
scheidung, die auf eine Verfassungsbeschwerde eines
vom Landgericht Hamburg verurteilten Homosexuellen
erging, entfaltet nun einmal Bindungskraft. § 31 des
Bundesverfassungsgerichtsgesetzes legt fest:

Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
binden die Verfassungsorgane des Bundes und der
Länder sowie alle Gerichte und Behörden.

Margot von Renesse






(A)



(B)



(C)



(D)


Daran kommt man nicht vorbei. Es mag ein formalis-
tisch anmutender Einwand sein. Aber jedenfalls steht er
diesem Petitum der PDS entgegen.

Um eine andere Geschichtsklitterung gar nicht auf-
kommen zu lassen, möchte ich einen ganz kleinen histo-
rischen Exkurs machen. Die §§ 175 und 175 a Nr. 4
des Reichsstrafgesetzbuches sind nicht das Gewächs der
Nationalsozialisten. Es kam ihnen sehr zupass, wie die
Verschärfung und die unmenschlichen Anwendung spä-
ter gezeigt haben. Aber die Geschichte der strafrechtli-
chen Würdigung gleichgeschlechtlicher Beziehungen
geht zurück auf das Alte Testament, das dritte Buch
Moses, ging fort über die Constitutio Criminalis Caroli-
na im 16. Jahrhundert und wurde schließlich im gemei-
nen deutschen Recht 1871 in das Reichsstrafgesetzbuch
übernommen.


(Margot von Renesse [SPD]: Das ist nicht das Grundgesetz!)


Das ist in der Tat nicht das Problem. Die Probleme
fokussieren sich, soweit es um die Aufhebung geht, auf
die Zeit zwischen 1935 und 1945, wie meine Vorredne-
rin schon gesagt hat.

Frau Renesse, Sie haben Ihre Regierung im Übrigen
zu Unrecht als Urheber genannt. Dies geschah noch un-
ter der Regierung von CDU/CSU und F.D.P.


(Margot von Renesse [SPD]: 1969 war es Heinemann!)


Das möchte ich der Richtigkeit halber sagen, ohne po-
lemisch zu werden. Da wir Juristen aber einen hohen
Anspruch haben, gebietet es die Richtigkeit.

In dem Gesetz über die Aufhebung nationalsozialisti-
scher Unrechtsurteile gibt es in § 1 eine Generalklausel,
wonach Urteile aufzuheben und die Verfahren einzustel-
len sind, wenn sie die Grundsätze der Menschlichkeit
verletzen, wenn sie religiöser oder rassistischer Natur
sind. Dann gibt es eine Spezialklausel, nämlich § 2
Nr. 3, und dazu einen Kanon in der Anlage. Es ist da-
rüber ein Streit entstanden, ob die §§ 175 und 175 a
Nr. 4 des Reichsstrafgesetzbuches mit in den Kanon von
§ 2 Nr. 3 aufgenommen werden sollen, mit der Konse-
quenz, dass alle in der Zeit zwischen 1935 und 1945 ge-
fällten Urteile automatisch dem Verfall anheim gegeben
werden und die Verfahren eingestellt werden.


(Zuruf von der PDS: So kann man es auch formulieren!)


Es gibt einen ähnlichen – oder sogar gleich lauten-
den – Antrag der Freien und Hansestadt Hamburg, der
zurzeit im Rechtsausschuss des Bundesrates behandelt
wird. Dort wird über genau diese Frage gestritten. Be-
zeichnenderweise war es ein Vertreter des Bundesjus-
tizministeriums, der die Schwierigkeit aufgezeigt hat,
wenn man eine Pauschalaufhebung und keine Einzelan-
tragstellung und Einzelrehabilitierung macht, wenn alle
in den Jahren 1935 bis 1945 erfolgten Urteile aufgeho-
ben werden, ohne Ansehen dessen, ob eine Tatbe-
standswidrigkeit vorgelegen hat oder ob sie im justiz-
förmlichen Verfahren ergangen sind.

Es spricht in der Tat eine fast unwiderlegbare Vermu-
tung dafür, dass alle Urteile Nichturteile oder ein Aliud
zu Urteilen sind, dass aber in der Zeit vor 1935 und nach
1945 die Urteile Bestand haben. Diejenigen, die vor
oder nach dieser Zeit verurteilt worden sind, könnten na-
türlich sagen: Wäre ich nur in dieser Zeit verurteilt wor-
den, so würde an mir kein Stigma haften.

Es ist eine fast tragische Situation, dass man mit der
Abschaffung des einen Unrechts sozusagen einen neuen
Ungleichtatbestand schafft, indem man die einen rehabi-
litiert, und zwar pauschal über die Generalklausel des
§ 1, und die anderen hängen lässt. Insofern könnte ich
mich mit dem Prüfantrag der SPD anfreunden, obwohl
ich nicht weiß, wie viele Erkenntnisse man noch gewin-
nen will, wenn man das an anderer Stelle diskutiert.
Vielleicht gibt es empirische Erfahrungen, ob es einen
Fall gibt, bei dem jemand, der zwischen 1935 und 1945
verurteilt worden ist, auf Antrag nicht rehabilitiert wur-
de. Das kann ich mir nicht vorstellen. Daher halte ich
die Aufnahme der §§ 175 und 175a Nr. 4 des Reichs-
strafgesetzbuches in diesen Kanon für obsolet. Ich finde,
dass die Fälle in dem Gesetz, das in der letzten Legisla-
turperiode beschlossen worden ist, abschließend geregelt
worden sind.

Deswegen komme ich nun zu den übrigen Anträgen,
die eher abstrakt formuliert worden sind. In dem Antrag
der SPD wird jede Form der Gewaltanfeindung und
-diskriminierung von Schwulen und Lesben verurteilt.
Meine Damen und Herren von der SPD, dieser Antrag
hat einen geradezu trivialen Charakter, weil ich nicht nur
Gewaltdiskriminierung und -anfeindung von Schwulen
und Lesben verurteile, sondern auch gegenüber allen
anderen Personengruppen, und übrigens auch gegenüber
den Mitgliedern der österreichischen Bundesregierung
und dem Überwachungspersonal von Castor-Transporte


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Richtig!)

auch gegenüber Soldaten, Polizisten und jeder Art von
Menschen- und Personengruppen, ohne Ansehen, ob sie
heterosexuell oder homosexuell sind.


(Zuruf von der PDS: Gehören wir auch dazu? – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Keine Aufregung bei der PDS! Ex-Kommunisten!)


Soweit Sie eine Entschuldigung durch den Deut-
schen Bundestag begehren, so möchte ich darauf hin-
weisen, dass ich am Anfang gesagt habe, dass ich mit
Bedauern festgestellt habe, dass die Aufhebung der
§§ 175 und 175 a Nr. 4 zunächst 1969 und dann endgül-
tig 1994 vielleicht zu spät gekommen ist. Aber wenn wir
uns für alles, was der Gesetzgeber bei retrospektiver Be-
trachtungsweise als Unrecht erkennt und aufhebt,
gleichzeitig immer wieder bedauern und entschuldigen
wollen,


(Zurufe von der SPD)

dann erinnert mich das ein bisschen – ich muss es sagen,
meine Damen und Herren an Koketterie.


(Stephan Hilsberg [SPD]: Ich bitte Sie!)


Dr. Jürgen Gehb






(A)



(B)



(C)



(D)


Die Aufhebung des Gesetzes und die Streichung sind
doch sicherlich nicht unter ausdrücklicher Zurückstel-
lung des Bedauerns oder der Entschuldigung geschehen.
Deswegen muss ich Ihnen ehrlich sagen: Ich könnte da-
mit leben, wenn sich der Deutsche Bundestag nicht wie-
der einmal ausdrücklich dafür entschuldigt; denn es gibt
auch viele andere Verurteilungen, die auf Strafnormen
fußen, die im Laufe von Strafrechtsreformen weggefal-
len sind.

Ich nenne zum Beispiel den Kuppelparagraphen.
Ich bin 1952 geboren. Als pubertierender Jüngling, so
glaube ich, noch vor der Strafrechtsreform 1969 wurde
ich von der Mutter meiner damaligen Freundin vor
22 Uhr nach Hause geschickt worden, weil es hieß: Ich
will mich doch nicht noch wegen Kuppelei anzeigen las-
sen.

Meine Damen und Herren, das ist im Recht eben so.
Insofern stehen zwei Prinzipien sozusagen unversöhn-
lich im Raum: das Prinzip der formellen Gerechtigkeit
oder Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit.
Ich habe dafür auch keinen genialen Vorschlag und weiß
kein Rezept dafür. Ich weiß nur, dass beiden Prinzipien
Rechnung getragen werden muss, und glaube deshalb,
dass das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer
Unrechtsurteile in der letzten Legislaturperiode einen
würdigen Schlusspunkt darstellt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409610400
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Volker Beck
das Wort.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409610500

Herr Gehb, Ihre Rede hat, so glaube ich, deutlich ge-
macht, wie wichtig es ist, dass wir diese Debatte noch
einmal hier im Hohen Haus führen.

Wir widmen uns heute einem besonders dunklen Ka-
pitel der deutschen Rechtsgeschichte. 1935 wurde der
§ 175 in Tatbestandsfassung und Strafmaß massiv ver-
schärft. Waren zuvor nur bestimmte Sexualpraktiken
strafbar, wurde nun die totale Kriminalisierung von
Homosexualität verordnet. Tausende schwule Männer
wurden in Konzentrationslager verschleppt, in denen sie
einen rosa Winkel tragen mussten. Nur die wenigsten
überlebten den Terror der Lager. 50 000 Männer wurden
von der NS-Justiz wegen – wie es damals hieß – wider-
natürlicher Unzucht verurteilt. Von bundesdeutschen
Gerichten wurden bis 1969 nochmals 50 000 Verurtei-
lungen nach § 175 des Strafgesetzbuches ausgesprochen.
Dieser Paragraph hat auch in der Bundesrepublik Exis-
tenzen vernichtet. Die drohende Strafverfolgung hat das
Leben ganzer Generationen von Homosexuellen über-
schattet.

Ein zentrales Anliegen unseres Antrages ist es daher,
dass sich der Deutsche Bundestag ausdrücklich von die-
ser unseligen Rechtstradition distanziert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Als Gesetzgeber müssen wir endlich die Kraft haben,
uns bei den homosexuellen Bürgern ausdrücklich für
diese Verfolgung zu entschuldigen. Ein solches Schuld-
bekenntnis des Gesetzgebers ist wirklich eine histori-
sche Zäsur. Es ist ein längst überfälliges Signal an die
Schwulen und Lesben, aber auch an die Gesellschaft
insgesamt.

Der Antrag befasst sich auch mit der noch ausstehen-
den vollen gesetzlichen Rehabilitierung der Opfer des
§ 175 in der NS-Zeit. Bündnis 90/Die Grünen und SPD
sind 1998 noch mit dem Anliegen gescheitert, § 175 in
das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Un-
rechtsurteile aufzunehmen. Deshalb ist es selbstver-
ständlich, dass man unter neuen Mehrheitsverhältnissen
versucht, nun dieses Anliegen durchzusetzen.

Herr Gehb, ich darf Sie einmal daran erinnern: Was
war der Hintergrund des Gesetzes zur Aufhebung natio-
nalsozialistischer Unrechtsurteile? Anlass dafür, dass
Frau Lore Peschel-Gutzeit als Berliner Justizsenatorin
diese Diskussion hier in Berlin im Abgeordnetenhaus
angestoßen hat, war, dass die Schüler einer Berliner
Schule, die nach Niemöller benannt war, gesagt haben:
Wir wollen, dass das Strafrechtsurteil gegen diesen Wi-
derstandskämpfer aus der Zeit des Nationalsozialismus
aufgehoben wird. Wir brauchten zwei Jahre, bis wir he-
rausgefunden haben, dass dieses Urteil bereits aufgeho-
ben war. Dann haben wir gesagt: Eine solche Debatte ist
doch unwürdig. Es ist unwürdig, dass wir nicht wissen,
ob das Urteil gilt oder nicht. Deshalb haben wir damals
trotz der Feststellung, dass das Urteil aufgehoben war,
ein Gesetz gefordert, das die alte Koalition schließlich
mitgetragen hat.

Dieselbe Situation wie bei Niemöller haben wir doch
jetzt bei den homosexuellen Opfern. Durch die General-
klausel besteht die Möglichkeit, dass manche Urteile
aufgehoben sind, manche auch nicht. Das Justizministe-
rium hat in der letzten Wahlperiode gesagt, zumindest
seien es nicht alle. Keiner weiß, was gilt. Wollen Sie
denn 80-jährige Männer zur Staatsanwaltschaft schi-
cken, damit diejenigen, die sie als Institution über Jahre
auch in der Bundesrepublik verfolgt haben, ihnen sagen,
ob ihr Urteil gilt oder nicht? Das ist doch ein unwürdi-
ges Verfahren; das können wir diesen Menschen nicht
zumuten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Deshalb sollten wir hier Rechtsklarheit schaffen. Das
Gleiche gilt übrigens für die Wehrmachtsdeserteure. Die
Rechtsgrundlagen der Verurteilung gehören in die Anla-
gen des § 2. Das sind wir diesen Opfern wirklich schul-
dig.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Eine solche pauschale Aufhebung wäre auch keine
Sonderbehandlung, sondern würde lediglich Homo-

Dr. Jürgen Gehb






(A)



(B)



(C)



(D)


sexuelle in Sachen Rehabilitierung mit den anderen Op-
fern der NS-Justiz gleichstellen.

Herr Kollege, Sie haben das Bundesverfassungsge-
richtsurteil von 1957 angesprochen. Sie haben es falsch
zitiert. Damals hat Karlsruhe gesagt, § 175 – in diesem
Punkt haben Sie sich geirrt – sei nicht insoweit national-
sozialistisches Unrecht, dass ihm in einem Rechtsstaat
jede Wirkung versagt bleiben müsste. Sie haben behaup-
tet, Karlsruhe habe festgestellt, das sei kein nationalso-
zialistisches Unrecht. Das hat Karlsruhe nicht gesagt.
Karlsruhe konnte sich zu dieser Frage damals auch nur
wenig qualifiziert äußern, denn die erste wissen-
schaftliche Publikation über nationalsozialistische Ho-
mosexuellenverfolgung ist 20 Jahre jünger als dieses Ur-
teil.

Deshalb kann man es den Karlsruher Richtern nicht
wirklich zum Vorwurf machen, dass sie sich in zwei
Punkten geirrt haben: ob es grundgesetzkonform ist und
ob es mit der europäischen Menschenrechtskonvention
übereinstimmt. Sie haben damals auch gesagt, es stimme
mit der europäischen Menschenrechtskonvention über-
ein. Inzwischen gibt es vier Urteile des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte, die vergleichbare
Rechtslagen in anderen Ländern als menschenrechtswid-
rig und als Konventionsverstoß geahndet und die Auf-
hebung dieser Vorschriften herbeigeführt haben.

Lassen Sie uns daher das Karlsruher Urteil liegen las-
sen! Lassen Sie uns Recht nach moralischen Kriterien
schaffen! Lassen Sie uns gemeinsam den Opfern die Eh-
re zurückgeben und uns als Bundestag für unsere histo-
rischen Verfehlungen als Institution entschuldigen! Ich
glaube, es ist eine Größe der Demokratie, Fehler zu er-
kennen. Die Demokratie erlaubt eine Fehlerkorrektur im
demokratischen Prozess. Diese Freiheit sollten wir uns
nehmen.

Eine weitere Frage wird im Antrag angesprochen,
nämlich die der Entschädigung. Homosexuelle NS-Op-
fer wurden nicht als Verfolgte im Sinne des Bundesent-
schädigungsgesetzes anerkannt. Sie wurden auf minder-
rangige Gesetze und Härtefonds verwiesen. Eine Ent-
schädigung im eigentlichen Sinne hat es für diese Grup-
pe nicht gegeben. Nur sehr wenige Menschen aus dieser
Gruppe haben überlebt und leben noch heute. Deshalb
ist es wichtig, dass wir im Einzelfall helfen können. Im
Koalitionsvertrag haben wir eine Tür dafür, nämlich die
zweite Bundesstiftung Entschädigung für NS-Unrecht,
über die wir in den nächsten Jahren noch diskutieren
müssen und mit der wir auch dieser Gruppe helfen müs-
sen.

Aber eine weitere Frage ist noch offen. Unverzüglich
nach ihrem Machtantritt zerschlugen die Nationalsozia-
listen die homosexuelle Bürgerrechtsbewegung der
Weimarer Republik. Vereine wurden aufgelöst, Zeit-
schriften verboten. Die Selbstorganisation homosexuel-
ler Männer und Frauen wurde damit so nachhaltig ge-
troffen, dass in vielen Bereichen der damalige Stand
jahrzehntelang nicht wieder erreicht werden konnte.
Hier wird intensiv zu beraten sein, ob es Möglichkeiten
gibt, bezüglich des Ausbleibens einer Entschädigung
und Restitution nach dem damaligen Entschädigungs-

und Restitutionsrecht für diese juristischen Personen ei-
ne politische Lösung zu schaffen.

Unweit von hier, dort, wo die „schwangere Auster“
steht, stand vor einigen Jahrzehnten das Institut für Se-
xualwissenschaft von Magnus Hirschfeld. Dort war der
Sitz des Wissenschaftlichen Humanitären Komitees.
Dieses wurde 1933 von der SA und der NSDAP ge-
stürmt.
Die Bücher wurden auf dem Platz der Bücherverbren-
nung verbrannt. Das Institut wurde nach 1945 nicht wie-
der zurückgegeben, sondern das Eigentum ging an das
Land Berlin über und wurde damals dem Stiftungszweck
der Stiftung, die dort bestand, entzogen. Wir brauchen
hier eine politische Lösung. Wir müssen darüber reden,
wie wir auch dieses Unrecht wieder gutmachen. Die
Gruppe der Homosexuellen können wir für dieses Un-
recht entschädigen und dafür sollten wir einen Anlauf
unternehmen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409610600
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Jörg van Essen.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1409610700
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Da ich heute im Vergleich zu den
anderen die kürzeste Redezeit habe, habe ich nur die
Gelegenheit, einige wenige Gedanken anzusprechen.

Dass wir über dieses Thema aufgrund verschiedener
Anträge schon oft diskutieren mussten, kann man nur
außerordentlich begrüßen. Es gibt viele Opfergruppen,
die zu Recht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses
stehen. Aber es gibt auch Opfergruppen, bei denen das
nicht der Fall ist. Ich denke, dass die Opfergruppe, die
heute Gegenstand der Debatte ist, zu denen gehört, die
häufig vergessen werden. Man merkt es bei Inschriften
von Denkmalen und bei vielen anderen Gelegenheiten.
Deshalb begrüße ich es, dass wir uns heute wieder ein-
mal mit dieser Frage beschäftigen müssen.

Für uns ist klar, dass der § 175 RStGB des Reichs-
tagsgesetzbuches und die Verschärfung, die durch den
Nationalsozialismus durchgesetzt worden ist, zu typi-
schem NS-Unrecht gehören. Ich hatte im Rahmen mei-
ner beruflichen Tätigkeit Gelegenheit, Urteile aus der
NS-Zeit zu lesen. Das, was Sie vorhin angesprochen ha-
ben, Frau von Renesse, lugte aus jedem einzelnen Wort
hervor, nämlich der pure Vernichtungswille, der pure
Wille, sich mit einer Person überhaupt nicht zu beschäf-
tigen


(Margot von Renesse [SPD]: Schon gar nicht mit der Tat!)


– Ja –. Es war der pure Vernichtungswille, der dazu
führte, dass Urteile verhängt wurden, die außerhalb jeder
Vernunft und außerhalb jeder Akzeptanz sind. Deshalb
begrüße ich es, dass wir darüber nachdenken, wie wir
mit diesem Unrecht umgehen.

Volker Beck (Köln)







(A)



(B)



(C)



(D)


Wir haben vor ein paar Jahren das Aufhebungsgesetz
verabschiedet. Damals ist darüber diskutiert worden,
inwieweit das ausreichend ist. Wir als F.D.P. hätten uns
durchaus mehr vorstellen können. Eines allerdings hat
mich überrascht: Beide Vertreter der Koalition haben
angedeutet, dass sie in Richtung einer generellen Auf-
hebung gehen. Wenn das Ihre Auffassung ist, wundert
es mich aber, dass Sie hier nicht einen entsprechenden
Antrag, sondern lediglich einen Prüfantrag eingebracht
haben. Ich denke, das wäre konsequent gewesen.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.] sowie bei der PDS)


Ich glaube, man sollte hier nicht große Ankündigun-
gen machen, wenn die Antragslage dann weit dahinter
zurückbleibt. Aber ich will das nicht zum Streitpunkt
machen, weil ich denke, dass es uns allen nicht nützt,
wenn wir das tun. Ich glaube sogar, dass es sehr wichtig
ist, hier zu einer breiten politischen Übereinstimmung zu
kommen. Deshalb will ich für meine Fraktion signalisie-
ren, dass wir zu diesen Gesprächen bereit sind.

Ich persönlich neige sehr stark zu einer generellen
Aufhebung, nämlich weil das, was Sie vorhin angespro-
chen haben, Herr Gehb, zutreffen wird: Wir werden kein
Urteil finden, das rechtsstaatlichen Maßstäben ent-
spricht. Die Wahrscheinlichkeit dafür wird so gering
sein, dass sich nach meiner Auffassung eine generelle
Aufhebung geradezu aufdrängt.

Aber auch das Problem, wie wir mit der Zeit nach
1945 umgehen, wird nicht ganz leicht zu lösen sein. Es
gibt in diesem Zusammenhang Urteile, die die Lebens-
perspektive von vielen Menschen zerstört haben. Diese
Konsequenz ist nicht deswegen eingetreten, weil sie ir-
gendetwas getan haben, worüber man diskutieren kann,
sondern sie ist deswegen eingetreten, weil Menschen
sich geliebt haben. Ich denke, dass wir gut beraten sind,
auch hier einen Weg zu finden, wobei ich gestehen
muss, dass ich ähnliche Fragen wie Herr Gehb habe, und
zwar vor dem Hintergrund der Tatsache, dass wir auch
in anderen Bereichen in den 50er-Jahren Moralvorstel-
lungen, aber auch Urteile hatten, bei denen wir heute die
Hände über dem Kopf zusammenschlagen.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben den Kuppeleiparagraphen und viele andere
Urteile genannt. Es sind für kleinste Vergehen hohe
Freiheitsstrafen verhängt worden, die dann auch verbüßt
werden mussten. Aber bei all den Verurteilungen gibt es
einen Unterschied: Die Verurteilungen nach § 175 des
Strafgesetzubuches wirkten sich sehr viel intensiver auf
Berufschancen, auf Lebenschancen und viele andere
Dinge aus, sodass von daher sicherlich eine unterschied-
liche Behandlung geboten ist. Ich bin froh, dass wir
wieder darüber diskutieren, einen neuen Anlauf unter-
nehmen und neue Chancen bekommen. Ich glaube, die
Sache ist es wert.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409610800
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Christina Schenk, PDS-
Fraktion.


Christina Schenk (PDS):
Rede ID: ID1409610900
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Die Debatte über den Umgang mit
Opfern des § 175 sowohl zu nationalsozialistischer Zeit
als auch in der Nachkriegszeit ist von der PDS auf die
Tagesordnung des Bundestages gesetzt worden. Der
Grund ist folgender: Der Bundestag hat 1998 beschlos-
sen, typisch nationalsozialistische Urteile als Unrecht
anzuerkennen und per Gesetz aufzuheben. Mit diesem
Gesetz sollte ein Schlussstrich unter das Justizunrecht
aus der Zeit des Nationalsozialismus gezogen werden.
Das ist – so muss man leider konstatieren – nicht gelun-
gen. Die konservative Mehrheit des Bundestages – ge-
nauer gesagt: die CDU/CSU-Fraktion – hat verhindert,
dass auch die Urteile nach dem berüchtigten Schwulen-
Paragraphen 175 und 175a Nr. 4 des Reichsstrafgesetz-
buches, zu einen Bestandteil der Liste im Gesetz zur
Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile wur-
den.

In der Praxis muten wir es bis heute den betroffenen
Opfern zu, in Einzelfallverfahren bei der Staatsanwalt-
schaft überprüfen zu lassen, ob ihnen in ihrem speziellen
Fall nationalsozialistisches Unrecht angetan wurde. Ich
halte das für unzumutbar und freue mich darüber, dass
offensichtlich auf mehreren Seiten die Bereitschaft be-
steht, hier etwas zu ändern. Die Pflicht zur Einzelfall-
prüfung unterstellt ja, dass es Verurteilungen nach die-
sen Paragraphen gab, die nicht unter Verstoß gegen ele-
mentare Gedanken der Gerechtigkeit und unter Verlet-
zung der Menschenwürde erfolgten. Damit wird auch
geleugnet, dass die in § 175 und § 175a Nr. 4 sanktio-
nierte strafrechtliche Verfolgung Homosexueller ein Teil
der Umsetzung der nationalsozialistischen Ideologie
war.

Die PDS fordert in ihrem Antrag, dass die entspre-
chenden Urteile, auf die ich verwiesen habe, als typisch
nationalsozialistische Unrechtsurteile anerkannt und ge-
nerell aufgehoben werden.


(Beifall bei der PDS)

Ich meine, das ist das Mindeste, was die Bundesregie-
rung tun muss, wenn sie will, dass ihre Aussage, sie
wolle der Diskriminierung von Homosexuellen ein Ende
bereiten, noch ernst genommen werden soll. Die Ehre
der Opfer muss endlich wieder hergestellt werden und
die Betroffenen sind zu entschädigen. Das geschieht
spät; für die meisten Opfer ist es schon zu spät.

Es ist durchaus zu begrüßen, dass SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen vorgestern zur heutigen Debatte noch
schnell einen Antrag zur Rehabilitierung der im Natio-
nalsozialismus verfolgten Homosexuellen vorgelegt ha-
ben. Leider bleibt der jetzige Antrag weit hinter den
Forderungen der Grünen aus der letzten Legislaturperio-
de zurück.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Das ist allerdings richtig!)


Jörg van Essen






(A)



(B)



(C)



(D)


Damals wurde noch eine umfassende rechtliche und mo-
ralische Rehabilitierung sowie eine finanzielle Entschä-
digung der Opfer gefordert. Jetzt wird lediglich verlangt,
der Bundestag möge sein Bedauern aussprechen. Ich
meine, das reicht nicht aus.


(Beifall bei der PDS und der F.D.P. – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Antrag steht noch viel mehr! Lesen Sie ihn einmal!)


Es kommt noch schlimmer: Die Bundesregierung
wird gebeten zu prüfen, ob die jetzige Praxis der Einzel-
fallprüfung ausreichend ist. Nachdem sie schon andert-
halb Jahre regiert, ist das peinlich. Das hätte man längst
tun können.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Sonst tun sie auch nichts! Insofern ist das kein Wunder!)


De facto wird mit dem Antrag von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen indirekt die jetzige Praxis der Einzelfallprü-
fung legitimiert. Sie fallen damit den Opfern und ihren
Angehörigen in den Rücken. Das muss man so klar sa-
gen.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Sehr bedauerlich!)

Enttäuschend ist auch, dass sich in Ihrem Antrag kei-

ne Forderung nach kollektiven Entschädigungsleis-
tungen mehr findet. Die Homosexuellen-Verfolgung der
Nazis – das haben Sie ja auch gesagt – richtete sich nicht
nur gegen einzelne Personen, zerstört bzw. zerschlagen
wurde die gesamte sozio-kulturelle Infrastruktur von
Lesben und Schwulen in der damaligen Zeit. Die PDS-
Fraktion fordert deshalb die Einrichtung einer öffentlich
finanzierten Stiftung als eine Form der kollektiven Wie-
dergutmachung an den Lesben und Schwulen.

Die strafrechtliche Verfolgung – Sie wissen das – von
Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung war
nach 1945 nicht zu Ende.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409611000
Frau Kollegin
Schenk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Beck?


Christina Schenk (PDS):
Rede ID: ID1409611100
Aber bitte.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1409611200

Frau Kollegin, bevor hier falsche Dinge über die An-
tragslage in Umlauf geraten, frage ich Sie: Sind Sie be-
reit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in Punkt IV Ziffer 2
die Frage der kollektiven Schädigung, also die Vernich-
tung der Einrichtungen der homosexuellen Bürger-
rechtsbewegung angesprochen, ein Bericht der Bundes-
regierung zu dem Umfang dieser Vorgänge eingefordert
und die Bundesregierung ersucht wird,

„gegebenenfalls Vorschläge zu entwickeln, wie Lü-
cken bei der Entschädigung, Rückerstattung und
beim Rentenschadensausgleich für homosexuelle
NS-Opfer geschlossen werden können“,

also auch die juristischen Personen in diesem Zusam-
menhang mit eingeschlossen werden, dass damit Ihr Pe-

titum, das Sie ja dankenswerterweise bis ins Detail aus
unserer Vorlage von 1995 übernommen haben, aufge-
nommen wurde und wir diese Fragen mit der Bundesre-
gierung im Ausschuss auf der Grundlage dieses Antra-
ges diskutieren wollen?


Christina Schenk (PDS):
Rede ID: ID1409611300
Herr Beck, ich nehme zur
Kenntnis, dass ein Bericht – Sie haben es vorgelesen –
gefordert wird und dazu aufgefordert wird, gegebenen-
falls Vorschläge zu entwickeln. Herr Beck, Sie waren in
der letzten Legislaturperiode schon sehr viel weiter.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Das ist richtig, ja!)

Sie werfen uns vor, dass wir aus Ihrem Antrag aus der
damaligen Zeit abgeschrieben haben. Das ist im Übrigen
nicht wahr. Wahrscheinlich kennen Sie Ihren eigenen
Antrag nicht mehr. Also, es bleibt bei der skandalösen
Situation, dass Sie lediglich einen Bericht einfordern,
statt hier endlich Taten sprechen zu lassen. Es ist wirk-
lich schwach – gerade für die Bündnisgrünen –, das hier
auch noch verteidigen zu wollen.


(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.])


Herr Gehb, vielleicht wird es für Sie jetzt besonders
interessant. Ich möchte – möglicherweise ist das hier
nicht allen klar – noch Folgendes sagen. Die DDR ist
bereits 1950 zur Weimarer Fassung des § 175 zurück-
gekehrt, der wurde auch nur noch bis 1958 angewandt
wurde. Er stand zwar bis zur Strafrechtsreform 1968
noch im Strafgesetzbuch der DDR, aber angewandt
wurde er nur bis 1958. Die Verfolgungsintensität und
auch die Zahl der Verurteilungen waren außerordentlich
gering. Es handete sich um einige Hundert Fälle.

In der Bundesrepublik hingegen wurden Schwule
nach der nationalsozialistischen Fassung des § 175 bis
1969 strafrechtlich verfolgt. Das war ein eklatanter Ver-
stoß gegen das Menschenrecht auf Selbstbestimmung.
Das unterscheidet diesen Fall auch von anderen Fällen,
die Sie Herr Gehb, hier angeführt und, von denen Sie
gesagt haben, dass sich natürlich die Auffassung zu be-
stimmten Strafrechtsparagraphen ändern kann und man
nicht in jedem Fall eine Entschuldigung des Bundesta-
ges verlangen kann. Aber hier handelt es sich von An-
fang an um die Verletzung von Menschenrechten. Das
war schon damals Unrecht. Deswegen ist es eine andere
Situation.

Die Zahl der Verurteilten überstieg sogar noch die
in der NS-Zeit. Es handelt sich um 50 000 bis 60 000
Fälle. Das muss man sich einmal vorstellen! Hier geht es
nach unserer Auffassung darum, die Strafen aus dem
Strafregister zu tilgen und die Betroffenen zu entschä-
digen, so wie es der zweite Antrag der PDS hier vor-
sieht.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Wiedergutmachung – das muss hier klar sein – ist

nicht zum Nulltarif zu haben. Es reicht nicht aus, wenn
der Bundestag lediglich sein Bedauern ausdrückt, wie es
eben der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
fordert.

Christina Schenk






(A) (C) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.

Den Opfern der Homosexuellenverfolgung in der Nazi-
und auch in der Nachkriegszeit gerecht zu werden, heißt,
sie rechtlich und moralisch zu rehabilitieren und ange-
messen zu entschädigen. Erst dann kann ein Schluss-
strich unter das leidvolle Kapitel der Homosexuellenver-
folgung in Deutschland gezogen werden.

Danke.

(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1409611400
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 14/2619 und 14/2620 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 14/2984 (neu) zur federführenden Beratung
an den Rechtsausschuss und zur Mitberatung an den In-
nenausschuss, den Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend, den Ausschuss für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe und den Haushaltsausschuss zu
überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? –
Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Schluss
unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 5. April 2000, 13 Uhr ein.

Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, die bis
zum Schluss ausgeharrt haben, ein erholsames – wenn
auch sicherlich arbeitsreiches – Wochenende.

Die Sitzung ist geschlossen.