Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist er-
öffnet.
Ich rufe den Tagungsordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Entwurf des Jahreswirtschafts-
berichts 2000.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Eichel. Bitte
sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
FrauPräsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bitte umVerständnis, wenn ich ein wenig mehr als die fünf Mi-nuten benötigen werde; denn man kann den Jahreswirt-schaftsbericht auch bei straffster Zusammenfassungschwerlich in fünf Minuten darstellen.Das Kabinett hat den Jahreswirtschaftsbericht heuteverabschiedet. Er enthält die Darstellung der wirtschaft-lichen Situation, unsere Prognosen, unsere wirtschafts-politischen Ziele und schafft damit Planungssicherheitsowohl für die Unternehmen als auch für die Bürgerin-nen und Bürger als Konsumenten.Erstens. Die Aussichten für die wirtschaftliche Lagein Deutschland sind gut. Die Auftragsbücher der Indus-trie sind gut gefüllt. Die Auslandsnachfrage ist lebhaft.Die Bestellungen aus dem Inland haben zugelegt.Zweitens. Die Stimmung in der Wirtschaft ist so gutwie lange nicht mehr.Drittens. Die deutsche Wirtschaft kann sich im inter-nationalen Wettbewerb gut behaupten. Die Warenex-porte bewegen sich auf einem steilen Wachstumspfad.Deswegen liegt unsere Prognose hinsichtlich des An-stiegs des Bruttoinlandsprodukts für dieses Jahr bei real2 ½ Prozent. Das ist im Vergleich zu allen Schätzungender nationalen und internationalen Institute eher einevorsichtige Prognose.Des Weiteren wird sich die Lage auf dem Arbeits-markt entspannen. Die Zahl der Arbeitslosen wird imJahresdurchschnitt um 200 000 zurückgehen. Damitwird die 4-Millionen-Marke auch im Jahresdurchschnittklar unterschritten werden. Das ist das erste Mal seit1996. Damit kann die Arbeitslosenquote am Ende diesesJahres um 300 000 geringer sein als die am Ende desvergangenen Jahres.Viertens. Die Verbraucherpreise werden relativ stabilbleiben. Wir erwarten eine Inflationsrate von 1 bis 1 ½Prozent. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch dieNachrichten aus der heutigen Ausgabe des „Handels-blattes“ ansprechen: Wir alle gehen wie die EuropäischeZentralbank davon aus, dass durch den Basiseffekt derÖlpreisverteuerung die Preissteigerungsrate im erstenQuartal deutlich höher sein wird, sich aber dann, wennsich dieser Effekt abschwächt, deutlich abflacht undvielleicht sogar unter 1 Prozent bleibt. Wir gehen davonaus, dass dann die Preissteigerungsrate im Jahres-durchschnitt bei 1 bis 1 ½ Prozent liegt und damit dasStabilitätsziel der Europäischen Zentralbank von weni-ger als 2 Prozent klar unterschritten wird.Das sind positive Zahlen, die vorsichtig realistischgeschätzt sind. Die Wahrscheinlichkeit spricht durchausdafür, dass der Aufschwung auch eine stärkere Eigendy-namik entwickeln könnte und die Entwicklung im Jah-resverlauf noch besser werden könnte. Das gründet sichauf die eingeleitete Wirtschafts- und Finanzpolitik, mitderen Hilfe wir die Ausgabenseite, also die Haushalts-politik, und die Einnahmenseite, also die Steuerpolitik,wieder zusammengebracht haben.Der Bundeshaushalt 2000 hat erstmals etwas Luft ge-bracht, die wir auch, wie Sie wissen, für Steuersenkun-gen nutzen wollen. Aber wir müssen auch in Zukunft amKurs der strikten Begrenzung der Ausgaben festhalten.Auch das Ziel, 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vor-zulegen, also keine neuen Schulden zu machen, hat zurguten Stimmung in der Wirtschaft und bei den Bürge-rinnen und Bürgern maßgeblich beigetragen.Wir werden von diesem Ziel nicht ablassen.
Metadaten/Kopzeile:
7654 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000
– Herr Kollege, hätten Sie das zuwege gebracht, wäre esauch besser.Gleichzeitig reduzieren wir zur Haushaltskonsolidie-rung die Abgabenlast. Die Einkommensteuerreform hatbereits zu einer Stärkung der Nachfrage der privatenHaushalte geführt. Auch das begründet die optimisti-schen Erwartungen.Die Steuerreform 2000 ergänzt diesen Ansatz. Ab2001 werden die Unternehmen um zusätzlich 8 Milliar-den DM entlastet. Diese Entlastung erfolgt über den Ta-rif und ist insofern dauerhaft. Gleichzeitig ziehen wir diedritte Stufe im Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002auf das Jahr 2001 vor. Das bedeutet eine zusätzlicheEntlastung um mehr als 26 Milliarden DM.Allein die Ankündigung dieser Steuerreform wird po-sitive Effekte entfalten. Unternehmen mit Weitblickwerden Investitionen aus dem Jahr 2001 in das Jahr2000 vorziehen, zum einen um noch die günstigen Ab-schreibungsbedingungen mitnehmen zu können und zumanderen um später niedrigere Gewinnsteuern zahlen zumüssen.Wir regen Investitionen an und schaffen Rahmenbe-dingungen, damit neue Arbeitsplätze entstehen können.Die Prognose geht davon aus, dass im nächsten Jahr –im Jahresdurchschnitt – etwa 120 000 zusätzliche Ar-beitsplätze entstehen. Es wird durchschnittlich 200 000Arbeitslose weniger geben. Neben den 120 000 zusätz-lich Beschäftigten werden aus demographischen Grün-den 80 000 Menschen weniger arbeitslos sein.Die Demographie wirkt nach zwei Seiten: Es schmä-lert sich nicht nur die Breite der Jahrgänge, die ins Er-werbsleben drängen; in diesen schmaleren Jahrgangs-breiten wächst auch der Wunsch nach Beschäftigung.Insbesondere in den westlichen Bundesländern geht vondieser Seite ein Stück zusätzlicher Nachfrage aus. DieErwerbstätigkeit wird dann um knapp ½ Prozent zule-gen. Ich weise aber darauf hin, dass wir am Jahresendeetwa 300 000 Arbeitslose weniger als zum Jahresendedes vergangenen Jahres haben werden. Das ist diejenigeZahl, die wir ungefähr erreichen müssen, wenn wir dieZahl von durchschnittlich 200 000 Arbeitslosen wenigererreichen wollen.Allerdings können wir uns dabei nicht allein auf dasWirtschaftswachstum verlassen. Deswegen setzen wirdie aktive Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau undebenso das Programm zur Bekämpfung der Jugendar-beitslosigkeit, durch das bisher schon über 200 000 Ju-gendliche eine neue Perspektive bekommen haben, fort.Das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbe-werbsfähigkeit hat für die Umsetzung eine wichtige Be-deutung.Für die Modernisierung der Wirtschaft ist es wichtig,dass wir in Zukunft Wettbewerbsfähigkeit behalten unddass die Wirtschaft auf einen nachhaltigen Kurs ein-schwenkt. Deswegen ist es völlig richtig, zu behaupten:Die Ökosteuer hat dabei eine wichtige Funktion. Durchmaßvolle, schrittweise Verteuerung der Energie habenwir einen Wegweiser aufgestellt, der in diese Richtungzeigt. Angesichts der globalen Umweltprobleme kanndie Wirtschaft von morgen nicht so wie die Wirtschaftvon gestern produzieren. Damit sich Investitionen loh-nen und damit Investitionen auch zu Innovationen wer-den, müssen wir auch in der Steuerpolitik die Weichenrichtig stellen. Ich weise außerdem darauf hin, dass –wenn auch in kleinen Schritten – die Politik der Senkungder Lohnnebenkosten in diesem Jahr fortgesetzt wird.Zukunftsfähigkeit Deutschlands setzt voraus, dass dieneuen Länder den wirtschaftlichen Aufholprozess fort-setzen. Dazu unterstützen wir sie und wir werden in Zu-kunft die Fördermittel zielgenauer einsetzen. Insbeson-dere Mittelstand und Unternehmensgründer können mitweiteren Hilfen rechnen. Übrigens, die Steuerreformgeht ausdrücklich auf die Stärkung der Eigenkapitalbasisder Unternehmen ein. Dies ist einer der Pferdefüße derdeutschen Wirtschaft, der mit die hohe Insolvenzratebegründet. Dies hat die Bundesbank gerade in einemMonatsbericht durch einen Vergleich mit der französi-schen Wirtschaft deutlich gemacht. Damit ist eine Steu-erreform, die die Eigenkapitalbasis stärkt, eine Reform,die Arbeitsplätze nachhaltig sicherer macht. Aber wirwerden auch den Aufbau und den Ausbau der Infra-struktur fortsetzen.Um die Zukunftsfähigkeit langfristig sicherzustellen,müssen und werden wir die Anstrengungen für Bildungund Forschung verstärken. Leitlinien sind mehr Flexibi-lität, mehr Wettbewerb, stärkere Leistungsorientierung,Chancengleichheit und Nachhaltigkeit. Dafür setzenBund und Länder das Hochschulausbauprogramm durchFachprogramme fort. Wir werden neue Ausbildungsbe-rufe schaffen, bestehende aktualisieren, die Mittel fürdie Ausbildungsförderung erhöhen und – damit aus In-vestitionen Innovationen werden – den Wissenstransferzwischen Wissenschaft und Wirtschaft erleichtern.Damit legen wir ein umfassendes Programm vor. Wirbekämpfen die aktuellen Probleme, insbesondere dieArbeitslosigkeit. Wir treffen Vorsorge gegenüber denHerausforderungen, die schon jetzt absehbar sind, undwir gestalten die Gegenwart so, dass Deutschland lang-fristig an Zukunftsfähigkeit gewinnt. Der Jahreswirt-schaftsbericht ist damit über die gesamtwirtschaftlicheProjektion hinaus, die alle interessiert, ein wichtigesDokument, das die gesellschaftliche Diskussion über dieEntwicklung dieses Landes anstoßen kann.Der Kurs, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, ist erfolg-reich. Ich denke, es ist auch ein Ziel, das wir gemeinsamteilen. Wir freuen uns auf die öffentliche Debatte dar-über.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit für dieEinführung.
Nun kommen wir zu
den Fragen zu diesem Themenbereich. Wer möchte eine
Frage an den Finanzminister stellen? – Bitte sehr, Herr
Kollege.
Sehr geehrter HerrMinister, Sie sprachen von einem demographischen Ef-fekt von 80 000. Die Bundesanstalt für Arbeit hat in denBundesminister Hans Eichel
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000 7655
letzten Monaten immer die Zahl von 250 000 bis300 000 je Jahr genannt. Können Sie mir erklären, wieSie zu der Zahl von 80 000 kommen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt
keine Differenz zwischen unseren Zahlen und denen der
Bundesanstalt für Arbeit. Im Jahresdurchschnitt gibt es
200 000 Arbeitslose weniger. Davon entfallen 120 000
auf den Beschäftigungsaufbau und 80 000 auf den de-
mographischen Faktor. Ich habe das eben erläutert.
Frau Kollegin, Sie
hatten eine Frage. Bitte sehr.
Margareta Wolf (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Minister, das Ifo-Institut hat darauf
hingewiesen, dass der Geschäftsklimaindex in diesem
Jahr erstmals knapp unter 100 liegt. Vor einem Jahr lag
er noch bei rund 91. Wie erklären Sie sich diese Ent-
wicklung? Würden Sie sagen, diese Entwicklung ist
vornehmlich auf die Eckpunkte der von Ihnen avisierten
Steuerreform zurückzuführen?
Der zweite Punkt, der mich in dem Kontext interes-
siert, ist folgender: Sie haben von der Eigenkapitalbasis
der Unternehmen geredet und einen Zusammenhang zu
Investitionen, Innovationen und Arbeitsplätzen herge-
stellt. Mich würde interessieren, ob Sie glauben, dass die
von der Bundesregierung und von Rot-Grün angestrebte
Steuerfreistellung von Veräußerungsgewinnen tatsäch-
lich zu einer Belebung oder zu einer Stärkung der Ei-
genkapitalbasis bei den Unternehmen führen wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu Ihrer
ersten Frage. Das Geschäftsklima hat sicherlich mit zwei
Dingen zu tun. Zum einen verläuft die weltwirtschaftli-
che Entwicklung günstiger, als noch vor einem Jahr an-
genommen. Zum anderen machen wir eine Wirtschafts-,
Finanz- und Steuerpolitik, die in der Tat dazu führt, dass
die Unternehmen mit größerer Hoffnung in die Zukunft
sehen. Das heißt, die Kombination von Haushaltskonso-
lidierung und Senkung der Steuer- und Abgabenlast auf
breiter Front ist genau das, was wir in dieser Situation
brauchen.
Ihre zweite Frage betrifft ein anderes Thema. Die
Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen, soweit das
Ergebnis im unternehmerischen Sektor verbleibt – abge-
sehen davon, dass es systemimmanent im Zusammen-
hang mit dem Übergang auf das Halbeinkünfteverfahren
steht –, ist ein Beitrag dazu, dass wir zu einer Restruktu-
rierung in der deutschen Volkswirtschaft kommen und
sie nicht steuerlich behindern. Das ist auch ein Beitrag
dazu, dass die oft – wie ich finde, zu Recht – kritisierte
ziemlich intensive Verflechtung zwischen Banken und
Industrie in Deutschland aufgelöst werden kann.
Nun kommt der
Kollege Koppelin. Bitte sehr.
Herr Bundesfinanzminis-
ter, ist es ein Zufall, dass das Landwirtschaftsministe-
rium zurzeit nicht vertreten ist? Hat der Land-
wirtschaftsminister im Kabinett auf die Situation der
Landwirtschaft hingewiesen? Denn – das muss man
auch erwähnen – die Landwirtschaft befindet sich auf-
grund der Politik der Bundesregierung in einer dramati-
schen Situation; das gehört ja wohl auch zu einem Jah-
reswirtschaftsbericht. Vor allem durch die Streichungen
im Haushalt, aber auch durch die Ökosteuer werden die
Einkünfte der Landwirte erheblich reduziert werden. Bei
den Landwirten herrscht nicht die Freude, von der Sie
gesprochen haben, über Ihre Politik.
Ich habe eine weitere Frage. Als ich meinen Zwi-
schenruf zum Thema Ökosteuer machte, haben Sie –
wenn ich mir das richtig aufgeschrieben habe – gesagt,
die Bundesregierung habe als Wegweiser den richtigen
Weg aufgezeigt. Ist das korrekt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Dann möchte ich Sie
fragen, ob Sie wissen, welche Funktion der Wegweiser
hat. Der Wegweiser zeigt nur den Weg und schickt an-
dere in die Richtung; er geht aber nicht selbst mit. Ist
das die Haltung der Bundesregierung?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dass einLiberaler diese Frage stellt, verwundert mich außeror-dentlich; denn ich habe immer gedacht, das sei zumin-dest nach liberaler Auffassung genau die Rolle, die derStaat hätte, nämlich die Wirtschaft nicht selbst zu leiten,sondern nur den Wegweiser aufzustellen. Genau das tunwir an dieser Stelle. Erster Punkt.Zweiter Punkt: Der Bericht ist im Bundeskabinetteinstimmig verabschiedet worden. In der Tat ist der Ab-bau von Subventionen immer ein Problem; denn derje-nige, den es trifft, ist darüber nicht erfreut. Ich dachteaber auch hier, dass es ein besonderer Schwerpunkt libe-raler Politik sei, Subventionen abzubauen. Dann müssenSie auch mit den Folgen fertig werden.
– Vorsicht, Herr Kollege! Es gibt keinen Bereich, indem die Subventionen so zurückgefahren werden wiebeim Bergbau. Wollte man etwas Ähnliches – das willich dezidiert nicht – in der Landwirtschaft tun, kämeman zu ganz anderen Ergebnissen. Ich warne Sie drin-gend davor, solche Vergleiche zu ziehen.
Dr. Bernd Protzner
Metadaten/Kopzeile:
7656 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000
– Subventionen in anderen Ländern sind noch nicht un-bedingt eine Voraussetzung für Subventionen bei uns.Auch das sollte Ihnen als Liberalem eigentlich klar sein.
Ich lasse ein solches
Pingpong gern zu, weil es eigentlich der Sinn der Befra-
gung ist.
– Das ist immer gegenseitig, Herr Kollege.
Jetzt hat Herr Schemken das Wort.
Herr Finanzminister,
ich bitte um Aufklärung des Konfliktes, der darin be-
steht, dass wir wegen des durch die demographische
Entwicklung bedingten Rückganges der Zahl der Ar-
beitslosen eine Entlastung der Bundesanstalt für Arbeit
haben werden, zugleich aber die Finanzierung des Gene-
rationenvertrages und das Steueraufkommen davon ab-
hängen, wie viele Menschen in Arbeit sind. Daher lautet
die entscheidende Frage in der Steuergesetzgebung, ob
ich nur die Unternehmensteuer oder auch die Besteue-
rung des Privatkapitals einer Reform unterziehe. Letzte-
res ist insbesondere dort erforderlich, wo die mittelstän-
dische Wirtschaft, das Handwerk und der Handel, die im
Übrigen in den letzten Jahrzehnten die Arbeitsplätze ge-
schaffen haben, sehr betroffen sind. Wie lösen Sie die-
sen Konflikt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr
Kollege, ich weise darauf hin – deswegen hat mich auch
die Debatte in den Oppositionsparteien über die Unter-
nehmensteuerreform immer sehr verwundert –, dass
zwei Drittel aller deutschen Unternehmen Gewinne von
weniger als 48 000 DM ausweisen. Das sind die kleinen
Personengesellschaften. Sie können deswegen nicht im
Bereich der Unternehmensteuern entlastet werden; sie
bekommen nie den Einkommensteuerspitzensatz auch
nur von Ferne zu sehen. Die Unternehmen, die Gewinne
von weniger als 48 000 DM ausweisen – ich wiederhole:
es sind zwei Drittel aller deutschen Unternehmen –,
können nur durch eine Senkung des Eingangssteuersat-
zes entlastet werden. Es hat ja lange gedauert, bis sich
zum Beispiel auch die CSU unserem Vorschlag, den
Eingangssteuersatz auf 15 Prozent abzusenken, ange-
schlossen hat. Ich habe übrigens noch nie positive Äuße-
rungen zum Thema Existenzminimum gehört. Stets war
es die klassische Politik der Sozialdemokraten, sowohl
das steuerfreie Existenzminimum heraufzusetzen als
auch den Eingangssteuersatz abzusenken. Genau dies ist
der Weg, um die Masse der kleinen Personengesell-
schaften, die Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze schaf-
fen – Sie haben Recht –, steuerlich zu entlasten. Deswe-
gen muss man darauf das Schwergewicht legen; genau
das tun wir.
Jetzt hat Frau Kopp
das Wort. – Bitte sehr, Frau Kollegin.
Herr Bundesfinanzminister,
als ich mich heute auf diese Regierungsbefragung vorbe-
reiten wollte, war ich ein wenig enttäuscht, dass uns kei-
nerlei Unterlagen zu dem Bericht der Bundesregierung
vorlagen. Deswegen vorweg die Frage: Beabsichtigen
Sie, es künftig so zu organisieren, dass das, was Sie hier
vortragen, dem Parlament wenigstens kurzfristig vor
Sitzungsbeginn zur Verfügung steht, damit man das
nachlesen und sich entsprechend vorbereiten kann?
Zum Thema aktive Arbeitsmarktpolitik möchte ich
wissen, ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, dass es
hinsichtlich der Schaffung und Sicherung von Arbeits-
plätzen erheblich effektiver wäre, wenn Sie sehr gezielt
und deutlich die kleinen und mittelgroßen Unternehmen
und insbesondere die Unternehmer in unserem Land
steuerlich entlasteten. Mich interessiert, ob Sie im Rah-
men Ihrer Tätigkeit im vergangenen Jahr nicht doch zu
etwas anderen Erkenntnissen gekommen sind und ob Sie
sie gegebenenfalls in Ihre Arbeit einfließen lassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
FrauAbgeordnete, ich kann Ihnen Unterlagen erst druckenlassen und zuleiten, wenn das Kabinett sie beschlossenhat. Das Problem dieser Regierungsunterrichtung liegtdarin, dass das Kabinett heute Morgen um 10 Uhr denJahreswirtschaftsbericht beschlossen hat und ich heuteMittag – das halte ich ja für richtig – hier Rede undAntwort stehen soll. In der Zwischenzeit kann man dasnicht alles schon gedruckt haben. Wir haben es aber so-fort ins Internet eingestellt. Das ist der einzige Hinweis,den ich dazu geben kann. Wir machen das so schnell wieirgend möglich.Zweiter Punkt. Aktive Arbeitsmarkpolitik ist einElement, das auf die Arbeitslosen und insbesondere aufdie längerfristig Arbeitslosen sowie auf die Erhaltungbzw. Wiederherstellung ihrer Qualifikation für den Ar-beitsmarkt zielt. Dieses Element ist überhaupt keine Al-ternative zur steuerlichen Entlastung der kleinen undmittleren Unternehmen. Man muss also auf der einenSeite auf diese Weise Bedingungen schaffen, damitmehr Menschen eingestellt werden können. Auf der an-deren Seite muss man aber Bedingungen schaffen, damitdie Menschen für diese Tätigkeit auch qualifiziert wer-den. Notwendig ist also beides.Ich habe eben schon auf die Frage Ihres Kollegen ge-antwortet: Ein Schwerpunkt unserer Steuerentlastungliegt gerade im Bereich der kleinen und mittleren Unter-nehmen. Ich will Sie noch einmal herzlich bitten, zuüberlegen – auch vor dem Hintergrund, dass wir denKurs „heraus aus der Schuldenfalle“ nicht gefährdenwollen –, was man steuerlich noch tun kann. Wir unter-nehmen alle Anstrengungen, die möglich sind. Wenn Sieeinmal die Länderfinanzminister fragen, werden Sie vonihnen intern, aber sehr deutlich hören, wie sehr die Lan-deshaushalte mit dem, was wir tun, strapaziert werden.Bundesminister Hans Eichel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000 7657
Ich sage ganz ausdrücklich: Überlegen Sie sich ein-mal vor dem Hintergrund, dass zwei Drittel aller deut-schen Unternehmen nie in die Nähe des Spitzensteuer-satzes kommen, ob eine Kampagne, die darauf zielt, denSpitzensteuersatz noch viel weiter zu senken – und zwarauf ein Niveau, das kein Land in Europa hat –, über-haupt einen Sinn hat!Wir liegen mit unserer Konzeption hinsichtlich desSpitzensteuersatzes in Europa fast am unteren Ende. Nurdas Vereinigte Königreich und Portugal haben einenniedrigeren Spitzensteuersatz als den, den wir im Rah-men unserer Steuerreform 2000 vorgeschlagen haben.Deswegen bitte ich sehr herzlich darum, dass wir in derweiteren Debatte diese Frage sehr sorgfältig unter demAspekt der Stärkung der kleineren und mittleren Betrie-be diskutieren. Ich glaube, Sie werden dann zu einemanderen Ergebnis kommen, was die Wirkungen derSteuerreform für den Arbeitsmarkt durch die Entlastungder Unternehmen angeht. Sie werden dann erkennen, woSie ansetzen müssen.
Frau Pieper, bitte
sehr.
Herr Bundesfinanzminis-
ter, meine Frage bezieht sich auf die neuen Bundeslän-
der, auf den Aufbau Ost. Sie haben hier ganz klar darge-
stellt, wie sich die Arbeitslosenzahlen aus Ihrer Sicht im
kommenden Jahr unter Berücksichtigung des demogra-
phischen Faktors entwickeln werden. Sie wissen aber
auch, dass es eine sehr starke Differenzierung zwischen
Ost und West gibt und dass das Wirtschaftswachstum
auch in den kommenden Jahren in den neuen Bundes-
ländern noch weiter unter dem des Bundesdurchschnitts
liegen wird. So lauten die Prognosen, die ich von re-
nommierten Wirtschaftsinstituten kenne.
Ich frage Sie: Wie gedenken Sie diesem Abwärts-
trend, der hinsichtlich der kleinen und mittleren Unter-
nehmen durch die Ökosteuer noch befördert wurde, ins-
besondere in den neuen Bundesländern entgegenzuwir-
ken? Es wird sehr viel über Effizienz und Straffung von
Förderprogrammen geredet. Wo werden Sie zukünftig
gerade beim Aufbau Ost die Akzente in der Wirtschafts-
förderung setzen, sodass es dort wieder bergauf gehen
kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu-
nächst will ich anmerken, dass Ihre Beschreibung – ag-
gregiert haben Sie Recht – nicht vollständig ist; denn das
Problem ist, dass die Entwicklung im Osten etwas lang-
samer als im Westen vorangeht. Dahinter verbergen sich
aber zwei gegenläufige Entwicklungen. Vor diesem
Hintergrund haben Sie also nicht Recht.
Zum einen ist die Entwicklung im gewerblichen und
insbesondere im industriellen Sektor wesentlich stärker
aufwärts gerichtet als die im Westen der Bundesrepu-
blik. Zum anderen geht es im Bausektor im Unterschied
zum Westen noch weiter zurück. Diese unvermeidliche
Anpassung hängt damit zusammen, dass wir in den ers-
ten zehn Jahren beim Aufbau Ost ein unglaublich star-
kes Gewicht auf den Bausektor gelegt haben. Dieses
Vorgehen war angesichts des Verfalls und angesichts
der über viele Jahrzehnte fehlenden Investitionen not-
wendig. Die entsprechenden Maßnahmen werden jetzt
auf ein normales Maß zurückgefahren.
Diese Normalisierung wird sich angesichts der hohen
Leerstände im Wohnungsbereich in den neuen Bundes-
ländern weiter fortsetzen. Dieser Entwicklung setzen wir
ein neues Wohnungsmodernisierungsprogramm bei der
Kreditanstalt für Wiederaufbau entgegen. Allerdings
bitten wir die neuen Länder, die Hälfte der Mittel für die
Zinsverbilligung zu tragen, damit deutlich werden kann,
ob dieses Programm angenommen wird. Das erkennt
man immer erst dann, wenn ein entsprechendes Enga-
gement verlangt wird.
Ich bitte Sie deshalb, den Aufbau Ost an dieser Stelle
nicht schlecht zu reden. In den neuen Feldern geht die
Entwicklung steiler als im Westen aufwärts. Gerade die
Exportfähigkeit der ostdeutschen Industrie nimmt sehr
stark zu. Diese Entwicklung ist sehr positiv; das müssen
wir deutlich machen. Die Entwicklung im Bausektor ist
aber, wie gesagt, unvermeidlich.
Darüber hinaus haben wir im Haushalt 2000 für den
Aufbau Ost rund 3 Milliarden DM mehr eingestellt, als
dies 1998 beim letzten Haushalt, der von der früheren
Koalition, der Sie angehört haben, verantwortet wurde,
der Fall war.
Mit Blick auf die von uns vorgelegten Pläne zur Un-
ternehmensteuerreform sage ich: Die ganz bewusste Pri-
vilegierung des im Unternehmen verbleibenden Ge-
winns – wie in Frankreich praktiziert –, dass heißt die
Stärkung der Eigenkapitalbasis, kommt in besonderem
Maße den kleinen und mittleren Unternehmen in den
neuen Ländern zugute und macht sie stabiler. Denn dort
ist die Eigenkapitalbasis, die in Deutschland schon ins-
gesamt zu schmal ist, noch einmal – auch das ist erklär-
lich – wesentlich geringer.
Das alles sind wesentliche Elemente, um beim Auf-
bau Ost voranzukommen.
Frau Kollegin, eine
weitere Frage.
Auch ich bin in der Tatder Auffassung, Herr Bundesfinanzminister, dass mansehr stark differenzieren muss. Sie haben natürlichRecht, wenn Sie sagen, dass die Zuwachsraten in denneuen Bundesländern, gerade bei Gewerbe und Indus-trie, erfreulich sind. Doch ich möchte Sie noch einmaldarauf hinweisen, dass der Anteil der industriellen Pro-duktion in den neuen Ländern bei weitem nicht so aus-geprägt ist, dass dies einen Umschwung auf dem Ar-beitsmarkt bewirken könnte. In diesem Sinne insistiertmeine Frage in der Tat eher auf der Situation der kleinenund mittleren Unternehmen. Ich möchte noch einmalfesthalten, dass zum einen die von Ihnen geplantenSteuersenkungen zu spät kommen und zum anderen dieÖkosteuer eine Belastung gerade der kleinen und mittle-ren Unternehmen in den neuen Bundesländern darstellt.Bundesminister Hans Eichel
Metadaten/Kopzeile:
7658 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000
Ich wollte jetzt noch einmal fragen, inwieweit Sie be-absichtigen, in dem Bereich der Eigenkapitalhilfe – einThema, das für kleine und mittlere Unternehmen in denneuen Ländern ein großes Problem ist, das wir nochnicht lösen konnten – mehr Akzente als bisher zu setzen.Denn es gibt das Phänomen, dass im Haushalt 2000 indiesem Bereich keine Aufstockung vorgenommen wur-de, sondern eine Kürzung von 500 Millionen DM zuverzeichnen ist. Wie erklären Sie sich diese falsche Ak-zentuierung?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu-
nächst bitte ich Sie um Verständnis, dass ich nicht jede
Fachfrage, die in den Bereich von Kabinettskollegen
fällt, beantworten kann. Ich möchte Sie bitten, sie an das
entsprechende Ministerium zu richten. Was das Thema
Eigenkapitalhilfe betrifft, will ich es gerne weitersagen.
Ich habe jetzt nicht alle Einzelheiten spontan im Kopf;
aber ich kann dem natürlich nachgehen.
Sie müssen sich natürlich überlegen – gerade Sie als
Liberale –, ob Sie zunächst viel Geld einnehmen und
dies dann umverteilen wollen oder ob wir es vorher bei
den Bürgern und bei den Unternehmen belassen.
– Das ist schon sehr spannend. Sie kritisieren immer nur
den mangelnden Abbau von Subventionen. Das habe ich
eben wieder gehört. Aber auch Eigenkapitalhilfen sind
Subventionen.
Wir senken die Steuern ordentlich und begünstigen
den im Unternehmen verbleibenden Gewinn. Damit ver-
zichten wir zwar auf Einnahmen, geben aber den Unter-
nehmen die Möglichkeit, Eigenkapital zu bilden. Wenn
ich Sie eben richtig verstanden habe, sagen Sie, das
sollten wir eher weniger tun und stattdessen mehr für
Investitionen bereithalten.
Ich halte diese Auffassung für falsch, finde es aber
immerhin spannend, dass sie von einer Liberalen ver-
treten wird. Sie müssen sich an diesem Punkte auch ord-
nungspolitisch klarmachen, was Sie wollen: ob Sie den
Abbau von Investitionen wollen und ob Sie die Senkung
von Steuern wollen – und an welcher Stelle. In diesem
Punkt ist unsere Politik, so glaube ich, sehr systema-
tisch: Dass wir gerade am unteren Ende der Einkom-
mensteuer die Sätze stark senken, hilft den kleinen und
mittleren Unternehmen in den neuen Bundesländern.
Dasselbe gilt insofern, als wir für die Betriebe den Kos-
tenfaktor Gewerbsteuer praktisch beseitigen.
Ich weise darauf hin: Die Frage, die Sie mir zur Öko-
steuer gestellt haben, hätte ich von Ihnen viel lieber ge-
hört, als die vorige Bundesregierung die Mineralölsteuer
so stark erhöht und gleichzeitig – anders als diese – die
Lohnnebenkosten nicht gesenkt, sondern ebenfalls er-
höht hat.
– Ich rede von der Mineralölsteuer. Ich weiß gar nicht,
wovon Sie reden. Ich rede davon, dass Sie in der ersten
Hälfte des vergangenen Jahrzehnts die Mineralölsteuer
um 50 Pfennig und die Lohnnebenkosten um drei Pro-
zentpunkte erhöht haben, während wir die Mineralöl-
steuer in fünf Jahren um 30 Pfennig erhöhen, gleichzei-
tig aber die Lohnnebenkosten schon um fast einen Punkt
abgesenkt haben. Das ist eine qualitativ gänzlich andere
Politik, gerade auch für die kleinen Unternehmen in den
neuen Bundesländern, Frau Kollegin.
Ist das eine Frage,
Herr Koppelin? Zunächst kommt nämlich ausnahmswei-
se noch einmal Frau Pieper dran. Darüber hinaus liegen
mir von Herrn Buwitt und Herrn Protzner noch zwei
weitere Fragen zu diesem Punkt vor.
– Herr Koppelin, keine Zwiegespräche bitte. Frau Pieper
hat das Wort.
– Sie sehen, wie selektiv die Wahrheit wahrgenommen
wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie wis-
sen doch, Herr Kollege, dass die Mineralölsteuererhö-
hung gar nicht zustimmungspflichtig ist. Sie hätten doch
die Mehrwertsteuer zugunsten der Rente nicht erhöhen
müssen, wenn Sie vorvergangenes Jahr in der Lage ge-
wesen wären, die Mineralölsteuer zugunsten der Rente
zu erhöhen. Das waren Sie aber nicht. Sie brauchten die
Erhöhung der Mehrwertsteuer und damit den Bundesrat
und damit die Opposition.
Nun Frau Pieper.
Herr Bundesfinanzminis-
ter, da mir die Frau Präsidentin erlaubt hat, noch eine
Frage an Sie zu stellen, will ich das auch gerne tun.
Stimmen Sie mit mir überein, dass die Förderprogram-
me, die Finanzhilfen, die man in den Aufbau Ost steckt,
eigentlich nicht in die Kategorie „Subventionierung des
Staates“ fallen, weil es hier um faire Wettbewerbschan-
cen insbesondere für die kleinen und mittleren Betriebe
in den neuen Bundesländern geht, die ganz andere Vor-
aussetzungen nach der deutschen Einheit hatten als die
Firmen in den alten Bundesländern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dies isteine reine Definitionsfrage. Ich würde auch dies immerals Subvention definieren. Ich stimme Ihnen aber zu,dass es eine „notwendige“ Subvention ist. Die Frage ist,wie man sie auf Dauer zurückführt, weil es keinen Sinnmacht, die wirtschaftliche Entwicklung in den neuenBundesländern auf Dauer – darin sind wir einig – aufSubventionen aufzubauen. Deswegen haben wir im Zu-Cornelia Pieper
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000 7659
sammenhang mit den Strukturanpassungsmaßnahmeneine Reduzierung nicht der Zahl der betroffenen Perso-nen – die bleibt gleich –, sondern der Finanzierung proFall vorgenommen. Wenn Sie, wie im vorigen Jahr, aufeinem Subventionssockel von 90 Prozent aufbauen, gibtdas auf Dauer niemals einen sich selbst tragenden Auf-schwung. Das muss nach und nach in einen sich selbsttragenden Aufschwung überführt werden, das heißt, dasswir systematisch die Subventionen, die berechtigt sind –die ich nicht kritisiere, damit wir uns nicht falsch verste-hen –, Schritt um Schritt zurückziehen müssen.Ich kritisiere auch die Subventionen für die Landwirt-schaft, Herr Kollege Koppelin, nicht vom Prinzip her,aber über die Höhe muss man natürlich reden. Das hatdiese Regierung auch getan.
Jetzt hat der Kollege
Buwitt eine Frage.
Herr Minister, Sie
hatten versucht, die politischen Beiträge zum wirt-
schaftlichen Aufschwung darzustellen. Sie haben dabei
die höhere Energiebesteuerung angeführt. Ich glaube,
dass diese Diskussion etwas unehrlich geführt wurde,
wenn Sie darauf verweisen, dass vorher um 50 Pfennig
erhöht worden ist. Ihr Argument wäre richtig, wenn Sie
diese Erhöhung um 50 Pfennig rückgängig gemacht
hätten, aber Sie haben sie nicht rückgängig gemacht,
sondern Sie kassieren 50 Pfennig plus 30 Pfennig. Das
ist die Wahrheit, und das ist das Unechte an Ihrem Ar-
gument.
–Natürlich, Sie kassieren doch nach wie vor. Sie tun
doch so, als ob Sie einen niedrigeren Level haben. Sie
haben doch einen wesentlich höheren. Das ist der Punkt.
Zweitens haben Sie auf den Abbau von Subventionen
verwiesen. Der Abbau von Subventionen ist im Haus si-
cher unumstritten. Es erfordert aber eine gleichzeitige
Senkung der Tarife. Das, was Sie heute machen – eine
höhere Energiesteuer und die Absenkung der Subven-
tionen –, ist eine zusätzliche Belastung der Wirtschaft.
Sie verweisen auf spätere Steuererleichterungen. Des-
halb ist ein großes Fragezeichen angebracht, ob die
Wegweiser für einen wirtschaftlichen Aufschwung von
der Politik richtig gestellt sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Erstens
nehme ich mit einiger Verwunderung zur Kenntnis, dass
Sie der neuen Mehrheit vorwerfen, dass sie die Steuer-
erhöhungen der alten Mehrheit nicht rückgängig ge-
macht hat.
– Ich beklage es nicht. – Ich beklage Ihre Argumentati-
on, dass wir die Mineralölsteuer erhöhen, während Sie
sie viel stärker erhöht haben, und dass wir gleichzeitig
das Geld, das hereinkommt – ohne dass es eine direkte
Bindung von Mark zu Mark gibt; das ist jedem Fi-
nanzwissenschaftler klar –, nehmen, um die Beiträge der
Rentenversicherung zu stabilisieren und abzusenken.
Die Politik der Stabilisierung haben Sie mit der Erhö-
hung der Mehrwertsteuer um einen Punkt selber einge-
leitet. Diese können Sie also schlecht kritisieren. Auch
auf diesen Sachverhalt weise ich hin. Deswegen erhöhen
wir an dieser Stelle die Steuer- und Abgabenquote nicht.
Insgesamt senken wir die Steuer- und Abgabenquote
durch eine massive Absenkung in der Einkommensteuer
von oben bis unten. Ich kann nur zwischen dem verglei-
chen, was Sie in 16 Jahren getan haben, und dem, was
wir in 8 Jahren tun. Sie haben in 16 Jahren den Spitzen-
steuersatz um 3 Punkte abgesenkt. Wir senken ihn da-
rüber hinaus in 8 Jahren um 8 Punkte ab.
Den Eingangssteuersatz haben Sie in diesen 16 Jahren
um 3 Punkte gesenkt und dann wieder um 3 Punkte er-
höht. Wir senken ihn um 10,9 Punkte.
Deswegen ist das eine etwas merkwürdige Debatte.
Man kann nur von den Ergebnissen Ihrer Regierungstä-
tigkeit ausgehen und diese mit dem vergleichen, was wir
tun.
Jetzt hat Herr Dr.
Protzner eine Frage.
Herr Minister, ich
freue mich, dass Sie die kleinen und mittleren Unter-
nehmen so sehr herausstellen. Sie wissen aber auch, dass
gerade die kleinen und mittleren Unternehmen in der
Regel Personengesellschaften sind. Deshalb frage ich
Sie, weshalb Sie diese Personengesellschaften mit Ihrem
Steuerkonzept in die schwierige, von prognostischen
Unwägbarkeiten belastete Optionsentscheidung hinein-
treiben.
Ich frage Sie zum Zweiten, warum Sie nicht bereit
sind, gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen
und auch für Facharbeiter eine echte Entlastung dadurch
herbeizuführen, dass Sie eben nicht nur den Eingangs-
steuersatz, sondern auch den Spitzensteuersatz senken.
Denn Sie wissen, dass man, steuersystematisch gesehen,
wenn man die Belastung insgesamt senken will, auch
den Spitzensteuersatz kräftig senken muss.
Ich frage Sie zum Dritten, welche dynamischen Zu-
wachsraten hinsichtlich der Selbstständigkeit und der
kleinen und mittleren Unternehmen Sie für die nächsten
Jahre erwarten, wenn Ihre Politik angeblich so gut ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu-nächst weise ich, ohne dass wir an diesem Punkt etwasändern, auf Folgendes hin: Es gibt eine deutsche Beson-derheit – über die ich Sie mit Blick auf die weitere Ent-wicklung in Europa und unsere Wettbewerbsfähigkeitinnerhalb Europas bitte nachzudenken –, unser Verhält-nis Kapitalgesellschaften zu PersonengesellschaftenBundesminister Hans Eichel
Metadaten/Kopzeile:
7660 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000
stellt eine Einmaligkeit dar. Diese Einmaligkeit hatGründe, auch gute Gründe, zum Beispiel im Erb-schaftsteuerrecht. Denn es gibt – berechtigterweise – imErbschaftsteuerrecht eine massive Unterscheidung zwi-schen der Erbschaftsteuer bei Personengesellschaftenund jener bei Kapitalgesellschaften. Die Personengesell-schaften werden an dieser Stelle deswegen zu Rechtmassiv begünstigt, weil eine Belastung dieser Gesell-schaften auch eine Belastung des Betriebs bedeutete unddamit Probleme für die Beschäftigten und die Arbeits-plätze auslösen könnte. Das gilt nicht bei der Kapitalge-sellschaft, bei der Eigentümer und Unternehmer nichtidentisch sind. Das muss man sich klar machen. Bei denLändern um Deutschland herum ist das anders. Zudemhaben sie meist eine bessere Eigenkapitalbasis. Überdiesen Punkt muss man nachdenken.Wir geben unsererseits darauf eine Antwort mit derStärkung des im Unternehmen verbleibenden Gewinns.Diese Option muss ja nicht wahrgenommen werden,Herr Kollege Protzner. Es gibt auf der anderen Seite dieMöglichkeit, die Gewerbesteuer im Ergebnis voll anzu-rechnen und damit als Kostenfaktor zu beseitigen.Die Unternehmen – das sind zwei Drittel aller Unter-nehmen –, für die auch das nicht in Betracht kommt,weil sie weder Körperschaftsteuer noch Einkommen-steuer bezahlen, entlasten wir durch die Erhöhung dessteuerfreien Existenzminimums und die Senkung desEingangssteuersatzes.Noch einmal: Wenn ein Unternehmen weniger als48 000 DM Gewinn ausweist, hat dieses Unternehmennichts von dem weiteren Progressionsverlauf, denn die-ses Unternehmen liegt dann bereits im Bereich des Ein-gangssteuersatzes. Sie können ihm also auch nur überden Eingangssteuersatz helfen. Überlegen Sie sich dasdoch einmal! Mir war es nie verständlich, dass sich eineso große Volkspartei bei dem Thema Unternehmensbe-steuerung auf den Spitzensteuersatz kapriziert, der dochnur Wenige trifft.Bei dieser Gelegenheit müssen Sie sich auch den eu-ropäischen Vergleich noch einmal anschauen. Wenn Siedann das Ziel der Haushaltskonsolidierung beibehaltenwollen, es ernst nehmen und überlegen, wo Sie das Geldeinsetzen, das Sie vertretbarerweise einkalkulieren –auch wir rechnen mit einem halben Prozent mehrWachstum durch unsere Unternehmensteuerreform –,dann werden Sie feststellen, dass Sie es, wenn Sie fürdie kleinen Unternehmen, die, wie gesagt, zwei Drittelder Unternehmen ausmachen, überhaupt Erleichterungschaffen wollen, nur am unteren Ende einsetzen könnenund nicht am oberen Ende.Im Übrigen weise ich darauf hin, dass die definitiveDurchschnittsbelastung der Kapitalgesellschaften –Körperschaftsteuer plus Gewerbesteuer – 37, 38 Prozentbeträgt. Bei einem Spitzensteuersatz von 45 Prozent, wiewir ihn in der Einkommensteuer zugrunde gelegt haben,ist erst bei einem zu versteuernden Einkommen – dasind sämtliche Freibeträge schon abgerechnet – vonmehr als 200 000 DM bei Alleinstehenden und von mehrals 400 000 DM bei Ehepaaren der Punkt erreicht, beidem der Durchschnittssteuersatz höher liegt als der De-finitivsteuersatz bei den Kapitalgesellschaften. Ob Siedafür diesen ganzen Kampf führen wollen, habe ich gro-ße Zweifel.
Jetzt hat Herr Kolle-
ge Niebel als Letzter eine Frage zu diesem Bereich.
Weitere Fragen kann ich nicht zulassen; wir würden
sonst zu sehr in Zeitverzug kommen. Ich bitte um eine
kurze Antwort. Denn danach möchte ich noch zwei Fra-
gen zu einem anderen Bereich zulassen.
Herr Niebel, bitte sehr.
Herr Minister, meine Frage
wird mit Ja bzw. mit Nein beantwortet werden können:
Stimmen Sie mir zu, dass neben Herrn Lafontaine auch
Herr Schröder und Sie, Herr Eichel, als Mitglieder des
Bundesrates an der Verhinderung der auf der Grundlage
der Petersberger Beschlüsse vorgesehenen großen Steu-
erreform, die im Bundesrat gescheitert ist, mitgewirkt
haben? Dies frage ich, weil Sie gerade eben beklagt ha-
ben, die alte Regierung habe die Steuersätze nicht ge-
senkt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Fra-ge ist nicht einfach mit Ja oder Nein zu beantworten.
– Das war übrigens schon einmal Gegenstand hier imPlenum und steht im Protokoll. Herr Kollege Schäublehat bestätigt, dass die Angelegenheit nicht so einfach ist.– Über diese Steuerreform haben vonseiten der SPDFrau Matthäus-Maier, Herr Scharping und ich verhan-delt. Auf Ihrer Seite waren mein Vorvorgänger im Amt,Bundesminister Dr. Waigel, Herr Solms und HerrSchäuble vertreten. Es gab Einvernehmen darüber, dassim Jahre 1999 eine Nettoentlastung nicht möglich sei.Von Ihrer Seite gab es vor dem Hintergrund des Einver-nehmens, dass in 1999 aufgrund der Situation derStaatshaushalte und der verfallenden Steuerquote eineNettoentlastung nicht möglich sei, die Forderung, dengesamten Petersberger Beschlüssen zuzustimmen. Da-raufhin haben wir von der SPD gesagt: Dann lassen Sieuns doch das, worüber Einvernehmen besteht, vor derWahl beschließen und lassen Sie das, wozu ein Be-schluss erst zum 1. Januar 2000 notwendig ist, durch dieWählerinnen und Wähler entscheiden.Sie haben also von uns verlangt, den gesamten Pe-tersberger Beschlüssen zuzustimmen. Das haben wirnatürlich nicht getan. Sie haben zum Beispiel soebenkritisch über die Besteuerung der Sonntags-, Feiertags-und Nachtarbeitszuschläge diskutiert und haben dies,wenn ich es richtig verstanden habe, auf Drängen derCSU aus Ihrem Konzept wieder herausgenommen; ichbegrüße das.
– Ich bitte um Entschuldigung. Wenn Sie weiter für dieBesteuerung der Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeits-Bundesminister Hans Eichel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000 7661
zuschläge sind, dann sind wir in diesem Punkt sehr kon-trovers.Diesem Bestandteil der Petersberger Beschlüssewollten wir nicht zustimmen. Wir hatten – das sehen Siean dem, was wir vorgelegt haben – in der Tat ein ande-res Konzept. Wir sahen nämlich eine stärkere Absen-kung der unteren Steuersätze und eine nicht ganz sostarke Absenkung der oberen Steuersätze sowie einenicht so starke Belastung der Arbeitnehmer vor. Das giltunverändert. Das liegt unserem Konzept, das der Bun-deskanzler und ich vor Weihnachten vorgestellt haben,zugrunde.
Damit beende ich
den Themenbereich der heutigen Kabinettssitzung.
Es gibt zwei sonstige Fragen an die Bundesregierung.
Die werde ich noch zulassen, obwohl wir die vorgesehe-
ne Zeit schon ein bisschen überschritten haben. – Die ers-
te Frage stellt Frau Pieper.
Meine Frage an die Bun-
desregierung richtet sich an Bundesfinanzminister Ei-
chel: Das Thema Wirtschaftswachstum hat ja sehr viel
mit Investitionen in Bildung und Forschung zu tun. Ich
möchte den Bundesfinanzminister fragen, inwieweit er
zukünftig im Hinblick auf die gesamtwirtschaftliche
Entwicklung die Setzung von entsprechenden Prioritäten
im Bildungshaushalt forciert, nachdem im Haushalt
2000 entsprechende Mittel im Vergleich zum Vorjahr
um 2,3 Prozent gekürzt worden sind.
Ich möchte ihm zusätzlich die Frage stellen, ob er
auch die Ausbildungsförderung mit berücksichtigt,
sprich: ob er die von Frau Bulmahn angekündigte halbe
Milliarde DM aus seinem Haushalt heraus finanzieren
wird, um zwar keine BAföG-Reform auf den Weg zu
bringen, aber immerhin die Bedarfssätze und die Frei-
beträge zu erhöhen, und ob seitens des Finanzministers
mit den Ländern und der Deutschen Ausgleichsbank Ge-
spräche darüber geführt worden sind, was die Aufsto-
ckung dieser Mittel anbelangt.
Herr Minister, bitte
sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau
Kollegin, erstens ist Ihre Zahlendarstellung nicht voll-
ständig. Denn durch die Auslagerung des BAföG sieht
das Zahlentableau für den Haushalt des Bundesministe-
riums für Bildung und Forschung in Wirklichkeit anders
aus, als Sie es dargestellt haben. Sie müssen nämlich ei-
ne halbe Milliarde DM hinzurechnen.
Zweitens haben wir in diesem Haushalt jährlich eine
starke Aufstockung der Mittel. Sein Anteil am Gesamt-
haushalt wird ständig wachsen.
Was – drittens – das BAföG betrifft, so werden im
Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung des Gesamt-
haushaltes – so ist die Verabredung zwischen Frau Kol-
legin Bulmahn und mir – die erforderlichen Mittel auf-
gebracht werden. Denn eines wird es nicht geben: eine
Erhöhung der Nettokreditaufnahme – welche Forderun-
gen auch immer bestehen –, dies werden wir nicht zulas-
sen. Das heißt, eine Aufstockung muss – darüber besteht
Einigkeit – durch Umschichtungen im Gesamthaushalt
erreicht werden.
Der restliche Teil der von Ihnen gestellten Fragen
betrifft nicht das Bundesfinanzministerium, sondern das
Bundesforschungsministerium. Ich bin sicher, dass Frau
Kollegin Bulmahn die notwendigen Schritte einleitet.
Nun hat der Kollege
Dr. Grehn eine letzte Frage an die Bundesregierung.
Ich frage die Bundesregie-
rung: Welchen Standpunkt vertritt sie zur Einbeziehung
der beiden Tochtergesellschaften Edelstahlwerk Gröditz
und Stahlwerk Gröditz in das Insolvenzverfahren Grö-
ditzer Stahlwerke angesichts ihrer Klage beim Euro-
päischen Gerichtshof gegen die Rückzahlung staatlicher
Beihilfen für die Gröditzer Stahlwerke GmbH, ange-
sichts der Besetzung des Betriebes und angesichts der
Abberufung des Geschäftsführers? Welche Haltung
nimmt sie zu den von der Interpretation des Insolvenz-
verwalters abweichenden Wertungen des Briefes der Eu-
ropäischen Kommission vom 9. Dezember 1999 durch
die BvS als Hauptgläubigerin und andere Juristen ein?
Zusätzlich möchte ich fragen, welche Unterstützung
die Bundesregierung der Regierung des Freistaates
Sachsen gibt, um deren eher Erfolg versprechendes
Konzept zu verwirklichen und damit eine Verunsiche-
rung der Kunden wie der Gefahr der Folgeinvestitionen
mit insgesamt dramatischen Folgen für den Arbeits-
markt in der Region entgegenzuwirken.
Für die Bundesre-
gierung antwortet Herr Bundesfinanzminister. Bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte
sehr um Verständnis, dass Herr Parlamentarischer
Staatssekretär Diller die Frage beantworten wird. Ich bin
erst heute Nacht zurückgekommen und bin nicht gut in
diese Thematik eingearbeitet, zumal die Frage aus Zeit-
gründen nicht für die Fragestunde zugelassen war. Ich
möchte eine solche Frage nicht sozusagen freischwe-
bend beantworten. Herr Staatssekretär Diller wird darauf
antworten.
Herr Staatssekretär,
bitte sehr.
K
Frau Präsidentin! Herr Kollege Dr. Grehn,nach der negativen Entscheidung der EU-Kommissionüber die Beihilfen an die Gröditzer Stahlwerke GmbHhat diese die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bean-Bundesminister Hans Eichel
Metadaten/Kopzeile:
7662 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000
tragt, da die Klage vor dem Europäischen Gerichtshofkeine aufschiebende Wirkung hat. Seit diesem Antrag istder vom Gericht eingesetzte Insolvenzverwalter Herrdes Verfahrens. Er war insofern maßgeblich für die Ent-scheidung, auch für die Tochtergesellschaften die Eröff-nung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Infolgedieses Antrags wurde auch für diese Gesellschaften vomGericht jeweils ein vorläufiger Insolvenzverwalter be-stellt.Die Bundesregierung ist bestrebt, Herr Kollege, dassmöglichst schnell und im Einvernehmen mit allen Betei-ligten für die Betriebe und die damit verbundenen Ar-beitsplätze eine klare Perspektive eröffnet wird. Soweitwir in der uns zur Verfügung stehenden kurzen Zeit re-cherchieren konnten, gibt es auch keine Werksbeset-zung. Wir wurden informiert, dass es eine friedlicheMahnwache gebe und die Produktion normal weiterlau-fe.Zwischen der Bundesregierung und der Regierungdes Freistaates Sachsen besteht Übereinstimmung in denZielen und über die BvS eine enge Abstimmung überdas Vorgehen. Die Bundesregierung ist im Übrigen derfesten Überzeugung, dass der Standort Gröditz mit sei-nem modernen Stahlwerk und seinen hoch qualifiziertenund hoch motivierten Mitarbeitern erhalten bleibt.
Die Produktion wurde in den vergangenen Monatentrotz der schwierigen Lage, die durch die Entscheidungder EU-Kommission vom 8. Juli 1999 hervorgerufenwurde, ohne Abstriche hinsichtlich Qualität und Liefer-treue fortgeführt. Die Bundesregierung ist zuversicht-lich, dass die Produktion auch in den kommenden Mo-naten bis zu einer vom Verwalter zu treffenden Ent-scheidung über die Veräußerung an einen der Interes-senten weiterlaufen kann.Herr Kollege Dr. Grehn, abschließend möchte ich Sieum Verständnis dafür bitten, dass wir in der Kürze deruns zur Verfügung stehenden Zeit die sehr detailliertenFragen nicht weiter aufklären konnten. Wir werden unsweiter um Aufklärung bemühen und, sofern Sie damiteinverstanden sind, Ihnen eine schriftliche Antwort zu-kommen lassen.
Damit ist Herr Dr.
Grehn einverstanden.
Ich beende die Befragung der Bundesregierung und
rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
– Drucksache 14/2552 –
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis zur Verfügung.
Ich rufe Frage 1 der Kollegin Ina Lenke auf:
Stellt die Bundesregierung Überlegungen an, darauf hinzu-wirken, dass an deutschen Schulen eine Abgabe der „Pille da-nach“ an Schülerinnen eingeführt wird?
Frau Staatssekretärin, bitte sehr.
Dr
Frau Präsidentin und Frau Kollegin, wenn Sie ein-
verstanden sind, würde ich gern beide Fragen zusammen
beantworten, da sie sachlich in einem Zusammenhang
stehen.
Wir sind einverstan-
den. Ich rufe daher auch Frage 2 auf:
Unterstützt die Bundesregierung Aussagen von Politikerin-nen der Koalitionsfraktionen, dass eine Abgabe der „Pille da-nach“ an deutschen Schulen wünschenswert sei?
Dr
Wunderbar. – Die Bundesregierung, Frau Kolle-gin, plant nicht, darauf hinzuwirken, dass an deutschenSchulen eine Abgabe der „Pille danach“ eingeführt wird.Bei dieser Pille handelt es sich bei dem in Deutschlandzugelassenen Präparat um ein Medikament mit nichtunerheblichen Nebenwirkungen, das schon aus medizi-nischen Gründen nicht als reguläres Verhütungsmitteleingesetzt werden sollte. Die Abgabe des ver-schreibungspflichtigen Präparates sollte weiterhin ärzt-lich kontrolliert erfolgen.In Deutschland legen wir den Schwerpunkt auf dieAufklärung von Schülerinnen und Schülern zu Fragender Verhütung. Da ist sich auch der Gesetzgeber mit derBundesregierung einig. Ich erinnere daran, dass wir1992 das Schwangeren- und Familienhilfegesetz verab-schiedet haben. In diesem Gesetz ist festgeschrieben,dass jede Frau und jeder Mann das Recht hat, sich inFragen der Sexualaufklärung und Verhütung informie-ren und beraten zu lassen. Explizit wird in § 1 Abs. 2und 3 geregelt, dass die Bundeszentrale für gesund-heitliche Aufklärung bundeseinheitliche Aufklärungs-materialien zu verbreiten hat, die unentgeltlich – ichbetone das, weil das der Information dient – an Ein-zelpersonen auf Aufforderung, ferner als Lehrmaterialan schulische und berufsbildende Einrichtungen, an Be-ratungsstellen sowie an alle Institutionen der Jugend-und Bildungsarbeit abgegeben werden. Im SGB V wur-de der Anspruch auf kostenlose Versorgung der unterZwanzigjährigen mit empfängnisverhütenden Mitteln,soweit sie ärztlich verordnet werden, verankert. Im in-ternationalen Vergleich verzeichnet Deutschland auchdarum eine eher niedrige Rate von Teenager-Schwangerschaften.Insofern wird die Abgabe der „Pille danach“ an deut-schen Schulen auch nicht für wünschenswert gehalten.Grundsätzlich jedoch sind Maßnahmen, die „Pille da-nach“ leichter zugänglich zu machen, zu begrüßen. Dazuzählt vor allem, dass der kontinuierliche Bedarf an In-formation, Beratung und Versorgung im Hinblick aufdie „Pille danach“ sichergestellt ist. Im Rahmen der vonder Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärungdurchgeführten Aufklärung über VerhütungsmethodenParl. Staatssekretär Karl Diller
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000 7663
und Verhütungsmittel sind Methoden der Nachverhü-tung selbstverständlicher Bestandteil.
Eine Zusatzfrage? –
Bitte sehr, Frau Kollegin.
Hält es die Bundesregierung an-
gesichts des sinkenden Problembewusstseins bei Ju-
gendlichen gegenüber der Möglichkeit einer HIV-
Infektion für pädagogisch sinnvoll, durch eine Abgabe
der „Pille danach“ in den Schulen zu suggerieren, dass
man beim Geschlechtsverkehr ohne Kondome einiger-
maßen sicher ist?
Dr
Ich muss noch einmal an das erinnern, was ich ge-
antwortet habe: Wir halten es nicht für wünschenswert,
an den Schulen die „Pille danach“ abzugeben. Jetzt
müsste ich noch einmal all das nennen, warum.
Noch einmal, Frau
Kollegin.
Es war mir schon sehr wichtig,
Frau Staatssekretärin, dass Sie diese Antwort geben. –
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den
Anstieg der Zahl von Schwangerschaften besonders bei
jungen Frauen im schulpflichtigen Alter? Sie haben eben
gesagt: Die Zahl der Schwangerschaften hat sich nicht
erhöht. Ich habe aber eine andere Auskunft von einer
Kollegin von mir aus dem Koalitionslager erhalten.
Frau Staatssekretä-
rin.
Dr
Ich gehe jetzt nicht auf irgendeine Antwort ein,
die Sie irgendwo erhalten haben.
Zunächst einmal zu den Zahlen. Wenn ich das richtig
verstanden habe, haben Sie gesagt, die Zahl der Teen-
ager-Schwangerschaften habe zugenommen. Die Ge-
burtenrate bei unter Achtzehnjährigen in der Bundesre-
publik Deutschland – ich habe die Zahlen seit 1994 –
liegt immer bei 0,6 Prozent. Das sind beispielsweise
1998, in absoluten Zahlen ausgedrückt, 4 683. Wenn
man sich die internationalen Zahlen anschaut, so muss
man berücksichtigen, dass das ein wenig schwer zu ver-
gleichen ist, weil die Statistiken mal 15- bis 18-Jährige
umfasst und mal eine andere Altersgruppe; das heißt, die
Statistiken sind, was die Altersangaben und Gruppierun-
gen betrifft, nicht immer gleich. Man kann aber sagen:
International liegen die Zahlen sehr viel höher. Der eu-
ropäische Durchschnitt liegt bei 2 bis 6 Prozent. Zur
Erinnerung: 0,6 Prozent sind es bei den Teenager-
Geburten in Deutschland. In den USA beträgt der Wert
13 Prozent, in Kanada 8 Prozent.
Insofern denke ich nicht, dass wir wegen der Zahlen
alarmiert sein müssten. Nichtsdestotrotz ist es unsere
Aufgabe, über Aufklärung und das Zur-Verfügung-
Stellen von Verhütungsmaterialien dafür zu sorgen, dass
auch diese geringe Zahl – wenn das möglich ist – noch
weiter sinken kann.
Ihre dritte Frage,
Frau Kollegin.
Sie haben ausgeführt, dass ge-
plant ist, auch die „Pille danach“ leichter zugänglich zu
machen. Können Sie das etwas näher erläutern?
Dr
Das ist die Frage. Ich habe gesagt, die Bundes-
zentrale für gesundheitliche Aufklärung hat dazu Mate-
rialien. Wir geben – aufgrund des Schwangeren- und
Familienhilfegesetzes – aus unserem Haushalt 10 Mil-
lionen DM im Jahr für Aufklärung aus. Ich denke, dass
die Aufklärung darüber, dass es die „Pille danach“ über-
haupt gibt, vielleicht verbessert werden kann. Das hat
aber nichts mit der Frage zu tun, dass sie an Schulen ko-
stenlos oder wie auch immer verteilt wird. Die ärztliche
Aufsicht und die ärztliche Informations- und Beratungs-
pflicht bleiben also bestehen.
Ihre vierte Frage
wollen Sie nicht stellen? – Ich frage dies, damit Sie wis-
sen, dass ich richtig mitgezählt habe.
Frau Wolf, bitte.
Ich bin der Auffas-
sung, dass eine einseitige Diskussion über die „Pille da-
nach“ den Frauen und Mädchen praktisch die Verhü-
tungsaufgabe zuweisen würde. Wäre es nicht nötig,
dass, wenn die Zahlen von minderjährigen Schwangeren
und damit auch von Schwangerschaftsabbrüchen steigen
– und es scheint die Tendenz zu geben, dass die Zahlen
steigen –, dieses auf einer Frauenministerkonferenz auf
Länderebene vielleicht thematisiert wird, um die Prä-
ventionsarbeit an Schulen zu vertiefen?
Dr
Ich muss noch einmal betonen, dass die Aufklä-rungsmaterialien als Lehrmaterialien kostenlos an dieSchulen abgeben werden. Die Fortbildung von Lehre-rinnen und Lehrern ist natürlich Sache der Länder. Ichglaube schon, dass es, wenn wir leicht steigende Zahlenvon Teenager-Schwangerschaften feststellen können,durchaus Sinn macht, bei der Fortbildung von Lehrerin-nen und Lehrern dieses Thema extra aufzugreifen.Ein zweiter Punkt. Sie haben gesagt, es werde wiedersuggeriert, Verhütung sei Aufgabe der Frauen. Ich den-ke, wir müssen viel stärker über die Benutzung vonKondomen bei Jugendlichen reden. Deswegen könnteParl. Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis
Metadaten/Kopzeile:
7664 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000
man viel eher darüber nachdenken, ob man nicht Auto-maten mit Kondomen in den Schulen zur Verfügungstellt.
Eine weitere Frage.
Bitte sehr, Frau Kollegin.
sagt, dass die Aufklärungsquote in Deutschland sehr
hoch sei. Das ist in der Tat so. Aber sind Sie mit mir
nicht der Meinung, dass ein Anstieg der Anzahl der
Teenager-Schwangerschaften von 4 300 auf 5 100 pro
Jahr in den letzten drei Jahren es nicht notwendig macht,
politisch zu handeln, um gerade Schwangerschaften und
damit auch Schwangerschaftsabbrüche von Minderjäh-
rigen zu verhindern?
Dr
Ich denke, dass wir durch Aufklärung sehr viel
weiter- kommen. Ich möchte aber noch einmal davor
warnen, dass wir uns hier gegenseitig immer wieder be-
stätigen, dass wir einen sehr großen Anstieg der Anzahl
von TeenagerSchwangerschaften zu verzeichnen haben.
Das ist – auch im internationalen Vergleich – nicht der
Fall. Ich halte nichts davon, dass wir unsere Situation
anders darstellen, als sie wirklich ist. Wir haben einen
leichten Anstieg. Ich habe schon auf die Frage der Kol-
legin Lenke gesagt: Auch jeder leichte Anstieg muss da-
zu führen, dass wir darüber nachdenken, was wir bei der
Vergabe von Verhütungsmitteln und in der Aufklärung
verbessern können.
Wir haben diesen
Geschäftsbereich abgearbeitet. Ich danke Ihnen, Frau
Staatsekretärin, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf.
Zur Verfügung steht die Parlamentarische Staatssekretä-
rin Gila Altmann.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Dr. Paul Laufs auf:
Wie ist der aktuelle Stand der Genehmigungsverfahren fürinnerdeutsche und grenzüberschreitende Atomtransporte?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Gi
Das Bundesamt für Strahlenschutz hat am 25. Ja-
nuar dieses Jahres folgende Beförderungsgenehmigun-
gen für innerdeutsche Transporte gemäß § 4 Atomgesetz
erteilt: Drei Castor-V/19-Behälter vom Kernkraftwerk
Biblis nach Ahaus – das ist der erste Antrag –, drei Be-
hälter vom Kernkraftwerk Biblis nach Ahaus – das ist
der zweite Antrag; es sind zusammen sechs Behälter –,
drei Castor-Behälter desselben Typs vom Atomkraft-
werk Neckarwestheim, Block 2, nach Ahaus und drei
Behälter vom selben Atomkraftwerk Neckarwestheim,
Block 1 und 2, nach Ahaus.
Der letzte der fünf Anträge bezieht sich auf drei Castor-
Behälter vom Atomkraftwerk Philippsburg Block 2 nach
Ahaus.
Bei dem Antrag auf Beförderungsgenehmigung für
den Rücktransport von hochradioaktiven Glaskokillen
von der Cogema in La Hague, Frankreich, in sechs
Castor HAW 20/28-Behältern zum Zwischenlager Gor-
leben werden vom Bundesamt für Strahlenschutz zurzeit
noch folgende Punkte geprüft: erstens die Vorgaben aus
dem Masterablaufplan der Gutachter zur Vermeidung
von Kontaminationen und zweitens die Bewertung der
Bundesanstalt für Materialprüfung und -forschung zu
den Abweichungen an den einzusetzenden Behältern im
Hinblick auf das verwendete Moderatormaterial im Ver-
gleich zur ursprünglichen Bauartmusterzulassung nach
TRV 006.
Genehmigungen für Transporte von den Atomkraft-
werken zu den ausländischen Wiederaufarbeitungsanla-
gen können vom Bundesamt für Strahlenschutz zurzeit
nicht beschieden werden, weil die Prüfungen zur Ver-
meidung von etwaigen Kontaminationsvorfällen für die-
se Transporte noch nicht abgeschlossen sind.
Zusatzfrage, Herr
Kollege?
Ja.
Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin,
bestätigt die Bundesregierung nunmehr mit den erteilten
Genehmigungen, dass in Deutschland Atomtransporte
von einem äußerst geringen Restrisiko abgesehen ohne
Gefährdung von Menschen und Umwelt durchgeführt
werden können?
Gi
Herr Kollege Laufs, diese Entscheidung ist nach
Recht und Gesetz erfolgt. Es handelt sich dabei um eine
gebundene Entscheidung ohne Ermessensspielraum
nach § 4 Abs. 2 Nr. 6 des Atomgesetzes. Das heißt, die
Genehmigung ist vom Bundesamt für Strahlenschutz zu
erteilen, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt
sind. Das ist nunmehr der Fall. Insofern sind diese Ge-
nehmigungen erteilt worden.
Eine weitere Zusatz-
frage. Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin,können Sie abschätzen, wann die restlichen Prüfungenfür grenzüberschreitende Transporte abgeschlossen seinParl. Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000 7665
werden und die Transportgenehmigungen dann endlicherteilt werden?Gi
Ich kann Ihnen zu den Transporten in die Wieder-
aufarbeitung, also nach England bzw. Frankreich, sagen,
dass es hundert Gutachterempfehlungen gab, die abzu-
arbeiten waren. Dabei ist uns von den Antragstellern an-
gekündigt worden, dass wir Ende Februar mit entspre-
chenden Informationen zum Stand der Abarbeitung
rechnen können. Das heißt, sie werden den zuständigen
Behörden und Gutachtern vorgelegt. Dann wird man se-
hen, wie das weitere Verfahren läuft.
Vielen Dank. – Ich
rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf.
Zur Beantwortung der Frage steht der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Gottfried
Haschke auf:
Existieren seitens der Bundesregierung konkrete Vorstellun-gen für die Konditionen des so genannten Agrardiesels, und wiehoch ist der Beihilfesatz bei diesem Modell?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Dr
Sehr geehrter Herr Kollege Haschke, mit der öko-
logischen Steuerreform verfolgt die Regierungskoalition
die Ziele, Energie effizienter einzusetzen und damit zum
Schutz der Umwelt beizutragen und mithilfe der Ein-
nahmen aus der Ökosteuer die Lohnnebenkosten zu sen-
ken, um so die internationale Wettbewerbsfähigkeit un-
serer Wirtschaft zu verbessern und zum Abbau der Ar-
beitslosigkeit beizutragen.
Die Land- und Forstwirtschaft wird wie das produzie-
rende Gewerbe dadurch entlastet, dass sie über einen
Sockelbetrag von 1 000 DM Ökosteuer jeweils für Heiz-
öl und Gas sowie für Strom nur noch einen einheitlichen
ermäßigten Steuersatz von 20 Prozent des Regelsteuer-
satzes zu zahlen hat. Dies kommt besonders belasteten
Betrieben wie dem Unterglasanbau, Trocknungsbetrie-
ben und Ferkelzüchtern zugute.
Aus dem Aufkommen dieser ersten Stufe wurden die
Beiträge zur Rentenversicherung um 0,8 Prozentpunkte
gesenkt und ein Förderprogramm für erneuerbare Ener-
gieträger aufgelegt.
Aus dem Aufkommen der nächsten Stufen der Öko-
steuer werden weitere Senkungen der Rentenbeiträge fi-
nanziert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die er-
wünschten Entlastungen bei den Lohnnebenkosten der
Landwirtschaft in den neuen Ländern mit ihrem höheren
Anteil an Lohnarbeitskräften durchaus zugute kommen.
Im sektoralen Be- und Entlastungsvergleich ist jedoch
festzustellen, dass die Land- und Forstwirtschaft über-
proportional stark belastet wird. Wegen dieses unausge-
wogenen Verhältnisses von Be- und Entlastungen hat
der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und For-
sten am 3. November 1999 im Rahmen der Beratungen
des Haushaltssanierungsgesetzes und der ökologischen
Steuerreform die Bundesregierung aufgefordert, bis zum
15. Februar 2000 Vorschläge zu unterbreiten, um die
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Agrarwirtschaft
weiter zu verbessern, die Land- und Forstwirtschaft im
Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen angemessen
zu entlasten und die Entwicklung ländlicher Räume zu
sichern. Dabei sollen die Auswirkungen der Agenda
2000 und des Haushaltssanierungsgesetzes berücksich-
tigt werden.
Die Bundesregierung ist dabei, diesen Auftrag umzu-
setzen. Dabei wird auch die Option Agrardiesel mit un-
terschiedlichen Steuersätzen in die Prüfung einbezogen.
Entscheidungen sind noch nicht getroffen worden.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege?
Herr Staatssekretär, bei der Einführung des Agrardie-
sels, der bekanntlich grün gefärbt wird, entsprechende
Behältnisse benötigt und Schwierigkeiten im Fahrzeug-
einsatz mit sich bringt, ist eine zusätzliche Logistik er-
forderlich. Mich würde interessieren, um wie viel sich
der Preis des Diesels durch diese zusätzlichen Maßnah-
men erhöhen wird. Es ist bekannt, dass in den umliegen-
den Ländern die landwirtschaftlich genutzten Fahrzeuge
mit Heizöl fahren. Dadurch entstehen keine zusätzlichen
Kosten.
Dr
Herr Kollege, ich hatte ausgeführt, dass die Bun-
desregierung noch prüft, wie konkret die Entlastungs-
maßnahmen ausgeführt werden sollen. Es ist richtig,
dass die von Ihnen beschriebene Situation bei der end-
gültigen Entscheidung eine Rolle spielen wird.
Auf der anderen Seite gibt es Hinweise, dass die zu-
sätzlichen Kosten, die durch ein solches System entste-
hen würden, durchaus hinnehmbar sind, zumal auch in
anderen Ländern – Sie hatten das Beispiel Frankreich
angesprochen – Ähnliches praktiziert wird.
Noch eine Zusatz-
frage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wann soll der Agrardiesel eingeführt
werden?
Dr
Herr Kollege Haschke, ich muss noch einmal aufmeine Antwort verweisen. Die letzte Entscheidung istDr. Paul Laufs
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7666 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000
noch nicht getroffen, und – das habe ich in meiner Ant-wort auf Ihre Frage dargelegt – der 15. Februar ist alsTermin genannt worden. Das ist auch richtig, denn – daswissen Sie auch – der im vergangenen Jahr entstandeneAnspruch wird in diesem Jahr ausgezahlt, sodass dieEinkommenswirksamkeit der von Ihnen kritisierten Ent-scheidungen in diesem Jahr überhaupt noch nicht ein-tritt. Das heißt, wir haben ausreichend Zeit, eine ver-nünftige Entscheidung zu treffen.
Nun hat der Kollege
Schmidt von der CDU/CSU eine Frage.
Herr
Staatssekretär, in der Antwort auf die Frage des Kollege
Haschke hatten Sie auf die Verwendung der Gelder, die
durch die Ökosteuer aufkommen, hingewiesen. Ich
möchte Sie fragen, wie die landwirtschaftliche Alterssi-
cherung in die Entlastung der Rentenversicherungsbei-
träge, von der Sie gerade gesprochen haben, einbezogen
ist. Ich frage das gerade im Hinblick auf den Anteil an
der Ökosteuer, der auch nach Ihrer Agrardieselreform
aus der Landwirtschaft erbracht werden muss. Ich meine
damit nicht nur diejenigen, die sozialversicherungs-
pflichtig abhängig beschäftigt sind, sondern auch dieje-
nigen, die, wie die meisten in der Landwirtschaft, auf ih-
rem eigenen Hof arbeiten und ihre Sozialversicherungs-
beiträge in die Landwirtschaftlichen Alterskassen be-
zahlen müssen.
Sie müssen eigent-
lich die Frage nicht beantworten, weil sie nicht zu der
aufgerufenen Frage gehört, aber Sie dürfen es trotzdem.
Dr
Es ist mir aber ein Bedürfnis, hier für Klarheit zu
sorgen, Frau Präsidentin.
Erstens ist festzuhalten, dass die sektoralen Einnah-
men eines Wirtschaftszweiges nicht nur in diesem Sek-
tor für die Senkung der Rentenbeiträge eingesetzt wer-
den. Das heißt, es gibt hier eine generelle Lösung.
Zweitens: Was die Details der Landwirtschaft anbe-
langt, so haben wir insbesondere in den alten Ländern
das System der landwirtschaftlichen Alterskasse. Bei
diesem System handelt es sich nicht um eine Vollsiche-
rung, sondern nur um eine Teilsicherung. Dem Renten-
beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung fol-
gend fließen auch die Mittel aus der Ökosteuer in die
landwirtschaftliche Alterskasse zurück. Das heißt, im
gleichen Prozentsatz erfolgt auch dort eine entsprechen-
de Beitragssenkung für die zur landwirtschaftlichen Al-
terskasse Beitragspflichtigen.
Aufgrund des Umstandes, dass es sich bei diesem
System nur um eine Teilsicherung handelt, fällt der
Zahlbetrag nicht in gleicher Höhe aus wie zum Beispiel
bei abhängig Beschäftigten, die für die gesetzliche Ren-
tenversicherung beitragspflichtig sind.
Nun hat die Kollegin
Wolff das Wort zu einer Frage. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
ich habe in dem Zusammenhang noch eine Frage bzw.
etwas Klärungsbedarf. Mich würde interessieren, wie
stark die Mineralölsteuer in den vergangenen Jahren, in
der letzten Legislaturperiode, erhöht wurde, wie die
Landwirtschaft resultierend daraus belastet worden ist
und was die alte Bundesregierung zur Entlastung der
Landwirte getan hat.
Dr
Frau Kollegin, ich bin Ihnen dankbar für diese
Frage
– zur Klarheit ist das schon ein Beitrag –, weil noch
einmal deutlich gemacht werden kann, dass die Koaliti-
on mit der Ökosteuer nur dem folgt, was in den vergan-
genen Legislaturperioden Praxis war, vor allen Dingen
in der ersten Legislaturperiode nach der Wiedervereini-
gung Deutschlands, nämlich die Mineralölsteuer zu er-
höhen, um insbesondere die im Zusammenhang mit der
deutschen Einheit fällig werdenden Lasten in der Ren-
tenversicherung zu finanzieren.
Was die Landwirtschaft konkret betrifft, so war sie
von den Erhöhungen der Mineralölsteuer auf Diesel in
Höhe von 17 Pfennigen betroffen, ohne dass im gleichen
Zeitraum die Gasölbeihilfe verändert wurde. Das heißt,
diese Dieselsteuererhöhung ist für die Landwirtschaft in
dem besagten Zeitraum voll einkommenswirksam ge-
worden.
Jetzt hat der Kollege
Straubinger eine Frage.
Herr Staatssekretär,
wäre es angesichts der durch Kollegen Haschke be-
schriebenen Schwierigkeiten bei der Einführung des
Agrardiesels nicht vielleicht zweckmäßiger, wieder das
normale Verfahren anzuwenden, nämlich die Gasölver-
billigung wieder so an die Bauern zurückzugeben, wie
es in der vergangenen Legislaturperiode gang und gäbe
war?
Dr
Herr Kollege, mit der Forderung, Agrardiesel ein-zuführen, folgt die Bundesregierung weitestgehend derForderung des Deutschen Bauernverbandes. Wir ma-chen das selten genug und wollen gerade in dem Punktdie Wünsche des Bauernverbandes nachdrücklich prü-fen.Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000 7667
Nun möchte der
Kollege Deß eine Frage stellen.
Herr Staatssekretär, Sie
haben ausgeführt, dass die Landwirtschaft über einen
Sockelbetrag von 1 000 DM hinaus nur 20 Prozent Steu-
ern bezahlen muss. Hier könnte in der Öffentlichkeit ein
falscher Eindruck entstehen. Ist Ihnen bekannt, dass
durch diesen Sockelbetrag 90 Prozent der bäuerlichen
Betriebe eben nicht entlastet werden?
Dr
Es ist mir bekannt, und ich darf auch hier auf die
Antwort verweisen.
Ich habe in meiner Antwort ausgeführt, dass ein
Sockelbetrag von 1 000 DM gilt und auf den darüber
hinausgehenden Betrag dann der Steuersatz von 20 Pro-
zent angewandt wird. Ich habe weiterhin ausgeführt,
dass diese Regelung im Wesentlichen den Betrieben zu-
gute kommt, die einen hohen Energieeinsatz bei Gas und
bei Strom haben. Das heißt, dass der Großteil der Be-
triebe an dieser Regelung nicht partizipieren kann.
Ich rufe jetzt die
Ist damit die Einführung einer Förderobergrenze in Höhe von3 000 DM je Unternehmen obsolet?
Dr
Sehr geehrter Herr Kollege Haschke, grund-
sätzlich kann zu Ihrer Frage festgestellt werden, dass im
Falle einer Einführung von Agrardiesel mit einem redu-
zierten Steuersatz die verbliebene Gasölverbilligung und
die ab 2000 geltende Obergrenze von 3 000 DM je Un-
ternehmen entfallen würden.
Eine Zusatzfrage? –
Nein, es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Dann danke
ich dem Herrn Staatssekretär Dr. Thalheim für die Be-
antwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beant-
wortung der Fragen steht Frau Staatssekretärin Ulrike
Mascher zur Verfügung.
Ich rufe Frage 6 des Kollegen Dr. Martin Mayer
auf:
Wie ist der Stand der im Dezember 1999 von der Bundesan-stalt für Arbeit geplanten Dienstanweisung, die praktisch zumbundeseinheitlichen Verbot der Erteilung von Arbeitsgenehmi-gungen für ausländische EDV-Spezialisten mit Hochschulab-schluss führen soll?
Frau Staatssekretärin, bitte.
U
Vielen Dank,
Frau Präsidentin.– Herr Dr. Mayer, ich würde mit Ihrer
Erlaubnis gerne die Fragen 6 und 7 gemeinsam beant-
worten.
Ich rufe dann auch
die Frage 7 auf:
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, dass die Er-teilung von Arbeitsgenehmigungen für ausländische EDV-Spezialisten erleichtert werden soll, um den Wirtschafts- undForschungsstandort Deutschland zu stärken?
U
Die Bundes-anstalt für Arbeit hat mitgeteilt, dass keine Dienstanwei-sung geplant ist, die die bisherige Praxis der Erteilungvon Arbeitserlaubnissen an ausländische EDV-Spe-zialisten einschränkt oder sogar unterbindet. Nach derRegelung des § 5 Nr. 2 der ASAV kann ausländischenFachkräften mit Hochschul- oder Fachhochschulab-schluss oder mit vergleichbarer Qualifikation bran-chenunabhängig die Arbeitserlaubnis als Ausnahme vomAnwerbestopp erteilt werden, wenn an der Beschäfti-gung aufgrund ihrer besonderen fachlichen Kenntnisseein öffentliches Interesse besteht. Soweit diese Voraus-setzungen auch bei ausländischen EDV-Fachkräftenvorliegen, können von den Arbeitsämtern wie bisher imAusnahmefall Arbeitserlaubnisse erteilt werden. DieRegelung lässt allerdings auch weiterhin eine generelleErteilung von Arbeitserlaubnissen an ausländischeEDV-Fachkräfte – das kommt möglicherweise in IhrerFragestellung zum Ausdruck – nicht zu.Mit der Frage des in der EDV-Branche bestehendenBedarfs an Fachkräften hat sich das Bündnis für Arbeit,Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit im Rahmen desFach- und Themendialogs „Beschäftigungspotenziale imBereich der IuK-Technologien“ eingehend befasst. Dieam Dialog Beteiligten haben unter anderem folgendekonkrete Vereinbarungen zur Reduzierung des Fach-kräftemangels im IT-Bereich getroffen: Steigerung desAusbildungsvolumens in den neuen IT- und Medienbe-rufen auf 40 000 Plätze innerhalb der nächsten drei Jah-re; Einrichtung eines Ausbildungsfonds von IT-Unter-nehmen; Aufbau eines IT- und medienspezifischenWeiterbildungssystems sowie bundesweiter und regio-naler Netzwerke zur Fachkräfteentwicklung und zurFachkräftegewinnung und Ausweitung des Weiterbil-dungsangebotes der Bundesanstalt für Arbeit.Im Rahmen der jetzt abgesprochenen Maßnahmenwird die Bundesanstalt für Arbeit ihr bisheriges Weiter-bildungsangebot in Höhe von rund 30 000 Plätzen fürdie Jahre 2000 bis 2003 auf 35 000 Plätze ausweiten unddamit allein zirka 100 000 Fachkräfte für den IT-Bereichgewinnen können. Bereits 1999 hat die Bundesanstaltfür Arbeit knapp 1 Milliarde DM in Weiterbildungs-maßnahmen in diesem Bereich investiert. Für keine an-dere Branche werden von der Bundesanstalt für Arbeitdamit mehr Mittel für die Förderung von Weiterbil-dungsmaßnahmen eingesetzt.
Metadaten/Kopzeile:
7668 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000
Mit den verabredeten Maßnahmen sind erheblicheInitiativen angestoßen worden, um in den nächsten Jah-ren für eine ausreichende Zahl an Fachkräften zu sorgen.Die Bundesregierung wird die Entwicklung des Ar-beitsmarktes sorgfältig beobachten und prüfen, ob dieeingeleiteten Maßnahmen zur Deckung des IT-Fach-kräftebedarfs ausreichen. Gegenwärtig ist die Bundesre-gierung nicht der Auffassung, dass die Erteilung vonArbeitsgenehmigungen an ausländische EDV-Spe-zialisten erleichtert werden soll. Wie in den anderenBranchen muss auch im Bereich der Datenverarbeitungdas Problem der ausreichenden Gewinnung von Fach-kräften durch Maßnahmen auf dem inländischen Marktgelöst werden. Die Zulassung von Arbeitnehmern ausdem Ausland würde die Ursachen des Mangels nicht be-heben, sondern allenfalls kurzfristig verdecken. Ange-sichts von knapp 4 Millionen Arbeitslosen, darunterauch rund 31 000 arbeitslose EDV-Fachleute, dürfen diegerade im Bereich der Informationstechnologie beste-henden und wachsenden Beschäftigungsmöglichkeitenfür die Arbeitssuchenden beschäftigungspolitisch nichtvertan werden.
Die erste Zusatzfra-
ge.
Frau
Staatssekretärin, darf ich Ihre Antwort so interpretieren,
dass es auch keinerlei schriftliche Anweisungen an die
Arbeitsämter gibt, die den Vollzug vereinheitlichen und
dadurch die Situation in einigen Arbeitsamtsbereichen
verschärfen, indem nämlich ausländische Bewerber
vermehrt abgelehnt werden?
U
Nach meiner
Information hat die Bundesanstalt keine Dienstanwei-
sung geplant, die die bisherige Praxis einschränken soll.
Zweite Zusatzfrage,
bitte sehr.
Teilen Sie meine Auffassung, dass sich gerade der Be-
reich der Informations- und Kommunikationstechnik
dadurch auszeichnet, dass Unternehmen, Unternehmens-
teile und damit Arbeitsplätze sehr flexibel sind – das
heißt, sie können innerhalb kürzester Zeit und ohne gro-
ßen Aufwand von einem Land ins andere verlegt wer-
den –, und dass deshalb für die IuK-Branche eine Son-
derregelung, die eine großzügigere Ausnahmegenehmi-
gungspraxis zulässt, angebracht wäre?
U
Herr
Dr. Mayer, Sie haben aus meiner Antwort sicherlich
entnommen, dass die Bundesregierung eine solche Son-
der- oder Ausnahmeregelung gegenwärtig nicht für den
richtigen Weg hält. Vielmehr unternehmen wir ganz er-
hebliche Anstrengungen im Bereich der Fort- und Wei-
terbildung. Im Rahmen des Branchendialogs haben wir
konkrete Verabredungen getroffen. Ich habe Ihnen auch
gesagt, dass wir den Arbeitsmarkt sorgfältig beobachten
werden.
Dritte Zusatzfrage,
bitte sehr.
Darf
ich Ihnen dann zur Kenntnis geben, dass nach meiner
Auffassung diese Haltung der Bundesregierung kein
Beitrag dazu ist, Deutschland eine Spitzenstellung in
dieser wichtigen Zukunftsbranche zu verschaffen?
U
Herr Mayer,
ich nehme Ihre Einschätzung zur Kenntnis. Ich teile sie
nicht.
Damit ist der Ge-
schäftsbereich des Bundesarbeitsministeriums abgear-
beitet. Ich danke der Frau Staatssekretärin.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Siegfried Scheffler zur Verfügung.
Die Frage 8 des Kollegen Dirk Niebel wird auf
Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Klaus Hofbauer
auf:
Welche Zielsetzung wird die Novelle zum Regionalisie-rungsgesetz im Zuge der Bahnreform zum Inhalt haben?
Herr Staatssekretär, bitte sehr.
S
Frau Präsidentin, wenn Sie und Kollege Hofbauer ge-
statten, möchte ich Frage 9 und Frage 10 zusammen be-
antworten, da sich beide Fragen mit dem Regiona-
lisierungsgesetz beschäftigen. In Frage 10 geht es dar-
um, zu welchem Termin dem Parlament die Novelle
vorgelegt wird; in Frage 9 geht es um den Inhalt der No-
velle.
Wir sind beide ein-
verstanden. Ich rufe daher auch die Frage 10 auf:
Wann wird die Novelle zum Regionalisierungsgesetz im Zu-ge der Bahnreform dem Parlament zur Beratung vorgelegt wer-den?
S
Uns ist bekannt, dass mit dem Regionalisierungsgesetzden Ländern die Zuständigkeit übertragen wurde. AufParl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000 7669
Wunsch der Länder wurde im Regionalisierungsgesetzfestgelegt, den Mittelbedarf für die Aufrechterhaltungdes Fahrplans 1993/1994 im Zeitraum von 1998 bis2001 zu überprüfen und entsprechend anzupassen.Die Bundesregierung hat nach wie vor die Absicht,diesen gesetzlichen Auftrag umzusetzen. Aber bei derÄnderung des Regionalisierungsgesetzes werden die Er-gebnisse eines vom Bund im Einvernehmen mit denLändern vorgegebenen Gutachtens zu berücksichtigensein. Danach sinkt der Finanzbedarf für das Fahrplanan-gebot 1993/1994 ab 1999. Außerdem ist die Verteilungzwischen den Ländern untereinander zu korrigieren. Soviel zu Frage 9.Zu Frage 10. Die Änderung des Regionalisierungsge-setzes bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Bisherhaben die Länder eine konsequente Umsetzung der Er-gebnisse des gemeinsam begleitenden Gutachtens mehr-heitlich abgelehnt. Entsprechend dem Beschluss derVerkehrsministerkonferenz vom 21./22. April vorigenJahres haben die Länder im Mai 1999 einen Gesetzent-wurf erarbeitet, der eine Änderung des Regionalisie-rungsgesetzes zugunsten der Länder an eine Änderungdes Bundesschienenwegeausbaugesetzes gekoppelt hat.Bund und Länder haben hierzu Gespräche auf politi-scher Ebene mit dem Ziel aufgenommen, hier einen ab-gestimmten Gesetzentwurf einzubringen. Dieser Gesetz-entwurf soll die Interessen beider Seiten, sowohl die derLänder als auch die des Bundes, berücksichtigen. Bisherist es dabei zu keiner Annäherung der Position gekom-men. Wann mit einem Abschluss der Verhandlungen ge-rechnet werden kann, lässt sich gegenwärtig noch nichtabschätzen.
Erste Zusatzfrage.
Frau Präsidentin!
Herr Staatssekretär, können Sie kurz beschreiben, wel-
che Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bund
und den Ländern bestehen?
Wenn es erlaubt ist, Frau Präsidentin, möchte ich
gleich die zweite Frage stellen. Wird durch eine Ände-
rung des Gesetzes dafür gesorgt, dass vor allem die Er-
schließungsfunktion, die bisher ein wesentlicher Grund-
satz zur Schaffung von Flexibilität im ländlichen Raum
war, auch in Zukunft aufrecht erhalten bleibt?
S
Es
gibt Meinungsverschiedenheiten darüber – obwohl vor-
her Einvernehmen bestand, das auch in dem Gutachten
zum Ausdruck kommt –, dass der Finanzbedarf der Län-
der bis zum Jahre 2001 insgesamt um rund 800 Mil-
lionen DM – das ist insgesamt eine Marge von
1,6 Prozent – sinkt, ohne dass das aber Auswirkungen
auf den Gesamtfinanzrahmen hat.
Das Problem ist, dass sich die Länder untereinander
zunächst nicht geeinigt haben. Sie kennen – ich spreche
das noch einmal an – den Beschluss der Verkehrs-
ministerkonferenz vom April des vorigen Jahres, als die
Länder den Entwurf eines Artikelgesetzes vorgelegt ha-
ben, in dem grundsätzlich eine Änderung des Regionali-
sierungsgesetzes – ich sage hier: einseitig zulasten des
Bundes – mit einer Änderung des Schienenwegeausbau-
gesetzes verknüpft werden sollte.
Die Länder haben in Bezug auf das Regionalisie-
rungsgesetz folgende Änderungen vorgeschlagen: Neu-
verteilung der Regionalisierungsmittel gemäß § 8, Abs.
1 zwischen den Ländern im Zeitraum von 1998 bis
2001; eine Überprüfung des Mittelbedarfs für einen
festgesetzten Leistungsumfang; bis zum 31. Dezember
2001 – das berührt schon Ihre zweite Frage – eine so ge-
nannte zweite Revision sowie eine Neuverteilung der
Mittel zwischen den Ländern, wie von mir schon ange-
sprochen, ab 2002.
Hierzu muss ich Ihnen mitteilen, dass der Entwurf zur
Änderung des Regionalisierungsgesetzes weder die Er-
gebnisse des von Bund und Ländern gemeinsam beglei-
teten Gutachtens noch die Regelungen enthält, die mit
dem Bund im Zuge von Kompromissverhandlungen am
Ende der letzten Legislaturperiode, also unter Ihrer Re-
gierung, bereits vereinbart worden waren. Ich denke nur
an die Entlastung des Bundeshaushalts – das wollte auch
der damalige Verkehrsminister Wissmann – um rund
500 Millionen DM.
Ohne Berücksichtigung des angesprochenen Gutach-
tens, also der Wibera-Ergebnisse, kann der Bund des-
halb einer Neufassung nicht zustimmen.
Dritte Zusatzfrage.
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
die Erschließung des ländlichen Raums ist für uns von
größter Bedeutung. Teilen Sie meine Auffassung, dass
bei einem neuen Gesetz auch diese Funktion erhalten
bleiben muss, damit die Flexibilität der Menschen im
ländlichen Raum durch den Einsatz öffentlicher Ver-
kehrsmittel sichergestellt wird?
S
Dadie Länder dies von einer Änderung des Schienenwe-geausbaugesetzes abhängig machen, unter anderem ei-ner Erhöhung des Anteils für Investitionen in Schienen-personennahverkehrswege oder einer Gewährung vonBaukostenzuschüssen, darf ich Ihnen sagen, dass bereitsheute 30 Prozent der Investitionen in Schienenwege, dieallein dem Schienenpersonennahverkehr dienen, vomBund getätigt werden. Indem aber die Länder bei Maß-nahmen nach § 8 Schienenwegeausbaugesetz eine aus-reichende langfristige Bestellung entsprechender Schie-nenpersonennahverkehrsleistungen ablehnen und dieRefinanzierung der von Ihnen geforderten Investitionenverweigern, stellen sie die gemeinsam vereinbarte unddurch den Gesetzgeber festgelegte Bahnreform in Frage.Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler
Metadaten/Kopzeile:
7670 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000
Danke schön. – Ich
rufe nun die Frage 11 der Kollegin Dr. Erika Schuchardt
auf:
Warum ist bereits vor der offiziellen Ausschreibung für dieBewerbung um einen Standort für die Europäische Luftfahrtbe-hörde auf Anfrage aus Braunschweig vom ParlamentarischenStaatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau- undWohnungswesen, Lothar Ibrügger, mit Schreiben vom 24. No-vember 1999 mitgeteilt worden, dass Braunschweig – weltweitbekannt als Sitz der nationalen Luftfahrtbehörde – von einerBewerbung als Standort für die europäische Luftfahrtbehördeabsehen solle, um die Chancen einer anderen deutschen Bewer-bung nicht zu schmälern?
Herr Staatssekretär, bitte.
S
Frau Kollegin Schuchardt, Frau Präsidentin, gestatten
Sie, dass ich die Fragen 11 und 12 im Zusammenhang
beantworte, da sich beide Fragen mit einer künftigen Eu-
ropäischen Luftfahrtbehörde beschäftigen?
Wir sind einverstan-
den.Ich rufe daher auch die Frage 12 auf:
Warum werden die Synergieeffekte, die sich aus der An-siedlung einer europäischen Luftfahrtbehörde am gleichenStandort wie die nationale Luftfahrtbehörde ergeben würden,von der Bundesregierung im Falle Braunschweigs negativ gese-hen, obwohl die Mitbewerberländer sich gerade mit diesem Ar-gument bewerben werden, nämlich dass sich durch die Nähe vonnationaler und europäischer Luftfahrtbehörde positive Syner-gieeffekte erzielen lassen und das Beispiel der nationalen undeuropäischen Patentämter in München die Entscheidung zugun-sten der Synergieeffekte rechtfertigt?
S
Zunächst zur Frage 11: Die Bundesregierung misst der
Gründung der künftigen europäischen Behörde für Luft-
verkehrssicherheit und einer deutschen Beteiligung bei
der Bewerbung um den Sitz der Behörde große Bedeu-
tung zu. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Wohnungswesen als federführendes Ressort für diese
Fragen ist daher bestrebt, dass das unter Berücksichti-
gung vieler Faktoren beste der möglichen Angebote für
eine Bewerbung rechtzeitig vorbereitet wird. Es ist der-
zeit noch nicht eindeutig absehbar, in welcher Form die-
se Behörde gegründet werden wird, ob als internationale
Organisation oder als Organ der Gemeinschaft. Eine
Ausschreibung erfolgt in der Regel nicht. Der Standort
wird voraussichtlich auf höchster politischer Ebene fest-
gelegt werden. Eine frühzeitige Vorbereitung der deut-
schen Bewerbung ist hierfür natürlich unerlässlich.
Zur Frage 12: Da bisher Bewerbungen anderer Län-
der weder inhaltlich bekannt noch verteilt worden sind,
kann die Darstellung, dass sich die Mitbewerberländer
mit dem Argument der Synergieeffekte bewerben wer-
den, nicht bestätigt werden. Die künftige europäische
Behörde für Luftverkehrssicherheit wird sowohl mit der
Erstellung gemeinsamer Vorschriften für die Zivilluft-
fahrt als auch in Teilen mit deren Anwendung beauftragt
sein. Daneben wird sie die nationalen Luftfahrtbehörden
im Hinblick auf eine einheitliche Anwendung der Vor-
schriften überprüfen.
Die derzeitigen Erfahrungen mit der Zusammenarbeit
innerhalb der Arbeitsgemeinschaft der europäischen
Luftfahrtverwaltungen, zeigen, dass die Mitgliedstaaten
für diese Aufgaben ihre Experten werden einbringen
wollen. Die künftige Behörde wird daher natürlich strikt
auf Neutralität und gleiche Chancen bei der Wahl der
Mitarbeiter achten müssen, was mit einer örtlichen
Trennung von der nationalen Luftfahrtbehörde zum
Ausdruck gebracht werden kann. Synergieeffekte sind
daher kaum als Argument einer Bewerbung dienlich.
Ihre erste Zusatzfra-
ge, bitte sehr.
Sie haben sehr
deutlich gesagt, dass der beste Standort gewählt werden
soll. Es ist bekannt, dass die Stadt – Braunschweig als
Sitz der nationalen Behörde – ein Gutachten in Auftrag
gegeben hat, das nun vorliegt und aus der neutralen
Sicht von Braunschweig als bestem Standort – interna-
tionale Schule, soziale Kultur, öffentliche Verkehrsan-
bindung und vieles andere mehr – spricht. Wie kommt
es dann, dass das Verkehrsministerium Braunschweig
abrät, sich überhaupt öffentlich zu äußern oder zu be-
werben, um einen anderen deutschen Standort mögli-
cherweise nicht zu gefährden?
S
Sehr geehrte Frau Kollegin Schuchardt, wie schon in Ih-ren schriftlichen Fragen zum Ausdruck kommt, insistie-ren Sie darauf, dass dem Ministerium eine offizielle An-frage aus Braunschweig vorliege.
Nicht nur im Zusammenhang mit diesem, sondern auchmit anderen Auswahlverfahren innerhalb der Europäi-schen Union ist es nicht gut, wenn wir in der Öffentlich-keit darüber reden, bevor eine Standortentscheidung ge-fallen ist oder überhaupt Kandidaten öffentlich bekanntsind. Das ist mit Blick auf andere europäische Mitbe-werber nicht sehr günstig.Fakt ist, dass ein Kollege aus dem Deutschen Bun-destag dem Bundesminister einen Brief geschrieben hatund sehr konkret auf den Standort, den Sie genannt ha-ben, eingegangen ist. Der Kollege Ibrügger hat geant-wortet, dass unbeschadet anderer Bewerber – europäi-sche Bewerberstädte sind uns nicht bekannt – die Syner-gieeffekte, die Sie in Ihrer schriftlichen Frage herausge-hoben haben, für die Standortauswahl nicht unbedingtzwingend notwendig sind. Hier hat sich der KollegeIbrügger sehr korrekt verhalten, da er eine Standortent-scheidung nicht noch konkreter vorwegnehmen wollte.Ich sage in diesem Zusammenhang noch einmal: Ichfinde es nicht gut, dass dieser Standort in der Öffent-lichkeit schon diskutiert wird. Ich verstehe, dass Sie alsKollegin aus Braunschweig aus regionalen Gründengerne möchten, dass es eine Antwort des Ministeriumsauf ihren Standortvorschlag gibt. Aber aus Gründen der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000 7671
Vertraulichkeit bzw. wegen der noch bevorstehendenGespräche mit den europäischen Nachbarn können wirjetzt keine Standortdebatte führen.
Die zweite Zusatz-
frage.
Sie haben da-
rauf abgehoben, dass andere Bewerber nicht bekannt
seien. Sie sind aber bekannt: Alle drei Mit-
bewerberländer, nämlich die Niederlande mit Amster-
dam, Österreich mit Wien und Frankreich mit Paris, ha-
ben dort nationale Behörden und wünschen sich diese
europäische Behörde wegen des Synergieeffekts. Bei der
Entscheidung für das Bundespatentamt in München war
der Synergieeffekt genau das Kriterium, die nationale
und die europäische Patentbehörde zusammenzulegen.
Dieser Effekt wird in dem von Ihnen zitierten Brief von
Staatssekretär Ibrügger nun als negativ und belastend
dargestellt.
Ich als Bundestagsabgeordnete aus Braunschweig
möchte darauf hinweisen, dass wir über fünf bundesei-
gene Forschungseinrichtungen verfügen. Angesichts der
veränderten Situation, die sich aus dem Mauerfall und
damit aus wegfallenden Subventionen ergeben hat, sind
wir darauf angewiesen, dass Arbeitsplätze bei uns ge-
schaffen werden. Vorleistungen sind erbracht. Die natio-
nale Behörde hat sich in den letzen fünf Jahren zum
Dienstleistungsbetrieb mit großer internationaler Aner-
kennung entwickelt. Gibt es also einen besseren Stand-
ort als Braunschweig?
S
Werte Kollegin Schuchardt, ich stimme Ihnen insofern
zu, als dass die Bundesrepublik Deutschland als eine
unter vielen Bewerberinnen unter Berücksichtigung
vieler Faktoren darauf bedacht sein muss, dass der beste
Vorschlag vorgelegt wird.
Dabei spielen natürlich auch die internationale Ver-
kehrsanbindung, der Bekanntheitsgrad des Standortes,
das Vorhandensein internationaler Schulen, ein anspre-
chendes multikulturelles Umfeld wie auch steuerliche
Bedingungen – diese Punkte haben Sie ja teilweise ge-
nannt – eine Rolle. Diese Faktoren werden für den
künftigen Sitz der ESA ausschlaggebend sein. Ange-
sichts der Tatsache, dass sich die Bundesregierung zu
dieser Frage noch nicht geäußert hat und dass wir zu ei-
nem Konsens mit unseren europäischen Nachbarn
kommen müssen, können wir mit Ihnen jetzt keine
Standortdebatte führen.
Ich danke Herrn
Staatssekretär Scheffler. Damit haben wir diesen Be-
reich abgearbeitet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
kanzleramtes. Zur Beantwortung steht Herr Staatsmini-
ster Hans Martin Bury zur Verfügung.
Die Frage 13 wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun die Frage 14 des Kollegen Dr. Guido
Westerwelle auf:
Hat die Bundesregierung die in der Wochenzeitschrift „DerSpiegel“ Nr. 3 auf den Seiten 47 bis 49 mitdem Titel „Den Wandel gestalten“ erschienene und von GerhardSchröder und Joschka Fischer unterschriebene Anzeige in Auf-trag gegeben oder daran mitgewirkt?
Herr Staatsminister, bitte.
H
Frau Präsidentin, Ihr Einverständnis, Herr Kol-
lege Westerwelle, vorausgesetzt, möchte ich beide Fra-
gen zusammen beantworten.
Ich rufe also noch
die Frage 15 des Kollegen Dr. Guido Westerwelle auf:
Hat die Bundesregierung diese Anzeige bezahlt?
H
Die Antwort lautet: Nein.
Herr Westerwelle,
Sie haben vier Zusatzfragen. Ihre erste Zusatzfrage, bit-
te.
Wer hat die An-
zeige bezahlt?
H
Da die Anzeige nicht von der Bundesregierung
in Auftrag gegeben worden ist, kann ich Ihnen vonseiten
der Bundesregierung keine Auskunft darüber geben.
Nach meiner Kenntnis handelt es sich dabei um eine
Anzeige der Parteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen.
Wollen Sie mir
damit sagen, dass Sie als Vertreter der Bundesregierung
nicht konkret wissen, wer diese Anzeige, die die Unter-
schrift des Bundeskanzlers und des Vizekanzlers der
Bundesrepublik Deutschland trägt, bezahlt hat?
H
Herr Kollege Westerwelle, ich habe Ihnenschon gesagt, dass es sich nicht um eine Anzeige derBundesregierung handelt. Es handelt sich nach meinerKenntnis vielmehr um eine Anzeige der Regierungspar-teien, die von diesen in Auftrag gegeben und nach mei-ner Kenntnis auch bezahlt worden ist.Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler
Metadaten/Kopzeile:
7672 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000
Dritte Zusatzfrage.
Das reicht wirk-
lich. Vielen Dank.
Herr Koppelin, bitte
sehr.
Der Kollege Wester-
welle hat eben darauf aufmerksam gemacht, dass sowohl
der Bundeskanzler als auch der Vizekanzler diese An-
zeige unterzeichnet haben. Wollen Sie sagen – ich wie-
derhole das; es wäre eigentlich ein Armutszeugnis, wenn
Sie bei Ihrer Antwort blieben –, dass Sie nicht wissen,
wer diese Anzeige in Auftrag gegeben hat?
H
Herr Koppelin, ich habe diese Frage bereits be-
antwortet: Nach meiner Kenntnis haben die Parteien
SPD und Bündnis 90/Die Grünen – denen die beiden
Genannten, wie Sie wissen, angehören – diese Anzeige
in Auftrag gegeben.
Nun gibt es noch ei-
ne Zusatzfrage.
Halten Sie
es unter juristischen Gesichtspunkten für korrekt, eine
Anzeige zu schalten, ohne den Auftraggeber der Anzei-
ge zu kennzeichnen?
H
Herr Kollege, die Bundesregierung hat die An-
zeige, wie ich bereits sagte, nicht geschaltet.
Damit sind die Fra-
gen beantwortet. Ich danke Herrn Staatsminister Bury
und rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes
auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsmini-
ster Dr. Zöpel zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Jürgen Koppelin
auf:
Wird der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer,allein durch Angehörige des Bundeskriminalamtes gesichertoder gibt es für ihn auch Sicherheitskräfte, die nicht dem Bun-deskriminalamt angehören?
D
Frau Präsidentin! Herr Kollege Koppelin, die
alleinige und ausschließliche Zuständigkeit für den Per-
sonenschutz des Bundesministers des Auswärtigen liegt
beim Bundeskriminalamt.
Zusatzfrage.
Gehe ich recht in der
Annahme, dass Sie meine Frage nicht beantwortet ha-
ben? Damit Sie konkret antworten können, darf ich noch
einmal nachfassen – ich setze ja Ihren guten Willen vor-
aus –: Gibt es Situationen, wo der Bundesaußenminister
nicht von Personen des Bundeskriminalamtes gesichert
und begleitget wird, sondern von privaten Sicherheits-
diensten?
D
Darüber liegen dem Auswärtigen Amt keine
Kenntnisse vor.
Im Moment ant-
wortet der Herr Staatsminister.
– Das ist keine Regierungsbefragung, sondern eine Fra-
ge an den Bereich Auswärtiges Amt.
Der Herr Staatsminister hat die Frage beantwortet.
Gibt es eine Zusatzfrage? – Herr Kollege Koppelin, bitte
sehr.
Ist dem Bundesaußen-
ministerium bekannt, dass es bei Bündnis 90/Die Grü-
nen Beschlüsse geben soll, wonach man auf Parteitagen
keine Polizei sehen will, wobei als Konsequenz daraus
der Bundesaußenminister auf Parteitagen der Grünen
eben nicht durch das Bundeskriminalamt gesichert wird?
D
Herr Koppelin, wie Sie setze ich grundsätzlich
guten Willen sowie ein Erkenntnisinteresse voraus. Ich
wäre Ihnen dankbar, das auch mir und dem Auswärtigen
Amt zu unterstellen.
Ich habe Ihre Frage ausführlich persönlich bespro-
chen, auch weil mich interessierte, was Sie eigentlich
wollen. Auch nach dieser Besprechung mit den zustän-
digen Beamten des Auswärtigen Amtes kann ich hier
nur antworten: Das Bundeskriminalamt läßt sich die
Verantwortung für den Personenschutz von Bundesmi-
nister Fischer, der in Sicherheitsstufe 1 ist, von nieman-
dem nehmen und teilt sie mit niemandem. Das Bundes-
kriminalamt ist für die Sicherheit verantwortlich und
nimmt sie immer und überall wahr. Das ist das, was ich
Ihnen sagen kann.
Zusatzfrage?
Ich bin mir nicht darüberim Klaren, ob der Herr Staatsminister meine Frage 17schon in die Beantwortung einbezogen hat.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000 7673
Auch ich habe gera-
de darüber nachgedacht. Ich glaube, wir lassen es damit
bewenden. Herr Dr. Westerwelle hat noch eine Frage zu
der Frage 16. Dann trennen wir davon die Antwort auf
die Frage 17, damit wir im Verfahren bleiben.
Herr Dr. Westerwelle, zur Frage 16.
– Gut.
Dann rufe ich die Frage 17 des Kollegen Koppelin
auf:
Wird der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer,auf Veranstaltungen von Bündnis 90/Die Grünen, zum Beispielauf Parteitagen, ausschließlich von Angehörigen des Bundes-kriminalamtes gesichert?
Ich gebe dem Herrn Staatsminister Gelegenheit zur
Beantwortung.
D
Nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes – da-
mit wiederhole ich das sinngemäß – teilt das Bundes-
kriminalamt seine Verantwortlichkeit im Rahmen des
Personenschutzes für Bundesminister Fischer mit nie-
mand anderem.
Bei größeren politischen Veranstaltungen, zu denen
Parteitage von Bündnis 90/Die Grünen – wie Parteitage
anderer Parteien – gehören mögen, ergibt sich eine auf-
gabengerechte Zusammenarbeit mit der jeweiligen Lan-
despolizei.
Eine erste Zusatz-
frage.
Herr Staatsminister, Sie
können also ausschließen, dass aus dem Etat des Aus-
wärtigen Amtes zusätzliche private Sicherheitsdienste
bezahlt werden?
D
Meine Besprechung mit den zuständigen Be-
amten hat entsprechende Erkenntnisse nicht ergeben.
Eine zweite Zusatz-
frage.
Herr Staatssekretär, um
Ihnen eine Chance zu geben, dass Sie hier nichts Fal-
sches sagen – ich will ganz fair sein und möchte Sie
nicht in Schwierigkeiten bringen –: Wären Sie bereit,
das in Ihrem Hause noch einmal zu recherchieren und
mir zügig eine schriftliche Antwort zu geben?
D
Gerne. Ich sage Ihnen ganz offen – lassen Sie
uns unproblematisch miteinander umgehen und nichts
unterstellen –: Wir haben lange darüber nachgedacht,
was Sie mit Ihrer Frage wollen. Man kann hier auf einen
Gedanken kommen. Nach dem Gespräch, das ich ge-
stern geführt habe, haben sich für mich solche Erkennt-
nisse nicht ergeben. Ich danke Ihnen für die neue Frage.
Selbstverständlich wird das Auswärtige Amt Ihrer Frage
nachgehen und selbstverständlich werden Sie eine Ant-
wort in der von Ihnen jetzt gewünschten Form bekom-
men. Ihre Bemerkung, dass das zügig sein soll, nehme
ich auf und werde alles tun, dass das auch eintritt.
Nun hat Herr Dr.
Westerwelle eine Zusatzfrage.
– Es ist so umfassend geantwortet worden, dass Sie ganz
glücklich sind, Herr Westerwelle. Darüber freue ich
mich besonders.
Nun rufe ich die Frage 18 des Kollegen Hartmut Ko-
schyk auf:
Welche Erkenntnisse besitzt die Bundesregierung über dieBewertung der Europäischen Kommission, ob das Reprivatisie-rungs-, Entschädigungs- und Restitutionsrecht in Staaten, die dieAufnahme in die Europäische Union begehren wie vor allemPolen und die Tschechische Republik, mit dem Rechtsbestandder Europäischen Union vereinbar ist,und welche eigene Auffassung vertritt die Bundesregierung ge-genüber der Europäischen Union und den betreffenden Staaten?
D
Die Europäische Kommission hat sich nach
Kenntnis der Bundesregierung bisher nicht zu der Frage
der Rechtmäßigkeit von Privatisierungs-, Entschädi-
gungs- und Restitutionsrecht in Staaten, die die Auf-
nahme in die Europäische Union begehren, geäußert.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass kein Mit-
gliedstaat der Europäischen Union die Beitrittsverhand-
lungen durch offene bilaterale Fragen belasten sollte. Sie
vertraut darauf, dass die Beitrittsländer den „acquis
communautaire“ respektieren werden und die Kommis-
sion dies in den Beitrittsverhandlungen durchsetzen
wird. Selbstverständlich beobachtet die Bundesregierung
die Entwicklung in allen Beitrittsländern auch unter die-
sem Aspekt sorgfältig.
Zusatzfrage, bitte
sehr.
Hält vor diesem
Hintergrund, Herr Staatsminister, die Bundesregierung
das Gesetz Nummer 87/1991 über die Restitution ent-
eigneten Vermögens in der Tschechischen Republik so-
wie den im September 1999 von der polnischen Regie-
rung verabschiedeten Entwurf für eine Reprivatisie-
rungsgesetz vor allem im Hinblick auf die Ausschluss-
tatbestände, insbesondere die Bestimmungen zur Staats-
angehörigkeit, mit dem Gemeinschaftsrecht für verein-
bar?
D
Herr Kollege Koschyk, egal welches Wertur-teil Sie über mich abgeben: Ich halte es nicht für mög-lich, eine Zusatzfrage zu einem so spezifischen Gesetz
Metadaten/Kopzeile:
7674 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000
aus dem Kopf so zu beantworten, dass eine Antwort derinternationalen Verantwortung, die hier besteht, gerechtwerden könnte. Selbstverständlich bekommen Sie nacheiner Prüfung die von der Bundesregierung für richtiggehaltene Antwort.
Noch eine Zusatz-
frage, bitte sehr.
Herr Staatsminister,
Sie haben in Ihrer Antwort, darauf hingewiesen, dass
Ihnen nicht bekannt ist, wie die Europäische Union und
auch ihre Organe mögliche Restitutions- und Reprivati-
sierungsgesetze in Staaten, die eine Aufnahme in die Eu-
ropäische Union begehren, bewerten. Kann die Bundes-
regierung Zeitungsmeldungen bestätigen, dass der für
diesen Themenkomplex zuständige EU-Kommissar
Günter Verheugen auf der Jahreskonferenz des Deutsch-
Tschechischen Gesprächsforums Ende November 1999
in Brünn festgestellt hat, die Europäische Union werde
darüber wachen, dass der Fortbestand der Beneš-Dekrete
in der Tschechischen Republik in gegenwärtig und zu-
künftig anhängigen Fällen, insbesondere im Restituti-
onsbereich, keine diskriminierende Wirkung entfaltet?
D
Das kann ich zufällig selbst bestätigen, wie
vermutlich auch Ihr Informant, der geschätzte Kollege
Schmidt. Denn ich habe diese Äußerung gehört. Es ist
auch eine Selbstverständlichkeit: Ab diesem Tag kann es
für die Tschechische Republik – und in dem von Ihnen
vorher angeführten Fall Polen – ungeschadet des noch
zu bewertenden Gesetzes – nur ein Vermögensrecht ge-
ben, das dem „acquis communautaire“ der EU ent-
spricht. Ab diesem Tag kann es keine diskriminierenden
Bestimmungen mehr geben, die sich von den Bestim-
mungen in anderen Staaten unterscheiden. Das ist die
Haltung der Europäischen Union und das ist auch die
Haltung der Bundesregierung. Der Dialog ist zu trennen
von der Bewertung von Ex-tunc-Regelungen und Ähnli-
chem. Aber ab dem Tag des Beitritts gilt der „acquis
communautaire“, und dann kann es keine Diskrimi-
nierungen mehr geben. Es wäre zu hoffen, dass bis dahin
auch die Verwerfungen der Geschichte – in manchen
Ländern beidseitig, in manchen Ländern nur einseitig –
überwunden sind, damit man guten Geistes in die Zu-
kunft gehen kann.
Damit ist der Ge-
schäftsbereich des Auswärtigen Amtes abgearbeitet. Ich
bedanke mich bei Herrn Staatsminister Zöpel für die
Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums des Innern auf. Zur Beantwortung steht Frau Parla-
mentarische Staatssekretärin Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Wolfgang Dehnel
auf:
Was unternimmt die Bundesregierung, um eine bessere Ver-netzung von Fahndungsergebnissen und -maßnahmen zur Auf-klärung von Schwerverbrechen zu erreichen, damit beispielswei-se solche Aufklärungspannen wie beim Zugmord im Regional-Express Dresden–Zwickau im Jahr 1995 – veröffentlicht in„Freie Presse“ vom 28. Dezember 1999 – möglichst vermiedenwerden können?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Ermittlungsins-
trumente der Strafverfolgungsbehörden sind durch die
im April 1998 beim Bundeskriminalamt eingerichtete
DNA-Analysedatei sowie die durch das DNA-Identitäts-
feststellungsgesetz vom 7. September 1998 geschaf-
fenen zusätzlichen Möglichkeiten der Gewinnung von
DNA-Identifizierungsmustern bei Beschuldigten und
Verurteilten zum Zwecke künftiger Strafverfahren gera-
de für wie in Ihrer Frage angesprochene Fälle wesentlich
verbessert worden. Die Bundesregierung hat also schon
etwas unternommen. Die frühzeitige Zusammenführung
von Tätern und Tatspuren, auch aus zurückliegenden
Fällen, wird dadurch erheblich vereinfacht. Übrigens
haben gerade diese neuen Möglichkeiten im konkreten
Fall jüngst zur Aufklärung des geschilderten Zugmordes
geführt.
Zusatzfrage? – Bitte
sehr.
Mir ist bekannt,
dass gerade diese DNA-Analyse zur Aufklärung des
Mordes geführt hat, aber sehr verspätet, nämlich nach-
dem dieser Schwerverbrecher wieder straffällig gewor-
den war und einen weiteren Mord begangen hatte. Er
konnte also erst nach mehreren Jahren durch diese
DNA-Analyse überführt werden. Inwieweit arbeitet die
Bundesregierung auch im Hinblick auf andere schwere
Verbrechen, die von Wiederholungstätern immer wieder
begangen werden, stärker auf die Vernetzung von sol-
chen Analysen hin und setzt sich so auch damit ausein-
ander, dass über Jahre hinweg doch noch zu wenig getan
worden ist?
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will noch ein-mal erklären, wie die gesetzliche Lage war, als sich die-se Taten zutrugen. Im Jahre 1996 gab es einen zweitenMord. Damals war bei der DNA-Identitätsfeststellungnur die Überprüfung zulässig, ob das aufgefundene Spu-renmaterial von dem dieser Tat Beschuldigten stammte.Der Täter wurde wegen der ersten Tat, bei der er dasSpurenmaterial hinterlassen hatte, nicht verfolgt, weil zujener Zeit der Verdacht nicht geschöpft worden war.Deshalb war diese neue gesetzliche Regelung nötig undunumgänglich. Ihre Bedeutung zeigt sich vor allemdarin, dass dieser konkrete Fall dadurch aufgeklärt wer-den konnte. Das gilt auch für so genannte Altfälle, alsorückwirkend für Taten, die schon mehrere Jahre zurück-liegen. Wir haben da durch das neue Gesetz tatsächlicheine merkliche Verbesserung erreichen können.Staatsminister Dr. Christoph Zöpel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000 7675
Zweite Zusatzfrage,
bitte sehr.
Ich hatte die Ver-
netzung angesprochen, die in den letzten Jahren ver-
stärkt werden musste. Gerade dabei hat sich gezeigt,
dass zwischen den Ländern wahrscheinlich nicht genü-
gend Zusammenarbeit bestand, denn sonst hätte man
solche Rückschlüsse eher ziehen können. Wie sehen Sie
die Möglichkeit einer besseren Vernetzung zwischen
den Ländern in der Zukunft?
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es geht erst einmal
darum, ob die entsprechenden gesetzlichen Möglichkei-
ten ausgeschöpft werden, und dann natürlich auch da-
rum, ob verschiedene Länder gut und eng kooperieren
können. Vor allen Dingen haben wir jetzt die Gewähr,
dass man die Täter aufgrund des Spurenmaterials einer
ersten schweren Tat – es muss sich um schwere Taten
handeln, damit diese DNA-Analyse durchgeführt wer-
den kann – frühzeitig überführen kann. Bei dem Sach-
verhalt, den Sie als Grundlage Ihrer Frage nehmen, ist
davon auszugehen, dass bei einem solchen Täter im Zu-
ge des Ermittlungsverfahrens wegen des späteren Tö-
tungsdeliktes zum Zwecke der Identitätsfeststellung in
künftigen Strafverfahren ein Identifizierungsmuster vor-
genommen wird. Diese Maßnahmen sind jetzt dadurch
erleichtert, dass es seit April 1998 eine DNA-Analyse-
datei beim Bundeskriminalamt gibt.
Damit kann man zusammen mit der Spur Personen bes-
ser identifizieren.
Nun rufe ich die
Frage 20 des Abgeordneten Dr. Hans-Peter Uhl auf:
Stimmt die Bundesregierung der These einer ständig wach-senden Bedrohung für die verfassungsmäßige Ordnung der Bun-desrepublik Deutschland durch die organisierte Kriminalität zu,und wenn ja, ist sie bereit, das Bundesamt für Verfassungsschutzmit der nachrichtendienstlichen Überwachung und Abwehr derorganisierten Kriminalität – so wie es in Bayern bereits der Fallist – zu beauftragen?
Bitte sehr.
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Uhl,
die Bundesregierung ist sich natürlich der Bedeutung der
durch die organisierte Kriminalität entstehenden Gefah-
ren für die innere Sicherheit bewusst. Sie sieht deswegen
in diesem Bereich auch zukünftig einen Schwerpunkt ih-
rer Politik. Eine Bedrohung für die verfassungsmäßige
Ordnung sieht die Bundesregierung jedoch nicht.
Zum gleichen Schluss kam übrigens eine durch die
Innenministerkonferenz im November 1997 eingesetzte
Arbeitsgruppe, die die Möglichkeiten der Intensivierung
der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und ins-
besondere die Ausdehnung der Kompetenzen der Si-
cherheitsbehörden des Bundes und der Länder unter
Einbeziehung der Erfahrungen Bayerns mit der erwei-
terten Kompetenz des Verfassungsschutzes zu prüfen
hatte. In dem Bericht dieser Arbeitsgruppe wurde dazu
ausgeführt:
Belege dafür, dass die organisierte Kriminalität
durch Einflussnahme auf Wirtschaft, Politik, Justiz
und Verwaltung bereits eine staats- und demokra-
tiegefährdende Qualität erreicht hat, sind nicht vor-
handen.
Auch die Innenministerkonferenz vom Juni 1999 hat
im Ergebnis beschlossen, dass die Frage einer mögli-
chen Ausweitung der Tätigkeiten des Verfassungsschut-
zes auf die Bekämpfung der organisierten Kriminalität
zurzeit nicht weiterverfolgt wird.
Die Bundesregierung sieht daher – nicht zuletzt we-
gen verfassungsrechtlicher Bedenken im Zusammen-
hang mit einer Einbindung der Verfassungs-
schutzbehörden in die Bekämpfung der organisierten
Kriminalität – derzeit keinen Handlungsbedarf.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege? – Bitte sehr.
Frau Staatssekre-
tärin, ist die Bundesregierung bereit, die Bedenken des
Jahres 1997 zurückzustellen angesichts des Umstandes,
dass sich mittlerweile die Landesregierungen von Hes-
sen, Sachsen und Brandenburg bereit erklärt haben, dem
bayerischen Beispiel zu folgen, und angesichts des wei-
teren Umstandes, dass sich im Bereich des politischen
Terrorismus die Doppelzuständigkeit zwischen dem
Verfassungsschutz einerseits und andererseits der Poli-
zei durchaus bewährt hat?
Die Bun-
desregierung sieht sich nicht in der Lage, Bedenken zu-
rückzustellen. Sie wird weiter die gesamte Tätigkeit im
Auge haben und wird diese Anregung, wenn sich die
Dringlichkeit der weiteren Behandlung dieses Themas
ergibt, auch im Rahmen der Innenministerkonferenz
weiterverfolgen. Aber es ist, wie Sie wissen, zunächst
einmal Sache der Länder, auf diesem Gebiet tätig zu
werden.
Ihre zweite Zusatz-
frage, bitte sehr.
Frau Staatssekre-
tärin, ist der Bundesregierung bekannt, dass der Verfas-
sungsschutz bei fast allen unseren westeuropäischen
Nachbarn der auch dort primär zuständigen Polizei
durch Beobachtungen der organisierten Kriminalität
wertvolle Erkenntnisse liefert?
Der Bun-desregierung ist dies sehr wohl bekannt. Ich verweiseaber noch einmal auf die politisch gebotene eindeutigeTrennung zwischen bestimmten Aufgaben der Sicher-heitsdienste einerseits und der Polizeien des Bundes undder Länder andererseits.
Metadaten/Kopzeile:
7676 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000
Nun rufe ich die
Frage 21 der Abgeordneten Sylvia Bonitz auf:
Gibt es hinsichtlich der aus den USA nach Deutschland zu-rückzuführenden Stasiunterlagen Vereinbarungen bzw. Absich-ten, die eine Einschränkung der Verwertungshoheit über dieDaten für Deutschland beinhalten, und falls ja, wie gedenkt dieBundesregierung den öffentlichen Zugang zu diesen Daten, diefür die Öffentlichkeit von größtem Interesse sein dürften, zu ge-währleisten?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die USA beab-
sichtigen, der deutschen Regierung Unterlagen zur Ver-
fügung zu stellen, die nach bisherigem Wissensstand
Daten aus HVA-Unterlagen enthalten sollen. Eine „Ein-
schränkung der Verwertungshoheit über die Daten für
Deutschland“ ist weder vereinbart noch beabsichtigt.
Die Bundesregierung kann den öffentlichen Zugang zu
diesen Daten nur im Rahmen gesetzlicher Bestimmun-
gen gewährleisten. Sollten die erwarteten Unterlagen
Stasiunterlagen sein, wird ihre Verwendung im Rahmen
des Stasi-Unterlagen-Gesetzes erfolgen.
Erste Zusatzfrage,
bitte sehr.
Herzlichen Dank für die
Beantwortung der Frage.
Ich habe noch zwei Zusatzfragen. Die erste Frage:
Die USA selbst haben ein großes Interesse daran, die
Stasiakten zu ihrer eigenen Verwendung auszuwerten.
Wie kann sichergestellt werden, dass dabei nicht verse-
hentlich Daten verloren gehen, weder durch technische
Defekte bei den Kopiervorgängen – wir bekommen die
Daten auf CD-ROMs geliefert – noch durch gezielte
Manipulation?
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist richtig, dass
die Daten in Form von Kopien auf CD-ROMs überge-
ben werden. Wir haben keinen Garantieschein dafür,
dass dabei nicht manipuliert wird und die Daten, die uns
übergeben werden, tatsächlich vollzählig und echt sind.
Wir gehen aber davon aus, dass es sich um die Kopien
von Echtdaten handelt. Es gibt keine Hinweise darauf,
dass seitens der USA in irgendeiner Weise versucht
wird, einschränkend tätig zu werden. Das Einzige, was
man – bei aller Vorsicht – vermuten kann, ist, dass sich
bei bestimmten Vorgängen, die US-Bürger betreffen, ei-
ne stärkere Zurückhaltung bemerkbar machen könnte.
Sie haben noch eine
Zusatzfrage? – Bitte sehr.
Zweite Zusatzfrage:
Kann davon ausgegangen werden, dass die aus den USA
zurückzuführenden Datenbestände mit dem von der
Gauck-Behörde 1998 entschlüsselten Teil der Stasida-
tenbank, den so genannten Sira-Daten, verknüpft werden
können und die daraus gewonnenen Erkenntnisse hin-
sichtlich der Durchdringung Westdeutschlands durch
Stasikollaborateure im Rahmen des Stasi-Unterlagen-
Gesetzes uneingeschränkt der Öffentlichkeit zur Verfü-
gung gestellt werden?
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will diese Frage
mit aller Vorsicht beantworten.
Zunächst einmal werden die Daten dem Bundeskanzler-
amt als Koordinator der Dienste übergeben und dann
zeitgleich dem Bundesinnenministerium und dem Be-
auftragten für die Stasiunterlagen, also der Gauck-Be-
hörde. Es gibt eine Arbeitsgruppe zwischen BMI und
Gauck-Behörde, die die Daten daraufhin überprüft, ob es
sich tatsächlich um Daten aus den Archiven der Stasi-
HVA handelt. Dementsprechend wird damit weiter ver-
fahren.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Schauerte.
Frau Staatssekre-
tärin, Sie haben gesagt, dass Sie keine Anhaltspunkte
dafür haben, dass die übermittelten Daten auf CD-ROM
eventuell nicht vollständig sein könnten. Haben Sie denn
in den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten eine
entsprechende Zusicherung auf Vollständigkeit erbeten
oder erhalten?
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe schon in
meiner Antwort auf die erste Zusatzfrage der Frau Kol-
legin Bonitz gesagt, dass es Vereinbarungen in diesem
Sinne nicht gibt und wohl auch nicht geben kann. Wir
müssen uns darauf verlassen, dass die USA all das, was
sie zur Aufklärung und zur Übergabe dieser Daten tun
können, auch tun.
Sie haben keinezweite Zusatzfrage, Herr Kollege Schauerte, da Sie nichtder Fragesteller sind. Es tut mir Leid.Die Fragen 22 und 23 des Kollegen Börnsen werdenschriftlich beantwortet.Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.Ich danke Ihnen, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-ums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht der Par-lamentarische Staatssekretär Karl Diller zur Verfügung.Die Fragen 24 und 25 des Abgeordneten Bartholo-mäus Kalb und die Frage 26 des Abgeordneten DirkNiebel werden schriftlich beantwortet.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000 7677
Dann rufe ich die Frage 27 des Abgeordneten HansMichelbach auf. – Kollege Michelbach ist nicht anwe-send. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnungvorgesehen. Das Gleiche gilt für die Frage 28.Dann rufe ich die Frage 29 des Abgeordneten NorbertHauser auf:Ist es Auffassung der Bundesregierung, dass sie, so wie vomStaatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, ManfredOverhaus, in einem Schreiben vom 1. Oktober 1999 der BonnerOberbürgermeisterin mitgeteilt, ab 2004 die finanzielle Unter-stützung für die Kulturarbeit in Bonn einstellen will und, wennja, ist die Bundesregierung der Auffassung, dass diese Absichtmit § 6 Abs. 4 des Berlin/Bonn-Gesetzes vom 26. April 1994,wonach die Bundesstadt Bonn in Zukunft gesamtstaatliche Re-präsentationsaufgaben zu übernehmen hat und diese Wahrneh-mung vom Bund unterstützt wird, vereinbar ist?K
Herr Kollege Hauser, die Verhandlungen
sind noch nicht abgeschlossen. Da Sie wie ich an einem
erfolgreichen Abschluss interessiert sind, bitte ich sehr
herzlich und nachdrücklich um Verständnis, dass sich
die Bundesregierung während der laufenden Verhand-
lungen über den Verhandlungsstand und die einzelnen
Aspekte nicht öffentlich äußern möchte.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsse-
kretär, die Verhandlungen, die zurzeit stattfinden, betref-
fen den Zeitraum von 2000 bis einschließlich 2003. Ich
habe Sie nach dem Zeitraum nach 2003 gefragt. Ich
glaube nicht, dass es eine Frage von Verhandlungen ist,
ob die Bundesregierung bereit ist, eine Unterstützung –
so wie es hier gefragt wird – auch ab 2004 zu gewähren.
Es ist einfach die Frage: Ist die Bundesregierung bereit,
die Bundesstadt Bonn im Sinne des § 6 Abs. 4 des Ber-
lin/Bonn-Gesetzes vom 26. April 1994 auch nach dem
1. Januar 2004 zu fördern?
K
Herr Kollege Hauser, Sie verweisen in Ih-
rer Frage auf § 6 Abs. 4 des Berlin/Bonn-Gesetzes vom
26. April 1994. Dort wird angesprochen, dass die Bun-
desstadt Bonn in Zukunft gesamtstaatliche Repräsentati-
onsaufgaben zu übernehmen hat. Welche sie zu über-
nehmen hat und welche finanziellen Notwendigkeiten
damit verbunden sind, das müssen die Verhandlungen
erst ergeben.
Eine weitere Zu-
satzfrage.
Herr Staatsse-
kretär, ich bin ja erst ein gutes Jahr Mitglied des Deut-
schen Bundestages.
– Warten Sie einmal, Herr Tauss! – Trotzdem ist mein
Vertrauen in die Beschlüsse des Deutschen Bundestages
noch völlig ungetrübt. Ich sehe das Erstaunen auf man-
chen Gesichtern.
Kann ich davon ausgehen, dass dieses Gesetz verab-
schiedet worden ist, ohne auch nur im Blassesten Ah-
nung davon zu haben, was denn möglicherweise auf
beide Seiten zukommt? Ich meine, dass im Rahmen die-
ses Gesetzes über die Nennung der Politikbereiche, über
die Erst- und Zweitsitze und über die Aufgaben, die dort
angesprochen worden sind – natürlich nicht nur in § 6 –,
deutlich gemacht worden ist, welche Aufgaben auf die
Bundesstadt Bonn zukommen. Deshalb noch einmal die
Frage: Ist die Bundesregierung bereit, auf der Grundlage
dieses Gesetzes die Bundesstadt Bonn auch nach dem
Jahre 2004 entsprechend zu unterstützen?
K
Herr Kollege Hauser, ich verweise auf
meine bisherigen Antworten. Wir stehen in Verhandlun-
gen. In den Verhandlungen wird definiert, welche Auf-
gaben dabei zu berücksichtigen sind. Daraus ergeben
sich dann die notwendigen finanziellen Konsequenzen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Westerwelle.
Wollen Sie damit
sagen, dass Sie nicht ausschließen können, dass ab dem
Jahre 2004 keinerlei finanzielle Unterstützung mehr er-
folgt? Halten Sie es für möglich, dass ab dem Jahr 2004
keinerlei weitere finanzielle Unterstützung erfolgt, und
halten Sie das für vereinbar mit dem Berlin/Bonn-
Gesetz?
K
Herr Kollege, auch in diesem Fall gilt
meine erste Antwort.
Ich rufe die Frage
30 des Kollegen Hauser auf:
Wer ist für die Bundesregierung für die Verhandlungen desBonn-Vertrages zuständig und entscheidungsbefugt?
K
Herr Kollege Hauser, die Bonn-Verein-barung berührt die Belange mehrerer Ressorts. Das istnicht nur das Bundesministerium der Finanzen, sonderndas sind auch der Beauftragte der Bundesregierung fürdie Angelegenheiten der Kultur und der Medien sowiedas Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Woh-nungswesen. Die Ressorts stimmen sich untereinanderab.Vizepräsident Rudolf Seiters
Metadaten/Kopzeile:
7678 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000
Die erste Zusatzfra-
ge.
Herr Staatsse-
kretär, selbst wenn sich die Ressorts untereinander ab-
stimmen, muss es jemanden geben, der letztendlich ent-
scheidet, der das letzte Wort hat.
Nach ihm habe ich gefragt. Ich wäre Ihnen dankbar,
wenn Sie wenigstens bei der zweiten Frage so nett wä-
ren, eine Antwort zu geben.
K
Herr Kollege, in der Vergangenheit war es
so, dass über das Berlin/Bonn-Gesetz unter Federfüh-
rung des Bundeskanzlers entschieden worden ist. Ent-
sprechend ist es auch unterzeichnet worden. Jetzt ist das
Bundeskanzleramt über den Herrn Staatsminister mit
beteiligt. Das Bundesministerium der Finanzen wird
jetzt beispielsweise die Verhandlungen mit der Frau
Oberbürgermeisterin führen, die ich in der Antwort auf
Ihre vorige Frage angesprochen habe. Die Bundesregie-
rung macht das im Konsens.
Eine zweite Zusatz-
frage.
Ein Konsens-
prinzip ist gelegentlich etwas durchaus Erfreuliches,
Herr Staatssekretär. Wäre es möglich, in Ihrem Hause
wenigstens zwischen dem Minister und Herrn Staatsse-
kretär Overhaus so weit Konsens herzustellen, dass der
Finanzminister nicht kurz vor der Kommunalwahl in
Nordrhein-Westfalen erklärt, die Stadt Bonn habe ge-
wisse Mittel zu erwarten, und der Staatssekretär in ei-
nem Brief, der wenige Tage nach der Stichwahl am
26. September – am 1. Oktober – an die Stadt Bonn ab-
gesandt wird, diese Zusagen von Bedingungen bezüglich
des Plenarbereiches in Bonn abhängig macht, die – laut
nachträglicher Aussage des Herrn Minister Eichel – in
den Gesprächen zu keiner Zeit eine Rolle gespielt ha-
ben?
Sollte das, weil ich das Ganze in einer Frage formu-
lieren muss, zu kompliziert gewesen sein, kann ich es
gerne in Prosa wiederholen: Herr Eichel hat gesagt,
205 Millionen DM bis 2003 ohne Bedingungen.
Herr Overhaus hat dagegen erklärt, diese 205 Mil-
lionen DM bis 2003 nur dann, wenn sich die Stadt Bonn
an den Kosten des "Plenarbereiches Konferenzzentrum"
mit bis zu 5 Millionen DM jährlich beteiligt.
K
Herr Kollege, ich sage noch einmal: Wir
sind über diese Fragen im Gespräch mit der Stadt Bonn.
Wir suchen eine Lösung, die beide Seiten zufrieden
stellt.
Herr Kollege We-
sterwelle, eine Zusatzfrage?
Ich hätte nur eine
Frage: Wann beginnt die Arroganz der Macht?
Nach diesem klei-
nen Disput habe ich jetzt die Chance, das Wort für eine
weitere Zwischenfrage an den Kollegen Nolting zu ge-
ben.
Herr Staatsse-
kretär, sind Sie in der Lage, die Vorstellungen des Fi-
nanzministeriums hier vorzutragen, oder ist auch das
nicht möglich?
Denn wenn ich in Verhandlungen gehe, habe ich doch
irgendwelche Überlegungen.
K
Herr Kollege, ich sage noch einmal: Es
liegt in beiderseitigem Interesse, die Verhandlungen zu
einem guten Ergebnis zu führen. Wir sind mitten in den
Gesprächen; die Gespräche werden intensiviert.
Erst in diesen Tagen habe ich der Presse entnehmen
können, dass Herr Minister Klimmt in Bonn war. Man
war mit dem, was er dort gesagt hat, allerseits zufrieden.
Daraus können Sie entnehmen, dass sich die Bundesre-
gierung weiterhin bewusst ist, in welcher Pflicht sie ge-
genüber dieser Stadt steht.
Damit sind wir amEnde dieses Geschäftsbereichs.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-ums für Wirtschaft und Technologie auf. Es antwortetder Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf.Die Fragen und 31 und 32 des Kollegen Ernst Hins-ken werden schriftlich beantwortet.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000 7679
Die Fragen 33 und 34 sind vom KollegenDr. Schmidt-Jortzig gestellt. Er ist aber, wenn ich dasrichtig sehe, nicht anwesend. Es wird verfahren, wie inder Geschäftsordnung vorgesehen.Wir kommen zur Frage 35 des Kollegen Hans-Joachim Otto:Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Wissenschaft-lichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft undTechnologie, dass ein Großteil der überkommenen Regulierun-gen ersatzlos entfallen könnte, wenn man Wettbewerb und Fusi-onskontrolle als Gewähr für das öffentliche Interesse an einerfreien, durch Meinungsvielfalt geprägten Ordnung anerkennenwürde, wie es schon das Bundesverfassungsgericht bei der Pres-se getan hat?S
Ich hätte
die Fragen von Ernst Hinsken gerne beantwortet; denn
erstens bin ich katholisch und zweitens ist das Heilige
Jahr ein wichtiges Ereignis für den Straßenverkehr.
Herr Staatssekretär,
diese Antwort ersetzt aber nicht die schriftliche Beant-
wortung der Fragen.
S
Herr Präsi-
dent, wir haben die Absicht, die Antworten schriftlich zu
geben.
Herr Kollege Otto, auf Ihre Frage antwortet die Bun-
desregierung: Die Bundesregierung teilt die Auffassung
des Wissenschaftliche Beirats beim Bundesminister für
Wirtschaft und Technologie so nicht. Der Wissenschaft-
liche Beirat beim Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie hat sich in seinem Gutachten „Offene Me-
dienordnung“ unter ausschließlich ökonomischen
Aspekten für eine grundlegende Neuordnung des Rund-
funks ausgesprochen. Die Bundesregierung ist der Auf-
fassung, dass eine rein ökonomische Betrachtung des
Rundfunkbereichs nicht angemessen ist; der Rundfunk
ist vielmehr für die Gewährleistung von Demokratie,
Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt in Deutschland
zuständig und muss deshalb umfassender betrachtet
werden. Presse und Rundfunk können in regulatorischer
Hinsicht nicht gleichgesetzt werden, da bewegte Bilder,
wie Sie wissen, eine erhebliche Suggestivkraft ent-
wickeln können und ihnen für die Meinungsbildung der
Bevölkerung eine besondere Bedeutung zukommt. Des-
halb sehen wir dies anders als der Beirat.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Otto.
Worin
sieht die Bundesregierung den wirklich qualitativen
Unterschied zwischen der Presse und dem Rundfunk?
Die Presse ist sehr viel freier geregelt, unterliegt weniger
Regulierungen und wird nach Ihren Worten ökonomisch
betrachtet. Trotzdem haben wir dort Meinungsvielfalt.
Wo liegt der qualitative Unterschied zwischen dem
Rundfunk einerseits und der Presse andererseits, zumal
wir – das wissen Sie sehr genau, Herr Staatssekretär –
mit Internet und den neuen Diensten ohnedies zusätzli-
che Angebote haben, die die frühere Meinungsherrschaft
des öffentlichen Rundfunks vermeiden?
S
Herr Otto,
ich darf Sie darauf hinweisen, dass die Alliierten in der
Nachkriegszeit aus guten Gründen für eine föderale
Rundfunkordnung gesorgt haben. Wir haben während
der Zeit des Nationalsozialismus die Erfahrung gemacht,
dass eine Monopolsituation bei Rundfunk und Fernse-
hen – das wissen auch Sie – für eine Demokratie ge-
fährlich sein kann. Der Ansatz der Alliierten in der
Nachkriegszeit, eine föderale Rundfunk- und damit auch
Fernsehstruktur zu schaffen, ist aus diesem Motiv ent-
standen; denn man weiß sehr genau, dass Hörfunk und
vor allem Fernsehen – beide elektronische Medien – im
Grunde einen sehr starken Einfluss auf die politische
Kultur haben. Deshalb bestehen hier besondere Auf-
sichtspflichten.
Eine zweite Zusatz-
frage.
Herr
Staatssekretär, jetzt haben Sie uns gesagt, was Sie nicht
haben wollen, nämlich einen rein ökonomischen Ansatz.
Würden Sie uns freundlicherweise sagen, was Sie denn
haben wollen? In welche Richtung werden Sie mit den
Ländern verhandeln?
S
Das kannich Ihnen gern sagen. Sie wissen, dass die Länder für dieklassischen Medien zuständig sind. In unserem Aktions-programm „Deutschlands Weg in die Informationsge-sellschaft“, das wir im Kabinett verabschiedet haben,haben wir dies festgelegt.Wir wollen mit den Ländern über einen Prozess ver-handeln, der es erlaubt, effizienter und sachgemäßer indiesem Mediensektor Entscheidungen im regulatori-schen Bereich zu treffen, weil durch die neuen Mediennatürlich auch Grenzbereiche entstehen, die die altenMedien betreffen. Das, was sich im Bereich wirtschaftli-cher und technologischer Konvergenz abspielt, bedarfeiner Regulierung, eines Ordnungsrahmens. Das solltemöglichst nicht parallel und abgekoppelt, sondern zu-sammen stattfinden.Das ist übrigens der Grund, warum wir gemeinsamdie Absicht haben, einen Kommunikationsrat mit zweiKammern zu schaffen, nämlich einer, die sich mit Tele-kommunikation beschäftigt – das haben wir heute schonals Beirat, wenn Sie so wollen –, und der anderen, diesich mit den klassischen Medien, allerdings in der Obhutder Länder, beschäftigt. Wir würden damit der kanadi-schen, aber auch der amerikanischen FCC-Regelungfolgen. Das ist die Absicht der Gespräche, die wir mitVizepräsident Rudolf Seiters
Metadaten/Kopzeile:
7680 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000
den Ländern führen. Ich glaube, dass wir dabei auf posi-tive Gesprächsbereitschaft bei den Ländern stoßen wer-den.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Walter Hirche.
Herr Staatssekretär, Sie ha-
ben die jetzige Rundfunkordnung mit den Alliierten be-
gründet. Teilen Sie nicht eher die Einschätzung, dass die
Alliierten seinerzeit nicht aus föderalem Interesse, son-
dern aus schlichtem Interesse an der Darstellung ihrer
Besatzungszonen die Sender errichtet haben? Wie wäre
es anders zu erklären, dass es einen Nordwestdeutschen
Rundfunk für Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen,
Schleswig-Holstein und Hamburg gegeben hat, aber
dass dagegen ein Radio Bremen errichtet wurde, weil
Bremen amerikanische Besatzungszone war? Hat das
wirklich etwas mit Föderalismus zu tun?
S
Herr Kol-
lege Hirche, das ist ein Beispiel dafür, dass sicher auch
andere Kriterien eine Rolle gespielt haben. Das ist auch
ein Grund dafür, warum wir jetzt über die Frage reden,
ob die Strukturen in extenso richtig sind. Aber ich würde
den Alliierten nicht allein dieses Motiv unterstellen. Ich
hoffe, auch Sie tun das nicht.
Eine Zusatzfrage
der Kollegin Sylvia Bonitz.
Herr Staatssekretär, wie
weit ist eine solche föderale Struktur oder zumindest ei-
ne Teilaufrechterhaltung dieser föderalen Struktur auch
bei Ihren jetzt genannten Erwägungen für die Zukunft
noch zeitgemäß? Ich frage das gerade unter Berücksich-
tigung der neuen Medien, bei denen es inzwischen keine
scharfe Grenzziehung mehr gibt. Das betrifft insbeson-
dere den Bereich des Fernsehens, das teilweise zeit-
gleich – bei dem neuen TV-Sender ist das sogar schon
vorab möglich – im Internet senden kann. Es gibt also
keine scharfe Abgrenzung mehr. Inwieweit ist das noch
zeitgemäß?
S
Wir haben
eine Verfassungsregelung, die den Ländern die Hoheit
über die Rundfunk- und Fernsehmedien zugesteht. Die
Länder bestehen, wie Sie wissen, auch darauf, dass sie
dafür zuständig sind. Weil das so ist, suchen wir nach
einem kooperativen Weg. Es gibt den Wettbewerbsföde-
ralismus, der in vielen Dingen Sinn macht. Es gibt aber
auch den kooperativen Föderalismus, der ebenso Sinn
macht. Das muss man von Fall zu Fall, von Sachgebiet
zu Sachgebiet nach sachlichen Kriterien entscheiden.
Um den neuen technologischen Entwicklungen Rech-
nung tragen zu können, suchen wir gegenwärtig nach ei-
ner gemeinsamen Lösung mit den Ländern.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Jörg Tauss.
Herr Staatssekretär, nachdem
vonseiten der Opposition ein bisschen der Eindruck er-
weckt wird, als ob es nicht mehr in die Zeit moderner
Medienpolitik passe, föderal strukturiert zu sein, möchte
ich fragen, wie Sie den aus unserem Bundesland Baden-
Württemberg – wir kommen beide von dort – bekannten
Vorgang bewerten, wonach es die CDU/F.D.P.-geführte
Landesregierung beispielsweise abgelehnt hat, die Lan-
desmedienanstalten trotz der Zusammenlegung der bei-
den Sender SDR und SWF zu einem Südwest-Rundfunk
zusammenzulegen. Stattdessen hat sie – möglicherweise
zum Erhalt von Pöstchen – an alten, hier kritisierten
Strukturen festgehalten.
S
Herr Kol-
lege Tauss, es ist ein auch für die Bundesregierung
merkwürdiger Vorgang, dass im Rahmen der Kooperati-
on und späteren Zusammenführung zweier Rundfunkan-
stalten, die im Einvernehmen der Länder Rheinland-
Pfalz und Baden-Württemberg zustande gekommen ist,
just in dem Moment, in dem der Prozess der Zusam-
menlegung der beiden Rundfunkanstalten erfolgte, die
ebenfalls bestehenden zwei Landesmedienanstalten
nicht nur nicht zusammengelegt worden sind, sondern in
einer Medienanstalt sogar zur selben Zeit ein hoch do-
tierter Direktor neu eingesetzt worden ist. Nach meinem
Wissen kommt der Beamte aus der CDU-Landtags-
fraktion in Baden-Württemberg.
– Sehr qualifiziert. Er eignet sich auch für Ihre Fraktion,
wollte ich damit sagen, Herr Neumann.
Ich rufe die Frage
36 des Kollegen Hans-Joachim Otto auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Wissenschaft-lichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft undTechnologie, dass bei den Richtungsmedien die Frage nach derMeinungsvielfalt gleichbedeutend mit der Frage nach demWettbewerb ist?
S
Herr Otto,
ich sage noch einmal: Auch in diesem Punkt teilt die
Bundesregierung die Auffassung des Wissenschaftlichen
Beirats nicht. Im Übrigen verweise ich bei dieser Frage
auf die Antwort auf Frage 35.
Eine Zusatzfrage.Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000 7681
Ich mache
es so ähnlich wie Sie, Herr Staatssekretär. Ich verweise
auf meine vorige Frage und schließe an: Wann hat die
Bundesregierung konkrete Schritte unternommen, um
die im Aktionsprogramm angekündigten Gespräche mit
den Ländern auf die Reihe zu bringen? Gibt es schon
solche Gespräche? Sind sie terminiert?
S
Herr Otto,
das ist eine neue Frage, deshalb kann ich sie gern be-
antworten. Die andere hätte ich natürlich nicht noch
einmal beantwortet.
Diese neue Frage beantwortet die Bundesregierung
wie folgt: Wir haben im Kabinett im Herbst letzten Jah-
res den Aktionsplan beschlossen. In diesem Aktionsplan
ist vorgesehen, dass die Bundesregierung Gespräche mit
den Ländern führt. Es gibt schon auf vielen Ebenen in-
formelle Gespräche. Sie wissen: Es handelt sich nicht
um einen Neuanfang, sondern es hat immer schon beim
Bundeskanzler Gespräche über die Frage: „Wie kann
man das am besten optimieren?“ gegeben. Daran haben
sich in den letzten Jahren – Herr Neumann weiß das –
auch Herr Biedenkopf, Herr Clement und Herr Beck, al-
so die Ministerpräsidenten, die sich mit Medienfragen
besonders beschäftigt haben, beteiligt. Wir befinden uns
in einem guten Diskussionsprozess, der aber noch nicht
abgeschlossen ist.
Eine zweite Zusatz-
frage des Kollegen Otto.
Herr
Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung des Beirates,
dass es ein Gewinn für die öffentlich-rechtlichen An-
stalten und für die Medienordnung in Deutschland wäre,
wenn sich die Anstalten zukünftig ausschließlich aus
Gebühren und nicht mehr auch aus Werbung finanzieren
würden?
S
Ich kann
Ihnen jetzt nur meine persönliche Auffassung sagen. Ich
glaube, dass es Sinn macht – ich meine, wir haben dar-
über auch schon lange diskutiert –, die Finanzierung
durch Einnahmen aus der Werbung zu begrenzen. Sie
wissen auch, dass es dabei um die Frage geht, wie wett-
bewerbsfähig öffentlich-rechtliche Anstalten heute ei-
gentlich noch sind. Deswegen kann man über diese Fra-
ge sicherlich ordnungspolitisch streiten und diskutieren.
Aber das ist eine Sache der Länder, die dies im Rund-
funkstaatsvertrag festlegen müssen.
Jetzt hat Herr Kol-
lege Tauss eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, haben Sie,
als Sie Ihr Amt antraten, in den Schränken der invol-
vierten Ministerien irgendwelche Unterlagen über den
Stand von Verhandlungen zwischen dem Bund, also der
alten Bundesregierung, und den Ländern über eine Re-
form der Medienordnung in Deutschland vorgefunden?
Können Sie uns hier berichten, wie der Stand dieser Re-
formen zum damaligen Zeitpunkt war? Worauf können
Sie in diesem Bereich aufbauen?
– Vorausgesetzt natürlich, dass die Akten da waren.
S
Ich weiß
nicht, ob die Akten vollständig vorhanden waren, Herr
Westerwelle, aber ich weiß, dass es Akten gab.
Natürlich gab es Vorgänge; es gab ja vorher Diskussio-
nen dazu.
Es war so – das wissen die Kolleginnen und Kollegen
hier im Haus, die sich mit der Materie schon länger be-
schäftigen –, dass es zeitweise eine starke Selbstblocka-
de zwischen Ländern und dem Bund gab. Wir haben
auch durch eine Reihe von Gesprächen, die wir damals
als Parlamentarier in der Enquete-Kommission mit den
A-Ländern, mit den B-Ländern, aber auch mit Vertretern
der damaligen Bundesregierung geführt haben, versucht,
diese Blockade aufzulösen, weil es im Zeitalter der
Konvergenz keinen Sinn macht, sich gegenseitig zu
blockieren, auch wenn man Länderinteressen verstehen
kann. Aber es geht darum, einen Ordnungsrahmen zu
finden, der sowohl den klassischen wie auch den neuen
Medien gerecht wird. Daran arbeiten wir und ich glaube,
wir werden dabei auch Fortschritte erzielen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Walter Hirche.
Herr Staatssekretär, mit Ih-
rer Absage an die Vorschläge des Wissenschaftlichen
Beirats im Zusammenhang mit dem Rundfunkrecht ma-
chen Sie ein tiefes Misstrauen gegen die Leistungen des
Wettbewerbs in diesem Bereich deutlich.
Wie unterscheidet sich eigentlich die Haltung der Bun-
desregierung im Grundsatz davon, wie sich die katholi-
sche Kirche im Mittelalter gegenüber dem Aufkommen
des Buchdrucks und einer Vielfalt von Büchern verhal-
ten hat?
S
Sie redenvon Gutenberg, der übrigens auch Existenzgründer warund fast gescheitert wäre, weil ihm kein Venture-Kapitalzur Verfügung stand.
Metadaten/Kopzeile:
7682 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000
– Nein. Wie Sie wissen, Herr Westerwelle, gab es imZeitalter von Gutenberg noch keine Sozialdemokratieund deshalb auch noch keine ordentliche Sozialgesetz-gebung. Deshalb konnte er auch keine Altersversorgunganstreben. Die Sozialdemokratie ist erst 135 Jahre alt,hat aber schon viel zuwege gebracht.Herr Hirche, ich will nur Folgendes deutlich sagen –ich nehme an, dass wir gleich noch Gelegenheit habenwerden, dazu ausführlicher Stellung zu nehmen –: Wirsind schon der Auffassung, dass sich das duale Modell,nämlich das Modell leistungsfähiger, moderner, privaterMedienhäuser in Deutschland auf der einen Seite undöffentlich-rechtlicher Anstalten, die für die Grundver-sorgung in Deutschland zuständig sind, auf der anderenSeite – ich meine das jetzt nicht arrogant; Sie verstehendas –, in der Welt durchaus sehen lassen kann
und dass eine reine Fixierung auf private Medien – daswird Herr Westerwelle nicht anders sehen, weil er sichauch mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten gut stellenwill – möglicherweise auch Kommerzialisierungspro-zesse in einem sensiblen Bereich einleiten würde, deruns sehr beschäftigt. Es geht um die politische Kulturunseres Landes. Daher sind wir für ein duales Modell,also insofern nicht – obwohl ich selbst katholisch bin –für die Handhabung wie bei Gutenberg vor 500 Jahren.Wir sind für ein duales Wettbewerbsmodell zwischenmodernen öffentlich-rechtlichen Anstalten – da erwartenwir auch einiges an Effizienz und Modernität, mehr alsin der Vergangenheit – und leistungsfähigen privatenMedienhäusern, die ihren Platz in dieser Medienordnunghaben sollen.Jetzt bin ich aber schon viel zu weit gegangen, HerrPräsident.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Martin Mayer.
Herr
Staatssekretär, sind Sie bereit, dem Herrn Kollegen
Tauss zur Kenntnis zu bringen, dass die unionsgeführte
Bundesregierung ein Jahr vor der Wahl mit dem Infor-
mations- und Kommunikationsdienste-Gesetz und mit
dem Staatsvertrag über die Mediendienste – beide sind
ein pragmatischer Kompromiss und eine pragmatische
Lösung – einen geordneten Rechtsrahmen für die alten
und für die neuen Medien hinterlassen hat und dass da-
mals die SPD eine Mammutorganisation als Medienauf-
sichtsbehörde unter Beteiligung von Bund und Ländern
auf europäischer Ebene vorgeschlagen hat, von der Sie
jetzt offenbar nichts mehr wissen wollen?
S
Erstens.
Meine Antwort ist: Ja, ich bin gern bereit, das Herrn
Tauss mitzuteilen. Zweitens. Mir ist nichts davon be-
kannt, dass die SPD irgendwelche Mammutorganisatio-
nen auf europäischer Ebene haben wollte. Es kann sein,
dass dies irgendwann von Ihnen in Bayern so verstanden
worden ist. Aber wir haben eine solche Organisation nie
gewollt. Das kann ich Ihnen versichern, und zwar für
alle, die in der Sozialdemokratie Verantwortung tragen.
Tut mir Leid, Herr
Kollege Tauss. Der Nichtfragesteller darf nur eine Zu-
satzfrage stellen.
Ich rufe Frage 37 der Kollegin Gudrun Kopp auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Wissenschaft-lichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft undTechnologie, dass ein unterhaltendes Medium viel eher unterWettbewerbsbedingungen entpolitisiert wird als versteckt poli-tisch?
S
Liebe Frau
Kollegin Kopp, die Bundesregierung teilt die Auffas-
sung des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesmini-
sterium für Wirtschaft und Technologie so nicht. Im Üb-
rigen verweise ich auf meine Antworten auf die Fragen
35 und 36 des Kollegen Hans-Joachim Otto.
Eine Zusatzfrage.
Ich bitte Sie zu präzisieren,
wie Sie sich auf der Grundlage des jetzigen Rundfunk-
gesetzes Meinungswettbewerb und Meinungsvielfalt
vorstellen; denn nach meiner Meinung ist nach der der-
zeitigen Gesetzgebung Meinungsvielfalt nicht möglich.
S
Darf ich
zurückfragen – ich weiß nicht, Herr Präsident, ob das
üblich ist –, woraus Sie schließen, dass es keine Mei-
nungsvielfalt in Deutschland gibt.
Ich wollte Sie bitten – ich
wiederhole jetzt meine Frage – deutlich zu machen, wie
sich die Bundesregierung aufgrund eines funk-
tionierenden Rundfunkgesetzes die Sicherung der Mei-
nungsvielfalt vorstellt.
S
Das macheich gerne. Ich nehme an, Frau Kollegin, Sie sprechenvom Rundfunkstaatsvertrag.Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000 7683
Man muss hier sauber trennen, weil die Länder dafür zu-ständig sind.Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass dieMeinungsvielfalt in Deutschland gesichert ist und dassdazu insbesondere die öffentlich-rechtlichen Anstaltenmit ihrem Programm, aber auch die privaten Medien-häuser beitragen und dass es einen guten Wettbewerbzwischen diesen beiden Bereichen gibt. Deshalb sindwir sehr überzeugt, dass das duale System zeitgemäßund für die politische Kultur unseres Landes angemes-sen ist.
Eine weitere Zu-
satzfrage der Kollegin Kopp.
Verstehe ich Sie also rich-
tig, dass Sie keinerlei Änderungsbedarf und keinerlei
Modernisierungsbedarf sehen und dass Sie auch keiner-
lei Verhandlungen mit den Ländern über entsprechende
Veränderungen führen?
S
Erstens
möchte ich darauf hinweisen: Nicht alles, was Verände-
rung ist, ist auch Modernisierung.
– Das ist wahr. Es ist auch hilfreich, Herr Hirche, wenn
man weiß, wohin man will, und vorausschauend handelt.
Zweitens. Ich hatte vorhin auf eine Reihe von Ge-
sprächen hingewiesen, die wir mit den Ländern führen,
weil wir durchaus Handlungsbedarf hinsichtlich der
Medienordnung sehen. Diese Gespräche sind sehr kon-
struktiv. Deshalb trifft Ihre These, wir sähen keinen
Handlungsbedarf, nicht zu. Den sehen wir durchaus.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Walter Hirche.
Herr Staatssekretär, teilen
Sie die Auffassung des Wissenschaftlichen Beirats, dass
allein die Vielzahl der Wettbewerber und der angebote-
nen Programme sowohl im Bereich der privaten Medi-
enanstalten als auch im Bereich des öffentlich-
rechtlichen Rundfunks – auch dort ist die Zahl der Pro-
gramme explodiert – Wettbewerb erkennen lässt und
dass deswegen viele der Regularien, die zu einer Zeit,
als es nur ein oder zwei Anbieter gab, getroffen worden
sind, heute überflüssig sind?
S
Herr Hir-
che, ich teile die Auffassung, dass es bei einem norma-
len Wirtschaftsgut genauso laufen würde. Vielzahl wür-
de – das haben Sie eben geschildert – den Wettbewerb
verschärfen. Ich glaube, dass im Rundfunk-, im Fernseh-
und im Medienbereich ganz allgemein Vielzahl nicht
gleich Vielfalt ist.
Es gibt da wirklich qualitative Fragestellungen, die wir
im Auge behalten müssen. Deshalb unterscheiden wir
sehr genau zwischen einem normalen Wirtschaftsgut
und dem Kulturgut im Medienbereich. Mich verwundert
schon sehr, dass ein Liberaler, der immer auf
Marktkräfte in der Wirtschaft gesetzt hat – das ist in
Ordnung; wie Sie wissen, teile ich das als liberaler Sozi-
aldemokrat –, auch die Grundsatzfragen der Kultur nur
noch nach Marktkriterien bewertet. Das überrascht mich
sehr.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Guido Westerwelle.
Das mit dem „li-
beralen Sozialdemokraten“ lasse ich Ihnen jetzt so
durchgehen.
S
Das ist nett
von Ihnen.
Ich halte das zwar
für einen Widerspruch in sich; aber es ist okay.
Da Sie von der Vielfalt gesprochen haben und da Sie
einen berechtigten Hinweis auf eine Tendenz zu Verfla-
chungen, Entpolitisierungen, Bagatellisierungen und
Brutalisierungen, die wir in den Medien bedauerlicher-
weise zum Teil erleben müssen, gegeben haben: Sind
Sie mit mir der Auffassung, dass zumindest die Frage
überprüft werden müsste, ob die Werbefinanzierung bei
den öffentlich-rechtlichen Anstalten auf diese Art und
Weise noch zeitgemäß ist? Ist es nicht vielmehr so, dass
die teilweise Finanzierung durch Werbung auch dazu
führt, dass eine stärkere Fixierung auf Einschaltquoten
dort erfolgt, wo wir als Gebührenzahler und als Steuer-
zahler eigentlich mehr auf andere Gesichtspunkte setzen
wollen?
S
HerrWesterwelle, ich teile die These, die ich hinter IhrerFragestellung vermute, dass die Quote nicht immer derbeste Programmdirektor ist.
Dabei geht es um Qualitätsfragen. Auf der anderen Seitewissen Sie genauso gut wie ich, dass es eine Reihe vonattraktiven Ereignissen gibt, für die Sie heute viel Geldbezahlen müssen, zum Beispiel im Sport. Es gibt bei denöffentlich-rechtlichen Anstalten die Skepsis, dass sie,Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
Metadaten/Kopzeile:
7684 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000
wenn sie die begrenzten Werbeblöcke verlieren – siekönnen ja die Werbung nicht uferlos betreiben, inklusiveder Fragen des Sponsoring –, im Wettbewerb ein tat-sächliches Handicap hinsichtlich der Übertragung vonentsprechenden Ereignissen erleiden würden. Das wäremöglicherweise mit einem Bedeutungsverlust der öf-fentlich-rechtlichen Anstalten – von einem Niedergangmöchte ich nicht sprechen – verbunden. Diese Sorge be-steht dort. Ich kann diese Sorge verstehen.
Ich rufe die Frage
38 der Kollegin Gudrun Kopp auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Wissenschaft-lichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft undTechnologie, dass mit dem Aufsichtssystem der gesellschaftlichrelevanten Gruppen für die Programmauswahl beim Rundfunk,welche der Gesetzgeber bestimmen muss, ein vordemokratisch-ständisches Prinzip angewandt wird und sich das Medienrechtunversehens in Richtung Zensur bewegt?
S
Frau Kol-
legin Kopp, die Bundesregierung teilt die Auffassung
des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium
für Wirtschaft und Technologie so nicht. Die Staatsferne
des Rundfunks gebietet eine binnenpluralistische Struk-
tur der Aufsichtsgremien durch Beteiligung der gesell-
schaftlich relevanten Kräfte. Die Rundfunkgesetze der
Länder nennen deshalb zu Recht als wichtigste Funktion
der Rundfunkräte, die Allgemeinheit und deren Interes-
sen zu vertreten. Diese binnenpluralistische Struktur soll
einer verfassungsrechtlich unzulässigen Zensur im Sinne
des Art. 5 des Grundgesetzes entgegenwirken. Deshalb
sind wir der Auffassung, dass gerade diese binnenplu-
rale Struktur angemessen ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hält es
die Bundesregierung nach wie vor für richtig, dass der
Staat derjenige bleibt, der auswählt, wer in den Gremien
sitzt?
S
Frau Kol-
legin, ich darf Sie darauf hinweisen, dass es in Deutsch-
land nach unserer Verfassung nicht der Staat ist, sondern
dass es die parlamentarisch gewählten Gremien sind, al-
so die Volksvertretung ist – –
Wir müssen zwischen Exekutive und Legislative unter-
scheiden.
Das ist auch gut so in einer parlamentarischen Demo-
kratie.
Ich möchte nur darauf verweisen: Ich weiß, dass der
Kollege Genscher lange in wichtigen Aufsichtsgremien
war. Ich bin ganz sicher, dass er im Zuge der Erfüllung
seiner Aufgaben in den Aufsichtsgremien auch zu den
binnenpluralen Strukturen der öffentlich-rechtlichen An-
stalten beigetragen hat. Deshalb sage ich noch einmal:
Ich bin dezidiert der Auffassung, dass die Aufsichtsgre-
mien in den öffentlich-rechtlichen Anstalten einen sehr
sinnvollen und wichtigen Auftrag innerhalb der Demo-
kratie erfüllen und dass es nicht so ist, dass der Staat
dies bestimmt.
Ich möchte die Zu-
satzfragen zu der letzten Frage nicht abbremsen. Aber
ich weise darauf hin, dass wir gleich am Ende der Frage-
stunde angelangt sind, und bitte deshalb um kurze Fra-
gen und kurze Antworten. – Frau Kollegin Kopp.
Herr Staatssekretär, noch
eine letzte kurze Zusatzfrage. Sie sehen also keinerlei
Gefahren von Tendenzen, wie in unserer Frage aufge-
führt, in Richtung Zensur?
S
Sie spre-
chen den öffentlich-rechtlichen Sektor an? – Nein,
selbstverständlich nicht. Wenn es so wäre, dann wäre es
nach der Verfassung auch alarmierend.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Guido Westerwelle.
Herr Staatssekre-tär, die Frage der Staatlichkeit würde ich als Jurist etwasanders beantworten. Natürlich ist auch die LegislativeTeil des Staates in Deutschland. Jedenfalls habe ich dasvor längerer Zeit so gelernt;
es ist ewig her.
Das, worauf Frau Kollegin Kopp hingewiesen hat,wirft eine andere Frage auf. Es geht nicht nur um dieFrage, ob es parlamentarisch kontrollierte Aufsichts-gremien gibt, sondern die Frage ist doch, wie sich zumBeispiel die Rundfunkräte zusammensetzen und ob sichdort nicht auch ein erheblicher Teil – das sage ich alsjemand, der das wirklich kennt und der ein Verfechterdes dualen Systems ist – von Parteilichkeit, und zwar imparteipolitischen Sinne, wiederfindet. Könnte man Auf-sichtsgremien nicht genauso gut anders zusammenset-Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000 7685
zen, als dass ihre Mitglieder von den Parlamenten undvon den jeweiligen Interessengruppen entsendet werden,zum Beispiel aus der Mitte der Gebührenzahler?S
Das könnte
man.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Dr. Schmidt-Jortzig.
Herr Staats-
sekretär, ich will die Frage nach den Aufsichtsstrukturen
noch einmal von einer etwas anderen Seite beleuchten.
Glauben Sie nicht, dass die jetzigen Strukturen, nach de-
ren Berechtigung die Frau Kollegin Kopp gefragt hat,
auch deshalb an Berechtigung verloren haben könnten,
weil das, was im Rundfunk damit kontrolliert wird, bei
anderen Dingen, die nicht im engeren Rundfunkbereich,
sondern in den sonstigen Kommunikationsmedien ablau-
fen, ganz anders oder gar nicht kontrolliert wird, dass al-
so das Modell der jetzigen binnenpluralen Aufsicht
durch gesellschaftlich relevante Gruppen auf das zuge-
schnitten ist, was man in der guten alten Zeit unter
Rundfunk verstand, aber nicht auf das, was sich in den
zunehmend vielleicht interaktiv werdenden, jedenfalls in
die Unterhaltungsbranche hineinragenden Strukturen des
Rundfunks entwickelt?
S
Herr
Schmidt-Jortzig, auch öffentlich-rechtliche Anstalten
werden interaktiv werden. Das ist technologisch über-
haupt kein Problem. Es ist auch logisch, dass sie diesen
Weg mitgehen. Das ändert unserer Auffassung nach
aber nichts daran, dass Sie bei öffentlich-rechtlichen
Anstalten eine binnenplurale Aufsicht brauchen. Ich
glaube auch nicht, dass sich das dadurch ändert, dass wir
in einem anderen Sektor private Medienanstalten zuge-
lassen haben, die eine andere Aufsichtsfunktion haben.
Bei öffentlich-rechtlichen Anstalten ist das, glaube ich,
der richtige Weg.
Ich will mich jetzt nicht zu Einzelheiten der Zusam-
mensetzung äußern. Es gibt sicherlich auch Fälle, wo
man sich fragen kann, ob das so sein muss. Aber im
Grundsatz finde ich es richtig und auch angemessen für
unsere politische Kultur und unsere parlamentarische
Demokratie, dass die Volksvertreter in geeigneter Weise
die Besetzung vornehmen und dabei auch die ge-
sellschaftlich relevanten Gruppen einbeziehen.
Noch eine Zusatz-
frage des Kollegen Otto? – Bitte sehr.
Herr
Staatssekretär, da Sie die Frage 37 der Kollegin Kopp
meines Erachtens nicht richtig beantwortet haben, ver-
binde ich eine Nachfrage dazu mit einer Zusatzfrage zu
Frage 38. Sind Sie nicht der Auffassung, dass die von
Ihnen so hoch gepriesene binnenplurale Struktur zu ei-
ner gnadenlosen Politisierung der ARD-Anstalten und
auch des ZDF geführt hat
und dass dort im Grunde alle Personalentscheidungen
und auch viele andere Entscheidungen nach dem Motto
„eins rot, eins schwarz, eins fallen lassen“ getroffen
werden, dass das aber keine wirklich weiterführende und
sinnvolle plurale Regelung sein kann? Die Praxis spricht
doch gegen Ihre Worte.
S
Ich weiß
nicht, ob Sie jetzt vom Bayerischen Rundfunk gespro-
chen haben. Wir müssen hier ja präzise sein und fair dif-
ferenzieren. Sie haben allgemein von der ARD gespro-
chen. Wir haben in der ARD aber mehrere Rundfunkan-
stalten.
– Ach so, ich soll mich jetzt zu allen Anstalten äußern.
Dazu bräuchte ich allerdings ein bisschen mehr Zeit,
Herr Präsident.
Herr Otto, ich weiß nicht – Sie haben von „eins rot,
eins schwarz, eins fallen lassen“ gesprochen –, ob Sie
sich fallen gelassen fühlen.
Ich glaube, das wäre nicht angemessen. Es gibt in jedem
Landesparlament das große Bemühen, dass die gesell-
schaftlichen Kräfte in den Aufsichtsgremien widerge-
spiegelt werden. Damit sie sich in diesen Gremien wi-
derspiegeln können, dürfen sie natürlich nicht marginal
sein, sondern müssen schon eine bestimmte Größe ha-
ben.
Andernfalls gingen wir ja den Weg von Herrn Wester-
welle, der für eine Gebührenzahlerdemokratie ist. Das
ist eine andere, auch eine demokratietheoretische Frage.
Die Länder haben sich dafür entschieden, alles zu tun,
damit sich die gesellschaftlich relevanten Kräfte in die-
sen Gremien widerspiegeln. Es gibt Länder, in denen ich
Sie dazu zähle, und es gibt Länder, in denen es anders
ist. Das ist doch klar.
Wir sind damit amEnde dieses Geschäftsbereichs. Herr ParlamentarischerStaatssekretär, ich danke Ihnen.Dr. Guido Westerwelle
Metadaten/Kopzeile:
7686 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000
Wir sind auch am Ende der Fragestunde. Ich habeleider nicht die Möglichkeit, die Fragestunde zu verlän-gern. Das sage ich den Kollegen, die zum Geschäftsbe-reich des Bundesministeriums der Verteidigung Fragengestellt haben. Diese Fragen – es sind die Nummern 39bis 43 – werden schriftlich beantwortetIhnen, Frau Staatssekretärin Brigitte Schulte, dankeich ganz besonders. Ich weiß, dass Sie hinsichtlich derReihenfolge ein Anliegen haben; das muss noch einmalbesprochen werden. Aber bisher ist das Verfahren, wieich glaube, korrekt gehandhabt worden.Nun gebe ich dem Kollegen Ulrich Heinrich das Wortzur Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine
verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Vielzahl der
Fragen und das große Interesse des Hauses legen nahe,
dass wir der Regierung noch die Chance geben, all die
Antworten zu geben, die sie bislang nicht ausführlich
genug geben konnte. Deshalb beantrage ich im Namen
meiner Fraktion eine Aktuelle Stunde.
Dann rufe ich ge-
mäß Nr. 1 b der Richtlinien in Anlage 5 unserer Ge-
schäftsordnung auf:
Aktuelle Stunde
Auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.
Medienpolitik
Die Thematik ergibt sich aus den Fragen 35 bis 38.
Die Aktuelle Stunde muss unmittelbar nach Schluss
der Fragestunde durchgeführt werden. Ich eröffne die
Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen Hans-
Joachim Otto.
Herr Prä-sident! Meine Damen und Herren! Die Antworten desHerrn Staatssekretärs –
– waren gut, aber nicht ausreichend. Sie haben nämlichdeutlich gemacht, dass wir alle in diesem Hause einendringenden Handlungsbedarf und einen Reformstaubeim Thema Medienordnung sehen. Nun hat die Bun-desregierung in ihrem Aktionsprogramm mit dem be-scheidenen Titel „Innovation und Arbeitsplätze in derInformationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“ ange-kündigt, dass sie mit den Ländern in Gespräche über„gemeinsame Vorschläge für einen zukunftsfähigen,ganzheitlichen Ordnungsrahmen unter Einbeziehung derwirtschaftlichen, technologischen und internationalenEntwicklung“ eintritt. Das sind wolkige Ankündigun-gen. Wir würden gerne wissen, was präzise die Absich-ten der Bundesregierung sind und mit welchen Zielensie in diese Gespräche hineingeht.
Es hat nach der Veröffentlichung des Aktionspro-gramms in der Folgezeit die Veröffentlichung des Gut-achtens des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundes-minister für Wirtschaft und Technologie gegeben. Jedervernünftige Mensch hätte nun annehmen können, dassdies die Vorstellungen zumindest des Bundesministersfür Wirtschaft, am besten sogar der Bundesregierungsind. Wir müssen den Antworten des Herrn Parlamenta-rischen Staatssekretärs heute allerdings entnehmen, dassdies nicht der Fall ist. Die pauschale Antwort auf jededieser Fragen lautet, dass die Bundesregierung die Auf-fassung ihres eigenen Wissenschaftlichen Beirates sonicht teilt. Das waren Ihre Worte, Herr Mosdorf. Sostellen sich in der Tat die Fragen: Was ist die Absicht?Wohin geht die Reise, über die Sie mit den Ländern Ge-spräche führen wollen?Halten wir uns bitte vor Augen: Wir laufen Gefahr, inDeutschland ein Jobwunder zu verschlafen. Weltweit istdie Medien- und Informationswirtschaft der am schnell-sten wachsende Bereich. Allein in Deutschland sind esbald 2 Millionen Menschen, die in diesem Bereich ihreArbeit finden. Aber unsere Zuwachsraten – diese Tatsa-che beunruhigt uns – liegen niedriger als in den meistenLändern. Es gibt also einen Nachholbedarf. Es gibt nichtnur Gewitterwolken am Himmel, sondern es beginnt so-zusagen bereits zu regnen.Der Ordnungsrahmen für unsere Medien und für dieTelekommunikation ist anachronistisch. Er geht an dentechnischen Realitäten vorbei und verursacht Fehlent-wicklungen. In diesem Punkt, Herr Staatssekretär, wun-dere ich mich sehr, dass gerade Sie und Ihr Ministerium,die in Sonntagsreden immer wieder die segensreichenWirkungen eines funktionierenden Wettbewerbs dar-stellen, all das für den Bereich der Medien nicht geltenlassen wollen. Sie bauen hier protektionistische Schutz-zäune insbesondere für den öffentlich-rechtlichen Rund-funk auf.
Wir alimentieren den öffentlich-rechtlichen Rundfunkin Deutschland mit 13 Milliarden DM pro Jahr. Es han-delt sich um das teuerste öffentlich-rechtliche Rund-funksystem der Welt.
Die Rundfunkgebühren sollen jetzt auch noch erhöhtwerden. Wir privilegieren den öffentlich-rechtlichenRundfunk in vielfältiger Hinsicht, beispielsweise bei derKabeleinspeisung der Programme.Wir leisten uns, Herr Staatssekretär – hier erwarte ichAntworten und Vorschläge der Bundesregierung, wassie gerne ändern möchte und mit welchem Ziel sie in dieGespräche mit den Ländern geht –, die höchste Kontroll-und Regulierungsdichte weltweit. Es gibt gerade jüngstTendenzen, von denen man sagen kann: Das geht hart andie Grenze der Zensur.Vizepräsident Rudolf Seiters
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000 7687
Wir halten an einer Medienordnung fest, die von derTatsache unbeleckt ist, dass die klassischen und dieelektronischen Medien im Zuge der Konvergenz welt-weit zusammenwachsen. Wir haben immer noch eineMedienordnung, die diesen Punkt übersieht. Sie haben jaausdrücklich gesagt, dass wir Handlungsbedarf haben.He
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jeder von Ihnen sollte wissen, dass Sie allein,
auch wenn Sie sich noch so mächtig fühlen, die Me-
dienordnung in Deutschland nicht werden reformieren
können.
Das ist eine Aufgabe aller Fraktionen dieses Hauses und
vor allen Dingen eine Aufgabe, die wir gemeinsam mit
den Ländern zu lösen haben.
Von unserer Seite gibt es daher ein klares Angebot an
Sie: Angesichts der Tatsache, dass es in diesem Bereich
Reformbedarf gibt, sind wir bereit, die notwendigen
Schritte mitzutragen. Aber wir möchten von Ihnen wis-
sen – mit Ihnen darüber diskutieren –, was denn präzise
Ihre Vorstellungen in diesem Bereich sind. Es reicht uns
nicht, dass Sie sagen: Wir vertreten die Auffassung des
Wissenschaftlichen Beirates so nicht. – Wir erwarten
vielmehr von Ihnen, dass Sie auf die Fragen bezüglich
dieses Bereiches, der für die Zukunft unseres Landes
und für die Arbeitsplätze in unserem Land von so zen-
traler Bedeutung ist, präzise Antworten geben. Wir bie-
ten Ihnen in diesem Bereich unsere Zusammenarbeit an;
denn wir alle wissen, dass Bund und Länder nur ge-
meinsam zu einer offenen Medienordnung kommen
können.
Wir hoffen, dass in Zukunft dieses Thema auch in
diesem Hause häufiger auf der Tagesordnung steht. Wir
beklagen, dass über eine der größten Wirt-
schaftsbranchen in diesem Lande hier praktisch kaum
diskutiert wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Viele der Ant-
worten, die Sie uns heute gegeben haben, stoßen nicht
auf unsere Zustimmung. Aber lassen Sie uns diese Fra-
gen gemeinsam klären!
Vielen Dank.
Das Wort hat der
Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister
für Wirtschaft und Technologie, Siegmar Mosdorf.
S
Herr Präsi-dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundes-kanzler hat in seiner Regierungserklärung am 10. No-vember 1998 die Bedeutung der Medien und der Infor-mations- und Kommunikationswirtschaft als zentralesPolitikfeld der Bundesregierung hervorgehoben.
Wir werden diesem Politikfeld, wie Sie wissen, einegroße Bedeutung beimessen. Deshalb haben wir bereitsnach einem Jahr – unter Bilanzierung dessen, was wirvorgefunden haben – ein umfangreiches Aktionspro-gramm vorgelegt, das wir jetzt abarbeiten und umsetzen.Wir messen dieser Branche eine große Bedeutung bei.Herr Otto, Sie wissen auch, dass wir viele der Fragen,die jetzt eine Rolle spielen, in diesem Aktionsprogrammaufgegriffen haben. Ich möchte Ihnen nur sagen: Wennwir als Bundesministerium für Wirtschaft einen Wissen-schaftlichen Beirat gründen, dann ist dieser Beirat unab-hängig. Sie können daran auch sehen, wie liberal wir soetwas handhaben. Wir wollen nicht, dass in diesem Bei-rat nur das produziert wird, was wir gerne hören wollen.Vielmehr wollen wir, dass der Wissenschaftliche Beirat –gemäß seiner Tradition – unabhängig bleibt und seineMeinung sagen kann. Das heißt aber, dass die Bundes-regierung auch ihre Meinung zu diesen Beiratsergebnis-sen sagen kann.
Wir haben ein Gutachten von Professor WolfgangHoffmann-Riem,
das wir in wenigen Tagen veröffentlichen werden, zumThema „Konvergenz – Regulierung von Telekommuni-kation, Medien und Informationstechnologie“ vorliegen.Das ist ein gutes Dokument, das eine Reihe von Fragenaufwirft, in denen es Handlungsbedarf gibt. Zugleichzeigt es, dass man auch andere Positionen beziehenkann.Herr Otto, in einem muss man etwas vorsichtig sein:Wir hatten – das ist richtig – in dieser Schlüsselbrancheder Zukunft technologische Vorsprünge verloren. Das,was Sie geschildert haben, können Sie auch anhandkonkreter Zahlen nachvollziehen: zur PC-Penetration,der Anzahl der Host-Adressen, der Internetanschlüsse.Als wir die Regierung angetreten haben, hat uns dasgroße Sorge bereitet, dass wir diesbezüglich so abge-hängt waren.
Ich glaube, wir wollen gemeinsam aufholen. Nur, ichbitte Sie um eines: Man sollte das Land nicht schlecht-reden.
Die Zuwachsraten in diesem Bereich sind in Deutsch-land inzwischen sehr hoch. Wir können sehr genauregistrieren, dass sich da eine Menge tut. Sehen Sie sichden Raum Frankfurt an: Dort gibt es gegenwärtig eineHans-Joachim Otto
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7688 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000
ganze Reihe von Neuniederlassungen von Firmen mitVenture Capital, die gerade in diesen Sektor hineinge-hen wollen. Auch in anderen Bereichen, in Branden-burg, in Potsdam, in Hamburg, tut sich im Mediensektoreine Menge. Die Zuwachsraten sind hoch. Aber Sie ha-ben Recht: Wir müssen aufholen. Wir haben Vorsprüngeverloren. Ich will das jetzt gar nicht parteipolitisch be-werten. Nur, es ist Tatsache, dass wir eine Situation vor-gefunden haben, in der wir enorm Tempo machen müs-sen.Es ist wahr: Es gibt – das haben Sie ja ange-sprochen – Handlungsbedarf im Medienrecht. Das hatvor allen Dingen etwas damit zu tun, dass wir einenKonvergenzprozess erleben, der von den Verfassungs-vätern so gar nicht gesehen werden konnte. Deshalb be-steht im Ordnungsrahmen für Information, Kommuni-kation und Medien Reformbedarf. Die Digitalisierungder Übertragungswege wird der Informations- und Me-dienlandschaft ein nach meiner Überzeugung völlig an-deres Gesicht geben. Wir müssen uns auf diese Ent-wicklung einstellen. Das tun wir auch. Darüber hinauswird das Zusammenwachsen der berühmten „Time-Branchen“ – ich will das jetzt nicht im Einzelnen aus-führen – dazu führen, dass es völlig neue Wertschöp-fungsketten gibt, also auch eine Verknüpfung zwischenklassischen Medien und neuen Medien. Deshalb bedarfes eines Ordnungsrahmens, im dem möglichst nicht pa-rallel, sondern gemeinsam mit den Ländern gearbeitetwird.Der derzeitige Medienordnungsrahmen mit der Auf-teilung der Angebote in Informations- und Kommunika-tionsdienste einerseits und Rundfunk andererseits gibtzwar einen pragmatischen, entwicklungsoffenen Wegvor, um den besonderen Anforderungen einer sich ver-ändernden Medienlandschaft gerecht zu werden.Gleichwohl ist abzusehen, dass die inhaltliche Differen-zierung der Medienangebote aufgrund der fortschreiten-den wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungneue Fragen aufwerfen wird.Deshalb sind wir auch aktiv geworden und greifen die-ses Thema auf.Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, bei dem, wie ichdenke, das Ganze Haus Interesse an einem Fortschritthätte. Ein sinnvoller Reformschritt wäre nach meinerAuffassung die Zusammenlegung der heute noch15 Landesmedienanstalten zu einer einzigen Medienan-stalt der Länder – nicht des Bundes, sie soll bei denLändern bleiben. Es macht keinen Sinn, dass man neueAnbieter von Pontius zu Pilatus schickt und überall neueStrukturen bestehen. Es macht Sinn zu sagen: Die Län-der sind für den Rundfunk zuständig. Aber warum kön-nen sie das nicht in einer Medienanstalt machen? Heutegeben wir von den Rundfunkgebühren etwa 250 Millio-nen DM nur für Landesmedienanstalten aus. Ich glaube,man könnte dieses Geld sinnvoller verwenden: Mankönnte es entweder dem Gebührenzahler zurückgebenoder man könnte mit dem Geld, das die Landesmedien-anstalten brauchen, Filmförderung betreiben oder ähnli-che Dinge mehr. Wir könnten sehr viel tun, wenn wirhier den Reformbedarf entsprechend handhaben. Des-halb sollten wir diesen Weg gehen.In den Ländern gibt es übrigens Stimmen, die diesähnlich sehen. Der Vorsitzende der Direktorenkonferenzder Landesmedienanstalten, Herr Dr. Schneider, hat vorkurzem die Auffassung vertreten, dass eine gemeinsameMedienanstalt der Länder auf staatsvertraglicher Ebenejederzeit einrichtbar sei. Ich finde, das sind Zeichenauch aus den Ländern, die uns ermutigen, diese Reformvoranzutreiben.
– Nein, es ist nicht nur eine Einzelstimme. Es gab auchin Norddeutschland Anstrengungen – Herr Hirche, Siewissen das –, die nicht gleich gelungen sind. Warumsollen wir die nicht positiv begleiten und versuchen, die-se Anstrengungen zu einem Erfolg zu führen? In Süd-deutschland ist es noch ein bisschen anders. Herr Tausshat eben auf ein sehr merkwürdiges Beispiel verwiesen.Ich glaube jedenfalls, dass es dort Ansätze gibt, die wirnutzen sollten, um voranzukommen.Ich persönlich – das will ich Ihnen sagen, Herr Otto –bin seit vielen Jahren auch mit der Arbeit der Bertels-mann-Stiftung vertraut. Sie wissen, dass die Bertels-mann-Stiftung nach einem langwierigen Beratungspro-zess auch mit Wissenschaftlern die Medienwirtschafts-aufsicht im weiteren Sinne der kanadischen Regierungim letzten Jahr mit dem Carl-Bertelsmann-Preis ausge-zeichnet hat. Wenn man sich diese oder die FCC in denUSA ansieht, wo Telekommunikation und Rundfunk ineinem gemeinsamen Gremium – –
– Die FFC hat mit vielen Leuten ein Problem. – Sie wis-sen, was ich meine. Wir sollten unter einem Dach mög-liche Anknüpfungspunkte suchen. Herr Mayer, Sie wis-sen das ja. Ich glaube, wir sollten diesen Weg gehen.Deswegen schlagen wir einen gemeinsamen Kommuni-kationsrat vor, den die Länder mit ihrer Rundfunkhoheitund der Bund mit seiner Telekommunikationszuständig-keit bilden und in dem die Aufgaben entsprechend zu-sammengeführt werden könnten.Zum Abschluss will ich sagen: Wir müssen aufpas-sen, dass der sensible Bereich Rundfunk und Fernsehennicht zu einem reinen Wirtschaftsgut abgewertet wirdund damit Gefahren des Qualitätsverfalls bestehen.Wenn ich mir ansehe, was sich heute in den Medien ab-spielt, so kann ich nur sagen: Ich unterstütze voll undganz den Protest und die Kritik des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck in Sachen„Big Brother“. Ich halte es für skandalös, was RTL 2plant.
Dies entspricht überhaupt nicht unserem Niveau. Ichglaube, wir sind uns – ich sehe, dass viele Expertinnenund Experten hier sind, die sich mit der Materie schonlange beschäftigt haben –, immer darüber einig gewesen,Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000 7689
dass es sich hierbei nicht um ein Wirtschaftsgut handelt,sondern um ein Kulturgut, das man genau anschauenmuss.
Deshalb wollen wir die duale Medienordnung, die wirin Deutschland haben, aufrechterhalten. Dies schließtleistungsfähige private Medienhäuser ein – wir habengute Medienhäuser in Deutschland –, die auch den Er-folg wollen. Die müssen sich nämlich auch internationalbehaupten. Deshalb wollen wir sie nicht nur zulassen,sondern wir wollen, dass sie auch Erfolg haben. Wirwollen aber gleichzeitig öffentlich-rechtliche Anstaltenhaben, die modern sind, die effizient arbeiten und diemit ihrer Grundversorgung durchaus auch in einemWettbewerb mit den privaten Medienhäusern steht. Des-halb, meine Damen und Herren, sind wir für die Beibe-haltung des dualen Systems, für eine Form von koope-rativem Föderalismus.Aber eines wollen wir nicht. Als in Portugal neuedemokratische Strukturen geschaffen worden sind, hatman nicht nur eine Lizenz für die Öffentlich-Rechtlichenzugelassen, sondern nach einem bestimmten Zeitraumauch noch zwei weitere Lizenzen, nämlich eine für diekatholische Kirche und eine für Berlusconi. Ich habejetzt einmal die portugiesischen Freunde gefragt, wasdenn nach zwei, drei Jahren daraus geworden sei. Siehaben mir gesagt: Die höchsten Einschaltquoten habeBerlusconi, die höchste Qualität habe die katholischeKirche und der öffentlich-rechtliche Bereich finde nichtmehr statt.
– Nein, der fällt da durch. Ich nehme an, Sie wollen derkatholischen Kirche keine Lizenz geben.
– Das meine ich doch.Ich glaube, dass sich die duale Rundfunkordnung inDeutschland bewährt hat und wir deshalb alles tun soll-ten, um sie zu sichern.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht der Kollege Bernd Neumann.
Herr Prä-sident! Meine Damen und Herren! Die Fragen, die hierzu einer Aktuellen Stunde geführt haben, beziehen sichim Wesentlichen auf das Gutachten des Beirates beimBundeswirtschaftsminister, welches wir in der letztenWoche sehr ausführlich diskutiert haben. Die besondereMotivation, das noch einmal zu machen, hängt sicher-lich damit zusammen, dass darüber nirgendwo berichtetwurde. Vielleicht haben wir ja heute mehr Glück.Natürlich stellt die Konvergenz, das heißt das techni-sche Zusammenwachsen der Übertragungswege vonklassischem Rundfunk und neuen Medien, sprich: Mul-timedia, das ja letztlich beim Zuschauer zu nur einemGerät führt, den Gesetzgeber vor eine neue Lage.
Diese neue Lage führt dazu, dass wir den bisherigenOrdnungsrahmen sicherlich immer wieder anpassen undneu überdenken müssen.
Richtig ist auch: Es kann natürlich nicht alles bleiben,wie es ist. Deshalb besteht bei dieser rasanten technolo-gischen Entwicklung an sich immer gesetzlicher Hand-lungsbedarf.Dabei gibt es für uns drei Grundsätze.Erster Grundsatz: Ein Ordnungsrahmen als rechtlicheGrundlage zur Sicherheit für alle Anbieter ist unver-zichtbar.Zweiter Grundsatz: So wenig Regulierung wie mög-lich und so viel Deregulierung wie nötig, gerade auchfür den privaten Rundfunk.Dritter Grundsatz: So wenig Kontroll- und Genehmi-gungsinstanzen wie möglich – wer kann anderer Mei-nung sein? –, und wenn schon die 15 Landesmedienan-stalten nicht abzuschaffen sind – ich sehe dies leider so,man muss ja trotz allem Realist bleiben –, dann solltenwir auf keinen Fall eine neue Institution wie den Kom-munikationsrat hinzufügen, Herr Kollege Mosdorf,
der aus Ihren Reihen gefordert wird.Unsere Forderung dazu lautet: stärkere Differenzie-rung der Regulierungsinstanzen, und wenn schon nichtfusionieren, dann besser koordinieren. Insoweit Zu-stimmung zum Gutachten.Konvergenz im technischen Bereich, also bei derHardware, bedeutet nicht auch, die Inhalte, die transpor-tiert werden, jeweils völlig gleich zu behandeln. Dasheißt, es sollten nicht alle Aufgaben im Multimedia-Bereich, seien es rein wirtschaftliche Aufgaben oderAufgaben des Rundfunks, unter die gleichen Kriteriengestellt werden. Rundfunk – da stimme ich Herrn Mos-dorf zu –, auch Privatrundfunk, ist mehr als ein normalesWirtschaftsgut, mehr als pure Ware, mehr als das Han-deln mit Zahnpasta oder Textilien. Die Rechtsprechungdes Bundesverfassungsgerichts sieht deshalb besondereKriterien für den Rundfunk insgesamt vor, so im Hin-blick auf Demokratie, Meinungsfreiheit, Menschenwür-de und Meinungsvielfalt.Hier hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk beson-ders hohe Verpflichtungen. Aber wir können auch denprivaten Rundfunk davon nicht völlig ausnehmen. Wersich die Tendenzen zu zum Teil Menschen verachten-Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
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7690 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000
den, von Gewalt geprägten Beiträgen, zum Teil schon inTalkshows, insbesondere im privaten Fernsehen amNachmittag, ansieht, kann doch nicht der Auffassungsein, dass wir nun sämtliche medienrechtlichen Rege-lungen abschaffen und das Ganze ausschließlich demKartellrecht zuordnen. Ich wenigstens kann dem nichtzustimmen.
Im Übrigen bedeutete – es hat keinen Zweck, HerrKollege Otto, darüber eine theoretische Diskussion zuführen – dies für die Bundesländer im Grunde den Ent-zug der Medienkompetenz, was auch im Gutachten ge-fordert wird. Dies halte ich für völlig unrealistisch. Manmuss noch diskutieren, wie wir statt dessen weiterhin fürVielfalt eintreten.
Einen Satz möchte ich zum dualen System sagen –dies stelle ich im Gegensatz zum Gutachten und viel-leicht auch zu Ihnen, meine Damen und Herren von derF.D.P., fest –: Das duale System, das heißt das Neben-einander von öffentlich-rechtlichem und privatem Rund-funk, hat sich im Prinzip bewährt. Ich glaube, dass eshier keines radikalen Umbaus bedarf, so wie das in demvorliegenden Gutachten steht. Denn es kommt immerauf den Zuschauer an.Die Informations- und Angebotsbreite von Hörfunkund Fernsehen in Deutschland befindet sich, weltweitbetrachtet, in der Spitzengruppe, was die Qualität an-geht. Allerdings – hier teile ich die betreffenden Aussa-gen des Gutachtens wieder – darf sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht weiter ausbreiten. Die Tatsa-che, dass in den Jahren 1992 bis 1997 neben den sicherhöhenden Angeboten im privaten Bereich – gerade imHörfunk kann sich das Angebot sehen lassen – die Sen-deleistung von ARD und ZDF um 65,8 Prozent und diedes öffentlich-rechtlichen Hörfunks um 30,4 Prozent ge-stiegen ist, ist eine Entwicklung, die man stoppen muss.
Hier gilt es zum Ersten, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk – ich teile die diesbezügliche Aus-sage des Gutachtens – auf seinen Auftrag der eineGrundversorgung zu beschränken hat. Das bedeutet, essollte nicht nur Kultur, aber insbesondere Kultur auchangeboten werden.Zum Zweiten sollte aus unserer Sicht im Hinblick aufdie Ausgewogenheit im dualen System zumindest mit-telfristig die Finanzierung anders geregelt werden. Dasheißt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk mittelfris-tig nur aus Gebühren und der private Rundfunk nur ausWerbung finanziert werden sollte.
Ein erster Schritt könnte sein, im Rahmen eines neuenStaatsvertrags nach 20 Uhr oder überhaupt auf Sponso-ring zu verzichten. Denn das ist im Grunde kaschierteWerbung.In diesem Sinne fasse ich zusammen: Das Gutachtenist eine gute Grundlage. Wir teilen manches, aber nichtalles und sind im Rahmen des laufenden Verfahrensnatürlich daran interessiert, dass die Bundesregierung zuden verschiedenen Facetten dieses Gutachtens nochdeutlicher und konkreter als bisher Stellung nimmt.Vielen Dank.
Ich gebe das Wortder Kollegin Margareta Wolf für die Fraktion Bündnis90/Die Grünen.Margareta Wolf (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolle-ginnen und Kollegen! Es wird hier schon die ganze Zeitgemutmaßt, warum wir diese Aktuelle Stunde durchfüh-ren. Herr Kollege Otto, wir haben letzte Woche aus-führlich über die Informationsgesellschaft diskutiert.
Sie sagten, Sie würden von der Bundesregierung Ant-worten erwarten.Um ein weiteres demokratietheoretisches Argumentanzuführen: Ich verweise darauf, dass es demnächst imRahmen des Kulturausschusses den Unterausschuss Me-dien geben wird,
wo wir Parlamentarier hinlänglich Möglichkeiten habenwerden, gegenüber der Bundesregierung unsere Ange-bote bzw. unsere Vorstellungen zu formulieren.Es wäre vielleicht eine gute Idee, wenn wir heute so-wohl den öffentlich-rechtlichen als auch den privatenMedien androhen würden, das Thema dieser AktuellenStunde von nun an jede Woche auf die Tagesordnung zusetzen, wenn sie heute nicht darüber berichten. HerrKollege Otto, vielleicht sind Sie dann zufrieden und ver-schonen uns fürderhin mit dieser ständigen Wiederho-lung von Debatten.
– Das ist ja wunderbar. Dann können wir diese Debatteim Plenum beenden und darüber demnächst im Aus-schuss sprechen.Meine Fraktion teilt ebenso, wie Kollege Neumannund Kollege Mosdorf es dargestellt haben, nicht dieMeinung, dass man den Medienmarkt ausschließlichökonomisch betrachten kann, wenngleich es mich imÜbrigen nicht wundert, dass er rein ökonomisch be-trachtet wird. Ich habe gerade die Liste der Namen derBernd Neumann
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000 7691
Beiratsmitglieder durchgelesen. Es handelt sich zu99 Prozent um Volkswirte. Man kann ihnen, wie ich fin-de, nicht verübeln, dass sie den Medienmarkt so beur-teilen.Aufgabe der Politik aber ist es, den Medienmarktauch unter Gesichtspunkten wie Meinungsvielfalt, De-mokratie und – zusammengefasst – Kulturgut zu be-trachten. Das heißt aber nicht, dass wir nicht der Mei-nung sind, dass es auf diesem Gebiet keinen Wettbewerbgeben sollte. Herr Otto, ich möchte darum bitten, dasswir zwischen quantitativem und qualitativem Wettbe-werb differenzieren. Ich hatte bis jetzt nicht den Ein-druck, dass Sie tatsächlich in der Lage sind, den qualita-tiven Unterschied, den es zwischen dem öffentlich-rechtlichen und dem privaten Bereich gibt, zu erkennen.
Dazu möchte ich eine These aufstellen: Es gab im öf-fentlich-rechtlichen Fernsehen in den letzten Monatenzwei im Zusammenhang mit der Debatte über kulturelleAngebote wichtige Sendungen. Die eine hatte die Tage-bücher von Klemperer und die andere den Roman „Jah-restage“ von Johnson zum Inhalt.So etwas habe ich bei den Privaten noch nie gesehen.Das ist für meine Begriffe ein Indikator dafür, dass dieöffentlich-rechtlichen Sender tatsächlich ein qualitativhöherwertigen Anspruch an sich selber stellen – viel-leicht durch die Art der Programmgestaltung, durch dieBeteiligung der Länder, durch die Beteiligung der Par-lamentarier –, als es die privaten getan haben oder bisdato tun.Wir freuen uns, dass offensichtlich die absoluteMehrheit dieses Hauses für die Beibehaltung des dualenSystems im Rundfunk eintritt.
– Die großen Fraktionen und Bündnis 90/Die Grünen.Von der PDS weiß ich es nicht. Sie tun dies offenbarnicht, Herr Kollege Hirche.Wir denken, dass sich das duale System bewährt hat,und treten für ein Nebeneinander von privaten und öf-fentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ein.
Hierbei orientieren wir uns, Herr Kollege Otto, an fol-genden Zielsetzungen: Erstens glauben wir, dass es einerUniversalität des Angebots bedarf. Zweitens meinenwir, dass die Stärkung der Identität des Gemeinwesenseine Zielrichtung sein muss. Auch den dritten Punkthalte ich für ganz wesentlich; das ist die Interessenfernedes Rundfunks, das heißt Staatsferne und Unabhängig-keit von Interessengruppen und Wirtschaftsunterneh-men. Ich halte das Beispiel von Herrn Mosdorf in Bezugauf Kirch und Berlusconi in diesem Kontext für ganzeinleuchtend
– und hilfreich; danke, Herr Tauss.
Die föderative Ordnung führt natürlich zu einer ge-wissen Zersplitterung der Zuständigkeiten. Deshalb be-findet man sich im Gespräch mit den Ländern. Aller-dings glaube ich nicht, dass die landesbezogenen Rund-funkanstalten ein Weniger an Bürgernähe und ein Weni-ger an Qualität bedeuten. Im Gegenteil: Sie bedeuten einMehr an Partizipation und ein Mehr an Bürgernähe. Da-für treten wir ein.Im Mediendienste-Staatsvertrag ist die Zulassungs-freiheit für Mediendienste festgeschrieben worden. Voneiner Behinderung neuer Angebote im Netz kann nichtgesprochen werden. Wir tun alles – das wissen Sieauch –, um die Selbstständigkeit im Netz und das Ent-stehen neuer Dienste zu fördern. Gleichzeitig müssen imZuge der Konvergenz der Medien möglicherweise dienotwendigen Anpassungen des Rechts ständig diskutiertwerden. Deshalb freue ich mich, dass es einen Unteraus-schuss gibt. So können wir die Entwicklung ständig be-gleiten und uns ordentlich miteinander streiten.Danke schön.
Für die Fraktion der
PDS spricht die Kollegin Angela Marquardt.
Frau Wolf, jetzt kann ichden Standpunkt der PDS vortragen.Liebe Kolleginnen und Kollegen – von der F.D.P.sind heute nur Kollegen anwesend –, die F.D.P. unter-nimmt wirklich alles, um das Gutachten des Wissen-schaftlichen Beirates ans Licht der Öffentlichkeit zubringen. Wenn ein Gremium des Bundeswirtschaftsmi-nisteriums Positionen der F.D.P. verkündet, ist auchnachvollziehbar, dass Sie versuchen, dies entsprechendumzusetzen. Das ist natürlich eine prima Vorlage fürSie. Ich kann nur unterstützen, dass sich die Bundesre-gierung diesem Gutachten nicht in Gänze anschließenkann. Das Gutachten wird auch nicht besser, je mehrman darüber diskutiert.Das Einzige, was in diesem Gutachten zum Ausdruckkommt, ist, dass die F.D.P. – wenn sie sich dem Gut-achten anschließt – keine Medienordnung will. Ich glau-be, dass das nicht das richtige Ziel ist. Wenn es nach Ih-nen ginge, würde allein der Markt, würden allein dieWettbewerbskräfte die Entwicklung regulieren und wür-de das Kartellamt als oberster Hüter der Medienfreiheitauftreten. Sie wollen die neuen Medien endgültig zu ei-nem reinen Wirtschaftsfaktor machen. Dabei müsste Ih-nen doch spätestens die aktuelle Spendenaffäre zeigen,dass in unserer Demokratie die Presse- und Informati-onsfreiheit ein unabdingbares Gut ist, das geschütztwerden muss, auch vor Profitinteressen der Wirtschaft.
Margareta Wolf
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7692 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000
Es wird immer wieder deutlich, dass die Wirtschaft,so zynisch das auch ist, kein Interesse an unabhängigenPolitikern und an unabhängigen Medien hat.
Umso wichtiger ist es, dass es Institutionen gibt, die sowichtige Pfeiler wie die Medien in einer Demokratie voreiner solchen „Landschaftspflege“ schützen.Wenn man unabhängige Medien will, braucht maneben eine demokratische, eine gesellschaftliche Kon-trolle und keine Wirtschaftskontrolle. Reden Sie dochnicht um den heißen Brei herum! Sagen Sie, dass Sie dasduale Rundfunksystem abschaffen wollen!
Aber das ist meiner Ansicht nach ein Angriff auf die öf-fentlich-rechtlichen Sender und somit ein Angriff aufden ganz speziellen, hier schon erwähnten Sendeauftrag,nämlich die Grundversorgung. Diesen Angriff kann diePDS nicht mittragen; so etwas sollte man nicht zulassen.
Zum Glück sind Sie mit dieser Position hier im Hauseauch weitestgehend isoliert.Es lässt sich natürlich nicht abstreiten, dass es einetechnische Konvergenz im Bereich der Informations-und Kommunikationstechnologien gibt. Ebenso ist klar,dass dies eine neue Form der Regulierung auch im Me-dienbereich erfordert und notwendig macht.
Aber eine neue Form der Regulierung muss nicht zwin-gend bedeuten, dass jede medienspezifische Regulierungabgeschafft werden muss.
Die derzeitige Dreiteilung der Angebote in Telediens-te, Mediendienste und Rundfunk ist sicherlich eine Inte-rimslösung. Auch die von Bund und Ländern gemein-sam entwickelte Struktur, die derzeitige dreiteiligeStruktur, ist sicherlich nicht die einzig denkbare Lösung.
Dennoch ist sie für mich zurzeit eine positive Alternati-ve zu den Vorstellungen der Deregulierungsfanatiker,wenn ich das einmal so ausdrücken darf.Letzte Woche hat mir der Kollege Hubertus Heil javorgeworfen, dass ich sozusagen eine Überregulierungwill. Ich kann Sie wirklich beruhigen: Das will ich nicht.
Das will auch die PDS nicht.
– Ich wollte gerade sagen: Wir haben es ja hinter uns.Ich will dorthin mit Sicherheit nicht zurück.Das, was wir wollen, deckt sich mit dem, was auchdie SPD will. Auch wir wollen einen flexiblen Rahmenfür die Medienordnung. Es gilt, einen entwicklungsoffe-nen Weg, wie es gesagt wurde, einzuschlagen. Das Tem-po, mit dem sich der Markt verändert, verlangt eben eineständige Überprüfung der Regelungen, wie es hier auchangesprochen wurde. Dem kann man sich auch über-haupt nicht verschließen, denke ich.
Lassen Sie mich noch einen Satz zu Ihrem Vergleichmit den Printmedien, mit dem Zeitungsmarkt sagen.Dort bestimmt der Wettbewerb die Regeln. Ich habe imRahmen meines Studiums alle entsprechenden Berichtedes Bundeskartellamts über Fusionen lesen müssen.
Da können Sie einfach nicht abstreiten, dass der Wett-bewerb dazu geführt hat, dass Meinungsmonopole er-richtet werden konnten. Kleinere Zeitungen haben auf-grund ihrer Auflage und der Tatsache, dass sie nur we-nige Anzeigen akquirieren können, kaum eine Chance,auf dem Markt zu bestehen. Auf dem Markt entscheidetsich das Überleben dieser Zeitungen.Bestimmte Internetdienste mögen mit dem Printbe-reich vergleichbar sein, nicht aber Hörfunk und Fernse-hen. Um einen neuen Sender zu gründen, braucht mannicht nur eine Frequenz oder einen Kabelplatz, sonderneben auch sehr viel Kapital. Das haben sehr viele kleine-re Unternehmen nicht; das brauche ich Ihnen als derPartei der Wirtschaft nicht zu sagen. Ich denke, dassaufgrund der Meinungsvielfalt, die es zu erhalten gilt,dieser Bereich keinesfalls dem freien Markt überlassenwerden darf.Sie haben es ja nun geschafft, wieder eine AktuelleStunde aufzusetzen. Aber Ihr Anliegen finde ich wirk-lich nicht aktuell und ich finde auch nicht, dass esdurchgesetzt werden sollte. Die Debatte um Regulie-rungsformen brauchen wir, keine Frage.
Wenn Ihr Eifer heute dazu beigetragen hat, dann hat derVorstoß doch, denke ich, gute Seiten, die darin zu sehensind, dass wir mehr darüber diskutieren und vielleichtauch zu gemeinsamen Vorschlägen kommen.Danke.
Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Hubertus Heil.Angela Marquardt
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Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000 7693
Herr Präsident! Meine liebenKolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Marquardt,eine Klarstellung: Wenn Sie die F.D.P. als Partei derWirtschaft bezeichnen, so bestreiten wir das natürlichganz massiv.
Angesichts eines früheren Beitrags des Kollegen Klei-nert im Fernsehen muss ich sagen: Sie ist eher die Parteider Gastwirtschaft.Nach § 106 unserer Geschäftsordnung hat jede Frak-tion des Bundestages natürlich die Möglichkeit, einThema im Rahmen einer Aktuellen Stunde auf die Ta-gesordnung zu setzen. Das ist ein juristisch legitimesRecht. Man kann aber politisch fragen – das ist vorhinschon thematisiert worden –, warum wir heute im Ple-num noch einmal darüber reden. Wir haben in der letz-ten Woche eine reguläre Debatte dazu geführt,
– Herr Kollege Hirche, hören Sie ruhig zu! – in der dasschon zur Sprache gekommen ist. Dem Kollegen Neu-mann blieb nichts anderes übrig, als noch einmal das zuwiederholen, was er da gesagt hat. Es ging nämlich auchda um die Dinge, die heute in unserer Debatte eine Rollespielen.Wir haben damals Ihren Antrag an die Ausschüsseverwiesen. Wir können in diesem neuen Ausschuss ge-meinsam darüber diskutieren. Aber, wie gesagt, manch-mal muss man das noch einmal in die Öffentlichkeit zer-ren und deshalb sind wir heute hier.Die SPD-Bundestagsfraktion teilt die Auffassung,dass Medien kein reines Wirtschaftsgut sein dürfen.
Die rein ökonomische Betrachtungsweise, die das Gut-achten bietet, greift für uns zu kurz. Wir bestreiten den-noch nicht, dass natürlich Rundfunk und Fernsehen auchein Wirtschaftsgut sind. Auch die sozialdemokratischeBundestagsfraktion bekennt sich daher zum dualen Sy-stem. Der Unterschied, meine lieben Kolleginnen undKollegen von der F.D.P., zwischen Ihnen und uns in die-ser Frage – um das sehr deutlich zu sagen – ist aus mei-ner Sicht, dass Sie ein System abschaffen wollen undwir Reformen im System wollen. Das ist jedenfalls derPunkt, auf den es hinausläuft.
– Jedenfalls kann ich Ihre Äußerungen, Herr KollegeOtto, nicht anders verstehen.Wenn das nicht so sein sollte, dann freue ich mich, dassSie dazugelernt haben. Die PDS hat eben beschrieben,dass sie seit der letzten Sitzung zu diesem Thema dazu-gelernt hat und nicht mehr alles regulieren will. Viel-leicht können wir uns darauf verständigen, dass wir unsdarüber fachlich im Ausschuss unterhalten.Wir wollen – wie gesagt – Reformen im System vor-nehmen. Der technische Fortschritt schafft Potenzialeam Standort Deutschland für Arbeitsplätze. Wir wollendie Reformen also vornehmen, brauchen aber einen klu-gen Abwägungsprozess, damit das Kind eben nicht mitdem Bade ausgeschüttet wird, sondern Demokratie,Meinungsvielfalt und kulturelle Errungenschaften nichtgering geschätzt werden und dies nicht alles abgeschafftwird.Ich gebe zu, dass sich nicht jede Regel aus sich selbstheraus definieren kann. Man muss sich schon fragen,warum Regulierungen vorhanden sind. ÜberkommeneRegeln – Kollege Mosdorf hat das in Bezug auf dieVielzahl der Landesmedienanstalten ausgeführt – gehö-ren durchaus auf den Prüfstand. Es ist umgekehrt abernicht vernünftig zu sagen, dass Regulierungen im Sys-tem per se schlecht sind. Wir brauchen einen weit ge-fassten Orientierungsrahmen; das räume ich gerne ein.Wir wollen diesen Dialog darüber führen. Sie wissen,dass zumindest wir nicht bereit sind, den Föderalismusin diesem Punkt einfach in Frage zu stellen. Wir stehendazu, dass eine Kultushoheit der Länder besteht. Wirstehen auf dem Boden der Verfassung und auf den ent-sprechenden Entscheidungen des Bundesverfassungsge-richts. Wir wollen mit den Ländern das Gespräch füh-ren. Das halten wir für notwendig. Auch Sie können dasin den paar Landesregierungen, in denen Sie noch vor-handen sind, tun. Das gilt übrigens auch für die Kolle-ginnen und Kollegen der CDU. Ich glaube, wir könneneinen parteiübergreifenden Konsens dahin gehend her-stellen, dass in den Ländern im Rahmen der Möglich-keiten etwas geschehen kann.Meine Damen und Herren von der F.D.P., eine Be-merkung an Ihre Adresse: Sie verwechseln mit IhrenVorstellungen, in der Diskussion zweierlei: öffentlich-rechtlich ist nicht gleich staatlich. Wir haben keinenstaatlichen Rundfunk in Deutschland, sondern einen öf-fentlich-rechtlichen. Das wissen Sie.
Es gibt Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtsvon Anfang der 60er-Jahre, die – als in einer völlig an-deren Situation ein damaliger Bundeskanzler versuchte,einen eigenen Fernsehsender zu gründen – genau dasdeutlich gemacht haben.Wir sehen Reformbedarf bei der Vielzahl der Behör-den. Wenn man über einen Kommunikationsrat disku-tiert, dann finde ich das keine schlechte Debatte. Dasheißt aber, dass man ein neues Gremium schafft, in demandere Aufsichtsgremien aufgehen und Dinge gebündeltwerden. Darum geht es. Darin sind wir uns einig: Wirwollen nicht zusätzlich etwas schaffen und draufsatteln,sondern wollen ein Dach finden, unter dem die ver-schiedenen Beteiligten versammelt sind, damit man Dis-kussionen nicht zehn Mal an verschiedener Stelle führenmuss.Wir halten deswegen auch die Gründung des Unter-ausschusses „Neue Medien“ für sinnvoll, weil wir auchhier im Hause eine Aufteilung zwischen Wissenschaftund Forschung, Kultur und Medien sowie bei Wirtschaft
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hatten. Auch da können wir interdisziplinär vorankom-men.Ich verstehe aber nicht – das lassen Sie mich scherz-haft sagen –, dass sie immer so beklagen, dass der öf-fentliche Rundfunk in den letzten Jahren so maßlos aus-gewuchert sei.
Sehen wir uns das einmal konkret an: Ich höre hier inBerlin sehr gerne „Info-Radio“. Ich bin froh, dass hierdie Nachrichten nicht von Werbung unterbrochen wer-den. Ich sehe ganz gerne den Sender „Phoenix“, der unsPolitikern – im Gegensatz zu anderen Sendern hin undwieder Aufmerksamkeit schenkt, damit wir unsereNachrichten auch nach außen bringen können. Ich habeauch nichts gegen den „Kinderkanal“, den ich nicht sooft sehe; das gebe ich gerne zu.
– Ich bin zwar ein bisschen jünger als Sie, aber das istdoch keine Schande.Abschließend sage ich sehr deutlich: Der Vielschich-tigkeit dieser Debatte angesichts der technischen Ent-wicklungen können wir nur ordentlich vorbereitet in denzuständigen Gremien, in den Ausschüssen gerecht wer-den. Die SPD-Bundestagsfraktion will und wird voran-kommen. Ich biete Ihnen an, dass wir gemeinsam undohne ideologische Scheuklappen diskutieren. Ich glaube,dazu in dem Aktionsprogramm der Bundesregierung ei-nen Beitrag zu sehen, der genau das beschreibt, was wirwollen. Wir vertrauen darauf, dass das Programm nichtnur etwas beschreibt, sondern dass die Bundesregierungauch handelt.Herzlichen Dank.
Nach der ersten
Runde will ich darauf hinweisen, dass – mit Ausnahme
der Kollegin Margareta Wolf, was ich rühmend hervor-
hebe – alle Redner ihre Redezeit deutlich überschritten
habe. Ich bitte darum, dass wir jetzt in der zweiten und
dritten Runde die Regeln der Aktuellen Stunde einhal-
ten.
Ich gebe dem Kollegen Martin Mayer von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
HerrPräsident! Meine Damen und Herren! Die Forderung derGutachter, die Rundfunkordnung total umzukrempelnund den Rundfunk nur noch nach rein marktwirtschaftli-chen Gesichtspunkten zu regeln, halte ich für falsch. Ichwill das auch begründen.Welchen Sinn soll es machen, eine Rechtsordnungvom System her völlig umzukrempeln, wenn diese Ord-nung bisher offensichtlich zu besten Ergebnissen geführthat? Die Gutachter sagen selbst, dass es in Deutschlandmit 30 werbefinanzierten Fernsehprogrammen eine Viel-falt gibt, von der die Franzosen und die Briten nur träu-men können.
Auch die Entwicklung der neuen Medien ist durch dieRundfunkordnung nicht behindert worden. Mit dem In-formations- und Kommunikationsdienste-Gesetz unddem Medienstaatsvertrag ist ein Kompromiss gefundenworden, nach dem sich Onlinedienste und Internet her-vorragend entwickeln konnten und können. Wenn es inDeutschland noch einen Nachholbedarf gibt, Herr Mos-dorf, dann liegt es an bestimmten Rahmenbedingungen,beispielsweise den Steuersätzen und auch der laschenHaltung der jetzigen Bundesregierung in der Frage derMonatspauschale der Telefongebühren für das Internet.Das muss geändert werden.
Das Gutachten fordert eine Verlagerung der Medien-aufsicht von den 15 Landesmedienanstalten auf dasBundeskartellamt. Mit dieser Zentralisierung – von derF.D.P. unterstützt – ist, wie das Beispiel der amerikani-schen Federal Communications Commission, FCC,zeigt, weder eine Vereinfachung noch eine Beschleuni-gung von Genehmigungsverfahren verbunden. Die 15Landesmedienanstalten arbeiten nämlich nicht parallel,sondern arbeitsteilig. Für eine Lizenzierung wird manbei einer Landesmedienanstalt den Antrag stellen. Dortwird er für ganz Deutschland beschieden. Insofern kanneine Konzentration oder eine Zusammenfassung derLandesmedienanstalten keinen zusätzlichen Effekt brin-gen.
Ich möchte schon gerne wissen, was der von Ihnenvorgeschlagene Kommunikationsrat dann wirklich seinsoll. Ist er eine zusätzliche Einrichtung, die sozusagennur koordiniert? Oder ist er eine Zusammenfassung, alsoeine Mammutbehörde, was Sie Herr Mosdorf, vorhinwieder abgestritten haben und von der Sie nichts mehrwissen wollten?Ohne den Wettbewerbsföderalismus im Medienbe-reich wäre die Rundfunklandschaft in Deutschland heuteärmer. In Bayern gibt es beispielsweise eine Fülle vonlokalen Hörfunk- und Fernsehprogrammen. Diese An-gebote gäbe es nicht, wenn nicht die Landesmedienan-stalt in besonderer Weise die Förderung betrieben hätte.Ich will hier, weil vorhin von den Finanzen geredetworden ist, darauf hinweisen, dass die Landesmedienan-stalten in besonderer Weise auch die Medienkompetenz,den Jugendschutz und die Medienausbildung fördern.Die Aussagen des Gutachtens gehen im Übrigen voneiner falschen Prämisse aus. Sie gehen nämlich davonaus, dass die Knappheit der Übertragungswege imRundfunkbereich überwunden ist. Diese Aussage magzwar für den Hörfunk richtig sein; sie ist für das Fernse-hen aber absolut unzutreffend. Gegenwärtig ist im Ge-genteil eine Verknappung von Fernsehübertragungswe-gen durch die parallele Ausstrahlung von analogen unddigitalen Programmen zu beobachten. Dazu kommt nochdie Frequenzzuweisungsplanungsverordnung, nach derHubertus Heil
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aus Gründen der Sicherheit ein oder zwei Kanäle mögli-cherweise wegfallen.Erst wenn das digitale Fernsehen flächendeckendeingeführt ist, werden sich die Zahl der Übertragungs-wege für das Fernsehen verfünffachen, womit wir dannmehr Übertragungswege hätten. Die Vorstellung, dasswir in absehbarer Zeit Fernsehen über die Telefonleitungbekommen, ist völlig illusorisch; denn es wird niemandzusätzlich zu den Fernsehgebühren auch noch die lau-fenden Telefongebühren für die Fernsehübertragungzahlen.Am vergangenen Donnerstag haben wir an dieserStelle eine Grundsatzdebatte über die Zukunft der Medi-en geführt. Dabei ist deutlich geworden, dass die Bun-desregierung mit der Anpassung der Rechtsordnung imRückstand ist. Sie sollte deshalb ihre Hausaufgaben ma-chen, statt sich mit Gedankenspielen von übermorgen zubeschäftigen.
Die Frau Kollegin
Elke Leonhard spricht nun für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! VerehrteKolleginnen und Kollegen! Die von der Fraktion derF.D.P., ich würde sagen: in Wiederholung und Variationgestellten und durch die Stellungnahme des Wissen-schaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirt-schaft und Technologie aufgeworfenen Fragen eignensich nicht dazu, einfache Antworten zu geben. Ich glau-be, das zeigt die Debatte des heutigen Tages erneut.Im Gegenteil: Es werden neue, dringend zu beant-wortende Fragen aufgeworfen, denen wir uns, wie Sieunschwer gemerkt haben werden, nicht entziehen. Icherinnere an die vielfältigen Initiativen des früheren Vor-sitzenden der Enquete-Kommission „Zukunft der Medi-en in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Wegin die Informationsgesellschaft“ und jetzigen Staatsse-kretärs beim Bundesminister für Wirtschaft und Tech-nologie Siegmar Mosdorf, aber vor allem an das heuteoft erwähnte Aktionsprogramm der Bundesregierung.Wir müssen uns, verehrte Kolleginnen und Kollegen,in dieser Diskussion – bei allem Respekt vor Kompeten-zen und Interessen – sehr in Acht nehmen, vorschnellGrenzen zwischen Bund und Ländern, zwischen öffent-lich-rechtlichen und privaten sowie zwischen klassi-schen und neuen Medien zu ziehen. Grund dafür ist dienach meiner festen Überzeugung wesentlichste Ent-wicklung im Medienbereich überhaupt: die zunehmendeKonvergenz der Medien, das Zusammenwachsen vonComputertechnologie, Telekommunikation, Unterhal-tungselektronik und den klassischen Medien Rundfunkund Fernsehen.Anders ausgedrückt, geht es um das, was HansMagnus Enzensberger in den 70er-Jahren in seinem„Baukasten zu einer Theorie der Medien“ als Auflösungeiner starren Hierarchie von Sendern und Empfängernbezeichnete. Das, was damals Utopie – man könnte so-gar sagen: Vision – war, ist heute Realität. Genau dieserRealität müssen wir uns stellen. Der terrestrische,sendergestützte Rundfunk mit speziellen Fragestellun-gen wie der nach der Frequenzvergabe ist dabei nur ein,aber ein nicht unwesentlicher Aspekt.Die tatsächlichen, nicht zu leugnenden Schwierig-keiten privater Rundfunkanbieter bei der Frequenzver-gabe sind Wirkungen unterschiedlicher Ursachen, dieheute alle schon erwähnt wurden. Dazu gehört derGrundversorgungsauftrag der öffentlich-rechtlichen An-bieter, der neben dem Qualitativen die Flächendeckungbeinhaltet, die, technisch gesehen, hohen Frequenzbe-darf und Überlappungen nach sich zieht. Die Schwierig-keiten sind selbstverständlich auch Nachwirkungen derhistorischen Entwicklung, an deren Anfang die öffent-lich-rechtlichen Anbieter standen. Dieses Monopol be-steht nicht mehr, und der technische Fortschritt wirdzeigen, welche neuen technischen Möglichkeiten sicheventuell bei der Ausstrahlung ergeben. Demgegenübersteht der Grundversorgungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks außer Frage. Das allseits be-kannte Urteil des Bundesverfassungsgerichts spricht ei-ne deutliche Sprache.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf dieentsprechende Frage der F.D.P.-Fraktion in der Frage-stunde sagen: Ich sehe auch nicht den geringsten Anlass,in Deutschland von Zensur, wie es die Kollegin Koppgetan hat, oder von Monopolisierung zu sprechen, vonAnalogien, die auf mittelalterliche Terminologien zu-rückgreifen, ganz zu schweigen.
Es ist zwar richtig, dass eine Rundfunkratssitzung inMainz oder Saarbrücken die global drängenden Fragennicht lösen kann, die Tätigkeit von Kontrollgremien aber– ungeachtet der Tatsache, dass deren Effizienz ohneFrage zu steigern ist – mit „vordemokratischen, ständi-schen Prinzipien“ in Verbindung zu bringen, Herr Kol-lege Otto, kann beim besten Willen nicht als hilfreicherHinweis ausgelegt werden.
– Gut, das nehme ich zur Kenntnis; aber das macht esnicht besser. Sie haben das Gutachten so gelobt, dass ichSie jetzt gleich damit in Verbindung gebracht habe.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kol-leginnen und Kollegen, worüber wir intensiv nachden-ken müssen und was zu den zentralen Aufgaben desAusschusses für Kultur und Medien gehören wird, istdas Angehen des Problems des Regulierungswirrwarrs,der in Deutschland unübersehbar ist. Für die klassischenMedien gilt der Rundfunkstaatsvertrag der Länder, des-sen fünfte Änderung bereits vor In-Kraft-Treten dervierten diskutiert wird, und es gelten 16 darauf aufbau-ende Landesgesetze. Da ist zum anderen die Vielzahlder Kompetenzen, die sektoral und vertikal zwischenDr. Martin Mayer
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Bund und Ländern, unterschiedlichen Ministerien, derRegulierungsbehörde für Post und Telekommunikation,16 Staatskanzleien der Länder, 15 Landesmedienanstal-ten, den Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichenRundfunks, der Kommission zur Ermittlung des Finanz-bedarfs des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
und der Kommission zur Ermittlung der Konzentrationim Medienbereich gesplittet sind. Diese Liste wäre nochfortzuführen, erhebt also mit anderen Worten nicht denAnspruch auf Vollständigkeit.Nur ein Vergleich: In Kanada liegt die Zuständigkeitbei einer einzigen Behörde, ohne dass Nachteile fürWirtschaft oder Öffentlichkeit ersichtlich wären.
Ich sehe das rote Licht aufleuchten. – Wir werden unsim Unterausschuss für Kultur und Medien mit Sicherheitnoch viel streiten. Im Übrigen finde ich es gut, dass Siedies alles eingebracht haben. Ich wünsche mir eine kriti-sche, eine konstruktive und auch eine freche Opposition.In mancher Hinsicht haben Sie da noch Nachholbedarf.Wir haben es damals doch provokanter gestaltet.Ich bin sicher, dass der heute zu gründende Unteraus-schuss nicht nur den Medienstandort, die Qualitätsstei-gerung und ein internationales Regelwerk thematisierenwird, sondern und vor allem auch die kulturelle Dimen-sion und Bedeutung der Medien als wesentlichen Befas-sungsgegenstand haben wird.Ich danke Ihnen.
Frau Dr. Leonhard,
das war ein Bonus für die Präsidentin der Deutschen
Parlamentarischen Gesellschaft.
Nun hat der Kollege Walter Hirche das Wort.
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Zwei Dinge vorab.Erstens. Die F.D.P. sagt Ja zum dualen System.
Zweitens. Natürlich haben Medien einen Doppelcha-rakter. Sie sind Wirtschaftsgut und Kulturgut. Wir soll-ten uns hier also nicht über falsche Frontstellungen un-terhalten, sondern sollten vielleicht dem nachgehen, waseben auch Kollegin Leonhard angesprochen hat.Angesichts der Situation, die durch die technischeEntwicklung des letzten Jahrzehnts und insbesondereder letzten Jahre eingetreten ist, sollten wir uns darüberunterhalten, was in diesem Zusammenhang verändertwerden muss. Dabei stoßen wir natürlich auf das Phä-nomen, dass hier eine Bürokratisierung der Aufsichtvorhanden ist, dass auch eine Bürokratisierung von Zu-lassungs- und Genehmigungsverfahren vorhanden ist.Wenn der Wissenschaftliche Beirat sagt, es solle derFrage nachgegangen werden, was durch Wettbewerbstatt durch Bürokratisierung geregelt werden kann, undSie meinen, das sei ein spezifischer F.D.P.-Ansatz, dannsagen wir Ja dazu, weil wir glauben: In allen Bereichenunserer Gesellschaft ist es wichtig, auf das Element desWettbewerbs zu achten und zu sehen, was er leistenkann. Wir brauchen an diesen Stellen keine gesetzlichenVorgaben, wir brauchen an diesen Stellen keine büro-kratischen Regelungen.
Wir müssen uns natürlich – meine Damen und Her-ren, auch da sind wir uns doch einig – auf gesetzlicheRegeln verständigen, darauf, dass gewisse Grundsätze,die etwa im Jugendschutz gelten, für jeden Bereich un-serer Gesellschaft gelten, erst recht – so könnte man sa-gen – für die Medien, weil es hier diesen Doppelcha-rakter von Wirtschafts- und Kulturgut gibt. Das ist füruns selbstverständlich.Wir stoßen bei der Neuregelung auf eine typischeSchwierigkeit. Herr Mosdorf, darauf wollte ich vorhinmit meiner Nachfrage aufmerksam machen. Die Rund-funkhoheit ist de facto die einzige Ressortkompetenz,die Ministerpräsidenten in Deutschland haben, weil alleanderen Ressorts sozusagen verteilt waren, als die Län-der gegründet wurden, aber es zu diesem Zeitpunkt nochdie Alliierten gab, die die Aufsicht über den Rundfunkwahrnahmen. Als sie diese Aufgabe in deutsche Hoheit,an die deutschen Länder überführten, haben die Mini-sterpräsidenten zugegriffen.Wenn jetzt von Föderalismus die Rede ist, dann be-deutet das in Wirklichkeit, dass die Ministerpräsidentenaller Couleurs ihre eigene Machtbasis tangiert sehen.Das muss man nüchtern feststellen, Herr Neumann.Deswegen kann man dem dann, wenn man an der Regie-rung beteiligt ist, möglicherweise etwas abgewinnen,obwohl der Juniorpartner bei solchen Sachen immerschlecht aussieht. Lassen Sie mich diesen Punkt mit fol-gendem Hinweis abschließen: Herr Mosdorf – vielleichtwar es ein Versprecher oder ein Hörfehler meinerseits –,Sie haben vom korporativen Föderalismus gesprochen.Mit dem kooperativen Föderalismus wären wir einver-standen gewesen.
– Gut, ich habe mich verhört. – Ich möchte dann we-nigstens deutlich machen, dass ein ganz entscheidenderUnterschied zwischen korporativem und kooperativemFöderalismus besteht. Genauso wie viele vom „Fördera-lismus“ reden, weil sie immer an Geld denken müssen,das im Zusammenhang mit dem Föderalismus fließt,denken viele im Zusammenhang mit dem kooperativenFöderalismus an irgendwelche korporativen Elemente.Dr. Elke Leonhard
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Wir sind uns offenbar einig, dass Föderalismus etwasanderes bedeutet.Ich halte fest – das hat Frau Kollegin Leonhard ebenauch gesagt –: Die Aufgaben des öffentlich-rechtlichenRundfunks müssen wieder im Hinblick auf die Grund-versorgung definiert werden. Er ist heute in allem zu fettund zu vielgestaltig. Das bedeutet: Er frisst zu viele Ge-bühren; er nimmt zu viel von dem in Anspruch, was anMedienfreiheit in der Gesellschaft möglich ist. Nachmeiner Meinung schadet sich der öffentlich-rechtlicheRundfunk durch die Vielzahl seiner Kanäle und seinerFrequenzen, die er in Anspruch nimmt, selbst. Er tan-giert das duale System. Wir müssen uns verständigen,was zur Grundversorgung gehört.
Es ist interessant, festzustellen, dass unser Vorschlag,dass sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstaltennur aus den Rundfunkgebühren und die privaten An-stalten nur aus der Werbung finanzieren sollen, eineMöglichkeit ist. Ich bejahe und unterstütze ausdrücklichIhre Aussage, Herr Mosdorf, dass es in der Bundesrepu-blik Deutschland statt der 15 Landesmedienanstalten nurnoch eine Aufsichtsbehörde geben solle. Herr Mayer hatzwar Recht, wenn er sagt, dass sie sich bei den Zulas-sungsverfahren zum Teil additiv verhalten. Aber es gibtüberall Aufsichtsgremien. Überall können die Dinge bü-rokratisch gehandhabt werden. Das muss nicht sein. EinGremium für die ganze Bundesrepublik ist ausreichend.Wir sagen Ja zu einem Kommunikationsrat, wenn durchihn andere Gremien ersetzt werden und nicht eine zu-sätzliche Institution geschaffen wird.Wir wollen in der Tat – damit möchte ich meine kur-zen Bemerkungen abschließen – überall dort wettbe-werbliche Regelungen erlassen, wo durch sie Bürokratieersetzt werden kann. Wir wollen nur dort Gesetze erlas-sen, wo sie unbedingt notwendig sind. Wir wollen alsonur so viele Gesetze wie nötig!
Lassen Sie uns die Popanze beiseite schieben! Mankann kleinen Kindern erzählen: Die haben die und dieVorstellungen. Haut mal drauf! Tatsächlich ist eine dif-ferenzierte und offene Diskussion notwendig. Ich begrü-ße deswegen besonders das, was Sie, Frau Leonhard,zum Schluss gefordert haben, nämlich keine vorschnelleGrenzziehung wegen der Konvergenz – Thema Internet– und Offenheit in der Diskussion. Wenn durch dieseDebatte der Öffentlichkeit deutlich wird, dass unter-schiedliche Fraktionen des Bundestags an einer neuenMedienordnung für die Zukunft arbeiten, dann hat dieseAktuelle Stunde ihren positiven Beitrag geleistet.Vielen Dank.
Für die SPD-
Fraktion gebe ich das Wort dem Kollegen Engelbert
Wistuba.
Herr Präsident! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Ich gebe dem Kolle-gen Heil in seinem Urteil über die Notwendigkeit derheutigen Debatte vollkommen Recht,
wenn ich betrachte, womit wir uns hier auf Antrag derF.D.P. auseinander setzen. Waren sich die Redner mitAusnahme der von der PDS in der vergangenen Wochenicht darüber einig, dass im Bereich des Medienrechtsakuter Handlungsbedarf besteht, den Rechtsrahmen deröffentlich-rechtlichen Medienanstalten den Anforderun-gen des neuen Jahrhunderts anzupassen? Hat nicht derKollege Neumann von der CDU/CSU-Opposition fürseine sachlichen Ausführungen reichlich Beifall vonsei-ten der Regierungsfraktionen erhalten? Liegt die The-matik nicht zur weiteren Beratung in den Ausschüssen?Was wollen Sie denn noch, meine lieben Kollegen undKolleginnen von der F.D.P.? Man kann ein wichtigesThema auch totreden.Am 29. Oktober 1923 startete der öffentlich-recht-liche Rundfunk in Deutschland seinen regelmäßigenProgrammbetrieb. 1952 kam das Fernsehen dazu. Bisheute haben sie sich zu einer der wichtigsten Säulen fürInformation, Kultur und politische Meinungsbildung inunserem Gesellschaftssystem entwickelt. Dass sich seit-dem die Welt verändert hat und dass sich die Fortent-wicklung gerade im Medienbereich in den letzten Jahrenpotenziert hat, muss ich an dieser Stelle nicht wiederho-len. Darüber ist in dieser Debatte schon ausreichend dis-kutiert worden.Was spricht also gegen die von Ihnen geforderte to-tale Liberalisierung der Medienordnung in Deutschland?Es ist lediglich die Totalität Ihrer Forderungen, über diewir uns heute auseinander setzen.
– Sie haben andere Aussagen relativiert.
Da ist zum einen die vom Grundgesetz festgeschrie-bene Zielvorgabe der Chancengleichheit bei der Kom-munikation für alle Bürger - nicht nur für Mächtige,Reiche und Junge. Wie ich finde, ist das ein gewichtigesArgument gegen die von Ihnen geforderte Aufhebungjeglicher Regulierung. Sie dürfen nicht nur die wirt-schaftlichen Interessen der Medienunternehmer vor Au-gen haben. Eine Balance gegenüber den Interessen derZuschauer muss gewahrt werden.
Malen Sie sich einmal aus, wie Fernsehen aussähe,wenn es allein vom Werbemarkt bestimmt würde.
Muss ich mir etwa, nur weil ich nicht mehr zur MTV-Generation gehöre, demnächst Wolfgang Schäuble inWalter Hirche
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der „100 000-Mark-Show“ ansehen? Nehmen wir desWeiteren die anhaltende Fusionswelle, die nicht erst mitdem geplanten Zusammenschluss von Time Warner undAOL auch die Medienbranche maßgeblich prägt.Die Frage bleibt doch, wer in Zukunft die Mei-nungsmacht in den Händen hat. Sollen in ein paar Jahrendrei oder vier Medienmogule bestimmen, was wir unsanschauen dürfen und was nicht? Ich bin für eine gesun-de Rahmenregelung dankbar, die vor allem als Stützeeiner Grundversorgung mit Informationen und Unter-haltung dienen soll, die Meinungsvielfalt und somitwirkliche Wahlmöglichkeiten gewährleistet.Es steht im Übrigen nicht im Widerspruch zu demvon Ihnen angesprochenen Aspekt, dass wir uns drin-gend mit der Frage der Konvergenz im Medienbereichbeschäftigen müssen. Da gebe ich Ihnen vollkommenRecht; aber man sollte einen Schritt nach dem anderentun, wenn man nicht plötzlich ins Stolpern geraten will.Wenn Sie alles nur auf wettbewerbsorientierte undkartellrechtliche Regulierungen konzentrieren wollen,dann können Sie auf eine derartige Meinungsvielfalt nurnoch hoffen; sichern können Sie sie dann nicht mehr.Aber genau das ist doch der Auftrag des Grundgesetzesund dies sollten wir auch weiterhin im Kopf behalten.Verwechseln Sie bitte nicht den ökonomischen und denpublizistischen Wettbewerb! Beide Märkte folgen ihrereigenen Logik; aber das Produkt Fernseh- und Rund-funkprogramm sollte primär eben nach publizistischenKriterien hergestellt werden, was Sparsamkeit natürlichnicht ausschließt. Aber jede Indienstnahme für ander-weitige Zwecke widerspräche einfach der Verfassung.Ich will zum Schluss kommen. Wenn wir in diesemHohen Haus einmal ganz ehrlich sind: Wer wollte unsPolitiker denn noch hören und sehen, wenn es nur nachQuoten ginge? Spektakuläre Medienauftritte, wie siemanche Kollegen dieser Tage zu absolvieren haben, ge-hören – vielleicht zum Glück – für die meisten von unsnicht zum Alltagsgeschäft.Einmal im Ernst: Deregulierung ja - aber nicht unterrein ökonomischen Gesichtspunkten. Die Bundesregie-rung ist mit dem Aktionsprogramm „Innovation und Ar-beitsplätze in der Informationsgesellschaft des21. Jahrhunderts“ auf dem richtigen Weg, einen solidenDialog mit allen Beteiligten zu beginnen. Wenn Ihnendas nicht schnell genug geht, Herr Schmidt-Jortzig, dannbeantworten Sie doch zuerst einmal die Frage – viel-leicht auch sich selbst –, warum während Ihrer Regie-rungszugehörigkeit auf diesem Gebiet jahrelang nichtspassiert ist.Danke.
Der Kollege Hart-
mut Schauerte spricht nunmehr für die CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident!Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ein-mal möchte ich sagen, dass das Gutachten eine wirklichneue, erfrischend andere Sicht dieses wichtigen Kom-plexes liefert.
Das macht Sinn. Man lernt daraus. Es schärft denBlick, einmal ganz alternativ an ein Thema heranzuge-hen, von dem wir durch die uns bekannten Strukturenund Tätigkeiten in Rundfunkräten, in Landesparlamen-ten und wo wir überall gesessen haben, gewohnt sind, esimmer wieder herunterzuarbeiten. Deswegen empfehleich dem Minister, nun nicht zu sagen: Dieses Gutachtenist ja so abwegig im Vergleich zu dem, was meine Parteiwill; wir müssen die Gutachter austauschen. Die Gut-achter haben es verdient, dass sie von der Politik ernstgenommen werden; denn sonst wird es am Ende nir-gendwo mehr wissenschaftliche Beiräte geben, die nochfunktionieren. Das möchte ich als Vorbemerkung sagen.Herr Hirche, ich möchte noch eine Bemerkung zudem machen, was Sie über den Ministerpräsidenten ge-sagt haben. Als Sie davon sprachen, wurde mir auf ein-mal klar, warum die F.D.P. in dieser Frage so frei ist.
Weil sie noch nie einen Ministerpräsidenten gestellt hat,hat sie da nie Rücksicht nehmen müssen. Bei Länderzu-ständigkeiten wäre sie vorsichtiger als bei reinen Staats-kanzleizuständigkeiten. Da ist sie völlig frei.
– Ein bisschen Kenntnis und ein bisschen Eingebun-densein helfen manchmal bei konkreten Problemlösun-gen.Ich warne davor, hier eine Diskussion – sie klingt imGutachten ein bisschen an – nach einem Schwarz-Weiß-Schema entstehen zu lassen: Also, Öffentlich-Rechtlichist gut, gewaltfrei, vielfältig und akzeptabel; Privat ist esnicht. Davor müssen wir uns hüten. Wir können in allenErscheinungsformen, in allen OrganisationsformenFehlentwicklungen feststellen. Aber ich sage auch: Inder Phase, in der wir die Privatisierung der Rundfunk-landschaft unseres Landes betrieben haben, gab es dieseFrontstellung häufig. Die CDU/CSU hat die Privatisie-rung aktiv betrieben. Die SPD war da viel zögerlicher.Heute sage ich, dass diese Kampagne notwendig undrichtig war. Aber ich bin auch froh, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk bei dieser Kampagne überlebt hat;
denn er ist qualitätsmäßig wichtig. Er sorgt für eine be-stimmte Art von Wettbewerb, bei dem es nicht nur umD-Mark, sondern hoffentlich auch um Inhalte geht. Esgibt viel zu verbessern, aber wir bekennen uns eindeutigzum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Daran sollten wirnicht rütteln.
Auch der Streit, ob der Rundfunk Wirtschaftsgut oderKulturgut ist, nützt nichts.Engelbert Wistuba
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Er hat beide Elemente. Deswegen müssen wir die richti-ge Mitte finden und sehen, wie wir das austarieren unddas Beste daraus machen. In kaum einem Bereich wirddie Technik so viele Strukturen verändern wie in diesemBereich.Ein zweiter Punkt ist wichtig: Es werden über das eu-ropäische Recht Entwicklungen auf uns zukommen, aufdie wir uns vorbereiten müssen. Das sind erheblicheVeränderungen. Wir werden eine ähnliche Entwicklunghaben wie bei der Diskussion über das Sparkassenrecht,das öffentliche Bankenwesen. Diese hängt bekannter-maßen nicht daran, dass man meint, die Leistung sei gutoder schlecht, sondern sie hängt daran, dass man meint,da seien noch Privilegierungstatbestände festzustellen,die mit einem fairen Wettbewerb untereinander zu we-nig zu tun haben. Darauf müssen wir achten.Das Rundfunkrecht ist das Recht der Länder; das istoft genug betont worden. Aber irgendwann wird das ver-fassungsmäßige Recht der Länder an europäischeRechtsgrenzen stoßen.
Da wird nämlich das europäische Wettbewerbsrecht mitdem garantierten Rundfunkrecht kollidieren. Auch damüssen wir – ich warne vor Schnellschüssen – intelli-gent hinschauen, um zu sehen, wie wir das passend ma-chen können, damit wir möglichst viel von einer ver-nünftigen Struktur sichern können.
Wenn wir eine vernünftige Struktur erhalten wollen,dann müssen wir daran arbeiten, dass unser öffentlich-rechtlicher Rundfunk möglichst viele einzigartige Ele-mente behält. Wenn er dem allgemeinen Rundfunkbe-trieb immer ähnlicher wird, wird die Besonderheit nichtaufrechtzuerhalten sein.
Ein wesentliches Element dieser Einzigartigkeit istdie Finanzierungsstruktur. Je klarer die Unterschiedesind, desto besser ist es für den öffentlich-rechtlichenRundfunk.
Es ist für ihn von lebenserhaltender Bedeutung, dass esnicht zu einer Verwässerung über Werbeeinnahmenkommt.
Das ist für mich kein Wettbewerbsproblem, sondern einBestandssicherungsproblem langfristiger Art. Das müs-sen wir ernst nehmen. Die Programmausrichtung mussanders sein. Die Grundversorgung muss eindeutig er-kennbar bleiben; sonst gibt es für eine Sonderbehand-lung in der Zukunft keine Rechtfertigung.Damit das Umfeld nicht aggressiv wird, bedarf es ei-ner absoluten Wettbewerbsneutralität und -geeignetheit.Bitte keine Privilegien im öffentlich-rechtlichen Rund-funkbereich! Die hin und wieder feststellbare große Nä-he von öffentlich-rechtlichem Rundfunk und öffentlich-rechtlicher Kontrolle über alles birgt immer wieder dieGefahr des Verdachts, dass Privilegien auf dieser Schie-ne besser laufen als auf einer Fremdschiene im privatenBereich. Davor müssen sich alle Gremien wie der Teufelvor dem Weihwasser fürchten, damit eine vernünftigeRundfunkstruktur erhalten bleibt.Herzlichen Dank.
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Jörg Tauss für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr ver-ehrten Damen und Herren! Ich glaube, die heutige De-batte hat gezeigt, dass Medienpolitik nicht ausschließ-lich unter ökonomischen Gesichtspunkten gesehen wer-den darf, auch wenn es sich bei den Medien um einenwichtigen, volkswirtschaftlich an Bedeutung gewinnen-den Wirtschaftszweig handelt. Dass dies so ist, ist über-haupt keine Frage; denn der Aktienwert von Medien-konzernen hat längst den Wert von großen Industriekon-zernen erreicht, zum Teil sogar überflügelt. Das liegt al-so auf der Hand.Aus diesem Grunde kann ich auch nur das wiederho-len, was ich in der letzten Debatte bereits gesagt habe:Medienpolitik ist selbstverständlich auch intelligenteWirtschafts- und Strukturpolitik, wie das Beispiel NRWund der erfolgreiche Ministerpräsident Clement bewie-sen haben. Aber sie bleibt zuvörderst auch künftig Ge-sellschafts- und Kulturpolitik. Dies ist kein Wider-spruch.Aber aus diesem Grunde, meine Kolleginnen undKollegen von der F.D.P., hat das Expertengutachtenmeines Erachtens einige Mängel, auf die bereits hinge-wiesen wurde. Es verkennt die gesellschaftspolitischeDimension der Medienpolitik und reduziert eben vieleProbleme allein auf ökonomische Aspekte. Dies, Kolle-ge Otto, macht diese Aspekte nicht obsolet – hier stim-me ich Ihnen ja zu –; aber es ist unsere Aufgabe, Me-dienpolitik breiter als nur wirtschaftspolitisch zu sehen.Dies ist das Defizit des Gutachtens, das sich im Wesent-lichen auf ordnungspolitische Überlegungen reduziert.Das genügt nicht und sollte übrigens auch der F.D.P.nicht genügen. Schauen Sie sich Ihren Antrag daraufhinan. Sie haben in Ihrem Antrag ja gefordert, dieses Gut-achten ohne zu differenzieren, zur Grundlage von Me-dienpolitik zu machen.
Ich kann auch mit der These nichts anfangen, dass ei-ne breite Vielfalt von Kanälen quasi naturgesetzlich undautomatisch zu einer Vielfalt von Meinungen führe unddem Auftrag zu kultureller Grundversorgung RechnungHartmut Schauerte
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7700 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 83. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2000
trage. Im Gegenteil: Die privaten Anbieter wollen jaausdrücklich keinen Grundversorgungsauftrag überneh-men oder mit abdecken – auch das haben wir im letztenJahr in der Enquete-Kommission mehrfach gehört –,weil dies ihre betriebswirtschaftlichen Spielräume ein-engt.
Demgegenüber sehen wir den Grundversorgungsauftragals notwendig an. Wir stehen zu ihm wie auch zu einerWeiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen und ge-bührenfinanzierten Rundfunksystems, um das uns vieleauf dieser Welt beneiden, weil es eben mehr Vielfalt be-deutet.Dies schließt nicht aus, dass sich unsere Free-TV-Landschaft werbefinanziert entwickeln muss. Ich selberfreue mich auch über einen schönen Film im Bereich desPrivatfernsehens; ich habe mir am letzten Samstag „StarWars“ angeschaut, auch wenn mich die vielen Unterbre-chungen geärgert haben. Wer will, soll sich Pay-TV an-sehen.Wo unser Regulierungsbedarf liegt, haben wir heutebereits deutlich gesagt. Er liegt vor allem im Bereichvon Sendungen, bei denen Jugendliche plumpem Mistund Gewaltdarstellungen ausgesetzt sind; diese werdenüberwiegend von privaten Sendern ausgestrahlt. Leiderscheinen sich ja viele für Schund und Gewalt zu interes-sieren. Fänden solche Sendungen keine Zuschauer, wür-den sie auch nicht gesendet. Exakt hier haben wir unsereregulierenden Aufgaben.Wenn Rundfunk und Fernsehen kein Wirtschaftsgutwie jedes andere sind, meine Damen und Herren, dannkomme ich zu anderen Schlüssen als die Gutachter, dieausdrücklich die Forderung nach einer Zurückführungder Stellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erho-ben haben, obwohl sie an mehreren Stellen auch diesenGrundsatz betont haben. An diesem Punkt müssen sienatürlich ganz klar sagen, was sie unter Zurückführungverstehen.Zu keinen anderen Schlüssen komme ich übrigens,wenn das Gutachten die zunehmend schwieriger wer-dende Trennung von Individual- und Massenkommuni-kation benennt. Diesen Streit haben wir ja mit der altenBundesregierung im Zusammenhang mit der IuKD-Gesetzgebung geführt.
Im Gutachten wird gefordert, dass sich die Medienpoli-tik auf die viel schwerer zu lösende Probleme konzen-trieren soll, die das Internet und die globalen Netze auf-werfen. Aber exakt an dieser Stelle hätte ich mir von denGutachtern mehr Anregungen gewünscht. Stattdessen –das Gefühl habe ich – geht es ihnen um eine Neuauflagealter Schlachten gegen gebührenfinanzierten Rundfunk.Diese alten Schlachten sollten wir langsam, aber si-cher überwunden haben; denn es gibt jede Menge un-gelöster medienpolitischer Fragen. Die Bund/Länder-Regulierungen sind angesprochen worden. Das gilt aberauch für die Frage, wie es sich auswirkt, wenn sich glo-bale Medienkonzerne entwickeln und versuchen, mitproprietären Systemen den Empfang konkurrierenderSendungen zu verhindern oder zu erschweren. ErsteVersuche von Herrn Kirch mit einem Decoder sind imnationalen Bereich erfreulicherweise gescheitert. Daswar ein Versuch, Konkurrenz auszuschließen. Darübermüssen wir reden.Aus diesem Grunde rege ich an, dass wir jetzt mitdieser Debatte aufhören und in unseren Ausschuss fürKultur und Medien zurückkehren, in dem wir schon seiteiner Stunde darüber beraten wollten, mit welchen Ins-trumentarien wir uns im Deutschen Bundestag diesenProblemen zuwenden wollen, zuwenden können und –ich stimme Ihnen zu – selbstverständlich auch zuwendenmüssen.Danke schön.
Als letzte Rednerin
in dieser Aktuellen Stunde spricht nun die Kollegin Ur-
sula Heinen für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Prä-sident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte zuBeginn auf einen Umstand hinweisen, der mich ein we-nig befremdete, als ich die Liste der Beiratsmitgliederstudierte.An dieser Studie haben tatsächlich 34 Herren mitge-wirkt, allesamt Experten der Wirtschafts- und Rechts-wissenschaften. Ich habe zu meinem großen Bedauernund Erstaunen festgestellt, dass keine einzige Frau da-runter gewesen ist. Ich behaupte, dass das Ergebnis die-ses Gutachtens vielleicht ein wenig anders ausgefallenwäre, wenn eine Frau beteiligt gewesen wäre.
– Was heißt, „von der alten Bundesregierung über-nommen“? Zwei Mitgliedschaften im Beirat ruhen. Diejetzige Bundesregierung hätte also die Chance gehabt,diese beiden ruhenden Mitgliedschaften von Herrendurch die Mitgliedschaft von Frauen zu ersetzen.Das Gutachten zu diesem Punkt wurde hier schonmehrfach etwas ausgeführt – behandelt in sehr ein-drucksvoller Weise die ökonomischen Aspekte unsererRundfunk- und Medienordnung. Unter diesen rein öko-nomischen Aspekten kann ich die Schlussfolgerungenzum großen Teil teilen. Aber – auch dieser Punkt wurdehier schon erwähnt – eine Rundfunk- oder Fernsehsen-dung ist sicherlich kein Produkt wie ein Auto, wie Tex-tilien oder wie ein Geschirrspüler. Deswegen meine ich,dass die reine Anwendung des Kartellrechts auf unsereMedienordnung wenig sinnvoll wäre.Ich möchte noch einen anderen Aspekt erwähnen, derim Gutachten fast völlig fehlt und der auch hier in derDebatte nur am Rande gestreift wurde, nämlich dasThema Jugendschutz. Ich finde es schon beachtlich, dassJörg Tauss
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dieses Thema im Gutachten nicht erwähnt wird. Es wur-de lediglich einmal ganz kurz gestreift. Dort heißt esnämlich, dass es zu viele Regelungen und ein zu dichtesGeflecht von Regelungen gibt. Dieser Aspekt wird imGutachten auf den Jugendschutz bezogen.Eine Studie der UNESCO zum Medienkonsum vonJugendlichen kommt zu dem Ergebnis, dass bereits 12-jährige Jungen und Mädchen etwa drei Stunden täglichvor dem Fernseher verbringen. Zum Vergleich: MitHausaufgaben verbringen die Kids etwa zwei Stunden,mit Spielen im Freien oder mit Freunden anderthalbStunden, mit dem Computer gerade 40 Minuten. Ähnli-che Ergebnisse erbrachte ein Umfrage in der achtenKlasse eines Soester Gymnasiums: Knapp 90 Prozentder Schülerinnen und Schüler schauen wochentags biszu zwei Stunden fern. Es sollte uns schon sehr nach-denklich stimmen, wenn eine Schülerin dieser Klasseeine Karikatur gezeichnet hat – diese ist im Übrigenauch im Internet zu finden –, in der das Fernsehgerät wieeine Krake das zuschauende Kind umschlingt.Die Lieblingssendungen der Kinder sind mitnichtennette Disney-Filme. Nur bei den 2-Jährigen liegen dieTeletubbies, über die sich auch noch trefflich streitenließe, vorn. Das bayerische Sozialministerium hat her-ausgefunden, dass Kindersendungen gerade an siebterStelle der Beliebtheitsskala rangieren. Die SoesterSchüler, die ich vorhin schon erwähnte, favorisieren dieSendung „Akte X“. Für diejenigen, die sich nur seltenfür das Fernsehprogramm interessieren, sei erklärt: Dasist eine Serie aus den USA, in der das FBI nicht Ermitt-lungen gegen tatsächliche Verbrecher, sondern gegenUfos, Zombies und ähnliche Figuren aufnimmt. DieUNESCO-Studie hat ermittelt, dass gewalttätige Action-filme von den Jugendlichen besonders gern gesehenwerden. Weltweit ganz oben in den Charts liegt ArnoldSchwarzenegger als Terminator.Wären diese Umfragen im Gutachten des Beirates be-rücksichtigt worden, so hätten die Schlussfolgerungenteilweise anders lauten müssen.
Das Kartellrecht etwa mit seinem schwammigen Passuszum Thema Verstoß gegen gute Sitten wird der Verant-wortung, die wir für junge Menschen haben, wohl kaumgerecht.
Wenn Kinder und Jugendliche einen großen Teil ih-res Wissens und ihrer Orientierung über das Fernsehenerlangen, dann muss das Fernsehen auch dieser Verant-wortung gerecht werden. Ich meine, dass dies reinmarktlich nicht gelöst werden kann. Ich halte deshalb die Schlussfolgerungen des Gut-achtens des Beirates unter dem Aspekt des Jugendschut-zes für nicht umsetzbar. Ich meine auch, dass wir unsdie heute bestehenden Regelungen zur freiwilligenSelbstkontrolle noch einmal genauer ansehen müssen.
Ich habe eine Anregung für diejenigen unter uns, dieKinder im schulpflichtigen Alter haben. Rufen Sie dochnach dieser Debatte einmal zu Hause an und fragen Sie,ob der Fernseher läuft! Ich kann Ihnen sagen – ich habeheute Morgen ins Fernsehprogramm hineingeschaut –,was zurzeit läuft. Die Kinder können sich ab 15.00 Uhrbei Andreas Türck mit dem Thema „Sorry Baby! Duwarst nur ein One-Night-Stand!“ oder bei Hans Meisermit dem Thema „Brisant - Sollen kranke Kinder abge-trieben werden?“ befassen. Bärbel Schäfer hat ihre Sen-dung mit dem Thema „Rück die Kohle raus, ich tu allesdafür!“ auf Druck hin abgesetzt. Wenn Sie aber ins ganzaktuelle Programm schauen, dann können Sie feststel-len, dass das neue Thema dieser Sendung auch nicht we-sentlich besser ist.Wir können doch nicht im Ernst wollen, dass HansMeiser, Bärbel Schäfer und Andreas Türck zu Fernseh-onkels und -tanten der Nation werden und mit ihren ef-fekthascherischen Themen Erziehung übernehmen.
– Ja, es gibt eine Rolle der Eltern. Aber Sie können nichterwarten, dass die Eltern permanent daneben sitzen,wenn die Kinder solche Sendungen sehen. Wenn Kindersolche Sendungen sehen, müssen sich die Eltern hinter-her mit den Kindern zusammensetzen und darüber re-den, was die Kinder gesehen haben.Deshalb meine ich: Im Interesse unserer jungen Men-schen sollten wir mit Veränderungen sehr, sehr behut-sam umgehen
und uns auf jeden Fall genau überlegen, ob wir es wirk-lich zulassen wollen, dass bei den Medien ausschließlichdas Kartellrecht wirkt. Denn die Regelungen zum Ju-gendschutz zum Beispiel greifen dort nicht. Das ist mei-ne Bitte, auch an die Kolleginnen und Kollegen derF.D.P.Danke.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind
damit gleichzeitig am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages ein auf morgen, Donnerstag, den 27. Janu-
ar 2000, 12 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.