Gesamtes Protokol
Guten Morgen, meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.
Zunächst möchte ich mitteilen, daß der Ältestenrat in seiner gestrigen Sitzung vereinbart hat, daß am 2. und 3. September 1998 wegen der Haushaltsberatungen keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunden und keine Aktuellen Stunden stattfinden.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um weitere Punkte zu erweitern, die Ihnen in der Zusatzpunktliste vorliegen:
ZP 10 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 370 zu Petitonen — Drucksachen 13/11188-
b) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschuses
Sammelübersicht 371 zu Petitionen — Drucksache 13/11189-
c) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschuses
Sammelübersicht 372 zu Petitonen
— Drucksache 13/11190-
d) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 373 zu Petitionen — Drucksache 13/11191-
e) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 374 zu Petitionen
— Drucksache 13/11192-
f) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 376 zu Petitionen
— Drucksache 13/11194—
g) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 378 zu Petitionen
— Drucksache 13/11196— h) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 379 zu Petitionen
— Drucksache 13/11197—
i) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 380 zu Petitonen
— Drucksache 13/11198-
-P 11 Weitere eberweisungen im vereinfachten Verfahren
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes
— Drucksache 13/10832—Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Dann teile ich mit, daß wir zunächst den Zusatzpunkt 9 vorziehen:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Förderung der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen und anderer Formen der Vermögensbildung der Arbeitnehmer (Drittes Vermögensbeteiligungsgesetz)
- Drucksachen 13/10012, 13/10527, 13/10918, 13/11201 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Vogt
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Ferner hat der Vermittlungsausschuß einen Feststellungsbeschluß gefaßt. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/11201? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. bei Ge-
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
genstimmen der PDS und Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 5 c auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Erwin Marschweski, Wolfgang Zeitlmann und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Dr. Max Stadler und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesgrenzschutzgesetzes
- Drucksache 13/10790 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
- Drucksache 13/11159 -Berichterstattung:
Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann Günter Graf
Manfred Such
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Kein Widerspruch. - Dann verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Manfred Kanther.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einen guten Morgen!
Ein wichtiges Sicherheitsgesetz liegt zur Beratung vor uns. Es ergänzt die vielen Gesetzentwürfe, die die Bundesregierung und die Koalition in dem halben Jahrzehnt, in dem ich die Sicherheitspolitik mitgestalte, vorgelegt haben. Wir haben unermüdlich an dem Sicherheitsgerüst unseres Landes gebaut - im Kampf gegen die allgemeine Kriminalität, die die Bürger täglich so sehr erreicht und beunruhigt.
Ich erwähne nur das Verbrechensbekämpfungsgesetz und muß daran erinnern, daß es zum Beispiel von Frau Däubler-Gmelin in Ihrem Namen als „Korb voll fauler Eier" bezeichnet worden ist. Für uns hat es bedeutet: Verbesserung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr, Kronzeugenregelung, Verschärfung der Bestrafung von Schleppern und Schleusern, Verschärfung der Strafen wegen Körperverletzung und schärfere Strafen gegen Nazisymbolik, vieles, was zur Bekämpfung der allgemeinen Kriminalität notwendig war.
Dazu gehören aber auch viele Fortschritte im Bereich der Prävention. Die Zahl der Wohnungseinbrüche ist in den letzten fünf Jahren um ein Drittel zurückgegangen. Das bedeutet 45 000mal weniger Schrecken für Menschen, wenn sie aus dem Urlaub nach Hause kommen, oder für Frauen, wenn sie vom Einkauf nach Hause kommen und keine ungebetenen Gäste gehabt haben. Die Zahl der Autodiebstähle ist um ein Drittel zurückgegangen, und zwar durch moderne Sicherheitstechnik, für die wir gesorgt haben. Auch die Kreditkartenkriminalität ist durch mehr Sicherheit wesentlich zurückgegangen.
Noch ungenügend im Lande ist allerdings der Einsatz von Sicherheitstechnik zur Vermeidung von Straftaten - ein Erfolgsrezept, längst bevor irgendein Polizist oder Richter tätig werden muß.
Die Bekämpfung der allgemeinen Kriminalität ist ein mühsamer Weg, der aus vielen Bausteinen besteht. Es gibt keinen Königsweg.
Nicht anders ist dies beim Kampf gegen die organisierte Kriminalität, bei der Geldwäschegesetzgebung und ihrer Verschärfung, als sich erwies, daß sie unzureichend war, beim Kampf gegen ausländische Schleuser und Schlepper, die Kriminalität in unser Land importieren, und bei der Verschärfung der Abschiebebestimmungen, bei der Kronzeugenregelung, beim Ausbau des Bundeskriminalamtes und des Bundesgrenzschutzes, bei der großen Bundesgrenzschutzreform, die derzeit umgesetzt wird und die unsere Grenzen gegen illegalen Grenzübertritt und internationale Kriminalität sichert, beim Abhören von Gangsterwohnungen, das nun endlich möglich ist, auch wenn dies in der letzten Runde durch die Sozialdemokraten leider stark verschlechtert wurde.
Ich erinnere daran, wie eiskalt Sie Ihre Sprecher, Herrn Schily und Frau Däubler-Gmelin, mehrfach haben im Regen stehen lassen, um sie nun als Ministeraspiranten wachzuküssen.
Hoffen wir also, daß das, was sich in einigen Punkten anbahnt, etwa in diesen Tagen mit dem Gesetz über die Gen-Datei, mit dem die Befugnisse des BGS erweiternden heutigen Gesetz, auch mit den wichtigen präventiven Wirkungen der Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes, das gleich beraten werden wird, wirklich das bedeutet, was heute eine große Zeitung schreibt, nämlich einen Paradigmenwechsel bei der SPD, und nicht nur Wahlkampffurcht vor einem Thema, bei dem Sie deutlichen Nachholbedarf haben. Der Kampf um die innere Sicherheit ist ein großes Markenzeichen dieser Koalition.
Dieser wird nicht nur mit dem Gesetzgeber geführt. Vielmehr geht es auch um die Umsetzung der Gesetze im Bund - dort sind natürlich Bundeskriminalamt und Bundesgrenzschutz die wichtigsten Aspekte -, vor allem aber auch in den Ländern. Dabei muß immer wieder darauf hingewiesen werden, daß jedes Gesetz nur so gut ist wie seine Durchführung. Die Länder sind in Deutschland für Polizei und Justiz zuständig. Dort muß sich unter dem Gesichtspunkt dezentraleren Polizeieinsatzes, notwendiger stärkerer Mitwirkung der Ordnungsbehörden und schneller arbeitender Justiz sicherlich vieles ändern, und das nicht nur, weil wir in diesen Tagen unter den betrüblichen Aspekten der Hooligan-Szene von den Franzosen gezeigt bekommen, wie schnelle Verfahren aussehen können, sondern weil wir diese auch in Deutschland durchführen könnten. Ich verweise auf
Bandesminister Manfred Kanther
das, was Sie als „faule Eier" bezeichnet haben, auf das beschleunigte Verfahren, auf die Hauptverhandlungshaft später, die Sie abgelehnt haben. Dies sind in Deutschland die Maßgaben für schnellere Verfahren bei einfachem Sachverhalt gewesen.
In den Ländern wird dieses Verfahren ungenügend angewendet. Unsere Justiz muß bei der Anwendung innovativer Maßnahmen mit Blick auf veränderte Gefährdungslagen einen Zahn zulegen. Nach der Statistik von 1996 wendet die deutsche Justiz das beschleunigte Verfahren in 0,5 Prozent aller Fälle an. Ich kann nicht sagen, wie hoch die richtige Zahl ist, und ich will das auch nicht. Aber ich weiß, daß 0,5 Prozent sicherlich zuwenig sind.
Der Bürger bemißt die Tatkraft seines Staates, der ihn vor Gangstern schützt, auch danach, ob dies schnell geschieht. Selbst dort, wo es keine Gangster, sondern Ersttäter sind, kann mit schnellen Verfahren durchaus ein Nachdruck des Staates beim Schutz seiner Bürger angezeigt werden. Da muß sich etwas ändern.
Wir bauen immerfort an diesem Sicherheitsgerüst, an den vielen Mosaiksteinen, aus denen es besteht. Es gibt in der Verbrechensbekämpfung keinen Königsweg. Abhören, Kronzeugenregelung, Geldwäsche, und dann ist alles paletti - das ist nicht so, sondern es gehören viele Bausteine zueinander. Dazu gehört auch der Bundesgrenzschutz in seiner neuen Gestalt der einzeldienstlich tätigen Bundespolizei an den Grenzen, auf den Bahnhöfen, an den Bahnlinien, auf den Flughäfen, und, wie bisher, in seiner Funktion als Bereitschaftspolizei hinter den Ländern, vor allen Dingen aber als einzeldienstliche Polizei - ein ganz neues Bild. Insoweit ist er eine Ergänzung für Spezialaufgaben, nicht etwa eine Konkurrenz zur Landespolizei.
Deshalb ist es auch völlig abwegig - egal, welcher Gutachter das gesagt hat -, aus der Erweiterung des Instrumentariums der Bundespolizei zum Beispiel um die verdachtsunabhängige Kontrolle, um die es heute geht, eine Verfassungsfrage zu machen. Es kann doch keine Verfassungsfrage sein, ob man in einem 30-Kilometer-Streifen an der Grenze heute schon verdachtsunabhängig kontrollieren darf, aber im Bahnhof im 31. Kilometer jenseits der Grenzlinie nicht. Es ist ausgeschlossen, darin eine Verfassungsfrage zu sehen. Ich bin sehr froh darüber, daß diese Überzeugung nun das ganze Haus - ohne die Grünen - eint.
- Die PDS scheidet aus meinen Betrachtungen, wenn es um die Zukunft unseres Landes geht, aus.
Wenn es um die Grünen geht, ist dies jedoch wichtig, weil die Sozialdemokraten dem Land eine grünrote Koalition verheißen. Unter den vielen Gesetzen des letzten halben Jahrzehnts gibt es nicht eines, das die Grünen mitgetragen hätten. Es wäre ein sehr großes
Risiko für unser Land und unsere Sicherheitspolitik in Zukunft, wenn es je zu dieser Verbindung käme.
Meine Damen, meine Herren, wir legen Ihnen mit der Erweiterung des Bundesgrenzschutzgesetzes wieder einen - zugegebenermaßen kleinen - Baustein vor. Mit diesem Gesetz wollen wir die verdachtsunabhängige Kontrolle auf alle Kompetenzbereiche des Bundesgrenzschutzes erweitern - eine richtige Maßnahme nicht nur angesichts der Hooligan-Ereignisse in Frankreich; das ist ein Zufall. Niemand - das gilt auch in einem demokratischen Staat - fällt ein Stein aus der Krone, wenn er der Polizei auf Anfrage sagen muß, wer er ist.
Ich glaube, an dieser Stelle haben wir gezeigt, daß wir es ernst meinen mit der Sicherheitspolitik in Deutschland in großen wie in kleineren Fragen. Nur alles zusammen ergibt das Bild einer staatlichen, politischen und gesellschaftlichen Entschlossenheit, dieses Feld zum Wohle der Bürger nachdrücklich zu besetzen.
Danke sehr.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Günter Graf.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es konnte an diesem frühen Morgen um 8 Uhr nichts anderes als markige Worte des Bundesinnenministers erwartet werden, der sich die Verdienste anheftet, die die Länderpolizeien erbracht haben. Herr Minister, wenn Sie davon sprechen, daß es 45 000 Wohnungseinbrüche weniger gebe, dann wissen Sie auch, daß das überwiegend das Ergebnis der hervorragenden Arbeit der Polizeien der Länder ist.
Aber das ist heute morgen nicht das Thema.
Ich habe gestern morgen in der verbundenen Debatte zur inneren Sicherheit zum Bundesgrenzschutzgesetz gesprochen und detailliert ausgeführt, warum wir Sozialdemokraten uns nach erfolgter Anhörung am 15. Juni hier im Deutschen Bundestag gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen darauf verständigt haben, einen Änderungsantrag einzubringen. - Frau Präsidentin, ich muß darauf hinweisen, daß im Innenausschuß ein gemeinsamer Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen und der SPD einvernehmlich beschlossen wurde.
- Entschuldigung, es war ein Hinweis an die Frau Präsidentin.
Das werde ich gleich klarstellen.
Zum Bundesgrenzschutzgesetz selber habe ich alles ausgeführt. Ich will das hier nicht wiederholen, sondern nur soviel sagen: Als wir am 19. Oktober 1994 dem Bundesgrenzschutz durch ein neues Gesetz grundsätzlich neue Aufgaben und auch neue Rechtsgrundlagen für sein Tätigwerden gegeben haben, war das schon sehr umfangreich. Der Änderungsantrag, den wir jetzt beschlossen haben, nimmt nun die Bedenken auf, die die Verfassungsrechtler geäußert haben. Ich nehme diese Bedenken im Gegensatz zu Ihnen, Herr Minister, sehr ernst. Die Verfassungsrechtler haben nämlich sehr deutlich gesagt, daß es nicht der Fall sein dürfe, daß jede Bürgerin und jeder Bürger in diesem Staat an jeder Stelle ohne irgendwelche Gründe kontrolliert werden könne.
Das war der Grund dafür, daß wir die Anhörung durchgeführt haben, und das war auch der Grund dafür, daß wir die Begriffe „grenzpolizeiliche Lage", „polizeiliches Lagebild" als Eingriffsvoraussetzung aufgenommen haben. Im Änderungsantrag haben wir unter anderem deutlich gemacht, daß es eine Differenzierung zwischen dem 30-Kilometer-Grenzbereich, den Bahnanlagen und den Flughäfen geben müsse. Sie, Herr Minister, wissen genauso wie ich, daß es an den Bahnanlagen ständig zu Kompetenzschwierigkeiten zwischen Bund und Ländern kommt. Man muß in Zukunft noch einmal darüber nachdenken, ob es so bleiben kann, wie es ist, oder ob nicht andere besser in der Lage wären, die Aufgabe an den Bahnhöfen zu übernehmen. Ich will das hier nur einmal andeuten; wir werden das sicherlich in der nächsten Wahlperiode neu zu bedenken haben.
Im übrigen verweise ich auf das, was ich gestern morgen gesagt habe. Der Kollege Hans-Peter Kemper, der aus einem Grenzbereich kommt und ehemaliger Polizeibeamter ist, wird in dieser Debatte noch einige Anmerkungen zu diesem Thema machen.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Manfred Such.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich einmal vor, Sie gehen mit Ihrer Familie zum Einkaufen in den Bereich eines Bahnhofs oder sitzen bei einem Ausflug im Flughafenrestaurant bei Kaffee und Kuchen und werden von einer netten BGS-Beamtin oder einem netten BGS-Beamten mit den freundlichen Worten „Zeigen Sie mir bitte Ihren Ausweis" angesprochen, ohne daß es einen konkreten Anlaß dafür gibt, ohne daß Sie mit einer Straftat in Verbindung stehen.
Ich kann mir nicht vorstellen, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß Ihnen das gefallen wird. Doch in genau diese Situation könnten demnächst jede Bürgerin und jeder Bürger auf großen Bahnhöfen, Flughäfen und in Eisenbahnen geraten, wenn Gesetz würde, was Koalition und SPD heute vorschlagen. Im
Ergebnis dürften jeder und jede nebst mitgeführten Sachen ohne individuellen Anlaß und ohne Begründung angehalten, kontrolliert, per Datenabfrage überprüft und letztlich auch durchsucht werden.
Behaupten Sie bitte nicht, dies sei nach der vorgeschlagenen Änderung des Ursprungsentwurfs nun ausgeschlossen. Das Gegenteil ist richtig. Lieber Kollege Graf, Sie haben die von mir eben nur wiedergegebene Situation genau so vor vier Wochen bei der ersten Lesung zwar als Folge des Ausgangsentwurfs formuliert. Dies droht jedoch ebenso nach der vorliegenden Beschlußempfehlung, welche lediglich sprachliche Scheinbegrenzungen der neuen Befugnisse vorsieht. Wenn nun etwa diese Kontrollen nur noch auf Flughäfen mit grenzüberschreitendem Verkehr durchgeführt werden sollen, betrifft dies durchweg alle Airports, auf denen der BGS eingesetzt ist. Die neue Formel, daß betroffene Züge und Bahnhöfe nach grenzpolizeilicher Erfahrung zur unerlaubten Einreise genutzt werden müssen, trifft durchweg auf sämtliche Eisenbahnanlagen zu, da sich dort gewiß schon einmal Menschen ohne gültiges Visum aufgehalten haben. Dieser Umstand kann jedoch unserer Auffassung nach nicht eine flächendeckende Kontrolle aller anderen Menschen rechtfertigen, die sich später einmal am selben Ort aufhalten.
Außerdem soll der BGS nun alle Menschen an diesen Orten zunächst lediglich anhalten, ihre Papiere verlangen und mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen dürfen. Es liegt aber auf der Hand, daß sich dem vielfach unmittelbar eine volle Identitätsüberprüfung mit Dateiabfragen, erkennungsdienstlicher Behandlung sowie intensivere Durchsuchungen anschließen können, vor allem wenn jemand gerade zufällilg seinen Ausweis nicht dabei hat. Dies würde aber absehbar zur Diskriminierung aller, die anders aussehen, führen, wie Sie, Kollege Graf, zu Recht, kritisiert haben.
Leider hat sich die SPD-Fraktion inzwischen abermals auf die persönliche Position ihres innenpolitischen Koordinators, Herrn Schily, einschwören lassen. Dieser Kollege formulierte kürzlich im „Spiegel" leichthin, die geplanten Zumutungen für rechtschaffene Bürgerinnen und Bürger „dürfe man nicht ideologisch sehen" . Meine Fraktion, Bündnis 90/Die Grilnen, hingegen pocht nachdrücklich darauf, daß Bürgerrechte nicht derart flapsig aus offenbar wahltaktischer Zurückhaltung preisgegeben werden dürfen.
Die nun vorgeschlagenen Modifizierungen des Entwurfs stehen auch im Widerspruch zu den Änderungsbegehren des Bundesrates und insbesondere der SPD-mitregierten Länder. Diese haben zu Recht und unter anderem gerügt, das Vorhaben verletze die im EU-Vertrag und im Schengener Abkommen vorgesehene Freizügigkeit der Bürgerinnen und Bürger ohne Grenzkontrollen durch räumlich vorgeschobene Grenzersatzkontrollen. Genau dies ist die Folge Ihrer Vorschläge. Praktisch wird der Grenz- und Fahndungsraum auf die gesamte Bundesrepublik ausgedehnt.
Solche Auswirkungen fördern gewiß nicht - das sage ich als ehemaliger Polizeibeamter - das notwendige Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu ihrer
Manfred Such
Polizei. Demgegenüber wäre die Wiedereinführung der Schlagbäume noch eine mildere und für die Bürger transparentere Maßnahme im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, kritisierte Professor Seebode in der Anhörung.
Unter vordergründiger Anknüpfung an Grenzschutz-aufgaben soll hier eine flächendeckende Präsenz des BGS auch im allgemeinen Polizeibereich im Binnenland verankert werden - zu Lasten der dort zuständigen Länderpolizeien und entgegen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, das vor fünf Monaten genau eine solche Entwicklung als verfassungsrechtlich unzulässig wertete.
Herr Such, Ihre Redezeit ist beendet.
Ich komme zum Schluß, Frau Präsidentin. - Drei Bürger aus Mecklenburg-Vorpommern, Herr Kanther, haben gerade Verfassungsklage gegen die im dortigen Polizeigesetz kürzlich eingefügten entsprechenden Befugnisse zu verdachtsunabhängigen Kontrollen erhoben. Ähnliche Klagen wären auch gegen das BGS-Gesetz zu erwarten. Ich kann also nur empfehlen, diesen Vorschlägen der großen Koalition hier nicht zuzustimmen.
Ich danke Ihnen.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Max Stadler.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Innenpolitik stehen wir oft vor der Aufgabe, auf veränderte Verhältnisse mit neuen Befugnissen reagieren zu müssen und zugleich aber den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einzuhalten. Innenpolitik ist eine ständige Abwägung, dem Staat das zu geben, was des Staates ist, und den Bürgern zugleich ihre Freiheitsrechte soweit wie irgend möglich zu belassen.
In der gestrigen Debatte ist deswegen zu Recht von den Rednern der Koalition hervorgehoben worden, daß CDU/CSU und F.D.P. gerade in den letzten beiden Legislaturperioden eine Vielzahl von gesetzgeberischen Maßnahmen getroffen haben, mit denen die Effektivität der Verbrechensbekämpfung verstärkt worden ist. Effektivität ist ein wichtiges, allerdings nicht das einzige Kriterium. Die Regeln der Strafprozeßordnung und der Polizeigesetze dienen ja gerade dazu, die Interessenkonflikte auszugleichen und die Rechte der Betroffenen gegenüber dem Grundsatz des effektiven Polizeihandelns zu formulieren.
Ich darf vielleicht, weil es hier um Grundsätzliches geht, ein Beispiel nennen, das dies sehr plastisch belegt: Das Landgericht Frankenthal hatte einmal einen Fall zu verhandeln, bei dem der Angeklagte einen Mord gestanden hatte. Er ist deswegen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof hat dieses Urteil aufgehoben, weil diesem Angeklagten von der Polizei nicht die Möglichkeit gegeben worden war, vor seiner Vernehmung einen Verteidiger zu konsultieren. Wir sehen also: Die Rechte des einzelnen tangieren bisweilen die Effektivität der Strafverfolgung. Trotzdem ist es wichtig, daß die Rechte des einzelnen geschützt werden, indem sogar Beweisverwertungverbote eintreten, wenn ein fundamentales Recht wie das der Konsultation eines Verteidigers verletzt wird.
Genau diese ständige Abwägung, die wir immer wieder vornehmen müssen, war die Aufgabe, die sich bei der Einführung der verdachtsunabhängigen Kontrollen für den Bundesgrenzschutz in Bahnanlagen, in Bahnhöfen und an Flughäfen außerhalb der 30-Kilometer-Zone gestellt hat. Die F.D.P. hat schon in der ersten Lesung deutlich gemacht, daß nach ihrer Auffassung auf Grund der Grenzöffnung nach dem Abkommen von Schengen, aber auch auf Grund der verstärkten Mobilität von Straftätern und der damit einhergehenden grenzüberschreitenden Kriminalität eine Maßnahme wie die verdachtsunabhängige Ausweiskontrolle prinzipiell notwendig ist.
In der ersten Lesung haben wir aber auch zum Ausdruck gebracht, daß wir trotz der Kürze der Zeit die grundsätzlichen Bedenken und die Detaileinwände, die in der öffentlichen Diskussion erhoben worden sind, in aller Sorgfalt prüfen wollen. Deswegen haben wir eine Anhörung des Innenausschusses durchgesetzt. Wir haben das Versprechen gehalten, die Erkenntnisse aus dieser Anhörung zu verwerten und in das weitere Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Auf Grund dieser Anhörung ist es zu drei grundlegenden Änderungen des Ursprungsentwurfs gekommen.
Erstens. Die Kontrollen sind lagebildabhängig und dort durchzuführen, wo nach polizeilicher Erkenntnis die Begehung der genannten Straftaten wahrscheinlich ist. Der „Spiegel" hat zu Recht geschrieben, damit werde es keine undifferenzierte Schleierfahndung im großen Stil im ganzen Bundesgebiet geben.
Das wäre nämlich unverhältnismäßig.
Zweitens. Für die Durchführung der Maßnahmen haben wir nun eine Abstufung vorgesehen: Der relativ geringfügige Eingriff, bei dem jemand seinen Ausweis vorzeigen muß, kann unter den eben genannten Bedingungen verdachtsunabhängig erfolgen. Weitergehende, schon schwererwiegendere Eingriffe hingegen wie etwa die Durchsuchung von Sachen oder aber auch die Mitnahme einer Person auf eine Polizeidienststelle brauchen entgegen dem Ursprungsentwurf den konkreten Verdacht einer
Dr. Max Stadler
Straftat. Damit wird das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt.
Schließlich und drittens. Wir haben dafür gesorgt, daß die neuen Maßnahmen befristet sind. Denn die Befristung zwingt uns als Parlamentarier dazu, sehr sorgfältig zu beobachten, wie von den neuen Möglichkeiten denn in der Praxis Gebrauch gemacht wird. Es soll nicht so sein, daß wir im Parlament ein Gesetz beschließen und die praktische Umsetzung dann nicht mehr beobachten. Mit der Befristung stehen wir später in dem Zwang, uns damit zu befassen, ob wir die Maßnahmen fortführen, ob wir sie modifizieren oder ob sie sich nach einiger Dauer als unnötig oder ineffektiv erweisen. Wir sind der Überzeugung, daß sie effektiv sein werden, daß sie stichprobenartig praktiziert werden und daß die Praxis des Bundesgrenzschutzes dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entsprechen wird.
Der Vorwurf der Kollegen Zeitlmann in der gestrigen Debatte, ohne die Bedenken der F.D.P. hätte man manches effektiver gestalten können, enthält in Wahrheit ein verstecktes Kompliment.
Es ist doch die Aufgabe für uns Liberale, für eine effektive Verbrechensbekämpfung zu sorgen, zugleich aber Maß und Ziel walten zu lassen und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit in jeder Hinsicht einzuhalten. Das geschieht jetzt mit dem veränderten Entwurf.
Es spricht nun die Abgeordnete Ulla Jelpke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Innenminister, lassen Sie mich eine Vorbemerkung zu Ihren makabren Worten heute machen.
Ich glaube, es ist gestern deutlich geworden, daß wir alle über die Gewalttaten der Hooligan-Klubs in Frankreich betroffen sind. Aber beschämenderweise haben Sie heute morgen wieder nicht dazu Stellung genommen, daß auch Sie eine ganz erhebliche Verantwortung in diesem Bereich tragen. Die HooliganKlubs haben seit langem Verbindungen zu NeonaziOrganisationen und zur Szene. Wenn ich mir Ihren Verfassungsschutzbericht anschaue, dann finde ich dort nicht ein einziges Wort dazu. Ich könnte hier im einzelnen nachreichen, zu welchen Organisationen diese Verbindungen nachweislich bestehen und wo Ihr Innenministerium bisher nichts, aber auch wirklich gar nichts getan hat. Die einzige Antwort, die Sie heute haben: Polizeipräsenz, Bundesgrenzschutz, heute morgen an den Grenzen mit mehr als tausend
Mann zusätzlich, wie wir hören durften. Verdachtsunabhängige Kontrollen werden jetzt durchgeführt.
Ich sage Ihnen noch einmal: Die Anhörung von Polizeipraktikern und von Rechtswissenschaftlern hat ergeben, daß dieses Gesetz verfassungswidrig ist, unsinnig und unnötig, weil die Instrumentarien, die gesetzlich vorliegen, längst ausreichen.
Tun Sie endlich etwas! Ich kann nur hoffen, daß es heute morgen hier Ihre Abschiedsrede als Bundesinnenminister war, denn ich halte Ihre Arbeit und Ihre Politik in diesem Land für skandalös.
Das kann man auch für dieses Gesetz sagen.
Ich möchte einen sehr ernstzunehmenden Sachverständigen zitieren. Professor Dr. Lisken, pensionierter Polizeipräsident aus Düsseldorf, sagte zu den verdachtsunabhängigen Kontrollen, die Sie jetzt einführen wollen:
Solche Methoden aus dem Arsenal des Ausnahmezustandes gab es unter den Voraussetzungen des Belagerungszustandes etwa während des Ersten Weltkrieges und im SS-Staat nach der Ausnahmeverordnung des Reichspräsidenten vom 28. 2.1933 bis zum 8.5.1945.
Ich weiß, daß der Innenminister sein Befremden über diese Aussage des Sachverständigen ausgedrückt hat, aber ich bin der Meinung, solche Hinweise von Sachverständigen müßten eigentlich dazu führen, daß der Abbau demokratischer Rechte in diesem Land ernsthaft diskutiert wird. Doch die Verantwortlichen setzen sich einfach über diese Aussagen von Sachverständigen hinweg. Sie stellen sich in eine Tradition, die ich doch sehr, sehr fragwürdig finde.
Der Kollege Such hat hier einiges zur Scheinbegrenzung dieses Vorschlages gesagt. Ich bin entsetzt darüber, daß die SPD-Fraktion heute dem Bundesgrenzschutzgesetz mit einer angeblich differenzierten Position doch zustimmen wird.
- Ja, ich lese das nach. Es sind ein paar Punkte verändert worden. Okay, es dürfen jetzt nicht mehr alle verdachtsunabhängig kontrolliert werden, sondern es wird selektiert, wie es so schön heißt, wie es in der Anhörung auch ausgesprochen wurde, selektiert von Polizeibeamten. Das heißt, hier will man ganz gezielt Menschen, die nicht deutsch aussehen, herausgreifen, um kontrollieren zu können.
Ich finde, dieses Gesetz ist ein weiteres Gesetz, das rassismusfördernd sein wird. Ich halte es für einen Skandal und hoffe nur, daß man in der nächsten Legislaturperiode solche Gesetze zurücknehmen kann.
Ich danke Ihnen.
Ich rufe jetzt den Kollegen Wolfgang Zeitlmann auf.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren innerhalb von zwei Tagen wieder über ein Thema der inneren Sicherheit. Mich wundert es schon sehr, daß hier, Herr Kollege Stadler, so ganz ungeniert gesagt wird: Jawohl, wir wollen ein Weniger an Effektivität in der Verbrechensbekämpfung, weil wir eine verdachtsunabhängige Kontrolle nur in ganz bestimmten Bereichen - sprich: illegale Einreise
- akzeptieren wollen.
Da frage ich schon nach. Denken Sie jetzt zum Beispiel an die Hooligans, die ja nicht einreisen wollen; die wollen ja nur ausreisen. Ich bitte Sie, sich das an Hand dessen, was vorgelegt ist, wirklich zu überlegen. Da kommt dann die nächste Welle an neuer Kriminalität, und dann müssen wir wieder nachsatteln, weil wir ja so ungeheure Bedenken - -
- Ja, ja, allgemeines Polizeirecht, Herr Stadler, das ist schon richtig. Nur wer denn? Die Länderpolizeien. Jetzt verfolgen Sie aber einmal den Weg eines Hooligans aus Hamburg!
Wenn man die Regelungen von Anfang an nicht nur mit Mißtrauen gegenüber jedem Polizeibeamten, sondern mit dem Mindestmaß an Vertrauen gegenüber den eigenen Beamten fassen würde, dann könnte manches leichterfallen. Dann hat der Beamte etwas Spielraum. Das geht aber nicht, wenn ich den Beamten pausenlos verdächtige, daß er nichts Widerwärtigeres zu tun habe, als flächendeckend und reihenweise alle friedlichen Bürger, die sich auf verschlungenen Wegen auf den deutschen Straßen bewegen, zu kontrollieren.
Wir haben uns geeinigt; ich trage das Gesetz mit. Wenn Sie hier betonen, wie sehr Sie die Rechte der Bürger wahren, wird es doch aber erlaubt sein, auch einmal daran zu erinnern, daß der Bürger jahrzehntelang daran gewöhnt war, daß er an der Grenze verdachtsunabhängig kontrolliert wurde. Sie, Herr Dr. Stadler, haben in Passau erst seit ein paar Monaten die Möglichkeit, nach Österreich ohne Kontrollen einzureisen, genau seit dem 1. April. Im Juni wird dann plötzlich behauptet, es seien dem Volk Rechte zugewachsen, und es sei völlig undenkbar, daß der Bürger wieder kontrolliert wird.
- Herr Dr. Stadler, Sie müssen sich das einmal aus der Sicht des kleinen Bürgers vorstellen.
- Meine Damen und Herren, was soll die Unruhe? - Glauben Sie wirklich, daß der normale Bürger, der im Zug sitzt und seine Fahrkarte vorzeigen muß, ein Problem damit hat, wenn ihn der daneben stehende
BGS-Beamte nach seinem Ausweis fragt? Überhaupt nicht.
Im Gegenteil: Wenn er weiß, daß er damit womöglich dazu beiträgt, daß manchem Kriminellem das Handwerk gelegt werden kann oder zumindest erschwert wird, wird er das ohne Probleme in Kauf nehmen.
Ein Weiteres bitte ich zu bedenken: Wenn wir den Begriff „Untersuchung", wie er im Entwurf stand, jetzt auf Grund der Bedenken der F.D.P. und der Opposition auf den Begriff „in Augenschein nehmen" reduzieren, dann wird es für den normalen Polizeibeamten schwierig, diesen Unterschied zu bewerten. Er müßte drei Semester Jura studiert haben, um diese feine Unterscheidung nachvollziehen zu können.
Wenn man ihm dann noch sagt, der Bundesgrenzschutz darf von seinen Befugnissen im Bahnbereich und in den Zügen nur dann Gebrauch machen, wenn diese nach grenzpolizeilicher Lagebeurteilung zur illegalen Einreise genutzt werden, heißt das doch nichts anderes, als daß er im Grunde einen allgemeinen Erfahrungsschatz mit einbringen muß und sich fragen muß, ob er im richtigen Zug ist und in was für einer Zuggattung er sich befindet - Intercity oder Interregio - und ob es sich wirklich nur um die übliche Einreise handelt.
Ich finde, wir stellen zu hohe Anforderungen an den einzelnen Polizeibeamten.
Herr Kollege Graf, Sie haben in der Anhörung gesagt, daß man in der Praxis immer kontrolliert habe und sich den Verdacht irgendwie konstruiert habe. Wenn man es so machen könnte, dann wäre ja alles wieder in Ordnung.
Damit würden Sie aber erwarten, daß der Polizeibeamte im Grunde so ein bißchen am Gesetz vorbei die Dinge betreibt.
Herr Zeitlmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hirsch?
Nein, da ich sowieso gleich fertig bin. - Deswegen sage ich, daß ich nicht ein kompliziertes Gesetz will, das nur bei der Einreise gilt und bei dem es auf Grund der strengen Voraussetzungen unendlicher langer Abwägungsprozesse eines Juristen bedarf.
Wolfgang Zeitlmann
Eine klare Regelung wäre mir lieber; sie wäre auch effektiver.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Als letzter in dieser Debatte spricht der Abgeordnete Hans-Peter Kemper.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will zunächst einmal unserem Innenminister in zwei Punkten ausdrücklich recht geben: Es ist unbedingt erforderlich, daß wir Nachbesserungen bei der inneren Sicherheit und bei der Kriminalitätsbekämpfung vornehmen, denn unter dieser Regierung hat sich in den letzten 16 Jahren die innere Sicherheit so verschlechtert, daß es den Leuten in unserem Land angst macht.
Außerdem müssen wir uns um die Kontrolle der Grenzen und der Grenzräume kümmern. Ich habe über 30 Jahre lang in einem Bereich Dienst gemacht, in dem wir 108 Kilometer Staatsgrenze zu den Niederlanden hatten. Ich weiß, daß gerade die Grenzen kriminalitätsrelevant sind. Sie stellen - oder stellten - eine Barriere für die Straftäter, insbesondere aber auch für die Polizei und für die Bürger dar. Das ist seit Schengen anders. Schengen hat diese Barriere beseitigt. Für die Bürger ist das positiv. Aber leider nutzen auch einige Zeitgenossen diese Freiheiten, für die sie eigentlich nicht gedacht waren, nämlich Schleuser und Kriminelle. Hierauf müssen Polizei und BGS, hierauf muß die Politik reagieren, nach Möglichkeit - das ist der Idealfall - Bund und Land Hand in Hand.
Wir wollen nicht verhehlen, Herr Zeitlmann, daß wir uns im Vorfeld dieser Vorlage schwergetan haben. Wir haben diskutiert. Wir haben gestritten, und das zu Recht; denn verdachtsunabhängige Kontrollen ohne jede Einschränkungen sind nicht unser Ding.
Die Rechtsfragen hat mein Kollege Günter Graf gestern schon ausführlich erläutert. Ich will noch auf einen Punkt eingehen, den Sie, Herr Zeitlmann, gerade angesprochen haben, nämlich die Effektivität. Da will ich Sie einfach einmal fragen: Halten Sie es für effektiv, wenn man verdachtsunabhängig jeden Bürger kontrolliert,
insbesondere unter dem Aspekt, daß Bundesgrenzschutz und Polizei nur begrenzte Personalressourcen zur Verfügung haben, oder ist es nicht sinnvoller, auf Grund von Vermutungen und Verdachtsmomenten zu kontrollieren? Bei letzterem sind die Erfolgsaussichten wesentlich größer. Das Stochern im Nebel oder das Suchen nach der berühmten Nadel im Heuhaufen hat in der Kriminalitätsbekämpfung noch nie etwas gebracht. Deswegen haben wir uns im Vorfeld
auch gegen die verdachtsunabhängigen Kontrollen ausgesprochen.
Nach der Anhörung hat die F.D.P. - das ist das Verdienst der F.D.P., insbesondere des Kollegen Herrn Stadler; das will ich ausdrücklich konzedieren - ein Kompromißpapier durchgesetzt. Dafür will ich die F.D.P. ausdrücklich loben. Die F.D.P. bekommt im Augenblick sonst nicht sehr viel Lob. Ich denke aber, auch in Wahlkampfzeiten ist es gestattet, der F.D.P. einmal etwas Gutes zu tun.
Ich bin der F.D.P. dankbar dafür - besonders Ihnen, Herr Stadler -, daß sie dieses Kompromißpapier vorgelegt hat,
das die Ergebnisse der Expertenanhörung zusammenfaßt. Dieses Kompromißpapier ermöglicht uns die Zustimmung; denn es macht die Kontrollen von bestimmten Kriterien, zum Beispiel von einem Lagebild oder von Erkenntnissen der Grenzbehörden, abhängig. Das ist, denke ich, die entscheidende Verbesserung bei dem vorliegenden Kompromiß.
Ich will noch auf den Einwurf von Herrn Zeitlmann eingehen, diese Vorlage sei verschlechtert worden. Ich muß Ihnen sagen, Herr Kollege Zeitlmann: Diese Vorlage unterscheidet sich in angenehmer Weise von den Sprüchen, die wir von Ihnen gehört, und von der ersten Vorlage, die Sie präsentiert haben.
Da hatte ich gelegentlich den Eindruck, hier seien die Enkel von John Wayne am Werk gewesen. Das, was Sie dort vorgelegt haben, ist christkonservative Kriminalitätsbekämpfung, die darauf setzt, Repression mit allen Mitteln durchzusetzen, die Prävention aber in wesentlichen Teilen vernachlässigt.
Wir haben einen anderen Ansatz. Wir wollen zugleich Repression und Prävention realisieren. Wir wollen die Kriminalität bekämpfen, aber wir wollen vor allem die Kriminalitätsursachen bekämpfen.
Herr Minister Kanther, Sie haben eben die Erfolge aufgezählt. Das ist auch erfreulich. Aber ich muß sagen: Sie haben das Kriminalitätslagebild nur sehr begrenzt wahrgenommen; denn Sie haben den gesamten Bereich der Jugendkriminalität und der Gewaltkriminalität ausgespart.
Hier haben wir eine erhebliche Zunahme zu verzeichnen.
Da muß ich Ihnen sagen: Wer junge Leute ohne Ausbildungsplatz, ohne Arbeitsplatz oder mit fehlender Perspektive im Regen stehenläßt, der braucht sich über die Zunahme dieser Kriminalität nicht zu wundern. Wer eine halbe Million junger Menschen
Hans-Peter Kemper
auf die Straße schickt, sie dort alleine läßt und anschließend Krokodilstränen darüber vergießt, was sie denn auf der Straße so treiben, der ist in diesem Bereich zutiefst unehrlich.
Deswegen müssen wir der Prävention sehr viel stärkere Aufmerksamkeit widmen.
Ich bin der Meinung, daß der jetzt vorliegende Kompromiß positiv ist. Er enthält zwei Zielrichtungen: Er trägt dazu bei, auf der einen Seite die innere Sicherheit zu erhöhen und auf der anderen Seite die Freiheitsrechte der Bürger höchstmöglich zu garantieren.
Wir sind kein Volk von Straftätern, und die Menschen in diesem Land dürfen auch nicht so behandelt werden. Wir stimmen deshalb diesem Kompromiß, einer verbesserten Lösung, zu. Wir fordern die Verantwortlichen im Innenministerium und beim Bundesgrenzschutz auf, Geist und Wort dieses jetzt vorliegenden Gesetzentwurfs aufzunehmen und in diesem Sinne für die Umsetzung beim Bundesgrenzschutz zu sorgen.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich bekannt, daß schriftliche Erklärungen zur Abstimmung gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung von den Kollegen Burkhard Hirsch und Sabine LeutheusserSchnarrenberger vorliegen.*)
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesgrenzschutzgesetzes, Drucksachen 13/10790 und 13/ 11159. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. bei Gegenstimmen von Bündnis 90/ Die Grünen, PDS und zwei Abgeordneten der F.D.P.
angenommen.
*) Anlage 2
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes
- Drucksache 13/10155 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Gesundheit
- Drucksache 13/11172 - Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Lohmann
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS fünf Minuten erhalten soll. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Wir verfahren entsprechend.
Ich möchte darauf hinweisen, daß wir am Ende dieser Debatte eine namentliche Abstimmung durchführen.
Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege Wolfgang Lohmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir schließen heute die Beratungen über das vom Bundesrat vorgelegte Zweite Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes ab. Dieses Gesetz soll im Kern den Mißbrauch und die Erschleichung von Sozialleistungen erschweren - eine, wie ich meine, überfällige Entscheidung. Von den Leistungsabsenkungen sind diejenigen Personen betroffen, die sich im Geltungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes befinden und sich dorthin nur begeben haben, um Leistungen, die ihnen nach diesem Gesetz zustehen, in Anspruch zu nehmen. Darüber hinaus sind von den Leistungsabsenkungen Personen betroffen, bei denen sich aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollziehen lassen.
Was verbirgt sich hinter dieser abstrakten juristischen Gesetzessprache? Gemeint sind diejenigen, die - meist durch Schlepperbanden organisiert - gezielt nach Deutschland einreisen und ausschließlich Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen wollen. In diesem Punkt stellt das neue Gesetz eine überfällige Angleichung an das Bundessozialhilfegesetz dar.
Die zweite Personengruppe, die von der Neuregelung berührt wird, umfaßt diejenigen Personen, die bei der Paßbeschaffung nicht mitwirken, ihre Identität verschleiern, Widerstand leisten oder sogar ihre Pässe mutwillig vernichten, um eine Abschiebung zu verhindern.
Der Gesetzentwurf des Bundesrates hat viel Kritik erfahren. Teilweise sind auch Emotionen geschürt worden. Meines Erachtens wäre dies vermeidbar gewesen, wenn bereits im Vermittlungsverfahren zum
Wolfgang Lohmann
1. Asylrechtsänderungsgesetz im April 1997 die Länder diese Regelung möglich gemacht hätten. Damals bestand insbesondere auf der Seite der Sozialdemokraten keine Bereitschaft, dies zu tun. Ein im Frühjahr bevorstehender Landtagswahlkampf hat dann offenbar zu einem Sinneswandel beigetragen, denn die Mehrheit im Bundesrat hat das Thema wieder auf die Tagesordnung gesetzt.
Das Verhalten von Ihnen, Frau Kollegin Lange, ist allerdings - ich erlaube mir diese Bezeichnung - unseriös. Sie haben nämlich mich persönlich in der Sitzung am 26. Mai 1998 vehement kritisiert und versucht, deutlich zu machen, daß es sich bei den Leistungen im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes um eine Mindestversorgung handelt, die aus grundsätzlichen Erwägungen auf gar keinen Fall eingeschränkt werden dürfe. Heute wollen Sie und Ihre Kollegen, die zum überwiegenden Teil ebenfalls diese Meinung auch in der Anhörung vertreten haben, dem Gesetzentwurf zustimmen, der genau die Regelungen beinhaltet, die Sie - jedenfalls bislang - als nicht zulässig erachtet haben.
Ich frage Sie und auch uns: Ist die Frage nach der Menschlichkeit, die Sie ins Gespräch gebracht haben, von der Quantität der Betroffenen, also davon, ob es 30 000 oder 120 000 Betroffene gibt, abhängig? Wäre es nicht eine konsequente Haltung - diese hätte ich von Ihnen erwartet -, daß Sie bei der Ablehnung bleiben müßten, auch wenn es weniger Betroffene gäbe?
Die Koalitionsfraktionen haben die für eine Regierung notwendige Stabilität und innere Geschlossenheit auch mit diesem Gesetzentwurf dokumentiert. Wir haben versucht, den rechtlich oberflächlich konzipierten Entwurf des Bundesrates vernünftig zu konkretisieren. Dabei wurde gerade der Aspekt der ehemaligen Bürgerkriegsflüchtlinge umfassend mit Experten, unter anderem auch mit den Kollegen Schlee und Schwarz-Schilling, besprochen. Wir glaubten, daß eine Lösung in einer unmittelbaren Verbindung zwischen Ausländerrecht und Sozialrecht liegen könnte.
Ich bin dieser Meinung auch heute noch: Das Sozialrecht, in diesem Falle das Asylbewerberleistungsgesetz, sollte dem Ausländerrecht folgen. Wir wollten von Anfang an Personen ausnehmen, die an Leib und Leben gefährdet sind. Auch Personen, die auf Grund ihres Alters oder ihrer persönlichen Erlebnisse nicht in ihre Heimat zurückkehren können, sollten aus humanitären Gründen von den Einschränkungen nicht betroffen sein.
Nur: Wenn bei einem Koalitionspartner letzte Zweifel an der von beiden Seiten für notwendig gehaltenen Konkretisierung bleiben, darf eine solche Entscheidung nicht übers Knie gebrochen werden. Soweit nicht auszuschließen ist, daß vom Gesetz auch Personen erfaßt würden, die wir nicht erfassen wollen, bin ich der festen Überzeugung, daß der strafrechtliche Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten" angewandt werden muß. Ich sage „im Zweifel für den Angeklagten", weil ich gestern gehört habe, daß die lateinische Form dieses Grundsatzes, die auch ich kenne, den Juristen vorbehalten ist.
- Ja, in dubio pro reo. Aber das sagen ja nur Juristen.
Deshalb ist es zumindest zum jetzigen Zeitpunkt notwendig, die Ziffer 3 des Bundesratsentwurfs zu streichen. Diese Ziffer 3 sah vor, daß bei Personen, die vollziehbar ausreisepflichtig oder geduldet sind und trotz rechtlicher oder tatsächlicher Möglichkeiten nicht freiwillig ausreisen, die Leistungen abgesenkt werden. Es ist zu bedauern, daß wir in diesem Punkt keine abschließende Sicherheit erzielen konnten, was leider auch darauf zurückzuführen ist, daß der eigentliche Initiator, der Bundesrat, bis zum Abschluß in dieser Woche keine Klarheit über die Haltung einzelner Bundesländer zu bestimmten Details schaffen konnte oder wollte.
Es gibt nun Stimmen, die uns angesichts der sorgsamen Behandlung dieses Themas vorwerfen, das Gesetz sei weitgehend inhaltsleer. Ich glaube dies nicht. Dieses Gesetz sollte nicht an der Quantität der Betroffenen, sondern an seiner Signalwirkung gemessen werden. Was signalisiert dieses Gesetz? Es signalisiert zunächst, daß Mißbrauch und Erschleichung von Sozialleistungen auch im Bereich dieses in Rede stehenden Gesetzes sanktioniert werden können.
Darüber hinaus hat schon die Diskussion deutlich gemacht, daß die Ausländerbehörden die Duldungsgründe in Zukunft möglichst genau zu spezifizieren und Duldung auf die wirklich erforderlichen Fälle zu beschränken haben. Zudem sollte man nicht übersehen, daß auch Details geregelt werden, die bisher nicht im Vordergrund der Diskussion gestanden haben: Die Taschengeldbeträge in Abschiebe- und Untersuchungshaft werden angeglichen. Unbegründete Ablehnung von Arbeitsgelegenheiten in Gemeinschaftseinrichtungen führt zum Ausschluß des Anspruches. Eheähnliche Gemeinschaften dürfen künftig - genau wie im Bundessozialhilfegesetz - nicht mehr bessergestellt werden als Ehen.
Auch diese auf den ersten Blick vielleicht nebensächlichen Regelungen sind ein Schritt in die richtige Richtung. Deshalb ist es notwendig, das Zweite Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes in der heute vorgelegten Formulierung zu beschließen. Ich möchte Sie herzlich darum bitten.
Das Wort nimmt jetzt die Abgeordnete Brigitte Lange.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD kann heute nicht
Brigitte Lange
zufrieden sein, aber doch erleichtert, weil wir ein wichtiges Ziel, das wir bereits in der ersten Lesung angesprochen haben, erreicht haben. Bürgerkriegsflüchtlinge und geduldete Flüchtlinge, deren Schutzbedürftigkeit in unserem Gesetz verbrieft ist, müssen nicht erneut Leistungseinschränkungen hinnehmen. Wäre es nicht so gekommen, hätten wir dieses Gesetz in der dritten Lesung ablehnen müssen. Das wissen Sie aus unserem Beschluß in der letzten Woche. Wir hätten in der zweiten Lesung deutlich gemacht, daß wir die Ziffern 1 und 2 akzeptieren könnten.
Aber den betroffenen Flüchtlingen hätte das nicht geholfen. Die hineingebrachte Verschärfung hätte noch Schlimmeres angerichtet. Nur deshalb begrüßen wir es, daß es in vielen Gesprächen gelungen ist, unsere Position mehrheitsfähig zu machen.
Ich danke allen, die uns in dieser schwierigen Auseinandersetzung geholfen haben. Insbesondere danke ich aber dem UNHCR und den Flüchtlingsräten, die uns geholfen haben, Gesetzestexte zu verstehen und zu begreifen, in welcher Art und Weise sie angewendet werden; denn davon hängt sehr viel ab. Ich danke auch allen Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, den vielen Initiativen, den Gewerkschaften, namhaften Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und vor allem den vielen Bürgerinnen und Bürgern, die uns ihre Sorge und ihren Protest mitgeteilt haben.
Der Protest war bitter nölig.
Wir akzeptieren mehrheitlich, daß es Leistungseinschränkungen für diejenigen geben muß, die - und das muß man ihnen nachweisen - ausschließlich einreisen, um Leistungen zu erhalten. Dieser Fall dürfte äußerst selten sein.
Wir akzeptieren mehrheitlich auch Leistungseinschränkungen für diejenigen Ausländer, die nicht bleiben können, weil sie weder ein Recht haben hierzubleiben, noch eine Duldung aus humanitären Gründen möglich ist, und die ihre Abschiebung aktiv verhindern, zum Beispiel indem sie nicht dazu beitragen, daß die notwendigen Reisedokumente beschafft werden können, oder Angaben zu ihrer Identität verweigern.
Diese Leistungseinschränkung ist ganz erheblich. Ich sage Ihnen nach wie vor: Unsere Bedenken dagegen, hier zwei Existenzminima zu definieren, bleiben bestehen. Das ist übrigens auch der Grund dafür, daß ein Teil meiner Kolleginnen und Kollegen diesem Gesetz heute nach wie vor nicht zustimmen wird.
Wir sollten uns alle klarmachen, daß die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ohnehin nur 70 bis 80 Prozent der Sozialhilfe betragen. Sie werden jetzt auf das unabweisbar Gebotene reduziert.
Viele Fragen sind offengeblieben. Das haben die Anhörung und auch die Briefe, die uns geschrieben wurden, gezeigt. Zu den offenen Fragen gehört auch die Definition der Leistung. Sie werden sich daran erinnern, daß die Kommunen gefordert haben, daß man genau sagt, was man sich darunter vorstellt. So muß man auch die Sorge der Ärzte verstehen, die in der letzten Zeit sehr deutlich geworden ist. Da man nicht genau sagt, wie die geschrumpfte Leistung aussieht, muß man verstehen, daß das den Ärzten angesichts der heute ohnehin sehr knappen Gesundheitsversorgung zuwider sein muß. Sie haben nämlich ihren ärztlichen Eid geschworen, allen zu helfen, die zu ihnen kommen, unabhängig davon, woher sie kommen und wie sie die Hilfe bezahlen.
Es bleibt das große Grundsatzproblem des Spannungsverhältnisses zwischen Sozialrecht und Ausländerrecht bestehen. In diesem Spannungsfeld liegt sozialer Sprengstoff. Deswegen ist unsere Erwartung, was die Akzeptanz dieses Gesetzes in der Öffentlichkeit betrifft, gedämpft. Die geistig-moralische Wende hat Solidarität beschädigt und eine tiefe Spaltung in unserer Gesellschaft hinterlassen.
Die Sorge um den Arbeitsplatz und um soziale Sicherheit läßt Toleranz nicht wachsen. Im Gegenteil: Sie erschwert Freundlichkeit. Wenn wir in unserem Land für Akzeptanz dahin gehend sorgen müssen, daß Flüchtlinge Aufnahme finden, die unseren Schutz brauchen, dann müssen wir unseren Bürgerinnen und Bürgern zuallererst die soziale Sicherheit wiedergeben. Das ist dringend erforderlich.
Notwendig geworden ist auch - das haben die Anhörung und die Diskussionen gezeigt -, daß das Ausländergesetz überarbeitet wird,
und zwar im Sinne aller Betroffenen: für diejenigen, die im Ausländeramt arbeiten, für diejenigen, die es treffen soll, und auch für uns, um es zu verstehen. Der § 32 a des Ausländergesetzes muß endlich angewendet werden. Bürgerkriegsflüchtlinge brauchen ein gesichertes Aufenthaltsrecht.
Die Finanzen müssen solidarisch verteilt werden. Das Spannungsverhältnis zwischen Sozialrecht und Ausländerrecht muß neu durchdacht werden. Art. 1 darf nicht zum Sanktionsrecht instrumentalisiert werden.
Wir brauchen eine europäische Regelung. In diesem Zusammenhang hoffe ich, daß es nicht zu dem Wettlauf kommt, die Festung Europa zu zementieren. Ich hoffe vielmehr auf einen Wettstreit um eine humane Regelung, die das Gebot der Menschenwürde beachtet.
Das sollte für uns alle eine Aufgabe in der nächsten Legislaturperiode werden. Darauf setze ich.
Brigitte Lange
Ich danke Ihnen.
Als nächste spricht die Abgeordnete Andrea Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Rede, Frau Kollegin Lange, war ein trauriger Höhepunkt in dem Doppelspiel, das die SPD seit Monaten mit den Asylbewerbern treibt.
Daß Sie dann auch noch die wirklich beeindrukkende Solidarität der Flüchtlingsbewegung für sich reklamieren, finde ich einfach bodenlos. Wenn Sie das ernst meinen, was Sie soeben gesagt haben, können Sie eigentlich nur gegen diesen Gesetzentwurf stimmen. Mit einer solchen Rede aber können Sie nicht erklären, warum Sie diesem unsäglichen Gesetzentwurf zustimmen.
Ich bin sehr dankbar dafür, daß es in unserem Land offensichtlich sehr viel Solidarität mit Flüchtlingen gibt. Das haben wir in den letzten Wochen in einer wirklichen eindrucksvollen Art und Weise erlebt. Auch ich bin erleichtert, daß aus diesem Gesetzentwurf dank dieser Solidaritätsbewegung das Schlimmste herausgenommen wurde.
Aber wenn man das Schlimmste streicht, dann ist es trotzdem noch nicht gut. Deswegen lehnen wir diese Gesetzesänderung weiterhin ab. Denn Sie haben zwar wochenlang über diesen Gesetzentwurf gestritten, aber richtig daran gearbeitet haben Sie nicht. Diese Änderungen in letzter Minute haben nichts daran geändert, daß die darin noch verbliebenen Passagen äußerst undeutlich formuliert sind. Diese Tatsache war auch in den Äußerungen der Fachleute in den Ausschußberatungen zu erkennen.
Jetzt wollen Sie, daß Sozialämter darüber entscheiden, wer mutwillig dafür verantwortlich ist, daß er seine Identität nicht nachweisen kann. Wir haben es hier aber mit einem höchst komplizierten Feld zu tun, in dem es auch darum geht, wie sich die Behörden des Herkunftslandes verhalten, ob es also überhaupt möglich ist, sich einen Paß zu beschaffen. Diese Probleme haben Sie nicht ausgeschlossen.
Es hat sogar Vorschläge gegeben, wie Sie das hätten besser regeln können. Ich empfehle Ihnen in diesem Zusammenhang die Stellungnahme des UNHCR zum ersten Teil dieses Gesetzentwurf es.
Wir haben nie bestritten, daß es die Notwendigkeit gibt, Mißbrauch zu bekämpfen. Aber wir haben uns in 'der Anhörung ausführlich mit der Frage beschäftigt, ob die geltende Rechtslage nicht ein hinreichendes Instrumentarium zur Bekämpfung von Mißbrauch bietet. Sie sollten das noch einmal nachlesen. Auf einer ganzen Seite wird in dem entsprechenden Protokoll erklärt, was das Ausländergesetz in diesem Bereich hergibt. Sie haben sich nie die Mühe gemacht, uns nachzuweisen, warum dieses Instrumentarium entgegen der Aussagen der Fachleute doch versagt.
Seit gestern hören wir, es gebe 30 000 Mißbrauchsfälle dieser Art. Diese Zahl war noch nie vorher im Gespräch. Wo kommt sie plötzlich her? So etwas ist doch keine seriöse Beratung. Diesen Nachweis haben Sie vorher nie geführt; plötzlich gibt es diese Zahl von angeblichen Mißbrauchsfällen in großem Umfang, die von diesem Passus betroffen sind. Ich kann nicht erkennen, daß Sie wirklich ernsthaft daran gearbeitet haben, diese Unwägbarkeiten auszuschließen.
Vielmehr geht es - Sie haben es vorhin gesagt - um eine Signalwirkung. Ich glaube, es geht aber nicht nur um die Signalwirkung auf die Flüchtlinge - ihr dürft nicht mißbrauchen -, sondern es geht auch um das Signal: Wir stellen Flüchtlinge generell unter den Mißbrauchsverdacht und trauen ihnen nicht zu, daß sie in unserem Land anständig mit unseren Leistungen umgehen.
Ich will abschließend noch einmal darauf hinweisen: Schon das jetzige Asylbewerberleistungsgesetz läßt nur eine eingeschränkte medizinische Versorgung zu. Nun wird dieser Standard noch einmal auf das „unabweisbar Gebotene" herabgesenkt. Die tiefe Sorge der Ärztekammer über diesen Umstand ist berechtigt. Auch deswegen weigern wir uns, einen unbestimmten Rechtsbegriff, der dann von Sachbearbeitern in Sozialämtern oder gegebenenfalls von Ärzten individuell zu interpretieren ist, in das Gesetz aufzunehmen. Das darf man mit unserem Sozialrecht nicht machen.
Wir halten deswegen diesen Gesetzentwurf weiterhin für eine schändliche Tat. Wir finden, daß dies der falsche Weg zur Mißbrauchsbekämpfung ist. Wir wehren uns gegen ein geteiltes Existenzminimum und gegen den Ausschluß einer ganzen Gruppe von Menschen von Sozialleistungen. Deswegen lehnen wir das Asylbewerberleistungsgesetz weiterhin ab.
Als nächster in der Debatte spricht der Abgeordnete Uwe Lühr.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der vorliegenden Fassung des Gesetzentwurfes, der den offensichtlichen Mißbrauch unseres sozialen Netzes ausschlie-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode.- 245. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Juni 1998 22835
Uwe Lühr
Ben soll, ist gewährleistet, daß unser Rechtsstaat sein liberales, menschliches Gesicht wahrt.
Erhalt der Menschenwürde bedeutet nicht nur Gewährung von Essen und Trinken, sie bestimmt sich in unserem Land nach unseren Standards. Auch gegenüber Ausländern gilt die Verpflichtung des Art. 1 des Grundgesetzes. Das ist gut und richtig so.
Wir haben den Entwurf des Bundesrates, der hart am rechtsstaatlichen Konsens vorbeischrammte, auf einen erträglichen Kompromiß zurückgestutzt.
Schon das Asylbewerberleistungsgesetz beinhaltet eine kritische Ausnahmeregelung, nach der die Leistungen deutlich unter die Standards des Bundessozialhilfegesetzes abgesenkt werden. Die beabsichtigte Wirkung ist zu vermuten, eine Bilanz dazu steht allerdings aus.
Immer noch scheint eine im Nord-Süd-Vergleich Europas höhere Attraktivität der Sozialleistungen nach Norden zu locken, denn Grund dafür ist sicherlich nicht nur unser freundliches Klima. Dennoch sollten wir nie vergessen, daß auch diejenigen, die nicht als Asylsuchende oder Bürgerkriegsflüchtlinge zu uns kommen, nicht alles Kriminelle sind.
Eine Familie in Not, die Armut und Verzweiflung treibt, hat kein verwerfliches Motiv. Trotzdem können und wollen wir nicht die Trickser und Betrüger alimentieren, die jahrelang die Behörden zum Narren halten, ihre Papiere vernichtet haben, sich der Feststellung ihrer Identität verweigern, ihre Abschiebung verzögern oder unmöglich machen, nur um hier Sozialleistungen in Anspruch nehmen zu können.
Wenn in Hamburg angeblich rund 3 000 Afrikaner aus ebendiesen Gründen nicht abgeschoben werden können, wenn Sprachforscher eingesetzt werden müssen, um die Nationalität dieser Menschen festzustellen - aus Berlin werden noch höhere Zahlen gemeldet -, müssen - ich denke, darin stimmen wir überein - Mittel und Wege gefunden werden, dies abzustellen.
Einerseits kann nicht hingenommen werden, daß Menschen, deren Aufenthalt in unserem Land aus guten Gründen ausländerrechtlich geduldet wird, durch Reduzierung der Leistungen der Aufenthalt unmöglich gemacht wird. Andererseits können wir aber auch nicht tatenlos zusehen, wenn diese Leistungen offensichtlich mißbraucht werden. Ich freue mich, daß es meiner Fraktion nach sehr intensiver Diskussion gelungen ist, einen Kompromiß auszuhandeln, der beiden Ansprüchen genügt.
Ausländer, die nur nach Deutschland kommen, um soziale Leistungen zu beziehen, Ausländer, die ihre Abschiebung vereiteln, indem sie ihren Paß vernichten oder ihre wahre Staatsangehörigkeit verschleiern, sollen unser Land möglichst bald verlassen. Sie strapazieren nämlich die Aufnahmebereitschaft und diskreditieren die Arbeit und das Engagement auch der vielen ehrenamtlichen Helfer.
Ihr Aufenthalt gehört aber grundsätzlich mit den Mitteln des Ausländerrechts beendet und nicht durch den mittelbaren Zwang des Sozialrechts. Die Absenkung der sozialen Leistungen ist ein mühsamer Umweg über das Sozialamt zur Lösung der Mißbrauchsproblematik, wenn er denn in der Praxis überhaupt zum Ziel führt. Immerhin ist es gelungen, den ursprünglichen Gesetzentwurf so zu verändern, daß das Sozialrecht dem Ausländerrecht folgt.
Das Ausländeramt prüft und entscheidet über Duldung oder Ausreisepflicht und ihren Vollzug, nicht das damit völlig überforderte Sozialamt.
Allerdings ist unser Ausländerrecht wohl selbst für Fachleute zu unübersichtlich, wie die Diskussionen in der letzten Woche gezeigt haben.
Das ist nunmehr in den letzten Tagen der Legislaturperiode nicht mehr zu ändern. Deshalb wird es eine wichtige Aufgabe in der nächsten Legislaturperiode sein, das Ausländerrecht und das Staatsbürgerschaftsrecht umfassend neu zu ordnen und überschaubarer zu gestalten. Vordringliche Aufgabe in der nächsten Legislaturperiode muß es sein, Ursachen, die weltweite Migration und Flucht aus Kriegs-und Krisengebieten auslösen, zu vermeiden helfen.
Meine Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf mit großer Mehrheit zu.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Lippelt.
Ich habe mich gemeldet, um zu den hier beschriebenen Fällen von Ausländern Stellung zu nehmen, die ihre Identitätspapiere vernichten. Herr Lühr hat darauf sehr abgehoben. Eine wichtige Gruppe haben Sie nun ausgenommen, nämlich die Bosnier. Aber nun kam das Beispiel der 3 000 Afrikaner.
Da der Innenminister jetzt hier noch sitzt und mir vielleicht auch noch ein bißchen zuhört, möchte ich folgendes dazu sagen: Ich habe mit einer Gruppe nigerianischer politischer Flüchtlinge zu tun, die sich in ihrer Heimat sehr engagiert haben. Sie haben im Rahmen eines Asylverfahrens ihre politisch eindeutigen Lebensgeschichten vorgetragen. Sie sind dort trotz ihrer eindeutigen Widerstandsbiographien gescheitert. Ich habe mich ihrer Petition angenommen. Ich weiß, daß man bei einigen Flüchtlingen vielleicht Zweifel daran haben kann, ob sie sich nicht auch aus opportunistischen Gründen ihren Freunden, die dort
Dr. Helmut Lippelt
politischen Widerstand geleistet haben, angeschlossen haben.
Herr Innenminister, ich habe bei Ihnen wegen der Anerkennungsquoten nachgefragt. Auf Grund der Antwort muß ich feststellen, daß die Anerkennungsquote für Flüchtlinge aus Nigeria - das würde sich auf die 500 von Ihnen für das zweite Halbjahr 1997 genannten Asylsuchenden beziehen, Flüchtlinge aus einer der schlimmsten Diktaturen, die wir im Moment haben - bei 0,4 oder 0,5 Prozent liegt. Das waren dann nur zwei Leute. Demgegenüber muß ich sagen: Ich kenne allein fünf, die wirklich aus Angst um ihr Leben geflüchtet sind.
- Reden Sie doch nicht einen solchen Unsinn.
Jetzt kommt das Problem: Warum haben sie dann hinterher möglicherweise keine Identifikationspapiere - sie haben ja im Asylverfahren ihre Biographien geschildert -? Ich will es Ihnen sagen: weil sie nicht nach Nigeria abgeschoben werden wollen, weil sie um ihr Leben fürchten. Da liegt Ihr Problem, Herr Innenminister. Sie sagen, daß eigentlich auch eine Anerkennungsquote von 5 Prozent zu hoch sei, anstatt zu sehen, daß eine Anerkennungsquote von nur 5 Prozent bedeutet, daß zumindest diese Leute tatsächlich politische Flüchtlinge sind.
Diese ganze Problematik rührt daher, daß in unserem Anerkennungsverfahren beispielsweise nur eine staatliche Verfolgung anerkannt wird und keine Verfolgung anderer Art und daß das Verfahren so rigoros geworden ist. Das führt dann dazu, daß jemand aus Nigeria aus Angst, in den Tod abgeschoben zu werden, lieber versucht unterzutauchen und dann, wenn er gefaßt wird, sagt, er komme aus Kamerun, so daß er eventuell in dieses Land abgeschoben wird, in dem er vielleicht nicht den Tod erleiden muß. Dieses Problem wird durch Ihr sehr restriktives Verfahren hervorgerufen.
Herr Lippelt, die Redezeit für Ihre Kurzintervention ist abgelaufen. Sie haben sich auf den Kollegen Lühr bezogen. Wollen Sie, Herr Lühr, antworten? - Nein.
Die nächste Rednerin ist die Abgeordnete Dr. Heidi Knake-Werner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit seiner Verabschiedung sieht sich das Asylbewerberleistungsgesetz massiven Änderungswünschen ausgesetzt, und die haben ein einziges Ziel: möglichst vielen Flüchtlingen möglichst wenig Leistungen zu gewähren. Die PDS hat sich von Beginn an diesem Ansinnen entgegengestellt und ein gesondertes Leistungsgesetz für Asylsuchende und Flüchtlinge abgelehnt. Wir haben uns dabei von dem Grundsatz leiten lassen, daß die
Menschenwürde unteilbar sein muß und bleiben muß.
Wir werden auch heute dem ausgehandelten Kompromiß nicht zustimmen.
Natürlich sind auch wir erleichtert, weil auch wir genau wissen, es hätte noch viel schlimmer kommen können, und sicherlich ist es gut, daß wenigstens der Status der Flüchtlinge aus Bosnien gesichert zu sein scheint. Bei der Anhörung im Gesundheitsausschuß sind die Sorgen von Flüchtlingsinitiativen, von Kirchen und anderen, die große Solidarität mit den Flüchtlingen in der Bundesrepublik üben, deutlich geworden. Sie haben vor einer Verschärfung des Gesetzes gewarnt.
Ob unter diesem Druck oder aus wahltaktischem Kalkül: Sie haben zumindest die schlimmsten Hämmer aus ihrer ursprünglichen Vorlage zurückgezogen und nun eine „Variante light" verabschiedet. Aber auch diese Variante halten wir für völlig unakzeptabel, weil sie immer noch einem Teil der in diesem Land lebenden Flüchtlinge die Grundlage für eine menschenwürdige Existenz entzieht.
Ich muß Ihnen sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Für mich spielt es dabei keine Rolle, ob es sich um 200 000 oder um 20 000 Betroffene handelt. Es reicht uns zur Ablehnung aus, daß Menschen in der Bundesrepublik durch den Entzug von Sozialleistungen in unwürdige Lebensverhältnisse gedrängt oder ganz vertrieben werden sollen.
Auf der Pressekonferenz der großen Koalition wurde deutlich gesagt, daß die gesetzlichen Veränderungen kaum Einsparungen bringen werden und daß es Ihnen vor allem auf die Signalwirkung ankommt. Ich finde, genau das ist das Verräterische an Ihrem bisherigen Vorgehen. Sie wollen nämlich nicht nur vertreiben, Sie wollen auch verhindern, daß Menschen in Not in der Bundesrepublik überhaupt erst Zuflucht suchen. Es geht Ihnen einmal um ein Signal nach außen, um ein Signal der Abschreckung, aber es geht Ihnen eben auch um ein Signal in die Bevölkerung hinein. Sie wollen signalisieren, daß Sie mit den Flüchtlingen, insbesondere denjenigen, denen Sie Mißbrauch von Sozialleistungen unterstellen, kurzen Prozeß machen. Ist das nicht auch eine Verbeugung vor Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, und ist es nicht schäbig, auf dem Rücken derer, die oft nur ihre Haut retten konnten, ausländerfeindliche Stimmung zu bedienen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich kann immer noch nicht verstehen, warum Sie sich in dieser Frage Ihren Glogowskis beugen.
Die Scharfmacher in Ihren Reihen, aber auch in den Reihen der anderen, der Koalitionsfraktionen, werden sich mit diesem Kompromiß nur kurzfristig zufriedengeben. Schon heute hört man aus Bayern ganz unverhohlen, daß ein neuer Versuch, Flüchtlingen die Leistungen zu kürzen, nach der Wahl zu erwarten ist.
Dr. Heidi Knake-Werner
Mit den vorliegenden Änderungsvorschlägen sollen nach Ihrem Bekunden unzweifelhaft Mißbrauchsfälle bekämpft werden. Aber wer stellt eigentlich Mißbrauch zweifelsfrei fest? In vielen anderen Situationen zeigen Sie selbst, daß Sie dazu absolut unfähig sind.
Ich fürchte, daß hier Willkür und Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet werden. Verwaltungsbeamte sollen ausfüllen, was Sie im Wege eines Gummiparagraphen in das Gesetz geschrieben haben, was völlig uneindeutig geregelt ist.
Zukünftig - wenn Sie heute so entscheiden, wie Sie es beabsichtigen - wird es in Deutschland wieder Menschen in Internierungslagern geben, versorgt mit dem „unabweisbar Gebotenen", beim Essen, beim Trinken und bei Krankheit.
Auch ich habe nie bestritten, daß es Mißbrauch gibt. Aber lohnt es sich wirklich, dafür Gesetze zu machen, die menschenverachtend sind? - Ich finde, nicht.
Ein Kommentar der „Leipziger Volkszeitung" von gestern faßt die Bewertung dieses Gesetzes völlig zutreffend zusammen. Dort heißt es nämlich:
Ein unsägliches Gesetz, zustande gekommen auf schlampige Art, ein Ergebnis plumper Wahlkampfreflexe. Die Freude darüber, daß dieser unwürdige Gesetzgebungsprozeß noch kurz vor dem bitteren Ende gestoppt wurde, tut weh. Denn der Schäbigkeits-Wettlauf soll nach der Bundestagswahl weitergehen.
Diese Politik zu stoppen ist unser erklärtes Ziel.
Ich erteile jetzt der Abgeordneten Cornelie Sonntag-Wolgast das Wort.
- Ich bitte darum, auch der letzten Rednerin und dem letzten Redner noch die Chance zu geben, sich zu äußern.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir wenige Bemerkungen am Schluß dieser Debatte.
Heute geht ein langer Disput über eine schwierige Gesetzesvorlage zu Ende, und zwar in einer Weise, die ich für vertretbar halte, weil das Ergebnis im Sinne humanitärer Ansprüche ausreichend ist.
Frau Fischer, die einseitige Polemik, die Sie uns soeben geboten haben, kann ich nicht nachvollziehen und muß auch sagen, daß eine Ablehnung der Gesetzesvorlage keinem einzigen Flüchtling hilft.
Es gibt wirklich viele schutzbedürftige Menschen,
die in unser Land gekommen sind. Es gibt aber auch
andere, die des Schutzes nicht bedürfen. Gestatten Sie mir, daß ich dieses auch einmal zu erwähnen wage.
Ich begrüße es deshalb, daß die Koalition in letzter Minute die Kraft gefunden hat, sich der Position der SPD-Bundestagsfraktion anzuschließen und dies in einem Änderungsantrag zu formulieren. Ich bedauere aber auch, daß die Bundesregierung und vor allem Minister Seehofer durch sehr widersprüchliche Äußerungen zum Kreis und zur Zahl der Betroffenen in den zurückliegenden Wochen viel Verwirrung gestiftet hat und daß die Bundesregierung durch den Versuch, auch illegal Einreisende in die Neuregelung einzubeziehen, noch draufsatteln wollte. Dies war der Auseinandersetzung nicht dienlich.
Ich bedauere allerdings auch die spärliche Anwesenheit von Mitgliedern des Bundesrates heute früh, da es hier ja um eine Gesetzesvorlage des Bundesrates geht.
Klar ist nun, meine Damen und Herren, daß die neuen Leistungsbeschränkungen wirklich nur diejenigen Personengruppen treffen, die erwiesenermaßen ihre Ausreise mit Tricks verhindern, obwohl die Rückkehr in ihr Herkunftsland zumutbar wäre. Bei jenen, die nur nach Deutschland kommen, um Leistungen zu beziehen, wird der Nachweis problematisch. Ich appelliere an das Verantwortungsbewußtsein und die Sensibilität der Mitarbeiter in den zuständigen Behörden, sauber zu unterscheiden, ob es sich dabei wirklich um das ausschlaggebende Motiv handelt, oder ob andere Gründe vorliegen, die unser Verständnis verlangen dürfen.
Herr Kollege Lippelt, die Fälle der Nigerianer, die Sie beschreiben, gehen weit über die heutige Auseinandersetzung hinaus. Hierbei geht es nämlich um die Frage, ob der Begriff der politischen Verfolgung weiterhin ganz eindeutig und restriktiv an die staatlich organisierte Verfolgung geknüpft werden kann. Darüber werden wir sehr intensiv weiterdiskutieren müssen.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir eine Schlußbemerkung.
Ich darf kurz unterbrechen. - Wir können alle im Saal fast besser verstehen als Sie, weil die Unruhe einfach zu groß ist. Ich bitte darum, zuzuhören!
Danke schön. - Meine Damen und Herren, zahlreiche Wohlfahrtsverbände, Menschenrechtsgruppen, Kirchen, der UNHCR und namhafte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens - ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Anzeigenaktion in der „FAZ" vor einigen Tagen mit Namen wie Marion Gräfin Dönhoff, Kurt Masur, Jens Reich und anderen - haben sich sachlich und kritisch in die Auseinandersetzung ein-
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
geschaltet und auf Besserungen gedrängt. Ich bedanke mich auch im Namen der SPD-Bundestagsfraktion für dieses beispielhafte Engagement.
Ich verbinde diesen Dank auch mit einer Mahnung an viele, die hier sitzen. Meine Damen und Herren, es gibt in dieser schwierige Frage nicht nur den Stammtisch, der sich in der Ausländerpolitik zu Wort meldet. Es gibt auch jene Öffentlichkeit, die dazu ermuntert, das sensible Thema des Umgangs mit Zuwanderern in diesem Land behutsam, differenziert und im Sinne der Menschenwürde zu behandeln. Ich finde es gut, daß dieses Signal gegeben wurde.
Ich bitte um Ihre Zustimmung.
Als letzter in dieser Debatte spricht der Bundesminister für Gesundheit, Herr Kollege Horst Seehofer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute bei diesem Gesetz über Leistungskürzungen für ausreisepflichtige Ausländer, die entweder mit der Motivation nach Deutschland gekommen sind, hier Sozialhilfe zu bekommen, oder die deshalb nicht abgeschoben werden können, weil sie zum Beispiel ihre Pässe vernichten oder die Feststellung ihrer Identität unmöglich machen. Ein solcher Lösungsansatz ist weder inhuman noch ausländerfeindlich. Er bedeutet lediglich die Anwendung eines gerechten Prinzips.
Wer ausreisepflichtig ist, in Deutschland das Recht bricht oder mißbraucht, kann nicht uneingeschränkt Sozialhilfe erhalten.
Wir haben das gleiche Prinzip seit über 35 Jahren im deutschen Sozialhilferecht. Seit über 35 Jahren wird demjenigen, der nach Deutschland einreist, nur um Sozialhilfe zu bekommen, die Sozialhilfe nicht gewährt. Diese Anwendung wird nun auf Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ausgeweitet. Wir haben im deutschen Sozialhilferecht für deutsche Staatsbürger seit beinahe 40 Jahren die Regel: Wer seinen Mitwirkungspflichten nicht genügt, wer beispielsweise die zumutbare Arbeit ablehnt, wer Anträge nicht ausfüllt, Einkommen nicht angibt, dem wird die Sozialhilfe gekürzt. Wir haben für deutsche Aussiedler nach dem Wohnortzuweisungsgesetz seit etlicher Zeit die Regel: Wer sich innerhalb Deutschlands nicht an den zugewiesenen Wohnort begibt, dem wird die Sozialhilfe auf das unabweisbar Notwendige gekürzt. Das gilt für deutsche Aussiedler.
Meine Damen und Herren, was seit vielen Jahren für deutsche Staatsbürger üblich ist und auch angewandt wird, ist nicht inhuman und ausländerfeindlich, wenn man es auf Ausländer ausweitet, die ausreisepflichtig sind und das Recht in Deutschland mißbrauchen.
Eine zweite Bemerkung. Dieses Gesetz verändert nichts an der medizinischen Versorgung für hier lebende Ausländer, auch wenn es immer wieder behauptet wird, auch wenn es gestern der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesärztekammer wieder fälschlicherweise behauptet hat. Ich betone noch einmal eindeutig, meine Damen und Herren, das, was im Gesetz steht und was allein wahr ist: Dieses Gesetz führt zu keiner Verschlechterung der medizinischen Versorgung der Betroffenen. Es bleibt uneingeschränkt dabei, daß bei akuter Erkrankung und bei Schmerzzuständen in Deutschland die medizinische Hilfe geleistet wird.
Ich fordere Herrn Dr. Montgomery auf, endlich seine unwahren Behauptungen einzustellen, die er pausenlos in der Öffentlichkeit von sich gibt.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Andrea Fischer?
Ja.
Herr Minister, es war in den Verhandlungen immer wieder die Rede davon, daß es einer Klarstellung bedürfe, daß das „unabweisbar Gebotene", wie Sie es gerade sagten, nicht zu einer Einschränkung der medizinischen Versorgung führt. Nun kennen wir ja den Änderungsantrag, der gestern im Innenausschuß eingebracht wurde und der ja eine auffällige Kürze hat. Dieser Änderungsantrag ist in den Gesetzentwurf eingegangen, über den wir heute abstimmen. Darin ist diese Klarstellung nicht enthalten. Müssen Sie nicht zugeben, daß unter diesen Umständen die Befürchtung berechtigt ist, daß die medizinische Versorgung, die ja auch jetzt schon sehr stark eingeschränkt ist, noch weiter eingeschränkt wird?
- Die ist doch laut Asylbewerberleistungsgesetz schon längst eingeschränkt.
Diese Sache ist glasklar. Das steht in § 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes, der nicht geändert wird. Daß er nicht geändert wird und daß die entgegengesetzten Behauptungen falsch und unwahr sind, hat die Koalition im Ausschußbericht noch einmal klargestellt.
Sie haben das heute wieder in Zweifel gezogen. Sie
könnten selbst zu dieser Klarstellung beitragen,
Bundesminister Horst Seehofer
wenn Sie nicht selbst pausenlos das Unrichtige und Unwahre in der Öffentlichkeit behaupten würden.
Noch nicht geregelt haben wir in diesem Gesetz die Problematik illegaler Einreisen und des Aufenthalts von jemandem in der Bundesrepublik Deutschland, der ausreisepflichtig ist und auch tatsächlich ausreisen könnte. Darüber werden wir weiter im Gespräch bleiben und eine Lösung in der nächsten Legislaturperiode herbeiführen.
Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland gewährt Menschen, die schutzbedürftig sind, die um ihre Gesundheit oder gar ihr Leben fürchten müssen, Schutz. Kein Land in Europa hat mehr schutzbedürftige Menschen aufgenommen als die Bundesrepublik Deutschland. Dafür möchte ich auch einmal den Deutschen danken;
denn das ist Ausdruck auch der Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung gegenüber Menschen, die schutzbedürftig sind und zu uns kommen. Wir werden die Akzeptanz in der deutschen Bevölkerung, Menschen zu helfen, die verfolgt sind und des Schutzes bedürfen, nur dann aufrechterhalten, wenn wir offensichtlichen Mißbrauch und Mitnahmeeffekte, die durch Rechtsmißbrauch herbeigeführt werden, vermeiden. Fehlentwicklungen im Sozialrecht, Rechtsmißbräuche, die Vermeidung der Feststellung der Identität schaden in Wirklichkeit den tatsächlich Schwachen in unserem Lande.
Deshalb muß man den Mißbrauch abstellen und auf der anderen Seite die Humanität aufrechterhalten.
Dieses Gesetz ist eine gute Verbindung zwischen der humanen Hilfe gegenüber Verfolgten auf der einen Seite und der Bekämpfung des Mißbrauchs auf der anderen Seite. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Es liegen schriftliche Erklärungen zur Abstimmung gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung von Frau Kollegin Hanewinckel mit 28 weiteren Kolleginnen und Kollegen aus der SPD und ferner des Kollegen Dr. Burkhard Hirsch vor.*)
Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, Drucksachen 13/10155 und 13/11172. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU, erheblichen Teilen der
*) Anlage 3
SPD und der F.D.P. bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS sowie von Abgeordneten der SPD und des Abgeordneten Hirsch und bei Enthaltungen von Abgeordneten der SPD angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. ) Wir setzen die Beratungen fort.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 19n auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Vorschriften über die repräsentative Wahlstatistik bei der Wahl zum Deutschen Bundestag und bei der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksache 13/10533 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
- Drucksache 13/11157 - Berichterstattung:
Abgeordnete Erwin Marschewski Dieter Wiefelspütz
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke
Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 11157, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der CSU und F.D.P. vor, über den wir zunächst abstimmen.
Bevor wir aber abstimmen, hat Frau Abgeordnete Dr. Enkelmann um das Wort zu einer persönlichen Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung gebeten. - Sie ist nicht da.
Ich komme jetzt zur Abstimmung. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/11187? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. bei Gegenstimmen der
*) Seite 22841 B
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf mit der soeben beschlossenen Änderung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. bei Gegenstimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Die Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. haben fristgerecht beantragt, trotz der angenommenen Änderung unmittelbar in die dritte Beratung einzutreten. Ich lasse jetzt über diesen Geschäftsordnungsantrag abstimmen. Wer stimmt für den Antrag, jetzt unmittelbar in die dritte Beratung einzutreten? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Damit ist die erforderliche Mehrheit erreicht.
Damit kommen wir zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen von CDU/ CSU, F.D.P. gegen die Stimmen von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und PDS angenommen.
Wir kommen zu den Zusatzpunkten 10a bis 10i. Es handelt sich um die Abstimmungen über Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Zusatzpunkt 10 a:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 370 zu Petitionen - Drucksache 13/11188 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 370 mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Zusatzpunkt 10b:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 371 zu Petitionen
- Drucksache 13/11189 –
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Sammelübersicht 371 einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 10 c:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 372 zu Petitionen
- Drucksache 13/11190 -
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Sammelübersicht 372 mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Zusatzpunkt 10d:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 373 zu Petitionen
- Drucksache 13/11191-
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 373 mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Gegenstimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der PDS angenommen.
Zusatzpunkt 10e:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 374 zu Petitionen - Drucksache 13/11192 -
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Sammelübersicht 374 mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 10 f:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 376 zu Petitionen
- Drucksache 13/11194 -
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 376 ist mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Gegenstimmen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 10 g:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 378 zu Petitionen
- Drucksache 13/11196 -
Wer stimmt dafür? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Sammelübersicht 378 mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 10h:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 379 zu Petitionen - Drucksache 13/11197 -
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Sammelübersicht 379 mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, F.D.P. und PDS gegen
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 10 i:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 380 zu Petitionen - Drucksache 13/11198-
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Sammelübersicht 380 mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf:
Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes
- Drucksache 13/10832 -
Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage an den in der Tagesordnung aufgeführten Ausschuß zu überweisen. - Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Mir ist eben das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung mitgeteilt worden. Abgegebene Stimmen: 606. Mit Ja haben gestimmt: 472, mit Nein haben gestimmt: 107, Enthaltungen: 27. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 605; davon
ja: 471
nein: 107
enthalten: 27
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Hartmut Büttner
Dankward Buwitt
Manfred Carstens Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke
Ulf Fink
Dirk Fischer Klaus Francke (Hamburg) Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken
Peter Hintze
Elke Holzapfel
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Annegret KrampKarrenbauer
Wolfgang Krause Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg
Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld
Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Wolfgang Lohmann Julius Louven
Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Dr. Martin Mayer
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer Hans Michelbach Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost
Eduard Oswald Norbert Otto Dr. Gerhard Päselt Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber
Christa Reichard Klaus Dieter Reichardt (Mannheim)
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter
Dr. Norbert Rieder
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Dr. Erich Riedl Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz
Christian Schmidt Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze
Diethard Schütze (Berlin) Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Karl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall
Wolfgang Vogt Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer Matthias Wissmann Dagmar Wöhrl
Michael Wonneberger Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer
Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller
SPD
Britte Adler Gerd Andres Erst Bahr
Doris Barnett Gerd Bauer Wolfgang Behrendt
Hans Berger
Friedhelm Julius Beucher Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Christel Deichmann
Karl Diller Peter Dreßen Ludwig Eich Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Dagmar Freitag
Anke Fuchs
Monika Ganseforth
Iris Gleicke Uwe Göliner
Günter Graf Dieter Grasedieck
Achim Großmann Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Dr. Liesel Hartenstein
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Jens Heinzig Dieter Heistermann
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann Frank Hofmann (Volkach) Eike Hovermann
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Renate Jäger Jann-Peter Janssen
Dr. Uwe Jens
Volker Jung Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner Marianne Klappert Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Klaus Lennartz
Klaus Lohmann Dieter Maaß (Herne) Winfried Mante
Dorle Marx
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier Ulrike Mehl
Herbert Meißner
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Jutta Müller Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Leyla Onur
Manfred Opel Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Dr. Edelbert Richter Reinhold Robbe Dieter Schanz Rudolf Scharping Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Ulla Schmidt Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Brigitte Schulte Reinhard Schultz
Volkmar Schultz (Köln)
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal
Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Jörg-Otto Spiller Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Joachim Tappe
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt
Karsten D. Voigt Hans Georg Wagner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis (Stendal) Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Lydia Westrich
Helmut Wieczorek
Dieter Wiefelspütz Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Heidi Wright
Peter Zumkley
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Paul K. Friedhoff Horst Friedrich
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Uwe Lühr
Günther Friedrich Nolting Lisa Peters
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Sohns
Dr. Max Stadler Dr. Dieter Thomae
Dr. Wolfgang Weng
Guido Westerwelle
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Nein
SPD
Klaus Barthel
Ursula Burchardt
Gernot Erler
Ame Fuhrmann
Konrad Gilges
Angelika Graf Christel Hanewinckel Reinhold Hemker
Uwe Hiksch
Horst Kubatschka Helga Kühn-Mengel Detlev von Larcher Waltraud Lehn
Christa Lörcher
Ulrike Mascher
Markus Meckel
Michael Müller Günter Oesinghaus
Adolf Ostertag
Bernd Reuter
Günter Rixe
Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer Heinz Schmitt
Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Dietrich Sperling Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Dr. Konstanze Wegner Hildegard Wester Berthold Wittich
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann Elisabeth Altmann
Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller Winfried Nachtwei Christa Nickels
Egbert Nitsch Cern Özdemir
Gerd Poppe
Halo Saibold
Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Albert Schmidt Wolfgang Schmitt
Ursula Schönberger Waltraud Schoppe
Werner Schulz Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)
FDP
Dr. Burkhard Hirsch
PDS
Wolfgang Bierstedt Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi
Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll
Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Gerhard Zwerenz
Fraktionslos
Kurt Neumann
Enthalten
SPD
Hermann Bachmaier Ingrid Becker-Inglau Hans-Werner Bertl Peter Conradi
Dr. Marliese Dobberthien Freimut Duve
Eva Folta
Günter Gloser
Ingrid Holzhüter Barbara Imhof
Gabriele Iwersen Ilse Janz
Siegrun Klemmer Dr. Elke Leonhard Erika Lotz
Angelika Mertens
Doris Odendahl Horst Schmidbauer
Dagmar Schmidt Wolfgang Spanier Antje-Marie Steen
Hans Wallow
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Hanna Wolf
PDS
Klaus-Jürgen Warnick
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV oder der IPU
Abgeordnete(r)
Antretter, Robert, SPD Bindig, Rudolf, SPD
Blunck, Lilo, SPD
Bühler , Klaus,
CDU/CSU
Fischer , Leni,
CDU/CSU
Horn, Erwin, SPD
Dr. Lucyga, Christine,
SPD
Maaß ,
Erich, CDU/CSU
Marten, Günter,
CDU/CSU
Dr. Probst, Albert,
CDU/CSU Schloten, Dieter, SPD
Schluckebier, Günter, SPD von Schmude, Michael,
CDU/CSU
Terborg, Margitta, SPD
Dr. Wittmann, Fritz, CDU/CSU
Zierer, Benno, CDU/CSU
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis f und die Zusatzpunkte 7 und 8 auf:
17. Debatte zur Einheit Deutschlands
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Perspektivbericht der Bundesregierung „Vorrang für Aufbau Ost"
- Drucksache 13/11073 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahresbericht der Bundesregierung zum
Stand der Deutschen Einheit 1998
- Drucksache 13/10823 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß
Sportausschuß
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft,
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Michael Luther, Gerhard Schulz (Leipzig), Dr. Hermann Pohler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
sowie der Abgeordneten Jürgen Türk, Paul K. Friedhoff und der Fraktion der F.D.P.
Mangelnde Zahlungsmoral verbessern
- Drucksachen 13/10794, 13/11166-Berichterstattung:
Abgeordnete Sabine Kaspereit
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft
- zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert Otto , Dr. Hermann Pohler, Gerhard Schulz (Leipzig) und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Jürgen Türk und der Fraktion der F.D.P.
Absatzförderung für Produkte aus Ostdeutschland
- zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Ilte, Ernst Bahr, Tilo Braune und weiterer Abgeordneter
Absatzförderung für Produkte aus Ostdeutschland
- Drucksachen 13/9385, 13/8080, 13/11167 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Hermann Pohler
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft
- zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P.
Wachstums- und Beschäftigungspolitik
für die neuen Länder fortsetzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Anni Brandt-Elsweier, Christel Deichmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Neuorientierung des wirtschaftlichen Aufbaukonzeptes für Ostdeutschland
- zu dem Antrag der Gruppe der PDS
Beschäftigungs- und bildungspolitisches Sofortprogramm für die neuen Bundesländer
- Drucksachen 13/10821, 13/10436, 13/ 10290, 13/11165 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Christian Müller
f) Beratung der Großen Anfrage der Gruppe der PDS
Zur Lage in Ostdeutschland
- Drucksachen 13/8369, 13/10 809 -
ZP7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Kaspereit, Ernst Schwanhold, Hermann
Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Bekämpfung des Zahlungsverzuges im Handelsverkehr
- Drucksache 13/11144 -
ZP8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner Schulz , Gerd Poppe, Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Fortschritte beim Aufbau Ost durch politische Erneuerung
- Drucksache 13/11161 -
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster in dieser Debatte spricht der Kollege Paul Krüger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben mit dieser Debatte das letzte Mal in dieser Legislaturperiode Gelegenheit, uns mit dem Aufbau in den neuen Bundesländern zu beschäftigen. Dies ist auch Gelegenheit, Bilanz über den Stand dessen zu ziehen, was erreicht wurde.
Erst wenn wir die Situation, die wir heute in den neuen Ländern haben, mit der vergleichen, die 1989 da war, vermögen wir einzuschätzen, welche historische Dimension die Veränderungen haben, die sich seit damals tatsächlich vollzogen haben. Wir gehen zuoft von den Äußerlichkeiten aus, die dieser Veränderungsprozeß mit sich brachte, von dem, was wir jeden Tag in der Entwicklung sehen können. Wir betrachten zu wenig die menschliche Dimension dieses Änderungsprozesses, all das, was die Menschen in dieser Zeit an Veränderungen haben durchmachen müssen, worauf sie sich eingestellt haben und worauf sie, wie ich meine, zu Recht stolz sein können.
Das waren Veränderungen, meine Damen und Herren, die nicht nur einen speziellen Bereich betrafen, sondern alle Bereiche des menschlichen Lebens, der Gesellschaft umfaßten. Es waren Veränderungen, die wir - zumindest in den neuen Bundesländern - mehrheitlich umgesetzt haben und die nicht nur die Wirtschaft umfaßten, sondern auch die Hochschulen, das gesamte Bildungssystem, die Verwaltung, das Gesundheitswesen und die Landwirtschaft ebenso wie die Freizeitbereiche, die Vereinsstruktur und den Sportbereich. Alles hat sich verändert. Hierauf hatten sich die Menschen einzustellen.
Wenn man bedenkt, daß seither nur jeder vierte in den neuen Bundesländern seinen angestammten Arbeitsplatz behalten konnte - das heißt: drei von vier mußten sich völlig umstellen und hatten überhaupt keine Sicherheit bezüglich ihrer Zukunft -, dann vermag man in etwa einzuschätzen, was sich hier in acht Jahren vollzogen hat. Gott sei Dank haben mehr als 80 Prozent derer, die Arbeit suchen, inzwischen
Dr.-Ing. Paul Krüger
wieder Arbeit gefunden. Auch das ist eine ganz große Leistung, die hier vollbracht wurde.
Wenn Sie sich mit Leuten unterhalten, die das durchgemacht haben, sagen sie Ihnen: „Es war ungeheuer schwer, wir wußten nicht, was uns blüht; wir haben Phasen durchgemacht, wo wir nicht wußten, wie der nächste Tag ausgeht." Aber sie haben es geschafft. Die meisten von ihnen sind heute stolz auf das, was sie inzwischen erreicht haben, und fühlen sich in dem neuen System wohl.
Aus dieser Situation heraus wurden inzwischen 600 000 Unternehmen gegründet. Angesichts der Tatsache, daß die Menschen vor der Wende nicht einmal wußten, was eine „GmbH" ist und was es bedeutet, ein Unternehmen zu führen, können Sie sich vorstellen, was es bedeutet, nun 600 000 neue Unternehmen zu haben. Alleine in der Kammerregion Neubrandenburg, woher ich komme, sind 17 500 gewerbliche Unternehmen entstanden, die heute Mitglied der Kammer sind. Die Freiberufler sind dabei noch gar nicht mitgezählt.
Allein in meiner Kammerregion sind 10 500 Handwerksbetriebe entstanden. Sie sind von Menschen gegründet worden, die sich mit Mut und Risikobereitschaft den neuen Aufgaben gestellt haben und häufig, wie sie mir selber sagen, schlaflose Nächte hatten und zum Teil auch heute noch haben; sie haben in diesem Prozeß Arbeitsplätze geschaffen und tragen mehr und mehr auch dazu bei, daß zukunftsfähige Strukturen entstehen.
Zukunftsfähige Strukturen bedeutet zum Beispiel, daß wir biotechnologische Unternehmen ansiedeln. In der „Schweriner Volkszeitung" wurde in der letzten Woche getitelt: „Osten Standort für US-Biotechnologie". Von den 400 Biotechnologieunternehmen, so heißt es dort, hat sich der größte Teil in den neuen Bundesländern angesiedelt. Die Genforschung hilft bei der Entwicklung und der wirtschaftlichen Nutzung neuer Medikamente. Der Innovationspreis des Jahres 1997, den der Bundespräsident überreicht hat, ging nach Gera an ein ostdeutsches Unternehmen. Die Laser-Display-Technologie wurde dort entwikkelt. Es ist ein zukunftsweisendes Verfahren, das in Zukunft die ganze Fernsehtechnik verändern wird. Reden Sie mit Herrn Deter, dem eigentlichen Vater dieser Technologie. Er ist ein Mann, der stolz ist auf seine Leistungen.
Der Innovationspreis des Start-up-Wettbewerbes 1998, also ganz aktuell, ging an die Universität Rostock. Dort wurde eine künstliche Leber entwickelt. Reden Sie mit den Menschen. Sie sind stolz auf das, was sie geleistet haben. Ich glaube, sie sind zu Recht stolz.
Wir erlebten dieser Tage den Börsengang von Jenoptik. Alle wissen, durch welch ein Tal dieses Unternehmen gegangen ist und wie erfolgreich es heute dasteht. Viele Thüringer werden jetzt Aktionäre ihres Unternehmens. Sie sind stolz auf das, was sie geleistet haben. In der Patententwicklung gibt es hervorragende Fortschritte. Thüringen hat bei den Patentanmeldungen mittlerweile einen Stand erreicht, der besser ist als der Bremens, Schleswig-Holsteins oder des Saarlandes. Man ist dort auch zunehmend in der Lage, diese Patente in wirtschaftlichen Erfolg umzumünzen.
In der Wagniskapitalstatistik der Bundesrepublik steht Baden-Württemberg klar an erster Stelle, dann folgt Bayern, an dritter Stelle kommt Sachsen, und am Ende stehen Niedersachsen, das Saarland und Nordrhein-Westfalen.
In Mecklenburg-Vorpommern gibt es zur Zeit dreimal so viele Wagniskapitalfinanzierungen wie in Niedersachsen. Das heißt, wir in Ostdeutschland sind bei der Zukunftsgestaltung wahrlich weit vorangekommen.
Diese Entwicklung schlägt sich, meine Damen und Herren, zunehmend auch in harten wirtschaftlichen Zahlen nieder. Der gewerbliche Bereich wächst erheblich stärker als der in Westdeutschland. Wir haben damit eine echte Trendwende erreicht. Die Auftragseingänge übertreffen den Vorjahreswert um 18,7 Prozent. Selbst das Baugewerbe entwickelt sich wieder besser. Als wichtigste Botschaft haben wir zu registrieren, daß in den neuen Bundesländern die Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes erstmals stärker ist als die der Bauwirtschaft. Das ist einer der größten Erfolge, der im Moment zu verzeichnen ist.
Die „Mitteldeutsche Zeitung" titelt diese Woche: „Ostdeutsche Industrie löst Bau als Konjunkturmotor ab". Indem wir in den letzten zwei Jahren die Arbeitsproduktivität jedes Jahr um etwa 20 Prozent gesteigert haben, haben wir eine wesentliche Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit erreicht. Bisher hat sich das noch zuwenig am Arbeitsmarkt niedergeschlagen, weil das Wachstum in den neuen Ländern zum großen Teil in die Steigerung der Arbeitsproduktivität und damit der Wettbewerbsfähigkeit eingegangen ist. Mittlerweile aber beginnt das Wachsturn auch am Arbeitsmarkt zu greifen. Das ist eine ganz wichtige Botschaft.
Die jüngsten Zahlen auf dem Arbeitsmarkt geben Anlaß zu Optimismus. Wir hatten im Mai etwa 100 000 Arbeitslose weniger. Das heißt, wir haben den höchsten Rückgang in einem Monat Mai seit der Wende. Es gab auch erstmals .eine Steigerung der Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe. Auch dies ist ein guter Indikator dafür, daß jetzt weitere Arbeitsplätze geschaffen werden.
Dr.-Ing. Paul Krüger
Ich will gar nicht über die vielen Aufbauleistungen sprechen, die immer wieder gewürdigt werden und die uns mittlerweile vor allem unsere ausländischen Gäste bescheinigen. Sie bezeichnen das, was in den neuen Bundesländern passiert ist, als ein Wunder. Ich glaube, das tun sie zu Recht.
Möglich wurden all diese enormen Aufbauleistungen nur durch die große Veränderungsbereitschaft, durch die Tatkraft der Ostdeutschen an erster Stelle, aber auch durch die spontan geübte Solidarität der Westdeutschen, die hier ohne Wenn und Aber und in einem beträchtlichen Umfang geholfen haben. Hierfür muß man immer wieder Dank sagen.
Ich glaube, hierauf können wir gemeinsam stolz sein.
Eine entscheidende Voraussetzung für diese Entwicklung war natürlich das Handeln dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalition, insbesondere die Grundweichenstellung zur deutschen Einheit überhaupt. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was gewesen wäre, wenn 1989 Herr Schröder und Herr Lafontaine dran gewesen wären.
Wahrscheinlich würde man sich in der SPD heute noch darüber streiten, ob wir die Wiedervereinigung noch in diesem Jahrhundert machen oder nicht. Wahrscheinlich würde die SPD das in diesem Jahrhundert nicht mehr entscheiden.
Die richtige politische Begleitung dieses Prozesses, vor allem die permanente Unterstützung durch die Bundesregierung beim Aufbau Ost, ist ein weiterer wesentlicher Faktor für die inzwischen erreichte Entwicklung gewesen.
Wir brauchen ein weiterhin kontinuierliches Wachstum in den neuen Ländern, damit aus Arbeitsplatzchancen auch wirklich Arbeitsplätze werden. Wir alle wissen, daß wir in Ostdeutschland mehr Arbeitsplätze brauchen als in den alten Bundesländern. Wir haben zwar bereits dieselbe Arbeitsplatzdichte wie in Westdeutschland. Wir müssen aber mehr haben, wenn wir den Annäherungsprozeß vollziehen wollen. Wie sonst sollen wir ihn vollziehen?
Ich bin froh, daß wir hier für die Zukunft die richtigen Weichenstellungen vorgenommen haben. Ich denke an den Autobahnbau. Neben anderen Verkehrswegen müssen wir in den neuen Ländern in erheblichem Umfang Autobahnen bauen. Ihre designierten Koalitionspartner, Grüne und PDS, lehnen dies ab.
Der Umgang der SPD mit dem Transrapid ist ein einziges Drama. Ringstorff beschließt, ihn nicht zu bauen. Voscherau sagt, er wird gebaut. Frau Simonis lehnt ihn ab. Herr Schröder verkündete letzte Woche in Rostock, er solle gebaut werden.
- Der Herr Schröder, der sich als Bundeskanzler bewirbt. -
Die SPD-Bundestagsfraktion beschloß gestern ein ganz entschiedenes Jein. Sie wissen nicht, was sie wollen. Auf diese Weise ist der Aufbau Ost nicht zu meistern.
Wir müssen auch dazu beitragen, daß sich internationale Unternehmen in den neuen Ländern ansiedeln. Deshalb, Herr Bundeskanzler, sind wir Ihnen dankbar dafür, daß Sie sich entschieden für Rostock als Produktionsstandort für das Airbus-Großraumflugzeug, ausgesprochen haben.
In dieser Frage - Sie sind jetzt der Kritik von Herrn Bürgermeister Runde ausgesetzt - entscheidet sich die SPD nicht, sie bekennt sich nicht zum Standort Ostdeutschland.
Wir haben in den letzten Jahren wichtige Weichenstellungen vorgenommen, damit der Aufbau Ost weiter vorangehen kann. Diese Politik war und ist keine einfache Aufgabe. Sie erforderte von Beginn des Einigungsprozesses an bis heute immer wieder Mut und Risikobereitschaft genauso wie die Bereitschaft, unbequeme Entscheidungen durchzusetzen und sie den Menschen immer wieder neu zu erklären; denn letztlich hängt unser aller Erfolg vom Mut und von der Motivation der Menschen ab, mit denen wir diese Leistungen und diese Aufgaben gestalten.
Gerade in Ostdeutschland hat jeder auf seine Weise erfahren, wieviel Mut, wieviel Flexibilität und wieviel Einsatzbereitschaft notwendig sind, um die tiefgreifenden Veränderungen zu meistern. Wer jetzt die unbestreitbar vorhandenen Aufbauleistungen ignoriert oder herabsetzt, nimmt damit den Menschen den Mut und vor allem den Stolz auf ihre Leistungen,
der demotiviert die Menschen und vermindert den gemeinsamen Erfolg. Wir dagegen setzen weiterhin auf den Mut, auf die Tatkraft und auf die Solidarität. Deshalb werden wir die deutsche Einheit weiterhin erfolgreich voranbringen.
Danke.
Das Wort hat jetzt der Kollege Rolf Schwanitz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Anlaß der Debatte heute ist unter anderem auch ein Perspektivbericht der Bundesregierung unter dem Titel „Vorrang für Aufbau Ost". Als Bundesminister Rexrodt
Rolf Schwanitz
den Bericht - er hat einen großen Umfang: 13 Kapitel, 20 Seiten Text - letzte Woche in einer Pressekonferenz vorgestellt hatte, gab es eine einzige Nachfrage von einem Journalisten, nämlich danach, ob denn irgendeine Neuigkeit in diesem Bericht stehe. Nach einigem Zögern und einigen Mühen gelang es Herrn Rexrodt dann, auf zwei relativ schmale Punkte hinzuweisen.
Diese kleine Anekdote aus der Bundespressekonferenz der letzten Woche weist auf den zentralen Mangel dieses Berichtes hin. Diesen Mangel, den wir in der heutigen Debatte gemeinsam mit einem zentralen Punkt diskutieren, dürfen wir nicht verschweigen. In dem Bericht wird mit vielen Worten wenig und vor allen Dingen nichts Neues gesagt. Schon zum x-tenmal innerhalb der letzten drei Wochen bekommt die deutsche Öffentlichkeit in bezug auf ostdeutsche Angelegenheiten alte Hüte vorgesetzt und keine neuen Informationen auf den Tisch gelegt.
Ich bin der Auffassung, daß all diese Auftritte und auch all die Berichte - die Bundesregierung wird ja nicht müde, immer neue Berichte zu schreiben - immer nach dem gleichen Grundmuster ablaufen. Es gibt immer zwei Etappen. Die erste Etappe besteht darin, die positiven Veränderungen, die es in den letzten acht Jahren zweifellos gegeben hat, einseitig zu überhöhen. Die zweite Etappe besteht darin, die Fragen nach der Zukunft, nach einem Wechsel und auch nach einer Kritik am jetzigen Aufbaukonzept vollständig an den Rand zu drängen, so daß sie eigentlich gar nicht mehr wahrgenommen werden. Mit der Sprechblase, der Aufbau Ost genieße bei dieser Bundesregierung hohe Priorität, werden diese Fragen einfach weggedrückt.
An dieser Stelle sei es mir gestattet, zu sagen, wie dieses Verhalten nach meinem Eindruck auf die Ostdeutschen wirkt. Es erinnert mich fatal an ein Wort, das von den Leuten in Ostdeutschland immer sehr sensibel verfolgt wurde. Es handelt sich um das Wort „Vervollkommnung" . Die westdeutschen Kolleginnen und Kollegen können nicht wissen, was ich meine. In Ostdeutschland war es immer wichtig, in den Zeitungen auch zwischen den Zeilen zu lesen. Nach dem Bild der SED war in der DDR immer alles perfekt. Wenn man die Zeitung aufschlug und gelesen hat, es werde etwas „vervollkommnet", dann wußte der kundige Zeitungsleser in der DDR: Hoppla, da ist etwas nicht in Ordnung, irgend etwas ist am Dampfen und stimmt nicht.
Sie rufen genau dieselbe Assoziation bei den Ostdeutschen hervor, wenn Sie - wie Sie das schon seit vielen Jahren tun - behaupten, der Aufbau Ost habe bei Ihnen hohe Priorität, und permanent Kürzungen der entsprechenden Mittel ansetzen.
Hinter den Sprechblasen, die Sie äußern, steht in Ihren Köpfen etwas anderes. Das, was ich Ihnen sage, sollten Sie beherzigen.
Es ist keine Frage: Seit 1990 hat es in Ostdeutschland viele positive Entwicklungen gegeben,
vor allen Dingen auf Grund des Leistungswillens der Ostdeutschen.
Dies ist auf Grund des Leistungswillens und - ich sage das ganz deutlich - auf Grund der Solidarität, des Unterstützungswillens und der Bereitschaft der Westdeutschen, die wir, so wie die Dinge liegen, noch viele Jahre brauchen, geschehen. Herr Krüger, in diesem Punkt haben wir keinen Dissens, auch wenn das gerade aus Ihren Reihen oft suggeriert wird.
Wir unterscheiden uns offensichtlich fundamental in der Auffassung - Herr Krüger, Ihr Redebeitrag hat das deutlich gemacht -, daß neben dieser Feststellung, die wir nicht verschweigen, die Verpflichtung selbstverständlich weiterbesteht, einen kritischen Blick auf die harten ostdeutschen Realitäten zu werfen. Ein bloßes „Weiter so" und die Botschaft nach dem Motto - ich zitiere Minister Rexrodt - „Der wirtschaftliche Aufschwung in Ostdeutschland ist auf gutem Wege" mögen der Regierung gerade in dieser Situation sehr gelegen kommen - dafür habe ich Verständnis -, sie lösen aber kein einziges Problem in Ostdeutschland. Das ist der Punkt.
Dieses zentrale Defizit kann man für viele Bereiche durchdeklinieren. Ich will das einmal beim Thema „Bündnis für Arbeit in Ostdeutschland" tun. Was unter der Überschrift „Bündnis für Arbeit" in dieser Legislaturperiode gelaufen ist, war ein völliger Fehlschlag, auch bezogen auf das, was sich in Ostdeutschland abgespielt hat. Ich sage ganz deutlich: Die Ursache für diesen Fehlschlag lag nicht im Ver- halten von irgendwelchen dritten Personen, sondern sie lag an der Reaktion und der Verhaltensweise dieser Bundesregierung.
Ich erinnere daran: Mit einem großen öffentlichen Aufwand wurden die Tarifvertragsparteien an einen Tisch geholt und Vertreter aus den neuen Ländern zusammengerufen, um eine „Gemeinsame Initiative für mehr Arbeitsplätze in Ostdeutschland" zu bilden. Großartige Ziele wurden formuliert, an die ich erinnern will:
Rolf Schwanitz
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Konkretes Ziel unserer heute vereinbarten gemeinsamen Aktion ist es, ... die Beschäftigung in den neuen Ländern im Jahr 1997 mindestens auf dem Niveau von 1996 zu stabilisieren und in den darauffolgenden Jahren ... einen jahresdurchschnittlichen Zuwachs von rund 100 000 Beschäftigten .
Also: Stabilisierung 1997 und zusätzlich 100 000 mehr Beschäftigte in 1998 waren das zentrale Ziel. Wenn ich mir jetzt Ihren Zwischenbericht von Schwerin aus der letzten Woche ansehe, meine Damen und Herren von der Koalition, dann muß ich feststellen, daß diese Zielstellungen überhaupt nicht mehr vorkommen. Sie tauchen in dem Zwischenbericht nicht mehr auf; kein einziges Wort dazu.
Es ist fraglos verständlich, warum das so ist: 1996 hatten wir im Osten noch 6,3 Millionen Erwerbstätige. 1997 waren es 170 000 weniger. Also nichts mit Stabilisierung auf dem Niveau von 1996. Im Jahr 1998 sollten nach Ihren Ankündigungen dann auf dem stabilisierten Niveau von 1997 - darauf lege ich Wert, damit es im Bewußtsein bleibt: auf dem stabilisierten Niveau -100 000 Menschen mehr in Lohn und Brot kommen. Auch davon keine Spur. Nach Ihren eigenen Berechnungen, die Sie im Jahreswirtschaftsbericht vorgelegt haben, wird dieses Entwicklungsziel, das Sie vor einem Jahr noch Ende 1998 erreichen wollten, um sage und schreibe 335 000 Erwerbstätige unterschritten. Das ist die eigentliche Bilanz Ihrer Versprechungen, die Sie in diesen Tagen ganz süffisant verschweigen.
Die Frage stellt sich: Was hat die Bundesregierung eigentlich getan, um dieses Bündnis für Arbeit auszufüllen? Ich gebe die Antwort in drei Punkten: Sie haben die steuerlichen Investitionsförderungen gekürzt. Sie haben die öffentlichen Investitionen in den letzten Jahren zeitlich gestreckt, obwohl die ostdeutsche Situation auf dem Arbeitsmarkt, gerade in der Baubranche, das Gegenteil erfordert hätte.
Und Sie haben die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen im Jahr 1997 heruntergefahren: ein einzigartiger Kahlschlag. Das ist die Situation gewesen.
Ich kann den Gewerkschaften nicht übelnehmen, daß sie sich als die Geprellten fühlen, denn die Gewerkschaften haben ihrerseits die Verpflichtungen aus dem Bündnis für Arbeit erfüllt. Sie haben moderate Lohnforderungen gestellt; sie haben die Frage der Angleichung an die westdeutschen Tarife in den Tarifverhandlungen zurückgestellt.
Sie haben sich bei der Frage, was auf der Betriebsebene als Notwendigkeit akzeptiert werden muß,
durch flexible Abschlüsse ausgezeichnet. Die Ge-
werkschaftsschelte, die Sie letzte Woche in Schwerin abgelassen haben, ist völlig fehl am Platz.
Sie haben keine Lehren aus dem Jahre 1996 gezogen. Sie haben die ausgestreckte Hand der Gewerkschaften im Osten noch einmal ausgeschlagen.
Ich will zum zweiten Punkt kommen, zu einer Begrifflichkeit, die sich in den letzten Wochen ganz tief in den Wortschatz der Ostdeutschen eingebrannt hat - ich glaube, das wird sich bis zum September auch nicht ändern -: die sogenannten Wahlkampf-ABM. Wie 1994 versuchen Sie, beim Wähler dadurch Eindruck zu schinden, daß Sie aktive Arbeitsmarktpolitik im Wahljahr ganz massiv nach oben fahren. Im Zeitraum von Januar bis Mai dieses Jahres sind in Ostdeutschland 128 000 Teilnehmer mehr in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Ich erinnere daran, daß wir im letzten Jahr, 1997, im selben Zeitraum eine Streichung von 48 000 Teilnehmern erleben mußten, also genau die gegenläufige Tendenz hatten. Daß das Wahltaktik ist und nichts mit einem Politikwechsel, mit einem Umdenken auf Ihrer Seite zu tun hat, ist so klar, wie irgend etwas politisch nur klar sein kann.
Der Bundesregierung geht es nicht um eine Korrektur einer falschen Politik. Sie hat noch nicht einmal den Versuch unternommen, die falsche Politik, die sich in Gesetzestexten manifestiert hat, beispielsweise im SGB III - darüber haben wir hier lange diskutiert -, zu ändern. Statt dessen wird das Ganze einfach an der geltenden Gesetzeslage vorbei in die Verwaltungen gedrückt. Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Das ist auch eine Zumutung gegenüber den Arbeitsämtern
und den Beschäftigten dort. Sie machen sie zu Erfüllungsgehilfen Ihrer Wahlkampfstrategie, und Sie werden dort tiefen Unmut ernten.
- Herr Krüger, ich möchte gerne im Zusammenhang vortragen.
Das wollte ich Sie gerade fragen. Gestatten Sie die Zwischenfrage?
Das habe ich damit beantwortet.
Einige von Ihnen geben das auch offen zu. Herr Grund, ich habe mir das Interview angesehen, das in dem Magazin „Akteur" zu lesen war. Das Magazin „Akteur" ist eine Zeitschrift des Thüringer Sozialministeriums. Das Interview findet sich in der Ausgabe Nr. 9/98. Da fragen die Journalisten Herrn Grund: „Warum nur Anweisungen? Warum keine Gesetzesänderung in diesem Jahr? ", nachdem sich herausgestellt hat, daß das Ganze nicht funktioniert und jetzt neue Maßnahmen ergriffen werden müssen. Antwort
Rolf Schwanitz
von Herrn Grund: „Weil das in der Fraktion nicht mehrheitsfähig ist. "
Dann kommen zwei weitere Nachfragen. Da wird von Journalisten gefragt, ob das denn nicht nur wahlkampftaktische Übungen seien und wie lange denn diese Dienstanweisung Bestand habe, wo doch das SGB III nicht geändert werde. Antwort von Herrn Grund unter anderem: „Ich kann natürlich nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, daß die Dienstanweisung nicht doch wieder irgendwann geändert wird. "
Worum es geht, ist ganz klar: Es geht um Wahlkampf und um den Versuch, vor dem Hintergrund Ihrer Politik eine Wende am Arbeitsmarkt in Ostdeutschland zu suggerieren, frei nach dem Motto: Schaut mal, bitte schön, unsere Reformen greifen!
In Wahrheit droht bei einem Wahlsieg der Koalition für Hunderttausende in Ostdeutschland nach dem Wahltag der Rückfall in die Arbeitslosigkeit. Das ist Ihr Planspiel für Ostdeutschland, und wir sprechen das offen aus.
Herr Kollege Schwanitz, gestatten Sie grundsätzlich keine Zwischenfragen?
Nein, ich möchte gerne im Zusammenhang vortragen.
Der eigentliche Skandal - das machen Sie nicht zum erstenmal - ist, daß Sie auf diese Art und Weise wieder mit den Hoffnungen und Erwartungen der Menschen in Ostdeutschland spielen, denn Sie sind überhaupt nicht bereit, auf diese Hoffnungen einzugehen. Es ist aber naiv, zu meinen, daß das in Ostdeutschland nicht bemerkt wird. Die Vorstellung, den Ostdeutschen bliebe das verborgen, was da wahlkampftaktisch abläuft, ist naiv und übrigens auch, finde ich, sehr überheblich gegenüber den Menschen in Ostdeutschland.
Nein, die Menschen im Osten brauchen eine klare Perspektive. Die Vision der Sozialdemokraten für den Osten ist klar: Die neuen Bundesländer müssen zu einem Wachstumsstandort mit hoher Produktivität werden,
der auch hohe Löhne ermöglicht und ökonomisch
rechtfertigt. Lohndumpingstrategien sind auf dem
Weg zu einer ostdeutschen Innovationsgesellschaft genauso unangebracht wie eine dauerhafte Subventionierung von Strukturen, die am Wettbewerb vorbei existieren.
Ich will ausdrücklich noch einmal darauf hinweisen - denn der Opposition wird ja immer das Bild des unersättlichen Ostdeutschen suggeriert -: Niemand will eine Förderung von Investitionen, die so üppig ist, daß die Steuerungs- und Anreizkräfte des Marktes außer Kraft gesetzt werden.
Schwerpunktsetzung im Aufbaukonzept, das ist das Gebot der Stunde.
Deswegen kommt der Förderung von innovativen Unternehmen, von Forschung und Entwicklung, insbesondere von betriebsnaher Forschung und Entwicklung, eine Schlüsselstellung im wirtschaftlichen Aufbaukonzept zu. Wir müssen erreichen, daß in Ostdeutschland Planungs- und FuE-Abteilungen und auch Hauptverwaltungen von Unternehmen angesiedelt werden. Dafür ist es notwendig, eine Forschungsinfrastruktur aufzubauen und bestehende Einrichtungen zu verbessern. Wir brauchen starke innovative ostdeutsche Unternehmen und auch möglichst viele Kristallisationspunkte für andere Unternehmen - Herr Krüger, da bin ich mit Ihnen einer Meinung -, wie wir das in viel zu seltenen Fällen schaffen, aber bei Jenoptik glücklicherweise geschafft haben. Aber nicht alle Ostdeutschen können nach Jena gehen, um davon ökonomisch zu profitieren.
Wir brauchen die Gründung innovativer Unternehmen. Das muß stärker als bisher gefördert werden. Lohnkostenzuschüsse müssen häufiger als Instrument verwandt werden, um das Forschungspersonal in kleinen und mittleren Unternehmen zu fördern. Wir müssen natürlich auch die Bereitstellung von Chancen- und Wagniskapital fördern. Dies ist ein bleibender zentraler Defizitbereich. Das können Sie mit Statistiken nicht wegwischen. Denn es gibt in Ostdeutschland eine ganz andere Vermögens- und Einkommenslage. Die Bereitstellung von Wagniskapital muß ein zentraler Punkt sein. Der Innovationsstandort Ostdeutschland ist das Ziel unseres Aufbaukonzepts für Ostdeutschland in den nächsten Jahren.
Wir brauchen - Herr Krüger, dazu haben Sie in Ihrem Perspektivbericht, den Sie vorgelegt haben, nichts gesagt - natürlich auch ein Transparentmachen der unüberschaubaren Vielzahl an Förderinstrumenten, die der Bund aufgelegt hat. Noch immer gibt es ein halbes Tausend von Programmen und mehr als 700 Instrumente. Experten sagen uns, 90 Prozent aller Anträge entfielen auf 10 Prozent der Programme. Der DIHT sagt, es gebe Förderprogramme, in denen 50 Prozent des Fördervolumens durch Verwaltungstätigkeit verschlissen würden. Das müssen wir ändern. Da muß ein tragfähiges Konzept entwickelt werden.
Rolf Schwanitz
Eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung wird nach den Bundestagswahlen mit den ostdeutschen Ländern, den Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie den Wirtschaftswissenschaftlern in Gespräche eintreten und dieses Konzept auf den Weg bringen.
- Sie können sich beschweren, wie Sie wollen. Seit acht Jahren haben Sie die Möglichkeit, diesen Förderdschungel zu lichten und dafür zu sorgen, daß ostdeutsche Unternehmen durch transparente Zugangsbedingungen endlich eine Chance erhalten. Daß ein Großunternehmen mit einer umfangreichen Rechtsabteilung das kann, ist unstrittig. Aber die kleinen und mittelständischen Unternehmen bleiben dabei auf der Strecke.
Die Menschen in Ostdeutschland warten - bei allem Stolz auf das Erreichte - auf zwei Signale, die von dieser Bundesregierung nach meinem Eindruck nicht mehr gegeben werden können. Das erste Signal ist eine offene und schonungslose Analyse der tatsächlichen Lage - ohne Beschönigungen, ohne Verdrängungen, ohne Versteckspiel hinter Vergangenem, vielmehr offen und ehrlich. Das zweite Signal sind glaubhafte Antworten auf die drängendsten Fragen in Ostdeutschland, wo natürlich der konjunkturelle Rückschlag von weiten Teilen der ostdeutschen Wirtschaft und die Massenarbeitslosigkeit klar im Zentrum stehen.
Verdrängen der Realität und keine Antworten für die Zukunft, das ist Ihre Politik gegenüber Ostdeutschland. Deswegen werden die Menschen im Herbst eine andere Bundesregierung wählen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Schulz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir hatten eigentlich erwartet, daß der Herr Bundeskanzler zum Ende seiner Regierungszeit hier eine Regierungserklärung zur Lage der Nation im vereinten Deutschland hält.
- Aber er sollte zumindest darüber Auskunft geben, in welchem Zustand er Ihnen dieses Land überläßt. Insofern wäre es berechtigt, so etwas zu tun. Aber er weicht dem offensichtlich ebenso wie dem Spitzenduell der Kanzlerkandidaten aus, um dann in der zweiten Runde, für die er seinen Redebeitrag angekündigt hat, so aus dem Hintergrund wieder zu sagen, daß wir keine Konzepte und keine Ahnung hätten und dergleichen mehr.
Wir beraten heute - das ist der Titel der heutigen Debatte - über den Perspektivbericht der Bundesregierung „Vorrang für Aufbau Ost". Nach acht Jahren kommen Sie zu der Feststellung - so die treffende Überschrift -, daß der Aufbau Ost Vorrang bekommen sollte. Ich meine, daß Sie die Wählerinnen und Wähler in Ostdeutschland nicht für dumm verkaufen können. Die können sehr wohl auseinanderhalten, was Sie an Erfolgen und was Sie an Mißerfolgen aufzuweisen haben. Darüber sollten wir reden und das Ganze aus dem Wahlkampfzauber heraushalten. Auch dort versteht man mittlerweile, daß Sie jetzt sehr mühsam dabei sind, wieder einmal Wahlkampfgeschenke zu verteilen. Die Kassen scheinen voll zu sein. Sie werfen momentan das Geld mit vollen Händen heraus. Plötzlich sind ABM-Stellen vorhanden, die im vorigen Jahr eingespart wurden und die Sie am Ende des Jahres wieder einsammeln werden.
Ich glaube, dieses Spiel, wie Sie nach jedem Strohhalm greifen, um ihn zum Stern zu verbiegen, hat man mittlerweile auch dort verstanden. Das wird nicht mehr gehen.
Jemand, der wie ich die DDR intensiv durchlebt hat, muß Ihnen sagen: Natürlich hat sich vieles zum Besseren verändert, natürlich haben wir viele Fortschritte gemacht, natürlich kann man heute die hellen Städte sehen, natürlich spürt man, daß die lähmende Stagnation überwunden ist, daß der permanente Verfall und Mangel überwunden sind. Das ist ein Fortschritt. Dafür bin ich dankbar.
Aber ich bin auch all meinen Landsleuten dankbar, die sich dafür eingesetzt haben, die diese enormen Veränderungen aus eigener Kraft geschafft haben.
Denn das ist nicht nur mit Ihrer und durch Ihre Regierungspolitik, sondern häufig auch trotz Ihrer Regierungspolitik passiert.
Ich höre, daß der Busenfreund von Helmut Kohl, der Hoffnungsträger Kurt Biedenkopf, jetzt für den Wahlkampf in den Ostländern gebraucht wird. Sie müssen sich schon in einer argen Not befinden, wenn Sie auf solche Wahlkampfhelfer angewiesen sind.
Werner Schulz
- Ich würde Ihren Zwischenruf gern mitverarbeiten, Herr Schäuble, wenn ich ihn hier vorn verstehen könnte.
Der Erfolg von Kurt Biedenkopf besteht doch darin, daß er eigene Wege gegangen ist. Anerkennung und Akzeptanz hat er gerade deswegen gefunden, weil er die Politik dieser Bundesregierung nachhaltig kritisiert hat. Gerade das hat ihm den Erfolg im Osten verschafft.
Nehmen wir das Beispiel - auch ein Busenfreund von Ihnen - Lothar Späth mit Jenoptik. Der zeigt im Grunde genommen, daß es genau andersherum geht, als Sie das im Großmaßstab versucht haben.
Er hat sich einen maroden VEB-Betrieb genommen, hat sich entsprechende Fördergelder beschafft - der Betrieb befindet sich immer noch im Staatsbesitz von Thüringen - und den Betrieb so weit modernisiert, daß er an die Börse gehen und sogar Produktivvermögensbildung in Arbeitnehmerhand betreiben kann. Er ging einen sehr fortschrittlichen Weg, so wie wir ihn in unserem Treuhandgesetz Jahr für Jahr eingeklagt haben, wozu Sie gesagt haben: Nein, schnellste Privatisierung. Laßt doch die Leute Schnäppchen machen; oder was war die Devise? Der Ausverkauf!
- Gut, darüber könnten wir in einem Extrakapitel reden. Sachsen-Anhalt ist ein schwieriges Problemfeld in jeglicher Hinsicht, sowohl wirtschaftspolitisch als auch politisch. Aber ich habe nicht so viel Redezeit, um jetzt das Spezifikum eines einzelnen Landes im Detail zu erläutern.
- Geschenkt.
Ich meine, daß Sie die Chancen für den Aufbau Ost vertan haben. Der Aufbau Ost hat sich im Reformstau West verhakt. Die Probleme der neuen Bundesländer beruhen auf den Problemen, die wir hier in den alten Bundesländern haben. Der eigentliche Aufbau Ost wird erst dann beginnen, wenn wir mit dem Nachbau West aufhören, wenn wir dort wirklich neue Wege beschreiten und wenn die neuen Bundesländer - was ja historisch völlig falsch ist; aber dieser Begriff hat sich eingeprägt - wirklich die modernsten Bundesländer sind.
Das ist nicht nur eine Frage der Infrastruktur; das erwähnen Sie hier immer wieder positiv. Keine Frage: Infrastruktur und Lebensqualität haben sich verbessert. Sie haben sich aber nicht so schnell verbessert wie die Situation auf dem Arbeitsmarkt, wie die der Industrie und leider auch nicht so schnell wie die Exporte.
Vielfach stimmt die Kostenstruktur in den ostdeutschen Betrieben nicht. Das betrifft nicht nur die Lohnkosten, sondern das betrifft auch die von Ihnen neu verursachten Kosten, die Sie diesen Betrieben aufbürden, zum Beispiel Wasserkosten oder Abwassergebühren. Das ist für die Modernisierung der Infrastruktur gedacht. Mit solchen Kosten machen Sie diese Betriebe eben nicht wettbewerbsfähig. Sie bürden Ihnen auch höhere Energiekosten auf, was überhaupt nicht einzusehen ist. Das ist durch den Stromvertrag gekommen, den im Grunde genommen Sie abgeschlossen haben.
Ich finde es hervorragend, daß Sie sich mit einem Redebeitrag zu Wort melden werden, Herr Türk. Es wird ja jetzt am Wochenende ein F.D.P.-Parteitag stattfinden. Dort wird ein 5-Punkte-Programm vorgestellt. Ich will es im einzelnen gar nicht erwähnen; es lohnt sich nicht, weil es sich im Grunde genommen wie die Defizitliste einer 16jährigen Regierungskoalition liest. Sie haben nur den Punkt 6 vergessen, nämlich den kw-Vermerk von Guido Westerwelle: Kohl weg, Kanzler weg, Regierungswechsel. Aber ich hoffe, daß Sie das am Wochenende noch schaffen werden. Herr Gerhardt, Sie werden das hinbekommen. Sie müssen bloß Ihre Parteifreunde davon überzeugen, daß die Koalition mit dem Herrn Bundeskanzler Kohl auf vier Jahre erfolgen soll. Diese Auseinandersetzung müssen Sie dort austragen. Das wird spannend.
Ich frage mich, warum Sie den Herrn Westerwelle gar nicht mehr in Sichtnähe des Kanzlers kommen lassen? Der ist sogar aus dem Küchenkabinett herausgeflogen.
Dabei wurde gleichzeitig der Kollege Hintze mit entsorgt. Ich finde hervorragend, wie Sie das machen.
Die große Herausforderung der deutschen Einheit sind die hohe Arbeitslosigkeit -
- ich kann Ihre Programme gar nicht mehr zählen; ich weiß nicht, wie viele Sie haben und was da gültig ist
Werner Schulz
- und die fehlende Zukunftsperspektive. Dazu sollten Sie, Herr Bundeskanzler, heute Rede und Antwort stehen und sagen, was Ihr großartiges 50Punkte-Programm gebracht hat, was aus der Halbierung der Arbeitslosigkeit geworden ist, was denn aus dem Bündnis für Arbeit im Osten geworden ist, was aus den hunderttausend Stellen geworden ist, die Sie pro Jahr neu schaffen wollten. Nein, Herr Bundeskanzler, das alles läuft nicht mehr. Sie haben kein Konzept. Sie haben von Anfang an kein Konzept gehabt,
und Sie werden auch nicht kurz vor der Wahl mit einem Perspektivprogramm „Aufbau Ost" den Eindruck erwecken, daß Sie eines hätten. Das ist nicht der Fall.
Ich will ein anderes Problem ansprechen, in dem ich eine große Gefahr sehe. Die PDS ist nicht die Gefahr im Osten. Sie ist nur ein Milieu-Auflauf aus altem Käse und frischem Brie.
Darin besteht für mich nicht die Gefahr. Sie werten die PDS doch nur auf. Dieses Rote-Hände-Plakat: Herr Gysi hat seine Hände schon in weiße Binden eingewickelt. Insofern kann man sagen: Da ist gar nichts mehr zu holen. Die PDS werten Sie doch nur auf, weil Sie sich in eine große Koalition hineinretten möchten. Das ist eine ganz durchtriebene Zweitstimmenkampagne für die PDS, die Sie hier betreiben - überhaupt nichts anderes.
Das ist eine negative Übertragung und Aufwertung. Damit bleibt die PDS ständig im Gespräch.
Sie haben extra einen großartigen Regierungssprecher eingestellt, der das ausspricht, was man in der Regierung denkt, aber offensichtlich nicht wagt, auszusprechen.
Es ist hochinteressant, daß etliche von Ihnen mit der geballten Faust in der Tasche an den Osten denken. Es ist auch hochinteressant, daß Sie die Förderpolitik für den Osten vom Wohlverhalten der Ostdeutschen abhängig machen wollen. Ich sage Ihnen ganz klar: Die Ostdeutschen wollen nicht ausgehalten werden, vielmehr wollen sie mithalten können.
Es ist eine Unverschämtheit gewesen, was dieser Regierungssprecher in Ihrem Namen gesagt hat. Sie sollten sich davon eindeutig distanzieren. Das erwarte ich von Ihnen, denn ansonsten gilt das, was
Herr Hauser gesagt hat, offensichtlich auch in Ihrem Namen.
Das Gefährliche ist vielmehr, daß sich der Protest, die Enttäuschung im Osten in die rechtsradikale Richtung entwickeln. Das sind - Gregor Gysi, darüber sollten Sie hier auch einmal reden - Ihre Erziehungsprodukte. Die Skinheads von heute waren die Thälmann-Pioniere von gestern.
Es tut mir leid, das ist so. Dort sind autoritäre Charakterstrukturen geschaffen worden. Darüber sollten Sie reden. Das ist Ihre Verantwortung für die Vergangenheit.
Wenn Sie das mit der Vergangenheitsverantwortung wirklich ernst meinen, dann sollten Sie dazu Stellung nehmen.
Natürlich kommt die Umbruchsituation hinzu, eine Orientierungslosigkeit. Das Wort Politikverdrossenheit ist nicht allein zum Wort des Jahres gewählt worden, sondern ist das Wort einer Ära, der Ära Kohl, die unter dem Motto von einer geistig-moralischen Wende angetreten ist. Was hat sich denn geistig-moralisch verändert und gewendet, Herr Bundeskanzler,
bei dieser Orientierungslosigkeit von Jugendlichen? Das ist die ideelle Grundausstattung, das ideelle Startkapital, das Sie den neuen Bundesländern, den Jugendlichen mitgegeben haben,
was sich dort momentan entlädt: Enttäuschung durch haltlose, leere Versprechungen. Das ist der wunde Punkt.
Das allerschärfste ist Ihre neue Kampagne. Die „roten Hände" haben Sie schon längst abgeräumt; das ist ja weg. Die neue Kampage ist ja, daß Sie einerseits die PDS aufblasen, aufwerten und daß Sie anderseits jetzt die PDS kopieren. Das ist der neue Wahlkampfschlager.
Der neue Wahlkampfschlager der CDU: die „NBI", die „Neue Berliner Illustrierte", Sie nennen das jetzt „Neue Bundesländer Illustrierte". Ich habe Ihnen einmal ein Exemplar mitgebracht, das zeigt, wie ich die „NBI" in Erinnerung behalten habe.
Das war der „Rote Stern" der DDR, ein SED-Journal. Daß Sie jetzt als Herausgeber eines SED-Journals auftreten, daß Sie jetzt praktisch über die Erfolge im sozialistischen Aufbau auf neue Art und Weise be-
Werner Schulz
richten, das ist natürlich hervorragend, Herr Bundeskanzler.
Demnächst wird Ihr Face vorn auf der Zeitung sein. Es ist traumhaft! Ich hätte mir nicht gedacht, daß Sie noch einmal so tief in die Mottenkiste der Ostalgie greifen würden.
An dieser Zeitung wird deutlich: Sie haben kein Konzept für das gesamte Deutschland. Im Grunde genommen greifen Sie auf Propagandamittel der SED zurück und beleben sie wieder.
Nein, meine Damen und Herren, dieses Land braucht eine politische Erneuerung an Haupt und Gliedern. Ich bin der Auffassung, mit dieser Bundesregierung ist das wirklich nicht mehr drin.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jürgen Türk.
Der Zwischenrufer vom Dienst ist auch schon wieder aktiv. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schulz von den Grünen, wer Magdeburg hinter sich hat, der sollte hier nicht die große Lippe riskieren. Das will ich einmal sagen.
Sie haben noch nicht einen konkreten Vorschlag gemacht, nur jedesmal Ihre Scheißpolemik hier.
Nun zur Sache. „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört" - Willy Brandt hat wohl nur ahnen können, daß das Zusammenwachsen nicht ganz so einfach ist. Das haben wir auch noch nie bestritten. Es mußte Schwierigkeiten geben, denn 45 Jahre unterschiedlicher Entwicklung kann man nicht mit einem Handstreich beseitigen.
Es ist in den letzten acht Jahren viel geleistet worden, aber es gibt natürlich noch viel zu tun. Es kann ja nicht anders sein. Obwohl vieles geschaffen worden ist, fehlen noch Arbeitsplätze, weil dem Mittelstand, dem Arbeitsplatzbeschaffer Nummer eins, weiterhin auf die Beine geholfen werden muß. Hier darf natürlich nichts beschönigt werden, aber es darf auch nicht mit den noch vorhandenen Problemen das eigene machtpolitische Süppchen gekocht werden, wie das Herr Schulz hier gerade wieder gemacht hat.
Daß es noch Probleme gibt, zeigt das Wahlverhalten in Sachsen-Anhalt. Wir sollten darüber nicht so einfach hinweggehen. Das muß uns gemeinsam zum
Nachdenken veranlassen. Es ist natürlich zu billig, das mit der Undankbarkeit der Ostdeutschen abzutun; denn in Westdeutschland wurde auch rechtsextrem gewählt.
Selbstverständlich müssen wir uns immer wieder fragen, was wir noch besser machen müssen, was wir, das heißt: die Politik insgesamt, falsch gemacht haben, und zwar nicht nur die Bundesregierung, sondern auch der Bundesrat mit seiner SPD-Mehrheit.
Herr Schwanitz, auch die Vereinfachungen bei den Fördermitteln sind nicht am Bund, sondern an den Ländern gescheitert. Sie gehen so einfach darüber hinweg. Zwischenfragen erlauben Sie nicht, und den Leuten machen Sie hier weis, daß es nur an dieser Bundesregierung liegt. Ich glaube, die Leute sind es leid, daß wir uns gegenseitig blockieren und damit die längst überfälligen Reformen immer weiter verschleppen.
Es wäre Pflicht gewesen, die große Steuerreform, das Arbeitsbeschaffungsprogramm schlechthin, gemeinsam zu beschließen.
Welcher Teufel hat eigentlich die SPD geritten, diese Reform im Bundesrat zu verhindern?
Natürlich ist es legitim, an die Macht kommen zu wollen, aber eine Schweinerei, dies auf Kosten der Arbeitsplätze zu tun, wo Sie doch immer vorgeben, so sozial sein zu wollen.
Das Wahlverhalten in Sachsen-Anhalt war auch das Ergebnis einer solchen Politik. Ich frage mich selbstkritisch: Haben wir zuwenig über das Ziel dieser Steuerreform und darüber informiert, daß Abgabensenkungen im Ausland bereits eine Senkung der Arbeitslosenzahl bewirkt haben?
Natürlich muß man auch klarmachen, daß extrem rechts oder extrem links zu wählen keine Lösung bringt, sondern Probleme noch weiter verschärft und geradezu ins Chaos führen kann. Aber ein Arbeitsloser will eben wissen, wie seine Perspektiven für einen Arbeitsplatz sind. Das ist ganz normal. Deshalb sagt die F.D.P. folgendes:
Erstens. Die große Steuerreform sollte endlich durchgeführt werden. Die Unternehmen sollten entlastet werden, aber auch die Arbeitnehmer. Sie verschweigen immer, daß das in der Steuerreform, die wir beschlossen haben, auch enthalten ist. Dies ist, wie gesagt, die beste Mittelstandsförderung, die wir machen können, und sie ist das Beste, um Arbeitsplätze zu schaffen.
Sie ist auch finanzierbar, weil geschaffene Arbeitsplätze Einnahmeverbesserungen in erheblichen Größenordnungen bedeuten. Das haben doch andere vorgemacht. Dies ist eine Binsenweisheit, die nur die
Jürgen Türk
deutsche Sozialdemokratie bisher noch nicht begriffen hat.
Herr Schwanitz, noch einmal: Wir brauchen nichts imaginäres Neues zu erfinden. Wir müssen das auf dem Tisch Liegende endlich machen und dürfen es nicht blockieren.
Zweitens wird, wie beschlossen, der Aufbau Ost auch nach 1998 fortgesetzt werden, und zwar effizienter, weg von den Sonderabschreibungen hin zur Verdoppelung der Investitionszulagen. Sie ignorieren das ganz einfach. Das haben wir übrigens gemeinsam beschlossen, und das ist richtig so. Dies wird den kleinen und mittleren Unternehmen, dem Handwerk und dem Handel helfen, den chronischen Eigenkapitalmangel zu vermindern.
Wenn wir die Liquiditätsschwäche schrittweise beseitigen wollen, gehört drittens auch dazu, daß die Zahlungsmoral wiederhergestellt wird. Wir sollten also nicht nur klagen, sondern endlich einmal gemeinsam handeln, auch gegen die ewigen Bedenkenträger, die sagen: Das haben wir doch immer anders gemacht! Deshalb haben wir das Zwangsvollstreckungsrecht und die außergerichtliche Streitschlichtung geändert und müssen noch in dieser Legislaturperiode auch das Zustellungsrecht ändern und die Verzugszinsen erhöhen. Schön, daß auch die SPD jetzt daraufgekommen ist.
Im übrigen sollte man nicht weiter übereinander herfallen, sondern man muß miteinander reden. Das fällt natürlich schwer. Das habe ich auch schon bemerkt. Das tun wir aber zur Zeit zum Beispiel mit der brandenburgischen Initiative „Das Handwerk macht mobil". Die F.D.P. unterstützt diese Initiative, weil sie anstehende Probleme und Lösungen aufzeigt.
Gemeinsam werden wir besprechen, was aus dem 15-Punkte-Katalog wie gelöst werden kann. Das darf man nicht ideologisch, sondern man muß es an der Sache orientiert machen. Ich bin sicher, daß dabei etwas herauskommt, nämlich bessere Chancen für die Entwicklung des Handwerks und des Mittelstands und für die Freiberufler. Damit entstehen zwangsläufig mehr Arbeitsplätze.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst eine Bemerkung zu dem, was Werner Schulz hier gesagt hat.
Sie haben erklärt, daß die gesamte Kampagne, die Dämonisierung der PDS durch den Regierungssprecher und durch Vertreterinnen und Vertreter der
CDU und der CSU Ihrer Meinung nach eine verdeckte Zweitstimmenkampagne zugunsten der PDS ist. Sie haben dafür von zwei Fraktionen viel Beifall bekommen.
Wenn wir darauf empfindlich reagieren und das zurückweisen, so finden Sie das sozusagen völlig deplaziert, weil es uns Ihrer Meinung nach letztlich nützt. Eines würde ich gerne von Ihnen wissen. Wenn das so ist, warum reagieren Sie eigentlich so empfindlich auf die Angriffe gegen Herrn Trittin? Wenn das stimmte, was Sie sagen, wäre das eine verdeckte Zweitstimmenkampagne für Ihre Partei. Wieso eigentlich ist Kritik an der PDS immer für diese gemeint und Kritik an Ihnen gegen Sie gemeint?
Ihre Dialektik weist hier einen Bruch auf. Sie müßten sich dann für diese Kampagne auch bedanken. Aber Sie reagieren auf sie in diesem Saal höchst empfindlich. Das finde ich unaufrichtig.
Sie haben zweitens gesagt, daß zur Geschichtsaufarbeitung auch gehört, autoritäre Erziehungsstrukturen in der DDR zu untersuchen und zu sehen, welche Folgen sie bei jungen Menschen - jetzt nicht mehr ganz so jungen Menschen - haben und ob das etwas mit ihrem Wahlverhalten zu tun hat. Ich bin sehr dafür, das zu tun, und ich glaube auch, daß es da gewisse Zusammenhänge gibt. Ich finde nur, Sie machen es sich zu leicht. In Baden-Württemberg haben bei der letzten Landtagswahl 9 Prozent der Wählerinnen und Wähler die Republikaner gewählt. Da hatten nun die SED und ich persönlich in den vergangenen Jahren nicht ganz so großen Einfluß genommen. Das heißt, es muß auch noch andere Ursachen geben, über die nachzudenken sich lohnt.
Jede Vereinfachung hilft uns hier keinen Schritt weiter.
Herr Krüger, Sie haben hier eine Bilanz der deutschen Einheit gezogen - es war eine reine Erfolgsbilanz. Sie verstehen, weshalb ich da ein bißchen an früher erinnert war. Ich glaube, daß diese Art von Schönfärberei nicht weiterhilft. Ich bestreite doch überhaupt nicht, daß es beachtliche Entwicklungen gegeben hat. Ich habe das hier mehrfach gesagt, und ich wiederhole das: Die Infrastrukturentwicklung, der Aufbau der Stadtzentren, die Telekommunikation - das hätte die DDR auch in 40 Jahren nicht geschafft, was da in sieben Jahren alles zustande gebracht worden ist.
Das ist völlig unstrittig. Das würde ich nie bestreiten, und das sage ich auch in den neuen Bundesländern.
Aber es gibt doch auch gewaltige Probleme, und zwar nicht nur solche, die mit länger zurückliegenden Dingen zu tun haben, sondern auch solche, die
Dr. Gregor Gysi
mit der jüngeren Geschichte zu tun haben. Hier wurden die Ursachen in den letzten Jahren geschaffen. Es war eben ein grundsätzlicher Fehler, einfach Strukturen überzustülpen, ohne sich die in den neuen Bundesländern vorhandenen anzusehen. Die Sekundärrohstofferfassung bauen wir jetzt allmählich wieder auf, nachdem sie sinnloserweise zerstört worden ist. Amerikanische Ärztinnen und Ärzte bestätigen, daß die Facharztausbildung in der DDR auf höchstem Niveau war. Sie wurde erst einmal kaputtgemacht, und jetzt machen wir uns Gedanken darüber, wie wir wieder dahinkommen.
Das gilt ganz ähnlich für bestimmte Strukturen. Da war eine Grundarroganz vorhanden. Man glaubte, aus diesem Land nichts zu benötigen, sondern es nur ein- und unterordnen zu müssen. Das war der Grundfehler im Denken und Handeln im Zusammenhang mit der deutschen Einheit.
Der nächste Punkt: Sie haben Prinzipien festgelegt, an denen wir heute noch schwer zu kauen haben. Überlegen Sie sich doch einmal, was das Prinzip Rückgabe vor Entschädigung alles angerichtet hat, wieviel Tausende von Schicksalen davon betroffen worden sind, wieviel Tausende von Prozessen deshalb heute noch geführt werden und welcher Vermögenstransfer auf diese Art und Weise stattgefunden hat. Ich könnte noch viele andere Beispiele nennen.
Wir haben eine riesige Arbeitslosigkeit, und zwar nicht nur, weil die Betriebe so marode waren. Es waren auch Betriebe dabei, Herr Bundeskanzler, die immer erfolgreich in die Bundesrepublik Deutschland exportiert hatten. Das wäre doch nicht möglich gewesen, wenn die Waren so schlecht gewesen wären. Trotzdem sind sie pleite gegangen. Suhler Jagdwaffen gibt es bei Ihren Präsidenten und anderen. Die gab es in der DDR gar nicht zu kaufen. Das Unternehmen ist dennoch kaputtgemacht worden, weil man halt keine zusätzliche Konkurrenz wollte. Daß Sie sie fürchteten, ergab sich aus dem falschen Prinzip „Privatisierung vor Sanierung" .
Sonst hätten Sie nämlich gesagt: Erst sanieren, und dann, wenn das Unternehmen erfolgreich läuft, privatisieren. Aber genau das haben Sie abgelehnt.
Dann sagen Sie, Herr Krüger, es sei erfreulich, daß die Industrie den Bau als Motor der Konjunktur abgelöst habe. Von Konjunktur kann man im Osten noch nicht reden. Aber das war ja auch einfach, nachdem der Bau fast völlig zusammengebrochen ist. Den Platz 1 zu erobern durch eine negative Entwicklung desjenigen, der bis dahin den Platz 1 hatte, das ist doch kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt.
Dann haben Sie gesagt: 100 000 neue Arbeitsplätze im Osten. Die gibt es noch nicht; das wissen Sie. Es heißt: Es ist damit zu rechnen, daß es in diesem Jahr 100 000 neue Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern geben wird. Das ist aber etwas ganz anderes, als wenn sie schon da wären. Ich glaube, daß die Rechnung am 28. September leider korrigiert werden muß.
Ein Hauptproblem betrifft die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen - dazu hat Herr Schwanitz gesprochen -, die jetzt plötzlich im Osten wirklich ganz leicht zu bekommen sind. Es ist geradezu traumhaft, wie das im Augenblick läuft. Nur, es gibt ein Glaubwürdigkeitsproblem. Sie haben 1997 hier in diesem Hause erklärt, daß die Mittel einfach nicht mehr da sind, daß das der falsche Weg ist, und haben das radikal zusammengekürzt. Das wäre gar nicht nötig gewesen. Nun aber, wenige Monate vor der Wahl, holen Sie aus irgendeiner Zauberkiste das Geld, das Ihnen vor wenigen Monaten noch gefehlt hat, plötzlich heraus. Plötzlich ist alles wieder finanzierbar, von dem Sie 1997 behauptet haben, es sei nicht finanzierbar. Das durchschauen die Leute. Alle, die ich treffe, sagen: Ich habe auch noch eine Wahl-ABM bekommen. So heißt das Ding inzwischen.
Keiner glaubt, daß das nach dem 27. September so bleibt. Aber es ist trotzdem schön, daß es so gekommen ist; das will ich hinzufügen. Es wäre aber besser gewesen, es seit 1997 kontinuierlich zu gestalten.
Ich ärgere mich über bestimmte Begriffe. Ich habe das hier schon oft gesagt. Ich verstehe nicht, Herr Bundeskanzler, warum Sie da nicht mal ein Machtwort sprechen. Schaffen Sie den Begriff Transfer ab! Sie wissen doch, einen Transfer gibt es im Sprachgebrauch nur ins Ausland. Wann hört die ehemalige DDR endlich auf, für Sie Ausland zu sein?
Das sind Bundeszuschüsse wie bei allen anderen Ländern auch, keine Transferleistungen!
Was rechnen Sie da überhaupt? Ich glaube, es war Frau Lengsfeld, die kürzlich auf einem Kongreß beim Bundespräsidenten von 1000 Milliarden DM Transferleistungen gesprochen hat. Wer hat eigentlich ein Interesse daran, solche Summen zu erfinden? Wissen Sie, wie Sie auf diese Summe kommen? Sie rechnen unter anderem alle Kosten eines jeden Bundeswehrstandortes in den neuen Bundesländern als Transferleistung, und zwar mit der Begründung, daß es dort vorher keine Bundeswehr gab.
Sie rechnen alle Gelder, auf die es gesetzlichen Anspruch gibt, etwa Kindergeld, Arbeitslosengeld oder Wohngeld, als Transferleistung. Glauben Sie denn, Bremen erwirtschaftet alle diese Gelder selbst? Kämen Sie deshalb je auf die Idee, von Transferleistungen nach Bremen oder auch in andere Bundesländer zu sprechen? Was hier passiert, ist doch völlig absurd.
Sie rechnen - das empfinde ich als Höhepunkt - das Gehalt eines jeden Menschen aus den alten Bundesländern, der in den neuen Bundesländern im öffentlichen Dienst arbeitet, als Transferleistung von West nach Ost. Das heißt, Biedenkopfs Gehalt ist eine Transferleistung, das Gehalt von Seite nicht, weil der eine aus dem Westen und der andere aus dem Osten kommt. Aber selbst wenn wir in Sachsen einen Ministerpräsidenten aus dem Osten hätten,
Dr. Gregor Gysi
würden Sie doch nicht bestreiten, daß er auch ein Gehalt bekäme. Es ist also völlig fiktiv, was Sie hier veranstalten.
Was man als Transferleistung rechnen kann, sind die Gemeinschaftsaufgabe und die Sonderzahlungen im Rahmen des Länderfinanzausgleichs. Das wären doch auch schon beachtliche Zahlen. Warum können Sie sich nicht auf die beschränken? Warum müssen Sie sie künstlich derart in die Höhe treiben? Sie wissen doch, was die Folge ist: Die Folge ist, daß bei vielen Menschen in den alten Bundesländern der Eindruck entsteht, die Ossis würden ihnen langsam zu teuer, und für die Ostdeutschen ist es demütigend. Wer so etwas macht, vereint nicht, sondern spaltet! Mit dieser Wahrheit müssen Sie sich abfinden.
Überhaupt der Begriff der Solidarität: Sie tun immer so, als würde der Osten aus Spendenaufkommen finanziert. Das ist doch geradezu albern. Beispielsweise ist der Solidaritätszuschlag doch keine freiwillige Abgabe, sondern eine knallharte Steuer, die vom Finanzamt eingetrieben wird. Ob der Steuerzahler sich dabei besonders solidarisch fühlt oder nicht, interessiert den Finanzbeamten überhaupt nicht. Also tun Sie doch nicht so, als hätte das Ganze den Status von Freiwilligkeit. Sie machen hier Gesetze, die dann auch durchgesetzt werden müssen. Auf dieser Basis läuft das, ziemlich unabhängig von Gefühlsstrukturen. Aber ich bin ja für Solidaritätsgefühle. Nur wird es damit immer komplizierter, wenn Sie mit solchen falschen Zahlen operieren.
Dann vergessen Sie immer zu sagen, wohin das Geld fließt. Das meiste Geld geht in den konsumtiven Bereich; von diesem Geld werden Produkte aus den alten Bundesländern gekauft, so daß es wieder in die alten Bundesländer zurückfließt. Die Beihilfen im Zusammenhang mit der Kali-Struktur sind an ein Großunternehmen in den alten Bundesländern geflossen. Aber all das gilt als Transfer in den Osten. Es hilft uns einfach nicht, auf dieser Basis weiterzumachen.
Es ist auch nicht hinnehmbar, daß die Löhne, Gehälter und Sozialleistungen in den neuen Bundesländern nach wie vor im Vergleich zu den alten so niedrig sind. Man könnte das mit dem Argument der geringeren Produktivität rechtfertigen. Aber dann müßte die Regierungskoalition dafür sorgen, daß die Preise bei 70 Prozent stehenbleiben. Sie können doch nicht bei einem Preisniveau von 100 bis 110 Prozent ein Lohn- und Sozialleistungsniveau von 60 bis 80 Prozent festschreiben. Das geht einfach nicht zusammen, und das muß auch einmal deutlich hervorgehoben werden.
Im übrigen haben Sie auch hier wieder die alte DDR im Kopf. Wenn ich jemandem einen Betrieb zeige, der schon eine höhere Produktivität als ein Betrieb in den alten Bundesländern aufweist - es gibt solche Betriebe in Thüringen und anderswo -, und frage, warum die dort Beschäftigten auch nur 80 Prozent und nicht 100 Prozent bekommen, dann wird mir gesagt, dies geschehe, weil im Gesamtdurchschnitt der neuen Bundesländer die Produktivität noch geringer sei. Das heißt, die DDR in den alten Grenzen existiert in Ihrem Kopf immer fort, und der Durchschnitt in der gesamten alten DDR ist für den Lohn eines Arbeitnehmers in Thüringen ausschlaggebend, der schon bei einer Arbeitsproduktivität von 100 oder 110 Prozent angelangt ist. Da muß sich noch einiges in Ihrem Bewußtsein zurechtschieben. Ich habe inzwischen die Einheit wohl eher verstanden als Sie; daß Sie diesbezüglich hinter mir zurückbleiben, ist wirklich ein Problem.
Es gibt Entwicklungen im Osten, die mich für den Westen sehr nachdenklich stimmen. Den Flächentarifvertrag gibt es praktisch in den neuen Bundesländern gar nicht mehr.
Wir sind schon glücklich, wenn wir überhaupt einen Haustarif haben. In der Regel läuft es so, daß der Unternehmer am Monatsende sagt, welchen Lohn er zahlen kann; das schwankt von Monat zu Monat, und die Leute lassen sich das bieten. Deshalb sage ich: Der Aufschwung Ost ist nicht mehr nur eine Frage der Solidarität und der Hilfe. Sieben Jahre lang mag es darum gegangen sein, daß der Westen den Osten hochzieht. Jetzt, so behaupte ich, zieht der Osten den Westen herunter, wenn wir nicht höllisch aufpassen. Deshalb ist der Aufschwung Ost eine Existenzfrage für den Westen. Wir werden hier in den alten Bundesländern nichts halten, wenn es in den neuen Bundesländern so weitergeht. Ist der Flächentarifvertrag im Osten zerstört, hält er auch im Westen nicht. Das gilt für die Tarifautonomie und für viele andere Bereiche.
Deshalb ist es nicht nur eine Frage der Solidarität, sondern des Eigeninteresses auch der Menschen in den alten Bundesländern, daß wir endlich in den neuen Bundesländern vorankommen.
Überhaupt sind die Unterschiede zwischen Ost und West in dieser Gesellschaft nicht das Entscheidende, sondern die zwischen oben und unten. Mich ärgert es, wenn mir die Sozialhilfeempfängerin in Erfurt sagt, ihr Hauptproblem sei, daß die Sozialhilfeempfängerin in Bremen mehr habe als sie, und die in Bremen sagt mir, wenn es die Sozialhilfeempfängerin in Erfurt nicht gäbe, hätte sie wahrscheinlich mehr. Beides ist ein Grundirrtum. Sie hätten beide nur mehr, wenn wir in dieser Gesellschaft Reichtum anders verteilen würden. So bekämpft man Armut und nicht, indem man Arme gegeneinander ausgrenzt. Das ist, glaube ich, der falsche Ansatz.
Noch schlimmer als diese materiellen Fragen sind die kulturellen. Lassen Sie mich ein einziges Beispiel dafür nennen, und damit schließe ich dann auch. Herr Bundeskanzler, wir haben einen Einigungsvertrag. Darin ist einiges zur Anerkennung von Berufsabschlüssen aus der ehemaligen DDR geregelt. Es ist
Dr. Gregor Gysi
folgendes passiert: Eine Lehrerin, die noch in der DDR ausgebildet wurde, ist danach in den Schuldienst in Sachsen-Anhalt übernommen worden, hat dort auch gearbeitet. Nach der Eheschließung ist sie nach Bonn umgezogen. Daraufhin hat sie in Köln beantragt, für die Sekundarstufe I eine Laufbahn als Lehrerin beginnen zu dürfen, also in den Schuldienst eingestellt zu werden. •
Köln liegt in einem SPD-regierten Bundesland, und jetzt hören Sie einmal genau zu: Daraufhin wurde in Köln gesagt, die Qualifikation aus der DDR-Zeit und ihre jahrelange praktische Unterrichtstätigkeit einschließlich der Zeit nach der Wende im Bundesland Sachsen-Anhalt reichten für NRW nicht aus, sie brauche hier eine neue Qualifizierung.
Dagegen hat sie Widerspruch eingelegt, ging durch alle Instanzen, und jetzt liegt mir das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vor. Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich auf die Kultusministerkonferenz und sagt, die Abschlüsse gelten für alle neuen Bundesländer, die alten Bundesländer haben Vorbehalte geltend gemacht und können einzeln entscheiden, ob die Qualifikation genügt oder ob sie eine weitere Qualifikation verlangen. Deshalb ist diese Lehrerin in NRW zu Recht nicht eingestellt worden und konnte sich sozusagen gar nicht wirksam bewerben.
Da beschweren sich nun die Lehrerinnen und Lehrer aus der ehemaligen DDR und sagen, sie würden benachteiligt.
Herr Kollege Gysi, Sie müssen das Beispiel jetzt doch ein bißchen abkürzen.
Aber unterstellen Sie doch einmal, daß das Bundesverwaltungsgericht recht hat und die Qualifikation nicht ausreicht. Dann sagen Sie mit einer solchen Entscheidung: Die Lehrerin mag für die Kinder im Osten allemal noch geeignet sein, für die im Westen nicht. Wer so etwas zuläßt, verletzt Kultur und spaltet.
Das Wort hat jetzt Herr Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl.
Meine Damen und Herren! Es ist verständlich, daß die Koalitionsfraktionen klatschen - nach dem, was bisher hier von Herrn Gysi und von Herrn Schulz geboten wurde.
Herr Schulz, daß Sie angesichts des Desasters, das Sie in den neuen Ländern erlitten haben, angesichts der Tatsache, daß Sie sich selbst - Sie wissen es besser als ich - mit Recht als jemand, der aus dem Bündnis 90 kommt, von den westdeutschen Grünen verraten fühlen, überhaupt hier ans Pult gehen, ist doch ziemlich absurd. Jeder im Saal weiß es.
Meine Damen und Herren, am Mittwoch nächster Woche, am 1. Juli, ist der achte Jahrestag der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion. Dieser Tag vor acht Jahren war, für jedermann erkennbar, der entscheidende Schritt zur deutschen Einheit. Denn mit den Entscheidungen an diesem Tag war klar, daß in kurzer Folge - es war im Oktober dann auch so - die deutsche Einheit, die Wiedervereinigung, kommen würde. Es war der Beginn einer gemeinsamen Zukunft.
Mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion waren die Deutschen in Ost und West - diesseits und jenseits der Mauer, wie wir lange sagen mußten - wieder vereint und Friede und Freiheit auf Dauer für unser ganzes Volk gewährleistet.
Deswegen sind wir stolz darauf, daß wir an dieser Entscheidung mitwirken konnten. Es war ein Geschenk der Geschichte. Das vergessen wir nicht. Wir sind und bleiben dafür dankbar.
Wir haben auch nicht vergessen, daß Männer und Frauen mit den großen Demonstrationen in der damaligen DDR im Herbst 1989 in Leipzig, Berlin und anderswo den Weg für diese Entwicklung gebahnt und sie durchgesetzt haben.
Wir haben auch unsere Freunde und Partner im Ausland - ich nenne Michail Gorbatschow und George Bush; es waren aber auch viele andere - nicht vergessen, die es möglich gemacht haben, daß wir die deutsche Einheit in einer kurzen Zeit und zu einem Zeitpunkt, als es die wenigsten erwarteten und viele gar nicht mehr daran glaubten, erreicht haben.
Die Männer und Frauen, die damals gegen die SED-Diktatur aufstanden, haben - und das gehört auch in diese Debatte - unseren besonderen Respekt und unsere Dankbarkeit verdient,
vor allem, weil sie mehr Zutrauen und Vertrauen in die Einheit unserer Nation hatten als viele im Westen, die die Wiedervereinigung längst aufgegeben, ja die Idee sogar verraten hatten.
Deswegen mutet es in diesen Wochen schon seltsam an, daß sich diejenigen, die nichts, aber auch gar nichts für die deutsche Einheit getan und die andere, die diese Idee hochhielten und daran glaubten, mit Spott und Hohn überschüttet haben, jetzt zu Sachwaltern der Menschen in den neuen Ländern machen.
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Manch einer, der jetzt in Rostock oder anderswo auf Kongressen und auf Wahlkampfveranstaltungen auftritt, sollte sich daran erinnern, was er damals alles getan hat, damit diese deutsche Einheit nicht zustande kommt. Es ist ein Skandal, in welch einer Weise die historischen Tatsachen verwischt werden sollen!
Das war nicht nur im Jahr 1990 so. Vielmehr habe ich auch in den folgenden acht Jahren all diese Zeitgenossen immer dann nicht gesehen, wenn es um die Entscheidung ging, wo man Prioritäten setzt - ich erinnere an den Satz: Aufbau Ost hat Vorrang vor allem anderen in Deutschland. Das muß in diesen Tagen ebenfalls deutlich gemacht werden.
Meine Damen und Herren, trotz aller Schwierigkeiten, die niemand leugnet und die wir alle kennen, ist es einfach wahr, daß wir in diesen acht Jahren gut vorangekommen sind, und zwar in einer Weise, wie es die wenigsten erwartet hatten. Natürlich kann man in nahezu jedem Feld der Politik in den neuen Ländern Bereiche feststellen, in denen mehr getan werden muß und in denen auch Fehler gemacht worden sind. Das ist alles richtig; denn 1990 gab es nicht den großen Plan.
- Ja, das fragen Sie! Wie ein deutscher Sozialdemokrat die Frage aufwerfen kann, wo der große Plan war! Sie haben doch alles, aber auch alles getan, daß es zu diesem großen Plan gar nicht kommen konnte.
Sie haben sich doch in jeder Weise mit der SED gemein gemacht. Sie haben mit denen doch gemeinsame Programme entwickelt. Und dann verlangen Sie von uns, daß wir einen Plan vorlegen? Damals haben Sie uns - und nicht zuletzt mich - mit Spott und Hohn überschüttet, weil ich an der Idee der Einheit festgehalten habe. Das war doch Ihre Haltung!
In diesen acht Jahren ist in den neuen Bundesländern Enormes geleistet worden.
Herr Gysi, in einem Punkt bin ich übrigens mit Ihnen einer Meinung - das ist eine Ausnahme -: Ich selbst finde den Begriff „neue Länder" schrecklich, zumal die neuen Länder historisch gesehen in ihrer Struktur und in ihrem Herkommen älter als ein Großteil der sogenannten alten Länder sind; aber der Begriff hat sich eben eingebürgert.
Ich nehme aber nicht Ihren Begriff von Solidarität auf. Ich verstehe Solidarität noch immer so, wie ich das schon immer getan habe und wie das übrigens früher in der sozialistischen Bewegung nicht nur auf der Fahne stand, sondern auch gelebt wurde. Das ist aber lange her. Im Zeitalter des „Champagner-Sozialismus" ist das kein brauchbares Wort mehr.
Es ist in diesen Ländern viel geleistet worden, und zwar von den Menschen, die ganz unmittelbar betroffen waren und sind. Ich sage das ganz bewußt. Denn wer beobachtet hat, wie Betriebe in schwerste Strukturprobleme gerieten, wie Betriebsräte - übrigens auch Gewerkschaften vor Ort - mit angepackt haben, um Betriebskerne zu retten, ein Stück zurückgesteckt und den Mut aufgebracht haben, das auch den Belegschaften zu sagen, der kann dazu nur sagen: Ich habe allergrößten Respekt vor solchem Tun.
Im übrigen wird das ja auch in der ganzen Welt so gesehen. Es sind doch fast jede Woche Besucher aus Europa und Übersee in den neuen Ländern. Sie vergleichen die Situation dort mit der Lage in unseren Nachbarländern aus dem früheren Warschauer-PaktSystem. Sie können natürlich erkennen, daß in den neuen Ländern Gewaltiges geleistet wird.
Aber es bleibt bei aller Unterstützung aus dem Westen, für die ich dankbar bin, die Tatsache, daß der Aufbau Ost vor allem das Werk der Menschen ist, die dort leben und die das Notwendige getan haben, allerdings unterstützt von einer richtigen Politik, wie jeder erkennen kann.
Meine Damen und Herren, natürlich sind manche Erwartungen, auch meine, im Zeitmaß nicht so schnell eingetreten. Aber es ist auch wahr, daß - ich schließe mich dabei nicht aus - viele, übrigens auch viele internationale Institutionen, angefangen beim IWF, durch die Jahre hindurch von der ökonomischen Lage der DDR ein viel besseres Bild hatten, als es der katastrophalen Lage tatsächlich entsprach. Dennoch haben wir die notwendigen Entscheidungen getroffen und uns auf den richtigen Weg gemacht.
Vier Jahrzehnte deutscher Teilung - das war ein Lernprozeß für mich und viele andere - haben tiefere Spuren hinterlassen, als wir zum Teil erwartet hatten - auch im Denken und Fühlen der Menschen. Wir haben die gleiche Muttersprache gesprochen, wir haben bis 1945 die gleiche Geschichte gehabt; aber schon in den unterschiedlichen Besatzungszonen - mit unterschiedlichen Reparationsforderungen und vielem anderen mehr - war eben die Welt völlig unterschiedlich. Es hatte natürlich Folgen, ob jemand im Westen lebte oder im Osten - nach dem Bau der Mauer auch in der Erkenntnis, daß sich für sein persönliches Leben nicht mehr viel ändern würde, daß er nicht die Chance hätte, da herauszukommen.
Jeder im Westen muß sich immer überlegen, was er getan hätte, wenn er statt hier am Rhein in Leipzig, in Rostock oder in Frankfurt an der Oder gelebt hätte. Ich wünsche mir sehr, daß wir beim Reden über Ost und West alle, aber nicht zuletzt die, die vom Rhein
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
kommen - ich nehme mich ganz persönlich als Beispiel - immer daran denken: Was wäre aus dir in solch einer völlig anderen Lebenssituation geworden? Wenn wir das miteinander bedenken, dann haben wir eine viel größere Chance, weniger übereinander und mehr miteinander zu reden.
Wer so denkt, wird auch sehr schnell zu dem Ergebnis kommen, daß der, der unter den Bedingungen einer sozialistisch-kommunistischen Diktatur leben mußte, sehr wohl auch den Versuch unternehmen konnte - die allermeisten auch mit Erfolg -, ein Leben in Anstand zu führen. Ich wähle bewußt diese Formulierung, denn es ging darum, anzupacken, sich um seine Familie und die Mitmenschen zu kümmern. Alle, die das getan haben, haben einen guten Grund, stolz auf ihren Lebensweg zu sein. Das möchte ich noch einmal deutlich herausgestellt haben.
Sie können noch soviel dazu sagen, aber Sie können nicht leugnen, daß wir in diesen acht Jahren, gemeinsam große Erfolge hatten. Es ist ja bemerkenswert, daß nahezu jeder ausländische Besucher - ich sage es noch einmal -, der in Betriebe der früheren DDR geht und die Gesamtentwicklung des Landes - zum Beispiel bei den Hochschulen und bei der Infrastruktur - betrachtet, diese Fortschritte sieht. Sie sehen sie natürlich auch, nur hier im Saal wollen Sie sie nicht eingestehen. In den nächsten Wochen sind Sie blind, weil Sie ja nur den einen Trieb haben, die Regierung zu übernehmen - egal, unter welchen Bedingungen. Das ist doch das einzige, was Sie im Augenblick umtreibt.
- Wenn Sie an dem Wort Trieb Anstoß nehmen, nehme ich es gerne zurück. Ich habe es in meiner Formulierung auch nicht in dem Sinne gemeint. Aber daß Sie solche Assoziationen herstellen, spricht ja eindeutig gegen Sie.
Ich sage noch einmal, daß Sie rund um die Uhr, Tag und Nacht, nur eine Absicht haben, nämlich das herabzusetzen, was wir gemeinsam geleistet haben, um an die Regierung zu kommen.
Die Grünen legen jetzt sogar zwei Programme vor.
Je nach den Gegebenheiten weist man dann das eine oder andere Programm vor. Die Sozialdemokraten verkünden an dem einen Tag, daß sie für das eine sind, und am nächsten Tag, daß sie für etwas anderes sind.
Jetzt gibt es sogar noch die neue Variante, daß einer auftritt und sagt, er weiß gar nichts vom Programm.
Das ist das Beste, was überhaupt passieren kann.
Dennoch sind die Fortschritte da. 522 000 mittelständische Unternehmen sind in einer schwierigen Situation entstanden und geben über 3 Millionen Menschen Arbeit. Wir haben hochproduktive Industriebetriebe, die weltweit Maßstäbe in der Produktion und in der Qualität setzen. Selbst dann, wenn Sie hier am Pult stehen, können Sie nicht leugnen, daß in den neuen Ländern das modernste Telekommunikationsnetz der Welt entstanden ist. Es kostet eben 50 Milliarden DM, Herr Gysi, die investiert werden müssen. In wenigen Jahren gibt es Vergleichbares nirgendwo in Deutschland, Europa oder in der Welt. Das ist doch wahr.
Dann möchte ich noch etwas sagen: Vor acht Jahren haben wir eine Entscheidung in Sachen Rente getroffen, die Sie im Wahlkampf im Westen gegenwärtig dazu mißbrauchen, um Neid und Mißgunst zu schüren.
Vor vier Jahren haben wir eine Entscheidung im Rentensystem getroffen - dazu haben Sie von der SPD nichts, aber auch gar nichts beigetragen -, die dazu führte, daß ein Rentner, bis Mitte 1990 nach mehr als 40 Versicherungsjahren in der damaligen DDR eine Eckrente zwischen 470 und 600 Ostmark bekam, heute als Rente in den neuen Ländern 1700 DM bekommt. Wenn Mann und Frau gemeinsam gearbeitet - so waren die Lebensläufe ja vielfach - und einen entsprechenden Rentenanspruch erarbeitet haben, liegt ihre Rente heute in einer Größenordnung von weit über 3000 DM. Wo gibt es Vergleichbares in Europa? Dies frage ich Sie ganz konkret. Erst wenn Sie diese Frage beantwortet haben, können Sie über Sozialpolitik in den neuen Ländern reden.
Wahr ist auch, daß die ostdeutsche Wirtschaft zunehmend wettbewerbsfähiger geworden ist. Im ersten Viertel des Jahres 1998 ist das Bruttoinlandsprodukt in den neuen Ländern - entgegen pessimistischer Prognosen - um 4 Prozent gestiegen und damit Gott sei Dank auch stärker als in den alten Ländern. Die ostdeutsche Exportwirtschaft wächst, und zwar ganz erheblich. Daß wir uns gemeinsam wünschen, es möge alles noch schneller gehen, ist ja wahr. Aber Sie haben doch verhindert, daß dort stärker investiert wird. Die große Steuerreform ist doch eine Voraussetzung dafür, um Auslandsinvestitionen nach Deutschland zu bekommen. Durch Ihr Tun sind wir in die
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
mißliche Lage geraten, daß jetzt allerfrühestens zum 1. Januar 2000 eine Steuerreform in Kraft treten kann,
wir wertvolle Jahre verloren haben und Monat für Monat Investoren - zum Beispiel aus dem Dollarraum - wegen der hohen Steuerbelastung nicht bei uns investieren. Demgegenüber schaffte es Großbritannien, daß dort in den vergangenen Jahren achtmal so viele Investitionen getätigt wurden wie bei uns.
Das ist Ihre Politik der Verhinderung von neuen Arbeitsplätzen. Das ist doch das Ergebnis.
In der ostdeutschen Industrie haben wir nach diesen schwierigen Strukturanpassungen jetzt ein Wachstum von rund 10 Prozent. Ein Mann, dem Sie wirklich Vertrauen schenken können, Professor Pohl, der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, sagte in diesen Tagen: Es entsteht hier ein „dynamischer Kern der ostdeutschen Wirtschaft".
Wahr ist auch, daß es immer mehr Menschen gibt, die sich trotz der - übrigens auch im Westen - bestehenden Risiken selbständig machen. Das Problem, daß ein neugegründeter Betrieb - nicht zuletzt wegen der häufig miserablen Zahlungsmoral der Kunden - nicht durchhält, haben wir auch in den neuen Ländern. Aber wir haben in den neuen Ländern mit 11 000 Betrieben einen positiven Gründungssaldo.
Warum sagen Sie das denn nicht? Weil es zu Ihrer ganzen Miesmacherei der Verhältnisse in den neuen Ländern nicht paßt.
Natürlich sind wir uns auch darin einig, daß der Mangel an Arbeitsplätzen und der Erhalt von Arbeitsplätzen unsere Hauptsorge ist. Aber so, wie die Trendwende am Arbeitsmarkt in den alten Ländern eingetreten ist - auch das haben Sie immer bestritten und dabei unglaubliche Zahlen genannt, um den Menschen angst zu machen -, kommt auch die Trendwende in den neuen Ländern. Wir sind dort - angesichts der Verhältnisse etwa in der Bauwirtschaft und anderen Bereichen - noch zurück.
Die Beschäftigungszahl im verarbeitenden Gewerbe und im Bergbau ist in den neuen Ländern jetzt erstmals seit 1991 wieder gestiegen. Ich rechne fest damit, daß wir - im Gegensatz zu dem von Ihnen hier Gesagten - am Ende des Jahres rund 100 000 Arbeitslose weniger haben werden als ein Jahr zuvor.
Um das zu erreichen kommt es auf das an, was ich von Ihrer Seite nie gehört habe: Der Aufbau Ost hat in der deutschen Politik absolute Priorität.
Ich kenne diesen Satz von Ihnen nicht. Sie können
ihn auch nicht sagen, weil Sie im Bundesrat, weil
viele der Länderchefs, die jetzt in der Politik besonders auftreten, in den letzten acht Jahren alles gegen diesen Satz getan haben. Ich kenne keine entsprechende Äußerung des saarländischen Ministerpräsidenten oder des niedersächsischen Ministerpräsidenten und kann nicht feststellen, daß er sich damit auseinandergesetzt und an dieser Seite mit uns gekämpft hätte.
Wir haben im vergangenen Jahr das Förderkonzept für den Aufbau Ost für den Zeitraum von 1999 bis 2004 verabschiedet.
Vorhin ist hier gesagt worden: Das ist Infrastruktur. Was heißt das schon? - Meine Damen und Herren, soviel Kenntnis in der Politik haben Sie doch alle, um zu wissen, daß ohne Planungssicherheit kein Investor in die neuen Länder geht. Jetzt ist die Planungssicherheit noch einmal für sechs Jahre gegeben. Der Aufbau der modernen Infrastruktur geht enorm voran. Die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit werden weiter umgesetzt: Künftig werden rund 9 Milliarden DM jährlich in den neuen Ländern investiert. Das sind über 40 Prozent der Mittel für Verkehrsinfrastrukturen in Deutschland. Herr Gysi, ich halte es in diesem Zusammenhang für falsch, den Ausdruck Transfer zu verwenden.
Aber es ist doch wahr: Aus den Mitteln des Steuerzahlers geht eine besondere Summe in die neuen Länder. Es ist auch richtig: Das sind rund 40 Prozent der Mittel für Verkehrsinfrastrukturen in Deutschland. Das ist unsere Politik. Dazu stehen wir, obwohl sie in vielen westlichen Bundesländern vor Ort, wo Umgehungsstraßen und anderes nicht gebaut werden können, kritisiert wird. Das ist gelebte Solidarität in der deutschen Politik, nicht mehr und nicht weniger.
Es ist doch für jedermann erkennbar - das wissen Sie doch auch -, daß wir, von heute an gerechnet, in ungefähr vier bis fünf Jahren - nicht einmal 15 Jahre nach der deutschen Einheit - in den neuen Ländern mit Abstand die modernste Verkehrsinfrastruktur in Europa haben werden. Das ist Zukunftspolitik für die neuen Länder.
Allein in der vergangenen Woche - der Kollege Krüger sprach schon davon - sind für schnellwirkende Maßnahmen im Verkehrsbereich noch einmal 250 Millionen DM bereitgestellt worden. Das hat etwas mit neuen Arbeitsplätzen zu tun. Die Förderprogramme Ost, die der Stärkung des Eigenkapitals und der Sicherung der Liquidität dienen, werden ohne Einschränkung fortgeführt. Sagen Sie doch auch das einmal so! Ich verweise auf den Beteiligungsfonds Ost, den Konsolidierungsfonds für die neuen Länder und vieles andere mehr. Wir haben ein völlig neues Kreditprogramm der Deutschen Ausgleichsbank geschaffen. Es soll genau denjenigen Betrieben, von denen hier gesprochen wurde - den kleinen Betrieben, nicht zuletzt den Handwerksbetrieben - helfen
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
wenn sie wegen Zahlungsverzögerungen ihrer Auftraggeber in Schwierigkeiten geraten sind.
Wahr ist auch folgendes: Wir unternehmen alles, um mit unseren arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen für mehr Beschäftigung zu sorgen. Im Jahre 1998 haben wir hierfür knapp 20,3 Milliarden DM bereitgestellt. Wir befinden uns inmitten der Etatgespräche, die in ein paar Tagen durch die Vorlagen der Bundesregierung abgeschlossen werden. Die sogenannten Eingliederungstitel im Haushalt - ich spreche vom Jahr 1999 - beinhalten Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik in einer Größenordnung von 25,3 Milliarden DM.
Das Volumen hat den gleichen Umfang wie 1998. Das Programm für Langzeitarbeitslose wird unverändert fortgeführt. Warum machen Sie wider besseres Wissen solche falschen Aussagen zu diesen Punkten?
Sie machen das doch nur deswegen, weil Sie hoffen, auf diese Art billig Wahlvorteile zu erreichen.
Das gleiche gilt übrigens für das Thema Lehrstelleninitiative Ost. Was wollen Sie eigentlich? Wir haben Jahr für Jahr - übrigens für die ganz Bundesrepublik - ungeachtet Ihres lauten Feldgeschreis die notwendige Anzahl an Stellen anbieten können. Wir werden auch in diesem und im nächsten Jahr die Lehrstelleninitiative Ost durchführen. Damit werden in diesem Jahr 17 500 Lehrstellen - das sind ein paar tausend mehr als im letzten Jahr - bereitgestellt.
Natürlich gibt es auch hier im Westen ganz kluge Leute, die sagen: Ihr redet doch immer vom dualen System; damit zerstört ihr es doch. Das duale System setzt eine hinreichend große Anzahl an Handwerksbetrieben, Unternehmen, vor allem mittelständischen Unternehmen, voraus. Es ist doch selbstverständlich, daß wir in den wenigen Jahren, die uns seit 1980 zur Verfügung standen, die nötige Anzahl an Stellen noch nicht haben schaffen können, nachdem das SED-Regime den Mittelstand völlig zerschlagen hatte. Aber wenn junge Leute auf der Straße stehen, dann können wir doch nicht warten, bis für die Ausbildung im dualen System eine hinreichend große Anzahl an mittelständischen und Handwerksbetrieben vorhanden ist. Deshalb tun wir etwas. Das ist gelebte Solidarität.
Ich weiß allerdings auch, daß sich alle Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften hier beteiligen müssen. Deswegen haben wir im Mai letzten Jahres eine gemeinsame Initiative für mehr Arbeitsplätze in Ostdeutschland verabredet. Wir haben in diesen Tagen in Schwerin eine Zwischenbilanz gezogen, die zeigt, daß wir auf gutem Wege sind. Nur, Vertreter der Gewerkschaften sind nicht gekommen. Sie wissen so gut wie ich: Die Intention der Gewerkschaften bestand nicht darin, durch ihr Fernbleiben gegen das Fehlen von Arbeitsplätzen in den neuen
Ländern zu demonstrieren; vielmehr bestand ihre - vorher verabredete - Intention darin, alles zu tun, um die jetzige Bundesregierung zu schädigen.
Zwar hat der DGB kein Geld und kann die einfachsten Forderungen seiner Personalräte nicht erfüllen. Für den Wahlkampf der SPD und der Grünen gibt man aber Geld aus.
Das ist ein Skandal sondergleichen. Wir werden nicht ruhen, diesen Vorgang auch so zu bezeichnen.
Ich möchte der deutschen Öffentlichkeit sagen: Sie brauchen keine Sorgen zu haben. Wenn die Bundestagswahl vorbei ist und der jetzige Bundeskanzler auch der nächste Bundeskanzler sein wird, dann wird er den DGB einladen, und er wird kommen.
Das ist so, und das war nie anders.
Das Verhalten des DGB war eine Trotzreaktion, die gar nichts bringt. Deswegen können wir zur Tagesordnung übergehen.
Nicht zur Tagesordnung übergehen können wir, wenn wir über das politische Umfeld in den neuen Ländern sprechen.
Das politische Umfeld beeinflußt die wirtschaftliche Entwicklung. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung hat sich in den vergangenen acht Jahren Gewaltiges verändert. Wenn uns damals, als wir hier über den Vertrag zu einer gemeinsamen Wirtschafts-und Währungsunion als Schritt zur deutschen Einheit diskutiert haben, jemand gesagt hätte, acht Jahre später würden die deutschen Sozialdemokraten mit der PDS gemeinsame Sache machen, dann hätten wir diese Behauptung für abwegig erklärt.
Wir hätten daraufhin gesagt: Eine Partei, die eine so große und stolze Tradition hat,
die gegen die Diktatur der Nazis und gegen die Diktatur der SED gekämpft hat, deren prominente Mitglieder nach Bautzen und nach Waldheim gebracht wurden, wird einen solchen Sündenfall nicht bege-
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hen; so charakterlos kann eine Partei nicht sein. Das wäre unsere Antwort gewesen.
Was geschieht jetzt? Vor vier Jahren ist uns gesagt worden: Das von Herrn Höppner in Magdeburg initiierte Modell entspricht nicht unserer Politik. Vier Jahre später hat man gesagt: Dieses Modell gilt nur für Sachsen-Anhalt. Jetzt aber haben die Landesvorsitzenden der SPD in Thüringen und auch in Mecklenburg-Vorpommern klar gesagt, daß es ihre Intention ist, eine Koalition unter Einschluß der PDS zu bilden. Herr Schröder hat zu diesem Punkt ein entschlossenes Jein gesagt. Er hat nämlich ausgeführt: In die Angelegenheiten der neuen Bundesländer mische ich mich nicht ein; in Bonn wird es dieses Modell aber nicht geben. Kein Mensch in Deutschland glaubt ihm.
Sie berufen sich doch in diesen Tagen gern auf die Demoskopie. Berufen Sie sich doch einmal auf das Ergebnis von Umfragen, wonach die große Mehrheit der Menschen, die befragt wurden, sagt - das entspricht der Wahrheit; die Menschen haben recht -: Wenn es notwendig ist, um an die Macht zu kommen, werden Schröder und die SPD mit der PDS zusammenarbeiten.
Die PDS tut ja alles, um diese öffentliche Meinung zu unterstützen. Wenn Sie die führenden Leute der PDS zu diesem Punkt hören - Sie brauchen nur das strahlende Gesicht des Abgeordneten Gysi zu betrachten -, dann können Sie feststellen, daß sie diese Diskussion genießen. In den Talkshows war Herr Gysi gut aufgehoben. Aber jetzt soll er in die Nähe der Ausübung politischer Macht kommen. Das wird in Deutschland nicht möglich sein, solange wir dafür sorgen, daß Parteien, die nichts, aber auch gar nichts dazugelernt haben, nicht die Macht in unserem Land übernehmen.
Es geht in diesem Zusammenhang überhaupt nicht um die Wähler der PDS. Es geht darum, daß diese Partei mit ihrem Programm und ihren Vorstellungen über die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung auf dem Weg zu einer anderen Republik ist. Das ist die schlichte Wahrheit. Sie will kein Miteinander; sie betreibt vielmehr das Gegeneinander. Kurt Biedenkopf - er wurde schon mehrfach hier zitiert - hat recht mit dem Satz: „Die PDS ist der organisierte Widerstand gegen den Erfolg der deutschen Einheit."
Mit dieser Partei wollen Sie sich zusammentun!
Wenn Herr Schulz der PDS Ratschläge gibt - Sie wollen doch mit der PDS zusammenarbeiten -, dann muß ich Ihnen sagen: Hören Sie doch auf, in dieser Debatte scheinheilig Argumente einzuführen, die nicht der Wahrheit entsprechen!
Wir haben nicht ohne Grund und gegen viele Widerstände die notwendigen Reformen und Veränderungen der Gesellschaft auf den Weg gebracht. Wir hätten wesentlich mehr auf den Weg bringen können, wenn es um der nationalen Zukunft willen zwischen den Parteien mehr Konsens gegeben hätte. Wir hätten - nicht zuletzt in den neuen Bundesländern - einen größeren Wachstumsschub haben können. Wir hätten für die Verbesserung der Situation auf dem Arbeitsmarkt mehr tun können. Aber der erbitterte Widerstand, den Sie geleistet haben, hat vieles verhindert.
Ich erinnere etwa an die Neuregelung der gesetzlichen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Auch in diesem Punkt wird klar, wie Sie vorgehen wollen - Sie haben es erst gerade wieder beschworen -: Diese neue Regelung und andere Reformen sollen zurückgenommen werden. Ihr Kanzlerkandidat hat diese Haltung entschlossen auf dem DGB-Kongreß vertreten. Aber der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Chemie, Bergbau und Energie hat in diesen Tagen sehr klar gesagt, daß man natürlich nicht alle diese Regelungen zurücknehmen kann.
Sie treten doch in Wahrheit schon den Rückzug an. Dann sagen Sie doch den Wählern ehrlich,
daß das, was Sie wollen, gar nicht machbar ist, daß Sie hier Behauptungen aufstellen, die gar nicht realisiert werden können, und daß Sie natürlich weder die Liberalisierung der Telekommunikation noch die Gesundheitsreform rückgängig machen können.
Ich sage Ihnen ebenfalls voraus: Sie werden auch hinsichtlich der Schwelle beim Kündigungsschutz oder der Erleichterung des Abschlusses befristeter Arbeitsverträge nichts zurücknehmen können. Sie wissen ganz genau, daß die zukünftige Entwicklung des deutschen Mittelstands - das ist die wichtigste Chance für neue Arbeitsplätze in Deutschland - dies gar nicht zuläßt.
Schon gar nicht können Sie die Rentenreform zurücknehmen. Dazu haben Sie auch gar nichts mehr gesagt. Der präsumtive Kandidat für das Amt des Arbeitsministers will auf diesem Gebiet das eine, andere wiederum sagen etwas völlig anderes. Sie wissen so gut wie ich: Es gibt keinen anderen Weg als die Rentenreform, um auf die demographischen Veränderungen in unserer Gesellschaft zu reagieren.
Sagen Sie das doch auch den Menschen ehrlich, und tun Sie nicht so, als könnten Sie Dinge auch ganz anders regeln, die doch gar nicht mehr anders regelbar sind, weil sich die Gesellschaft verändert hat.
Im übrigen bin ich sehr froh, daß sich diese Reformen auszahlen. Sie sind ruhig geworden bei dem
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Thema Zuwachsraten des Bruttosozialprodukts. Ich erinnere mich, wie Sie nach der Rede des Kollegen Rexrodt bei der Einbringung des Jahreswirtschaftsberichts alle Prognosen bezweifelt haben. Aber sie sind alle eingetreten. Sie wissen im übrigen: Wir werden in diesem Jahr näher bei 3 Prozent Zuwachsrate als bei 2,5 Prozent ankommen. Jetzt wird natürlich wieder gesagt - es muß ja immer danach gesucht werden, wie man etwas herunterreden kann -, daß die Krise in Asien möglicherweise Auswirkungen haben könnte, die die Zuwachsraten beeinträchtigen. Das kann in der Tat sein. Aber noch ist das nicht der Fall.
Warum sagen Sie nicht erst einmal, wir sind froh, daß wir das gemeinsam erreicht haben,
daß der Aufschwung auch den Arbeitsmarkt erreicht hat und die Zahl der Arbeitslosen, in den vergangenen drei Monaten um über 600 000 zurückgegangen ist. Im übrigen gibt es auf dem Arbeitsmarkt eine gewaltige Zahl von offenen Stellen, gehen wir davon aus, daß den Arbeitsämtern nur etwa 40 Prozent der offenen Stellen gemeldet werden - bei über 1 Million liegt?
Daß das wahr ist, wissen Sie doch aus vielen Gesprächen in den Wahlkreisen. Dort können Sie erfahren, daß überall Unternehmen, nicht zuletzt kleine und mittelständische Unternehmen, händeringend Mitarbeiter und Fachkräfte suchen. Daß der Aufschwung da ist, ist nicht auf Grund der Vorfreude auf einen eventuellen Wahlsieg der SPD erreicht worden, sondern durch unsere Leistungen und Reformen. Das ist das Entscheidende.
Ich will zum Thema Steuerreform nur noch einmal sagen: Gehen Sie davon aus - auch wenn Sie jetzt anderes verbreiten -, daß wir nach der Bildung der Bundesregierung - die so sein wird wie die jetzige -
das hier im Bundestag verabschiedete Konzept umsetzen werden. Es wird immer noch von einem Entwurf geredet; dabei wird immer vergessen, daß es einen verabschiedeten Beschluß des Deutschen Bundestages gibt, den der Bundesrat noch heute mittag genehmigen könnte. Dann wären wir ein entscheidendes Stück weiter.
Ich sage Ihnen voraus: Die Front der Länder wird nach einer von der SPD verlorenen Bundestagswahl sofort aufbrechen. Sie werden erleben, daß die Länder dann plötzlich wieder das tun, was sie nach der Verfassung tun sollten, nämlich die Länderinteressen wahrnehmen.
Ich habe mit großem Interesse gelesen, welche Zukunftsprognosen der neue Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen seinem Land gestellt hat. Wenn er davon nur 50 Prozent erreichen will, braucht er wie die Luft zum Atmen eine große Steuerreform. Daran führt überhaupt kein Weg vorbei.
Herr Abgeordneter Gysi, ich fand es schon phantastisch - aber so begabt sind Sie, das muß ich Ihnen neidlos zugestehen -, daß Sie hier Beispiele - die mich sehr ärgern - aus der Schulpolitik bringen
und dabei so tun, - die Menschen, die am Fernseher Ihre Rede hören, könnten jedenfalls zu dieser Auffassung gelangen -, als sei das unsere Verantwortung.
- Das war Nordrhein-Westfalen. - Deshalb sagen Sie doch: Das müssen die deutschen Bundesländer regeln. Aber daß die deutschen Bundesländer - ich nehme da keines aus - unterschiedliche Leistungen erbringen, habe ich Ihnen schon einmal gesagt. Weil Sie es so gerne hören, sage ich es noch einmal: Die Quote der jugendlichen Arbeitslosen ist in Deutschland unterschiedlich hoch. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in Bayern bei zirka 5,9, in Baden-Württemberg bei zirka 6,6 und in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und an der Saar erheblich über 11 Prozent. Es bestehen in Deutschland überall die gleichen Grundbedingungen. Die hohen Prozentzahlen resultieren also aus dem Versagen der Landespolitik in den entsprechenden Ländern.
In Wahrheit wollen Sie sich diesem Wettbewerb doch gar nicht stellen, weil Sie noch immer Ihrer alten sozialistischen Gleichmachereiideologie anhängen.
Mittelmaß für alle, das ist Ihr Dogma. Das ist in der Wirtschaftspolitik falsch, und das ist in der Bildungspolitik falsch.
Ein Beispiel: Sie sprechen doch andauernd von New Labour. Warum nehmen Sie sich daran kein Beispiel? Tony Blair ist - nach dem, was schon Major getan hat -, gerade dabei, die Steuern noch einmal zu senken. Achten Sie doch einmal darauf, was er zur Bildungspolitik sagt. Er hat schlicht und einfach gesagt, der Ehrgeiz seiner Regierung sei, daß Großbritannien die besten Schulen und Universitäten in der Welt habe. Dann lassen Sie uns doch jetzt vereinbaren, wir nehmen diesen Wettbewerb an. Dies ist endlich einmal kein Wettbewerb darum, wer bessere Waffen produziert, sondern darum, wer bessere Bildungsinstitutionen hat. Das ist das, was uns vorschwebt.
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Dann könnten wir trotz Bundeskompetenz und Landeskompetenz gemeinsam etwas tun.
Im Etat des Kollegen Blüm stehen für die Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit Mittel in Höhe von 900 Millionen DM für die Nachbesserung der Bildung von Hauptschülern bereit, die die Schule verlassen und im Rahmen eines normalen Lehrvertrages nicht ausbildungsfähig sind. Laßt uns doch dieses Geld nehmen, uns mit den Ländern zusammentun und in den Schulen vernünftige Verhältnisse schaffen, und zwar angefangen bei den Grundschulen. Dann können Sie aber nicht bei den Lehrern einen Kahlschlag in dem Maße vornehmen, wie Sie es in Niedersachsen getan haben. Sie tun doch das genaue Gegenteil von dem, was notwendig ist.
In allen pädagogischen Bereichen hängen Sie den alten, längst verstaubten Ideologien nach. Sie können keine moderne Schulpolitik betreiben, die auf das Recht auf Erziehung verzichtet. Das ist eben mehr, als mit den Menschen nur über Rechte zu reden und nicht mehr über die Pflichten.
- Frau Kollegin, es nützt gar nichts, wenn Sie mit lauter Stimme dazwischenschreien. Das, was Sie dazu sagen, macht es nicht besser.
Tatsache ist - das wissen Sie so gut wie ich -: Wenn man in einer Gesellschaft die Notwendigkeit von Leistungseliten verteufelt, wie Sie es jahrelang auf Grund Ihrer ideologischen Hemmungen getan haben, dann ist das Ergebnis eben so, wie wir es vielerorts sehen können. Deswegen bekennen wir uns, um das klar und deutlich auszusprechen, zu der Notwendigkeit einer Bildungsreform.
Daß Sie dieses Thema überhaupt in den Mund nehmen, verwundert mich. Wir haben doch vor ein paar Tagen hier im Saal über die notwendige Reform des Hochschulrahmengesetzes gesprochen. Da haben Sie wieder blockieren wollen. Sie haben sich verweigert. Sie verweigern sich bei allem, was wirklich Zukunft verheißt, und zwar deswegen, weil es Zukunft ohne unbequeme Schritte nicht geben kann.
Wir müssen den Staat nicht auf den Kopf stellen. Wir haben in den letzten 50 Jahren in Deutschland vieles gemeinsam geschaffen, was Bestand hat und hervorragend funktioniert. Aber es gibt Veränderungen, und die müssen zu Konsequenzen führen.
Dies ist in den vergangenen Jahren unsere Politik in der Koalition gewesen. Deswegen haben wir große Erfolge erzielt - trotz vieler Schwierigkeiten und auch mancher Niederlagen, die wir erlitten haben. Wir werden diesen guten Kurs fortsetzen. Wir werden mit den Wählern darüber sprechen. Wir werden uns hier in diesem Hause zur Kanzlerwahl wiedertreffen. Sie müssen sich schon jetzt an diesen Gedanken gewöhnen,
wobei ich im Augenblick nicht weiß, Herr Fischer, ob Sie dabeisein werden. Das wäre ein großer Verlust für Deutschland.
Das Wort hat der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Rudolf Scharping.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob der Stil der Volkskammer am Ende das überdekken kann, was in dieser Rede steckte,
nämlich daß der Bundeskanzler glaubt, nur noch austeilen zu müssen, und zwar mit einem Auftritt, der in seinem Duktus das innere Zusammenwachsen dieser Republik nicht fördert, sondern gefährdet
und dessen selbstgewisser Ton - das rhythmische Klatschen hat noch gefehlt - die tiefe Unsicherheit, die Sie selbst befallen hat, nicht verbergen kann und
- was viel wichtiger ist - die tiefe Verunsicherung der Menschen in unserem eigenen Land nicht überwinden kann.
Ich hätte erwartet, daß der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland bei dieser Gelegenheit etwas zur inneren Einheit unseres Landes und zum inneren Zustand Deutschlands sagt,
daß er sich den Hoffnungen und Enttäuschungen widmet, die es in Deutschland gegeben hat.
Ihr lautstarkes Geschrei wird eines nicht verdekken können:
daß nämlich dieser Bundeskanzler bei all seinem Bemühen um staatliche Einheit schwerste Fehler bei der Schaffung der inneren Einheit des Landes gemacht hat
Rudolf Scharping
und daß diese schwersten Fehler genauso wie heute wegen eines Wahlkampfbedürfnisses begonnen haben.
Genauso wie heute wurden 1990 im Wahlkampf den Menschen, anstatt Solidarität einzufordern und Verantwortung zu mobilisieren, blühende Landschaften vorgegaukelt und die Behauptung in die Welt gesetzt,
es werde niemandem schlechter und vielen bald besser gehen. Sie haben den Menschen das Gefühl vermittelt: Es geht gewissermaßen nebenbei. Aus dieser Geisteshaltung heraus haben Sie andere schwere Fehler gegen sachverständigen Rat gemacht.
Sie haben den Umtausch - jedenfalls was die wirtschaftlich bedeutsamen Tatbestände angeht; ich rede nicht von den kleinen Sparguthaben und den normalen Einkommen, aber von den Verpflichtungen der Betriebe - gegen den Rat der Bundesbank und ihres Präsidenten, gegen den Rat vieler Sachverständigen in einer Weise organisiert, die uns bis heute mit enormen finanziellen Herausforderungen belastet.
Sie haben im Zusammenhang mit einer ideologischen Fixierung von einer schnellen Privatisierung geredet und haben sie dann auch ohne Rücksicht auf einen für die Menschen erträglichen Übergang der Arbeitsplätze umgesetzt;
gar nicht zu reden von der Rückgabe alten Eigentums. Was Sie im Osten Deutschlands falsch gemacht haben, haben Sie im Westen Deutschlands konsequent ergänzt.
Dazu kam von Ihnen kein Wort, weil das natürlich nicht in die sogenannten Wahlkampfbedürfnisse hineinpaßt. Wer in Deutschland die innere Einheit des Landes durch Beiträge zur Sozialversicherung finanziert, also zu Lasten von Arbeitsplätzen und Arbeitseinkommen, der versündigt sich an der Solidarität, an der sozialen Gerechtigkeit und an der ökonomischen Vernunft.
Kein Wort, Herr Bundeskanzler, kam zu Ihrer Politik, die riesige Löcher in die öffentlichen Haushalte gerissen hat, die wirklich nicht notwendig gewesen wären. Was hat denn Ihre Steuerpolitik bewirkt, wenn Sie jetzt sagen, eine große Steuerreform sei notwendig, und wenn Sie jetzt einen Vorschlag machen, der noch riesigere Löcher in die öffentlichen Kassen reißen würde. Sie haben doch durch allerlei Steuervergünstigungen, Schlupflöcher oder anderes - wie man das auch nennen mag - die legale Möglichkeit geschaffen, die Steuerschuld so herunterzurechnen, daß man in manchen Fällen von einer Steuerschuld Null oder sogar noch Schlimmerem reden müßte.
Wenn der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland eine solche Gelegenheit nutzt, nur um einen höchst vordergründigen, höchst billigen Wahlkampf einzuläuten, dann kann ich nur sagen: Liebe Leute, das werden wir euch nicht durchgehen lassen.
Denn für das, was Sie angerichtet haben, müssen Sie auch geradestehen und nicht andere, die Sie beschimpfen wollen.
Man sollte Konflikte nicht da, wo es sie gar nicht gibt, schüren. Sie, Herr Bundeskanzler, haben sich zum Beispiel über die Sozialdemokratie geäußert. - Ich schaue mich einmal um, um zu sehen, wo Sie sind, damit ich Sie ansprechen kann. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß in dem Programm - von dem Sie gesprochen und im Hinblick auf das Sie ein klares Wort eingefordert haben - folgender Satz steht: „Für uns ist der wirtschaftliche Aufbau Ostdeutschlands eine gesamtdeutsche Aufgabe höchster Priorität."
- Nein, ich bin der Meinung, wenn der Bundeskanzler hier eine Auseinandersetzung beginnt, dann soll er sich an dieser Auseinandersetzung auch in einer Weise beteiligen, wie sie die Höflichkeit erfordert.
Genau das führt ja zu dieser Ignoranz.
Was haben wir denn an geistig-moralischer Erneuerung erlebt? Ich will Ihnen, Herr Bundeskanzler, eines sagen: Wenn man zu Beginn den Eindruck erweckt, Solidarität sei allein eine Finanzfrage und nicht etwa eine Geisteshaltung, dann muß man sich am Ende mit den Entwicklungen herumschlagen, die man ja selbst erzeugt hat.
Es stimmt: Die Menschen in Deutschland leisten viel. Aber ist Ihre Regierung in der Lage, das zu einer klaren, für die Zukunft tauglichen Politik zu bündeln?
Wie ist es denn mit dem Anspruch, eine klare, für die Zukunft taugliche Politik betreiben zu wollen, zu vereinbaren, daß Sie bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik ein derartiges Hin und Her veranstalten,
daß Sie den Menschen in Ostdeutschland - übrigens auch zum Schaden für das Ansehen der Demokratie insgesamt - erneut die Erfahrung zumuten, daß in Wahljahren die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bis
Rudolf Scharping
an die Grenzen des Möglichen heraufgefahren werden und daß die Menschen Bescheide erhalten, die bis zum 30. September oder zum 31. Dezember befristet sind? Diese Menschen werden doch wohl genau wissen, daß sie dann, wenn diese Regierung am Ruder bleibt, wiederum die Erfahrung machen müssen, daß sie nach diesen Wahlen wieder genauso rasiert werden wie nach den Wahlen von 1994.
Ich finde diesen Umgang mit menschlichen Schicksalen schändlich, und ich finde, das ist für die Demokratie und für das Ansehen demokratischer Institutionen mittlerweile auch gefährlich.
Man darf nicht für das Leben der Menschen entscheidende Fragen so ungeniert - ich bin sicher, daß das am Ende erfolglos sein wird - abhandeln.
- Herr Krüger, Sie reden davon, daß ich bei der Wahrheit bleiben soll. Wenn Sie nur einen einzigen Satz der Kritik geäußert hätten - Sie kritisieren in internen Runden manchmal die Politik, die Sie hier bejubeln -, wäre das in Ordnung. Diese Art, sich zu verhalten, akzeptiere ich nicht,
nämlich, daß man sich in internen Runden kritisch äußert und dann hier im Bundestag so tut, als gäbe es da nichts zu kritisieren.
Herr Bundeskanzler, das ist doch nicht der einzige Punkt. Wenn Sie klare Worte einfordern, hätten Sie selber eines sagen können, nämlich daß die bayerische Forderung nach einer Regionalisierung der Krankenversicherungsbeiträge ins Herz der Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen Unternehmen und der ostdeutschen Arbeitsplätze zielt.
Diese Forderung hätten Sie zurückweisen müssen. Sie als Wahlkämpfer sind ja Vorsitzender eines Klubs, der mittlerweile partikulare Interessen und Interessen auf Grund von Landtagswahlen schon nicht mehr bündeln kann, geschweige denn irgend etwas anderes.
Sie hätten doch einen Satz zu der Debatte über den Länderfinanzausgleich sagen müssen. Haben wir denn nicht 1993 hier in Bonn zusammengesessen und haben damals nicht insbesondere die Herren Waigel, Streibl und Scharping einen Länderfinanzausgleich vereinbart, von dem wir uns versprochen haben, daß er bis weit über das Jahr 2000 hinaus gelten soll?
Wenn der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland nicht in der Lage ist, zu solchen Dingen, zu den wirklichen Bedrohungen für die deutsche
Einheit, ihre Finanzierung und ihre innere Gestalt Stellung zu nehmen, dann - so finde ich - wird ganz offenkundig: Hier wird nichts anderes gemacht, als mit vordergründigen Konflikten ein Wahlkampf inszeniert, der nicht mehr der Zukunft des deutschen Volkes dient, sondern allenfalls der Rechtfertigung eines Bundeskanzlers. Sonst dient er niemandem mehr.
Ich müßte den Streit über den Solidaritätszuschlag erwähnen, und dann müßte ich eigentlich noch etwas zu Herrn Westerwelle
und zu Herrn Hauser und zu anderen sagen.
Ich bin übrigens, was die Aussagen in Ihrer Rede zu den Ostdeutschen, ihren Leistungen, ihren Fähigkeiten, sich selbst und ihre Interessen zu organisieren angeht und dem Respekt vor ihren Leistungen betrifft, ganz mit Ihnen einverstanden. Aber, Entschuldigung, warum berufen Sie dann einen Regierungssprecher, der das genaue Gegenteil signalisiert?
Warum das? Warum sagen Sie dazu kein Wort? Sie haben das damals schon in der Debatte vermieden; Sie haben es heute erneut vermieden.
Herr Bundeskanzler, wenn jemand in Ihrer Amtszeit die Ergebnisse der eigenen Politik und die Verantwortung dafür hinter so billigen Angriffen auf die Opposition versteckt, dann macht er sich so klein, wie er sich auch fühlt.
Ich muß Ihnen sagen: Das wird dem, was wir mit Blick auf die Zukunft unseres Landes und auf die Zukunft der ostdeutschen Bürgerinnen und Bürger zu besprechen haben, nicht gerecht.
Jawohl, die vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auch ihre Kinder, mußten viel aushalten - nicht nur die Diktatur, nicht nur die schweren Nachteile, die sich daraus ergeben haben, sondern danach auch einen zwar hoffnungsvollen, aber auch ungewöhnlich schwierigen, außerordentlich schnellen, tiefgreifenden Wandel. Warum, Herr Bundeskanzler, können wir nicht einmal der Frage nachgehen, warum jetzt - leider nicht nur in Sachsen-Anhalt - junge Männer beginnen, in einem politisch völlig inakzeptablen, zugleich aber auch hilflosen Protest rechtsradikal zu wählen? Warum, Herr Bundeskanzler, können wir nicht einmal gemeinsam der Frage nachgehen: Welches waren denn die Erfahrungen der Eltern, die nach Hause gekommen sind beim Fall der Mauer, bei der Einführung der gemeinsamen Währung, bei der Schaffung der staatlichen Einheit und die von ihren Hoffnungen, von ihren Wünschen
Rudolf Scharping
nach Freiheit und Wohlstand voller Begeisterung und voller Vertrauen erzählt haben?
Und was war dann wenige Jahre später,
als die ersten Betriebe abgewickelt worden waren, die Eltern arbeitslos oder im Kampf um eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und die Kinder auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz waren, den zu finden - wenn überhaupt - verdammt schwer ist? Was ist denn danach passiert?
Wer sich nicht klarmacht, was angesichts solcher ökonomischer, sozialer und auch kultureller Belastungen in den Herzen von Menschen geschieht, wer sich nicht klarmacht, was zum Beispiel das Fehlen einer breitangelegten kirchlichen Jugendarbeit oder anderes bedeutet, der redet am Ende so, wie Sie geredet haben: billig, polemisch, parteipolitisch und nicht auf die Zukunft und auf die Menschen bezogen.
Es ist richtig: Die Menschen in Ostdeutschland haben Respekt verdient. Aber genauso richtig ist: Der Respekt, den wir von hier aus bekunden, reicht nicht aus. Es müssen auch entsprechende Taten folgen. Sie können doch nicht bemänteln, daß Sie noch vor zwei Jahren hier im Deutschen Bundestag zum Beispiel sozialdemokratische Forderungen nach einem Vorziehen öffentlicher Investitionen für die Schaffung von Arbeitsplätzen abgelehnt haben.
Wir haben das gefordert, damit Arbeitsplätze entstehen können. Das können Sie doch nicht abstreiten. Jetzt versuchen Sie, das als eigene Leistung zu verkaufen. Die kommt, aber sie kommt einige Jahre zu spät.
Sie können doch nicht abstreiten, daß Sie hier im Deutschen Bundestag mehrfach eine aktive, auch auf Kontinuität gerichtete Arbeitsmarktpolitik abgelehnt haben. Statt dessen fahren Sie die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nach Wahlterminen rauf und runter und nicht nach den Erfordernissen von Menschen und ihrer Zukunft.
Sie können doch nicht abstreiten, daß Sie hier im Deutschen Bundestag die Stärkung der Finanzkraft ostdeutscher Gemeinden immer wieder behindert und abgelehnt haben, obwohl jeder weiß, wie dringend notwendig das im Hinblick auf Jugendarbeit und im Hinblick auf das soziale oder kulturelle Umfeld gerade von Jüngeren ist. Statt dessen ziehen Sie hier Vergleiche, von denen Ihr Parteifreund, der frühere DDR-Ministerpräsident de Maizière, sagt: Dann kann ja Peter Hintze gleich Gregor Gysi ins CDU-Tor stellen.
Schlimm ist jedoch, daß dies nicht nur Vergleiche sind, sondern Gleichsetzungen. Ich muß Ihnen in aller Ruhe, aber auch in aller Deutlichkeit sagen: Man muß manches mit Blick auf Ostdeutschland sicherlich auch kritisch diskutieren.
Aber ich lasse mir von Menschen, die ihr Amt als Bundeskanzler der Tatsache verdanken, daß sie Blockparteien und deren Mitglieder einverleibt haben, nichts über Demokratie und Anstand in der Politik sagen - von ihnen nicht! -
und dies schon gar nicht, wenn sie beispielsweise Menschen hier im Hause nur in billiger Weise angreifen, es versäumen, etwas zu der Rolle von Bürgerrechtlern zu sagen und dann die Sozialdemokratie an den Pranger stellen wollen, deren Ost-, Deutschland-und Entspannungspolitik sie doch von 1982 an dankenswerterweise kontinuierlich fortgesetzt haben. Sie haben doch fortgesetzt, was Willy Brandt und Helmut Schmidt begonnen hatten.
Warum müssen Sie dies alles jetzt, drei Monate vor der Wahl, im Wahlkampf scheinbar wieder in Abrede stellen? Sie haben es fortgesetzt, zum Teil sogar verstärkt. Auch deswegen lasse ich mir in dieser Frage von Ihnen nichts sagen. Denn die SPD-Bundeskanzler haben Erich Honecker keinen roten Teppich ausgerollt.
Wir alle wissen, daß dieser Teil der Debatte eher nach hinten gerichtet ist, eher der Rechtfertigung dient und am besten den Historikern überlassen bleibt, die uns vielleicht in Zukunft etwas Vernünftiges dazu sagen können. Mir geht es um etwas anderes, nämlich darum, deutlich zu machen, daß der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland nicht vor den Ergebnissen seiner eigenen Politik davonlaufen kann. Die Menschen werden Ihnen das nicht erlauben.
Mir geht es darum, deutlich zu machen, daß Sie auf Dauer keinen Erfolg damit haben können, wenn Sie Propaganda gegen das Wissen und gegen die Alltagserfahrung der Menschen machen. Mir geht es damm, klarzumachen, daß Solidarität nicht nur eine
Rudolf Scharping
finanzielle Frage ist, sondern auch eine Frage der inneren Haltung, der Geistesverfassung, die man hat.
Im übrigen geht es mir darum, deutlich zu machen, daß man in Deutschland mit Blick auf die Zukunft Entscheidungen treffen muß, die für alle Menschen hilfreich sind. Die Lohnnebenkosten müssen gesenkt werden, damit die Finanzierung der deutschen Einheit auf eine gerechte und wirtschaftlich vernünftige Grundlage gestellt wird.
Die Steuersätze müssen gesenkt und allerlei Möglichkeiten der Steuerkürzungen müssen gestrichen werden, damit jeder seinen angemessenen Teil zur Finanzierung der deutschen Einheit und zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben beiträgt.
Schließlich muß dafür gesorgt werden, daß wir durch einen fairen Ausgleich von Interessen der - wie wir es nennen - höchsten Priorität, nämlich dem Aufbau im Osten Deutschlands, gerecht werden, und zwar nicht nur um wirtschaftlichen Ausgleich und innere Einheit, sondern auch um stabile Demokratie und neue Faszination, neue Glaubwürdigkeit für Demokratie zu erwerben und schließlich um Sie, Herr Bundeskanzler, nicht auf dem Weg in eine dumme, kleinkarierte Propaganda zu begleiten.
Wir haben nicht die Absicht, das zu tun. Wir werden es nicht tun. Wenn heute morgen das Amt des Wahlkämpfers das Amt des Bundeskanzlers völlig in den Hintergrund gestellt hat, wenn also das Amt des Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland geistig verwaist ist, dann wird es Zeit, daß es mit einem neuen Inhaber besetzt wird.
Das Wort hat der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Wolfgang Schäuble.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Scharping, ich finde, wir sollten als Demokraten in diesem Lande eigentlich ein gemeinsames Interesse daran haben, Wahlkampf nicht als etwas Schlechtes darzustellen, sondern wir sollten sagen, daß auch das zur Demokratie gehört.
Wahlkampf bedeutet nicht, daß man eine derartig persönlich verletzende Rede halten muß, wie Sie es gerade getan haben, Herr Kollege Scharping.
- Hören Sie mir einen Moment zu! Dann wird es sowieso unruhig werden!
Sie haben gesagt, wir sollten uns doch einmal gemeinsam der Frage zuwenden, wie es mit der DVU in Sachsen-Anhalt sei. Das gehört zu den Dingen, die mich in diesen Tagen mehr empört haben als andere. Man hat ja genügend Grund, sich über vieles zu ärgern. - Im Landtag von Sachsen-Anhalt ist am vergangenen Freitag über die Frage abgestimmt worden, wie der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt in Zukunft personell auszustatten ist. Da gab es zwei Anträge: einen Antrag der CDU-Fraktion, den Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt - Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus, Linksextremismus - unverändert zu lassen, und einen Antrag der DVU - nicht sehr überraschend -, das Personal des Verfassungsschutzes in Sachsen-Anhalt deutlich abzubauen. - Herr Scharping, das verdient Ihre Aufmerksamkeit; das erfordert auch Ihre Antwort.
Dann hat die PDS, Herr Kollege Gysi, zusammen mit der DVU für eine Kürzung beim Verfassungsschutz gestimmt. Das ergibt noch keine Mehrheit. Aber die SPD hat sich der Stimme enthalten, damit PDS und DVU die Mehrheit für die Kürzung beim Verfassungsschutz bekommen. Das ist ein schlimmer Skandal in Deutschland!
Das entlarvt alle Ihre Lippenbekenntnisse zur Bekämpfung von Extremismus in Deutschland als verlogene Heuchelei!
Daß die Sozialdemokraten so verkommen sind, daß sie es PDS und DVU durch Stimmenthaltung ermöglichen, daß diese zusammen in Sachsen-Anhalt die Mehrheit im Landtag zum Abbau des Verfassungsschutzes haben, ist ein schlimmer Skandal. Das spricht Ihrer Rede hohn; es widerlegt Ihre Rede.
Da können Sie lange von der Gemeinsamkeit der Demokraten reden und Krokodilstränen darüber vergießen, daß man den Extremismus bekämpfen müsse. Solange man mit denen gemeinsame Sache macht, muß man den Vorwurf der Heuchelei und den Vorwurf, daß einem die Bekämpfung des Extremismus weniger wichtig als die gemeinsame Verantwortung der Demokraten ist, hinnehmen.
Dr. Wolfgang Schäuble
- Das ist die Wahrheit, und die Wahrheit tut weh. Aber sie muß hier ausgesprochen werden. Auch das gehört zur Lage in Deutschland.
- Auch das ist wahr. Deshalb ist es völlig in Ordnung.
Gleich das nächste: Der Bundeskanzler hat daran erinnert, am Mittwoch der kommenden Woche jährt sich zum achten Male das Inkrafttreten der Wirtschafts- und Währungsunion.
- Frau Kollegin Fuchs, Sie könnten mir einen Moment den Gefallen tun, nicht so viele Zwischenrufe zu machen. Wenn das Publikum Sie hören könnte, würde es die Dümmlichkeit dieser Zwischenrufe erkennen und ein besseres Verständnis dafür haben, warum sie mich ärgern.
Das ist eigentlich schade; das ist doch unter Ihrem Niveau.
Der Kollege Scharping hat davon gesprochen, das sei im Jahre 1990 alles nur Wahlkampf gewesen. Das war ja der Anfang seiner persönlichen Angriffe auf den Bundeskanzler. Im Zusammenhang mit dem Datum 1. Juli habe ich meine Erinnerungen; ich hatte ja damals damit zu tun. Was war denn eigentlich im Wahlkampf zum Beispiel in Niedersachsen im Frühsommer 1990?
Ihrem damaligen Kanzlerkandidaten und heutigem Parteivorsitzenden ist doch nach dem Fall der Mauer nichts Dümmeres eingefallen, als die Abschaffung des Aufnahmeverfahrens für die Übersiedler zu fordern. Das war schlimmste Demagogie. So, wie Sie im Jahr 1996 im Landtagswahlkampf von Baden-Württemberg gegen die Aussiedler Propaganda gemacht haben, hatten Sie seinerzeit auch gegen die Übersiedler aus der damaligen DDR Stimmung gemacht.
Es war unsere Entscheidung ein paar Tage nach der Wahl vom 18. März 1990, der ersten und einzigen freien Wahl in der damaligen DDR, die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zum 1. Juli 1990 einzuführen und bis dahin das Aufnahmeverfahren für die Übersiedler nicht abzuschaffen, obwohl in den Meinungsumfragen 80 Prozent der Befragten dagegen waren. Sie müssen uns nicht belehren, daß wir für die deutsche Einheit auch ungünstige Meinungsumfragen in Kauf genommen haben. Wir haben doch den Kopf hingehalten, um die deutsche Einheit überhaupt zu ermöglichen, während Sie zu feige und zu schofel waren, um darauf zu verzichten, billige Emotionen zu schüren.
Wenn Sie schon vom Wahlkampf 1990 reden, muß Ihnen dies entgegengehalten werden.
- Das ist die historische Wahrheit. Wir können hier lange historische Auseinandersetzungen führen. Aber Sie werden hier sicher nicht erzählen wollen, daß das, was ich gesagt habe, falsch ist. Sie können alle Akten nachlesen. Wenn zwei deutsche Politiker auch in den Unterlagen des SED-Archivs und der Stasi nicht mit einer einzigen verfänglichen Aussage dergestalt erwähnt sind, daß sie sich jemals mit den damaligen Führern des SED-Unrechtsstaats gemein gemacht hätten, dann sind es der Bundeskanzler Helmut Kohl und derjenige, der im Augenblick das Wort im Deutschen Bundestag hat. Das kann man in allen Akten nachlesen. Deswegen brauchen wir von Ihnen nun wirklich keine Ermahnungen.
Ich will den Brief, den Herr Schröder an Herrn Krenz geschrieben hat, gar nicht weiter erwähnen. Herr Schulz, Sie haben die Küsserei erwähnt. Wir haben niemanden geküßt;
das war immer klar. Deswegen brauchen Sie das nicht zu verwischen.
- Ja, das hätten Sie gern, damit Sie Ihre Lügen hier noch weiter verbreiten können. Das ist ja nun das Tollste. Wir haben den Besuch von Honecker in der Bundesrepublik Deutschland im September - -
- Ach was, reden Sie doch nicht so einen Blödsinn. Wenn Sie noch einen Sinn für deutsche Politik haben, dann müssen Sie das wissen.
Eigentlich sollten wir mehr über die Zukunft reden. Aber wenn hier Geschichtsfälschung versucht wird,
muß man das sagen. Was wir an Politik zur Überwindung der deutschen Teilung in den 80er Jahren tun konnten, haben wir getan. Niemand wußte Mitte der 80er Jahre, daß die Wiedervereinigung kommt und daß 1989 die Mauer fällt.
Aber was wir tun konnten und was wir, der Bundeskanzler und seine Regierung, besser getan haben, als Sie es für möglich gehalten haben, war, die Mauer durchlässiger zu machen und den Reiseverkehr in Deutschland in Größenordnungen voranzubringen, die vorher für unmöglich gehalten worden sind. Spätere Historiker werden noch einmal genau untersuchen, wieviel die Tatsache, daß in den Jahren 1986, 1987, 1988 Millionen Besucher aus der DDR - nicht nur im Rentenalter, sondern zunehmend auch jüngere - in der Bundesrepublik waren, dazu beigetra-
Dr. Wolfgang Schäuble
gen hat, daß es 1989 zu einer friedlichen Wende in der DDR gekommen ist. So einfach ist die Wahrheit.
In diese Politik mußte eingeordnet werden und war es richtig, daß im Zusammenhang mit dem Besuch Honeckers der Bundeskanzler vor laufenden Fernsehkameras die in Ost und West bekannte Rede gehalten hat. Die Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen; aber sie war richtig. Wer heute so blöd ist, zu sagen, man habe den roten Teppich ausgerollt, hat heute noch nicht verstanden, wie man mit Teilung und Einheit umgehen mußte.
Aber weil wir gerade dabei sind: Einen der beiden, die der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion im Bundesrat nicht zugestimmt haben, hätte ich heute schon gern hier gesehen. Gut, Herr Lafontaine war beim letztenmal da. Er wird einen Grund haben, heute nicht hier zu sein. Aber, meine Damen und Herren, manchmal muß man Texte lesen. Gestern gab es eine Meldung der Agentur „AP" von 12.55 Uhr.
In ihr ging es um eine Aussage von SPD-Sprecher Michael Donnermeyer. So muß er wohl heißen.
- Gibt es ihn oder nicht? Sie Zwischenrufer, können Sie mir bestätigen, ob es einen SPD-Sprecher Donnermeyer gibt?
- Es gibt ihn also.
In der „AP"-Meldung von 12.55 Uhr heißt es:
SPD-Sprecher Michael Donnermeyer bestätigte auf Anfrage, daß Schröder
- in der Bundestagsdebatte zur deutschen Einheit - ebenfalls eine Rede halten werde.
16.37 Uhr, „AP":
„SPD-Sprecher Michael Donnermeyer sagte am Mittwoch, der niedersächsische Ministerpräsident"
- hören Sie gut zu, Sie werden Ihre Freude haben - „sei entgegen der ursprünglichen Planung" - offenbar wollte er tatsächlich kommen - „verhindert, weil er sich auf eine Landtagssondersitzung vorbereiten
müsse. Die Sitzung findet am Mittwoch kommender Woche statt. "
- Nein, nein, Frau Fuchs.
Um es freundlich zu sagen: Wenn ich so schwache Karten hätte wie Ministerpräsident Schröder mit seiner miserablen Bilanz in Niedersachsen, würde ich mich auch auf jede Landtagsdebatte intensiv vorbereiten, zumal wenn ich einen so starken Oppositionsführer wie Christian Wulff hätte.
Wenn ich es unfreundlicher sagen wollte, würde ich sagen: Wenn man so dümmliche Ausreden hat, ist die Lüge ganz offensichtlich. Sie ist geradezu auf die Stirn geschrieben. Nein, er kneift. Er hat keine Argumente.
- Was will man denn machen, wenn Sie dauernd dazwischenrufen?
Herr Schwanitz, ich kann verstehen, daß Sie sich freuen, daß Sie in der Gruppenveranstaltung dabei sind. Herrn Thierse freut es weniger; deswegen ist er auch nicht hier. Sie sollten aber einmal einen Moment über folgendes nachdenken: Herrn Schröder sind alle Inhalte Wurst. Er vertritt zu jeder Frage jede Position und das Gegenteil.
Genauso geht er auch mit der Frage um, wie dieses Land künftig womöglich regiert werden soll. Die Frage, mit welcher Koalition dieses Land regiert werden soll, ist ihm auch Wurst. Er weicht aus.
Die Frage der Personen behandelt er in einer Weise, für die Sie sich schämen sollten. Sie sollten sich das nicht gefallen lassen. Frau Bergmann hat er als zuständig für „Frauen und das andere Gedöns" genannt. Das ist schon toll. Was würden Sie eigentlich sagen, wenn einer von uns so reden würde? Schämen Sie sich nicht?
Frau Bulmahn hat er für Wissenschaft und Forschung genannt. Außerdem hat er Herrn Biester genannt. Dieser hat dann ein Interview gegeben, und inzwischen ist Sendepause. Denn da hat man festgestellt, daß er irgend etwas Konkretes gesagt hat, und das paßte dann auch wieder nicht.
Jetzt haben Sie jemanden für Wirtschaft benannt. Er hat erklärt, er wolle außerdem für Wissenschaft
Dr. Wolfgang Schäuble
und Forschung zuständig werden. Dafür haben wir aber auch schon Frau Bulmahn. Ja, wer denn nun?
- Ich rede davon, wie Ihr Kanzlerkandidat mit Sache, Personen und Inhalten umgeht.
- Nein, nein. Es tut weh. Sie können aber machen, was Sie wollen: Es wird hier gesagt werden. So viel Redefreiheit haben wir in Deutschland noch, solange nicht die PDS in Deutschland die Politik bestimmt.
Dieser Mann erklärt, er halte nichts vom Bündnis für Arbeit.
Dieser Mann erklärt, das Parteiprogramm der SPD habe er zu Hause, habe es aber nicht gelesen. Das hat er nicht; das ist offensichtlich. Sonst hätte er vielleicht auch gar nicht ja gesagt. Das mag alles sein. Dann sagt er, er sei stolz, daß er in seiner Firma, bevor er sie verkauft hat, nie einen Betriebsrat eingeführt habe, und das Betriebsverfassungsgesetz sei sowieso einer der größten Standortnachteile in Deutschland.
Ich sage: Das wird nicht Politik der Christlich Demokratischen Union. Es wird auch nicht Politik der SPD. Aber es ist eine Schande für Sie, daß Ihr Kanzlerkandidat mit Sache und Inhalten so wurstig umgeht. Ihm ist alles egal, Hauptsache, Kamera und Musik stimmen, und die Scheinwerfer sind an, sonst gar nichts!
Herr Kollege Scharping, Herr Kollege Schulz und Herr Kollege Schwanitz, offenbar gibt es sogar in dieser Debatte in ein paar Punkten Übereinstimmung.
Dann wollen wir diese Übereinstimmung doch einmal genauer untersuchen. Versuchen wir herauszufinden, wo die Unterschiede sind und worüber man argumentieren muß.
- Herrschaften noch einmal! Wenn man Ihnen die Erklärungen des Pressesprechers der SPD vorliest, beklagen Sie sich über den Stil.
Daß Sie sich schämen, das glaube ich. In Ihren Reihen sind einige, die sich über die Wurstigkeit, mit
der Ihr Kanzlerkandidat mit Sache und Personen um-
geht, schämen. Deswegen wollen Sie nicht, daß das hier gesagt wird; aber es muß schon gesagt werden.
- Wenn Sie noch einmal dazwischenrufen, erzähle ich die ganze Geschichte noch einmal. Ich sage es Ihnen!
Damit das völlig klar ist: Mich schüchtern Sie nicht ein.
Ich finde es erbärmlich. Ich sage es noch einmal: Ich habe ja verstanden - -
- Das ist schon in Ordnung.
- Frau Präsidentin, wollen wir einmal eine Minute schweigen, damit die Frau Fuchs gehört wird?
- Ja, ich wiederhole das. Ich finde es unglaublich: Sieben oder acht Jahre nach der deutschen Einheit reden wir - da gibt es sogar Übereinstimmung - darüber, daß viel erreicht worden ist. Es gibt große Erfolge; übrigens sind es in erster Linie die Erfolge der Menschen. Auch in diesem Punkt haben wir ein gemeinsames Verständnis.
Wir reden darüber, daß viele große Aufgaben vor uns liegen.
- Aber ich rede doch die ganze Zeit darüber. Sie hören mir gar nicht zu.
Man muß es den Fernsehzuschauern einmal sagen, Frau Kollegin Fuchs.
- Nein, nein. Machen Sie sich gar keine Hoffnung! Das wird alles bekannt. Die Frau Abgeordnete Fuchs redet jetzt seit 20 Minuten permanent - ein Zwischenruf nach dem anderen. Das ist ein permanentes Trommelfeuer, das im Fernsehen nicht übertragen wird, das aber im Bundestag den Redner am Reden hindern soll, was Ihnen aber nicht gelingen wird. Aber es spricht gegen Sie und Ihre Position.
Dr. Wolfgang Schäuble
Sie setzen sich ja auch auf den Platz, der in diesem großen Plenarsaal des Deutschen Bundestages dem Rednerpult am nächsten ist. Damit das klar ist: Wir haben einen viel größeren Abstand, wenn Sie von dieser Stelle aus reden. Sie sitzen bewußt auf dem Sitz, der mir am nächsten ist.
Das wird jetzt alles einmal gesagt.
Ich sage es noch einmal: Wir reden darüber, was erreicht worden ist, was wir in Deutschland für Veränderungen haben, was die Menschen in Ost und West in Deutschland an Veränderungen aushalten müssen, was sie gemeistert haben und wie wir vorangekommen sind. Und dann kommen Sie mit einem Kanzlerkandidaten, dem zur Sache wie zur Person alles Wurst ist! Ihn interessiert nichts außer der Tatsache, mit welcher Kameraeinstellung er beim Publikum Eindruck möglicherweise machen kann.
Substanzielles findet ja nicht statt. Denn sonst kann man nicht eine „Ministerin für Frauen und andere Fragen" vorstellen und in einer Erklärung veröffentlichen: „Ministerin für Frauen und das andere Gedöns". Denn sonst kann man nicht einen Menschen als Wirtschaftsminister hinstellen, dessen Übereinstimmung mit den eigenen Positionen offenbar gegen Null tendiert.
Ich habe gar nichts gegen den Mann, ich kenne ihn nicht. Ich will ihn auch gar nicht kritisieren; vielleicht ist er im politischen Geschäft ein bißchen unerfahren. Ich finde, Herr Schröder verrät ein Maß an Verantwortungslosigkeit im Umgang mit dem künftigen politischen Schicksal - zur Sache, zur Person wie zu den politischen Konstellationen in diesem Lande -, das einmal benannt werden muß, damit Deutschland nicht am 27. September einen Fehler macht. Auch darum geht es im Wahlkampf.
Paul Krüger hat die Veränderungen, die Erfolge, die Schwierigkeiten, die Herausforderungen, das, was die Menschen geschafft haben, und das, was sie aushalten mußten - 80 Prozent aller Arbeitsplätze sind weggefallen, die meisten, aber nicht genug, inzwischen neu geschaffen -, beschrieben. Das sind ungeheure Erfolge; Ungeheures ist geleistet worden. Aber natürlich muß manches die Menschen quälen; natürlich gibt es ein Potential für viele Sorgen, Beunruhigung und Verunsicherung. Das ist klar; das ist alles richtig. Deswegen ist es auch in Ordnung, wenn der Kollege Scharping sagt, es sei viel erreicht worden. Die Menschen haben viel geschafft, und darum kann die Politik gar nicht so ganz falsch gewesen sein, wie gesagt worden ist. Darüber kann man vernünftig reden: Wo ist der richtige Weg, und was muß weiter getan werden? Nur, wenn man im ersten Satz sagt, es ist viel erreicht worden, dann aber alles herunterredet und schlechtmacht, geht man den falschen Weg.
Deswegen sage ich: Wir leben in einer Zeit großer Veränderungen und Herausforderungen. Der Bundeskanzler hat davon gesprochen, es wird in der Zukunft auch so sein, die Welt verändert sich, die sozialen Verhältnisse in unserem Land, der Arbeitsmarkt, die technologische Situation verändern sich, und die Menschen im Osten müssen schneller und in kürzerer Zeit größere Veränderungen bewältigen. Sie haben sie besser bewältigt, als sich das die meisten im Westen vorstellen können.
Aber wenn das so ist, wenn man große Veränderungen und Herausforderungen bewältigen will, muß man auch ein wenig Mut machen. Es ist ja eine berühmte Geschichte, daß man sagt, das Glas ist leer. Wenn man Herrn Scharping und die anderen reden hört, dann ist das Glas völlig trocken, da ist überhaupt kein Wasser drin. Das Glas ist zwar nicht ganz voll, das sagt ja auch keiner, aber es ist doch eine ganze Menge drin. Man muß zwischendurch auch ein wenig Mut machen und Zuversicht geben, damit es die richtige Mischung wird, und man sollte bei der Wahrheit bleiben.
Jetzt reden wir mal über die Jugendarbeitslosigkeit. Kurt Biedenkopf, den Sie ja - wie wir schon lange - inzwischen auch sehr schätzen, oder vielleicht inzwischen schon wieder nicht mehr so arg -
- Frau Fuchs, ich schätze Kurt Biedenkopf sehr. Das ist genau Ihr Fehler: Sie setzen sachliche Meinungsunterschiede, die es in jeder Partei gibt, mit persönlicher Geringschätzung gleich. Das ist etwas völlig Unterschiedliches. Ich habe immer eine hohe Meinung von Kurt Biedenkopf gehabt.
Ich bin nicht in jeder Frage mit ihm einer Meinung. Kürzlich war er hier, Lafontaine hat auch gesprochen, und da hat Biedenkopf ja etwas gesagt, was Herrn Lafontaine gar nicht gefallen hat. Er hat gesagt: Wie kommen Sie eigentlich dazu, alle neuen Länder über einen Leisten zu scheren? Wir haben Föderalismus, wir haben unterschiedliche Ergebnisse.
Sie haben da ein paar Krokodilstränen über Jugendarbeitslosigkeit vergossen. Nun hat mir ein Kollege gerade noch liebenswürdigerweise die Statistik gegeben, wieviel Arbeitslosigkeit wir bei den Personen unter 20 Jahren in den einzelnen Bundesländern haben. Der Bundeskanzler hat schon gesagt, die geringste ist in Bayern, die zweitgeringste in Baden-Württemberg. So ungefähr sind die beiden Spitzenplätze immer besetzt; manchmal, Herr CSU-Vorsitzender, ist auch Baden-Württemberg auf Platz eins, aber es ist in Ordnung, jedenfalls Bayern und Baden-Württemberg.
Dr. Wolfgang Schäuble
Aber jetzt schauen Sie mal: Sachsen, der Freistaat, in dem Kurt Biedenkopf Ministerpräsident ist, hat eine Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen unter 20 Jahren von 10,2 Prozent. Damit liegt er unter Niedersachsen, die haben nämlich 10,3 Prozent. Thüringen hat 10,4 Prozent und liegt damit beispielsweise unter dem Saarland mit 10,8 Prozent.
Also, nun hören Sie mal auf, machen Sie mal Ihre eigenen Sachen, und machen Sie die neuen Länder nicht alle mies. Da ist eine Menge Gutes zustande gebracht worden!
Paul Krüger hat daran erinnert, daß wir in den neuen Ländern - bei all diesen gewaltigen Schwierigkeiten und bei dieser in manchen Regionen, zum Beispiel im Süden von Sachsen-Anhalt, in Teilen von Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg aus strukturellen Gründen viel zu hohen Arbeitslosigkeit - gleichwohl insgesamt heute schon eine Erwerbstätigenquote haben, die vergleichbar mit der im Westen ist. Das reicht nicht aus, das hat Paul Krüger beschrieben. Ich möchte aber doch darauf aufmerksam machen, damit nicht das, was an Sachlichem in dieser Debatte richtig und gut gesagt worden ist, so ganz in den Hintergrund gedrängt wird.
Wir sind also auf dem richtigen Weg. Der Weg muß fortgesetzt werden. Man muß zwischendurch auch mal Mut machen, indem man von Erfolgen redet, nicht, um die Probleme zu verharmlosen, sondern um zu sagen, es kommt voran. Wir haben vor 14 Tagen in der Debatte darüber geredet. Der Bausektor mußte in den ersten Jahren in den neuen Ländern die Lokomotivfunktion übernehmen. Wir mußten ja auch die Infrastruktur, die Wohnungsbauinfrastruktur machen. Jetzt kann der Bausektor in der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nicht mehr die Bedeutung haben wie in den ersten Jahren. Deswegen muß jetzt der industrielle Sektor - Fahrzeugbau, Werkzeugmaschinenbau, chemische Industrie - diese Funktion übernehmen. Bei diesem Wechsel gibt es auch Brüche. Aber wenn wir jetzt im industriellen Bereich im Durchschnitt der neuen Länder insgesamt zweistellige Wachstumsraten haben, und die haben wir, dann sind wir auf dem richtigen Weg. Das darf man nicht kleinreden, sondern man muß sagen: Die Anstrengungen lohnen sich, und auf diesem Weg werden wir weiterhin die Folgen der deutschen Teilung überwinden.
Was machen Sie? Die SPD hatte mal in Baden-Württemberg einen Repräsentanten, Erhard Eppler, der in vielen Dingen sehr engagiert war. Aber der hatte so etwas an sich, wovon, ich glaube, Herbert Wehner gesagt hat: Der ärgert sich, wenn er sich freut. - Ich will weder über Herbert Wehner noch über Erhard Eppler irgend etwas Unfreundliches sagen. Es soll ja wieder etwas lockerer werden. Aber Sie kommen mir vor, wenn Sie so reden -
- Sie von der Opposition, von SPD, Grünen und PDS.
- Das ist ja wunderbar. - In den Reden, die Sie heute gehalten haben, und auch sonst kommen Sie mir vor, als ob Ihnen jeder Erfolg in den neuen Ländern im Grunde genommen gar nicht recht ist. Statt dessen machen Sie ihn gleich wieder kaputt.
Ich sage ja nicht, die Probleme seien gelöst. Das haben der Bundeskanzler und auch Paul Krüger nicht gesagt; das kann keiner sagen. Aber es ist doch schön, daß die Arbeitslosigkeit jetzt auch in den neuen Ländern zurückgeht und wir 50 Prozent mehr offene Stellen als vor einem Jahr haben. Das ist doch eine gute Nachricht. Ebenso ist die Tatsache, daß wir in den industriellen Schlüsselbereichen ein zweistelliges Wachstum verzeichnen, eine gute Nachricht. Aber was machen Sie? Sie sagen, daß sei nur darauf zurückzuführen, daß wir faule Tricks bei AB-Maßnahmen gemacht haben. Damit betreiben Sie, insbesondere die Zwischenruferin, die von „Wahl-ABM" gesprochen hat,
eine wüste Brunnenvergiftung. Natürlich sagen das manche. Aber man kann doch auch die Wahrheit sagen.
Ich habe hier einen Vermerk. Wenn der Bundesfinanzminister es erlaubt, sage ich gleich dazu, von wem er unterschrieben wurde. Manche Staatssekretäre wirken ja in ihrer besonderen Korrektheit in der politischen Auseinandersetzung vielleicht noch glaubwürdiger als manche Menschen, die politische Funktionen haben.
Der Vermerk wurde also vom Staatssekretär Dr. Overhaus unterschrieben. Er ist ein hochqualifizierter Mensch, der allen, die mit ihm zu tun haben, notwendigerweise auch auf die Nerven gehen muß, weil Geld knapp ist. Sonst hätten wir, Herr Bundesfinanzminister, im übrigen nicht eine so erfolgreiche Finanzpolitik und eine so stabile Währung.
In dem Vermerk vom 25. Juni 1998, unterschrieben von Herrn Dr. Overhaus, den ich sehr schätze und dem ich bei dieser Gelegenheit mit allen seinen Mitarbeitern auch einmal unseren Dank für die solide Finanz- und Haushaltspolitik aussprechen möchte,
steht:
Der Eingliederungstitel im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit, aus denen die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik hauptsächlich finanziert werden, wird 1999 mit 25,3 Milliarden DM das gleiche Volumen haben wie 1998. Daneben
Dr. Wolfgang Schäuble
wird auch das Programm für Langzeitarbeitslose unverändert fortgesetzt.
Die Bundesregierung stellt ja gerade den Haushalt auf, so daß Sie es noch nicht wissen konnten, aber jetzt sage ich es Ihnen.
Der Haushalt wird in 14 Tagen vorgestellt. Es wird Anfang September darüber noch eine Debatte geben. Meine Bitte ist: Wiederholen Sie diese wahrheitswidrigen Behauptungen, die durch meine Mitteilung jetzt widerlegt sind, nicht, sondern verbreiten Sie die frohe Botschaft, daß es in den neuen Ländern wirtschaftlich bergauf geht und wir gut vorankommen. Wir werden auch, solange wir die hohe Arbeitslosigkeit haben, die notwendigen flankierenden Mittel für den zweiten Arbeitsmarkt aufbringen und die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik aufrechterhalten.
Jetzt sage ich Ihnen noch ein Drittes, das bei allem Lob auch gesagt werden muß: Mir hat in diesen Tagen der Vorstandsvorsitzende einer großen Einzelhandelskette in einem Gespräch gesagt - das gebe ich jetzt ganz korrekt wieder, so wie ich es gehört habe -: Sie zahlen für Auszubildende im ersten Lehrjahr 1 080 DM Ausbildungsvergütung. Das ist nicht überragend, aber im ersten Lehrjahr auch nicht schlecht. Aber sie kriegen ihre Ausbildungsplätze für Verkäuferinnen und Verkäufer in Westdeutschland nicht besetzt. Sie machen Aktionen in den neuen Bundesländern, in Regionen mit besonders hoher Arbeitslosigkeit. Dort werben sie: Kommt nach Köln, nach Frankfurt oder wohin auch immer; wir bieten euch Ausbildungsplätze an, sorgen auch für Unterbringung - da gibt es Kolpinghäuser und anderes; das hat Tradition - und kümmern uns sogar um eine gewisse Betreuung der Auszubildenden, wenn sie nicht bei ihren Eltern sein können. Das Resultat ist, daß sie nicht genügend in den neuen Ländern finden, die bereit sind, dieses Angebot an Ausbildungsplätzen anzunehmen.
In dieser Debatte zur deutschen Einheit sage ich: Wir müssen unseren jungen Landsleuten überall, in Schleswig-Holstein, in Baden-Württemberg, aber auch in Thüringen und Sachsen-Anhalt, sagen: Bitte nehmt die Angebote, die euch gemacht werden, an. Es bleibt eine gemeinsame Anstrengung. Die Bereitstellung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen ist nicht eine Bringschuld der Politik, sondern das Ergebnis gemeinsamer Anstrengungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern; auch das muß in Deutschland einmal gesagt werden.
Herr Abgeordneter Dr. Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Spiller?
Bitte sehr. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Bitte.
Herr Kollege Schäuble, ist das, was Sie eben über die Ausbildungssituation in Ostdeutschland gesagt haben, von dem gleichen Wahrheitsgehalt wie Ihre Bemerkung, die Sie kürzlich in einem Interview in der „Süddeutschen Zeitung" gemacht haben, indem Sie gesagt haben, in Bayern gebe es mehr offene Stellen als Arbeitslose?
Zunächst einmal möchte ich feststellen: Bei dieser Äußerung habe ich mich auf Aussagen der Bayerischen Staatsregierung bezogen.
- Ich habe inzwischen zur Kenntnis genommen, daß nach den amtlichen Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit - das war mir bei diesem Interview nicht bekannt - -
- Das ist doch in Ordnung!
- Was wollen Sie jetzt? Wollen Sie jetzt eine ehrliche Antwort?
- Dann müssen Sie sie sich aber auch anhören.
Ich habe diese Aussage in diesem Interview - da waren sogar ein paar von Ihnen hier im Saal mit dabei - auf Grund von Äußerungen der Bayerischen Staatsregierung gemacht, an deren inhaltlicher Richtigkeit ich nicht zweifele.
Mein Freund, der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Norbert Blüm, hat mich als erster darauf aufmerksam gemacht, daß diese Aussage durch die amtlichen Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit nicht gedeckt ist. Das muß ich, wenn Sie mir diese Frage stellen, hier so sagen. Das ist in Ordnung.
Jetzt füge ich allerdings hinzu: Ich glaube trotzdem, daß die Aussagen des Bayerischen Ministerpräsidenten und anderer Vertreter in der Sache richtig sind, weil die Situation - in Baden-Württemberg und in anderen Ländern auch - so ist, daß wir, bezogen auf die bei der Bundesanstalt gemeldeten offenen Stellen, wohl mit einem Multiplikator von etwa drei rechnen müssen, was die tatsächliche Zahl an off enen Stellen angeht; denn - das sagt Ihnen jeder Vertreter eines Arbeitgeberverbandes und eines Wirtschaftsverbandes - es werden den Arbeitsämtern längst nicht mehr alle offenen Stellen gemeldet.
Dr. Wolfgang Schäuble
Wenn Sie es mit drei multiplizieren, dann ist die Aussage richtig. Deswegen habe ich sie in der Sache nicht zurückzunehmen.
Sie haben danach gefragt, ob die Aussage richtig ist, daß die Arbeitslosigkeit von Menschen unter 20 Jahren in Sachsen niedriger ist als in Niedersachsen. Ich sage Ihnen: Diese Aussage ist richtig. Das ist kein Gütezeichen für die Erfolge der Politik von Herrn Schröder. Daher bleibt es dabei: Man sollte nicht miesmachen, sondern man sollte auch die Erfolge sehen.
Man muß den jungen Menschen auch sagen: Ihr müßt euch bewegen. - Übrigens sind schon im Mittelalter die jungen Menschen auf Wanderschaft gegangen.
- Aber natürlich! Im 19. Jahrhundert sind die Kolpinghäuser entstanden, um gerade solche jungen Menschen aufzunehmen. Wer heute nach dem Abitur studieren geht, dem wünsche ich, daß er nicht zu Hause wohnen bleibt, sondern auch einmal in der Fremde die frische Luft erfährt und neue Erfahrungen macht. Das ist der Prozeß von Innovation. Wir wollen doch keine Gesellschaft von Stubenhockern werden.
Wenn das Verständnis von Modernität der SPD darin besteht, daß sie sagt, es sei einem Auszubildenden nicht zuzumuten, für einen Ausbildungsplatz Mami und Papi zu verlassen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Mit Ihnen ist das 21. Jahrhundert nicht zu gestalten. Das ist ganz sicher.
Ich möchte noch einmal betonen - das haben der Bundeskanzler und Paul Krüger schon gesagt -: Zum Stand der Dinge im so lange geteilt gewesenen Deutschland gehört, daß wir viel erreicht haben, daß wir auf einem guten Weg sind und daß wir dabei sind, die neuen Länder zu Zentren für Modernisierung und Modernität in Deutschland zu machen.
Deswegen ist es auch richtig, daß wir Forschungszentren und moderne Produktionszentren schaffen. Natürlich haben wir noch nicht genügend. Aber auf die Leuchttürme, die wir haben, können wir stolz sein; darauf können vor allem die Menschen in den neuen Ländern stolz sein. Daß es gut vorangeht, sagen alle Zahlen, nicht zuletzt auch das Gutachten des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle.
Die entscheidende Frage ist doch: Glauben wir, daß wir die Kraft dafür, den Wandel in Deutschland zu bewältigen, daraus schöpfen, daß wir alles miesmachen und herunterreden, oder schöpfen wir die Kraft zur Bewältigung der Zukunft nicht besser daraus, daß wir sagen: Es ist zwar noch nicht alles Gold, wir haben große Probleme, aber es ist uns nicht - wie Herrn Schröder - alles Wurst; wir kümmern uns um die Menschen und um die Zukunft unseres Landes.
Auch wir können nicht alles, auch wir machen Fehler. Die Politik kann sowieso nicht alles, das meiste machen die Menschen selbst. Wenn wir aber die Rahmenbedingungen für Fortschritt, für Wachstum, für soziale Gerechtigkeit und für Arbeit für alle so setzen, wie wir es hier gestern diskutiert haben - Stichwort Vermögensbeteiligung; heute morgen haben wir nach langem Widerstand mit dem Investivlohngesetz endlich einen Schritt nach vorne getan -, dann sind wir auf einem guten Weg. Wenn wir Europa einigen, wenn wir die Osterweiterung Schritt für Schritt voranbringen, damit die neuen Länder aus der Randlage in eine neue europäische Zentralität hineinwachsen, dann liegen auch darin phantastische Zukunftschancen.
Wir müssen wissen, daß wir für eine gute Zukunft mehr Selbständige, mehr Mittelstand, mehr Unternehmer, mehr Arbeitgeber brauchen. Über unsere Landsleute in den neuen Ländern können wir voller Stolz sagen: In den Jahren seit der deutschen Einheit sind mehr als 600 000 Unternehmen mit 3,5 Millionen Beschäftigten praktisch aus dem Nichts entstanden. Nach mehr als 40 Jahren Teilung und Sozialismus haben wir heute in den neuen Ländern inzwischen eine Selbständigenquote, die fast das westdeutsche Niveau erreicht hat. Wir Deutsche können auf unsere Landsleute in den neuen Ländern stolz sein, und die Menschen in den neuen Ländern können auf das, was sie geleistet haben, stolz sein.
Wir sind gemeinsam auf dem richtigen Weg. Herr Bundeskanzler, wir werden diesen Weg miteinander weitergehen.
Herzlichen Dank.
Es besteht der Wunsch nach Kurzinterventionen, die sich auf die Rede von Dr. Wolfgang Schäuble beziehen. Die erste Kurzintervention kommt von Rudolf Scharping, SPD-Fraktion.
Herr Kollege Schäuble, Sie haben in Ihrer Rede - jedenfalls in einem bestimmten Teil - Wahrheitsliebe angemahnt. Deshalb möchte ich aus dem Buch „329 Tage" von Horst Teltschik aus dem Jahre 1991 zitieren:
Mittwoch, 4. April 1990.
Das Bundeskabinett befaßt sich heute mit den Empfehlungen des Zentralbankrats der Deutschen Bundesbank vom vergangenen Donnerstag zur beabsichtigten Währungsunion mit der DDR. Innerhalb der Bundesregierung ist dazu bereits ein Vertragsentwurf erarbeitet worden, der noch in dieser Woche abschließend beraten wird. Da am 6. Mai Kommunalwahlen in der DDR stattfinden, will der Bundeskanzler erreichen, daß die Verhandlungen über die Währungsunion mit der neuen DDR-Regierung bis zum 1. Mai abgeschlossen sind. Alle sind sich darüber im klaren,
Rudolf Scharping
daß die eigentlichen Schwierigkeiten in der DDR erst nach der Einführung der Währungsunion beginnen und dann auch die Arbeitslosenzahlen rasch ansteigen werden.
Wo hat das in Ihrem Wahlkampf 1990 eine Rolle gespielt?
Sie haben zu keinem Zeitpunkt über Ihre interne Einschätzung öffentlich informiert.
Sie haben behauptet, daß im Landtag von Sachsen-Anhalt DVU und PDS gemeinsam einen Antrag verabschiedet hätten. Ich möchte Sie auf folgendes aufmerksam machen: Die DVU hatte einen Antrag zur Reduzierung der Stellen des Verfassungsschutzes um 90 Prozent eingebracht. Dieser wurde im Altestenrat des Landes von Sachsen-Anhalt abgelehnt und kam nicht auf die Tagesordnung.
Ein Antrag der CDU kam auf die Tagesordnung. Der Antrag der SPD, über das Thema im zuständigen Ausschuß zu reden, wurde im Landtag von Sachsen-Anhalt abgelehnt, und zwar mit den Stimmen von CDU, DVU und PDS.
Ich denke, daß Sie vor diesem Hintergrund Ihre Schlußfolgerung korrigieren könnten; denn der Innenminister von Sachsen-Anhalt hat ausdrücklich gesagt, er wünsche eine Erörterung im zuständigen Ausschuß. Es könne nämlich sein, daß in der gegenwärtigen Situation das Personal des Verfassungsschutzes aufgestockt werden müsse.
Herr Dr. Schäuble, ich erteile Ihnen das Wort zur Antwort.
Herr Kollege Scharping, zum zweiten Teil Ihrer Frage. Was Sie vorgetragen haben, widerlegt überhaupt nicht das, was ich gesagt habe. Im Landtag von Sachsen-Anhalt hat ein Antrag der DVU bezüglich der Kürzung der Stellen für den Verfassungsschutz mit Stimmen der DVU und der PDS die Mehrheit gefunden.
- Frau Präsidentin, könnten Sie mir einen Gefallen tun? Können Sie sicherstellen, daß der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD mich wenigstens drei Sätze unwidersprochen reden läßt, wenn ich auf eine Kurzintervention des Kollegen Scharping antworte? Ansonsten werde ich nicht antworten. Können Sie das sicherstellen?
Ich kann das.
Ich habe es wirklich satt. Herr Kollege, Sie sind Parlamentarischer Geschäftsführer und sollten einen gewissen Respekt gegenüber Ihrem Fraktionsvorsitzenden haben. Ich habe Ihrem Fraktionsvorsitzenden völlig ruhig zugehört. Ich versuche darauf zu antworten und bei meinem ersten Satz reden Sie mir aus einer Entfernung von nicht mehr als zwei Metern dazwischen. Ich finde dieses Verhalten in einer solchen Weise menschlich verletzend und erbärmlich, daß ich Ihnen es nicht ersparen kann, das anzusprechen. Entweder nimmt mich der amtierende Präsident vor solchen Störungen in Schutz, oder ich werde der deutschen Öffentlichkeit sagen, daß hier systematisch versucht wird, einen Menschen daran zu hindern, in freier Rede Argumente und Gegenargumente auszutauschen.
Dr. Schäuble, Sie haben jetzt die Möglichkeit zu antworten. Ich bitte die Kollegen, daß sie zuhören.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Scharping! Zum zweiten Teil Ihrer Frage und Ihrer Vorhaltung. Ich bin über den Sachverhalt, den ich hier vorgetragen habe, von meinen sachsen-anhaltinischen Kollegen unterrichtet worden.
- Ja. - Was ich gesagt habe, steht aber nicht im Widerspruch zu dem, was Sie gesagt haben. Ich habe nämlich gesagt, daß im Landtag von Sachsen-Anhalt ein von der DVU eingebrachter Antrag, den Personalbestand und die Mittel für den Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt zu kürzen, mit Zustimmung der PDS gegen den Widerstand der CDU - PDS und DVU haben im Landtag von Sachsen-Anhalt erschreckenderweise mehr Abgeordnete als die CDU - die Mehrheit gefunden hat, weil sich die SPD bei dieser Abstimmung enthalten hat. Das war der Vorgang. Von der Darstellung dieses Vorgangs habe ich auch nach Ihrer Frage nichts zurückzunehmen.
Zum ersten Teil Ihrer Frage. Wir haben schon oft - damals waren Sie noch nicht Mitglied des Deutschen Bundestages; ich bin es gewesen - über diesen Punkt debattiert. Wir sind übrigens noch vor 14 Tagen mit Herrn Lafontaine ebenfalls darauf gekommen. Er hat bei dieser Debatte aus meinem Buch falsch zitiert. Sie haben aus dem Buch von Herrn Teltschik richtig zitiert. Das ist in Ordnung.
Es war schon klar, daß mit dem Fall der Mauer und der Einfügung der ehemaligen DDR - die DDR war
Dr. Wolfgang Schäuble
bis zu einem Zeitpunkt zwischen dem Fall der Mauer und dem 1. Juli 1990 durch den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe von freiem Wettbewerb und von freier Konvertierbarkeit der Währung abgeschottet; es gab eine Mauer um den sowjetisch dominierten Block - und aller anderen staatssozialistischen Wirtschaften in einen freien Welthandel mit Arbeitsteilung und freiem Wettbewerb der Großteil der Arbeitsplätze zwischen Elbe und Wladiwostok entfallen würde. Ich habe schon oft von diesem Pult aus gesagt, daß ich - ich will gar nicht für andere reden - das Ausmaß unterschätzt habe.
- Wir haben auch im Rahmen des Wahlkampfes von den großen Anstrengungen geredet, die notwendig waren. Sie müssen in bezug auf meine Person berücksichtigen, daß ich einen Großteil des Wahlkampfes nicht aktiv bestritten habe.
Meine Erinnerung ist - das halte ich Ihnen vor -: Ihre damalige Führung und insbesondere Ihr Kanzlerkandidat, aber auch Herr Schröder haben, kaum war die Mauer gefallen, gesagt: die Einheit verlangsamen! Der entscheidende Punkt ist doch: Die schnelle Einführung der Wirtschafts-, Währungs-und Sozialunion - Sie wollten diesen Weg nicht gehen; ich habe sie übrigens intern sehr früh gefordert; Frau Matthäus-Maier hat sie öffentlich früh gefordert; das ist alles wahr - war der einzige Weg, um schnell zur Einheit zu kommen. Lafontaine war anderer Meinung. Er sprach lange von getrennten Währungsgebieten. Der Preis wäre gewesen, Übersiedleraufnahmeverfahren abzuschaffen - statt einer Mauer aus Stein eine Mauer aus Paragraphen. Ich bin überzeugt - das ist jetzt spekulativ -: Es wäre dann nicht zur Einheit gekommen.
Deswegen sage ich Ihnen: Die Entscheidung des Bundeskanzlers und der Regierung, genau diesen Weg zu gehen, gegen den Widerstand des damaligen Kanzlerkandidaten, war neben dem Mut der Menschen, die auf die Straße gegangen sind und die friedliche Wende in der ehemaligen DDR zustande gebracht haben, eine notwendige Voraussetzung dafür, daß es zur deutschen Einheit gekommen ist.
Da wir im Osten inzwischen - darüber sind wir uns einig - viel erreicht haben - die Landschaften fangen an zu blühen, auch wenn es nicht überall blüht -, nutze ich die Gelegenheit, dem Bundeskanzler dafür zu danken, daß er nicht eine Sekunde gezögert hat, diesen Schritt zu tun, damit Deutschland in Frieden und Freiheit seine Einheit wiedererlangen konnte.
Die nächste Kurzintervention kommt von Dr. Gregor Gysi, PDS.
Herr Schäuble, Sie haben in Ihrer Rede gesagt und jetzt wiederholt, daß die PDS einem Antrag der DVU zur Kürzung der Stellen des Verfassungsschutzes im Landtag von Sachsen-
Anhalt zugestimmt habe. Sie haben jetzt erläutert, daß Sie so von Ihrer Landesgruppe informiert worden seien. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis: Das ist falsch. Erkundigen Sie sich noch einmal.
Ich sage Ihnen jetzt, was genau passiert ist. Es gab einen solchen Antrag, der aber schon im Ältestenrat zurückgewiesen worden ist und deshalb überhaupt nicht auf die Tagesordnung des Landtages kam.
Auf der Tagesordnung des Landtages war ein Antrag der CDU.
Ich will Ihnen auch den Hintergrund sagen. SPD und PDS hatten in der Legislaturperiode davor einen Streit über die notwendige Zahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes. Sie haben sich im Kompromißwege auf 80 verständigt. Alle darüber hinausgehenden Stellen haben den berühmten Kw-Vermerk bekommen, also „kann wegfallen" . Es gibt noch immer 101 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Jetzt hatte die CDU im Landtag beantragt, festzuschreiben, daß es bei der Zahl von 101 bleibt und die in der letzten Legislaturperiode beschlossene Reduzierung auf 80 nicht stattfindet.
Daraufhin hat die SPD beantragt, diesen Antrag in die Ausschüsse zu schicken. Dagegen haben nun CDU, PDS und auch DVU gestimmt. So blieb dieser Antrag der CDU auf der Tagesordnung. Dann wurde über diesen Antrag abgestimmt, also statt der ursprünglich beschlossenen Reduzierung auf 80 nun die Zahl von 101 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern festzuschreiben. Gegen diesen Antrag der CDU haben
: Warum denn?)
- ich beschreibe jetzt nur den Sachverhalt - PDS und DVU gestimmt; die SPD hat sich enthalten.
- Hören Sie einmal zu! Können Sie den Unterschied verstehen? Gegen einen Antrag der CDU zu stimmen ist doch etwas anderes, als für einen Antrag der DVU zu stimmen.
Aber letzteres haben Sie hier gesagt.
Stellen Sie sich doch einmal die Konsequenz vor: Wir dürften nie wieder gegen einen CDU-Antrag stimmen, bloß weil wir befürchten müßten, daß auch die DVU dagegen stimmt. Dann wären wir in diesem Landtag ja völlig handlungsunfähig. Eine Zustimmung zu einem Antrag der DVU durch die PDS hat es im Landtag von Sachsen-Anhalt bisher nicht gegeben, und ich gehe davon aus, daß es das auch nicht geben wird.
Herr Dr. Schäuble, möchten Sie antworten? - Bitte schön.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
- Jetzt geht es schon wieder los.
Ich bitte um Ruhe, jetzt kommt die Antwort von Dr. Schäuble.
Ich bin von meinen Kollegen so unterrichtet worden, wie ich es gesagt habe. Mir kommt das inzwischen alles ziemlich kunstvoll vor.
Deswegen lese ich Ihnen jetzt den Kommentar aus einer Zeitung vor, der mir gerade gegeben worden ist, von einem Wolfgang Schulz, der sagt:
Politik sollte offen und ehrlich, durchschaubar und verständlich sein. Was sich gestern im Landtag von Sachsen-Anhalt bei der Abstimmung über den Verfassungsschutz abspielte, spricht all diesen Maximen Hohn. Wer soll es verstehen, wenn PDS und DVU gemeinsam gegen einen CDU-Antrag stimmen,
- also war es offenbar so herum -
die SPD aus rein taktischen Gründen Stimmenthaltung übt und sich damit gegen den eigenen Innenminister stellt? Kunterbunter kann es wohl nicht zugehen.
- Frau Fuchs, Sie sind offensichtlich sehr getroffen. Der Punkt ist einfach: Das kommt daher, daß man an Stelle einer Gemeinsamkeit der Demokraten in der Bekämpfung von Extremismus aus parteitaktischen Gründen gemeinsame Sache mit den Linksextremen macht und am Ende die Rechtsextremen hochzüchtet.
Genau dies werden wir in Deutschland bekämpfen.
Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention hat die Abgeordnete Ingrid Matthäus-Maier, SPD-Fraktion.
Herr Schäuble, Sie haben mich in Sachen Wirtschafts- und Währungsunion angesprochen. Aber lassen Sie mich noch einen Satz zu den Zurufen sagen - gerade weil ich heute fast keine gemacht habe, kann ich das gut sagen -: Wenn ich daran denke, mit welch ungeheurer Zahl von Zurufen und Störungen zumeist Reden von meinem Fraktionsvorsitzenden, von Frau Anke Fuchs und auch von mir unterbrochen werden, finde ich das, was Sie hier heute ein bißchen kleinlich und leutselig veranstalten, wirklich weit übertrieben. Sie sind offensichtlich davon getroffen, daß es in einer normalen Parlamentsdebatte Zurufe gibt. Das zeigt Ihre Nervosität.
Oft kann ich mich vor der Lautstärke Ihrer Zurufe gar nicht retten, wenn ich so etwas sage, wie zum Beispiel jetzt, Herr Bundeskanzler.
Auch wir waren für die Währungsunion, was Sie hier gerne verschweigen. Fraktion und Partei der SPD haben ihr zugestimmt. Wir fanden das richtig.
Was uns das Herz hat bluten lassen, war, daß es zum 1. Juli 1990 weder ein großes Investitionsprogramm, das Wolfgang Roth in Form vieler konkreter Details angemahnt hatte, noch Investitionszulagen und Steuererleichterungen für private Investitionen gab, daß Sie im Einigungsvertrag das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung" verankert hatten - über Jahre mußten wir uns mit diesem Fehler herumschlagen -
und daß Sie bei der Treuhand, entgegen unserer Forderung, bis zum Schluß das Prinzip „Privatisierung statt Sanierung" hochgehalten haben. Mühselig mußten privatisierte Betriebe, die kaputtgingen, nachher wieder aufgebaut werden.
Über die Währungsunion gab es keinen Dissens. Aber die Art, wie Sie sie ökonomisch und sozial begleitet haben und wie Sie dann die Finanzen geregelt haben, war eine Katastrophe.
Ich habe doch die großen Debatten wahrgenommen - das kann man am Schluß dieser Legislaturperiode sagen -: Links von mir war es Graf Lambsdorff, rechts von mir Herr Waigel, die versprochen haben: Im Osten schnell blühende Landschaften und im Westen keine Steuererhöhungen auf Grund der deutschen Einheit! Sie wußten, daß das die Unwahrheit war.
Mit dieser Unwahrheit haben Sie entscheidend mit dazu beigetragen, daß dann in beiden Teilen Deutschlands eine Verdrossenheit entstanden ist. Das werfen wir Ihnen vor, nicht aber die Währungsunion. Die war für das Zusammenwachsen Deutschlands wichtig. Wir alle hätten es lieber langsamer gehabt; es ging aber nicht. Wie Sie die deutsche Einheit
Ingrid Mätthäus-Maier
ökonomisch, sozial und finanziell gestaltet haben, das war ein schwerer Fehler.
Herr Dr. Schäuble, bitte Ihre Antwort.
Erstens. Frau Matthäus-Maier, ich möchte Ihnen im Hinblick auf den ersten Teil Ihrer Kurzintervention einmal den Rat geben: Probieren Sie es einmal aus, im Sitzen zu sprechen, wenn Ihnen aus 2 Meter Entfernung auf gleicher Höhe ständig Zurufe gemacht werden.
- Dann sind es 2,50 Meter. Das spricht für Sie und Ihre ganze Erbärmlichkeit.
Frau Präsidentin, jetzt muß ich es einmal ausführen. Es verletzt mich seit Jahren; Sie von der SPD wissen das. Es gibt in Ihren Reihen viele - übrigens Ihr Fraktionsvorsitzender eingeschlossen -, die darauf Rücksicht nehmen und sich bemühen, dies nicht zu tun. Sie, Frau Fuchs, haben diese Rücksicht bisher leider nicht bewiesen; darauf wollte ich einmal hinweisen. Sie können dieses Verhalten in der Zukunft fortsetzen. Nur, Sie müssen damit rechnen, daß ich mich auch in Zukunft so wehren werde, wie mir dafür die Mittel geblieben sind. Probieren Sie es doch einmal selber!
Irgendwo gibt es immer einen wunden Punkt. Man muß nur lang genug danach suchen, dann findet man ihn. Machen Sie doch so weiter!
Zweitens, zur deutschen Einheit. Übrigens kann man über dieses Thema nicht in Form von Kurzinterventionen sprechen. Die Argumentationen müßten eigentlich länger dargestellt werden. - Sie haben gerade gesagt, wir hätten es lieber langsamer gehabt. Genau das ist der Punkt, in dem wir uns fundamental unterscheiden. Es ging nur schnell oder gar nicht
- Nein, Sie haben gerade in Ihrer Kurzintervention gesagt: lieber langsam. Was Sie hier sachlich vorgetragen haben, daß vieles aus ökonomischer Sicht vielleicht besser gewesen wäre, wenn das langsam
gekommen wäre, bestreite ich gar nicht, aber aus politischer Sicht wäre es langsam nicht gegangen.
- Ich rede doch jetzt über die Unterschiede in der Ökonomie.
Wenn man Entscheidungen trifft, muß man alle Zusammenhänge bedenken, die ökonomischen und die politischen. Die deutsche Einheit ist einmalig. Für sie gab es kein Modell, keinen Masterplan - dazu gab es vorhin auch so einen glücklichen Zwischenruf -; so etwas gab es nicht.
Wir haben zwei Volkswirtschaften zusammengefügt, zwei politische und soziale Ordnungen, die 40 Jahre lang nebeneinander existierten. Die Menschen - das haben wir erst hinterher begriffen; ich habe mich erst in der vergangenen Woche wieder mit meinem Freund Lothar de Maizière darüber unterhalten - haben 40 Jahre in unterschiedlichen Welten gelebt und waren jetzt über Nacht zusammen. Das verursacht mehr Verletzungen und Brüche, als wir - jedenfalls ich -1990 geglaubt haben. Aber dies war der einzig gangbare Weg, um die Einheit in Frieden und Freiheit zu schaffen.
Deswegen sage ich noch einmal: Ich bin stolz auf unsere Landsleute, daß sie all diese Verletzungen und Brüche so bewältigt haben, daß wir heute im Jahre 1998 sagen können: Wir sind schon sehr weit vorangekommen, und die neuen Länder werden ein Zentrum von Modernität und Zukunftsgestaltung in ganz Europa werden, auf das wir alle in Deutschland stolz sein können. Die politischen Entscheidungen waren alles in allem die richtigen, und vor allem waren sie angesichts der Alternativlosigkeit richtig.
Das Wort hat Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl.
Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich nicht die Absicht, mich in dieser Debatte zu Wort zu melden,
weil ich denke, daß das, was geschehen ist, mit Sicherheit - nicht heute und morgen, aber in den Jahren, die vor uns liegen; vielleicht werden wir es zum Teil nicht mehr selbst erleben - in der Geschichtsschreibung sehr genau fixiert und deutlich gemacht werden wird.
Aber was hier geschieht, geht so nicht. Hier wird ein Bild aus jenen Tagen gezeichnet, durch das jemand, der damals vielleicht zehn Jahre alt war und jetzt 18 Jahre alt ist, eine völlig falsche Vorstellung von der Wirklichkeit der Welt, Europas und Deutschlands in den Jahren 1989/90 bekommt.
Im Bereich der ökonomischen Fragen gibt es eine ganze Menge - Wolfgang Schäuble hat das hier zu
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Recht gesagt -, worüber wir einer Meinung und auch unterschiedlicher Meinung waren. Das ist auch völlig normal. Im übrigen waren wir nicht allein. Wir hatten Gesprächspartner in der Volkskammer. Hier sitzen Kollegen, die damals in der Volkskammer Abgeordnete waren. Ich rede jetzt von der frei gewählten Volkskammer. Dort gab es ganz andere Vorstellungen, als sie hier zum Teil dargestellt wurden. Ich habe das nie als Vorwurf gesagt.
Wenn Sie einmal genau nachlesen, wer zunächst in die Volkskammer gewählt wurde, sehen Sie: Es waren Männer und Frauen dabei, die bis einige Tage vor ihrer Nominierung noch nie etwas mit Politik zu tun hatten, die in der DDR beruflich etwas ganz anders gemacht hatten, zum Beispiel Ärzte, die niemals daran dachten, Abgeordnete zu werden. Sie waren plötzlich mit schwierigsten ökonomischen Fragen konfrontiert. Das ist die eine Seite. Darüber will ich jetzt gar nichts sagen.
Die eigentlichen Fragen betrafen nicht die Ökonomie. Es ist gar nicht wahr, was hier gesagt wurde. Wir befanden uns in einem ungeheuren Spannungsverhältnis in der Weltpolitik und in der Europapolitik. Machen wir uns doch nichts vor: Diese Diskussion über die deutsche Einheit ist zu einem Zeitpunkt gekommen, in dem die Weltöffentlichkeit und die meisten der führenden Staatsmänner der Erde überhaupt nicht darauf vorbereitet waren.
Es ist doch eine Fama, daß es etwa im Oktober, November, Dezember 1989 unter meinen Amtskollegen in Europa oder außerhalb Europas eine Mehrheit gegeben hätte dahin gehend, daß man sagte: Jetzt machen wir die deutsche Einheit. Das genaue Gegenteil ist der Fall gewesen.
Sie können nicht über die Wirtschafts- und Währungsunion reden, ohne gleichzeitig zu sehen, was parallel gelaufen ist. In diesen Tagen gab es dramatische Entwicklungen bei den sogenannten Zwei-plusVier-Verhandlungen. Es ging darum, ob wir - völlig ungeachtet der ökonomischen Fragen - zu einer Diskussion darüber kommen würden, daß die Voraussetzung für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze ist, einen Friedensvertrag zu haben. Diesen Grundsatz haben wir, die Deutschen, übrigens alle Regierungen seit 1949, vertreten. Das war doch unser Grundsatz. Entsprechend hat sich auch das Bundesverfassungsgericht geäußert. Plötzlich waren wir, die Deutschen, daran interessiert, nicht länger abzuwarten, bis es einen Friedensvertrag geben würde, weil das für uns Verhandlungen von vielen Monaten und Jahren bedeutet hätte - von den finanziellen Aspekten will ich dabei gar nicht reden.
Alle Entwicklungen liefen doch damals darauf hinaus - ich will es mit einem Bild sagen -, daß das Tor offen war. Aber jeder denkende Mensch konnte erkennen - man hat uns das auch aus dem Ausland gesagt -: Wenn wir jetzt nicht durch dieses Tor zur Einheit gehen, dann könnte es zu spät sein; das Tor wird wieder zufallen. Sie wissen aus vielen Gesprächen - auch aus dem, was in der Öffentlichkeit gesagt wurde -, beispielsweise von Michail Gorbatschow und anderen, daß dies so war.
Natürlich haben wir untereinander große Diskussionen über die ökonomischen Fragen geführt. Ich kann mich noch gut an die Diskussionen mit Vertretern der Bundesbank und mit anderen erinnern. Wenn wir alle in die Diskussion einbezogen hätten, die damals Ratschläge erteilt haben, wären wir, die Bundesregierung, zum Teil heute noch in der Debatte.
Es war eine konkrete Situation. Es gab eine starke Stimmung in Europa, die besagte: Wir machen die deutsche Einheit zumindest jetzt nicht. Es gab eine starke Stimmung übrigens auch auf dem Gebiet der damaligen DDR, die besagte: Wäre es nicht vielleicht besser, wenn es zwei deutsche demokratische Staaten gäbe, als wenn es nur ein wiedervereintes Deutschland gäbe? Das konnte man in Wien lesen und hören; das konnte man in nahezu allen europäischen Hauptstädten lesen und hören.
Es gab doch damals eine Druckkulisse dahin gehend - das ist doch in diesen Tagen wieder durch einen der Kollegen von damals in die Öffentlichkeit getragen worden -, daß man im Januar 1990 gesagt hat: Bevor überhaupt verhandelt wird, habt ihr die OderNeiße-Grenze anzuerkennen.
Meine Damen und Herren von der SPD, lesen Sie einmal nach, was Sie mir zu dem Thema der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze im Januar oder Februar 1990 abverlangt haben. Ich wurde damals verleumdet, weil ich mich weigerte, von der Forderung abzurücken: Ohne einen Durchbruch bei der deutschen Einheit, ohne den Vertrag kommt eine Anerkennung - es war ja eine bittere Entscheidung, auch für den Deutschen Bundestag - der Oder-NeißeGrenze nicht in Frage. So sah doch die wirkliche Lage aus. Die ökonomische Lage war das eine; die internationale Lage war das andere.
Wahr ist doch auch - das ist keine üble Nachrede -, daß enge, gute Freunde von uns, auch von mir, die allergrößten Schwierigkeiten damit hatten, ja zur deutschen Einheit zu sagen. Ich bekenne hier noch einmal: Unter allen meinen Amtskollegen befand sich nur einer, der ohne Wenn und Aber für die deutsche Einheit war; das war Felipe Gonzáles, der damalige Ministerpräsident von Spanien. Andere gute Freunde haben später dicke Bücher geschrieben, um noch einmal ihre Position zu erläutern. Wem wollen Sie in diesem Zusammenhang einen Vorwurf machen? Ich mache keinen.
„Wir haben die Deutschen zweimal geschlagen, und sie sind wieder da", so hieß es in einer Nachtsitzung des EG-Gipfels in Straßburg im Dezember 1989. So war doch die Stimmungslage. Sie kam doch auch deswegen zustande, weil viele in diesem Land längst die Idee der deutschen Einheit aufgegeben hatten. Wer in einer solchen Situation den Rat „Wir bremsen die Sache" geben wollte, der mußte sich mit einem Argument des damaligen Innenministers Wolfgang Schäuble auseinandersetzen. Ich erinnere
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
mich noch sehr genau an eine Nacht, in der Wolfgang Schäuble mir die Zahlen brachte, wie viele Leute aus der DDR zu uns kommen wollten, weil sie der Sache nicht trauten. Ich kann mich auch noch daran erinnern, daß in Hessen überlegt wurde, die Schulen zu schließen, um sie für die Unterbringung der Übersiedler zu nutzen. So sah doch die Wirklichkeit aus. Da haben wir gesagt: Wir müssen es jetzt machen und nicht später, weil die Gefahr besteht, daß das Tor wieder zufällt. Das ist die Lage gewesen. Schließlich haben wir Stück für Stück die Mehrheit für unseren Weg bekommen, auch in Europa. Wir haben uns von der Idee einer Friedenskonferenz verabschiedet, die bestimmte europäische Regierungen unter allen Umständen durchsetzen wollten.
Es waren Michail Gorbatschow und George Bush, die ihre Außenminister im Sommer 1990 angewiesen haben, daß die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen abgeschlossen werden sollten. Ich weiß doch noch, mit welch einem ungeheuren Engagement Hans-Dietrich Genscher rund um die Uhr in dieser Sache in Europa hin und her gereist ist, um die Kollegen dafür zu gewinnen.
Was hier gesagt wird, hört sich so an, als hätten wir damals im luftleeren Raum Politik gemacht. Die Welt hat damals den Atem angehalten, und in der Welt waren es nicht wenige, die fragten: Sollen die Deutschen schon wieder mit 80 Millionen Menschen, mit hegemonialen Überlegungen und allem, was damit zusammenhängt, kommen? Deswegen kann man die Dinge doch nicht in einer so primitiven Weise darstellen.
Ich habe keine Angst vor der Geschichtsschreibung. Aber ich kenne eine Menge Leute in Deutschland, die sind jetzt unterwegs, um ihre Artikel, ihre Reden zu vergraben, weil sie sich für das schämen müssen, was sie in dieser Zeit getan haben.
Damit es keine Mißverständnisse gibt, sage ich, daß zur Zeit § 44 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung greift.
Die Debatte ist zeitlich etwas ausgeweitet worden. Ich finde das auch gut so, denn „Parlament" heißt ja „reden".
Deshalb gebe ich jetzt das Wort dem Kollegen Rudolf Scharping, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Damit kein Mißverständnis aufkommt: Niemand bestreitet, daß die deutsche Bundesregierung und insbesondere auch der Bundeskanzler in der Frage der außenpolitischen und der europäischen Absicherung der deutschen Einheit, in der Gestaltung der staatlichen Rahmenbedingungen und in den Gesprächen mit den Nachbarn und
Freunden die deutsche Einheit entschlossen und vernünftig verfolgt hat.
Es wäre auch ziemlich kindisch, bestreiten zu wollen, daß es hinsichtlich dieser Fragen auch unter Freunden und Nachbarn skeptische Einschätzungen gegeben hat und daß es klug war, sie auf eine vernünftige Weise auszuräumen.
Das ist nicht der Streitpunkt unter uns.
Wir streiten, Herr Bundeskanzler, auch nicht über die Geschwindigkeit, mit der die deutsche Einheit und auch die Wirtschafts- und Währungsunion erreicht worden sind.
Wir streiten nur über einen einzigen Punkt - ich finde es seht bezeichnend, daß Sie dazu nichts sagen -, nämlich darüber, wie die Bedingungen innerhalb dieses notwendigerweise raschen Prozesses gestaltet worden sind.
Das ist übrigens der einzige Punkt, über den sich eine Auseinandersetzung lohnt - nicht wegen einer rückblickenden Rechthaberei, sondern wegen der Schlußfolgerungen für die Zukunft, die daraus gezogen werden müssen.
Ich weiß doch auch - wie jeder hier im Haus -: Natürlich kann man beispielsweise die falsche Weichenstellung bei der Rückgabe alten Eigentums statt seiner Entschädigung nicht mehr korrigieren. Natürlich schlagen wir uns heute noch mit der daraus erwachsenen Bürokratie und vor allen Dingen mit den Belastungen herum, die deswegen für viele Menschen entstanden sind. Natürlich kann man nicht mehr korrigieren, daß die Umtauschkurse insbesondere für Betriebe und ihre Schulden so waren, wie sie waren.
Es ist so entschieden worden, und man kann über die Folgen im Zusammenhang mit den Feststellungen des Untersuchungsausschusses in seinem Abschlußbericht, was DDR-Vermögen etc. angeht, lange reden. Aber die Entscheidungen selbst und ihre Konsequenzen kann man nicht mehr zurückholen. Für die Zukunft müßte das freilich heißen, sich nicht mehr auf eine ökonomische und durch Wahlkampftermine bedingte Leichtfertigkeit einzulassen.
Ich hoffe, ich habe Herrn Schäuble richtig verstanden, daß er im Zusammenhang mit der aktiven Arbeitsmarktpolitik gesagt hat, dies sei nicht nur für das Wahljahr. Das finde ich sehr interessant, weil die öffentliche Bekundung in einem offenkundigen Widerspruch zur tatsächlichen Entscheidung steht.
Natürlich kann man nicht mehr korrigieren, daß es damals kein öffentliches Investitionsprogramm gegeben hat. Dies ist dann im nachhinein allerdings auf
Rudolf Scharping
eine Weise in Gang gesetzt worden, über die wir reden müssen. Denn es war ein Fehler, private Investitionen nur mit Hilfe von Steuervergünstigungen anzureizen und damit auf der anderen Seite, bei der öffentlichen Kasse, ein Risiko heraufzubeschwören.
Herr Bundeskanzler, ich finde es bezeichnend. Sie sagen dazu kein Wort, in der Hoffnung, es würde dann in der öffentlichen Debatte auch keine Rolle mehr spielen oder von anderen, übrigens auch unbestritten richtigen außenpolitischen Entscheidungen und Weichenstellungen erschlagen sein. Wir werden sehr genau auseinanderhalten: Was war außenpolitisch, was war mit Blick auf die Nachbarn und Freunde, was war mit Blick auf Rußland - diesbezüglich haben wir keinen wirklichen Streit -, und was war in Deutschland selbst, was haben Sie den Menschen in Deutschland gesagt, zum Teil gegen die eigene Erkenntnis, auf jeden Fall gegen die sachlichen Notwendigkeiten?
Ich sage das auch deshalb, weil ich in dieser Debatte spüre, daß Sie wiederum den Versuch machen werden, sachliche Bedenken gegen Umstände und Weichenstellungen innerhalb eines schnellen Prozesses als Bedenken gegen die deutsche Einheit selbst zu denunzieren.
Das haben Sie 1990 so gemacht, das haben Sie 1994 so gemacht, und ich fürchte, Sie werden es 1998 wieder versuchen.
Ansonsten können wir über vieles streiten. Nur, Herr Kollege Schäuble, wenn Sie vom Pult des Deutschen Bundestages aus eine falsche Information zu einer hochsensiblen Frage verbreiten, so ist es das einfachste von der Welt, diese zu korrigieren, so wie Sie das hinsichtlich Bayerns auch gemacht haben. Jeder von uns sitzt einmal einer falschen Information auf. Mir ist nur aufgefallen, daß Sie in dieser Debatte mehreren falschen Informationen aufgesessen sind. Deswegen sage ich: Sie können ja die, wie ich finde, etwas fehlerhafte, fast schon närrische Einstellung haben, Sie könnten mit diesen Frontlinien der Vergangenheit einen Wahlkampf für die Zukunft bestreiten. Uns geht es um etwas anderes, nämlich darum, aus den Entscheidungen, die getroffen worden sind, und aus den Fehlern, die gemacht worden sind, die Konsequenz zu ziehen, daß in Deutschland zukünftig mit mehr Respekt, mit mehr Gerechtigkeit und mit mehr wirtschaftlicher Vernunft regiert wird. Nur darum geht es.
Das Wort hat jetzt der Kollege Joschka Fischer, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß die Debatte, wenn auch aus historischer Rückbetrachtung resultierend, wieder zur Sache zurückgekehrt ist. Lassen Sie mich mit dem Hinweis beginnen, daß wir vor allen Dingen auf die Zukunft hin diskutieren und daß der Aufbau Ost, unabhängig vom Wahlkampf und unabhängig vom Ausgang der Wahlen ein Problem bleiben wird, das unsere anhaltende Solidarität parteiübergreifend notwendig macht.
Wir sollten uns darüber einig sein, daß wir, ganz gleich, wie lange es dauert, niemals akzeptieren dürfen, daß es keine gleichberechtigte Teilhabe der Menschen in Ostdeutschland am gesamtdeutschen Prozeß gibt. Dies setzt eine eigenständige tragfähige wirtschaftliche und soziale Entwicklung in diesen Ländern voraus. Solange diese nicht gegeben ist, so lange bedarf es der uneingeschränkten Solidarität der Menschen in Westdeutschland. Wenn wir uns in diesem Ziel, unabhängig vom Ergebnis der Bundestagswahl, einig wären, wäre meines Erachtens schon sehr viel erreicht.
An diesem Punkt, Herr Bundeskanzler, vergeben wir uns überhaupt nichts, wenn wir Ihre historische Leistung für den Einheitsprozeß in Deutschland, für die staatsrechtliche Einheit, für das Nutzen einer nicht für möglich gehaltenen einmaligen Chance voll anerkennen. Das ist nicht der Streitpunkt. Wir vergeben uns auch nichts, wenn wir die Leistungen anerkennen, die beim Aufbau Ost erreicht wurden.
Der Kollege Werner Schulz hat zu Recht darauf hingewiesen. Wir bejammern doch nicht, daß Sie die Mittel für AB-Maßnahmen, für eine aktive Arbeitsmarktpolitik, erhöht haben. Wir haben es beklagt, als Sie diese abgebaut haben. Wir freuen uns, daß Sie sie jetzt im Wahljahr erhöhen wollen. Wir trauen Ihnen, Herr Bundeskanzler, nur nicht zu, daß Sie das über den Wahltag hinaus aufrechterhalten werden.
Wir sehen doch die großen Leistungen, die sich auch Ihre Regierung ans Revers heften kann, beim Aufbau einer modernen Infrastruktur, etwa bei der Telekommunikation. Es ist doch nicht so, daß wir hier in eine ähnliche Kritik verfallen, wie Sie oder Wolfgang Schäuble es als Wahlkämpfer gemacht haben, nämlich den Untergang des Abendlandes zu beschwören, wenn Rotgrün kommt. Wir sagen nicht, das Morgenland geht unter, wenn Helmut Kohl weiter dranbleibt. Nichts dergleichen wird der Fall sein. Das sind Übertreibungen, die einem die Menschen sowieso nicht glauben.
Was wir hier konkret diskutieren müssen, ist ein Wettbewerb der Ideen. Dazu bedarf es auch der Kritik. So gern ich Sie auf das Denkmal stelle, aber an diesem Punkt ist Kritik angesagt, solange Sie als
Joseph Fischer
Bundeskanzler aktiv in der Verantwortung für den Prozeß des inneren Aufbaus stehen.
Herr Bundeskanzler, ich kritisiere nicht, daß Sie Honecker empfangen haben. Ich glaube, niemand in der deutschen Öffentlichkeit hat dies kritisiert, außer der rechte Rand in der Union. Aus damaliger Sicht war es Ihre Pflicht, auch im Interesse der Menschen. Ich kritisiere auch nicht, daß die CDU/CSU nach einem schmerzhaften Prozeß und vielen Auseinandersetzungen - ich weiß, was solche Grundsatzauseinandersetzungen für eine Partei bedeuten, weiß Gott - eine Kehrtwendung in der Deutschland- und Ostpolitik nach ihrer Regierungsübernahme 1982/83 vollzogen hat. Und ich weiß, daß es Franz Josef Strauß war, der dabei einen entscheidenden Anteil hatte. Das ist in seiner Biographie nachzulesen, auch sein Verhältnis zu Erich Honecker; das ist alles nachzulesen. Ich kritisiere das nicht, sondern ich sage: Im Rückblick waren es richtige und notwendige Entscheidungen im Interesse unseres Landes.
Ich kritisiere auch nicht, daß es Ihnen - das war einer der größten innenpolitischen Geniestreiche des Helmut Kohl als Parteivorsitzender der Union - anders als der demokratischen Linken gelungen ist, den Teil des politischen Spektrums der DDR, der auch Bestandteil des Herrschaftssystems der Diktatur war, 1990 zu vereinnahmen, nämlich die Blockflöten: die Ost-CDU, die Bauernpartei. Der stellvertretende Vorsitzende der Bauernpartei ist ein geachteter Abendländer und Christdemokrat. Sein langjähriger Vorsitzender gilt als unberührbar, weil er bei der PDS ist. Gegen diese Heuchelei wehre ich mich, meine Damen und Herren!
Ich bedauere es, daß die PDS im Rückwärtsgang zum Traditionsverein ist, daß man sich da plötzlich wieder für Mauerschützen und ähnliches mehr einsetzt. Das ist es, was ich bedauere: daß der Bruch mit der SED nicht stattgefunden hat, daß sie nicht den Weg anderer Reformkommunisten gegangen ist. Ich hätte mir das im Interesse der gesamtdeutschen Demokratie gewünscht.
Das ist aber eine andere Kritik als diese Heuchelei von dieser Seite.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es reicht nicht, und es wird nicht reichen, daß Sie nach altem abendländischen Ritus meinen, die müßten von Ihnen drei schmerzensreiche Rosenkränze gebetet bekommen, das Aschenkreuz aufs Haupt bekommen, die Kasse im Adenauerhaus abgeben, und dann sind das fortan gute Abendländer, während Sie gleichzeitig Ihre Herrschaft dadurch sichern, daß Sie einen Teil der Opposition in Ostdeutschland für unberührbar erklären. Das wird auf Dauer nicht funktionieren.
Was wir an Ihnen kritisieren - Rudolf Scharping und auch Kollegin Matthäus-Maier haben es zu recht in den Vordergrund gestellt -, ist nicht die staatsrechtliche Einheit, sondern daß Sie meinten, im Moment der staatsrechtlichen Einheit den Westdeutschen nicht die Wahrheit zumuten zu können. Der Fluch dieser bösen Tat wirkt bis heute fort; ich werde gleich noch darauf eingehen. Wenn Sie sich darüber auslassen, Herr Kohl, wie die SPD - ich muß nicht für die SPD reden - mit Menschen, mit Kandidaten umgeht, dann kann ich Ihnen nur sagen: Es ist ein weites Feld, wie die CDU gegenwärtig mit ihrem Kandidaten umgeht.
Es ist mittlerweile so, daß Herr Schröder einen Wirtschaftsministerkandidaten holen muß, der Sie lobt, weil Sie in der CDU kaum noch jemanden finden, der Sie ehrlicherweise lobt.
Man hätte Sie am liebsten bereits auf dem Altenteil. Herr Necker erklärt dies. Herr Westerwelle - ich beobachte das sehr sorgfältig - darf erst reinkommen, wenn Sie erschöpft wieder Platz genommen haben, damit da keine Risiken existieren. Ich bitte Sie, Herr Kohl, Sie wissen doch so gut wie ich, was in Ihrem Laden bezogen auf Ihre Person los ist. Aber das möchte ich jetzt nicht vertiefen.
Entscheidend ist, daß mit der faustdicken Lüge „Wählt CDU - keine Steuererhöhungen" die Reformverweigerung in diesem Land einhergegangen ist. Die Ostdeutschen haben dafür am brutalsten mit Arbeitslosigkeit zu bezahlen gehabt. Es war ein Irrtum, zu glauben, wir könnten das westdeutsche Modell auf Ostdeutschland übertragen. Ich mache Ihnen das jetzt nicht in dem Sinne zum Vorwurf, daß seinerzeit ein großer Masterplan möglich gewesen wäre. Aber Sie hätten 1990 im Deutschen Bundestag dem deutschen Volk die Wahrheit zumuten und sagen müssen, daß wir Steuererhöhungen brauchen und daß die Solidarität länger notwendig ist, als zunächst vorgesehen war.
Die Konsequenz ist die Reformverweigerung; das habe ich in den vergangenen vier Jahren mitbekommen. Sie hatten damals, nach der deutschen Einheit, also 1990, 1991, 1992, die Chance zu einer Steuerreform, weil angesichts der damaligen Steuereinnahmen sogar eine Nettoentlastung möglich gewesen wäre. Sie hätten damals die notwendigen Maßnahmen bei der Sozialversicherung, bei der Rentenversicherung, im Gesundheitssystem treffen können und vor allen Dingen eine entsprechende Steuerreform vornehmen können. Sie haben nichts gemacht. Erst, als selbst Michael Glos im November 1996 erklärte, daß die CDU/CSU bei den Bundestagswahlen verlieren werde, wenn sie jetzt nichts ändert - Sie werden auch so verlieren, weil Sie die Änderungen zu spät vorgenommen haben -, haben Sie sich bei den inne-
Joseph Fischer
ren Reformen bewegt. Das hatte die Konsequenz, daß die Arbeitslosigkeit Jahr um Jahr gestiegen ist.
Dann kamen Sie mit einer Steuerreform, die eine Nettoentlastung beinhaltete, als das Geld nicht mehr da war, sondern nur noch Waigelsche Löcher vorhanden waren. Diesen Vorwurf muß man Ihnen auch vor dem Hintergrund der Probleme in Ostdeutschland machen, Herr Bundeskanzler.
Ein Bündnis für Arbeit, 1996 von Ihnen mutwillig gegen die Wand gefahren, brauchen wir nicht nur für Westdeutschland, sondern vor allen Dingen dringend für Ostdeutschland, damit wir eine Trendwende jenseits der aktiven Arbeitsmarktpolitik, der notwendigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf dem ersten Arbeitsmarkt in Ostdeutschland bekommen. Das halte ich für unverzichtbar; aber das haben Sie verspielt.
Die Eigentumsregelung wurde angesprochen, die Treuhandpolitik. Die Jenoptik ist deswegen eine einsame Erscheinung, weil das, was die Opposition gefordert hat, nämlich keinen Ausverkauf zu machen, sondern den Betrieben durch Lohnsubvention und anderes eine Chance zu geben, die Teile zu erhalten, die am Markt innerhalb einer Dekade eine Perspektive haben, von Ihnen nicht gewollt war. Ich kann mich noch gut an die Debatte um die industriellen Kerne erinnern. An diesem Punkt wurde die innere deutsche Einheit von Ihnen in den Sand gesetzt. Das werfen wir Ihnen vor.
Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Trendwende, und zwar nicht nur eine konjunkturelle und eine wahlpolitische Trendwende. Das wird für jede neue Regierung gelten, und das wird nicht mehr eine Regierung sein, die von Helmut Kohl geführt wird. Wir brauchen eine positive Trendwende auch am Arbeitsmarkt. Diese Trendwende wird weder gegen die Märkte noch gegen die Gewerkschaften durchzusetzen sein. Das macht die Notwendigkeit eines Bündnisses für Arbeit auch und gerade für Ostdeutschland unverzichtbar.
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Fischer, ich beobachte jetzt schon in einer Folge von Plenarsitzungen, daß Sie stets bestimmte Ereignisse und auch die Leistungen des Bundeskanzlers hinterher würdigen. Als die jeweiligen Entscheidungen anstanden, waren Sie aber immer komplett dagegen.
Ich erinnere mich an eine Sitzung des Hessischen Landtages, in der Sie gesagt haben: „Vergessen Sie die Wiedervereinigung! " Nach Ihrem Redebeitrag trat meine Kollegin Babel ans Pult und sagte: „Wir vergessen die Wiedervereinigung nicht. " Das sage ich jetzt nicht so einfach daher, Herr Kollege Fischer. Ich meine damit, daß zur politischen Qualität eines Menschen gehört, daß er zu den Zeiten, zu denen Entscheidungen anstehen, die Entscheidungen trifft.
Als ich meine erste Rede hier als Vorsitzender der F.D.P. hielt, hatte ich die Gelegenheit, mit Ihnen über Bosnien zu sprechen. Sie redeten vor mir und warnten vor einer Militarisierung der deutschen Außenpolitik. Vier Wochen danach schrieben Sie Ihrer grünen Basis das, was ich hier für die F.D.P. vorgetragen hatte: daß der Einsatz notwendig sei. Ich erlebe Sie heute auf grünen Parteitagen als jemanden, der für die Menschenrechte und für internationale Friedenseinsätze der Bundeswehr eintritt. Aber, Herr Fischer, Sie kommen immer zu spät. Wenn entschieden werden muß, müssen Sie entscheiden.
Sie wissen doch so gut wie ich, daß ein guter Teil Ihres Denkmilieus psychische Probleme mit der deutschen Einheit hatte; sie haben es als gerechte Strafe der deutschen Geschichte empfunden, daß dieses Land geteilt bleibt. Es gab ganze Denkkulturen, die es als Widerstreit gegen die Geschichte gesehen haben, wenn Deutschland vereinigt wird. Diese psychischen Verknotungen hat kein Volk der Welt, keine moderne Demokratie, weil es dazugehört, gemeinsame Kultur und gemeinsame Geschichte zusammenwachsen zu lassen und sie nicht künstlich zu trennen.
Sie haben damals auch gemerkt, daß dies die Menschen gespürt haben. Sie haben den Deutschen Bundestag nicht erreicht, weil Sie zum Thema der deutschen Geschichte, des kulturellen Zusammenwachsens, der Einheit eines Volkes nichts hatten. Sie machen das jetzt in Europa ähnlich. Sie geben keine klare Antwort zur Außenpolitik.
Wer aber auf die zentralen Fragen eines Landes keine klaren Antworten geben kann, dem soll das Land keine Regierungsverantwortung übertragen. Das ist unsere Antwort darauf.
Wir bauen gemeinsam in Ost und West das Land wieder auf. Wir wenden uns Reformen zu. Wir müs-
Dr. Wolfgang Gerhardt
sen mutige Entscheidungen treffen. 17 Millionen Deutsche machen gewaltige Anstrengungen, um die neuen Länder wieder aufzubauen. Sie nehmen Risiken auf sich. Sie sind viel flexibler, als das eine lange eingeschlafene westdeutsche Gesellschaft war, die nur geglaubt hat, es gebe automatisch jährliche Wachstumsraten, und wir könnten das alles noch etwas verschönern.
Im übrigen sollten wir bei allen Daten über die wirtschaftliche Entwicklung doch nicht den größten Erfolg vergessen: In Bautzen ist niemand mehr politisch inhaftiert, und die Menschen genießen zum ersten Mal seit 1933 die Menschenrechte.
Wenn wir eine Kultur der Freiheit in Deutschland herausbilden wollen und die Menschen unserer Debatte zusehen, dann muß ich den Menschen auch sagen, was qualitativ wertvoller ist. Ist es die Ungeduld, auch noch den letzten Autobahnkilometer gebaut zu haben oder die industriellen Zentren noch gegründet zu haben? 5000 Existenzgründungen haben wir. Das ist alles wichtig, aber daß niemand mehr mit der Todesstrafe bedroht ist, niemand mehr an der Mauer erschossen wird und die Menschen Zeitungen lesen können, das ist doch der Hauptgewinn der deutschen Einheit.
Deshalb ist die Diskussion darüber, wie weit der Aufbau Ost gediehen ist und was wir alles noch nicht geschafft haben, zweitrangig gegenüber dem Freiheitsgewinn für die Deutschen. Daß 17 Millionen zum ersten Mal seit 1933 die Menschenrechte genießen, ist der Gewinn der deutschen Einheit. Dann können sich die Aufbauleistungen auch sehen lassen.
Im übrigen erinnere ich mich noch - ich war nicht Verhandlungsführer wie Wolfgang Schäuble, der es noch genauer weiß -, was mir damals über die deutsche Medienlandschaft von hervorragenden Repräsentanten aus Wirtschaft und Gesellschaft und Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Ländern vermittelt wurde. Die beschrieben mir ein Bild darüber, welche Milliardenvermögen die DDR-Wirtschaft noch habe. Es wurde eher darüber diskutiert, daß dieses Vermögen an die 17 Millionen Deutsche verteilt wird. Es wurde den westdeutschen Verhandlungsführern eher der Vorwurf gemacht, man wolle sich dessen bemächtigen. Wer die Wortprotokolle des ZK der SED liest, weiß doch, wie marode die SED die Wirtschaft gemacht hatte. Sie hat doch die Menschen dort um ihre Lebensleistung betrogen.
Dann sitzt hier eine PDS, zu der der Herr Bundespräsident, ohne sie zu nennen, eigentlich die richtigen Worte gefunden hat: Wir dürfen denen keine Chance geben, die unter Verbrämung der Geschichte ein falsches Wirgefühl entwickeln wollen.
Die Wahrheit ist, daß nicht die Treuhand die Wirtschaft der DDR ruiniert hat, sondern die SED.
Nachdem diese Truppe die Menschen seelisch zerstört, die Landschaft ökologisch ausgebeutet und die Wirtschaft vernichtet hatte, treten ihre Nachfahren heute auf und machen sich zum Sachwalter der Leistungsbereitschaft von Menschen. Nein, das können wir nicht zulassen!
Zum Wiederaufbau gehört auch ein Stück Bewältigung der Freiheit, Bewältigung der Demokratie, Risikobereitschaft, Verantwortungsbereitschaft. Zum Wiederaufbau gehört nicht eine falsche Darstellung geschichtlicher Abläufe. Ich fordere auch Verantwortliche in den neuen Ländern auf, das ihren Landsleuten, mit denen sie die gleichen Lebensbiographien teilen, endlich zu sagen. Der allererste Appell geht an Reinhard Höppner und an Manfred Stolpe und auch an Regine Hildebrandt. Das war kein Land, das die Menschen mit Freiheit segnete. Das war ein Land, in dem die Staatssicherheit alles überwucherte, in dem die Menschen unterdrückt wurden, in dem sie um den Lohn ihrer Leistungen gebracht worden sind.
Das heute so darzustellen, als sei das die kleine Welt, das kleine Biedermeier, die kleine Nische gewesen, ist falsch. Wir haben Schwierigkeiten; Freiheit ist unbequem - aber sie gibt Menschen allemal mehr Lebenschancen, als sie in der Vergangenheit, die man ihnen zugemutet hat, hatten.
Deshalb müssen wir auf den Kern zurück. Wir wollen, daß die Menschen mehr Lebenschancen erhalten. Wir wissen, daß das nur mit einer Beschäftigungspolitik geht, die Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt schafft, die durch Produkte oder Dienstleistungen dauerhaft gestützt sind.
Wir wollen, daß Jugendliche Chancen auf einen Ausbildungsplatz erhalten. Das erreichen wir aber' nur, wenn wir die mittleren und kleinen Unternehmen stärken und sie im Wettbewerb nach vorne bringen, weil sie 85 Prozent der Jugendlichen ausbilden. Wir werden nur dann dauerhafte Lebenschancen erreichen, wenn wir dort eine Wissenschafts-, Qualifizierungs- und Forschungslandschaft aufbauen. Wir wollen nämlich nicht, daß es dort nur eine verlängerte Werkbank von Produkten West gibt. Wir brauchen eine eigene Kraft zur Produktinnovation Ost. Das ist unser Ziel.
Das können wir nicht jährlich mit Haushaltsbudgets untermauern, die außerhalb jeder finanziellen Verantwortung stehen. Die Richtung stimmt aber doch.
Dr. Wolfgang Gerhardt
Zudem müssen wir uns gemeinsam bemühen, daß diese wirtschaftliche Entwicklung, die Demokratie, die Schwierigkeit, die Risikobereitschaft und auch das Risiko, scheitern zu können, überall zu den Qualitätsmerkmalen einer freiheitlichen Gesellschaft gehören. Deshalb müssen die Deutschen in West und Ost eine Denkkultur abstreifen, nach der man immer nur glaubt, der Staat könne die Probleme lösen, der Staat solle die Probleme lösen, der Staat müsse die Probleme lösen, der Staat müsse der Wegbegleiter von der Wiege bis zur Bahre sein, der Staat müsse ein permanenter Interventionsstaat sein, der Staat müsse eine große Bürokratie haben und Hilfe in allen Lebenslagen bieten. Nein, eine Demokratie ist nur so stabil, wie die vitale gesellschaftliche Kraft, die hinter der Demokratie steht.
Erst wenn dieser Aufbau gelungen ist, gibt es ein inneres Zusammenwachsen. Dann ist zusammengewachsen, was zusammengehört.
Die westdeutsche Gesellschaft hat dazu Zeit gebraucht. Wir erinnern uns, daß nach 1945 nicht innerhalb von zwei Jahren alles so war, wie man es gerne gehabt hätte. Auch wir hatten es mit radikalen Parteien zu tun. Erinnern Sie sich an die Sozialistische Reichspartei, die den Westdeutschen damals mit hohen Generälen aus der Wehrmacht vorgegaukelt hat, im Dritten Reich wäre das alles nicht so gewesen? Damals sind viele Verführer aufgetreten. Es ist aber geschafft worden, dieser Kultur Einhalt zu gebieten. Man hat sich daran gemacht, und zwar mit großem Aufwand, mit Innovation und mit Leistungs- und Risikobereitschaft, Deutschland wieder aufzubauen. Nur diese beiden Felder - ökonomischer und kulturell-gesellschaftlicher Wiederaufbau - führen ein Land zusammen.
Wir sind auf dem richtigen Weg. Sicher, wir erleiden Rückschläge, aber wir haben einiges zustande gebracht. Das hat diese Koalition damals mit mutigen Entscheidungen möglich gemacht. Sie hat den Prozeß begonnen. Er muß auch nach der Wahl fortgesetzt werden. Wir werden die Wahlen gewinnen, weil die Menschen spüren, daß es mit uns nach vorne geht und mit anderen nur rückwärts.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Dr. Gysi, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt gibt es eine Verlängerung der Redezeit, so daß Sie auch mich noch einmal anhören müssen. Sie sollten eines nicht vergessen: Ihr Fraktionsvorsitzender und Ihr Bundeskanzler haben Ihnen heute mehrfach gesagt, daß Sie die Ergebnisse der Einheit begrüßen und auf die Folgen stolz sein sollen. Ein Ergebnis der Einheit besteht darin, daß ich heute hier stehe. Also haben sie Ihnen gesagt, Sie sollten auch darauf stolz sein und nicht immer mit Häme reagieren, wenn ich zum Rednerpult komme.
Zum Entscheidenden. Herr Gerhardt, Sie haben gerade einen langen Vortrag über Ihre Politik in den neuen Bundesländern und darüber gehalten, wie erfolgreich die ist. Ehrlicherweise hätten sie dann aber auch hinzufügen müssen, daß die dort offenbar nicht sehr viel Anklang findet, denn Sie sind in keinem einzigen Landtag in den neuen Bundesländern mehr vertreten. Das sollte zu selbstkritischem Nachdenken führen und nicht nur zur Selbstgerechtigkeit.
Sie haben hier in einer übertriebenen Art und Weise über die PDS gesprochen und versucht, sie zu delegitimieren, und haben es als den entscheidenden historischen Sündenfall betrachtet, wenn man überhaupt irgend etwas mit der PDS zu tun hat. Das war der Herr Bundeskanzler, und das war auch der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU. Ich will Ihnen dazu etwas sagen. Ich habe überhaupt nichts dagegen, daß Sie die SED scharf kritisieren, daß Sie die PDS scharf kritisieren und auf das Unrecht hinweisen, das durch die SED verursacht worden ist. Das ist alles wahr.
Nur, diese Art von Übertreibung, diese Art von Dämonisierung, die Sie betreiben, fällt auf Sie zurück. Es gibt doch ein Problem. Je mehr Sie das Unrecht der SED ausmalen, desto mehr waren daran natürlich auch die Parteien, mit denen Sie fusioniert haben, beteiligt. Die haben von 1949 bis 1990 mit der SED koaliert, und zwar dauerhaft. Sie haben alles mitentschieden.
Das nimmt der SED nicht die Hauptverantwortung. Aber wenn Sie dann durch Ihren Regierungssprecher so weit gehen, zwischen SED und NSDAP ein Gleichheitszeichen zu setzen, dann bedeutet das doch, daß die Parteien, mit denen Sie fusioniert haben, 40 Jahre lang mit einer Partei, die man mit der NSDAP gleichsetzen kann, koaliert haben. Sie haben keine Sekunde gezögert, ohne jede Aufarbeitung von Geschichte sie zu übernehmen. Sie müssen sich doch einmal die Folgen dessen, was Sie hier erzählen, überlegen.
Herr Schäuble hat auf seinen Freund Lothar de Maizière hingewiesen. Lothar de Maizière war Stellvertreter von Hans Modrow. Daß Hans Modrow etwas mit der SED und deren Geschichte zu tun hatte, kann doch niemand leugnen. In dem Maße, wie Sie ihn dämonisieren, machen Sie es praktisch auch Lothar de Maizière unmöglich, zu seiner eigenen Biographie und damit zu seiner Stellvertretung von Hans Modrow zu stehen.
Ich finde diesen ganzen Ansatz völlig falsch. Die berechtigte Kritik soll geäußert werden, aber die Dämonisierung fällt auf Sie zurück; denn wenn das alles so schlimm gewesen wäre, wie Sie es darstellen, hätten Sie mit den daran Beteiligten niemals fusionieren dürfen. Aber da haben Sie keine Sekunde gezögert. Deshalb sage ich Ihnen: Die Geschichte der DDR, ob Sie es wollen oder nicht, ist dadurch auch zu Ihrer
Dr. Gregor Gysi
Geschichte geworden. Dazu müssen Sie erst einmal stehen.
Der Bundeskanzler hat natürlich recht. Die internationalen Vorgänge des Jahres 1990 waren komplex und höchst kompliziert. Aber es gibt Thesen, die Sie immer in den Raum stellen, von denen ich schon gerne wissen möchte, wie die eigentlich bewiesen werden sollen. Zum Beispiel sagen Sie immer: Damals die deutsche Einheit, sonst wäre sie nie gekommen. Glauben Sie im Ernst, Jelzin hätte sie später verhindern können? Ich glaube nicht daran, daß es nur diesen einen Zeitpunkt in der Geschichte gab, wie ich überhaupt nicht glaube, daß es nicht mehrere Möglichkeiten im Verlauf der Geschichte gibt.
Glauben Sie, es ist mir damals in der Volkskammer leichtgefallen, gegen die Währungsunion zu stimmen? Was glauben Sie, was ich mir damals draußen in der DDR habe anhören müssen: daß ich den Leuten angeblich das Intershop-Geld nicht gönne. Ich habe nur darauf hingewiesen, welche Folgen eine Aufwertung von 450 Prozent hat. Ich habe darauf hingewiesen, daß selbst die rentable Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland eine solche Aufwertung niemals verkraften würde. Ich habe darauf hingewiesen, welche Arbeitslosigkeit die Folge sein wird. Da haben die CDU-Abgeordneten mich in der Volkskammer nicht nur beschimpft, sondern auch erklärt: Es wird deshalb keine Arbeitslosen in der damaligen DDR geben. Das Gegenteil war richtig.
Das ist immer das Problem: Selbst wenn Sie es als politisch richtig empfinden, machen Sie keine differenzierte Politik. Sie weisen in Wahlkämpfen nicht auf Schwierigkeiten, auf Mißerfolge hin, sondern nur auf scheinbare Erfolge. Schönfärberei - das müssen Sie von den Blockparteien gelernt haben -, das war auch die Tradition der SED. Ich dachte eigentlich, das sei endlich vorbei, und ich stelle fest, es setzt sich hier nahtlos fort.
In diesem Zusammenhang ärgern mich auch andere Bemerkungen. Wenn Fischer sagt, wir sind ein Traditionsverein, würde ich schon gerne wissen, Herr Fischer: Welche Tradition meinen Sie eigentlich? Ich stelle bei Ihnen nur fest, daß Sie jede Woche eine Tradition neu über Bord werfen. Ob das so besonders gut ist, weiß ich auch nicht.
Wenn Ihr Herr Schulz sagt, die bunte Truppe von Gysi hätte keinen Farbtupfer in diesen Bundestag gesetzt, und Sie im gleichen Atemzuge einen Antrag einbringen, der zu 70 Prozent von uns abgeschrieben ist - das kann ich Ihnen nachweisen; selbst die Fehler haben Sie mit abgeschrieben -,
dann ist das ziemlich billig. Aber deshalb können wir auch zustimmen, weil zirka 70 Prozent von uns sind.
Das Wort hat die Kollegin Anke Fuchs, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, wenn ich Ihre Worte noch einmal Revue passieren lasse, dann scheine ich mich in einem „unbändigen Wahlkampftrieb", gepaart mit „sozialistischen Hemmungen" zu befinden. So haben Sie uns Sozialdemokraten betitelt.
Ich glaube, meine Aufregung heute morgen mit den vielen Zwischenrufen kam daher, daß es mich in der Tat ärgert, wie hier durch eine Mischung von Scheinheiligkeit und Unaufrichtigkeit verhindert wird, daß wir über die Zukunft des Landes reden und über die Probleme, die wirklich auf der Tagesordnung stehen und von Ihnen nicht gelöst werden.
Ich möchte mich aber einen Augenblick Herrn Schäuble zuwenden. Ich akzeptiere, wenn er sagt, daß die akustischen Trommelfeuer aus der Nähe für ihn nicht akzeptabel seien. Wenn das so ist, entschuldige ich mich dafür.
Wir haben, wie Sie wissen, viele Jahre zusammengearbeitet. Wir haben zusammen - wenn ich daran erinnern darf - angesichts der deutschen Einheit überlegt, wie wir die Parteien zusammenbringen. Damals war ich Bundesgeschäftsführerin. Ich habe ein wenig gedacht, Ihre Aufregung über meine Zwischenrufe wäre das sonst übliche Verhalten. Es tut mir leid, ich nehme das zurück und werde mich Ihnen gegenüber anders verhalten,
aber nicht dem Bundeskanzler gegenüber, damit das klar ist. Der kann meine Zwischenrufe ab; er bekommt sie auch weiterhin. Ich bitte also um Nachsicht; ich hatte das anders eingeschätzt. Das wollte ich hier gesagt haben.
Ich wollte noch ein paar Anmerkungen zur Zukunft machen. Zugleich möchte ich für uns Sozialdemokraten festhalten - wir waren ja 1990 alle dabei -, daß es uns klar war, daß es keine Alternative gab. Hier sind wir aber doch an dem Punkt, den ich immer wieder bedauere: Es wird nämlich immer wieder gesagt: „Wir haben Fehler gemacht", aber die Politik wird nicht geändert. Es wird gesagt: „Ja, wir haben zu viele Arbeitslose", aber es gilt ein uneingeschränktes „Weiter so! ". Das ist der Vorwurf an Sie; denn Sie haben ökonomisch eigentlich fast alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte.
Anke Fuchs
Der erste Fehler war Ihr ideologischer Grundsatz: Rückgabe vor Entschädigung. Wie weit wären wir gekommen, wenn wir eine vernünftige Eigentumsordnung angestrebt und durchgesetzt hätten und nicht wegen der F.D.P. diesen Schwachsinn hätten mitmachen müssen!
Dann haben Sie gesagt: Der Markt wird alles richten. Erinnern Sie sich noch? Sie haben keine Vorkehrungen für Investitionsprogramme und keine Vorkehrungen gegen Arbeitslosigkeit getroffen. Wir haben ABM und alle anderen Instrumente erst verzögert einführen können. Während der ersten Phase haben Sie doch gedacht, der Markt werde es schon richten. Sie haben doch ökonomisch so falsch gelegen, daß wir nur mühsam einige andere Instrumente einsetzen konnten. Im Grunde ist das das Schlimme, daß Sie nach wie vor der Auffassung sind, der Markt werde es schon richten. Wenn Sie auf Grund des Druckes von außen etwas ändern müssen, tun Sie es zögerlich, halbherzig und zu spät. Dadurch können die Instrumente nicht mehr so wirken, wie sie es eigentlich könnten.
Heute ist ja nun Wahlkampf, und es gibt auch Wahl-ABM.
Wahl-ABM heißt, daß bis Ende September eingestellt wird. So sagt es auch Ihre CDU-Kollegin Frau Reichard - das habe ich gestern schon vorgetragen -: Einstellungen jetzt, und notfalls auch befristete Arbeitsverträge bis zum Wahltag. Nach dem Wahltag können alle wieder gehen.
- Das ist eine Anzeige der CDU-Kollegin Christa Reichard, mit der sie an die Wirtschaft appelliert, sie möge doch jetzt auch befristet Leute einstellen, damit die Arbeitslosenstatistik geschönt wird und damit die CDU die Wahlen gewinnt. Das hat sie gemacht. Keiner von Ihnen hat sich davon distanziert. Wir diskutieren das seit heute. Wir befinden uns also im Wahlkampf, es gibt Wahl-ABM, und es ist eigentlich bedauerlich, daß Sie nicht mit uns zusammen unser Arbeits- und Strukturförderungsgesetz durchgesetzt haben, das Perspektiven für einen öffentlich geförderten Arbeitsmarkt eröffnet hätte.
Jeder Mensch weiß, daß es auf absehbare Zeit, so sehr wir auf Investitionen und Wachstum setzen, noch einen zweiten Arbeitsmarkt geben wird. Er wird aber nur dann funktionieren, wenn man ihn verläßlich ausstattet und nicht mal hü und mal hott sagt, je nachdem, wie Herr Waigel es gerade will.
Ja, meine Damen und Herren, wir wollen mit einer neuen Politik auch ein Stück weit diesen aggressiven Egoismus überwinden und wieder mehr soziale Verantwortung einfordern. Groß geworden sind wir mit sozialer Verantwortung als Produktivitätsvorteil. Deswegen sage ich: Ja, wir Sozialdemokraten werden die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wieder ändern.
Ja, wir Sozialdemokraten werden den Kündigungsschutz wieder einführen, weil er ein Stückchen Verläßlichkeit gibt. Diese braucht man angesichts der dynamischen weltwirtschaftlichen Entwicklung und angesichts der Veränderungen, die auf uns zukommen.
- Ja, Frau Schwaetzer, Sie haben davon keine Ahnung, weil soziale Verantwortung nie Ihr Thema war. Wir wissen es aber, was das heißt.
Der Sozialstaat hat sich gerade auch in schwierigen Zeiten zu bewähren. Er ist ein positiver Faktor für die Wirtschaft. Es ist ein Jammer, daß die geistig-moralische Erneuerung dazu geführt hat, daß wir in einer Art und Weise egoistisch geworden und entsolidarisiert worden sind, daß sich die Menschen fragen, in welch ein Land sie eigentlich hineinwachsen sollen. Das muß geändert werden und das werden wir ändern, meine Damen und Herren.
Ich wollte mich mit Herrn Schäuble noch über die Frage der Ausbildungsplätze unterhalten. Ich bleibe dabei, daß man notfalls auch ein Programm schaffen muß, damit jeder junge Mann und jedes junge Mädchen einen Ausbildungsplatz bekommt und auch den Einstieg ins Erwerbsleben schafft.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß man es hinkriegen kann - und zwar nicht dadurch, daß man die Statistiken der Länder hin- und herschiebt -, daß jemand, der unter 25 Jahre alt ist, nicht arbeitslos sein muß. Da sind wir auch ein ganzes Stückchen weiter, als wir es noch vor Jahren waren.
Nun sagen Sie, die jungen Menschen sollten nicht bei Mami und Papi bleiben, sondern ein bißchen Mobilität zeigen. Das meine ich auch. Aber ist es wirklich unser Bild von Zukunft, daß wir sagen: „Wenn du zu Hause keinen Ausbildungsplatz kriegst, dann mußt du eben in den Westen gehen", wobei wir uns dann wundern, daß die Arbeitslosenzahlen niedriger werden, weil gar keine Leute mehr da sind? Das Bild, das Sie gezeichnet haben, halte ich für ein bißchen familienfeindlich. Ich wünsche mir, daß junge Leute mobil sind und in die Welt hinausgehen. Aber wir müssen doch auch vor Ort alle Anstrengungen unternehmen, die dazu beitragen, daß Menschen in ihrer Umgebung, in ihrer Heimat einen Ausbildungsplatz finden. Einen Wanderzirkus wollte ich eigentlich überhaupt nicht wieder auf den Weg bringen.
Dann ist gesagt worden, wir hätten irgendwelche Förderkonzepte nicht mitgemacht. Ich will noch einmal daran erinnern: Es war doch klar, daß die Bauwirtschaft Konjunkturlokomotive sein kann. Stellen Sie sich nur einmal vor, was in den ostdeutschen Län-
Anke Fuchs
dern noch alles an Bausubstanz in Ordnung gebracht werden kann, welches Programm wir auflegen könnten, wenn wir endlich einmal den Nachholbedarf an öffentlichen Gebäuden in Angriff nehmen würden. Damit könnten vernünftige Arbeitsplätze geschaffen werden. Wir, die Sozialdemokraten, haben zusammen mit den A-Ländern noch dafür gesorgt, daß dieses Förderkonzept aufgestockt wurde, daß noch 1 Milliarde DM draufgelegt wurde, Insofern ist es völlig falsch, wenn hier behauptet wird, daß das Förderprogramm wegen unserer Widerstände nicht so ausgelegt werden konnte, wie es eigentlich ausgelegt werden sollte.
Nun kommt plötzlich das Argument mit der Zahlungsmoral. Meine Kollegin Sabine Kaspereit hat dazu noch einen Antrag eingebracht. Die mangelnde Zahlungsmoral, die viele Pleiten in Ostdeutschland verursacht hat, ist doch auch nicht vom Himmel gefallen. Vielmehr hat sie etwas damit zu tun, was an Förderkonzepten da ist, wie die Kapitalausstattungen sind und wie liquide die öffentliche Hand, zum Beispiel eine Kommune ist, um ihre Rechnungen bezahlen zu können.
Auch ich finde das alles unerträglich. Aber man darf doch nicht so tun, als fiele das alles vom Himmel; vielmehr muß man da mit einer anderen, verläßlichen Finanzpolitik gegensteuern, damit wieder klar ist, wann welche Rechnungen bezahlt werden können.
Ich denke, die heutige Debatte hat gezeigt: Es ist Zeit, daß der Wahlkampf richtig losgeht und nicht mehr im Parlament stattfindet. Ich finde es eigentlich schade, daß wir über die Probleme, die wir haben, nicht vernünftig diskutieren konnten, sondern daß hier ein Schlagabtausch stattgefunden hat. Das war Vergangenheitsbewältigung. Es ist auch gut so, wenn eine Fraktion, die sich allmählich aus der Regierung verabschiedet, am Schluß noch einmal erzählt, wie alles so schön war. Das ist ganz in Ordnung.
Aber viel Zukunftsorientiertes war nicht dabei. Deswegen sage ich für uns: Das Wichtigste wird sein, daß wir mit einer Wirtschaftspolitik die Dynamik auslösen, die wir brauchen, um Investitionen anzuregen, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Aber das wird nicht ohne einen verläßlichen, öffentlich geförderten Arbeitsmarkt gehen.
Ich bin davon überzeugt, daß es allemal besser ist, Menschen zu beschäftigen, als sie arbeitslos zu Hause sitzen zu lassen. Da haben wir bei der Einheit unseres deutsches Staates gesündigt, indem wir die Menschen erst arbeitslos gemacht haben, statt alle Instrumente zu nutzen, um sie im Erwerbsprozeß zu belassen. Das wäre gegangen. Das haben Sie aber versäumt, meine Damen und Herren.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache und bitte um Nachsicht, daß ich keine Kurzinterventionen mehr zugelassen habe und auch bei einem Versuch von Zwischenfragen etwas unwirsch geguckt habe. Wir stehen unter einem erheblichen Zeitdruck. Vor allem die Kollegen von der F.D.P. sind unter Zeitdruck.
- Wir nehmen Rücksicht darauf, wenn Parteitage durchgeführt werden. Das ist gute Übung. Deshalb ist jetzt Schluß der Debatte, und wir kommen zu den Abstimmungen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 13/11073 und 13/10823 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Verbesserung der Zahlungsmoral, Drucksache 13/11166. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/10794 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Absatzförderung für Produkte aus Ostdeutschland, Drucksache 13/11167 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/9385 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Ilte, Ernst Bahr, Tilo Braune und weiterer Abgeordneter zur Absatzförderung für Produkte aus Ostdeutschland, Drucksache 13/11167 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/8080 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Fortsetzung der Wachstums- und Beschäftigungspolitik für die neuen Länder, Drucksache 13/11165 Buchstabe a. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/10821 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
tionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einer Neuorientierung des wirtschaftlichen Aufbaukonzepts für Ostdeutschland, Drucksache 13/11165 Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/10436 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Gruppe der PDS zu einem beschäftigungs- und bildungspolitischen Sofortprogramm für die neuen Bundesländer, Drucksache 13/ 11165 Buchstabe c. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/10290 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD zur Bekämpfung des Zahlungsverzuges im Handelsverkehr, Drucksache 13/11144. Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt.
Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Fortschritte beim Aufbau Ost durch politische Erneuerung", Drucksache 13/ 11161. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/ Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich wünsche allen, die trotz Wahlkampfs Ferien machen können, eine schöne Zeit.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 2. September 1998, 10 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.