Rede von
Dr.
Wolfgang
Schäuble
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Scharping, ich finde, wir sollten als Demokraten in diesem Lande eigentlich ein gemeinsames Interesse daran haben, Wahlkampf nicht als etwas Schlechtes darzustellen, sondern wir sollten sagen, daß auch das zur Demokratie gehört.
Wahlkampf bedeutet nicht, daß man eine derartig persönlich verletzende Rede halten muß, wie Sie es gerade getan haben, Herr Kollege Scharping.
- Hören Sie mir einen Moment zu! Dann wird es sowieso unruhig werden!
Sie haben gesagt, wir sollten uns doch einmal gemeinsam der Frage zuwenden, wie es mit der DVU in Sachsen-Anhalt sei. Das gehört zu den Dingen, die mich in diesen Tagen mehr empört haben als andere. Man hat ja genügend Grund, sich über vieles zu ärgern. - Im Landtag von Sachsen-Anhalt ist am vergangenen Freitag über die Frage abgestimmt worden, wie der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt in Zukunft personell auszustatten ist. Da gab es zwei Anträge: einen Antrag der CDU-Fraktion, den Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt - Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus, Linksextremismus - unverändert zu lassen, und einen Antrag der DVU - nicht sehr überraschend -, das Personal des Verfassungsschutzes in Sachsen-Anhalt deutlich abzubauen. - Herr Scharping, das verdient Ihre Aufmerksamkeit; das erfordert auch Ihre Antwort.
Dann hat die PDS, Herr Kollege Gysi, zusammen mit der DVU für eine Kürzung beim Verfassungsschutz gestimmt. Das ergibt noch keine Mehrheit. Aber die SPD hat sich der Stimme enthalten, damit PDS und DVU die Mehrheit für die Kürzung beim Verfassungsschutz bekommen. Das ist ein schlimmer Skandal in Deutschland!
Das entlarvt alle Ihre Lippenbekenntnisse zur Bekämpfung von Extremismus in Deutschland als verlogene Heuchelei!
Daß die Sozialdemokraten so verkommen sind, daß sie es PDS und DVU durch Stimmenthaltung ermöglichen, daß diese zusammen in Sachsen-Anhalt die Mehrheit im Landtag zum Abbau des Verfassungsschutzes haben, ist ein schlimmer Skandal. Das spricht Ihrer Rede hohn; es widerlegt Ihre Rede.
Da können Sie lange von der Gemeinsamkeit der Demokraten reden und Krokodilstränen darüber vergießen, daß man den Extremismus bekämpfen müsse. Solange man mit denen gemeinsame Sache macht, muß man den Vorwurf der Heuchelei und den Vorwurf, daß einem die Bekämpfung des Extremismus weniger wichtig als die gemeinsame Verantwortung der Demokraten ist, hinnehmen.
Dr. Wolfgang Schäuble
- Das ist die Wahrheit, und die Wahrheit tut weh. Aber sie muß hier ausgesprochen werden. Auch das gehört zur Lage in Deutschland.
- Auch das ist wahr. Deshalb ist es völlig in Ordnung.
Gleich das nächste: Der Bundeskanzler hat daran erinnert, am Mittwoch der kommenden Woche jährt sich zum achten Male das Inkrafttreten der Wirtschafts- und Währungsunion.
- Frau Kollegin Fuchs, Sie könnten mir einen Moment den Gefallen tun, nicht so viele Zwischenrufe zu machen. Wenn das Publikum Sie hören könnte, würde es die Dümmlichkeit dieser Zwischenrufe erkennen und ein besseres Verständnis dafür haben, warum sie mich ärgern.
Das ist eigentlich schade; das ist doch unter Ihrem Niveau.
Der Kollege Scharping hat davon gesprochen, das sei im Jahre 1990 alles nur Wahlkampf gewesen. Das war ja der Anfang seiner persönlichen Angriffe auf den Bundeskanzler. Im Zusammenhang mit dem Datum 1. Juli habe ich meine Erinnerungen; ich hatte ja damals damit zu tun. Was war denn eigentlich im Wahlkampf zum Beispiel in Niedersachsen im Frühsommer 1990?
Ihrem damaligen Kanzlerkandidaten und heutigem Parteivorsitzenden ist doch nach dem Fall der Mauer nichts Dümmeres eingefallen, als die Abschaffung des Aufnahmeverfahrens für die Übersiedler zu fordern. Das war schlimmste Demagogie. So, wie Sie im Jahr 1996 im Landtagswahlkampf von Baden-Württemberg gegen die Aussiedler Propaganda gemacht haben, hatten Sie seinerzeit auch gegen die Übersiedler aus der damaligen DDR Stimmung gemacht.
Es war unsere Entscheidung ein paar Tage nach der Wahl vom 18. März 1990, der ersten und einzigen freien Wahl in der damaligen DDR, die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zum 1. Juli 1990 einzuführen und bis dahin das Aufnahmeverfahren für die Übersiedler nicht abzuschaffen, obwohl in den Meinungsumfragen 80 Prozent der Befragten dagegen waren. Sie müssen uns nicht belehren, daß wir für die deutsche Einheit auch ungünstige Meinungsumfragen in Kauf genommen haben. Wir haben doch den Kopf hingehalten, um die deutsche Einheit überhaupt zu ermöglichen, während Sie zu feige und zu schofel waren, um darauf zu verzichten, billige Emotionen zu schüren.
Wenn Sie schon vom Wahlkampf 1990 reden, muß Ihnen dies entgegengehalten werden.
- Das ist die historische Wahrheit. Wir können hier lange historische Auseinandersetzungen führen. Aber Sie werden hier sicher nicht erzählen wollen, daß das, was ich gesagt habe, falsch ist. Sie können alle Akten nachlesen. Wenn zwei deutsche Politiker auch in den Unterlagen des SED-Archivs und der Stasi nicht mit einer einzigen verfänglichen Aussage dergestalt erwähnt sind, daß sie sich jemals mit den damaligen Führern des SED-Unrechtsstaats gemein gemacht hätten, dann sind es der Bundeskanzler Helmut Kohl und derjenige, der im Augenblick das Wort im Deutschen Bundestag hat. Das kann man in allen Akten nachlesen. Deswegen brauchen wir von Ihnen nun wirklich keine Ermahnungen.
Ich will den Brief, den Herr Schröder an Herrn Krenz geschrieben hat, gar nicht weiter erwähnen. Herr Schulz, Sie haben die Küsserei erwähnt. Wir haben niemanden geküßt;
das war immer klar. Deswegen brauchen Sie das nicht zu verwischen.
- Ja, das hätten Sie gern, damit Sie Ihre Lügen hier noch weiter verbreiten können. Das ist ja nun das Tollste. Wir haben den Besuch von Honecker in der Bundesrepublik Deutschland im September - -
- Ach was, reden Sie doch nicht so einen Blödsinn. Wenn Sie noch einen Sinn für deutsche Politik haben, dann müssen Sie das wissen.
Eigentlich sollten wir mehr über die Zukunft reden. Aber wenn hier Geschichtsfälschung versucht wird,
muß man das sagen. Was wir an Politik zur Überwindung der deutschen Teilung in den 80er Jahren tun konnten, haben wir getan. Niemand wußte Mitte der 80er Jahre, daß die Wiedervereinigung kommt und daß 1989 die Mauer fällt.
Aber was wir tun konnten und was wir, der Bundeskanzler und seine Regierung, besser getan haben, als Sie es für möglich gehalten haben, war, die Mauer durchlässiger zu machen und den Reiseverkehr in Deutschland in Größenordnungen voranzubringen, die vorher für unmöglich gehalten worden sind. Spätere Historiker werden noch einmal genau untersuchen, wieviel die Tatsache, daß in den Jahren 1986, 1987, 1988 Millionen Besucher aus der DDR - nicht nur im Rentenalter, sondern zunehmend auch jüngere - in der Bundesrepublik waren, dazu beigetra-
Dr. Wolfgang Schäuble
gen hat, daß es 1989 zu einer friedlichen Wende in der DDR gekommen ist. So einfach ist die Wahrheit.
In diese Politik mußte eingeordnet werden und war es richtig, daß im Zusammenhang mit dem Besuch Honeckers der Bundeskanzler vor laufenden Fernsehkameras die in Ost und West bekannte Rede gehalten hat. Die Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen; aber sie war richtig. Wer heute so blöd ist, zu sagen, man habe den roten Teppich ausgerollt, hat heute noch nicht verstanden, wie man mit Teilung und Einheit umgehen mußte.
Aber weil wir gerade dabei sind: Einen der beiden, die der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion im Bundesrat nicht zugestimmt haben, hätte ich heute schon gern hier gesehen. Gut, Herr Lafontaine war beim letztenmal da. Er wird einen Grund haben, heute nicht hier zu sein. Aber, meine Damen und Herren, manchmal muß man Texte lesen. Gestern gab es eine Meldung der Agentur „AP" von 12.55 Uhr.
In ihr ging es um eine Aussage von SPD-Sprecher Michael Donnermeyer. So muß er wohl heißen.
- Gibt es ihn oder nicht? Sie Zwischenrufer, können Sie mir bestätigen, ob es einen SPD-Sprecher Donnermeyer gibt?
- Es gibt ihn also.
In der „AP"-Meldung von 12.55 Uhr heißt es:
SPD-Sprecher Michael Donnermeyer bestätigte auf Anfrage, daß Schröder
- in der Bundestagsdebatte zur deutschen Einheit - ebenfalls eine Rede halten werde.
16.37 Uhr, „AP":
„SPD-Sprecher Michael Donnermeyer sagte am Mittwoch, der niedersächsische Ministerpräsident"
- hören Sie gut zu, Sie werden Ihre Freude haben - „sei entgegen der ursprünglichen Planung" - offenbar wollte er tatsächlich kommen - „verhindert, weil er sich auf eine Landtagssondersitzung vorbereiten
müsse. Die Sitzung findet am Mittwoch kommender Woche statt. "
- Nein, nein, Frau Fuchs.
Um es freundlich zu sagen: Wenn ich so schwache Karten hätte wie Ministerpräsident Schröder mit seiner miserablen Bilanz in Niedersachsen, würde ich mich auch auf jede Landtagsdebatte intensiv vorbereiten, zumal wenn ich einen so starken Oppositionsführer wie Christian Wulff hätte.
Wenn ich es unfreundlicher sagen wollte, würde ich sagen: Wenn man so dümmliche Ausreden hat, ist die Lüge ganz offensichtlich. Sie ist geradezu auf die Stirn geschrieben. Nein, er kneift. Er hat keine Argumente.
- Was will man denn machen, wenn Sie dauernd dazwischenrufen?
Herr Schwanitz, ich kann verstehen, daß Sie sich freuen, daß Sie in der Gruppenveranstaltung dabei sind. Herrn Thierse freut es weniger; deswegen ist er auch nicht hier. Sie sollten aber einmal einen Moment über folgendes nachdenken: Herrn Schröder sind alle Inhalte Wurst. Er vertritt zu jeder Frage jede Position und das Gegenteil.
Genauso geht er auch mit der Frage um, wie dieses Land künftig womöglich regiert werden soll. Die Frage, mit welcher Koalition dieses Land regiert werden soll, ist ihm auch Wurst. Er weicht aus.
Die Frage der Personen behandelt er in einer Weise, für die Sie sich schämen sollten. Sie sollten sich das nicht gefallen lassen. Frau Bergmann hat er als zuständig für „Frauen und das andere Gedöns" genannt. Das ist schon toll. Was würden Sie eigentlich sagen, wenn einer von uns so reden würde? Schämen Sie sich nicht?
Frau Bulmahn hat er für Wissenschaft und Forschung genannt. Außerdem hat er Herrn Biester genannt. Dieser hat dann ein Interview gegeben, und inzwischen ist Sendepause. Denn da hat man festgestellt, daß er irgend etwas Konkretes gesagt hat, und das paßte dann auch wieder nicht.
Jetzt haben Sie jemanden für Wirtschaft benannt. Er hat erklärt, er wolle außerdem für Wissenschaft
Dr. Wolfgang Schäuble
und Forschung zuständig werden. Dafür haben wir aber auch schon Frau Bulmahn. Ja, wer denn nun?
- Ich rede davon, wie Ihr Kanzlerkandidat mit Sache, Personen und Inhalten umgeht.
- Nein, nein. Es tut weh. Sie können aber machen, was Sie wollen: Es wird hier gesagt werden. So viel Redefreiheit haben wir in Deutschland noch, solange nicht die PDS in Deutschland die Politik bestimmt.
Dieser Mann erklärt, er halte nichts vom Bündnis für Arbeit.
Dieser Mann erklärt, das Parteiprogramm der SPD habe er zu Hause, habe es aber nicht gelesen. Das hat er nicht; das ist offensichtlich. Sonst hätte er vielleicht auch gar nicht ja gesagt. Das mag alles sein. Dann sagt er, er sei stolz, daß er in seiner Firma, bevor er sie verkauft hat, nie einen Betriebsrat eingeführt habe, und das Betriebsverfassungsgesetz sei sowieso einer der größten Standortnachteile in Deutschland.
Ich sage: Das wird nicht Politik der Christlich Demokratischen Union. Es wird auch nicht Politik der SPD. Aber es ist eine Schande für Sie, daß Ihr Kanzlerkandidat mit Sache und Inhalten so wurstig umgeht. Ihm ist alles egal, Hauptsache, Kamera und Musik stimmen, und die Scheinwerfer sind an, sonst gar nichts!
Herr Kollege Scharping, Herr Kollege Schulz und Herr Kollege Schwanitz, offenbar gibt es sogar in dieser Debatte in ein paar Punkten Übereinstimmung.
Dann wollen wir diese Übereinstimmung doch einmal genauer untersuchen. Versuchen wir herauszufinden, wo die Unterschiede sind und worüber man argumentieren muß.
- Herrschaften noch einmal! Wenn man Ihnen die Erklärungen des Pressesprechers der SPD vorliest, beklagen Sie sich über den Stil.
Daß Sie sich schämen, das glaube ich. In Ihren Reihen sind einige, die sich über die Wurstigkeit, mit
der Ihr Kanzlerkandidat mit Sache und Personen um-
geht, schämen. Deswegen wollen Sie nicht, daß das hier gesagt wird; aber es muß schon gesagt werden.
- Wenn Sie noch einmal dazwischenrufen, erzähle ich die ganze Geschichte noch einmal. Ich sage es Ihnen!
Damit das völlig klar ist: Mich schüchtern Sie nicht ein.
Ich finde es erbärmlich. Ich sage es noch einmal: Ich habe ja verstanden - -
- Das ist schon in Ordnung.
- Frau Präsidentin, wollen wir einmal eine Minute schweigen, damit die Frau Fuchs gehört wird?
- Ja, ich wiederhole das. Ich finde es unglaublich: Sieben oder acht Jahre nach der deutschen Einheit reden wir - da gibt es sogar Übereinstimmung - darüber, daß viel erreicht worden ist. Es gibt große Erfolge; übrigens sind es in erster Linie die Erfolge der Menschen. Auch in diesem Punkt haben wir ein gemeinsames Verständnis.
Wir reden darüber, daß viele große Aufgaben vor uns liegen.
- Aber ich rede doch die ganze Zeit darüber. Sie hören mir gar nicht zu.
Man muß es den Fernsehzuschauern einmal sagen, Frau Kollegin Fuchs.
- Nein, nein. Machen Sie sich gar keine Hoffnung! Das wird alles bekannt. Die Frau Abgeordnete Fuchs redet jetzt seit 20 Minuten permanent - ein Zwischenruf nach dem anderen. Das ist ein permanentes Trommelfeuer, das im Fernsehen nicht übertragen wird, das aber im Bundestag den Redner am Reden hindern soll, was Ihnen aber nicht gelingen wird. Aber es spricht gegen Sie und Ihre Position.
Dr. Wolfgang Schäuble
Sie setzen sich ja auch auf den Platz, der in diesem großen Plenarsaal des Deutschen Bundestages dem Rednerpult am nächsten ist. Damit das klar ist: Wir haben einen viel größeren Abstand, wenn Sie von dieser Stelle aus reden. Sie sitzen bewußt auf dem Sitz, der mir am nächsten ist.
Das wird jetzt alles einmal gesagt.
Ich sage es noch einmal: Wir reden darüber, was erreicht worden ist, was wir in Deutschland für Veränderungen haben, was die Menschen in Ost und West in Deutschland an Veränderungen aushalten müssen, was sie gemeistert haben und wie wir vorangekommen sind. Und dann kommen Sie mit einem Kanzlerkandidaten, dem zur Sache wie zur Person alles Wurst ist! Ihn interessiert nichts außer der Tatsache, mit welcher Kameraeinstellung er beim Publikum Eindruck möglicherweise machen kann.
Substanzielles findet ja nicht statt. Denn sonst kann man nicht eine „Ministerin für Frauen und andere Fragen" vorstellen und in einer Erklärung veröffentlichen: „Ministerin für Frauen und das andere Gedöns". Denn sonst kann man nicht einen Menschen als Wirtschaftsminister hinstellen, dessen Übereinstimmung mit den eigenen Positionen offenbar gegen Null tendiert.
Ich habe gar nichts gegen den Mann, ich kenne ihn nicht. Ich will ihn auch gar nicht kritisieren; vielleicht ist er im politischen Geschäft ein bißchen unerfahren. Ich finde, Herr Schröder verrät ein Maß an Verantwortungslosigkeit im Umgang mit dem künftigen politischen Schicksal - zur Sache, zur Person wie zu den politischen Konstellationen in diesem Lande -, das einmal benannt werden muß, damit Deutschland nicht am 27. September einen Fehler macht. Auch darum geht es im Wahlkampf.
Paul Krüger hat die Veränderungen, die Erfolge, die Schwierigkeiten, die Herausforderungen, das, was die Menschen geschafft haben, und das, was sie aushalten mußten - 80 Prozent aller Arbeitsplätze sind weggefallen, die meisten, aber nicht genug, inzwischen neu geschaffen -, beschrieben. Das sind ungeheure Erfolge; Ungeheures ist geleistet worden. Aber natürlich muß manches die Menschen quälen; natürlich gibt es ein Potential für viele Sorgen, Beunruhigung und Verunsicherung. Das ist klar; das ist alles richtig. Deswegen ist es auch in Ordnung, wenn der Kollege Scharping sagt, es sei viel erreicht worden. Die Menschen haben viel geschafft, und darum kann die Politik gar nicht so ganz falsch gewesen sein, wie gesagt worden ist. Darüber kann man vernünftig reden: Wo ist der richtige Weg, und was muß weiter getan werden? Nur, wenn man im ersten Satz sagt, es ist viel erreicht worden, dann aber alles herunterredet und schlechtmacht, geht man den falschen Weg.
Deswegen sage ich: Wir leben in einer Zeit großer Veränderungen und Herausforderungen. Der Bundeskanzler hat davon gesprochen, es wird in der Zukunft auch so sein, die Welt verändert sich, die sozialen Verhältnisse in unserem Land, der Arbeitsmarkt, die technologische Situation verändern sich, und die Menschen im Osten müssen schneller und in kürzerer Zeit größere Veränderungen bewältigen. Sie haben sie besser bewältigt, als sich das die meisten im Westen vorstellen können.
Aber wenn das so ist, wenn man große Veränderungen und Herausforderungen bewältigen will, muß man auch ein wenig Mut machen. Es ist ja eine berühmte Geschichte, daß man sagt, das Glas ist leer. Wenn man Herrn Scharping und die anderen reden hört, dann ist das Glas völlig trocken, da ist überhaupt kein Wasser drin. Das Glas ist zwar nicht ganz voll, das sagt ja auch keiner, aber es ist doch eine ganze Menge drin. Man muß zwischendurch auch ein wenig Mut machen und Zuversicht geben, damit es die richtige Mischung wird, und man sollte bei der Wahrheit bleiben.
Jetzt reden wir mal über die Jugendarbeitslosigkeit. Kurt Biedenkopf, den Sie ja - wie wir schon lange - inzwischen auch sehr schätzen, oder vielleicht inzwischen schon wieder nicht mehr so arg -
- Frau Fuchs, ich schätze Kurt Biedenkopf sehr. Das ist genau Ihr Fehler: Sie setzen sachliche Meinungsunterschiede, die es in jeder Partei gibt, mit persönlicher Geringschätzung gleich. Das ist etwas völlig Unterschiedliches. Ich habe immer eine hohe Meinung von Kurt Biedenkopf gehabt.
Ich bin nicht in jeder Frage mit ihm einer Meinung. Kürzlich war er hier, Lafontaine hat auch gesprochen, und da hat Biedenkopf ja etwas gesagt, was Herrn Lafontaine gar nicht gefallen hat. Er hat gesagt: Wie kommen Sie eigentlich dazu, alle neuen Länder über einen Leisten zu scheren? Wir haben Föderalismus, wir haben unterschiedliche Ergebnisse.
Sie haben da ein paar Krokodilstränen über Jugendarbeitslosigkeit vergossen. Nun hat mir ein Kollege gerade noch liebenswürdigerweise die Statistik gegeben, wieviel Arbeitslosigkeit wir bei den Personen unter 20 Jahren in den einzelnen Bundesländern haben. Der Bundeskanzler hat schon gesagt, die geringste ist in Bayern, die zweitgeringste in Baden-Württemberg. So ungefähr sind die beiden Spitzenplätze immer besetzt; manchmal, Herr CSU-Vorsitzender, ist auch Baden-Württemberg auf Platz eins, aber es ist in Ordnung, jedenfalls Bayern und Baden-Württemberg.
Dr. Wolfgang Schäuble
Aber jetzt schauen Sie mal: Sachsen, der Freistaat, in dem Kurt Biedenkopf Ministerpräsident ist, hat eine Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen unter 20 Jahren von 10,2 Prozent. Damit liegt er unter Niedersachsen, die haben nämlich 10,3 Prozent. Thüringen hat 10,4 Prozent und liegt damit beispielsweise unter dem Saarland mit 10,8 Prozent.
Also, nun hören Sie mal auf, machen Sie mal Ihre eigenen Sachen, und machen Sie die neuen Länder nicht alle mies. Da ist eine Menge Gutes zustande gebracht worden!
Paul Krüger hat daran erinnert, daß wir in den neuen Ländern - bei all diesen gewaltigen Schwierigkeiten und bei dieser in manchen Regionen, zum Beispiel im Süden von Sachsen-Anhalt, in Teilen von Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg aus strukturellen Gründen viel zu hohen Arbeitslosigkeit - gleichwohl insgesamt heute schon eine Erwerbstätigenquote haben, die vergleichbar mit der im Westen ist. Das reicht nicht aus, das hat Paul Krüger beschrieben. Ich möchte aber doch darauf aufmerksam machen, damit nicht das, was an Sachlichem in dieser Debatte richtig und gut gesagt worden ist, so ganz in den Hintergrund gedrängt wird.
Wir sind also auf dem richtigen Weg. Der Weg muß fortgesetzt werden. Man muß zwischendurch auch mal Mut machen, indem man von Erfolgen redet, nicht, um die Probleme zu verharmlosen, sondern um zu sagen, es kommt voran. Wir haben vor 14 Tagen in der Debatte darüber geredet. Der Bausektor mußte in den ersten Jahren in den neuen Ländern die Lokomotivfunktion übernehmen. Wir mußten ja auch die Infrastruktur, die Wohnungsbauinfrastruktur machen. Jetzt kann der Bausektor in der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nicht mehr die Bedeutung haben wie in den ersten Jahren. Deswegen muß jetzt der industrielle Sektor - Fahrzeugbau, Werkzeugmaschinenbau, chemische Industrie - diese Funktion übernehmen. Bei diesem Wechsel gibt es auch Brüche. Aber wenn wir jetzt im industriellen Bereich im Durchschnitt der neuen Länder insgesamt zweistellige Wachstumsraten haben, und die haben wir, dann sind wir auf dem richtigen Weg. Das darf man nicht kleinreden, sondern man muß sagen: Die Anstrengungen lohnen sich, und auf diesem Weg werden wir weiterhin die Folgen der deutschen Teilung überwinden.
Was machen Sie? Die SPD hatte mal in Baden-Württemberg einen Repräsentanten, Erhard Eppler, der in vielen Dingen sehr engagiert war. Aber der hatte so etwas an sich, wovon, ich glaube, Herbert Wehner gesagt hat: Der ärgert sich, wenn er sich freut. - Ich will weder über Herbert Wehner noch über Erhard Eppler irgend etwas Unfreundliches sagen. Es soll ja wieder etwas lockerer werden. Aber Sie kommen mir vor, wenn Sie so reden -
- Sie von der Opposition, von SPD, Grünen und PDS.
- Das ist ja wunderbar. - In den Reden, die Sie heute gehalten haben, und auch sonst kommen Sie mir vor, als ob Ihnen jeder Erfolg in den neuen Ländern im Grunde genommen gar nicht recht ist. Statt dessen machen Sie ihn gleich wieder kaputt.
Ich sage ja nicht, die Probleme seien gelöst. Das haben der Bundeskanzler und auch Paul Krüger nicht gesagt; das kann keiner sagen. Aber es ist doch schön, daß die Arbeitslosigkeit jetzt auch in den neuen Ländern zurückgeht und wir 50 Prozent mehr offene Stellen als vor einem Jahr haben. Das ist doch eine gute Nachricht. Ebenso ist die Tatsache, daß wir in den industriellen Schlüsselbereichen ein zweistelliges Wachstum verzeichnen, eine gute Nachricht. Aber was machen Sie? Sie sagen, daß sei nur darauf zurückzuführen, daß wir faule Tricks bei AB-Maßnahmen gemacht haben. Damit betreiben Sie, insbesondere die Zwischenruferin, die von „Wahl-ABM" gesprochen hat,
eine wüste Brunnenvergiftung. Natürlich sagen das manche. Aber man kann doch auch die Wahrheit sagen.
Ich habe hier einen Vermerk. Wenn der Bundesfinanzminister es erlaubt, sage ich gleich dazu, von wem er unterschrieben wurde. Manche Staatssekretäre wirken ja in ihrer besonderen Korrektheit in der politischen Auseinandersetzung vielleicht noch glaubwürdiger als manche Menschen, die politische Funktionen haben.
Der Vermerk wurde also vom Staatssekretär Dr. Overhaus unterschrieben. Er ist ein hochqualifizierter Mensch, der allen, die mit ihm zu tun haben, notwendigerweise auch auf die Nerven gehen muß, weil Geld knapp ist. Sonst hätten wir, Herr Bundesfinanzminister, im übrigen nicht eine so erfolgreiche Finanzpolitik und eine so stabile Währung.
In dem Vermerk vom 25. Juni 1998, unterschrieben von Herrn Dr. Overhaus, den ich sehr schätze und dem ich bei dieser Gelegenheit mit allen seinen Mitarbeitern auch einmal unseren Dank für die solide Finanz- und Haushaltspolitik aussprechen möchte,
steht:
Der Eingliederungstitel im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit, aus denen die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik hauptsächlich finanziert werden, wird 1999 mit 25,3 Milliarden DM das gleiche Volumen haben wie 1998. Daneben
Dr. Wolfgang Schäuble
wird auch das Programm für Langzeitarbeitslose unverändert fortgesetzt.
Die Bundesregierung stellt ja gerade den Haushalt auf, so daß Sie es noch nicht wissen konnten, aber jetzt sage ich es Ihnen.
Der Haushalt wird in 14 Tagen vorgestellt. Es wird Anfang September darüber noch eine Debatte geben. Meine Bitte ist: Wiederholen Sie diese wahrheitswidrigen Behauptungen, die durch meine Mitteilung jetzt widerlegt sind, nicht, sondern verbreiten Sie die frohe Botschaft, daß es in den neuen Ländern wirtschaftlich bergauf geht und wir gut vorankommen. Wir werden auch, solange wir die hohe Arbeitslosigkeit haben, die notwendigen flankierenden Mittel für den zweiten Arbeitsmarkt aufbringen und die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik aufrechterhalten.
Jetzt sage ich Ihnen noch ein Drittes, das bei allem Lob auch gesagt werden muß: Mir hat in diesen Tagen der Vorstandsvorsitzende einer großen Einzelhandelskette in einem Gespräch gesagt - das gebe ich jetzt ganz korrekt wieder, so wie ich es gehört habe -: Sie zahlen für Auszubildende im ersten Lehrjahr 1 080 DM Ausbildungsvergütung. Das ist nicht überragend, aber im ersten Lehrjahr auch nicht schlecht. Aber sie kriegen ihre Ausbildungsplätze für Verkäuferinnen und Verkäufer in Westdeutschland nicht besetzt. Sie machen Aktionen in den neuen Bundesländern, in Regionen mit besonders hoher Arbeitslosigkeit. Dort werben sie: Kommt nach Köln, nach Frankfurt oder wohin auch immer; wir bieten euch Ausbildungsplätze an, sorgen auch für Unterbringung - da gibt es Kolpinghäuser und anderes; das hat Tradition - und kümmern uns sogar um eine gewisse Betreuung der Auszubildenden, wenn sie nicht bei ihren Eltern sein können. Das Resultat ist, daß sie nicht genügend in den neuen Ländern finden, die bereit sind, dieses Angebot an Ausbildungsplätzen anzunehmen.
In dieser Debatte zur deutschen Einheit sage ich: Wir müssen unseren jungen Landsleuten überall, in Schleswig-Holstein, in Baden-Württemberg, aber auch in Thüringen und Sachsen-Anhalt, sagen: Bitte nehmt die Angebote, die euch gemacht werden, an. Es bleibt eine gemeinsame Anstrengung. Die Bereitstellung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen ist nicht eine Bringschuld der Politik, sondern das Ergebnis gemeinsamer Anstrengungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern; auch das muß in Deutschland einmal gesagt werden.