Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, guten Morgen. Die Sitzung ist eröffnet.
Wir setzen die Aussprache zum Haushalt 1994 fort. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die heutige Aussprache viereinhalb Stunden vorgesehen. — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält der Bundesminister des Innern, Herr Kanther.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Verehrte Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung sieht in der Gewährleistung und Verstärkung der inneren Sicherheit eine ihrer wichtigsten Aufgaben.Trotz aller Anstrengungen haben viele Menschen Angst vor zunehmender Kriminalität und dazu leider auch Anlaß. Die Zahl der Straftaten ist 1992 auf 6,3 Millionen Fälle angestiegen; die Aufklärungsquote ist auf 42 % gesunken; und es gibt immer neue und brutalere Verbrechensformen.Dennoch und zu Beginn: Niemand darf einen Popanz aufbauen und den Menschen zusätzlich undifferenziert Sorge bereiten. Es hat nie eine kriminalitätsfreie Gesellschaft gegeben, und auch wir werden das nicht schaffen. Aber die Bundesregierung wird an der Verbesserung der inneren Sicherheit unermüdlich weiterarbeiten.
Dazu brauchen wir Entschiedenheit, Nüchternheit, Kreativität und Gemeinsamkeit im Kampf gegen Rechtsbruch und Kriminalität; ich füge hinzu: allerdings nicht in Sonntagsreden, sondern in Taten.
Wer die innere Sicherheit entschlossen schützen will, darf daran keineswegs allein polizeilich-handwerklich herangehen. Die Besserung der Verhältnisse muß zuallererst auch dadurch versucht werden, daß die Gesellschaft ein geeignetes geistiges Umfeld für eine entschiedene Sicherung von Gesetz und Recht bietet.
Das war in den letzten zwei Jahrzehnten in Deutschland nicht bei allen gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen der Fall.Unentbehrliche Wertbegriffe des Zusammenlebens sind flau geworden, sogenannte Sekundärtugenden bildeten Anlaß zum Spott, staatliche Institutionen waren bevorzugt Kritikgegenstand, Konfliktbesessenheit hat tragende Ordnungselemente der Gesellschaft abgewertet, und zu selten war in der Sicherheitsdebatte von den Opfern, oft allzu einseitig von der Befindlichkeit der Täter die Rede.
Nicht selten war der öffentliche Beifall auf der Seite derjenigen, die mit glänzenden, aber leeren Worthülsen ihr eigenes Widerstandsrecht und ihren privaten Gewaltbegriff zusammengebastelt hatten.
Unsere Politik muß, möglichst breit verankert, Wertbegriffe neu beleben, Erziehung zu Rechtstreue hochschätzen und Institutionen in Familie, Gesellschaft und Staat ihre Bedeutung und Würde lassen oder neu verleihen.Ein Teil der gesellschaflichen Realität spiegelt sich in der Wirkung von Gewaltszenen im Fernsehen wider.
Wenn nach einer Schätzung amerikanischer Psychologen ein Zwölfähriger schon 18 000 Morde auf der Mattschreibe gesehen hat, dann braucht es doch nicht viel Phantasie, sich vorzustellen, daß die Wirkungen des Mediums nicht von Schule oder Familie ausgeglichen werden können.
Hier ist Verantwortung der Macher angesagt.
— Als ob denn bitte in den öffentlichen Medien das sehr viel anders gewesen wäre!
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15010 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Bundesminister Manfred KantherEine leichte Besserung ist zu sehen.
Andere müssen sich ebenso bessern.
Ich setze ausdrücklich nicht auf den Knüppel des Staates, sondern auf die Einsicht der Macher. Wenn es eine intellektuelle Verantwortung in den Medien gibt, muß sie an dieser Stelle geübt werden.
Dieses Beispiel zeigt auch die begrenzte Reichweite von gesetzlichen oder strafrechtlichen Eingriffen überhaupt. Die Gesellschaft — auch jeder einzelne Bürger — trägt in vielen ihrer Glieder Verantwortung für innere Sicherheit. Politik ist nicht allmächtig. Es ist wichtig, auf unsere Grenzen hinzuweisen.Diese Bemerkung gehört an den Anfang unserer Diskussion, damit sie sich nicht in Paragraphenreiterei erschöpft. Aber was die Architekten der Gesellschaft nicht richtig berechnen, werden die Handwerker des Sicherheitssektors nicht ausgleichen können.Konkret wächst ein Mehr an innerer Sicherheit aus vielen Bausteinen, nicht aus einem Einzelakt. Es gibt nicht den Königsweg in die verbrechensfreie Gesellschaft, kein Allheilmittel, und es gibt kein Parteienmonopol dafür. Bei allem Ringen um die Richtigkeit von Einzelfragen ist innere Sicherheit ein solches Urthema des Staates, daß seine Träger alle dazu aufgefordert sind, an ihr zu bauen. Das muß natürlich zuerst die Koalition in diesem Hause tun.
— Jedermann weiß, daß wir uns noch nicht in allen Einzelfragen einig sind; aber wir werden das leisten.Die Bundesregierung weiß sich in ihrem Streben nach Verbesserung der inneren Sicherheit
allerdings auch in dem Bewußtsein, daß die Mitwirkung der SPD, die in elf von sechzehn Bundesländern wesentliche Regierungsverantwortung trägt,
unerläßlich ist und daß die SPD dort praktische Sicherheitsverantwortung trägt, der sie gewiß nur einheitlich gerecht werden kann.Gemeinsamkeit bedeutet allerdings nicht so verwaschene Kompromisse, daß sie schließlich in der Praxis für nichts mehr taugen.
Wenn wir jetzt die Vorstellungen von Bundestag und Bundesrat beim Geldwäschegesetz übereinbringen müssen und wenn wir eine neue Kronzeugenregelung im Bereich der organisierten Kriminalität wollen, die nicht so viele Hemmnisse bei ihrer Geburt haben darf, daß sie hinterher nicht mehr wirkt, müssen wir uns daran erinnern, daß das in Arbeit befindiche Bund-Länder-Sicherheitsprogramm nicht nur Wortkompromisse formulieren darf, sondern Handlungskatalog für Bund und Länder gleichermaßen sein muß.Für die Bundesregierung ist Verbrechensbekämpfung ein ständiger innovativer Vorgang, in dem die Mittel des Staates stets neu auf das Ausmaß der Bedrohung eingerichtet werden müssen. Das erfordert sehr viel geistige Beweglichkeit und Verantwortungsbewußtsein.Es ist deshalb kein Abgehen von Grundsatzpositionen, wenn man früher selbstgeschaffene Gesetze deshalb verändert, weil sie heute nicht mehr hinreichend greifen, und neue schafft.Die Rahmenbedingungen der Verbrechensbekämpfung haben sich leider im letzten Jahrzehnt stürmisch geändert. Die organisierte Kriminalität nimmt massiv zu mit ihren Erscheinungsformen von Internationalität, hoher Technisierung, Korruption und zunehmender Brutalisierung. Dem muß das Gesetz zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität zeitgerecht angepaßt werden.Neue Bedingungen für die Kriminalitätsbekämpfung sind insbesondere in Deutschland durch die Öffnung der östlichen Grenzen entstanden, weshalb natürlich zwischen den jetzt demokratischen Nachbarn auf beiden Seiten veränderte Fragen wirksamen Informationsaustauschs, verbesserter Rechtshilfe und wirksamer Grenzsicherung auftauchen. Darauf wollen wir u. a. mit einer Novellierung des BGS-Gesetzes reagieren.Weil Ausländerkriminalität in vielen Tatbereichen einen erschreckenden Beitrag leistet, muß man sich mit diesem Phänomen seiner Eigenart gemäß beschäftigen. Man darf weder Tabus noch bösartige Allgemeinplätze pflegen.Es geht nicht um die Frage, ob Ausländer mehr oder weniger kriminell sind als Deutsche. Nichts spricht für eine derart schiefe Sicht der Dinge. Es geht vielmehr darum, daß jedes Volk mit seinen Übeltätern leben muß, aber doch nicht gleichermaßen mit den Verbrechern unter den Gästen.
— Es geht ganz schlicht um unterschiedliche Reaktionen des Staates auf die Straftaten unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen. Es gibt z. B. Handlungsbedarf im Bereich von Abschiebung bei der Schwerkriminalität von Ausländern.
Wenn diese nicht besser, wirksamer und schneller klappt als bislang, besteht auch Bedarf an Rechtsänderungen. Zum Beispiel könnte die Verbindung von straf- und verwaltungsrechtlichen Verfahren wesentlich zur Verfahrensbeschleunigung beitragen. Aber dafür muß ich die Stimme nicht heben.
Wer das Thema mit einem falschen Zungenschlagbelegt, schadet der Gemeinsamkeit der rechtstreuen
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993 15011
Bundesminister Manfred KantherDeutschen und Ausländer, die sich über Jahrzehnte ungestört bewährt hat.
Es ist nicht ausländerfeindlich, sondern eine von 99 % der Deutschen und Ausländer gleichermaßen akzeptierte Binsenweisheit, daß aus dem Gastland Deutschland heraus muß, wer Rauschgift verkauft, egal, in welchen Mengen, aus welchem Grund und auf der Basis welchen Aufenthaltsstatus.
Es ist sehr wichtig, daß wir hier eine gemeinsame ruhige Überzeugung sehr pragmatisch entwickeln. Um diese realitätsbezogene und entschiedene Politik zur Stärkung der inneren Sicherheit wirbt die Bundesregierung.Weil die Internationalität des Verbrechens zugenommen hat und weltweit das gleiche Phänomen zu beobachten ist, müssen wir weltweit und europäisch zusammenarbeiten, Schengen und Europol schnellstmöglich zum Funktionieren bringen und Vorfeldermittlungen unserer Sicherheitsorgane neu zulassen, auch wenn diese nicht völlig dem klassischen Verdachtsbegriff des deutschen Polizei- oder Strafrechts entsprechen. Darauf müssen wir uns mit einer Novellierung des BKA-Gesetzes einstellen.Der Bundesnachrichtendienst sollte erweiterte Aufklärungsmöglichkeiten erhalten, um einen optimalen Beitrag zur Bekämpfung von Proliferation, internationalem Rauschgifthandel, Terrorismus und Geldwäsche leisten zu können.
Ausländische Ermittler in unserem Polizeidienst sind notwendig, weil sie im betroffenen Milieu besser arbeiten können, auch wenn das nicht den klassischen Vorstellungen des deutschen Beamtenrechts entspricht.
Ein Ausländerzentralregistergesetz ist zu schaffen, das einen effizienten Zugriff der betroffenen Behörden auf den Datenbestand ermöglicht.Meine verehrten Damen, meine Herren, nicht eine dieser vielen Fragen alleine ist ein Dollpunkt, sondern alle zusammen ergeben ein Sicherheitsmosaik, und an dem müssen wir arbeiten.Weil die organisierte Kriminalität und das Bandenverbrechen in Deutschland leider zunehmen, sollten wir den Zeugenschutz verstärken, die Arbeiten von verdeckten Ermittlern durch Verbesserung des Gesetzes zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität erleichtern und je nach Wirksamkeit aller Maßnahmen vielleicht auch einen Rechtsrahmen für deren Mitwirkung an geringfügigen milieubedingten Taten schaffen, aber nicht aus Prinzip oder um uns gegenseitig zu ärgern, sondern um einen Beitrag zur verbesserten Verbrechensbekämpfung zu leisten.
— Dann lassen Sie uns darüber streiten, aber in sachlicher Hinsicht, und nicht, weil die einen bessere Demokraten als die anderen sind.
— Ich habe ja deshalb „vielleicht" gesagt, Herr Hirsch.Die verdächtigen Personen dort aufzuspüren, wo sie sich zur Verabredung ihrer logistisch immer schwieriger werdenden Transaktionen als verbrecherische Geschäftsleute aufhalten, also auch in Hotels, Gaststätten und Wohnungen, ist wichtig. Die elektronische Überwachung von Gangsterwohnungen mit richterlicher Erlaubnis ist deshalb kein großer Lauschangriff auf die Intimsphäre des Bürgers, sondern dient seinem Schutz vor Verbrechen.
Die semantische Diffamierung dieser Maßnahme entbehrt der Begründung.
Außerdem gilt doch ähnliches Recht in der Prävention in vielen Ländergesetzen. Warum erheben wir es in der Strafverfolgung zum Fetisch? Senken wir doch die Stimme!Weil ich Leerformeln zur Verbrechensbekämpfung für ungeeignet halte, sage ich offen, daß ich bei Schaffung dieser polizeilichen Erkenntnismöglichkeit den Kompromiß nicht in der Deutelei am Wohnungsbegriff erkennen kann. Ich möchte nicht eines Tages mit der Polizei durch die Frankfurter Innenstadt gehen und erleben, daß man zwar in Sexshops und Amüsierbetrieben im Erdgeschoß abhören kann, die Erkenntnisse aber nicht braucht, weil sie nichts Wesentliches enthalten, aber die Herrschaften im ersten Stockwerk ungestört über ihr Revier schauen können.
Das heutige Verbrechen entwickelt seine ganz eigenen Formen von Management und schreitet rapide voran im Gebrauch der modernen Technik. Also müssen wir uns einrichten. Und wenn Gefahr davon ausgeht, daß riesige Bargeldwellen auf der Suche nach Weißmacherei durch die Welt schwappen, dann sollten ihre Inhaber die Herkunft unerklärlicher Großbeträge ausweisen müssen. Unter bestimmten Umständen kann also die Umkehr der Beweislast für zweifelhaften Geldbesitz eine wirksame Hilfe der Strafverfolgungsorgane sein.Aber bevor wir uns darüber streiten,
sollten wir die gerade erst geschaffene Möglichkeit des erweiterten Verfalls nach dem OrgKG in der Praxis auf ihre Wirksamkeit testen.
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15012 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Bundesminister Manfred Kanther— Ich stecke nichts zurück. Wenn ich mir gerade ein neues gesetzliches Instrument geschaffen habe, denke ich über seine Novellierung dann nach, wenn es sich als unwirksam erweist, aber nicht, bevor es in der Praxis auf dem Prüfstand gestanden hat.
Neue Technik hilft nicht nur in der Hand der Polizei. Meine Damen, meine Herren, niemand kann begreifen, daß wir zwar zum Mond fliegen können, aber unsere Autoradios und Kraftfahrzeuge nicht gegen Diebstahl hinreichend sichern.
Dafür müssen die Versicherungsnehmer 1,5 Milliarden DM über immer höher werdende Versicherungsprämien blechen. Dadurch werden viele Leute irre an der Verwendung ihrer Steuern durch den Staat. Sie verlangen da Abhilfe. Für die Bundesregierung wird der Kampf gegen den Kfz-Diebstahl zu einem wesentlichen Punkt ihres Sicherheitsprogramms werden.
An dieser Stelle ist die Anmerkung nötig, daß wir uns überhaupt mit Alltagskriminalität stark beschäftigen müssen, mit Handtaschendiebstahl, Wohnungseinbrüchen, Straßenraub, Ladendiebstählen, weil dort der Bürger in der Regel seine Erfahrungen mit innerer Sicherheit oder Unsicherheit macht und nicht zuerst im Bereich der organisierten Kriminalität.
In einem besonders üblen Bereich der Schwerstkriminalität, beim Drogenmißbrauch, sind dessen fatale gesellschaftliche Wirkungen jedermann einsichtig. Niemand möge hier Tabus pflegen. Es gibt keinen Königsweg in der Bekämpfung der Drogenwelle. Und deshalb weiß die Bundesregierung, daß sehr viele präventive, soziale, therapeutische und repressive Möglichkeiten zusammentreten müssen, um die Drogenwelle wenigstens in Grenzen zu halten. Dazu gehört auch, daß man mit ungewöhnlichen Versuchen leben können muß, um des Problems teilweise Herr zu werden.
Versuche müssen in diesem Sektor sein, aber zielgenau angelegt, zeitlich und räumlich befristet, wissenschaftlich ausgewertet,
keinesfalls jedoch gläubig modernistisch in Szene gesetzt wie die Freigabe von weichen Drogen, in denen die Bundesregierung eine große Gefahr sieht, so daß sie keinesfalls daran mitwirken wird, die Hemmschwelle beim Drogenkonsum zu senken.
Zu den großen Schwierigkeiten der Verbrechensbekämpfung gehört auch, daß unser Verfahrens- und Prozeßrecht nicht überall auf die veränderte Bedrohung angelegt ist. Arbeiten wir daran, die Frist zwischen Tat und Strafe zu verkürzen, besonders gegenüber Jugendlichen oder Ersttätern und im politisch getönten radikalen Bereich, wo dies eine besondere Wirksamkeit entwickeln kann! Verbessern wir das verkürzte Verfahren!Der Tatbestand der Wiederholungsgefahr als Haftgrund ist zu novellieren. Kein Mensch hat Verständnis dafür, daß sich die Frankfurter Staatsanwaltschaft und das Amtsgericht über die Frage streiten, ob ein 19jähriger, der 110mal von der Polizei aufgegriffen worden ist, wiederholungsverdächtig in Haft genommen werden kann.
Auch „Hauptverhandlungshaft„ kann die Verfahren abkürzen.
— Das ist auch eine Frage der Gesetzesänderung.In unseren Tagen ist neben die fortbestehende Gefahr des linken Extremismus die des rechten getreten. Er äußert sich in seiner Eigenart sehr unterschiedlich. Wir wollen dem sowohl durch Gesetzesänderungen als auch mit den administrativen Möglichkeiten des Staates begegnen. Dazu können auch Parteien- und Organisationsverbote gehören, um die Logistik extremistischer Gruppen wirklich treffen zu können.Im Kampf gegen die widerwärtigen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus gilt die alte Volksweisheit, daß man den Anfängen wehren muß. Leider sind 17 Tote mit gewalttätigem rechtsextremistischem Hintergrund 1992 bereits deutliche Zeichen einer Gefährdung des inneren Friedens.Unsere Entschiedenheit wird auch ausländische Gruppierungen treffen, denen wir nicht gestatten, ihre heimischen, sprich: heimatlichen Gegensätze auf deutschem Boden auszutragen.
In diesen Zusammenhang gehört es auch, als Folge der Asylgesetzgebung, größte Anstrengungen zu unternehmen, um unsere Grenzen gegen unbefugten Übertritt zu schützen.Schließlich kann im Bereich der inneren Sicherheit nichts gelingen, wenn nicht diejenigen, die sie zuerst verbürgen müssen, überzeugt und befähigt an ihre Arbeit gehen; ich meine damit die Angehörigen aller Sicherheitsorgane, die Polizei im besonderen.Auch insoweit haben wir einen problematischen Hintergrund aus der Zeitgeschichte. Allzu oft hat bei einschlägigen Gesetzen vieler Jahre die Frage Pate gestanden, ob denn nicht zuerst der Mißbrauch der Möglichkeiten durch die Polizei ausgeschlossen werden müsse, statt vom Vertrauen in das Staatsorgan auszugehen. Die Verächtlichmachung von „Bullen" war ebenso schick wie die Debatte über Namensschilder für Polizeibeamte bei Demonstrationen Gegen-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993 15013
Bundesminister Manfred Kantherstand von Koalitionsverhandlungen. Das war ein falscher Weg.
Wir brauchen eine motivierte, gut ausgestattete, rechtlich und tatsächlich gut gerüstete Polizei. Wir brauchen auch eine Polizei, die in ihren persönlichen Anliegen, sprich in ihrer Einstellungs-, Beförderungs- und Laufbahnpraxis, in ihrer Besoldung, ihrem besonderen Berufe gerecht bewertet wird.
Das Stichwort „Besoldungs- und Laufbahnordnung P" gibt dafür die richtige Wegweisung und muß weiter verfolgt werden.
Gewiß können mehr Polizisten mehr Sicherheit bedeuten, vor allem durch Präsenz vor Ort. Aber bevor wir uns mit der Frage nach der Ausweitung von Stellenplänen beschäftigen, muß es gelingen, die freien Stellen sowohl beim Bundesgrenzschutz wie auch bei den Länderpolizeien zu besetzen.
Darin liegt die hervorragende Aufgabe, für die Bund und Länder große Aufwendungen und Anstrengungen machen.
— Das Fehl beim Bundesgrenzschutz ist derzeit 4 000 und soll bei den Länderpolizeien rund 10 000 betragen. Es hat also gar keinen Sinn, dem einen oder anderen einen Vorwurf machen zu wollen. Wir müssen die Werbung für den Polizeiberuf verstärken. Und das gelingt nur, indem man sein Ansehen, seine Besoldung und die Beförderungsmöglichkeiten verbessert.
Ich habe bewußt in dieser ersten Lesung mit ihrer begrenzten Zeit meine Ausführungen auf den Sicherheitssektor abgestellt, der für unsere Mitbürger zunehmend in den Vordergrund des Urteils tritt, wenn sie die Nützlichkeit der Politik aller Parteien für ihre Interessen abschätzen.Wir sind dazu da, dieses berechtigte Verlangen nach Sicherheit bestmöglich zu erfüllen. Die Bundesregierung wird daran entschlossen arbeiten.
Als nächster spricht der Kollege Gerd Wartenberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundesinnenminister, manches an Ihrer Rede zeigte durchaus neueNachdenklichkeit und auch eine gewisse Flexibilität in der CDU-Politik.Aber eines verstehe ich nicht.
Sind Sie sich eigentlich dessen bewußt, daß Sie einer Regierung angehören, die zehn Jahre regiert, und daß Sie heute eigentlich die Jubiläumsrede hätten halten müssen
zum Anspruch der Antrittsrede des Kanzlers, der von der geistig-moralischen Führung in diesem Lande genau vor zehn Jahren gesprochen hatte und dieses Land aus dem Defizit eines skeptischen Pragmatismus herausführen wollte, um endlich wertebildende Diskussionen in Gang zu setzen? Die Menschen sollten doch stärker wieder an unsere gesellschaftlichen Werte gebunden werden. Wie können Sie eigentlich gerade als erstes darüber jammern, daß das Umfeld, das geistige Umfeld und die Wertorientierung in diesem Land nicht mehr stimmen? Eine vernichtendere Kritik an der eigenen Regierungsarbeit von zehn Jahren kann man wohl nicht üben.
Sie können sich hier nicht nur als Individuum, als neuer Innenminister einführen — das ist Ihr gutes Recht, das keiner bestreitet —, sondern Sie stehen in der Kontinuität einer CDU/CSU, die auf dem Gebiet der inneren Sicherheit — und da mußte nicht erst Bad Kleinen mit seinen unsäglichen Umfeldproblemen dazukommen — deutlich macht, daß es keine Sicherheits-, sondern eine Unsicherheitspolitik der Koalition im Augenblick gibt.Meine Damen und Herren, der Bundesinnenminister hat beklagt, daß der Werteverfall über das Fernsehen mittransportiert wird. Recht so. Aber in den Zwischenrufen ist schon deutlich geworden: Wer hat denn geradezu euphorisch auf die Privatisierung der Medien gesetzt?
Wer hat denn den ruinösen Wettbewerb im Verachten von Wertvorstellungen überhaupt erst möglich gemacht? Wer den Vergleich zwischen der Situation vor der Privatisierung der Medien und heute zieht, der weiß, was sich in diesem Land in den letzten Jahren geändert hat. Und Sie können sich jetzt nicht einfach davonstehlen, indem Sie in einer Sonntagsrede mit hohlem Pathos einer konservativen Wertorientierung versuchen vergessen zu machen, was Sie zehn Jahre lang in diesem Land betrieben haben.
Meine Damen und Herren, Sie haben einige Ansätze für Gesetzesänderungen hier vorgestellt. Manche können wir akzeptieren; manche sind aber Nebenkriegsschauplätze.
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15014 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Gerd Wartenberg
In diesen zehn Jahren haben Sie es nicht geschafft — obwohl am 15. 12. 1983 das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung aufgegeben hat, ein neues Bundeskriminalamtsgesetz zu machen —, das Naheliegende zu tun. Dieses Gesetz über die Arbeit des Bundeskriminalamtes gibt es bis heute nicht. Über viele Nebenkriegsschauplätze wird diskutiert; aber die moderne effiziente Arbeit des Bundeskriminalamtes zu sichern — obwohl das Verfassungsgericht Ihnen diesen Auftrag gegeben hat — haben vier Innenminister der CDU nicht geschafft. Das ist ein Skandal!
Zimmermann ist uns abhanden gekommen, Schäuble ist uns abhanden gekommen, Seiters ist uns abhanden gekommen. Die Trauer darüber war außerordentlich begrenzt.
Bloß, in diesen zehn Jahren hat es keiner dieser Minister geschafft, das Naheliegende zu tun.
Sie haben vorhin wörtlich gesagt:. Wir brauchen ein Ausländerzentralregistergesetz. — Wohl gesprochen, mein Herr. Bloß: Auch dies ist eine Verpflichtung der Bundesregierung durch das Bundesverfassungsgericht seit dem 15. 12. 1983, also seit zehn Jahren!
War das, was Sie hier vorgetragen haben, eigentlich eine Kritik an Ihrer eigenen Regierungsarbeit? Sie können doch nicht so tun, als ob Sie heute neu anfangen.Meine Damen und Herren, die Frage des Anstiegs der Kriminalität in dieser Gesellschaft ist von Herrn Kanther mit einigen Zahlen belegt worden. Auch dies ist eine Entwicklung, die in den letzten zehn Jahren, seit diese Regierung im Amt ist, erschreckend ist. Das subjektive und das objektive Sicherheitsempfinden sind ohne Frage gestört. Immer mehr Bürger fühlen sich in ihren Lebensräumen eingeengt. Viele wagen tatsächlich nicht mehr, zu bestimmten Zeiten bestimmte Stadtteile zu betreten und bestimmte Verkehrsmittel zu benutzen. Das ist in der Tat auch eine Form von Einschränkung der Freiheitsgrade, in denen ein Bürger in unserer Gesellschaft lebt. Es geht also bei den Möglichkeiten der freien Entfaltung nicht nur um abstrakte Freiheitsrechte, sondern auch urn die tatsächlichen Möglichkeiten, die ein Bürger im Lande hat. Das mag manchmal subjektiv im Empfinden überzogen sein, aber es hat objektive Auswirkungen. Manche Leute verhalten sich anders als vor zehn Jahren. Es ist eine ungute Entwicklung, wenn Bürger meinen, sich anders verhalten zu müssen, als sie es noch vor zehn Jahren gewohnt waren.
Das heißt, bei der Frage der Kriminalitätsbekämpfung ist in den letzten Jahren in der Tat ein Handlungsdefizit zu verzeichnen. Das ist aber keine Frage, über die man auf einer abstrakten Ebene diskutieren kann, sondern man muß immer wieder die Verantwortlichkeiten einer Regierung
feststellen.
Meine Damen und Herren, die organisierte Kriminalität ist in der Tat in der Form, wie wir sie heute kennen
— später —, in eine neue Stufe eingetreten. Es gibt in diesem Bereich eine neue Qualität.Aber auch hier muß man sagen, daß die Bundesregierung, nachdem es 1991 im Bundesrat einen einstimmig vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität gegeben hatte, nicht in der Lage war, insbesondere in dem Bereich, wo es um die Bekämpfung der ökonomischen Macht und der ökonomischen Möglichkeiten der organisierten Kriminalität geht, wirksame Instrumente zu schaffen. Das geht leider bis heute so weiter. Sei es die Unterbindung der Geldwäsche, sei es die Vermögensstrafe, sei es die Beweislastumkehr — das allés sind Punkte, von denen jeder im internationalen Rahmen sagt, daß sie die wirksamsten Instrumente zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität sind. Sie werden von dieser Bundesregierung aber nicht in Angriff genommen, und man ist nicht in der Lage, sich da zu einigen.
Herr Hirsch, gerade Sie sind dazu nicht in der Lage, da Sie die Klientel bestimmter Berufsgruppen auch auf diesem Feld eher verteidigen, als sich darauf einzustellen, daß die organisierte Kriminalität bekämpft wird.
Dies haben wir in den Ausschußberatungen gerade bei Ihnen immer wieder festgestellt.
Herr Wartenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hirsch?
Aber natürlich, Herr Dr. Hirsch.
Das finde ich wirklich nett; sonst hätte ich eine Nebenintervention gemacht.Würden Sie bitte nicht wenigstens zur Kenntnis nehmen, daß die Vermögensstrafe seit geraumer Zeit geltendes Recht ist? Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir beim erweiterten Verfall den Ansatz
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993 15015
Dr. Burkhard Hirscheiner Beweislastumkehr, nämlich durch den Primafacie-Beweis, eingeführt haben?
Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß bei dem Gesetz über die Gewinnaufspürung nicht nur ein Streit darüber bestand, wie die Schweigepflicht bestimmter Berufe behandelt werden soll, sondern daß ich mich immer gewundert habe, daß Sie die Anregungen nicht aufgegriffen haben, den Tatbestand der Geldwäsche auszudehnen, z. B. auf Betrug, z. B. auf Unterschlagung, z. B. auf Bestechungsgelder? Wenn Sie sagen, Sie wollten es wirksam machen, dann wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie im nächsten Durchgang solche Anregungen mit aufgreifen würden. Meinen Sie nicht, das wäre etwas?
Lieber Herr Hirsch, ich weiß, daß Sie sich seit einiger Zeit krampfhaft darum bemühen müssen zu verwischen, daß auch Sie wesentlich dazu beigetragen haben — da muß man einige Kollegen von der CDU/CSU sogar entlasten —, ein wirksames Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität in seinen ökonomischen Aspekten durchsetzungsfähig zu machen.
Das ist in allen Beratungen deutlich geworden. Es hilft nichts, wenn Sie hier einige Nebenkriegsschauplätze ansprechen. Sie wissen, daß wir im Bereich des Geldwäschegesetzes weit hinter den internationalen Möglichkeiten, die in anderen Ländern angewandt werden, zurück sind.
Das können gerade Sie hier nicht zerstreuen und verwischen, gerade Sie nicht. Ich möchte das jetzt nicht weiter ausführen, weil ich hier im Parlament keinen Nebenkriegsschauplatz schaffen will. Wir haben das oft genug diskutiert. Sie haben dazu kein Recht.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Nein, jetzt nicht; die Zeit wird langsam etwas knapp. Abgesehen davon hilft es auch nichts, Herr Hirsch. Es ist ein Streit, der in aller Öffentlichkeit geführt wird. Jeder weiß, wo Sie da stehen. Das kann ich respektieren. Aber tun Sie bitte nicht so, als stünden Sie nicht dort, wo Sie stehen.
Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit der Bekämpfung der organisierten Kriminalität gibt es auch die notwendige Diskussion über die Anwendung neuer technischer Mittel. Das ist ein schwieriges Thema, das mit aller Sorgfalt behandelt werden muß, ein Thema, bei dem sich sehr viele Grundsatzpositionen gegenüberstehen.Die SPD wird diese Diskussion nur führen, wenn diese in ein Gesamtkonzept der inneren Sicherheit eingebettet wird und wenn gleichzeitig andere Defizite mit aufgehoben oder bekämpft werden.Die Anwendung neuer technischer Mittel, beispielsweise im Bereich der Kommunikationsüberwachung, wäre in der Bundesrepublik Deutschland nicht so umstritten, wenn wir das, was die USA in diesem Bereich haben, längst eingeführt hätten, nämlich einen Freedom of Information Act. Denn eines wissen wir: Die beste Begrenzung des Mißbrauchs eines Instruments ist die gesetzlich geregelte Transparenz über die Anwendung eines solchen Instruments.Genau das ist der Mangel, den wir in der Bundesrepublik in vielen Bereichen haben, so bei der Telefonüberwachung nach der Strafprozeßordnung, und den wir auch hätten, wenn wir unkritisch ein neues Instrument einführen würden, so beispielsweise das Ermöglichen des Anbringens von Wanzen in Wohnungen, in denen organisierte Kriminalität vermutet wird. Das heißt, wer über dieses neue Instrument, aber auch über das alte Instrument der Telefonüberwachung nach der Strafprozeßordnung diskutiert, muß die Frage der politischen Berichtspflicht, der Verantwortlichkeit und der Information des Individuums nach Abschluß der Maßnahmen einbeziehen. Dann kann man über Konzepte auch in der Öffentlichkeit vertretbar diskutieren und sich dazu entscheiden.
Man kann nicht einfach über ein Instrument, dessen Bedeutung man auch im Gesamtkonzept der Kriminalitätsbekämpfung nur als sehr begrenzt ansehen kann, isoliert diskutieren, sondern man muß das im Rahmen der Rechte des Bürgers über die Beschneidung der Rechte des Bürgers hinaus tun. Ich glaube, das ist von großer Bedeutung.Gerade die Vereinigten Staaten, die dieses Instrument für die Strafverfolgung kennen, zeigen, daß durch ihre sehr umfangreiche Gesetzgebung der Informationszugangsrechte eine unerhörte Beschränkung in der Anwendung dieser Instrumente zu verzeichnen ist. Nicht so sehr die Tatsache, daß vielleicht einzelne Behörden nicht dazu verleitet werden, dieses Instrument exzessiv zu nutzen, wird durch eine politische Begrenzung erzwungen, sondern die Begrenzung liegt darin, daß sich jeder, der dieses Mittel anwendet, von vornherein überlegen muß: Ich muß es veröffentlichen, und ich muß das Individuum hinterher informieren. — Das zu würdigen scheint mir in der Diskussion notwendig zu sein. In dieser Weise wird die SPD die Diskussion auch weiterführen, denn das ist unumgänglich.Die organisierte Kriminalität — und das sage ich denjenigen, die auch einem solchen Instrument kritisch gegenüberstehen — hat in bestimmten Bereichen neue Formen erreicht, die uns zum Teil auch in der veröffentlichten Meinung nicht sehr bewußt sind. Ich will auf einen Bereich hinweisen, bei dem man kaum weiterkommt.Seit Öffnung der Mauer hat es unter der Volksgruppe der Vietnamesen elf Tote gegeben, Vietnamesen, die von Vietnamesen getötet wurden. Von Verstümmelungen möchte ich gar nicht erst reden. Diese
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15016 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Gerd Wartenberg
ganze Volksgruppe steht bei uns nämlich nicht nur unter dem Druck von rechtsradikalen Angriffen — was notwendigerweise in der Öffentlichkeit immer thematisiert wird —, sondern auch unter dem kriminellen Druck sehr starker krimineller Organisationen der eigenen Volksgruppe.Wir können es auf Dauer nicht zulassen, daß bestimmte Volksgruppen in unserem Lande in Angst und Schrecken leben, nicht nur, weil rechtsradikale Ausländerfeinde sie angreifen, sondern auch, weil sie aus ihrer Gruppe selbst so bedroht werden, daß Menschenleben nichts zählen. Keiner wagt es, weil das Menschenleben nichts zählt, als Zeuge zur Verfügung zu stehen. In einem solchen Fall — dafür gibt es viele Beispiele — hilft wahrscheinlich nur — wenn man das bekämpfen will, und man muß es bekämpfen, auch um diesen Menschen Sicherheit zu geben —, die Kommunikationsüberwachung mit späterer Übersetzung, um an die Drahtzieher heranzukommen. Nach allen Erfahrungen gibt es keine andere Möglichkeit.Wir können das auch zu vielen anderen Bereichen sagen. Auch dort scheint die Kommunikationsüberwachung das letzte Mittel zu sein, um überhaupt eine Möglichkeit zu haben, so aufzuklären, daß eine Strafverfolgung in Gang gesetzt werden kann. Denn jeder weiß: Die Beschlagnahme von Vermögenswerten und anderen Dingen ist in diesem Fall wenig wirksam. Ich denke an geschmuggelte Zigaretten o. ä.Es geht hier nicht um irgend etwas, sondern es sind 11 Menschen ums Leben gekommen. Ich bitte, daß man das in der Diskussion mit berücksichtigt, weil viele von diesen Problemen — ich nenne noch den brutalen und dramatischen Frauenhandel, den es bei uns in einer Art gibt, wie er in den letzten 100 Jahren in Europa kaum mehr denkbar war; auch hier stehen Zeugen wegen der Bedrohung ihres Lebens fast nicht zur Verfügung — sonst nicht gelöst werden können. Schon von vornherein auf der abstrakten Ebene der Diskussion jedes neue Instrument zu diffamieren heißt, daß man sich nicht darüber im klaren ist, wie man an diese neuen Kriminalitätsformen herankommen will. Ich bitte alle diejenigen, dies zu bedenken, denen ich zugestehe, daß hier über einen Eingriff in unsere Verfassung diskutiert wird, der ohne Frage dramatisch ist. Das darf nicht wegdiskutiert werden. Das ist ein schwieriger Punkt. Ich bitte aber darum, daß das mit in die Diskussion einbezogen wird, damit wir nicht wieder nur auf einer hohen Abstraktionsebene eine emotionale Diskussion führen. Es gibt ja häufig genug die Situation in der Politik: Je komplizierter die Realität, um so absurder und hysterischer die Ingroup-Diskussion. Es ist eine Gefahr für unsere Gesellschaft, wenn die Politik nicht mehr in der Lage ist, über schwierige gesellschaftliche Entwicklungen auf eine vernünftige, sachbezogene Art und Weise zu diskutieren.
Sie, Herr Innenminister, haben zu Recht darauf hingewiesen, daß man sich unter dem Aspekt, daß wir gerade auch bei jungen Leuten neue dramatische Formen der Regelverletzung, des völligen Verlustes von Fairneß-Regeln, und brutale Gewaltanwendung — übrigens nicht nur im Spektrum der Rechtsradikalen, sondern auch darüber hinaus ohne politische Motive — erleben müssen, überlegen muß: Welche gesetzlichen Maßnahmen muß man dort treffen? Da gibt es bestimmt nicht so viele neue Dinge; das meiste gibt es schon, man muß es nur richtig anwenden.Aber über zwei Dinge, glaube ich, müssen wir noch einmal nachdenken. Sie haben die Wiederholungstäter angesprochen, einen Punkt, der auch deswegen so dramatisch ist, weil es wenig hilft, wenn die F.D.P. sagt, daß wir 30 000 zusätzliche Polizisten brauchen. Nun gut, das sagt sie, weil sie in den Ländern keine Verantwortung trägt.
Ich habe gestern wieder mit vielen Polizisten gesprochen. Der Vorschlag hilft deswegen nicht, weil zwar die Polizei, was Festnahmen und Feststellungen von Vergehen angeht, außerordentlich viel zustande bringt, weil aber die Frustration bei der Polizei immer größer wird, wenn das häufig folgenlos bleibt.
Das heißt, nur mehr Polizeibeamte in den Einsatz bringen zu wollen, das wird nur dann etwas nützen, wenn nach der Feststellung und der Festnahme auch tatsächlich strafrechtlich zeitnah etwas in Gang gesetzt wird. Hierbei müssen wir über einige Aspekte reden, sehr vorsichtig auch über unser Jugendstrafrecht, weil ich nicht ganz sicher bin — das sage ich wirklich sehr vorsichtig —, ob 18- bis 21jährige — 18jährige sind sonst für alles voll verantwortlich — noch in jedem Fall der strafrechtlichen Sonderstellung bedürfen, die wir ihnen manchmal geben. Ich glaube, wir müssen sehr vorsichtig und nachdenklich darüber reden. Mir scheint, dort stimmt manchmal auch nicht mehr alles.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz zwei Dinge ansprechen: Ausländerrecht und Asylrecht. Erstens. Wir sollten zur Zeit keine Asylrechtsdebatte führen; wir müssen jetzt abwarten, wie weit die neuen Regelungen wirken, und wir müssen der Rechtsprechung und den Gerichten Gelegenheit geben, sich auf die neue Rechtslage einzustellen.
Dann wird man sehen.
Es gibt einige unterschiedliche und widersprüchliche Urteile; das ist völlig normal. Wir werden auch zur Entwicklung des Zuganges sehr unterschiedliche Informationen in der nächsten Zeit bekommen. Man sollte aber in den nächsten Monaten auf keinen Fall eine große Debatte in diesem Bereich anfangen; dies wäre absolut kontraproduktiv.Zweitens. Es muß in diesem Land die Frage der Integration der lange hier lebenden Ausländer angegangen werden, und da werden wir Sozialdemokraten auf einem modernen Einbürgerungsrecht mit der
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993 15017
Gerd Wartenberg
Möglichkeit auch der doppelten Staatsangehörigkeit bestehen.
Wenn wir diesen Bereich nicht offensiv angehen, wird es nicht möglich sein, auf Dauer eine Integration von Zugewanderten in dieser Gesellschaft zu erreichen.
Ich bitte Sie dringend jenseits aller ideologischen und wahltaktischen Scheuklappen: Denken Sie an die längerfristige Perspektive unserer Gesellschaft und auch an den gesellschaftlichen Frieden in der Zukunft.
Das ist in einem so dramatischen gesellschaftlichen Problemkreis etwas anderes als kurzfristige wahltaktische Überlegungen.Ich will nicht den fruchtlosen Streit darüber führen, ob wir ein Einwanderungsland sind oder nicht. Man muß diese Frage zukunftsorientiert diskutieren. Was wird unter demographischen Gesichtspunkten, aber auch unter dem Aspekt von Arbeitsplätzen zukünftig notwendig sein?Aus dem Parteienkompromiß ergeben sich ja doch zwei Dinge, bei denen nach wie vor Handlungsbedarf besteht.
Darf ich Sie fragen, ob der Kollege Jäger eine Zwischenfrage stellen darf?
Ja, gleich, nur den Satz eben zu Ende. — Handlungsbedarf besteht erstens bezüglich der unsäglichen Bedingungen der Werkverträge, d. h. in der Frage, daß nach wie vor Arbeitnehmer hereingeholt werden, die zu Lohndumpingpreisen für eine gewisse Zeit hier arbeiten können. Sie müssen tariflich und arbeitsrechtlich gleichgestellt werden, damit Deutsche und lange hier lebende Ausländer nicht in bestimmten Bereichen wie der Bauindustrie aus dem Arbeitsprozeß herausgedrängt werden.
Dies kann nicht mehr unter der Rechtskonstruktion der Werkverträge gehen. Hier muß eine Einwanderungsregelung zur zeitweiligen Arbeitsaufnahme zu gleichen tarif- und arbeitsrechtlichen Bedingungen durchgesetzt werden.
Zweitens müssen wir noch einmal über die Privilegierung der Zuwanderung von Deutschstämmigen aus Osteuropa nachdenken. Der Innenminister selbst hat gesagt, daß wir für diesen Bereich bald kein Geld mehr haben. Wir werden darüber nachdenken müssen.
Das heißt nicht, es völlig abzuschaffen. Man wird sich darüber, glaube ich, noch einmal neu unterhalten müssen.
Herr Jäger, bitte.
Herr Kollege Wartenberg, ist Ihnen bekannt, daß die Gemeinschaft der europäischen Völker genau in die entgegengesetzte Richtung von dem marschiert, was Sie uns eben hier gesagt haben?
Ich verweise auf die Konvention des Europarates zur Vermeidung der Doppelstaaterei, die ja geradezu darauf hinzielt, diese Möglichkeiten zu verringern, statt sie zu erweitern. Wollen Sie sich gegen die europäische Gemeinschaft stellen?
Bester Herr, Sie wissen doch genau,
daß die doppelte Staatsbürgerschaft in vielen Ländern möglich ist. Herr Jäger, Sie sind nun wirklich nicht auf der Höhe der Zeit.
Wissen Sie, daß die Diskussion über diese Konvention allein schon deswegen überall geführt wird, weil in der Europäischen Gemeinschaft im Augenblick jedes Jahr 13 % gemischtnationale Ehen geschlossen werden? Allein aus diesem objektiven Tatbestand heraus gibt es gar keine andere Möglichkeit, als offensiv darüber zu diskutieren, und das ist in fast allen Ländern dasselbe.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch über zwei Dinge, die mit in das Umfeld der inneren Sicherheit gehören, sprechen. Wir haben in der letzten Zeit aus dem Bereich der Sicherheitsbehörden Indiskretionen und Fehlverhalten erlebt, die skandalös sind. Ich denke an den Fall Vöcking. Gewiß, es ist eine Personalkonsequenz gezogen worden, aber es war eben auch im Bereich der Behörden der inneren Sicherheit — Verfassungsschutz, Kanzleramt — ein Vorgang, der nicht allein dasteht.Ich denke an die skandalöse Veröffentlichung von Verdächtigungen gegen Herrn Wienand und den Kollegen Lüder. Dies ist nur ein Symptom dafür, daß in manchen Behörden und manchen Organisationseinheiten der Bundesregierung offensichtlich auf eine skandalöse Art und Weise menschenverachtende Politik gemacht wird.
Selbst wenn ich Ihnen als Person die Verantwortung nicht zuschieben will, steht es der Bundesregierung und gerade dem Innenminister, weil vieles wahrscheinlich aus Bereichen kommt, die dem Innenministerium im weiteren Umfeld unterstehen, gut an, daß sie alle Kraft darauf verwenden, daß solche Vorkommnisse nicht mehr möglich sind, wen auch immer sie betreffen sollten. Dadurch wird das Vertrauen in die Politik geschädigt, ganz zu schweigen von den Schä-
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Gerd Wartenberg
den, die die betroffenen Individuen erleiden und die schwer wiedergutzumachen sind.
Ich bitte, daß die Bundesregierung so etwas künftig mit allen ihren Möglichkeiten ausschließt.Meine Damen und Herren, die Zeit ist abgelaufen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Als nächste spricht die Abgeordnete Albowitz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin dem Kollegen Wartenberg gerade für die letzten Bemerkungen außerordentlich dankbar. Ich habe auch die ernsthafte Bitte, Herr Innenminister, daß Sie bei Ihren nachgeordneten Behörden darauf hinwirken, daß solche Dinge, wie wir sie in den letzten Wochen und Monaten erlebt haben, nicht wieder vorkommen.
Meine Damen und Herren, wer die Debattenbeiträge dieser Woche aufmerksam und mit Sachverstand verfolgt hat, weiß, es führt in Anbetracht der angestrengten Konjunkturlage und der Finanzsituation der öffentlichen Haushalte kein Weg daran vorbei, den Gürtel 1994 in allen Bereichen enger zu schnallen. Dabei bin ich mir ziemlich sicher, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß die gesamtdeutsche Bevölkerung bereit ist, diesen Weg mit uns zu gehen. Aber die Bürger wollen wissen, warum, weshalb und wofür wir und sie sparen müssen.Die Antwort darauf kann im wesentlichen nur lauten, daß die Einigung des deutschen Volkes in einem freiheitlichen Staat ein Wert in sich ist, der weit größere Opfer rechtfertigt als jene, über die wir in diesen Tagen streiten. Optimismus, Kreativität und die Bereitschaft, ganz neue Wege zu gehen, sind heute mehr denn je gefragt.Der Entwurf des Etats des Innenministeriums trägt nach meiner Überzeugung noch nicht die Handschrift von Herrn Bundesinnenminister Manfred Kanther.
Er kann sie auch noch nicht tragen, denn bei seiner Aufstellung und Beratung durch das Kabinett war Herr Kanther noch nicht im Amt.Bei Ihrer Vereidigung am 12. Juli in diesem Hause, sehr geehrter Herr Minister, hat mein Kollege Manfred Richter Ihnen für Ihr außerordentlich schwieriges Amt viel Erfolg gewünscht, und zwar bei der Bewahrung des liberalen Rechtsstaats. Darauf erfolgte Beifall des ganzen Hauses.Ich möchte heute dieses Kooperationsangebot der Liberalen erneuern und biete Ihnen faire Zusammenarbeit an; selbstverständlich als gemeinsame Verantwortung und nicht als Einbahnstraße für die F.D.P.Gerade in diesem Zusammenhang ist auch das Kapitel 06 46, kulturelle Angelegenheiten, für die deutsche Kulturwelt und für mich als zuständige Berichterstatterin besonders enttäuschend ausgefallen.
Ich, und nicht nur ich, frage mich, wie der Finanzminister mit der deutschen Kultur umgeht.
Ist nicht in einer Zeit, in der uns gerade im Ausland latente Fremdenfeindlichkeit nachgesagt wird, das deutsche Kulturgut seismographischer Vor- und Horchposten für das Ansehen des deutschen Volkes auch außerhalb unserer Landesgrenzen?
Hat nicht Kultur eine besondere Bedeutung für das Selbstverständnis und die Identität der Menschen in unserem Land?
Daß Sie aber die deutsche Kulturpolitik überwiegend als bayerische Monopolveranstaltung betrachten, hätte ich selbst in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet.
Kultur, meine Damen und Herren, ist keine Wahlkreisveranstaltung, und Länderlobbyismus ist hier ganz unangebracht. Ich empfehle Ihnen ganz dringend, sich den Haushalt und die Erläuterungen anzugucken. Dann reden und streiten wir miteinander. Es geht im übrigen auch um Ihre Wahlkreise, meine Kolleginnen und Kollegen.Wenn Sie über die Einstellung der Förderung der deutschen Orchester und vieler anderer wichtiger Kultureinrichtungen in der Bundesrepublik nachdenken, dann gilt das nicht nur für die Philharmonia Hungarica in Marl, sondern auch für das andere vom Bund geförderte Exilorchester, die Bamberger Sinfoniker. Mittelkürzungen dürfen dann auch nicht vor den Bayreuther Festspielen, den Bach-Wochen in Ansbach und dem Germanischen Museum in Nürnberg haltmachen. Wenn gekürzt wird, meine Damen und Herren, dann gehören alle auf den Prüfstand. Sonst sollten wir es lassen.
Die Steinbruchliste Ihres Hauses für die Jahre 1995 und für die folgenden Jahre hat die deutsche Kulturwelt bis ins Mark erschüttert.
Für die Kulturförderung in den neuen Bundesländern sieht der Haushaltsentwurf keine Mittelansätze mehr vor. Diese Entscheidung bereitet mir — auch wenn sie Folge eines entsprechenden kw-Vermerks des Haushalts 1993 ist — erhebliche Bauchschmerzen. Haus-
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Ina Albowitzhaltsentscheidungen dieser Art können immer nur als Ausgangsbasis den Ist-Zustand beleuchten.Jetzt aber sehen wir, daß in den neuen Bundesländern mangels noch nicht ausreichender Finanzierungsmöglichkeiten große Verluste an wertvollen Kulturgütern und an Denkmälern drohen.
Ich hatte Ihnen schon in der zweiten Lesung des Haushalts 1993, Herr Finanzminister, also vor Beendigung der Solidarpaktverhandlungen, angeboten, daß die Bundesregierung uns zum Haushalt 1994 für die Übergangszeit bis zum Inkrafttreten des neuen Länderfinanzausgleichs einen neuen Vorschlag unterbreiten kann.Meine Damen und Herren, wir wissen, daß die Kultur in den neuen Bundesländern 1994 noch unsere Hilfe braucht. Kultur ist eine gesamtstaatliche Aufgabe und läßt sich nicht auf die Verfassungsfrage bzw. auf die Interpretation des Einigungsvertrages reduzieren. Es kann auch nicht in Ihrem Sinne sein, Herr Finanzminister, daß die Übergangsfinanzierung zu einer verlängerten Sterbehilfe für ostdeutsche Kultureinrichtungen verkommt und alle bisher geleisteten Fördermittel des Bundes in nicht unbeträchtlicher Milliardenhöhe von der Zielrichtung her in Frage gestellt werden müssen, von dem damit verbundenen Wegfall der Arbeitsplätze ganz zu schweigen. Wir haben drei Jahre erhebliche Mittel eingestellt. Ist das Geld am Ende umsonst ausgegeben worden? Wo haben wir die Verantwortung dem Steuerzahler gegenüber?Meine Damen und Herren, ich werde mich daher in den anstehenden Beratungen für eine Fortführung dieser für das ostdeutsche Kulturleben so wichtigen Förderung in vertretbarem Maße einsetzen, um diesen Rückschlag für die innere Einheit Deutschlands mit allen Mitteln zu verhindern.
Die Finanzierung muß allerdings durch Umschichtungen innerhalb des Haushalts erfolgen. Mehrausgaben kommen nicht in Frage. Wir werden heftig verhandeln müssen.
Dem Denkmalschutz in den neuen Ländern kommt eine besondere Bedeutung zu.
Es geht um Investitionen zur Erhaltung historischer Bausubstanz und darum, den endgültigen Verlust gesamtdeutschen Erbes zu vermeiden. Zur Finanzierung der Denkmalschutzförderung könnten steuerliche Sonderabschreibungen für Spender, Gedenkmünzen oder Serien von Sonderbriefmarken kreative Lösungsmöglichkeiten sein. Ich denke, wir sollten völlig unvoreingenommen darüber reden, welche Möglichkeiten es gibt.Meine Damen und Herren, die neuen Länder und Berlin müssen aber ihrerseits ihre Bringschuld endlich erfüllen und ihre Kulturkonzeption vorlegen. Ich habe das in den letzten Jahren bereits mehrfach gefordert. Längeres Hinhalten ist jetzt nicht mehr drin. Konzeptionen sind übrigens nicht „einfach schließen''. Die Schließung des Schiller-Theaters in Berlin ist für mich keine Kulturkonzeption.Im übrigen warte ich bis zur Bereinigungssitzung auf die Verwendungsnachweise für die Substanzerhaltungsprogramme der Jahre 1991/92. Wir und der Steuerzahler möchten schon wissen, wofür die Gelder eingesetzt wurden. Im übrigen sollten wir Bemerkungen des Rechnungshofs vermeiden.Meine Damen und Herren, keine Berufsgruppe hat die deutsche Öffentlichkeit in den letzten Wochen und Monaten mehr beschäftigt als die deutschen Pollzeien. Dies gilt zum einen, was das Sicherheitsbedürfnis des einzelnen Bürgers anbetrifft, zum anderen ging und geht es um die Organisationsstruktur der Polizeien auf Bundes- und Länderebene. Wenn ich bis heute für mich ein Zwischenresümee aus den Vorgängen um Bad Kleinen ziehe, dann dies, daß jetzt der Augenblick gekommen ist, Strukturverbesserungen für die Polizeien im Rahmen eines Gesamtkonzeptes zu entwickeln und dies auch zügig in die Tat umzusetzen, so wie ich es schon in der Sondersitzung des Innenausschusses und des Rechtsausschusses am 18. August 1993 gefordert habe. Wir müssen uns über mehr Geld, mehr Personal, über Re- und Umorganisation und eine bessere Ausstattung unterhalten.Ganz wichtig ist es, die Polizei von sachfremden Aufgaben zu entlasten und insgesamt auf ein besseres Berufsbild hinzuarbeiten. Im Vollzugsdienst fehlen nach seriösen Berechnungen bei Bund und Ländern ca. 30 000 Polizeibeamte, Herr Kollege Wartenberg. Wie wollen wir eigentlich junge Menschen für diesen Beruf gewinnen, wenn wir uns nicht hinter sie stellen, auch wenn einmal Fehler gemacht werden?
Es ist sehr einfach, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, vom bequemen Stuhl aus Kritik zu üben. Aber fragen wir uns und fragen wir auch die Bürger: Wer läßt sich schon gern für 2 000 DM nette jeden Samstag von Demonstranten verprügeln?
Hier wäre mehr Ehrlichkeit, Solidarität und Vertrauen angebracht. Handlungsbedarf für die Politik gibt es mehr als genug. Was in diesem Bereich an Mehraufwendungen unweigerlich auf die öffentlichen Haushalte zukommt, könnte an anderer Stelle eingespart werden.Das Berufsbeamtentum kann in seiner jetzigen verkrusteten, antiquierten Form nicht mehr aufrechterhalten werden. Es muß schlanker gemacht werden. Über Lebensarbeitszeit und Altersversorgung muß offen gesprochen werden.Wer die Prognos-Studie vom Sommer dieses Jahres liest, weiß, daß wir keine Zeit mehr haben, die Augen vor der Entwicklung des öffentlichen Dienstes zu
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Ina Albowitzverschließen. Im übrigen, meine Damen und Herren, bin ich dezidiert der Auffassung, daß die Ministerialzulage ersatzlos gestrichen werden könnte. Es gibt heute keinen plausiblen Grund mehr, daß Mitarbeiter der Ministerien diese erhalten, während gleichgestellte Beamte oder Angestellte in den nachgeordneten Behörden oder in den Gebietskörperschaften nicht in den Genuß dieser Sonderzulage kommen.
Hier wären allein 1994 im Bundeshaushalt 110 Millionen DM an Einsparungen möglich.Weil ich gerade Klartext rede, noch ein paar Bemerkungen zum Thema Geheimniskrämerei bei der Förderung politischer Stiftungen. Die Mittelzuwendungen an politische Stiftungen — ich hoffe, Herr Professor von Arnim hört jetzt zu, so wie ich ihm am Montag im ZDF zugehört habe — ist mitnichten ein obskures Geheimnis.
Im Gegenteil, er kann all dies im Haushaltsgesetz nachlesen. Das wird bekanntlich und nicht geheimnisvoll im „Bundesanzeiger" für jedermann zugänglich veröffentlicht. Wenn er dabei Schwierigkeiten hat, will ich ihm gerne helfen.
Sollte sein Wissensdurst dann noch nicht gestillt sein oder er auf meine Hilfe keinen Wert legen, empfehle ich ihm die Lektüre der Bundestagsdrucksache 12/5560 vom 13. August 1993. Das dürfte reichen.
Vielleicht sollte Herr Professor von Arnim noch wissen, daß die F.D.P. seine Forderung nach einem Stiftungsgesetz sogar ausdrücklich unterstützt. Mehr noch, wir haben die anderen Bundestagsparteien aufgefordert, im Zuge der Beratungen an den neuen Partei- und Fraktionsgesetzen auch an einem Stiftungsgesetz mitzuarbeiten. Meine Damen und Herren, wir alle haben nichts zu verbergen. Deswegen sollten wir es auch bald einbringen.
Lassen Sie mich — meine Redezeit ist um — zum Abschluß noch eine Bemerkung machen, nämlich zum Sport, des Deutschen liebstes Kind. Es wird hier Zeit, daß die Sportkonzeption von der Selbstverwaltung des deutschen Sports umgehend vorgelegt wird. Im übrigen bitte ich Sie herzlich darum, am 23. September, an einem für den deutschen Sport wichtigen Tag, den Berlinern die Daumen zu drücken.Vielen Dank.
Als nächste spricht die Abgeordnete Ulla Jelpke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch meiner Meinung nach war das bestimmende innenpolitische Thema der letzten Monate weiterhin, Herr Kanther, das unbekümmerte Auftreten der Neofaschisten und der Terror, den sie im Land ausüben. Täglich erreichenuns neue Berichte über Übergriffe. Was ich besonders schlimm finde: Im Stile der SA können Neofaschisten wieder durch dieses Land ziehen, rassistische und antisemitische Parolen grölen und offen NS-Symbole zur Schau stellen. Wie die Ereignisse in Fulda anläßlich der Zusammenrottung zum Gedenken an den Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess abermals gezeigt haben: Die Polizei steht ihnen fast kumpelhaft zur Seite. Der diesjährige Verfassungsschutzbericht spricht von einer Steigerung rechtsextremistischer und ausländerfeindlicher Gewalttaten um 74 %. Das sind mehr als 2 584 Gewalttaten in diesem Jahr. Besonders erschreckend ist folgender Hinweis im Verfassungsschutzbericht: Im Vergleich der letzten zehn Jahre für Westdeutschland hat es eine fast 22fache Steigerung der Zahl dieser Gewalttaten gegeben.1992 wurden nach der offiziellen und, ich sage, beschönigenden Statistik in der Bundesrepublik 17 Menschen aus rassistischen Motiven ermordet. Nach unseren eigenen Untersuchungen sind es mehr als 30. Der nordrhein-westfälische Innenminister sprach nach dem Brandanschlag von Solingen von einer regelrechten Explosion ausländerfeindlicher Straftaten. Sogar der bayerische Innenminister sah in diesen Straftaten eine dramatische Gefährdung der inneren Sicherheit. Sicherheitsexperten gehen sorgenvoll davon aus, daß die Welle der neofaschistischen Gewalt auch in den nächsten Jahren nicht abebben wird. Wirksame Mittel, vor allem vorbeugender Art, werden gefordert.Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Worin besteht nun die Antwort der Bundesregierung auf diese dramatische Situation? Der Haushalt bringt es hart auf den Punkt: Die Gelder für die Aufklärungskampagne zu Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit werden um sage und schreibe 50 % gekürzt. Diese Kürzung ist meines Erachtens ein Hammer. Schlaglichtartig bringt sie auf den Punkt, mit welcher Entschlossenheit die Bundesregierung bereit ist, die Gefahr des Rechtsextremismus zu ignorieren.Aber die Lage ist leider viel schlimmer, denn die Gelder für die Aufklärungskampagne hätten ohnehin nur einen symbolischen Wert. Die Größe des Postens, 6 Millionen DM im letzten Jahr, war ohnehin nur eine Geste an das Ausland als Demonstration der Entschlossenheit. Nur als Vergleich und Beispiel: 80 Millionen DM sind allein für die Werbung für die neuen Postleitzahlen ausgegeben worden.Von Fachleuten wird eine andere Jugend-, Bildungs- und Sozial- und Arbeitsmarktpolitik zur Bekämpfung des Neofaschismus gefordert, aber gerade in diesem Bereich ist Kahlschlag angesagt. Nur zwei Beispiele aus dem Haushalt des Innern: Die politische Bildung wird um 32 Millionen DM gekürzt. Die kulturellen Angelegenheiten — meine Vorrednerin hat es bereits angesprochen — werden um 50 % gekürzt, d. h. um 621 Millionen DM. Der Haushalt des Innenministeriums folgt hier ganz getreu dem allgemeinen Haushalt mit seinen Milliardenkürzungen im Sozial-, Jugend- und Bildungsbereich. Meine Damen und Herren, in anderen Bereichen ist die Bundesregierung durchaus bereit, mehr Geld auszugeben.
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Ulla JelpkeAbsehbare Folgen, die aus den Einsparungen in der Sozialpolitik resultieren, sollen mit einem Mehr an Polizei ausgebügelt werden. Der Bundesgrenzschutz z. B. erhält dagegen 130 Millionen DM mehr, die Bereitschaftspolizei 3,5 Millionen DM, der allgemeine Bereich der inneren Sicherheit etwa 122 Millionen DM.Der allergrößte Teil der zusätzlichen 130 Millionen DM für den Bundesgrenzschutz dient der sogenannten Verdichtung der Grenzüberwachung im Osten. Die Regierung, die immer behauptet hat, es ginge ihr keineswegs um die Abschottung der Bundesrepublik nach außen, legt meines Erachtens ihr Geld genau hier an. Hinter dem schönen Titel „Internationale Zusammenarbeit in Asylangelegenheiten" verbergen sich 120 Millionen DM für Polen. Mit diesem Beitrag wird keineswegs die Innenpolitik in Polen gestärkt oder werden gar Hilfen für dortige Asylverfahren zur Verfügung gestellt, sondern diese 120 Millionen DM sind vor allen Dingen für die Grenzsicherung bestimmt, die in Deutschland eingekauft werden muß.Die Aufwendungen für die Aufnahme von ausländischen Flüchtlingen zur Realisierung des Flüchtlingskonzepts, wie es so schön heißt, gehen um über 30 Millionen DM zurück. Dafür steigen die Bewilligungen für deutsche Vertriebene, Flüchtlinge, Kriegsgeschädigte und Aussiedler urn sage und schreibe 287 Millionen DM.Meine Damen und Herren, wie oft ist in der Vergangenheit auf den Zusammenhang von Regierungspolitik und dem Anwachsen rassistischer und rechtsextremistischer Aktionen hingewiesen worden. Der Verlauf der Asyldebatte ist ein erschütterndes Beispiel für mich.Dieser Haushalt ist wie gemacht für einen Innenminister wie Kanther. Nach der Verschwörung der Sicherheitsbehörden nach Bad Kleinen hat der Bundeskanzler die Chance zu einer strategischen Entscheidung genutzt; so jedenfalls nennt die „Berliner Zeitung" die Berufung des Innenministers Kanther. Und was ist daran? Erklärtes Ziel seiner Arbeit ist „eine Politik, zu der die Wähler der Republikaner ja sagen können". Heute schon ist das Programm der CDU zur inneren Sicherheit kaum von dem Programm der Republikaner zu unterscheiden. Auf billigste populistische Art und Weise werden die Ursachen von wachsender Alltags- und organisierter Kriminalität in den fehlenden Eingriffsbefugnissen der Polizei und der Behinderung durch Grundrechte gesehen. Hoffnungen werden geweckt auf eine kriminalitätsfreie Gesellschaft, die unter einer Bedingung Realität werden kann: Entfesselung der Polizei von Grund- und Bürgeransprüchen. Mit dem Lauschangriff soll die Privatsphäre der Menschen, die Unverletzbarkeit der Wohnung, aufgehoben werden. Mittels Wanzen, Telefonüberwachung und Richtmikrophon soll ein weiteres Grundrecht geschlachtet werden. Dafür bietet sich leider gegenwärtig auch die SPD an.Der Innenminister hat heute erneut vorgeführt, daß nicht Entkriminalisierung von Bagatelldelikten ansteht, sondern weiterhin mit mehr Polizei die Lage in den Griff genommen werden soll. Der Innenminister Kanther hat heute wieder starke Worte verwendet,wenn es um den Rechtsextremismus geht. Der hier vorliegende Haushalt für Inneres ist dagegen der Beweis, daß von wirklichen Taten gegen den Rechtsextremismus überhaupt keine Rede sein kann. Eher das Gegenteil ist zu befürchten.Danke.
Als nächste spricht die Kollegin Ingrid Köppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die öffentliche Debatte über Innenpolitik hat sich in letzter Zeit auf Fragen der Kriminalpolitik und der inneren Sicherheit konzentriert. Ich denke, was hier stattfindet, ist eine Kampagne. Die großen Parteien wollen sich gegenüber der Bevölkerung im Wahljahr 1994 als Sicherheitsgeber anpreisen. Dabei wird das tatsächlich vorhandene Unsicherheitsgefühl innerhalb der Bevölkerung ausgenutzt. Doch versprochen wird nicht etwa Sicherheit vor Arbeits- und Wohnungslosigkeit, Sicherheit durch ausreichende Renten oder Sozialhilfeleistungen. Im Gegenteil: Auf all diesen Gebieten steigert die Regierung die Ängste und die Verunsicherung der Menschen immer weiter. Gleichzeitig wird versprochen: mehr Sicherheit vor Kriminalität.Unter anderem wird in diesem Zusammenhang behauptet, man müsse, um die ganz großen Verbrecher zu kriegen, jetzt einen großen Lauschangriff starten. Die Diskussion um den großen Lauschangriff scheint mit sehr abstrakt geführt zu werden. Ich will deswegen versuchen, etwas näher darauf einzugehen.Erstens. Beim großen Lauschangriff geht es nicht nur um Lauschen, sondern viel eher um eine umfassendere Überwachung. Jedem, der sich bemüht, sich in dieses unangenehme Thema hineinzudenken, wird klar werden, daß derjenige, der lauschen will, nicht einfach ins Blaue ab- und zuhören kann. Vielmehr muß er zunächst wissen, wo wann wer mit wem spricht, um lauschen zu können. Das alles erfordert umfangreiche Observationsmaßnahmen einschließlich Videoüberwachung.Zweitens. Belauscht werden nicht Verbrecher, sondern zunächst Verdächtige, also auch etliche, die keine Verbrechen begangen haben,
auch welche, die nicht an Verbrechen beteiligt sind, vollkommen unbeteiligte Bürgerinnen und Bürger.Drittens. Wir können schon davon ausgehen, daß die großen Verbrecher, die Gangster, die die Bundesregierung jetzt schnappen will, nicht blöd sind
und daß sie natürlich in der Ahnung, daß ihre Telefonate abgehört werden, daß Gespräche in den Wohnungen aufgenommen werden, auf die Idee kommen werden, ihre Verabredungen in Parks zu treffen.Viertens. Der große Lauschangriff bedeutet insgesamt die Sammlung einer Unmasse von Informationen
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Ingrid Köppeüber Bürgerinnen und Bürger, ohne daß man dabei die großen Gangster schnappen wird.Worum geht es den Befürwortern des großen Lauschangriffs wirklich? Wir wissen von der CDU — das ist auch in dem neuen Antrag zu ihrem Parteitag nachzulesen —, daß sie dem Verfassungsschutz gern mehr Kompetenzen einräumen will, u. a. gegen die organisierte Kriminalität. Mit dem großen Lauschangriff soll ein Grundrecht abgeschafft werden. Dieses Grundrecht ist uns ostdeutschen Bürgern bei der Vereinigung als Gewinn angepriesen worden. Wir müssen jetzt feststellen, daß sich die Bundesrepublik immer mehr den Überwachungsmethoden, die wir aus der DDR kennen, annähern will.
Wir lehnen die Einführung des großen Lauschangriffs ab. Statt über Lauschangriffe und andere neue Überwachungsmethoden zu diskutieren, sollten wir hier über Ursachen von Kriminalität sprechen. Wir können in Ostdeutschland sehr genau beobachten, wie mit den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen kriminelle Verhaltensweisen entstehen, die die Kriminalstatistiken erhöhen. Weil Jugendklubs dichtgemacht werden, schlagen Jugendliche Scheiben anderer Häuser ein und besetzen diese als neue Treffpunkte. Oder sie zeigen der Welt mangels Lehrstelle und Perspektive neuerdings, daß sie wenigstens bei Autorennen oder Auto- bzw. S-Balm-Surfen Mut und Erfolg haben. Alte Leute werden inzwischen beim Klauen im Supermarkt erwischt und dafür zum Teil erstaunlich hart bestraft. Erforderlich ist unseres Erachtens, die Ursachen und den Nährboden für Kriminalität energisch zu verringern. Wir meinen, die beste Kriminalpolitik ist eine gute Sozialpolitik.
Da hat die Bundesregierung unbestreitbar zuwenig zu bieten, und sie will dies auch nicht ändern.Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist bereit, intensiv an allen Überlegungen mitzuwirken, wie die Vorkehrungen zum Schutz der Bürger und zur Strafverfolgung rationaler, intelligenter und wirkungsvoller ausgestaltet werden können als bisher, auch um die Grund- und Freiheitsrechte der Bürger zu stärken statt abzubauen.Ich danke Ihnen.
Das Wort zu einer Zwischenintervention hat der Kollege Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich will hier keine Spezialdiskussion zum Gewinnaufspürungsgesetz führen, aber ich würde platzen, wenn ich dem Kollegen Wartenberg nicht sagen könnte, daß selbst der Gesetzentwurf der Bundesregierung unterhalb der internationalen Vereinbarung liegt, also weit strenger ist. Das bezieht sich nicht nur auf den Schwellenwert, sondern auch auf die Tatsache, daß der Gesetzentwurf sowohl den bargeldlosen Geldverkehr als auch Bareinzahlungen erfaßt, also weit über die internationalen Normen hinausgeht. Ich würde es dankbar begrüßen, wenn sich die anderen europäischen Länder wenigstens diesem Standard anpaßten.
Dem Innenminister möchte ich sagen: Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie erklärt haben, daß die Polizei nach Stärke und Besoldung den modernen Anforderungen entsprechen muß und daß es notwendig ist, die internationale Zusammenarbeit auszubauen. Darum stört es uns doch sehr, daß im Haushaltsplan für nächstes Jahr die Mittel für Europol vollständig gestrichen sind. Das ist eine reine Leerstelle geworden. Ich glaube, daß ist kein gutes Signal für unser gemeinsames Vorhaben, insbesondere die internationale Zusammenarbeit der Polizei zu verbessern.
Ich gebe jetzt das Wort an den Kollegen Deres.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will Sie heute und hier nicht mit DM-Beträgen oder aufs Komma genau ausgerechneten prozentualen Veränderungen, mit degressiven oder progressiven Trends bei diesem oder jenem Titel, mit Hintergrundwissen im Detail belasten. Damit werden wir uns schon in der Arbeitsgruppe, im Ausschuß und in den Berichterstattergesprächen ausreichend auseinandersetzen.Aber seien Sie gewiß: Jeder einzelne Ausgabenposten des Regierungsentwurfs kommt auf den parlamentarischen Prüfstand, auch wenn uns der Etat des Innenministers, lieber Herr Kanther, allein wegen seines Umfangs mit den etwa 1 600 weitgehend völlig unterschiedlichen Positionen eine Menge Arbeit abverlangt.Insofern bitte ich den Finanzminister, die Bemerkungen der Kollegin Ina Albowitz zu den zwei kleinen Posten Bamberger Symphoniker und Bayreuth nicht allzusehr zu gewichten. Im Grunde genommen geht es um die zwölf Geiger. Die Regierung hat sie auf einmal eingesetzt, und dann hatten wir beide nicht mehr den Mut, sie zu streichen. Sonst hätte man die Haushälter womöglich als Kulturbanausen dargestellt. Nun sind diese beiden Positionen mit etwas mehr Geld versehen.Gestatten Sie mir einige grundsätzliche Bemerkungen. Die Haushaltslage des Bundes ist von zwei gegensätzlichen Bewegungen gekennzeichnet: Auf der einen Seite sinken die Einnahmen des Bundes bzw. sie steigen nicht mehr in dem gewohnten Umfang; auf der anderen Seite wachsen gleichzeitig die Forderungen an den Bund, sich überall massiv an der Finanzierung von Aufgaben zu beteiligen. Bei seinem vielfältigen Aufgabenspektrum ist der Haushalt des Bundesinnenministeriums von dieser Entwicklung besonders betroffen, da sich dieses Ressort vielen Anforderungen nicht verschließen kann. So sind 1994 die Kosten für die Europawahl und die Bundestagswahl ebenso unabweisbar wie die Hilfe an Polen zur Bewältigung unserer Asylproblematik und die humanitäre Hilfe für Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina.Das eigentliche Problem aber ist folgendes: Die Einnahmen zwischen Bund und Ländern sind bzw.
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Karl Dereswerden neu verteilt, während gleichzeitig im BundLänder-Verhältnis die konsequente Umschichtung bei vielen Ausgabenpositionen noch fehlt.
Das ist eine der dringendsten Aufgaben, vor denen wir stehen.Wir sollten im Detail, wo wir können, diese Dinge schon entsprechend korrigieren. Das ist keine Drohung, sondern ein durchaus gerechter Weg.
Im Hinblick auf die Finanzen des Bundes und auf die verfassungsmäßig gebotene Aufgabenteilung werden wir auf Bundesebene von einer ganzen Reihe liebgewordener Ausgaben und auch Aufgaben abrücken müssen. Das tut weh, das kostet Kraft, das ist wenig wählerwirksam, aber auch das ist Gewinnung neuer Spielräume und damit letztlich Zukunftssicherung.Zwar gibt jeder vor, er habe volles Verständnis für die Spar- und Konsolidierungszwänge — ich kann mir bei diesem Satz jetzt gar nicht mehr ausmalen, wie freundlich die Gesichter meiner Gesprächspartner waren —, doch schon im zweiten Satz hört man bei jedem dieser Gespräche das Sankt-Florians-Prinzip heraus: Sparen ja, aber nicht bei uns! Doch einen anderen Weg gibt es nicht. Steuererhöhungen sind bei hoher Staatsquote ausgereizt. Für die Staatsquote und die Neuverschuldung gibt es nur eine Zielrichtung: Zurück, marsch, marsch!Ich habe es an dieser Stelle mehrfach als eine bittere Erfahrung aus dem Haushaltsausschuß bezeichnet, daß mehr Geld für Stellen und Sachmittel allein noch keine Probleme löst. Ich möchte auf diesen Satz jetzt noch einmal ganz genau eingehen, liebe Kolleginnen und Kollegen; denn ich halte ihn für außerordentlich wichtig.Wir nehmen noch einmal das Beispiel Asyl. Jahrelang konnten wir den steigenden Asylbewerberzahlen immer nur mit hängender Zunge hinterherhecheln. So mußten wir die Personal- und Sachausstattung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge — wir sagen schlicht und einfach BAFl — ständig ausweiten, nur um mit den wachsenden Asylbewerberzahlen wenigstens halbwegs Schritt halten zu können. Im Jahre 1993 haben wir z. B. die Möglichkeit, 5 549 Mitarbeiter auf Dauerarbeitsplätzen einzustellen — gegenüber 532 Stellen im Jahre 1988 eine runde Verzehnfachung — nach dem Motto: Personal- und Sachmittel werden die Dinge schon lösen. Pustekuchen! Den Zustrom konnte das weder eindämmen noch entscheidend begrenzen. Dafür habe ich an dieser Stelle immer wieder eine politische Lösung angemahnt.Seit dem 1. Juli ist diese Lösung endlich in Kraft. Die ersten Zahlen zeigen, daß die neue Regelung wirksam greift. Das wird auch die innenpolitische Lage in unserem Lande befrieden helfen. Es zeigt eine positive Wirkung aber auch in den notwendigen Ansätzen im Haushalt für das BAF1. Weil die Mehrheit im Hause nun endlich unseren sachgerechten Vorstellungen zur Begrenzung des massenhaften Asylmißbrauchs gefolgt ist und der Änderung des Grundgesetzes zugestimmt hat, können wir jetzt die Ausgabensteigerungsspirale beim BAF1 beenden. Endlich sind wir Haushälter vom Zwang befreit, immer wieder zusätzliche Millionen für das BAF1 bewilligen zu müssen. So wird Politik wieder berechenbar, auch haushaltsmäßig. Das ist ein Erfolg.Wie Sie sehen: Politik läßt sich auch ohne den massiven Einsatz von Geld machen. Das müssen gerade wir Haushälter uns und anderen immer wieder in Erinnerung rufen; denn es wird noch immer viel zu häufig der vermeintlich einfachere Weg über neue Aufgaben, neue Zuwendungsempfänger und neue Planstellen gegangen. Damit lösen wir die Probleme aber nicht, sondern verlagern die notwendigen Entscheidungen lediglich in die Zukunft. Wir kaufen uns für viel Geld Zeit, und das ist keine Lösung. Das geht regelmäßig zu Lasten der Steuerzahler, deren Anwalt wir als Parlamentarier zu sein haben. Einfach nur Millionenbeträge zu fordern zeugt von wenig Phantasie, zumal das ja angesichts knapper Kassen auch immer weniger einfach ist. Hier gilt es umzusteuern, meine Damen und Herren.Schauen wir uns deswegen doch einmal den Bereich der inneren Sicherheit unter diesem Aspekt an! Eine wirksame Verbesserung der Lage, also mehr Schutz der Menschen vor Gewalt und Kriminalität, wird nicht hauptsächlich oder gar ausschließlich durch neue Ausgaben zu erreichen sein. Auf die Methoden der Kriminalitätsabwehr und -vorbeugung vielmehr kommt es an.
— Auch das.Natürlich sichern wir die Arbeit von BGS oder BKA finanziell ab — keine Frage. Doch auch für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität gilt: Geld und Stellen allein lösen das Problem nicht. Deswegen habe ich eben BAFl so deutlich in den Vordergrund gestellt.Meine Damen und Herren, die Forderung, die Zahl der Polizeibeamten um zigtausend — um 20 000 oder um 10 000 — zu erhöhen, ist keine Lösung des Problems der inneren Sicherheit.
Es liegt eben nicht an mangelnden Ausgaben für die Ermittlungs- und Polizeibehörden, wenn Dealer, Waffenschieber, Mörder, Frauenhändler oder Kinderschänder in ihren Verbrechernestern, vornehm von einigen als „Privatwohnung" apostrophiert, ungestört telefonieren und ihre schmutzigen Geschäfte abwikkeln können.Es darf keine Schutzzonen für diese Verbrecher geben. Dieses Thema hat zu viele ernste Folgen für die betroffenen Opfer, als daß man sich länger akademischen Debatten über den sogenannten Lauschangriff hingeben dürfte. Das Abhören von verdächtigen Schwerverbrechern muß endgültig möglich sein. Ver-
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15024 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Karl Deresbrecher haben keinen Anspruch auf den Schutz ihrer Schlupflöcher.
Vielmehr haben die Opfer ein Recht darauf, daß die Behörden alle Mittel, die nötig sind, nutzen können, um in unserer technisierten Welt Verbrechen aufdekken zu können. Der Rechtsstaat darf nicht die Verbrecher schützen, er muß den Schwachen, den Opfern dienen. Dazu gehört, daß er sich mit wirksamen Methoden gegen Verbrechen zur Wehr setzen kann. Nicht der Polizist muß in gefesselten Händen herumlaufen, sondern den Verbrechern gehören Ketten . angelegt. Das sollten alle beherzigen, die hier im Hause und in den Ländern nicht bereit sind, die Behörden von überholten Fesseln zu befreien.Gestatten Sie mir noch ein kurzes Wort zur Kulturförderung. Gerade hier, wo der Bund ordnungsgemäß keine originäre Zuständigkeit hat, müssen wir zu neuen Überlegungen bereit sein.So werde ich immer z. B. dafür gescholten, daß wir den vier Kulturförderfonds zur Auflage gemacht haben, ein Drittel ihrer Bundeszuschüsse zur Stockbildung zu verwenden. Sinn der Übung: Wir wollen und müssen weg von der dauerhaften Abhängigkeit der Kultur von der Kassenlage der öffentlichen Hände. Denn die Folge ist: In knappen Zeiten wie jetzt sind Einschnitte unverzichtbar, und alle schreien. In guten Zeiten werden mit vollen Händen Besitzstände geschaffen, die man nie oder nur sehr schwer wieder beseitigt bekommt. Das tut der Kultur und ihrer Unabhängigkeit vom Staat nicht gut, und dem Haushälter muß es in der Seele bluten. Daher fordere ich die Pflicht zur Stockbildung.Das Stockvermögen wird in absehbarer Zeit eine unabhängige und daher kalkulierbare Basis für die Arbeit der Fonds sein, die Fonds werden unabhängiger vom staatlichen Füllhorn, und der Staat braucht hier keine Verwaltungskraft und keine Verwaltungskosten zu investieren.Bei der Stiftung Lesen haben wir das Modell übrigens erfolgreich praktiziert. Warum wenden wir dieses Modell nicht großflächiger an, nachdem wir eingehend geprüft haben, bei welchen Institutionen und Projekten der Bund als Financier im Kulturbereich überhaupt noch in Frage kommt?Meine Damen und Herren, meine Zeit ist abgelaufen.
— Ob das die Uhr ist oder die Zeit, meine Damen und Herren; wir wissen doch, daß wir den Zeiger gemeint haben, der da läuft.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Ich hätte gern noch etwas zur Übergangsfinanzierung, zur Kultur gesagt. Aber die Ina hat schon bestätigt, daß das in diesem Jahr auslaufen soll. Ich bin einmal gespannt, ob der Herr Rexrodt bereit ist, die 500 Millionen DM an nicht verwandten Förderungsmitteln im mittelständischen Bereich dem Einzelplan 06 zu überstellen, über den Zaun herüberzureichen,
um diese Mittel dann entsprechend für die Übergangsfinanzierung auszugeben.
Als nächster Redner der Kollege Wolfgang Thierse.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich erlaube mir, nur über einen ganz kleinen, bescheidenen, aber deshalb ganz und gar nicht unwichtigen Teil des Haushalts des Innenministeriums zu reden. Herr Deres hat ihn zuletzt angesprochen, Frau Albowitz hat darüber ausführlich gesprochen. Wenn man es genau nimmt, habe ich über ein Nichts im wörtlichen Sinne zu reden. Ich spreche über die Mittel zur sogenannten Übergangsfinanzierung für die neuen Länder.
Was ist passiert? Das Bundesinnenministerium hatte 621 Millionen DM für das kommende Jahr beantragt, 500 Millionen DM zur Substanzerhaltung und Infrastruktur, 60 Millionen DM für Denkmalschutz, 58 Millionen DM für das Sonderprogramm für repräsentative Einrichtungen Berlins, 3,5 Millionen DM für einen kleinen Topf: Überwindung der Teilungsfolgen. Im Haushaltsentwurf der Bundesregierung ist dafür kein Pfennig mehr vorgesehen. Nichts mehr. Schweigen.
— Was heißt Schweigen? Es geht um einen Wortbruch; denn im Einigungsvertrag hat der Bund die Verpflichtung übernommen, für die Erhaltung der kulturellen Substanz in Ostdeutschland zu sorgen. Von Übergangsfinanzierung ist dabei nicht die Rede.
— Ich komme darauf zurück.
Gestatten Sie vorher eine Zwischenfrage des Kollegen Weng?
Herr Kollege Thierse, geben Sie mir zu, daß natürlich von Jahr zu Jahr im politischen Raum bei Einmütigkeit der Betroffenen auch Dinge fortgeschrieben und verändert werden können und in der Konsequenz unter Zustimmung der Betroffenen die von Ihnen hier angesprochene Förderung eigentlich schon im vorvergangenen und dann im vergangenen Jahr deshalb auslaufen sollte, weil den Bundesländern die entsprechenden Mittel in der Geldmittelverteilung zur Verfügung gestellt worden sind? Geben Sie mir deswegen zu, daß, auch wenn wir uns jetzt bemühen, im Haushaltsverfahren etwas zusätzlich zu tun, hier in bezug auf das, was die Bundesregierung beschlossen hat, nicht von einem Wortbruch geredet werden kann?
Ich gebe Ihnen das nicht zu. Ich stelle zunächst einen interessanten Widerspruch zu Ihrer Kollegin fest, die ja ein ganz anderes, ein diametral entgegengesetztes Anliegen verfochten hat.
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Wolfgang ThierseZweitens will ich genau darauf zurückkommen. Es ist bereits in diesem Jahr erheblich eingespart worden: 8 % der Mittel. Das betrifft übrigens nicht nur ostdeutsche, sondern auch westdeutsche Kultur. Wenn ich an Recklinghausen und die Ruhrfestspiele denke, dann muß ich sagen: Das sind schmerzliche Einschnitte, die kulturelle Folgen haben.Ich spreche jetzt davon, was das für das kommende Jahr für Folgen haben wird. Natürlich habe ich gelesen, was der Bundesfinanzminister in der FAZ neulich geschrieben hat. Er hat das Argument benutzt, das offensichtlich auch Sie verwenden: durch den Bund-Länder-Finanzausgleich und den sogenannten Solidarpakt
seien ja die neuen Länder so gut ausgestattet. Aber Sie wissen doch, wie die wirtschaftliche und finanzielle Lage der neuen Länder ist. Sie sind damit beschäftigt, vor allem ihre Pflichtaufgaben zu erfüllen — Krankenhausbau, Verkehrswege etc. etc. —, während für die freiwillige Aufgabe Kultur nur sehr wenig eingesetzt werden kann, jedenfalls nicht ausreichend viel, um das zu ersetzen, was der Bund an Verpflichtungen übernommen hat.Ich sage ja ausdrücklich, daß in den Jahren 1991 bis 1993 die sogenannte Übergangsfinanzierung ganz Wesentliches zur Erhaltung der kulturellen Substanz beigetragen hat. Ich begrüße das und sage: Dies muß fortgesetzt werden, weil die neuen Länder weiter die Solidarität des Bundes brauchen.
— Entschuldigen Sie, das Gegenteil von dem, was Sie sagen, ist: Die Streichung der Mittel führt jetzt dazu, daß das Geld, das bisher zur Erhaltung kultureller Substanz ausgegeben worden ist, zu hinausgeworfenem Geld wird. Das ist bare Unvernunft. Wir brauchen im Osten weiter diese zusätzliche Finanzierung. Ich will es an ein paar Beispielen demonstrieren.Der Bund fördert zur Zeit z. B. zu 21 % das Volkstheater Rostock, zu 33 % die Ernst-Barlach-Gedenkstätte in Güstrow, zu 31 % die Staatsoper Dresden. Über das Infrastrukturprogramm, das 2 000 Maßnahmen umfaßt, werden u. a. 150 Musikschulen gefördert. Wer soll die Mehrkosten auffangen, wenn der Bundeszuschuß wegfällt?Wir nehmen sehenden Auges in Kauf, daß kulturelle Infrastruktur, daß eine Menge kultureller Projekte und Substanzerhaltung kaputtgehen. Ich weiß nicht, was das in einer Situation bewirken wird, in der wir doch alle miteinander davon reden, daß Rechtsradikalismus, soziale Verunsicherung, Identitätsschwierigkeiten der Deutschen für uns auch eine politische Aufgabe darstellen und daß man Rechtsradikalismus nicht nur mit Mitteln der Polizei bekämpft, sondern daß da auf der Ebene der Kultur eine ganz wesentliche Aufgabe zu bewältigen ist.Wir müssen doch ganz nüchtern sehen, was passieren wird, wenn diese Mittel so abrupt gestrichen werden. Es ist ein Kahlschlag. Es geht nicht so sehr darum, daß etwa die großen Leuchttürme der Hochkultur gefährdet sind. Die Semper-Oper wird nicht gefährdet sein; kein sächsischer Ministerpräsident, egal, welcher Partei er angehört, wird wagen, diese Institution anzutasten. Und so weiter: Die Deutsche Staatsoper in Berlin oder Bayreuth sind erwähnt worden. Für Bayreuth wird der Titel noch ausgeweitet. Das ist ein Geschmacksurteil des Herrn Bundesfinanzministers. Ich finde das höchst bedenklich. Auch ich habe Vorlieben; aber es ist schlimm, wenn sie in den Haushalt Eingang finden. Da wird erhöht, um an anderer Stelle auf schlimme Weise zu streichen.
Nein, was auf der Strecke bleibt, sind Bibliotheken, Kinos, soziokulturelle Zentren, kulturelle Alltagsarbeit, also all das, was gerade für die kleineren Leute wichtig ist, für die normalen Menschen, für diejenigen, die etwas weniger Geld haben und sich Kultur dann nicht leisten können.Die Länder und Kommunen rechnen alle mit dem Geld. Es ist ihnen zugesagt worden. Die Zusicherung hieß: Die sogenannte Übergangsfinanzierung gibt es bis zum Bund-Länder-Finanzausgleich. Aber der tritt ja jetzt noch nicht in Kraft. Die Streichung bedeutet also Wortbruch, und die Bundesregierung sorgt hier mit besten Kräften für Politikverdrossenheit.Ich bitte, auch zu bedenken — das gehört doch zur Realität —, daß gerade im Kulturbereich zahlreiche AB-Maßnahmen begonnen haben, daß überhaupt ein gut Teil der Alltagskultur nur noch mit AB-Maßnahmen aufrechterhalten worden ist. Die Kommunen haben — vielleicht leichtsinnig, gewiß aber gezwungenermaßen — viel in der Kultur über diese AB-Maßnahmen initiiert. Diese Arbeitsplätze werden wegfallen, und damit bricht Wesentliches in der Kultur weg.
Es ist, glaube ich, schon eine Spur von Heuchelei dabei, wenn Finanzminister Waigel in seinem „FAZ"-Artikel betont, daß die Ministerpräsidenten gesagt hätten, ab dem Bund-Länder-Finanzausgleich seien sie in der Lage, ihre Kulturaufgaben zu erfüllen. Angesichts der momentanen wirtschaftlichen Situation ist dies zweifelhaft. Für 1994 ist es aber auch ausgeschlossen, denn der Bund-Länder-Finanzausgleich greift 1994 noch gar nicht.Der Bundeskanzler weiß dies genau, denn am 30. Juni dieses Jahres hat er den Ministerpräsidenten noch zugesagt, die Streichung der Übergangsfinanzierung zu überprüfen. Er sieht also das Problem. Er und die Ostländer sind sich also darüber im klaren, daß es so nicht geht. Darüber hinaus zeigen sich auch die Westländer solidarisch. Mir liegt ein Brief der Präsidentin der Kultusministerkonferenz vor, in dem sie ausdrücklich sagt, daß eine Streichung der Übergangsfinanzierung fachlich und politisch schwerwiegende Folgen für die kulturelle Struktur und die kulturellen Einrichtungen in den neuen Ländern hätte.
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Wolfgang Thierse— Wir müssen jetzt hier ja nicht noch einmal über den Bund-Länder-Finanzausgleich und über das diskutieren, was in den Solidarpaktverhandlungen gemeinschaftlich vereinbart worden ist.Der Bundesfinanzminister hat schon recht, wenn er schreibt — ich will ihm ja auch einmal zustimmen —:Unser Land wäre ein armes Land, wenn wir nur in Wirtschaftsdaten denken würden, ohne Literatur, Musik und bildende Kunst.
Er hat recht. Vielen Menschen in Ostdeutschland will er aber bereits im nächsten Jahr ein solches Land offerieren.Mit den Planen, ab 1995 die Bundeskulturförderung überhaupt drastisch zu reduzieren, mutet er uns allen dann eine kulturelle Verarmung zu, die zu einer kulturellen Katastrophe werden könnte. Lesen Sie einmal die Liste durch, die im Bundesinnenministerium erstellt worden ist. Dann werden Sie feststellen, was es für Folgen hätte, wenn die Bundesmittel überhaupt gestrichen würden.Kultur kann und darf nicht das Sparschwein der Nation sein. Angesichts von Werteverlusten, von Identitätsverfall und tiefer Verunsicherung der Bevölkerung, gerade auch der Jugend, aber eben auch als wirtschaftliche Größe und Standortfaktor brauchen wir Kultur. Der Bund darf die Lander und Kommunen gerade auch in Ostdeutschland auch weiterhin nicht im Stich lassen. Die Folgen wären für die Kultur katastrophal.
Als nächstem erteile ich dem Kollegen Erwin Marschewski das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gerade am Ende dieser Debatte kann ich feststellen: Die Arbeit des Bundesinnenministers war erfolgreich, und wir werden diese Arbeit fortsetzen.
Dies gilt vor allen Dingen für die neue Asylregelung. Vor einem Jahr hatten wir im August 40 000 Asylbewerber, jetzt waren es noch 14 500. Dies zeigt, meine Damen und Herren: Die Neuregelung greift, es wird schneller entschieden, die Zahl der Asylanträge sinkt, und den Schlepperbanden wird die Geschäftsgrundlage genommen.Natürlich stehen noch Verhandlungen aus. Ich denke an Verhandlungen mit Prag. Ich denke aber auch, Herr Innenminister, daß wir die letzten Probleme mit den Tschechen regeln werden, genauso wie wir sie in hervorragender Weise mit den Polen geregelt haben.
Aber, ich denke, auch die Lander müssen das Ihrige noch tun. Das heißt, wir brauchen mehr Richter, wir müssen schneller entscheiden, und wir müssen abgelehnte Asylbewerber schneller abschieben.Vorweg ein Wort zur Kultur. Daß ich als Recklinghäuser mich für die Ruhrfestspiele einsetze, für dieses großartige Werk der deutschen Arbeitnehmerschaft, ist selbstverständlich.Aber auch ein Wort zur Kultur in den neuen Bundesländern. Wir haben, Herr Kollege Thierse, die Kultur in den neuen Bundesländern mit über zweieinhalb Milliarden Mark gefördert. Dies war eine großartige Leistung. Wir sollten dem Bundesfinanzminister dafür ganz herzlichen Dank sagen.
Richtig ist auch, daß wir die Kulturförderung in den neuen Ländern 1993 beenden wollten. Trotzdem, meine Damen und Herren, meine Forderung: Lassen Sie uns darüber noch einmal nachdenken. Denn Kunst und Kultur waren in den Jahren der Teilung Deutschlands eine wesentliche Grundlage der fortbestehenden Einheit der deutschen Nation.
Sie leisteten im Prozeß der staatlichen Einheit der Deutschen einen unverzichtbaren Beitrag. Ich meine, daß sich diese Feststellung im Einigungsvertrag bis heute nicht geändert hat.Meine Damen und Herren, zu den wichtigsten Aufgaben der Innenpolitik gehört die Gewährleistung der inneren Sicherheit. Diese wird bedroht durch Kriminalität, durch Rechts- und Linksextremismus. In den letzten Jahren überwog die rechtsextremistische Militanz. Der Bundesinnenminister hat dies gesagt: 17 Todesfälle zeigen ein trauriges Bild. Aber richtig ist auch, daß die Zahl der Linksextremisten um 2 000 gestiegen ist und in Bad Kleinen ein Polizeibeamter durch Schüsse eines RAF-Angehörigen ermordet wurde.Natürlich hat die Aufklärung der Vorgänge in Bad Kleinen für uns Priorität. Gerade deswegen, meine Damen und Herren, will ich mich noch einmal an den „Spiegel" wenden. Natürlich stehen wir dafür ein, daß Journalisten ein Zeugnisverweigerungsrecht haben. Aber ich wiederhole: Zeugnisverweigerungsrecht bedeutet nicht Pflicht zur Zeugnisverweigerung. Ich fordere den „Spiegel" auf, freiwillig den Zeugen zu nennen.
Oder man muß die Frage stellen: Hat der „Spiegel" vielleicht gar keinen Zeugen?Innere Sicherheit, meine Damen und Herren, ist eine ständige Aufgabe. Ich möchte hier nicht in Schuldzuweisungen und Vorwürfen für tatsächliche und angebliche Versäumnisse in der Vergangenheit einstehen. Was wir brauchen, ist gemeinsames Han-
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Erwin Marschewskidein. Eines darf ich sicherlich aber sagen: Für die Polizeien, meine Kollegen der SPD, sind die Länder nun einmal zuständig. Wir haben nur die Möglichkeit, Strafrecht zu schaffen, Strafprozeßrecht zu ändern.Dabei geht es uns insbesondere darum, dem Extremismus und namentlich dem braunen Spuk ein Ende zu bereiten. Wir dürfen dafür anfällige junge Menschen nicht alleinlassen. Wir brauchen endlich einmal wertorientierte Erziehung, geschichtliche Erziehung in unseren Schulen.Aber ich denke, wir brauchen auch neue Gesetze. Daher müssen wir alle Verbesserungsmöglichkeiten prüfen. Da ist die Behauptung, wir hätten neue Gesetze gar nicht nötig, falsch, so meine ich. Wir brauchen z. B. die Strafbarkeit der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Oder können wir es denn ansehen, meine Damen und Herren, daß jemand vor einer Demonstration Waffen bei sich trägt, daß er sich gewaltbereit zeigt, daß er vorhat, Gewalt auszuüben? Ist es dann nicht sinnvoll, den vorbeugenden Unterbindungsgewahrsam in Deutschland generell einzuführen?Oder denken wir an die Untersuchungshaft! Kein Mensch kann doch begreifen, daß jemand heute abend Molotow-Cocktails auf Ausländer und die Polizei wirft, daß er festgenommen wird, daß er vernommen wird, daß er freigelassen wird und den gleichen Unsinn, die gleichen Verbrechen am nächsten Tag wieder begehen kann, meine Damen und Herren. Deswegen müssen wir die Wiederholungsgefahr bei Untersuchungshaft deutlicher zum Ausdruck bringen.
Ein weiteres. Ich meine, der Verfassungsschutz sollte in die Lage versetzt werden, z. B. die Tätigkeit sogenannter Wehrsportgruppen zu überwachen. Es ist doch nicht richtig, daß Maßnahmen nach dem G-10-Gesetz gegen Rechtsextremisten erst möglich sind, wenn diese Morde oder Brandanschläge oder terroristische Taten ganz konkret beabsichtigen.Meine Damen und Herren, wer sich gegenüber diesen Rechtsänderungen versperrt, muß sich fragen: Habe ich wirklich alles mir Mögliche gegen extremistische Gewalt getan? Oder habe ich aus ideologischer Verblendung oder weshalb auch immer diese gebotenen Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus verhindert?Entsprechendes gilt bei der Bekämpfung der Kriminalität. Wenn wir hier nicht, meine Damen und Herren — auch der SPD —, zu einem parteiübergreifenden Sicherheitsabkommen gelangen, werden wir keine Chance haben, der Kriminalitätszunahme wirksam zu begegnen. Denn nur wenn sich der Staat entschlossen gegen die Bedrohung des inneren Friedens zur Wehr setzt, wird er vom Vertrauen der Bürger getragen. Ansonsten wird er nicht getragen, mit den schlimmen Folgen, meine Damen und Herren.Deswegen begrüße ich, daß das SPD-Präsidium beschlossen hat, das Abhören in Gangsterwohnungen mit Richtervorbehalt zuzulassen, wenn es auch, meine Damen und Herren,
wieder um ein paar Jahre zu spät kommt, wie beim Asyl.
Die Maßnahmen kommen sehr spät, denn es darf — da sind wir uns doch einig — keinen Ort geben, an dem Verbrecher ihren dunklen Geschäften in Ruhe nachgehen können, meine Damen und Herren.Deswegen begrüße ich auch — wir haben ja hart daran gearbeitet —, daß im Vermittlungsausschuß erneut über das Geldwäschegesetz diskutiert wird. Meine Position kennen Sie. Ich bin zu jeder Änderung dieses Gesetzentwurfs bereit, die hilft, die nationale und internationale Geldwäsche besser in den Griff zu bekommen.Deswegen, meine Damen und Herren, werden wir noch in dieser Legislaturperiode neue Gesetze vorlegen. Ich meine das Bundeskriminalamtsgesetz, das Bundesgrenzschutzgesetz und das Sicherheitsüberprüfungsgesetz.
— Ja, das ist richtig, aber wir müssen ein vernünftiges Gesetz vorlegen. Das ist wichtig. Wir wollen dies tun, meine Damen und Herren, um dem Bürger ein sicheres Leben zu gewährleisten, weil wir gerade den Schwächeren in unserer Gesellschaft beistehen wollen.Richtig ist, daß wir da handeln, wo dies angezeigt ist. Wir machen Gesetze, wo dies nötig ist. Aber wir machen keine Gesetze, wo es nicht nötig ist. Und deswegen werden wir einer generellen Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft nicht entsprechen, meine Damen und Herren,
weil doppelte Staatsbürgerschaft nicht integrationsfördernd ist, weil sie mehr Probleme schafft, als sie löst.
Deswegen brauchen wir auch kein Zuwanderungsgesetz, meine Damen und Herren. Wenn wir etwas brauchen, so wäre dies ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz, weil immer noch sehr viele Menschen nach Deutschland kommen.Ich meine daher — und ich komme zum Schluß —, meine Damen und Herren, es paßt hier gerade, was Montesquieu so formuliert hat: Wenn es nicht nötig ist, ein Gesetz zu erlassen, so ist es notwendig, keines zu erlassen. — Und das — nur das — wollen wir heute tun.Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Themenbereich vor.
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15028 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Präsidentin Dr. Rita SüssmuthWir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Das Wort hat die Bundesministerin Frau Leutheusser-Schnarrenberger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Sehr geehrte Herren! Die Rechtspolitik steht seit 1990 besonders im Zeichen der deutschen Einheit. Die Rechtsanpassung ist die notwendige Bedingung für ein wirkliches Zusammenleben zweier zusammenwachsender Staaten sowie für Rechtssicherheit und Rechtsvertrauen der Menschen in den neuen Ländern.
Die Lösung der offenen Vermögensfragen und die Wiedergutmachung des ihnen durch den SED-Staat zugefügten Unrechts sind dabei die zentralen Fragen. Wir haben deshalb nicht nur die VermögensrechtsÄnderungsgesetze verabschiedet, wir haben auch mit dem ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz eine Rehabilitierungsregelung geschaffen, die einen Ausgleich strafrechtlicher Unrechtsmaßnahmen schafft. Darüber hinaus haben wir gesetzgeberische Justizaufbauhilfe durch das Rechtspflege-Anpassungsgesetz und das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege geleistet, außerdem durch praktische Maßnahmen den Aufbau der Rechtspflege in den neuen Ländern seit 1991 von seiten des Bundes mit über 100 Millionen DM jährlich unterstützt.
Wir müssen aber noch mehr tun, um die in den neuen Ländern teilweise noch bestehende Rechtsunsicherheit möglichst schnell zu beseitigen und einen Zustand zu schaffen, in dem die Menschen aus den neuen Ländern ihre Interessen angemessen berücksichtigt wiederfinden.
Die Bundesregierung hat am 20. Juli 1993 den Entwurf eines Sachenrechtsänderungsgesetzes vorgelegt, in dem die dringend notwendige Neuordnung der Rechtsverhältnisse zwischen Grundstückseigentümern und -nutzern, die im Augenblick noch in besonderem Maße für Unruhe unter den Betroffenen sorgt, einer auf das Institut des Erbbaurechts beruhenden Regelung zugeführt werden soll.
Es liegt der Regierungsentwurf eines zweiten Unrechtsbereinigungsgesetzes vor. Was weiter aussteht, ist die vollständige Bereinigung der schuldrechtlichen Nutzungsverhältnisse an Grundstücken, mit der die Nutzungsverträge zu Erholungszwecken — die sogenannten Datschenverträge — in Pachtverträge mit einem besonderen Kündigungsschutz in den ersten Jahren umgewandelt werden sollen. Hier liegt ein vom Justizministerium erarbeiteter Referentenentwurf, der derzeit abgestimmt wird, vor. Ich glaube, es ist sehr wichtig, daß wir auch hier versuchen, möglichst schnell zu Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu kommen.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang auch ein Wort zur Restitution der Mauergrundstücke. Ich habe schon im März im Rechtsausschuß deutlich gemacht, daß es sich um eine außerordentlich schwierige Frage handelt: Denn auf der einen Seite wiegt der Symbolcharakter schwer, den die Grenzanlagen auf diesen Grundstücken in Deutschland, aber auch weltweit für die deutsche Teilung hatten; auf der anderen Seite muß man auch die Konsequenzen und
Risiken im Auge behalten, die mit der Restitution der Mauergrundstücke verbunden sein können.
Trotz aller Bedenken sollten wir gemeinsam prüfen, ob nicht für diese herausgehobene Fallgruppe eine besondere, allerdings hierauf beschränkte Regelung möglich ist.
Das ist eine politische Lösung dieses Problems, die versuchen muß, Präzedenzwirkungen auszuschließen, und deshalb in diesem Sinne von Bund und Ländern — auch wegen der wirtschaftlichen und fiskalischen Auswirkungen — gemeinsam getragen werden muß.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen de With?
Ja.
Frau Ministerin, darf ich Sie daran erinnern, daß wir in Berlin — und zwar war das die gemeinsame Meinung des Rechtsausschusses — genau das, was Sie heute gesagt haben, schon festgestellt hatten, nämlich daß geprüft werden muß, aber mit der Tendenz, daß eine solche Regelung zu erfolgen hat?
Was ist denn Ihre Meinung? Prüfen Sie noch immer, oder haben Sie jetzt eine Meinung gefunden?
Meine Auffassung ist die, daß versucht werden muß, eine Abgrenzung zu finden, damit wir nicht mit der Restitution der Mauergrundstücke in eine Totalrestitution einsteigen. Denn das ist etwas, was gerade mit dem Einigungsvertrag nicht geschaffen werden sollte. Außerdem müssen wir aufpassen, nicht anderes Unrecht möglicherweise zu verstärken, dadurch, daß wir für bestimmte Fälle Restitution zulassen.
Ich habe hier deutlich gemacht, daß die Symbolwirkung, die mit der Mauer und den Grenzanlagen verbunden ist, ein Ansatz sein kann, um hier eine besondere Fallgruppe darzustellen.
Das Justizministerium hat aber auch in anderen Bereichen wichtige Vorhaben weiterbetrieben.
Der Herr Kollege Krause möchte eine Zwischenfrage stellen.
Ja bitte.
Frau Ministerin, sind Sie bereit, in gleicher Weise wie bei den Mauergrundstücken in Berlin auch die Zwangsausgesiedelten an der ehemaligen innerdeutschen Zonengrenze einzubeziehen?
Ich darf darauf direkt antworten, und zwar so klar, wie das sonst oft bei schwierigen Fragen nicht der Fall ist. Im Zweiten SED-Unrechts-
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Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bereinigungsgesetz, das zur Beratung vorliegt, sind die Zwangsausgesiedelten einbezogen, d. h. sie werden so gestellt, daß sie dem Vermögensgesetz unterliegen und dort die entsprechenden Ansprüche haben und geltend machen können.Ich darf auf einen wichtigen Bereich der Gesetzgebung zu sprechen kommen, nämlich auf den notwendigen Schutz von Kindern und Jugendlichen. Wir haben nicht nur die UN-Kinderkonvention ratifiziert, sondern auch die Arbeiten an einer umfassenden Reform des Kindschaftsrechts mit Nachdruck in Angriff genommen. Mein Versprechen, einen Teil dieser Reform noch in dieser Legislaturperiode zur Verwirklichung möglichst bald auf den Weg zu bringen, habe ich inzwischen eingelöst.Auf meinen Vorschlag hin hat das Kabinett Ende August den Entwurf eines Mißhandlungsverbotsgesetzes beschlossen, das die Grenzen des elterlichen Erziehungsrechts neu fassen soll. Entwürfe zur Abschaffung der gesetzlichen Amtspflegschaft, zur Neuregelung des Erb- und Unterhaltsrechts nichtehelicher Kinder sind so weit erarbeitet, daß Beratung und Verabschiedung in der laufenden Legislaturperiode möglich erscheinen.Ich darf auch kurz auf Gesetzgebungsvorhaben im wirtschaftsrechtlichen Bereich hinweisen. Zur Insolvenzrechtsreform ist zu sagen, daß sie mit der Sachverständigenanhörung jetzt in eine ganz entscheidende Phase getreten ist. Die in dieser Anhörung erhobenen Bedenken haben die Notwendigkeit einer noch weiteren Vereinfachung, vor allem einer Straffung der Verfahren und einer zahlenmäßigen Reduzierung der zukünftig notwendigen gerichtlichen Entscheidungen aufgezeigt. Das Justizministerium hat sich diesen Forderungen nicht verschlossen. Ich bin deshalb zuversichtlich, daß wir den Entwurf einer Insolvenzordnung mit den entsprechenden Änderungen noch in dieser Legislaturperiode werden verabschieden können.
Es finden derzeit intensivste Gespräche mit den Berichterstattern statt. Was dort gemeinsam erarbeitet wird, ist dann auch die Grundlage der abschließenden Beratungen hier im Bundestag.Ich darf noch erwähnen, daß wir uns mit Nachdruck den Arbeiten zu einem Gesetz zur Neuordnung des anwaltlichen Berufsrechts widmen. Ich glaube, es ist sehr wichtig, daß wir auch in diesem Bereich, bezogen auf die Rechtseinheit in Deutschland, möglichst schnell zu einer Beratung kommen.Aber die Bedeutung der meisten Vorhaben — mag sie im Einzelfall auch noch so groß sein — verblaßt vor dem Problem des Rechtsextremismus mit seinen fremdenfeindlichen Gewalttaten. Nicht erst seit Solingen müssen wir unser besonderes Augenmerk darauf richten, der seit 1990 beständig angestiegenen rechtsextremistischen, fremdenfeindlich motivierten Gewalt in ihren unterschiedlichsten Erscheinungsformen wirksam zu begegnen.Grundsätzlich steht ein breitgefächertes und ausreichendes Instrumentarium zur Bekämpfung der strafrechtlichen Auswüchse fremdenfeindlicher Ausschreitungen zur Verfügung. Dieses Instrumentarium gilt es effizient und effektiv anzuwenden.
Handlungsbedarf des Gesetzgebers sehe ich in diesem Bereich nur in wenigen Punkten. Dort, wo ich Ergänzungen für notwendig halte, habe ich auf der Grundlage des Zwischenberichts der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt und Fremdenfeindlichkeit einen Gesetzentwurf vorgelegt, von dem ich auch nach dem Verlauf der Debatte heute morgen annehme, daß er möglichst schnell in den parlamentarischen Beratungen zu einem Abschluß gebracht werden könnte.Im einzelnen darf ich folgende Punkte erwähnen: Um die Strafverfolgung radikaler Gewalttäter zu erleichtern, soll die Handhabbarkeit des Haftrechts verbessert werden, und zwar durch Streichung der Regelvoraussetzung der Erstverurteilung beim Haftgrund der Wiederholungsgefahr.Die Strafbarkeit der Verwendung nationalsozialistischer Symbole soll auch auf solche Fälle ausgedehnt werden, in denen sie verfremdet und verzerrt verwendet werden.Es soll die Strafandrohung bei der schweren Körperverletzung erhöht werden.
Ganz wichtig ist, daß beim Bundeszentralregister in Berlin ein zentrales staatsanwaltschaftliches Informationssystem eingerichtet wird, das es frühzeitig ermöglicht, Tathintergründe sowie Tat- und Täterverbindungen zu erkennen und so die Frage bestehender Wiederholungsgefahr und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit von Untersuchungshaft besser zu beantworten.
Mit Absicht habe ich den Beitrag zur Bekämpfung des rechten Extremismus an das Ende meines ersten kurzen und keinesfalls umfassenden Überblicks über die Aktivitäten im Bereich der Rechtspolitik von seiten des Justizministeriums gestellt.
Denn an diesem Beispiel ist für jedermann ersichtlich — worauf zu meiner Freude und, ich muß gestehen, auch etwas zu meiner Überraschung Herr Kanther sehr deutlich hingewiesen hat —, daß mit immer anderen und immer schärferen Gesetzen, also mit dem Strafrecht, das erwünschte Ziel, z. B. den rechten Extremismus zu besiegen, alleine nicht erreichbar ist.
Auch wenn es vielen vielleicht trivial erscheinen mag, so müssen wir doch die Erkenntnis ernst nehmen, daß nicht nur das Strafrecht, aber insbesondere das Strafrecht letztes Mittel bleiben muß. Denn wir laufen sonst
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15030 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Bundesministerin Sabine Leutheusser-SchnarrenbergerI Gefahr, daß wir mit neuen, schärferen und immer differenzierteren Gesetzen leicht das Gegenteil von dem befördern, was eigentlich die gute Absicht war.Man muß die generalpräventive oder gar nur deklaratorische Bedeutung nicht leugnen, wenn darauf bestanden wir, daß insbesondere Strafrechtsnormen zuallererst mit dem Anspruch und mit dem Versprechen fest verbunden sind, sie auch durchzusetzen. Wenn uns das nicht oder nur unzureichend gelingt, wenn wir also nicht imstande sind, dieses Versprechen einzulösen, dann können Strafrechtsnormen höchst kontraproduktive Konsequenzen haben.
Denn rechtstreue Bürger werden angesichts der ungeahnten Delikte das Vertrauen in die Rechtlichkeit und die Monopolgewalt des Staates verlieren; Kriminelle werden angesichts geringer Ahndungsrisiken immer krimineller werden.
— Nein, deshalb ist der Vollzug des geltenden Rechts ganz entscheidend —
Das ist entscheidend für die Rechtskultur insgesamt. Deshalb darf ich Sie bitten, das Anliegen, das Herr Kanther heute morgen vorgetragen hat, nämlich die Situation der Polizei in vielen Bereichen zu verbessern, gemeinsam, Bund und Lander, zu unterstützen.
Denn Sicherheit ist nicht zum Nulltarif zu bekommen. Wir müssen die entsprechenden Weichen stellen. Auch wir Politiker müssen natürlich alles tun, was das Rechtsbewußtsein sichernde Vertrauen fördert. Und wir müssen — das ist die andere Seite dieser Münze — alles unterlassen, was das Vertrauen unserer Bürger in den Rechtsstaat untergräbt.Nicht zuletzt um diesen wichtigen rechtspolitischen Prämissen zu genügen, haben wir uns allergrößte Mühe gemacht, die Übertragung des für die Menschen in den neuen Bundesländern völlig neuen Rechtssystems inhaltlich und zeitlich derart zu gestalten, daß die Menschen sich darin wiederfinden konnten. Obgleich die Forderung nach Einzelfallgerechtigkeit im Rahmen dieses schwierigen Prozesses der Quadratur des Kreises nahekommt, haben wir unsimmer von dem Gedanken leiten lassen, den Hoffnungen und Rechtsempfindungen der Menschen in den neuen Ländern so weit wie möglich zu entsprechen. Ich glaube, daß uns das auch mit dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz in einem hohen Maße gelungen ist.Wegen der oben angeführten rechtspolitischen Prämissen bin ich der Ansicht, daß die gerade jetzt akute Frage nach der Verlängerung von Verjährungsfristen für Straftaten der SED-Repression mit Rücksicht auf das Rechtsempfinden der betroffenen Bürger entschieden werden muß.
Trotz der rechtsdogmatischen Bedenken, die man nicht leugnen kann, ist für mich das jüngst entstandene Votum der Betroffenen bzw. ihrer Repräsentanten von ausschlaggebender Bedeutung, zumal diese auch zu Recht darauf verweisen können, daß durch den sukzessiven Aufbau der Justiz Anklagen nur selten systematisch, manchmal eher zufällig erhoben werden konnten. Deshalb habe ich mich auch dafür verwendet, daß die Beratung im Kabinett vorgezogen wurde, um noch eine Beratung im Bundestag zu ermöglichen.
Wie gesagt, Rechtsbewußtsein sicherndes Vertrauen in den Rechtsstaat zu befördern heißt auch, alles zu unterlassen, was Vertrauen in den Rechtsstaat untergräbt. Es ist gut für unser Land, wenn dafür gesorgt wird, daß sich solche groben Fehler wie jene in Bad Kleinen nicht mehr wiederholen können. Doch sehr viel besser wäre es, wenn die in Verbindung mit Bad Kleinen gegen unsere Staatsgewalt erhobenen Beschuldigungen nicht nur durch einen „Freispruch zweiter Klasse" eine Antwort fänden, denn allein der Verdacht des Unrechts staatlicher Gewalt ist verheerend für das Vertrauen in den Staat und hat schlimme Konsequenzen für das Rechtsbewußtsein seiner Bürger.Das gilt auch für die seit Wochen unaufhörlich vorgebrachten Kommentare und zum Teil auch verfälschenden Berichte zur Kriminalität in unserem Land. Ich glaube, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, einige Ihrer Äußerungen zur inneren Sicherheit in Deutschland zeugen auch nicht immer von dem ausgeprägten Willen, dieses höchst sensible Thema mit der gebotenen Differenziertheit zu behandeln.Es mag ja noch in die Rubrik rhetorisch zulässiger Vergröberungen fallen, wenn Sie mit Blick auf unsere neuen Länder von Verbrechensexplosion reden. Fragwürdig wird es aber, wenn die SPD sich dazu versteigt, die seit dem Regierungswechsel 1982 aufzeigbare Kriminalitätsentwicklung als politische Bankrotterklärung der Regierung Kohl zu präsentieren.
Mir ist gänzlich unverständlich, was Sie, sehr verehrter Herr de With, in Ihrer Pressekonferenz am Montag zur Untermauerung dieser These mit der
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Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Behauptung sagen wollten, daß seit dem Zweiten Weltkrieg die Kriminalität noch nie so stark angestiegen sei wie in der Zeit von 1982 bis 1992.Bei dieser Position würde ich größte Sorgfalt walten lassen; denn wie stehen Sie da, wenn die Öffentlichkeit erfährt, daß — im krassen Gegensatz zu Ihrer Rechnung — die Kriminalität seit 1982 nicht, wie Sie behaupten, um 25 %, sondern — wenn man seriöserweise die gewachsene Bevölkerung in Rechnung stellt — um 13,8 % gestiegen ist? — Und hier wird überhaupt nichts verharmlost. — Wie stehen Sie da, wenn die Öffentlichkeit zur Kenntnis nimmt, daß von 1972 bis 1982, der Regierungszeit des Kanzlers Helmut Kohl
— von Helmut Schmidt natürlich, ein solcher Versprecher mußte ja passieren —, ein fünfmal höherer Anstieg der gesamten Kriminalität verzeichnet wurde?
Frau Bundesministerin, Sie können natürlich unbegrenzt reden, aber ich möchte Sie darauf aufmerksam machen — und Ihnen Ärger ersparen —, daß das auf Kosten der Redezeit Ihres Fraktionskollegen Detlef Kleinert geht.
Das ist ein sehr berechtigter Einwand, Herr Bundestagspräsident; deshalb darf ich mir zum Schluß nur noch ein Wort erlauben.
Ich glaube, die aktuelle Situation der Kriminalität in Deutschland ist kaum dazu geeignet, parteipolitisch Kapital aus ihr zu schlagen.
Ich glaube, daß wir hier nicht neuer Werte bedürfen, sondern daß es der Vermittlung jener alten Werte bedarf, die auch in unserer Verfassung festgeschrieben sind.
Diesen Schlußsatz erlauben Sie mir noch: Unsere Verfassung anzutasten wäre das schlechteste Mittel, Kriminalität zu bekämpfen.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Norbert Geis.
— Meine verehrte Vorgängerin hat das hier so hinterlassen. Sollten sich die Geschäftsführer anders geeinigt haben, habe ich überhaupt keine Probleme, dem Abgeordneten de With das Wort zu geben, und ich
nehme auch an, daß die Herren darüber keinen Streit bekommen. —
Also, Herr Abgeordneter de With, Sie haben das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sage auch: Sehr verehrte Frau Bundesministerin der Justiz! Sie haben in Ihrer ersten Haushaltsrede vor einem Jahr u. a. ausgeführt — ich darf zitieren —:... Das Vertrauen in den Rechtsstaat zu bewahren oder zu erzeugen wird in Zukunft neben aller sachbezogenen Arbeit das dominante Ziel rechtspolitscher Bemühung sein. Dieses Ziel dürfen wir auf keinen Fall verfehlen trotz der unvermeidbar großen ökonomisch-sozialen Bürden, die nicht nur, besonders aber auf den Menschen in den neuen Bundesländern lasten.Heute haben Sie mit Blick auf die neuen Länder hinzugefügt: Wir müssen noch mehr tun. — So weit, so gut, das können wir voll unterstützen.Nur, Frau Ministerin, sehe ich mir Ihren Haushalt unter diesem Aspekt an, dann sprechen die Zahlen eine völlig andere Sprache. Sie wollen den für den Osten vorgesehenen Personalzuschuß von 107 Millionen DM — das ist sowieso nicht zuviel — auf ganze 15 Millionen DM kürzen, die nur, was sicher notwendig ist, für die Grundbuchämter vorgesehen sind. Dabei wissen Sie so gut wie ich, daß die Justizministerkonferenz am 22. Juni 1993 sehr eindringlich darauf hingewiesen hat, daß die Personalzuschüsse des Bundes unentbehrlich seien, so heißt es dort, um die erreichte Aufbauleistung nicht zu gefährden.
Ich füge weiter hinzu: Sachsens Jusitzminister, Steffen Heitmann, dem ja mindestens seit gestern eine ganz besondere Bedeutung zukommt,
hat mit großem Nachdruck darauf hingewiesen, daß die Lage der Justiz im Osten unbefriedigend sei. Ich sage: Er hat recht. Nach einem Zeitungsbericht von dieser Woche sind von sage und schreibe 4 500 Richterstellen erst 2 300 besetzt. Deswegen bleiben nun Zehntausende von Akten unerledigt liegen. Das Ausbleiben des Bonner Zuschusses bedeutet deshalb nicht viel anderes, als daß die fehlenden und dringlich zu besetzenden neuen Stellen nicht umgehend mit erfahrenen Richtern und Staatsanwälten aus dem Westen besetzt werden können. Ich weiß, daß es Personalknappheit gibt. Aber, Frau Ministerin, wir alle wissen auch, daß es eines gewissen Anreizes bedarf, um Leute aus dem Westen nach Osten zu bringen, die dann dort eingreifen und die leeren Stellen besetzen können.Ich füge hinzu: Nachdem das Rechtsgefühl in den neuen Ländern durch den unseligen Honecker-Prozeß schon ganz erheblich gelitten hat, können wir es uns überhaupt nicht leisten, daß in den neuen Ländern in gravierenden Fällen die Akten liegenbleiben.
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15032 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Dr. Hans de With
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es geht hier nicht um viel Geld, wahrhaftig nicht. Notfalls muß der Westen zugunsten des Ostens auch zurückstecken.
Ich sage, an Sie gerichtet, Frau Ministerin: Wenn Reden und Handeln nicht auseinanderklaffen dürfen, dann gilt dies besonders hier.
Unsere Unterstützung zur Aufbesserung haben Sie gleichwohl.Aber es gibt noch weitere rechtspolitische Versäumnisse, die wir gerade bei Ihnen enttäuscht feststellen müssen.Sie haben sich, Frau Ministerin, in den vergangenen Jahren mehrmals positiv dazu geäußert, den Gesetzentwurf der SPD zur Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe — es gibt in ihm eine ganze Reihe von Vorstellungen zur Aufbesserung des Schutzes vor Vergewaltigung schlechthin und sexueller Nötigung — umzusetzen. Von Ihrem Ministerium höre ich aber dazu überhaupt nichts mehr. Dies ist längst fällig.
Das Bundesverfassungsgericht hat seit langem eine Reform des Kindschaftsrechts gefordert. Sie haben heute darauf Bezug genommen. Es dürfe, so heißt es dort, nicht so sehr das Elternrecht im Vordergrund stehen, sondern eher und mehr das Wohl des Kindes. Sie haben heute darauf hingewiesen — und das ist gut so — daß nach Ihrer Auffassung das Züchtigungsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch positiv ausgeschlossen werden möge. Da haben Sie unsere volle Unterstützung. Dies ist eine alte Forderung von uns. Nur: Das ist ein Teilaspekt der gesamten Forderungen zur Reform des Kindschaftsrechts. Hier warten wir noch immer auf Ihnen Entwurf. Wenn dieser nicht bald vorgelegt wird, dann wissen doch alle, die in diesem Hause sind, daß wir ihn in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschieden können, weil die Zeit einfach nicht reicht,
und dann bleibt wieder eine Reform auf der Strecke.Es ist hier nicht der Ort, die Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Aber fragen muß ich doch, was die Bundesministerin der Justiz getan hat, damit noch in dieser Legislaturperiode — endlich, muß ich sagen — das Staatsziel Umweltschutz ins Grundgesetz aufgenommen wird. Hier gab es schon beinahe einen Kompromiß, bis — er hört nicht zu, aber er wird gleich zuhören — der Parlamentarische Geschäftsführer der Union, Jürgen Rüttgers — jetzt paßt er auf —, die Peitsche hob — es war schon beinahe die neunschwänzige — und seinen Fraktionskollegen Rupert Scholz auf peinliche Weise zurückzupfeifen suchte.
— Sie wissen, was die Presse dazu gesagt hat. Es war wahrhaftig kein Ruhmesblatt der Union.
Ich gehe davon aus, daß wir nunmehr einen Kompromiß haben, der dem Wortlaut nach zwar nicht sehr schön ist, der aber alsbald im Rechtsausschuß verabschiedet werden kann. Frau Ministerin, hier habe ich eigentlich Ihr energisches Eingreifen vermißt.
Ich habe es doppelt vermißt, weil die F.D.P. zusammen mit der SPD schon in einer Regierungserklärung von Helmut Schmidt hinter dem Staatsziel Umweltschutz gestanden hat. Das liegt lange zurück. Es wäre jetzt an der Zeit gewesen, daß Sie das ein bißchen angestoßen hätten.Das Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Volkszählung mit der Forderung nach Sicherstellung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in den entsprechenden Gesetzen liegt nunmehr sage und schreibe zehn Jahre zurück. Für die Strafprozeßordnung ist das bisher nicht umgesetzt worden. Das können Sie nicht bestreiten. Koalition und Bundesregierung konnten sich noch nicht einmal dazu aufraffen, dem Bundestag einen Entwurf zu dem — wie wir meinen — sehr notwendigen genetischen Fingerabdruck vorzulegen. Wir haben das getan. Hier gibt es eine Menge von Unsicherheiten. Das muß beseitigt werden,
auch zugunsten einer effektiven Strafverfolgung— ohne Wenn und Aber —, aber vor allem auch, um bestehende Zweifel auszuräumen. Wir wollen doch wohl alle nicht, daß uns das Verfassungsgericht hier irgendwann einmal korrigiert.Das jüngste Versäumnis der Bundesregierung kann ich nicht auslassen, Frau Ministerin, nämlich daß sie— man kann es gar nicht anders nennen — es regelrecht verbummelte, die Fristvorgabe der EG zur Umsetzung der Richtlinie über den Reisevertrag einzuhalten.
— Aber sicher! Sie wissen ganz genau, daß es ein Datum gab, den 31. Dezember 1992. Erst vor wenigen Wochen ist dieser Entwurf vorgelegt worden.
Hätte die Bundesregierung diesen Entwurf rechtzeitig vorgelegt, dann hätten — ich sage es ganz vorsichtig — sehr wahrscheinlich Tausende von Pauschalurlaubern nicht in Lissabon und Miami so „gnädig" festgesessen, ohne zu wissen, ob ihr Geldbeutel für den Rückflug langt und wie schnell es nach Hause geht.
Die Bundesministerin der Justiz hat am 5. August in einem Rundfunkinterview zum ersten darauf hingewiesen, daß sie sich, seitdem sie im Mai letzten Jahres
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993 15033
Dr. Hans de Withins Amt gekommen sei, selbstverständlich sofort derSache angenommen habe. Und sie hat zum zweiten— das können Sie nicht bestreiten — eine etwas — ich sage es ganz vorsichtig — mißverständliche Erklärung zur subsidiären Staatshaftung abgegeben.
— Ich habe gesagt: eine etwas mißverständliche Erklärung.Das erste — das kann ich mir nicht verkneifen — geht ein ganz Meines bißchen gegen Ihren Vorgänger, den derzeitigen Bundesminister des Auswärtigen. Er hätte ja auch schon sehr viel eher an dieses Problem herangehen können.
Das zweite, die Erklärung zur subsidiären Staatshaftung, hat bei Gott wirklich nicht zur Klärung beigetragen. Aber wie dem auch sei, ich sage noch einmal: Wäre diese Richtlinie rechtzeitig umgesetzt worden, wäre mit Sicherheit vielen Pauschalurlaubern großer Ärger erspart geblieben.
Sie haben darauf hingewiesen, Frau Ministerin, daß wir das Insolvenzrecht möglicherweise noch in dieser Legislaturperiode zu einem guten Ende bringen werden. Ich darf nur daran erinnen, daß die Anfänge noch in die Zeit der sozialliberalen Koalition fallen. Die Zeit ist reif — es liegt mehr als zehn Jahre zurück —, wir müssen hier endlich überkommen,
insbesondere wenn wir uns vergegenwärtigen, daß die Zahl der Insolvenzen wieder einmal ganz gewaltig steigt und dabei unzählige Arbeitsplätze verlorengehen.Voraussetzung bei der Mitarbeit ist für uns — und wir arbeiten mit — zweierlei: einmal eine wirkliche Abkehr vom Prinzip des bloßen Versilberns des Restvermögens ohne Rücksicht auf die Arbeitsplätze im Falle des Betriebskonkurses und zweitens die Beseitigung des modernen Schuldturms beim Einzelkonkurs des Verbrauchers,
für den wir, wenn es sich um einen redlichen Kleinschuldner handelt, die Möglichkeit einer verkürzten Schuldbefreiung wünschen.
— Die Reiseveranstalterrichtlinie ist ganz sicher nicht so alt.
Aber es gab vorher schon ein Reisevertragsrecht. Dasist noch älter, und da haben Sie auch gebremst. Daswar in unserer gemeinsamen Regierungszeit. Aber ichkonzediere, wir haben uns dann geeinigt, wenn auch reichlich spät.
Sie haben unter Tränen zugestimmt. Aber Sie gestehen heute, Herr Kleinert, doch zu, daß es gut war.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer die Haushaltsreden seit Dienstag und insbesondere die von heute morgen verfolgt hat, mußte feststellen, daß die rasche Zunahme der Kriminalität und deren Bekämpfung inzwischen zu einem Hauptthema avanciert ist, und das ist gut so und geschieht zu Recht. Noch nie ist die Massenkriminalität so gestiegen wie in den letzten zehn Jahren, und noch nie gab es — auch das werden Sie nicht bestreiten — deutlichere Hinweise auf das Einnisten der organisierten Kriminalität auch bei uns. Noch nie ist das Unsicherheitsgefühl der Bevölkerung wegen des Ansteigens der Kriminalität derart hervorgetreten wie in den letzten Jahren. Nach einer Umfrage sollen sich sage und schreibe 91 % der Bevölkerung deswegen unsicher fühlen. Die F.D.P. — seit elf Jahren in dieser Regierung — fragt in ihrem Programm unter Verweis auf 1974 nach einem gemeinsamen Sicherheitsprogramm des Bundes und der Länder. Damals gab es einen sozialdemokratischen Bundeskanzler. Die Union ist nicht müde geworden, immer wieder darauf hinzuweisen, daß die SPD letztlich den sogenannten großen Lauschangriff nicht wolle, als ob allein damit die organisierte Kriminalität wirksam bekämpft werden könnte.
Ich frage: Was wird die CDU, was wird die CSU tun, wenn sich die F.D.P. hier weiterhin querlegt? Die nächsten Wochen werden das entscheiden.
Wir Sozialdemokraten dürfen die Koalition auch etwas anderes fragen: Wie steht es denn nun wirklich bei der Geldwäsche und der Herabsetzung der Schwelle bei der Einzahlung verdächtiger Gelder bei Banken
und der Beseitigung des sogenannten Anwaltsprivilegs?
Da haben wir trotz der Kurzintervention von Herrn Hirsch nichts gehört.Wir fragen auch — hören Sie gut zu —: Wie steht es mit unserem Vorschlag zur obligatorischen Abschöpfung aller illegalen Gewinne, die durch kriminelle Handlungen erlangt wurden oder zu Straftaten ver-
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15034 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Dr. Hans de Withwendet werden sollen? Wie steht es mit unserer Forderung nach der dabei nötigen Beweislastumkehr und einer etwa nötig werdenden Änderung des Art. 14 des Grundgesetzes? Wer die organisierte Kriminalität wirklich beim Kragen packen will, muß an allen Fronten dafür sorgen, daß das kriminell erworbene Geld letztlich dem Täter nicht verbleibt.
Denn Geld ist hier doppelte Macht: zur Fortführung des Verbrechens und zur Einschleusung in den normalen Wirtschaftskreislauf. Warum soll denn hier der Verdächtige nicht beweisen müssen, woher das Vermögen kommt?
Die Öffentlichkeit wird die Demokratie in Deutschland letztlich nicht daran messen, ob jetzt markig angekündigt wird, daß das sogenannte Heranwachsendenstrafrecht gestrichen oder umgekrempelt wird oder ob es entscheidende Änderungen im Jugendstrafrecht gibt. Wir meinen übrigens: Am Prinzip des Jugendstrafrechts — wir sind uns einig mit Ihnen, Frau Justizministerin — sollte nicht gerüttelt werden,
was nicht bedeutet, daß die Haftbestimmungen bei Serientätern nicht überprüft werden müssen, auch im Erwachsenenrecht.Letztlich werden wir daran gemessen, ob es uns in zumutbarer Weise gelingt, mit rechtsstaatlichen Mitteln das unverhältnismäßige Ansteigen der Kriminalität in den letzten Jahren zu stoppen. Wir werden daran gemessen, ob es uns gelingt, vornehmlich unseren älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern — ich glaube, daß dies auch zunehmend für jüngere gilt — das Unsicherheitsgefühl in ihren Häusern und Wohnungen, aber auch auf den Straßen zu nehmen, und ob es uns letztlich gelingt, das Vertrauen in den Rechtsstaat zurückzugewinnen, damit wir auch mit unerwarteten und Extremsituationen im Bereich der Kriminalität in angemessener Zeit fertigwerden. Hierzu gehören auch — es ist erwähnt worden, aber meiner Meinung nach nicht wirklich betont worden — eine wirksame Vorbeugung, eine stabile und nicht reduzierte soziale Absicherung und selbstverständlich mehr Präsenz und Besserstellung der Polizei.Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Strafrecht sollten wir unvoreingenommen den Sanktionenkatalog und die Strafrahmen überprüfen. Das Mißverhältnis der Strafrahmen bei Vermögensdelikten gegenüber Delikten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit liegt auf der Hand. Ich darf Ihnen hierzu zwei Beispiele nennen: Zwei Männer überfallen ein zeltendes Paar, bedrohen es mit Schußwaffen, fesseln den jungen Mann an einen Baum, nehmen Zelt und 350 DM Bargeld weg, halten die junge Frau 18 Stunden bis zu ihrer Befreiung fest, nötigen sie sexuell ganz übel und vergewaltigen sie. Das Gericht — es ging zum Bundesgerichtshof — entscheidet als Folge des vorgegebenen Strafrahmens — hören Sie gut zu —: fünf Jahre für den schweren Raub desZeltes und bloß vier Jahre für Freiheitsberaubung, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung.
Ein zweites Beispiel, bei dem ich auf die Strafrahmen verweise: Wird bei einer Vergewaltigung, einer sexuellen Nötigung oder bei einem sexuellen Mißbrauch von Kindern der Tod des Opfers verursacht, beträgt der Strafrahmen fünf bis 15 Jahre. Kommt es hingegen bei einem Raub leichtfertig zum Tod, beträgt der Strafrahmen mindestens zehn Jahre, und die Höchststrafe ist lebenslange Freiheitsstrafe. — Wenn das kein grobes Mißverhältnis ist, dann weiß ich nicht, was ein Mißverhältnis ist.
Die SPD-Bundestagsfraktion wird deswegen demnächst im Parlament einen Antrag zur Einsetzung einer Kommission einbringen, damit entsprechend der Priorität unseres Grundgesetzes, in dem die körperliche Integrität im Vordergrund steht, die Strafrahmen generell unter diesem Aspekt überprüft werden. Ich hoffe auf Ihre Zustimmung.
Ich darf zum Schluß noch ein Anliegen vortragen, das ebenfalls ein gemeinsames sein sollte: Durch unzeitige Veröffentlichungen von Ermittlungsverfahren erleiden Bürgerinnen und Bürger nicht selten Ehrverletzungen, die sie trotz Einstellung des Verfahrens kaum je wieder beseitigen können. Ich sage das nicht nur aus Anlaß der bisher auf ungeklärte Art und Weise in die Öffentlichkeit gelangten Vorgänge zum Fall unseres Bundestagskollegen Wolfgang Lüder und unseres früheren Bundestagskollegen Karl Wienand. Ich sage es auch zum Schutz derer, die sich trotz Einstellung des Verfahrens in ihrem Wohnumfeld — das betrifft jeden Normalbürger —, zu Hause nicht mehr sehen lassen können. Solche Machenschaften können in der Tat zum bürgerlichen, ja sie können zum tatsächlichen Tod führen. Das ist, wie wir alle wissen, auch schon vorgekommen. Es geht hier um die strikte Prüfung des Anfangsverdachtes, das strikte Beachten der Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens, die strikte Strafverfolgung bei unbefugten Veröffentlichungen und die wirksame Wiedergutmachung.Natürlich wissen wir um die Bedeutung und Wichtigkeit der Pressefreiheit als unumstößliche Gewährleistung unseres Grundgesetzes. Das alles aber darf nicht dazu führen, daß die Medien im Namen der Pressefreiheit, aber nicht ganz selten aus Sensationslust und zur Auflagensteigerung über das Ansehen eines in seiner Ehre getroffenen Bürgers letztlich zu triumphieren scheinen.Was ist Gesetz und Ordnung? Können Sie der Unschuld Kindertage nicht beschützen? Wer seid denn Ihr, die Ihr mit leerem Stolz durch Recht Gewalt zu bändigen berühmt?Das hat schon der alte Meister aus Weimar in „Dienatürliche Tochter" seine Eugenie fragen lassen.
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Dr. Hans de WithDamals ging es vornehmlich um die Ohnmacht der Gerichte. Heute müssen sich das auch Verwaltung und, so füge ich hinzu, das Parlament fragen lassen.Vielen Dank.
Nunmehr kann ich — wohl hoffentlich mit Zustimmung des ganzen Hauses — Norbert Geis das Wort erteilen.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Umsetzung der EG-Richtlinie zu Pauschalreisen, Herr de With, ist mit Beschluß der Bundesregierung vom März dieses Jahres geschehen. Man kann also von Bummelei nicht reden.Wir haben uns auch Gedanken darüber gemacht, wie wir das Mißverhältnis zwischen Eigentumsdelikten und Körperverletzungsdelikten, das Sie angesprochen haben, bereinigen können. Ob wir dazu eine Kommission installieren müssen, darüber kann man reden. Wir werden jedoch einen Gesetzestext vorlegen, um dieses Mißverhältnis zu bereinigen. Wir hoffen dabei auf Ihre Zustimmung.Der Aufbau der Justiz in den neuen Bundesländern ist nach wie vor der Hauptteil der gesamten Arbeit, die wir im Rechtsbereich zu leisten haben. Wir haben es jetzt — Sie haben es gesagt, Frau Ministerin — mit dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz zu tun. Einmal mehr geht es dabei wiederum um das Vermögensgesetz. Es gibt schon entsprechende Initiativen im Land draußen.Es ist schwierig, vierzig Jahre sozialistischer Zwangsherrschaft zu bereinigen.
Es wird auch nicht so schnell gelingen. Denjenigen, die uns heute noch vorwerfen, wir würden die Dinge deshalb so kompliziert machen, weil wir an dem Beschluß der Volkskammer festhalten würden — der damals mit großer Mehrheit, auch mit den Stimmen der SPD, gefaßt wurde —, nämlich dem Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung", möchte ich entgegenhalten: Wenn Sie das Prinzip umkehren würden, müßten Sie gleichermaßen komplizierte Gesetzestexte vorlegen, um das dann entstehende Unrecht, das zweifellos auch kommen würde, bereinigen zu können.
Wie wir es auch anfangen, wir würden es immer mit der Schwierigkeit dieser Erbschaft zu tun haben.Wir werden in Kürze die Anhörung zum Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz durchführen. Wir werden uns mit den Mauergrundstücken beschäftigen. Sie, Frau Ministerin, haben jetzt schon eine Lösung angedeutet. Ganz aktuell war die Debatte um die Verlängerung der Verjährungsfristen für kleinere Straftaten in der vormaligen DDR. Hier gab es einen großen Gleichklang über die Fraktionen hinweg.Insgesamt, so meine ich, geht der Aufbau der Justiz in den neuen Bundesländern gut voran. Wohl in keinem anderen Bereich ist die Angleichung der Lebensverhältnisse schon so weit fortgeschritten wie im Bereich der Justiz. Das haben wir, Frau Ministerin, Ihnen, Ihrem Haus und Ihrem Vorgänger zu verdanken. Wir haben es den Justizministern in den neuen Bundesländern und deren Behörden zu verdanken. Wir haben es aber auch — das darf wohl gesagt werden — den Ministerien in den alten Bundesländern und hier vor allem den Damen und Herren zu verdanken, die bereit waren, sich in die neuen Länder abordnen zu lassen, um dort am Aufbau des Rechtsstaates mitzuwirken. Ich meine, daß diese Leistung nicht groß genug angesetzt werden kann.
Diese Damen und Herren haben einen großen Beitrag zur inneren Wiedervereinigung geleistet. Das sollten wir anerkennen.Im Zusammenhang mit der großen Aufgabe des Aufbaus der Justiz in den neuen Bundesländern haben wir auch das sehr ungeliebte Justizentlastungsgesetz diskutiert und verabschiedet. Hätten wir es nicht verabschiedet, kämen wir jetzt im Osten und im Westen unseres Landes in große Schwierigkeiten; denn der Anstieg der Zahl der Eingänge bei den Gerichten ist gewaltig. Wir hatten im letzten Jahr im Zivilbereich einen Anstieg von 5 bis 8 %. Dieser Anstieg hat sich in diesem Jahr fortgesetzt; er liegt jetzt sowohl bei den Land- als auch bei den Amtsgerichten bei 10 %. Weit höher liegt die Steigerungsrate bei der Zahl der Eingänge von Strafsachen. Diese Rate liegt, bezogen auf das letzte Jahr, bei 16 %. Wir müssen uns also nach wie vor Gedanken darüber machen, wie wir die Justiz entlasten können.Die Zivilverfahren müssen gestrafft werden. Wir müssen den Schlichtungsgedanken weiter in den Vordergrund bringen. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir die Strafprozesse beschleunigen können.
Der Strafprozeß in der Bundesrepublik Deutschland dauert im internationalen Vergleich zu lange.
Von der Begehung der Tat bis zur Verurteilung vergehen oft Jahre, insbesondere bei großen Strafsachen, bei Wirtschaftsstrafsachen. Dies können wir so nicht mehr hinnehmen.Wir wissen alle, daß es bereits jetzt nach der Strafprozeßordnung eine Möglichkeit der Beschleunigung gibt. Wir wissen aber auch, daß dies ein stumpfes Instrument ist. Wenn wir es nicht entscheidend ändern, wird es auch in Zukunft keine Bedeutung haben. Wenn wir es ändern, geht das nicht ohne ganz einschneidende Änderungen in der Strafprozeßordnung, in der Struktur unseres Strafprozesses. Ich habe meine großen Zweifel, ob das gelingt.Wir sollten uns Gedanken darüber machen, ob wir nicht doch noch einmal an das formelle Beweisantragsrecht herangehen, das zweifellos, wie wir wissen, zu Verzögerungen führt. Wir haben aus den Vorschlägen des Bundesrats eine Maßnahme verwirklicht, nämlich bei der Ladung der Zeugen im
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Norbert GeisAusland. Es waren zwei weitere Vorschläge gemacht worden; wir haben sie zurückgewiesen.Ich meine, wir müssen alles tun, um den Strafprozeß zu beschleunigen. Andernfalls wird der ungute Deal zwischen Richter, Staatsanwalt und Verteidiger vor allen Dingen in großen Strafsachen zunehmen. Das kann nicht in unserem Interesse sein, das ist nicht im Interesse des Rechtsstaats.
Das Justizministerium hat sich im Bereich des Kindschaftsrechts eine große Aufgabe gestellt. Es gibt unterschiedliche Verhältnisse — vor allen Dingen bei der Amtsvormundschaft — zwischen Ost und West. Es gibt verfassungsgerichtliche Entscheidungen, die uns zu einer solchen Reform auffordern. Wir werden uns dieser Reform auch stellen.Wir von der Union meinen, daß wir die Amtsvormundschaft nicht ganz zugunsten einer freiwilligen Beistandschaft, auch wenn es insoweit in Österreich entsprechend gute Erfahrungen gibt, abschaffen sollten. Wir sind der Auffassung, daß wir die Amtsvormundschaft, also das Jugendamt — ich sage dies heute eigens deshalb, weil wir dazu viele Eingaben aus den Jugendämtern bekommen haben —, so lange von Amts wegen nicht ausschalten sollten, bis die Vaterschaft festgestellt ist. Wir meinen, hier zu einer differenzierteren Regelung kommen zu müssen.Bei der Diskussion um die Neugestaltung des Kindschaftsrechts geht es auch um die Gleichstellung der nichtehelichen Kinder im Erbrecht, und es geht um eine Gleichbehandlung von ehelichen und nichtehelichen Kindern beim Regelunterhalt. Hier werden wir den Vorstellungen des Justizministeriums weit entgegenzukommen versuchen.Aber wir werden dort nicht mitmachen, wo dadurch die Familie selbst an den Rand gerät. Uns geht es beim Kindschaftsrecht natürlich um das Wohl des Kindes, hier insbesondere des nichtehelichen Kindes. Aber es geht uns auch um den Erhalt der Familie. Wir versuchen, hier im guten Gespräch einen vernünftigen Ausgleich zu finden.Ein Wort zur Einschränkung des sogenannten Züchtigungsrechts der Eltern. Es liegt ja ein entsprechender Beschluß der Bundesregierung zur Änderung des § 1631 BGB vor. Es ist uns genau wie Ihnen allen darum zu tun, daß wir alle Mittel in Bewegung setzen, damit Gewalt gegen Kinder unterbleibt, auch wenn die Gewalt von den Eltern kommt. Aber niemand von Ihnen und niemand von uns will die Kriminalisierung des Elternhauses.Wir sind uns nicht ganz sicher, ob die Formulierung, die jetzt auf dem Tisch liegt, nicht doch die Tür zu einer solchen Kriminalisierung aufstößt. Wir müssen dies jedenfalls genau untersuchen. Das wollen Sie nicht, und das wollen wir nicht. Keiner von uns will dem hämischen Nachbarn die Möglichkeit zur Strafanzeige geben, und keiner von uns will dem zerstrittenen Ehepaar Stoff für das Scheidungsverfahren auf Kosten des Kindes geben. Wir meinen, daß wir dies ganz genau zu durchleuchten haben.
Aber noch ein Wort dazu, meine sehr verehrten Damen und Herrn: Wir sind alle miteinander gegen die Gewalt gegen Kinder. Aber diese Gewalt gegen Kinder beginnt nicht erst bei der Geburt, sondern sie beginnt von Anfang an. Es ist ein Widerspruch, hier künstliche Fristen zu setzen. Die Gewalt wird sich nicht nach künstlichen Fristen richten. Auch das möchte ich hier einmal deutlich gesagt haben. Hier taucht ein Widerspruch auf, auf den ich doch hinweisen muß.
Ein Wort zur inneren Sicherheit und zur Kriminalitätsbekämpfung. Sie von der SPD verkünden die Parole, es sei die von der Bundesregierung betriebene Politik der sozialen Kälte gewesen, die zu der stark ansteigenden Kriminalität geführt habe.
— Sie bejahen es, auch heute. — Dies ist ein böses und verleumderisches Wort.
Dieses Wort verdreht die eigentlichen Verantwortlichkeiten. Nach unserer föderalen Verfassung wird die Kriminalität zunächst einmal in den Ländern bekämpft.
Dort werden in der Mehrheit die Minister von der SPD gestellt, die dafür verantwortlich sind. Dort sitzen die Polizeibehörden, dort sitzen die Justizbehörden, und dort sitzen die Staatsanwaltschaften, die an vorderster Front die Kriminalität zu bekämpfen haben.
Wenn man sich dazu entschließt, wirklich einzugreifen, hat man auch Erfolg, wie sich das jetzt in Frankfurt gezeigt hat. Dort wurden die Polizeistreifen im Bereich der U-Bahn verstärkt, und schon ist der Raubüberfall, der dort an der Tagesordnung war, fast von der Tagesordnung gestrichen. Das beweist, daß man auf Länderebene sehr wohl in der Lage ist, Kriminalität zu bekämpfen. Bevor Sie ein solch böses Wort hier verkünden, sollten Sie zunächst einmal den Balken aus dem eigenen Auge ziehen.Ein Wort auch in diesem Zusammenhang zu der Frage der Wertvorstellungen. Wir wissen alle, daß die Mitglieder einer Gesellschaft ohne Wertvorstellungen nicht miteinander auskommen und daß es dann zu Kriminalität kommt. Aber werden solche Wertvorstellungen nicht zuerst und vor allem in den Familien und in den Schulen vermittelt? Ist es nicht wahr, daß die SPD und ihre Hilfstruppen bereits seit Jahrzehnten diese Wertvorstellungen in der Öffentlichkeit zu diskreditieren und abzuschaffen bzw. auszuhöhlen versuchen. Das ist doch die Wahrheit. Warum werfen Sie unserer Politik dann vor, sie sei schuld an einem Anstieg der Kriminalität?
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Norbert GeisMeine sehr verehrten Damen und Herren, wer einmal einen Blick in die Statistik der Massenkriminalität wirft, kann feststellen, daß an der Massenkriminalität ein großer Anteil von Ausländern beteiligt ist. Diese Wahrheit anzuerkennen hat überhaupt nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun. Aber waren nicht Sie es von der SPD, die bis zum Sommer dieses Jahres eine vernünftige Asylgesetzgebung blockiert haben?
Warum werfen Sie uns dann vor, wir seien schuld an dem Anstieg der Kriminalität?Ein weiterer Punkt: Wir wissen, daß ein großer Teil der Kriminalität mit dem Konsum von Rauschgift und Drogen zusammenhängt. Wir alle wissen, daß dabei die organisierte Kriminalität eine ganz entscheidende Bedeutung hat. Aber haben nicht Sie von der SPD es bislang verhindert, daß wir zu vernünftigen Instrumenten im Kampf gegen die organisierte Kriminalität durch die Gesetzgebung im Bundestag kommen und damit diese Instrumente in die Hände der Polizeibeamten und der Staatsanwaltschaft geben können?
— Kommen Sie nicht mit dem Anwaltsprivileg! Ich hoffe, daß wir im Vermittlungsausschuß zu einer vernünftigen Regelung kommen.
Noch ein Wort in diesem Zusammenhang: Die SPD behauptet, vor allem die Arbeitslosigkeit sei schuld an dem Anstieg der Kriminalität, und wirft uns den Anstieg der Arbeitslosigkeit vor.
Vielleicht haben nicht Sie, Herr de With, das gesagt, aber es wird uns mit einem kaum verhohlenen Triumph in den Augen oft genug entgegengeschleudert. Dies sei so, so sagen Sie.Aber ist es nicht absurd, von vornherein die Arbeitslosigkeit als potentielle Kriminalität zu verunglimpfen? Es existiert doch bei uns ein solidares Netz, es existiert die Solidargemeinschaft. Wir sollten sie doch nicht schlechtreden. Solidarität ist immer noch ein Wall gegen die Kriminalität, auch wenn diese Solidarität institutionalisiert ist wie bei uns.Deshalb meine ich, daß wir über alle Gegensätze hinweg diesen wichtigen Kampf gegen die organisierte Kriminalität gemeinsam führen müssen, Bund und Länder, über die Parteien hinweg. Über die Parteien hinweg müssen wir unsere Polizeien, unsere Staatsanwaltschaften in die Lage versetzen, entsprechende Instrumente anwenden zu können, so wie das im Ausland längst der Fall ist, um diese Kriminalität bekämpfen zu können.
Herr Abgeordneter Geis, sind Sie bereit, Fragen der Abgeordneten Fuchs und des Abgeordneten Professor Heuer zu beantworten? — Frau Fuchs, zunächst einmal.
Herr Kollege, ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen: möglichst viel Gemeinsamkeit auf diesem Feld; das ist richtig. Aber darf ich Ihnen all die wissenschaftlichen Untersuchungen zuschicken — wenn Sie uns Politikern schon nicht glauben —, die den Nachweis erbringen, welche fatalen Folgen Arbeitslosigkeit auf junge Menschen hat, wie Aggression geschürt wird und wie das soziale Netz eben nicht den Werteverlust ausgleichen kann? Deswegen ist unsere Behauptung stimmig: Wenn Menschen Arbeit haben, sind sie Mitglied einer Gesellschaft und die Aggression ist weit geringer, als wenn sie arbeitslos sind.
Frau Fuchs, ich stimme mit Ihnen darin überein, daß Arbeitslosigkeit zu einer tiefen Entwurzelung im gesamten Bewußtsein des betreffenden Menschen führen kann; daran besteht überhaupt kein Zweifel. Nur, von vornherein zu behaupten, die Arbeitslosigkeit sei potentieller Boden für Kriminalität, halte ich für falsch. Das sollten wir diesen Arbeitslosen auch nicht antun.
Ich glaube, daß wir mehr Wert darauf legen müssen, daß unsere Solidargemeinschaft gegenüber den Arbeitslosen und ihrem Schicksal, das ich nicht herabspielen will, in der Lage ist zu helfen.
Vor allen Dingen dürfen Sie eines nicht tun: Sie dürfen der Bundesregierung nicht die Arbeitslosigkeit vorwerfen. Sie wissen ganz genau, auf welche Gründe diese Arbeitslosigkeit zurückzuführen ist. In diesem Zusammenhang der Bundesregierung den Vorwurf zu machen, durch ihre Politik würde sie der Kriminalität Vorschub leisten — genau das will ich angreifen, und das möchte ich als absurd zurückweisen.
Eine Nachfrage, bitte sehr.
Wenn Sie die Arbeitslosen so einschätzen, wie Sie es tun — ich will das jetzt nicht kommentieren —, stimmen Sie mir dann zu, daß die Kürzung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe unter diesen Aspekten besonders verhängnisvoll ist?
Ich habe doch eben ausgeführt, daß es für die gesamte Bewußtseinsbildung falsch ist — auch wenn Sie das jetzt wieder im Bundestag erörtern —, zu behaupten, die Arbeitslosigkeit sei von vornherein sozusagen dazu abgestempelt, zur Kriminalität zu führen. Das möchte ich ganz entschieden zurückweisen.
Eine Frage von Professor Heuer, wenn Sie dazu bereit sind, Herr Kollege Geis.
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15038 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Lieber Kollege Geis, ich möchte an Sie die Frage richten, ob Sie wirklich leugnen, daß es Kausalbeziehungen zwischen sozialer Lage und Kriminalität gibt. Es geht nicht darum, daß das eine ideale Kausalität ist und daß man das sozusagen in Prozentzahlen berechnen kann. Aber sind Sie tatsächlich der Meinung, Kriminalität liegt nur an Wertvorstellungen und nicht an sozialen Beziehungen? Ich halte das für absurd. Ich würde gerne einmal wissen, ob Sie wirklich meinen, daß es da keine Kausalitätsbeziehungen komplizierter Art gibt? Die Wissenschaft erforscht das, unzählige Leute beschäftigen sich damit, und Sie sagen einfach: Das hat nichts miteinander zu tun. Das ist meine erste Frage.
Meine zweite Frage — —
Eins nach dem anderen. Zunächst wird diese Frage beantwortet.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Geis.
Ich habe Ihre Frage eben, glaube ich, bereits ausgiebig im Zusammenhang mit der Fragestellung von Frau Fuchs beantwortet. Ich bin gern bereit, das zu wiederholen,
aber ich meine, es erübrigt sich.
Herr Heuer, ich bestätige Ihnen, daß die Arbeitslosigkeit zu einer tiefen Krise bei dem jeweils Arbeitslosen führt und daß sie natürlich auch zu einem Zusammenfallen des Weltbildes führen kann. Aber ich widersetze mich ganz entschieden der Behauptung, daß damit schon der Boden für Kriminalität bereitet sein soll. Dem widersetze ich mich, weil unsere Solidargemeinschaft daneben steht und in der Lage ist, diesen Arbeitslosen aufzufangen.
Dieses Erlebnis der Solidarität kann einem Arbeitslosen über seine momentanen Schwierigkeiten hinaus weiterhelfen.
Herr Professor Heuer möchte noch eine Zwischenfrage stellen.
Was Sie eben über Arbeitslose gesagt haben, gilt aber wohl nicht für Asylbewerber? Bei Asylbewerbern bejahen Sie eine solche Kausalität, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Würden Sie mich bitte über diesen Widerspruch aufklären.
Herr Heuer, ich habe vorhin auf die Statistik hingewiesen. Ich habe festgestellt — was Sie überall nachlesen können —, daß wir es bei der Massenkriminalität mit einem hohen Anteil von Ausländern zu tun haben. Dies ist eine Tatsache; ich will jetzt nicht ergründen, warum das so ist. In diesem Zusammenhang haben wir immer gesagt — im vorigen Jahr und bis zum Sommer dieses Jahres —,
daß wir auch unter diesem Aspekt zu einer Änderung der Asylgesetzgebung kommen müssen.
Herr Professor Heuer, Sie haben gleich noch die Möglichkeit, vom Rednerpult aus zu sprechen.
Der Abgeordnete Krause möchte gern eine Frage stellen. Sie sind nicht verpflichtet, sie zu beantworten.
Herr Kollege Krause, ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie die Frage, die Sie mir stellen wollen, dem Kollegen Heuer stellen würden. Er ist, wenn ich Ihre Frage richtig vorausahne, geeigneter, sie zu beantworten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Detlef Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nichts gegen die Verdienste unserer Außenpolitiker — unsere haben heute wieder einen ganz großen Kongreß und teilen sich das wahrscheinlich auch gegenseitig mit.
Aber daß wir, quer durch die Fraktionen, alle, wie wir hier sitzen, dadurch, daß wir das Recht und die Freiheit im Westen des Landes, in der alten Bundesrepublik Deutschland aufrechterhalten haben, daß wir es gepflegt haben, unseren Beitrag geleistet haben, um ein freiheitliches Rechtssystem immer wieder zu verbessern und weiterzuentwickeln und nicht nur zu erhalten, das dürfte auch ein ganz wesentlicher Beitrag dazu gewesen sein, daß diese alte Bundesrepublik eine so ungeheure Anziehungskraft auf die Bürger in der früheren DDR gehabt hat und daß auf diese Weise die deutsche Einheit mit ermöglicht worden ist.
Wenn das so ist, haben wir keine Veranlassung, bei Gelegenheit der Debatte über den Justizhaushalt die Geschichte so darzustellen, als gäbe es nun überhaupt nichts Gescheites und nichts Vernünftiges mehr, als läge alles ganz furchtbar im argen, als müßten wir dauernd solche dramatischen Worte wie Konkurs, Zusammenbruch, Katastrophe und dergleichen im Munde führen.
— Chaos; danke für den Hinweis.
Wenn Sie dem Bürger, der Gott sei Dank immer noch ein höheres Maß an Sicherheit hat als in vielen außereuropäischen Ländern — das sowieso —, aber auch im Vergleich mit anderen europäischen Län-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993 15039
Detlef Kleinert
dern, alles das erzählen, was Sie hier anzubringen versuchen, dann glaubt er, Sie vermuteten ihn in einem ganz anderen Land. Mit solchen überzogenen Kritiken lenken Sie doch nur von den im Detail immer wieder notwendigen Arbeiten ab.
Herr de With hat auf eine Fülle von Einzelheiten hingewiesen, auch auf solche, in denen wir sehr wohl und gut zusammenarbeiten, z. B. beim Insolvenzrecht, von der Öffentlichkeit unbemerkt. Mit zwei Schlagworten läßt sich die Zusammenführung von Konkurs- und Vergleichsordnung nämlich nicht beschreiben. Es gibt nun einmal nicht so etwas Schönes wie den Schuldnerangriff. Beim Schuldturm gelingt Ihnen ja so etwas noch im Bereich des Privatkonkurses. Aber so richtige Schlagworte dienen sich in dem Zusammenhang nicht an.Was ist? Es wird fleißig gearbeitet, es liegen riesige Gesetzentwürfe vor, mit denen sich das Ministerium große Mühe gemacht hat. Sie arbeiten auch alle daran mit, aber in der Öffentlichkeit findet das Ganze nicht statt. Kein Schlagwort, keine Meldung! Das ist nun einmal die Wirklichkeit der Rechtspolitik.Wir haben aber bei der Freude über die deutsche Einheit und bei der sich natürlich ergebenden Oberleitung unseres Rechtssystems in die neuen Bundesländer — das habe ich hier schon mehrfach anzusprechen versucht — eine große Chance ausgelassen. Wir haben nämlich das, was bei uns zu perfektionistisch geraten war, was man sich allenfalls in großem Wohlstand und bei nicht allzu hohem Arbeitsanfall leisten kann, in die neuen Länder übertragen, statt die Chance zu nutzen — ich sehe da in Sachsen einige hoffnungsvolle Ansätze; da hat man nicht gleich alles so voll umgesetzt wie in anderen Bundesländern; das sollten wir im Auge behalten —, einfachere, überschaubarere Systeme und auch ein gut Teil selbstverantwortlicher Gestaltung zu ermöglichen und nicht für alles und jedes nach dem Staat, nach staatlicher Regelung und nach höchstrichterlichen Entscheidungen zu rufen. Daher kommt doch die Überlastung.
Es ist nun einmal eine Tatsache, daß Deutschland, alt und neu, das Land auf der Welt mit der höchsten Zahl von Richtern pro Kopf der Bevölkerung ist, Luxemburg ausgenommen.
— Ich versuche allerdings, mich freiberuflich zu ernähren, ohne am Ersten nach irgendeiner Überweisung Ausschau zu halten. Ich kümmere mich zwischendurch darum.
In dieser Situation müssen wir uns fragen, warum wir uns z. B. bei der so eigentümlich verkniffen geführten Diskussion um Art. 16 GG — dort steht jetzt eine Seite im Gesetz, wo früher fünf Worte standen — nicht auch einmal den Art. 19 Abs. 4 GG etwas näher angeschaut haben. Ich vermute in Art. 19 Abs. 4 GG eine Quelle gerichtlicher Mehr- und zum Teil auch Überbelastung. Nur wenn wir uns nicht am täglichen Kleinkram und an den Schlagworten festmachen,kommen wir dazu, auch einmal über solche Dinge zu sprechen.Inwieweit Art. 95 GG mit der Aufspaltung in so feine Fachgerichtsbarkeiten eine besondere Hilfe für die Einheit unseres Rechtswesens gewesen ist, ist auch zweifelhaft.
Dankbarkeit kann man an dieser Stelle nur dahin gehend anmelden, daß von der Möglichkeit in Art. 96 Abs. 1 GG kein Gebrauch gemacht worden ist, einen weiteren oberen Gerichtshof, nämlich für Streitigkeiten im gewerblichen Rechtsschutz, einzurichten. Er ist uns erspart geblieben, obwohl er vorgesehen war. Auf so etwas kann man als Parlament wirklich stolz sein. Wir haben die Möglichkeit gehabt und haben sie nicht genutzt. Das war in Ordnung.
Wichtig ist — Herr Geis hat es bereits betont — die gütliche Erledigung. Dazu gehört u. a. auch ein Anwaltsstand, der ein solches Ansehen genießt, daß auf Grund einer gewissen natürlichen Autorität, auf Grund eines fachlichen und persönlichen Ansehens eine Schichtung unter den Parteien stattfinden kann, daß wirklich zum Frieden beigetragen werden kann.Wenn man diesen Berufsstand, nur weil das auch gerade wieder so ein schönes gängiges Schlagwort in der Tagesdiskussion ist, mit dem sogenannten Anwaltsprivileg verdächtigt — hier sollten „linke Dinger" gedreht und dann auch noch geschützt werden, während es in Wirklichkeit um den Schutz des wichtigen Vertrauensverhältnisses zwischen Mandanten und Berater samt gesetzlich geregelter Verschwiegenheitspflicht geht und bei der Zuständigkeit der Kammervorstände die Kontrollen tatsächlich schärfer ausfallen würden, als ich mir das auf anderen Wegen überhaupt vorzustellen vermag —, dann ist das ein schlechter Dienst, den man diesem wichtigen Organ der Rechtspflege — was immer das bedeuten mag — erweist.
Deshalb werden wir mit Dankbarkeit die Bemühungen der Bundesjustizministerin, Frau LeutheusserSchnarrenberger, aufnehmen, jetzt auch die lange genug diskutierte Frage des anwaltlichen Berufsrechts zu Ende zu bringen, ein anständiges, in die Zukunft weisendes Gesetz für diesen Beruf zu gestalten und damit einen Beitrag zu mehr Rechtssicherheit, zu weniger Belastung der Gerichte, zu einem besseren Rechtsgefühl bei den Bürgern zu leisten, und zwar dadurch, daß die Verantwortlichkeit des einzelnen für seine Angelegenheiten gestärkt wird.Diese Verantwortlichkeit zeigt sich wohl nicht in erster Linie darin, lieber Herr de With, daß die gleichen Leute, die sich am Stammtisch rühmen, was für ein Schnäppchen sie mit ihrer sensationell billigen Reise nach Miami gemacht haben, kaum daß sie da festsitzen, weil der Mann bei dem Preis pleite gehen mußte, nach dem Staat schreien, um sich das Geld
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15040 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Detlef Kleinert
wiederzuholen, über dessen Ersparnis sie sich vorher so sehr gefreut haben.
— Die EG-Richtlinie stellt ungeheuer lakonisch fest, es solle, wenn Vorauszahlungen genommen werden, sichergestellt werden, daß sie nicht abhanden kommen. Der Rest ist dem deutschen Gesetzgeber anvertraut worden — eine tadellose Form von Delegation. Hier muß man sich fragen, wie die Wettbewerbsverzerrungen behandelt werden sollen. Hier muß man sich fragen, ob es wirklich wahr ist, daß der Seriöse für den Unseriösen samt seiner riesigen Zeitungsanzeigen mitbezahlen muß.
Wenn wir diese Diskussion in Ruhe führen wollen, nachdem man uns aus Brüssel diesen einen Satz so schlagwortartig herübergeschoben hat, dann dürfen wir uns dazu drei Jahre Zeit lassen — —
Lieber Detlef Kleinert, so interessant dieses Thema ist, aber ich muß darauf hinweisen — es ist sogar meine Pflicht —: Wenn Sie mit Ihrer Redezeit allzu großzügig umgehen, dann bringt mich das in Verlegenheit. Es wäre schon ein beachtlicher Beitrag zu meinem Wohlbefinden, wenn Sie sich sehr beschränken würden, und es erspart mir auch Ärger mit den Fraktionen.
Ich frage zunächst einmal: Sind Sie bereit, eine Frage der Kollegin Fuchs zu beantworten? Und würden Sie dann gelegentlich auf die rote Lampe schauen?
Gerade Ihre Verlegenheit möchte ich vermeiden, so leid es mir tut, gerade Frau Fuchs nicht mehr antworten zu können, und weise noch einmal darauf hin, daß wir heute hier nur einige Bemerkungen austauschen können, während die Arbeit an unserem Gott sei Dank ganz wesentlich in Ordnung befindlichen Rechtsstaat ein dauernder Prozeß ist, an dem wir alle uns hoffentlich weiterhin aufgeschlossen, ohne unnütze Beleidigungen und ohne unnütze Panikstimmung beteiligen werden.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Haushaltsdebatte findet am Ende eines Sommers statt, in dem eine Diskussion über die Versöhnung der Deutschen am Ende des Kalten Krieges in Gang gekommen ist. De Maizière, Diestel und Perschau haben den Anstoß gegeben. Vaatz, Heftmann, Gauck und andere haben heftig widersprochen. Erst Schuldanerkenntnis, erst Strafe, dann Versöhnung, war ihr Tenor. Praktisch wird dieses Problem jetzt in der Rechtspolitik, etwa in den hektischen Aktivitäten zur Änderung der Verjährungsfristen für tatsächliches oder behauptetes Unrecht in der DDR.Dieser Gesetzentwurf ist jetzt in 1. Lesung ohne Aussprache behandelt worden. Offenbar hat sich in der CDU/CSU diejenige Gruppe durchgesetzt, wie der Frontwechsel von Herrn Schäuble deutlich macht — seine ursprüngliche Position kann im „Spiegel" Nr. 34 nachgelesen werden —, die den Kalten Krieg mit der moralischen Zerstörung des ehemaligen Gegners beenden will. In der Medienkampagne zur Flankierung dieser Aktivitäten werden zwei Argumente vorgebracht:Erstens. Eine Verjährung entsprechend dem jetzt geltenden Recht gehe zu Lasten der Gerechtigkeit.Zweitens. Das Vertrauen der Ostdeutschen in den Rechtsstaat werde beschädigt, wenn jetzt die Fristen nicht verlängert würden.Zur Gerechtigkeit hat Richard Schröder in der „FAZ" vom 1. September schon darauf hingewiesen, daß da möglicherweise ungerechtfertigt hohe Erwartungen hinsichtlich der Herstellbarkeit von Gerechtigkeit existieren.Im übrigen: Was ist Gerechtigkeit? In Ostdeutschland haben allein über 45 000 Polizisten, fast 40 000 Lehrer, 7 500 Professoren und weitere Hunderttausende ihre Stellung und ihre Arbeit verloren, und zwar überwiegend, weil sie in diese DDR hineingeboren wurden und weil sie dort loyal ihre Pflicht getan haben. In der DDR hatten nicht annähernd so viele Menschen ihre Stellung verloren, weil sie nicht loyal zur DDR standen. — Ist das gerecht? Das sind ja auch wieder Opfer.Nun wird also gesagt, daß das Vertrauen der Ostdeutschen in den Rechtsstaat enttäuscht werden könne, auch heute wieder, wenn diese Straftaten — es geht um ausgesprochene Leichtkriminalität wie Beleidigung — jetzt verjähren.
Ich denke, daß dem nicht so ist. Nach einer EMNID- Umfrage im Juli 1993 waren immerhin 45 % der Ostdeutschen gegen eine Verjährungsverlängerung .Mir scheint eher, daß die Ostdeutschen jetzt andere Sorgen haben. Außerdem ist das wohl kein so sehr überzeugendes Argument. Das BGB wird ja auch nicht ständig geändert, weil die Mieter von den Regelungen zum Mietrecht enttäuscht sind. Wenn das der Maßstab ist, dann hätte ich noch eine Menge Vorschläge, welche Rechtsvorschriften geändert werden müßten, damit die Ostdeutschen nicht enttäuscht werden.Wenn wir schon davon reden: Der Rechtsstaat ist für die Ostdeutschen nicht nur wegen der Bohleyschen „Gerechtigkeitslücke" eine Enttäuschung. Meine Erfahrungen im Wahlkreis und generell bei Begegnungen mit Ostdeutschen und nicht nur im Kreise von Sympathisanten meiner Partei gehen eher dahin, daß die Leute den Rechtsstaat wollen, aber daß sie ihn nicht bekommen, daß sie ihn nicht finden können. Sie haben eher den Eindruck, daß dieser Staat und sein
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993 15041
Dr. Uwe-Jens HeuerRecht und seine Justiz unberechenbarer sind als die DDR-Justiz.
Ich will Ihnen einige Beispiele nennen: Die DDR wird als Unrechtsstaat behandelt, und ihr Grenzgesetz kann die Grenzsoldaten im Zweifel nicht exkulpieren. Aber die Enteignungen von Mauergrundstöcken sollen Bestand haben — heute ist dazu gesprochen worden —, denn die Grundstücke gehören ja jetzt dem Bund. Das ist ja wohl das Motiv.Die DDR sei ein Unrechtsstaat gewesen. Wohl deshalb, wie ich einer Stellungnahme des Kollegen Schmude entnommen habe, hat das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1961 das Steuerrecht der DDR und seine Durchsetzung als mit der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland für unvereinbar erklärt. Steuerforderungen wären hier nicht vollstreckt worden, erklärte Kollege Schmude. Aber wenn einer der DDR zuwenig Steuern gezahlt hat — wie angeblich der Rechtsanwalt Vogel —, dann muß man ihn heute scharf verfolgen und in Untersuchungshaft nehmen.
Die DDR war für die Bundesrepublik Deutschland nicht Ausland, aber der bei der Einfuhr mehr oder weniger alter westdeutscher Autos in den Monaten vor dem 3. Oktober 1990 in der DDR fällige Einfuhrzoll soll jetzt, wenn er nicht bezahlt wurde, für den Bund eingetrieben werden.Noch ein Beispiel: Dem Richter am Volksgerichtshof Rehse, einem deutschen Volljuristen, der an zahlreichen NS-Todesurteilen mitgewirkt hatte, wurde das Richterprivileg zugebilligt, und er wird freigesprochen. Dem Volksrichter in den Waldheimer Prozessen Jürgens wird das Richterprivileg abgesprochen. Hier handelte es sich allerdings — wenigstens zum Teil — um die Verurteilung von Naziverbrechern.Erfahrenen Juristen ist für alle diese Dinge sicher immer eine plausible Begründung eingefallen. Aber es bleibt der fatale Eindruck der Beliebigkeit, der willkürlichen Handhabung des Instrumentariums des Rechtsstaates, der Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes.Der jetzt geplante Eingriff in die Verjährungsregelung ist wieder ein solcher Eingriff, der den Eindruck fördert, nicht nur der Vor-Rechtsstaat DDR, auch der Rechtsstaat Bundesrepublik stehe zur Disposition der Politik, er sei eine Magd der Politik, die zu Willen ist, wenn es der politischen Mehrheitsrichtung paßt.Über die halsbrecherische Konstruktion des großen Koalitionsantrages werden wir uns am Mittwoch im Rechtsausschuß unterhalten. Ich halte die Formulierung der Frau Ministerin von rechtsdogmatischen Bedenken noch für etwas euphemistisch.Die Angabe, daß keine Kosten entstehen, ist irreführend. Natürlich entstehen Kosten für die weitere Verfolgung dieser Taten, Mittel, die für die Bekämpfung der aktuellen Kriminalität fehlen, einer Kriminalität, die den Ostdeutschen ernsthaft Angst macht.Eine fatale Folge des geplanten Eingriffs für das Ansehen des Rechtsstaates besteht in meinen Augen in dem Eindruck, daß das, was im Strafgesetzbuch über Verjährung steht — und das steht ja aus wohlerwogenen Gründen dort — eigentlich ein Verbrecherprivileg sei, das da eigentlich nicht stehen sollte und mit dem man auch mehr oder weniger beliebig verfahren kann.Das wird unterstützt durch Äußerungen, wie man immer wieder lesen kann, die Verjährung sei eine kalte Amnestie, die Einstellung des Verfahrens gegen Honecker sei eine Verhöhung der Opfer,
die Haftentschädigung für Stoph sei eine Verhöhnung von Opfern, obwohl sie nur von der Unzulänglichkeit der Entschädigungsregelung für diese Opfer spricht.Alle diese Äußerungen bedeuten nichts anderes, als daß rechtsstaatliche Entscheidungen aus Gründen der politischen Opportunität denunziert werden.Ich will Ihnen sagen: Mir ist noch aus der DDR-Zeit wohl bewußt, daß es ein Spannungsfeld von Recht und Politik gibt. Ich hatte nicht erwartet, daß es das in der Bundesrepublik nicht gibt, aber ich bin doch zunehmend enttäuscht, wie opportunistisch hier von der Regierungsmehrheit mit den Prinzipien des Rechtsstaates umgegangen wird. Ich hatte nicht gedacht, daß bundesdeutsche Volljuristen nicht selten nicht mehr rechtsstaatliches Denken haben als ein Abteilungsleiter für Staats- und Rechtsfragen im ZK der SED.Es fällt mir von Woche zu Woche schwerer, den Menschen in Ostdeutschland zu erklären, daß und warum sie gleichwohl in einem Rechtsstaat leben.
Da nach dem Gesetz vom 26. März 1993 die Verjährung zwischen 1949 und 1990 geruht hat, sollen nun z. B. bis 1995 Beleidigungen verfolgt werden können, die dann bis zu 46 Jahren zurückliegen. Mit welchen Mitteln, mit welchem Aufwand soll da noch etwas aufgeklärt werden können? Die Ermittlungskapazität wird nicht ausreichen, und am Ende entsteht nur ein symbolisches Strafrecht.Die Frau Ministerin hat hier heute erklärt: Der Durchsetzungswille ist entscheidend für die Rechtsstaatlichkeit. Dieses Gesetz ist nach meiner Meinung ein Musterbeispiel für das Gegenteil, es ist rechtsstaatsfeindlich.
Es werden zahlreiche Menschen durch Ermittlungsverfahren verunsichert; und am Ende wird weder verurteilt noch freigesprochen, sondern eingestellt. Die Auswahl der zu Verurteilenden wird notwendig willkürlich sein. Das wissen Sie alle. Und wieder zerstören Sie rechtsstaatliches Bewußtsein zugunsten des Zieles, eine ganze Schicht der DDR zu demorali-
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15042 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Dr. Uwe-Jens Heuersieren, dem Widerstand Ostdeutschlands Sprecher zu nehmen. Mit den Worten Adornos in seiner „Negativen Dialektik": „Das zu fressende Lebewesen muß böse sein."Ich danke Ihnen.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Ullmann das Wort.
Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine Damen und Herren Kollegen! Warum sprechen wir überhaupt vom Rechtsstaat, lieber Herr Kollege Heuer, und nicht vom Justizstaat? Doch deswegen, weil das Recht keine Behörde, weil es überhaupt keine Institution, sondern ein Lebensvollzug ist, der überall im Staat präsent sein soll. Ich würde es eigentlich noch lieber sehen, daß wir das Wort „Rechtsstaat" gar nicht gebrauchen, weil es den Eindruck erwecken könnte, als ob das Recht etwas zum Staat Hinzukommendes sei.
Dabei wissen wir seit dem heiligen Augustinus alle, daß ein Staat ohne ein gerechtes Recht nur ein großes Latrocinium, eine Räuberbande, ist.
Darum, denke ich, sollte es in unserem Lande dahin kommen, daß in ihm das gilt, was der Name einer Europaratskommission sagt: Demokratie durch Recht. Das ist das Thema unserer heutigen Debatte.
Ich möchte zunächst ein paar Anmerkungen zu Einzelposten in dem Etat machen, ehe ich auf die wichtige Frage eingehe, die Herr Kollege Heuer angeschnitten hat. Ich könnte natürlich als Berichterstatter zunächst meine Zufriedenheit äußern, daß der Etat nicht gesunken, sondern gestiegen ist. Aber angesichts der Gesamthaushaltslage kommt bei uns allen keine rechte Freude darüber auf.
Auch sonst werfen einzelne Posten für mich Fragen auf, Frau Ministerin. Man sähe es dem Haushaltsplan doch gern an, irgendwelche Spuren davon zu zeigen, daß die Umsetzung der Beschlüsse der Förderalismuskommission im Bereich der obersten Gerichte unseres Landes zumindest in Gang kommt. Bis jetzt habe ich nur eine lakonische Zeile entdecken können, die von einem Umzug der Außenstelle in Berlin erzählt und ihn finanziell absichert.
Ich habe wirklich große Schwierigkeiten mit dem Verständnis für die Haushaltsposten, die die Ausgaben für rechtspolitische Reformen festlegen. Jahr für Jahr werden hier hohe Summen ausgegeben, genauso für die Strukturanalyse der Rechtspflege. Ich würde viel lieber für die Ergebnisse und die Anwendung solcher Forschungen Gelder ausgeben und frage mich: Wie lange geben wir hier noch Hunderttausende und Hunterttausende aus?
Im Gegensatz dazu muß ich lesen, daß für eine Fortsetzung der von Herrn Kinkel angeregten und durchgeführten Konsultation mit Justizministern mittel- und osteuropäischer Länder überhaupt kein Etatposten vorgesehen ist. Ist das nicht angesichts der russischen Verfassungsstreitigkeiten, der unüberschaubaren Rechtsprobleme im Umgang mit ehemaligem Volkseigentum — die wir selbst nur zu genau kennen — schwer nachvollziehbar?
Ein Desiderat möchte ich gleich für das von der Justizministerin dankenswerterweise vorgelegte Registerverfahren-Beschleunigungsgesetz anmelden. Da die Umstellung der Grundbücher auf EDV-Technik Ländersache ist, sollte der Bund die Realisierung lieber nicht den finanziellen Möglichkeiten der Länder überlassen, sondern besser gegebenenfalls die Unterstützung des Bundes vorsehen, als diese so dringend nötige Reform durch Finanzierungsschwierigkeiten etwa verzögern oder gar blockieren zu lassen.
Ich komme nun zu Ihrem Thema, Herr Heuer. Nach wie vor ist die Bereinigung von DDR-Unrecht eine vordringliche Aufgabe unserer Justiz. Ich sage unserer, Herr Heuer. Hier ist es, wo Demokratie durch Recht erneuert und verwirklicht werden muß. In diesem Sinne ist es zu begrüßen, daß es im Deutschen Bundestag einen fast einmütigen Konsens gibt, den Fristbeginn im Bereich der Verjährung bis zu fünf Jahren so festzulegen, daß eine Strafverfolgung überhaupt möglich wird, Herr Heuer. Darum geht es doch.
Wer dies als Eingeständnis einer Rachegesinnung diffamiert oder allerlei pragmatische Einwendungen dagegen vorbringt, der möge sich doch wenigstens eine Frage stellen:
Wenn Verjährung den Sinn hat, die Strafverfolgung auf Zeiträume einzugrenzen, in denen Beweise erbracht und Verfahren effektiv durchgeführt werden können, wieso soll das auf Tatbestände angewandt werden, die nicht wegen irgendeines zeitlichen Abstandes, sondern wegen politischer Hindernisse noch nicht verfolgt werden konnten?
Die letzten Wahlfälschungsprozesse haben das sinnfällig gemacht. Obwohl schon zu DDR-Zeiten begonnen, haben diese Verfahren durch das soeben ergangene Urteil gegen Krack und seine Mitangeklagten zum erstenmal die Verantwortlichkeit der zentralen Wahlkommission und ihres Vorsitzenden Krenz in Erscheinung treten lassen. Ist die Tatsache der Wahlfälschungen im Mai 1989 von DDR-Bürgern und -Bürgerinnen öffentlich gemacht worden, um jetzt nachträglich als Siegerjustiz diffamiert und mit unglaubwürdigen Versöhnungsappellen zerredet zu werden.
Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?
Ja.
Herr Kollege Ullmann, wir werden noch am Mittwoch Gelegenheit haben, uns darüber näher zu verständigen. Sie sagten gerade, daß politische Hindernisse die Verfolgung behindert haben. Aber zwischen dem 3. Oktober und dem heutigen Tage liegen hinsichtlich
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993 15043
Dr. Uwe-Jens Heuerder Verfolgung ja keine politische Hindernisse mehrvor, so daß ich Ihr Argument nicht verstanden habe.
— Ich lebe hier und Sie auch.
Nein, ich muß das anders sehen. Erstens bestand zwar kein politisches, aber ein faktisches Hindernis, weil wir erst die Gesetze machen mußten. Zweitens haben wir jetzt das Stasi-Unterlagengesetz. Aber bei weitem nicht alle Antragsteller haben in ihre Akten sehen können. Sie wissen, was diejenigen, die hineinguckten, gesehen haben. So mußten z. B. meine Kinder feststellen, daß ein Verwaltungsleiter einer kirchlichen Hochschule ständig in ihre Wohnung eingebrochen ist.
Sie müssen doch denjenigen, die Opfer solcher Kriminalität geworden sind, mindestens die Möglichkeit lassen, dagegen gerichtlich vorzugehen. Ob sie es dann tun, ist eine zweite Frage.
Die Möglichkeit dazu müssen sie jedoch haben. Ich verstehe nicht, wie Sie als Jurist das verhindern wollen.
Herr Heuer hat noch eine Nachfrage, vorausgesetzt, Sie wollen sie beantworten.
Sie haben vorhin gesagt, es seien politische Hindernisse. Sie wissen doch, daß die Verjährung nicht zu Ende geht. Wollen Sie also damit sagen: Es gibt noch Akten, aus denen man noch etwas erkennen kann?
Wie mir scheint, ist das keine juristische Begründung für eine Unterbrechung von Verjährung. Aber Sie werden mich am Mittwoch mit einer juristischen Begründung überraschen.
Entschuldigen Sie, ich habe nicht den Eindruck, daß Sie mir eine neue Frage gestellt haben. Insofern ist es doch am vernünftigsten, wenn wir die Debatte im Rechtsausschuß fortsetzen.
Dem beizupflichten fällt mir nicht schwer. Sie können fortfahren, Herr Abgeordneter.
Danke schön. — Wenn uns jetzt die ehemaligen Insassen des „Gelben Elends" in Bautzen zur Versöhnung aufriefen, dann würden wir alle auf sie hören und in ein tiefes Nachdenken kommen. Wir würden uns auch überlegen, welche rechtlichen Schritte das bedeuten müßte. Aber wie sollen diese Leute aus dem „Gelben Elend" und anderswoher überhaupt je in die Lage kommen, zur Versöhnung aufrufen zu können, wenn das Wort „Versöhnung", aus unzuständigem oder nur zu interessiertem Munde kommend, jede Glaubwürdigkeit verliert? Mir ist sehr daran gelegen, lieber Herr Kollege Heuer, daß Sie sich just daran nicht beteiligen.
Wer Recht und Rache nicht unterscheiden kann, sollte nicht über Versöhnung philosophieren.
Die Demokratie aber sollte ihre Rechtsstaatlichkeit weiterhin dadurch beweisen, daß sie durch gerechte, aber milde Urteile alle diejenigen widerlegt, die ihr weder das eine noch das andere zutrauen, weder die Gerechtigkeit noch die Milde.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, bevor ich dem Abgeordneten von Schmude das Wort erteile, muß ich dem Abgeordneten Dietrich Austermann einen Ordnungsruf erteilen. In der Debatte heute morgen hat er ausweislich des Protokolls bei dem Beitrag der Kollegin Köppe den Abgeordneten Dr. Gysi in einen direkten Zusammenhang mit Verbrechern und Gangstern gebracht. Ich fühle mich verpflichtet, dieses in aller Form zu rügen.
Herr Abgeordneter von Schmude, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer den Abgeordneten Heuer hier erlebt hat, wird zu dem Schluß kommen, eine Auseinandersetzung über bestimmte Fragen ist offensichtlich gar nicht mehr möglich. Wir werden uns, Herr Heuer, von Ihnen und Ihren Gesinnungsgenossen nicht sagen lassen, daß wir von der Vergangenheitsbewältigung Abstand nehmen. Wir werden das nicht tun. Wir werden uns auch nicht mit Ihrer Schlußstrichmentalität in irgendeiner Form anfreunden.
Der Justizhaushalt zeichnet sich wie immer durch Solidität und Bescheidenheit aus, wobei ein hoher Grad an Selbstfinanzierung durch die Einnahmen des Bundespatentamtes erreicht wird. Wenn ich heute Ihre Äußerungen, Herr de With, über die Möglichkeiten des Aufbaus des Rechtsstaates höre, dann muß ich Ihnen sagen: Wir haben auf diesem Gebiet unendlich viel getan. Wir haben bereits 1990, zu einem sehr frühen Zeitpunkt, 130 Richter abordnen lassen und
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15044 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Michael von Schmudehaben damals die Kosten dafür hälftig übernommen.
— Jawohl. — Wir haben dann im Konsens mit den Ländern festgelegt, daß wir ein Programm für 3 Jahre, 1991 bis 1993, abwickeln werden, um den Aufbau des Rechtsstaates in den neuen Bundesländern, der uns allen am Herzen liegt, zu fördern. Der Bund hat für diesen Drei-Jahres-Zeitraum 329,4 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Wir haben damit erreicht, daß per 31. Dezember 1992 insgesamt 3 418 Fachkräfte, d. h. Richter, Staatsanwälte, Beamte des höheren Dienstes und Rechtspfleger, abgestellt und bezahlt werden konnten. Wir haben uns diese Kosten geteilt; die alten Bundesländer sollten den gleichen Betrag aufbringen. Nun müssen wir leider feststellen, daß sich die alten Länder aus dieser Solidarität herausstehlen. Ich habe das Wort „Wortbruch„ hier heute einmal gehört.
Die alten Bundesländer haben sich bereits 1993 aus den laufenden Vereinbarungen verabschiedet und haben sich bis zu 80 % der aufgewandten Kosten von den neuen Bundesländern zurückerstatten lassen.Meine Damen und Herren, das ist keine Solidargemeinschaft mehr. Wenn jetzt vom Bund neue Mittel verlangt werden, so sind wir dazu in einem bestimmten Umfang bereit und in der Lage. Aber wir haben bei Verabschiedung des Konsolidierungspaketes mit den neuen und den alten Ländern ja einen Finanzrahmen vorgelegt, der nun auch die neuen Länder in die Lage versetzen muß, bestimmte Aufgaben verstärkt selbst zu übernehmen. Wir werden deshalb für 1994 nur noch 20 Millionen DM für den Aufbau des Rechtsstaates zur Verfügung stellen.
Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten de With zu beantworten?
Ja.
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege von Schmude, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß man den Aufbau der Justiz in den neuen Ländern nicht separat als eine Aufgabe der dortigen Länder betrachten muß, sondern das mindestens auch als Bundesaufgabe ansehen muß,
mit der Folge — ich denke nur an die Bekämpfung der Regierungskriminalität und der Vereinigungskriminalität in Berlin —, daß der Bund zuschießen muß? Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Vorgabe von 3 Jahren damals vielleicht richtig gewesen sein mag, weil wir alle hofften, es ginge schneller, daß wir aber heute feststellen müssen, daß es eben sehr viel länger dauert? Deswegen müssen wir — es handelt sich wirklich nur um kleine Beträge — hier etwas nachlegen.
Es geht darum, daß es mit dem Rechtsgefühl in den neuen Ländern, das — wie ich schon sagte — durch den Honecker-Prozeß bestimmt gelitten hat, nicht noch weiter bergab geht. Das ist nicht geringzuachten.
Herr Kollege de With, wir stimmen in der Beurteilung der Notwendigkeiten insgesamt überein, aber wir haben mit dem Konsolidierungspaket die Möglichkeiten geschaffen, daß die Länder nun auch aus eigener Kraft zunehmend ihre Aufgaben wahrnehmen.Ich sage Ihnen hier noch einmal sehr deutlich: In der Vergangenheit haben wir Mittel bereitgestellt, die nicht immer voll für Personal ausgeschöpft werden konnten, weil die alten Bundesländer die Richter und Staatsanwälte nicht entsandt haben, die sie hätten entsenden sollen und müssen. Wir waren dann so flexibel, daß wir diese Gelder für den Aufbau von Datentechnik z. B. den Grundbuchämtern freigemacht haben, um die Haushaltsansätze auszuschöpfen.Wir haben als Bundesregierung und auch als Parlament hier wirklich alles getan, um zu helfen. Ich sage: Wir tun das weiter. Wir werden in 1994 zunächst 20 Millionen DM über das hinaus, was bisher vereinbart worden ist, bereitstellen.
— Nein, es sind 20 Millionen DM, wovon 15 Millionen DM auf die Grundbuchämter und 5 Millionen insbesondere auf Personalhilfe entfallen.Die Grundbuchämter verdienen unser besonderes Interesse, weil es ja hier ganz erhebliche Rückstände gibt, die es aufzuarbeiten gilt. Das ist also unser primäres Anliegen.Ich muß es noch einmal sagen: Ich fordere die alten Bundesländer auf, diese Rückerstattung, die 1993 vereinbarungswidrig vorgenommen wurde, doch noch einmal für eine weitere Hilfe zur Verfügung zu stellen. Dann wäre unserem gemeinsamen Anliegen, glaube ich, Rechnung getragen.Meine Damen und Herren! Wir rechnen ja im Bereich der deutschen Einheit auch mit anderen Größenordnungen, nicht nur in diesem Bereich. Wir haben beim Aufbau des Rechtsstaates eine Menge mehr getan.Da ist die Deutsche Richterakademie mit der neuen Tagungsstätte in Wustrau, deren Sanierung wir mit 3 Millionen DM bezuschußt haben. Mit ihr werden zusätzliche Fortbildungsmaßnahmen für Richter und natürlich auch für die Staatsanwälte in den neuen Bundesländern abgedeckt.Trotz einer sehr kurzen Vorbereitungszeit hat diese neue Richterakademie, die ja eine Zweigstelle oder eine Nebenstelle von Trier ist, bereits 60 Tagungen durchführen können. Sie wird hervorragend angenommen, und wir haben im Haushalt auch in diesem Jahr 1994 dann wieder rund gerechnet 2,8 Millionen DM dafür bereitgestellt.Auf Grund meiner Anregung wird eine Ausstellung „Justiz in der DDR" vorbereitet, ja, zügig aufgebaut.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993 15045
Michael von SchmudeWir haben bereits 1993 dafür im Haushalt 575 000 DM ausgewiesen und tun das 1994 mit 441 000 DM. Mit dieser Ausstellung zur Justiz in der ehemaligen DDR soll ein Beitrag zur frühzeitigen Aufarbeitung geleistet werden, und zwar gerade für die Generation, die unmittelbar betroffen ist.Meine Damen und Herren, angesichts der weit verbreiteten Unkenntnis und auch der Gefahr von Legendenbildung soll das Wissen um das, was in der früheren DDR geschehen ist, verbreitet werden.
Wir haben ja bereits eine Ausstellung „Justiz im Nationalsozialismus", aber diese entstand 40 Jahre nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus. Die friedliche Revolution in der ehemaligen DDR liegt jetzt knapp vier Jahre zurück. Es ist deshalb notwendig, die Justizwirklichkeit der DDR eingehend zu analysieren.Die Ausstellung soll sich dabei auf den Gesichtspunkt „Einflußnahme von Staat und SED auf die Justiz" konzentrieren. Sie soll bewußt Betroffenheit auslösen und damit auch zugleich das Rechtsbewußtsein fördern und somit ebenfalls einen Beitrag zur Verständigung der Deutschen in Ost und West leisten.Einigungsbedingt stehen wichtige Gesetzesvorhaben zur Beratung an. Ich erwähne nur das Entschädigungsgesetz und das Sachenrechtsänderungsgesetz. Aber welchen Stellenwert wir bei diesen neuen Gesetzen dem Eigentum geben, darf nicht nur unter tagespolitischen Gesichtspunkten gesehen werden.Eine zentrale Aufgabe des Ministeriums ist die Vorbereitung neuer Gesetze. Leider dauern viele Dinge etwas lange. Für die Jahre 1990 bis 1992 haben wir für die Vorbereitung rechtspolitischer Reformen 477 000 DM zur Verfügung gestellt, von denen nur 236 000 DM abgeflossen sind. Für die Erfassung und Erforschung von Rechtstatsachen gab es im gleichen Zeitraum 1 627 000 DM, von denen nur 878 000 DM ausgegeben wurden. Wir stellen jetzt für 1994 1,5 Millionen DM zur Verfügung. Ich meine, wir sollten im Hause alles tun, daß dort auch wirklich dieses Geld umgesetzt wird.Meine Damen und Herren, sehr kritisch haben wir uns als Berichterstatter mit zwei Bereichen auseinandergesetzt. Das betrifft einmal die Rechtsberatung der Staaten Mittel- und Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion. Bei der sehr kurzfristigen, ja übereilten Gründung wurde dem Haushaltsausschuß ein Finanzierungsvolumen dargelegt, das zur Hälfte, mit rund 3 Millionen DM, durch Spenden aus der Wirtschaft refinanziert werden sollte. Diese Spenden sind nicht eingetroffen.Andere Unstimmigkeiten und andere Mißstände haben dazu geführt, daß der Bundesrechnungshof eine Sofortprüfung veranlaßt hat. Das Ergebnis ist sehr, sehr kritisch, und ich meine, daß als Schlußfolgerung eine Schließung dieser Stiftung überdacht werden muß.
Herr Abgeordneter von Schmude, der Abgeordnete Dr. Weng möchte Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie bereit, diese zu beantworten?
Bitte schön.
Bitte schön, Herr Dr. Weng.
Herr Kollege von Schmude, teilen Sie meine Auffassung, daß es trotz schwieriger wirtschaftlicher Lage eigentlich eher peinlich ist, daß die erwarteten Spenden aus der Wirtschaft in dem Umfang, den Sie hier angedeutet haben, für dieses wichtige Gebiet ausgeblieben sind? Meinen Sie tatsächlich, daß die Konsequenz daraus dann sein sollte, eine Aufgabe, die als solche eine wichtige Aufgabe ist, durch Austrocknen der Institution, die sie tätigt, einfach einzustellen?
Es sind mehrere Dinge peinlich, Herr Kollege Weng. Einmal ist zu sagen, daß uns als Haushältern die Summe von 3 Millionen DM Spenden quasi als verbindliche Spenden in Aussicht gestellt wurde. Zweitens ist zu erwähnen, daß diese Spenden der Wirtschaft, für die wir Wirtschaftsrechtsberatung in den genannten Ländern machen wollen, nicht gekommen sind.Ich meine, wir haben allen Grund, auch auf Grund der zu Recht festgestellten Mißstände in der Stiftung, diese Institution auf ihre Berechtigung hin zu überprüfen, zumal wir insgesamt für Beratungshilfe im Bereich der mittel- und osteuropäischen Staaten und der GUS 520 Millionen DM im Bundeshaushalt zur Verfügung stellen. Auch in diesem Zusammenhang glaube ich, daß es notwendig ist, die Beratungshilfen insgesamt einer kritischen Betrachtung auf Effizienz und auf Notwendigkeit überhaupt zu unterziehen.Meine Damen und Herren, ein weiterer Bereich wird bei den Haushaltsberatungen eingehend zu erörtern sein. Es handelt sich um die Ausbildung der Patentanwaltsanwärter beim Deutschen Patentamt. An der dort vorgeschriebenen einjährigen Ausbildung nehmen Anwärter teil, die bereits über ein abgeschlossenes Hochschulstudium verfügen und zu einem Großteil im Berufsleben stehen. Sie streben eine Fortbildung zu einem höher qualifizierten und besser bezahlten Beruf an. Das Patentamt — d. h. wir aus dem Haushalt — zahlt ihnen für den Unterhalt einen Betrag, der etwa den Bezügen während eines Referendariats entspricht.In den letzten vier Jahren hat sich die Zahl der Anwärter fast vervierfacht. Die Kosten sollen von 1993 auf 1994 um weitere 900 000 DM auf 3,3 Millionen DM hochschnellen. Angesichts der Kürzungen in anderen Bereichen — ich denke an die berufliche Fortbildung und hier vor allem an die Meisterkurse — scheint es mir dringend geboten, auch diesen Bereich zu überprüfen, möglichst dahin gehend, daß die Unterhaltshilfe durch zinsgünstige oder sogar zinsfreie Darlehen abgelöst wird.Meine Damen und Herren, das Deutsche Patentamt hat sich erfreulich entwickelt. Wir haben eine Steigerung der Patentanmeldungen im Jahr 1992 um 4,5 % auf nunmehr 43 363 festzustellen. Dies ist auch ein wichtiger Beitrag zur Sicherung des Standortes
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15046 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Michael von SchmudeDeutschland. Auch die Tatsache, daß sich unser Patentamt mit seinen Zahlen durchaus im Vergleich mit dem Europäischen Patentamt in München sehen lassen kann, ist Ausdruck der Wertschätzung und der Attraktivität unseres Patentamts.Abschließend möchte ich dem Haus, der Frau Ministerin, dem Haushaltsreferat und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dafür danken, daß der Haushalt in dieser Form vorgelegt werden konnte. Ich sage noch einmal: solide, sparsam, bescheiden. Das gilt insbesondere auch für unsere obersten Bundesgerichte.Herzlichen Dank.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Hans-Joachim Hacker das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses ist der letzte Haushalt, den wir in der ersten Legislaturperiode nach der Einigung beraten und verabschieden.
— Und verabschieden Herr Kollege.
Der Einigungsprozeß hat den Gesetzgeber vor historisch einmalige, komplizierte Aufgaben gestellt. Letztlich geht es darum, eine über vier Jahrzehnte immer stärker auseinanderlaufende Rechtsentwicklung in den früheren beiden deutschen Staaten zu überwinden. Dabei waren sowohl die über 40 Jahre gewachsenen Lebensrealitäten in den neuen Ländern zu berücksichtigen als auch das gravierende Unrecht insbesondere aus der Nachkriegszeit, aber auch aus den letzten Jahren der DDR, juristisch aufzuarbeiten.
Wir müssen heute die Frage stellen: Ist diese Bundesregierung dieser Herausforderung gerecht geworden,
und wenn nicht: Wo liegen die Defizite?
Diese Lebensrealität in den neuen Ländern — ich meine aber auch: in Gesamtdeutschland —, Herr Kollege Kleinert, läßt sich meines Erachtens nicht mit der schönen Weltvorstellung von Ihnen erklären.
Ich meine, Ihr Erkenntnisstand muß der Klientel entspringen, die aus Ihrem politischen Wirkungskreis resultiert, und das ist nicht verallgemeinerungsfähig.
Meine Damen und Herren, eines der zentralen Probleme bei der Einigungsgesetzgebung war die Regelung der offenen Vermögensfragen. Die Bundesregierung hat den ideologisch motivierten Grundsatz des Vorranges der Rückgabe vor der Entschädigung durchgesetzt
und damit eine über Jahre wirkende Investitionsbremse in den neuen Ländern installiert.
Herr Geis, Ihre eigene Unsicherheit in der heutigen Argumentation zeigt doch, daß Sie immer mehr Zweifel bekommen, ob die Politik, die Sie damals gewählt haben, richtig gewesen ist. Es standen ja Alternativen zur Wahl.
Wir haben diese Problematik an dieser Stelle schon mehrfach diskutiert. Ich denke, wir haben heute auch nicht mehr die Chance, die Frage noch einmal neu aufzuwerfen. Ich denke aber, daß das der Gerechtigkeit wegen noch einmal gesagt werden mußte.
Sind Sie trotzdem bereit, eine Frage des Abgeordneten Geis zu beantworten?
Von Herrn Geis jede Frage.
Stimmen Sie mit mir darin überein, daß dieses Prinzip der Rückgabe vor Entschädigung von der Volkskammer mit ganz überwiegender Mehrheit beschlossen worden ist, nämlich auch mit den Stimmen der SPD, und daß es, als es einmal in der Welt war, schwierig gewesen wäre — auch aus verfassungsrechtlichen Gründen —, dieses Prinzip umzukehren?
Herr Geis, dieses Prinzip haben wir ja in der Folgegesetzgebung mehr als ausgehölt. Wir sind dabei bis an den Rand des Möglichen gegangen. Ich erinnere an das Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz, das wir im vorigen Jahr verabschiedet haben,
Zu Ihrer ersten Frage: Es blieb der Volkskammer und auch der SPD doch nur die Alternative, den Einigungsvertrag zu unterschreiben oder nicht.
Sie wollen doch wohl der SPD heute nicht noch einmal die Frage stellen, ob wir die Einigung wollten oder nicht.
Die SPD gerade in den neuen Ländern war doch die erste Partei, die überhaupt das Problem der deutschen Einheit auf die Tagesordnung gesetzt hatte.
Frau Abgeordnete Matthäus-Maier, hat sich damit die Frage erübrigt? — Bitte schön.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993 15047
Die Wiederherstellung alter Besitzstände, Herr Geis, hatte für die Koalition Priorität. Die schnelle Regelung der Ansprüche der Opfer des DDR-Systems trat in den Hintergrund, ja wurde teilweise mit bürokratischer Kälte behandelt. Das bedaure ich sehr.Ich erinnere daran, daß von dieser Bundesregierung und auch von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. als Kapitalentschädigung für politische Haftstrafe in der DDR der unzumutbare Betrag von 300 DM pro Haftmonat angeboten und beschlossen wurde und erst die Intervention des Bundesrates zu Nachbesserungen führte.Ich erinnere daran, daß erst in diesem Jahr der Entwurf des Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes vorgelegt wurde — die Frau Bundesministerin hat das als Erfolg Ihrer Politik gewertet; ich meine aber, die Sache kommt viel zu spät —, obwohl gerade für die von diesem Gesetz erfaßten beruflich Benachteiligten bereits 1991 dringender Handlungsbedarf existierte.Ich erinnere daran, daß den Bürgerinnen und Bürgern, die aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten stammen und in der DDR lebten, Ausgleichsleistungen versprochen wurden — damals allerdings vor der Bundestagswahl —, die bis heute nicht erfüllt sind. Spätestens im Gesetzgebungsverfahren zum Kriegsfolgenbereinigungsgesetz im Dezember vorigen Jahres hätte dieses Problem geregelt werden können und geregelt werden müssen. Der Versuch scheiterte allerdings im Vermittlungsausschuß an der strikten Weigerung der Bundesregierung.Meine Damen und Herren, mit Interesse und etwas irritiert habe ich in der Presse gelesen, daß der Bundesaußenminister, Herr Kinkel, auf dem Tag der Heimat in Karlsruhe am letzten Wochenende erklärt hat, daß die Vertriebenen weiterhin auf die Unterstützung der Bundesregierung rechnen können, jedoch die Zeit für konkrete Verhandlungen über Rückgabe oder Entschädigung für verlorengegangene Vermögenswerte in den ehemaligen deutschen Ostgebieten noch nicht gekommen sei. Ich frage die Bundesregierung: Will sie allen Ernstes künftig Entschädigungsansprüche gegenüber Polen bzw. der Tschechischen Republik erheben? Wenn ja, sollte sie sich auch gleich auf eine Gegenrechnung einstellen, ganz abgesehen davon, daß damit nicht wiedergutzumachender außenpolitischer Schaden provoziert würde.
Wenn die Bundesregierung aber nicht beabsichtigt, künftig derartige Ansprüche zu erheben, was ich für richtig halte, dann ist diese Äußerung von Herrn Kinkel ein erneuter Beweis für die Praxis dieser Bundesregierung, Hoffnungen zu wecken, die objektiv nicht erfüllt werden können
bzw. an deren Erfüllung sie selber gar nicht denkt. Ich denke, das ist sträflich.
Auf der anderen Seite ist die Bundesregierung von Zögerlichkeit geprägt, wenn es darum geht, Eigentumsansprüche von Bürgern zu regeln, sofern der Bund im Zuge der Einheit selbst in den Besitz von Vermögenswerten der ehemaligen DDR gelangt ist. Bei zwei Fallgruppen wird das in exemplarischer Weise deutlich:Erstens. Auf schroffe Ablehnung trafen bei der Bundesregierung die in der DDR im ehemaligen Grenzgebiet Zwangsausgesiedelten mit ihren Forderungen auf Eigentumsrückgabe. Erst der massive öffentliche Protest, dem sich auch die SPD angeschlossen hatte, führte dazu, daß der damalige Bundesjustizminister einlenkte.Zweitens. Das Problem der sogenannten Mauergrundstücke — es wurde heute angesprochen —, das wir im Rechtsausschuß bereits im Frühjahr dieses Jahres behandelt haben, sollte nach Ihren Vorstellungen, Frau Bundesjustizministerin, als erledigt angesehen werden. Ein unglaublicher Vorgang. Hier sollte DDR-Unrecht nachträglich sanktioniert werden. Bis heute haben die Mitglieder des Rechtsausschusses die von Ihnen zugesagte Problemzusammenstellung nicht erhalten. Dafür bringt die Nachrichtenagentur Reuter am 6. September 1993 die Meldung, daß sich das F.D.P.-Präsidium nun doch für eine Rückgabe ausspricht. Dies ist ein radikaler Kurswechsel. Mir drängt sich die Frage auf: Ist das die einheitliche Auffassung der Bundesregierung, was ich ausdrücklich begrüßen würde, auch Ihres Kollegen Dr. Waigel, oder nur die der F.D.P., oder ist es Ihre persönliche Auffassung, was ich einer Meldung der „Berliner Morgenpost" vom 9. September 1993 entnehme?Ihre Antwort, Frau Bundesministerin, auf die Frage des Herrn Abgeordneten de With ist für meine Begriffe nicht eindeutig. Ich meine, Sie sollten ohne Wenn und Aber sagen, ob es Ihre politische Absicht ist, diese Grundstücke zurückzugeben. Hier muß der Schlingerkurs beendet werden.Meine Damen und Herren, in den nächsten Wochen wird in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz behandelt, ein Gesetz, das in seinen finanziellen Wirkungen für den Bund haushaltsneutral gehalten werden soll. Diese Grundbedingung ist bereits jetzt in Frage gestellt. Ich nenne nur die völlig sachfremde Einordnung der Vertriebenenzuwendung und die Absicht, für die von der Bodenreform Betroffenen Ausgleichsleistungen zu regeln, die denen des Entschädigungsgesetzes entsprechen. Außerdem muß an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen werden, daß die Gleichbehandlung derjenigen, die ihr Grundstück zurückerhalten, und derjenigen, die Entschädigung erhalten, bei dem gegenwärtigen Lösungsmodell des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes nicht gewährleistet ist.Meine Damen und Herren, mit der steigenden rechtsextremistischen Gewalt und der organisierten Kriminalität hat sich der Deutsche Bundestag in den letzten Monaten mehrfach beschäftigt. Ein Konzept, wie durch entschiedenes Handeln des Staates auf
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15048 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Hans-Joachim HackerStraftaten reagiert wird, hat die Bundesregierung bisher nicht vorgelegt.
Ich übersehe nicht die Zuständigkeit der Länder für Polizei und Justiz. Das Bundesjustizministerium und die Bundesregierung können sich aber mit der Berufung auf diese Zuständigkeit nicht aus der politischen Verantwortung stehlen.Die Bundesregierung hat bisher bei der Aufklärung und Verfolgung der Regierungskriminalität in der früheren DDR und der Kriminalität im Zuge der Wiedervereinigung versagt.Es war ein Grundfehler anzunehmen, daß das Land Berlin allein und nur mit begrenzter Unterstützung der alten Bundesländer die mit der Auflösung der Strukturen eines zentralistischen Staatswesens verbundene Kriminalität aufdecken und strafrechtlich bewältigen kann.
Bei dieser Kriminalität geht es nicht um Millionenbeträge, Herr Geis, sondern um zweistellige Milliardenbeträge, die Straftäter aus Ost- und Westdeutschland in Verbindung mit der Währungsumstellung durch Währungsmanipulation, durch Veruntreuung und andere Straftaten an sich gebracht haben.Meine Damen und Herren, gerade die Diskussion über den Bundeshaushalt 1994, in der über Einsparungen und deren Folgen für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes kontrovers diskutiert wird, muß für die Bundesregierung Veranlassung sein, sich jetzt endlich dieses Themas mit Nachdruck anzunehmen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Michael Luther.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit drei Jahren haben wir im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages die Aufgabe der Aufarbeitung des Gesetzesstaates DDR, in dem — das dürfen wir nicht vergessen — Gesetze zur Durchsetzung der Diktatur des Proletariats geschaffen wurden. Aber in einer Diktatur ist nicht alles falsch, auch wenn das Ganze verkehrt ist. Deshalb darf nicht alles verworfen werden, sondern alle Regelungen und vor allem die heutige faktische Situation müssen betrachtet und Stück für Stück in neues Recht überführt werden.
Die Regelungen in Ost und West passen eben nicht zueinander, sie müssen angeglichen werden, und dabei gibt es viele Detailfragen zu beachten. Es muß das politische Recht oder — vielleicht manchmal besser — Unrecht der DDR gewürdigt werden. Auch wenn die DDR darauf verwiesen hat, daß sie die Genfer Menschenrechtskonvention anerkannt hat, so stellen wir im Innenverhältnis heute etwas gänzlich anderes fest. Ich denke hierbei an das Erste SED-
Unrechtsbereinigungsgesetz, aber ich denke auch an das Vermögensgesetz. Herr Hacker, es ist falsch zu behaupten, daß das ein Investitionshemmnis sei. Es ist kein Investitionshemmnis. Ich kann Ihnen zeigen, daß dadurch in den Kommunen vor Ort der größte Privatisierungsschub und damit eigentlich die größte Investition, die in den letzten Jahren getätigt wurde, ausgelöst wurde.
— Wir können uns gerne im Rechtsausschuß im Detail darüber unterhalten.
Meine Damen und Herren, es muß viel und schnell aufgebaut werden, und es muß investiert werden. Wir haben in der letzten Zeit das umfangreiche Gesetzeswerk mit dem Titel „Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz" begleitet. Die Kette läßt sich fortsetzen, aber schon diese drei Beispiele zeigen, was Ausgestaltung der deutschen Einheit bedeutet. Da helfen eben keine populistischen Schlagworte. Wir haben uns dieser Kleinarbeit gestellt.
Trotzdem sind wir auf diesem Weg noch lange nicht fertig.
Vor uns steht immer noch das wichtige Gesetzeswerk über die Entschädigungs- und Ausgleichsleistungen, wobei auch das Vertriebenenzuwendungsgesetz mit seinen 4 000 DM für die im Osten Deutschlands lebenden Vertriebenen verabschiedet werden muß. Gerade letzteres ist längst überfällig.
Vor uns liegt das Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz, eine sehr schwierige Materie, denn es geht um die Fragen der beruflichen Rehabilitation und um Schicksale von Menschen, denen heute in ihrer Betroffenheit geholfen werden muß.
Vor uns liegen weiterhin das Sachenrechtsänderungsgesetz, das Registerverfahrensbeschleunigungsgesetz und das Schuldrechtsbereinigungsgesetz.
Herr Abgeordneter Luther, der Abgeordnete Hacker möchte eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie bereit, diese zu beantworten?
Ja.
Bitte schön.
Ich komme jetzt erst zu meiner Frage, nachdem Sie schon bei dem nächsten Punkt sind.Sind Sie bereit, für Ihre Fraktion die politische Verantwortung dafür zu übernehmen, daß die Frage der Vertriebenenzuwendung in Höhe von 4 000 DM, die im Zuge des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes diskutiert wurde, nicht zum Abschluß gebracht wurde?
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993 15049
Es ist jetzt noch nicht zum Abschluß gebracht,
weil eine ganze Menge anderer Fragen dazu diskutiert werden müssen.
Deswegen muß ich die politische Verantwortung dafür nicht haben. Sie haben beim Gesetzgebungsverfahren mitgewirkt. Sie kennen ganz genau die Schwierigkeiten, die dabei entstehen. Ich bin nicht der Typ Mensch, der den Menschen insbesondere im Osten Deutschlands falsche Hoffnungen verkündet, sondern ich sage ihnen die Wahrheit. Das ist vielleicht der Unterschied zwischen uns beiden.
Meine Damen und Herren, Sie hatten mich in meinem Redetext unterbrochen. Ich hatte eine ganze Menge eigentumsrechtlicher Fragen angedeutet. Es wird dabei deutlich, daß in der DDR Eigentum keine Bedeutung hatte. Diese Schwierigkeit ist uns in den letzten Jahren und insbesondere in den letzten Wochen und Monaten sehr deutlich geworden. Wenn ich die Situation richtig einschätze, werden wir uns in bezug auf den Wahlkampf für die Wahlen zum nächsten Deutschen Bundestag auf die letzte Woche beschränken müssen. Denn mehr Zeit wird uns nicht bleiben. Mir ist es auch wichtig, daß wir die Zeit im Deutschen Bundestag nutzen, um die DDR-Vergangenheit aufzuarbeiten. Denn plakative Sätze werden niemandem nützen. Unsere Menschen fragen nach Antworten. Wir werden sie ihnen geben.
Schneller geht es nicht. Denn der Arbeit ist viel,
und der Arbeiter gibt es genug, aber — das muß ich deutlich sagen — leider gibt es auch genügend Demagogen.
Ich habe mit einem Zitat begonnen. Ich möchte es fortsetzen — es hat geheißen: In der Diktatur ist nicht alles falsch, aber das Ganze verkehrt —: Im demokratischen Rechtsstaat ist nicht alles richtig, aber das Ganze weist in die richtige Richtung.
So bin ich froh, heute Bürger eines Rechtsstaates zu sein. Trotzdem ist nicht alles richtig. Wir dürfen die Chancen ruhig nutzen, Unrichtiges und Vekrustetes abzuschaffen. Daß manches heute schneller gehen kann, darauf hat unser Bundeskanzler Helmut Kohl am Mittwoch in seiner Rede hingewiesen. Denn wenn man z. B. den Aufwand an Zeit und Arbeit beim Messegelände in Leipzig im Verhältnis zum Zeit- und Arbeitsaufwand für den neuen Plenarsaal des Deutschen Bundestages betrachtet, dann darf man schon über manches nachdenken.
Meine Damen und Herren, für Verschnörkelungen haben wir zur Zeit keine Zeit.
Denn organisierte Kriminalität, Aufarbeitung der Straftaten aus der DDR, Eigentumsfragen, Verwaltungshilfe im Osten Deutschlands und der Blick nach dem Osten Europas bringen für uns alle genug Arbeit. Packen wir die Aufgaben des Jahres 1993/94 an! Nutzen wir vor allem die Chance, die uns die neue Situation bietet, und verfallen wir nicht in einen plakativen Wahlkampfhickhack, den die Menschen zumindest in meiner Heimat sowieso nicht verstehen!
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rudolf Krause.
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit zwei Zitaten beginnen, einem von Herrn Scharping von vorgestern und einem vom Herrn Bundeskanzler.Herr Scharping sagte: Sehr richtig, Sie treten an — er meinte die Regierung — mit einer Bilanz, die Sie erzeugt haben. Der Bundeskanzler sagte: Die Kriminalitätsentwicklung läßt viele daran zweifeln, ob der Staat handlungswillig und handlungsfähig ist. 91 % — diese Zahl wurde heute genannt — sehen es so.Nach vielen Jahren Regierung und bei Verantwortung in Bund und Ländern für Kriminalpolitik — dieses Wort ist heute gefallen — und Innenpolitik muß man von einer gemeinsamen Verantwortung für eine Bilanz sprechen. Für die Kriminalitätsentwicklung sind genauso politische Rahmenbedingungen, politische Programme und politische Parteien in die Verantwortung zu nehmen wie z. B. für das Wirtschaftswunder zur Zeit von Ludwig Erhard. Das Wirtschaftswunder hatte zwei Ursachen: erstens den Fleiß des deutschen Volkes und seinen Aufbauwillen und zweitens die politischen Rahmenbedingungen, die es ermöglicht hatten, dem Fleiß des deutschen Volkes zum Aufbau Wirksamkeit zu verschaffen.Dasselbe gilt prinzipiell auch für die Kriminalpolitik und die Kriminalitätsentwicklung. Auf der einen Seite spielt die ungeheure kriminelle Energie eine Rolle, auf der anderen Seite auch eine Politik, welche die politischen Rahmenbedingungen dafür schafft, daß sich die kriminelle Energie ausbilden kann. Eine Bilanz ergibt sich durch den Vergleich von altem und neuem Bestand, von Zu- und Abgang. Für diese Kriminalitätsentwicklung gibt es auch eine politische Verantwortung.Wir haben von Politikern aus verantwortlichen Parteien viel darüber gehört, was geändert werden muß. Ich stimme ebenso wie große Teile des Volkes in vielem mit diesen Vorstellungen überein. Aber lassen Sie mich als Bauernsohn auch sagen: Wenn man jedes Frühjahr Kartoffeln in die Erde legt, wachsen immer wieder Kartoffeln. Wenn Kartoffeln, die so ähnlich aussehen wie Rüben, sagen „Legt mich bitte wieder in
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15050 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Dr. Rudolf Karl Krause
die Erde, im Herbst bin ich diesmal eine Rübe! dann glaube dies, wer will. Ich glaube das nicht. Was man sät, das wird man ernten.Nun noch eine andere Sache. Es wurde etwas sehr Richtiges darüber gesagt, auf welche Ursachen der Anstieg der Kriminalität zurückzuführen ist. Meine Freunde und ich persönlich sind gegen jede Form von Kriminalität, gegen Kleinkriminalität und gegen große Kriminalität. Ich halte es aber für falsch, wenn bestimmte Dinge, die ich Punkt für Punkt beklage, als überragend dargestellt werden, dabei aber vergessen wird, welche Entwicklung bei Mord, Vergewaltigung und Kinderschändung durch importierte Kriminalität zu verzeichnen ist. Wir müssen jede Form von Kriminalität an der Wurzel bekämpfen.Unsere Polizisten tun ihr Bestes. Aber sie sind immer wieder dadurch vor den Kopf gestoßen, daß die Justiz die kleinen ebenso wie die mittleren und auch größeren Halunken laufen läßt und zu neuen Straftaten ermuntert. Reden Sie mit den Polizisten; sie werden Ihnen das erzählen. Mit mir reden sie immer, und sie reden gern mit mir. Ich stehe hinter den Polizisten. Ich weiß auch, wie viele Polizisten hinter mir und nicht hinter der jetzigen Justizpolitik stehen.Lassen Sie mich abschließend sagen: Für Gewaltkriminelle darf es keinen Verzicht auf Untersuchungshaft geben. Wiederholungstäter im Zusammenhang mit Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Personen müssen sofort hinter Schloß und Riegel. Opferschutz muß wichtiger sein als Täterschutz, unabhängig davon, welcher Nationalität die Opfer angehören, und unabhängig davon, welcher Nationalität die Täter angehören.
Meine Damen und Herren, damit ist die Aussprache zu den Geschäftsbereichen der einzelnen Bundesministerien beendet. Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 12/5500, 12/5501, 12/5502, 12/5510 und 12/5630 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms soll zusätzlich an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden.
Gibt es dazu andere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir können nunmehr zur Schlußrunde kommen. Ich erteile zunächst dem Abgeordneten Dirk Fischer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zukunftssicherung des Standortes Deutschland muß alles umfassen. Die Diskussion kann sich daher nicht allein auf die Gestaltung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen konzentrieren. Die neuen Entwicklungen in Deutschland, Europa und der Welt gehen rasant vor sich und erfordern von uns allen Offenheit und Anpassungsfähigkeit.
Langjährige Gewohnheiten müssen überprüft und Prioritäten neu bestimmt werden.
Ein wesentliches Element der Zukunftssicherung ist selbstverständlich die Sanierung der öffentlichen Haushalte. Sie beginnt mit der Begrenzung des Staatsverbrauchs durch Spar- und Konsolidierungsmaßnahmen. Der Bund geht hier mit besonders gutem Beispiel voran: 800 Millionen DM in 1994 und mehr als 1 Milliarde DM in den beiden Folgejahren.
Auch der Abbau von Subventionen und ähnlicher Sonderleistungen ist für uns nie ein Tabu gewesen, sondern ist auch in den vergangenen Jahren mit Hochdruck betrieben worden.
Insgesamt erfährt der Bundeshaushalt eine Entlastung von mehr als 21 Milliarden DM in 1994 mit deutlicher Steigerung in den kommenden Jahren. Dennoch wird die Abgabenquote Mitte der 90er Jahre auf 45 % ansteigen. Dies darf aber für uns alle nur eine vorübergehende Mehrbelastung sein, um die Hauptbelastung der Wiedervereinigung auf möglichst viele Schultern zu verteilen.
Mittelfristig ist es unser vordringliches Ziel, die Abgabenquote deutlich zu reduzieren. Bereits heute haben wir mit dem Mißbrauchsbekämpfungs- und dem Steuerbereinigungsgesetz sowie dem ersten und dem zweiten Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms Gesetzentwürfe vorgelegt, die den Staatsverbrauch dauerhaft zurückführen und die Abgabenlast der Bürger reduzieren sollen.
Dazu meldet sich der Abgeordnete Conradi mit der Bitte, eine Zwischenfrage stellen zu dürfen.
Ich möchte ungestört vortragen.
Bitte sehr. Das ist Ihr gutes Recht.
Dies wird die Rahmenbedingungen im internationalen Wettbewerb stärken. Um Deutschland als Standort aber zukunftsfähig zu machen, müssen auch Investitionen in unsere Infrastruktur getätigt werden; denn wir müssen sie modern und leistungsfähig halten. Dies erfordert eine Schwerpunktbildung, unser Engagement und unseren finanziellen Einsatz in diesem Bereich.Im Verkehrsbereich liegt der Schwerpunkt naturgemäß und zwingend auf den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit, um auch hier die Einheit Deutschlands zu vollenden. Den Eisenbahnen des Bundes kommen im Finanzplanungszeitraum Investitionsmittel von durchschnittlich rund 10 Milliarden DM jährlich zugute. Das Investitionsvolumen Fernstraßenbau des Bundes beträgt durchschnittlich rund 8,6 Milliarden DM jährlich, womit auch der Nachweis geführt wird, daß wir, und zwar diese Bundesregierung, nach langen Jahren der umgekehrten Schwerpunktbildung zu Zeiten der sozialliberalen Koalition die Inve-
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Dirk Fischer
stitionen in das Eisenbahnsystem an die Spitze der Verkehrsinvestitionen gerückt haben.
Waren noch die 70er Jahre unter SPD-Verkehrsministern die großen Jahre des Bundesautobahnbaus bei gleichzeitiger starker Vernachlässigung der Modernisierung und des Ausbaus des Eisenbahnwesens, hat diese Bundesregierung eine andere Schwerpunktbildung, nämlich pro Eisenbahn, gesetzt, aber natürlich unter Beibehaltung auch der Bedürfnisse von Unterhalt, Erneuerung, Lückenschluß und Optimierung des Bundesfernstraßensystems.
Die Finanzhilfen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, also für ÖPNV und kommunalen Straßenbau, betragen zur Zeit jährlich 3,3 Milliarden DM. Der Bund leistet im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs investitionsseitig und folgekostenseitig mehr als alle Länder und Gemeinden zusammen, obwohl er nach dem Grundgesetz hierfür nicht in einer Kompetenz steht. Ich glaube, daß man die hohe Verantwortung und die hohe Mitleistungsfähigkeit des Bundes ausdrücklich hervorheben sollte. Der Bund hat im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs in Deutschland wahrlich seine Schularbeiten gemacht.
Der Verkehrshaushalt ist der größte Investitionshaushalt des Bundes. Er ist mit seinen 26 Milliarden DM Investitionen in 1994 ein Signal für antizyklisches Denken. Gerade in dieser Zeit braucht unsere Volkswirtschaft weniger konsumlive Ausgaben und eindeutig mehr Investitionen.Beim Standort Deutschland geht es aber nicht allein um die Gestaltung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Entscheidend ist auch die innere und äußere Sicherheit unseres Landes. Die Zukunft des Standorts Deutschland liegt auch in der Bewahrung einer Schutzgemeinschaft nach innen und außen.
Deshalb gehört zur Standortdiskussion auch die grundsätzliche Diskussion über Werte, Bürgersinn, Rechte und Pflichten in diesem Staat. Nur in einer Wertegemeinschaft des Staates und seiner Bürger kann der feierliche demokratische Rechtsstaat dauerhaft gedeihen. Notwendiger denn je ist die wehrhafte Demokratie; denn die im Grundgesetz verankerten wesentlichen Grundsätze unseres Zusammenlebens in einem demokratischen Staatswesen, allen voran der Schutz der Menschenwürde und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, gilt es ständig wachsam zu verteidigen.Sicherheit und Ordnung zu schützen ist stets ein Markenzeichen der Union gewesen. Es darf nicht dazu kommen, daß extremistische Gruppen den demokratischen Parteien das Heft aus der Hand nehmen. Diese Gefahr durch entschlossenes politisches und staatliches Handeln abzuwenden betrachten wir als unsere besondere Verpflichtung.
Die Bürger bedrückt insbesondere die Sorge vor der stetig wachsenden Kriminalität. In meiner Heimatstadt Hamburg wuchs diese in den letzten zehn Jahren um 67 %, von etwa 184 000 Straftaten auf über 306 000 Straftaten im Jahr 1992.Die Aufklärungsquote ging gleichzeitig ständig zurück und beträgt gerade etwas mehr als ein Drittel.Würden nicht sozusagen die Detektive der Kaufhäuser massenhaft aufgeklärte Ladendiebstähle bei der Polizei abliefern, wäre die Aufklärungsquote noch dramatisch geringer. Ein kleineres Kaufhaus liefert im Jahr etwa 1 000 aufgeklärte Ladendiebstähle ab, die dann natürlich eine Aufklärungsquote günstig beeinflussen.Bei den Wohnungseinbrüchen in Hamburg haben wir nur noch eine Aufklärungsquote von 5,1 %.
Der Bürger will, daß das Gewaltmonopol des Staates wirksam ausgeübt wird. Der anhaltende Boom z. B. der privaten Sicherheitsdienste vermittelt ihm jedoch das gegenteilige Bild. Hier gilt es entschlossen gegenzusteuern durch mehr Präsenz der Polizei, bessere Aufklärungsquoten, Eindämmung von organisierter Kriminalität, die in Deutschland auch für den Bürger durch Autodiebstähle, Falschgeld, Scheck- und Kreditkartendelikte keine abstrakte Bedrohung mehr ist und natürlich im Bereich der Drogenkriminalität einen besonders traurigen Schwerpunkt hat.Die Befriedigung der täglichen Bedürfnisse, wie Wohnung, das Auto, die Benutzung des ÖPNV oder das gefahrlose Einkaufen, muß für den Bürger in unserem Lande wieder als sicher erfahrbar werden.
Vielerorts findet der schleichende Rückzug des Staates in der Durchsetzung des Rechts permanent durch Verharmlosung gewöhnlicher Kriminalität mit dem Begriff „Bagatelldelikt" oder dem Begriff „Alltagskriminalität" statt. In beiden Fällen ist jedoch der Bürger besonders betroffen oder verängstigt.Wir meinen, daß in diesem Bereich ein kontraproduktives Signal gerade für junge Menschen gesetzt wird; denn wenn wir in Hamburg bei den Eigentumsdelikten einen Täterkreis von 32 % unter 21 Jahren haben und bei den Gewaltdelikten von 37 %, so ist gerade die Kriminalität, begangen von unter 21jährigen Menschen, ein drohendes Signal.Ich fasse zusammen: Was erwarten die Bürger von uns Politikern? Bestimmt eines: Daß wir ihnen nicht alles versprechen, sondern auch unbequeme Wahrheiten aussprechen und entschlossen handeln.
Dann ist insbesondere die Stabilität gefragt. Das bedeutet nicht nur Sicherheit, sondern auch Konsolidierung der Haushalte, die Rückführung der Staats-
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Dirk Fischer
quote und gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen.Meine Damen und Herren, diese Koalition ist angetreten, solide, verläßliche, vertrauensstiftende Politik zu machen. Das verbietet uns, den Leuten populistisch nach dem Mund zu reden. Der Bürger ist klüger. Er unterstützt eine solide Politik mit Verständnis und Opferbereitschaft; und wir sind bereit, mit dem Bürger diesen oft nicht ganz einfachen Weg zu gehen.
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Conradi.
Meine Damen und Herren! Das Haus hat im Mai dieses Jahres aus einem Gesetzentwurf der Bundesregierung den Art. 20 gestrichen, weil wir nicht einzusehen vermochten, daß wir eine Verordnung ändern sollten, und weil die Bundesregierung nicht erklären konnte, warum wir diese Verordnung ändern sollten.
Nun schlagen uns die Koalitionsfraktionen — das hätte ich Sie gern gefragt, Herr Fischer — die Änderung von fünf Verordnungen in diesem Gesetz zur Bekämpfung des Steuermißbrauchs vor, darunter so gewichtige Änderungen wie den Ersatz des Wortes „einheimisch" durch „inländisch" oder des Wortes „der Bundesminister" durch „das Bundesministerium". Da Sie offenbar nicht antworten wollen, möchte ich den Bundesminister bitten, daß er uns in seiner Antwort nachher wenigstens sagt, warum die Bundesregierung — von ihr kommt der Vorschlag doch sicher; das hat nicht die Fraktion ausgearbeitet — erneut will, daß das Haus Verordnungen ändert, die Sie selber ändern können.
Das Wort hat nun der Herr Bundesminister der Finanzen Dr. Theo Waigel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will darauf gleich kurz antworten, weil es dem Kollegen Conradi selbstverständlich zusteht, sich durch Fragen auch rechtspolitisch weiterzubilden.
Erstens, Herr Kollege Conradi, ist eine Änderung durch ein Gesetz noch wetterfester, als wenn man es durch eine Verordnung macht. Es geht um die Mitwirkung des Parlaments, um eine größere Rechtsbeständigkeit. Dieses Vorgehen hat eine noch größere und stärkere Wirkung auf den Bürger.
Das zweite besteht darin, daß wir auch die Vorschriften, die in den Rechtsverordnungen enthalten sind, gleichzeitig verabschieden wollen, damit wir sie auch in Ihrem Sinne — Sie kämpfen ja sehr für Mißbrauchsbekämpfung und Subventionsabbau — gleichzeitig in Kraft setzen können. Das soll zum 1. Januar 1994 erfolgen, damit Finanzämter, Steuerberater usw. sofort darauf reagieren können. Darum nutzen wir die Gelegenheit, dies im Gesetz zu regeln, um die Vorschriften ganz schnell in Kraft zu setzen.
Ich sehe, daß Sie von meiner Antwort überzeugt sind.
Ich danke Ihnen.
Ich bin jetzt davon ausgegangen, daß der Herr Bundesfinanzminister in die Debatte eingreifen will.
Es war alles etwas abseits von unserer Geschäftsordnung, hat aber der Lebhaftigkeit der Debatte gedient, und insoweit verletze ich Regeln gerne. Der guten Ordnung halber darf ich noch einmal sagen: Die Kurzintervention bezieht sich auf den Redebeitrag des vorhergehenden Redners. Damit hat dieser die Chance, sich dazu noch einmal in maximal zwei Minuten zu äußern. Der Herr Bundesfinanzminister hatte noch nicht gesprochen; deshalb hätte er eigentlich noch nicht anworten dürfen. Wir brauchen hier aber keine Geschäftsordnungsdebatte zu führen. Es hat der Debatte gedient.
Das Wort hat die Kollegin Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dies ist sozusagen die Abschlußrunde dieser Haushaltswoche. Ich glaube, ich spreche in Ihrer aller Namen, wenn ich zu Beginn meiner Rede unsere Freude über das Ausdruck gebe, was in Israel und mit der PLO geschehen ist,
daß es dort Verträge gibt, daß das Recht der Israelis auf einen eigenen Staat anerkannt ist, daß sich PLO und Israel unter schwierigsten Bedingungen die Hand reichen und daß wir die Chance haben, hier einen Friedensprozeß zu beginnen, der halten kann.Ich denke, das gibt uns auch Ermutigung. Warum? Weil es sich zeigt, daß in der Politik der lange Atem und die Mühsal des nachhaltigen Bemühens zum Erfolg führen. Wir sollten dem norwegischen Außenminister sehr herzlich für seine beharrliche Arbeit danken.
Es zeigt sich, daß jenseits von Scheckdiplomatie und Interviewhektik etwas bewegt werden kann. Das sollte uns alle sehr zufriedenstellen, meine Damen und Herren.
— Es sollte uns zu denken geben und uns darüber nachdenken lassen, daß die Mühsal der politischen Arbeit sich auszahlt. Das ist in unserer hektischen Zeit etwas, was es festzuhalten gilt.Ich möchte zu zwei Bereichen kurz etwas sagen. Vielleicht wird es auch nicht ganz so kurz. Ich will mich über die Dauer meiner Rede lieber nicht äußern. Meistens hält man solche Ankündigungen nicht ein.Ich will noch einmal zusammenfassen, was heute morgen zum Thema innere Sicherheit gesagt wurde. Das war ja hochinteressant. Als ob wir hier vor einem
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Anke Fuchs
neuen Anfang stünden, als ob jetzt alles anders gemacht werden müsse, haben Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung so getan, als ob sie mit der Vergangenheit gar nichts zu tun hätten. Ich finde es doch beachtlich, was diese Bundesregierung selber in Beantwortung unserer Großen Anfrage zu diesem Thema gesagt hat. Lassen Sie sich dieses Zitat auf der Zunge zergehen:Auch die Bundesregierung sieht mit Sorge die steigende Zahl von Straftaten und die Kriminalitätsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland.Und weiter:Rechts- und Unrechtsbewußtsein haben abgenommen. Rücksichtslosigkeit gegenüber Schwächeren und die Durchsetzung egoistischer Ziele auch mit Gewalt haben zugenommen.Und schließlich:All diese Entwicklungen haben zu Verunsicherung in der Gesellschaft geführt und ein Klimageschaffen, in dem Kriminalität gedeihen kann.Die geistig-moralische Wende läßt grüßen, meine Damen und Herren!
— Ich habe aus der Antwort der Bundesregierung zitiert. Das sind gar nicht meine eigenen Worte. Ich hätte es gar nicht gewagt, so scharf gegen Sie zu formulieren, wie Sie es in Ihrer eigenen Antwort getan haben.
Die Kriminalität findet, wie wir heute morgen gehört haben, ja auch in der unmittelbaren Nachbarschaft statt. So ist es kein Wunder, daß die Sorge um die Sicherheit und die Angst vor Kriminalität in der Bundesrepublik drastisch gestiegen sind. Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung hat stark abgenommen. Wir wissen alle, daß man sich abends nicht mehr auf die Straße traut und sich in Bussen nicht mehr sicher fühlt.Mein Eindruck ist, daß die heutige Debatte durchaus auch ein Aufeinanderzugehen erwarten läßt. Ich will das mit Befriedigung sagen. Die Rechtspolitiker sind ja eher feinere Leute als die Sozialpolitiker. Das habe ich auch schon gelernt. Aber dennoch, wenn ich an das denke, was heute der Bundesinnenminister und auch die Frau Justizministerin gesagt haben, so scheint sich auch bei der Regierung die Erkenntnis durchzusetzen, daß man aufeinander zugehen muß und daß man auch gemeinsam etwas schaffen kann. Ich habe nämlich nicht den Eindruck, daß wir sehr viel parteipolitischen Gewinn daraus ziehen könnten, wenn wir hier nicht miteinander, sondern gegeneinander agierten.Insofern erhebt sich also die Frage: Was sollen wir machen? Und da kommt die Frage nach der Polizei. Da sagen Sie, das sei Länderangelegenheit. Dennoch denke ich, daß solche Fragen wie: Wie soll Polizeieinsatz gestaltet werden, wie viele Polizisten brauchen wir, wie können wir durch eine Veränderung vonBesoldung und Laufbahn dazu beitragen, daß die unbesetzten Stellen besetzt werden? für uns Priorität in dieser Debatte haben müssen.
Ich glaube aber auch, daß es bundespolitische Vorgaben durch Änderung von Bundesgesetzen geben kann, um die Polizei von Aufgaben zu entlasten, die nicht der Polizei zugestanden werden müssen. Ich nenne ein Beispiel und wende mich dabei insbesondere an die Adresse der F.D.P. Sie sind doch immer für Privatisierung. Dann überlassen Sie doch die Aufklärung von Kaufhausdiebstählen den Kaufhausdetektiven! Die können das viel besser, die können das viel schneller, als wenn man lange auf einen Strafprozeß wartet, der dann meistens doch eingestellt wird. Das sind Bereiche, wo ich sage: Mit veränderten bundespolitischen Vorgaben können wir auch die Polizeiarbeit so effizient gestalten, daß die Polizei ihrer eigentlichen Aufgabe gerecht werden kann.
— Herr Hinsken, Sie müssen sich da nicht aufregen. Ich mache ja Vorschläge. Ich habe den Eindruck, daß dieses Stichwort „Polizei" darauf abgeklopft werden muß, ob es strafgesetzliche, strafverfahrensrechtliche Vorschriften gibt, die wir durchaus entschlacken können, wodurch wir der Polizei die Chance geben, effektiver zu arbeiten. Um ein Bild zu gebrauchen: Die Polizisten sollen lieber auf den Straßen den Menschen helfen, als in ihren Amtsstuben zu sitzen und Bürokratie abzuwickeln, meine Damen und Herren.
Das zweite Stichwort: Geldwäschegesetz. Es ist nun einmal nicht zu leugnen, daß in Ihrer Regierungszeit die Bundesrepublik die Schweiz als Dorado der Geldwäsche abgelöst hat. Ich denke, hier müssen wir herangehen. Sie sind ja nicht bereit — und das sage ich pointiert —, das Bank- und Steuergeheimnis gegenüber Schwerkriminellen einzuschränken,
und Sie weigern sich immer noch, die Möglichkeiten der Beschlagnahme unrechtmäßig erworbenen Vermögens zu verbessern.Ich habe heute morgen gehört, daß sich der Herr Kanther hier bewegt und daß Sie miteinander in die Ausschüsse zurückgehen. Das ermutigt mich dazu, Sie nachdrücklich aufzufordern, in diesen Fragen, der Frage der organisierten Kriminalität, der Frage der Geldwäsche, der Frage des Schutzes des Bankgeheimnisses und der Frage des Anwaltsprivilegs, mit uns im Gespräch zu bleiben. Wir brauchen hier ein besseres Gesetz. Ich fand es abenteuerlich, daß der neue Innenminister sagte, er wolle erst einmal die Erfahrung mit dem unzulänglichen Gesetz abwarten, bevor er sich über ein neues mit uns verständigen will. Nein, hier ist Gefahr im Verzuge, und deswegen muß jetzt gehandelt werden.
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15054 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Anke Fuchs
Ich komme auf einen weiteren Punkt, in dem wir, glaube ich, ebenfalls nicht weit auseinander sind. Aber ich möchte ihn mit Ihnen besprechen. Es kann doch nicht sein, daß wir 200 000 Polizisten im Bundesgebiet haben, aber es bereits 250 000 Angehörige des privaten Sicherheitsgewerbes gibt. Bei denen, die das bezahlen können, drückt sich darin eine unglaubliche Kritik an der bisherigen Politik der Bundesregierung aus. Sie sagen sich doch: Polizisten können das nicht; wir kaufen uns unsere eigene Sicherheit. Das kann so nicht weitergehen, meine Damen und Herren!
Die Bezahlung dieser Sicherheitsleute im privaten Bereich kann auch noch steuerlich abgesetzt werden, so daß daraus ein Teufelskreis entsteht, nämlich Einnahmeausfall bei den Steuern, kein Geld für Polizisten und immer mehr private Sicherheitskräfte. Das kann so nicht weitergehen, meine Damen und Herren!
Ich komme nun zu dem Feld, zu dem ich einige Bemerkungen mehr machen möchte, nämlich zur Verzahnung von Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik und zu dem, was in dieser Woche zum Standort Bundesrepublik Deutschland gesagt wurde.Lieber Herr Fischer, ich will mich nicht in Hamburger Debatten einmischen, aber ich bin richtig froh, daß Sie nicht Bürgermeister dieser Hansestadt werden; denn es war keine gute Vorstellung, die Sie heute hier gegeben haben.
Wenn Sie Kommunalwahlkampf für Hamburg machen wollten, dann hätten Sie sagen müssen: Durch diesen Haushalt werden viele Hamburger Bürgerinnen und Bürger in ihrem Portemonnaie getroffen; denn sie bekommen weniger Arbeitslosengeld, wemger Sozialhilfe. Die Hansestadt Hamburg wird durch diese Bundesregierung um Millionenbeträge gerupft. Das hätten Sie sagen müssen, wenn Sie Kommunalpolitik für Hamburg machen wollten.
Die Regionalisierung der Bahn wird wiederum den Haushalt der Hamburger treffen, meine Damen und Herren. So spricht hier der Kandidat für Hamburg, er macht seine eigene Stadt schlecht, was schon unappetitlich ist, und tut dann noch so, als ob dieser Haushalt den Finanzen in Hamburg helfe.
Es war eine schlechte Vorstellung, meine Damen und Herren.
— Sie müssen sich einmal vor Augen halten, warum die eigentlich wählen. Sie wählen, weil die CDU verfassungswidrig ihre Listen aufgestellt hat. Und dann bläst er sich auf und tut hier so, als ob er etwas bewirken könnte.
Zurück zur Standortberichterstattung. Ich sage noch einmal: Wir werden Sie weiter kritisieren, wenn Sie sich in Ihrem eigenen Standortbericht so äußern. Wir haben es insofern einfacher, meine Damen und Herren: Wir müssen uns nur immer Ihre Berichterstattung vornehmen, um dann festzustellen: Das ist Ihr Versagen. Denn im Standortbericht heißt es, es gebe einen desolaten Investitionsrückstand deutscher Unternehmen, eine zu hohe Abgabenbelastung, eine sprunghaft angestiegene Staatsverschuldung und eine zu hohe Arbeitslosigkeit. Das ist der Standortbericht des eigenen Ministers.
Was ist das eigentlich für eine Regierung! Es ist unglaublich!
— Nun sagen Sie uns immer, wir hätten auch kein Konzept. Ich will den Versuch unternehmen, mit Ihnen hier noch einmal auf den Kern der Auseinandersetzung einzugehen. Vielleicht wissen Sie dann endlich einmal, was wir wollen; denn Sie sind ja meist nicht bereit, zuzuhören.Schon vor der Wende war doch klar, daß die deutsche Wirtschaft einen Innovationsschub nötig hat. Erinnern Sie sich an die Debatten über „lean management", „lean production", ökologische Erneuerung der Industriegesellschaft und eine andere Industriepolitik! All das ist seit Jahren sattsam bekannt, meine Damen und Herren. Nur, Sie haben immer gesagt: Weiter so, wir kümmern uns nicht darum, und haben die Zeit verpaßt.
Die unternehmerische Wirtschaft hat, statt zu modernisieren — was sie muß; was freilich Umstrukturierung bedeutet und was auch Arbeitsplätze kostet, bevor neue entstehen —, den Konjunkturboom der Wende ausgenutzt, sich behaglich zurückgelehnt und damit die Strukturveränderung zu spät begonnen.Deswegen sagen alle Sachverständigen, daß die weltweiten Rezessions- und Änderungserscheinungen jetzt verstärkt auf uns zukommen und daß wir nun miteinander die Frage stellen müssen: Wo sind die zukunftsorientierten Märkte? Welche Maßnahmen müssen getroffen werden, um wieder wettbewerbsfähig zu werden bzw. zu bleiben?An der Antwort auf diese Frage scheiden sich unsere Geister. Ich kenne das ja: Immer, wenn Rezessionserscheinungen auftreten, kommt Graf Lambsdorff, holt seine alten Hüte raus und meint, das sei Wirtschaftspolitik. Das kennen wir zur Genüge. Ich will mit Matthäus-Maier sagen: Wir hatten zuerst den Bangemann, dann hatten wir den Haussmann, dann hatten wir den Möllemann. Die haben immer die alten Hüte von Graf Lambsdorff weitergetragen. Nun dachten wir, wir kriegen endlich einen Fachmann. Aber jetzt haben wir Herrn Rexrodt, meine Damen und Herren, und der sagt auch noch: Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt. Das ist es dann.
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Anke Fuchs
Immer wieder die alte Leier! Sie setzen immer in solchen Zeiten auf Entsolidarisierung, auf Sozialabbau, auf mangelnde Nachfrage in den öffentlichen Haushalten. Das hat nie funktioniert. Denn es ist falsch, wenn man sagt: Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt.Wirtschaft muß von der Politik durch Setzen geeigneter Rahmenbedingungen mitgestaltet werden. Dies erfordert insbesondere unsere Exportorientierung. Wir brauchen eine durchdachte Industriepolitik, auch wenn Sie dieses Wort scheuen wie der Teufel das Weihwasser.Wie verheerend es sich auswirkt, wenn Staat und Politik nicht ordentlich miteinander arbeiten, zeigt die entsetzliche Entwicklung des Dualen Systems Deutschland, wo monopolartig eine öffentliche Aufgabe so verhunzt organisiert wird, daß die Verbraucher viel für etwas zahlen, das sie gar nicht bekommen, meine Damen und Herren.
Jetzt gucke ich mal die Kolleginnen und Kollegen von der CDU an. Wir sind ja da gar nicht weit auseinander. Wir wissen, daß es mit Entsolidarisierung allein nicht geht. Wir wissen auch, daß man das japanische Wirtschaftsmodell nicht kopieren soll, sondern daß man kapieren muß, was da eigentlich steht. Da gibt es die Verzahnung von Staat und Wirtschaft im Interesse einer vernünftigen deutschen wirtschaftlichen Entwicklung. Wir alle wissen: Wir wollen nicht die japanische Wirtschaft, wir können auch nicht die individualistisch organisierte Wirtschaft in Nordamerika zu unserem Vorbild machen, sondern wir sollten auf unsere Kräfte setzen. Das hat auch einer der Kollegen gestern gesagt.Unsere Kräfte sind doch: gute Infrastruktur, qualifizierte Ausbildung, eine motivierte Arbeitnehmerschaft. Deswegen setzen wir eben auf Sozialstaatlichkeit, Mitdenken und Mitbestimmung. Dadurch werden nämlich auch intelligente Produktionen entwikkelt. Wir sollten aufhören, die Arbeitnehmer nur als Kostgänger zu betrachten, als Leute, die Löhne brauen, oder nur als Anhängsel von Maschinen, sondern wir müssen auch ihre Kreativität als Produktionskapital nutzen.Dies muß man auch in schwierigen Zeiten tun. Sie machen nämlich genau das Gegenteil. Sie machen das Gegenteil nicht nur, indem Sie entsolidarisieren und weiter individualisieren, sondern Sie machen auch das kaputt, was bei uns immer sehr wichtig war, nämlich den sozialen Konsens.Wie können Sie eigentlich auf die Idee kommen, in der jetzigen Zeit die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ins Gespräch zu bringen? Also von Psychologie in schwierigen Zeiten haben Sie offensichtlich nichts begriffen.
Und Sie haben alle Welt gegen sich, meine Damen und Herren.
Wie kann man auf die Idee kommen, das Schlechtwettergeld zu streichen und die Bauarbeiter wieder zu Saisonarbeitern zu machen? Wissen Sie eigentlich,was das in einer Zeit heißt, wo wir die Baubranche brauchen, wo Sie doch, Herr Hinsken, immer wieder sagen: Kleine und mittlere Betriebe brauchen die Hilfe, brauchen die Unterstützung? Soweit ich weiß, ist die F.D.P. immer noch nicht bereit, eine steuerstundende Investitionszulage mitzumachen. Was wir dem Baugewerbe antun, ist besonders verhängnisvoll für die kleinen und mittleren Betriebe. Da sollten wir noch einmal miteinander reden, ob Sie nicht dies mit uns umkehren.
— Frau Präsidentin, da ist der Wunsch nach einer Zwischenfrage.
Entschuldigung. Ich habe es nicht gesehen. Kollege Hinsken, bitte sehr.
Ich bedanke mich, Frau Präsidentin, daß Sie sich nun wieder dem Parlament widmen und mir das Wort erteilen.
Frau Kollegin Fuchs, ich möchte Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, daß gerade in Sachen Schlechtwettergeldregelung die Meinungen sehr weit auseinandergehen
und daß das Baugewerbe so oder auch so sagt, während nur bei der Gewerkschaftsseite eine einheitliche Meinung vorhanden ist?
Aber Baugewerbe immerhin so! Das heißt, ein Teil des Baugewerbes ist zusammen mit den Gewerkschaften der Auffassung, daß man das Schlechtwettergeld nicht streichen sollte. Deswegen komme ich noch einmal darauf zu sprechen. Was macht es eigentlich für einen Sinn, wenn Sie eine Regelung, die Arbeitslosigkeit verhindert hat, jetzt aufheben? Die Leute werden arbeitslos und die kleinen und mittleren Unternehmen können in Schlechtwetterzeiten nicht überleben. Sie wissen ja auch, wie im Baugewerbe dann versucht wird, umzustrukturieren. Das wird nicht funktionieren.
Ich komme auf diesen Begriff zurück und sage: Sie beschädigen den sozialen Frieden in diesem Land, meine Damen und Herren, und Sie werden erleben, daß das ein Wettbewerbsnachteil ist.
Frau Kollegin Fuchs, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Bitte sehr, Herr Kollege.
Frau Kollegin Fuchs, wie sieht denn Ihr Kompensationsvorschlag für die dann fehlenden Millionen aus?
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15056 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Das ist immer wieder der Versuch, uns jetzt bei den Finanzen zu packen.
Ich sage Ihnen: Eine Bundesregierung, die zu Beginn der Wende verkündet: „Es wird keinem schlechtergehen, es wird allen bessergehen, diese Einigung zahlen wir aus der Portokasse", eine Bundesregierung, die nicht bereit war, die stärkeren Schultern in Form einer durchgehenden Solidaritätszulage vermehrt heranzuziehen,
die kann mir die Frage nach Umschichtungen nicht stellen, meine Damen und Herren.
Wenn Sie von Beginn an den Solidaritätszuschlag mitgemacht hätten, dann hätten wir je nach Ausgestaltung 18 Milliarden DM im Jahr.
Diese 18 Milliarden DM im Jahr fehlen für die laufende Finanzierung. Solange Sie da nicht mitmachen, sind für mich alle anderen Fragen kleinkariert, Herr Kollege. Denn es geht nicht darum, ob wir Einzelmaßnahmen gegeneinander ausspielen,
sondern um die Frage: Wie können wir mit einer beschäftigungsorientierten Wirtschafts- und Finanzpolitik die Wirtschaft in Gang bringen und zugleich Arbeit schaffen? Beides muß jetzt geschehen.
Nun möchte ich uns alle trösten und sagen: Daß man durch Kräftebündelung — also nicht durch Entsolidarisierung, sondern durch Gemeinsamkeit —, indem man sich auf die Grundfesten besinnt, etwas hinbringen kann, hat unsere gemeinsame Kraftanstrengung bei der Gesundheitsstrukturreform doch gezeigt. Da haben wir, meine Damen und Herren, zu meiner Überraschung sogar mit der F.D.P., einige Veränderungen in den Strukturen geschaffen, auf die wir miteinander stolz sein können.
Ich wünschte mir, daß die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der F.D.P., die das möchten, mit uns gemeinsam darüber nachdenken: Wie schaffen wir gemeinsam miteinander Arbeit und eine zukunftsorientierte wirtschaftliche Entwicklung? Erreichen können wir das, indem wir uns auf die Kräfte in unserem Land besinnen, die dabei hilfreich sind.Natürlich nutzen einige Unternehmer diese Chance, um mit bösartigen Schlachtrufen die Krise zu schüren. Aber das sind eigentlich nur wenige.Wir haben mit unserer Vorschlägen, meine Damen und Herren, im Augenblick sehr viel mehr Konsens in der Gesellschaft als Sie. Die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände sprechen miteinander und wollen miteinander verhandeln: über mehr Flexibilität, über flexible Verteilung der Arbeitszeit, über Jahresarbeitszeitverträge,
über die Möglichkeit von Teilzeitarbeit — dann aber bitte sozialversicherungspflichtig —; das sind alles Maßnahmen, die jetzt ergriffen werden müssen und können.
Das wollen Gewerkschaften und Arbeitgeber gleichermaßen. Aber die Arbeitgeber reden weder von Ausweitung der Sonntagsarbeit, noch reden sie von Verlängerung der Arbeitszeit, wenn Sie genau zuhören. In dieser wirtschaftlichen Entwicklung wäre eine Verlängerung von Arbeitszeit auch töricht. Das möchte ich noch einmal nachhaltig begründen:Wir haben in den letzten Jahren eine Vielzahl neuer Arbeitsplätze bekommen. Da lobe ich die CDU/CSU- F.D.P.-Regierung:
Sie hat von 1979 an — 26,5 Millionen Erwerbstätige — dazu beigetragen, daß wir in diesem Jahr über 29 Millionen Erwerbstätige haben. Gut ist das, neue Arbeitsplätze. Aber jetzt kommt der entscheidende Punkt: Das Arbeitsvolumen, Herr Kollege Hinsken, von 46,8 Milliarden Stunden ist gleichgeblieben. Mehr Beschäftigte und eine gleichbleibende Anzahl von Arbeitsstunden bedeuten weniger Arbeitszeit. Wir müssen sie gerechter verteilen; das Volumen der Arbeitsstunden wird wahrscheinlich auch in Zukunft nicht steigen. Das sagt die Statistik.
Unser Bruttoinlandsprodukt ist gestiegen, aber nicht die Zahl der Arbeitsstunden. Was heißt das für die konjunkturelle Entwicklung? Das heißt für mich: Auch wenn wir alles täten, was Sozialdemokraten vorschlagen, auch wenn wir alles täten, was ich mir mit einigen von Ihnen zutrauen könnte, wird es dabei bleiben, daß wir mit einem hohen Sockel der Arbeitslosigkeit in die nächste konjunkturelle Phase gehen. Ich sage noch einmal: Ich wünsche mir eine gute industrielle Entwicklung. Ich wünsche mir zukunftsorientierte Arbeitsplätze. Aber auch wenn wir alles tun, bleiben wir auf einem hohen Sockel von Arbeitslosigkeit hängen.Nun kommt die Frage: Finden wir uns damit ab, wie Sie es tun, oder nutzen wir alle gesellschaftlichen Kräfte, um auch für diese potentiellen Arbeitslosen für Beschäftigung zu sorgen? Da sind Sie anderer Meinung als wir. Wir werden uns mit Massenarbeitslosigkeit nie abfinden, meine Damen und Herren.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993 15057
Frau Kollegin Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hauser?
Bitte.
Frau Kollegin, wie erklären Sie sich eigentlich, daß eine ganze Reihe von Firmen, insbesondere in der Computerbranche und in der Mikroelektronik, dazu übergehen, jetzt wieder die 40-Stunden-Woche einzuführen?
Wenn sie es nach dem Tarifvertrag können, sollen sie es tun. Das ist Aufgabe der Tarifvertragsparteien. Im übrigen müssen wir alle aufpassen — ich will auch in diesem Bereich gern noch einmal nachforschen —: Meistens sind es Schlachtrufe.
Wenn Sie nachforschen, Herr Kollege, in welchem Betrieb die heute nach dem Gesetz schon gegebenen Möglichkeiten durch flexiblere Maschinenlaufzeiten und durch flexiblere Arbeitszeiten ausgenutzt werden, dann kommen Sie mit mir zu dem Schluß, daß nur in ganz wenigen Fällen über die 37,5 Stunden hinausgegangen wird. Die unternehmerische Wirtschaft hat bisher all diese Instrumente nicht genutzt.
Was die Computerindustrie angeht, da müssen wir genau hinschauen, ob sie wirklich Vollzeitarbeitskräfte 40 Stunden lang beschäftigt oder ob sie andere Maschinenlaufzeiten will. Dagegen habe ich gar nichts. Von daher ist Ihre generelle Unterstellung, die darin steckt, wir bräuchten die 40-Stunden-Woche, einfach falsch, weil weitere Arbeitszeitverlängerungen nur noch mehr Beschäftigung zerstören würden.
Es geht mir jetzt noch einmal darum, Ihnen klarzumachen, daß wir darüber wirklich anders denken als Sie. Wir werden uns mit Massenarbeitslosigkeit nicht abfinden.
Es geht dabei um die Frage: Was machen wir mit dem sogenannten zweiten Arbeitsmarkt? Ich sage noch einmal, damit das klar ist: Natürlich brauchen wir zukunftsorientierte industrielle Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt. Graf Lambsdorff mit seinem alten Hut meint ja immer, es gehe nur um den zweiten Arbeitsmarkt. Das ist nicht der Fall. Es geht aber auch darum, daß wir das, was wir an Erfahrungen haben, nämlich Arbeit zu organisieren, statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren, endlich als eine Perspektive zukunftsorientiert gestalten.Sie wollen das alles nicht. Für Sie sind die Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit konsumlive Ausgaben. Es geht immer hü und hott: Wenn Geld da ist, wird es hineingepumpt, wenn Sie kein Geld mehr haben, sparen Sie an dieser Stelle als erstes. Das ist falsch,weil die Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit, wie immer wir sie formulieren, ein Teil einer beschäftigungsorientierten Wirtschaftspolitik sind. Sie haben mit konsumtiven Ausgaben nichts zu tun.
Solange Sie immer daran rumstricken und bei den Finanzen immer wieder hü und hott sagen, wird es so sein, daß wir einen ordentlichen zweiten Arbeitsmarkt nicht hinbekommen.Ich habe gestern zugehört, als Herr Töpfer gesprochen hat. Er hat gesagt: Wissen Sie, meine Damen und Herren, ich bin ganz froh, daß ich über den neuen § 249 h Arbeitsförderungsgesetz 60 000 Menschen in ökologisch sinnvolle Arbeit integrieren konnte. Diese Menschen wären sonst arbeitslos. Er hat sich gefreut, daß es dazu ein Instrument im Arbeitsförderungsgesetz gibt.
Warum aber zwacken Sie wieder an diesen Instrumenten? Warum dehnen wir diese Instrumente nicht so aus, daß wir sie auch für den Westen nutzbar machen können? Das wären zukunftsträchtige Instrumente und nicht immer nur konsumlive Ausgaben, die Sie nicht wollen.
Herr Thierse hat heute morgen klargemacht, was es bedeutet, wenn Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gestrichen werden, wieviel gesellschaftliche Verwerfung es dadurch gibt. Dies ist der Kern meiner Argumentation: Sie wollen nach wie vor Entsolidarisierung. Sie nehmen Spalterthemen auf, von der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bis hin zur Aufkündigung des Rentenkonsenses.
Die Kolleginnen und Kollegen Sozialpolitiker sollten doch einmal Herrn Rexrodt ein paar Nachhilfestunden geben.
Er muß doch auch wissen, daß die Frage der Arbeit für die Rentenversicherung — Herr Blüm hat es gestern gesagt — das Wichtigste ist. Wenn die Menschen Arbeit haben, dann zahlen sie Beiträge. Wenn sie Beiträge zahlen, sind wir in der Lage, die Rentenfinanzen in Ordnung zu halten. Deswegen ist doch der Appell aller, die ein bißchen in diesem Staat von sozialer Gerechtigkeit reden, daß die Frage der Beschäftigungsorientierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik von so hervorragender Bedeutung ist. Ich finde es schon ein bißchen peinlich, daß der Wirtschaftsminister diese Dinge überhaupt nicht versteht
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15058 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Anke Fuchs
und mit ganz unausgewogenen Vorschlägen nur dazu beiträgt, daß wiederum die Politikverdrossenheit steigt, weil jemand von Dingen redet, von denen er überhaupt nichts versteht.
— Ich höre gleich auf; aber nachher kommt ja der Finanzminister noch einmal dran, und er muß ja eine Vorlage haben, über die er sich mit mir auseinandersetzen kann.Sie tun so, als ob Sie an der wirtschaftlichen Entwicklung keine Schuld trügen. Dabei ist in dieser Woche schon deutlich geworden: Sie haben bei der Finanzierung der deutschen Einheit eklatante Fehler gemacht.
Sie haben deswegen jetzt auch die so hohe Verschuldung zu verantworten. Diese Fehler haben Sie zu verantworten.Daß Sie, Herr Bundesfinanzminister, so tun, als ob Ihre Politik mit der Politik der Bundesbank nichts zu tun hätte und als ob die Währungsturbulenzen in Europa mit Ihrer Politik nichts zu tun hätten, ist schon ein Kunststück der Verdrängung.
Das finde ich beachtlich. Ich will das jetzt nicht vertiefen; ich will Ihnen nur sagen: Die Unsicherheit und die Unkalkulierbarkeit Ihrer Politik und die Währungsturbulenzen in Europa, das Auf und Ab von Kursen, sind für die Wirtschaft viel gravierender als die abstrakte Diskussion über die ohnehin gesunkenen Lohnkosten.
Das wird bei dieser Diskussion immer wieder verkannt.
Ich muß noch ein Wort zu Herrn Schäuble sagen. Er ist nicht da;
deswegen bitte ich, es ihm auszurichten. Er hat sich, finde ich, schlicht schlecht benommen.
Er hat meine Kollegin Matthäus-Maier in einer Art und Weise angegriffen, die wir so nicht stehen lassen können.
Es gibt ein Sprichwort, das besagt: Getroffene Hundejaulen auf. Das will ich eigentlich nicht gebrauchen.
Es ist doch wahr, daß durch dieses Haushaltspaket die Schwächeren bezahlen müssen und daß Sie sich in diesem Haushaltspaket nachdrücklich weigern, einen Solidaritätsbeitrag von denen zu fordern, die mehr zu zahlen in der Lage wären. Deswegen weiß ich, warum Herr Schäuble so reagiert hat: Es hat ihn getroffen.
Denn was meine Kollegin Matthäus-Maier gesagt hat, ist doch richtig. Die Botschaft von Herrn Schäuble lautet: Wer nichts hat, dem wird genommen, und wer etwas hat, dem wird gegeben. — Die Leute merken das!
Ich weiß noch nicht, ob ich darüber grenzenlos traurig oder entsetzt sein soll, daß Herr Schäuble von der scharfen, aber doch immer fairen Kritik zu verbitterter Boshaftigkeit überzugehen scheint. Es würde mir wirklich sehr leid tun.
Nun berufen Sie, Herr Finanzminister, sich immer auf Helmut Schmidt und haben ihn als Kronzeugen gegen uns angeführt.
Ich zitiere nun aus seinem neuen Buch. Es heißt „Handeln für Deutschland". Ich will nur das Folgende wiedergeben:Die naive Unterschätzung der voraussehbaren Schwierigkeiten der wirtschaftlichen Vereinigung war der erste Kardinalfehler, und es folgen viele andere.
Weiter schreibt er:Die kleckerweisen Korrekturen in den drei Jahren seither ließen erkennen, daß die Bundesregierung zu keiner Zeit einen ausreichenden Überblick über die sich entwickelnden Anforderungen an den öffentlichen Gesamthaushalt und dessen Finanzierbarkeit gehabt hat. Solche Haushaltspraxis kostet Vertrauen.So Helmut Schmidt. Recht hat er!
Rudolf Scharping, der zukünftige Bundeskanzler,
hat recht, wenn er sagt: Wir werden unter unseren Möglichkeiten regiert.
Meine Damen und Herren, es ist Zeit für einen Wechsel.Anke Fuchs Ich danke Ihnen.
Als nächster spricht der Kollege Wolfgang Weng.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Fuchs, „Handeln für Deutschland" — das letzte, was mir von dem früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt untergekommen ist, war, daß er in Fernost gewesen ist und Deutschland in einer Weise heruntergemacht hat, wie es schlimmer kaum geht, und damit nach meiner Überzeugung dem Ansehen unseres Landes geschadet hat. Wer das als Handeln für Deutschland bezeichnet, ist auf dem Holzweg.
Wenn Sie beklagen, daß Frau Matthäus-Maier hier in der von Ihnen dargestellten Weise angegriffen worden ist, dann sage ich Ihnen meine Erfahrung nach zehn Jahren im Bundestag: Bei der Verunglimpfung des politischen Gegners — zur Person, nicht in der Sache, etwa bei der Verballhornung von Namen — haben Angehörige Ihrer Fraktion es zu einer traurigen Meisterschaft gebracht. Sie selbst haben in Ihrer Rede wieder einen Beitrag dazu geleistet,
indem Sie Kollegen von mir mit der Verballhornung von Namen mit diesem gräßlichen Beispiel von Frau Matthäus-Maier hier erneut zitiert haben und sich darin offensichtlich auch noch wohlgefühlt haben.
— Die Namen früherer Wirtschaftsminister, Frau Matthäus-Maier, in der bekannten Weise. Ich sage Ihnen, ich kann beliebig Beispiele bringen, nicht aus dem Stand, aber da ist das Wort vom Glashaus wirklich außerordentlich berechtigt, und ich rate Ihnen tatsächlich — natürlich spulen Sie hier Ihre ganzen Sprüche ab —, zuerst vor der eigenen Tür zu kehren, ehe Sie bei anderen klagen.
Bei allem Unterschied in Sachfragen hat die abgelaufene Woche mit der Debatte zur ersten Lesung des Bundeshaushalts 1994 verdeutlicht, was der Schwerpunkt der augenblicklichen innerdeutschen Politik drei Jahre nach der Wiedervereinigung sein muß. Es geht um die Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland in einer Welt, die sich in schnellem Wandel befindet.Die vielfältigen Voraussetzungen hierfür kann die Politik nur in Teilen gewährleisten, aber es sind wichtige Teile. Die Politik muß sie unverzüglich leisten; sie muß an die Arbeit gehen.Der F.D.P.-Fraktion im Deutschen Bundestag geht es in dieser schwierigen Situation bei allen politischen Entscheidungen zuallererst um die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Viele Dinge, so notwendig und wünschenswert sie sonst sein mögen, müssen im Augenblick hinter dieser Priorität zurückstehen. Die Voraussetzungen für ein breites Spektrum neuer, zusätzlicher Arbeitsplätze müssen geschaffen werden.
Natürlich können dies nicht nur Arbeitsplätze im Spitzenbereich sein, aber wenn der Wohlstand im Lande erhalten werden soll, wenn zusätzliche Arbeitsplätze auch im Bereich einfacherer Tätigkeiten oder im Bereich neuer Dienstleistungen entstehen sollen, dann muß die Spitze wieder Spitze werden.
Mit sozialistischen Rezepten den krampfhaften Versuch zu unternehmen, ein immer kleiner werdendes Sozialprodukt vermeintlich gerechter zu verteilen, führt in die Sackgasse.
Motivation und Leistungsanreiz für unsere Bürger schaffen bei konsequenter öffentlicher Sparsamkeit neben vielen zusätzlich erforderlichen Maßnahmen die Voraussetzungen für den notwendigen Aufschwung. Mit einem Mehr an Arbeitsplätzen sind alle Probleme wesentlich leichter zu lösen. Wachstum ist erforderlich — dies muß das erste Ziel sein.Geld kann nur verteilt werden, wenn es erwirtschaftet wird. Sie wissen alle, daß der Anteil des Staates im Zuge der deutschen Einheit bei uns hier stark nach oben gegangen ist. Er muß wieder zurückgeführt werden, wenn nicht die Bürger als Träger der Wirtschaftsleistung demotiviert werden sollen.Eine Voraussetzung für Vertrauen in die Zukunft liegt darin, daß die öffentlichen Hände so sparsam wie irgend möglich sind.
Dies zu erreichen bedeutet ständigen Kampf, ständige Auseinandersetzung. In einer öffentlichen Haushaltsdebatte muß es natürlich um Geld gehen: das Geld der Steuerzahler, der Beitragszahler, auch das Geld der Sparer, mit dem wir sorgfältig umgehen müssen.Der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz hat in seiner Eigenschaft als Bundesvorsitzender der SPD dem üblichen Oppositionsverhalten am Mittwoch hier von diesem Platz aus eine neue Dimension hinzugefügt: Sonst wird von der Opposition ja immer nur gesagt, in welchen wünschenswerten, bei der breiten Öffentlichkeit sehr erwünschten Bereichen die Opposition viel mehr tun würde, viel mehr Geld ausgeben würde. Dann wird erklärt, daß natürlich die öffentliche Hand viel mehr sparen muß — bei Nennung einiger weniger besonders populärer Sparvorschläge, die natürlich bei weitem nicht den Umfang der vorher gemachten Zusagen fürs Geldausgeben haben.
Die neue Dimension von Herrn Scharping: Er griff ein emotional hochbesetztes Thema, die Pflegeversicherung, auf, bei dem es, wie jeder weiß, schon jetzt um viel und künftig um noch viel mehr Geld gehen wird, und erklärte indirekt, wer hier über die Frage
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15060 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Dr. Wolfgang Weng
der Finanzierung rede, vergesse die betroffenen Menschen. Das Stichwort „kalte Technokratie" folgte auf dem Fuß. Meine Damen und Herren, nicht nur ich hätte mir ein besseres Niveau dieser Ausführungen gewünscht.
Die Menschen in unserem Land sind nämlich genau dieses Politikerverhalten leid. Sie wissen, daß der Staat im Moment zuviel Geld ausgibt, daß die Staatsschulden zu hoch geworden sind, und sie haben einen Anspruch darauf zu erfahren, wie neue, große staatliche Leistungen finanziert werden sollen.
Auch die zweite Seite der Medaille muß dargelegt werden. Ich sage dies auch und ausdrücklich mit Blick auf die junge Generation, der eine große Zahl von Lasten überlassen wird und der hier neue Lasten aufgebürdet werden, wenn man das falsche Verfahren wählt.
Wir haben in dieser Woche sogar von Bundesarbeitsminister Blüm gehört, daß man als Sozialpolitiker die Kuh nicht schlachten dürfe, die man melken wolle. Wir alle kennen seine Neigung, auch dann noch melken zu wollen, wenn das Euter leer ist,
aber er hat wenigstens erkannt, woher das Geld kommen muß. Die Töne von der linken Seite dieses Hauses lassen darauf schließen, daß man dort bereit ist, die Kuh zu schlachten.
Ehrlichkeit sollte unteilbar sein. Wer für Subventionsabbau ist, kann sicher trotzdem an der einen oder anderen Stelle Subventionen für notwendig halten, aber er muß dies dann auch erklären. Er muß sie benennen.Wenn sich die SPD in dei heutigen Situation ohne Rücksicht auf die Entwicklung des Energie- und des Stahlmarkts zum uneingeschränkten Fürsprecher der Steinkohlesubvention in Westdeutschland macht, dies aber natürlich ganz anders ausdrückt, verhält sie sich in zweifacher Weise unsolidarisch: erstens mit den Menschen in den neuen Bundesländern, denn dort hat man Arbeitsplätze im Energiebereich unter großen Lasten für die betroffenen Menschen radikal abgebaut, und zum zweiten auch bezüglich der Zukunft, denn die höchstsubventionierten Arbeitsplätze in Westdeutschland, die sich die SPD mit ihrem wirtschaftspolitischen Sprecher in dieser Woche in mehr oder weniger versteckten Hinweisen auf politische Erpressung an die eigenen Fahnen geheftet hat, blockieren zukunftsträchtige Entwicklungen.
Herr Kollege Weng, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Matthäus-Maier?
Ja, ich gestatte die Zwischenfrage.
Bitte, Frau Kollegin.
Kollege Weng, wollen Sie bitte erstens zur Kenntnis nehmen, daß wir ja offensichtlich gemeinsam an einem Energiekonsens arbeiten, der selbstverständlich die Braunkohle in Ostdeutschland genauso berücksichtigen muß wie die Steinkohle in Westdeutschland, und würden Sie mir bitte zweitens, weil Sie von Arbeitsplatzabbau gesprochen haben, darin zustimmen, daß wir in der früheren westdeutschen Steinkohle mittlerweile von etwa 500 000 Plätzen auf 80 000 herabgesunken sind, so daß überhaupt keine Rede davon sein kann, daß hier auf Teufel komm raus Arbeitsplätze gehalten werden sollen? Aber das Ganze muß sozialverträglich sein!
Frau Matthäus-Maier, über die Fragen „Was heißt sozialverträglich?" und „Wie weit wird in diesem Bereich, den wir uns vor der deutschen Einigung leisten konnten, nämlich diese hohe Subventionierung all dieser Arbeitsplätze, nachzudenken sein?" ist nach der deutschen Vereinigung neu zu reden. Es muß auch in Kenntnis der Änderungen auf dem Stahlmarkt — wenn z. B. die Kohle nicht mehr in der Menge verbraucht werden kann — darüber nachgedacht werden, ob es einen Sinn macht, mit höchsten Aufwendungen je Arbeitsplatz für Halden Kohle herauszubaggern, die man woanders zum einen viel preiswerter kaufen kann und die zum anderen auch noch nutzlos herumliegt, und das mit einer erheblichen Belastung des Steuerzahlers.
Ich widerspreche Ihnen ja nicht, wenn Sie sagen, daß man hier in der Vergangenheit einen richtigen Weg des sozialverträglichen Abbaus gewählt hat. Aber ich muß doch in der jeweiligen politischen Situation und in Kenntnis meiner jeweiligen finanziellen Möglichkeiten auch neu nachdenken dürfen. Das, was bei Ihnen hier diese Woche gesagt worden ist, hatte zum Inhalt: stures Weitermachen mit der Drohung — zwar nicht expressis verbis, aber zumindest in der Tendenz —, man werde die Bergarbeiter schon auf die Straße bringen, damit sie ordentlich Zoff machen.Ich meine, es wäre besser, den betroffenen Menschen — gerade auch jenen, die in diesem Bereich beruflich tätig sind — aufzuzeigen, wie die Situation ist, ihnen klarzumachen, daß hier möglicherweise von ihnen Opfer verlangt werden und daß es vielleicht sinnvoll ist, sich umzuorientieren. Man sollte nicht auf dem letzten Drücker nach dem Motto sitzen: Hier hat man einmal in Verhandlungen zu anderer Zeit irgend etwas erreicht, und das muß dann unbedingt fixiert
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993 15061
Dr. Wolfgang Weng
bleiben, egal, wie sich die Welt drum herum verändert hat.
Herr Kollege Weng, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Fuchs?
Wenn das Niveau höher ist als bei Ihrer Rede, gern.
Das ist es nicht. Denn ich finde, ich habe sehr gut gesprochen, Herr Kollege! — Sind Sie bereit, bei all Ihren Schönrechnungen mit mir die Rechnung aufzumachen, wie teuer die Arbeitslosigkeit ist, die Sie mit Ihren Worten sozusagen in Kauf nehmen? Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß hunderttausend Arbeitslose mehr oder weniger insgesamt 3,5 Milliarden DM mehr oder weniger kosten? Und was wollen Sie eigentlich mit all den Arbeitslosen machen, die nach Ihrem Konzept selbstverständlich übrigbleiben?
Frau Fuchs, wenn ich der Logik dieser Äußerungen folge und das, was Frau Matthäus-Maier gerade gesagt hat, einbeziehe, dann sind in den vergangenen Jahren in diesem Bereich offensichtlich 400 000 Leute in die Arbeitslosigkeit entlassen worden. Dieses statische Denken, zu sagen: „ Wenn wir hier nicht subventionieren, dann werden diese Menschen arbeitslos", ist nach meiner festen Überzeugung falsch. Wenn wir den Menschen sagen, daß wir hier nicht mehr werden subventionieren können, damit sie und vielleicht auch die nachfolgenden Generationen sich darum kümmern, andere Arbeitsplätze zu finden, dann sind wir auf dem richtigen Weg.
Trotz der Situation, die ja bekannt war, nämlich der nicht direkten Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Steinkohle, hat sich auch eine große Zahl jüngerer Menschen in diesen Berufsbereich begeben. Hätte man denen zu früheren Zeiten ehrlich gesagt, daß hier keine großen Zukunftsaussichten bestehen, hätten sie sich anders orientiert und andere, vielleicht zukunftsträchtigere Berufe erlernt.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Fuchs?
Eine letzte mit Blick darauf, daß die Kollegen ja auch ins Wochenende wollen.
Herr Kollege, meine Frage war nicht die nach der Steinkohle und der Ruhrkohle, sondern die generelle Frage: Zukunftsorientierte Arbeitsplätze ja, auf der Strecke dahin viele Arbeitslose. Nun die Frage: Wie wollen Sie die vielen Arbeitslosen bezahlen? Sind Sie nicht mit mir der
Auffassung, daß es besser ist, für sie Beschäftigung zu schaffen, als sie arbeitslos sein zu lassen?
Frau Fuchs, wenn ich einen Blick in die neuen Bundesländer werfe, wo eine ganz große Zahl von Menschen in die Beschäftigungslosigkeit entlassen werden muß, eine große Zahl auf einmal, einfach deswegen, weil dort wirtschaftlich wettbewerbsfähige Betriebe nicht im nötigen Umfang vorhanden sind, dann antworte ich Ihnen auf Ihre Frage gerade mit Blick auf diese Situation: Ihre Frage ist nicht begründet. Der Staat wird niemals in der Lage sein, Arbeitsplätze in der Wirtschaft in beliebiger Menge und zu beliebigen Kosten zu erhalten, um Arbeitslosigkeit zu verhindern.
Die Entwicklung muß eine völlig andere sein. DieDinge müssen kontinuierlich wachsen. Jeder unnötige Erhalt schadet dem Aufwachsen in die Zukunft.
Ich kann aber das gerade von Frau Matthäus-Maier Gesagte wiederum aufgreifen. Denn der Konsens im Bereich Energie, den Sie hier angemahnt haben, Frau Matthäus-Maier, wird nach meiner Überzeugung von der SPD verlassen. Auch wir wünschen Energieeinsparung und Förderung alternativer Energien. Nicht nur in Programmen, sondern auch in der praktischen Politik der Koalition findet das statt.Aber Sie müssen auch daran denken, daß bei der Energie der Preis eine wichtige Rolle spielt. Bei uns haben wir schon ein hohes Preisniveau. Wenn Sie den Preis der Energie durch politische Maßnahmen künstlich allzu hoch treiben, mindern Sie auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Deswegen ist im Augenblick die Nutzung alternativer Energien im großen Umfang nicht möglich, weil der Preis dieser Energien ein Vielfaches des Weltenergiepreises ausmacht.Ein Energie-Mix — wie in der Vergangenheit hier in Deutschland gemacht — ist wohl die einzige tragbare Lösung. Und hier verweigert sich die SPD mit den mit ihr liierten GRÜNEN an einer Stelle jedenfalls ganz nachhaltig. Ich halte es für einen unglaublichen Vorgang, daß sich der niedersächsische Ministerpräsident Schröder, ein führender SPD-Politiker, aus der Verantwortung für die Entsorgung atomarer Abfälle davonstiehlt, daß er sich davon verabschiedet. Ich meine, daß der Energiepolitik der Zukunft hier wirklich ein ganz schlechter Dienst geleistet wird. Denn nach den langen Jahren der Entsorgungsbemühungen in Niedersachsen jetzt zu sagen: „Fangt einmal irgendwo anders in Deutschland neu an", ist mit Blick darauf, daß diese Entsorgung selbst dann erforderlich wäre, wenn man alle Kernkraftwerke heute stillegen würde, ein Verrat an der Zukunft.
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15062 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Dr. Wolfgang Weng
Meine Damen und Herren, die Sorge der Bürger wegen der wachsenden Verschuldung wächst. Sparsame Haushaltspolitik ist ein Teil Standortsicherung. Da zählen auch kleinere Signale. So ist es gut, daß die Bundesregierung laut „Bulletin" vom 25. Januar dieses Jahres bei der Umbildung des Bundeskabinetts mit der Streichung von sieben Stellen Parlamentarischer Staatssekretäre ein Zeichen gesetzt hat. Es ist zu begrüßen, daß auch die Ankündigung gemacht wurde, im Lauf dieses Jahres würden noch zwei Stellen von beamteten Staatssekretären eingespart. Zwar habe ich die Umsetzung dieser Nachricht im Regierungsentwurf bisher nicht gefunden, aber ich bin sicher, das Finanzministerium wird sie uns noch nachreichen.Woran wird der Deutsche Bundestag bei der Beratung des Haushalts in abschließender Lesung — wenn die Presse heute recht hat, findet sie vielleicht nicht mehr in diesem Hause statt; es kann gut sein, daß ich, wenn wir wirklich in den Neubau umziehen, heute meine allerletzte Rede hier im Wasserwerk halte; ich denke mit ein bißchen Wehmut daran — gemessen werden? Etwas mehr Geld für die Forschung, etwas mehr Landwirtschaftssubventionen, etwas mehr im Bildungs- und im Sozialbereich? Sicherlich nicht. Die heutige Forderung ist, mit weniger Geld mehr Politik zu gestalten. Deshalb muß unser Ziel sein, in den kommenden Beratungen in allen Einzeletats mögliche weitere Kürzungen zu erreichen oder bei notwendigen Mehrausgaben Einsparungen an anderer Stelle zu beschließen. Gemessen werden wir als Parlament an einem Ergebnis, das den Regierungsentwurf unter Berücksichtigung der gesamtstaatlichen Erfordernisse verbessert. Gut wäre, wenn eine Schuldenaufnahme im Rahmen der Forderungen des Grundgesetzes erreicht werden könnte, die wir beim Regierungsentwurf aus besonderen Gründen verlassen haben.Die Verantwortung, meine Damen und Herren, trägt die handelnde Mehrheit dieses Parlaments, trägt die handelnde Mehrheit der Koalition. Die Debatte dieser Woche hat erneut gezeigt, daß wir von der Opposition keine Hilfe erwarten können.
Ich sichere für die F.D.P.-Fraktion zu, daß wir in enger Zusammenarbeit mit dem Koalitionspartner CDU/ CSU die erforderliche Arbeit unbeirrt leisten werden.Vielen Dank.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erteile nunmehr dem Herrn Bundesminister der Finanzen, unserem Kollegen Dr. Theo Waigel, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist noch eine beachtliche Zahl ganz hervorragender Kolleginnen und Kollegen, die sich das Vergnügen und die Faszination der nun langsam zu Ende gehenden Haushaltsdebatte nicht entgehen lassen wollen.Frau Kollegin Fuchs, Ihnen muß ich sagen, daß Ihre Rede die völlig unangemessene Antwort auf eine sachliche und kluge Rede von Dirk Fischer gewesen ist.
Während er wirklich zum Standort Deutschland, zu großen Problemen, die natürlich auch auf seine Heimatstadt Hamburg ausstrahlen, Stellung genommen hat, haben Sie darauf in plumper Polemik reagiert.
Das gleiche Strickmuster hatten wir auch gestern. Als Kollege Faltlhauser sachlich über allgemeine und Münchner Probleme gesprochen hat, hat Frau Kollegin Renate Schmidt völlig unsachlich darauf geantwortet. Das sind wir gewöhnt, wir weisen das allerdings zurück.
Etwas zu den Kürzungen. Vielleicht können Sie sich, Frau Kollegin Fuchs, noch daran erinnern. Sie waren einmal Familienministerin. Damals hatten Sie den legendären Staatssekretär Klaus Grobecker, einen alten Freund, an Ihrer Seite. Mußten damals nicht auch Sie Kürzungen vornehmen? Hat damals Ihr Mentor und Bundeskanzler nicht auch davon gesprochen, daß zur Solidität der Finanzpolitik Kürzungen erforderlich sind?
Ist er nicht daran gescheitert, daß Sie und Ihre Parteiund Ihre Fraktion ihm die Unterstützung für dieseKürzungen verweigert haben? Daran, an Ihnen— nicht an Ihnen persönlich — und an Ihren Freunden, ist er gescheitert.
— Nein, nein. Sie wollen da eine Legende in Richtung F.D.P. stricken. Das liegt völlig daneben. Er ist an Ihnen gescheitert, weil Sie unfähig waren, die ökonomischen Einsichten die er damals partiell gewonnen hatte, mitzuvollziehen.
Übrigens hat kaum eine Stadt durch die Wiedervereinigung so gewonnen wie Hamburg. Gerade der Hafen in Hamburg ist doch zu einer neuen Blüte gekommen. Das hängt damit zusammen, daß wir die Wiedervereinigung herbeigeführt haben, an die sie nicht mehr geglaubt haben.
Ich hatte nicht den Eindruck, daß Helmut Schmidt damals beim Besuch in Güstrow noch sehr an die Wiedervereinigung geglaubt hat und damals davon gesprochen hat.
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Bundesminister Dr. Theodor WaigelLassen Sie doch im übrigen die Geschichte mit dem Schlechtwettergeld. Wir werden uns darüber ganz sachlich unterhalten.
Niemand will doch dort mehr Arbeitslosigkeit, aber eine Branche, vor der in den nächsten Jahren noch mehr Arbeit steht als vor fast jeder anderen Branche, die doch vor allen Dingen im Osten ein ungeheures Auftragsvolumen vor sich sieht, wird sich anstrengen — das tun die Tarifpartner —, um zu einer ganzjährigen Arbeit zu kommen. Das unterstütze ich auch. Es muß doch die Frage legitim sein, ob dann die Kosten dafür alle Beitragszahler bezahlen oder ob dies vielleicht auch über ein Umlagesystem innerhalb einer Branche geregelt werden kann. Darüber werden wir uns nochmals mit dem Bauhandwerk, mit der Bauwirtschaft und selbstverständlich auch mit der Baugewerkschaft unterhalten. Da mein Vater ein Maurerpolier war, bin ich natürlich auch mit dieser Branche sehr eng verbunden.
— Das ist wahr. Es ist Ende der 50er Jahre eingeführt worden.Frau Kollegin Fuchs, besuchen Sie doch mal Schweden. Dort ist es noch kälter, und die haben es 1985 abgeschafft. Pendeln Sie mal von Hamburg kurz rüber; Reisen, auch über die See, bildet.
Meine Damen und Herren, Sie haben mir vorgehalten — es war nicht sehr bösartig, es war ganz ordentlich, damit kann ich leben; es war eine Pflichtübung, die Sie abgehandelt haben —,
ich trüge die Verantwortung, und haben dabei ganz scharf auf mich gesehen. Ich kann gut mit dem leben, was Professor Schiller, den ich ökonomisch für stärker halte als Helmut Schmidt, auf die Frage, wie hätten Sie es mit der Wiedervereinigung gemacht, gesagt hat. Er hat gesagt: „Ich hätte es gemacht wie Theo Waigel."
Auch seine letzten Bemerkungen deuten sehr darauf hin, daß er trotz mancher Kritik — das ist doch ganz klar, natürlich haben auch wir Fehler gemacht — die grundsätzliche Linie durchaus bestätigt hat.
Sie haben sich noch einmal besonders über den Kollegen Schäuble empört, der heute nicht dasein kann. Es war eigentlich sehr milde, was Schäuble auf das sagte, was wirklich an unterträglicher Polemik von Frau Matthäus-Maier kommt.
Mich läßt das längst kalt, auch die Bevölkerung. Aberwenn man dann und wann mal eine Talkshowanschaut, ist es schon unglaublich, was Frau Matthäus-Maier eigentlich den Menschen zumutet.
Nehmen wir allein die 150fache Nennung des Jäger 90, obwohl noch keine Mark für die Produktion des Jäger 90 ausgegeben worden ist. Was sie macht, ist reine Polemik, billige Masche, die Menschen mit Halbwahrheiten zu fangen und zu beeinflussen.
Als ich noch ein jugendlicher Politiker war
und Landesvorsitzender der Jungen Union von Bayern, gab es eine Vorsitzende der Jungsozialisten namens Wieczorek-Zeul.
Die sagte damals, Verdienste über 5 000 DM seien eigentlich unmoralisch. Wenn ich mir vorstelle, wieviel unmoralische SPD-Menschen in diesem Land zwischenzeitlich leben, und wenn ich daran denke, daß mir neulich ein Mann — ich nenne jetzt keinen Namen — gesagt hat: „Sie wissen ja, ich bin Sozialdemokrat, bin jetzt auch Millionär" und darauf stolz war — ich habe zu ihm gesagt: „Respekt", weil ich der Meinung bin, je mehr Sozialdemokraten Millionäre sind, um so besser ist das für die Stimmung im Volk, weil damit ein Stück Ausgleich stattfindet —,
dann erinnert mich diese billige Polemik an die Zeit Anfang der 70er Jahre. Da kann ich nur sagen: Leider nichts dazugelernt.Kollege Weng, Sie haben sich mit dem Kollegen Blüm und der Landwirtschaft bechäftigt. Beim Melken gibt es auch ein Nachmelken. Ich kenne das, weil ich auch aus der Landwirtschaft komme. Das machen die Sozialpolitiker schon manchmal, aber — Hochachtung! — der Kollege Blüm hat sich jedenfalls in den letzten Wochen und Monaten bei dem Einsparen ganz konsequent hingestellt. Ich möchte mich bei dem Kollegen Blüm und auch bei den Kollegen aus der Arbeitnehmerschaft der CDU/CSU sehr bedanken.
Es war keine einfache Zeit, sich hierherzustellen und das mitzutragen.
Ich hätte mich gern auch bei Ihnen, Herr Scharrenbroich, bedankt. Aber Sie haben jetzt gerade nicht geklatscht; deshalb habe ich Sie nicht einbezogen.
Übrigens, Kollege Weng, mein Respekt vor Ihnen! Er war schon immer ganz achtbar. Er ist heute noch gestiegen, weil Sie nämlich bei der Rede von Frau Albowitz nicht geklatscht haben. Das habe ich ganz deutlich gesehen. Ich habe von der Regierungsbank aus einen guten Überblick. Frau Albowitz hat sich
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15064 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Bundesminister Dr. Theodor Waigelüber die Kulturförderung ausgelassen. Schade, daß sie darüber nicht im Arbeitskreis gesprochen hat, und schade, daß sie als Haushälterin, die ich sonst schätze, zur Gegenfinanzierung nichts gesagt hat.Dazu noch eine Bemerkung. Das ist keine Sache bayerischer Wahlkreisangelegenheiten. Auf dieses Niveau sollten wir die Diskussion nicht kommen lassen.
Ich weise das auch zurück.
Was übrigens Bayreuth anbelangt: Das ist in den letzten Jahren von F.D.P.-Außenministern stärker frequentiert worden als von mir. Aber auf Grund dieser Geschichte gehe ich nächstes Jahr wieder hin,
damit Bayreuth nicht ausschließlich von der F.D.P. besetzt wird, was die Bundespolitik anbelangt.Zurück zum Ausgangspunkt. Hier wird versucht, den Bundesfinanzminister als einen kulturpolitischen Banausen darzustellen. Das läuft jetzt allmählich in den Feuilletons. Man muß sich über eines im klaren sein: Der Bundeshaushalt 1993 hat ganz klar eine Übergangsfinanzierung vorgesehen. Daß das schmerzlich ist, daß es Probleme aufwirft, weiß ich sehr wohl. Nur haben wir im Haushalt ganz klar festgelegt: künftig wegfallend. Der Haushalt ist so von allen verabschiedet worden, auch von Frau Albowitz. Dem Haushalt haben auch die ostdeutschen Ministerpräsidenten, die ostdeutschen Länder zugestimmt. Irgendwann muß man sich auch daran halten.Der Bund zahlt im nächsten Jahr um 5,2 Milliarden DM — das sind 36 % — mehr als 1993 über den Fonds „Deutsche Einheit". Der Bund zahlt insgesamt 19,5 Milliarden DM. Ich halte es für den richtigen Weg — wir haben ihn auch bei den Verhandlungen über den Finanzausgleich ab 1995 eingeschlagen —, die Länder, vor allen Dingen die im Osten, aber auch die im Westen, so auszustatten, daß sie ihren originären, ihnen von der Verfassung zugewiesenen Aufgaben selbständig und ohne Einmischung des Bundes nachkommen können.
Gerade die F.D.P. hat sich immer gegen die Doppelfinanzierung, die Zwischenfinanzierung, gegen die Grauzonen, gegen die Gemeinschaftsaufgaben gewandt. Dann muß man irgendwo konsequent sein.Eine Möglichkeit ist, die Länder über den Fonds „Deutsche Einheit" auszustatten. Hier ist uns auch für 1994 mehr gelungen, als ursprünglich vorgesehen war. Daß ich dem Kompromiß zum Finanzausgleich ab 1995 letztendlich zugestimmt habe, hing vor allen Dingen damit zusammen, daß die westdeutschen Lander bereit waren, für 1993 und 1994 wesentlich mehr zu geben als ursprünglich vorgesehen. Somit hatten wir in den zwei wichtigen Jahren über den Fonds „Deutsche Einheit" eine zwar nie ausreichende, aber, wie ich meine, passable Ausstattung.Nun muß es neben der Übergangsfinanzierung auch die Daueraufgabe geben. Dazu gibt es keine Liste, die das Finanzministerium festlegt, sondern es gibt die Vereinbarung, daß wir uns miteinander — Finanzpolitik und Innenpolitik, Kollege Kanther und ich und in den entsprechenden parlamentarischen Verfahren — der Dinge annehmen und sie ab 1995 klären. Darum geht es.Es gibt Stätten in den alten Bundesländern, und es gibt Einrichtungen in den neuen Bundesländern. Ich will nur eine in den neuen Bundesländern nennen, die Stiftung „Weimarer Klassik" in Thüringen. Hier erfolgt die Zusammenfassung aller Weimarer Klassiker mit einem Volumen von etwa 11,2 Millionen DM. Dagegen macht Bayreuth, die Wagner-Zusammenfassung, etwa 3,2 Millionen DM aus. Hier muß sehr wohl ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Ost und West gefunden werden. Aber ich lasse mir nicht etwas ans Bein binden, was in den nächsten Jahren unterschwellig gegen uns und dann vor allen Dingen gegen den Bundesfinanzminister läuft.Meine Damen und Herren, es gab in den letzten Tagen trotz mancher Polemik auch viel Übereinstimmung. Ich habe vor allen Dingen keine greifbaren Alternativen bei der Opposition entdecken können.
— Das ist wahr, daß von Ihnen keine Alternativen kommen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Struck?
Ja, wenn ich vorher noch einen Satz sagen darf, Herr Präsident.
Vizepräsident Helmuth Becker Bitte.
Ich weiß, daß ich dem Kollegen Struck durch Zustimmung nicht immer helfe. Trotzdem komme ich nicht von der Neigung weg, dann, wenn er recht hat, zu sagen: Jawohl, der Peter Struck hat recht. Er hat ja auch eine ordentliche Ausbildung im Haushaltsausschuß erfahren.
Wenn er auf meine Feststellung hin, die Opposition habe keine greifbaren Alternativen, bemerkte, das sei nicht verwunderlich, hat er recht. Wenn er das aus der ersten Reihe im Deutschen Bundestag sagt, hat es für alle Seiten dieses Hauses um so mehr Gewicht.
Kollege Struck.
Herr Kollege Waigel, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich dieser Satz von mir, den Sie eben zitiert haben, natürlich darauf bezieht, daß ich von Ihnen gar nicht erwarten kann, daß Sie überhaupt in der Lage sind, die Alternativen der SPD zu verstehen?
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Ich nehme das zur Kenntnis, Herr Kollege Struck. Der Österreicher würde jetzt sagen: Dös war a matte Sache!
Wir sind uns einig: Die öffentlichen Schulden sind zu hoch. Wir sind uns einig: Wir bräuchten eigentlich geringere Steuern und Sozialabgaben; und jeder ist für Sparsamkeit.
Soweit die Einigkeit. Aber dann geht es auseinander. Wenn ich mir das interne Arbeitspapier der Arbeitsgruppe „Wirtschaft und Finanzen" der SPD ansehe, muß ich sagen: Auch da gibt es Gemeinsamkeiten. Da wird vorgeschlagen: Mißbrauchsmöglichkeiten einschränken, Subventionen abbauen, Rüstungsausgaben kürzen, Einsparungen bei den Personalausgaben vollziehen, Ausgabenanstieg drücken, Umschichtungen vom konsumtiven zum investiven Bereich vornehmen usw.
Das wären eigentlich gute Ansätze. Nur: Die haben Sie in der Debatte nicht umgesetzt, die hätten Sie konkretisieren müssen. Wir müssen — das will ich noch einmal sagen — jedenfalls zur Wahrheit zurückkehren.
Nun will ich noch etwas zu Frau Matthäus-Maier sagen, damit sie ihre Zahlen korrigiert. Frau Matthäus-Maier, Sie behaupten, ich hätte in meiner Amtszeit mehr Kredite aufgenommen als alle meine Vorgänger zusammen. Das ist schlichtweg falsch. Das ist das Unerfreuliche an Ihnen. Ich setze mich gern auseinander. Ich liebe auch die Polemik; die gehört zum parlamentarischen Stil. Was ich nicht mag, sind diese gezielten Unwahrheiten, die dann so auf den Weg gebracht werden.
Seit Ende 1988 sind die Schulden des Bundes von 475,2 Milliarden DM auf 610 Milliarden DM gestiegen. Von einer Verdoppelung des Schuldenstandes kann also trotz der erheblichen Anforderungen an den Bundeshaushalt keine Rede sein.
Beim Erblastentilgungsfonds und beim Fonds „Deutsche Einheit" haben wir festgeschrieben, daß eine Tilgung durchgeführt wird. Auch bei den Bahnschulden haben wir das vorgesehen.
Übrigens: Zwischen 1988 und 1992 — wenn Sie gleichzeitig telefonieren, können Sie das nicht hören —
stiegen die Schulden des Bundes um rund 28 %. Unter Hans Matthöfer und Manfred Lahnstein, also in den Jahren 1978 bis 1982, zehn Jahre zuvor, betrug der Schuldenanstieg 108 %. Bei Hans Apel, den ich persönlich schätze, gab es in den vier Jahren von 1974 bis 1978 sogar fast 160 % Schuldenzuwachs.
Meine Damen und Herren, im Verhältnis zu einer solchen Argumentation ist mir der Wirtschafts- und Finanzpolitiker Lafontaine allemal noch lieber. Er ist ja geradezu ein Wahrheitsfanatiker gegenüber den
Lügenmärchen, die Frau Matthäus-Maier hier verbreitet.
— Als ich eben Lafontaine als Wahrheitsfanatiker bezeichnet habe, kam der Zwischenruf von der SPD „Unglaublich! " Auch das muß hier festgehalten werden.
— Jetzt kommt noch das Wort „Verleumdung"! Wenn ich Lafontaine als Wahrheitsfanatiker bezeichne, kommt von der SPD der Zwischenruf „Verleumdung" ! Das sind ungeheuerliche Dinge, die sich hier abspielen und die auch innerhalb der SPD, wie ich meine, weiterverbreitet werden müssen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Fuchs?
Aber gern.
Bitte sehr.
Herr Bundesfinanzminister, sind Sie bereit, zuzugeben, daß Sie da wirklich ein bißchen überzogen haben, und zur Kenntnis zu nehmen, daß sich das „unglaublich" auf den Inhalt Ihrer Ausführungen bezog und nicht auf Herrn Oskar Lafontaine?
Ich gebe zu, Frau Kollegin, daß ich etwas überzogen habe.
Sie sollten zur Kenntnis nehmen, daß während einer solchen Debatte und während einer solchen Woche auch auf Grund unserer Finanzpolitik die Deutsche Bundesbank gestern die Zinsen gesenkt hat, und zwar um einen beachtlichen Schritt: 0,5 % bei Diskont und Lombard.
Wissen Sie, was das bedeutet? Das kann ein Volumen von 3,5 Milliarden DM Investitionen freisetzen. Das können zwischen 15 000 und 20 000 neue Arbeitsplätze sein. Das ist die richtige Antwort auf die Politik. So lohnt sich Sparsamkeit, so lohnt sich Konsolidierung sehr schnell über Zinssenkungen.
Ganz abgesehen davon schlägt ein Rückgang von rund 2,5 % bei den Hypothekenzinsen für einen Häuslebauer mit einer Hypothek von 200 000 DM mit einer monatlichen Ersparnis von über 400 DM zu Buche.
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15066 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993
Bundesminister Dr. Theodor WaigelMeine Damen und Herren, wir haben uns über Steuererhöhungen unterhalten. Sie dürfen doch nicht glauben, daß, wenn wir in diesem oder im nächsten Jahr den Solidaritätszuschlag wieder eingeführt hätten bzw. einführen würden, das nicht ohne Auswirkung auf die Konjunktur gewesen wäre.
Das ist doch kein statisches Beispiel. Daß wir im letzten Jahr den Solidaritätszuschlag haben auslaufen lassen, war vielmehr eine entscheidende Stimulierung der Nachfrage. Damit haben wir verhindert, daß die Konjunktur weiter in den Keller gegangen ist. Ich bin zuversichtlich, daß wir ab 1995 eine Konjunktur haben, bei der wir den Solidaritätszuschlag wieder vertragen können. Einfach wird es nicht sein. Er wird sich natürlich nicht positiv auf die Konjunktur auswirken; aber wir haben keine Alternative. Darum stehen wir dazu, weil wir nicht eine Politik nur der Steuersenkung unter Inkaufnahme eines zu großen Budgetdefizits machen.Meine Damen und Herren, es stimmt auch nicht und wird durch Wiederholung nicht wahrer, daß die Leistungsfähigeren hier nicht mit einbezogen würden. Sie werden ganz kräftig mit einbezogen. Nicht nur, daß sie 60 % des deutschen Steueraufkommens leisten, allein 40 % des gesamten Steueraufkommens in Deutschland entfallen auf die progressive Lohn- und Einkommensteuer. Sie sind an der Aufbringung der Mehrwertsteuer und der Verbrauchsteuern mindestens proportional beteiligt. Wenn z. B. im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit 20 Milliarden DM aus Steuergeldern über die Defizitdeckung mit einbezogen werden, wird man wirklich nicht behaupten können, daß die Besserverdienenden nicht ihren Beitrag zur deutschen Einheit erbrächten.
Es hätte mich gereizt, noch etwas zum EhegattenSplitting zu sagen. Das, was Sie gestern gesagt haben, war falsch.
Das ist eine alte Diskussion; nicht nur bei Ihnen, sondern auch bei uns wurde das diskutiert. Sie wissen doch sehr wohl, daß Geschäftsleute bei einer getrennten Veranlagung jederzeit in der Lage sind, das Ganze durch entsprechende Verteilung anders zu gestalten, und daß das letztlich nur zum Nachteil der Familien geht, in denen die Frau Kinder erzieht und selber nicht erwerbstätig sein kann. Genau dieses verfassungsfeindliche Ergebnis würden wir damit erzielen. Diese Wirkung wäre völlig falsch.Meine Damen und Herren, Steuerschlupflöcher werden geschlossen. Bereits 1990 sind 61 Steuervergünstigungen und steuerliche Sonderregelungen abgebaut worden. 1991 und 1992 wurde eine große Zahl weiterer Besteuerungslücken geschlossen. Auf fast 40 Milliarden DM beläuft sich die Summe des Abbaus im Steuersubventionsbereich. Das kann sich weiß Gott sehen lassen, und wir werden das noch ganz entscheidend fortsetzen.Wir Wirtschafts- und Finanzminister werden uns in den nächsten Wochen bei der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds treffen. Wir sind uns über alle Seiten hinweg — ob Christdemokraten, ob Freie Demokraten oder ob Sozialdemokraten — darüber einig: Wir brauchen strukturelle Verbesserungen gerade im Arbeitsmarkt. Wir brauchen mehr Privatisierung, mehr Offenheit und flexiblere Arbeitszeiten, um die Arbeitslosigkeit beseitigen zu können, weil das allein über die Konjunktur nicht geht.Ich glaube nicht, daß uns die Arbeit ausgeht. Beim Aufbau Ostdeutschlands, beim Umweltschutz und bei der Fürsorge und der Pflege unserer Mitmenschen gibt es noch sehr, sehr viel zu tun.Ich glaube, dem deutschen Volk und den Bürgern ist trotz mancher Einschränkung eines zuzumuten: Wenn wir uns vorübergehend mit dem Wohlstandsniveau des Jahres 1989 zufriedengeben, dann schaffen wir die Bewältigung der Probleme. Das ist kein zu großes Opfer, das wir an uns selbst und an alle Deutschen richten.
Wenn wir zu diesem zumutbaren Verzicht bereit sind, dann ist die Finanzierung der deutschen Wiedervereinigung dauerhaft gesichert, die Begrenzung der Staatsverschuldung eingeleitet, und dann sind wir auch bei Wachstum und Beschäftigung auf einem guten Weg.Ich danke Ihnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die erste Runde ist zwar nicht zu Ende, aber der Kollege Dietmar Keller ist einverstanden, daß wir der Frau Kollegin Matthäus-Maier jetzt die Möglichkeit zu einer Zwischenintervention nach § 27 unserer Geschäftsordnung geben.
Bitte, Frau Kollegin.
Herr Kollege Waigel, für die Entwicklung des Jäger 90 geben wir bisher ungefähr 7 Milliarden DM aus. Es ist klar, daß es im nächsten Jahr um die Entscheidung geht, ob wir in die Produktionsphase eintreten. Ich bleibe dabei, daß wir uns nicht die milliardenschweren Blöcke an den Hals hängen können, um in die Produktion des Jäger 90 einzutreten, für den Sie nach wie vor eintreten.Zweitens. Sie sprechen von Lügenmärchen im Zusammenhang mit meinem Satz: Sie haben in Ihrer Zeit als Finanzminister mehr Schulden gemacht als alle Vorgänger vor Ihnen. Wenn Sie die Nebenhaushalte und Sondertöpfe hinzuzählen, insbesondere die Treuhandanstalt, dann ist das zutreffend, und das wissen Sie auch.
Nur weil Sie das fein säuberlich trennen, kommen Sie zu einem anderen Ergebnis. Aber daß die Schul-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1993 15067
Ingrid Matthäus-Maierden der Treuhandanstalt Bundesschulden sind, das weiß doch jeder in diesem Saal.
Drittens. Sie sagen, ich würde im Zusammenhang mit dem Splitting die Unwahrheit sagen. Ich wiederhole einfach den Satz aus meiner Rede wörtlich:Daß ein Ehepaar mit Spitzeneinkommen, auch wenn es keine Kinder hat, durch die bloße Eheschließung 22 842 DM Entlastung im Jahr erhält — Jahr für Jahr immer wieder —, daß aber Eltern mit einem Kind und niedrigem Einkommen 14 Jahre lang brauchen, um über Kindergeld und steuerlichen Kinderfreibetrag an die Summe von 22 842 DM heranzukommen, das kann doch niemand rechtfertigen.Dies ist in der Sache richtig. Wenn Sie das politisch wollen, dann sagen Sie das dem deutschen Volk. Wir wollen das nicht. Wir wollen endlich, daß das Kindergeld auf 250 DM angehoben wird und daß man nicht über die bloße Heirat, auch wenn man keine Kinder hat, solche Steuervorteile hat.
Vierter und letzter Punkt: Ich habe in meiner Rede auch wörtlich gesagt: Wie Sie Ihre Zahlen auch drehen und wenden, Herr Waigel, der ganz normale, gesunde Menschenverstand sagt einem doch: Ein Kürzungspaket, zu dem jemand wie der Bundeskanzler, der Finanzminister oder auch ich selbst mit meinem Einkommen nicht eine einzige Mark beisteuern muß, das aber Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Familien mit Kindern zur Kasse bittet, kann doch nicht sozial gerecht sein.Hierzu hat Herr Schäuble sich erdreistet zu sagen, das seien Gemeinheiten. Das ist nicht mein Vokabular, mit Gemeinheiten zu arbeiten.Wenn wir aber dieses Wort in den Mund nehmen, dann sage ich Ihnen: Nicht das, was ich hier an Wahrheit sage, ist die Gemeinheit, sondern das, was Sie den kleinen Leuten zufügen. Deswegen sind Sie getroffen.
Ich erteile jetzt das Wort dem Kollegen Dr. Dietmar Keller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesfinanzminister hat am Dienstag den von ihm vorgelegten Entwurf für den Haushalt 1994 als Dokument der klaren Aussage und der Kontinuität bezeichnet.Wo er recht hat, hat er recht: Es ist eine klare Aussage, daß er die Axt an soziale Werte dieser Bundesrepublik Deutschland anlegt und daß das seit vielen Jahren Kontinuität ist. Er rechnet die wirtschaftliche Entwicklung herunter und redet das Haushaltsdefizit schön.Kontinuität ist auch das Markenzeichen des Szenarios, das uns alljährlich im Umfeld und während der Haushaltsdebatten geboten wird. Der Bundesfinanzminister betont, er habe alles im Griff, die Konjunktur erhole sich; es bedürfe nur noch eines letzten Konsolidierungsschrittes, um die Wende zum Besseren zuerreichen. Heraus kamen bisher zahlreiche Nachtragshaushalte, die vor allem die Neuverschuldung in die Höhe jagten, sowie Begleitgesetze, die „Konsolidierung" bestenfalls als Überschrift enthielten.Natürlich spielten in dieser Woche auch die sogenannten Erblasten wieder eine Rolle. Ich halte dieses Wort inzwischen für einen ideologischen Kampfbegriff, der von den wirklichen Ursachen und Problemen ablenken soll. Denn so wie diese Bundesregierung vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten stets von Erblasten gesprochen hat, die sie von der sozialliberalen Koalition übernommen habe und deren Beseitigung das Wachstum der Neuverschuldung erklären sollte, so wird seit 1990 von den sogenannten Erblasten des Sozialismus gesprochen.Die Schulden des Staatshaushaltes der DDR — hören Sie zu und merken Sie sich die Zahlen! —, die Teil des Kreditabwicklungsfonds geworden sind, betrugen am 3. Oktober 1990 rund 28 Milliarden DM. —Diese Zahl ist in der Ausschußdrucksache 26 des Unterausschusses Treuhand zu finden. — Gegenüber dem Ausland war die DDR mit netto 20,3 Milliarden DM verschuldet. — Diese Zahl ist dem Monatsbericht der Deutschen Bundesbank von Juli 1990 entnommen. — Addiert man noch die Verbindlichkeiten des Staatshaushalts aus Wohnungsbaukrediten in Höhe von 38 Milliarden DM hinzu, dann betrugen die öffentlichen Schulden der DDR am Tag der Vereinigung mit der Bundesrepublik 86,3 Milliarden DM. In Ostdeutschland entsprach die aus den DDR-Schulden resultierende Pro-Kopf-Verschuldung nur etwas mehr als einem Drittel der westdeutschen Pro-Kopf-Verschuldung.Meine Damen und Herren, der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes bekämpft die erheblichen Einnahmeausfälle durch Steuerhinterziehung und Mißbrauch von Steuervergünstigungen nicht, die nach einer Schätzung der Deutschen Steuergewerkschaft 130 Milliarden DM betragen sollen. Insbesondere im gewerblichen Bereich werden — so das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung — in erheblichem Umfang Einkünfte gegenüber dem Finanzamt unterschlagen. Eine Verbesserung der steuerlichen Erfassungsquote um nur ein einziges Prozent brächte — so ebenfalls das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung — zusätzliche Einnahmen in Höhe von 2,5 Milliarden DM.Da jedoch jährlich 2 500 Beschäftigte aus der Finanzverwaltung in die Privatwirtschaft wechseln — zwischen 1987 und 1991 waren es insgesamt 8 290 —, ist noch nicht einmal eine ordentliche Betriebsprüfung der Großunternehmen möglich. Wenn ich dann in einem internen Konzept der Organisationsreferenten der Länder lese, bei der Bearbeitung der Steuerfälle müsse „der für die Arbeitserledigung insgesamt zur Verfügung stehende Zeitrahmen eingehalten werden", und wenn von „überschlägig" zu bearbeitenden Steuerfällen die Rede ist, dann hat das mit effektiver Bekämpfung der Steuerhinterziehung nichts zu tun.Vor allem durch massive Sozialkürzungen will die Bundesregierung 1994 im Bundeshaushalt 21,2 Milliarden DM einsparen. Nur eine Summe von 400 Mil-
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Dr. Dietmar Kellerlionen DM ist über die Zustimmung des Bundesrates zum zweiten Teil des Sparpakets überhaupt von den Ländern zu beeinflussen. Ich frage mich: Warum geben wir uns soviel Mühe, wenn die demokratischen Möglichkeiten des Bundesrates so eingeschränkt sind?Die Einnahmeverbesserungen des Bundes aus dem Abbau von Subventionen und Steuermißbrauchsmöglichkeiten in Höhe von 1,4 Milliarden DM, denen der Bundesrat zustimmen muß, bestehen jedoch zu einem großen Teil aus Luftbuchungen. Zwei Beispiele: Die Bundesregierung will an der Grenze zu Polen gewaltig aufräumen und den Zigarettenschmuggel bekämpfen. „Feind erkannt, Gefahr gebannt„, heißt es anscheinend. Das würde 500 Millionen DM bringen. Die Vereinheitlichung der Zinsbesteuerung in der EG und der OECD soll weitere 300 Millionen DM für den Bund erbringen.Ich wäre dem Bundesfinanzminister dankbar, wenn er dem Bundestag einmal erklären könnte, woher angesichts der bekannten Haltung z. B. Luxemburgs und völlig fehlender Kontrollmöglichkeiten bundesdeutscher Finanzämter diese Mehreinnahmen kommen sollen.800 Millionen DM, also etwas mehr als die Hälfte der erwarteten zusätzlichen Steuereinnahmen des Bundes, sind reine Wunschphantasien des Finanzministers. Hier wird einfach nur schöngeredet.Ein Abbau von sozial ungerechtfertigten Steuervergünstigungen findet nicht statt. Wo Steuervergünstigungen abgeschafft werden, da soll dies nach dem Willen der Bundesregierung ebenfalls auf Kosten der geringverdienenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geschehen.Ein Beispiel: Die geplante Abschaffung der Arbeitnehmersparzulage im Geltungsbereich der alten Länder wird rund 10 Millionen Menschen treffen, und zwar Ledige mit einem Jahreseinkommen bis 27 000 DM bzw. Verheiratete mit einem Jahreseinkommen bis 54 000 DM. Während untere Einkommensschichten nicht mehr in den Genuß der staatlichen Förderung des Bausparens kommen, wird der auf drei Jahre begrenzte Schuldzinsenabzug für Eigenheimbauer von jährlich bis zu 12 000 DM, den nur Spitzenverdiener voll in Anspruch nehmen können, bis Ende 1995 verlängert. Die Streichung der Arbeitnehmersparzulage bedeutet für den Bund Minderausgaben in Höhe von 340 Millionen DM, während ihn der verlängerte Schuldzinsenabzug jährlich 350 Millionen DM kostet. So sieht die Politik für gutbetuchte Minderheiten in nackten Zahlen aus.Mit dem Haushalt 1994 und den ihn begleitenden Gesetzen, meine Damen und Herren, legt die Bundesregierung die Axt an den Sozialstaat. Allein durch ihre Existenz hatte die DDR mehr zum Ausbau der bundesdeutschen sozialen Sicherungssysteme beigetragen als sämtliche Arbeitskämpfe in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Konrad Adenauer war sich im übrigen dessen voll bewußt. Er hat in seiner Rede vor dem Bundestag am 9. Oktober 1962 gesagt — und ich zitiere ihn —:Es sind inzwischen Stimmen laut geworden,meine Damen und Herren, es seien auf sozialemGebiet zu große Anstrengungen gemacht worden. Nun, ich bin der Auffassung, daß es bei der Lage, in der das deutsche Volk sich damals befand, bei der es bedrohenden Gefahr des Kommunismus, besser war, zuviel als zuwenig zu tun.Der alte Herr war wirklich ehrlich. Möge auch bei seinen Erben die Ehrlichkeit zur Politik gehören!
Vizepräsident Helmuth Becker Meine Damen und Herren, als letzter Redner in dieser Debatte hat nunmehr unser Kollege Johannes Nitsch das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt weiß ich, warum ich an das Ende dieser Debatte gesetzt wurde; denn das, was Herr Keller gesagt hat, kann einfach nicht so stehenbleiben.Herr Keller, es ist doch unwichtig, ob das „Erblast" oder „Aufbaulast" oder „Anpassungslast" genannt wird. Wie Sie es auch immer nennen wollen, es ist ein riesiger Aufwand erforderlich,
um die völlig abgewirtschaftete Infrastruktur unseres Landes wieder in Schuß zu bringen.
Und Sie wissen genau, daß unser gesamter Kapitalstock völlig heruntergewirtschaftet war und einfach nichts mehr da ist, worauf wir aufbauen könnten. Deshalb halte ich das, was hier unter der Überschrift „Erblast" gesagt wurde, für völlig korrekt, Herr Finanzminister.Ich wollte eigentlich auch noch auf das eingehen, was Herr Klose gestern zu dem Umtausch gesagt hat. Ich fand das schon schlimm. Es ging da ja nicht nur um die Renten und um die Löhne, sondern es ging auch um die Ersparnisse unserer Menschen. Im Schnitt hatten die Menschen in der DDR ca. 10 000 Mark gespart. Da gab es aber genauso eine Verteilung wie hier: Es gab wenige, die viel mehr hatten, und viele, die viel weniger hatten. Von diesen wenigen Ersparnissen wurden je nach Alter 2 000, 4 000 bzw. 6 000 Mark im Verhältnis 1:1 umgetauscht. Damit sind wir in das Wirtschafts- und Sozialsystem der Bundesrepublik eingestiegen.
Und nun sagen Sie, daß das ein völlig falsches Umtauschverhältnis gewesen sei, ganz abgesehen davon, daß dieses Geld dann sofort in die westdeutsche Wirtschaft zurückgeflossen ist und hier den Boom, z. B. in der Automobilindustrie, eingeleitet hat. Das zunächst zu dem, was Herr Keller gesagt hat.Ich möchte auch auf Herrn Weng zurückkommen. Er sagte, er habe vielleicht das letzte Mal im Wasserwerk gesprochen. Dann darf ich für mich sagen, daß ich überhaupt der letzte Redner bin, der in diesem Provisorium sprechen darf. Wer hätte das gedacht, als das Wasserwerk seinerzeit als provisorisches Parla-
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Johannes Nitschmentsgebäude in Betrieb genommen wurde! Ich habe es nicht für möglich gehalten. Ich finde es eigentlich phantastisch.Ich hoffe, Herr Präsident, daß Sie mir nicht die Zeit, die ich für die Antwort an Herrn Keller und für diese Bemerkung gebraucht habe, anrechnen. Wir haben den Zeitplan heute sowieso schon erheblich überschritten. Aber das ist natürlich Ihre Entscheidung.
Darf ich Sie auf folgendes aufmerksam machen: Erstens: Natürlich kann ich Ihre Redezeit deswegen nicht verlängern. Zweitens muß ich jetzt fragen, ob Sie eine Zusatzfrage des Kollegen Weng zulassen. Das wird natürlich auf die Redezeit nicht angerechnet.
Gern, Herr Kollege Weng.
Herr Kollege Nitsch, sind Sie mit mir der Auffassung, daß es ein gutes Symbol ist, daß der letzte Redner im Provisorium Wasserwerk ein Kollege aus den neuen Bundesländern ist?
Ich finde es einfach herrlich, und ich danke Ihnen, daß Sie diese Frage stellen. Ich glaube, es ist ein gutes Symbol. Vielleicht gelingt es mir auch mit dem, was ich zu sagen habe — ich kann natürlich nicht so brilliant sprechen, Herr Weng, wie Sie —, etwas von dem rüberzubringen, was die Menschen bei uns bewegt und was in diesen drei Jahren zustande gekommen ist.Ich darf zum viertenmal in einer Haushaltsdebatte sprechen. Lassen Sie mich hier nun folgendes sagen: Ich möchte zunächst meiner Hoffnung Ausdruck geben, daß außer dieser Flut von Zahlen, die in dieser Woche über uns ergangen ist und über die Medien verbreitet wurde, auch die Notwendigkeit des Verzichts deutlich gemacht werden konnte. Ich glaube, man kann sagen, daß die überwiegende Mehrheit dieser Meinung ist.Es ist ein Haushalt, der mit ca. 119 Milliarden DM Transferleistungen für die neuen Bundesländer ausgestattet ist — eine gewaltige Leistung mit entsprechenden Auswirkungen auf die Verschuldung und auf die Staatsquote der Bundesrepublik Deutschland. Es geht aber nicht anders! Die Infrastruktur in den neuen Ländern muß aufgebaut, die soziale Absicherung der Menschen während des Strukturwandels der Wirtschaft geleistet werden.Es ist unser gemeinsames Erbe, das wir jetzt mit viel Anstrengung in Ordnung bringen. Dabei sind die Anforderungen an die Menschen bei uns viel, viel größer. Sie wissen, wir haben uns diesen Weg nicht ausgesucht, den wir 40 Jahre lang gehen mußten, ohne übrigens den glücklichen Ausgang zu kennen.Der Bundeskanzler hat dem Aufbau im Osten Vorrang eingeräumt. Er hat wie kein anderer erkannt, daß Solidarität, Gerechtigkeit und wirtschaftliche Vernunft dies erfordern. Um dieses Ziel zu erreichen, bleibt noch viel zu tun. Doch an der Elbe — ich komme aus Dresden — ist viel weniger von einer Krise zu hören als etwa hier am Rhein.Dabei soll nicht vergessen werden, daß die neuen Bundesländer noch auf längere Zeit auf die Transferleistungen des Bundes und der westlichen Bundesländer angewiesen sein werden. Doch diese Transfers wirken wie ein Konjunkturprogramm, von dem auch die Wirtschaft in den alten Ländern belebt wurde und weiterhin belebt werden wird. Dem Finanzminister ist hier zuzustimmen, wenn er sagt: Mehr Schulden in einem vereinten Deutschland sind mir lieber als weniger in einem geteilten Deutschland.
— Das wäre natürlich noch besser.Unterstreichen möchte ich auch die Feststellung, Herr Bundesminister, daß die Investitionen in die neuen Länder eine phantastische Abschlagszahlung für die industrielle und auch für die soziale Zukunft des gesamten Deutschland sind.Zu uns: Die größte Sorge bei uns ist die Sorge um den Erhalt der noch bestehenden bzw. um die Beschaffung neuer Arbeitsplätze. Die Arbeitslosigkeit ist dramatisch gestiegen. In den neuen Ländern ist sie die unmittelbare Folge des Zusammenbruchs des sozialistischen Wirtschaftssystems und des damit zusammenhängenden Kollaps des Osthandels.Arbeitslosigkeit ist für die Menschen bei uns eine völlig neue und sehr schmerzliche Erfahrung. Aber die Schaffung dauerhafter Arbeitsplätze kann und darf in unserer Wirtschaftsordnung nicht die Aufgabe des Staates sein. Er hat verläßliche Rahmenbedingungen für private Investitionen zu schaffen. Die wichtigste Aufgabe dabei ist es für die neuen Länder, alles zu tun, damit möglichst viele Menschen Unternehmer werden und Unternehmer bleiben können. Deshalb sind Eigenkapitalhilfe und Bürgschaften für Kredite ganz vordringlich.Besondere Beachtung verdienen in diesem Haushalt die Ansätze im Einzelplan des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Eine Steigerung um 32 % in einem Sparhaushalt setzt ganz klare Akzente.„Der Wohnungsbau ist zum Hoffnungsträger der Konjunktur geworden", schrieb gestern eine große Zeitung. Das ist wohl wahr. Besonders hervorheben möchte ich den hohen Anteil von Mitteln für die Städtebauförderung von fast 1 Milliarde DM für die neuen Länder und nur 80 Millionen DM für die alten Länder — das ist die richtige Relation und auch die 3,5 Milliarden DM für den sozialen Wohnungsbau. Der Bedarf für die Sanierung und den Neubau von Wohnungen in den neuen Ländern liegt in der Größenordnung dreistelliger Milliardenbeträge. Wer längere Zeit nicht in Dresden war, findet sich kaum zurecht. Überall stehen bereits neue Gebäude oder sind Baustellen.Die komplizierte Altschuldenfrage war bis zu ihrer Lösung in den Solidarpaktverhandlungen das entscheidende Hindernis für den Aufschwung im Wohnungsbau. Die Schätzung des Bundeswohnungsbauministeriums, daß damit ein jährliches Investitionsvolumen von bis zu 30 Milliarden DM in Gang gesetzt werden kann, ist offenbar richtig.
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Johannes NitschLeider müssen wir auch im Sozialbereich sparen. Mit 168 Milliarden DM ist dies der größte Posten im Haushalt und kann deshalb nicht außer Betracht gelassen werden. Die Kürzungen im Bereich Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe müssen jedoch berücksichtigen, daß diese Leistungen in den neuen Bundesländern durchschnittlich 400 bis 500 DM unter dem Durchschnitt der alten Länder liegen und ca. 70 % betragen, während die Lebenshaltungskosten 90 % bereits überschritten haben.Die Gruppe der Ostabgeordneten wird in den Haushaltsberatungen auf Berücksichtigung dieses Ungleichgewichts bestehen.
— Sie haben das nicht speziell für die neuen Länder gesagt.
Ist das erlaubt, Herr Präsident?
Zwischenrufe sind erlaubt.
Nun hätte ich noch einiges zum Bereich Forschung und Technologie zu sagen.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist längst überschritten. Sie können nicht mehr sagen, Sie können nur noch einen Schlußsatz anfügen.
Das tut mir aber herzlich leid. Zur Forschung gibt es doch noch einiges zu sagen, vor allem zur Industrieforschung. Dann sollte ich noch etwas zum Absatz unserer Produkte und zur Wertschöpfungspräferenz sagen,
die wir brauchen. Dann habe ich noch einen Brief, den ich am Montag bekommen habe, der eigentlich sehr deutlich macht, wie die Transferleistungen in die Breite und in die Tiefe in unserem Land gewirkt haben.
Aber wenn Sie mir dies alles nicht gestatten, dann mein Schlußsatz: Ich glaube, meine Damen und Herren, dieser Haushaltsansatz wird unserer Wirklichkeit gerecht. Die Ecken und Kanten müssen in den nächsten Wochen noch abgefeilt werden, und dann werden wir in Ruhe und Beharrlichkeit die vor uns stehenden Aufgaben bewältigen.
Vielen Dank.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte folgendes mitteilen: Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 12/5500, 12/5501, 12/5502, 12/5510 und 12/5630 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Der Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms soll zusätzlich dem Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist offenbar nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt eine Reihe von Zufällen im Leben. Am 24. November 1992 hatte ich nach den technischen Schwierigkeiten im neuen Plenarsaal die Aufgabe, die Sitzung hier fortzuführen. Ich habe damals gesagt:
Deswegen haben wir uns nun entschlossen, um den Technikern und Ingenieuren Zeit zu geben, die Anlage in einen Zustand zu versetzen, der uns künftig so etwas, was wir heute erlebt haben, erspart, vorläufig hier zu tagen.
Wir haben ziemlich lange hier getagt.
In der Sondersitzung des Deutschen Bundestages habe ich zum Schluß der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß wir uns unmittelbar nach der parlamentarischen Sommerpause im neuen Plenarsaal wiedersehen. Nun ist es soweit. Nach allen vorgenommenen Arbeiten können wir umziehen. Nach menschlichem Ermessen müßte alles funktionieren.
Meine Damen und Herren, deswegen berufe ich die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 22. September 1993, 13 Uhr in den neuen Plenarsaal ein.
Die Sitzung ist geschlossen.