Protokoll:
11030

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 11

  • date_rangeSitzungsnummer: 30

  • date_rangeDatum: 8. Oktober 1987

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:45 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/30 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 30. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1987 Inhalt: Würdigung der Proklamation des GermanAmerican-Day durch Präsident Reagan 1929 A Erweiterung der Tagesordnung 1929 D Nachträgliche Überweisung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN — Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz (Drucksache 11/757) — an den Auswärtigen Ausschuß und den Verteidigungsausschuß 1930 C Begrüßung des Präsidenten des argentinischen Abgeordnetenhauses, Herrn Dr. Juan Carlos Pugliese, und seiner Delegation . 1957 C Tagesordnungspunkt 2: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hauchler, Dr. Wieczorek, Frau Matthäus-Maier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Schuldenkrise der Dritten Welt (Drucksache 11/826) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 1: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Bundesdeutsche Beiträge zu Lösungsansätzen für die internationale Verschuldungskrise (Drucksache 11/893) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Pinger, Wissmann, Dr. Stercken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Überwindung der Verschuldungskrise der Entwicklungsländer (Drucksache 11/905) Dr. Hauchler SPD 1931 A Feilcke CDU/CSU 1934 B Volmer GRÜNE 1935 C Dr. Solms FDP 1938B Klein, Bundesminister BMZ 1940 B Dr. Wieczorek SPD 1943 A Höffkes CDU/CSU 1947 A Frau Folz-Steinacker FDP 1948 B Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär BMWi 1949A Dr. Faltlhauser CDU/CSU 1950 C Tagesordnungspunkt 3: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Rust, Frau Olms, Volmer und der Fraktion DIE GRÜNEN: Abschaffung der Sicherheitsüberprüfung für politisch Verfolgte aus Chile (Drucksache 11/659) b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Hilfe für bedrohte Chilenen (Drucksache 11/817 [neu]) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Rust, Frau Olms, Volmer und der Fraktion DIE GRÜNEN: Sanktionen gegen die Militärdiktatur in Chile (Drucksache 11/894) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerster (Mainz), Frau Geiger, Dr. Miltner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Beitrag der Bundesrepublik Deutschland für die Verwirklichung der Menschen- II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1987 rechte in der Völkergemeinschaft (Drucksache 11/900) Volmer GRÜNE 1952D, 1966A Gerster (Mainz) CDU/CSU 1954 C Duve SPD 1957D Dr. Hirsch FDP 1962 B Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI . 1964 B Fellner CDU/CSU 1966D Graf SPD 1968 D Irmer FDP 1970 B Dr. Blüm CDU/CSU 1971D Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 1973 B Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister AA 1975B Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 1976A Kleinert (Marburg) GRÜNE (zur GO) . . 1977 C Seiters CDU/CSU (zur GO) 1978 C Jahn (Marburg) SPD (zur GO) 1978D Wolfgramm (Göttingen) FDP (zur GO) . 1979A Namentliche Abstimmungen 1979C,D Ergebnisse 1997 D, 1999 A Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau steuerlicher Härten für die Landwirtschaft (Drucksache 11/676) 1980 A Tagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 2. Oktober 1986 zum Abkommen vom 7. Januar 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über Soziale Sicherheit und zu der Zusatzvereinbarung vom 2. Oktober 1986 zur Vereinbarung vom 21. Juni 1978 zur Durchführung des Abkommens (Drucksache 11/588) . . 1980A Tagesordnungspunkt 6: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente und zum Schutz der Solidargemeinschaft vor Leistungsmißbrauch (Achtes Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes) (Drucksache 11/890) . . . 1980B Tagesordnungspunkt 9: Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zu den Verwaltungsproblemen im Weinwirtschaftsjahr 1983/84, zur Herstellung von Kunstwein, einschließlich methanolhaltigem Wein, und zu den Folgen einer Marktentnahme von Kunstwein für den EAGFL — Abteilung Garantie (Drucksache 11/596) 1980B Zusatztagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Einfügung eines Artikels 20a) (Drucksache 11/885) . . . . 1980 B Tagesordnungspunkt 7: Beratung der Übersicht 3 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht (Drucksache 11/557) . 1980 C Tagesordnungspunkt 8: Beratung der Sammelübersichten 16 bis 22 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen (Drucksachen 11/770, 11/771, 11/772, 11/773, 11/774, 11/808, 11/809) . . 1980C Tagesordnungspunkt 10: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN: Erneute Überweisung von Vorlagen (Unterrichtungen) aus früheren Wahlperioden (Drucksache 11/883) 1981 A Tagesordnungspunkt 11: Beratung der Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung: Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages (Drucksachen 11/846, 11/847, 11/848, 11/849, 11/850) 1981A Tagesordnungspunkt 12: Beratung der Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz: Neunter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes (Drucksache 10/6816) Dr. Blens CDU/CSU 2000 D Wartenberg (Berlin) SPD 2003 A Dr. Hirsch FDP 2007 A Wüppesahl GRÜNE 2008 D Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI 2010A Tagesordnungspunkt 13: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Daniels (Regensburg), Weiss (München), Frau Rust, Frau Wollny und der Fraktion DIE GRÜNEN: Baustopp für die Wiederaufarbeitungsanlage bei Wackersdorf (Drucksache 11/260) Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE . . . . 2011 B Fellner CDU/CSU 2013 A Stiegler SPD 2015 A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1987 III Dr.-Ing. Laermann FDP 2017 A Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 2019B Tagesordnungspunkt 14: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Wollny und der Fraktion DIE GRÜNEN: Vorschlag einer Verordnung (Euratom) des Rates zur Festlegung von Höchstgrenzen der Radioaktivität in Nahrungsmitteln, Futtermitteln und Trinkwasser im Falle anomaler Radioaktivitätswerte oder eines nuklearen Unfalls (Drucksache 11/768) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beratung des Antrags der Abgeordneten Schäfer (Offenburg), Dr. Hauff, Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Vorschlag einer Verordnung (Euratom) des Rates zur Festlegung von Höchstgrenzen der Radioaktivität in Nahrungsmitteln, Futtermitteln und Trinkwasser im Falle anormaler Radioaktivitätswerte oder eines nuklearen Unfalls (Drucksache 11/906) Frau Wollny GRÜNE 2022 A Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 2023 B Reuter SPD 2025 A Dr. Friedrich CDU/CSU 2026 B Frau Dr. Segall FDP 2028 A Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften (Drucksache 11/638) Sauter (Ichenhausen) CDU/CSU 2029 C Singer SPD 2031A Eimer (Fürth) FDP 2032 B Häfner GRÜNE 2034 D Sauer (Stuttgart) CDU/CSU 2036 B Schmidt (Salzgitter) SPD 2038A Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär BMJ . . . 2040A Tagesordnungspunkt 16: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN Errichtung einer Gedenkstätte für alle vom NS-Regime verfolgten und ermordeten Menschen auf dem Synagogenplatz in Bonn (Drucksache 11/825) Frau Dr. Vollmer GRÜNE 2041 A Dr. Daniels (Bonn) CDU/CSU 2042 B Conradi SPD 2043 D Beckmann FDP 2045 D Dr. Knabe GRÜNE (zur GO) 2047 B Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur finanziellen Sicherung der Künstlersozialversicherung (Drucksache 11/862) Höpfinger, Parl. Staatssekretär BMA . . 2048 B Lutz SPD 2049A Dr. Becker (Frankfurt) CDU/CSU . . . 2049D Frau Dr. Vollmer GRÜNE 2050 C Heinrich FDP 2051 B Zusatztagesordnungspunkt 7: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zu den Menschenrechtsverletzungen in Tibet Frau Kelly GRÜNE 2052 C Repnik CDU/CSU 2053 C Duve SPD 2054 B Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 2055 A Schäfer, Staatsminister AA 2055 D Frau Eid GRÜNE 2057 B Höffkes CDU/CSU 2057 D Bindig SPD 2058 C Dr. Stavenhagen, Staatsminister BK . . 2059 B Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU . . . 2060B Schütz SPD 2060 D Dr. Abelein CDU/CSU 2061 D Dr. Hitschler FDP 2062 C Bernrath SPD 2062 D Dr. Pohlmeier CDU/CSU 2063 B Tagesordnungspunkt 1: Fragestunde — Drucksache 11/880 vom 2. Oktober 1987 — Haltung von Bundesministerin Dr. Süssmuth zur Frage „Frauen in der Bundeswehr" MdlAnfr 24, 25 02.10.87 Drs 11/880 Frau Dr. Niehuis SPD Antw PStSekr Pfeifer BMJFFG . 1981 C, 1981 D ZusFr Frau Niehuis SPD . . . . 1981 C, 1982 A ZusFr Frau Steinhauer SPD 1982 C ZusFr Frau Bulmahn SPD 1982D ZusFr Urbaniak SPD 1983 A ZusFr Müller (Pleisweiler) SPD 1983 B Schutz der Verbraucher vor italienischem widerrechtlich hergestellten Federweißen MdlAnfr 26, 27 02.10.87 Drs 11/880 Heinrich FDP Antw PStSekr Pfeifer BMJFFG . 1983 B, 1983 C ZusFr Heinrich FDP 1983 C ZusFr Eigen CDU/CSU 1984 A IV Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1987 Einschränkung des Rauchens in öffentlichen Räumen MdlAnfr 32 02.10.87 Drs 11/880 Dr. Abelein CDU/CSU Antw PStSekr Pfeifer BMJFFG 1984 B ZusFr Dr. Abelein CDU/CSU 1984 C ZusFr Gilges SPD 1984 D Verkauf ausländischer Konserven durch deutsche Firmen ohne entsprechende Deklaration MdlAnfr 33 02.10.87 Drs 11/880 Eigen CDU/CSU Antw PStSekr Pfeifer BMJFFG 1984 D ZusFr Eigen CDU/CSU 1985A ZusFr Oostergetelo SPD 1985 C Vorschriftswidriger Betrieb von Lastwagenanhängern mit Einleitungsbremsanlagen MdlAnfr 34, 35 02.10.87 Drs 11/880 Frau Steinhauer SPD Antw PStSekr Dr. Schulte BMV . 1985D, 1986 C ZusFr Frau Steinhauer SPD . . . 1985D, 1986 C Aussparung Nordrhein-Westfalens beim geplanten Hochgeschwindigkeitsverkehr der Bundesbahn ab 1991 MdlAnfr 36, 37 02.10.87 Drs 11/880 Urbaniak SPD Antw PStSekr Dr. Schulte BMV 1986D, 1987D ZusFr Urbaniak SPD 1987 A, 1987 D ZusFr Oostergetelo SPD 1987 B ZusFr Frau Steinhauer SPD 1987 C Streichung der Kurswagen von Hamburg nach Bad Kissingen ab Sommer 1988 und Ersatzangebot für Kurgäste MdlAnfr 40, 41 02.10.87 Drs 11/880 Weiss (München) GRÜNE Antw PStSekr Dr. Schulte BMV . 1988C, 1989A ZusFr Weiss (München) GRÜNE . 1988C, 1989A Störungen in der Flugabfertigung in Frankfurt am 18. September 1987 MdlAnfr 42 02.10.87 Drs 11/880 Dr. Abelein CDU/CSU Antw PStSekr Dr. Schulte BMV 1989 C ZusFr Dr. Abelein CDU/CSU 1989D ZusFr Oostergetelo SPD 1990 B Zerstörung der Ozonschicht durch Fluorchlorkohlenwasserstoffe MdlAnfr 43, 44 02.10.87 Drs 11/880 Müller (Pleisweiler) SPD Antw BMin Dr. Töpfer BMU . . 1990B, 1990 C ZusFr Müller (Pleisweiler) SPD 1990C, 1990 D ZusFr Dr. Knabe GRÜNE . . . . . . . . 1991 A Ausschluß von Politikern der SPD von der Information über die Entseuchung der radioaktiven Molke im Kernkraftwerk II in Lingen MdlAnfr 45, 46 02.10.87 Drs 11/880 Oostergetelo SPD Antw BMin Dr. Töpfer BMU . . 1991 B, 1992 D ZusFr Oostergetelo SPD . . . . 1991 C, 1993 A ZusFr Gilges SPD 1992 A ZusFr Dr. Knabe GRÜNE 1992 B ZusFr Müller (Pleisweiler) SPD 1992 C ZusFr Graf SPD 1992 C ZusFr Conradi SPD 1993 C Arbeitsplatzbeschaffung im Rahmen des Umweltschutzes MdlAnfr 47, 48 02.10.87 Drs 11/880 Graf SPD Antw BMin Dr. Töpfer BMU . . 1993C, 1993 D ZusFr Graf SPD 1994 A Rechtsgrundlage und Zahl der Fälle einer Auskunftserteilung des Bundesamtes für Verfassungsschutz bei Anfragen aus der Wirtschaft über Bewerber und Aufklärung der Betroffenen MdlAnfr 60, 61 02.10.87 Drs 11/880 Conradi SPD Antw PStSekr Spranger BMI . 1994B, 1995 A ZusFr Conradi SPD 1994C, 1995 B ZusFr Dr. Knabe GRÜNE . . . 1994D, 1995 C ZusFr Wüppesahl GRÜNE 1995 D Teilnahme der durch die Änderung des Bundeswahlgesetzes stimmberechtigten Deutschen im Ausland an der Bundestagswahl; Wahlbeteiligung von in die DDR übergesiedelten Bundesbürgern MdlAnfr 63, 64 02.10.87 Drs 11/880 Klein (Dieburg) SPD Antw PStSekr Spranger BMI . . 1996A, 1996C ZusFr Klein (Dieburg) SPD . . . 1996B, 1996 C ZusFr Verheugen SPD 1996D Anpassung der Sprachenzulage für die Beschäftigten des Auswärtigen Dienstes MdlAnfr 65 02.10.87 Drs 11/880 Verheugen SPD Antw PStSekr Spranger BMI 1997 A ZusFr Verheugen SPD 1997 B Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1987 V Nächste Sitzung 2064 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 2065 *A Anlage 2 Anträge auf Projektförderung an das Bundesministerium für Forschung und Technologie 1985 und 1986 MdlAnfr 2 02.10.87 Drs 11/880 Frau Bulmahn SPD SchrAntw PStSekr Dr. Probst BMFT . . . 2065*C Anlage 3 Fehlerquellen bei der Ermittlung von EG- Milchproduktionszahlen und Auswirkung auf die nationalen Milchquoten MdlAnfr 10 02.10.87 Drs 11/880 Dr. Kunz (Weiden) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. von Geldern BML . 2065 *D Anlage 4 Multilaterale Zusammenrechnung von Versicherungszeiten in der Rentenversicherung MdlAnfr 17, 18 02.10.87 Drs 11/880 Reimann SPD SchrAntw PStSekr Vogt BMA 2066* B Anlage 5 Erlaß einer Verordnung nach § 34 des Arbeitssicherstellungsgesetzes MdlAnfr 19 02.10.87 Drs 11/880 Schreiner SPD SchrAntw PStSekr Vogt BMA 2067* A Anlage 6 Kürzung der Aufwandszuschüsse für Zivildienstleistende bei den freien Wohlfahrtsverbänden MdlAnfr 28, 29 02.10.87 Drs 11/880 Dr. Emmerlich SPD SchrAntw PStSekr Pfeifer BMJFFG . . . 2067*B Anlage 7 Schädigungen von Babys während der Geburt durch ärztliche Kunstfehler MdlAnfr 30, 31 02.10.87 Drs 11/880 Schemken CDU/CSU SchrAntw PStSekr Pfeifer BMJFFG . . . 2067* D Anlage 8 Widmung von Bundesfernstraßen als Bundesstraßen trotz vorliegender Voraussetzungen einer Einstufung als Bundesautobahnen MdlAnfr 38, 39 02.10.87 Drs 11/880 Bindig SPD SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . . . 2068*A Anlage 9 Unterstützung von Informationsblättern in Namibia durch die deutsche Botschaft und das Generalkonsulat in Südafrika MdlAnfr 55 02.10.87 Drs 11/880 Lowack CDU/CSU SchrAntw StMin Schäfer BK 2068' B Anlage 10 Bemühungen des Dalai-Lama um ein Gespräch mit der Bundesregierung und sein Treffen mit Dr. Blüm anläßlich seines Besuches MdlAnfr 56, 57 02.10.87 Drs 11/880 Dr. Penner SPD SchrAntw StMin Schäfer BK 2068* C Anlage 11 Menschenrechtssituation und Unterstützung des Friedensplanes für Tibet MdlAnfr 58, 59 02.10.87 Drs 11/880 Frau Dr. Hamm-Brücher FDP SchrAntw StMin Schäfer BK 2068*D Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1987 1929 30. Sitzung Bonn, den 8. Oktober 1987 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 9. 10. Antretter * 9. 10. Frau Beck-Oberdorf 9. 10. Frau Blunck * 8. 10. Böhm (Melsungen) * 9. 10. Büchner (Speyer) * 8. 10. Bühler (Bruchsal) * 9. 10. Daweke 8. 10. Dr. Dollinger 9. 10. Egert 9. 10. Dr. Ehmke (Bonn) 9. 10. Frau Fischer * * 9. 10. Gerstein 9. 10. Dr. Glotz 9. 10. Dr. Götz 9. 10. Grüner 9. 10. Haar 9. 10. Hauser (Krefeld) 9. 10. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 9. 10. Hiller (Lübeck) 9. 10. Dr. Holtz ** 9. 10. Jansen 9. 10. Dr. Klejdzinski 9. 10. Frau Krieger 9. 10. Lemmrich * 8. 10. Lummer 9. 10. Frau Matthäus-Maier 9. 10. Dr. Müller * 8. 10. Frau Oesterle-Schwerin 8. 10. Frau Pack * 9. 10. Petersen 9. 10. Pfuhl 9. 10. Rawe 9. 10. Reuschenbach 9. 10. Ronneburger 9. 10. Rühe 8. 10. Dr. Scheer * 9. 10. Schmidt (München) * 9. 10. von Schmude 9. 10. Freiherr von Schorlemer ** 9. 10. Schwarz 8. 10. Dr. Soell * 8. 10. Dr. Sperling 9. 10. Steiner * 8. 10. Dr. Stercken ** 9. 10. Stobbe 9. 10. Dr. Stoltenberg 8. 10. Stücklen 9. 10. Tietjen 9. 10. Frau Trenz 9. 10. Uldall 8. 10. Dr. Vondran 9. 10. Dr. Warnke 8. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an der 78. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Probst auf die Frage der Abgeordneten Frau Bulmahn (SPD) (Drucksache 11/880 Frage 2) : Wie viele Anträge auf Projektförderung erhielt das Bundesministerium für Forschung und Technologie (gegliedert nach Förderbereichen) aus den einzelnen Bundesländern in den Jahren 1985 und 1986, und wie vielen dieser Anträge konnte jeweils entsprochen werden? Wie bereits in meiner Antwort auf eine Frage des Abgeordneten Würtz nach regionaler Verteilung der Mittel des Bundesministeriums für Forschung und Technologie (Drucksache 10/4407, S. 33) darf ich auf folgendes hinweisen: Der Einsatz von Datenbanksystemen ermöglicht eine Analyse der Forschungs- und Entwicklungsförderung und -finanzierung durch den Bundesminister für Forschung und Technologie nach verschiedenen Kriterien, u. a. auch nach regionalen Gesichtspunkten. Regionalauszüge sollten jedoch nicht isoliert benutzt werden. Sie sind im Zusammenhang mit den Rahmenbedingungen, unter denen die Förderung bzw. Finanzierung zustande kommen, und anderen Daten der Region zu sehen. Eine regionale Verteilung der Fördermittel ist kein eigenständiges Ziel der FuTPolitik, die an der wissenschaftlich-technischen Qualifikation ausgerichtet ist; regionale Gesichtspunkte können für die Förderungswürdigkeit, insbesondere von FuE-Vorhaben, nur eine untergeordnete Rolle spielen. Zur Beurteilung der gesamten Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland müssen auch die Förderungen der übrigen Bundesressorts und Länder sowie Eigenaufwendungen der Wirtschaft berücksichtigt werden. In der Antragsdatenbank des BMFT sind nur formelle, komplette Anträge erfaßt; Vorgespräche zwischen Antragstellern und Fachreferaten bzw. Projektträgern über beabsichtigte FuE-Vorhaben haben aus verschiedenen Gründen oft zur Folge, daß ein formeller Förderungsantrag nicht mehr gestellt wird. Insoweit sind die ermittelten Zahlen nur mit Einschränkungen benutzbar. Aus der Zusammenstellung der 1985 und 1986 eingereichten Anträge im Rahmen der direkten Projektförderung aus 11 Bundesländern in 19 Förderbereichen sind im Vergleich zu den ausgesprochenen Bewilligungen keine besonderen statistischen Auffälligkeiten zu ersehen. Wegen des Umfangs der Tabellen erlaube ich mir, diese hier nicht vorzulegen, sondern sie Ihnen gesondert zu übersenden. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. von Geldern auf die Frage des Abgeordneten Dr. Kunz (Weiden) (CDU/ CSU) (Drucksache 11/880 Frage 10): 2066* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1987 Wie genau sind die Ermittlungen von Produktionszahlen in den übrigen EG-Ländern, insbesondere bei Milch, und wie groß sind die Fehlerquellen und deren Auswirkungen auf die Einhaltung der nationalen Milchquoten? EG-Vorschriften über die Vorgehensweise bei der Ermittlung von Produktionszahlen für die einzelnen landwirtschaftlichen Erzeugnisse gibt es nicht. Durch EG-Rechtsgrundlagen wird lediglich geregelt, welche Produktionszahlen an die Dienststellen der EG zu übermitteln sind. Informationen über die Größe der Fehlerquellen bei den Produktionszahlen liegen nicht vor. Die Ermittlung, inwieweit die nationalen Garantiemengen für Milch eingehalten werden, basiert nicht auf Produktionszahlen, sondern in erster Linie auf der Anlieferung von Kuhmilch an Molkereien und auf der Direktvermarktung. Nach der Richtlinie des Rates 72/280/EWG vom 31. Juli 1972 werden die Anlieferungsmengen in allen EG-Ländern bei sämtlichen Molkereien erhoben. Die Mitgliedstaaten sind aufgrund dieser Rechtsgrundlage verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, um zu vollständigen und ausreichend genauen Ergebnissen zu gelangen. Da es sich hierbei um Vollerhebungen handelt und die Ergebnisse laufend von den Dienststellen der EG- Kommission auf Plausibilität überprüft werden, dürften die Fehlerquellen nur sehr gering sein. Bei der Ermittlung der Einhaltung der nationalen Direktvermarktungsmengen werden nicht die amtlichen Statistiken, sondern die Abgabeerklärungen der einzelnen Milcherzeuger herangezogen. Negative Auswirkungen durch falsche Statistiken auf die Einhaltung der nationalen Anlieferungsgarantiemengen sowie der Direktvermarktungsmengen sind daher nicht anzunehmen. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Vogt auf die Fragen des Abgeordneten Reimann (SPD) (Drucksache 11/880 Fragen 17 und 18): Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß einer Bürgerin der Bundesrepublik Deutschland (Jahrgang 1925), die 105 Monate Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung in der Schweiz und 26 Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung in Schweden geleistet hat und die einen Teil ihres Arbeitslebens in der Bundesrepublik Deutschland verbracht hat und hier Beiträge entrichtete, eine Zusammenrechnung der schweizerischen und der schwedischen Pflichtversicherungszeit nicht gewährt wird, obwohl die sozialgerichtliche Rechtsprechung in ähnlichen Fällen eine solche Zusammenrechnung befürwortet? Ist die Bundesregierung bereit, sich im Falle einer noch ausstehenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zugunsten einer multilateralen Zusammenrechnung von Versicherungszeiten in der Rentenversicherung diesem Urteil anzuschließen? Regelungen über eine multilaterale Zusammenrechnung bestehen innerhalb der Europäischen Gemeinschaften wegen der besonderen Verhältnisse für die Rheinschiffer und wegen der ausgeprägten Fluktuation von Arbeitskräften. Wegen der großen Fluktuation von Arbeitskräften bestehen außerdem zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den deutschsprachigen Nachbarn Österreich, Schweiz und Liechtenstein Möglichkeiten der multilateralen Zusammenrechnung. Bei den von der Bundesrepublik Deutschland mit Schweden und der Schweiz abgeschlossenen bilateralen Abkommen über Soziale Sicherheit hingegen ist eine sogenannte multilaterale Zusammenrechnung — hier von deutschen, schwedischen und schweizerischen Versicherungszeiten — ausgeschlossen. Das Bundessozialgericht hat demgegenüber in verschiedenen Entscheidungen, u. a. im Beschluß des Großen Senats vom 29. Mai 1984 (GS 1-3/82) eine multilaterale Zusammenrechnung von Versicherungszeiten bejaht. Zu diesem Ergebnis kam es — entgegen der Auffassung der Bundesregierung und der Träger der Rentenversicherung — aufgrund einer Auslegung der damals insoweit auslegungsfähigen Abkommen. Die neueren Abkommen schließen aber die multilaterale Zusammenrechnung zweifelsfrei aus. Dies gilt auch für die Abkommen mit Schweden und der Schweiz. Hierfür sind folgende Gründe maßgebend: 1. Es fehlt an der Gegenseitigkeit. Die zweiseitigen Abkommen sehen nur die Zusammenrechnung von Versicherungszeiten zwischen den beiden Vertragsstaaten vor, nicht aber die Zusammenrechnung mit Versicherungszeiten weiterer Staaten, weil die weiteren Staaten durch ein zweiseitiges Abkommen nicht zu entsprechendem gegenseitigem Handeln verpflichtet werden können. Nur durch mulitlaterale Vereinbarungen wäre Interessenausgleich zwischen allen in Betracht kommenden Staaten zu ermöglichen. 2. Eine multilaterale Zusammenrechnung aufgrund zweiseitiger Abkommen hat bei der Berechnung der Rente Schwierigkeiten zur Folge. Dies gilt insbesondere für die Anrechnung der von der Versicherungdauer unabhängigen Leistungsbestandteile, z. B. des Kinderzuschusses und der Zurechnungszeit. Ob und in welchem Umfang die in Betracht kommenden Staaten hierfür einzustehen haben, läßt sich nur über multilaterale Vereinbarungen klären. Das Problem des extrem kleinen Kreises der Betroffenen hat im übrigen dadurch erheblich an Gewicht verloren, daß im Haushaltsbegleitgesetz 1984 die Wartezeit für das Altersruhegeld von 15 Jahren auf 5 Jahre herabgesetzt worden ist. Im EG-Bereich werden ohnehin die in allen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten zusammengerechnet. Beim Europäischen Gerichtshof ist derzeit ein Fall anhängig, bei dem es um die multilaterale Zusammenrechnung von Versicherungszeiten geht, die in zwei EG-Staaten und in Polen zurückgelegt worden sind. Eine Entscheidung ist noch nicht getroffen worden. Selbstverständlich wird das Urteil des europäischen Gerichtshofs, da es Rechtskraft besitzt, in dem konkreten Einzelfall vom zuständigen Rentenversicherungsträger befolgt werden. Generell ist es Sache Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1987 2067* der Versicherungsträger, die Sozialversicherungsgesetze und Abkommen auszulegen; die Bundesregierung kann hier keinerlei Weisungen erteilen. Bei dieser Auslegung ist die Rechtsprechung der Gerichte, insbesondere auch diejenige des Europäischen Gerichtshofes, ein wichtiger Faktor. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Vogt auf die Frage des Abgeordneten Schreiner (SPD) (Drucksache 11/880 Frage 19): Wie ist der Sachstand bei der Verordnungsgebung nach § 34 Arbeitssicherstellungsgesetz durch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, und welche Maßnahmen durch die Arbeitsverwaltung sind in dieser Hinsicht bereits erfolgt bzw. in Planung? Der Referentenentwurf der Verordnung nach § 34 Arbeitssicherstellungsgesetz ist mit den Beteiligten einschließlich der Länder abgestimmt. Es finden aber noch Gespräche auf politischer Ebene statt. Maßnahmen der Arbeitsverwaltung für eine Umsetzung der Verordnung nach deren Erlaß sind noch nicht ergriffen, es gibt auch insoweit keine Planungen. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Pfeifer auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Emmerlich (SPD) (Drucksache 11/880 Fragen 28 und 29): In welchem Umfang werden bei den freien Wohlfahrtsverbänden die Aufwandszuschüsse für Unterkunft, Verpflegung und Bekleidung für Zivildienstleistende gekürzt? Wie erklärt sich die Bundesregierung zu der Befürchtung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, daß ihre Hilfsangebote mit Zivildienstleistenden infolgedessen vor allem im offenen und stationären Bereich gekürzt werden müssen? Zu Frage 28: Die Aufwandszuschüsse, die die Kosten der Beschäftigungsstellen für Unterkunft, Essen und Arbeitskleidung der Zivildienstleistenden ausgleichen sollen, sind ab 1. September 1987 um die Hälfte gekürzt worden. Für Zivildienstleistende, die vor diesem Zeitpunkt den Dienst angetreten haben, erhalten die Beschäftigungsstellen den vollen Zuschußbetrag für die gesamte Dienstzeit. Von der Kürzung nicht betroffen sind Zivildienstplätze in den Mobilen Sozialen Hilfsdiensten und der Individuellen Schwerstbehindertenbetreuung. Zu Frage 29: Mit Vertretern der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege wurde die beabsichtigte Kürzung am 16. Juli 1987 besprochen. Sie nahmen die Maßnahme mit Bedauern zur Kenntnis und schlossen nicht aus, daß einzelne Beschäftigungsstellen wegen der kurzfristigen Inkraftsetzung auf die Zuweisung von Zivildienstleistenden verzichten müßten. In einer schriftlichen Stellungnahme vom 25. August 1987 wurde als Konsequenz geschildert, „daß vor allem im offenen und stationären Bereich das erreichte Niveau an Hilfsangeboten mit Zivildienstleistenden nicht weiter ausgebaut, unter Umständen nicht einmal gehalten werden kann". Die Bundesregierung geht davon aus, daß ein nennenswerter Abbau von Plätzen weder insgesamt noch in bestimmten Tätigkeitsbereichen erfolgen wird. Sie stützt sich dabei auf Erfahrungen aus dem Jahr 1981, als die Zuschüsse für die Bereitstellung neuer Plätze schon einmal weggefallen sind, und darauf, daß die Wohlfahrtsverbände und die ihnen angeschlossenen Einrichtungen stets gewußt haben, daß es sich bei den Aufwandszuschüssen nur um eine zeitlich begrenzte Leistung zur Schaffung neuer Zivildienstplätze handelt. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Pfeifer auf die Fragen des Abgeordneten Schemken (CDU/CSU) (Drucksache 11/880 Fragen 30 und 31): Trifft es zu, daß jährlich in der Bundesrepublik Deutschland bis zu 15 000 Babys während der Geburt durch Kunstfehler von Ärzten geschädigt werden? Gibt es Erkenntnisse über die Ursachen solcher Schädigungen, wenn ja, was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu unternehmen? Zu Frage 30: Der Bundesregierung liegen auch nach Rückfragen bei den einschlägigen Fachgesellschaften keine verläßlichen Zahlen über „Schäden bei Säuglingen durch geburtshilfliche Mängel und Fehler" vor. Besonders auch Gesprächen mit dem Arbeitskreis Kunstfehler in der Geburtshilfe e. V. ist sie jedoch über solche Schadensmöglichkeiten und Vorkommnisse informiert. Im Zusammenhang mit der Frage der Mütter- und Säuglingssterblichkeit, mit der Bund und Länder immer wieder befaßt sind, wurden zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Geburt nebst Vorfeld und Nachsorge so zu gestalten, daß soweit möglich gesunde Kinder geboren werden. Dazu gehören Aufklärungsmaßnahmen, Vorsorgeangebote und ihre Wahrnehmung, Unterstützung der perinatalen Medizin, Förderung zugehöriger Studien, optimale Organisation der Geburtshilfe und Säuglingsversorgung in den Krankenhäusern, Ausbildung der Geburtshelfer, deren fachinterne Qualifikationskontrolle und anderes mehr in unterschiedlichster Kompetenz von Bund, Ländern und Gemeinden. Zu Frage 31: Der Arbeitskreis Kunstfehler in der Geburtshilfe hat sich in der Vergangenheit bemüht, die Ursachen für Kunstfehler in der Geburtshilfe aufzudecken und da- 2068* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1987 mit dazu beizutragen, daß solche Kunstfehler in Zukunft vermieden werden können. Einen wichtigen Beitrag bei Verbesserungen in der Geburtshilfe leisten die in allen Bundesländern zunehmend flächendeckend durchgeführten PerinatalStudien. Diese Erhebungen dienen der Qualitätssicherung in der Geburtshilfe. Durch die fortlaufend gewonnenen Erkenntnisse ist die Möglichkeit gegeben, geburtshilfliche Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit, Notwendigkeit, Effizienz und Effektivität zu überprüfen. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Bindig (SPD) (Drucksache 11/880 Fragen 38 und 39): Kann die Bundesregierung angeben, wieviel Kilometer Bundesfernstraßen mit getrennten Fahrbahnen für den Richtungsverkehr es im gesamten Bundesgebiet und den einzelnen Bundesländern gibt, die entgegen der gesetzlichen Regelung des § 2 Abs. 3 a FStrG als Bundesstraße gewidmet sind, obwohl sie die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 FStrG erfüllen, wonach sie als Bundesautobahnen eingestuft werden müßten? Welche Absicht verfolgt die Bundesregierung damit, etliche Bundesfernstraßen unter dem falschen Namen „Bundesstraße" zu bauen, obwohl sie gesetzlich (§ 2 Abs. 3 a FStrG) als Bundesautobahn anzusehen sind, und hat die Bundesregierung die Absicht, sich künftig entweder in der Praxis an das Gesetz zu halten oder will sie das Gesetz an die bestehende Praxis anpassen? Zu Frage 38: Die Bundesfernstraßen werden gemäß Artikel 90 Grundgesetz von den Ländern im Auftrag des Bundes verwaltet; dazu gehört neben Planung und Bau auch die Einstufung der Straßen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die zu Bundesstraßen gewidmeten zweibahnigen Bundesfernstraßen den Kriterien einer Bundesautobahn nach § 1 Abs. 3 Fernstraßengesetz nicht voll entsprechen; das heißt, sie dienen nicht nur dem Schnellverkehr und weisen geringere Entwurfsstandards auf. Mit dieser Zielsetzung hat auch der Deutsche Bundestag bei seinen Entscheidungen zum Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen in einigen Fällen Planungen von Bundesautobahnen zu zweibahnigen Bundesstraßen zurückgenommen. Zu Frage 39: Für eine Änderung der Praxis oder eine Gesetzesänderung sieht die Bundesregierung keinen Anlaß. Anlage 9 Antwort des Staatsministers Schäfer auf die Frage des Abgeordneten Lowak (CDU/CSU) (Drucksache 11/880 Frage 55) : Mit welcher Begründung werden die „Namibia Nachrichten" von der deutschen Botschaft in Südafrika und dem Generalkonsulat in Kapstadt mit Informationsmaterial und — zur Verbreitung des Blattes — durch Mundpropaganda unterstützt, und ist die Bundesregierung bereit, dafür Sorge zu tragen, daß auch andere Informationsblätter in Namibia unterstützt werden? Im Rahmen der politischen Öffentlichkeitsarbeit Ausland gehört es zu den Aufgaben unserer Auslandsvertretungen, mit den Medien des Gastlandes zusammenzuarbeiten und ihnen Informationsmaterial zur Verfügung zu stellen. Dieses Informationsmaterial wird auf Wunsch jedem Presse- und Medienorgan des Gastlandes zur Verfügung gestellt. Anlage 10 Antwort des Staatsministers Schäfer auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Penner (SPD) (Drucksache 11/880 Fragen 56 und 57): Trifft es zu, daß es vor dem Besuch des Dalai-Lama in der Bundesrepublik Deutschland Bemühungen um ein Gespräch mit der Bundesregierung gegeben hat, und aus welchen Gründen ist das erbetene Gespräch nicht zustande gekommen? Hat der Bundestagsabgeordnete Dr. Blüm das Gespräch mit dem Dalai-Lama in Düsseldorf in seiner Eigenschaft als Mitglied der Bundesregierung oder als Landesvorsitzender der CDU in Nordrhein-Westfalen geführt, und hat er, falls er als Regierungsmitglied handelte, dem Dalai-Lama bei dieser Gelegenheit die Haltung der Bundesregierung zum Recht der Tibeter auf Selbstbestimmung erläutert? Zu Frage 56: Es trifft zu, daß es vor dem kürzlichen Besuch des Dalai-Lama Bemühungen um ein Gespräch mit der Bundesregierung gegeben hat. Das Gespräch ist nicht zustande gekommen. Die Haltung der Bundesregierung zur tibetischen Exilregierung unter Führung des Dalai-Lama ist bekannt. Ich verweise dazu auf die Antwort zu der Frage 18b der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN, Drs. 10/6127 vom 8. 10.1986. Der Dalai-Lama bezeichnet sich als Chef einer Exilregierung. Die Bundesrepublik Deutschland unterhält Beziehungen nur zur Regierung der VR China. Zu Frage 57: Der Bundestagsabgeordnete Norbert Blüm hat das Gespräch mit dem Dalai-Lama am 16. 9. 1987 in Düsseldorf in seiner Eigenschaft als Landesvorsitzender der CDU in Nordrhein-Westfalen geführt. Anlage 11 Antwort des Staatsministers Schäfer auf die Fragen der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher (FDP) (Drucksache 11/880 Fragen 58 und 59) : Wie beurteilt die Bundesregierung die menschenrechtliche Situation nach den Ereignissen am 27. September 1987 in Tibet, in dessen Hauptstadt Lhasa laut Presseberichten 10 000 Tibeter gegen die am 24. und 25. September 1987 in Massenveranstal- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1987 2069* tungen stattgefundenen öffentlichen Verurteilungen und Hinrichtungen demonstrierten und 26 Personen verhaftet wurden, denen nun das gleiche Schicksal droht? Ist die Bundesregierung bereit, den Friedensplan für Tibet zu unterstützen, der am 21. September 1987 vom Dalai-Lama dem Menschenrechtsausschuß des Amerikanischen Kongresses vorgelegt wurde? Zu Frage 58: a) Infolge der Reformpolitik der chinesischen Regierung haben sich die Lebensverhältnisse der tibetischen Bevölkerung in politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht in den letzten Jahren spürbar verbessert. Die jüngsten Ereignisse in Lhasa lassen erkennen, daß trotz dieser Verbesserungen erhebliche Probleme fortbestehen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Regierung der VR China ihre Bemühungen zur Bewältigung dieser Probleme im Rahmen ihrer Reformpolitik fortsetzen und dabei den Interessen der Tibeter Rechnung tragen wird. b) Zu den Ereignissen in Lhasa sind der Bundesregierung keine über die Medienberichterstattung hinausgehenden Tatsachen bekannt. Zu Frage 59: Das Verhältnis zwischen Han-Chinesen und Tibetern ist seit Jahrhunderten wechselhaft. Es kann nur durch eine einvernehmliche Lösung geregelt werden. Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß die chinesische Regierung auch weiterhin eine solche einvernehmliche Regelung anstreben wird. Dabei werden Vorstellungen des Dalai Lama, der mittelbare Kontakte zur chinesischen Regierung unterhalten hat, sicherlich eine Rolle spielen.
Gesamtes Protokol
Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1103000000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, am 2. Oktober dieses Jahres hat Präsident Reagan auf Grund einer Entschließung beider Häuser des Kongresses der Vereinigten Staaten von Amerika den 6. Oktober 1987 zum German-American-Day erklärt. Im Namen des Deutschen Bundestages danke ich Präsident Reagan und dem Kongreß für diese besondere Geste. Wir empfinden diesen Akt als sichtbares Zeichen unserer engen Verbundenheit mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Mit diesem Tag sollen die Leistungen der deutschen Einwanderer beim Aufbau Amerikas anerkannt werden. Die deutschen Landsleute, die erstmals vor über 300 Jahren nach Amerika auswanderten, haben durch ihren Fleiß und ihre Strebsamkeit ihren Platz in Amerika gefunden und wesentlich zum Wohlstand dieses Landes beigetragen. Viele wurden Pioniere beim Aufbau dieses Landes, und sie knüpften die herzlichen Bande der Zuneigung zwischen Deutschland und Amerika, die sich trotz schwerer Erschütterungen als beständig erwiesen haben.
Meine Damen und Herren, die Freundschaft mit den Vereinigten Staaten und das Nordatlantische Bündnis haben uns über 40 Jahre hinweg Frieden und Freiheit gesichert. Auch für die Zukunft muß die Stärkung des Bündnisses, seine Einheit und Geschlossenheit, Priorität genießen. Unsere Freundschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika ist dabei unverzichtbar.
Gestatten Sie mir, auch dies zu sagen: Über 40 Jahre hinweg Streitkräfte auf einem anderen Kontinent zu unterhalten, ist eine große politische Leistung in einer Allianz, die sich nur verteidigen will. Auch darauf habe ich in meiner Rede im Weißen Haus anläßlich der Proklamation des German-AmericanDay hingewiesen. Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland haben über 10 Millionen amerikanischer Soldaten mit ihren Familien in der Bundesrepublik Deutschland gelebt. Sie leisten ihren Dienst für unsere gemeinsame Freiheit. Die Bürger in den USA sollen wissen: Die überwältigende Mehrheit unserer Bevölkerung bejaht die Anwesenheit der amerikanischen Soldaten und betrachtet sie als Freunde.
Entscheidend für die Stabilität unserer politischen Beziehungen sind aber weniger unsere gemeinsamen Sicherheitsinteressen, als vielmehr unsere gemeinsamen Vorstellungen von Freiheit, Menschenwürde und Demokratie. Amerikaner und Deutsche mögen in manchen Einzelfragen verschiedener Meinung sein, in der entscheidenden Frage stimmen sie aber überein, nämlich in dem Engagement für die Freiheit, und nirgendwo wird dies deutlicher als in Berlin.
Für die Zukunft unserer beiden Länder, meine Damen und Herren, ist es lebenswichtig, daß sich auch unsere jungen Mitbürger gegenseitig kennenlernen. Ich freue mich sehr, daß der Deutsche Bundestag durch sein mit dem amerikanischen Kongreß vereinbartes parlamentarisches Patenschaftsprogramm, das wir fortsetzen wollen, einen wichtigen Beitrag dazu leistet. Nur so ist es möglich, daß auch die nachwachsenden Generationen unsere gemeinsamen Grundüberzeugungen kennen- und schätzenlernen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN:
Bundesdeutsche Beiträge zu Lösungsansätzen für die internationale Verschuldungskrise
— Drucksache 11/893 —2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Pinger, Wissmann, Dr. Stercken, Frau Hoffmann (Soltau), Herkenrath, Kittelmann, Spilker, Frau Dr. Hellwig, Zink, Schwarz und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Solms, Frau Folz-Steinacker, Timm, Hoppe, Frau Seiler-Albring, Frau Dr. Hamm-Brücher, Irmer, Dr. Feldmann, Dr. Haussmann, Grünbeck, Dr. Hitschler, Nolting und der Fraktion der FDP:
Überwindung der Verschuldungskrise der Entwicklungsländer
— Drucksache 11/905 —



Präsident Dr. Jenninger
3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Rust, Frau Olms, Volmer und der Fraktion DIE GRÜNEN:
Sanktionen gegen die Militärdiktatur in Chile
— Drucksache 11/894 —4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerster (Mainz), Frau Geiger, Dr. Miltner, Fellner, Dr. Stercken, Günther, Seehofer, Dr. Hornhues und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Irmer, Funke, Dr. Hirsch, Lüder, Baum, Richter, Dr. Feldmann, Hoppe, Wolfgramm (Göttingen) und der Fraktion der FDP:
Beitrag der Bundesrepublik Deutschland für die Verwirklichung der Menschenrechte in der Völkergemeinschaft
— Drucksache 11/900 —5. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Einfügung eines Artikels 20a)

— Drucksache 11/885 —6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Schäfer (Offenburg), Dr. Hauff, Bachmaier, Frau Blunck, Frau Conrad, Conradi, Fischer (Hornburg), Frau Dr. Hartenstein, Jansen, Kiehm, Koltzsch, Lennartz, Frau Dr. Martiny, Menzel, Müller (Düsseldorf), Reimann, Reuter, Dr. Schöfberger, Schütz, Stahl (Kempen), Waltemathe, Weiermann, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD:
Vorschlag einer Verordnung (Euratom) des Rates zur Festlegung von Höchstgrenzen der Radioaktivität in Nahrungsmitteln, Futtermitteln und Trinkwasser im Falle anormaler Radioaktivitätswerte oder eines nuklearen Unfalls
— Drucksache 11/906 —7. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE GRÜNEN:
Haltung der Bundesregierung zu den Menschenrechtsverletzungen in Tibet
8. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD:
Haltung der Bundesregierung in der Kohlerunde
9. Erste Beratung des von den Abgeordneten Buschbom, Eylmann, Geis, Helmrich, Hörster, Dr. Hüsch, Dr. Langner, Marschewski, Sauter (Ichenhausen), Seesing, Dr. Stark (Nürtingen), Weiß (Kaiserslautern), Dr. Wittmann und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Funke, Irmer, Kleinert (Hannover) und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs
— Drucksache 11/898 —
Zugleich soll mit der Aufsetzung der Zusatzpunkte — soweit erforderlich — von der Frist für den Beginn der Beratungen abgewichen werden.
Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Weiterhin ist interfraktionell vereinbart worden, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/757, betr. Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz, der in der 22. Sitzung dem Rechtsausschuß zur federführenden Beratung überwiesen wurde, nachträglich dem Auswärtigen Ausschuß und dem Verteidigungsausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 und die Zusatztagesordnungspunkte 1 und 2 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hauchler, Dr. Wieczorek, Frau MatthäusMaier, Dr. Mitzscherling, Dr. Apel, Bindig, Brück, Dr. Holtz, Dr. Klejdzinski, Kretkowski, Frau Luuk, Frau Dr. Niehuis, Schanz, Schlukkebier, Toetemeyer, Frau Dr. Martiny, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Schuldenkrise der Dritten Welt
— Drucksache 11/826 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (federführend)

Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
Verteidigungsausschuß
Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Bundesdeutsche Beiträge zu Lösungsansätzen für die internationale Verschuldungskrise
— Drucksache 11/893 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (federführend)

Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Pinger, Wissmann, Dr. Stercken, Frau Hoffmann (Soltau), Herkenrath, Kittelmann, Spilker, Frau Dr. Hellwig, Zink, Schwarz und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Solms, Frau Folz-Steinacker, Timm, Hoppe, Frau Seiler-Albring, Frau Dr. Hamm-Brücher, Irmer, Dr. Feldmann, Dr. Haussmann, Grünbeck, Dr. Hitschler, Nolting und der Fraktion der FDP
Überwindung der Verschuldungskrise der Entwicklungsländer
— Drucksache 11/905 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft



Präsident Dr. Jenninger Verteidigungsausschuß Haushaltsausschuß
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung dieser Tagesordnungspunkte zwei Stunden vorgesehen. — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hauchler.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (SPD):
Rede ID: ID1103000100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verschuldung der Dritten Welt ist eine politische Herausforderung allerersten Ranges. Sie blockiert in vielen Ländern des Südens die wirtschaftliche Entwicklung, verschärft Hunger und Armut und gefährdet insbesondere auch in jungen Demokratien die politische Stabilität.
Brasilien mußte 1986 knapp 40 % seiner Exporterlöse für Zinsen und Tilgungen aufwenden. Seine Schulden sind von 5 Milliarden Dollar im Jahre 1970 auf inzwischen 110 Milliarden Dollar angestiegen. Die steigenden Schuldendienstzahlungen waren indessen nur dadurch möglich, daß die Exporte erhöht, die Importe und Investitionen aber drastisch gedrosselt wurden. Die durchschnittlichen Wachstumsraten von 1980 bis 1985 waren dort: plus 11 % bei den Exporten, minus 7% bei den Importen und minus 8 %. bei den Investitionen.
Inzwischen geht in Brasilien offenbar nichts mehr. Das Land stellte die Zahlungen einseitig ein. Die lange Zeit nach der Regie des Internationalen Währungsfonds geführte Wirtschaftspolitik hat das Land in eine tiefe Krise gestürzt, behindert die Weiterentwicklung der Demokratie und führt zur wachsenden Verbitterung der Massen.
Ähnliche Auswirkungen der Überschuldung zeigen sich in anderen hochverschuldeten Ländern, etwa in Peru, Argentinien, aber auch in Ländern wie Sambia. Dort ist die Art, wie das Verschuldungsproblem gemanagt wird, quasi zur Überlebensfrage der Regierungen Garcia, Alfonsin und Kaunda geworden. Wir können nicht zusehen, wie junge Demokratien an diesem Problem zugrunde gehen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Trotz der drohenden Zeichen an der Wand eilte die internationale Bankenwelt auf der diesjährigen Weltwährungs-, oder sollte ich sagen: Weltgeltungskonferenz von Büfett zu Büfett. Kaviar, Sekt und Kammerkonzerte reichlich.

(Dr. Pinger [CDU/CSU]: Das ist unter Niveau, Herr Kollege!)

Nichts gegen schöne Reden und Kommuniqués, sie sollten dann aber auch in der Sache weiterführen.

(Feilcke [CDU/CSU]: Das hat Ihnen auch geschmeckt!)

Dies kann man jedoch von den Ergebnissen des Interim-Kommitees des IWF und des Entwicklungsausschusses der Weltbank nicht behaupten. Man nimmt die Dramatik der Situation offenbar immer noch nicht zur Kenntnis. Einer, der dort einmal mutig mit der Wahrheit herausplatzte, Herr Herrhausen von der Deutschen Bank, wurde schnell zurückgepfiffen.
Es geht bei der Verschuldungskrise aber nicht nur um Länder, die an der Schwelle zur Industrialisierung stehen. In etlichen Ländern Afrikas ist die Lage noch zugespitzter als in Lateinamerika. Ich nehme als Beispiel Sambia: Die Auslandsschuld hat sich in zehn Jahren verfünffacht. Das Land muß inzwischen zirka 50 % seiner Exporterlöse für den Schuldendienst aufbringen. Das ist kein Wunder: denn gerade während der Zeit, in welcher der Kupferpreis ins Bodenlose gefallen ist, explodierte die Verschuldung. Wenn man weiß, daß über 80 % der Exporte Sambias auf Kupfer entfallen, wird klar: Nicht nur die interne Wirtschaftspolitik ist dort für die Misere verantwortlich, sondern genauso die internationalen Finanz- und Handelsbedingungen.
Meine Damen und Herren, das internationale Zinsniveau und die Rohstoffpreise werden nicht in Luanda, sondern in New York gemacht. Der Zugang zu den Agrarmärkten wird nicht in Brasilia oder Buenos Aires, sondern in Brüssel und Washington versperrt. Die Rohstoffpreise sind von 1980 bis 1987, also während die Schulden dramatisch anstiegen, um 30 gesunken. Dadurch verloren die Entwicklungsländer ca. 90 Milliarden Dollar an Devisen, für die neue Kredite aufgenommen und verzinst werden müssen. Gleichzeitig verschärfte sich in dieser Zeit der Protektionismus der Industrieländer.
Man braucht Ökonomie nicht gelernt zu haben, um zu erkennen, daß eine solche Politik in der Sackgasse landen muß. Die internationale Verschuldung ist also zur Bremse der weltwirtschaftlichen Entwicklung geworden. Sie behindert den Welthandel, gefährdet Demokratien und stößt die Ärmsten der Armen noch tiefer ins Elend.
Die Verschuldungskrise muß jedoch nicht nur im Interesse der Entwicklungsländer rasch bewältigt werden; sie gefährdet auch Wachstum und Arbeitsplätze in den Industriestaaten. Ein großer Teil des Außenhandelsdefizits der USA ist darauf zurückzuführen, daß die Exporte nach Lateinamerika zurückgegangen und die Importe aus Lateinamerika drastisch angestiegen sind. Nach Senator Bradley haben die USA dadurch ca. 1 Million Arbeitsplätze verloren.
Negative Auswirkungen zeigen sich aber auch für den Außenhandel der Bundesrepublik. Während die Exporte in die westlichen Industriestaaten in den letzten Jahren förmlich explodierten, stagnierte — relativ gesehen — der Export in die Entwicklungsländer. Woher sollen die Länder des Südens auch die Kaufkraft nehmen, um deutsche Produkte zu kaufen? Woher nehmen, wenn bis zu 50 % der Exportdevisen für Zinszahlungen draufgehen?
Ich ziehe aus all dem den Schluß: Das Verschuldungsproblem der Dritten Welt muß im gemeinsamen Interesse von Entwicklungs- und Industrieländern rasch gelöst werden. Ich bin gespannt, welche Vorschläge Sie von CDU und FDP heute hierzu machen.
Dabei sollten sich alle Beteiligten von Prinzipien der Vernunft und Gerechtigkeit leiten lassen, die über die Parteien hinweg wohl gemeinsamer Grundbestand von demokratischen und der Menschenwürde verpflichteten Staaten sind. Ich nenne diese



Dr. Hauchler
drei Prinzipien: Gemeinwohl geht vor Privatinteresse; gemeinsame Verantwortung erfordert, daß daraus entstehende Lasten gerecht verteilt werden; aus Fehlern der Vergangenheit sollte man immer wieder lernen.
Erstes Prinzip: Gemeinwohl geht vor Privatinteresse. Wo die Märkte und die freie Initiative aus sich heraus das Gemeinwohl nicht sichern können, ist die Politik gefordert. Dies bedeutet für die Verschuldungskrise: Die Lösung kann nicht den Privatbanken allein überlassen bleiben. So wie im Londoner Schuldenerlaß 1953 für die Bundesrepublik eine politische Lösung gefunden wurde, so ist die Bundesrepublik heute verpflichtet, auf ein internationales Abkommen zu dringen, um die Last des Schuldendienstes der Dritten Welt an deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit anzupassen. Um dies zu erreichen, fordert die SPD eine internationale Schuldenkonferenz oder, wenn Sie so wollen, einen internationalen Schuldengipfel,

(Zurufe von der CDU/CSU: Das bringt doch nichts!)

wo man unter Beteiligung der Industrie- und der Entwicklungsländer, der Notenbanken und der multinationalen Institutionen rasch zu Prinzipien einer Entlastung vom Schuldendienst kommt. Auf einer solchen Konferenz sollten allgemeine Prinzipien zur Lösung der Verschuldungskrise vereinbart werden, und es sollte eine Organisation mit der fallweisen Durchführung solcher Prinzipien beauftragt werden.
Zweites Prinzip: Gemeinsame Verantwortung verlangt, daß daraus erwachsende Lasten auch gemeinsam getragen und gerecht verteilt werden. Das Beharren auf legalen Positionen, die ein Schuldschein gewährt, muß hinter der Rücksicht auf legitime Lebensinteressen, eine Berücksichtigung der Ursachen der Verschuldung und eine Abwägung der wirtschaftlichen Belastbarkeit zurücktreten. Hochzinspolitik, Protektionismus, die aus der Kolonialzeit stammende Festlegung vieler Entwicklungsländer auf die Rolle reiner Rohstofflieferanten, falsche Expertisen von westlicher Seite sowie eine laxe Kreditvergabe vieler Banken haben genauso zur Überschuldung beigetragen wie Mißwirtschaft auf seiten der Entwicklungsländer.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Alles Ende der 70er Jahre!)

Dazu gehören insbesondere die Kapitalflucht, Steuerhinterziehung; Luxuskonsum reicher Oligarchien und deren Weigerung, durch Agrarreformen und Demokratisierung die Initiative der breiten Bevölkerung zu fördern. Mangelnde Haushaltsdisziplin, Prestigeobjekte und überhöhte Rüstungsausgaben taten ein übriges.
Die Folgerung kann bei geteilter Verantwortung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern nur lauten: strukturelle Schuldendienstsenkung von seiten der Gläubiger für konsequente entwicklungspolitische Reformen der Schuldner.

(Beifall bei der SPD)

Bundespräsident von Weizsäcker hat in diese Richtung argumentiert. Die Kirchen, eine wachsende Zahl
von Politikern und Ökonomen — auch in den USA — fordern vehement Schritte in diese Richtung.
Im Antrag meiner Fraktion wird hierzu ein konkreter Vorschlag gemacht: Höchstens 20 % der Exporterlöse eines Landes sollen künftig für den Schuldendienst aufgewendet werden müssen. Dieser Prozentsatz ist nicht einfach aus der Luft gegriffen, er entspricht der durchschnittlichen Belastung der Entwicklungsländer vor der Schuldenkrise, hat also eine reale historische Basis in einer Zeit, in der es in den Entwicklungsländern noch beachtliches Wachstum gab.
Von dieser Kernforderung ausgehend, sollen von Land zu Land — Herr Minister Klein, hören Sie zu — differenzierte Entlastungspakete aus Zinsanpassungen, Fristenverlängerungen, teilweisem Schuldenerlaß und Handelsvereinbarungen geschnürt werden. Zur Realisierung dieses Ziels müssen alle Beteiligten beitragen: die Entwicklungsländer — wie ich sagte — durch durchgreifende innere Reformen, die Industrieländer vor allem durch Abbau des Protektionismus und Senkung des Zinsniveaus, die multinationalen Institutionen durch verstärkten Kapitaleinsatz und stärker entwicklungspolitisch orientierte sowie sozial und ökologisch verträgliche Konditionalität, die privaten Banken durch teilweisen Forderungsverzicht und neue Mittel für die Finanzierung produktiver Investitionen. Nähere Vorschläge enthält unser Antrag, den wir heute dem Hohen Hause vorlegen.
Wir erheben keine Pauschalforderungen, wir machen keine Rundumschläge. Wir machen konkrete Vorschläge, die wir bisher bei der CDU und der FDP leider vermißt haben.

(Beifall bei der SPD — Dr. Faltlhauser [CDU/ CSU]: Ihr seid ja tolle Burschen! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Ihr habt den Antrag nicht gelesen!)

— Wer einen Schuldner in den Bankrott treibt, Herr Faltlhauser, statt durch einen tragfähigen Vergleich zukünftig Geschäfte auf sicherer und breiterer Basis zu machen, handelt schlicht dumm.
Auf der Ebene der Einzelstaaten ist durch eine Vergleichsordnung ein rechtlicher Rahmen gegeben, um eine Sanierung von Unternehmen zu ermöglichen. Eine Übertragung der Grundgedanken dieser nationalen Regelungen auf die internationale Ebene, um rationale Vergleichslösungen für Staaten mit zeitweiliger Zahlungsunfähigkeit zu schaffen, ist überfällig. Wir fordern die Bundesregierung auf, die Initiative für eine entsprechende internationale Konvention zu ergreifen.
Herr Minister Klein, Sie halten heute Ihre Jungfernrede als Minister. Ich denke, statt sich an abgefeimten Kommuniqués zu beteiligen, ist hier für die Bundesregierung die Gelegenheit gegeben, Sacharbeit zu leisten und kreativ zu sein.
Prinzip drei lautet: Aus Fehlern lernen! Nur wenn die eigentlichen Ursachen der Verschuldung erkannt werden, kann in Zukunft eine internationale Wirtschaftsstrategie verfolgt werden, die eine stetige Entwicklung ohne Überschuldung ermöglicht. Wir wollen ja nach einem teilweisen Forderungsverzicht nicht



Dr. Hauchler
gegebenenfalls in die gleiche Situation hineinlaufen, wie sie in den letzten Jahren entstanden ist.
Die bis heute herrschende Entwicklungsstrategie setzt undifferenziert auf einseitig kapital- und kreditgestütztes, industriell fixiertes und vorwiegend auf Export gerichtetes Wachstum. Die Verschuldungskrise ist kein kurzfristiger Betriebsunfall oder nur das Ergebnis falschen Managements, sondern die Spiegelung einer allgemeinen Wirtschaftskrise, die notwendig aus dem bisherigen Entwicklungskonzept für die Dritte Welt folgt.
Es war und ist ein grundlegender Fehler, eine ökonomische Strategie, die übrigens auch nur bedingt auf dem Entwicklungsstand der Industrieländer basiert, undifferenziert auf die Entwicklungsländer zu übertragen und dabei auch die Erfahrungen aus der eigenen Geschichte zu verleugnen. Die Entwicklungsstrategie der Zukunft muß flexibler werden; sie muß angepaßter werden. Das Maß des Kapitaleinsatzes ist von der gleichgewichtigen Förderung der anderen Produktionsfaktoren abhängig zu machen, von Arbeit, Wissen, Technologie und Infrastruktur. Das Ausmaß der Kreditfinanzierung von außen ist an die langfristigen internationalen Exportchancen und realistischen Produktivitätssteigerungen in den Entwicklungsländern anzupassen.
Eine höhere Leistungsfähigkeit der Entwicklungsländer setzt eine stärkere Förderung der Binnenmärkte, eine effizientere Wirtschaftspolitik und eine rationale administrative und politische Steuerung voraus. Dies läßt sich aber nur begrenzt von außen durch Auflagen erzwingen. Das hat sich erwiesen. Vielmehr gilt es, in den Ländern selbst breite Qualifikations-, Motivations- und Beteiligungsprozesse zu ermöglichen und in Gang zu setzen. Der Schlüssel dazu ist aber nicht so sehr nur Kapital und Kredit, sondern Arbeit. Das heißt aber satt, gebildet, ausgebildet und gesund zu sein; sonst kann man nicht arbeiten. Dies alles braucht nicht nur Kapital; es braucht, wie gesagt, auch Zeit. Auch wir, die industrialisierten europäischen Staaten, brauchten in der eigenen Geschichte viel Zeit dazu.
Eine primär binnenmarkt- und grundbedürfnisorientierte Strategie, die zuerst die Landwirtschaft und dann die Industrie, das kleine Gewerbe vor den Großinvestitionen fördert, muß natürlich durch Maßnahmen zur Verbesserung der weltwirtschaftlichen Position der Entwicklungsländer flankiert werden. Theorien der Abkoppelung sind zwar reizvoll; in praxi sind die Entwicklungsländer jedoch weiterhin auf den Weltmarkt angewiesen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gilt, endlich die zwei zentralen Hemmnisse zu beseitigen, die einer rationalen und gleichzeitig gerechten Lösung des Verschuldungsproblems entgegenstehen. Das erste Hemmnis: Privatbanken und Länder, die sich in der Kreditvergabe an Entwicklungsländer übermäßig und fahrlässig engagiert und geringe Risikovorsorge betrieben haben, hindern solide Banken und Länder daran, Teilverzichten und Zinskonzessionen zuzustimmen. Umgekehrt: Solide Banken wollen nicht die Zeche jener Kreditinstitute bezahlen, die sich entgegen solider Kreditvergaberegeln engagiert haben. Eine Mischung also aus Neid und Solidarität
unter den Reichen verhindert Gerechtigkeit gegenüber den Armen.

(Beifall bei der SPD)

Das zweite Hemmnis, das bisher eine Lösung der Schuldenkrise verhindert hat: Einigen Regierungen und Banken der Industrieländer ist die Überschuldung als Instrument wirtschafts- und außenpolitischer Disziplinierung gerade recht. Wie könnte man besser in souveräne Staaten hineinregieren; die Blockfreiheit der Blockfreien relativieren; teilen, um zu herrschen und die Entwicklungsländer dem wirtschaftlichen Diktat der Industriestaaten weiter unterwerfen?

(Dr. Pinger [CDU/CSU]: Das sind doch Unterstellungen, Verdächtigungen! — Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist der Abschnitt „Notwendige Verdächtigungen" !)

Aber auch hier gilt wohl der alte Spruch, Herr Pinger: Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht.

(Dr. Pinger [CDU/CSU]: Dann nennen Sie doch mal Namen und Beispiele!)

Es muß auch Ihnen zu denken geben, wenn ein kirchliches Arbeitspapier einer brasilianisch-deutschen Konferenz fordert, dem Pariser Club einen Schuldenklub gegenüberzustellen, wenn zunehmend Schuldnerstaaten den Versuch machen, ihre Finanz- und Wirtschaftsinteressen besser zu koordinieren — siehe die Cartagenagruppe, siehe die neue Südkommission unter Nyerere. Es muß auch zu denken geben, wenn es in immer schnellerem Rhythmus zur einseitigen Einstellung von Zahlungen kommt, wenn der IWF zunehmend zum Teufel des internationalen Finanzsystems hochstilisiert wird — eigentlich stehen ja die Industriestaaten als die Verantwortlichen dahinter — , wenn sich die Spannungen zwischen dem Norden und dem Süden bis tief in die Gefühle der breiten Bevölkerung hinein verhärten. Die SPD jedenfalls wird dieser Entwicklung nicht untätig zusehen.

(Beifall bei der SPD — Feilcke [CDU/CSU]: Dann ist den Ländern ja geholfen!)

Meine Damen und Herren, wir werden die Probleme nur lösen, wenn wir auch im Verhältnis zwischen Nord und Süd lernen, die Probleme auch aus der Perspektive der anderen zu sehen. Wir haben das im Ost-West-Verhältnis bei der Frage der Abrüstung gelernt. Wie wir im Bewußtsein gemeinsam geteilter Atomgefahr allmählich erkannt haben, daß nur Sicherheitspartnerschaft weiterhilft, so werden wir nur durch einen solchen Perspektivwechsel zwischen Nord und Süd zu einem wirklichen Dialog und auch zu einer Entwicklungspartnerschaft kommen können.

(Beifall bei der SPD)

Wir sollten es ernst nehmen, daß die katholische Kirche im Dokument Justitia et Pax und ebenfalls die evangelische Kirche, daß eine zunehmende Zahl von Politikern auch im US-Kongreß, aber auch führende Persönlichkeiten der internationalen Finanzwelt eine neue Orientierung im Schuldenmanagement fordern. Fritz Leutwiler etwa, der frühere Vorsitzende der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, sagte



Dr. Hauchler
klar, er stimme in den wesentlichen Punkten mit den Positionen des SPD-Antrags überein.

(Hört! Hört! bei der SPD — Zuruf von der SPD: Da staunt ihr! — Feilcke [CDU/CSU]: In der Überschrift!)

Wer unsere Vorschläge also immer noch als pauschal ablehnt, will sich im Grunde nicht bewegen oder ist nicht lernfähig. Dies will ich Ihnen bis jetzt, Herr Minister Klein, noch nicht unterstellen. Ich bin gespannt, was Sie zu den Vorschlägen der Kirchen und Fachleute, wie Herrn Herrhausen und Herrn Leutwiler, zu sagen haben. Werden Sie wie Ihr Vorgänger zögerlich weitergehen oder mutig einen Schritt voraus tun?

(Lutz [SPD]: Wieso mutig?)

Die Armen immer neu auf morgen und das den Reichen Passende zu verweisen, könnte leicht als Zynismus verstanden werden. Sicher werden Sie uns das in der heutigen Jungfernrede als Minister nicht zumuten. Ich habe Sie deshalb, und weil in dieser Sache auch Zusammenarbeit geboten ist, bewußt geschont.

(Oh-Rufe bei der CDU/CSU)

Die Bundesrepublik, der selbst in schwieriger Lage schon 1953 durch das Londoner Abkommen Schulden erlassen wurden — damals wurden sogar der Bundesrepublik Schulden erlassen! —, die Bundesrepublik Deutschland als eine der größten Handelsnationen steht in vorderster Front der Verantwortlichen für oder gegen eine Lösung des Verschuldungsproblems.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1103000200
Das Wort hat der Abgeordnete Feilcke.

Jochen Feilcke (CDU):
Rede ID: ID1103000300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hauchler, ich werde jetzt einfach schon aus Zeitmangel auf Ihre teilweise klassenkämpferischen Pflichtübungen gar nicht eingehen.

(Lutz [SPD]: Na, na!)

Ich finde, daß der relativ gute Eindruck, den Sie auf uns mit Ihrem Antrag gemacht haben, durch einen solchen Debattenbeitrag in Gefahr gerät.

(Lutz [SPD]: Dies ist albern!)

Meine Damen und Herren, als Mexiko 1982 vor der Zahlungsunfähigkeit stand, glaubten viele, der wirtschaftliche Zusammenbruch der Dritten Welt und des internationalen Finanzsystems stehe unmittelbar bevor. Diese Befürchtungen haben sich glücklicherweise nicht bewahrheitet. Das bisherige Schuldenmanagement hat den Zusammenbruch verhindert, der Schuldenanstieg ist verlangsamt worden. Wer allerdings geglaubt hat, bei den Zahlungsschwierigkeiten der Schuldner handele es sich lediglich um eine kurz- oder mittelfristige Liquiditätskrise, hat dazulernen müssen. Überschuldung und strukturelle Fehlentwicklungen sind die Ursachen der Krise vieler Entwicklungsländer; sie haben sich schlicht und einfach übernommen. Wer annahm, die Krise allein durch Umschuldungen, Zwischenfinanzierungen und Moratorien oder andere konventionelle Maßnahmen bewältigen zu können, hat sich ebenfalls getäuscht. Heute reichen solche Instrumente nicht mehr aus, den Ländern der Dritten Welt eine künftig stabile Entwicklung zu ermöglichen. Wir müssen prinzipielle - an das Finanzministerium gewandt, sage ich: auch unkonventionelle — Überlegungen anstellen.
Das von der SPD mit der Initiative gezeigte Engagement begrüßen wir. Wir finden es gut, daß wir heute zum richtigen Zeitpunkt über dieses wichtige Thema diskutieren können. Wir begrüßen auch, daß zumindest in Ihrem Antrag ein gewisser Realitätssinn erkennbar ist.
Noch im vergangenen Jahr wurde doch von Ihrem Altkanzlerkandidaten Rau eine Schuldenaufkaufagentur gefordert. Davon sind Sie abgerückt. Solche Forderungen — das wissen Sie auch — klingen gut, bringen aber nichts. Sie sind lediglich schlagzeilenträchtig. Daß sie nicht realistisch sind, haben Sie erkannt. Ihr Antrag zeigt, daß Sie im Prinzip der Bundesregierung zu folgen bereit sind.

(Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

Mit Ihrer Forderung nach einem Erlaß der Schulden für die am wenigsten entwickelten Länder — das wissen Sie — rennen Sie offene Türen ein. Ich brauche es jetzt nicht zu wiederholen: Die Bundesrepublik — das sage ich wirklich ohne Stolz, sondern deshalb, weil es sachlich richtig ist — ist nach wie vor Weltmeister im Schuldenerlaß gegenüber den am wenigsten entwikkelten Ländern. Aber wir wissen alle gemeinsam — ich glaube, darüber können wir uns verständigen — , daß das heute nicht mehr ausreicht. Wir müssen darüber nachdenken, ob das Instrument des Schuldenerlasses auch über die ärmsten Länder hinaus eingesetzt werden kann. Bei entsprechenden Eigenanstrengungen sollte ein begrenzter Schuldenerlaß in Zukunft auch für andere hochverschuldete Länder wie z. B. Brasilien und Mexiko nicht prinzipiell ausgeschlossen sein. Hier stehen wir vor der Wahl zwischen Konkurs und Vergleich. Wäre Mexiko 1982 tatsächlich zahlungsunfähig geworden, wäre das auch für viele Industrienationen schmerzhaft spürbar gewesen.
Mit Ihrer Forderung nach pauschaler Anbindung des Schuldendienstes an Exporterlöse und nach einer internationalen Schuldenkonferenz erwecken Sie aber falsche Hoffnungen. Es gibt keine globalen Patentrezepte. Die Verknüpfung von Schuldendiensten an Exporterlöse kann nur von Fall zu Fall und — so füge ich hinzu — sollte allerdings auch von Fall zu Fall erwogen werden. Denn auch in der Dritten Welt, Herr Kollege Professor Hauchler, sind derartige Forderungen, wie Sie sie formuliert haben, auf Kritik gestoßen. Ich meine nicht: weil Sie sie geäußert haben, denn diese Forderungen wurden ja nicht nur von Ihnen erhoben. Eine pauschale Verknüpfung von Schuldendienst und Exporterlösen hat z. B. der senegalesische Wirtschaftsminister Mamadou Touré kritisiert. Er hat gesagt, es sei sinnlos, den Schuldendienst an eine willkürliche Prozentzahl anzubinden, vielmehr müßten Land für Land besondere Kriterien erarbeitet werden. Da kann man ihm sicherlich zustimmen. Die Wirkungen der Preisentwicklungen auf dem Weltmarkt



Feilcke
sind zu vielschichtig, als daß eine Pauschallösung möglich wäre.
Globale Schuldenkonferenzen helfen auch nicht weiter. Im Gegenteil, die bisherige Erfahrung hat gezeigt: Man trifft sich auf hoher Ebene, politisiert und diskutiert, einigt sich dann auf einen Minimalkonsens und hat das Gefühl, etwas Wesentliches bewegt zu haben. Ich glaube, Stefan Andres hat das einmal so formuliert: Es muß etwas geschehen, sprach der Floh, und sprang, und als er dann nach diesem riesigen Kraftakt wieder an derselben Stelle gelandet war, war er sehr befriedigt, denn er glaubte, es sei nun etwas geschehen.

(Bindig [SPD]: Ist das die Kohlsche Regierungsweise?)

Finanziell realistisch und ordnungspolitisch vertretbar sind Entschuldungskonzepte, die investitionsbereites Kapital umlenken, bzw. Konzepte, die der Stabilisierung des Finanzmarktes dienen. Die unterschiedlichen Modelle des Schulden-Swap haben Sie inzwischen auch weitestgehend akzeptiert. Sie zeigen, daß man mit marktwirtschaftlichen Mitteln nicht nur einen Beitrag zur kurzfristigen Entschuldung, sondern auch zu einer langfristig positiven wirtschaftlichen Entwicklung leisten kann. Das Ziel dieser Modelle ist es, Schuldverpflichtungen der Entwicklungsländer gegen einen Abschlag in Beteiligungen ausländischer Investoren umzuwandeln. Wenn die Regierungen dieser Länder anreizbietende wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen schaffen, dann kommen auch die Investoren.
Das wesentliche Hindernis auf dem Wege zu einem langfristig garantierten Schuldenabbau und zu stabiler wirtschaftlicher Entwicklung in der Dritten Welt sind jedoch instabile Zinsen. Ich meine, daß wir an dieser Stelle ansetzen müssen, und ich finde, es ist unsere gemeinsame Aufgabe, darüber nachzudenken, wie verhindert werden kann, daß steigende Zinsen in Zukunft die Schuldendienstfähigkeit der Dritten Welt unmittelbar belasten, unmittelbar und voll auf sie durchschlagen und möglicherweise weitere Zahlungsverweigerungen produzieren.
Das Thema ist aktuell; es ist schon wegen der jüngsten Diskonterhöhung in den USA aktuell. Die Zinsen steigen. Der IWF hat in seinem weltwirtschaftlichen Ausblick vor den Folgen von Zinserhöhungen auf die Schuldenstrategie gewarnt. Deshalb finde ich — und finden wir — , daß wir gemeinsam prüfen sollten, ob nicht z. B. die Errichtung eines Zinsausgleichsfonds erwogen werden soll. Nicht nur die Entwicklungsländer, insbesondere die Gruppe der 24, fordern das. Auch Herr Herrhausen, der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, hat einen solchen Fonds angeregt. Ich finde, wir sollten gemeinsam darüber nachdenken, ob hier nicht ein Instrument geschaffen werden kann, gespeist von Gläubigern, Gläubigerländern und Gläubigerbanken, angesiedelt beim Internationalen Währungsfonds, um Zinssprünge für die Entwicklungsländer erträglich zu machen. Natürlich müßten die Entwicklungsländer auch hierbei in die Pflicht genommen werden. Die Möglichkeiten, eventuelle Fondsmittel in Anspruch zu nehmen, müßten an Bedingungen geknüpft werden, z. B. an die Umsetzung erfolgversprechender wirtschaftspolitischer Reformen.
Meine Damen und Herren, umgekehrt könnte natürlich die Sorge der Industrieländer und der Banken, durch einen solchen Fonds möglicherweise zur Kasse gebeten zu werden, die Industrienationen veranlassen, zinstreibende Staatsdefizite abzubauen. Ich glaube, daß wir in diese Richtung denken und arbeiten müssen. Ich meine, daß diese Debatte deshalb zum richtigen Zeitpunkt geführt wird und daß solche Strategien nicht nur für die Entwicklungsländer gut sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1103000400
Das Wort hat der Abgeordnete Volmer.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1103000500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in den letzten Tagen, seit der Jahrestagung des IWF, suggerieren wollen, sie und die internationale Finanzwelt hätten eine neue Strategie zum Managen des Schuldenproblems. Die SPD-Opposition dagegen behauptet, die Bundesregierung habe gar keine richtige Strategie. Beides ist meines Erachtens falsch. Die neue Strategie der Regierung ist die alte. Sie heißt: Durchwursteln, Durchwursteln nicht als Notlösung, sondern Durchwursteln als langfristig angelegtes Konzept, auf der Krise zu reiten und dabei möglichst viel für die Seite der Geschäftsbanken herauszuschlagen.
Davon, daß die Schulden jemals zurückgezahlt werden könnten, spricht heute niemand mehr. Der Bundesregierung wie dem IWF kommt es in erster Linie darauf an, die Zinszahlungsfähigkeit der verschuldeten Länder wiederherzustellen. Wenn das gelungen ist: sollen die Entwicklungsländer ihre Schulden doch behalten; um so besser, solange sie Schulden haben, müssen sie Zinsen zahlen, und es klingelt weiterhin in den Kassen der Großbanken. Das politikleitende Interesse dieser Regierung ist identisch mit dem langfristigen Geschäftsinteresse der Banken. Dafür nimmt die Bundesregierung nach wie vor folgendes in Kauf:
Erstens. Die Wirtschaftspotentiale der verschuldeten Länder werden durch die harte Auflagenpolitik des IWF zerstört.
Zweitens. Die verschuldeten Staaten müssen ihre Subventionen kürzen, Einschnitte im sozialen Bereich machen, Gesundheitsdienste abbauen, Bildungsangebote streichen und die Subventionierung von Grundnahrungsmitteln aufheben. Möglichst viele Waren der Entwicklungsländer müssen auf den Weltmarkt geworfen werden, wo sie wegen des künstlich erzeugten Überangebotes die Preise drücken.
Drittens. Demokratieentwicklung und innere Liberalisierung der betroffenen Länder werden aufs Spiel gesetzt.
Das Massenelend der Dritten Welt, das eher zu- als abnimmt — zum großen Teil eine direkte Folge der IWF-Auflagen-Politik — , ist für die Finanzpolitiker nur eine abstrakte Größe. Sie scheinen sich nicht im mindesten dafür zu interessieren, daß die Delle, die sie in der graphischen Kurve über die Entwicklung



Volmer
eines Landes sehen, real für Hunderttausende von Menschen das Absinken unter das Existenzminimum, verzweifelte soziale Gegenwehr und blutige Unterdrückung durch den Staatsapparat bedeutet.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie nehmen in Kauf, daß die natürlichen Lebensgrundlagen zerstört werden. Die Weltbank, deren Politik der Strukturanpassung an die IWF-Auflagen angelehnt ist, zerstört mit zahlreichen Mammutprojekten die letzten natürlichen Refugien für Mensch und Tier, für ein standortgerechtes naturnahes Leben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Während diese Politik jahrelang unbehelligt betrieben werden konnte, macht sich seit einiger Zeit weltweit Widerstand breit. Die Ökologiegruppen schließen sich zusammen, um der Zerstörung der Natur durch Weltbankprojekte Einhalt zu gebieten. Entwicklungspolitische Kreise, Kirchen und Oppositionsparteien streiten gegen die IWF-Politik. Im Namen der GRÜNEN-Partei, die nun seit vier Jahren in vorderster Front die geschilderte verhängnisvolle Politik bekämpft, fordere ich deshalb: Machen Sie Schluß damit, die Länder der Dritten Welt gewaltsam in den Weltmarkt zu integrieren! Beenden Sie die Politik, die die Lebenschancen der armen Völker weiter schmälert! Hören Sie auf damit, im Interesse der Geschäftsbanken die Zukunft der Entwicklungsländer zu ruinieren!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich kann jetzt schon ankündigen, daß sich im nächsten Jahr Tausende in Berlin versammeln werden, um der internationalen Öffentlichkeit diese Forderungen der internationalen Opposition zu überbringen.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Wo? Am Alexanderplatz?)

— Auch auf dem Alexanderplatz!

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Da bin ich aber gespannt!)

In Berlin werden Sie sehen, daß Sie Ihre Politik nicht ohne öffentliche Kritik, ohne Kritik aus den Sälen, ohne Kritik von der Straße und ohne Kritik vom Alexanderplatz, weiter betreiben können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nun wird von seiten der Finanzpolitik darauf hingewiesen, daß man doch neue Elemente in die Bewältigung der Schuldenkrise eingebracht habe. Meine Behauptung dazu ist: Diese Elemente bedeuten keinen Strategiewechsel, keinen Wechsel, der den armen Völkern zugute käme. Sie bedeuten nur Varianten in der Strategie des Durchwurstelns. Entlastung bringen sie für die Banken; für die Dritte Welt sind sie Strohhalme, die ihr zugeworfen werden.
Der vor zwei Jahren noch als weltwirtschaftliches Nonplusultra hochgejubelte Baker-Plan ist, wie von uns schon damals prophezeit, gescheitert. Er war nicht das effektivste Mittel im Sinne der Banken.
Sehen wir uns zwei der neuen Methoden an, und zwar erstens die Umwandlung von Forderungen in Beteiligungen, die sogenannten debt-to-equityswaps. Sie bedeuten, daß die Banken einen Teil ihrer
monetären uneinbringbaren Forderungen in Produktionsmittel des verschuldeten Landes umwandeln können. Viele Länder greifen nach diesem Strohhalm, ganz besonders diejenigen, deren korrupte Regime an solchen Geschäften mit verdienen, allen voran das von Chile.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Na, na, na!)

Dieses Instrument der Umwandlung bedeutet aber nichts anderes, als daß nicht nur, wie es im Rahmen der klassischen IWF-Anpassungspolitik der Fall ist, zum Zwecke der Devisenerwirtschaftung alles, was nicht niet- und nagelfest ist, auf den Weltmarkt geworfen werden muß, wo es zu lächerlich niedrigen Preisen von den Industrieländern aufgekauft werden kann. Nein, diese Umwandlungen bedeuten, daß nun auch Immobilien — Grund und Boden, Fabriken und andere Produktionsmittel — in den Besitz der in den Industrieländern beheimateten multinationalen Konzerne übergehen können. Der Ausverkauf des Landes nimmt verstärkte Formen an.
Zweitens. Auch die Möglichkeit, Forderungen an Entwicklungsländer auf dem Markt zu handeln, bedeutet keine Lösung für das verschuldete Land selbst. Lediglich im Extremfall kann dies eine Perspektive sein, nämlich dann, wenn — wie im Falle Boliviens — das betreffende Land selbst seine eigenen Auslandsverbindlichkeiten zu einem hohen Abschlag — in diesem Fall mit einem Abschlag von 90 % — zurückkaufen kann.
Wenn dieses Instrument tatsächlicher Schuldenstreichung allerdings von anderen Ländern eingefordert wird, wie etwa von Brasilien, wird es von den Banken schnell verweigert. Im Einzelfall, für ein völlig bankrottes Land, wird es akzeptiert; sobald es zum Präzedenzfall werden sollte, wird ein Riegel vorgeschoben.
Was passiert eigentlich, wenn eine Bank die faulen Forderungen mit einem Abschlag an eine eigene Tochter verkauft, die im verschuldeten Land selber ansässig ist? Die Konzernmutter kann den Abschlag steuermindernd, d. h. auf Kosten der Allgemeinheit, geltend machen. Die Tochter kann die etwa zu 70 % aufgekaufte Forderung dennoch zu 100 % vom Schuldnerland einfordern — ein tolles Geschäft für den Gesamtkonzern, eine weitere Runde des internationalen Finanzbetrugs!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Diese Beispiele machen deutlich: Die neuen Techniken sollen das Problem für die Seite der Banken, denen ihr eigenes spekulatives Spiel zu heiß wird, entkrampfen. Den Entwicklungsländern gegenüber werden die Forderungen aufrechterhalten.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Was der auf seinen Weltreisen für einen Blödsinn aufsammelt!)

Warum eigentlich werden die Forderungen aufrechterhalten, wo doch klar ist, daß die Schulden nie mehr zurückgezahlt werden können? Meine Behauptung ist die: Als Geldtitel sind sie wertlos, aber als Machttitel sind sie Gold wert.

(Beifall bei den GRÜNEN)




Volmer
Sie bieten den kapitalistischen Industrieländern einen goldenen Hebel, mit dem sie in alle Zukunft tief in die verschuldeten Länder hineinregieren können. Es ist ihr Hebel, um noch mehr handelspolitische Vorteile zu erzwingen und den Boden für Direktinvestitionen ihrer multinationalen Konzerne zu bereiten.
Diese Strategie wird verschleiert mit dem Hinweis auf die weltweiten Wachstumsraten, die das Verschuldungsproblem in einigen Jahren zum Verschwinden brächten. Aber wer glaubt schon daran? Wachstumsraten, wie sie vor drei Jahren vom IWF für nötig gehalten wurden, sind nicht eingetreten. Warum sollte die Prognose für die nächsten Jahre stimmen?
Und überhaupt: Mit Blick auf die immensen ökologischen Probleme der Welt meinen zumindest wir GRÜNEN: Ungezügeltes, ungerichtetes globales Wachstum ist überhaupt nicht wünschenswert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, hier ist eine klare Entscheidung gefordert: Wollen wir eine Lösung der Krise im Sinne der Banken, dann müssen wir die Bundesregierung unterstützen; wollen wir eine Lösung im Sinne der Grundbedürfnisse der armen Völker, dann gibt es nur einen strategischen Ansatz:

(Feilcke [CDU/CSU]: Die GRÜNEN unterstützen!)

Die Auslandsschulden der Entwicklungsländer müssen umfassend gestrichen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN — Hoss [GRÜNE]: Genau, das ist der Punkt!)

Nur die Streichung bietet die Chance für einen Neuaufbau. Nur sie gibt neue Spielräume, die genutzt werden können, um mit einer binnenorientierten Wirtschaft die Grundbedürfnisse der armen Bevölkerungsschichten zu befriedigen.
Es ist doch ein Irrwitz der Geschichte, daß ausgerechnet die Schichten, die nun einmal überhaupt keine Schuld an der Verschuldung trifft, als einzige darunter zu leiden haben. Die GRÜNEN dagegen sind der Ansicht: Wenn der Satz gelten soll „Wem das Risiko, dem der Gewinn" , muß auch umgekehrt gelten: Wer die Profite hatte, muß auch die Risiken tragen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das will heißen: Die Banken haben sich in den letzten Jahren dumm und dreist verdient, vor allen Dingen dreist. Aus den Überschüssen können sie Ausfälle aus Schuldenstreichungen gut bewältigen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Genau!)

Zweifellos haben auch zahlreiche Regierungen von Ländern der Dritten Welt eine gravierende Mitschuld durch Kapitalflucht und Korruption. Deshalb muß die Schuldenstreichung mit einem Neuanfang in diesen Ländern verbunden werden. Über die Methode, wie dies zu bewirken sei, kann man streiten. Die GRÜNEN jedenfalls lehnen alternative Formen von Erpressung ab. Wir kämpfen dafür, daß mit allen Mitteln die demokratischen und emanzipatorischen Kräfte eines Landes unterstützt werden, welche die neuen
Spielräume im Interesse der armen Schichten nutzen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch Illusion! — Zuruf von der SPD: Dafür seid ihr zu schwach!)

Der Prozeß der Schuldenstreichung muß ohnehin auf einer internationalen Konferenz verhandelt werden, für deren Einberufung sich die GRÜNEN ebenfalls stark machen wollen.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Ihr könnt ja gleich die Präsidentschaft übernehmen!)

Auf dieser Konferenz wird Raum sein, auch den hausgemachten Anteil an der Verschuldungsmisere mit den betroffenen Ländern zu diskutieren.
Doch eines muß klar bleiben: Wer den Schuldenerlaß vorenthalten will, um damit korrupte Regimes abzustrafen, trifft die Falschen. Leidtragende wären wieder die armen Menschen, denen die Lasten aufgebürdet würden. Wer die klare Entscheidung fällt, sich auf den Interessenstandpunkt der armen Schichten zu stellen, für den ist der Verteilungskampf zwischen den Banken und den korrupten Regimes zweitrangig. Für ihn gibt es nur die Forderung, daß beide Seiten — Regierungen und Banken — von Grund auf demokratisiert werden müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Kittelmann [CDU/CSU]: Was Sie unter Demokratie verstehen!)

Die Sozialdemokratie nimmt in ihrem Antrag diesen klaren Standpunkt leider nicht ein. Sie will Verbesserungen und Erleichterungen für die Länder der Dritten Welt, ohne aber die Bankenseite zu stark zu treffen.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Jetzt habt ihr es!)

Der SPD-Antrag scheint mir ein Kompromiß zwischen den fortschrittlichen Entwicklungspolitikern um den Kollegen Hauchler, der hier auch geredet hat, mit dem sich die GRÜNEN auch verständigen könnten, und den konservativeren Finanzpolitikern zu sein, die sich in letzter Instanz doch wieder durchgesetzt haben.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Wollen Sie keine Namen nennen? Wer sind denn die?)

Wir sagen: Die GRÜNEN kämpfen in der Schuldenfrage für keine irgendwie gearteten deutschen Lobbyinteressen.

(Feilcke [CDU/CSU]: Warum beleidigen Sie Herrn Hauchler?)

Wir sagen ganz deutlich: Wenn die Erpressung der Dritten Welt durch die Auflagenpolitik des IWF aufhört — Voraussetzung ist die Schuldenstreichung — , werden liebgewordene Produkte von dort wie Kaffee, Tee und Personalcomputer teurer. Aber zu vermuten ist auch: Wenn sich die Entwicklungsländer ihrer binnenwirtschaftlichen Entwicklung zuwenden und dabei zuallererst die Versorgung ihrer Völker mit Grundbedarfsmitteln im Auge haben, wird das Investitionsklima für internationale Konzerne schlechter, insbesondere dann, wenn wie wir GRÜNEN es fordern, Konzernförderungsinstrumente wie HermesBürgschaften und Kapitalschutzabkommen gegen-



Volmer
über wirtschaftlich unterlegenen Entwicklungsländern abgeschafft werden.
Aber dann vergrößert sich die Chance, daß die Konzerne ihre Produktionsstätten hier im Lande lassen, mit einem positiven Arbeitsplatzeffekt, in der Reichweite der Gewerkschaften und im Einzugsbereich des Gesetzgebers, der hoffentlich bald für ihre demokratische Kontrolle sorgt.
Dennoch, seien die Folgen für uns positiv oder negativ, im Interesse der Ärmsten fordern wir: Die Bundesregierung soll der Anpassungspolitik von IWF und Weltbank sofort ihre Unterstützung entziehen.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie soll sich dafür einsetzen, daß schon auf der nächsten Tagung des IWF in Berlin ein Zeitplan für den Ablauf der Schuldenstreichungen beschlossen wird.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie soll auf der Interimstagung im Frühjahr in der eigentlichen weltwirtschaftlichen Steuerungsinstanz der Gruppe der fünf stärksten Industrienationen ein Konzept für eine Schuldenstreichung einbringen. Sie soll mit gutem Beispiel vorangehen und alle Forderungen an Entwicklungsländer aus Entwicklungskrediten und Hermes-Bürgschaftszahlungen fallenlassen.
Berlin 1988: weltwirtschaftlicher Wendepunkt, Vordiskussion über eine gerechte Weltwirtschaftsordnung! Eine bessere Stadtwerbung, Herr Feilcke, könnte man sich wohl nicht wünschen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Die mögen ja nicht einmal Berlin!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1103000600
Das Wort hat der Abgeordnete Solms.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1103000700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz vieler beherzigenswerter und vernünftiger Vorschläge im SPD-Antrag werden wir diesem Antrag nicht zustimmen, weil er doch wieder pauschale Forderungen enthält, die in dieser Form nicht erfolgreich sein können, pauschale Forderungen wie beispielsweise globaler Schuldenverzicht oder internationale Schuldenkonferenzen.
Für eine dauerhafte Lösung der Probleme ist nicht die Frage relevant, wann die hochverschuldeten Länder die Forderungen ihrer Gläubiger tilgen. Entscheidend ist die Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit sie ihren finanziellen Verpflichtungen angemessen nachkommen können und auch ein Entgegenkommen der Gläubiger erwarten können. Mit „angemessen" meine ich nicht volle Erfüllung, aber das Bemühen um Erfüllung dieser Verpflichtungen.
Mittel- und langfristig muß es den Entwicklungsländern gelingen, wieder Vertrauen in die eigene Wirtschaftspolitik, in die Stabilität der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im eigenen Lande zu schaffen. Denn alle Anstrengungen zur Umschuldung bzw. zur Reduzierung der Schulden und zur Zuführung von frischem Geld sind so lange hinfällig, wie das Geld der Schuldnerländer als Fluchtkapital am nächsten Tag bereits wieder in den Industrie- Ländern gelandet ist.
Vertrauen ist die Voraussetzung dafür, daß Liquiditätshilfen von außen Aussicht auf Erfolg bieten, und Voraussetzung für einen Erfolg ist, daß diese Finanzmittel im Lande verbleiben. Für die Mehrzahl der betroffenen Länder stellt sich die Schuldenkrise somit weniger als ein Liquiditätsproblem, sondern vielmehr als ein Bonitätsproblem, ein Problem der Kreditwürdigkeit, dar. Denn nur wenn die Bonität vorhanden ist, wird das Geld dorthin fließen und insbesondere auch dort bleiben können.
Die Industrieländer müssen die Eigenanstrengungen der Schuldnerländer natürlich unterstützen, indem sie sich weiterhin nachdrücklich um eine stärkere Liberalisierung des Welthandels bemühen. Der weltweite Abbau von protektionistischen Maßnahmen ist eine Grundvoraussetzung dafür, daß sich die Entwicklungsländer wirtschaftlich erholen und wieder in den Welthandel integriert werden können.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die berechtigte Kritik trifft nicht nur die Importrestriktionen, mit denen die reichen EG-Länder, die USA und Japan die Agrarexporte der Entwicklungsländer fernhalten; sie trifft auch die hochsubventionierten überschüssigen Nahrungsmittel, die im Gegenzug von den Industrienationen auf den Weltmarkt geschleust werden. Die FDP begrüßt es daher sehr, daß die Bundesregierung und insbesondere Wirtschaftsminister Bangemann bei der jüngsten GATT- Runde in Uruguay nachdrücklich auf diese Probleme hingewiesen haben.

(Dr. Mitzscherling [SPD]: Das reicht nicht!)

Ihrer Initiative ist es zu danken, daß das Problembewußtsein bei den anderen Industrienationen gestiegen ist und daß die grundsätzliche Übereinstimmung zugenommen hat.
Bis jetzt hat sich das internationale Schuldenmanagement, zu dem sich die Regierungen, die Notenbanken, die Gläubigerbanken und internationale Organisationen zusammengefunden haben, funktioniert. Eine neue krisenhafte Verschärfung, wie sie 1982 mit der Zahlungsunfähigkeit Mexikos eingetreten war, konnte bis jetzt vermieden werden.
Die dabei gemachten Erfahrungen haben gezeigt, daß Lösungen nur in komplizierten und schwierigen Einzelverhandlungen mit den betroffenen Ländern erzielt werden können. Die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds und mit der Weltbank hat sich dabei als unabdingbar notwendig erwiesen. Die multinationalen Organisationen verfügen über die Kompetenz und die Länderkenntnis, um die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse vor Ort richtig einzuschätzen und um die finanziellen Hilfen mit angemessenen Auflagen zur Verbesserung der langfristigen Wachstumsbedingungen zu versehen.
Individuelle Lösungen müssen erarbeitet werden, da sich jedes Schuldnerland von anderen unterscheidet: durch seine besonderen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, durch Art und Grad der Verschuldung, durch die Gläubigerzusammensetzung, durch die Zahlungsbilanzlage und durch seinen politischen



Dr. Solms
Handlungsspielraum — um nur einige wichtige Kriterien zu nennen. Pauschale Lösungen wie die geforderte internationale Schuldenkonferenz sind dagegen völlig untauglich.

(Zustimmung des Abg. Feilcke [CDU/CSU] — Dr. Mitzscherling [SPD]: Das ist doch keine Lösung!)

Da werden gegenseitig nur politische Vorwürfe und Beschuldigungen ausgetauscht. Bei der Komplexität der einzelnen Fälle können öffentliche Großveranstaltungen eine Lösung der Probleme nur erschweren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der auch von der SPD geforderte Schuldenverzicht bewirkt das genaue Gegenteil dessen, was erwünscht ist. Stellen Sie sich vor: Jemand, dem Sie Geld geben, ist nicht bereit, dieses zurückzuzahlen, es sei denn, Sie gäben ihm zusätzlich Geld, mit dem er es dann zurückzahlen kann.

(Dr. Mitzscherling [SPD]: Lesen Sie doch erst einmal den Antrag!)

So wird niemals jemand zu einer vernünftigen Disziplin geführt werden können. Derjenige, der das Geld gibt, wird auch keinen Anlaß mehr sehen, in Zukunft wieder Geld zu geben.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1103000800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hauchler?

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1103000900
Bitte schön!

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (SPD):
Rede ID: ID1103001000
Herr Kollege, worauf führen Sie dann eine nationale Konkurs- und Vergleichsordnung zurück? Wie werden deutsche Unternehmen saniert? Geschieht das manchmal nicht auch durch einen teilweisen Forderungsverzicht von Banken?

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1103001100
Sicherlich, und ich habe einen Forderungsverzicht auch niemals ausgeschlossen. Aber es müssen die vertrauensbildenden Voraussetzungen geschaffen werden, damit eine solche Sanierung ein positives Ergebnis haben kann. Wo das nicht der Fall ist, werden diese Lösungsangebote auch nicht gemacht, auch in der privaten Wirtschaft nicht.

(Dr. Hauchler [SPD]: Aber Sie schließen das nicht aus?)

— Ich schließe das nicht aus, aber das muß in beidseitiger Zusammenarbeit erarbeitet werden.
Ein Land, das neue Kredite erhält, ohne die alten Schulden zurückzuzahlen oder auch nur die Bereitschaft dazu zu zeigen, wird sich in Zukunft ebenfalls so verhalten, daß es auch die späteren Kredite nicht zurückzahlt. Die Banken mußten bereits dem guten Geld schlechtes hinterherwerfen. Sie werden zukünftig nur dann bereit sein, sich mit kommerziellen Krediten in diesen Ländern zu engagieren, wenn Eigenanstrengungen sichtbar sind, wenn wieder Vertrauen in die Führung besteht und wenn das Klima für die Kreditwürdigkeit verbessert wird.
Schließlich fordert die SPD, daß die privaten Gläubigerbanken ihre finanziellen Engagements in der Dritten Welt verstärken sollen. Sie sagt aber nicht — das ist das Entscheidende — , unter welchen Voraussetzungen man das von den Banken verlangen kann. Die privaten Banken müssen eine Beurteilung von Fall zu Fall vornehmen.
Die steuerliche Berücksichtigung von Wertberichtigungen ist in der Bundesrepublik, in den USA und Japan höchst unterschiedlich geregelt. Die Mehrzahl der deutschen Banken hat ihre Kredite an notleidende Entwicklungsländer im Durchschnitt bereits zu einem hohen Prozentsatz steuerwirksam wertberichtigt. Diese Entwicklung ist auch aus nationalen Gründen der Stabilität der Banken zu begrüßen. Die deutschen Banken stehen auf jeden Fall im internationalen Vergleich gut da. Es wäre darum zu prüfen, inwieweit es ihnen möglich ist, im Rahmen ihrer internationalen Konsortialverpflichtungen ein stärkeres Entgegenkommen bei den Umschuldungsverhandlungen zu zeigen. Dies kann und darf natürlich nur im Rahmen der Schulden- und Bankenkonsortien geschehen.

(Zuruf von der SPD: Die zerbrechen doch sowieso schon!)

Die deutschen Banken können sich im Rahmen der internationalen Konsortien nicht isolieren. Sie müssen bedenken, daß die Konsortien teilweise aus mehreren hundert Banken bestehen. Es geht darum, daß die deutschen Banken Einfluß dahin ausüben, so weit wie möglich entgegenzukommen, ohne daß sie in eine isolierte Position getrieben werden, die ihnen darüber hinaus bei ihren Inter-Bankbeziehungen schaden würde.

(Dr. Hauchler [SPD]: Die lösen sich zur Zeit doch auf!)

Das Entgegenkommen könnte darin bestehen, daß die Bankkonsortien frisches Geld zur Verfügung stellen, einen Teilverzicht auf die Schulden bzw. auf die Zinsen gewähren, verlängerte Tilgungszeiträume vereinbaren oder eine Kombination all dieser Maßnahmen vorsehen. Dadurch könnte ein wirksamer Druck erzeugt werden, um zu echten Fortschritten bei der Entspannung der Schuldensituation zu gelangen. Denn es ist zwar wichtig und sinnvoll, daß die Risikovorsorgepolitik der deutschen Kreditinstitute steuerlich unterstützt und vorangetrieben wird; dies allein bringt den Schuldnerländern jedoch noch keine Hilfe.
Unabdingbar ist auch in Zukunft die enge Zusammenarbeit der Regierungen und der privaten Banken mit dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Beide müssen mit den notwendigen Instrumenten und Mitteln zur Lösung der Schuldenkrise ausgestattet werden. Die Bundesregierung ist bereit, einen angemessenen Anteil daran zu tragen. Die FDP begrüßt, daß die Bundesregierung einen überproportionalen Anteil bei der letzten Aufstockung der IDA- Mittel übernommen hat und daß die Verhandlungen über eine Kapitalerhöhung bei der Weltbank eingeleitet sind. Auch die ohnehin routinemäßig anstehende Überprüfung der finanziellen Ausstattung des Internationalen Währungsfonds ist zu unterstützen.
Die internationalen Finanzmärkte entwickeln seit geraumer Zeit eine eigene Lösung der Schuldenkrise. Dabei handelt es sich um die verschiedensten Formen der Umwandlung eines Teils der problembehafteten



Dr. Solms
Kredite in handelbare Wertpapiere. Die Finanzierungstechnik der debt-equity-swaps sieht z. B. so aus, daß private Gläubiger ihre Forderungen mit Abschlag an die hochverschuldeten Länder selbst oder an Dritte verkaufen.

(Bindig [SPD]: Seelenloses Bankergerede!)

Dort kann das Geld in Beteiligungen bzw. Investitionsobjekte, unabhängig vom ursprünglichen Schuldner, fließen.
Diese Entwicklung ist grundsätzlich positiv zu beurteilen. Sie zeigt, wie der Markt eigene Lösungsmöglichkeiten sucht und findet.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Fazit: Die Lösung der Schuldenkrise kann langfristig ausschließlich über die wirtschaftliche Gesundung und die Wiederherstellung der Kreditwürdigkeit der Schuldnerländer erfolgen. Auf dem Weg dahin müssen alle Beteiligten im Rahmen ihrer Möglichkeiten die eigenen Anstrengungen der Entwicklungsländer unterstützen und fördern. Die Bundesregierung und die deutschen Banken sind bereit, ihren Teil dazu beizutragen; denn dies ist der einzig mögliche Weg. Pauschale Forderungen nach Zins- und Schuldenerlaß oder nach internationalen Schuldenkonferenzen, die zu politischen Blockbildungen führen, helfen nicht weiter.
Deshalb bitte ich Sie, den Antrag der Koalitionsfraktionen zu unterstützen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1103001200
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1103001300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst bedanke ich mich in aller Form bei den Fraktionen von CDU/CSU und FDP für ihren Antrag zur Verschuldungskrise, der, wohldurchdacht und verantwortungsbewußt formuliert, die komplizierten, weit über die Finanzbeziehungen hinausgreifenden Wechselbeziehungen der bisherigen und der künftigen Nord-Süd-Zusammenarbeit beschreibt.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Herr Kollege Hauchler, ich bedanke mich auch für Ihren Antrag,

(Bindig [SPD]: Da haben Sie etwas gelernt, nicht wahr?)

der genauso von der Sorge um die Zukunft der Dritten Welt getragen ist und mit dem ich in zahlreichen Punkten übereinstimme.
Daß in dieser wichtigen Debatte, in der es um mehr geht als bloß um internationale Finanzströme und banktechnische Verfahren, der gemeinsame Wille zu konkreter Hilfe für die Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika deutlich wird, kann ich als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit nur ausdrücklich begrüßen. Freilich, angesichts der bitteren Not von Millionen Menschen, aber auch angesichts der gigantischen Entwicklungsmöglichkeiten der Dritten Welt erscheinen manche unserer politischen Meinungsunterschiede eher unerheblich. Mit diesem Hinweis will ich indes weder die demokratische Auseinandersetzung um den rechten Weg zum gemeinsam erstrebten Ziel entwerten noch den Gegensatz zwischen Regierung und Opposition bestreiten. Wohl aber möchte ich faire Zusammenarbeit — ich greife Ihr Wort auf, Herr Professor Hauchler — in der Entwicklungspolitik anbieten, in der aus gemeinsamer Verantwortung gemeinsame Anstrengungen nötig sind.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Und Welthungerhilfe!)

Dazu ermutigt fühle ich mich durch die beiden Anträge, enthält doch auch der SPD-Antrag vielfältige Bekräftigungen der Entwicklungspolitik dieser Bundesregierung. Das gilt für die meisten analytischen Bemerkungen ebenso wie für etliche Schlußfolgerungen und Handlungsempfehlungen.
Erlauben Sie mir, einen Satz zu zitieren, den Bundespräsident von Weizsäcker im Frühjahr auf seiner Lateinamerika-Reise mehrfach öffentlich ausgesprochen hat: „Die Schuldenfrage ist keine Schuldfrage. " Das heißt, daß Gläubiger und Schuldner gemeinsam am Zustandekommen des über 1 000 Milliarden US-Dollar hohen Schuldenbergs beteiligt waren. Der Versuch, jetzt einseitig Mißwirtschaft der Schuldnerländer oder Leichtfertigkeit der nationalen, multinationalen oder privatwirtschaftlichen Kreditoren dafür verantwortlich zu machen, ist mithin unzulässig. Beide Seiten wußten damals, was sie taten, und sie müssen jetzt wissen, was sie tun.
Wir, die Bundesrepublik Deutschland, als staatlicher Kreditgeber, als Mitglied der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds, der regionalen Entwicklungsbanken in Afrika, Asien, Lateinamerika und zahlreicher europäischer wie weltweiter Entwicklungsagenturen, aber auch die deutschen Geschäftsbanken sind jetzt gefordert, das Richtige zu tun. Das Richtige ist nach meiner Auffassung alles, was die Verschuldung der Dritten Welt schon mittelfristig verringert und nicht vergrößert,

(Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP)

was die Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer fördert und nicht hemmt, was den Anteil Afrikas, Asiens, Lateinamerikas am Welthandel wieder steigert und nicht weiter senkt, was die Kreditwürdigkeit der Schuldnerländer rasch wiederherstellt und herstellt auf und nicht auf lange Sicht gefährdet. Insoweit kann ich Übereinstimmung zwischen Koalition und sozialdemokratischer Opposition konstatieren. Auseinander gehen die Meinungen in der Frage, ob globale Lösungen, etwa nach dem Vorbild des Londoner Schuldenabkommens von 1953, das sich allerdings nur auf ein einziges Schuldnerland bezog, möglich sind

(Dr. Hauchler [SPD]: Die Bundesrepublik!)




Bundesminister Klein
— Herr Professor, es ist immer gut zu belehren: Es war die Bundesrepublik Deutschland — oder ob jeder Fall unterschiedlich gelöst werden muß.

(Dr. Hauchler [SPD]: Das wollen wir auch!)

Welchen gefährlichen Konfliktstoff globale Lösungen entwickeln könnten, will ich nicht allein mit dem gängigen, wiewohl richtigen Hinweis auf die Ungerechtigkeit gegenüber den schon in der Vergangenheit um sparsame und vernünftige Wirtschaftsführung bemühten Ländern begründen. Schuldner und Gläubiger höchst unterschiedlicher Kategorie könnten von einer wie auch immer gearteten Weltkonferenz zu nichts gezwungen werden. Nur ganze 7 % der Schulden stammen aus bilateraler öffentlicher Entwicklungshilfe, 17 % sind Exportkredite, die durchweg staatlich verbürgt wurden, 10 % sind Kredite multilateraler Finanzierungsinstitute, 3 % Kredite des Internationalen Währungsfonds und 11 % Kredite anderer Kreditoren, wie Arab Fund oder RGW-Staaten. Über die Hälfte, nämlich 52 %, sind Schulden bei Geschäftsbanken,

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

und hier stehen die deutschen Banken nach den USA, Japan, Großbritannien, Kanada und Frankreich mit einer Größenordnung von rund 8 % erst an sechster Stelle.
Noch deutlicher wird die Fragwürdigkeit, ja Unmöglichkeit von Globallösungen durch einen differenzierten Blick auf die unterschiedlichen Kategorien der Schuldnerländer. Die 39 allerärmsten sind nur noch mit etwa 4 % an den Gesamtschulden beteiligt, und der Empfehlung, dieser Kategorie die öffentlichen Schulden ganz zu streichen, ist die Bundesrepublik Deutschland weitestgehend gefolgt. Mein Kollege Feilcke hat daran erinnert. Sie hat ihnen 4,2 Milliarden DM Schulden erlassen. Das ist über die Hälfte aller Streichungen, die bislang von Geberländern vorgenommen wurden. Aus Gründen der Korrektheit muß ich hier anfügen, daß dieser Schritt bereits von meinen Vorgängern Offergeld und Warnke getan wurde und daß andere Geberländer jener Kategorie von Entwicklungsländern von vornherein mehr Zuschüsse gewährt als Kredite gegeben haben.
Fast zwei Drittel aller Schulden haben die 23 am weitesten entwickelten Länder der Dritten Welt, die aber größtenteils über bedeutende Wachstumsraten verfügen. Doch auch das breite Mittelfeld der Schuldnerländer, das mit 34 % an der Gesamtverschuldung beteiligt ist, muß zumindest noch in die beiden Kategorien der 37 sogenannten anderen Länder mit niedrigem Einkommen und der 46 Länder mit mittlerem Einkommen unterteilt werden. Vor diesem Hintergrund erscheint auch die Einführung einer Schuldendienstobergrenze von etwa 20 % der Exporterlöse als ein Instrument, das die unterschiedliche Leistungsfähigkeit der Entwicklungsländer nicht ausreichend berücksichtigt und im Einzelfall zu kontraproduktivem Wirtschaftsverhalten führen könnte. Von der Wahlmöglichkeit, Verbindlichkeiten in anderen als den ursprünglich vereinbarten Währungen zu erfüllen, ist verschiedentlich schon Gebrauch gemacht worden;
allerdings wird hierbei das Zinsrisiko gegen das Wechselkursrisiko eingetauscht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Der SPD-Antrag ist am 17. September dieses Jahres eingebracht worden, weshalb in den Forderungskatalog an Internationalen Währungsfonds, Weltbank und regionale Entwicklungsbanken die Beschlüsse und Vereinbarungen der Herbsttagung in Washington noch nicht eingearbeitet sein konnten.
Die substantielle IDA-Auffüllung, also eine Kapitalzuweisung an die Internationale Entwicklungsagentur der Weltbank, in Höhe von 12,4 Milliarden US- Dollar, die nunmehr beschlossene Kapitalerhöhung der Weltbank in einer Größenordnung zwischen 49 Milliarden und 89 Milliarden US-Dollar und die vereinbarte Erhöhung des insbesondere für Hilfsmaßnahmen südlich der Sahara vorgesehenen Strukturanpassungsfonds beim Internationalen Währungsfonds sind auch beträchtliche Beiträge zum Abbau der Verschuldung.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, aus gutem Grund halte ich es für wichtig, ein Wort über die Rolle von Weltbank und Währungsfonds zu sagen. Beide Einrichtungen befinden sich im Besitz der 151 Staaten, die Anteile gezeichnet haben. Es sind Industrieländer wie Entwicklungsländer, von der Volksrepublik China bis zur Bundesrepublik Deutschland. Die Stimmrechtsanteile entsprechen den Quotenanteilen, wobei die Industrieländer knapp 2 % weniger und die Entwicklungsländer knapp 2 % mehr Stimmrechte als Quoten haben. Dennoch verbleibt ein Stimmenverhältnis von rund 60 % zu rund 40 % zugunsten der Industrieländer.
Die Diskussion über die auch im SPD-Antrag erhobene Forderung, dieses Stimmrechtsverhältnis zugunsten der Entwicklungsländer zu verbessern, möchte ich, weil es den zeitlichen Rahmen dieses Debattenbeitrags sprengen würde, gerne mit den Kollegen im Ausschuß führen. Auf zweierlei muß ich aber hinweisen:
Erstens. Die Zusammenarbeit zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern im Gouverneursrat der Weltbank und im Gouverneursrat des Internationalen Währungsfonds ist sachbezogen und verständnisvoll. Auch die größtenteils hochqualifizierten hauptamtlichen Mitarbeiter beider Institutionen, die ebenfalls von den verschiedenen Mitgliedsländern gestellt werden, üben ihre Tätigkeit in einem Klima gegenseitigen Vertrauens aus. Von den vorübergehenden Irritationen im Zuge der jüngsten Reorganisationen der Weltbank sehe ich hier ab.
Zweitens. Sowohl als internationale Einrichtungen mit Vertretungen vor Ort in der Dritten Welt als auch als Foren insbesondere bei den Jahrestagungen leisten Weltbank und Währungsfonds auch wichtige Beiträge zur Bewußtseinsbildung in der Entwicklungszusammenarbeit. Unbeschadet aller Fehler und Unzulänglichkeiten, die ihnen wie allen menschlichen Einrichtungen eignen, gehören sie zu den seriösesten und effizientesten Entwicklungshilfeinstrumenten, über welche die internationale Staatengemeinschaft verfügt.



Bundesminister Klein
Deshalb geht der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auch in diesem Punkt an der Wirklichkeit vorbei.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In seiner unsensiblen Selbstgewißheit gegenüber den Entwicklungsländern und seiner schuldzuweisenden Gewaltsprache gegenüber den Industrieländern wird er nur noch überboten von der Feststellung eines Herrn Holger Baum, der als Pressereferent der Deutschen Welthungerhilfe den unglaublichen Satz verbreitete, daß unter den sozialen Folgen der IWF-Politik mehr Menschen zu leiden haben als unter Kriegen, Natur- und Dürrekatastrophen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich! — Frau Unruh [GRÜNE]: Wenn es doch stimmt!)

Solche polarisierende, verantwortungslos polarisierende Stimmungsmache darf nicht den Ton der Diskussion über die notwendigen, die notwendenden Anstrengungen für die Menschen in der Dritten Welt bestimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Damit ich nicht mißverstanden werde: Wo Kritik angebracht ist, auch Kritik an unserem eigenen Verhalten, muß sie geübt werden. Sachliche Kritik, die uns zum Nachdenken darüber zwingt, welchen Stellenwert die 3,5 Milliarden Menschen auf der südlichen Halbkugel in unserem persönlichen Empfinden und in unserem politischen Handeln haben, ist unabdingbar.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Geld regiert die Welt!)

So gehört der absurde Kapitalstrom von Süd nach Nord, den Bundesbankpräsident Pöhl „Nettoressourcentransfer in die falsche Richtung" genannt hat, zu jenen gefährlichen und entwicklungsfeindlichen Auswirkungen der Verschuldung, mit denen wir uns besonders kritisch auseinanderzusetzen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir müssen uns kritisch fragen — ich habe das mit großer Eindringlichkeit auch auf der Herbsttagung der Weltbank getan — , ob wir nicht eine einmalige Chance versäumen, wenn die Leistungen der Industrieländer genau zu dem Zeitpunkt stagnieren oder gar zurückgehen, zu dem eine wachsende Zahl von Entwicklungsländern ernsthafte wirtschaftliche und politische Reformanstrengungen unternimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wiewohl in der Politik jede Partei, jedes Land, jede Staatengruppierung das eigene Verhalten stets so positiv wie möglich darzustellen trachtet, tut uns kritische Prüfung not,

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

wenn es um Deregulierung, Subventionsabbau und Marktöffnung geht. Oft genug verlangen wir von Entwicklungsländern, die dabei auch noch wirklich einschneidende politisch-soziale Folgen bewältigen müssen, mehr Mut und mehr Durchsetzungskraft, als
wir in den Industrieländern bei Entscheidungen über vergleichbare Fragen aufbringen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Vernünftige Rahmenbedingungen als Voraussetzung für wirtschaftliche Gesundung, Erleichterung und schließliche Lösung des Schuldenproblems sind allgemein als notwendig anerkannt. Die SPD sagt in ihrem Antrag, die Schuldnerländer sollten eine Politik verfolgen, die die Einhaltung der Umschuldungsabkommen sichert. Herr Kollege Hauchler, ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und sage: Die Gläubigerländer müssen eine Politik verfolgen, die den Schuldnerländern die Einhaltung der Umschuldungsabkommen auch ermöglicht.

(Zustimmung bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

Es ist in diesem Zusammenhang nicht meines Amtes, die Banken für ihr Geschäftsgebaren zu kritisieren oder ihnen Ratschläge für den Umgang mit heute notleidenden, aber eines Tages ganz gewiß starken Finanzmärkten zu erteilen.

(Dr. Hauchler [SPD]: Warum eigentlich nicht?)

Es ist aber auch nicht meines Amtes, Verhandlungspositionen der Banken zu verteidigen, die ausweislich ihres eigenen pragmatischen Vorgehens längst zur Disposition stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dabei verkenne ich weder das wohlverstandene Eigeninteresse der Banken an einer nachhaltigen Entwicklung der Dritten Welt noch ihre Verantwortung gegenüber Sparern, Aktionären und — im Falle von Verlustabschreibungen — auch gegenüber den Steuerzahlern.
Die Schuldenkrise der Dritten Welt kann weder als isoliertes Problem betrachtet noch gelöst werden. Deshalb besteht der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland, der zum Teil bereits geleistet wird, zum Teil gerade in Gang kommt, zum Teil aber auch vor dem Hintergrund unserer Haushaltslage erst noch erarbeitet werden muß, aus einem Maßnahmenbündel, das auf dauerhafte Entwicklung der betroffenen Länder zielt. Bei allen Überlegungen, die wir gemeinsam mit dem Parlament anstellen wollen, und bei allen Entscheidungen, die wir in der Bundesregierung zu treffen haben werden, muß die Frage eine Hauptrolle spielen, ob das Verhältnis zwischen Zuschüssen und Krediten den Erfordernissen der Entwicklungsländer gerecht wurde.
Ludwig Erhard hat in einer Denkschrift, die er am 30. September 1958, also vor fast 30 Jahren, dem damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer zustellte, erklärt:
Kredite können nur dann fruchtbar sein oder erst fruchtbar werden, wenn die wirtschaftliche und technische Rückständigkeit auf breitester Grundlage, sei es durch die Verbesserung der Landwirtschaft oder die Ausstattung der kleinen gewerblichen Wirtschaft mit leistungsfähigeren Apparaturen, überwunden wird.



Bundesminister Klein
Diese Feststellung traf damals zu. Wie zutreffend sie bis heute geblieben ist, zeigt die Schuldenkrise der Dritten Welt. Wir alle, denen das Schicksal der Menschen in Asien, Afrika und Lateinamerika am Herzen liegt, sind gut beraten, Ludwig Erhards Erkenntnis wenigstens für die künftige Entwicklungszusammenarbeit ernst zu nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1103001400
Das Wort hat der Abgeordnete Wieczorek.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1103001500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die „Financial Times" hat in bezug auf die Verhandlungen Brasiliens mit dem Währungsfonds eine schöne Überschrift gehabt: „A battle of words and wits", etwas frei übersetzt: Die Schlacht zwischen guten Absichten und Schlitzohrigkeit. Das war schon 1983, aber geändert hat sich wohl noch nichts, wenn ich das richtig sehe. Ich finde Ihre heutige Begrüßung der Tatsache, daß es bisher noch keinen Crash gegeben hat, ja ganz verständlich. Ein gewisser Widerspruch aber ist in Ihren Anträgen schon enthalten, wenn Sie sagen, daß es so nicht weitergeht. Ich glaube, dann sollte man ganz offen sagen: Was bisher geschehen ist, war eigentlich nur Durchwurstelei. Es hat nämlich die Situation nicht verbessert, sondern verschlechtert. Die Verwerfungen in den Entwicklungsländern, die verschuldet sind, sind eher stärker geworden.

(Feilcke [CDU/CSU]: Es gilt das gesprochene Wort!)

— Okay. Ich komme noch darauf zurück. Sie haben ja ein paar Sachen gesagt, die nicht uninteressant sind. Man muß sie festhalten. Ob auch Herr Stoltenberg das gerne hört, ist dann eine andere Frage.
Aber eines muß man feststellen: Es ist nicht nur eine Frage der Finanzmärkte, sondern vor allen Dingen auch der realen Märkte. Ich möchte ein englisches Sprichwort gebrauchen: „Charity begins at home". Es geht um das Eingeninteresse, das wir haben.
Daß die Importe Argentiniens von 1981 bis 1986 von 9,4 Milliarden auf 5,1 Milliarden Dollar und die Brasiliens von 24 auf 16,4 Milliarden Dollar gesunken sind, ist ein Zeichen dafür, daß die Importfähigkeit dieser Länder abgenommen hat, was aber nichts anderes heißt, als daß Exportchancen für uns weggefallen sind, weil diese Länder nicht in der Lage waren, das zu tun, was sie zur eigenen Entwicklung tun möchten.
Die Forderung nach einer echten Lösung des Verschuldungsproblems liegt daher auch aus diesem Grund in unserem ureigenen Interesse. Ich muß gestehen, ich hätte eigentlich von Herrn Solms erwartet, daß er das vielleicht auch einmal Herrn Bangemann erzählt. Er hat nämlich gerade erst im September eine große Rede in Oakland, Kalifornien, über den Welthandel gehalten. Aber den Zusammenhang zwischen Schuldenkrise und Welthandelsentwicklung hat er dabei weitgehend geschlabbert. Dies hängt vielleicht mit der besonderen Analysefähigkeit des Herrn Bangemann zusammen. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

(Dr. Solms [FDP]: Die Analysefähigkeit von Herrn Bangemann ist unbegrenzt!)

— Sie ist unbegrenzt. Das wissen wir. Deswegen schwebt er auch bei allen Themen oben drüber und ist nie drin. Das ist richtig.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Schauen wir uns das Joint Economic Committee des US-Kongresses an: Dort wurde eine sorgfältige Analyse gemacht, was die Schuldenkrise für Auswirkungen auf die Realwirtschaft in den USA hat. Das war auch die Grundlage, warum Leute wie Bradley und Sabarnes — das sind ja wichtige Leute — gesagt haben: Liebe Banken, ihr müßt euch jetzt auch einmal umorientieren und an Schuldenverzicht denken. — Ich halte das für einen der Gründe, warum amerikanische Banken neuerdings Realismus zeigen und wissen, wohin die Reise geht. Heute morgen ist das erfreulicherweise auch bei einigen Rednern deutlich geworden, bei denen ich das so klar nicht erwartet hatte.
Unsere amerikanischen Kollegen haben allerdings auch ein Interesse daran, und ich lege großen Wert darauf, daß dies bei der wirtschaftlichen Argumentation in unserem Gedächtnis bleibt, daß wir ein großes humanitäres und politisches Interesse an Demokratisierungsprozessen in den verschuldeten Ländern haben. Allein dieses Interesse würde übrigens genügen, um eine endgültige Lösung des Problems zu fordern und die Periode des Durchwurstelns zu beenden.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Es sei aber vielleicht noch einmal daran erinnert, wie es zu dem Durchwursteln kam. Es ging ja in den 70er Jahren los, nämlich mit dem allseits bejubelten „Petrodollar-Recycling" durch die privaten Banken. Wer damals kritisch einwandt, daß es leicht ist, Kredite zu geben, es aber manchmal schwierig ist, sie wieder einzusammeln, wurde sozusagen als irrer Spinner abgetan. An den Folgen der weltweiten Rezession aber, die dann eintrat, verbunden mit einer vor allen Dingen durch die heimische Politik der USA verursachten Hochzinsphase, ging dann dieses ganze Spiel kaputt. Das begann eigentlich 1981 in Polen, wenn auch zum Teil aus anderen Gründen. Es ging dann weiter über Mexiko und Brasilien; ich brauche wohl nicht alle Länder aufzuführen.
Das Schuldenproblem wurde also damals durch Fehlentscheidungen produziert. Es geht sicherlich nicht darum, heute Schuldzuweisungen vorzunehmen; das zu betonen halte ich auch für wichtig. Wir sollten uns aber daran erinnern. Wir sollten uns ebenfalls daran erinnern, daß damals falsch reagiert wurde. Vielleicht auch — ich sage das bewußt entschuldigend — , weil man keine andere Institution hatte, wurde die falsche Institution „Internationaler Währungsfonds " damit beauftragt, obwohl dieser niemals dafür vorgesehen war. Der Währungsfonds war dazu da, kurzfristige Liquiditätsschwierigkeiten zu überwinden, nicht langfristige Entwicklungsprobleme zu lösen. Es gab vielleicht nichts anderes, aber



Dr. Wieczorek
das war einer der Webfehler der ganzen Geschichte.
Die Forderungen des IWF sind ja auch so gewesen: den Gürtel bei den Massen enger schnallen, den heimischen Konsum einschränken, weniger importieren und auf Teufel komm heraus exportieren. Die Folgewirkung davon waren eine wesentliche Verschlechterung der sozialen Lage für die große Mehrheit der Bevölkerung in den betreffenden Entwicklungsländern, eine Vernachlässigung der auf Importe angewiesenen Modernisierung der Industrie und Infrastruktur sowie eine einseitige Ausrichtung auf kurzfristige Exportchancen. Das führte übrigens dann sehr schnell auch zu protektionistischen Regelungen.
Herr Mein, ich bin voll einverstanden: Wir sollten uns an die eigene Nase fassen. Wenn ich an die Behinderung von Stahlimporten aus Brasilien in die USA denke, dann ist das ein Beispiel dafür — aber nur eines. Gleichzeitig haben sich die terms of trade für die Entwicklungsländer sehr verschlechtert, die Rohstofferlöse sind auch strukturell zurückgegangen, und alle Anstrengungen, die letzten Endes gemacht wurden, führten zu nichts. Das Bestreben und der Druck, zumindest die Zinsen zu zahlen, führten vielmehr immer mehr in die Misere von Unterversorgung, Arbeitslosigkeit und nachlassender und fehlgeleiteter Entwicklungsdynamik. Letztlich wurden im finanzwirtschaftlichen Interesse der Gläubiger die realwirtschaftlichen Interessen der verschuldeten Länder, aber auch der Gläubigerländer geopfert.
Begleitet wurde das Ganze übrigens immer wieder mit optimistischen Erklärungen, Gesundbeterei und der Überschätzung kurzfristiger Besserungserscheinungen — auch in Debatten in diesem Hause, wenn ich daran erinnern darf. Heute morgen war das alles ein bißchen nüchterner; das fand ich erfreulich, wenn ich das einmal einflechten darf.
Tatsächlich stieg aber die Schuldenlast in dieser Zeit. Deswegen ist es eben nicht einfach nur ein Punkt, daß man halt über die Runden gekommen ist. Die Situation hat sich verschlechtert. Die Schuldenlast stieg nämlich auf über 1 000 Milliarden Dollar. Der Schuldendienst führte in vielen Ländern sogar zu negativen Kapitalabflüssen. So stieg der Anteil der Schulden am Bruttosozialprodukt der Entwicklungsländer nach Unterlagen der Weltbank — dies bezieht sich auf alle Länder, also auch auf die nicht hochverschuldeten Lander — von 20,6 % im Jahre 1980 auf 35,4 % im Jahre 1986. Der Anteil der Schulden an den Exporten liegt in vielen Fällen über 300 % und geht bis an 400 %, übrigens mit wachsender Tendenz.
Selbst der Schuldendienst beansprucht nach den verschiedensten Umschuldungsveranstaltungen, über die wir ja bisher schon gesprochen haben, bei einer Reihe von Ländern weit über 30, zum Teil über 40 % der Exporterlöse. Im Saldo bleibt festzuhalten, daß die laufenden Umschuldungsspektakel für die Gläubiger zwar Zeit gebracht haben, aber daß dies zu Lasten der tatsächlichen Kreditwürdigkeit und der Kreditfähigkeit der Schuldner ging, aber auch zu Lasten ihrer Entwicklungschancen.
Mir scheint, daß jetzt ein Scheidepunkt gekommen ist. Selbst „Die Zeit" ist ja heute schon darauf gekommen. Mit der Weigerung Perus, sich den Schuldendienstkonditionen weiterhin zu unterwerfen — das wurde ja zunächst noch als ein isoliertes Ereignis angesehen —, ist in Wirklichkeit eine Lawine losgetreten worden. Nach den Vorgängen, die wir aus anderen Gründen in Mexiko und in Ecuador beobachten und zur Zeit in Brasilien erleben, und auch nach der voraussichtlichen Entwicklung in Argentinien sollte es eigentlich klar sein, daß die politischen und wirtschaftlichen Kosten für die bisherigen Verfahren von den betroffenen Ländern nicht mehr getragen werden wollen, aber auch nicht mehr getragen werden können.
Diese Lander brauchen eine klare Perspektive über einen längeren Zeitraum, der ihnen erlaubt, ihre Wirtschaft planvoll und im Interesse ihrer Bevölkerung zu entwickeln — ich betone „ihrer Bevölkerung".

(Beifall bei der SPD)

Dazu gehört, daß sie über einen angemessenen Anteil ihrer Exporterlöse nach den Prioritäten — und ich betone es noch einmal — „ihrer" wirtschaftlichen und sozialen Zielsetzungen verfügen können. Dies ist auch der Kernpunkt unseres Antrages, der mit der Begrenzung des Schuldendienstes auf 20 % der Exporterlöse die historischen Relationen vor der Schuldenkrise zum Ausgangspunkt nimmt. Dies war nämlich vor der Schuldenkrise ungefähr die Größenordnung. Natürlich, Herr Klein, tun Sie uns unrecht, wenn Sie sagen, das müsse für jedes Land gelten. Das ist ein Durchschnittswert für diese Gruppe der Lander. Daß das variiert werden kann, ist doch klar. Nur, Fakt ist, daß das früher, bevor dieses ganze unsinnige Verfahren begonnen wurde, die historische Größe war, mit der die Länder sich entwickelten und mit der sie leben konnten.
Dazu gehört im übrigen auch, daß das sogenannte fresh money nicht mehr für die Zahlung von Zins und Zinseszinsen, sondern für echte Handelstransaktionen gewährt wird. Das heißt aber nichts anderes, als daß die vorhandenen Altschulden sehr langfristig und zu der Situation angepaßten, wahrscheinlich unter dem Marktzins liegenden Zinsen umgeschuldet werden müssen. Dazu wird in bestimmten Fällen auch ein Schuldenverzicht gehören.
Lassen Sie mich übrigens darauf hinweisen: Ich hatte den Eindruck, daß einige Kollegen aus den Koalitionsfraktionen unseren Antrag nicht ganz gelesen haben. Auf Seite 2 steht nämlich — Herr Kollege Solms — :
Erlaß der Schulden für am wenigsten entwickelte Länder, vor allem der südlich der Sahara gelegenen,
— das ist zum Teil auch schon geschehen —
sowie — in besonders begründeten Fällen — ein teilweiser Erlaß der Schulden anderer Entwicklungsländer;
Wie man da sagen kann, wir wollten das generell machen, ist mir ein bißchen unverständlich. Der Wortlaut des Antrags ist anders. Vielleicht kann man das zur Kenntnis nehmen; so schwer ist es ja nicht.
Aber mich würde dabei etwas interessieren. Entschuldigen Sie, ich möchte Sie nicht abwerten, Herr



Dr. Wieczorek
Kollege Klein, aber es gibt so etwas wie einen heimlichen Entwicklungsminister in der Gestalt des Herrn Stoltenberg. Der ist heute nicht da, weil er seine eigenen Probleme und seine eigene Schuldenproblematik nach dem heutigen Tag lösen muß. Die wird er zwar nicht lösen, aber — —

(Beifall bei der SPD — Feilcke [CDU/CSU]: Unheimlich!)

— Auch unheimlich, mag ja sein mit dem Herrn Stoltenberg. Wahrscheinlich ist ihm sogar unheimlich. — Aber ich möchte einmal wissen, was der Herr Stoltenberg eigentlich damit meint, wenn er im Frühjahr bei der Bankertagung in Hamburg und jetzt in Washington formuliert, er lehne einen allgemeinen Schuldenverzicht ab. Heißt das nun für Herrn Stoltenberg: Schuldenverzicht nein oder Schuldenverzicht in bestimmten Fällen doch und wenn ja, wie und wo?

(Feilcke [CDU/CSU]: Einen allgemeinen!)

— Genau, Herr Feilcke, ich möchte dies wissen. Sprechen Sie auch im Namen des Bundesfinanzministers
— das möchte ich gerne im Protokoll nachlesen können — , wenn Sie hier sagen, daß Ihre Fraktion bereit sei, auch Ländern wie Brasilien in bestimmten Fällen Schuldenerlaß zu gewähren? Dann wären wir nämlich sehr eng zusammen.
Das gilt übrigens auch für die Frage eines Zinsausgleichsfonds oder ähnlicher Einrichtungen. Da können wir uns dann sehr schnell einigen. Nur möchte ich gerne wissen: Ist das eine Äußerung von Ihnen hier in der Debatte, oder meint das eben der unheimlich heimliche Entwicklungsminister in Gestalt des Finanzministers Stoltenberg auch? Darauf hätten wir gerne einmal eine Antwort. Vielleicht kann der Kollege Häfele dazu Stellung nehmen; er vertritt sein Haus ja hier.

(Feilcke [CDU/CSU]: Nachdenken muß doch erlaubt sein!)

— Nachdenken muß erlaubt sein, bitte schön. Aber ich möchte gerne wissen, was er meint, wenn er es sagt. Das ist wohl legitim für eine Opposition, noch dazu,

(Frau Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Lassen Sie sich einmal einen Termin geben!)

wo wir uns in dieser Sache offensichtlich einig wären.
Aber ich möchte vor etwas anderem warnen — um einmal wieder zum Thema zurückzukommen —, nämlich vor einer Entwicklung, Herr Solms, beim Schuldenverzicht, die ich für ganz gefährlich halte: wenn die Banken anfangen, ihre wertberichtigten Forderungen an spekulative Anleger zu verkaufen. Dann bekommt man für Bolivien noch 10 % , für Argentinien zur Zeit ungefähr 50 %. Wenn aber Dritte diese Forderungen halten, heißt das ja nicht, daß deswegen die nominelle Forderung gegenüber den Entwicklungsländern entfallen ist, sondern sie müssen weiterhin, zumindest theoretisch, den vollen Schuldendienst leisten. Das ist eine Art von Schuldenverzicht der Banken, die ich für höchst gefährlich für die Lösung des Problems halte. Es schafft nur eine Menge Möglichkeiten für die Investmentbanken, Gebühren und anderes abzusahnen, hilft den Ländern aber überhaupt nicht.
Vernünftig wäre es dagegen — wie schon verschiedentlich vorgeschlagen — , wenn die wertberichtigten Forderungen auf eine Institution übertragen würden, die dann in Höhe der Wertberichtigung den verschuldeten Ländern unter zu vereinbarenden Konditionen tatsächlich einen Schuldenerlaß gewähren würde. So weit mag die Meinungsbildung noch nicht sein. Die Schwalbe Herrhausen — ich weiß nicht, ob er sich als Schwalbe fühlt, aber in diesem Bild mag es gestattet sein — , ob der das nun im „Spiegel" schon einmal angedeutet hat, was viele wohl nicht gelesen haben, oder jetzt in Washington erst gesagt und dann wieder zurückgenommen hat, macht noch keinen Sommer. Ich halte es allerdings mit dem ungarischen Zentralbankchef Janos Fekete, der international ein sehr anerkannter Mann ist. Er hat im September in Wien bei einer Konferenz festgestellt, daß dies jetzt die Zeit sei, in der Regierungen, Parlamente und internationale Finanzinstitutionen statt der Geschäftsbanken den Weg aus der Schuldenkrise aufzeigen müßten.
Dazu gehört nach meiner Ansicht erstens, daß eine Schuldenkonferenz stattfinden sollte, auf der über die Grundprinzipien — nicht über eine für jeden geltende Lösung — einer langfristigen Umschuldung unter Berücksichtigung der tatsächlichen Leistungskraft der Schuldnerländer unter Anerkennung ihrer Vorstellungen zur eigenständigen Entwicklung ihrer Volkswirtschaften diskutiert werden müßte.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Wie viele Länder sollen daran beteiligt sein?)

— Herr Kollege Kittelmann, darüber kann man dann reden! Nur, Herr Kollege Kittelmann, wenn Sie aus taktischen Gründen dagegen sind, dann frage ich mich, warum Sie nicht zumindest die Forderung der Gruppe der 24 aufnehmen, im Rahmen der bestehenden Institutionen eine Task force einzuberufen, die das Problem aufbereitet. Zumindest das hätten Sie übernehmen können.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Aber keine Schuldenkonferenz! — Zuruf von der SPD: Die will er doch gar nicht, der Herr Kittelmann!)

— Ich weise nur darauf hin, was die Betroffenen selbst gefordert haben. Es ist ganz nützlich, die Protokolle über die Interimsausschüsse und die Tagungen von Washington zu lesen — ein kleiner Hinweis!
Aber es gibt einen zweiten Punkt, nämlich die Rolle, die die öffentlichen Hände in den Verhandlungen des Pariser Clubs einnehmen. Ich glaube, daß man sich im Pariser Club nicht mehr hinter den Bankenlösungen verstecken, sondern vorangehen sollte. Ich habe vorhin ein Land erwähnt, das zwar nach unserem Verständnis nicht ganz in diese Gruppe gehört, wo aber die Schuldenkrise zum Ausbruch kam, nämlich Polen. Ich würde mir wünschen, daß diese Verhandlungen wegen Polen — sie sind mühselig; ich weiß das sehr genau — zum Erfolg geführt werden, auch damit wir Polen wieder frische Handelskredite geben können, damit wir die Hundert-Millionen-Bürgschaft freigeben können. Das würde ich mir sehr wünschen, weil das ein gutes Beispiel wäre für andere Länder in diesem Bereich. Und ich möchte darauf hinweisen: Vielleicht kann es auch ein gutes Beispiel für manches



Dr. Wieczorek
andere europäische Land sein, das vor der Tür steht.

(Beifall bei der SPD — Dr. Solms [FDP]: Herr Bangemann hat seine Zustimmung dazu bereits gegeben!)

— Herr Bangemann hat aber die Pariser Verhandlungen noch nicht zu Ende geführt, und die möchte ich gerne beendet sehen, Herr Solms.

(Zuruf des Abg. Dr. Solms [FDP])

— Gut, dann sind wir uns in diesem Punkt einig. Es ist schön, daß wir das auch festhalten können. Diese Einigkeit ist ja fast bedrückend!
Ich komme zu einem dritten Punkt: Die Banken müssen stärker in ihre Verantwortung gezwungen werden. Ihre Interessengegensätze in den Konsortien — Herr Solms, Sie sind ja im Auseinanderfallen —können auf die Dauer nicht mehr mit Menü-Konzepten und ähnlichem überdeckt werden. Die Bildung der Wertberichtigungen hat für die öffentliche Hand, für uns hier, bereits seit 1982 zu erheblichen Steuerausfällen geführt. Die Schuldnerländer haben bisher jedoch keine Begünstigung dadurch erfahren. Ich meine, wer A sagt, kann legitimerweise auf die Dauer B nicht verweigern. Wenn es richtig ist, daß wir sowohl ein politisches Interesse an einer stabilen demokratischen Entwicklung in den Schuldnerländern, als auch unser wirtschaftliches Interesse an einem normalen Handelsaustausch zum beiderseitigen Nutzen haben, dann ist es an der Zeit, im Gesamtinteresse der Bundesrepublik zu konstruktiven Lösungen zu kommen, die Banken einzubinden und sie bei ihren Umschuldungsbedingungen dazu zu bringen, vernünftige und dem Entwicklungs- und Sachstand angepaßte Konditionen zu stellen. Bisher ist das nicht der Fall gewesen. Da könnten wir als Bundesrepublik auch für ein gutes Beispiel sorgen.
Allerdings möchte ich auch deutlich machen, daß echte Konzessionen an die tatsächlichen Verhältnisse in den Schuldnerländern, die letztlich vorn Steuerzahler die Realisierung bereits erbrachter und möglicherweise zusätzliche Opfer verlangen, nur vernünftig sind, wenn die verschuldeten Lander ihre Entwicklung für eine bessere Zukunft ihrer Bevölkerung tatsächlich vorantreiben. Das heißt im Klartext, daß es nicht unsere Aufgabe sein kann, ihnen den besten Weg für ihre Wirtschaft vorzuschreiben. Was man da gelegentlich von Herrn Baker und Herrn Reagan hört, ist doch wohl der American way of life für den Rest der Welt. Das kann nicht unsere Position sein. Wir können nicht fordern, die Souveränität der betroffenen Länder in wirtschaftspolitischen Fragen einzuschränken. Das bedeutet aber sehr wohl, daß wir über Mißstände reden müssen.
Solche Mißstände sind für mich erstens die Kapitalflucht. Es ist richtig, daß bei einer positiven Wirtschaftsentwicklung ein Teil der Kapitalflucht sich von selbst erledigt.

(Feilcke [CDU/CSU]: Wie Mexiko!)

Aber das sind bis jetzt nur 4 Milliarden DM in Mexiko, was da zurückgeflossen ist. Das ist nicht so fürchterlich viel, und das ist mein Punkt. Denn wenn bei einzelnen Ländern die Schätzungen dahin gehen, daß bis
zu 50 % der Auslandsschulden in Wirklichkeit durch Kapitalflucht entstanden sind, dann wäre es naiv anzunehmen, daß die Gelder einfach durch eine langfristig sich abzeichnende Besserung repatriiert werden. Wenn sie aber schon im Ausland sind, dann möchte ich aber zumindest, daß man dann überlegt, diesen Auslandsbesitz zu besteuern. Das ist sicherlich kein ungewöhnlicher und unfairer Gedanke. Ich darf daran erinnern, daß es dann auch Sache der Gläubigerländer ist, zu sagen, wo denn dieses Geld liegt. Die Doppelbesteuerungsabkommen sehen das zum Teil vor. Mit den USA haben wir so etwas. Warum nicht mit diesen Ländern? Daran möchte ich einmal erinnern. Es ist auch nicht so, daß diese Fluchtgelder auf irgendwelchen Inseln in der Karibik liegen. Die liegen im wesentlichen in den USA, zum Teil bei uns, zum Teil in der Schweiz und in anderen Ländern. Da liegen wesentliche Werte. Deswegen ist es unsere Verpflichtung, den Ländern dabei zu helfen. Wenn ich lese, daß die Schweizer Banken gerade jetzt ein neues Abkommen über die Abwehr von Fluchtgeldern vereinbaren, und zwar mit Blick auf Auseinandersetzungen mit Italien, mit Frankreich, mit den USA, dann sollte das auch ein Hinweis darauf sein, daß das auch mit jenen Ländern möglich sein müßte, die ganz anders unter Kapitalflucht leiden als die von mir genannten entwickelten Länder.
Zweitens sollten wir deutlich machen, daß es für uns sehr schwierig ist, Sozialstrukturen hinzunehmen, bei denen extreme Einkommens- und Vermögensunterschiede bestehen, ohne daß wir Ansätze für deren Abbau erkennen können. Auch dies ist eine Frage, über die wir diskutieren müssen.
Drittens muß dem Raubbau an der Natur Einhalt geboten werden. Wenn z. B. die brasilianischen Urwälder für unser aller Lebenserhalt wichtig sind, dann müssen wir etwas dafür tun. Wir dürfen die Bevölkerung in diesen Regionen nicht vor die Alternative stellen, um ihres kurzfristigen Lebenserhalts willen unsere gemeinsamen Überlebenschancen zu gefährden. Wenn wir etwas tun, müssen wir allerdings dafür sorgen, daß nicht schieres Profitinteresse trotzdem zur Abholzung der Wälder führt.
Viertens muß es legitim sein, ein deutliches Wort über die Rüstungsausgaben zu verlieren.
Aber auch die Gläubigerländer müssen sich an die Nase packen. Das gilt für den offenen und den versteckten Protektionismus, das gilt für die Ausnutzung von Schwächesituationen durch transnationale Konzerne, die ihren Stammsitz bei uns haben, und das gilt nach wie vor für eine Währungs-, Geld- und Kreditpolitik, die zu stark von der innenpolitischen Situation in den USA abhängt. Die Bundesregierung ist gefordert, ihr Gewicht einzusetzen und eine europäische Geld- und Währungspolitik zu entwickeln, die zu größerer Unabhängigkeit führt. Die Bundesregierung ist aufgefordert, sich nicht hinter dem Schleier weltweiter Zusammenhänge zu verstecken.
Ich komme zum Schluß. Gerade weil wir in einer besonderen Situation sind und gerade weil wir einmal diejenigen waren, die von einem vernünftigen Umschuldungsabkommen begünstigt wurden, tragen wir mit dem, was wir in der Bundesrepublik machen, und mit dem, was wir in der EG machen, besondere Ver-



Dr. Wieczorek
antwortung. Ich meine, daß es zu konkreten Taten kommen muß. Unser Antrag bietet dazu eine gute Hilfe. Manche der Äußerungen, die ich gehört habe — wenn sie auch die Meinung des Herrn Stoltenberg sein sollten — ,

(Feilcke [CDU/CSU]: Er ist einer von uns!)

mögen dabei auch helfen. Es wäre für uns alle eine sehr lohnende Aufgabe, dies im nächsten Jahr voranzutreiben, damit bei der Tagung derjenigen Institutionen, bei denen immer darüber palavert wurde, der Weltbank und des Währungsfonds, in Berlin etwas Konkretes auf dem Tisch liegt. Das wäre für uns Deutsche gut, das wäre für Berlin gut, und das wäre vor allen Dingen gut für die verschuldeten Länder.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1103001600
Das Wort hat der Abgeordnete Höffkes.

Peter Wilhelm Höffkes (CSU):
Rede ID: ID1103001700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Schuldenlast der Länder der Dritten Welt beträgt gegenwärtig rund 1,1 Billionen US-Dollar. Allein die Verschuldung Brasiliens wird mit 112 Milliarden, die Mexikos mit 100 Milliarden und die Argentiniens auf 51 Milliarden Dollar beziffert. Es ist im höchsten Maße fraglich, ob diese geborgten Gelder jemals zurückgezahlt werden können.
Seit 1982 Mexiko am Rande der Zahlungsunfähigkeit stand, ist die Verschuldung der Dritten Welt zu einem brennenden internationalen Problem geworden. Als Auslöser der Verschuldung kann man, meine ich, drei Ursachen feststellen: erstens die hohe Liquidität der Euro-Märkte, zweitens den stark steigenden Kreditbedarf der Schuldner und drittens institutionelle Neuerungen zur Risikominderung bei der Kreditvergabe.
Die hohe Liquidität im Euro-Dollar-Markt der 80er Jahre war verlockend, weil sie zu günstigeren Konditionen als bei üblichen Bankkrediten führte. Diese Mittel unterlagen nicht den sonst üblichen Vorschriften und Reserveverpflichtungen der nationalen Notenbanken, so daß auch wenig kreditwürdige Länder von den Banken bedient wurden.
Der steigende Kreditbedarf war oft durch gestiegene Ölimportkosten provoziert. Die verstärkte Aufnahme privater Bankkredite zu kommerziellen Bedingungen verschärfte die Situation: Kredite mit einer Laufzeit von acht Jahren und einem Zinssatz von bis zu 15 To anstelle von Krediten öffentlicher Geber mit einer Laufzeit von 20 bis 30 Jahren bei einem Zinssatz von nur 2 %. Eine Reihe von Entwicklungsländern verschärfte die Situation, indem sie mit Kreditmitteln Importsubventionen betrieben, mit überbewerteten Währungen arbeiteten, sich auf kapitalintensive statt auf arbeitsintensive Produkte verlegten und durch Maßnahmen der Verstaatlichung und der Verschärfung von Investitionsgesetzen privates Auslandskapital abschreckten.
Ende der 70er Jahre war der Kreditmarkt rational noch in Ordnung. Erst auf Grund flexibler und stark steigender Zinsen entstand eine dramatische Situation, so daß der Großteil der Exporterlöse für Zins und
Tilgung aufgewendet werden mußte. Kredite mit kurzen Laufzeiten führten zu Prolongationen, so daß Zins- und Tilgungsdienst über Exporterlöse nicht mehr befriedigt werden konnten. Beispiel: Argentinien mußte 1985 55 % seiner Exporterlöse für Zinszahlungen aufwenden, Brasilien 40 %, Mexiko 33 %. Aber, meine Damen und Herren, damit waren noch keine Tilgungen bedient.
Um das Verschuldungsproblem zu meistern, bieten sich, meine ich, drei Wege an: erstens Aufgaben, die die Banken erledigen müssen, zweitens Aufgaben, die die Kreditnehmer — das sind die Entwicklungsländer — selbst lösen müssen, und schließlich drittens die Verantwortung der Industrieländer zur Problemlösung. Möglichkeiten bestehen in der Mittelaufstokkung bei der Weltbank und bei dem Internationalen Währungsfonds. Beides müßte ergänzt werden durch Aufstockung der Entwicklungshilfegelder seitens der Industriestaaten, verbunden mit einer Reform des internationalen Umschuldungsmechanismus.
Wichtig ist eine sorgfältige Prüfung der Bonität von Kreditnehmern auf der Basis nicht nur der öffentlichen Verschuldung, sondern der Gesamtverschuldung eines Landes. Industriestaaten beeinflussen die Dritte Welt durch die Höhe ihres Wirtschaftswachstums, durch die Inflationsrate, den Protektionismus sowie ihre Zins- und Wechselkurspolitik.
Beschleunigung des wirtschaftlichen Wachstums in den Industriestaaten ist wichtig, noch wichtiger ist der Abbau des Protektionismus. Es ist ein Widerspruch in sich, wenn Produktionsanlagen von Industriestaaten in Entwicklungsländern finanziert und technisch entwickelt werden, andererseits aber die Abnahme von Produkten aus dieser Fertigung durch protektionistische Maßnahmen verwehrt wird. Es scheint so, daß Hilfe durch Handel wichtiger und effizienter für die Dritte Welt ist als Kapitaltransfer.
Der Abbau tarifärer und nichttarifärer Handelshemmnisse ist absolut notwendig. Es ist erwiesen, daß protektionistische Maßnahmen zum Verlust der internationalen Konkurrenzfähigkeit, zu massiven Subventionen und letztlich zu größerer Arbeitslosigkeit führen. Solche „Schutzmaßnahmen" sind auf Dauer unwirksam und bedeuten Verschleuderung wertvollen Kapitals.
Wesentliche Faktoren zur Entlastung der Entwicklungsländer sind die Erschließung eigener Energiequellen und die Sicherstellung der eigenen Ernährung. Ein bedeutender Faktor wäre auch die Vermeidung der Kapitalflucht durch stabile politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen.
Gravierend ist das Problem in Lateinamerika, wenn man bedenkt, daß aus Mexiko 53 Milliarden Dollar, aus Argentinien 26 Milliarden Dollar, aus Nigeria und Brasilien je 10 Milliarden Dollar Fluchtgelder abgeflossen sind. In der Praxis heißt dies, daß die Schuldenlast auf ein vertretbares Minimum abgesenkt werden könnte, wenn man Mittel und Wege fände, das sogenannte Fluchtkapital wieder in die Ursprungsländer zurückzuleiten. Beispiel: Venezuela, das mit 31 Milliarden Dollar verschuldet ist, wäre ohne Kapitalflucht schuldenfrei. Eine Lösungsmöglichkeit wäre es, die Fluchtgelder auf amerikanischen oder Schwei-



Höffkes
zer Konten einzufrieren und die Besitzer mit Regierungszertifikaten in der jeweiligen Landeswährung zu entschädigen. Andere Lösungsansätze wären, faule Kredite in Beteiligungskapital umzuwandeln oder der Verkauf von Forderungen mit kräftigem Abschlag und die Reinvestierung im Schuldnerland. Eine weitere Möglichkeit ist die Privatisierung unwirtschaftlicher Staatsunternehmen.
Zur Überwindung der Verschuldungskrise gibt es drei Wege: Die Banken haben die Aufgabe, den Umschuldungsmechanismus zu reformieren, die Bonität ihrer Kreditnehmer in Zukunft sorgfältiger zu überprüfen und die Summe der an ein Land vergebenen Kredite exakter als bisher zu erfassen. Die Entwicklungsländer haben die Aufgabe, realistische Währungskurse einzuführen, eigene Energiequellen zu erschließen, die Nahrungsmittelselbstversorgung zu erreichen und durch attraktive Investitionsbedingungen das Fluchtkapital zur Heimkehr zu bewegen. Den Industriestaaten kommt die Aufgabe zu, den Protektionismus nachhaltig abzubauen und das wirtschaftliche Wachstum zu forcieren.
Meine Damen und Herren, damit komme ich zum Schluß. Ich möchte betonen, daß wir außerordentlich großen Wert darauf legen, daß die Schuldnerländer nicht zu bestimmten Maßnahmen zu zwingen sind, sondern im Dialog von den Vorzügen marktwirtschaftlich orientierter Maßnahmen zu überzeugen sind. Dialog und nicht Zwang ist zwischen allen Beteiligten gefordert.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Um zu der Überwindung der Verschuldungskrise der Entwicklungsländer beizutragen, bitten wir, dem Antrag der Koalition zuzustimmen. Den Antrag der SPD müssen wir ablehnen, da er, was ich betonen möchte, neben guten Ansätzen eine Reihe nicht zu vertretender unrealistischer Forderungen enthält.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1103001800
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Folz-Steinacker.

Sigrid Folz-Steinacker (FDP):
Rede ID: ID1103001900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit großer Sorge beobachtet die FDP die Gefahren, welche die Auslandsverschuldung für die wirtschaftliche und soziale Situation in vielen Entwicklungsländern ebenso wie für die internationale Gemeinschaft mit sich bringt.
Wir wissen, meine Damen und Herren, daß die Gründe für die Verschuldung vielschichtig und von Land zu Land unterschiedlich sind. Wir müssen die strukturellen Ursachen der Verschuldungsprobleme bekämpfen. Wir müssen den Gefahren wirksam entgegentreten, welche die Verschuldung der Entwicklungsländer auch für die Industriestaaten mit sich bringt. Dazu sind Bemühungen um eine gemeinsame Lösung von Gläubiger- und Schuldnerländern erforderlich, und zwar auch dann, wenn dies für die Gläubiger sehr, sehr schmerzlich ist.
Die Entwicklungshilfe ist durchaus kein Schuh, den man ausziehen und auf den Tisch legen kann, wenn er drückt. Man muß ihn schon anbehalten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Chruschtschow!) — Nein, so weit wollte ich nicht gehen.

Gegenwärtig stellt sich die grundsätzliche Frage: Reicht das in den letzten Jahren entwickelte Instrumentarium zur Bewältigung der anstehenden Probleme überhaupt aus, oder sind neue Ansätze erforderlich, um den betroffenen Ländern die Rückkehr zur Kreditwürdigkeit, zu mehr Wachstum und besserer wirtschaftlicher Entwicklung zu ermöglichen?
Insbesondere sind die Probleme der ärmeren Entwicklungsländer mit schlechter Ressourcenbasis mit der bisherigen Umschuldungs- und Refinanzierungspraxis auf der Grundlage kommerzieller Zinssätze kaum zu lösen. Die Schwierigkeiten dieser Länder sind ganz besonders gravierend und bedürfen einer speziellen Behandlung.
Die FDP begrüßt daher die Bemühungen der Bundesregierung, dies stärker zu berücksichtigen und mit einer Weiterentwicklung der Schuldenstrategie durch größere Flexibilität zur Erreichung sachgerechter Lösungen auf der Basis von Vereinbarungen zwischen Schuldnern und Gläubigern beizutragen. Vor allem ist zu begrüßen, daß die Bundesregierung durch nicht rückzahlbare Finanzhilfen und den Erlaß der Schulden der ärmsten Entwicklungsländer aus finanzieller Zusammenarbeit einen substantiellen Beitrag zur Milderung der Finanzprobleme dieser Länder geleistet hat.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie hat dabei weltweit auf die Rückzahlung von über vier Milliarden an Tilgungen und Zinsen verzichtet. Damit, meine Damen und Herren, steht sie an der Spitze der westlichen Geberstaaten.
Gemeinsam mit den anderen im Pariser Klub zusammengeschlossenen westlichen Gläubigern hat sie ferner mehrere Umschuldungsregelungen mit besonders armen Ländern getroffen, in denen ein deutlich verlängerter Rückzahlungszeitraum, und zwar bis zu ca. 20 Jahren, vereinbart wurde. Wir sehen darin richtige Schritte, um vor allem der besonderen Situation der ärmeren Entwicklungsländer Rechnung zu tragen. Neben der Verbesserung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und den flankierenden Maßnahmen, mit denen wir den Entwicklungsländern bei der Lösung ihrer wirtschaftlichen Probleme zur Seite stehen, kommt es ganz entscheidend darauf an, daß die verschuldeten Entwicklungsländer ihre Wachstumschancen nutzen und zur Durchführung von Wirtschaftsreformen bereit sind.
Hierzu gehören, meine Damen und Herren, vor allem Inflationsbekämpfung, Haushaltskonsolidierung und tragfähige Finanzierung der Leistungsbilanz. Auf dieser Grundlage können wachstumsorientierte strukturelle Anpassungsmaßnahmen durchgeführt werden. Ich nenne hier insbesondere die Liberalisierung des Außenhandels, die Liberalisierung des Kapitalmarktes, den Abbau staatlicher Eingriffe in die Preisbildung, in die Funktionsweise der Märkte und



Frau Folz-Steinacker
den Abbau ineffizienter wirtschaftlicher Aktivitäten des Staates.

(Beifall bei der FDP)

Mit diesen Maßnahmen werden gleichzeitig die Voraussetzungen für zusätzliche ausländische Direktinvestitionen und für die Rückkehr von Fluchtkapital geschaffen.
Die FDP ist der Auffassung, daß der dem Hohen Hause vorliegende Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP der Situation der verschuldeten Entwicklungsländer Rechnung trägt und die notwendigen Schritte aufzeigt, die zur Überwindung der Verschuldungskrise führen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1103002000
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft Herr Dr. von Wartenberg.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1103002100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD enthält richtige Ansätze, rennt zum Teil offene Türen ein und geht in einigen Punkten am Kern der Sache vorbei. Worauf es ankommt, ist, daß der Wachstums- und Entwicklungsprozeß der hochverschuldeten Länder auf eine solide Basis gestellt wird und dauerhaft zu einem wirtschaftlichen Beleben führt. Dazu gehört, daß Länder mit Finanzierungsproblemen ihre Kreditwürdigkeit zurückgewinnen.
Es ist keine Frage: Die Schuldenkrise ist ein gravierendes weltwirtschaftliches Problem und deshalb ein auch unsere amtliche Wirtschaftspolitik beschäftigendes Problem. In einer Reihe von Ländern hat sich die Lage in der letzten Zeit sogar noch verschlechtert. Dennoch ist Schwarzmalerei nicht angebracht, meine Damen und Herren. Es gibt auch Erfolge vorzuweisen, besonders in den Ländern, die den Leitlinien der mit dem Internationalen Währungsfonds vereinbarten Anpassungsprogramme tatsächlich gefolgt sind, wie Mexiko oder Bolivien. Man vergißt auch zu leicht, daß zahlreiche Entwicklungsländer keine Schuldenprobleme haben, und dies, obwohl sie zum Teil im Ausland hoch verschuldet sind, wie die Staaten in Südostasien. Diese Länder haben aber eine insgesamt vernünftige Wirtschaftspolitik betrieben und sind von Zahlungsschwierigkeiten verschont geblieben. Der Sammelbegriff „internationale Schuldenkrise" darf deshalb nicht zu einer undifferenzierten Betrachtungsweise führen.
Dennoch will ich die Situation nicht beschönigen. Aber es stimmt einfach nicht, daß die bisher verfolgte Strategie zur Bewältigung der Schuldenprobleme versagt hat.

(Beifall des Abg. Dr. Faltlhauser [CDU/ CSU])

Ich bin überzeugt: Die Grundsätze dieser Strategie sind ökonomisch vernünftig. Wir müssen diese Strategie weiterverfolgen. Wichtig erscheinen uns dabei folgende Punkte.
Erstens. Wir müssen bei den verschuldeten Ländern für konsequente wachstumsorientierte Anpassungsmaßnahmen werben und ihnen eine klare Perspektive für den Erfolg solcher Maßnahmen aufzeigen.
Zweitens. Die Schuldnerländer, der Internationale Währungsfonds, die Weltbank, der Pariser Klub in der Koordination des Bundeswirtschaftsministeriums und der Geschäftsbanken, alle Beteiligten müssen sinnvoll zusammenwirken, damit die zur Verfügung stehenden Mittel optimal eingesetzt werden. Einseitige Maßnahmen schaden nicht zuletzt den betroffenen Ländern selbst.

(Beifall des Abg. Dr. Faltlhauser [CDU/ CSU])

Drittens. Wir müssen weiterhin einen Beitrag zu einer Verbesserung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen leisten.
Viertens. Erforderlich ist eine weiterhin umsichtige Umschuldungspolitik und die Mobilisierung zusätzlicher Finanzierungsmittel für anpassungsbereite Länder. Ermutigend erscheint mir dabei, daß Gläubiger und Schuldner bei der Jahrestagung von IWF und Weltbank über die Entwicklung neuer Instrumente zur Lösung von Verschuldungsproblemen gesprochen haben.

(Vorsitz: Vizepräsident Westphal)

Eine Wirtschaftspolitik der Schuldnerländer, die Wachstum und Anpassung miteinander verbindet, ist und bleibt von ausschlaggebender Bedeutung für die Überwindung der Schuldenprobleme. Sicherlich sind die Bedingungen von Land zu Land verschieden, aber dennoch gibt es gerade bei den Ländern, die ihre Kreditwürdigkeit eingebüßt haben, auch eine Reihe gemeinsamer Fehlentwicklungen. Denken Sie an die vielfach mehrstelligen Inflationsraten, die erheblichen Preisverzerrungen, die unrealistisch festgelegten Wechselkurse, an die Zinsen und anderes mehr! Gerade diese Faktoren haben zu der angesprochenen Kapitalflucht geführt. Niemand kann erwarten, daß ausländische Gläubiger und ausländische Investoren Vertrauen in die Wirtschaft eines Landes haben, wenn selbst die eigenen Bürger ihr Kapital außer Landes schaffen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Berücksichtigen sollten wir, daß eine wirtschaftspolitische Neuorientierung in den Schuldnerländern gegen innenpolitische Widerstände durchgesetzt werden muß. Wir können dennoch reformbereite Kräfte stärken, indem wir die Chancen der Entwicklungsländer verbessern, auf den Weltmärkten durch eigene Exportanstrengungen die für Wachstum und Schuldendienst notwendigen Devisen zu erwirtschaften.
Ihre Forderung nach weiterer Marktöffnung in der Reform des EG-Agrarmarktes und nach dauerhaftem Wachstum zur Belebung des Welthandels kann ich daher nur unterstützen. Sie rennen damit bei uns offene Türen ein.
Zusammen mit den wichtigsten Industrieländern verfolgt die Bundesregierung eine stabilitätsorientierte, auf dauerhaftes Wachstum gerichtete Politik. Nicht ein konjunkturelles Strohfeuer hilft hier weiter, sondern nur die nachhaltige Stärkung der Wachs-



Parl. Staatssekretär Dr. von Wartenberg
tumskräfte. Als eine der größten Handelsnationen hat die Bundesrepublik Deutschland eine besondere Verantwortung für den freien Welthandel. Aid by trade ist für viele Entwicklungsländer viel effektiver als der Zufluß von Entwicklungshilfe.
Die Bundesregierung hat durch ihre maßgebliche Rolle beim Zustandekommen der neuen GATT- Runde — auch eine Aufgabe des Wirtschaftsministeriums — vor gut einem Jahr unter Beweis gestellt, daß sie es mit dem Kampf gegen den Protektionismus ernst meint. Sensible Bereiche wie die Landwirtschaft, Textil-, Schuh- und Stahlindustrie dürfen bei der Handelsliberalisierung nicht ausgespart werden; denn gerade darin haben die Entwicklungsländer Kostenvorteile, die sie ausnutzen sollten. Vor allem im Agrarbereich müssen die Gemeinschaft — also wir selbst — und die anderen Industrieländer wie Japan und die USA, die nordeuropäischen Länder, Österreich und die Schweiz den Entwicklungsländern stärker entgegenkommen.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Ich erwarte, daß die GATT-Runde auch hier wesentliche Fortschritte bringen wird.
Die Baisse auf den meisten internationalen Rohstoffmärkten hat die Schuldenkrise zahlreicher Länder zweifellos verstärkt. Die Bundesregierung unterstützt deshalb ausdrücklich Bemühungen der Entwicklungsländer, verstärkt ihre Rohstoffe selbst weiterzuverarbeiten und ihre Exportpalette zu verbreitern.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie sagen, die Finanzierung des Schuldendienstes durch steigende Neuverschuldung sei kein Ausweg aus der Krise. Wenn Sie damit meinen, daß neue Mittel nur dann sinnvoll sind, wenn sie für die Strukturanpassung durch zusätzliche produktive Investitionen verwandt werden, kann ich Ihrer These zustimmen.

(Dr. Hauchler [SPD]: Das wollen wir!)

Wichtig ist, daß bei finanziellen Maßnahmen umsichtig vorgegangen wird. Eine solche umsichtige Politik ist zugleich eine Politik, die dem jeweiligen Einzelfall Rechnung trägt. Eine internationale Schuldenkonferenz würde uns solchen angemessenen Lösungen nicht näherbringen.

(Beifall des Abg. Dr. Faltlhauser [CDU/ CSU])

Im Gegenteil, globale Forderungen und eine weitere Politisierung der Schuldenprobleme würden sachgerechte Lösungen auf längere Zeit blockieren.
Meine Damen und Herren, wir werden in den Fachausschüssen Zeit haben, die verschiedensten Modalitäten und Vorschläge der Finanzierung zu beraten. Lassen Sie mich zusammenfassen:
Die internationale Schuldenstrategie ist zwar in einer kritischen Phase; es wäre jedoch falsch, die Prinzipien einer Strategie über Bord zu werfen, weil eine Lösung nicht so schnell wie erhofft eingetreten ist. Zu dem fallweisen Ansatz gibt es keine vernünftige Alternative. Globale Lösungsansätze, wie sie von der SPD vorgeschlagen werden, würden den deutschen
Steuerzahler belasten, ohne den Schuldnerländern zu helfen, ihre Kreditwürdigkeit zurückzuerlangen.
Ich bin deshalb zuversichtlich, daß wir bei der weiteren intensiven internationalen Kooperation die schwierigen Finanz- und Strukturprobleme der Entwicklungsländer lösen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103002200
Das Wort hat der Abgeordnete Faltlhauser.

Dr. Kurt Faltlhauser (CSU):
Rede ID: ID1103002300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Zunächst will ich einen Dank und auch eine Gratulation dem Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit aussprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Minister Klein hat in diesem Haus heute vormittag seine Position und die Position der Bundesregierung ebenso überzeugend und ruhig dargelegt, wie er es auf internationalem Parkett getan hat auch jetzt in Washington bei der Jahrestagung des IWF und der Weltbank. Er hat klar die Position der Bundesregierung vertreten, und er hat hier auch ausdrücklich Nachdenklichkeit herausgefordert; denn nichts wäre in unserem reichen Land unangemessener als Selbstgerechtigkeit. Es war eine klare Position, die er vertreten hat, aber auch eine nicht selbstgerechte Position.
Ich würde mir wünschen, liebe Kollegen, daß wir nicht nur im Ausland, wenn wir dort in den Entwicklungsländern zusammen die erschütternden und deprimierenden Situationen sehen, Gemeinsamkeit unter uns über die Parteigrenzen und Fraktionsgrenzen hinweg feststellen würden, sondern daß wir das auch hier noch etwas deutlicher unterstreichen würden. Hier werden künstliche Barrieren nur um der Aussprache willen aufgebaut. Die Einigkeit schimmert ja in den Anträgen, Herr Kollege Hauchler, schon durch. Wieso müssen wir dann gewissermaßen noch unsere Provinzialität in diesem Hause unter Beweis stellen, indem wir künstlich irgendwelche Zwiste hervorzaubern wollen?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nur am Rande gesagt: Die letzte Jahrestagung hat ja auch gezeigt, wie provinziell unsere Debatte zur Steuerreform ist. Die ganze Welt hat auf dieser Konferenz Beifall geklatscht und gesagt: Das ist das einzig Richtige, Notwendige in diesem Moment! Und hier sind in den eigenen Reihen allenthalben Zweifel und eine völlige Ablehnung bei der SPD zu hören. Hören Sie sich die Experten in Washington an, was die zu unserem Steuervorhaben sagen! Das ist, glaube ich, wesentlicher als manches, was in Deutschland daran gemäkelt wird.

(Duve [SPD]: Der Duft der großen weiten Welt gegen den Provinzialismus des parlamentarischen Streits!)

Die Kollegen von der SPD, insbesondere Herr Wieczorek, haben so ein bißchen den Eindruck zu



Dr. Faltlhauser
erwecken versucht, als wäre der IWF diejenige Institution, die die Probleme erst schaffen würde.

(Volmer [GRÜNE]: Aber verstärken!)

Die Länder ihrerseits waren es vor allem, gerade in Südamerika, die die Probleme geschaffen haben. Natürlich müssen wir ihnen dabei helfen, aus diesen Problemen herauszukommen. Aber der IWF mit seinen Experten und mit seiner Politik ist weitgehend doch die Institution, die die Probleme lösen hilft.
Herr Hauchler, Sie haben gesagt, seit 1982 sei nichts getan worden. Ich lese das auch in der heutigen „Zeit" ; dort schreibt Herr Peter Christ, die letzten fünf Jahre seien „vertan" worden. Ich glaube, da erwekken wir in diesem Land falsche Hoffnungen im Hinblick auf das, was überhaupt getan werden kann. In diesen fünf Jahren sind doch erstaunliche Ideen zur Bewältigung der Schuldenkrise geboren worden. Vor fünf Jahren hat manches Bild schon schwärzer ausgesehen. Herr Wieczorek, Herr Hauchler: haben Sie sich viele dieser Techniken der finanziellen Bewältigung vor fünf, vor drei Jahren überhaupt ausmalen können? Nein. Ich glaube, wir sollten auch etwas optimistischer in die Zukunft schauen. Und wir sollten vor den Bürgern draußen nicht so tun, als gäbe es Patentrezepte; denn, Herr Hauchler, „schnell", wie Sie wortwörtlich gesagt haben, können wir dieses Problem mit Sicherheit nicht lösen.

(Dr. Hauchler [SPD]: Aber schneller muß es sein, Herr Faltlhauser!)

Schauen Sie sich doch allein die langen Fristen für die Schulden an, die IDA-Fristen z. B., die ja unendlich lang sind! Da wollen Sie „schnelle" Lösungen?

(Volmer [GRÜNE]: Die IDA-Kredite sind doch nicht das Problem! Wenn wir nur IDA hätten, wäre das Problem gelöst!)

Wenn wir die Briefe lesen, die uns erreichen, Herr Kollege — insbesondere auch engagierte Briefe von Jugendlichen und Briefe aus den Kirchen — , müssen wir feststellen: Die glauben natürlich, man könnte die Probleme schnell lösen, man hätte Patentrezepte, wenn Sie hier diesen Eindruck erwecken. Ich würde davor warnen.
Zwei Patentrezepte haben Sie hier immer wieder hervorgehoben. Das eine war die internationale Schuldenkonferenz. Ich habe bei unserem gemeinsamen Besuch in Washington, Herr Kollege Hauchler, beim Nachlesen der Reden, die von den verschiedenen Finanzministern gehalten wurden, eigentlich eher den Eindruck gehabt, daß die einzelnen Länder auf große Konferenzen gar nicht mehr so viel Wert legen. Sie setzen auf die Politik der Fall-zu-Fall-Lösung, sie haben ihr eigenes Bild von ihren eigenen Problemen und wollen diese zielgerecht gelöst haben, und sie wollen nicht, daß die Probleme von einem gigantischen Palaver unterschiedlichster Interessen überdeckt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Wieczorek [SPD]: Sagen Sie das mal der Gruppe der 24! Die sagt in Ihrem Kommuniqué etwas anderes! — Weitere Zurufe von der SPD)

Das zweite Patentrezept ist das Stichwort Schuldenerlaß. Ich gebe es zu, Herr Wieczorek, in Ihrem Antrag ist der Schuldenerlaß etwas differenziert dargestellt und nicht so pauschal. Aber die GRÜNEN sagen: Weg mit den Schulden! Auch hier wecken wir völlig falsche Erwartungen.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Der Minister Klein hat Ihnen doch die Zahlen vorgetragen: Das sind nicht die Schulden bei den Industrienationen, das sind Schulden bei privaten Institutionen, Banken, weltweit. Wir können diese Banken, selbst wenn wir wollten, nicht zwingen, die Schulden einfach abzustoßen. Ich glaube, da gibt es eine Fülle von Fehlinterpretationen der Aussagen von Herrn Herrhausen in Washington. Der ist mit Sicherheit nicht dafür, daß die gigantischen Schulden, etwa der Länder im südlichen Amerika, von einem Moment auf den anderen erlassen werden. Er hat nur, wenn ich ihn richtig interpretiere, im Rahmen des „Menüs der Möglichkeiten" den Schuldenerlaß punktuell etwas erweitern wollen.

(Duve [SPD]: „Menü" bei Schulden von armen Ländern!)

— Herr Kollege, ich entnehme diesen modernistischen Begriff aus dem Sprachgebrauch, den man da drüben im IWF geprägt hat: das Menü, das man zur Entschuldigung anbieten kann.
Sie machen natürlich auch den Eindruck, Herr Wieczorek, wenn ich das noch sagen darf, als wären Sie die Experten im Schuldenabbau. Nachdem Sie in der Vergangenheit in diesem Land die Schuldenproblematik glänzend bewältigt haben, machen Sie hier den Eindruck, als könnten Sie die Weltschuldenprobleme erledigen!

(Beifall bei der CDU/CSU — Duve [SPD]: Das war natürlich ein Schuß, der nach hinten losgeht, spätestens morgen früh! Es gibt Schuldenberg und Stoltenberg! — Weitere Zurufe von der SPD)

Vor einem müssen wir uns allerdings hüten — das ist der Eindruck dieser Weltwährungskonferenz — : Wir sollten aufpassen, daß wir draußen und auch hier nicht gewissermaßen auf zwei Ebenen diskutieren,

(Frau Unruh [GRÜNE]: Dann hören Sie doch damit auf!)

auf der einen Seite auf der entwicklungspolitischen Ebene und auf der anderen Seite auf der Ebene der Finanztechnik. Wir sollten nicht gewissermaßen im Bauch des großen Schiffes der Schuldenprobleme die Finanzklempner arbeiten lassen und oben auf der Kapitänsbrücke, ohne irgendwelche Verbindungen zu den Finanzklempnern,

(Duve [SPD]: Da steht Johnny Klein!)

die Entwicklungspolitiker stehen lassen. Das wäre eine doppelte Ebene des Sprachgebrauchs. Beide Ebenen müssen zusammenarbeiten. Das heißt: ich appelliere an den Realismus beider Seiten: Die Entwicklungspolitiker einerseits sollten erkennen, daß vieles finanztechnisch nicht machbar ist, andererseits aber auch sollten manche Finanzpolitiker — das haben wir



Dr. Faltlhauser
auch in Washington festgestellt — , etwas weniger eng nur die finanztechnischen Vorstellungen betrachten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das war, glaube ich, unsere Gemeinsamkeit, Herr Kollege Hauchler, mit der wir aus Washington zurückgekommen sind.
Lassen Sie mich noch eine Anmerkung zu den Wertberichtigungen machen. Da gibt es ja viel Beifall, daß jetzt endlich auch die Amerikaner, nachdem die deutschen Banken vorgezogen sind, Wertberichtigungen in erheblichem Ausmaß vornehmen. Es gibt natürlich auch Gefahren.
Gefahr Nr. 1 ist, daß manche Banken sich auf diese Weise gewissermaßen aus ihrem internationalen Engagement verabschieden wollen. Das dürfen wir bei den privaten Banken über diesen Weg nicht zulassen. Sie müssen die Staaten mit unterstützen.
Zweitens dürfen wir dadurch auch nicht das fördern, was vielfach schon zu beobachten ist, daß durch diese Wertberichtigungen die Forderung schärfer und lauter wird: Wenn die Banken in den Industrienationen die Schulden betriebswirtschaftlich schon verdaut haben, dann könnt ihr doch die Schulden ganz erlassen. Auch dies wäre ein einseitiger Weg. Das heißt, wir müssen mit allen Instrumenten, mit viel Geduld auf die Lösung des Schuldenproblems hinarbeiten, aber auch mit innerem Engagement.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103002400
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Anträge zur Verschuldungskrise an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Antrag der Fraktion der SPD soll wie die anderen Anträge zur Mitberatung auch an den Verteidigungsausschuß überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 sowie die Zusatztagesordnungspunkte 3 und 4 auf:
3. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Rust, Frau Olms, Volmer und der Fraktion DIE GRÜNEN
Abschaffung der Sicherheitsüberprüfung
für politisch Verfolgte aus Chile
— Drucksache 11/659 —
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Hilfe für bedrohte Chilenen
— Drucksache 11/817 (neu) — Zusatztagesordnungspunkt 3:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Rust, Frau Olms, Volmer und der Fraktion DIE GRÜNEN
Sanktionen gegen die Militärdiktatur in Chile
— Drucksache 11/894 —
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß (federführend)

Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Zusatztagesordnungspunkt 4:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerster (Mainz), Frau Geiger, Dr. Miltner, Fellner, Dr. Stercken, Günther, Seehofer, Dr. Hornhues und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Irmer, Funke, Dr. Hirsch, Lüder, Baum, Richter, Dr. Feldmann, Hoppe, Wolfgramm (Göttingen) und der Fraktion der FDP
Beitrag der Bundesrepublik Deutschland für die Verwirklichung der Menschenrechte in der Völkergemeinschaft
— Drucksache 11/900 —
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte zwei Stunden vorgesehen. — Ich sehe auch dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Volmer.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1103002500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gut ein Jahr, nachdem wir hier den Antrag der GRÜNEN auf Abschaffung der Sicherheitsprüfung für Asylbewerber aus Chile und die Forderung nach Aufnahme der 14, heute 15 vom Tode bedrohten Gefangenen debattiert haben, diskutieren wir dieses Thema erneut. Vieles ist seither geschehen, aber nichts Entscheidendes. Die GRÜNEN haben ihre Kampagne zur Befreiung der 15 Gefangenen verstärkt, andere Parteien und Parteienvertreter, Kirchen, Gewerkschaften und gesellschaftliche Gruppen haben eindeutige Konsequenzen von der Bundesregierung angemahnt. Die Zeit wäre reif für einen entscheidenden Schritt.
Was die Koalitionsfraktionen nun aber als Koalitionspapier vorgelegt haben, ist erschreckend mager. In dem Papier steht nichts drin, was einen wirklichen praktischen Schritt bedeuten würde.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Angesichts der Äußerungen, Herr Minister Blüm, die Sie in Chile getan haben, ist das Koalitionspapier beschämend. Es ist beschämend in seiner Weigerung, eine praktische Konsequenz zu ziehen, vor allen Dingen bezogen auf die 15 Bedrohten. Ich sage hier ganz deutlich, Herr Blüm: Es reicht überhaupt nicht aus, im Ausland eine dicke Lippe zu riskieren. Die praktische Politik ist entscheidend, und da kommt nichts von Ihnen. Sie haben den Ruf des Menschenrechtspolitikers mit diesem Papier genauso schnell wieder verspielt, wie Sie sich ihn eingehandelt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Schlimmer noch: Dadurch, daß Sie sich als der große
Menschenfreund aufgespielt haben, könnte die Be-



Volmer
völkerung nun den falschen Eindruck bekommen, dieses Papierchen, das Sie da vorlegen, sei Menschenrechtspolitik. Es ist das Gegenteil, das Gegenteil deshalb, weil es die Hoffnungen, die Sie bei den Menschen Chiles geweckt haben, nun grausam zerstört.

(Beckmann [FDP]: Wie Ihre Menschenrechtspolitik aussieht, hat uns Frau Ditfurth gezeigt!)

Unsere Befürchtungen scheinen sich zu bewahrheiten: Sie haben ihr Süppchen auf den Rücken der hoffenden Menschen gekocht. Innenpolitisch halb links abzusahnen, das war Ihr eigentliches politisches Ziel. Die Menschen in Chile waren Ihr Medium, das Sie nun, wo es zum Schwur kommt, wieder fallenlassen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Blüm, während von Ihnen nichts Gutes kommt, kommt von Ihrem Kollegen Zimmermann alles Schlechte. Seine Handschrift ist in dem Koalitionspapier immer noch deutlich zu sehen. Ich hatte in Chile die Gelegenheit, die Gründe, die Zimmermann für seine Verstocktheit vorbringt, nachzurecherchieren. Das eindeutige Ergebnis lautet: Der Innenminister hat in jedem Punkte Unrecht. Zimmermann behauptet, es bestünde kein Handlungsbedarf, das sogenannte Gerichtsverfahren in Chile müsse abgewartet werden.
Die Angehörigen der Verhafteten, ihre Anwälte und die katholische Vicaria in Chile sind völlig gegenteiliger Ansicht. Sie wissen: Von einem gerechten Prozeß im Sinne unseres Rechtsverständnisses kann keine Rede sein. Mehr noch: Das Pinochet-Regime hat sich bisher nicht einmal an seine eigene, ohnehin illegitime Legalität gehalten. Es verfährt willkürlich nicht nur gegenüber den allgemeinen Grundsätzen von Recht und Menschenrecht, sondern selbst gegenüber seinen selbstgesetzten Regeln.

(Schreiber [CDU/CSU]: Wie in Nicaragua!)

Es ist eine völlig unhaltbare Position, Herr Schreiber, an irgendeiner Art von Seriosität im chilenischen Prozeßwesen zu glauben. Von daher ist der frühestmögliche Zeitpunkt für eine ausländische Intervention genau der richtige. Wie gesagt, dies ist auch die Meinung der katholischen Vicaria.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zimmermann behauptet weiterhin, die 15 könnten Terroristen sein. Die katholische Vicaria hat dazu in einer Broschüre ausgeführt: Der Begriff des Terrorismus oder des politischen Verbrechens ist in Chile nicht anwendbar. Unter Bedingungen einer faschistischen Diktatur sind andere Methoden der Opposition erlaubt, als dies in einer auch nur schlecht funktionierenden Demokratie der Fall ist. Jeder politische Widerstandsakt unter solchen Bedingungen verletzt zwangsläufig Normen, deren Übertretung in einem Rechtsstaat mit Strafe bedroht ist. Will Hen Zimmermann etwa den Bombenattentäter Elser wegen Sachbeschädigungen verurteilen, weil seine Bombe auf Hitler eine Säule des Hofbräuhauses zerstörte?
Die Frage der Gewalt wird in Chile völlig anders gestellt als hier. Ursache und Motor der Gewalt ist das Regime selbst. Die Leute in den armen Arbeitenderteln wehren sich ihrer Haut mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen. Dort gibt es keine rechtsphilosophischen Überlegungen über die Kategorien von Tat und Untat. Die Anwendung auch gewaltsamer Mittel ist eine Lebensnotwendigkeit für Christdemokraten und Kommunisten. Von daher sind Widerstandskämpfer gegen das Regime auf jeden Fall als politische Asylbewerber zu behandeln.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wie gesagt, dies ist auch die Meinung der katholischen Vicaria.
Herr Zimmermann meint weiterhin, es reiche, eine endgültige Entscheidung zu treffen, wenn die letztinstanzlichen Urteile ausgesprochen seien. Auch dies ist falsch. Der Fall Victor Zuñiga hat bewiesen, daß das Regime seine Gegner nicht offiziell zum Tode verurteilt und dann hinrichtet, sondern sie vorher im Gefängnis ermorden läßt. Eine Woche bevor wir nach Chile reisten, gab es einen weiteren solchen Fall in Valparaiso. Als vier politischen Gegangenen die Flucht gelang, rächte sich das Gefängnispersonal an einem der Verbleibenden. Folter und Bedrohung brachten diesen Mann derart in Verzweiflung, daß er sich selbst das Leben nahm. Auch dies ist eine Methode staatlichen Tötens.
Um solche Morde zu verhindern, ist schnellstes Eingreifen nötig. Nach Aussage der Anwälte und Angehörigen ist Pinochet absolut gewillt, am Beispiel der 15 Gefangenen die sogenannte legale Verhängung der Todesstrafe durchzusetzen. Bisher wurden in Chile relativ wenige Todesurteile vollstreckt, insbesondere deshalb, weil, wie gesagt, die Gefangenen schon vorher ermordet wurden. Aus kosmetischen Gründen sucht der Diktator jetzt nach eleganteren Wegen. Nur internationaler Druck kann verhindern, daß die Exekution einiger der 15 zum Präzedenzfall für die Durchsetzung der Todesstrafe in Chile wird.
Innenminister Zimmermann hat weiterhin in allen seinen Stellungnahmen suggeriert, daß die 15 Gefangenen schuldig seien. Er hat u. a. die Aussage der Vicaria angeführt, daß es kein Entlastungsmaterial gebe. Ich habe die Vicaria mit dieser absurden Interpretation durch Innenminister Zimmermann konfrontiert. Der Präsident war geradezu schockiert von so viel Borniertheit. Er betonte, daß das Nichtvorhandensein von Entlastungsmaterial genau „gar nichts" bedeute. Es gelte: „Im Zweifel für die Angeklagten."

(Beifall bei den GRÜNEN)

Im Gegensatz zu Bundesminister Zimmermann stellt sich damit die chilenische Vicaria auf den Standpunkt der westlich-demokratischen Rechtsauffassung.
Und noch eines: Der chilenische Außenminister erklärte in einem Gespräch, bei dem ich zugegen war, daß weder Unschuld noch Schuld der Gefangenen bewiesen sei. Zimmermann ist selbst schlauer als der chilenische Außenminister.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, so verquer der Standpunkt des Innenministers auf den ersten Blick scheinen mag: Schaut man ein wenig tiefer, erkennt man Methode. Die sogenannte Verfassung, auf deren Basis Pinochet seit 1980 sein Regime ausübt, wurde vom



Volmer
deutschen Staatsrechts-Professor Blumenwitz aus Würzburg mit entworfen. Finanziert wurde dieses Projekt von der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung. Insoweit ist das Verhalten des CSU-Ministers konsistent. Am Beispiel Chiles beweist die CSU ihre Vorliebe für obrigkeitsstaatliche Regulierung der Gesellschaft, selbst wenn sie die Grenze zum offenen Faschismus überschreitet.

(Beifall bei den GRÜNEN — Kittelmann [CDU/CSU]: So einen Quatsch können Sie ja kaum ablesen!)

Meine Damen und Herren, wir sollten die Gemeinsamkeit der Demokraten gegen die Generäle und ihre politischen Helfershelfer in Süd und Nord herstellen.
Die GRÜNEN haben erneut ihren Antrag eingebracht, die Sicherheitsüberprüfung, die sich heute praktisch ausschließlich gegen oppositionelle Chilenen richtet, abzuschaffen. Die SPD hat sich nun kurzfristig angeschlossen. Die Abschaffung würde das von Innenminister Zimmermann angebrachte rechtliche Argument gegen die Aufnahme der 15 sofort außer Kraft setzen. Die Abschaffung würde dem Innenminister die scheinbar demokratische Legitimation seiner Verstocktheit entziehen. Die Abschaffung könnte es möglich machen, daß die Bundesrepublik dem Beispiel zahlreicher europäischer Länder folgt und den 15 Gefährdeten sofort Asyl anbietet, so wie es Österreich, Frankreich, Belgien und Finnland bereits getan haben. Letzteres ist ein Erfolg der Angehörigen der 15, die seit einigen Wochen auf Einladung der GRÜNEN zunächst die Bundesrepublik und jetzt auch Skandinavien bereist haben.
Hier bei uns gibt es genug offene Arme für die 15. Erst vor gut zwei Wochen hat der Stadtrat von Solingen auf einen Antrag der GRÜNEN hin einstimmig, d. h. auch mit den Stimmen der CDU, beschlossen, allen 15 eine Bleibe zu bieten.
Meine Damen und Herren, der Handlungsdruck ist da, auch die Möglichkeiten sind vorhanden. Es ist nun unsere Aufgabe, hier eine Mehrheit für die Aufnahme zu finden. Deshalb frage ich Sie, Herr Kollege Irmer von der FDP, ganz persönlich — Sie haben die Zustände in Chile gesehen und eine bemerkenswerte Rede in Santiago gehalten —, ich frage auch Sie, Herr Staatsminister Schäfer, ich frage Sie beide, weil ich Sie ein wenig kenne und weil ich von Ihrer menschenrechtspolitischen Redlichkeit im Gegensatz zu der von Herrn Blüm überzeugt bin:

(Scharrenbroich [CDU/CSU]: Unverschämt!)

Mit wem wollen Sie sich in dieser zugespitzten Situation solidarisieren? Solidarisieren Sie sich aus koalitionspolitischen Erwägungen mit diesem CSU-Minister Zimmermann, der immer noch an den Schulterklappen der Diktatur hängt, oder mit den 15 Widerstandskämpfern, zu deren Lebensrettung Sie beitragen könnten? Ich appelliere an Sie: Schaffen Sie die Sicherheitsüberprüfung ab, nehmen Sie die 15 auf!

(Beifall bei den GRÜNEN — Fellner [CDU/ CSU]: Du hast wohl Angst vor der Sicherheitsüberprüfung!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103002600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerster (Mainz).

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1103002700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen legen Ihnen einen Antrag für die Verwirklichung der Menschenrechte in der Völkergemeinschaft der Welt vor; denn daß Menschen erniedrigt, verfolgt, ihrer Freiheit beraubt, gefoltert oder sogar getötet werden, ist keine chilenische Spezialität, sondern nach den Ermittlungen von Amnesty International grausame Wirklichkeit in 129 Staaten der Welt. Wer sich daher glaubwürdig für die 15 Chilenen einsetzen will, muß sich im gleichen Atemzug für die Menschenrechte aller Chilenen, ja für die Menschenrechte in weiteren 128 Staaten, also für die Menschenrechte in aller Welt einsetzen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Selbstverständlich!)

Daß es die Koalitionsfraktionen damit ernst meinen, beweist unser Antrag. Es geht uns keinesfalls abstrakt und allgemein, sondern ganz konkret und zielgerichtet darum, mit allen Kräften und auf allen geeigneten Wegen für die Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und menschlichen Grundfreiheiten überall und daher auch in Chile einzutreten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir lehnen die Todesstrafe ab und verurteilen Folter auf das schärfste. Für uns gilt ohne jede Einschränkung die Gewährleistung unseres Grundgesetzes, politisch Verfolgten Asyl zu gewähren. Wir unterstreichen, daß diese Grundsätze selbstverständlich auch gegenüber den 15 in Chile inhaftierten, von der Todesstrafe bedrohten Personen gelten.
Daraus folgt unsere Forderung an die Bundesregierung, in Übereinstimmung mit anderen europäischen Staaten alles zu tun, daß die 15 Chilenen weder zum Tode verurteilt noch hingerichtet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dabei machen wir deutlich, daß dieser eindeutige Einsatz zur Rettung der 15 Chilenen nur Teil unserer moralischen Pflichten, keinesfalls das Ende unseres Einsatzes für die Menschenrechte in Chile sein darf. Vielmehr fordern wir ebenso nachdrücklich, alles zu tun, daß in Chile demokratische und rechtsstaatliche Verhältnisse wiederhergestellt werden; denn nur diese Entwicklung wird letztlich die dauerhafte Verwirklichung der Menschrechte für alle Chilenen sicherstellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103002800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Lutz?

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1103002900
Wenn das nicht auf die Zeit angerechnet wird, gern.

Egon Lutz (SPD):
Rede ID: ID1103003000
Herr Kollege, würden Sie meinen Verdacht entkräften können, daß Sie relativ spät mit dieser Problematik befaßt worden sind und diese Problematik begriffen haben?




Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1103003100
Ja, Herr Kollege Lutz, ich würde nur sagen, daß es in dieser Frage keinen vorauseilenden Gehorsam gibt, sondern daß wir hier genauso verfahren wie bei Menschen, die in anderen Staaten unter Menschenrechtsverletzungen leiden, für die Sie und Ihre Partei sich überhaupt nicht interessieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren von der SPD und den GRÜNEN, was Sie heute mit Ihren Anträgen bezwekken, ist dagegen einseitig und in zweifacher Hinsicht irreführend. Wer die Menschrechte auf Chile beschränkt, verliert die Realität. Mehr als 3 Milliarden Menschen leben in politischen Systemen, die die Menschenwürde, die daraus fließenden Menschenrechte, die Freiheit und soziale Gerechtigkeit verweigern. Auf keinem anderen Gebiet klaffen etwa Erklärungen zwischenstaatlicher Organisationen, völkerrechtliche Vereinbarungen und nationale Verfassungen mit der Lebenswirklichkeit so auseinander wie bei den Menschenrechten und Grundfreiheiten. Weder die Beschwörung der Menschenrechte in der Charta der Vereinten Nationen und in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 noch die beiden Internationalen Menschenrechtspakte vom Dezember 1966 haben bis heute verhindert, daß in vielen Staaten der Welt die Menschenrechte Tag für Tag mit Füßen getreten werden.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Aber Chile ist besonders schlimm!)

Es geht also bei weitem nicht nur um Chile. Unser Einsatz für die Menchenrechte muß weltweit und unteilbar sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ebenso kurzsichtig und letztlich ungerecht ist es, immer und immer wieder nur das Schicksal der 15 Chilenen zu erörtern. Mit einer Ausreise und Aufnahme dieser Personen hätten die Menschenrechte in Chile noch lange nicht gewonnen. Hat nicht die Bundesrepublik Deutschland bereits rund 1 500 politische Häftlinge aus Chile aufgenommen? An der andauernden Verletzung der Menschenrechte dort hat das nichts geändert. Es genügt eben nicht wie im Gleichnis vom barmherzigen Samariter, den Wanderer, der unter die Räuber gefallen ist, zu pflegen.

(Lutz [SPD]: Das ist absolut zynisch! Das können Sie gar nicht verantworten, was Sie da sagen!)

Wir müssen vielmehr dafür sorgen, daß den Räuberbanden das Handwerk gelegt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

Gegenüber totalitären Systemen darf es keine weltanschauliche Neutralität und keine diplomatische Gleichgültigkeit geben. Die Hilfe für namentlich bekannte politische Gefangene ist notwendig, aber letztlich ein Kurieren an Symptomen. Ich warne daher davor, menschliches Engagement wie eine moralische Beruhigungspille zu schlucken, sich aber mit den Geschäften menschenverachtender Systeme kritik- und tatenlos abzufinden.
Meine Damen und Herren, die Unionsparteien sind seit ihrer Gründung Menschenrechtsparteien. Unser Einsatz für die Menschenrechte gründet in unserem christlichen Verständnis vom Menschen als Ebenbild Gottes.

(Zurufe von der SPD: Darauf habe ich gewartet! Ihr Beitrag war sehr überzeugend! — Kleiner [Marburg] [GRÜNE]: Dann ist Strauß der Antichrist!)

Jeder Mensch ist einmalig und in seiner Würde unantastbar.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir treten deshalb für Freiheitsrechte und rechtsstaatliche Verfahren ein und verlangen menschenwürdige Lebensbedingungen in aller Welt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Unfreiheit und Rechtlosigkeit verletzen ebenso wie soziale Not, Armut und Hunger die menschliche Würde. In der Menschenrechtserklärung unserer Partei vom Dezember 1985 sind diese Grundsätze zusammengefaßt.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Ja, dann ändert euch! — Lutz [SPD]: Schämen Sie sich eigentlich nicht?)

Bei den GRÜNEN, aber auch bei Teilen der SPD sind hier Zweifel angebracht. Wie glaubhaft kann denn eine Menschenrechtskampagne der GRÜNEN sein, wenn dort kein Einvernehmen über die sittlichen Grundlagen dieses Einsatzes besteht? Bei den GRÜNEN sind die Menschenrechte von ihrer Wurzel, nämlich der unverfügbaren Menschenwürde, getrennt.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Wie bitte? Das erklären Sie doch mal! — Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Wie kommen Sie denn dazu?)

— Ja, Sie entarten den Menschenrechtsbegriff zu einem politischen Kampfbegriff.

(Volmer [GRÜNE]: Das hat Geißler gesagt! Das ist das Geißler-Konzept!)

Die Gründe dafür liegen nicht nur in Ihrer Zerrissenheit, sondern auch in der von den Vordenkern der linken emanzipatorischen Bewegung Anfang der siebziger Jahre übernommenen Illusion, die Wahrheit lasse sich nur im basisdemokratischen Konsens finden, frei nach dem Motto: Wahr ist, was die Gruppe für wahr hält.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Die Schuhe sind zu groß für Sie!)

Nicht sittliche Wertbindung, sondern wertlose Bindungslosigkeit führt die GRÜNEN dann in die moralische Sackgasse, ungeborenes Leben schutzlos zu stellen und den Einsatz von Gewalt in der politischen Auseinandersetzung einer Demokratie zu propagieren.

(Volmer [GRÜNE]: Deshalb dürfen die 15 jetzt aufgehängt werden! — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Wer hat Ihnen das denn aufgeschrieben?)




Gerster (Mainz)

Wer, wie die GRÜNEN, massenhafte Blockadeaktionen organisiert, wer Kinder von Unionspolitikern mit Aufzügen vor deren Häusern in Angst und Schrecken versetzt, wer in seinem Programm Sitzstreiks und Wegesperren, im Klartext also Nötigung und Landfriedensbruch, zur Duchsetzung seiner Ziele für erlaubt erklärt, wer Gewalt gegen Sachen, die der erste Schritt auf dem Weg in den Terror ist, rechtfertigt, verliert die Berechtigung, als Anwalt der Menschenrechte aufzutreten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, sehr bezeichnend sind hier auch einige Entwicklungen in der SPD-Fraktion.

(Zurufe von der SPD: Na! — Was?)

— Hören Sie genau zu. Der SPD-Umdenker Egon Bahr hat am 2. Oktober in der FAZ das gemeinsame Dokument von SPD und SED kommentiert und dabei wörtlich gesagt:
Die Annahme der sozialdemokratischen Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität durch die Kommunisten darf nicht zur Voraussetzung für die Organisation des Friedens gemacht werden.
Ich frage Herrn Bahr: Sind Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität nicht überparteiliche, ja überstaatliche Grundwerte, die Grundlage jedweden friedlichen Miteinanders und daher unverzichtbar sind.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Was haben Sie denn gegen Kommunisten? In welcher Welt lebt er eigentlich? — Lutz [SPD]: Schämen sollten Sie sich!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103003200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Penner?

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1103003300
Bitte schön, Herr Penner, sehr gern.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1103003400
Schönen Dank. — Finden Sie nicht, Herr Kollege Gerster, daß Ihre moralische Empörung über bestimmte Vorgänge bei den GRÜNEN an Durchschlagskraft verliert, wenn man an die jüngste Entwicklung in Schleswig-Holstein denkt?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1103003500
Herr Kollege Penner, ich finde, daß wir uns in einer Menschenrechtsdebatte sehr genau konzentrieren müssen

(Duwe [SPD]: Auf das SPD-Papier!)

und sehr genau Maß anlegen müssen, nach welchen Prinzipien und Grundsätzen die Parteien hier in diesem Hause Menschenrechtsfragen beurteilen. Mich treibt um, daß sowohl die GRÜNEN wie auch Ihre Partei die Menschenrechte relativieren, indem sie auf einem Auge blind sind, Menschenrechte nur in bestimmten Ländern reklamieren.

(Beifall bei der CDU/CSU — Lutz [SPD]: Frechheit! — Weiterer Zuruf von der SPD: Unverschämtheit!)

Ich kann Ihnen noch ein Beispiel sagen. Herr Brück, hören Sie ganz genau zu, damit wir uns sehr recht
verstehen. Bahr hat in der gleichen Zeitung folgendes wörtlich geäußert:
Ohne Zweifel entsprach das, was 1953 in der DDR, 1956 in Polen und Ungarn, 1968 in der Tschechoslowakei passierte, nicht unserem Verständnis vom Frieden im umfassenden Sinn. Aber zweifellos werden die Bürger in Ost wie West geschätzt haben, daß diese besondere Art von Landfriedensbruch nicht zum Krieg zwischen Ost und West führte.
Ich glaube, daß die Bürger in Ost und West mehr geschätzt hätten, wenn Bahr den Freiheitswillen der Bürger in der DDR, in Polen, in Ungarn und in der Tschechoslowakei gelobt und die militärische Unterdrückung durch russische Panzer verurteilt hätte, weil nur dadurch der Frieden gefährdet worden ist.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Worüber reden wir eigentlich? Thema verfehlt!)

Statt dessen wirft Bahr Ursache und Wirkung, Freiheitsdrang auf der einen und Unterdrückung auf der anderen Seite, in einen Topf und meint, das Ganze entspreche nur nicht unserem Verständnis vom Frieden im umfassenden Sinn.
In Wahrheit hatte der Einsatz russischer Panzer weder 1953 noch 1956

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Zum Thema!)

noch 1968 überhaupt etwas mit Frieden zu tun.

(Duwe [SPD]: Die Chilenen sind begeistert über Ihre Ausführungen!)

Das war Krieg von außen gegen waffenlose Burger.

(Volmer [GRÜNE]: Deshalb darf Pinochet die Leute umbringen!)

Ich frage die SPD, ob sie diese Bahrsche Verniedlichung schlimmster Menschenrechtsverletzungen teilt, oder ob sie sich davon distanziert.
Damit kein Zweifel entsteht: Für die Unionsparteien ist wahrer Friede erst möglich, wenn die Menschenrechte verwirklicht sind. Frieden auf Kosten der Menschenrechte ist ein Scheinfriede. Deshalb darf in einer Welt, die um den Frieden ringt, der Kampf um die Menschenrechte nicht fehlen. Politik für die Menschenrechte ist Friedenspolitik. Wir brauchen nicht nur eine Abrüstung bei den atomaren, chemischen und konventionellen Waffen, wir brauchen eine Abrüstung auch von Menschenrechtsverletzungen, von Folter, von Unterdrückung und von Gewalt.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Das können Sie jetzt beweisen!)

Ich fordere Sie von der SPD auf, auf diese gemeinsame Plattform zurückzukehren.

(Lutz [SPD]: Können Sie ausschließen, daß Sie ein Heuchler sind?)

Ich warne Sie vor der verhängnisvollen Illusion, Sie
könnten unter Relativierung der eigenen Menschenrechtsüberlegungen mit der totalitären kommunisti-



Gerster (Mainz)

schen Ideologie einen fairen Gleichklang finden, so wie das SED/SPD-Papier das teilweise vorgibt.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das ist ein übles Stammtischniveau! — Duwe [SPD]: Dies hat der Herr Blüm nicht verdient!)

Meine Damen und Herren, wir Deutsche haben in zweifacher Weise eine besondere Verpflichtung gegenüber den Menschenrechten. Wir wissen aus der leidvollen Erfahrung unserer Geschichte,

(Frau Unruh [GRÜNE]: Der will uns „verbarscheln" ! )

wohin Gewalt und Terror und wohin das Schweigen über Diktatur und Unmenschlichkeit führen. Zum anderen stehen wir in einer besonderen Verantwortung für die Menschenrechte der Deutschen in Unfreiheit.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103003600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lippelt?

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1103003700
Bitte schön.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1103003800
Herr Abgeordneter, stimmen Sie mir darin zu, daß Ihre weiten Ausflüge in die Geschichte und in die Allgemeinheit nur davon ablenken sollen, daß Sie in dem letzten Absatz Ihres Antrags das konkrete Asylangebot an die Chilenen vermeiden?

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1103003900
Wenn Sie das Ende meiner Rede anhören, werden Sie genau wissen, auf was wir abzielen. Es ist für uns keine Frage. Diese Erklärung ist klar — wenn Sie sie genau durchlesen — : daß wir den Grundsatz des Grundgesetzes — Artikel 16 GG — auch in diesem Falle anerkennen und daß wir alles tun werden, damit diese Menschen weder zum Tode verurteilt noch hingerichtet werden. Das ist eine eindeutige Aussage der Bundestagsfraktionen der CDU/CSU und der FDP.
Meine Damen, meine Herren! Beide Grundsätze, die ich vor der Fragestellung hier aufgestellt habe, nämlich der besonderer Verantwortung der Deutschen für die Menschenrechte, hat der Bundeskanzler in seiner Tischrede vor genau einem Monat gegenüber Generalsekretär Honecker mit folgenden Worten zum Ausdruck gebracht:
Die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten ist ein wesentlicher Faktor für den Frieden, die Gerechtigkeit und das Wohlergehen. Wir wollen Frieden in Deutschland, und dazu gehört auch, daß an der Grenze Waffen auf Dauer zum Schweigen gebracht werden. Gerade Gewalt, die den Wehrlosen trifft, schädigt den Frieden.
Dieses Wort gegenüber dem Generalsekretär gilt gegenüber jedem Machthaber. Wir wollen Frieden in der Welt und in jedem Land. Dazu gehört die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten in jedem Land. Dafür kämpfen wir. Wir kämpfen auch dafür, daß keine Diktatur, auch nicht in Chile, Menschen rechtswidrig in den Tod treibt. Wer wirklich politisch verfolgt wird, erhält in unserem Land Asyl.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103004000
Meine Damen und Herren! Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß auf der Ehrentribüne eine Delegation unter Leitung des Präsidenten des argentinischen Abgeordnetenhauses, Herrn Dr. Juan Carlos Pugliese, Platz genommen hat.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Herr Präsident, der Deutsche Bundestag heißt Sie bei uns herzlich willkommen. Das argentinische Abgeordnetenhaus und der Deutsche Bundestag stimmen überein in dem Bemühen, Menschenrechte und Freiheit zu schützen und den Frieden in der Welt zu stärken. Wir danken Ihnen auch für Ihren morgigen Besuch in Berlin und für das Interesse, das Sie damit an der besonderen Lage der geteilten Stadt zum Ausdruck bringen. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Delegation einen angenehmen Aufenthalt und gute Gespräche in unserem Land.

(Erneuter Beifall bei allen Fraktionen) Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Duve.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aber jetzt keine Demagogie, mein Lieber!)


Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1103004100
Es ist bedauerlich, daß die CDU hier heute morgen als ihren ersten Redner einen Kollegen hingestellt hat, der dieses Problem auf einem solchen Niveau abgehandelt hat.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es ist eine Chance vertan worden, und wir wollen über diese vertane Chance gar nicht weiter reden, denn es hätten sich menschenrechtsverachtende Ausdrücke über Chile selber durch viele Angehörige Ihrer Organisation aus den 70er Jahren finden lassen; wenn ich nur an die Äußerungen über die Fußballarena denke, die ja nach Meinung eines ihrer damaligen Wortführer ein „ sonniger Platz " war. Also ich denke, es war ein schlechter Beginn durch die Union, bei einem solchen Thema mit solchen Albernheiten hier zu beginnen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die zweite Bemerkung, meine Damen und Herren: Wenn wir das so weiter betreiben, daß wir bei jedem konkreten Menschenrechtsthema immer die Flucht ins Globale suchen,

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

dann haben die Menschen konkret davon gar nichts.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin dafür, daß wir über Afghanistan reden, daß wir über Äthiopien reden, daß wir über viele Staaten reden. Aber ich bin nicht dafür, daß wir, wenn wir über einen reden, immer den anderen herbeiwünschen,



Duve
damit wir über den einen nicht konkret reden müssen. Das muß mal aufhören!

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Wann reden Sie denn über Afghanistan?)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auf Einladung chilenischer Parlamentarier hat der Deutsche Bundestag eine parlamentarische Delegation nach Chile entsandt. Ich habe unseren chilenischen Kollegen versprochen, mich hier in ihrem Namen noch einmal ausdrücklich beim Deutschen Bundestag und auch bei den deutschen Steuerzahlern dafür zu bedanken, daß wir sechs Abgeordneten diese Reise unternehmen konnten. Sie galt der Lage der Menschenrechte in Chile, sie galt der Solidarität mit den politischen Parteien, sie galt der Frage, wie sich künftig die Beziehungen zwischen Chile und der Bundesrepublik Deutschland entwickeln werden.
Wir haben Menschen in Gefängnissen besucht: den Chefredakteur der Zeitschrift APSI, Marcelo Contreras, der in Untersuchungshaft sitzt und wegen eines einzigen Pinochet-kritischen Artikels mit mehreren Jahren Gefängnis bedroht ist. Wir haben Dr. Olivarez besucht, der im Gefängnis sitzt, weil er als Arzt einem Verwundeten geholfen hat. Wir haben den Vorsitzenden der Sozialistischen Partei, Clodomiro Almeyda, besucht, der gefangengehalten wird, weil er angeblich in Worten den Terrorismus unterstützt habe. Almeyda war der zweithöchste Repräsentant der chilenischen Republik unter Allende und ist erst vor wenigen Wochen in seine Heimat zurückgekehrt. Ich habe den Chefredakteur der Zeitung „Analisis", Juan Pablo Cárdenas, morgens um sechs Uhr aus seiner absurden Gefängnishaft vor dem Tor abgeholt. Für mehrere Jahre soll er jeden Abend um zehn Uhr das Gefängnis aufsuchen und um sechs Uhr wieder verlassen — eine besonders zynische Form scheinbarer Großzügigkeit.
Ich konnte noch einmal Frau Dr. Brinkmann im Gefängnis in Valdivia besuchen. Sie ist jetzt hier in der Bundesrepublik, und ich freue mich, daß sie heute bei uns hier im Plenum sitzt und dieser Debatte zuhört.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ohne die Arbeit der Initiative in Marburg, ohne die Besuche der Mitarbeiter der deutschen Botschaft, ohne das Bemühen von Hans-Dietrich Genscher und Norbert Blüm, aber auch ohne unser parlamentarisches Engagement — ich erwähne besonders meinen Marburger Kollegen Gerhard Jahn — säße sie heute nicht dort oben auf der Tribüne.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Volker Rühe hat 1986 auf einem Parteitag der Union gesagt:
Menschenrechte sind inzwischen ein Markenzeichen der Politik der CDU geworden, und nicht der Sozialdemokraten.
Diese Werblichkeit des Themas haben wir vor wenigen Minuten wieder einmal vorgeführt bekommen; ich bedaure das.

(Sehr wahr! bei der SPD)

Er sagte das zu einer Zeit, als im Vorlauf auf die Bundestagswahl wieder einmal über die Bundesrepublik eine menschenverachtende Antiasylantenpropaganda hereinbrach, ohne daß die Spitze der CDU dies damals gestoppt hätte. Seinerzeit wies niemand auf die schrecklichen und tödlichen Umstände hin, vor denen die meisten Asylbewerber fliehen mußten und noch immer fliehen müssen.
Menschenrechte, meine Damen und Herren, sind kein Markenartikel, den man in das Themenangebot einer politischen Partei aufnimmt wie den Duft von 4711 oder eine Kollektion von Yves Saint Laurent.

(Zustimmung bei der SPD)

Wenn jemand das tut, mißbraucht er die Geschundenen und Bedrohten zum zweitenmal, macht sie zum Subjekt seiner wahlstrategischen Überlegungen für deren eigenen Bedarf.
Ich werte es als unglückliches Zusammentreffen — ich wäge meine Worte genau — , daß ausgerechnet nach der Rückkehr von Norbert Blüm und seinem erschütternden Bericht Sie, Herr Geißler, ein neues Strategiepapier vorlegten, so daß in der Öffentlichkeit die Menschenrechtsfrage als strategische Überlegung der Union verstanden werden mußte.

(Volmer [GRÜNE]: Das war Sinn der Operation!)

Das hat dazu geführt, daß wochenlang über die Frage, ob Norbert Blüm nach Südafrika fährt, mehr in den Zeitungen stand als über die Repressalien gegen die streikenden Minenarbeiter in Südafrika.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es wäre gut, wenn die Union bald dafür sorgte, daß Volker Rühe Unrecht hatte, als er die Menschenrechte zum Markenzeichen — man höre! — seiner Partei machen wollte, um es den anderen Parteien abzusprechen.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Von solchem Wettlauf um den selbstveständlichen Humanismus gerade der deutschen Parlamentarier hat niemand etwas, am wenigsten die Opfer von Menschenrechtsverletzungen.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103004200
Bitte schön, Herr Gerster!

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1103004300
Herr Kollege Duve, ich möchte Sie noch einmal an den Ausspruch von Egon Bahr erinnern, der von den sozialdemokratischen Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität gesprochen hat. Würden Sie sich auch davon distanzieren, daß damit eine Partei bestimmte Grundwerte für sich beansprucht?

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1103004400
Herr Kolleger Gerster, ich hoffe sehr, daß mir die Zeit dafür nicht angerechnet wird.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist wörtlich!)

Der jetzige Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat seinerzeit eine Grundwertekommission Ihrer Partei geleitet. Ich habe mit großem Respekt das



Duve
Ergebnis der Arbeit dieser Kommission gelesen. Wir haben ebenfalls eine Grundwertekommission gehabt. Ich war Berater dieser Grundwertekommission, die interessante und beachtenswerte Aussagen über Grundfragen menschlichen Zusammenlebens gemacht hat. In diesem Zusammenhang der Grundwerte von Demokraten, der Grundwerte von Menschen, im Zusammenhang der Fragen, wie Menschen bei all den Problemen, die sie miteinander und gegeneinander haben, zusammenleben können, befassen sich solche Leute, die Aussagen über Grundwerte machen. In diesem Zusammenhang ist die zitierte Äußerung von Egon Bahr zu sehen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103004500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster?

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1103004600
Ich weiß nicht; wenn er die Geduld seines Generalsekretärs Geißler in dieser Weise beanspruchen will, bitte sehr!

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1103004700
Herr Duve, können Sie mir bestätigen und zustimmen, daß es sich bei den Grundwerten um überparteiliche und überstaatliche Werte handelt, daß es also nicht sozialdemokratische Werte sind?

(Zuruf von der SPD: Wir haben sie ja nicht allein für uns in Anspruch genommen!)


Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1103004800
Wir haben niemals gesagt, daß, wenn sich Sozialdemokraten zu Grundwerten bekennen, dies das Alleineigentum einer Partei ist. Im Gegenteil, es ist ein Angebot an die Gesellschaft. Wir haben uns gefreut, daß gerade die Solidarität, einer der von uns in die Diskussion und im 19. Jahrhundert auch in den politischen Kampf geworfenen Begriffe, bei Teilen Ihrer Partei auf Interesse gestoßen ist. Darüber haben wir uns gefreut. Ich denke, wir sollten die Frage der Grundwerte nicht verniedlichen. Sie haben diesbezüglich in mir einen sehr interessierten Gesprächspartner.
Wenn Sie eine dritte Frage stellen wollen — bitte, machen Sie nur so weiter.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie sollten Herrn Bahr widersprechen und mal mit ihm reden!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103004900
Jetzt stehe ich vor der Frage, ob Sie auch noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Geißler zulassen. Ich muß aber allmählich darauf aufmerksam machen, daß wir irgendwann mittags unsere Mitarbeiter zu einer Pause kommen lassen müssen. Insofern kann ich bei einer zwanzigminütigen Rede nicht alle Zeiten nicht anrechnen.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1103005000
Bitte schön, Herr Kollege Geißler.

Dr. Heiner Geißler (CDU):
Rede ID: ID1103005100
Herr Duve, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß von mir kein Strategiepapier während oder nach der Reise von Norbert Blüm vorgelegt worden ist, sondern daß ich am 17./18. Juni dem Bundesvorstand der CDU eine Wahlanalyse vorgelegt habe, ungefähr sechs Wochen, bevor Norbert Blüm nach Chile gereist ist?
Würden Sie bitte weiter zur Kenntnis nehmen — um nur dieses Beispiel zu nennen — , daß sich sowohl der Bundeskanzler als auch ich persönlich vor über anderthalb Jahren in Chile für die Freilassung von Gefangenen eingesetzt haben und ohne diesen Einsatz z. B. der langjährige Vorsitzende der chilenischen Christdemokraten, Gabriel Valdez, heute nicht mehr am Leben wäre, so daß infolgedessen redlicherweise von Ihnen konzediert werden müßte, daß der Einsatz für die Menschenrechte, was die CDU anbelangt, nichts mit wahltaktischen und sonstigen Überlegungen zu tun hat?

(Beifall bei der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103005200
Herr Kollege Geißler, wenn es eine Frage gewesen sein sollte, dann bitte ich Sie, am Mikrofon stehenzubleiben.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Das war doch gar keine Frage!)


Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1103005300
Herr Kollege Geißler, ich habe gesagt, daß dieser Eindruck in der breiten Öffentlichkeit entstanden ist. Ich werde Ihnen eine Dokumentation darüber zusammenstellen, wie dieser Eindruck vermittelt worden ist. Ich habe bedauert, daß dieser Eindruck entstanden ist.
Ich habe Volker Rühe von Ihrem Parteitag zitiert, der von einem „Markenzeichen der CDU" und nicht der Sozialdemokraten gesprochen hat. Ich bin froh darüber, daß Sie hier einen anderen Eindruck vermitteln. Ich denke, wir sollten unsere eigenen einzelnen Leistungen nicht gegeneinander aufrechnen. Ich weiß sehr wohl — ich war kurz nach Ihnen in Chile — , wie Sie sich bei Ihrem ersten Besuch dort eingesetzt haben. Das ist überhaupt keine Frage. Ich weiß auch, wie sehr sich der damalige deutsche Botschafter — ausgerechnet bei einem Sozialdemokraten — über Ihr Auftreten beklagen zu müssen glaubte, weil Sie nämlich die Menschenrechtsfrage angesprochen haben.
Das ist doch nicht im Streit. Im Streit ist, daß wir den Eindruck beseitigen müssen, daß hier Parteien mit Menschen in der Hand gegeneinander streiten. Diesen Eindruck hat der erste Redner Ihrer Fraktion heute morgen hier erweckt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Wir wollen uns heute mit drei Themen befassen: mit der Lage der Menschenrechte, insbesondere der 15 von der Todesstrafe bedrohten Häftlinge, mit den Chancen der chilenischen Opposition und auch damit, wie wir den Chilenen helfen können. Ich bin froh, daß sich der Kollege Irmer von der FDP in Santiago so engagiert und vehement für Wirtschaftssanktionen ausgesprochen hat. Wir können uns nun in den Ausschüssen an die Arbeit machen und ganz konkret fragen, wie das, was Herr Irmer dort vorgeschlagen hat, dem ich in der pauschalen Forderung zustimme, in konkrete Handlungen umgesetzt werden kann. Das ist ja bei der FDP besonders interessant.
Heute sollte allerdings schon klar sein: Lieferungen von Fahrzeugen und Ausrüstungen für die Polizei von Terrorregimen müssen aufhören. MBB und Mercedes, die sich bei uns so engangiert um freie Fahrt für freie



Duve
Bürger kümmern, sollten aufhören, Feinden der Freiheit Fahrzeuge zu liefern, mit denen Menschen unterdrückt, verfolgt und verschleppt werden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Das ist kein guter, das ist ein böser Stern.

Krediten der Weltbank und des Weltwährungsfonds sollten wir nicht mehr zustimmen.
Seit 1980 gibt es eine von Pinochet erzwungene Verfassung, deren Genesis wir vorhin erläutert bekommen haben, in der sich der Diktator gern zivilisieren möchte, mit der er sich darauf vorbereitet, sich von eben dem Volk, gegen das er Krieg führt, wieder zum Präsidenten wählen zu lassen. Hier ist im Sommer häufig das Vokabular des chilenischen Militärs übernommen worden. Da war von „Terroristen" im Gefängnis die Rede. Meine Damen und Herren, in Chile sitzen die Terroristen an der Spitze des Staates.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Sie haben mit terroristischen Methoden Gegner umgebracht. Sie haben Mörder nach Washington entsandt. Der chilenische Staat hat einen anderen Mörder nach Rom entsandt, und dort sind Menschen umgebracht worden. Das waren ausländische internationale Terroristen mit Staatsauftrag.
Sie haben über 3 000 Menschen verschwinden lassen, das schrecklichste Verbrechen, das Menschen Menschen zufügen können; denn sie sind dann ja nicht nur ihrer Angehörigen beraubt, sondern auch jeder Möglichkeit, mit dem oft tödlichen Ende ihrer Männer, Väter, Söhne und Töchter in einem christlichen und menschlichen Verständnis umzugehen. Ich habe eines der kleinen Häuser besucht, in dem die Polizei sieben Menschen — angeblich in einem „bewaffneten Kampf" — umgebracht hat. Keine Kugeleinschüsse waren zu finden.

(Zuruf des Abg. Dr. Blüm [CDU/CSU])

Das war ein kaltblütiger Mord an chilenischen Oppositionellen durch Angehörige der Staatsmacht.

(Dr. Blüm [CDU/CSU]: So ist es!)

Der Diktator läßt weiter morden und weiter foltern. Dagegen besteht Handlungsbedarf, wenn dieses Wort auch noch so schrecklich ist.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie bei einigen Abgeordneten der CDU/CSU)

Eindrucksvoll war der Auftritt von Norbert Blüm in Chile, an dem es aus meiner Sicht nichts zu kritisieren gibt. Denn in einer Diktatur ist für die Opposition jeder Schritt den prominente Besucher tun, jedes Wort in der Öffentlichkeit von lebenswichtiger Bedeutung.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Norbert Blüm hat wie viele von uns dieses Fenster zur Öffentlichkeit benutzt und für die Chilenen richtig benutzt. Man muß die Chilenen nur fragen, sie bestätigen das. Dafür sind ihm viele in Chile dankbar. Aber nun warten sie. Nun warten auch die Gefangenen auf eine klare Entscheidung; und die sollte heute hier getroffen werden.
Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik ist ein gutes Stück in der Solidarität mit dem chilenischen Volk, mit den chilenischen Demokraten vorangekommen. Vor einem Jahr wagte es unser deutscher Militärattaché in Santiago noch, die Gegner Pinochets in einer Rede als Kakerlaken zu bezeichnen. Er hatte einen Orden des Diktators entgegengenommen und sich in Chile als glühender Antidemokrat entpuppt. Daß so ein Mann immer noch im öffentlichen Dienst tätig ist! Wo bleibt die Gleichbehandlung mit Postbeamten? Antidemokraten gehören nicht in den öffentlichen Dienst.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wir sind vorangekommen. Heute werden Oppositionelle in Chile ausnahmslos als von der Diktatur politisch Verfolgte von allen Fraktionen anerkannt. Das ist ein Fortschritt. Insofern ist auch der Antrag der Regierungsfraktionen ein Fortschritt.
Chile steht an einem Scheideweg. Es wird auf die westlichen Demokratien ankommen, wohin sich dieses geschundene Land entwickelt. Der zynische Staats- und Verfassungsverräter, der durch Gewalt und Mord an die Macht gekommen war, Pinochet, will auf seine alten Tage das Bild des Militärdiktators gegen das des Landesvaters eintauschen, ein tödlich trügerisches Bild.
Die chilenische Demokratie ist älter als die deutsche. Demokratische Kultur ist im chilenischen Leben tief verwurzelt. Eine autoritäre, gelenkte Scheindemokratie wäre das gefährlichste, was den Chilenen und Lateinamerika blühen kann. Sie bedeutet, daß große Teile der demokratischen Opposition aus dem demokratischen Leben ausgeschlossen blieben. Geheimpolizei und Militär würden ihre Macht- und Vormachtstellung in der chilenischen Gesellschaft behalten. Die soziale Not, die Verelendung des größten Teils der Menschen würde zunehmen. Die noch einmal entrechtete Opposition würde das Ausbrechen von Gewalt, das Operieren gewaltbereiter Gruppen nicht mehr verhindern können und wahrscheinlich auch gar nicht mehr verhindern wollen. Und manche von ihnen würden sich dann daran beteiligen.
Der Diktator Pinochet in Zivil: das bedeutet Zukunftslosigkeit und Hoffnungslosigkeit für die Chilenen. Wir dürfen solchen Plänen nicht auf den Leim gehen. Darum muß unsere erste und wichtigste Forderung sein: Pinochet muß weg.

(Zustimmung bei der CDU/CSU) Die Folter muß aufhören.


(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Militärjustiz muß wieder auf rein militärische Angelegenheiten beschränkt werden. Die Geheimpolizei muß aufgelöst werden, und die Pressefreiheit muß voll wieder hergestellt werden. Gewerkschaften dürfen keinen Repressionen mehr unterworfen werden.

(Dr. Blüm [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Wir haben während unseres Aufenthalts in Chile Zeichen der Hoffnung erlebt. Zum erstenmal findet sich die chilenische Opposition unter einer Formel zusammen: Ja für freie Wahlen, nein zum Plebiszit. Wir haben erste Signale dafür, daß sich auch die Kom-



Duve
munisten mit ihrer großen parlamentarischen Tradition in Chile bald dieser Kampagne anschließen würden. Von rechts bis links, von den Nationalisten bis zu den Sozialisten finden sich heute viele chilenische Parteien zusammen und konzentrieren sich auf freie Wahlen. Was heißt das? Die undemokratischen Bedingungen für das Einschreiben in die Wählerlisten werden nicht einfach akzeptiert, sondern sie werden in Kauf genommen, um den Namen in die Liste einzutragen. Damit wird verhindert, daß sich Pinochet eines Tages plebiszitär auf seine Anhänger in Militär und deren Familien stützen kann, die sich ja alle einschreiben.
Wir begrüßen diese Kampagne der politischen Opposition. Sie heißt ja nicht, daß die Ordnung Pinochets akzeptiert wird. Auch das Beantragen eines Passes in Pinochets Amtsstuben heißt doch nicht, daß man die Diktatur akzeptiert. Ich sage dies, weil so viele Freunde Chiles diese neue Bewegung für freie Wahlen so schwer verstehen und nicht mittragen. Wir müssen die Parteien in diesem Kampf unterstützen.
Meine Damen und Herren, die erstarkte chilenische Opposition braucht diese Unterstützung. Wir müssen den Diktator ächten, wie wir die Apartheid ächten.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wir müssen offen die Demokratie stützen. Ich fordere alle deutschen Firmen, die in Chile tätig sind, zum wiederholten Male auf: Machen Sie Schluß mit der politischen Einmischung in chilenische Angelegenheiten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)

Hören Sie auf, nur den regierungsnahen Zeitungen und Fernsehsendern Anzeigen zu geben. Damit nehmen Sie nämlich Partei für die Diktatur. Geben Sie auch den Sendern der Kirche und den Zeitschriften der Opposition Anzeigen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Schon heute wird Mercedes in Chile mit dem Unterdrückungsapparat gleichgesetzt. Wer in Chile heute Polizeiauto sagt, meint eine deutsche Firma, meint Mercedes. Ich halte das nicht für sehr glücklich für uns alle.

(Zuruf von der CDU/CSU: In Nicaragua auch!)

Wir werden der Frage, ob Waffengeschäfte zwischen MBB und Chile auf Vermittlung Münchens abgewickelt worden sind, nachgehen. Meine Damen und Herren, ich appelliere an die Bayerische Staatsregierung: Machen Sie Schluß mit Ihrem Sonderverhältnis zu Chile. Es ist beschämend, daß in der Colonia dignidad und deren Außenstellen große Fotografien von Franz Josef Strauß hängen. Der Mann sollte sich so verhalten, daß ihn nicht Leute bewundern, die nachweislich ein internes Terrorunternehmen aufgebaut haben.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103005400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Irmer?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1103005500
Ja, wenn sie nicht angerechnet wird.

Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1103005600
Herr Kollege Duve, woher nehmen Sie Ihre Informationen, daß die Terrormaschinerie des Pinochet-Regimes mit der Firma Daimler-Benz oder sonstigen deutschen Firmen gleichgesetzt würde? Mir ist von der deutschen Botschaft in Chile glaubwürdig versichert worden

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

— ich habe keinen Anlaß, daran zu zweifeln — , daß es Waffenlieferungen oder Ausrüstungslieferungen dieser Art seitens bundesdeutscher Firmen an Chile nicht gibt und seit Jahren nicht gegeben hat.

(Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1103005700
Herr Kollege Irmer, ich wähle in solchen Zusammenhängen meine Worte sehr wohl. Es ist gut, wenn wir endlich den Nachweis bekommen, daß all die vielen Mercedes-Fahrzeuge überall im Lande, die von Militäreinheiten und von der Polizei im ganzen Lande gefahren werden, keine Mercedes-Wagen sind oder daß sie über solche Zwischenhändler dorthin geschmuggelt worden sind, daß Mercedes eine völlig weiße Weste hat. Das wäre gut.

(Zuruf des Abg. Irmer [FDP])

— Herr Kollege Irmer. Sie können sich ja zu einer zweiten Frage melden. Ich habe von etwas anderem gesprochen. Ich habe davon gesprochen, daß diese Firmen — dazu gehört auch Mercedes, dazu gehört auch die Lufthansa — endlich nicht mehr selektiv ihre Anzeigenkampagnen machen, nicht mehr nur regierungstreuen und regierungsnahen Zeitungen Anzeigen geben. Das ist eine Einmischung in die politischen Angelegenheiten des Landes.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)

Sie sollen dann auch der Oppositionspresse Anzeigen geben. Das wäre die Wahrung von Neutralität, die wir von solchen Firmen erwarten müssen. Davon habe ich gesprochen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: 129 Staaten der Welt!)

Ich habe von dem bayerischen Sonderverhältnis zu dem heutigen Chile gesprochen. Es wäre wirklich gut
— ich will das wiederholen — , wenn sich Franz Josef Strauß Chile gegenüber so verhalten würde, daß er dort nicht von solchen Leuten bewundert wird. Es ist beschämend, daß in Polizeieinrichtungen Chiles große Werbeplakate der bayerischen Polizei hängen. Damit sollte jetzt eigentlich Schluß sein.
Ob zwischen MBB und Chile Waffengeschäfte auf Vermittlung Münchens abgewickelt worden sind: Wir werden die Sache weiter prüfen. Daß ein Versuch unternommen wurde, das Raketensystem „Cormoran" zu erwerben, wissen wir jetzt. Wir werden hoffentlich herausbekommen, was daraus geworden ist. Wir dürfen keinen Krediten mehr zustimmen, die das Regime stabilisieren.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. In den letzten Jahren sind wir Zeugen eines dramatischen Demokratisierungsprozesses in Lateinamerika



Duve
geworden. Ich freue mich sehr, daß heute eine Delegation des argentinischen Parlaments hier ist. Das wäre vor wenigen Jahren noch nicht möglich gewesen. Heute sind die Diktaturen Paraguay, Chile und Panama übriggeblieben. Aber es war ein Prozeß, der die Probleme der Menschen in diesen Ländern nicht beendet, sondern eher deutlicher gemacht hat. Der Diktator von Paraguay beruft sich heute stolz auf die trügerische, nur durch Gewalt aufrechterhaltene Ruhe seines Landes. In Guatemala übt das Militär immer noch Gewalt gegen Bürger aus, die zum Wahlrecht auch die sozialen Menschenrechte einklagen. Wo die sozialen Menschenrechte verweigert werden oder wo sie durch Verschuldung und Armut keine Chance haben verwirklicht zu werden, bleibt die Demokratie gefährdet. Die Menschen erwarten dann von der Demokratie Wunder, die sie nur mit unserer ernsten Hilfe verwirklichen könnten.
Chile ist ein Beispiel für unsere Solidarität. Wenn wir sie Staaten verweigern, die versuchen, soziale Gerechtigkeit durchzusetzen, hätte auch die Demokratie in Chile keine Chance.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103005800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1103005900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist beklagenswert, über ganze Strecken dieser Debatte mit anhören zu müssen, in welchem Maß das Schicksal von 15 Menschen zu einem Knüppel in der innenpolitischen Auseinandersetzung gemacht wird.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich finde das nicht gut. Ich werde versuchen, ohne Polemik zu sagen, was uns bewegt. Ich muß allerdings dem Redner der GRÜNEN sagen: Ich hätte von Ihnen ein Wort zu der erstaunlichen Erklärung Ihrer Sprecherin Ditfurth erwartet.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Was hat er mit Frau Ditfurth zu tun?)

Sie müßten sich doch einmal klar werden, wenn sie in wirklich unglaublicher Weise behauptet, wir wären ein Terrorstaat, warum Sie dann dafür eintreten, daß die 15 Chilenen in diesen Terrorstaat Bundesrepublik kommen!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das ist billig, Herr Hirsch! — Volmer [GRÜNE]: Ich habe gesagt, die Bundesrepublik ist eine schlecht funktionierende Demokratie!)

Herrn Duve will ich sagen: Wir bedauern, daß Sie heute eine Abstimmung erzwingen, weil wir gern in der parlamentarischen Beratung die Handlungsweise der Bundesregierung weiter verfolgt hätten. Das ist nicht möglich, wenn Sie eine Abstimmung erzwingen.
Wir wollen die Verletzung grundlegender Menschenrechte nicht hinnehmen, wo immer sie geschieht. Es gibt in dieser Frage keine andere Solidarität als ausschließlich die derjenigen, die gegen die
Verletzung von Menschenrechten ankämpfen. Nicht nur in Chile, sondern in vielen Teilen der Welt werden grundlegende Menschenrechte mißachtet. Die Gründe sind vielfältig: politische Heilslehren, religiöser Fanatismus, rassistischer Hochmut, wirtschaftliche Ausbeutung, nationalistische Verblendung. Die Kette aus Dummheit, Angst und Verantwortungslosigkeit ist lang.
Eine der wesentlichsten Lehren, die die Völkergemeinschaft aus den blutigen Wirren dieses Jahrhunderts gezogen hat, ist, daß diese grundlegenden Menschenrechte nicht nur im nationalen Rahmen, sondern international garantiert werden müssen, weil es kein Souveränitätsrecht darauf geben kann, im eigenen Machtbereich Menschen erniedrigen und quälen zu können. Diese internationalen Menschenrechte sind überzeugend definiert: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung und die Folterkonvention — um nur die wichtigsten Übereinkommen zu nennen.
Wir legen Wert darauf, daß auch das letztgenannte Übereinkommen von der Bundesrepublik ratifiziert wird, unabhängig davon, daß auch durch die Europäische Menschenrechtskonvention das Verbot der Folter für uns zum verbindlichen Völkerrecht geworden ist. Die Ratifizierung darf nicht an Vorbehalten oder an Bedenken eines Bundeslandes scheitern, daß von der Folter bedrohte Menschen tatsächlich versuchen könnten, deswegen in der Bundesrepublik Zuflucht zu suchen. Wir können es nicht als einen Nachteil empfinden, wenn wir in anderen Teilen der Welt als Rechtsstaat betrachtet werden.

(Beifall bei der FDP)

Wir legen Wert darauf, daß nicht nur ein Land, Chile, auf die Anklagebank der Völkergemeinschaft gesetzt wird. Dem entspricht unsere Entschließung. Aber nach dem Besuch des Bundesministers Blüm ist für jeden klar, daß Chile eine die Menschenrechte verachtende Diktatur ist. Mein Freund Baum und ich haben in diesen Tagen in der Republik Südafrika feststellen müssen, daß auch dort grundlegende Menschenrechte andauernd massiv und planmäßig verletzt werden und daß Zehntausende Opfer dieser Willkür sind. Jeder mag sich dort informieren! Wer die Augen schließt, macht sich mitschuldig.

(Beifall der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Bei aller Anerkennung der sozialen Leistungen, die deutsche Unternehmen dort in vorbildlicher Weise erbringen, haben wir sehen müssen, daß einzelne deutsche industrielle Erzeugnisse dort als Werkzeuge der Unterdrückung dienen, wie das auch aus Chile berichtet wird.

(Volmer [GRÜNE]: So ist es!)

Wenn wir nicht die politische Kraft haben, das zu beenden, werden wir immer mehr mit diesen Methoden identifiziert werden.

(Beifall bei der FDP, bei Abgeordneten der GRÜNEN sowie des Abg. Duve [SPD])

Auch dazu werden Entscheidungen getroffen werden müssen.



Dr. Hirsch
Der nachgereichte Antrag der GRÜNEN enthält Elemente dieser Art, aber wir können ihm in der Form, wie Sie ihn einbringen, nicht zustimmen.

(Volmer [GRÜNE]: Überweisen!)

Zum Beispiel jede Form der Ausbildungshilfe oder Entwicklungszusammenarbeit einzustellen, halte ich für nicht möglich; denn wir wollen ja nicht dem System, sondern den Menschen helfen, die in diesem System leben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das Ansehen der westlichen Demokratien und der Bundesrepublik bei den Milliarden Menschen der Dritten Welt wird auf Dauer davon abhängen, was wir zur Durchsetzung unserer Ideale tatsächlich tun und ob wir auch ihre Menschenrechte zu unserer eigenen Sache machen oder nicht. Wir Liberalen wollen das. Wir begrüßen es, daß Außenminister Genscher in einer Rede vor den Vereinten Nationen am 24. September 1987 diesen Willen für die Bundesrepublik eindrucksvoll bekräftigt hat.
In der von uns vorgelegten Entschließung erklären wir ausdrücklich, daß die Gewährleistung des Asyls auch gegenüber den 15 in Chile inhaftierten und von der Todesstrafe bedrohten Menschen gelten muß. Ich habe den Eindruck, daß es zwei Gründe sind, die den einen oder anderen zögern lassen, nämlich daß es Kommunisten sind und daß es Kriminelle oder Terroristen sein könnten.
Ja, es können Kommunisten sein. Wir glauben aber nicht, daß man einen Kommunisten dadurch von der Überlegenheit unserer humanitären Grundhaltung überzeugen könnte, daß man ihn seinem Schicksal überläßt.

(Beifall bei der FDP, der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU und der GRÜNEN)

Der Mensch, dem wir helfen können, bleibt unser nächster, auch wenn er unsere Überzeugungen nicht teilt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Die anderen europäischen Länder, die inzwischen schon ihre Aufnahmebereitschaft erklärt haben — wie Österreich, Italien, Frankreich, Finnland — , haben sich jedenfalls nicht beirren lassen, und zwar vorbildlicherweise.
Der andere Grund ist viel ernsthafter, nämlich die Frage, die man als Innenminister durchaus stellen kann: ob man nicht Opfer, sondern Täter ins Land holt, und zwar kriminelle Täter. Ich bekenne, daß ich in meiner Amtszeit als Innenminister eine Sicherheitsüberprüfung für notwendig gehalten habe. Ich muß aber einräumen, daß mir kein Fall bekanntgeworden ist, in dem bei den hier in Rede stehenden Fällen für uns Sicherheitsprobleme entstanden wären. Sie kann und darf sich also nur auf äußerste, extreme Fälle beziehen.
So bleibt die Frage, wo denn die Linie zwischen kriminellen Tätern und politischen Tätern zu ziehen ist. In einem Rechtsstaat ist diese Frage einfach zu beantworten. Aber gilt das auch in einer Diktatur? Ist es nicht das Handwerkszeug totalitärer Staaten, ihre politischen Gegner zu Kriminellen zu stempeln?
Ich sage Ihnen als eine persönliche Bemerkung und auf eigene Gefahr: Wenn ich in einem Staat leben müßte, der selbst Terror übt und in dem man nicht mehr erkennen kann, was Recht und was Unrecht ist, ich wäre meiner selbst nicht sicher, was ich in einem solchen Staat täte.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103006000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Volmer?

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1103006100
Ja.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1103006200
Herr Hirsch, ich möchte Sie nur fragen, ob Sie die Äußerungen der katholischen Vicaria kennen, die sagt, daß die 15 Verhafteten in Chile unter Bedingungen einer normalen Demokratie eine ganz normale, unauffällige Existenz führen würden.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1103006300
Ich kenne diese Erklärung nicht. Es mag so sein. Ich kann sie als richtig unterstellen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103006400
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Penner?

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1103006500
Bitte schön.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1103006600
Herr Kollege Hirsch, darf ich Sie so verstehen, daß für Sie die Frage der Asylgewährung streng zu trennen ist von der Frage möglicher Widerstandshandlungen gegen ein terroristisches Regime?

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1103006700
Nein. Ich frage mich ja, was uns eigentlich dazu führt, den Unterschied zwischen kriminellen und politischen Tätern zu machen: ob ich sagen kann, der Mensch wird verfolgt, weil er ein Krimineller ist, oder ob ich sagen kann, das ist ein Mensch, der aus politischen Gründen verfolgt wird. Ich denke, daß man eine solche Unterscheidung zwar in einem Rechtsstaat machen kann, daß aber diese Unterscheidung um so brüchiger wird, je terroristischer der Staat ist, in dem sich jemand bewegt.

(Dr. Olderog [CDU/CSU]: Wenn Sie auf die formelle Verurteilung abstellen! — Abg. Dr. Penner [SPD] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103006800
Wenn der Redner gestattet, dann ja.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1103006900
Wenn es nicht auf die Zeit angerechnet wird. Ich sehe, daß die Uhr weiterläuft.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103007000
Das ist mein Problem.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1103007100
Herr Hirsch, weil das eine wichtige Frage ist: Sind Sie mit mir der Auffassung, daß die Gewährung von Asyl nicht allein daran scheitern darf, daß derjenige, der Asyl begehrt, Widerstandshandlungen, auch Gewalttätigkeiten, gegen ein terroristisches Regime begangen hat?




Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1103007200
Das ist eine sehr schwierige Frage, die Sie stellen, eine sehr schwierige Frage.

(Duve [SPD]: Trifft auf alle Afghanen zu, die wir aufnehmen!)

Ich würde Menschen, die in einem terroristischen Staat leben, wenn sie sich gegen diesen Staat auflehnen, als politisch Verfolgte betrachten und sie aufnehmen.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

Ein Staat unterscheidet sich von einer organisierten Räuberbande nur durch das Recht, sagt Augustinus. Wenn es richtig ist, daß menschenrechtswidrige Gewalt auch Gegengewalt erzeugen muß, wer wagt da zu entscheiden, welche dieser Gewalten Recht und welche Unrecht ist? Wenn diese Menschen sechs oder mehr Jahre lang in Untersuchungshaft sitzen, obwohl die Gerichte, vor denen sie stehen, nicht unabhängig sind, und wenn wir davon ausgehen müssen, daß sie gefoltert wurden, wie kann ich dann wissen, daß es Kriminelle sind? Ein Staat, der foltert, verwirkt den Anspruch, strafen zu dürfen. Er verliert die moralische Legitimation, ohne die es unmöglich ist, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Darum sind wir bereit, diesen Menschen Asyl zu gewähren, und darum fordern wir die Bundesregierung auf, gemeinsam mit anderen europäischen Staaten, die uns ein Vorbild gegeben haben, alles zu tun, um diese Menschen zu retten und in ihrem Lande rechtsstaatliche Verhältnisse wieder herbeizuführen. Dazu besteht so lange Handlungsbedarf, bis diese Ziele erreicht sind.
In diesem Sinne werden wir der von uns vorgelegten Entschließung, die nach unserer Meinung über die der Opposition hinausgeht, zustimmen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103007300
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1103007400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über die Situation und die Möglichkeit der Aufnahme einer Gruppe von ursprünglich 14 Chilenen hat die Bundesregierung den Innenausschuß in seiner Sitzung vom
23. Juni dieses Jahres unterrichtet. Ebenfalls war die Sache Gegenstand einer Aktuellen Stunde am
24. Juni 1987 und einer gemeinsamen Sitzung von Auswärtigem und Innenausschuß am 7. August 1987. Die hierüber gefertigten Protokolle liegen Ihnen vor. So kann ich mich auf eine kurze Zusammenfassung beschränken.
Ich möchte erneut betonen, daß die Bundesregierung die Folter bedingungslos verurteilt, sich für die Verwirklichung der Menschenrechte in aller Welt einsetzt, und dazu gehört auch die strikte Ablehnung jedweder Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung. Die Bundesregierung tritt auch — wie Sie wissen — weltweit für die Abschaffung der Todesstrafe und ihre Nichtanwendung ein.
Für die Erklärung der Übernahme von Ausländern aus humanitären Gründen ist nach § 22 des Ausländergesetzes der Bundesminister des Innern zuständig. Er prüft das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen und ob Belange der Bundesrepublik einer Übernahme entgegenstehen.
Zu den Personen der Inhaftierten, den Vorwürfen und zum Stand der Verfahren habe ich ausführlich berichtet. Dieser Sachstandsbericht gilt unverändert. Gegen einen 15. Inhaftierten, der hinzugekommen ist, ist nach Mitteilung des Auswärtigen Amtes ebenfalls eine Todesstrafe beantragt. Ihm wird die Beteiligung an einem Überfall auf einen Geldtransport der chilenischen Gesundheitsbehörde am 22. November 1983, bei dem ein Polizist getötet wurde, zur Last gelegt. Ein erstinstanzliches Urteil liegt nach unseren Informationen nicht vor.
Die offiziellen Tatvorwürfe (Mord, Banküberfälle, Brandstiftung, Sprengstoffanschläge usw.) allein können wie ich schon früher gesagt habe, für unsere Beurteilung kein Maßstab sein, solange wir den Wert der Beweismittel nicht beurteilen können.
Wir können uns aber jedenfalls auf Aussagen stützen, die von Inhaftierten selbst oder ihren Anwälten gemacht worden sind, und auf weitere Erkenntnisse, die uns zur Verfügung stehen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Und auf Blüm!)

Alle 14 Häftlinge sind nach eigenen Angaben und nach Mitteilung ihrer Familienangehörigen Mitglieder der MIR, einer Organisation, die unbestritten schon in den späten sechziger Jahren terroristische Aktivitäten, damals gegen die bürgerliche Regierung von Eduardo Frey, unternommen und diese Aktivitäten auch später fortgesetzt hat. Schwere Anschläge mit einer großen Zahl von Toten aus allen Bevölkerungsschichten gehen auf ihr Konto. Ihre Mitglieder bekennen sich zum bewaffneten Kampf zur Zerstörung des bürgerlichen Staates, zur Errichtung eines marxistisch-leninistischen Regimes.

(Duve [SPD]: Es gibt keinen bürgerlichen Staat in Chile, sondern eine Militärdiktatur! — Volmer [GRÜNE]: Hanns-Seidelund CSU-Staat, aber kein bürgerlicher Staat! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Sie stehen dabei in Verbindung und im Bündnis mit anderen terroristischen Organisationen, die in den Nachbarländern gleiche Ziele verfolgen.
Mir liegt ein Flugblatt der MIR, Bewegung der Revolutionären Linken — Vertretung in der Bundesrepublik Deutschland, neueren Datums vor, in dem als oberstes Ziel der MIR die Zerschlagung des — so wörtlich — „bürgerlichen Staatsapparates" durch ihre Mitglieder gefordert wird. Sie werden von mir nicht verlangen, daß ich hier eine Interpretation des Wortes „bürgerlich" im Sprachgebrauch derjenigen versuche, die das so oder so interpretieren möchten.

(Duve [SPD]: Das werden wir nicht von Ihnen verlangen!)

Einige der Inhaftierten haben zudem — wie vorgetragen — in Interviews die Beteiligung an ihnen vorgeworfenen Taten zugegeben.



Bundesminister Dr. Zimmermann
Auf jeden Fall kann bei dem gegenwärtigen Erkenntnisstand eine Entscheidung nicht getroffen werden.

(Abg. Dr. Penner [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103007500
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1103007600
Nein, ich möchte keine Fragen beantworten.

(Duve [SPD]: „Eine Entscheidung nicht getroffen werden", das ist die Interpretation Ihres Antrags!)

— So ist es. Ich wiederhole den Satz, damit Sie ihn besser verstehen: Bei dem gegenwärtigen Erkenntisstand kann eine Entscheidung nicht getroffen werden. Das ist der Standpunkt der Bundesregierung.

(Duve [SPD]: Die offizielle Interpretation des CDU-Antrags!)

Die Berufung auf ein Widerstandsrecht gegen eine Diktatur kann nicht jedes Verbrechen entschuldigen. Wie in den erwähnten Ausschußsitzungen zum Ausdruck gebracht wurde, muß ein Widerstandsrecht immer Ultima ratio sein.

(Lutz [SPD]: Wie beurteilen Sie das?)

Dieses Recht kann nicht von denen beansprucht werden, die aus radikalem Protest gegen eine staatliche Ordnung gewalttätig oder mit terroristischen Mitteln vorgehen. Ein willkürlicher Sprengstoffanschlag, bei dem das Leben unschuldiger Menschen aufs Spiel gesetzt wird, ist unter keinen Umständen zu rechtfertigen — unter keinen Umständen!

(Beifall bei der CDU/CSU — Frau Unruh [GRÜNE]: Und das Geller-Loch? Ist ja unerträglich, dieser Mensch!)

Zur konkreten Situation der Häftlinge möchte ich folgendes sagen: Es droht zur Zeit keine verfahrensbedingte unmittelbare Gefahr.

(Duwe [SPD]: Sie sprechen den Afghanen ab zu kämpfen! — Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Keines der Verfahren ist rechtskräftig abgeschlossen. Todesurteile sind gegen vier Personen ausgesprochen worden, Rechtsmittel sind aber eingelegt.
Die Aussage in der jüngsten Resolution des Europäischen Parlaments vom 17. September 1987, der inhaftierte Herrera sei in zweiter Instanz erneut zum Tode verurteilt worden, entspricht nach Auskunft des Auswärtigen Amtes nicht den Tatsachen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Da ist die Jutta Ditfurth noch besser als Sie! — Heiterkeit bei der SPD und den GRÜNEN)

Auch die machmal zu hörende Behauptung, zwischen Todesurteil und Vollzug lägen möglicherweise nicht mehr als 48 Stunden, ist nach Mitteilung des Auswärtigen Amtes falsch, da sie die hier in Rede stehenden Verfahren nicht betrifft.
Mangels eines rechtskräftigen Urteils wären auch die Verfahrensvorschriften für eine Anwendung des
Dekrets 504 nicht gegeben, wenn es nach chilenischem Recht überhaupt zur Anwendung kommen könnte.
Für alle Inhaftierten liegen inzwischen Aufnahmezusagen anderer Staaten vor; die Staaten sind genannt worden.
Zu dem Antrag, die bisher übliche Sicherheitsüberprüfung vor Übernahmeerklärungen abzuschaffen, ist folgendes zu sagen: Nach den Ereignissen in Chile im September 1973 wurde zwischen Bund und Ländern Einvernehmen darüber erzielt, daß chilenischen Staatsangehörigen, die aus politischen Gründen verfolgt und gefährdet waren, die Einreise zu uns ermöglicht werden sollte. Damals beschloß die SPD/FDP-
geführte Bundesregierung, daß die Einreise und Aufnahme in einem geordneten Verfahren erfolgen solle, daß bei der zu treffenden Auswahl der Flüchtlinge die Belange der Sicherheit gewährleistet werden müßten, daß die Bewerber vor der Sichtvermerkserteilung überprüft werden sollten, im übrigen müßte gegen die Einreise von Kriminellen und politischen Gewalttätern Vorsorge getroffen werden.
Im Februar 1975 wurden die Aufnahmekriterien nochmals präzisiert und mit den Innenministern der Bundesländer abgestimmt:
Erstens. Nicht aufgenommen werden sollten grundsätzlich Kriminelle und politische Gewalttäter, Personen, die hinreichend verdächtigt waren, Täter oder sonst Beteiligte eines kriminellen oder politischen Gewaltdelikts zu sein — 1975! — und Personen, die auf Grund ihrer bisherigen Tätigkeit erwarten lassen, daß sie die in der Bundesrepublik geltende Rechtsordnung verletzen werden oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder die innere Sicherheit gefährden können.
Zweitens. Falls bei der Sicherheitsprüfung im Einzelfall sicherheitsrelevante Erkenntnisse anfielen, war zusätzlich abzuwägen, inwieweit Sicherheitsbedenken gegenüber humanitären Erwägungen zurückzustehen hätten.
Meine Damen und Herren, diese Grundsätze gelten auch heute noch. Sie entsprechen im übrigen inhaltlich weitgehend den Qualifikationen, die später das Gesetz zu dem Europäischen Übereinkommen vom 27. Januar 1977 zur Bekämpfung des Terrorismus und das Übereinkommen selbst zur Abgrenzung zwischen Gewalttaten und politischen Straftaten vorgenommen haben. Ich halte es für notwendig und geboten, dieses Verfahren nicht zu ändern.
Im übrigen sind seit dem Sturz Allendes 1 455 Chilenen im Rahmen der humanitären Aufnahmeaktion in die Bundesrepublik Deutschland gekommen. Meine Amtsvorgänger und ich selbst haben immer wieder Aufnahmegenehmigungen erteilt. Erst im Sommer habe ich zehn Chilenen Einreisegenehmigungen erteilt; sie sind inzwischen hier. Ebenso strikt jedoch haben die Innenminister bei Gewalttätern und Gewaltbefürwortern eine Aufnahme in die Bundesrepublik Deutschland abgelehnt. Es ist meine Pflicht, mich an diese geltenden Grundsätze zu halten. In jedem einzelnen Fall wird eine sorgfältige Prüfung vorgenommen. Soweit aus den Unterlagen feststellbar, ist in der Vergangenheit lediglich bei etwa



Bundesminister Dr. Zimmermann
30 Chilenen von den insgesamt 1 455 Chilenen die Aufnahme abgelehnt worden, in 24 Fällen in der Zeit, als die SPD/FDP-Koalition die Regierungsverantwortung hatte.

(Bohl [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Zusammenfassend und abschließend stellt der Bundesminister des Innern fest, daß sich das zuletzt 1975 zwischen Bund und Ländern vereinbarte Verfahren bewährt hat und daß kein Grund zu einer Änderung besteht.

(Beifall bei der CDU/CSU — Lutz [SPD]: Sind Sie stolz darauf?)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103007700
Das Wort hat der Abgeordnete Volmer.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1103007800
Herr Hirsch, Sie haben vorhin nach meiner Staatsauffassung gefragt; ich will Ihnen auch antworten. Ich habe in meiner Rede vorhin gesagt, daß die Bundesrepublik für meine Begriffe eine schlecht funktionierende Demokratie ist und daß ich für die Bundesrepublik Maßnahmen oder Mittel in der Opposition ablehne, die in einer Diktatur legitim wären.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Wo funktioniert es denn besser?)

Herr Blüm, ich möchte auch zu Ihnen noch etwas sagen, weil Sie sich darüber beschwert haben, ich hätte Sie als nicht redlich verunglimpft. Was ich gemacht habe,

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: War schlimm!)

war, Ihre Aussagen, die sehr deutlich waren, und die Taten, die nun gefolgt sind und die sich in dem Koalitionspapier manifestieren, zu kontrastieren. Ich sehe diese riesige Lücke. Nun müssen Sie mir doch erlauben, daß ich dann dort Glaubwürdigkeitsprobleme konstatiere.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Nein, Sie sind blind!)

Deshalb fordere ich Sie auf — Sie haben als Bundesminister das Recht, hier jederzeit zu reden — , einmal Ihre Interpretation dieses Koalitionspapiers darzustellen. Sind Sie der gleichen Auffassung wie Innenminister Zimmermann, daß kein Handlungsbedarf bestünde, oder sagen Sie auf Grund Ihrer Erkenntnis in Chile, daß den Leuten sofort Visa erteilt werden müssen, um jede Chance zur Befreiung der Leute zu nutzen? Sie können sich jederzeit äußern. Bitte tun Sie es hier.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich hätte gerne auch weitere Kommentare von Ihnen. Wir haben über die Rüstungsexporte gesprochen. Ich meine, es muß sofort Schluß damit gemacht werden, daß bundesdeutsche Konzerne die paramilitärische Polizei, die Geheimpolizei und das Militär mit Waffen und Ausrüstung versorgen. Ich hätte gerne Ihren Kommentar dazu gehört: Wie beurteilen Sie als Menschenrechtspolitiker, daß der „gute Stern" von Mercedes oft genug als Symbol für Tod und Verderben in Chile zu sehen ist? Was halten Sie davon, wenn die Menschen in Chile in ihrer Verzweiflung mit
Schleudern auf angreifende Hubschrauber von MBB schießen müssen, wie wir es am Dienstag in dem Beitrag von „Monitor" gesehen haben? Wer den GRÜNEN nicht glauben wollte, daß deutsche Konzerne die chilenischen Faschisten mit Mordwerkzeugen ausrüsten, dem sei gesagt: Der „Monitor"-Beitrag muß doch auch dem letzten Zweifler die Augen geöffnet haben.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie die Glaubwürdigkeitslücke, die ich entdeckt habe, schließen könnten, indem Sie deutliche Aussagen dazu machen und indem Sie als Arbeitsminister sich an einen Tisch mit den Gewerkschaften setzen, und gemeinsam mit ihnen zu überlegen, wie man den Waffenlieferanten das Handwerk legen kann. Sie sind doch nicht irgendwer, Sie haben doch eine gewisse Macht in diesem Staat. Nun setzen Sie sie mal praktisch ein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir haben einen weiteren Antrag eingebracht. Der Fall der 15 ist nur die Spitze des Eisbergs der Repression; das wissen wir. Wir meinen, daß die Menschen in der Diktatur Schwierigkeiten haben werden, sich die Diktatur vom Halse zu schaffen. Es ist notwendig, daß die europäischen Staaten, die in den letzten 14 Jahren bestens vom Faschismus in Chile profitiert haben, drastische Maßnahmen ergreifen, um den Diktator in die Knie zu zwingen. Wir sind der Auffassung: Wenn wir hier wirklich wollen, daß in Chile Demokratie einkehrt, dann muß die Wirtschaftspolitik Chile gegenüber radikal geändert werden. Deshalb wollen wir, die GRÜNEN, den von der SPD eingebrachten Antrag unterstützen, aber insoweit ergänzen, daß wir fordern: heute massive Sanktionen und nach Wiedereinführung der Demokratie massive Wirtschaftshilfen. Das scheint mir das geeignete Mittel dazu zu sein, Chile wieder auf einen demokratischen Weg zu verhelfen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103007900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fellner.

Hermann Fellner (CSU):
Rede ID: ID1103008000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit unseren letzten Diskussionen über die Aufnahme der 14 bzw. 15 inhaftierten Chilenen im August dieses Jahres gibt es leider weder neue Sachverhalte noch neue Erkenntnisse. Allerdings haben wir für alle, die es bisher nicht zur Kenntnis nehmen wollten, in unserem Antrag noch einmal deutlicher herausgestellt, daß auch für die Aufnahme der 14 Chilenen das Asylrecht gilt und daß humanitäre Erwägungen darüber hinaus von maßgeblicher Bedeutung sind.

(Scharrenbroich [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Nachdem sich an der Situation der Chilenen nichts geändert hat, ist unsere Position heute ebenso wie damals: Wir stehen jetzt nicht direkt unter Entscheidungszwang. Wir sind aber auch entschlossen, das Notwendige und das Mögliche zu tun, damit die Betroffenen nicht hingerichtet werden. Wir sehen uns auch in der Lage, das zu gewährleisten.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Was heißt das?)




Fellner
Die Bundesregierung bleibt aufgefordert, alle Erkenntnisquellen auszuschöpfen, damit wir uns ein umfassendes Bild über jeden Einzelfall machen können. Weil wir die Todesstrafe grundsätzlich ablehnen, werden wir uns unabhängig davon, ob es sich bei den Inhaftierten um Straftäter oder um politisch Verfolgte handelt, dafür einsetzen, daß sie nicht zum Tode verurteilt und nicht hingerichtet werden. Weil für uns die Entwicklung der Menschenrechte in Chile nicht allein nach dem Schicksal der 15 benannten Chilenen zu bewerten ist, wollen wir uns mit allen Kräften dafür einsetzen, daß in Chile baldmöglichst eine rechtsstaatliche Demokratie wiederhergestellt wird; denn nur so werden wir unserer Verpflichtung gerecht, an der Gewährleistung von Menschenrechten in aller Welt mitzuarbeiten.
Der Opposition sind unsere grundsätzlichen Standpunkte in der Frage der 14 Chilenen seit Monaten klar. Wenn Sie nun erneut eine öffentliche Erläuterung verlangen, ist dies nur parteipolitisch motiviert und beweist, daß Ihnen die Situation der seit Jahren inhaftierten und wohl auch gefolterten Chilenen, deren bedrohliche Lage Sie so dramatisch darstellen, nicht zu ernst ist für den Versuch, billige innenpolitische Vorteile zu erlangen.

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU — Lutz [SPD]: Sie haben doch selber gesagt, die Lage sei alarmierend!)

Zynischer ist da nur noch das Wehklagen innerhalb der GRÜNEN, die bedauern, daß ihnen die CDU mit ihrer offensiven und aufgeschlossenen Diskussion dieser Frage ein innenpolitisches Thema weggenommen habe. Dies ist einmal mehr entlarvend;

(Volmer [GRÜNE]: Beschämend!)

denn Sie beweisen ja seit Jahren, daß Sie nur an Schlagworten für eine hysterische öffentliche Diskussion interessiert sind und daß Sie sich abmelden, wenn es um realistische Beiträge zur Lösung von Problemen geht.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU — Volmer [GRÜNE]: Die Hoffnung der 14 Chilenen ist sehr realistisch und sehr konkret!)

Die Frage der Aufnahme oder Nichtaufnahme der 14 Chilenen ist auch nicht so einfach zu beantworten, wie es viele gerne hätten. Angesichts der innenpolitischen Diskussion wäre es sicherlich einfacher, wenn die Bundesrepublik Deutschland ihre unbedingte Aufnahmebereitschaft erklären würde. Ob das allerdings richtiger wäre, ist der Gegenstand unserer Diskussionen.
Viele erhoffen sich von einer Erklärung der Aufnahmebereitschaft der Bundesrepublik Deutschland in der jetzigen Situation eine positive Signalwirkung auf das chilenische Regime. Leider ist nicht ersichtlich, daß sich die erklärte Aufnahmebereitschaft anderer europäischer Länder in irgendeiner Form positiv auf die Situation der betroffenen Chilenen ausgewirkt hätte.

(Volmer [GRÜNE]: Wir sind der zweitstärkste Handelspartner!)

Man kann mit guten Argumenten sogar die Befürchtung begründen, daß das chilenische Regime unter
diesen Umständen erst recht darauf bestehen würde, das Verfahren durchzuführen und die Schuld der Angeklagten mit allen Mitteln zu beweisen. Wer an den Pranger gestellt wird, reagiert erfahrungsgemäß nie so, wie man es gerne hätte.
Lassen Sie mich, Herr Kollege Duve, weil Sie sich vorhin wieder als Weltpolizist Nummer eins aufgeführt haben, aus einem Interview zitieren, das ich heute morgen zufällig auf den Tisch bekommen habe,

(Duve [SPD]: Das ist kein Titel, der mich stolz macht!)

— ich wollte Sie ja auch nicht belobigen, sondern sie nur deutlich qualifizieren —

(Duve [SPD]: Ausgerechnet Sie haben das als Schimpfwort benutzt! Was haben Sie gegen die Polizei?)

das die Generalsekretärin von „amnesty international", Frau Erler, einer Zeitschrift, „Gesellschaftspolitische Standpunkte", gegeben hat, in dem sie auf die Frage, ob es auch Politiker gibt, deren Interventionen kontraproduktiv wirken, geantwortet hat:
Es scheinen sogar Politiker beim Eintreten für einzelne Gefangene eher erfolgreich zu sein, wenn sie der jeweiligen Regierung nicht als erklärte Feinde gegenüberstehen. Es hört sich zynisch an, aber diese Fragen können manchmal beim Cocktail geregelt werden, während öffentliche Anklage versagt.
Ich will nicht betonen, daß dies das alleinige oder einzig richtige Rezept ist; aber man muß auch sehen, daß wir beides tun müssen

(Dr. Blüm [CDU/CSU]: Ich melde mich zu Wort!)

— lieber Herr Kollege Blüm, Sie müssen mich zu Ende reden lassen —,

(Dr. Blüm [CDU/CSU]: Ich habe doch gar nichts gemacht!)

wenn wir den Betroffenen helfen wollen. Wir müssen den diplomatischen Weg wählen, und wir müssen selbstverständlich auch den Weg der öffentlichen Konfrontation und der öffentlichen Anklage wählen. Ich habe diese Passage der Frau Erler ausdrücklich mit Blick auf den Kollegen Duve zitiert.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103008100
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve?

Hermann Fellner (CSU):
Rede ID: ID1103008200
Ich möchte, nachdem ich ohnehin nur noch wenig Zeit habe, das gerne im Zusammenhang erläuternd vortragen.

(Duve [SPD]: Angst vor dem Weltpolizisten!)

Ich will nicht mehr die Maßstäbe verdeutlichen, nach denen sich die Bundesländer schon 1975 darauf geeinigt haben, bei solchen humanitären Hilfsaktionen tätig zu werden.
Wir haben in unserem Entschließungsantrag noch einmal deutlich die Gewährleistung des Art. 16 des



Fellner
Grundgesetzes herausgestellt. Die Asylgewährleistung unseres Grundgesetzes gilt selbstverständlich auch für politisch Verfolgte in Chile. Nach dem Grundgesetz gewähren wir jedem politisch Verfolgten Schutz. Er hat ein Bleiberecht, bis sein Schicksal geprüft ist. Wenn sich die behauptete politische Verfolgung als tatsächlich gegeben erweist, kann er bleiben, solange er gefährdet ist.
Bei unserem Engagement für die 14 Chilenen, die sich ja noch in Chile befinden, gehen wir über die Verpflichtung des Grundgesetzes hinaus. Eine Aufnahme käme im Rahmen einer humanitären Hilfsaktion in Frage: Der Staat geht über seinen Machtbereich hinaus und versucht, gewissermaßen aus der Entfernung zu helfen. Aber auch für solche Entscheidungen und für solche politischen Vorhaben muß es Kriterien geben, nach denen wir uns orientieren. Solche wurden von den Bundesländern, wie vom Innenminister dargestellt, auch aufgestellt.
Wir müssen bei all unseren Überlegungen auch die Auswirkungen bedenken, die eine unbedingte Aufnahmebereitschaft auf das Rechtsbewußtsein unserer Bürger hat. Wir müssen auch berücksichtigen, welche Wirkungen es auf die Situation in anderen Ländern hätte, wenn wir uns zur Aufnahme für alle zum Tode Verurteilten bereit erklärten, weil wir den dortigen Gerichten nicht trauen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Hör auf!)

Wer dem Argument folgt, daß man Urteile in Ländern, die die Menschenrechte verletzen, nicht akzeptieren dürfe, muß Weltpolizei spielen. Ich bin der Meinung, daß er sich überhebt, wenn er das in 129 Ländern dieser Erde tun will.

(Zuruf von der SPD: Widerlich!)

Ich fürchte, daß wir uns dabei einfach übernehmen. Außerdem würden wir es in all diesen Ländern zu einem risikolosen Geschäft machen, Morde und schwere Straftaten zu begehen, weil man ja hoffen könnte, durch eine Hilfsaktion der Bundesrepublik Deutschland vor Strafe bewahrt zu bleiben.

(Vereinzelt Zustimmung bei der CDU/CSU — Unruhe bei der SPD — von der Wiesche [SPD]: War das eine Ohrfeige, oder was war das?)

Aus diesem Grunde darf man nicht ernsthaft die Forderung ablehnen, daß wir uns über jeden Einzelfall ein genaues Bild machen müssen und dann entscheiden können.

(Zuruf von der SPD: Schämen Sie sich!)

Meine Damen und Herren, hilfreich für eine positive Entscheidung wäre es schon alleine, wenn sich alle betroffenen Chilenen von der Gewalt und von Gewalttaten ganz allgemein lossagen würden. Leider haben sich einzelne bis zuletzt noch verschiedener Gewalttaten gerühmt. Alle Unschuldsbeteuerungen wären auch glaubwürdiger, wenn sich die Inhaftierten von der MIR, einer schlichten Verbrecherorganisation, lossagen würden.

(Duve [SPD]: Wochenlange Diskussion, und nichts hat sich geändert!)

Anwendung von Gewalt und die Verbrechen der MIR schwächen die demokratische Opposition in Chile. Gewaltanwendung kann auch in Chile kein erlaubtes Mittel sein,

(Frau Unruh [GRÜNE]: Aufhören!)

da nach wie vor die Chance besteht, daß auf demokratischem Weg rechtsstaatliche Verhältnisse hergestellt werden können.

(Volmer [GRÜNE]: Der hat ein Brett vor dem Kopf! — Frau Unruh [GRÜNE]: Hören Sie mal auf die Kirche!)

Meine Damen und Herren, ich wiederhole noch einmal unsere Forderung, daß sich die Bundesregierung mit Nachdruck aus allen ihr zugänglichen Erkenntnisquellen ein Bild über die tatsächlichen Umstände und Hintergründe der Inhaftierung der Betroffenen verschafft. Das gilt ganz besonders auch für die Durchführung des Strafverfahrens.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Strauß soll in die Kirche gehen!)

Es muß möglich sein, daß Vertreter der deutschen Behörden oder auch Vertreter internationaler Organisationen die Durchführung der Prozesse so sorgfältig beobachten, daß wir uns ein Urteil über den tatsächlichen Gehalt der Vorwürfe und das Gewicht der Beweismittel bilden können.
Es steht außer Frage, meine Damen und Herren, daß wir Verurteilungen, die allein auf Geständnissen der Betroffenen beruhen würden, nicht akzeptieren könnten.
Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Duve [SPD]: Nichts gelernt! Wochenlange Diskussionen! Der gleiche Stand! — Zuruf von der SPD: Herr Fellner, das war nicht gelungen!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103008300
Das Wort hat der Abgeordnete Graf.

Günter Graf (SPD):
Rede ID: ID1103008400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der hohe moralische Rang unserer Verfassung, des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, ist nicht zuletzt aus dem Grundrechtskatalog mit dem Artikel 16 abzulesen.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Dort heißt es ohne Wenn und Aber: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Dies ist das einzige Grundrecht, daß nur den Ausländern zusteht, und — das ist sehr bedeutsam — es geht über die Schutzbestimmungen des allgemeinen Völkerrechts hinaus.

(Duve [SPD]: Aus gutem Grund!)

Es ist somit ein subjektives, öffentliches und gemäß der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes auch einklagbares Recht des politisch verfolgten Ausländers gegenüber der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)




Graf
Der Parlamentarische Rat hatte damit die Lehren aus den schrecklichen 12 Jahren Nazibarbarei gezogen. Die Bundesrepublik Deutschland — so wollten es unsere Verfassungsväter — sollte ein Zufluchtsort der Freiheit sein, eine Rettungsinsel für die politisch Verfolgten.
In unserer Verfassung gibt es keine Wohlverhaltensklausel für Asylsuchende, keinen Weltanschauungsrabatt.

(Duve [SPD]: Sehr wahr!)

Es gibt nur eines: Wenn sie bei uns Zuflucht suchen, unterwerfen sie sich damit auch den Normen unseres Grundgesetzes.
So konnte es nicht ausbleiben, daß in all den Jahren seit 1949 immer wieder Versuche unternommen worden sind, dieses Grundrecht auf Asyl einzuschränken oder es doch zumindest zu modifizieren. Die erschrekkenden Aktivitäten der RAF Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre boten dafür unter anderem eine Handhabe. Aber auch der zunehmende Asylantenstrom führte zu einer restriktiven Auslegung des Grundrechts auf Asyl.
In dieser Zeit bürgerte sich ein neuer Begriff ein, der Begriff des sogenannten Kontingentflüchtlings. So wurden beispielsweise 2 500 Aufnahmeplätze für Chilenen bereitgestellt, 400 für Argentinier. Dies war Anfang der 70er Jahre. Ende dieses Jahrzehnts gab es Kontingente für Kurden, für Indochinaflüchtlinge — da waren es schon 26 000 — und ein paar Hundert Plätze für Kubaner. Diese Asylsuchenden genossen das Privileg, ohne förmliches Anerkennungsverfahren Zuflucht in der Bundesrepublik Deutschland zu finden. Bei den Vietnamesen wurde dieses Kontingent rasch ausgeschöpft. Bei den Chilenen verfuhren unsere Auslandsvertretungen wesentlich zurückhaltender.

(Duve [SPD]: Hört! Hört!)

Tatsächlich wurden nur etwa 1 283 von Pinochet verfolgte Chilenen in die Bundesrepublik Deutschland gelassen. Dabei waren es gerade diese, die von Terror, von Folter, von Mord bedroht waren. Die Zuflucht ins Ausland war für sie die allerletzte Chance, ihr Leben zu retten.
Herr Blüm hat diese Tragödie 1987 erkannt. Bereits vierzehn Jahre früher — es war 1973 — forderte die SPD-Bundestagsfraktion, diesen Verfolgten eine Zuflucht in unserem Lande zu gewähren.

(Beifall bei der SPD)

Es stellt sich die Frage: Warum eigentlich diese Zurückhaltung? Man kann es nur vermuten. Da Pinochets Junta eine sozialistische Regierung stürzte, waren die Verfolgten natürlich mehrheitlich Sozialisten, und da war man natürlich entsprechend zögerlich. Dies hatte Gründe. Ich will an drei Beispielen verdeutlichen, wie es dazu kam. Diese Beispiele zeigen nämlich, wie Flüchtlinge, die nicht Anti-Kommunisten waren, sondern Linke, seitens der Unionsparteien in jenen Jahren gesehen wurden und möglicherweise bei dem einen oder anderen auch heute noch gesehen werden.

(Duve [SPD]: Ja, das haben wir heute morgen gehört!)

So wollte 1973 der heutige Parlamentarische Staatssekretär Spranger wissen, ob es denn stimme, daß 40 % der 450 asylsuchenden Chilenen Kommunisten

(Duve [SPD]: Hört! Hört!)

und weitere 20 % Sozialisten seien, und warum die Gebote der inneren Sicherheit nicht für diese Linksradikalen gelten würden.

(Duve [SPD]: Das ist Herr Spranger, wie er leibt und lebt und immer noch lebt und leibt!)

1974 begehrte der Unionsabgeordnete Wawrzik Auskunft darüber, ob sich unter den aufgenommenen Chilenen Berufsrevolutionäre sowie Sabotage- und Sprengstoffspezialisten befinden, die seit Jahren einer geregelten Tätigkeit nicht nachgegangen sind, und der Unionsabgeordnete Kunz wollte damals wissen, wie viele der asylsuchenden Chilenen als Gewalttäter, Terroristen oder gar führende Terroristen erkannt worden seien.

(Duve [SPD]: Ja, da ging das schon los! Hier wird eine alte Melodie gespielt!)

Schon die damalige Bundesregierung mußte diese Unterstellungen der Unionspolitiker zurückweisen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Am 23. Juli 1987 räumte Herr Staatssekretär Neusel ein, man habe keine Erkenntnisse darüber, daß hier aufgenommene Chilenen Gewalttaten verübt hätten.
Im Jahre 1975 machten die unionsgeführten Länder Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und das Saarland zur Bedingung, daß an die Sicherheitsüberprüfung der Asylsuchenden schärfste Maßstäbe anzulegen seien. Die Regierung sah sich daher gezwungen, eine entsprechende Vereinbarung zu treffen. Allerdings gab — das gereicht dem damaligen Innenminister zur Ehre — , auch bei Personen, die sogenannten extremistischen Parteien oder Organisationen angehört hatten, der humanitäre Gesichtspunkt der Rettung aus einer akuten Gefahr für Leib und Leben den Ausschlag für die Asylgewährung. Gleiches galt, wenn diese Personen zu unverhältnismäßig hohen Freiheitsstrafen verurteilt worden waren.
Ich bitte Sie alle: Vergleichen Sie damit die Gespensterdebatte der letzten Monate um die jetzt 15 chilenischen Todeskandidaten. Da hatte der Arbeitsminister Blüm in der gemeinsamen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses und des Innenausschusses für die Pinochet-Folterer nur Verachtung übrig.

(Dr. Blüm [CDU/CSU]: Auch jetzt noch!)

— Auch jetzt noch! Sehr richtig! — Und Herr Innenminister Zimmermann hatte immer noch erhebliche Schwierigkeiten, die unter Folter erpreßten Geständnisse der Junta-Gegner richtig einzuordnen. Dies hat er, so meine ich, heute morgen auch hier einmal mehr sehr eindrucksvoll bestätigt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Zuruf von der SPD: Sehr wahr! Schande über ihn!)

Mein Kollege Dr. Schmude war es, der in dieser gleichen Sitzung den Innenminister fragte, ob denn einer der vermeintlichen Chile-Extremisten in der Bundesrepublik Deutschland nach der Asylgewäh-



Graf
rung eine Straftat begangen hätte. Die Antwort war Schweigen bzw. die lendenlahme Erklärung: Es liegen keine Erkenntnisse vor.
Ich ziehe daraus den Schluß: Kein einziger der bisher bei uns aufgenommenen Chilenen wurde in der Bundesrepublik Deutschland zu einem Sicherheitsrisiko. Aber für viele war das Asyl die Rettung. Genau dies war der Punkt, den die Väter und Mütter unserer Verfassung im Auge hatten, als sie das Recht auf Asyl im Grundgesetz verankerten.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin ausnahmsweise einmal mit dem Generalsekretär der CDU, Herrn Geißler, einer Meinung, wenn er sagt: „Auf mit Folter erpreßte Geständnisse können wir nichts geben"

(Beifall bei der SPD — Gerster [Mainz] [CDU/ CSU]: Sie können öfter auf Herrn Geißler hören!)

und hinzufügt, die chilenischen Gerichtsverfahren verdienten kein Vertrauen; deshalb ergebe sich die Folgerung, daß man die Unschuldsvermutung auch für die mit dem Tode bedrohten 14 bzw. jetzt 15 Chilenen gelten lassen müsse. Das ist ein Wort. Es hat helle Empörung bei der bayerischen Schwesterpartei CSU ausgelöst und hat zu einer über viele Wochen dauernden Fehde mit der CDU geführt.
Ich frage mich: Warum war das eigentlich so? Ist Menschlichkeit denn wirklich so schwer zu begreifen? Muß der Konservatismus um so intoleranter sein, je weiter er nach rechts rückt?
Namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion stelle ich fest:
Erstens. In Chile ist ein Unrechtsregime, eine Diktatur, an der Macht. Wer kann das noch leugnen?
Zweitens. Unterdrückung, Folter und Mord dauern an; sie kennzeichnen das Pinochet-Regime.
Drittens. Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, den Gepeinigten Zuflucht zu bieten, auch dann, wenn deren Weltanschauung nicht mit der unseren übereinstimmt.

(Beifall bei der SPD)

Viertens. Das Recht auf politisches Asyl kann und darf von keiner wie auch immer gearteten Regierungsmehrheit in Frage gestellt werden.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb sind wir Sozialdemokraten der Auffassung, daß die Sicherheitsüberprüfung der politisch verfolgten Chilenen in unserer Republik sofort abgeschafft werden soll.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103008500
Das Wort hat der Abgeordnete Irmer.

Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1103008600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ab heute mittag wird es für jeden, der lesen kann, keinen Zweifel mehr geben: Sollten die 15 von der Todesstrafe bedrohten Chilenen diesem Schicksal entgehen und sollten sie die Möglichkeit bekommen, ihr Land zu verlassen, dann steht ihnen ab sofort die Bundesrepublik Deutschland als Zufluchtsort ebenso offen wie schon zuvor viele andere gesittete Staaten der westlichen Welt, von Holland und Belgien über Frankreich und Italien bis hin zu Österreich.

(Duve [SPD]: Was sagt denn Herr Zimmermann dazu?)

Denn heute mittag wird sich der Deutsche Bundestag mit überwältigender Mehrheit dafür aussprechen, den 15 Chilenen Asyl zu gewähren, wenn sie denn überhaupt in die Lage kommen sollten, dieses Angebot in Anspruch zu nehmen.

(Duve [SPD]: Aber Fellner und Zimmermann haben etwas anderes gesagt!)

— Der Text des Antrages der Koalition ist ganz eindeutig; er „betont die Garantie unseres Grundgesetzes, politisch Verfolgten Asyl zu gewähren. Dies gilt selbstverständlich auch gegenüber den 15 Chilenen. " Hieran kann es bei der Interpretation keinerlei Zweifel geben.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU — Zustimmung des Abg. Volmer [GRÜNE])

Egal, ob Ihr Antrag oder unser Antrag angenommen wird,

(Zuruf von der SPD: Beide!)

dies ist eine eindeutige Aussage. Dem kann sich auch die Bundesregierung nicht verschließen.

(Zuruf von der SPD: Nehmen Sie unseren! — Frau Unruh [GRÜNE]: Wieder hinauslügen, was?)

Damit, meine Damen und Herren, sollte allerdings mit der innenpolitischen Diskussion über dieses Thema auch endgültig Schluß sein. Schließlich eignet sich kaum ein Problem so wenig als Gegenstand parteipolitischen Gezänks wie das Schicksal unglücklicher Menschen, die von Terror und Willkür in Unrechtsstaaten betroffen sind.

(Zustimmung der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP] — Zuruf von den GRÜNEN: Ihr betreibt doch die Scheingefechte!)

Meine Damen und Herren, es ist schon beschämend, daß ausgerechnet bei uns, die wir doch eine einschlägige Vergangenheit haben, diese Diskussion so hitzig geführt werden mußte. Warum bringen eigentlich gerade wir das nicht zuwege, was anderen völlig selbstverständlich ist, nämlich Verfolgten ohne Wenn und Aber die Hand zu reichen, ihnen Zuflucht zu bieten und ihnen Hilfe zu leisten?

(Zustimmung des Abg. Volmer [GRÜNE])

Heute ist es soweit: Auch die Bundesrepublik Deutschland wird sich zu dieser so unabweislichen menschlichen Geste durchringen und damit ganz wesentlich zum Schutz der Betroffenen beitragen.
In den vergangenen Monaten wurde bei uns u. a. heftig über die Frage diskutiert, ob ein Handlungsbedarf besteht oder nicht. Hierzu möchte ich zwei Bemerkungen machen.



Irmer
Erstens. So traurig es ist: Wie unsere Welt nun einmal beschaffen ist, besteht in Menschenrechtsfragen ein dauernder, immerwährender Handlungsbedarf.

(Volmer [GRÜNE]: Sehr gut!)

Zweitens. Wer das Unrechtsregime in Chile auch nur ein wenig studiert hat — ich habe dies getan —, weiß, daß man sich dort auf Regeln und Gesetze nicht verlassen kann;

(Volmer [GRÜNE]: Sehr gut!)

denn das Regime kann Gesetze jederzeit willkürlich ändern,

(Zustimmung bei der SPD und den GRÜNEN)

und es tut dies auch, wann immer und wo immer ihm dies politisch opportun erscheint.
In Chile fehlen alle wesentlichen Merkmale, die einen Rechtsstaat ausmachen. Es gibt z. B. nicht den Grundsatz, daß ein Angeklagter nur wegen Taten zur Rechenschaft gezogen werden darf, die schon zum Zeitpunkt der Tat mit Strafe bedroht waren. Insbesondere gibt es in Chile keine unabhängige Gerichtsbarkeit.

(Duve [SPD]: Sehr wahr! Militärgerichte!)

90 % aller vor den Militärgerichten abgehandelten Fälle betreffen Zivilpersonen. Die Richter bei den Militärgerichten handeln auf Weisung der Junta. Sollte es doch einmal einen unliebsamen Freispruch geben, so kann das — wie es der Präsident der Anwaltskammer in Santiago nannte — „vierköpfige Parlament", nämlich eben die Militärjunta, jederzeit ein Gesetz mit Rückwirkung ändern und den Freigesprochenen wegen derselben Tat erneut unter Anklage stellen, und so geschieht es auch.
Angesichts derartiger Willkür, meine Damen und Herren, können auch wir uns nicht darauf verlassen, daß die geschriebenen Regeln eingehalten werden und daß für die Betroffenen bis zum rechtskräftigen Abschluß der Verfahren keine akute Bedrohung besteht. Eben dies ist nicht der Fall. Die 15 sind täglich, ja stündlich ganz unmittelbar bedroht. Daher besteht auch für uns ganz unmittelbarer Handlungsbedarf.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der GRÜNEN)

Völlig unverständlich ist mir, welche zusätzlichen Erkenntnisse bei einer Sicherheitsüberprüfung der 15 noch sollten gewonnen werden können, Herr Bundesinnenminister. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wer nicht einmal, sondern ständig foltert, darf sich nicht wundern, wenn alle von ihm vorgelegten Beweise von vornherein und endgültig als völlig unbrauchbar betrachtet werden.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Wir werden die Wahrheit auch bei noch so intensiven zusätzlichen Überprüfungen nicht ergründen können. Da dies so ist, muß für uns ein ganz unumstößlicher Grundsatz unserer Rechtsordnung auch für die 15 Chilenen gelten: im Zweifel für die Angeklagten.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der GRÜNEN)

Daran kann sich auch in einem Jahr oder in fünf Jahren nichts ändern, so daß jede weitere Prüfung der Sachverhalte von vornherein zum Scheitern verurteilt ist.
Für uns haben die 15 als unschuldig zu gelten. Daher gibt es nur eine Konsequenz: ihnen jetzt und hier politisches Asyl anzubieten.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der GRÜNEN)

Allerdings, meine Damen und Herren, dürfen wir es nicht dabei belassen. Die 15 sind ja leider nur die Spitze des Eisbergs. Solange in Chile Demokratie und Rechtsstaat nicht wiederhergestellt sind, werden wir immer wieder mit derartigen Fällen konfrontiert sein. Es kommt darauf an, daß wir nunmehr alles versuchen, um der chilenischen Opposition dabei zu helfen, das Pinochet-Regime abzulösen und in diesem ansonsten so sympathischen und gerade uns Deutschen so wohlgesonnenen Land menschenwürdige Verhältnisse wiederherzustellen.
Bei den Erwägungen, wie dies geschehen könne, darf die Möglichkeit auch wirtschaftlichen Drucks auf das Regime nicht ausgeschlossen werden.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Ich bin sonst generell gegen Sanktionen, weil sie in aller Regel nichts nützen und nur diejenigen schädigen, denen sie helfen sollten.

(Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Richtig!)

Im Falle Chiles könnte dies jedoch anders sein. Ich bitte die Bundesregierung, ganz ernsthaft zu prüfen, ob nicht seitens der Europäischen Gemeinschaft entsprechende Aktionen eingeleitet werden könnten.

(Zustimmung des Abg. Duve [SPD])

Was im Falle Nicaraguas recht sein soll, warum soll das im Fall Chiles nicht billig sein?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, dem Antrag der Koalitionsfraktionen breite Zustimmung zu geben. Wir sollten uns für die Menschenrechte einsetzen und gegen Unrechtsregime kämpfen — im Norden, im Süden, im Westen wie im Osten.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103008700
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blüm.

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1103008800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst zu zwei Diskussionspunkten Stellung nehmen, die hier kontrovers waren. Ich lasse mich nicht in die Alternative einspannen, ob leiser oder lauter Protest der richtige ist. Beides ist unverzichtbar.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie Fellner gesagt hat!)

Es ist ganz sicher, daß der leise Protest um seinen
Erfolg gebracht würde, wenn nicht laut für die ge-



Dr. Blüm
schrien würde, die nicht selber laut schreien können.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ein Sacharow wäre nicht mehr am Leben, wenn wir für ihn nicht laut geschrien hätten. Und ist hier jemand im Saal, der dies bereuen würde? Wir schreien laut gegen das Unrecht in Afghanistan. Beides ist notwendig: lauter und leiser Protest.
Zum lauten Protest ist zu sagen: Nichts fürchten die Unterdrücker mehr als die öffentliche Verachtung. Zum erstenmal haben wir das Mittel in der Hand, eine ganze Weltmeinung gegen diejenigen zu mobilisieren, die auf der Welt unterdrücken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich lasse mich auch nicht einspannen in eine Arbeitsteilung: Die Rechten protestieren gegen die Menschenrechtsverletzungen im Osten, und die Linken protestieren gegen die Menschenrechtsverletzungen im Westen. Ich protestiere, wo immer Menschen in ihrer Würde verletzt werden!
Ich füge hinzu: Es gibt überhaupt keinen Grund, Menschen zu foltern. Ich muß deshalb nicht fragen, warum jemand gefoltert wird. Auch Kommunisten dürfen nicht gefoltert werden.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich warne auch davor, allzu leichtfertig den Kriminalitätsbegriff von Unrechtssystemen zu übernehmen. Ich kenne keine Unterdrücker, die nicht ihre Gegner zu Kriminellen erklärt haben.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich bin für Sicherheitsüberprüfungen, aber nach unseren rechtsstaatlichen Prinzipien.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Richtig!)

Solange nicht das Gegenteil bewiesen ist, so lange gelten alle nach unseren Prinzipien als unschuldig.
In Chile ist gefoltert worden. Die 15, über die wir heute diskutieren, sind gefoltert worden. Ein Staat, der foltert, hat jeden Anspruch auf Beweisführung, auf rechtsstaatliche Beweisführung verwirkt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und den GRÜNEN)

Das ist der Fluch der bösen Tat. Achtmal berufen sich die Militärrichter auf Geständnisse der Angeklagten. Was sind Geständnisse in einem Prozeß wert, wenn gefoltert wurde? Ein Militärgericht sprach die Urteile, dessen Unabhängigkeit überhaupt nicht gegeben ist, dessen Rechtsstaatlichkeit überhaupt nicht gegeben ist. Sechs Jahre prozessieren sie jetzt schon gegen die 15 Angeklagten. Wäre die Beweisführung so evident, bräuchte man nicht sechs Jahre lang diese qualvolle Prozeßführung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Rechtsanwälte haben auf Freispruch plädiert und alle Argumente des Gerichts als Vermutungen hingestellt.
Leider Gottes, meine Damen und Herren, handelt es sich in Chile nicht nur um 15 Unterdrückte und Gefolterte. Wir reduzieren geradezu das Problem. Trotzdem, den 15 gilt meine Solidarität.
Mitleid muß der Auslöser für unsere Solidarität sein. Das kann doch keine parteipolitische Sache sein. Das hat doch nichts mit rechts und links zu tun. Ein anständiger Rechter ist genauso gegen die Folter wie ein anständiger Linker. Machen wir hier doch nicht den Versuch, Menschenrechte nach links/rechts aufzuteilen.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Sehr richtig!)

Wir nehmen der ganzen Sache sonst einen Teil ihrer moralischen Reputierlichkeit.

(Dr. Penner [SPD]: Dann tun wir aber etwas Praktisches!)

Mitleid: Ich berufe mich auf das Beste, was das Christentum in die Welt gebracht hat, die Idee, daß alle Menschen vor Gott gleich sind. Ob weiß, ob schwarz, ob arm, ob reich: Alle haben die gleiche Würde. Das ist der Urgrund allen Verlangens nach Menschenrechten. Zu diesem Urgrund stehe ich auch als Christdemokrat.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

Ich will deshalb begründen, warum ich dem Entschließungsentwurf der Koalitionsfraktionen zustimme. Der entscheidende Satz ist, alles zu tun, daß die 15 Chilenen weder zum Tod verurteilt noch hingerichtet werden.

(Volmer [GRÜNE]: Was denn?)

Unser Antrag geht weiter. Die Probleme der Folter sind doch nicht dadurch gelöst, daß wir Asyl gewähren. Der Ursprung muß beseitigt werden. Die Folterknechte müssen weg.

(Zuruf von den GRÜNEN: Wie denn?)

Insofern ist doch unsere erste Forderung, daß die Inhaftierten frei in ihrer Heimat leben können. Das ist doch der elementare Anspruch.

(Zurufe von den GRÜNEN: Wie denn?)

Deshalb kämpfen wir für Demokratie und Menschenrechte. Deshalb kämpfen wir für Freilassung. Asyl kann immer nur der Notfall sein, immer nur die zweitbeste Lösung.

(Abg. Dr. Penner [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103008900
Herr Abgeordneter, können Sie großzügig sein?

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1103009000
Lassen Sie mich im Zusammenhang sprechen, zumal ich eine ganz kurze Redezeit habe.
Deshalb der Notfall! Das haben auch die Innenminister 1975 gesagt. Der Notfall ist Rettung eines Lebens, „Rettung aus einer akuten Gefahr für Leib und Leben". Zitat aus der Innenministerkonferenz. Das ist der Grund. Auch die Aufnahme ist eine Lösung des Problems, aber keineswegs die einzige. Es bleibt dabei: Demokratie und Menschenrechte in Chile zu verwirklichen. Es macht auch für den Betroffenen, für den Gefolterten überhaupt keinen Trost aus, daß er



Dr. Blüm
weiß, daß noch in 128 anderen Staaten gefoltert wird. Überall, wo gefoltert wird, müssen wir aufschreien. Vielleicht, meine Damen und Herren, ist das auch — —

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103009100
Herr Abgeordneter, es tut mit furchtbar leid, aber ich muß alle Abgeordneten gleich behandeln. Sie haben Ihre Redezeit zwei Minuten überzogen.

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1103009200
Ja gut. Das ist mein letzter Satz, Herr Präsident.
Ich stimme dem Antrag der Koalitionsfraktionen zu. Er ist der weitestgehende, der heute zur Abstimmung steht.

(Beifall bei der CDU/CSU — Unruhe und Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

Es ist der weitergehende Antrag. Er bietet alles an. Unter „alles" gehört im Notfall auch die Aufnahme.

(Volmer [GRÜNE]: Dann halte ich meine Verunglimpfung aufrecht!)

Auch das gehört zum „alles". Ich bleibe dabei, meine Damen und Herren: Wir leben im freiheitlichsten Staat, den die deutsche Geschichte beherbergte.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103009300
Herr Abgeordneter, es tut mir leid, ich habe alle Abgeordneten gleich zu behandeln, auch Sie. Sie haben zweieinhalb Minuten über die Zeit, die vereinbart worden ist, geredet. Ich bitte Sie, das Rednerpult zu verlassen. Es tut mir leid, ich muß alle gleich behandeln.

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1103009400
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103009500
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schmidt (Nürnberg).

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1103009600
Herr Blüm, ich freue mich im Prinzip über wesentliche Punkte Ihres heutigen Beitrags. Ich hoffe, daß wir nach dieser Diskussion ohne Differenzen auseinandergehen. Ihr Beitrag hat mich über weite Strecken überzeugt. Ich wünschte mir, Herr Fellner und Herr Gerster hätten ähnlich gesprochen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Fellner, Sie haben wiederum versucht, mit diesem Thema zu polarisieren. Das dürfen wir nicht. Denn es geht um das, was wir aus unserer Geschichte gelernt haben, was wir aus dem teilweise gewaltsamen Widerstand gegen den Nazifaschismus gelernt haben. Es geht ganz konkret um das Leben von 15 Menschen. Weil ich immer noch unterstelle, daß es uns allen nicht um taktisches Kalkül geht, und weil es uns nicht darum gehen darf und weil es nicht nur Lippenbekenntnisse sind, wenn Hans-Jochen Vogel dazu aufgefordert hat, in der Frage der Menschenrechte wieder zur Gemeinsamkeit zu kommen, sage ich Ihnen, daß meine Fraktion dem Antrag der CDU/ CSU und FDP zustimmen wird.

(Beifall des Abg. Scharrenbroich [CDU/ CSU])

Wir wollen nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen und halten die Tendenz dieses Antrags für richtig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Aber wir wünschen uns auch, daß dieser Antrag an einigen Stellen konkreter wäre und daß er den konkreten Handlungsbedarf der Bundesregierung benennen würde.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


(Vorsitz: Vizepräsident Frau Renger)

Das wiederum tut unser Antrag. Er weist auf den Handlungsbedarf hin, der auf Grund der konkreten Situation in Chile besteht.

(Beifall des Abg. Lambinus [SPD])

Herr Blüm, das ist mir jetzt ganz wichtig. Wenn nämlich das richtig ist, was Sie sagen, dann haben Sie die Gelegenheit, Ihre Zustimmung dort zu geben.

(Beifall bei der SPD)

Unser Antrag greift in seinem Punkt 4 die Resolution der zweiten internationalen Parlamentarierkonferenz auf, und er erfüllt damit auch die Aufforderung vom 17. September 1987 des Europäischen Parlaments. Dort wurde unter Nennung der Namen der 15 Chilenen mit den Stimmen aller Fraktionen, also auch Ihrer Fraktion, beschlossen:
Das Europäische Parlament fordert die Mitgliedstaaten auf, den chilenischen politischen Gefangenen, deren Leben in Gefahr ist, Visa zu gewähren.
Ich möchte heute noch einmal begründen — das treibt mich um, und das ist mir ungeheuer ernst —, warum sofort gehandelt werden muß, warum wir nicht warten dürfen, warum die Visa erteilt werden müssen und warum das auch schnellstmöglich der chilenischen Regierung mitgeteilt werden muß.

(Beifall bei der SPD)

Ich hatte in Chile die Möglichkeit, mich mit den meist kirchlich geprägten Menschenrechtsorganisationen mehr als drei Stunden zu unterhalten. Dabei haben unsere Kollegen aus dem Europaparlament und ich natürlich auch Fragen nach der rechtlichen Situation und nach der Wirkung von sofortigen Visa-Erteilungen oder eines Abwartens gestellt, dies vor dem Hintergrund, daß es bereits Bereitschaftserklärungen zur Übernahme von seiten einiger europäischer Länder wie Frankreich, Italien, Belgien und Österreich gibt.
Übereinstimmend, Herr Blüm, wurden wir von den Vertretern der Vicaria, der Menschenrechtsorganisation der katholischen Kirche — das brauche ich Ihnen nicht zu sagen — , und der der evangelischen Kirche beinahe beschworen, dafür zu sorgen, daß es aus möglichst vielen Ländern derartige Erklärungen geben müßte, und zwar bald, und daß es besonders wichtig ist, daß die Bundesrepublik, die sich schon so lange mit dieser Frage befaßt, endlich zu einem positiven Ergebnis zugunsten der 15 Chilenen kommt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Beide Organisationen haben nämlich die Erfahrung machen müssen, daß sich die Sicherheit der Gefangenen — und darum geht es uns — mit der Zahl der



Frau Schmidt (Nürnberg)

Einreisegenehmigungen erhöht. Sie haben bestätigt, was uns sowohl hier in Deutschland als auch in Chile Angehörige der Inhaftierten gesagt haben und was unter anderem Medico International veröffentlicht hat, nämlich daß eine negative oder zögerliche Haltung — und dies ist eine zögerliche Haltung — der Bundesregierung bedeuten kann, daß wieder wie im Fall Zuniga — der in Hamburg übrigens schon die Einreisegenehmigung hatte — Häftlinge getötet werden könnten. Für Victor Zuniga wurde die Einreise durch das Innenministerium verweigert. Er lebt inzwischen nicht mehr. Wollen wir diese Gefahr für die 15 eingehen, die heute dort sind?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP])

Umgekehrt — auch das sollten wir als Chance begreifen — wurde von diesen Organisationen ein Zusammenhang zwischen der Visa-Erteilung durch die Bundesrepublik für die sogenannte Quintero-Gruppe, die ebenfalls wegen angeblicher Verstöße gegen die Terroristengesetze angeklagt war, und ihrem Freispruch und ihrer abschließenden Abschiebung nach Deutschland hergestellt.
Hier wurde übrigens nicht abgewartet, bis rechtskräftige Urteile vorlagen. Wo, bitte, liegt denn hier der Unterschied? Ob diese Zusammenhänge zu Recht konstruiert werden, kann ich nicht sagen, aber die Chancen, die darin liegen, sollten wir sofort ergreifen. Alle Menschenrechtsorganisationen haben von ihrer Erfahrung berichtet, daß sich mit der Zahl der Bereitschaftserklärungen unterschiedlicher Länder, diese Häftlinge einreisen zu lassen, auch ihre heutigen Haftbedingungen verbessern.

(Duve [SPD]: Sehr wahr!)

Wie diese Haftbedingungen für die 15 Gefangenen aussehen, haben uns ihre Angehörigen in Santiago geschildert, wurde uns durch einen Kassiber von Jorge Palma deutlich, der uns zugespielt wurde. Elf der 15 Inhaftierten befanden sich Anfang September in einem Hungerstreik, um gegen diese Haftbedingungen zu protestieren. Nehmen wir doch die Chance wahr, das Leben der Häftlinge schon heute zu verbessern!
Es gibt einen weiteren Grund. Ich zitiere hier nochmals die Menschenrechtsorganisation Vicaria vom Dezember 1986:
Man muß sich vor Augen halten, daß zwischen dem Tag der Urteilsbegründung und dem Tag der Hinrichtung ein bis fünf Tage vergehen können, weshalb in diesem Fall mit höchster Dringlichkeit gehandelt werden müßte.
Es heißt weiter:
In jedem Fall wäre es aber sinnvoll und unbedingt nötig, im voraus ein Einreisevisum für ein anderes Land zu besitzen, um die Umwandlung der Strafe zu ermöglichen.
An diesem Standpunkt hat sich in der Zwischenzeit nichts geändert, wie wir uns vergewissert haben.

(Vorsitz: Vizepräsident Westphal)

Herr Blüm und liebe Kollegen von der CDU/CSU und der FDP, ich meine, daß es als Begründung für
einen Handlungsbedarf genügen muß, wenn wir dadurch die Chance haben, erstens die Sicherheit der 15 Häftlinge zu erhöhen und sie vor Übergriffen zu schützen, zweitens ihre Haftbedingungen zu erleichtern und drittens im Fall der drei erstinstanzlich und des einen zweitinstanzlich bereits zum Tode Verurteilten nicht in die Gefahr zu geraten, nach dem rechtskräftigen Urteil in einen Wettlauf mit dem Tod einzutreten.
Aber es gibt einen vierten — innenpolitischen — Grund, weshalb wir zu einer Entscheidung kommen müssen. Ich war und bin nicht bereit, Herrn Blüm und Herrn Geißler zu unterstellen, sie hätten nur deshalb ein Spektakel inszeniert, um Themen zu besetzen, oder hätten es um irgendwelcher Lagertheorien willen getan. Aber ich kann nach den heutigen Beiträgen von Herrn Zimmermann und Herrn Fellner auch nicht erkennen, daß sich die beiden Gruppen — einerseits Herr Blüm und Herr Hirsch, andererseits Herr Zimmermann und Herr Fellner — in diesem Antrag wiederfinden können. Eine von diesen beiden Gruppen muß den Antrag falsch interpretieren, und das wollen wir heute wissen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Die folgenden Abstimmungen müssen beweisen, ob zwischen Reden und Handeln eine Einheit besteht. Es würde mich nicht mit Befriedigung erfüllen, Herr Blüm, wenn sich herausstellte, daß die Verdächtigungen, die heute hier geäußert worden sind, vielleicht richtig sind. Schaden hätte dann nicht nur Ihre, sondern unser aller Glaubwürdigkeit beim Einsatz für die Menschenrechte genommen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Wir können den Bundesbürgern in der Zwischenzeit nicht mehr erklären, daß ein leibhaftiger bundesdeutscher Minister und Parlamentarier nach Santiago fährt und sich für Gefolterte und vom Tode Bedrohte einsetzt, daß uns das Europäische Parlament zum Handeln auffordedrt und daß wir abschließend zu dem Ergebnis kommen: Getan werden muß jetzt nichts, zumindest nicht sofort! — Nur wenn Sie heute auch unserem Antrag zustimmen, werden uns die Menschen glauben, daß es nicht Präsentiergehabe und Selbstdarstellungsgelüste waren, die uns geleitet haben. Wir brauchen die Zustimmung der Bürger in diesen Fragen dringend, weil wir ihre Zustimmung auch brauchen, wenn es um wirtschaftliche Fragen geht.
Sie haben zu Recht in Ihrem Antrag den Zusammenhang von Frieden, Freiheit und der Verringerung von Hunger und Not und der Durchsetzung von Menschenrechten hergestellt. Aber auch das bedarf der Konkretisierung: Kollege Irmer hat in Santiago dazu aufgerufen, wirtschaftliche Sanktionen zu prüfen. Die Handlungen der Bundesregierung gehen aber in die andere Richtung. Mit ihrer Zustimmung wurde Chile z. B. der dritte Weltbankkredit genehmigt, eine quasi Entwicklungshilfe. Bundesdeutsche Firmen liefern Unterbauten für Militärfahrzeuge nach Chile. Damit muß Schluß sein!



Frau Schmidt (Nürnberg)

Dieselben Vertreter der Wirtschaft äußern in Gesprächen, der einzige, der etwas gegen die Armut getan hätte, sei Pinochet — dies vor dem Hintergrund von 30 bis 40 % Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, und vor dem Hintergrund, daß es Kinder gibt, z. B. in der Bergarbeiterstadt Lota, die nur von Montag bis Freitag in ihren Kindergärten etwas zu essen bekommen, die am Samstag und Sonntag keinen Bissen Brot und keinen Schluck Milch erhalten. Der heutige Tod eines zweijährigen Jungen, erschossen in einem Elendsviertel in Santiago, zeigt ganz deutlich, daß sich die Repressionen vor allem gegen die Ärmsten richten.
Alle Oppositionsparteien in Chile erwarten von der Rückkehr zur Demokratie zweierlei: Abschaffung von Willkür, Folter und politisch sanktioniertem Mord, Pressefreiheit, also Durchsetzung der Menschenrechte. Sie erwarten aber auch, daß sie und ihre Kinder endlich wieder satt werden, daß Obdachlosigkeit, Hunger und Armut ein Ende haben. Diese Erwartungen kann keine demokratische Regierung aus eigener Kraft erfüllen, noch dazu gegen Widerstände von Teilen einer Wirtschaft, die Demokratisierung nur unter dem Gesichtspunkt wirtschaftlichen Nutzens betrachtet.
Die heutige Diktatur in Chile muß also unseren Widerstand nicht nur in Menschenrechtsfragen, sondern auch wirtschaftlichen Druck zu spüren bekommen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Die künftige Demokratie in Chile braucht, wenn sie nicht wieder scheitern soll, nicht nur unseren Einsatz für Menschenrechte, sondern umfangreiche wirtschaftliche Hilfe.

(Beifall bei der SPD)

Ich bitte Sie deshalb alle um Zustimmung zu unserem Antrag und beantrage zu Punkt 4 dieses Antrages — darin wird der sofortige Handlungsbedarf anerkannt — namentliche Abstimmung.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103009700
Das Wort hat die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Frau AdamSchwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1103009800
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich begrüße es nachdrücklich, daß die SPD den Antrag der Regierungsfraktionen unterstützen will. Das ist ein deutliches Zeichen der Gemeinsamkeit, die es trotz vieler heftiger Worte in dieser Debatte ganz offensichtlich noch gibt und geben muß.
Wir reden hier von unserem Menschenbild, das unabhängig von Rasse, Hautfarbe, politischer oder religiöser Überzeugung die Einmaligkeit und die persönliche Würde jedes einzelnen Menschen anerkennt. Wir reden vom Auftrag unseres Grundgesetzes, diese Würde von Staats wegen zu schützen.
Die Geschichte hat uns gelehrt und die Realitäten der Gegenwart führen uns täglich vor Augen: Außenpolitik darf nicht wertfrei sein. Wir müssen für unsere Überzeugung von der Unabdingbarkeit der Men-
schenrechte eintreten, auch wenn wir damit unbequem sind.

(Beifall der Abg. Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD])

Glaubwürdig sind wir allerdings nur dann, wenn wir überall in der Welt den gleichen Maßstab anlegen. Dabei geht es nicht um die Frage, ob wir Weltpolizei spielen wollten oder sollten. Das wollen wir nicht. Das ist eine Entscheidung gegen die Einäugigkeit, und das ist eine Entscheidung für eine Politik, die für Demokraten verantwortbar sein muß.
Jedes selektive Konzept, jede Absicht, Menschenrechtspolitik in den Dienst anderer Interessen zu stellen, würde unseren moralischen Anspruch zerstören. Deshalb, meine Damen und Herren: Eine Debatte, die auch in unserem Land um Menschen geführt wird, die an Leib, Geist und Leben bedroht sind, darf nicht zu einem Instrument innenpolitischer Auseinandersetzung verkommen. Ich fürchte, manche der Töne in dieser Debatte fördern nicht gerade die Zustimmung der Jugend uns gegenüber.
Mit Verwunderung habe ich auch die eine oder andere Facette, die in dieser Debatte deutlich wird, zur Kenntnis nehmen müssen. Folter ist das Unmenschlichste, was Menschen anderen Menschen antun können. Deshalb frage ich mich: Was ist eigentlich glaubwürdig in einem Staat, der sich begründet dem Verdacht aussetzen muß, zu foltern?
Diese Grundsätze der Menschenrechtspolitik erklären auch das Engagement der Bundesregierung für die 15 inhaftierten und mit der Todesstrafe bedrohten Chilenen. Das Auswärtige Amt hat mehrfach den chilenischen Botschafter einbestellt, um eindringlich die anliegenden Menschenrechtsfälle zu besprechen und unsere Haltung zur Geltung zu bringen. Wir haben immer wieder das Interesse deutlich gemacht, das auch die Öffentlichkeit der Bundesrepublik am Schicksal der Chilenen hat.
Die Europäische Politische Zusammenarbeit hat eine Demarche beschlossen, die zur Abhaltung freier Wahlen in Chile und zur Verwirklichung der Menschenrechte in Chile auffordert. Diese Demarche wird zu gegebener Zeit überreicht.
Das zeigt deutlich das Engagement, das wir hier an den Tag legen.
Wir haben kein Durchgriffsrecht und nur in seltenen Fällen praktische Durchgriffsmöglichkeiten. Kritik hilft den Betroffenen, wie die bittere Erfahrung zeigt, nicht in allen Fällen. Manchmal hilft laute Kritik, und sie ist nötig. Manchmal hilft Kritik der stillen Diplomatie, und auch das ist nötig. Beides ist in den vergangenen Monaten im Verhältnis zur Regierung von Chile zum Zuge gekommen.
Ich begrüße besonders Frau Brinkmann im Deutschen Bundestag. Ich freue mich, daß die Vereinten Bemühungen vieler Politiker und vieler Bürger der Bundesrepublik Deutschland dazu beigetragen haben, daß sie nun wieder in der Bundesrepublik Deutschland sein kann.

(Beifall bei der FDP, der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)




Staatsminister Frau Dr. Adam-Schwaetzer
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen an der Forderung nach einer Verbesserung der internationalen Durchsetzungsmechanismen für Menschenrechte festhalten. Deshalb fordern wir nach wie vor einen Hochkommissar für die Menschenrechte bei den Vereinten Nationen und langfristig einen internationalen Menschenrechtsgerichtshof.
Der Antrag der Regierungsfraktionen bietet eine gute Grundlage für das weitere Handeln der Bundesregierung, und ich bin sicher, daß die Bundesregierung ihre Entscheidung im Interesse der Menschenleben, die betroffen sind, treffen wird.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103009900
Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Abgeordnete Vogel (Ennepetal) das Wort.

Friedrich Vogel (CDU):
Rede ID: ID1103010000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mal hilft der laute Protest, mal die stille Diplomatie, dies ist richtig. Ich möchte hier klarstellen: Nichts anderes hat der Kollege Fellner in seinen Ausführungen gesagt. Das sage ich, damit keine Mißverständnisse übrigbleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Frau Traupe [SPD]: Was?)

In dieser Debatte ist deutlich geworden, daß niemand hier im Hause für sein Engagement für die Menschenrechte einen Monopolanspruch geltend machen kann. Ich möchte hinzufügen: Das ist auch selbstverständlich, weil für uns alle der erste Artikel unserer Verfassung verbindlich ist, und für uns Christliche Demokraten in CDU und CSU gehört unsere Verpflichtung auf die Menschenrechte zu den unverzichtbaren Voraussetzungen unseres politischen Wirkens überhaupt. Das lassen wir uns von niemandem hier in dieser Debatte wegreden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, der Schutz der Menschenrechte ist tief in der geistigen und politischen Tradition der Union verwurzelt. In unserem Eintreten für die universale Geltung der Menschenrechte lassen wir uns von niemandem übertreffen. In unserer praktischen Politik haben wir stets unser Eintreten für die Menschenrechte alltagswirksam zu machen versucht. Allerdings ist für eine glaubhafte Menschenrechtspolitik wesentlich, daß man vom universalen Geltungsanspruch der Menschenrechte ausgeht. Zu den erfreulichen Ergebnissen der Nachkriegsentwicklung um die Menschenrechte in den Vereinten Nationen, besonders seitens der freiheitlichen Demokratien, gehört, daß sich der Grundsatz der Universalität der Menschenrechte durchgesetzt hat und daß ein dichtes Netz völkerrechtlicher Normen entstanden ist, deren Einforderung von keinem Staat der Welt mehr legitim mit dem Vorwurf der Einmischung in innere Angelegenheiten abgewehrt werden kann.
Diese Entwicklung verlangt von uns ein weltweites Eintreten für die Menschenrechte. Der Geltungsanspruch der Menschenrechte ist unteilbar, und dazu gehört, daß wir überall in der Welt auch nach den gleichen Maßstäben messen. Wenn es weiter Schule macht, meine Damen und Herren, daß zwar Menschenrechtsverletzungen in einigen wenigen Ländern mit viel Energie und Aufwand angeprangert werden — ich habe nichts dagegen — , über die große Mehrheit der Länder aber, in denen ständig gravierende Menschenrechtsverletzungen stattfinden, sich der Schatten des Nicht-zur-Kenntnis-Nehmens ausbreitet, dann gefährden wir den universalen Geltungsanspruch der Menschenrechte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Bei der Verfassung der öffentlichen, jedenfalls der veröffentlichten Meinung in der Bundesrepublik Deutschland ist es beinahe ein hoffnungsloses Unterfangen, die öffentliche Aufmerksamkeit auf Foltermethoden, beispielsweise in Albanien oder in einigen arabischen oder asiatischen Ländern, zu lenken. Wenn im Iran in der letzten Zeit Todesurteile gegen Angehörige der Religionsgemeinschaft der Bahais vollstreckt werden, findet sich bestenfalls eine kurze Notiz in der Rubrik „Vermischtes". Öffentlicher Protest dagegen gehört zu den Raritäten. Meine Damen und Herren, wir sollten uns gemeinsam anstrengen, diesen wirklich unbefriedigenden Zustand zu verändern.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Knabe [GRÜNE])

Unsere Kampfansage gilt der weltweiten Unterdrückung der Grund- und Freiheitsrechte. Dazu gehört, daß wir bei uns diese ganze Breite der Menschenrechtsverletzungen in der Welt bewußt machen. Wir müssen uns dessen bewußt sein, daß die Gewährleistung der Menschenrechte im eigenen Land und der Einsatz für ihre weltweite Durchsetzung die eigentliche moralische Substanz der freiheitlichen Demokratien ausmachen. Die Menschenrechte sind der wertvollste Exportartikel der freiheitlichen Demokratien.
Der Deutsche Bundestag hat erstmals in dieser Legislaturperiode ein eigenes Gremium für die Menschenrechte eingesetzt. Als Vorsitzender dieses Gremiums werde ich mich jedenfalls darum bemühen, daß wir uns gemeinsam, d. h. im Konsens für ein geschärftes Bewußtsein für die weltweite und ungeteilte Geltung der Menschenrechte sowie für die Beurteilung von Menschenrechtsverletzungen nach überall gleichen Maßstäben engagieren.
Meine Damen und Herren, wir dürfen dabei nicht vergessen, daß wir eine besondere Verpflichtung für die Menschenrechte unserer deutschen Landsleute auch außerhalb der Bundesrepublik Deutschland haben.
Lassen Sie mich zum Schluß einige Bemerkungen zu der hier so heftig diskutierten Frage der Asylgewährung für die 15 Chilenen machen.

(Unruhe)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103010100
Herr Abgeordneter, ich will Ihnen ein bißchen Ruhe verschaffen.

(Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Das stört mich nicht; ich bin das gewohnt, Herr Präsident!)




Vizepräsident Westphal
— Trotzdem tue ich es. — Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen — es sind noch genügend freie Stühle vorhanden — und dem letzten Redner zuzuhören, bevor wir zur Abstimmung kommen.

Friedrich Vogel (CDU):
Rede ID: ID1103010200
Herr Präsident, ich weiß seit über 20 Jahren, wie das ist, wenn man unmittelbar vor namentlichen Abstimmungen sprechen muß.
Meine Damen und Herren, diese 15 Chilenen — das läßt sich nicht hinwegdiskutieren — stehen unter dem Verdacht schwerwiegender Straftaten, die mit der Todesstrafe bedroht sind. Ich weiß nicht, wie schwerwiegend dieser Verdacht tatsächlich ist, und es mag sich auch um dringenden Tatverdacht handeln, wie er bei uns für die Anordnung von Untersuchungshaft vorausgesetzt wird. Meine Damen und Herren, dies muß aber hinzugefügt werden: Auch noch so dringender Tatverdacht ist nicht der Tatüberführung gleichzusetzen, und darauf wird es am Ende ankommen.
Herr Blüm hat das Urteil des Zweiten Militärgerichts in Santiago vom 28. November 1986 zitiert. Durch dieses Urteil sind drei der 15 Chilenen zum Tode verurteilt worden. Ich bin selbst in meinem Leben viele Jahre Richter gewesen; ich bin auch Strafrichter gewesen. Seit noch mehr Jahren bin ich aktiv tätiger Anwalt, und zwar nicht nur Titularanwalt, wie es bei vielen hier im Hause der Fall ist. Ich kann Ihnen nur sagen: Mir haben sich beim Lesen der Urteilsgründe die Haare gesträubt. Eine solche Beweisführung wie in diesem Urteil würde bei uns vor keinem Revisionsgericht Bestand haben können. Herr Blüm hat schon darauf hingewiesen: Achtmal wird das Urteil auf Geständnisse gestützt und werden diese als ausreichende Beweismittel gemäß Art. 481 des chilenischen Strafgesetzbuches gewürdigt. Man muß dazu wissen, daß im chilenischen Strafverfahren dem Beweiswert eines Geständnisses eine hervorgehobene Bedeutung zukommt. Man muß weiter wissen, daß in der Regel der Untersuchungshaft in Justizgefängnissen eine kürzere oder längere Haftzeit im Polizeigewahrsam vorausgeht — die sogenannte Incomunicado-Haft — und daß während dieser Haftzeit im Polizeigewahrsam hauptsächlich die Folterübergriffe vorgenommen werden. Wir haben genügend Anhaltspunkte dafür, daß die Chilenen, um die es hier geht, gefoltert worden sind.
Meine Damen und Herren, es darf für uns kein Streitpunkt sein, daß für Geständnisse, die durch Folter erzwungen werden, nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ein absolutes Verwertungsverbot im Strafprozeß gilt, und zwar — dies füge ich hinzu — unabhängig davon, ob diese Geständnisse richtig oder ob sie falsch sind. Durch Folter erzwungene Geständnisse unterliegen einem absoluten Verwertungsverbot.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt in unserem Strafrecht sozusagen eine Magna Charta der Beschuldigten — dies ist ein weltweit geltender rechtsstaatlicher Grundsatz — : den Grundsatz in dubio pro reo.
Meine Damen und Herren, wenn wir all das bedenken, dann ist es zwar richtig, daß formal ein unmittelbarer Handlungszwang nicht besteht, aber ich möchte jedenfalls für meine Person hinzufügen, daß für uns, wenn wir das alles bedenken, auch heute schon feststeht, wie wir entscheiden müssen, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103010300
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aussprache. Ich schließe die Aussprache.
Zur Geschäftsordnung vor den Abstimmungen hat sich der Abgeordnete Kleinert (Marburg) gemeldet.

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1103010400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage, daß die Abstimmung über den Antrag der Koalitionsfraktionen so lange ausgesetzt wird, bis von hier vorne aus unmißverständlich klargestellt ist, was mit diesem Antrag eigentlich gemeint ist.
Ich will das hier kurz begründen. Herr Irmer hat hier ausgeführt, daß, wenn diesem Antrag zugestimmt würde, ab heute mittag klar sei, daß den Chilenen in der Bundesrepublik politisches Asyl angeboten werde. Herr Zimmermann hat genau das Gegenteil davon gesagt. Herr Zimmermann hat hier ganz klar expressis verbis erklärt, es bestehe kein Handlungsbedarf, es lägen keine neue Erkenntnisse vor. Und Herr Fellner hat im Prinzip genau dasselbe gesagt. Herr Fellner und auch Herr Gerster haben in ihren Reden politische Bilder deutlich gemacht, die sehr klar gemacht haben, daß sie sich nach wie vor der unseligen Tradition eines Herrn Strauß und der Hanns-Seidel-Stiftung in Chile näher fühlen als dem, was Herr Blüm an öffentlichen Äußerungen im Sommer deutlich gemacht hat.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Auch Herr Blüm, den die CDU hier zunächst gar nicht auf ihrem Fraktionskontingent reden lassen wollte, hat gesagt, der entscheidende Satz in dem Antrag sei der, wonach die Bundesregierung alles tun werde, daß die Chilenen nicht zum Tode verurteilt würden und daß sie nicht hingerichtet würden. Aber, Herr Blüm, Sie haben uns nicht gesagt, was das heißt: „alles zu tun". Sie haben uns nicht gesagt, was diese Regierung jetzt machen will.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was heißt das: „alles zu tun"? Heißt es, das Sie heute nachmittag hier Visa erteilen wollen? Heißt das, daß Sie übermorgen Visa für die Betroffenen erteilen wollen? Heißt das, daß Sie in vier Wochen Visa erteilen wollen,

(Bohl [CDU/CSU]: Das ist eine Sachdebatte hier! — Dr. Olderog [CDU/CSU]: Herr Präsident, das ist eine Sachdebatte!)

oder heißt das, daß Sie überhaupt keine Visa erteilen wollen? Darauf haben Sie keine Antwort gegeben bzw. wir haben hier heute mindestens fünf unterschiedliche Interpretationen eines angeblich von allen getragenen Antrags gehört.



Kleinert (Marburg)

Deswegen sage ich hier: So wie dieser Antrag jetzt vorliegt, läßt er exakt an den entscheidenden Stellen die Aussage aus, auf die es ankommt.

(Beifall bei den GRÜNEN) Das heißt: Dieser Antrag ist — —


(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das ist eine Schweinerei! Es ist ja unglaublich, daß der weiterreden darf! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

— Jetzt zähmen Sie sich doch mal ein bißchen. Es ist unverschämt, wie Sie sich hier benehmen, Herr Bötsch. Das ist unverschämt.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Unglaublich!)

— Es ist unverschämt, wie Sie sich hier benehmen. Von Sitte und Anstand haben Sie auch noch nichts gehört.

(Lachen bei der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103010500
Einen Augenblick, Herr Kleinert: Also, wir haben hier ein paar Regeln.

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1103010600
Ich bitte, das nicht auf die Redezeit anzurechnen.

(Heiterkeit)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103010700
Meine Damen und Herren, es ist eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung. Mir ist vorher mitgeteilt worden, worum es inhaltlich geht. Es ist ein Antrag, der auf eine Verschiebung einer bestimmten Abstimmung zielt. Das ist nach unserer Geschäftsordnung erlaubt. Es zu begründen, ist immer schwierig.

(Dr. Olderog [CDU/CSU]: Das ist ein Rechtsmißbrauch!)

Genauso schwierig ist es, den Unterschied zu finden, was darüber hinausgeht und was nicht.
Sie haben noch eine Minute Redezeit. Bitte nutzen Sie sie.

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1103010800
Eben waren es noch zwei. — Ich sage es noch einmal: So wie dieser Antrag jetzt vorliegt, so unterschiedlich dieser Antrag hier interpretiert worden ist, ist dieser Antrag nicht abstimmungsfähig. Deswegen beantrage ich hier, diese Abstimmung so lange auszusetzen, bis Sie dafür gesorgt haben, daß er abstimmungsfähig wird. Ich will Ihnen auch sagen, wie Sie das machen können. Ich gebe Ihnen einen Ratschlag: Wählen Sie aus diesen beiden großen Fraktionen, die heute hier sehr zahlreich versammelt sind, einen Sprecher aus. Lassen Sie ihn nach vorne kommen und lassen Sie ihn in fünf Minuten begründen, wie das nun eigentlich gemeint ist.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103010900
Augenblick, Herr Kollege, nun geht es aber über das hinaus — —

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1103011000
Wir räumen Ihnen gerne diese Redezeit über die Abmachungen, die wir bisher getroffen haben, hinaus ein.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103011100
Herr Kleinert, dies geht über den Geschäftsordnungsantrag hinaus.

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1103011200
Dann ist dieser Antrag abstimmungsfähig.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103011300
Herr Kleinert!

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1103011400
So wie er hier vorliegt, ist der Antrag nicht abstimmungsfähig. Deswegen beantrage ich, ihn so lange zurückzustellen. Wenn Sie — mein letzter Satz, ich habe noch Zeit — —

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103011500
Nein, Herr Kleinert, ich habe Sie soeben darauf aufmerksam gemacht, daß Ihre Redezeit mit einer inhaltlichen Begründung des Antrags ausgefüllt sein muß. Darüber sind Sie jetzt hinausgegangen. Sie haben einen Satz. Dann bitte ich Sie, das Pult zu verlassen.

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1103011600
Wenn Sie diesen Antrag zur Geschäftsordnung ablehnen sollten, wird die Fraktion der GRÜNEN an der Endabstimmung über Ihren Antrag nicht teilnehmen, weil dieser Antrag nicht abstimmungsfähig ist.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103011700
Meine Damen und Herren, als nächster hat der Herr Abgeordnete Seiters zur Geschäftsordnung das Wort.

Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1103011800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß mich leider bei der Bewertung dieses Vorgangs zurückhalten; ich kündige aber an, daß die CDU/CSU-Fraktion den Mißbrauch der Geschäftsordnung, der hier geduldet wurde, im Ältestenrat zur Sprache bringt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Unglaublich!)

Im übrigen, Herr Kollege Kleinert, es wäre ja wohl noch schöner, wenn wir zulassen würden, daß ein Vertreter der GRÜNEN die Debattenbeiträge von FDP, CSU und CDU am Schluß einer Debatte noch interpretiert. Weil das so ist und weil wir unsere eigenen Aussagen machen und sie nicht von Ihnen interpretieren lassen, werden wir Ihren Antrag selbstverständlich ablehnen.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das ist unerhört!)

Im übrigen gibt es gleich eine Abstimmung. Die CDU/ CSU-Fraktion — und ich denke, auch die FDP-Fraktion — lehnt die Anträge der GRÜNEN und der SPD ab. Unseren eigenen Antrag werden wir annehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103011900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jahn.

Gerhard Jahn (SPD):
Rede ID: ID1103012000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag war durchaus zulässig. Darüber muß man hier doch verhandeln können, Herr Kollege Seiters.

(Seiters [CDU/CSU]: Aber wie! Sachdebatte!)

— Nein, nein. Der Antrag selbst war zulässig.

(Bohl [CDU/CSU]: Das bestreiten wir ja auch nicht!)




Jahn (Marburg)

Nun, er war ja auch vom Inhalt her wohl begründet. Es stimmte ja vom Inhalt her, was Herr Kollege Kleinert gesagt hat.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Nur das Verfahren, das er wählt, ist falsch. Wir brauchen nicht die Abstimmung über Ihren Antrag zurückzustellen; wir brauchen nichts anderes zu machen, als dem Antrag der SPD-Fraktion zuzustimmen. Dann haben Sie die Klarheit, die wir in der Sache brauchen. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen und bitten noch einmal um Zustimmung zum Antrag der Sozialdemokraten.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103012100
Weiterhin zur Geschäftsordnung der Abgeordnete Wolfgramm. Bitte schön.

Torsten Wolfgramm (FDP):
Rede ID: ID1103012200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich glaube, es wäre der Sache des Hauses dienlich, wenn Geschäftsordnungsdebatten Geschäftsordnungsdebatten blieben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir erleben hier unter dem Mantel der Geschäftsordnungsdebatte inhaltliche Debatten, in denen damit natürlich auch noch versucht wird, zusätzliche Redezeit zu bekommen.
Meine Fraktion bleibt bei unserem Antrag. Wir werden so verfahren, wie wir das erklärt haben. Wenn Herr Kollege Kleinert noch einmal einen Geschäftsordnungsbeitrag leisten will, in dem er genau das Gegenteil eines Geschäftsordnungsantrages stellt, nämlich inhaltlich wird, dann wird es eine noch längere Diskussion im Ältestenrat geben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103012300
Meine Damen und Herren, wir haben die Äußerungen der Geschäftsführer zu dem Geschäftsordnungsantrag gehört. Ich stelle den Antrag, den Herr Kleinert gestellt hat, zur Abstimmung. Wer also diesem Antrag des Abgeordneten Kleinert folgen will, daß die Abstimmung über den Antrag der Koalitionsfraktionen zurückgestellt wird, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Gibt es Stimmenthaltungen? — Dann ist dieser Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen nun zu den Abstimmungen insgesamt. Ich bitte um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit, die wir für ein etwas schwierigeres Verfahren brauchen.
Wir stimmen wegen der Reihenfolge der eingereichten Anträge zunächst über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Abschaffung der Sicherheitsüberprüfung für politisch Verfolgte aus Chile ab. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat hierzu namentliche Abstimmung verlangt.
Wir haben insgesamt zwei namentliche Abstimmungen, soweit ich es übersehen kann. Nach der zweiten namentlichen Abstimmung haben wir noch andere Abstimmungen. Ich bitte also um Aufmerksamkeit bis zum Schluß, bis wir hier die gesamte Abstimmungsprozedur hinter uns haben.
Die Fraktion der GRÜNEN hat die namentliche Abstimmung verlangt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung zu diesem Antrag.
Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? — Da das nicht der Fall ist, schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen, und die Kollegen, wieder Platz zu nehmen, damit wir in den Abstimmungen fortfahren können. — Ich darf noch einmal bitten, Platz zu nehmen, damit wir die Abstimmung fortsetzen können.
Wir stimmen jetzt ab über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/817 (neu), Hilfe für bedrohte Chilenen. Die SPD verlangt hierzu getrennte Abstimmungen. Zu Ziffer 4 des Antrags wird namentliche Abstimmung verlangt.
Ich rufe zunächst Ziffer 1 auf. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Ziffer 1 ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer für Ziffer 2 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch dies ist eine Mehrheit für Ablehnung.
Wer für Ziffer 3 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? Auch hier ist die Mehrheit für Ablehnung.
Wir kommen jetzt zur namentlichen Abstimmung über Ziffer 4 des Antrags der Fraktion der SPD. Das Verfahren ist bekannt.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Ich möchte noch einmal darauf aufmerksam machen, daß nach der namentlichen Abstimmung weitere wichtige Abstimmungen stattfinden, wenn auch keine namentlichen.
Meine Damen und Herren, ich frage, ob noch ein Mitglied des Hauses anwesend ist, das seine Stimme nicht abgegeben hat? — Dann schließe ich die Abstimmung und bitte den Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung gebe ich später bekannt * ).
Ich gehe davon aus, daß wir die Abstimmungen fortsetzen können, und bitte Sie, Platz zu nehmen.
Wir stimmen zunächst ab über die Ziffer 5 des Antrages der SPD. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieser Antragsteil ist auch abgelehnt.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN betr. Sanktionen gegen die Militärdiktatur in Chile an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Es gibt dagegen keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir stimmen nunmehr ab über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU und FDP betr. Beitrag der Bundesrepublik Deutschland für die Verwirklichung der Menschenrechte in der Völkergemeinschaft. Wer stimmt für diesen Antrag? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Der Antrag ist bei einigen Gegen-
*) Siehe Seite 1999 A



Vizepräsident Westphal
stimmen und einigen Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 bis 6 und 9 sowie Zusatztagesordnungspunkt 5 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau steuerlicher Härten für die Landwirtschaft
— Drucksache 11/676 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß (federführend)

Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß gem. § 96 GO
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 2. Oktober 1986 zum Abkommen vom 7. Januar 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über Soziale Sicherheit und zu der Zusatzvereinbarung vom 2. Oktober 1986 zur Vereinbarung vom 21. Juni 1978 zur Durchführung des Abkommens
— Drucksache 11/588 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente und zum Schutz der Solidargemeinschaft vor Leistungsmißbrauch (Achtes Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes)

— Drucksache 11/890 —Überweisun gsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zu den Verwaltungsproblemen im Weinwirtschaftsjahr 1983/84, zur Herstellung von Kunstwein, einschließlich methanolhaltigem Wein, und zu den Folgen einer Marktentnahme von Kunstwein für den EAGFL — Abteilung Garantie
— Drucksache 11/596 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (federführend)

Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Einfügung eines Artikels 20a)

— Drucksache 11/885 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß (federführend) Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Interfraktionell wird vorgeschlagen, diese Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Übersicht 3 des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
— Drucksache 11/557 —
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Der Rechtsausschuß empfiehlt, von einer Veräußerung oder einem Verfahrensbeitritt vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 16 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/770 —
b) Beratung der Sammelübersicht 17 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/771 —
c) Beratung der Sammelübersicht 18 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/772 —
d) Beratung der Sammelübersicht 19 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/773 —
e) Beratung der Sammelübersicht 20 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/774 —
f) Beratung der Sammelübersicht 21 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/808 —
g) Beratung der Sammelübersicht 22 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/809 —
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die einstimmige Annahme der Beschlußempfehlungen kann festgestellt werden.



Vizepräsident Westphal
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN

(Unterrichtungen)

— Drucksache 11/883 —
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den interfraktionellen Antrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Soweit ich das von hier aus feststellen konnte, war das eine einstimmige Annahme.

(Zurufe von der SPD: So ist es!) Aber ich enthalte mich des Kommentars. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung der Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuß)

Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages
— Drucksachen 11/846, 11/847, 11/848, 11/849, 11/850 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Sauter (Ichenhausen) Buschbom
Wiefelspütz
Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung.
Wer für die Beschlußempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Auch hier ist die einstimmige Annahme der Beschlußempfehlungen festzustellen.
Es ist 6 Minuten vor 14 Uhr. Wir treten in die 6 Minuten dauernde Mittagspause ein. Ich sage das deshalb mit Betonung, weil wir unseren Mitarbeitern wieder einmal viel zumuten. Uns Abgeordneten ist das manchmal zuzumuten, aber unseren Mitarbeitern nicht immer.
Ich unterbreche die Sitzung. Die Fragestunde wird um 14 Uhr beginnen.

(Unterbrechung von 13.55 bis 14.00 Uhr)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103012400
Die Sitzung wird fortgesetzt.
Der Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit wird nicht aufgerufen, weil der Fragesteller, der Abgeordnete Brück, um schriftliche Beantwortung seiner Frage 3 gebeten hat. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe damit den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Pfeifer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 24 der Abgeordneten Frau Dr. Niehuis auf:

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1103012500
„Mir scheint also die Bundeswehr nicht das primäre Feld der Gleichberechtigung zu sein, und schon gar nicht möchte ich, daß sie ein Alibi ist für die nicht vollzogene Gleichberechtigung in anderen Bereichen! " zu interpretieren?
Ich bitte um Beantwortung der Frage, Herr Staatssekretär.

Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID1103012600
Herr Präsident! Frau Kollegin Niehuis, ich bitte damit einverstanden zu sein, daß ich Ihre Fragen zusammen beantworte.

Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1103012700
Ich hätte es gern getrennt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103012800
Ihr Wunsch ist dem Staatssekretär Befehl. Herr Staatssekretär.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Die Aussage von Frau Bundesministerin Süssmuth im Saarländischen Rundfunk:
Mir scheint also die Bundeswehr nicht das primäre Feld der Gleichberechtigung zu sein, und schon gar nicht möchte ich, daß sie ein Alibi ist für die nicht vollzogene Gleichberechtigung in anderen Bereichen!
ist eindeutig und bedarf keiner Interpretation. Sie bringt zum Ausdruck, daß eine etwaige Offnung der Bundeswehr für Frauen auf freiwilliger Grundlage nicht die gesellschaftspolitischen Probleme der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau lösen würde.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103012900
Zusatzfrage? — Bitte sehr, Frau Kollegin.

Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1103013000
Welche Begründung würde denn nun die Frau Bundesministerin geben, wenn es um die Frage „Frauen in die Bundeswehr" geht?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Das ist genau die zweite Frage. Deshalb habe ich darum gebeten, die beiden Fragen im Zusammenhang beantworten zu dürfen.

Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1103013100
Mir geht es erst einmal um die Begründung.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Die Begründung würde ich gerne mit der Antwort auf die zweite Frage verbinden.

Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1103013200
Gut, dann beantworten Sie die zweite Frage.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103013300
Ich rufe dann die Frage 25 auf:
Ist die Bundesministerin nun für „Frauen in der Bundeswehr" oder gegen „Frauen in der Bundeswehr"?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Bundesministerin Süssmuth hat in verschiedenen öffentlichen Äußerungen deutlich gemacht, daß sie erstens gegen den Wehrdienst von Frauen in der Bundeswehr an der



Parl. Staatssekretär Pfeifer
Waffe ist und sie für eine Änderung des Grundgesetzes im Deutschen Bundestag keine Mehrheit sieht, daß sie zweitens eine Wehrpflicht für Frauen ablehnt und drittens eine Diskussion über die Öffnung der Bundeswehr für Frauen ohne Dienst an der Waffe überhaupt erst für sinnvoll hielte, wenn ein solcher Schritt mit einem Frauenförderplan gekoppelt werden kann, der die Gleichbehandlung bei Beförderungen, beim Zugang zu allen Laufbahngruppen und in der beruflichen Bildung und Weiterbildung, z. B. auch eine gleichberechtigte Teilnahme beim Studium an der Bundeswehrhochschule, sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf regelt.

Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1103013400
Kann ich aus dem letzten, was Sie gesagt haben, schlußfolgern, daß die Bundesministerin für den freiwilligen Dienst von Frauen in der Bundeswehr unter der Voraussetzung eines Frauenförderplanes wäre?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Das ergibt sich in der Tat aus dem, was ich hier ausgeführt habe.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103013500
Weitere Zusatzfragen?

Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1103013600
Ich habe noch eine Frage?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103013700
Ja, Sie haben noch eine, wenn Sie wollen.

Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1103013800
Ich möchte noch. — Die Frau Bundesministerin hat einen Unterschied zwischen Dienst an der Waffe und Dienst ohne Waffe gemacht. Nach welchen Maßstäben und Kriterien wird die Frau Bundesministerin denn entscheiden, ob es sich um einen Dienst an der Waffe handelt oder nicht?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich denke, daß sich ein Unterschied zunächst einmal schon daraus ergibt, daß, wie ich hier ausgeführt habe, eine Änderung des Grundgesetzes erforderlich wäre, wenn man den Wehrdienst von Frauen in der Bundeswehr an der Waffe ins Auge fassen wollte. Alles, was beispielsweise in den Bereich des Kombattantenstatus gehört, wäre in diesem Fall wohl Dienst an der Waffe.

Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1103013900
Habe ich noch eine Zusatzfrage?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103014000
Nachdem Sie die gemeinsame Beantwortung abgelehnt haben, hätten Sie normalerweise keine Zusatzfrage mehr.

Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1103014100
Ich habe doch vier Zusatzfragen?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103014200
Nein. Wenn es sich um zwei Fragen handelt, haben Sie vier Zusatzfragen. Wenn sie zusammen beantwortet werden, können Sie die vier Fragen auch nutzen. Da Sie aber auf der Trennung bestanden haben, steht Ihnen das formal nicht zu.
Da der Präsident aber großzügig ist, wird er Ihnen selbstverständlich die Möglichkeit verschaffen. Ich mache Sie allerdings darauf aufmerksam, daß Sie das
Angebot des Staatssekretärs abgelehnt haben, nicht wir.

Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1103014300
Ich bedanke mich für die Aufklärung. Das nächste Mal bin ich vielleicht ein bißchen klüger.
Es könnte ja sein, daß die Grundbedingung, die die Frau Ministerin stellt, nämlich daß zugleich mit dem freiwilligen Dienst der Frauen in der Bundeswehr ein Frauenförderplan aufgestellt wird, von vornherein nicht erfüllt wird. Wird die Frau Ministerin dann versuchen, die Zustimmung des Bundeskanzlers einzuholen, um ressortübergreifend mitzuwirken, und wird sie die Zustimmung bekommen?
Pfeifer, Pari. Staatssekretär: Frau Kollegin, das ist eine sehr hypothetische Frage. Hier sind eindeutig Bedingungen formuliert, unter denen sich die Frau Bundesministerin für eine Öffnung der Bundeswehr für Frauen ohne den Dienst an der Waffe erklären könnte. Aber die Realisierung solcher Bedingungen ist zunächst einmal etwas, was in den Bereich des zuständigen Ressorts gehört.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103014400
Die Abgeordnete Waltraud Steinhauer hätte gern eine Zusatzfrage. Bitte schön.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1103014500
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben ausgeführt, daß die Frau Bundesministerin die Bedingung stellen würde, Frauen nur dann zur Bundeswehr zuzulassen, wenn die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geregelt würde. Darf ich daraus erstens schließen, daß die Frau Ministerin grundsätzlich für den Dienst von Frauen in der Bundeswehr ist, und wie wird zweitens die Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit dem Dienst in der Bundeswehr interpretiert?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Was Ihre erste Frage angeht, so habe ich hier eine sehr deutliche Formulierung vorgetragen.
Was die zweite Frage angeht: Es ist in der Tat so, daß die Frage, ob diese Bedingung erfüllt werden kann, an sich schon einer sehr sorgfältigen Nachprüfung bedürfe.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103014600
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Bulmahn.

Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1103014700
Können Sie mir sagen, ob bereits jetzt von seiten der Frau Bundesministerin in Gesprächen mit dem Bundesminister der Verteidigung Überlegungen angestellt worden sind, ob für den Bereich der zivilen Tätigkeit in der Bundeswehr, wo bereits sehr viele Frauen arbeiten, ein Frauenförderplan vorgelegt und eingesetzt werden soll?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Soweit Frauen heute in der Bundeswehr tätig sind, bezieht sich das auf zivile Bereiche oder auf den Bereich des ärztlichen Dienstes. Soweit die Zuständigkeit als Frauenminister beim Bundesministerium liegt, ist das in der Tat ein Bereich, der die Frau' Bundesministerin interessiert.




Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103014800
Sie haben keine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin.

(Frau Bulmahn [SPD]: Aber meine Frage ist nicht richtig beantwortet worden!)

— Ich hätte Ihre Frage gar nicht zuzulassen brauchen, weil sie nicht in einem direkten Zusammenhang mit den Fragen 24 und 25 steht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Urbaniak.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1103014900
Herr Staatssekretär, Sie führten aus, daß die Bedingungen sorgfältig geprüft würden.

(Parl. Staatssekretär Pfeifer: Geprüft werden müßten!)

Da Sie dabei sind, dieses Prüfungsverfahren durchzuführen: Können Sie uns sagen, welche Bedingungen Sie denn für den konkreten Fall bisher schon festgestellt haben?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe gesagt: werden müßten. Inwieweit im Augenblick eine solche Prüfung im Gange ist, entzieht sich meiner Kenntnis.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103015000
Bevor ich dem Abgeordneten Müller (Pleisweiler) das Fragerecht zugestehe, möchte ich darauf aufmerksam machen, Kollege Urbaniak: Mit den Äußerungen der Frau Bundesminister zu diesem Fragenkomplex hatte auch Ihre Frage nichts zu tun.
Herr Abgeordneter Müller (Pleisweiler), ich darf Sie bitten, Ihre Frage zu stellen.

Albrecht Müller (SPD):
Rede ID: ID1103015100
Wie ist es überhaupt um die Familienfreundlichkeit der Bundeswehr bestellt, wenn man an die vielen Versetzungen denkt? Das hängt mit Ihrer vorherigen Antwort zusammen.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist ein Thema, das Frau Bundesministerin Süssmuth auch in öffentlichen Äußerungen angesprochen hat. Das ist in der Tat auch ein Thema, das den Familienminister im Rahmen der Gesamtbetrachtung dieser Fragen auch in der Zukunft interessieren wird.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103015200
Dann rufe ich die Frage 26 des Abgeordneten Heinrich auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bereits Mitte August Transporte mit italienischem Federweißen (teilweise angegorenem Traubenmost) in Deutschland gesichtet wurden, obwohl die Traubenlese in Italien erst Anfang September offiziell eröffnet wird?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Heinrich, nach den der Bundesregierung im Augenblick zugänglichen Erkenntnissen sind teilweise gegorene Traubenmoste aus Italien seit Ende August 1987 eingeführt worden und in den Verkehr gelangt. Der Bundesregierung und den zuständigen Behörden in den Ländern sind keine Regelungen bekannt. wonach in Italien Keltertrauben einheitlich erst ab September geerntet werden dürfen. Nach Kenntnis der Überwachung erfolgt auch in Italien die Festlegung des Beginns der Gärungszeiten von Region zu Region wegen der unterschiedlichen Reifezeitpunkte nicht einheitlich. So soll der Beginn der Frist, innerhalb der die Gärung und Nachgärung nach italienischem Recht erlaubt ist, beispielsweise für Apulien auf den 10. August 1987, für die Provinz Trient und Bozen jedoch auf den 1. September 1987 festgelegt worden sein.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103015300
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? — Nicht.
Dann rufe ich die Frage 27 des Abgeordneten Heinrich auf:
Was haben die Bundesregierung und die Kontrollbehörden der Länder unternommen, um sicherzustellen, daß nur frischer Federweißer (des neuen Jahrgangs) in Verkehr gebracht wird und die deutschen Verbraucher vor dem Konsum von widerrechtlich hergestelltem Federweißen aus importierten Konzentraten und ähnlichem gewarnt und geschützt werden?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Nach § 53 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 5 der Weinüberwachungsverordnung unterliegt teilweise gegorener Traubenmost bei der Einfuhr der amtlichen Untersuchung und Prüfung.
Gesetzesverstöße, insbesondere das InVerkehrBringen von Mosten der Vorjahresernte als Federweißer, sind in diesem Jahr noch nicht festgestellt worden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103015400
Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1103015500
Herr Staatssekretär, kann ich das so verstehen, daß Untersuchungen stattgefunden haben, oder so, daß praktisch überhaupt keine Meldungen vorlagen, um in dieser Frage tätig zu werden?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Die Weinüberwachungsbehörden überprüfen die Einfuhren von teilweise gegorenem Traubenmost auf der gleichen Rechtsgrundlage wie die Einfuhr von Wein und Weinerzeugnissen. Dabei erfolgt die amtliche Untersuchung und Prüfung lediglich stichprobenweise. Das geschieht natürlich auch zur Zeit, auch in diesem Jahr. In diesem Zusammenhang sind, wie ich eben aufgeführt habe, bisher keine Verstöße bekanntgeworden. In diesem Jahr!

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103015600
Zusatzfrage, zunächst einmal des Herrn Abgeordneten Heinrich.

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1103015700
Ich habe noch eine Zusatzfrage. Gibt es zuverlässige Untersuchungsmethoden, um eindeutig festzustellen, ob der Federweiße aus neuer Ernte stammt ober ob es sich um sozusagen wiederhergerichteten Federweißen aus der alten Ernte handelt?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Wie Sie wissen, liegt die Überwachung in der Zuständigkeit der Länder. Ich gehe davon aus, daß sich die Länder um zutreffende Untersuchungsmethoden bemühen und im Rahmen der stichprobenweisen Untersuchung alle Anstrengungen unternehmen, um tatsächlich zu den richtigen Ergebnissen zu kommen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103015800
Nun, Herr Abgeordneter Eigen, haben Sie die Möglichkeit, eine Zusatzfrage zu stellen.




Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID1103015900
Herr Staatssekretär, nach dem Glykolskandal des Vorjahres war doch vorgesehen, daß die Kontrollen beim Import von Wein besonders verstärkt werden sollten. Hätte dann nicht bei den Kontrollen durch verstärkte Weinproben auch dieses Problem geklärt werden können, um die Frage des Kollegen Heinrich in unserem Sinne zu beantworten?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, der Anteil der Stichproben, die in den einzelnen Ländern durchgeführt werden, ist durchaus unterschiedlich. Eine der Folgen des Glykol-Skandals liegt darin, daß einzelne Bundesländer die Anzahl der Stichproben deutlich erhöht haben. Die Proben beziehen sich dann, wie ich ausgeführt habe, im Prinzip auch auf den sogenannten Federweißen. Darüber hinaus ist es so, daß in einem Bundesland im vergangenen Jahr in einem Fall Beanstandungen festgestellt worden sind. Nach den mir vorliegenden Kenntnissen hat dieses Bundesland deshalb in diesem Jahr die Überwachung verstärkt, um als Konsequenz aus dem vergangenen Jahr auf diese Art und Weise zu vermeiden, daß ein ähnlicher Vorgang eintritt.

(Eigen [CDU/CSU]: Vielen Dank!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103016000
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht.
Die Fragen 28 und 29 des Abgeordneten Dr. Emmerlich rufe ich nicht auf, weil er um schriftliche Beantwortung gebeten hat. Dasselbe trifft für die Fragen 30 und 31 des Abgeordneten Schemken zu. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Somit komme ich zur Frage 32 des Abgeordneten Dr. Abelein:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, das Rauchen in öffentlichen Rãunen einzuschränken?
Herr Staatssekretär.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Abelein, der Bundesminister des Innern hat mit seiner Bekanntmachung vom 23. März 1976 eine Empfehlung zum Rauchen im dienstlichen Bereich herausgegeben, die in den meisten Ministerien und Bundesbehörden im wesentlichen in innerdienstliche Anordnungen umgesetzt worden ist. Diese Empfehlung zielt darauf hin, daß in jeder Behörde der Bundesverwaltung der Schutz des Nichtrauchers am Arbeitsplatz gewährleistet ist.
Die Bundesregierung prüft derzeit Änderungen der Empfehlung, die sich aus neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Gesundheitsgefährdung durch Passivrauchen ergeben können. Hinsichtlich der Länder und Gemeinden kann der Bund, der insoweit keine Regelungskompetenz hat, ein entsprechendes Vorgehen vorschlagen, soweit es dort nicht schon Regelungen gibt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103016100
Ich nehme an, Sie möchten eine Zusatzfrage stellen.

(Dr. Abelein [CDU/CSU]: Ja!) — Bitte sehr.


Dr. Manfred Abelein (CDU):
Rede ID: ID1103016200
Hat die Bundesregierung neue Erkenntnisse über die Auswirkungen des Rauchens auf Nichtraucher?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist, wie Sie wissen, hier an einer sorgfältigen Aufbereitung des aktuellen Forschungsstandes sehr interessiert, bemüht sich auch darum. Das gilt insbesondere für Publikationen der Deutschen Forschungsgemeinschaft, etwa der sogenannten MAK-Kommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe. Dort sind auch Untersuchungen über das Passivrauchen am Arbeitsplatz durchgeführt worden. Darüber hinaus sind wir natürlich an jeder neuen Untersuchung interessiert und werten diese Untersuchungen auch aus.

Dr. Manfred Abelein (CDU):
Rede ID: ID1103016300
Gibt es interministerielle Bemühungen auf diesem Gebiet, beispielsweise um die Zahl der Nichtraucherabteile in der Eisenbahn zu vermehren?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit bereitet im Augenblick ein Aktionsprogramm zum Schutz der Nichtraucher und zur Förderung des Nichtrauchens vor. In diesem Zusammenhang sind Gespräche mit den anderen Ressorts aufgenommen worden, beispielsweise auch über die Verstärkung des Schutzes der Nichtraucher in öffentlichen Gebäuden und in Transportmitteln. Wie Sie wissen, bestehen bei der Eisenbahn Nichtraucherabteile. Aber die Frage ist, ob das Verhältnis Raucherabteile zu Nichtraucherabteilen im Augenblick noch den tatsächlichen Bedürfnissen der Reisenden entspricht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103016400
Zusatzfrage des Abgeordneten Gilges.

Konrad Gilges (SPD):
Rede ID: ID1103016500
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Pfeifer, weshalb tritt die Bundesregierung nicht in Überlegungen ein — wie es in Italien geschieht —, gesetzliche Regelungen zu schaffen, damit die Nichtraucher stärker geschützt sind und damit das Rauchen in öffentlichen Räumen oder in öffentlichen Institutionen nicht möglich ist?
Pfeifer, Parl. Staatssektretär: Herr Kollege Gilges, wir werden in der kommenden Woche Gelegenheit haben, im zuständigen Ausschuß diese Frage sorgfältig zu erörtern. Ich möchte, Ihnen prinzipiell sagen, daß die Bundesregierung freiwillige Regelungen der jeweiligen Behörden einer gesetzlichen Regelung vorzieht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103016600
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht, so daß ich die Frage 33 des Abgeordneten Eigen aufrufen kann:
Wie beurteilt die Bundesregierung, daß renommierte deutsche Firmen Konserven in anderen Ländern, wie z. B. in Ungarn, herstellen lassen, ohne dieses in der Deklaration anzugeben, so daß der Verbraucher den Eindruck haben muß, es handle sich um ein in der Bundesrepublik Deutschland hergestelltes Qualitätsprodukt?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, Lebensmittelkonserven unterliegen den Kennzeichnungsvorschriften der Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung, mit der die EG-Etikettierungsricht-



Parl. Staatssekretär Pfeifer
linie in nationales Recht umgesetzt worden ist. Nach § 3 dieser Verordnung müssen auf Lebensmitteln in Fertigpackungen der Name oder die Firma und die Anschrift des Herstellers, des Verpackers oder eines in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft niedergelassenen Verkäufers angegeben sein. Es besteht keine generelle Verpflichtung, auf die ausländische Herkunft von Lebensmitteln hinzuweisen.
Nach der Etikettierungsrichtlinie ist der Ursprungs- und der Herkunftsort dann anzugeben, wenn ohne diese Angabe ein Irrtum des Verbrauchers über den tatsächlichen Ursprung oder die wahre Herkunft des Lebensmittels möglich wäre. § 17 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes bietet eine Handhabe zum Einschreiten, falls nach den Umständen des Einzelfalls eine Irreführung des Verbrauchers gegeben ist.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103016700
Zusatzfrage, bitte schön.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID1103016800
Herr Staatssekretär, besteht nicht in jedem Fall eine Irreführung des Verbrauchers, wenn von Markenartiklern Ware in Deutschland verkauft wird, die in einem anderen Land hergestellt worden ist, weil der Verbraucher glaubt, gerade weil es ein Markenartikler ist, könne er ganz sicher sein, daß er beispielsweise Sauerkraut aus deutscher Produktion bekommt?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Das hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Wenn beispielsweise ein Agrarprodukt in einem EG-Drittland produziert, dort in Konserven eingedost wird und in Deutschland nur noch das Etikett eines deutschen Herstellers aufgeklebt wird, stellt sich in der Tat die Frage, ob darin. nicht ein Verstoß gegen § 17 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes vorliegt. Die Entscheidung muß die zuständige Landesbehörde treffen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103016900
Weitere Zusatzfrage, bitte.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID1103017000
Herr Staatssekretär, haben Sie nicht auch das Gefühl, daß die EG-Richtlinie bzw. das entsprechende Gesetz in diesem Fall sehr irreführend ist und überhaupt nicht ausreicht? Ich könnte mir schon vorstellen, daß das nach dem Willen des EG- Gesetzgebers für die Länder der Europäischen Gemeinschaft ausreichen könnte. Man kann sich auch das Motiv des Gesetzgebers vorstellen: um sicherzustellen, daß beim grenzüberschreitenden Verkehr innerhalb der Europäischen Gemeinschaft keine Hemmnisse entstehen. Ich kann mir aber überhaupt nicht vorstellen, daß er wirklich will, daß das gleiche gegenüber Drittländern gilt; denn der Verbraucher in der Europäischen Gemeinschaft muß gegen Verfälschungen geschützt werden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103017100
Das ist sicher ein interessanter Debattenbeitrag, aber wo ist die Frage?

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID1103017200
Das Fragezeichen war am Ende des ersten Satzes.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, die Frage der obligatorischen Angabe des Herkunftslandes ist bei den Beratungen in Brüssel über diese Richtlinie eingehend erörtert worden. Sie ist bei diesen Erörterungen nicht für erforderlich gehalten worden.
Aber ich bin durchaus bereit, bei Vorliegen von konkreten Vorgängen, die nachweisen, daß diese Regelung möglicherweise nicht ausreicht und daß auch der Schutz des § 17 des von mir zitierten Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes nicht ausreichen sollte, nochmals zu prüfen, ob hierzu nicht eine Initiative in Brüssel notwendig sein könnte.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103017300
Eine Zusatzfrage des Kollegen Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1103017400
Herr Staatssekretär, wenn z. B. auf einem Produkt steht „Aus deutschen Landen frisch auf den Tisch" und es dann nicht aus deutschen Landen kommt, ist das eine Irreführung?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich finde, diese Frage ist klar zu beantworten: Wenn die Aufmachung auf dem Etikett den Eindruck erweckt, daß es sich bei dem in Wahrheit ausländischen Erzeugnis um ein deutsches Agrarprodukt handelt, dann besteht in der Tat die Möglichkeit, nach § 17 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes einzuschreiten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103017500
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Herr Staatssekretär, wir bedanken uns bei Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung.
Zunächst rufe ich die Frage 34 der Abgeordneten Frau Steinhauer auf:
Ist der Bundesregierung bekannt und hält sie es für zulässig, daß nach wie vor noch Lastwagenanhänger mit einer Einleitungsbremsanlage im Verkehr sind, obwohl Zweileitungsbremsanlagen schon seit über zehn Jahren vorgeschrieben sind?
Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1103017600
Frau Kollegin, meine Antwort ist ganz kurz: Ja. Die Antwort auf Ihre nächste Frage bringt aber — —

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103017700
Einen Moment, Herr Staatssekretär. Es könnte sein, daß Frau Abgeordnete Steinhauer eine Zusatzfrage stellen will. Das möchte ich ihr nicht verbauen.
Bitte schön.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1103017800
Herr Staatssekretär, wenn Sie auf meine erste Frage kurz und schmerzlos mit Ja antworten, kann ich dann daraus schließen — die Frage hat ja auch eine Unterfrage — : Hält sie es für zulässig, daß diese Lastwagenanhänger mit Einleitungsbremsanlagen noch laufen, obwohl an sich seit zehn Jahren Zweileitungsbremsanlagen vorgeschrieben sind?



Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich wollte in der Fortsetzung meiner kurzen Antwort sagen, daß dieser Zustand demnächst geändert wird.

(Frau Steinhauer [SPD]: Ach so, dann hat der Herr Präsident das Komma nicht gehört!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103017900
Dann bitte ich Sie, die Fortsetzung vorzunehmen.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ein Sicherheitsrisiko kann bei Anhängern mit Einleitungsdruckluftbremsanlagen dann entstehen, wenn sich die Fahrzeugführer beim Befahren von Gefällestrecken falsch verhalten. In der Ausbildung zum Erwerb der Fahrerlaubnis Klasse 2 wird deshalb hierauf besonders eingegangen. Entsprechende Fragen sind in den amtlichen Prüfungsbögen enthalten. Die geplante Vorschriftenänderung soll jedoch die verbleibenden Möglichkeiten menschlichen Versagens verringern.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103018000
Eine Zusatzfrage, bitte schön.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1103018100
Herr Staatssekretär, ich habe mich technisch etwas schlau machen lassen: Das liegt nicht ganz allein am Fahrverhalten des Fahrers. Wenn der Fahrer bei einer Gefällestrecke mehrfach bremsen muß, ist es einfach so, daß beim Bremsvorgang die Luft erschöpft ist, weil sie sich bei nur einer Leitung nicht erneuern kann. Halten Sie das nicht für ein großes Risiko auch angesichts der Unfälle, die wir in der letzten Zeit hatten?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, das, was Sie schildern, kann in der Tat eintreten, aber nur dann, wenn sich der Fahrer falsch verhält. Er wird bei seiner Ausbildung extra darauf hingewiesen.
Um dieses menschliche Versagen auszuschließen, werden wir noch in diesem Jahr eine neue Verordnung vorlegen, wonach das von Ihnen gewünschte Ergebnis zwingend vorgeschrieben wird. Es wird auch Übergangsvorschriften bis zum Jahr 1990 geben.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103018200
Bitte schön.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1103018300
Darf ich fragen: War das schon meine zweite Zusatzfrage?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103018400
Das kommt darauf an, ob wir die erste mitzählen. Da es eine Unterbrechung war, sagen wir: Die zweite Zusatzfrage kommt jetzt.
Frau Steinhauer: Danke für die Großzügigkeit.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1103018500
bis 1990, dann ist das doch eine Übergangszeit von bald 15 Jahren. Ist das nicht zu lang, wenn das Sicherheitsrisiko schon vor mehr als zehn Jahren — wie ich unterrichtet bin, 1974 — festgestellt wurde?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, der Verordnungsgeber ging damals davon aus, daß die Neubeschaffung von entsprechenden besseren Fahrzeugen schneller vor sich gehen würde. Wir müssen heute feststellen, daß immer noch 1 % der Fahrzeuge so ausgerüstet sind, wie Sie es beklagen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103018600
Jetzt rufe ich die Frage 35 der Abgeordneten Frau Steinhauer auf:
Hält die Bundesregierung den weiteren Betrieb von Einleitungsbremsen nicht für ein Sicherheitsrisiko, oder aus welchem Grunde sind sonst Zweileitungsbremsanlagen für Lastwagenanhänger vorgeschrieben?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ein Sicherheitsrisiko ist vorhanden. Ich habe bereits ausgeführt, daß es am Fahrer liegt, dieses Sicherheitsrisiko auszuschalten. Um aber das menschliche Versagen auszuschalten, werden wir die Technik vermehrt einschalten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103018700
Bitte schön.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1103018800
Herr Staatssekretär, Sie haben ja schon bei der Beantwortung der ersten Frage darauf hingewiesen, daß Sie eine Verordnung in Vorbereitung haben. Meinen Sie nicht, daß es nach über zehn Jahren längst an der Zeit ist, die Zweileitungsbremsanlagen ohne Ausnahmen vorzuschreiben, d. h. daß es keine Übergangsfrist mehr geben darf, zumal mir bekannt ist, daß die Nachrüstung nur 500 DM kosten soll?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich gehe dieser Frage nach der Übergangszeit gerne noch einmal nach. Die Verordnung ist ja noch nicht in Kraft, so daß wir ohne großen Aufwand noch die Möglichkeit hätten, das zu ändern.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103018900
Bitte schön, Frau Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1103019000
Herr Staatssekretär, wie steht es mit Vorschriften hinsichtlich Zweileitungsbremsen eigentlich im benachbarten Ausland, konkret gesagt: in der EG oder den angrenzenden beiden neutralen Ländern Schweiz und Österreich?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Wir haben diese Vorschrift für neu in den Verkehr kommende Fahrzeuge erlassen. Dies ist auch mit der EG und den Nachbarländern so abgestimmt. Es geht bei unser beider Problem nur noch um die Frage, wie lange die Übergangsvorschrift noch läuft.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103019100
Danke schön. Zusatzfragen werden nicht gewünscht.
Ich rufe die Frage 36 des Herrn Abgeordneten Urbaniak auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Deutsche Bundesbahn mit der bisher vorgesehenen Stückzahl von 41 ICE-Triebzügen für den Hochgeschwindigkeitsverkehr ab 1991 nur die Ostachse Hamburg—Hannover—Kassel—Frankfurt—München bzw. Basel bedienen will und somit der gesamte Industrieraum Nordrhein-Westfalen nicht in den Genuß dieses verbesserten IC-Angebotes kommen wird, obwohl auch auf den Strecken Hamburg—Bremen—Ruhrgebiet und Hannover—Ruhrgebiet in weiten Bereichen eine Betriebsgeschwindigkeit von 200 km/h möglich ist?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mit der Inbetriebnahme der Neubaustrecken Hannover—Würzburg und Mannheim—Stuttgart werden die Voraussetzungen geschaffen, mit Geschwindigkeiten bis zu 250 km/h zu fahren. Die neuen ICE-Züge, die für diese Geschwindigkeiten vorgesehen sind, sollen deshalb nach den Vorstellungen der Deutschen Bundes-



Parl. Staatssekretär Dr. Schulte
bahn in den Relationen Hamburg—Hannover—Würzburg—München und Hamburg—Hannover—FrankfurtMannheim—Stuttgart—München eingesetzt werden, um hier alle Möglichkeiten der Fahrzeitverkürzung auszunutzen. Im übrigen IC-Verkehr sollen weiterhin lokbespannte Züge zum Einsatz kommen. Allerdings werden auch diese Wagengarnituren weiter modernisiert und verbessert werden, so daß sie für eine ebenfalls gesteigerte Geschwindigkeit bis zu 200 km/h eingesetzt werden können. Diese Angebotsverbesserung — danach haben Sie auch gefragt — wird auch Nordrhein-Westfalen zugute kommen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103019200
Eine Zusatzfrage, bitte schön.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1103019300
Herr Staatssekretär, Tatsache ist doch — das werden Sie sicherlich bestätigen — , daß der Ballungsraum Nordrhein-Westfalen durch den ICE-Verkehr nicht tangiert wird, d. h. also daß aus diesem Ballungsraum überhaupt keine Anschlüsse an die Schnellstrecken vorhanden sind und sich hier erhebliche Nachteile ergeben. Wie stellt es sich die Bundesregierung vor, hier zu einer vernünftigen Kombination zu kommen, damit dieser technische Vorteil auch für den Ballungsraum Rhein/Ruhr genutzt werden kann?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, das Wichtigste in diesem Zusammenhang ist, daß auch eine neue Schnellverbindung Köln—Rhein/ Main geplant ist — dies ist Teil des Bundesverkehrswegeplans — , so daß Nordrhein-Westfalen angebunden wäre.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103019400
Eine weitere Zusatzfrage.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1103019500
Herr Staatssekretär, ich frage Sie zu der von Ihnen angesprochenen Rheinstrecke: Ist dazu bereits das Planfeststellungsverfahren eingeleitet, und welchen Zeitraum nimmt die Bundesregierung beispielsweise zur Rechtsetzung an, um also zum Abschluß des Planfeststellungsverfahrens in diesem Bereich zwischen Köln und Frankfurt zu kommen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, darüber kann heute noch niemand eine definitive Auskunft geben. Es wird sicher sowohl in NordrheinWestfalen als auch in den in Richtung Süden angrenzenden Bundesländern erhebliche Schwierigkeiten geben. Wir werden in diesem Jahr wahrscheinlich noch weitere Untersuchungen auf den Tisch bekommen, so daß wir dann voll in die Diskussion, auch über Trassenführungen, einsteigen können.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103019600
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1103019700
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung im Verkehrswegekonzept auch die Magnetschwebebahn vorgesehen, und wann und wo ist mit dem Bau einer Strecke zu rechnen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich kann zu dieser Frage folgendes sagen. Die Deutsche Bundesbahn will in dem Korridor Köln—Rhein/Main die Magnetschwebetechnik nicht einsetzen. Es finden hierüber aber noch Gespräche innerhalb der Bundesregierung statt. Es gibt hier auch besondere Interessen für ein Ressort, für das ich nicht sprechen darf, nämlich für das Forschungsministerium. Es ist vereinbart, daß sich die Ressorts Anfang nächsten Jahres endgültig verständigen. Ich darf aber für den Bundesminister für Verkehr sagen, daß noch in dieser Legislaturperiode eine Strecke für die Magnetschwebebahn gesucht und gefunden werden soll.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103019800
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1103019900
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben meinem Kollegen Urbaniak auf die Frage der Anbindung des Industrieraumes NRW geantwortet, daß hier eine Schnellverbindung Köln—Frankfurt beabsichtigt sei. Ich denke, damit ist die Frage 36 nicht beantwortet; denn das Industriegebiet fängt ja erst nördlich von Köln an, und die Benachteiligung bleibt da. Wie gedenken Sie dieses auszugleichen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich glaube, hier müssen wir unterscheiden: in dem dichtbesiedelten Raum von Rhein und Ruhr wird es sehr schwierig sein, Geschwindigkeiten von 250 Kilometern in der Stunde zu erzielen. Insbesondere würde mich die Diskussion interessieren, die entstehen muß, wenn man dort, wo eine Großstadt auf die andere folgt, Investitionen für Infrastrukturen für eine Geschwindigkeit von 250 Kilometern in der Stunde vornimmt und diese Geschwindigkeit wegen der Dichte der Besiedlung und der dichten Abfolge der Hauptbahnhöfe niemals erreicht wird.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103020000
Nun rufe ich die Frage 37 des Abgeordneten Urbaniak auf:
Wird diese Nordrhein-Westfalen stark benachteiligende Entscheidung von der Bundesregierung mitgetragen, bzw. was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diese Entscheidung zu korrigieren?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, für Nordrhein-Westfalen ist die in der Bundesverkehrswegeplanung ausgewiesene Neubaustrecke KölnRhein/Main von Bedeutung; wir haben vorher bereits darüber gesprochen. Auch dort werden zu gegebener Zeit ICE-Triebzüge für den Hochgeschwindigkeitsverkehr zur Verfügung stehen. Bei dieser Sachlage und insbesondere unter Berücksichtigung der in der Antwort zu Ihrer Frage 36 geschilderten Modernisierung des herkömmlichen Wagenmaterials im IC-Verkehr kann von einer Benachteiligung Nordrhein-Westfalens nicht gesprochen werden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103020100
Zusatzfrage, bitte schön.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1103020200
Herr Staatssekretär, ich kann diese Benachteiligung nur feststellen, denn Sie werden wohl zugeben müssen, daß wir in absehbarer Zeit, also bis weit in die 90er Jahre hinein, überhaupt nicht an die ICE-Strecken herankommen. Ich frage hier die Bundesregierung, ob sie bereit ist, den östlichen Strang zwischen Dortmund, Paderborn und Kassel wenigstens mit einem Standard des IC-Systems aus-



Urbaniak
zustatten. Das würde eine gewisse Milderung bedeuten; es wäre noch kein ICE-Standard.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kenne die Diskussionen um diese Strecke sehr gut. Der westliche Teil soll ausgebaut werden; hier ist ein Wirtschaftlichkeitsnachweis erbracht. Der östliche Teil ist bei der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung als für die Bundesbahn nicht als rentierlich angesehen worden. Es wurde ausgerechnet, daß sich das jährliche Wirtschaftsergebnis der Deutschen Bundesbahn bei hohen Investitionen, die erforderlich wären, verschlechtern würde. Die Bundesregierung ist aber bereit, auch diesen östlichen Teil bei der Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans erneut zu untersuchen. Es ist sichergestellt, daß dort, wo die Strecke hinkommen könnte, nichts verbaut wird. Es gibt also Planungssicherheit.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103020300
Zusatzfrage.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID1103020400
Herr Staatssekretär, kann man damit feststellen, daß die Bundesregierung sich dafür einsetzt, daß die IC-Strecke zwischen Dortmund und Kassel tatsächlich gebaut wird?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann nur sagen, was im Kabinett als Bundesverkehrswegeplan festgestellt wurde: Dort war die ganze Strecke von Dortmund bis Kassel aufgenommen unter dem Vorbehalt eines Wirtschaftlichkeitsnachweises. Dieser gelang nur für den Westteil der Strecke. Der Bundesminister für Verkehr wird aber dafür sorgen, daß die gesamte Strecke, sprich: auch der Ostteil noch einmal bei der Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans untersucht wird. Vielleicht gibt es bis dahin neue Daten und Fakten. Es gibt inzwischen bereits neue Untersuchungen, die zu einem anderen Ergebnis kommen. Eine davon wurde mir erst in der letzten Woche überreicht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103020500
Gehen wir einmal davon aus, daß die Gesamtwirtschaftlichkeit besonders gut ist, wenn die gesamte Strecke ausgebaut ist — wenn ich das einmal außerhalb des Protokolls sagen darf.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich kenne Ihr wohlgefälliges Interesse an der Sache.

(Urbaniak [SPD]: Wenn Sie, Herr Präsident, das feststellen, dann liegen Sie ganz auf meiner Linie!)

Ich rufe die Fragen 38 und 39 des Abgeordneten Bindig auf. Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 40 des Abgeordneten Weiss (München) auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die Deutsche Bundesbahn (DB) beabsichtigt, zum Fahrplanwechsel Sommer 1988 die Kurswagen von Hamburg—Altona nach Bad Kissingen zu streichen, und welches Ersatzangebot wird die DB unterbreiten angesichts der Tatsache, daß diese Kurswagen fast ausschließlich nur von den Bad Kissinger Kurgästen benutzt werden, von denen 55 v. H. über 50 und 36 v. H. über 60 Jahre alt, viele davon gehbehindert sind und deshalb Wert auf eine umsteigefreie Zugverbindung legen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Weiss, nach den Ermittlungen der Deutschen Bundesbahn sind die Kurswagen von Hamburg-Altona nach Bad Kissingen im Durchschnitt nur schwach besetzt. Die Deutsche Bundesbahn beabsichtigt deshalb, den D-Zug 792/793 von Hamburg nach Stuttgart mit Kurswagen nach Bad Kissingen ab dem Sommerfahrplan 1988 nicht mehr einzusetzen.
Die Deutsche Bundesbahn geht bei ihren Planungen jedoch davon aus, daß mit Inbetriebnahme von Teilabschnitten der Neubaustrecke Hannover—Würzburg ab dem Sommerfahrplan 1988 eine erhebliche Verkürzung der Reisezeiten in der Nord-Süd-Relation eintreten wird. Dies gilt auch für die Verbindung von Hamburg nach Würzburg mit dem Anschluß nach Bad Kissingen.
Nach den Planungen der Deutschen Bundesbahn wird sich die Fahrzeit von Hamburg nach Bad Kissingen bei einmaligem Umsteigen in Würzburg um zirka zwei Stunden gegenüber der umsteigefreien Verbindung mit D-Zug 792/793 verkürzen. Gegenüber einer heute schon bestehenden Umsteigeverbindung wird die Verkürzung der Reisezeit ca. 30 Minuten betragen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103020600
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weiss.

Michael Weiss (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1103020700
Herr Staatssekretär, ich habe nicht nach der Reisezeit gefragt. Deswegen frage ich noch einmal: Was wollen Sie eigentlich als Ersatz anbieten, gerade angesichts der Tatsache, daß es den Kurgästen in Bad Kissingen eigentlich nicht darum geht, eine möglichst schnelle Verbindung zu erhalten, sondern darum, eine umsteigefreie Verbindung zu haben, da viele Kurgäste insbesondere deshalb auf Kurswagen angewiesen sind, weil sie gehbehindert sind?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Weiss, die Bundesregierung tut ja viel, aber vielleicht ist es eine Gnade, daß der Fahrplan der Deutschen Bundesbahn nicht in Bonn, nicht im Bundesverkehrsministerium erstellt wird. Ich gehe davon aus, daß der Beobachter der Deutschen Bundesbahn in Bonn die Fragestunde mitverfolgt und Ihnen und/oder mir eine Antwort zukommen läßt. Ich werde ihn aber auch noch besonders darauf hinweisen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103020800
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Michael Weiss (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1103020900
Wenn ich richtig unterrichtet bin, fallen die Kurswagen ja auch deshalb weg, weil im nördlichen Teil der Strecke InterregioZüge eingesetzt werden, weshalb der durchgehende Zug wegfällt. Wäre es nicht eine Überlegung wert — oder haben Sie vielleicht schon entsprechende Überlegungen angestellt — , vielleicht ab Hamburg einen nur aus Kurswagen zusammengesetzten Zug einzusetzen, der im Bereich Gmünden/Würzburg aufgelöst werden könnte mit der Folge, daß alle unterfränkischen und oberfränkischen Bäder — Bad Steben, Bad Neustadt, Bad Kissingen — bedient werden könnten, denn nach Ihren Aussagen — die beabsichtigte Änderung ist ja ein erster Schritt — steht zu befürchten, daß auch die anderen Kurswagenverbin-



Weiss (München)

dungen in die Bade- und Kurorte später einmal wegfallen?
Dr. Schufte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, da ich das Potential der Reisenden in die von Ihnen genannten Bäder nicht im einzelnen kenne und da ich auch die Marktchancen der DB nicht kenne, kann ich Ihnen darauf keine Antwort geben. Ich gehe davon aus, daß die Deutsche Bundesbahn dieses Anliegen untersucht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103021000
Ich rufe Frage 41 des Abgeordneten Weiss (München) auf:
Trifft es zu, daß die Deutsche Bundesbahn diese Kurswagen bereits im Jahr 1982 vorsätzlich dadurch unattraktiver gemacht hat, daß sie sie nicht mehr von Gemünden aus über die Saaletalbahnstrecke nach Bad Kissingen führte, sondern den um eine Stunde längeren Fahrweg über Würzburg und Schweinfurt wählte, und so als Nebeneffekt noch die Wirtschaftlichkeit der Saaletalbahn verringern und den Weiterbetrieb des Zugverkehrs auf dieser Strecke in Frage stellen konnte?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Antwort ist kurz: nein.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103021100
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte schön.

Michael Weiss (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1103021200
Aber es ist doch richtig, daß die Bundesbahn die Wagen umgeleitet hat und daß seither das Potential der Reisenden zurückgegangen ist und daß darüber hinaus gleichzeitig der damals noch aus Bremen kommende Kurswagen gestrichen werden mußte, weil die Landesversicherungsanstalt Bremen nicht mehr mitgespielt hat und ihre Kurgäste nicht mehr mit dem Zug, sondern mit dem Bus fahren ließ. Trifft das in dieser Form zu?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, was die Landesversicherungsanstalt Bremen angeht, bin ich nun wirklich überfragt und überfordert. Wenn Sie so in die Details einsteigen, mache ich Ihnen den Vorschlag, daß Sie das beim nächstenmal vorher in der Frage ankündigen. Vielleicht können wir auch in einen Schriftwechsel eintreten, vielleicht können wir auch ein Gespräch führen. Sie sind ja Mitglied des Verkehrsausschusses.
Ich kann bloß sagen: Die Strecke, die Sie ansprechen und von der Sie in Ihrer Fragestellung meinen, sie sei im Jahre 1982 auf Grund einer Umstellung des Gesamtbetriebs vorsätzlich ausgedünnt worden, wies schon vorher einen erheblichen Rückgang der Zahl der Reisenden auf. Ich kann Ihnen das genau sagen: Wir hatten im Jahre 1976 noch über 1 100 Reisende pro Streckenkilometer; im Jahre 1982, in dem Ihrer Meinung nach der Einbruch erfolgte, waren es nur noch 642. Im Jahre 1985 waren es nur noch 498, und im Jahre 1986 waren es nur noch 434 Reisende pro Streckenkilometer. Der Einbruch ist also wesentlich früher erfolgt, als Sie dies in Ihrer Frage vermuten. — Denjenigen, die zuhören, muß ich sagen: Es geht um die Saaletal-Bahn.

Michael Weiss (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1103021300
Können Sie nicht beziffern, um wieviel Prozent die Zahl der Reisenden allein dadurch abgenommen hat, daß die Kurswagen — die damals in Hamburg und Bremen eingesetzt wurden — nicht mehr über die in Rede stehende
Strecke, sondern über einen anderthalb Stunden längeren Weg geführt worden sind — und zwar in beide Richtungen —, und können Sie beziffern, um wieviel Prozent die Zahl der Reisenden auf der Saaletal-Bahn abgenommen hat und inwieweit die Kurswagenverbindung an Attraktivität verloren hat, weil die Reise anderthalb Stunden länger dauert?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir machen am besten folgendes: Die Stenographen hier im Haus schreiben ja Ihre Fragestellung ganz konkret auf. Ich sorge für die Unterlagen, und da Sie Mathematiker sind, helfen Sie mir dann beim Prozentrechnen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103021400
Ich rufe Frage 42 des Abgeordneten Dr. Abelein auf:
Aus welchen Gründen kam es am Freitag, dem 18. September 1987, vormittags zu den erheblichen Störungen in der Flugabfertigung des Frankfurter Kontrollraums?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Abelein, der ohnehin bis an die Grenzen seiner Kapazität ausgelastete Flughafen Frankfurt hatte am Freitag, dem 11. September, eine besondere Belastung zu bestehen.

(Frau Traupe [SPD]: 18.!)

Am Vortag wurde in Frankfurt die Internationale Automobilausstellung eröffnet. Aus diesem Grunde waren zusätzlich zahlreiche Sonderflüge eingelegt worden, so daß über mehrere Stunden die Kapazität des Flughafens Frankfurt trotz erhöhten Einsatzes des Flugsicherungspersonals nicht ausreichte, das Luftverkehrsaufkommen zu verkraften. Der Kapazitätsengpaß am Flughafen Frankfurt war daher Ursache für die erheblichen Verspätungen im Luftverkehr in diesem Raum.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103021500
Herr Staatssekretär, nur damit Antwort und Frage übereinstimmen: Sie sprachen vom 11. September. In der Frage war der 18. September angesprochen. Ich weiß nicht, wo der Irrtum liegt. Es wäre vielleicht gut, wenn es aufgeklärt würde.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich gehe davon aus, daß der Kollege Abelein und ich das gleiche meinen, nämlich den 10. und 11. September, das zweite Datum für die Verzögerungen im Luftverkehr, das erste für die Automobilausstellung.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103021600
In Ordnung. Herr Abgeordneter, Sie haben eine Zusatzfrage.

Dr. Manfred Abelein (CDU):
Rede ID: ID1103021700
Ich gehe auch davon aus, daß sich dieser Unterschied leicht klären läßt. Wird denn Vorsorge dafür getroffen, daß in künftigen, ähnlichen Fällen der Flugverkehr besser abgewickelt wird?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Abelein, ich glaube nicht, daß wir für jeden Eventualfall auch im personellen Bereich jede nur denkbare Vorhaltung treffen können. Ich gehe aber davon aus, daß Fluggesellschaften, private Flieger, die Flugsicherung und vielleicht auch der Flughafen Frankfurt aus dieser Erfahrung lernen. Im übrigen hat es Frankfurt immer



Parl. Staatssekretär Dr. Schulte
besonders schwer, weil es das Drehkreuz im nationalen und internationalen Flugverkehr ist.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103021800
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. Manfred Abelein (CDU):
Rede ID: ID1103021900
Da aber Frankfurt eine Messestadt ist und solche Ereignisse häufiger eintreten, liegt es da nicht nahe, gewisse Vorkehrungen — personeller oder technischer Art — zu treffen, um solche Ballungen des Verkehrs anläßlich wichtiger Messen besser zu steuern?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Da sich Messen sowohl für eine Stadt als auch für einen Flughafen nur rentieren, wenn sie häufiger stattfinden und nicht nur einmal im Jahr, muß die Kapazität ganz gewiß darauf eingerichtet sein, ein höheres Verkehrsaufkommen zu bewältigen.
Wir hatten allerdings am 11. September in der Tat eine Rekordhöhe — also den bisherigen Gipfel in der Geschichte — von 995 Flugbewegungen. Der Durchschnittswert beläuft sich auf 850 bis 900 kontrollierte Flugbewegungen pro Tag.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103022000
Zusatzfrage des Abgeordneten Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1103022100
Herr Staatssekretär, gehe ich richtig in der Annahme, daß das Luftverkehrsaufkommen in Frankfurt in der Regel schon so hoch ist, daß eigentlich oft die Gefahr besteht, daß die Flugzeuge nicht sofort landen oder starten können. Was kann man hier tun? Das ist ja keine Einmaligkeit.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Man bemüht sich, in Frankfurt den Flugverkehr so zu organisieren, daß die Kapazitäten optimal ausgenutzt werden. Dieser Zwang wird sich in der Zukunft noch verstärken. Weil der Flugverkehr zunimmt, sind in Frankfurt allein für die nächsten zehn Jahre Investitionssummen von 4,9 Milliarden DM vorgesehen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103022200
Weitere Zusatzfragen sind nicht erwünscht. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf und darf mit besonderer Freude feststellen, daß der Minister höchstpersönlich zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung steht.
Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten Müller (Pleisweiler) auf:
Hält die Bundesregierung die Aussagen von NASA-Wissenschaftlern, daß sich die schützende Ozonschicht in der Atmosphäre über der Antarktis in diesem Jahr auf das geringste Niveau, das jemals gemessen worden sei, vermindert habe und daß an diesem Zerstörungsprozeß Fluorchlorkohlenwasserstoffe sehr stark beteiligt seien, für sachlich richtig?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1103022300
Die Bundesregierung sieht keinen Anlaß, an der Richtigkeit von Aussagen der NASA-Wissenschaftler zu zweifeln. Konkrete Meßdaten aus jüngster Zeit liegen der Bundesregierung jedoch nicht vor. Angesichts der Meßergebnisse
früherer Jahre sind die jetzt in den Medien vorgestellten Messungen in der Sache nicht überraschend.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103022400
Eine Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter.

Albrecht Müller (SPD):
Rede ID: ID1103022500
Herr Bundesminister, ist Ihnen die Aussage eines Wissenschaftlers, Herrn Pommerance, bekannt, wonach die Ergebnisse so dramatisch seien, daß insbesondere die hohen Werte von chlorierten Kohlenwasserstoffen einen enormen Druck ausüben sollten, etwas zu tun.
Dr. Töpfer, Bundesminister: Ihre Zusatzfrage bezieht sich bereits auf die Frage 44, in der Sie nach den Maßnahmen gefragt haben. Vielleicht darf ich das bei der Antwort auf die Frage 44 einbinden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103022600
Dann rufe ich zunächst die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Müller (Pleisweiler) auf:
Nimmt die Bundesregierung diese neuen Informationen zum Anlaß, international auf eine deutliche Senkung der im Montrealer Abkommen diesen Jahres beschlossenen künftigen Produktionsmengen von Fluorchlorkohlenwasserstoffen zu drängen?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Bei den Verhandlungen zum Protokoll von Montreal war erklärtes Ziel, die Ozonschicht der Erde insgesamt zu schützen. Das Phänomen Ozonloch über der Antarktis war hierbei nicht von zentraler oder alleiniger Bedeutung, schon deshalb nicht, weil es bisher nur regional und zeitlich begrenzt auftritt.
Es trifft zu, daß jüngste wissenschaftliche Stellungnahmen die FCKW für die Entstehung des Ozonlochs mit verantwortlich machen. Auch meteorologische Ursachen kommen weiterhin in Betracht. Bevor unter diesen Voraussetzungen eine Änderung des Montrealer Protokolls ins Auge gefaßt werden kann, muß dieses Protokoll zunächst überhaupt einmal in Kraft treten. Das Protokoll selbst sieht in Art. 6 bereits für das Jahr 1990 eine Überprüfung der beschlossenen Maßnahmen vor. Die Bundesrepublik Deutschland drängt daher zur Zeit international zunächst darauf, daß möglichst viele Staaten das Protokoll von Montreal zeichnen und ihm beitreten. Ich füge hinzu: Wir wären natürlich außerordentlich dankbar gewesen, wenn die Ergebnisse in Montreal weitergereicht hätten als das, was unterzeichnet werden konnte. Dies war aber in Kenntnis der Verhandlungssituation mit anderen Ländern leider nicht möglich. Daß es überhaupt zu diesen Abkommen gekommen ist, ist ein maßgeblicher Erfolg der Verhandlungsführung der Bundesregierung.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103022700
Eine Zusatzfrage, bitte schön.

Albrecht Müller (SPD):
Rede ID: ID1103022800
Herr Bundesminister, ist die Bundesregierung angesichts dieser dramatischen Entwicklung und in Anbetracht dessen, was im Abkommen von Montreal steht, zu nationalen Maßnahmen bereit, wie das z. B. Ihr Vorgänger als amtierender Bundesminister noch im hessischen Landtagswahlkampf angekündigt hat oder wie es der Bundesrat am 15. Mai gefordert hat?



Dr. Töpfer, Bundesminister: Die Bundesregierung ist dazu, Herr Abgeordneter Müller, nicht nur bereit, sondern sie hat das bereits getan. Wir haben vor einigen Wochen eine freiwillige vertragliche Zusicherung der Aerosolindustrie bekommen, bis 1989 die Verwendung von FCKW in Spraydosen einzustellen. In Kenntnis der Tatsache, daß dafür etwa 26 000 Tonnen FCKW in der Bundesrepublik Deutschland verwandt werden, was etwa 50 % der gesamten FCKW betrifft, bedeutet das, daß wir das, was über Montreal erst im Jahre 2000 erreicht wird, in der Bundesrepublik Deutschland bereits im Jahre 1989 erreichen und daß wir gleichzeitig vergleichbare Maßnahmen bei den beiden anderen Hauptverwendungszwecken von FCKW ergreifen, nämlich bei Schaumstoffen und bei Kühlmitteln.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103022900
Eine weitere Zusatzfrage?

Albrecht Müller (SPD):
Rede ID: ID1103023000
Danke.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103023100
Bitte schön, Herr Abgeordneter Knabe.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1103023200
Herr Minister Töpfer, meine Frage betrifft die Verwendung von Ersatzstoffen für diese Fluorchlorkohlenwasserstoffe. Was hat die Bundesregierung unternommen, um zu verhindern, daß Ersatzstoffe in den Handel kommen, die wiederum andere schädliche Wirkungen zeigen?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Es ist eine sehr zentrale Frage, hier wie bei jedem Verbot von Stoffen zu überlegen, welche Substitute sich möglicherweise einstellen können. Nach unserer Kenntnis sind es vornehmlich drei Gruppen von Substituten: einmal Alkohole, zum anderen F 22 und zum dritten Butan und Propan. Das Hauptaugenmerk ist sicherlich gegenwärtig auf F 22 zu legen. Dazu ist eine Stellungnahme vom Bundesumweltamt und vom Bundesgesundheitsamt angefordert. Wir werden diese Substitutionsprozesse selbstverständlich sehr genau verfolgen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103023300
Danke schön. Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht.
Dann darf ich die Frage 45 des Abgeordneten Oostergetelo aufrufen:
Warum hat die Bundesregierung sich entgegen ihrer Ankündigung, daß die Entseuchung des radioaktiv belasteten Molkepulvers in einem milchverarbeitenden Betrieb (Molkerei in Hungen) stattfinden solle, für die Dekontaminierung der Molke im derzeit stillgelegten Kernkraftwerk II in Lingen entschieden, und welche besonderen zum Zeitpunkt der Beantwortung der Drucksache 11/682 noch nicht relevanten Gründe haben diese Entscheidung der Bundesregierung bewirkt?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Die Bundesregierung hat in der Antwort vom 6. August 1987 auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Leidinger, Dr. Hauff und andere zum wiederholten Male darauf hingewiesen, daß sich die Verhandlungen mit verschiedenen für die Dekontaminierung des Molkepulvers in Frage kommenden Betrieben als schwierig und langwierig erweisen. Es dürfte darüber hinaus nach den in den letzten Wochen erfolgten öffentlichen Erklärungen der hessischen Landesregierung und der Stadt Hungen allgemein bekannt sein, daß die zeitliche Dimension zur Durchführung gegebenenfalls notwendig werdender bau- und wasserrechtlicher Genehmigungsverfahren am Standort Hungen nur schwer abschätzbar ist.
Die Bundesregierung ist aber an einer technisch und rechtlich einwandfreien, gesundheitlich unbedenklichen und zeitlich möglichst raschen Lösung des Problems nachhaltig interessiert. Der Bundesumweltminister hat sich daher intensiv bemüht, auch andere Standorte auf ihre Eignung zu untersuchen. Dabei wurde auch überprüft, ob das Gelände des stillgelegten Kernkraftwerks Lingen in Frage kommen kann. In Übereinstimmung mit dem niedersächsischen Umweltminister hält der Bundesumweltminister den Standort Lingen für geeignet, da einerseits die gesamte notwendige Infrastruktur vorhanden ist und sich andererseits die genehmigungsrechtlichen Probleme einfacher darstellen und ein erheblich kürzeres Verfahren erwartet werden kann. Derzeit werden zusammen mit dem Land Niedersachsen und den örtlichen Behörden in Lingen die technischen und genehmigungsrechtlichen Voraussetzungen geprüft.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103023400
Zusatzfrage, bitte schön.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1103023500
Herr Bundesminister, hat die Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß die verstrahlte Molke in Bayern produziert worden ist, auch prüfen lassen, ob die Dekontaminierung in einem stillgelegten bayerischen Kraftwerk möglich wäre, und wenn ja, warum kam ein Kraftwerk in Bayern nicht in Frage?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Wie ich bereits sagte, Herr Abgeordneter, hat die Bundesregierung eine ganze Vielzahl von Standorten sowohl im Bereich der milchverarbeitenden Betriebe, aber auch weit darüber hinaus geprüft. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß dieses stillgelegte Kraftwerk in Lingen auf Grund seiner, wie eben schon angesprochen, besonderen infrastrukturellen Ausstattung in besonderer Weise dafür geeignet ist.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103023600
Weitere Zusatzfrage.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1103023700
Herr Bundesminister, hat die Bundesregierung weitere Angebote zur alternativen Entseuchung oder Entlagerung seit Erscheinen der Drucksache 11/682 geprüft, oder plant die Bundesregierung angesichts voraussichtlicher Vorkosten von weit über 10 Millionen DM zur Herrichtung des Kraftwerks Lingen II als Dekontaminierungsstätte dort nicht nur einen einmaligen Betrieb, so daß davon ausgegangen werden kann, daß Lingen II auch für zukünftige Entstrahlungsmaßnahmen langfristig genutzt werden soll?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Herr Abgeordneter, ich bin Ihnen für diese Zusatzfrage sehr dankbar, weil ich damit in aller Deutlichkeit feststellen kann, daß dort eine Behandlung der 5 000 Tonnen Molke vorgesehen ist, die sich im Besitz des Bundes befinden. In den bisherigen Gesprächen mit der Stadt Lingen ist eindeutig festgelegt worden, daß in einer vertraglichen Fixierung die Begrenzung der Entseuchung auf diese Menge vorgenommen werden muß, so daß der Stand-



Bundesminister Dr. Töpfer
ort Kernkraftwerk Lingen also wieder so herzurichten ist, wie er sich jetzt darstellt. Eine Dauereinrichtung ist nie geplant gewesen und wird nicht erfolgen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103023800
Zusatzfrage des Abgeordneten Gilges.

Konrad Gilges (SPD):
Rede ID: ID1103023900
Herr Bundesminister, welche Vorstellung hat die Bundesregierung über den endgültigen Verbleib der nach der Durchführung der Dekontaminierung — ich nehme an, daß heißt der Entstrahlung — anfallenden immer noch cäsiumbelasteten Molke und der übrigen Abfälle?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Herr Abgeordneter, es gibt grundsätzlich zwei Wege, auf denen Produkte anfallen. Das ist einmal die Möglichkeit, daß die Molke, nachdem sie verflüssigt und über den Ionentauscher entsprechend entseucht worden ist, wieder in Molkepulver zurückverwandelt wird. Dafür ist ein Trockenturm erforderlich. Das war auch der Grund, warum wir bisher immer einen milchbearbeitenden Betrieb im Vordergrund unserer Bemühungen gehabt haben. Dieses Molkepulver hätte nach Ablauf des Verfahrens eine Restbelastung von unter 100 Bequerel pro Kilo, d. h. von etwa einem Sechstel dessen, was nach den gegenwärtig gültigen EG-Grenzwerten vertretbar ist, die, wie Sie sicherlich auch wissen, in Europa nicht deswegen diskutiert werden, weil sie gesenkt, sondern weil sie erhöht werden sollen, was die Bundesregierung nachhaltig nicht mitträgt. Von daher gesehen wäre diese Molke auch für die menschliche Ernährung nutzbar. Wir werden aber sicherstellen, daß das nicht der Fall ist und sie als Tierfutter verwandt wird.
Die andere Möglichkeit ist, daß eine Rückführung in Molkepulver nicht vorgenommen wird, sondern daß eine Aufteilung in drei Fraktionen — Salz, Eiweiß und Laktose — vorgenommen wird. Die damit verbundenen verfahrenstechnischen Fragen werden weiter geklärt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103024000
Zusatzfrage des Abgeordneten Knabe.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1103024100
Herr Minister Töpfer, hat die Bundesregierung erwogen oder eventuell Verhandlungen eingeleitet, ob als Alternative zu der Verarbeitung in Lingen die Sowjetunion bereit gewesen wäre, die radioaktive Molke abzunehmen, da die radioaktiven Substanzen selbst aus der Sowjetunion stammen?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Herr Abgeordneter Knabe, die Bundesregierung hat verschiedene Angebote bekommen, die Molke im Ausland zu dekontaminieren oder anderwärts zu verarbeiten. Wir haben es bis zur Stunde abgelehnt, diese weiter zu verhandeln, weil wir der Meinung sind, wir sollten dieses Problem bei uns lösen, weil es hier technisch besser und ohne Probleme gelöst werden kann.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Danke!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103024200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller, bitte schön.

Albrecht Müller (SPD):
Rede ID: ID1103024300
Ist der Bundesregierung bekannt, Herr Bundesminister, ob andere Staaten, hier insbesondere nord- und osteuropäische Staaten, ebenfalls ein Molkeproblem haben und ob dort für einen solchen Fall Lösungen, und welche, erwogen werden, oder bereits in die Tat umgesetzt wurden?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Der Bundesregierung ist durch Einzelinformationen bekannt, daß auch in den osteuropäischen Staaten vergleichbare Probleme nicht nur bei Molke, sondern auch bei Milchpulver bestehen. Weitere Erkundigungen über die Bewältigung dieses Themas sind nie angestellt worden, weil sie dort — offenbar auf Grund der anderen Mentalität — nicht zu einer öffentlichen Erörterung geführt haben.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103024400
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Graf.

Günter Graf (SPD):
Rede ID: ID1103024500
Herr Bundesminister, aus welchen Gründen hat die Bundesregierung Konzepte der sofortigen Endlagerung ohne Dekontaminierung, z. B. in stillgelegten Uranbergwerken, die von Natur aus schon eine höhere Strahlung verursachen als die Molke, verworfen, und wie hoch wären die Kosten einer solchen möglichen Lösung gegebenenfalls gewesen?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Herr Abgeordneter, die Strahlenschutzkommission hat in ihrer Stellungnahme zu dieser Molke sehr nachhaltig darauf hingewiesen, daß es sich nicht um ein Abfallproblem handelt, und bereits mein Vorgänger im Amt hat sich deswegen im März dazu entschieden, das sogenannte „Roiner-Verfahren" als ein Dekontaminierungsverfahren hierfür anzuwenden. Ich möchte auch sehr nachhaltig sagen, daß ich diese Meinung teile. Es ist kein Abfallproblem. Es handelt sich nach wie vor um einen Wertstoff, der mit diesem Verfahren auch entsprechend wiederhergestellt werden kann.
Ich möchte hinzufügen, daß die Tatsache, daß hier viel Geld ausgegeben werden muß, sicherlich nicht das alleinige Entscheidungskriterium sein darf. Uns geht es darum, jetzt eine Lösung dieses Problems zu ermöglichen, mit der keinerlei Gefährdung für Mensch und Natur verbunden ist. Das ist das Kriterium. Wenn dabei mehr Geld ausgegeben werden muß, so ist das im Sinne dieser Zielsetzung verantwortbar.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103024600
Dann rufe ich Frage 46 des Abgeordneten Oostergetelo auf:
Nach welchen Kriterien hat die Bundesregierung die betroffenen Bürger, Kommunalpolitiker und Bundestagsabgeordneten informiert, und was hat sie bewogen, den Wahlkreisabgeordneten der Sozialdemokratischen Partei und andere sozialdemokratische Kommunalpolitiker im Gegensatz zu ihren christdemokratischen Kollegen von jeglicher Vorinformation auszuschließen?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Der Bundesumweltminister hat in Kenntnis der Bedeutung, die Mehrheiten in der Demokratie zuzumessen ist, in dieser schwierigen Frage den Ratschlag seiner Parteifreunde vor Ort gesucht und gefunden. Er hat die in einem offenen und kritischen Gedankenaustausch übermittelten Argumente in seine Überlegungen einfließen lassen und



Bundesminister Dr. Töpfer
nach Abschluß seiner Meinungsbildung seine Haltung öffentlich bekanntgemacht. Vorabinformationen sind nicht erfolgt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103024700
Eine Zusatzfrage, bitte schön.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1103024800
Herr Bundesminister, Sie haben soeben geantwortet, daß nur die im Bundesbesitz befindliche Molke in Lingen dekontaminiert wird. Können Sie Pressemitteilungen bestätigen, daß es darüber hinaus 2 000 Tonnen verstrahlte Molke in Privatbesitz gibt, und was wird damit geschehen bzw. wie wird diese entsorgt?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Ich kann Ihnen bestätigen, das es über diese 5 000 Tonnen, die ich vorhin schon angesprochen habe, hinaus weitere Mengen verstrahlter Molke gibt. Ich habe aber auch ganz deutlich gemacht, daß die Aufgabe der Bundesregierung darin besteht, den Entsorgungsnachweis für diese in ihrem Besitz befindlichen 5 000 Tonnen Molke zu führen. Ich gehe davon aus, daß diejenigen, in deren Eigentum sich diese Molke befindet, sicherlich auch von den Erfahrungen, die dort gewonnen worden sind, lernen oder einen anderen Entsorgungsweg suchen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103024900
Herr Abgeordneter, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Sachzusammenhang sehen würden. Zur Frage 45 wäre das unbestritten richtig gewesen; zur Frage 46 mit Verlaub nicht unbedingt. — Bitte sehr, Herr Abgeordneter.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1103025000
Herr Bundesminister, betrachtet es die Bundesregierung denn als gelungene Öffentlichkeitsarbeit, wenn sie der Bevölkerung Zusagen macht, in drei Monaten ist in Meppen das Zeug weg, dann aber diese Zusage nicht einhält, ohne die Bevölkerung zu informieren, und kann die Bevölkerung in Lingen jetzt davon ausgehen, daß es, wenn es keine Mehrheit im dortigen Stadtrat gibt, in Lingen nicht zur Entsorgung kommt?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Herr Abgeordneter, auch diese Frage darf ich nachhaltig begrüßen, um zwei Dinge klarzustellen. Ich habe in der Öffentlichkeit einer Bürgerversammlung in Lingen sehr nachhaltig dafür um Verständnis geworben, daß diese zugesagte Zeit von drei Monaten nicht eingehalten werden konnte. Ich bin mir bewußt, daß diese Überschreitung der Frist auch zu einem Vertrauensverlust beigetragen hat. Dies ist nicht hinwegzudiskutieren, sondern zu bestätigen. Genauso habe ich dort in der Öffentlichkeit dieser Bürgerversammlung gesagt, daß wir eine Entseuchung dieser Molke im stillgelegten Kernkraftwerk Lingen erreichen wollen, mit der Zustimmung des Stadtrates; ich habe dies daran gebunden. Ich glaube, auch dies ist ein wichtiger Hinweis darauf, daß wir nicht mit einer fertigen, durch nichts mehr zu erschütternden Entscheidung in die Öffentlichkeit der Stadt Lingen gegangen sind, sondern daß wir mit dieser Offenheit der Position gearbeitet haben und dabei verbleiben.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103025100
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Conradi, bitte schön.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1103025200
Herr Minister, teilen Sie die Auffassung Ihres niedersächsischen Kollegen, des Umweltministers Dr. Remmers, daß der Umgang mit der Molke als ein „politisches Trauerspiel" zu bewerten sei?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Herr Abgeordneter, ich teile grundsätzlich die Meinung meines Kollegen Werner Remmers, und ich kann mir durchaus denken, an welche Entwicklungsprozesse er gedacht hat, als er das so qualifiziert hat.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103025300
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Graf auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß der Umweltschutz sich einzig und allein an einer nachhaltigen Verbesserung der Umweltqualität auszurichten hat, ohne dabei die beschäftigungspolitischen Wirkungen mit in den Vordergrund zu stellen?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Nach Auffassung der Bundesregierung besteht die Aufgabe der Umweltpolitik darin, die Qualität der natürlichen Umwelt nachhaltig zu verbessern und Umweltbelastungen möglichst weitgehend zu vermeiden. Hier hat die Bundesregierung auf allen Umweltgebieten deutliche Fortschritte erzielt. Die Bundesregierung hat in diesem Zusammenhang stets auch die positiven Beschäftigungswirkungen ihrer konsequenten Umweltpolitik in den Vordergrund gestellt. So bewirkt allein das in der vorigen Legislaturperiode beschlossene luftreinhaltepolitische Konzept Investitionen in einer Größenordnung von mehr als 50 Milliarden DM. Dadurch werden nach Schätzungen des Umweltbundesamtes mehr als 70 000 Arbeitsplätze geschaffen und gesichert.
Nach Berechnungen des Ifo-Instituts für Wirtschaftsfragen sind durch die Umweltpolitik der Bundesregierung etwa 440 000 Arbeitsplätze geschaffen und gesichert worden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103025400
Zusatzfrage? — Nicht erwünscht. Ich rufe die Frage 48 des Abgeordneten Graf auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß Umweltschutzmaßnahmen zur gezielten Arbeitsplatzbeschaffung einzig und allein auf nationaler Ebene durchgeführt werden sollen, obgleich Aufgabenbereiche wie Bekämpfung der Gewässerverunreinigung, der Luftverschmutzung und des Waldsterbens nur international gelöst werden können?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Bereits in der Antwort zu Ihrer vorigen Frage habe ich zum Ausdruck gebracht, daß nach Auffassung der Bundesregierung die Aufgabe der Umweltpolitik in der nachhaltigen Verbesserung der natürlichen Umweltbedingungen liegt. Diese Aufgabe kann nur im Rahmen einer auf Stetigkeit ausgelegten umweltpolitischen Arbeit gelingen. Der Umweltschutz kann daher nicht dem Auf und Ab der konjunktur- und arbeitsmarktpolitischen Handlungszwänge untergeordnet werden. Umweltschutz ist in der Hochkonjunktur ebenso wichtig wie in konjunkturell schwachen Phasen.
Diese Auffassung vertritt die Bundesregierung auf nationaler und auf internationaler Ebene. Sie weist allerdings auch im internationalen Rahmen nachhal-



Bundesminister Dr. Töpfer
tig darauf hin, daß eine konsequente Umweltpolitik positive Beschäftigungswirkungen haben kann.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103025500
Zusatzfrage? — Bitte, Herr Abgeordneter Graf.

Günter Graf (SPD):
Rede ID: ID1103025600
Herr Minister, meine Frage zielte mehr darauf ab, ob die Bundesregierung der Auffassung ist, daß sie Umweltprobleme allein auf nationaler Ebene lösen kann, oder ob sie nicht der Auffassung ist, daß die Lösung von Umweltproblemen eine internationale Aufgabe ist?
Dr. Töpfer, Bundesminister: Herr Abgeordneter, ich kann das nur nachhaltig unterstützen. Luft und Wasser kennen keine nationalen Grenzen. Derartige Probleme können deshalb ursächlich nur in internationaler Zusammenarbeit gelöst werden. Die Tatsache, daß wir in den letzten Wochen Umweltabkommen mit der DDR und mit der Tschechoslowakei unterzeichnet haben und daß wir im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft intensiv über eine Weiterentwicklung der Umweltpolitik verhandelt und diese erreicht haben, daß wir vor wenigen Tagen in Straßburg mit den Umweltministern der Rheinanliegerstaaten zusammen ein Rhein-Programm verabschiedet haben, belegt dies sehr nachhaltig. Ich möchte aber hinzufügen: Der Hinweis auf die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit in der Umweltpolitik kann nicht ein Alibi für nationales Handeln sein. Beides muß miteinander verbunden werden. Wir müssen unsere Hausarbeiten machen und gleichzeitig versuchen, dies international abzusichern.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103025700
Eine weitere Zusatzfrage wird nicht gewünscht. Herr Bundesminister, dann bleibt mir nur, Ihnen sehr herzlich zu danken.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen nicht auf, weil die Fragesteller, die Abgeordneten Lowack und Dr. Penner, um schriftliche Beantwortung ihrer Fragen 55 bzw. 56 und 57 gebeten haben und die Fragen 58 und 59 der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher auf Grund unserer Richtlinien, Nr. 2 Abs. 2, schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich kann damit gleich zu dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern kommen. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Spranger zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage 60 des Abgeordneten Conradi auf:
In wie vielen Fällen hat das Bundesamt für Verfassungsschutz direkt oder über die Landesämter für Verfassungsschutz Anfragen aus der Wirtschaft über Bewerber beantwortet, und auf welcher Rechtsgrundlage ist dies geschehen?

Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID1103025800
Sollte sich, Herr Kollege Conradi, Ihre Frage auf die Überprüfung von Mitarbeitern privater Unternehmen im Bereich des Sabotageschutzes beziehen, so muß ich Ihnen sagen, daß die Durchführung dieser Überprüfungen in den Zuständigkeitsbereich der Länder fällt; die Modalitäten sind mir nicht bekannt.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1103025900
Für diesen Bereich gelten die Regeln des vom Bundesminister für Wirtschaft herausgegebenen Handbuches für den Geheimschutz in der Wirtschaft. Danach werden mit dem ausschließlichen Ziel der Erteilung einer Verschlußsachenermächtigung Personen überprüft, denen Verschlußsachen anvertraut werden sollen oder die sich auf Grund ihrer Tätigkeit Zugang zu Verschlußsachen verschaffen können. Die Mitwirkung des Bundesamtes für Verfassungsschutz erfolgt auf der Grundlage des § 3 Abs. 2 Nr. 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes und setzt in jedem einzelnen Fall einen entsprechenden Antrag des Bundesministers für Wirtschaft beim Bundesamt für Verfassungsschutz voraus. Das Bundesamt für Verfassungsschutz erhielt oder erhält weder direkt noch über die Landesbehörden für Verfassungschutz Anfragen der Wirtschaft.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103026000
Zusatzfrage des Abgeordneten Conradi, bitte schön.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1103026100
Können Sie mir sagen, auf welche Art und Weise das Bundesamt sicherstellt, daß bei Anfragen über Mitarbeiter privater Unternehmen, die mit Geheimschutzvorgängen befaßt sind, der Mitarbeiter auch tatsächlich in diesem sensitiven Bereich arbeitet, d. h. wie sichergestellt wird, daß diese Möglichkeit nicht mißbraucht wird?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann hier, da jeder Einzelfall sicherlich entsprechend den Dienstanweisungen und der Rechtsgrundlage bearbeitet wird, nicht abstrakt sagen, wie generell in Einzelfällen verfahren wird. Ich bitte sehr um Nachsicht.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1103026200
Darf ich noch einmal nachfragen, Herr Präsident, um es klarzustellen: Dort, wo private Unternehmen Mitarbeiter beschäftigen, die mit Geheimschutzvorlagen zu tun haben, findet eine solche Überprüfung auf Antrag des Unternehmens statt. Ist das korrekt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Nein. Ich habe gesagt: Es findet auf Antrag des Bundesministeriums für Wirtschaft eine solche Sicherheitsüberprüfung unter Beteiligung des Bundesamtes für Verfassungsschutz statt, wie es entsprechend § 3 Abs. 2 Nr. 1 Bundesverfassungsschutzgesetz vorgesehen ist. Ich nehme immer Bezug auf die Sicherheitsüberprüfungen im Bereich Geheimschutz, denn die Überprüfungen im Bereich Sabotageschutz sind sowieso Sache der Länder. Nur für den erstgenannten Teil läuft das Verfahren so, daß das Bundesministerium für Wirtschaft entsprechende Anträge stellt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103026300
Zusatzfrage, Dr. Knabe, bitte.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1103026400
Herr Staatssekretär, ich wollte mir die Frage erlauben, ob Sie von Vorgängen Kenntnis haben, daß Firmen, die keine Rüstungsaufträge erhalten oder keine militärischen Ausrüstungen hergestellt haben, die also nicht mit Verschlußsachen im Verteidigungsbereich befaßt waren, auch solche Anfragen über den Wirtschaftsminister gestellt haben



Dr. Knabe
und ob diesen Anforderungen nachgekommen wurde.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Wenn Sie den Gesetzestext kennen, der die Frage der Mitwirkung des Bundesamtes für Verfassungsschutz beschreibt, wissen Sie: Dort wird ganz generell von sicherheitsempfindlichen Stellen, von lebens- und verteidigungswichtigen Einrichtungen gesprochen. Das bedeutet, es ist also nicht auf militärische Sektoren begrenzt.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Ich danke, das ist vielsagend!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103026500
Weitere Wortmeldungen zu dieser Frage liegen nicht vor. Dann rufe ich die Frage 61 des Abgeordneten Conradi auf:
Wie wird sichergestellt, daß Bewerber bei ihrer Zustimmung zu einer Sicherheitsüberprüfung darüber informiert werden, daß es sich hierbei nicht um ein polizeiliches Führungszeugnis, sondern um eine Anfrage beim Verfassungsschutz handelt, und welche rechtlichen Möglichkeiten haben abgelehnte Bewerber in der Privatwirtschaft, falsche Anschuldigungen des Verfassungsschutzes richtigzustellen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Conradi, die Sicherheitsüberprüfung hat einen von der zu überprüfenden Person ausgefüllten und unterschriebenen sogenannten Erklärungsbogen zur Grundlage. In den Vorbemerkungen zu diesem Erklärungsbogen wird jeder zu Überprüfende ausführlich darauf hingewiesen, daß die Angaben zum Zwecke einer Sicherheitsüberprüfung erfolgen.
Sofern bei der Sicherheitsüberprüfung einer Ermächtigung zum Zugang zu Verschlußsachen entgegenstehende Sachverhalte bekannt werden, werden diese dem Überprüften — nicht dem Beschäftigungsunternehmen — in schriftlicher Form mitgeteilt, und ihm wird Gelegenheit gegeben, die Bedenken auszuräumen. In jedem Fall der Ablehnung oder des Widerrufs einer VS-Ermächtigung erhält der Überprüfte vom Bundesministerium für Wirtschaft einen förmlichen Bescheid mit Begründung und Rechtsmittelbelehrung.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103026600
Zusatzfrage, bitte.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1103026700
Darf ich Ihre Antwort dahin gehend verstehen, daß es keine Sicherheitsüberprüfung von mit Geheimschutzsachen befaßten Mitarbeitern gibt, ohne daß diese einen entsprechenden Fragebogen ausgefüllt haben, aus dem klar hervorgeht, daß es sich um eine Sicherheitsüberprüfung durch den Verfassungsschutz handelt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: In diesem Erklärungsbogen wird darauf hingewiesen, daß eine Sicherheitsüberprüfung in der Form stattfindet, wie ich sie vorhin dargestellt habe. Wenn Bedenken gegen eine VS-Ermächtigung bzw. gegen deren Fortdauer entstehen, werden sie in schriftlicher Form mitgeteilt. Es besteht die Möglichkeit, hiergegen Rechtsmittel einzulegen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103026800
Bitte schön.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1103026900
Ist in allen Fällen gesichert, daß der Überprüfte das Ergebnis der Überprüfung in einer
Form erfährt, die es ihm erlaubt, gegen dieses Ergebnis vorzugehen, d. h. auch rechtliche Schritte einzuleiten?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Wenn er in irgendeiner Form beschwert ist, wenn ihm also Bedenken dergestalt übermittelt werden, daß Bedenken gegen seine Zuverlässigkeit entsprechend § 3 des Verfassungsschutzgesetzes bestehen, wird ihm dies mitgeteilt. Nach der Rechtslage ist es ihm in jedem Falle mitzuteilen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103027000
Bitte schön.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1103027100
Herr Staatssekretär, Sie können die Antwort auf die Frage jetzt vielleicht ablehnen. Dann würde ich diese Frage in der nächsten Woche stellen. Mich würde sehr die Definition der Bundesregierung des sicherheitsempfindlichen Bereiches interessieren. Gibt es eine solche Definition? Gibt es darüber einen Text? Oder wie wird festgestellt, ob ein Bereich einer Privatfirma sicherheitsempfindlich ist? Wer beurteilt im Wirtschaftsministerium, ob diese Angabe auch zutreffend ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das kann man hier sicherlich nicht abstrakt und generell festlegen. Es gibt in den einzelnen Unternehmen Geheimschutzbeauftragte, Sicherheitsbeauftragte, die bestimmen, was als VS-empfindliche Position zu werten ist. Entsprechend entscheidet dann auch das Wirtschaftsministerium.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Es gibt also keine schriftliche Fassung darüber!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103027200
Herr Abgeordneter, Sie hatten noch eine Zusatzfrage. Bitte schön.

Thomas Wüppesahl (GRÜNE):
Rede ID: ID1103027300
Trifft es zu, daß auch im Bereich der Privatwirtschaft tätige Staatsbürgerinnen in der Bundesrepublik Deutschland, die sich einer Sicherheitsüberprüfung auf Grund der von Ihnen recht allgemein dargestellten Kriterien unterziehen müssen, ihre Daten 15 Jahre lang beim Bundesamt für Verfassungsschutz aufbewahrt wähnen müssen? Gilt das nicht nur für die Daten, die sie angeben, sondern auch für den Ablauf dieser Sicherheitsüberprüfung und vor allen Dingen für deren Ergebnis, ohne daß es ihnen auf dem Bogen mitgeteilt worden ist, den sie zu Beginn als Belehrung erhalten haben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich muß sagen, ich sehe zu der Eingangsfrage keinen Zusammenhang.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103027400
Sie sind auch nicht verpflichtet, diese Frage zu beantworten. Sie steht in keinem Zusammenhang. Herr Abgeordneter, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das noch zur Kenntnis nehmen würden. In Frage 61 erkundigt sich der Abgeordnete Conradi, ob abgelehnte Stellungnahmen einer rechtlichen Überprüfung oder Überprüfung durch denjenigen unterliegen, der den Antrag gestellt hat. Ich kann diesen Zusammenhang auch bei großzügiger Auslegung nicht mehr herstellen. Ich kann dem Staatssekretär nicht verbieten, die Antwort zu verweigern.



Vizepräsident Cronenberg
Die Frage 62 des Abgeordneten Müller (Wesseling) ist zurückgezogen.

Heinrich Klein (SPD):
Rede ID: ID1103027500

Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele im Ausland lebende Deutsche durch das 7. Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 8. März 1985 (Neufassung des § 12 des Bundeswahlgesetzes) das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag erlangt haben, und wie viele im Ausland lebende Deutsche, die nach dem alten Wahlrecht nicht stimmberechtigt waren, sich an der Wahl des 11. Deutschen Bundestages am 25. Januar 1987 beteiligt haben?
Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Klein, die Zahl der im Ausland lebenden Deutschen, die durch das Siebte Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 8. März 1985 das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag erlangt haben, ist der Bundesregierung nicht bekannt, da es eine Pflicht der im Ausland lebenden Deutschen zur Registrierung bei den Botschaften und Konsulaten der Bundesrepublik Deutschland nicht gibt. Auf Grund von Schätzungen der Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland wird von einer Zahl von etwa 478 000 im Ausland lebenden wahlberechtigten Deutschen ausgegangen.
In die Wählerverzeichnisse der Gemeinden sind insgesamt 31 135 im Ausland lebende Deutsche eingetragen worden. Die Stimmen dieses Personenkreises sind nicht gesondert ausgezählt worden. Es ist davon auszugehen, daß diejenigen, die auf ihren Antrag hin in die Wählerverzeichnisse der Gemeinden eingetragen worden sind, in der Regel auch ihr Wahlrecht ausgeübt haben.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103027600
Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Klein.

Heinrich Klein (SPD):
Rede ID: ID1103027700
Herr Staatssekretär, ist nicht angesichts der Zahl, die Sie vorgetragen haben — knapp eine halbe Million, die potentielle Wahlbürger hätten sein können — , und der Zahl, die Sie dann nannten, nämlich derjenigen, die an der Wahl teilgenommen haben, der Aufwand ein bißchen groß gewesen, der mit der Änderung des Gesetzes verursacht worden ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bin nicht der Meinung, daß der Aufwand besonders groß war; aber daß das Ergebnis insgesamt für mich enttäuschend war, räume ich ein. Ich glaube, auch diejenigen, die dieses Gesetz zu verantworten haben, hätten sich andere Zahlen gewünscht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103027800
Zusatzfrage des Abgeordneten Klein (Dieburg).

Heinrich Klein (SPD):
Rede ID: ID1103027900
Ist möglicherweise die Aufklärung bei deutschen Botschaften und Konsulaten und anderen Stellen, die mit der Sache befaßt waren nicht hinreichend gewesen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, die Bundesregierung hat über die Botschaften, hat auch über die veröffentlichte Meinung, über Rundfunksender — Deutsche Welle und Deutschlandfunk — auf diese
Möglichkeit ausreichend hingewiesen. Vielleicht waren die mit dieser Wahl verbundenen Erschwernisse — Eintrag in die Wählerverzeichnisse, Fristen — nicht dazu geeignet, die Zahl derer, die zur Wahl gegangen sind, höher ausfallen zu lassen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103028000
Weitere Zusatzfragen zu dieser Frage werden nicht gewünscht.
Ich rufe die Frage 64 des Abgeordneten Klein (Dieburg) auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob sich auch Deutsche, die in den letzten Jahren in die DDR übergesiedelt sind und die nach § 12 Abs. 3 Bundeswahlgesetz das Recht haben, den Deutschen Bundestag mitzuwählen, von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Gespräche der Bundesregierung mit der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik haben ergeben, daß die DDR Deutschen, die in der DDR und Berlin (Ost) leben und nach § 12 des Bundeswahlgesetzes wahlberechtigt sind, die Teilnahme an der Wahl von ihrem Gebiet aus nicht gestattet. Deutsche, die in den letzten Jahren in die DDR oder nach Berlin (Ost) übergesiedelt sind, konnten deshalb von dort aus ihr Wahlrecht nicht ausüben.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103028100
Zusatzfrage, bitte schön.

Heinrich Klein (SPD):
Rede ID: ID1103028200
Ist bekannt, ob es Versuche von Deutschen gab, die von der Bundesrepublik nach drüben gegangen sind, das Wahlrecht auszuüben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Mir persönlich sind solche Versuche nicht bekanntgeworden. Inwieweit es trotzdem versucht worden ist, insbesondere ob sich diese Versuche in irgendeiner Form öffentlich artikuliert haben, müßte noch überprüft werden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103028300
Weitere Zusatzfrage.

Heinrich Klein (SPD):
Rede ID: ID1103028400
Können Sie bestätigen, daß etwa 15 000 Deutsche, die jetzt in der DDR leben und früher hier waren, damit vom Wahlrecht ausgeschlossen gewesen sind? Das sind die Zahlen vom Statistischen Bundesamt.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich sagte ja, daß Deutsche, die übergesiedelt sind, wegen der Haltung der DDR ihr Wahlrecht nicht wahrnehmen konnten.

(Klein [Dieburg] [SPD]: Mir ging es um die Größenordnung!)

— Mir persönlich war diese Dimension nicht bekannt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103028500
Herr Abgeordneter Verheugen, bitte schön.

Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1103028600
Herr Staatssekretär, nachdem Sie auf die Haltung der DDR abgehoben haben: Gibt es eigentlich auch andere Länder, die es Deutschen, die dort leben und bei uns wahlberechtigt waren, nicht erlaubt haben, von ihrem Territorium aus das Wahlrecht auszuüben?



Spranger, Parl. Staatssekretär: Das müßte man nachprüfen.

(Verheugen [SPD]: Die Schweiz zum Beispiel!)

Ich kann hier keine Auskunft geben.

(Verheugen [SPD]: Die Schweiz! Ich kann Ihnen vielleicht helfen!)

— Ich bin in der Fragestunde über die Haltung der DDR auskunftspflichtig und nicht über die restlichen zig anderen Staaten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103028700
Ich will mich nicht in die Zuständigkeiten einmischen. Aber möglicherweise wäre das Auswärtige Amt für die Beantwortung dieser Frage zuständiger.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Jetzt rufe ich die Frage 65 des Abgeordneten Verheugen auf:
Was tut die Bundesregierung, um die seit 1924 festgesetzte Höhe der Sprachenzulage für die Beschäftigten des auswärtigen Dienstes zeitgerecht anzupassen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die 1926 für den auswärtigen Dienst eingeführte Sprachenzulage ist 1954 bei Auslandsverwendung um 25 v. H. erhöht worden. Vergleichbare Sprachenzulagen werden auch in den Geschäftsbereichen anderer Ressorts gezahlt. Um den Sprachenzulagen eine Rechtsgrundlage zu geben und ihre Weiterzahlung zu ermöglichen, wurden sie 1976 im Zuge der Besoldungsvereinheitlichung in die Erschwerniszulagenverordnung aufgenommen. Wie auch bei den meisten übrigen im öffentlichen Dienst gezahlten Zulagen ließ die angespannte Haushaltslage seither eine Erhöhung nicht zu. Von der Bundesregierung wird zu gegebener Zeit geprüft, ob die Sprachenzulagen auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt und für Bund und Länder einheitlich geregelt werden sollen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103028800
Zusatzfrage?

Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1103028900
Ist die Bundesregierung also der Meinung, daß zum jetzigen Zeitpunkt die Sprachenzulage ausreicht, um die im auswärtigen Dienst erforderlichen Qualifikationen sicherzustellen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Frage, ob das ausreichend ist oder nicht, habe ich hier nicht zu entscheiden. Ich habe festzustellen, daß die angespannte Haushaltslage trotz eventueller anderer Überlegungen — auch derart, daß die Zulage als nicht mehr zureichend empfunden wird — eine entsprechende Entscheidung nicht zugelassen hat.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103029000
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1103029100
Soll die von Ihnen angesprochene Prüfung, Herr Staatssekretär, nach Ihrer Meinung ergeben, daß die Regelung der Sprachenzulagen Teil des von der Bundesregierung angekündigten Gesetzes über den auswärtigen Dienst werden soll?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das habe ich jetzt nicht verstanden.

Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1103029200
Herr Staatssekretär, die Bundesregierung hat in Gestalt des Bundesaußenministers ein Gesetz zur Regelung der besonderen Verhältnisse des auswärtigen Dienstes angekündigt: Gesetz über den auswärtigen Dienst (GAD). Meine Frage ist, ob Sie beabsichtigen, in diesem Zusammenhang auch das Problem der Sprachenzulage zu lösen.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, was der Herr Außenminister, der dieses Gesetz angekündigt hat, in dieses Gesetz aufnehmen will. Der jetzige Sachstand im Hinblick auf diese Zulage ist, wie ich dargestellt habe, daß die Haushaltslage bisher eine Erhöhung nicht zugelassen hat.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103029300
Meine Damen und Herren, weitere Fragen liegen nicht vor. Ich kann damit die Fragestunde schließen. Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen.
Ich werde die Sitzung gleich für einige Minuten unterbrechen, daß wir um 15.30 Uhr beginnen können.

(Frau Traupe [SPD]: Warum das denn?)

Bevor ich dies tue, möchte ich Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, der Ihnen auf Drucksache 11/659 vorliegt, bekanntgeben. Abgegeben wurden 393 Stimmen, ungültig war keine. Mit Ja haben 167 Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 218 Abgeordnete gestimmt. Acht Abgeordnete haben sich enthalten.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 392; davon
ja: 167
nein: 217
enthalten: 8
Ja
SPD
Frau Adler
Amling
Andres
Dr. Apel
Bachmaier
Becker (Nienberge)

Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Dr. Böhme (Unna) Börnsen (Ritterhude) Brandt
Brück
Büchler (Hof) Dr. von Billow Frau Bulmahn Buschfort
Catenhusen
Conradi
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Frau Dr. Dobberthien Dreßler
Duve
Dr. Emmerlich Erler
Ewen
Frau Faße
Fischer (Homburg)

Frau Fuchs (Köln)

Frau Fuchs (Verl)

Frau Ganseforth
Gansel
Dr. Gautier Gerster (Worms)

Gilges
Frau Dr. Götte
Graf
Großmann
Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler Dr. Hauff Heimann Heistermann Horn
Huonker
Ibrügger
Jahn (Marburg)

Jaunich
Dr. Jens
Jung (Düsseldorf)

Jungmann Kastning
Kiehm



Vizepräsident Cronenberg
Kirschner
Kißlinger
Klein (Dieburg)

Kolbow
Koltzsch Koschnick Kretkowski Lambinus Lennartz Leonhart Lohmann (Witten)

Lutz
Frau Luuk
Frau Dr. Martiny-Glotz Menzel
Meyer
Dr. Mitzscherling
Müller (Düsseldorf)

Müller (Schweinfurt) Müntefering
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo
Paterna
Pauli
Dr. Penner Peter (Kassel)

Dr. Pick
Porzner
Poß
Reimann Reuter
Rixe
Roth
Schäfer (Offenburg) Schanz
Scherrer Schluckebier
Frau Schmidt (Nürnberg) Schmidt (Salzgitter)
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger
Schreiner
Schröer (Mülheim)

Schütz
Seidenthal Frau Seuster
Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Frau Steinhauer
Stiegler
Frau Terborg
Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe
Urbaniak Vahlberg Verheugen Voigt (Frankfurt)

Vosen
Wartenberg (Berlin) Weiermann
Frau Weiler
Weisskirchen (Wiesloch) Westphal
Frau Weyel
Dr. Wieczorek
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche Wischnewski
Dr. de With
Wittich
Zeitler
Zumkley
DIE GRÜNEN
Frau Beer
Frau Brahmst-Rock Dr. Daniels (Regensburg) Ebermann
Frau Eid
Frau Flinner Frau Garbe Häfner
Frau Hensel Frau Hillerich
Hoss
Hüser
Kleinert (Marburg)

Dr. Knabe
Dr. Lippelt (Hannover)

Dr. Mechtersheimer
Frau Nickels Frau Olms Frau Rust Frau Saibold Schily
Frau Schmidt-Bott
Frau Schoppe
Sellin
Frau Teubner
Frau Unruh
Frau Dr. Vollmer
Volmer
Weiss (München)

Wetzel
Frau Wilms-Kegel
Frau Wollny Wüppesahl
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein Austermann Bauer
Bayha
Dr. Becker (Frankfurt) Frau Berger (Berlin)
Dr. Biedenkopf
Biehle
Dr. Blank
Dr. Blens
Dr. Blüm
Börnsen (Bönstrup)

Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen
Breuer
Buschbom
Carstensen (Nordstrand) Clemens
Dr. Czaja
Dr. Daniels (Bonn)

Frau Dempwolf Dörflinger
Doss
Echternach Ehrbar
Eigen
Engelsberger Eylmann
Dr. Faltlhauser
Feilcke
Dr. Fell
Fellner
Fischer (Hamburg) Francke (Hamburg)
Dr. Friedrich Fuchtel
Ganz (St. Wendel)

Frau Geiger Geis
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Gerster (Mainz)

Glos
Dr. Göhner Gröbl
Dr. Grünewald
Günther Dr. Häfele
Frau Hasselfeldt
Haungs
Hauser (Esslingen) Hedrich
Frau Dr. Hellwig
Helmrich Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger
Hörster
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann (Soltau) Dr. Hornhues
Frau Hürland-Büning
Dr. Hüsch
Dr. Jahn (Münster)

Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung (Limburg)

Jung (Lörrach)

Kalb
Kalisch Dr.-Ing. Kansy
Dr. Kappes
Frau Karwatzki
Kiechle
Klein (München)

Dr. Köhler (Wolfsburg) Kolb
Kossendey
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz (Weiden)

Lamers
Dr. Lammert
Dr. Langner
Lattmann
Dr. Laufs Frau Limbach
Link (Diepholz)

Link (Frankfurt)

Linsmeier
Lintner
Dr. Lippold (Offenbach) Louven
Lowack Maaß
Frau Männle
Magin Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Miltner
Dr. Möller
Müller (Wadern)

Nelle
Dr. Neuling
Neumann (Bremen)

Dr. Olderog
Oswald Pesch
Pfeffermann
Dr. Pinger
Dr. Pohlmeier
Dr. Probst
Rauen Rawe
Reddemann
Regenspurger
Repnik
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch (Wiesbaden) Frau Roitzsch (Quickborn) Dr. Rüttgers
Ruf
Sauer (Salzgitter)

Sauer (Stuttgart)

Sauter (Epfendorf)

Sauter (Ichenhausen) Scharrenbroich
Schartz (Trier) Schemken Schmidbauer
Dr. Schneider (Nürnberg) Schreiber
Schulhoff
Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) Schulze (Berlin)
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Spilker
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stavenhagen Straßmeir
Frau Dr. Süssmuth
Susset
Tillmann
Dr. Uelhoff Dr. Unland Frau Verhülsdonk
Vogel (Ennepetal)

Vogt (Duren)

Dr. Voigt (Northeim)

Dr. Waffenschmidt
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß (Kaiserslautern) Werner (Ulm)
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer (Neuss)

Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Dr. Wörner Würzbach Zeitlmann Zierer
Dr. Zimmermann
Zink
SPD Nagel
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Beckmann Bredehorn
Cronenberg (Arnsberg) Eimer (Fürth)
Engelhard
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Funke
Gallus
Gries
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Heinrich Dr. Hirsch
Dr. Hitschler Hoppe
Dr. Hoyer Irmer
Kleinert (Hannover)

Kohn



Vizepräsident Cronenberg
Dr.-Ing. Laermann
Lüder
Neuhausen
Nolting Paintner Richter Rind
Frau Dr. Segall
Dr. Sohns
Dr. Thomae
Timm
Wolfgramm (Göttingen) Frau Würfel
Enthalten
SPD
Bamberg
Dr. Haack Leidinger Niggemeier
Rappe (Hildesheim) Frau Renger
Dr. Wernitz Wimmer (Neuötting)

Somit ist dieser Antrag abgelehnt.
Ich gebe Ihnen das Ergebnis über die namentliche Abstimmung über Nr. 4 des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/817 (neu) bekannt. Hier wurden 392 Stimmen abgegeben, auch hier war keine Stimme ungültig. Mit Ja haben 178 Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 212 Abgeordnete gestimmt. Es gab zwei Enthaltungen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 391; davon
ja: 178
nein: 211
enthalten: 2
Ja
SPD
Frau Adler
Amling Andres Dr. Apel Bachmaier
Bamberg
Becker (Nienberge)

Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Dr. Böhme (Unna) Börnsen (Ritterhude) Brandt
Brück
Büchler (Hof)

Frau Bulmahn
Buschfort
Catenhusen
Conradi
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Frau Dr. Dobberthien Dreßler
Duve
Dr. Emmerlich
Erler
Ewen
Frau Faße
Fischer (Homburg)

Frau Fuchs (Verl)

Frau Ganseforth
Gansel
Dr. Gautier
Gerster (Worms)

Gilges
Frau Dr. Götte
Graf
Großmann Dr. Haack Frau Hämmerle
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler
Dr. Hauff Heimann Heistermann
Horn
Huonker Ibrügger
Jahn (Marburg) Jaunich
Dr. Jens
Jung (Düsseldorf) Jungmann Kastning
Kiehm
Kirschner Kißlinger
Klein (Dieburg) Kolbow
Koltzsch Koschnick Kretkowski
Lambinus Leidinger Lennartz Leonhart Lohmann (Witten)

Lutz
Frau Luuk
Frau Dr. Martiny-Glotz Menzel
Meyer
Dr. Mitzscherling Müller (Düsseldorf) Müller (Schweinfurt) Müntefering
Nagel
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese
Niggemeier Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo Paterna
Pauli
Dr. Penner Peter (Kassel) Dr. Pick
Porzner
Poß
Rappe (Hildesheim) Reimann
Frau Renger Reuter
Rixe
Roth
Schäfer (Offenburg) Schanz
Scherrer
Schluckebier
Frau Schmidt (Nürnberg) Schmidt (Salzgitter)
Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiner
Schröer (Mülheim) Schütz
Seidenthal Frau Seuster Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Frau Steinhauer
Stiegler
Frau Terborg Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak
Vahlberg
Verheugen
Voigt (Frankfurt)

Vosen
Wartenberg (Berlin) Weiermann
Frau Weiler Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Wernitz
Westphal
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
von der Wiesche Wimmer (Neuötting) Wischnewski
Dr. de With Wittich
Zeitler
Zumkley
FDP
Frau Dr.- Hamm-Brücher Dr. Hitschler
Irmer
Lüder
DIE GRÜNEN
Frau Beer
Frau Brahmst-Rock
Dr. Daniels (Regensburg) Ebermann
Frau Eid
Frau Flinner Frau Garbe Häfner
Frau Hensel Frau Hillerich
Hoss
Hüser
Kleinert (Marburg)

Dr. Knabe
Dr. Lippelt (Hannover)

Dr. Mechtersheimer
Frau Nickels Frau Olms
Frau Rust
Frau Saibold Schily
Frau Schmidt-Bott
Frau Schoppe Sellin
Frau Teubner Frau Unruh
Frau Dr. Vollmer
Volmer
Weiss (München)

Wetzel
Frau Wilms-Kegel
Frau Wollny Wüppesahl
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein
Austermann
Bauer
Bayha
Dr. Becker (Frankfurt)

Frau Berger (Berlin)

Dr. Biedenkopf
Biehle
Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Börnsen (Bönstrup)

Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen Breuer
Buschbom
Carstensen (Nordstrand) Clemens
Dr. Czaja
Dr. Daniels (Bonn)

Frau Dempwolf
Dörflinger Doss
Echternach
Ehrbar
Eigen
Engelsberger
Eylmann
Dr. Faltlhauser
Feilcke
Dr. Fell
Fellner
Fischer (Hamburg)

Francke (Hamburg)

Dr. Friedrich
Fuchtel
Ganz (St. Wendel)

Frau Geiger
Geis
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Gerster (Mainz)

Glos
Dr. Göhner
Gröbl
Dr. Grünewald
Günther Dr. Häfele
Frau Hasselfeldt
Haungs
Hauser (Esslingen)

Hedrich
Frau Dr. Hellwig



Vizepräsident Cronenberg
Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs
Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Hörster
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann (Soltau) Dr. Hornhues
Frau Hürland-Büning
Dr. Hüsch
Dr. Jahn (Münster) Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung (Limburg) Jung (Lörrach) Kalb
Kalisch
Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes
Frau Karwatzki Kiechle
Klein (München)

Dr. Köhler (Wolfsburg) Kolb
Kossendey
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg
Dr. Kunz (Weiden) Lamers
Dr. Lammert
Dr. Langner
Lattmann
Dr. Laufs
Frau Limbach Link (Diepholz) Link (Frankfurt) Linsmeier
Lintner
Dr. Lippold (Offenbach) Louven
Lowack
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Miltner
Dr. Möller
Müller (Wesseling) Nelle
Dr. Neuling
Neumann (Bremen)

Dr. Olderog
Oswald
Pesch
Pfeffermann
Pfeifer
Dr. Pinger
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rauen
Rawe
Reddemann
Regenspurger Repnik
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch (Wiesbaden) Frau Roitzsch (Quickborn) Dr. Rüttgers
Ruf
Sauer (Salzgitter) Sauer (Stuttgart) Sauter (Epfendorf) Sauter (Ichenhausen) Scharrenbroich Schartz (Trier) Schemken
Schmidbauer
Dr. Schneider (Nürnberg) Schreiber
Schulhoff
Dr. Schulte

(Schwäbisch Gmünd) Schulze (Berlin)

Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Spilker
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stavenhagen
Straßmeir
Frau Dr. Süssmuth
Susset
Tillmann
Dr. Uelhoff
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel (Ennepetal)

Vogt (Duren)

Dr. Voigt (Northeim)

Dr. Waffenschmidt
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß (Kaiserslautern) Werner (Ulm)
Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wilz
Wimmer (Neuss) Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Dr. Wörner
Würzbach
Zeitlmann
Zierer
Dr. Zimmermann Zink
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Beckmann
Bredehorn
Cronenberg (Arnsberg) Eimer (Fürth)
Engelhard
Dr. Feldmann
Frau Folz-Steinacker Funke
Gallus
Gries
Dr. Haussmann
Heinrich Hoppe
Dr. Hoyer
Kleinert (Hannover)

Kohn
Dr.-Ing. Laermann Neuhausen Nolting
Paintner
Richter
Rind
Frau Dr. Segall
Dr. Solms Dr. Thomae Timm
Wolfgramm (Göttingen) Frau Würfel
Enthalten
FDP
Baum
Dr. Hirsch
Dieser Antrag ist abgelehnt.
Wie schon angekündigt, möchte ich die Sitzung nunmehr für einige Minuten unterbrechen, so daß wir pünktlich um 15.30 Uhr, wie ursprünglich vorgesehen — —

(Frau Traupe [SPD]: Warum denn das?)

— Können wir sofort anfangen?

(Allgemeine Zustimmung)

— Die Fraktionen signalisieren mir bis auf die FDP- Fraktion, daß wir gleich mit Tagesordnungspunkt 12 fortfahren können.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung der Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz
Neunter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG)

— Drucksache 10/6816 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß (federführend)

Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß
Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung und Technologie
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. — Widerspruch erhebt sich nicht. So darf ich dies als beschlossen betrachten.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blens. Herr Abgeordneter, vor nicht gerade sehr vollem Haus erteile ich Ihnen das Wort.

(Frau Traupe [SPD]: Aber er ist da!)


Dr. Heribert Blens (CDU):
Rede ID: ID1103029400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn das Haus nicht so voll ist, ist es auch nicht erforderlich, die Anwesenden in eine Datei zu erfassen. Das bedürfte nämlich der Zustimmung des Datenschutzbeauftragten, und ich weiß nicht, ob er bereit wäre, sie zu erteilen.
Ich möchte die Aussprache über den Neunten Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz zum Anlaß nehmen, dem Datenschutzbeauftragten und seinen Mitarbeitern zunächst für ihre Arbeit zu danken. Wie aus dem Bericht zu ersehen ist, hat der Innenausschuß des Bundestages den Bundesbeauftragten für den Datenschutz bei vielen seiner Beratungen um gutachtliche Stellungnahmen gebeten, bei denen es darum ging, die rechtlichen Konsequenzen aus dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts zu ziehen. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat durch seinen Sachverstand und durch seine Beharrlichkeit dazu beigetragen, daß der Datenschutz in den Gesetzen, die zu



Dr. Blens
Ende beraten und verabschiedet werden konnten, angemessen berücksichtigt worden ist.
Der Dank gilt aber auch derjenigen Tätigkeit des Datenschutzbeauftragten, die dazu dient, die Einhaltung der Datenschutzvorschriften bei den verschiedenen Bundesbehörden und sonstigen öffentlichen Stellen des Bundes zu kontrollieren. Der Bericht zeigt, daß auch in diesem Bereich während des Berichtszeitraums durch die Tätigkeit des Datenschutzbeauftragten Mißstände abgestellt, Mängel behoben und datenschutzrechtliche Verbesserungen erreicht werden konnten.
Wenn der Datenschutzbeauftragte in seiner Pressekonferenz am 10. Februar dieses Jahres auf Grund seiner 30 Kontrollen bei Behörden und Dienststellen des Bundes feststellt, Spektakuläres habe sich dabei nicht ergeben, Skandale habe er nicht aufgedeckt, dann ist das ein gutes Zeugnis für den Datenschutz bei den Bundesbehörden.
Der Bericht zeigt, daß der Datenschutzbeauftragte mit seinen Empfehlungen im wesentlichen nur da nicht durchgedrungen ist, wo zwischen ihm und der kontrollierten Behörde unterschiedliche Ansichten darüber bestanden, ob das Speichern oder Übermitteln personenbezogener Daten im Einzelfall zur Erfüllung der Aufgaben, die die kontrollierte Behörde wahrzunehmen hat, erforderlich im Sinne der §§ 9 und 10 des Datenschutzgesetzes ist. Das gilt vor allem für einige Dateien der Sicherheitsbehörden, die diese Behörden für notwendig halten, während der Datenschutzbeauftragte sie für nicht erforderlich erachtet. Hier wird sicherlich der Innenausschuß, der ja für beide Seiten, für den Datenschutz und für die innere Sicherheit zuständig ist, Lösungen zu suchen haben, die den Streit, soweit das geht, beenden.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Volkszählungsurteil u. a. festgestellt — ich zitiere — :
Wegen der für den Bürger bestehenden Undurchsichtigkeit der Speicherung und Verwendung von Daten unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung und auch im Interesse eines vorgezogenen Rechtsschutzes durch rechtzeitige Vorkehrungen ist die Beteiligung unabhängiger Datenschutzbeauftragter von erheblicher Bedeutung für einen effektiven Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.
Der vorliegende Neunte Tätigkeitsbericht bestätigt die Richtigkeit dieses Satzes. Ich möchte dem nichts weiter hinzufügen.
Um so bedauerlicher ist es allerdings, daß bei der Veröffentlichung des Neunten Tätigkeitsberichtes der Streit zwischen dem Datenschutzbeauftragten und dem Bundesinnenminister über den Umfang der öffentlichen Berichterstattung über die Prüfung des Bundesamtes für Verfassungsschutz so stark in den Vordergrund gerückt worden ist. Der Datenschutzbeauftragte hat dazu in seiner Pressekonferenz erklärt, er bedauere diese Entwicklung, weil dadurch nicht nur seine Berichtspflicht, sondern auch das Informationsrecht des Deutschen Bundestages in Frage gestellt werde. Lassen Sie mich dazu einige Dinge klarstellen, die, glaube ich, der Klarstellung bedürfen.
Es ging bei dem Streit zwischen dem Datenschutzbeauftragten und dem Bundesinnenminister nicht um die Frage, ob über die Kontrollen beim Bundesamt für Verfassungsschutz überhaupt öffentlich berichtet werden dürfe oder nicht. Streitig war lediglich die Frage, in welchem Umfang über das Ergebnis dieser Kontrolltätigkeit öffentlich berichtet werden durfte. Weil unterschiedliche Ansichten über den Umfang der erforderlichen Geheimhaltung bestanden, hat der Datenschutzbeauftragte ganz auf die Veröffentlichung eines entsprechenden Berichts verzichtet.
Ich gehe davon aus, daß sich der Innenausschuß mit dieser Frage beschäftigen wird. Da dem Ausschuß auch der nicht veröffentlichte Teil des Berichtes zugänglich ist, kann er sich ein eigenes sachgerechtes Urteil darüber bilden, ob und inwieweit Geheimhaltungsbedürftigkeit bestanden hat. Ich hoffe, daß die Beratungen des Ausschusses zu Ergebnissen führen, die für die Zukunft eine Wiederholung dieser Auseinandersetzung ausschließen, soweit das überhaupt machbar ist.
Der Datenschutzbeauftragte irrt sich allerdings, wenn er erklärt, durch die Nichtveröffentlichung des Berichtes über das Bundesamt für Verfassungsschutz würden sowohl seine Berichtspflicht als auch das Informationsrecht des Deutschen Bundestages in Frage gestellt.

(Fellner [CDU/CSU]: Da irrt er in der Tat!)

Nach § 19 Abs. 2 des Bundesdatenschutzgesetzes erstattet der Bundesbeauftragte für den Datenschutz seinen jährlichen Tätigkeitsbericht dem Deutschen Bundestag. So steht es im Gesetz. Alle Mitglieder des Bundestages haben Zugang zu dem als vertraulich eingestuften Berichtsteil. Das heißt, der Berichtspflicht des Datenschutzbeauftragten und dem Informationsrecht des Bundestages ist trotz der Geheimhaltung des Berichtes über das Bundesamt für Verfassungschutz ohne jede Einschränkung Rechnung getragen.
Die ganze Aufregung wäre meines Erachtens nur verständlich, wenn der Bundesbeauftragte der Meinung wäre, der Adressat seines Berichtes sei in erster Linie die Öffentlichkeit. Zu dieser sicherlich irrigen Annahme könnte man als Mitglied des Bundestages verleitet werden, wenn man die Bundestagsdrucksache mit dem Bericht des Datenschutzbeauftragten mit dem durchaus unüblichen Hinweis übersandt bekommt: Sperrfrist 10. 2. 1987, 11.30 Uhr. Das war der Zeitpunkt der Pressekonferenz des Datenschutzbeauftragten.
Ich will hier nicht auf Einzelpunkte des Berichtes eingehen. Das ist Sache der Beratungen im Innenausschuß. Ich möchte lediglich einige kurze Anmerkungen zu zwei mehr grundsätzlichen Fragen machen.
Die erste betrifft das Verhältnis des Datenschutzbeauftragten zum Gesetzgeber. Der Datenschutzbeauftragte erwähnt in seinem Bericht seine umfangreiche Mitwirkung an den Beratungen einer größeren Zahl von Gesetzentwürfen, bei denen Konsequenzen aus dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts gezogen werden sollte. Er erwähnt zu Recht, daß seine Vorschläge in vielen Fällen vom Innenausschuß übernommen worden sind. Es soll ihm auch



Dr. Blens
nicht verwehrt werden, darauf hinzuweisen, daß ein Teil seiner Vorschläge nicht berücksichtigt worden ist. Ich halte es aber für überlegenswert, ob es richtig ist, in dem Bericht die nicht berücksichtigten Vorschläge viel umfangreicher als diejenigen darzustellen, die Berücksichtigung gefunden haben,

(Fellner [CDU/CSU]: Ein unfreundlicher Akt ist das!)

und ich bin auch nicht sicher, ob es richtig ist, daß der Datenschutzbeauftragte immer wieder darauf hinweist, daß er seine nicht berücksichtigten Voten auf jeden Fall aufrechterhalte.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Dafür erhalten wir die Nichtberücksichtigung aufrecht!)

Der Datenschutzbeauftragte sollte sich meines Erachtens überlegen, ob dieses Verfahren im Interesse einer gedeihlichen Zusammenarbeit zwischen ihm und dem Ausschuß wirklich beibehalten werden soll.

(Paterna [SPD]: Soll das eine Drohung sein?)

— Nein. Das ist nur eine Frage, die man auf beiden Seiten prüfen sollte.
Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im überwiegenden Allgemeininteresse durch den Gesetzgeber unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt werden. Da, wo das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung einerseits und das Allgemeininteresse andererseits aufeinanderstoßen, hat der Gesetzgeber die Aufgabe, den Ausgleich zwischen beiden Rechtsgütern herzustellen, und dabei steht dem Gesetzgeber ein gewisser Gestaltungsspielraum zu. Das heißt, daß die Verfassung im allgemeinen nicht nur eine, sondern verschiedene Lösungen gestattet, für die sich der Gesetzgeber auch gegen das Votum des Datenschutzbeauftragten entscheiden kann, ohne gegen Verfassungsrecht zu verstoßen. Ich meine, auch der Datenschutzbeauftragte sollte, wenn ein Gesetz einmal unter seiner Beteiligung verabschiedet worden ist, die Entscheidung des Gesetzgebers hinnehmen, und zwar auch dann, wenn er nicht mit allen seinen Vorschlägen durchgedrungen ist.

(Paterna [SPD]: Lerne leiden, ohne zu klagen!)

Erst recht sollte der Datenschutzbeauftragte auf Kritik daran verzichten, daß ein datenschutzrechtlich relevanter Gesetzentwurf nicht von der Bundesregierung, sondern von den Koalitionsfraktionen im Bundestag eingebracht worden ist, was ja bekanntlich verfassungsrechtlich zulässig und nach meinem Parlamentsverständnis durchaus wünschenswert ist

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: So ist es!)

und meines Erachtens noch viel öfter geschehen sollte.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Wir sind ja auch wer!)

Ich glaube, es wäre für das Verhältnis zwischen Parlament und Datenschutzbeauftragten auch dienlich,
wenn der Eindruck vermieden würde, als sei der Datenschutzbeauftragte der einzige, der zur authentischen und unfehlbaren Interpretation des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts berufen ist. Das Bundesverfassungsgericht weist in seinem Urteil selbst darauf hin, daß die Verfassungsbeschwerden gegen das Volkszählungsgesetz 1983 keinen Anlaß zur erschöpfenden Erörterung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gäben. Ich meine, die neueren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 24. und 28. September dieses Jahres zum Volkszählungsgesetz 1987 zeigen, daß das Gericht selbst das Volkszählungsurteil in einzelnen Punkten anders zu interpretieren scheint, als es der Datenschutzbeauftragte bisher für richtig gehalten hat. Wir tun also alle zusammen gut daran, uns gegenseitig zuzugestehen, daß man in Sachen Datenschutz mit guten Gründen unterschiedlicher Meinung sein kann, ohne deshalb gleich mit der Verfassung in Konflikt zu geraten.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch eine letzte Anmerkung machen, nämlich zu dem sogenannten Übergangsbonus, der in dem Bericht des Datenschutzbeauftragten eine große Rolle spielt. Der Datenschutzbeauftragte ist der Ansicht, die sogenannte Bindungswirkung von Entscheidungen des Bundesverfasssungsgerichts nach § 31 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes führe dazu, daß die tragenden Gründe des Volkszählungsurteils auch solche Regelungen erfaßten, deren Verfassungswidrigkeit vom Bundesverfassungsgericht nicht ausdrücklich festgestellt worden ist. Das habe zur Folge, daß diese Regelungen nur noch für eine Übergangszeit, die am Ende dieser Legislaturperiode auslaufe, angewandt werden dürften und danach nicht mehr anzuwenden seien.
Es ist natürlich jedermann unbenommen, eine solche Rechtsmeinung zu vertreten, aber aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts läßt sie sich nicht herleiten. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in einem seiner ersten Urteile am 23. Oktober 1951 festgestellt, daß sich die Bindungswirkung seiner Entscheidungen nach § 31 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes auf die Materie erstreckt, die unmittelbar Gegenstand dieser Entscheidung war.
Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Übergangsbonus bezieht sich nur auf solche Regelungen, die selbst Gegenstand eines Verfassungsgerichtsverfahrens waren und die vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich für verfassungswidrig erklärt worden sind. Es kann deshalb meines Erachtens keine Rede davon sein, daß alle Regelungen, die nach der Ansicht des Datenschutzbeauftragten die Voraussetzungen des Volkszählungsurteils nicht erfüllen, vom Ende dieser Legislaturperiode an automatisch nicht mehr angewandt werden dürfen, obgleich sie überhaupt nicht Gegenstand eines Verfassungsgerichtsprozesses waren.
Um aber in diesem Zusammenhang keine Irrtümer aufkommen zu lassen, will ich ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Koalition den Willen hat, die auf Grund des Volkszählungsurteils erforderlichen Gesetze und Gesetzesänderungen noch in dieser Wahl-



Dr. Blens
periode zu verabschieden, damit sie spätenstens am Ende der Legislaturperiode in Kraft sind. Das gilt nicht zuletzt für die sogenannten Sicherheitsgesetze.
Ich hoffe bei diesen Beratungen auf eine intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und möchte hier versichern, daß wir alle seine Anregungen übernehmen werden, von deren Richtigkeit er uns überzeugt.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Im übrigen hoffe ich auf sachliche und gründliche Beratungen des Neunten Tätigkeitsberichtes. Ich bin sicher, daß der Bericht eine gute Grundlage ist, um den Datenschutz in der Bundesrepublik wiederum ein gutes Stück voranzubringen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103029500
Das Wort hat der Abgeordnete Wartenberg (Berlin).

Gerd Wartenberg (SPD):
Rede ID: ID1103029600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Blens, es wäre vielleicht etwas besser gewesen, Sie hätten mehr zum Datenschutz gesagt als überwiegend zur Kritik am Bundesdatenschutzbeauftragten.

(Dr. Blens [CDU/CSU]: Ich habe zum Bericht etwas gesagt!)

Ich finde, Auswirkung und Entwicklung des Datenschutzes aus der Sicht der CDU/CSU beschrieben zu bekommen wäre für uns alle ein bißchen spannender gewesen. Die nette Zusage, daß Sie alles das übernehmen würden, wovon der Datenschutzbeauftragte Sie überzeugt,

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Lesen Sie einmal die Tagesordnung; es heißt: Beratung des Berichts!)

wird wohl bedeuten, er wird Sie in nur sehr wenigen Punkten überzeugen. Wenn ich mir den Inhalt Ihrer Rede noch einmal vor Augen halte, werden Sie sehr, sehr wenig übernehmen.
Meine Damen und Herren, es ist auch deutlich geworden, daß der Datenschutz nicht gerade ein Lieblingskind dieser Regierungskoalition ist.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Na, na!)

Viele Gesetzesvorhaben insbesondere im Bereich der inneren Sicherheit haben den Konflikt zwischen konservativen sicherheitspolitischen Vorstellungen und einem offensiven Datenschutz immer wieder deutlich gemacht.

(Dr. Hirsch [FDP]: Na, na!)

— Sie können doch ein Lied davon singen, Herr Hirsch.
Der wesentlichste Einschnitt der Diskussion um die Datenschutzgesetzgebung ist das Volkszählungsurteil. Dieses Urteil hat deswegen eine so ungeheure Bedeutung, weil es am Beispiel des Volkszählungsgesetzes Anforderungen an den Gesetzgeber für alle weiteren gesetzlichen Maßnahmen im Sicherheitsbereich und darüber hinaus festgelegt hat. Insofern gibt es jetzt eine verbindliche Grundlage für die weitere
Entwicklung des Datenschutzes. Die Bundesregierung und das Parlament sind verpflichtet, auf der Basis dieses Urteils viele gesetzliche Grundlagen neu zu schaffen.
Neben objektiven Schwierigkeiten, die komplexe Materie einiger Gesetzesvorhaben auf der Grundlage des Volkszählungsurteils neu zu gestalten, zeigt sich sehr deutlich, daß die Bundesregierung auch wegen Uneinigkeit in der Koalition selbst nicht willens und nicht in der Lage ist, diesen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtsurteils angemessen nachzukommen. Dies ist der eigentliche Skandal, der jetzt immer stärker wird, zumal ohne gesetzliche Grundlage immer wieder neue Vorstöße von Behörden gemacht werden, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Ich erinnere nur an die kürzlich aufgedeckte AraberDatei im Bundeskriminalamt.
Auch die bisher verabschiedeten Gesetze, die auf der Basis des Volkszählungsurteils novelliert worden sind, zeigen, daß die Regierung teilweise schlampig und teilweise unverantwortlich unter Zeitdruck diese Gesetze verabschiedet hat. Der Datenschutzbericht macht dies ja an vielen Punkten deutlich. Ich denke insbesondere an das Personalausweisgesetz, bei dem in skandalöser Weise kurzfristig und ohne ausreichende Beratungszeit im Parlament der § 163 d der Strafprozeßordnung, also der Schleppnetz-Paragraph-, eingefügt wurde.

(Dr. Penner [SPD]: Mit maßgebender Unterstützung von Herrn Hirsch!)

Hier moniert der Bundesbeauftragte zu Recht, daß die datenschutzrechtlichen Maßnahmen unzulänglich realisiert worden sind.
Das gleiche gilt für das ZEVIS-Gesetz, d. h. für das Zentrale Verkehrsinformationssystem. Obwohl eigentlich ausreichend Zeit war, darüber zu beraten, wurde dieses Gesetz unter dem Eindruck des schrecklichen Mordes an Herrn von Braunmühl kurzfristig mit der Begründung durch den Bundestag gepeitscht, daß Mängel bei den Fahndungserfolgen auch darauf zurückzuführen seien, daß ZEVIS noch nicht in Kraft sei.

(Dr. Penner [SPD]: Das war eine schiere Behauptung!)

Dies stimmte natürlich überhaupt nicht. Man wollte der Öffentlichkeit von seiten der Bundesregierung vielmehr demonstrieren, daß man nun endlich wirkungsvolle Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus durchsetze. Man hat der Öffentlichkeit also Sand in die Augen gestreut und gleichzeitig ein Gesetz verabschiedet, das datenschutzrechtlich völlig ungenügend ist. Das wird beispielsweise daran deutlich, daß die Übergangsregelung für Verfassungsschutz und MAD, die im übrigen zeitlich unbefristet ist, völlig unzulänglich ist.
Gerade beim ZEVIS-Gesetz, das im letzten Jahr verabschiedet worden ist, zeigt sich deutlich, an welche Grenze die Kontrolle des Datenschutzes in unserer Gesellschaft stößt. Dateien wie ZEVIS, von denen im On-Line-Verkehr von sehr vielen Dienststellen massenhaft Daten abgefragt werden können, entziehen sich zunehmend der Kontrolle des Daten-



Wartenberg (Berlin)

schutzes. Die Quantität schlägt in eine neue Qualität um. Hier stellt sich also über die rein technischen Gesetzeseinzelheiten hinaus die Frage, inwieweit eigentlich der Einsatz bestimmter Technologien in unserer Gesellschaft zulässig sein kann, wenn letzten Endes die Kontrolle der Datenerhebung und Datenübermittlung kaum noch gewährleistet werden kann.
Die dramatische technische Entwicklung macht immer deutlicher, daß ein wirkungsvoller Datenschutz immer schwieriger wird. Es bereitet immer größere Schwierigkeiten, allein die technischen Innovationen, die es überall gibt, auch nur gedanklich nachzuvollziehen. Jede Einführung technischer Innovation führt erst einmal, solange keine gesetzlichen Grundlagen bestehen, zu Verhaltensweisen, die sich verfestigen und einer offensiven Gesetzgebung auf dem Gebiete des Datenschutzes aus sogenannten Sachzwängen heraus wenig Spielraum lassen. Insofern stellt sich nach wie vor die Frage, ob unsere Gesetzgebung auf dem Gebiete des Datenschutzes im klassischen Sinne in Zukunft ausreichen wird, um mit diesem Problem fertig zu werden, oder ob man nicht vielmehr ein Gesetz über die Informationsbeziehungen in unserer Gesellschaft schaffen muß, um dem Anspruch der informationellen Selbstbestimmung, der ja vom Bundesverfassungsgericht postuliert wurde, auch nur einigermaßen gerecht werden zu können.
Wenn man die technische Entwicklung und die Einführung neuer Techniken in allen Bereichen sieht und wenn man bedenkt, welche Möglichkeiten der Datenschutz eröffnet und zukünftig eröffnen wird, dann muß man sehr skeptisch sein, was die Kontrolle dieser Entwicklung angeht. Aber gerade weil es eher schwieriger als leichter wird, sind wir Sozialdemokraten der Meinung, daß der Datenschutz in der Zukunft eine weitaus größere Bedeutung als heute haben muß.
Hierbei kommt auch der öffentlichen Diskussion eine große Bedeutung zu. Wir haben in diesem Jahr eine heftige emotional geführte Diskussion über die Volkszählung gehabt, ohne daß damit — das ist mein persönlicher Eindruck — die Probleme des Datenschutzes in unserer Gesellschaft konkret benannt worden sind. Es sind Vorbehalte und ein berechtigtes Mißtrauen allgemeiner Art des Bürgers gegenüber dem Staat artikuliert worden.
Diese Diskussion über die öffentliche Wahrnehmung schwieriger datenschutzrechtlicher Probleme wurde auch bei der Anhörung über das ZEVIS-Gesetz und bei der Verabschiedung dieses Gesetzes deutlich. Sowohl die Anhörung als auch die Gesetzesberatung wurden von der Öffentlichkeit — auch von den Kritischen Zeitungen — kaum zur Kenntnis genommen, obwohl ZEVIS eine sehr einschneidende Technik und Neuerung war und auf lange Sicht gesehen weitaus problematischer und schwieriger als die Volkszählung ist.
Die eigentlichen Schwierigkeiten und dramatischen Veränderungen werden in der breiten Öffentlichkeit nicht deutlich, da sie komplex und kompliziert sind. Wirksame Maßnahmen für einen verstärkten Datenschutz können eigentlich nur aus der Kenntnis der Zusammenhänge erwachsen, die sich in den verschiedenen Behörden und Institutionen abspielen. Gerade deswegen hat der Datenschutzbericht eine so unendlich große Bedeutung. Das sehen wir eben anders, als Sie es soeben vorgetragen haben. Im Datenschutzbericht wird versucht, den jeweiligen Stand der Entwicklung und der Einhaltung des Datenschutzes an konkreten Beispielen darzustellen.
Herr Blens, wenn Sie vorhin moniert haben, der Datenschutzbeauftragte möge doch mehr Positives darstellen, dann erinnert mich das an die Forderung, die ein CSU-Abgeordneter einmal an das Deutsche Fernsehen gerichtet hat

(Dr. Hirsch [FDP]: Das war Spranger!)

— ja Spranger war es — , man möge doch bitte positivere Nachrichten im Fernsehen bringen.

(Fellner [CDU/CSU]: Das möchte auch der Bürger!)

Die Welt ist leider so schlecht, wie sie ist. Das Gute am Datenschutzbericht ist, daß er die Realität des Datenschutzes in unserer Gesellschaft und in den Behörden sehr deutlich darstellt. Da gibt es eben viele Probleme. Der Datenschutzbeauftragte macht das ja sehr gemäßigt und nicht polemisch, eben in einer sachlich angemessenen und deutlichen Art und Weise. Ich kann ihm oder demjenigen, der dieser Behörde zukünftig einmal vorstehen wird, nur sagen, daß eine solche Berichterstattung für das Parlament nach wie vor der einzig angemessene Rahmen ist, um Mängel zu beheben.
Lassen Sie mich einiges zu den noch ausstehenden Gesetzesvorhaben des Bundes sagen. Uns stehen noch etwa 15 Gesetzesvorhaben ins Haus, die auf Grund des Volkszählungsurteils teilweise neu, teilweise als Novellierung eingebracht werden müssen. Der Übergangsbonus — auch da nehmen wir eine andere Einschätzung vor als Sie, Herr Blens — , wenn er nicht eigentlich schon abgelaufen ist, müßte spätestens Ende dieser Periode ablaufen.
Nun haben wir gestern im Innenausschuß von Herrn Gerster, Ihrem innenpolitischen Sprecher, erfahren, daß von diesen 15 Gesetzen in dieser Legislaturperiode wahrscheinlich nur fünf verabschiedet werden können.

(Fellner [CDU/CSU]: Das hat er nicht gesagt!)

— Wahrscheinlich nur fünf Gesetze verabschiedet werden, das hat er wörtlich gesagt.

(Fellner [CDU/CSU]: Er hat gesagt, wenn wir die Hälfte schaffen, sind wir gut!)

Ich sage nur: Wenn dies Realität werden sollte, dann stellt sich allerdings die verfassungsrechtliche Frage, ob der Übergangsbonus nicht weit, weit überzogen wird.

(Fellner [CDU/CSU]: Macht zügig mit, dann schaffen wir alles! Dr. Blens [CDU/CSU]: Ja, es kommt darauf an, wielange Sie das verzögern!)

Ich kann nur sagen: Wir werden verlangen, daß
schnellstmöglich alle in Rede stehenden Gesetze in



Wartenberg (Berlin)

den Bundestag eingebracht werden und daß eine ausreichende Beratungszeit zur Verfügung steht,

(Fellner [CDU/CSU]: Das ist das Problem!)

um dann datenschutzrechtlich einwandfreie Gesetze zu verabschieden.

(Fellner [CDU/CSU]: Dann verweigert ihr euch!)

Wir werden uns auf Grund der Erfahrungen der letzten Jahre und der Aussagen im Neunten Datenschutzbericht dagegen wehren, daß wieder aus aktuellem Anlaß wichtige Gesetzesvorhaben ohne ausreichende Beratung der datenschutzrechtlichen Fragen durch den Bundestag gepeitscht werden. Das Bundesverfassungsgericht hat im Volkszählungsurteil ausdrücklich festgestellt, daß eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Datenschutz die Schaffung von einwandfreien Rechtsgrundlagen ist. Hier hat die Regierung bis jetzt versagt. Es stellt sich schlichtweg auch die Frage nach der Handlungsfähigkeit dieser Koalition, die sich letzten Endes aus ihren internen Streitigkeiten heraus ja nicht in der Lage sieht, den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts in irgendeiner Weise gerecht zu werden.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Na, na!)

— Entschuldigen Sie, Sie haben doch die Gesetze zurückziehen müssen, weil Sie sich miteinander überhaupt nicht verständigen können! Wenn es denn angeblich gesellschaftlich so dramatische Punkte sind, dann fragt man sich doch wirklich: Was kann diese Regierung in diesem Bereich überhaupt noch auf die Beine bringen, außer daß Sie sich gegenseitig beschimpfen?

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Jetzt gehen Sie entschieden zu weit!)

Das haben wir doch heute morgen auch wieder gesehen.
Ein Punkt aus dem Neunten Datenschutzbericht muß besonders erwähnt werden. Die Tatsache, daß der Bericht zum ersten Mal nichts über das Bundesamt für Verfassungsschutz beinhaltet, macht sehr deutlich, daß hier eine Entwicklung eingesetzt hat, die nicht erträglich ist. Es kann nicht angehen, daß der Bundesdatenschutzbeauftragte daran gehindert wird, seinen Kontrollauftrag durchzuführen und das zu veröffentlichen, was er dort kontrolliert hat. Auch die Versuche, die im Laufe des letzten Jahres stattgefunden haben, den Bundesdatenschutzbeauftragten in seiner Arbeit dadurch zu behindern, daß man ihn aus den verdeckt arbeitenden Behörden möglichst heraushält, machen sehr deutlich, wie die Tendenz bei dieser Regierung ist.
Ich erinnere hier auch an den skandalösen Auftritt des vorigen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Herr Pfahls. Er ist ja nun zum Staatssekretär im Verteidigungsministerium weggelobt worden; auf Grund welcher Qualitäten, ist nicht ganz klar. Dieser Mann hat in der Anhörung im Ausschuß gesagt, er plädiere dafür, daß der Bericht des Datenschutzbeauftragten über das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht mehr dem Parlament zugeleitet werden soll, sondern nur noch der Parlamentarischen Kontrollkommission, damit auf jeden Fall verhindert werde, daß irgendeine öffentliche Diskussion zustande komme. Dies ist die Geisteshaltung, die sich zwar im Augenblick nicht voll durchsetzen kann, die aber bei den Konservativen bezüglich des Datenschutzbeauftragten und der verdeckt arbeitenden Behörden immer wieder sehr deutlich wird.

(Fellner [CDU/CSU]: Was er sagt, ist aus fachlicher Sicht sehr vernünftig!)

Ich kann Ihnen nur sagen: Dies wird auch eine der zentralen Diskussionen in den nächsten Wochen sein, wenn wir im Innenausschuß über diesen Bereich diskutieren. Wir weisen derartige Vorstöße aus dem Bereich des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit aller Entschiedenheit zurück; denn der Datenschutzbeauftragte kann nur erfolgreich sein, wenn die parlamentarische Kontrolle mindestens gleichermaßen stattfindet. Erst das Bekanntwerden von Mangeln kann letzten Endes eine wirkungsvolle Veränderung von Gesetzen oder von Verhaltensweisen der Behörden mit sich bringen. Deswegen muß der Datenschutzbeauftragte weiterhin in die Lage versetzt sein, alle Bereiche zu kontrollieren und dies dem Parlament und der Öffentlichkeit auch zugänglichzumachen. Wir sind uns durchaus bewußt, daß bei den verdeckt arbeitenden Behörden, was die öffentliche Diskussion angeht, bestimmte Grenzen eingehalten werden müssen.
Besonders alarmierend ist der Hinweis des Datenschutzbeauftragten, daß im Bereich des Militärischen Abschirmdienstes erstmals der erreichte Stand des Datenschutzes wieder abgebaut wird. Der Militärische Abschirmdienst will zur automatischen Speicherung von zum Teil sensiblen Merkmalen aus Sicherheitsüberprüfungen zurückkehren. Eine solche Speicherung kann jeden Soldaten betreffen. Diese Art der Datenverarbeitung war, wie der Datenschutzbeauftragte mitteilt, schon auf Grund einer Beanstandung des Datenschutzbeauftragten 1982 eingestellt worden, und die Daten waren wieder gelöscht worden. Die Tatsache, daß man diese Praxis wieder geändert hat, wird den Innenausschuß auch bei der Beratung des neunten Berichtes intensiv beschäftigen.
Lassen Sie mich noch einige Sätze zu dem Klima, in dem sich die Datenschutzdiskussion abspielt, sagen. Zimmermann und Spranger, unterstützt von Generalbundesanwalt Rebmann, haben keine Gelegenheit ausgelassen, den Datenschutz als Täter- oder Tatenschutz zu diskreditieren.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn! — Dr. Hirsch [FDP]: Das klappt aber nicht!)

— Natürlich haben Sie das gemacht. Das wissen Sie.

(Dr. Hirsch [FDP]: Das glaubt keiner!)

— Ja, gut, es ist eine schöne Aussage, die Sie über Ihre eigene Regierung machen, wenn Sie sagen, daß Ihre eigene Regierung unglaubwürdig ist. Es freut mich, Herr Hirsch, daß Sie uns da beitreten.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Diffamieren Sie nicht den Herrn Hirsch!)

Diese Leute haben wiederholt den unsinnigen und nicht dem Grundgesetz entsprechenden Versuch gemacht, den Datenschutz zu einer wirksamen Krimina-



Wartenberg (Berlin)

litätsbekämpfung in Widerspruch zu bringen. Die ständigen Behauptungen, der Datenschutz verhindere eine wirksame Verbrechensbekämpfung, ist in keinem Fall belegt worden, übrigens eben auch nicht, wie schon erwähnt, in dem Mordfall von Braunmühl bei der Verabschiedung von ZEVIS. Das waren eben reine Alibi- und Ablenkungsmaßnahmen, die sachlich nicht eilbedürftig waren. Man hat wieder einmal in beiden Fällen die Gunst der Stunde, eben die Erregung der Öffentlichkeit, genutzt, um eine gründliche, von der Öffentlichkeit kritisch verfolgte Gesetzesberatung zu vermeiden. In beiden Fällen sind umstrittene neue Technologien im Handstreichverfahren eingeführt worden, deren zukünftige Auswirkungen auf die Gesellschaft und den Schutz der Bürgerrechte nicht hinreichend untersucht worden sind.
Für uns Sozialdemokraten ist Datenschutz Freiheitsrecht. Die freiheitssichernde Wirkung des Datenschutzes kann sich aber nur entfalten, wenn der Datenschutz auch als Mittel zur Verteilung der Information im Sinne des Ausgleichs gesellschaftlicher Macht verstanden wird. Wir stellen weiterhin fest: Ein Stillstand im Datenschutz bedeutet Gefährdung der Freiheit. Entwicklungstempo und Verbreitung moderner Informations- und Kommunikationstechniken verlangen deshalb immer dringlicher die Weiterentwicklung des Bundesdatenschutzgesetzes sowie der Datenschutzgesetze der Länder. Wir Sozialdemokraten werden noch in diesem Jahr einen eigenen Entwurf zur Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes einbringen.

(Dr. Hirsch [FDP]: Noch einen?)

Verstärkt gilt dies für den bereichsspezifischen Datenschutz, der teilweise noch ganz fehlt oder noch unzureichend geregelt ist.
Meine Damen und Herren, im Zentrum des Datenschutzes müssen Transparenz und Zweckbindung stehen. Hier und auch bei den Entwicklungen in der letzten Periode hat sich deutlich gezeigt — dies zeigt auch wieder der Neunte Datenschutzbericht — , daß die Zweckbindung und die Transparenz nach wie vor nicht überall verwirklicht worden sind.
Ein weiterer wesentlicher Punkt, der sich aus der gesellschaftlichen Entwicklung immer neuer Techniken ergibt, muß der Grundsatz sein, daß weniger Daten gesammelt werden. Es geht nicht nur darum — auch dies macht der Datenschutzbericht an verschiedenen Stellen deutlich — , die Praktiken beim Erheben und Weitergeben von Informationen zu kontrollieren und einzuschränken, sondern auch darum von vornherein eine größere Selbstbeschränkung der Behörden beim Sammeln von Daten und Informationen zu erreichen.
Darauf wird im Neunten Datenschutzbericht bei dem Abschnitt über das Bundeskriminalamt besonders hingewiesen.

(Vorsitz: Vizepräsident Westphal)

Dort ist 1986 der Betrieb der Arbeitsdatei PIOS-Innere Sicherheit aufgenommen worden. Der Datenschutzbeauftragte moniert, daß in diese auf Schwerstkriminalität abgestimmte Datenbank auch Personen — und insbesondere deren Umfeld — denen vergleichsweise
geringfügige Verstöße wie z. B. Sachbeschädigung durch Plakatierung oder Beleidigung vorgeworfen werden, einbezogen werden, wenn die Polizei dahinter politische Motive oder Ziele vermutet.
Diese Ausuferung der Datensammelei ist nicht im Sinne des Datenschutzes und muß eingeschränkt werden. Dies beinhaltet nach wie vor, daß der Bürger auch wissen muß, wie mit seinen Daten umgegangen wird.
Die Datenschutzbeauftragten der Länder und des Bundes allein können eine wirksame Kontrolle nicht gewährleisten. Der Bürger muß selbst die Kontrolle darüber behalten, wer wie mit seinen Daten umgeht. Das heißt, Benachrichtigungspflichten und Auskunftsrechte müssen einen ganz großen Stellenwert erhalten.
Lassen Sie mich zum Schluß zu der Tätigkeit des Datenschutzbeauftragten und seiner Dienststelle einige Anmerkungen machen. Die Arbeit des Datenschutzbeauftragten wird seit der Einrichtung dieser Stelle von meiner Fraktion hoch geschätzt und ist heute ein unverzichtbarer Bestandteil unseres demokratischen Systems. Es haben sich aber im Aufgabenfeld dramatische Veränderungen ergeben, spätestens seit dem Volkszählungsurteil. Der Datenschutzbeauftragte wird mehr und mehr durch Beratungen im Innenausschuß, im Plenum, bei Anhörungen und in Abstimmungsgesprächen mit den Ressorts blockiert. Dies wird eher noch zunehmen, wenn man sich anschaut, wie viele neue Gesetze noch auf Grund des Volkszählungsurteils neu eingebracht oder novelliert werden müssen. Das heißt, der Datenschutzbeauftragte und sein Amt kommen zunehmend ihrer eigentlichen Funktion, nämlich der Kontrollfunktion, weniger nach, weil letzten Endes nicht ausreichend Zeit dazu ist. Dies könnte allein dadurch kompensiert werden, daß die Dienststelle des Datenschutzbeauftragten personell erheblich aufgestockt wird.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat deshalb gestern im Innenausschuß — sie wird es bei den Haushaltsberatungen ebenfalls tun — einen Antrag eingebracht, die Zahl der Stellen beim Bundesdatenschutzbeauftragten zu erhöhen, damit die Arbeitsfähigkeit dieser Behörde langfristig gesichert werden kann.
In Zukunft werden der Datenschutzkontrolle durch die informationstechnischen Entwicklungen im großen Ausmaß zusätzliche Aufgaben zuwachsen. Insbesondere der sich rasch ausbreitende Einsatz von Personalcomputern erfordert verstärkte Kontrollen. Das gilt auch für viele neue Kommunikationsdienste bei den Bundesbehörden. Der Datenschutzbeauftragte hat darauf hingewiesen, daß die Datenverarbeitungskosten der Bundesbehörden mehr als das Hundertfache des Gesamtetats des Datenschutzbeauftragten ausmachen. Hier ist — so wird wohl jeder feststellen — kein vernünftiges Verhältnis zu der Ausstattung dieser Dienststelle mehr gegeben.
Die SPD-Bundestagsfraktion dankt dem Datenschutzbeauftragten und seinen Mitarbeitern für ihre konsequente und beharrliche Arbeit. Wir werden uns dafür einsetzen, daß der Datenschutzbeauftragte und seine Mitarbeiter nicht als Störenfriede betrachtet



Wartenberg (Berlin)

werden, sondern als ein nicht wegzudenkender Bestandteil unseres demokratischen Rechtsstaats. Wir werden den Achten und den Neunten Datenschutzbericht — dies muß eine Selbstverpflichtung für den Innenausschuß sein, Datenschutzberichte künftig zügiger, aber gleichfalls umfänglicher zu beraten — intensiv diskutieren.

(Fellner [CDU/CSU]: Schon nächste Woche!)

Wir hoffen dann allerdings zusammen mit dem Datenschutzbeauftragten, daß dessen Anregungen gegenüber der Regierungskoalition durchgesetzt werden.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103029700
Das Wort hat der Abgeordnete Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1103029800
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Wartenberg, ich wäre wirklich enttäuscht gewesen, wenn Sie Ihre Rede nicht mit ein paar polemischen Angriffen gewürzt hätten. Es müßte aber eigentlich schön sein, einmal über eine Sache selber reden zu können, ohne bei dieser Gelegenheit dem anderen bösen Willen oder was weiß ich alles vorzuwerfen.

(Wüppesahl [GRÜNE]: Das sind doch Tatsachen, Herr Hirsch!)

Wir nehmen den Datenschutz sehr ernst. Das ist einer der Gründe dafür, warum wir uns so schwer damit tun und warum die Weiterentwicklung, die in der Tat notwendig ist, nicht so ganz einfach ist. Wenn Sie selber ankündigen, daß Sie einen neuen Gesetzentwurf vorlegen — es ist dann der dritte, den ich von der Opposition dazu lesen darf — , dann zeigen Sie ja, wie sich diese Materie weiterentwickelt und daß sie weiterentwickelt werden muß. Aber einen Vorwurf können Sie natürlich nicht erheben: Sie können nicht sagen, daß wir wer weiß was für Regelungen durchpeitschten, wie Sie meinen, und auf der anderen Seite uns gleichzeitig vorwerfen, wir kämen keinen Schritt weiter.

(Wartenberg [Berlin] [SPD]: Das Parlament soll ausführlich beraten!)

Die Beispiele, die Sie für das Durchpeitschen genannt haben, betreffen alle Materien, die wir seit Jahren beraten und beschlossen haben, teilweise mit Ihrer Stimme, wenn ich an den Personalausweis denke. Es sind also keine Punkte gewesen, bei denen wir nicht mindestens zwei Anhörungen gemacht haben. Das wird der Kollege Nöbel bestätigen müssen.

(Dr. Nöbel [SPD]: Aber wir wollen Ihnen doch helfen!)

Nun möchte ich mich dem verehrten Kollegen Blens zuwenden.

(Dr. Blens [CDU/CSU]: Das finde ich nett von Ihnen!)

Ich muß Ihnen sagen: Die Sperrfrist ist die geringste Sorge, die ich habe. Natürlich sind die Berichte des Datenschutzbeauftragten für die Öffentlichkeit bestimmt. Das ist auch großartig. Es ist auch notwendig,
daß sie öffentliches Interesse genießen. Ich freue mich darüber. Wir haben ja bei einer ganzen Reihe von politischen Vorgängen gemerkt — nicht zuletzt an der Volkszählung — , wie groß auch das Mißtrauen der Bevölkerung ist, daß mit der Datenverarbeitung mehr Wissen und mehr Informationen über den einzelnen gesammelt werden, als wir es vom Staat wollen. Ich sage Ihnen, daß wir nur dadurch, daß dieses öffentliche Mißtrauen durch vernünftiges Verhalten, durch vernünftige Regelungen und durch große Offenheit in diesem Bereich durchbrochen wird, die Voraussetzungen schaffen werden, moderne Technik auf Dauer überhaupt anwenden zu dürfen und anwenden zu können. Wenn es uns nicht gelingt, hier wirklich Vertrauen zu schaffen, werden wir mit der Anwendung dieser notwendigen Technik in die größten Probleme geraten, und zwar berechtigterweise.
Sie sagen, der Datenschutzbeauftragte ist nicht der einzige, der zur Auslegung des Volkszählungsurteils berufen ist. Richtig, das behauptet er auch gar nicht, aber er ist sicherlich derjenige, der mehr davon versteht als die meisten von uns. Das wird man, glaube ich, ohne Einschränkung sagen können. Er ist im Gegensatz zu seinem Vorgänger ein Datenschutzbeauftragter Ihrer Wahl. Sie sollten dann nicht traurig sein, wenn er seine Pflicht nun sehr ernst nimmt. Ich finde, daß er das mit großer Sorgfalt, mit großer Fairneß und mit großer Korrektheit tut.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Wir würden in diesem Parlament sicherlich keine Mehrheit haben, wenn beabsichtigt wäre, die Befugnisse des Datenschutzbeauftragten einzuschränken. Das wäre keine Absicht, die wir teilen würden.

(Dr. Blens [CDU/CSU]: Wer hat denn die Absicht, Herr Hirsch?)

— Ich will das nur ganz vorsorglich sagen, damit da gar keine Irrtümer entstehen.
Wir sind für den Neunten Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz sehr dankbar. Wir begrüßen, daß wir ihn nun im Innenausschuß im einzelnen beraten können. Wie immer man es rechtlich wertet — es ist sicher, daß der Übergangsbonus nach dem Volkszählungsurteil von 1983 nun zu Ende geht, d. h. daß die Gerichte in zunehmendem Maße dazu übergehen, die Grundsätze des Volkszählungsurteils in Einzelentscheidungen umzusetzen. Ich möchte die Gerichte ausdrücklich ermutigen, auf diesem Wege fortzufahren.
Das Ganze ist zweifellos eine komplizierte Materie, und das macht uns ja die Probleme. Das Verfassungsgericht verlangt nicht mehr und nicht weniger, als daß im Bereich der Informationsverarbeitung von der klassischen Vorstellung Abschied genommen wird, daß der Staat eine in sich geschlossene Einheit ist. Die klassische Gewaltenteilungslehre wird ergänzt durch den Gedanken, daß das Wissen eines Teiles des Staates nicht für die gesamte staatliche Tätigkeit aller anderen Behörden ohne weiteres zur Verfügung stehen darf, und das war in Wirklichkeit auch nie der Fall. Wenn das Wissen einer Behörde in Karteien und Akten festgehalten wird, dann sind der Übermittlung dieser Kenntnisse an andere Behörden und der Auf-



Dr. Hirsch
bewahrung dieser Kenntnisse natürliche Grenzen gesetzt. Gerade diese Grenzen, die es immer gegeben hat, hebt die moderne Datenverarbeitung zu einem Zeitpunkt auf, zu dem der Staat über den einzelnen mehr weiß als zu jedem anderen früheren Zeitpunkt.
Wenn wir also die Privatsphäre — Datenschutz ist ja für viele Mitbürger immer noch ein Fremdwort; es geht um den Schutz der Privatsphäre — gegenüber einem allwissenden Staat erhalten wollen, dann muß es eine informationelle Gewaltenteilung geben. Solche Informationsschranken hat es traditionell immer gegeben. Bankgeheimnis, Steuergeheimnis, die beruflichen Schweigepflichten, auch viele Regelungen der Strafprozeßordnung zeigen, daß selbst in diesem Bereich dem Wissen des Staates im Interesse des einzelnen Informationsverarbeitungsgrenzen gesetzt werden müssen.
Nun sind wir leider bei der Umsetzung der Gebote des Verfassungsgerichts nicht so schnell weitergekommen, wie wir das wollten. Wenn der Bundesinnenminister gelegentlich sagt, er komme auch ohne die Sicherheitsgesetze glänzend aus, also ohne die Gesetze, die im Interesse der Privatsphäre des einzelnen auch gegenüber Polizei und Verfassungsschutz die Grenzen der Datenverarbeitung regeln sollen, dann dürfte er das eigentliche Problem verkennen. Die Rechtsunsicherheit ist nämlich weder für den Bürger noch für die Polizei noch für den Verfassungsschutz noch für den Militärischen Abschirmdienst oder wen auch immer hinnehmbar. Die Rechtsunsicherheit führt zum Mißtrauen des Bürgers und zu schwindendem Vertrauen auch der Polizei in den Gesetzgeber, weil der nicht klar sagt, was geht und was nicht geht, was sie darf und was sie nicht darf.
Es mag Schlaumeier gegeben haben, die glaubten, die Rechtsprechung werde das Volkszählungsurteil schon allmählich auf ein angenehmes Mindestmaß zurückschneiden. Das ist nicht geschehen. Es gibt inzwischen eine ganze Reihe sehr bemerkenswerter Urteile, z. B. über die Verpflichtung auch der Sicherheitsbehörden, dem Bürger über die Datenverarbeitung Auskunft zu geben oder im Fall der Auskunftsverweigerung die Gründe dafür plausibel und nachvollziehbar darzustellen. Wir haben — das möchte ich auch ganz klar sagen — keine Lust, bei den zukünftigen Entscheidungen hinter die geltende Rechtsprechung zurückzuweichen. Wir ermutigen die Gerichte, die notwendigen Entscheidungen zu treffen, solange der Gesetzgeber nicht gehandelt hat, weil wir mit den Problemen fertig werden wollen.
Wir werden dem Neunten Datenschutzbericht eine ganze Reihe von Anregungen entnehmen können. Wir appellieren an die Behörden auch im Bereich des Innenministers, den Datenschutzbeauftragten nicht als einen lästigen Kritiker zu sehen, sondern als eine Einrichtung, die das Vertrauen des Parlaments besitzt und die den Behörden helfen will, die notwendige Abgrenzung zwischen den Interessen des einzelnen und dem Wunsch der Behörde zu finden, ihre Aufgabe so perfekt wie irgend möglich zu erledigen.
Ich will jetzt nicht auf Einzelheiten des Berichtes eingehen. Uns machen die Teile des Berichtes besorgt, in denen sich der Datenschutzbeauftragte über die Behinderung seiner Prüftätigkeit beklagt, weil eine solche Haltung das Mißtrauen der Bürger stärken wird, daß gerade in den sicherheitsempfindlichen Bereichen nicht alles mit rechten Dingen zugehe. Darum muß man sehr sorgfältig prüfen, ob die Vorstellung, daß bestimmte Sachverhalte nicht zu veröffentlichen sind, wirklich angemessen ist. Wenn man diese Teile in der Geheimschutzstelle dieses Hauses liest, sagt man sich für einen großen Teil: Du lieber Gott, das hätte man auch veröffentlichen können.
Das ist der Punkt: daß sich das, was von den Betroffenen als Maßnahme zum Schutz der Interessen des Staates betrachtet wird, häufig in das Gegenteil verkehrt, nämlich Mißtrauen schürt, also das Gegenteil dessen erreicht, was erreicht werden soll. Es gibt Bereiche, in denen die Offenheit, Glasnost, weit mehr im Interesse unser aller liegt als das ängstliche Verdekken. Ich denke, daß wir alle lernen müssen, in diesem Bereich mehr über traditionelle Schatten zu springen, als das bisher zum Teil geschehen ist.
Wir möchten dem Datenschutzbeauftragten für seine Tätigkeit danken und ihm versichern, daß er unserer Unterstützung gewiß sein kann, weil er ein wesentlicher Teil unseres Rechtsstaates ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103029900
Das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl.

Thomas Wüppesahl (GRÜNE):
Rede ID: ID1103030000
Ich beginne mit einem Zitat:
Der Datenschutz ist an der Grenze seiner Funktionsfähigkeit angelangt und steuert auf seine tiefste Krise zu.
Diese warnende Feststellung des hessischen Datenschutzbeauftragten Simitis stammt bereits aus dem Jahre 1984. Ich möchte noch weitergehen und fragen, ob der bestehende Datenschutz jemals funktionstüchtig war. In einem Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz schreibt Professor Steinmüller:
Das Datenschutzgesetz schützt die Betroffenen nur, soweit es die datenverarbeitenden Behörden und Unternehmen nicht schädigt.
In den letzten zehn Jahren hat sich an der Datenschutzgesetzgebung des Bundes nichts geändert, während die technische Entwicklung rasant weitergaloppiert: die Nutzung maschinenlesbarer Ausweiskarten und neuer Telekommunikationsdienste wie Btx oder TEMEX birgt die Gefahr in sich, daß ein exaktes Bild über die Lebensgewohnheiten der einzelnen Verwender gezeichnet werden kann. Es gibt keine angemessene, die Bürger schützende Reaktion auf die entsprechenden Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten.
Diese Defizite zeigen, daß ein anderes Verständnis von Datenschutz her muß.
Erstens. Datenschutz sollte zu einem gestaltenden und steuernden Instrument werden. Bei jedem Übergang zu neuen Datenverarbeitungsformen muß jeweils deren Verträglichkeit mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung geprüft werden.



Wüppesahl
Zweitens. Konsequenter Datenschutz muß auch beinhalten, daß Bürger nicht als zu verwaltende Objekte und nicht als auszubeutende Informationsquellen behandelt werden. Vielmehr müssen sie vor zudringlicher Behördenfürsorge, sicherheitsbehördlichen Kontrollwünschen und unternehmerischer Verwertungsinitiative geschützt werden.
Sehr deutlich wurde dieser Konflikt in den letzten Monaten. Weil die meisten Bürgerinnen zu Recht befürchteten, daß der Datenschutz nur eine Beschwichtigungsformel der Dateneintreiber bei dem Versuch der Totalerfassung ist, gab es so massiven und berechtigten Widerstand gegen die Volkszählung.
Die Herrschenden in diesem Lande verfolgen also andere Interessen als konsequenten Datenschutz. Statt einer fortschreitenden Technik ein fortschrittliches Regelungsinstrument zur Seite zu stellen, häufen sich die Versuche zur „konsequenten Domestizierung" bzw. „Banalisierung" des Datenschutzes. Wenn Herr Zimmermann Datenschutz mit Täterschutz gleichsetzt, dann wissen wir, was er von dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung hält.
Zwar hat auch die Regierung inzwischen ihre Vokabeln auswendig gelernt und plappert von „Zweckbindung" , „Transparenzgebot" und „Verhältnismäßigkeit". Aber gleichzeitig versucht sie dreist, ihre Datenschutz-Worthülsen dem D atenschutzbeauftragten entgegenzuhalten, um ihn an Kontrollen zu hindern.
Hieran wird für uns GRÜNE deutlich: Die Bundesregierung nimmt den Datenschutz so ernst wie der bayerische Ministerpräsident den amtierenden Bundeskanzler.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Ha, ha, ha!)

Meine Damen und Herren, die Verfassung verbietet, den Status quo der ausufernden Datenverarbeitung durch künftige Regelungen einfach nachzuzeichnen. Vielmehr müssen sehr kurzfristig Konsequenzen aus der Tatsache gezogen werden, daß die gegenwärtige Praxis rechts- und verfassungswidrig ist.
Im übrigen hat das Bundesverfassungsgericht den Übergangsbonus nicht als Dauerausrede vergeben.
Als Reaktion auf das Volkszählungsurteil hätte schon längst eine Bestandsaufnahme der neu zu regelnden Bereiche vorgelegt werden müssen. Wo bleiben diese bereichsspezifischen Regelungen? — Solange die Bundesregierung hier untätig bleibt, ist jede weitere Erhebung und Verarbeitung von Daten unzulässig.
Letzten Monat hat Professor Similis sogar als Konsequenz daraus eine Datenverarbeitungssperre gefordert. Aber das Gegenteil passiert: Putschartig wird das Zweckbindungsgebot beim ZEVIS-Gesetz ausgehebelt, da werden Sicherheitsüberprüfungen durch den Verfassungsschutz oder das Ausländerzentralregister gesetzlos betrieben. Der weitere Ausbau der Dateiensysteme im Sicherheitsbereich schreitet zügig voran, ebenso die Leistungskontrollen von Arbeitnehmerinnen sowie der EDV-Umfang in der Kredit- und Versicherungswirtschaft.
Die EDV-Anwender sind nicht bereit, die Daten der Bürger wie fremdes Eigentum anzuerkennen und entsprechend pfleglich damit umzugehen. Statt dessen sehen viele den Datenschutzbeauftragten als eine Art TÜV an, von dem man sich nicht erwischen lassen darf und bis zu dessen Kontrolle man den alten Schlendrian ruhig fortsetzen könne.
Der Vergleich mit dem TÜV weist jedoch auch in eine richtige Richtung: Wir müssen dem Datenschutzbeauftragten endlich ausreichend Mittel und Personal für ähnlich regelmäßige Überprüfungen, wie sie dem TÜV möglich sind, geben.
Auch im Datenschutzbereich müssen Anlagen mit Mängellisten schleunigst aus dem Verkehr gezogen und zur Sicherheit der Betroffenen bis zu einer ordentlichen Reparatur stillgelegt werden.
Angesichts der skizzierten Rahmenbedingungen erscheinen die anerkennenswerten Bemühungen der Datenschützer wie der Wettlauf des Hasen mit dem Igel: In dieser alten Geschichte haben sich Herr und Frau Igel mit ihren „Ick bün all door" einen Spaß daraus gemacht, den Hasen fast zu Tode zu hetzen. So sind es hier u. a. Zimmermann und Schwarz-Schilling, die abwechselnd Datenschutzverstöße zu verantworten haben und Kontrollen abblocken, bevor der „Hase" Baumann — allerdings viel zu spät — davon erfährt oder eingreifen kann.
Wie wird die Arbeit des Beauftragten noch behindert? — Zum Beispiel wird die Berichtspflicht des Beauftragten als Ausdruck des Transparenzgebots untergraben. Besonders heikle und unliebsame Berichtsteile werden kurzerhand zur Geheimsache erklärt und der öffentlichen Erörterung entzogen.
Die nach wie vor lächerlich geringe Personal- und Sachausstattung des Kontrollbeauftragten ermöglicht allenfalls zufällige Stichproben, jedoch keine systematischen und regelmäßigen Überprüfungen wesentlicher Bereiche. Bis auf zwei zusätzliche Stellen beruht die gegenwärtige Personalkapazität der Dienststelle noch auf der Festlegung und den Bedarfsprognosen aus den Jahren 1977/78.
Die Datenverarbeitungskosten der Bundesbehörden, die Herr Baumann kontrollieren soll, betragen mehr als das Hundertfache seines Gesamtetats. Dabei sind große Bereiche wie Verteidigung, Sicherheitsbehörden, Sozialversicherungsträger, Bahn und Post nicht enthalten.
Und dazu paßt natürlich wie die berühmte Faust aufs Auge, daß die Regierungsparteien gerade gestern im Innenausschuß den Antrag der GRÜNEN auf weiteres Personal abgelehnt haben. Wir GRÜNEN werden nicht lockerlassen und uns auch weiterhin für eine nachdrückliche Aufstockung einsetzen. Wir fordern eine organisatorische Stärkung des Datenschutzbeauftragten durch Unabhängigkeit vom Bundesinnenministerium und direkte Wahl durch das Parlament. Was wir unter dieser Regierung nicht mehr glauben, ist, daß die jährlich durchzuarbeitenden Mängelberichte merklich dünner werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)





Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103030100
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Herr Dr. Waffenschmidt.

Dr. Horst Waffenschmidt (CDU):
Rede ID: ID1103030200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bericht, den wir heute hier diskutieren, bestätigt, daß der Datenschutz bei den Bundesbehörden in guten Händen liegt. Die Kritik, die hier von seiten der Opposition, insbesondere von dem Vertreter der GRÜNEN, vorgetragen worden ist, erweist sich als völlig unbegründet. Meine Kollegen Hirsch und Blens haben schon darauf hingewiesen.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Sie von den GRÜNEN haben die Volkszählung angesprochen. Sie haben doch mit Ihrer Boykottpolitik völlig Schiffbruch erlitten.

(Fellner [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)

Die Bürger haben Ihnen eine klare Antwort erteilt. Nach den heutigen Feststellungen haben rund 99 % an der Volkszählung teilgenommen.

(Wüppesahl [GRÜNE]: Das stimmt doch nicht! — Frau Unruh [GRÜNE]: Kommen Sie zur Sache!)

Das beweist Vertrauen zu diesem Staat und auch Vertrauen zum Datenschutz. Sie sind also mit Ihrer Obstruktionspolitik völlig gescheitert.
Aber nun zu den Feststellungen des Datenschutzbeauftragten. Bei rund 30 Kontrollen fand der Bundesbeauftragte für den Datenschutz nur wenig Beanstandenswertes. Ich will heute noch einmal aus seiner Presseerklärung zitieren. Ich danke Herrn Baumann dafür, daß er ausdrücklich erklärt hat — ich zitiere — :
Spektakuläres hat sich nicht ergeben. Skandale habe ich nicht aufgedeckt.
Das ist genau das Gegenteil von dem, was Sie, insbesondere Sie als Verteter der GRÜNEN, hier die Öffentlichkeit glauben machen wollen.

(Wüppesahl [GRÜNE]: Das ist doch dummes Zeug!)

Das ist eine klare Aussage unseres Datenschutzbeauftragten, die den im öffentlichen Dienst Beschäftigten Pflichtbewußtsein und Gesetzestreue attestiert.
Einen großen Teil des Tätigkeitsberichtes nimmt die Darstellung von Wünschen ein, die der Bundesbeauftragte für den Datenschutz bei der Beratung von Gesetzentwürfen vorgetragen hat. Er bedauert, daß seinen Forderungen nicht überall Rechnung getragen worden ist. Der Gesetzgeber, meine Damen und Herren, muß abwägen zwischen dem Recht des einzelnen — das sage ich auch als Vertreter des Verfassungsministeriums noch einmal deutlich — auf informationelle Selbstbestimmung und einem entgegenstehenden allgemeinen Interesse.
Der Kollege Blens hat mit Recht darauf hingewiesen, das Bundesverfassungsgericht habe mehrfach ausdrücklich festgestellt, daß dieses Recht auf informationelle Selbstbestimmung bei überwiegendem Allgemeininteresse eingeschränkt werden kann.
Ich spreche jetzt von der Kontrolle des Bundesbeauftragten für den Datenschutz beim Bundesamt für Verfassungsschutz und die Art der öffentlichen Darstellung. Ich will hier zusammengefaßt sagen: Wie frühere Tätigkeitsberichte bewiesen haben, ist die Information der Öffentlichkeit über die Handhabung des Datenschutzes beim Bundesamt für Verfassungsschutz auch unter Beachtung der Verschlußsachenanweisung möglich. Das, was Aufgabe des Bundesdatenschutzbeauftragten ist, und das, was berechtigter Einsatz für die Sicherheit ist, ist durchaus vereinbar. Das kann auch künftig so praktiziert werden.
Auf einen weiteren Punkt möchte ich hier noch eingehen, der ebenfalls im Zusammenhang mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz steht. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz rügt ja, seine Kontrolltätigkeit sei durch die Intervention der Geheimschutzbeauftragten der Bundesministerien behindert worden. Ich sage hier deutlich, der Bundesbeauftragte hatte in diesem Fall klar das Recht, hier zu prüfen. Als die Bediensteten auf Befragen der Einsichtnahme auch nicht mehr widersprochen haben, waren auch die Geheimschutzbeauftragten einverstanden. Es gab hier keine verwerflichen Motive für die Geheimschutzbeauftragten. Sie bemühten sich um einen Auftrag, den sie auch im Interesse der Mitarbeiter wahrzunehmen haben. Es gab niemals den Versuch, etwas zu verschleiern, sondern alsbald konnte der Bundesbeauftragte auch prüfen.
Ich wende mich nun einem Thema zu, das hier mehrfach angesprochen wurde, nämlich den Gesetzesvorhaben, die Datenschutzregelungen insbesondere für den Bereich der inneren Sicherheit enthalten. In der vergangenen Legislaturperiode hat die Zeit leider nicht mehr gereicht, das in einem Artikelgesetz geschnürte Paket von datenschutzrechtlichen Vorschriften zu verabschieden. Ich erkläre hier für die Regierung: Inzwischen sind die Gesetzentwürfe, die den Datenschutz im Sicherheitsbereich bereichsspezifisch stärken sollen, in der Ressortabstimmung. Ein neu gefaßtes Bundesdatenschutzgesetz wird den Ressorts in Kürze zugehen. Natürlich wird dabei auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz beteiligt. Ich will hier ganz klarmachen: Es ist beabsichtigt, die Entwürfe im Frühjahr des kommenden Jahres im Kabinett einzubringen, so daß Ihnen, meine Damen und Herren, hier im Parlament genügend Zeit zur Beratung und zur Verabschiedung der Gesetze bleibt.
Ich will zusammengefaßt gerade auch im Blick auf die wesentlichen Feststellungen des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und nach jahrelanger Bewährung der einschlägigen Vorschriften hier sagen: Die Bundesregierung wird alles ihr Mögliche tun, daß der Datenschutz im Interesse aller Bürger bei den Bundesbehörden gewahrt wird. Sie können sicher sein, daß das, was für einen realistischen und sicheren Datenschutz für die Bürger erfolgen muß, von dieser Bundesregierung unterstützt wird.

(Wüppesahl [GRÜNE]: Das definieren Sie, oder wie?)

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103030300
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz an die in der Tagesordnung auf geführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Daniels (Regensburg), Weiss (München), Frau Rust, Frau Wollny und der Fraktion DIE GRÜNEN
Baustopp für die Wiederaufarbeitungsanlage bei Wackersdorf
— Drucksache 11/260 —Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Forschung und Technologie
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe und höre auch dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Daniels (Regensburg).

Dr. Wolfgang Daniels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1103030400
Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen! Der Bau der atomaren Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf geht in das dritte Jahr. Betongegossene Sachzwänge des Plutoniumzeitalters stehen nun an Stelle des Taxölderner Forstes: ein 23 Millionen DM teurer Sicherungszaun mit Beleuchtungs- und Videoanlage, Trockengraben, eine Betonstraße für Waserwerfer und das sogenannte Zwischenlager in seinen Anfängen. Erste Aufgabe dieses Zaunes ist es natürlich, den zu Recht besorgten Bürgern und Bürgerinnen der Oberpfalz ihre Ohnmacht vor Augen zu führen und zu Resignation und Akzeptanz der Anlage zu verleiten. Doch das Gegenteil ist der Fall!
Es bleibt unruhig in der Oberpfalz. Jeden Sonntag ziehen Tausende von Oberpfälzern an den Zaun und bringen damit ihre Ablehnung zum Ausdruck. Für anreisende Regierungspolitiker ist der Landkreis ein heißes Pflaster geworden. Dem breiten Widerstand aus bürgerlichen und christlichen Gruppen der Friedens-, Umwelt- und Anti-AKW-Bewegung geht es besser, als den Politikern in Bonn und München recht sein kann.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Man hört richtig, der Waldler spricht!)

Denn die Bewegung hat allen Grund zum Optimismus. Im April hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die erste atomrechtliche Teilerrichtungsgenehmigung aufgehoben und für rechtswidrig erklärt. In Wackersdorf wird zwar weitergebaut, aber auf der Grundlage des gewöhnlichen Baurechts. Noch kann sich die Betreiberfirma, die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen, DWK, auf ihre staatlichen Handlanger verlassen, so daß zur Zeit in Wackersdorf keine WAA, sondern eine lose Ansammlung von Gebäuden entsteht, die später einmal der Lagerung und Wiederaufarbeitung von radioaktiven Brennelementen dienen könnten. In unseren Augen handelt es sich dabei um den teuersten und hochsubventioniertesten Schwarzbau der Republik.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In sehr naher Zeit wird darüber das Bundesverfassungsgericht zu befinden haben. Auch dem zweiten Anlauf für eine Teilerrichtungsgenehmigung können die Bürgerinitiativen gelassen entgegensehen. Denn bis heute liegen nach Auskunft des bayerischen Umweltministeriums keinerlei Unterlagen vor, auf Grund derer eine Genehmigung erteilt werden könnte.

(Wüppesahl [GRÜNE]: Das ist doch denen egal!)

In letzter Zeit wurde wieder verstärkt über die geologischen und hydrologischen Gutachten diskutiert. Wie die englische Wiederaufarbeitungsanlage in Sellafield die Irische See vergiftet, so gefährdet die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf ein lebenswichtiges Trinkwasserreservoir für die ganze nördliche Oberpfalz. Die bisher bekannten Gutachten der DWK und der Genehmigungsbehörde gingen von Grundwasserscheiden aus, die verhindern würden, daß Wasserströme von der WAA wegfließen, und damit eine mögliche radioaktive Verseuchung des Trinkwassers eingrenzen. Der Würzburger Geologe Professor Erwin Rutte kommt bei seinen Überprüfungen zu gegenteiligen Ergebnissen. Danach haben die Messungen ergeben, daß Grundwasser sowohl nach Westen als auch nach Osten durch den Baugrund fließen kann. Auch die Behauptung der DWK, daß eine wasserundurchlässige Tonschicht unterhalb der WAA-Baustelle existiere, ist ein reines Phantasiegebilde und durch keine einzige Bohrung belegt. Ganz im Gegenteil liegen hier wasserdurchlässige Bodenformationen vor.

(Fellner [CDU/CSU]: Sie müssen es wissen, Sie waren schon unten!)

Da die bisherigen Unterlagen nicht einmal das Niveau einer Diplomarbeit haben, wie Professor Rutte schreibt, verwundert es wenig, daß nach uns zugegangenen Informationen sogar das Bayerische Geologische Landesamt neuerdings die Untersuchung von Herrn Professor Rutte bestätigt. In solch einer Gegend kann und darf eine Wiederaufarbeitungsanlage nicht gebaut werden!
Bei den offiziellen Ausbreitungsrechnungen für radioaktive Stoffe über den Kamin wurden die Geländeverhältnisse nicht ausreichend berücksichtigt. Bei Berücksichtigung der Hügellandschaft muß von einer vierfach höheren radioaktiven Belastung für die dort lebenden Menschen ausgegangen werden. Dies ergab eine Dissertation an der Universität München.
Die Ablagerungsgeschwindigkeit von Jod wurde falsch berechnet, ebenso die Transferfaktoren Boden zur Pflanze für Jod und Tritium. Das bedeutet, daß die offiziell angenommenen Belastungswerte für Nahrungsmittel bisher viel zu niedrig eingeschätzt wurden. Die Grundlagen dieser Behauptungen können Sie unserem Antrag entnehmen. Tatsache ist, es



Dr. Daniels (Regensburg)

wurde wieder einmal falsch gerechnet. Auch hier wurden schlampige Gutachten von seiten der DWK vorgelegt.
Das alles läßt heute schon erhebliche Zweifel an der nach dem Atomgesetz notwendigen Zuverlässigkeit der Betreiber aufkommen. Allein der sogenannte Normalbetrieb ist nach den Antragsunterlagen unverantwortbar. So sind die beantragten Grenzwerte für Ableitungen in der Kaminluft mit 225 Millionen Becquerel Plutonium 238, 16 Millionen Becquerel Plutonium 239 und 34 Millionen Becquerel Plutonium 240 jährlich die Garantie für zusätzliche Krebsfälle in der Umgebung. Dies ist in England leider heute schon traurige Wirklichkeit.
Selbst nach dem Atomgesetz dürfte auf Grund der genannten Tatsachen keine neue Teilerrichtungsgenehmigung erteilt werden. Der Standort Wackersdorf ist ungeeignet, der Betrieb sicher mit einer gesundheitlichen Gefährdung der Bevölkerung verbunden. Deshalb fordern die GRÜNEN einen sofortigen Baustopp.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die bayerische Genehmigungsbehörde läßt das alles cool. Sie ist kulant und läßt weiterbauen. Sie hat diese Gleichgültigkeit erst in den letzten Tagen erneut unter Beweis gestellt. Der Umgang mit Plutonium bei Siemens in Erlangen und Karlstein wird auch ohne Genehmigung akzeptiert. Der Chef des Bayernwerks, Herr Holzer, als Anteilseigner an der DWK auch beim Bau der WAA engagiert, erläuterte in seiner Rede auf der Jahrestagung der deutschen Atomindustrie die eigentlichen Gründe für den Weiterbau: Die WAA biete die Chance für eine Technologie, die für die Energieversorgung künftiger Generationen entscheidend sein soll.
Hiermit meint er den Schnellen Brüter. Ohne die WAA und damit ohne Plutoniumgewinnung ist der Betrieb des Schnellen Brüters nicht machbar.

(Fellner [CDU/CSU]: Na, na!)

Doch nicht nur der Schnelle Brüter in Kalkar und dessen Nachfolgemodell SNR 2 sind tot; auch die Franzosen werden nach einem Bericht von „Le Monde" ihren einzigen Schnellen Brüter in Malville wohl stillegen. Herr Holzer hält es jedoch für ein ethisches Gebot, einer wachsenden Menschheit ausreichend Energie mit Hilfe der Brütertechnologie zur Verfügung zu stellen. Er ist damit hinter seiner Zeit zurück, die dezentrale und regenerative Energiekonzepte verlangt. Außerdem vertritt er eine menschenverachtende Ethik, die die Verseuchung von zukünftigen Generationen mit Radioaktivität in Kauf nimmt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Bundesregierung hält am sogenannten integrierten Entsorgungskonzept fest, das irrigerweise die Wiederaufarbeitung als Teil der Entsorgung ansieht. Die Bundesregierung weiß: Seit 1983 ist kein neuer Entsorgungsbericht der Bundesregierung mehr erschienen. Das zeigt, welche Schwierigkeiten sie mit dem Konzept haben.
Angesichts der fatalen Situation bei der Endlagerung, die — nach den Worten des Herrn Staatssekretärs Grüner — weltweit nicht gelöst ist, kann ein sauberer Weg nur die sofortige Stillegung aller Atomanlagen bedeuten.
Die WAA darf erst recht nicht gebaut werden, vergrößert sie doch das Atommüllvolumen um das Vierzigfache.
Die Unwirtschaftlichkeit der WAA und die vermutliche Kostenentwicklung à la Kalkar werden von RWE und Teilen der Industrie beklagt. Auch das hat auf den plutoniumversessenen Herrn Strauß keine Wirkung. Er will die WAA mit allen Mitteln gegen den erklärten Widerstand des Großteils der Oberpfälzer Bevölkerung durchsetzen, um das begehrte Bombenmaterial zu erhalten. Dafür werden Rechtsinstanzen ausgeschaltet, unbequeme Gutachter übergangen und drangsaliert, Gesetze nach Bedarf geschaffen oder ausgehöhlt. Mit Sondereinsatzkommandos, CS-Gas und Gummigeschossen wird die geplante Plutoniumfabrik geschützt. Mit einer Prozeßlawine wird der Widerstand kriminalisiert. Er soll eingeschüchtert und finanziell ausgeblutet werden.

(Beifall bei den GRÜNEN — Frau Unruh [GRÜNE]: Pfui Teufel!)

— Mahatma Gandhi wäre für das Amtsgericht Schwandorf sicher auch ein Gewalttäter. —
Die Oberpfälzer leiden unter dem permanenten Polizeiterror in der Region schwer. Erst vorgestern wurden wieder Wohnungen mit vorgeschobenen Gründen polizeilich durchsucht. Mit einer unerträglichen Gleichstellung des Widerstandes mit der RAF, wie in den letzten Tagen geschehen, will die CSU den Widerstand diffamieren. Ein verbal Amok laufender bayerischer Kriminalchef glaubt, daß der zehnte Jahrestag des deutschen Herbstes für Terroranschläge in Wackersdorf Anlaß sein könnte. Die Oberpfälzer sollen durch diese stimulierte Hetzpropaganda von ihrem Demonstrationsrecht abgehalten werden. Das wird aber nicht gelingen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

In Goethes „Zauberlehrling" heißt es — ich denke, Sie haben das alle schon einmal gehört — : „Die Geister, die ich rief, werde ich nun nicht los. " Das Schlimme ist, daß Sie immer noch der Meinung sind, die Hexenmeister des Atoms zu sein. Die Folgen Ihrer Taten weisen Sie als schlechte Lehrlinge aus. Sie sollten schleunigst umkehren und versuchen, die Schäden möglichst gering zu halten.
Wir wissen, was Ihnen die Atomlobby empfiehlt. Wir empfehlen den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie und den sofortigen Baustopp in Wackersdorf!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die GRÜNEN unterstützen die Aktionen am Wochenende gegen den atomaren Wahnsinn in Wackersdorf. Aber das sei klargestellt: Wir lehnen Anschläge gegen Anlagen und erst recht gegen Menschen grundsätzlich ab. Mit diesen Anschlägen wird zudem dem CSU-Atomstaat in die Hände gearbeitet. Vielleicht macht er sie auch selber. Wir beteiligen uns an den Aktionen des zivilen Ungehorsams, bei denen jeder öffentlich zu den Konsequenzen seines Handelns steht. Wir rufen zu Behinderungs- und Blocka-



Dr. Daniels (Regensburg)

deaktionen am Freitag rund um die Baustelle und zur Teilnahme an der Großdemonstration auf.
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103030500
Das Wort hat der Abgeordnete Fellner.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Schon wieder?)


Hermann Fellner (CSU):
Rede ID: ID1103030600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Kollegen Daniels nur drei kurze Sätze. Herr Daniels, der Zaun, der Ihnen den Durchblick versperrt, ist dazu da, die Bauleute vor dem zu schützen, was Sie ständig inszenieren wollen.
Zweitens. Die rechtlichen Voraussetzungen für den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage liegen vor. All das, was Sie hier inszenieren, ist in keiner Weise geeignet, diese in Zweifel zu ziehen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Abwarten!)

Sie haben drittens in der Sache weder in der Vergangenheit noch jetzt irgend etwas vorgetragen, was die Entscheidungsgrundlage für den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage zerstören könnte.

(Zurufe von der CDU/CSU: So ist es!)

Was Sie zur Demonstration sagen: Jeder Oberpfälzer kann hingehen. Wir werden nächste Woche sehen, bei welchen üblen Aktionen Sie sich selber wohl wieder beteiligt haben werden. Das ist der eigentliche Skandal. Demonstrieren dürfen die Leute; das können sie gern machen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Wir haben Demonstrationsfreiheit!)

Wir wollen Ihren Antrag eigentlich nur zum Anlaß nehmen, vor diesem Hause noch einmal unseren Standpunkt eindeutig zu formulieren. Wir sagen es in aller Klarheit: Die Wiederaufarbeitung ist der heute gebotene und unverzichtbare Schritt zur Verwirklichung des integrierten Entsorgungskonzepts. Wir sehen überhaupt keinen Anlaß, auf den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf zu verzichten.
Die Regierungskoalition geht bei ihrem Festhalten an der Entscheidung für den Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage von dem geltenden Atomgesetz aus dem Jahre 1976 aus, das das integrierte Entsorgungskonzept, also den geschlossenen Kernbrennstoffkreislauf mit Wiederaufarbeitung und Verwertung der wieder aufgearbeiteten Kernbrennstoffe, in den Vordergrund stellt. Dieses integrierte Entsorgungskonzept wurde 1979 von den Regierungschefs von Bund und Ländern über die Parteigrenzen hinweg — auch mit Zustimmung der SPD-geführten Länder — noch einmal einvernehmlich bestätigt.
Die Gründe, die damals für diese Entscheidung sprachen, haben sich bis heute nicht geändert und besitzen daher nach wie vor Gültigkeit.
Als wesentlicher Teil des Entsorgungskreislaufs stellt die Wiederaufarbeitungsanlage die konsequente und verantwortungsbewußte Umsetzung dieses integrierten Entsorgungskonzepts dar. Ihre Inbetriebnahme ist zur Sicherstellung der Entsorgung der bundesdeutschen Kernkraftwerke erforderlich. Ein Verzicht auf ihren Bau würde bedeuten, daß sich die Menge ausgedienter Brennelemente um jährlich 400 bis 600 Tonnen erhöhen würde. Das ist nicht zu vertreten. Nicht verantwortbar wäre es auch, sich auf den Export radioaktiver Abfälle zu beschränken und damit die Probleme anderen Ländern aufzubürden, wie das die inzwischen abgelöste rot-grüne Koalition in Hessen mit ihrer Abfallpolitik par excellence vorgeführt hat.
Die Gegner der Wiederaufarbeitung, lieber Kollege Schäfer, vergessen, daß nur die Technik der Wiederaufarbeitung eine wirkungsvolle Schonung natürlicher Rohstoffquellen erlaubt.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Darüber muß er selbst lachen!)

Die durch Wiederaufarbeitung zu gewinnenden Wertstoffe Uran und Plutonium ermöglichen bereits heute eine 30- bis 40%ige Verringerung des Uranbedarfs. Allein die Wiederaufarbeitung mit Rückführung des unverbrauchten bzw. neu entstandenen spaltbaren Materials in den Brennstoffkreislauf erfüllt auch die notwendigen abfalltechnischen Anforderungen. Durch die Wiederaufarbeitung wird das für die radioaktiven Abfälle benötigte Endlagervolumen wesentlich reduziert.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Wo wollen Sie es denn endlagern? — Frau Unruh [GRÜNE]: Es gibt doch keine Endlagerung!)

Meine Damen und Herren, wir reden heute überall von Recycling, um einerseits die Rohstoffe zu schonen und andererseits weniger Abfall entstehen zu lassen. Wir wären schlecht beraten, ausgerechnet bei der Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen auf ein Recycling zu verzichten.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Es ist ja kein Recycling!)

Die Wiederaufarbeitung ist nach unserer Überzeugung auch unter sicherheitstechnischen Gesichtspunkten die richtige Lösung. Wenn Kernkraftgegner die geplante Anlage in Wackersdorf mit denen von La Hague und Sellafield gleichsetzen, täuschen sie damit die Öffentlichkeit.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Sie verschweigen, daß die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf im Vergleich zu der französischen und der britischen Anlage wesentliche Verbesserungen aufweist. Ich sage nur die Stichworte FEMO-
Technik und ein völlig anderes Abwasserkonzept.
In das Baukonzept der Anlage wurden alle bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse für eine optimale Betriebssicherheit eingearbeitet. Auch Befürchtungen einer möglichen Verseuchung des Grundwasserareals in der Bodenwöhrer Senke, wie sie von Ihnen, von den Gegnern, wiederholt vorgetragen wurde, haben sich als grundlos erwiesen und werden auch grundlos bleiben.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Das stimmt nicht! — Frau Garbe [GRÜNE]: Sind Sie unter die Propheten gegangen?)




Fellner
Die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf wird über eine Reihe wirksamer technischer Maßnahmen verfügen, die eine Gefährdung des Grundwassers auch bei etwaigen Störfällen nach menschlichem Ermessen ausschließen.
Das integrierte Entsorgungskonzept der Bundesrepublik Deutschland ist zukunftsorientiert, da es weitere technologische Optionen der friedlichen Kernenergienutzung, wie z. B. die Brütertechnik, für den Fall offenhält, daß die Solarenergienutzung oder die Fusionsenergie die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen kann. Es ist dabei aber festzuhalten, daß der Bau der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf von der Frage des Schnellen Brüters unabhängig und in sich begründet ist,

(Frau Unruh [GRÜNE]: Die SPD kommt dran, und dann haben wir es!)

da die Entsorgung der bereits im Betrieb befindlichen Kernkraftwerke auf jeden Fall in verantwortungsbewußter Art und Weise und im Hinblick auf die bestmögliche Umweltvorsorge gesichert werden muß.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Ihr seid unerträglich!)

Um mit dieser Feststellung nicht mißverstanden zu werden, lassen Sie mich klar und deutlich sagen: Wir setzen uns auch mit Nachdruck dafür ein, die Verfahren zur Genehmigung des Schnellen Brüters weiter voranzutreiben.
In den letzten Tagen haben wir das vom Bundesforschungsminister in Auftrag gegebene Gutachten zum forschungspolitischen Nutzen der Brütertechnologie erhalten. Danach sollte der Schnelle Brüter aus forschungspolitischer Sicht zügig in Betrieb genommen werden.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Die letzte Karte, die Sie spielen!)

Die Gutachter sehen in der Brütertechnik die Chance eines erheblichen Beitrags zur Deckung des wachsenden Energiebedarfs über Jahrhunderte. Mit der Brütertechnologie kann nach ihrer Meinung auch ein erheblicher Beitrag zur Verminderung der klimatologisch gefährlichen Verbrennung fossiler Bodenschätze geleistet werden. In beeindruckender Weise verweisen die Gutachter darüber hinaus darauf, daß kein technisches Gerät während seiner Bauzeit so umfassend geprüft worden ist wie der Schnelle Brüter und daß es auch kein vergleichbares Projekt gibt, das einen, international gesehen, so hohen Sicherheitsstandard aufweist.
Diese Feststellungen bestärken uns in der Ansicht, daß die derzeit im Rahmen des Genehmigungsverfahrens noch laufenden Sicherheitsüberprüfungen weiter vorangetrieben und in angemessener Zeit beendet werden müssen. Am Ende der sicherheitstechnischen Überprüfungen muß eine Entscheidung nach Recht und Gesetz erfolgen. Dies haben wir immer wieder betont. Wir werden es nicht hinnehmen, daß die nordrhein-westfälische Landesregierung das geltende Recht mißachtet. Wenn, lieber Herr Kollege Hauff, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident heute bereits erklärt, der Schnelle Brüter werde nicht genehmigt, erklärt er ganz offen seine Absicht zum Rechtsbruch.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Was hat das mit dem Antrag zu tun?)

Alle sicherheitstechnischen Überprüfungen des Schnellen Brüters sind bislang positiv verlaufen. Das Mindeste, was man vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten hätte erwarten können, wäre gewesen, daß er den Ausgang der derzeit laufenden sicherheitstechnischen Überprüfungen abwartet. Wenn er sich heute bereits zur Genehmigungsfähigkeit des Brüters negativ äußert, wird deutlich, daß der Ausgang der Überprüfungen für ihn belanglos ist, da er sich in jedem Fall über das geltende Recht hinwegsetzen will.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Endlich was Gutes vom Johannes!)

Meine Damen und Herren, der von der SPD proklamierte sofortige Ausstieg aus der Kernenergie ist sicherlich nicht das Ergebnis rationaler Überlegungen, Herr Kollege Stiegler.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Was Sie sagen, ist das nicht!)

Der Ausstiegsgedanke der SPD ist das Produkt einer hemmungslosen Anbiederung an Positionen, die die GRÜNEN vertreten, und der Anbiederung an den vermeintlichen Zeitgeist. Die Tatsache, daß Sie sich jetzt gelegentlich etwas vernünftiger zu dieser Ausstiegsdiskussion äußern, zeigt nur, daß Sie lernfähig sind und damals nur einem unanständigen Triebe nachgegeben haben, was Sie besser nicht getan hätten.
Die SPD übersieht, daß gegenwärtig alle Voraussetzungen für einen sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie fehlen. Es ist auch schlicht unwahr, daß ein Ausstieg aus der Kernenergie der deutschen Kohle nutzen würde. Das genaue Gegenteil wäre der Fall: Ohne den Einsatz der billigen Kernenergie wäre der Einsatz der weit über dem Weltmarktpreis liegenden deutschen Steinkohle für unsere Wirtschaft nicht mehr verkraftbar.

(Wartenberg [Berlin] [SPD]: Das glaubst du doch selbst nicht!)

Ein Ausstieg aus der Kernenergie zum gegenwärtigen Zeitpunkt würde auch eine Katastrophe für unsere Umwelt bedeuten. Wir haben nachrechnen lassen, was es bedeuten würde, wenn entsprechend dieser Ausstiegsstudie des Deutschen Gewerkschaftsbundes die öffentliche Stromversorgung und all die dort erzeugte Energie im Jahre 1986 auf Grund fossiler Energien gesichert werden müßte: Dann müßten wir trotz modernster Luftreinhaltetechnik Jahr für Jahr etwa 130 000 Tonnen Schwefeldioxid und 80 000 Tonnen Stickoxide mehr in die Luft lassen und damit die Luft noch mehr belasten.

(Dr. Hauff [SPD]: Grober Unfug!)

Was das für die Reinhaltung der Luft und für die Diskussion um die Umweltschäden bedeutet, liegt auf der Hand.

(Frau Weyel [SPD]: Wer hat das denn ausgerechnet?)




Fellner
Wenigstens eines haben Sie richtig erkannt, meine Kollegen von der SPD: Der wider alle Vernunft vorgenommene sofortige Ausstieg aus der Kernenergie wäre nur zu bewerkstelligen, wenn Sie die parlamentarischen Mehrheiten zur Änderung der bestehenden Gesetze besäßen. Im Interesse unserer Umwelt, im Interesse der Menschen, der Arbeitsplätze, der Unternehmen und unserer Wirtschaft kann man nur hoffen, daß diese Mehrheiten für Sie so lange unerreichbar bleiben, bis Sie wieder zur Vernunft zurückgekehrt sind.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Es ist doch genau umgekehrt! )

Den Antrag kann man an die Ausschüsse überweisen, man kann ihn aber auch gleich ablehnen. Er wird dort jedenfalls kein gnädigeres Schicksal erfahren, als ich ihm hier leider zubilligen mußte.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Unruh [GRÜNE]: Arrogant!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103030700
Das Wort hat der Abgeordnete Stiegler.

Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1103030800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das integrierte Entsorgungskonzept, dem der Kollege Fellner die Zukunft bescheinigt, ist in Wirklichkeit schon tot; toter geht es gar nicht. Es ist gescheitert, und es wird höchste Zeit, daß daraus die Konsequenzen gezogen werden.
Nur nebenbei gesagt: Wir haben nie gefordert, sofort auszusteigen. Offensichtlich hat derjenige, der diese Äußerungen veranlaßt hat, irgendwelche Fraktionen verwechselt.
Wir haben schon im Frühjahr dieses Jahres als eines der ersten Gesetze unser Kernenergieabwicklungsgesetz eingebracht. Das sage ich jetzt auch den Kollegen von den GRÜNEN: In diesem Kernenergieabwicklungsgesetz gibt es einen § 9 a, und das ist die einzige Möglichkeit, wie man wirklich von der Wiederaufarbeitung wegkommt. Ich verstehe, daß man, zeitgeschichtlich bedingt und im Hinblick auf bestimmte Ereignisse, gewisse Anträge braucht, um noch einmal ein Thema zu debattieren. Mit Seriosität hat das aber nur begrenzt etwas zu tun. Wer hier etwas erreichen will, muß uns in den Ausschüssen helfen, daß das Kernenergieabwicklungsgesetz eine entsprechende Mehrheit findet.

(Beifall bei der SPD)

Wenn der § 9 a unseres Antrages durchgeht, ist die Wiederaufarbeitung zu Ende. Es hat keinen Sinn, den Bund zu etwas aufzufordern, was er in Wirklichkeit rechtlich nicht kann, und draußen Erwartungen in die Bonner Politik zu wecken, die sie nicht erfüllen kann.

(Zuruf von der FDP: Nürnberg!)

— Nein, auch Nürnberg nicht. Wir haben immer deutlich gemacht, wo die Kompetenzen liegen: Sie liegen beim Bund. Wer den Ausstieg aus der Kernkraft will, muß Bundesrecht ändern — das ist das Entscheidende — und braucht dafür Mehrheiten. Er darf nicht den Leuten draußen vorgaukeln, man könne hier sozusagen Verwaltungsentscheidungen voluntaristisch beeinflussen. Das kann man nicht; das ist nicht seriös. Die Leute sind dann enttäuscht und sagen: Die reden bloß, aber es kommt nichts dabei heraus.

(Fellner [CDU/CSU]: Ist das eine neue Erkenntnis für euch?)

— Nein, das ist nicht neu. Aber im Bayernkurier steht es noch nicht drin, deshalb habt ihr es noch nicht festgestellt. Es ist immer so, daß der Bayernkurier so sehr mit dem unionsinternen Streit, mit der Kernspaltung in der Union, befaßt ist, daß er euch die Wirklichkeit nicht mehr beibringen kann. Das ist doch die Situation.

(Beifall bei der SPD — Fellner [CDU/CSU]: Es ist ja schön, daß du ihn liest!)

— Ich lese ihn regelmäßig, damit ich immer über die Gefechtslage der Nation Bescheid weiß und damit ich weiß, warum ihr wie Maulwürfe woanders Löcher aufgraben müßt, um von euren Blößen abzulenken. Das ist nun einmal so auf dieser Welt.
Meine Damen und Herren, es kommt darauf an, daß wir das Kernenergieabwicklungsgesetz beraten und daß wir in dem Zusammenhang die Entsorgung ohne Wiederaufarbeitung als den einzig vertretbaren Weg durchsetzen.
Ich möchte jedoch die Gelegenheit nutzen, nicht nur auf die technischen Fragen, über die sehr viel gestritten wird und die man sehr ernst nimmt, zu sprechen zu kommen. Insofern ist durchaus wichtig, was der Kollege Daniels in die Debatte eingebracht hat. Wir müssen die WAA in der Oberpfalz als ein Symbol des Machtmißbrauchs und der Friedlosigkeit begreifen und auch als solches ansprechen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich empfehle auch Ihnen, Herr Beckmann: Fahren Sie einmal dorthin.

(Beckmann [FDP]: Ich war schon dort!)

Wenn Sie nicht gerade eine schwarze Brille aufhaben, werden Sie sehen, daß diese WAA wie ein Pfahl im Fleisch der Oberpfalz steckt und daß gröblich verletzt worden ist, was hier einmal gemeinsame energiepolitische Leitlinie war, nämlich daß Energieversorgungssysteme sozialverträglich sein müssen. Das ist in der Schäferschen Enquete-Kommission gemeinsam so festgelegt worden. Heute ist die WAA der Inbegriff der sozialen Unverträglichkeit. Das ist das Entscheidende.

(Fellner [CDU/CSU]: Ihr seid sozial unverträglich! Ihre Haltung ist nicht sozialverträglich!)

Verwechseln Sie bei dieser WAA bitte nicht Aktion und Reaktion! Wer hat denn versucht, der Oberpfälzer Bevölkerung das aufzudrängen? Da darf man Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Die bayerische Staatsregierung trägt ganz eindeutig die Hauptschuld an der Vergiftung des Klimas in der Oberpfalz und an dem Unfrieden, der dort entstanden ist.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Frau Unruh [GRÜNE]: Und an der Kriminalisierung der Leute!)




Stiegler
Ich möchte im Hinblick auf das aktuelle Wochenende sehr deutlich machen: Wir Sozialdemokraten lehnen Gewalt in der politischen Auseinandersetzung kompromißlos, ohne Wenn und Aber ab. Wir befürworten weder Gewalt gegen Personen noch gegen Sachen. Wer Gewalt erzeugt, verursacht Gegengewalt. Gewalt schadet auch der Glaubwürdigkeit des Widerstandes, und Gewalt zieht die Polizei sozusagen magnetisch ins Land und behindert damit viele Leute bei der Ausübung ihrer Meinungsfreiheit. Ich sage: Gewalttäter sind die nützlichen Idioten der Atomlobby.

(Zustimmung der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Wenn ich den alten römischen Grundsatz cui bono anlege, fällt es mir manchmal schwer, nicht an Celle zu denken, wenn ich manche Anschläge hier in dem Bereich sehe. Ich frage mich: Wem nützt das eigentlich?

(Dr. Penner [SPD]: Gehen Sie noch etwas nördlicher: nach Schleswig-Holstein!)

— Oder Schleswig-Holstein, meinetwegen. — Wir sagen sehr deutlich: Gewalt hat in dieser Auseinandersetzung keinen Platz. Ich sage aber auch deutlich: Die öffentliche Gewalt hat in Bayern massenhaft Recht gebrochen. Wackersdorf ist kein Ruhmesblatt für das Gewaltmonopol des Staates. Ich erinnere daran, daß die Staatsregierung wegen des Einsatzes von CS-Gas verurteilt worden ist. Diese Urteile im Sinne der Kläger sind repräsentativ für Zehntausende, die eigentlich hätten klagen können

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

und die alle recht bekommen hätten, wenn sie geklagt hätten. Hier ist massiv in die Meinungsfreiheit eingegriffen worden. Hier ist das Demonstrationsrecht von Leuten ganz massiv beeinträchtigt worden.
Unsere Jusos machen zur Zeit eine Filmserie über Spaltprozesse. Sie werden pausenlos von der Polizei überwacht. Es gibt in fast jeder Versammlung Beobachter, die berichten. Dies hat mit einem Rechtsstaat nichts mehr zu tun, meine Damen und Herren. Hier wird bei den jungen Leuten eine Staatsferne erzeugt, die wir alle nicht wünschen können. Wenn jetzt versucht wird, den Widerstand in die Nähe der RAF oder anderer zu rücken, dann paßt das in dieselbe Linie, daß Menschen, die anderer Meinung sind, einfach niedergemacht werden sollen. Das ist das eigentlich Verwerfliche.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ein weiteres Beispiel ist etwa die Einschränkung der kommunalen Selbstverwaltung. Die Lex Schuierer ist hier oft angesprochen worden. Das Gewaltmonopol schreckt vor nichts zurück, um die WAA durchzusetzen; es schreckt selbst nicht vor einem Angriff auf die kommunale Selbstverwaltung zurück. Oder lassen Sie mich darauf hinweisen — das wird man vielleicht nächste Woche in den Medien lesen — , daß der bayerische Innenminister die Gemeinde Wackersdorf mehr oder weniger zwingt, den Bebauungsplan zu ändern, damit die DWK bauen kann, wie sie will. Das heißt: Nicht der Bebauungsplan bestimmt das Recht, sondern die Gemeinde muß ihren Bebauungsplan auf politischen Druck hin abändern. So kann man mit der kommunalen Selbstverwaltung nicht umgehen. Daß der Innenminister der DWK sagt: Macht ihr es nur so, wie ihr es wollt, wir werden schon dafür sorgen, daß der Bebauungsplan angepaßt wird, das ist kein Stil, eine so schwierige Anlage sozialverträglich zu betreiben und durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, wir als Sozialdemokraten sagen klipp und klar, daß sich die DWK nach dem Bebauungsplan zu richten hat und sich die Gemeinde Wackersdorf nicht nach den Wünschen der DWK zu richten hat und daß die Rechtsordnung hier gewahrt bleibt.
Wir sagen in unseren Nürnberger Beschlüssen, mit dem Kernenergieabwicklungsgesetz: Wir wollen keinen Schnellen Brüter. Schauen Sie sich einmal die Helden in der Bundesregierung an: Da kann zwar unser großer Zirkusdirektor am Ort des Schnellen Brüters einige Sprüche loswerden, der Umweltminister aber hat in der Auseinandersetzung längst kalte Füße bekommen. Sie tun hier so, als ob Sie quasi schon sicher wären, daß der Schnelle Brüter genehmigungsfähig sei. In Wirklichkeit werden intern wesentlich kleinere Brötchen gebacken. Sie wissen in Wahrheit, daß die nordrhein-westfälische Landesregierung im Einklang mit Recht und Gesetz den Schutz der Bevölkerung im Auge hat und nicht die Ziele der Atomlobby, meine Damen und Herren. Darum werden Sie mit einer Anweisungsregelung auch nicht vorankommen.
Wir werden sehen, daß Sie mit Ihrem Entsorgungsbericht scheitern werden. Seit Monaten schieben Sie ihn vor sich her und bringen keine Klarheit. Wir erleben jetzt erfreulicherweise, daß selbst die Franzosen, die ja mindestens so kernenergiewütig sind wie die CSU, kapiert haben, daß sie damit nicht weiterkommen. Wenn selbst die Franzosen kapieren, daß man diesen Weg nicht weitergehen kann, dann müßte schon auf Grund der traditionell guten Beziehungen zwischen Frankreich und Bayern allmählich auch denen in München ein Licht aufgehen.
Ich sage ein letztes: Gerade die Arbeiter der Maxhütte müßten sich veralbert vorkommen, wenn dort Milliardenbeträge verschwendet werden, für sie aber nur Almosen verfügbar sind und die Mittel nicht so eingesetzt werden,

(Fellner [CDU/CSU]: Das sagen die von der Kohle auch!)

daß sie unseren Kollegen helfen. Das ist die Situation, vor der wir stehen.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden deshalb für eine Mehrheit für unser Kernenergieabwicklungsgesetz kämpfen und werden dafür sorgen, daß diese wahnsinnige Anlage nie in Betrieb genommen wird. Sie können dazu helfen. Jede Mark, die weniger verbaut wird, nützt vernünftigen Zwecken.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103030900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laermann.




Prof. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (FDP):
Rede ID: ID1103031000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich zum Ausdruck bringen, daß ich es schon seltsam finde, daß wir eine Debatte im Parlament über ein sicherlich sehr ernst zu nehmendes Thema dafür mißbrauchen, um sozusagen Propaganda für eine in wenigen Tagen stattfindende Demonstration zu machen

(Frau Unruh [GRÜNE]: Was soll das denn!)

und sich dann auch noch darüber zu beklagen, daß daraus resultierende Gewalt natürlich die trifft, die für Ruhe und Ordnung zu sorgen haben. Ich finde das schon sehr merkwürdig. Das aber ist nicht der Gegenstand der Debatte hier, und deswegen will ich mich nicht verführen lassen, in die gleiche Richtung zu argumentieren.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Sie verführen die Menschen doch zu Gewalt!)

Wir haben schon wiederholt über das Thema Wiederaufarbeitung, das Thema Wackersdorf gesprochen. Ich erinnere mich, daß wir auch einen Antrag der SPD im Oktober 1985, der fast gleichlautend war, hier behandelt haben. Was hat sich in der Zwischenzeit eigentlich Neues ergeben? Ich kann das nicht sehen.

(Abg. Weiss [München] [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Ich möchte feststellen, daß die jeweiligen Landesregierungen für die Genehmigungsverfahren zuständig sind. Das ist wohl unbestritten. Es ist aber genauso unbestritten — das sage ich auch hier in aller Deutlichkeit — , daß es das Recht und die Pflicht des Parlamentes ist, sich, wenn aus der Öffentlichkeit und der Fachwelt Bedenken und Besorgnisse artikuliert werden, dann auch damit zu befassen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103031100
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (FDP):
Rede ID: ID1103031200
Nein, danke schön, Herr Präsident. Ich möchte meine Ausführungen im Zusammenhang machen. Ich will mich ja nicht zu einer Debatte auf der gleichen Ebene verführen lassen.
Ich will deshalb hier auch nicht im einzelnen auf die vorgebrachten Einwände der GRÜNEN eingehen. Es ist ja schon bezeichnend, daß Herr Daniels hier nicht von „Einwendungen" spricht. Ich tue das, weil ich das im Zusammenhang mit einer gewissen Kollegialität sehe. Sie selber haben von „Behauptungen" gesprochen. Wenn ich mich Ihrer Formulierung anschließen darf, dann tue ich das sehr gerne; denn es sind Behauptungen. Wenn Sie einmal im einzelnen den Behauptungen, die Sie hier aufgestellt haben, nachgehen und einmal prüfen, was denn von diesen Behauptungen bereits im Vollzug der Begutachtung und im Vollzug des Genehmigungsverfahrens von Gutachtergremien, auch von der Reaktorsicherheitskommission, aufgenommen worden ist, dann werden Sie feststellen, daß man sich mit vielen dieser Behauptungen in der Tat sehr ernsthaft auseinandergesetzt hat.

(Dr. Daniels [Regensburg] [GRÜNE]: Das ist vollkommen falsch!)

Sie sollten sich doch einmal wirklich die umfangreichen Stellungnahmen und Gutachten ansehen und diese einmal gründlich studieren.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Kennen Sie sie?)

Ich habe mir die Mühe gemacht, aber, wie gesagt, ich will hier die Zeit nicht dazu benutzen, jetzt im einzelnen darauf einzugehen.
Meine Vermutung ist die — aber ich gebe zu, es ist eine Vermutung — , daß Sie ja gar nicht daran interessiert sind, sich in der Sache ernsthaft mit den einzelnen Punkten auseinanderzusetzen, weil Sie sich dann vielleicht veranlaßt sehen könnten — ich billige Ihnen ja immer noch rationale Denkfähigkeit zu und traue Ihnen diese zu, gerade Ihnen, Herr Daniels; Entschuldigung, wenn ich das hier feststelle — , in dem einen oder anderen Punkt Ihre Meinung zu ändern. Aber das ist sicherlich nicht Ihre Absicht.
Ich sage aber auch hier ganz deutlich: Da gibt es noch ein paar Punkte, die nach meinen Erkenntnissen bisher offenbar nicht aufgenommen worden sind. Wenn dem so ist, dann stehe ich und dann steht auch meine Fraktion dafür, daß wir diese Dinge aufgreifen und daß dazu von den Sachkundigen Stellung genommen wird und wir uns dann mit diesen Fragen auseinanderzusetzen haben. Ich bin sicher, daß die Bedenken, wenn sie denn berechtigt sind, aufgegriffen werden und, wenn sie stichhaltig sind, in das Genehmigungsverfahren auch mit einbezogen werden. Ich darf das von hier aus feststellen.
In der Logik der Forderung nach dem Ausstieg aus der Kernenergie haben Sie natürlich recht, wenn Sie sagen: Dann brauchen wir die Wiederaufarbeitungsanlage nicht — , weil Sie ja direkt aussteigen wollen. Das sieht bei der SPD etwas anders aus,

(Zuruf von der SPD: Wir brauchen sie auch nicht!)

die ja noch eine Frist einräumt. Wie auch immer es sein mag, man muß sich doch dabei die Frage stellen: Wie erfüllen wir dann die Entsorgungspflicht — denn eine solche ist ja begründet — zumindest für die abgebrannten Brennelemente, die bereits angefallen sind und die im Laufe der Jahre noch anfallen werden?

(Stiegler [SPD]: Mit der direkten Endlagerung!)

— Herr Stiegler sagt gerade: Wir werden die direkte Endlagerung machen. Herr Stiegler, wir haben uns mehr als eineinhalb Jahrzehnte mit diesen Fragen beschäftigt. Hier sitzen einige Kollegen von Ihnen,

(Fellner [CDU/CSU]: Im Granit des Oberpfälzer Waldes können Sie das machen!)

und ich werde diese gerne zu Kronzeugen dafür nehmen, welche Politik wir in den vergangenen Jahren gemeinsam getragen haben.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Schon wieder was anderes!)

— Nein, das ist nichts anderes.
Diese angefallenen Brennelemente und auch die, die noch anfallen werden, müssen entsorgt werden, und dies nicht nur nach der geltenden Rechtslage,



Dr.-Ing. Laermann
sondern aus unserem wohlverstandenen Sicherheitsinteresse heraus.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Die SPD denkt um, Sie nicht!)

Aber auch ich möchte hier auf die bestehende Rechtslage hinweisen. Ich möchte auch darauf hinweisen, daß wir doch darin wohl übereinstimmen, daß wir dann nicht eine Entsorgung im Ausland suchen. Ich höre da immer so Schlagworte von „Mülltourismus" und „Kein Müllexport". Nun will ich nicht behaupten, daß abgebrannte Brennelemente schon Müll seien. Aber es kann doch nicht richtig sein, daß wir dann diese Dinge, weil wir sie hier nicht haben wollen, exportieren. Dafür sind wir auch selbst verantwortlich. Deswegen müssen wir das auch hier tun.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Wir haben doch genug versucht, das zu tun!)

Denn wir hätten im übrigen auch keinen weiteren Einfluß auf Risikominimierung oder auf die Formulierung von adäquaten Sicherheitsstandards.
Ich möchte darüber hinaus auch nachdrücklich davor warnen, daß wir die Betreiber von Kernkraftwerken aus ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Entsorgung entlassen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Ja, dann schalten Sie ab!)

— Aber dann müssen wir sie ja auch entsorgen. Wo wollen Sie denn hin damit?

(Frau Unruh [GRÜNE]: Ja, natürlich, aber nicht noch mehr! Immer noch drauf und drauf!)

Errichtung und Betrieb einer nationalen Wiederaufarbeitungsanlage sind folgerichtiges Korrelat zur gesetzlich statuierten Entsorgungspflicht und zur Verwertungspflicht, sofern eine Wiederaufarbeitung im Ausland nicht langfristig gesichert werden kann. Wir haben guten Grund, die Abhängigkeit in diesem Punkte von ausländischer Entsorgung nicht weiter zu betreiben.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Erst muß die Entsorgung klar sein!)

— Na, sehen Sie sich doch einmal die Rechtslage an; hier ist ja schon wiederholt darauf hingewiesen worden. Es besteht eine gesetzliche Pflicht zur Verwertung radioaktiver Reststoffe, also zur Wiederaufarbeitung, und das nach dem Willen des Gesetzgebers. Diese Gesetze haben wir ja gemacht, Herr Kollege Hauff, als Sie doch Forschungsminister waren. Das muß man doch hier einmal feststellen.

(Zuruf des Abg. Stiegler [SPD])

Wir haben das damals als ein wesentliches Mittel zur Gefahrenvorsorge betrachtet. — Herr Stiegler, ich gebe Ihnen recht. Wer daran etwas ändern will, der muß nicht einen Antrag stellen, daß die Wiederaufarbeitungsanlage nicht gebaut wird, sondern der muß beantragen, daß die Gesetze geändert werden.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das haben wir doch!)

— Ich sage ja, daß das konsequent und der einzige Weg ist.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Wenn Sie könnten, wie Sie wollten, würden Sie zustimmen!)

Wenn es den GRÜNEN wirklich darum ginge, ernsthaft die Dinge zu bewegen, dann hätten sie hier einen anderen Weg beschritten; aber ich habe dazu eingangs schon etwas gesagt.

(Dr. Daniels [Regensburg] [GRÜNE]: Wir haben doch unsere Gesetze dazu eingebracht!)

Wenn ich mir die Begründungen, die Sie gegeben haben, einmal ansehe, finde ich einen Punkt durchaus interessant. Sie haben nämlich merkwürdigerweise die Kosten eingeführt. Die Kosten für die Mischelemente haben Sie als Begründung dafür eingeführt, daß eine Wiederaufarbeitungsanlage nicht gebaut werden soll. Das ist doch sonst gar nicht Ihr Argument. Sie heben doch sonst nicht auf Kosten ab. Das ist Ihnen doch sonst völlig gleichgültig, was Ihre Forderungen für volkswirtschaftliche Kosten verursachen. Warum nehmen Sie es denn hier? Aber man nimmt die Argumente, wie sie einem gerade ins Konzept passen. Ich denke, daß dies ein Stück dazu beiträgt, daß man Ihre Glaubwürdigkeit in bezug auf das, worum es Ihnen eigentlich geht, auch hier in Zweifel ziehen muß.
Nun muß ich einmal etwas zu dem Kollegen Stiegler sagen, der behauptet hat, das Entsorgungskonzept sei ohnedies schon kaputt. Dann muß ich fragen: Wer hat es denn kaputt gemacht? Wer hat es eigentlich entwickelt? Auf wen geht es eigentlich zurück? Wir waren doch eine Zeit lang wirklich allesamt der Meinung, daß dies der richtige und notwendige Weg ist.

(Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Nein, ich habe es vorhin abgelehnt und muß es dann auch hier ablehnen. Entschuldigung, da muß ich konsequent bleiben.
Wer hat denn noch vor wenigen Jahren mit Nachdruck und mit Intensität darum gerungen, eine Wiederaufarbeitungsanlage nach Hessen zu bekommen? Gehörte der Ministerpräsident Börner nicht der SPD an?

(Stiegler [SPD]: Aber es gibt 1983 ein Gutachten!)

Da muß ich doch einmal fragen: Wie ist es eigentlich zu den Beschlüssen der Enquete-Kommission gekommen?

(Dr. Hauff [SPD]: Was steht in den Entsorgungsrichtlinien?)

Ich darf mit Genehmigung des Präsidenten kurz etwas zitieren. Es ist im übrigen nachlesbar. Sehen Sie einmal nach, was hier in jahrelanger und wirklich fundierter Arbeit zusammengetragen und dann in gemeinsamen Positionen formuliert worden ist. Da hat der Kollege Catenhusen im Dezember 1981 hier gesagt:



Dr.-Ing. Laermann
Die Technologie der Wiederaufarbeitung muß in einer Demonstrationsanlage großtechnisch erprobt werden.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Dies bedeutet für meine Fraktion: Für die 80er Jahre ist der Bau einer kleinen Demonstrationswiederaufarbeitungsanlage sinnvoll und vertretbar.
Ich möchte doch nur darauf hinweisen, daß wir uns damals in der Tat auf einem gemeinsamen Weg gefunden haben und das integrierte Entsorgungskonzept gemeinsam getragen haben, und zwar unter international anerkannten Sicherheitsaspekten. Wir haben doch über die Ergebnisse der INFCE-Konferenz diskutiert. In diesem Zusammenhang haben wir auch die Untersuchungen über einen alternativen Entsorgungsweg umgesetzt, beschlossen und dann auch durchgesetzt. Das war der „parallele Ansatz"; eine Wortschöpfung des Kollegen Schäfer.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Ist aber schön!)

Das müssen wir doch einmal feststellen. Dies ist auf dem Weg. Aber Sie wissen auch, Herr Kollege Schäfer — Sie erinnern sich mit Sicherheit daran — , daß gerade dieser parallele Ansatz bei den internationalen Gremien aus Sicherheits- und auch aus Proliferationsgründen nicht die Resonanz gefunden hat

(Dr. Hauff [SPD]: Das ist nicht korrekt!)

und hier Bedenken vorgetragen worden sind. Ich will das hier jetzt nicht im Detail diskutieren. Aber die Frage ist: Besteht die Position noch, wie sie damals in der Enquete-Kommission formuliert worden ist, ja oder nein? Ich meine, es gibt keinen Grund, von dieser Position heute abzurücken, es sei denn, es handelt sich um politische Schaukämpfe.
Danke schön.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103031300
Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1103031400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mich dem Hohen Hause zunächst dafür entschuldigen, daß ich einige Minuten zu spät hier gewesen bin. Aber der Haushalt meines Ministeriums wird gegenwärtig im Haushaltsausschuß beraten, und ich wollte zumindest am Anfang einige grundsätzliche Worte dazu sagen.
Ich habe aber den Plenarsaal noch so frühzeitig betreten dürfen, um mit Freude zur Kenntnis zu nehmen, daß sich der Abgeordnete Stiegler über meine kalten Füße Sorgen gemacht hat. Ich kann ihn beruhigen: sie sind warm, in allen Teilbereichen dessen, was wir im Zusammenhang mit einem integrierten Entsorgungskonzept der deutschen Kernenergie zu bewältigen haben. Aber man sollte auf die Begriffe wirklich genau achten. Wie selbstverständlich hier schon von dieser Stelle aus über Atomlobby gesprochen wird, ist schon bemerkenswert. Und wenn man denn schon an der einen oder anderen Stelle glaubt, darauf hinweisen zu müssen, daß man sich der französischen Erfahrung etwa beim Brüter anschließen sollte, dann möchte ich gern einmal nachfragen, ob das in Kenntnis des Tagesordnungspunktes heute etwa auch für die Erfahrung bei der Wiederaufarbeitung gilt. Denn nach wie vor, Herr Abgeordneter Stiegler, haben die Franzosen weder zum Brüter noch zur Wiederaufarbeitung ihre Position verändert, oder ich müßte das zumindest nicht mitbekommen haben.

(Zuruf von der SPD: Das zweite ist zutreffend!)

Die Diskussion, die sich mit dem Brüter beschäftigt, ist keine Sicherheitsdiskussion, sondern ist eine ökonomische Diskussion. Auch dies sollte man nicht übersehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Thema ist so ernst, daß man es mit großer Ruhe und Distanz bearbeiten sollte, und deswegen ist festzuhalten: Unter Heranziehung wirklich altbekannter Behauptungen und Unterstellungen zur Wiederaufarbeitung insgesamt und zur Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf im besonderen, die im einzelnen in der Vergangenheit von verschiedenen Seiten bereits mehrfach widerlegt worden sind, soll mit Hilfe des vorliegenden Antrages der Fraktion DIE GRÜNEN versucht werden, einen zentralen Bestandteil des deutschen Entsorgungskonzepts zu eliminieren. Für radioaktive Reststoffe aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie besteht bekanntlich seit der 4. Atomgesetznovelle im Jahre 1976 ein gesetzliches Wiederverwertungsgebot. Konsequent ist daher von der jeweiligen Bundesregierung — ich unterstreiche: von der jeweiligen Bundesregierung — ein integriertes Entsorgungskonzept entwickelt worden. Dieses wurde 1979 von den Regierungschefs von Bund und Ländern bestätigt, einvernehmlich über alle Parteigrenzen hinweg. Es tut not, dies immer und immer und immer wieder zu unterstreichen und zu betonen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Ist aber politisch nicht durchsetzbar!)

Bei der Verwirklichung dieses Entsorgungskonzeptes spielt die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf eine wichtige Rolle. Sie ist die Konkretisierung des damaligen Beschlusses, eine Wiederaufarbeitungsanlage so zügig zu errichten, wie dies unter Beachtung aller in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist.
Mit dem Abschluß von Wiederaufarbeitungsverträgen mit dem Ausland und durch die Wiederaufarbeitung in der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe ist die Elektrizitätswirtschaft dem Wiederverwertungsgebot bei der Entsorgung der Kernkraftwerke nachgekommen.
Verantwortliche Politik, so meinen wir, darf sich aber nicht darin erschöpfen, für die Entsorgung abgebrannter Brennelemente als Wertstoffe und für radioaktive Abfälle Lösungen nur im Ausland zu suchen. Es gilt generell, daß es keine Lösung ist, die eigenen Probleme dadurch zu lösen, daß man sie anderen überantwortet.

(Beckmann [FDP]: Das machen nur die GRÜNEN!)




Bundesminister Dr. Töpfer
Hier müssen wir uns schon auf unsere eigene nationale Verantwortung besinnen.
Die Errichtung der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf ist die konsequente und verantwortungsbewußte Umsetzung dieses integrierten Entsorgungskonzeptes. An dieser Feststellung hat sich seit dem 79er-Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern zur Entsorgung der Kernkraftwerke nichts geändert. Für eine Abkehr von einzelnen Elementen des Entsorgungskonzeptes besteht kein Anlaß. Dabei möchte ich nachdrücklich unterstreichen: Die Wiederaufarbeitungsanlage ist im Hinblick auf Leichtwasserreaktoren und den bei ihnen als Mischoxid rückführbaren Kernbrennstoffen sinnvoll.
Mit dieser Auffassung steht die Bundesrepublik nicht allein. Auch bei einem Symposion — —

(Frau Garbe [GRÜNE]: Aber wirtschaftlich unsinnig!)

— Ich freue mich, Frau Garbe, daß Sie es immer wieder merken, wenn etwas unsinnig ist. Das ist so faszinierend. Aber Sie werden sicherlich immer wieder einen, gewissen Unterhaltungswert brauchen, und deswegen muß man das zumindest einmal aufgreifen, damit Ihnen das nicht fehlt.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Es kann ja nicht jeder Minister sein! — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das ist wahr! Das ist mal ein richtiger Zwischenruf!)

— Es gibt Dinge, die ich nur vorbehaltlos unterstreichen kann. Das stimmt, und Sie haben recht: Das kann nicht jeder.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Obwohl das in der Praxis keineswegs entscheidend sein muß! — Heiterkeit.)

— Richtig! Wenn man nicht wüßte, um welchen ernsten Zusammenhang es geht, würde man gern in dieser Richtung etwas weiter mitdiskutieren, meine Damen und Herren. Nur werfen Sie uns hinterher nicht vor, daß wir diese Dinge in einer solchen Situation zu einer lächerlichen Diskussion geführt hätten. Das sollte man dazu auch sagen dürfen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Fellner [CDU/ CSU]: Leute verschrecken und Gaudi machen!)

Mit dieser Auffassung zu der Frage der Wiederaufarbeitung steht die Bundesrepublik weiß Gott nicht allein. Auch bei dem Symposion der Internationalen Atomenergieorganisation Anfang Mai 1987 in Wien über den Brennstoffkreislauf und die Entsorgung bestand mehrheitlich die Überzeugung, daß Länder, die im Besitz einer Wiederaufarbeitungstechnologie sind
— also auch die Bundesrepublik Deutschland — , in der Wiederaufarbeitung der abgebrannten Brennelemente die zu empfehlende Strategie haben. Die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente ist für die mittel- und langfristige Sicherung unserer Energieversorgung von besonderer Bedeutung. Die in der Wackersdorfer Anlage rückgewinnbaren Kernbrennstoffe führen bei Einsatz in heutigen Kernkraftwerken zur Einsparung von jährlich etwa 11 bis 15 Millionen t Steinkohleeinheiten.
Ein weiterer Gesichtspunkt sollte nicht unerwähnt bleiben: Die Wiederaufarbeitung der abgebrannten Brennelemente wirkt sich günstig auf die Endlagerung der radioaktiven Abfälle aus der Kernenergienutzung aus. Die Menge an hochradioaktivem Abfall wird wesentlich verringert. Der Platzbedarf im Endlager für diese Abfälle wird vermindert. Der Anteil langlebiger radioaktiver Substanzen wird als Folge der Abwesenheit größerer Mengen Plutoniums in den Wiederaufarbeitungsabfällen noch weiter gesenkt.
In der Bundesrepublik ist ein gesicherter Erfahrungsstand hinsichtlich der Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen verfügbar, der eine solide Grundlage für Planung, Errichtung und Betrieb der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf bildet. Diese Erfahrungen stützen sich auf die Mitwirkung bei Errichtung und Betrieb der Eurochemic-Wiederaufarbeitungsanlage in Mol in Belgien sowie auf die eigenständige Planung, die Errichtung und den Betrieb der Wiederaufarbeitungsanlage in Karlsruhe und der Verglasungsanlage PAMELA in Mol in Belgien. In bezug auf die Sicherheit der Wiederaufarbeitungsanlage Wakkersdorf wird die Bundesregierung zusammen mit der Bayerischen Staatsregierung darauf achten und sicherstellen, daß gemäß den Forderungen des Atomgesetzes in der Anlage die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden bei deren Errichtung und deren Betrieb getroffen wird. Sie wird darauf hinwirken, daß dort die gleichen hohen Sicherheitsstandards eingehalten werden, die sich bei den deutschen Kernkraftwerken bewährt haben und die weltweit Anerkennung finden. Insbesondere sind beim Betrieb der Anlage auch die strengen Bestimmungen der Strahlenschutzverordnung einzuhalten, nach denen eine Strahlenexposition der Bevölkerung und der Umwelt bestimmte Grenzwerte nicht überschreiten darf. Diese Grenzwerte liegen wesentlich unter denen, die nach den weltweit anerkannten Empfehlungen der Internationalen Kommission für Strahlenschutz als gesundheitlich unbedenklich angesehen werden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103031500
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Daniels?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1103031600
Gern, ja.

Dr. Wolfgang Daniels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1103031700
Herr Minister, ich habe einige Probleme, weil ich gern einen Bezug zu dem vorliegenden Antrag hätte. Sie ergehen sich hier in allgemeinen Äußerungen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist das, was ihr nie begreift!)

Ich gehe einmal davon aus, daß Sie sich noch nicht mit dem Antrag beschäftigt haben. Aber ich möchte von Ihnen wissen: Wie würde sich die Bundesregierung verhalten, wenn, durch Gutachten belegt, tatsächlich eine Gefährdung des Trinkwasserversorgungsgebietes „Bodenwöhrer Senke" nicht auszuschließen wäre? Wäre dann der Standort nach Ihrer Meinung geeignet oder ungeeignet?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1103031800
Herr Abgeordneter



Bundesminister Dr. Töpfer
Daniels, gehen Sie ganz sicher davon aus, daß ich Ihren Antrag sehr wohl gelesen habe und daß ich mir von meinen Mitarbeitern sehr genau habe berichten lassen, was Sie hier dargestellt haben. Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich habe mich wirklich dazu zwingen müssen, auf Ihre Ausführungen nicht einzugehen, weil die nämlich nicht zur Sache waren, sondern eine allgemeine politische Erklärung in eine Richtung waren, die meines Erachtens nicht weiter erörtert werden sollte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Was ich tue, ist, daß ich Ihnen erläutere, warum wir diese Wiederaufarbeitungsanlage für sinnvoll halten. Ich habe mit großem Nachdruck noch einmal zu unterstreichen, daß uns nicht bereits die Tatsache, daß die Anlage ökonomisch notwendig ist, zur Zustimmung führt, sondern daß wir das ökonomisch Notwendige und Sinnvolle deshalb bejahen können, weil damit keine sicherheitsrelevanten Fragen unbeachtet bleiben, so daß Umwelt und Menschen durch diese Anlage nicht gefährdet werden. Das ist unsere Überzeugung. Deshalb tragen wir Ihren Antrag nicht mit, wonach für die Anlage ein Baustopp verhängt werden soll. Wir sind der Meinung, daß in Wackersdorf mit größter Sorgfalt und unter Berücksichtigung desssen, was Wissenschaft und Technik entwickelt haben, eine Anlage gebaut wird, die internationalem Standard entspricht und die, wie ich meine — —

(Zurufe von den GRÜNEN: Ohne Genehmigung! — Die Genehmigung ist gerichtlich aufgehoben! — Sie wissen genau, es gibt keine erste Teilerrichtungsgenehmigung! — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das weiß er nicht! — Fellner [CDU/CSU]: Aber es gibt eine Rechtsgrundlage für den jetzigen Bauzustand!)

— Sehen Sie, meine Damen und Herren, das, was die GRÜNEN und, wie ich gerade höre, auch den Herrn Abgeordneten Schäfer auszeichnet, ist folgendes: Ein Wissenschaftler ist bei Ihnen nur dann ein Wissenschaftler, wenn er Ihnen hinterher bestätigt, was Sie vorher schon wissen wollten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von den GRÜNEN: Nein, nein!)

Dieser Meinung sind wir nicht. Wir gehen in eine Diskussion hinein und fragen — unabhängig davon, was wir wollen — , ob eine Maßnahme verantwortbar oder nicht verantwortbar ist.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Jetzt weiß ich, wie er seine Kommissionen besetzt!)

Bitte gehen Sie davon aus: Wir werden ohne Hast, ohne daß wir über relevante Sicherheitsfragen hinwegblicken, die Anlage in Wackersdorf in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Staatsregierung weiter errichten.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103031900
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Es besteht in diesem Fall keine Übereinstimmung über die Frage der Überweisung in die Ausschüsse. Deswegen muß ich zunächst über die Reihenfolge abstimmen lassen, ob wir über den Antrag entsprechend dem Wunsch der Fraktion DIE GRÜNEN inhaltlich gleich abstimmen

(Fellner [CDU/CSU]: Gleich ablehnen!) oder ob wir ihn überweisen.

Wer dafür ist, daß dieser Antrag sofort zur Abstimmung gestellt wird, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist die Mehrheit gegen eine sofortige Abstimmung.
Es tritt jetzt die Notwendigkeit ein, darüber abzustimmen, daß wir den Antrag an die Ausschüsse überweisen. Vorgeschlagen sind dafür zur federführenden Beratung der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung der Ausschuß für Wirtschaft und der Ausschuß für Forschung und Technologie. Sind Sie damit einverstanden? — Keine Widersprüche. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung sowie den Zusatztagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau
Wollny und der Fraktion DIE GRÜNEN
Vorschlag einer Verordnung (Euratom) des Rates zur Festlegung von Höchstgrenzen der Radioaktivität in Nahrungsmitteln, Futtermitteln und Trinkwasser im Falle anomaler Radioaktivitätswerte oder eines nuklearen Unfalls
— Drucksache 11/768 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie
Beratung des Antrags der Abgeordneten Schäfer (Offenburg), Dr. Hauff, Bachmaier, Frau Blunck, Frau Conrad, Conradi, Fischer (Homburg), Frau Dr. Hartenstein, Jansen, Kiehm, Koltzsch, Lennartz, Frau Dr. Martiny, Menzel, Müller (Düsseldorf), Reimann, Reuter, Dr. Schöfberger, Schütz, Stahl (Kempen), Waltemathe, Weiermann, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Vorschlag einer Verordnung (Euratom) des Rates zur Festlegung von Höchstgrenzen der Radioaktivität in Nahrungsmitteln, Futtermitteln und Trinkwasser im Falle anomaler Radioaktivitätswerte oder eines nuklearen Unfalls
— Drucksache 11/906 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie
Interfraktionell ist für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.



Vizepräsident Westphal
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Wollny.

Lieselotte Wollny (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1103032000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 30. Oktober 1987 verlieren die bisherigen Regelungen der EG über die Festsetzung von radioaktiven Höchstgrenzen in Lebensmitteln ihre Gültigkeit. Seit dem 16. Juni liegt ein Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung auf dem Tisch, nach der die Werte in Zukunft festgelegt werden sollen. Im Anhang dieses Vorschlags werden die in Aussicht genommenen Werte gleich mitgeliefert. Die Verordnung besagt jedoch ausdrücklich, daß die sogenannten Grenzwerte nur dann in Kraft treten sollen, wenn auf Grund eines Reaktorunfalls oder aus sonstigen Gründen anomal hohe Radioaktivitätswerte gemessen werden. Kurzum: eine Katastrophenvorsorgeverordnung.
Und trotzdem: Obwohl doch eine atomare Katastrophe nach allen offiziellen Verlautbarungen im Bereich des fast Unmöglichen liegt, werden die in dem Vorschlag anvisierten Grenzwerte als die demnächst geltenden Zahlen genannt und heiß diskutiert. Merkwürdig, oder?
Erst recht, da laut Bericht des Bundesumweltministers die Strahlenwerte im Juli in der Bundesrepublik angeblich auf den Stand von vor Tschernobyl zurückgegangen sein sollen. Alles völlig klar und glaubwürdig.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Faszinierend!)

Klarheit schaffen, Glaubwürdigkeit wiederherstellen, das wollte die Bundesregierung und Herr Töpfer doch. Oder soll ich das falsch verstanden haben Herr Töpfer? Welches Spiel wird hier eigentlich gespielt?
Vergewissern wir uns doch einmal, wie der Zustand zur Zeit ist. Tatsache ist, daß es bis jetzt für inländische Waren keine Grenzwerte gibt. Die jetzt gültigen Werte gelten laut Buchstaben nur für Importe aus Drittländern. Daß die Bevölkerung sie als allgemein geltende Werte ansieht, ist ein psychologischer Nebeneffekt, den Sie, Herr Töpfer, sich sicherlich als Beweis Ihrer Glaubwürdigkeit gern anziehen.
Diese Grenzwerte von 370 Bequerel bzw. 600 Becquerel sind und bleiben allerdings Katastrophenwerte — man kann auch sagen: Wirtschaftsschutzwerte —

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

und werden durch psychologische Effekte nicht besser und harmloser.
Wir wissen alle, wie es im letzten Jahr zur Festlegung dieser Werte kam, welche Unterschiede in den einzelnen Bundesländern existierten. Obgleich gerade die SPD-Länder aus gutem Grund Höchstwerte in der Milch nur bis 50 Becquerel festlegten, akzeptierten auch sie seltsamerweise den späteren EG- Wert, allerdings mit Sicherheit unter der gleichen Annahme wie wir alle, daß es sich um Werte im Angesicht einer Katastrophe handelt, die baldmöglichst wieder heruntergesetzt werden müßten.
Heute diskutieren wir Zahlen der EG, die weit über den bisherigen liegen und im Grunde so unvorstellbar hoch sind, daß sie unser Fassungsvermögen übersteigen. Die Begründung für die Festsetzung dieser Zahlen beweist, mit welcher Rücksichtslosigkeit die Gefährdung der Bevölkerung in Kauf genommen wird. Obgleich weltweit bekannt ist, daß bei den Berechnungen der ICRP zu den Folgen von Hiroshima und Nagasaki der Einfluß von radioaktiver Niedrigstrahlung weit unterschätzt wurde — eine Tatsache, die von den Herren Strahlenpäpsten auf ihrer Tagung in Como kürzlich sogar anerkannt wurde — , wird darauf keinerlei Rücksicht genommen. Sie rechnen nur mit Krebstoten. Für sie zählt nur die akute Gefahr. Erst wenn den Menschen die Zähne ausfallen, besteht Handlungsgebot. Genetische Schäden, Schädigungen des Immunsystems werden nicht zur Kenntnis genommen. Krebserkrankungen, die nicht zum Tode führen, werden einfach ignoriert. Mit diesem Denken lassen sich allerdings beliebig hohe Werte festsetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In der Begründung für die EG-Verordnung wird es unverblümt gesagt. Weil jede Kontamination mit einem Risiko verbunden sei — jetzt zitiere ich —,
ist es praktisch nicht möglich, Entscheidungen über die Nahrungsmittelkontrolle ausschließlich auf Grund von Überlegungen des gesundheitlichen Risikos zu treffen.
So beschränkt man sich auf Überlegungen rein wirtschaftlicher Art und darauf, daß die Bevölkerung beruhigt werden muß. Die festzulegenden Werte tragen der Tatsache Rechnung — so die Kommission wörtlich — ,
daß die Öffentlichkeit beruhigt werden und eine Auseinanderentwicklung der Vorschriften auf internationaler Ebene vermieden werden muß.
Das genau ist der Punkt: das Volk ruhig halten und den Fluß der Ware nicht behindern. Das ist Vorsorgeschutz der Regierenden, Vorsorge für den nächsten GAU, Schutz für die Atomwirtschaft, Schutz für den Binnenmarkt, Schutz für den internationalen Markt.
Unser Herr Umweltminister hat nun, seit die EG- Werte in aller Munde sind, immer wieder erklärt, er würde diesen Werten nicht zustimmen. Das hört sich gut an, Herr Töpfer. Aber was wollen Sie statt dessen? Herr Töpfer möchte statt dessen die jetzigen Werte festschreiben. Plötzlich erscheint er als strahlender Retter der Menschheit. Die jetzigen Werte, meine Damen und Herren, erscheinen plötzlich als das höchste erstrebenswerte Ziel. Aber es waren doch Werte, die angesichts einer Katastrophe für eine vorübergehende Zeit festgesetzt waren, von denen jeder glaubte, sie würden so bald wie möglich revidiert. Jetzt wollen Sie sie auf Dauer festschreiben.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das geht nicht mehr! Kann man nicht mehr zurückdrehen!)

Mit der Verordnung vom 23. September 1987, welcher der Bundesrat noch zustimmen muß, hat Herr Töpfer vorsorglich seine Grenzwerte festgesetzt. Zum erstenmal schlägt das sogenannte Strahlenschutzvorsorgegesetz zu, ein Gesetz, dem der Bundestag zugestimmt hat und das uns allen hier jetzt jede Mitsprachemöglichkeit nimmt. Diese Töpfer-Verordnung jedoch geht nur so lange, wie sie nicht durch eine EG-



Frau Wollny
Regelung abgelöst wird; und eine solche, ganz gleich wie sie aussehen mag, hat Herr Töpfer schon im voraus begrüßt.
Wie geht es nun weiter? Es ist keineswegs sicher, daß die EG die im Anhang genannten Werte auch tatsächlich festsetzt. Denn die sollen eigentlich nur für einen Katastrophenfall gelten.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Dauerkatastrophe!)

Tut sie es dennoch, ist Herr Töpfer fein raus. Er wäscht seine Hände in Unschuld.

(Reuter [SPD]: In Molke!)

Vielleicht aber übernimmt die EG sogar die TöpferWerte. Dann hat er einen großen Sieg errungen und ist erst recht zu feiern. Und wir sitzen auf unabsehbare Zeit mit Grenzwerten da, die die nächste Katastrophe schon einbeziehen. Die SPD fällt auch noch auf dieses Verwirrspiel herein und applaudiert.
Daß wir so ganz nebenbei auch noch eine EG-Verordnung bekommen, nach der die EG analog dem Strahlenschutzvorsorgegesetz für die nächste Katastrophe hohe Grenzwerte festsetzen kann, fällt dabei überhaupt niemandem auf. Und doch ist genau das des Pudels Kern. Wird diese Verordnung angenommen, dann dürfen wir alle uns nach der nächsten Katastrophe mit höchster EG-Genehmigung alle möglichen Gesundheitsschäden selber zufügen — Hauptsache, die Wirtschaft floriert, und die Regierung braucht keine Entschädigungen zu zahlen.
Meine Damen und Herren, ich fordere Sie auf: Seien Sie sich Ihrer Verantwortung für Leben und Gesundheit unserer Bevölkerung bewußt und beauftragen Sie den Herrn Bundesminister, diese Verordnung mitsamt den angegebenen Grenzwerten abzulehnen.
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103032100
Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

(Reuter [SPD]: Macht alles allein, der arme Mann! — Fellner [CDU/CSU]: Der Mann hat was zu sagen!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1103032200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man sich diese Rede noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen läßt, dann muß man sich zunächst einmal wirklich dazu durchringen, zumindest den Versuch zu wagen, die Dinge zurechtzurücken.
Was ist die Situation? Die Situation ist, daß wir es im Nachgang zu der Katastrophe von Tschernobyl nach vielen Mühen — auch vielen Mühen, die von der Bundesregierung ausgegangen sind — erreicht haben, daß eine Verordnung erlassen worden ist, die auf Tschernobyl ereignisbezogen ist. Das ist die EG-Verordnung 1707 mit ihren Werten 600 Bq und 370 Bq.
In der EG ist man der Meinung, der Ereignisfall Tschernobyl sei bewältigt, deswegen könne man die Verordnung 1707 auslaufen lassen; es bedürfe überhaupt keiner Regelung mehr. Wenn ich Ihre Rede höre, wie Sie sie gehalten haben, dann entnehme ich, auch Sie sind der Meinung: Streicht die EG-Verordnung 1707 doch; denn Tschernobyl ist vorbei, und man braucht keine Werte mehr dafür. — Sie nicken sogar noch dazu.
Wir sind der dezidierten Meinung: das Ereignis Tschernobyl ist noch nicht abgearbeitet. Es besteht noch die große Sorge, daß etwa im Ostblock oder anderswo verstrahlte Lebensmittel da sind, die wir bei uns bitte nicht vermarktet haben wollen. Deswegen engagieren wir uns gegenwärtig in Brüssel dafür, die EG-Verordnung 1707 zu verlängern, weil Tschernobyl noch nicht bewältigt ist. Das ist nichts Böses. Das müßten Sie uns doch abverlangen. Weil sie nicht verlängert ist und die anderen das nicht wollen, befürchten wir, daß wir die Verlängerung der EG-Verordnung 1707 in diesem Monat nicht bekommen.
Für diesen Fall, haben wir gesagt, machen wir eine nationale Alleinregelung, damit wir zumindest die Bundesrepublik Deutschland davor bewahren können, von solchen Lebensmitteln belastet zu werden, die anderswo noch vorhanden sind. Wenn Sie sich die Mühe gemacht haben, diese Verordnung nach dem Strahlenschutzvorsorgegesetz, die vorliegt, durchzulesen, dann werden Sie sehen, daß der Zustand, den Sie hier beklagt haben, damit aufgehoben wird. Denn die Verordnung gilt dann nicht nur für die Importe, sondern — weil sie gegenüber den anderen EG-Ländern Gültigkeit hat und wir ein Diskriminierungsverbot haben — auch für das Inverkehrbringen von Waren in der Bundesrepublik Deutschland.
Genau das, was Sie vor wenigen Minuten hier gefordert haben, machen wir mit dieser Verordnung. Sie müßten anerkennen, daß ich wenigstens eine Anschlußregelung vorsehe, die sogar noch weiter reicht als das, was vorher, näher an Tschernobyl dran, europaweit galt.
Ich habe mich bei den Bundesländern zu bedanken, daß sie unseren Vorschlag aufgegriffen haben und daß es nach den Diskussionen in den Bundesratsausschüssen sogar die Chance geben könnte, daß wir im Bundesratsplenum dies über alle Länder mittragen. Das ist die erste Position. Damit schreibe ich überhaupt nichts fest, sondern verhindere nur, daß Waren in den Verkehr kommen können, die höher belastet sind. Wenn Sie mir empfehlen, die Verordnung ganz zu streichen, dann sind Sie die ersten, die wiederum fragen: Warum könnt ihr denn nicht verhindern, daß belastete Lebensmittel vom Ausland bei uns auf den Markt kommen?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103032300
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Wollny?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1103032400
Ich komme gern darauf zurück. Sie wissen, ich diskutiere gerne.

(Frau Wollny [GRÜNE]: Ich warte gerne!)

Jetzt kommt ein zweiter Punkt: Die EG will davon wegkommen, daß erst ein Ereignis eintritt und dann eine Verordnung erarbeitet wird. Deswegen sagt sie: Wir wollen eine Verordnung vorbereiten und verab-



Bundesminister Dr. Töpfer
schieden, die dann in Kraft gesetzt wird, wenn es ein Ereignis mit erhöhter Strahlenfreisetzung gibt.
Das, was jetzt im Bundesrat mit Blick auf die EG- Verordnung verhandelt wird, gilt nicht auf Dauer, sondern zunächst einmal überhaupt nicht, wenn wir sie verabschieden. Sie muß erst in einem Ereignisfall in Kraft gesetzt werden. Wir schreiben nicht hohe Grenzwerte als Normalität fest, sondern wir schaffen die Möglichkeit, in einem Ereignisfall, von dem wir alle hoffen, daß er nie eintritt, diese Verordnung durch die EG in Kraft zu setzen. Das Verfahren hierzu ist noch strittig. Wenn Sie so wollen, liegt die Verordnung in einer Schublade und könnte in einem solchen Fall in Kraft gesetzt werden.
Ich bitte Sie, das noch einmal nachzuvollziehen. Das ist keine Festschreibung von hohen Grenzwerten, sondern die Vorsorge für einen möglichen Ereignisfall, der jetzt Gott sei Dank nicht gegeben ist. Würden wir nicht für die Verlängerung der Verordnung 1707 mit 600 und 370 Bq kämpfen, dann wären wir ab Oktober ohne jegliche Grenzwerte. Das ist, wenn Sie so wollen, Ihr Idealzustand, aber den wollen wir nicht. Deshalb wollen wir für den möglichen, hoffentlich nie eintretenden Ereignisfall eine generelle Vorsorge treffen. Jetzt geht es darum, ob wir die 600 und 370 Bq für die möglichen zukünftigen Fälle festhalten können oder die von der EG vorgelegten Werte übernehmen müssen.
Lassen Sie mich in der Kürze folgendes sagen: Sie können der Bundesregierung doch nicht vorhalten, daß wir nicht mit größtem Nachdruck dafür eintreten, die unteren Werte beizubehalten!

(Zurufe von den GRÜNEN: Sie sind trotzdem zu hoch!)

Ich muß Ihnen ganz ehrlich und realistisch sagen: Ich stehe vor der Wahrscheinlichkeit, daß wir mit unserer Position in Europa überstimmt werden. Deswegen ist der zweite Teil des SPD-Antrags von Relevanz mit der Frage, welche Rechtsgrundlage das haben soll: EURATOM-Vertrag oder EWG-Vertrag?

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Von Relevanz?)

— Von großer Relevanz. Das haben wir natürlich auch geprüft.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103032500
Würden Sie jetzt die Frage zulassen, Herr Minister?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1103032600
Aber gerne! Ich habe mich gerade selbst so nett unterbrochen, deswegen will ich sie gern zulassen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103032700
Dann kommt jetzt Frau Wollny.

Lieselotte Wollny (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1103032800
Herr Minister, zumindest hat meine Ihnen etwas kurios erscheinende Rede dazu geführt, daß die Sachverhalte von Ihnen zum erstenmal etwas klargestellt werden. Sie werden nicht bestreiten, daß sowohl wir als auch die SPD im Umweltausschuß über diese hohen in Frage kommenden Grenzwerte bisher so diskutiert haben, als seien es Grenzwerte, die von der EG als Ablösung der bisherigen Regelung unmittelbar in Aussicht genommen worden seien. Sie haben dem bisher nie deutlich widersprochen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103032900
Liebe Frau Wollny, Sie müssen jetzt irgendwo ein Fragezeichen anbringen.

(Heiterkeit)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1103033000
Ich hatte das insofern als Frage verstanden, daß ich dieser Meinung zustimmen oder nicht zustimmen sollte. Sie werden sich sicherlich bestätigt fühlen, wenn ich diese Meinung nicht teile. Es mag durchaus sein, daß meine eigene Argumentationsfähigkeit begrenzt ist, daß ich das nicht vernünftig deutlich gemacht habe, aber bemüht habe ich mich wirklich darum. Daß es so ist, zeigt auch der zweite Teil des Antrags der SPD-Fraktion.
Wenn wir es erreichen können, nicht den EURATOM-Vertrag — da war ich stehengeblieben — , sondern den EG-Vertrag zur Rechtsgrundlage zu machen, dann könnten wir nicht überstimmt werden.
Ich kann Ihnen für die Bundesregierung erklären: Wir werden von unserer Position nicht abrücken. Aber ich kann Ihnen nicht erklären, daß wir zum EG-Vertrag kommen. Lassen Sie mich das deutlich so sagen: Die Rechtsgrundlage kann — ebensowenig wie die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach dem Grundgesetz — nicht willkürlich oder gar unter verfahrenstaktischen Gesichtspunkten gewählt werden. Vielmehr bestimmt sie sich ausschließlich nach der zu regelnden Materie.
Für die Strahlenschutzvorsorge ist die Rechtsgrundlage der §§ 30 und 31 des EURATOM-Vertrages heranzuziehen. Die Anwendung des EURATOM-Vertrages geht der Anwendung des EG-Vertrages vor, wie sich aus Art. 232 Abs. 2 des EWG-Vertrages ergibt. Diese Rechtsauffassung wird von der ganz überwiegenden Zahl der Mitgliedstaaten in Brüssel und vom juristischen Dienst des Rates geteilt. Also auch hier befinden wir uns wieder in der Schwierigkeit.
Wenn Sie mit der Ihnen sicherlich gut bekannten Kollegin Beate Weber aus dem Europäischen Parlament reden — jedenfalls habe ich das getan — , werden Sie feststellen, daß man sich auch dort bemüht, die Rechtsgrundlage der EG zur Geltung zu bringen. Unsere Unterstützung können Sie dabei bekommen. Nur, wir brauchen dafür ja auch die Mehrheit.
Zusammengefaßt, meine Damen und Herren: Es geht hier nicht darum, daß wir irgendwo etwas festschreiben. Es geht uns darum, auch für alle Teilbereiche des Strahlenschutzes das durchzusetzen, was natürlicherweise eingehalten werden muß, nämlich das Minimierungsgebot. Wir wollen nicht Grenzwerte haben, damit etwas vermarktet werden kann, sondern wir wollen Grenzwerte — wenn überhaupt — haben, um zu wissen, wo wir dann dringlich handeln müssen. Ansonsten gilt bei jedem Grenzwert natürlich das Minimierungsgebot. Das werden wir weiterführen.
Es ist auch der Vorwurf zurückzuweisen, die nach Art. 31 benannten Sachverständigen seien die bösen Buben. Sie haben mit bestem Wissen und Gewissen mit ihrer Sachkompetenz diese Überlegungen angestellt. Was von unserer Seite zu beklagen ist, ist, daß



Bundesminister Dr. Töpfer
sie für einen möglichen zukünftigen Ereignisfall annehmen, nur 10 % der Lebensmittel seien kontaminiert. Deswegen haben sie bei dem Dosiswert von 5 mSv diese höheren Werte in den Kontaminationswerten. Das teilen wir nicht. Das möchten wir anders haben.
Aber ich bitte Sie noch einmal. Keiner will die Katastrophe bagatellisieren. Keiner will ökonomischen Gesichtspunkten Vorrang vor Gesundheit geben. Lassen Sie mich das ganz deutlich sagen: Auch ich wohne und lebe mit meiner Familie in der Bundesrepublik Deutschland. Gehen Sie bitte davon aus, daß wir dieselbe moralische Rigorosität in der Durchsetzung unserer Gesundheitspolitik und unserer Vorsorgepolitik haben wie jeder andere, der in diesem Hohen Hause ebenfalls tätig ist.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von den GRÜNEN: Siehe Wackersdorf!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103033100
Das Wort hat der Abgeordnete Reuter.

Bernd Reuter (SPD):
Rede ID: ID1103033200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst muß festgestellt werden, daß die von der EG-Kommission EG-weit vorgeschlagenen Grenzwerte für Radioaktivität in Nahrungsmitteln, Futtermitteln und Trinkwasser im Falle anomaler Radioaktivitätswerte oder eines nuklearen Unfalls entschieden zu hoch liegen. Hierbei ist eine Gefährdung der menschlichen Gesundheit nicht auszuschließen. Selbst die zur Zeit gültigen Grenzwerte sind nach meiner Auffassung zu hoch.
Wir wissen zwischenzeitlich durch Aussagen internationaler Experten, daß die Gefahren radioaktiver Niedrigstrahlung jahrelang unterschätzt wurden. Eine Herabsetzung wäre deshalb aus gesundheitlichen Gründen dringend geboten. Sie, Herr Minister Töpfer, vermitteln jedoch der staunenden Öffentlichkeit den Eindruck, als würde sich die Bundesregierung in Brüssel tatsächlich für strengere Grenzwerte als die von der EG-Kommission vorgeschlagenen einsetzen. Sie setzen hier anscheinend genauso wie die EG-Kommission auf die kurze Halbwertzeit des menschlichen Gedächtnisses.
In Wirklichkeit haben Sie und die von Ihnen benannten Experten längst umgesteuert. Sie wollen niedrigere Grenzwerte nur auf dem Papier. In der Praxis sollen die Grenzwerte je nach Situation und Menge der verstrahlten Lebensmittel schon nach kurzer Zeit bis zum zehnfachen Werte angehoben werden können. Was das bedeutet, möchte ich Ihnen an dem Beispiel des verstrahlten Molkepulvers deutlich machen. Bei diesem Pulver, dessen Entsorgung dem Minister so viele Schwierigkeiten bereitet, wäre nach den neuesten Überlegungen des Ministeriums eine Belastung von 20 000 Bq zulässig, weil es ja zur Verwendung wieder mit Wasser verrührt würde und somit einen fünffach höheren Wert haben dürfte. Die Folge wäre, daß das gesamte der Bundesregierung gehörende Molkepulver bei den bis jetzt bekanntgewordenen Überlegungen der nach § 6 des Strahlenschutzvorsorgegesetzes eingesetzten Sachverständigenkommission ungehindert selbst für den menschlichen Verzehr in den Handel gebracht werden dürfte.
Bei den allerorts eingesetzten Expertenkommissionen, meine Damen und Herren, fällt mir auf, daß anscheinend ausschließlich Atomkraftbefürworter berufen wurden. Das ist genauso, als wenn Sie eine Podiumsdiskussion zu dem Thema „Wie sicher leben die Mäuse?'' veranstalten, und sie setzen auf das Podium nur die Katzen.

(Heiterkeit)

Es wird bei dem Vorgehen des Bundesumweltministers deutlich, daß die Bundesregierung bei der Strahlenbelastung nicht mehr nach dem Minimierungsgebot, sondern nach wirtschaftlichen Überlegungen handelt. Die anerkannten Grundsätze des Strahlenminimierungsgebotes gemäß der Strahlenschutzverordnung werden ausgehölt. Bisher galt doch, daß jede Strahlenbelastung so gering wie möglich sein mußte. Nicht mehr als 30 Millirem Ganzkörperbelastung und 90 Millirem Schilddrüsenbelastung pro Jahr durften erreicht werden. Umgerechnet auf die Nahrungsmittelkonzentration können daraus, je nach Verzehr, Dauerwerte von 30 bis 50 Bq pro Kilogramm Caesium 137 und bei Milch ca. 3 bis 5 Bq pro Liter Jod131 abgeleitet werden.
Eben dieses bewährte Minimierungsgebot wird durch die Einführung unterer Interventionswerte aufgegeben. Für das erste Jahr nach einem Unfall sind 500 Millirem Ganzkörper und 5 Rem Schilddrüsendosis zulässig. Eine Verpflichtung zum Eingreifen besteht jedoch erst bei zehnfach höheren Werten, d. h. umgerechnet 3 000 bis 5 000 Bq pro Kilogramm Caesium l37 in Nahrungsmitteln.

(Dr. Probst [CDU/CSU]: Caesium pro Kilogramm Nahrungsmittel!)

— Vielen Dank, Herr Kollege Probst, für die Belehrung. Ich weiß, daß Sie ein ganz gewitzter Staatssekretär sind.
Anscheinend will man die Gefahren von Entschädigungszahlungen bei nuklearen Unfällen, statt das gesundheitliche Risiko für unsere Bevölkerung minimieren. Die Bundesregierung ist anscheinend nicht bereit, den Preis für eine Kernenergienutzung zu zahlen. Wo bleibt eigentlich in diesen Zusammenhang, meine Damen und Herren, die Stellungnahme des Bundesgesundheitsministeriums? Ich frage mich, warum Frau Süssmuth hier wegtaucht, wo sie doch in anderen Fällen allzu gern bereitwillig öffentliche Erklärungen abgibt.
Wir werden die Doppelstrategie von Minister Töpfer nicht hinnehmen, gegenüber der Öffentlichkeit für niedrigere Grenzwerte einzutreten und gleichzeitig in den Brüsseler Verhandlungen die Flexibilisierung dieser Grenzwerte nach oben anzubieten. In unserem Antrag fordern wir deshalb die Bundesregierung auf, nur Grenzwerten zuzustimmen, die unter keinen Umständen höher als die bisher geltenden Werte liegen dürfen.
Meine Damen und Herren, nur die Alternative: Verhungern oder Verstrahlung, würde höhere Grenzwerte rechtfertigen, und diese Konstellation darf nie-



Reuter
mals Wirklichkeit werden. Deshalb sind wir auch für einen geordneten und geplanten Ausstieg aus der Kernenergienutzung.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

— Sie können davon ausgehen, daß das geht. Man muß nur wollen und darf nicht immer nur auf die Lobbyisten, sondern muß auf die Menschen hören, die sich ernsthaft um die Gesundheit unserer Bevölkerung Gedanken machen, Herr Kollege.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)

Mit unserem Antrag wollen wir auch sicherstellen, daß sich die Verordnung — das hat der Minister dankenswerterweise aufgegriffen, und ich gehe davon aus, daß er unserem Auftrag hier folgt — auf Art. 100 a des EWG-Vertrages und nicht auf Art. 31 des EURATOM-Vertrages abstützt, damit die umfangreichen Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlamentes gewährleistet sind und Regelungen für den Export in Drittländer möglich werden. Denn, meine Damen und Herren, was wir unserer Bevölkerung an verstrahlten Lebensmitteln nicht zumuten, darf auch nicht in den Export kommen. Es darf im Interesse der Gesundheit der Menschen keine Flexibilisierung der Grenzwerte nach oben geben. Ich kann nur den Minister Töpfer hier auffordern, sich in Brüssel in den Verhandlungen dafür einzusetzen und auch endlich die Karten auf den Tisch zu legen, wie er gedenkt, die Probleme hier zu lösen.
Ich darf Sie bitten, unserem Antrag zuzustimmen, weil dieser Antrag in die richtige Richtung geht.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103033300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedrich.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1103033400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre natürlich reizvoll, sofort auf einige unhaltbare Behauptungen von Frau Kollegin Wollny einzugehen. Wenn ich das mache, komme ich aber aus Zeitgründen nicht mehr dazu, einmal festzuhalten, was unumstritten ist. Da ich das für wichtig halte, möchte ich damit beginnen.
Alle Fraktionen im Deutschen Bundestag sind sich doch einig, daß der Schutz der Bevölkerung vor Radioaktivität nicht eingeschränkt werden soll. Die auf EG- Ebene vorgeschlagenen neuen Grenzwerte wären nur akzeptabel, wenn es allein unser Ziel wäre, von den Bürgerinnen und Bürgern ganz konkrete gesundheitliche Gefahren abzuwenden. Wir wissen doch — es ist bei den Diskussionsbeiträgen der Kollegen nicht zum Ausdruck gekommen — , daß in der Nuklearmedizin die Menschen sehr viel höhere Dosen ganz bewußt erhalten,

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Ist das Ihr Maßstab?)

ohne daß es möglich war, über eine Langzeitbeobachtung von über 17 Jahren irgendwelche gesundheitlichen Spätfolgen festzustellen.
Das ist aber im Grunde genommen bei dieser Debatte gar nicht entscheidend. Es geht uns nicht nur um konkrete Gefahrenabwehr, wir wollen nicht die Belastbarkeit testen, sondern wir wollen Vorsorgepolitik betreiben. Anders ausgedrückt: Wir möchten für möglichst große Sicherheitsabstände sorgen.
Frau Kollegin Wollny, in diesem Zusammenhang darf ich anmerken, daß es natürlich beim besten Willen nicht möglich ist, Belastungen, die größenordnungsmäßig bei 1 250 Bq/kg oder — wie wir meinen — bei 600 Bq/kg liegen, mit den Strahlungsbelastungen zu vergleichen, die auftreten, wenn irgendwo eine Atombombe fällt. Das geht doch nicht, Frau Kollegin.
Es ist schon eine Zumutung, wenn Sie in dem Zusammenhang behaupten, die Regierung würde erst handeln, wenn irgend jemandem Zähne ausfallen. Wir haben doch die vielen Fragen mit den Antworten, die sie in den letzten Monaten gestellt haben, um festzustellen, ob irgendwo nach Tschernobyl ein konkreter Gesundheitsschaden als Folge dieser Strahlungen nachweisbar ist. Wenn Sie die Unterlagen gelesen haben, werden Sie feststellen: Nirgendwo ist dies belegbar, was natürlich nicht bedeutet, daß wir in Zukunft weitere Tschernobyls haben möchten.

(Zuruf von den GRÜNEN: Dann müssen Sie die AKWs abschalten!)

Das muß man in dem Zusammenhang natürlich feststellen, meine Damen und Herren. Ich komme darauf noch zurück.
Wir sollten hier auch festhalten, daß sehr vieles nicht nur in der nationalen, sondern auch in der internationalen wissenschaftlichen Diskussion über die Gefahren von Strahlung und die richtigen Grenzwerte unumstritten ist. Auch die EG-Kommission stellt letzten Endes bei ihren Vorschlägen auf einen Grenzwert von 5 mSv ab; er entspricht den Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutzkommission.
Was ist denn eigentlich umstritten? Umstritten ist, daß die Sachverständigen auf EG-Ebene — daraus zieht die EG-Kommission dann Konsequenzen — meinen, daß in der Praxis die Menschen nach einem nuklearen Unfall nur zu etwa einem Zehntel Nahrungsmittel mit der maximal zulässigen Radioaktivität zu sich nehmen. Das war nach Tschernobyl ungefähr so, man müßte wahrscheinlich aber den südbayerischen Raum schon ausnehmen. Das kann vielleicht auch in Zukunft manchmal so sein, aber wir sind uns doch einig: es muß nicht immer so sein.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Es kann aber auch viel schlimmer sein!)

Hier haben wir eine gemeinsame Kritik. Wir von der Union ziehen daraus die Konsequenz, daß wir an den momentan geltenden Werten festhalten möchten, die in der EG-Verordnung Nummer 1707 aus dem Jahre 1986 enthalten sind.
Mit dem Bundesrat sind übrigens auch wir nicht glücklich darüber, daß der Art. 4 Abs. 2 des Entwurfs der EG-Verordnung vorsieht, daß nicht nur das Minimierungsgebot gelten soll, sondern — das steht gleichzeitig noch drin, und das ist sehr mißverständ-



Dr. Friedrich
lich — daß wirtschaftliche und soziale Kriterien mitberücksichtigt werden sollen. Ich darf Ihnen, damit alle Mißverständnisse ausgeräumt werden, hier aus unserer Sicht versichern: Wir wollen keine Abwägung zwischen Wirtschaftlichkeit und Gesundheitsvorsorge, sondern den eindeutigen Vorrang des Gesundheitsschutzes. Deshalb sind auch wir dankbar, wenn diese mißverständliche Formulierung aus der Verordnung herauskommen würde.
Wenn Sie einmal nachlesen, was die Bundesregierung auf eine ausführliche Anfrage der SPD-Fraktion geantwortet hat, dann werden Sie feststellen: Es gibt überhaupt keinen Grund, die Bundesregierung momentan aufzufordern, auf EG-Ebene eine harte Haltung einzunehmen. Die Bundesregierung — Bundesminister Töpfer hat es heute auch bestätigt — tritt im Vergleich zu den jetzt vorliegenden Vorschlägen für eine weitere Senkung der Grenzwerte ein.
Unter Ziffer 2 wünschen die GRÜNEN eine Überprüfung der den Grenzwerten zugrunde liegenden Risikoabschätzung nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Diskussion und eine öffentliche Erörterung der verwendeten Berechnungsverfahren. Ich will es hier kurz machen: Alle Gutachten und Stellungnahmen von Sachverständigen, die vorliegen, tragen doch keinen Geheimhaltungsstempel; sie sind uns allen doch zugänglich. Es gibt in Deutschland, aber auch auf internationaler Ebene eine breite öffentliche wissenschaftliche Diskussion, und ich habe in dem Zusammenhang kein Verständnis dafür, wenn Sie sagen: Da muß jetzt Öffentlichkeit hergestellt werden.
Was die Überprüfung von Risikoabschätzungen betrifft, so hat die Bundesregierung ein neues Gutachten in Auftrag gegeben. Ich habe im Ministerium angefragt. Es liegt inzwischen vor und wird in Kürze veröffentlicht. Wir erhoffen uns eine Bestätigung unseres Standpunktes: Die bisher gültigen strengen Grenzwerte sollen beibehalten werden.
Unter den Ziffern 3 und 4 beantragen die GRÜNEN die Einschaltung unabhängiger Experten und den Austausch der deutschen Vertreter in der Expertenkommission der EG. Sie werfen den deutschen Vertretern vor, daß sie wirtschaftlich von der Atomenergiewirtschaft abhängig sind.
Sie versuchen in der Begründung Ihres Antrages auch nicht ansatzweise, das zu konkretisieren oder gar zu beweisen. Dahinter steckt bei Ihnen Methode. Dem liegt nämlich die Theorie zugrunde, daß jede wissenschaftliche Äußerung letzten Endes interessenbedingt ist. Wer das von vornherein unterstellt, muß im Einzelfall natürlich nichts mehr beweisen.
Ich möchte nur darauf aufmerksam machen: Ihre Einschätzung von Wissenschaftlern — der Minister hat es unter dem letzten Tagungsordnungspunkt schon angesprochen — verhindert im Grunde genommen jede rationale politische Auseinandersetzung. Gutachten sind nur noch dann akzeptabel, wenn sie den eigenen interessenbedingten Standpunkt belegen. Um das gewünschte Ergebnis zu erhalten, muß man Sachverständige aus Ihrer Sicht offensichtlich erst einmal richtig auswählen und notfalls so lange austauschen, bis sie das Richtige von sich geben.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Wir machen das nicht so!)

Mit diesen Spielregeln für das Verhältnis von Politik und Wissenschaft können wir uns nicht anfreunden.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Verleumdung!)

Ihnen kommt es nur darauf an, daß ein Wissenschaftler von vornherein das richtige politische Bekenntnis hat. Damit können wir nichts anfangen.
Ich stelle nur fest: Sie haben — bezogen auf diese Wissenschaftler — nichts Konkretes behauptet, was deren Unabhängigkeit in Frage stellt. Ich kann deshalb nur zu dem Schluß kommen: Das, was diese Wissenschaftler auf EG-Ebene empfohlen haben, halten wir zwar nicht für richtig, aber ihre Unabhängigkeit und ihre Fachkompetenz stellen wir deshalb noch lange nicht in Frage.
Ich gehe sodann noch kurz auf die Begründung Ihres Antrages ein, weil einige ganz böse Dinge darin stehen. Sie sagen zunächst einmal: Wer Grenzwerte feststellt, will die Kernenergie weiter nutzen. Das ist nicht richtig, wenn man das jetzt auf die nationale Ebene bezieht. Ich möchte nur darauf aufmerksam machen: Selbst wenn wir in Deutschland abschalten würden, so denkt doch international niemand daran, auf die Nutzung von Kernenergie zu verzichten.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Fangen Sie doch an!)

Es gibt doch die Absicht, die Nutzung der Kernenergie international auszubauen. Lesen Sie doch einmal, was der stellvertretende tschechoslowakische Ministerpräsident anläßlich des Abschlusses einer Vereinbarung in dieser Woche hier in Deutschland erklärt hat.
Was will ich damit sagen? Selbst wenn wir hier alle Anlagen abschalten würden, wäre es unverantwortlich gegenüber unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern, darauf zu verzichten, eine Schadensbegrenzung in Unglücksfällen vorzubereiten. Es ist schlicht abwegig, aus der Vorsorge darauf zu schließen, daß die Bundesregierung und die Koalitionsparteien nukleare Unfälle billigend in Kauf nehmen. Dann behaupten Sie noch — das darf ich zum Abschluß kurz noch sagen —, daß derjenige, der Grenzwerte festsetzt, der Bevölkerung bestimmte Belastungen zumutet, daß derjenige sogar festlegt, wieviel Krebskranke und Tote politisch und ökonomisch zu verkraften sind.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Das stimmt doch!)

Meine Damen und Herren, damit verzichten Sie im Grunde genommen auf den Anspruch, fachlich ernst genommen zu werden. Ich kann das aus Zeitgründen hier leider nicht mehr im Detail erläutern.
Ich komme zum Schluß: Die Verhandlungsposition der Bundesregierung in den Gremien der EG entspricht dem Grundsatz der Vorsorge, auch bei nuklearen Unfällen. Der Antrag der Fraktion der GRÜNEN und der Antrag der Fraktion der SPD ist deshalb an den zuständigen Ausschuß zu überweisen, weil er für uns in dieser Form nicht akzeptabel ist, wir aber gerade bei der SPD noch die Hoffnung haben, daß wir



Dr. Friedrich
uns zumindest in einigen Bereichen auf eine gemeinsame Erklärung einigen können, die der Bundesregierung bei den europäischen Verhandlungen den Rükken stärkt.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103033500
Das Wort hat die Abgeornete Frau Dr. Segall.

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1103033600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier zum Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/768 Stellung nehmen. Ihnen allen dürfte die Diskussion des Vorschlags einer Verordnung des Europarats zur Festlegung von Höchstgrenzen der Radioaktivität in Nahrungsmitteln, Futtermitteln und Trinkwasser im Falle anomaler Radioaktivitätswerte oder eines nuklearen Unfalls bekannt sein.
In ihrem Antrag fordern die GRÜNEN nun erstens, daß der Bundestag beschließen möge, dem Vorschlag der EG-Kommission bezüglich der Festlegung von Grenzwerten nicht zuzustimmen. Diesen Teil Ihres Antrags unterstütze ich ausdrücklich, falls auf EG- Ebene eine befriedigende Lösung nicht gefunden werden kann. Wie Sie bin ich der Ansicht, daß der Kommissionsvorschlag, der als Grenzwert bei Cäsium 1 000 Bq pro Liter für Milch und Milchprodukte und 1 250 Bq pro Kilogramm bei sonstigen Lebensmitteln vorsieht, nicht akzeptabel ist. In Anbetracht der übrigen normalen Strahlung, der der Mensch ausgesetzt ist, sollte vermeidbare Strahlung — insbesondere von Nahrungsmitteln, die ja nicht von außen auf die Haut treffen, sondern über die Nahrung in den Körper gelangen — so niedrig wie möglich gehalten werden.
Allerdings anders als die GRÜNEN verleitet mich diese Haltung nicht zu der Forderung, Null-Emissionen zu verlangen,

(Frau Garbe [GRÜNE]: Jetzt enttäuschen Sie mich aber wirklich!)

wie das die GRÜNEN auf Seite 5 ihres Antrages tun. Warum ich diese Forderung als verfehlt betrachte und mit Herrn Umweltminister Töpfer, der ebenfalls dem EG-Vorschlag entgegentritt, eine Ansiedlung der Grenzwerte bei 370 Bq pro Liter Milch und 600 Bq pro Kilogramm bei anderen Lebensmitteln entsprechend der EG-Richtlinie 1 707 von 1986 befürworte, will ich begründen. Diese Argumente werden zugleich verdeutlichen, warum ich den Entschließungsantrag der GRÜNEN, was die Punkte 2 bis 4 betrifft, ablehne.
Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, fordern, wie gesagt, eine Null-Emission. Ich möchte Sie einmal fragen, wie Sie das denn realisieren wollen angesichts einer bestehenden natürlichen Strahlung. So beträgt die terrestrische Strahlung im Freien in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 0,4 und 2,0 mSv. Weiterhin sagen Sie, daß jede Radioaktivität schade. Auf Seite 2 Ihres Antrages sagen Sie, daß kein Schwellenwert bestehe, unterhalb dessen Radioaktivität nicht schädigend ist. Bei einer natürlichen terrestrischen Strahlung von 0,4 bis 2,0 mSv hieße das doch, daß wir schon durch die natürliche terrestrische Strahlung radioaktiv verseucht wären. Angesichts dieser Tatsache erscheint es wirklich rätselhaft, wie unsere Vorfahren in einer derart radioaktiv verseuchten Umwelt überleben konnten.
Am Beispiel der radioaktiv verseuchten Molke möchte ich weiterhin verdeutlichen, warum ich die Grenzwerte in der alten EG-Richtlinie 1707 aus Vorsorgegründen und nicht wegen nachgewiesener Toxizität akzeptiere. Nach Angaben der International Commission on Radiological Protection beträgt die innere jährliche Strahlenbelastung beim Nuklid Kalium-40 im ganzen Körper 0,17 mSv, beim Nuklid Kohlenstoff-14 im ganzen Körper 0,015 mSv. Es ist noch etliches mehr. Es sind noch Uran und Strontium mit Folgeprodukten in den Knochen da usw., so daß sich das alles summiert. Es kommt auch das Radon mit den Folgeprodukten noch dazu, die in der Lunge zu ungefähr 1,0 mSv Strahlenbelastung beitragen. In der Summe beträgt die effektive Äquivalenzdosis also 1,3 mSv.
Nun wollten Sie gerne eine Frage stellen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103033700
Wenn Sie das gestatten, werden wir eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Garbe gerne zulassen.

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1103033800
Ja. Vizepräsident Cronenberg: Bitte schön.

Charlotte Garbe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1103033900
Frau Kollegin, ich möchte Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß die Menschheit sich erst entwickeln konnte, als die natürliche Radioaktivität abgenommen hatte, und wir dabei sind, die Radioaktivität wieder anzuheben?

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1103034000
In den etlichen Tausenden von Jahren, in denen es schon menschliches Leben auf dieser Erde gibt, hat sich an der Strahlung nicht so viel geändert, daß wir nun wegen ganz minimaler Veränderungen, die sich eventuell ergeben könnten, beunruhigt sein müßten. Wir gehen ja nicht davon aus, daß Störfälle Dauerzustände sind.

(Zuruf der Abg. Frau Saibold [GRÜNE])

— Ja, ich meine, da kommen wir jetzt in die alte Diskussion: Atomenergie — ja oder nein. Wir wollten uns nun hier darüber unterhalten, wo wir Grenzwerte festlegen.

(Zuruf der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

— Ja, Sie zählen das alles auf. Aber ich möchte jetzt gerne in meiner Rede fortfahren.
In Relation eben zu diesen Werten müssen wir mögliche Kontaminationswerte durch radioaktive Molke und andere Kontaminationswerte sehen.
Würde eine Person ein Kilogramm des mit 6 000 Bq Cäsium 137 pro Kilo verseuchten Molkepulvers verzehren, ergäbe dies eine Strahlenexposition von 7 mrem. Das sind noch nicht einmal 4 % der mittleren Strahlenexposition eines Bundesbürgers, die bei 200 mrem pro Jahr liegt.
Doch, meine Damen und Herren — und dadurch wird eine weitere Relativierung dieser Werte nötig —, wer sagt denn, daß das Molkepulver direkt verzehrt werden muß? Verfüttert man das Molkepulver, was



Frau Dr. Segall
für gewöhnlich bei der Rinder- und Schweinezucht getan wird, so kann eine radioaktive Belastung völlig ausgeschlossen werden, und zwar dann, wenn man die Verfütterung auf die Aufzucht und frühe Mast beschränkt. In diesem Fall werden die EG-Grenzwerte, bedingt durch die relativ kurze biologische Halbwertzeit von Cäsium im Tierkörper, ebenfalls eingehalten.
Ich denke, diese Beispiele verdeutlichen hinreichend, warum ich die Grenzwerte in der alten EG- Richtlinie 1707 mit Umweltminister Töpfer weiterhin befürworte.
Schließlich möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß Grenzwerte für die radiokative Belastung von Nahrungsmitteln, Futtermitteln und Trinkwasser vorsorglich geschaffen werden. Vorsorglich heißt, daß der Bürger auch dann, wenn bei diesen Grenzwerten toxische Wirkungen nicht gesichert feststellbar sind, vor etwaigen Folgen geschützt werden muß.
Jetzt werden Sie mir sicherlich Ihr Zahlenmaterial, das Sie in der Begründung Ihres Antrages zu Punkt 2 anführen, entgegenhalten wollen. Aber wie sehr Sie bei der Erstellung von Zahlenmaterial mit zweierlei Maß messen, geht aus einer Zusammenschau des Punktes 4 Ihres Entschließungsantrages, in dem Sie Wissenschaftlern der Kommission eine Abhängigkeit von der Atomwirtschaft unterstellen, und der Begründung Ihres Entschließungsantrages hervor.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das ist doch leider so!)

Sämtliche Zahlen, die Sie angeben, entstammen dem Ifeu-Institut. Dieses Institut ist von der deutschen Alternativwirtschaft abhängig. Wenn Sie, meine Damen und Herren, die Zahlen einer Kommission, die angeblich von der Atomenergiewirtschaft abhängig ist, nicht akzeptieren, so verlangen Sie bitte nicht von uns, daß wir Zahlen eines Instituts, das von der deutschen Alternativwirtschaft abhängig ist, akzeptieren.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Aha, so einfach ist das!)

Resümierend stelle ich für die FDP-Fraktion fest, daß wir die in der Richtlinie 1707 festgelegten Kontaminationswerte als ausreichend betrachten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103034100
Meine Damen und Herren, da weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, kann ich die Aussprache schließen. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN und den Antrag der Fraktion der SPD an die in der Tagesordnung ausgewiesenen Ausschüsse zu überweisen. — Widerspruch dagegen erhebt sich nicht. So kann ich dies als beschlossen feststellen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Strafgesetzbuches und des Gesetzes fiber die Verbreitung jugendgefährdender Schriften
— Drucksache 11/638 —
Überweisungsvorschlag des Ältestensrates:
Rechtsausschuß (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Im Ältestenrat ist hier eine Redezeit von einer Stunde vereinbart worden. — Widerspruch dagegen erhebt sich nicht.
Ich erteile dem Abgeordneten Sauter das Wort.

Alfred Sauter (CSU):
Rede ID: ID1103034200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Empirische Untersuchungen aus jüngster Zeit zeigen übereinstimmend, daß das Gesetz zur Regelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit vom 25. Februar 1985 der breiten und kostengünstigen Verbreitung indizierter Horror-, Action-, Porno- und Kriegsvideos nicht den gewünschten Einhalt bietet.
Nach einer kürzlich abgeschlossenen Untersuchung von Professor Glogauer aus Augsburg haben von 382 befragten Realschülern 159 — das sind 41.5 % — diese Schundprodukte gesehen. Professor Lukesch aus Regensburg kommt bei einer anderen Untersuchung auf einen Anteil von über 30 %. Eine vom Stadtjugendamt der pfälzischen Stadt Frankenthai veröffentlichte Umfrage unter rund 1 000 Hauptschülern ergab, daß nahezu zwei Drittel dieser Schüler bereits Horrorvideos und mehr als ein Drittel Pornovideos gesehen haben.
Diese Zahlen sind beängstigend. Das Anschauen von grausamen und pornographischen Filmen führt zweifelsohne zu einer sozialen und ethischen Desorientierung bei Jugendlichen. Die Heidelberger Erziehungswissenschaftlerin Luise Wagner-Winterhager schreibt in einem Beitrag der „Welt" vom 1. Juli 1987 Brutalvideos die Funktion einer Droge zu. Abstumpfung des Gewissens bei Jugendlichen, Unempfindlichkeit gegenüber Freud und Schmerz, gegenüber Haß und Liebe, starke Angst-Lust-Erlebnisse, Förderung von sadomasochistischen sowie hochgradig aggressiven Tendenzen beim Zuschauer sind die Folge solchen Konsums.
Ich stimmte dem uneingeschränkt zu. Jugendliche werden durch das Betrachten grausamer und ekelerregender Szenen von Gewalt und Sexualität in ihrer psychischen Entwicklung gestört. Labile Menschen können sich zu Nachahmungstaten angestachelt fühlen. Vor allem führt es im Regelfall zu einer Abstumpfung gegenüber brutaler Gewalt, zu einem Verlust an Menschlichkeit und zu einer Gefährdung der von uns allen zu achtenden und zu bewahrenden Menschenwürde.
Das Gesetz zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit vom 25. Februar 1985 gewährleistet noch nicht im angestrebten Umfang einen wirklichen Schutz der Jugend vor solchen Schundprodukten. Leider wurde das im damaligen Gesetzentwurf Bayerns vorgesehene generelle Vermietverbot gestrichen, so daß die Vermietung indizierter und pornographischer Videokassetten weiter zulässig ist, wenn auch nur in solchen Ladengeschäften, die Kindern und Jugendli-



Sauter (Ichenhausen)

chen nicht zugänglich sind und von ihnen nicht eingesehen werden können.
Damals hat die CSU diesem politischen Kompromiß zugestimmt, um weitere Verzögerungen im Gesetzgebungsverfahren zu vermeiden. Sie hat aber gleichzeitig deutlich gemacht, daß unverzüglich neue gesetzgeberische Maßnahmen zur Unterbindung jeglicher gewerblicher Vermietung jugendgefährdender Filme zu ergreifen sind.
Nach jüngsten Erkenntnissen ist die jetzt noch zulässige Verleihmöglichkeit die entscheidende Ursache dafür, daß so viele Kinder und Jugendliche indizierte Videofilme sehen können. Bei einer Anhörung Ende Juni 1987 im Bundesministerium der Justiz haben die Sachverständigen betont, daß mehr als 95 % des Vertriebs im Wege der Vermietung erfolgt. Nach einer Umfrage der Interessengemeinschaft der Videothekare Deutschlands im Mai 1987 beträgt der Umsatzanteil der Kaufkassetten durchschnittlich lediglich 1,98 %. Die niedrigen Ausleihpreise — nach der ND-Umfrage durchschnittlich 6 DM pro Film, ermöglichen eine breite Streuung und Verfügbarkeit auch für Jugendliche. Völlig legal können sich somit 18jährige — das ist der Normalfall — mit ihrem Taschengeld diese Filme besorgen und ihren ganzen jüngeren Freundeskreis damit versorgen.
Der beabsichtigte Schutz vor den massenhaft umlaufenden Schundvideos wird somit durch die derzeitige Rechtslage in keiner Weise gewährleistet. Die nachfolgenden Zahlen zeigen, daß die rasante Entwicklung der modernen Medien dieses Problem zunehmend verschärft: 1984 wurden an den Handel ca. 2 Millionen Videoprogrammträger abgesetzt. Der Verleihumsatz 1986 wird auf rund 850 Millionen DM geschätzt, und der von 1987 dürfte sich in Richtung auf 1 Milliarde DM bewegen.
Hält man sich vor Augen, daß die Videothekare rund ein Viertel ihres Umsatzes mit indizierten Filmen und Pornos machen, und berücksichtigt man, daß der Umsatzanteil von Pornos steigt, und zwar überproportional steigt, so darf der Gesetzgeber nicht untätig bleiben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Nach fast einhelliger Meinung aller Sachverständigen kann nur ein totales Mietverbot indizierter und pornographischer Medien dem ein Ende bereiten. Der Kaufpreis einer Videokassette beträgt zur Zeit mindestens das Zehnfache des Mietzinses und liegt im Regelfall zwischen 60 und 100 DM. Er stellt sicher, daß nach einem Vermietverbot erheblich weniger solcher Schundprodukte im Umlauf sind.
Der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates sieht folgende Verbesserungen vor:
Erstens. Das bereits bestehende generelle Verleihverbot für pornographische, indizierte und sonstige offensichtlich schwer jugendgefährdende Schriften wird auf in gleicher Weise gefährliche Filme erweitert. Da die Vermietung von Videokassetten den bereits nach geltendem Recht erfaßten Vertriebsformen von Druckerzeugnissen hinsichtlich des Grades der Jugendgefährdung in keiner Weise nachsteht, ist es konsequent, sie der gleichen Vertriebsbeschränkung zu unterwerfen.
Zweitens. Nach geltendem Recht ist der Verkauf pornographischer Schriften und Videofilme auch in abgetrennten Räumen allgemein zugänglicher Geschäfte zulässig, während die Vermietung solcher Produkte auf besondere, Kindern und Jugendlichen nicht zugängliche Räume beschränkt ist. Diese Differenzierung ist nicht gerechtfertigt, da das mit der Beschränkung auf besondere Ladengeschäfte verfolgte Ziel, Jugendliche sicherer als bisher vor pornographischen Erzeugnissen abzuschirmen, unabhängig davon ist, ob das betreffende Produkt zum Verkauf oder zur Vermietung bereitgehalten wird.
Drittens. Durch die Neufassung von § 184 Abs. 1 Nr. 7 StGB soll verdeutlicht werden, daß zwar einerseits die öffentliche Darbietung pornographischer Filme in herkömmlichen Filmtheatern verboten ist, andererseits aber das Vorführen solcher Filme in Nachtlokalen nicht strafbar ist.
Lassen Sie mich zum Schluß noch auf einige Argumente der Videothekare eingehen. Die Gesetzesinitiative des Bundesrates bringt keine Schlechterstellung der Videothekare gegenüber dem Fernsehen, insbesondere gegenüber den Anbietern im Kabelfernsehen. Die Verbreitung gewaltdarstellender und pornographischer Sendungen durch das Fernsehen ist bereits heute strafbar. Auch nach dem Rundfunkstaatsvertrag vom 24. Juli 1987 sind Gewalt darstellende, den Krieg verherrlichende, pornographische und in sonstiger Weise schwer jugendgefährdende Sendungen unzulässig. Indizierte Sendungen, die geeignet sind, das körperliche, geistige oder seelische Wohl von Kindern oder Jugendlichen zu beeinträchtigen, sind nur in der Zeit zwischen 23 Uhr und 6 Uhr zulässig. Eine Ungleichbehandlung von öffentlich-rechtlichen Medien und privaten Videotheken liegt dabei in keiner Weise vor. Die unterschiedliche Ausgestaltung zwischen dem Wortlaut des Rundfunkstaatsvertrages und dem nunmehrigen, von Bayern initiierten Gesetzentwurf beruht lediglich darauf, daß es im Bereich von Rundfunksendungen eine Unterscheidung zwischen Vermietung und Verkauf nicht geben kann, weil diese grundsätzlich gewissermaßen „frei Haus" jedem Interessenten geliefert werden.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den vorliegenden Entwurf sind nicht stichhaltig, da die Meinungs-, Informations- und Handlungsfreiheit ebenso wie die Kunstfreiheit nicht uneingeschränkt gelten, sondern ihre Grenze an den allgemeinen Gesetzen, insbesondere den Vorschriften zum Schutze der Jugend finden. Die Vertriebsform des Verkaufs an Erwachsene bleibt nach dem vorliegenden Gesetzentwurf nach wie vor offen.
Meine Damen und Herren! Falsch verstandene Liberalität und fadenscheinige Vorwürfe dürfen nicht dazu dienen, den Umlauf von Schundprodukten zu sichern. Jugendschutz ist wichtiger als Kommerz. Die Jugend hat es nicht verdient, daß letztendlich auf ihrem Rücken unanständige Geschäfte gemacht werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)




Sauter (Ichenhausen)

Auf Grund der durch Untersuchungen belegten erschreckenden Entwicklungen darf ich alle Kolleginnen und Kollegen des Hauses herzlich darum bitten, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen, und insbesondere jene, die sich bisher gegen ein Vermietungsverbot ausgesprochen haben, dazu ermuntern, die aus meiner Sicht nicht mehr zu vertretende Verweigerungshaltung aufzugeben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103034300
Das Wort hat der Abgeordnete Singer.

Johannes Singer (SPD):
Rede ID: ID1103034400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD hat den Jugendschutz immer sehr ernst genommen und wird sich keinem Vorschlag verschließen, mit dessen Hilfe unsere Jugend vor Gewaltverherrlichungen und pornographischen Videokassetten wirksamer als bisher geschützt werden kann. Der vorgelegte Gesetzentwurf weckt jedoch Hoffnungen, die nach meiner Überzeugung nicht erfüllt werden können, und schießt weit über das Ziel hinaus.
Danach soll der Verleih von harten Videos nicht nur an Jugendliche — das ist jetzt schon verboten —, sondern generell, auch an Erwachsene, verboten werden. Wir haben uns immer dagegen gewehrt, daß die Obrigkeit bestimmt, was der mündige Bürger zu lesen hat und was er sich anschauen darf. Wenn nun die Verfasser des vorliegenden Gesetzentwurfes etwas mehr als zwei Jahre nach der letzten Gesetzesverschärfung meinen, das Verleihgeschäft generell verbieten und den interessierten Kunden auf den Kauf harter Videos abdrängen zu sollen, müssen sie sich die Frage gefallen lassen, ob sie die Zweckmäßigkeit des Gesetzentwurfes durch die Ergebnisse einer ordentlichen Rechtstatsachenforschung belegen können.
Es stimmt nämlich nicht, Herr Kollege Sauter, daß die letzte Gesetzesänderung ohne Wirkung geblieben wäre. Die Videothekare — das wird von den örtlichen Ordnungsbehörden bestätigt — sind weit überwiegend dazu übergegangen, nur noch Erwachsene in ihre Läden zu lassen. Nirgendwo funktioniert der Jugendschutz so gut wie beim Verleihgeschäft. Hierfür gibt es einen einleuchtenden Grund: Der Videothekar ist beim Verleihgeschäft an einer Feststellung der Personalien und der Kontrolle des Alters seiner Kunden nicht nur aus Respekt vor dem Gesetz und aus Angst vor den Kontrolleuren interessiert, sondern auch deshalb, weil er ohne zutreffende und sorgfältige Personalienfeststellung befürchten muß, daß der Kassettenentleiher auf Nimmerwiedersehen mit dem Film verschwindet. Diese Sorgen braucht sich der Verkäufer von Videokassetten nicht zu machen. Den Verkauf aber wollen Sie nach wie vor straflos lassen.
Deshalb ist es völlig unverständlich, daß für den Verkauf von Videokassetten keine gesetzlichen Neuregelungen vorgeschlagen werden. Die hier vorgetragene Hoffnung, durch das Abdrängen der Interessenten auf den Kauf würde der Kassettenumlauf insgesamt drastisch eingeschränkt

(Zuruf von der CDU/CSU)

und damit auch für Jugendliche der Zugang erschwert, halte ich für absurd. Was wird denn passieren? Der Käufer solcher Kassetten wird, allein schon um den hohen Kaufpreis wieder hereinzuholen, in seinem Wohnzimmer ein privates, illegales, schwarzes Verleihgeschäft aufziehen. Die Zahl der Raubkopien wird zunehmen. Die Kontrolle wird viel schwieriger. Sie schaffen einen schwarzen Markt, von dessen Ausmaßen wir uns noch gar keine Vorstellungen machen können, und erreichen mit der Gesetzesänderung das genaue Gegenteil von dem, was Sie vorgeben erreichen zu wollen.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103034500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sauter?

Johannes Singer (SPD):
Rede ID: ID1103034600
Das wird von der Zeit her sehr knapp.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103034700
Ich lasse Ihnen die Zeit; das ist kein Problem.

Johannes Singer (SPD):
Rede ID: ID1103034800
Ja, bitte schön, Herr Sauter.

Alfred Sauter (CSU):
Rede ID: ID1103034900
Herr Kollege, was sagen Sie zu der Tatsache, daß ein Teil der SPD- regierten Länder im Bundesrat dem Gesetzentwurf, der hier vorliegt, zugestimmt hat?

Johannes Singer (SPD):
Rede ID: ID1103035000
Herr Sauter, diese Tatsache ist mir bekannt. Sie ändert aber nichts an meiner Meinung.
Es fehlt auch jede Begründung, warum die vorgeschlagene Änderung Jugendlichen den Zugang zu harten Videos erschweren sollte. Kaum ein Videokonsument sieht sich einen Film mehr als ein- oder höchstens zweimal an. Was soll er dann mit der gekauften Kassette tun? Er wird doch praktisch veranlaßt, sie mit dem Arbeitskollegen gegen eine andere zu tauschen, sie — mit oder ohne Gebühr — zu verleihen und sie auf diese Weise auch an Jugendliche gelangen zu lassen.
Ich halte den Verdacht des Verbandes der Videothekare — davon ist eben gesprochen worden — gar nicht für so abwegig, daß mit dem Verbot des Verleihgeschäfts die nur schleppend vorankommende Verkabelung der Republik flottgemacht werden soll.

(Zurufe von der CDU/CSU: Quatsch! Lächerlich!)

Offenbar ist den Befürwortern des Gesetzentwurfs aber die sich hieraus ergebende verfassungsrechtliche Problematik überhaupt nicht bewußt geworden. Es liegt doch auf der Hand, daß private Fernsehanbieter, die sich gegenüber der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz durchsetzen wollen, gerade die Filme in ihren privaten Kabelprogrammen zeigen werden, deren Verleih Sie hier verbieten wollen.

(Zuruf des Abg. Sauter [Ichenhausen] [CDU/ CSU])

Der sogenannte Rundfunk-Staatsvertrag, von dem Sie eben gesprochen haben, der auch von der Regierung des Freistaates Bayern mit unterzeichnet worden



Singer
ist, gestattet die Ausstrahlung indizierter Filme zwischen 23 Uhr und 6 Uhr, also nachts.

(Sauter [Ichenhausen] [CDU/CSU]: Da sind die meisten Kinder wach!)

Welcher gerecht denkende Mensch kann eigentlich eine Situation akzeptieren, in der indizierte Filme zwar frei zugänglich über das Fernsehen kommen dürfen, aber nicht in der Videothek verliehen werden dürfen? Vor unserer Verfassung kann eine solche Regelung wohl kaum Bestand haben.
Schließlich bitte ich, noch einen weiteren Gesichtspunkt zu beachten: Das Hauptgeschäft beim Videoverleih findet am Wochenende statt. Die Filme werden freitagsabends oder im Laufe des Samstags entliehen, am selben oder am folgenden Tag konsumiert und üblicherweise montags, dienstags zurückgebracht. Legt man diesen Markt trocken und drängt die Konsumenten auf den Kauf, werden sich in kürzester Zeit riesige Kassettenbestände im privaten Besitz anhäufen, deren Kontrolle Sie überhaupt nicht mehr gewährleisten können.

(Frau Dr. Götte [SPD]: Genau!)

Kurzum: Mit der von Ihnen beabsichtigten Gesetzesregelung werden Sie insgesamt nicht mehr, sondern weniger Jugendschutz erreichen

(Beifall bei der SPD)

und setzen sich zudem dem Verdacht aus, freie Bürger zu bevormunden und auf einem Teilbereich des Medienmarkts eine Zensur einzuführen.
Dabei ist die Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem Entwurf sehr interessant. Daraus darf ich den letzten Satz zitieren:
Auf der Grundlage der bereits vorliegenden und weiterer im Laufe der kommenden parlamentarischen Beratungen noch zu erhebenden Rechtstatsachen wird zu entscheiden sein, wie dem Anliegen des Jugendschutzes über das geltende Recht hinaus Rechnung getragen werden kann.
Hieraus ergibt sich doch wohl in aller Deutlichkeit, daß die Bundesregierung die erhobenen Rechtstatsachen noch nicht für ausreichend hält, um eine Gesetzesverschärfung zu begründen.
Interessant ist darüber hinaus auch, daß die Bundesprüfstelle diese Forderungen, wie sie eben von Ihnen erhoben wurden, auch nicht gestellt hat.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD — Zustimmung der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103035100
Das Wort hat der Abgeordnete Norbert Eimer.

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1103035200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag des Bundesrats zur Änderung des Jugendschutzgesetzes, eine Initiative aus Bayern, will Änderungen in drei Bereichen vornehmen. So ist vorgesehen, erstens den Verkauf von jugendgefährdenden Videofilmen auf solche Ladengeschäfte zu beschränken, zu denen Jugendliche keinen Zugang haben. Zweitens soll die Vorschrift gegen die öffentliche Vorführung pornographischer Filme verbessert werden. Drittens wird ein Vermietverbot für pornographische, indizierte oder sonst schwer jugendgefährdende Filme verlangt.
Lassen Sie mich dazu im einzelnen Stellung nehmen. Das Vermieten und Verkaufen jugendgefährdender Videokassetten ist unterschiedlich geregelt. Es ist sicher ein Bruch in der Systematik des Gesetzes. Wir sind deswegen bereit, zu überprüfen, ob es in der jetzigen Fassung des Gesetzes möglich ist, daß Kinder und Jugendliche mit jugendgefährdenden Videokassetten in Berührung kommen können. Sollte dies möglich sein, so kann man mit uns über eine Änderung sprechen. Allerdings halten wir die jetzige Regelung der Trennung der Videotheken in solche mit und solche ohne indizierte Kassetten für übertrieben und für nicht zweckmäßig im Sinne des Jugendschutzes. Ich werde dazu später noch Stellung nehmen.
Der zweite Punkt, den ich ansprechen will, ist die Einschränkung bei der Vorführung von Pornofilmen. In Bars, Nachtlokalen und ähnlichen Orten ist die Vorführung ja erlaubt. Aber man will die öffentlichen Kinos, in denen normalerweise Filme laufen, die auch Jugendliche anschauen können, davon freihalten. Auch dies halten wir aus Jugendschutzgründen für zweckmäßig und richtig.
Die heutige Praxis durch das Aufkommen eigener Kinos, die das jetzige Gesetz legal umgehen, bei denen scheinbar nicht für den Film, sondern z. B. für ein Getränk gezahlt wird, wird aber von uns in erster Linie danach beurteilt, ob ein Verbot hier zu einer Bevormundung der Erwachsenen führt oder ob es zum Schutz von Kindern und Jugendlichen nötig ist.
Wenn sich herausstellen sollte, daß in den fraglichen Kinos die Alterskontrolle nicht strikt gehandhabt wird, wenn die Möglichkeit besteht, daß Kinder und Jugendliche solche Filmvorführungen besuchen können, dann muß man sehr wohl prüfen, ob das von uns allen beabsichtigte Ziel, das wir durchaus positiv bewerten, mit der von Bayern vorgeschlagenen Formulierung erreicht werden kann.
Kommen wir zum dritten und für mich wichtigsten Punkt, dem Vermietverbot. Diese Maßnahme sieht auf den ersten Blick vernünftig und richtig aus, aber eben nur auf den ersten Blick. Wir können diese Änderung nicht mitmachen. Ein Vermietverbot beträfe nicht Jugendliche — für diese gibt es bereits das Vermietverbot —, sondern nur Erwachsene. Wir halten es von der Verfassung her für problematisch, für Erwachsene diesen Vertriebsweg zu sperren, sie zu bevormunden. Jugendschutz ist hier nur vorgeschoben.
Aber vor allem aus Gründen des Jugendschutzes halten wir ein Verleihverbot für kontraproduktiv, d. h. für schädlich. Heute ist der Lagerort für derartige Videofilme die Videothek. Kommt ein Verleihverbot für diese Gattung von Filmen, so werden billige Videokassetten den Markt überschwemmen. Die Branche spricht von Preisen unter 20 DM. Der Lagerort wäre dann Wohn- und Schlafzimmer. Der Zugriff der Kinder würde dadurch wesentlich erleichtert.
Wird solch eine Kassette ausgeliehen, so liegt sie im Schnitt ein oder zwei Tage zu Hause. Dann ist die Chance groß, sie von Kindern fernzuhalten. Müssen diese Kassetten aber gekauft werden, so liegt dieser



Eimer (Fürth)

„Schrott" jahraus, jahrein zu Hause. Die Chance, sie von Kindern fernzuhalten, geht gegen null.

(Beifall bei der SPD)

So wird von den Befürwortern dieser Regelung damit argumentiert, daß man für das gleiche Geld weniger Filme kaufen kann. Das ist richtig. Wenn ich für 20 DM bei einem durchschnittlichen Mietpreis von 5 DM — das ist eher niedrig angesetzt — vier Filme ausleihen kann, so ist die Zugriffsmöglichkeit für Kinder und Jugendliche, wenn überhaupt, nur an vier Tagen gegeben. Für die gleichen 20 DM kann ich einen Film kaufen. Nehme ich die Lebensdauer von nur einem Jahr an, so verlängert sich die Zeit des Zugriffs für Kinder und Jugendliche auf das Hundertfache. Bei dieser Rechnung habe ich noch nicht einmal einbezogen, daß dann Raubkopien rentabel sind und somit auch gemacht werden und daß ein florierender Tauschhandel einsetzen wird. Jugendgefährdende Filme lagern dann unkontrolliert und in vielen Fällen unbeaufsichtigt in den Wohnungen. Der Umlauf wird also wesentlich größer.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103035300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1103035400
Ja, ich erlaube sie, bitte schön.

Alfred Sauter (CSU):
Rede ID: ID1103035500
Herr Kollege Eimer, trifft es zu, daß Ihre Rechnung unterstellt, daß jeder Film, von dem Sie jetzt gesprochen haben, pro Jahr nur einmal ausgeliehen wird?

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1103035600
Ich rate Ihnen, das einmal nachzurechnen oder dann im Protokoll nachzulesen. Dann werden Sie dahinterkommen, daß Ihr Einwand falsch ist. Sie können selbstverständlich sagen, daß ein Videofilm mehrmals ausgeliehen wird. Aber nehmen Sie die Gesamtsumme, die jetzt für das Ausleihen ausgegeben wird, und nehmen Sie die gleiche Summe für den Kauf von Kassetten an, dann kommen Sie ganz zwangsläufig zu dem Ergebnis, daß sich die Lagerzeit verhundertfacht. Es kommt entscheidend darauf an, ob Kinder Zugriff haben, ob der Schrott zu Hause liegt oder ob er nicht zu Hause liegt. Das vergessen Sie bei Ihrer Betrachtung.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Sauter [Ichenhausen] [CDU/CSU]: Darf ich eine Nachfrage stellen?)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103035700
Sie gestatten eine Nachfrage?

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1103035800
Ja.

Alfred Sauter (CSU):
Rede ID: ID1103035900
Gehen Sie dann davon aus, daß im Regelfall die Videothekare Wert darauf legen, daß bei ihnen die Videofilme lagern und nicht ausgeliehen werden?

(Zuruf von der SPD: Das ist aber der Fakt!)


Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1103036000
Herr Kollege, es ist Tatsache, daß die Filme die meiste Zeit in den Videotheken lagern. Wir haben heute nachmittag darüber gesprochen. Sie haben selbst zugegeben, daß der Film zweimal pro Woche ausgeliehen wird.

(Sauter [Ichenhausen] [CDU/CSU]: Zweimal drei Tage sind sechs!)

— Die werden normalerweise kürzere Zeit ausgeliehen. Selbst wenn das so ist, vergessen Sie, daß die Zahl der Filme dramatisch zunehmen wird.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Das ist das Entscheidende. Das einzige, was wir betrachten müssen, ist: Haben Kinder Zugriff zu diesem Schrott oder nicht? Bei Ihrer Lösung wird der Umlauf größer.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103036100
Nun eine weitere Zwischenfrage. Ich rechne das zeitlich noch nicht an. Bitte sehr.

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1103036200
Ja, bitte schön.

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1103036300
Herr Kollege Eimer, würden Sie, wenn Sie schon ein Verbot der Vermietung für wirkungslos halten, dann einem Verbot des Verkaufes zustimmen?

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1103036400
Ich werde gleich im Anschluß daran dazu Stellung nehmen.
Meine Damen und Herren, auch für Eltern, die keine Pornofilme anschauen und sie infolgedessen auch nicht zu Hause lagern, steigt die Gefahr, daß die eigenen Kinder von der Nachbarschaft etwas mitbringen oder woanders etwas anschauen können. Es ist nicht mehr kontrollierbar.
Wenn man also etwas für den Jugendschutz tun wollte — damit komme ich auf Ihre Frage — , dann wäre es nur logischer, man würde den Verkauf verbieten, ich schlage das aber nicht vor, und nur noch das Verleihen zulassen. Dann ist, wie gesagt, der Lagerort nicht mehr unkontrolliert in privaten Wohnungen, sondern in einer Videothek.
Herr Präsident, hier blinkt ein Schild auf.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103036500
O, das ist eine unbeabsichtigte Störung des Redners. Sie können in Ruhe fortfahren.

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1103036600
Meine Damen und Herren, wir sind uns im Ziel einig, Jugendliche zu schützen. Wir sind der Meinung, daß das Jugendschutzgesetz nicht optimal ist und verbessert werden kann, verbessert werden muß. Aber wir sind davon überzeugt, daß der bayerische Weg zu diesem Ziel falsch, ja verhängnisvoll ist. Wir machen mit, wenn es darum geht, um vernünftige Regelungen für den Jugendschutz zu ringen.
Aber ich muß mich in diesem Zusammenhang dagegen wehren, daß mir persönlich aus Bayern vorgeworfen wird, ich nähme den Jugendschutz nicht ernst. Ich werfe der bayerischen Staatsregierung und dem bayerischen Ministerpräsidenten Strauß auch nicht vor, daß er einen Staatsvertrag zur Neuordnung des Rundfunkwesens unterschrieben hat, in dem es in Art. 10 Abs. 2 heißt, daß jugendgefährdende Filme,



Eimer (Fürth)

auch indizierte, in der Zeit von 23 Uhr bis 6 Uhr ausgestrahlt werden dürfen.

(Zuruf von der SPD: Ja!)

In einer Zeit, in der Kinder mit Videorecordern umgehen können, in der man Videorecorder programmieren kann, ist das jedenfalls keine Sicherung dafür, daß Kinder und Jugendliche derartige Filme nicht sehen können.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Da sind mir die Filme in den Videotheken kindersicherer.
Der Abs. 1 des gleichen Artikels — hier komme ich auf das zurück, was vorhin schon gesagt wurde — verbietet etwas, was durch Gesetz, nämlich in § 131 StGB, ohnedies verboten ist, nämlich das Aussenden von gewaltverherrlichenden Filmen. Diese Formulierung erscheint mir deshalb mehr als Alibi und Ablenkung für den nachfolgenden Satz.
Ich habe schon gesagt, daß wir uns ein besseres Jugendschutzgesetz vorstellen können. So war es nicht der Wunsch der FDP, daß die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften in bestimmten Fällen durch das neue Gesetz entmachtet wird. So sind wir der Meinung, daß es für den Jugendschutz nicht zweckmäßig ist, daß wir zwei Jugendschutzgesetze mit unterschiedlichen Strafbewehrungen auf Bundesebene haben, daß wir elf Länderrundfunkgesetze mit und ohne Jugendschutzparagraphen haben. Dazu kommen die Medienerprobungsgesetze und der erwähnte Staatsvertrag. Ich bin überzeugt, daß ich gar nicht alles gefunden habe, was Jugendschutz betrifft.
Wie wollen wir auf europäischer Ebene einen einheitlichen und wirksamen Jugendschutz erreichen, wenn es nicht einmal in Deutschland gelingt? Dieser europäische Jugendschutz ist notwendig. Ich brauche nur daran zu denken, daß in Kürze Fernsehsatelliten gestartet werden, die einen Direktempfang von Sendungen erlauben, auch aus Ländern, in denen Bestimmungen wie die unseres Jugendschutzgesetzes nicht gelten.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Genau!)

In einem weiteren Punkt sind wir der Meinung, daß das jetzige Jugendschutzgesetz nicht optimal ist. Durch das Verbot des sogenannten „shop in the shop" ist die Qualität des Angebots der meisten Videotheken gewaltig gesunken. Das wird überall zugegeben. Wir wollten, daß für jugendgefährdende Videokassetten nicht ein eigener Vertriebsweg entsteht. Wir wollen, daß in Videotheken abgegrenzte und abgeschlossene Räume vorhanden sind, die nur nach Kontrolle zu betreten sind. Jugendgefährdende Filme sollten nur verpackt und versiegelt aus diesen Räumen herausgetragen werden. Aber das ließ sich leider nicht durchsetzen.
Die Folge des heutigen Gesetzes war, daß Videotheken die Schaufenster bekleben und ein Schild an die Ladentür hängen: Für Kinder und Jugendliche Eintritt verboten. So entstand ein eigener Vertriebsweg für jugendgefährdende Videokassetten. Videotheken, in denen Kinder und Jugendliche Zutritt haben und die damit auch für viele Erwachsene betretbar sind, gibt es fast nicht mehr. Das hat nicht nur die Qualität des Angebots sinken lassen, sondern auch die Medienerziehung außerordentlich erschwert.
Wir glauben, daß der Jugendschutz nur dann optimiert und die Qualität des Angebots nur dann angehoben werden kann, wenn man an diese Probleme nicht mit der Mentalität wie bei einem Kreuzzug gegen die Unmoral herangeht, sondern die Folgen von gesetzlichen Maßnahmen emotionslos einkalkuliert. Wir glauben, daß das Jugendschutzgesetz in vielen Punkten noch verbessert werden kann, daß wir einerseits unnötig strenge Vorschriften weiter fassen und andererseits in einigen Bereichen strengere Vorschriften vornehmen müßten.
Wir sind bereit, an der Verbesserung des Jugendschutzes mitzuarbeiten, vor allem aber auch daran, daß Jugendschutz übersichtlicher und verständlicher wird. Wir sind bereit, daran mitzuarbeiten, aber wir glauben, daß der bayerische Weg, der in diesem Antrag dokumentiert ist, der falsche Weg ist, vielleicht ebenso die Form des Umgangs miteinander.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103036700
Das Wort hat der Abgeordnete Häfner.

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1103036800
Guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht bei diesem Gesetz um den Schutz der Jugend vor pornographischen und sonstigen jugendgefährdenden Schriften und Videofilmen. So jedenfalls steht es in der Begründung zum Gesetz. Was aber bewirkt das Gesetz tatsächlich?
Da findet sich gleich am Anfang eine Bestimmung, die wirklich mit Jugendlichen zu tun hat. Sie betrifft nämlich den Vertrieb sogenannter weicher Pornographie.
Wie ist hier die heute geltende Rechtslage? Pornographische Erzeugnisse, Schriften, Videos usw., sind schon heute nur in abgetrennten, von Jugendlichen nicht betretbaren Räumen verkäuflich. Die vorgeschlagene Änderung besagt: Sie dürfen nur noch in Läden verkauft werden, die für Jugendliche nicht betretbar sind. Man fragt sich, wie groß dieser Unterschied wirklich ist, und man fragt sich, ob diese Änderung wirklich erforderlich ist.

(Sauter [Ichenhausen] [CDU/CSU]: Da braucht man sich nicht zu fragen, da muß man nur lesen!)

Im Bundesrat wurde hierzu übrigens die Meinung vertreten, Herr Sauter, eine spürbare Verbesserung des Jugendschutzes könne dadurch nicht erreicht werden. Der Leitende Regierungsdirektor Beilfuß sagte wörtlich:
Ein gravierender Unterschied zu den im Gesetzesantrag vorgeschlagenen „Ladengeschäften, die Personen unter 18 Jahren nicht zugänglich sind ...", besteht nicht. (...) Anhaltspunkte dafür, daß die derzeitige Rechtslage zu Unzuträglichkeiten geführt hätte, welche die hier vorgeschla-



Häfner
gene Gesetzesänderung geboten erscheinen lassen könnten, liegen nicht vor.
Zur nächsten Änderung: Die Vermietung pornographischer Schriften und Videos soll generell untersagt werden. Zur Information: Heute schon ist die Vermietung in öffentlichen Büchereien aller Art verboten.

(Sauter [Ichenhausen] [CDU/CSU]: Aber doch nicht von Videos!)

Hier fängt man erst recht an, stutzig zu werden; denn Sie sagen doch — beispielsweise Herr Sauter, ich habe Ihnen die ganze Zeit zugehört — , es solle dabei um die Jugendlichen gehen. In dem Gesetz ist aber gar nicht von Jugendlichen die Rede; statt dessen wird der Verleih für Erwachsene gleich mit verboten. Als Begründung heißt es dann — im Begründungsteil des Gesetzes — Jugendliche könnten schließlich die Videos von Erwachsenen erhalten oder sie im elterlichen Gerät abspielen.
Das muß man sich einmal vorstellen! So kann man meines Erachtens keine Gesetze machen.
Nach derselben Begründung könnte man ja die Vermietung oder den Verkauf von Messern, Gabeln, Scheren und Streichhölzern verbieten, weil das Sprichwort schon sagt: „Messer, Gabel, Schere, Licht sind für kleine Kinder nicht! " und weil die Zündhölzer natürlich von den Eltern an die Kinder weitergegeben werden könnten.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Selbst dort, Herr Kollege Marschewski, wo ein viel engerer Zusammenhang besteht, wo beispielsweise Mercedes-Benz, MBB und andere deutsche Firmen Rüstungsgüter in den Iran exportieren oder wo deutsche Firmen Polizeiausrüstungen nach Chile oder Südafrika liefern, verbieten Sie das nicht mit der Begründung — —

(Erneute Zurufe von der CDU/CSU)

— Hören Sie einen Moment zu! Sie werden es ertragen, diesem Gedanken zu folgen. — Da verbieten sie das nicht mit der Begründung, diese Waffen und dieses Gerät könnten dort zum Töten, zum Kampf terroristischer Regime gegen die eigene Bevölkerung verwendet werden, obwohl dort — weiß Gott! — ein eindeutiger und unmittelbarer Zusammenhang besteht, ganz im Unterschied zu der Materie, von der hier die Rede ist.
Skepsis ist bei diesem Gesetzentwurf also angebracht.

(Eigen [CDU/CSU]: Oder bei Ihrer Rede!)

Es besteht der Verdacht, daß das Gesetz eigentlich ganz anderen Zwecken als dem Schutz von Kindern und Jugendlichen dienen könnte. Aufmerksam macht mich dabei die Tatsache, daß der Gesetzentwurf gerade aus Bayern und Baden-Württemberg eingebracht wurde.

(Sauter [Ichenhausen] [CDU/CSU]: Da kommen Sie auch her! — Heiterkeit bei der CDU/ CSU und der FDP)

— Da komme ich auch her, Herr Sauter. Nichts destotrotz fühle ich mich durch die Bayerische Staatsregierung oft schlecht vertreten. Die Bayerische Staatsregierung ist inzwischen nicht mehr nur ein tiefschwarzes Kabinett, das mit der wunderbaren bayerischen Landschaft auch die Demokratie und die Liberalität in Bayern gleich mit zerstört — denken Sie an den Rhein-Main-Donau-Kanal oder an die WAA — , sondern auch ein Kabinett, das von selbsternannten Sicherheitssheriffs durchsetzt ist, die am liebsten alles mit der ganzen Strenge des Gesetzes abschaffen wollen, was nicht in ihr Bild vom sauberen rechten Bayern mit der rechten Gesinnung paßt.
Der bayerische Kultusminister, Hans Zehetmayr, hat über Homosexualität gesagt, man müsse vielmehr „klarmachen, daß dies" — die Homosexualität; hier offenbart sich klassische Bildung — „contra naturam ist, nicht nur contra deum ...,

(Eigen [CDU/CSU]: Da hat er aber recht!)

also naturwidrig und im Grunde in krankhaftes Verhalten hineingeht. "

(Eigen [CDU/CSU]: Natürlich ist es naturwidrig!)

Weiter sagt Zehetmayr, AIDS zum Beispiel sei das Symptom einer maroden Gesellschaft, die gesellschaftlichen Randgruppen müßten jetzt „ausgedünnt werden" . Homosexualität gehöre in den „Randbereich der Entartung". — Auch diesen Begriff habe ich schon einmal gehört. — Zehetmayr weiter: „Das Umfeld der ethischen Werte muß wiederentdeckt werden, um diese Entartung auszudünnen. "

(Zuruf von der CDU/CSU: Wo liegt da der Bezug zu den Videokassetten?)

Das ist wohl das Bayern, in dem Franz Josef Strauß
— wieder wörtlich zitiert — das Vorbild eines künftigen „europäischen Hygienekreises" sieht und in dem schon einmal die Polizei die Teilnahme an einem privaten Fest einer Schwuleninitiative schlichtweg verbietet.

(Sauter [Ichenhausen] [CDU/CSU]: Sie sind hart am Thema! — Heiterkeit bei der CDU/ CSU und der FDP)

Punkt 3 des vorliegenden Gesetzentwurfes besagt
— und eben dieser ist das Thema, Herr Sauter — , daß die Vorführung von Sexfilmen generell verboten werden soll. Gegen Entgelt oder überwiegend gegen Entgelt ist sie heute schon verboten; das ist die Rechtslage. Jetzt kommt aber der Hammer: Die Vorführungen sollen dann nicht verboten sein, wenn sie in Nachtbars, Nachtklubs usw. stattfinden. Dann dürfen die Sexfilme weiter vorgeführt werden.
Meine Damen und Herren vom Bundesrat — und von der Bundesregierung, die diesen Gesetzentwurf unterstützt — , was haben Sie sich denn dabei gedacht?
Wird denn ein Sexfilm besser, wenn er in einem Nachtklub gezeigt wird? Oder ist der Gedanke dabei, daß dort die individuelle Betreuung besser gewährleistet ist? Der Unterschied zwischen einem Sexkino und einem Nachtklub ist doch sehr häufig nur der zwischen Sexfilmen mit Bier- und Coladosen und Sexfilmen mit Cocktails und Champagner. Oder deutlicher: Es im wesentlichen ein Unterschied in der Dicke der



Häfner
Brieftasche der jeweiligen Kundschaft. Viele Nachtklubs sind doch so angelegt, daß ihr Besuch nur von Bürgern mit einer Ministerialzulage oder von Bürgern mit Gedächtnislücken hinsichtlich der von ihnen in Empfang genommenen Geldumschläge finanziert werden kann. Wollen Sie denn Sexfilme für Arbeitslose und Rentner verbieten, für Besserverdienende und höhere Staatsbeamte jedoch erlauben?

(Conradi [SPD]: Nur kein Neid!)

Hier scheint mir doch noch ein ziemlich großer Beratungsbedarf im Ausschuß zu bestehen.

(Lachen bei der CDU/CSU — Sauter [Ichenhausen] [CDU/CSU]: Ja, bei Ihnen scheint der Beratungsbedarf groß zu sein!)

Ich habe den Eindruck, daß bei Ihnen eine bemerkenswerte Doppelmoral herrscht. Bei Gesetzen, die angeblich eigentlich Jugendliche schützen sollen, wird in Wirklichkeit eine viel zu große Patsche herausgeholt, mit der alles das getroffen werden soll, was einem nicht gefällt.
Ich bin kein Freund der Pornographie. Es gibt kaum etwas Tristeres als diese anwidernden, oft mechanistischen Darstellungen von rein auf das Geschlechtliche reduzierten menschlichen Vereinigungswünschen. Aber ich sage Ihnen auch ganz deutlich, daß Verbote der von Ihnen vorgestellten Art überhaupt nichts ändern. Vielmehr müssen wir darüber nachdenken, wie wir zu einer Gesellschaft finden, in der Sexualität freier gelebt werden kann, in der nicht solche Ersatzbefriedigungen gesucht werden müssen und in der die Menschen natürlich selbst entscheiden können, was sie sich ansehen wollen und was nicht.
Deswegen lehnen wir den Gesetzentwurf in der vorliegenden Form ab. Dort, wo wirklich für den Schutz von Jugendlichen und Kindern etwas erreicht würde, könnten wir selbstverständlich über die Sache reden.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103036900
Das Wort hat der Abgeordnete Sauer (Stuttgart).

Roland Sauer (CDU):
Rede ID: ID1103037000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zuerst etwas zum SPD-Kollegen Singer sagen und das wiederholen, was der Kollege Sauter schon bemerkt hat: mit einigen Stimmen der SPD-geführten Länder im Bundesrat so beschlossen. Wenn das so ein schlechter Gesetzentwurf wäre, frage ich mich, warum einige der SPD- Ministerpräsidenten ihm dann zugestimmt haben.
Im übrigen ist daran zu erinnern, daß die SPD in Sachen Jugendschutz immer gebremst hat. Die Beratungen über das Jugendschutzgesetz im Jahre 1984 sind mir noch sehr gut im Gedächtnis. Damals haben Sie im Zusammenhang mit den Videokassetten immer mit den Schlagwörtern Vorzensur, Zensur, Kunstfreiheit gearbeitet. Damit wurde von Ihnen alles, was wir in diesem Bereich vorgeschlagen hatten, von vornherein abgeblockt.

(Dr. de With [SPD]: Sie haben doch die Mehrheit!)

Und jetzt fordern Sie von uns, auch noch den Verkauf dieser Videokassetten zu verbieten, wo Sie mit diesen Totschlagargumenten jede Diskussion in diesem Bereich von vornherein kaputtgemacht haben!

(Frau Unruh [GRÜNE]: Die werden doch zu 95 % von Männern gekauft! Das ist Doppel und Dreifachmoral!)

Zu dem Kollegen von den GRÜNEN möchte ich nur sagen: Sie haben noch gar nicht begriffen, daß es hier um Jugendschutz und nicht um Nachtklubs und Sexklubs geht. Es geht uns vielmehr darum, die Jugend vor diesen scheußlichen Schundwerken zu schützen und die Zugriffsmöglichkeiten der Jugendlichen praktisch einzuschränken.

(Häfner [GRÜNE]: Sie müssen nicht nur die Überschrift lesen, sondern auch den Gesetzentwurf!)

Wir haben bei der Beratung des Jugendschutzgesetzes sehr lange über das Verleihverbot diskutiert. Wir haben darüber sehr lange im Ausschuß beraten. Wir haben darüber in der Koalition sehr kontrovers diskutiert. Wir haben uns damals leider das möchte ich betonen — nur auf den Kompromiß geeinigt, daß die indizierten und die pornographischen Videokassetten nur noch an Erwachsene in speziellen, Kindern und Jugendlichen nicht zugänglichen Ladengeschäften verliehen werden dürfen. Nach über zweijährigen Erfahrungen mit dem neuen Gesetz meine ich, es wäre besser gewesen, wenn wir ein generelles Vermietverbot — wie wir es von der CDU/CSU damals auch wollten — durchgesetzt hätten. Das wäre sicher wirksamer gewesen, weil die Zugriffsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche dadurch entscheidend eingeschränkt worden wären.

(Eimer [Fürth] [FDP]: Stimmt nicht! Umgekehrt!)

Ich darf noch geschwind auf ein Argument eingehen, das einige Kollegen gebracht haben und das folgendermaßen lautet: Wenn wir ein Verleihverbot haben, gibt es billigere Videokassetten zum Kaufen, und dann liegen die Videokassetten das ganze Jahr in den Wohnungen herum. Dazu ist folgendes zu sagen. Sie hätten recht, Herr Eimer, wenn die entliehenen Videokassetten nach ihrer Rückgabe in der Videothek liegenbleiben würden. Sie werden aber sofort wieder verliehen, und so kommt eine riesige Zahl von Menschen an diese Kassetten.
Wenn Sie eine Verleihgebühr von 3 DM annehmen, dann können Sie bei Zugrundelegung eines Kaufpreises für eine Videokassette von ca. 21 DM sieben Videokassetten leihen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103037100
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Roland Sauer (CDU):
Rede ID: ID1103037200
Noch einen ganz kleinen Moment! — Wenn im Monat dann acht bis zehn Videokassetten verliehen werden, können Sie hochrechnen, daß es im Jahr 700 Menschen sind, die in den Besitz dieser verliehenen Videokassetten kommen.

(Lutz [SPD]: Und wenn man sie halbtägig verleiht?)




Sauer (Stuttgart)

Dies ist, vom allgemeinen Jugendschutz her gesehen, nicht zu verantworten. Sie haben dann eine viel, viel größere Möglichkeit für Kinder und Jugendliche, an diese Videokassetten heranzukommen.

(Zuruf von der SPD: Diese Rechnung ist völlig unabgesichert!)

Bitte schön.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103037300
Bitte schön, Herr Abgeordneter Eimer.

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1103037400
Herr Kollege, haben Sie bei Ihrem Beispiel, bei Ihrer Berechnung nicht vergessen, daß die zweiten, die dritten, die vierten und die nachfolgenden Ausleiher ebenfalls etwas dafür zahlen müssen und, wenn das verboten ist, ebenfalls auf den Kauf von Kassetten angewiesen sind und dann diese Kassetten kopieren werden, so daß in Ihrer Betrachtung dieser gesamte Umfang des Geldes nicht berücksichtigt worden ist?

(Dr. de With [SPD]: Die Union kann nicht rechnen!)


Roland Sauer (CDU):
Rede ID: ID1103037500
Nein, Herr Eimer, das ist nicht richtig. Das Wichtige ist, daß der Verleihpreis so günstig, so niedrig ist und daß dadurch mehr Leute an die verliehenen Kassetten herankommen. Ich glaube, dies muß man doch festhalten dürfen.
Lassen Sie mich noch auf etwas hinweisen, was auch ganz unsinnig ist: Wir haben für indizierte Printmedien, also für Druckerzeugnisse, seit der vierten Strafrechtsreform von 1973 ein generelles Vermietverbot in Leihbüchereien und Lesezirkeln, während für die sicher wesentlich schlimmeren Videokassetten dieses Vermietverbot nicht ausgesprochen wurde. Die Videothek wurde damals der Leihbücherei nicht gleichgesetzt, weil man natürlich im Jahre 1973 die Entwicklung auf dem Videomarkt noch nicht absehen konnte. Hätte man damals schon die Situation auf dem Videomarkt voraussehen können, so bin ich sicher, dann hätten unsere Vorgänger damals bei der vierten Strafrechtsreform die Videotheken mit den Leihbüchereien und den Lesezirkeln gleichgesetzt. Ich darf Sie daran erinnern: Der Bundesgerichtshof hat im Jahre 1976 auf diese Regelungslücke bei den Videokassetten ausdrücklich hingewiesen. Wir als Gesetzgeber wurden aufgefordert, diese Lücke zu schließen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103037600
Herr Abgeordneter Sauer, Sie veranlassen den Abgeordneten Eimer zu einer weiteren Zwischenfrage. Ich habe Ihnen das eben nicht auf Ihre Redezeit angerechnet. — Sie gestatten die Zwischenfrage? — Bitte schön.

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1103037700
Herr Kollege, es ist richtig, daß solche Printmedien nicht verliehen werden dürfen. Aber ist Ihnen das Urteil des Oberlandesgerichtes Düsseldorf bekannt,

(Sauer [Stuttgart] [CDU/CSU]: Es ist mir bekannt!)

wonach Printmedien entgegen dem Jugendschutzgesetz verliehen werden dürfen, wenn Jugendliche an dem Ort, wo sie verliehen werden, keinen Zutritt haben? Das gleiche trifft auch für Videotheken zu, die so
etwas verleihen. Wird Ihnen auf Grund dieses Urteils nicht klar, daß Ihre Forderung eigentlich nicht verfassungsgemäß ist?

Roland Sauer (CDU):
Rede ID: ID1103037800
Wenn man sich nicht mehr wehren kann, bringt man immer verfassungsrechtliche Bedenken vor. Ich glaube, wir können diesen Weg mit Ruhe gehen, und dann wollen wir mal sehen, ob dies verfassungsgemäß ist oder nicht. Ich sage Ihnen nochmals, Herr Eimer: Das Problem sind nicht die Videothekare oder die Videotheken, da die sich im großen und ganzen an unsere Jugendschutzgesetze halten,

(Frau Unruh [GRÜNE]: Das Problem sind die Männer! — Heiterkeit)

sondern es geht darum, Frau Unruh, daß unverantwortliche Leute, die über 18 Jahre alt sind, ihren Freunden, die unter 18 Jahren sind, die entliehenen Videokassetten geben.
Dadurch kommen diese Kinder und Jugendlichen an diese schlimmen Schundwerke heran.

(Eimer [Fürth] [FDP]: Dann machen wir da etwas!)

Ich möchte in diesem Zusammenhang ganz freundschaftlich an die FDP appellieren, sich die Entwicklung auf dem Videomarkt der letzten Jahre genauer anzusehen. Wenn Sie das unvoreingenommen tun, meine ich, kommen wir zu der gleichen Meinung, nämlich dieses generelle Verleihverbot durchzuführen.
Lassen Sie mich nochmals auch einen kurzen Satz zur SPD sagen. Jugendschutz kommt bei Ihnen immer nur in Sonntagsreden vor.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch albern!)

Ich darf Sie daran erinnern, was Sie in den 70er Jahren hier in Sachen Jugendschutz fertiggebracht haben: nichts.

(Zuruf von der SPD: Eine ganze Menge! — Dr. de With [SPD]: Das war sehr vernünftig!)

Sie haben z. B. eine Ministerin gehabt, die einmal das Jugendschutzgesetz novellieren wollte. Sie hat sich selbst in ihrem Entwurf nicht ausgekannt, und Kanzler Helmut Schmidt hat dann im Kabinett gesagt: Dann ziehen wir das wieder zurück. Also, es ist nichts geschehen. Die Stationen des Jugendschutzgesetzes sind doch durch die Jahreszahlen 1951, 1957 und 1984 gekennzeichnet. In allen diesen Jahren hatten wir CDU/CSU-geführte Bundesregierungen. Sie haben in 13 Jahren Ihrer Regierungsverantwortung nur unausgereifte Gesetzentwürfe auf den Tisch gelegt, die nachher nicht einmal in Ihren eigenen Reihen durchgebracht worden sind. Ich meine, Sie haben hier sicher keinen Grund, uns in Sachen Jugendschutz Vorhaltungen zu machen.
Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten nochmals genau prüfen, ob wir nicht doch zu diesem generellen Verleihverbot kommen müssen. Wir müssen mit allen Mitteln versuchen, die jungen Menschen, die Kinder und Jugendlichen, vor diesen



Sauer (Stuttgart)

scheußlichen Schundwerken wirksamer zu schützen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Das schaffen Sie mit diesem Gesetz aber nicht!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103037900
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt (Salzgitter).

Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1103038000
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir befassen uns im Bundestag, aber auch in den Landtagen nicht zum erstenmal mit dieser Materie. Wir haben uns, glaube ich, an vielen Stellen der vergangenen Jahre, wenn es um Jugendpolitik, insbesondere um Jugendschutz ging, sehr umfassend und vor allen Dingen auch sehr fachkundig mit dem Thema auseinandergesetzt.
Ich will nur auf eine Bemerkung der Vorredner von der CDU/CSU eingehen, die mich ein bißchen stutzig macht und die Frage aufwirft, ob sie überhaupt diese ganze Debatte in den vergangenen Jahren mitbekommen haben, nämlich die Bemerkung, daß wir 1984 die damals auf den Weg gebrachte Gesetzesnovellierung blockiert hätten. Dies ist nicht richtig. Wir alle haben uns gemeinsam darum bemüht, richtige, wirksame Formulierungen auf den Weg zu bringen. Man kann doch dieses Bemühen nicht als Blockade bezeichnen. Dies ist ein doch wohl unzweifelhaft sehr sensibler Bereich. Das kann man einfach nicht mit dieser pauschalen Elle messen, wie insbesondere Sie, Herr Sauer, zuletzt getan haben.
Wir haben am 1. April 1985 dieses Gesetzespaket, diese Änderungen, präsentiert bekommen. Das ist gerade zwei Jahre her. Warum sind wir als Gesetzgeber nun schon wieder genötigt, den Weg einer neuen Gesetzesänderung zu beschreiten, wo wir noch nicht einmal wissen, vor allen Dingen nicht abgesichert wissen, welche Wirkungen sich aus dem Gesetz von 1985 ergeben haben?
Ich bestreite nachdrücklichst, daß das, was Sie, Herr Sauter, und das, was Sie, Herr Sauer, hier an die Wand gemalt haben, jetzt schon abgesicherte Erkenntnisse sind. Dies sind sehr einseitige, sehr voreilige und für meine Begriffe tatsächlich nicht abgesicherte Hinweise von einzelnen Personen oder Gruppierungen, die nach meiner Einschätzung erst noch nachdrücklichst untersucht werden müssen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103038100
Herr Abgeordneter Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sauter?

Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1103038200
Natürlich, wenn ich nachher ohne Zeitverlust weiterreden darf.

Alfred Sauter (CSU):
Rede ID: ID1103038300
Herr Kollege, welche Untersuchungen liegen Ihnen denn vor, die besagen, daß die von mir vorgetragenen Zahlen nicht stimmen?

Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1103038400
Ich komme gleich darauf zurück, weil ich nämlich solche Untersuchungen fordere. Ich möchte erst einmal abgesicherte Erkenntnisse haben, bevor ich solche massiven Gesetzesänderungen auf den Weg bringe.

Alfred Sauter (CSU):
Rede ID: ID1103038500
Ich habe Ihnen doch einige Zahlen von Untersuchungen genannt, die stattgefunden haben!

Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1103038600
Die halte ich für sehr einseitig, noch nicht abgesichert und vor allen Dingen nicht hinterfragt und überprüft.

Alfred Sauter (CSU):
Rede ID: ID1103038700
Ich kann also davon ausgehen: Da geht es um Ihre persönliche Meinung, und Sie haben keine Untersuchungen, die Ihnen dazu vorliegen.

Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1103038800
Natürlich, die Bundesprüfstelle und viele andere haben ähnliche Erkenntnisse, die aber genau anders aussehen. Ich werde darauf gleich zurückkommen.

Alfred Sauter (CSU):
Rede ID: ID1103038900
Können Sie mir sagen, welche?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103039000
Herr Abgeordneter Sauter, ich bitte, die Großzügigkeit des Präsidenten nicht überzustrapazieren. — Herr Abgeordneter, fahren Sie fort.

Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1103039100
Mit dem — so will ich es einmal bezeichnen — massiven ordnungspolitischen Eingriff, der hier vorgesehen ist, wird möglicherweise — ich sehe alle diese Formulierungen mit gewisser Vorsicht — das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir sollten kein VerboteStaat werden, aber vom Initiator Bayern kennt man diese Art von Politik hinlänglich.

(Lutz [SPD]: Nichts gegen Bayern, aber alles gegen die CSU!)

Auch für den Kollegen Lutz sage ich trotz allem: Mit dem totalen Verbot drängen wir die Videowirtschaft noch mehr als jetzt schon in die Illegalität und zugleich in die Unkontrollierbarkeit. Dies ist doch von vielen ähnlich gelagerten Fällen früherer Zeit bekannt. Wir verlagern den Verleih von Videokassetten und sonstigen Erzeugnissen jugendgefährdender Art noch mehr als bisher in die Wohnstuben und damit in das Blickfeld von Kindern; dies hat mein Kollege Singer bereits ausgeführt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103039200
Eine weitere Zwischenfrage wird von Ihnen erbeten.

Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1103039300
Die letzte, wenn ich bitten darf.

Alfred Sauter (CSU):
Rede ID: ID1103039400
Herr Kollege, könnten Sie bitte ausführen, wo sich die Videowirtschaft nach Ihrer Ansicht bisher in der Illegalität befindet?

Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1103039500
Natürlich in dem Bereich, in dem Jugendlichen diese Cassetten teilweise jetzt schon zugänglich gemacht werden. Das ist doch nichts Neues, Herr Sauter. Das ist schon illegal. Das ist doch völlig klar. Dies wird jetzt auf Grund der



Schmidt (Salzgitter)

Vorschriften, die Sie auf den Weg bringen wollen, erweitert.

(Beifall bei der SPD)

Wir alle wollen sicher — das geht quer durch alle Parteien, um das hier noch einmal nachdrücklich zu betonen und um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen — einen wirksamen Jugendschutz, aber bitte nicht unter repressiven Vorzeichen. Warum erkennen wir nicht an, daß wir uns sowohl bei der Pornographie als auch bei der Gewaltdarstellung auf Feldern befinden, die sich nicht selten nur schwer voneinander abgrenzen lassen. Moralisches, Pseudowissenschaftliches, Verharmlosendes finden sich in der Beurteilung dieser Themen oft wieder. Warum dann ein derart einschneidendes neues Gesetz?
Meine Damen und Herren, es drängt sich auch die Frage auf — damit wende ich mich an alle Länder, die diesen Gesetzesvorstoß unterstützt haben — , warum nicht zunächst eine Stabilisierung vorhandener Instrumente vorgenommen wird. Warum lenken denn einige Bundesländer mit diesem Antrag offensichtlich davon ab, daß sie nicht unbeträchtliche Vollzugsdefizite haben? Warum wird nicht z. B. die Bundesprüfstelle noch mehr als bisher — auch personell und materiell — in die Lage versetzt, die Indizierung der vorgelegten Cassetten noch schneller als bisher zu bearbeiten?

(Eimer [Fürth] [FDP]: Das ist teilweise wegen des Gesetzes nicht mehr möglich! Leider!)

— Ich will aber nur sagen, daß auch dort demnach ein ganz erhebliches Vollzugsdefizit besteht.

(Sauter [Ichenhausen] [CDU/CSU]: Falsch!)

Warum werden denn nicht die für Jugendschutz zuständigen Landesstellen entsprechend ausgestattet? Warum werden denn nicht die Jugendschutzbeauftragten bei den Polizeibehörden entsprechend ausgestattet? Warum werden nicht die Erziehungsberatungsstellen auf der kommunalen Ebene besser ausgestattet? Warum sind denn nicht die medienpädagogischen Ansätze in den Schulen, aber auch an anderer Stelle verbessert worden? Warum machen wir es denn nicht in der Lehrerfortbildung besser als bisher?

(Zuruf von der CDU/CSU: Das machen wir ja!)

Es gibt also — das will ich damit sagen — eine Unmenge weiterer Instrumente und Möglichkeiten, die wir ausschöpfen sollten, bevor wir jetzt — nach zweieinhalb Jahren — zu einem Schnellschuß auf gesetzgeberischem Gebiet kommen.
Meine Damen und Herren, es gibt solche Hinweise in vielen Bereichen. Denken Sie vielleicht auch einmal an Ihr persönliches Umfeld und an die Erziehung Ihrer eigenen Kinder. Nach meiner Auffassung sind ständige und umfassende Verbote im Elternhaus oder in der Schule ein Verdrängen, eine Drückebergerei vor vernünftiger, besonnener Erziehung und pädagogischer Verantwortung. Das sollten Sie sich durch den Kopf gehen lassen.

(Zustimmung bei der SPD)

In vielen Bereichen steuern wir zu Recht darauf hin, auf strafverschärfende Vorschriften zu verzichten.
Aufklärung statt Strafe könnte z. B. das Motiv für das weitere Verhandeln und Handeln auf diesem Gebiet sein. Das wäre nach meiner Auffassung das Gebot der Zeit.
Im übrigen bin ich sicher, daß wir schon einen erheblichen Schritt vorangekommen sind, was das Bewußtsein der Bevölkerung betrifft. Ohne die nach wie vor vorhandenen Gefahren, die von jugendgefährdenden Schriften ausgehen, zu verniedlichen, glaube ich, daß der Zenit der Gewalt- und Pornovideos überschritten ist. Als Beleg dafür nehme ich einmal einen Hinweis aus der Zeitung „AJS-Umschau" auf, in der steht: Schlechte Zeiten für Pornofilme. Produzenten entsprechender Streifen berichten von einem freien Fall der Nachfrage in Frankreich und von einem starken in der mitteleuropäischen und nordeuropäischen Szene. Die wichtigsten Kunden seien heute die Italiener, Spanier, Portugiesen und vor allem die Asiaten. — Es gibt also Anzeichen dafür, daß es beileibe nicht mehr so aussieht, wie Sie es hier fast in Form eines Horrorgemäldes an die Wand gemalt haben. Wir sollten dennoch — das betone ich — aufmerksam bleiben und vor allem die Auswertung abwarten, die von verschiedenen Seiten bezüglich der Gesetzesänderungen von 1985 angekündigt worden sind.
Über meine eigenen Erkenntnisse und Bewertungen hinaus schlage ich Ihnen, meine Damen und Herren, im übrigen vor, daß wir hinsichtlich der Wirkung jugendgefährdender Schriften und Videos noch mehr als bisher Maßnahmen zur Förderung der Jugendforschung auf den Weg bringen. Warum eigentlich nicht? Hier geschieht nach meiner Einschätzung viel zuwenig.
Ich möchte von dieser Stelle aus einen weiteren Appell aussprechen. Alle Vertreter in den Rundfunk- und Fernsehräten sollten mehr als bisher darauf achten, was in den frühen Abendstunden an Gewalt- und Sexstreifen über unsere Fernsehschirme flimmert.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Hier ist auch ein nicht unbeträchtlicher Teil gesellschafts-politischer Verantwortung zum Schutze von Kindern und Jugendlichen wahrzunehmen. Eigentlich wäre hier mehr zu tun, als zur Zeit getan wird. Auch die Bundesregierung — mein Kollege Singer hat das bereits betont — hat offensichtlich ein ungutes Gefühl bei der hier vorgelegten Gesetzesänderung. Ich will nicht noch einmal das zitieren, was in der Begründung zum Gesetzentwurf steht. Ich kann das verstehen. Ich freue mich deswegen, meine Damen und Herren, sehr auf die Ausschußberatungen, die nun folgen werden; denn — das ist das für meine Begriffe Wichtige und Positive an dem hier vorliegenden Gesetzesänderungsantrag — wir bekommen die Gelegenheit, uns mit der Materie in den Ausschüssen noch einmal eingehend auseinanderzusetzen. Davon verspreche ich mir, daß Sie am Ende wahrscheinlich von diesem Gesetzesvorhaben Abstand nehmen werden.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)





Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103039600
Zum Schluß hat der Parlamentarische Staatssekretär Jahn das Wort.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1103039700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates verfolgt — Herr Kollege Häfner, das sollte noch einmal betont werden — das Ziel, den Schutz der Jugend vor pornographischen und sonstigen jugendgefährdenden Schriften zu verbessern, nicht mehr und nicht weniger. Wer wollte eine solche Zielsetzung nicht gutheißen? Auch die Bundesregierung unterstützt voll und ganz alle Bemühungen, die diesem überaus wichtigen Rechtsgut, nämlich dem Schutz unserer Jugend, dienen.
Welche besondere Bedeutung diesem Rechtsgut zukommt, stellt auch unsere Verfassung heraus. So bestimmt Art. 5 Abs. 2 des Grundgesetzes, daß die Freiheitsrechte der freien Meinungsäußerung, also die Informationsfreiheit und auch die Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit ihre Schranken in den Rechtsvorschriften zum Schutz der Jugend finden. Weil dies so ist, hat sich die Bundesregierung in konstruktiver Form an der Neuregelung des Jugendschutzes beteiligt, die vor zweieinhalb Jahren hier in diesem Hohen Hause Gesetz geworden ist.
Was damals ein Kernpunkt der Beratungen war und besondere Beachtung in der Öffentlichkeit fand, nämlich die Bekämpfung jugendgefährdender Videofilme, ist auch zentrales Thema des heute zu behandelnden Gesetzentwurfes. Hier berühren sich das damalige Gesetz und das jetzige Gesetzesvorhaben.
Der Schwerpunkt — das ist heute deutlich geworden — liegt nach wie vor auf der Forderung nach einem absoluten Verbot des Vermietens pornographischer Schriften. Darüber hinaus sollen der Einzelhandel mit solchen Produkten erschwert und die öffentliche Vorführung pornographischer Filme verboten werden. Schon bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit vor zweieinhalb Jahren hatte der Bundesrat eine Entschließung gefaßt — also kein Schnellschuß, Herr Kollege Schmidt — , in der die Auffassung vertreten wurde, daß ein generelles Verbot der gewerblichen Vermietung jugendgefährdender Filme unerläßlich sei. Zu diesem Schritt hat sich der Bundestag damals nicht entschließen können.

(Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Mit Recht!)

Die bereits vorliegenden Erfahrungsberichte von Jugend- und Justizbehörden der Länder, Herr Kollege Schmidt, lassen erkennen, daß das Neuregelungsgesetz zwar unstreitig zu wichtigen Verbesserungen geführt hat, gleichwohl aber eine weitergehende gesetzliche Regelung begrüßt würde.
Auf der Grundlage der bereits vorliegenden und weiterer, im Laufe der kommenden parlamentarischen Beratungen noch zu erhebender Rechtstatsachen wird zu entscheiden sein, wie — ich betone: wie — dem Anliegen des Jugendschutzes über das geltende Recht hinaus Rechnung getragen werden kann.

(Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Diskutieren sollten wir einmal!)

— Selbstverständlich diskutieren wir, wie wir das gewohnt sind.
Heute aber erleben wir, daß die GRÜNEN zu diesem Entwurf schon rotes Licht signalisieren,

(Häfner [GRÜNE]: So wie es aussieht!)

die Roten — wenn ich das sagen darf — in diesem Hause rotes Licht und im Bundesrat grünes Licht. Wir sollten nicht darüber hinwegdiskutieren, daß im Bundesrat zu dieser Frage ein nahezu einmütiges Votum
— wenn ich Hamburg einmal außen vor lasse — zustande gekommen ist. Es ist immerhin interessant, sich einmal die Einzelvoten vor Augen zu führen; denn jeder Ausschuß eines Gremiums hat ja ganz bestimmte Positionen zu vertreten. Im federführenden Rechtsausschuß im Bundesrat hat nur ein Land dagegen gestimmt, nämlich Hamburg. Zehn Länder haben sich für den Gesetzentwurf ausgesprochen.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Im Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit im Bundesrat haben sich sieben Länder für den Entwurf ausgesprochen, nur ein Land hat dagegen gestimmt: wieder Hamburg. Im Ausschuß für Kulturfragen hat es keine Gegenstimme zu diesem Entwurf gegeben, allerdings zwei Enthaltungen. Das zeigt, daß der Bundesrat eine klare Position bezogen hat und sicherlich seitens des Bundesrates nicht von einem Schnellschuß gesprochen werden kann.
Meine Damen und Herren, wir stehen bei den Beratungen vor der schwierigen Aufgabe, einen wirksamen Jugendschutz zu gewährleisten, ohne zugleich
— das will ich auch nicht außer acht lassen — den Freiheitsraum des Bürgers über Gebühr zu beschränken. Ich bin zuversichtlich, daß es uns gelingen wird, beide Interessen zu harmonisieren und im Ergebnis den Jugendschutz in der gebotenen Weise weiter auszubauen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103039800
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältenstenrat schlägt Ihnen vor, den vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften an die in der Tagesordnung vorgesehenen Ausschüsse zu überweisen. — Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist dies so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN
Errichtung einer Gedenkstätte für alle vom NS-Regime verfolgten und ermordeten Menschen auf dem Synagogenplatz in Bonn
— Drucksache 11/825 —
Im Ältestenrat ist eine Beratungszeit vorgesehen, die es jeder Fraktion ermöglicht, bis zu zehn Minuten zu sprechen. — Das Haus ist mit diesem Verfahrensvorschlag offensichtlich einverstanden, so daß wir mit der Aussprache beginnen können.



Vizepräsident Cronenberg
Ich erteile zunächst der Abgeordneten Frau Vollmer das Wort.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1103039900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In unserem Antrag geht es um ein Haus, ein ganz bestimmtes Haus, nämlich ein Gotteshaus, eine Synagoge bzw. um die Reste davon.
Zur Geschichte dieses Hauses: Eingeweiht wurde dieses Gotteshaus im Jahre 1879. Damals war es von einem bestimmten Geist der jüdischen Gemeinde getragen. Das zeigte auch der selbstbewußte Stil dieses Hauses. Es war getragen vom Geist der Emanzipation, endlich aus den Ghettos herauszukommen, und es war getragen vom Geist der Integration, nämlich in diesem Land wirklich zu Hause sein zu wollen. Dieses Vertrauen sprach sich auch in der Tatsache aus, daß dieses Haus überhaupt gebaut wurde.
Die Bedeutung hat es übrigens immer — das steht schon im Alten Testament — , daß die Menschen da, wo sie sich zu Hause fühlen wollen, Grabstätten haben und Gotteshäuser bauen oder jedenfalls Altäre errichten. So war das schon zu Abrahams Zeiten. Deswegen bedeutet die Zerstörung von Grabstätten und von Gotteshäusern auch immer, daß man die, die sie gebaut haben, oder die, die dort beerdigt sind, in diesem Land nicht zu Hause sein lassen will.
Dieses Haus ist wie viele andere Synagogen auch in der Reichskristallnacht am 10. November 1938 niedergebrannt worden. Zwei Tage später hat Joseph Goebbels folgendes gesagt:
Es sind in fast allen deutschen Städten Synagogen niedergebrannt. Nun ergeben sich für die Plätze, auf denen die Synagogen gestanden haben, die vielfältigsten Verwendungsmöglichkeiten. Wir können sie zum Teil zu Parkplätzen umgestalten; zum Teil werden dort andere Gebäude errichtet werden. Das muß nun als Richtschnur für das ganze Land herausgegeben werden, daß die Juden nun selbst die beschädigten oder abgebrannten Synagogen zu beseitigen haben und der deutschen Volksgemeinschaft fertige freie Plätze zur Verfügung zu stellen haben.
Das zeigt, was Goebbels damals mit diesen Plätzen vorhatte. Tatsächlich ist auf dem Platz der jüdischen Synagoge in Bonn ein Parkplatz gewesen, auch nach dem Kriege.
Nun sagt man uns: Die jüdische Gemeinde hat dieses Gebäude doch selbst im Jahre 1956 freigegeben. — Ich will dieses Argument aufgreifen und dazu sagen: Die einzigen, die das Recht hatten, die Erinnerung auch an die Schändung ihres Gotteshauses nicht auszuhalten, waren die Juden. Es ist deswegen auch gar nicht die Sache der Juden gewesen, diesen Platz in Erinnerung zuhalten, sondern es wäre unsere Sache gewesen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Denn die, die diese Erinnerung hochhalten mußten, waren eigentlich wir. Wir und auch die Bürger der Stadt Bonn haben allerdings 20 Jahre gebraucht, bis sie sich dieser Erinnerung stellten. Das ist auch an anderen Plätzen so gewesen, wo früher Synagogen waren.
Zum erstenmal ist im Jahre 1984 ein Antrag im Rat der Stadt Bonn abgelehnt worden, dort eine Gedenkstätte zu errichten. Aber wie das so ist — an merkwürdig vielen Orten wachsen plötzlich die Steine wieder aus der Erde heraus und damit auch die Erinnerungen an die Plätze und an das, was dort gewesen ist. Im Juli 1987 wurden im Rahmen der Baumaßnahmen — denn auf diesem Platz sollte ein Hotel gebaut werden — Reste des alten Gotteshauses freigelegt, und zwar in beachtlichem Umfang. Die Mauern waren drei Meter hoch, und sie waren immerhin noch so lebendig, daß man tatsächlich noch sehen konnte, welches Leben in diesem Gotteshaus, in dieser Synagoge, einmal stattgefunden hat. Man konnte sogar noch sehen, wo die Kohlen für die Heizung eingeschüttet worden waren.
Es war dann ein jüdisches Ehepaar, Michael und Gina Düllmann, die zunächst alleine angefangen haben, diesen Platz auch für unsere Erinnerungen zu retten, und die seit dem 6. September 1987 auf den Trümmern der alten Synagoge ein Gebetszelt aufgebaut haben, um durch diese gewaltfreie Aktion zu verhindern, daß die letzten Reste niedergerissen werden. Dies ist dann aber trotz Protesten aus der Bevölkerung und trotz einer Demonstration am 17. September passiert. Die ganzen Mauerreste wurden bis auf die Ostmauer eingerissen, und auch von dieser soll nur ein schäbiger Rest bleiben, nämlich 80 Zentimeter, nicht einmal ein Meter.
Ich will noch einmal fragen: Wie wäre das Ganze gewesen, wenn es sich um einen Platz gehandelt hätte, auf dem einmal ein christliches Gotteshaus gestanden hätte? Es ist eigentlich nicht vorstellbar. Sämtliche Kulturen aller Völker haben immer gefunden, daß die Plätze, die ihre Vorfahren gesucht haben, um dort Gott zu verehren, besondere Plätze sind, die man auch in späteren Generationen noch achten muß. Deswegen ist auch immer Bau auf Bau genau auf dieser Stelle aufgesetzt worden. Wenn das nicht passiert ist, dann hat man diese Plätze jedenfalls als besondere Plätze behalten, was meistens auch dadurch gesichert war, daß die Friedhöfe darum herum lagen.
Nun wird natürlich — das, finde ich, hat fast symbolische Bedeutung — an Stelle dieser alten Synagoge so etwas wie ein neuer Tempel gebaut, nämlich in Bonn wie in Frankfurt die Tempel unserer Zeit, nämlich Parkplätze für Autos, Kneipen, Hotels, Kaufhäuser. Ich finde, das hat eine ganz eigenartige Symbolik, die auch ein Ausdruck von Kultur- und Geschichtslosigkeit und von Mißachtung und Demütigung von religiösen Überzeugungen ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was ich in dem ganzen Prozeß beschämend finde, ist, daß es die Juden selber waren, die als erste dafür kämpfen mußten. Ich meine nämlich, daß es unsere Sache gewesen wäre, denn es geht vor allen Dingen um unsere Erinnerungen und um unsere Geschichte.
Beschämend finde ich ein Weiteres, und das ist etwas, was ich fast nicht begreife, auch in Frankfurt nicht. In Frankfurt gab es so viele eindringliche Voten. Es gab eine Flut von Briefen an den Oberbürgermeister. Es gab Voten sämtlicher Kirchen und aller Parteien, bis auf die CDU. Ich verstehe einfach nicht:



Frau Dr. Vollmer
Warum kommen sie eigentlich von einem solchen Plan nicht mehr herunter? Die Ausweglosigkeit, daß eine städtische oder auch eine staatliche Behörde immer dabei bleiben muß, zu sagen: Einmal beschlossen, für immer beschlossen; wenn wir das rückgängig machen, dann verlieren wir etwas von unserer Autorität!, ist eine Tatsache, die ich überhaupt nie begreifen werde, weil sie nämlich auch zeigt, daß eine solche Verwaltung überhaupt nicht flexibel auf die berechtigten Wünsche und Einwände von Menschen reagieren kann.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Dazu fällt mir eine jüdische Geschichte aus „Jakobowsky und der Oberst" ein. Da sagt der Jakobowsky: „Meine Mutter, Rebekka Jakobowsky, sagte immer, es gibt im Leben immer viele Möglichkeiten." „Niemals" , sagte der Oberst, „für einen Mann von Ehre gibt es immer nur eine." „Eben", sagte dann Samuel Jakobowsky, und wollte sagen, daß er diesen Weg der Ehrenmänner nicht mehr gehen wollte.
Nun wird ja gesagt, es solle eine Gedenkstätte geben. Aber es soll diese Gedenkstätte nicht auf dem alten Platz geben, sondern so ein bißchen weiter weg, und vor allen Dingen wird es ein großes nationales deutschen Mahnmal für alle Opfer des Krieges gemeinsam geben. Zwei Dinge sind daran zu kritisieren. Das erste ist, daß gerade diese Erinnerungen authentisch an den authentischen Orten angebunden sein müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie an diese authentischen Alltagsorte zu binden ist die einzige Chance, um den Geist, der hinter der Reichskristallnacht stand, der nämlich ein Geist des Alltagslebens war, auf Dauer zu bekämpfen. Dabei wundere ich mich natürlich, daß die letzten Reste dieser Synagoge ausgerechnet in der Woche zerstört worden sind, in der die Stadt Bonn ehemalige jüdische Mitbürger eingeladen hatte, die Stadt zu besuchen, damit sie sehen, daß wir heute eine andere politische Kultur haben, oder daß es zu der Zeit passierte, in der man gleichzeitig einen Schülerwettbewerb machte, mit dem man an Traditionen der Unterdrückung von Nachbarn und Mitbürgern erinnern und die Schüler dagegen immunisieren will. Wieso nimmt man dann nicht die Erinnerung an diesen alten authentischen Ort, um sie genau dort festzumachen? Um es deutlich zu sagen: Kaufhäuser und Parkplätze kann man tatsächlich überall bauen, sie haben keine Tradition, sie haben keinen Hintergrund. Sie haben auch keine tiefen Wurzeln. Aber Synagogen standen an einer bestimmten Stelle, und ich denke, genau dort müssen unsere Erinnerungen anfangen, um daraus für die Zukunft zu lernen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103040000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Daniels.

Dr. Hans Daniels (CDU):
Rede ID: ID1103040100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat bereits am 25. April des vergangenen Jahres über die Errichtung einer zentralen Gedenkstätte für die Opfer der Kriege und der Gewaltherrschaft in Bonn diskutiert. Damals bestand Übereinstimmung, daß dieses Thema nicht für polemische Auseinandersetzungen geeignet ist, und die Debatte war auch von einem der Sache angemessenen großen Ernst getragen.
Mir scheint, daß Ihr heutiger Antrag hier in der polemischen Art seiner schriftlichen Begründung und auch in dem, was Sie heute hier vorgetragen haben, davon leider abweicht.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Polemisch?)

— Ich werde das gleich noch im einzelnen darlegen.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Sie haben eben nicht zugehört!)

Sie versuchen mit Ihrem Antrag, eine örtliche Auseinandersetzung, die hier in der Stadt Bonn über die angemessene Art und Weise, der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken, geführt worden ist — wobei sich alle, einschließlich der GRÜNEN, über die Notwendigkeit dieses Gedenkens einig sind und lediglich über die Art und Weise unterschiedliche Auffassungen bestehen — mit der Frage einer zentralen Gedenkstätte zu verbinden, und bringen wieder — ich sage dazu gleich noch etwas — das Schlagwort von der gleichzeitigen Ehrung der Ermordeten und ihrer Mörder.
Diese örtliche Auseinandersetzung hat inzwischen durch eine Entscheidung des Rates der Stadt Bonn vom 1. Oktober dieses Jahres ihren Abschluß gefunden. Der Rat hat einstimmig beschlossen, eine Gedenkstätte für die Verfolgten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft im Zusammenhang mit dem in Bonn vorgesehenen Historischen Stadtmuseum zu errichten. Ich bin der Meinung, dieser Zusammenhang besteht von der Sache her. Das ist ein Stück Geschichte der Stadt, ein dunkles Kapitel dieser Geschichte, und deshalb muß es in einem solchen Historischen Stadtmuseum dargestellt werden. Dies ist auch der Ort, wo alle Besucher des Museums gleichzeitig Gelegenheit haben, die Gedenkstätte zu besuchen.
Einen weitergehenden Antrag der GRÜNEN, die Gedenkstätte an der Stelle der früheren Synagoge zu errichten, hat der Rat mit den Stimmen aller vertretenen Parteien — CDU, SPD und FDP — abgelehnt. Dagegen wurde — ebenfalls einstimmig — beschlossen, an der Stelle der früheren Synagoge ein würdiges Zeichen der Erinnerung an diese Synagoge zu errichten, und die Bonner Synagogengemeinde hat ihre Mitwirkung bei der Gestaltung dieses Erinnerungszeichens angeboten. Die Bonner Synagogengemeinde hat seinerzeit dieses Grundstück nicht nur an die Stadt übertragen, sondern sich bewußt entschieden, ihre Synagoge an einer anderen Stelle zu errichten und den alten Ort aufzugeben — aus Gründen, die unserer Wertung nicht unterliegen.
Ich kann Ihnen sagen, daß im Gegensatz zu der Aufgeregtheit vor allem bei den GRÜNEN und bei dem Ehepaar Düllmann, das aus der Synagogengemeinde ausgeschlossen und ausgetreten ist, unter den ehemaligen jüdischen Mitbürgern, die zu dieser Zeit die Gäste der Stadt Bonn waren, keinerlei Empörung geherrscht hat. Wir haben, weil sie inzwischen schon



Dr. Daniels (Bonn)

achtmal bei uns waren, ein so inniges, auch menschliches Verhältnis, daß wir sicher sind, wir hätten davon erfahren, wenn sie von der Entscheidung der Stadt Bonn betroffen gewesen wären.
Im übrigen brauchen die Bonner Bürger wirklich keinen Nachhilfeunterricht der GRÜNEN hinsichtlich der Notwendigkeit, das Geschehen der Nazizeit und das Leben und Wirken der jüdischen Bevölkerung in Erinnerung zu halten. Wir haben dafür keine 20 Jahre gebraucht.
Ich will hier gar nicht davon reden, ob es nicht ein Eingriff in die Selbstverwaltungsrechte der Stadt Bonn ist, wenn der Bundestag darüber debattiert; ich will das von der Sache her vortragen. Wenn Sie sich in Bonn ein wenig umgesehen hätten, dann hätten Sie auf einem bereits im Jahre 1950 errichteten Gedenkstein im Bonner Hofgarten folgendes lesen können:
600 Bürger, Opfer des Nationalsozialismus, Euch, die Ihr starbet, entrechtet, erniedrigt, geschändet, zum Gedenken, uns zur Mahnung.
Das steht dort seit 1950 für alle Bonner Bürger deutlich sichtbar; denn dies ist ein Platz, an dem sich sehr viele Bürger aufhalten.
Diese örtliche Bonner Auseinandersetzung ist sicherlich kein Anlaß, von der Errichtung einer zentralen Gedenkstätte für die Opfer der Kriege und der Gewaltherrschaft in der Bundeshauptstadt abzusehen. Jedes Jahr am Volkstrauertag spricht der Bundespräsident als Bundespräsident, gleich welche Person das ist, in einer Feierstunde im Plenarsaal des Deutschen Bundestages folgende Totenehrung:
Wir gedenken heute der Opfer von Krieg und Gewalt, der Soldaten, die in den beiden Weltkriegen gefallen, ihren Verwundungen erlegen oder in Gefangenschaft gestorben sind, der Männer, Frauen und Kinder, die durch Kriegshandlungen ihr Leben lassen mußten. Wir gedenken derer, die um ihrer Überzeugung oder um ihres Glaubens willen Opfer der Gewaltherrschaft wurden, und derer, die eines gewaltsamen Todes sterben mußten, weil sie einem anderen Volk angehörten oder einer anderen Rasse zugerechnet wurden.
Seit Jahrzehnten werden in Bonn an diesem Tage vom Bundespräsidenten, vom Bundestagspräsidenten, von der Bundesregierung, auch von der Stadt Bonn und von vielen anderen Organisationen Kränze an einer Gedenktafel niedergelegt, die zunächst im Hofgarten stand und jetzt auf dem Nordfriedhof steht. Diese Gedenktafel trägt folgende Aufschrift:
Den Opfern der Kriege und der Gewaltherrschaft.
Niemand ist bisher auf die Idee gekommen — das blieb Ihnen vorbehalten — , durch die Totenehrung des Bundespräsidenten oder durch die Kranzniederlegung die Ermordeten zusammen mit ihren Mördern geehrt zu sehen. Mir ist unverständlich, warum das anders sein soll, wenn nun über eine würdigere Gedenkstätte, als sie im Augenblick auf dem Nordfriedhof besteht, aber ohne jede Veränderung des Kreises der zu Ehrenden, nämlich der Opfer der Kriege und der Gewaltherrschaft, nachgedacht wird. Daß Sie glauben, daß alle deutschen Soldaten Mörder seien, kann ich nicht einmal Ihnen unterstellen. Wollen Sie denn den Millionen Opfern der Kriege das ehrende Andenken verweigern, nur weil es unter ihnen auch Nationalsozialisten gibt?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103040200
Herr. Abgeordneter Dr. Daniels, gestatten Sie ein Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Nickels?

Dr. Hans Daniels (CDU):
Rede ID: ID1103040300
Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1103040400
Herr Dr. Daniels, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Tatsache, daß man einen historischen Überrest beseitigt und woanders eine Gedenkstätte errichtet, damit vergleichbar wäre, daß man das Geburtshaus eines großen Dichters abreißt, um woanders einen Gedenkstein aufzustellen?

Dr. Hans Daniels (CDU):
Rede ID: ID1103040500
Frau Nickels, es handelt sich um einige Kellermauern, die hier übrig sind. Es ist nicht so, daß hier etwa Reste der Synagoge abgerissen werden.
Der vorliegende Antrag der GRÜNEN ist sicher nicht der rechte Anlaß, die Grundsatzdebatte über die Errichtung einer zentralen Gedenkstätte in der Bundeshauptstadt fortzuführen. Das wäre ja auch in zehn Minuten Redezeit je Fraktion nicht möglich.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat im April vergangenen Jahres unser Fraktionsvorsitzender Dr. Dregger seine Auffassung hier sehr ausführlich dargelegt. Wir sind gern zu Gesprächen mit den anderen Fraktionen bereit, mit dem Ziel, in dieser Frage, die uns alle sehr bewegt, eine möglichst breite Übereinstimmung zu erzielen.
Den heute vorliegenden Antrag der GRÜNEN, über den wir Ihrem Wunsch entsprechend gerne heute in der Sache abstimmen, lehnen wir ab.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103040600
Das Wort hat der Abgeordnete Conradi.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1103040700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In seinem Buch „Die zweite Schuld" behandelt Ralph Giordano die historische Fehlentscheidung einer Mehrheit der heute älteren und alten Generationen, sich nach 1945 mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und der eigenen Rolle in ihr nicht ehrlich auseinanderzusetzen, belastende Erinnerungen abzuwerfen und sich aus einem kompromittierenden Abschnitt selbst erlebter und mitgestalteter Nationalgeschichte herauszustehlen. Soweit Giordano.
Zu dieser zweiten Schuld gehört gewiß auch der jahrzehntelange nachlässige Umgang mit den baulichen Spuren der Naziherrschaft. Das gehörte ebenso zum Verwischen und Verschütten wie das, was an vielen anderen Stellen geschehen ist. Herausragende Beispiele dafür sind das Gelände des Reichssicherheitshauptamtes in Berlin und die Tatsache, daß der Senat von Berlin bis heute nicht in der Lage ist, für dieses Gelände eine angemessene Gestalt zu finden; oder der Streit um den Börneplatz in Frankfurt, der nach Meinung von Herrn Wallmann und Herrn Brück



Conradi
wohl an die Juden erinnern soll, aber nichts zu tun haben soll mit dem Mord an den Juden.

(Duve [SPD]: Hört! Hört!)

Wenn man diese Kritik ausspricht, muß man aber redlicherweise auch darauf hinweisen, daß das Bewußtsein des historischen Ortes, des authentischen Platzes als Träger der Erinnerung relativ neu ist. Es war ja nicht so, daß in den ersten Jahrzehnten nach 1945 keine Formen der Erinnerung vorhanden waren, sondern andere Formen, andere Träger der Erinnerung waren wichtiger.
Ich will einige nennen: Eugen Kogons Buch „Der SS-Staat" oder das Bild Picassos „Guernica" oder der Film „Holocaust" , der dieses Land wirklich bewegt hat, oder Hochhuths Drama „Der Stellvertreter". Dieses Drama hat in den Jahren damals eine lebhaftere Diskussion in dieser Republik ausgelöst als der Börneplatz in Frankfurt.
Ich möchte auch eine Ausstellung als Beispiel erwähnen. Wir haben damals die Dokumente des Volksgerichtshofs unter dem Titel „Ungesühnte NaziJustiz" ausgestellt. Das hatte zur Folge, daß diese Richter wohl leider nicht bestraft wurden, aber immerhin damals aus ihren Ämtern geschickt wurden.
Heute ist zu diesen Kategorien eine neue Form des Erinnerns gekommen, nämlich die Bemühung, die Steine reden zu lassen, d. h. ein Verständnis vom Ort
— Sie haben vom „heiligen Ort" gesprochen —, von der Magie des Ortes. Das ist eine andere Form. Die Beschäftigung damit hat in den letzten Jahren zugenommen.
Insofern ist der Vorwurf, das habe man in früheren Jahren nicht ausreichend getan, nicht ganz berechtigt; denn wir selbst sind ja jahrelang nicht darauf gekommen, welchen Wert der historische Ort für die Erinnerung haben könnte, auch die jüdische Gemeinde in Bonn nicht. Es ist ja kein Vorwurf, wenn man sagt, daß die jüdische Gemeinde 1950 das Grundstück, auf dem ihre alte Synagoge stand, eben nicht für den Neuaufbau verlangt hat, sondern dieses Grundstück verkauft und an anderer Stelle ihre neue Synagoge gebaut hat. Das ist kein Vorwurf.

(Duve [SPD]: Man wollte nach vorn gukken!)

— Man wollte nach vorne gucken. Daran wird ein Bewußtseinswandel deutlich, auch ein kultureller Bewußtseinswandel in der Einschätzung der Bedeutung solcher historischen Orte.
Nun ist in Bonn über den Synagogenplatz an der Kennedybrücke lange diskutiert worden. Schließlich ist — wie so oft in der Demokratie — ein Kompromiß herausgekommen: Das Hotel wird gebaut, so hat der Rat beschlossen. Aber der Verein an der Synagoge, der sich in Bonn sehr verdienstvoll darum kümmert, die Erinnerung an die Nazizeit wachzuhalten, bekommt im Kunstmuseum in Verbindung mit dem Stadthistorischen Museum die notwendigen Räume, um seine Erinnerungsarbeit auszustellen und zu zeigen. An der Uferpromenade wird aus den Resten der Fundamente der alten Synagoge ein Erinnerungsort entstehen.
Wir halten diesen Kompromiß für vernünftig und werden dem Antrag der GRÜNEN deshalb nicht zustimmen.
Frau Vollmer, ich finde es auch nicht sehr überzeugend, wenn die GRÜNEN auf der einen Seite immer nach Dezentralisierung und Basisnähe rufen und dann, wenn unten, also bei denen, die zuständig sind, hier im Fall bei der Stadt Bonn, anders entschieden wird, als Sie es wollen, die Bundesregierung, den Bundestag aufzurufen, nun von oben hineinzuentscheiden und zu sagen, das müsse aber alles ganz anders sein. Das ist doch ein Widerspruch.
Man soll auch nicht so tun, als sei Bonn in dieser Frage Bundeshauptstadt. Bonn war damals eine kleine Stadt wie viele andere in Deutschland. Bonn muß sich seiner eigenen Erinnerung, auch der Erinnerung an die Zerstörung der Synagoge, selbst stellen und das für sich lösen.

(Beifall bei der SPD)

Das hat mit der Bundeshauptstadt Bonn nun — —

(Zuruf der Abg. Frau Nickels [GRÜNE])

— Damals, liebe Frau Nickels, war Bonn keine Bundeshauptstadt

(Erneuter Zuruf der Abg. Frau Nickels [GRÜNE])

— Das war damals keine — —

(Frau Nickels [GRÜNE]: Das sind zehn Minuten Fußweg von hier! — Glocke des Präsidenten!)

— Die Untaten waren damals. Damals war Bonn keine Bundeshauptstadt. Deswegen muß sich Bonn wie jede andere Stadt selbst um die Erinnerung an diese Untaten bemühen. Es hat nichts mit uns als Bundeshauptstadt zu tun.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen muß ich Ihnen auch leider sagen, daß die Ziffer 2 — —

(Zurufe — Frau Nickels [GRÜNE]: 84!)

— Ich weiß nicht, ob ich hier überwiegend noch das Wort habe.

(Zurufe von den GRÜNEN)

— Das ist nett.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103040800
Herr Abgeordneter Conradi, Sie haben das Wort; und Frau Nickels wird sich sicher entsprechend verhalten. — Herr Abgeordneter, fahren Sie fort.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1103040900
Danke schön, Herr Präsident.
Deswegen ist Ziffer 2 Ihres Antrages unnötig. Es gibt keinen inhaltlichen Zusammenhang zwischen dem lokalen Erinnerungsort für die Bonner Juden und dem nationalen Projekt eines Mahnmals der Bundesrepublik. Im übrigen — —

(Abg. Frau Nickels [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Gerne.




Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103041000
Bitte schön, Frau Nikkels.

Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1103041100
Ich möchte gerne wissen, ob das gleiche zutreffen würde, wenn die Bonner das Beethovenhaus abreißen wollten.

(Zurufe von der CDU/CSU: Ach!)

— Ja, das möchte ich gerne wissen.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1103041200
Aber selbstverständlich würde dann das gleiche gelten, weil das Beethovenhaus nun wirklich mit der Bundeshauptstadt Bonn nichts zu tun hat. Als Beethoven hier lebte, war Bonn weiß Gott nicht Bundeshauptstadt. Es ist eine Entscheidung der Stadt Bonn in Ausübung ihrer kommunalen Selbstverwaltung, was sie mit dem Beethovenhaus macht. Ich würde mich bitter wehren, wenn sich der Bundestag in eine Entscheidung des Rates der Stadt Bonn über die Zukunft des Beethovenhauses einmischen würde.
— Ja, ich sehe das genauso.

(Dr. Daniels [Bonn] [CDU/CSU]: Das würde Herr Zöpel machen! — Heiterkeit)

Nun muß ich noch etwas zu dem Projekt eines nationalen Mahnmals sagen, was mit der Entscheidung des Bonner Rates über die Synagoge und den Synagogen-platz nichts zu tun hat. Frau Vollmer, dieses Projekt eines nationalen Mahnmals ist gescheitert, weil die Fraktionen von CDU und CSU nicht bereit waren, diesem Projekt die Rede des Bundespräsidenten vom 8. Mai 1985 zugrunde zu legen.

(Sehr wahr! bei der SPD)

Solange es über diese Rede von Herrn von Weizsäcker keinen Konsens gibt, gibt es auch kein Projekt Mahnmal, gibt es auch kein Projekt, von dem die Bundesregierung, wie Sie es hier fordern, Abstand nehmen müßte. Denn das Projekt hat sich erledigt, solange es diesen Konsens nicht gibt.

(Beifall bei der SPD)

Die Sozialdemokratie wird einem solchen Projekt nicht zustimmen, ohne daß es über die geistigen Grundlagen dieses Projekts hier Konsens gibt.

(Abg. Häfner [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Bitte sehr.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103041300
Herr Abgeordneter Conradi gestattet. Bitte sehr, Herr Abgeordneter Häfner.

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1103041400
Danke schön. — Herr Conradi, ist Ihnen bekannt, daß es hier keinen Antrag gibt, der Bundestag solle sich an die Stelle der Stadt Bonn setzen, sondern daß es darum geht, hier eine Frage zu beraten, die in Bonn, aber auch darüber hinaus zugleich in Frankfurt von großer nationaler Bedeutung ist, wie wir nämlich mit einem bestimmten Teil unserer eigenen Geschichte umgehen?

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1103041500
Sie beantragen hier, daß wir der Bundesregierung empfehlen, da einzugreifen, das Grundstück zu kaufen und auf die Stadt Bonn einzuwirken. Das halte ich alles für nicht in Ordnung. Die Stadt Frankfurt und die Stadt Bonn und viele andere Städte in Deutschland müssen sich mit der Frage auseinandersetzen, wie sie mit den baulichen Zeugen der Nazizeit umgehen. Das kann ihnen der Bundestag nicht abnehmen. Das ist ihre Entscheidung. Ob sie richtig oder falsch entscheiden: Wir hier können nicht korrigieren. Ich frage nur: Wie glaubwürdig ist Ihre dauernde Forderung nach Politik, die an der Basis gemacht werden soll,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

die dezentral sein soll, wenn dann in dem Augenblick, wo dezentral nicht das passiert, was Ihnen paßt, der große Zampano Bundesregierung kommen und das von oben her in Ordnung bringen soll? Das ist nicht stimmig, Herr Häfner.
Ich komme zum Schluß. Wir werden Ihrem Antrag nicht zustimmen. Aber wir werden uns weiter wie bisher aktiv mit der Geschichte der Nazizeit auseinandersetzen und als Sozialdemokraten unseren Beitrag für eine lebendige Erinnerungsarbeit leisten. Wir werden der Verdrängung, wo immer sie geschieht, nicht zustimmen. Der Antrag, den Sie hier stellen, scheint uns dafür kein geeignetes Mittel zu sein.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103041600
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.

Klaus Beckmann (FDP):
Rede ID: ID1103041700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Man könnte es sich in dieser Debatte über den Antrag der GRÜNEN einfach machen: Der Rat der Stadt Bonn hat als eindeutig zuständiges Gremium in seiner Sitzung heute vor einer Woche eine klare Entscheidung gefällt, nach der, wie ich meine, die Rücknahme des Antrags der GRÜNEN die richtige Entscheidung gewesen wäre, jedenfalls dann, wenn es den GRÜNEN tatsächlich um die Sache selbst zu tun gewesen wäre, um die Fakten, die Ihnen ja auch bekannt sein sollten.
Wie Sie wissen — der Kollege Conradi hat eben schon darauf hingewiesen — , befürwortet der Verein „An der Synagoge", die Gedenkstätte im heutigen Kunstmuseum zu errichten, dessen Räumlichkeiten in etwa zwei Jahren frei werden. Mit der bereits erwähnten Entscheidung des Rates der Stadt Bonn, einstimmig gefällt, wenn man von den GRÜNEN absieht, ist dieser Standort auch zugesagt worden.

(Frau Nickels können Sie aber nicht absehen!)

Eine entsprechende Vereinbarung, Frau Nickels, ist mit der jüdischen Kultusgemeinde getroffen worden.
Überdies hat der Rat beschlossen, an der Rheinpromenade einen Ort der Erinnerung an die Synagoge und deren Zerstörung durch die Nationalsozialisten zu schaffen. Erhaltene Mauerteile sollen dort in würdiger Form wiederaufgerichtet werden und mit einer Gedenktafel, vielleicht auch mit einem Modell der Hauptsynagoge erläutert und in ihrer Bedeutung veranschaulicht werden. Erinnert werden soll an den barbarischen Verfolgungseifer der NS-Herrschaft auch in



Beckmann
Bonn. Denn darum geht es, und nicht um das leichtfertige Daherreden von GRÜNEN — —

(Frau Dr. Vollmer doch nicht so!)

— Hören Sie mich mal an, Frau Vollmer.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Frau Dr. Vollmer! — Günther [CDU/CSU]: Da muß sie sich auch wie ein Doktor benehmen!)

Sie haben hier eben in einer Weise vorgetragen, die sich mit der Art Ihres jetzigen Zwischenrufs und seinem Niveau in keiner Weise verträgt. Ich glaube, Sie decouvrieren sich hier.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Ich wiederhole: Es geht hier nicht um das leichtfertige Daherreden von GRÜNEN von einem „heiligen Ort" — eine Vorstellung übrigens, die ein gehöriges Maß an Unkenntnis und damit auch Respektlosigkeit gegenüber dem jüdischen Glauben verrät.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Schämen Sie sich nicht?)

Denn nicht der Platz als solcher kann sakral sein. Er wird es, ist es und bleibt es allein durch und in Gegenwart der Heiligen Schriftrollen. Deswegen ist es auch sehr gut verständlich und folgerichtig, daß sich die Synagogengemeinde maßgeblich an der Entwicklung des Bonner Konzepts — Gedenkstätte im Kultusmuseum, Erinnerungsort an der Rheinpromenade am Erzbergerufer — beteiligt hat. Muß ich denn die GRÜNEN hier noch einmal eigens daran erinnern, wie entschieden sich die Jüdische Kultusgemeinde 1985 jede Aktivität der GRÜNEN im Hinblick auf eine Gedenkstätte im Bereich der früheren Synagoge verbeten hat?

(Zurufe von der CDU/CSU: Sehr verständlich!)

Ich will aus einer Vorlage für die Sitzung des Rates der Stadt Bonn vom 21. März 1985 zitieren. Da heißt es:
Es wird darauf hingewiesen, daß der Vorstand und die Repräsentanz der Synagogengemeinde Bonn am 3. 1. 1985 eine Resolution verfaßt hat, mit der sie die Bundestagsfraktion der GRÜNEN ersucht, jegliche Aktivitäten einzustellen, die der Errichtung einer Gedenkstätte im Bereich der früheren Synagoge für die von den Nationalsozialisten ermordeten Juden zum Ziele haben.
Frau Vollmer, Sie haben vorhin von der Mißachtung von religiösen Gefühlen gesprochen. Können Sie sich vorstellen, welche Gefühle die Jüdische Kultusgemeinde jetzt hat, nachdem Sie diesem dringenden Ersuchen nicht nachgekommen sind?

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Glauben Sie, daß diese Mitbürger es nötig haben, von Ihnen darüber belehrt zu werden, in welcher Form und an welcher Stelle sie der schrecklichen Ereignisse der Nazizeit zu gedenken haben? Hierüber bitte ich einmal nachzudenken.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103041800
Herr Abgeordneter Beckmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Vollmer?

Klaus Beckmann (FDP):
Rede ID: ID1103041900
Bitte sehr.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103042000
Bitte sehr, Frau Vollmer.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1103042100
Ich wollte Sie einmal fragen, ob Sie über die heutige Stellung der jüdischen Gemeinde zu dieser Frage Bescheid wissen, und zum zweiten, ob Sie gehört haben, daß ich gesagt habe, daß es um unsere Erinnerung geht, nicht um eine Sache, die die Juden für uns zu regeln hätten.

Klaus Beckmann (FDP):
Rede ID: ID1103042200
Frau Vollmer, ich finde es besonders interessant, daß Sie der Auffassung sind, daß wir uns in der Frage, wie wir unsere Erinnerung zu gestalten haben, über das Interesse und den Willen der Jüdischen Kultusgemeinde hinwegsetzen sollen. Das ist eine schlimme Sache.

(Duve [SPD]: Bleiben Sie doch auf dem Boden!)

Im übrigen will ich sagen: Selbstverständlich habe ich mich vergewissert; sonst würde ich hier nicht so sprechen. Ich weiß, wovon ich rede.
Meine Damen und Herren, durch den heutigen, inhaltlich oberflächlichen, sachlich überholten und, wie ich meine, überflüssigen Antrag

(Zuruf von der CDU/CSU: Reiner Schauantrag!)

zeigt sich erneut: Die GRÜNEN können und wollen der Versuchung nicht widerstehen, um des billigen Effekts willen auch ernsthafte Fragen des Erinnerns in einen plakativen und im Sprachgebrauch verantwortungslosen Parteienstreit zu zerren.

(Beifall bei der FDP — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Unglaublich!)

Dies belegt auch der zweite Teil Ihres Antrags.
Ich will es Ihnen, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, wie eingangs erwähnt, nicht so einfach machen, es bei einer einfachen Bemerkung zum Synagogenplatz zu belassen. Herr Conradi hat mit Recht darauf hingewiesen: Wir haben im April vergangenen Jahres in einer gewiß kontroversen, aber verantwortungsbewußten, zum Nachdenken anregenden Debatte das schwierige und vielschichtige Problem einer nationalen Mahn- und Gedenkstätte erörtert.
Was ich damals sagte, ist auch heute noch Auffassung der FDP-Bundestagsfraktion: das Bemühen, das Ringen um ein Konzept, das aus der Diskussion mit allen Beteiligten wächst und schließlich auch von allen getragen werden kann; eine Stätte, die der Trauer und der Schuld der Deutschen, unserem „Geschichtsschicksal" , wie Theodor Heuss es genannt hat, bildhaft Ausdruck verleiht; ein Ort der Begegnung, der Verständigung und Hoffnung darauf, daß die Opfer von Kriegen und Gewaltherrschaft nicht der Vergessenheit anheimfallen, sondern daß ihr Geschick den Lebenden die Moral des Friedens und der tiefen Achtung vor dem anderen Volk, der anderen Gesinnung und der anderen Rasse sinnhaft vor Augen führt.



Beckmann
Ein solches Mahnmal kann allein in einer breiten Übereinstimmung — nicht nur des Bundestags, sondern auch der gesamten Bevölkerung — seinem Anspruch gerecht werden. Bis zu einem solchen Konsens ist noch ein weiter Weg zurückzulegen. Ich betone, daß ich auch ein Scheitern nicht ausschließe.
Aber selbst wenn sich diese Aufgabe für uns alle als unlösbar herausstellen sollte, so war und ist es doch richtig, diesen Weg des Meinungsaustauschs, der kritischen und selbstkritischen Vergewisserung unserer Geschichte zu wählen. Das Bedenkliche, für mich sogar das Erschreckende des Antrags der GRÜNEN ist daher auch, wie wenig seriös er den Prozeß des Diskutierens nimmt, wie er einen Zeitdruck des Entscheidens vorspiegelt, wie leichtfüßig er anklagend und richtend historisches Leid und geschichtliche Schuld in die Plattheit politischer Tagespolemik ummünzt.
Gewiß ist die Frage, die auch von verschiedenen Verbänden an uns herangetragen worden ist, sehr ernst zu wägen, ob ein Mahnmal, gewidmet allen Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft, möglicherweise auch Schuldige gemeinsam mit den Unschuldigen und Opfern ehrt. Wer aber, wie wörtlich im Antrag der GRÜNEN, Kriegstote ohne jede Differenzierung, ja auch ohne schlechtes Gewissen, wie ich fürchte, mit den Mördern gleichsetzt und suggeriert, der gefallene Frontsoldat sei nur Helfer und nicht auch Opfer des Nationalsozialismus,

(Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!)

der muß sich den Vorwurf gefallen lassen, zu polarisieren und — ich zitiere sinngemäß aus der Antragstellung — Geschichte zu verfälschen und zu beleidigen.
Ob und wie es uns gelingt, den Respekt vor dem Tode der Opfer — aller Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft — in einer Gedenkstätte zu versinnbildlichen, kann nur eine sorgfältige, geduldige und verantwortungsbewußte Diskussion über die Parteigrenzen hinweg ergeben. Eile ist weder geboten noch zuträglich. Dafür ist die Sache zu ernst.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103042300
Die Fraktionen haben mir signalisiert, daß in der Sache abgestimmt werden soll und nicht etwa eine Ausschußüberweisung vorgesehen ist.
Herr Abgeordenter Dr. Knabe, Sie haben sich zur Geschäftsordnung gemeldet. Halten Sie unter diesen Umständen Ihre Wortmeldung zur Geschäftsordnung aufrecht?

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Ja!)

— Bitte sehr, Sie haben das Wort zur Geschäftsordnung.

(Zurufe von der CDU/CSU: Aber sprechen Sie nur zur Geschäftsordnung!)


Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1103042400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist ein nüchterner Geschäftsordnungsantrag, der darauf abzielt, über die beiden Punkte, die wir zusammen formuliert hatten, getrennt abzustimmen; denn die zwei Dinge, die hier genannt sind, sind verschieden zu bewerten. Ich gehe hier auf Herrn Conradi ein. Er hat recht. Man kann das nicht in einen Topf werfen.
Aber der erste Punkt, der genannt wird, geht uns alle an.

(Lutz [SPD]: Kein Debattenbeitrag!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103042500
Herr Abgeordneter Lutz, wir werden Herrn Abgeordneten Dr. Knabe in Ruhe anzuhören wissen. Ob das ein Debattenbeitrag ist, wird der Präsident entscheiden.
Bitte sehr, Herr Dr. Knabe.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1103042600
Der Antrag lautet also: getrennte Abstimmung, und zwar über den einen Punkt sofortige Abstimmung, keine Überweisung an den Ausschuß, wie das von Ihnen schon signalisiert war.

(Zurufe von der CDU/CSU: Das war schon klar! — Dazu brauchen wir keine Wortmeldung zur Geschäftsordnung!)

Ich appelliere an Sie, dem ersten Teil des heute vorliegenden Antrages zuzustimmen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben schon drei Redner gesagt!)

über diesen sofort abzustimmen. Den zweiten Teil können Sie an den Ausschuß überweisen, weil dieser zweite Teil eine Debatte voraussetzt. Ich glaube, diese Debatte ist erforderlich.
Ich appelliere an die, die älter sind als ich, weil sie haben kommen sehen, was an Veränderung geschah, weil sie gesehen haben, wie die jüdischen Mitbürger damals aus unserem Leben verschwanden.
Ich appelliere an die Kriegsgeneration. — Das rote Licht leuchtet auf, Herr Präsident?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103042700
Ich wollte Sie zart darauf aufmerksam machen, daß Sie nun in der Tat im Begriff sind, von einer Geschäftsordnungsdebatte in eine inhaltliche Debatte einzusteigen. Sie werden Verständnis dafür haben, wenn ich sage, daß das weder der Interessenlage des Hauses entspricht noch von mir geduldet werden kann.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1103042800
So muß ich meine Appelle einstellen

(Frau Unruh [GRÜNE] : Er hat heute Geburtstag!)

und sage einfach: Stimmen Sie über die beiden Teile ab, und überlegen Sie, ob heute nicht die richtige Stunde wäre, zu einer Betonplatte ja zu sagen, die signalisiert, daß wir in der letzten Sekunde eine Entwicklung aufgehalten haben, die darin besteht, diesen geschichtsträchtigen Ort zu vernichten.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103042900
Das Haus hat den Wunsch der Fraktion DIE GRÜNEN, über den Antrag auf Drucksache 11/825 getrennt nach den beiden Abschnitten 1 und 2 abstimmen zu lassen, zur Kenntnis genommen. Ihrem Wunsch wird Folge geleistet. Ich lasse zunächst über den Abs. 1 dieses Antrages abstimmen. Wer dem Abs. 1 auf Drucksache 11/825, An-



Vizepräsident Cronenberg
trag der GRÜNEN zur Errichtung einer Gedenkstätte für alle vom NS-Regime verfolgten und ermordeten Menschen auf dem Synagogenplatz in Bonn, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Abs. 1 abgelehnt.
Ich lasse nunmehr über den Abs. 2 des gleichen Antrags abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Damit ist auch der zweite Ansatz abgelehnt. Eine Abstimmung über den Gesamtantrag erübrigt sich.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 17:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur finanziellen Sicherung der Künstlersozialversicherung
— Drucksache 11/862 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Innenausschuß
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Haushaltsausschuß
Im Ältestenrat haben sich die Fraktionen darauf verständigt, daß ein Debattenbeitrag von jeder Fraktion von bis — ich unterstreiche das „bis" — zu fünf Minuten geleistet werden kann.
Die Debatte wird vom Parlamentarischen Staatssekretär Höpfinger eröffnet.
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Stefan Höpfinger (CSU):
Rede ID: ID1103043000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Juli hat das Bundesverfassungsgericht das Künstlersozialversicherungs-Gesetz grundsätzlich für verfassungsgemäß erklärt.

(Unruhe)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1103043100
Herr Staatssekretär, entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche.
Ich wäre dankbar, wenn diejenigen, die der Debatte nicht zu folgen wünschen, den Saal verlassen würden, damit die notwendige Ruhe hergestellt wird. — Danke schön.

Stefan Höpfinger (CSU):
Rede ID: ID1103043200
In dem heute eingebrachten Gesetz unternimmt die Bundesregierung einen ersten wichtigen Schritt zur Sicherung der Künstlersozialversicherung. Weitere, umfassende Maßnahmen müssen in den nächsten Jahren folgen, damit die Künstlersozialversicherung auf eine solide und dauerhaft finanziell tragfähige Grundlage gestellt wird.
Wir haben bereits im Jahre 1981 ein klares Ja zur sozialen Absicherung der Künstler und Publizisten gegen die Risiken von Krankheit und Alter gesorgt. Unsere damaligen Vorbehalte gegen die Organisationsform, in der diese Sicherung bisher durchgeführt wurde, haben sich jedoch bestätigt.
Künftig soll die Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen die Aufgaben nach dem Künstlersozialversicherungs-Gesetz erfüllen. Daß dies der richtige Weg ist, die organisatorischen Schwierigkeiten bei der Durchführung der Künstlersozialversicherung zu überwinden, zeigen die ersten Erfahrungen seit Übernahme der kommissarischen Leitung der Künstlersozialkasse durch die Geschäftsführung der Landesversicherungsanstalt.
Ich verkenne nicht, daß die Künstlersozialversicherung mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Sie war praktisch ein Neuland, das betreten wurde. Außerdem stieß die Einführung der Künstlersozialabgabe auf den Widerstand einer großen Zahl von Abgabepflichtigen, so daß von dort die nötige Mitwirkung unterblieb.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit des KünstlersozialversicherungsGesetzes im wesentlichen bestätigt hat, sind die Abgabepflichtigen aufgerufen, ihre Zurückhaltung gegenüber dem Gesetz aufzugeben und ihren Melde- und Zahlungsverpflichtungen nachzukommen und sie zu erfüllen.
Der Gesetzentwurf sieht folgende Sofortmaßnahmen vor: Erstens. Mit der Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen wird ein erfahrener Versicherungsträger für die Durchführung der Künstlersozialversicherung zuständig. Die Künstlersozialkasse ist damit ab 1. Januar 1988 keine rechtlich selbständige Anstalt mehr. Personal und Vermögen der Künstlersozialkasse werden auf die Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen übertragen.
Diese Lösung erlaubt es, die Fachaufgaben der Künstlersozialkasse weiter in Wilhelmshaven zu belassen. Damit sind auch in Wilhelmshaven die Arbeitsplätze gesichert und erhalten. Durch die Übertragung der Aufgaben der Künstlersozialkasse wird die Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen als Träger der Arbeiterrentenversicherung weder funktional beeinträchtigt noch finanziell belastet.
Zweitens. Zur finanziellen Absicherung der Künstlersozialversicherung wird der Bundeszuschuß von jetzt 17 % auf 25 % der Ausgaben der Künstlersozialversicherung neu festgesetzt. Damit wird der Bundeszuschuß dem tatsächlichen Selbstvermarktungsanteil angepaßt. Der Bundeszuschuß wird dann im Jahre 1988 36 Millionen DM betragen.
Drittens. Der bisher geltende einheitliche Abgabesatz soll für das Jahr 1988 beibehalten werden. Es wäre in einzelnen Abgabebereichen wirtschaftlich unverantwortlich, schon für 1988 getrennte Abgabesätze für die vier Bereiche der Künstlersozialversicherung festzusetzen. Die Beibehaltung des Abgabesatzes in Höhe von 5 % für alle Bereiche im Jahr 1988 bedeutet allerdings nicht, daß es auch in Zukunft dabei bleiben wird.
Viertens. Ferner soll die vom Bundesverfassungsgericht beanstandete Regelung gestrichen werden, nach der Abgabepflichtige für von der Versicherungspflicht befreite Künstler und Publizisten einen Beitrag zur privaten Altersversorgung zu zahlen haben.
Fünftens. Schließlich soll auch der Forderung des Bundesverfassungsgerichts entsprochen werden, aus



Parl. Staatssekretär Höpfinger
Gleichbehandlungsgründen die Pflicht zur Künstlersozialabgabe im Bereich der Werbewirtschaft nicht auf Werbeagenturen zu beschränken, sondern auch auf Unternehmen auszudehnen, die für Zwecke ihres eigenen Unternehmens Werbung betreiben und dabei wie professionelle Vermarkter tätig werden.

(Vorsitz: Vizepräsident Westphal)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte, den vorliegenden Gesetzentwurf zügig zu beraten. Ich weiß, wie sehr die Ausschüsse mit Arbeit belastet sind, aber es ist dennoch notwendig — und darum würde ich Sie bitten — , den Gesetzentwurf noch vor Weihnachten zum Abschluß zu bringen, weil ansonsten ab Januar 1988 keine Rechtsgrundlage für die Erhebung der Abgabe mehr bestehen würde. Deshalb bitte ich Sie, möglichst zügig den Gesetzentwurf zu beraten.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103043300
Das Wort hat der Abgeordnete Lutz.

Egon Lutz (SPD):
Rede ID: ID1103043400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland tut sich schwer mit seinen Künstlern. Die Bundesrepublik befindet sich so gesehen in der Tradition der deutschen Kleinstaaten und in der Tradition des Deutschen Reiches.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Kleinstaaten hatten aber gute Mäzene!)

— Ja, ich erinnere mich aber noch lebhaft daran, wie wir in der Bundesrepublik das Problem Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre lösen wollten. Mit dem § 12 a des Tarifvertragsgesetzes haben wir einen ersten Flop gesetzt, für freie Mitarbeiter eine tarifliche Basis zu zimmern. Mit dem Künstlersozialversicherungs-Gesetz haben wir eine Versorgungsbasis für das Alter und für Krankheit gegründet.
Dann war allerdings wieder Funkstille im Lande. Die Vermarkter von Kunst und Kultur — einen besseren Sammelbegriff hat man bis heute nicht gefunden — wiegten sich in der Hoffnung, das Bundesverfassungsgericht werde das Streben der Väter des Künstlersozialversicherungsgesetzes als eitlen Wahn erscheinen lassen.
Es kam ganz anders. Das Gesetz hat bis auf einen einzigen Punkt den „Verfassungs-TÜV" bestanden. Dieser Punkt wird jetzt korrigiert. Es handelt sich um die Frage, ob ein Künstler, der sich von der Versicherungspflicht befreien ließ, von dem Vermarkter Zuschüsse zu seiner privaten Lebensversicherung verlangen kann. Er kann es nicht, sagt das Gericht. Dem wird jetzt Rechnung getragen.
Jetzt kommt es aber auf folgendes an: Die Vermarkter, die Verleger, die Kunsthändler und die Manager, können sich nicht mehr auf ein schwebendes Verfahren herausreden. Sie stehen in der Gesetzespflicht, Herr Staatssekretär — in der Gesetzespflicht! Sie müssen nicht mehr gebeten werden, Abgaben zu leisten, sie sind verpflichtet, und darauf kommt es an. Wir werden gemeinsam darauf zu achten haben, daß dieser Pflicht nachgekommen wird.
Einen Schönheitsfehler hat die Vorlage, die wir, meine ich, mittragen werden. Entgegen unserem Willen wird es noch einmal einen einheitlichen Beitragssatz von 5 % für die Vermarkter geben. Wir haben damals — ich war dabei — einem differenzierten Beitragssatz für die Bereiche Wort, bildende Kunst, Musik und darstellende Kunst das Wort geredet — das hat die Vorlage verfassungssicher gemacht — , um eine möglichst gerechte Beitragserhebung auf Vermarkterseite zu erreichen.
Die Regierung sagt uns jetzt, die vorliegenden Daten reichten noch nicht aus. Wir werden die Entwicklung aufmerksam beobachten, eine Anhörung im Fachausschuß beantragen und unsere endgültige Entscheidung davon abhängig machen, was uns die verschiedenen Sparten zu sagen haben.
Es gab auch verwaltungstechnische Mängel. Die Künstlersozialkasse hat in ihrer gegenwärtigen Organisation — ich formuliere es milde — unsere Erwartungen nicht erfüllt. Wir hoffen, daß die Angliederung an die Landesversicherungsanstalt Oldenburg—Bremen diese Mängel behebt. Ich meine auch, das Beschreiten von sozialpolitischem Neuland kann auf Dauer Verwaltungswirrwarr nicht entschuldigen.
Zur Novelle im jetzigen Beratungsstadium also ein bedingtes Ja von unserer Seite, auch ein Ja zur Anpassung des Bundeszuschusses und eine Befürwortung der Ausdehnung der Versicherungspflichten auf den Bereich der professionell Eigenwerbung treibenden Unternehmen.
Was wir heute machen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist Technik, ist Reparatur an einem Gesetz, das einmal Anliegen dieses ganzen Hauses war. Was uns aber noch aufgetragen bleibt, ist dies: die materielle und rechtliche Basis unerer Kunstschaffenden dauerhaft und menschenwürdig zu regeln. Das kann nur in fairer Partnerschaft zwischen Kunstschaffenden und deren Vermarktern entstehen. Aber diese Partnerschaft kann man nicht herbeibeten, man muß sie gesetzlich regeln, sonst funktioniert sie nicht. In vielen deutschen Wohnungen — lassen Sie mich das sagen — hängt das Bild Spitzwegs vom armen Poeten. Sie wissen, das ist der mit dem Regenschirm, im Bett liegend. Die vermeintliche Idylle trog damals schon. Eine Kulturnation — und das wollen wir doch sein — wird daran gemessen werden, wie sie mit ihren Kulturschaffenden umgeht. Zeigen wir gemeinsam, daß wir in der Lage sind, auch unseren Künstlern, unseren Kulturschaffenden Gerechtigkeit widerfahren zu lassen!
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103043500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker (Frankfurt).

Dr. Karl Becker (CDU):
Rede ID: ID1103043600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Heute beginnen wir wieder einmal ein neues Kapitel in der mühevollen Geschichte der Künstlersozialversicherung, hoffentlich das vorletzte. Ich gebe Ihnen recht, Herr Lutz: Wir haben schon oft über diese Sache debattiert und sind leider nur sehr langsam vorangekommen.



Dr. Becker (Frankfurt)

Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom Frühjahr dieses Jahres über die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit hat jetzt den lange verbauten Weg für eine gut funktionierende Künstlersozialversicherung freigemacht. So kann nun eine gründliche Novellierung des Gesetzes vorbereitet werden, um hier eine dauerhafte Konsolidierung zugunsten der Künstler zu erreichen.
In erster Linie ist es jetzt jedoch notwendig, die hierfür erforderlichen Daten in den einzelnen Bereichen Wort, bildende Kunst, Musik und darstellende Kunst bald zu erhalten. Nachdem Karlsruhe gesprochen hat, werden jetzt auch von hier aus, aus diesem Hause die vielen säumigen Kunstvermarkter aufgefordert, endlich die für die Erfassung notwendigen Daten über die an Künstler und Publizisten gezahlten Gehälter abzugeben. Ein Grund für die bisherige ablehnende Haltung besteht seit dem 9. Juli dieses Jahres jedenfalls nicht mehr. Da aber nicht erwartet wird, daß alle Daten und Meldungen in den nächsten Monaten eingehen, müssen wir die zum Ende dieses Jahres auslaufende Regelung des einheitlichen Abgabesatzes von 5 % bis Ende 1988 verlängern. Andernfalls entstünden in einzelnen Bereichen erhebliche Verzerrungen. Daher ist jetzt ein Übergangsgesetz notwendig.
In dem neuen Gesetz sollen aber bereits einige Nachteile der bisherigen Regelung ausgeräumt werden. Einmal wird der gesetzliche Bundeszuschuß von bisher 17 % auf 25 % der Ausgaben der Künstlersozialkasse erhöht. Entgegen der ursprünglichen Annahme beträgt der Selbstvermarkteranteil nicht ein Drittel, sondern rund 50 %, daher die notwendige Erhöhung.
In vereinten Anstrengungen des Bundesarbeitsministeriums, der Künstlersozialkasse — nachdem wir auch mehrmals die Personalzahlen in Wilhelmshaven aufgestockt haben — und letztendlich dank der Mithilfe der Landesversicherungsanstalt OldenburgBremen ist es endlich gelungen, die vielen Rückstände aufzuarbeiten. Da wir aber befürchten, daß dies nur vorübergehend Luft schafft, begrüßen wir die Absicht, die Durchführung der Aufgaben der Künstlersozialkasse an einen bewährten Träger, eben die Landesversicherungsanstalt Oldenburg—Bremen zu übertragen.
Zugleich sollen in dem Übergangsgesetz bereits die beiden vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe als nicht verfassungskonform eingestuften Regelungen geändert werden. Einmal wird die Doppelbelastung von Vermarktern gestrichen, und die zuviel gezahlten Beiträge werden erstattet. Zum anderen werden die Unternehmer, die Eigenwerbung betreiben, der Abgabepflicht unterworfen, wenn sie wie professionelle Vermarkter handeln. Damit sollen Wettbewerbsverzerrungen gegenüber den Werbeagenturen abgebaut werden.
Da das Gesetz zum 1. Januar 1988 in Kraft treten soll, sagen wir für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine zügige Beratung zu und wünschen, daß das Gesetz dann bald weiter fortgesetzt wird über die neue Novellierung, die ich ebenso für erforderlich halte wie mein Vorredner, Kollege Lutz.
Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103043700
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Vollmer.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1103043800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch für uns besteht kein Zweifel: Es muß eine verbesserte Künstlersozialversicherung geben, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen, weil die bundesrepublikanische Gesellschaft als Gesamtmäzen die Künstler von ihren Werken nicht leben läßt. Der zweite Grund ist der, daß es einen Kunstmarkt gibt, der so genau und zugespitzt definiert, was Kunst ist und deswegen gekauft wird und was nicht Kunst ist, so daß sehr viele aus diesem Netz herausfallen.
Schauen wir uns aber den Gesetzentwurf näher an, stellen wir fest, wie spannungsreich das Zusammenschmieden der Teile künstlerische Produktion und soziale Gesetzgebung in diesem Entwurf noch ist. Wir haben deswegen also einige Anmerkungen zu machen.
Vorab möchte ich aber darauf hinweisen, daß selbst bei den teilweise berechtigten Einwänden von seiten der Vermarkter unser Engagement ganz eindeutig auf der Seite der Künstler ist. Deren Arbeits- und Lebensweise entziehen sich nämlich weitgehend dem bürokratischen Zugriff, weil Phantasie und Kreativität oft quer zu einer Versicherungsmentalität stehen. Deswegen bedarf also auch diese Gruppe unserer besonderen Förderung. Das können wir besonders an den vielen notleidenden alten Künstlern sehen, die es versäumt haben, sich für die Zukunft zu versichern, womit ich beim ersten Aspekt, dem sozialen, wäre.
Da ist die erste Anmerkung: Wenn laut Gesetz die Aufgaben der Künstlersozialkasse auf die Landesversicherungsanstalt Oldenburg—Bremen übertragen werden, so ist das erst einmal ein Gewinn in Anbetracht der bisherigen chaotischen Zustände bei der Künstlersozialkasse. Diese wird nunmehr ein Ableger der Rentenversicherung. Um so mehr muß aber die Alterssicherung der nach 1933 Geborenen — also der heute 54jährigen — und älteren Künstler gewährleistet sein. Hier, meinen wir, muß es eine Sonderregelung geben.
Zweitens. Für die Aufhebung der einheitlichen Abgabe von 5 % nach 1988 und für eine an deren Stelle tretende differenzierte Aufteilung nach Sparten fehlen die genaueren Angaben und Kriterien in dem jetzigen Entwurf, nach dem das Datenmaterial erstellt werden soll. Das fordern wir also deswegen ein.
Drittens. Da Künstler in der Mehrzahl für sich keine Vorsorge getroffen haben, was ja verschiedene Gründe hat, wäre von der Künstlersozialkasse bei Krankheit eine Übergangsregelung zu finden, damit nicht erst ab der siebten Woche, sondern schon ab der ersten Woche Krankengeld gezahlt wird. Wir meinen, daß es für Künstler unzumutbar ist, sieben Wochen darauf warten zu müssen, zumal sie sich sonst in der Regel schlecht abgesichert haben.
Viertens. Die vollständige Erfassung der Vermarkter und somit der Abgabepflichtigen scheint nach dem vorliegenden Entwurf problematisch. Wel-



Frau Dr. Vollmer
che Unternehmen fallen eigentlich darunter und welche nicht? Fallen gemischte Unternehmen, z. B. Kaufhäuser, auch mit darunter? Das ist uns unklar.
Fünftens. Die Künstlersozialkasse hat jedoch nicht nur die Pflicht, alle potentiellen Vermarkter aufzuspüren, sondern auch die Möglichkeit, mit einem Gesetz zur Künstlersozialversicherung einer Tendenz zur Künstlerwirtschaftskriminalität vorzubeugen. Diese besteht nämlich. Hier weist der vorliegende Entwurf Lücken auf, wenn z. B. ein Kunstgroßhändler eine Tochterfirma im Ausland eröffnet und über diese Kunstwerke abgabenfrei erwirbt, die er dann anschließend von der eigenen Firma zurückkaufen läßt.
Neben dem sozialen spielt aber auch noch ein Gesichtspunkt eine Rolle, der die Künstler speziell betrifft. Ein Gesetz allein genügt nicht; es müssen auch Mittel bereitgestellt werden, um die davon betroffenen Künstler sowohl zu erfassen, als sie auch über ihre Rechte aufzuklären. Es ist Ihnen ja bekannt, daß sie nicht regelmäßig Gesetzestexte wälzen. Von daher wäre da also eine besondere Werbemaßnahme notwendig, um sie überhaupt auf diese neuen Möglichkeiten hinzuweisen.
Nicht versichert werden selbständige Künstler, die als Unternehmer arbeiten. Welcher Künstler aber kann im Einzelfall diesen Unterschied genau verstehen, da unternehmerische Freiheit ohnehin ein Merkmal seiner allgemeinen Arbeitstätigkeit ist? Das wäre also auch noch zu klären.
Ebenso ist das Verhältnis von Selbstvermarktung und Bundeszuschuß für die betroffenen Künstler deutlich zu machen.
Alles in allem: Der vorliegende Gesetzentwurf liefert das Gerippe. Sorgen wir dafür, daß die Künstler auch Fleisch auf den Teller kriegen!

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD sowie der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP])


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103043900
Das Wort hat der Abgeordnete Heinrich.

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1103044000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist erfreulich, in dieser Sache so große Übereinstimmung feststellen zu dürfen. Als Redner für die FDP erlaube ich mir aber trotzdem, noch einige Dinge anzufügen, die nach unserer Meinung noch der Klärung bedürfen.
Mit dem Sozialversicherungsgesetz hat der Gesetzgeber 1981 sozialversicherungsrechtliches Neuland betreten. Wie immer in solchen Fällen ist letztendlich das Bundesverfassungsgericht von interessierter Seite angerufen worden. Es hat in diesem Sommer die Künstlersozialversicherung im wesentlichen bestätigt. Dies ist insofern positiv, als damit für alle Künstler und Vermarkter endlich Klarheit erreicht worden ist.
Natürlich schließt dies nicht aus, daß ein kompliziertes Gesetz auch in Zukunft Probleme aufwerfen wird. Probleme haben sich auch daraus ergeben, daß die Künstlersozialkasse zeitweilig mehr einem Chaos als einer ordentlichen Kassenführung nahe war. Es ist zu hoffen, daß dieser für alle unbefriedigende Zustand nunmehr bald seinem Ende zugehen wird. Damit zeigt sich zugleich, daß die frühere Entscheidung, die Künstlersozialkasse so zu gestalten, letztendlich falsch war. Eine Anbindung an einen erfahrenen Rentenversicherungsträger wäre schon damals der geeignete Schritt gewesen. Dies wird mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf nachgeholt. Wir begrüßen das ausdrücklich.
Wir halten es auch für notwendig, daß der Bundeszuschuß entsprechend dem höheren Anteil der Selbstvermarktung von Künstlern und Publizisten angepaßt wird.
Bei unserer Zustimmung zum Künstlersozialversicherungsgesetz damals war entscheidend, daß die Künstlersozialabgabe jeweils nach Sparten getrennt berechnet wird. Diese Differenzierung ist unserer Ansicht nach unerläßlich. Wir sind aber der Meinung, daß man, da in Wilhelmshaven nicht alles so funktioniert hat, wie es sein sollte, es noch vertreten kann, noch einmal einen einheitlichen Abgabesatz für ein Jahr festzulegen. Wir erwarten aber, daß dann ab 1989 endlich die ursprüngliche gesetzgeberische Intention differenzierter Künstlersozialabgaben realisiert wird. Aus diesen politischen Verantwortungen können wir den Bundesarbeitsminister nicht entlassen.
Wir sind uns sicher alle darin einig, daß der Gesetzentwurf möglichst zügig beraten und verabschiedet werden sollte, damit er am 1. Januar 1988 in Kraft treten kann. Meine Vorredner haben darauf schon hingewiesen. Dies bedingt unserer Auffassung nach aber auch, daß dann, wenn sich Probleme zeigen und diese im Rahmen der parlamentarischen Beratungen nicht zufriedenstellend gelöst werden können, sie aus dem Gesetzentwurf herausgenommen werden müssen.
Problematisch erscheinen mir insbesondere folgende Punkte. Es ist richtig, daß das Bundesverfassungsgericht mahnend auf die unterschiedliche Behandlung von Werbeagenturen und Werbeabteilungen der Unternehmen hingewiesen hat. Es hat den jetzigen Zustand aber als noch nicht verfassungswidrig bezeichnet. Zugleich hat das Gericht aber darauf hingewiesen, daß sich bei dieser Frage schwierige Abgrenzungsprobleme stellen können. Hier erwarten wir entweder weitere Klärung im Gesetzgebungsverfahren oder Streichung dieser Regelung; denn dieses Problem kann ohne Schwierigkeiten auch in dem uns im nächsten Jahr wieder vorliegenden Gesetzentwurf zur Künstlersozialversicherung geregelt werden.
Soweit das Bundesverfassungsgericht die Doppelbelastung von Vermarktern hinsichtlich der Künstlersozialabgabe und des Zuschusses zur befreienden Lebensversicherung als verfassungswidrig bezeichnet hat, besteht in der Tat Handlungsbedarf. Allerdings muß man sich fragen, ob der vom BMA vorgeschlagene Weg tatsächlich ordnungspolitisch sinnvoll ist; denn diejenigen Künstler und Publizisten, die durch den Abschluß einer Lebensversicherung zum Ausdruck gebracht haben, daß sie nicht zur Solidargemeinschaft der Rentenversicherung gehören wollen, werden de facto zwangsweise wieder in die Rentenversicherung getrieben.

(Duve [SPD]: Was heißt denn „getrieben"?)




Heinrich
Ist dies wirklich richtig? Darüber hinaus müssen sie bei vorzeitiger Beendigung des Lebensversicherungsvertrages, wie es ihnen diese Vorschrift letztlich auferlegt, in der Regel mit wirtschaftlichen Nachteilen für sich und ihre Familie rechnen.

(Abg. Lutz [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Ich habe leider keine Zeit. Ich möchte mit meiner Rede zum Schluß kommen.
Aus diesem Grund erscheint es uns erwägenswert, noch einmal darüber nachzudenken, ob der vom Bundesverfassungsgericht beanstandete Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nicht auch dadurch behoben werden kann,

(Duve [SPD]: Wittern Sie man nicht Morgenluft!)

daß die Vorschrift über einen Beitragszuschuß — hören Sie gut zu! —

(Duve [SPD]: Am späten Abend wittern Sie Morgenluft!)

der Künstlersozialkasse zur privaten Krankenversicherung der Künstler und Publizisten auf befreiende Lebensversicherung ausgedehnt werden kann.

(Lutz [SPD]: Das ist der Punkt!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103044100
Herr Kollege, nun müssen Sie aber zum Schluß kommen.

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1103044200
Einen Satz noch, Herr Präsident. —Damit würde dem Befreiten künftig ein Anspruch auf einen Beitragszuschuß zu seiner Lebensversicherung gegenüber der Künstlersozialkasse eingeräumt.

(Lutz [SPD]: Victoria-Versicherung läßt grüßen!)

Da es sich ohnehin nur um einen kleinen Personenkreis handelt, sehe ich darin keine nennenswerte zusätzliche finanzielle Belastung der Künstlersozialkasse. Ich bin zuversichtlich, daß wir im Zuge . . .

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103044300
Nein, nein, lieber Kollege, auch ich kann zählen. Das war der dritte Satz, den Sie jetzt anfangen. Sie haben schon anderthalb Minuten überzogen. Ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1103044400
... zukünftiger Verhandlungen auch dieses Problem lösen können.
Ich danke Ihnen schön.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103044500
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs an die in der Tagesordnung ausgedruckten Ausschüsse vor. Zusätzlich soll die Vorlage auch zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Zusatztagesordnungspunkt 7 auf:
Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zu den Menschenrechtsverletzungen in Tibet
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 Buchstabe c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zum genannten Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kelly.

Petra Karin Kelly (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1103044600
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedauere es sehr, daß es nicht möglich war, heute abend einen gemeinsamen, interfraktionellen Antrag zu Tibet einzubringen. Es scheiterte leider an mir unverständlichen Formalien.
Wir haben diese Aktuelle Stunde in großer Sorge um das Schicksal der Tibeter beantragt — zu einem Zeitpunkt, in dem die schwersten Unruhen in Tibet seit 28 Jahren stattfinden, und heute abend hat sic' die Lage zugespitzt.
Es hat sehr, sehr lange gedauert, bis sich der Deutsche Bundestag mit der Frage der Menschenrechtsverletzungen in Tibet befaßt hat; ich meine, zu lange. Auf eine mündliche Anfrage meiner Fraktion vor einem Jahr bezüglich der Kleinen Anfrage zu Tibet antwortete die Bundesregierung: Sie betrifft ein Thema, das seit 1949 noch nie im Deutschen Bundestag behandelt wurde und dessen Bearbeitung ungewöhnlich schwierig war.
Warum ungewöhnlich schwierig? Sind wir denn nicht alle immer davon ausgegangen, daß Menschenrechte unteilbar sind, daß sich ganz besonders die Bundesrepublik verpflichten müßte, sich für die sozialen und wirtschaftlichen und individuellen Menschenrechte überall auf der Welt einzusetzen, ohne Rücksicht auf ökonomische oder andere sogenannte Sachzwänge?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist gerade im Fall Tibet besonders enttäuschend, wie sich bis jetzt die Bundesregierung dazu verhalten hat, wie sich alle Bundesregierungen dazu verhalten haben. Elie Wiesel erklärte: „Das Gegenteil von der Liebe ist nicht Haß, sondern Gleichgültigkeit." Viele, nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in ganz Europa, haben die gravierenden Menschenrechtsprobleme in Tibet vernachlässigt und haben mit Gleichgültigkeit darauf reagiert. Seit nunmehr drei Jahrzehnten sind die Menschenrechte und die Grundfreiheiten von Millionen Tibetern Opfer des offiziellen Schweigens, Opfer einer Politik, die den oh so guten wirtschaftlichen Beziehungen mit der Volksrepublik China Vorrang vor den Menschenrechtsfragen einräumt.
Ich muß dem Auswärtigen Amt und der Bundesregierung den Vorwurf machen, daß beide einer klaren und mutigen Stellungnahme zu den ständigen schweren Menschenrechtsverletzungen in Tibet, trotz einer gewissen Lockerung in der chinesischen Politik, systematisch ausgewichen sind. Die Bundesregierung und der Bundeskanzler können nicht länger das Leid dieser Menschen, das ihnen schon so lange widerfahren ist, mit Rücksicht auf China bewußt verharmlosen und die Ausrottung der letzten antiken Hochkultur dieser Erde bewußt und berechnend in Kauf nehmen.



Frau Kelly
Ständig zu wiederholen, daß die Zugehörigkeit Tibets zum chinesischen Staatsverband seit langem nicht mehr in Frage gestellt wird, ist keine Antwort, Herr Schäfer. Sogar der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages erklärt:
Die Bundesregierung hat das Problem der Eingliederung Tibets weder selbst untersucht, noch kann sie sich auf völkerrechtliche Studien zum Status Tibets stützen. Ihre Haltung geht von einer Prämisse aus.
Auch die offizielle Reise von Bundeskanzler Kohl in das militärisch besetzte und vergewaltigte Land in diesem Sommer ist keine Antwort. Herr Kohl nahm diese Reise leider nicht zum Anlaß, um öffentlich wirksam seine moralische Solidarität für die leidgeprüften Tibeter zum Ausdruck zu bringen.
Die Bundesregierung meinte: Öffentliche Verurteilungen sind ungeeignet. Doch heute — und das wäre beinahe passiert — wäre ein Zeitpunkt gewesen, in dem alle Fraktionen des Deutschen Bundestages beschlossen hätten, nicht länger zu schweigen. Der neue fraktions- und parteiübergreifende Konsens in dieser Frage Tibet ist für mich eine positive Erfahrung und ein Zeichen eines neuen, ehrlichen Ansatzes von Menschenrechtspolitik im Deutschen Bundestag. Deswegen mein Dank an Frau Hamm-Brücher, an Frau Geiger und an Herrn Duve. Ich hoffe, es wird uns gelingen, in der nächsten Woche diesen Antrag gemeinsam einzubringen.
Ganz kurz noch einiges zu den Folgen der chinesischen Besetzung: Über 1,2 Millionen Tibeter sind als direkte Folge der chinesischen Besetzung umgekommen. Über 6 000 Klöster und Tempel sind geplündert und zum Teil vernichtet worden. Tibet, einst friedenssichernder Puffer zwischen Indien und China, ist heute ein gewaltiger militärischer Stützpunkt geworden, wo ein Viertel von Chinas nuklearem Arsenal stationiert ist. Auch wird Tibet nun Chinas Atommüll-lager. Die Sinisierungspolitik wird gnadenlos fortgesetzt, mit 6 Millionen Tibeter: gegenüber 7,5 Millionen Chinesen. Tibets Bodenschätze werden ausgebeutet, und das ökologische Gleichgewicht ist gravierend gestört.
Gestern, am 37. Jahrestag der Besetzung Tibets durch China, hat der Dalai-Lama noch einmen bekräftigt, daß er eine friedliche und gewaltfreie Lösung anstrebt. Sein Friedensplan beinhaltet: Beendigung der Siedlungspolitik, Achtung der fundamentalen Menschenrechte, Abzug der chinesischen Truppen und Ende der ökologischen Zerstörung; alles als vertrauensbildende Maßnahmen, um Verhandlungen mit China über den zukünftigen Status Tibets führen zu können.
Der US-Senat hat gestern einstimmig die Menschenrechtsverletzungen in Tibet verurteilt und ein Treffen zwischen Herrn Reagan und dem Dalai-Lama vorgeschlagen. So könnte ich auch hier vorschlagen, daß Herr Kohl sich auf den Weg macht und sich mit dem Dalai-Lama trifft. Dies könnte ein Weg sein, Tibet nicht noch einmal dem Vergessen anheimzugeben. Es liegt an uns, Tibet nicht mehr zu vergessen.
Mich erreichte heute ein Telegramm — soviel ich weiß, auch Frau Hamm-Brücher und Herrn Geißler — vom Dalai-Lama. Darin heißt es:
China muß versuchen, die Tibet-Frage grundlegend zu lösen. Weitere Unterdrückung wird die Situation nur verschlimmern. Gewalt, von welcher Seite auch immer, kann kein Problem lösen.
Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103044700
Das Wort hat der Abgeordnete Repnik.

Hans-Peter Repnik (CDU):
Rede ID: ID1103044800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion teilt wie alle Fraktionen in diesem Hohen Hause die große Sorge über die Entwicklung in Tibet, über die Verletzung von Menschenrechten, wie wir überhaupt die Verletzung von Menschenrechten überall in der Welt anprangern. Menschenrechte sind für uns auch insoweit nicht teilbar.
Frau Kollegin Kelly, Sie haben beklagt, daß wir heute abend hier keinen Antrag einbringen. Sie wissen, daß es nicht möglich ist, im Rahmen einer Aktuellen Stunde einen Antrag einzubringen. Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion hat sich nicht grundsätzlich geweigert, einem Antrag zuzustimmen. Wir werden einen solchen Antrag mit der gebotenen Sorgfalt fraktionsintern beraten. Wir hatten heute nachmittag keine Gelegenheit dazu; wir werden das in der nächsten Woche tun. Wir verweigern uns dieser Beratung nicht, aber wir halten gerade in diesem sensiblen Bereich nichts von einem Hauruckverfahren.
Lassen Sie mich aber auch meine große Sorge zum Ausdruck bringen, daß wir — nicht in dieser Rede soeben, aber in den letzten Tagen — dabei sind, das Thema Menschenrechte in Tibet in einen parteipolitischen Schlagabtausch degenerieren zu lassen. Wir sollten gerade mit diesem Thema sehr vorsichtig umgehen. Wir würden sonst dem Thema Menschenrechte allgemein, aber gerade auch im Hinblick auf die Situation in Tibet, nicht gerecht.
Was ich in den letzten Tagen gehört habe und was auch in Ihrer Rede soeben anklang, Frau Kollegin Kelly, nämlich daß die Reise des deutschen Bundeskanzlers in Zweifel gezogen wird, grenzt, wie ich meine, an Heuchelei.

(Zuruf von der SPD)

— Ich sage dies, Herr Kollege Duve, aus folgendem Grunde in dieser Deutlichkeit: Es gibt hier Leute, die lauthals bei allen Gelegenheiten von Politikern jeglicher Provenienz fordern, daß sie nach Südafrika reisen, daß sie nach Chile reisen, daß sie nach Südkorea reisen, um dort vor Ort die Menschenrechtsverletzungen anzuprangern, womit wir ja durchaus einverstanden sind.

(Zuruf von den GRÜNEN: Hat das der Bundeskanzler getan? — Duve [SPD]: Können wir denn jetzt mal über Tibet sprechen?)




Repnik
Wenn solche Mitglieder dieses Hohen Hauses — einschließlich der Frau Kollegin Vollmer — ebenfalls erst vor wenigen Wochen nach Tibet gefahren sind, um sich dort zu informieren,

(Zuruf von den GRÜNEN: Das war Frau Kelly!)

dann kann und darf dies auch gerade unserem Bundeskanzler nicht verwehrt sein. Diese Reise des Bundeskanzlers ist gerade keine Stellungnahme zur rechtlichen Situation. Sie hat allerdings mit dazu beigetragen — davon sind wir fest überzeugt — , den Blick auf die außerordentlich schwierige Situation in dieser Region zu richten. Sie wissen doch, Frau Kollegin Kelly, daß gerade in diesem sensiblen asiatischen Bereich stilles Wirken wirkungsvoller ist als großes Geschrei.
Auch wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beklagen das unendliche Leid, das dem tibetanischen Volk in den letzten Jahrzehnten und insbesondere während der chinesischen Kulturrevolution zugefügt wurde. Wir verkennen aber auch nicht — dies sollte der Fairneß halber gesagt werden — , daß die chinesische Regierung in den letzten Jahren Anstrengungen unternommen hat, durch humanitäre, soziale, kulturelle und pädagogische Mittel der besonderen Situation Tibets zumindest besser Rechnung zu tragen. Die Gründung einer Vielzahl neuer Schulen sowie die Wiederzulassung der tibetanischen Sprache in diesen Schulen, die Wiedereinrichtung von zerstörten Tempelanlagen und Klöstern, die Religionsfreiheit, die wieder stärker zum Tragen kommt — all dies erfüllt zwar nicht die Forderungen des Dalai-Lama; das wissen wir sehr wohl. Aber wir meinen, daß dies eine Richtung weist, die es zu unterstützen gilt. Deshalb appellieren wir auch heute an die chinesische Regierung, den Weg der Öffnung und der Liberalisierung in vielen Bereichen, den sie in den vergangenen Jahren eingeschlagen hat, auch und gerade dem tibetanischen Volk verstärkt zukommen zu lassen.
Wir sind besorgt über Meldungen, die wir heute den Nachrichten entnommen haben, daß ausländische Journalisten, die über diesen Aufstand berichtet haben, ausgewiesen werden. Wir meinen, gerade in solch einer schwierigen, sensiblen Zeit ist es notwendig, daß die Weltöffentlichkeit informiert wird. Sie hat einen Anspruch darauf.
Wir appellieren an die chinesische Regierung, diese Entscheidung rückgängig zu machen, um damit auch nach außen demonstrativ zu zeigen, daß sie es ernst meint mit der Stärkung der Menschenrechte in diesem Land.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103044900
Das Wort hat der Abgeordnete Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1103045000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir alle vergeben uns nichts, wenn wir Frau Kelly auch einmal danken, daß sie dieses Thema hier in die Bundestagsdiskussion gebracht hat. Das hat kein anderer getan. Ich denke, es ist richtig, das einmal zu erwähnen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Petra Kelly, diese Anträge sind unterwegs. Als interfraktioneller Antrag wird das nächste Woche möglich sein. Von unserer Fraktion her kann ich das jedenfalls erklären. Ich denke, das war hier eben auch sehr deutlich. Vielleicht ist es dann noch mehr als die rasche Umwandlung einer Aktuellen Stunde in einen anderen Charakter, nur damit der Antrag heute abend verabschiedet wird. Da habe ich gar keine Furcht.
Ich will ganz kurz zu zwei Dingen etwas sagen. Die große französische Regisseurin Ariane Mnouchkine hat vor einiger Zeit in einem kleinen Büchlein über einen seit 15 Jahren inhaftierten chinesischen Schriftsteller gesagt: Es wäre doch fatal, wenn die vielbeschworene Öffnung Chinas nichts anderes bedeuten würde als eine Öffnung für Profit und Konsum.
Ich denke, wir alle haben zu bekennen, daß wir China doch sehr einseitig betrachtet haben. Wir haben in all den Jahren nicht davon gesprochen, daß es von Anfang an Zwangslager ungeheuren Ausmaßes gegeben hat. Wir haben nicht davon gesprochen, was es für das sozialistische China bedeutet, daß immer noch Todesurteile öffentlich vollstreckt werden. Wir haben wenig davon gesprochen, daß Autoren inhaftiert werden, wenn sie ein kritisches Wort sagten.
Da hat sich manches gebessert. Aber es gibt immer noch Menschen in Zwangslagern, und es gibt auch Verschwundene in China. Vielleicht ist das ein guter Anlaß, einmal insgesamt darüber nachzudenken.
Zu Tibet habe ich im Auswärtigen Ausschuß bereits gesagt: Wir wissen eigentlich gar nicht, ob eine solche Kultur, die viele von uns in unserer Jugend sehr beschäftigt hat — dieses „Dach der Welt" ist für viele von uns sicher ein Traum gewesen, ich kann es jedenfalls für mich sagen; die Flucht des Dalai-Lama hat mich als Schüler sehr beschäftigt — , in der von uns gelebten Welt überhaupt eine Chance hat, ob nicht die Bedrohung dieser Kultur durch unsere Welt genauso groß ist wie die Bedrohung durch die chinesische Besetzung.
Ich glaube, darüber, daß das eine Besetzung ist und daß das im Sinne des Selbstbestimmungsrechts wirklich eine Okkupation ist, gibt es keinen Zweifel.
Kulturelle Autonomie ist ja nur dann eine sinnvolle Forderung — ich unterstütze sie vollständig — , wenn man merkt, daß das tibetische Volk dies wirklich als lebendige Kultur empfindet. Diesen Eindruck habe ich. Ich habe den Eindruck, daß die Tibeter an ihrer Kultur wirklich festhalten, daß sie eben keine Öffnung nach Profit und Konsum wollen.
Ich vergleiche das immer gern mit der Situation von Ladakh. In Ladakh haben wir eine ähnliche Situation: ein wunderbares Volk, ganz reich an Kultur und ganz arm an materiellen Werten. Es wehrt sich gegen den Tourismus. Es ist sehr schwer, sich dagegen zu wehren, wenn eine Zentralregierung für ein Volk ökonomisch etwas ganz anderes definiert. Das Großartige und Interessante an Tibet ist eben, daß sein Reichtum nicht über das Bruttosozialprodukt definiert werden kann. Aber wer es denn wirklich schützen wird, wenn nicht die Tibeter selber, weiß ich nicht.
Insofern trage ich einen solchen Antrag, in der Hoffnung und in der Zuversicht, daß die Tibeter es vielleicht schaffen können, wenn wir die Chinesen dazu



Duve
bewegen können, ihren Druck aufzugeben, die Militarisierung der Zone zu beenden. Vor wem haben sie dort denn Angst? Niemand will dorthin. Den Indern das zu unterstellen, ist absurd.
Dann können die Tibeter es wahrscheinlich eher schaffen, das zu bleiben, was sie sind, unter dem Abschirmungsriegel einer chinesischen Herrschaft als unter der Offenheit einer westlichen Investitions- und Tourismuswelle. Ich befürchte, daß ich da recht habe.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103045100
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1103045200
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine gute Sache, daß wir auch nach der Diskussion heute morgen uns hier alle darüber einig sind, daß der Deutsche Bundestag zur Lage des unterdrückten und seiner kulturellen und religiösen Autonomie beraubten Tibet nicht länger schweigen kann. Für mich entbehrt es tatsächlich nicht einer gewissen Tragik, daß es immer erst zu schrecklichem Blutvergießen kommen muß, bevor die Weltöffentlichkeit auf die Lage unterdrückter Minderheiten aufmerksam wird. Es müßte wirklich immer früher geschehen und nicht erst dann, wenn die Lage eigentlich beinahe hoffnungslos ist; und so sieht es im Augenblick nach den Abendnachrichten aus. Da bin ich ganz der Meinung von Frau Kelly, daß die Bemühungen, schon früher einmal auf diese Lage aufmerksam zu machen, eigentlich immer im Sande verlaufen sind und man nicht rechtzeitig seinen Einfluß ausgeübt hat.
Zur Sache selber möchte ich auch davor warnen — und ich meine, daß dem tibetischen Volke damit ganz sicher nicht geholfen werden kann — , hier die Frage des völkerrechtlichen Status aufzuwerfen und zu erörtern. Nach heutigen Pressemeldungen hat ja der Dalai-Lama selber erklärt, daß auch ein autonomes Tibet eii Teil Chinas bleiben kann. So jedenfalls Überschrift in der „Süddeutschen Zeitung".
Es ist sicher nicht angebracht, die Situation im Lande zu verharmlosen oder gar herunterzuspielen. Wir haben ja im Auswärtigen Ausschuß sehr eindrucksvoll von Herrn Kollegen Abelein gehört, daß er durch seine persönliche Erfahrung der Meinung ist, daß materielle Hilfen und zweifellos vorhandene Verbesserungen des immer noch ungeheuer niedrigen Lebensstandards eigentlich den Bedürfnissen der Tibeter nicht so sehr entsprechen wie die Anerkennung ihrer Tradition und ihrer Kultur. Er selber hat Zweifel, ob der Weg, der dort eingeschlagen wurde, der richtige ist.
Ich meine also, es muß unser Ziel als Deutscher Bundestag sein — ähnlich übrigens wie der Kongreß, der ja wirklich eine sehr wichtige Funktion ausgeübt hat — , einen Beitrag zur Befriedung und zur friedlichen Entwicklung auf dem Dach der Welt zu leisten.
Für die FDP möchte ich hierzu fünf ganz konkrete Punkte nennen.
Der erste Punkt. Wir müssen auf die Regierung der Volksrepublik China einzuwirken versuchen, damit die Voraussetzungen für eine Rückkehr des DalaiLama als Oberhaupt des tibetischen Buddhismus unter ehrenvollen Bedingungen möglich wird.

(Duve [SPD]: Lhasa! Nicht nach Peking!)

— Ja, das meinte ich mit Voraussetzung: ehrenvolle Rückkehr.
Ich habe bei meinen zwei persönlichen Begegnungen mit dem Dalai-Lama den bleibenden Eindruck gewonnen, daß an seinen tiefgläubigen Friedensbemühungen kein Zweifel aufkommen darf. Er ruft jeden Tag seine tibetischen Gläubigen zu friedlichen Demonstrationen auf.
Die Forderung nach Freilassung aller politischen Gefangenen ist unsere zweite Forderung.
Die dritte: Wir müssen die Forderung des tibetischen Volkes nach kultureller Selbstbestimmung und zumindest partieller politischer Autonomie unterstützen. Dazu müßte ein Dialog zwischen der chinesischen Regierung und dem Dalai-Lama eröffnet werden. Gerade weil wir so gute Beziehungen zu China haben, könnten wir Vermittler zugunsten eines solchen Dialogs sein.
Der vierte Punkt, die Überfremdung der tibetischen Bevölkerung: 2 000 000 Tibeter und etwa 300 000 chinesische Soldaten, Han-Chinesen — eine völlig andere Kultur, eine völlig andere Denkweise. Das muß rückgängig gemacht werden.
Fünftens. Was wir unmittelbar tun können, um den Tibetern wirtschaftlich und kulturell zu helfen, vor allem durch Stipendien, was wir eventuell auch für die tibetischen Flüchtlinge in aller Welt tun können, das müssen wir im Ausschuß ganz konkret und ausführlich beraten.
Auch zu so später Stunde sollte es uns gelingen, die deutsche Öffentlichkeit auf die Menschenrechtslage in Tibet aufmerksam zu machen. Ich glaube, unsere Beiträge werden helfen, die notwendige Aufmerksamkeit zu wecken.
Vielen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103045300
Das Wort hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr Schäfer (Mainz).

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1103045400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung bedauert die Zusammenstöße in Lhasa und den Verlust von Menschenleben. Da diese Ereignisse das auslösende Element für diese Aktuelle Stunde waren, möchte ich einige kurze Bemerkungen zu den Demonstrationen machen.
Die Demonstrationen verweisen einerseits auf Härten und Beeinträchtigungen in Tibet, die offensichtlich von vielen Tibetern tief und schmerzlich empfunden werden. Sie lassen andererseits aber auch erkennen, daß die Demonstranten annahmen, daß in Tibet inzwischen ein politisches Klima herrscht oder zu-



Staatsminister Schäfer
mindest eine hinreichende Öffentlichkeit gewährt ist, um überhaupt Demonstrationen Wirkung zu geben.
Wir haben bis zur Stunde keinen stichhaltigen Hinweis dafür, daß eine Verschärfung äußeren Drucks oder eine Verschlechterung der menschenrechtlichen Situation zu diesen Zwischenfällen in Lhasa geführt haben. Es dürfte vielmehr das Zusammentreffen eines Einzelanlasses — in diesem Fall anscheinend die öffentliche Hinrichtung von zwei Tibetern, die von den chinesischen Behörden als Kriminelle, von tibetischer Seite als politische Täter bezeichnet wurden — mit einer offensichtlich verbreiteten Unzufriedenheit mit den Verhältnissen in Tibet gewesen sein, das in Lhasa zu den Zusammenstößen vom 27. September, 1. Oktober und 6. Oktober führte. Dazu kam, daß die erhebliche negative Publizität, die die chinesischen Medien den kürzlichen politischen Aktivitäten des DalaiLama in den USA widmeten, zu einer Solidarisierung im Namen dieses in Tibet hochverehrten Namens geradezu herausforderte.
Um es zu wiederholen. Wir sind uns bewußt, daß es in der autonomen Region für viele Tibeter Anlaß gibt, ihre zu wenig respektierten religiösen Rechte oder Rechte als Minderheiten einzufordern. Es gibt jedoch keinen Grund zur Annahme, die menschenrechtliche Situation in Tibet hätte sich in der letzten Zeit vor den Demonstrationen zugespitzt bzw. verschärft.
Meine Damen und Herren, es ist hier mehrfach die Frage des völkerrechtlichen Status von Tibet angesprochen worden, von Frau Kelly gestern im Ausschuß und auch von anderen. Ich muß und darf an dieser Stelle wiederholen, was die Bundesregierung bei früheren Anlässen bereits mehrfach festgestellt hat: Wir gehen mit der gesamten Staatengemeinschaft vielleicht nicht mit Mitarbeitern des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, aber mit der gesamten Staatengemeinschaft — davon aus, daß Tibet Teil des chinesischen Staatsverbandes ist. Wir sind uns bewußt, daß insbesondere in der Zeit der Kulturrevolution in Tibet schreckliche Übergriffe erfolgt sind, die mehr als in allen anderen Teilen Chinas zu Verwüstungen von religiösen Stätten und zu einer schweren Beeinträchtigung der kulturellen und religiösen Freiheiten der Tibeter geführt haben. Herr Kollege Abelein hat uns das gestern im Ausschuß sehr nachhaltig erläutert.
Andererseits müssen wir aber auch zur Kenntnis nehmen, daß in China und damit auch in Tibet seit 1979 erkennbare Veränderungen vor sich gegangen sind, daß nach einer Phase des Zusammenbruchs zentraler staatlicher Autorität während der Kulturrevolution, die von massiven Menschenrechtsverletzungen begleitet war, große Anstrengungen zum Auf- und Ausbau eines Rechtssystems und damit der Absicherung der Menschenrechte unternommen worden sind. Inzwischen gibt es ein Strafgesetzbuch, eine Strafprozeßordnung und eine Zivilprozeßordnung.
Dieser sehr positive Trend zur Verrechtlichung hält bis heute an. Menschenrechtlich besonders bedeutsam war die Verabschiedung der Gesetze über die allgemeinenen Regeln des Zivilrechts und eines Gesetzes über die Bestrafung von Ordnungswidrigkeiten. Die Einführung eines systematischen Verwaltungsrechts, das dem Bürger größere Rechtssicherheit gegenüber dem Staat bieten soll, wird bereits diskutiert. Daß die Volksrepublik China Ende 1986 die Folterkonvention unterzeichnet hat und nach eigener Aussage beabsichtigt, die beiden Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen zu unterzeichnen, ist ebenfalls positiv zu beurteilen.
Wir können auch nicht außer Betracht lassen, daß speziell in Tibet die Volksrepublik China seit 1980 besondere Anstrengungen unternommen hat, sowohl die wirtschaftlichen wie auch die kulturellen und sozialen Rechte der Tibeter und ihre besonderen Bedürfnisse zu verbessern. Ich darf einige Punkte nennen: durch Ausbildungsmaßnahmen für Tibeter, Vermehrung der Schulen, Gründung der Universität Lhasa — trotzdem sind immer noch 70 bis 80 % der Bevölkerung Analphabeten — , durch Vermehrung der Stellen für tibetische Kader in der Verwaltung, durch die Förderung der tibetischen Sprache in Schule und Verwaltung, durch größere Toleranz gegenüber der Religionsausübung und die Wiederzulassung traditioneller Feste, z. B. die Einrichtung eines Instituts für lamaistischen Buddhismus, durch den Wiederaufbau von Tempeln und Klöstern, die durch Chinesen in der Kulturrevolution zerstört wurden, durch die Entlassung der Bauern in die Selbständigkeit — Selbstverantwortungssystem — , durch Steuerbefreiung der Bauern, durch große Investitionen zur Wirtschaftsförderung und für den Ausbau der Infrastruktur, durch Rücksichtnahme auf lokale Sitten und Gebräuche, was das Heiratsalter und die Zulassung der Polygamie betrifft, und durch die Besuchserlaubnis für tibetische Emigranten.
Es besteht damit der Eindruck, daß sich infolge der Reformpolitik der chinesischen Regierung auch die Lebensverhältnisse der tibetischen Bevölkerung in politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht deutlich verbessert haben. Ich darf den Dalai-Lama aus seiner letzten Pressemeldung zitieren, die mir heute abend von AFP zugegangen ist:
Die Chinesen hätten jedoch, so der Dalai Lama, damit begonnen, Respekt für die tibetische Kultur und Sprache zu zeigen, und räumten den Tibetern mehr religiöse Freiheiten als früher ein.
Auch das muß man sehen. Wir können aber nicht außer acht lassen, daß in Tibet nach wie vor gravierende Probleme bestehen. Darin sind wir einig, Frau Kelly.
Es sind dies Probleme, die sich zum großen Teil aus der Besonderheit der tibetischen Bevölkerung ergeben. Darauf hat der Kollege Duve hingewiesen. Vor allem ist es ihre tiefe Religiosität, die im klaren Gegensatz zu der von der Volksrepublik China offiziell propagierten sozialistisch-materialistischen Gesellschaftsform steht. Herr Duve, Sie haben völlig recht, wenn Sie hier auch einen möglichen Gegensatz zu westlichen materialistischen Auffassungen herausgestellt haben.
Es gibt aber auch tiefsitzende nationale Animositäten zwischen Tibetern und Chinesen, die zu überwinden bisher nicht gelungen ist. Hier stellt sich die ernsthafte Frage an die chinesische Regierung, ob dies entschieden genug versucht worden ist.



Staatsminister Schäfer
Zur Einschätzung der jüngsten Demonstrationen muß gesagt werden, daß sie zwei gegensätzliche Wirkungen auslösen können. Sie können — negativ — zu vermehrtem Druck und Repression der Behörden zur Verhinderung weiterer Zwischenfälle oder — positiv — zu einer verstärkten Fortsetzung der Anstrengungen zur Verbesserung der Lage in Tibet führen, um die Anlässe. für die Zwischenfälle auszuräumen.
Die chinesische Regierung hat sich in sehr eindeutigen Erklärungen der letzten Tage für eine Aufrechterhaltung der Reform- und Öffnungspolitik ausgesprochen. Deshalb würde die Bundesregierung es nachhaltig begrüßen, wenn die chinesische Regierung in Zukunft berücksichtigen würde, daß die Tibeter für die Entfaltung ihrer religiös geprägten kulturellen Eigenständigkeit größerer Freiräume bedürfen, als ihnen bisher zugestanden wurden.
Zu diesem Zweck könnte sie das Gesetz über die Regionale Autonomie aus dem Jahre 1984 besser ausschöpfen und gegebenenfalls auch erweitern, um den besonderen Bedürfnissen der Tibeter zu entsprechen. Es wäre gut, wenn die Volksrepublik China den Tibetern den Grad der Entfaltung gewährte, der zumindest einen Teil von ihnen die Zugehörigkeit zum chinesischen Staatsverband nicht mehr als Einschränkung oder als Last empfinden ließe.
Die Bundesregierung glaubt, daß die Volksrepublik China innerlich gefestigt und souverän genug ist, um eine solche Entwicklung zu ermöglichen und dabei auch Anregungen so anerkannter tibetischer Persönlichkeiten wie des Dalai-Lama zu berücksichtigen bzw. ihnen sogar einen angemessenen Platz in diesem Prozeß zu gewähren. Frau Dr. Hamm-Brücher hat vorhin einige genannt.
Wenn die Ereignisse in Lhasa der Anstoß für eine solche Entwicklung gewesen sein sollten, böten sie auch Anlaß zur Hoffnung. Die Bundesregierung wird aber die weitere Entwicklung in Tibet gemeinsam mit Ihnen, den Fraktionen des Deutschen Bundestags, und mit ihren westlichen Partnern sorgsam verfolgen und ihre politisch guten Beziehungen zur Volksrepublik China nutzen, um zu einer friedlichen und gerechten Entwicklung in Tibet beizutragen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103045500
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Eid.

Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1103045600
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil wir ein großes Interesse an guten Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China haben, weil wir dafür sind, daß sich diese Beziehungen vertiefen, weil wir mit Bedauern sehen, daß die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen gegenüber dem tibetischen Volk wie auch gegenüber den verschiedenen Nationalitäten Chinas einen schwarzen Schatten auf diese Beziehungen werfen.
Die augenblicklichen Proteste in Tibet, der jahrzehntelang unterdrückte Wunsch nach Achtung der grundlegenden politischen, kulturellen und sozialen Menschenrechte, wie er in diesen Tagen in Tibet zum
Ausdruck kommt, bedürfen unserer vollen Unterstützung. Wir appellieren an die Regierung der Volksrepublik China, die gegenwärtigen gewaltlosen Proteste in Tibet nicht dazu zu nutzen, unangemessen und gewaltsam zurückzuschlagen.
Die Volksrepublik China sollte ihre Siedlungspolitik in Tibet beenden, dem tibetischen Volk die politischen Freiheiten gewähren und seine Menschenrechte achten.
Lassen Sie mich aber einen Grundgedanken verdeutlichen, der mir sehr wichtig ist: Unser Eintreten für die Menschenrechte kann und darf nicht von der eigenen Geschichte, von der eigenen Mitverantwortung für Menschenrechtsverletzungen absehen. Die deutsch-chinesische Geschichte ist nicht frei von schweren Belastungen. Es waren deutsche Truppen, die den Boxeraufstand zu Beginn dieses Jahrhunderts in China blutig niedergeschlagen haben. Es war der deutsche Kaiser Wilhelm II., der als „Hüter über Recht und Unrecht in der Welt" dem Expeditionskorps befahl — Zitat — : „Ihr sollt schweres Unrecht sühnen. ... Kommt ihr vor den Feind, so wird er geschlagen. Pardon wird nicht gegeben, Gefangene nicht gemacht. " Und unter Berufung auf den Hunnenkönig Etzel rief er die Soldaten auf, so zu kämpfen, „daß niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen" .
Es waren faschistische Generalstabsoffiziere aus Deutschland, die Chiang Kai Checks GuomindangTruppen als Militärberater im Kampf gegen das chinesische Volk gedient haben.
Ich meine — das sollten alle Parteien in der heutigen Debatte bedenken — , wir sind gewiß nicht die erste Autorität, den Chinesen eine Lektion in Sachen Menschenrechte zu erteilen. Trotzdem gilt es, die Forderungen nach Achtung der Menschenrechte in Tibet voll zu unterstützen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103045700
Das Wort hat der Abgeordnete Höffkes.

Peter Wilhelm Höffkes (CSU):
Rede ID: ID1103045800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Es ist klar, daß weltweit Erniedrigung, Unterdrückung, Folter und auch politische Verfolgung stattfinden. Das scheint auch in Tibet der Fall zu sein, wie wir Presse- und Rundfunkveröffentlichungen insbesondere der letzten Tage und Wochen entnehmen können. Für uns ist es selbstverständlich, daß wir auch für die Durchsetzung der Menschenrechte der Tibeter eintreten.
Ich meine aber, daß uns letzteres nicht von der Überlegung darüber befreit, wie sich die Gesamtsituation der Tibeter in der autonomen Region Tibet in der Volksrepublik China darstellt. In der Geschichte war Tibet zeitweise selbständig, zeitweise stand es unter chinesischer Oberhoheit. Die Periode der Selbständigkeit endete aber bereits 1727; denn von da ab bis 1911 herrschten die chinesischen Kaiser der Mandschu-Dynastie, sowohl über China als auch über Tibet.
Zwar hat Tibet 1911 seine Unabhängigkeit von China erklärt; das wurde aber niemals anerkannt.



Höffkes
Nach der Gründung der Volksrepublik China im Oktober 1949 hat die Regierung im Oktober 1950 mit Einheiten der sogenannten Volksbefreiungsarmee Tibet besetzt, um — wie es damals hieß — die nationale Verteidigung an Chinas Westgrenze zu sichern. Tibets Appell damals an die Vereinten Nationen, die Chinesen als Aggressor zu verurteilen, fand kein Gehör.
Am 23. Mai 1951 wurde ein Abkommen über Maßnahmen zur friedlichen Befreiung Tibets, das sogenannte 17-Punkte-Abkommen, abgeschlossen und vom Dalai-Lama im August 1951 auch anerkannt. Seitdem befinden sich chinesische Truppen in Lhasa, und Militärkommandos besetzten ganz Tibet. Bezeichnend für die Situation war, daß im Herbst 1954 der Dalai-Lama und der Pantschen-Lama als Abgeordnete Tibets am ersten Nationalen Volkskongreß in Peking teilnahmen und im April 1956 das Komitee des autonomen Gebietes Tibet gebildet wurde, mit dem Dalai-Lama und dem Pantschen-Lama als Vorsitzende. Soziale Reformen hat das Komitee in einer sechsjährigen Moratoriumszeit bis 1962 verschoben.
Festzustellen ist, daß seit 1957 immer wieder die Rede von Unruhen in verschiedenen Teilen Tibets ist, 1958 kam es zu Aufständen, 1959 war ein Aufruhr in Lhasa. Einzelheiten haben meine Vorredner soeben schon dargelegt. Es folgte die Flucht des Dalai-Lama nach Indien. Die Lage in Tibet änderte sich damals dann radikal. Die lokale Regierung wurde aufgelöst, das Komitee übernahm sämtliche Regierungsfunktionen, und der Pantschen-Lama wurde für die Zeit der Abwesenheit des Dalai-Lama zum Vorsitzenden gewählt. 1964 wurde dann der Dalai-Lama formell abgesetzt und auch als Verräter gebrandmarkt. Gleiches geschah ein Jahr später mit dem Pantschen-Lama.
Seit 1965 ist Tibet eine autonome Region innerhalb der Volksrepublik China mit Sonderrechten in den Bereichen Wirtschaftsplanung, Bevölkerungspolitik, und Eigentumsverhältnissen. Nach unserer Kenntnis wird auf lokale Sitten Rücksicht genommen: Die Religion des Lamaismus darf ausgeübt werden, die tibetische Sprache wird unterrichtet. Politisch ist Tibet in die Volksrepublik China integriert. Seit 1980 hat die Volksrepublik China erhebliche Anstrengungen unternommen, um die wirtschaftliche Lage und die kulturellen und sozialen Rechte der Tibeter zu berücksichtigen, durch Ausbildungsmaßnahmen für Tibeter, Gründung der Universität Lhasa, Förderung der tibetischen Sprache in Schule und Verwaltung, Tolerierung der Religionsausübung, traditionelle Feste und Einrichtung eines Instituts für lamaistischen Buddhismus, Wiederaufbau von Tempeln und Klöstern und nicht zuletzt Einführung eines Selbstverantwortungssystems in der Landwirtschaft und Investitionen zur Wirtschaftsförderung und für den Ausbau der Infrastruktur.
Vom Gesamteindruck her hat die Volksrepublik China bedeutende Entwicklungen für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der tibetischen Bevölkerung eingeleitet. Darauf, daß nicht alle Probleme gelöst sind, weisen die Demonstrationen der letzten Zeit hin. Von hier aus ist es schlecht zu beurteilen, ob es sich um politische oder religiös motivierte Demonstrationen handelt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103045900
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.

Peter Wilhelm Höffkes (CSU):
Rede ID: ID1103046000
Ich bin beim Schlußsatz.
Die Bundesrepublik sollte sich in Peking dafür einsetzen, daß die Menschenrechte für die Tibeter in vollem Umfang gewahrt werden.
Ich danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103046100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bindig.

Rudolf Bindig (SPD):
Rede ID: ID1103046200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir uns heute mittag hier bereits einmal über Menschenrechtsfragen unterhielten, gab es eine Tendenz der Redner einiger Fraktionen, das Thema immer weiter auf abstrakte Höhen zu führen.

(Duve [SPD]: Richtig!)

Es wurde von der globalen, von der universalen, von der internationalen Geltung der Menschenrechte gesprochen. Sosehr das richtig ist, so wichtig ist es doch, aus diesen Grundsatzdiskussionen herauszukommen und diese grundsätzlichen Überlegungen auf konkrete Fälle anzuwenden.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP])

Hier in bezug auf Tibet haben wir dazu Gelegenheit. Deshalb ist diese Debatte für das Weiterbringen der Willensbildung in Menschenrechtsfragen im Parlament sicherlich sehr wichtig.
Tibet hat viel erduldet und hat viel erleiden müssen: Die Besetzung 1950/51 betraf 6 Millionen Menschen, im Resttibet leben jetzt etwa noch 2 Millionen Menschen. Mit großem Eifer machten sich die Agitatoren Pekings daran, gegen Religion und gegen Aristokratie vorzugehen. Die Spannungen, die daraus entstanden, entluden sich in dem Konflikt der nationalistischen Tibeter. Der Dalai-Lama floh nach Indien, und 100 000 Tibeter flohen ebenfalls über die Himalaya-Pässe nach Indien und Nepal. Für die Bevölkerung brach eine schwere Leidenszeit an. Durch die Folgen der gewaltsamen Sozialisierung der Landwirtschaft kam es zu einer Hungersnot. In Arbeitslagern und Gefängnissen starben nach Angaben tibetanischer Flüchtlinge mehr als 1,2 Millionen Menschen.
Eine besonders schwierige Phase gab es durch die fanatische Wüterei gegen die tibetanischen Religionsgüter während der Kulturrevolution. Hunderttausende Tibeter mußten in Umerziehungslagern tiefe Demütigungen erdulden. Die Rotgardisten zertrümmerten wertvolles religiöses Gerät und wertvolles Kulturgut bei den Baudenkmälern.
Mit Recht befürchten tibetanische Sprecher folgenden Prozeß: Da gab es ein großes Unrecht, und sie befürchten, daß dieses Unrecht allmählich zu Gewohnheitsunrecht wird, das Gewohnheitsunrecht zu Gewohnheitsrecht und daß das Gewohnheitsrecht dann als Recht angesehen werden könnte. Was damals Unrecht gewesen ist, was zu gräßlichen Menschenrechtsverletzungen geführt hat, müssen wir



Bindig
auch heute noch so nennen; es kann jetzt nicht Recht geworden sein.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Als man den Bundeskanzler im Zusammenhang mit seinem Tibet-Besuch darauf angesprochen hat, wie er denn zu der Menschenrechtsproblematik stehe, sagte er: Wissen Sie, wenn Sie die Frage nach den Menschenrechten stellen, gibt es nur wenige Länder auf dieser Erde, die man bereisen kann, ohne auf dieses Thema und dieses Problem zu stoßen. — Das zeigt, daß er die besondere Situation Tibets, die besonders schweren Menschenrechtsverletzungen, die wahrscheinlich 1,2 Millionen Toten, die es in diesem Lande gegeben hat, doch nicht so begriffen hat. Deshalb bedauern wir, wie leichtfertig er darüber hinweggegangen ist.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ein tibetanischer Sprecher hat auch bedauert — ich teile seine Ansicht — , daß es in der internationalen Politik eine Tendenz gibt, die Aufmerksamkeit und das Interesse fast ausschließlich nur gewalttätigen Unruhen und Aufständen zu schenken, und daß dieses auf geradezu tragische Weise unterdrückte Menschengruppen zu Methoden der Gewalt ermutige. Nun ist es aber die Vorgehensweise der tibetanischen Buddhisten, daß sie gewaltlosen Widerstand praktizieren wollen. Das ist ein Grund, warum dieses Problem nicht so sehr in der Aufmerksamkeit des Bundestages und der Weltöffentlichkeit gestanden hat.
Wir können nur hoffen, daß die chinesische Regierung jetzt auf die Ereignisse in einer Weise reagiert, die sich von der Reaktion unterscheidet, die es 1959 gegeben hat, als die Tibetaner damals ihren Protest vorbrachten. Die Weltöffentlichkeit muß mahnend auf die chinesische Regierung Einfluß nehmen, daß sie den jetzigen Ereignissen mit Toleranz begegnet und in Zukunft die Menschenrechte, die kulturellen und sozialen Rechte der Tibetaner beachtet.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103046300
Das Wort hat der Staatsminister im Bundeskanzleramt, Herr Stavenhagen.

Dr. Lutz G. Stavenhagen (CDU):
Rede ID: ID1103046400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut, daß wir heute abend über Tibet und die Situation dort diskutieren. Es ist abwegig, dabei den Versuch zu machen, die Bundesregierung auf die menschenrechtspolitische Anklagebank zu setzen.
Die Bundesregierung tritt für Freiheit und Menschenrechte auf der ganzen Welt und gegen Unterdrückung ein. Das gilt auch für die Menschenrechte und die Bürgerrechte in Tibet.
Ich wäre vorsichtig bei der Beurteilung der historischen Frage. Ich glaube, sie wird kontrovers bleiben. Dies ist etwas, was Historiker untersuchen können. Unstrittig ist andererseits auch — und zwar in der gesamten Staatengemeinschaft einschließlich des Nachbarlandes Indien, und davon geht auch die Bundesregierung aus — , daß Tibet Teil des chinesischen Staatsverbandes ist.
Meine Kolleginnen und Kollegen, ich wäre etwas vorsichtig bei der Einschätzung dessen, was sich dort abspielt und was die Ziele und die Motive sind. Ich glaube nicht, daß es sehr weit führt, wenn wir die Situation dort mit unseren Maßstäben beurteilen wollen. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den lesenswerten Artikel in der heutigen Ausgabe der „Welt" von Erwin Wickert.
Wir sind — wie alle, glaube ich — besorgt über die Entwicklung, und wir bedauern den Verlust an Menschenleben. Wir sehen auch die Gefahr, daß die chinesische Politik der Öffnung, die ja nicht in Zweifel gezogen werden kann, wieder in Frage gestellt wird. Es ist ja nicht verborgen geblieben, daß diese Politik innerhalb der chinesischen Führung nicht unumstritten ist. Es wäre sehr bedauerlich, wenn es hier nun ein Zurückdrehen einer Entwicklung gäbe, die sich ja ohne jeden Zweifel auch in der autonomen Region Tibet positiv niedergeschlagen hat. Das kann man ja nicht leugnen.
Dort ist nach zweifellos geschehenem Unrecht investiert worden. Dort sind die ersten überhaupt befahrbaren Straßen gebaut worden. Dort sind Brücken gebaut worden, es sind viele Schulen errichtet worden, die Universität von Lhasa ist eingerichtet worden. Es ist glücklicherweise auch — wir können uns hier nur auf chinesischen Angaben beziehen — eine erhebliche Zahl von tibetischen Klöstern und Tempeln restauriert und wiedergeöffnet worden. Der Wiederaufbau von weiteren Klöstern und Tempeln ist geplant.
Wenn Sie kritisieren, daß der Bundeskanzler dort war, dann kann ich das nun überhaupt nicht nachvollziehen, meine Damen und Herren.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Ich muß mich außerordentlich wundern, daß Sie wollen, daß man an der autonomen Region Tibet vorbeigeht, daß man sie als weißen Fleck auf der Landkarte stehen läßt. Es ist doch notwendig, sich vor Ort zu informieren und sich dort unmittelbar ein Bild zu machen.
Es ist natürlich auch völlig abwegig zu behaupten, der Bundeskanzler habe irgend etwas verharmlost oder er habe sich über die Situation dort hinweggesetzt. Das Gegenteil ist richtig.

(Häfner [GRÜNE]: Die Wahrheit ist: Er hat nichts gesagt! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

— Ich sage Ihnen das gleich. — Der Bundeskanzler hat gerade der chinesischen Regierung gegenüber mit großem Nachdruck, eindringlich darauf hingewiesen, die chinesische Regierung möge sich verstärkt für die Erhaltung und Förderung dieser Kultur und die Eigenständigkeit ihrer Träger einsetzen.

(Zuruf des Abg. Duve [SPD])

— Wissen Sie, Herr Kollege Duve, wenn man in Bonn auf der Straße eine Demonstration veranstaltet, dann mag das für die hiesigen Medien attraktiv sein, ob es dort unten irgend etwas bewegt, müssen Sie selber beurteilen. Sie müssen wirkungsvoll und nicht for



Staatsminister Dr. Stavenhagen
show tätig werden. Daran sollten Sie sich einmal gewöhnen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Duve [SPD]: Das war selbst unter Ihrem Niveau! Das müssen Sie zugeben!)

Meine Damen und Herren, ein zweites. Der Bundeskanzler hat sich dort als erster um die wirtschaftliche Entwicklung dieser Region bemüht und Ansatzpunkte für eine wirtschaftliche und entwicklungspolitische Zusammenarbeit entwickelt. Wir haben z. B. vorgesehen, die Tibeter im Stipendienprogramm der Bundesregierung zu berücksichtigen und die wirtschaftliche Basis dieser Region zu stärken. Wir werden dort einen Beitrag für die Entwicklung dieses Raumes leisten. Es ist völlig abwegig zu sagen, man müsse dort Hilfe untersagen, zurückziehen. Das Gegenteil ist richtig. Wir überprüfen derzeit die Möglichkeit, dort eine Lederfabrik einzurichten sowie den Tibete, bei der Verarbeitung von Wolle zu helfen. Wir wollen ihnen wirtschaftlich helfen. Wir sind im Dialog mit der chinesischen Regierung, damit diese Hilfe auch in diese Region dort geht.
Ich glaube, damit tun wir mehr als manche, die hier wohlfeile Erklärungen abgeben, wir legen nämlich den Grundstein für eine fruchtbare und dauerhafte Zusammenarbeit, gerade weil diese Region mit ihrer Kultur, ihrer Tradition und ihrer Religion von so besonderer Bedeutung ist und bei vielen Wissenschaftlern, gerade deutschen Wissenschaftlern, immer wieder besonderes Interesse gefunden hat.
Das ist die Politik der Bundesregierung. Dem Bundeskanzler kommt das Verdienst zu, daß er sich selber überzeugt hat und sich nicht vom Hörensagen hat beeinflussen lassen, wie das leider bei vielen, die heute gesprochen haben, der Fall ist.
Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103046500
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hoffmann (Soltau).

Ingeborg Hoffmann (CDU):
Rede ID: ID1103046600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die blutigen Zusammenstöße in Lhasa vom 27. September und vom 1. und 6. Oktober waren offensichtlich eine Reaktion auf das menschenrechtsverachtende Verhalten der chinesischen Regierung.
Kurz zuvor waren zwei Tibeter öffentlich hingerichtet worden. Für die eine Seite waren sie Kriminelle, für die andere aber Kämpfer für die Unabhängigkeit. Betrachtet man die Ausschreitungen am 1. Oktober als Ganzes, so muß man feststellen, daß die Hinrichtungen lediglich die letzten Tropfen waren, die dieses Faß im Himalaya zum Überlaufen gebracht haben.
Die Hoffnungen des tibetischen Volkes nach der chinesischen Kulturrevolution waren nur teilweise erfüllt worden. Die chinesische Regierung hat zwar versucht, ihre Übergriffe nach 1949, vor allen Dingen nach dem Einmarsch in den Jahren 1951 uns später und die schrecklichen Greueltaten, die sie während der chinesischen Kulturrevolution begangen hat, wiedergutzumachen. Damals in der Kulturrevolution wurden 6 000 Klöster zerstört, mit ihnen viele Kulturschätze der 1 300 Jahre alten Kultur Tibets. Das unersetzliche künstlerische und literarische Erbe Tibets wurde teilweise gestohlen und außer Landes gebracht. Viele Mönche, die diese Schätze und das Erbe Tibets bewachten, fanden in dieser Zeit ihren Tod. Fazit: Nach der Kulturrevolution waren nur noch 13 Klöster und Tempel erhalten, unter ihnen allerdings Teile der bedeutendsten Denkmäler dieses Landes.
Danach erkannte die chinesische Führung zwar ihre schweren Fehler, und es zeigt sich seit einigen Jahren eine Besserung der Lage in Tibet. Trotz dieser Liberalisierungschritte in Tibet wird dort aber tagtäglich deutlich, daß die chinesische Regierung versucht, ihre Sprach- und Kulturwerte dem tibetischen Volke aufzuzwängen. Doch Schrift und Sprache, Kultur und Religion, ja das ganze politische und wirtschaftliche Leben Tibets unterscheiden sich unverkennbar von denjenigen Chinas. Beide Lebensformen sind unvereinbar.
Wahre Autonomie ist erst erreicht, wenn die gesamte politische, kulturelle, wirtschaftliche, religiöse und soziale Situtation der Tibeter von Grund auf verbessert wird. Hier sind noch viele Schritte zu tun. Die Welt erwartet auch die Rückkehr der ungefähr 120 000 Exiltibeter, vor allem natürlich die des Dalai-Lama nach Tibet, genauer nach Lhasa und nicht nach Peking.
Solange Tibet nicht die vollständige Autonomie erlangt hat, solange Menschen für ihre Freiheit kämpfen und die selbstverständlichen Menschenrechte nicht eingehalten werden, solange es dort politische Gefangene gibt, bleibt es unsere parlamentarische Pflicht, China auf diese Mißstände aufmerksam zu machen.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103046700
Das Wort hat der Abgeordnete Schütz.

Dietmar Schütz (SPD):
Rede ID: ID1103046800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde und auch die Unruhen und Demonstrationen vor dem und zum Jahrestag der Besetzung Tibets durch chinesische Truppen machen es zwar reizvoll, aber wenig sinnvoll — ich stimme da meinen Vorrednern zu — , die völkerrechtliche Statusfrage Tibets hier zu erörtern. Es ist in der Tat so, daß es ernstzunehmende Stimmen, die ein Herausgehen Tibets aus dem chinesischen Staatsverband fordern, nicht gibt. Die uns jüngst vorgelegte Untersuchung, ob Tibet völkerrechtlich wirksam in den chinesischen Staatsverband eingegliedert ist, ist sicherlich völkerrechtlich interessant, aber nicht relevant. Der Dalai-Lama hat heute ja auch — ich finde das gut — gesagt, daß Tibet ein Teil Chinas bleiben könne, und hat auch damit Lösungen, meine ich, eher ermöglicht.
Viel mehr Sinn macht es, daß Maß an Selbstbestimmung und Autonomie in Tibet im Zusammenhang mit der heute aufgeworfenen Frage nach der Gewährleistung von Menschenrechten zu diskutieren. Tibet hat erfreulicherweise seit einigen Jahren den Status einer autonomen Region in China. Ob dieser Autonomieanspruch aber der Wirklichkeit entspricht und ob daraus



Schütz
Rechte abgeleitet werden können, bleibt mehr als fraglich. Das Gegenteil ist eher der Fall.
Es ist bekannt, daß im Verwaltungsapparat unter einem tibetanischen Gouverneur die Entscheidungsstellen mit Chinesen besetzt sind, daß die Polizei und erst recht das Militär ausschließlich chinesisch dominiert sind. In dieser Situation kann man natürlich nicht von Selbstverwaltung und Selbstbestimmung und auch nicht von Autonomie sprechen.
Entgegen der Einschätzung der Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage von Frau Kelly, wonach von einer systematischen Ansiedlung von Chinesen in Tibet nicht gesprochen werden könne, wendet sich der US-Kongreß gerade in seiner jüngsten Resolution gegen eine vorhandene Sinisierung Chinas auf dem Dach der Welt. Die tatsächlich vorhandene und fortgesetzte Sinisieurng wird das Konfliktpotential zwischen Tibetern und Chinesen steigern und die Autonomiebestrebungen illusorischer werden lassen.
Wir wissen zudem, insbesondere aus den Veröffentlichungen von amnesty international, daß die Mehrzahl der Verhaftungen in den achtziger Jahren aus zwei Gründen erfolgte. Vorrangig wurden diejenigen verhaftet, die die Rückkehr des Dalai-Lama oder die Unabhängigkeit Tibets forderten. Das waren also Forderungen, die im Grunde alle in eine Forderung nach Selbstbestimmung und nach Autonomie entweder auf religiösem oder politischem Gebiet münden. Diese Forderung ohne Furcht vor Haftlager, oder gar Folter erheben zu können — das ist unsere Forderung —, muß in Tibet selbstverständlich sein. Wir sind dazu aufgefordert, dies uneingeschränkt zu unterstützen und auch durch unsere Vertreter vor Ort ohne Wenn und Aber zum Ausdruck zu bringen und nicht zu schweigen.
Lassen Sie mich auch an dieser Stelle noch einmal den Besuch des Bundeskanzlers bewerten. Er wurde, glaube ich, in der Öffentlichkeit so gesehen, daß der Bundeskanzler zwei Sachen gesagt hat. Er hat gesagt, sein Besuch in Tibet sei völkerrechtlich nicht relevant; da stimme ich zu. Er hat auch noch gesagt — mein Kollege Bindig hat vorhin darauf hingewiesen — , daß man zu Menschenrechtsfragen in vier Fünftel der Länder Stellung nehmen muß. Er hat aber nicht — das ist doch der entscheidende Vorwurf — zu den Menschenrechtsverletzungen in Tibet Stellung genommen; er hat geschwiegen. Das ist das, was wir jedesmal sagen müssen.
Herr Stavenhagen, ich habe die Presseartikel aufmerksam durchgelesen. Es ist zumindest kein Hinweis auf eine Stellungnahme zu Menschenrechtsverletzungen zu uns herübergekommen. Er hat geschwiegen. Das ist das, was wir vorzuwerfen haben; das ist das eigentliche Ärgernis.

(Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Fragt mal euren Fraktionsvorsitzenden, was er bei seinen Ostblockreisen macht!)

— Er redet.

(Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Ja, aber was für einen Stuß!)

Der Bundeskanzler war eben nicht gefordert, zum Völkerrecht Stellung zu nehmen; der Bundeskanzler war gefordert, zu Menschenrechten und zur Selbstbestimmung Stellung zu nehmen; das ist es.

(Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Das ist doppelbödige Moral!)

Meine Damen und Herren, den Fraktionen ist über die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses ein Forderungskatalog des europäischen Vertreters des Dalai-Lama, Herrn Gyantseu zugegangen. Nachdem die maßvolle Haltung des Dalai-Lama zur Statusfrage — das habe ich gerade gesagt — bekannt ist, muß es der Bundesregierung jetzt möglich sein, diese Forderungen aufzugreifen. Sie sollte insbesondere die Bemühungen des Dalai-Lama unterstützen, mit der chinesischen Seite Verhandlungen zu führen, um eine friedliche und gerechte Lösung der Tibetfrage zu erreichen und um das Selbstbestimmungsrecht des tibetischen Volkes aktiv zu fordern.
Die weiteren Forderungen in diesem Schreiben, nämlich der massiven Einwanderung von Chinesen Einhalt zu gebieten und die starke Militärpräsenz in Tibet abzubauen, könnte die Bundesregierung in direkter Übereinstimmung mit den jüngsten Resolutionen des US-Kongresses und vielleicht auch mit dem amerikansichen Präsidenten erheben. Wir wären da in einer Linie und sollten dies tun.
Ich wäre dankbar, wenn die Bestrebungen, die Herr Duve und, ich glaube, auch Frau Hamm-Brücher auf den Weg bringen wollen, die Zustimmung des ganzen Hauses bekommen würden.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103046900
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Abelein.

Dr. Manfred Abelein (CDU):
Rede ID: ID1103047000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gar keine Frage, daß Tibet die deutsche Öffentlichkeit sehr stark bewegt. Dafür hat Tibet in unserer Literatur, auch in unserer Jugendliteratur eine viel zu große Rolle gespielt. Ich war als junger Mensch von Tibet fasziniert. Anderen ging es genauso. Deswegen ist es nur zu verständlich, daß es uns brennend interessiert, was in diesem Lande vor sich geht.
Ich möchte auf die rechtlichen Fragen im einzelnen nun nicht eingehen; sie sind nicht unerheblich. Die Verhältnisse und Beziehungen zwischen China und Tibet waren im Laufe der letzten Jahrhunderte äußerst kompliziert. Sie waren durch eine Abhängigkeit geprägt, die einmal größer war, bis zur völligen Abhängigkeit reichte, und je nach den politischen Entwicklungen im Partnerstaat unter Umständen völlig zurückgedrängt wurde. Das ist zweifellos ein Hintergrund für die Beurteilung der gegenwärtigen Vorgänge.
Der Einmarsch der Chinesen in Tibet hat dem tibetischen Volk zweifellos großes Leid zugefügt. Es war dann hauptsächlich die Kulturrevolution, die zu grauenhaften Ausschreitungen und Zerstörungen führte, im übrigen in ganz China, aber besonders stark in Tibet. Von dieser Welt der Klöster und der eigenarti-



Dr. Abelein
gen religiösen Kultur ist nach der Kulturrevolution nicht mehr viel übrig geblieben. Ich konnte das selbst in Tibet einige Male miterleben. Man kann sich vorstellen, wie es in einem Tibeter aussieht, wenn er erleben muß, wie seine Heiligtümer, Kulturdenkmäler zerstört wurden. Ich denke beispielsweise an das bedeutende Kloster Ganden mit dem Grab und Monument eines der Kirchenväter des Lamaismus, das in der Theologie und Geschichte so eine Rolle wie vielleicht Montecassino spielt.
Tibet und China, das bedeutet natürlich einen Zusammenprall zweier grundverschiedener Welten. Auf der einen Seite die religiöse transzendente Welt der Tibeter, die auch für uns außergewöhnlich schwer verständlich ist, und auf der anderen Seite die Welt dieser Chinesen, aufgeklärter Sozialisten. Aber ich muß aus meiner eigenen Erfahrung berichten. Ich kann die gegenwärtigen Vorgänge im einzelnen nicht beurteilen, weil eben auch ich auf die Nachrichten angewiesen bin. Ich konnte jedenfalls 1980 beobachten, wie die Tibeter die Möglichkeit hatten, ziemlich unbehelligt, jedenfalls nicht sichtbar behelligt, ihre Religion auszuüben. Für einen aufgeklärten Mitteleuropäer ist das eine erschütternde Erfahrung. Zweifellos mußte dieser Zusammenprall zu schweren Konflikten und auch Menschenrechtsverletzungen führen. Die Chinesen waren sich dessen in Gesprächen, die man mit ihnen führte, auch bewußt. Es zeigt sich dann auch, daß sich die Chinesen in den folgenden Jahren schon bemüht haben, einen Teil dieser von ihnen jahrelang praktizierten Politik wieder rückgängig zu machen. Ein Teil der Klöster, allerdings der geringere Teil, wurde wieder aufgebaut. Es läßt sich auch nicht übersehen, daß die Chinesen einen beachtlichen Beitrag, für ihre Verhältnisse enorme Investitionen, für die Entwicklung Tibets geleistet haben. Aber das ist vorhin bereits angeklungen. Das ist natürlich eine Entwicklung, das sind Investitionen aus der Vorstellungswelt der Chinesen heraus. Wie die Tibeter, die in einer ganz anderen Geistes- und Vorstellungswelt leben, das beurteilen, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Ich sehe, die Zeit ist schon um. Das Thema ist eigentlich viel zu umfangreich, als daß man es nur in einigen Sätzen abhandeln könnte.

(Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Richtig!)

Ich möchte abschließend noch sagen: Die Tibeter sind ein von den Chinesen völlig unterschiedliches und eigenartiges Volk mit einer ganz anderen, eigenen Sprache, eigenen Kultur und eigenen Religion. Wir erwarten, daß die Chinesen diese Eigenart achten. Ich habe den Eindruck, daß sich die Chinesen dieser Zusammenhänge und dieser Notwendigkeit zunehmend auch bewußt werden. Ich meine dazu: Auch wenn man mit den Chinesen gute Beziehungen unterhalten will — was wir möchten — , muß es möglich sein, unter Freunden über ein solches Thema zu sprechen und darauf aufmerksam zu machen.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und Abgeordneten der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103047100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hitschler.

Dr. Walter Hitschler (FDP):
Rede ID: ID1103047200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die historischen Reminiszenzen an die Mandschu-Dynastie und Wilhelm II. in allen Ehren, sie rühren jedoch nur unsere Erinnerung. Es ist keine wesentliche Frage, ob Tibet Teil des chinesischen Staatsverbandes ist oder nicht. Es sollte in dieser Diskussion auch nicht darum gehen, den Bundeskanzler seiner Tibetreise wegen anzugreifen. Dazu besteht meines Erachtens kein Anlaß. Es sollte aber auch nicht denjenigen, die das Zustandekommen dieser Diskussion hier bewirkt haben, vorgeworfen werden, sie agierten des Show-Effektes wegen.

(Duve [SPD]: Sehr richtig!)

Schlicht und einfach geht es in dieser aufgewühlten Situation meines Erachtens darum, daß der Deutsche Bundestag seine Solidarität mit dem tibetischen Volk bekundet, daß wir deutlich machen, daß wir die kulturelle Identität und Einheit des tibetischen Volkes gewahrt wissen wollen, weil die Tibeter in eigener Selbstbestimmung darüber befinden sollten. Gerade wir als Deutsche sollten dafür eine gewisse Sensibilität aufbringen. Deshalb ist die Bundesregierung meines Erachtens aufgefordert, ihren ganzen Einfluß geltend zu machen, daß diese Ziele der Wirklichkeit nähergebracht werden. Ich bin Herrn Staatsminister Schäfer sehr dankbar dafür, daß er dies in seinem Beitrag angedeutet hat. — Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103047300
Das Wort hat der Abgeordnete Bernrath.

Hans Gottfried Bernrath (SPD):
Rede ID: ID1103047400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bemühen uns hier ganz offensichtlich um eine gemeinsame Beurteilung der Entwicklung in Tibet und um gemeinsame Folgerungen aus dieser Entwicklung; ein Bemühen, das dann aber auch getragen sein muß von der Bereitschaft, die gemeinsame Mitverantwortung zu erkennen.
In diesem Zusammenhang drängt sich auf, was das Tibet-Büro in Zürich nicht nur uns, sondern auch anderen schon vor Monaten vorgeworfen hat, nämlich die unselige Tendenz internationaler Politik, ihre Aufmerksamkeit und ihr Interesse fast immer zu spät und dann aufgeschreckt Unruhen und Aufständen zu schenken, statt frühzeitig das eigene Gewicht für eine ruhige, friedliche Durchsetzung politischer Ziele, hier also des Ziels der Selbstbestimmung und der Wahrung der Menschenrechte, einzusetzen.

(Beifall bei der SPD)

Das macht nachdenklich, und das macht besonders nachdenklich, wenn wir die hier schon oft zitierten Reaktionen des Dalai-Lama in diesen Tagen bedenken, der sehr vorsichtig, aber nicht ohne Präzision seine Forderungen auch an uns anmeldet, der seine Landsleute auffordert, keine Gewalt anzuwenden, der aber auch die chinesische Regierung auffordert, über die Erfüllung der verschiedenen Forderungen, die er geäußert hat, Angst in Tibet abzubauen. Ich sehe auch Chancen dafür, mit diesen Forderungen einen Schritt weiterzukommen. Es bestehen Chancen, Tibet die Autonomie zu vermitteln, ohne Tibet — zumindest



Bernrath
nicht im ersten Schritt — aus dem chinesischen Staatsverband zu entlassen.
Die völkerrechtliche These hilft ganz offensichtlich nicht weiter. Das hat im übrigen auch die Studie des Bundestages ergeben, die von einer De-facto-Ausübung der Hoheitsrechte, wie wir sie auch in anderen Bereichen der Erde kennen, durch China spricht. Der Dalai-Lama nimmt diese These ja auch für sich in Anspruch und richtet vor diesem Hintergrund seine Forderungen nach einem Abbau der Übermilitarisierung an China. Auch dafür bestehen international Chancen, auch in der Rivalität zwischen den beiden Nachbarn Indien und China. Ich erinnere daran, daß die von China nie anerkannte McMahon-Linie aus dem Jahre 1914 faktisch seit Jahren von beiden respektiert wird. Wir haben damit Chancen, dort friedliche Entwicklungen zu begünstigen.
Ich sehe aber auch Ungereimtheiten, Unehrlichkeiten und ein offensichtliches Ausweichen auf der chinesischen Seite, indem sie beispielsweise auf die Forderung nach Religionsfreiheit immer wieder mit der Feststellung reagiert, der Dalai-Lama könne zurückkehren. Aber er kann eben nicht nach Lhasa zurückkommen, sondern er soll nach Peking, in rein repräsentative Funktionen, gebracht werden. Man will das, was wir unter Erhaltung dieser — wie Sie eben sagten — antiken Religion verstehen, musealisieren. Man will es konservieren, aber nach eigenen Maßstäben und nicht nach denen der Menschen, die dieser Religion angehören. Wir müssen darauf hinweisen, daß sich China für die Religionsfreiheit, für die Erhaltung der Minderheit — in Tibet wie in anderen Bereichen — entscheiden muß. Auch dafür gibt es Chancen. Ich nehme nur ein einfaches Beispiel: Das Gebot der Ein-Kind-Ehe in den Städten und der Zwei-Kinder-Ehe auf dem Lande gilt nicht für die Minderheiten. Man will also offensichtlich Minderheiten erhalten und fördern. Aber das kann man andererseits nicht, wenn man sie überbevölkert, in diesem Falle mit Han-Chinesen, und damit ihre Entwicklung und Bewegungsfreiheit einschränkt.
Daher ist es notwendig, daß wir wie der Dalai-Lama immer wieder alle Seiten zu Verhandlungen und Gesprächen auffordern. Solche Gespräche hat es gegeben; sie dürfen jetzt nicht abgebrochen werden.
Wir sollten dabei uns und anderen klarmachen, daß wir auf der einen Seite die Anziehungskraft und den Einfluß der tibetanischen Religion nicht unterschätzen dürfen, daß wir nicht träumen sollten, sondern realpolitisch Chancen für die Freiheit und für die Wiedergewinnung der Autonomie des tibetischen Volkes schaffen sollten. Wir sollten auf beide Seiten dahingehend einwirken, daß sie möglichst bald über die Unruhen hinwegkommen und daß die Selbstbestimmung der Tibeter, ihre Autonomie, gesichert werden kann.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103047500
Das Wort hat der Abgeordnete Pohlmeier.

Dr. Heinrich Pohlmeier (CDU):
Rede ID: ID1103047600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Thema ist kein Thema zum Streiten, und ich denke, wir haben uns auch nicht gestritten. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, uns eint die Sympathie für dieses Land, uns eint das Interesse und bei manchen auch die Faszination, die Tibet seit vielen Jahren auf uns Deutsche ausübt. Uns eint aber, glaube ich, auch die Verantwortung, die wir weiterhin tragen wollen und die wir wahrnehmen können, weil wir, die Bundesrepublik Deutschland und diese Bundesregierung, ein gutes Verhältnis zu Peking entwickelt haben.
Es hat hier — das sollte man doch auch noch einmal sagen dürfen — einige Akzente gegeben, die jedenfalls mir nicht gefallen haben, nämlich daß aus den Reihen der GRÜNEN heraus — Herr Bindig, bei Ihnen klang es auch an — gemeint wurde, auch diese Gelegenheit wieder benutzen zu müssen, um dem Bundeskanzler am Zeug zu flicken.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Wir haben uns doch so zurückgehalten!)

Einem Regierungsmitglied, dem Kanzler unserer Bundesrepublik wie auch dem Abgeordneten muß es gestattet sein — nein, ich würde es sogar als eine Pflicht ansehen — , in eine Region zu fahren, in der wir wirtschaftliche Hilfe leisten wollen, in der wir — wie in Tibet — Entwicklungsprojekte vorbereiten, um den Menschen dort Interesse und Solidarität zu bezeugen.
Wir sollten am Schluß dieser Debatte klarmachen, daß das Thema der Menschenrechte und der Autonomie in Tibet in die richtigen Dimensionen gerückt wird. Die eigentlichen Menschenrechtsverletzungen, die gravierenden und brutalen Menschenrechtsverletzungen in diesem Teil des chinesischen Reiches sind geschehen, als in den 50er Jahren kommunistische chinesische Truppen das Land besetzten

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

und als dann die fürchterliche Kulturrevolution im Zeichen und unter der Fahne Maos auch in diesen Teil Chinas getragen wurde. Damals sind Tausende von Klöstern zerstört worden, damals sind Hunderttausende von Menschenopfern in diesem Teil Chinas gebracht worden.
Wir danken Staatsminister Schäfer dafür, daß er hier sehr ausführlich und differenziert dargelegt hat, was seit etwa 1980 die jetzige Regierung und die Verantwortlichen in Peking in Tibet und für Tibet getan haben. Ich glaube, daß wir die Pekinger Regierung ermutigen müssen, auf diesem Weg weiterzugehen. Das ist unsere erste Forderung.

(Repnik [CDU/CSU]: Stavenhagen war auch sehr gut!)

Die völkerrechtliche Bewertung und die historische Einordnung sind dermaßen schwierig, daß wir uns hier nicht anmaßen können — insbesondere nicht in einer solchen Diskussion — , einen weiteren Durchblick zu schaffen. Ich glaube, das ist auch nicht das Entscheidende. Es kommt vielmehr darauf an — das ist der dritte Punkt, der heute abend festzuhalten bleibt — , daß in erster Linie Freiheit für die Religion der Tibeter, Freiheit für die Kultur der Tibeter, für ihre eigene Lebensart geschaffen werden muß.



Dr. Pohlmeier
Die Han-Chinesen haben in der vieltausendjährigen Geschichte sehr häufig durch die Lebenskraft, die Vitalität, die Dynamik ihrer eigenen Kultur andere Kulturen in sich aufgesogen und überfremdet. Es hat in der chinesischen Geschichte aber auch Perioden gegeben, in denen das Han-Chinesentum durchaus zu einer fruchtbaren Symbiose mit Minderheitskulturen im ostasiatischen Raum in der Lage war. Ich möchte glauben und hoffen, daß auch das heutige China diese Chance sieht und wahrnimmt.
Ich möchte viertens die chinesische Führung auch dazu ermuntern, das Gespräch mit dem Dalai-Lama als dem religiösen Führer der Tibeter aufzunehmen, um den Tibetern zu helfen.
Zum Schluß: Was können wir Deutschen tun? Was kann unsere deutsche Hilfe sein? Wir haben auf Grund des regen freundschaftlichen Austausches mit der chinesischen Regierung Chancen, mit deutscher Hilfe, mit deutschen Anregungen, mit deutschen Forderungen der Geltung der Menschenrechte in Tibet zum Durchbruch zu verhelfen. Wir haben im Rahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit wirtschaftliche Hilfsprojekte eingeleitet. Ich sehe mancherlei Chance, durch technische Hilfe in Tibet selbst tätig zu werden. Herr Staatsminister Stavenhagen hat dazu einiges gesagt.
Die chinesische Regierung, die sicher auch durch die große Aufmerksamkeit aufgeschreckt ist, die das Thema Tibet in der Weltöffentlichkeit in diesen Tagen findet, bleibt aufgefordert, die Liberalisierung auch auf Tibet, auf eine Gruppe von Minderheiten in ihrem Land auszudehnen.
Ich richte heute abend an die chinesische Führung die Aufforderung, den Prozeß der Öffnung, der Liberalisierung auch in Sachen Menschenrechte durchzuhalten. Tibet ist ein Prüfstein dafür, daß die Öffnung des chinesischen Kommunismus in Richtung auf mehr Freiheit, mehr Menschenrechte und mehr Menschenwürde zu ihrem Ziel kommt.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1103047700
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich danke auch den aufmerksamen Zuhörern auf unserer Tribüne, die aus Tibet kommen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich teile Ihnen mit, daß keine weiteren Wortmeldungen für die heutige Sitzung vorliegen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 9. Oktober 1987, 9 Uhr ein. Wir beginnen mit einer Aktuellen Stunde.
Die Sitzung ist geschlossen.