Protokoll:
10129

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 10

  • date_rangeSitzungsnummer: 129

  • date_rangeDatum: 28. März 1985

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:13 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/129 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 129. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 28. März 1985 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 9461 A Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Amling, Antretter, Dr. Apel, Bahr, Bindig, Büchler (Hof), Dr. von Bülow, Catenhusen, Daubertshäuser, Dr. Ehrenberg, Franke (Hannover), Frau Fuchs (Verl), Gansel, Gerstl (Passau), Glombig, Hauck, Heistermann, Heyenn, Hiller (Lübeck), Horn, Ibrügger, Jahn (Marburg), Jansen, Dr. Jens, Jungmann, Kirschner, Kißlinger, Dr. Klejdzinski, Kolbow, Kretkowski, Kuhlwein, Leonhart, Meininghaus, Müntefering, Nehm, Neumann (Bramsche), Frau Odendahl, Oostergetelo, Pauli, Pfuhl, Rappe (Hildesheim), Reschke, Reuter, Sander, Schäfer (Offenburg), Dr. Scheer, Schlatter, Frau Schmidt (Nürnberg), Schmitt (Wiesbaden), Schulte (Unna), Dr. Schwenk (Stade), Dr. Soell, Dr. Steger, Steiner, Frau Steinhauer, Dr. Struck, Frau Terborg, Frau Traupe, Dr. Vogel, Voigt (Frankfurt), Walther, Dr. Wernitz, Wiefel, Wischnewski, Würtz und der Fraktion der SPD Zur sozialen Lage der Soldaten in den Streitkräften — Drucksachen 10/1360, 10/2227 — Gerstl (Passau) SPD 9461 C Ganz (St. Wendel) CDU/CSU 9463 C Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 9467 A Dr. Feldmann FDP 9469 B Würzbach, Parl. Staatssekretär BMVg . 9471 D Steiner SPD 9476 C Frau Krone-Appuhn CDU/CSU 9479 B Heistermann SPD 9481 D Eidesleistung des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages 9484 A Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Ergebnisse des EG-Umweltrates in Brüssel vom 20. März 1985 Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 9484 C Schäfer (Offenburg) SPD 9487 C Dr. Laufs CDU/CSU 9491 D Hoss GRÜNE 9493 B Hoffie FDP 9495 B Dr. Spöri SPD 9497 B Schmidbauer CDU/CSU 9499 D Baum FDP 9501 B Fellner CDU/CSU 9503 B Dr. Lippold CDU/CSU 9504 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung einer Repräsentativstatistik über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt (Mikrozensusgesetz) — Drucksache 10/2972 — 9524 C Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Wahlprüfungsausschusses zu den gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland eingegangenen Wahleinsprüchen — Drucksache 10/3029 — Dr. Kübler SPD 9525 A Buschbom CDU/CSU 9525 C II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. März 1985 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Berufe in der Krankenpflege (Krankenpflegegesetz) — Drucksache 10/1062 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit — Drucksache 10/3069 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Berufe in der Krankenpflege (Krankenpflegegesetz) — Drucksache 10/1063 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit — Drucksache 10/3069 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Beruf der Hebamme und des Entbindungspflegers (Hebammengesetz) — Drucksache 10/1064 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit — Drucksache 10/3070 — Frau Augustin CDU/CSU 9526 D Delorme SPD 9528 B Eimer (Fürth) FDP 9529 D Frau Potthast GRÜNE 9530 D Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär BMJFG 9532 D Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Sauermilch und der Fraktion DIE GRÜNEN Zivilisationsbedingte Schäden an Gebäuden, Kulturdenkmälern und Ingenieurbauwerken — Drucksachen 10/1129, 10/2613 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Bauschäden — Drucksache 10/3011 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zu Gebäudeschäden — Drucksache 10/3085 — Sauermilch GRÜNE 9536 C Zierer CDU/CSU 9538 B Conradi SPD 9539 D Grünbeck FDP 9541 B Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär BMBau . 9543 C Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 1982 zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zu den in der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 1. Oktober 1981 gestellten grundsätzlichen Fragen zur Berufsausbildung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 1983 zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Beratung des Berufsbildungsberichts 1983 zu dem Antrag des Abgeordneten Dr. Jannsen und der Fraktion DIE GRÜNEN Förderung von Ausbildungsplätzen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 1984 zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Beratung des Berufsbildungsberichts 1984 zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur Beratung des Berufsbildungsberichts 1984 — Drucksachen 9/1424, 9/1934, 10/334, 10/482, 10/892, 10/917, 10/1135, 10/1639, 10/1673, 10/2855 — in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 1985 — Drucksache 10/2974 — Weisskirchen (Wiesloch) SPD 9546 C Nelle CDU/CSU 9549 C Dr. Schierholz GRÜNE 9551 B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode 129. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. März 1985 III Neuhausen FDP 9553 C Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 9556 A Frau Odendahl SPD 9559 A Rossmanith CDU/CSU 9560 C Kuhlwein SPD 9562 D Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU . . 9564 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Lage der Rußlanddeutschen — Drucksachen 10/2100, 10/2760 — Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 9567 A Schlaga SPD 9567 B Dr. Hupka CDU/CSU 9567 D Horacek GRÜNE 9569 C Dr. Mertes, Staatsminister AA 9571 A Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Sportausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Schmude, Frau Steinhauer, Amling, Büchner (Speyer), Klein (Dieburg), Lambinus, Becker (Nienberge), Berschkeit, Buckpesch, Buschfort, Dreßler, Esters, Fiebig, Frau Fuchs (Köln), Heistermann, Dr. Holtz, Frau Huber, Jaunich, Dr. Jens, Jung (Düsseldorf), Dr. Klejdzinski, Kretkowski, Liedtke, Lohmann (Witten), Frau Matthäus-Maier, Meininghaus, Menzel, Dr. Mertens (Bottrop), Dr. Müller-Emmert, Müntefering, Dr. Nöbel, Dr. Penner, Poß, Purps, Reschke, Reuschenbach, Sander, Schanz, Schlatter, Schluckebier, Frau Schmedt (Lengerich), Schmidt (Wattenscheid), Schmitt (Wiesbaden), Schröer (Mülheim), Steiner, Toetemeyer, Urbaniak, Westphal, Wieczorek (Duisburg), Wiefel, von der Wiesche, Wischnewski, Zeitler, Dr. Ehmke (Bonn), Ibrügger, Bernrath und der Fraktion der SPD Olympische Sommerspiele 1992 im Ruhrgebiet — Drucksachen 10/2019, 10/2945 — Frau Steinhauer SPD 9572 D Frau Hürland CDU/CSU 9574 A Schwenninger GRÜNE 9575 D Beckmann FDP 9578A Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Schutz der Gesundheit in Innenräumen — Drucksache 10/2339 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller (Düsseldorf), Duve, Dr. Hauff, Frau Fuchs (Köln), Dr. Schmude, Bachmaier, Frau Blunck, Egert, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Immer (Altenkirchen), Jaunich, Kißlinger, Dr. Kübler, Lennartz, Frau Dr. Martiny-Glotz, Müntefering, Rappe (Hildesheim), Reimann, Schäfer (Offenburg), Frau Schmidt (Nürnberg), Stahl (Kempen), Stiegler, Frau Terborg, Urbaniak, Frau Weyel, Ibrügger, Meininghaus, Müller (Schweinfurt), Wolfram (Recklinghausen), Schmitt (Wiesbaden) und der Fraktion der SPD Gefährlichkeit von Formaldehyd — Drucksache 10/2791 — Frau Schoppe GRÜNE 9580 B Dolata CDU/CSU 9581 D Müller (Düsseldorf) SPD 9583 D Frau Dr. Segall FDP 9585 C Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär BMJFG 9586 D Beratung des Siebenten Tätigkeitsberichts des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes — Drucksache 10/2777 — Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI 9588 C Dr. Wernitz SPD 9589 C Dr. Blank CDU/CSU 9590 B Frau Reetz GRÜNE 9591 B Dr. Hirsch FDP 9592 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht — Drucksache 10/2951 — in Verbindung mit Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes — Drucksache 10/3077 — 9593 A Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller (Düsseldorf), Dr. Hauff, Roth, Antretter, Daubertshäuser, Duve, Müntefering, Amling, Bachmaier, Bamberg, Frau Blunck, Catenhusen, Conradi, Haar, Hettling, Frau Dr. Hartenstein, Ibrügger, Bernrath, Dr. Klejdzinski, Lennartz, Lohmann (Witten), Frau Dr. Martiny-Glotz, Meininghaus, Müller (Schweinfurt), Pauli, Reschke, Reuter, Sielaff, Schäfer (Offenburg), Dr. Schmude, Stahl (Kempen), Vosen, Waltemathe und der Fraktion der SPD IV Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. März 1985 Förderung der Infrastruktur für den Fahrradverkehr — Drucksache 10/2658 — 9593 B Beratung des Antrags des Abgeordneten Schwenninger und der Fraktion DIE GRÜNEN Rüstungsexportstatistiken — Drucksache 10/2959 — Schwenninger GRÜNE 9593 D Beratung der Sammelübersicht 70 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/3026 — in Verbindung mit Beratung der Sammelübersicht 71 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/3027 — 9594 C Fragestunde — Drucksachen 10/3067, 10/3073, 10/3076 vom 22. März 1985 — Intervention des jetzigen Bundeskanzlers beim rheinland-pfälzischen Finanzministerium zugunsten einer Linzer Parteispenden-Tarnorganisation im Jahre 1969 MdlAnfr 5 22.03.85 Drs 10/3067 Dr. Schierholz GRÜNE Antw StMin Vogel BK 9506 A ZusFr Dr. Schierholz GRÜNE 9506 B ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 9506 C ZusFr Immer (Altenkirchen) SPD . . . 9506 D ZusFr Lambinus SPD 9506 D Entlassungen bei den inländischen Grundig-Werken seit September 1980 MdlAnfr 37 22.03.85 Drs 10/3067 Gerstl (Passau) SPD Antw PStSekr Grüner BMWi 9507 A ZusFr Gerstl (Passau) SPD 9507 A ZusFr Frau Schmidt (Nürnberg) SPD . . 9507 C ZusFr Haase (Fürth) SPD 9507 C ZusFr Müller (Schweinfurt) SPD . . . . 9507 D ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 9508A Entlassungen bei der Grundig AG MdlAnfr 38 22.03.85 Drs 10/3067 Müller (Schweinfurt) SPD Antw PStSekr Grüner BMWi 9508 B ZusFr Müller (Schweinfurt) SPD . . . . 9508 C ZusFr Reimann SPD 9508 D ZusFr Frau Schmidt (Nürnberg) SPD . . 9509A ZusFr Immer (Altenkirchen) SPD . . . 9509 B ZusFr Lambinus SPD 9509 C ZusFr Gerstl (Passau) SPD 9509 C ZusFr Sieler SPD 9509 D Bundesmittel für Forschung und Entwicklung neuer Produktlinien bei der Grundig AG MdlAnfr 39 22.03.85 Drs 10/3067 Müller (Schweinfurt) SPD Antw PStSekr Grüner BMWi 9510A ZusFr Müller (Schweinfurt) SPD . . . 9510A ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 9510C ZusFr Vahlberg SPD 9510 C ZusFr Frau Schmidt (Nürnberg) SPD . 9510D Bezeichnung der Entwicklung bei der Grundig AG als „Beschäftigungskatastrophe in Nordbayern" MdlAnfr 40 22.03.85 Drs 10/3067 Lambinus SPD Antw PStSekr Grüner BMWi 9511A ZusFr Lambinus SPD 9511A ZusFr Dr. Lammert CDU/CSU 9511 B ZusFr Schmidt (München) SPD 9511 C ZusFr Frau Schmidt (Nürnberg) SPD . 9511 D ZusFr Jungmann SPD 9512 A ZusFr Immer (Altenkirchen) SPD . . . 9512 B ZusFr Sieler SPD 9512 C Beschäftigungsplan für den Grundig-Konzern MdlAnfr 42 22.03.85 Drs 10/3067 Schmidt (München) SPD Antw PStSekr Grüner BMWi 9512 D ZusFr Schmidt (München) SPD 9512 D ZusFr Frau Schmidt (Nürnberg) SPD . 9513A Entwicklung der Unterhaltungselektronikbranche; Bundesmittel für die Grundig AG und das Heinrich-Hertz-Institut zur Entwicklung eines „hochauflösenden" Bildschirms MdlAnfr 43, 44 22.03.85 Drs 10/3067 Vahlberg SPD Antw PStSekr Grüner BMWi 9513 C ZusFr Vahlberg SPD 9513 C Bayerische Ansiedlungspolitik im Hinblick auf Informations- und Kommunikationstechnologien MdlAnfr 47 22.03.85 Drs 10/3067 Amling SPD Antw PStSekr Grüner BMWi 9514 B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. März 1985 V Verkauf von gepanschtem Superbenzin durch Tankstellen sogenannter Billiganbieter MdlAnfr 56 22.03.85 Drs 10/3067 Dr. Jens SPD Antw PStSekr Grüner BMWi 9514C ZusFr Dr. Jens SPD 9514 D ZusFr Immer (Altenkirchen) SPD . . . 9515 B Bundesmittel für die Grundig AG zur Entwicklung von Videogeräten auf der Basis der Digitaltechnik und von elektronischen Meß- und Diagnosesystemen MdlAnfr 45, 46 22.03.85 Drs 10/3067 Dr. Schöfberger SPD Antw PStSekr Grüner BMWi 9515C Veränderung der Produktionsstandorte im europäischen Bereich des Automobilkonzerns Ford MdlAnfr 58, 59 22.03.85 Drs 10/3067 Schemken CDU/CSU Antw PStSekr Grüner BMWi 9515 D ZusFr Schemken CDU/CSU 9516A Hautschäden bei Schlachtrindern MdlAnfr 60 22.03.85 Drs 10/3067 Frau Dr. Bard GRÜNE Antw PStSekr Gallus BML 9516 B ZusFr Frau Dr. Bard GRÜNE 9516 C ZusFr Eigen CDU/CSU 9517A ZusFr Frau Schmidt (Nürnberg) SPD . 9517 A ZusFr Frau Reetz GRÜNE 9517 B Einnahmeausfälle der schleswig-holsteinischen und der übrigen deutschen Milchviehhalter durch die Milchkontingentierung MdlAnfr 61, 62 22.03.85 Drs 10/3067 Bredehorn FDP Antw PStSekr Gallus BML 9517 C ZusFr Bredehorn FDP 9517 D ZusFr Eigen CDU/CSU 9518 B ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 9518 C Verlängerung der Antragsfrist für die „Milchrente" MdlAnfr 63 22.03.85 Drs 10/3067 Dr. Göhner CDU/CSU Antw PStSekr Gallus BML 9518 D ZusFr Dr. Göhner CDU/CSU 9518 D Einfuhr von Bienenhonig zu Dumpingpreisen aus der DDR; Wettbewerbssituation deutscher Imker in der EG MdlAnfr 64, 65 22.03.85 Drs 10/3067 Hinsken CDU/CSU Antw PStSekr Gallus BML 9519A ZusFr Hinsken CDU/CSU 9519 C ZusFr Conradi SPD 9519 D ZusFr Frau Reetz GRÜNE 9519 D Einfluß des Dollarkurses auf die Wettbewerbslage am Weltmarkt; Getreideexporte der EG MdlAnfr 66 22.03.85 Drs 10/3067 Eigen CDU/CSU Antw PStSekr Gallus BML 9520A ZusFr Eigen CDU/CSU 9520 B ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 9520 C Vorwort des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen zum Buch von Gerhard Sill „Überleben war alles ..." MdlAnfr 67 22.03.85 Drs 10/3067 Conradi SPD Antw PStSekr Dr. Hennig BMB . . . 9521 A ZusFr Conradi SPD 9521 B ZusFr Frau Reetz GRÜNE 9521 C ZusFr Dr. Sperling SPD 9521 D ZusFr Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE . 9521 D Konsequenzen aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts zum Kündigungsrecht MdlAnfr 72 22.03.85 Drs 10/3067 Frau Steinhauer SPD Antw PStSekr Höpfinger BMA 9522 B ZusFr Frau Steinhauer SPD 9522 C Kürzungen bei AB-Maßnahmen MdlAnfr 73, 74 22.03.85 Drs 10/3076 Reschke SPD Antw PStSekr Höpfinger BMA 9522 D ZusFr Reschke SPD 9523 A ZusFr Frau Steinhauer SPD 9523 C Nächste Sitzung 9594 C Berichtigung 9594 B Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 9595* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. März 1985 9461 129. Sitzung Bonn, den 28. März 1985 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigung 122. Sitzung, Seite 9046 D: Der Zwischenruf des Abg. Dr. Diederich (Berlin) (SPD) in der zweiten Klammer — nach dem Zwischenruf des Abg. Büchler (Hof) (SPD): „Stimmt doch nicht!" — ist wie folgt zu lesen: „Herr Lintner, wir bewegen uns, Sie bleiben auf Ihrem Hintern sitzen!". Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein** 29. 3. Dr. Ahrens* 29. 3. Frau Beck-Oberdorf 29. 3. Broll 29. 3. Büchner (Speyer) * 29. 3. Dr. Corterier** 29. 3. Dr. Diederich (Berlin) *** 29. 3. Duve 29. 3. Dr. Ehmke (Bonn) 29. 3. Ertl 29. 3. Eylmann 29. 3. Frau Fischer*** 29. 3. Franke (Hannover) 29. 3. Frau Fuchs (Köln) 28. 3. Frau Fuchs (Verl) *** 29. 3. Gattermann 28. 3. Frau Geiger*** 29. 3. Dr. Geißler 29. 3. Dr. Götz 29. 3. Haehser 29. 3. Handlos 29. 3. Dr. Hauff 29. 3. Dr. Holtz*** 29. 3. Dr. Hornhues 29. 3. Jung (Düsseldorf) 28. 3. Klein (München) 29. 3. Kleinert (Hannover) 29. 3. Dr. h. c. Lorenz 29. 3. Matthöfer 29. 3. Dr. Meyer zu Bentrup 29. 3. Dr. Müller*** 29. 3. Nagel 29. 3. Neumann (Bramsche) * 29. 3. Dr.-Ing. Oldenstädt 29. 3. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Pfuhl 29. 3. Polkehn 29. 3. Rohde (Hannover) 29. 3. Rühe 29. 3. Schäfer (Mainz) 29. 3. Schmidt (Hamburg) 29. 3. Schmidt (Wattenscheid) 29. 3. Schreiner 29. 3. Schröder (Hannover) 29. 3. Schröer (Mülheim) 29. 3. Schulte (Unna) 29. 3. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim*** 29. 3. Dr. Stark (Nürtingen) 29. 3. Dr. Stercken*** 29. 3. Stobbe 29. 3. Stockhausen 29. 3. Stommel 29. 3. Tillmann 29. 3. Verheugen 29. 3. Voigt (Frankfurt) 29. 3. Waltemathe 29. 3. Dr. Warnke 29. 3. Dr. von Wartenberg 29. 3. Frau Dr. Wex 28. 3 Dr. Wieczorek 29. 3. Wissmann 29. 3. Dr. Wittmann 29. 3. Dr. Wörner 29. 3. Dr. Wulff* 29. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung *** für die Teilnahme an der 73. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union
Gesamtes Protokol
Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012900000
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um den Zusatzpunkt Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes

(9. BAföGÄndG) — Drucksache 10/3077 — erweitert werden. Dieser Zusatzpunkt soll zusammen mit Punkt 15 der Tagesordnung aufgerufen werden. Ich gehe davon aus, daß mit der Aufsetzung dieses Tagesordnungspunktes von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen wird. — Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Amling, Antretter, Dr. Apel, Bahr, Bindig, Büchler (Hof), Dr. von Bülow, Catenhusen, Daubertshäuser, Dr. Ehrenberg, Franke (Hannover), Frau Fuchs (Verl), Gansel, Gerstl (Passau), Glombig, Hauck, Heistermann, Heyenn, Hiller (Lübeck), Horn, Ibrügger, Jahn (Marburg), Jansen, Dr. Jens, Jungmann, Kirschner, Kißlinger, Dr. Klejdzinski, Kolbow, Kretkowski, Kuhlwein, Leonhart, Meininghaus, Müntefering, Nehm, Neumann (Bramsche), Frau Odendahl, Oostergetelo, Pauli, Pfuhl, Rappe (Hildesheim), Reschke, Reuter, Sander, Schäfer (Offenburg), Dr. Scheer, Schlatter, Frau Schmidt (Nürnberg), Schmitt (Wiesbaden), Schulte (Unna), Dr. Schwenk (Stade), Dr. Soell, Dr. Steger, Steiner, Frau Steinhauer, Dr. Struck, Frau Terborg, Frau Traupe, Dr. Vogel, Voigt (Frankfurt), Walther, Dr. Wernitz, Wiefel, Wischnewski, Würtz und der Fraktion der SPD Zur sozialen Lage der Soldaten in den Streitkräften
— Drucksachen 10/1360, 10/2227 —
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Gerstl.

Friedrich Gerstl (SPD):
Rede ID: ID1012900100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion hat eine Große Anfrage „Zur sozialen Lage der Soldaten in den Streitkräften" eingebracht. Wie recht sie hatte, sich dieses Themas anzunehmen, zeigen folgende Feststellungen:
Erstens. Im Weißbuch 1983 des Bundesverteidigungsministeriums findet man entgegen bisheriger Übung kein Wort über die soziale Lage von Soldaten.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Ankündigungen, daß noch 1984 ein entsprechender Teil nachgeliefert wird, sind von diesem Bundesminister längst vergessen.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Ankündigungsminister!)

Zweitens. Im Arbeitsbericht 1982/84 der CDU/ CSU-Fraktion findet man soviel wie nichts zu diesem Thema.
Drittens hört man in letzter Zeit immer öfter, daß ernstzunehmende Kräfte auf der Hardthöhe am Werk sind, um die Sozialabteilung aufzulösen.

(Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!)

Viertens. Der Herr Bundesverteidigungsminister zieht es vor, bei der Behandlung dieses Themas durch Abwesenheit zu glänzen.

(Hört! Hört! bei der SPD — Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Sie wissen doch wo er ist!)

Aus all diesen Tatsachen kann man den Stellenwert ablesen, den dieser Minister und diese Bundesregierung den sozialen Problemen unserer Soldaten zubilligen.

(Berger [CDU/CSU]: Das glauben Sie aber selber nicht!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012900200
Herr Abgeordneter, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. — Der Bundesminister der Verteidigung hat sich wegen der Teilnahme an den Beratungen in Luxemburg und wegen seines anschließenden Besuchs in den USA schriftlich beim Präsidenten entschuldigt.

(Berger [CDU/CSU]: Es gibt ja noch die NATO!)





Friedrich Gerstl (SPD):
Rede ID: ID1012900300
Herr Präsident, ich habe die Presseveröffentlichungen gelesen, aber gerade der heutige Tag wäre noch frei gewesen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Aber bitte, wenn der Herr Bundesminister diese Entscheidung getroffen hat, dann muß er sich auch nachsagen lassen, daß das auch ein Teil dessen ist, was wir ihm in diesen Fragen vorzuwerfen haben.

(Beifall bei der SPD — Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Das war doch vorher allen klar!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1012900400
Es werden nur leere Worte vorgetragen, aber es werden keine konkreten Maßnahmen zur Lösung unserer zahlreichen Probleme ergriffen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1012900500

Das, was ich Ihnen vortrage, ist das Resultat sorgfältigster Überlegungen. Es ist ein Schwerpunktprogramm, und es ist nach meiner festen Überzeugung finanzierbar. Die Phase der großen Beschaffungsentscheidungen ist im wesentlichen abgeschlossen, und nun muß nach meiner Auffassung der Soldat in den Vordergrund rücken, d. h. die Qualität des Soldaten, Fragen der Führung, Fragen der Ausbildung und eben Fragen der sozialen Lage.
Das war seine Aussage in Hamburg.
In der erst kürzlich geführten Debatte über die Personallage der Streitkräfte in den 90er Jahren haben wir Sozialdemokraten deutlich gemacht, daß die optimistischen Annahmen der Bundesregierung nicht haltbar sein werden. Ich will mich heute nicht auf Zahlenspiele einlassen. Ich weiß nur, daß Klaus-Jürgen Heller recht hat und recht behalten wird, wenn er in der Ausgabe der Zeitschrift „Die Bundeswehr" vom November 1984 schreibt: „Die Rechnung der Bundesregierung geht nicht auf." Jährlich notwendige Personalergänzungen der Bundeswehr, der Polizei, des Bundesgrenzschutzes, des Zivil- und Katastrophenschutzes sind eben mit einem verfügbaren Aufkommen von etwa 150- bis 160 000 jungen Männern nicht zu leisten. Da werden auch Maßnahmen wie die Verlängerung des Wehrdienstes nicht helfen. Diese Fehleinschätzung der Bundesregierung verhindert eine sachliche Diskussion über notwendig werdende Struktur- und vielleicht auch Strategieänderungen und ernsthafte Gespräche in der NATO über unsere Situation. Die Soldaten werden wieder einmal die Gelackmeierten sein, wenn durch verspätete Entscheidungen Veränderungen im Hauruck-Verfahren durchgeführt werden müssen. Notwendige Versetzungen treffen auch die Familien und tragen mit Sicherheit nicht zur Attraktivität der Bundeswehr und zur Motivation der Soldaten bei.
Wir wissen selbstverständlich, daß es beim Aufbau der Bundeswehr — ohne Zutun der Sozialdemokraten — unterschiedliche Jahrgangseinstellungen gegeben hat und deshalb bei den Offizieren, aber auch bei den Unteroffizieren ein sogenannter Verwendungs- und Beförderungsstau entstanden ist, zu dessen Beseitigung auch die sozialdemokratischen Verteidigungsminister Studien anfertigen ließen.

(Berger [CDU/CSU]: Aber auch nicht mehr!)

— Ich komme gleich darauf zurück, Herr Kollege.
Welches Verhältnis der Bundesminister Dr. Wörner und das gesamte Kabinett zu den sozialen Fragen unserer Bürger haben, bewies ihre Entscheidung, den Verwendungs- und Beförderungsstau über eine frühzeitige Pensionierung und Gewährung einer respektablen Abfindung aufzulösen und dabei den Unteroffizieren, die von den Grundproblemen gleichfalls betroffen sind, das gleiche Recht zu verweigern. Wo blieb denn hier der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, der doch wissen muß, was der Arbeitnehmer in einer Situation denkt, in der ihm als über Fünfzigjährigem die Rente verweigert wird, weil er angeblich noch im Sitzen und in geschlossenen Räumen eine Arbeit verrichten kann? Oder: Was sagt ein Arbeitsloser, der genauso alt ist wie die für die Pension vorgesehenen Offiziere, wenn er keine Arbeit mehr findet, keine Rente bekommt und auf Sozialhilfe angewiesen ist? Oder: Was sagt ein erwerbsunfähiger Rentner, dem der Zuverdienst auf 390 DM beschränkt ist?

(Hauser [Esslingen] [CDU/CSU]: Wir sprechen über die soziale Lage von Soldaten! Thema verfehlt!)

Die Beamtengruppen mit Schichtwechsel und Außendienst, die ebenfalls ihre Berufssorgen haben, haben sich zu Recht sofort zu Wort gemeldet, als sie von dieser Entscheidung hörten.
Der schlechtesten der denkbaren Lösungen des Problems des Verwendungsstaus hat der Bundesminister der Verteidigung den Vorzug gegeben, andere brauchbare Vorschläge, z. B. die des Bundeswehr-Verbandes, verworfen und seine eigenen Aussagen Lügen gestraft. Der Herr Bundesverteidigungsminister sagte nämlich, ebenfalls am 12. März 1979 in Hamburg — ich zitiere —:
Ich habe lange nachgedacht über alle möglichen Vorschläge. Den Vorschlag, die Leute vorzeitig in Pension zu schicken, halte ich nicht für realisierbar.

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Die Debatte hatten wir letzte Woche!)




Gerstl (Passau)

Im übrigen bringt er das nicht, was man sich davon verspricht. Wahrscheinlich gehen dann gerade die Besten weg.
Das waren seine Worte. Wir warten jetzt, ob die CSU-Kollegen den Mut haben, sich dieser vom Kabinett eingebrachten Gesetzesvorlage zu verweigern,

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Die sind doch verfassungstreu!)

wie dies der bayerische Ministerpräsident für den Bundesrat angekündigt hat.

(Dr. Vogel [SPD]: Auf Strauß hören!)

Neben der sozial unverträglichen Entscheidung hat der Bundesminister der Verteidigung allen Soldaten der Bundeswehr einen schlechten Dienst erwiesen. Er hat nämlich die Bundeswehr und ihre Soldaten ins Gerede gebracht und in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, es gebe in dieser Republik eine Privilegierung der Offiziere. Dieser Minister hat Schaden angerichtet, wie wir es ja schon aus der Kießling-Affäre kennen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012900600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten H auser?

Friedrich Gerstl (SPD):
Rede ID: ID1012900700
Bitte schön!

Otto Hauser (CDU):
Rede ID: ID1012900800
Herr Kollege Gerstl, wären Sie so freundlich, mir Ihr Konzept zur Lösung des Verwendungsstaus darzulegen?

Friedrich Gerstl (SPD):
Rede ID: ID1012900900
Wir haben deutlich gemacht, daß wir uns den Vorstellungen des Bundeswehr-Verbands sehr annähern und daß wir eine Chance sehen, wenn die neue Struktur der Bundeswehr anläuft, diese Offiziere einer sinnvollen Verwendung zuzuführen.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Herr Dr. Wörner muß noch einmal an seine Rede in Hamburg erinnert werden. Das von ihm selbst entwickelte Schwerpunktprogramm, das nach seiner Meinung finanzierbar ist, spricht auch von der Qualität der Soldaten, von Fragen der Führung und Fragen der Ausbildung. Wie antwortet dieser Minister auf die Frage nach der chronischen Unterbesetzung und der Abwesenheit von Ausbildungspersonal und der dadurch verursachten Überlastung der jeweils verfügbaren Ausbilder? Er räumt ein, daß es die in der Frage beschriebene Situation gibt.
Da, wie ich sehe, die Lampe hier aufleuchtet, muß ich abkürzen.

(Berger [CDU/CSU]: Die Lage der Unteroffiziere war noch nie so gut wie heute! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Ihr Licht möchte ich nicht bemühen. Darauf kann ich gern verzichten.

(Beifall bei der SPD)

Es fehlen immer noch fast 20 000 Längerdiener, darunter allein 15 000 Unteroffiziere. Hier darf ich feststellen: Die Folgen dieses Fehls sind Überforderung und hohe Dienstzeitbelastung, Frust und Vertrauensverlust, ungenügende Ausbildung und Gammeldienst, unzufriedene Wehrpflichtige und negative Resonanz in der Bevölkerung.

(Beifall bei der SPD)

Und das, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, trägt sicher nicht dazu bei, daß die Verteidigungsfähigkeit dieser Republik gestärkt wird und entspricht auch nicht dem Dank und der Anerkennung, die wir denen schuldig sind, die Dienst in der Bundeswehr leisten.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012901000
Das Wort hat der Abgeordnete Ganz (St. Wendel).
Ganz (St. Wendel) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die letzte Debatte außerhalb der Haushaltsberatungen über den inneren Zustand der Bundeswehr und zur Lage der Soldaten in den Streitkräften hat in diesem Haus am 27. November 1981, also vor dreieinhalb Jahren, stattgefunden.

(Jungmann [SPD]: Sie hätten doch eine beantragen können!)

Grundlage war eine von der CDU/CSU-Fraktion, damals als Opposition, eingebrachte Große Anfrage und die darauf von der damaligen Bundesregierung gegebene Antwort. In der Debatte sprach u. a. der Kollege Möring für die SPD, damals noch Regierungsfraktion. Er meinte, mit den Vorwürfen reagieren zu müssen, wir, die CDU/CSU-Fraktion, hätten mit dieser Anfrage und mit den Debattenbeiträgen durch Nichterwähnung positiver Tatbestände ein gefälschtes Gesamtbild der Bundeswehr präsentiert; Anfrage und Debattenbeiträge würden der Motivation der Soldaten schaden und das Vertrauen der Allianz in die Bundeswehr stören; letztlich gehe es der CDU/CSU nur darum, „parteipolitische Munition zu sammeln".

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Pfui Deibel!)

Ein anderer Redner der SPD-Fraktion — ich glaube, es war Kollege Dr. Klejdzinski — meinte dagegen, er müsse uns dankbar sein, denn mit dieser Anfrage habe die Opposition — damals wir — der Regierung die Möglichkeit gegeben, den inneren Zustand der Bundeswehr und die Lage der Soldaten so darzustellen, wie sie seien, nämlich alles in allem in Ordnung.

Dr. Helmut Kohl (CDU):
Rede ID: ID1012901100
Entweder war Ihre Zustandsbeschreibung der inneren Lage der Bundeswehr vor 31/2 Jahren zutreffend, dann war Ihre Große Anfrage im April des vorigen Jahres schädlich und darauf angelegt, parteipolitische Munition zu sammeln, oder



Ganz (St. Wendel)

aber Ihre Große Anfrage ist der Ausdruck ehrlicher Sorge um die soziale Lage der Bundeswehr; dann war Ihre Zustandsbeurteilung von 1981 falsch oder geschönt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Immer [Altenkirchen] [SPD]: Ihr habt ja geschlafen! — Weitere Zurufe von der SPD)

Ich unterstelle, daß Sie es mit dieser Anfrage ehrlich gemeint haben, womit die Antwort auf die Frage, in welchem Zustand wir die Bundeswehr in ihrer sozialen Lage beim Regierungswechsel vorgefunden haben, schon gegeben ist, nämlich in einem schlechteren, als Sie ihn damals beschönigend beschrieben haben, was im übrigen für die gesamtpolitische und insonderheit für die finanzpolitische Lage von damals gilt.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Deshalb ist das heute und hier kein Rollentausch. Wir haben überhaupt keinen Grund, in der heutigen Debatte irgend etwas zu verharmlosen oder zu beschönigen. Wir geben zu, daß es auch heute noch in unserer Bundeswehr drückende soziale und personelle Probleme gibt, die zu lösen uns aufgetragen ist und die zu lösen wir auch gewillt sind.
Ich räume ein, mich mit diesem Bekenntnis dem Vorwurf ausgeliefert zu haben, wir hätten in unserer Oppositionszeit den Mund zu voll genommen oder die Anspruchserwartung der Soldaten damals in einem Maße hochgeschraubt, dem wir heute nicht gerecht würden.
Das letztere mag von einzelnen subjektiv auch so empfunden worden sein; das gestehe ich gern zu. Wer aber unsere Großen und Kleinen Anfragen, Erklärungen und Forderungen von damals objektiv nachliest, wird feststellen, daß wir nicht gefordert haben, die aufgezeigten Probleme sofort zu lösen, sondern vielmehr, sie erst gar nicht aufkommen zu lassen bzw. dort, wo man es getan hat, ihre Lösung nicht einfach und permanent vor sich herzuschieben, sie wenigstens einmal anzupacken.

(Berger [CDU/CSU]: Siehe die Studie!)

Wir waren es doch nicht — Stichwort: Wehrgerechtigkeit —, die das Postkartensystem eingeführt und damit dem Verteidigungswillen einen schweren Schlag versetzt haben.

(Widerspruch bei der SPD — Berger [CDU/ CSU]: So war es!)

Wir waren es doch nicht — Stichwort: Ansehen der Bundeswehr —, die den Traditionserlaß abgeschafft und aus öffentlichen Gelöbnissen Kasernengelöbnisse gemacht haben. Wir haben doch nicht eine gemeinsame Empfehlung der Kultusminister bezüglich der Fragen der Landesverteidigung verhindert, die für Herbst 1981 vorausgesagt war.

(Zuruf des Abg. Dr. Klejdzinski [SPD])

In wessen Parteizirkeln, meine Damen und Herren, wurden denn aus ideologischen Gründen nachhaltig Kürzungen im Einzelplan 14 verlangt?
Wir waren es doch nicht — Stichwort: Längerdiener —, die die Spitzendienstgrade bei den Unteroffizieren gekappt haben,

(Zuruf des Abg. Jungmann [SPD])

die die Besoldung der SaZ 2 mit dem Tag ihrer Verpflichtung abgeschafft und drei Jahre später wieder eingeführt haben, die die Verpflichtungsprämie für SaZ 2 bis 4 gestrichen haben, die den Geldansatz stärker heruntergefahren und damit die Zahl der Längerdienenden reduziert und so die Dienstzeitbelastung potenziert haben.
Zum Stichwort Verwendungsstau, Herr Kollege Gerstl: Wir waren es doch nicht, die die seit mehr als 15 Jahren bekannte bedrohliche Überalterung in wichtigen Führungsfunktionen als Problem 13 Jahre vor sich hergeschoben haben.
Wir waren es doch nicht — Stichwort: finanzieller Ausgleich —, die die Sparpauschale für Wehrpflichtige gestrichen, die Auslandszulagen gekürzt und für die Bemessung der Dienstausgleichspauschale quasi die 60-Stunden-Woche für Soldaten eingeführt haben.

(Biehle [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Wir waren es doch nicht — Stichwort: Kurzzeitperspektive —, die einen absolut desolaten Zustand der Staatsfinanzen und fast 2 Millionen Arbeitslose hinterlassen haben.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Ein Glück, daß ich nie bei der Bundeswehr war!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012901200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Klejdzinski?
Ganz (St. Wendel) (CDU/CSU): Ich habe nur 15 Minuten Redezeit.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012901300
Es wird Ihnen nicht angerechnet.

(Immer [Altenkirchen] [SPD]: Der hält sich am Manuskript fest!)

Ganz (St. Wendel) (CDU/CSU): Keiner dieser unserer Feststellungen, meine Damen und Herren der Opposition, können Sie widersprechen, weshalb die Behauptung zulässig ist, daß eine Reihe dieser Probleme, wie wir sie heute im sozialen Bereich der Bundeswehr beklagen, in Ihrer Regierungszeit entstanden sind und Sie andere, deren Ursachen Sie nicht allein zu verantworten haben,

(Zuruf des Abg. Jungmann [SPD])

in Ihrer Regierungszeit keiner Lösung nähergebracht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will fair sein: Auch Kollegen der SPD, insbesondere im Verteidigungsausschuß, haben in dieser Zeit dazu die richtigen Fragen gestellt. Aber Ihre Regierung hat Sie und uns hingehalten, hat Lösungen angekündigt. Letzten Endes aber hat sie bis zu ihrem Ende nicht den Mut oder die Mehrheit aufgebracht, daraus die Konsequenzen zu ziehen.



Ganz (St. Wendel)

Ich glaube, meine Damen und Herren, diese Rückschau war notwendig, damit das Feld, das wir heute zu beackern haben, einmal klar abgesteckt ist und damit hier nicht Schuldzuweisungen an den falschen Adressaten erfolgen, wie der Kollege Gerstl das gerade gemacht hat.

(Berger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Darüber zu lamentieren, lohnt nicht; es hilft am wenigsten den Soldaten.

(Berger [CDU/CSU]: Auch richtig!)

Deshalb war sich die Arbeitsgruppe „Verteidigung" der CDU/CSU-Fraktion nach der Regierungsübernahme mit Verteidigungsminister Wörner einig, daß die Politik des Verzögerns, Hinhaltens, Versprechens und Nichtstuns ein Ende haben muß,

(Beifall bei der CDU/CSU)

daß auch im sozialen Bereich der Bundeswehr Prioritäten gesetzt werden müssen, und daß trotz der miserablen Haushaltssituation und der daraus resultierenden Sparmaßnahmen Lösungen gefunden und Entscheidungen getroffen werden müssen,

(Zurufe von der SPD)

und dies zuerst für den Bereich, wo die Gefahr bestand oder abzusehen war, daß die Bundeswehr ihren Auftrag nicht mehr oder nur noch eingeschränkt zu erfüllen in der Lage war. Deshalb galt unser Augenmerk zunächst der Personallage.
Wie war denn diese Lage 1982, meine Damen und Herren? Sie war im wesentlichen durch folgende Probleme gekennzeichnet.
Erstens. Bereits in den 70er Jahren war jedermann klar, daß Ende der 80er Jahre unter den derzeitigen Gegebenheiten eine quantitative Personaldeckung der Bundeswehr nicht mehr gegeben sein wird.

(Zuruf von der SPD)

Zweitens. Die unorganische Altersstruktur bei den Unteroffizieren und Offizieren des Truppendienstes und deren Folgen, gemeinhin unter dem Begriff Verwendungsstau bekannt, war ebenfalls schon Anfang der 70er Jahre bekannt, und man wußte, daß sich dieses Problem nach 1980 noch verschärfen würde.

(Zurufe von der SPD)

Schließlich war drittens Ende 1982 ein Fehl von über 20 000 Längerdienenden zu verzeichnen, eine Tatsache, die ihrerseits das Problem der Dienstzeitregelung noch verschlechterte.
Eigentlich, meine Damen und Herren, hätte man annehmen können, daß der damalige Bundesverteidigungsminister uns auf Grund der Tatsache, daß diese Probleme seit Jahren bekannt waren, ein schlüssiges Konzept hinterlassen hätte, aus dem zu ersehen gewesen wäre, wann, wie, mit welchen Mitteln in welchem Zeitrahmen er diese Probleme anpacken und lösen wollte.

(Zurufe von der SPD)

Doch Fehlanzeige! Außer einer Auflistung des Problemkatalogs durch die sogenannte Langzeitkommission, die Minister Apel „schon" 1981 eingesetzt hatte, und den vagen Absichtserklärungen des Ministers gab es nichts.
Dabei wurde das Problem des Verwendungsstaus von der Langzeitkommission noch nicht einmal untersucht. Zu ihrem Abschlußbericht 1982 bemerkt sie dazu lediglich, daß ihr die zur Lösung des Problems möglichen Abhilfemaßnahmen, nämlich vorzeitige Zurruhesetzung, Senkung der besonderen Altersgrenze und Anschlußverwendungen, zur Zeit nicht durchsetzbar erschienen.
Das, meine Damen und Herren, war die Lage, wie wir sie vorgefunden haben. Jeder, der glaubt, die jetzige Bundesregierung kritisieren zu müssen, muß dort die Meßlatte anlegen.

(Beifall bei der CDU/CSU) Wie ist die Lage heute?


(Dr. Klejdzinski [SPD]: Wir messen Sie ja nur an Ihren Worten in der Opposition!)

— Jetzt hören Sie zu, dann hören Sie es.
Seit der im Oktober vergangenen Jahres — also schon nach zwei Jahren Amtszeit — von Minister Wörner vorgelegten und im Kabinett verabschiedeten Bundeswehrplanung wissen wir im Parlament, weiß die Truppe und weiß die Öffentlichkeit, wie es im personellen Bereich steht

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Das ist doch Makulatur!)

und wie es weitergehen soll. Ich kann es mir deshalb ersparen, auf Einzelheiten einzugehen. Aber der Verteidigungsminister hat nicht nur geplant, er hat auch gehandelt.

(Oh-Rufe und weitere Zurufe von der SPD)

Und das Wichtigste ist: Dabei hat er auch die Unterstützung der Regierungsfraktionen und der Regierung selbst gefunden.
Sie alle wissen, daß wegen der notwendigen Sparmaßnahmen die Stellenpläne im gesamten öffentlichen Dienst überrollt worden sind; im gesamten öffentlichen Dienst! Anders der Stellenplan der Soldaten. In diesem und in den letzten beiden Jahren wurde der Anteil der Berufs- und Zeitsoldaten von 251 000 auf 260 500, also um 9 500 erhöht. Da sagen Sie: Das ist nichts. Es ist ein wichtiger Schritt, um den Fehlbestand an Unterführern zu verringern und Vorsorge für die Zeit der geburtenschwachen Jahrgänge zu treffen und um die Dienstzeitbelastung zu verringern.
Zur Milderung des Verwendungsstaus wurden in den drei zurückliegenden Jahren 550 Offiziers- und 300 Unteroffiziersstellen in Beförderungsstellen umgewandelt, wodurch 3 500 zusätzliche Verwendungswechsel und damit das Nachrücken und die Beförderung jüngerer Jahrgänge ermöglicht worden ist. Sie sagen: Das war nichts.
In dem Wissen, daß damit das Problem des Verwendungsstaus nur gemildert und längst nicht gelöst ist, hat der Minister das Gesetz zur Verbesserung der Personalstruktur in den Streitkräften vor-



Ganz (St. Wendel)

gelegt, das inzwischen von der Bundesregierung eingebracht worden ist und sich zur Zeit in der Parlamentsberatung befindet.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das lehnen die Sozialdemokraten ab!)

Ein ebenso mutiger wie — so meine ich — notwendiger Schritt war das; denn — Sie wissen es — nicht überall ist er auf Gegenliebe gestoßen. Es kann doch ernsthaft von niemandem bestritten werden, daß mit diesen Maßnahmen, in relativ kurzer Zeit getroffen, dieses Problem angegangen und einer Lösung ein gutes Stück nähergebracht wurde.
Damit wurde auch ein Zustand geändert, der in den letzten Jahren zum Possenspiel wurde. Es verging doch keine Woche, in der nicht mindestens ein Abgeordneter einer Fraktion die Frage einbrachte, ob der Bundesregierung das Problem des Verwendungsstaus bekannt sei und was sie zur Lösung zu tun gedenke. Die Antworten waren stereotyp: Problem erkannt, wird sehr ernst genommen, Lösungen werden angestrebt. Und Sie, Herr Kollege Gerstl, haben am 8. September 1977 von dieser Stelle aus erklärt: Wir werden uns dem Problem stellen und eine Lösung anstreben, die dem Anliegen des betroffenen Personenkreises gerecht wird. Heute morgen gehen Sie hin und klagen, daß wir in zweieinhalb Jahren nichts gemacht hätten. Ich habe Ihnen das Gegenteil bewiesen. Sie haben von 1977 bis 1983 null gemacht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Parlamentarische Staatssekretär von Bülow kündigte 1979 in einer Fragestunde an, man werde das Problem Schritt für Schritt lösen und deshalb 2 500 Stellen für zusätzliche Anschlußverwendungen beschaffen.

(Lachen bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: Wer regiert hier eigentlich?)

Bekanntlich kann man den zweiten Schritt erst nach dem ersten tun. 50 von den vorgesehenen 2 500 Stellen, die Herr von Bülow versprochen hatte, wären ein erster Schritt gewesen. Aber er konnte den zweiten Schritt nicht machen, weil er den ersten nicht geschafft hatte.
Willy Brandt äußerte sich am 2. Februar 1983 in der Zeitschrift „Die Bundeswehr" — man höre —:
Was die Frage des Personaldefizits sowie den Verwendungsstau angeht, bin ich der Meinung, daß diese Probleme angesichts der wirtschaftlichen und finanziellen Lage nicht schnell zu lösen sein werden.

(Jungmann [SPD]: Das ist eine realistische Betrachtung!)

Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie Ihre Einlassungen von damals zu diesem Problem mit dem, was in den letzten zweieinhalb Jahren geleistet worden ist, vergleichen, dann wissen Sie, wer nur geredet und versprochen und wer versprochen und gehandelt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das gleiche gilt für eine Reihe von Anliegen im sozialen Umfeld. Auch hier wurde jahrelang lamentiert. Wir haben gehandelt. Trotz der miserablen Finanzsituation und des Zwangs zu sparen haben wir in den letzten beiden Jahren eine beträchtliche Anzahl von Verbesserungen beschlossen, die ich der Zeit wegen, aber um sie Ihnen in Erinnerung zu rufen, nur aufzählen möchte:

(Berger [CDU/CSU]: Das sind auch viel zu viele!)

Erhöhung des Wehrsolds, des Weihnachts- und Entlassungsgeldes

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Ach nein! — Lachen bei der SPD)

in einer kürzeren Zeitspanne als bei der vorhergehenden und der davorliegenden Erhöhung bei Ihnen, schon 1983 die fehlenden 35 Millionen DM für die Gewährung der Ausgleichspauschale für Spitzendienstzeiten im Haushalt eingestellt — Sie wollten das mit der 60-Stunden-Woche regeln —, zweite Familienheimfahrt für Trennungsgeldempfänger eingeführt, Verdoppelung der Zuschüsse für umzugsbedingten Nachhilfeunterricht, Erhöhung der Zulagen bei Übungsplatzaufenthalten in Kanada. Darüber hinaus hat der Minister auf dem Erlaßwege eine Reihe von Maßnahmen angeordnet oder in die Wege geleitet, die die Situation der Soldaten verbessert haben oder demnächst verbessern werden.

(Jungmann [SPD]: Da fragen Sie einmal die Soldaten!)

Ich nenne als Beispiel den sogenannten Versetzungserlaß, der in diesem Monat den Dienststellen zugegangen ist.
Meine Damen und Herren, wir wissen, daß mit diesem Bündel von Verbesserungen nicht alle Probleme, die unsere Soldaten bedrücken, gelöst sind. Themen wie Dienstzeitregelung, Absicherung von Zeitsoldaten gegen Arbeitslosigkeit — Stichwort Entwicklungshelfermodell —, Wiedereingliederung von Zeitsoldaten ins Berufsleben, Verbesserungen im Bereich des Bundesumzugskosten- und des Bundesreisekostengesetzes, Abbau überflüssiger Bürokratie, Wohnungsfürsorge — um nur die wichtigsten zu nennen — sind auf dem Tisch. Wir haben zu deren Bewältigung schon Vorschläge erarbeitet, und wir werden ernsthaft um deren Lösung bemüht sein. Das, was wir bereits zuwege gebracht haben, ist Beweis unseres Bemühens und unserer Ernsthaftigkeit.
Die Kritiker, die uns vorwerfen, das ginge alles zu langsam und zu halbherzig, sollten nicht übersehen, daß wir uns bei all dem, was in den letzten beiden Jahren auf den Weg gebracht worden ist, einem zunehmenden Druck aus anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes und oft dem Vorwurf ausgesetzt sahen, nur noch die Interessen der Soldaten vertreten zu wollen. Aber dieser Vorwurf belastet unser Gewissen nicht,

(Jungmann [SPD]: Sie haben gar keines!)

weil wir uns bewußt sind, daß die soziale Sicherheit
der Soldaten eine der Grundlagen für deren Lei-



Ganz (St. Wendel)

stungsfähigkeit, Einsatzbereitschaft und Motivation darstellt. Da wir im Interesse unserer Friedens-und Sicherheitspolitik auf gut motivierte Soldaten angewiesen sind, werden wir Schritt für Schritt den eingeschlagenen Weg fortsetzen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012901400
Das Wort hat der Abgeordnete Vogt (Kaiserslautern).

Roland Vogt (GRÜNE):
Rede ID: ID1012901500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Ronneburger hat in seiner Erwiderung auf den Kollegen Schierholz die GRÜNEN belehrt, daß es im Verteidigungsausschuß gelegentlich darum gehe, spezielle Probleme mit speziellen Mitteln zu behandeln:
Ob es aber nun um Verpflegung, um Fußlappen oder was auch immer geht: Sie kommen immer wieder auf Bedrohungsanalyse, Abrüstung usw.

(Berger [CDU/CSU]: Da hat er recht!)

Diesem wunderschönen Seufzer hat Kollege Ronneburger etwas säuerlich hinzugefügt, das Streben nach Abrüstung sei nicht erst mit den GRÜNEN in den Bundestag eingekehrt. Fürwahr, Herr Kollege! Ich habe nun zwei Jahre lang alle Fraktionen ihren Abrüstungswillen bekunden hören.

(Dr. Rumpf [FDP]: Aber nur zwei Jahre!)

Aber die frohe Botschaft, daß dieser Bundestag vom Geist der Abrüstung durchdrungen wäre, könnte ich mit gutem Gewissen niemandem überbringen. Denn wenn es so wäre, hätten wir hier längst die Ratifizierung des Genfer Zusatzprotokolls durch die Bundesregierung beschlossen, wir hätten am Dienstagabend im Unterausschuß Abrüstung und Rüstungskontrolle den Gesetzesvorschlag der Göttinger Naturwissenschaftler gegen Weltraumrüstung weiterempfohlen,

(Berger [CDU/CSU]: Thema verfehlt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

wir hätten diesen Unterausschuß für Abrüstung und Rüstungskontrolle längst in einen selbstbewußten, selbständigen Ausschuß umgewandelt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Zur Sache!)

Im Verteidigungsausschuß würden wir gelegentlich mit hochrangigen Experten aus aller Welt Briefings über neue Zugänge zur Abrüstung machen, statt uns, wie gestern früh, stundenlang für Reagans Weltraumrüstung missionieren zu lassen. Aber die Mehrheiten — das spüre ich hier —, die sind nicht so, und gewiß wird es die Mehrheit auch bestreiten, daß die soziale Lage in den Streitkräften etwas mit Bedrohungsanalyse, Rüstung und Abrüstung zu tun habe.
Wir müssen diesen Kolleginnen und Kollegen entgegenhalten, daß nicht nur die soziale Lage der Soldaten, sondern die soziale Misere zunehmender Kreise der Bevölkerung ungeheuer viel mit überzogenen Bedrohungsvorstellungen, mit immer mehr Rüstung und unterbliebener Abrüstung zu tun hat.

(Berger [CDU/CSU]: Jetzt hat er es endlich raus! — Zuruf von der CDU/CSU: Bei Ihnen hilft nur noch Rotieren!)

Ich muß sowohl den Fragestellern von der SPD als auch den Antwortgebern der Regierung vorhalten, daß für beide Seiten offensichtlich die soziale Lage der Soldaten kein selbständiges Thema, sondern ein Anhängsel der besonders hoch angesetzten „Verteidigungserfordernisse" ist. Lesen Sie doch noch einmal in der Großen Anfrage der SPD. Darin stehen folgende Sätze:
Aufgabe der Streitkräfte ist es, jederzeit einsatzbereit zu sein. Neben der Qualität der Ausrüstung und des Materials spielt dabei die Motivation der Menschen, d. h. die Zufriedenheit in ihren Arbeitsbedingungen, eine entscheidende Rolle.
Dann kommt es:
Deshalb ist es dringend geboten, die soziale Lage der Soldaten und die Umweltbedingungen für den Dienst in den Streitkräften in die politische Diskussion einzubringen.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch richtig!)

— Wenn Sie das immer noch als richtig empfinden, muß ich Ihnen sagen: Sie können doch auch ganz schlicht und einfach aus sozialdemokratisch-parlamentarischer Fürsorge nach der sozialen Lage der Soldaten fragen. Sie brauchen das hier nicht so militärtechnisch abzuleiten, als wäre man ein vaterlandsloser Geselle, wenn man nur sozial ist.

(Frau Traupe [SPD]: Nun hören Sie doch auf! — Dr. Klejdzinski [SPD]: Herr Vogt, heute morgen bitte nicht rotieren!)

Was hat eigentlich für die Fragesteller der SPD und die Antwortgeber der Bundesregierung Vorrang, die sogenannte Einsatzbereitschaft der Bundeswehr, die wie ein Fetisch in allen Fragen und Antworten umhergeistert, oder humane, würdige, einem demokratischen Rechts- und Sozialstaat angemessene Bedingungen auch für Soldaten? Warum unterschreiben so selbständig denkende Kollegen wie ein Dr. von Bülow eine Frage, die so gestellt ist, als seien die 500 000-Mann-Streitkräfte ein Naturgesetz, oder wie anders soll eine panisch auf die vom Pillenknick ausgelöste, wie ich im Verteidigungsausschuß immer höre, „Horrorkurve der 90er Jahre" starrende Bundesregierung eine Frage nach der sogenannten „stabilen Personallage angesichts der demographischen Entwicklung" — das sind alles Zitate aus Ihrer Anfrage — beantworten als durch den stolzen Hinweis darauf, daß sie in der Mitte der 90er Jahre mit nicht weniger als 456 000 aktiven Soldaten plus Reservisten die Aufgaben der Streitkräfte zu erfüllen gedenken?
Bereits in den Haushaltsdebatten haben wir Wörners krampfhaftem Bemühen, an der halben Million festzuhalten, ein Konzept des Einstiegs in die personelle Abrüstung entgegengehalten. Dazu gehörte u. a.: eine Reduzierungsinitiative bei Berufs-und Zeitsoldaten sowie Wehrpflichtigen und Wehr-



Vogt (Kaiserslautern)

übungen von jeweils 10% ab 1985, übrigens gemäß den UNO-Richtlinien zur Abrüstung, im Rahmen einer langfristigen Reduzierungsinitiative bis 1990 auf einen Personalumfang von zunächst 350 000 Mann

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Dahin kommen sie von selbst!)

und schließlich Stellenabbau beim zivilen Personal entsprechend der natürlichen Abgangsrate von 2,5% zugunsten von Bildung, Gesundheit und Umweltschutz. Statt irrational an einer willkürlich entstandenen Friedenssollstärke von einer halben Million festzuhalten, statt für diesen Zweck die Tauglichkeits- und Anforderungskriterien zu ändern und die sogenannten Einberufungshindernisse zu reduzieren, als ging es darum, einen Volkssturm aufzustellen, schlagen wir vor, die natürliche demographische Entwicklung als natürliche Aufforderung zur Abrüstung zu verstehen und mit einer entsprechenden Initiative sowohl bei den MBFR-Verhandlungen in Wien als auch in bilateralen Gesprächen mit der DDR zu verbinden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012901600
Herr Abgeordneter Vogt, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Roland Vogt (GRÜNE):
Rede ID: ID1012901700
Wenn sie nicht angerechnet wird, Herr Präsident.

Erwin Horn (SPD):
Rede ID: ID1012901800
Herr Kollege Vogt, wären Sie nach Ihrer Kritik an den Sozialdemokraten bereit, uns einmal klar und deutlich die politische Funktion der Bundeswehr in Ihren Vorstellungen darzustellen?

(Berger [CDU/CSU]: Zur sozialen Verteidigung! — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Abrüstungsbewegung!)


Roland Vogt (GRÜNE):
Rede ID: ID1012901900
Das haben wir doch schon so oft getan, Herr Kollege. Wir haben Ihnen das schon mehrfach gesagt, aber Sie hören wohl nicht oder Sie verstehen nicht, daß wir dafür eine Arbeitsformel haben: militärische Rüstung abbauen, Soziale Verteidigung aufbauen. Wir sind uns aber auch darüber im klaren, daß der Übergang organisiert werden muß. Darüber rede ich, wenn ich von Personalabrüstungsinitiativen spreche.
Für die GRÜNEN sind Stabilität in der Personallage und Einsatzbereitschaft der Streitkräfte in Frage und Antwort Beschwörungsformeln, die zur Aufblähung des Verteidigungshaushalts beitragen und dem Abrüstungsziel entgegenstehen. Für humane, würdige und soziale Lebensbedingungen der Soldaten und ihrer Angehörigen setzen wir uns allerdings mit Nachdruck ein.
Wir haben in der vergangenen Sitzungswoche über die Probleme beim Verwendungsstau und über die seltsamen Vorstellungen des Herrn Wörner über das sogenannte Grenzalter gesprochen. Seine geradezu jugendgefährdenden Vorstellungen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie müssen von Jugendgefährdung reden!)

wie man Überalterungen jenseits von 45 ausräumt,
haben inzwischen Begehrlichkeiten geweckt. So
nachzulesen gestern in einer Tageszeitung, in der
ein Kommentator über den Verwendungsstau im Lehrkörper der deutschen Universitäten räsonniert und nach dem Modell Wörner schielt. Wir brauchen dieses Problem hier vielleicht nicht neu aufzuwärmen.
Ich will vielmehr einen neuen Schwerpunkt setzen und auf die sozialen Probleme eingehen, die durch die ständige Versetzung von Soldaten entstehen. Wir wissen aus Berichten von Soldaten und deren Angehörigen sowie aus mehreren militärsoziologischen Untersuchungen, daß das sogenannte besondere Gewaltverhältnis zwischen dem Soldaten und seinem Dienstherrn, der Bundeswehr, in besonderem Maße den Zugriff auf die Angehörigen der Militärorganisation eröffnet. Nicht nur die Soldaten, sondern auch deren Familienmitglieder sind von den Konsequenzen betroffen.
Die vom Dienstherrn geforderte und durchgesetzte Verfügungsgewalt über Soldaten zeitigt Auswirkungen auf fast alle Lebensbereiche der Familienmitglieder. Die Chancen der Ehefrauen, eine autonome Lebenswelt zu entwickeln, sind äußerst gering. Die sozialen Kontakte der Soldatenfrau werden, wenn sie nicht selbst berufstätig ist, durch militärische Strukturen dominiert. Ihre Berufschancen sind eingeschränkt: Entweder findet sie überhaupt keine angemessene Tätigkeit bei der Versetzung ihres Mannes, oder sie muß Karriereeinbußen in Kauf nehmen.
Viele Frauen und Soldaten erleben die von der Bundeswehr erhobenen Anforderungen und ihre eigenen Bedürfnisse als Gegensätze. Es wächst auch das Selbstbewußtsein von Soldatenfrauen. Die Tendenz zum „ohne mich" bei Versetzungen bzw. bei Umzügen ist zwar für ihre Ehemänner oft schmerzlich, aber für Frauen, die sich einen unzerstörbaren Kern erhalten wollen, manchmal auch die einzige Form, die Konfliktsituation zu lösen. Das Bundesministerium der Verteidigung sollte auch das als Signal verstehen und Fürsorge walten lassen.
Aber der Zugriff des Dienstherrn auf die Familie des Soldaten geht noch weiter. Rund 60 % aller verheirateten Berufssoldaten haben zwei und mehr Kinder, was erheblich über dem Bundesdurchschnitt liegt. Die häufigen Umzüge erzeugen Schulprobleme in massiver Form ebenso wie Schmerz über den Verlust von Freundschaften bis hin zur Unfähigkeit, engere soziale Bindungen neu einzugehen. Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr kommt zu dem Ergebnis, daß auf der Ebene der Soldatenfamilie nur von einer unzureichenden Integration in die Gesellschaft geredet werden kann. Die soziale und kulturelle Ausgrenzung der Soldatenfamilie läßt — ich zitiere aus dieser Studie — den Schluß zu, daß nicht nur der Ehemann, sondern auch Ehefrau und Kinder „dienen", und zwar ungefragt.
Finanzielle Mittel, Zuschüsse und Vergünstigungen können diese Situation der Ausgrenzung nicht lindern, geschweige denn beseitigen. Die angemessene Regelung ist eine radikale Verringerung der Häufigkeit von Versetzungen und die schnelle Anpassung der Lage der Soldaten an das auch in einer mobilen Gesellschaft allgemein übliche Niveau.



Vogt (Kaiserslautern)

Wo sind z. B. — so fragen wir — Studien über die Notwendigkeit von Versetzungen? Wo ist denn die Bedrohungsanalyse, aus der all diese Notwendigkeiten und besonderen Belastungen durch Versetzungen und regelmäßige Dienstzeiten als zwingend hervorgehen würden? Gilt die Versetzungshäufigkeit nur deshalb als eine Notwendigkeit, weil es sich einmal so eingespielt hat, oder beharrt man, wie inzwischen viele Soldaten und Experten vermuten, deshalb auf der Notwendigkeit der Versetzungen, weil man auf die politischen und psychologischen Folgen spekuliert, die die ständige Entwurzelung, die Gettoisierung und die Einsperrung von Ehe und Familie in ein militärisches Dienstverhältnis mit sich bringen?

(Ganz [St. Wendel] [CDU/CSU]: Das ist doch wohl an den Haaren herbeigezogen!)

— Fragen Sie doch die Soldaten und ihre Angehörigen.
Soldaten sind momentan die militärisch organisierten Vagabunden der Nation. Solange die Mehrheit der Gesellschaft meint, Herr Biehle, auf Militär nicht verzichten zu können, setzen wir uns bei gleichzeitigem Bemühen um Abrüstung dafür ein, daß diese Soldaten und ihre Familien unter humanen und dem öffentlichen Dienst vergleichbaren Bedingungen leben können, die es ihnen erlauben, Staatsbürger wie andere zu sein, ohne Privilegien, aber auch ohne Nachteile, nicht besser-, aber auch nicht schlechtergestellt als andere.
Danke schön.

(Wimmer [Neuss] CDU/CSU): Noch nicht

einmal Beifall bei den GRÜNEN! — Beifall
bei Abgeordneten der GRÜNEN — Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Verspäteter Beifall bei den GRÜNEN!)

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012902000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Feldmann.

Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1012902100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Gerstl, es ist sicher verdienstvoll, daß Ihre Fraktion mit dieser Großen Anfrage das wichtige Thema der sozialen Lage der Soldaten zum Gegenstand einer ausführlichen Debatte heute hier im Deutschen Bundestag gemacht hat. Aber es ist doch wohl etwas überzogen, Herr Kollege, wenn hier Vorwürfe so vorgetragen werden, als ob die Probleme erst in den letzten Jahren entstanden seien.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Einige Punkte dieser Großen Anfrage haben wir auch in den letzten Monaten schon ausführlich hier im Deutschen Bundestag behandelt: die Wehrdienstverlängerung und das Personalstrukturgesetz. Es kann doch jetzt nicht unsere Aufgabe sein, das Für und Wider dieser bereits getroffenen Entscheidungen hier in aller Breite noch einmal zu debattieren.
Heute ist das ausschließliche Thema die soziale Lage der Soldaten.

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Dies heute, Herr Kollege Vogt, ist auch keine wehrpolitische oder gar sicherheitspolitische Debatte; auch wollen wir uns nicht über SDI unterhalten —. sondern wirklich nur über die soziale Situation unserer Soldaten.
Vorrangige Aufgabe der Sozialpolitik, Herr Kollege Vogt, ist für uns, dort Ausgleich zu schaffen, wo der einzelne aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, gegenüber der Allgemeinheit benachteiligt ist. Hier haben wir für die Bundeswehr noch einiges zu tun. Und die Soldaten, Herr Kollege, sind für uns auch kein Anhängsel, wie Sie das auszudrücken beliebten, sie stehen vielmehr im Mittelpunkt unserer Bemühungen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Sehen Sie sich die Struktur der Antwort der Bundesregierung an!)

Zu den Problemen der Wehrpflichtigen: Die meisten jungen Männer leisten in Erfüllung ihrer staatsbürgerlichen Pflichten einen 15monatigen Wehr- bzw. 20monatigen Ersatzdienst, die meisten, bei weitem aber nicht alle. Das Thema Wehrgerechtigkeit ist zum Dauerbrenner geworden. Wir müssen die Nachteile, die mit der Ableistung des Wehrdienstes verbunden sind, reduzieren.
Wir wissen, daß es nicht immer möglich ist, die Wehrpflichtigen heimatnah einzuberufen. Deshalb müssen wir versuchen, sie von den Kosten der Fahrten zwischen Dienst- und Wohnort zu befreien.

(Beifall bei der FDP)

Derzeit ist lediglich die Bundesbahnfahrt frei. Für die Fahrt von der Wohnung zum Heimatbahnhof und vom Zielbahnhof zur abgelegenen Kaserne hat der Wehrpflichtige oft mehr als einen Tagessold zu zahlen. Das halten wir für nicht zumutbar. Es ist daher erneut zu prüfen, inwieweit Fahrtkosten für die Anreise mit dem Pkw erstattet werden können, wenn öffentliche Verkehrsmittel nicht zur Verfügung stehen.
Ein weiteres finanzielles Problem: Jeder Arbeitnehmer erhält einen Beitrag zur Vermögensbildung. Warum erhalten eigentlich Wehrpflichtige diesen nicht, obwohl ihr Sold in der Regel unter der Ausbildungsbeihilfe für das erste Lehrjahr liegt? Es ist notwendig, die 1982 gestrichene Sparpauschale wieder einzuführen.
Machen wir uns doch bitte klar — für uns steht der Mensch im Mittelpunkt —: Der Wehrsold ist trotz der von uns durchgesetzten Erhöhung zum 1. Januar 1985 so gering, daß die meisten Wehrpflichtigen nach wie vor eine finanzielle Unterstützung ihrer Eltern in Anspruch nehmen müssen oder sich verschulden. Vor diesem Hintergrund ist es für mich unverständlich, daß eine Familie mit drei Kindern den Anspruch auf Fahrpreisverbilligung bei der Bundesbahn verliert, wenn eines der Kinder den Grundwehrdienst ableistet. Wir müssen die finanziellen Belastungen unserer Wehrpflichtigen mehr beachten. Bemerkenswert ist daher der Vorschlag des gerade ausgeschiedenen Wehrbeauf-



Dr. Feldmann
tragten Wilhelm Berkhan, die Höhe des Wehrsolds jährlich zu überprüfen.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Leider verschärft auch die Wehrpflicht das Problem der Jugendarbeitslosigkeit. Die Rechtslage ist eindeutig. Die Praxis — das wissen wir alle — sieht oft etwas anders aus. Deshalb nochmals unser Appell an die privaten und die öffentlichen Arbeitgeber, mehr soziale Sensibilität für die Probleme der Wehrpflichtigen zu zeigen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

In diesem Zusammenhang begrüßt die FDP-Fraktion den auf unsere Forderung zurückgehenden Modellversuch, Jugendliche unmittelbar nach Abschluß der Ausbildung einzuziehen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012902200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Berger?

Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1012902300
Ich gehe davon aus, daß sie nicht auf meine Zeit angerechnet wird. Bitte, Herr Kollege!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1012902400
Herr Kollege Dr. Feldmann, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß auch das Beschäftigungsförderungsgesetz, das in diesem Hause zur Zeit beraten wird, dabei sehr hilfreich sein könnte?

(Lachen bei der SPD)


Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1012902500
Herr Kollege Berger, ich stimme Ihnen zu.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Nach Ableistung des Wehrdienstes sind manche Jugendlichen arbeitslos. Wer zuvor keine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt hat, ist nicht vor den finanziellen Folgen der Arbeitslosigkeit geschützt.

(Jungmann [SPD]: Auch nicht durch Ihr komisches Gesetz, Herr Berger!)

Die FDP ist darüber enttäuscht, daß die Bundesregierung unseren Vorschlag, diesen Personenkreis gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit abzusichern, aus Haushaltsgründen abgelehnt hat.
Das eigentliche Problem der Bundeswehrplanung für die 90er Jahre aber ist die Gewinnung von Zeitsoldaten. Zeitsoldaten sind entscheidend für das Funktionieren unserer Bundeswehr. Sie haben die Funktion eines Scharniers zwischen Wehrpflichtigen und Berufssoldaten. Ohne sie wäre das Problem des Verwendungsstaus heute noch viel größer.

(Berger [CDU/CSU]: Richtig!)

Wir werden uns deshalb wohl schon bald mit Verpflichtungs- und Weiterverpflichtungsprämien und mit einer Verbesserung des Berufsförderungsdienstes — um nur zwei Beispiele zu nennen — beschäftigen müssen. Das Wirkungsvollste aber dürfte sein,
die sozialen Benachteiligungen der Soldaten abzubauen.
Wir dürfen nämlich nicht vergessen: In den Jahren, in denen sich ein Soldat auf Zeit an die Bundeswehr bindet, begründen andere eine berufliche Existenz. Deshalb ist es unsere Aufgabe, das Risiko, das der einzelne mit der Verpflichtung auf Zeit eingeht, so gering wie möglich zu halten. Dieses Risiko könnte z. B. — wie von der FDP-Fraktion gefordert — durch eine erleichterte Übernahme der sogenannten Scheininhaber in den öffentlichen Dienst vermindert werden.
Wir begrüßen deshalb die Bereitschaft der Bundesregierung, die Dauer des Grundwehrdienstes auch bei Soldaten auf Zeit, die mehr als drei Jahre gedient haben, auf die Voraussetzungen für die Anstellung und Beförderung im öffentlichen Dienst anzurechnen. Wir halten aber an unserer Forderung fest, die Probezeit bei Übernahme in den öffentlichen Dienst für alle Soldaten auf Zeit auf die Mindestprobezeit zu reduzieren.
Wir bedauern, daß das Verteidigungsministerium trotz klarer Aufforderung durch den Verteidigungsausschuß bis heute keine Lösungsmöglichkeiten für die Absicherung ausscheidender Zeitsoldaten gegen die finanziellen Folgen der Arbeitslosigkeit aufgezeigt hat. Meine Damen und Herren, der Auftrag, diese Lücke zu schließen, besteht seit 1956, seit Verabschiedung des Soldatengesetzes.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Arbeitsmarktlage lassen es aber auch die kommenden Personalprobleme der Bundeswehr nicht zu, die Erfüllung dieses gesetzlichen Auftrages noch länger hinauszuschieben. Das Entwicklungshelfermodell wäre eine überzeugende Lösung. Es muß endlich realisiert werden.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren, es gibt kaum ein Gebiet, auf dem die besonderen sozialen Belastungen der Soldaten und ihrer Familien so deutlich zutage treten wie bei der Versetzung mit Umzug.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012902600
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jungmann?

Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1012902700
Gerne.

Horst Jungmann (SPD):
Rede ID: ID1012902800
Herr Kollege Feldmann, wenn Ihre Einsicht in die Notwendigkeit, das Entwicklungshelfermodell auf die Zeitsoldaten zu übertragen, so groß ist, wie Sie es hier deutlich gemacht haben, warum ergreifen sie dann nicht mit Ihren Partnern von der CDU die Initiative im Deutschen Bundestag?

(Zuruf von der CDU/CSU: Haben wir doch! — Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Das haben wir doch in der letzten Haushaltsberatung gemacht! Meine Güte! — Weitere Zurufe)





Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1012902900
Lieber Herr Kollege Jungmann,

(Jungmann [SPD]. Es ist nichts daraus geworden! — Berger [CDU/CSU]: Es wird noch etwas daraus!)

wenn Sie aufmerksam gewesen wären, hätten Sie bemerkt, daß wir in dieser Angelegenheit bereits die Initiative ergriffen haben, und wir werden auch weiter am Ball bleiben. Deswegen betone ich ja diese Forderung hier im Deutschen Bundestag auch heute bei der Debatte über die soziale Situation der Soldaten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, es gibt kaum ein Gebiet, auf dem die besonderen sozialen Belastungen der Soldaten und ihrer Familien — ich darf das wiederholen — so deutlich zutage treten wie bei der Versetzung mit Umzug. Ein sozialpolitischer Handlungsbedarf besteht hier vor allem deshalb, weil nicht nur die Soldaten selbst, sondern ihre gesamte Familie die Leidtragenden sind. Unzumutbar sind z. B. die einschneidenden Auswirkungen der häufigen Umzüge auf die schulische Leistungsfähigkeit der Kinder.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber hier sind meines Erachtens auch die Kultusminister der Länder gefragt.
Es ist auch schlecht, wenn durch zu häufige Versetzungen und die zu starren Umzugsregelungen der Ehefrau eines Soldaten faktisch oft die Ausübung eines Berufes verwehrt wird.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Die FDP hat die besonderen Belastungen der Soldatenfamilien auch in die Beratungen zum Bundeshaushalt 1985 einbezogen. Wie heißt es doch so schön:
Es gibt nichts Gutes, es sei denn man tut es.
Wir begrüßen, daß die Bundesregierung unsere Forderung nach Bewilligung einer zweiten Familienheimfahrt für Trennungsgeldempfänger zugestimmt hat. Unbefriedigend ist allerdings die 300Kilometer-Regelung.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir begrüßen auch die Verdoppelung der Beihilfe für Nachhilfeunterricht der Kinder als Schritt in die richtige Richtung. Bei Soldaten mit schulpflichtigen Kindern sollten Versetzungen nur noch zum 1. Juli des Jahres durchgeführt werden.
Wir begrüßen die Bereitschaft des Bundesministers für Verteidigung, die Umzugskostenpauschale deutlich anzuheben. Wir halten auch eine besondere Wohnungsfürsorge für Soldaten für erforderlich; denn die Umzugshäufigkeit ist nicht mit der des allgemeinen öffentlichen Dienstes zu vergleichen. Es scheint uns grundsätzlich notwendig, die Versetzungshäufigkeit zu überprüfen und Versetzungen da, wo sie wirklich unumgänglich sind, weit früher als zur Zeit üblich anzukündigen. Auch drei Monate sind zu gering.
Wir sind uns der dienstlichen Versetzungsnotwendigkeiten durchaus bewußt. Aber können wir nicht die Entscheidungsfreiheit der Soldaten und ihrer Familien erweitern? Die Liberalen regen an, die von der Versetzung Betroffenen selbst die Wahl treffen zu lassen, ob sie nach einer Versetzung an den neuen Dienstort umziehen oder ob sie Trennungsgeld — zumindest in Höhe der sonst anfallenden Umzugskosten — beziehen wollen. Unsere Mindestforderung ist eine liberalere und familienfreundlichere Praxis bei der Anerkennung der Umzugshinderungsgründe.
Zum Schluß noch ein Wort zur hohen Dienstzeitbelastung der Soldaten. Es darf nicht sein, daß die Regelwochenarbeitszeit über 56 Stunden liegt.

(Zuruf des Abg. Berger [CDU/CSU])

Die pauschale Abgeltung oberhalb dieser Schallmauer — unabhängig davon, ob 57 oder 96 Wochenstunden erreicht werden — mit 90 DM ist auch nicht leistungsgerecht. Da stimmen Sie mir doch sicher zu, Herr Kollege Berger.
Wir wissen aber, daß die Einführung einer Dienstzeitregelung nicht zu realisieren ist und daß zusätzliche finanzielle Mittel für eine angemessene Überstundenvergütung nicht zur Verfügung stehen. Ich meine aber, eine Wochendienstzeit von über 56 Stunden muß die Ausnahme sein,

(Berger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

eine Regelwochenarbeitszeit von unter 50 Stunden die Norm. Dieses Ziel zu erreichen sollte meines Erachtens Aufgabe der Truppe selber sein.

(Berger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Eine Hilfe wäre vielleicht, wenn die Kompanieführer eine Wochenarbeitszeit von über 50 Stunden, soweit sie vom Ausbildungsplan abweicht, schriftlich beantragen und begründen müßten. Wenn es gelingt, auf diese oder andere Weise eine Herabsetzung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit zu erreichen, könnte dadurch eventuell eine leistungsgerechtere und individuelle Verteilung der vorhandenen Finanzmittel möglich werden.
Mit dieser Anregung möchte ich schließen und mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Wie schön, ein Liberaler zu sein! — Feilcke [CDU/CSU]: Welche Lust!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012903000
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung.

Peter Kurt Würzbach (CDU):
Rede ID: ID1012903100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die soziale Lage unserer Soldaten in der Bundeswehr ist nicht nur bestimmt — dies will ich hier sehr deutlich sagen — von Gesetzen, von Verordnungen von Geld, von der Situation in der Kaserne, sondern ganz entscheidend auch von dem Erleben und dem Wissen der Soldaten, dem



Parl. Staatssekretär Würzbach
Gefühl der Soldaten, von der Bevölkerung anerkannt, getragen und unterstützt zu sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dies spüren unsere Soldaten, und gerade die Wehrpflichtigen, ganz deutlich. Hier will ich sehr klar formulieren: Da gibt es auch bei uns hier im Hause und draußen noch manches Defizit im Verhalten unseren Soldaten im normalen Alltag in der Kaserne gegenüber. Ich nehme die Gelegenheit gern wahr, Sie alle zu bitten, diese Defizite durch einen eigenen Beitrag und durch Impulse, die Sie anderen geben, abbauen zu helfen.
Wenn die Opposition heute, zweieinhalb Jahre nach dem Regierungswechsel, fragt, wie die Lage im sozialen Bereich unserer Soldaten sei, und man die Reden, die hier gehalten wurden, mitgehört hat, dann, so muß ich sagen, verstehe ich manches nicht. Ich sah in den Gesichtern der Kollegen, in die ich gucken konnte, Kollege Gerstl, daß Sie auch Genossen Ihrer eigenen Fraktion verwirrt haben. Denn so schlecht, daß man in zweieinhalb Jahren das, was Sie aufgebaut haben, verwirtschaften kann, ist Ihre Arbeit in diesem Bereich wirklich nicht gewesen.
Ich will aber diese Gelegenheit wahrnehmen, die relativ kurze Zeit von zweieinhalb Jahren, die wir in der Verantwortung sind, Ihnen hier in einer Art Zwischenbilanz vorzuführen. Dann werden Sie erstaunt merken oder, wenn ich Sie richtig verstehe, erschrocken sein, worüber nicht nur geredet, sondern was in diesem Bereich auch in die Praxis umgesetzt wurde. Ich will vorweg nur sagen: Das Weißbuch geht im April ins Kabinett und kommt vor der Sommerpause zu Ihnen, alle Kapitel umfangreich beinhaltend, keines aussparend, auch nicht das der Personalbedarfsdeckung — dies war der Grund, warum wir ein bißchen aus der eigenen geplanten Zeitachse gekommen sind.

(Zurufe von der SPD)

Ein letztes Wort zu Ihnen, Herr Kollege Gerstl. Ich hoffe, daß der Stil nicht üblich wird, wie Sie Ihre Rede begannen und auf meinen Minister hier eine Schimpfkanonade losließen.

(Zuruf von der SPD)

Am 22. März ist vom Minister aus ein ordnungsgemäßes, ich sage einmal, Entschuldigungsschreiben an Ihren Geschäftsführer Jahn gegangen, in dem geschildert wurde, warum er hier nicht teilnehmen kann, und worin ausdrücklich gesagt wurde, daß Manfred Wörner dies um so mehr bedauert, als die hier durch Ihren Antrag zur Debatte stehenden Fragen zu seinen persönlichen Anliegen gehören.

(Zuruf von der SPD und den GRÜNEN)

Ich finde es schlecht, daß Sie sich trotz dieses vornehmen Miteinanderumgehens so verhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU — Berger [CDU/ CSU]: Wo ist denn Herr Apel?)

Meine Damen und Herren, Sie werden durch Berühren der Punkte bei den Wehrpflichtigen, den Unteroffizieren und den Offizieren erleben, daß für uns in der Truppe die Menschlichkeit den Ton angibt und nicht Bürokratie und Schematismus oder das Gehorchen gegenüber einem Computer. Im übrigen beziehen wir unsere sozialen Vorstellungen nicht nur auf die Wehrpflichtigen, die Soldaten, sondern auch auf die Beamten, die Angestellten, die zivilen Mitarbeiter; diese — das darf ich hier nur feststellen — fehlen übrigens in Ihrer Anfrage.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012903200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Staatssekretär?

Peter Kurt Würzbach (CDU):
Rede ID: ID1012903300
Herr Präsident, ich möchte im Zusammenhang vortragen.
Bezüglich der Wehrpflichtigen möchte ich feststellen — ich nenne vornehmlich solche Dinge, die in den letzten zweieinhalb Jahren eingeführt wurden —: Jeder, der zur Wehrpflicht ansteht und zum Kreiswehrersatzamt kommt und sagt: „Bitte, Bundeswehr, nimm mich jetzt, weil das mit meiner Lehre gut übereinstimmt oder weil ich arbeitslos bin", wird mit Vorrang genommen, meine Damen und Herren. Das bedeutet für uns zwar mehr Arbeit, ist aber ein enormes Entgegenkommen den jungen Menschen gegenüber, die ihre Pflicht abzuleisten bereit sind.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Die Kompaniechefs, die Bataillonskommandeure bemühen sich weit über das vorgeschriebene dienstliche Pflichtmaß hinaus, bei Ausscheiden ihrer Soldaten diese in der Umgebung durch Kontakt zu den Handwerkskammern und zum Arbeitsamt in Brot und Lohn, in eine Arbeitsstelle zu bringen, und zwar, wie die Statistiken zeigen, mit gutem Erfolg.

(Beifall des Abg. Berger [CDU/CSU])

Wir haben — so etwas hat es vorher nicht annähernd gegeben — einen Erlaß herausgegeben, wonach den Soldaten vor dem normalen Ende der 15monatigen Wehrpflicht großzügiger Sonderurlaub gegeben werden kann. Wer die Truppe kennt, weiß, daß vier, sechs und acht Wochen vor dem normalen Ende viele Tausende Soldaten, damit sie bei der Berufsausbildung oder beim Beginn des Studiums keinen Verlust haben, vorzeitig entlassen werden. Auch dies zeigt, wie wir die sozialen Belange und die Einsatzfähigkeit miteinander in einen Kompromiß bringen.

(Frau Traupe [SPD]: Das ist Quatsch, was Sie erzählen!)

— Wenn jemand es als Quatsch bezeichnet, daß wir Männer so viele Wochen vorher nach Hause lassen, damit sie im Beruf keinen Verlust haben, dann sehe ich, daß das nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit aufgenommen wird.

(Zuruf des Abg. Horn [SPD])

Herr Dr. Feldmann, ich unterstütze Ihren Appell an die Wirtschaft. Sie haben den Zusammenhang mit dem Arbeitsplatzschutzgesetz ausführlich dargestellt. Hier ist die Bundesregierung und sind auch wir mit unserem Ressort in engstem Kontakt — übrigens auch die militärische Führung —, um ein



Parl. Staatssekretär Würzbach
Unterlaufen oder auch nur ein Untergraben des Arbeitsplatzschutzgesetzes zu verhindern.
Genauso bemühen wir uns darum — wir haben erste Erfolge erreicht, aber das ist noch nicht genug —, daß die Berufsverbände, aber auch die öffentliche Hand den Beginn der Berufsausbildung für die jungen Leute ein bißchen mehr auf die quartalsmäßig erfolgenden Entlassungen unserer Soldaten abstimmen.

(Berger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Wir berufen zum 1. Juli — dies stellt eine nicht unerhebliche Belastung der Truppe dar — 70 % Abiturienten als Wehrpflichtige ein — vor Fachleuten brauche ich nicht zu erläutern, warum dies Schwierigkeiten bedeutet —, um dieser Gruppe, den Abiturienten, entgegenzukommen, d. h. Wartezeiten im Anschluß an das Studium zu verhindern. Wir haben erreicht — auch das ist neu —, daß einem Wehrpflichtigen nicht nur sein Studienplatz garantiert wird, sondern daß ihm auch der Studienort erhalten bleibt. Das ist auch ein sozialer Aspekt, der vorher leider nicht in die Tat umgesetzt werden konnte.
Das Thema Wehrgerechtigkeit ist angesprochen worden. Hier müssen wir alle uns herausgefordert fühlen, noch mehr zu tun, damit nicht die einen dienen und die anderen lachen und verdienen, sondern daß sich alle der Pflicht stellen und nicht einige, weil die anderen die Pflicht tun, die Rechte ausschließlich zu eigenen Gunsten auskosten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, die unter der Überschrift stehen: In Zukunft werden auch diejenigen zur Pflicht gerufen, die nur angeblich untauglich sind. Es gibt eine Menge, die dieser Pflicht nachkommen können; sie kommen heute aus unterschiedlichen Gründen nicht, vielfach auch auf Grund von Vorschriften, die wir ändern werden. Dies ist übrigens auch — entsprechend dem Thema der Anfrage — ein Gebot sozialer Gerechtigkeit. Diese muß noch mehr als bisher verwirklicht werden.
Ich komme zu dem Komplex der Freizeit. Wohl hat sich auch der Dienstherr, der Vorgesetzte um diese Belange zu kümmern, aber ich möchte feststellen, daß wir unseren Soldaten nur dann vernünftige Bedingungen anbieten können, wenn — wie es in den meisten Gemeinden mustergültig der Fall ist — die Garnisonstädte, die kommunalen Vertretungen in Gemeinden und Städten und auch in den Kreisen unseren Soldaten und uns dabei helfen. Ich möchte als Beispiel die Stadt Kiel nennen, die einen Freizeitpaß mit einem breiten kostenlosen Angebot — vom Besuch von Theatern, Schwimmbädern, Museen bis hin zur Busbenutzung — für die Soldaten eingeführt hat. Ich wünsche mir, daß noch mehr Garnisonstädte diesem Beispiel folgen. Auch hier bitte ich alle Kollegen um Hilfe. Jeder Abgeordnete hat in seinem Wahlkreis besondere Kontakte und kann hier helfen.
Über die Erhöhung des Wehrsoldes, die Erhöhung des Weihnachtsgeldes, des Entlassungsgeldes ist hier gesprochen worden. Wir haben mehrere Tagungen — u. a. eine solche mit Müttern von Wehrpflichtigen — durchgeführt, um die angesprochenen Probleme in einer möglichst breiten Form ungefiltert aufnehmen zu können und Anregungen zu bekommen, damit wir hier nachbessern können. Wir haben noch nicht die Mittel gefunden — es handelt sich um etwa 100 Millionen DM —, um die von der SPD abgeschaffte Sparpauschale für die Wehrpflichtigen wieder einzuführen.

(Frau Traupe [SPD]: Im Haushalt ist genug! Sie wollen gar nicht!)

Dies steht noch auf dem Katalog dessen, was der Verteidigungsminister gerne für die Soldaten erreichen möchte.
Herr Wehrbeauftragter Willi Weiskirch, ich will hier in Anlehnung an Ihren Vorgänger, den wir gewürdigt haben und dessen Arbeit wir in hohem Maße anerkannt haben, im Zusammenhang mit den Wehrpflichtigen einen Punkt herausstellen, in dem die Bundesregierung völlig anderer Meinung ist. Dies betrifft seine Feststellung, die Wehrpflichtigen seien Anpasser, „Duckmäuser" geworden. Den Eindruck haben wir, die wir ständig in Tuchfühlung mit unserer Soldaten sind, nicht. Im Gegenteil, die Wehrpflichtigen in der Kaserne sind quicklebendig und selbstbewußt; sie verstehen es, ihre eigene Sache sehr selbstbewußt zu vertreten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei den Heimfahrten der Wehrpflichtigen — etwa die Hälfte z. B. in Norddeutschland kommt aus dem Ruhrgebiet, aus Nordrhein-Westfalen — bleiben wir dabei, daß die Wehrpflichtigen das großzügige Angebot zur Benutzung der Bundesbahn jedes Wochenende in Anspruch nehmen sollen. Wir gehen jedoch nicht dazu über, ihnen Geld für Benzin zu geben.

(Frau Traupe [SPD]: Richtig!)

Ich verstehe manche Begründung. Ich will aber sehr klar sagen: Wir bleiben dabei: Wehrpflichtiger, benutze kostenlos die Bundesbahn, aber fahre nicht mit dem Auto.

(Horn [SPD]: Das war schon immer unsere Position!)

Dies ist auch eine Fürsorgemaßnahme. Wir kennen die Unfallraten.
Wie in keinem Haushalt vorher sind in den letzten zwei Jahren die Haushaltsansätze zur Instandsetzung von Kasernen erhöht worden. Auch dies ist ein sozialer Aspekt, der den Wehrpflichtigen zugute kommt. Wir renovieren Unterkünfte, wir bauen Mannschafts-, Unteroffiziers- und Offiziersheime sowie Betreuungseinrichtungen wie nie zuvor.
Ein Wort zur Bekleidung: Bevor bei dem überraschend langanhaltenden Kälteeinbruch Meldungen kamen, daß hier und da Soldaten Probleme hatten — übrigens nicht nur wegen der Ausstattung, sondern auch deshalb, ich räume dies ein, weil viele Vorgesetzte keine so gründliche einschlägige Ausbildung mehr erfahren haben und somit die entsprechende Übung nicht mehr hatten —, hat der Minister einen Offizier aus der Kampftruppe zum



Parl. Staatssekretär Würzbach
Sonderbeauftragten für Bekleidung ernannt, um jahrelang vorhandene, alte Mängel unorthodox zu erfassen und nun — ich hoffe, mit Unterstützung aller Teile des Parlaments — die noch vorhandenen Mängel, die es gibt, zügig abzustellen.
Meine verehrten Kollegen, ich habe bisher vornehmlich über die Wehrpflichtigen gesprochen. Vieles greift in alle Dienstgradgruppen hinein.
Ich komme nun zu den Unteroffizieren und möchte die Brücke zu den Wehrpflichtigen so herstellen: Auch wenn wir für den Wehrpflichtigen alles das, was wir tun konnten, getan haben, ist für ihn der junge Unteroffizier, der vor ihm steht, sein direkter Vorgesetzter, von ganz, ganz großer Bedeutung. Keinen anderen Mann in der Bundeswehr erlebt der Wehrpflichtige so viel, so eng. Keiner prägt für den Wehrpflichtigen das Gesicht der Bundeswehr so wie der Unteroffizier.
Der Qualität und auch der Quantität der Unteroffiziere kommt große Bedeutung zu. Und hier kann ich nicht verstehen, wie man beide Augen so verschlossen haben kann: Rund 12 000 Stellen für Unteroffiziere — mit und ohne Portepee, jüngere wie ältere — sind in den letzten zweieinhalb Jahren, Herr Kollege Gerstl, neu geschaffen worden. Dafür haben wir uns eingesetzt, dafür haben wir die Unterstützung der Koalitionsfraktionen bekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Somit sind 12 000 Führer, Ausbilder, Erzieher — der Soziologe sagt: Bezugspersonen —, die sich um die Männer kümmern, mehr in der Bundeswehr als vorher. Wenn Sie hier von einem chronischen Mangel sprechen, Herr Kollege Gerstl, dann stellen Sie hier wohl eine rückwärtsgewandte Betrachtung an

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Sehr gut!)

und haben nicht gesehen, was hier in zweieinhalb Jahren getan wurde.

(Frau Traupe [SPD]: Vergessen Sie nicht, daß wir das mitgemacht haben! — Berger [CDU/CSU]: Dann hätten Sie es doch wissen müssen, Frau Traupe!)

— Deshalb wundert es mich um so mehr, daß das hier so dargestellt worden ist. — 12 000 Unteroffiziere mehr heißt, daß auch unsere Unteroffiziere damit zeitlich entlastet worden sind, weil sich die Arbeit nun auf mehr verteilt.
Herr Kollege Feldmann, Ihre Anregung, bezüglich der Dienstzeitgestaltung melden bzw. beantragen zu lassen, wenn eine Kompanie über 56 Stunden hinaus Dienst tut, und damit eine neue Bürokratie zu schaffen, darf ich bei aller Freundschaft als einen Vorschlag skizzieren, dem wir uns nicht anschließen werden. Denn dies bedeutet, wie gesagt, neue Bürokratie. Wir wollen das Gegenteil: daß der Chef, der Kommandeur seine Männer in eigener Hoheit zum Dienst beweglich einsetzt, aber nach geleistetem Dienst ihnen auch freistellen kann, an einem Wochenende früher oder an einem anderen Wochenende später anzufangen.
Meine Damen und Herren, Sie haben zehn Jahre geredet, gefordert, daß der Spitzendienstgrad,
Stabs- und Oberstabsfeldwebel, wieder eingeführt wird. Sie haben geredet, geredet, geredet. Wir haben ihn am 1. Januar 1983, ein paar Monate nach der Regierungsübernahme durch uns, wieder eingeführt und ihn damit wieder dem Unteroffizierskorps gegeben; das ist dringend notwendig gewesen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Eine Reihe von Ausbildungsgängen für unsere Unteroffiziere sind von den zivilen Kammern inzwischen anerkannt worden. Das erleichtert den Übergang in das zivile Leben. Der Berufsförderungsdienst der Bundeswehr steht in hohem, in einem ganz hohen Ansehen und wird mit allen Mitteln und Möglichkeiten weiter unterstützt.
Ich räume ein, daß wir in der Pflicht sind, die Absicherung ausscheidender Zeitsoldaten zu regeln; da sind verschiedene Modelle im Gespräch. Darüber wird nicht nur geredet, sondern wir sind in ernsten und demnächst zum Abschluß kommenden Gesprächen mit den anderen zuständigen Ministerien.
Ich möchte nun etwas zum Bereich der Familien unserer Soldaten sagen. Jeder Soldat — egal mit welchem Dienstgrad oder in welcher Verantwortung, Funktion — wird seinen Dienst uneingeschränkt, motiviert und damit den Belastungen standhaltend nur dann tun können, wenn sich seine Familie am Standort — mit all dem, was dazu gehört — wohlfühlt.
Hier ist ein harter Eingriff, der der Versetzung, über die in dem Zusammenhang mit Recht gesprochen worden ist. Wir haben 1984 die Zahl der Versetzungen von Soldaten mit Familien auf 8 000 heruntersetzen können — das ist der niedrigste Stand, den wir je hatten —, weil mit einem neuen Erlaß — so streng war nie ein Erlaß gefaßt gewesen — die Personalabteilung angewiesen ist, den zu Versetzenden eine möglichst frühzeitige Information zu geben. Kommen wir unter drei Monate — was bisher sehr oft der Fall war —, hat inzwischen der Offizier die Chance, zu sagen: Bundeswehr, nein, zu diesem Termin, in diesen Ort will ich nicht gehen. Da sind wir verdammt weit gegangen. Sie sehen, wie hier, bei allen Notwendigkeiten der Truppe, auch der einzelne Mensch, in diesem Fall der Soldat, und seine Kinder, seine Frau und seine Familie beachtet werden und welches Gewicht wir dem beimessen.
Die zweite Familienheimfahrt, über die früher lange geredet wurde, ist inzwischen per Gesetz eingeführt. Etwa tausend Familien erfahren dadurch eine Verbesserung.

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Das alles will die SPD nicht zur Kenntnis nehmen!)

Die Verdoppelung für Hilfe bei Nachhilfeunterricht ist inzwischen erreicht; auch dies für rund tausend und ein paar mehr Familien. Das Trennungsgeld wird auf Anweisung des Ministers einfühlsamer, großzügiger, länger gewährt. Es ist nicht mehr wie bisher: Versetzt an den Standort; Wohnung vorgeführt; er hat sie nicht genommen, aus welchen



Parl. Staatssekretär Würzbach
Gründen auch immer; zack, Trennungsgeld gestrichen. Dies ist vorbei. Auch hier wird auf die Familie mehr eingegangen.
Bei der Wohnungsfürsorge stehen wir in einigen Gebieten, besonders Ballungsbereichen, vor großen Herausforderungen. Wir werden ihnen nachkommen. Nicht jede Wohnung jedes Soldaten muß von uns zugewiesen werden. Der freie Markt soll benutzt werden. Das ist unsere Auffassung. Aber dort, wo Mängel und Lücken sind, treten wir ein. Deshalb werden einige neue Wohnungen gebaut. Die anderen werden entsprechend modernisiert.

(Abg. Dr. Klejdzinski [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012903400
Herr Staatssekretär!

Peter Kurt Würzbach (CDU):
Rede ID: ID1012903500
Herr Präsident!

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012903600
Sie bleiben dabei?

Peter Kurt Würzbach (CDU):
Rede ID: ID1012903700
Ich möchte bei der Regel bleiben. Es wäre auch gegenüber den Kollegen, bei denen ich vorher eine Zwischenfrage nicht zuließ, nicht fair.
Den Familien im Ausland, besonders den unteren Dienstgradgruppen, helfen wir durch einen besonderen Teuerungszuschlag. Und wir haben einen schnelleren Anpassungsmodus beim Kaufkraftausgleich mit dem Auswärtigen Amt eingeleitet.
Ich möchte auf die Offiziere zu sprechen kommen und vorweg sehr deutlich feststellen, daß die Fragen der Fürsorge von den Fragen der Führung nicht zu trennen sind. Dies muß in der Praxis erlebt werden. Der Vorgesetzte muß seine Fürsorgeverpflichtung seinen Untergebenen vorleben, und der Untergebene muß an seinen Vorgesetzten die Fürsorge ständig erleben. Dies muß in der Praxis so sein. Daß wir im Ministerium die Fragen der sozialen Belange in einer Extra-Abteilung aufgehängt haben und Extra-Abteilungen in den Wehrbereichsverwaltungen und Standortverwaltungen haben, die alle miteinander gut arbeiten, ist eine Unterstützung für die Führer, die Verantwortlichen in der Truppe. Führung und Fürsorge sind unteilbar miteinander verbunden.
Um den Praxisbezug unserer Vorgesetzten deutlicher hervorzuheben, werden wir in Kürze beginnen — das Modell ist dem Ausschuß vorgetragen worden —, die Ausbildung der Offiziere an den Hochschulen zu verändern, und zwar derart, daß in Zukunft der Leutnant, möglicherweise als Oberleutnant,

(Berger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

länger in der Truppe, vor der Truppe ist, in der Praxis selber geführt wird und führt, bevor er die akademische theoretische Ausbildung absolviert. Die Mischung aus beidem macht den Offizier aus. Nur wenn er beides gelernt hat — und Praxis können Sie nicht im Hörsaal lernen, auch nicht bei einem wie auch immer begabten und erfahrenen Professor —, kann er befähigt sein, seine Männer so zu führen, wie wir ihm den Auftrag gegeben haben.
Ich darf dem Bundestag mitteilen, daß wir vom 1. April an unsere beiden Hochschulen der Bundeswehr — das ist auch ein langes Drängen der dort tätigen Professoren, Assistenten, wissenschaftlichen Mitarbeiter, aber auch der Studenten gewesen —, mit Zustimmung der jeweiligen Kultusminister in Universitäten der Bundeswehr umtaufen werden.

(Frau Traupe [SPD]: Das ist eine bedeutende Neuerung! — Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Ihr habt doch überhaupt nichts gemacht! — Frau Traupe [SPD]: Wenn ihr mehr Stellen besorgen würdet!)

Es werden darüber hinaus beiden Hochschulen mehr Unteroffiziere und mehr Offiziere zugeteilt. Auch das ist eine alte Forderung. Vier, fünf Jahre kenne ich sie. Sie wird jetzt eingelöst. Ich erwähne das, weil Sie diesen Zwischenruf machen.
Ein paar Bemerkungen zum Verwendungsstau. Wir legen dieses Gesetz deshalb in einer Zeit vor, wo gespart wird, wo wir den Haushalt, den Sie uns in einer schlimmen Form hinterlassen haben,

(Lachen bei der SPD)

wieder gesund machen wollen, dennoch diese Kosten dem Parlament, der Öffentlichkeit, dem Bürger zumutend, weil es dringend überfällig ist. Man könnte weit in die Geschichte zurückgehen. Ich nenne einen mir angenehmen Zeugen, den früheren Minister Leber. Er hat das schon 1977 als dringend überfällig und als die Kampfkraft der Bundeswehr in gleichem Maße beeinträchtigend gekennzeichnet wie das immer weiter auseinandergehende konventionelle Ungleichgewicht.
Dieses Gesetz soll nur die Truppenoffiziere angehen, und zwar deshalb, weil bei den Unteroffizieren 1988 und bei den Fachdienstoffizieren schon 1987 automatisch so viele pensioniert werden, daß der Verwendungsabfluß in einer sehr gesunden Form in Gang kommt. Erstreckt man dieses Gesetz auch auf die anderen Laufbahngruppen, müßte man in zwei Jahren das Gegenteil tun. Das wäre verkehrt.

(Ganz [St. Wendel] [CDU/CSU]: Das wissen die auch!)

Dies weiß jeder, der sich damit ein wenig sachlich befaßt.

(Frau Traupe [SPD]: Das stimmt nicht, was Sie da erzählen!)

— Frau Kollegin, wir haben j a gestern schon im Ausschuß den Disput gehabt. Wenn Sie als Haushälterin wirklich nur die Zahlen nehmen und die Ideologie und alles andere hintanstellen, auch ein bißchen das schlechte Gewissen, daß Sie das zehn Jahre gewußt und nichts getan haben,

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

dann müßten Sie, wenn Sie sich für die Truppe verantwortlich fühlen, im Innern mehr als nur zustimmen, daß eine Regierung hier endlich nicht nur



Parl. Staatssekretär Würzbach
redet, sondern handelt. Sie mogelt sich auch nicht über die Runden, wie Herr Schmidt das einmal als Verteidigungsminister getan hat, indem er ein bißchen beförderte und damit die Leute beruhigte. Aber er hat damit das Problem nicht geregelt.

(Frau Traupe [SPD]: Wir warten auf die CSU! — Weitere Zurufe von der SPD)

Ich komme zu einem anderen Punkt. Wir werden — auch mit hartem Durchgriff auf manche militärische Anordnung — dafür sorgen, daß die Vorgesetzten von zuviel Papier, Plänen, Hinweisen, Erlassen und anderen Dingen entlastet werden, so daß die Vorgesetzten in der Truppe frei sind von möglichst vielen sie einengenden, sie am Schreibtisch fesselnden Papieren.

(Zuruf des Abg. Dr. Klejdzinski [SPD])

Ich will hier wie überall, wo ich es kann, gern formulieren: Ich wünsche mir, daß sich unsere Soldaten, und zwar alle Dienstgrade — die Offiziere, die Unteroffiziere, aber auch die Wehrpflichtigen; der eine tut es nur, wenn es auch der andere tut —, mehr in ihrer Uniform in unseren Städten zeigen.

(Zustimmung des Abg. Berger [CDU/CSU])

Dies bedeutet, daß wir an ihrer Seite stehen und sie zu einem solchen Tun ermuntern. Wir verstecken unsere Soldaten nicht, wie das leider in den Jahren vorher Mode geworden war, in den Kasernen. In diesem Jahr sollten wir besonders oft Anlässe suchen, mit unseren Soldaten in die Städte und auf die Plätze zu gehen und sie in Verbindung mit unserer Bevölkerung zu bringen, wo immer dies möglich ist; denn sie tun Dienst für uns alle.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE])

In diesem Jahr sollten wir diese Gelegenheit besonders oft suchen, da im November die Bundeswehr 30 Jahre besteht

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Jawohl!)

und 30 Jahre ihren Auftrag, den Krieg zu verhindern und den Frieden zu erhalten, ohne Einschränkung für uns alle erfüllt hat.
Ich möchte beim Abhandeln dieses Themas heute und hier auch ein Wort zu den Reservisten sagen. Die Reservisten machen einen ganz großen Teil, den größten Teil unserer Bundeswehr aus. Hier haben wir in Zukunft, weil wir sie häufiger zu Übungen rufen werden, eine Menge auch gesetzlich zu regeln. Ich darf die Kollegen der Regierungskoalition und darüber hinaus um Unterstützung dafür bitten, heute noch bestehende soziale, arbeitsrechtliche und steuerrechtliche Probleme zu beseitigen, die derzeit manche Reservisten belasten, wenn sie ihrer Pflicht nachkommen.
Wir haben, um die Belange der Reservisten, die in großer Vielfalt im Ministerium zusammenlaufen, zu straffen, einen Reservistenbeauftragten eingesetzt, und zwar den stellvertretenden Inspekteur des Heeres, einen Dreisternegeneral. Auch dies macht in der Führungsspitze deutlich, mit welchem Nachdruck wir hier herangehen wollen.
Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß nach zweieinhalb Jahren die Bundesregierung bezüglich der sozialen Belange unserer Soldaten auf eine ausgesprochen stolze Zwischenbilanz verweisen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dies ist so trotz der Regierungspolitik, den Geldbeutel zu straffen, um ihn später wieder gesund und gestaltungskräftig für alle Regierungspolitik zu machen. Die Soldaten und die Soldatenfamilien, jeder, der es mit den Streitkräften und den Menschen in unserer Bundeswehr ernst meint, wird spüren, daß die sozialen Belange unserer Bundeswehrsoldaten bei uns in guten Händen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012903800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Steiner.

Heinz-Alfred Steiner (SPD):
Rede ID: ID1012903900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Das Wichtigste ist für mich der Soldat. Er bestimmt in erster Linie die Qualität der Armee. Das beste Material ist wertlos, wenn es nicht von einem gut ausgebildeten und motivierten Soldaten bedient wird."

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! — Das hat er gut gesagt!)

So Verteidigungsminister Wörner auf der 26. Kommandeurtagung in Hagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

— Gemach, gemach! Wie sieht es nun aber mit der Motivation unserer Soldaten aus?

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Jetzt kommt die rote Brille!)

Das Gefühl, dem Dienstherrn in einem einseitigen Treueverhältnis ausgeliefert zu sein, nimmt bei Wehrpflichtigen, bei Zeitsoldaten und vor allem bei Berufssoldaten immer mehr zu.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Die Soldaten haben längst gemerkt, daß der Verteidigungsminister zwar häufig über Soldatenprobleme spricht, daß er es mit der Lösung erkannter Probleme und mit seiner Fürsorgepflicht aber nicht so ernst meint.

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Sie haben noch nicht einmal Herrn Würzbach zugehört! — Dr. Klejdzinski [SPD]: Das lohnt auch nicht, Herr Wimmer!)

Die Probleme unserer Soldaten sind allgemein bekannt. Sie sind in der Mobilitätsstudie von 1982, in einer Untersuchung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr, in den Jahresberichten des Wehrbeauftragten, in den Veröffentlichungen des Deutschen Bundeswehr-Verbandes, in dem Maßnahmenkatalog des Ministers von 1983 und selbst in den Aussagen des hier anwesenden Parlamentarischen Staatssekretärs Würzbach in einer Fragestunde am 21. September 1984 so deutlich beschrieben, daß Unwissenheit als Entschuldigungsgrund für grobe Versäumnisse der Verant-



Steiner
wortlichen in den letzten zweieinhalb Jahren völlig ausscheidet.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn Herr Dr. Feldmann hier der staunenden Öffentlichkeit kundtut, daß er für Zeitsoldaten das Entwicklungshelfermodell für angemessen hält, und Sie dem Beifall klatschen, dann muß ich Sie ernsthaft fragen: Wenn es wirklich eine ernste Angelegenheit ist, wie Sie es hier vorgeben, warum sind Sie dann bisher in dieser Problematik nicht tätig geworden, um das einzuführen, was jetzt erforderlich ist, um den Zeitsoldaten, die sonst in die Arbeitslosigkeit entlassen und dann der Sozialhilfe anheimgestellt werden, sofort zu helfen?

(Beifall bei der SPD — Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Sie kennen doch unseren Antrag aus den Haushaltsberatungen?)

Unsere Unterstützung werden Sie jederzeit haben, wenn Sie nicht nur, wie Sie hier vorgeben, am Ball bleiben, sondern sofort handeln.
Erstaunt war ich auch über die Argumentation Ihres Parlamentarischen Staatssekretärs, als er hier von 12 000 neuen Unteroffizieren sprach. Ich darf Ihnen — damit das für Sie deutlich wird; vielleicht wissen Sie es sogar schon — in diesem Zusammenhang auch sagen — und das ist mit eine Auswirkung Ihrer Politik gewesen —, daß wir es heute nicht mit 1,8 Millionen Arbeitslosen zu tun haben, sondern mit 2,8 Millionen, und daß sich unter diesen 2,8 Millionen Arbeitslosen, die registriert sind — die Zahl ist ja noch wesentlich höher —, auch eine große Zahl von Jugendlichen oder jungen Männern befindet, die aus ihrer Not heraus, weil sie sonst nichts anderes finden,

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Eine Folge Ihrer Politik!)

jetzt dazu beitragen, daß das Bewerberaufkommen gerade im Bereich der Zeitsoldaten erheblich angestiegen ist.

(Beifall bei der SPD)

Das ist nicht nur Ihr Verdienst, daß wir jetzt 12 000 Unteroffiziere mehr haben, indem Sie hier vorgeben, mehr Stellen geschaffen zu haben, sondern Sie haben hier eine Situation geschaffen,

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Die Sie geschaffen haben!)

bei der diese jungen Leute, weil sie sonst nichts anderes finden, in diese Lage gekommen sind. Für die Bundeswehr ist dies, insgesamt gesehen, sicherlich nicht schlecht,

(Zurufe von der CDU/CSU)

aber der Hintergrund darf dabei nicht außer acht gelassen werden.
Aus der Vielzahl der Probleme unserer Soldaten — darum geht es heute — möchte ich einige mir wesentlich erscheinende herausgreifen, um damit den Nachholbedarf dieser Bundesregierung zu verdeutlichen.

(Sehr gut! bei der SPD)

Lassen Sie mich zuerst einige Bemerkungen zur Versetzungspraxis und zu den Versetzungsfolgen machen. In seinem Jahresbericht 1984 führt der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages u. a. aus:
Etwa 10 000 verheiratete Berufs- und Zeitsoldaten werden Jahr für Jahr an einen anderen Standort versetzt. Das bedeutet, daß Tausende von Familien jährlich umziehen müssen. Jeder dieser Umzüge bringt Belastungen mit sich. Sie reichen von der Aufgabe sozialer Bindungen über Störungen in der Schulausbildung der Kinder bis zum Verlust des Arbeitsplatzes der Ehefrau. In einer Zeit, in der die Gesellschaft weitgehend immobil geworden ist, wird es auch vielen Soldatenfamilien immer schwerer, die von ihnen geforderte Mobilität unter Beweis zu stellen. Die Belastungen der Familien nehmen bei Mehrfachumzügen zu — zehn Umzüge und mehr in einem Soldatenleben sind keine Seltenheit — und werden zunehmend von den Familien als ein unerträgliches Opfer empfunden.
Die Zahl der Eingaben im Bereich der Versetzungen und Kommandierungen wächst wieder an. 1982 erreichten mich hierzu 590 Eingaben, 1983 schon 693 und im Berichtsjahr stieg die Zahl auf 752.

(Jungmann [SPD]: Das war die Wende!) Diese Entwicklung ist besorgniserregend.

Die Motivation unserer Soldaten wird auch von dem Ausmaß der sozialen Zufriedenheit und der Anerkennung, die der Soldat in seiner Familie findet, mitbestimmt.

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Sehr wohl!)

Dies sollte der Dienstherr stets bei der Verlegung von Truppenteilen, der Einführung neuer Waffensysteme und allen weiteren Maßnahmen berücksichtigen, die Umzüge von vielen Familien erforderlich machen.

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Das stimmt j a auch!)

Was sich hinter diesen Aussagen des Wehrbeauftragten an weiteren Einzelproblemen verbirgt, ist so umfangreich, daß ich auf die bereits erwähnte Mobilitätsstudie und die Veröffentlichung des Deutschen Bundeswehr-Verbandes verweisen muß. Die mit auf unser Drängen hin am 1. Januar 1985 eingeführte zweite monatliche Reisebeihilfe für Familienheimfahrten und die Verdoppelung der Erstattungsbeträge für Nachhilfeunterricht für Kinder versetzter Soldaten sind nur eine geringe Entlastung, bezogen auf alle Versetzungsprobleme.

(Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Richtig!)

Daß wesentlich mehr getan werden muß, ist bei uns im Verteidigungsausschuß auch gar nicht strittig. In einer einstimmig verabschiedeten Beschlußempfehlung am 6. Juni 1984 über den Jahresbericht des Wehrbeauftragten 1983 stellt der Verteidigungsausschuß fest:



Steiner
Der Verteidigungsausschuß teilt die Sorgen des Wehrbeauftragten zur Versetzungsproblematik in der Bundeswehr. Unübersehbar sind die oft erheblichen Folgen für die Familien. Der Verteidigungsausschuß erwartet, daß der Bundesminister der Verteidigung Konsequenzen aus der Studie „Mobilität in der Bundeswehr" zieht. Zu dem beim Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr in Auftrag gegebenen Forschungsauftrag erwartet der Verteidigungsausschuß zu gegebener Zeit einen Bericht.
Insofern ist es besonders peinlich und für den Verteidigungsminister kein Zeichen von Qualität, wenn er bis heute nicht auf diese einstimmig gefaßte Empfehlung reagiert hat und nicht einmal das zwar mehrfach angekündigte Weißbuch zur sozialen Lage unserer Soldaten vorgelegt hat. Er ist bis heute auf die Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts nicht einmal eingegangen.

(Ganz [St. Wendel] [CDU/CSU]: Er hat gehandelt! Sie haben nur Studien gemacht!)

Nein, er geht noch einen Schritt weiter. Er hat verboten, daß diese Studie den Parlamentariern zugänglich gemacht wird.

(Hört! Hört! bei der SPD — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Unerhört! Da kann man nur noch in den Weltraum gehen!)

Meine Damen und Herren, wen kann es da noch wundern, wenn sich auch bei unseren Soldaten immer mehr das Gefühl verstärkt: Der Minister hat nicht die Fähigkeit und nicht die Kraft, um notwendige, angemessene Verbesserungen für unsere Soldaten und ihre Familien zu erreichen.
Welche Familien hat der Bundeskanzler wohl gemeint, als er in seiner Regierungserklärung am 13. Oktober 1982 die Familie zum zentralen Punkt seiner Politik erhob? Ich zitiere: „In der Familie lernen die Menschen Tugenden und Verhaltensweisen, die unserer Gesellschaft ein menschliches Gesicht geben." An anderer Stelle heißt es: Die Bundesregierung wird Möglichkeiten schaffen, um Familie und Beruf miteinander zu verbinden. — Wen hat er wohl gemeint? Die Angehörigen der Bundeswehr und ihre Familien kann er jedenfalls nicht gemeint haben. Immer mehr Soldaten werfen dieser Bundesregierung zu Recht falsche Versprechungen vor, und der dabei zum Ausdruck kommende Mißmut und die Unzufriedenheit sind nur zu verständlich.
Die größten organisatorischen Probleme bei der Versetzung bestehen für Soldatenfamilien in der Wohnungsfürsorge, die zu Recht außerordentlich beklagt wird. Wer sich einmal ein Bild über diese Problematik und die Situation, in der sich Soldatenfamilien befinden, machen will, der sollte die Gelegenheit wahrnehmen und an einer Verbandstagung des Bundeswehr-Verbandes mit Soldatenfrauen teilnehmen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Die Zwischenrufe, die hier teilweise gemacht wurden, sollten sie dort einmal loswerden. Ich glaube,
manch einer von Ihnen würde dann als gerupfter Hahn zurückommen.

(Beifall bei der SPD)

Die bisher verfügbaren Bundesdarlehenswohnungen nehmen in den kommenden Jahren zahlenmäßig rapide ab, weil das Besetzungsrecht des Bundes für viele dieser Wohnungen ausläuft. Bundeseigene Wohnungen reichen nicht aus oder haben oft noch einen Ausstattungsstandard, der ganz normalen Ansprüchen bei weitem nicht mehr genügt. Außerdem sind die nach Lage und Ausstattung besten Wohnungen entweder mit Familien ziviler Mitarbeiter oder Soldaten mit langen Stehzeiten an den Standorten belegt, so daß für die von den Versetzungen besonders häufig betroffenen Berufsoffiziere meistens nur Wohnungen zur Verfügung stehen, die ihren Ansprüchen einfach nicht mehr genügen können. Sie werden dann auf den freien Wohnungsmarkt verwiesen und müssen damit wesentlich höhere Mieten als andere Soldaten in Kauf nehmen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Herr Kollege Steiner, wie war das zu Ihrer Zeit?)

Wir Sozialdemokraten fordern die Bundesregierung auf, die Folgen der geforderten Mobilität für Soldatenfamilien endlich durch geeignete Maßnahmen zu mildern. Zu den geeigneten Maßnahmen zähle ich: Bei der Versetzungsplanung müssen künftig der Mensch und die Familie mehr im Vordergrund stehen. Dies ergibt sich bereits auch aus Art. 6 unseres Grundgesetzes, der die Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt. Für Soldatenfamilien ist dieser Grundsatz bisher nicht erfüllt.
Zu dem sogenannten Versetzungsmanagement gehört auch ein Personalgespräch mit dem Ziel, Soldaten eine längere Planung innerhalb der Familie zu ermöglichen. Auch Folgeversetzungen und Folgeumzüge müssen künftig stärker berücksichtigt werden.

(Beifall bei der SPD)

Hier wäre es sicherlich auch für den Parlamentarischen Staatssekretär eine dankbare Aufgabe, sich einmal die Personalabteilung, insbesondere das P-Amt, vorzuknöpfen, um die Versetzungspraxis, die dort gehandhabt wird, im einzelnen zu untersuchen. Es ist für mich unverständlich, daß den Offizieren, die dann Verhinderungsgründe geltend machen, gesagt wird: Als Sie Offizier wurden, haben Sie bereits davon gewußt, daß Sie in regelmäßigen Abständen mit Versetzungen zu rechnen haben. — Das ist dann häufig die Antwort. Die Gründe, die dann im einzelnen vorgetragen werden, werden zwar zum Teil berücksichtigt — zugegebenermaßen —, aber oftmals auch mit ulkigen Bemerkungen zurückgewiesen. Eigenartigerweise ist es bei denen, die so verfahren, bisher noch nie zu Versetzungspannen gekommen. Sie werden, wenn Sie das näher untersuchen, feststellen, daß diejenigen, die Versetzungen anderer kurzfristig anordnen, ihren eigenen Werdegang genau vorausgeplant haben, daß die Versetzungen in einer kontinuierlichen Reihenfolge mit kontinuierlicher Verwendung und Be-



Steiner
förderung genau geplant sind; es kommt nichts dazwischen. Wenn das bei denjenigen, die bei P arbeiten, möglich ist, muß das für andere Soldaten auch möglich sein.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe das bereits seinerzeit Ihrem Vorgänger gesagt. Aber P scheint so stark zu sein, daß sich da kein Parlamentarischer Staatssekretär heranwagt.
Zu den sogenannten Möglichkeiten, die ich aufzeigen möchte, gehört, daß die als mangelhaft empfundene Versetzungsfürsorge verbessert werden muß. Dazu gehören eine zeitgemäße Instandsetzung von Bundesbedienstetenwohnungen und die Modernisierung bundeseigener Wohnungen, Anpassung der Kostenerstattung an die seit langem gestiegenen Kosten von Umzügen. Renovierungskosten vor Bezug der Wohnungen sind wegen der schnellen Versetzungsfolgen zu berücksichtigen. Die Wohnungsvergaberichtlinien sind zu aktualisieren. Sie sehen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, hier ist noch ein Feld, das Sie beackern können. Sie sollten das tun und nicht nur lamentieren sowie darauf verweisen,

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Wer lamentiert denn hier? Sie!)

daß in bestimmten Bereichen Verbesserungen erzielt worden seien, die wir mit Ihnen durchgesetzt haben, die aber nicht auf Grund eines Anstoßes dieser Regierung realisiert worden sind.

(Beifall bei der SPD)

Erfüllen Sie die berechtigten sozialen Forderungen unserer Soldaten.
Ich schließe mit einem Ausspruch des vor wenigen Tagen ausgeschiedenen Wehrbeauftragten Karl Wilhelm Berkhan: Soziale Sicherheit der Soldaten und ihrer Familien schafft mit die Grundlage für eine ausreichende Motivation.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012904000
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Krone-Appuhn.

Ursula Krone-Appuhn (CSU):
Rede ID: ID1012904100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Pflichterfüllung der Soldaten stand früher die Fürsorge des Dienstherrn gegenüber. Seit langen Jahren reden wir davon nicht mehr, sondern über die soziale Lage Bundeswehr. Damit haben wir gezeigt, daß die Balance der alten Waage zuungunsten der Soldaten ausgeschlagen ist.
Soziale Lage Bundeswehr ist, seitdem ich im deutschen Parlament bin — und das ist seit 1976 —, immer ein Thema der Opposition. Darum konnten Sie, Herr Kollege Steiner, auch alles das so schön vortragen, was der Deutsche Bundeswehr-Verband möchte.
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie der Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages an einem Nachmittag im November 1978 das vom Bundesverteidigungsminister Leber gegenüber den
Alliierten gegebene Versprechen einlösen mußte und 2 Milliarden DM für das AWACS-Frühwarnsystem auf einen Schlag zu bewilligen hatte.

(Zuruf von der SPD: Sie haben aber auch zugestimmt, nicht wahr?)

— Hören Sie einmal zu. — Damals habe ich an die Soldaten der 4. Jägerdivision erinnert, die keine gescheiten Stiefel hatten. Herr Dr. Wörner hat mich deshalb kritisiert; mit Recht, weil man natürlich nicht von Stiefeln reden kann, wenn man einem AWACS-System zustimmen soll.
Meine Kollegen von der SPD haben mich aber damals unterstützt, insbesondere der Kollege Gerstl. Vernünftige Stiefel haben unsere Panzergrenadiere aber leider immer noch nicht.

(Heiterkeit)

Nun können Sie daraus den Schluß ziehen: Weil Herr Leber die 2 Milliarden DM für das AWACS-Frühwarnsystem zugesagt hatte, konnte Bundesverteidigungsminister Dr. Apel keine ordentliche Bekleidung für die deutsche Bundeswehr beschaffen. Dann wären Sie, meine Damen und Herren von der SPD, auf den Barrikaden.
Ich glaube, wir sollten uns darauf besinnen — wir könnten uns darauf wohl auch einigen —, daß die soziale Lage Bundeswehr kein Thema der Opposition bleiben darf; sonst geht es damit nämlich genauso wie mit der Zivilverteidigung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Dabei kommt am Ende nichts heraus. Für die Soldaten wird dann nichts oder zuwenig getan.

(Sehr gut! bei der SPD)

Also muß das ein Thema von uns allen sein.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Während wir jahrelang herumdebattieren, strickt ein ehemaliger Soldat, der jetzt Rentner ist, seit zwölf Jahren für die Soldaten Socken. Dankenswerterweise hat „Bundeswehr aktuell" das veröffentlicht. Und ich spreche sicher im Namen von Koalition und Opposition, wenn ich dem Herrn Erwin Esslinger, 82 Jahre alt, wie gesagt, sehr herzlich dafür danke, daß er etwas getan hat, während wir hier herumgeredet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich danke auch dem IP-Stab, der diese Geschichte veröffentlicht und uns damit einmal klargemacht hat, daß ein alter und erfahrener Soldat für uns alle Vorbildfunktion hat.
In den Haushaltsberatungen 1984 haben wir alle darüber geredet, daß unsere Soldaten nicht vernünftig angezogen sind. Mir ist das schon seit meinem ersten Truppenbesuch im Januar 1977 beim Pionierkommando 1 bekannt. Nach langjährigen wiederholten Debatten zu Bekleidungsfragen forderten wir gemeinsam eine Sommer- und Winteruniform, Wechsel der Uniform auf Befehl des Ba-



Frau Krone-Appuhn
taillonskommandeurs, bessere Tarnanzüge und das Ende des sogenannten Zwiebelschalensystems.

(Schwenninger [GRÜNE]: Tarnung gegen was, wofür?)

— Ach, mein lieber Herr Kollege, das fragen Sie mal den Herrn Vogt. Der kann Ihnen das genau erklären.

(Berger [CDU/CSU]: Der trägt schon Schlips als Tarnung!)

Die SPD hat uns damals dankenswerterweise voll unterstützt. Wir waren uns im Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages alle einig: Wenn das Verteidigungsministerium und das BwB jahrelang nicht in der Lage waren, unsere Soldaten anständig anzuziehen, wird das in Zukunft der Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Meine Damen und Herren von der SPD, in Ihrem schönen Antrag zur sozialen Lage unserer Soldaten vermisse ich aber nun leider gerade diese wichtigen Bekleidungsforderungen.
Zum Glück hat aber der Herr Minister Konsequenzen gezogen. Er hat nämlich einen Oberst aus der Truppe, nämlich von der 1. Panzerdivision nach Köln geholt, mit dem Auftrag, die Probleme vor Ort zu studieren und konkrete Vorschläge aus der Sicht eines Soldaten der Kampftruppen zu machen.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Das halte ich für eine vernünftige Maßnahme. Jetzt geschieht endlich mal etwas.
Als nämlich im Januar „Väterchen Frost" kam, haben wir alle sehr schnell gemerkt, wie es um die Bekleidung unserer Soldaten wirklich aussieht. Und der Herr Staatssekretär hat hier mit Recht darauf hingewiesen, wie es auch mit der Ausbildung unserer Soldaten aussieht.
Ich freue mich darüber, daß wir den am 9./10. Januar begonnenen, wie unsere Soldaten sagen, „Klamottenkampf" alle gemeinsam führen konnten und dazu von den Medien unterstützt wurden, wofür ich hier ausdrücklich danke.
Die Frauen des Haushaltsausschusses, Frau Kollegin Traupe, haben sich dankenswerterweise solidarisiert. Auf sie setzen wir nun unsere große Hoffnung, wenn es darum geht, neue Bekleidungsstücke für die Soldaten zu genehmigen.

(Schwenninger [GRÜNE]: Wieso ist das Sache der Frauen?)

Da brauchen wir nämlich primär die Hilfe der „Abgeordneten de luxe".
Ich habe mich in der Zeit, als die Damen des Haushaltsausschusses bei der Truppe waren, dann als „Mutter Courage von den Unterhosen" charakterisieren lassen dürfen. Das macht mir aber überhaupt nichts aus. Hauptsache ist: Unsere Soldaten sind warm angezogen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Dankenswerterweise hat uns der „BekleidungsOberst" auch schon einen Zwischenbericht gegeben, wie das mit der Bekleidung nun alles werden soll.
In diesem Zusammenhang habe ich mir gedacht: Wenn alle Mitglieder dieses Hohen Hauses in den letzten Jahren, statt über Bekleidung zu reden, nur einmal an zwei aufeinanderfolgenden Plenartagen einen Strumpf pro Tag gestrickt hätten wie dieser alte Soldat, hätten wir in diesen zwei Tagen schon einem ganzen Bataillon zu warmen Füßen im nächsten Winter verhelfen können.

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Aber keine Blau-Strümpfe! — Heiterkeit)

Außerdem, meine lieben Herren, wäre das ein Beitrag zur Emanzipation des Mannes als Ergänzung zu unseren Leitlinien für die Frau gewesen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Da brauche ich aber einen Lehrgang! — Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, die soziale Lage der Soldaten der Bundeswehr nehme ich sehr ernst. Und wir haben doch auch schon etwas getan. Herr Kollege Steiner, Sie haben mit so bewegenden Worten von einer Frauentagung geredet. Wir haben sie durchgeführt. Was heißt hier „wir"? Das Bundesministerium der Verteidigung hat seine Leute geschickt, der Bundeswehr-Verband hat organisiert, und bezahlt hat diese Tagung Heiner Geißler. Und das war eine sehr nützliche Sache; denn damit konnten wir endlich einmal herausbekommen, wie es um die wirklich Betroffenen steht, die sich nicht wehren und nicht beschweren können. Auf dieser Tagung haben wir die soziale Lage der Soldatenfamilien einmal intensiv erörtern können. Neben der Wohnungssituation war dabei wiederum die Versetzungshäufigkeit das meistgenannte Thema.
Die Bundesregierung möchte ich auf Grund der Erfahrungen, die wir gerade in der Diskussion mit den Soldatenfrauen gesammelt haben, nachdrücklich bitten, noch einmal mit den Ministerpräsidenten und mit der Kultusministerkonferenz der deutschen Bundesländer darüber zu sprechen, daß es in den Schulen aller unserer Bundesländer nicht primär um Lernziele und um falsch verstandene Selbstverwirklichung von Pädagogen geht, sondern um die Erziehung unserer Kinder zu tüchtigen und gebildeten Staatsbürgern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dabei möchte ich noch einmal an die Situation der Soldatenkinder erinnern, die mit ihren Eltern von Bundesland zu Bundesland ziehen müssen, damit der Vater „Karriere" machen kann und den Diensteigentümlichkeiten seines Berufsstandes nachkommt, wobei die Kinder dann meistens in der Schule auf der Strecke bleiben. Mehr Geld für Nachhilfeunterricht allein hilft da nicht. Es geht um eine Vereinheitlichung des Bildungssystems in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur im Interesse der Mobilität der Soldatenfamilien, sondern ganz generell auch im Interesse aller Bundesbürger,

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

denn es wird immer darüber geklagt, die Leute
seien nicht mehr mobil, aber warum sind sie es



Frau Krone-Appuhn
nicht? Weil bei einem Schulwechsel die Kinder meistens sitzenbleiben.
Den Frauen der Soldaten geht es aber so ähnlich wie ihren Kindern, denn dann, wenn sie von einem Bundesland ins andere versetzt werden, werden sie, wenn sie z. B. selber im Schuldienst sind, dort nicht mehr in den Schuldienst übernommen. Auf diesem Sektor zeichnet sich insbesondere mein lieber Freistaat Bayern aus, der grundsätzlich Leute mit einer Ausbildung, die seiner Ausbildungsordnung nicht entspricht, einfach nicht in den Schuldienst übernimmt. Alle Petitionen im Interesse von Soldatenfrauen schickt man völlig sinnlos an das dortige Kultusministerium!

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Das ist Mut vor Fürstenthronen!)

Was mich aber bei der Tagung in Koblenz ganz besonders berührte, waren nicht die uns bekannten alten Klagen, sondern es waren die Probleme, die die Frauen in einer Diskussion mit einer Psychologin vorgetragen haben, nämlich die Probleme damit, daß sie durch die Versetzungshäufigkeit psychosomatische Schwierigkeiten haben und sich spätestens nach der dritten Versetzung heimatlos fühlen, während sich ihre Männer im neuen Kameradenkreis recht gut einleben. Die Frauen schließen keine Freundschaften mehr und haben auch keine Lust mehr, sich besonders zu engagieren, weil sie von vornherein das Damoklesschwert der nächsten Versetzung über sich fühlen.
In diesem Zusammenhang appelliere ich nicht nur an die zur Fürsorge verpflichteten Kommandeure, sondern auch an deren Ehefrauen und an die Frauen aller Soldaten an allen Standorten, sich um die Neuankömmlinge zu kümmern, sie so schnell wie möglich in den Kreis, in dem sie selbst sind, aufzunehmen und sie zu integrieren.
In anderen Ländern wird so etwas vorbildlich gemacht. In Amerika z. B. ist „social work" der Frau des „officers" selbstverständlich. Auch in Südafrika ist das so; da gibt es sogar ein Handbuch für die Ehefrauen kommandierender Offiziere mit genauen Anweisungen über deren Pflichtbereich und über die Pflichten der Frauen gegenüber allen Frauen von Soldaten.

(Schwenninger [GRÜNE]: Das ist ein Skandal! Wie kann man so etwas zitieren, von diesem faschistischen System etwas zitieren? Hören Sie mal!)

— Jetzt schreien Sie hier nicht über das System, sondern hören Sie sich lieber an, daß es dort sogar Hilfen für den Umgang mit den Frauen aller Soldaten gibt,

(Schwenninger [GRÜNE]: Sie können nicht über Südafrika ohne die Apartheid reden! Meine Güte!)

und da gibt es, z. B. in der Gegend von Johannesburg, auch schwarze Soldaten.

(Schwenninger [GRÜNE]: Das ist ein Skandal! Gerade heute gibt es wieder einen Prozeß gegen „Hochverräter"! Es ist ja unglaublich!)

Unsere beiden Kirchen stellen ihre besten Pfarrer für die Militärseelsorge zur Verfügung. An die Militärseelsorger beider Konfessionen und an ihre Gemeinden richte ich die herzliche Bitte, dafür Sorge zu tragen, daß die Neuankömmlinge in den Standorten auch in den Kirchengemeinden eine Heimat finden. Am nächsten Sonntag beginnt eine Woche der Besinnung für alle Christen und Nichtchristen in unserem Lande. Ob wir nun Goethes „Osterspaziergang" lesen oder an den Feiern der Kirchen teilnehmen: beides ist gut, um daran zu denken, daß das höchste Gut der Bundeswehr nicht das neueste Waffensystem und auch nicht neue, begrüßenswerte Pläne für SDI sind; das höchste Gut der Bundeswehr ist und bleibt der Mensch.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Ehe wir uns am Festival der großen Weltraumverteidigungsinitiative beteiligen, meine lieben Damen und Herren, müssen wir bei uns erst mal Osterputz machen.

(Schwenninger [GRÜNE]: Die Waffen verändern auch die Menschen!)

Das heißt: Unser aller Pflicht ist es, sofort etwas dafür zu tun, daß das Thema soziale Lage der Bundeswehr mit dieser Legislaturperiode beendet ist.

(Schwenninger [GRÜNE]: Wir schaffen sie ab oder wie?)

Das heißt, wir haben alle angeschnittenen Fragen zufriedenstellend zu lösen!
In bezug auf die geistige Situation unserer Streit, kräfte sollten wir dann einmal darüber nachdenken, ob es nicht auch zur geistigen Wende gehört, statt „Sozialpolitik-Dauerbrenner" endlich einmal wieder eine Diskussion darüber zu führen, wie eigentlich das Koordinatensystem der geistigen Grundwerte dieser Streitkräfte in Zukunft aussehen muß, damit solche Probleme erst gar nicht entstehen können.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen besinnliche Ostern.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und Abgeordneten der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012904200
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich eine Zwischenbemerkung machen. Daß ausgerechnet bei der Debatte über die soziale Lage der Soldaten eine ganze Anzahl von Besuchern wegen des großen Andrangs oben eine Weile stehen mußte, bis es gelungen ist, die Soldaten auf der Tribüne zum Sitzen zu bringen, bitte ich zu entschuldigen.
Jetzt kommt der nächste Redner, der Abgeordnete Heistermann.

Dieter Heistermann (SPD):
Rede ID: ID1012904300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Krone-Appuhn, Ihre Ausführungen haben sicherlich viele Kollegen aus den Socken gehauen. Wenn ich mir vorstelle, daß die Kollegen jetzt noch das Stricken üben müssen — neben der politischen Arbeit —, so könnte das zumindest einige überfordern.



Heistermann
Ihr Hinweis, die Unterwäsche bei der BundeswehrMarke „Männertod" solle abgeschafft werden, wird sicherlich aufgegriffen. Ich könnte mir vorstellen, daß die zuständigen Berichterstatter mit Freude darangehen.

(Schwenninger [GRÜNE]: Da sieht man, daß Sie nicht gedient haben: Die sind nämlich gut gegen den Wolf! — Berger [CDU/ CSU]: Aber nur für den, der ihn hat! — Heiterkeit)

— Aber nicht „Peter und der Wolf", wenn ich das mal sagen darf, Herr Kollege.
Als der jetzige Verteidigungsminister, Herr Dr. Wörner, noch die Rolle des Schattenverteidigungsministers spielte, hatten viele der Soldaten den Eindruck, wenn dieser Mann erst mal Minister sei, werde sich die soziale Lager der Soldaten und ihrer Familien entscheidend verbessern.

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Das ist ja auch so!)

— Hat sich denn nun die Lage der Soldaten und ihrer Familien tatsächlich verbessert, Herr Kollege Wimmer,

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

seitdem dieser Minister im Amt ist, oder waren seine damaligen Äußerungen nur als „Fliegenfänger" gedacht, um etwas vorzutäuschen, weil man das ja nicht in die Realität umzusetzen brauchte.

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Alles umgesetzt!)

Ich stelle jedenfalls für meine Fraktion fest: Dieser Minister und die ihn tragende Regierungskoalition bleiben hinter ihren damaligen Forderungen weit zurück, wie aus der Antwort der Regierung zur sozialen Lage der Soldaten zu entnehmen ist. Um es deutlich ins Bild zu setzen: Aus dem damaligen Schattenminister ist ein Minister mit viel Schatten geworden.

(Beifall bei der SPD)

Das Schlimmste, was wir den Soldaten und ihren Familien antun können, ist doch Scheinfürsorge. Das haben sie und ihre Familien nicht verdient.

(Beifall des Abg. Immer [Altenkirchen] [SPD])

Nicht Absichten zählen, Herr Staatssekretär, sondern nur das, was man konkret umsetzen will. Die Versprechungen aus Ihrer Oppositionszeit holen Sie ein, meine Damen und Herren von der Koalition. Die Enttäuschungen wegen Nichteinhaltung von Forderungen nehmen zu.

(Zustimmung des Abg. Immer [Altenkirchen] [SPD])

Wir müssen die Regierungskoalition an dem messen, was sie selbst an Forderungen erhoben haben. Den Maßstab werden Sie ja wohl akzeptieren.
Wir fragen die Regierung nicht nur aus der Opposition heraus, nein, wir fragen im Auftrag vieler Soldaten, die von dieser Regierung eine ehrliche und vor allen Dingen offene Antwort erwarten. Und diese Regierung muß sich fragen lassen, ob sie nicht durch die eigene Politik die Spielräume zur Lösung der sozialen Probleme selbst verbaut hat. Wir fragen: Was nutzt uns eine noch so gut ausgerüstete Bundeswehr, wenn sich die soziale Situation der Soldaten so verschärft, daß ihre militärische Motivation darunter leidet? Ihre Entscheidung, erst die Beschaffung von Waffen finanziell abzusichern, wirkt sich auf die Fürsorgepflicht gegenüber allen Soldaten nachteilig aus.

(Beifall bei der SPD) Das haben Sie zu verantworten.

Was erwarten Sie eigentlich von einem Soldaten auf Zeit, der viele Jahre, oft unter erschwerten Bedingungen, seine Pflicht getan hat und nun als Arbeitsloser auf der Straße steht? Diese Regierung redet ständig vom Aufschwung, ist aber selber nicht in der Lage, Arbeitslose, die aus der Bundeswehr kommen, sozial gerecht in den Arbeitsmarkt oder in Bundesverwaltungen einzugliedern.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Das ist unwahr!)

Das ist der Tatbestand. Aus dem „Staatsbürger in Uniform" wird ein „Arbeitsloser ohne Zukunft". So formulieren das heute Soldaten, die aus der Bundeswehr als Zeitsoldaten entlassen wurden.
Wir formulieren dies nicht als Anklage, sondern wollen die Regierung dazu bringen, daß Soldaten auf Zeit nicht den Weg, wie mein Kollege Steiner gesagt hat, in die Sozialhilfe gehen müssen. Das ist die soziale Aufgabe, die hier und heute zu erfüllen ist.
Ich sage ganz offen: Unser Parlament und die Regierung haben hier Handlungsbedarf. Denn es ist untragbar, daß ehemalige Soldaten ohne Arbeitslosengeld nach ihrer Dienstzeit dastehen. Die gesetzlich garantierten Übergangsgelder zögern doch den sozialen Abstieg nur hinaus. Sie sind doch nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Was an Perspektive am Ende nach den Übergangsgeldern steht, ist soziales Elend. Ich formuliere das in aller Kraßheit und Deutlichkeit, damit das Problem bewußt wird.

(Beifall bei der SPD)

Es ist doch keine Antwort, Herr Würzbach, wenn Sie sagen, daß Entwicklungshelfermodell sei zu teuer, man arbeite an anderen Modellen oder anderen Vorschlägen. Dienstleistungszeugnisse für ausscheidende Soldaten sind doch nicht das Problem. Das Problem ist, Arbeitsplätze zu schaffen. Da ist die Regierung gefordert.

(Beifall bei der SPD)

Ich frage Sie: Wieviel Soldaten auf Zeit wollen Sie eigentlich noch ihrem Schicksal überlassen? Was sagen Sie eigentlich den Frauen dieser Soldaten, die sich einem solchen Schicksal gegenübergestellt sehen? Glauben Sie, da reicht die Antwort aus, es werde an Modellen gearbeitet?

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Dazu hatten Sie 13 Jahre Zeit!)




Heistermann
Hier ist die Regierung und hier ist auch die Regierungskoalition gefordert.

(Beifall bei der SPD)

ist die Situation bei den jungen Wehrpflichtigen? Welche sozialen Probleme haben sie zu bewältigen? Es war doch erst unser Drängen, Herr Staatssekretär, und es waren Hinweise des Wehrbeauftragten, die die Regierung dazu gebracht haben, verstärkt jugendliche Arbeitslose zur Ableistung der Wehrpflicht einzuplanen. Geben Sie doch einmal offen zu, daß das eine parlamentarische Anregung war.
An diesem Punkt ist auch dies anzuschließen. Erst auf unser Drängen haben Sie den Wehrsold erhöht. Aber diese Regierung war ja nicht einmal fähig, unseren Vorschlag zum 1. Januar 1984 aufzugreifen. Nicht einmal zu einem Kompromiß, die Neuregelung zum 1. Juli vorzunehmen, waren Sie fähig. Hier wollen Sie jungen Wehrpflichtigen Sand in die Augen streuen. Ich glaube, junge Wehrpflichtige haben auch das nicht verdient. Sie merken den Unterschied zwischen Schein und Wirklichkeit.

(Beifall bei der SPD)

Heute werden junge Menschen nach der Bundeswehrzeit nicht wieder in die Betriebe eingestellt, in denen sie einmal gelernt haben. Erst vor einigen Tagen wurde mir geschildert, daß in einem Handwerksbetrieb einem jungen Soldaten gesagt wurde: „Junge, du kriegst drei Monate dein Monatsgehalt, aber Arbeit habe ich für dich nicht; du brauchst im April nicht wiederzukommen." — Das ist die soziale Wirklichkeit unserer Arbeitsplatzschutzgesetze.
Hier ist die Regierung gefordert; denn hier und heute stellt sich das Problem. Da können Sie nicht darauf hinweisen, was einmal 1982 war. Vielmehr fordern wir hier und heute Ihre Antworten darauf.

(Beifall bei der SPD)

Da sind junge Menschen, die ihre Dienstzeit bei der Bundeswehr gleich nach der Schule ableisten. Sie sind oft einige Monate arbeitslos, weil der Entlaßtermin der Bundeswehr nicht mit dem Beginn der Ausbildung übereinstimmt. Junge Menschen werden bis zum Einberufungstermin nur noch mit Zeitarbeitsverträgen beschäftigt. Daher muß man doch junge Menschen verstehen, die aus diesem Verhalten nur schließen können: Der Staat fordert nur von mir, aber er schützt mich nicht vor Willkür. Alle Arbeitsplatzschutzgesetze verlieren ihre Bedeutung, wo keine Arbeit mehr ist. Die Frage, was Sie diesen jungen Menschen sagen wollen, müssen Sie hier und heute beantworten.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe es schon als sehr bedrückend empfunden, daß aus der Regierungskoalition zu hören war, man wolle jungen Wehrdienstleistenden am Ende ihrer Bundeswehrzeit Darlehen gewähren. Da muß man doch die Frage stellen: Womit sollen denn diese jungen Wehrdienstleistenden ihre Darlehen zurückzahlen, wenn sie keine Arbeit finden? Diese Frage muß man hier doch einmal stellen.
Oder eine andere Sache. Hier wird das große Wort von der Wehrgerechtigkeit benutzt. Diesbezüglich ist es in der CDU/CSU ja merklich ruhiger geworden. Da waren ja schon einmal ganz wilde Vorstellungen im Raum. Ich bin froh, daß hier eine realistischere Sichtweise Platz gegriffen hat. Diese Regierung merkt jedoch zum erstenmal, daß sie aus der Opposition heraus leicht fordern konnte, daß aber Anspruch und Wirklichkeit heute, da Sie Gesetze machen könnten, sehr weit auseinanderklaffen. Ich glaube, die Öffentlichkeit merkt sehr genau, daß Sie heute viele der Maßnahmen, die Sie damals gefordert und für richtig gehalten haben — ich sage Gott sei Dank —, zurücknehmen.
Dieser Regierung ist immer noch nicht bewußt, daß es hier nicht um Parolen geht, sondern daß Menschen von ihrem Nichtstun betroffen sind. Wir fragen deshalb die Regierung, was sie tut, um junge Wehrpflichtige vor Willkürmaßnahmen zu schützen, was sie — um es deutlich zu sagen — tut, um Studenten, Schüler, Selbständige und Beamte, für die es während der Grundausbildung keine Arbeitslosenversicherung gibt, nicht ins Abseits rutschen zu lassen. Das sind konkrete Fragen, die man nicht durch das Vortragen von Absichtserklärungen beantworten kann. Hier muß konkret gehandelt werden.
Lassen Sie es mich ebenso deutlich darstellen: Hinweise auf Arbeitslosenhilfe stellen für uns eine Skrupellosigkeit dar. So darf man nicht mit dem Schicksal junger Menschen umgehen.

(Beifall bei der SPD)

Die Große Anfrage der SPD zur sozialen Lage der Soldaten hat nun jedermann sichtbar gemacht, welchen Weg diese Regierung gehen will. Ich zitiere aus einer Rede von Helmut Schmidt, die er am 1. Oktober 1982 hier im Deutschen Bundestag gehalten hat.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die steht mittlerweile auf dem SPD-Index!)

— Herr Kollege, ich darf Ihnen nur empfehlen, sie einmal nachzulesen; vielleicht können Sie noch viele Anregungen daraus entnehmen.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Helmut Schmidt führte damals aus:
Die Qualität unserer Streitkräfte und unserer Soldaten zeigt: Nicht ein hoher Rüstungshaushalt ist die Hauptsache, sondern die Männer sind die Hauptsache, ihre Motivation und ihre Ausbildung.
Jahrelang stand der „Mensch im Mittelpunkt" Ihrer Reden. Sie haben Ansprüche erzeugt. Nun werden Sie diesen Ansprüchen auch gerecht!

(Beifall bei der SPD)

Sie werden immer dann unsere Unterstützung finden, wenn Sie die soziale Lage der Soldaten konkret verbessern wollen. Das führe ich hier auch in aller Deutlichkeit aus.

(Vorsitz: Vizepräsident Frau Renger)

Wir haben allerdings wenig Hoffnung, daß Sie diese
Unterstützung tatsächlich wollen, denn wer sich die



Heistermann
Halbzeitbilanz für den Bereich der Verteidigung — sie wurde auf dem 33. Bundesparteitag der CDU gezogen — einmal anschaut, der findet keinen Hinweis darauf, was Sie für die Menschen in der Bundeswehr tun wollen. Da sind Waffensysteme wichtiger als die Soldaten.

(Beifall bei der SPD)

Diesen Weg werden wir Sozialdemokraten nicht mit Ihnen gehen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012904400
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Eidesleistung des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages
Meine Damen und Herren, am 14. März 1985 ist Herr Willi Weiskirch zum Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages gewählt worden. Er hat dieses Amt zwischenzeitlich angetreten.
Gemäß § 14 Abs. 4 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten leistet dieser vor dem Bundestag den in Art. 56 des Grundgesetzes vorgesehenen Eid.
Herr Wehrbeauftragter, ich bitte Sie, zur Eidesleistung zu mir zu kommen.

(Die Abgeordneten erheben sich)

Verehrter Herr Wehrbeauftragter, ich überreiche Ihnen das Grundgesetz und bitte Sie, den Eid zu sprechen.
Weiskirch, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages:
Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012904500
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß der Herr Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages den vorgeschriebenen Eid geleistet hat. — Ich wünsche Ihnen im Namen des Hauses alles Gute.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Weiskirch, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Danke, Frau Präsidentin.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012904600
Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Ergebnisse des EG-Umweltrates in Brüssel vom 20. März 1985
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3091 vor.
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist vereinbart worden, für die Beratung zwei Stunden vorzusehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist dies so beschlossen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.

Dr. Friedrich Zimmermann (CSU):
Rede ID: ID1012904700
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der in den Morgenstunden des 21. März in Brüssel erzielten Einigung über die Einführung des umweltfreundlichen Autos in der EG hat die Bundesregierung einen Durchbruch für den Umweltschutz in ganz Europa erzielt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Da kann man nur sagen: Morgenstund' hat Blei im Mund!)

Das können auch diejenigen Kritiker nicht ernsthaft in Abrede stellen, die keine Regierungsverantwortung tragen und ihre Maximalforderungen an einem unrealistischen Wunschdenken ausrichten.

(Dr. Vogel [SPD]: Herr Späth z. B.!) Politik ist immer noch die Kunst


(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Dicke Bretter zu bohren!)

des Möglichen und nicht die Utopie. Die Brüsseler Einigung bedeutet außerdem Rechtssicherheit für den umweltbewußten Autokäufer, für die Automobilindustrie und die Mineralölwirtschaft. Sie bedeutet auch Sicherung der Arbeitsplätze in der Automobilindustrie; bekanntlich hängt jeder siebte Arbeitsplatz davon ab.

(Vorsitz: Vizepräsident Cronenberg)

Ich habe in den letzten Tagen viele irreführende Erklärungen und Verlautbarungen zu dem Brüsseler Ergebnis gehört. Deswegen begrüßt die Bundesregierung es, daß sie heute Gelegenheit hat, die Ergebnisse von Brüssel hier darzulegen.
In Brüssel ist folgendes erreicht worden: Erstens. Bereits ab 1. Juli dieses Jahres beginnt in Europa die freiwillige Einführungsphase des umweltfreundlichen Autos. Wir erwarten von der Kommission am 2. April, daß wir — wie von uns vorgesehen — Steuererleichterungen als Kaufanreiz gewähren können.
Zweitens. Ab 1. Oktober 1988 wird das umweltfreundliche Auto EG-weit eingeführt.
Drittens. Die Richtlinie über bleifreies Benzin konnte verabschiedet werden. Damit ist diese wichtige Voraussetzung für die Einführung bleifreien Benzins und damit für die Nutzung der modernen Katalysatortechnologie EG-weit geschaffen.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Wann, wann?)

Außerdem haben wir damit auch erstmals ein einheitliches Euro-Superbenzin vereinbart.
Im einzelnen sieht die Brüsseler Einigung folgendes vor:



Bundesminister Dr. Zimmermann
Neufahrzeuge neuer Modelle von über 2 Liter Hubraum müssen ab 1. Oktober 1988 eine neue, scharfe europäische Abgasnorm einhalten, die im Juni von der EG noch im Detail festzulegen ist. Eine eigene europäische Norm ist insbesondere von Frankreich gefordert worden, um besser den spezifischen europäischen Verkehrsverhältnissen und dem hier stattfindenden Verkehrszyklus Rechnung tragen zu können. Wir haben in Brüssel gegen erbitterten Widerstand und nach 40stündiger Diskussion durchsetzen können, daß diese neue europäische Norm in ihren Umweltauswirkungen den von uns angestrebten US-Abgaswerten gleichwertig sein muß.
Ein Jahr später wird diese Regelung für alle Neufahrzeuge über 2 Liter Hubraum verbindlich, also auch für die dann bereits auf dem Markt befindlichen Modelle. Darauf wird sich die europäische Automobilindustrie in ihrer Modellpolitik ab sofort einstellen müssen.
Für die Fahrzeuge von 1,4 bis 2 Liter Hubraum wird mit einer zeitlichen Versetzung von 2 Jahren bei neuen Modellen bzw. von 4 Jahren bei allen Neufahrzeugen ebenfalls eine neue europäische Norm verbindlich, die in ihren Auswirkungen auf die Umwelt ebenfalls den US-Werten gleichwertig sein muß.
Diese zeitliche Versetzung war erforderlich, um insbesondere die Zustimmung von Frankreich, Großbritannien und Italien zu der von uns vorgesehen steuerlichen Förderung des umweltfreundlichen Autos bereits ab Juli dieses Jahres zu bekommen.
Für die Fahrzeuge unter 1,4 Liter werden verschärfte Werte in zwei Stufen eingeführt. Für diese Fahrzeuge ist ebenfalls eine eigene europäische Norm als erste Stufe ab 1990/1991 vorgesehen.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das geht aber schnell!)

Diese erste Stufe wird zwar hinter den US-Werten zurückbleiben. Sie wird aber eine deutliche Verbesserung um ca. 30 % gegenüber den derzeit geltenden EG-Grenzwerten bringen.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Welch ein Erfolg, Herr Zimmermann!)

1987 muß die EG über eine zweite, wesentliche verschärfte Stufe beschließen, die spätestens 1993 für alle neuen Modelle verbindlich werden wird. Die Werte dieser zweiten Stufe müssen in ihren Auswirkungen auf die Umwelt ebenso wie bei den größeren Fahrzeugen den US-Werten gleichwertig sein.
Diese Einführung des umweltfreundlichen Autos in der gesamten Europäischen Gemeinschaft ab 1. Oktober 1988 kann national auf freiwilliger Basis mit steuerlicher Förderung ab 1. Juli 1985 vorgezogen werden, was wir, wie erwähnt, von der Kommission der EG nächste Woche erwarten. Fahrzeuge über 1,4 Liter Hubraum können danach mit einem Höchstbetrag von 2 200 DM bis zu 7 Jahren von der Kraftfahrzeugsteuer freigestellt werden, wenn sie die neue europäische Norm, die in ihren Auswirkungen auf die Umwelt den US-Werten entspricht, erfüllen. Die steuerliche Förderung kann auch für Kraftfahrzeuge gewährt werden, die bereits heute die US-Grenzwerte einhalten.
Fahrzeuge mit weniger als 1,4 Liter Hubraum können ebenfalls steuerlich mit einem Betrag bis zu 750 DM gefördert werden, wenn sie die Grenzwerte der ersten Stufe um mindestens 15 % unterschreiten. Dieser Wert kann von den derzeit auf dem Markt befindlichen Modellen — von wenigen Ausnahmen abgesehen — nicht ohne zusätzliche technische Maßnahmen erreicht werden. Er erfordert zumindest ein sehr effizientes Abgasrückführungssystem oder ähnliche technische Konzepte, wenn nicht sogar den Katalysator.
Über eine steuerliche Förderung der Stufe 2 wird die Bundesregierung entscheiden, wenn 1987 die Grenzwerte für diese Stufe von der EG beschlossen worden sind.
Die steuerliche Förderung der Umrüstung von Altfahrzeugen wird von der Brüsseler Einigung im wesentlichen nicht berührt. Sie wird wie geplant ablaufen, wobei für Fahrzeuge unter 1,4 Liter noch eine gewisse Anpassung an den EG-Beschluß vorgenommen wird. Inbesondere bleibt bei den Altfahrzeugen das vorgesehene Zwei-Stufen-Konzept für die Förderung voll erhalten.
Gleiches gilt für die steuerliche Begünstigung des bleifreien Benzins durch Senkung der Mineralölsteuer für bleifreies Benzin um 2 Pfennig und die Erhöhung der Mineralölsteuer für verbleites Benzin um ebenfalls 2 Pfennig ab 1. April 1985.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Sie haben rhetorisches Altöl!)

Die am 21. März verabschiedete Benzinbleirichtlinie hat die Grundlage dafür geschaffen, daß in ganz Europa bleifreies Benzin sofort angeboten werden kann. Darüber hinaus haben sich die EG-Staaten verpflichtet, ab 1. Oktober 1989 bleifreies Benzin in ausreichender Menge anzubieten. Die Bundesrepublik wird bis Ende dieses Jahres mit mehr als 2 000 Zapfsäulen über ein flächendeckendes Netz von bleifreien Tankstellen verfügen. Bereits jetzt sind es weit über 1 000. Ebenfalls bieten Österreich, die Schweiz, die Niederlande, Dänemark und Schweden bereits heute bleifreies Benzin an. Italien wird bald folgen. Auch verschiedene osteuropäische Länder einschließlich der DDR haben ab 1986 verbindliche Zusagen gemacht.
In der Bundesrepublik Deutschland fahren bereits die ersten umweltfreundlichen Autos umwelt-bewußter Bürger. Damit hat die abgasarme und bleifreie Zukunft Europas begonnen.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Halleluja! Siehe, es ward bleifrei!)

Die Brüsseler Einigung hat den Durchbruch und die erforderliche Rechtssicherheit für die Einführung des umweltfreundlichen Autos nunmehr auf breiter Grundlage gebracht.
Wir haben eine gesamteuropäische Lösung erreicht, die auch für den Umweltschutz wesentlich wirksamer ist als ein vorgezogener nationaler Al-



Bundesminister Dr. Zimmermann
leingang mit all seinen handels- und wirtschaftspolitischen Risiken.
Die bewußt von uns in Kauf genommene zeitliche Komponente des europäischen Einführungskonzepts zugunsten einer gesamteuropäischen Lösung wird für Europa eine geringere Belastung mit den schädlichen NOX-Emissionen bringen, als wir es allein hätten erreichen können. Das ist das Wesentlichste am Ergebnis.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Fakten sind: National hätten wir nur den Kraftfahrzeugbestand von ca. 23 Millionen Pkw mit Ottomotoren mit dem entsprechenden Zuwachs der nächsten Jahre erfassen können. National nicht erfaßt hätten wir die Millionen ausländischer Fahrzeuge, die jährlich von ausländischen Touristen für den Transitverkehr oder den Urlaub in der Bundesrepublik Deutschland genutzt werden. EG-weit werden wir jetzt fast 100 Millionen Fahrzeuge erfassen — mit den entsprechenden Zuwachsraten in diesen Ländern.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Bravo!)

Angesichts des weiträumigen, grenzüberschreitenden Transports luftverunreinigender Stoffe, die gerade in den besonders von Waldschäden betroffenen Gebieten eine erhebliche Rolle spielen können, sind wir auf eine gesamteuropäische Solidarität angewiesen. Die haben wir erst nach mühevollen Verhandlungen erreicht. Aber wir waren der Motor, wir haben die Vorreiterrolle in Europa gegenüber anderen Ländern übernommen, die viel weniger wollten als wir.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Wenn Sie der Motor waren, haben Sie einen Kolbenfresser, Herr Zimmermann! Das muß ich Ihnen ehrlich sagen!)

Die Kritiker der Brüsseler Einigung möchte ich an die Geschichte der Abgasreduzierung in Europa erinnern. 1971, vor 14 Jahren, hatte sich die damalige Bundesregierung das Ziel gesetzt, innerhalb von zehn Jahren die Abgaswerte um 90 % im Vergleich zu 1969 zu verringern. In den folgenden zehn Jahren hat die frühere Bundesregierung dieses Ziel nicht einmal annähernd durchsetzen können, obwohl die Vereinigten Staaten von Amerika und Japan in dieser Zeit das Ziel erreicht haben.
Vielmehr hat die damalige SPD-geführte Bundesregierung nach gewissen hoffnungsvollen Ansätzen in der Mitte der 70er Jahre alle diese Pläne und Maßnahmen plötzlich abrupt abgebremst und gestoppt. Dies hat erst kürzlich in der „Frankfurter Rundschau" vom 22. Februar dieses Jahres aus authentischer Quelle nachgelesen werden können.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Ich denke, Sie lesen nur die „Bild-Zeitung" und den „Bayernkurier", Herr Zimmermann!)

Diese Bremserpolitik hat sich in den Folgejahren fortgesetzt. Erst im Jahre 1981 hat der damalige Bundesinnenminister einen erneuten Versuch zur Erreichung schärferer Abgaswerte unternommen. Dieser Versuch stieß in der EG insbesondere auch deshalb auf völliges Unverständnis, weil der damalige Bundesverkehrsminister, Herr Hauff, noch nicht einmal die Übernahme der damals geltenden EG-Werte in die deutsche Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung realisiert hatte.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Dadurch waren im Oktober 1982 die EG-Verhandlungen zu dem deutschen Grenzwertvorschlag völlig festgefahren.
Seit Übernahme der Regierungsverantwortung hat diese Bundesregierung in nur zweieinhalb Jahren die Einführung bleifreien Benzins in ganz Europa und des umweltfreundlichen Autos mit wesentlich schärferen Abgasvorschriften durchsetzen können, als damals geplant war.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die von der früheren Bundesregierung nie erreichten Ziele aus ihrem Umweltprogramm 1971 haben wir damit in nur zweieinhalb Jahren Verantwortung weit übertroffen.
Meine Damen und Herren, wer in den 70er Jahren nicht den Mut und die Entschlossenheit zur Einführung des umweltfreundlichen Autos aufgebracht hat, als die USA und Japan es getan haben, sollte heute nicht Großbritannien, Frankreich und Italien kritisieren, die andere Ziele und Fristen hatten als die Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Reine Schaumschlägerei, was Sie hier betreiben! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Jetzt kommt es darauf an, daß wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen. Die Bundesregierung wird ihr steuerliches Förderungskonzept unverzüglich der EG-Einigung anpassen und beschleunigt umsetzen. Es wird auch in dieser Fassung noch genügend Anreize für den umweltbewußten Bürger bieten, sich für das umweltfreundliche Auto bereits heute zu entscheiden. Ich bitte alle zukünftigen Autokäufer, diese Chance zu nutzen. Das Umweltbewußtsein ist gestiegen. Der Markt wird nach meiner Überzeugung die Umstellung schneller regeln, als sie die Termine vorsehen.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Wir alle müssen unseren Beitrag zu einer möglichst frühzeitigen Verringerung der Schadstoffbelastung unserer Wälder leisten. Wir stehen nicht alleine. Vor allem die Nicht-EG-Staaten, die es hier leichter hatten, wie Österreich, Schweiz, Schweden, Finnland und Norwegen, haben uns bisher in unserer Vorreiterrolle kräftig unterstützt. Beim Baseler Abfallkongreß in dieser Woche haben mir die Minister der Schweiz und Österreichs ausdrücklich gratuliert und gesagt, es sei eine große Leistung, was wir in Brüssel erreicht haben.

(Anhaltende Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

Wir wissen, daß sich Österreich und die Schweiz nach unseren ursprünglichen Plänen gerichtet haben und sie auch national durchsetzen konnten, weil es für sie keine Europäische Gemeinschaft



Bundesminister Dr. Zimmermann
gibt, wie Sie an der Grenze zu diesen beiden Ländern, verehrter Kollege, ja sicher am besten wissen.

(Zuruf des Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD] — Zurufe von den GRÜNEN)

Ich appelliere insbesondere an diese Staaten, auf ihrem Kurs zur Einführung des umweltfreundlichen Autos und bleifreien Benzins zu bleiben. Die Bundesregierung wird sie weiterhin ihrerseits unterstützen.
Meine Damen und Herren, die Brüsseler Einigung ist ein entscheidender Schritt in der Gesamtstrategie der Bundesregierung zur Verminderung der Luftschadstoffe in ganz Europa. Das Ausland sieht dies mit Recht so. So werden z. B. in der Pariser Wirtschaftszeitung „Les Echos" vom 22. März 1985 die Deutschen als die neuen Saubermänner Europas bezeichnet.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

In derselben Zeitung heißt es, daß die Geburt des europäischen „sauberen Autos" ein Sieg der Ökologie sei.

(Zuruf des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜNE])

Die in Bern erscheinende Zeitung „Der Bund" schreibt:
Was die Umweltminister der EG unter schärfstem westdeutschen Druck zustande gebracht haben, ist zur Zeit das Maximum, was von den widerstrebenden „drei Großen" Frankreich, Italien und Großbritannien erzwungen werden konnte.
Es heißt da weiter, der Durchbruch sei als ein bedeutender und keineswegs selbstverständlicher Fortschritt zu werten.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Hokus-Pokus, guter Mann, kann man da nur sagen!)

Eine zweite Stimme aus dem neutralen Nicht-EG-Staat Schweiz, nämlich die „Berner Zeitung", wertet den Kompromiß ebenfalls als einen Erfolg. Genauso sieht es der Züricher „Tages-Anzeiger".
Als wir vor eindreiviertel Jahren — im Sommer 1983 — begonnen haben, waren drei Ziele maßgeblich: erstens zugunsten des Umweltschutzes so schnell wie möglich handeln, zweitens als Autoexportland EG-gemeinsam vorgehen, drittens endgültige Termine festlegen. Diese Ziele hat die Bundesrepublik Deutschland konsequent verfolgt und erreicht. Wir haben selbstverständlich einen Kompromiß geschlossen. Dieser Kompromiß ist aber nach der Nullphase des vergangenen Jahrzehnts ein Erfolg für die europäische Umweltpolitik. Jetzt geht es darum, diesen Erfolg nicht zu zerreden, sondern die in ihm liegenden Chancen konsequent umzusetzen und zu nutzen. Die Bundesregierung wird hierzu das ihre tun und bittet den Deutschen Bundestag, gesetzgeberisch auf diesem Weg zu folgen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1012904800
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer.

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1012904900
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Herr Bundesinnenminister, auch nach dem eben recht lustlos Gebotenen können Sie nicht davon ablenken, daß die vollmundigen Versprechungen zur Einführung des abgasarmen Autos am 20. März 1985 in Brüssel wie eine große Seifenblase geplatzt sind.

(Beifall bei der SPD)

Das Ergebnis von Brüssel, genau betrachtet, ist die größte umweltpolitische Niederlage einer Bundesregierung bisher.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Herr Zimmermann, Sie sind der umweltpolitische Umfaller der 80er Jahre.

(Beifall bei der SPD)

Sie sind als rhethorischer Umweltlöwe gestartet und als Papiertiger gestrandet. Das ist die Wirklichkeit.

(Beifall bei der SPD)

Nach fast zwei Jahren starken Ankündigungen zur künftigen Einführung des schadstoffarmen Pkw ist bis zur Stunde überhaupt nichts zur Entlastung der Umwelt durch den Verkehr geschehen.
Gestatten Sie mir, Herr Bundesinnenminister, daß ich Sie daran erinnere, was Sie im April 1983 vor Vertretern der deutschen Automobilindustrie ausgeführt haben. Sie sagten damals — ich zititere Sie —: „Ich will Schaden von der Autoindustrie abwenden."
Fast zwei Jahre nach Ihrer vollmundigen Erklärung ergibt die erste Schadenserhebung Ihrer konfusen Politik: Erstens, der Wald stirbt weiter. Zweitens, die Absatzverluste von 400 000 Pkw haben dazu geführt, daß Arbeitsplätze in der Automobilindustrie gefährdet sind. Im Februar 1985 registrierten wir den geringsten Stand an Neuzulassungen von Pkw seit 1975.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Was Sie sagen, ist alles überholt!)

Nur der starke Dollar rettet die Automobilindustrie vor der Krise. Sie, Herr Zimmermann, und auch Sie von der CDU/CSU werden mir das nicht abnehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen zitiere ich den BMW-Chef, Herrn von Kuenheim.

(Fellner [CDU/CSU]: Ein alter Hut ist das!)

Er hat Ihre Politik vor vierzehn Tagen folgendermaßen charakterisiert: Alles ist völlig irrational abgelaufen.

(Dr. Waigel [CDU/CSU]: Zitieren Sie das, was er jetzt gesagt hat! — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Der tritt Ihnen trotzdem nicht bei!)




Schäfer (Offenburg)

Man bekommt es mit der Angst zu tun, wenn man daran denkt, daß die Außen-, Finanz- und Verteidigungspolitik ebenso betrieben werden könnten wie die Abgasdiskussion.

(Dr. Spöri [SPD]: Der Mann hat recht!)

Und der Bürger draußen, Herr Zimmermann? Halten Sie ihn etwa für dumm? Oder meinen Sie gar, er hat ein kurzes Gedächtnis? Ich will Ihnen ersparen, Ihre vielen Interviews in den letzten zwei Jahren mit dem ständigen Hin und Her vorgehalten zu bekommen. Aber eines will ich noch zitieren. Am 22. Oktober 1984 haben Sie in der „Bild"-Zeitung unter der Überschrift „Der deutsche Wald wird gerettet" ausgeführt:

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie lesen die „Bild"-Zeitung?)

Es ist noch nicht zu spät. Der Zustand des deutschen Waldes ist zwar schlimm, aber er wird gerettet.
Jetzt kommt der bemerkenswerte Satz — Oktober 1984 —:
Das umweltfreundliche Auto und bleifreies Benzin sind bereits eingeführt.
Da kann ich nur sagen, Herr Zimmermann: Wie denn? Wo denn? Was denn? Wann denn? Das sind vollmundige Erklärungen ohne Wirklichkeit.

(Beifall bei der SPD)

Nach Ihrem Umfallen in Brüssel stehen wir vor einer deprimierenden Situation. Machen wir eine Bestandsaufnahme. Die obligatorische Einführung des schadstoffarmen Pkw läßt noch knapp zehn Jahre auf sich warten. Die Abgaswerte stehen noch nicht einmal fest. Wir wissen bisher nur, Herr Zimmermann, daß sie weit unter dem liegen werden, was bisher alle Parteien, alle Fraktionen dieses Hauses und alle Umweltverbände für notwendig gehalten haben.
Geschehen ist in den zwei Jahren in der Sache lediglich folgendes. Der Wald ist im galoppierenden Tempo weiter abgestorben. Inzwischen muß über die Hälfte der Waldfläche als geschädigt angesehen werden.

(Jungmann [SPD]: Wegen eurer Untätigkeit!)

Noch ein Ergebnis:

(Jungmann [SPD]: Hättet ihr etwas gemacht!)

Die Bundesregierung hat die Automobilindustrie einer schweren Erschütterung ausgesetzt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Unverfrorener Unsinn! Der sollte vor Scham rot werden!)

Der Zimmermann-Knick, Herr Bundesinnenminister, wird noch als Beispiel dafür in die Geschichte eingehen, wie durch Unfähigkeit einer Bundesregierung sowohl die Wirtschaft als auch die Umwelt Schaden nehmen. Das ist die Bestandsaufnahme; Sie machen nur Schönfärberei.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Sie, Herr Innenminister Zimmermann, durch lautes Gebrüll von seiten der CDU/CSU-Fraktion unterstützt, kommen heute hierher und wollen dem Bürger den Spatz in der Hand schmackhaft machen, weil es allemal besser sei, den Spatz in der Hand zu haben als die Taube auf dem Dach. Aber der Spatz, den Sie aus Brüssel mitgebracht haben, ist so abgemagert, daß niemand auf ihn hereinfallen wird. Er kann nicht verhindern, daß der deutsche Wald weiter stirbt.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das ist ein Haufen Spatzendreck, was er mitgebracht hat, Herr Schäfer! — Zuruf von der CDU/ CSU: Nach Ihrer Rede sterben auch noch die Spatzen aus!)

Dann besitzen Sie noch die Stirn, auf dem CDU-Parteitag von einem Jahrhundertergebnis zu sprechen.
Dazu sagen wir: Noch nie wurde der Weg in eine politische Niederlage großspuriger angekündigt, dilettantischer durchgeführt und blamabler beendet. Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, ist mit ihrem Konzept auf der ganzen Linie gescheitert. Bis in die 90er Jahre wird es keine Entlastung in der Umweltverschmutzung durch den Verkehr geben; das Gegenteil steht zu befürchten. Die Ausstoße von Autoabgasen, hier vor allem Stickoxiden, werden in den nächsten Jahrzehnten sogar noch zunehmen. Der so dringend heute notwendige umweltpolitische Fortschritt wird bis ins nächste Jahrtausend vertagt. Die Einführung des abgasarmen Autos, Herr Zimmermann, wird um knapp zehn Jahre über das hinaus verschoben, was Sie mehrmals auch vor diesem Hause als Einführungstermin angekündigt haben.
Kommen wir zu den Abgasgrenzwerten selbst.

(Dr. Spöri [SPD]: Die gibt es doch gar nicht!)

Genaues ist bis zur Stunde in Brüssel nicht verhandelt worden. Es liegt nichts Genaues vor, wie Sie wissen.

(Dr. Spöri [SPD]: Worthülsen liegen vor!)

Die Abstriche an den Abgasgrenzwerten können in ihrem Ausmaß heute noch gar nicht abgeschätzt werden. Niemand kennt bisher beispielsweise die sogenannten europäischen Standards. Das bedeutet wieder für die Automobilindustrie: Für alle PkwKlassen über 1,4 Liter herrscht weiter Unklarheit bis zum 1. Juli 1985, für die Pkw-Klassen unter 1,4 Liter sollen die europäischen Normen sogar erst bis 1987 festgelegt werden. Klarheit, Berechenbarkeit für die Automobilindustrie, Sicherheit, Eindeutigkeit? Alles, Herr Bundesinnenminister, Fehlanzeige.
Ich sage noch einmal: Niemand kann zur Stunde in diesem Durcheinander sagen, welche Anforderungen denn nun an ein sogenanntes schadstoffarmes Auto gestellt werden und welche Steuererleichterungen dafür konkret in Aussicht gestellt werden können. Soviel steht freilich fest, meine Damen und Herren: Der Verzicht auf die strengen amerikanischen Abgasgrenzwerte und die ausdrückliche Zu-



Schäfer (Offenburg)

lassung der sogenannten Magermotortechnologie bedeuten einen Rückfall hinter die technischen Möglichkeiten der Abgasentgiftung. Statt um 90 % wie beim Dreiwegkatalysator werden die Abgase mit dem Magermotorkonzept nur um 50 % reduziert.

(Dr. Spöri [SPD]: Äußerst mager! — Dr. Probst [CDU/CSU]: Woher wissen Sie das?)

Gescheitert, Herr Zimmermann, ist auch Ihr Konzept für die finanzielle Begünstigung des vorgezogenen Kaufs von schadstoffarmen Autos. Von Ihren großspurigen Ankündigungen und Ihrer in Millionenauflage verbreiteten Broschüre ist kaum etwas übriggeblieben.

(Dr. Spöri [SPD]: Unglaublich!)

Ihr Konzept zur finanziellen Begünstigung abgasarmer Autos ist besonders für Kleinwagen bis zur Wirkungslosigkeit entstellt worden. Mit der Obergrenze von 750 DM maximaler steuerlicher Hilfe für Kleinwagen ist die Katalysatortechnologie für diesen Bereich nicht mehr interessant.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Für einen Mercedes gibt es dagegen 2 200 DM. Da ist der kleine Mann wieder einmal der Dumme und muß die Zeche zahlen; aber das ist ohnehin die Kennzeichnung Ihrer gesamten Politik.

(Beifall bei der SPD — Zustimmung des Abg. Schneider [Berlin] [GRÜNE])

Jetzt, Herr Zimmermann, haben Sie hier lauthals beklagt, wie schwer das alles bei den EG-Partnern in den Verhandlungen gewesen sei. Ich habe eine Bitte an Sie: Schieben Sie doch nicht die ganze Schuld auf unsere europäischen Partner! Sie haben in den Verhandlungen und davor Fehler über Fehler gemacht.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Zimmermann macht keine Fehler, das ist der Fehler!)

Erstens. Sie haben von vornherein darauf verzichtet, Herr Innenminister, unsere Rechtsposition nach Art. 36 des EWG-Vertrages zu nutzen. Es ist doch wohl richtig, daß dem Bundesjustizminister — ich sehe ihn nicht — ein Rechtsgutachten darüber vorliegt, daß der Weg über den Gesundheitsvorbehalt des EWG-Vertrages hätte gegangen werden können. Sie haben unsere Rechtsposition dadurch von vornherein geschmälert.
Und schließlich: Ihr ständiges Hin und Her hat Ihre Verhandlungsposition geschwächt. Einmal waren Sie für den nationalen Alleingang, dann waren Sie wieder für die europäische Lösung. Entweder hätten Sie sich von Anfang an für den nationalen Alleingang auf Grund des Gesundheitsvorbehalts entscheiden müssen oder von Anfang an sorgfältiger und kompromißbereiter verhandeln müssen. Einen größeren Verhandlungsdilettantismus hat noch kein Mitglied irgendeiner Bundesregierung gezeigt als Sie, Herr Zimmermann, bis zum 20. März.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Zweitens. Herr Bundesinnenminister und meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Ihre umweltpolitische Glaubwürdigkeit mußte Schaden nehmen, da Sie in der Bundesrepublik darauf verzichtet haben, alle Möglichkeiten zur Schadstoffminderung im Kraftfahrzeugverkehr auch tatsächlich zu nutzen. Sie haben beispielsweise so vehement gegen ein Tempolimit gestritten, daß Ihnen niemand mehr die Sorge um den deutschen Wald als glaubwürdige Sorge abnehmen konnte.

(Beifall bei der SPD)

Da Sie mir nicht glauben, zitiere ich das, was die französische Umweltministerin am Vorabend des Brüsseler Kompromisses, am 19. März also, im französischen Rundfunk erklärt hat. Huguette Bouchardeau — Zitat —:
Ich möchte der deutschen Regierung an dieser Stelle sagen: Wenn die deutsche Regierung morgen den Ausstoß von Stickoxiden auf ihren Straßen reduzieren will, dann kann sie tun, was fast alle übrigen europäischen Länder bereits getan haben, nämlich die Einführung von Geschwindigkeitsbegrenzungen auf den Autobahnen zu verordnen.

(Fellner [CDU/CSU]: Und sie hat dabei gegrinst, weil sie es besser weiß!)

Fehlanzeige bei Ihnen. Ich sage Ihnen nur: Vielleicht hätten Sie unsere europäischen Partner doch zum Einlenken bewegen können, wenn Sie selbst im eigenen Land umweltpolitische Vorgaben gemacht hätten.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Drittens hat Ihre Verhandlungsposition geschwächt: Sie haben die europäischen Partner, Herr Bundesinnenminister, in Verhandlungen durch ein dorniges, unübersichtliches Gestrüpp von steuerlichen Erleichterungen für schadstoffarme Pkws gejagt, statt mit einem klaren, übersichtlichen Konzept direkter Kaufhilfe in die Verhandlungen zu gehen.
Viertens schließlich: Sie, Herr Zimmermann, und mit Ihnen die Regierung insgesamt haben es versäumt, in den europäischen Verhandlungen insonderheit mit Frankreich und mit England ein Verhandlungspaket zu schnüren, worin man mit dem Prinzip des Gebens und Nehmens sicher hätte mehr erreichen können als mit Ihren bombastischen Ankündigungen.
Es sind, wie Sie wissen, wahrlich nicht die ersten Automobilabgasgrenzwerte, über die auf internationaler, europäischer Ebene verhandelt worden ist. Über Diplomatie mit Fingerspitzengefühl, Herr Zimmermann, und Verhandlungsgeschick hätten Sie sich von Ihren Vorgängern der sozialliberalen Bundesregierung leicht informieren lassen können.

(Lachen bei der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1012905000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Rumpf?




Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1012905100
Nein.
Statt dessen, Herr Zimmermann, sind Sie wie die Axt im Walde mit unseren europäischen Partnern umgesprungen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Hören Sie doch bitte zu! Hören Sie Herrn Zimmermann im Originalton! Markig und knackig, wie er leibt und lebt, hat er am 27. Oktober 1983 von diesem Pult aus unseren Partnern gegenüber gedroht
— jetzt O-Ton Zimmermann —:
Aber wenn uns die Harmonisierung innerhalb der Gemeinschaft nicht gelingt, dann könnte es passieren, daß wir
— Deutsche nämlich —
italienische und französische Wagen ab dem 1. Januar 1986, weil sie unsere Konditionen nicht erfüllen, nicht mehr hereinlassen.
Mit solchen Drohgebärden springt man mit Partnern nicht um.

(Beifall bei der SPD)

Dieser Stil, meine Damen und Herren, kann vielleicht im Verhältnis von Herrn Strauß mit dem Bundeskanzler Erfolg haben. Aber mit diesem Stil war die Pleite der Bundesregierung in Brüssel bei den EG-Partnern vorprogrammiert, meine sehr geehrten Damen, meine Herren.

(Beifall bei der SPD)

Und der Bundeskanzler, meine Damen und Herren, Herr Zimmermann? Er schweigt zu allem. Er läßt Herrn Zimmermann gewähren.

(Zuruf von der CDU/CSU: Damit fährt er gut! — Dr. Spöri [SPD]: Er ist geflüchtet!)

Herr Bundeskanzler — Herr Schäuble, Sie geben es ihm bitte weiter —, Sie haben wegen der deutschen Landwirtschaft in fast ultimativer Weise in der EG nachverhandelt. Der Herr Bundeskanzler hat sich bei Nachverhandlungen energisch für den deutschen Wein eingesetzt. Warum ist der Bundeskanzler so zurückhaltend, wenn es um die Gesundheit, wenn es um die Umwelt, wenn es um den Wald geht? Wir fordern den Bundeskanzler erneut auf, auf dem bevorstehenden EG-Gipfel über die Beschlüsse des EG-Umweltministerrates nachzuverhandeln. Was dem deutschen Wein recht ist, meine Damen und Herren, muß für den Wald allemal billig sein.

(Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Da haben Sie Äpfel und Birnen verwechselt!)

Herr Bundesinnenminister, jetzt komme ich endlich zu Ihnen. Meine Fraktion hatte schon fest damit gerechnet, daß Sie auch diese Ihre umweltpolitische Niederlage mit dem Hinweis vernebeln würden, 13 Jahre sozialliberaler Bundesregierung hätten halt umweltpolitisch auch nichts gebracht.

(Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Überhaupt nichts!)

Ich sage in aller Ruhe: Alle, alle, Herr Kollege Ehmke, heute im Bundestag vertretenen Parteien haben
das Ausmaß der Umweltzerstörung in der Vergangenheit unterschätzt, auch die GRÜNEN.

(Widerspruch des Abg. Dr. Ehmke [Ettlingen] [GRÜNE])

Ihre Wahlplattform 1980 kannte sauren Regen und Waldsterben auch nicht. — Keiner kann also, wie Sie es getan haben, selbstgerecht und selbstzufrieden, großspurig, Herr Zimmermann, mit dem Finger auf andere weisen, ohne daß drei Finger auf ihn zurückweisen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Aber eines, Herr Kollege Mischnick, Herr Kollege Baum, Sie direkt angesprochen, kann die sozialliberale Koalition für sich in Anspruch nehmen: Wir haben gesetzliche, organisatorische und institutionelle Grundlagen für die Umweltpolitik mit Erfolgen in Einzelbereichen geschaffen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wo sind die?)

Und ich sage für uns Sozialdemokraten: Wir haben bis 1977 eine Umweltpolitik betrieben, auf die wir Sozialdemokraten auch heute noch mit Stolz zurückblicken können.

(Beifall bei der SPD)

Es wäre angemessen, Herr Kollege Baum, daß Sie, die Sie damals den Innenminister gestellt haben, sich endlich gegen den Herrn Zimmermann stellten, der Ihre erfolgreiche Politik jedesmal vor dem Plenum des Deutschen Bundestages madig macht.

(Beifall bei der SPD)

Mindestens die Selbstachtung müßte Sie doch zu eindeutigen, klaren Aussagen hier veranlassen.

(Beifall bei der SPD)

Aber, meine Damen und Herren, wir sind auch selbstkritisch.

(Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Dazu haben Sie allen Anlaß!)

— Ja, wir sind nicht so selbstgerecht, so pharisäerhaft wie Sie, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wir nehmen nicht für uns in Anspruch, alles rechtzeitig im notwendigen Umfang unternommen zu haben. Wie immer, meine Damen und Herren von der Union, Sie sich selbst bewerten, auch Sie, Herr Zimmermann: Sie können für sich nicht in Anspruch nehmen, von 1969 bis zum 30. September 1982 auch nur eine einzige Initiative zur Verbesserung umweltpolitischer Maßnahmen der sozialliberalen Koalition ergriffen zu haben. Gerade aus Ihren Reihen, meine Damen und Herren — und das schreiben Sie sich bitte einmal hinter Ihre Ohren —, ist der Vorwurf umweltpolitischer Nachlässigkeit besonders heuchlerisch. Ihre Fraktion hat während Ihrer gesamten Oppositionszeit — Ihre Fraktion, wie Sie da sitzen — von 1969 bis 1982 einen einzigen — hören Sie gut zu, ich stelle Ihnen das Material zur Verfügung, bitte schön, hier ist es — Gesetzentwurf zum Umweltschutzrecht eingebracht. Das ist das da, eine kleine Änderung zum



Schäfer (Offenburg)

Bundes-Immissionsschutzgesetz, nicht einen zusätzlichen Gesetzesantrag.
Was die Automobilindustrie angeht, haben Sie es zu zwei kleinen — wirklich kleinen — Anfragen aus den Jahren 1979 und 1981 gebracht. Das war es denn schon. Und heute mit dieser Empörung und Heuchelei Aufsicht spielen, so tun, als ob Sie in der Vergangenheit Weltmeister der Umweltpolitik gewesen wären! Nehmen Sie es mit der Wahrheit ernst! Gehen Sie bitte in sich!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Ergebnis der EG-Umweltministerberatung erfüllt meine Fraktion mit Zorn, mit Verbitterung und mit großer Enttäuschung,

(Lachen bei der CDU/CSU — Fellner [CDU/CSU]: So siehst du aus!)

mit Zorn, weil eine so wichtige Chance zur Entlastung der Umwelt vertan worden ist, mit Verbitterung, weil diese Bundesregierung versucht, dieses Ergebnis zu beschönigen. Herr Bundesinnenminister, was soll denn der Hinweis auf den großräumigen Transport von Schadstoffen? Sie wissen so gut wie ich, daß sich der 50-%-Export von Schadstoffen auf Schwefeldioxid bezieht, nicht auf Autoabgase. Das ist also eine grobe Irreführung der Bevölkerung! Wenn Sie mir nicht glauben, schauen Sie sich bitte Ihre Bundestagsdrucksache an, den Dritten Immissionsschutzbericht der Bundesregierung. Der 50-%-Schadstoffimport in die Bundesrepublik bezieht sich auf Schwefeldioxid und hat mit Autoabgasen nichts zu tun.

(Dr. Ehmke [Ettlingen] [GRÜNE]: Richtig!)

Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund dieses Desasters legen wir unseren Entschließungsantrag vor. Jetzt ist der Gesetzgeber gefordert, da der Bundeskanzler wohl nicht nachverhandeln wird. Wir fordern die zügige Einführung des Tempolimits von 100, und wir wissen uns da mit allen Umweltverbänden einig — und übrigens auch mit der Arbeitsgemeinschaft der Waldbesitzer, die am 22. März genau diese Forderung erhoben hat. Wir wissen uns — und ich unterstreiche es noch einmal — mit allen Umweltverbänden einig. Wir müssen gemeinsam mehr dafür tun, daß der Bürger nicht so oft mit dem eigenen Auto fahren muß; das heißt: Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs. Wir müssen schließlich, meine Damen und Herren, auch dafür Sorge tragen, daß der Güterfernverkehr auf langer Strecke von der Straße auf die Schiene verlagert wird, weil dies erheblich zur Verbesserung der Umweltsituation beiträgt.

(Zustimmung bei der SPD)

Herr Zimmermann, an Ihre Adresse und an Sie alle, meine Damen und Herren, will ich mich jetzt noch mit einem Zitat aus dem „Westfalenblatt" vom 22. März 1985 wenden. Ich schließe mit diesem wörtlichen Zitat und wäre wirklich dankbar, meine Damen und Herren, wenn Sie zwischendurch Ihre Lärmerei etwas reduzieren könnten.

(Dr. Spöri [SPD]: Die sollten lieber zuhören, statt Witze zu erzählen!)

Das Zitat lautet:
Aber eines steht fest: Dieser Brüsseler Kompromiß ist absolut unbefriedigend, und er reicht überhaupt nicht an das heran, was unsere Vorstellung war, als wir mit diesem Thema im Bundesrat eingestiegen sind. Für mich ist dies ein fatales Beispiel, wie technisch möglicher Fortschritt auf dem Brüsseler Verhandlungstisch heruntergebremst worden ist, und ich mache mir große Sorgen, wie das überhaupt mit der Entwicklung der Technik aussieht, wenn in einem solchen Fall schon diese Kompromisse geschlossen werden müssen.
„Absolut unbefriedigend", „fatales Ergebnis", „technischer Fortschritt herabgebremst", treffender und zugleich vernichtender kann man Ihre Umweltpolitik, Herr Bundesinnenminister Zimmermann, nicht beschreiben.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Wer hat das gesagt?)

Dieses Zitat stammt aus Ihren eigenen Reihen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Es stammt vom stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Christlich Demokratischen Union und Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, Lothar Späth.

(Beifall und Hört! Hört! bei der SPD)

Wir Sozialdemokraten, meine Damen und Herren, stimmen in diesem Punkt mit dem Christdemokraten Späth in seinem Verdikt über die Umweltpolitik des Herrn Zimmermann ausdrücklich überein.
Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Geduld.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1012905200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.

Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1012905300
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schäfer, bei Ihrem Beitrag ist mir ein alter psychologischer Lehrsatz eingefallen: Der Verlust des Realitätssinnes steigert die Fähigkeit des Menschen aufs höchste, in einer Traumwelt zu leben, in der Wünschenswertes sofort und vollkommen eintritt.

(Dr. Vogel [SPD]: Gilt das für Herrn Späth?)

Es ist zwar richtig: Was utopisch ist und rigoros eingefordert wird, erscheint oft von besonderer moralischer Qualität. Diesem Schein erliegt die Opposition gewöhnlich. Aber es ist unfruchtbar und unpolitisch. Wer so realitätsblind und unpolitisch ist, ist nicht nur regierungsunfähig, er ist auch oppositionsunfähig.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Leider wahr!)

Herr Kollege Schäfer, Sie haben viele Zitate gebracht. Lassen Sie mich eines anfügen. Es stammt aus dem „Vorwärts" vom 8. Dezember 1984,

(Dr. Vogel [SPD]: Abonniert?)




Dr. Laufs
in dem Rolf Dietrich Schwartz als „Gast im Vorwärts" feststellt:
Auf kaum einem anderen Gebiet wiegen die historischen Versäumnisse sozialdemokratischer Regierungsverantwortung so schwer wie gerade auf dem Bereich des Umweltschutzes.

(Zuruf von der CDU/CSU: Eure eigene Zeitung!)

Die Aktion
— so schließt er seine Abhandlung —
Sondervermögen ,Arbeit und Umwelt' ist — so gesehen — nicht nur ein Dokument für verlorene Regierungsfähigkeit, sondern auch für verlorene Oppositionsfähigkeit.
Dem können wir nur zustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Allen Unkenrufen der Opposition zum Trotz können wir heute feststellen: Dem schadstoffarmen Auto und dem bleifreien Benzin gehört europaweit die Zukunft. Schon am 1. Juli dieses Jahres werden die steuerliche Förderung des Katalysators für die mittlere und die schwere Wagenklasse und andere Abgasminderungstechniken für kleinere Wagen beginnen. Die steuerlichen Anreize sind auf die je nach Technik unterschiedlichen Kosten abgestimmt. Was die SPD in ihrem Entschließungsantrag über die soziale Unverträglichkeit behauptet, ist falsch und ist dümmlicher Klassenkampf am falschen Ort.

(Beifall bei der CDU/CSU und Abgeordneten der FDP)

Wir sagen den Bürgern unseres Landes: Jedermann tut gut daran, sobald wie möglich auf das umweltfreundliche Auto, gleichgültig welcher Wagenklasse, umzusteigen.
SPD und GRÜNE haben das Machbare und Mögliche gänzlich aus den Augen verloren. Schon in den 70er Jahren hat die SPD das Mögliche versäumt. Die Ausführungen des Bundesinnenministers können wir nur unterstreichen. 1971 war von der damaligen Regierung das ehrgeizige Ziel verkündet worden, die Schadstoffe in den Autoabgasen auf ein Zehntel der Durchschnittswerte von 1969 herabzusetzen. Aber zehn Jahre später war der Ausstoß an Kohlenmonoxid um 17 %, an Kohlenwasserstoffen um 32 % und an Stickoxiden sogar um 85 % über die Werte von 1970 hinaus angestiegen.
Da die Bundesrepublik mit den Römischen Verträgen einen Teil der nationalen Souveränität an die Europäische Gemeinschaft abgetreten hat, ist die Bindungswirkung der Anfang der 70er Jahre unter einem SPD-Kanzler ausgehandelten europäischen Regelungen über Abgaswerte und Benzinbleigehalt bis heute das entscheidende Hindernis für eine nationale progressive Umweltpolitik gewesen. So ist das leider. Die geplante 90%ige Absenkung des Schadstoffausstoßes war Mitte der 70er Jahre von der SPD-geführten Bundesregierung zu den Akten gelegt, eine ganze Reihe von sehr erfolgversprechenden Forschungsvorhaben über schadstoffarme Automotoren und Abgasreinigungssysteme waren abgebrochen und unser Automarkt für Klein- und Mittelklassewagen war von der in den USA und in Japan damals begonnenen Entwicklung abgekoppelt worden. Soweit zur Ausgangslage.
Und da stellt sich der Herr Kollege Schäfer hier hin und hat die Stirn, die vor zwei Jahren noch unvorstellbaren Erfolge dieser Regierung herabzumachen mit einer Polemik und Unsachlichkeit, wie das in Umweltschutzdebatten hier in diesem Hause noch nie der Fall war.

(Beifall bei der CDU/CSU — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Es war noch nie ein Umweltminister so unfähig! Herr Baum war um Klassen besser!)

Wer gerecht ist und den zweijährigen Kampf gegen unbegreifliche Verständnislosigkeit und heftig widerstrebende Interessen in Europa verfolgt hat, muß heute zugeben, daß viel erreicht worden ist.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Nichts ist erreicht worden. Der Wald stirbt weiter, der Schadstoffausstoß nimmt zu! Sie wissen es doch besser!)

Die deutschen Vorstellungen konnten weitgehend, wenn auch nicht zur Gänze, durchgesetzt werden. Einige wenige, aber wichtige Fragen müssen in den kommenden Wochen noch geklärt werden. Mit einem nationalen Alleingang hätten wir jedoch der Umwelt nicht genützt, sondern eindeutig geschadet.

(Dr. Spöri [SPD]: Warum haben Sie ihn dann angekündigt?)

In einem Durchgangsland wie der Bundesrepublik Deutschland, das einen Großteil seiner Luftschadstoffe über die Grenzen hinweg importiert, ist nicht die absolut perfekte nationale Lösung entscheidend für die Umwelt, sondern der Fortschritt in Europa insgesamt. Die Entscheidung über einen nationalen Alleingang, Herr Kollege Schäfer, ist im Lichte der vor wenigen Tagen in Brüssel getroffenen Entscheidungen zu sehen.
Noch in diesem Jahrzehnt werden für die schweren Kraftfahrzeuge, deren Schadstoffemissionen dank ihres hohen Verkehrsleistungsanteils den überwiegenden Belastungsbeitrag liefern, europaweit den US-Normen vergleichbar strenge Abgasnormen verbindlich. Nur für einen kleineren Teil der Fahrzeugflotte, für die Kleinwagen, die bei uns nur rund ein Drittel der zum Straßenverkehr zugelassenen Fahrzeuge ausmachen und einen noch deutlich geringeren Anteil als dieses Drittel an der Luftbelastung haben, werden nach einer vorgeschalteten, zwei bis drei Jahre währenden Zwischenphase einer ersten Verschärfung der bis heute geltenden Grenzwerte die endgültigen scharfen Abgasgrenzwerte in Kraft treten.
Das Brüsseler Ergebnis ist für die deutsche Umweltpolitik ein großer, ein erfreulicher Fortschritt und Erfolg. Der Erfolg wird noch dadurch größer, daß wir mit der steuerlich geförderten Umstellung auf schadstoffarme Autos nicht bis zu den Terminen der obligatorischen Einführung warten müssen. Auch die von uns initiierte Umrüstung von Alt-



Dr. Laufs
fahrzeugen kann im wesentlichen wie geplant gefördert werden.
Meine Damen und Herren, die Umstellung unseres hochmotorisierten, wirtschaftlich und werkehrlich eng mit den Nachbarstaaten verflochtenen Landes auf die schadstoffarme Kraftfahrzeugtechnik ist eine äußerst komplizierte Aufgabe. Sie wirft schwierigste EG-rechtliche, außen- und binnenwirtschaftliche, arbeitsmarkt- und sozialpolitische, verfassungsrechtliche und nicht zuletzt technische Fragen auf.
Wir haben uns vor zwei Jahren an eine über zehn Jahre von Ihnen in der SPD vernachlässigte, liegengelassene große Aufgabe gemacht. Wir wollen uns unseren Mut und unsere Erfolge nicht von der heutigen Opposition miesmachen lassen, die in diesem Bereich, als sie Regierungsverantwortung trug, völlig versagt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und Abgeordneten der FDP)

Wir verdanken es der Hartnäckigkeit der Bundesregierung Helmut Kohl, daß wir auf dem dornenreichen Weg zu einer EG-weiten wirksamen Luftreinhaltung ein gutes Stück vorangekommen sind. Wir werden die Bundesregierung kraftvoll unterstützen, damit auch das noch vor uns liegende Wegstück erfolgreich gemeistert wird.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und Abgeordneten der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1012905400
Das Wort hat der Abgeordnete Hoss.

(Reddemann [CDU/CSU]: Ist der immer noch nicht rotiert?)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1012905500
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Bürger!

(Zuruf von der CDU/CSU: Genossinnen und Genossen!)

Der Innenminister hat die Ergebnisse der Brüsseler Konferenz als einen Durchbruch für Europa und für die Politik der Bundesregierung bezeichnet. Ich denke, es ist eher richtig, zu sagen, daß er bei diesen Verhandlungen einen gewaltigen Einbruch erlebt hat.
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" beschreibt die Ergebnisse folgendermaßen:
Nach ablesbarer Dynamik der Waldschäden wird
— bis die Maßnahmen greifen — kein Baum mehr gesund sein.
Die Zeit, die hier vorgegeben wird — bis in die Mitte der 90er Jahre —, läßt angesichts aller Ergebnisse, die wir von Untersuchungen vorliegen haben, diese Aussage als richtig erscheinen.
Damit ich hier aber nicht nur unsere grünen Argumente bringe, lasse ich die Bundesregierung selber sprechen, um die Brüsseler Ergebnisse ins Verhältnis zu den Vorgaben zu setzen, die sie selber gemacht hat. Am gleichen Tage, als Innenminister Zimmermann in Brüssel verhandelt hat, gab das Bundesforschungsministerium einen Bericht heraus, in dem es heißt, daß die Waldschäden im Jahre 1984 gegenüber dem Jahr 1983 weiter fortgeschritten seien. Dabei wird zum erstenmal dezidiert festgehalten, daß die Hauptschädigungen durch Luftverschmutzungen entstehen. Dadurch wird der Wirrwarr, das Gerede davon, man wisse noch nicht genau, wo die Ursache der Waldschädigung liege, aufgehoben. Dabei schädigen die Stickoxide, wie sie in den Abgasen herkömmlicher Autos enthalten sind, den Waldbestand gleich zweifach, nämlich als Schadstoff in der Luft und dann nachher als Störung der Nährstoffversorgung im Boden. So der Bericht des Forschungsministeriums.
Die Marschroute, die sich Bundesminister Zimmermann für Brüssel schon seit dem Herbst des vergangenen Jahres zurechtgelegt hatte und in einer Weise vertreten hat, daß man meinen konnte, er sei Abgeordneter der grünen Partei, sieht so aus — ich zitiere aus einer Pressemitteilung seines Ministeriums, „Der Bundesminister des Innern teilt mit" —:
Die besorgniserregenden Zahlen des Waldschadensberichtes 1984 zeigen, daß es höchste Zeit ist, zur Entgiftung der Autos und Reduzierung der Abgase die bestverfügbarste Technologie einzusetzen, wie sie bereits seit Jahren in Japan und den USA angewendet wird. Voraussetzung dafür
— sagt er weiter —
ist ein möglichst schnelles flächendeckendes Angebot von bleifreiem Benzin in Europa.
Er fährt in demselben Bericht fort:
Im äußersten Fall muß eine Ausnahmegenehmigung für die Bundesrepublik Deutschland
— für einen Alleingang — in Anspruch genommen werden.
Begleitet wird Herr Zimmermann von anderen maßgeblichen Politikern der CDU/CSU. Ich denke z. B. an die Attacken Späths, die er sich im vergangenen Herbst geleistet hat, als er sich vehement für einen Alleingang ins Zeug gelegt hat. Er stand dabei allerdings unter dem Eindruck von Gesprächen mit Schwarzwaldbauern, was schnell wieder verflogen war, nachdem er unter dem Eindruck einer Wochenendbegegnung mit dem Vorstand der DaimlerBenz-AG zu dem gegenteiligen Ergebnis kam. Und sogar Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Dregger, sagte in einer Pressemitteilung, daß man, Herr Laufs, notfalls auch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in Kauf nehmen müsse.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das ist jetzt nicht mehr nötig!)

Die Bundesregierung verkündete, sie sei entschlossen, die Schadstoffe im Autoabgas unter Ausschöpfung der derzeit verfügbaren wirksamsten Technologien zu bekämpfen. Das sind Sätze und Thesen, die der Bevölkerung in den vergangenen Monaten vorgetragen wurden. Inwieweit das nur



Hoss
Kraftmeierei oder taktisches Gehabe war oder ob es sich gar um eine bewußte Irreführung der Bürgerinnen und Bürger im Lande handelte, ist und bleibt das Geheimnis des Innenministers Zimmermann. Für mich hat er sich jedenfalls von einem Ankündigungsminister — diesen Titel hat er sich ja schon erworben — nach den Brüsseler Ergebnissen zu einem gerupften Huhn gemausert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Ergebnis ist katastrophal mager. Wir müssen das ganz nüchtern und sachlich sehen. Wir müssen erkennen, daß dieses Ergebnis als politische Vorgabe untauglich und als Antwort auf die bezüglich der Schadstoffbelastung in der Bundesrepublik tatsächlich vorhandene Situation verheerend ist.
Wenn hier von einem „notwendigen Kompromiß" geredet wird, muß man sich die Frage stellen, ob man sich auf einen solchen Kompromiß, dessen Rahmenbedingungen durch die untereinander konkurrierenden europäischen Automobilindustrien abgesteckt worden sind und der auf Kosten der Natur, der Umwelt und der Gesundheit der Menschen geschlossen worden ist, einlassen durfte. War ein solcher Kompromiß notwendig, oder mußte man nicht, wenn man erkennt, daß in Brüssel keine weiteren durchgreifenden Ergebnisse zu erreichen sind, die Verhandlungen abbrechen — wie wir GRÜNEN das vorgeschlagen haben — und einen nationalen Alleingang zur Bekämpfung der Schadstoffe in der Luft unternehmen?
Man muß hier sagen, daß der Kompromiß, auf den Sie sich eingelassen haben, auf der Grundlage der bisherigen Politik der Autoindustrie vorgenommen wurde. Die Automobilindustrie hat zu lange ein Produkt hergestellt, das Schaden anstiftet, anstatt ihre konstruktiven und technischen Fähigkeiten einzusetzen, um zu erkennen, daß das Produkt, das sie herstellt, schädlich für die Natur und den Menschen ist. Durch den Einbau von Katalysatoren hätte man schon früher — bevor die einfachen Menschen, die das Auto fahren, das erkannt haben — diesen Weg beschreiten können. Diesen Vorwurf muß man der Autoindustrie machen. Man muß ihr weiter den Vorwurf machen, daß sie jetzt, wo die Menschen erkannt haben, daß man etwas tun muß, wiederum als Bremser auftritt, entschiedenere und durchgreifendere Maßnahmen verhindert und Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, auf einen Weg gezwungen hat, der uns allen, der ganzen Bevölkerung der Bundesrepublik und darüber hinaus, abträglich ist.

(Beifall bei den GRÜNEN — Schwarz [CDU/CSU]: Der Beifall eines einzelnen!)

Man muß auch sagen, daß die Ergebnisse von Brüssel für den aufmerksamen Beobachter eigentlich gar nicht so verwunderlich sind. Daß hier ein Kompromiß abgeschlossen wurde, lag in der Luft, weil das bisherige Verhalten der Bundesregierung in Sachen Umweltschutz die europäischen Partner gar nicht ermuntern konnte, auf die Wünsche und Forderungen der Bundesrepublik einzugehen. Wer von außerhalb der Bundesrepublik beobachtet hat, wie sich die Bundesregierung im Fall Buschhaus verhalten hat und wie sehr sie dort einer konsequenten Haltung ausgewichen ist, braucht sich nicht zu wundern, daß die europäischen Partner der Bundesrepublik gegenüber nicht konzilianter gewesen sind. Wenn die Partner darauf verweisen, daß die Bundesrepublik, was das Tempolimit betrifft, das Schlußlicht in Europa sei, dann darf ich feststellen, daß das auch nicht gerade eine Ermunterung ist, den Wünschen der Bundesregierung zu entsprechen.
Die Ergebnisse sind also — das wurde hier schon einige Male gesagt — wie folgt zu beschreiben: Die Maßnahmen greifen erst in der Mitte der 90er Jahre; das ist zu spät. Die Wagen werden in einem Dreiklassensystem entgiftet, und zwar mit der pikanten Nebenwirkung, daß die Großen, die Vermögenden, die die großen Autos mit mehr als 2 000 Kubikzentimeter Hubraum fahren können, in den nächsten Jahren die Saubermänner unserer Nation sind, während die Masse der kleinen, die die kleinen Wagen fahren, als die Umweltverstinker der Nation dasteht. Wir müssen uns fragen: Wieweit haben wir es mit dieser Umweltschutzpolitik gebracht? Man muß fragen: Wie lange lassen sich die Bürger eine solche Politik noch gefallen?

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sie sind ein Desinformateur! — Dr. Laufs [CDU/CSU]: Sie täuschen die Bevölkerung wider besseres Wissen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Die Frage ist — meine Zeit geht zu Ende —:

(Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!)

Was haben wir dem entgegenzusetzen? Wir müssen unsere Positionen in diesem Bereich selber vertreten. Wir können uns, wenn wir die Realität in Rechnung stellen, auf diesen Kompromiß nicht verlassen. Wir müssen das Problem des Tempolimits in Angriff nehmen und durchsetzen, daß auf Autobahnen nicht schneller als 100 km/h gefahren wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Es ist auch jetzt nicht verboten, 100 km/h zu fahren!)

Auf Landstraßen sollte die Höchstgeschwindigkeit 80 km/h betragen. Die Studie des Umweltbundesamtes hat immer noch ihre Gültigkeit, eine Studie, wonach man dadurch jährlich eine Verringerung des Stickoxidausstoßes um 180 000 Tonnen erreicht.
Auch wenn Sie in diesem Moment, in den nächsten Wochen und Monaten noch nicht dazu bereit sind, wird es doch weiterhin notwendig sein, die Frage des nationalen Alleingangs nicht von der Tagesordnung zu nehmen, sondern dieses Problem zusammen mit den Bürgern politisch effektiv zu lösen. Denn spätestens dann, wenn der Waldnotstand ausgerufen ist und sich die Waldbauern, die Bevölkerung in stärkerem Maße wehrt, wird diese Frage wieder neu aufkommen. Spätestens dann werden wir das Problem des Alleingangs in Europa lösen müssen.
Aber die Einführung des Tempolimits und auch ein nationaler Alleingang werden nichts nützen, wenn wir uns nicht Gedanken über ein anderes



Hoss
Verkehrskonzept machen. Sowohl die Autoindustrie als auch die Bürger müssen umdenken und sehen, daß es keinen Sinn hat, wenn die Pläne umgesetzt werden. die Zahl der Autos, die auf unseren Straßen fahren und deren Zahl gegenwärtig 24 Millionen beträgt, bis zum Ende der 90er Jahre auf 29 Millionen bis 30 Millionen zu erhöhen. Wir müssen uns — das geht auch an die Autoindustrie — auch im Interesse der Arbeitsplätze Gedanken machen. Wir müssen der Autoindustrie sagen, daß sie, wenn sie nicht in die Situation des Stahls und der Werften kommen will, schon heute anfangen muß, nicht nur stupide Millionen über Millionen Autos auf die Straße zu schicken, sondern auch ihre Vorstellungen zu ändern und Verkehrskonzepte zu entwickeln: von der Förderung des Nahverkehrs über den Ausbau von Bussystemen bis hin zum Einrichten von Verkehrslinien, mit denen die Bürger ihre Mobilität erhalten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Da dies meine letzte Rede ist, weil ich ja rotiere, möchte ich Ihnen folgendes auf den Weg geben. Ich möchte Ihnen allen mehr Gefühl und Sensibilität für die Umwelt, die Natur und die Menschen wünschen. Ich möchte Ihnen zweitens eine größere Entschiedenheit bei der Umsetzung in konkrete Änderungsmaßnahmen wünschen, wenn Sie Fehler erkannt haben. Drittens möchte ich den Bürgern draußen den Mut zur politischen Aktivität wünschen, den Politikern Beine zu machen, wenn sie Sensibilität und Entschiedenheit vermissen lassen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1012905600
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.

Klaus-Jürgen Hoffie (FDP):
Rede ID: ID1012905700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Gefühl und Sensibilität auch in diesem Haus hätten viele dazu beitragen können, daß wir Verunsicherung in der Bevölkerung gerade bei den Autokäufern kleiner gehalten hätten, wenn wir darauf verzichtet hätten, uns monatelang in solchen Debatten gegenseitig nur zu beschimpfen und Versäumnisse vorzuwerfen. Der Deutsche Bundestag hätte andere Beiträge dazu leisten können, Arbeitsplätze zu sichern und draußen für Klarheit zu sorgen. Ich glaube, das ist das Wichtigste.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. Spöri [SPD])

Ich meine, daß man vor sehr krassen Übertreibungen gerade jetzt in der Debatte warnen muß. Der Europakompromiß des EG-Umweltrats kann sicher nicht als große Jahrhundertentscheidung bejubelt werden. Aber genausowenig ist es gerechtfertigt, den Bürgern vormachen zu wollen, die Bundesregierung habe in Brüssel versagt und man hätte mehr und anderes erreichen können. Auch der beste Regierungswagen, ob er rot oder schwarz gespritzt ist, hat es, soweit ich weiß, noch nicht geschafft, vollgepackt mit einer Last von umweltpolitischen oder anderen Maximalforderungen nach Brüssel zu starten und ohne jeden Gesichtsverlust hierher zurückzukehren. Europa lebt vom Konsensprinzip.

(Schmidt [Hamburg-Neustadt] [GRÜNE]: Und stirbt daran!)

Ohne Kompromißbereitschaft geht da überhaupt nichts. Das weiß jeder, der sich den Blick für die Realitäten noch nicht verstellt hat. Das wissen natürlich auch Sozialdemokraten aus 13jähriger Regierungserfahrung.
Wie stellt sich das Ergebnis nüchtern und sachlich dar? Umweltpolitisch aus deutscher Sicht sicher nicht voll befriedigend; aber für die Gemeinschaft ein gewaltiger Schritt, unverzichtbar für unsere Volkswirtschaft, für die Automobilindustrie, für die Arbeitsplätze, aber auch überfällig für die Sicherheit der Bürger bei der Kaufentscheidung. Das ist die nüchterne Bilanz.
Ich nenne das deshalb unbefriedigend für unsere eigenen Forderungen, weil das kleinere Fahrzeug erst Anfang der 90er Jahre zwingend strengere Abgaswerte erfüllen muß und selbst bei den größeren und den Mittelklassewagen die Termine um Monate, teilweise um einige Jahre verschoben werden mußten. Unbefriedigend ist auch, daß uns die europäischen Partner die Höhe und die Dauer der ins Auge gefaßten Steuervorteile gekürzt haben. Zu hoffen bleibt aber, daß die Regelung über die endgültigen Grenzwerte tatsächlich bis Ende Juni 1985 steht und für die Kleinwagen so früh wie möglich nachgeliefert wird. Das gilt auch für die Festlegung der Partikelgrenzwerte für Dieselfahrzeuge.
Aber wer wirklich ehrlich ist, kann nicht die unbestreitbaren Erfolge wegdiskutieren oder verkleinern. Erreicht werden konnte — und da muß ich Ihnen entgegentreten, Herr Schäfer —, daß wir zwar unter dem Begriff einer neuen Europanorm, aber dennoch die US-Abgasgrenzwerte, so wie wir sie wollen, als die strengsten in der Welt ungeschmälert erreichen werden. Denn wenn Sie die Protokolle der Vereinbarung lesen, sehen Sie, daß darin ausdrücklich steht: US-Abgasgrenzwerte und die neue Europanorm sollen gleichwertig sein.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Äquivalent!)

— Wörtlich: gleichwertig. Das heißt: gleiche Werte. Daß man politisch in Europa seine eigenen Grenzwerte haben, seinen eigenen Zyklus haben will, kann ich nachempfinden. Auch mir wäre es lieber gewesen, wir hätten gesagt: Die US-Grenzwerte einschließlich des Testzyklus bleiben, weil es von der Vereinheitlichung her weltweit auch für die Automobilindustrie leichter ist. Aber sich hier herzustellen und zu sagen, man habe die US-Abgasgrenzwerte geopfert, die ins Auge gefaßte Norm sei ihnen nicht gleichwertig, ist schlichtweg falsch.
Erreicht werden konnte, daß neue Modelle in der Klasse über zwei Liter schon ab 1988 nur noch abgasentgiftet zugelassen werden dürfen. Das sind — das muß man wirklich einmal werten — sechs Jahre früher, als es die übrigen europäischen Län-



Hoffie
der bisher vorhatten. Um jeweils mehrere Jahre vorgezogen gilt dies auch für die übrigen Klassen.

(Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Ich beantworte es gern, wenn es mir nicht angerechnet wird.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1012905800
Die Frage wird sicher nicht angerechnet. Herr Abgeordneter Schäfer (Offenburg) hat die Möglichkeit einer Zwischenfrage.

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1012905900
Können Sie dem Hause die neuen EG-Normen nennen?

Klaus-Jürgen Hoffie (FDP):
Rede ID: ID1012906000
Es ist vereinbart, daß die EG-Normen uns so rechtzeitig geliefert werden, daß wir am 1. Juli mit unseren freiwilligen Maßnahmen beginnen können. Es ist dem Bürger überhaupt nicht damit gedient, wenn man von einem Betrag X bei NOX und einem Betrag Y bei HC redet. Entscheidend ist vielmehr, ob wir es schaffen, das zu erreichen, was wir uns vorgenommen haben, nämlich die Europanorm so zu formulieren und auszugestalten, daß 90% der Schadstoffe, die wir noch in den 70er Jahren bei den Autos hatten, entgiftet werden können. Darauf und auf nichts anderes kommt es an.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, erreicht wurde, daß jetzt für ganz Europa möglich ist, was die Bundesrepublik bisher als einziges Land der Welt im Gegensatz zu Japan und auch den USA zunächst einmal allein vorhatte, nämlich daß man sich nicht nur um die Neuwagen kümmert, sondern auch um die 24 Millionen Altwagen. Wir können auch dort durch steuerliche Anreize den Einbau technischer Hilfsgeräte beispielsweise für die Abgasrückführung fördern.
Erreicht wurde, daß durch die vorgezogenen klaren zeitlichen Festlegungen für alle Autoklassen für den gesamten Kontinent und nicht nur für die Bundesrepublik unverbleites Benzin ganz natürlich überall früher zur Verfügung stehen wird.
Aber, meine Damen und Herren, viel wichtiger als das Gerangel um einige Monate frühere oder spätere obligatorische Einführung, viel wichtiger als der Streit um einige Prozente Förderung mehr oder weniger ist doch, daß wir in Europa einen Handelskrieg verhindert haben, daß es keine jahrelangen Auseinandersetzungen vor dem Europäischen Gerichtshof geben muß, daß jetzt Schluß ist mit Verunsicherung und Ratlosigkeit der Käufer und daß die Automobilindustrie und die Mineralölwirtschaft jetzt endlich auf berechenbaren Grundlagen weiterarbeiten können. Damit kann die deutsche Automobilindustrie wieder anspringen und auf volle Touren gebracht werden.
Ich bin sehr froh, daß der Bundesinnenminister heute hier wiederholt hat, was die FDP j a seit Monaten zu erklären versucht und was immer mehr Menschen erkennen, nämlich — das nicht zu erkennen ist der Kardinalfehler bei den GRÜNEN und der SPD — daß sogar ein noch schlechterer Kompromiß umweltpolitisch besser ist, daß ein europäisches Vorgehen besser ist als ein nationaler deutscher Alleingang über viele Jahre hinweg. Das kann man schlichtweg rechnen. Man kann sogar die Entlastung durch das von Ihnen geforderte Tempolimit hinzufügen. Es bleibt dabei: Jedes Jahr einer vorgezogenen europäischen Lösung auf der heutigen Grundlage des Kompromisses bringt für den deutschen Wald, bringt für die Gesundheit der Menschen nicht nur bei uns, sondern überall auf dem Kontinent mehr Erfolg, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das ist objektiv unwahr!)

Wer jetzt noch, wie Sie das fordern, nachverhandeln will, wer jetzt immer noch nicht gelernt und eingesehen hat, daß ein solcher deutscher Alleingang alles in Frage stellt, sollte nicht, wie die SPD es am Wochenende in Dortmund getan hat, die Meinungsführerschaft in Umweltfragen für sich reklamieren, solange keine realistischeren Vorstellungen auf den Tisch gelegt werden.

(Beifall bei der FDP)

Er sollte auch nicht, wie Sie das in Dortmund getan haben, vom Brückenschlag zwischen Arbeit und Umwelt reden, wenn er in Wahrheit an unrealistischen Positionen festhält, die immer noch mehr Arbeitsplätze in Gefahr brächten. Das gilt für das Verhältnis zwischen Auto und Umwelt ganz eklatant.
Meine Damen und Herren, nicht über Unerreichbares nachverhandeln, nicht neue Zeit verlieren, sondern das Erreichte jetzt zügig durchsetzen, darauf kommt es an. Es kommt besonders darauf an, daß wir jetzt gemeinsam noch einmal die Kraft für neue Ideen aufbringen, weitere flankierende Maßnahmen erörtern und über sie entscheiden, mit denen wir den europäischen Kompromiß dort wieder verbessern können, wo es in eigener Kompetenz möglich ist.
Ich habe hier für die Freien Demokraten schon an anderer Stelle zu anderer Zeit Vorschläge gemacht. Sie wissen, auch für uns ist z. B. ein differenziertes Tempolimit kein Tabu. Aber wir sagen, jetzt, bevor gesicherte Ergebnisse aus dem Großversuch vorliegen — das ist doch klar und überzeugend —, ist eine solche neue Debatte schädlich und unnötig. Deshalb werden wir dies mit Gelassenheit abwarten. Aber, meine Damen und Herren, wir müssen uns etwas einfallen lassen, wir müssen uns fragen, ob es nicht andere Möglichkeiten gibt, mehr zu tun als mit dem Haushalt 1985 bei den Investitionshilfen für die Tankstellen für die Umrüstung auf bleifreies Benzin, schneller das flächendeckende Netz zu haben. Wir müssen die Frage stellen, ob es nicht doch psychologisch ganz wichtig ist, eine Nummernschildkennzeichnung zu bringen für die schadstoffarmen Autos, weil der Bürger j a auch zeigen will, daß er bereit ist und etwas dafür getan hat, daß die Luft entlastet wird. Ich meine flankierende Maßnahmen solcher Art, die eben nicht alle zwingend in Brüssel neu verhandelt werden müßten, und da sage ich dazu: auch das Dreisäulenmodell,



Hoffie
der Verzicht auf den Verkauf des verbleiten Normalbenzins, eine Forderung, die wir seit einem halben Jahr aufstellen und der sich die GRÜNEN in der letzten Woche angeschlossen haben. Ich bin dankbar dafür. Die Preisdifferenzierung um dann nicht nur 4 Pfennig, wie wir es verabschiedet haben, sondern um 10 Pfennig würde einen gewaltigen Anstoß dafür bringen, daß mehr Menschen schon aus rechnerischen Überlegungen schneller auf die neue und bessere Technik umsteigen. Da brauchen wir die Unterstützung auch der Opposition; dies ist zwingend und logisch.
Wir haben heute schon in Deutschland vieles erreicht. Wir haben in kürzester Zeit und ohne Gesetz eine breite Palette schadstoffarmer Autos im Angebot. Wir haben heute schon 12 000 Tankstellen, an denen, ohne daß wir das Gesetz gemacht hatten, bleifreier Sprit verkauft wird. Bis Ende des Jahres wird das flächendeckend sein; aber je schneller desto besser. Solche flankierenden Maßnahmen sollten wir uns gemeinsam für die weitere Beratung vornehmen; dann wäre allen geholfen, den Bürgern, den Autofahrern, auch dem deutschen Wald. Deshalb meine ich, die eigentliche Bewegung muß jetzt von den Autofahrern selbst ausgehen. Zwei Drittel der Bürger erklären, sie seien bereit, beim Autokauf auch finanzielle Nachteile in Kauf zu nehmen, nicht nur Steuervorteile oder abgeschwächte Steuervorteile, damit sie ihren persönlichen Beitrag leisten können, auch bei der Nachrüstung. Wenn ökologische Marktwirtschaft mit diesen Anreizen auf der einen Seite und mit dem Verursacherprinzip auf der anderen Seite einen wirklichen Sinn ausmachen soll, dann muß sich eine solche ökologische Marktwirtschaft, die wir jetzt voll in der Diskussion haben, an diesem Beispiel „Auto und Umwelt" wirklich einmal praktisch beweisen und zum erstenmal bewähren.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1012906100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spöri.

Dr. Dieter Spöri (SPD):
Rede ID: ID1012906200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was der Herr Bundesinnenminister heute mit dieser Regierungserklärung bezweckt hat, ist ihm nicht gelungen.

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Wo ist er denn eigentlich?)

— Da vorne sitzt er, rechts Herr Kollege Wolfram.

(Reuter [SPD]: Der ist immer rechts!)

Was sollte denn hier mit dieser Regierungserklärung bezweckt werden? Hier sollte eine bittere Niederlage im Kampf gegen das Waldsterben zu einem epochalen Erfolg des größten Waldschützers aller Zeiten Friedrich Zimmermann umgefälscht werden. Ich sage bewußt umgefälscht, weil dies der Vorgang ist, mit dem wir konfrontiert sind. Doch diese Regierungserklärung, Herr Bundesinnenminister, wird nicht als Ihr politischer Erfolg in die Annalen des Deutschen Bundestages eingehen, sondern als eindeutiger politischer Offenbarungseid Ihres Scheiterns in der wichtigsten Umweltfrage dieser Tage, im Waldsterben.

(Beifall bei der SPD)

Niederlagen einzustecken und auch einmal mit einem ehrgeizigen Ziel zu scheitern muß auch in der Umweltpolitik keinesfalls kompromittierend sein, wenn man sich nichts vorzuwerfen hat, wenn man sich engagiert eingesetzt hat und wenn man zu grobe Fehler vermeidet. Das Problem ist aber im Fall Zimmermann ganz anders, meine Damen und Herren. Der politische Weg des Bundesinnenministers und seines oft vergessenen Weggefährten, des Bundesfinanzministers, ist eigentlich nichts als eine Folge unhaltbarer Ankündigungen, instinktloser Fehleinschätzungen und naiver Muskelspiele. Für das katastrophale Defizit bei der strategischen Planung dieses Entscheidungsprozesses auf nationaler und insbesondere auf europäischer Ebene wäre Naivität noch eine wohlwollend beschönigende Umschreibung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Verbale Kraftmeierei!)

Wie war denn die Vorgeschichte, bis es zu diesem kümmerlichen Ergebnis der steuerlichen Förderung gekommen ist? Es war doch so — das soll hier in dieser Debatte vernebelt werden —, daß der Bundesinnenminister im Juni 1983 angekündigt hat, er wolle vom 1. Januar 1986 an verbindliche Abgasgrenzwerte vorschreiben. Das war keineswegs nur ein Spaß oder gar nur eine verhandlungstaktische Einstiegsposition. Dies wurde damals mit einem großen Fanfarenstoß der staunenden Republik als Erfolg verkündet.
Dann sind Sie, Herr Bundesinnenminister, ein geschlagenes Jahr lang in der Republik umhermarschiert mit dem stolzen Fähnchen der verbindlichen Abgasgrenzwerte und haben sich als beinharter Umwelt- und Waldschützer feiern lassen. Sie haben sich anschließend verwundert die Augen gerieben und plötzlich Europa entdeckt. Herr Zimmermann hat festgestellt, daß es noch einige Hürden gibt, die man nicht einfach überflanken und schon gar nicht umlaufen kann.
Dann kam mit diesen Schwierigkeiten die Phase pubertärer Muskelspiele mit der finster entschlossenen Drohung von Herrn Zimmermann, einen Alleingang in der EG zu riskieren. Wir hatten den Alleingang überhaupt nicht gefordert, sondern Herr Zimmermann hat ihn in die öffentliche Debatte eingeführt. So war das.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Als der Herr Bundesinnenminister angesichts der Drohung der Partnerländer, den deutschen Automobilexport zu boykottieren, das große Hosenschlottern bekommen hat, ist er kleinlaut auf ein Konzept steuerlicher Förderung der schadstoffarmen Autos eingeschwenkt.
Das war noch nicht das Ende der Fahnenstange. Das, was wir jetzt von der Brüsseler Umweltratstagung als Ergebnis vorliegen haben, ist keineswegs



Dr. Spöri
gesichert. Am 2. April wird die EG-Kommission zusammentreten und nochmals verhandeln.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das ist die Wahrheit! Hoffe ich!)

Es ist nicht ausgeschlossen, daß sich das bisherige Ergebnis ändert. Wir haben heute noch nicht die letzte Chaosvariante beim schadstoffarmen Auto auf dem Tisch liegen.
Lassen Sie mich ein Wort zu diesem Wechsel in der Konzeption sagen. Herr Bundesinnenminister, wie Sie heute den Zickzackkurs in Ihrer Konzeption zu kühl kalkulierten Schachzügen emporstilisieren, ja, zu einem souveränen Verhandlungspoker auf europäischer Ebene umfälschen, ist wirklich geschmacklos.

(Beifall des Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD])

Wer die Verhandlungen in Brüssel beobachtet hat, der weiß ganz genau, daß nicht die anderen in Schwierigkeiten waren, sondern daß Sie im Schleudern waren und Sie sich aus eigener Schuld in eine Sackgasse hineintaktiert hatten, aus der Sie dann, wie der Kollege Hoss zu Recht gesagt hat, ziemlich gerupft mit einer schlechten Lösung herausgekommen sind.
Mit dem Kurswechsel zu finanziellen Anreizen ging aber das Theater erst richtig los. Zunächst hat der Bundesinnenminister ein paar Monate den Bürgern eine Kaufhilfe in Form direkter Zuschüsse versprochen. Dann ist er bei seinem Kollegen Stoltenberg im Kabinett voll aufgelaufen und mußte auf die steuerliche Lösung einschwenken. Daran zeigt sich, wer im Kabinett wirklich etwas zu sagen hat. Seit dem Zeitpunkt, wo sie auf die steuerliche Konzeption umgeschaltet haben, ist der Bundesfinanzminister mindestens ebenso für das Chaos um das Umweltauto verantwortlich wie der Bundesinnenminister.
Meine Damen und Herren, Sie haben dann ein Konzept steuerlicher Lösungen vorgelegt und damit bei der Anhörung des Deutschen Bundestages heftige Kritik geerntet. Das war richtig; denn der Gesetzentwurf für die steuerlichen Anreize und die Umrüstungshilfen war unverständlich und kompliziert, und die finanziellen Anreize waren viel zu schwach, als daß man sich irgendwelche nennenswerten Anstoßwirkungen hätte versprechen können.
Dann haben Sie in der letzten Woche das Paket zum schadstoffarmen Auto, das Sie selbst geschnürt hatten, hektisch auseinandergerissen, um die Mineralölsteuerspreizung vorab zu verabschieden. Diese Spreizung von vier Pfennig zwischen bleihaltigem und bleifreiem Benzin bei der Besteuerung ist jedoch viel zu schwach, viel zu gering, um den gegenwärtigen Preisnachteil des bleifreien Benzins von sieben Pfennig einebnen zu können. Das Skandalöse an dieser Mineralölsteueroperation ist doch, daß der Herr Stoltenberg hier bei dieser
Operation mit umweltpolitischen Argumenten groß Kasse macht und sich reichgerechnet hat.

(Beifall bei der SPD — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das ist der Skandal!)

Das ist keine Umweltpolitik, sondern das ist der
Mißbrauch der Umweltpolitik zur Haushaltspolitik.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: So ist es!)

So schlecht Ihre Verhandlungsstrategie während der letzten zwei Jahre auf europäischer Ebene gewesen ist, so schlecht war Ihre Öffentlichkeitsarbeit. Die Bundesregierung hat in einem Informationsprospekt in einer Auflage von 5 Millionen vorgerechnet, mit welchen finanziellen Vorteilen die Bürger bei der Kfz-Steuer rechnen konnten. Ich will gar nicht groß darüber reden, daß der Regierungssprecher Boenisch vorschnell 300 000 DM aus dem Fenster geworfen hat. Ich glaube, wenn das Bundespresse- und Informationsamt sein eigener Betrieb wäre, würde er vorsichtiger mit diesem Geld umgehen.

(Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Das sagt gerade ihr!)

Das Bezeichnende an diesem Vorgang und der eigentliche Skandal liegen aber darin, daß die Bundesregierung im Schnellschuß, d. h. vor Beendigung der Brüsseler Verhandlungen, grob fahrlässig in amtlichen Mitteilungen den Bürger falsch informiert und irritiert hat. Diejenigen, die sich im Vertrauen auf diese Information zum Kauf eines schadstoffarmen Pkw entschlossen haben, fühlen sich heute zu Recht von der Bundesregierung geleimt.

(Dr. Rumpf [FDP]: Wieso denn das?)

— Weil sie nur einen Bruchteil dessen bekommen, was in diesem Prospekt an Steuervergünstigungen steht.

(Dr. Rumpf [FDP]: Sollen sie denn noch extra einen Vorteil haben?)

— Natürlich haben sie Steuervorteile; sie haben aber weit geringere Vorteile, als das in diesem amtlichen Prospekt mit Bundesadler aufgeführt ist.

(Hoffie [FDP]: Das ist richtig!)

Meine Damen und Herren, die Unsicherheit wird weiter anhalten und so lange dauern, bis der Bundespräsident das endgültige Gesetz mit den endgültigen Regelungen unterzeichnen wird. Wann wird das sein? Ich glaube, daß die Diskussionen leider noch etwas andauern werden, bis es zu diesem Gesetz kommt, weil Herr Stoltenberg nicht im Ernst annehmen kann, daß wir in diesem Parlament ein Subventionsgesetz, d. h. ein Gesetz über Steuervergünstigungen, verabschieden, ohne genau zu wissen, wie die Anspruchsgrundlagen für diese Steuervergünstigung in Form der verbindlichen Abgasgrenzwerte aussehen. Heute wurde angekündigt, daß die Europanorm bis Ende Juni 1985 festgesetzt werden solle; aber auch da gilt nur das Prinzip Hoffnung wie bei vielen anderen Ankündigungen, die Sie in der Umweltpolitik gemacht haben.
Die Unsicherheit wird also — so befürchten wir
— noch weiter anhalten, und das ist auch wirt-



Dr. Spöri
schaftspolitisch unverantwortlich. Die quälende Entscheidungsprozedur treibt die deutsche Automobilindustrie immer tiefer in eine schwere Krise, und diese Krise ist bisher nur durch die großen Exporterfolge überdeckt worden. Wir haben schon heute auf dem Binnenmarkt einen Bedarfsstau von 450 000 Fahrzeugen. Die Zulassungszahlen sehen sehr schlecht aus. Im Februar hatten wir im Vergleich zum Vorjahr um 21,5 % niedrigere Zulassungszahlen. Das ist die niedrigste Zulassungszahl seit zehn Jahren. Diese Daten und diese Fakten zeigen eines ganz klar: Wenn Sie so weitermachen, dann treiben Sie als Bundesregierung den deutschen Automobilbau mit Ihrem umweltpolitischen Panikorchester schon in wenigen Wochen in die Kurzarbeit.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Leider wahr!)

Und wo bleibt der deutsche Wald bei diesem steuerlichen Konzept? Die jetzt beschlossenen steuerlichen Kaufanreize sind ja gegenüber dem ursprünglichen schwachen Konzept noch weiter verwässert worden. Wenn man die Sache einmal nüchtern, rein finanziell und nicht etwa mit umweltpolitischem Idealismus betrachtet, dann stellt man sich bei den Gesetzen, die angekündigt worden sind, mit einem umweltfeindlichen neuen Wagen immer noch besser als mit einem umweltfreundlichen Wagen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Leider auch wahr!)

Deshalb muß der Bundeskanzler auf dem kommenden EG-Gipfel nachverhandeln, einfach deshalb, weil die Anreize marktwirtschaftlich überhaupt nicht ausreichen.
Was ist eigentlich mit den Anreizen zur Umrüstung geworden? Da hat es heute bei Herrn Zimmermann geheißen, diese Anreize würden im wesentlichen durchgesetzt werden können. Von Herrn Stoltenberg hört man überhaupt nichts, sondern nur das Schweigen im Walde. Wir haben keinerlei präzise Auskünfte darüber bekommen, wie diese Umrüstungshilfe tatsächlich aussehen soll. Dabei ist die Umrüstung umweltpolitisch mindestens ebenso wichtig wie ein rasches Umsteigen auf schadstoffarme Neuwagen.
Zusammengefaßt: Die Bundesregierung steht nach dem Umweltrat von Brüssel vor einem umweltpolitischen Scherbenhaufen, den sie nicht noch geschmackloserweise abfeiern sollte. Bei einem solchen Ergebnis wäre eigentlich mehr Demut angebracht, muß ich Ihnen sagen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Das müssen gerade Sie sagen!)

Das quälende Wechselbad vollmundiger Ankündigungen und etappenweiser Rückzugsgefechte ist noch lange nicht vorbei, auch nicht für die Automobilindustrie und auch nicht für Sie in der CDU/ CSU-Fraktion. Ich kenne doch die persönlichen Gespräche. Sie werden diese chaotische Entscheidungsprozedur in Ihren Wahlkreisen doch auch nur gequält vertreten können. Heute sind Sie gegenüber Herrn Zimmermann sicherlich so loyal, das nicht offen zu sagen. Aber bei Ihnen herrscht doch auch eine negative Stimmung.
Wir haben es hier mit einer dilettantischen Politik zu tun, die den Ablauf der Gesetzgebung nicht — was eigentlich selbstverständlich wäre — europapolitisch von vornherein abgesichert hat. Sie haben als Bundesregierung nicht nur eine Schlacht im Kampf um den Wald verloren

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Gewonnen, nicht verloren!)

— verloren, Herr Jäger —, wenn die Schadstoffemissionen erst 1995 zurückgehen. Herr Jäger, gehen Sie doch einmal in den Schwarzwald. Bis 1995 sehen Sie dort keine einzige Tanne mehr.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Weil Sie 13 Jahre lang nichts getan haben! — Widerspruch bei der SPD)

Herr Jäger, die Bundesregierung hat zu Lasten aller Regierungen, die in diesem Bundesstaat Verantwortung tragen, das Vertrauen der Bürger in die Berechenbarkeit der Umweltpolitik völlig ramponiert.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Der frühere Wirtschaftsminister und der eigentliche Wirtschaftssprecher der FDP — was das Kompetenzgefälle zu seinem Nachfolger anlangt — hat zu Recht etwas gesagt, was ich wörtlich wiedergeben will: „Eine einzige Blamage." Dazu kann ich nur sagen: Wo Graf Lambsdorff recht hat, hat er recht.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1012906300
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1012906400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute in eine erste Bewertung der Ergebnisse der Brüsseler Verhandlungen im Hinblick auf die europaweite Einführung des schadstoffarmen Autos eintreten, lohnt sich ein Vergleich zwischen den Forderungen und Ergebnissen der von der SPD geführten Bundesregierung in den Jahren 1970 bis 1982 und dem von uns heute Erreichten, dies um so mehr, als auch Kollege Schäfer darauf abgehoben hat.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Im Ersten Immissionsschutzbericht vom 24. Juli 1978 wird von der SPD-Bundesregierung ausgeführt — ich zitiere —:
Um im Verkehrsbereich das Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971 zu verwirklichen, hat die Bundesregierung ... die Einführung neuer Grenzwerte ... prüfen lassen und Ende 1977 den Mitgliedstaaten der ECE den Entwurf einer Richtlinie zugeleitet, der ab 1982 Grenzwerte vorsieht, die ... mit den für 1982 geplanten Werten der USA und Japans übereinstimmen.
Es heißt dort weiter, 1978:



Schmidbauer
Neben dieser sachlichen Verbesserung strebt die Bundesregierung
— SPD —
an, die Abgasmeß- und Prüfungsverfahren in den USA und den Mitgliedstaaten der ECE durch eine Vereinbarung zu harmonisieren.
Nach diesen Ankündigungen von 1971 bis 1982 ist festzustellen: Fehlanzeige! Ziel nicht erreicht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Von uns verlangen Sie das!)

Da nützt es auch nichts, wenn dann ein SPD-Sprecher den von mir sehr geschätzten Kollegen Baum zitiert. Ohne ihn wäre es noch schlimmer gewesen. Da hätten Sie ein Minuswachstum erreicht.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Herr Schmidbauer!)

Am 23. Juni 1982, Herr Schäfer, wurde von Ihnen laut Protokoll zum Zweiten Immissionsschutzbericht ausgeführt — Originalton SPD —: Auf Grund des Umweltprogramms 1971 bestünden in der Zielerreichung noch Defizite etwa im Bereich der Abgasreduzierung.
Ein anderer Vertreter der SPD-Fraktion führte zum selben Zeitpunkt aus, daß Teile des Kfz-Bereichs noch erhöhte Stickoxidemissionen aufwiesen. Und dies sei alarmierend.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Von daher sei es zu begrüßen, daß sich die Bundesregierung (SPD) auf EG-Ebene für eine weitere Abgasreduzierung einsetze. — Und jetzt im Originalton weiter: Dabei handle es sich jedoch um eine Forderung, die lediglich von der Bundesregierung erhoben werde und von der noch nicht abzusehen sei, ob sie auf EG-Ebene angenommen werde.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Diese Ausführungen, meine Damen und Herren, machen deutlich, daß von der Ankündigung im Umweltprogramm 1971 bis zur Absichtserklärung 1982 nur übrigblieb: Es sei zu begrüßen, daß sich die Bundesregierung auf EG-Ebene für eine weitere Abgasreduzierung ab 1985/86 einsetze. — Meine Damen und Herren von der SPD, bei diesen Grüßen ist es dann aber auch geblieben.
In Kenntnis dieser Situation haben wir von der CDU/CSU-Fraktion kein Verständnis für Ihre haltlose Kritik und Ihre Vorwürfe an die Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU/CSU — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sonst sind Sie gar nicht so böse, Herr Schmidbauer!)

Um so mehr gilt unser Dank dem Bundesinnenminister Dr. Zimmermann, dem Wirtschaftsminister Dr. Bangemann und der gesamten Delegation für die in Brüssel geleistete Arbeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Einschließlich Späth!)

— Einschließlich Späth. Darauf komme ich nachher zurück.
Wir haben nach den ergebnislosen Bemühungen und zaghaften Versuchen der SPD den Durchbruch erreicht.

(Zuruf von der SPD: Was? — Dr. Spöri [SPD]: Den Durchbruch ins Vakuum!)

Die Partner in der Europäischen Gemeinschaft gehen mit uns gemeinsam den Weg von einer Wirtschaftsgemeinschaft auch hin zu einer Umweltgemeinschaft. Nun ist ein wichtiger Schritt auf europäischer Ebene getan worden. Und das ist ein Erfolg dieser Bundesregierung.
Wer den Zustand der Automobilindustrie in Frankreich, in Italien und in England kennt und wer um die Vorbehalte unserer Partner weiß, der muß dieses Ergebnis positiv beurteilen. Auch Kollegen von Ihnen waren bei den Gesprächen mit Frau Bouchardeau — Kollege Reuter — und mit Herrn Biondi in Rom dabei. Wir alle wußten um diese Vorbehalte und haben erkannt, wie schwierig es ist — Kollege Baum mag dies bestätigen —, in dieser Frage im gemeinsamen Europa zu einer Lösung zu kommen. Es war nicht überall die Sensibilisierung wie bei uns in der Bundesrepublik Deutschland gegeben.
Sicher ist auch, daß wir noch einige zusätzliche Entscheidungen werden treffen müssen. Sicher ist auch, daß dies in Einzelfällen nicht leicht sein wird. Dies gilt nicht nur für die vorgesehenen steuerlichen Anreize, sondern auch in den Fragen der Festsetzung europäischer Normen, europäischer Fahrzyklen.
Es wäre deshalb wünschenswert, wenn auch die SPD-Fraktion die Bundesregierung in dieser Situation nachdrücklich unterstützte und auf jede verbale Kraftmeierei — die Muskelprotze haben wir vorhin gerade gehört — verzichtete. Dies wäre dem Umweltschutz dienlicher, und dies wäre auch unserer Verhandlungsposition in Brüssel dienlicher.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Was haben Sie für naive Vorstellungen!)

Meine Damen und Herren, jetzt zu den Ergebnissen. Dazu habe ich von der SPD sehr wenig gehört; ich habe immer nur Vorwürfe gehört. Aber ich will einmal festhalten, welche Ergebnisse erzielt wurden:
Erstens: die Wahrung der Integrität des Gemeinsamen Marktes.
Zweitens. Die Harmonisierung mit der EFTA — von Schweden bis zur Schweiz — ist erreicht, und damit stellt sich auch eine Eigendynamik des Marktes ein. Ich will gar nicht davon reden, daß in bilateralen Gesprächen mit Ostblockländern bereits ähnliche Wege beschritten wurden und die Ziele vorgegeben sind.
Drittens. Bleifreies Benzin kann ab sofort angeboten werden, ab 1989 EG-weit obligatorisch. Die Normen sind festgelegt. Vorhin wurde erwähnt: 1 000 Tankstellen allein in der Bundesrepublik Deutschland sind ein Beispiel für die rasche Entwicklung.



Schmidbauer
Viertens. Wir haben europäische Emissionsnormen, die zu einer europaweiten Reduzierung der Schadstoffe führen. Das ist allemal besser als der Alleingang, der hier von einigen gefordert wird.
Fünftens. Die Bundesrepublik Deutschland kann ihre nationale Konzeption als freiwillige Phase vorschalten und damit bereits heute schadstoffarme Autos auf den Markt bringen. Hier geht mein Appell an den Bürger, daß er sich so verhält, daß diesem Auto auf dem Markt geholfen wird. Seine Kaufentscheidung wird mitentscheidend sein.
Sechstens. Die Nach- und Umrüstung von Altfahrzeugen kann anlaufen.
Siebtens. Die Kommission hat beschlossen, noch 1985 Vorschläge für die Emission von Kraftfahrzeugen über 3,5 t und über die Partikelemissionen von Dieselfahrzeugen zu unterbreiten.
Diese Brüsseler Entscheidungen wären ohne die Schrittmacherrolle der Bundesrepublik Deutschland so nicht möglich gewesen. Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt deshalb nachdrücklich den von der Bundesregierung, den von Bundesinnenminister Zimmermann eingeschlagenen Weg. Dies dient dem Umweltschutz, dient aber auch der Sicherung von Arbeitsplätzen in unserem Lande.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Schäfer, ich will eine Bemerkung zu Ihrem Zitat von Ministerpräsident Lothar Späth machen. Auch ich will zitieren, was er am 22. März 1985 sagte. Er bewertete zunächst die Brüsseler Ergebnisse kritisch und sagte dann:
Ich warne aber davor, daß wir unsererseits die Bundesregierung tadeln, während im Ausland gesagt wird: „Es ist eigentlich erstaunlich, wieviel die Bundesregierung in Europa durchgesetzt hat."
Er fährt fort:
Auch im Vorfeld von Wahlkämpfen — Nordrhein-Westfalen —
müssen wir hier in der Länderkammer in erster Linie die gemeinsamen Interessen des Umweltschutzes sehen.
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Das hat Herr Schäfer wohlweislich weggelassen!)

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1012906500
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1012906600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine, wir sind jetzt — gerade nach dem letzten Beitrag des Kollegen Schmidbauer — auf dem Wege, weder etwas zu beschönigen noch etwas herunterzureden, sondern nüchtern das zu betrachten, was herausgekommen ist.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Es ist zu wenig herausgekommen! Da muß man sagen: Industriepolitisch und europapolitisch war die Entscheidung ganz wichtig; umweltpolitisch sind nicht alle Ziele erreicht, aber wir haben den Zug zum umweltfreundlichen Auto in Europa einen wichtigen Schritt weitergebracht, Herr Schäfer, auch ich bedaure, daß die anderen Europäer die US-Grenzwerte — — (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Der Schadstoffausstoß nimmt, wie Sie wissen, zu! Entlastung erst ab dem nächsten Jahrtausend! Und da sagen Sie: umweltpolitisch ein Erfolg!)


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) und niemand wird ihn aufhalten können.

— Nein, Herr Schäfer! Es kommt eine Entlastung; das können Sie doch nicht bestreiten.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Nein, keine Entlastung vor 1995!)

— Herr Schäfer, was nützt es, wenn Sie in Ihrer Erklärung, die Sie hier dem Hause vorlegen, bedauern, daß die US-Grenzwerte nicht realisiert worden sind? Ich bedaure das auch. Aber wem sagen Sie das denn? Auch wir, eine Delegation dieses Parlaments, haben Verhandlungen in den europäischen Hauptstädten geführt. Die anderen Europäer waren nicht bereit, diese von uns geforderten strengen Vorschläge zu akzeptieren. Sie haben keine Sensibilität für die Gefährdung der Gesundheit ihrer Bürger — darum geht es nämlich auch — gezeigt, und sie haben industriepolitische Interessen ihrer Automobilindustrie vertreten. Die französische Umweltministerin hat eine Position eingenommen, die voll mit der der französischen Automobilindustrie identisch war. Das war die Lage. Man kann sagen, man hätte mehr erreichen müssen, mehr erreichen sollen. Wir müssen als Teil der Europäischen Gemeinschaft zur Kenntnis nehmen, daß die anderen Europäer dazu nicht bereit waren. Wir haben den Bundesinnenminister bei seiner Politik von Anfang an unterstützt. Es ist zäh und energisch verhandelt worden. Wir müssen uns jetzt nüchtern mit dem Ergebnis auseinandersetzen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Dilettantisch verhandelt! Heute so, morgen so! Selbstverschuldet!)

Zur Nüchternheit gehört auch, daß wir sagen, was noch nicht entschieden ist.

(Anhaltende Zurufe des Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD])

— Herr Kollege Schäfer, bitte lassen Sie mich doch reden. Ich habe Ihnen doch vorhin auch zugehört.

(Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Das ist ein Schulmeister, der kann nicht anders!)

Es ist nicht entschieden, welches jetzt die europäischen Werte sein sollen. Das muß man klar sagen. Da gibt es allerdings eine wichtige Festlegung: Sie sollen den amerikanischen Normen gleichwertig sein, und das muß mit Nachdruck durch unsere Verhandlungsdelegation vertreten werden. Das wird sie aber auch tun, ohne daß wir sie dazu ermuntern. Wir müssen auch — —




Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1012906700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Spöri?

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1012906800
Ja, ich muß nur den Satz zu Ende führen. — Wir müssen auch einen Zusammenhang sehen zwischen den Steuerbefreiungen und den Werten.
Ich möchte hier noch einen Hinweis geben. In dem Arbeitsdokument Nr. 2 a der EG steht:
Insbesondere für Fahrzeuge mit einem Hubraum von 1,4 bis 21 sollten die europäischen Normen durch einfache Magerverbrennungsverfahren in Verbindung mit Oxydationskatalysatoren oder durch vergleichbar kostengünstige Verfahren erreichbar sein.
Meine Damen und Herren, nehmen wir also zur Kenntnis: Die anderen Europäer haben auch für die Fahrzeuge zwischen 1,4 und 2 1 eine andere Konzeption als wir. Es kommt jetzt darauf an, daß bei der Festlegung der Werte ein gleichwertiges Ergebnis erzielt wird, gleichwertig den Werten, die wir vorgesehen hatten, nämlich den US-Werten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1012906900
Herr Abgeordneter Spöri, bitte schön.

Dr. Dieter Spöri (SPD):
Rede ID: ID1012907000
Herr Kollege Baum, Sie haben soeben den Zusammenhang zwischen den Abgaswerten auf der einen Seite und den Steuervergünstigungen auf der anderen Seite angesprochen. Soll das konkret heißen, daß wir diese Steuervergünstigungen nicht beschließen können, solange wir die Abgaskriterien nicht konkret kennen und in das Gesetz hineinschreiben können?

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1012907100
Herr Kollege Spöri, das hängt davon ab — ich bin kein Steuerpolitiker —, was in das Gesetz hinein muß und was man möglicherweise in Verordnungen regeln kann. Das wird man prüfen müssen. Ich gehe bisher davon aus, daß diese Fristen eingehalten werden können. Sie sollten jedenfalls eingehalten werden. Aber sie müssen auf einer soliden Basis eingehalten werden. Die Werte sind eine Basis, die notwendig ist auch für die Festlegung der Steuerpräferenzen.
Angesichts dieser Lage, meine Damen und Herren, ist es wichtig, nicht nur auf die Endtermine zu sehen, sondern weiterhin eine Dynamik auf dem Markt zu fördern. Es ist nicht entscheidend, welche Endtermine in irgendwelchen Papieren stehen, sondern wie viele Menschen in Deutschland, in Europa 1986, 1987, 1988 umweltfreundlichere Autos fahren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Daran wird sich diese Politik messen lassen und nicht allein an den Endterminen. Wir alle hätten uns andere Termine gewünscht. Auch der Bundesinnenminister hat ja andere Termine vorgeschlagen. Und ich frage Sie, Herr Kollege Schäfer: Glauben Sie denn im Ernst, Sie hätten den Termin 1. Januar 1986 durchgesetzt? Davon können Sie doch wirklich nicht ausgehen.

(Dr. Spöri [SPD]: Das war doch die Behauptung von Zimmermann!)

Erlauben Sie mir einen kurzen Rückblick auf die Vergangenheit. Es ist richtig: Wir hatten uns 1971 ein ehrgeiziges Ziel gesetzt, und das war, Herr Zimmermann, 1982 nicht erreicht. Aber es ist in der Zwischenzeit von 1971 bis 1982 durchaus etwas geschehen. Die Schadstoffe sind bei einer ganzen Reihe von Komponenten bis zu 50% reduziert worden. Wir haben ja verhandelt. Wir haben in der EG verhandelt. Ich habe in der EG 1981 ein Memorandum vorgelegt. Da hatte ich national mit Widerständen zu tun. So wurde mir von der Automobilindustrie damals gesagt — und Sie haben ja dort auch Ihre Erfahrungen gemacht, Herr Zimmermann —:

(Bundesminister Dr. Zimmermann: Weiß Gott!)

Energieeinsparung und Abgasreduzierung, das geht überhaupt nicht, das paßt überhaupt nicht zusammen. Es wurde auch gesagt, eine Gesundheitsgefährdung sei noch gar nicht bewiesen.
Es kommt noch eines hinzu; das möchte ich hier auch den Kollegen des Koalitionspartners sagen. Die Zusammenhänge zwischen den Autoabgasen, vor allem der Stickoxide, und dem Waldsterben sind erst 1981/82 durch neue Gutachten deutlich geworden.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Wir hatten es damals mit einer anderen Situation zu tun. Deshalb haben wir andere technische Normen vorgeschlagen, nämlich die ECE-Richtlinien 04 und 05. Die Richtlinie 05 sollte 1986 in Kraft treten. Wenn Sie sich jetzt einmal ansehen, was hier vorliegt, dann erkennen Sie, daß die Werte, die jetzt festgelegt sind, von der Richtlinie 05 nicht sehr weit entfernt sind. Das sollte man um der Ehrlichkeit willen wirklich feststellen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich nehme in Anspruch — da brauche ich nicht die Ermunterung durch Sie, Herr Kollege Schäfer, was meine Selbstachtung angeht —, daß wir in Sachen Auto schon früher zum Problembewußtsein bei unseren europäischen Nachbarn beigetragen haben. Wichtige Entscheidungen sind jetzt gefallen. Das sollten Sie anerkennen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

— Ich weiß ja, daß Sie hier Politik machen. Aber Anlaß zu vollmundiger Selbstgerechtigkeit besteht wirklich nicht, meine Damen und Herren von der SPD. Die Verhandlungslage in der Europäischen Gemeinschaft ist sehr schwierig gewesen. Wenn Sie das Bild vollständig machen wollen, wenn Sie es genauer zeichnen wollen, Herr Schäfer, dann setzen Sie sich bitte mit der Position unserer EG-Partner auseinander, deren Unterstützung wir ja nicht nur auf diesem Feld brauchen.
Ich möchte eine Schlußbemerkung machen. Wir haben es bei Umweltdebatten oft erlebt, daß aktuelle Themen andere Themen überlagert haben. Das Autothema und das Waldthema gehören zur Zeit zweifellos zu den wichtigsten. Aber machen wir nicht den Fehler der früheren Jahre, wo es lange Zeit z. B. nur Debatten über die Gefahren und die



Baum
Chancen der Kernenergie gab. Unser heutiges Thema darf uns nicht verleiten, die anderen Umweltthemen auch im öffentlichen Bewußtsein nach hinten zu rücken.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich möchte an Sie alle appellieren, daß sich dieses Parlament in der jetzigen Legislaturperiode mit dem Wasserhaushaltsgesetz, dem Abwasserabgabengesetz, dem Abfallbeseitungskonzept, der Bodenschutzkonzeption und dem Bundes-Immissionsschutzgesetz befaßt. Meine Damen und Herren, die restlichen zwei Jahre sind schnell vorüber. Hier können wirklich Entscheidungen für die Umwelt getroffen werden, die, meine Kollegen von der SPD, dann auch den Investitionsschub noch verstärken, von dem Sie reden.
Ich kann Ihre Kritik im übrigen nicht teilen. Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung bewirkt einen Investitionsschub von weit mehr als 10 Milliarden DM. Wirken Sie doch an der Realisierung dieser wichtigen Gesetze mit! Dann gibt es jetzt neue Investitionen, dann haben Sie eine Verbindung von Arbeit und Umwelt. Aber Sie haben sie nach dem richtigen Prinzip: nach dem Verursacherprinzip und nach den Regeln der Marktwirtschaft.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1012907200
Das Wort hat Herr Abgeordneter Fellner.

Hermann Fellner (CSU):
Rede ID: ID1012907300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Schäfer ahnt, daß man sich als erstes mit ihm auseinandersetzen muß. Ich weiß zwar nicht, ob der Vorwurf der Heuchelei, den er an uns gerichtet hat, durch den Präsidenten noch gerügt wird, aber vorsorglich möchte ich ihn hiermit mit Genehmigung des Präsidenten zurückgeben.

(Heiterkeit)

Herr Kollege Schäfer, Sie haben sich — mit viel ideologischem Ballast verbrämt — darüber beklagt, daß für Kleinfahrzeuge nur 750 DM gegeben werden dürfen, während für große Fahrzeuge — z. B. für Ihren Mercedes — bis zu 2 200 DM vorgesehen sind. Herr Kollege Schäfer, gleichzeitig haben Sie sich darüber beklagt, daß jetzt bei einzelnen Fahrzeugklassen weniger an Abgasreinigung verlangt wird, als wir uns zum Ziel gesetzt haben. Genau dies ist ein entscheidender Grund. Wenn bei kleinen Fahrzeugen weniger technische Maßnahmen erforderlich sind und das auch geringere umweltpolitische Auswirkungen zur Folge hat, dann ist es eben gerechtfertigt, dafür weniger zu zahlen.
Wenn Sie im Zusammenhang mit der Frage, ob es sich um kleine oder große Maßnahmen handelt, ein sozialpolitisches Argument ins Feld führen, dann sagen Sie doch auch einmal getrost, daß es vielleicht gerechtfertigt ist, bei den Kleinfahrzeugen, wo die Umrüstung und die Ausrüstung mit Katalysatoren wesentlich teurer ist — im Verhältnis zum Autopreis —, im Augenblick auch angesichts der
Umweltauswirkungen weniger zu verlangen als bei den großen Autos. Aber Sie sollten diese Frage bitte nicht mit ideologischem Ballast befrachten, sondern schlicht, sachlich und fair diskutieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Kollege Schäfer, dann haben Sie uns auch noch den hilfreichen Hinweis gegeben, wir sollten uns das Verhandlungsgeschick Ihrer damaligen Regierungsmitglieder zum Vorbild für unsere Arbeit in der EG nehmen. Ich nehme an, Sie haben damit den Kollegen Hauff gemeint.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Hauff, Baum, Lambsdorff, Cronenberg!)

— Wie schwer es ist, hat der Kollege Baum hier ja sehr fair dargestellt. Ich wundere mich, daß der Kollege Hauff heute nicht anwesend ist.

(Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Herr Kollege Schäfer, ich sage Ihnen: Sie bekommen auf alles eine Antwort; ich mache das von selber. Sie haben lange genug geredet.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Herr Kollege Hauff ist heute bei der UN-Kommission!)

— Er ist bei der UN-Kommission; ist in Ordnung. Es ist aber trotzdem besser, daß er das nicht hören muß, denn sonst hätten ihm die Ohren geklungen.
Der Kollege Hauff hat noch im Jahre 1982 gesagt, in diesen Dingen bestehe kein Handlungsbedarf. Er hat dann darauf hingewiesen, ihm erschienen weitere Schritte im Hinblick auf EG-rechtliche Restriktionen aussichtslos. Das war Ihre damalige Position. Herr Kollege Schäfer, dies hat ja Ihr großer Parteivorsitzender noch am vergangenen Wochenende sehr aufschlußreich dargelegt, als er von Versäumnissen und Nachlässigkeiten seiner Partei in Sachen Umweltschutz sprach. Ich sage ausdrücklich: Ich meine nicht die Nachlässigkeiten, hinsichtlich deren man die besseren Erkenntnisse, die wir heute haben, einfach noch nicht hatte, sondern ich meine — das hat er ja auch zum Ausdruck gebracht —, daß man manches gewußt hat, aber innerhalb der SPD trotzdem nicht die Kraft aufgebracht hat, etwas zu unternehmen.
Herr Kollege Schäfer, Sie haben auch den hilfreichen Hinweis gegeben, man hätte in der EG vielleicht kompromißbereiter verhandeln sollen. Was wir im letzten Jahr auf nationaler Ebene gesagt haben, war die Grundlage, die Ausgangsposition für unsere Verhandlungen. Sie haben gesagt, wir hätten mehr herausgeholt, wenn wir uns nicht von vornherein auf eine Kompromißlinie — auf die wir uns selbstverständlich eingelassen haben, denn wir wissen, daß wir allein die Welt nicht aus den Angeln heben können — festgelegt hätten. Sie können sich ausmalen, wo wir letztendlich gelandet wären, wenn wir die Zeiträume innerhalb der EG zugrunde gelegt hätten, die nach Ihren Vorgaben bestanden. Wir wären ganz woanders gelandet.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir räumen natürlich ein, daß dieses Ergebnis alle Anzeichen eines Kompromisses in sich trägt.



Fellner
Wir haben Federn lassen müssen, speziell bei den ehrgeizigen Zielen bezüglich der Fristen. Aber es ist doch wohl entscheidend — das kommt Ihrer Forderung nach einem Alleingang ja weitgehend entgegen —, daß wir mit Genehmigung unserer europäischen Nachbarn anfangen dürfen

(Dr. Spöri [SPD]: Der Zimmermann hat doch von Alleingang gesprochen!)

und daß die Anreizstrategien durchgeführt werden dürfen. Ich muß Ihnen auch sagen: Das bringt wirklich mehr für die Umwelt als ein Alleingang auf nationaler Ebene, der natürlich bewirkt hätte, daß unsere europäischen Nachbarn dann den bequemen Weg gegangen wären und Vorgaben umgesetzt hätten, die sie damals noch mit Ihnen vereinbart hatten.
Herr Schäfer, es ist natürlich auch nicht richtig, daß nur beim Schwefel etwa die Hälfte der Schadstoffe aus anderen Ländern kommt. Sie kennen ja die Zusammenhänge. Auch bei den Photooxidantien ist es natürlich so, daß es weiträumige Luftverfrachtungen gibt. Auch ein großer Teil dieser Schadstoffe kommt aus dem Ausland. Deshalb ist es für uns — national gesehen — genauso wichtig, daß unsere europäischen Partner sehr schnell und jetzt Gott sei Dank etwas schneller, als zunächst geplant, mit uns mitziehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Kollege Schäfer, was man redlicherweise nicht tun kann, ist, daß man sich zum einen darüber beklagt, wir seien zu hart mit unseren europäischen Nachbarn umgesprungen, und uns zum anderen gleichzeitig beschimpft, wir hätten nicht hart genug verhandelt. Herr Schäfer, man kann auch nicht den nationalen Alleingang fordern und sich gleichzeitig über die Situation der Automobilindustrie beklagen, und das zusätzlich in einer Phase der Diskussion, in der wir heute die Meldung lesen, daß VW 1 000 Leute zusätzlich einstellt. Diese 1 000 Leute werden ausdrücklich deshalb zusätzlich eingestellt, weil der Export dieser kleinen Fahrzeuge — die Sie auch restriktiver behandelt wissen wollen, und zwar so, daß wir keine mehr ins Ausland verkaufen können — so gut funktioniert. Das zeigt die ganze Unredlichkeit, die Ihrer Argumentation zugrunde liegt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Insgesamt darf man sich natürlich wirklich nicht über die Verunsicherung der Autokäufer beklagen, Herr Kollege Schäfer, wenn man hier im Deutschen Bundestag jede auch noch so geringe Unsicherheit, die natürlich noch vorhanden ist, zum Anlaß nimmt, den Leuten zu sagen, es kenne sich hier niemand aus. Der Bürger kennt sich schon aus. Er braucht sich sein Fahrzeug nur anzusehen und sich beraten zu lassen, was er mit diesem Fahrzeug machen kann.

(Dr. Spöri [SPD]: Dann nehmen Sie einmal zur Kenntnis, wie der Bürger schimpft!)

Selbstverständlich wird die Bundesregierung die Erwartungen, die die Bürger in unsere Umweltschutzpolitik gesetzt haben, nicht enttäuschen.
Lassen Sie mich zum Schluß meine Überzeugung zum Ausdruck bringen, daß all das, was in der EG rechtlich jetzt nicht durchsetzbar ist, auf Grund des vorhandenen Umweltverständnisses des Bürgers und angesichts des guten Markts für umweltfreundliche Autos sicherlich erledigt werden wird. Das Umweltauto wird seinen Weg europaweit machen, und zwar, Herr Kollege Schäfer, sogar schneller, als Ihnen das aus politischen Gründen vielleicht recht ist.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1012907400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lippold.

Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1012907500
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist bedauerlich, daß sich die Opposition mit ihren Beiträgen heute aus der verantwortungsbewußten und realitätsbezogenen Umweltdiskussion abgemeldet hat.

(Zuruf von der SPD: Oh je, oh je!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist doch ganz einfach so, daß diejenigen, die Verhandlungen über das umweltfreundliche Auto in Europa nie geführt haben, jetzt in die Rolle der Besserwisser schlüpfen, die Patentrezepte anbieten.

(Widerspruch bei der SPD)

Wir werden gleich noch einmal darauf zu sprechen kommen, was von Ihren in dieser Diskussion gemachten Vorschlägen zu halten ist. Sie kennen doch die schwierigen Verhältnisse in Brüssel. Sie wissen, daß wir eine Vorreiterrolle in Europa haben, daß unser Umweltbewußtsein größer ist, daß der Stand unserer Umweltgesetzgebung besser ist, daß diese Bundesregierung daran arbeitet, dies noch zügig und effizient zu verbessern, daß aber die anderen in Europa nicht gewillt sind, diese harte und schnelle Gangart in der Umweltschutzgesetzgebung mitzugehen.

(Zuruf des Abg. Dr. Spöri [SPD])

Vor diesem Hintergrund, Herr Spöri, ist das, was in den EG-Verhandlungen durch Zimmermann und durch Bangemann erreicht worden ist, ein Erfolg. Das muß man hier ganz klar und deutlich herausstellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Daß ein Kompromiß nicht alle Erwartungen erfüllt, wissen wir auch. Aber hier ist sehr, sehr viel erreicht worden.

(Dr. Spöri [SPD]: Versprochen worden!)

Lassen Sie mich eines herausstellen: Die steuerlichen Anreize, von denen wir erwarten, daß die Kommission sie jetzt akzeptieren wird, sehen vor, daß für Autos mit mehr als 1.4 Liter Hubraum 2 200 DM und für Autos mit weniger als 1,4 Liter Hubraum 750 DM gewährt werden.

(Dr. Spöri [SPD]: Das bringt doch nichts!)

Das orientiert sich an den Produktionskosten und
ist deshalb vertretbar und auch sozial verträglich.
Hieran kann man keinen Klassenkampf aufzäu-



Dr. Lippold
men. Im übrigen haben Sie uns in früheren Diskussionen immer entgegengehalten, wie vorteilhaft die österreichische Regelung sei. Die österreichische Regelung sieht ein Anreizsystem von 2 500 Schilling bis 7 000 Schilling vor. Das sind Anreize von etwa 350 DM bis 1 000 DM. Sie verweisen also lobend auf das österreichische System, dessen Anreize wesentlich geringer sind, und stellen sich gleichzeitig hier im Bundestag hin und machen unser System madig. Da paßt doch irgend etwas nicht zusammen, Herr Spöri. Das ist doch keine konsistente Diskussion.
Ein weiterer Punkt: Wir können Ihnen — ein kurzer Blick auf die Vergangenheit — den Hinweis auf die Erblast einfach nicht ersparen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Spöri [SPD]: Wieder die alte Platte!)

Ich darf in diesem Zusammenhang auf die schon zitierte „Frankfurter Rundschau" vom 22. Februar dieses Jahres verweisen. Da steht im Kommentar dieses j a sicherlich nicht regierungsfreundlichen Blattes unter der Überschrift „Die vergebene Auto-Chance":
In den Baiersbronner Gesprächen der Bundesregierung
— damals SPD-geführt —
mit der Automobilindustrie ist dann ein ZehnJahres-Moratorium besprochen worden. Ziel: Ruhe an der Front der Autogesetzgebung.
Ich übersetze das einmal in einfaches Deutsch: Sie haben damals verabredet, für den Umweltschutz auf diesem Gebiet zehn Jahre nichts zu tun. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das war ein Stillhalteabkommen zu Lasten des Waldes, ein Stillhalteabkommen zu Lasten des Gesundheitsschutzes unserer Bürger. Heute stellen Sie sich hier hin und wollen dies alles anders darstellen. Das kann man nicht akzeptieren.

(Dr. Spöri [SPD]: Das war Ihr Koalitionspartner!)

Das ist unglaubwürdig, und damit werden Sie auch nicht durchdringen, Herr Spöri.
Jetzt zu dem, was Sie zum Brüsseler Verhandlungsgeschick gesagt haben: Sie haben gemeint, dort sei nicht genug durchgesetzt worden, weil man sich im vorhinein nicht genug mit den Konditionen, die dort herrschen, auseinandergesetzt hat. In Ihren Vorschlägen, die Sie jetzt bringen, nachdem alles gelaufen ist

(Dr. Spöri [SPD]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)

und Sie die Möglichkeit hatten, dies zu verfolgen, kommen Sie mit Baranreizen,

(Dr. Spöri [SPD]: Die haben wir schon früher vorgeschlagen!)

kommen Sie mit Kaufbeihilfen, von denen Ihnen
jeder Steuerexperte, von denen Ihnen jeder, der
diese Verhandlungen mit geführt hat, sagt, daß so
etwas dort nicht durchsetzbar, umsetzbar gewesen wäre. Selbst zu diesem späten Zeitpunkt bieten Sie ein völlig untragbares, ein nicht umsetzbares Konzept als Patentlösung an, Herr Spöri. Das trägt einfach nicht.

(Dr. Spöri [SPD]: Woher wissen Sie das? Sie haben es doch noch nicht probiert!)

Wenn Sie schon mit Vorstellungen kommen, dann sollten sie sorgfältig auskalkuliert und abgewogen und nicht illusorisch sein. Dieser Vorschlag wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt.

(Dr. Spöri [SPD]: Was Sie alles wissen!)

Das gleiche gilt, Herr Spöri, für die weitere Spreizung der Mineralölsteuer.

(Zuruf des Abg. Dr. Spöri [SPD])

Was hier vorgeschlagen worden ist, ist produktionskostenorientiert und damit mit EG-Recht verträglich. Alles, was Sie darüber hinaus tun wollen, würde diese Konditionen nicht erfüllen.

(Dr. Spöri [SPD]: Das ist doch nicht wahr!)

Es wäre darüber hinaus ebenso zum Scheitern verurteilt. Das muß leider gesagt werden.
Abschließend ist festzuhalten: Diese Bundesregierung hat mehr erreicht, als vor Jahren abzusehen war.
Dafür gebührt ihr unser Dank.

(Dr. Spöri [SPD]: Sie sind ein Hochjubler von Zimmermann!)

Es wäre besser, wenn Sie in Zukunft diese erfolgreiche Politik international mit stützen und nicht angreifen würden.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei CDU/CSU und der FDP — Dr. Spöri [SPD]: Jubelknabe!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1012907600
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

(Dr. Spöri [SPD]: Kein weiterer Jubler?) Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3091 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Enthaltungen? — Wer gegen den Entschließungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Wer dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/3109 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Entschließungsantrag ist angenommen.
Wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.

(Unterbrechnung von 13.13 bis 14.00 Uhr)





Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012907700
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung. Wir fahren mit Punkt 1 der Tagesordnung fort:
Fragestunde
— Drucksache 10/3067, 10/3073, 10/3076 —
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. Zur Beantwortung der Frage steht Herr Staatsminister Vogel zur Verfügung. Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Dr. Schierholz auf:
Welchen Wahrheitsgehalt mißt die Bundesregierung der Meldung des Fernsehmagazins „Monitor" zu, wonach der jetzige Bundeskanzler im Jahr 1969 persönlich beim Finanzministerium des Landes Rheinland-Pfalz zugunsten einer Tarnorganisation zum Einsammeln illegaler Parteispenden (Sitz Linz, Rhein) interveniert hat?
Bitte schön, Herr Staatsminister.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1012907800
Herr Kollege, die Bundesregierung kann aus eigener Erkenntnis zu dem in der „Monitor"-Sendung am 19. März 1985 behaupteten Vorgang nicht Stellung nehmen.
Es kann im übrigen — wenn ich das hinzufügen darf — vom Bundeskanzler nicht erwartet werden, daß er sich ohne Kenntnis der näheren Umstände oder der Akten zu dem 17 Jahre zurückliegenden Vorgang eines angeblichen Telefonats mit dem rheinland-pfälzischen Finanzministerium äußert.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012907900
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Schierholz.

Dr. Henning Schierholz (GRÜNE):
Rede ID: ID1012908000
Herr Vogel, hält denn die Bundesregierung einen Bundeskanzler oder irgendein Regierungsmitglied für ein Vorbild für die hier zahlreich anwesende Jugend, der bzw. das auch an anderer Stelle bereits zugegeben hat, gegen geltendes Recht — ich meine in diesem Fall das Parteiengesetz — verstoßen zu haben?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege, ich muß das, was Sie hier unterstellen, zurückweisen. Im übrigen, glaube ich, hat niemand zu Vorgängen, die in der Öffentlichkeit umstritten sind, in so eindeutiger, klarer Weise Stellung genommen wie der Bundeskanzler. Ich glaube, daß er dafür nicht Tadel, sondern Lob verdient.

(Zustimmung des Abg. Dr. Lammert [CDU/ CSU])


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012908100
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schierholz.

Dr. Henning Schierholz (GRÜNE):
Rede ID: ID1012908200
Da Sie darauf hinweisen, daß dieser Vorgang tatsächlich 16 Jahre zurückliegt: Wäre die Bundesregierung bereit, diesen Fall einmal nachzurecherchieren und mir oder dem Parlament eine Antwort auf die eingangs gestellte Frage zukommen zu lassen?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Schierholz, ich habe j a bereits darauf hingewiesen, daß ohne Kenntnis der näheren Umstände des Falles oder etwa vorhandener Akten auch keine Veranlassung besteht, einer solchen Sache nachzugehen. Wir hätten viel zu tun, wenn wir allen Sachen nachgehen wollten, die irgendwo andeutungsweise, in Umrissen, die nicht klar erkennbar sind, auftauchen, die aber natürlich aus ganz bestimmten Gründen in die Öffentlichkeit gebracht wurden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012908300
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1012908400
Herr Staatsminister, Sie sagten vorhin, aus eigener Kenntnis könnten Sie das nicht prüfen. Sie haben weiterhin erklärt, Sie hätten viel zu tun, wenn Sie Anfragen von Abgeordneten in jeder Hinsicht nachgehen müßten. Das haben Sie inhaltlich so gesagt; die Frage wurde ja von Herrn Schierholz so gestellt.
Darf ich Sie fragen, ob Sie unter diesen Umständen nicht auch einmal Gebrauch von Fremdkenntnissen machen können. Halten Sie es nicht für Ihre Pflicht, wenn ein Abgeordneter eine Frage stellt und dort möglicherweise auch nur etwas behauptet wird, das als Anlaß anzusehen — unter der Regel, daß das Parlament einen besonderen Stellenwert hat —, den Sachverhalt zu prüfen?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Klejdzinski, da Ihre Frage meine Antwort falsch wiedergibt, ist, glaube ich, das, was Sie daran geknüpft haben, auch nicht zutreffend. Deshalb bleibe ich bei der Antwort, die ich gegeben habe.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012908500
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Immer.

Klaus Immer (SPD):
Rede ID: ID1012908600
Herr Staatsminister, ist Ihnen nicht bekannt, daß die in der Frage angezogenen Vorwürfe Gegenstand eines Untersuchungsausschusses sind, der auf Antrag der rheinland-pfälzischen SPD-Landtagsfraktion ins Leben gerufen wurde?
Vogel, Staatsminister: Wenn das der Fall ist, dann wird ja dort sicherlich Ihrem Erkenntnisbedürfnis genügend Rechnung getragen werden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012908700
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lambinus.

Uwe Lambinus (SPD):
Rede ID: ID1012908800
Herr Staatsminister, können Sie mir kurz erklären, nach welchen Kriterien die Bundesregierung beurteilt, welche Pressemitteilungen sie dementiert oder in irgendeiner anderen Form richtigstellt?
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege, kurz erklären kann ich Ihnen das nicht. Da ich hier in der Fragestunde kurz antworten soll, sollten wir das vielleicht einem Gespräch überlassen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012908900
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.



Vizepräsident Westphal
Ich rufe zuerst die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Gerstl (Passau) auf:
Treffen nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung Informationen zu, nach denen seit Schließung des GrundigWerkes Neuburg an der Donau im September 1980 15 300 Arbeiter und Angestellte in Grundig-Werken ihre Arbeit verloren, darunter allein zwischen dem 31. März 1982 und dem 31. März 1984 6 400 Arbeitnehmer, und welche Informationen hat die Bundesregierung gegebenenfalls über die Gründe der Entlassungen in den inländischen Werken des Konzerns?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Martin Grüner (FDP):
Rede ID: ID1012909000
Herr Kollege, die Bundesregierung hat nicht die Möglichkeit, in der Kürze der Zeit die von Ihnen genannten Zahlen im einzelnen zu ermitteln und nachzuprüfen. Richtig ist, daß bei Grundig wie auch bei den übrigen Unternehmen der Unterhaltungselektronik in den letzten Jahren ein erheblicher Abbau der Beschäftigung erfolgt ist.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012909100
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerstl.

Friedrich Gerstl (SPD):
Rede ID: ID1012909200
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob diese Verminderung der Beschäftigtenzahl vielleicht auch damit zusammenhängt, daß ein Teil der arbeitenden Betriebe in ausländische Werke oder insbesondere in Bereiche verlagert wird, die wir mit „Billigländer" umschreiben?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ihre Frage hat sich j a auf das Werk der Firma Grundig in Neuburg bezogen. Ich möchte zum Gesamtbereich der Unterhaltungselektronik sagen, daß die Philips-Gruppe ihre Produktion im Bereich der Unterhaltungselektronik auf die Länder Bundesrepublik Deutschland, Portugal und Österreich konzentriert hat, daß also der Schwerpunkt in diesen Ländern liegt und von daher von einer Verlagerung in Billiglohnländer nicht die Rede sein kann, wenn man einmal von der Möglichkeit absieht, daß in Portugal, wo Tonbandgeräte produziert werden, ein sehr viel günstigeres Lohnniveau besteht. Aber es gibt für uns keine Anzeichen dafür, daß hier eine Verlagerung stattgefunden hat, was von der Produktionsstruktur her auch nicht sehr naheliegend wäre.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012909300
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerstl.

Friedrich Gerstl (SPD):
Rede ID: ID1012909400
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, in welchem Verhältnis eine Verlagerung von Arbeit in bezug auf das Stammwerk hier überhaupt in Frage steht?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, ich habe keine Zahlen über eine Verlagerung. Ich würde bei dieser Gelegenheit eigentlich nur sagen, daß ein privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen, wie das der Philips-Konzern ist, natürlich ein Interesse daran hat, dort zu produzieren, wo das für die Wettbewerbsfähigkeit besonders günstig ist. Alles deutet darauf hin, daß der Philips-Konzern den Standort Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Unterhaltungselektronik nach wie vor für einen dafür sehr geeigneten Standort hält.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012909500
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Schmidt (Nürnberg).

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1012909600
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer ersten Antwort gerade vom Abbau der Arbeitsplätze in der Unterhaltungselektronik gesprochen. Meine Frage ist, ob Sie bestätigen können, daß dieser Abbau in der Bundesrepublik im Vergleich zu anderen europäischen und außereuropäischen Ländern überproportional stattgefunden hat.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Im Vergleich zu außereuropäischen Ländern kann man das bestätigen; denn wir wissen ja alle, daß es die Konkurrenzsituation auf den Weltmärkten war, die zum Einbruch bei der Unterhaltungselektronikindustrie in Europa geführt hat. Es gibt ja hier das Stichwort Japan, das wir alle kennen. Von daher sind die Schwierigkeiten in der Unterhaltungselektronikindustrie in unmittelbarem Zusammenhang mit der außerordentlichen Leistungsfähigkeit sowohl in technologischer wie auch in preislicher Hinsicht etwa der Länder in Asien zu sehen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012909700
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Haase (Nürnberg).

Horst Haase (SPD):
Rede ID: ID1012909800
Fürth! Das ist sehr wesentlich.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012909900
Früher wurden diese Städte in einem Zusammenhang, wenn es um den Fußball ging, genannt; aber das ist vorbei.

(Heiterkeit) -


Horst Haase (SPD):
Rede ID: ID1012910000
Herr Staatssekretär, meine Frage bezieht sich auch auf die Beschäftigung in dem Konzern insgesamt, allerdings nicht so sehr nur auf die Verlagerung in außereuropäische und europäische Produktionsstätten, sondern darauf, wie es mit Staatsaufträgen aus dem Bereich des Verteidigungsministeriums oder des Postministeriums für die Firma ausgesehen hat.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe schon gestern in der Fragestunde sagen müssen, daß mir Zahlen wegen der Kürze der Zeit nicht zur Verfügung stehen, und zwar aus beiden Bereichen nicht, daß es aber nach allem, was wir wissen, ein nicht ins Gewicht fallender Anteil ist, den der Philips-Konzern aus diesen Bereichen an Aufträgen erhält. Im Bereich der Unterhaltungselektronik, in der der Grundig-Konzern tätig ist, liegt das ja auf der Hand; denn diese Produkte wenden sich ja in allererster Linie an den privaten Konsumenten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012910100
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller (Schweinfurt).

Rudolf Müller (SPD):
Rede ID: ID1012910200
Herr Staatssekretär, könnten Sie uns sagen, woran es eventuell liegt, daß Unternehmen der Unterhaltungselektronik in Frankreich und in den Niederlanden konkurrenzfähiger sind als gleiche Unternehmen in der Bundesrepublik?



Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich bezweifle, daß die Aussage richtig ist, sie seien konkurrenzfähiger. Richtig ist allerdings, daß Unternehmen mit Namen und weltweitem Rang wie Telefunken, Saba, Nord-mende, Standard Elektrik Lorenz im Bereich der Beschäftigung eine Entwicklung haben erleiden müssen, die jetzt beim Grundig-Konzern wohl auch in Gang gekommen ist. Man wird sagen können, daß Grundig unter den namhaften deutschen Herstellern derjenige war, der am längsten mit Erfolg eine hohe Beschäftigung aufrechterhalten hat. Es war unsere Hoffnung, daß das beim Zusammenschluß mit Philips so bleiben könnte, obwohl schon damals klar war, daß gewisse Einschränkungen notwendig sind. Die jetzigen Zahlen sind leider höher, als wir angenommen hatten. Wir sind darüber natürlich tief betroffen. Aber das sind Auswirkungen der Wettbewerbslage dieses Unternehmens im weltweiten Konkurrenzkampf der Unterhaltungselektronikindustrie.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012910300
Ich erteile dem Abgeordneten Klejdzinski das Wort zu einer Zusatzfrage. Ich möchte darauf hinweisen, daß es zu demselben Bereich noch eine ganze Reihe weiterer Themen gibt, zu denen Zusatzfragen möglich sind. — Herr Klejdzinski, bitte.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1012910400
Herr Staatssekretär, Sie haben mehrfach gesagt, in der Kürze der Zeit konnten Sie die entsprechenden Zahlen nicht ermitteln. Das ist verständlich. Sind Sie bereit, den Fragestellern die Zahlen, nachdem Sie sie zusammengestellt haben, schriftlich mitzuteilen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, gerade bei etwaigen Aufträgen aus dem Verteidigungsministerium sind außerordentlich aufwendige Recherchen notwendig, die nach meinem Eindruck in gar keinem Verhältnis zum Aussagewert solcher Zahlen stehen. Darum bitte ich, wenn Sie auf dieses Thema zurückkommen wollen, durch einen Brief oder in der Fragestunde solche Zahlen abzufragen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012910500
Jetzt kommen wir zur Frage 38 des Herrn Abgeordneten Müller (Schweinfurt):
Wie beurteilt die Bundesregierung die Chancen der von den angezeigten Massenentlassungen betroffenen Grundig-Mitarbeiter, in der Region Mittelfranken gegebenenfalls wieder einen zumutbaren neuen Arbeitsplatz zu finden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Chancen für die von der angezeigten Entlassung betroffenen Arbeitnehmer, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, hängen von einer Vielzahl von Faktoren ab, nicht zuletzt von der weiteren gesamtwirtschaftlichen, aber auch von der regionalen Entwicklung. Insbesondere werden die Möglichkeiten davon bestimmt, inwieweit es gelingt, verstärkt arbeitsplatzschaffende Investitionen in Mittelfranken auszulösen. Voraussetzungen auf der Arbeitnehmerseite sind dabei Flexibilität und Mobilitätsbereitschaft zur Annahme eines neuen Arbeitsplatzes.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012910600
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.

Rudolf Müller (SPD):
Rede ID: ID1012910700
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung ganz allgemein von sich aus irgend etwas tun, um dazu beizutragen, neue Arbeitsplätze zu schaffen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die der Bundesregierung vom Gesetzgeber gegebenen Möglichkeiten sind eingeschränkt. Sie bestehen in der Anwendung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" in Abstimmung mit den Ländern und des Arbeitsförderungsgesetzes. Darüber hinaus stehen der Bundesregierung keine Möglichkeiten zur Verfügung.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012910800
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller.

Rudolf Müller (SPD):
Rede ID: ID1012910900
Herr Staatssekretär, sind von der Bundesregierung eventuell zukünftig Maßnahmen vorgesehen, um darüber hinaus etwas zu tun, Arbeitslosigkeit abzubauen und neue Arbeitsplätze zu schaffen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat in der Antwort auf die Große Anfrage der SPD zu diesem Thema generell sehr eingehend Stellung genommen. Diese Große Anfrage wurde im Dezember 1984 beantwortet. Über das, was in dieser Antwort detailliert dargelegt worden ist, kann und will die Bundesregierung nicht hinausgehen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012911000
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Reimann.

Manfred Reimann (SPD):
Rede ID: ID1012911100
Herr Staatssekretär, Sie haben mehrfach die Wettbewerbsfähigkeit angesprochen. Nachdem die Bundesrepublik über viele Jahre in der Unterhaltungsindustrie Marktführer war, frage ich Sie, ob die Bundesregierung darüber Erkenntnisse hat, inwieweit in der Bundesrepublik Managementfehler oder Planungsfehler dafür ursächlich waren, daß die Vorherrschaft der Bundesrepublik im Moment an Japan abgetreten worden ist.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die ganz herausragenden Erfolge deutscher Unterhaltungselektronikunternehmen, die mit den großen Namen verbunden sind, wie etwa mit dem Namen Grundig, sind ohne jeden Zweifel das Ergebnis herausragender unternehmerischer und ingenieurmäßiger Leistungen, die in diesen Unternehmen in der Vergangenheit erbracht worden sind und die dort Arbeitsplätze geschaffen haben. Es ist ebenso selbstverständlich, daß Wettbewerber aus dem Ausland, die heute über diese Leistungen hinausreichen, mit Ursache dafür sind, daß dieser hohe Standard, was die Beschäftigung anlangt, nicht gehalten werden kann. Daß dabei auch andere Faktoren eine Rolle spielen, z. B. das in der Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich, vor allem im Vergleich zu den Wettbewerbern, die besonders erfolgreich sind, hohe Lohnniveau, muß hinzugefügt werden. Das ist allerdings nicht die alleinige Ursache. Ohne jeden Zweifel sind, wie wir alle wissen, auch technologische Entwicklungen anzuführen, die bei uns nicht in gleicher Weise in die Praxis umgesetzt worden sind, wie das etwa in Japan der



Parl. Staatssekretär Grüner
Fall ist. Vor diesem Hintergrund sind auch unsere Bemühungen zu sehen, die Japaner zu einer Exportzurückhaltung zu bewegen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012911200
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Schmidt (Nürnberg).

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1012911300
Herr Staatssekretär, nachdem Sie in der Lage waren, so kurz und knapp zu formulieren, welche Anforderungen Arbeitnehmer zu erfüllen hätten, um die Arbeitsplätze zu sichern, darf ich Sie fragen, ob Sie ebenso kurz und knapp sagen können, welche Anforderungen Arbeitgeber, die bayerische Staatsregierung und die Bundesregierung zu erfüllen hätten, um die Arbeitsplätze in der Region Mittelfranken zu sichern.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich habe mich, Frau Kollegin, gerade ausführlich mit den unternehmerischen und ingenieurmäßigen Eigenschaften befaßt, die gegeben sein müssen, um aus dieser schwierigen Lage herauszukommen, und dabei am Beispiel der Vergangenheit deutlich gemacht, daß diese Fähigkeiten bei uns vorhanden sind. Es wird also in erster Linie darauf ankommen, ob Ingenieure, Manager und Unternehmensleiter den Weg aus diesen Schwierigkeiten finden. Die Bundesregierung ist zur flankierenden Hilfe bereit, aber immer nur unter der Voraussetzung, daß entsprechende Konzepte der Unternehmen vorgelegt werden. Das ist der erste Schritt, und das ist die Voraussetzung für jede flankierende Leistung, die in ihrem Wert nicht überschätzt werden darf. Die Bundesregierung kann keine Arbeitsplätze sichern, sondern sie kann allenfalls einen Beitrag dazu leisten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012911400
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Immer.

Klaus Immer (SPD):
Rede ID: ID1012911500
Herr Staatssekretär, nachdem Sie vorhin von der Mobilität der Arbeitnehmer in diesem Rahmen gesprochen haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie die Schwierigkeiten verkennen, die darin bestehen, daß durch Förderung des Bundes ein Großteil dieser Arbeitnehmer Eigenheime, also Eigentum, erworben haben und diese, wenn sie den Raum verlassen, nur unter großen Verlusten verkaufen können und dann auf ihren Hypotheken sitzenbleiben?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, als ich die Mobilität angesprochen habe, habe ich nicht verkannt, welche Probleme damit verbunden sind. Ich habe nicht ohne Grund auf das Instrument des Arbeitsförderungsgesetzes hingewiesen. Aber wir wissen alle, daß die Bereitschaft, einen anderen Arbeitsplatz anzunehmen, mit Opfern verbunden sein kann, häufig auch mit großen Opfern verbunden ist. Diese Bereitschaft ist aber die Voraussetzung für eine Umstrukturierung, wie wir sie in den vergangenen 30 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland in dramatischer Weise gehabt haben, wenn auch in einem positiven Sinn: es sind nämlich ständig neue Arbeitsplätze hinzugekommen, und so konnten Einbrüche an der einen Stelle durch neue zukunftsträchtige Produktion an anderer Stelle ausgeglichen werden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012911600
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lambinus.

Uwe Lambinus (SPD):
Rede ID: ID1012911700
Herr Staatssekretär, Sie sprachen soeben von flankierenden Maßnahmen, die die Bundesregierung eventuell ergreifen will. Wären Sie in der Lage, ein oder zwei derartige flankierende Maßnahmen konkret zu nennen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich möchte noch einmal auf die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Strukturpolitik" und auf die sehr intensive Diskussion über dieses Instrumentarium im Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages verweisen. Ich möchte wegen der Kürze der Zeit nicht in alle Einzelheiten einsteigen, da das zu weit führen würde.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012911800
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gerstl.

Friedrich Gerstl (SPD):
Rede ID: ID1012911900
Herr Staatssekretär, es geht hier um die Arbeitsplätze in Mittelfranken. Können Sie uns sagen, ob konkrete Anträge von Firmen in diesem Bereich vorliegen, die die Hilfe des Bundes erbitten, um dort zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, derartige Anträge liegen im Augenblick nicht vor. Es hat heute bei uns im Wirtschaftsministerium ein Gespräch mit dem Chef der Grundig-Gruppe, Herrn Koning stattgefunden, das auch der Information diente. Es sind sehr intensive Gespräche der Geschäftsleitung von Grundig mit den Gewerkschaften, mit den Arbeitsämtern, mit den Kommunen im Gange, Gespräche, die natürlich auch der Klärung der Frage dienen, ob etwa eine Diversifizierung möglich ist und ob Umsetzungen im Unternehmensbereich möglich sind. Erst wenn diese Gespräche abgeschlossen sind, wird das Unternehmen vermutlich mit entsprechenden Vorstellungen auch auf die Landesregierung in München zukommen, die ja nach der Verfassung allein die Verantwortung für die regionale Strukturpolitik trägt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012912000
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sieler.

Wolfgang Sieler (SPD):
Rede ID: ID1012912100
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin gesagt, daß die Bundesregierung die Arbeitsplätze nicht sichern könne, haben aber auch gesagt, sie werde Maßnahmen ergreifen. Könnten Sie uns diese Maßnahmen nennen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ja. Die Maßnahmen im Bereich der Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Strukturpolitik" und im Bereich des Arbeitsförderungsgesetzes. Ich habe diese beiden Bereiche auch schon einmal genannt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012912200
Wir kommen zur Frage 39 des Abgeordneten Müller (Schweinfurt):
Welche Forschungs- und Entwicklungsmittel hat die Bundesregierung der Grundig AG bereits zur Verfügung gestellt, und welche wird sie angesichts der jetzigen Situation und der Notwendigkeit neuer Produktlinien des Unternehmens nunmehr zur Verfügung stellen können?



Vizepräsident Westphal
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Firma Grundig hat bis 1982 vom Bundesminister für Forschung und Technologie insgesamt 2 046 000 DM Fördermittel erhalten. Im Rahmen der indirekt-spezifischen Förderung des Programms Fertigungstechnik wurden für 1984 bis 1987 374 000 DM vom Bundesminister für Forschung und Technologie bewilligt. Weitere Förderungen würden begründete Anträge, die mit entsprechenden Förderprogrammen das BMFT korrespondieren, voraussetzen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012912300
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.

Rudolf Müller (SPD):
Rede ID: ID1012912400
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß die deutschen Unternehmen der Unterhaltungselektronik auf diese Mittel angewiesen waren? Wenn ja: Wie können Sie den Widerspruch auflösen, der darin liegt, daß Sie vorhin einerseits sagten, die deutschen Unternehmen seien voll wettbewerbsfähig, andererseits aber darauf hinwiesen, daß diese Unternehmen nur deshalb existieren könnten, weil sie von ausländischen Unternehmen übernommen worden seien?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe davon gesprochen, daß in der jetzigen Situation der Konzern Philips, was Unterhaltungselektronik anlangt, nach wie vor auf den Standard der Bundesrepublik Deutschland abhebt. Aber es ist richtig, daß die fehlende Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unterhaltungselektronikindustrie auch im Falle Grundig zu einer Fusion gezwungen hat; vermutlich zu einer Fusion, ohne die die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt im Bereich der Unterhaltungselektronik deutlich schlechter wäre, als sie sich jetzt abzeichnet.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012912500
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Müller.

Rudolf Müller (SPD):
Rede ID: ID1012912600
Wenn das so ist, Herr Staatssekretär, wäre es dann nicht dringend notwendig, daß von Seiten der Bundesregierung in diesem Bereich mehr getan würde, um gerade diese Konkurrenzfähigkeit aufrechtzuerhalten?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat über die hier angefragten Forschungsförderungsmittel einen Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit geleistet. Aber sie hat mit solchen Leistungen nie die Erwartung verknüpft, daß damit allein die Wettbewerbsfähigkeit gesichert werden könnte. Voraussetzung für den Erfolg jeder Fördermaßnahme ist, daß konkurrenzfähige Produkte von den Unternehmern und Ingenieuren in den Unternehmen entwickelt werden und daß die Kaufleute die entsprechenden Absatzstrategien und Absatzgarantien entwickeln. Hier waren uns in der Vergangenheit ausländische Konkurrenten bedauerlicherweise überlegen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012912700
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1012912800
Herr Staatssekretär, Sie haben den Haushalt des Forschungsministers genannt. Darf ich Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, was aus dem Titel 14 20 — Wehrforschung — an Mitteln rübergeflossen ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Dazu kann ich keine Auskunft geben, da danach nicht gefragt worden ist. Aber ich werde das gerne schriftlich nachholen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012912900
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Vahlberg.

Jürgen Vahlberg (SPD):
Rede ID: ID1012913000
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben gesagt, daß bis 1982 aus dem Haushalt etwas über 2 Millionen DM Förderungsmittel an Grundig geflossen sind, darüber hinaus dann noch einmal Mittel in der Größenordnung von über 300 000 DM. Das sind vergleichsweise kleine Beträge. Ich vermute, daß sich die Firma Grundig nicht um mehr Mittel bemüht hat.
Meine Frage zielt auf die Zukunft: In welcher Weise ist die Firma Grundig in europäische Projekte eingebunden, bei denen es darum geht — etwa im Video-Bereich —, die Produktion umzustellen von Analogtechnik auf Digitaltechnik?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, eine sehr spezielle Frage, auf die ich schriftlich antworten zu dürfen bitte.

(Vahlberg [SPD]: Darf ich dann noch — —)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012913100
Nein, nein, Herr Kollege Vahlberg. Das geht nicht, bei allem Wohlwollen.
Jetzt ist die Kollegin Schmidt (Nürnberg) mit einer Zusatzfrage dran.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1012913200
Herr Staatssekretär, Sie hatten gerade das Gespräch mit Grundig erwähnt, und ich gehe davon aus, daß es sich auch mit Forschung und Technologie befassen wird. Nachdem die Anträge auf Massenentlassung bereits gestellt sind: Bis wann werden diese Gespräche zu einem Ende kommen? Wie sieht die Planung der Bundesregierung hier aus?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es handelt sich nicht um eine Planung der Bundesregierung, sondern um eine Planung des mitbestimmten Unternehmens.
Ich darf, bedauerlicherweise, keine Illusion darüber aufkommen lassen, daß diese Gespräche über die Möglichkeiten, die sich für die Zukunft des Grundig-Konzerns ergeben, in der Sicht der Unternehmensleitung nichts daran ändern, daß die angekündigten Entlassungen durchgeführt werden müssen, wenn das Unternehmen nicht in seinem Bestand gefährdet werden soll. Das ist die Meinung der Geschäftsführung der Firma Grundig.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012913300
Wir kommen zur Frage 40 des Abgeordneten Lambinus:
Rechtfertigt nach Ansicht der Bundesregierung die zu befürchtende Entwicklung auf Grund der Massenentlassungen deren Kennzeichnung als „Beschäftigungskatastrophe in Nordbayern"?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.



Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage mit Nein. Selbst wenn die geplanten Entlassungen in vollem Umfang direkt zu Arbeitslosigkeit führen sollten — davon geht die Bundesregierung allerdings nicht aus —, werden diese zwar zu einer Steigerung der Arbeitslosenquote im Landesarbeitsbezirk Nordbayern führen, die Kennzeichnung dieser Entwicklung als „Beschäftigungskatastrophe in Nordbayern" ist aber nicht gerechtfertigt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012913400
Zusatzfrage des Abgeordneten Lambinus.

Uwe Lambinus (SPD):
Rede ID: ID1012913500
Herr Staatssekretär, nachdem es sich im nordbayerischen Bereich nach meinen Informationen um etwa 5 000 Entlassungen handelt, die anstehen, darf ich Sie fragen, ab welcher Größenordnung in einem Bereich wie Nordbayern die Bundesregierung den Begriff „Beschäftigungskatastrophe" anerkennen würde.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, da Sie den Begriff eingeführt haben, schlage ich vor, daß Sie definieren, was Sie als „Beschäftigungskatastrophe" ansehen.
Die Bundesregierung wehrt sich gegen eine Ausdrucksweise, die in einer so dramatischen Weise überzeichnet, weil sie mit dazu beiträgt, die wirtschaftliche Lage noch schwieriger zu machen als sie ohnehin ist.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012913600
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Lambinus.

Uwe Lambinus (SPD):
Rede ID: ID1012913700
Herr Staatssekretär, muß ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Beschäftigungssituation in einer Region wie Nordbayern sein kann wie sie mag und die Bundesregierung trotzdem der Auffassung ist: Dies ist keine „Beschäftigungskatastrophe"?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nach den vorliegenden Informationen aus dem Unternehmen werden bisher folgende Entlassungen angekündigt: Fürth 1188, Nürnberg 1008, Vohenstrauß 130, Bayreuth 106, Georgensgemünd 98, insgesamt 2 530. Das sind bestürzende Zahlen, aber man kann nicht davon sprechen, daß das Zahlen wären, die wir, bedauerlicherweise, nicht in vielen anderen Regionen der Bundesregierung bei Unternehmensschwierigkeiten vielfach übertroffen hätten. Ich bedaure das, aber ich wehre mich dagegen, daß derartige Entwicklungen mit dem Wort „Beschäftigungskatastrophe" belegt werden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012913800
Zusatzfrage des Abgeordneten Lammert.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1012913900
Herr Staatssekretär, trifft meine Vermutung zu, daß selbst bei einem Vollzug der hier diskutierten Entlassungsmaßnahmen dies auch im schlimmsten Fall keineswegs zu einer Verzehnfachung der Arbeitslosenzahlen führen würde, also genau der Relation, die während der Regierungszeit der SPD auf dem deutschen Arbeitsmarkt eingetreten ist und die der Fragesteller bisher nicht als „Beschäftigungskatastrophe" zu bezeichnen geneigt war?

(Widerspruch hei der SPD — Zurufe von der SPD: Unsinn! — Blödsinn!)

Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lammert, ich bin der Meinung, daß von diesen angekündigten Entlassungen, wenn sie vollzogen werden, nicht etwa alle in eine Arbeitslosigkeit einmünden werden, sondern daß die Bemühungen, die im Gange sind — sie wurden von Herrn Koning auch beschrieben — etwa in Gesprächen mit den zuständigen Stellen und innerhalb des Konzernbereichs nach Ausweichmöglichkeiten zu suchen, erfolgreich sein werden und eine ganze Reihe der hochqualifizierten Arbeitskräfte im Arbeitsmarkt untergebracht werden kann. Naturgemäß ist eine klare Voraussage nicht möglich.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012914000
Zusatzfrage des Abgeordneten Schmidt (München).

Manfred Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1012914100
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, dem Kollegen, der da gerade gefragt hat, zu sagen, daß die Bundesregierung bereits vor der Regierungserklärung in Person des Bundeskanzlers gesagt hat, daß man nur die richtige Regierung ranlassen müsse, dann werde die Beschäftigungslosigkeit wie von selbst verschwinden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012914200
Also Dreiecksfragen sind hier nicht erwünscht.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist sicher richtig, daß die richtige Politik ganz entscheidenden Einfluß auf die Arbeitsmarktlage hat. Wenn ich mir das Wachstum der Jahre 1984 und 1985 und die positiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt vergegenwärtige und mit den Prognosen, die Sie zur Beschäftigungsentwicklung gestellt haben, vergleiche, wird das schon sehr deutlich.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012914300
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Schmidt (Nürnberg).

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1012914400
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in der angesprochenen Region in den letzten Jahren mehrere zehntausend Arbeitsplätze in der Metallindustrie verlorengegangen sind und daß in diesem Jahr — über Grundig hinaus — weitere mehr als tausend Arbeitsplätze in dieser Region verlorengegangen sind, und wie begründen Sie vor diesem Hintergrund Ihre Euphorie, daß die betroffenen Menschen dort wieder einen Arbeitsplatz finden werden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe gestern in der Fragestunde, bezogen auf Mittelfranken, dargelegt, daß von 1970 bis 1980 im Saldo 22 000 Arbeitsplätze neu entstanden sind. Das sind die Zahlen, die mir für Mittelfranken zur Verfügung stehen. Sie sind nicht auf einzelne Branchen bezogen; vielmehr handelt es sich um die Gesamtarbeitsplatzzahl, die ja für ein solches Bild allein ausschlaggebend ist. Das Herausschneiden einer Branche kann, so bedauerlich Rückschläge dort sind, nicht der Maßstab sein.



Parl. Staatssekretär Grüner
Ich verfüge nicht über neuere Zahlen zu diesem Bereich, aber hier wird jedenfalls deutlich, daß auch strukturelle Veränderungen in einzelnen Branchen durchaus mit Zuwachsraten am Arbeitsmarkt, die durch andere Branchen bewirkt werden, einhergehen können.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012914500
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jungmann.

Horst Jungmann (SPD):
Rede ID: ID1012914600
Herr Staatssekretär, Sie haben auf die Frage des Kollegen Schmidt geantwortet, daß die richtige Wirtschaftspolitik dazu beiträgt, Beschäftigungsprobleme abzubauen. Sind Sie denn, da Sie ja selbst zehn Jahre im Wirtschaftsministerium sitzen, bereit, uns zu sagen, wann Sie denn endlich mit der richtigen Wirtschaftspolitik beginnen wollen, um die Beschäftigungskrise zu bekämpfen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat nie behauptet — und insbesondere der Bundeswirtschaftsminister hat nie behauptet —, daß über die Frage einer erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung allein die Regierung entscheidet. Wir sind nicht müde geworden, darauf hinzuweisen, daß etwa die Frage, wie die Tarifvertragsparteien die Kosten von Löhnen und Gehältern gestalten, eine wichtige Rolle spielt, und wir waren uns wohl auch gemeinsam immer darüber im klaren, wie sehr weltwirtschaftliche Zusammenhänge über die Beschäftigung und ihre Entwicklung entscheiden. Daß der weltwirtschaftliche Aufschwung — zusammen mit der richtigen Wirtschaftspolitik, die wir gemacht haben — in den letzten Jahren erheblich dazu beigetragen hat, hier eine Aufwärtsentwicklung einzuleiten, kann man nur positiv registrieren. Daß wir gerne mehr erreichen würden, kann ich nur unterstreichen.

(Jungmann [SPD]: 2,6 Millionen!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012914700
Wir haben zum gleichen Komplex noch vier Fragen, zu denen auch Zusatzfragen gestellt werden können. Daher lasse ich noch zwei Zusatzfragen zu, und dann gehen wir zur nächsten Frage über.
Zu einer Zusatzfrage hat jetzt der Herr Abgeordnete Immer das Wort.

Klaus Immer (SPD):
Rede ID: ID1012914800
Herr Staatssekretär, nachdem Sie auf die zweite Frage des Herrn Abgeordneten Lambinus geantwortet haben, daß Sie angesichts der Zahlen — die Sie auch verlesen haben — den Begriff „Katastrophe" nicht in den Mund nehmen möchten, und nachdem Sie das auch damit begründet haben, daß bedauerlicherweise — so haben Sie gesagt, und ich bedaure das ebenfalls — in anderen Regionen ähnliche oder noch schwärzere Zahlen zu verzeichnen sind, darf ich Sie doch fragen, ob Sie das deshalb nicht gerne möchten, weil das dann eine Katastrophe im gesamten Bundesgebiet bedeuten würde.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, ich wollte ganz schlicht darauf aufmerksam machen, daß wir gewaltige Beschäftigungseinbrüche haben — ich nenne den Bereich Stahl, ich nenne auch die Entwicklung im Kohlebereich —,

(Jungmann [SPD]: Werften!)

die ganz augenscheinlich und außerordentlich schwerwiegend sind. Wir unterhalten uns z. B. auch über die Strukturveränderung, die im Bereich der Raffinerien in Gang gekommen ist, und zwar ebenfalls mit Auswirkungen auf Arbeitsplätze.
Mein einziger Wunsch war, daß solche sehr einschneidenden — vor allem für die Arbeitnehmer tief einschneidenden — Maßnahmen nicht mit einer Wortwahl belegt werden, die insgesamt zu einer zusätzlichen Verunsicherung führen muß und die einen falschen Eindruck vom Ausmaß der Schwierigkeiten vermitteln muß, woran uns gemeinsam nicht gelegen sein kann.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012914900
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sieler.

Wolfgang Sieler (SPD):
Rede ID: ID1012915000
Herr Staatssekretär, würden Sie Ihre vorhin abgegebene sehr positive Einschätzung zur möglichen Wiedereingliederung der von Kündigungen betroffenen Arbeitnehmer an GrundigStandorten auch für Vohenstrauß gelten lassen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es ist sehr schwierig, da eine Voraussage zu machen. Es könnte z. B. durchaus sein, daß es eine Lösung gibt, die die Auslastung dieses Werks ermöglicht. Ich kann keine Voraussage machen. Aber die Gespräche der Geschäftsleitung gehen jedenfalls in eine Richtung, die das nicht ganz ausgeschlossen erscheinen läßt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012915100
Die Frage 41 des Abgeordneten Kißlinger soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.

Manfred Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1012915200

Ist die Bundesregierung in der Lage und gegebenenfalls bereit, ein Zustandekommen des vom Betriebsrat und IG Metall vorgeschlagenen Beschäftigungsplanes für den Grundig-Konzern zu unterstützen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Möglichkeiten für flankierende staatliche Hilfen sind bekannt. Hierfür muß zunächst vom Unternehmen ein Konzept vorgelegt werden. Nach Kenntnis der Bundesregierung werden die Vorschläge vom Betriebsrat und der IG Metall — da sind ja Vorschläge gemacht worden — zur Zeit von den Organen des Unternehmens geprüft.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012915300
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt.

Manfred Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1012915400
Haben denn die Vorschläge der Gewerkschaft keine Rolle gespielt bei den Gesprächen, die Sie beispielsweise mit dem Betriebsleiter der Firma Grundig, von dem Sie vorhin gesprochen haben, geführt haben?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es ist ein Gespräch mit Herrn Koning im Wirtschaftsministerium ge-



Parl. Staatssekretär Grüner
führt worden. Dabei sind auch diese Vorschläge erörtert worden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012915500
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt.

Manfred Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1012915600
Haben Sie sich denn bereit gesehen, nachdem diese Vorschläge ja in dem Gespräch schon eine Rolle gespielt haben, zu signalisieren, daß die Bundesregierung diesen Vorschlägen aufgeschlossen gegenübersteht, oder war das Gegenteil der Fall?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, es konnte sich nur um eine Information handeln, eine Information von einer Seite. Es ist ja auch ganz kennzeichnend, daß die IG Metall oder die Arbeitnehmerseite nicht etwa bei der Bundesregierung diese Vorschläge präsentiert, sondern dort, wo die Zuständigkeit liegt: in der Unternehmensleitung. Die Aufgabe der Bundesregierung kann es bestenfalls sein, sich informieren zu lassen, um hier auch Rede und Antwort stehen zu können. Sobald es dann um konkrete staatliche Maßnahmen geht, die auf Grund eines Konzeptes des Unternehmens von uns verlangt werden, ist die bayerische Landesregierung gefragt. Wir stehen dann im Rahmen der regionalen Strukturpolitik mit der Hälfte der Mittel bereit, aber die Entscheidung über jede Einzelmaßnahme muß die Landesregierung treffen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012915700
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Schmidt (Nürnberg).

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1012915800
Herr Staatssekretär, nachdem Sie gestern diese Gespräche geführt haben: Ist Ihnen bekannt, daß die IG Metall in ihrem Beschäftigungsplan darum bittet und alle Gremien auffordert, zu helfen, Produkte im Umweltbereich zu entwickeln, die kurzfristig produktionsreif sind, um die Durststrecke bei Grundig zu überwinden, und was kann die Bundesregierung Ihres Erachtens dazu tun, daß das gewährleistet werden kann?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Voraussetzung wäre, daß die Geschäftsleitung mit der Belegschaft bei diesen Gesprächen zu einem Ergebnis kommt und daß etwa bestimmte Produktlinien, die neu entwikkelt werden könnten, in die Unternehmensplanung aufgenommen werden. Daß das nicht einfach ist, wissen wir alle. Es gibt da wenige Produkte, die nicht schon irgendwo hergestellt werden. Deshalb ist es ja so schwierig, eine Umstrukturierung durchzuführen, und es ist ja auch nicht ganz neu, daß Unternehmen, die eine einseitige Struktur haben, sich um solche Entwicklungen bemühen. Aber wir finden es sehr positiv, daß diese Gespräche in Gang gekommen sind und daß auch Vorschläge von Arbeitnehmerseite gemacht werden. Wir hoffen, daß sie positive Ergebnisse haben werden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012915900
Wir kommen zur Frage 43 des Herrn Abgeordneten Vahlberg:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Entwicklung der Unterhaltungselektronikbranche und welche Konzeptionen hat die Bundesregierung, um den betroffenen Unternehmen bei den strukturellen Anpassungsprozessen zu helfen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe Ihre Frage schon in meiner Antwort zu den vorausgehenden Fragen beantwortet. Die Flankierungen, die der Bundesregierung zur Verfügung stehen, sind charakterisiert durch die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Strukturpolitik" und das Arbeitsförderungsgesetz.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012916000
Zusatzfrage, Herr Vahlberg.

Jürgen Vahlberg (SPD):
Rede ID: ID1012916100
Herr Staatssekretär, angesichts stagnierender Umsatzzahlen im Bereich Pantoffelkino und rückläufiger Zahlen im Bereich Stereogeräte noch einmal die Frage: Würde die Bundesregierung Unterstützung gewähren, falls sich Grundig neue Geschäftsbereiche erschließen wollte, etwa den schon angesprochenen Bereich Meßsysteme für Umweltschutzanlagen und dergleichen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, im Rahmen der Projekte, die das Forschungsministerium auf Grund von Entscheidungen auch des Haushaltsausschusses und des Bundestages fördern kann, würden solche Anträge selbstverständlich entgegengenommen werden können. Voraussetzung aber ist, daß man ein Konzept hat und daß ein solches Konzept in die Möglichkeiten des Forschungsministeriums einzufügen wäre.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012916200
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 44 des Abgeordneten Vahlberg auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit im Rahmen der Förderung eines Verbundprojekts der Firma Grundig AG mit dem Heinrich-Hertz-Institut in Berlin, den „hochauflösenden" Bildschirm zur Marktreife zu führen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Von einem Verbundprojekt der Firma Grundig mit dem HeinrichHertz-Institut, den hochauflösenden Bildschirm zur Marktreife zu führen, ist der Bundesregierung nichts bekannt. Die Bundesregierung unterstützt im Rahmen des Regierungsberichts Informationstechnik die Bestrebungen, möglichst rasch die notwendigen Voraussetzungen für ein hochauflösendes Fernsehen zu schaffen. Im Haushalt des Forschungsministers sind für die Technologieentwicklung in den Jahren 1984 bis 1988 Fördermittel in Höhe von 60 Millionen DM bereitgestellt worden. Eine Beteiligung der Firma Grundig an dieser Maßnahme wäre prinzipiell denkbar.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012916300
Zu einer Zusatzfrage Herr Vahlberg.

Jürgen Vahlberg (SPD):
Rede ID: ID1012916400
Herr Staatssekretär, ich habe gestern im Rahmen der Fragestunde zu dem gleichen Komplex schon davon gesprochen, daß die Bundesrepublik in Sachen Grundlagenforschung auch in bezug auf die Unterhaltungselektronik viel geleistet hat, aber die industrielle Umsetzung dieser Forschung sehr häufig durch andere Länder, z. B. Ja-



Vahlberg
pan, erfolgt ist. Sieht die Bundesregierung diese Gefahr auch in bezug auf den hochauflösenden Bildschirm „high definition TV", und was gedenkt sie zu tun, um nicht nur in der Bundesrepublik etwa beim Heinrich-Hertz-Institut die Grundlagenforschung zu fördern, sondern auch dafür zu sorgen, daß eine Umsetzung im industriellen Bereich erfolgt.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir unterstützen mit bestimmten Mitteln des Forschungsministeriums die Entwicklung auch in diesen Bereichen. Ich bin aber nicht in der Lage, zu einem von Ihnen angefragten speziellen Thema zu antworten, weil mir dafür das Urteilsvermögen fehlt. Ob hier tatsächlich die Gefahr besteht, daß wir zwar die Grundlagen geschaffen haben, aber nicht in der Lage sind, sie rechtzeitig umzusetzen, kann ich nicht beurteilen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012916500
Es ist die Frage, wieweit man „hochauflösen" kann?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Richtig.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012916600
Es werden keine Zusatzfragen mehr gestellt.
Die Fragen 45 und 46 des Abgeordneten Dr. Schöfberger werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.

(Zuruf des Abg. Dr. Schöfberger [SPD])

— Es tut mir furchtbar leid. Mir liegt die schriftliche Mitteilung vor, und zwar schön gedruckt, daß der Fragesteller um schriftliche Beantwortung bittet.

(Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Schöfberger [SPD])

— Also gestern zurückgezogen und heute wieder angemeldet? Das geht nicht. Es tut mir furchtbar leid. Aber zu dem Gesamtkomplex liegen so viele Fragen vor, daß für Sie die Möglichkeit für Zusatzfragen besteht. Sie können sich also noch anhängen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig! Jawohl! Endlich mal etwas Vernünftiges!)

Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Amling auf:
Prüft die Bundesregierung — etwa im Rahmen von Förderprogrammen und deren Bedingungen — die bayerische Ansiedlungspolitik, und wie beurteilt sie gegebenenfalls die Ungleichgewichtigkeit dieser Politik (z. B. Vernachlässigung des Nürnberger Wirtschaftsraumes) im Hinblick auf die Informations- und Kommunikationstechnologien?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Ansiedlungspolitik der Regierung des Freistaates Bayern, die Bestandteile der Regionalpolitik ist, wird von der Bundesregierung nicht überprüft. Die regionale Wirtschaftspolitik ist gemäß Grundgesetz primär Aufgabe der Bundesländer. Der Bund wirkt an der Regionalpolitik aber im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" mit. Landeseigene Förderprogramme dürfen allerdings die Fördersätze der Gemeinschaftsaufgabe nicht übersteigen und müssen in jedem Fall bei der EG-Kommission notifiziert werden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012916700
Es wird keine Zusatzfrage gestellt.
Die Frage 48 des Abgeordneten Amling wird auf Grund Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 49 und 50 des Abgeordneten Verheugen sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 51 und 52 des Abgeordneten Uldall werden, da der Fragesteller nicht im Saal ist, entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Die Fragen 53 des Abgeordneten Grünbeck, 54 und 55 des Abgeordneten Dr. Kübler werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 56 des Abgeordneten Dr. Jens auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß an Tankstellen der sogenannten Billiganbieter in erheblichem Ausmaß „gepanschtes" Superbenzin verkauft wird, und was kann sie im Rahmen ihres Verantwortungsbereichs über den Erlaß von Allgemeinen Verwaltungsvorschriften hinaus dagegen unternehmen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung kann auf Grund eigener Erkenntnisse nicht bestätigen, daß, wie Sie es in Ihrer Frage formuliert haben, „an Tankstellen der sogenannten Billiganbieter in erheblichem Ausmaß ,gepanschtes` Superbenzin verkauft wird". Ihr sind jedoch stichprobenartige Qualitätsüberprüfungen einzelner Markengesellschaften bekannt durch die bei branchenfremden Anbietern vor allem hinsichtlich des Super Qualitätsmängel festgestellt worden sind. Diese Benzine hätten dann nach der Benzinqualitätsangaben-Verordnung als „Kraftstoff 2. Wahl" ausgezeichnet werden müssen.
Es ist Aufgabe der Länder, die Einhaltung der Benzinqualitätsangaben-Verordnung zu überwachen. Um die Überprüfung der Benzinqualität im konkreten Einzelfall zu erleichtern, bereitet der Bundesminister des Innern eine allgemeine Verwaltungsvorschrift vor, die möglichst schnell erlassen werden soll. Der Entwurf ist inzwischen an die Länder mit der Bitte versandt worden, schon jetzt entsprechend zu verfahren. Die Bundesregierung geht davon aus, daß in Zukunft durch häufigere Stichproben, notfalls auch durch die Verhängung von Bußgeldern berechtigte Beanstandungen abgestellt werden können.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012916800
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (SPD):
Rede ID: ID1012916900
Herr Staatssekretär, halten Sie es denn nicht für geschäftsschädigend, wenn seitens Verantwortlicher in den Mineralölkonzernen in der Öffentlichkeit behauptet wird, an den freien Tank-



Dr. Jens
stellen werde in erheblichem Ausmaß gepanschtes Benzin verkauft?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist ein schwerer Vorwurf, der hier erhoben wird. Ich habe das Urteil der Markenhersteller, das uns zur Kenntnis gekommen ist, hier wiedergegeben. Wir legen allergrößten Wert darauf, daß durch solche Urteile etwa freie Tankstellen, mittelständische Unternehmen nicht in Mißkredit gebracht werden. Wir glauben, daß solchen Gefahren — die ich, wie Sie, sehe — durchaus entgegengetreten werden kann, indem wir — wie hier angedeutet — die Kontrollen verschärfen und damit auch mögliche Mißbrauchsfälle, die vorgekommen sind, in ihrer Auswirkung auf die gesamte Branche ausschließen oder jedenfalls einschränken können.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012917000
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (SPD):
Rede ID: ID1012917100
Herr Staatssekretär, darf ich dann festhalten, daß Sie auf Grund Ihrer Aussage auch der Ansicht sind, daß Normal- und Superbenzin an den freien Tankstellen im allgemeinen genauso gut ist wie bei den Markentankstellen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, davon können Sie ausgehen; das ist unser Informationsstand. Es war hier übrigens auch von branchenfremden Anbietern bei diesen Untersuchungen die Rede. Ich beziehe die freien Tankstellen nicht ein, wenn von branchenfremden Anbietern die Rede ist. Aber das sind Differenzierungen, die an der Gefahr, die Sie angedeutet haben, nichts ändern. Es ist wichtig, daß sich alle, die in diesem Bereich tätig sind, ihrer hohen Verantwortung — was Qualität anlangt — auch in ihrem eigenen wirtschaftlichen Interesse bewußt sind.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012917200
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.

Klaus Immer (SPD):
Rede ID: ID1012917300
Herr Staatssekretär, können Sie ausschließen, daß auch an Markentankstellen Benzin verabfolgt wird, das bei den Motoren das typische „Klingeln" hervorruft, das also nicht die Oktanzahl erreicht, die nach der DIN-Norm erforderlich ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn ich sage, daß man das nicht ausschließen kann, will ich damit nicht sagen, daß wir nicht ein ganz außerordentlich hohes Qualitätsniveau haben. Es gibt keinerlei Anlaß, an diesem Qualitätsniveau generell zu zweifeln.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012917400
Ich muß jetzt eine Bemerkung machen, um festzustellen, wie der Vorgang bezüglich der Fragen von Herrn Dr. Schöfberger gewesen ist. Ich habe hier mitgeteilt bekommen, daß die Fragen schriftlich beantwortet werden sollen. Inzwischen bin ich darüber unterrichtet worden, daß das für den gestrigen Tag galt und nicht korrigiert worden ist. Nachdem ich festgestellt habe, daß Herr Grüner die Beantwortung zur Verfügung hat, ist es, glaube ich, korrekt, die Fragen noch zuzulassen. Dabei bitte ich darum, sich hinsichtlich von Zusatzfragen zurückzuhalten, denn wir haben das Thema ja sehr ausführlich behandelt.
Ich rufe daher Frage 45 des Herrn Abgeordneten Schöfberger auf:
Ist die Bundesregierung in der Lage und gegebenenfalls bereit, die Firma Grundig AG bei der Entwicklung eines Videogerätes auf der Basis der Digitaltechnik zu fördern?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Dem Forschungsminister liegt hierzu seit dem 22. März 1985 ein Antrag der Firma Grundig vor. Vorbehaltlich eines positiven Ergebnisses der Prüfung des Antrages ist die Bundesregierung grundsätzlich bereit, das Vorhaben im Rahmen der jetzigen Finanzplanung zu fördern.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012917500
Zusatzfrage? — Keine.
Dann rufe ich die Frage 46 des Abgeordneten Schöfberger auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Firma Grundig AG bei der Entwicklung von elektronischen Meß- und Diagnosesystemen für die Anwendungsbereiche Umwelt- und Medizintechnik zu unterstützen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: In der Medizintechnik besteht grundsätzlich eine Fördermöglichkeit im Rahmen des BMFT-Programms Forschung und Entwicklung im Dienste der Gesundheit. Dazu wären entsprechende Anträge vorzulegen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012917600
Ich rufe Frage 58 des Abgeordneten Schemken auf:
Sind der Bundesregierung Pläne des Automobilkonzerns Ford AG bekannt, wonach im europäischen Bereich Veränderungen der Produktionsstandorte angesprochen werden, und welche Folgerungen ergäben sich daraus für den Arbeitsmarkt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich würde die von Ihnen eingebrachten Fragen gern zusammen beantworten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012917700
Sind Sie damit einverstanden?

(Schemken [CDU/CSU]: Ja!)

— Dann rufe ich auch Frage 59 des Herrn Abgeordneten Schemken auf:
Sind bei solchen Überlegungen möglicherweise die Produktionsstätten Köln und Wülfrath/Kreis Mettmann mit in der Diskussion?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Der Vorstand der Ford-Werke AG hat Pressemeldungen, wonach im europäischen Bereich Veränderungen bei den Produktionsstandorten geplant sind, nachdrücklich dementiert. Demgemäß sind auch die Werke Köln und Wülfrath nicht in der Diskussion. Es ergeben sich somit auch keine Folgen für den Arbeitsmarkt. Ford Köln hat dies auf Nachfrage noch einmal ausdrücklich bestätigt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012917800
Zusatzfrage, Herr Schemken.




Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1012917900
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß auf internationaler Ebene eine Ford-Betriebsrätekonferenz stattgefunden hat, und ist Ihnen weiter bekannt, daß da ein Strategiepapier behandelt worden ist, das sich mit diesen Fragen beschäftigt hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist richtig, daß solche Meldungen mehrfach durch die Presse gegangen sind, ohne daß ich jetzt auf die zurückgreife, die Sie hier soeben vorgetragen haben. Das war im Hinblick auf die hier gestellte Frage für uns Veranlassung, mit Ford in Verbindung zu treten. Das Ergebnis ist die Antwort, die ich Ihnen hier vorgetragen habe.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012918000
Weitere Zusatzfrage? — Keine.
Dann sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Wirtschaft. Ich danke Ihnen, Herr Grüner, für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Gallus zur Verfügung.
Ich rufe zuerst die Frage 60 der Abgeordneten Frau Dr. Bard auf:
Welche Schritte will die Bundesregierung unternehmen, um den zunehmenden Hautschäden bei Schlachtrindern durch Haltung und transportbedingte Schäden entgegenzutreten, die in Untersuchungen der medizinischen und gerichtlichen Veterinärklinik II in Gießen festgestellt wurden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Georg Gallus (FDP):
Rede ID: ID1012918100
Frau Kollegin, die Bundesregierung hat die in der Frage erwähnten Untersuchungen der Veterinärklinik Gießen aus dem Haushalt des Bundesministers für Wirtschaft mit gefördert. Die in diesen Untersuchungen festgestellten Häuteschäden sind zu etwa 55 % krankheitsbedingt und zu etwa 45 % haltungsbedingt. Von den krankheitsbedingten Schäden sind insbesondere die verschiedenen Räudeformen mit einem Anteil von etwa 33 % von Bedeutung. Daneben ist eine Vielzahl anderer parasitärer und nichtparasitärer Hautkrankheiten festgestellt worden, die sich auf die Beschaffenheit der Haut nachteilig auswirken können. Diese Krankheiten erfüllen nicht die Voraussetzungen für eine Bekämpfung mit staatlichen Mitteln, weil der Besitzer seine Tiere selbst schützen kann.
Ein großer Teil der haltungsbedingten Schäden kann vermieden werden, wenn beim Umgang mit den Tieren tierschutzgerecht verfahren wird.
Im Rahmen einer EG-Arbeitsgruppe wird zur Zeit über Vorschriften für den Transport von Lebendvieh beraten. Diese sollen die im Europäischen Übereinkommen über den Schutz von Schlachttieren bzw. in den entsprechenden EG-Richtlinien vorgeschriebenen Mindestbedingungen über das Verbringen und die Unterbringung dieser Tiere ergänzen und konkretisieren. Sie werden voraussichtlich zunächst den Charakter von Empfehlungen der EG-Kommission erhalten. In diesem Zusammenhang wird auch über die Zulässigkeit von Treibgeräten gesprochen. Auf Grund von Personalengpässen bei der EG-Kommission gehen diese Beratungen leider sehr schleppend voran. Mein Haus hat sich wiederholt für eine Intensivierung dieser Arbeiten eingesetzt.
Weitergehende Initiativen hält die Bundesregierung nicht für erforderlich, zumal auch die Länder überwiegend die Auffassung vertreten haben, daß Häuteschäden kein besonderes Tierschutzproblem darstellen.
Die Bundesregierung hat bereits im Zusammenhang mit der Förderung des erwähnten Forschungsauftrags klargestellt, daß es Sache der beteiligten Wirtschaftskreise ist und in deren eigenem Interesse liegt, eine Verbesserung der Situation bei krankheits- und haltungsbedingten Häuteschäden zu erreichen. Die Wirtschaft hat ihre Bemühungen dementsprechend verstärkt und eine Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Häute- und Fellqualität gebildet, die seither umfangreiche Aufklärungsarbeit, insbesondere bei den Tierhaltern, geleistet hat.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012918200
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Bard.

Dr. Sabine Bard (GRÜNE):
Rede ID: ID1012918300
Herr Staatssekretär, aus dieser Untersuchung geht hervor, daß die festgestellten Hautschäden auf Haltung und Transport zurückzuführen sind. Ich meine, hier ist der Tierschutz gefordert. Die Frage, die ich daran anschließen möchte, ist: Meinen Sie nicht, daß es dann, wenn die Tiere offensichtlich solche Schäden haben, Zeit für Verordnungen auf diesem Gebiet ist, und zwar nicht nur wegen der transportbedingten Schäden, die Sie angesprochen haben, sondern auch wegen der haltungsbedingten Schäden?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Zunächst, Frau Kollegin, habe ich darauf hingewiesen, daß wir in Brüssel dabei sind, alles zu unterstützen, was darauf hinausläuft, die Situation EG-weit zu verbessern. Neben den schon bestehenden Gesetzen und Verordnungen muß vor allem nach dem Tierschutzgesetz jeder sein Tier so halten, das ihm keine Leiden, Schmerzen, Schäden zugefügt werden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012918400
Zusatzfrage, Frau Dr. Bard.

Dr. Sabine Bard (GRÜNE):
Rede ID: ID1012918500
In dem Tierschutzgesetz steht aber auch, daß die Bundesregierung verpflichtet ist, Verordnungen über die Haltung zu erlassen. Ich kenne eine Verordnung eigentlich nur über die Haltung von Hunden im Freien. Können Sie mir sagen, welche Verordnungen für Rinder nach diesem Gesetz vorliegen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Es liegen, Frau Kollegin, drei Verordnungen im Bundesrat: eine für Legehennen, eine für Kälber und eine für Schweine. Alle drei Verordnungen sind nach der Vorstellung des Bundesrats so lange zurückzustellen, bis hier



Parl. Staatssekretär Gallus
entsprechende EG-Richtlinien oder Verordnungen vorliegen. Die erste, die jetzt von der EG vorgelegt werden soll, ist die Richtlinie der EG zur Haltung von Hühnern in Käfigen. Darauf warten wir jeden Tag. Leider hat sich die EG dazu sehr lange Zeit gelassen, weil sie weiß, daß hinter solchen Verordnungen auch die Frage der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft steht.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012918600
Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID1012918700
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß es gerade bei artengerechter Haltung im Laufstall selbst bei Enthornung stärker zu Hautabschürfungen als im Anbindestall kommt, weil es immer wieder Rangkämpfe unter den Tieren geben muß?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Es hat sich herausgestellt, daß es zu entsprechenden Hautschäden in der prozentualen Höhe kommt, die Sie angesprochen haben.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012918800
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Schmidt (Nürnberg).

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1012918900
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, sagen Sie, es könnte sein, daß hier nicht korrekt nach dem Tierschutzgesetz verfahren wird. Wie betrachten Sie vor diesem Hintergrund den Vollzug des Tierschutzgesetzes?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Der Vollzug geschieht durch die Länder. Wenn jemand beobachten sollte, daß ein Tier nicht dem Gesetz entsprechend gehalten wird, hat er die Möglichkeit, beim Staatsanwalt entsprechend Klage zu erheben, wie es auch bei anderen Gesetzen der Fall ist.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012919000
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Reetz.

Christa Reetz (GRÜNE):
Rede ID: ID1012919100
Herr Staatssekretär, wenn ich es richtig weiß, gibt es seit 1972 das Tierschutzgesetz mit der Auflage an die Bundesregierung, Verordnungen zu erlassen. Meine Frage: Dauert die Harmonisierung in der EG immer so lange?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ja. In den meisten Fällen ist es so, daß die EG sechs, acht Jahre oder länger braucht, bis ein Problem gelöst ist. Es tut mir leid: Es geht hier nicht nur um unsere Vorstellungen, sondern um die Vorstellungen von zehn Staaten. In Zukunft müssen wir höchstwahrscheinlich die Vorstellungen von zwölf Staaten auf einen Nenner bringen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012919200
Wir kommen zur Frage 61 des Abgeordneten Bredehorn:
Hält die Bundesregierung die Angaben des Präsidenten des schleswig-holsteinischen Bauernverbandes für zutreffend, nach denen im laufenden Milchwirtschaftsjahr eine Minderauszahlung von 141 Millionen DM an die schleswigholsteinischen Milchviehhalter als Folge der Milchquotenregelung zu erwarten ist (siehe AGRA-EUROPE vom 4. März 1985)?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, gestatten Sie, daß ich die Fragen 61 und 62 zusammen beantworte?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012919300
Ich rufe zugleich die Frage 62 des Abgeordneten Bredehorn auf:
Wenn ja, kann die Bundesregierung Angaben machen, wie hoch in etwa der Einnahmeausfall durch die Milchkontingentierung für die Milchviehhalter der Bundesrepublik Deutschland ist?
Bitte schön.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat zur Zeit noch keine genauen Daten darüber vorliegen, wie sich die Garantiemengenregelung für Milch auf die einzelnen Bundesländer auswirkt. Die vom Präsidenten des schleswig-holsteinischen Bauernverbandes geschätzte Minderauszahlung von 141 Millionen DM für Schleswig-Holstein erscheint jedoch grundsätzlich nicht unrealistisch. Er unterstellt bei dieser Zahl eine Minderablieferung von rd. 216 000 t, also etwa 8 % der Milchanlieferung 1983.
Die geschätzte Minderauszahlung ist jedoch nicht mit Einkommensminderungen gleichzusetzen, da a) die Kosteneinsparungen, die durch die Nichtproduktion von Milch zwangsläufig entstehen, b) innerbetriebliche Anpassungsreaktionen, c) die Auswirkungen der Vertrauensschutz- und Härtefallregelungen sowie d) das einkommenswirksame Programm der Bundesregierung zur Erhaltung der bäuerlichen Familienbetriebe nicht berücksichtigt wurden. Dadurch dürften sich die Auswirkungen auf die Einkommen der bäuerlichen Betriebe auch in Schleswig-Holstein durchschnittlich in engen Grenzen halten.
Der bundesweite Einnahmeausfall durch die Garantiemengenregelung für Milch ist aus den oben genannten Gründen zur Zeit auch nicht schätzungsweise zu beziffern.
Die Bundesregierung weist an dieser Stelle aber nochmals darauf hin, daß jede Alternative eine Senkung des Milchpreises erbracht hätte, die sich auf die Einkommen der milchviehhaltenden Betriebe weit negativer ausgewirkt hätte.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012919400
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bredehorn.

Günther Bredehorn (FDP):
Rede ID: ID1012919500
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, diese Zahlen seien in etwa realistisch, wie kommt man dann von der Bundesregierung dazu, zu sagen, daß der Milchpreis in diesen Monaten um einen bis zwei Pfennige höher als in den Vormonaten ist, was zum Beispiel der Minister in der Agrardebatte ausführte?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Bredehorn, so-wiel ich weiß, hat sich der Minister auf 1984, auf die erste Hälfte des laufenden Wirtschaftsjahres bezogen. Da kam natürlich die Zahlung der Vorsteuerpauschale von 5% ab 1. Juli 1984 zur Auswirkung. Sie hat sich auf den Milchpreis insgesamt positiv



Parl. Staatssekretär Gallus
ausgewirkt. Ich sage das jetzt, ohne es im einzelnen zu beziffern.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012919600
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bredehorn.

Günther Bredehorn (FDP):
Rede ID: ID1012919700
Herr Staatssekretär, ich wäre der Bundesregierung sehr dankbar, wenn man hier einmal konkrete und fundierte Zahlen bekommen könnte; denn aus meiner praktischen Erfahrung ist das nicht nachweisbar. Danach verhält es sich genau gegenteilig.
Wenn der Herr Kollege Eigen solche Zahlen nennt, kann man sie auf die Bundesrepublik hochrechnen. Dann wären es rund 1 Milliarde. Ist denn die Bundesregierung bereit — wir als Abgeordnete werden draußen mit den Zahlen konfrontiert —, uns entsprechendes Zahlenmaterial zur Verfügung zu stellen, damit man einer solchen eventuellen Panikmache gegenüber den Bauern entgegentreten kann?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, sobald wir dazu in der Lage sind und über die endgültigen Zahlen verfügen, werden wir sie Ihnen selbstverständlich zur Verfügung stellen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012919800
Das ist eine Sonderform von Dreiecksfrage: Herr Eigen in seiner Eigenschaft als Abgeordneter stellt eine Zusatzfrage.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID1012919900
Herr Staatssekretär, bei Würdigung Ihrer Antwort an den Kollegen Bredehorn: Sind Sie bereit, auch zu beachten, daß trotz aller Ausgleichsmaßnahmen, da die Festkosten bei einem milcherzeugenden Betrieb auch bei Minderproduktion verhältnismäßig gleich bleiben, nur ein Teil der Produktionskosten von den Einnahmeverlusten abgesetzt werden kann, so daß der Einkommensverlust doch verhältnismäßig hoch bleibt und sich daraus auch die Forderung ergibt, daß wir jetzt zu Preisanhebungen kommen müssen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, natürlich ist es so: Wenn ich beispielsweise in einem Stall mit 50 Kühen auf Grund der Mengenreduzierung nur noch 45 Kühe halten kann, bleiben die Kosten des Stalles trotzdem gleich. Gleichwohl bleibt die Tatsache bestehen, daß nicht produzierte Milch auch nichts kostet. Das muß man sehen.
Zu Ihrer zweiten Frage, die darauf abzielt, daß die Landwirtschaft eines höheren Milchpreises bedarf: Das ist von der Bundesregierung nie bestritten worden. Sie sehen ja, wie im Augenblick die Verhandlungen in Brüssel laufen. Die Bundesregierung bemüht sich dort, durch Bundesminister Kiechle, zu einer gewissen Anhebung des Milchpreises zu gelangen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012920000
Nun muß ich auch noch eine Zusatzfrage zulassen, die nicht aus dem Bereich des schleswig-holsteinischen Bauernverbandes kommt. Der Abgeordnete Dr. Klejdzinski möchte fragen.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1012920100
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie nur fragen: Wie verträgt sich all das, was hier von der Bundesregierung geäußert wurde, mit dem Begriff der Sozialen Marktwirtschaft?

(Eigen [CDU/CSU]: Besonders Kohle und Stahl, mein Lieber! Vorsicht mit solchen Fragen!)

Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn Sie meinen, daß bei der Sozialen Marktwirtschaft wie in der Wirtschaft überhaupt Angebot und Nachfrage den Preis regeln, dann vermute ich, daß Sie kein Verständnis für die EG-Agrarpolitik haben. In der EG sind einige marktwirtschaftliche Mechanismen durch die Marktordnungen zum Teil aufgehoben. Sie müssen aufgehoben werden, wenn über die Agrarprodukte und ihre Preise die Einkommen der Landwirte halbwegs abgesichert sein sollen.
Parallelen dazu gibt es ohne weiteres in der Wirtschaft, wenn ich das richtig sehe. Wenn ein Automobilwerk seine Produkte nicht verkaufen kann, dann wird es meistens so sein, daß der Preis des Autos nicht heruntergeht. Ich habe kürzlich eines gekauft. Wenn nicht mehr Autos verkauft werden, dann werden auf der anderen Seite Leute entlassen. Das ist im Augenblick in der Landwirtschaft angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen Situation gerade in den ländlichen Räumen schwer möglich, daß wir damit einen Strukturwandel mit Gewalt forcieren würden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012920200
Wir kommen zur Frage 63 des Abgeordneten Göhner:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die Frist zur Beantragung der sogenannten „Milchrente" auch über den 31. März 1985 hinaus zu verlängern, und welche Garantiemenge ist durch die bisher gestellten Anträge auf die sogenannte „Milchrente" erfaßt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, bis zum 22. März 1985 wurden vom Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft in Frankfurt 24 300 Anträge auf Milchrente mit einem Referenzmengenvolumen von 869 000 t bewilligt. Weitere 1 640 Anträge mit 61 000 t Milchreferenzmengen befinden sich in Bearbeitung.
Darüber hinaus gehen beim Bundesamt täglich weit über 200 neue Anträge ein. Die Bundesregierung geht deshalb davon aus, daß die beabsichtigte Freisetzung von 1 Million t bis 31. März 1985 erreicht wird. Eine Verlängerung der Antragsfrist ist deshalb nicht beabsichtigt und erforderlich.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012920300
Zusatzfrage, Herr Dr. Göhner.

Dr. Reinhard Göhner (CDU):
Rede ID: ID1012920400
Herr Staatssekretär, da dieses Projekt der Bundesregierung damit offensichtlich erfolgreich war, möchte ich Sie fragen, ob es bereits Erwägungen gibt, über die bisherigen gesetzlichen Grundlagen hinaus durch neue Milchrenten weitere Garantiemengen etwa für ein Junglandwirteprogramm zu gewinnen. Oder muß man davon ausgehen, daß damit auf absehbare Zeit nach Auf-



Dr. Göhner
fassung der Bundesregierung keine neuen Möglichkeiten für Milchrenten geschaffen werden?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, zum heutigen Tage kann ich Ihnen nur sagen, daß das Gesetz ausläuft und daß wir froh darüber sind, daß die eine Million Tonnen erreicht wird.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012920500
Keine weiteren Zusatzfragen? —
Ich komme zu Frage 64 des Herrn Abgeordneten Hinsken:
Treffen Aussagen des Deutschen Imkerbundes zu, wonach aus der DDR Bienenhonig zu Dumpingpreisen eingeführt wird, und wenn ja, was will die Bundesregierung hiergegen tun?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Aussagen des Deutschen Imkerbundes, daß DDR-Bienenhonig zu Dumpingpreisen bezogen werde, trifft nicht zu. Die Preise der hiesigen Imkerware liegen zwar deutlich über den Bezugspreisen für DDR-Honig. Bei den Preisvergleichen im innerdeutschen Handel sind jedoch auch die Importpreise für vergleichbare Ware zu berücksichtigen. Den Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes, Fachserie 6, Reihe 6, ist zu entnehmen, daß der Durchschnittspreis für natürlichen Honig aus der DDR im Jahre 1984 bei 3,43 DM pro Kilogramm lag. Die Preise für Importhonig aus Drittländern dagegen betrugen 1984 im Durchschnitt 2,37 DM je Kilogramm, und der durchschnittliche Importpreis für Honig aus der UdSSR lag bei 1,92 DM je Kilogramm.
Sofern der Deutsche Imkerbund der Auffassung ist, daß der DDR-Honig zu solchen Preisen und in solchen Mengen bezogen wird, daß eine erhebliche Schädigung für die Erzeugung gleichartiger Ware im Bundesgebiet und in Berlin (West) verursacht wird, empfehle ich, zur objektiven Ermittlung der Fakten, bei dem zuständigen Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft in Frankfurt am Main ein Preisprüfungsverfahren zu beantragen. Für die Einleitung eines Preisprüfungsverfahrens von Amts wegen durch die vorgenannte Behörde bestand bisher kein Anlaß, zumal die Importpreise für Honig aus Drittländern wesentlich niedriger lagen als die Bezugspreise aus der DDR.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012920600
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hinsken? — Nein, keine.
Dann kommen wir zu Ihrer zweiten Frage, zu Frage 65:
Kann die Bundesregierung die Meinung teilen, daß deutsche Imker gegenüber anderen Imkern in Westeuropa, z. B. Italienern, benachteiligt sind und eine Wettbewerbsverzerrung vor allem auch deshalb eintritt, weil der zur Fütterung benötigte Zucker zu teuren Preisen erstanden werden muß, und wenn ja, was will die Bundesregierung hiergegen tun?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, eine Benachteiligung deutscher Imker gegenüber anderen Imkern in der EG, insbesondere auf Grund des Preises für den zur Fütterung benötigten Zucker, ist
nicht gegeben, da Zucker zur Bienenfütterung innerhalb der EG seit Jahren nicht mehr verbilligt wird. Auf Einfuhren von Honig aus Nicht-EG-Ländern wird ein Einfuhrzoll erhoben.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012920700
Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Hinsken.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1012920800
Herr Staatssekretär, welche Möglichkeit sieht konkret die Bundesregierung, dieser Situation zu begegnen und den Imkern mit ihren Forderungen gerecht zu werden?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Entschuldigung, Herr Kollege, ich habe die Frage nicht recht verstanden.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1012920900
Ich habe von Imkern verschiedentlich in Erfahrung gebracht, daß es von europäischen Gegebenheiten abhängig ist, ob die Imker in Zukunft Verständnis für ihre Probleme finden oder nicht. Deshalb noch einmal konkret meine Frage an Sie. Welche Möglichkeit sieht die Bundesregierung, den Problemen der Imker gerecht zu werden und sie in solche finanzielle Verhältnisse zu versetzen, daß die Imkerei weiterhin aufrechterhalten werden kann?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe Ihnen gesagt, daß EG-weit keine Verbilligung von Zucker mehr stattfindet. Insofern ist von dieser Seite her die Wettbewerbssituation gleich. Sie wissen, daß wir in der EG, was die Preise der Agrarprodukte betrifft, einen offenen Markt haben. Es bleibt die Frage, die Sie als erste gestellt haben, in bezug auf Importe. Da kann ich Ihnen empfehlen — das habe ich auch gesagt, daß die Imkerorganisation Preisprüfungsverfahren beim Bundesamt in Frankfurt am Main anstrebt. Dort wird dann geklärt werden, ob der Preis gerechtfertigt ist, der verlangt wird, wenn die DDR Honig hereinbringt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012921000
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hinsken? — Das ist nicht der Fall. Aber der Herr Abgeordnete Conradi will sich zum Bienenthema äußern.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1012921100
Herr Staatssekretär, warum empfiehlt die Bundesregierung den Imkern nicht, ihren Honig zukünftig stärker aus den optimistischen Regierungserklärungen zu ziehen?

(Eigen [CDU/CSU]: „Saugen"!)

Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung gibt nur realistische Antworten und Zukunftsperspektiven, keine, die nach Honig aussehen.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Ich dachte, die Bundesregierung strotzt vor Bienenfleiß!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012921200
Jetzt Frau Abgeordnete Reetz zu einer Zusatzfrage.

Christa Reetz (GRÜNE):
Rede ID: ID1012921300
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, daß der Zucker nicht verbilligt werden kann. Ich habe die Frage: Warum, wenn wir in der EG einen Zuckerberg haben, drängt die Bundesregierung nicht darauf, daß gerade für die Imker der



Frau Reetz
Zucker verbilligt abgegeben werden kann, wo der Zucker doch für die Lagerung Kosten verursacht?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wenn Sie nun gerade diese Problematik der Lagerung und der Kosten beim Zucker ansprechen, so darf ich bemerken, daß wir da eine völlig andere Situation haben als bei Butter und Magermilchpulver, weil die Kosten der Vermarktung von denen, die Zucker produzieren, durch entsprechende Abgaben in der EG voll gedeckt werden. Das einzige, was dort nicht gedeckt wird, sind die über eine Million Tonnen Zucker aus den AKP-Ländern, die wir zu einem hohen Preis hereinnehmen und zu einem niedrigeren Preis auf dem Weltmarkt verkaufen müssen, um diesen Ländern zu helfen. Von daher ergibt sich zunächst einmal keine Berechtigung. Bevor wir die Verbilligung abgeschafft haben, war sie so niedrig, daß man insgesamt übereingekommen ist, angesichts des nicht hohen Zuckerpreises in Europa darauf zu verzichten, um wenigstens keine Verwaltungsarbeit zu haben.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012921400
Wir kommen zur Frage 66 des Abgeordneten Eigen:
Wie hat sich durch den hohen Stand des Dollarkurses die Wettbewerbslage auf dem Weltmarkt geändert, und gegebenenfalls warum fließt nicht mehr Getreide aus den Lagern der Europäischen Gemeinschaft ab?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, der zeitweilig hohe Kurs des US-Dollar hat dazu geführt, daß die Wettbewerber der USA auf dem Weltmarkt, insbesondere Argentinien und auch Australien, Getreide auf dem Weltmarkt billiger anbieten als die USA. Die Gemeinschaft muß sich an den Preisen dieser Länder orientieren und hat die Ausfuhrerstattungen je Tonne Getreide seit der Ernte 1984 erhöhen müssen. Sie betragen zur Zeit 28,5 ECU per Tonne für Weichweizen und 46,0 ECU per Tonne für Gerste.
Der Welthandel mit Getreide wird sich 1984/85 gegenüber dem Vorjahr voraussichtlich leicht ausdehnen. Es ist zu erwarten, daß damit auch die Gemeinschaft ihre Ausfuhren an Getreide erhöhen wird. Es wird geschätzt, daß sie von rund 20,3 Millionen Tonnen im Wirtschaftsjahr 1983/84 auf rund 24 Millionen Tonnen im Wirtschaftsjahr 1984/85 steigen. Die bis Mitte März 1985 gezogenen Lizenzen für den Export von Getreide und Getreideerzeugnissen der ersten Verarbeitungsstufe belaufen sich auf rund 21,4 Millionen Tonnen oder rund 20 % mehr als zur gleichen Zeit des Vorjahres.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012921500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID1012921600
Herr Staatssekretär, was hindert die Kommission, die Abschöpfung jetzt so festzusetzen, daß in Ausnutzung des starken Dollars — der zwar in der letzten Woche etwas gefallen ist, aber immer noch wesentlich höher als im Vorjahr steht — sichergestellt ist, daß noch wesentlich mehr Getreide auf den Weltmarkt abfließt, weil ja die überlagernde Menge die Erntesituation sehr stark tangiert?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wie Sie auf Grund der Zahlen sehen, unternimmt die Kommission alles, um den Getreideexport in Drittländer zu verstärken. Wir halten uns nicht mehr an die vor einigen Jahren geltende Abmachung gegenüber den USA, diesen Export auf 14 Millionen Tonnen zu beschränken.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012921700
Weitere Zusatzfrage, Herr Eigen.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID1012921800
Der nicht verabschiedete Haushalt der Europäischen Gemeinschaft — wir arbeiten jetzt mit einem Zwölftel der Mittel des Vorjahres — gibt danach keine Probleme für den Getreideabfluß?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin gern bereit, Ihnen das schriftlich mitzuteilen. Aber gewisse Probleme bestehen im Gesamtbereich der Exporte aus der EG, weil die Mittel doch nicht ganz so zur Verfügung stehen, wie man sie haben möchte.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012921900
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1012922000
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für wesentlich wichtiger, zu verhindern, daß weiterhin Feuchtwiesen umgebrochen oder dräniert werden, um zusätzlich als Getreideanbauflächen zur Verfügung zu stehen, als ausgerechnet über diesen hier angesprochenen Marktmechanismus die Frage zu regeln?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat nichts dagegen, daß die Länder entsprechende Feuchtwiesenprogramme vorlegen. Wie Sie wissen, ist das Bundesnaturschutzgesetz ein Rahmengesetz. Als wir vor etwa acht Jahren damit begonnen haben, Naturschutz durch den Bund finanziell zu fördern, war es sehr schwierig, einen entsprechenden Titel im Haushalt unterzubringen, weil die Länder der Auffassung sind, daß das Aufgabe der Länder ist. Wir können es nur begrüßen, wenn die Länder entsprechende Programme machen und auch entsprechend Geld zur Verfügung stellen, um Land aufzukaufen oder Nutzungsentschädigungen zu zahlen. Denn die Landwirte können dieses Land nicht im Wege der Sozialpflichtigkeit freiwillig zur Verfügung stellen. Das halte ich bei unserer Struktur für völlig ausgeschlossen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012922100
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich danke dem Staatssekretär Gallus für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Zur Be-



Vizepräsident Westphal
antwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hennig zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 67 des Abgeordneten Conradi auf:
Welche Überlegungen haben den Bundesminister für Innerdeutsche Beziehungen bewogen, ein Vorwort für das Buch „Überleben war alles ..." (Verfasser: Gerhard Sill, Stuttgart) zu schreiben, in dessen Nachtrag behauptet wird, es sei eine „Lüge", die Deutschen hätten 1941 Rußland überfallen'?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Ottfried Hennig (CDU):
Rede ID: ID1012922200
Herr Kollege Conradi, Bundesminister Windelen hat für die 2. Auflage des Buches von Gerhard Sill „Überleben war alles ...", die erstmals einen Nachtrag mit der Behauptung enthält, es sei eine Lüge, daß der deutsche Angriff 1941 auf Rußland ein Überfall gewesen sei, kein Vorwort geschrieben. Richtig ist vielmehr, daß Bundesminister Windelen im Jahre 1976 ein Vorwort zur 1. Auflage des Buches, die ausschließlich Kriegserlebnisse des Verfassers beschrieb und den erwähnten Nachtrag noch nicht enthielt, zur Verfügung gestellt hat. Dies geht auch aus der 2. Auflage hervor, in der das Vorwort als „Vorwort zur 1. Auflage 1976" gekennzeichnet und Bundesminister Windelen als MdB und Bundesminister a. D. vorgestellt wird.
Der Verfasser hat das Vorwort zur 1. Auflage in der 2., erweiterten Auflage ohne Wissen von Bundesminister Windelen erneut abgedruckt. Er hat Bundesminister Windelen vor Herausgabe der 2. Auflage weder das Manuskript einschließlich des beabsichtigten Nachtrages mit dem Titel „Beweis einer Lüge" vorgelegt noch um Zustimmung zur Verwendung des Vorwortes auch für die 2. Auflage gebeten, wozu er urheberrechtlich verpflichtet gewesen wäre.
Bundesminister Windelen hat dem Verfasser unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß die Ausführungen in dem Nachtrag seiner persönlichen Auffassung widersprechen und daß er es ablehnen muß, für diese Ausführungen mit seinem Vorwort in Anspruch genommen zu werden. Dem Autor ist mit sofortiger Wirkung untersagt worden, sich bei jeglicher Werbung für die 2. Auflage auf Bundesminister Windelen zu berufen und das Vorwort in etwaigen weiteren Auflagen, die nicht mit der 1. Auflage identisch sind, weiter zu verwenden. Andernfalls behält sich Bundesminister Windelen vor, rechtliche Schritte gegen den Verfasser einzuleiten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012922300
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Conradi.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1012922400
Angesichts der Tatsache, Herr Staatssekretär, daß bereits die 1. Auflage weithin im Herrenmenschenstil geschrieben ist und Goebbelssche Propagandalügen weiter kolportiert, frage ich Sie: Hat der Bundesminister das Buch in der 1. Auflage überhaupt gelesen, bevor er ihm ein Vorwort gewidmet hat?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, Herr Kollege Conradi.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012922500
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Conradi.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1012922600
Herr Staatssekretär, warum hat der Bundesminister nicht mit rechtlichen Schritten die weitere Verbreitung der 2. Auflage verhindert, d. h., durch gerichtliche Anordnung dafür gesorgt, daß ein Buch in 2. Auflage nicht verkauft werden darf, das ein Vorwort enthält, ohne dazu autorisiert zu sein?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Conradi, ich glaube, die Antwort, die ich gegeben habe, ist sehr klar. Herr Bundesminister Windelen hat mit sofortiger Wirkung untersagt, daß bei jeglicher Werbung für diese 2. Auflage sein Name bzw. sein Vorwort für die 1. Auflage verwandt wird, und hat sich rechtliche Schritte für den Fall vorbehalten, daß dies nicht ab sofort respektiert wird.

(Conradi [SPD]: Aber das Buch wird weiter verkauft!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012922700
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Reetz.

Christa Reetz (GRÜNE):
Rede ID: ID1012922800
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wie hoch die 2. Auflage ist?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Das kann ich Ihnen nicht sagen, Frau Kollegin.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012922900
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID1012923000
Herr Staatssekretär, wissen Sie etwas über die vorbehaltenen rechtlichen Schritte Ihres Ministers, oder könnten Sie ihm vielleicht die Empfehlung geben, für eine mögliche 3. Auflage ein Nachwort zu schreiben, in dem sich Ihr Minister im wesentlichen auf ein Buch stützen würde, das den bezeichnenden Titel trägt „Unternehmen Barbarossa — Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion 1941", erschienen bei Schöningh in Paderborn, also keineswegs bei einem Verlag, gegenüber dem Ihr Minister Mißtrauen haben müßte?
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich meine wirklich, daß weitere Zusatzfragen, die ich hier keineswegs kritisieren will, insofern überflüssig sind, als Minister Windelen die sachlichen Aussagen, die in diesem Zusatz enthalten sind, kritisiert hat, sie für sachlich nicht richtig hält und insofern hier sehr klar Stellung genommen hat. Er wird sich ganz gewiß auch an einer 3. Auflage nicht beteiligen.

(Conradi [CDU/CSU]: Lendenlahm!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012923100
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Vogt (Kaiserslautern).

Roland Vogt (GRÜNE):
Rede ID: ID1012923200
Was meinen Sie zu der Vorstellung, daß ein Leser, der diese Debatte hier nicht mitgekriegt hat, dieses Buch bekommt, dieses Buch in der 2. Auflage kauft? Sind Sie nicht



Vogt (Kaiserslautern)

mit mir der Meinung, daß er diese Feinheiten mit der 1. und der 2. Auflage gar nicht übersehen kann und daß er zwangsläufig zu der Auffassung kommt, daß dieses Vorwort und der Name des Bundesministers auch diesen Nachtrag in der 2. Auflage mit abdecken?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, deswegen ist dieser Vorgang so ärgerlich, weil der Bundesminister hierfür ausgesprochen mißbraucht worden ist.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012923300
Die Fragen 68 und 69 des Abgeordneten Löffler und die Fragen 70 und 71 des Abgeordneten Schulze (Berlin) sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär für die Beantwortung der Frage.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Der Parlamentarische Staatssekretär Höpfinger ist zur Beantwortung der Fragen anwesend.
Ich rufe die Frage 72 der Abgeordneten Frau Steinhauer auf:
Welche gesetzgeberischen Konsequenzen sind nach Auffassung der Bundesregierung aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16. November 1982 und den Beschlüssen des Bundesarbeitsgerichts vom 28. Februar 1985 zum Kündigungsrecht zu ziehen, und wann gedenkt die Bundesregierung einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Stefan Höpfinger (CSU):
Rede ID: ID1012923400
Frau Kollegin, nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 16. November 1982 ist es mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar, bei der Berechnung der für die verlängerten Kündigungsfristen maßgeblichen Beschäftigungsdauer eines Arbeiters Zeiten nicht zu berücksichtigen, die vor Vollendung des 35. Lebensjahres liegen, während bei einem Angestellten bereits Zeiten nach Vollendung des 25. Lebensjahres mitgerechnet werden.
Der Wortlaut der Beschlüsse des Bundesarbeitsgerichts vom 28. Februar 1985 liegt der Bundesregierung noch nicht vor. Nach seiner Pressemitteilung hat das Bundesarbeitsgericht folgendes entschieden: Wenn es in einem Kündigungsrechtsstreit auf die Länge der Kündigungsfrist für ältere Arbeitnehmer ankomme, sei durch Teilurteil festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Arbeitgebers jedenfalls nicht vor Ablauf des sich aus § 622 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches ergebenden Termins beendet worden sei. Im übrigen sei der Rechtsstreit bis zur gesetzlichen Neuregelungen auszusetzen.
Vor einer endgültigen Bewertung der Konsequenzen dieser Beschlüsse muß die Bundesregierung zunächst deren Wortlaut prüfen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012923500
Eine Zusatzfrage, Frau Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1012923600
Herr Staatssekretär, Sie haben eben j a noch einmal vorgetragen, daß der Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes schon vom November 1982 ist. Wir haben jetzt März 1985. Wenn ich es richtig sehe, sind Sie im Zurückschrauben von Kündigungsrechten — siehe die zeitliche Begrenzung von Arbeitsverträgen nach dem sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetz — sehr flott. Wie lange dauert es denn noch, die Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten gesetzlich vorzubereiten und hier zur Beschlußfassung vorzulegen?
Höpfinger. Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich darf Ihre Frage so verstehen, daß Sie wissen wollen, warum die Bundesregierung in dieser Frage bisher noch nicht gehandelt hat. Dazu darf ich Ihnen folgendes sagen.
Die Angleichung der Altersgrenze, ab der die für verlängerte Kündigungsfristen maßgebende Betriebszugehörigkeit gerechnet wird, steht in einem wechselseitigen Zusammenhang mit der Bemessung der für Arbeiter und Angestellte ebenfalls unterschiedlichen Kündigungsfristen selbst. Das Bundesverfassungsgericht prüft zur Zeit, ob auch diese Unterscheidung bei den gesetzlichen Grundkündigungsfristen und verlängerten Kündigungsfristen verfassungswidrig ist. Aus diesem Grunde hat die Bundesregierung bisher auch noch keine Maßnahmen unternommen, ehe hier nicht die endgültigen Entscheidungen vorliegen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012923700
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1012923800
Herr Staatssekretär, gehen Sie mit mir einig, daß das Bundesverfassungsgericht dem Bestandsschutz des Arbeitsvertrages einen sehr hohen Wert beimißt, weil es nämlich die kürzeren Kündigungsfristen für Arbeiter in diesen Fällen als verfassungswidrig angesehen hat?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, Sie dürfen sicher sein, daß die Bundesregierung sofort handelt, wenn ihr die endgültigen Texte vorliegen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012923900
Wir kommen zur Frage 73 des Abgeordneten Reschke:
Welche Entscheidungen der Bundesregierung oder der Bundesanstalt für Arbeit liegen vor oder sind in Vorbereitung, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (AB-Maßnahmen) gegenüber den jeweiligen Trägern in der Bezuschussung zu kürzen auf 80 v. H. der bisherigen Förderungssumme bei Bewilligung neuer Maßnahmen oder Verlängerung bereits laufender Maßnahmen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Zuschuß an den Träger von Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung beträgt nach dem Arbeitsförderungsgesetz regelmäßig zwischen 60 und 80 % des Arbeitsentgelts der in der Maßnahme beschäftigten Arbeitnehmer. Die Praxis der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen-Förderung war bis zum vergangenen Jahr auf Grund des bis Ende Februar 1985 geltenden Satzungsrechts der Bundesanstalt für Arbeit über diesen Rahmen des Gesetzes hinausgewachsen.



Parl. Staatssekretär Höpfinger
Die Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die Förderung von allgemeinen Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung aus Mitteln der Bundesanstalt vorn 13. Dezember 1984 führt ab 1. März 1985 die Höhe des Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen-Zuschusses auf grundsätzlich 60 bis 80 % des Arbeitsentgelts zurück. Davon sind jedoch nicht die Maßnahmen betroffen, deren Förderung vor dem 1. März 1985 durch Anerkennungsbescheid bewilligt war. Eine Kürzung des Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen-Zuschusses ist für am Stichtag laufende Maßnahmen nicht vorgesehen. Ein Antrag auf Verlängerung der Förderungsdauer einer Maßnahme ist jedoch wie ein Neuantrag zu behandeln, so daß auf Altmaßnahmen, deren Förderungsdauer nach dem 1. März 1985 verlängert wird, für die zusätzliche Förderungsdauer das neue Recht anzuwenden ist. Die Ausnahmeregelungen, nach denen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen-Zuschuß bis 90 oder 100% des Arbeitsentgelts zulässig ist, beschränken sich auf bestimmte Kombinationen von ungünstiger regionaler Arbeitsmarktlage und Beschäftigung schwer vermittelbarer arbeitsloser Arbeitnehmer.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012924000
Zusatzfrage, Abgeordneter Reschke.

Otto Reschke (SPD):
Rede ID: ID1012924100
Habe ich Sie richtig verstanden, daß die Ausnahme — über 80 % Förderung — in den vergangenen Jahren die Regel war und diese in den vergangenen Jahren entstandene Regel jetzt wieder auf eine Ausnahme zurückgeführt wird?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Sie haben mich richtig verstanden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012924200
Eine weitere Zusatzfrage.

Otto Reschke (SPD):
Rede ID: ID1012924300
Wenn Sie eben der Fragestunde beigewohnt haben, werden Sie sicherlich gehört haben, daß der Staatssekretär Grüner in der Angelegenheit Grundig erzählt hat, daß die Bundesregierung keine weiteren strukturpolitischen Eingriffsmöglichkeiten als die Anwendung des AFG und die Durchführung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen habe. Sind Sie der Auffassung, daß die Zahl der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen als strukturpolitische Maßnahmen der Bundesregierung durch höhere Beteiligung der Träger, insbesondere der freien Träger erhöht werden könnte?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Zum ersten, Herr Kollege, darf ich darauf hinweisen, daß sich die Zahl der an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Beteiligten in den letzten zwei Jahren enorm ausgeweitet hat. Wir haben jetzt etwa 80 000 Arbeitnehmer in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.
Wenn Sie hier im Zusammenhang mit der Firma Grundig noch einmal auf die Frage zurückkommen, bitte ich Sie, doch mitzunehmen, daß die Bundesanstalt für Arbeit, und zwar sowohl die Hauptstelle in Nürnberg als auch das Landesarbeitsamt Nordbayern als auch das Arbeitsamt Nürnberg, mit dem Betrieb in Verbindung steht und darauf wartet, daß die Firma neue Produktionslinien aufnimmt. Dann wird die Bundesanstalt nach dem Arbeitsförderungsgesetz sofort mithelfen und entsprechende Förderungen, sei es für Bildungsmaßnahmen oder sonst im Arbeitsförderungsgesetz vorgesehene Maßnahmen, in die Wege leiten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012924400
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1012924500
Herr Staatssekretär, halten Sie es angesichts der Zahl von 2 1/2 Millionen Arbeitslosen, die besorgniserregend und Ausdruck unserer schlechten Arbeitsmarktlage ist, für vertretbar, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen einzuschränken, Überschüsse bei der Bundesanstalt für Arbeit zu erwirtschaften, Beiträge zu senken, und die frei werdenden Mittel zur Rentenversicherung zu verschieben?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Steinhauer, die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen werden nicht eingeschränkt, im Gegenteil. Die Zahl der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ist enorm ausgedehnt worden. Was Sie meinen, ist die Absenkung auf die 80 %. Ich glaube, daß das im Hinblick auf viele Fälle gerechtfertigt ist, weil auch bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sehr oft der Vorwurf gekommen ist, hier würden mehr oder weniger Mitnahmeeffekte auftreten — gerade aus kommunalen Stellen. Vor diesem Hintergrund ist auf 80 % abgesenkt worden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012924600
Ich rufe jetzt die Frage 74 des Abgeordneten Reschke auf:
Wie viele der in Zukunft zu bewilligenden AB-Maßnahmen oder zu verlängernden AB-Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit sind voraussichtlich von diesen Kürzungen betroffen (differenziert nach privaten und öffentlich-rechtlichen Trägern), und welche Einsparsummen ergeben sich daraus für den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit?
Bitte schön.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Die am 1. März 1985 in Kraft getretene Rechtsänderung führt zu Einsparungen in Einzelfällen. Die Bundesanstalt für Arbeit hat ihrem Haushaltsansatz 1985 für die ABM-Förderung einen Jahresdurchschnittsbetrag von 27 500 DM je zugewiesenen Arbeitnehmer zugrunde gelegt; der bisherige tatsächliche Durchschnittsbetrag lag höher. Die Bundesregierung kann keine Aussage dazu machen, in wie vielen ABM-Fällen, deren Förderung nach dem 1. März 1985 bewilligt werden wird, das neue Recht zu einer Verminderung des ABM-Zuschusses gegenüber der Zeit davor führen wird. Mit Rücksicht auf den von den Arbeitsämtern zu bewältigenden hohen Arbeitsanfall, der durch die derzeitige Arbeitsmarktlage bedingt ist, vermag ich die Bundesanstalt für Arbeit auch nicht zu ersuchen, die Fälle differenziert nach privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Trägern durch eine Sondererhebung zu erfassen. Es muß davon ausgegangen werden, daß sich die neuen Regelungen über die Höhe des ABM-Zuschusses in den Arbeitsamtsbezirken mit guter und mit durchschnittlicher Beschäftigungslage auswirken werden.



Parl. Staatssekretär Höpfinger
Das neue Recht wird den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit insgesamt nicht entlasten. Die veranschlagten Fördermittel werden vielmehr einer größeren Zahl von Arbeitslosen als bisher zugute kommen. Insgesamt steht der Bundesanstalt für Arbeit für die ABM-Förderung im Jahre 1985 rund eine halbe Milliarde DM mehr zur Verfügung als 1984.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012924700
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Reschke.

Otto Reschke (SPD):
Rede ID: ID1012924800
Nach Ihren Ausführungen gehen Sie davon aus, daß nicht Einsparungen stattfinden, sondern eine Ausweitung der Fallzahlen vorliegt. Sind Sie der Auffassung, daß insbesondere die freien Träger den geforderten Zuschuß von 20 bis 40 % tragen können und die Maßnahmen ausweiten können?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kenne die Sorge der freien Träger und bin dennoch der Meinung, daß es gerechtfertigt war, hier auf 80 % zu gehen. Ich habe ja vorhin auch erklärt: Es gibt nach wie vor die Möglichkeit, in besonderen Fällen einen höheren Zuschuß zu gewähren. Ich glaube aber, allgemein ist es doch eine enorme Unterstützung, wenn 80 % dieser Mittel von der Bundesanstalt, also von der Allgemeinheit, getragen werden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012924900
Die letzte Zusatzfrage, bitte.

Otto Reschke (SPD):
Rede ID: ID1012925000
Herr Staatssekretär, insbesondere die freien Träger haben von der Ausnahmeregelung, eine Förderung von über 80 % in Anspruch nehmen zu können, regen Gebrauch gemacht. Nach meiner Übersicht aus der Region Ruhrgebiet sind die freien Träger bei 80 bis 90 % ihrer gesamten Bezuschussungsmaßnahmen auf eine Bezuschussung von 100 % gekommen, haben also diese Ausnahmeregelung in Anspruch genommen. Sind Sie wirklich der festen Überzeugung, daß sich in naher Zukunft — insbesondere nach der strengeren Handhabung der Richtlinien — alle Maßnahmen durchführen lassen?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich weiß, wie nützlich es ist, wenn freie Träger Stellen für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen schaffen. Das dient den Beschäftigten, und es dient auch immer einem guten Zweck. Aber ich halte es für richtig, daß Maßnahmenträger auch selber ihren Beitrag leisten müssen, weil das auch zu der Überlegung führt, ob diese Stellen erforderlich sind oder nicht. Den Eigenanteil halte ich also für gerechtfertigt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012925100
Frau Steinhauer, ist es eine kurze Frage? — Bitte.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1012925200
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Auffassung, daß hier unterschiedliche Voraussetzungen für die einzelnen Träger geschaffen werden, nämlich unterschiedlich für diejenigen, die eigene Einnahmen haben, und für die sogenannten armen Träger, die keine festen Einnahmen haben? Wie ist das mit der Gleichbehandlung zu vereinbaren?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich glaube, daß vielmehr darauf geachtet werden muß, wer in eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme hineinkommt, ob es also einer stärkeren Förderung der Teilnehmer bedarf. Es geht nicht nur um die Frage, um welchen Maßnahmenträger es sich handelt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012925300
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Fragestunde*). Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen aus dem Bereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung.
Wir kehren zu unserer übrigen Tagesordnung zurück. Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung einer Repräsentativstatistik über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt (Mikrozensusgesetz)

— Drucksache 10/2972 —
Ich stelle fest, daß das Wort dazu nicht gewünscht wird.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/2972 zur federführenden Beratung an den Innenausschuß, zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, den Ausschuß für Verkehr und den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen.
Gibt es anderweitige Vorschläge? — Das ist ja bei der Menge der Ausschüsse, die schon vorgesehen sind, fast nicht möglich. Es ist also nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Wahlprüfungsausschusses zu den gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland eingegangenen Wahleinsprüchen
— Drucksache 10/3029 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Dr. Kübler
Das Wort zur Berichterstattung hat zuerst der Abgeordnete Dr. Kübler. Bitte schön.
*) Die Fragen 79 und 80 des Abg. Milz sowie 106 und 107 des Abg. Immer (Altenkirchen) sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die übrigen nicht behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen im Plenarprotokoll 10/130 abgedruckt.




Dr. Klaus Kübler (SPD):
Rede ID: ID1012925400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben hier heute über die Frage der Gültigkeit der Europawahl, die am 17. Juni 1984 stattgefunden hat, zu berichten. Zu Beginn darf ich sagen, daß wir vorschlagen, die Einsprüche, die dagegen eingelegt wurden, abzuweisen, und daß wir, wenn das Plenum dem folgt, feststellen können, daß diese Wahlen gültig waren und — lassen Sie es mich etwas spaßig sagen — nicht zu wiederholen sind.
Meine Damen und Herren, der Wahlprüfungsausschuß des Deutschen Bundestages, der sich mit Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl des Europaparlaments beschäftigt hat, hat einstimmig beschlossen, dem Plenum zu empfehlen, die Einsprüche mangels Begründetheit zurückzuweisen.
Ich darf einige wenige Einzelheiten dazu erwähnen. Bei rund 45 Millionen Wahlberechtigten sind nur insgesamt 17 Einsprüche erfolgt. Ich will das eher positiv sehen und gehe davon aus, daß diese geringe Zahl nicht auf mangelndes Interesse zurückzuführen ist, sondern seinen Grund in der verfahrens- und verwaltungsrechtlichen Korrektheit des Ablaufs der Europawahl am 17. Juni 1984 hat.
Lassen Sie mich zwei Fälle herausgreifen. In dem ersten hat ein Bürger Einspruch mit der Begründung eingelegt, er könne sich nicht objektiv genug über die verschiedenen Meinungen der Parteien und damit über die objektive Wahrheit informieren. Dieser Einspruchsführer hat in seiner Begründung ausgeführt, er sehe sich an der Erfüllung seiner staatsbürgerlichen Pflicht gehindert, an Wahlen teilzunehmen, und lehne die Verantwortung ab; ihm sei es nicht möglich, die widersprüchlichen Aussagen der Politiker zu prüfen. Dies ist eine Situation, der auch wir nicht gerecht werden können.
Ein zweiter, vielleicht nicht ganz uninteressanter Einzelfall: Hier ging es um die Frage, inwieweit durch Wahlpropaganda unmittelbar vor dem Wahllokal Einfluß auf die Wahlentscheidung genommen wird. Es ist bekannt, daß nach der jetzigen Rechtslage Wahlbeeinflussung nicht im Wahllokal vorgenommen werden darf, wohl aber mit Plakaten vor dem Wahllokal. Allerdings sieht die in Aussicht genommene Neuregelung vor, daß Wahlpropaganda nur in einem vernünftigen Abstand von dem Wahllokal gemacht werden darf.
Ich darf deshalb den Antrag stellen — dies war ein einstimmiger Beschluß im Wahlprüfungsausschuß —, die Wahleinsprüche gemäß den Anlagen 1 bis 15 der Bundestagsdrucksache 10/3029 zurückzuweisen.
Lassen sie mich noch eine Bemerkung machen. Mir fiel auf — aber dies ist zur Zeit die Rechtslage —, daß der Deutsche Bundestag hier über Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahl zum Europäischen Parlament entscheidet. Es wäre in der Tat zu prüfen, auch im Interesse der Selbständigkeit und der größeren Zuständigkeit des Europäischen Parlaments, ob in Zukunft nicht das Europäische Parlament über die Einsprüche gegen die Gültigkeit seiner eigenen Wahl entscheiden sollte, genauso wie der Deutsche Bundestag über Einsprüche gegen seine Wahl zu entscheiden hat.
Ich darf mich für die Aufmerksamkeit bedanken.

(Beifall hei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012925500
Wenn er möchte, kriegt auch der Abgeordnete Buschbom noch das Wort zur Berichterstattung. — Bitte schön.

Helmut Buschbom (CDU):
Rede ID: ID1012925600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Wichtigste, was zu sagen ist, hat der Kollege Kübler schon gesagt. Die Rechtsgrundlage ist klar. Über das Grundsätzliche und zum Verfahren haben wir schon in der 38. Sitzung gesprochen. Wir wenden nach § 26 des Europawahlgesetzes unser Wahlprüfungsgesetz an.
Meine Berichterstattung betrifft acht Einsprüche. Zwei rügen unzulässige Wahlwerbung. Die Ermittlungen haben gezeigt, daß der Vortrag unschlüssig war. Die Wahlwerbung, die beanstandet wurde, war zulässig.
Zwei Einsprüche haben sich gegen das zugrunde liegende Wahlgesetz gerichtet. Auch hier alte Verfahren: Hier ist nur das Bundesverfassungsgericht in der Lage nachzuprüfen. Wir können das nicht.
Ein Einspruch rügte Unterdrückung von Briefwahlunterlagen, in einem anderen wurde die Nichtanwendung eines Wahlvorschlages gerügt. In beiden Fällen haben die Ermittlungen das Vorbringen der Einspruchführer widerlegt.
Bei einem Einspruch war der Beschwerdevortrag unschlüssig und daher nicht geeignet, einen Wahlverstoß zu begründen.
Schließlich war noch ein Einspruch unzulässig, weil der Einspruchsführer wegen geistiger Gebrechlichkeit kein Einspruchsrecht besaß.
Von den acht Einsprüchen, über die ich zu berichten habe, hat der Wahlprüfungsausschuß einen für unzulässig und sieben für offensichtlich unbegründet gehalten, so daß es nach § 6 des Wahlprüfungsgesetzes einer mündlichen Verhandlung und der Anhörung von Zeugen nicht bedurfte, der Bundestag also, wie vorgeschlagen, heute entscheiden kann.
Ich bitte daher, entsprechend der Empfehlung des Wahlprüfungsausschusses zu beschließen. Danke sehr.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012925700
Das Wort zur Aussprache wird offensichtlich nicht gewünscht. Wir kommen deshalb zur Abstimmung.
Wer der Beschlußempfehlung des Wahlprüfungsausschusses auf Drucksache 10/3029 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gibt es Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Dann ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses bei drei Stimmenthaltungen angenommen worden.



Vizepräsident Westphal
Ich rufe die Punkte 7 und 8 der Tagesordnung auf:

(Krankenpflegegesetz — KrPf1G —)

— Drucksache 10/1062 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit (13. Ausschuß)

— Drucksache 10/3069 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Augustin Delorme

(Erste Beratung 69. Sitzung)


(Krankenpflegegesetz — KrPflG —)

— Drucksache 10/1063 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit (13. Ausschuß)

— Drucksache 10/3069 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Augustin Delorme

(Erste Beratung 69. Sitzung)


(Hebammengesetz — HebG —)

— Drucksache 10/1064 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit (13. Ausschuß)

— Drucksache 10/3070 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Augustin Delorme

(Erste Beratung 69. Sitzung)

Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/3092 und 10/3093 vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 7 a, 7 b und 8 und ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. —
Dagegen sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich habe gehört, daß die Berichterstatterin Frau Augustin zunächst zur Berichterstattung und anschließend zur Aussprache das Wort wünscht. Ich rufe also zur Berichterstattung und zur Aussprache auf. Frau Augustin, Sie haben das Wort.

Anneliese Augustin (CDU):
Rede ID: ID1012925800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bitte befürchten Sie nicht, daß ich Ihnen vortragen werde, was Ihnen bereits schriftlich vorliegt. Aber leider haben sich zwei kleine Fehler in die Drucksache 10/3069 eingeschlichen, die jetzt anläßlich der Berichterstattung noch berichtigt werden können.
In § 5 des Krankenpflegegesetzes sind unter Nr. 4 Buchstabe b im allerletzten Satz die beiden Worte „im Krankenhaus" zu streichen. Vorher sind schon die Worte „im Kinderkrankenhaus" vorgekommen, so daß dies sonst doppelt gesagt wäre.
Außerdem ist in § 26 Abs. 2 eine Fundstelle vergessen worden. Nach „Die Entscheidungen nach den §§ 7, 9," muß die Zahl „10" eingefügt werden. Bei dieser vergessenen Fundstelle handelt es sich um die Fehlzeiten, die unter Umständen berücksichtigt werden sollten.
Herr Präsident, das waren die Anmerkungen zum Bericht. Darf ich nun mit meiner Stellungnahme fortfahren?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012925900
Sie dürfen. Damit ist die allgemeine Aussprache eröffnet.

Anneliese Augustin (CDU):
Rede ID: ID1012926000
Es handelt sich um eine gute und, wie ich meine, langersehnte Nachricht für alle Angehörigen der Krankenpflegeberufe und des Berufs der Hebamme. Das heute zu verabschiedende Krankenpflegegesetz soll das Gesetz vom 20. September 1965 und das zu verabschiedende Gesetz über die Berufe der Hebamme und des Entbindungspflegers das uralte Gesetz vom 21. Dezember 1938 ablösen. Damit schaffen wir die Voraussetzung, daß das Krankenpflegegesetz bereits zum 1. September 1985 und das Hebammengesetz sogar bereits zum 1. Juli 1985 verabschiedet werden können.
Durch diese beiden Gesetze werden die entsprechenden Richtlinien des Rates der EWG und die gegenseitige damit verbundene Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise in innerstaatliches Recht umgesetzt. Von da an haben die Angehörigen dieser Berufsgruppen das Recht, auch in den anderen Ländern der EG in ihrem erlernten Beruf tätig zu sein.
Die beiden zur Abstimmung anstehenden Gesetze regeln aber vor allem die Voraussetzungen für die Erlaubnis zur Führung der genannten Berufsbezeichnungen. Sie gleichen einem Meilenstein auf dem Wege zur Verbesserung der qualitativen und der quantitativen Ausbildung

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




Frau Augustin
und bedeuten darüber hinaus eine Anpassung an moderne medizinische und gesellschaftspolitische Entwicklungen.
Mit der Verabschiedung dieser beiden Gesetze dürfte ein jahrelanges Tauziehen um diese beiden Gesetze nun endlich beendet sein. Wie ich dem Protokoll der 228. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 2. Juli 1980 entnehme, hat es zu diesem Thema damals schon recht kontroverse und große Dispute gegeben, und zwar mit dem Erfolg bzw. dem Mißerfolg, daß weder das eine noch das andere Gesetz verabschiedet worden ist. Dies geschah natürlich zum Leidwesen der betroffenen Berufsgruppen.
Hauptstreitpunkt war die Anwendbarkeit oder die Nichtanwendbarkeit des Berufsbildungsgesetzes. Die CDU/CSU-Fraktion war von Anfang an der Meinung, daß auf Grund der besonderen Aufgabenstellung in der Krankenpflege — nämlich kranken Menschen beizustehen und hilfsbedürftigen Menschen in hoher Not zu helfen und sie zu pflegen — das Berufsbildungsgesetz auf diese Berufe nicht so ohne weiteres anwendbar sei.

(Zustimmung bei der CDU/CSU und der • FDP)

Da im Krankenhaus ohnehin eine sehr enge Verzahnung von schulischer und praktischer Ausbildung gegeben ist, kann auf die Mitwirkung der Berufsberater und der Berufsbildungsausschüsse hier mit Sicherheit verzichtet werden. Dennoch haben wir wesentliche, aus dem Berufsbildungsgesetz abzuleitende arbeitsrechtliche Vorteile für den Schüler in dem Gesetz belassen.

(Jaunich [SPD]: Welche?)

— Z. B. die gegenüber anderen Berufen etwas verlängerte Probezeit, die dem Schutz der Schüler dient. Das wissen Sie ganz genau. Darüber haben wir ja recht lange im Ausschuß gesprochen.
Meine Damen und Herren, die Qualität des Gesetzes ist von der Frage abhängig, inwieweit es dem Gesetzgeber gelungen ist, Erfahrungen aus der Praxis mit umzusetzen. Unendlich viele Gespräche haben mit Insidern stattgefunden. Außerdem hat eine öffentliche Anhörung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit am 25. Januar dieses Jahres stattgefunden, bei der Vertreter aller von dem Gesetz betroffenen Verbände Gelegenheit hatten, aus ihrer Sicht Stellung zu den Entwürfen zu nehmen. Die dort gewonnenen Erkenntnisse haben ihren Niederschlag in den Ihnen heute zur Abstimmung vorliegenden Gesetzentwürfen mit den entsprechenden Änderungsanträgen gefunden.
Bei der Beratung des Krankenpflegegesetzes war uns der Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 10/1063 eine wertvolle Hilfe. Es läßt sich leicht feststellen, daß hier große Übereinstimmung zwischen dem Bundesrat und der CDU/CSU-Fraktion, aber auch der Bundesregierung bestand. An dieser Stelle möchte ich den Damen und Herren des Bundesrates, die mit diesem Entwurf befaßt waren, ganz herzlich danken. Stellvertretend für alle möchte ich unseren ehemaligen BundestagsKollegen Albrecht Hasinger nennen.
Herrn Senator Ulf Fink bin ich besonders dankbar für die Anregung, die Ausbildung im ambulanten Bereich in das Krankenpflegegesetz einzubringen und ihr damit einen besonderen Stellenwert einzuräumen. Diese Anregung hat zum Entschließungsantrag zu § 12 Krankenpflegegesetz geführt.
Die Versorgung kranker und pflegebedürftiger Menschen in ihrem häuslichen Bereich gewinnt immer mehr an Bedeutung. Sie ist wertvoll, weil sie mehr noch den seelischen Bedürfnissen des Patienten und der Angehörigen Rechnung trägt. Die vertraute häusliche Atmosphäre kann Medizin sein. Sie ist außerdem kostengünstiger, weil sie Entlastung auf dem doch recht teuren Sektor der stationären Behandlung bringt. Mit der Annahme einer ganzen Reihe von Vorschlägen und guten Formulierungen aus dem Entwurf des Bundesrates auf Drucksache 10/1063 konnte dieser Entwurf in dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit in der Sitzung vom 25. März 1985 als erledigt erklärt werden.
Und nun zum Hebammengesetz: Nach dem heute zu verabschiedenden Gesetz haben Hebammen und Entbindungspfleger grundsätzlich das Recht, sich freiberuflich niederzulassen. Dies eröffnet werdenden Müttern vermehrt die Möglichkeit, entweder zu Hause zu entbinden oder von der Möglichkeit der ambulanten Geburt Gebrauch zu machen.

(Jaunich [SPD]: Ist das etwas Neues?)

— Ja, das ist etwas Neues. Dieser Weg war bislang weitgehend versperrt, Herr Jaunich.

(Frau Potthast [GRÜNE]: Wie ist das in bevölkerungsschwachen Gebieten?)

Auf Grund der nachweisbar hohen Risiken einer Hausgeburt wird von jüngeren Müttern die ambulante Geburt mehr und mehr vorgezogen. Hier öffnet sich für die Hebammen ein weiteres Betätigungsfeld, und zwar sowohl in der Schwangerenvorsorge und bei der unmittelbaren Geburtshilfe als auch in der Versorgung während des Wochenbetts und bei der Pflege des Neugeborenen. Hebammen haben in der Vergangenheit — ich möchte sagen: durch Jahrhunderte — bewiesen, daß sie auf Grund ihrer gründlichen Ausbildung, ihrer Geduld und ihres von niemandem zu übertreffenden Einfühlungsvermögens in ganz besonderer Weise geeignet sind, Frauen bei der Geburt beizustehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In engem Zusammenhang damit steht die im Gesetz verankerte Verpflichtung des Arztes, bei der Geburt eine Hebamme hinzuzuziehen bzw. dafür Sorge zu tragen, daß eine Hebamme hinzugezogen wird. Dem Begehren einiger Berufsverbände, wonach auch die Hebamme generell verpflichtet werden sollte, einen Arzt hinzuzuziehen, vermochten wir nicht zu folgen. In Risikofällen, die sie auf Grund ihrer Ausbildung sehr früh zu erkennen in der Lage ist, ist sie ohnehin verpflichtet, einen Arzt hinzuzuziehen.
Bei der Behandlung des § 4 — „Vorbehaltene Tätigkeiten" — haben wir uns einem weiteren Problemkreis mit besonderer Sorgfalt gewidmet. Vor



Frau Augustin
dem Hintergrund, daß auch Schwangerenberatung und -betreuung spezifische Aufgaben der Hebammen sind, hätten wir diese beiden Tätigkeitsfelder gern in § 4 untergebracht. Eine solche gesetzliche Regelung war allerdings nicht möglich. Sowohl Krankengymnasten und Diätassistenten als auch — unter Umständen — Psychologen haben ihre Aufgabe in der Vergangenheit auf diesem Gebiet wahrgenommen. Diesen Berufsgruppen nun dieses Aufgabenfeld wegzunehmen, wäre gesundheitspolitisch mit Sicherheit nicht vertretbar. Es ist uns aber ein Anliegen, weiteren Berufsgruppen, die glauben, in dieses angestammte Berufsfeld der Hebamme eindringen zu müssen, wegen der Schutzbedürftigkeit der werdenden Mutter und auch auf Grund der Achtung, die wir dem Beruf der Hebamme entgegenbringen, eine klare Absage zu erteilen. Um dies zu verdeutlichen, haben wir in § 10 des Hebammengesetzes die Worte „Ausbildungsinhalte, Tätigkeiten und Aufgaben" eingefügt und in der Begründung u. a. folgendes ausgeführt — ich zitiere —:
Zugleich soll damit deutlich gemacht werden, daß die Beratung und Betreuung der Schwangeren, die Geburtshilfe und die Betreuung des Säuglings und der Mutter bis zur Beendigung des Wochenbetts spezifische Aufgaben und Tätigkeiten der Hebamme sind.
Bevor ich nun zum Schluß komme, möchte ich die Zeit noch nutzen und den Angehörigen der Krankenpflegeberufe und den Hebammen meine ganz große Hochachtung vor der großartigen Leistung aussprechen, die sie tagtäglich vollbringen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die von der SPD heute in letzter Minute eingebrachten Änderungsanträge sind bereits im Ausschuß besprochen und dort abgelehnt worden. Wir sehen keinen Grund, sie hier heute anzunehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012926100
Das Wort hat der Abgeordnete Delorme.

Karl Delorme (SPD):
Rede ID: ID1012926200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Vorrednerin hat schon darauf hingewiesen, daß mit den beiden Gesetzentwürfen, die wir hier abschließend behandeln, zwei antiquierte Gesetze abgelöst werden sollen: das Hebammengesetz von 1938 und das Krankenpflegegesetz von 1965. Damit soll die Ausbildung in den krankenpflegerischen Berufen dem gewandelten Berufsbild angepaßt und die Ausübung dieser Berufe an den modernen medizinischen Erkenntnissen sowie den geänderten gesellschaftlichen Verhältnissen orientiert werden.
Mit der Verabschiedung der neuen Gesetze stehen wir am Ende einer langen politischen und fachlichen Diskussion. Bereits in den 70er Jahren hatten sich die Gesundheitsminister der Länder und der federführende Bundestagsausschuß für eine grundsätzliche Neuordnung der Krankenpflege- und Hebammenausbildung ausgesprochen.
Wegen der unterschiedlichen Mehrheitsverhältnisse von Bundesrat und Bundestag ist der erste
Regierungsentwurf eines Krankenpflege- und Hebammengesetzes gescheitert. Der zweite Entwurf der sozialliberalen Regierung wurde im Oktober 1982 vom Regierungswechsel überholt und konnte nicht mehr im Bundestag behandelt werden.
Die Neuregelung ist also überfällig. Denn nicht nur die betroffenen Berufsgruppen drängen darauf. Auch die Anpassung an die EG-Richtlinien und das europäische Übereinkommen vom 25. Oktober 1967 über die Ausbildung von Krankenschwestern und Krankenpflegern muß endlich vollzogen werden.

(Jaunich [SPD]: Aber sie wird nicht völlig vollzogen mit diesem Gesetz!)

— Weitgehend; immerhin sind Fortschritte zu erkennen.
Die vorliegenden Gesetzentwürfe werden in ihrer Zielsetzung von der SPD weitgehend mitgetragen. Denn sie bringen eine Reihe von Verbesserungen und notwendigen Klarstellungen, aber auch eine gewisse Angleichung der Ausbildungsbestimmungen an das europäische Recht.
Wir Sozialdemokraten haben uns deshalb engagiert an den Ausschußberatungen beteiligt. Wir haben dabei versucht, Schwachstellen zu beseitigen und unsere eigenen Überlegungen in die Beratungen einzubringen. Dies ist leider nur in einem geringen Umfang gelungen. Die Gesetze bleiben in vielen Punkten hinter unseren Vorstellungen zurück.

(Sehr gut! bei der SPD)

So haben wir uns vergebens bemüht, im Krankenpflegegesetz neben dem Schutz der Berufsbezeichnungen den Schutz der Berufsausübung zu verankern. Dies wurde auch von einigen Fachverbänden bei der öffentlichen Anhörung am 23. Januar 1985 gefordert. Ich weiß, daß es sehr schwer ist, einen exakten Katalog der geschützten Tätigkeiten im Bereich der Krankenpflege zu erarbeiten.
Es gibt aber neben pflegerischen Tätigkeiten, die aus einfachen Handreichungen bestehen, auch pflegetechnische Vorgänge, die nur von ausgebildeten Fachkräften vorgenommen werden sollten. Ich möchte einen Sachverständigen zitieren, der in der erwähnten Anhörung hierzu folgendes sagte:
Wenn zum Beispiel Katheter in die Harnröhre eingeführt werden, wenn Magensonden eingeführt werden, wenn Venenkatheter zu überwachen sind, wenn in den Kreislauf oder in Körperöffnungen Eingriffe vorgenommen werden, die eine Infektionsgefahr in sich bergen und mechanische Verletzungen bedingen können, so kann man solche Tätigkeiten nicht Leuten überlassen, die zufällig gerade da sind. Ich meine vielmehr, daß diese Tätigkeiten Krankenschwestern und Krankenpflegern vorbehalten bleiben sollten, die eine qualifizierte Ausbildung erhalten haben.
Dieser Aussage kann ich nur zustimmen.
Auch zum Hebammengesetz hatten wir einige Änderungen vorgeschlagen. So hätten wir gerne die Anregung der Fachverbände aufgegriffen, den Be-



Delorme
griff „Entbindungspfleger" durch den Ausdruck
„Entbindungshelfer" zu ersetzen, weil dieser die
tatsächlich Tätigkeiten besser umschreibt.
Ferner wollten wir den Katalog der vorbehaltenen Tätigkeiten um den Begriff „Schwangerenberatung und -betreuung" erweitern . Meine Kollegin hat soeben dargestellt, daß dies von ihr nicht mitgetragen wird. Sie hat gemeint, man könne Berufsgruppen, die in diesen Bereich drängen, durch eine redaktionelle Anmerkung davon abhalten. Wir glauben das nicht. Wir hätten diese Tätigkeit hier gern als vorbehaltene Tätigkeit gesehen.
Schließlich: Um die Hebammenausbildung nicht nur auf das Krankenhaus auszurichten, hatten wir angeregt, daß ein Teil der praktischen Ausbildung bei einer freiberuflichen Hebamme abgeleistet werden soll. Frau Augustin, Sie haben j a eben selbst auf den hohen Wert der ambulanten und häuslichen Entbindung hingewiesen.

(Jaunich [SPD]: Theorie und Praxis!)

Leider wurden diese Vorschläge von der Ausschußmehrheit nicht akzeptiert.
Andererseits begrüßen wir, daß entgegen der ursprünglichen Absicht der Bundesregierung die Hinzuziehungspflicht der Hebammen in das Gesetz aufgenommen wurde. Wir hätten es aber gern gesehen, wenn sich die Formulierung des Bundesrats durchgesetzt hätte, die klar besagt: „Der Arzt ist verpflichtet, bei der Entbindung eine Hebamme oder einen Entbindungspfleger hinzuzuziehen."
Statt dessen hat die Ausschußmehrheit einer verwässerten Fassung zugestimmt, wonach der Arzt lediglich dafür Sorge zu tragen hat, daß bei der Entbindung eine Hebamme oder ein Entbindungspfleger hinzugezogen wird.

(Vorsitz: Vizepräsident Cronenberg)

So sehr wir bedauern, daß viele unserer Vorschläge im Ausschuß abgelehnt wurden, so sehen wir darin nicht die entscheidenden Minuspunkte. Unser wichtigster Vorbehalt gegen die vorliegenden Gesetzentwürfe ist vielmehr, daß darin die Anwendung des Berufsbildungsgesetzes auf die Krankenpflege- und Hebammenausbildung ausdrücklich ausgeschlossen wird.

(Jaunich [SPD]: Das sind die „Verbesserungen"!)

Mit Recht wurde darauf hingewiesen, daß damit eine Zwitterausbildung entsteht, die nicht in das bestehende Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland einzuordnen ist.
Wir fordern deshalb nach wie vor die Anwendung des Berufsbildungsgesetzes in einer für die krankenpflegerischen Berufe angemessenen Form, weil nur dadurch eine qualifizierte Ausbildung gewährleistet, ein besserer arbeitsrechtlicher und organisatorischer Rahmen geschaffen und der Sozialstatus der Auszubildenden gesichert werden kann.
Der Hinweis der Bundesregierung, daß ja Elemente des Berufsbildungsgesetzes in den vorliegenden Gesetzentwürfen enthalten seien, ist nur bedingt zutreffend. So ist dort zwar vorgeschrieben, daß von den Trägern der Ausbildung den Schülerinnen und Schülern eine Ausbildungsvergütung zu zahlen ist. Die Definition „angemessene Vergütung", wie sie bei der Anhörung am 23. Januar von Gewerkschaften und Berufsverbänden gefordert wurde und wie sie auch im Berufsbildungsgesetz vorgesehen ist, wurde von der Koalitionsmehrheit jedoch beharrlich verweigert.
Wie notwendig aber eine solche klare Regelung wäre, geht schon daraus hervor, daß an den 24 Hebammenschulen in der Bundesrepublik den Schülern zur Zeit Ausbildungsvergütungen gezahlt werden, die von Null oder einem bescheidenen Taschengeld bis zu monatlich 1 160 DM reichen. Das kann so nicht hingenommen werden. Krankenpflegeschülerinnen und -schüler, die auf ihre schwere und verantwortliche Tätigkeit vorbereitet werden, dürfen keine Auszubildenden zweiter Klasse sein.

(Beifall bei der SPD)

Die SPD-Fraktion hat deshalb zu beiden Gesetzentwürfen einige Änderungsanträge vorgelegt. Darin fordern wir erstens, daß die Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes auch auf das Krankenpflege- und das Hebammengesetz angewendet werden; zweitens, daß den Schülerinnen und Schülern eine angemessene Ausbildungsvergütung gewährt wird; drittens, daß die in den Gesetzentwürfen vorgesehene überlange Probezeit auf eine vernünftige Dauer begrenzt wird, wie es ja im Regierungsentwurf vorgesehen war; viertens, daß die Zahl der Ausbildungskräfte auf das im Europäischen Übereinkommen empfohlene Verhältnis von 1 : 15 verbindlich festgelegt wird.
Meine Damen und Herren, wir bitten Sie, diese Anträge zu akzeptieren. Wir könnten dann beiden Gesetzentwürfen unsere Zustimmung geben. Falls Sie unsere Anträge ablehnen — und das ist zu befürchten —, werden wir uns bei der Schlußabstimmung der Stimme enthalten.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1012926300
Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1012926400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist höchste Zeit, daß der Bundestag die beiden vor uns liegenden Gesetze verabschiedet. Die Betroffenen haben lange genug auf das Hebammengesetz und das Krankenpflegegesetz gewartet. Wir waren ja auch, wie das meine Vorredner schon sagten, in Zugzwang; denn die EG-Richtlinien, die teilweise von 1977 stammen, forderten von uns eine Reihe von Änderungen. Bereits in der sozialliberalen Koalition gab es Versuche, beide Gesetze zu verabschieden. Schwierigkeiten im Detail, die nicht überwindbar waren, haben zum Scheitern der damaligen Gesetzentwürfe geführt, besonders was die Einbeziehung des Berufsbildungsgesetzes betraf. Das haben die Sozialdemokraten damals gefordert und fordern es heute wieder, und



Eimer (Fürth)

das wurde von der Union und von der FDP, aber auch von den betroffenen Verbänden abgelehnt.

(Jaunich [SPD]: Das kann ja wohl nicht sein! Die FDP gehörte doch damals der Bundesregierung an!)

— Ja, aber wir haben es damals abgelehnt, wie Sie wissen.

(Jaunich [SPD]: Aber wo denn?!)

— Natürlich haben wir es abgelehnt. Sie wissen genau, warum es gescheitert ist.
Trotz dieser Differenzen in einigen Punkten möchte ich aber betonen, daß bei der Beratung des Gesetzes im Ausschuß eine sehr sachliche Zusammenarbeit herrschte. Ich möchte mich deswegen bei den Kollegen der Koalition und der Opposition für diese Zusammenarbeit sehr herzlich bedanken.
Die sogenannten Verbesserungen, die jetzt von der SPD beantragt werden, kann ich nicht so sehen. Sie wissen, daß auch bei dem damaligen Gesetzentwurf in der sozialliberalen Koalition eine schärfere Bestimmung der vorbehaltenen Tätigkeiten nicht möglich war, und Sie wissen auch die Gründe.

(Jaunich [SPD]: Das ist auch nicht Gegenstand von Änderungsanträgen!)

Die etwas knapp gehaltenen Bestimmungen über die Ausbildungsverträge und die Rechte der Krankenpflegeschüler wurden im Ausschuß verbessert und präzisiert. Die notwendigen Vorschriften zum Schutz der Schüler wurden aus dem Berufsbildungsgesetz übernommen und ausdrücklich niedergeschrieben.
Besonders dringlich war aber die Reform der Hebammenausbildung. Die Verzögerungen wären überhaupt nicht vertretbar gewesen, wenn nicht vorab durch eine Rechtsverordnung die Ausbildungszeit von zwei auf drei Jahre hätte verlängert werden können. Dadurch hatten wir etwas mehr Luft, etwas mehr Zeit für die Beratungen im Ausschuß. Ich meine, das Ergebnis ist ein vernünftiges Gesetz. Das sehen wohl auch diejenigen, für die das Gesetz gemacht wurde.
Natürlich finde auch ich Punkte, bei denen ich mir bessere Lösungen hätte vorstellen können. Einen Punkt hat mein Vorredner Herr Delorme angesprochen. Ich gestehe, daß mir der Name „Entbindungspfleger" absolut nicht gefällt. Aber ich meine, daß man ein Gesetz nicht unbedingt nach dem Namen beurteilen darf und schon gar nicht auf Grund dieses Namens das Gesetz scheitern lassen darf. Auch die Verbände waren j a von dem Begriff „Helfer", den ich ebenfalls bevorzugt hätte, nicht überzeugt.
Sehr erfreulich für mich ist es, daß die Hinzuziehungspflicht und die vorbehaltenen Tätigkeiten im Gesetz verankert werden konnten. Die Gesetzeslage und die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern waren unsicher. Erst die Bereitschaft des Bundesrates, dokumentiert durch seine Anregungen, haben es uns erlaubt, das, was wir von Anfang an wollten, nämlich die Hinzuziehungspflicht und die vorbehaltenen Tätigkeiten für die Hebammen in das Gesetz aufzunehmen, auch wirklich zu tun. Auch ich möchte mich an dieser Stelle sehr nachdrücklich beim Bundesrat dafür bedanken.
Die vorbehaltenen Tätigkeiten — das wurde auch schon erwähnt — konnten nicht in der Schärfe gefaßt werden, wie dies die Hebammen wollten — und wir eigentlich auch. Frau Augustin hat das sehr deutlich gesagt. Ich brauche deswegen auf die Einzelheiten nicht mehr zurückzukommen. Aber ich meine, wir hätten die Ziele, unsere Vorstellungen — z. B. in § 5, Ausbildungsziele und andere Dinge — in der Begründung sehr deutlich gemacht. Wir wollen nämlich eine durchgehende Betreuung und Beratung der Schwangeren von der Schwangerschaft über die Geburt bis zur Nachsorge. Wir versprechen uns davon nicht nur eine bessere Betreuung in medizinischer Hinsicht, sondern auch mehr menschliche Sorge und Betreuung, die ja gerade in diesem Fall dringend benötigt wird. Ich glaube, daß diese Maßnahmen auch einen Beitrag zur Senkung der Säuglingssterblichkeit bedeuten, wenn diese Betreuung stärker in einer Hand liegt.
Die organisatorischen Voraussetzungen und Verbesserungen, die dazu nötig sind, betreffen nicht unmittelbar das Gesetz, mit dem wir es hier zu tun haben. Aber wir wollen ja mehr Beleghebammen. Wir werden deshalb die Auswirkungen des Gesetzes und auch die Auswirkungen der Gebührenordnung noch genau beachten müssen. Für uns gilt das gleiche wie für die Hebammen: nach der Vorbereitung des Gesetzes und dessen Geburt hier im Plenum müssen wir uns noch um die Nachsorge kümmern, die nötig ist, wenn wir das Ziel erreichen wollen, das von uns im Einvernehmen mit den Betroffenen, in diesem Falle den Hebammen, gewünscht wird.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1012926500
Das Wort hat Frau Abgeordnete Potthast.

Gabriele Potthast (GRÜNE):
Rede ID: ID1012926600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Grundsätzlich begrüßen wir die Ziele der beiden uns vorliegenden Gesetzentwürfe über die Berufe der Krankenpflege und über den Beruf der Hebamme. Die Lösungen, die die Bundesregierung hier anbietet, um bestehende Rechtsunsicherheiten und überaltete Vorschriften abzubauen, werden unserer Meinung nach der derzeitigen Problemlage allerdings überhaupt nicht gerecht.
Es ist nämlich völlig unverständlich, warum beispielsweise in beiden Gesetzentwürfen die Ausbildungsverhältnisse aus dem Berufsbildungsgesetz herausgenommen wurden. Schließlich war es bei der Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes erklärtes Ziel des Gesetzgebers, alle — ich betone: alle — Berufsbildungsverhältnisse nach einheitlichen Grundsätzen zu regeln. Wird beispielsweise bei den Auszubildenden im Hebammenberuf die Ausbildungsvergütung nicht nach dem Berufsbildungsgesetz geregelt, werden auch in Zukunft die bislang üblichen ungerechten, weil ungleichen Aus-



Frau Potthast
bildungsvergütungen beibehalten. Der Kollege von der SPD hat schon ausgeführt, daß je nach Gutdünken oder schlechtem Willen an den 34 Hebammenschulen derzeit Ausbildungsgelder von 0 DM bis 1 161,64 DM gezahlt werden, d. h. willkürlich.
Aber Auszubildende, d. h. Menschen, die einen Beruf erlernen möchten, der ihre Lebensgrundlage sichern soll, dürfen nicht zum Spielball irgendwelcher Ausbildungsinstitutionen gemacht werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das heißt, sie dürfen nicht der Willkür der jeweiligen Ausbilder unterworfen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Derartige Ungerechtigkeiten können nicht mit dem Hinweis, es handle sich hier um Tendenzbetriebe, entschuldigt werden. Hier ist der Gesetzgeber gefragt und gefordert, dem Gleichheitsgrundsatz der Verfassung endlich gerecht zu werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Speziell beim Hebammengesetz haben wir uns in den jeweiligen Ausschüssen bemüht, auf die groben Mängel des Gesetzentwurfs hinzuweisen und die möglichen Gefahren darzustellen.

(Zuruf von der SPD: In welchem Ausschuß war das?)

Selbst wenn immer weniger Bundesbürger und Bundesbürgerinnen geboren werden, so ist es den Eltern keineswegs gleichgültig, wie der Nachwuchs ans Licht geholt wird. Der Trend zeigt eindeutig auf, daß die sanfte, die natürliche Geburt, daß die ambulante Entbindung oder die Hausgeburt sich zunehmender Beliebtheit erfreuen. Mehr Menschlichkeit wird heutzutage gewünscht. Dazu gehört nun einmal die Hebamme, die die Mutter rund um die Geburt betreut, tröstet, streichelt, beruhigt, kurz: Sicherheit gibt.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sie haben sich doch gar nicht an den Beratungen beteiligt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Hören Sie einmal zu

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie waren doch gar nicht dabei!)

und hören Sie auf zu schreien. Vielleicht können Sie anschließend den Gesetzentwurf noch verändern.

(Dolata [CDU/CSU]: Wenn Sie im Ausschuß mitgemacht hätten, hätten wir gar nicht widersprechen können!)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird das Zukunftsbild der Hebamme jedoch hauptsächlich in das Krankenhaus verlegt. Das heißt, dadurch, daß Sie die Ausbildung in den Krankenhausbereich verlagern, geben Sie auch im Normalfall der klinischtechnischen Geburt eindeutig den Vorrang. Gerade aber in den Kliniken bestimmen häufig die Ärzte, ob und wann eine Geburt künstlich eingeleitet werden soll. Die Hebammen sind dabei den Weisungen des jeweils behandelnden Arztes unterworfen. Es hat sich inzwischen herumgesprochen, daß Kinder häufig nicht mehr zur Welt kommen dürfen, wenn es ihnen paßt, sondern sie kommen inzwischen so zur Welt, daß der reibungslose Klinikablauf nicht gestört wird. Nicht umsonst finden während der Nachtzeit kaum noch Geburten statt.
Den Informationen des Arbeitskreises „Kunstfehler in der Geburtshilfe" zufolge, der die Interessen von geburtsgeschädigten Kindern vertritt, sind die meisten kindlichen Schädigungen während der Geburt nicht von Hebammen verursacht, sondern durch überflüssige, frühzeitige und häufig gefährliche Manipulationen an normal verlaufenden Geburten entstanden, und zwar durch ärztliche Anordnung. Die Möglichkeiten zur ambulanten Geburt, zur Hausgeburt, zur ganzheitlichen Betreuung durch die Hebamme werden immer geringer, wenn die Ausbildung wie im Gesetzentwurf vorgesehen auf den stationären Bereich ausgerichtet bleibt.
Wir können die Klugheit und Weitsicht des Senators Fink in diesem Zusammenhang nur bewundern, der anläßlich der Debatte zum Krankenpflegegesetz festgestellt hat:
Wenn junge Menschen nur im stationären Bereich ausgebildet werden, darf man sich nicht wundern, daß sie sich ihre berufliche Zukunft auch vor allem in der stationären Gesundheitsversorgung vorstellen.
Warum, Frau Augustin, haben Sie sich diese Weisheit nicht beim Hebammengesetz zu eigen gemacht?
Darüber hinaus sehen wir eine ganzheitliche Versorgung der Mütter durch die Hebammen durch die Einschränkung des Gesetzentwurfs hinsichtlich der vorbehaltenen Tätigkeiten nicht gewährleistet. Zwar sieht der Gesetzentwurf vor, daß die Nachsorge nach der Entbindung den Hebammen als ureigenstes Tätigkeitsfeld vorbehalten bleibt, aber die Vorsorge vor der Geburt wurde nicht als der Hebamme vorbehaltene Tätigkeit ins Gesetz aufgenommen. Warum nehmen Sie hier eigentlich nicht mal den Schutz des ungeborenen Lebens ernst? Es ist nämlich eine Schande, daß die Bundesrepublik im Vergleich zu anderen europäischen Ländern immer noch an der Spitze der Staaten mit der höchsten Säuglingssterblichkeitsquote liegt.
Länder mit einem ausgeprägten Vorsorgesystem durch Hebammen weisen eine erheblich geringere Säuglingssterblichkeit auf. Es ist von daher völlig unverständlich, daß die Schwangerenberatung und -betreuung nicht in den Katalog der vorbehaltenen Tätigkeiten aufgenommen wurde. Daß die angebotenen Vorsorgeuntersuchungen durch Ärzte allein nicht ausreichen, alle möglichen Risiken einer Schwangerschaft zu erfassen, bestätigen selbst namhafte Ärzte. Zum Beispiel schrieb Professor Dr. Schmidt, der Direktor der Kinderklinik B der Universität Düsseldorf — er ist während der Sachverständigenanhörung auch erwähnt worden — in einem Leserbrief an die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 7. Mai 1983 — ich zitiere —:
Ärzte sind in erster Linie zur Bewältigung medizinischer Risiken da. Kaum einer wird bestreiten, daß die Erfassung und Bewältigung sozialer Risiken in einem Vorsorgesystem die



Frau Potthast
Möglichkeiten der Ärzte überschreitet. Hebammen können durch Erfüllung ihnen gemäßer Aufgaben zur Verbesserung der Schwangerenvorsorge beitragen, ohne mit den Aufgaben der Ärzte zu kollidieren. Immerhin gibt es zu bedenken, daß im Verlauf des von der Bundesregierung geförderten Bremer Modells „Familienhebamme", in dem Hebammen gerade zur Erfassung sozialer Risiken eingesetzt worden sind, die Säuglingssterblichkeit in Bremen von 13,5% 1981 auf 9,2 % 1982 gesunken ist.
Obwohl dieser Modellversuch über Erwarten gut gelungen ist — das ist von allen Seiten bestätigt worden —, obwohl also viele Krankenhausaufenthalte und auch deren horrende Kosten verhindert werden konnten, läßt die Bundesregierung diesen Modellversuch auslaufen. Alles Gerede über den Schutz des ungeborenen Lebens seitens der Bundesregierung entpuppt sich also vor diesem Hintergrund als ideologische Scheinfechterei.
Dadurch, daß nach dem Gesetz keine Niederlassungserlaubnis mehr erteilt werden soll, ist heute schon abzusehen, daß den freiberuflichen Hebammen in bevölkerungsschwachen Gebieten die Existenzgrundlage entzogen wird; denn fällt die Niederlassungserlaubnis weg, dann wird auch das staatlich garantierte Mindestgehalt von 500 bis 600 DM monatlich nicht mehr gezahlt. Das bedeutet, daß bei der derzeitigen Gebührenordnung Hebammen, die in Regionen wohnen, in denen die Geburtshilfe wenig in Anspruch genommen wird, diese ihre Existenz durch ihren Beruf nicht mehr sichern können.
Besonders paradox ist aber die Vorschrift, die besagt, daß eine Niederlassungserlaubnis, die bereits erteilt wurde, widerrufen werden kann, wenn die Hebamme in den letzten drei Jahren weniger als zehn Geburtshilfen geleistet hat oder wenn sie einen Arbeitsvertrag im Krankenhaus angenommen hat. Denn mit der Niederlassungserlaubnis hatte der Staat das Recht, der Hebamme einen Wohnsitz zuzuweisen. Diese staatliche Wohnsitzzuweisung hatte den Zweck, eine flächendeckende Versorgung mit Hebammen zu sichern. Es ist reinster Hohn — ich zitiere im folgenden aus der Sachverständigenanhörung Frau Schroth vom Bund Deutscher Hebammen — „wenn der Staat eine Hebamme vor 30 Jahren in den hintersten Winkel des Hotzenwaldes oder der Eifel, auf eine Hallig oder eine Insel mit der Begründung gesetzt hätte, es gebe dort für die Geburt nicht genug Hebammen, und dieser Hebamme mit genau derselben Begründung 30 Jahre danach die Niederlassungserlaubnis und damit das mit der Niederlassungserlaubnis verbundene staatlich garantierte Mindesteinkommen entzöge".
Auch die Möglichkeit, die ich soeben erwähnte, die Niederlassungserlaubnis einer Hebamme zu entziehen, wenn diese nicht eine bestimmte Anzahl von Geburten in drei Jahren nachweisen kann, ist hanebüchen und trifft in erster Linie genau die älteren Hebammen, die häufig von den Ärzten nicht mehr rechtzeitig zur Entbindung hinzugezogen werden können. Genau diesen Frauen haben aber Tausende von Menschen zu verdanken, daß sie ohne Komplikationen zur Welt kommen konnten, und wahrscheinlich sind gerade unter Ihnen genug, die diesen Hebammen etwas schuldig sind. Genau denen wollen Sie also das garantierte Mindesteinkommen entziehen, die ihr Pflichtsoll rein quantitativ nicht nachweisen können, und zwar alles wegen des berühmt-berüchtigten technischen Fortschritts. Aber genau der ist bei der natürlichen und normal verlaufenden Geburt überhaupt nicht gefragt. Eine Hebamme, die im Laufe ihres Lebens Tausenden von Kindern dazu verholfen hat, zur Welt zu kommen, wird ihr Handwerk nicht verlernen, wenn die Geburtenrate sinkt oder aus regional bedingten Gründen die Geburtshilfe weniger häufig in Anspruch genommen wird.
Die vorliegenden Gesetzentwürfe haben jedenfalls lange genug auf sich warten lassen und lassen auf eine sehr schwere technische Geburt schließen. Hätten Sie statt der vielen Entwicklungshelfer bei diesen Gesetzentwürfen gute Hebammen eingesetzt, dann wären Ihnen wahrscheinlich die von uns kritisierten Fehler nicht unterlaufen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Ihre Hebamme hat ja gestreikt!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1012926700
Das Wort hat Frau Staatssekretär Karwatzki.

Irmgard Karwatzki (CDU):
Rede ID: ID1012926800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Potthast, vier Vorbemerkungen muß ich doch machen.
Das erste: Ihre Zahl — 13 %o Säuglingssterblichkeit — stimmt nicht.

(Frau Potthast [GRÜNE]: Ich habe das auf Bremen bezogen!)

Die neuesten Zahlen aus dem Jahre 1983 belaufen sich auf 10,2 Fälle auf 1 000 Geburten. Das ist immer noch zuviel. Wenn wir solche Zahlen von uns geben, müssen wir, denke ich, doch fair miteinander umgehen.
Das zweite, Frau Kollegin Potthast: Sie haben in Ihrer Rede angemerkt, daß eine Ausbildung von Hebammen im praktischen Feld der Tätigkeit der Haushebamme nicht möglich sei. Ich muß Sie darauf hinweisen, daß das in § 6 ausdrücklich vorgesehen ist. Ich finde es schade, daß die Kollegin Schoppe Sie darüber nicht informiert hat. Sie hat an unseren Beratungen immer mit Beiträgen, die sehr differenziert waren, teilgenommen. Im Gegensatz zu Ihnen; ich habe Sie bei uns nie gesehen.
Das dritte — das muß ich anmerken —: Ich gehe davon aus, daß auch in den Hebammenschulen guter Wille vorhanden ist. Sie haben so getan, als wäre das von vornherein nicht der Fall. Ich möchte für die vielen Leitungen von Hebammenschulen sagen, daß das sehr wohl der Fall ist und daß sie auch verantwortungsvoll sind in bezug auf die Bezahlung der Hebammenschüler.




Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1012926900
Frau Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Potthast?

Irmgard Karwatzki (CDU):
Rede ID: ID1012927000
Nein.
Das letzte, Frau Kollegin Potthast: Ich gebe zu, daß bei Geburten ärztliche Fehler gemacht werden. Aber das, was Sie gerade hinsichtlich der Ärzteschaft, die den Müttern bei der Geburt verantwortungsvoll hilft und zur Seite steht, gesagt haben, ist, glaube ich, nicht richtig und trifft auch nicht für die Mehrzahl der Ärzte zu.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Nickels [GRÜNE]: Aber keine Zwischenfragen zulassen, Frau Karwatzki!)

So weit die Vorbemerkungen.
Meine Damen und Herren, nach fast 15jähriger, teilweise leidenschaftlicher Diskussion um Form und Gestalt der Ausbildung — ob als Ausbildung rein schulischer Art oder als dual-betriebliche Ausbildung nach Maßgabe des Berufsbildungsgesetzes — hat die Ausbildung der pflegerischen Heilberufe der Krankenschwester, des Krankenpflegers, der Kinderkrankenschwester, des Kinderkrankenpflegers, der Krankenpflegehelferin und des Krankenpflegehelfers mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes über die Berufe in der Krankenpflege nunmehr endlich eine Form gefunden, mit der die überwiegende Mehrheit der Beteiligten und der Betroffenen leben will und auch leben kann.
Die Ausbildung in diesen Berufen, entsprechend ihrer lange gewachsenen Tradition ansiedelt an der Nahtstelle zwischen dem schulischen und dual-betrieblichen Ausbildungssystem, kann sich, wenn Sie dieses Gesetz heute beschließen, wieder sehen lassen, und zwar hier bei uns in der Bundesrepublik, aber auch bei unseren Freunden in der Europäischen Gemeinschaft. Es garantiert eine solide dreijährige bzw. einjährige Ausbildung in Krankenpflegeschulen und Schulen für Krankenpflegehilfe an eigens zur Ausbildung staatlich anerkannten Krankenhäusern, an deren Ausbildungsstandard hohe Ansprüche gestellt werden.
Das Gesetz garantiert deutschen Krankenschwestern und Krankenpflegern der allgemeinen Pflege die staatliche Anerkennung in den Mitgliedstaaten der EWG und Staatsangehörigen der betreffenden Länder die Anerkennung ihrer Diplome und Prüfungszeugnisse bei uns; denn die absolvierten Ausbildungen entsprechen nunmehr endlich auch bei uns den maßgeblichen Ausbildungs- und Anerkennungsrichtlinien der Gemeinschaft in der notwendigen rechtlich unanfechtbaren Weise. Damit haben auch die Schwierigkeiten ein Ende, auf die deutsche Krankenschwestern und -pfleger nicht selten gestoßen sind, wenn Behörden der Mitgliedstaaten Zweifel an der Gemeinschaftskonformität ihrer Ausbildungen und Abschlüsse geltend machten. In solchen Schwierigkeiten half auch nicht immer der ständig bewiesene gute Wille der Länder und der Ausbildungsträger, die versuchten, den Richtlinien auch ohne hinreichende bundesrechtliche Rechtsgrundlage, so gut es ging, in der Praxis Anerkennung zu verschaffen und zur Anwendung zu verhelfen. Meine Damen und Herren. nun dürfen sich über 70 000 Krankenpflegeschülerinnen und -schuler freuen, daß die bestehenden Hürden überwunden sind und ein Berufsgesetz geschaffen wird, durch das sie im Status ihrer Rechte und Pflichten voll an den Status der Auszubildenden in der gewerblichen Wirtschaft angeglichen werden

(Jaunich [SPD]: Das ist doch nicht zutreffend, Frau Kollegin! Eine kühne Behauptung!)

und das nunmehr für lange Jahre, so ist zu hoffen, Grundlage und Rückgrat einer modernen, vorbildlichen und gesamteuropäisch ausgerichteten Krankenpflegeausbildung sein wird.
Was ich gesagt habe, trifft entsprechend und gleichermaßen auf die Ausbildung der Hebamme und des Entbindungspflegers zu. Hier betone ich mit besonderer Genugtuung, daß es in der Beratung in den Ausschüssen gelungen ist, die Pflicht des Arztes zur Hinzuziehung der Hebamme oder des Entbindungspflegers, die sogenannte Hinzuziehungspflicht, wieder im Gesetz zu verankern und zusätzlich die Überwachung des Wochenbettverlaufs unter die ausschließliche Obhut der Hebamme oder des Entbindungspflegers zu geben sowie den umfangreichen Katalog der Aufgaben und Tätigkeiten der Hebamme und des Entbindungspflegers, wie ihn die Gemeinschaftsrichtlinien aufzeigen, als vorrangiges Ziel der Ausbildung herauszustellen. Eine Ausweitung der ihnen vorbehaltenen Tätigkeiten auf den Bereich der Schwangerenvorsorge und Schwangerenberatung erschien nicht möglich, weil damit die selbständige und eigenverantwortliche Tätigkeit von Berufen und Gruppen wie Krankengymnasten, Ernährungsberatern und anderen, die auf diesem Sektor ebenfalls ausgezeichnete Arbeit leisten, ausgeschlossen worden wäre. Ergänzend sollten Aus-, Fort- und Weiterbildung so ausgestaltet werden, daß auch Hebammen und Entbindungspfleger im Wettbewerb mit anderen Heilberufen sich in diesen Bereichen verstärkt etablieren und unentbehrlich machen können.
Bleibt zum Bereich der Ausbildung in der Krankenpflege noch zu erwähnen, daß die beteiligten Ausschüsse des Deutschen Bundestages erwarten, daß der Bundesrat die ihm in Kürze von der Bundesregierung zur Zustimmung vorzulegende überarbeitete Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Berufe in der Krankenpflege nunmehr so zügig berät und beschließt, daß diese Rechtsverordnung als Grundlage für den Inhalt des Unterrichts und den Gang des staatlichen Prüfungsverfahrens möglichst zusammen mit dem Berufsgesetz in Kraft treten kann.
Für die Ausbildung der Hebammen und Entbindungspfleger hat die bereits am 1. Januar 1983 in Kraft getretene Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Hebammen Inhalt und Dauer der Ausbildung nach Maßgabe der einschlägigen Gemeinschaftsrichtlinien sowie das staatliche Prüfungsverfahren eingehend geregelt. Dennoch ist auch hier in gewissen Punkten eine weitgehende redaktionelle



Parl. Staatssekretär Frau Karwatzki
Anpassung an das neue Berufsgesetz durch eine Änderungsverordnung notwendig.
Zum Schluß, meine Damen und Herren, bleibt nur noch, ein Dankeswort zu sagen meinen Kolleginnen und Kollegen im federführenden Ausschuß, insbesondere den Berichterstattern, und in den mitberatenden Ausschüssen für die zügige und ausgesprochen fair und sachlich geführte Diskussion.
Daß SPD und die GRÜNEN nicht zustimmen konnten, ist zu bedauern. Ihre ausdrückliche Enthaltung zeigt jedoch, daß die Regierungsentwürfe sowie die Beschlüsse der Mehrheit in den Ausschüssen zwar nicht immer die aus ihrer Sicht ideale Lösung darstellen, ihr jedoch jeweils, soweit das überhaupt möglich ist, sehr nahekommen dürften. Das sollte uns alle befriedigen. Und dies, Herr Kollege Delorme, haben Sie auch ausgeführt.

(Jaunich [SPD]: So hättet ihr euch in der Vergangenheit mal verhalten sollen!)

Nach dem Gesamtergebnis der Beratungen bleibt zu erwarten, daß der Bundesrat den Gesetzen seine Zustimmung nicht versagen wird, zumal er in der Mehrzahl der Änderungsbeschlüsse seine eigenen Beschlüsse aus dem ersten Durchgang bestätigt sieht.
Ich möchte Sie daher abschließend sehr herzlich bitten, den beiden Gesetzentwürfen in Form der Änderungsbeschlüsse nach Maßgabe der Beschlußempfehlung des federführenden Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, noch ein kurzes Wort zu den Änderungsanträgen der SPD-Fraktion: Sie wollen für beide Gesetze eine Festlegung des Verhältnisses zwischen Unterrichtspersonal und Schülern von 1 : 15.

(Jaunich [SPD]: Ja!)

Sie greifen dabei auf das Europäische Krankenpflegeübereinkommen zurück,

(Jaunich [SPD]: So ist es!)

das in diesem Punkt Empfehlungscharakter hat.

(Jaunich [SPD]: Eben!)

Bundesregierung, Bundesrat und Bundestagsausschüsse haben demgegenüber von einer starren Regelung abgesehen, weil den Krankenpflege- und Hebammenschulen — nicht nur in der Übergangszeit — die Möglichkeit einer eigenverantwortlichen und flexiblen Gestaltung der Organisation des Unterrichts nicht genommen werden soll. Auch die entsprechenden EG-Richtlinien verzichten auf jegliche zahlenmäßige Festlegung des Lehrer-SchülerVerhältnisses. Gleichwohl sollte die Empfehlung des Übereinkommens in den Schulen, soweit dies möglich ist. befolgt werden.
Darüber hinaus haben sowohl der Bundesrat in seinem eigenen Entwurf als auch die Bundestagsausschüsse bei der Beratung der Regierungsentwürfe und der Bundesratsinitiative beim Rechtsanspruch des Schülers auf Ausbildungsvergütung von einer Eingrenzung oder Qualifizierung der Höhe nach abgesehen, weil dies der Ausgestaltung durch die Tarifvertragsparteien überlassen bleiben soll,

(Jaunich [SPD]: Das ist doch nicht Inhalt unseres Entwurfs hier!)

und dies ist vernünftig.
Die Dauer der Probezeit war ebenfalls ein wesentlicher Beratungspunkt. Die Opposition will nun, am Ende eines eingehenden Beratungsprozesses, der bei den Probezeiten zu einem für alle Seiten akzeptablen Ergebnis geführt hat, überraschend überholte Beratungsgegenstände wieder aufgreifen. Die SPD-Fraktion hätte ihre Erwägungen früher artikulieren müssen; aber sie hat es nicht getan.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1012927100
Frau Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jaunich?

Irmgard Karwatzki (CDU):
Rede ID: ID1012927200
Noch einen Satz, dann bin ich fertig; ich bitte um Nachsicht. — Der in der Frage der Probezeiten gefundene Konsens, der sowohl den besonderen Verhältnissen in der Krankenpflege- und Hebammenausbildung entspricht als auch den Vorstellungen der Berufsverbände nahesteht, sollte jetzt zum Schluß nicht mehr in Frage gestellt werden.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1012927300
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über die Vorlage unter Punkt 7 a der Tagesordnung, über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Krankenpflegegesetzes auf der Drucksache 10/1062.
Ich rufe die §§ 1 bis 4 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind damit angenommen.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Die Enthaltungen haben Sie vergessen!)

— Ja, Entschuldigung. Stimmenthaltungen? —

(Frau Nickels [GRÜNE]: Zwei Fraktionen enthalten sich der Stimme!)

— Einige Enthaltungen werden im Protokoll festgehalten.
Ich rufe § 5 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/3093 unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wer § 5 in der Ausschußfassung mit der von der Berichterstatterin vorgetragenen Berichtigung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist die aufgerufene Vorschrift angenommen.



Vizepräsident Cronenberg
Ich rufe die §§ 6 bis 10 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit sind die Vorschriften angenommen.
Ich rufe § 11 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/3093 unter Ziffer 2 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wer § 11 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Keine. Damit ist die Vorschrift angenommen.
Ich rufe die §§ 12 bis 17 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit sind die Vorschriften angenommen.
Ich rufe § 18 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/3093 unter Ziffer 3 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wer § 18 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist die Vorschrift in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe § 19 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/3093 unter Ziffer 4 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Wer § 19 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist die aufgerufene Vorschrift angenommen.
Ich rufe die §§ 20 bis 27 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften mit der zu § 26 von der Berichterstatterin vorgetragenen Berichtigung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Damit sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.
Ich rufe § 28 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/3093 unter Ziffer 5 ein Antrag der Fraktion der SPD auf Streichung vor. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Wer § 28 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist die aufgerufene Vorschrift in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe §§ 29 bis 33 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind damit angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Damit ist das Gesetz angenommen.
Wir kommen nunmehr zu dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Krankenpflegegesetzes auf Drucksache 10/1063 — Tagesordnungspunkt 7 b. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen auf Drucksache 10/3069 unter Ziffer 2 der Beschlußempfehlung, diesen Gesetzentwurf als erledigt anzusehen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist somit angenommen.
Es ist noch über eine weitere Beschlußempfehlung abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3069 unter Ziffer 3 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Damit ist die Entschließung angenommen.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Hebammengesetzes auf Drucksache 10/1064 — Tagesordnungspunkt 8. Ich rufe die §§ 1 bis 15 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Ich rufe § 16 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/3092 unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Wer § 16 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist die aufgerufene Vorschrift angenommen.
Ich rufe § 17 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/3092 unter Ziffer 2 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Ich rufe § 17 in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Damit ist die aufgerufene Vorschrift in der Ausschußfassung verabschiedet.



Vizepräsident Cronenberg
Ich rufe die §§ 18 bis 26 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Damit sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.
Ich rufe § 27 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/3092 unter Ziffer 3 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Streichung vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Wer § 27 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist die Vorschrift in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe die §§ 28 bis 34 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Damit sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.
Die zweite Beratung ist somit abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Damit ist das Gesetz angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkte 9 a bis c auf:
a) Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Sauermilch und der Fraktion DIE GRÜNEN
Zivilisationsbedingte Schäden an Gebäuden, Kulturdenkmälern und Ingenieurbauwerken
— Drucksachen 10/1129, 10/2613 —
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Bauschäden
— Drucksache 10/3011 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (federführend)

Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Ausschuß für Forschung und Technologie
c) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
zu Gebäudeschäden
— Drucksache 10/3085 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (federführend)

Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Ausschuß für Forschung und Technologie
Im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c sowie ein Beitrag von zehn Minuten je Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch.
Das Wort hat der Abgeordnete Sauermilch.

(Vorsitz: Vizepräsident Frau Renger)


Walter Sauermilch (GRÜNE):
Rede ID: ID1012927400
Verehrte Frau Präsidentin! Leeres Haus! Wir unterstützen den Entschließungsantrag, den die SPD eingebracht hat, wenngleich in einigen Punkten nicht ohne Interpretation. Er enthält die wesentlichen Forderungen, wie sie im 16. Ausschuß diskutiert wurden. Der Antrag der CDU/CSU/FDP-Koalition ist dagegen zu einem parlamentarischen Feigenblatt verkommen. Deswegen können wir ihm nicht zustimmen.
Vor über einem Jahr hatten wir die Große Anfrage zu Umweltschäden an Bauwerken an die Bundesregierung gerichtet. Auf die Antwort mußten wir ein Dreivierteljahr warten. Das Ergebnis ist allerdings eindeutig: Neben dem Waldsterben gibt es ein Gebäudesterben von erschreckendem Ausmaß. Entscheidende Ursache dafür ist die vergiftete Luft. Hierfür wiederum sind verantwortlich die Skrupellosigkeit der Industrie, der Opportunismus etablierter Politik und schließlich die Bequemlichkeit der Menschen.
Was zunächst die Bequemlichkeit der Menschen betrifft, so geht sie uns alle an, ohne Ansehen von Person, Geschlecht, Religion, Parteizugehörigkeit usw. Solange wir unsere Konsumgewohnheiten von der Milchtüte bis zum Automobil nicht ändern, liefern wir alle die Sargnägel für den Wald und für die gebaute Zivilisation mit.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Solange wir also weiter so bequem sind, z. B. die einfachsten Tätigkeiten durch Maschinen und Automaten ausführen zu lassen, und uns nicht gegen die Perversitäten der Werbung auflehnen, so lange dürfen wir uns nur sehr bedingt darüber beklagen, daß Luft und Wasser, Boden und Pflanzen, Tiere und Menschen mehr und mehr vergiftet sind.
Solange wir unsere Kulturdenkmäler verrotten lassen und uns statt dessen mit einer oberflächenveredelten Welt von Beton und Spanplatten umgeben, dürfen wir uns nicht wundern, daß uns diese Zivilisation die Quittung präsentiert in Form von furchtbaren Krankheiten, Giftskandalen, Müllgebirgen und der endgültigen Verhinderung sozialer, kultureller und ästhetischer Qualität. Beklagen über solche Verhältnisse dürfen sich folgerichtig nur diejenigen, die die Konsequenz daraus gezogen haben, daß das Berufsgeheimnis vieler Politiker das Wissen vom Unwissen und von der Bequemlichkeit der Wähler ist.
Damit sind wir beim Thema Opportunismus in diesem speziellen Bereich der Politik angekommen. Dazu nenne ich ein Beispiel. Die Umweltpolitik der Bundesregierung, wie sie sich aus der Beantwortung der Großen Anfrage der GRÜNEN darstellt, kann schnell und drastisch durch die Zitierung be-



Sauermilch
stimmter Satzteile der entsprechenden Passage gekennzeichnet werden. Ich zitiere auszugsweise:....
haben sich verpflichtet, bis 1993 ..., ... sollen erarbeitet werden, ... bemüht sich ..., ... liegt ein Vorschlag vor, ... vorgeschrieben werden sollen, ... fordert die Einbeziehung, ... sollen angewandt werden, sobald ..., ... bleiben bemüht. Auch da erscheint wieder das sogenannte umweltfreundliche Auto; wörtliches Zitat aus der Antwort der Bundesregierung. Das Auto — meine Damen und Herren, wenn ich mir hier schnell diese kleine Abschweifung erlauben darf — mit oder ohne Katalysator, ob aus Europa oder Japan, gehört zu den giftigsten Produkten, auch durch seine Masse und seine sozialen und kulturellen Auswirkungen, schon bei der Herstellung, dann während seiner doch sehr kurzen Lebensdauer und schließlich nach seiner Verschrottung. So etwas „umweltfreundlich" zu nennen, nur weil es ein bißchen mehr Platin im Auspuff für ein bißchen weniger Schadstoffe hinter dem Auspuff hat, das ist doch skandalös.

(Seiters [CDU/CSU]: Was machen eigentlich eure Fahrräder?)

— Sie haben recht; auch die Qualität der Fahrräder — soweit sie von der Industrie hergestellt worden sind — ist miserabel. — Auf jeden Fall ist es aber Opportunismus gegenüber der Autoindustrie, in welchem Lande Europas auch immer, einer Industrie, die skupellos mit dem Knüppel der Arbeitsplatzsicherung auf die Argumente der Ökologie einschlägt und die noch Beschäftigten in devot gebeugter Haltung verharren läßt.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Übersetzen Sie das doch mal! Ich habe es nicht verstanden!)

Oder der Buschhaus-Skandal. Man könnte das als eine der üblichen Provinzpossen in Niedersachsen abtun, wenn es nicht so verheerend schweflig auf Wald, Flur und Haus herniederregnen würde, wenn dieses Ding erst läuft.
Nun zu den Kosten des Gebäudesterbens. Schon vor sechs Jahren hat das Umweltbundesamt für 2,4 Millionen Gebäude — so hat es geschrieben — „in belasteten Gebieten" — welche Gebiete sind denn, bitte sehr, nicht belastet? — Folgekosten in Höhe von 4 Milliarden DM ermittelt. Bringt man die mageren Angaben der Bundesregierung zu den weiteren Kosten in eine entsprechende Relation, so wundert es nicht, daß die Bundesregierung es vermieden hat, eine Zahl zu nennen. Ich will es tun. Es ergeben sich nämlich für die 11 Millionen Wohngebäude schadstoffbedingte Schäden von über 18 Milliarden DM. Dazu kommen 500 Millionen DM für Baudenkmäler und historische Stadtensembles; dazu kommen noch einige Milliarden DM für Abriß und Reparatur jener „Jahrhundertbauwerke", der Fernsehtürme, der Straßen- und Bahnbrücken, desgleichen für die Industriebauten.
Aber man kann das Problem auch noch ganz anders beleuchten. In diesem Hohen Hause ist von uns schon oft auf die Energieversorgungsmafia der Kraftwerkserbauer und -betreiber als eine der größten Luftvergifter hingewiesen worden. Damit haben wir auch einen Hauptschuldigen für das Gebäudesterben.
Noch viel zu wenig bekannt ist dagegen ein für die zahlreichen großen Ingenieurbauten verantwortlicher Mitschuldiger besonderer Art, eine „Solidargemeinschaft" von wenigen großen, auf komplizierte, de facto monopolisierte Techniken spezialisierten Ingenieurbüros, ebenso wenigen auf diese Techniken eingespielten Baufirmen, im übrigen in der Hand von wenigen Großbanken, und einem Bundesverkehrsministerium, das das Spiel auf seine Art mitmacht. Zufällig sind die Lehrstühle der einschlägigen Hochschulen im Fach Massivbau mit erfahrenen Leuten aus eben dieser Praxis besetzt. Das Spiel kennen wir von der Atommafia: Man kennt sich, man ist verschwistert und verschwägert, Krähen unter sich.

(Hinsken [CDU/CSU]: Was sind dann Sie?)

Hinter Gerüsten und unter Brücken wirken diskret, aber emsig die Kleistermänner der chemischen Industrie.

(Hinsken [CDU/CSU]: Unerhört! Solche Ausdrücke!)

An der Börse gelten diese Bereiche der neuesten Subkultur der Zerstörung und Vergiftung dieser dritten Art als Geheimtips. Man fragt sich, warum wohl. Es ist dieser Solidargemeinschaft in zäher Kleinarbeit gelungen, z. B. die rechnerische Lebensdauer von Brücken von einigen hundert Jahren auf ganze 50 Jahre zu verkürzen, dabei die tatsächliche Lebensdauer noch weiter zu reduzieren bis hin zu dem Fall, daß in Berlin eine soeben fertiggestellte Brücke abgerissen und durch eine andere ersetzt werden mußte. Der Fachausdruck dafür heißt Rückbau. Merken Sie sich dieses Wort gut; wir werden es noch öfter zu hören bekommen.
Weiter ist es dieser Solidargemeinschaft auch gelungen, die Baukosten beträchtlich anzuheben. Die anfängliche lästige Konkurrenz kleinerer, nicht hochspezialisierter Unternehmen ist durch die besonderen Verfahren und Techniken inzwischen ausgeschaltet, so daß die ach so öffentlichen Ausschreibungen den Charakter eines netten Familientreffens haben. Die Torte verteilt man unter sich, natürlich mit Sahne. Doch was so froh stimmt, ist ja das sichere Bewußtsein: Warte nur, bald ist wieder eine Brücke reif für den Rückbau. Zwischendurch sahnen die Chemiker mit Risseverkleistern, die Professoren mit Gutachten und die Ingenieurbüros mit allerlei theoretischen und empirischen Untersuchungen ab.

(Hinsken [CDU/CSU]: Haben Sie auch schon daran verdient?)

Der Kavalier im Ministerium zahlt und schweigt. Letzten Endes aber bezahlen wir alle, und dann ist das eben skandalös. Bedenken der GRÜNEN in dieser Hinsicht hat die Bundesregierung wie folgt zu zerstreuen versucht — ich zitiere —:
Die Bundesregierung setzt auf die Überwachungs- und Auslesefunktion der Märkte. Sie geht davon aus, daß die Industrie schon aus eigenem Interesse neue Techniken vor ihrer



Sauermilch
Einführung auf dem Markt grundsätzlich in geeigneter Weise überprüft.
Ähnliches gilt für das bestehende „FernsehturmBauplanungsingenieurgesellschaftsmonopol".
Schließlich ist es dieser Solidargemeinschaft gelungen, den zentralen Zerstörungsgrund im Baustoff Beton, nämlich die Rißbildung, entgegen aller Erfahrung, entgegen allen Schadensbildern, entgegen aller technisch geschulten Vernunft und auch entgegen Oberlandesgerichts-Urteilen mit Spitzfindigkeiten und Verfahrenstricks zu verharmlosen und sich so aus der Verantwortung zu stehlen. Ein Riß ist ein Riß, ob er nun 0,1 oder 1,5 Millimeter breit ist. Weder der saure Regen noch das Streusalzwasser fragen danach, ob der Riß breit oder schmal ist, je nachdem, ob es gerade kalt oder warm ist. Der saure Regen kümmert sich auch nicht darum, ob er den Bewehrungsstahl in drei oder vier Zentimeter Tiefe zerstört; denn der Riß geht mittendurch. Dabei könnten Risse durch einfachere Konstruktionen vermieden werden. Und was ein richtiger Riß ist, der läßt sich auf Dauer auch nicht mit Chemie verkleistern.
Ich komme zum Schluß: Eines der traurigsten Kapitel der schadstoffbedingten Gebäudezerstörung ist die unwiederbringliche Vernichtung vieler großer und kleiner Zeugen aus den verschiedenen Epochen der europäischen Kultur: von der frühen .Romanik über den Jugendstil bis heute. Wenn die chemische Industrie uns auch hier weismachen will, daß es neue Methoden oder Baustoffe gebe, die das verhindern könnten, dann ist das eine Lüge oder eine Imitation; so einfach ist das. Das historische gebaute Zeugnis unserer Kultur wird es dann nicht mehr geben, sondern nur noch seine Maske. Auf Grund der bisherigen Erfahrung haben wir allen Grund zu der äußerst skeptischen Annahme — und das ist der letzte Satz —, daß die nötige Forschung auf diesem Gebiet letzten Endes doch den leichenschänderischen Interessen der Sanierungsmafia dient und alle bauliche Kultur zerstört.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Daran wirken Sie als Architekt mit!)

Die einzig richtige Sanierung ist die: Macht die Luft wieder sauber!
Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012927500
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Zierer.

Benno Zierer (CSU):
Rede ID: ID1012927600
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Herr Kollege Sauermilch, es wäre besser gewesen, wenn Sie hier heute
— da Sie j a rotieren, war das heute Ihre letzte Rede
— mit etwas weniger Polemik und etwas weniger Ideologie gesprochen hätten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben hier ein Horrorbild gemalt, das den tatsächlichen Verhältnissen überhaupt nicht entspricht. Sie haben sich somit einen schlechten Abgang aus dem Deutschen Bundestag geschaffen. Aber ich habe zum Teil Verständnis dafür. Gilt doch für Sie das Motto: Denn sie wissen nicht, was sie tun!
Auch ich möchte das Thema nicht verharmlosen, sondern es mit Sachlichkeit vortragen. Meine sehr geehrten Damen, meine Herren, seit drei, vier Jahren wird die Öffentlichkeit durch ein Phänomen sensibilisiert, das als Baumsterben bezeichnet wird. Der Deutsche Bundestag hat sich in der Vergangenheit mit diesem Problem wiederholt — zuletzt erst heute vormittag — befaßt. Die in verschiedene Stufen eingeteilten Waldschäden betreffen nach der neuesten Studie des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mehr als ein Drittel der Waldfläche. Es gibt aber, meine Damen und meine Herren, heute noch unverbesserliche Phantasten, die die Hauptursache der Erkrankung unserer Wälder in der Trockenheit, in Borkenkäfern oder auch in Viren sehen. Diese Phantasten bleiben allerdings die Antwort schuldig, wenn man sie nach den Viren oder nach den Borkenkäfern fragt, die unsere gotischen Dome zerstören, den Kölner Dom genauso wie den Dom in meiner Heimatstadt Regensburg, von dem man glauben möchte, er steht in einer Gegend, in einer Landschaft fernab von industriellen Ballungszentren.
Die Ursache — das wissen wir — liegt in der unvernünftigen Politik hoher Schornsteine der 70er Jahre.

(Gilges [SPD]: Abgase aus den Kaminen!)

Betroffen sind überall in Europa ganze Denkmalgruppen, die, so meinte man bisher, für die Ewigkeit geschaffen wurden. Die Akropolis in Athen, das Colosseum in Rom und die meisten historischen Gebäude in London oder in Paris, sie alle stehen seit Jahren im sauren Regen.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Was hat man dagegen gemacht?)

Die Statuen an den Fassaden unserer Kathedralen, in Köln genauso wie in Regensburg, in Xanten wie in Ulm, erwecken den Eindruck von Leprakranken: Sie sind zerfressen.
Nicht nur alte Dome, Rathäuser und Bürgerhäuser sind gefährdet, nicht nur die gesamte historische Bausubstanz; der saure Regen nagt auch an modernen Betonbauten. Gebäude und Brücken, die erst von einigen Jahrzehnten nach dem neuesten Stand der Bautechnik errichtet wurden, sind teilweise schwerstens gefährdet. Man stellt fest: Auch bei neueren Gebäuden kommt geradezu eine Schadenswelle auf uns zu, die häufig auf aggressive Umwelteinflüsse zurückzuführen ist,

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Aber nicht nur!)

vor allem aber auch auf neue Baustoffe, die sich in der Praxis nicht bewähren, und auf mangelhafte Qualität in der Bauausführung. Bei Brückenbauten sind zusätzlich die schädlichen Einwirkungen des Streusalzes zu nennen.
Bei einer öffentlichen Anhörung am 4. April 1984 zu dem Thema „Umweltbedingte Gebäudeschäden",



Zierer
zu dem der Bundestagsausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau 20 Vertreter von Verbänden und Organisationen sowie Sachverständige eingeladen hatte, wurde allen Beteiligten bewußt, daß das Problem der Gebäudeschäden kein Randthema sein darf und keines sein kann. Alle für das Bauwesen und den Städtebau Verantwortlichen im öffentlichen wie im privaten Bereich sind deshalb aufgerufen, alles zu tun, um die Bauschäden zu verhindern oder zumindest in Grenzen zu halten. Dies erfordert schon der immense volkswirtschaftliche Schaden. Nach einer vorläufigen und vorsichtigen Schätzung dürften in einem einzigen Jahr 1,5 bis 3 Milliarden DM Schäden an Denkmälern und mehr noch an Gebäuden anfallen. Dies ist sogar ein Vielfaches des jährlichen Schadens, der durch den sauren Regen in unseren Wäldern angerichtet wird.
Dabei — und das ist das Wesentliche — sind die Schäden an unseren Denkmalbauten, nämlich den kulturgeschichtlichen Zeugen vergangener Jahrhunderte, irreparabel. Was hier kaputt geht, ist verloren für immer. Zum Beispiel muß am Kölner Dom Stein für Stein ausgewechselt werden, was dazu führt, daß dieses „nationalste aller Baudenkmäler" bald nur noch ein Modell im Maßstab 1 : 1 des ursprünglichen Bauwerks sein wird. Für 5 Millionen DM mußte es allein im Jahr 1983 Stück für Stück durch Kopien ersetzt werden. Die Aussage von Experten beim Hearing im vergangenen Jahr hörten sich wie Krankenberichte, wie die Stationen einer Leidensgeschichte an. Die Auswertung der Expertenanhörung hat ergeben, daß nicht nur die Natursteine der Denkmalbauten, sondern auch Materialien wie Glas, Beton und Stahl von den bekannten Emissionen in zunehmendem Maße angegriffen werden. Betroffen sind nicht nur Gebäude in den Großstädten, sondern auch in kleineren Städten und in Dörfern.
Was, meine Damen, meine Herren, ist zu tun? Neue Konstruktionen und Baustoffe müssen künftig besser erprobt werden. Eine sorgfältige Planung und eine rechtzeitige Instandhaltung müssen mehr als bisher die Verminderung von Bauschäden in den Mittelpunkt stellen. Auch die Ausbildung von Planern, Bauleitern und Bauhandwerkern muß unter diesem Aspekt verbessert und aktualisiert werden.
Die Bundesregierung hat den dringenden politischen Handlungsbedarf in diesem Bereich erkannt und bereits gehandelt.
So hat das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau u. a. zur Konzentration und Koordinierung bisheriger Forschungsanstrengungen ein über mehrere Jahre laufendes Forschungsprogramm, betreffend Schäden an Gebäuden konzipiert.
Die CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages begrüßt die bisherigen Initiativen. Sie fordert darüber hinaus die Bundesregierung auf,
erstens die Bauschadensforschung zu verstärken, anwendungsnah zu gestalten und zu koordinieren sowie die Forschung über widerstandsfähige Baumaterialien weiter zu verbessern;
zweitens zu prüfen, ob die bisherigen Gewährleistungsfristen für Leistungen an Bauwerken ausreichen;
drittens in Zusammenarbeit mit allen Baubeteiligten praktisch verwertbare Informationen über die Anwendungsmöglichkeiten von Baustoffen und Verfahren zur Verfügung zu stellen;
viertens zu prüfen, ob die Einrichtung einer zentralen Auskunftsstelle zur breiteren Erfassung und Weitergabe aller Erkenntnisse über Bauschäden und deren Vermeidung und Sanierung notwendig ist;
schließlich fünftens dem Deutschen Bundestag nach Ablauf von drei Jahren einen umfassenden Bericht über Bauschäden und Möglichkeiten zu deren Verhinderung und Beseitigung vorzulegen und dabei über die von ihr getroffenen Maßnahmen zu berichten.

(Grünbeck [FDP]: Sehr gut!)

Meine Damen, meine Herren, das Thema „Schäden an Gebäuden" wird heute erstmals im Deutschen Bundestag behandelt. Ich gehe davon aus, daß alle Kollegen, daß alle Fraktionen diese Probleme ohne Ideologie weiter bearbeiten. Die heutigen Beiträge sind eine Art erste Bestandsaufnahme. Jetzt muß gehandelt werden, und zwar gemeinsam. Alle Fraktionen sind hier gefordert.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012927700
Das Wort hat Herr Abgeordneter Conradi.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID1012927800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wiederhole meine hier zuvor geäußerte Meinung, daß Debatten dieser Art in eine öffentliche Ausschußsitzung gehören. Dann wären auch mehr Leute anwesend als jetzt.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Die Presse ist sowieso nicht da!)

Trotzdem will ich mich natürlich zur Sache äußern:
Wir haben in 40 Jahren in dieser Republik mehr als in Jahrhunderten zuvor gebaut. 1939, vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, gab es bei uns 12 Millionen Wohnungen; heute sind es 26 Millionen. Wir haben in 40 Jahren 18 Millionen neue Wohnungen gebaut, das Eineinhalbfache dessen, was es vor dem Krieg an Wohnungen gab. Das ist eine ungeheure Zahl. Zwei Drittel der Wohnungen dieser Republik wurden nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut.
Das Zahlenverhältnis sieht bei Rathäusern, Banken oder Hallenbädern nicht anders aus. Dieses große Bauvolumen, diese große Masse des zu Planenden und zu Bauenden hat die Gestaltungskraft einer Generation überfordert. Es ist oft unter großem Zeitdruck geplant und gebaut worden. So gibt es nicht nur lieblose, langweilige und mißgestaltete Bauten, sondern auch Baufehler und Bauschäden in großem Ausmaß. Zum Vergleich: Der Aachener Dom ist innerhalb von etwa 300 Jahren geplant und gebaut worden. Dabei hat man während des Baus



Conradi
immer dazugelernt. Demgegenüber ist der Flughafen Frankfurt innerhalb von sieben Jahren hingestellt worden. Das heißt, dort konnte man erst hinterher sehen, was schiefgegangen war.
Dazu kommt, daß der Baumarkt kleinteilig ist. Die vielen kleinen Architekturbüros, die kleinen Handwerker, die kleinen Baufirmen haben nicht die Chance, Baustoffe und Verfahren systematisch zu erproben, wie das die Automobilindustrie kann. Dort wird jedes Teil, jede Konstruktion lange getestet. Wenn dann etwas schiefgeht, werden die Autos zurückgerufen und das betreffende Teil ausgewechselt. Bei Häusern dagegen merkt man erst nach einigen Jahren, was schiefgegangen ist, und zur Reparatur zurückrufen kann man sie dann nicht mehr.
Ich finde es erstaunlich, daß es bei uns Test- und Informationsverfahren für Bügeleisen, Autos und Skibindungen gibt, daß aber der Verbraucher keine unabhängigen Testverfahren und Informationen über Baustoffe und Baukonstruktionen hat, obwohl die meisten Bauherren im Leben zwar mehrere Bügeleisen kaufen, aber ganz gewiß nur einmal — und dann nie wieder — bauen. Dafür gibt es keine sachliche, vernünftige Information.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Das Vertrauen in die Architekten ist eben sehr groß!)

— Offenbar schafft die Marktwirtschaft das nicht, weil die Interessen von Architekten, Handwerkern, Bauherren und Baustoffherstellern sehr unterschiedlich sind, Herr Kollege. Ihr Antrag vernebelt das, wenn Sie schreiben, Sie forderten „Informationen in Zusammenarbeit aller Baubeteiligten", so als hätte die Baustoffindustrie ernsthaft ein Interesse an einer neutralen und objektiven Prüfung der Produkte, die sie häufig völlig unerprobt auf den Markt bringt.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das ist eine Unterstellung! — Grünbeck [FDP]: Sie haben vielleicht eine Ahnung!)

— Sinnvoll ist allein die öffentliche Förderung — dieses Wort haben Sie aus gutem Grund weggelassen — eines herstellerunabhängigen Prüfungs- und Informationsverfahrens. Sie, Herr Kollege Grünbeck, werden schon wissen, warum Sie ein herstellerunabhängiges, objektives und im Interesse der Verbraucher organisiertes Prüfungs- und Informationsverfahren nicht wollen.

(Grünbeck [FDP]: Das sage ich Ihnen nachher!)

Wir können die Bauschäden sicherlich reduzieren, wir müssen sie reduzieren, aber das wird nicht ohne tatkräftige Mithilfe des Staates gehen.
Nun wären die Bauschäden allein schon schlimm genug. Sie werden aber durch den sauren Regen dramatisch verschärft. Wenn über Jahre hinweg stark verdünnte Schwefelsäure auf Häuser, Brükken und andere Bauwerke heruntertropft, ist dies genauso, wie wenn einige Stunden lang unverdünnte Schwefelsäure herunterkommt. Die Gebäude altern schneller, früher erprobte und bewährte Bauverfahren versagen. Es ist kein Wunder:
Wenn der saure Regen Bäume umbringt, den Boden kaputtmacht und Menschen schädigt, dann schädigt er auch Gebäude.
So wie die Bundesregierung das in ihrem Bauschadensbericht darstellt, ist es im großen und ganzen eine Verharmlosung. Wenn heute Drafi Deutscher hier wäre, würde er singen: „Marmor, Stahl und Eisen bricht, aber Ihr Optimismus nicht." Oscar Schneider hat sich als Bauminister für die Bauschäden erst interessiert, als es durch das Dach seines eigenen Hauses regnete. Insoweit bestätigt sich die These von Karl Marx, daß das Sein das Bewußtsein bestimmt.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Inzwischen steht ihm nun ob seiner verfehlten Baupolitik das Wasser bis zum Halse,

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Wir haben erst im Oktober 1982 angefangen!)

wenn auch nicht wegen der Schäden am Dach. Darauf muß man ihn hinweisen: Hier ist ein breites Betätigungsfeld für den Bauminister, mit dem er seine traurige Bilanz verbessern könnte. Er müßte doch der entschiedenste Rufer nach einer harten Umweltpolitik sein; er müßte kräftig auf den Putz hauen, auch wenn dann beim Bundesinnenminister der Kalk rieselte. Vom Bauminister jedoch ist zur Frage der Umweltbelastung, vor allem der Schadstoffbelastung der Luft, nichts zu hören; dort herrscht Schweigen im Walde, und den Wald gibt es ja bald auch nicht mehr.

(Zuruf des Abg. Dr. Möller [CDU/CSU])

Wenn ich dann noch die Halleluja-Gesänge aus Ihren Reihen höre, wir sollten Bemühungen der Bundesregierung unterstützen, die Umweltschutzpolitik über die europäischen Grenzen hinaus wirksam zu gestalten, dann kann ich angesichts des Desasters Ihrer europäischen Umweltpolitik nur lachen.
Sie begreifen offenbar nicht nur nicht, daß hier Milliardenschäden für die Volkswirtschaft entstehen, sondern auch nicht, daß an den Bau- und Kunstdenkmälern schreckliche Schäden bereits entstanden sind. Wir können hier leider keine Dias zeigen. Sonst würden wir den Abgeordneten, die nicht in unserem Ausschuß sind, zeigen, wie etwa eine gotische Madonna an der Stadtkirche von Mar-bach von 1511 in den Jahren 1900 bis 1980 Gesicht und Gestalt verloren hat. Da es keine Kopie gibt — man kann jetzt auch keine Kopie mehr davon machen —, ist diese Madonnenfigur unwiederbringlich verloren.
Im Ausschuß haben uns die Fachleute gesagt, daß die Baudenkmäler in 70 Jahren so gealtert sind wie in 400 Jahren zuvor. Sie haben uns gesagt, daß es zuwenig Forschung, daß es keine Koordination in der Forschung gibt, obwohl der Bundesrat das von der Bundesregierung seit 1982 fordert. Sie haben uns dargelegt, daß es keine Lehrstuhlkapazität an den Universitäten zu dem Problem der Erhaltung von Denkmälern gibt. Und alle Fachleute haben uns eines gesagt: Die Schadstoffe in der Luft — vor



Conradi
allem die Schwefelsäure — müssen rasch und drastisch reduziert werden.
Dann haben wir — alle Fraktionen — eine gemeinsame Entschließung im Ausschuß verfaßt. Wir waren uns völlig einig. Sie sind dann damit zu Ihren Fraktionsstrategen gegangen und die haben Sie untergebuttert, denn denen war die Entschließung zu dramatisch. Es sei zu viel Schwarzmalerei darin, hat die Fraktionsführung der Union gesagt; das passe nicht in die allgemeine Optimismuskampagne des Bundeskanzlers. Dies ist die typische Verharmlosungspolitik, die wir beanstanden. Hier geht die bauliche Geschichte unseres Landes kaputt, und die Regierung sagt: So schlimm ist das nicht; es gibt widerstandsfähige Baustoffe.
Nur: Wenn Sie den Kölner Dom Stein für Stein erneuern, dann ist er eben kein Original mehr; dann ist er eine Replik, so wie diese albernen Knusperhäuschen in Frankfurt vor dem Römer, die nur Attrappen sind. Der Bundesbauminister mit seinem phänomenalen Gedächtnis kann sich dort ja dann als Fremdenführer engagieren lassen. Er kann die Erbauer und die Jahreszahlen alle aus dem Kopf her sagen, und er wird das artig mit lateinischen Zitaten aus dem Vitruv garnieren, aber er wird nicht darum herumreden können, daß diese Baudenkmale dann nicht mehr dasein werden, daß wir es dann nur noch mit Kopien zu tun haben.
Wir Sozialdemokraten betreiben hier keine einseitigen Schuldzuweisungen. Das wäre leichtfertig.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Wir haben selber auch spät begriffen, was in diesem Land an den Baudenkmalen geschieht und was getan werden muß. Aber angesichts Ihres Antrags und Ihrer Äußerungen habe ich den Eindruck, daß Sie erstens nicht nur das Ausmaß des Schadens nicht begreifen, sondern daß Sie zweitens auch nichts dagegen tun wollen. Sie begreifen es nicht,

(Zuruf von der CDU/CSU: Großfeuerungsanlagen-Verordnung! TA Luft! Katalysator!)

sonst würden Sie, was die Schadstoffe in der Luft betrifft, ganz anders herangehen.

(Beifall bei der SPD)

Sie wollen nicht begreifen, daß unsere nationale gebaute Kultur kaputtgeht. Dafür spielen jetzt die Fernsehanstalten jeden Abend zweimal die Nationalhymne. Das ist wirklich angemessen; da kann ich nur sagen: Wie schön!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN — Lachen bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012927900
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Grünbeck.

Josef Grünbeck (FDP):
Rede ID: ID1012928000
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Hearing hat eigentlich belegt, daß sich alle Parteien, Organisationen, Verbände und Institutionen mit diesem Problem seit vielen Jahren ernsthaft beschäftigen. Ich
hoffe, daß die Aufforderung meines Kollegen Zierer
hier greift, daß man nicht diesen zynischen Ton
anschlägt wie Sie, Herr Conradi, und sagt, wir wollten die Probleme gar nicht angehen. Sie sagen gleichzeitig, Sie wollten die Schwefeldioxidreduzierung mittragen;

(Conradi [SPD]: Sie waren ja nicht zur gemeinsamen Entschließung bereit!)

aber wenn wir sagen, wir wollten die Kernenergie als umweltfreundliche Energie, dann sagen Sie nein. Sie müssen selber Ihre Widersprüche entdekken, die Sie am laufenden Band produzieren.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Möller [CDU/CSU]: Conradi denkt noch in den 70er Jahren!)

Meine Damen und Herren, die Gebäudeschäden sind entstanden durch eine Beschleunigung der Emissionen. Darüber gibt es überhaupt keinen Zweifel. Zu den klassischen temporären Differenzen durch Wärme und Kälte und durch Nässe- und Trockenperioden ist diese Luftverunreinigung hinzugekommen.
Wenn wir heute die drei Drucksachen, die jetzt zur Beratung anstehen, durchforsten, sieht man eigentlich, daß wir uns allesamt über das Ziel einig sind, daß wir uns aber über die Wege, die zum Ziel führen, nicht ganz verständigen konnten. Ich warne davor, jetzt etwa etwas zu tun, was genau in das Gegenteil dessen umschlagen würde, was Sie eigentlich wollen.
Erstens. Es wäre mit Sicherheit verkehrt, meine Damen und Herren, jetzt einem hysterischen Aktionismus das Wort zu reden und zu glauben, man könne alles, was in Jahrzehnten entstanden ist, über Nacht über neue bürokratische Ebenen oder neue hysterische Aktionen lösen.

(Zurufe von den GRÜNEN)

— Ich komme noch zu Ihnen, Herr Sauermilch. Ihre
Rede war keine Galavorstellung eines Architekten.

(Conradi: [SPD]: Wenn Sie bei der Anhörung dabei waren, können Sie nicht so reden!)

Wir dürfen uns nicht in den hysterischen Aktionismus hineintreiben lassen. Die FDP ist dafür, daß die Forschung und Entwicklung verstärkt werden, daß sie besser als bislang koordiniert werden und daß wir Rahmenbedingungen für Entwicklungen schaffen, die diesen dringend notwendigen Weg ermöglichen.
Zweitens. Wir haben uns insbesondere dagegen gewehrt, daß wir durch eine neue bürokratische Ebene, durch Beratungs- und Informationsstellen dieses Problem etwa einer schnellen Lösung zuführen können.
Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen dazu einmal etwas gerade auf Ihre Ausführungen hin, Herr Conradi, sagen, weil Sie die firmenunabhängige Beratung fördern und mich sofort persönlich in den Verdacht gebracht haben, warum Sie das wohl so wollten. Sie müßten als Architekt eigentlich die



Grünbeck
VOB und das BGB kennen. Was steht da drin? In dieser Verdingungsordnung für Bauleistungen und im Bürgerlichen Gesetzbuch ist festgeschrieben, wer die Verantwortung zu übernehmen hat. In diesem Bereich der Gewährleistung wollen Sie eine firmenunabhängige Beratung einschalten. Wissen Sie, was das ist? Das ist die Sozialisierung der Verantwortung und die Sozialisierung der Gewährleistung. Dann müssen Sie nämlich die Staatskasse öffnen, aber das fällt Ihnen ja nie schwer.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der Griff in die Staatskasse ist immer Ihr erstes Rezept.
In dieser VOB ist geregelt, daß die erbrachten Leistungen und die gelieferten Gegenstände die zugesagten Eigenschaften haben müssen, und dem Bürger wird in diesem Staat ein großartiges Recht eingeräumt: Wenn die nicht die zugesagten Eigenschaften haben, hat er das Recht auf Rücknahme oder auf Schadensersatz, und unsere Richter haben dies praktiziert.

(Conradi [SPD]: Das machen Sie mal bei der Fassade vom Langen Eugen, Sie Witzbold!)

Im BGB steht sogar noch mehr: Sie müssen für fünf Jahre gewährleisten, daß die erbrachten Leistungen den Regeln der Technik entsprechen, und Sie müssen eine ordnungsgemäße Planung gewährleisten.

(Conradi [SPD]: Dann dürfte es gar keine Bauschäden geben!)

Ich kann doch nicht etwa Fehlplanungen der Architekten dadurch sozialisieren, daß ich die gesamte Verantwortung dem Staat zuordne. Das wäre falsch. Wir müssen die Eigenverantwortung stärken, und von dieser Position wird die FDP auch nicht abweichen.
In Ihren Anträgen ist natürlich überhaupt keine Rede von der Modernisierung und der Sanierung der Gebäude. Ich lese Ihre Anträge in der Hoffnung immer sehr sorgfältig, da würde einmal etwas Gescheites drinstehen, aber das steht nicht darin. Die Modernisierung und die Sanierung haben Sie in diesem ganzen Bereich völlig vergessen, und dabei wird dies eine ganz große Rolle spielen. Es gibt gar keinen Zweifel darüber, daß wir bestimmte Gebäude entweder außen oder innen der Sanierung zuführen.
Ich bin sehr froh darüber, daß wir den § 82 der Einkommensteuerdurchführungsverordnung für weitere fünf Jahre erhalten konnten, da wir das für die Modernisierung und Sanierung dringend brauchen. Ich bin auch sehr froh, daß wir die Forschung und Entwicklung der Materialwirtschaft, der Verfahrenstechnik, der Meß- und Regeltechnik, auch der Materialien und der Stoffe vorantreiben, die im Außenschutz verwendet werden.

(Sauermilch [GRÜNE]: Vergessen Sie die chemische Industrie nicht!)

— Herr Kollege Sauermilch, ich muß Ihnen ehrlich gestehen: Nachdem Sie heute hier von Mafia geredet haben, möchte ich eigentlich sagen, daß Sie sich heute einen neuen Titel erworben haben, daß Sie heute so eine Art grüner Mafioso geworden sind. Wenn ich Ihrem Berufsstand angehören würde, würde ich mich gegen das verwahren, was Sie hier über Ihren eigenen Berufsstand gesagt haben. Vielleicht lesen Sie das noch einmal nach.

(Conradi [SPD]: Ich glaube, er sprach von Ihresgleichen, Herr Kollege!)

Ich wehre mich dagegen, daß wir mit Mißtrauen gegen all diejenigen vorgehen, die mit sehr großer Sorgfalt, mit sehr großem persönlichen Engagement und mit sehr viel finanziellem Aufwand die Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet in den letzten Jahren vorangetrieben haben. Sie haben ein großes Mißtrauen gegen die Bauherren. Ich sage Ihnen: Die Bauherren informieren sich heute sehr gut. Sie wollen eine neue Informationszentrale, als ob es das nicht gäbe.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Man muß die Architekten mehr auf die Schule schicken! — Sauermilch [GRÜNE]: Ich habe ganz bestimmte Bauherren gemeint!)

Herr Conradi, ich darf Sie mal zu uns nach München in die Bauinformationszentrale einladen, damit Sie dort alles sehen können. Die Bauherren informieren sich heute über Kosten, über Folgekosten, über Beschaffenheit von Material. Wir setzen gegen das Mißtrauen gegenüber den Bauherren das Vertrauen in die Bauherren.

(Conradi [SPD]: Dann dürfte es gar keine Bauschäden geben!)

Sie haben gegen die Architekten und gegen die Planungsingenieure ein großes Mißtrauen vorgebracht. Wenn ich mich an die Diskussion um die HOAI erinnere, so war es so, daß Sie mit uns gemeinsam darum gerungen haben, daß die qualitativen Leistungen der Ingenieure und Architekten endlich ihre Anerkennung finden. Heute haben Sie sie hingegen diskriminiert, indem Sie aufgeführt haben, was sie in den letzten 20 bis 30 Jahren alles verbrochen hätten. Wir wollen kein Mißtrauen, sondern Vertrauen in diese Architekten und Ingenieure, die mit ihrem großen Fachwissen und ihrer großen Verantwortung auf diesem Gebiet doch hervorragend mit uns zusammengearbeitet haben und auch weiterhin zusammenarbeiten.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Sie haben großes Mißtrauen gegen Hersteller. Es ist für mich wirklich eine widerliche Diskriminierung, wie Sie mit Herstellern umgehen, die in den letzten Jahren Milliarden investiert haben, um Gebäudeschutz, Sanierung und Modernisierung innerhalb und außerhalb der Gebäude durchzuführen. Für diese Leistungen haben Sie kein einziges Wort der Anerkennung gefunden.
Wir setzen gegen dieses Mißtrauen das Vertrauen in die deutsche Wirtschaft, die auf diesem Gebiet ein weltweites Niveau erreicht hat. Das müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen, wenn Sie sich ein biß-



Grünbeck
chen umschauen. Wir bringen der deutschen Wirtschaft dieses Vertrauen entgegen, auch wenn es einige Ausrutscher gibt. Das muß man ja zugeben. Aber ich kann mich nicht an wenigen Ausrutschern orientieren und deshalb eine ganze Gruppe von Wirtschaftszweigen diskriminieren.

(Conradi [SPD]: Verharmloser!)

Wir wollen auch keinen Griff in die Staatskasse tun, um neue bürokratische Ebenen zu schaffen. Wir vertrauen darauf, daß diese Zusammenarbeit, wie sie der Kollege Zierer — sicher mit uns gemeinsam — anstrebt, Erfolg haben wird, und zwar nicht dadurch — insofern steckt in Ihren Ausführungen j a auch ein Widerspruch —, daß der eine dem anderen die Schuld zuweist.

(Zuruf von der SPD: Popanz!)

Vielmehr müssen wir erkennen, daß diese Entwicklung — wenn auch etwas spät — erkannt wurde. Wir müssen jetzt gemeinsam an die Arbeit gehen und die Schäden, die entstanden sind, jetzt einer Reparatur zuführen. Ich glaube, daß die Politik die Aufgabe hat, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen.
Damit lassen Sie mich zum Schluß kommen: Ich bin der Meinung, daß wir dem Berichtsauftrag, den die Bundesregierung mit dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen hat, zustimmen können. Allerdings hätte ich, Herr Staatssekretär, gern noch einen Satz hinzugefügt. Wir sollten auch eine Erfolgskontrolle über die getroffenen Maßnahmen beschließen. Das wäre notwendig; denn ich hätte schon gern gehört, zu welchem Erfolg oder zu welchem Mißerfolg die eine oder die andere Maßnahme geführt hat.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das steht ja drin!)

Die FDP-Fraktion nimmt dieses Problem sehr ernst.
Wir werden versuchen, mit der gebotenen Sorgfalt und unter Heranziehung aller technischen, chemischen und anderen Erkenntnisse aus der Bau- und Umwelttechnologie die wichtigen Ergebnisse umzusetzen. Ich zitiere den „Spiegel" ungern, aber heute tue ich das ausnahmsweise gerne.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Pfui!)

— Doch. — Im letzten „Spiegel" steht ein Artikel, der in mir die Anträge der GRÜNEN und der Roten wachgerufen hat. Darin steht: Die Absicht ist gut, aber der Schaden ist groß. Man kann manche Dinge in guter Absicht machen, aber dabei kann man das Ganze ins Umgekehrte verdrehen.
Ich denke dabei an Ihre Forderung nach Bürokratien. Wenn Sie glauben, daß Sie über neue bürokratische Ebenen dieses schwerwiegende Problem lösen können, sind Sie auf dem Holzweg. Da muß man die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Entwicklung sowie die Umsetzung mit allen Beteiligten aus der Wirtschaft und dem Bauherrenbereich anstreben. Das ist unser Ziel. Dabei werden wir die Bundesregierung unterstützen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012928100
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Jahn.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1012928200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die sichtbar gewordenen Schäden an Gebäuden, Kulturdenkmälern und Ingenieurbauwerken haben Größenordnungen erreicht, an die manche von uns früher nicht gedacht haben.

(Conradi [SPD]: So ist es!)

Herr Kollege Sauermilch, mit der Feststellung, ein Riß ist ein Riß, sind die Probleme natürlich nicht zu lösen.

(Sauermilch [GRÜNE]: Aber wichtige Probleme sind damit angesprochen!)

Die Conradi-Hymne kann den Wert — das sage ich in vollem Ernst — unserer Nationalhymne nicht schmälern. Ich finde es nicht gut, daß Sie das hier in die Debatte eingeführt haben. Wir sind „ARD" und „ZDF" dankbar, daß sie am Schluß ihrer Tagessendungen unsere Nationalhymne ausstrahlen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Vielleicht beantragt er die Internationale! — Conradi [SPD]: Und dafür geht der Kölner Dom dann kaputt!)

Führende Architekten, Herr Kollege Conradi, haben stets auch einen Sinn für die nationale Komponente einer Architektur gehabt.

(Conradi [SPD]: Die einen singen, und die anderen tun etwas!)

Herr Conradi, Sie versuchen, den Schwarzen Peter anderen zuzuschieben. Ich vermisse eigentlich den Beitrag, den der Architekt Conradi zur Bauschädenproblematik selbst zu leisten bereit ist.

(Conradi [SPD]: Das steht in unserem Antrag drin!)

Und Sie rufen: „Was tut der Bauminister?" Sie wissen es, und Sie haben letztlich nur eine rhetorische Frage gestellt. Sie haben gesagt: Der Bauminister soll auf den Putz hauen. — Herr Conradi, er tut mehr. Ich sage es jetzt auch einmal mit diesen Worten: Wir lassen die Wände nicht wackeln, wir ziehen die Wände hoch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Bundesregierung, Herr Kollege Conradi, hat sich bereits im Juni 1984, wie Sie wissen, mit dem Bericht über Schäden an Gebäuden und über Schäden an Bauwerken der Bundesverkehrswege befaßt. Aussagen zu Materialschäden an Gebäuden enthalten auch der 1984 erstellte Immissionsschutzbericht der Bundesregierung sowie der Bericht über Ursachen und Verhinderung von Wald-, Gewässer- und Bautenschäden durch Luftverschmutzung anläßlich der multilateralen Umweltkonferenz vom Juni 1984 in München.
Problembeschreibungen gibt es genug. Sie werden zu Recht sagen: Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, zu wissen, was zur Lösung der vielschichtigen Problematik geschieht. Dazu will ich Stellung nehmen.



Parl. Staatssekretär Dr. Jahn
Erstens. Ein wesentlicher Teil der Bauschäden wird durch Planungs- und Bauausführungsmängel verursacht. Bei vertragswidriger Auftragserfüllung sind innerhalb der Gewährleistungsfristen die Architekten und Ingenieure sowie Bauunternehmen und Baustoffhersteller nach geltendem Recht verpflichtet, diese Mängel zu beseitigen. Hierfür werden, Herr Kollege Conradi, jährlich ca. 1,2 Milliarden DM — nach Berechnungen des Jahres 1982 — ausgegeben. Das sind rund 0,6% des jährlichen Hochbauvolumens von rund 200 Milliarden DM. Es kann daher bei Anerkennung aller Problematik nicht von einem unsagbaren Bauschadenrisiko gesprochen werden, wobei ich das, was bleibt, nicht bagatellisieren möchte.
Zweitens. Die Schäden durch natürliche Verwitterung und Abnutzung sowie Schäden auf Grund zusätzlicher Schadstoffeinwirkungen, insbesondere durch Luftverunreinigung, werden durch Instandhaltungsmaßnahmen beseitigt, für die — und das möchte ich einmal vortragen dürfen — die Gebäudeeigentümer in der Bundesrepublik Deutschland jährlich insgesamt 36 Milliarden DM ausgeben. Wir rechnen damit, daß in den nächsten Jahren zur Gebäudeinstandhaltung jährlich noch weit höhere Beträge ausgegeben werden müssen, weil manche Bausubstanz renovierungs-, modernisierungsbedürftig ist.
Drittens. Das Umweltbundesamt hat eine Untersuchung immissionsbedingter Materialschäden in Auftrag gegeben, in der für das Jahr 1979 für die 2,4 Millionen Wohngebäude in den Belastungsgebieten die Kosten für zusätzliche und vorzeitige Instandhaltung an ausgewählten Außenbauteilen auf rund 1,5 Milliarden DM, einschließlich der Schäden an weiteren Bauteilen, auch technischen Einrichtungen, auf jährlich 3 bis 4 Milliarden DM geschätzt wurden.
Viertens. Besonders schwerwiegend — und das ist ein wichtiges Problem — sind die Probleme bei kulturhistorisch wertvollen Bauten, weil hier, wie allseits anerkannt ist, unwiederbringliche Werte verlorengehen. Das ist Auftrag und Verpflichtung zugleich für die Bundesregierung, aber auch für die, die für die Denkmalpflege zuständig sind, d. h. insbesondere für die Bundesländer. Die insgesamt erforderlichen Erhaltungs- und Renovierungskosten für Bau- und Kunstdenkmäler werden vom Umweltbundesamt auf jährlich rund 300 Millionen DM geschätzt.
Der Kölner Dom ist heute in die Debatte eingeführt worden. Wir haben als Ergebnis unserer Prüfung vorzutragen, daß dort bei durch die Luftverschmutzung hochgradig verstärkter Verwitterung mit einem Jahresetat von mindestens 300 Millionen DM zu rechnen ist. Das zeigt die Größenordnung der Problematik.
Leider fehlen uns auch heute noch geeignete, langzeiterprobte, chemische Festigungs- und Imprägnierungsverfahren für den Schutz der Natursteinarten.

(Conradi [SPD]: Das müssen Sie dem Schönfärber Grünbeck sagen!)

Fünftens. Das Bundesbauministerium hat — —

(Zuruf des Abg. Conradi [SPD])

— Herr Kollege Conradi, ich wäre schon dankbar für Ihre Aufmerksamkeit!

(Conradi [SPD]: Ich höre Ihnen zu, aber Sie müssen das dem schönfärberischen Herrn Grünbeck sagen!)

— Jeder hat das Recht, zuzuhören oder es nicht zu tun.
Das Bundesbauministerium hat eine umfassende und detaillierte Untersuchung aller größeren Schäden an Gebäuden des Bundes durchgeführt. Danach sind an Bundesgebäuden im zivilen Bereich, die in der Zeit von 1977 bis 1983 errichtet wurden, 109 größere Schäden mit einem Gesamtvolumen von rund 162 Millionen DM beseitigt worden.

(Dr. Möller [CDU/CSU]: Wer war damals Bauminister?)

— Diese Frage läßt sich zu Recht stellen. Ich trage hier vor, Herr Kollege Möller, daß es 162 Millionen für Baumaßnahmen, die in früherer Zeit erstellt worden sind, waren.
Sechstens. Die Schnelligkeit, mit der die Aufbauleistungen nach dem Kriege durchgeführt werden konnten, und der hohe Standard, den der Baubestand heute in der Bundesrepublik aufweist, sind der naturwissenschaftlichen und technischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte mit zu verdanken. Neue Bauverfahren und neue Baustoffe haben zur Rationalisierung des Bauvorgangs, zur Erleichterung der Arbeitsbedingungen und ganz entscheidend zur Verbesserung der Wohnqualität beigetragen. Die Bundesregierung verkennt jedoch nicht, daß die Entwicklung der Technik neben ihren Chancen auch problematische Folgewirkungen haben kann. Auf diese Herausforderungen haben sich Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik in gleicher Weise einzustellen.
Siebentes. Zur Verringerung von Bauschäden, insbesondere von immissionsbedingten Schäden, sind Maßnahmen auf nahezu allen Ebenen erforderlich, sicherlich auch mit staatlicher Unterstützung als Hilfe zur Selbsthilfe und auch im privaten Bereich. In diesem Problembereich hat der Bund zwar Zuständigkeiten, aber eben nur Teilzuständigkeiten der Gesetzgebung, der Mitfinanzierung oder der Aufsicht und Kontrolle. Daher können die Maßnahmen des Bundes nur einen — wenngleich wichtigen — Beitrag leisten; sie müssen durch Maßnahmen anderer Beteiligter und der Betroffenen ergänzt werden.
Achtens. Die Maßnahmen der Bundesregierung richten sich vor allem auf die folgenden Bereiche: zunächst auf die Umweltpolitik. Die bereits durchgeführten oder eingeleiteten Maßnahmen zur Verminderung der Verunreinigung der Luft werden wesentlich zur Reduzierung schadstoffbedingter Gebäudeschäden beitragen. Durch die Anforderungen in der Großfeuerungsanlagen-Verordnung werden die Schwefeldioxidemissionen bedeutend verringert.



Parl. Staatssekretär Dr. Jahn
Die Umweltminister des Bundes und der Länder haben für große Feuerungsanlagen die in der Genehmigungspraxis zu beachtenden Grenzwerte für Stickoxide verschärft.
Die Änderungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes und Teil 3 der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft werden Sanierungsmaßnahmen an Altanlagen bewirken.
Zur Einführung des umweltfreundlichen Autos hat die Bundesregierung einen Durchbruch erzielt;

(Lachen bei der SPD)

ich verweise auf die Debatte am heutigen Vormittag.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich nenne die Bau- und Städtebaupolitik. Bundesbauminister Dr. Schneider setzt sich — das wissen Sie, Herr Kollege Conradi — seit längerem für verbesserte Aus- und Fortbildung in den Bauberufen, für die konsequente Anwendung des Haftungsrechts, für die Überprüfung der Gewährleistungsregelungen und für eine umfassende Aufklärung der Bauschaffenden und der Gebäudeeigentümer über Bauschadensverhütung und Instandhaltungsverpflichtungen ein.
Die Baugesetzgebung enthält umfangreiche Sicherungen, die Bauschäden verhindern sollen.
Im Bereich der technischen Regeln wurden, soweit erforderlich, die Anforderungen verschärft. Bei der von der Bundesregierung und den zuständigen Ressorts der Länder eingeleiteten Überprüfung der rechtlichen und technischen Vorschriften und Regeln im Baubereich werden auch die Schadstoffeinwirkungen auf die Bausubstanz berücksichtigt.
Meine Damen und Herren, mit den Bundesfinanzhilfen an die Länder für die Städtebauförderung werden auch Maßnahmen zur Erhaltung alter Bausubstanzen und zur Umweltverbesserung in den Stadtsanierungsgebieten gefördert.
Meine Damen und Herren von der Opposition, die Bundesregierung nimmt für sich in Anspruch, daß sie auf dem Gebiete der Städtebauförderung von 1982 bis 1985 die Mittel im Haushalt um 50 %, nämlich von 220 Millionen auf 330 Millionen DM, erhöht hat.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Möller [CDU/CSU]: Das ist eine große Leistung!)

Diese Städtebauförderungsmittel bewirken ein Investitionsvolumen, das Sie mit zehn multiplizieren können, weil zu der einen Milliarde öffentlicher Mittel von Bund, Ländern und Gemeinden private Initiative zwei Milliarden hinzulegt. Und das ist echte Hilfe zur Selbsthilfe, dient dem Mittelstand und insbesondere auch — dem heutigen Anliegen — der Beseitigung der Schäden an unseren Gebäuden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auch — darauf hat der Kollege Grünbeck bereits hingeweisen — bleibt es bei der Vorschrift der §§ 82 g und 82 i der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung, und zwar über den 31. Dezember 1986 hinaus.
Meine Damen und Herren. ich nenne weiter die Forschungspolitik. Zur Verbesserung der Informationsgrundlagen über Gebäudeschäden sowie zur Überprüfung der Schadensvermeidung und Schadenssanierung hat die Bundesregierung ihre Forschungsbemühungen konzentriert. Die seit Jahren geförderte Bauschadensforschung des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hat dazu beigetragen, daß die Ursachen der Gebäudeschäden verstärkt aufgeklärt worden sind. Offene Fragen bestehen noch hinsichtlich geeigneter Verfahren zur Sanierung von Schäden, der vorbeugenden Instandhaltung und des Langzeitverhaltens von Baustoffen.
Der Bundesminister für Verkehr erforscht seit langem die speziellen Probleme im Zusammenhang mit Schäden an Straßen und Brückenbauwerken.
Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat in seinem Forschungsprogramm „Umweltforschung und Umwelttechnologie 1984 bis 1987" zur Frage der Dauerhaftigkeit und Substanzerhaltung von Bauwerken Forschungsprojekte mit einem Finanzvolumen von rund 15 Millionen DM in Auftrag gegeben. Diese Untersuchungen werden nunmehr — in Abstimmung mit dem Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz — auf Zerstörungsprozesse bei Naturwerkstoffen sowie Fragen der Gesteinskonservierung ausgedehnt.
Der Bundesminister des Innern wird in Kürze eine Bestandsaufnahme über abgeschlossene, laufende und beabsichtigte Forschungs- und Entwicklungsvorhaben im Bereich der Denkmäler, eine Literaturdokumentation zum gleichen Thema sowie ein Forschungskonzept zu Ursache und Wirkungen von Luftverunreinigungen auf Materialien vorlegen.
Frau Präsident, meine Damen und Herren, die Schäden an Gebäuden, Kulturdenkmälern und Ingenieurwerken bleiben eine ständige Verpflichtung für den Umweltschutz. Es gibt nicht nur Waldschäden, sondern auch Bauschäden. Die Bundesregierung verwirklicht unter sachgerechter Abwägung zwischen Ökologie und Ökonomie das Machbare.

(Sauermilch [GRÜNE]: Was?)

— Wer darüber hinausgehen will, Herr Kollege Sauermilch, wer das Unmögliche fordert, verhindert zugleich das Mögliche. Die Bundesregierung liefert nicht die Sargnägel für den Wald, Herr Kollege Sauermilch, oder, wie Sie sagten, die Sargnägel für den Denkmalschutz und den Umweltschutz. Vielmehr liefern wir — und das möchte ich mit meinem Wortbeitrag dargelegt haben — die Bausteine für einen modernen Umweltschutz.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012928300
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Für die Anträge der SPD auf Drucksache 10/3011 sowie der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache



Vizepräsident Frau Renger
10/3085 ist Überweisung an die Ausschüsse vorgesehen. Die zuständigen Ausschüsse entnehmen Sie aus der Tagesordnung. Ich bitte Sie, noch hinzuzufügen, daß auch der Haushaltsausschuß für beide Anträge mitberatend ist. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10a und 10 b auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft (19. Ausschuß)

zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufsbildungsbericht 1982
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zu den in der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 1. Oktober 1981 gestellten grundsätzlichen Fragen zur Berufsausbildung
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufsbildungsbericht 1983
zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Beratung des Berufsbildungsberichts 1983
zu dem Antrag des Abgeordneten Dr. Jansen und der Fraktion DIE GRÜNEN
Förderung von Ausbildungsplätzen
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufsbildungsbericht 1984
zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Beratung des Berufsbildungsberichts 1984
zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur Beratung des Berufsbildungsberichts 1984
— Drucksachen 9/1424, 9/1934, 10/334, 10/482, 10/892, 10/917, 10/1135, 10/1639, 10/1673, 10/2855 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Rossmanith Weisskirchen (Wiesloch)

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufsbildungsbericht 1985
— Drucksache 10/2974 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß
Zu Tagesordnungspunkt 10 b liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3090 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b sowie eine Aussprache von zwei Stunden vorgesehen. Ist das Haus auch damit einverstanden? — Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Berichterstattung wird nicht gewünscht. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Weisskirchen (Wiesloch).

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1012928400
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte heute über die Berufsbildung umfaßt den Zeitraum von 1981 bis 1985. Das ist ein Zeitraum, in dem viele, viele Zehntausende junger Menschen und insgesamt Millionen Mütter, Väter, Kinder, Jugendliche von Sorgen umgetrieben waren. Noch ist nicht abzusehen, wann endlich die Zahl der Ausbildungsplätze wieder deutlich über der Zahl der Ausbildungsplatzsuchenden liegen wird, damit jeder Jugendliche, der es will, einen Ausbildungsplatz bekommt und vielleicht sogar wieder eine kleine Wahlmöglichkeit hat.
Die vielen hundert Seiten bedruckten Papiers, die heute aus den letzten Jahren mit zur Debatte stehen, können nicht die menschlichen Katastrophen erfassen, die junge Menschen erfahren mußten, wenn auch das 15., das 20. oder gar das 30. Bewerbungsschreiben nicht zu einem Erfolg geführt hat.

(Beifall bei der SPD)

Wieviel Angst und Not waren damit in den letzten Jahren verbunden! Ein Licht ist am Ende dieses Tunnels nicht zu erkennen. Da helfen auch die Beschwörungsformeln der Bundesregierung im Berufsbildungsbericht 1985 überhaupt nichts.

(Beifall bei der SPD)

Junge Menschen, die ihre Leistungsfähigkeit in der Berufsbildung erproben und weiterentwickeln wollen, mußten in diesen Jahren erfahren, daß sie nicht gebraucht werden. Besonders auf der rechten Seite dieses Hauses, Herr Rossmanith, das jetzt so leer ist, wird immer davon gesprochen, daß sich Leistung wieder lohnen müsse. Aber hier handelt es sich um Zehntausende junger Menschen, die etwas leisten wollen. Nun geben Sie ihnen doch endlich eine Chance, aus ihrer Fähigkeit etwas zu machen!

(Beifall bei der SPD)

Damit könnten Sie im übrigen auch beweisen, ob die Sprüche, die Sie machen, der Wirklichkeit standhalten.
Seit Sie regieren

(Rossmanith [CDU/CSU]: ... gibt es einen Ausbildungsplatzrekord nach dem anderen!)

— Sie brauchen sich nur die Zahlen anzugucken —, wächst die Zahl der jungen Menschen, die etwas leisten wollen, aber daran gehindert werden, ihre Kraft und ihre Fähigkeiten auszudrücken. Die Zahlen sind klar, Herr Rossmanith. Noch im letzten Jahr unter Bundeskanzler Helmut Schmidt gab es
— das braucht man nur nachzulesen — statistisch mehr Ausbildungsplätze im Angebot, als Jugendli-



Weisskirchen (Wiesloch)

che Ausbildungsplätze suchten. 1981 hatten wir noch einen Überschuß von rund 138 000 Plätzen.

(Rossmanith [CDU/CSU]: Bei wieviel Be Werbern?)

1982 gab es immer noch einen Überschuß von 70 000 Plätzen. Das haben Sie seither in ein Ausbildungsplatzdefizit verwandelt. Das ist die Leistung, die Sie vollbracht haben.

(Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist ja lächerlich!)

Im letzten Jahr, 1984, ist überhaupt das schlechteste Ergebnis vorgelegt worden, seit die Statistik geführt wird.

(Rossmanith [CDU/CSU]: Wo leben Sie denn?!)

Zum Stichtag am 30. September 1984 waren 58 400 Jugendliche unvermittelt, standen also auf der Straße, hatten überhaupt nichts;

(Seesing [CDU/CSU]: Sagen Sie auch mal die Zahl der Vermittelten!)

und 36 104 Jungendliche, die einen Ausbildungswunsch hatten und ihn aufrechterhielten, konnten lediglich in eine Ersatzmaßnahme, in die sogenannten Warteschleifen, vermittelt werden. Das ist die Lage. Fast 100 000 Mädchen und Jungen fanden also auch nach der offiziellen Statistik der Bundesanstalt vor dem Eintritt in das Berufsleben nichts anderes als einen Zettel: „Geschlossene Gesellschaft".
Dabei haben wir es noch mit einer bereinigten Statistik zu tun, bei der, wie Sie selber wissen, die Prozeduren der Bereinigung sehr umstritten sind, weil beispielsweise der Ehrgeiz einiger Arbeitsamtsdirektoren, in dem Bezirk, für den sie verantwortlich sind, möglichst wenig Jugendliche ohne Ausbildungsplatz auszuweisen, keinen unerheblichen Einfluß darauf hat, wie die Zahl der Unvermittelten dort festgestellt wird. In der Tat, wir haben es mit einer hohen Dunkelziffer zu tun. Die Fachleute wissen das.
Einen Hinweis darauf gibt die jährlich sorgfältig durchgeführte Befragung, mit der in allen Schularten — das ist das wichtigste Kriterium — ja wohl die Quote derjenigen festgestellt wird, die in die berufliche Bildung übergehen. Danach hatten wir es im letzten Jahr mit 868 000 Jugendlichen zu tun, die einen Ausbildungsplatz im dualen System anstrebten. Die Arbeitsamtsstatistik — das können wir in Ihrem Bericht nachlesen — weist aber lediglich eine Zahl von 764 000 Jugendlichen als Nachfrager aus. Das bedeutet also, daß etwa 100 000 Jugendliche aus der Statistik schlicht verschwinden. Wenn Sie noch die Zahl von 705 000 im letzten Jahr abgeschlossenen Ausbildungsverträgen dazurechnen, dann müssen wir annehmen, daß rund 160 000 Jugendliche, die einen Ausbildungswunsch hatten und angemeldet haben, diesen Wunsch nicht erfüllt bekamen.
Über diese Zusammenhänge, die die wahre Dimension des Problems deutlich macht, täuscht der Berufsbildungsbericht, den Sie vorgelegt haben, aber auch schon die Berichte der Vorjahre, die Sie zu verantworten haben, einfach hinweg. Wenn Sie allerdings die Tatsache, daß fast 100 000 Jugendliche keinen Ausbildungsplatz bekommen haben — so viele sind es nach der Statistik, die die Bundesanstalt vorgelegt hat, mindestens — noch als einen — wie es so schön heißt — großen Erfolg der Politik der Bundesregierung feiern, dann nimmt Ihnen das kein junger Mensch draußen ab.

(Zustimmung bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

— Herr Ruf, auch in den Propagandabroschüren der CDU für den Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen wird immer noch von einem Lehrstellenrekord gesprochen. Tatsächlich hat diese Bundesregierung einen Rekord aufgestellt: Noch nie standen so viele Jugendliche ohne Ausbildung auf der Straße; noch nie war die Zahl der Jugendlichen, die nach der Ausbildung arbeitslos wurden, so hoch wie unter Ihrer Regierung. Wenn Sie die Statistik nachlesen, dann werden Sie feststellen, daß 1983 jeder zehnte Jugendliche nach erfolgreicher Ausbildung in die Arbeitslosigkeit entlassen wurde. Wenn Sie das nicht mehr aufregt, dann weiß ich nicht, wieso Sie sich um die Chancen der Jugendlichen in einem Ausschuß für Jugend noch kümmern, Herr Rossmanith.

(Kuhlwein [SPD]: Der kümmert sich ja nicht!)

Weil aber die absoluten Zahlen die offensichtliche Katastrophe beleuchten, versucht die Bundesregierung, die Öffentlichkeit mit statistischen Tricks hinters Licht zu führen. Sie finden nämlich im Berufsbildungsbericht keine absoluten Zahlen mehr; die Vermittlungsquoten werden vielmehr in Prozenten angegeben. Nach der Arbeitsamtsstatistik kommen Sie auf eine Vermittlungsquote von 92,4 % der Be- werber um einen Ausbildungsplatz. Hinter den fehlenden 7,6 % aber — das wissen wir doch — verbirgt sich das schlimme Schicksal von fast 60 000 Jugendlichen. Das will diese Regierung verschweigen, so daß man fast von einem betrügerischen Manöver sprechen müßte, wenn hier der Herr Dr. Geißler stünde.
Aber das Manöver wurde ja fortgeführt, indem die Bildungsministerin Frau Dr. Wilms verkündete, zum 31. Dezember letzten Jahres sei die Quote der „versorgten" Jugendlichen auf 95,2 % gestiegen. In den Wahlkampfprospekten für den 12. Mai heißt es sogar, es seien 97 %. Dem ist jedoch entgegenzuhalten: Sie tun so, als sei der Stichtag der jährlichen Berufsbildungsbilanz, der 30. September, zufällig. Er ist es, wie Sie wissen, nicht. Der Stichtag ist deshalb gewählt worden, weil das Ausbildungsjahr bis zum 30. September läuft. Deshalb wird mit gutem Grund am 30. September bilanziert. Da Ihnen ein Jahr mit zwölf Monaten offensichtlich nicht paßt, erfinden Sie für die Statistik ein Jahr mit 15 Monaten und sprechen davon, daß 21 000 der insgesamt nahezu 60 000 unvermittelten Jugendlichen nachvermittelt werden, damit die Zahlen geschönt werden. Aber dieser Trick verfängt nicht. Selbst wenn Sie die Zahl der nachvermittelten Jugendlichen oder die Zahl derjenigen, über die keine Angaben



Weisskirchen (Wiesloch)

vorliegen, Ihrer Bilanz positiv zurechnen würden, dann müßten Sie doch mindestens 20 000 bis 25 000 Jugendliche dagegenrechnen. Das sind diejenigen, die ihre Ausbildung aus vielfältigen Gründen in den ersten drei Monaten — also bis Ende des letzten Jahres — abbrachen oder abbrechen mußten. Diese Abbrecher, Herr Ruf, sind doch wieder neue Bewerber, so daß sich an der Gesamtzahl von fast 60 000 Jugendlichen auch nach der offiziellen Statistik nichts geändert hat. Frau Minister, Sie können beschönigen und rechnen, wie Sie wollen: Es bleibt dabei, daß das Jahr 1984, für das Sie die Verantwortung tragen, das schlechteste Jahr gewesen ist, seitdem in der Bundesrepublik Deutschland eine Berufsbildungsstatistik gilt.

(Beifall bei der SPD — Schemken [CDU/ CSU]: Herr Weisskirchen, Sie schimpfen ja richtig!)

Wir alle — das wollen wir nicht niedriger hängen
— sagen Dank dafür, daß es viele Ausbildungsbetriebe gegeben hat, die ihr Ausbildungsplatzangebot im letzten Jahr noch einmal erhöht haben. Dafür sagen wir Dank, fügen aber gleich hinzu, daß nur 50 % der Handwerker — und das wissen Sie doch selbst am besten, gerade Sie, die Sie die kleinen Gewerbetreibenden, so denke ich, vertreten — ausbilden, d. h.: die Hälfte nicht. Sie wissen doch auch, daß nur 25 % der Industriebetriebe ausbilden, d. h. 75 % der Industriebetriebe bilden nicht aus. Wir sagen denen, die zusätzlich ausbilden, zwar Dank, aber wir sagen auch: Dieses Problem muß gelöst werden, diese Regierung muß das Problem lösen. Denn Sie — der Herr Bundeskanzler — haben versprochen: Für jeden Jugendlichen ist eine Lehrstelle da. Das war Ihr Versprechen zu Beginn Ihrer Regierung. 100 000 Jugendliche klagen das, was Sie versprochen haben, jetzt ein.

(Zuruf des Abg. Rossmanith [CDU/CSU])

— Wahrscheinlich haben Sie vergessen, was Sie alles versprochen haben, Herr Rossmanith. Lesen Sie das nach!

(Ruf [CDU/CSU]: Das ist Ihre Mathematik, die stimmt nicht!)

Unsere Befürchtung ist, daß wir im September dieses Jahres 1985, damit rechnen müssen, daß die Zahlen ähnlich erschreckend sind wie im September 1984. Wenn Sie sich die laufende Berufsberatungsstatistik ansehen, dann werden Sie feststellen, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch immer eine Lücke zwischen Angebot und Nachfrage von 150 000 Plätzen klafft, die bis zum 30. September zusätzlich angeboten werden müßten.
Wir danken denen ich sage es noch einmal —, die zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen haben, und fordern sie auf, nicht nachzulassen in dem Bemühen, auch in diesem Jahr zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Denn wer die Ausbildungsbereitschaft stärkt, sorgt sich nicht nur darum, wie die persönliche Zukunft unserer Kinder aussieht, sondern er investiert auch in das Können und in die Fähigkeiten unserer Bevölkerung. Es hat also nicht nur etwas mit der persönlichen Zukunft junger Menschen zu tun, sondern es hat auch volkswirtschaftliche Gründe — ich glaube, das sollten wir sehr viel deutlicher herausarbeiten als in der Vergangenheit —, warum wir in die Bildung mehr investieren müssen. Denn wir können — das wissen wir — im internationalen Konkurrenzkampf künftig nur bestehen, wenn wir den einzigen Rohstoff, über den wir wirklich verfügen, weiterentwickeln. Denn wir wissen doch: Unsere Zukunft wird künftig noch weit mehr als bisher auf Wissen, auf Elektronik beruhen.
Wer aber die Probleme unserer Zeit lösen, wer Arbeitslosigkeit und Umweltgefährdung bekämpfen will, muß einen Umbau der Industriegesellschaft hin zu energie- und rohstoffschonenden, energie- und rohstoffsparenden Produkten und Verfahren einleiten. Und in der Berufsbildung und in der Bildungspolitik dürfen wir nicht den Teufel der sogenannten Überqualifikation an die Wand malen
— das haben Sie jahrelang gemacht, weil es uns treffen sollte —, nein, wir brauchen die Erkenntnis, daß unzureichende Ausbildungsleistungen, unvollkommene Weiterbildungschancen zu einem ernsten Hindernis für die Entwicklung neuer Beschäftigungs- und qualitativer Wachstumsfelder zu werden drohen. Das, was wir also deswegen brauchen, sind die Mobilisierung aller Bildungschancen und
— damit verbunden — eine Qualifizierungsoffensive.
Und was haben Sie getan, seitdem Sie regieren? Haben Sie etwa eine solche Politik betrieben? Nein! Sie haben vielmehr die Ausbildungsförderung ausgeholzt und damit Tausende und Zehntausende junger Menschen zusätzlich auf den Ausbildungsmarkt gedrängt. Das ist das, was Sie getan haben. Weiter haben Sie den Schutz der Arbeitskraft von Jugendlichen demontiert. Im übrigen: Fragen Sie doch mal die Bäcker, was jetzt geschehen ist, nachdem der Jugendarbeitsschutz gelockert worden ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, fragen Sie doch mal!)

Schauen Sie doch mal die Statistik Ihres Berufsbildungsberichts an! Seit dem letzten Jahr geht die Zahl der Bäckerlehrlinge nämlich zurück. Das ist der schlagende Beweis, daß Sie nur mit Ideologie und nicht mit den Fakten an die Berufsbildung herangegangen sind.

(Zuruf von der CDU/CSU: Unter Ihrer Regierungsmehrheit würden keine Brötchen gebacken werden!)

Wenn Sie weiterhin so verantwortungslos mit der brachliegenden Kreativität von Hunderttausenden junger Menschen umgehen, die darauf warten, daß
— und das meine ich ernst — das Versprechen unseres Grundgesetzes auf die soziale Demokratie
— und das heißt, einen Ausbildungsplatz zu finden
— Realität wird, wenn Sie nicht endlich die Folgerungen, die auch das Bundesverfassungsgericht daraus für die berufliche Bildung gezogen hat, in die Tat umsetzen, wird Sie die volle Wucht der von Ihnen Enttäuschten treffen. Sie werden sich noch wundern.
Das Ergebnis Ihrer Politik ist auch in anderer Hinsicht verheerend. Immer mehr Menschen — ich



Weisskirchen (Wiesloch)

bitte Sie, aufmerksam zu beobachten, was da vor sich geht — werden in Ausbildungsgänge gedrängt, die kaum noch Zukunftschancen haben. Beispielsweise hat die Zahl der Fleischerlehrlinge gegenüber 1976 um 54,6 % zugenommen, die Zahl der vorhin erwähnten Bäckerlehrlinge um 89,1 %. Die Folge ist aber die immer mehr wachsende Gefahr, daß diese jungen Leute nach der Ausbildung in die Arbeitslosigkeit entlassen werden. Das ist das Problem.

(Werner [CDU/CSU]: Haben die nun zugenommen oder abgenommen?)

— Die Lehrlinge haben zugenommen. Das Problem, das dabei auftaucht, ist, daß sie nicht übernommen werden und daß sie keine Arbeitsplatzchance bekommen. Das ist das Problem.

(Zuruf der CDU/CSU: Das wollen Sie mit staatlichen Programmen verhindern?)

Im übrigen wird das Problem noch sehr viel gefährlicher weil früher gelten konnte, daß diese jungen Menschen nach der Ausbildung wenigstens in die Chance der ungelernten und angelernten und später in die Facharbeiterschaft hinweinwachsen konnten. Das allerdings gilt gegenwärtig nicht mehr, nachdem der Arbeitsmarkt sehr viel enger geworden ist.
Dahinter verbirgt sich ein anderes Problem, nämlich der Abstieg vom Facharbeiter im Handwerk oder vom Gesellen im Handwerk zum Hilfsarbeiter mit geringem Qualifikationsniveau und hohem Arbeitsplatzrisiko, gleichzeitig bei schlechter Bezahlung. Läßt dieser Prozeß der Dequalifikation Sie eigentlich kalt? Haben Sie denn überhaupt kein Empfinden mehr, was hinter diesem Abstiegsprozeß von ausgebildeten Fachleuten, die nachher in der Arbeitslosigkeit landen, steht, läßt dieser schreckliche Prozeß, der sich in der Person abspielt, weil man sich ausgestoßen fühlt, Sie eigentlich kalt? Das verstehe ich nicht.
Jedenfalls dürfen wir die Augen nicht davor verschließen, daß die Expansion der betrieblichen Ausbildung in Teilen des Handwerks mehr und mehr auch diese Schattenseite zeigt, nämlich daß die Ausweitung dort stattfindet, wenigstens in Teilbereichen, wo die Transferqualifikation, d. h. die Möglichkeit, Ausbildungsinhalte auf andere Berufe zu übertragen, besteht, daß Sie in solchen Bereichen die Ausbildung expandiert haben und daß es damit allerdings keine Chance gibt, später im eigenen Beruf etwas damit anfangen zu können.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch gar nicht!)

Einen Schlußpunkt möchte ich setzen. Für mich ist das Schlimmste, daß das, was wir noch in den 60er Jahren haben lernen müssen, das Leitbild der Frau, die katholisch ist, oder des jungen Mädchens, das katholisch ist, die auf dem Land leben und aus dem Arbeiterhaushalt kommen, die Leitfigur für ein Vorenthalten des Bildungsrechts war. Heute ist es so, daß wiederum die Mädchen auch mit mittlerer und höherer Qualifikation in den Statistiken die sind, die am schlechtesten abschneiden. 65 % all derer, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, sind Mädchen. In den „Warteschleifen" sind 72 Wo Mädchen. Soll denn jetzt die Parole gelten, daß es, wenn schon die Jungen Probleme haben, und es ihnen schlecht geht, den Mädchen noch schlechter gehen soll? Das wäre das Ende der Bemühungen um Chancengleichheit. Das werden wir verhindern.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012928500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Nelle.

Engelbert Nelle (CDU):
Rede ID: ID1012928600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Weisskirchen, ich habe mal eine Rede von Ihnen im Hohen Hause aus dem Januar 1984 nachgelesen. Im Grundsatz haben Sie damals ein solches Ritual, das Sie hier wiederum aufgeführt haben, selbst beklagt und die Frage gestellt: „Was hilft es eigentlich einem einzigen Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz, wenn wir hier nur alles verdammen und verteufeln, was es überhaupt nur zu verteufeln gibt?" Sie haben sich jetzt hier selbst widersprochen. Sie haben weiter gemacht, so, wie Sie das draußen tun und wie Sie das hier in Aktuellen Stunden getan haben. Sie haben weiterhin hier so getan, als gäbe es eine Lehrstellenkatastrophe.
Wir alle sprechen heute hier über den Berufsbildungsbericht 1985; er ist aktuell. Ich halte dagegen, Herr Weisskirchen, wir können von einem Spitzenergebnis sprechen, auch wenn Sie dies ablehnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie kommen um diese Zahlen nicht herum; denn wir haben einfach eine solche Spitze erreicht: bereits in 1983 mit über 676 000 Ausbildungsverträgen, wir haben in 1984 nochmals draufgesattelt — wahrscheinlich hätte ich eine Wette verloren, daß wir das nicht erreichen würden — und haben zum Stichtag
30. September über 705 000 erreicht. Daran läßt sich nichts deuteln, das sind Fakten, und Sie haben dem ja auch nicht widersprochen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012928700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vogelsang?

(Nelle [CDU/CSU]: Nein, ich habe nur zehn Minuten Redezeit!)

— Es wird Ihnen nicht angerechnet, wenn Sie es wollen.

Engelbert Nelle (CDU):
Rede ID: ID1012928800
Wir haben allerdings zum
31. Januar 1985 — und davon haben Sie nicht gesprochen, Herr Weisskirchen — vor dem Hintergrund der Zahlen 30. September „nur" noch 32 000 unvermittelte Bewerber; eine Zahl, die uns durchaus nachdenklich stimmt. Ich wollte Sie ursprünglich einladen, gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir in Zukunft solche Zahlen gemeinsam vermeiden können. Sie hätten einen solchen Antrag sicherlich schon im vorhinein ausgeschlagen.

(Widerspruch bei der SPD)




Nelle
Ich finde, man kann gar nicht deutlich genug sagen, daß wir mit diesem 31. Januar 1985 95,2 % aller Bewerber versorgt hatten. Dies ist einfach ein Spitzenergebnis; da können Sie sagen, was Sie wollen.
Steigerungsraten: in Industrie und Handel 7,1 in 1984; das Handwerk hat noch einmal 1,2 % draufgelegt; Landwirtschaft, öffentlicher Dienst, auch die Verwaltungen haben draufgelegt.

(Zurufe von der SPD: Das ist doch alles Theater, was Sie da sagen! — Müssen die alle versorgt werden!)

Die Hauswirtschaft hat 15,8 % draufgelegt, die freien Berufe 2,5 %. Damit Sie nicht ganz aus der Kiepe springen, lieber Herr Kuhlwein, will ich Ihnen sagen, wenn Sie das schon so herausfordern, auch zu Ihrer Regierungszeit gab es unversorgte junge Menschen, die einen Ausbildungsplatz suchten: 1976 27 700, 1981 22 140 und 1982 34 180.
Ich will mich an dieser Stelle einen Augenblick mit der Frage beschäftigen: Wie ist eigentlich dieses Spitzenergebnis, das Sie selbst nicht erwartet haben, sonst hätten Sie nicht von einer möglichen Bildungskatastrophe gesprochen, erzielt worden? Es ist dadurch erzielt worden, daß die CDU/CSU und auch die FDP ihr Wort gegenüber der ausbildenden Wirtschaft gehalten haben, Rahmenbedingungen zu verändern. Wir haben schlicht eine Vielzahl ausbildungsplatzhemmender Vorschriften und Gesetze verändert oder gar abgeschafft. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das Jugendschutzgesetz, das Berufsbildungsgesetz — gemeint ist die Ausbildereignungsverordnung —, an das Schwerbehindertengesetz, das Beschäftigungsförderungsgesetz, aber auch an das Arbeitszeitrecht und das Arbeitsstättenrecht.
Ich will aber auch an das erinnern, was der Bund getan hat. Herr Weisskirchen, ich muß Sie noch einmal ansprechen und zitiere wiederum aus einem Protokoll. Der Bund hat das Benachteiligtenprogramm aufgestockt,

(Zuruf von der SPD: Da haben wir ganz schön drängeln müssen!)

das Sie 1982 nur mit 67 Millionen DM versehen hatten — daraus resultierten 5 000 Ausbildungsplätze für benachteiligte Jugendliche: Sie haben — in einem Protokoll nachzulesen — hier in diesem Hohen Hause einmal gesagt, wir hätten nur eine leichte Anhebung vollbracht. Gut, wenn Sie das „leicht" nennen: 1985 haben wir aus den 69 Millionen DM 249 Millionen gemacht, dies für 18 500 Plätze! Ich nenne das eine Steigerung von 300 %.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Da können Sie sich nicht hierhin stellen und von einem betrügerischen Manöver sprechen, Herr Weisskirchen.
Auch die Länder haben ihren Anteil gebracht. Ich darf das mal auf mein eigenes Land Niedersachsen beziehen. Wir haben vor dem Hintergrund dieser Zahlen, die ich eben nannte, der nicht versorgten jungen Menschen z. B. in Niedersachsen 4 500 Ausbildungsplätze in Vollzeitschulen mit einem berufsqualifizierenden Abschluß vor Kammern geschaffen und dafür in den Haushalt Niedersachens im letzten Jahr 90 Millionen DM eingesetzt. Ich darf bei dieser Gelegenheit mal fragen, Herr Weisskirchen — ich versuche, mir das vorzustellen —: was wäre eigentlich passiert, wenn Sie die Regierungsverantwortung in diesem Hohen Hause behalten hätten? Ich bin ganz sicher, Sie hätten die ausbildende Wirtschaft mit immer mehr Gesetzgebung, mit immer mehr Reglementierung und immer mehr Bürokratie weiterhin verunsichert und hätten nicht geschafft, was wir heute geschafft haben. Dann könnten wir heute allerdings von Hunderttausenden und mehr Unversorgten sprechen.

(Kuhlwein [SPD]: Sie reden jetzt fast wie Herr Rossmanith!)

— Lieber Herr Kuhlwein, wenn Sie mich so herausfordern, dann will ich auch Ihnen hier vor allem ein Gesetz nennen, das ja hier schon ein bißchen untergegangen zu sein scheint, das aber damals von Ihnen gekommen ist. Herr Dohnanyi ist j a sicherlich kein Unbekannter; denn auf ihn gehen die sogenannten „Markierungspunkte zur beruflichen Bildung" im Jahre 1983 zurück.

(Kuhlwein [SPD]: Korrekt 1973!)

Wenn das Wirklichkeit geworden wäre, hätten Sie mit diesem Gesetz die Wirtschaft wirklich um ihre Autonomie gebracht. Finanzierungsmodelle bis hin zur Akkreditierung der Ausbildungsbetriebe waren Inhalt.

(Abg. Kastning [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Ich habe eben gesagt, ich habe nur knappe zehn Minuten.
Die voraussichtliche Entwicklung im nächsten Jahr oder in den nächsten Jahren: Der Berufsbildungsbericht 1985 weist dazu eine Zahl auf, die ähnlich hoch ist wie die von 1984. Wir erwarten auch im Jahre 1985 eine Zahl zwischen 745 000 und 765 000, obgleich feststeht, daß wir schon eine Senkung der Zahl aus dem Sekundarstufenbereich I von etwa 34 000 Jugendlichen haben werden. Aber wir bekommen noch einmal eine zusätzliche Zahl aus den Vollzeitschulen. Ich bin mir gewiß, auch die Abiturienten — konkrete Zahl 1984 83 000 Abiturienten, die nicht zum Studium gegangen sind, sondern auf das duale Ausbildungssystem zugekommen sind — werden, wie gesagt, diese Zahl von 745 000 bis 765 000 ausmachen.

(Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Sie treiben Sie doch in die Berufsbildung!)

Meine Damen und Herren, was können wir tun? Wir können erneut an die Wirtschaft appellieren, zu helfen und noch einmal draufzusatteln, weitere Ausbildungsstellen einzurichten.

(Zuruf von der SPD: Das kostet Sie ja nichts!)

Aber wir können, glaube ich, auch selbst Initiativen entwickeln. So meine ich, daß wir die Modelle, die gefahren sind, durchaus verfolgen sollten, etwa bei den Mädchen im technisch-gewerblichen Beruf. Ich will nur dieses Stichwort sagen. Ich meine, es



Nelle
liegt auch noch eine stille Reserve etwa in Ausbildungsberufen der Hauswirtschaft. Hier gibt es ja, wie gesagt, das steuerrechtliche Problem. Auch hier ist mein Land Niedersachsen im Bundesrat initiativ geworden

(Zuruf von der SPD)

und hat einen Antrag gestellt, bis zu 300 DM im Monat für Aufwendungen der Ausbildung absetzbar zu machen und dies auf fünf Jahre zu begrenzen. Man hat errechnet, man könnte damit 2 000 Ausbildungsstellen für Mädchen in einem Jahr schaffen.
Meine Damen und Herren, wir können nicht umhin, mindestens einen Satz auch zum qualitativen Problem zu sagen. Wir werden sicherlich Ende der 80er Jahre das quantitative Problem vor dem demographischen Hintergrund gelöst haben.

(Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Das hat Frau Wilms schon 1981 behauptet!)

Aber es wäre schlimm um uns bestellt, hätten wir dann ein neues Problem, nämlich das qualitative Problem, und müßten uns vorhalten lassen, wir hätten es dann, weil wir es heute erkannt haben, nicht angefaßt. Darum begrüße ich, daß in diesen Tagen nach sechsjähriger Verhandlungszeit endlich neue Ausbildungsordnungen im Metall- und Elektrobereich auf den Tisch kommen und demnächst auch verabschiedet werden.

(Kuhlwein [SPD]: Und Sie unterstützen uns dafür auch fürs Handwerk?)

Wir müssen unsere Ausbildungsordnungen an die betriebliche Wirklichkeit und Realität anpassen.
Lassen Sie mich zum Abschluß kommen. Ich bin sicher, daß wir in guter Zusammenarbeit mit der deutschen Wirtschaft, allerdings auch mit der öffentlichen Hand, mit der Verwaltung, mit den Kammern, den Gewerkschaften und den Arbeitgebern sowie der Arbeitsverwaltung und allen übrigen an der Berufsausbildung Beteiligten im Rahmen der dualen Ausbildung die schwierigen quantitativen und qualitativen Probleme der nächsten Jahre lösen werden, zugunsten der jungen Menschen in unserem Lande, denen wir eine positive Grundeinstellung vermitteln und Eigenschaften wie Leistung, Bereitschaft zum Risiko, Mobilität, Entscheidungsfreude und Verantwortungsbewußtsein wecken wollen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012928900
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schierholz.

Dr. Henning Schierholz (GRÜNE):
Rede ID: ID1012929000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Jugendliche — es sind leider nur noch sehr wenige da. Vielleicht erinnern Sie sich alle an jene großflächigen Anzeigen in den meisten überregionalen bundesdeutschen Tageszeitungen zum Jahresende, die da überschrieben waren: Danke, Deutschland. Eine von ihnen war zum Preis von rund 400 000 DM der Lehrstellenproblematik gewidmet. Sie versuchte der Bevölkerung das zu suggerieren, was jetzt auch der Berufsbildungsbericht 1985 in etwas erweiterter Form darzustellen versucht, nämlich das Märchen vom schwierigen, aber erfolgreichen Ausbildungsjahr 1984.
Ich frage mich: Was mögen eigentlich die Zehntausende von jungen Leuten dabei gedacht haben, die im Sommer 1984 keinen Ausbildungsplatz erhalten haben, was diejenigen, die nach der Ausbildung arbeitslos geworden sind, oder diejenigen, die statt des erhofften Ausbildungsplatzes notdürftig in einer der zahlreichen Überbrückungsmaßnahmen unterkamen? Danke, Deutschland? Wenn, dann könnte das nur eine ihrer Antworten im Sinne von „Leck mich am ..." — Sie wissen schon — gewesen sein.
Gemeint haben sie damit aber eine Bundesregierung, die unseres Erachtens seit Jahren die Ausbildungs- und Berufsnot der jungen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland in geradezu grandioser Weise verniedlicht, notwendige Strukturreformen nicht in Angriff nimmt und die vorhandenen Probleme mit einer Mischung aus Untätigkeit und schönen Worten anzugehen versucht.
Ich will mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie vor mir geredet haben, gar nicht mit Ihnen um Zahlen streiten. Denn mit der Methode der Regierung die Statistik anzuwenden traue ich hier jedem zu, alles beweisen zu können, was auch immer Sie wollen. Fest steht aber doch — das nicht zu erwähnen, betrachte ich als ein eklatantes Versagen der Regierung —, daß sich — erstens — Tausende von jungen Leuten angesichts der drückenden Probleme auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt nicht mehr bei den Arbeitsämtern registrieren lassen, daß — zweitens — immer mehr junge Leute nicht diejenige Berufsausbildung bekommen, die sie sich von ihrer Ausgangsqualifikation her wünschen können — und auch ohne weiteres absolvieren könnten —, daß — drittens — Zehntausende von Jugendlichen — 1984 waren es knapp 90 000 — nach der Berufsausbildung arbeitslos wurden, daß — viertens — die Qualität des Ausbildungsplatzangebotes offensichtlich in dem Moment nicht gerade steigt, um das ganz vorsichtig auszudrücken, wo teilweise mit einem fragwürdigen Prämiensystem Ausbildungsplätze mühsam zusammengesucht werden, und — fünftens — 1985 uns wiederum ein neuer Rekord der Nachfrage nach Ausbildungsplätzen ins Haus steht und mit Ausnahme — das geben wir gerne zu — des drastisch aufgestockten Benachteiligtenprogramms, das wir aber nur als einen Tropfen auf den heißen Stein betrachten können, keinerlei konstruktive Lösungsansätze geboten werden.
Wir GRÜNEN im Bundestag, Frau Wilms, halten den Berufsbildungsbericht 1985 für ein politisches Armutszeugnis. Wenn es den Ausbildungsberuf des Schönfärbers/der Schönfärberin gäbe, würden wir Ihnen hiermit den Ehrengesellinnenbrief in diesem Gewerbe zuerkennen.

(Eigen [CDU/CSU]: Aber gleich einen Ehrenbrief dabei!)




Dr. Schierholz
Ich will Ihnen das an einem konkreten Beispiel, nämlich der Situation der Mädchen und jungen Frauen, der der Bericht ja nicht einmal eine halbe Seite widmet, ausführen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Früher hätte man mit solchen Reden direkt den Entlassungsbrief gekriegt!)

Zirka 366 000 Mädchen haben sich im Ausbildungsjahr 1983/84 bei der Berufsberatung als Bewerberin um einen Ausbildungsplatz gemeldet. Davon blieben mehr als 10 %, nämlich fast 38 000 Mädchen — wohlgemerkt, nach Ihrer Statistik —, ohne Ausbildungsvertrag, nahezu alle mit mindestens dem Hauptschulabschluß und sogar mehr als 21 000 mit mittlerer Reife und Abitur. 25 000 Mädchen und junge Frauen wurden auf die sogenannten Warteschleifen verwiesen. Zehntausende mußten mit einem teilqualifizierenden Berufsausbildungsgang vorliebnehmen, also vor allem BGJ, Berufsfachschulen oder eben Benachteiligtenprogramm.
Mehr als 120 000 junge Mädchen gehen — oder sie wurden gegangen — in die traditionellen Frauenberufe, nach deren Abschluß im Jahre 1983 nach Ihrer Auskunft, Frau Minister, auf unsere Kleine Anfrage 11,1 % der Verkäuferinnen, fast 22 % der Friseurinnen, 13 % der Sprechstundenhelferinnen und 21% der Gärtnerinnen von der Lehre in die Arbeitslosigkeit entlassen wurden.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Das kann doch nicht erfolgreiche Berufsbildungspolitik genannt werden.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und der SPD)

Die Bundesregierung verweist nun als Antwort auf diese Misere auf Sonderprogramme, speziell auf das Benachteiligtenprogramm; doch sie berücksichtigt dabei überhaupt nicht, daß Frauen eben durch Ihre letztlich frauenfeindliche Berufsbildungspolitik benachteiligt werden, die den Unternehmern den Zugriff auf die Auszubildenden nach betriebswirtschaftlichen Kriterien überläßt, die die geschlechtsspezifischen Unterschiede durch den Markt regeln will und damit dokumentiert, daß sie die Ursachen der Frauenerwerbslosigkeit überhaupt nicht begriffen hat.
Die einzigen konkreten Vorstellungen zur Verbesserung der Situation der Mädchen und jungen Frauen in der Berufsausbildung — wiederum ein Zitat aus der Antwort auf unsere Kleine Anfrage — sind zwei Fachtagungen und ein Forschungsauftrag, die untersuchen sollen, wie die Motivation der Betriebe gestärkt werden kann. Ist das Ihr Ernst?

(Neuhausen [FDP]: Natürlich! Das ist auch sehr sinnvoll!)

Wenn Herr Geißler den Berufsbildungsbericht 1985 vor dem CDU-Parteitag in Essen gelesen hätte, hätte er sich vermutlich in Grund und Boden geschämt.

(Frau Odendahl [SPD]: Nein, der nicht! — Zuruf von der SPD: Der schämt sich nie!)

Angesichts der sich ständig verschlechternden und verschärfenden Situation von jungen Leuten bei den Ausbildungsstellen und am Arbeitsmarkt brauchen wir unseres Erachtens eine Strukturreform der beruflichen Bildung.
Wir GRÜNEN wollen erstens ein Bildungssystem, das auf sinnvolle, befriedigende, nützliche und umweltschonende Arbeit vorbereitet und hinführt

(Eigen [CDU/CSU]: Auf welche denn?)

und gleichzeitig die vielfältigen Anlagen und Interessen der Jugendlichen berücksichtigt.

(Eigen [CDU/CSU]: Nun mal los! Auf geht's! Auf welche denn?)

Zweitens wollen wir eine zukunftsorientierte und qualifizierte Berufsausbildung für alle Jugendlichen, die mit einer breiten beruflichen Grundbildung beginnt und sowohl berufliche Flexibilität vermittelt als auch hinterher möglichst in mehreren beruflichen Tätigkeitsfeldern verwertbar ist.

(Eigen [CDU/CSU]: Das hört sich prima an!)

Wir unterstützen dort alle Experimente, die in außerbetrieblichen Ausbildungsstätten, die in alternativen Projekten zur Zeit durchgeführt werden.
Drittens sollte Berufsausbildung — und das ist sehr wichtig — endlich als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen werden. Dies bedeutet, Berufsausbildung endlich konjunkturunabhängig und insbesondere unabhängig von den verschleiernden Aufschwungsparolen der Regierung zu begreifen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Viertens fordern wir eine überbetriebliche Finanzierungslösung für die Berufsausbildung, die die Trittbrettfahrer — ich zitiere hier den Bundesarbeitsminister Blüm; der hat von den Trittbrettfahrern in der Berufsausbildung gesprochen — finanziell in die Pflicht nimmt diejenigen, die selbst nur von Ausbildung profitieren ohne selbst etwas dafür zu tun. Dies bedeutet zugleich die Einführung einer Ausbildungsabgabe für jeden Betrieb ab einer bestimmten Größe.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nun haben sich die Sozialdemokraten — das will ich der linken Seite des Hauses sagen — in der Frage der Finanzierung der Berufsausbildung auch nicht mit Ruhm bekleckert. Nicht wahr, Herr Vogelsang? Ich denke an die IG Metall und an die Positionen, die Sie in letzter Zeit vertreten haben. Am Montag hat in Bremen eine Abstimmung stattgefunden. Was haben die Sozialdemokraten zur Frage der Finanzierung gemacht? Sie haben sich der Stimme enthalten. Nach meinem Eindruck ist die SPD immer nur dann für eine überbetriebliche Finanzierung, wenn sie sie nichts kostet.

(Eigen [CDU/CSU]: Jawohl! Das ist richtig! Das war das erste wahre Wort, das Sie heute gesagt haben!)

Berufsbildungspolitische Forderungen, meine Herren Kollegen auf der Linken, haben bei Ihnen offen-



Dr. Schierholz
sichtlich nur dort Hochkonjunktur, wo Sie in der Opposition sind.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf des Abg. Eigen [CDU/CSU])

— Herr Eigen, Sie kommen jetzt auch noch dran.
Es gibt meines Erachtens durchaus Denkansätze, Herr Eigen, die bei Ihnen, in der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft und anderswo, einmal vorgetragen worden sind

(Zurufe von der CDU/CSU: Der Eigen ist Bauer!)

— aber er kommt aus der Nähe —, die alle mit dem Ort Kiel verbunden sind.

(Eigen [CDU/CSU]: Sehr schön!)

Herr Neuhausen, stehen Sie eigentlich noch zu Ihren berufsbildungspolitischen Forderungen von 1981, oder darf man die FDP in Anlehnung an von der CDU Ihnen gegenüber gebrauchte Formulierungen heute getrost als Wurmfortsatz einiger Großunternehmen bezeichnen?

(Neuhausen [FDP]: Das glauben Sie ja selber nicht!)

Wir fragen Herrn Blüm und die Sozialausschüsse der CDU: Was sind Ihnen Ihre Kieler Beschlüsse zur Berufsbildungspolitik eigentlich noch wert, in denen immerhin noch die Forderung nach einer Reform der beruflichen Bildung vorkommt? Oder sind dies, meine Herren und Damen von den Sozialausschüssen, wie in anderen Feldern Alibibeschlüsse, die als Beruhigungspille für Ihre Arbeitnehmerwählerinnen und -funktionäre fungieren?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Doch zurück zur Bundesregierung! Ihre Jugend-und Berufsbildungspolitik ist unseres Erachtens ein Torso. Schon im Wahlkampf hatten Sie lediglich die besseren Versprechungen, nicht die bessere Politik. Zehntausende von Jugendlichen werden von Ihnen vertröstet. Ihnen wird das Gefühl vermittelt
— ich teile hier die Meinung von Herrn Weisskirchen —: „Ihr werdet nicht mehr gebraucht." Wir können alle Jugendlichen nur auffordern, ihr Recht auf eine qualifizierte Berufsausbildung und einen qualifizierten Arbeitsplatz massiv selbst geltend zu machen. Wir bitten die Interessenvertretungen der jungen Menschen, die Kreis- und Landesjugendringe, den Bundesjugendring, allen, den Verantwortlichen in der Politik, in Wirtschaft und Gewerkschaften, auf die Pelle zu rücken. Sonst passiert nichts!
Wenn kurzfristig die Kapazitäten bei vollzeitschulischen Berufsbildungsmaßnahmen mit vollqualifizierenden Abschlüssen erhöht würden, wenn leerstehende Betriebe zu außerbetrieblichen Ausbildungsstätten ausgebaut und unkonventionelle Modelle der Selbsthilfe in der Berufsausbildung auch mit offensiver Unterstützung der Arbeitsverwaltung gefördert würden, so hielten wir dies für einen dringend notwendigen und überfälligen ersten Schritt, hier wirksam etwas zu tun. Dazu ist die
Bundesregierung aber offensichtlich weder fähig noch willens.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012929100
Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.

(Rossmanith [CDU/CSU]: Beifall von zwei Abgeordneten der GRÜNEN! — Frau Nikkels [GRÜNE]: Vier, bitte schön! — Rossmanith [CDU/CSU]: Aber nur zwei haben geklatscht!)


Friedrich Neuhausen (FDP):
Rede ID: ID1012929200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde politisch-rhetorische Rundumschläge wirklich gut. Das sage ich ganz unironisch. Sie beleben auch die Argumentation und das Nachdenken. Aber sie haben natürlich einen Nachteil, nämlich den, daß damit keinem der jungen Leute, von denen konkret die Rede war, Herr Weisskirchen, individuell geholfen wird.

(Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Sprüche!)

— Wissen Sie, was „Sprüche" sind, kann man sich gegenseitig hin und her geben. Das gilt leider auch für manches von dem, was Sie sagen. Ich will es jedoch nicht so bezeichnen, wie Sie das bezeichnet haben, was ich sage.
Meine Damen und Herren, es kommt hier im Grunde auf drei Punkte an. Ich will mich wirklich nicht in Leidenschaftlichkeit hineinsteigern, die ebenfalls niemandem hilft. Die drei Punkte sind: erstens die Entwicklung der Ausbildungsplatzsituation 1984, die sich im Berufsbildungsbericht als Bilanz niederschlägt. Man kann die Entwicklung, die über den 30. September und über das Jahresende hinausging, nicht einfach vernachlässigen. Man sollte sie nicht zur Verharmlosung heranziehen; aber vernachlässigen darf man sie auch nicht.

(Kuhlwein [SPD]: Das Weltkind in der Mitten!)

Es geht zweitens um die Prognose für 1985 und die folgenden Jahre. — Natürlich, Herr Kuhlwein! Was bleibt mir denn anderes übrig?

(Zuruf des Abg. Kuhlwein [SPD])

Drittens geht es — Herr Nelle hat es schon angedeutet — um die immer deutlicher werdende Verbindung von quantitativen und qualitativen Fragen. Das alles ist mir eigentlich zu ernst, um es in ein rhetorisches Ping-Pong-Spiel einzubringen; denn diese Veränderungen, die auch zu qualitativen Neuüberlegungen führen, kommen j a aus sehr dynamischen Veränderungen der Berufs- und Arbeitswelt, und sie kommen auch aus dem veränderten Bildungsverhalten der jungen Leute, aus welchen Gründen auch immer sie ihr Verhalten verändern.
Gerade die Reihenfolge unserer Vorlagen von 1982 an, Herr Weisskirchen, macht ja auch eine leidvolle gemeinsame Geschichte deutlich. Wenn ich so manches höre, was mit leichter Hand über Abgaben und ähnliches gesagt wird, erinnere ich mich an Abstimmungen damals in unseren Fraktionen. Ich will das nicht vertiefen.



Neuhausen
Aber es zeigt auch, daß es eigentlich seit 1976 in jedem Jahr eine solche öffentliche Debatte gegeben hat, die an Brisanz zugenommen hat. Ich sehe doch die Gefahr, daß wir, so wie das läuft — ich sage das nicht, um mich als Weltkind in der Mitten zu profilieren, sondern weil ich das wirklich meine —, in Rituale hineinkommen. Ich meine damit gar nicht das, was Herr Weisskirchen an Leidenschaft hereinbringt. Ich meine nur, wir bombardieren uns ständig mit denselben Argumenten, nur die Zahlen verändern sich von Jahr zu Jahr.

(Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Ich möchte doch gerne überzeugen!)

Es gibt sehr unterschiedliche Standpunkte. Aber in einem könnte man doch einen wenn auch vielleicht etwas vordergründigen Konsens finden, daß nämlich der Berufsbildungsbericht ein sehr nützliches Instrument ist. Man kann ihn ja inhaltlich kritisieren. Aber daß er da ist, bedeutet, daß er immer wieder die Diskussion anstößt, daß er immer wieder neue Überlegungen anregt. Schon dadurch wirkt er auf alle in der Berufsbildung Beteiligten ein und trägt so indirekt zu den Anstrengungen bei, nun wirklich alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um den jungen Leuten durch die schwierige Zeit der geburtenstarken Jahrgänge zu helfen.
Dabei ergeben sich viele Wiederholungen in Fragestellung und Stellungnahme. Darauf will ich nicht eingehen. Aber gerade in diesem Jahr hat das Ganze eine besondere Brisanz, weil wir ja doch das Internationale Jahr der Jugend begehen. Die nationale Kommission der Bundesrepublik Deutschland für dieses Internationale Jahr sagt: „Die Fähigkeit und Bereitschaft Jugendlicher, die Entwicklung unserer Gesellschaft mitzugestalten, hängt wesentlich von ihren Chancen in Schule, Ausbildung und Arbeitsleben ab. Daher muß es das Ziel sein, Bildung, Berufsausbildung und Arbeit für alle durchzusetzen." Wir wissen alle, daß das sehr große Worte sind. Wir wissen alle, wie wir die Schwierigkeiten der konkreten Situation einzuschätzen haben. Wenn das manchmal auch ein bißchen deklamatorisch klingt, ist es doch der eigentliche Hintergrund unserer Überlegungen und dessen, was uns treibt, uns mit dem Thema zu beschäftigen.
Zu diesem von der nationalen Kommission für das Internationale Jahr geforderten Dialog mit der Jugend — auch ein beliebtes Thema unter uns — gehört es allerdings, daß wir uns vor zwei Extremen hüten, vor dem Extrem der Verharmlosung ebenso wie vor dem Extrem der Überdramatisierung. Wenn Sie, Herr Kuhlwein, jetzt wieder sagen: Kind in der Mitten, dann sage ich: Es ist eben so, zwischen zwei Extremen gibt es eine Mitte. Ich will sie nicht für mich in Anspruch nehmen. Ich lade Sie alle ein, dahin zu kommen, um von da aus dann die Dinge in Angriff zu nehmen.

(Kuhlwein [SPD]: Da sitzen schon so viele!)

Wenn viel von Schwierigkeiten, von andauernden Problemen, von der Notwendigkeit neuer, noch verstärkter Anstrengungen die Rede ist, dann darf und — hoffentlich errege ich jetzt keinen Protest — dann muß vor allen Dingen einmal von den Erfolgen gesprochen werden; denn Konfuzius, lieber Kollege Vogelsang, sagte, es sei sinnvoller, ein Licht anzuzünden, als über die Dunkelheit zu klagen. Das gilt natürlich auch hier.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich will die Zahlen nicht wiederholen, die am Stichtag zu verzeichnen waren: 705 000 abgeschlossene Ausbildungsverträge. Wir haben wirklich allen Anlaß, uns trotz aller Sorgen, die verbleiben, darüber zu freuen — warum sollen denn Sorgen Freude verdrängen? —, weil doch erstens wieder die überwiegende Zahl von jungen Menschen einen Platz in einer Berufsausbildung gefunden hat. Sollen wir die denn bei unseren Überlegungen völlig vernachlässigen? Zweitens aber auch deshalb, weil dies ein Erfolg ist, den sich Politik nicht ohne weiteres anziehen kann. Dies ist der Erfolg einer Solidaritätsaktion: Handel, Handwerk, Industrie, Selbständige, freie Träger, Gewerkschaften, Schulen und öffentliche Verwaltungen haben sich hier zusammengetan. Man muß sich doch einmal vor Augen halten, welche Fülle von Einzelentscheidungen vieler einzelner Verantwortlicher zu einer solchen Neueinstellung, zu der Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes führen, welche Überlegungen und Abwägungen dem vorausgehen, welche Schwierigkeiten vor Ort immer zu überwinden sind. Deshalb dürfen wir nicht nur, sondern müssen wir sagen: Alle diese einzelnen in den genannten Gruppen in Wirtschaft und Verwaltung haben sich redlich und mit Erfolg darum bemüht, ihre Verpflichtung und ihrer Verantwortung gegenüber der jungen Generation nachzukommen.
Wir rufen die Betriebe — Herr Weisskirchen hat sie genannt —, die sich an dieser Aktion trotz gegebener Möglichkeiten — hier muß man natürlich differenzieren: Wo sind denn objektive Möglichkeiten vorhanden und wo nicht? — nicht beteiligt haben, noch einmal sehr eindringlich auf, diesen Beitrag in der Zukunft zu leisten; denn darüber müssen sich die Damen und Herren Verantwortlichen klar sein: Wenn hier Ideen über Abgaben oder sonstige Finanzierungsdinge kommen, sind sie es, die immer wieder zu diesen Überlegungen provozieren, weil sie ihre Verpflichtung nicht ernst nehmen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich halte allerdings zum gegenwärtigen Zeitpunkt nichts von diesen Überlegungen, sondern will jetzt nur mal auf die Ursache hinweisen.

(Kuhlwein [SPD]: Nun ist er wieder in der Mitte!)

— Ach, nein, ich bin zu einem anderen Zeitpunkt der Meinung gewesen, das sei eine sinnvolle Maßnahme; zum heutigen Zeitpunkt halte ich das für verspätet. Ich brauche Sie nicht daran zu erinnern, wann das war.
Meine Damen und Herren, die positive Entwicklung, die ich doch in den Vordergrund stellen möchte, endete nicht am statistischen Stichtag, sie ging und geht weiter, und sie darf in diesem Jahr 1985 nicht nachlassen.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)




Neuhausen
Deswegen muß sich an Dank und Anerkennung auch der erneute Appell anschließen, diese erfolgreichen Anstrengungen fortzusetzen.
Wir werden zwischen 745 000 und 765 000 Bewerber um Lehrstellen haben. Ich meine, angesichts der Unsicherheiten der Prognose sollte man sich durchaus an der höheren Zahl orientieren. Das heißt, von einer Entwarnung kann und darf nicht die Rede sein, auch für die nächste Zukunft nicht. Eine Untersuchung des Berufsbildungsinstitutes hat meines Erachtens überzeugend dargestellt, daß die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen voraussichtlich erst 1988 die Grenze von 700 000 unterschreiten wird.
Die Ursache dafür liegt in der schon früher festgestellten Entkoppelung dieser Nachfrage von der demographischen Entwicklung. Das heißt auf deutsch: Unversorgte Lehrstellenbewerber aus den zurückliegenden Jahren, die sogenannten Altbewerber, arbeitslose Jugendliche und der sprunghaft gestiegene Andrang von Abiturienten in Richtung auf das duale System sorgen für einen zusätzlichen Druck. Hier ist auch eine der Ursachen für den scheinbar paradoxen Doppelrekord im vergangenen Jahr, einerseits höchstes Angebot, andererseits, natürlich, auch höchste Zahl der am Stichtag unversorgten Bewerber. Deshalb verlangt dieser Zusammenhang eine ganz besondere Beachtung.
Nun muß ich allerdings sagen, daß einer sinnvollen Untersuchung dieser Entwicklung wenig mit der Zahlenalternative gedient ist, wie ich sie Jahr für Jahr, auch schon sehr lange, im MinderheitenGutachten der Beauftragten der Arbeitnehmer im Berufsbildungsbericht lese; denn wenn ich schon, was ich tue, die offiziellen Zahlen mit Vorsicht betrachte, wegen der Unsicherheiten der Prognose — meine allererste Rede hier im Deutschen Bundestag im Januar 1981 ging von der Überlegung aus, auch Herr Nelle sprach an dem Tag, an dem wir hier gemeinsam unsere ersten Reden hielten, daß 1982/83 die Höchstzahl überschritten sei, niemand hat damals widersprochen, weder die Opposition noch die Regierung noch wir selber — —

(Vogelsang [SPD]: Wir waren zu höflich!)

— Wir saßen in einem Boot und waren froh und dachten: Wir schaffen das dann gemeinsam.
Also, wenn man schon diese Vorsicht gegenüber Zahlen und Prognosen walten läßt, dann allerdings ist die Addition noch problematischerer Schätzwerte, wie sie sich ernsthafter Betrachtung darstellen, auch nicht so ganz sinnvoll und auch kein hilfreicher Beitrag. Es kann sich nicht darum handeln, einander hier mit abstrakten oder abstrakt ermittelten Zahlen zu bombardieren, es kommt auf die konkreten Einzelheiten und Fragen an.
Ich hatte schon das veränderte Bildungsverhalten vieler junger Menschen erwähnt, der Abiturienten. Das duale System hat schon immer Abiturienten gute Ausbildungsmöglichkeiten geboten. Die Zahl der Bewerber ist bis 1982 auch ganz kontinuierlich gewachsen. Diese Entwicklung haben wir immer begrüßt. Sie ist vernünftig. Ich halte es aber für problematisch, wenn es in einer so schwierigen
Zeit wie in den Jahren 1983 und 1984 sprunghafte Veränderungen gibt, und warne hier vor einem prozyklischen Verhalten bei der Setzung der Rahmenbedingungen.

(Frau Odendahl [SPD]: BAföG!)

— Nun höre ich hier „BAföG". Das ist zu schlicht, Frau Odendahl. Ich bestreite nicht, daß das mit eine Rolle spielt, aber eben nicht nur. Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, und es wäre wieder eine Vereinfachung, die niemandem hilft, wenn man nun einen einzigen Schuldpunkt heraussuchte.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist z. B. die Situation bei den Lehrerinnen und manche ganz andere Problematik, die hier zusammenfließen, sehr unterschiedliche Dinge also.
Aber ich meine, welche Gründe das auch hat, niemand kann bestreiten, daß sprunghafte Veränderungen wegen ihrer Auswirkungen vor allem auf die anderen Bewerber Sorgen bereiten. Nun sage ich das hier ganz bewußt: Die Zeitung des Deutschen Lehrerverbandes hat hier einen Konflikt zwischen dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Pfeifer und mir vermutet. Er ist jetzt leider krank; ich wünsche ihm gute Besserung. Es ist gar kein Konflikt vorhanden, wenn man sich darin einig ist, daß beides notwendig ist, das Offenhalten aller Bildungswege wie aber auch die Schaffung von attraktiven Berufsmöglichkeiten und Ausbildungsmöglichkeiten für Abiturienten im dualen System.
Es geht beim Offenhalten aller Bildungswege ja auch nicht nur um die Hochschulen. Es geht auch um die verschiedenen Formen schulischer Qualifikation. In diesem Zusammenhang muß ich mich wiederholen: Ich finde das Wort von den Warteschleifen, zunehmend bezogen auch auf Schulen, nicht in Ordnung. Es ist nicht nur ganz allgemein eine Diskriminierung der Leistungen in diesen Einrichtungen, es geht auch ganz grundsätzlich an die Frage des Offenhaltens. Wenn ich nämlich lese, daß schon Gymnasiasten, die sich mal um einen Lehrplatz beworben haben, auch wenn sie weiter das Gymnasium besuchen, in die Dunkelzifferberechnung einbezogen werden, so meine ich: Dies kann nicht Sinn dessen sein, was wir unter Offenhalten aller Bildungswege verstehen.

(Zuruf des Abg. Dr. Schierholz [GRÜNE])

— Meine Redezeit endet leider. Es ist mir, Herr Schierholz, nur möglich gewesen, einige Streiflichter und Beispiele zu zeigen, die das Feld natürlich nicht abdecken. Das geht jedem so.
Ich meine auch: Das Instrumentarium zur Förderung benachteiligter Jugendlicher darf nicht eingeschränkt oder in seiner Wirkung beeinträchtigt werden.
Ich hätte gern auch noch etwas über die Problematik der Mädchen gesagt, die ich auch als sehr schwierig ansehe. Ich begrüße es, daß in der Beschlußempfehlung des Ausschusses eine Anregung aufgenommen worden ist, die Sie, Frau Dr. Hamm-Brücher, im vergangenen Jahr geäußert haben, bei subsidiären staatlichen Leistungen besonders die



Neuhausen
Förderung von Mädchenausbildungsplätzen zu unterstützen. Es geht auch um die überbetrieblichen Ausbildungsstellen, die eine zunehmende Bedeutung für den Technologietransfer erlangen.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Oh, oh!)

— Ja, Herr Schierholz, es ist so.
Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. Wenn ich jetzt noch einmal an alle Betriebe und Verantwortlichen appelliere, sich auch 1985 um die Sorgen der jungen Menschen zu kümmern, dann ist das kein Vertrauen in die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft — das sind für mich Mythen —, aber es ist ein Appell an Solidarität und Verantwortung der Beteiligten, die diese Solidarität und Verantwortung 1984 erfolgreich unter Beweis gestellt haben.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012929300
Das Wort hat Frau Dr. Wilms, Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.

Dr. Dorothee Wilms (CDU):
Rede ID: ID1012929400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, daß der Berufsbildungsbericht 1985 ein Beleg für die erfolgreiche Berufsbildungspolitik der Bundesregierung und für das große Ausbildungsengagement der Wirtschaft im Jahre 1984 ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mit 706 000 abgeschlossenen Ausbildungsverträgen per 30. September wurde ein neuer Rekord erzielt. Dies bedeutet eine Steigerung um 100 000 Verträge in drei Jahren. Das Gesamtangebot an Ausbildungsplätzen stieg gegenüber dem Vorjahr nochmals um 4,4 % auf 727 000. Am 30. September waren 92,4 % aller Jugendlichen in Ausbildungen vermittelt — und dies bei einer Rekordzahl von 764 000 Bewerbern! Diese Relation muß man nämlich immer wieder herstellen.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: So wenig wie nie zuvor!)

— Das ist nicht ganz richtig, Herr Kollege. Sie müssen das alles mal genau lesen.
Ich kann hier feststellen, daß im Zeitraum von Oktober 1984 bis Ende Februar 1985 der Versorgungsgrad auf über 96 % gestiegen ist. Von den 58 000 am 30. September noch unvermittelten Bewerbern konnten zwischenzeitlich über 53 % vermittelt werden.
Meine verehrten Kollegen, ich weiß nicht, warum Sie sich darüber erregen. Darüber sollten wir uns freuen, daß so viele Jugendliche in diesen Monaten noch vermittelt worden sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Abg. Dr. Schierholz [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Ich bitte um Verständnis, daß ich möglichst schnell zu Ende kommen möchte. — Ohne die Sorge um die noch nicht vermittelten Jugendlichen hier verschweigen zu wollen, darf doch dieses hervorragende Ausbildungsergebnis nicht mit fadenscheinigen statistischen Aussagen zerredet werden.
Ich kann auch — das möchte ich hier sagen — die Kritik an den gesetzlich vorgeschriebenen Berechnungsmethoden, die etwa die Gewerkschaften vornehmen, nicht akzeptieren. Denn deren Bilanzrechnung umfaßt alle teil- und vollqualifizierenden Angebote in der Sekundarstufe II und im tertiären Bereich sowie alle, die irgendwo Bildung nachfragen. Dies ist also eine Bildungsgesamtrechnung und keine Ausbildungsplatzbilanz des dualen Systems, wie sie das Berufsbildungsgesetz fordert.

(Neuhausen [FDP]: Sehr richtig!)

Die Bundesregierung steht mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund hier in Beratungen darüber, wie man aus dieser jeweils unterschiedlichen Berechnungsmethode herauskommt.
Andere kritische Stimmen sind starr auf den Termin 30. September fixiert und übersehen, wieviel Vermittlungen danach noch erfolgt sind. Aber der Gesetzgeber hat doch gerade 1976 den Termin 30. September rechtlich als einen statistischen Stichtag verankert, um danach noch die Möglichkeiten für gesellschaftliche, staatliche und betriebliche Initiativen zu eröffnen. Das ist doch gerade der Sinn dieses Stichtages.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Deshalb hat die Bundesregierung im Oktober 1984 noch weitere Maßnahmen auf den Weg gebracht, die auch voll zum Tragen gekommen sind. So sind z. B. auch die schulischen Angebote von den einzelnen Bundesländern anerkennenswerterweise erhöht worden. Ich kann wirklich nicht verstehen, wie man dies heute teilweise als ein Abdrängen in schulische Bildungsgänge bezeichnen kann. Hier stimme ich Ihnen, Herr Kollege Neuhausen, zu. Warum werten wir denn die schulische Bildung so als ein Abdrängen ab? Das kann ich nicht mitvollziehen. Die Jugendlichen, die in beruflichen Schulen sind, sind auch nicht unversorgt. Insoweit kann ich sie nicht immer auf die Unversorgtenstatistik draufschlagen.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Die sind teilversorgt!)

— Also dies lassen Sie einmal die Berufsschulen und die Berufsschullehrer hören! Die werden Ihnen diese Bemerkung danken.
Ferner sind nach dem 30. September, wie Sie wissen, die über- und außerbetrieblichen Maßnahmen erweitert worden, etwa durch das aufgestockte Benachteiligtenprogramm. Auch die berufsvorbereitenden Maßnahmen sind erweitert worden. Meine Damen und Herren, wir sollten diese berufsvorbereitenden Maßnahmen doch nicht so pauschal diffamieren. Mancher Jugendliche kann eine Ausbildung überhaupt nur aufnehmen, wenn er vorher eine solche Berufsvorbereitung absolviert hat. Andernfalls tun wir den jungen Leuten doch keinen Gefallen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




Bundesminister Frau Dr. Wilms
Meine Damen und Herren, diese Ausbildungsbilanz 1984 zeigt auch, daß ein Teil der Probleme auf dem Aushildungsstellenmarkt heute arbeitsmarkt- und wirtschaftsstrukturbedingt sind. Denn die enorme Nachfrage nach den Lehrstellen entspricht, wie wir wissen, immer weniger der demographischen Entwicklung und ist zunehmend eine der Situation auf dem Arbeitsmarkt.
Das duale System kann aber nicht alle Probleme des Arbeitsmarkts lösen. Auch das muß man sagen. Damit sind die Ausbildungsbetriebe überfordert.
Trotzdem bewerte ich es als positiv, daß die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen im Februar 1985 im Vergleich zum Vorjahr um 11% zurückgegangen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dieser Zusammenhang zwischen Arbeits- und Ausbildungsmarkt wird besonders bei den regionalen Analysen so deutlich, die wir nicht vergessen sollten. So ist z. B. der Anteil der nicht vermittelten Bewerber an der Gesamtnachfrage in Schleswig-Holstein bei 4,3% gelegen, in Bayern bei 6%, in Nordrhein-Westfalen bei 8,4 % und in Bremen sogar bei 17,5 %. Sie sehen also, wie es hier auseinanderreißt. Um diese regionalen Engpässe abzubauen, sind auch die einzelnen Bundesländer gefordert. Dies kann der Bund nicht allein lösen, obwohl die Bundesseite hier sehr viel tut. Da ich gerade Nordrhein-Westfalen mit einem Anteil von 8,4 % nicht vermittelter Bewerber nannte, darf ich hier einmal erwähnen, daß die Bundesseite 1984 rund 293 Millionen DM für berufliche Bildungshilfen — ohne BAföG und ohne die Mittel für den Hochschulbau
— nach Nordrhein-Westfalen geleitet hat.
Aber — dies ist sicher eines der großen Probleme
— die Unwägbarkeiten der Arbeitsmarktentwicklung schlagen eben auch 1985 voll durch. Deshalb haben wir uns ja gemeinsam auch zu einer Korridor-Prognose zwischen 745 000 und 765 000 zu erwartenden Bewerbern durchgerungen. Es bleiben die Unwägbarkeiten. Es bleibt das geänderte Bildungsverhalten etwa der Abiturienten zu beobachten; wir können es nicht genau vorhersagen. Es bleibt — dies möchte ich hier einmal ganz positiv werten — die große Nachfrage der Mädchen nach Ausbildungsplätzen. Wir können das nur begrüßen. Das Problem ist, daß dieser großen Nachfrage der Mädchen nach Ausbildungsplätzen derzeit noch kein strukturell ausreichendes Angebot gegenübersteht. Ich komme gleich noch darauf zurück.
Die Bundesregierung wird auch 1985 an der bisher von ihr verfolgten marktwirtschaftlichen Politik festhalten. Es ist nicht richtig, -daß das ein Nichtstun ist. Es ist das Bekenntnis zu einer marktwirtschaftlichen Politik; dies hat allerdings mit Planwirtschaft wenig zu tun; das gebe ich gerne zu.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich erwarte von der Wirtschaft, daß sie auch 1985 hier ihren Verpflichtungen nachkommt. Ich denke, daß die Wirtschaft ihre Verpflichtungen auch deshalb erfüllen kann, weil sich die wirtschaftlichen Bedingungen bessern. Das Wirtschaftswachstum zeigt eine positive Tendenz. Der Wirtschaft muß man eben auch immer wieder deutlich machen, daß die Zahl der Lehrlinge in Kürze rapide abnehmen wird. Es muß also heute auf Vorrat für morgen ausgebildet werden.
Wir wissen, daß die schwierige Ausbildungsaufgabe des Jahres 1985 nur in vielen Schritten gemeinsam zu lösen ist. Ich möchte mit allem Nachdruck darum bitten, daß wir nicht jetzt schon — wie so vielfach alljährlich — mit Zahlen über das Angebot und die Nachfrage operieren und sie als Horrorgemälde an die Wand projizieren. Jeder Fachmann weiß, daß die Angebots- und Nachfragestatistiken der Arbeitsverwaltung am heutigen Tag kein realistisches Bild geben. Nur der Laie weiß das nicht. Insoweit dienen diese Zahlen dazu, junge Menschen und ihre Eltern weiter zu erschrecken und zu verunsichern.
Ich darf hier allerdings einmal in Klammern einfügen, daß die Relation zwischen Angebot und Nachfrage am heutigen Tag Gott sei Dank besser ist als im vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres.

(Kuhlwein [SPD]: Sagen die Zahlen nun was oder sagen sie nichts?)

— Nein, sie sagen letztlich nichts.

(Kuhlwein [SPD]: Dann lassen Sie es doch!)

Der Kollege Weisskirchen hat neulich schon wieder eine Presseerklärung herausgegeben. Herr Kollege Weisskirchen, ich will Ihnen nur sagen: Wenn Sie es denn schon tun, dann weisen Sie bitte darauf hin, daß die zahlenmäßige Relation in diesem Jahr günstiger ist als im Vorjahr. Das wollte ich damit nur sagen.
Die Bundesregierung wird weiter alle Anstrengungen unternehmen, um die Rahmenbedingungen für die ausbildenden Betriebe zu verbessern. Ich denke, daß der Berufsbildungsbericht eine Fülle von Maßnahmen aufzählt. Es ist also nicht wahr, wenn Sie sagen, im Berufsbildungsbericht stehe dazu nichts. Das stimmt einfach nicht.
Bei den Ausbildungsangeboten geht der Bund als Ausbilder selbst mit gutem Beispiel voran. Das Bundeskabinett hat beschlossen, in diesem Jahr insgesamt 31 500 Ausbildungsplätze bereitzustellen. Dies entspricht gegenüber den Kabinettsbeschlüssen von 1984 einer Steigerung von 10,5%. Vor allen Dingen Bundesbahn und Bundespost bilden weit über den Eigenbedarf hinaus aus. Das muß auch einmal gesagt werden.
Das Benachteiligtenprogramm werden wir auf dem Niveau von 256 Millionen DM weiterfahren, so daß auch in diesem Jahr wenigstens 18 500 Jugendliche gefördert werden können. Ebenso bleibt die Förderung der überbetrieblichen Einrichtungen auf einem hohen Level. Im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit ist Vorsorge für eine zielgruppengerechte Ausweitung der arbeitsmarktorientierten Ausbildungsangebote für Schulabgänger insgesamt getroffen. Das Beschäftigungsförderungsgesetz, das die Bundesregierung beschlossen hat und das hier jetzt zur parlamentarischen Beratung ansteht, wird



Bundesminister Frau Dr. Wilms
sicherlich auch zu Erleichterungen bei einem Problem führen, das von Ihnen hier soeben angesprochen worden ist. Es wird mit dazu beitragen, daß junge Menschen, die eine Ausbildung in Betrieben erhalten haben, die über ihren Eigenbedarf hinaus ausgebildet haben, wenigstens im Übergang eine Beschäftigung bekommen.

(Zuruf des Abg. Dr. Schierholz [GRÜNE])

— Ja, Herr Kollege Schierholz, Ausbildung über den Bedarf hinaus bedeutet natürlich, daß nicht jeder sofort eine volle Anstellung findet; das ist logisch. Deshalb müssen wir dafür sorgen, daß man hier durch Erleichterungen auf dem Arbeitsmarkt
— dazu dient das geplante Beschäftigungsförderungsgesetz — Brücken baut. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Ein schlimmes Gesetz ist das!)

Ich möchte hier — auch mit Blick auf die Wirtschaft — in aller Deutlichkeit sagen, daß es Sonderprogramme auch in diesem Jahr nicht geben wird.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Erst im Herbst! — Zuruf von der SPD)

— Nein, auch im Vorjahr hat es keines gegeben. — Niemand sollte auf ein solches Sonderprogramm warten. Wir werden die Eigeninitiative und die marktwirtschaftliche Ordnung der Wirtschaft hier nicht durch dirigistische Eingriffe, durch Subventionierung der betrieblichen Ausbildung und auch nicht durch gesetzliche Umlagefinanzierungen stören. Lassen Sie mich hier einmal mit aller Deutlichkeit sagen: Ein gesetzliches Umlagefinanzierungssystem ist ein untaugliches Mittel zur Steigerung des betrieblichen Ausbildungsplatzangebotes.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Im übrigen, Herr Kollege Kuhlwein, hat j a auch die Bundesregierung Schmidt, als Sie noch Staatssekretär waren, in ihrem Bericht vom 25. August 1982 sehr sauber und, wie ich finde, hervorragend dargelegt, warum sich dieses Instrument nicht eignet. Ich kann diesen Bericht jedem zur Lektüre empfehlen. Eine Umlagefinanzierung schafft nämlich keine Ausbildungsplätze, im Gegenteil: Sie schafft die Gefahr, daß sich Betriebe von der Ausbildung freikaufen. Außerdem bekämen wir über ein Umlagesystem einen Fonds, einen Fonds mit einer großen Bürokratie. Ich habe den Eindruck, daß Sozialdemokraten an solchen Fonds immer großen Gefallen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

So hörten wir von Investitionsfonds, in Dortmund hörte ich vom Umweltfonds, und jetzt wird noch ein Ausbildungsfonds gefordert. Bei dem, was man sich sonst noch alles an Fonds denken kann, sind der Phantasie sicher keine Grenzen gesetzt.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Haben Sie schon einmal etwas von Selbstverwaltung gehört?)

Unsere Politik ist dies nicht.
Meine Damen und Herren, ich möchte in diesem Zusammenhang der gelegentlich — auch hier ist es soeben wieder angeklungen — geäußerten Auffassung nochmals widersprechen, der Staat sei verfassungsrechtlich dazu verpflichtet, die Wirtschaft, etwa durch ein gesetzliches Umlageverfahren, zu zwingen, eine ausreichende Anzahl von Ausbildungsplätzen bereitzustellen. Ich habe diese rechtliche Frage der Ausbildungsverpflichtung der Wirtschaft in einem externen verfassungsrechtlichen Gutachten noch einmal prüfen lassen. Dieses Gutachten hat die Position der Bundesregierung voll bestätigt.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das war auch zu erwarten!)

Denn es verneint eine rechtlich begründete Pflicht der Wirtschaft, Ausbildungsplätze bereitzustellen. Es spricht aber nachdrücklich von einer sozialethischen Verpflichtung der Wirtschaft zur Ausbildung. Und diese sozialethische Verpflichtung der Wirtschaft zur Ausbildung möchte auch ich meinerseits hier noch einmal voll unterstreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Was ist denn das?)

Meine Damen und Herren, leider wird in der aktuellen Diskussion über das Quantitätenproblem das Qualitäts- und Strukturproblem vielfach allzusehr vernachlässigt. Ich glaube, daß wir gerade diese Qualitäts- und Strukturprobleme künftig noch sehr viel mehr werden betrachten müssen, weil sie mittelfristig die entscheidenden Probleme sind. Ich denke, daß der Berufsbildungsbericht auch hierzu eine Reihe sehr wichtiger und ausführlicher Hinweise gibt. Ich darf hier stichwortartig nur beispielhaft nennen: Die Einführung der neuen Technologien macht es notwendig, schon während der Ausbildung Kenntnisse auf diesem Gebiet verstärkt zu vermitteln. Als ein dringendes Problem sehe ich es an, den Mädchen neue und geänderte Ausbildungsangebote zur Verfügung zu stellen. Wir haben dazu jetzt zusätzliche Modellversuche angesetzt und eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht. Sie dürfen es mir abnehmen, daß ich gerade diesem Thema meine besondere Aufmerksamkeit zuwende, ebenso wie der Frage der Ausbildung für Abiturienten.
Mit einem Thema werden wir uns in den nächsten Jahren sicher ganz intensiv beschäftigen. Es ist die Frage, wie eine Weiterbildung einer ersten Ausbildung zugeordnet wird. Denn in der Erstausbildung ist nicht mehr alles zu vermitteln, was erforderlich ist. Ich glaube, hier müssen wir völlig neue Denkansätze finden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Diese und andere strukturelle Änderungen, auf die der Berufsbildungsbericht sehr ausführlich hinweist, werden wir zu berücksichtigen haben, damit die duale Ausbildung mit den schulischen Ausbildungen in den nächsten Jahren konkurrieren kann. Denn ich glaube, die 90er Jahre werden von einer Konkurrenz der Qualität zwischen den verschie-



Bundesminister Frau Dr. Wilms
denen Lernorten geprägt sein, und dies kommt unserer Jugend nur zugute.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012929500
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Odendahl.

Doris Odendahl (SPD):
Rede ID: ID1012929600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn Sie in einer Unterrichtung zum Berufsbildungsbericht 1985 ausführen, daß die Lösung der quantitativen Probleme der beruflichen Bildung in den nächsten Jahren im Vordergrund der berufspolitischen Anstrengungen der Bundesregierung steht, und es sehr reizvoll wäre, Ihre geschönte Bilanz zu beleuchten, möchte ich über zwei andere Aspekte reden, die miteinander zu tun haben: über die Qualität und über die Finanzierung der beruflichen Bildung.
Frau Ministerin Wilms, Sie haben in Ihrer Presseerklärung zum Berufsbildungsbericht 1985 betont, Vertrauen und Appelle hätten sich als erfolgreicher erwiesen als dirigistische und systemverändernde Eingriffe des Staates. Sie haben das hier gerade bestätigt.
Was können Sie damit denn nur gemeint haben?

(Frau Dr. Timm [SPD]: Das möchte ich auch mal wissen!)

Wahrscheinlich haben Sie herausgefunden, daß sich in der Tat eine solche Systemveränderung im Bereich der beruflichen Bildung abspielt, die das duale System damit in Frage stellt. Trotz aller Beteuerungen von seiten der verantwortlichen Wirtschaft und aller Gesundbetereien der Bundesregierung belegen die Berufsbildungsberichte von 1983 bis 1985 eindeutig: Das duale System bietet längst nicht mehr allen Jugendlichen die Chance für eine berufliche qualifizierte Ausbildung.

(Kuhlwein [SPD]: Sehr richtig!)

Ohne das Engagement der Länder, die jährlich über eine halbe Milliarde DM für die Schaffung von Ausbildungsplätzen, also für die außerschulische Ausbildung, ausgeben, wäre die Ausbildungsplatzsituation noch katastrophaler, als sie sich heute abzeichnet. Sie haben das bestätigt, Frau Ministerin.
Lassen Sie mich diese Leistungen der Länder im einzelnen erwähnen. Ich nenne die Zahlen des Jahres 1984. Sie umfassen nur die Aufwendungen für die außerschulische Berufsausbildung. Nordrhein-Westfalen: ca. 180 Millionen DM im Jahr; Hessen: ca. 60 Millionen DM; Hamburg: ca. 20 Millionen DM; Bremen: ca. 2 Millionen DM; Berlin: rd. 100 Millionen DM.

(Rossmanith [CDU/CSU]: Sie vergessen den Freistaat Bayern!)

— Eher bescheiden die Bayern mit 30 Millionen DM; auch das muß man einmal sagen.
Zusammen mit den Mitteln für die Berufsschulen wendet allein Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr 675 Millionen DM auf.

(Beifall bei der SPD)

Durch diese eigenen Anstrengungen garantiert Johannes Rau in diesem Jahr allen Jugendlichen in seinem Bundesland einen Ausbildungsplatz. Er erfüllt somit ein Versprechen, das der Bundeskanzler zwar lauthals verkündet, aber nie eingehalten hat.

(Beifall bei der SPD — Rossmanith [CDU/ CSU]: Hat er! — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Die Bundesratsbank ist nicht besetzt!)

Die Anstrengungen des Bundes beschränken sich nahezu ausschließlich auf das Benachteiligtenprogramm. Bayern lehnt selbst dieses ab, obwohl es auch in Bayern unstrittig genug auf dem Ausbildungsmarkt Benachteiligte gibt.
Es ist offensichtlich, daß die Länder und damit die öffentlichen Hände die Finanzierung der beruflichen Bildung in einer erheblichen Größenordnung übernommen haben. Fast ist man versucht, den Bund als Trittbrettfahrer der Länder zu bezeichnen.
Gerade im Hinblick auf Karlsruhe, das eindeutig die Verantwortung für die berufliche Bildung der Wirtschaft zuordnet, erscheint diese Entwicklung höchst bedenklich. Man kann da durchaus von einem Schleichweg zur Verstaatlichung der beruflichen Bildung reden. Dann sind wir bei der von Ihnen so sehr befürchteten Systemveränderung. Wenn Sie aber diesen Weg nicht weitergehen wollen und diese Gefahr ebenfalls sehen, müssen Sie als Bundesregierung die Wirtschaft in die Lage versetzen, mehr und besser auszubilden, in eigener Finanzierung und in eigener Verantwortung, so wie das Gesetz es will. Damit Sie uns nicht mißverstehen, und weil Sie das Wort „Systemveränderung" gern in unsere Richtung schieben: Wir halten das duale System für vernünftig und wollen es in seiner Struktur erhalten. Dabei verkennen wir auch nicht, daß angesichts der geburtenstarken Jahrgänge und der großen Nachfrage für einzelne Bereiche der Wirtschaft die Finanzierung der beruflichen Bildung eine kaum lösbare Aufgabe darstellen. Bei durchschnittlichen Nettokosten von 10 289 DM pro Auszubildenden und Jahr können die Betriebe ihre Ausbildungsleistungen nur dann überhaupt noch steigern, wenn die nicht ausbildenden Betriebe zur Finanzierung herangezogen werden.

(Rossmanith [CDU/CSU]: Welche?)

— Ich kenne viele, Herr Rossmanith, Sie sicher auch.
Da es ganz gravierende Unterschiede in den Kosten für die Ausbildung gibt und die Kosten bei den sogenannten Zukunftsberufen durch die neuen Technologien um ein Vielfaches über dem Durchschnitt liegen, kann es auch aus Wettbewerbsgründen nicht mehr länger vertreten werden, daß sich ein Teil der Betriebe vor der Gesamtverantwortung drückt und als Trittbrettfahrer von den Leistungen der Ausbildungsbetriebe profitiert.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie also nicht wollen, daß die berufliche Bildung aus Finanzierungsgründen auf dem Schleichweg verstaatlicht wird, wenn Sie nicht wollen, daß die Qualität der Ausbildung auf Grund der unter-



Frau Odendahl
schiedlichen Ausbildungskosten auf der Strecke bleibt und Jugendliche dadurch vermehrt in sogenannte „Billigausbildung" gedrängt werden, und wenn Sie nicht wollen, daß ein fairer Wettbewerb für die Klein- und Mittelbetriebe, die die Hauptlast der Ausbildungskosten heute tragen, zur Farce wird, dann dürfen Sie sich um dieses Problem nicht mehr länger herumdrücken.

(Beifall bei der SPD)

Über die Notwendigkeit eines Finanzierungsausgleichs sind sich alle, die über das Problem einer gerechten Verteilung der Kosten für die Berufsausbildung nachgedacht haben, einig. Deshalb ist verständlich, daß Sie sich, Frau Ministerin Wilms, unaufgefordert bei der Vorlage des Berufsbildungsberichts 1985 auch mit der Finanzierung auseinandersetzen und auch flugs vier Gründe aufführen, die angeblich die frühere SPD-geführte Bundesregierung zum Verzicht auf eine Finanzierungsregelung bewogen haben. Abgesehen davon, daß Sie angeblich aus einer Drucksache der früheren Bundesregierung zitieren, in der Ihre Zitate aber gar nicht zu finden sind — ein Schönheitsfehler! —, treffen Ihre vier Argumente gegen eine Umlagenfinanzierung der beruflichen Bildung, die sich ausschließlich auf eine Finanzierung fehlender Ausbildungsplätze und die Sicherung der Qualität der Berufsausbildung beschränkt, samt und sonders nicht zu.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie nun schon nicht bereit sind, auf diesem Weg die Ausbildungsbereitschaft und die Ausbildungskapazität der Wirtschaft zu stärken, dann ist es um so verwerflicher, daß Sie sich als Bund immer weiter aus Ihrer Verantwortung stehlen und nichts tun, als Appelle, Versprechungen, Belobigungen — leider auch noch recht kostenträchtig — unters Volk zu bringen und das Problem weiterhin auf die Länder abschieben. In diesem Zusammenhang ist deprimierend, daß Sie schon wieder bereit sind, ein Versprechen nicht einzuhalten. Obwohl oft als mögliche Absicht verkündet, soll das Benachteiligtenprogramm nicht weiter aufgestockt werden. Sie wollen in diesem Jahr nur gerade so viel Mittel einsetzen, um die freiwerdenden 4 700 Plätze neu zu besetzen; gebraucht würden aber mindestens 5 000 mehr. Die im vergangenem Jahr unter dem Eindruck der Ausbildungsplatzprobleme für Mädchen erweiterten Kriterien sollen wieder eingeschränkt werden, obwohl die Probleme nicht gelöst sind und obwohl Sie in Ihrer Unterrichtung ausführen, daß die Ausbildungsplatzsituation für Mädchen in allen Regionen schwierig ist, schwieriger als die der Jungen, und daß es sich dabei um ein strukturelles Problem von längerer Dauer handelt. Für diese zwischen allen Stühlen sitzenden Mädchen mit mittlerem Bildungsabschluß ist nun der Bundesregierung ein besonderer Knüller eingefallen; man hat von ihm gehört. Die neuesten Überlegungen gehen dahin, für diese Problemgruppe bei den Arbeitsämtern sogenannte Grundausbildungslehrgänge mit Unterrichtsgängen für Technologie und Sprachen — einjährig, versteht sich — einzurichten, um sie so für das Berufsleben zu qualifizieren, fit zu machen.
Damit brechen Sie nun schon wieder ein Versprechen, wie leider bei den Ausbildungsplätzen so oft, die Chancen der Mädchen und Frauen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu verbessern, ihnen die Wahlfreiheit — so hieß es doch in Essen — zwischen Familie und Beruf zu sichern.

(Beifall bei der SPD)

Mit der jetzt von Ihnen geplanten Hilfsmaßnahme bieten Sie, verbrämt mit dem modischen Flair „Technologie und Sprachen", nichts anderes als den Einstieg in eine gehobene Hilfsarbeiterinnentätigkeit und nicht das, was Sie den Frauen versprochen haben und was diese dringend brauchen, den Weg in eine anerkannte berufliche Qualifikation.
Es ist interessant, wie schnell man von den eigenen Absichtserklärungen eingeholt wird. Der Weg von Essen nach Bonn ist ja auch gar nicht sehr weit. Daß es so schnell und ausgerechnet zuerst bei der beruflichen Bildung geschieht, zeigt den Mädchen und Frauen, daß Ihre neuen Frauenthesen nichts anderes sind als ein ungedeckter Scheck, nur Papier.

(Beifall bei der SPD — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Schall und Rauch!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012929700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rossmanith.

Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1012929800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, Herr Kuhlwein, ich bin wohl nicht der einzige Abgeordnete hier, der immer mehr den Eindruck gewinnt, daß wir uns mit diesen Debatten, die wir hier führen, eigentlich argumentativ immer wieder im Kreise drehen. Wenn ich einmal die Stellungnahme der Minderheit, das sogenannte Minderheitsvotum des Hauptausschusses im BIBB betrachte, dann scheint mir dieser argumentative Kreisverkehr nach wie vor vorzuherrschen. Ich glaube, wir sollten uns einmal kritisch überlegen, ob wir an diesem Ritual festhalten sollten, d. h., daß die eine Seite immer wieder die Vorzüge des dualen Systems anpreist und eigentlich nur noch die Randprobleme für lösungsbedürftig hält, während die andere Seite genau diese Randprobleme immer wieder ins Zentrum ihrer Argumentation und ihrer Kritik stellt, um damit jetzt den großen bildungspolitischen Knüppel aus dem Sack zu lassen.
Ich muß sagen, lieber Herr Weisskirchen: Woher nimmt Ihre Partei die Unverfrorenheit, nachdem sie mehr als ein Jahrzehnt lang an der Regierung war und nicht genug junge Leute in den Schulen unterbringen konnte und sagte: Bleibt auf den Schulen, geht auf die Schulen, daß sie sich jetzt als Ankläger aufspielt, wenn diese Fluchtbewegung ins duale System stattfindet, wenn also Fachoberschüler, Fachhochschüler, Abiturienten und Studenten in das duale System hineindrängen und dieses duale System die Sprünge von 50 000, 80 00U zusätzlich pro Jahr nicht übernehmen kann?

(Zuruf von der SPD)

Sehen Sie, meine Damen und Herren von der SPD,
dieser Ansturm auf das duale Bildungssystem bis
hinauf zu den Studenten ist geradezu eine Bank-



Rossmanith
rotterklärung Ihrer Bildungspolitik, die Sie 13 Jahre betrieben haben. Für mich muß ich sagen: ständig ein Salto mortale nach hinten oder nach vorwärts, je nachdem, wie Sie es wollen.
Hier erinnere ich mich durchaus an Max Weber, der j a den Begriff von Gesinnungs- und Verantwortungsethik geprägt hat.

(Lachen und Zurufe von der SPD)

Ich glaube, daß ich da nicht allein bin, daß mancher in diesem Hohen Hause bei diesem oder jenem Auftritt an das erinnert ist, was Max Weber in seiner Rede „Politik als Beruf" über den Gesinnungsethiker gesagt hat, nämlich:
Wenn die Folgen einer aus reiner Gesinnung fließenden Handlung üble sind, so gilt nicht der Handelnde, sondern die Welt dafür verantwortlich, die Dummheit der anderen Menschen. Verantwortlich fühlt sich der Gesinnungsethiker nur dafür, daß die Flamme der reinen Gesinnung, die Flamme z. B. des Protestes gegen die Ungerechtigkeit der sozialen Ordnung, nicht erlischt.

(Frau Odendahl [SPD]: Da wären Sie schon verbrannt!)

[Der Verantwortungsethiker] rechnet mit jenen durchschnittlichen Defekten des Menschen. Er fühlt sich nicht in der Lage, die Folge eigenen Tuns, soweit er sie voraussehen konnte, auf andere abzuwälzen.
Ich will niemandem zu nahe treten. Nur stellt sich bei mir schon die Frage, weshalb manchmal in Diskussionen über Politiker von Gesinnungslumperei und nicht von Verantwortungslumperei gesprochen wird. Ich glaube, vielleicht sollten wir das in diesem Zusammenhang einmal überdenken.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Der Flick-Ausschuß tagt in 1903!)

Wäre es heute nicht ein Gebot intellektueller Redlichkeit und tatsächlich auch ein Akt politischen Verantwortungsbewußtseins, wenn Sie sich, meine Damen und Herren von der SPD, die Sie in den 70er Jahren die bildungspolitischen Weichen mit aller Macht so grundlegend — ich wiederhole: grundlegend — falsch gestellt haben, heute in erster Linie um die Opfer dieser verblendeten Politik kümmerten? Sie sprechen immer wieder von einigen Zigtausend nicht vermittelter Jugendlicher. Natürlich berührt uns jeder einzelne. Aber Sie sollten sich einmal um die hunderttausend Akademiker kümmern, die arbeitslos sind, weil sie damals Ihrer Bildungspolitik gefolgt sind. Die kümmern Sie im Moment wohl mehr oder weniger überhaupt nicht.

(Frau Odendahl [SPD]: Mehr als Sie!)

Zurück zur Berufsausbildung. Sie sind von der Rolle des Anklägers nicht abzubringen. Man hat fast den Eindruck, das wäre Ihr Lebensinhalt, den Sie hier immer wieder anbringen. Mit einer Regelmäßigkeit von tibetanischen Gebetsmühlen fordern Sie immer wieder den verfassungsmäßig verbrieften Anspruch gegen die Wirtschaft — wie Sie es formulieren —, daß jedermann zu jeder Zeit an jedem Ort und unter allen Umständen

(Kuhlwein [SPD]: Jeden Tag eine Stunde Sport!)

Anspruch auf einen Ausbildungsplatz hätte.

(Frau Odendahl [SPD]: Jetzt hat er schon wieder die Frauen vergessen!)

Ich frage mich wirklich: Wo war der Anspruch der Arbeitslosen unter der Regierung Schmidt? Der erste sozialdemokratische Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Herr Brandt, hat immer sehr vollmundig eine Beschäftigungsgarantie gegeben. Am Schluß hat uns Helmut Schmidt ein Arbeitslosenpotential von über zwei Millionen übergeben.

(Kuhlwein [SPD]: Stimmt nicht! — Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist gelogen!)

— Das ist die reine Wahrheit.

(Kuhlwein [SPD]: Aber Sie haben jetzt zweieinhalb Millionen! Das ist richtig!)

Ich weiß natürlich, daß Ihnen das nicht gefällt. Aber es sind Ihre Arbeitslosen, mit denen wir uns heute auseinanderzusetzen haben.

(Frau Odendahl [SPD]: Das tun Sie gar nicht! Das ist Ihnen doch egal!)

Wir tragen jetzt dafür Sorge, daß sie Arbeit erhalten.

(Frau Dr. Timm [SPD]: Das ist nicht zu fassen!)

Ich möchte an drei Punkten deutlich machen, wie weit Sie sich, meine Damen und Herren von der Opposition, in der Zwischenzeit mit Ihren Parolen von der berufsbildungspolitischen Wirklichkeit entfernt haben. Ich muß sagen, Sie haben sich schon so weit entfernt, daß Sie gar nicht mehr merken, daß Sie den jungen Menschen mit Ihrer ideologisch fixierten Bildungspolitik mehr schaden, als Sie ihnen tatsächlich nützen.
Der erste Punkt betrifft die Jugendarbeitslosigkeit. Frau Minister Wilms hat das schon angesprochen. Mit Recht wird kritisiert, daß die Gewerkschaften und in ihrem Gefolge die parlamentarische Opposition in ihren sogenannten Berufsbildungsbilanzen immer wieder so tun, als ob alle Jugendlichen in gleicher Weise ausbildungsfähig bzw. ausbildungswillig wären. Ich will Ihnen hier nur einmal eine Erhebung der Bundesanstalt für Arbeit aus dem Jahre 1983 in Erinnerung rufen. Nach dieser Erhebung waren von den jugendlichen Arbeitslosen unter 25 Jahren 90 % oder 275 000 überhaupt nicht daran interessiert, eine Ausbildung aufzunehmen. Wenn wir diesen jungen Menschen helfen wollen — ich bin dazu bereit —, dann müssen wir uns wieder darüber Gedanken machen, was Sie damals mit der Annullierung der sogenannten Anlernberufe getan haben.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012929900
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?




Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1012930000
Ja, wenn das nicht auf meine Zeit angerechnet wird.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012930100
Wenn Sie es wünschen, werde ich die Zwischenfrage nicht auf Ihre Redezeit anrechnen.
Bitte schön.

Dr. Henning Schierholz (GRÜNE):
Rede ID: ID1012930200
Ich wollte bei Ihrem ersten Punkt nachfragen, Herr Rossmanith: Wie bewerten Sie den Tatbestand, daß von den als erwerbs- und arbeitslos registrierten Jugendlichen unter 25 Jahren rund drei Viertel mindestens über den Hauptschulabschluß verfügen, und welche Berufsausbildung könnten diese Jugendlichen nach Ihrer Auffassung erwerben?

Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1012930300
Wenn Sie mir zugehört hätten, hätte sich diese Frage erübrigt. Ich habe ausgeführt, daß wir uns dann mit der Frage auseinandersetzen müßten, ob wir die damals von der sozialdemokratischen Regierung annullierten Anlernberufe nicht wieder einführen sollten. Ich bin dazu gern bereit, denn dann hätten wir eine Möglichkeit.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das war wirklich etwas Neues!)

Lassen Sie mich zum zweiten Punkt kommen: ausländische Jugendliche. Wir wissen, daß etwa nur ein Drittel aller ausländischen Jugendlichen eine Ausbildung durchlaufen. Sie wissen genausogut wie ich, woher das kommt. Das liegt mit daran, daß Sie z. B. in Hessen dafür sind, daß diese, z. B. Türken, die keinerlei Ausbildung bei uns gemacht haben, bis zum 18. Lebensjahr einreisen dürfen. Diese Jugendlichen beherrschen die deutsche Sprache nicht, und es dürfte wohl jedermann klar sein, daß die nicht in der Lage sind, eine Ausbildung erfolgreich abzuschließen.
Lassen Sie mich zum dritten, zu den sogenannten Trittbrettfahrern der beruflichen Bildung, noch etwas sagen.

(Zurufe von der SPD)

Ich frage mich, Herr Kuhlwein, ob Sie Ihre Kritik, die Sie am 7. November letzten Jahres hier so vollmundig zum besten gegeben haben, heute auch noch aufrechterhalten können. Es ist mein Kenntnisstand — ich lasse mich da natürlich gern von Ihnen eines besseren belehren —, daß die Sozialdemokratische Partei und große Teile der Gewerkschaften keine Ausbildung durchführen. Frau Odendahl, da Sie vorhin zu Recht kritisiert haben, daß die Mädchen hier in einer sehr schlechten Position sind, frage ich mich, weshalb Sie in Ihrer Fraktion oder im Erich-Ollenhauer-Haus nicht Bürogehilfinnen ausbilden.

(Frau Odendahl [SPD]: Erkundigen Sie sich doch mal! Wir tun das doch schon lange! Das machen wir doch!)

Das wäre doch ein Punkt, bei dem Sie zeigen könnten, daß Ihnen die Arbeitslosigkeit der Mädchen tatsächlich mit am Herzen liegt.
Ich möchte jetzt zum Schluß kommen und noch einmal wiederholen, daß kein vernünftiger Mensch bestreitet, daß die Lage auf dem Lehrstellenmarkt angespannt ist und eine ganze Zeitlang angespannt sein wird. Aber alles spricht dafür, daß wir diese Probleme lösen werden, wie wir sie auch bisher gelöst haben,

(Frau Odendahl [SPD]: Also nicht! — Weitere Zurufe von der SPD)

und alles spricht dagegen, daß wir sie künstlich aufbauschen müßten. Alles spricht dafür, daß wir uns in den Berufsbildungsdebatten des Deutschen Bundestages um konkrete Lösungen zumindest bemühen sollten. Alles spricht dagegen, daß wir hier auf Dauer berufsbildungspolitische Gespensterschlachten führen sollten.

(Zurufe von der SPD)

Ich darf deshalb alle an der beruflichen Ausbildung Beteiligten noch einmal bitten und auffordern,

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Die Gespenster abzuschaffen!)

jede mögliche Lehrstelle freizumachen, jede mögliche Lehrstelle anzubieten. Ich bedanke mich für das vergangene Jahr bei allen, die ausbilden. Ich bin sicher, auch in diesem Jahr werden wir das phantastische Ergebnis des vergangenen Jahres erreichen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012930400
Das Wort hat der Abgeordnete Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1012930500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Dankesarie hat der Kollege Weisskirchen vorhin schon vorgetragen.
Zwei Bemerkungen zu Herrn Rossmanith. Was glauben Sie wohl, wie viele Leute heute auf dem Markt im dualen System nach Ausbildungsplätzen anstünden, wenn wir es nicht geschafft hätten, einen viel größeren Teil eines Jahrgangs als früher in den Schulen auszubilden? Was glauben Sie wohl, wie Sie dann gescheitert wären und wie die Bilanz aussähe?
Eine zweite Bemerkung. In einem gebe ich Ihnen recht, Herr Kollege Rossmanith: Nach den Einsichten, die Sie eben vorgetragen haben, kann man Ihnen ohne weiteres attestieren, daß Sie das Produkt eines früheren Bildungssystems und nicht des von uns entwickelten sind.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Rossmanith [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)

Am Ende dieser Debatte bleibt festzuhalten: Dieser Berufsbildungsbericht zeigt die schlechteste Bilanz, seit es eine Statistik gibt. Das APLFG, das Ausbildungsplatzförderungsgesetz, ist noch davon ausgegangen, daß man eigentlich 12,5% Überhang haben müßte, um nach Neigung, Eignung und unter regionalen Gesichtspunkten die Wünsche der Jugendlichen zu erfüllen. Herr Kollege Nelle, vielleicht können wir uns wieder darauf einigen, daß bei der Bedarfsdeckung nicht entscheidend ist, wie groß das Angebot ist, sondern wieweit das Angebot



Kuhlwein
I der Nachfrage entspricht. Wir gehen jedenfalls davon aus, daß prinzipiell jeder Jugendliche die Chance bekommen muß, einen Ausbildungsplatz zu kriegen.

(Beifall bei der SPD)

Dann verschiebt sich die Relation.
Ich will keine Statistiken fälschen, und ich will auch nicht die Bilanzen des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu Hilfe nehmen. Aber, Frau Minister Wilms, wenn ich mir auf der Seite 4 der Drucksache angucke, wie die Zahlenreihe seit 1976 aussieht, muß ich sagen: Zum erstenmal ist im Jahr 1982 — es gab bis 1978 Defizite in der Größenordnung von 1,8 und 0,2 % — wieder eine negative Ausbildungsplatzbilanz festzustellen. Diese Bilanz ist von Jahr zu Jahr schlechter geworden. Mit minus 4,9 % Deckung im Jahr 1984 ist sie noch nie so schlecht gewesen, seitdem wir eine Berufsbildungsstatistik haben. Insofern haben wir recht.
Sie sollten Klarheit schaffen, Frau Wilms. Entweder halten wir uns an das Berufsbildungsförderungsgesetz und die Kriterien, die darin festgelegt sind — dann müssen Sie aber auch zugeben, daß Sie im Jahr 1984 die schlechteste Bilanz hatten, die es jemals gegeben hat —, oder wir sagen deutlich, daß wir das nicht tun.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: So ist es!)

Neulich hat der Autor eines „Schülerschummelbuchs" im Bildungsministerium nachgefragt, ob Frau Minister Wilms früher in der Schule auch einmal geschummelt habe. Die Presseabteilung hat das natürlich dementiert und gesagt, so etwas habe sie nie getan. Dann heißt es im Wortlaut der Erklärung: „Einer, der richtig schummeln will, braucht nicht nur Klugheit, sondern auch ein gehöriges Maß an Chuzpe. Wie allgemein bekannt ist, gehört die Eigenschaft jedoch nicht zu den besonders ausgeprägten Merkmalen von Frau Dr. Wilms."
Ich möchte erstens sagen: Es stimmt nicht, daß Sie nicht schummeln. Insofern ist eine falsche Auskunft gegeben worden. Zweitens ist aber richtig, daß Sie keine Chuzpe habe, weil wir Sie ständig dabei ertappen. Es ist abenteuerlich, wie Sie die Zahlen herunterrechnen,

(Rossmanith [CDU/CSU]: Was Sie sagen, ist abenteuerlich! Das ist richtig!)

als hätte das Jahr 15 Monate und als läge der August im Januar.
Wenn Sie schon über den Stichtag 30. September hinaus rechnen, Frau Wilms, dann müssen Sie auch so ehrlich sein und die gegenrechnen, die inzwischen ihre Ausbildungsverträge aufgelöst, d. h. ihre Ausbildung abgebrochen haben. Das sind auch über 20 000, wie wir wissen. Diese jungen Leute hätten am liebsten in diesem Jahr wieder einen Ausbildungsplatz.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das einzige, was wir von Ihnen in dieser Frage verlangen, ist Redlichkeit und Ehrlichkeit, nicht jedoch
das statistische Wegrechnen von jungen Menschen,
die mit ihren Nöten zu den Politikern und zum Arbeitsamt kommen.
Wir haben heute eine Beschlußempfehlung des Ausschusses vorliegen. Ich will an einigen Punkten erläutern, warum wir dagegen stimmen werden.
Erstens. Zu den Jubelmeldungen, die Sie verbreitet haben, besteht kein Anlaß.
Zweitens. Es kann keine Rede davon sein, daß die Wirtschaft ihr Soll ohne staatliche Eingriffe erfüllt hätte — bei immerhin 80 000 staatlich finanzierten Ausbildungsverträgen.
Drittens. Was Sie in dieser Entschließung „Verbesserung der Rahmenbedingungen" nennen, ist für uns eine Demontage von Schutzrechten für junge Menschen.
Viertens. In den Überlegungen, die dort von a) bis e) zu finden sind, steht sehr viel Richtiges, aber an keiner einzigen Stelle erhält die Bundesregierung konkrete Handlungsanleitungen. Mit allgemeinen Betrachtungen wird der Bundestag seiner Verantwortung für die Berufsausbildung aber nicht gerecht.
Frau Wilms, wir setzen Ihrem Beschönigungspapier und dem Papier der Mehrheit dieses Hauses konkrete Forderungen entgegen, weil wir staatliche Verantwortung nicht nur für Rahmenbedingungen wollen, sondern auch als Verantwortung zur politischen Gestaltung begreifen. Herr Kollege Neuhausen, ich will Ihnen da auch gern ein paar Lichter anzünden.
Erstens. Wir brauchen die volle Ausschöpfung der Ausbildungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand in ihren Unternehmen und in den Verwaltungen. Da werden die 31 500 Plätze des Bundes — das sind gerade so viele wie 1981 — nicht ausreichen, Frau Wilms.
Zweitens. Wir brauchen die Aufstockung vorhandener Programme zur Schaffung von Ausbildungsplätzen auch und vor allem für Mädchen. Da ist es überhaupt keine Lösung, was Sie jetzt im Arbeitsförderungsgesetz an zusätzlichen Grundausbildungslehrgängen vorsehen. Frau Kollegin Odendahl hat dazu Stellung genommen.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Geradezu abenteuerlich!)

Drittens. Wir fordern die Schaffung eines Sofortprogramms für besonders hart betroffene Personengruppen und für Problemregionen. Sie können in dem Bericht nachlesen, wo diese Problemregionen liegen.
Viertens. Wir fordern eine Aufstockung — nicht nur die Beibehaltung des Plafonds — für das Benachteiligtenprogramm. Herr Kollege Rossmanith, wenn Sie davon sprechen, die Ausbildungsgarantie habe ja nur für ausbildungswillige und ausbildungsfähige Jugendliche gegolten, dann sollten Sie einmal nachlesen, was das Bundesinstitut für Berufsbildung in diesen Tagen dazu veröffentlicht hat, daß man über intensive Arbeit und pädagogische Hilfen sehr viele Jugendliche, die man vorher aussortiert



Kuhlwein
hatte, zu einem geordneten Abschluß in einer geordneten Berufsausbildung bringen kann,

(Zustimmung bei der SPD und den GRÜNEN)

wenn man ihnen die Chance bietet.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Modellversuche des Handwerks! Seit langen Jahren!)

— Zum Beispiel, aber die Plätze reichen nicht aus; sie müssen aufgestockt werden.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: So ist es!)

Fünftens. Wir brauchen die Schaffung der gesetzlichen Grundlage für einen ausbildungsbezogenen Finanzausgleich zwischen den Betrieben zur Unterstützung von Ausbildungsbetrieben, und zwar, Herr Kollege Schierholz, nicht in den Bundesländern isoliert und schon gar nicht allein im Bundesland Bremen, weil man nicht alle ökonomischen Probleme denen zuschieben kann, denen das Wasser sowieso schon bis zur Halskrause reicht. Wir brauchen dafür vielmehr eine bundeseinheitliche Regelung.

Dr. Dorothee Wilms (CDU):
Rede ID: ID1012930600
Man kann sich natürlich aus einem solchen Papier einzelne Punkte herauspicken, aus einem Papier, das sehr nüchtern zwischen Vorzügen und Nachteilen unterschiedlicher Regelungen abwägt und das am Ende den Appell und den Auftrag enthält, daß sich die Betroffenen, nämlich die Tarifparteien, einmal Gedanken darüber machen sollen, ob und wie man dieses Problem lösen kann. An keiner Stelle dieses Papiers ist gesagt worden, die Bundesregierung der sozialliberalen Koalition sei der Meinung, eine überbetriebliche Ausbildungsplatzfinanzierung sei unsinnig.
Herr Kollege Neuhausen, Ihre Bemerkung dazu aus alter Koalitionsfreundschaft von damals machte mich dann doch etwas stutzig. Wenn Sie 1981 der Meinung waren, eine überbetriebliche Finanzierungsregelung sei sinnvoll, aber gleichzeitig damals schon wußten, 1983 würden Sie über den Berg sein — das haben Sie vorhin gesagt —, verstehe ich nicht, warum Sie 1985 dagegen sind, wenn wir wissen, daß wir frühestens 1988 über den Berg sind.

(Zustimmung bei der SPD)

Aber das, was Sie hier vorgetragen haben, ist vielleicht freidemokratische Wendelogik.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Die Logik von Konfuzius!)

Ich möchte zum Schluß kommen und zusammenfassen:
Erstens. Die Bundesregierung legt mit diesem Bericht die bisher schlechteste Bilanz seit Bestehen der Berufsbildungsstatistik vor.
Zweitens. Sie hat in diesem Bericht einen Teil der künftigen Probleme erkannt und benannt, z. B. betreffend die neuen Technologien, die Abiturientenausbildung und die stärkere Berücksichtigung der
Qualität, aber die Antworten darauf sind unzureichend.
Drittens. Die Bundesregierung liefert auch mit diesem Bericht die Jugendlichen wieder dem freien Spiel der Kräfte aus. An dieser Stelle sage ich Ihnen, Frau Wilms: Im dritten Jahr, in dem Sie das Argument gebrauchen, der Aufschwung komme bestimmt und werde den Jugendlichen helfen, Ausbildungsplätze zu bekommen, sollte dieses Argument eigentlich verbraucht sein. Nichts spricht dafür, daß sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt in diesem Jahr so entscheidend verbessern wird, daß die Betriebe aus solchen Gründen zusätzliche Ausbildungsplätze schaffen werden.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Das freie Spiel der Kräfte wird sicherlich dazu führen, daß viele Jugendliche in diesem Spiel wieder den Schwarzen Peter erhalten und leer ausgehen.
Viertens: Auch dieser Bericht enthält keine überzeugende und schlüssige Gesamtkonzeption für die weitere Entwicklung der beruflichen Bildung nach Zahlen und nach Qualitäten.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Haben Sie die erwartet?)

Meine Damen und Herren, die Regierungskoalition redet immer von der Sicherung der Zukunftschancen

(Rossmanith [CDU/CSU]: Die habe ich bei Ihnen vermißt!)

der jungen Generation. Mit diesem Bericht, der hier vorgelegt worden ist, sind die Zukunftschancen eher unsicherer geworden.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012930700
Das Wort hat Herr Abgeordneter Graf von Waldburg-Zeil.

Graf Alois von Waldburg-Zeil (CDU):
Rede ID: ID1012930800
Herr Vorsitzender! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kuhlwein, zu Beginn Ihrer Rede hat mir nicht ganz gefallen, daß Sie nicht gerade galant gewesen sind,

(Kuhlwein [SPD]: Ich habe das Ministerium zitiert!)

aber in der Fortführung Ihrer Rede hat mir sehr gut gefallen, daß Sie konkrete Maßnahmen aufgezählt haben, die Sie zur Lösung eines Problemes vorschlagen. Das hat sich, wie ich meine, sehr vorteilhaft von der Rede Ihres sonst sehr geschätzten Kollegen Weisskirchen abgehoben, der nur die stierkampfartige Angriffsformation geritten hat, um darzutun, alles was die Regierung mache, sei schlecht. Ich frage mich in erster Linie: Warum unterhalten wir uns soviel über das, was die Regierung gemacht hat? Stellen Sie sich einmal vor, es wären 50 000 Plätze mehr angeboten worden, als Nachfrage da ist! — Darauf hätten Sie mit Recht gesagt: Schmücken sie sich nicht mit fremden Federn; das ist doch die Wirtschaft, die das geleistet



Graf von Waldburg-Zeil
hat; das sind doch die Handwerker, die das geleistet haben. — Sie hätten im Grunde genommen recht gehabt.
Wissen Sie, wenn man sich nur über die Zahlen unterhält, ist es immer dasselbe Schema. Das ist heute schon von mehreren Rednern dargetan worden. Man sagt zuerst, um das Problem zu verdeutlichen: Noch nie hat es so viele Nachfragende gegeben. — Dann sagt man andererseits: Ja, aber noch nie war das Angebot so toll. — Das stimmt j a auch. Dann kommt als Drittes — und das wird niemand leugnen wollen —: Noch nie sind so viele übriggeblieben. — Auch das ist richtig.
Ich meine, man kann sich ruhig über Zahlen unterhalten, wie sie sich darstellen. Herr Weisskirchen, ich würde nicht mühsam daraufzurechnen versuchen: Es kommen noch welche hinzu, die vielleicht im Ausbildungssystem sind, das aber nicht so gerne haben, oder die in beruflichen Schulen sind. Ich meine, bleiben wir doch bei den Zahlen als solchen.
Wenn wir uns darüber unterhalten, wie wir die Probleme lösen können, scheint mir entscheidend, daß zwischen uns ein fundamentaler Unterschied besteht, indem Sie „mit mehr Staat" und wir „mit weniger Staat" sagen.
Dies gilt nicht nur für unsere Vorstellung, an die Wirtschaft zu appellieren, mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, und ihr zu danken, wenn sie sie zur Verfügung gestellt hat, sondern das gilt auch in einer zweiten Phase, auf die ich besonders hinweisen möchte. Sie haben immer wieder angegriffen, daß man sich nicht an den alten Stand der Berufsbildungsberichte halte und über 15 Monate statt über neun rede, daß man den Zeitrahmen ausweite. Ich glaube, es hat einen guten Grund, warum man darüber reden muß. Man muß deshalb darüber reden, weil unser Bewußtsein sehr geschärft worden ist — und das halte ich für eine gute Sache —, daß es nicht allein mit der Statistik getan ist, sondern daß unversorgte Mädchen und Buben übrig sind. Was geschieht mit denen? Um die kümmert man sich dann, möglichst auch im einzelnen.

(Kuhlwein [SPD]: Aber es entstehen wieder unversorgte Neue!)

Auch hier, lieber Herr Kollege Kuhlwein, unterscheiden wir uns ein bißchen. Sie sagen „mehr Staat", indem Sie z. B. bei der Beratung des Beschäftigungsförderungsgesetzes dagegen sind, daß das Privileg der Arbeitsämter beschnitten wird. Wir hingegen setzen auf mehr Freiwilligkeit und darauf, daß möglichst viele mithelfen, um den Einzelfall zu lindern oder abzubauen.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Ein Drittes scheint mir auch sehr wichtig zu sein. Das duale System in der Bundesrepublik hat den entscheidenden Vorteil, daß es auf den Arbeitsmarkt eine Absorbierungswirkung entfaltet. Mehrere Redner haben heute darauf hingewiesen — und das war richtig —, daß wir ja nicht nur das Ausbildungsproblem haben, sondern danach in einer Versetzung von drei Jahren das Arbeitsmarktproblem, nämlich die Jugendarbeitslosigkeit. Gerade wenn wir das betrachten, müssen wir erkennen, daß Ausbildungsplätze einer der besten und wichtigsten Faktoren sind, um Jugendarbeitslosigkeit zu beseitigen. Denn der Meister insbesondere in einem kleinen Betrieb, der einen Jugendlichen hereingenommen hat, überlegt es sich sehr, ob er ihn nachher ausstellt. Im dualen System wird eben doch immer wieder bis an die Grenze des wirtschaftlich Vertretbaren eingestellt, obwohl man es sonst vielleicht nicht verantworten würde. Das ist aber nur auf freiwilliger Basis möglich. Das kann man nicht mit staatlichem Zwang verordnen. Deshalb, meine ich, ist es wichtig, daß wir in besonderem Maße auf den Freiheitsspielraum setzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, über der Diskussion der Zahlen und der Lösungen für das Problem sind vielleicht einige Tendenzen zu kurz gekommen, die in dem Fünften Berufsbildungsbericht deutlich werden. In der Zeit der großen Planungseuphorie sind wir immer davon ausgegangen, daß im Grunde genommen der Mensch — wieder das gleiche Thema — dem Staate folgt. Bildungspolitiker planen, und die Bürger richten sich danach. Wir sind in eine neue Phase getreten, nämlich in eine Phase, in der Bürger von sich aus neues Bildungsverhalten an den Tag legen und die Bildungspolitiker letztlich zwingen, daraus Konsequenzen zu ziehen.
Darf ich zunächst einmal mit dem intensiven Suchverhalten beginnen, das heute festzustellen ist. Während man früher scharenweise Schülern begegnete, die nach dem Abitur den Lehrerberuf ergreifen wollten und ein entsprechendes Studium wählten, stehen wir jetzt vor der großen Schwierigkeit, daß im Gymnasialbereich nur etwa 5 % nachrücken können. Es erhebt sich die wirklich sehr kritische und schwierige Frage: Was soll mit den übrigen geschehen?
Heute suchen die jungen Leute mit sehr viel größerer Intensität andere Wege. Einer läßt sich z. B. im Baufach ausbilden, obwohl das unter jungen Leuten an sich nicht beliebt ist, und macht ein Baukolleg mit. Damit bekommt er zugleich die Fachhochschulreife. Er studiert dann — ein Beispiel aus meinem Wahlkreis — an der Fachhochschule für Bauwesen in Biberach weiter und erreicht damit ein Bildungsziel, mit dem er beruflich etwas anfangen kann. Mit dem Abschlußzeugnis dieser Hochschule ist bisher jeder beruflich untergekommen. Das hängt übrigens eng mit der Beratung über das Hochschulrahmengesetz zusammen, zu der wir später noch kommen, nämlich mit der Stärkung der Fachhochschule.

(Kuhlwein [SPD]: Sie werden durch dieses Gesetz aber doch geschwächt!)

Ich sagte: Das Suchverhalten ist intensiver geworden.
Eine weitere Verhaltensänderung möchte ich mit dem etwas flapsigen Begriff „korrigiertes Picht-Verhalten" bezeichnen. Es ist schon mehrfach angeklungen — Frau Minister, auch Sie haben es erwähnt; jedenfalls scheint mir das eine sehr wichtige



Graf von Waldburg-Zeil
Sache zu sein —, daß in der Tat früher sehr viele junge Leute nach Besuch der Sonderschule oder der Hauptschule — mit oder ohne Abschluß — unmittelbar in den Beruf gegangen und einfach Jungarbeiter geworden sind, wie groß auch immer die Problematik der Jungarbeiter-Klassen gewesen ist. Das hat sich grundlegend geändert. Die jungen Leute fragen heute prinzipiell duale Ausbildungsplätze nach. Sicherlich steigert das die Nachfrage; aber das macht nichts, das ist gut. Denn im Grunde genommen entspricht das dem, was Picht eigentlich gemeint hat, nämlich mehr Bildung, um Schwierigkeiten später bildungsmäßig besser bewältigen zu können.

(Kuhlwein [SPD]: Stimmt das mit dem überein, was Herr Rossmanith gerade gesagt hat?)

Ich möchte noch auf etwas anderes zu sprechen kommen, und das ist — ich darf wieder ein flapsiges Wort gebrauchen — sozusagen ein korrigiertes Dahrendorf-Verhalten. Das schichtenspezifische Privileg des Länger-lernen-Dürfens scheint sich grundlegend zu verändern. Der Grundsatz des Länger-lernen-Dürfens hat sich offensichtlich derart gewandelt, daß sich in den Jahren von 1981 bis 1984 die Zahl der 18jährigen, die einen Ausbildungsplatz nachgefragt haben, von 30 auf 44,3 % erhöht hat. Das ist eine Veränderung, die in der Diskussion komischerweise noch nicht angeklungen ist. Vom Privileg des Länger-lernen-Dürfens macht heute ein ungleich größerer Personenkreis Gebrauch als es früher der Fall gewesen ist.
Ich sehe hier allerdings eine Entwicklung, die ich Sie, Frau Minister, wissenschaftlich zu begleiten bitten möchte, nämlich die Tendenz, daß junge Leute mehr und mehr nicht das Privileg einer endlos langen Bildung sehen, sondern daß als priviligiert derjenige gilt, der am schnellsten in einen Beruf hineinkommen und sich dann später nachbilden und fortbilden kann. Das geht soweit, daß wir in ganzen Klassen von Berufsfachschulen sozusagen schwächere Schüler haben, weil die besseren Schüler bereits einen Ausbildungsplatz gefunden haben, noch weiter, daß wir an den Universitäten zum Teil schwächere Abiturienten haben, weil die stärkeren Abiturienten unmittelbar in den Beruf hineingegangen sind. Mein Anliegen ist, daß wir, nachdem die Bürger von sich aus ein neues Bildungsverhalten an den Tag legen, nun nicht die Arroganz haben zu sagen: Wir als Bildungspolitiker werden ihnen nun den Weg weisen, den sie zu gehen haben, sondern wir müssen auf diesen Wunsch, auf dieses Verhalten eingehen, und — das Wort ist schon gefallen — der Fortbildung und der Weiterbildung in sehr intensiver Weise unser Augenmerk zuwenden.
Ich würde sehr gerne nur noch ein paar ganz kurze Worte zu dem Stichwort Hauswirtschaft sagen, weil vorhin dazwischengerufen wurde: „Aha, wieder zurück zu den drei K" oder „Hausmädchen für reiche Leute" oder dergleichen.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Es ging um die Teilqualifikation!)

Nein, Hauswirtschaft ist gerade in einer Gesellschaft, die Partnerschaft will, dann allerdings nicht nur für Mädchen, ein ganz wichtiger Faktor, um die Hausarbeit rationell bewältigen zu können und damit Zeit für andere kreative Tätigkeiten freizusetzen. Insofern bitte ich sehr herzlich, die Hauswirtschaft bei den Bemühungen des nächsten Jahres nicht unter dem Stichwort „nur für die drei K" an den hinteren Rand zu setzen, sondern sie ganz intensiv nach vorne zu bringen, denn wenn viele, z. B. auch junge Mädchen, die Wahlfreiheit wahrnehmen und diese Möglichkeiten nachfragen, muß man sie auch anbieten.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012930900
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 10 a: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft auf Drucksache 10/2855. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist mit Mehrheit angenommen.
Zu Tagesordnungspunkt 10b schlägt der Ältestenrat vor, den Berufsbildungsbericht 1985 auf Drucksache 10/2974 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und den Haushaltsausschuß zu überweisen. Für den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3090 ist Ausschußüberweisung beantragt worden, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Lage der Rußlanddeutschen
— Drucksachen 10/2100, 10/2760 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Hupka Schlaga
Frau Dr. Hamm-Brücher
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.




Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1012931000
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag hat sich am 8. November 1984 sehr ausführlich, sehr umfassend und sehr kompetent mit dem Fragenkomplex der Lage der Rußlanddeutschen beschäftigt. Wir haben im Ausschuß über den Antrag debattiert. Herr Präsident, ich möchte darauf hinweisen, daß sich innerhalb so kurzer Zeit weder die Situation der Rußlanddeutschen geändert hat noch daß sich die Möglichkeiten geändert haben, die wir in der Bundesrepublik haben, ihnen zu helfen. Ich möchte deshalb nicht bereits Gesagtes wiederholen, um Ihre kostbare Zeit nicht unnötig in Anspruch zu nehmen.
Ich verweise deshalb auf das Protokoll der 98. Sitzung vom 8. November 1984, auf die Seiten 7068 und 7069. Herr Präsident, ich möchte damit einen konstruktiven Beitrag zur Parlamentsreform leisten und auf Wiederholungsrituale verzichten, um Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein früheres Heimgehen zu ermöglichen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012931100
Ich finde schon, daß dies Beifall auf allen Seiten des Hauses verdient hätte. Nachahmung darf ich empfehlen.
Als nächster hat der Herr Abgeordnete Schlaga das Wort.

Georg Schlaga (SPD):
Rede ID: ID1012931200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde Sie auch nicht lange aufhalten. Ich habe die Originaltexte der Reden der CDU-Abgeordneten Jäger, Böhm und Reddemann die diese im Europarat zu dem Thema „Situation of the German Ethnic Minority in the Soviet Union" gehalten haben, erst gestern abend in die Hand bekommen und sie aufmerksam gelesen. Rapporteur war Herr Jäger. Aus diesem Report ist der vorliegende Antrag zur Lage der Rußlanddeutschen entstanden. Meine Befürchtungen, daß es nicht so sehr um wirklich mehr individuelle Freiheiten im kulturellen Bereich oder um mehr Ausreisemöglichkeiten für die Deutschen aus der Sowjetunion geht, haben sich leider nicht zerstreut. Es geht mehr um ein öffentliches Aufrechnen sowjetischer Menschenrechtsverletzungen. Das ist von Fall zu Fall sehr wohl eine politische Notwendigkeit. Wenn ich aber von jemandem etwas haben will, dann ist der Tritt vors Schienenbein eine wenig erfolgreiche Methode.
Der vorliegende Antrag ist eine nahtlose Auflistung von UN-Konventionen, Menschenrechtsvereinbarungen und der Absichtserklärungen von Helsinki und Madrid. Nichts davon ist falsch; und trotzdem: Man liest es, spürt die Absicht und ist verstimmt.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Warum haben Sie dann im Ausschuß zugestimmt?)

— Ich habe im Ausschuß nicht zugestimmt.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Aber Ihre Fraktion!)

Den Deutschen in der Sowjetunion, die zu den ärmsten Opfern Hitlerscher und Stalinscher Brutalität wurden, wird diese Methode wenig helfen.
Ich habe hier am 8. November 1984 gesagt: Sie
— die CDU/CSU-Fraktion —
wollen für die Menschenrechte und für die Minderheiten
— der Rußlanddeutschen — eintreten.
Das wollen wir auch.
Ich bitte nur darum ...: tun Sie das sehr vorsichtig mit viel, viel Fingerspitzengefühl, und tun Sie das klug.

(Dr. Hupka [CDU/CSU]: Schlagas goldene Worte!)

Mit Vorwürfen holen wir keinen Deutschen aus der Sowjetunion und verschaffen ihm auch nicht mehr individuelle Menschenrechte.

(Dr. Hupka [CDU/CSU]: Mit Schweigen auch nicht!)

Wir haben Ihnen in den 70er Jahren gezeigt, wie man erfolgreich sein kann. Lesen Sie bitte noch einmal nach, welche Bilanz die ehemalige Staatsministerin im Auswärtigen Amt und ich hier bei der ersten Lesung am 8. November 1984 vorgelegt haben, und lesen Sie auch nach, wie das gemacht worden ist, nämlich mit Geduld und Augenmaß.
Lassen Sie mich wiederholen: Völkerrechtlich mag ja jede Ziffer und jeder Abschnitt in Ihrem Antrag stimmen. Trotzdem halte ich den Weg des stillen, zähen Verhandelns für den erfolgreichen. Sie sollten diesen Weg gehen.
Ich empfehle meiner Fraktion Stimmenthaltung.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Kein Beifall bei der Fraktion der SPD!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012931300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID1012931400
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Es ist, so glaube ich, gut, daß sich die Lage der Deutschen in Rußland immer wieder auf der Tagesordnung unseres Parlaments, des Deutschen Bundestages, befindet — und dies keineswegs in langen Zeitabständen, wie wir vorhin schon vernommen haben. Leider ist aber auch gleich hinzuzufügen, daß der Anlaß für die Beschäftigung mit diesem Thema höchst betrüblich ist. Es steht um die Lage der Rußlanddeutschen schlecht, ja die Lage der Rußlanddeutschen ist von Mal zu Mal, da sich der Deutsche Bundestag damit befaßt hat, schlechter geworden.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Leider wahr!)

Im ersten Satz macht sich unser Antrag die Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zur „Lage der Deutschen Minderheit in der Sowjetunion" vom 29. September 1983 zu eigen. Hier ist dann allerdings gleich zu Beginn eine



Dr. Hupka
Korrektur anzubringen. Gerade diese Korrektur macht deutlich, in welchem Ausmaß sich die Lage der Rußlanddeutschen ständig verschlechtert. Es heißt nämlich in der Empfehlung, daß die Parlamentarische Versammlung des Europarates — ich zitiere —
bedauert, daß die sowjetische Regierung entgegen ihren Zusagen sehr wenige Ausreisevisa — kaum mehr als 100 im Monat — erteilt.
Das war vor eineinhalb Jahren noch so. Im Jahre 1983 konnten im Monatsdurchschnitt 121 Rußlanddeutsche die Sowjetunion als Aussiedler verlassen. Im vorigen Jahre waren es nur noch 76. Für Januar 1985 wurden in Friedland nur nach 42 Aussiedler aus der Sowjetunion registriert, im Februar 27, und für den 1. bis 26. März waren es nur 25. Ich meine, Herr Kollege Schlaga, das kann man nicht mit Schweigen und Zuschauen übergehen. Hier muß man selber das Wort ergreifen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das heißt, daß heute genauso wenige Deutsche die Ausreiseerlaubnis erhalten wie 1970, als im Monatsdurchschnitt 29 Rußlanddeutsche zu uns kommen konnten.
Nach Abschluß und Ratifizierung des Moskauer Vertrages hatte sich die Möglichkeit zur Ausreise für die Rußlanddeutschen, was niemand leugnet, verbessert. Am besten sah es 1976 aus, im Jahre nach der feierlichen Unterzeichnung der KSZE-Schlußakte in Helsinki. Damals erhielten 9 704 Rußlanddeutsche die Ausreiseerlaubnis. Seitdem, seit 1976, ist die Zahl der Ausreisegenehmigungen — man muß wohl sagen: systematisch — Jahr für Jahr zurückgegangen. Im vorigen Jahr war die Zahl bereits unter 1 000 gesunken und betrug nur noch weniger als 10 % der Zahl von 1976. Unser Antrag nennt noch eine Zahl von 1 447 Ausreisegenehmigungen für 1983, aber 1984 waren es leider nur noch 913.
Woran liegt das nun? Zunächst ist festzustellen, daß die sowjetischen Behörden nicht bereit sind, allen Deutschen, die ausreisen wollen, die Ausreise zu gestatten. Die Macht des Mächtigen — fast möchte man sagen: des Allmächtigen — entscheidet nach Gutdünken und Willkür. Ohnehin ist der Kreis derer, die die Aussiedlung beantragen können, sehr klein gezogen, nämlich auf die engsten Familienmitglieder wie Eltern und Kinder beschränkt. Diejenigen, so wird amtlicherseits in der Sowjetunion erklärt, die hätten ausreisen wollen und können, seien schon längst ausgereist. Deshalb verstehe es sich von selbst, daß kaum noch jemand die Ausreise in die Bundesrepublik antreten könne. Auch sei zu berücksichtigen, daß derjenige, der im wirtschaftlichen Betrieb einen festen Platz einnehme, diesen als Aussiedler nicht plötzlich aufgeben könne. Schließlich wird auch damit gespielt, daß man Fälle propagiert, aus denen hervorgehen soll, daß es Rückkehrer gebe, die aus der Bundesrepublik Deutschland in das Paradies der Arbeiter und Bauern höchst unzufrieden zurückgekehrt seien, und es sich deswegen wohl anbiete, dem Ausreiseantrag nicht stattzugeben.
Zur Familienzusammenführung wird in der KSZE-Schlußakte ausdrücklich erwähnt — ich zitiere —,
daß die Einreichung eines Gesuches betreffend Familienzusammenführung zu keiner Veränderung der Rechte und Pflichten des Gesuchstellers oder seiner Familienmitglieder führen wird.
Gerade aber diesbezüglich gibt es eine Fülle von Konflikten und Schikanen, denen die Antragsteller in der Sowjetunion nach wie vor ausgesetzt sind. Derjenige, der sich für die Ausreise und damit für die Familienzusammenführung entscheidet, ist ein Gebrandmarkter. Im Betrieb muß er sich Befragungen — besser gesagt: systematischen Ausfragungen — stellen, und die Familienmitglieder werden in der Hausgemeinschaft, in der Straßengemeinschaft desavouiert. Wer gegen die Verzögerung oder Verweigerung der Ausreise öffentlich protestiert, muß mit Verfolgung, Inhaftierung und gerichtlicher Verurteilung rechnen. Auch das, Herr Schlaga, können wir, so meine ich, nicht mit Schweigen übergehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist festzuhalten, daß sich die Sowjetunion an die aus ihren eigenen Unterschriften resultierenden Verpflichtungen für die Familienzusammenführung nicht gebunden fühlt. Darum ist es unsere Aufgabe, die Sowjetunion daran immer wieder und auch mit Nachdruck zu erinnern.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Aber wir haben uns in gleicher Weise wie um die mehr als 100 000 Aussiedlungswilligen unter den nahezu 2 Millionen Deutschen um die auf jeden Fall daheimbleibenden Rußlanddeutschen zu sorgen und sie in unsere Obhutspflicht einzubeziehen. Sie stellen nach wie vor die große Mehrheit.
In der Beschlußvorlage wird ausdrücklich auf Art. 27 des Internationalen Pakts für bürgerliche und politische Rechte Bezug genommen.
Obwohl die Sowjetunion im Wort steht, haben die Deutschen in der Sowjetunion — immerhin in der Größenordnung der Minderheiten an 14. Stelle stehend — keinen Gewinn davon. Es gibt keine deutschen Schulen; die Beherrschung der deutschen Muttersprache geht in erschreckendem Maße zurück. Es ist festgestellt worden, daß 1950 noch 75 Deutsch als Muttersprache fließend beherrscht haben, 1970 waren es bereits nur noch 68 %, und für 1979 wird die Zahl von 57 % gemeldet. Das heißt, daß überhaupt nur noch weniger als zwei Drittel der Deutschen in der Sowjetunion Deutsch sprechen können.
Es fehlt an der eigenen Pflege der deutschen Sprache, weil die dazugehörigen Bücher nicht erreichbar sind. Wenn es deutsche Literatur gibt, dann überhaupt nur Importe aus der DDR. Der Bundesrepublik Deutschland ist jeder gezielte Export deutscher Bücher untersagt.
Den Deutschen in Rußland sagt man zu Recht nach, daß sie tief religiös empfinden; es sind Lutheraner und Katholiken, Mennoniten und Baptisten,



Dr. Hupka
um nur einmal die größten Gruppen zu nennen. Es fehlen aber die Geistlichen; man ist auch hier ganz auf sich selbst gestellt. Wer sich als Gemeinde registrieren läßt — dazu gehört Mut —, darf zwar ein Gotteshaus, einen Gebetssaal errichten; aber die Bekundung des Glaubens in der Öffentlichkeit, etwa durch Prozessionen, ist untersagt.
Richtig ist, daß der gegenwärtige hohe Ausreisedruck gemindert würde, verfügten die Deutschen über all die Menschenrechte, die ihnen als deutscher Volksgruppe auf Grund des bereits zitierten Menschenrechtspaktes und der Dokumente der KSZE-Schlußakte zustehen.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr!)

In der Beschlußempfehlung wird die — ich zitiere —
Bundesregierung aufgefordert, die Deutschen in der UdSSR in die kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten voll einzubeziehen und darauf hinzuwirken, daß für Besuchsreisen aus der Bundesrepublik Deutschland in die UdSSR auch die Siedlungsgebiete der Deutschen in der Sowjetunion verstärkt zugänglich gemacht werden.
Wer auch immer in die Sowjetunion reist und die Sowjetunion bereist — und dies gilt auch und gerade für uns Parlamentarier —, sollte am Schicksal der Deutschen in der Sowjetunion nicht nur interessiert sein, sondern den hartnäckigen Versuch unternehmen, mit den Deutschen in Verbindung zu treten. Wir dürfen nicht länger die deutscherseits gern geübte Praxis des Wegschauens, sobald etwas unangenehm sein oder werden könnte, üben. Ich habe das heute wieder aus den Anmerkungen des Kollegen Schlaga herausgehört. Die Deutschen in Rußland fühlen sich vereinsamt, ja übersehen. Sie fühlen sich vergessen.
Es ist dringend geboten, daß deutscherseits in aller Öffentlichkeit den Deutschen in der Sowjetunion erhöhte Aufmerksamkeit und Sorge zugewendet wird. So wie sich die USA für die Sowjetbürger jüdischen Glaubens in vorbildlicher Weise einsetzen, ist es unser aller Pflicht, in gleicher Weise als Deutsche — ob Bundesregierung oder Parlament oder breite Öffentlichkeit — für die Deutschen in der Sowjetunion Partei zu ergreifen.
Die Sowjetunion muß immer wieder, was mit dieser Beschlußempfehlung auch geschieht, an ihre Verpflichtungen aus dem Internationalen Menschenrechtspakt und der KSZE-Schlußakte erinnert und auf die Umsetzung ihrer Unterschrift in menschenrechtliche Handlungen gegenüber den Deutschen verwiesen werden.

(Beifall des Abg. Jäger [Wangen] [CDU/ CSU])

Bis jetzt konnte für die Deutschen in der Sowjetunion kaum etwas zum Besseren verändert werden. Aber wir dürfen nicht ablassen, die Lage der Deutschen eindringlich zu beschreiben und eine Änderung zu wünschen, zu erbitten und zu fordern.
Das deutsch-sowjetische Verhältnis, das alle demokratischen Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland stetig zu verbessern sich vorgenommen haben, wird sich an der offiziellen sowjetischen Politik gegenüber den Sowjetbürgern deutscher Volkszugehörigkeit messen lassen müssen.
Ich bitte um Zustimmung zu der vorliegenden Beschlußempfehlung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1012931500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Horacek.

Milan Horacek (GRÜNE):
Rede ID: ID1012931600
Herr Präsident! Guten Abend! Im November letzten Jahres haben wir schon einmal über den vorgelegten Antrag von CDU/CSU und FDP diskutiert. In meiner Rede damals habe ich die Grundlinien der Politik der GRÜNEN in der Frage nationaler Minderheiten skizziert.

(Vorsitz : Vizepräsident Frau Renger)

Ich habe damals gesagt: Wir treten für die Rechte der nationalen Minderheiten in allen Ländern ein, und das heißt selbstverständlich auch für die Rechte der deutschen Minderheit in der Sowjetunion. Wir wenden uns dagegen, daß eine Regierung, welche auch immer, die Unterdrückung einer nationalen Minderheit in einem anderen Land für eigene Machtansprüche mißbraucht. Wir wenden uns aber auch gegen die Heuchelei der CDU/CSU-FDP-Regierung, die von der Sowjetunion die Wahrung der Minderheitsrechte der Rußlanddeutschen fordert und gleichzeitig hier zum Beispiel türkische Mitbürgerinnen und Mitbürger vor die Alternative stellt: Integration oder Heimkehr.

(Bohl [CDU/CSU]: Was soll das? — Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Was soll der Vergleich?)

— Was heißt: Was soll das? Ist das nicht so? Gucken Sie sich die Lage an. Ich komme aus Frankfurt und kenne die Lage dort. Ich weiß, wie umgegangen wird. Ich würde empfehlen, daß man nicht einäugig ist.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Die Rußlanddeutschen wären froh, wenn sie die Rechte dort hätten, die die Türken bei uns haben!)

— Hören Sie nur zu. Als ich mich bei der Vorbereitung auf diese Rede fragte, was inzwischen passiert ist, fiel mir zuerst folgendes ein. Wir haben seit der damaligen Diskussion im November einige Briefe vor allem von ehemaligen Rußlanddeutschen erhalten, und wir haben mit denen auch darüber diskutiert. In diesen Briefen werden erschütternde Schicksale von ganzen Familien geschildert, deren einzelne Mitglieder in nationalsozialistischen Konzentrationslagern oder in Stalins Gulags umkamen. Deshalb möchte ich deutlich an die Adresse dieser Briefeschreiber sagen: Die Rußlanddeutschen waren keine Anhänger eines Großdeutschen Reiches, und sie waren nur in Ausnahmen, was sich belegen läßt, Anhänger des Nationalsozialismus. Sie waren keine fünfte Kolonne großdeutscher Expansionspolitik, wie es leider z. B. eine ganze Reihe deutscher



Horacek
Politiker in der Tschechoslowakei, in Rumänien und Polen waren.
In mehreren Briefen werden wir gebeten, die besondere Verantwortung des Mutterlandes für die Rußlanddeutschen zu sehen. Über diese Vorstellung habe ich lange nachgedacht. Ich bin der Ansicht, daß wir diese Forderung nach der besonderen Verantwortung des Mutterlandes ernst nehmen sollten, wo sie sich auf kulturellen Austausch, Besuche, Familienzusammenführung usw. bezieht. Doch halte ich dies vor allem für eine Aufgabe der Menschen und der gesellschaftlichen Kräfte. Da dieses Recht auf gegenseitigen Kontakt, auf gegenseitige Besuche den Menschen in der Sowjetunion aber sehr eingeschränkt und erschwert wird, werde ich auf diesem Gebiet auch die positiven Ansätze der Bundesregierung auf diesem Gebiet unterstützen.
Zugleich meine ich aber, daß sich in der Formel von der besonderen Verantwortung des Mutterlandes nationalistische Ansprüche verbergen könnten. In den fünf Monaten seit unserer letzten Debatte über die Rußlanddeutschen haben wir hier im Bundestag die kläglichen Auseinandersetzungen um das Motto des Schlesiertreffens erlebt. Wir haben gesehen, wie die unausgetragenen Konflikte in der CDU/CSU seit den Tagen der neuen Ostpolitik in den Reihen der CDU/CSU Positionen überdauern ließ, die immer noch alle menschlichen Hoffnungen auf eine positive Veränderung der Situation in Europa mit Ansprüchen auf die Wiederherstellung des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 verbinden.

(Dr. Hupka [CDU/CSU]: Wir reden über die Rußlanddeutschen!)

— Natürlich! — Die Ausführungen von Herrn Rühe einerseits, und die Ausführungen von Ihnen, Herr Hupka, und von Herrn Czaja andererseits, stehen immer noch als zwei mögliche Positionen der CDU/ CSU im Raum. Solange aber die CDU/CSU nicht offiziell erklärt, daß humanitäre Forderungen für eine deutsche Minderheit von ihr in keinem Fall mit Gebietsansprüchen verbunden werden, kann uns niemand verübeln, daß wir skeptisch gegenüber Anträgen der CDU/CSU auf Unterstützung der Menschenrechtsforderungen in Mittelosteuropa bleiben. Würden Sie uns durch eindeutige Erklärungen Ihrerseits die Furcht nehmen, daß Menschenrechtsverletzungen in Mittelosteuropa von Ihnen nicht deshalb angeprangert werden, um großdeutsche Gebietsansprüche offenzuhalten, dann könnten wir hier viel leichter zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In den Monaten seit November letzten Jahres sehen wir in Mittelosteuropa eine weitere Zuspitzung der Konflikte um nationale Minderheiten. Dies betrifft z. B. die deutsche und die ungarische Minderheit in Rumänien, die türkische Minderheit in Bulgarien, die albanische in Jugoslawien, die deutsche, die jüdische und anderer Minderheiten in der Sowjetunion. Wir betrachten diese Entwicklung mit großer Sorge. Denn hier geht es um Menschen, die sich zu Recht gegen die Unterdrückung ihrer kulturellen, nationalen und religiösen Identität zur Wehr setzen.
Wir GRÜNE sind der Ansicht, daß die lange schwelenden nationalen Konflikte in Mittelosteuropa im Sinne der Menschen gelöst werden müssen, im Vorangehen zu regionalen, multikulturellen und selbstverwalteten Einheiten. Anders als konservative Osteuropaforscher und konservative Politiker sehen wir aber nicht mit Schadenfreude die reale Widerlegung aller Propagandaformeln vom „proletarischen Internationalismus" und hoffen wir nicht auf einen explosionsartigen Zusammenbruch der mittelosteuropäischen Systeme;

(Dr. Hupka [CDU/CSU]: Zum Thema, Herr Horacek!)

denn oft sagen uns auch russische Emigranten, sie möchten ihr Land nicht brennen sehen. Warum? Ich möchte diesen Gedanken aufgreifen. Wenn auf Grund der inneren Widersprüche — seien sie nationaler, sozialer oder politischer Natur — ein Zusammenbruch passieren sollte, würde uns das hier in Europa und auf der ganzen Welt Millionen von Leben kosten.

(Dr. Hupka [CDU/CSU]: „Lage der Rußlanddeutschen" heißt das Thema!)

Wir sollten dazu beitragen, daß sich die Sowjetunion gemäß ihren eigenen inneren Bedingungen zu einer Gesellschaft verändert, in der sich Menschlichkeit, Aufrichtigkeit, gegenseitige Achtung entwickeln und nicht Angst und Unterdrückung, Lüge und Unmenschlichkeit, wie es bisher der Fall ist. Wenn wir zu einer solchen Wandlung beitragen wollen, dann kann es nicht durch Heuchelei und Rechthaberei oder gar durch immer mehr Waffen geschehen, sondern durch beispielhaftes und glaubwürdiges Verwirklichen der Rechte nationaler Minderheiten bei uns selbst, den Abbau von Feindbildern bei uns selbst, das Knüpfen menschlicher Kontakte über die Grenzen hinweg, den Aufbau und die Festigung einer menschlichen Gesellschaft hier.
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat es ihren Mitgliedern freigestellt, sich bei der Abstimmung der Stimme zu enthalten, um ihren Widerspruch gegen die einäugige Anprangerung von Menschenrechtsverletzungen im Lager des politischen Gegners bei gleichzeitiger Duldung der Menschenrechtsverletzungen im eigenen Lager zum Ausdruck zu bringen; oder aber dieser Resolution zuzustimmen, weil sie richtige Forderungen enthält. In dieser Hinsicht sind wir nicht einäugig. Ich selbst werde dieser Resolution zustimmen, weil ich der Meinung bin, daß sie richtige Forderungen enthält, weil auch ich Menschenrechtsverletzungen verurteilen will, egal, von wem, gegen wen und wo sie auch geschehen.
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Hupka [CDU/CSU]: Dem letzten Satz kann man zustimmen!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012931700
Das Wort hat Herr Staatsminister Dr. Mertes.




Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID1012931800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt die Resolution der CDU/
CSU- und der FDP-Fraktion. Der Inhalt spricht für sich. Herr Kollege Schlaga, ich möchte vor allen Dingen betonen, daß sie voll in der Kontinuität der Politik der bisherigen Bundesregierungen zu diesem Thema steht, und alle Texte, auf die sich die Resolution bezieht, sind Texte, mit denen auch die früheren Bundesregierungen, die sozialliberalen Regierungen, gearbeitet haben. Mir ist Ihre Argumentation, offen gestanden, insofern nicht ganz verständlich. Denn in der Tat ist dieser Antrag ein Antrag der Kontinuität in der Außenpolitik zu einem Thema, bei dem wir als Opposition die Bundesregierung immer voll unterstützt haben.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Ich bin sicher, daß die Resolution, wenn auch nicht
sofort und sichtbar, eine gute Wirkung haben wird.
Es ist gut, daß der Deutsche Bundestag die Bemühungen der Bundesregierung um die Familienzusammenführung von Deutschen aus der Sowjetunion und um die Verbesserung der Lage aller in der UdSSR lebenden Deutschen unterstützt. Die Bundesregierung hofft, daß die sowjetische Führung diese Willensbekundung der gewählten Vertretung des deutschen Volkes als wichtiges Signal — und in der Praxis hoffentlich angemessen — berücksichtigen wird.
Wie immer man hier auch argumentieren mag, es kommt auf das Ergebnis an. Deshalb freue ich mich über die Mitteilung des Kollegen Horacek, daß er diesem Antrag zustimmen wird. Ich habe keinen Zweifel, Herr Kollege Schlaga, daß angesichts der menschlichen und politischen Bedeutung dieses Themas auch die SPD-Fraktion diesem Antrag letzten Endes dann doch zustimmen wird. Auch das ist natürlich — wie alles in der Politik — nur eine Hoffnung.
Die Bundesregierung hat immer eine positive Bilanz zum Thema „Deutsche in der Sowjetunion" gezogen. Seit dem Besuch des ersten Bundeskanzlers, Konrad Adenauer, 1955 in Moskau, der sich in diesem Jahr zum 30. Mal jährt, hat die Sowjetunion in dieser Frage immer mit sich reden lassen. Herr Kollege Schlage, natürlich kann man darüber streiten, ob das mehr in der Öffentlichkeit geschehen sollte, ob die Tonart von seiten des Parlaments einmal etwas schärfer sein sollte. Mir ist keine einzige Bundesregierung der 50er, 60er, 70er oder 80er Jahre bekannt, die das Gesetz der Diskretion hier nicht beachtet hätte. Insofern verstehe ich die Ermahnungen, die Sie an die Bundesregierung gerichtet haben, nicht. Herr Kollege Horacek, ich verstehe, offen gestanden, auch nicht, wieso Sie der Bundesregierung in dieser Frage Heuchelei vorwerfen. Selbstverständlich gilt die Forderung nach Achtung der Menschenrechte überall.

(Dr. Hupka [CDU/CSU]: So ist es! — Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

30 000 Flüchtlinge in Chile sind 30 000 Flüchtlinge
zuviel, und 3 Millionen Flüchtlinge in Afghanistan
sind 3 Millionen zuviel. Man muß auch die Proportionen wahren, Herr Kollege Horacek.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Immerhin möchte ich jetzt auch etwas Positives sagen. Freuen Sie sich doch darüber. Zwischen 1955 und 1984 konnten ca. 94 000 Sowjetbürger deutscher Nationalität zu ihren Familienangehörigen kommen, die bei uns leben. In vielen Einzelfällen hat nur hartes Ringen zum Erfolg geführt. Herr Kollege Schlaga, über Methoden kann man immer streiten. Es ist eine bare Selbstverständlichkeit, daß je nach Lage und je nach Fall diese oder jene Methode die bessere ist.
Es ist also vieles erreicht worden. In den letzten Jahren — darauf hat vor allem der Kollege Hupka hingewiesen — ist die Lage allerdings wesentlich schlechter geworden. Die Bundesregierung und, so glaube ich, der ganze Deutsche Bundestag bedauern dies auf das tiefste.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

Es ist heute sehr viel die Rede davon, daß der Friede das Hauptthema zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion ist. Das ist auch richtig so. Friede bedeutet aber nicht nur die Erhaltung des Friedens gegen jede Art von Krieg in Europa. Friede ist auch Friedensgestaltung im Sinne des unlöslichen Zusammenhangs von Menschenrechten und Frieden. Männer wie Andrej Sacharow und unsere Kirchen weisen immer wieder auf den unlöslichen Zusammenhang von Menschenrechten und Frieden hin. Friede ist Friedenserhaltung, Friede ist aber auch Friedensgestaltung gegen jedes Unrecht.
Der Bundesregierung ist das Vorliegen von insgesamt noch über 100 000 Ausreiseanträgen bekannt. Gleichwohl konnten 1984 nur 913 Personen ausreisen. Die Schikanen, Drohungen und Einschüchterungsversuche gegenüber denen, die ausreisen wollen, nehmen zu. Besuchsreisen werden selbst in dringenden Fällen kaum noch erlaubt. Die Versendung von Paketen — ein ganz wichtiger Aspekt — ist nach Aufhebung der Vorverzollungsmöglichkeit vom Stillstand bedroht.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Leider wahr!)

Von einer Einbeziehung der Deutschen in der Sowjetunion in den bilateralen Kulturaustausch kann leider keine Rede sein. Kultur, Menschlichkeit, Friede, all das gehört zusammen, wenn das Wort Friede nicht zum großen Verbalismus unserer Zeit herabgewürdigt werden soll.
Die sowjetische Führung muß wissen, daß nur Aufgeschlossenheit und Großzügigkeit diese Belastung in den bilateralen Beziehungen ausräumen kann. Es gehört an sich zum Charakter des russischen Volkes, daß es zu besonderer menschlicher Großzügigkeit fähig ist, und ich appelliere an diese große Eigenschaft des russischen Volkes. Sie möge ihren Ausdruck auch in der sowjetischen Politik



Staatsminister Dr. Mertes
gegenüber den Deutschen in der Sowjetunion finden!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es bleibt zu hoffen, meine Damen und Herren, daß der neue Generalsekretär Gorbatschow die Bedeutung der humanitären Dimension für die von uns gewünschte konstruktive Gestaltung der beiderseitigen Beziehungen richtig einschätzt und den Wohlwollenserklärungen seiner Vorgänger wieder reale Taten folgen läßt,

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sehr gut!)

die sich in konkreten Zahlen ausdrücken. Es ist höchste Zeit, daß die sowjetische Führung wieder an die positive Bilanz der früheren Jahre anknüpft. Diesen Appell möchte ich hier mit allem Nachdruck hervorheben.
Die Bundesregierung ist entschlossen, auch weiterhin konsequent für die Anliegen der Deutschen in der Sowjetunion sowohl im bilateralen Kontakt als auch bei künftigen KSZE-Folgetreffen, ja bei allen sich bietenden Gelegenheiten einzutreten. Sie würde es begrüßen, wenn deutsche Parlamentarier künftig auch einmal in solche Regionen der Sowjetunion reisen könnten, in denen die dortigen Deutschen heute im wesentlichen leben. Ich habe selbst in den 60er Jahren Besuche in Kasakstan machen können und dort Deutsche getroffen. Für jeden Deutschen, der diese Gruppe in der Sowjetunion erlebt, ist es höchst eindrucksvoll, wie diese Menschen über die Jahrhunderte und in schwersten Zeiten die Liebe und die Anhänglichkeit an ihre deutsche Kultur und Sprache beibehalten haben.
Ich möchte allerdings auch von einem Erlebnis berichten, das mich tief beeindruckt hat. An der Sprachhochschule in Alma Ata habe ich eine Russin als Lehrerin erlebt, die jungen Kasakinnen Deutsch beigebracht hat. Diese Unterrichtserfahrung ist ein tröstendes Beispiel dafür, daß zwischen den Deutschen und den Russen gerade im Bereich der Kultur und der Sprache einiges möglich ist.
Heute aber gilt es, daran zu erinnern, daß viele Deutsche, die als deutsche Volkszugehörige, als Sowjetbürger deutscher Nationalität auch von der Sowjetunion anerkannt werden, nicht die Möglichkeit haben, ihrem Wunsch entsprechend in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen zu können und daß ihre Lage im kulturellen Bereich und im menschlichen Bereich nicht so ist, wie wir es im Zeitalter der Menschenrechte erwarten dürfen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit, ich begrüße noch einmal diesen Antrag der beiden Fraktionen, und ich hoffe, daß der gesamte Deutsche Bundestag ihm zustimmen wird.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012931900
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wer der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 10/2760 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist dieser Antrag angenommen.
Ich rufe Tagesordungspunkt 12 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Sportausschusses (5. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Schmude, Frau Steinhauer, Amling, Büchner (Speyer), Klein (Dieburg), Lambinus, Becker (Nienberge), Berschkeit, Buckpesch, Buschfort, Dreßler, Esters, Fiebig, Frau Fuchs (Köln), Heistermann, Dr. Holtz, Frau Huber, Jaunich, Dr. Jens, Jung (Düsseldorf), Dr. Klejdzinski, Kretkowski, Liedtke, Lohmann (Witten), Frau Matthäus-Maier, Meininghaus, Menzel, Dr. Mertens (Bottrop), Dr. Müller-Emmert, Müntefering, Dr. Nöbel, Dr. Penner, Poß, Purps, Reschke, Reuschenbach, Sander, Schanz, Schlatter, Schluckebier, Frau Schmedt (Lengerich), Schmidt (Wattenscheid), Schmitt (Wiesbaden), Schröer (Mülheim), Steiner, Toetemeyer, Urbaniak, Westphal, Wieczorek (Duisburg), Wiefel, von der Wiesche, Wischnewski, Zeitler, Dr. Ehmke (Bonn), Ibrügger, Bernrath und der Fraktion der SPD
Olympische Sommerspiele 1992 im Ruhrgebiet
— Drucksachen 10/2019, 10/2945 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Schwarz Frau Steinhauer
Die Berichterstatter wünschen sicherlich nicht das Wort.
Der Ältestenrat ist für eine Aussprache von 10 Minuten je Fraktion eingetreten. — Das Haus ist damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1012932000
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Die vorliegende Beschlußempfehlung und der Bericht des Sportausschusses zum Antrag der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion auf Drucksache 10/2019 sind erläuterungsbedürftig. Die darin enthaltenen Beratungsergebnisse geben nur das Minimum an Obereinstimmung wieder, das im Ausschuß zu erreichen war. Die SPD-Fraktion hat dieser Fassung zugestimmt, weil wir kein parteipolitisches Gezänk wollten; denn der Antrag der Ruhrgebietsstädtegemeinschaft, sich um die Olympiade 1992 zu bewerben, ist ein staatliches Anliegen.
Bei den Ausschußberatungen haben sich als besonders nachteilig erwiesen erstens die Unklarheit und die Widersprüche innerhalb der CDU/CSU-Fraktion und der Koalition insgesamt zum Beschluß der Ruhrgebietsstädtegemeinschaft, sich um die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 1992 zu bewerben; zweitens die fehlende Bereitschaft der CDU/CSU-Mitglieder im Sportausschuß, sich für eine unzweideutige Unterstützung dieser



Frau Steinhauer
international vorzeigbaren Bewerbungsbereitschaft auszusprechen.

(Hört! Hört! bei der SPD — Büchner [Speyer] [SPD]: Sehr bedauerlich!)

So konnten sich die Koalition bzw. ihre Vertreter nicht dazu durchringen — auch nicht der Berichterstatter, der Kollege Schwarz —, einer Formulierung zuzustimmen, die besagt, daß der Sportausschuß und damit auch der Deutsche Bundestag das Ruhrgebiet bei seinen olympischen Anstrengungen unterstützen. Man wollte dieses lobenswerte Anliegen offenbar im Stil eines Frühstücksdirektors nur begrüßen.
Wie die CDU/CSU dieses lächerliche Gerangel der Öffentlichkeit, insbesondere den Mitbürgern im Ruhrgebiet erläutern wird, ist völlig schleierhaft.

(Beifall bei der SPD)

Das gilt vor allem vor dem Hintergrund, daß auf der anderen Seite der ungeliebte Vorsitzende der CDU Westfalen-Lippe Professor Biedenkopf die Bewerbung unterstützt und zuletzt der Parteitag der CDU in Essen olympische Liebesgrüße ins Ruhrgebiet gesandt hat.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bekräftigt dagegen ihre uneingeschränkte Bereitschaft zur Unterstützung der Bewerbung der Ruhrgebietsstädtegemeinschaft.

(Beifall bei der SPD)

Kein anderer der bisher sieben Bewerber hat sich bereits so klar und verbindlich zur Übernahme von olympischen Zusatzveranstaltungen bereit erklärt, wie die Städtegemeinschaft des Ruhrgebiets.

(Zuruf des Abg. Schwarz [CDU/CSU])

— Wissen Sie, Schreien nützt nichts; das kommt hier sowieso nicht an, weil es akustisch nicht zu verstehen ist. — Das betrifft insbesondere die Olympischen Spiele der behinderten Sportler, die Ausrichtung des olympischen Jugendlagers, die Durchführung der Kulturolympiade und die Organisation des internationalen Wissenschaftskongresses.
Den Zweiflern, Kleinmütigen und von Vorbehalten gegen das Ruhrgebiet geprägten Ignoranten sage ich in aller Deutlichkeit: Das Internationale Olympische Komitee wäre froh und glücklich gewesen, wenn Moskau 1980 und Los Angeles 1984 dem IOC solche verbindlichen Zusagen gegeben hätten.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: Das ist wohl wahr!)

Das Ziel ist klar: Sozusagen als Kontrapunkt zu der maßlosen Kommerzialisierung sollen es volkstümliche Spiele werden, die von der Begeisterung der Bevölkerung getragen werden.

(Dr. Hupka [CDU/CSU]: Fußball ist im Ruhrgebiet doch auch kommerzialisiert!)

— Passen Sie auf; ich komme gleich darauf zu sprechen. — Es gilt der Grundsatz: nur so viele kommerzielle Konzessionen — beispielsweise an Medienfinanzierung — wie nötig, so viel Idealismus wie möglich. München 1972 kann durchaus als Wegweisung gelten. Auch diese Absicht der Initiatoren der Ruhrgebietsbewerbung läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
Die Bewerbung ist verbindlich und glaubwürdig. Es sollen keine Rubelspiele — sind Sie jetzt zufrieden? — und auch keine Dollar-Games wie 1980 und 1984 inszeniert werden. Bei einer Olympiade im Ruhrgebiet würden sich die soziale Grundlage und damit die Verbindung von Arbeit und Sport, von Arbeit und Freizeit klar zeigen.
Wir sehen es als eine weitere Rechtfertigung unserer Initiative an, daß der Wunsch nach Olympischen Spielen im Ruhrgebiet von der ganz überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung und der gesellschaftlichen Organisationen getragen wird, und zwar über das Ruhrgebiet hinaus.

(Frau Hürland [CDU/CSU]: Und das NOK?)

Insofern begrüßen wir auch die Bereitschaft des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland, die Bewerbung der Ruhrgebietsstädtegemeinschaft ohne Vorbehalte und mit Wohlwollen zu prüfen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Prüfen!)

Das Ergebnis wird nach unserer tiefen Überzeugung positiv sein und auch bei einem Vergleich mit den bisher bekannten Bewerberstädten durchaus Schritt halten können.
Die ironischen Zwischenbemerkungen kommen nicht an. Das entspricht genau Ihrer Einstellung zum Ruhrgebiet.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir haben gar nichts gesagt! — Beifall bei der SPD)

Man kann nicht deutlich genug darstellen, welche Einstellung Sie zum Herz unseres Landes haben, dem Sie nach dem Krieg möglicherweise Ihr Leben zu verdanken gehabt haben, weil dort die Kumpels Kohle gefördert haben, damit Sie es zu Hause warm haben.
Es ist nicht das Bestreben der Städtegemeinschaft des Ruhrgebietes, die Olympischen Spiele 1988 in Seoul zu vermiesen. Darüber hört man in der letzten Zeit Gerüchte. Wir hoffen, daß die Spiele dort ein Erfolg für die olympische Idee werden.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Auf zwei wichtige Daten möchte ich allerdings noch hinweisen. Am 8. Mai befaßt sich das Präsidium des Nationalen Olympischen Komitees in Wiesbaden mit der Bewerbungsbereitschaft der Ruhrgebietsstädtegemeinschaft. Bis Ende dieses Jahres muß dem Internationalen Olympischen Komitee die offizielle Bewerbung vorliegen. Die Zeit der Taktiker ist also vorbei — gefragt sind eine zielstrebige und qualitativ hoch stehende Bewerbung sowie Freunde und Förderer des Ruhrgebiets.

(Reschke [SPD]: Nach dem Motto: Ohne Moos nichts los!)

Auch in diesem Punkt darf das Ruhrgebiet nicht
allein gelassen werden, wenn es Aufgaben und fi-



Frau Steinhauer
nanzielle Verpflichtungen für die ganze Nation übernimmt.

(Beifall bei der SPD)

Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird dem Ruhrgebiet auch bei der Bewerbung um die Ausrichtung von olympischen Sommerspielen ein zuverlässiger Helfer sein.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ist aber nicht stark vertreten!)

Ich fordere Sie alle, meine Herren und Damen und auch die Bundesregierung, auf, auf Halbherzigkeiten zu verzichten. Sagen Sie ein olympisches Ja zum Ruhrgebiet und seiner Bewerbung für die Olympiade.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU: Stürmischer Beifall von fünf Genossen! — Aber keiner aus dem Ruhrgebiet!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012932100
Ich habe den Eindruck, daß man gar nicht alle Zwischenrufe notieren kann, die gemacht werden.
Das Wort hat jetzt Frau Abgeordnete Hürland.

Agnes Hürland (CDU):
Rede ID: ID1012932200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich natürlich darüber, verehrte Kollegin Steinhauer, daß eine Siegerländerin jetzt ihr Herz für das Ruhrgebiet entdeckt.

(Frau Steinhauer [SPD]: Das brauche ich nicht zu entdecken!)

Wir freuen uns sehr darüber!

(Frau Steinhauer [SPD]: Bei uns haben die Ruhrgebietler Geld verdient!)

— Ja, ja, bei Ihnen, aber daß Sie jetzt ins Ruhrgebiet kommen, freut mich als Ruhrgebietskind natürlich ganz besonders.

(Weitere Zurufe von der SPD)

Aber eines möchte ich hier doch wirklich sagen, und ich meine das gar nicht ironisch, sondern ganz ernst: Wir können nicht genug Freunde für das Ruhrgebiet bekommen,

(Demonstrative Zustimmung bei der SPD)

das leider unter seiner Landesregierung ein wenig heruntergekommen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Olympia ist mir — um nun zum Thema zu kommen — viel zu ernst, als daß wir es hier in den nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf hineinziehen sollten, wie Sie es leider getan haben; zumindest hatte ich den Eindruck.

(Zuruf von der SPD: Stimmt doch gar nicht!)

Meine Damen und Herren, der deutsche Sprachschatz kennt für viele Situationen treffende Redensarten. Denke ich an die Diskussion um Olympische Spiele im Ruhrgebiet, fallen mir zwei ein: „Was lange währt, wird endlich gut" und „Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte".
Bezogen auf das erste Sprichwort, darf ich daran erinnern, daß die Idee, Olympische Spiele im Ruhrgebiet abzuhalten, bereits 1971 von unserem Fraktionsfreund Erwin Marschewski als dem Vorsitzenden der Jungen Union des Ruhrgebietes und 1978 von meinem Essener Kollegen Norbert Königshofen laut gedacht wurde.

(Zuruf von der CDU/CSU: So war das! — Gegenruf von der SPD: Laut gedacht! Das ist bezeichnend!)

— Gefordert worden ist, wie Sie das heute auch tun! Seien Sie bitte nicht so kleinlich! — Wäre damals die SPD über ihren eigenen Schatten gesprungen und hätte sie diese Idee aufgegriffen, wären wir heute, glaube ich, ein Stück weiter.
Nun haben wir die Situation des zweiten Sprichworts: Die großen Parteien — jetzt ändere ich es ab
— streiten nicht, sondern wetteifern um die Popularisierung der Idee „Olympische Spiele im Ruhrgebiet". Freuen kann sich dabei der dritte, das Ruhrgebiet. Es scheint, daß damit verspätet ein Wunsch des leider allzu früh verstorbenen Heinrich Köppler in Erfüllung geht, der seinerzeit die Ansicht vertrat, daß die Olympischen Spiele im Ruhrgebiet eine Sache aller Bürger und aller Parteien werden müßten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Sehr richtig! bei der SPD)

Es scheint, als setze sich jetzt die Idee „Olympische Spiele im Ruhrgebiet" durch. Wir sollten uns darüber freuen und gemeinsam alles tun, was verhindert, daß diese schöne Idee nach dem 12. Mai 1985 in Nordrhein-Westfalen gleichsam wie eine Seifenblase zerplatzt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dann hätten diejenigen recht, die von vornherein die wortreiche Inszenierung für eine Propagandaschau hielten.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Unabhängig von der Diskussion um die Kommerzialisierung des Spitzensports ist die Idee „Olympische Spiele" aber immer noch zu schön, um zu reinen Propagandazwecken mißbraucht zu werden.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Wir haben uns daher im Sportausschuß für eine realistische Betrachtungsweise eingesetzt. Diese realistische Betrachtungsweise muß einfach berücksichtigen, daß vor gerade einem guten Dutzend Jahren Sommerspiele in der Bundesrepublik stattgefunden haben, daß dies bereits die zweiten Sommerspiele in diesem Jahrhundert in Deutschland waren und daß Deutschland, bezieht man die Winterspiele von Garmisch mit ein, bereits dreimal Schauplatz dieses sportlichen Großereignisses war.
Diese realistische Betrachtungsweise muß auch berücksichtigen, daß es bereits eine offizielle Bewerbung um die Winterspiele 1992 gibt, die wir alle unterstützen und die wir alle gemeinsam nicht gefährden sollten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




Frau Hürland
Diese realistische Betrachtungsweise muß auch bedenken, daß die olympische Idee nur dann lebt, wenn sie ihre weltumspannende Geltung beibehält. Dies bedeutet, daß auch andere Länder und Nationen und Kontinente die Chance erhalten sollten, Gastgeber der Völker dieser Welt zu sein, zumal die wirtschaftlichen Risiken heute offensichtlich überschaubarer sind, als sie es noch vor zehn oder fünfzehn Jahren waren.
Es entspricht leider sozialistischer Mentalität, immer und überall zuerst nach dem Staat zu rufen. Wir sind der Meinung, daß sich eine Idee zunächst einmal selbst verfestigen sollte, bevor staatliche Hilfe zu ihrer Förderung einsetzt. Auf unseren Fall bezogen, heißt dies: Die Grundvoraussetzungen für eine Bewerbung müssen geschaffen sein, bevor die Bundesrepublik Deutschland als Ganzes und mit ihrer ganzen Kraft helfend eingreift.
In diesem Sinne begrüßen wir die Auffassung des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland, gemeinsam mit den Städten und Kreisen des Ruhrgebiets unter Einbeziehung der Sportorganisationen — bitte nicht an ihnen vorbei — die Lage zu analysieren, eine realistische Bestandsaufnahme vorzunehmen und gemeinsam zu überlegen, welches der geeignete Zeitpunkt wäre, eine offizielle Kandidatur an das IOC heranzutragen.

(Gerstein [CDU/CSU]: Das ist der richtige Weg!)

Dies ist übrigens auch die Auffassung des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Büchner [Speyer] [SPD]: Eben haben Sie noch bedauert, daß es so lange gedauert hat, bis überhaupt eine Bewerbung stattfindet!)

Wenn es dann soweit ist, daß es sich um eine offizielle Bewerbung handelt, sind wir der Auffassung, daß angesichts des enormen Aufwandes, der heute mit einer derartigen offiziellen Bewerbung bereits verbunden ist, aus gesamtstaatlichem Interesse der Bund eine solche Bewerbung dann auch nicht nur ideell unterstützen sollte.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012932300
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Agnes Hürland (CDU):
Rede ID: ID1012932400
Nein. — Was nun grundsätzlich bezüglich einer theoretischen Bewerbung einer Stadt des Ruhrgebietes unter Beteiligung der gesamten Region gilt, muß dann natürlich auch für die bereits offiziell gewordene Bewerbung der Gemeinde Berchtesgaden und ihrer Region gelten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zustimmung des Abg. Büchner [Speyer] [SPD])

Wir sollten daher die weitere Entwicklung sorgfältig im Auge behalten, damit Bundesregierung und Bundestag zu gegebener Zeit die richtigen Entscheidungen treffen können.

(Frau Steinhauer [SPD]: Sind Sie nun dafür oder dagegen?)

Bis dahin aber sollte die Idee gepflegt werden.

(Büchner [Speyer] [SPD]: Klar dagegen! Es hieß doch: Im Auge behalten!)

Man sollte die Städte, Kreise und Gemeinden im Ruhrgebiet motivieren, ihre sportliche Infrastruktur weiter auszubauen.

(Zuruf von der SPD: Immer zuschauen, nur nicht handeln!)

— Ich hoffe, daß Sie Ihre Reden hier auch am 13. Mai noch so halten können! — Man sollte sie motivieren, durch gezielte Angebote das aktive Sporttreiben der Bevölkerung zu fördern. Man sollte sie stärken, wenn ganz konkret und gleichsam im Vorgriff auf größere sportliche Wettkämpfe die Durchführung der Weltspiele der Behinderten angestrebt werden sollte. So kann aus einer unrealistischen Ad-hoc-Aktion eine Realutopie werden, für die es sich lohnt, sich einzusetzen, denn letztlich dient sie den Menschen einer Region, deren Image noch immer von Vorurteilen geprägt ist.

(Büchner [Speyer] [SPD]: Was ist jetzt mit dem Parteitagsbeschluß der CDU von Essen?)

Darum bin ich Ihnen, verehrte Frau Kollegin Steinhauer, sehr für Ihre Freundschaft zum Ruhrgebiet dankbar.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Büchner [Speyer] [SPD]: In Essen beschließen und in Bonn nein sagen!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012932500
Das Wort hat der Abgeordnete Schwenninger.

Walter Schwenninger (GRÜNE):
Rede ID: ID1012932600
Frau Präsidentin! Liebe Sportsfreundinnen! Liebe Sportsfreunde! Hallo Nani, escuchasme? Zuerst möchte ich mal einige unbestreitbare Tatsachen benennen.
Erstens. Zur Zeit gibt es keine Aussicht, daß das NOK, das Nationale Olympische Komitee, überhaupt die Bewerbung des Ruhrgebiets um die Ausrichtung der Olympiade 1992 unterstützt. Die Leute wissen ja schließlich, was das bedeuten würde, nämlich Probleme mit der Regionenzuweisung, Konkurrenz zu Berchtesgaden und keine Chance vor dem Jahr 2008.
Zweitens. Da aber Berchtesgaden als Bewerberort für die Winterspiele 1992 schon benannt ist, zielt der hier vorliegende Antrag in seinem Punkt 4 auf eine finanzielle Unterstützung dieser Olympiade.
Drittens. Im Ruhrgebiet tobt gerade der Wahlkampf. Und, was nicht zu vergessen ist, die Region ist auf absehbare Zeit hochverschuldet.

(Abg. Büchner [Speyer] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012932700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?




Walter Schwenninger (GRÜNE):
Rede ID: ID1012932800
Ich gestatte keine Zwischenfragen; sonst komme ich mit meinem Konzept nicht durch.

(Büchner [Speyer] [SPD]: Sie kommen mit Ihrer Argumentation nicht durch!)

Hier setzt eigentlich die Bedeutung an, die wir dieser Debatte geben sollten. Auf längere Sicht soll Geld in die kommunalen Kassen abfließen, und kurzfristig soll dem Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen eine sportpolitische Komponente hinzugefügt werden.

(Reschke [SPD]: Wir haben doch die Sportanlagen schon alle!)

Auf dieser Ebene will ich mich hier jetzt gar nicht weiter äußern.
Ich möchte dagegen die Gelegenheit nutzen, unsere grundsätzlichen Gedanken zu den heutigen Olympischen Spielen darzulegen und vielleicht mal zu überlegen, wie man die olympische Idee heutzutage überhaupt noch retten kann. Dazu will ich drei Bereiche herausgreifen, den ökologischen Bereich, die Frage nach der Völkerverständigung, also nach dem Frieden, und dann auch die Frage, wie die ganze Welt integriert sein soll, d. h. die Frage nach den Völkern der Dritten Welt.

(Gerstein [CDU/CSU]: Das hilft dem Ruhrgebiet aber nichts!)

Wir hatten letztes Wochenende eine Sporttagung hier mit Leuten, die innerhalb der Bundesrepublik an einer Art grünem Sportkonzept modellieren. Einer der Hauptaspekte war die Auswirkung von Sport auf die innere und äußere Natur sowie die Beziehung der Umwelt auf den Sport.
Wir sehen den Sport gerade als einen Teil des Systems der Abtrennung von Arbeit, Leben und Freizeit sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Art und Weise. Die derzeitigen Olympischen Spiele sind gerade die Spitze dieser Parzellierung. Unser Vorschlag: Olympische Spiele sollten Vorbildcharakter für ökologisch angepaßtes Sporttreiben bekommen, d. h. Anlagen sollten ressourcensparend gebaut und eingerichtet werden.

(Büchner [Speyer] [SPD]: Im Ruhrgebiet sind die alle gebaut! Da brauchen wir keine neuen Ressourcen mehr, Herr Kollege Schwenninger!)

Die Ausrichtung sollte in bescheidener Weise und mit minimalen Mitteln erfolgen. Das müßten wir prüfen. Darüber hinaus sollte die technische und pharmakologische Manipulation unterbunden werden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012932900
Herr Kollege, Sie werden von Ihrem Kollegen Müller gefragt, ob er eine Zwischenfrage stellen kann.

Walter Schwenninger (GRÜNE):
Rede ID: ID1012933000
Ein historischer Augenblick: Ich lasse meine erste Zwischenfrage zu.

(Heiterkeit)


Dr. Joachim Müller (GRÜNE):
Rede ID: ID1012933100
Danke schön. — Sind Sie mit mir der Meinung, Herr Abgeordneter Schwenninger, daß gerade unter ökologischen Gesichtspunkten, etwa auch angesichts des Problems der Luft, die Sportler brauchen, um laufen, springen und sonst etwas tun zu können, ein Gebiet in Norddeutschland, beispielsweise die kleine Hansestadt Bremen, für die Olympiade viel geeigneter wäre?

(Lachen bei der CDU/CSU)


Walter Schwenninger (GRÜNE):
Rede ID: ID1012933200
Lieber Jo, ich weiß sehr wohl, daß Du aus dieser Stadt kommst. Ich werde mit diesem Gedanken nun schwanger gehen,

(Gerstein [CDU/CSU]: Unterschätzen Sie die saubere Luft im Revier nicht!)

und ich glaube, wenn wir hier in Bremen ein kleines Olympia machen können, ökologisch angepaßt, mit völkerverbindendem Charakter usw., dann würde ich das bejahen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012933300
Herr Kollege, würden Sie nun doch noch so nett sein, dem Kollegen Reschke auch eine Zwischenfrage zu gestatten?

Walter Schwenninger (GRÜNE):
Rede ID: ID1012933400
Nein, nein; ich komme sonst nicht durch. Wenn Sie mir fünf Minuten dazugeben, Frau Präsidentin, sehr gerne.

(Büchner [Speyer] [SPD]: Er hat schon recht gehabt: Zwischenfragen bringen ihn völlig aus dem Konzept!)

— Es kommt darauf an, woher sie kommen.
Aber schauen wir uns jetzt mal den völkerverbindenden Aspekt der Olympischen Spiele an. Durch dieses ganze Brimborium mit Flaggen, Nationalhymnen, Nationenwertung wurden die nationalen und die chauvinistischen Tendenzen ja gerade gestärkt, und wir wissen um den Mißbrauch der Olympischen Spiele in den letzten 90 Jahren, seit sie bestehen.
Die Sportlerinnen und Sportler kommen doch untereinander überhaupt nicht ins Gespräch, geschweige denn zu persönlichen Aktivitäten oder gar zu Freundschaften. Das haben wir herausgekriegt: Die Aktiven selber kommen nicht dazu. Das ergab sich aus der Befragung der Verantwortlichen im Sportausschuß.
Hier sollten wir und natürlich auch die gesamte olympische Bewegung die Tendenz aufgreifen, die echte Begegnung junger Menschen zu ermöglichen. Sie sollten zu Diskussionen kommen. Bei den Olympischen Spielen sollte ein Gedankenaustausch über die unterschiedlichen Länder und die unterschiedlichen Kulturen stattfinden. Das ist auch möglich.
An dieser Stelle will ich auf etwas hinweisen, was mir sehr gut gefällt. Es geht um den Frieden. Im Augenblick gibt es eine Bewegung, die ich für eine sehr olympische Bewegung halte; es ist die Bewegung „Sportlerinnen und Sportler für den Frieden — Sportlerinnen und Sportler gegen Atomraketen". Ich glaube, daß der olympische Gedanke, wie ihn Coubertin im Hinblick auf die ferne Utopie verstanden hat, daß es einmal eine Welt ohne Krieg geben würde, bei diesen Sportlern am ehesten verwirklicht wird, wenn sie ihren Zielen nachgehen und sich um die Abschaffung der Raketen bemühen. Ich denke da an die Raketen in Ost und West. Ich erin-



Schwenninger
nere an die Veranstaltung, die am 19. Oktober in Dortmund durchgeführt werden soll. Ich will viele Leute in diesem Land auffordern, dort hinzugehen. Bei dem Charakter des geplanten Festes, wo der Konkurrenzgedanke nicht so im Vordergrund stehen und mehr miteinander Sport getrieben werden soll, glaube ich, daß da eine Möglichkeit gegeben ist, dem Frieden im Bereich des Sports wirklich einen Schritt entgegenzugehen. Dieser Aktion sagen wir also unsere Unterstützung zu und wünschen, daß es zu weiteren Vorhaben kommt.
Weiter liegt mir natürlich sehr am Herzen, die Möglichkeiten der Olympischen Spiele im Hinblick auf die Dritte Welt auszuleuchten. Wir haben hier den Vorschlag gehört, die Spiele auch einmal dort durchzuführen. Die jetzige Situation spiegelt aber ganz deutlich die herrschende, ungerechte Weltwirtschaftsordnung wider. In den entscheidenden Gremien bestimmen die westlichen Industrieländer. Die Dritte-Welt-Länder kommen nur am Rande vor. Ich möchte, bezogen auf das IOC, die Tendenz unterstützen: „One land, one vote" — ein Land, eine Stimme. Unter diesem Vorzeichen sähe es dort ganz anders aus.

(Sehr gut! bei den GRÜNEN)

Darüber hinaus sollte der Kanon der olympischen Sportarten nicht nur auf westliche Sportarten ausgerichtet werden. Wir haben doch außer Judo eigentlich nur die Sportarten der nördlichen Industrienationen drin. Ich wünsche mir eine Öffnung für die Sportarten und Spielformen aus der Dritten Welt. Das ist wirklich möglich.

(Gerstein [CDU/CSU]: Bumerangwerfen!)

Dann wären die Olympischen Spiele wirklich kultureller Austausch. Bis jetzt sind sie nur eine Machtrepräsentation der nördlichen Industrienationen,

(Zurufe von der CDU/CSU: Ach du grüne Neune! — Was soll der Quatsch?)

vielleicht auch Chinas, wenn China dazukommt.

(Büchner [Speyer] [SPD]: Nun sagen Sie auch einmal etwas zum Thema!)

— Ja, ich wollte doch auch prinzipiell etwas zur olympischen Idee sagen.
Anfügen möchte ich noch eine begründete Befürchtung. Welche Auswirkung die Aufweichung des Sportboykotts gegen Südafrika haben kann, wird hier anscheinend gar nicht in Betracht gezogen. Schließlich hat sich der internationale Sport eindeutig gegen die Apartheidpolitik gewandt. Wenn hier weiterhin Sportkontakte mit Südafrika geführt werden, dann werden wir die Olympischen Spiele sowieso nicht bekommen, und wahrscheinlich werden wir bei den nächsten Olympischen Spielen sogar als Teilnehmer ausgeschlossen. Das kann ich Ihnen versprechen; das sagt übrigens auch Willi Daume. Das sage ich heute, an dem Tag, an dem in Südafrika der Hochverratsprozeß gegen die 16 Leute der UDF begonnen hat. Wir sehen ja immer im Fernsehen, was dort läuft. Von daher hat der Sportboykott, glaube ich, doch eine Berechtigung.
Zum Abschluß einige Worte zur Beschlußempfehlung selbst.
Erstens. Selbstverständlich können wir es nicht begrüßen, daß sich das Ruhrgebiet um die Olympischen Spiele bewirbt. Wir sehen hier den vorhin schon erwähnten Wahlkampfknüller.
Zweitens. Sicher sind Gespräche mit dem Nationalen Olympischen Komitee Voraussetzung für eine Bewerbung. Deshalb verweisen wir gerade auf den Brief des NOK, in dem deutlich die derzeitige Ablehnung einer Bewerbung des Ruhrgebiets zum Ausdruck kommt.

(Zurufe von der SPD)

— Vielleicht bin ich aber auch nicht genau informiert.
Drittens. Die angeführten Verpflichtungen sollten selbstverständlich sein. Es sollten eher noch wesentliche Ideen aufgenommen werden, um die Spiele ökologisch angepaßt auszurichten, damit der völkerverbindende Aspekt herauskommt — und so weiter, wie ich es vorhin dargestellt habe.
Ob das Ruhrgebiet nun geeignet ist, weil es über ausreichende Sportstätten verfügt, sei dahingestellt.
Zum Schluß möchte ich eine Bemerkung zum Bereich der gesamtstaatlichen Repräsentation machen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012933500
Sehr geehrter Herr Kollege, Ihre Redezeit ist schon überschritten. Ich bitte Sie, den letzten Satz zu sagen.

Walter Schwenninger (GRÜNE):
Rede ID: ID1012933600
So ist es, wenn man Zwischenfragen zuläßt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012933700
Der eigenen Fraktion!

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch seine letzte Rede.)


Walter Schwenninger (GRÜNE):
Rede ID: ID1012933800
Ja, das meine ich auch; das ist die allerletzte Rede. Wenigstens die 30 Sekunden!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zwar wissen langsam jeder Mann und jede Frau, daß Sport, vor allem der internationale Spitzensport, eine hochpolitische Angelegenheit ist. Trotzdem wird in öffentlichen Verlautbarungen immer wieder betont, daß sich der Sport nicht politisch betätigen soll, daß Unterstützung nur aus rein sportlichen Motiven gewährt wird und Politik sich nicht in den Sport einmischen soll.
Hier wird aber überdeutlich formuliert: Dieser Sport dient der internationalen Imagepflege der Bundesrepublik. Dieser Hochleistungssport soll die Bundesrepublik repräsentieren. Und — das NOK hat es nochmals deutlich gemacht — weil dieser Staat bei den Olympischen Spielen in München 1972 als Gastgeber den eigentlichen politischen Gewinn davontrug, deshalb sollen weiter Bewerbungen sportpolitisch und finanziell unterstützt werden.




Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012933900
Jetzt bitte ich Sie, wirklich Schluß zu machen.

Walter Schwenninger (GRÜNE):
Rede ID: ID1012934000
Diese Funktionalisierung des Sports für staatspolitische Zwecke wollen wir nicht.
Danke schön. — Vielen Dank für das Geschenk.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012934100
Herr Schwenninger wird sich freuen, daß über alle Fraktionen hinweg zu seinem Abschied so viel Geduld geübt worden ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Für das Ruhrgebiet sehr hilfreich!)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Beckmann.

Klaus Beckmann (FDP):
Rede ID: ID1012934200
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich verstehe nun wirklich nicht, verehrte Frau Kollegin Steinhauer, warum Sie in diese Debatte, die ja von einem einvernehmlichen Beschluß der drei staatstragenden Fraktionen im Sportausschuß getragen ist, solch eine Schärfe gebracht haben

(Zuruf von der SPD: Minimalkonsens, Herr Kollege!)

und im Grunde, wie ich meine, der Beschlußempfehlung des Sportausschusses auch nicht gerecht geworden sind.
Sie hatten mit Ihrem Antrag gefordert, die Bundesregierung werde ersucht, Mittel bereitzustellen, um die Bewerbung der Städtegemeinschaft des Reviers um die Olympischen Sommerspiele 1992 finanziell zu fördern und zu unterstützen. Die Beschlußempfehlung geht genau über diesen Punkt hinaus. Es heißt dort unter Ziffer vier:
Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, daß der Bund sich aus Gründen gesamtstaatlicher Repräsentation künftig nach Übernahme einer Bewerbung durch das Nationale Olympische Komitee an der Aufbringung der dann anfallenden Kosten zur Bewerbung beteiligen solle.
Nichts anderem als Ihrem Wunsche ist mit der Beschlußempfehlung entsprochen worden.

(Zuruf von der SPD: Das stimmt nicht! Sie haben den Unterschied nicht gemerkt, Herr Kollege!)

Ich weise allerdings darauf hin, daß wir zunächst einmal die Zustimmung des Nationalen Olympischen Komitees benötigen, bevor wir unterstützend tätig werden können.
Ich halte überhaupt nichts davon, im Vorfeld des 12. Mai hier eine künstliche Konfrontation aufzubauen. Dies kann der Sache des Reviers, dies kann unserer Forderung nach Bewerbung um die Olympischen Spiele nur schaden.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU/ CSU)

Weg mit der Parteipolitik in dieser Frage! Lassen Sie uns nach Gemeinsamkeiten suchen. Die Koalition hat hiermit einen guten Anfang gemacht.
Wir müssen in der Diskussion aufpassen, daß wir nicht durch parteipolitische Schärfen den Erwartungshorizont, der bei der Bevölkerung im Ruhrgebiet aufgebaut ist, zu stark eintrüben, ihn schließlich einreißen; denn ich meine, das olympische Feuer ist in den Herzen der Menschen nun einmal durch die Aktivitäten entfacht, die wir auch hier im Hause entwickelt haben. Es ist unsere Aufgabe, jetzt dafür zu sorgen, daß dieses Feuer nicht mehr erlischt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr schön!)

Wir müssen uns also gemeinsam dafür einsetzen, daß ein großer Traum Wirklichkeit werden kann.

(Zuruf von der SPD: Deswegen lehnen Sie die Unterstützung ab!)

Die Bewohner des Reviers erwarten das von uns, wie ich meine, mit gutem Grund. Die Bevölkerung des Ruhrgebietes — und darauf ist vorhin schon hingewiesen worden — hat für uns alle in der Vergangenheit eine große Last übernommen. Sie hat mit der Kohleversorgung der Bundesrepublik einen entscheidenden Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geleistet und nimmt noch heute die täglich damit verbundenen Belastungen auf sich. Dieses — lassen Sie es mich einmal beim Namen nennen — Opfer verlangt unser aller Solidarität. Ich glaube, es könnte keine größere Enttäuschung für das Revier sein, als wenn man aus taktischen Überlegungen oder politischer Rücksichtnahme auf eine Kandidatur für die Olympischen Sommerspiele verzichtete. Man darf auch nicht übersehen, daß die Vergabe von Olympischen Spielen an eine Region wie das Ruhrgebiet mit einem ungeahnten Motivationsschub verbunden sein würde. Für die Menschen an der Ruhr ist es wichtig zu wissen, daß sie nicht vergessen sind. Sie werden es den Sportlern aus aller Welt mit einem begeisterten, ja, ich glaube, enthusiastischen Publikum danken.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sicherlich, meine Damen und Herren, muß man vor übertriebenen Hoffnungen warnen. Die Zahl der Mitbewerber ist groß, und die Entscheidung über die Vergabe hängt von den verschiedensten, nicht zuletzt von politischen Faktoren ab. Diese bedauerliche Tatsache muß jedoch bei den Beratungen und Verhandlungen der zuständigen Gremien Berücksichtigung finden. Die Durchsetzung dieser Idee ist eine Herausforderung an die Organisatoren und Verhandlungsführer des Nationalen Olympischen Komitees. Phantasie, Flexibilität sind hier gefordert. Es gilt, sich gegen nationale Egoismen und handfeste wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Ich hoffe, daß die Verantwortlichen dabei mehr Geschick beweisen und mehr Fortüne besitzen, als dies z. B. Herrn Neuberger bei der Vergabe der Fußball-Europameisterschaft vergönnt war.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das kann man wohl sagen! — Bohl [CDU/CSU]: Das wäre gut!)




Beckmann
An ideeller und tätiger Mithilfe all derjenigen, die im und für das Ruhrgebiet Verantwortung tragen, fehlt es schon heute nicht. Hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang den besonderen Einsatz des Kommunalverbandes Ruhr mit ihrem Direktor Dr. Gramke an der Spitze. Ich begrüße es außerordentlich, daß der KVR eine Ausstellung mit dem Thema „Sportzentrum Ruhrgebiet — Bewerber um Olympische Spiele" vorbereitet, die als Wanderausstellung nicht nur im Revier selbst, sondern auch während der Kieler Woche und später im Europaparlament in Straßburg gezeigt werden soll. Auch diese Ausstellung wird unterstreichen, daß die besseren, d. h. wirtschaftlich und organisatorisch interessanten Argumente auf unserer Seite sind.
Meine Damen und Herren, für die Durchführung der Olympischen Spiele im Ruhrgebiet wird das von Pierre de Coubertin geprägte Motto „citius, altius, fortius" für den organisatorischen Bereich nur noch teilweise gelten; denn die Strecken zu den einzelnen Sportstätten werden nicht weiter, sondern kürzer, und die Kosten nicht höher, sondern niedriger als bisher sein. Nur die Zuschauer und Athleten werden Rekorde brechen; denn beide werden schneller als bisher an ihr Ziel gelangen. Ein Vergleich mit dem letzten Austragungsort Los Angeles macht dies überdeutlich. In Los Angeles betrug z. B. die Entfernung vom Olympischen Dorf zur Regattastrecke 130 km, zur Military-Anlage gar 160 km. Das muß man sich einmal vor Augen führen: eine Strecke, die der Entfernung zwischen Bonn und Frankfurt entspricht. Im Ruhrgebiet — so sehen es die vorläufigen Planungen vor — wäre diese Entfernung zwischen den Sportunterkünften und den weitest entfernten Wettkampfstätten weniger als 50 km.
Die Region Ruhrgebiet — das haben die Analysen aller beteiligten Experten ergeben — verfügt über eine Infrastruktur an Sportstätten und Verkehrswegen, die in dieser Zusammenballung — so kann man ohne Übertreibung sagen — einzigartig auf der Welt sein dürfte. In einem Umkreis von ca. 50 km — läßt man Kiel als einen möglichen Austragungsort für die Segelwettbewerbe außen vor — sind 45 Sportanlagen vorhanden, die die strengen Anforderungen für olympische Wettkampfstätten erfüllen. So stehen z. B. für die Austragung der Fußballspiele elf, für das Hockey fünf und die Schwimmwettbewerbe acht speziell hierfür geeignete Sportanlagen zur Verfügung. Diese Liste ließe sich für andere Sportarten beliebig fortführen.
Es wird aber, meine Damen und Herren, bereits deutlich, daß es eher schwerfallen wird, unter den vorhandenen Anlagen auszuwählen, als überhaupt welche zu finden. Hinzu kommt, daß mit dem Großraumflughafen Düsseldorf, mit der Anbindung an das Intercity-Netz der Bundesbahn,

(Zuruf von der SPD: Retten Sie den Flughafen Dortmund!)

dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr und dem gut ausgebauten Autostraßennetz eine Verkehrsinfrastruktur gegeben ist, wie sie besser nicht sein könnte.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Wenn man dann noch, wie in den Vorplanungen vorgesehen, Standortschwerpunkte bildet und die Städte Gelsenkirchen, Dortmund, Duisburg und Essen zu solchen bestimmt, stellt sich die infrastrukturelle Situation noch günstiger dar.
Ein Hauptaugenmerk muß aber auf der Finanzierung der Spiele liegen. Hier vertreten wir Liberalen die Ansicht, daß es bei Auswertung und Berücksichtigung der Erfahrungen von Los Angeles möglich sein muß, Olympische Spiele ohne Beteiligung der öffentlichen Hand zu finanzieren. Daß eine solche private Finanzierung der Spiele durchaus kostengünstig sein kann, zeigt das Beispiel Los Angeles: Verplante und verbaute man in Montreal 1976 noch 1,5 Milliarden Dollar und in Moskau 1980 nach Schätzung von Beobachtern gar 9 Milliarden Dollar, so betrugen die Kosten für die Spiele in Los Angeles nur 500 Millionen Dollar. Niemand wird behaupten wollen, diese Spiele seien ärmlich oder stümperhaft aufgemacht und durchgeführt worden. Den Organisatoren hat man eher das Gegenteil vorgeworfen.

(Zuruf von der SPD: Aber die Eintrittspreise waren gesalzen! Die dürfen im Ruhrgebiet nicht so hoch sein!)

Wenn man die Situation im Ruhrgebiet dagegensetzt, ist leicht abzusehen, daß die Kosten für die Olympischen Spiele im Revier noch ganz erheblich gesenkt werden können.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Wer soll denn die Spiele sponsern?)

Ich schätze, daß allein durch den Verkauf der Fernsehrechte die notwendige Kostendeckung zu erreichen ist.
Zieht man ein Fazit, so kann man eigentlich nur zu dem Schluß gelangen, daß das Ruhrgebiet geradezu prädestiniert ist für die Ausrichtung Olympischer Sommerspiele.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Das Ruhrgebiet ist besser als sein Ruf. Wir müssen endlich davon loskommen, das Revier immer nur mit Walzwerken, Kokereien und Fördertürmen gleichzusetzen. Es hat sich in den letzten Jahren vieles zum Positiven gewandelt. Ich erinnere nur an die vielen Erholungs- und Freizeitparks und an die zahlreichen anderen Grünflächen, die geschaffen worden sind.
Die Bewerbung des Reviers um die Olympischen Spiele ist also keine „pompöse Selbstdarstellung" des Reviers, wie es gestern in der „FAZ" zu lesen war, sondern ein ernst zu nehmendes und vor allem seriöses Bemühen um die Vergabe einer internationalen Spitzenveranstaltung, die von Wahlkampfüberlegungen freizuhalten ist.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

In diesem Sinne bitte ich daher auch die Zustimmung der FDP-Fraktion zu dem vorliegenden Antrag zu verstehen. Glückauf!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)





Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012934300
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wer der Beschlußempfehlung des Sportausschusses auf Drucksache 10/2945 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen und bei ein oder zwei Enthaltungen ist dieser Beschluß angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Schutz der Gesundheit in Innenräumen
— Drucksache 10/2339 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit (federführend)

Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Forschung und Technologie
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller (Düsseldorf), Duve, Dr. Hauff, Frau Fuchs (Köln), Dr. Schmude, Bachmaier, Frau Blunck, Egert, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Immer (Altenkirchen), Jaunich, Kißlinger, Dr. Kübler, Lennartz, Frau Dr. Martiny-Glotz, Müntefering, Rappe (Hildesheim), Reimann, Schäfer (Offenburg), Frau Schmidt (Nürnberg), Stahl (Kempen), Stiegler, Frau Terborg, Urbaniak, Frau Weyel, Ibrügger, Meininghaus, Müller (Schweinfurt), Wolfram (Recklinghausen), Schmitt (Wiesbaden) und der Fraktion der SPD Gefährlichkeit von Formaldehyd
— Drucksache 10/2791 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit (federführend)

Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung und Technologie
Im Ältestenrat ist vorgeschlagen worden, diese beiden Punkte gemeinsam zu beraten sowie eine Runde mit Beiträgen von zehn Minuten für jede Fraktion vorzusehen. Ist das der Wille des Hauses? — Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Berichterstattungswünsche liegen nicht vor. Ich eröffne deshalb die Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Schoppe.

(Bohl [CDU/CSU]: Die Zeit läuft!)


Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1012934400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 1966 hat ein jetzt grünes Mitglied, nämlich Wilhelm Knabe, auf das Waldsterben hingewiesen. Er ist damals auf taube Ohren gestoßen. Sie haben ihn damals als „Spinner" tituliert, und heute haben wir die Folgen des Waldsterbens zu tragen. Innerhalb von 18 Jahren, seit man darüber Bescheid weiß, haben die Regierungen und überhaupt die jetzige Regierung, die ja voll mit diesen Problemen konfrontiert ist, nicht reagiert. Da kann einem angst und bange werden, wenn man weiß, daß die Innenräume viel höher mit Schadstoffen belastet sind als die Außenluft.
Wir diskutieren heute abend zwei Vorlagen. Es ist doch erstaunlich, daß es eine Vorlage von den GRÜNEN und eine Vorlage von der SPD gibt. Von der CDU liegt da nichts vor. Meine Herren, ist das Problem noch nicht zu Ihnen gelangt? Die Regierung hat auch nicht reagiert. Es kann doch nicht sein, daß Sie darüber nicht Bescheid wissen. Warum greifen Sie hier nicht ein? Es hat zahlreiche Kongresse zu diesem Thema gegeben.

(Abg. Dr. Göhner [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Herr Kollege, ich bitte darum! — Eine Wortmeldung, Frau Präsidentin.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012934500
Gestatten Sie? Frau Schoppe (GRÜNE): Ja, bitte.

Dr. Reinhard Göhner (CDU):
Rede ID: ID1012934600
Frau Kollegin, ist Ihnen entgangen, daß die Bundesregierung die Gefahrstoffverordnung geändert hat und gerade hier für eine Reihe von Produkten in den Innenräumen zusätzlich die Grenzwerte erheblich geändert hat'?

Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1012934700
Zur Gefahrstoffverordnung, sehr geehrter Herr Kollege, ist folgendes zu sagen. Es ist ja schon aus einigen speziellen Ländern, nicht aus allen, zu hören, daß man mit der Gefahrstoffverordnung, so wie sie konzipiert ist, überhaupt nicht einverstanden ist, und das läßt auf nichts Gutes hoffen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012934800
Lassen Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Göhner zu?

Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1012934900
Nein, mir reicht es. Ich lasse jetzt eine Zwischenfrage meines Kollegen zu.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Aber Ihr Vorwurf, es sei nichts geschehen, ist unzutreffend!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012935000
Der Herr Kollege Dr. Ehmke darf doch eine Zwischenfrage stellen?

Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1012935100
Ja, bitte.

Dr. Wolfgang Ehmke (GRÜNE):
Rede ID: ID1012935200
Frau Kollegin Schoppe, würden Sie mir zustimmen, daß, nachdem der Kollege von der CDU/CSU-Fraktion die Gefahrstoffverordnung angesprochen hat, es auch erwähnenswert ist, daß diese Verordnung zwar schon sehr lange angekündigt wird und eigentlich im Oktober dieses Jahres hätte in Kraft treten sollen, daß sie aber von der Regierungskoalition auf die lange Bank geschoben wird?

(Zuruf von der SPD: Hört! Hört! — Dr. Probst [CDU/CSU]: Ich wette, daß Sie zustimmen!)


Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1012935300
Ich stimme dir voll zu, Wolfgang.



Frau Schoppe
Es hat zu dem Thema Innenraumbelastung schon viele Kongresse gegeben. Der letzte Kongreß fand 1984 in Stockholm statt und hat auf folgende Probleme hingewiesen. Das Problem aller Luftschadstoffe in Innenräumen ist noch nicht vollständig erkannt. Sie wissen vielleicht, daß es Wissenschaftler gibt, die darauf hingewiesen haben, daß etwa 50 bis 60 % der künstlich hergestellten Stoffe überhaupt noch nicht erforscht sind und daß man annimmt, daß 50 bis 60 % gesundheitsschädlich sind.
Außerdem ist das Problembewußtsein darüber in vielen Staaten größer als in der Bundesrepublik. Viele Staaten haben bereits gesetzlich verankerten Schutz der Gesundheit in Innenräumen, zum Beispiel in Japan, in den USA, in der Schweiz und in den skandinavischen Ländern.
Nun weiß ich, was immer kommt, wenn von Schadstoffbelastungen in Innenräumen gesprochen wird. Es wird über das Rauchen gesprochen. Das Rauchen ist tatsächlich ein Suchtverhalten, und es ist schädlich, nicht nur für denjenigen oder diejenige, die raucht, sondern auch für diejenigen, die mitrauchen müssen. Das ist mir klar, und ich will die Gefahr nicht herunterspielen.

(Bohl [CDU/CSU]: Die Fischer-Gang raucht auch!)

Nur, dieses Problem des Rauchens darf nicht davon ablenken, daß wir schon längst Gesetze haben könnten, die die Produktion von bestimmten Giften unterbinden. Die Regierung hat hier kläglich versagt, und die Menschen erfahren das wortwörtlich am eigenen Leib.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie noch einmal auf das Problem der Holzschutzmittelgeschädigten aufmerksam machen. Wenn Sie mal in Ihren Landkreis gehen und gucken ein bißchen rum, ich sage Ihnen, Sie finden ganz sicher auch in Ihrer Umgebung Menschen, die mit diesem Problem zu tun haben. Ich weiß aus meinem Bekanntenkreis einen Fall. Da hat eine sechsköpfige Familie ein Bauernhaus umgebaut und alle Balken mit giftstoffhaltigen Holzschutzmitteln gestrichen. Seitdem die Familie in dem Hause wohnt, hat der Sohn von Zeit zu Zeit eine Lähmung der Gesichtshälfte, die beiden Mädchen haben Blutarmut, Mutter, Vater und die älteste Tochter leiden an Kopfschmerzen und Übelkeit. Diese Leute müßten eigentlich raus aus dem Haus. Ich sage Ihnen, diejenigen, die diese Giftküchen unterhalten, müssen dafür verantwortlich sein, sie müßten nach dem Verursacherprinzip herangezogen werden und mit Geld die Schäden, die dort entstanden sind, auffangen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich will noch auf einen Fall aufmerksam machen, der tragisch ist. Uns hat im Dezember 1984 eine ehemalige Krankenschwester geschrieben, die ihren Beruf deshalb aufgeben mußte, weil sie mit formaldehydhaltigen Mitteln zu tun hatte, und die eine Allergie gekriegt hat, wie das bei Formaldehyd üblich ist. Das Krankheitsbild verschlimmerte sich von Mal zu Mal, wenn sie mit anderen Mitteln in Verbindung kommt, die formaldehydhaltig sind.
Diese Krankenschwester hatte uns geschrieben, weil sie ratlos war, weil sie von einem Arzt zum anderen gegangen war, weil es ihr immer schlimmer ging. Sie wollte, daß wir ihr helfen. Wir haben es versucht, so gut wir konnten. Wir haben ihr einen Rat gegeben, bestimmte Ärzte aufzusuchen, sich vor allen Dingen von bestimmten Mitteln fernzuhalten. Wir haben dann einige Zeit später von der Mutter dieser Frau einen Brief bekommen, in dem uns die Mutter schrieb, daß sich diese Frau das Leben genommen hat, weil sie keinen Ausweg mehr von der Krankheit wußte, unter der sie litt.
Meine Damen und Herren, ich sage das hier mal, damit Sie sich das zu Herzen nehmen. Das ist ja das, was mich immer am meisten im Parlament aufgeregt hat, daß hier Gesetze gemacht werden und daß eigentlich kein Mensch — so scheint es mir immer —

(Dr. Probst [CDU/CSU]: Es scheint nur so!)

im Kopf hat, wie die Menschen in unserer Republik hier unter bestimmten Dingen leiden. Da ist der Peter Glotz nicht weitsichtig genug gewesen, wenn er sagte, die SPD sei ein Tanker. Die gesamten Altparteien sind ein Tanker. Es bewegt sich nichts. Wenn wir gesellschaftliche Veränderungen haben wollen, können wir als GRÜNE das alleine nicht machen; da müssen sich die anderen auch schon mal ein bißchen bewegen. Meine Damen und Herren, mal endlich ran!

(Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)

Fritz Vahrenholt und Rainer Grieshammer formulierten beim Umweltschutz in bezug auf die Regierung: „Die Nation wird geleimt."

(Dr. Probst [CDU/CSU]: Das Schlimme ist, daß Sie das glauben!)

Meine Damen und Herren, es geht hier ja um das Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit.

(Dr. Ehmke [Ettlingen] [GRÜNE]: Wo ist eigentlich der Minister?)

Da muß ich sagen, aus diesem Ministerium erfahren wir folgendes: Die Umwelt wird geleimt, und in der Frauenpolitik wird geschleimt. Das alles ist nicht ausreichend.
Vielen Dank.

(Beifall bei dern GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012935400
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Dolata.

(Dr. Probst [CDU/CSU]: Einfach gar nicht ignorieren, Herr Kollege! — Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Werner Dolata (CDU):
Rede ID: ID1012935500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen von der Opposition, zunächst einmal zu Ihnen. Wir kennen uns in dieser Legislaturperiode zwei Jahre. Wir haben Sie gut kennengelernt. Obwohl ich zu denen gehöre, die an das Gute im Menschen glauben, habe ich eigent-



Dolata
lieh auch wetten können, daß Sie wieder versuchen, hier eine Schau abzuziehen. Sie können anscheinend gar nicht anders, als nur alles miesmachen,

(Zurufe von den GRÜNEN)

anderen Leuten Vorwürfe zu machen und entsprechende Ängste zu schüren.

(Bohl [CDU/CSU]: So ist es!)

Bei der Beratung solcher Anträge sollten wir —und das werde ich jedenfalls mit den Freunden meiner Fraktion so handhaben — unsere Bemühungen auf den Gesundheits- und den Verbraucherschutz ausrichten. Gerade in diesen Bereichen ist eine Panikmache Ihrer Oppositionsfraktion

(Frau Dr. Bard [GRÜNE]: Das haben Sie beim Waldsterben auch gesagt!)

— ich nehme an, die anderen schließen sich nachher noch an —, nicht nur nicht angebracht, sondern völlig unverantwortlich. Die Forderung der GRÜNEN nach einer Entchemisierung paßt ganz in das Bild ihrer bisherigen Politik

(Schwenninger [GRÜNE]: „Entgiftung" heißt das!)

nach dem Motto: Unsere tägliche Katastrophe gib uns heute.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Auch die Forderungen des SPD-Antrages zur Gefährlichkeit von Formaldehyd lassen stark vermuten, daß Sie anscheinend gar nicht in den Bericht vom Oktober 1984 geschaut oder ihn zumindest nicht richtig gelesen haben.
Meine Damen und Herren, Formaldehyd ist ein Naturstoff, ein Bioprodukt, das überall in der Natur vorkommt. Seit die Erde besteht, wird Formaldehyd ständig in der Luft durch fotochemische Prozesse gebildet und ist deshalb überall in der Umweltluft drin. Das heißt, solange es Menschen gibt, solange es uns und Sie gibt, atmen wir — jeder einzelne von uns — diese formaldehydhaltige Luft ein.

(Schwenninger [GRÜNE]: Deswegen brauchen wir nicht noch mehr von diesem Zeugs zu produzieren!)

Formaldehyd bildet sich auch bei jeder unvollständigen Verbrennung — das wissen Sie —, bei Kraftfahrzeugen, bei Heizungen, bei Gasherden, und Sie haben selber schon die Zigaretten erwähnt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012935600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?

Werner Dolata (CDU):
Rede ID: ID1012935700
Bitte sehr.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012935800
Frau Schoppe, bitte.

Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1012935900
Herr Kollege, wir kennen das Argument, daß viele Stoffe in der Natur vorkommen. Auch Stoffe, die strahlen, kommen in der Natur vor. Wir haben auch gehört, daß Dioxine in der Natur vorkommen. Aber wie erklären Sie sich folgendes Phänomen? Es gibt verschiedene Kindergärten und Schulen, die geschlossen werden mußten, nachdem Spanplatten eingesetzt worden waren. Die Kinder und die Erzieher waren krank. Wie erklären Sie sich das?

Werner Dolata (CDU):
Rede ID: ID1012936000
Ich komme darauf zurück; eine solche Frage habe ich geahnt. Wenn Sie ehrlich sind, geben Sie zu, daß Sie mehr wissen, als Sie hier wagen uns zu verkaufen.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Der kauft ja doch nichts von uns!)

Wir sollten festhalten, daß die schon sehr lange bekannte und produzierte Chemikalie Formaldehyd seit über 90 Jahren in Medizin und Industrie verwendet wird und auch als Zwischenprodukt im menschlichen Kreislauf vorkommt. Auf den Markt der Bundesrepublik kommen jährlich etwa — warum auch nicht — 500 000 Tonnen Formaldehyd, die in verschiedenen Industriesparten unterschiedlich verarbeitet werden. An diesem Grad der Verbreitung dieser Chemikalie wird deutlich, daß sie zu den wichtigsten organischen Grundstoffen der chemischen Industrie zu rechnen ist und ein weitgespanntes Einsatzfeld aufweist, von Desinfektionsmitteln über Arzneimittel bis hin zu Kosmetika und Spanplattenklebstoff.
Selbstverständlich schließt niemand eine mögliche Gesundheitsgefährdung durch eine übermäßige Konzentration von Formaldehyd aus. Aber es muß doch davor gewarnt werden, das vermutete kanzerogene Potential an Hand von Tierversuchen pauschal als auf den Menschen übertragbar erscheinen zu lassen. Den Teufel mit Beelzebub auszutreiben, bedeutete es z. B., der Forderung der GRÜNEN nachzugeben, auf sämtliche chemische Syntheseprozesse zu verzichten und ein Verbot der Verwendung von Formaldehyd in Innenräumen zu erlassen. Das hieße z. B. konkret, daß das Rauchen tatsächlich verboten werden müßte. Denn Sie wissen so gut wie wir und andere auch, daß, wenn ein Raucher in einem Raum, der 30 m3 faßt, fünf Zigaretten raucht, die Formaldehydkonzentration bereits 0,23. ppm ausmacht.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Das ist schlimm genug! Und wenn dann noch Spanplatten drin sind!)

Das ist über das Doppelte von dem, was als höchstzulässige Konzentration festgesetzt ist.

(Abg. Frau Reetz [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012936100
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Werner Dolata (CDU):
Rede ID: ID1012936200
Bitte nicht mehr.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012936300
Keine Zwischenfragen mehr.

Werner Dolata (CDU):
Rede ID: ID1012936400
Nein, meine Damen und Herren von der Opposition, so wie Sie das hier darstellen, geht es nicht. Bei sachlicher Arbeit und entsprechender Information kommt man auch zu anderen Ergebnissen und hat andere Möglichkeiten. Ich kann Ihnen mit einigen Beispielen aus Berlin dienen. Die Senatsverwaltung für Gesundheitswe-



Dolata
sen hat in Berlin mehrere hundert Formaldehydmessungen in Schulen, Kindertagesstätten und Privathaushalten durchgeführt und dabei bisher nur einen einzigen unklaren Fall erlebt. In zwei anderen Fällen lag der Raumluftwert zwar über den höchstzulässigen 0,1 ppm, aber das ließ sich merkwürdigerweise erstaunlich schnell abstellen. Warum? Aus dem Werkraum einer Schule wurde nämlich das dort gelagerte Holz entfernt. Seitdem ist die Raumluft wieder in Ordnung. Die überhöhten Werte in einer Kindertagesstätte in Berlin-Charlottenburg waren auch wieder in Ordnung, nachdem die Aufsichtsbehörden, die Verantwortlichen, verboten haben, formaldehydhaltiges Aufwischwasser zu benutzen.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Herr Kollege, das ist sehr schlimm, was die da machen! Das ist wirklich sehr schlimm, schlimm für die Leute, die darunter leiden!)

In den Krankenhäusern kann nach Einschätzung nicht nur des Berliner Gesundheitssenators — das kann man nachlesen, oder man kann Fachleute fragen — auch in Zukunft auf Formaldehyd nicht verzichtet werden. Formaldehyd ist nämlich nach wie vor ein Desinfektionsmittel, das sowohl gegen Bakterien wie gegen Pilze wie gegen Viren wirkungsvoll eingesetzt werden kann.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Es gibt andere Mittel, die man einsetzen kann!)

In Berlin sind beim Landesinstitut für Arbeitsmedizin in bisher insgesamt 17 Fällen Anträge gestellt worden, gesundheitliche Auswirkungen von Kontakten mit Formaldehydlösungen in Wasser als Berufskrankheit anzuerkennen. Nur in einem einzigen Fall haben die Arbeitsmediziner die Anerkennung befürwortet.
Der Verdacht, daß Formaldehyd beim Menschen krebserregend ist, ist auch nicht bewiesen.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Herr Kollege, dann stellen Sie sich für die Formaldehydversuche des Bundesgesundheitsamtes zur Verfügung!)

Sie alle wissen, daß Pathologen obduzieren. Normalerweise obduzieren Pathologen verstorbene Mitmenschen, hauptsächlich um die genaue Todesursache festzustellen. Wußten Sie auch, daß die deutschen Pathologen seit 100 Jahren auf Grund einer freiwilligen Verpflichtung ihren eigenen Körper zur Verfügung stellen und sich von Kollegen obduzieren lassen? Bekanntlich haben Pathologen zu Lebzeiten viel mit Formaldehyd zu tun. Nun kommt das Erstaunliche: Bei keiner dieser Obduktionen seit 100 Jahren wurde an irgendeinem dieser Pathologen von einem Pathologenkollegen auch nur irgendeine Krebserkrankung an Nase, Schleimhaut oder sonstwo festgestellt.

(Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Es ist kein Pathologe an Krebs gestorben?)

Um auch einmal über den deutschen Zaun zu schauen: Ich lese am 6. März 1985 in der „Neuen Züricher Zeitung": „Kein Krebsalarm wegen Formaldehyd". Der Schweizerische Bundesrat ist der
Auffassung, daß nach heutigem Wissensstand auf weitergehende Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor dem chemischen Bindemittel Formaldehyd verzichtet werden kann, Well es keinerlei Anhaltspunkte für eine erhöhte Krebserzeugung durch Formaldehyd beim Menschen gibt.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Muß es denn immer gleich Krebs sein, bis Sie reagieren? Reicht nicht auch eine Allergie?)

Es steht aber auch folgendes fest: Eine Anreicherung von Formaldehyd — das wissen Sie — in der Umwelt oder im menschlichen Körper erfolgt gar nicht, es wird schnell weiter oxydiert, z. B. in der Luft zu dem sowieso vorhandenen und von Pflanzen benötigten Kohlendioxyd. Im Wasser und im Boden wird Formaldehyd durch Bakterien abgebaut.
Wenn das alles so ist, halten wir es lieber mit den Empfehlungen des gemeinsamen Berichts vom Oktober 1984, des Berichts des Bundesgesundheitsamtes, des Berichtes der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und des Umweltbundesamtes, als mit den Anträgen der Opposition. Selbstverständlich sind Gefährdungen durch Belastungen mit Formaldehyd in allen Bereichen so gering wie möglich zu halten. In diesem Sinne wie in anderen Fällen auch müssen bestehende Regelungen überprüft und, wenn es notwendig ist, eventuell ergänzt werden.
Wir Politiker und alle verantwortlichen Behörden sollten aber auch alles unterstützen, um den Verbraucherschutz zu intensivieren, d. h. die Aufklärung objektiv und die Information umfassend zu verbessern, z. B. so, wie die Verbraucherzentrale Berlin das tut, und nicht so, wie Sie das hier tun.
Vielleicht sollten wir auch Anregungen aufgreifen und diskutieren, die eine Pflicht zur Deklaration von Formaldehyd auf entsprechenden Produkten verlangen oder fordern. Jedenfalls bringt eine solche sachgerechte und ruhige Behandlung der gesamten Problematik mehr und ist positiver als Panikmache und Vorwürfe.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Schoppe [GRÜNE]: Mit diesem Beitrag haben Sie Ihrer Fraktion keinen Dienst getan!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012936500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller (Düsseldorf).

Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1012936600
Meine Damen und Herren! Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat im August 1984 erklärt: „Die Bundesregierung hat in der Frage der krebserzeugenden Wirkung von Formaldehyd vor dem Druck der Industrie kapituliert." In der Tat, dieser Eindruck ist berechtigt.

(Dr. Müller [Bremen] [GRÜNEN]: Genau!)

Seit dieser Zeit sind noch mehr Fragen entstanden; Widersprüchliches steht unverändert im Raum. Ich will das an fünf Beispielen deutlich machen.
Das Bundesgesundheitsamt, das Umweltbundesamt und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz haben gleichlautend Ende 1983 erklärt: Formaldehyd be-



Müller (Düsseldorf)

sitzt mutagene Eigenschaften und ist als krebserzeugend einzustufen. Sieben Monate später war das angeblich falsch.
Zweites Beispiel. Am 4. April belegt die Bundesanstalt für Arbeitsschutz gegenüber der BASF ausführlich, warum Formaldehyd als krebserzeugend einzustufen ist. Es wird vor allem an Hand von amerikanischen und englischen Gesundheitsstudien begründet. Vier Monate später ist dieses nicht mehr wahr.

(Hört! Hört! bei den GRÜNEN — Frau Schoppe [GRÜNE]: Da muß jemand seine Hand im Spiel haben!)

Drittes Beispiel: In der Schrift des Bundesgesundheitsamtes Nr. 4/84 steht: „Formaldehyd hat krebserzeugende Eigenschaft". Dieser Bericht wird gedruckt, aber nicht veröffentlicht.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: So ist es! — Zuruf von den GRÜNEN: Wir haben ihn!)

Viertes Beispiel: Das Bundesgesundheitsamt erklärt im Februar 1984 — soeben wurde das in veränderter Form auch wieder gesagt —: Formaldehyd hat krebserzeugende Wirkungen nur bei Tierversuchen, jedoch nicht bei Menschen. Jetzt frage ich mich: Wie will man denn heute krebserzeugende Wirkungen anders als beim Tierversuch feststellen? Welche Berechnungsgrundlage haben Sie denn, wenn Tierversuche nicht mehr der ausreichende Anhaltspunkt sind? Hier ist doch in der Berechnung irgend etwas falsch.
Ich verweise jetzt auf Amerika, Herr Dolata: Gerade auf Grund der Tierversuche, die in den letzten Jahren in den Vereinigten Staaten durchgeführt worden sind, ist man dort dabei, die Vorschriften in bezug auf Formaldehyd noch weiter zu verschärfen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012936700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1012936800
Ich will das fünfte Beispiel noch bringen. Dann kann Herr Göhner gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012936900
Es ist für mich immer sehr unangenehm, wenn ich warten muß, bis Sie dann glücklicherweise so weit sind. Das ist nicht so schön.

Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1012937000
Bitte.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012937100
Bitte, Herr Dr. Göhner.

Dr. Reinhard Göhner (CDU):
Rede ID: ID1012937200
Herr Kollege, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß gegen das Argument der Krebsverdächtigkeit, um die es ging, nicht die Tatsache angeführt wurde, daß es Tierversuche waren, auf Grund derer dieser Verdacht entstand, sondern daß es die Konzentration des Stoffes gewesen ist, die nämlich zehnmal so hoch war, wie nach den früheren, bisher geltenden Bestimmungen der Gefahrstoffverordnung beispielsweise zulässig war?

Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1012937300
Nein, das kann ich nicht; denn erstens ist das, was ich gesagt habe, ein wörtliches Zitat des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit aus dem Protokoll. Ich will Ihnen das zweitens sogar belegen. Das ist nämlich mein letztes Beispiel.
Es wird dann gesagt: Gut, bei Tierversuchen habe es unter Umständen dazu geführt, daß Nasentumore aufgetreten seien. Das sei auf die Menschen nicht übertragbar. Nur stimmt eines nicht, und das sagen diejenigen dann nicht: Der Mensch hat natürlich andere Atemsysteme. Übertragen auf den Menschen würde das Lungenkrebs bedeuten. Deshalb stimmt auch Ihr Beispiel nicht, Herr Dolata, wo Sie nach Nasenkrebs, Schleimhautkrebs und ähnlichem fragen. Die Frage ist nach der Untersuchung von Ohio und der Gesundheitsstudie der dortigen Universität die nach Lungenkrebs.
Wir glauben, daß die Fakten eindeutig sind. Seit 1980 gibt es eindeutige Studien. Ich verweise nur auf die Studie aus den Vereinigten Staaten, wo 18 Monate lang 240 Ratten Formaldehyd ausgesetzt wurden. Bei 36 dieser Ratten traten Veränderungen auf, die zu Karzinomen geführt haben.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Bei 0,8 %!)

Ich verweise zum zweiten auf die Untersuchungen der deutschen Forschungsgemeinschaft, Untergruppe „Gefährliche Arbeitsstoffe", die seit Jahren fordert, die Expositionen möglichst zu vermeiden und, wenn es geht, überall auszuschalten. Ich verweise drittens auf die Untersuchungen aus den Vereinigten Staaten und aus England, wo in sechs von sieben Untersuchungen eindeutig nachgewiesen wurde, daß bei Arbeitern, die viel mit Formaldehyd in Berührung kommen, verstärkt Krebs aufgetreten ist.
Ich wundere mich sehr, daß Sie, Herr Dolata, in Ihrem Beitrag soeben gesagt haben, auch in bezug auf aldehydhaltige Stoffe sei das mit der Allergie nicht so ein großes Problem. Anders hat das der Bundesminister noch im Ausschuß gesehen. Auch da verweise ich nur darauf, daß es zu dem Thema nur eine saubere Untersuchung gibt. Das ist die in Schweden. Dort ist nachgewiesen worden, daß insbesondere bei einer intensiven Nutzung von aldehydhaltigen Reinigungsmitteln in Krankenhäusern die Allergien bei 15, 16 % der Beschäftigten überhaupt auftraten. Das sind also sehr hohe Quoten.
Alles das macht deutlich, daß wir hier nicht mit Verharmlosungen arbeiten können, sondern daß wir das Problem ernst zu nehmen haben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Unser oberster Gesundheitsschützer, der Minister Geißler, hat das als Hysterie bezeichnet. Ich glaube, daß er in hohem Maße Ursache mit Wirkung verwechselt. Diejenigen, die unsere Bevölkerung verunsichert haben, sind doch diejenigen, die das verharmlost haben bzw. nicht in der Lage waren, klare gesundheitliche und umweltpolitische Regelungen zu finden. Wir wollen nicht mit dem Faktor ständiger Bedrohung von Formaldehyd und anderen Gefahrstoffen arbeiten. Wir wollen auch nicht ständig gezwungen sein, Notbremsen zu ziehen. Wir



Müller (Düsseldorf)

wollen aber klare Regelungen für die Umwelt und klare Regelungen für die Gesundheit. Wir wollen keine Geheimhaltungspolitik, wie sie beispielsweise mit Berichten zu Formaldehyd, zu Dioxin und zu anderen Sachen betrieben worden ist. Wir wollen vor allem eine Offenlegungspflicht der Industrie. Sie muß nachweisen, daß ihre Produkte keine Gefahren für Natur und Menschen bringt. Das ist, glaube ich, das Entscheidende. Darin sehen wir unseren Ansatz.
Im Gegenteil: Das Verhalten der Bundesregierung hat sogar dazu geführt, daß das Mißtrauen größer geworden ist.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: So ist es!)

Es ist doch ein Tatbestand, daß beispielsweise Dioxin, Lindan und andere Stoffe jahrzehntelang verharmlost worden sind. Es ist doch ein Tatbestand, daß wichtige Erkenntnisse lange Zeit in der Schublade gelegen haben. Es ist doch keine hysterische Einbildung, daß Seveso, Boehringer, Dynamit Nobel und andere Vorfälle passiert sind. Das ist doch Wirklichkeit genauso wie die Risiken von Holzschutzmitteln, von Insektensprays und von anderen Chemikalien im Haushalt.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir sehen aber Formaldehyd nicht nur als giftigen Stoff für sich genommen. Vielmehr ist — und das ist eigentlich entscheidender — Formaldehyd der Stoff, mit dem die Bundesregierung einen schlechten Start in eine Chemiepolitik gemacht hat. Mit Formaldehyd werden im Grunde genommen die Grenzen für die Behandlung chemischer Stoffe nach unten gesetzt. Von daher ist es beispielhaft für einen relativ leichtfertigen Umgang mit chemischen Gefahren.
Aus diesem Grund haben wir den Antrag eingebracht. Wenn sie den Antrag lesen, werden Sie sehen, daß wir ein sehr differenziertes Vorgehen wünschen. Wir wollen eine schrittweise Zurückdrängung von Formaldehyd und, wo es notwendig ist, Verbote. Das ist in dem Antrag ausgeführt. Wir wollen, daß das Prinzip der gesundheitlichen Vorsorge Vorrang hat und daß man stärker von Risikogruppen und nicht von normalen Durchschnittswerten ausgeht. Wir wollen, daß es eine öffentliche Forschungsstrategie gibt, um das Gefährdungspotential einerseits zu erforschen bzw. andererseits den Einsatz von Alternativ- und Ersatzstoffen schneller zu ermöglichen.
Wir wollen vor allem, daß der Anwender, daß der Verbraucher besser über die Gefahren aufgeklärt wird.
Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zu dem Thema Innenraumbelastung sagen. Wir sehen es für die nächsten Jahre ebenfalls als eine ganz zentrale Aufgabe an, die zunehmenden Belastungen in den Innenräumen zurückzudrängen. Es ist auch keine Hysterie, wenn es heute schon Untersuchungen gibt, in denen darauf hingewiesen wird, daß eine Vielzahl von Krankheiten — es gibt Untersuchungen, in denen gesagt wird: bis zu 40 % — durch die Belastung in den Innenräumen ausgelöst, verstärkt oder beschleunigt wird. Es ist eine erschrekkende Tatsache, daß wir im Grunde genommen durch unsere alltäglichen Gefahren neue Gesundheitsgefährdungen bekommen.
Wir stehen hier vor einer Aufgabe, bei deren Lösung wir unseres Erachtens ganz andere Formen der Chemiepolitik bedenken müssen. Wir haben eine Verpflichtung für unsere Zukunft, der wir bisher mit unserer Chemiepolitik jedenfalls nicht gerecht geworden sind.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb werden wir auch sorgfältig darauf achten, wie die neue Gefahrstoffverordnung aussieht. Wir haben gehört, daß es da Schwierigkeiten gibt, daß auch der Bundesarbeitsminister mit seiner Unterschrift zögert. Wir erwarten, daß er die berechtigte Kritik, die in der Zwischenzeit von verschiedenen Seiten an der Vorlage geäußert wird, ausräumt, damit wir — da wären wir froh — gemeinsam zu einer vernünftigen Chemiepolitik kommen können.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012937400
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Segall.

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1012937500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir befassen uns heute zum x-ten Male mit dem Thema „Formaldehyd". Da möchte man am liebsten mit dem Lied vom Formaldehyd, dessen Copyright bei meinen Fraktionskollegen Beckmann und Neuhausen liegt, Sie alle zu dem gemeinsamen Stoßgebet auffordern: Ja, dat Formaldeyhd von dem Chemiekomplott, wenn da nix anners kütt, dann jonn mer all kapott.

(Zuruf von den GRÜNEN: Nach welcher Melodie?)

— Aus dem Böhmerwald!

(Dr. Ehmke [Ettlingen] [GRÜNE]: Sie müssen mit der Ziehharmonika kommen!)

— Die bringen wir demnächst auch mit.
Es ist doch in vielen Dingen, die wir so gern genießen, „dat Formaldehyd" drin.

(Weitere Zurufe)

— Ich empfehle Ihnen, sich den bisher vorliegenden Text bei uns zu besorgen und bei der Fortsetzung der Strophen, für die es sicher genug neue Befunde über Formaldehydgehalte gibt, mitzuwirken.
Über die bereits in Gedichtform vorliegenden Befunde zu Bier, Lippenstift und Rollmops hinaus möchte ich hier einmal daran erinnern dürfen, daß z. B. ein Apfel ca. 5 Milligramm Formaldehyd enthält, wovon gut 50 % resorbiert werden. Eine Tasse Kaffee führt durch den Abbau des Koffeins in der Leber, durch N-Demethylierung, zu 3 bis 7,5 Milligramm Formaldehyd im Körper. Last but not least: Ein Päckchen Zigaretten produziert, wenn es geraucht wird, 50 Milligramm Formaldehyd, wovon der Raucher und der mitleidende Nichtraucher im selben Raum profitieren.



Frau Dr. Segall
Doch Spaß beiseite: Es geht heute wieder um Formaldehyd, und zwar auf Grund eines Antrages der SPD, und es geht außerdem um einen Forderungskatalog der GRÜNEN für die Innenraumluft. Während der SPD-Antrag die Empfehlungen des gemeinsamen Berichts der drei Bundesanstalten vom 1. Oktober 1984 verbindlich machen will, geht es den GRÜNEN um eine Befreiung der Innenluft von allen nur denkbaren Belastungen durch besonders gefährliche Stoffe mit krebserzeugender, erbgutverändernder, Mißbildungen auslösender und fruchtschädigender Wirkung. Da zeigt sich wieder einmal, daß sich die GRÜNEN als Umweltschützer aufspielen, aber, wie so oft, unvollständig und am Thema vorbei. Wenn es nämlich um das eigene umweltbewußte Verhalten geht, zeigt sich ein erhebliches Handlungsdefizit.

(Zustimmung bei der FDP)

Frau Schoppe, zwar haben Sie hier auch auf die Gefahren des Rauchens hingewiesen, aber in Ihrem Antrag findet sich kein Wort über die Umweltbelastung durch das Rauchen.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Die raucht auch selber, die Frau Schoppe!)

Und dabei geht es in diesem Fall nicht nur um Formaldehyd, sondern um viel weitreichendere Schäden für Erwachsene und Kinder, die im selben Raum wie Raucher sein müssen!
Eine im April stattfindende Anhörung des Bundestagsausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit wird hier weitere Aufklärung bringen.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Und dann bringen wir auch den Antrag ein, Frau Kollegin!)

Insofern bedaure ich es, daß wir das Thema schon heute behandeln müssen und nicht erst nach der Anhörung behandeln können.
Als Liberale sind wir zwar für mehr umweltbewußtes Verhalten des einzelnen

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Aber in erster Linie für Liberalität!)

und weniger für staatliche Reglementierung — das möchte ich hier einmal grundsätzlich festhalten —, aber dem Empfehlungs- und Forderungskatalog der drei Bundesbehörden, der vor allem die Verbesserung des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz, die Überprüfung der Außen- und Innenluftbelastung und die Förderung der Forschung auf dem Gebiet der Ersatzstoffe vorsieht, stimmen wir ausdrücklich zu. Insbesondere die Forschung in bezug auf Ersatzstoffe, aber auch in bezug auf die Verwendungsaspekte muß intensiviert werden.
Aber gerade dieser Bericht zeigt auch ganz deutlich, daß unmittelbare Gefahren für die Allgemeinheit nicht bestehen. Mit Panik und Panikmache ist niemandem gedient. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß man mit dem Thema „Formaldehyd" ganz offensichtlich einmal einen Versuchsballon hat steigen lassen wollen. Zwar ist er wie eine Seifenblase geplatzt, aber man hat doch daraus gelernt, und es gibt noch genug andere Stoffe.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Frau Kollegin, ich empfehle Ihnen, einmal die Formaldehyd-Initiativen zu besuchen!)

— Danke, die habe ich alle gelesen!)

(Lachen bei den GRÜNEN)

Ich denke dabei an das Schauspiel am Montag bei der Anhörung zum Thema „Dioxin". Da kann ich nur sagen: Man hat in der Tat gelernt, wie man so etwas aufzieht. Genug andere Stoffe sind ja inzwischen schon aufgetischt worden; ich denke nur an das, was in der letzten Sitzung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit gelaufen ist.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Ich finde es unglaublich, wie das Problem hier heruntergespielt wird! Es ist wirklich unglaublich!)

Ich frage mich dabei nur: Geht es Ihnen eigentlich um eine sachliche Aufklärung? Dann sollten Sie nach den zum wiederholten Male vorgetragenen Ergebnissen der Forschung und nach den daraus gezogenen Konsequenzen — siehe Bericht und Empfehlungskatalog der Bundesbehörden — voll zufrieden sein. Oder geht es Ihnen darum, Sand in das parlamentarische Getriebe zu schütten, um diesen Staat lahmzulegen?

(Beifall bei der FDP — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: O Gott, o Gott! Heute abend noch werden wir ihn lahmlegen! — Frau Schoppe [GRÜNE]: Oder morgen! — Dr. Ehmke [Ettlingen] [GRÜNE]: Wir sind doch heute so friedlich!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012937600
Das Wort hat die Frau Parlamentarische Staatssekretärin Karwatzki.

Irmgard Karwatzki (CDU):
Rede ID: ID1012937700
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Ehmke hat gerade gerufen, es sei heute ganz friedlich, aber ich glaube, so ganz friedlich ist es doch nicht. Frau Kollegin Schoppe, ich möchte doch anmerken, daß gerade in unserem Ausschuß doch viel über das diskutiert und auch informiert worden ist, was die Bundesregierung auf diesem Felde getan hat und tut. Ich will Sie auch davon in Kenntnis setzen, daß 1987 ein großer internationaler Kongreß, federführend vom Bundesgesundheitsamt durchgeführt und veranstaltet, gerade zu der von Ihnen angesprochenen Innenraumproblematik stattfinden wird. Das heißt aber nicht, daß wir bisher an diesem Punkte nichts getan hätten, und ich denke, es ist nicht richtig und nicht fair, wenn Sie sagen, die Bundesregierung tue hier nichts.
Eine weitere Vorbemerkung: Herr Kollege Müller, ich gehe davon aus, daß Sie es nur vergessen haben; aber daß unsere Vorschriften wesentlich schärfer sind als die Vorschriften, die in den USA Geltung haben,

(Müller [Düsseldorf] [SPD]: Zur Zeit eben nicht!)

muß nur ergänzend angemerkt werden.




Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012937800
Frau Staatssekretärin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Schoppe?

Irmgard Karwatzki (CDU):
Rede ID: ID1012937900
Nein, Frau Präsidentin, ich habe ja noch gar nicht richtig angefangen. Also noch nicht, Frau Kollegin!
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Bundesregierung betreibt — dies möchte ich mit Nachdruck sagen — zum Schutze der menschlichen Gesundheit eine konsequente Umweltpolitik. Sie läßt sich dabei nicht von emotional angeheizter Chemiefeindlichkeit leiten. Eine Entchemisierung dieser Welt, wie Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, sie propagieren, ist letztlich, so meine ich, menschenfeindlich.

(Zustimmung bei der FDP)

Mindestens die Älteren werden sich noch erinnern, welche bedrohlichen Mißstände es ermöglichten und notwendig machten, daß sich die Chemie so gewaltig entwickelt hat und uns heute auf Schritt und Tritt begleitet.

(Eimer [Fürth] [FDP]: Verhungert wären wir alle!)

Ohne Chemie, weniger Haltbarkeit unserer Bauten und Einrichtungen, mehr pathologische Keime in unserer Umgebung, mehr Gefahr für Lebensmittel und Bedarfsgegenstände. Und ohne Chemie noch mehr Hungertote in der Welt, als wir sie jetzt schon zu beklagen haben.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Unser wohlständischer Schwarm vom Öko- oder Biogarten, meine Damen und Herren, wird in vielen Teilen der Welt wohl nicht verstanden werden können und im Kern inhuman erscheinen müssen.

(Eimer [Fürth] [FDP]: Das können sich nur reiche Länder leisten, so zu träumen!)

Mit diesem Bekenntnis zur Chemie möchte ich angesichts der Anträge zunächst einmal unsere Ausgangsposition abstecken.
Wir durchschauen, daß für viele Akteure der Chemiefeindlichkeit der Schadstoff nur als Vehikel für die Absicht zu eingreifenderen Veränderungen in Gesellschaft und Wirtschaft gedacht ist.

(Bohl [CDU/CSU]: So ist es!)

Sie sagen Formaldehyd und träumen — denn mehr ist es nicht — einen basisdemokratischen, romantisch-utopischen Sozialstaat.

(Bohl [CDU/CSU]: So ist es!)

Diese nebelige Zielvorstellung muß so sein, weil existierende andere Gesellschaftsformen als Vorbild zu unattraktiv sind.
Zu heiß, ist für eine realistische Politik die Nadel, mit der hier genäht wird: Ohne sich auch nur ein wenig an den Gegebenheiten zu orientieren, wird ein enormer Anstieg von Pseudo-Krupp verkündet, sogleich noch eine geradezu lächerliche Hochrechnung über die kommenden Jahre geliefert. Im Jahr 2000 müßte es danach beinahe mehr Pseudo-Krupp als Kinder geben.
Dem Formaldehyd wird ein Krebspotential weit vor jeglicher Klärung angehaftet, dessen Quellen zum Teil die Illustrierten, zum anderen höchst problematisch angelegte Tierversuche sind.
Und genau an dieser Stelle will ich die zweite klare Position der Bundesregierung beziehen: Wir werden den Einsatz von Chemie dort reglementieren und notfalls untersagen, wo seine Gefährlichkeit einer Risiko-Nutzen-Abwägung bei geschärften Sinnen nicht standhält.
Am Anfang einer solchen Abwägung aber steht für uns die Erkenntnis aus Wissenschaft und Erfahrung. Die Begründung muß stimmen, Gerüchte und Verleumdungen reichen uns nicht. Verbote auf vagen Zuruf kommen in einem Rechtsstaat nicht in Betracht, sie haben auch nichts mit Gesundheitsschutz zu tun und tragen nur dessen Mäntelchen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Wo aber die Schädlichkeit auf der Hand liegt, handelt diese Regierung.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Wo zum Beispiel?)

Ich muß Ihnen die Handlungsnachweise nicht wiederholen, insbesondere Ihnen nicht, Frau Kollegin Schoppe. Minister Geißler hat an gleicher Stelle hier eindrucksvolle Belege vorgetragen in unserem Ausschuß, dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, ebenso im Ausschuß für Forschung und Technologie.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Das alles hat mich nicht überzeugt!)

Nach langen Jahren der vordringlichen Befassung mit der Außenluft wendet sich die Aufmerksamkeit zunehmend auf die Innenräume.
Diese Wendung hat sich bei uns, speziell beim Bundesgesundheitsamt, Frau Kollegin Schoppe, schon lange vor der heutigen Antragslage vollzogen. Noch bei der Pseudo-Krupp-Anhörung vor wenigen Monaten haben die jetzigen Erfinder der Innenraumgefährdung es wie eine Ablenkung aufgefaßt, als gerade vom Bundesgesundheitsamt auf die Innenräume aufmerksam gemacht wurde — und aufs Rauchen.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: In dem Zusammenhang war es auch so!)

Es wird, meine Damen und Herren, an den Problemen der Innenräume gearbeitet, und gehandelt wird je nach Kenntnissen und Notwendigkeiten, nämlich mit gesetzlichen Einschränkungen wie bei Formaldehyd oder bestimmten Holzschutzmitteln, mit Empfehlungen und Verboten wie bei wiederum anderen Holzschutzmitteln und mit Forschungen, mit Veröffentlichungen von Standardrezepturen und Standardisierungen, wo wir noch nicht genug wissen.
Die alsbald vorliegende Gefahrstoffverordnung, deren Inhalte draußen ja schon zu großen Teilen



Parl. Staatssekretär Frau Karwatzki
bekannt sind, wird verdeutlichen, was konsequente und realistische vorbeugende Gesundheits- und Umweltpolitik leisten kann und was sie von unverantwortlicher Ideologie unterscheidet.
Wenn Formaldehyd — es ist dies ja Inhalt eines der Anträge — bei bestimmten Expositionen schaden kann, im übrigen aber auch von großem Nutzen sein kann, dann beschreibt dieser Sachverhalt die Aufgabe der Regierung in der Gefahrstoffverordnung. Wie blind muß jemand sein, der vor diesem Hintergrund dumpf nach totalen Verboten ruft!
Es ist gar nicht auszudenken, meine Damen und Herren, wie solches Vorgehen der Gesellschaft schaden kann, wenn es die Oberhand gewinnt, wie die geradezu skurrilen Verdächtigungen von Politikern und Wissenschaftlern durch so manche Medienmanipulation beim Formaldehyd-Bericht gezeigt haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Alles Opportunisten!)

Die vorgesehenen Formaldehyd-Regelungen sind unseres Erachtens in der Sache gut und angemessen und im Verfahren sauber.
So, meine Damen und Herren, werden wir auch weiterhin Umweltpolitik machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012938000
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Anträge Drucksachen 10/2339 und 2791 an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Darüber hinaus wird interfraktionell vorgeschlagen, den Antrag Drucksache 10/2339 auch dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zur Mitberatung zu überweisen. Erhebt sich Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Siebenten Tätigkeitsberichts des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG)

— Drucksache 10/2777 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß (federführend)

Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen Ausschuß für Forschung und Technologie
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Waffenschmidt. Auch für Sie fünf Minuten, wenn ich bitten darf?

Dr. Horst Waffenschmidt (CDU):
Rede ID: ID1012938100
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Siebte Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz für das Jahr 1984 beginnt mit einem insgesamt positiven Urteil über die Entwicklung des Datenschutzes in unserem Land. Wie der Bundesbeauftragte für den Datenschutz feststellt, sind im Berichtsjahr bemerkenswerte Fortschritte beim Persönlichkeitsschutz zu verzeichnen gewesen. Datenschutz habe eine deutliche Aufwertung nicht nur im Bewußtsein der Betroffenen, sondern auch bei den datenverarbeitenden Stellen erfahren. Die Bundesregierung teilt diesen positiven Gesamteindruck. Meine Damen und Herren, ich will hier sagen: Damit werden alle diejenigen widerlegt, die darstellen wollen, der Datenschutz werde bei uns nicht genügend beachtet.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Die vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz festgestellten Mängel sind allesamt keine Mißbrauchsfälle. Sie werden überprüft und abgestellt werden, soweit sie begründet sind. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß der Bundesbeauftragte für den Datenschutz nach dem Gesetz nur die Einhaltung der Datenschutzvorschriften zu kontrollieren hat. Nicht jedoch hat er die Zweckmäßigkeit einzelner Verwaltungsmaßnahmen zu beurteilen.
Die Bundesregierung wird sich in einer ausführlichen Stellungnahme zu dem Siebten Tätigkeitsbericht noch äußern. Diese wird so bald wie möglich dem Innenausschuß zugeleitet.
Ein Schwerpunkt des Siebten Tätigkeitsberichts ist erneut der Sicherheitsbereich. Es handelt sich um eine differenzierte Darstellung, die, wie ich meine, in begrüßenswerter Weise auch die bisher erreichten erheblichen datenschutzrechtlichen Fortschritte aufzeigt. Eines muß hier jedoch deutlich gesagt werden: Die Bundesregierung hat nicht nur die Datenschutzbelange, sondern auch die berechtigten Belange der Sicherheitsbehörden bei der Informationsbeschaffung und -verarbeitung zu vertreten. Sie wird sich ständig der Aufgabe widmen, beides miteinander zu koordinieren. Auch hierauf wird die Bundesregierung in ihrer schriftlichen Stellungnahme gegenüber dem Innenausschuß noch näher eingehen.
Lassen Sie mich noch folgendes sagen. Das Jahr 1984 war das erste Jahr nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Volkszählungsgesetz 1983. Dieses Urteil hat, wie wir wissen, weitreichende Bedeutung über seinen eigentlichen Anlaß hinaus. Die Bundesregierung kam in ihrer Bewertung die sie im Innenausschuß zur Kenntnis gebracht hat — ich will es auch heute hier aussprechen —, zu dem Ergebnis, daß die Entscheidung Gesetzesänderungen auf verschiedenen Gebieten des Datenschutzrechts notwendig macht. Dieser Änderungsbedarf betrifft überwiegend den bereichsspezifischen Datenschutz, aber auch einige tragende Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes.
Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz setzt sich in seinem Bericht, den wir hier heute



Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt
ansprechen, mit der Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes auseinander. Ich will hier noch einmal deutlich ansprechen: Vertreter der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP haben hierzu mehrfach erklärt, daß sie Verhandlungen mit dem Ziel einer gemeinsamen Gesetzesinitiative führen. An diesen Beratungen für die gemeinsame Gesetzesinitiative wirken auch Vertreter des Bundesinnenministeriums mit.
Ich bin zuversichtlich, daß sich die Koalitionsfraktionen nach der intensiven Arbeit — wofür wir nur dankbar sein können — trotz der schwierigen Rechtsprobleme sehr bald über eine gemeinsame Datenschutz-Novelle einigen werden. Dies ist auch im Hinblick auf geplante Änderungen der Datenschutzgesetze in einigen Bundesländern sehr wünschenswert.
Im Siebten Tätigkeitsbericht werden ferner für den Sicherheitsbereich Folgerungen aus dem Volkszählungsurteil in bezug auf Korrekturen der Gesetzgebung angestellt. Ich habe hier wiederholt betont, daß die Bundesregierung im Rahmen der Auswertung des Urteils die notwendigen Arbeiten im Sicherheitsbereich eingeleitet hat. Sie sind inzwischen erheblich fortgeschritten.
Die Innenministerkonferenz wird sich im April dieses Jahres mit Entwürfen der zuständigen Arbeitskreise zur Ergänzung des Bundesverfassungsschutzgesetzes und des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes befassen. An entsprechenden Entwürfen zur Ergänzung der Sicherheitsgesetze des Bundes wird unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Aufgabenstellung der betroffen Behörden zügig gearbeitet.
Im übrigen hat die Bundesregierung ihre Vorstellungen und Konzeptionen auch im Rahmen der Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion zur „Datenverarbeitung im Sicherheitsbereich" dargelegt. Die Antwort wird j a auch demnächst hier im Hause ausführlich diskutiert werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließen mit einem Dank an den Bundesbeauftragten für den Datenschutz — der heute abend bei uns ist — für die von ihm und seinen Mitarbeitern im vergangenen Jahr geleistete Arbeit. Die Bundesregierung ist bemüht, mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz auch in Zukunft auf dem Gebiet des Datenschutzes konstruktiv zusammenzuarbeiten. Dies schließt unterschiedliche Rechtsauffassungen zu einzelnen Fragen sicher nicht aus. Sie ergeben sich aus dem jeweiligen Rollenverständnis von Bundesregierung und dem Datenschutzbeauftragten. Ziel der Bundesregierung ist es auf jeden Fall, die Fortentwicklung des Datenschutzes zum Wohle der betroffenen Bürger und unseres Landes fortzuführen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012938200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wernitz.

Dr. Axel Wernitz (SPD):
Rede ID: ID1012938300
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Entsprechend dem gesetzlichen Auftrag hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz seinen Siebten Tätigkeitsbericht vorgelegt, der das Jahr 1984 umfaßt. Herrn Baumann und seinen Mitarbeitern gebührt bei dieser Gelegenheit Dank und Anerkennung für die im abgelaufenen Jahr geleistete Arbeit.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU/CSU und der FDP)

Im jüngsten Tätigkeitsbericht wird nachdrücklich die immense Bedeutung und positive Wirkung des Karlsruher Urteils zum Volkszählungsgesetz für die Datenschutzpraxis des Jahres 1984 unterstrichen. Insofern ist aus dem Orwell-Jahr ein Jahr des Fortschritts und der Perspektive im Datenschutz geworden. Gleichwohl bleibt — wie der Bericht deutlich macht — im Rahmen der Umsetzung der Urteilsvorgaben eine ganze Reihe von Aufgaben, bei deren Bewältigung seitens der Bundesregierung und Koalition noch erhebliche politische Handlungsdefizite vorliegen.
Dazu gehört insbesondere die überfällige Novelle zum Bundesdatenschutzgesetz. Der Bundesbeauftragte hat jetzt eindringlich darauf verwiesen, daß diese Novelle nach dem Volkszählungsurteil eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit ist und dem Gesetzgeber hierfür nur eine begrenzte Wartezeit zur Verfügung steht. Während die SPD-Fraktion ihren Entwurf bereits im März 1984 eingebracht hat, ist bei der Koalition bis heute immer noch Fehlanzeige zu vermelden. Unter diesen Umständen besteht die SPD darauf, ihren Entwurf ohne weiteren Verzug in einer öffentlichen Anhörung im Innenausschuß zur Diskussion zu stellen und nach der parlamentarischen Beratung zur Abstimmung zu bringen.
Notwendig sind ferner die seit längerem anstehenden gesetzlichen Regelungen im Sicherheitsbereich. Der Bericht zeigt auf, daß es hier seitens der Bundesregierung erhebliche Rechtsetzungsdefizite gibt. Die vor kurzem gegebene Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage läßt mehr Fragen offen, als sie beantwortet. Sie ist insofern mehr als unbefriedigend. Bundesregierung und Koalition bleiben aufgefordert, endlich ihre Hausaufgaben zu machen und die erforderlichen bereichsspezifischen Datenschutzregelungen vorzulegen.

(Zustimmung bei der SPD)

In diesem Zusammenhang eine Anmerkung zum Personalausweisgesetz: Ohne die bereichsspezifischen Begleitregelungen ist der Termin 1. Januar 1986 ein politisch und finanziell unverantwortliches Risiko.
Meine Damen und Herren, erfreulich ist die Feststellung des Bundesbeauftragten, daß es Skandale bei der Datenverarbeitung in der Bundesverwaltung 1984 nicht gegeben hat. Gleichwohl bleibt festzuhalten, daß auch im Jahre 1984 zahlreiche Verstöße gegen Datenschutzbestimmungen zu rügen waren. Dies unterstreicht die Notwendigkeit solcher Tätigkeitsberichte und die Unverzichtbarkeit der Institution des unabhängigen Datenschutzbeauftragten.



Dr. Wernitz
Das vom Datenschutzbeauftragten dargelegte erhöhte Risiko einer fehlerhaften oder mißbräuchlichen Datenverarbeitung auf Grund der rasanten technologischen Entwicklung zeigt, daß diesen Neuentwicklungen und der Datensicherung erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden ist. Gefahren gehen hier nicht so sehr vom Großen Bruder aus, sondern eher von den vielen kleinen Brüdern.
Lassen Sie mich abschließend noch auf einen anderen Punkt eingehen, der in bezug auf die anstehenden Haushaltsberatungen für 1986 wichtig und aktuell ist, nämlich das Anliegen des Bundesbeauftragten für den Datenschutz betreffend die angemessene Ausweitung seiner personellen Kapazitäten. Dies ist auf Grund der inzwischen eingetretenen Entwicklung — wachsende Beratungsfunktion gegenüber Gesetzgebung und Verwaltung — wichtig, wenn — und das muß sichergestellt bleiben — die Kontrolltätigkeit in der Effektivität und auch in der Quantität fortgeführt werden soll. Hier kommt die politische Glaubwürdigkeit in Sachen Datenschutz bei den anstehenden parlamentarischen Beratungen zum Haushalt 1986 erneut auf den Prüfstand.
Meine Damen und Herren, wir streben an, den 6. und 7. Tätigkeitsbericht in den Parlamentsausschüssen verbunden zu beraten und dem Plenum im Herbst dieses Jahres die Beschlußempfehlung vorzulegen.
Die SPD-Fraktion stimmt dem heutigen Überweisungsvorschlag zu.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012938400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blank.

Dr. Joseph-Theodor Blank (CDU):
Rede ID: ID1012938500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute den Siebenten Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz; Berichtszeitraum ist das Jahr 1984. Mit der Beratung des 6. Berichts haben wir im Innenausschuß gerade erst begonnen. Wenn wir den 6. Bericht — vielleicht, Herr Kollege Wernitz, verbunden mit dem 7. Bericht — Ende dieses Jahres abschließend beraten haben werden, dann steht schon der 8. Bericht ins Haus.
Diese nach wie vor unbefriedigende Verfahrensweise läßt mich meinen Vorschlag hinsichtlich der Ausdehnung des Berichtszeitraums von einem Jahr auf zwei Jahre, den ich anläßlich der Beratung des 5. Berichts im September 1984 hier vorgetragen habe, erneut aufgreifen. Denn vordringlichste Aufgabe des Datenschutzbeauftragten ist nicht, dicke Berichte zu schreiben und darüber in monatelange Beratungen mit dem Parlament einzutreten,

(Tietjen [SPD]: Aber natürlich!)

sondern primäre Aufgabe ist die im Gesetz genannte Kontrolltätigkeit,

(Tietjen [SPD]: Beides!)

die quantitativ wieder Vorrang vor den berichtenden und beratenden Tätigkeiten des Datenschutzbeauftragten erhalten muß.
Meine Damen und Herren, wie in den vorausgegangenen sechs Berichten hat der Datenschutzbeauftragte auch in diesem 7. Bericht Skandale nicht anzubieten. Orwells Jahr 1984 ist vergangen, ohne daß auch nur geringste Anzeichen dafür vorlägen, daß wir uns auf dem Weg zu einem Überwachungsstaat befänden. Dieser Jahresbericht ist wiederum eine enttäuschende Lektüre für all die Zeitgenossen, die unsere Republik von Dunkelmännern mit Hilfe einer unheimlichen Technik überwältigt sehen möchten. Das von nicht wenigen so gern gepflegte Mißtrauen gegen den demokratischen Rechtsstaat ist einmal mehr als schlichte Agitation notorischer Staatsverächter entlarvt worden.
Der Datenschutzbeauftragte stellte 1984 nicht einen einzigen Fall vorsätzlichen Mißbrauchs von Daten fest. Er bescheinigt den Behörden nicht nur guten Willen, sondern stellt ausdrücklich fest, daß sich das Verhältnis von Exekutive zum Datenschutzbeauftragten positiv entwickelt habe und daß Datenschutz als ein unverzichtbares Element der staatlichen und wirtschaftlichen Ordnung anerkannt sei. So wertet der Datenschutzbeauftragte das Jahr 1984 als ein Jahr des Fortschritts im Datenschutz. In der Tat, der Datenschutzbeauftragte hat in den letzten Jahren mit seiner Arbeit zur Verankerung des Datenschutzbewußtseins in Verwaltung und Öffentlichkeit entscheidend beigetragen. Hierfür gebührt ihm der Dank auch meiner Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir wünschen, daß der Datenschutzbeauftragte auch zukünftig einen wichtigen Beitrag zum Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung leistet. Denn Datenschutz ist nicht eine lästige Beschränkung der datenverarbeitenden Stellen, sondern ein notwendiges Mittel zur Sicherung der Freiheit unserer Bürger. Das Bundesverfassungsgericht hat das Recht eines jeden einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung als ein Verfassungsrecht gewertet. Grundsätzlich hat jeder über die Ausgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen. Wenn er dies tut, bedarf er unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung eines besonderen Schutzes.
Das Gericht hat aber auch ausgeführt — dies wird von manchen geflissentlich unterschlagen — daß das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht schrankenlos ist. Der einzelne hat eben nicht ein Recht im Sinne einer absolut uneinschränkbaren Herrschaft über seine Daten. Die Spannung Individuum — Gemeinschaft hat unser Grundgesetz im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden.
Der Datenschutzbeauftragte hat in seinem 7. Bericht Anregungen zur gesetzlichen Fortentwicklung des Datenschutzes gegeben. Dies gilt insbesondere für die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden — Polizei und Verfassungsschutz —.



Dr. Blank
Die von uns, vom Gesetzgeber, zu ziehende Grenze zwischen dem Anspruch des einzelnen auf Schutz seiner Daten und dem Recht aller auf Schutz der Gemeinschaft, der stets auch Schutz des einzelnen ist, ist äußerst schwierig. Frau Zimmermann, deren Mann von Terroristen brutal ermordet worden ist, wird über diese Grenze, ebenso wie Frau Schleyer anders denken als etwa Demonstranten, die ihre Sympathie mit eben diesen Terroristen bekunden, wohl auch anders als Bürger, die Bedenken gegen die Einführung eines fälschungssicheren und maschinenlesbaren Personalausweises haben. Wir erleichtern diese Grenzziehungsdiskussion jedoch nicht dadurch, daß die einen den Vorrang dieses und die anderen den Vorrang jenes Rechtsgutes vor dem jeweils anderen proklamieren. Hier hilft nur eine sorgfältige Güter- und Interessenabwägung im Einzelfall.
Nicht die Aufgabenerfüllung durch die Verwaltung, auch die Sicherheitsbehörden, ist das Maß aller Dinge. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des einzelnen bedarf einer besonderen Rechtfertigung.
Aber — ich füge auch dies deutlich hinzu — jegliche freie Entfaltung des einzelnen ist nur möglich, wenn der Staat seine Bürger wirksam vor innerer und äußerer Gewalt und Angriffen auf ihre Rechtsgüter schützt. Datenschutz und innere Sicherheit sind daher keine Gegensätze, sondern dienen einem Ziel, nämlich der Gewährleistung unserer aller Freiheit in Sicherheit.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012938600
Das Wort hat Frau Abgeordnete Reetz.

Christa Reetz (GRÜNE):
Rede ID: ID1012938700
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen.

(Bohl [CDU/CSU]: Die letzte Rede!)

— Die letzte Rede, ja. Das hätte ich sonst am Schluß gesagt.
Ich möchte mich in dieser ersten Lesung des Siebenten Tätigkeitsberichts des Datenschutzbeauftragten auf ein Problem beschränken, das auf Grund seiner Aktualität im vergangenen Jahr die Öffentlichkeit außerordentlich beschäftigt hat und auch in diesem Jahr und in den nächsten beschäftigen wird.
Die Deutsche Bundespost hat Mitte 1984 die BtxLeitzentrale in Ulm in Betrieb genommen. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz sah die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die eingesetzten Verfahren als weder sicher noch datenschutzgerecht an. In der Fernmeldeordnung seien zwar verschiedene Rechtsfragen des Btx-Systems geregelt; aber hinsichtlich des Datenschutzes seien diese Vorschriften unvollständig.
Der hessische Datenschutzbeauftragte beschreibt diese Situation sehr viel deutlicher als einen Konflikt der Datenschutzbeauftragten mit der Deutschen Bundespost. Um einer raschen Einführung des Bildschirmtextes willen sei die verfassungsrechtliche Auseinandersetzung nicht ausgetragen worden, d. h., es bestehe keine Übereinstimmung zwischen Bund und Ländern über die Gesetzgebungskompetenz für die individualisierten Sparten der Kommunikation.
Frau Dr. Leutze von Baden-Württemberg spricht von einem Kompetenzgerangel. Die Ministerpräsidenten der Länder hätten die Rechnung ohne den Wirt gemacht, wenn sie davon ausgingen, daß die Landesdatenschutzbeauftragten zur Kontrolle des Betriebs der Bildschirmtextzentrale befugt seien. Die Deutsche Bundespost reklamiere Btx für sich mit der Begründung, es handele sich um einen zu ihrem Aufgabenbereich zählenden Fernmeldedienst. Obwohl sie sich verpflichtet habe, die Datenschutzregelungen des Staatsvertrags mit den Ländern zu akzeptieren, weigere sie sich, deckungsgleiche Bestimmungen in das Fernmeldebenutzungsrecht aufzunehmen.
Die rechtlichen Grundlagen sind aber auch für die Betroffenen unklar. Welche Rechtsgarantien gibt ihnen die Deutsche Bundespost? In der Fernmeldeordnung stehen diese weit verstreut. Für den Bürger sind sie viel zu unübersichtlich.
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat deshalb angeregt, eine vollständige, zusammenhängende Regelung für den neuen Dienst sozusagen in einem Block zu schaffen.
Jedoch, es geht nicht nur um die Kontrolle der gesetzlichen Regelungen des neuen Dienstes. Die neue Technik mit ihren hochgepriesenen nahezu unbegrenzten Möglichkeiten macht auch eine intensive und ständige Kontrolle der technischen Sicherheit notwendig.
Und wiederum steht die Deutsche Bundespost auf dem Standpunkt, daß sie Informationen über technische Abläufe nur dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz erteile, während dem Landesbeauftragten diese Informationen verweigert werden. Aus Rechtsgründen — das ist schon ein Kuriosum — sieht sich der Bundesbeauftragte für den Datenschutz nicht in der Lage, die Aufsichtsbehörden der Länder über Verfahrensbestandteile von Btx zu unterrichten, die ihm von der Deutschen Bundespost unter dem Siegel der Vertraulichkeit bekanntgegeben wurden.
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz kritisiert auch die bestehenden Regelungen für den Ablauf und Aufbau der Organisation. Es gibt keine umfassende Dokumentation für die eingesetzten Programme. Ja, es ist der Deutschen Bundespost sogar vertraglich verwehrt, sich genaue Kenntnis über die Programmabläufe zu verschaffen.
Vor diesem Hintergrund ist es auch dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz schwer vorstellbar, wie die Deutsche Bundespost ihrer Verantwortung für die ordnungsgemäße Anwendung der Datenverarbeitungsprogramme gerecht werden kann. Er schlägt einen speziellen Sicherheitsbeauftragten für die Btx-Leitzentrale in Ulm vor.
Nun, dazu möchte ich sagen: Daraus ist ja wohl mit Fug und Recht zu schließen, daß der Btx-Dienst



Frau Reetz
in einer datenschutzrechtlich unverantwortlichen Weise betrieben wird und wir nur von Glück reden können, daß dies wegen der geringen Akzeptanz des Dienstes bisher noch nicht zu größerem Unheil geführt hat, als daß sich Hacker mit Intelligenz und viel Spaß daranmachen, die Schwachstellen von Btx am laufenden Band zu knacken.
Wenn die Deutsche Bundespost schon keine Dokumentation liefert, so sollte sie vielleicht ehrlicherweise einmal über eine Risikobeschreibung nachdenken, womit sie ihren Kunden einen hervorragenden Dienst liefern könnte. In diese Risikobeschreibung wäre allerdings viel mehr aufzunehmen als Btx: Ferndienst, Telex — und so weiter.
Ich sehe: Meine Lampe leuchtet auf. Ich will zum guten Ende nicht noch meine Zeit sehr überziehen. Deshalb möchte ich Ihnen sagen: Es hat nicht mehr jeder einzelne die Freiheit, sich einem solchen System zu entziehen; denn es wird einmal die Zeit kommen, in der wir keine Stromableser mehr haben werden und kein Briefträger mehr in unser Haus kommen wird. Es wird bargeld- und schecklosen Verkehr geben. Wir GRÜNEN wollen das nicht. Wir wollen diese Utopie nicht. Wir wollen, daß sie eine ferne Insel bleibt.
Dieser Siebente Tätigkeitsbericht des Bundesdatenschutzbeauftragten verstärkt unsere Sorge über eine Entwicklung, die unbemerkt über die Gesellschaft hereinbricht und in ihren weitreichenden und das Leben verändernden Folgen nicht erkannt wird.
Herzlichen Dank auch Ihnen, Frau Präsident, daß ich meine Zeit überziehen durfte. Ich wünsche Ihnen alles Gute, für Sie persönlich und für Ihre weitere Arbeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012938800
Das Wort hat Herr Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1012938900
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei einer Redezeit von fünf Minuten ist man geneigt, dem Ratschlag Tucholskys zu folgen und mit den Worten zu beginnen: „Ich komme nun zum Schluß."

(Heiterkeit)

Der Datenschutzbericht bezieht sich auf das Jahr 1984 und fängt mit der Feststellung an, daß die Orwellsche Vision nicht Wirklichkeit geworden ist. Aber er zeigt, finde ich, sehr eindrucksvoll — auch wenn man ihn zusammen mit den Datenschutzberichten der Länder liest —, welche doch beachtlichen Möglichkeiten es gibt, mit Hilfe dieser Technologie Kontrollmechanismen einzurichten, und zwar Kontrollmechanismen, die der einzelne nicht merkt. Das ist ja im Grunde genommen das Neue an dieser Entwicklung.
Darum ist es erstaunlich, daß die politische Frontstellung über Jahre hinweg fast unverändert geblieben ist, daß nämlich derjenige, der sich um den Datenschutz kümmert, leicht in den Ruf eines nervenschwachen Zeitgenossen kommt, der zumindest technologiefeindlich ist und der dauernd in der Versuchung steht, dem Staat im allgemeinen und der Polizei im besonderen in den Arm zu fallen. Deshalb muß man einmal sagen, daß Datenschutz eben nicht technologiefeindlich ist, sondern das genaue Gegenteil davon, weil die Beachtung der Regeln des Datenschutzes die Anwendung einer modernen Technologie überhaupt erst gesellschaftlich akzeptabel und auf Dauer möglich macht. Man muß daran erinnern, daß Datenschutz eigentlich eine außerordentlich konservative Vorstellung ist, und zwar deswegen, weil er sich darum bemüht, die Privatsphäre eines Menschen zu schützen vor dem verständlichen Wunsch eines Staates, um anderer Ziele willen, z. B. Daseinsvorsorge und Leistungsverwaltung, möglichst intensiv in eine ganze Reihe von Dingen einzubrechen, die wir normalerweise als zum Bereich der Privatsphäre gehörend beachten müssen. Dafür muß ein Ausgleich geschaffen werden.
Ich bedaure, daß das Bild der Datenverarbeitung nicht vollständig ist, und zwar deswegen nicht, weil wir über die Datenverarbeitung im privaten Bereich nichts erfahren. Das hängt mit der Zuständigkeitsregelung zusammen. Es wäre wünschenswert, daß die Aufsichtsbehörden der Länder, die ja für die Datenverarbeitung im privaten Bereich zuständig sind, ebenfalls Berichte geben, aus denen wir die sehr intensive und massive technische Entwicklung in diesem Bereich genauer verfolgen könnten, als es zur Zeit möglich ist.
Ein Wort zum Datenschutzbeauftragten selber. Gelegentlich wird der Wunsch geäußert, auf allen möglichen Gebieten Beauftragte einzusetzen. Die Nachahmung ist ein Zeichen dafür, daß eine eingerichtete Institution erfolgreich und sinnvoll ist. Insofern ist das ein Kompliment an den Datenschutzbeauftragten. In der Tat ist er notwendig, weil es außerordentlich schwierig ist, von außen her in die Datenverarbeitung hineinzusehen, und weil der Anwender dazu neigt und neigen muß, die Rationalität, die Verwaltungserleichterung seiner eigenen Tätigkeit durch die Datenverarbeitung zu sehen, und weil er gleichzeitig die Wirkung auf den Betroffenen, die Interessen des anderen leicht unterschätzt oder sogar dazu neigt, sie zu übergehen.
Deswegen ist es in der Tat notwendig, einen Datenschutzbeauftragten zu haben. Er ist das Ohr und das Auge des Parlaments, der die politischen Entscheidungen zwar nicht ersetzt und sie nicht ersetzen kann, der es dem Parlament aber ermöglicht, sachgerechte Entscheidungen zu treffen.
Deswegen und nicht nur wegen der umfangreichen Arbeit, die uns vorgelegt worden ist, und auch wegen der Ergebnisse dieser Arbeit möchten wir uns dem hier schon ausgesprochenen Dank an den Datenschutzbeauftragten und seine Mitarbeiter anschließen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012939000
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.



Vizepräsident Frau Renger
Der Ältestenrat schlägt vor, den Siebenten Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz auf Drucksache 10/2777 entsprechend den aus der Tagesordnung ersichtlichen Vorschlägen zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 15:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht
— Drucksache 10/2951 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß (federführend)

Haushaltsausschuß
und den Zusatzpunkt 2:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (9. BAföGÄndG)

— Drucksache 10/3077 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Auch hierzu wird das Wort nicht erbeten.
Für die beiden Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/2951 und 10/3077 wird Überweisung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. — Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller (Düsseldorf), Dr. Hauff, Roth, Antretter, Daubertshäuser, Duve, Müntefering, Amling, Bachmaier, Bamberg, Frau Blunck, Catenhusen, Conradi, Haar, Hettling, Frau Dr. Hartenstein, Ibrügger, Bernrath, Dr. Klejdzinski, Lennartz, Lohmann (Witten), Frau Dr. Martiny-Glotz, Meininghaus, Müller (Schweinfurt), Pauli, Reschke, Reuter, Sielaff, Schäfer (Offenburg), Dr. Schmude, Stahl (Kempen), Vosen, Waltemathe und der Fraktion der SPD
Förderung der Infrastruktur für den Fahrradverkehr
— Drucksache 10/2658 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr (federführend)

Finanzausschuß
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Auch hierzu wird das Wort nicht erbeten. Den Überweisungsvorschlag des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Gibt es dazu andere Vorschläge? — Sie stimmen der Überweisung an die Ausschüsse entsprechend dem Vorschlag des Ältestenrats zu. Dann ist dies so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags des Abgeordneten Schwenninger und der Fraktion DIE GRÜNEN
Rüstungsexportstatistiken
— Drucksache 10/2959 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Federführung strittig —
Auch hier wird das Wort zur Aussprache nicht gewünscht.

(Schwenninger [GRÜNE]: Nur Antragsbegründung, keine Rede!)

— Was möchten Sie denn jetzt, Herr Schwenninger?

(Schwenninger [GRÜNE]: Nur Antragsbegründung, keine Rede!)

— Das hatten wir nicht vorgesehen. Ich finde es immer nicht schön, wenn man sich nicht an Verabredungen hält.

(Bohl [CDU/CSU]: Ja, sehr richtig!)

Wir haben dies nicht vorgesehen, verehrter Herr Kollege. Es ist gleich 22.10 Uhr, und wir sind alle am Ende unserer Kräfte.

(Schwenninger [GRÜNE]: Wir sind für Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß! Es geht um die Federführung!)

— Wenn das der einzige Punkt wäre, zu dem Sie noch etwas sagen wollen, kann ich Ihnen das Wort natürlich nicht verweigern. Bleiben Sie einen Moment hier, damit ich den Damen und Herren erst noch erklären kann, worum es geht.
Die GRÜNEN haben darum gebeten, die Federführung nicht, wie das von den drei anderen Fraktionen gewünscht wird, dem Ausschuß für Wirtschaft, sondern dem Auswärtigen Ausschuß zu übertragen.
Dazu jetzt, Herr Schwenninger, bitte schön.

Walter Schwenninger (GRÜNE):
Rede ID: ID1012939100
Wir haben vorgeschlagen, die Federführung nicht dem Wirtschaftsausschuß, sondern dem Auswärtigen Ausschuß zu übertragen. Zwar sammelt das Wirtschaftsministerium die betreffenden Statistiken, doch geht es hier um die Grundsatzentscheidung, was nach dem Verständnis des Parlaments offengelegt werden soll und wie wir mit den Rüstungsexportinformationen umgehen sollen.
Bisher hat sich nur der Auswärtige Ausschuß eingehender und kontinuierlich mit diesen Fragen beschäftigt. Er hat auch am besten die außenpolitischen Vergleichsmöglichkeiten und Auswirkungen vor Augen. Er ist nach unserer Meinung der Ausschuß, der das Thema übergreifend behandeln kann. Der Wirtschaftsausschuß beschäftigt sich auf Grund seiner Aufgabenstellung nur mit der wirtschaftspolitischen Seite. Das ist meiner Meinung nach zu eng.



Schwenninger
Deshalb möchten wir Sie auffordern, unserem Vorschlag auf Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß — federführend — zuzustimmen.
Vielen Dank. Ich verabschiede mich.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1012939200
Die drei Fraktionen CDU/CSU, FDP und SPD haben den Antrag gestellt, den Wirtschaftsausschuß als federführenden Ausschuß zu benennen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war eindeutig die Mehrheit. Damit ist Ihr Antrag abgelehnt. Federführend ist der Wirtschaftsausschuß. Andere Abstimmungen erübrigen sich dadurch, denn ich nehme an, daß Sie sonst mit den Überweisungsvorschlägen, die auf der Tagesordnung ausgedruckt sind, einverstanden sind. — Kein Widerspruch? — Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und b auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 70 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/3026 —
b) Beratung der Sammelübersicht 71 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/3027 —
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses gefolgt.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 29. März 1985, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.