Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll der in der 85. Sitzung des Deutschen Bundestages am 20. September 1984 dem Innenausschuß überwiesene Gesetzentwurf zur Änderung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise — Drucksache 10/1115 — auch dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Liedtke, Paterna, Bernrath, Berschkeit, Kretkowski, Roth, Walther, Amling, Frau Blunck, Büchler , Daubertshäuser, Ewen, Gerstl (Passau), Heistermann, Huonker, Jahn (Marburg), Jansen, Dr. Jens, Junghans, Jungmann, Kißlinger, Dr. Klejdzinski, Kuhlwein, Lohmann (Witten), Frau Dr. Martiny-Glotz, Meininghaus, Müntefering, Frau Odendahl, Purps, Reuschenbach, Reuter, Dr. Schwenk (Stade), Dr. Soell, Dr. Sperling, Stahl (Kempen), Dr. Steger, Frau Steinhauer, Frau Terborg, Tietjen, Dr. Wernitz, Frau Weyel, von der Wiesche, Wimmer (Neuötting), Wolfram (Recklinghausen), Zeitler, Frau Zutt und der Fraktion der SPD
Ausdehnung der Fernsprechnahbereiche — Drucksache 10/1504 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
Im Ältestenrat ist eine Aussprache mit Beiträgen bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Das Wort hat der Abgeordnete Liedtke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sicher kann ich für alle Fraktionen dieses Hauses feststellen, daß der Nandienst ein Qualitätsmerkmal für die Fernmeldeversorgung der Bevölkerung ist. Er ist die Antwort auf eine politischeVorgabe. Durch die regionalen Neugliederungen sind aus Städten Ballungsgebiete, aus Gemeinden Großgemeinden geworden. Die technische Konstruktion der Ortsnetze stimmte mit den politischen Gliederungen nicht mehr überein. Telefongespräche mit Nachbarn wurden vielfach zu teuren Ferngesprächen, weil die Ortsnetze mit den Stadt- und Gemeindegrenzen nicht mehr übereinstimmten.Aus dieser Situation heraus hat die damalige Regierung mit Zustimmung des gesamten Hauses die Konstruktion des Nahbereiches erdacht, gemacht, und zwar mit einem Radius von 20 Kilometern um die Ortsnetze herum. So weit, so gut.
— Nach meiner Erinnerung ja;
aber gut, ist auch nicht wichtig. Heute halten wir es jedenfalls gemeinsam für sinnvoll. Denn im August 1983 hat der jetzige Minister in seinem Erfahrungsbericht festgestellt: Das hat sich bewährt.Mittlerweile haben wir im Postausschuß Signale, daß diese Konstruktion noch unvollkommen ist. Besonders Sie, Herr Kollege Pfeffermann, haben überzeugend nachgewiesen, daß es noch Landkreise gibt, in denen der Bürger sein eigenes Rathaus nur über das Ferngespräch erreichen kann. Das sind ungewollte Benachteiligungen. Deswegen, so sagt unser Antrag, weiten wir diese Bereiche um mindestens 5 Kilometer aus. Im Prinzip ist das also ein Nachbesserungsantrag zu einer allseits anerkannten, guten Konstruktion.Und hier setzt der jetzige Minister sein Blockademittel Kostenneutralität ein. Herr Minister, die Milliardenüberschüsse im Fernmeldebereich der Deutschen Bundespost mahnen, das Monopol in diesem Bereich nicht zu mißbrauchen. Hätten Sie ähnliche Maßstäbe bei der Breitbandverkabelung angelegt, fände diese wohl nicht statt. Denn am Ende Ihrer Kabelstränge steht in den überwiegenden Fällen das „Nein, danke"; kein Bedarf der Kunden.Unser Vorwurf an Ihre Adresse lautet: Sie sammeln die notwendigen Kabelgroschen durch Ver-
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Liedtkeschlechterungen im Dienstleistungsbereich der „gelben Post"; Beispiel: die mißliche Verlängerung der Brieflaufzeiten. Sie sammeln Ihre Kabelgroschen durch Gebührenerhöhungen im Fernmeldebereich, z. B. bei den öffentlichen Münzfernsprechern.
Und Sie sammeln Ihre Kabelgroschen durch Vorenthaltung notwendiger Leistungsverbesserungen wie in diesem Falle.
Im Prinzip, meine Damen und Herren, ist unser Antrag sehr freundlich gestimmt; denn, folgen Sie ihm, gewinnen Sie viele neue Freunde im Lande. Das scheint uns nach dem letzten Sonntag gar nicht so unnötig zu sein. Und oppositionsunüblich ist unser Antrag im Prinzip auch: er ist konstruktiv für den Bürger, aber zugleich freundlich für die Regierung.Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Pfeffermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der SPD ist unglaubwürdig und kennzeichnet die unrühmliche Politik der SPD im letzten Jahrzehnt, nicht nur auf diesem Sektor.Es war Bundespostminister Dr. Werner Dollinger, der 1968 die Schaffung von Fernsprechnahbereichen mit einem Radius von 25 km ohne Zeittakt initiierte. Dieses Konzept wurde im Juni 1971 durch den damaligen SPD-Postminister Leber bestätigt. Erst im September 1975 kam dann von dem damaligen Postminister Gscheidle die Vollbremsung auf einen Nahbereichsradius von nur 20 km und das bei einem Zeittakt von vier Minuten.Die CDU/CSU hat dann mit ihren Anträgen durchgesetzt, daß Berlin vom Zeittakt ausgenommen wurde, daß für die Grenzregion eine Flächenverlustregelung eingeführt wurde, daß die Telefonseelsorge und ähnliche Institutionen vom Zeittakt ausgenommen wurden und daß nicht zuletzt der Zeittakt selbst von vier auf acht Minuten ausgedehnt wurde.Den letzten parlamentarischen Vorstoß haben wir während der Umstellungsphase im Hinblick auf eine Ausdehnung der Fernsprechnahbereiche 1978 unternommen, Herr Kollege Liedtke. Damals hätten Sie zustimmen sollen.
Dabei ging es uns aber in erster Linie um eine flexiblere Handhabung der Gestaltung der Abgrenzung der Fernsprechnahbereiche, weil sich damals schon eine Unausgewogenheit zwischen großstädtischen und ländlichen Regionen deutlich abzeichnete. Technisch hätte sich dies damals ohne große Aufwendungen realisieren lassen. Unser Antrag wurde damals von der SPD unter anderem mit der Begründung abgelehnt, daß der dadurch erhöhte Gebührenausfall für die Post finanziell nicht zu verkraften sei. Es wäre höchst interessant, festzustellen, wer von den heutigen Antragstellern damals entsprechende Anträge im Postverwaltungsrat und in den Gremien des Bundestages ablehnte, Herr Kollege Liedtke. — Vielleicht gehen Sie noch einmal auf die Abstimmung damals zurück.
Nachdem nun die Nahbereiche mit hohem Kostenaufwand mit einem Radius von 20 km installiert worden sind, will die SPD mit weit höherem Kostenaufwand, als er damals notwendig gewesen wäre, das verwirklichen, was sie damals abgelehnt hatte. Mit Ihrem Vorschlag, die Fernsprechnahbereiche generell um 5 km zu erweitern, würde das strukturelle Ungleichgewicht zwischen städtischen und ländlichen Räumen aber nicht vermindert. Bei notwendigen Investitionen von 1,3 Milliarden DM führten die Vorschläge der SPD zu Mindereinnahmen und Folgekosten von rund 500 Millionen DM pro Jahr. Für die Realisierung müßten durchschnittlich fünf, in Einzelfällen auch sieben bis acht Jahre, angenommen werden.Dem setzen wir unsere finanzierbaren, technisch umsetzbaren und auf die strukturellen Verhältnisse abgestimmten Maßnahmen entgegen. So hat Bundespostminister Dr. Schwarz-Schilling angekündigt, daß Telefonteilnehmer in 418 strukturschwachen Ortsnetzen, die nach dem Stand vom 31. Dezember 1983 in ihrem Nahbereich weniger als 30 000 Hauptanschlüsse erreichen können, zusätzlich 50 freie Gebühreneinheiten bekommen. Das sind monatlich 11,50 DM Nachlaß für die Betroffenen. Das wird zu Mindereinnahmen von ca. 80 Millionen DM führen, die aber für die Teilnehmer in strukturschwachen Ortsnetzen gezielter eingesetzt sind, als wenn wir nach Ihrem Gießkannenprinzip auch große Nahbereiche von z. B. einer Million erreichbarer Hauptanschlüsse, deren Teilnehmer sich überhaupt nicht benachteiligt fühlen, mit unnötigem Aufwand und vermeidbaren Einnahmeverlusten noch größer machten.Daneben werden 42 Ortsnetze entlang der Zonengrenze einen um 5 km vergrößerten Nahbereich bekommen. Mittelbar werden dadurch weitere 184 Ortsnetze begünstigt. Diese Maßnahme belastet den Haushalt der Bundespost mit weiteren 5 Millionen DM, ein, gemessen an der politischen Aufgabe, vertretbarer Gebührenausfall.Beide Maßnahmen dienen dem Ziel: Mehr Ausgewogenheit in den Nahbereichen. Sie müssen vor dem Hintergrund gesehen werden, daß wir mit der 25. Änderungsverordnung die Telefonkunden jährlich um 180 Millionen DM entlastet haben. Diese Entlastung hatte aber gleichzeitig eine höhere Nachfrage nach Telefonanschlüssen zur Folge. So haben sich beispielsweise durch die Senkung der Anschlußgebühren ab 1. Juli 1984 die Anträge auf neue Anschlüsse im Juli und August im Durchschnitt gegenüber den vorherigen sechs Monaten fast verdreifacht.
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PfeffermannSie sehen, meine Damen und Herren von der SPD: Wir machen eine realistische Politik.
Die CDU/CSU gibt im Gegensatz zur SPD hohe Fernmeldeerträge an ihre Telefonkunden in Form von Gebührenermäßigungen weiter und erreicht damit auch noch beschäftigungspolitisch richtige Nachfrageeffekte.Die Kehrtwende der SPD kommt zehn Jahre zu spät. Ihr Antrag ist bei hohen Kosten ein reiner Schaufensterantrag.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Reetz.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir zuerst ein kurzes Zitat aus einer Glosse, die im „Offenburger Tageblatt" gestanden hat und die Sie, wie ich hoffe, erheitert.Seit ein gewisser Christian Schwarz-Schilling mit Kabeln, Antennen und Computern in Bonn herumspielen darf, müssen sich die bundesdeutschen Post- und Fernsehbenutzer allmonatlich so fühlen, als ob Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen. Bescherungen gibt es am laufenden Band. Der Christian von der Post ist für jede Neuerung gut. Ob sie Sinn macht, Geld kostet oder sich als technische Sackgasse entpuppt, kann ihn nicht zurückhalten. Hauptsache, die Sache ist neu. Und natürlich sollte sie auch Knöpfe zum Drehen oder Tasten zum Drücken haben, vielleicht noch einen Bildschirm obendrauf oder nebendran, ganz zu schweigen von einem schönen Piepston, am besten aber alles gleichzeitig. Dem Manne muß der Papa zu früh die elektrische Eisenbahn weggenommen haben.
Es war im Jahr 1971 — damit will ich beginnen —, da hat die Post — ich meine: zum letzten Mal — mit dem Wohl der eigenen Zukunft auch das Wohl der von ihr versorgten Bevölkerung vertreten. Denn mit einer neuen Fernsprechordnung wurde der Nahverkehrsbereich eingeführt — ohne Zeittakt. Prüfungen hatten erwiesen, daß der Zeittakt nicht notwendig ist, weil die Gespräche, die über eine gewisse Zeit — sagen wir: zehn Minuten — hinausgingen, vernachlässigbar wenige waren.Jedoch die folgenden Postminister der etablierten Parteien wurden mehr und mehr zu Verfechtern einer neuen Soziologie, Macher mit neuen technischen Mitteln. Und die kosten natürlich Geld, sehr viel Geld.Und was macht ein Regierender, wenn er sehr viel Geld braucht? Er nimmt's nicht von den Reichen; er nimmt's von den Armen. Die Telefongebühren sind dazu allemal gut genug.
Ende 1975 versuchte der damalige Postminister, den Zeittakt einzuführen, und zwar zusammen mit dem Fernsprech-Nahbereich. Er hatte die Idee, den Nahbereich, der damals schon eingeführt war, zu kürzen und den Zeittakt auf vier Minuten zu verringern. Sie erinnern sich vielleicht noch, daß dies einen Sturm der Entrüstung hervorrief und daß die Öffentlichkeit — —
— Ende 1975!
— Ich sagte ja: die Postminister der etablierten Parteien! Denn ich mache das Ping-Pong-Spiel nicht mit, das bei Ihnen immer abläuft.
Jedenfalls: Sie werden sich erinnern: es war ein Sturm der Entrüstung auf Grund dieses Vier-Minuten-Takts. In München hat die Frau Johanna Schliefen die Aktion „Billiges Telefon" angeleiert und in wenigen Monaten viele zehntausend Unterschriften bekommen,
die zusammen mit der öffentlichen Meinung den Postminister gezwungen haben, den Zeittakt auf acht Minuten festzulegen.
— Ich habe ja gar nicht nach Parteien differenziert. Sicher, die CDU/CSU war damals in der Opposition.
— Nein, nein!Ich habe das jetzt deshalb angeführt, weil der Bundespostminister in bezug auf die Vorstellungen, die jetzt im SPD-Entwurf enthalten sind — den Fernsprechnahbereich auszuweiten —, bereits im vorigen Jahr gesagt hat, daß das nur kostenneutral gehe. Das heißt, daß die zusätzlichen Aufwendungen abgedeckt werden müßten entweder durch Einschränkung des Zeitbereichs — wenn der Nahbereich um einige Kilometer ausgeweitet wird — oder umgekehrt. Davor möchte ich Sie wirklich sehr warnen. Sollte der Postminister es wahr machen — ich 'wäre ihm dankbar, wenn er dazu verbindlich Stellung nähme —, den Zeittakt aus „kostenneutralen" Gründen zu kürzen, dann kann ich im Hinblick auf das, was in den 70er Jahren abgelaufen ist, nur sagen: Er wird den Aufstand erleben, den wir schon
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Frau Reetzlange vorbereitet haben und der auch wirklich einmal kommen wird.
Ich möchte in diesem Zusammenhang etwas zitieren, was der Postminister im vorigen Jahr dem Vorsitzenden des Postverwaltungsrats geschrieben hat.
Frau Kollegin, es tut mir leid, aber wir haben eine sehr befrachtete Tagesordnung. Ich muß heute sehr auf die Einhaltung der Redezeiten achten.
Der Postminister hat in diesem Schreiben über vorprogrammierte Zukunftshypothesen gesprochen und sich dazu sehr negativ geäußert. Ich meine, daran sollte er jetzt denken.
Wir stimmen dem SPD-Antrag zu, allerdings verlangen wir mehr: keinen Zeittakt und einen größeren Nahbereich.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fast könnte man bei dem Thema, Kollege Liedtke, sagen: alle Jahre wieder.
Über genau dasselbe Thema haben wir, wenn Sie sich noch daran erinnern — und Sie können es, ich weiß es —, am 15. Februar 1979 in diesem Hause gesprochen, nur mit umgekehrten Rollen. Damals war es nicht die SPD, die den Antrag gestellt hatte, damals war es die CDU/CSU, die beantragt hatte, man solle doch die Nahbereiche, die sich im übrigen bewährt hätten, von 20 auf 25 km Radius erweitern. Der Antrag heute ist fast wortgleich.
Damals hat der Kollege Wuttke für die SPD erklärt, es sei zwar richtig, daß man im Fernmeldebereich Millionen-Überschüsse habe und man durchaus bereit sei, darüber nachzudenken, wie und was man verbessern könne. Aber man müsse alle finanziellen Risiken und weiteren Entwicklungen der Deutschen Bundespost in den Folgejahren berücksichtigen. Von daher könne man es nicht verantworten, eine solche Milliarden-Unternehmung zu beginnen.
Da hat der Kollege Wuttke recht gehabt. Ganz genauso ist es heute. Heute beantragt die SPD, man solle, weil wir hohe Überschüsse haben, im Nahverkehrsbereich eine milliardenteure Veranstaltung durchführen, um die Bürger in die Lage zu versetzen, in jedem Fall ihre Kreisstadt zu erreichen, so daß man auch in den strukturschwachen Räumen die Möglichkeit hat, unter gleichgünstigen Bedingungen aber über längere Entfernungen Nahgespräche zu führen.
Mit denselben Argumenten muß das heute zurückgewiesen werden; denn die Bundespost ist relativ gesehen in derselben Lage wie damals. Sie
macht zwar hohe Überschüsse im Fernmeldebereich, aber sie muß die Risiken, die Kosten weiterer Entwicklungen berücksichtigen. Deswegen gibt es für die FDP auch keinen Unterschied zwischen der Haltung, die sie damals eingenommen hat, und der, der sie heute erneut das Wort redet. Wir sind der Auffassung, daß man dort, wo sich auf Grund der Entwicklung im Nahbereich gezeigt hat, daß man Veränderungen, Verbesserungen herbeiführen kann, diese Verbesserungen auch herbeiführt. Dabei ist aber sorgfältig darauf zu achten, daß wir nicht mit einem neuen großen Rundumschlag Hunderte von Millionen oder gar über 1 Milliarde DM, wie heute wieder gefordert, verpulvern.
Wir haben damals gesagt, wir würden die Entwicklung in Ruhe verfolgen. Nach einem solchen Erfahrungszeitraum würden wir dann über Verbesserungen reden. Das mag die Erweiterung der Zone selbst sein, das mag strukturell gesehen auch eine andere Möglichkeit sein.
Der Bundespostminister hat dankenswerterweise zwei konkrete Vorschläge gemacht, die in jedem Fall besser sind als das, was sich die SPD wünscht. Er ist bereit, jedem Telefoninhaber in den strukturschwachen Ortsnetzen eine entfernungsabhängige Gesprächsgebührenvergünstigung in Höhe von 50 freien Gebühreneinheiten zu gewähren. Diese Lösung ist ohne unmittelbaren technischen Netzaufwand und damit auch ohne erhebliche Kosten kurzfristig realisierbar. Das bedeutet: Für rund 600 000 Teilnehmer in 418 000 strukturschwachen Ortsnetzen, also in Ortsnetzen, in denen nicht mehr als 30 000 Anschlüsse für den Teilnehmer erreichbar sind, gibt es je nach Gesprächsgebührenaufkommen bis zu 50 freie Gebühreneinheiten pro Monat. Das bedeutet für die betroffenen Teilnehmer eine monatliche Ermäßigung bei den Gesprächsgebühren in Höhe von 11,50 DM.
Wir halten diesen Vorschlag für sinnvoll und unterstützen ihn. Er ist sinnvoller als der Vorschlag, schlichtweg eine Nahverkehrszone um jeden Preis zu vergrößern. Daß dieses im Zonenrandgebiet und in den Küstenbereichen sinnvoll ist, wird gesehen und gemeinsam von CDU/CSU und FDP getragen.
Wir lehnen deshalb den Antrag der SPD ab. Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich sehr herzlich bei Ihnen, Herr Kollege Liedtke, dafür bedanken, daß Sie sich soviel Gedanken über eine Popularisierung der Post und darüber machen, welche Maßnahmen wir in dieser Beziehung durchführen sollten.
Nur möchte ich Ihnen sagen, daß sich die Bundespost vielleicht immer dadurch ausgezeichnet hat,daß sie von zu kurzfristigen Schwankungen ihrer
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Bundesminister Dr. Schwarz-SchillingPolitik — etwa mehr Geld ausgeben und ähnliches — Abstand genommen hat.
Dadurch konnte die Bundespost noch investieren, wenn der Staat das auf Grund seiner Ausgabenpolitik schon nicht mehr konnte. Wir wollen auch in Zukunft nicht wahlpolitische, sondern sachgerechte Entscheidungen treffen. Das werde ich auch in Zukunft tun.
Zweiter Punkt. Herr Kollege Liedtke, wenn Sie wieder auf die Verkabelung eingehen und erklären, die Leute wollten das alles nicht haben, dann müssen Sie Ihre Informationen schon etwas up to date bringen. Es wäre gut, wenn Sie sich befleißigten, den zur Diskussion stehenden Gegenstand zu behandeln und nicht alles wieder in einen Topf zu werfen, zumal die Argumente, die Sie vorbringen, immer vergänglicher werden und von Fakten und Informationen völlig überrollt werden. Sie müssen sich dabei schon etwas Neues ausdenken.
Die dritte Feststellung betrifft die Telefongebühren. Wir haben, was die Politik der Gebühren angeht — Frau Kollegin Reetz, das möchte ich gerade Ihnen sagen — einen einheitlichen EG-Tarif eingeführt und damit eine Ermäßigung bei Fernverbindungen im EG-Bereich vorgenommen. Übrigens sind dabei auch Österreich und die Schweiz einbezogen, weil es Nachbarländer sind. Hinzu kommen Gebührenermäßigungen zu den Nachtzeiten und am Wochenende. Sobald das technisch möglich ist, werden wir im Herbst bei den Ferngesprächen in andere Kontinente für rund 280 Millionen DM Gebührenermäßigungen vorsehen.Es ist also eine wirkliche Fama, wenn erklärt wird, hier würden Gebührenermäßigungen nicht an den Kunden weitergegeben. Wir haben dieses auch im internationalen Vergleich getan.Jetzt zum Thema selbst. Ich nehme das, was gesagt wurde, und auch die gemachten Vorschläge durchaus ernst. Nur: Ein ganz entscheidender Nachteil Ihrer Vorschläge beruht darauf, daß wir Jahre bräuchten, um sie überhaupt zu realisieren. Wir bräuchten Jahre der strukturellen und technischen Änderungen. Nachher wird man vielleicht feststellen, daß das gar nicht das Richtige war.Nach unseren Vorschlägen könnten die Teilnehmer sofort, wenn wir die entsprechenden Beschlüsse im Ausschuß und im Postverwaltungsrat gefaßt haben, in die Vergünstigung von 50 Freieinheiten pro Monat kommen. Jeder, der in einem solchen strukturschwachen Gebiet wohnt, kommt nicht nur dann in den Genuß dieser Ermäßigung, wenn er etwa zu einem nur fünf Kilometer entfernten Nachbarort telefoniert, sondern auch dann, wenn er seinen Gewohnheiten entsprechend 50 oder 100 km weiter telefoniert.Ich möchte auch sagen: Es ist ganz natürlich, daß die Kommunalpolitiker immer das Zentrum, die Kreisstadt, im Auge haben. Fragen Sie aber einmal die Bevölkerung, wo ihre Schwerpunkte liegen. Sie werden da feststellen, daß das zwar für die Politiker ein ganz wichtiges Anliegen ist — wir verstehen das, wir könnten das aber selbst bei 5 km zusätzlicher Erweiterung nicht erfüllen —, daß dieser Punkt aber für die Bevölkerung keineswegs dieses Gewicht hat. Für die Bevölkerung kommt es darauf an, weniger Geld für die Gespräche bezahlen zu müssen, die sie nach ihren individuellen Interessen führt.
Hinzu kommt, daß das Zonenrandgebiet, über das j a immer wieder gesprochen wird, auch einmal durch Taten und Fakten eine entsprechende Förderung erhält. Von den 418 Ortsnetzen, die in den Genuß dieser 50 Freieinheiten kommen, liegen 139 allein im Zonenrandgebiet. Die Flächenverlustregelung wird im übrigen so verbessert, daß 42 Ortsnetze — 15 davon erhalten außerdem noch die 50 freien Gebühreneinheiten — einen um 5 km vergrößerten Nahbereich bekommen. Dadurch werden mittelbar weitere 184 Ortsnetze begünstigt.Ich glaube also, es lohnt sich wirklich, über diesen Vorschlag nachzudenken. Er ist sachgerecht, er trifft die Wünsche der Bevölkerung, er ist sofort einführbar, er braucht nicht Jahre zur technischen Einführung. Der in Rede stehende Betrag steht in einer angemessenen Proportion zu den Gebührenermäßigungen; denn für die Post gehen nicht hunderte von Millionen verloren, sondern nur 80 Millionen. Wenn ich hier betone, daß nicht hunderte von Millionen verlorengehen dürfen, dann deswegen, weil die Bundespost beim Ausbau der neuen technischen Infrastruktur — Digitalisierung, die neuen ISDN-Netze, Schmalbandnetze — Milliarden einsetzen muß. Ich werde ja auch von der Opposition immer dazu gedrängt, das voranzutreiben. Dafür brauchen wir das Geld. Dieses Geld sind Arbeitsplätze und Techniken von heute und morgen. Deshalb ist das eine gute Entscheidung.
Ich möchte Sie bitten, diese Entscheidung auch im Ausschuß entsprechend zu berücksichtigen.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Antrag auf Drucksache 10/ 1504 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Post- und Fernmeldewesen und zur Mitberatung an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen zu überweisen. Gibt es dazu andere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 bis 6 auf:3. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung über die Jahresversammlung 1984 des Internationalen Währungsfonds in Washington
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6340 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Präsident Dr. Barzel4. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Beck-Oberdorf, Frau Gottwald, Schwenninger, Verheyen und der Fraktion DIE GRÜNENDie Projektpolitik der Weltbankgruppe— Drucksachen 10/1599, 10/1976 —5. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Beck-Oberdorf, Frau Gottwald, Schwenninger, Verheyen und der Fraktion DIE GRÜNENDie Auflagenpolitik des Internationalen Währungsfonds
— Drucksachen 10/1600, 10/1977 —6. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Beck-Oberdorf, Frau Gottwald, Schwenninger, Verheyen und der Fraktion DIE GRÜNENWährungs-, finanz- und entwicklungspolitische Konsequenzen der internationalen Verschuldungskrise für die Dritte Welt und die westdeutsche Binnenwirtschaft— Drucksachen 10/1601, 10/1978 —Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 3 bis 6 und eine Aussprache von drei Stunden vorgesehen. Außerdem ist vereinbart worden, für den ersten Redner in der Aussprache eine Redezeit von 15 bis höchstens 20 Minuten, im übrigen durchweg Redebeiträge von zehn Minuten vorzusehen. — Ich sehe zu alledem keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der vergangenen Woche haben — wie jedes Jahr Ende September — der Internationale Währungsfonds und die Weltbank ihre gemeinsame Jahresversammlung in Washington abgehalten. Alle 148 Mitgliedsländer dieser beiden Institutionen waren dort vertreten, zumeist, wie die Bundesrepublik, durch ihre Finanzminister, ihre Entwicklungsminister und ihre Zentralbankpräsidenten.Über die formelle Tagesordnung hinaus bot diese Tagung vielfach Gelegenheit, die weltweite Abstimmung der Wirtschafts- und Währungspolitik voranzubringen.Diese beiden Organisationen können jetzt auf vier Jahrzehnte einer immer umfassenderen und bedeutenderen Tätigkeit zurückblicken. Sie wurden 1944, also kurz vor dem Ende des schrecklichen Krieges, auf der Konferenz von Bretton Woods ins Leben gerufen, um nach den währungspolitischen Erschütterungen der 30er Jahre und den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges die Fundamente für eine friedliche internationale Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu schaffen. Aufgabe des Währungsfonds ist es, das Zusammenwirken auf dem Gebiet der Währungspolitik zu fördern und seinen Mitgliedern bei Bedarf kurz- bis mittelfristige Kredite zur Überwindung von Zahlungsbilanzfehlbeträgen zu gewähren. Aufgabe der Weltbank ist es, den Entwicklungsprozeß in der Dritten Welt mit langfristigen Krediten für produktive Investitionsvorhaben zu unterstützen, auf deren sorgfältige Vorbereitung und Begleitung sie erhebliche Mühe verwendet. Ihr ist 1960 die Internationale Entwicklungsorganisation — IDA — an die Seite gestellt worden, die ärmeren Entwicklungsländern zinslose Kredite mit einer Laufzeit von 50 Jahren gewährt. Die 1956 gegründete Internationale Finanzkorporation fördert insbesondere private Investitionen in den Ländern der Dritten Welt.Diese Organisationen sind mit erheblichen Mitteln ausgestattet. Dem Währungsfonds sind im Laufe der Zeit 130 Milliarden Dollar, vor allem aus den Industrieländern, an Kapital und Krediten anvertraut worden, der Weltbank rund 50 Milliarden Dollar und der IDA fast 30 Milliarden Dollar. Hierin und vor allem auch in der immer noch wachsenden Mitgliederzahl kommt das große Vertrauen und — bei allen Differenzen in Einzelfragen — auch das grundsätzliche Einverständnis zum Ausdruck, das diese Organisationen bei allen ihren Mitgliedern finden. Insbesondere der Währungsfonds muß im Interesse aller seiner Mitglieder darauf achten, daß seine Hilfen nicht in ein Faß ohne Boden fließen, sondern in angemessener Frist auch wieder zurückgezahlt werden; denn die satzungsmäßige Rolle des Fonds besteht ja gerade darin, kurzfristige Übergangshilfen zu leisten, um auf diese Weise mitzuhelfen, die normalen Kapitalflüsse in die betroffenen Länder wieder zu ermöglichen. Er kann also nicht den längerfristigen dauerhaften Kapitalbedarf seiner Mitglieder decken. So hat der Fonds von jeher Kredite davon abhängig gemacht, daß das betreffende Land ausreichende Maßnahmen zur Überwindung seiner Zahlungsbilanzschwierigkeiten ergreift. Das ist kein finanzpolitischer Kolonialismus, wie von Sprechern der GRÜNEN auch in diesem Hause behauptet wurde, sondern eine Übereinkunft, die alle Mitglieder im gemeinsamen Interesse getroffen haben.
— Frau Beck-Oberdorf, Sie wissen das alles besser als die Gründungsväter. Wir können hier auf 40 Jahre bedeutender und erfolgreicher Arbeit zurückblicken, und man sollte das auch einmal anerkennen, was die Gründungsväter der großen Demokratien zu einer Zeit geleistet haben, als wir leider noch gar keine Demokratie waren.
Zu den Kreditnehmerländern des Währungsfonds haben Industrie- und Entwicklungsländer gehört, und alle haben jeweils ausreichende Eigenanstrengungen zur Wiederherstellung ihres Zahlungsbilanzgleichgewichts, also ihrer finanziellen Vertrauenswürdigkeit unternehmen müssen.Eine solche Politik, die als Anpassungspolitik bezeichnet wird, ist im übrigen nicht etwas, was einem Land vom Währungsfonds einseitig „auferlegt" wird. Ich möchte auch mal mit dieser Legende auf-
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Bundesminister Dr. Stoltenbergräumen. Anpassung wird vereinbart und letzten Endes durch die Umstände erzwungen. Kein Land kann auf die Dauer mehr ausgeben, als es einnimmt.
— Ich komme darauf zu sprechen, natürlich! Das gilt auch für die Vereinigten Staaten. Der Unterschied ist nur, daß die Vereinigten Staaten über so große Reserven in ihrer Volkswirtschaft verfügen, daß sie auch ohne Währungsfonds kreditwürdig sind. Das ist der Unterschied zu anderen Ländern, meine Damen und Herren.
Je frühzeitiger ein Land Anpassungsmaßnahmen ergreift, um so weniger einschneidend können sie ausfallen; je länger Anpassungsmaßnahmen hinausgezögert werden, um so härter müssen sie sein. Was wir in bitterer Weise in der nationalen Haushaltspolitik erleben, gilt eben auch für die internationalen Finanzbeziehungen.
Es sind Grundregeln der Vernunft und des Vertrauens, die auch durch ideologische Sprüche nicht aus der Welt geschafft werden können.
Kredite des Fonds erschweren nicht, sondern erleichtern die Anpassung; denn sie geben dem Land einen größeren zeitlichen Spielraum und insofern eine Entlastung.Es gibt nun bestimmte typische Ursachen für Zahlungsbilanzschwierigkeiten. Dazu gehören vor allem hohe Staatsdefizite, Fehlbeträge in den öffentlichen Haushalten. Dazu gehören inflatorische Geldpolitik oder künstlich überhöhte Wechselkurse. In diesen Fällen sind mehr haushalts- beziehungsweise geldpolitische Disziplin oder eine Abwertung die gegebene Antwort. Auch in diesen Fällen richten sich die Dosierung und die Verbindung der Maßnahmen nach der besonderen Situation des Kreditnehmerlandes. Der Fonds ist verpflichtet, auf die sozialen und politischen Ziele des Landes und seine wirtschaftlichen Prioritäten angemessen Rücksicht zu nehmen.Der Währungsfonds hat seit seinem Bestehen vielen Mitgliedsländern nachhaltig geholfen, bestimmten westlichen Industrienationen ebenso wie auch aufstrebenden Ländern insbesondere in Asien, z. B. in den 50er und 60er Jahren einem Land wie Japan oder in den 70er Jahren Ländern wie Korea und Malaysia, die heute einen eindrucksvollen Weg zur Modernisierung, zur Verbesserung der Lebensverhältnisse ihrer Bürger und zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit zurücklegen. Aber auch in vielen ärmeren Entwicklungsländern insbesondere Afrikas und Asiens waren die Kreditprogramme des Fonds in jüngster Zeit eine entscheidende Voraussetzung
für die schrittweise Überwindung großer Schwierigkeiten. Ich hebe dies angesichts der Angriffe auch in diesem Hohen Hause — ich denke an die letzte Aktuelle Stunde — gegen die angeblich unsoziale oder einseitig auf westliche Kapitalinteressen orientierte Politik des Fonds hervor.Meine Damen und Herren, vor zehn Tagen bei der erwähnten internationalen Jahrestagung 1984 wurde die Sozialistische Volksrepublik Mosambik. als 148. Mitglied aufgenommen. Dieser Vorgang zeigt, daß auch ursprünglich marxistisch-leninistisch orientierte Staaten der Dritten Welt mittlerweile erkennen, von welcher Seite sie wirklich Hilfe erwarten können.
— Sie können ja über Samora Machel lachen, verehrte Frau Kollegin! Der hat schon gewußt, warum er diesen Antrag stellt und den von Ihnen verteufelten Organisationen beitreten will. Der hat es schon gewußt!
Die Entsendung von Militär- und Polizeiexperten, ideologischen Instrukteuren und Propagandamaterial aus Moskau und Ost-Berlin reicht ihnen auf die Dauer nicht aus, um die bedrückenden Existenzprobleme ihrer notleidenden Bürger lösen zu können.
Das ist in einer vereinfachten Fassung der Unterschied zwischen östlicher und westlicher Entwicklungshilfe, meine Damen und Herren!
— Wollen Sie das bestreiten, daß das im Kern so ist?
— Ich sage jetzt etwas zum Bild des Währungsfonds und der Weltbank, zu dem es auch gehört, daß in den letzten Jahren Länder wie die Volksrepublik China, Ungarn und Rumänien die Mitgliedschaft erwarben und heute eine sehr positive Zwischenbilanz ihrer ersten Erfahrungen ziehen.Auf der diesjährigen Jahresversammlung in Washington ging es im wesentlichen um drei Themen: die Lage der Weltwirtschaft, die Verschuldung der Entwicklungsländer und die künftige Politik des Währungsfonds und der Weltbank.Zur Lage der Weltwirtschaft wurde festgestellt: Das Wirtschaftswachstum in den Industrieländern wird 1984 mit durchschnittlich 5 % kräftig ausfallen. Der Preisauftrieb hat sich seit 1981 halbiert: von fast 9 % auf etwa 4,5% in diesem Jahr. Die größten Wachstumserfolge haben die Vereinigten Staaten von Amerika und Japan erzielt, aber auch in Europa sind Fortschritte unübersehbar. Sorgen bereitet weiterhin, vor allem bei uns in Europa, die hohe Arbeitslosigkeit.
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6342 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Bundesminister Dr. StoltenbergDie weltwirtschaftliche Belebung kommt jetzt spürbar auch zahlreichen Entwicklungsländern zugute, bei denen sich seit Anfang 1983 die Exporte und seit Beginn dieses Jahres auch die Importe wieder spürbar aufwärtsentwickeln. Das Wachstum in diesen Ländern nimmt wieder zu, wenngleich viele von ihnen weiter mit größten Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Natürlich gibt es soziale Erschütterungen, leider gibt es Hunger; aber man kann nicht internationale Organisationen, die im Rahmen und in den Grenzen ihrer Möglichkeiten wirksam arbeiten, pauschal denunziatorisch für alles Elend auf dieser Welt verantwortlich machen. Das ist nicht in Ordnung, Frau Kollegin!
Es kommt jetzt darauf an, die Basis, auf der sich der Aufschwung weiter verstetigen und ausbreiten soll, zu stärken. Der Meinungsaustausch hierüber führte zu einer breiten Unterstützung einer Politik für die Sicherung eines dauerhafteren und inflationsfreien Wachstums: durch monetäre Disziplin, durch Abbau der Neuverschuldung der Staaten, durch Beseitigung struktureller Verkrustungen und durch Abwehr protektionistischer Tendenzen, also, um es klarer zu sagen, durch weitere Öffnung der Märkte. Die Bundesregierung sieht sich in ihrer Politik, die an diesen Grundsätzen ausgerichtet ist, bestätigt.Das Risiko für die Weltwirtschaft liegt nach wie vor vor allem in den immer noch zu hohen Zinsen, insbesondere in den Vereinigten Staaten von Amerika, in den starken Schwankungen der Wechselkurse und in den vielfältigen protektionistischen Bestrebungen, von denen freilich auch die europäischen Länder nicht ganz frei sind.Deshalb ist es wichtig, daß sich neben der Bundesrepublik viele andere Staaten für eine neue Runde im GATT, also in der Organisation für die Zusammenarbeit im Welthandel, zur besseren Öffnung der Märkte vor allem für die Entwicklungsländer ausgesprochen haben.Meine Damen und Herren, verbale Bekundungen der Solidarität mit den notleidenden Völkern der Dritten Welt allein bewirken nichts. Diese Völker setzen auf Wirtschaftswachstum und Modernisierung,
auf faire Bedingungen für ihren Handel und auf gezielte Hilfen für ihre Entwicklung.
Wer Wachstum — —
— Herr Kollege, Sie können in den Protokollen die Reden der Sprecher der Entwicklungsländer in Washington nachlesen. Sie werden feststellen, daß dies eine korrekte Beschreibung dessen ist, was sie anstreben.
— Ich rede natürlich von den Regierungen, nicht von irgendwelchen revolutionären sogenannten Befreiungsbewegungen, denen offenbar, wie die Zwischenrufe zeigen, Ihre besondere Sympathie gilt.
— Wir auch, und wir wissen auch, daß viele Regierungen, mit denen wir es zu tun haben, nicht demokratisch gewählt sind, Herr Kollege Conradi. Das ist ein Problem.
Aber jede Regierung kann nur mit den staats- und völkerrechtlich legitimierten Regierungen verhandeln. Das hat ja auch Ihre Regierung getan!
Wir müssen auch mit nicht demokratischen Regierungen reden, und was für Ost-Berlin und für Moskau selbstverständlich gilt, gilt eben auch für Länder Afrikas und Asiens. So ist es halt; das ist die Welt, in der wir leben.
Wir könnten uns die Welt auch in dieser Hinsicht — was die Zahl der demokratisch gewählten Regierungen betrifft — alle miteinander positiver vorstellen. Insofern, meine Damen und Herren, brauchen wir doch diese Auseinandersetzung an Hand Ihrer Zwischenrufe nicht zu führen!Wer Wachstum ideologisch bekämpft, wer aus nationalem Egoismus Märkte schließen will, wer das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit dieser Institutionen erschüttert, schadet den Menschen der Dritten Welt, statt ihnen zu helfen.
Das zweite zentrale Thema war naturgemäß das Schuldenproblem der Entwicklungsländer. Es ist unverändert eine gewaltige Last, aber zugleich konnten erste, auch wichtige Fortschritte registriert werden. Die Leistungsbilanzfehlbeträge jener Entwicklungsländer, die nicht Öl erzeugen, haben sich in den letzten drei Jahren mehr als halbiert. Sie sind damit auf ein insgesamt wieder finanzierbares Maß zurückgegangen. Die weltwirtschaftliche Erholung, von der ich sprach, hat dies nicht unerheblich unterstützt.Zur dauerhaften Überwindung des Verschuldungsproblems werden weiter gemeinsame Anstrengungen aller Beteiligten notwendig sein: Die Schuldnerländer dürfen in ihren Bemühungen nicht nachlassen, durch bessere, sinnvollere Nutzung ihrer Ressourcen ihre außenwirtschaftliche Lage zu verbessern. Die Industrieländer müssen für dauerhafteres inflationsfreies Wachstum sorgen, die Voraussetzungen für eine weitere Senkung der .Zinsen schaffen und ihre Märkte für die Exporte der Entwicklungsländer stärker öffnen. Die Finanzierungsströme in die betroffenen Länder dürfen
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Bundesminister Dr. Stoltenbergweiterhin nicht abreißen, und der Fonds muß weiter eine zentrale Rolle an der Nahtstelle von Anpassung und zusätzlicher Finanzierung wahrnehmen.
— Daran denke ich nun ganz sicher nicht. Es ist doch absurd, mir so etwas zu unterstellen. Ich möchte hier im Interesse der Debatte in einer begrenzten Zeit sprechen. Wenn ich sage, die Finanzierungsströme dürfen nicht abreißen, dann denken wir natürlich, wie unsere Reden in Washington und in der deutschen Öffentlichkeit zeigen, daran, daß diese Länder erstens zur Finanzierung der für ihre Menschen lebenswichtigen Importe, zweitens zur Finanzierung einer besseren Infrastruktur sozialer Einrichtungen, drittens für die Stärkung ihrer Wirtschaftskraft und Arbeitsmarktpolitik Mittel aus den Industrieländern brauchen, öffentliche Mittel, Mittel der Banken, Mittel, die vom Staat verbürgt sind. Diese Aussage liegt im Interesse der Menschen. Daß ich dabei nicht an Waffenexporte nach Lateinamerika denke, können Sie mir getrost unterstellen.
Sie können nur noch in Reizworten und Schablonen reagieren, wenn wir hier miteinander über die Grundprobleme der Entwicklungsländer reden.
Meine Damen und Herren, diese Probleme sind allerdings in ihren Ursachen und Auswirkungen von Land zu Land sehr verschieden. Man kann Nigeria oder Marokko, Brasilien oder Mexiko, Argentinien oder die Philippinen mit ihren besonderen Schwierigkeiten und Bedingungen nicht über einen Kamm scheren, und deswegen müssen die Lösungswege jedem Einzelfall gerecht werden.Die Bundesregierung tritt dafür ein, das Gespräch zwischen Gläubiger- und Schuldnerländern zu verstärken und zu erweitern. Es konnte in Washington Einvernehmen erzielt werden, die Grundsatzfragen der künftigen Handels-, Entwicklungs- und Währungspolitik im kommenden Frühjahr in den Institutionen der Weltbank und des Fonds umfassender und vertiefter zu erörtern.Das dritte wichtige Thema war schließlich die Ausleihepolitik des Fonds im Bereich des sogenannten Erweiterten Zugangs. Durch den Erweiterten Zugang waren 1981, nach dem zweiten Ölschock, die Kreditvergabemöglichkeiten des Fonds vorübergehend auf das Vierfache erhöht worden; ein viermal so starker, umfassender Zugang wie nach den regulären Bedingungen! Angesichts der immer noch kritischen Lage vieler Mitgliedsländer wurde der Erweiterte Zugang, wie schon im Vorjahr, erneut bis Ende 1985 verlängert. Zugleich wurden jedoch die jährlichen Kreditmöglichkeiten um etwa 7 bis 8 % herabgesetzt. Diese Rückführung trägt vor allem der Notwendigkeit Rechnung, die Liquidität, die Zahlungsfähigkeit des Fonds längerfristig zu sichern.Auch für die Weltbank, meine Damen und Herren, hat sich wieder gezeigt, daß ihre Politik von einer breiten Zustimmung aller Mitgliedstaaten getragen wird. 148 Staaten mit den unterschiedlichsten Wirtschaftssystemen und Einzelinteressen unterstützen — jedenfalls in den Grundlinien — das entwicklungspolitische Konzept. Die Bank verfolgt eine pragmatische Politik zur bestmöglichen Nutzung der Ressourcen nach den besonderen Gegebenheiten jedes einzelnen Entwicklungslandes, um die Armut zu bekämpfen und gleichzeitig Wachstum zu fördern.Auf dieser Grundlage sind die Mitgliedstaaten auch bereit, Kritik und Ratschläge der Bank entgegenzunehmen. Der jüngste Afrika-Bericht der Bank spart nicht mit eindringlichen Mahnungen an die Regierungen zu einschneidenden wirtschaftspolitischen Reformen. Die Sprecher Afrikas haben diesen Bericht gleichwohl einhellig begrüßt. Aber die Weltbank muß solche Reformen, vor allem in den notleidenden Ländern Afrikas, auch mit neuen Mitteln und Darlehen unterstützen. Bilaterale Entwicklungshilfe kommt hinzu. Die Bundesregierung hat sich im Entwicklungsausschuß bereit erklärt, diese Strategie zu fördern.Wie in Afrika, so steht die Weltbank auch in anderen Entwicklungsregionen vor neuen Aufgaben. Die Gouverneure der Bank haben eine Diskussion über die Zukunftsaufgaben der Bank eingeleitet, die im Lauf des nächsten Jahres zu konkreten Schritten sowohl im Hinblick auf ihre Kapitalausstattung als auch auf die Weiterentwicklung ihrer Instrumente führen sollen. Die Bundesregierung als drittgrößter Anteilseigner der Bank wird sich an diesen Diskussionen intensiv beteiligen.
— Es ist doch gut, daß wir drittgrößter Anteilseigner an einer Entwicklungsbank sind.
— Aber wissen Sie, die Weltbank hat nun mit Waffenexporten überhaupt nichts zu tun. Ich bin erschüttert über das Niveau Ihrer Zwischenrufe. Ich muß Ihnen das wirklich sagen.
Ich sage das auch einmal im Interesse derjenigen, die uns in früheren Jahren in diesen Institutionen vertreten haben.
Davon kann doch überhaupt keine Rede sein, Herr Kollege Vogel.
Ich darf das doch einmal hier sagen.
— Es ist doch gut, wenn man in bestimmten Punkten noch Kontinuität der Politik feststellen kann.
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6344 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Bundesminister Dr. Stoltenberg Das ist doch erfreulich.
— Ich mache schon weiter. — Ist Ihnen das unangenehm, daß das in diesem Hause noch einmal gesagt wird?
Ihre eigene politische Vergangenheit ist in diesem Punkte positiver als in anderen Bereichen der deutschen Politik. Ich will das gerne hervorheben.
Die Bundesregierung wird sich als drittgrößter Anteilseigner der Bank an diesen Entscheidungen intensiv beteiligen. Ich will unsere Grundvorstellungen dazu hier kurz zusammenfassen:Erstens. Die Leistungsfähigkeit und der entwicklungspolitische Nutzen der Weltbank stehen und fallen mit ihrer Fähigkeit, große Kapitalbeträge zu den bestmöglichen Bedingungen aufzunehmen. Im vergangenen Jahr waren dies 10 Milliarden Dollar, davon 1,8 Milliarden allein auf dem deutschen Markt. Um das Vertrauen all derer, die bereit sind, der Weltbank ihre privaten Gelder anzuvertrauen, auch künftig zu bewahren, muß die Finanzpolitik der Bank so solide wie bisher bleiben und ihre Ausleihpolitik auf die Schaffung realer Werte ausgerichtet sein.Zweitens. Hieraus ergeben sich gewisse Grenzen der Innovation. Die Bank muß auch in Zukunft in erster Linie produktive Projekte finanzieren. Man kann sie nicht, ohne sie gleichzeitig zu zerstören, in eine Wohlfahrtsbehörde umwandeln, wie sich das offenbar die GRÜNEN in diesem Hohen Hause vorstellen, noch kann man sie zum großen Schuldentilger machen.Drittens. Die Zukunftsaufgaben der Weltbank erfordern ein stetig wachsendes Ausleihevolumen. Dafür braucht sie eine breitere Kapitalbasis. Die Bundesregierung hat sich zusammen mit vielen anderen Ländern für eine baldige Kapitalerhöhung ausgesprochen.Viertens. Die Internationale Entwicklungsorganisation — IDA —, die zinslose Kredite an die ärmsten Entwicklungsländer gewährt, ist auf einen stetigen Zufluß von Finanzierungsbeiträgen angewiesen. Hier spielen natürlich öffentliche Mittel eine Rolle. Das ist auf die Dauer nur gewährleistet, wenn sich alle Geberländer daran beteiligen. Wir betrachten die vom Gouverneursrat im August beschlossene 7. IDA-Auffüllung in Höhe von 9 Milliarden Dollar als unzulänglich angesichts der kritischen Situation in den ärmsten Ländern. Wir haben uns deshalb in Washington dafür eingesetzt, eine stärkere Zuführung von Mitteln durch alle beteiligten Industrieländer zu erreichen.Fünftens. Den Gouverneuren der Weltbank-Tochter Internationale Finanzkorporation liegt zur Zeit ein Vorschlag zur Abstimmung vor, das Grundkapital dieser Einrichtung zur Förderung von privaten Investitionen in Entwicklungsländern um 650 Millionen Dollar zu verdoppeln. Wir treten dafür ein, weil wir privates Engagement für den stärkstenMotor wirtschaftlicher Entwicklung auch in Entwicklungsländern halten.Meine Damen und Herren, der Währungsfonds und die Weltbank haben den Entwicklungsländern in den letzten Jahren erhebliche Hilfen gewährt: Über 20 Milliarden Dollar hat der Währungsfonds allein in den letzten beiden Geschäftsjahren ausgezahlt, noch einmal der gleiche Betrag — 20,5 Milliarden Dollar — kam von Weltbank und IDA. Das ist mehr als die gesamte bilaterale Entwicklungshilfe der westlichen Industrieländer zusammen.Der Währungsfonds hat auch einen maßgeblichen Anteil daran gehabt, daß es gelungen ist, das Verschuldungsproblem jedenfalls unter Kontrolle zu halten und alle Beteiligten zu veranlassen, ihren Part zur Lösung dieses Problems zu übernehmen: Schuldner- wie Gläubigerländer, Banken und internationale Organisationen. Daß er dabei mit Nachdruck auf eine disziplinierte und stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitik gedrungen hat, ist einer der großen Aktivposten in der Bilanz der weltwirtschaftlichen Zusammenarbeit. Kein Staat, keine andere Organisation hätte diese Rolle wahrnehmen können. Die beiden Organisationen, ihre Mitarbeiter — unter ihnen ja auch viele unserer Mitbürger — und ihre Chefs de Larosiére und Clausen verdienen hierfür unseren großen Respekt.Die Bundesregierung wird weiterhin einen aktiven Beitrag leisten, damit beide Organisationen einer friedlichen und besseren Zukunft für die Völker und Menschen dienen können.
Meine Damen und Herren, bevor ich die Aussprache zur Regierungserklärung eröffne, möchte ich unsere jungen Gäste begrüßen. Ich freue mich, 520 junge Menschen überall aus der Bundesrepublik Deutschland, und auch aus Berlin, hier herzlich zu unserer Arbeit begrüßen zu können.
Wir haben uns — daran möchte ich erinnern — durch die Störversuche mit Farbbeuteln und alles andere, was wir im vergangenen Jahr hier erleben mußten, nicht hindern lassen, erneut diese Begegnung „Jugend und Parlament" zu suchen, weil wir davon überzeugt sind, daß die ganz große Mehrheit der jungen Menschen in unserem Vaterland Gewalt als Mittel der Politik ablehnt.
Widerspruch: Ja, Widerstand: Nein.
— Wir können darüber gerne debattieren, Frau Beck-Oberdorf.
Jetzt hat der Präsident das Wort.Meine Damen, meine Herren, wir haben Sie eingeladen, damit Sie Einblick in unsere Arbeit nehmen können. Sie haben eben eine Regierungserklä-
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Präsident Dr. Barzelrung gehört. Sie werden dann die Aussprache über das Problem des Weltwährungssystems hier erleben. Im weiteren Verlauf sollen und wollen Sie, wie ich weiß, selber politische Fragen diskutieren. Das wird in zehn Arbeitskreisen geschehen. Am späteren Nachmittag werden Sie hier im Plenum die Plätze der Abgeordneten einnehmen und über ihre Ergebnisse und Eindrücke selber berichten und diskutieren.Meine Damen und Herren, das Parlament ist das Herz unserer Demokratie. Im Parlament entscheidet sich zugleich, ob die Herzen der Bürger von der Politik erreicht wurden. Wir wollen, daß das Geschehen im Bundestag sichtbar und verständlich ist für die Bürgerinnen und Bürger, die uns hierher geschickt haben und denen wir Rechenschaft schulden. Der Begriff „die da oben" paßt nicht zur Demokratie; denn alle sind eingeladen, es miteinander besser zu machen.Politik als Sorge um das Gemeinwesen geht alle an. Ich bin überzeugt, daß Sie, meine Damen und Herren, unsere jungen Mitbürgerinnen und Mitbürger, eines Tages bemüht sein werden, es besser zu machen, als wir es bisher gekonnt haben.Politiker sollen zuhören, Hilfen geben und Signale setzen. Der heutige Tag ist aus unserer Sicht ein solches Angebot, ein Signal, wenn Sie so wollen. Wenn wir uns heute nachmittag hier im Plenum wiedersehen und uns über politische Sachfragen austauschen werden — auch über Ihre Eindrücke, wie ich hoffe —, sind wir sehr gespannt, wie diese Begegnung weitergeht.Ich selbst werde mich zum Nachmittag entschuldigen müssen. Vizepräsident Westphal wird die Sitzung leiten, da ich gehalten bin, der Sitzung des Gemeinsamen Ausschusses — einer Institution aus Bundestag und Bundesrat —, die gleichzeitig sein muß, vorzusitzen.Ich wünsche Ihnen einen guten und interessanten Verlauf, viele kritische Einblicke und hinterher vielleicht auch ein paar Anregungen für unsere Arbeit.Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache.Das Wort hat die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor genau zwei Wochen hat die SPD hier im Bundestag ihre Erwartungen und Forderungen an den Verlauf der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds vorgetragen. Unsere Hauptaussage war: Es ist Zeit für eine politische Lösung des Schuldenproblems — eine Verbesserung des Krisenmanagements allein reicht nicht aus.
Wenn wir die Ergebnisse der Jahrestagung daran messen, dann müssen wir feststellen: Die SPD erklärt sich, was die technische Seite der Finanzierungsinstrumente angeht, mit den Ergebnissen der Konferenz weitgehend einverstanden. Z. B. unterstützen wir die Position der Regierung zur Verschiebung der Aufstockung von Sonderziehungsrechten. Oder: Wir unterstützen die Verlängerung des sogenannten erweiterten Zugangs. Und wir begrüßen ausdrücklich, Herr Stoltenberg, daß es offensichtlich auch Ihnen gelungen ist, die USA von ihrer starren Haltung in der Frage des erweiterten Zugangs abzubringen.Wenn wir aber prüfen, meine Damen und Herren, ob eine politische Lösung des Schuldenproblems gefunden oder auch nur in Angriff genommen worden ist, so müssen wir feststellen: leider nein. Genauer gesagt: In Washington ist die Chance verpaßt worden, die politischen Entscheidungen zu treffen, ohne die eine Lösung des Schuldenproblems unmöglich ist, nämlich: erstens gemeinsames Vorgehen gegen die hohen amerikanischen Zinsen und den hohen amerikanischen Dollar, zweitens gemeinsames Vorgehen gegen den Protektionismus, drittens Einbeziehung der Rüstungsausgaben in die Schuldendiskussion
und viertens Vorbereitung einer internationalen Schuldenkonferenz.
Meine Damen und Herren, die hohen amerikanischen Zinsen fügen den übrigen Ländern erheblichen Schaden zu. Da die Geldkapitalrendite höher ist als die Sachkapitalrendite, steckt ein großer Teil der Welt sein neugebildetes Kapital in die USA. Ich will das einmal auf deutsch sagen: Wenn Unternehmer vergleichen, ob sie 100 000 DM, die sie zur Verfügung haben, eher in eine neue Maschine, in den Bau einer Lagerhalle investieren oder aber nach Amerika, in amerikanische Staatspapiere tragen, dann werden sie sich, wie wir gesehen haben, in vielen ,Fällen für die zweite Lösung entscheiden — wegen der hohen amerikanischen Zinsen. Das heißt: Kapital, das zur Schaffung von Arbeitsplätzen im eigenen Lande dringend erforderlich wäre und das zum Aufbau leistungsfähiger Infrastrukturen in der Dritten Welt ebenfalls dringend erforderlich wäre, geht in die USA. Allein die Senkung der amerikanischen Zinsen mit der Folge, daß dies die Bundesbank auch in unserem Lande tun könnte, würde privates Kapital in Höhe von 5 bis 7 Milliarden DM in unserem Lande freisetzen.
Erst recht trifft dies für die Entwicklungsländer zu. Allein der Zinsanstieg in Amerika um mehr als zwei Prozentpunkte zwischen März und Juli 1984 erhöhte die Zinsverpflichtungen Lateinamerikas um mehr als 5 Milliarden Dollar, meine Damen und Herren. Das sind alles so abstrakte Zahlen. Was heißt das konkret? Das heißt: Um allein diese 5 Milliarden Dollar zusätzliche Zinsverpflichtungen zu zahlen, müssen die hochverschuldeten Entwicklungsländer Millionen Kilo von Kaffee, Baumwolle, Tabak, Kupfer usw. mehr exportieren, ohne dafür einen realen Gegenwert zu erhalten.
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Frau Matthäus-MaierSo wie wir Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre durch eine hohe Inflation in der ganzen Welt den Vietnam-Krieg mitbezahlt haben, so zahlen wir heute, d. h. die westlichen Industrieländer durch Kapitalexport und die Entwicklungsländer durch einen enormen Zuwachs ihrer Verschuldung, das riesige Haushaltsdefizit der USA und damit insbesondere auch die dort und damit betriebene immense Rüstung.
Nein, meine Damen und Herren, diese Zusammenhänge werden j a auch nicht etwa allein von der SPD kritisiert. Wenn Sie mit den Leuten in Washington reden, dann sagen sie es ja auch, daß dieses horrende amerikanische Haushaltsdefizit unerträglich ist. Sie hoffen alle, daß das nach den Wahlen anders wird. Ich will hier einmal den „Kölner Stadtanzeiger" von vor wenigen Tagen zitieren:
Das ist eine Situation, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Die Vereinigten Staaten, das reichste Land der Welt, ziehen Geld und Kapital und damit Investitionsmittel aus Europa und auch aus den Ländern der Dritten Welt ab. Dabei würden diese Mittel dort viel dringender gebraucht. Statt Kapital ins Ausland abzugeben, lockt das reiche Amerika es von dort an.Wenn Ihnen der „Kölner Stadtanzeiger" noch zu links ist, Herr Stoltenberg, dann will ich hier das „Handelsblatt" zitieren, gewiß nicht links verdächtig.
Das „Handelsblatt" spricht von ,,Zinsimperialismus" der USA.
Das „Handelsblatt" spricht von „staatlich sanktionierter Kaperfahrt der USA auf die Ersparnisse anderer Industrieländer". Und, Herr Stoltenberg, Sie sehen sich doch sogar gezwungen, die Kuponsteuer abzuschaffen, um in irgendeiner Weise dieser Kaperfahrt der USA entgegenzuwirken.
Zwar profitieren wir ganz ohne Zweifel auch von den amerikanischen Zinsen dadurch, daß sie ein wichtiger Grund für den hohen Kurs des Dollar sind. Dies wollen wir hier gar nicht herunterreden; denn unsere Wirtschaft hat selbstverständlich höhere Chancen, in die USA zu exportieren.
Herr Reagan hat darauf in seiner Rede vor dem Internationalen Währungsfonds mehrfach hingewiesen. Er hat eine sehr frohe Welt gezeichnet, in der wir alle gemeinsam — —
— Sie haben die Rede nicht gehört, Herr Kollege.Ich habe der Rede von Herrn Reagan beim Internationalen Währungsfonds fasziniert und zugleich sehr deprimiert zugehört. Er verglich dort die Wirtschaft der Welt damit, daß wir alle gemeinsam versuchten, auf den Himalaya zu klettern, und meinte, daß wir alle glücklich seien, wenn wir oben angelangt seien. Aber hat er eigentlich vergessen, daß die Entwicklungsländer nicht wie die Industrieländer von der Hochebene gleich unter den Gipfel zu klettern anfangen, sondern von ganz unten aus den tiefen Tälern? Der Vergleich liegt doch wohl ganz daneben.
Oder übersieht er, welche negativen Auswirkungen die Dollarhöhe hat? Wir haben mit Vertretern von Entwicklungsländern gesprochen. Die sagten auf die Rede des Herrn Reagan in Washington: Es ist richtig, wir können mehr exportieren, und die USA bezahlen das. Nur haben die USA dann für ihr Geld auch gute Exporte aus unseren Ländern. Aber für die Zinsen, die wir mehr überweisen müssen, haben wir überhaupt nichts, außer daß wir vor Jahren Kredite bekommen haben, von denen wir heute nichts mehr haben.Oder denken Sie an die negativen Auswirkungen bei uns. Selbstverständlich werden unsere Importe, die in Dollar bezahlt werden müssen, teurer, beispielsweise unsere Einfuhren an Öl.Mittlerweile weist sogar der jetzige wirtschaftspolitische Sprecher der FDP, der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff, darauf hin, daß der hohe Kurs des amerikanischen Dollar die Gefahr berge, daß wir Inflation importierten.Warum warnt wohl der Bundesbankpräsident Pöhl die Wirtschaft davor, mehr in exportorientierten Bereichen zu investieren? Weil er zu Recht Angst davor hat, daß wir in unserem Lande eine einseitige Wirtschaftsstruktur, eine zu stark auf den Export orientierte Wirtschaftsstruktur, erhalten. Haben Sie denn schon vergessen, daß in den 70er Jahren VW fast daran kaputtgegangen ist, daß es auf Grund der nicht vorgenommenen Aufwertung der D-Mark 1969 und davor sehr einseitig auf den Export orientiert war?Nein, meine Damen und Herren, die hohen amerikanischen Zinsen und der hohe Kursstand des amerikanischen Dollar haben zweifellos auch positive Wirkungen. Doch wenn man die positiven und die negativen abwägt, ist unser Schluß, daß unter dem Strich die negativen Wirkungen schlimmer sind als die positiven.
Was die Frage der USA angeht, meine Damen und Herren, so richtet sich unsere Kritik nicht in erster Linie an Herrn Stoltenberg. Meine Damen und Herren, dies ist eine Frage des Bundeskanzlers.
Seine Aufgabe wäre es, die USA auf ihre unverantwortliche Haltung hinzuweisen und gemeinsam in und mit Europa Druck auf den Partner USA auszuüben. Warum geschieht das nicht stärker?
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Frau Matthäus-MaierEs gibt zwei mögliche Antworten, die aber beide gleich schlimm für diesen Bundeskanzler sind. Die eine Antwort wäre: Er tut es nicht, weil er das Problem nicht sieht.
Das wäre schlimm genug. Aber seine sehr sachkundigen Äußerungen zur Arbeitszeitverkürzung haben ihn doch schon einmal als hervorragenden Kenner der Materie ausgewiesen. — Oder aber: Er sieht das Problem und sieht sich nicht in der Lage, auf den amerikanischen Partner Druck auszuüben.
Dies ist, glaube ich, der entscheidende Grund: Das internationale Gewicht der Bundesrepublik Deutschland ist seit dem Sturz von Helmut Schmidt ganz ohne Zweifel geringer geworden.
Erinnern wir uns:
Während Helmut Schmidt aus den USA zurückkam
und darauf hinzuwirken versucht hatte, daß die amerikanischen Zinsen sinken, kommt dieser Bundeskanzler aus den USA zurück und sagt ununterbrochen: Wir sind einer Meinung mit den USA. Ich sage Ihnen, Herr Bundeskanzler: Ein deutscher Bundeskanzler, der in diesem Punkt, der Wirtschafts- und Finanzpolitik, einer Meinung mit den USA ist, vertritt nicht ausreichend deutsche Interessen.
Unsere Forderung lautet: Wirken Sie auf die USA ein, ihre unverantwortliche Haushaltspolitik aufzugeben! Stärken Sie das Europäische Währungssystem, um zu einer noch weiteren Abkoppelung der deutschen und der europäischen Zinsen von den US-Zinsen zu kommen!Der zweite Kritikpunkt ist der Protektionismus. Die Philosophie des IWF und auch unsere offizielle Philosophie ist: Wenn die Entwicklungsländer nur tüchtig arbeiten und tüchtig produzieren, dann müssen sie ja nur exportieren; dann haben sie Devisen und können die Schulden bezahlen.Das klingt alles sehr einleuchtend. Es hat nur einen Haken: Was ist, wenn wir ihnen die Märkte nicht öffnen, damit sie ihre Produkte tatsächlich zu uns exportieren können?Es ist sehr bezeichnend, daß die Entwicklungsländer in Washington eigentlich gar nicht so wie früher den Internationalen Währungsfonds angreifen, sondern die Regierungen in den USA und auch bei uns, die ihnen nicht ausreichend ihre Märkte öffnen.Unsere Forderung lautet: Machen Sie aus den Lippenbekenntnissen zum freien Welthandel wirkliche Politik! Öffnen Sie unsere Märkte mehr für die Länder der Dritten Welt!
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau HammBrücher.
Bitte.
Frau Hamm-Brücher, bitte.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, können Sie einmal den Beweis dafür antreten, bei welcher Gelegenheit wir uns nicht für die Offenhaltung unserer Märkte für Produkte und Halbfertigprodukte aus der Dritten Welt eingesetzt hätten?
Frau Hamm-Brücher, ich habe ausdrücklich gesagt: Lippenbekenntnisse — ja, die kommen in jeder Rede vor. Nur: Lesen Sie bitte alle Berichte der Weltbank und auch des IWF. Dort steht, daß sowohl die USA als auch die Europäische Gemeinschaft erhebliche Sünder in Sachen Protektionismus sind.
Der letzte Punkt: Die Militärausgaben. In der ganzen Welt werden in diesem Jahr 1000 Milliarden Dollar für Rüstung ausgegeben. 5 % von diesen 1000 Milliarden Dollar wären 50 Milliarden Dollar. Damit könnte man sehr viel Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfe betreiben. Daß dies nicht geschieht, hat sicherlich mehrere Gründe. Es liegt am Internationalen Währungsfonds, der die Militärausgaben nicht in seine Auflagen einbezieht. Es liegt an den Entwicklungsländern. Zum Beispiel beschafft Peru in einer wirklich schwierigen Situation 26 „Mirage 2000"; ein unverantwortlicher und skandalöser Vorgang!
Das liegt an den Großmächten, die in einer Weise aufrüsten, die für uns alle weltweit schädlich ist. Das liegt aber auch an den Industrieländern, die ihre Rüstungsexporte in die Dritte Welt in einem unverantwortlichen Maß anheben. Und diese Bundesregierung tut es auch.
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Frau Matthäus-MaierWir fordern statt dessen, ähnlich wie der Marshallplan nach dem Zweiten Wehkrieg Europa geholfen hat, seine Wirtschaft aufzubauen, ein Zukunftsprogramm für die Dritte Welt; man könnte auch sagen: einen Marshallplan für die Dritte Welt, gespeist aus einer Reduzierung der Rüstungsausgaben auf der ganzen Welt.
Alle diese Fragen, die ich jetzt erwähnt habe, können Sie nicht allein auf einer technisch ausgerichteten Jahrestagung des IWF lösen. Für das alles brauchen Sie mehr. Wir sind der Ansicht: dafür brauchen Sie eine Schuldenkonferenz.Wir bewerten es positiv, Herr Stoltenberg, daß der IWF das Interims-Komitee und das Entwicklungskomitee aufgefordert hat, bis April 1985 umfangreichere Vorschläge in dieser Richtung vorzunehmen. Aber wir meinen, das reicht nicht aus. Wir brauchen eine internationale Schuldenkonferenz, in der alle diese Dinge — Verschuldung, Protektionismus, Militärausgaben, Verbesserung der Erlöse der Dritten Welt — gemeinsam diskutiert werden. Das schließt nicht aus, daß Umschuldungsabkommen jeweils von Fall zu Fall in Anbetracht der unterschiedlichen Situation der einzelnen Länder vorgenommen werden müssen. Aber wir meinen, daß ohne solche Rahmenvereinbarungen auf einer internationalen Schuldenkonferenz die Leidensfähigkeit vieler Entwicklungsländer bald erschöpft sein und zu für uns alle katastrophalen Auswirkungen führen wird.Das Schuldenproblem ist eine Zeitbombe. Die IWF-Tagung hat dazu beigetragen, die Zündschnur an dieser Bombe ein bißchen zu verlängern. Aber leider hat sie die Zeitbombe nicht entschärft. Hierfür sind Sie — das ist mein Vorwurf an diese Bundesregierung — leider mitverantwortlich.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Wartenberg.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen es, daß wir nach der Jahrestagung die Gelegenheit haben, eine Debatte über die Politik der Weltbank und des Währungsfonds zu führen; denn gerade diese Jahrestagung hat den bisher eingeschlagenen Kurs der jetzigen Bundesregierung und der vorangegangenen Bundesregierungen eindrucksvoll bestätigt.Es ist nicht unsere Aufgabe, über die amerikanische Wirtschaftspolitik zu richten oder gar den amerikanischen Wahlkampf in diesen Plenarsaal zu verlegen.
Es ist auch nicht unsere Aufgabe, in einer verzerrten, ideologisch motivierten Darstellung allein undausschließlich die Industrieländer auf die Anklagebank zu setzen.
Es ist auch nicht unsere Aufgabe, glauben zu machen, den Kreditgeber, den Gläubiger treffe die Schuld an der Verschuldung der Schuldnerstaaten und das Verlangen nach Zins und Tilgung sei an sich schon ein unmoralischer Akt.
Frau Matthäus-Maier, ich habe den Eindruck, daß Sie auf einer anderen Tagung waren als ich.
Meine Damen und Herren von der SPD, ich habe den Eindruck, sie gehört auch schon in eine andere Partei.
Die Lage ist ernst, aber sie ist nicht ohne positive Perspektiven. Bei der Diskussion über die Schuldenkrise wird oft übersehen, daß es viele hochverschuldete Länder gibt, die bis heute durchaus in der Lage sind, ihren Schuldendienst wie vereinbart zu erbringen. Einige nahmen dazu die Hilfe des IWF in Anspruch, andere vertrauten gänzlich der eigenen Leistungsfähigkeit. Leider werden die enormen Anstrengungen dieser Länder überhaupt nicht beachtet. Natürlicherweise stehen im Mittelpunkt des Interesses die Länder, die um eine Umschuldung bitten mußten. Das sind jene Länder — wie eine sorgfältige Analyse zeigt —, in denen die erforderliche Anpassung an die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht oder zu spät erfolgte und in denen sie nachgeholt werden muß.Die Ursache für das Mißverhältnis zwischen Schuldendienstfähigkeit auf der einen Seite und Schuldendienstverpflichtung auf der anderen Seite ist in vielen Fällen doch der Umstand gewesen, daß die Auslandskredite nicht verwendet wurden, um sinnvolle Produktionskapazitäten aufzubauen, sondern verwendet wurden für einen maßlos überzogenen Staatskonsum, für überhöhte Militärausgaben und für unrentable Prestigeobjekte. Länder, die bereit waren, die erforderlichen Anpassungsmaßnahmen schnell zu ergreifen, stehen heute wesentlich besser da als jene Länder, die zunächst glaubten, durch Finanzierung die Anpassung vermeiden zu können. Das gilt übrigens nicht nur für die Entwicklungsländer, sondern auch für die Industrieländer.Insoweit ist es Aufgabe des Währungsfonds, nunmehr die Voraussetzungen für eine Wirtschafts- und Finanzpolitik zu schaffen, die geeignet ist, ein Zahlungsbilanzgleichgewicht zu erzielen und damit den Weg für ein kräftiges und anhaltendes Wirtschaftswachstum zu ebnen. Die verfügbaren Daten belegen eindeutig, daß längerfristig das reale Wirtschaftswachstum in Ländern mit IWF-Programmen höher war als in vergleichbaren Ländern ohne IWF-Programme.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984 6349
Dr. von WartenbergDeshalb gibt es nach unserer Meinung zu diesem Weg keine realistische Alternative. Auf Dauer — das haben wir doch selbst in den späten 70er und Anfang der 80er Jahre erlebt — kann kein Land über seine eigenen Verhältnisse leben.Es wird viel und berechtigterweise sehr viel über die sozialen Folgen der Anpassung gesprochen. Ich stimme all denen vorbehaltlos zu, die es als einen Skandal bezeichnen, daß in einigen Ländern der Dritten Welt trotz der IWF-Programme die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer werden.
Die Folgen der Anpassung werden mitunter einseitig den ärmsten Schichten aufgeladen. Wir müssen uns fragen, woran das liegt und was wir tun können.
Natürlich sind die Ursachen für diese ungerechten sozialen Verhältnisse darin zu sehen, daß wir es häufig mit einer Diktatur einer winzigen Oberschicht zu tun haben, handele es sich nun um eine Nomenklatura, um eine Militärelite oder um einen Clan. Diese werden in der Tat ständig reicher, gleichgültig, ob es Stabilisierungsprogramme gibt oder nicht.Bei der Frage, was hiergegen getan werden kann, wird von Ihrer Seite oft bemängelt, daß es der Währungsfonds unterlasse, in seinen Programmen festzulegen, wen z. B. Haushaltskürzungen treffen sollen. Ihrer Meinung nach soll der IWF z. B. vorschreiben, daß Militärausgaben gekürzt, Nahrungsmittelsubventionen für die Armen hingegen erhalten und sogar erhöht werden.Leider übersehen Sie, daß diese Art einer Auflagenpolitik, die Sie befürworten und die durchaus mit ehrenwerten Motiven versehen werden kann, zweierlei nicht Rechnung trägt: Erstens würde der IWF seine in Abkommen festgelegten Befugnisse bei weitem überschreiten, und zweitens geriete der IWF damit doch in die Nähe — wie ich meine: nicht nur in die Nähe — einer neokolonialistischen Attitüde.Im Umgang mit den souveränen Mitgliedsländern muß es der Währungsfonds den Regierungen dieser Länder selbst überlassen, innerhalb der ausgehandelten makroökonomischen Ziele Grenzen sowie politische und soziale Prioritäten in Eigenverantwortung zu setzen.
Meine Damen und Herren, verließe der IWF diesen Kurs, wäre er nach meiner Überzeugung binnen kürzester Zeit am Ende seiner Tätigkeit; denn welche Bedingungen sollte er auf diesem Feld z. B. Ungarn oder demnächst Polen stellen, das eine Mitgliedschaft im IWF anstrebt? Was soll er von Jugoslawien fordern, dessen föderalistisches Prinzip mit allen seinen ökonomischen Nachteilen eine souveräne, nicht verhandelbare Verfassungsfrage darstellt? Was soll von den Nachbarn aggressiver, rassistischer oder ideologischer Staaten in Sachen Militärausgaben gefordert werden?Wer bereits ist, hierüber nachzudenken, wird schnell zu dem Ergebnis kommen, daß eine solche Auflagenpolitik das Ende einer Institution wäre, deren Aufgabe es ist, durch Währungskredite Zahlungsbilanzhilfe zu gewähren.
Es war für uns als Mitglieder der Delegation des Finanzausschusses sehr eindrucksvoll, im Gespräch mit Vertretern der mexikanischen Regierung festzustellen, daß sie ganz entschieden jeden Versuch der Einmischung des IWF in bezug auf die mikroökonomischen Daten ablehnten. Leider war das Delegationsmitglied der GRÜNEN wieder einmal nicht anwesend, um aus berufenem Munde konkrete Erfahrungen und nicht nur akademische Weisheiten zu hören.
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Beck-Oberdorf?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, meine Redezeit ist gleich zu Ende.
— Frau Beck-Oberdorf, bitte.
Es ist mir jetzt sehr peinlich, daß Sie mich dazu zwingen, hier meine persönlichen Verhältnisse offenzulegen. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich schwanger bin und deswegen nicht an dieser Tagung teilgenommen habe?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Beck-Oberdorf, ich habe Sie persönlich gar nicht gemeint.
Das war mir völlig bekannt. Sie hatten ein Delegationsmitglied entsandt, das noch nicht Abgeordneter, sondern Nachrücker ist, das auch sehr fleißig an allen Tagungen teilgenommen hat.
Aber bei den entscheidenden Gesprächen mit den Entwicklungsländern, als es darum ging, die Praxis zu erfahren, war er nicht da, weil er andere Prioritäten gesetzt hatte.
Es geht eben nicht an, hier kluge Fragen zu stellen und Presseerklärungen zu machen, die im Endeffekt sagen: All das, was am Rande in Washington geschieht, ist Blabla — Zitat Ihrer Presseerklärung —, und bei den entscheidenden Gesprächen in Washington nicht dabei zu sein.
Wir unterstützen die Politik der Bundesregierung, die Fortsetzung des erweiterten Zugangs zu den Fondsmitteln, die Ablehnung weiterer Sonderziehungsrechte. Wir begrüßen auch die Bereitschaft der Bundesregierung, im Interimsausschuß im Frühjahr nächsten Jahres die Verschuldungspro-
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6350 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Dr. von Wartenbergbleme in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und der Verhandlungen zu stellen. Wir sind froh darüber, daß es zu keiner Sonderkonferenz, einer Schuldenkonferenz, kommt. Denn von Gesprächen dieser Art werden wir außer markigen Erklärungen überhaupt keine vernünftigen Ergebnisse erwarten können.Es war für uns überraschend, festzustellen, daß der ursprüngliche Konsens zwischen Regierung und Opposition bei Fragen des Internationalen Währungsfonds mit dieser Jahrestagung offensichtlich nicht mehr vorhanden ist.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beck-Oberdorf.
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte nicht unsere erfreute Verwunderung verhehlen, daß sich der Herr Finanzminister heute genötigt fühlt, eine Regierungserklärung über die IWF-Jahrestagung abzugeben. Immerhin ist das eine Novität in diesem Hause. Wir gehen davon aus, daß wir mit unserer Kritik vor zwei Wochen ins Schwarze getroffen haben, als wir uns gegen das exklusive Gebaren der Bundesregierung in Fragen der IWF-Politik gewandt haben.Sie haben uns j a, wie Sie das so gerne tun, Herr Stoltenberg, in der Aktuellen Stunde vor zwei Wochen als die unwissenden Tölpel hingestellt, die sich mit ihrer Forderung, die IWF-Politik wieder ins Parlament hereinzuholen, vollkommen im Abseits bewegen.Wir haben inzwischen ein wenig recherchiert. Zum Vorschein kam folgendes: Der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses des Bundestages forderte schon am 28. September 1977:Der Vorsitzende regt an, daß das Parlament künftig, anders als jetzt, mit den aktuellen Fragen des Internationalen Währungsfonds befaßt wird, bevor der Bundesfinanzminister und der Bundesbankpräsident zu der Tagung des Fonds fahren. Das würde die Verhandlungsposition der deutschen Vertreter stärken.Das war, wie gesagt, vor sieben Jahren. Der damalige Ausschußvorsitzende war der heutige Parlamentspräsident Dr. Barzel. Ich freue mich, Herr Barzel, daß wir als GRÜNE vor zwei Wochen Ihrem Wunsch nachkommen konnten, diesen Weg nun einzuschlagen.
Sie, Herr Stoltenberg, haben uns vor zwei Wochen auch weiszumachen versucht, daß die Mitwirkung des Parlaments an den Entscheidungen über eine Quotenerhöhung des IWF nicht vorgesehen und die Bundesbank dafür allein verantwortlich sei. Das ist ein Musterbeispiel dafür, wie Sie Tatsachen verdrehen und das Parlament für dumm verkaufen.Dies will ich belegen. In der Begründung zum IWF-Gesetz von 1970 steht: Die sich aus der IWF-Mitgliedschaft ergebenden Ansprüche und Verpflichtungen werden im Innenverhältnis auf die Bundesbank übertragen. Der Bund bleibt im Außenverhältnis als Mitglied des IWF berechtigt und verpflichtet. Diese Aussagen, die übrigens auch für das IWF-Gesetz von 1978 gelten, sind eindeutig. Nicht die Bundesbank allein entscheidet über die bundesdeutsche Politik beim IWF, sondern die Bundesregierung entscheidet, natürlich in enger Abstimmung mit der Bundesbank.Wir haben also sehr wohl recht mit der Forderung, daß die Debatte um die IWF-Politik in dieses Parlament hineingehört.
Jetzt zu den Washingtoner Entscheidungen. „Leichen pflastern seinen Weg", schreibt Wolf-Dietrich Schwarz in der „Frankfurter Rundschau" über die Politik des Internationalen Währungsfonds und zitiert aus der in unserer Anfrage dokumentierten Liste der Hungeraufstände, bei denen die Ärmsten der Armen in ihrer Not Zuflucht suchen. Da geht es nicht an, Herr Stoltenberg, zu sagen: Natürlich gibt es Hunger in der Welt. Es geht um Hungeraufstände, die sich direkt an bestimmte Auflagen des IWF angeschlossen haben. So ist es gewesen. Es ist eine Vertuschung, wenn Sie das so allgemein abtun.
Dieser Kurs der Ausbeutung der Entwicklungsländer wurde in Washington weitergefahren. Immer schon hat der IWF durch seine Auflagenpolitik einen engen makroökonomischen Rahmen gesetzt, der nicht nur den Entwicklungsländern eigenständige Entwicklungswege abschnitt, sondern auch die Projektpolitik der Weltbank bestimmte. Ab jetzt wird die IWF-Politik direkt in die Weltbank hinein verlängert. Davon zeugt die politische Aufwertung des bis dahin recht unbedeutenden gemeinsamen Entwicklungsausschusses von IWF und Weltbank. die dem Fonds nun erlaubt, direkt in die Bank hineinzuwirken. Die Weltbank, gedacht als Instrument der internationalen Entwicklungsfinanzierung, wird umdefiniert zum Vollstreckungsorgan der Finanztechnokraten in New York, London und Frankfurt. Sie, meine Herren, haben nichts dazu getan, um die Verschuldung und die Entwicklungsprobleme der Dritten Welt wirklich zu lösen. Sie waren nicht einmal bereit, mit den Drittweltländern über ihre Forderung nach globalen Entschuldungsprogrammen nach einheitlichen Kriterien zu debattieren. Statt dessen haben Sie angeboten, im nächsten Frühjahr mit der Dritten Welt ein wenig über ihre Probleme zu plaudern — auf einer Tagung ohne Beschlußkompetenz und ohne daß das internationale Finanzsystem in Frage gestellt werden dürfe. Was wir befürchtet haben, ist also geschehen: Sie haben den Pfahl — ich sage es noch einmal — des finanzpolitischen Kolonialismus nur noch tiefer in die Wunden der Dritten Welt hineingebohrt.Wie recht wir mit dieser These haben, belegt eine Stellungnahme von Fritz Leutwiler — das müßte nun eigentlich Sie interessieren, weil er als Chef der Schweizer Nationalbank von Ihrer Seite
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Frau Beck-Oberdorfkommt —, wenn er sagt: „Ich möchte diese Länder auch etwas unter Druck halten" — damit meint er die Entwicklungsländer —, „weil ich glaube, daß sonst überhaupt nichts getan wird, um die Lage zu verbessern". Herr Leutwiler erläutert auch, wer letztlich hinter dem IWF steht, wenn er ausführt:Ich nehme den Währungsfonds insofern in Schutz, als er in der Anfangsphase hohe Bedingungen für die Schuldnerländer stellen mußte, weil die Geschäftsbanken das verlangten. Die Banken wollten rasche Sanierungserfolge sehen. Der Währungsfonds kann nicht mehr tun, als ihm seine mächtigen Mitglieder zu tun erlauben.Und wer ist das wohl, Herr Stoltenberg? Das können doch wohl nur die USA sein und in deren Gefolge eben die Bundesrepublik.
Hier bestätigt Herr Leutwiler die Kritik der GRÜNEN, daß der IWF ein Instrument der westlichen Industrieländer darstellt, und es wird zum Nutzen der westlichen Industrieländer benutzt.
Meine Damen und Herren, die Drittweltländer brauchen ein sofortiges Schuldenmoratorium. Wenn es nicht nur darum geht, unsere Interessen zu sichern — in der Debatte der Aktuellen Stunde ist gesagt worden, eine Kuh, die man melken will, darf man nicht schlachten, und das ist die Motivation für diese Politik —, dann brauchen wir ein global angelegtes Entschuldungsprogramm nach einheitlichen Kriterien, damit nicht weiterhin die Entwicklungsländer auseinanderdividiert werden können; denn nur deswegen zeigen sie so ein Wohlverhalten auf den internationalen Konferenzen, weil es gelingt, sie auseinanderzudividieren, weil jedem einzelnen das Wasser bis zum Halse steht.Wir fordern, daß die erlassenen Gelder in nationale und regionale Entwicklungsfonds eingezahlt werden, die unter der Stimmenmehrheit der Drittweltländer und nicht unter unserer stehen, und die eigenständige, binnenorientierte Entwicklungswege finanzieren können, die der Versorgung der Masse der armen Bevölkerung mit Grundbedarfsmitteln dienen, und nicht auf den Export ausgerichtet sind. Stutzen Sie den IWF zurück auf seine ursprüngliche Funktion des Ausgleichs von kurzfristigen Reserveschwankungen. Berücksichtigen Sie bei der Genehmigung von IWF-Krediten und Weltbankprojekten soziale, ökologische und politische Mindeststandards, und verstärken Sie durch mehr Mittel der finanziellen Entwicklungszusammenarbeit die regionalen Entwicklungsbanken, wenn sie diesen gerade geforderten Kriterien genügen! Das, meine Damen und Herren, wäre ein Weg, der den Entwicklungsländern wirklich eine Chance eröffnen würde.
Das Wort hat 'der Abgeordnete Dr. Weng.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vom 24. bis 27. September fand in Washington die diesjährige Jahresversammlung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank statt, der Grund für die heutige Aussprache des Parlaments. Wir sind dem Herrn Bundesfinanzminister für seine Regierungserklärung sehr dankbar, in der er in großer Deutlichkeit die vernünftige Position der Bundesregierung und damit der Bundesrepublik gegenüber diesen Einrichtungen klargemacht hat.
An der Jahresversammlung nahm Herr Stoltenberg ebenso wie der Entwicklungshilfeminister, Herr Warnke, für die Bundesregierung teil, und Sie wissen, da alle Fraktionen beteiligt waren, daß je eine Delegation des Finanzausschusses und des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages als Beobachter in Washington mit dabeigewesen sind. Ich glaube, daß die seitherige Debatte auch deutlich gemacht hat, daß diese Beteiligung des Bundestages sinnvoll gewesen ist.
Meine Damen und Herren! Eine solche Tagung, eine solche große internationale Konferenz ist in gewissem Maße ein nützlicher Selbstzweck schon dadurch, daß es j a sonst wenig Gelegenheiten gibt, bei denen sich eine solche Vielzahl internationaler Finanzpolitiker und öffentlicher wie privater Bankiers treffen und aussprechen kann. Hierbei findet — das ist allgemeiner Brauch — ein vielfältiger Meinungs- und Erfahrungsaustausch auch am Rande der Konferenz statt. Es ist bekannt, daß eine derartige Versammlung durch eine Vielzahl von Gesprächsrunden, aber auch von Vorkonferenzen auf den verschiedensten Ebenen eingeleitet wird.Ich will hierauf nicht im einzelnen eingehen, sondern zu den Dingen Stellung nehmen, die insbesondere Verhandlungsgegenstand der Versammlung des IWF gewesen sind, einer Versammlung — auch dies will ich erwähnen —, bei der unser Bundesfinanzminister eine international vielbeachtete Rede gehalten hat, in der er in gleicher Weise wie heute vormittag vor diesem Hause die Politik der Bundesregierung eindrucksvoll dargelegt hat. Wenn man heute, nach Abschluß der Tagung, sagen kann, daß diese Tagung einen erfolgreichen Verlauf genommen hat, so hat daran die Bundesregierung einen wesentlichen Anteil.
Meine Damen und Herren! Es bestand und es besteht immer noch eine erhebliche Gefahr für die internationale Gemeinschaft durch die viel zu hohe Auslandsverschuldung einer ganzen Zahl von Staaten der Dritten Welt. Wer sich die Ziele des Internationalen Währungsfonds vor Augen hält, muß erkennen, daß gerade die Verschuldungsentwicklung der vergangenen Jahre diese Ziele gefährdet; denn ein Zusammenbruch des internationalen Finanzsystems hätte für alle Staaten unabsehbare Konsequenzen.Der IWF ist ausdrücklich mit dem Ziel gegründet worden, die internationale Zusammenarbeit auf6352 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Borin, Mittwoch, den 3. Oktober 1984Dr. Wengdem Gebiet der Währungspolitik durch eine ständige Einrichtung zu fördern, die als Apparat zur Konsultation und zur Zusammenarbeit bei internationalen Währungsproblemen zur Verfügung steht. Sie wissen, daß ein wesentlicher Teil seiner Aufgabe darin liegt, Ungleichgewichte der internationalen Zahlungsbilanzen der Mitgliedsländer abzukürzen.Diese Hilfe zur Überbrückung von Zahlungsbilanzschwierigkeiten kann natürlich immer nur eine vorübergehende sein. Der Internationale Währungsfonds kann weder die Aufgaben der Weltbank noch Entwicklungshilfeleistungen übernehmen; er soll es nach unserer Überzeugung auch nicht tun.Zur heutigen schwierigen Situation kam es insbesondere dadurch, daß die allgemeine Abschwächung der Weltwirtschaft in der Mitte der 70er und zu Beginn der 80er Jahre ebenso wie die zum Teil stark gestiegenen Preise für Energie, hier insbesonder für das Erdöl, für eine Reihe von Entwicklungsländern Dauerprobleme mit sich brachte. Es wurde, meine Damen und Herren, der sicherlich falsche Versuch unternommen, die ständig steigenden Probleme der Entwicklungsländer durch eine ständig steigende Verschuldung zu überbrücken. Wir kennen im nationalen Bereich eine ähnliche Entwicklung, die ebenso falsch gewesen ist.
Da diese Probleme aber lösungsbedürftig sind, so wie wir uns im nationalen Bereich um Lösungen bemühen, war es vernünftig, dem menschlich verständlichen Wunsch der Entwicklungsländer nach einer weiteren Ausweitung von Sonderziehungsrechten nicht nachzukommen. Unabhängig davon, daß eine solche Ausweitung den gewünschten quantitativen Effekt wahrscheinlich gar nicht gehabt hätte, mußte der Versuch gemacht werden, Lösungsansätze für die tatsächlichen Probleme zu finden. Dies ist ermöglicht worden durch eine ganze Reihe von Gegebenheiten, insbesondere aber durch die Bereitschaft der Industrieländer, den erweiterten Zugang zur Kreditvergabe des IWF, der ursprünglich bereits 1983 auslaufen sollte, zu verlängern, wie auch durch eine Reihe konkreter Umschuldungsmaßnahmen bei hochverschuldeten Ländern, bei denen die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit bestand. Wir sind gespannt auf den Bericht über diese Übergangsmaßnahmen, der uns von der Regierung für April kommenden Jahres zugesagt ist.Meine Damen und Herren, im Gegensatz zu Rednern der Opposition bin ich der Überzeugung, daß unsere Regierung recht damit hatte, eine sogenannte Schuldenkonferenz abzulehnen. Die Gefahr, daß eine solche große Konferenz von den Schuldnerländern zu einem öffentlichen Anklageforum, zu einem Tribunal gemacht worden wäre, ohne daß man hierdurch der Lösung irgendeines der Probleme auch nur einen Schritt nähergekommen wäre, ist zu groß. Ebenso darf die Gefahr, daß es durch eine solche Konferenz zur Vergiftung der Gesprächsatmosphäre kommen könnte, nicht unterschätzt werden. Ich weise hier auf vielfältige Gespräche am Rande der Konferenz in Washington hin, die in dieser Art überhaupt nicht möglich gewesen wären, wenn großartige öffentliche Konfrontationspamphlete abgelassen worden wären.
Es bleibt natürlich abzuwarten — dies kann keiner genau voraussagen —, mit welchen Forderungen die Schuldnerländer in Zukunft geschlossen auf die Gläubigerländer zukommen werden. Die Interessenlage der Schuldnerländer ist ja eindeutig, denn, meine Damen und Herren, welcher Politiker möchte schon gerne für die Sünden der Vergangenheit in seinem Lande haftbar gemacht werden, selbst dann, wenn er diese Sünden selber begangen hat?Jedenfalls gibt es gute Gründe, von den Grundsätzen des Ziehungspielraums der einzelnen Mitgliedsländer und von den damit verbundenen Bedingungen nicht abzugehen. Sie wissen, daß für einen Ziehungsantrag innerhalb der ersten Kredittranche von 25 % des maximalen Ziehungsspielraums von einem Mitgliedsland erwartet wird, daß es glaubhafte Bemühungen zur Beseitigung seiner Probleme unternimmt. Hier haben die Länder also einen erheblichen inneren Spielraum. Für Ziehungen in den drei höheren Kredittranchen allerdings ist berechtigte Voraussetzung, daß das Defizitland konkrete Maßnahmen zur Wiederherstellung seines Zahlungsbilanzgleichgewichts ergreift. Die hiermit verbundenen Auflagen des IWF im wirtschaftspolitischen Bereich bleiben eine Notwendigkeit.Meine Damen und Herren, wer allerdings fordert, diese Auflagen über den Bereich der Finanz-, Geldoder Wechselkurspolitik hinaus in andere Politikbereiche auszuweiten, der gefährdet den Bestand der gesamten Einrichtung. Es wird kein Land geben, das sich seine Sicherheits- oder seine Bevölkerungspolitik von anderen vorschreiben läßt, und es gibt überhaupt keine denkbare Schablone, die in solchen Politikbereichen gar über sämtliche Mitgliedsländer des IWF gelegt werden könnte. Hier müssen wir Wünschenswertes vom Machbaren trennen. Wer von uns sähe es nicht gerne, wenn gerade die armen Entwicklungsländer ihre Militärausgaben drastisch reduzieren würden?
Wer von uns würde sich nicht über eine Entwicklung freuen, bei der die Bevölkerungs- und damit u. a. auch die Ernährungsprobleme gerade der ärmsten Länder einer Lösung nähergebracht würden?Es ist blauäugig, wenn die GRÜNEN auf diesem Gebiet von der Bundesregierung das Gute schlechthin fordern, ein solcher Einfluß, selbst wenn wir ihn nehmen wollten, uns aber ersichtlich gar nicht möglich wäre.
Hier ist es auch unehrlich, wenn die SPD, die in derRegierung die gleiche Politik wie die heutige Bun-
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Dr. Wengdesregierung betrieben hat, jetzt objektiv unerfüllbare Forderungen stellt.
Meine Damen und Herren, einen wichtigen Teil der Gespräche am Rande nahm natürlich — auch hier und heute ist dieses Problem angesprochen worden — die Situation des US-Dollar ein. Daß die dramatische Aufwärtsentwicklung gerade auch während der Sitzungstage durch die Intervention der Bundesbank zu einem vorläufigen Abschluß gebracht wurde, sorgte für allgemeine Erleichterung. Denn so schwer es ist, die kurzfristigen Auswirkungen eines Dollar-Anstiegs allgemeingültig positiv oder negativ zu bewerten, so sicher ist es, daß eine längerfristige deutliche Überbewertung dieser für die Weltwirtschaft so wichtigen Währung zu negativen Folgen führen muß.Was waren die Gründe für das Ansteigen des Dollar? Sicherlich einerseits die wirtschaftliche Entwicklung in den USA, die Haushaltsgegebenheiten in den USA, auf die wir keinen Einfluß nehmen können, ebenso aber auch ein psychologischer Effekt durch die amerikanische Gesamtpolitik, den man nicht unterschätzen sollte und der hier, meine Damen und Herren, durch Beiträge von der linken Seite des Hauses sicher eher verstärkt als abgemildert werden wird.
Das Ergebnis der Bundesbankintervention ist jedenfalls zu begrüßen, und wir können nur hoffen, daß der Dollar auf seinen realistischen Wert zurückgeht und sich dort stabilisiert.
Wir wollen aber auch nicht übersehen, daß der hohe Dollarkurs kurzfristig zu einer erheblichen Belebung des Handels in der Welt, und zwar nicht nur des Handels unter den Industriestaaten, geführt hat. Die Entwicklungsländer sind bei dieser Konferenz in Washington insbesondere deswegen verhältnismäßig zufrieden und ruhig gewesen, weil die Dollarsituation auch zu einer erheblichen Ausweitung ihrer Handelsströme in Richtung der USA geführt hat. Hierdurch ist der Weltwirtschaft ein wichtiger Impuls gegeben worden.Auf längere Sicht aber müssen, wie gesagt, der hohe Kurs und die zu hohen Zinsen gerade für die größten Schuldnerländer, deren Schulden meist in US-Dollar abgewickelt werden, zu riesigen, zu beinahe nicht zu bewältigenden Problemen führen. Wir sind überzeugt, daß sowohl die zu erwartenden als auch die schon getroffenen Beschlüsse in den USA Richtung Haushalt, Richtung Zinssenkungen die Kenntnis der Probleme deutlich gemacht haben und daß mit einer Besserung zu rechnen ist. Insbesondere wird nach den Wahlen in den USA manches sicherlich besser im Griff sein, als es heute sein kann.Meine Damen und Herren, die Zusammenarbeit zwischen den Schuldner- und Gläubigerländern bei der abgelaufenen Konferenz war eindrucksvoll. Es ist zu hoffen, daß die Schuldnerländer durch einestetige soziale und wirtschaftliche Entwicklung in die Lage kommen, ihre Leistungen mit ihren Verpflichtungen in Einklang zu bringen. Die Bundesrepublik Deutschland wird auch weiterhin bereit sein, ihren Beitrag hierzu zu leisten. Die Bundesregierung hat die Unterstützung meiner Fraktion für diese Arbeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rapp.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Tage vor der offiziellen Eröffnung des Jahrestreffens von IWF und Weltbank wußte die Presse zu berichten, die Lenkungsgremien hätten ihre Beschlüsse bereits gefaßt, die Konferenz sei gelaufen, es folge nur noch der Vortrag belangloser Statements. Es sind die großen Industriestaaten, zusammen mit Saudi-Arabien, die in diesen Lenkungsorganen, Interims- und Entwicklungsausschuß, das Sagen haben. An der Ablehnung z. B. der von den Entwicklungsländern geforderten allgemeinen Schuldenkonferenz war somit keinen Augenblick lang zu zweifeln. Daß amtlichen Verlautbarungen zufolge die im Interimskomitee vertretenen Entwicklungsländer die Ablehnung ihres eigenen Begehrens auch noch begrüßt haben sollen, kann einen nur bitter stimmen.
In ihren Statements und in persönlichen Gesprächen haben sich jedenfalls die Vertreter der Entwicklungsländer reihum darüber beklagt, daß es ihnen weiterhin versagt sein wird, mit den Gläubigerländern endlich mal von gleich zu gleich zu reden.
Wenn nach der Tagung auch Vertreter der Bundesregierung ihre Genugtuung darüber bekundeten, daß dies eine ruhige, undramatische Jahreskonferenz gewesen sei, dann zeigt das nur, daß auch die Institutionen des Bretton-Wood-Systems einmal eine Selbstverständnisdebatte nötig hätten: Als ob es auf undramatische Konferenzverläufe ankäme, wenn in so manchem verschuldeten Entwicklungsland Menschen hungern, weil die vom internationalen Schuldenmanagement auferlegten Anpassungslasten fast überall den Schultern der Schwächsten aufgebürdet werden!
Die Sprecher der SPD-Fraktion haben hier im Bundestag am 19. September 1984 für eine allgemeine Schuldenkonferenz plädiert. Wir halten sie der Sache nach auch heute noch für richtig. Der argentinische Finanzminister wird mit seiner Befürchtung recht haben, daß der Rahmen der Frühjahrstagung 1985 der Fondsgremien zu eng sein wird, in den hinein die Schuldendebatte statt dessen nun verwiesen wurde. Entscheiden werden da nicht die Argumente, entscheidend werden nicht die Betroffenheiten sein, entschieden wird gemäß der quotalen Stimmenüberlegenheit der Industrie-und Gläubigerstaaten.
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6354 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Rapp
Nun aber hat man von der Beschlußlage auszugehen. Wir Sozialdemokraten sehen den Schwerpunkt der heutigen Debatte darin, die Probleme und Themen zu benennen, die die Bundesregierung auch dann auf die Agenda der Frühjahrstagung zu bringen hat, wenn die USA und andere, wie gehabt, lieber Small talk machen und den Grad der Betroffenheit auf business as usual einebnen wollen. Erforderlich ist es zum Beispiel, dabei die Verschuldensbereiche zusammenzuführen. Die Entwicklungsländer sind es gewohnt, nach dem Divide-et-imperaPrinzip zweigleisig abgefertigt zu werden. In den Bretton-Woods-Gremien verweisen die Regierungen auf die Banken, im Pariser Umschuldungsklub die Banken auf die Regierungen, und allemal schaukeln sich auf diese Weise die Konditionen hoch, und das heißt im Klartext, daß ungezählten Menschen der Brotkorb höher gehängt wird.
Mittlerweile ist es ja so, daß bei der Zusammenführung der Schuldenkomplexe eher die Regierungen von den Banken lernen könnten als umgekehrt. Die Banken jedenfalls haben begriffen, daß die rechtzeitige Konzession, die rechtzeitige Wertberichtigung allemal auch die billigste, weil wirksamste ist.
Damit ist die Auseinandersetzung um Konditionalität und Anpassung mit angesprochen. Werden Sie, Herr Bundesfinanzminister, bei der Frühjahrstagung 1985 dafür sorgen, daß diese Debatte um Anpassung endlich aus der Vereinseitigung herausgeführt wird, als obliege die Anpassung einzig den Schuldnerländern?
Werden Sie den Mut zum burden-sharing haben?Selbstverständlich ist die Nullverschuldung der Entwicklungsländer kein vernünftiges Ziel. Kapitalimporte in diese Staaten sind sozusagen normal. Das meint aber doch etwas ganz anderes als den Prozeß der bloßen Umschuldung, über dessen einstweiliges Gelingen derzeit ein allgemeines Schulterklopfen stattfindet. Die Aufnahme teurer Kredite zur Tilgung aufgelaufener Zinsen und allenfalls noch zu einem etwas fristengünstigeren roll over löst doch keine Probleme, verhärtet sie vielmehr — nach Maßgabe ganz einfach der Regeln der Zinseszinsrechnung.
Es gibt eine Reihe von Modellen, wie man dem beikommen könnte. Eines davon habe ich am 19. September dieses Jahres hier vorgetragen — es kann aber keines geben ohne burden-sharing. Mit Mühe und Not ist es jetzt in Washington gelungen— wir haben der Bundesregierung dafür zu danken —, wenigstens den erweiterten Zugang der Entwicklungsländer ein weiteres Jahr lang offenzuhalten — Zugang zu besonders teueren und besonders hart konditionierten Fondskrediten übrigens. Zugleich aber muß der Zugang zu den Mitteln der Internationalen Entwicklungsorganisation — IDA— verengt werden, weil die USA ihrer Einschußpflicht aus früher eingegangenen Aufstockungen nicht nachkommen, und hier handelt es sich um Finanzierungsmittel, die nach der Satzung besonders elastisch und weniger zahlungsbilanzbelastend zu konditionieren sind als normale Kredite.
Also: Die weichen Kredite werden abgebaut und die harten hat man mit Mühe und Not um ein Jahr verlängern können.Es liegt mir fern — lassen Sie mich das klarstellen —, die Aufgaben von Fonds und Bank vermischen zu wollen. Da wird kein Konsens aufgekündigt, Herr von Wartenberg; schade, daß Sie dies offenbar gerne so hätten. Da wird kein Konsens aufgekündigt.
Was gesagt sein soll, ist vielmehr dies: Mit einer weit großzügigeren Ausstattung der IDA würden auch die Gläubigerstaaten einen Teil der Anpassungslast tragen, die allein zu tragen die Entwicklungsländer einfach überfordert.
Wieso eigentlich sollen die Entwicklungsländer zu ihrer Schuldenlast hinzu auch noch die Hauptlast aus dem vom Dollar her überhöhten Zinsniveau tragen?
Es sind doch die Amerikaner, die, wesentlich durch ihren Rüstungsetat bestimmt, über ihre Verhältnisse leben. Geradezu pervers ist es, daß darob sogar Entwicklungsländer zu Kapitalexporteuren werden.
Es hat in Washington eine, wie ich finde, höchst scheinheilige Diskussion darüber gegeben, ob die Entwicklungsländer aus der gegenwärtigen Situation der amerikanischen Konjunktur mehr Nutzen oder mehr Schaden hätten. Es mag j a sein, daß Konjunkturgefälle und Wechselkurszusammenhang dem einen und anderen Entwicklungsland derzeit vermehrte Exporte in die USA ermöglichen — jederzeit durch Konjunktureinbruch und oder Protektionismus bedrohte Exporte, wie doch jedermann weiß; das derzeitige hohe Leistungsbilanzdefizit der Amerikaner kann doch gar nicht durchgehalten werden. Aber schon auf mittlere Sicht werden die Entwicklungsländer durch die hohen Zinsen um die Früchte ihrer Anpassungsanstrengungen betrogen,
die wahrlich oft genug mit Massenelend und Massenarbeitslosigkeit erkauft werden mußten.Werden Sie, Herr Bundesfinanzminister, den Amerikanern bei der Erörterung der Anpassungsstrategien im Frühjahr 1985 klipp und klar sagen, wer sich da mit dem Ziel der Zinssenkung anzupassen hat? Werden Sie sagen, daß in erster Linie die USA hier gefordert sind? Wird man, Herr Bundesfinanzminister, die Industriestaaten beim Namen nennen, die sich um die Anpassungsaufgabe der
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Öffnung ihrer Märkte drücken? Es gab keinen Vertreter eines Entwicklungslandes, der sich nicht bitter darüber beklagt hätte, daß gerade hier — zwischen dem glatten Bekenntnis zum freien Handel und den rüden Handelspraktiken — die Diskrepanzen besonders groß sind.Über die Konditionenpolitik des Fonds mag man j a schon gar nicht mehr reden. Mir hat auch bei der diesjährigen Tagung niemand klarzumachen vermocht, weshalb es gegen die Souveränität eines Schuldnerstaates verstößt, wenn der Fonds den Generalen den Spaß an Kriegsgeräten vermiest, es dagegen nicht gegen die Souveränität von Staaten verstößt, wenn man bei der Kreditvergabe die Abschaffung der Verbilligung von Grundnahrungsmitteln verlangt.
Dies hat mir wieder keiner klarmachen können.
Ich argumentiere da rein ökonomisch. Wirtschaftlich ist Rüstung doch allemal Unsinn.Dabei habe ich die für mich hoffnungsvollen Zwischentöne Ihrer Washingtoner Rede nicht überhört, Herr Bundesfinanzminister. Wenn nunmehr — Zitat — „die zweite Phase der Anpassung" ausgerufen wird, eine, die den Entwicklungserfordernissen der Schuldnerländer stärker Rechnung tragen soll — ich füge hinzu: der Aufbau tragfähiger Sozialstrukturen gehört dazu —, dann sehe ich über das darin versteckte Eingeständnis hinweg und halte mich an die gute Absicht. Auch die angekündigte bessere Abstimmung der Fonds- und der Bankaktivitäten muß nicht unbedingt bedeuten, daß jetzt auch noch die Bank auf die monetaristische Linie des Fonds hingetrimmt wird.
Meine Damen und Herren, die Zusage, die Schuldendebatte bei der Frühjahrstagung '85 des IWF zu führen, könnte als bloße Abwiegelung gedacht gewesen sein, sie könnte aber auch zu einer Neubesinnung führen. Sie, Herr Bundesfinanzminister, haben die allgemeine Schuldenkonferenz abgelehnt. Sie tragen nun ein hohes Maß an Mitverantwortung für das, was aus der Frühjahrstagung '85 wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lammert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Matthäus-Maier hat es nicht zum erstenmal für richtig gehalten, verbale Kraftübungen gegenüber den Vereinigten Staaten als den eigentlichen Hebel zur Lösung der internationalen Wirtschafts- und Währungs- und Verschuldungsprobleme hier darzustellen. Sie hat in diesem Zusammenhang ihre Beobachtung wiedergegeben, seit dem Regierungswechsel habe der
deutsche Druck auf die amerikanische Regierung deutlich abgenommen.
Nun bin ich — wie vermutlich auch Sie — bei dem eindrucksvollen deutsch-amerikanischen Fingerhakeln nicht dabei gewesen, das in früheren Jahren offensichtlich zwischen dem ökonomischen Superstar Helmut Schmidt und seinem renitenten amerikanischen Nachhilfeschüler Ronald Reagan stattgefunden haben muß.
Ich kann nur feststellen: Es ist nichts dabei herausgekommen. Die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind besser geworden, seit es den von Ihnen vermißten Druck auf die amerikanische Regierung durch einen deutschen Bundeskanzler aus der Perspektive Ihrer Beobachtung nicht mehr gibt.
Ich denke, es ist allemal besser, man beurteilt politische Entwicklungen von ihren Ergebnissen her, als von den Denkübungen, die man da — aus welchen Fixierungen auch immer — glaubt anstellen zu müssen.
Die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich übrigens keineswegs nur für die Industrieländer verbessert, sondern vor allen Dingen erfreulicherweise für die Entwicklungsländer, die erstmals im vergangenen Jahr wieder höhere Wachstumsraten als Bevölkerungszuwächse zu verzeichnen hatten, was eine nicht ganz unwesentliche Veränderung der Ausgangslage gegenüber der Vergangenheit darstellt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier?
Herr Kollege, ist Ihnen nicht bekannt, daß seit der Zeit von Helmut Schmidt — ich will die Innenpolitik und die Arbeitslosigkeit einmal ganz weglassen — die Verschuldung der Dritten Welt noch dramatisch zugenommen hat? Darüber reden wir heute.
Das ist mir völlig bekannt. Mir ist auch völlig bekannt, wie sich in dieser Zeit die gemeinsame oder nicht gemeinsame Beurteilung der Ursachen dieser Entwicklung verändert hat.Es ist völlig zutreffend, daß die amerikanische Zinsentwicklung hierfür eine beträchtliche Rolle spielt. Genauso zutreffend ist, daß für die amerikanische Zinsentwicklung die gigantische Verschuldung im amerikanischen Haushalt eine erhebliche Rolle spielt, die übrigens relativ geringer ist als diejenige, die Sie selbst im deutschen Haushalt veranstaltet haben.
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Dr. LammertDer Punkt ist nur, daß eine Partei, Frau MatthäusMaier, die selbst die Politik betrieben hat,
die sie nun den Amerikanern vorwirft, der denkbar ungeeignetste Zensor für die Wirtschafts- und Haushaltspolitik eines befreundeten Staates ist.
Von daher, Frau Kollegin Matthäus-Maier, brauchen wir nicht lange nach Ursachen dafür zu suchen, warum der massive Druck des früheren deutschen Bundeskanzlers auf die amerikanische Regierung offensichtlich ohne die Ergebnisse geblieben ist, die Sie sich selbst davon erhofft haben.Ich kann jedenfalls feststellen, daß Helmut Kohl nicht nur gegenüber den Schuldnerstaaten, sondern auch gegenüber den Industriestaaten, nicht zuletzt gegenüber den Vereinigten Staaten, immer wieder die entscheidende Bedeutung der Zinsentwicklung hervorgehoben hat. Er hat dies etwa bei seinem Staatsbesuch in Argentinien getan und dabei im Bereich der Schuldnerstaaten naturgemäß große Aufmerksamkeit gefunden. Aber er hat es erfreulicherweise nicht in Interviews mit Richtung auf die Vereinigten Staaten, sondern beim Weltwirtschaftsgipfel in London getan und damit erreicht, daß sich alle Industriestaaten in ihrem Abschlußkommuniqué einvernehmlich darauf verständigt haben, daß eine Lösung der Verschuldungsproblematik ohne eine Korrektur dieser dramatischen Entwicklung in der Tat nicht zu erreichen sei.Meine Damen und Herren, ich denke, das Problem ist so kompliziert und so ernst, daß wir auf polemische Attacken, die dann wiederum handfest zurückgewiesen werden müßten, verzichten sollten, weil sie die eigentliche Problemlage eher verlagern, als sie wirklich in den Blick zu nehmen.Es ist doch wahr, daß die Rolle des Internationalen Währungsfonds nicht ersetzbar ist. Dieser wandert bei seinem notwendigen Bemühen, Fehlentwicklungen in den Entwicklungsländern durch wirtschaftspolitische Empfehlungen und Auflagen zu korrigieren, auf einem schmalen Grat zwischen der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit der betroffenen Schuldnerländer und dem Aufstand der von harten Maßnahmen betroffenen Bevölkerungsgruppen. Wir haben doch alle erlebt, daß es in Brasilien, in Jamaika, in Peru, in Ägypten, in Marokko und anderswo Unruhen und Demonstrationen in der Bevölkerung gegeben hat, die in unmittelbarem Zusammenhang mit Entscheidungen stehen, die durch Anpassungsmaßnahmen und Sanierungsprogramme zustande gekommen sind.Ich denke, es gibt in diesem Zusammenhang zwei Illusionen, die beide vermieden werden müssen. Es gibt auf der einen Seite die Illusion, man könne diesen Prozeß der Anpassung an wirtschaftliche Realitäten auch ohne die katalysatorische Funktion des Internationalen Währungsfonds bewerkstelligen. Es ist Helmut Schmidt gewesen, der völlig zu Recht darauf hingewiesen hat, daß es ohne Einschaltung des Internationalen Währungsfonds keine neuen Kredite geben wird und daß von daher jeder, der von der Unvermeidlichkeit der Vergabe weitererKredite überzeugt ist, an der Aufrechterhaltung der Rolle des Internationalen Währungsfonds interessiert sein muß. Aber es ist auf der anderen Seite auch wahr, daß die vom Internationalen Währungsfonds nahegelegten Austerity-Bedingungen nicht übertrieben werden dürfen, wenn sie nicht wirtschaftliche, soziale und sehr bald auch politische Destabilisierung auslösen sollen.Wir müssen hier auch nüchtern zur Kenntnis nehmen, daß es Zielkonflikte zwischen ökonomischen und politischen Interessen gibt. Wir wollen ja nicht nur eine möglichst schnelle Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit, der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dieser Länder, sondern wir sind auch — das sagen wir in anderen Zusammenhängen immer wieder mit großem Ernst — an der politischen Entwicklung dieser Länder zu demokratischen Verhältnissen interessiert. Wir dürfen insofern in der Tat nicht aus dem Auge verlieren, daß wir diesen Menschen, diesen Ländern nicht ernsthaft Sanierungsprogramme andienen können, die für Politiker, die sich auf den mühsamen Weg begeben haben, für den künftigen Weg ihres Landes Mehrheiten zu suchen, ganz sicher kaum mehrheitsfähig zu machen sind. Mir liegt viel daran, daß wir uns den Zielkonflikt zwischen ökonomischen und politischen Interessen, die wir hier zu vertreten haben, im Bewußtsein halten und dies nicht durch flotte, ausschließlich finanztechnische Überlegungen und Operationen aus der Welt diskutieren.Es gibt sicher kein überall anwendbares Erfolgsrezept. Die für Länder mit hohen Leistungsbilanz-und Haushaltsdefiziten naheliegende Strategie, die öffentlichen Ausgaben zu reduzieren oder die Steuern anzuheben, um auf diesem Wege Mittel freizumachen, die dann für die Stützung des Exports oder für Importsubstituierung verwendet werden können, die eigene Währung abzuwerten, um auf diese Weise die Wettbewerbsfähigkeit durch Veränderung des realen Lohnniveaus zu erreichen, ist eben kein überall mit Erfolg anwendbares Konzept. Während es in Mexiko einigermaßen funktioniert hat, ist es etwa in Brasilien ebenso eindeutig gescheitert.Zu den Erfolgen der geduldigen Bemühungen der letzten beiden Jahre gehört nicht zuletzt, daß auch auf seiten der Schuldnerländer die Einsicht in Zusammenhänge gewachsen ist, daß sowohl Schuldenmoratorien wie Schuldnerkartelle vermieden werden konnten. Dazu haben sich gerade die demokratisch legitimierten Präsidenten dieser Schuldnerstaaten ausdrücklich bekannt, die zu den eingegangenen Verpflichtungen stehen, aber, wie ich denke, zu Recht darauf hingewiesen haben, daß Verzinsung und Tilgung ihrer Auslandsschulden künftig in einem angemessenen Verhältnis zu ihren Exporterlösen stehen und daß sie mit der Aufrechterhaltung eines angemessenen Einkommensniveaus ihrer Mitbürger vereinbar sein müßten. Ich halte das für richtig, und ich denke, daß darüber in diesem Haus auch kein Streit zu entstehen braucht, nachdem diese Bundesregierung in ihrem Jahreswirtschaftsbericht erstmals ausdrücklich niedergelegt hat, daß es in unserem Interesse liege, eine
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Dr. Lammertgeordnete Anpassung ohne soziale Zerreißproben zu erreichen. Dies ist die formulierte Politik dieser Bundesregierung, die ihren Niederschlag erfreulicherweise auch in den Übereinkünften der Regierungschefs beim Weltwirtschaftsgipfel gefunden hat.Meine Damen und Herren, wir haben doch in unserer eigenen Vergangenheit erfahren, was passiert, wenn die Länder, die — uns gegenüber in diesem Fall — Ansprüche geltend machen, sich gleichzeitig weigern, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß wir solchen Verpflichtungen überhaupt nachkommen könnten. Die wirtschaftlichen, finanziellen und auch politischen Folgen der Abwicklung des deutschen Reparationenproblems sind durchaus nicht ohne Bedeutung für die Beurteilung der Risiken, die auch entstehen könnten, wenn eine allzu sehr auf finanztechnische und ökonomische Sachverhalte fixierte Betrachtung dieser internationalen Verschuldensproblematik stattfände. Die Folgen von damals sind bekannt. Wir haben kein Interesse daran, sie hier zu wiederholen.Die Lebenserfahrung spricht dafür, daß gegenüber einem drohenden Konkurs in aller Regel ein angemessener Vergleich die bessere Lösung ist. Dies erfordert auf allen Seiten Einsicht in Realitäten, Mut und Opferbereitschaft, von denen ich nicht sicher bin, ob diese Voraussetzungen bereits auf allen Seiten gegeben sind.Wir haben uns bemüht, in diesem Entschließungsantrag eine Reihe der Positionen aufzulisten, die deutlich machen sollen, daß wir uns nicht nur über die wirtschaftlichen Zusammenhänge, sondern auch über die politischen Implikationen dieser Problemlagen bewußt sind. Wir sind sehr damit einverstanden, daß wir dies für eine sorgfältigere Beratung in die Fachausschüsse überweisen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Gottwald.
Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Ich möchte im folgenden kurz auf die Anfragen und die Antworten der Bundesregierung darauf eingehen. Vorab muß ich natürlich zugeben, daß unsere Anfragen zum Teil nicht einfach waren, daß sie aber zum anderen Teil den Vorteil hatten, daß viele Informationen bereits in ihnen enthalten waren, so daß die Bundesregierung schon die Chance hatte, sie zu beantworten. Dennoch möchte ich sagen, daß die Antwortpraxis generell wie folgt zu klassifizieren ist: Entweder gab es überhaupt keine Antworten, es standen irgendwelche Sätze da, die mit der Frage nichts zu tun hatten, oder es fanden sich sehr widersprüchliche Antworten, oder die Antworten waren dumm, dreist und zum Teil sehr zynisch.
Wir mußten feststellen, daß seitens der Regierung nicht nur unsinnige Vorstellungen über Lösungsmöglichkeiten der Verschuldenskrise vorherrschen, sondern häufig gar keine. Die pure Ratlosigkeit gibt den Ton an. Eines der krassesten Beispiele war die Frage nach den Konsequenzen der Verschuldung für die Bundesrepublik, für die hiesigen Banken und für die Binnenwirtschaft. Zunächst wurde der Zusammenhang in den Antworten geleugnet. Auf die Frage nach eventuellen Interventionsplänen der Bundesregierung für den Fall von Bankzusammenbrüchen oder Liquiditätsproblemen antwortete die Regierung — ich zitiere —:
Öffentliche Planungen der Regierung für eventuelle Hilfen wären nicht zweckdienlich. Sie würden die Verantwortung für die Kreditentscheidungen, die bei den Banken liegt, verwischen.
Dazu sage ich folgendes. Erstens. Zur Verantwortung der privaten Banken:
— Mein Gott, was für ein Engagement hier!
Der IWF handelt als internationaler Finanzpolizist die Bedingungen, unter denen die privaten Banken Kredite vergeben, und die Bedingungen, unter denen die Schuldnerländer die Zinsen zurückzahlen, für die privaten Banken aus.
In diesem Sinn ist der IWF das zentrale Steuerungssystem für die Kreditvergabe der privaten Banken. Und der IWF ist ja nun wohl wirklich keine Privatangelegenheit.
Wie der schweizerische Nationalbankpräsident Leutwiler im „Spiegel" der vorigen Woche sagte — ich wiederhole das Zitat —, stellt der IWF seine harten Bedingungen an die Entwicklungsländer, weil die privaten Banken es von ihm verlangen — wegen ihrer raschen Sanierungserfolge. Hier wird immer von Sanierungsproblemen in den Entwicklungsländern geredet: Es geht offensichtlich auch um die Sanierungsprobleme der privaten Banken.
Ich bitte doch sehr, daß Sie uns hier nicht für dumm verkaufen.
Zweitens sagte Herr Leutwiler: Die 700 bis 800 Milliarden Dollar Schulden der Entwicklungsländer werden nie zurückgezahlt. Davon geht auch die Bundesregierung in ihrer Antwort aus.
Frau Abgeordnete!
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6358 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Ich möchte nicht. Ich habe nur noch 6 Minuten.
Ja, da frage ich Sie doch: Wer zahlt das denn, wenn die Länder diese Summen nicht zurückzahlen können? Ist diese Summe eine Fiktion? Verzichten die Banken auf diese Summe? Oder werden die Verluste sozialisiert, wie es dann so schön heißt; sprich: Jeder Steuerzahler hier zahlt das.
Was passiert denn, wenn bundesdeutsche Banken zusammenbrechen, wie es in den USA schon passiert ist? Herr Leutwiler meint in dem „Spiegel"-Gespräch: Es würde keinesfalls jede Bank aufgefangen; die kleinen würde man pleitegehen lassen. Und wenn bei großen Bankeinbrüchen die Verluste durch Eingreifen der Regierung umverteilt werden, bezahlt es ebenfalls der Bürger.Ich fordere die Bundesregierung auf, daß sie die Planung für solche Fälle, die jeden in diesem Land betreffen, öffentlich zur Verfügung stellt. Und wenn sie diese Pläne noch nicht gemacht hat, wie sie in der Antwort behauptet, dann halte ich es für geboten und für höchste Zeit, sich endlich hinzusetzen und sich Gedanken über solche Fälle zu machen. Es ist keine Fiktion, worüber hier geredet wird.
Nun zu den Konsequenzen für die Schuldnerländer. Erstmals akzeptiert die Bundesregierung die Tatsache der Verschuldung generell. Es geht nicht darum — ich zitiere —, den Schuldenstand der Schuldnerländer generell zu verringern, sondern es geht darum, wieder zu einer tragbaren Zahlungsbilanz und Verschuldungsposition zu kommen. Außerdem heißt es — ich zitiere —: Grundsätzlich ist Auslandsverschuldung für Entwicklungsländer etwas Normales.Also: Normal ist fast gar nichts. Und Ihre Antworten, die in diesem Stil gegeben werden, halte ich für absolut überhaupt nicht normal.Die Verschuldung der Dritten Welt ist das Resultat jahrzehntelanger Ausbeutung dieser Länder durch die Industrieländer. Diese Ausbeutung und Abhängigkeitsverhältnisse akzeptiert die Bundesregierung offensichtlich per se, weil sich an diesen Verhältnissen gut verdienen läßt.
Mehr noch. Diese Leute in dieser Regierung sind diejenigen, die diese einseitigen Strukturen noch forcieren: durch Ihre IWF-Politik, durch Ihren finanzpolitischen Kolonialismus, den Sie hier propagieren.Die Auflagenpolitik des Internationalen Währungsfonds, die die verschuldeten Länder zwingt, weiterhin an den für sie aussichtslosen Wettlauf auf dem Weltmarkt teilzunehmen, sichert diese Strategie ab.Wie hysterisch die Bundesregierung auf die Darlegung dieses Zusammenhangs reagiert, wird daran deutlich, daß sie meint, beim Fundament dieser Aussage ansetzen zu müssen. Der erstaunte Leser der Antwort traut seinen Augen nicht. Ich zitiere: Der in der Antwort wiederholt verwendete Begriff der Auflage ist irreführend. — Wir irre ist eigentlich Ihr Ministerium, Herr Warnke, möchte ich Sie da doch mal fragen. Ich zitiere wörtlich aus einem ministeriumsinternen Papier vom März 1984: Die IWF-Auflagen haben eine zentrale Funktion bei der Bewältigung der internationalen Verschuldungsprobleme erhalten. — Gibt es nun IWF-Auflagen oder nicht?
In den Antworten schreibt die Bundesregierung von „Vereinbarungen", „nötigen Strukturanpassungen" und „Atempausen", die die Länder brauchten, um ihre Zinsen zurückzuzahlen. Herr Warnke, wissen Sie eigentlich, was Atempause im Zusammenhang mit IWF-Auflagen bedeutet? Für viele Menschen in diesen Ländern handelt es sich um einen Atemstillstand, und das für immer. Auf deutsch: Hungertod. Man sollte das ruhig einmal so nennen und nicht mit dem schönen Wort Atempause umschreiben.Über die Auswirkungen gibt es genügend historische Beweise. Wir haben in unserer Anfrage allein 17 Beispiele aus den letzten Jahren aufgeführt, die zeigen, daß diese IWF-Auflagen — ich darf doch jetzt wohl den amtlich bestätigten Begriff gebrauchen — direkt zu jenen Aufständen führten, die inzwischen jedem Beobachter der Verschuldungsszenerie als Brotrevolten bekannt sind. Bei allen 17 Beispielen werden die Zusammenhänge pauschal vom Tisch gewischt. Zitat aus der sogenannten Antwort: „Auch in dieser Frage sind die Zusammenhänge willkürlich konstruiert." Bei so viel Dreistigkeit drängt sich eigentlich die Frage auf: Wofür werden die Herren Minister eigentlich bezahlt, dafür, daß sie uns solche Antworten geben?Dabei wird von Ihnen dieser Zusammenhang an anderer Stelle selbst hergestellt; natürlich verklausuliert. Da heißt es — ich zitiere —: „In Ländern mit überhöhten Handelsdefiziten und mit expansiver Geldpolitik führt allerdings kein Weg an der Nachfragebeschränkung vorbei." Das sehe ich zwar anders, aber es steht fest: Nachfragebeschränkung heißt für die Armen in den betreffenden Ländern oft Hunger und letztendlich Tod.
Man kann das aber nur so ausdrücken, wenn man ein Interesse daran hat, daß jeder versteht, worum es eigentlich geht. Dieses Interesse hat die Bundesregierung nicht.Deswegen sind die Antworten, die uns gegeben worden sind, nicht nur dumm wegen Unfähigkeit, sondern sie sind unverschämt, weil bewußt irreführend.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984 6359
Frau GottwaldSie sind meiner Meinung nach ein Beispiel für die Arroganz der Macht, die uns regiert und andere ins Elend treibt.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Gottwald hat eben unter Beweis gestellt, daß es Teile der Opposition — zumindest Sie persönlich — einfach nicht begriffen haben, was die Aufgabe des Internationalen Währungsfonds ist.Der Internationale Währungsfonds, Frau Kollegin Gottwald, hat nicht die Bedingungen festgesetzt, unter denen sich Privatbanken mit ihren Schuldnern einigen. Er kann sie nicht festsetzen und er wird sie auch in Zukunft nicht festsetzen. Aber was er tun kann, ist, Rahmenbedingungen zu setzen, die es ermöglichen, daß die Banken mit den Schuldnerländern zu solchen Abkommen gelangen wie zu jenem Abkommen, das jetzt für Mexiko vorbereitet wird. Das birgt die Hoffnung in sich, eine strukturelle Lösung der Schuldenkrise zu finden.Nur die Bestimmungen, die der internationale Währungsfonds in die Darlehensgewährung eingearbeitet hat — das sind Auflagen, aber es sind Auflagen, die mit den Nehmerländern ausgehandelt worden sind —, haben es den Privatbanken ermöglicht, jetzt zum erstenmal mit Mexiko Freijahre, Tilgungsstreckung, Hinausschiebung von Fälligkeiten eben nicht auf ein Jahr oder zwei Jahre, sondern bis in die Mitte der 90er Jahre zu vereinbaren; mit einem Land, das eine hervorragende, von der Bundesregierung anerkannte Eigenleistung zur notwendigen Anpassung erbracht hat.Wenn Sie hier behaupten, daß der Währungsfonds dies mit den Privatbanken aushandeln könnte und nicht das Schuldnerland,
dann zeigt sich, daß der Vorwurf, dumm, dreist undzynisch mit der Wahrheit umgegangen zu sein, aufSie selbst zurückfällt.
Sie kennen nicht das kleine Einmaleins bei der Lösung der internationalen Verschuldungskrise.
Sie führen jungen Menschen, die gekommen sind, um sich bei uns darüber zu unterrichten, welches . die Sorgen dieser Welt sind, eine verzerrte Wirklichkeit vor.
Meine Damen und Herren, in der Tat sind die Schatten über weiten Teilen der Dritten Welt länger geworden. In der Tat sind Arbeitslosigkeit, soziale Ungerechtigkeit, Hunger und Krankheit heute das,was das Leben vieler Menschen in Lateinamerika, in Asien und in Afrika prägt. Aber neben diesem düsteren Bild gibt es doch auch Hoffnung.
Viele Länder, insbesondere in Südostasien, sind in den letzten Jahren Selbstversorger bei den Grundnahrungsmitteln geworden. Sie führen heute Überschüsse in andere Länder aus.
Einige haben ihre Industrien auf Weltstandard gebracht. Wir nennen sie heute Schwellenländer. 20 von ihnen haben in den letzten zehn Jahren ihr Volkseinkommen verdoppeln können. In Lateinamerika hat uns das Beispiel Mexiko gezeigt, daß allen Unkenrufen zum Trotz der Weg aus einer scheinbar hoffnungslosen Verschuldung zur wirtschaftlichen Gesundung begonnen hat. Alle diese Länder haben damit sicher noch nicht ihre sozialen Probleme gelöst, aber sie haben begonnen, die Grundlagen dafür zu schaffen.Währungsfonds und Weltbank sind gerade bei diesen Erfolgsbeispielen internationaler Finanzpolitik und internationaler Entwicklungshilfe diejenigen Kanäle gewesen, über welche die wesentlichen Teile der Hilfe der Industrieländer gelaufen sind. Unser Grundsatz „Entwicklungshilfe kann nur Hilfe zur Selbsthilfe sein" ist hier nicht Leerformel geblieben; in den Beispielen, die ich genannt habe, ist er verwirklicht worden.
Wir teilen, Frau Kollegin Matthäus-Maier, die Auffassung, daß die Milliarden sinnvoller ausgegeben werden können als für die Rüstung. Daran haben wir nie einen Zweifel gelassen. Der Bundeskanzler hat das Wort geprägt „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen". Diese Milliarden in die Entwicklungshilfe zu geben, ist sicher eine friedensfördernde Lösung.Aber wir teilen nicht Ihre Auffassung — Sie wissen es doch selber besser und sollten es hier nicht anders sagen —, daß der Internationale Währungsfonds die Möglichkeit besitzt, daran etwas zu ändern. So wenig, wie die Finanzminister Ihrer Regierung — ich sehe hier Herrn Kollegen Matthöfer im Saal — den Internationalen Währungsfonds zum Diskussionsforum für Einsparungen in den internationalen Rüstungsausgaben gemacht haben, so wenig haben es Ihre sozialistischen Kollegen bei dieser Sitzung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank getan, und so wenig haben sie beantragt, dieses Thema auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung zu setzen.Sie haben dies doch nicht aus Dummheit oder aus Nachlässigkeit getan, sondern weil sie genau wissen, daß dieser Kreis seine Zuständigkeit und seine Leistungsfähigkeit hoffnungslos überforderte, wenn er sich z. B. anmaßte, in einem der spannungsreichsten Verhältnisse, die wir kennen, nämlich im Verhältnis zwischen Indien und Pakistan, beim Aushandeln von Anleihen und Beistandskrediten den Beteiligten zuzudiktieren, in welchem Maße sie ihre Rüstung im wechselseitigen Verhält-
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6360 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Bundesminister Dr. Warnkenis aufrechterhalten dürfen. Dies wäre das Ende einer sinnvollen Arbeit im Internationalen Währungsfonds. Diese Dinge werden auf den Abrüstungskonferenzen in Genf und Wien entschieden. Dort haben wir uns einzusetzen.Was Sie hier getan haben, Frau Kollegin Matthäus-Maier, hatte noch einen viel schlimmeren Strukturfehler. Sie haben über internationale Rüstung gesprochen. Das ist Ihr gutes Recht. Sie haben aber hier — und zwar in stakkato — immer wieder hintereinander ein einziges Land in diesem Zusammenhang erwähnt, nämlich die Vereinigten Staaten von Amerika. Sie haben die Sowjetunion völlig draußen gelassen.
Sie haben die Verhältnisse geradezu auf den Kopf gestellt. Aus diesen schrillen Tönen, die wir von Ihnen gehört haben,
hat die Lust gesprochen, die Vereinigten Staaten zu provozieren, und nicht das Herz für die Hungernden dieser Welt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Matthäus-Maier?
Ja, gerne.
Bitte sehr.
Herr Minister, ist es Ihnen vielleicht entgangen — ich hoffe, Sie haben es überhört; denn sonst wäre Ihre Behauptung bösartig —, daß ich die Großmächte genannt habe, die Entwicklungsländer, die exportieren, und die Entwicklungsländer am Beispiel Perus, die ich alle in diesem Zusammenhang kritisiert habe, und nicht allein die USA?
Genau das, Frau Kollegin, habe ich gemeint.
Der Name USA — das müssen Sie einmal in Ihrem eigenen Protokoll nachzählen — ist weit über ein Dutzendmal gefallen; den Namen der Sowjetunion haben Sie hinter irgendeiner allgemeinen Leerformel verschämt versteckt.
Das meine ich, wenn ich sage, hier wird in Wirklichkeit nicht die Sorge behandelt, die uns gemeinsamverbindet — Wie können wir Ländern der Dritten Welt helfen? —,
sondern hier wird die Nation provoziert, die in der Vergangenheit die meiste Entwicklungshilfe gegeben hat und heute die meiste Entwicklungshilfe gibt und die auch in Zukunft der größte Entwicklungshilfegeber sein wird, nämlich die Vereinigten Staaten von Amerika.
Es gebieten einfach die Fairneß und der Anstand, das festzustellen.
Sie haben von der Marktöffnung gesprochen. Frau Kollegin, ich möchte gerne auf Sie eingehen, wenn Sie mir gütigerweise einen Moment Ihr Ohr leihen würden. Ist Ihnen denn entgangen, daß es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gleichgültig, wer Hausherr im Bundeswirtschaftsministerium war, ob das Ludwig Erhard war, der das alles begründet hat, ob das Professor Schiller gewesen ist oder auch Helmut Schmidt, ob das Graf Lambsdorff gewesen ist oder heute der Kollege Bangemann, eine unwandelbare Konstante gegeben hat, nämlich das Eintreten für das Offenhalten der Märkte, in dem dieses Land von wenigen Ländern der Welt erreicht, von keinem Land der Welt übertroffen worden ist? Wie können Sie Vorwürfe an die Regierung unseres Landes richten, daß wir nicht genug täten, um die Märkte offenzuhalten? Wir sind in der Europäischen Gemeinschaft, das weiß jeder, das wissen auch Sie, dann sagen Sie es doch auch. Wir sind in diesem Punkt die Extremisten, indem wir dafür eintreten,
daß der Protektionismus bekämpft werden soll und daß der Zugang zu dem freien Markt offengehalten wird.
— Ich glaube, Ihnen ist es einfach nicht möglich, sich auf ein Thema zu konzentrieren. Sie müssen mit Reiz- und Schlagworten arbeiten. Daß aber das Wort von den Extremisten im öffentlichen Dienst bei Ihnen eine Saite zum Schwingen gebracht hat,
kann ich mir bei den Verbindungen vorstellen, die Sie haben. Darauf werde ich zu späterer Zeit zurückkommen,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984 6361
Bundesminister Dr. Warnkeund zwar nicht heute, weil das vor jungen Menschen nicht unser Thema sein soll.
Ich werde zu späterer Zeit auf Ihr Bekenntnis zur Revolution und zum Klassenkampf aus den Reihen Ihrer Fraktion zurückkommen.
Wir bringen aber nicht die Themen durcheinander. Dann, Frau Kollegin Gottwald, werden wir die Wahrheit der Erklärung, die Sie vor dem Parlament in der Aktuellen Stunde abgegeben haben, auf den Prüfstand stellen. Dann werden Sie sich zu verantworten haben.
Meine Damen und Herren, heute stehen wir vor der Frage: Wie soll es in der Zukunft weitergehen, Die Aufgabe der strukturellen Anpassung, nämlich Fehlentscheidungen der Entwicklungspolitik der Industrieländer und der Entwicklungsländer zu korrigieren, ist uns nach wie vor gestellt. Die Vernachlässigung der Landwirtschaft in weiten Bereichen der Dritten Welt, insbesondere in Afrika, zugunsten der großen Städte, falsche Nahrungsmittelhilfe, ungenügende Erzeugerpreise für die Kleinbauern haben zum Rückgang der Produktion und dazu geführt, daß frühere Kornkammern heute von Nahrungsmittelhilfe abhängig sind. Die lange fälligen Korrekturen solcher Fehlentscheidungen können durch internationale Organisationen wie Weltbank und Weltwährungsfonds, in denen die Länder der Dritten Welt Sitz und Stimme haben und in denen sie an den Entscheidungen mitarbeiten, ohne Kränkung des Selbstwertgefühls, ohne Verletzung der Souveränität der Entwicklungsländer herbeigeführt werden. Diesem Teil der Ursachenanalyse haben auch die Vertreter Schwarzafrikas in der Sitzung in Washington bei der Jahrestagung zugestimmt.Herr Kollege Rapp, wenn Sie bedauert haben, daß in Washington die Länder der Dritten Welt nicht Ihre Thesen vertreten haben, sondern eine konstruktive Linie gefahren sind, dann scheint es mir allerdings sehr merkwürdig zu sein, daß wir vom sicheren Port des Plenarsaals der Bundesrepublik Deutschland den Ländern der Dritten Welt dann noch Schärfe und Erbitterung der Auseinandersetzungen raten wollen, wenn sie sich auf dem Weg der Verständigung und der Vernunft befinden.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann? — Bitte.
Herr Warnke, ich habe eine Frage an Sie bezüglich der Souveränität der Schuldnerländer in der Politik des IWF. In der Antwort auf eine Frage unserer Fraktion führt Ihr Ministerium aus, daß der Begriff der IWF-Auflagen irreführend sei. Frau Gottwald hat in ihrem Beitrag eben schon darauf hingewiesen, daß in den Kernpapieren Ihres Ministeriums genau dieser Begriff der IWF-Auflagen benutzt wird. Können Sie vor dem Deutschen Bundestag klipp und klar dazu Stellung nehmen, ob Sie erstens davon ausgehen, daß es IWF-Auflagen gibt, und zweitens wie Sie IWF-Auflagen in puncto Souveränität der Schuldnerländer beurteilen?
Sehr geehrter Kollege, wenn Sie wenigstens zugehört hätten, was ich eben gesagt habe! Ich habe gesagt, natürlich gibt es Auflagen, aber diese Auflagen sind bei der Vergabe der Kredite ausgehandelt worden.
Die Verträge sind Verhandlungsergebnisse. Das, was Auflage ist und was bei Ihnen Einseitigkeit beinhaltete, ist das Ergebnis eines mühevollen Prozesses des Sicheinigens. Entwicklungspolitik wird nicht im Plenarsaal mit knackigen Schlagworten gemacht, sondern in harter Detailarbeit am Verhandlungstisch zwischen den Entwicklungsländern und den internationalen Geberorganisationen. Genau das hatte ich zehn Minuten vorher gesagt. Immerhin, der Wiederholungskurs wird es Ihnen vielleicht ermöglichen, mitzukriegen, wie die Wirklichkeit in der Entwicklungshilfe aussieht.Neben der Anpassung ist sicher Kapitalhilfe aus den Industrieländern nötig. Die Bundesregierung hat gehandelt. Die deutschen Entwicklungshilfezusagen für Afrika werden 1985 um mehr als 20 % angehoben. Unser Beitrag an die Leistungen der Europäischen Gemeinschaft, 90 % davon für Afrika, wird steigen. Wir leisten den größten Beitrag, obwohl andere europäische Länder mehr Grund und Anlaß hätten, höhere Beiträge für Afrika zu leisten. Unsere Leistungen an die afrikanische Entwicklungsbank haben wir verdoppelt, und für den Sonderfonds für die ärmsten Entwicklungsländer, für jene IDA genannte Organisation, von der heute so viel gesprochen worden ist, haben wir nicht nur unsere Leistungen im kommenden Jahr um 15 % erhöht, sondern auch unsere Neuzusagen für die zweite Hälfte der 80er Jahre werden im Vergleich zu anderen weit über der Leistungsfähigkeit unseres Sozialprodukts liegen. Wir setzen uns darüber hinaus für die weitere Aufstockung ein. Nur eines stellen wir auch klar: Wir können nicht und wir werden nicht für Ausfälle, die bei anderen Industrieländern entstanden sind, als der Lückenbüßer auftreten.
Die Weltbank wird, meine Damen und Herren, in den kommenden Monaten die Geberländer zur Verstärkung ihrer Hilfe zusammenrufen; aber eines ist ganz entscheidend: Es kommt nicht aufs Geld allein an! Zu viele Milliarden sind bereits vergeudet worden, zu viele weiße Elefanten sind in den Busch
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6362 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Bundesminister Dr. Warnkegesetzt worden. Prestigeobjekte vom Stahlwerk bis zum Kongreßpalast
zeugen heute als Entwicklungsruinen von den Sünden der Vergangenheit. Zu wenig, meine Damen und Herren, ist getan worden für die Kleinbauern und für die Massen in den Elendsvierteln der Großstädte,
und zu rücksichtslos ist die Umwelt in den Ländern der Dritten Welt in der Vergangenheit schwer geschädigt worden.
Deshalb ist und bleibt das Entscheidende die Verbesserung der Qualität unserer Entwicklungshilfe.
Die Weltbank, meine Damen und Herren von der Fraktion DIE GRÜNEN, leistet hier Pionierarbeit in der Finanzierung und weltweiten Koordinierung der Landwirtschaftsforschung. Ich nenne als Beispiel das Zentrum für tropische Landwirtschaft in Kolumbien. Dieses Zentrum beschäftigt sich ausschließlich mit Bohnen, Maniok, Reis — alles Grundnahrungsmittel der ärmeren Bevölkerungsschichten, nicht für den Export bestimmte sogenannte „cash crops". Hier werden neue Pflanzensorten gezüchtet mit höheren Erträgen, die weniger Dünger brauchen, weniger empfindlich gegen Krankheiten sind, einfacher anzubauen sind. Kurzum: Sie eignen sich besser für den Kleinbauern, und sie bringen weniger Umweltbelastungen mit sich.
Die Leute im tropischen Institut in Kolumbien haben uns gesagt: Uns betrachtet die chemische Industrie als ihre wahren Gegner. Das ist die Leistung der Weltbank!Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel: den Einsatz der Weltbank im Wohnungsbau für die Ärmsten der Armen. Sie sind aus dem unvorstellbaren Elend der Barrios und Favelas in Südamerika, der Großstädte des indischen Subkontinents in einfache, aber billige Wohnungen mit Trinkwasser, mit Abwasserbeseitigung umzusiedeln. Ihnen ist dadurch mehr geholfen, ihre Menschenwürde zu wahren, als durch alle ideologischen Auseinandersetzungen hier im sicheren Port des Parlaments eines Industrielandes.
Nur, meine Damen und Herren, da war doch ein Kollege von den GRÜNEN in Washington mit dabei. Der ist doch mit in der Bundeswehrmaschine hinübergeflogen. Reisen bildet, und wenn Sie endlicheinmal Ihr Verhältnis zur Bundeswehr in Ordnung bringen,
dann habe ich weiß Gott nichts dagegen. Aber wo ist er denn heute, der Herr Kollege Kleinert? Warum hat er sich denn nicht bei der Weltbank nach dem, was ich Ihnen hier vortrage, erkundigt? Wer reist, verursacht auch Kosten, und wer diese Kosten dem Steuerzahler verursacht, der sollte wenigstens hier sein und bekunden, was Anständiges geleistet wird, wenn wir uns darüber auseinandersetzen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Holtz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Faire Angriffe hat man im Bundestag zu ertragen; aber jeder kann hier im Bundestag wissen, daß die SPD-Bundestagsfraktion gerade ein Zukunftsprogramm „Dritte Welt" vorgelegt hat, in dem auch von der Sowjetunion gefordert wird, abzurüsten
und mehr Mittel für die Länder der Dritten Welt freizumachen. Wenn man uns dann Einseitigkeit vorwirft, ist das unfair.
Schöne erklärende Worte von Regierungsseite können nicht die Tatsache verdrängen: Die Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank verlief für die Entwicklungsländer weitgehend enttäuschend. Diese Tagung brachte keine befriedigenden Perspektiven für die Länder der Dritten Welt.
Die Schuldenbombe ist immer noch nicht entschärft. Zu häufig setzten sich leider kurzsichtiger Egoismus und ordnungspolitischer Rigorismus der Finanzminister Regan, Stoltenberg und Co. durch. Das ist bedauerlich.Um die Probleme der 80er Jahre zu lösen, müssen IWF und Weltbank neu geordnet werden. Wir beklagen, daß der Bundesregierung bislang die Kraft zu dieser Erneuerung der beiden wichtigen Institutionen fehlt.Wir haben, so sagt Herr Minister Warnke, der deutschen Entwicklungspolitik das schlechte Gewissen genommen. Er sagt das, wenn er die neue deutsche Entwicklungspolitik gegenüber der Dritten Welt darstellt. Liest man die Antworten der Bundesregierung auf die Großen Anfragen der GRÜNEN über die Weltbank, den Internationalen Währungsfonds und die Verschuldungskrise der Dritten Welt, so muß man fragen: Haben Sie der
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Dr. Holtzdeutschen Nord-Süd-Politik neben dem schlechten nicht auch das gute Gewissen genommen?Diese Frage drängt sich deshalb auf, weil wir in den Antworten eine Ansammlung von Euphemismen und Verniedlichungen, von einseitigen Schuldzuweisungen und Verdrehungen finden, die ja nicht auf Uninformiertheit oder Mangel an Urteilskraft zurückzuführen sind; hinter ihnen steht der geballte Sachverstand der Bundesregierung.
Das kühle Zurückgreifen auf makroökonomische Daten, die unsägliches Leid und entsetzliches Elend zu bloßen Faktoren in einer Wirtschaftlichkeitsrechnung machen, die oberlehrerhafte Rechthaberei und das erbarmungslose Pochen auf Regeln, die Reiche für Reiche gemacht haben, das erschreckt mich ebenso tief wie das Denken in kurzsichtigen und kurzfristigen egoistischen Interessen.
Mein Unbehagen und meine Zweifel an der Lernwilligkeit der Bundesregierung fangen schon bei der Darstellung der Voraussetzungen für die Schwierigkeiten in der Dritten Welt und bei der Mißachtung der Entstehungsgeschichte der internationalen Finanzinstitutionen und ihrer Rolle in der internationalen Finanzpolitik an. So hat die Kritik am IWF weder erst in den letzten Jahren noch durch sozialdemokratische oder grüne „Ideologen" begonnen, sondern bei einem der gedanklichen Mitbegründer des IWF. John Maynard Keynes hat schon vor dem Entstehen gefordert, eine solche Institution dürfe nicht nur auf Defizitländer achten, sondern müsse die Ursachen der Defizite auch in Überschußländern suchen, die ebenfalls in die Pflicht zu nehmen seien.
In der Tat, das wäre notwendig und sinnvoll gewesen!Natürlich gibt es auch eine Reihe eigenverursachter Probleme in den Entwicklungsländern selbst, z. B. durch eine jahrelange Überbewertung von Währungen, durch falsche, die Grundbedürfnisse der Bevölkerungsmehrheiten mißachtende Entwicklungsstrategien und auch durch überhöhte Militärausgaben. Bei dem letzten Punkt möchte ich aber das hinzufügen, was Gustav Heinemann immer sagte: Wenn man mit dem Zeigefinger auf andere zeigt, zeigen drei Finger auf einen selbst zurück.
Es ist ungerecht, die meisten Lasten den Schuldnerstaaten aufzubürden, wenn die Ursachen für ihre Probleme auch bei uns und bei unserem Verhalten zu suchen sind.Die Schuldenlast der Entwicklungsländer kann erheblich abgebaut werden, wenn die Industrieländer ihre Märkte nicht für Produkte aus Entwicklungsländern abschotten, wenn sich die Industrieländer endlich für eine stetige Verbesserung der Handels- und Austauschverhältnisse einsetzen — dieser Bundestag muß endlich den gemeinsamenFonds ratifizieren, damit dieser UN-Fonds in Kraft gesetzt werden kann — und wenn die Industrieländer niedrige Zinssätze auf dem Weltmarkt durchsetzen.
Bringen denn eigentlich die Roßkuren des Dr. Eisenbart aus Washington wenigstens die Heilung, die man sich von ihnen erhofft? Ich möchte nur das anführen, was der Währungsfonds selbst an Bewertung und Überprüfung vorgenommen hat. Von 21 Programmen zwischen 1973 und 1975 bewertete der IWF 7 als erfolgreich, und das, wie er selbst sagt, mit einigen Einschränkungen. 1978 und 1979 hat der IWF 23 Beistandskredite vergeben. Nur bei knapp der Hälfte dieser Abkommen wurden die vom IWF genannten makroökonomischen Ziele überhaupt erreicht. Dies ist eine ernüchternde Bilanz. Ich hätte mich sehr gefreut, wenn der Bundesfinanzminister sie hier auch vorgetragen hätte, weil sie zur Abrundung des realistischen Bildes gehört.Die Festigung oder gar Schaffung undemokratischer Machtstrukturen, ohne die die IWF-Programme oft gar nicht durchsetzbar sind, die Verelendung breiter Bevölkerungsschichten durch Preissteigerungen für die Güter des Grundbedarfs, meist bei gleichzeitiger Einkommensstagnation, die Verteuerung von Importen bei kaum substituierbaren Bedürfnissen, das sind unbestrittene Folgen einer konservativen, an monetaristischen Prinzipien orientierten Auflagenpolitik des IWF.
Wir wollen den Währungsfonds nicht abschaffen. Wir wollen seine Politik, sein Instrumentarium und seine finanziellen Möglichkeiten einer Zeit und ihren Problemen anpassen, für die er ursprünglich nicht geschaffen worden ist. In einer chaotischen internationalen Finanzsituation, in der mehr denn je das Recht des Stärkeren gilt, brauchen wir eine regelnde, ausgleichende Kraft. Der IWF ist diese Kraft noch nicht, aber er kann sie sein, wenn er zu einer kraftvollen, am wirtschaftlichen und sozialen Wohlergehen aller orientierten Institutionen wird und nicht die Folgen eines ungebremsten Kapitalismus für die Schwachen weltweit reproduziert.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Pinger?
Leider nicht; ich habe nur noch zwei Minuten Zeit. Ich bitte um Entschuldigung, Herr Kollege.Das Herumdoktern an Symptomen und die Ermunterung an die Banken, die Notlage mit denselben Mitteln, die sie geschaffen haben, wieder zu beseitigen, reicht bei weitem nicht aus.Geradezu obszön nimmt sich aber in diesem Zusammenhang der Skandal der siebten IDA-Aufstockung aus. Man stelle sich einmal vor: Die mächtigen Vereinigten Staaten, die ihren Rüstungsetat
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6364 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Dr. Holtzjetzt zu einem Umfang aufgeblasen haben — wie auch die Sowjetunion —,
der sogar das Bruttosozialprodukt wohlhabender westlicher Industrieländer übersteigt, wollen uns einreden, sie könnten ganze 250 Millionen US-Dollar nicht aufbringen! Ganze 250 Millionen! Das bedeutet, wegen einer viertel Milliarde Dollar, die den USA zuviel sind, gehen den ärmsten Entwicklungsländern pro Jahr billige Kredite in Höhe von einer Milliarde Dollar verloren, auf die sie gebaut haben und die sie dringend brauchen. Wenn das nicht ausgeglichen wird, werden wir bald einem neuen Typ von Schuldnerländern gegenüberstehen: nicht den relativ fortgeschrittenen Entwicklungsländern Lateinamerikas mit verhältnismäßig leistungsfähigen Industrien und großen Rohstoffpotentialen, sondern Staaten wie Indien mit riesigen Menschenmassen unterhalb der Grenze der absoluten Armut und ohne ins Gewicht fallende exportfähige Rohstoffe oder Grundstoffe. Die Bundesregierung darf hier nicht untätig bleiben.Ich finde es gut, daß sie gesagt hat, sie wolle sich an einem Zusatzfonds bei der IDA beteiligen. Bitte, verstecken Sie sich nicht hinter den USA, warten Sie nicht, bis die USA erst ihr Jawort zu einer Aufstockung gibt! Hierfür angemessen wäre die Bereitstellung zusätzlicher Verpflichtungsermächtigungen im Einzelplan 23 in Höhe von wenigstens 800 bis 900 Millionen DM.Die Weltbank insgesamt macht gute Projekte, sie macht auch schlechte Projekte in den Ländern der Dritten Welt. Viel stärker als bisher sollte sie sich auf die Förderung einer eigenverantwortlichen, sich selbst tragenden sozialen und ökonomischen Entwicklung konzentrieren. Mehr als bisher sollten ressourcensparende Lebensweisen und Produktionsmethoden gefördert werden. Mehr als bisher sollte die Bekämpfung der absoluten Armut im Vordergrund stehen. Eine solche Weltbank hat auch weiterhin unsere Unterstützung.Ich mahne die Bundesregierung dringend zum Umdenken bei dieser Neuorganisation von Weltbank und IWF. Sie haben unsere Unterstützung dabei. Wir haben mit unserem Zukunftsprogramm „Dritte Welt" versucht, einen Anstoß zu einem solchen Umdenkungsprozeß zu geben. Seien Sie mutig genug, lassen Sie sich auf neue Wege und neue Instrumente ein! In dem Entschließungsantrag sehe ich dafür einige Hinweise. Gehen wir an die Lösung von Problemen, an die jedenfalls bei der Gründung der internationalen Finanzinstitutionen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds niemand gedacht hat.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rumpf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich versuchen, die Ergebnisse der Tagungen von Washington — Weltbank und IWF — an dem zu messen, was dieses Hohe Haus am 5. März 1982 für den entwicklungspolitischen Bereich einstimmig beschlossen hatte. Dieser Beschluß wurde in dieser Legislaturperiode mit den Stimmen aller Fraktionen noch einmal bestätigt. In der gemeinsamen Entschließung haben wir damals in der Entwicklungspolitik auf drei Schwerpunkte besonderen Wert gelegt: erstens auf die ländliche Entwicklung im weitesten Sinne, einschließlich der Gesundheits- und Bevölkerungspolitik; zweitens auf die Konzentration auf die am wenigsten entwikkelten Länder, die sogenannten LLDCs, die Ärmsten der Armen; und drittens auf die Erschließung der Rohstoffe und der erneuerbaren Ressourcen in den Entwicklungsländern.Wenn ich mir das Ergebnis von Washington anschaue, so wurde versucht, diesen drei Schwerpunkten gerecht zu werden. Die Weltbank, die ursprünglich nur Kredite für bestimmte Projekte unter banküblichen Gesichtspunkten vergeben hatte, ist seit einigen Jahren und auch in Zukunft bereit, in die Finanzierung von ganzen Programmen und von Strukturmaßnahmen einzutreten. Dabei wird vor allem die ländliche Entwicklung gefördert mit dem Ziel, die Entwicklungsländer von Nahrungsmittelhilfe unabhängiger zu machen, und an den Ausbau der Gesundheitsvorsorge und die Familienplanung gedacht.Mit dem Afrika-Programm hat die Weltbank ein Zeichen gesetzt, gerade die ärmsten Länder stärker zu unterstützen. Den 147 Mitgliedstaaten unterbreitete die Weltbank ein Aktionsprogramm für das Afrika südlich der Sahara, das aus sechs Punkten besteht: Einmal müssen die von Hungersnot bedrohten Länder ihre eigenen finanziellen und menschlichen Ressourcen wirksamer einsetzen, und zum anderen soll „weiche" Auslandshilfe stärker koordiniert und flexibler gehandhabt werden. Das Schwergewicht muß auch hier wieder bei den Bemühungen in der Bevölkerungspolitik, der Gesundheitsfürsorge und -vorsorge, sowie der Ausbildung und Sanierung in der Land- und Forstwirtschaft liegen. Damit wird die Weltbank dem dritten Ziel, der Erschließung der Rohstoffe und der erneuerbaren Energien, gerecht. Das hat mit Ausbeutung — Frau Kollegin Gottwald ist nicht mehr da —, nun wirklich nichts zu tun.
Wenn die Opposition in diesem Parlament den Schwerpunkten der deutschen Entwicklungspolitik zugestimmt hat, dann muß sie auch das System „Weltwährungsbank und Weltwährungsfonds" grundsätzlich unterstützen. Ich streite nicht ab, daß es Fehlentwicklungen gegeben hat, daß man vieles hätte noch besser machen können und daß wir in Zukunft auf bestimmte Prioritäten achten müssen.Viele der hier vorgebrachten kritischen Äußerungen, meine Damen und Herren von der Opposition, sind bemerkenswert und einige sogar beachtenswert. Die pauschale Ablehnung des bestehenden Weltwirtschafts- und Währungssystems aber kann nicht akzeptiert werden, insbesondere nicht von denjenigen Rednern, die der Bundestagsentschlie-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984 6365
Dr. RumpfBung vom 5. März 1982 und der späteren gemeinsamen Entschließung zugestimmt haben: und das waren ja alle.
Es ist geradezu unangemessen, das System als „dumm", „unverschämt" oder als „obszön" zu bezeichnen — diese Ausdrücke sind hier wörtlich gefallen. Im übrigen reicht es auch nicht aus, an den bestehenden Unzulänglichkeiten und Symptomen herumzudoktern, ohne ein logisches und in sich schlüssiges Konzept der Neuordnung vorzulegen,
und das konnte niemand von Ihnen.
Ich will in fünf Punkten aufzeigen, was aus der Sicht der Freien Demokraten wichtig und was verbesserungsbedürftig ist:Erstens. Die Koordination zwischen der Weltbank als eigentlicher Entwicklungshilfeinstitution und dem Internationalen Währungsfonds als entwicklungspolitischem Katalysator muß verbessert werden. Dabei darf es nicht zu einem konzertierten Druck auf die Schuldnerländer kommen. Der Fonds hat eher die Aufgabe der Überwachung, die Bank muß sich um bessere Konditionalitäten bemühen.Zweitens. Niemand kann derzeit ernsthaft einen allgemeinen Schuldenerlaß in Erwägung ziehen. Er betrug in der Vergangenheit insgesamt schon über 30 Milliarden DM; für die Bundesrepublik, nebenbei bemerkt, waren das über 4 Milliarden DM. Bei den am wenigsten entwickelten Ländern, — den LLDCs — wird auf eine entsprechende Eigenleistung verzichtet. Man müßte darüber nachdenken — dies sage ich sicher ganz im Sinne unseres Bundesministers Warnke —, ob die Rückflüsse durch Zins- und Tilgungsleistungen wieder für neue Vorhaben zur Verfügung gestellt werden könnten, also nicht dem Finanzminister, der leider nicht mehr da ist, zufließen, sondern für die Entwicklungspolitik in Anspruch genommen werden können. Für die Bundesrepublik wären das 875 Millionen DM jährlich.
Drittens. Protektionistische Tendenzen müssen wir unter allen Umständen vermeiden. Erfolgreiche Exportbemühungen der Entwicklungsländer dürfen nicht durch Einfuhrbehinderungen konterkariert werden. Die Bundesregierung hat diese Aufgabe hervorragend erfüllt, indem sie auch auf andere Industrieländer positiv Einfluß genommen hat.Viertens. Die Europäische Gemeinschaft muß mit ihrem Beitrag stärker hervortreten. Es geht um die Einigung über die Ausstattung des Europäischen Entwicklungsfonds. Ich glaube, das wurde heute noch nicht angesprochen. Die EG-Kommission hat für die nächsten fünf Jahre des neuen LoméAbkommens 8,5 Milliarden ECU vorgeschlagen. Lomé II war mit 5,5 Milliarden ausgestattet. Hier besteht noch eine Diskrepanz zwischen der Bundesregierung, die auf 6 Milliarden ECU aufstocken will, und den Partnern, die wenigstens auf 7 Milliarden ECU aufstocken wollen. Bei einem Beitragsanteil der Bundesrepublik von ca. 30% würde das rund2 Milliarden DM für einen Zeitraum von fünf Jahren ausmachen.Fünftens und letztens. Es ist für uns Liberale keine Frage, daß den Entwicklungsländern am besten geholfen wird, wenn wir die Preise für die Rohstoffe stützen und mittel- und langfristig auch erhöhen können. Dafür müssen nach der allgemeinen Erholung in der Weltwirtschaft alle Reichen mehr bezahlen. Gleichzeitig wird aber auch die Chance größer, daß die Entwicklungsländer auf eigenen Füßen stehen, was den Industrieländern später wieder zugute kommen kann.Die FDP-Fraktion unterstützt die Bundesregierung auch in ihren Bemühungen, im nächsten Frühj ahr zu besseren Konditionen zu kommen, was Weltbank und Währungsfonds anbetrifft.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wieczorek.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mehr zur Währungspolitik als zur Entwicklungspolitik sprechen; denn der Bundesfinanzminister hat in seinen Erklärungen zu der Tagung des Währungsfonds den Eindruck erweckt, als sei im währungspolitischen Bereich praktisch alles in Ordnung — bis auf die Verschuldungsproblematik und ein paar Bocksprünge des Dollars, aber ansonsten werde sich das alles von selber richten.Ein solcher unbegründeter Optimismus kann ja manchmal ganz nützlich sein. Mir scheint das aber eher eine Verweigerung zu sein, den Realitäten ins Auge zu sehen. Wir haben das gesehen in den Erklärungen zu den Wirtschaftsgipfeln in London und Williamsburg, auch in den Reden zum letzten Treffen des Währungsfonds und diesmal wieder. Hier wird mit wohlfeilen Erklärungen gesagt, es sei mehr Stabilität im Weltwährungssystem vonnöten. Herr Pöhl hat sich so ausgedrückt: geordnete Marktverhältnisse sollten angestrebt werden. Selbst der amerikanische Finanzminister Regan hat jetzt in seiner Rede gefordert, daß auch die Industrieländer stärker überwacht werden sollten.Die Realität ist jedoch eine andere. Die amerikanische Regierung gibt nur Lippenbekenntnisse zur Reduzierung ihres wahrlich horrenden Defizits ab. Letztlich aber baut sie auf die Wundermedizin einer von Steuern, Abgaben und Regelungen befreiten Kreativität der Wirtschaft. Der amerikanische Staatssekretär Sprinkel sieht selbst bei Tagesschwankungen des Dollars um 5 % nur den Ausdruck von Unterschieden der wirtschaftlichen Entwicklung der einzelnen Länder, was heißen will: Keine Intervention, der Markt wird's schon richten.Dies ist allerdings eine gefährliche Mißachtung der Realität und der wirtschaftsgeschichtlichen Erfahrungen. Die Unordnung an den Devisenmärkten ist Folge der gegenwärtigen Weltwährungsordnung, des Systems freier Wechselkurse bei Dominanz nur
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6366 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Dr. Wieczorekeiner Währung, nämlich des Dollars. Gerade das Jahrestreffen des Währungsfonds hätte Anlaß sein müssen, die Funktion dieser Währungsordnung zu überprüfen. Der Währungsfonds soll nach seiner Konstruktion j a vor allem Sachwalter geordneter Währungsbeziehungen sein. Dafür ist er geschaffen worden. Nur: Genutzt wird er heute als Vormund der Entwicklungsländer. Diese sind zum Teil durch eigene Fehler, vor allem aber durch die Expansionsgier der internationalen Banken, die sich um das profitable Recycling der OPEC-Dollar-Überschüsse gerissen haben, in tiefen Schwierigkeiten.Der Fonds wird genutzt, um das Bankensystem möglichst gegen die negativen Folgen seines eigenen kurzfristigen — ich füge hinzu: kurzsichtigen — Gewinnmaximierungsstrebens zu schützen. Damit aber wird er seiner eigentlichen Aufgabe, eine Währungsordnung zu sichern, die den Welthandel und die Entwicklung aller daran beteiligten Länder grundsätzlich sichert und fördert, nicht mehr gerecht.Das, was nötig ist — und dafür sollte der Fonds den Rahmen bilden —, ist eine Neuordnung der Währungsordnung. Es ist richtig, wie Emminger, der frühere Bundesbankpräsident, es ausgedrückt hat, daß es eine Illusion war, zu glauben, flexible Wechselkurse würden einen automatischen Ausgleich der Zahlungsbilanzen, eine Absicherung der Volkswirtschaften gegen Außeneinwirkungen und eine Autonomie der nationalen Geldpolitik bringen.Wir erleben das Gegenteil: Die Wechselkurse der Leitwährung sind immer stärkeren Schwankungen ausgesetzt, die berühmte Kaufkraftparität, die dem flexiblen System zugrunde liegt, spielt praktisch keine Rolle; sonst dürfte es nicht sein, daß der Dollar vor fünf Jahren bei 1,70 DM gestanden hat und heute bei 3 DM steht. Das System strebt nicht zu einem Gleichgewicht hin, wie die ökonomische Theorie es suggeriert hat, sondern in der Praxis erleben wir immer größere Ungleichgewichte. Wir sehen, daß eben diese Wechselkursentwicklung unmittelbare Auswirkungen auf die Inflationsraten und das Zinsniveau hat. Wir müssen aber auch erkennen, daß es nicht nur um vielleicht kurzfristige Inflations- und Zinswirkungen, sondern vor allen Dingen auch um die realen Strukturen der Volkswirtschaft geht.Wenn der hohe Dollarkurs der Bundesrepublik z. B. ein Wachstum ihrer Exporte in die USA von 50 % im letzten Jahr erlaubt, dann ist die Gefahr eben sehr konkret — Herr Pöhl hat darauf hingewiesen —, daß die Produktionsanlagen auf diesen lukrativen Export ausgerichtet werden, ohne daß bei der künstlichen Höhe des heutigen Dollarkurses dauerhafte Beschäftigung gesichert ist. Die kurzfristige Exportblüte führt zu Ertragsillusionen, wirklich notwendige Strukturanpassungen dagegen unterbleiben. Im übrigen ist es ein Nebeneffekt, daß die jetzige Bundesregierung in diesen Exporterfolgen ihre Begründung für ihre Tunix-Haltung in der Frage der Beschäftigungspolitik findet.Aber viel schlimmer noch als für uns ist die Situation in den Entwicklungsländern, die immermehr Güter und damit reales Kapital ihren Binnenmärkten, d. h. aber der Versorgung ihrer Bevölkerung und deren Zukunft, entziehen müssen, um die Dollar zu erwirtschaften, die sie für ihren Schuldendienst — eigentlich müßte man heute wohl schon eher wieder das alte Wort „Schuldenknechtschaft" nehmen — benötigen, und die praktisch kein Kapital mehr zum Aufbau ihrer Wirtschaft erhalten, zum Teil nicht einmal mehr in der Lage sind, das erreichte Produktionsniveau zu halten; Brasilien ist dafür nur ein BeispielZugleich wachsen dabei aber auch die Tendenzen zum Protektionismus; denn des einen Exporte sind des anderen Importe. Aber das, was importiert wird, braucht nicht selbst produziert zu werden, d. h., Arbeit wird überflüssig, Arbeitslosigkeit wächst. Praktisch heißt das, daß die Güter, die z. B. Brasilien seiner Volkswirtschaft entzieht, um sie zu exportieren, zugleich amerikanischen Arbeitern in den betroffenen Branchen ihren Arbeitsplatz entziehen. Der Protektionismus ist nicht irgendwo vom Himmel gefallen, sondern er ist die unausweichliche Folge einer solchen Entwicklungs- und Währungspolitik. Nur zur Erinnerung, auch für unsere Bundesregierung — gerade sie sollte deshalb bei diesen Ursachen ansetzen —: Ich denke, daß wir uns einig sind, daß wir in der Bundesrepublik vom Protektionismus besonders negativ betroffen sind. Nur, wenn wir nicht dagegen angehen, wer soll's dann tun?Das, was nötig ist, ist daher tatsächlich mehr Ordnung im Währungssystem, eine stetigere — ich betone: eine stetigere — Entwicklung der Wechselkurse und nicht feste Wechselkurse, ihre Anpassung an reale Austauschverhältnisse. Dies hätte eigentlich eines der Themen in Washington sein müssen. Nur, darüber, wie man zu diesem Ziel kommt, hat man nichts gelesen oder gehört. Die Fragestellung, was man tun kann, damit an den Devisenmärkten wieder Devisentransaktionen für den realen Handel im Vordergrund stehen, damit nicht, wovon heutige Schätzungen ausgehen, mehr als 90 % aller Transaktionen in Wirklichkeit nur im Spekulationsinteresse getätigt werden, wäre es doch, die man einmal aufgreifen müßte, wenn man das in Ordnung bringen will.
Aber das ist außen vor geblieben.
Die spekulativen Bewegungen, die großen Räder der Devisenhändler dominieren immer noch die Kursverläufe. Immer neue Instrumente der Spekulation werden geschaffen, zugelassen und begeistert gefeiert, z. B. futures-Kontrakte, Währungsoptionen und anderes, die mit normaler Kurssicherung im Dienste des Handels nun wirklich nichts mehr zu tun haben. Daß der Dollar-Kurs zum Ende des Monats so stark hochgegangen ist, hatte eben mit Eindeckungsschwierigkeiten dieser Spekulanten zu tun. Zudem erlauben die neuen Kommunikationsmittel, dieses Spiel rund um den Globus 24 Stunden lang zu spielen. Denn die Devisenspekulation geht dann gut, wenn Kurse schwanken; denn in der Differenz liegt der Profit. Nur realer Handel lebt schlecht und verteuert sich, wenn er mit unsicheren Kurserwartungen leben muß.
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Dr. WieczorekIch finde, bei uns z. B. wird bedauerlicherweise —wir haben jetzt eine KGW-Novelle — nichts unternommen, um etwa die Devisenaktionen der Banken besser in den Griff zu bekommen. Es gibt Ansätze dazu. Warum werden die nicht verfolgt? Warum werden die Devisenabteilungen der Banken nicht wieder zu Dienstleistungsabteilungen herabgestuft, statt zu immer größeren Profitcenters zu werden? Es soll niemand sagen, man könnte Devisentransaktionen nicht kontrollieren. Jede D-Mark wird letztlich in der Bundesrepublik gehandelt und jeder Dollar letztendlich in New York.Aber die Eindämmung der Spekulation ist nur eine Voraussetzung zur Einrichtung einer neuen Währungsordnung. Die Ordnung selber muß konzipiert werden. Dabei brauchen wir doch gar nicht so fürchterlich neu anzufangen; denn das Europäische Währungssystem in seiner heutigen Form bietet doch schon gute Ansätze. Wir haben zwar nicht alle damit gerechnet, daß es so werden würde, aber wir haben ein System relativer Stabilität bei fast rechtzeitiger Kursanpassung an Strukturverschiebungen im realen Sektor geschaffen. Jetzt liegt die Aufforderung da, dieses System auszubauen, um so den für uns so wichtigen europäischen Binnenmarkt so gut es geht gegen die gegenwärtige währungspolitische Schlamperei der USA abzuschirmen.
Was außer den ziemlich theoretischen Bedenken der Bundesbank — wenn man mit deren Vertreter redet, haben sie intern auch andere Meinungen — hindert denn daran, den ECU endlich als Zahlungsmittel zu nutzen und zuzulassen?
Was hindert daran, zu prüfen, wie die EWS-Zone selbständiger gemacht werden kann, und dann die notwendigen Maßnahmen zu treffen, z. B. in Richtung auf einen echten europäischen Zentralbankfonds oder — vielleicht in etwas weiterer Ferne — hin zu einer europäischen Zentralbank? Solche Institutionen sind im übrigen notwendig und sehr zweckmäßig, wenn man die Entwicklungsländer entsprechend den Vorschlägen, die meine Fraktion eingebracht hat, stärker fördern will. Sie sind auch notwendig, wenn man die armen Regionen in der EG fördern will. Denn dies geht nur, wenn man den Ländern, in denen diese Regionen sind, währungspolitischen Beistand gewährt. Dazu braucht man bessere und zum Teil neue Institutionen.Auf dieses Problem der Währungsordnung ist der Bundesfinanzminister in seinem Bericht heute über die Tagung des IWF nicht eingegangen. Er hat keine Antworten, nicht einmal Hinweise, gegeben. Die Aufgabe dagegen wäre es gewesen, in Washington mit dafür zu sorgen, daß das Thema einer Weltwährungsordnung, die Dienerin des Welthandels ist und der Entwicklung der Länder dient, verfolgt worden wäre.Zum Schluß einen kleinen Hinweis an Herrn Stoltenberg, der jetzt nicht mehr da ist. In der Debatte im Rahmen der Aktuellen Stunde hatte er auf Keynes Bezug genommen. Ich möchte dem eines hinzufügen: Ich empfehle ihm sehr, noch einmal dieÄußerungen von Keynes über die Gründungsphase des Weltwährungsfonds nachzulesen. Auch dort hat man amerikanisches Hegemoniebestreben erlebt. Keynes hat dort europäische Positionen vertreten. Er hat diesen Kampf gegen Herrn White verloren. — Es ist nützlich, das nachzulesen, damit man heute weiß, wie man das jetzt, wo es gilt, eventuell besser machen kann.Danke sehr.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Abelein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für den nichtsachkundigen Beobachter sind die beiden Hauptinstitutionen der internationalen Finanzwelt, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank, nur sehr schwer auseinanderzuhalten. Hinzu kommt eine manchmal zutage tretende Konkurrenz zwischen diesen beiden Institutionen.Der Internationale Währungsfonds, eigentlich für kurzfristige Zahlungsbilanzschwierigkeiten von Industrie- und Entwicklungsländern zuständig, ist in den letzten Jahren im Zusammenhang mit der Verschuldungskrise als Feuerwehr stärker in den Vordergrund getreten. Fast konnte dadurch der Eindruck entstehen, er allein habe die notwendigen Mittel, um zusammen mit Banken bedrängten Entwicklungsländern beizuspringen. Er erweckte den Anschein, als sei er die wichtigste Institution der Entwicklungshilfe überhaupt, was jedoch nicht stimmt. Eigentlich soll er erst einspringen, wenn die internationalen Geldströme in Unordnung geraten.Das schließt natürlich nicht aus, daß er strenge, manchmal recht strenge binnenwirtschaftliche Auflagen macht, wenn ein Land Devisenkredite benötigt, um seinen Verpflichtungen nachkommen zu können. Auf diese Weise ist der Internationale Währungsfonds so etwas wie der internationale Buhmann geworden, der innenpolitisch dafür herhalten muß, wenn aus Gründen einer einigermaßen seriösen Haushaltsgestaltung und der Kreditfähigkeit Sozialgeschenke nicht allzu großzügig verteilt bzw. manchmal sogar zurückgenommen werden sollen.Die eigentliche Entwicklungshilfeinstitution ist die Weltbank. Sie finanziert selbst bestimmte Projekte oder auch große Strukturprogramme, beispielsweise Industrialisierungsmaßnahmen in bestimmten Regionen. Die Rivalitäten zwischen beiden Institutionen sollten nicht dazu führen, daß die Aufgaben verwischt werden und die Bemühungen sich gegenseitig egalisieren. Die Weltbank darf sich nicht aus falschem Ehrgeiz auf die Ebene der kurzfristigen Hilfestellung begeben, die eigentlich dem Internationalen Währungsfonds vorbehalten bleiben sollte. Es ist ein Unterschied, ob eine Zahlungskrise überbrückt wird, bis ein Land aus eigener Kraft wieder flott wird, oder ob man durch langfristige Kredite die Meinung aufkommen läßt, das Land könnte sieh mit den notwendigen Anpassungen Zeit lassen.Die Gewährung langfristiger Kredite auch durch die Weltbank setzt voraus, daß der Entwicklungs-
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6368 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Dr. Abeleinprozeß aus eigener Kraft wieder in Gang gekommen ist. Die Weltbank, die für die Entwicklungsländer viel getan hat, sollte sich nicht auf das Glatteis begeben, ungewisse Programme eines ganzen Landes langfristig finanzieren zu wollen. In diesem Fall würden auch die klügsten ökonomischen Analysen Fehlinvestitionen nicht verhüten und letztlich zu politischen Konsequenzen führen, die bei allen Beteiligten nur Ärger hinterlassen und am allerwenigsten den Entwicklungsländern etwas nützen.Die sehr unterschiedlichen, teilweise extrem hohen Zinsen einiger führender Industrienationen führen zu beachtlichen Schwierigkeiten der internationalen Wirtschaft und Finanzwelt. Die führenden Industrienationen sollten gemeinsam an den Devisenmärkten intervenieren, um starke Kursausschläge der Währungen zu verhindern, und ihre nationale Zinspolitik besser aufeinander abstimmen.Durch die angeschwollenen Zinsströme in Dollarwährungen ist die Nachfrage nach dieser Währung in einer riskanten Weise in die Höhe geschraubt worden.
Dort liegen u. a. die Hauptursachen für den hohen Kurs dieser Währung und das überaus hohe Zinsniveau.
Wahrscheinlich liegen dort die Ursachen für den hohen Kursstand und die Zinsen noch mehr als bei dem Defizit der Vereinigten Staaten von Amerika. Denn wenn man das Defizit der USA zum Bruttosozialprodukt in Vergleich setzt,
schneiden die USA in relativen Zahlen eigentlichgegenüber anderen Ländern gar nicht so schlecht ab.
— Haushalt.Das führt nun — das ist keine Frage — zu erheblichen Belastungen der nichtamerikanischen Volkswirtschaften und zu einer, in dieser Debatte schon einige Male erwähnten, erheblichen Fehllenkung internationaler Kapitalströme. Darüber muß man diskutieren können — auch mit den Amerikanern.
Diese Nachteile gleichen in meinen Augen die Vorteile, die sich aus dem hohen Wechselkurs für die Exporte u. a. für uns ergeben, leider nicht völlig aus. Beide Seiten — die Gläubiger- und die Schuldnerstaaten — sind aufgerufen, Anstrengungen für die Lösung der aufgetretenen Finanz- und Entwicklungsprobleme zu unternehmen. Das Problem muß mit kühlem Kopf angegangen werden. Panikstimmung kann leicht in die Katastrophe führen.Ich glaube, man hat sich bei der letzten Tagung ein klein wenig über die aktuelle Situation getäuscht. Das Schuldengebirge ist nach wie vor bedrohlich. Ich vermute: ohne schmerzhafte Korrekturen auch bei den Gläubigerländern wird sich diese Frage nicht lösen lassen.Die Aufsichtsbehörden in allen Gläubigerländern sollten die Banken zu entsprechenden Vorsorgemaßnahmen wie Wertberichtigungen — ohne die es nicht gehen wird, und zwar in einem erheblich höheren Umfang, als es bisher der Fall war —, Rückstellungen und Sicherung einer soliden Kapitalbasis anhalten. Es ist Aufgabe des Fiskus, auch des Fiskus der Bundesrepublik Deutschland, diese Maßnahmen steuerlich zu erleichtern. Aber es ist auch ein Problem des amerikanischen Fiskus, und man muß dem amerikanischen Fiskus sagen, daß hier noch einiges bei Wertberichtigungen durch die amerikanischen Banken zu tun ist; denn es ist nach meiner Meinung nicht gut, daß dieser Schuldenberg unverändert erhalten bleibt. Auch mit Umschuldungsmaßnahmen und Verlängerungen allein ist die Lösung hier nicht zu finden.
— Ich bin überhaupt nicht anti. Ich versuche — im Gegensatz zu vielen Rednern hier —, in einer sehr objektiven und sehr freundschaftlichen Art nach allen Seiten die Probleme anzugehen.
Bisher ist es den beteiligten Partnern, nicht zuletzt den Banken, gelungen, die Situation einigermaßen zu beherrschen. Doch das Krisenmanagement kann nicht ad infinitum fortgesetzt werden.Patentrezepte gibt es nicht. Das Spektrum der betroffenen Schuldnerländer ist sehr groß. Die eigentlichen Problemfälle sind die Länder, die auch bei einer nüchternen Lagebeurteilung den Eindruck machen, als wenn sie noch lange nicht konsolidiert seien. Umfassende Umschuldungsoperationen, weitere erhebliche sogenannte Fresh-MoneyBeträge, d. h. reichlich unfreiwillige Bankenkredite, und nicht erhebliche Wertberichtigungen in den Bilanzen der betroffenen Kreditbanken werden nicht zu umgehen sein. Das ist eine unangenehme Konsequenz, auf die man hinweisen muß.Die Schuldnerländer müssen die notwendigen Stabilisierungsanstrengungen ebenfalls fortführen, auch wenn sie in höchstem Maße — zugegeben — unpopulär und politisch manchmal außergewöhnlich schwierig durchsetzbar sind. Die Probleme lassen sich nur durch Anstrengungen auf beiden Seiten lösen. Darauf versuche ich hauptsächlich hinzuweisen.Beim finanziellen Beistand für die Schuldnerländer muß der Übergang von der bloßen Schadenseindämmung zu vorausschauenden Langzeitstrategien jetzt endlich vollzogen werden. In diesen Zusammenhang gehört auch, daß die Schuldnerländer sehr viel stärker als bisher die Möglichkeit erhalten müssen, über eine entsprechende, an den Markt angepaßte Produktion und über den entsprechenden Export in die Gläubigerländer ihre Schulden zu bezahlen. Das bedarf noch weitgehender Vereinbarungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den USA mit den Schuldnerländern.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984 6369
Dr. AbeleinNichtamerikanische Gläubigerbanken könnten die direkten Auswirkungen stark schwankender US-Zinsen auf die Schuldnerländer verringern helfen, indem sie diesen die Umwandlung ausstehender Dollar-Kredite in andere Währungen mit niedrigeren Zinsen anbieten. Das scheint mir eine sehr wichtige Maßnahme zu sein, um den Dollar-Berg zu reduzieren.
Abschließend möchte ich noch sagen, daß die anhaltende Überwachung der Stabilisierungsanstrengungen der Schuldnerländer auch in Zukunft eine wichtige Aufgabe des Internationalen Währungsfonds sein wird. Ohne die aktive Mitwirkung und das Prüfsiegel des Fonds läßt sich eine fortgesetzte Stärkung durch die Gläubigerländer nicht aufrechterhalten.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffmann .
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am Schluß der Debatte bleibt mir nur, noch ein paar kurze Nachfragen zu stellen — auch auf Grund des Besuchs in Washington —, weil mir einige Punkte immer noch nicht so ganz geklärt zu sein scheinen. Ich möchte mit einem Punkt anfangen, der kaum eine Rolle gespielt hat, der aber jetzt gerade in dem Beitrag von Herrn Abelein gestreift worden ist: Wie stellt sich — so ist die erste Frage — für die deutschen Kreditgeber die internationale Verschuldungskrise dar?
Bei den Kontakten in Washington ist uns gesagt worden: dramatische Situation. Auch Herr Abelein hat noch einmal betont, daß der gesamte Schuldenberg j a nicht kleiner geworden sei. Recht hat er. Deshalb gibt es sicher keine Gründe dafür, jetzt so zu tun, als wäre dieses Problem bereits hinter uns. Aber die Risikoverteilung ist sehr unterschiedlich. Die Risikoverteilung ist in den letzten Jahren, insbesondere in der Bundesrepublik, systematisch auf die öffentlichen Hände übertragen worden und nicht so sehr auf die Banken, wie das allgemein gesagt wird.
Ich möchte Ihnen dazu ein kurzes Zitat aus dem „Monatsbericht" der Deutschen Bundesbank, August 1984, zur Ertragslage der deutschen Kreditinstitute vortragen. Dort heißt es:
Die Jahresüberschüsse vor Steuern nahmen in den Jahren 1981, 1982 und 1983 um 13 %, 30 % und 16 % zu, und schon 1980 waren sie um 10 % gewachsen.
Nun wird natürlich der eine oder andere sagen: Na schön, man muß aber auch die Rückstellungen, man muß die gesamte Risikobewältigung betrachten. Auch dazu sagt die Bundesbank etwas:
Bei den ausgewiesenen Jahresüberschüssen sind freilich die in den Bilanzen vorgenommenen Korrekturen, d. h. Abschreibungen, Wertberichtigungen und Zuführungen zu Rückstellungen vor künftigen Risiken, schon abgesetzt.
Da ist eine Klammer angefügt, in der noch einmal die Zahlen ausgewiesen sind, nämlich für das Jahr 1983 14 Milliarden DM, für 1982 12 Milliarden DM und für 1981 9 Milliarden DM.
Meine Damen und Herren, mit dieser kurzen Randbemerkung will ich feststellen, daß die Situation der Banken nicht so ist, wie sie uns allgemein dargestellt wird. Die Banken haben erhebliche Spielräume, in denen sie wesentliche Risiken längst über den Steuerzahler oder über verminderte Einnahmen an die öffentliche Hand abgetreten haben.
Die zweite Rückfrage zu etwas, was mir in Washington aufgefallen ist — auch das hat hier in der Debatte ein paarmal eine Rolle gespielt —, lautet: Welche Bedingungen sollen bei der Vergabe internationaler Kredite eine Rolle spielen? Soll es überhaupt entsprechende Konditionierungen geben? Hier ist ziemlich polemisch über diese Frage diskutiert worden. Ich will gar nicht versuchen, das in polemischer Art aufzunehmen, weil ich denke, daß man um Konditionierungen nicht herumkommt.
Davon bin ich überzeugt. Die Frage ist nur: Welche Konditionierungen sind es?
Wie konkret sind denn die Auflagen? Es ist uns gesagt worden: Diese Auflagen sind nicht sehr konkret, sondern beziehen sich auf globale Größenordnungen. Ich habe das einfach hingenommen.In Washington habe ich die Gelgenheit wahrgenommen — wie andere auch —, mit vielfältigen Gesprächspartnern darüber zu reden. Siehe da, das Ergebnis war ein ganz anderes. Leute, die in diesem internationalen Geschäft unmittelbar an der Quelle sitzen — wenn ich es schriftlich habe, werde ich Ihnen das gern öffentlich zur Verfügung stellen —, sagen genau das Gegenteil. Sie sagen nämlich: Die Auflagen werden zwar nicht veröffentlicht, weil dies in der Tat für solche Staaten Probleme ihrer Glaubwürdigkeit nach außen darstellte. Aber selbstverständlich sind die Auflagen sehr konkret. Sie beziehen sich auf ganz konkrete Dinge wie die Lohnsituation, wie verschiedene Nahrungsmittel, die konkret mit Preisen benannt werden, wie bestimmte Sozialtransfers usw. Ich könnte das in den Einzelheiten darstellen.Das heißt, in der Tat werden hier sehr starke und präzise Auflagen gemacht. Es geht nicht nur um globale Größenordnungen. Deshalb ist unser Argument, daß man auch die Rüstungsfragen einbeziehen muß, richtig. Wenn es schon um detaillierte Fragen geht, dann muß dieses Rüstungsproblem — ich komme gleich noch zu einem zweiten — mit aufgenommen werden. Ansonsten ist es sinnlos, mit Staaten darüber zu diskutieren, die mengenweise Geld für die Rüstung ausgeben, obwohl sie das Geld
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6370 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Hoffmann
eigentlich dazu benutzen müßten, um ihr eigenes Aufbauprogramm zu realisieren.
Ich möchte einen zweiten Punkt nennen, den man mit einbeziehen muß, zu dem ich aber keine Lösung vorschlagen kann. Viele dieser Staaten bekommen internationale Kredite. In derselben Zeit, in der sie diese Kredite empfangen, wird ein Großteil — möglicherweise sogar noch mehr als das, was sie empfangen — als Fluchtgeld aus diesen Ländern wieder heraustransportiert und fließt in industrialisierte Staaten, in denen man entsprechend hohe Zinsgewinne erzielen kann.
Jedem von uns ist das unangenehm. Ich weiß nicht, wie man diesen Problemen beikommt. Aber ich denke, wir müßten über diese Frage offensiver nachdenken und auch die internationalen Behörden mit dieser Frage konfrontieren.Alle drei Bereiche bedeuten, daß eine Konditionierung, wenn sie notwendig ist, Voraussetzungen mit sich bringt, über die wir weiter diskutieren müssen. Wir müssen die Lage der Ärmsten, die soziale Situation der Länder berücksichtigen. Wir müssen die Einbeziehung der Rüstungsausgaben verlangen, und wir müssen die Erfassung des Fluchtkapitals aus den Drittländern ebenfalls einbeziehen.Die dritte Frage, die ich in der Kürze der Zeit stellen möchte, lautet: Hat es ein konkretes neues Hilfsprogramm über die Maßnahmen hinaus, die wir bisher diskutiert haben, in Washington gegeben? Darauf gibt es auch eine Antwort. In Washington wird gesagt: Ja, wir haben ein neues Programm, nämlich das Subsaharaprogramm. Meine Damen und Herren, wer dieses Subsaharaprogramm ansieht, stellt plötzlich fest, daß es ein Etikett auf einer Flasche ist, in der sich nichts befindet. Wer wie ich mit Nachdruck dafür eintritt, daß ein Subsaharaprogramm bald realisiert werden muß, weil es notwendig ist, kann es natürlich auf einer solchen internationalen Konferenz nicht dabei belassen, ein Etikett hinzuhängen und nicht zu sagen, wie es finanziert wird.Ich möchte Ihnen deshalb ganz deutlich sagen: In Washington ist sogar das Gegenteil passiert. Die Tatsache, daß China in bestimmte Zahlungen der internationalen Abkommen einbezogen wird, bedeutet, daß die Quote für die afrikanischen Staaten verringert werden wird. Wenn Sie bei einem solchen Programm, das Sie mit einem Titel versehen haben, nicht konkret sagen, womit es finanziert wird, bedeutet das auf gut deutsch, daß die strukturellen Probleme Afrikas schwieriger und nicht etwas leichter zu lösen sind.Das ist für mich ein sehr betrübliches Fazit, weil ich mir denke, daß wir allgemein in Sonntagsreden sehr viel über die Hungersituation in Afrika diskutieren, daß wir sehr mithelfen, daß private Spendenaktionen erfolgen, daß wir aber in diesen Strukturfragen, in denen wir nun wirklich internationale Programme dringend brauchen, nur mit kleiner Münze bezahlen. Ich finde, das muß bei uns weiter diskutiert werden. Es gibt eine kleine Gruppe von Parlamentariern, die in einigen dieser Staaten war. Wenn diese Reise nicht völlig umsonst gewesen sein soll, muß es hier Konsequenzen für dieses Programm geben. Ich denke, wir sollten darüber weiter diskutieren.Wenn ich für mich einen Schlußstrich unter die kurzen Erfahrungen, die ich sammeln konnte, ziehen soll, so möchte ich sagen: Die Zusammenkunft in Washington hat gezeigt, daß die aktuelle Diskussion durch allgemeine Spekulationen über den US-Dollar zugedeckt wird. Man hat viel zu sehr über die Psychologie der Währung gesprochen und viel zu wenig über die Strukturprobleme, die dahinterstehen. Vor allen Dingen hat man, weil man weiß, daß sich vor den amerikanischen Wahlen nichts in der amerikanischen Politik bewegt, auch gar nicht erst den Versuch gemacht, größere Lösungsansätze zu zeigen oder durchzusetzen.Deshalb denke ich, daß die eigentliche Bewährungsprobe — auch für unsere Position — erst im April 1985 auf der Tagesordnung steht, wenn nämlich bei der Frühjahrstagung die Probleme ganz frisch und offen behandelt werden. Wir haben die Chance, daß wir bis dahin unsere Position präzisiert haben. Wir haben auf Grund dieser Diskussion genügend Möglichkeiten, bei denen wir anpacken können, wie z. B. bei dem von uns vorgelegten und verlangten Zukunftsprogramm für die Dritte Welt, der die Einbeziehung der Rüstungsaufwendungen und der Berücksichtigung des Fluchtkapitals. Nicht zuletzt gehören dazu die Diskussion über die internationale Schuldenkonferenz, und schließlich die Frage, wie wir konzertiert mit anderen zusammen einen Druck auf die US-Zinsen ausüben können.Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.Für den vorliegenden Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zu Tagesordnungspunkt 3 auf Drucksache 10/2063 ist Ausschußüberweisung beantragt worden, und zwar zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß, zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Weitere Vorschläge gibt es nicht. Ist das Haus mit diesem Vorschlag einverstanden? — Es wird so verfahren.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung personalausweisrechtlicher Vorschriften— Drucksache 10/2010 —Überweisungsvorschlag des ÄltestenratesInnenausschuß Haushaltsausschuß
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Vizepräsident StücklenDas Wort dazu wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/2010 zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Andere Vorschläge gibt es nicht. Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.Nun käme die Fragestunde. Sie soll um 13 Uhr beginnen.Ich unterbreche die Sitzung. Sie wird um 13 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Meine Damen und Herren, wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 10/2051 —
Da habe ich zunächst zwei Ministerien, die leer ausgehen, weil die Fragesteller um schriftliche Beantwortung ihrer Fragen bitten.
Das betrifft zuerst den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen: Die Fragen 2 und 3 der Abgeordneten Frau Roitzsch werden auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Weiter betrifft das den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Die Fragen 4 und 5 werden ebenfalls auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Dr. Sperling, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen also nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Köhler zur Verfügung.
Ich rufe nunmehr die Frage 6 des Abgeordneten Bindig auf:
Zu welchen Ergebnissen kommt eine Studie des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik über die Beschäftigungswirksamkeit deutscher Entwicklungshilfe, und warum hält das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit den Inhalt der Studie unter Verschluß ?
Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Bindig, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Eine Studie des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik in Berlin über die beschäftigungswirksamkeit der deutschen Entwicklungshilfe liegt dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht vor. Das Institut hat im vergangenen Jahr vielmehr eine Kurzstellungnahme zu dieser Frage erstellt — es handelt sich um knapp acht Schreibmaschinenseiten —, die dem Artikel der „Wirtschaftswoche" vom 21. September offensichtlich zugrunde liegt. Bei solchen Kurzstellungnahmen, die zur persönlichen Beratung des Ministers verfaßt wurden, stellt sich auch nach früherer Praxis die Frage einer Veröffentlichung durch das Ministerium nicht.
Das -Kurzpapier des deutschen Entwicklungsinstituts kommt zu folgendem Ergebnis: Entwicklungshilfe dient in erster Linie der Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Länder der Dritten Welt. Sie ist als Instrument einer aktiven — ich wiederhole: aktiven — Beschäftigungspolitik in der Bundesrepublik weniger geeignet. Dies entspricht, wie sich aus zahlreichen offiziellen Äußerungen ergibt, auch der Haltung der Bundesregierung.
Ich darf Ihnen abschließend, Herr Kollege Bindig, noch einen Hinweis geben: In Kürze erscheint in der Reihe der BMZ-Forschungsberichte eine umfassende Studie zum Thema „Wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern und Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland", die vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin im Auftrag des BMZ erstellt worden ist. Das dürfte eine gute Grundlage für eine allgemeine Diskussion dieser Fragen sein.
Zusatzfrage des Abgeordneten Bindig.
Herr Staatssekretär, enthält denn dieses Informationspapier für den Minister die in dem Artikel der „Wirtschaftswoche" angegebenen Erkenntnisse, daß Bestimmungen, die in Richtung auf eine Art Lieferbindung wirken, zu einer Verteuerung der Entwicklungsprojekte führen und sogar Arbeitsplätze in der Bundesrepublik gefährden könnten?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bindig, solche Auffassungen, die bei der ganz überwiegend makroökonomischen Anlage dieses Papiers auftreten, werden von uns in keiner Weise geteilt. In den Leitlinien des BMZ für die Verbesserung der Beschäftigungswirksamkeit wird ja klar festgestellt, daß mit der verstärkten Berücksichtigung der Beschäftigungswirksamkeit nicht die Prinzipien des Wettbewerbs außer Kraft gesetzt werden dürfen. Durch Preisvergleiche und Preisprüfung stellt die Kreditanstalt für Wiederaufbau sicher, daß bei Wahrung der Chancengleichheit deutscher Anbieter den Entwicklungsländern keine Preisnachteile entstehen.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Bindig.
Herr Staatssekretär, ist denn dieses achtseitige Informationsblatt nicht auch aus Steuergeldern bezahlt worden, und warum wird einem Abgeordneten des Deutschen Bundestages nicht die Möglichkeit gegeben, ein solches Papier einzusehen?Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bindig, ich habe eben darauf hingewiesen, daß solche Einzelberatungen in aller Regel nicht veröffentlicht worden sind. Es handelt sich hier aber keineswegs um Geheimwissen. Auch wenn das Papier zur per-
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6372 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Parl. Staatssekretär Dr. Köhlersönlichen Beratung des Ministers erstellt wurde, bin ich gerne bereit, Ihnen ein Exemplar zur Verfügung zu stellen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Conradi.
Herr Staatssekretär, können wir davon ausgehen, daß Sie die Praxis Ihres Hauses, solche für den Minister erstellten Papiere der Öffentlichkeit nicht freizugeben, noch einmal überprüfen werden, auch im Lichte der Debatte der letzten Sitzungswoche, in der beispielsweise Ihr Kollege Herr Dr. Czaja hier sehr nachdrücklich auf die verfassungsrechtliche Informationspflicht der Bundesregierung gegenüber den Abgeordneten hingewiesen hat?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Conradi, wie wir die Dinge sehen, geht doch daraus hervor, daß wir gleichzeitig eine umfassende Studie zu dem ganzen Fragenkomplex, die ich eben erwähnt habe, in Auftrag gegeben haben, die selbstverständlich den Abgeordneten zur Verfügung stehen und veröffentlicht werden wird. Ich glaube, das zeigt schon deutlich, daß wir auf diesem Gebiet eine klare Diskussion aller Aspekte nicht scheuen. Das auf der Basis einer punktuellen Einzelberatung zu machen, halte ich allerdings nicht für zweckmäßig. Dann sollten wir uns über alle verfügbaren Fakten unterhalten.
Herr Abgeordneter Broll zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, dem Kollegen Bindig zur Hilfe bei seiner Arbeit sämtliche Papiere zu geben, die auf Steuerkosten erstellt worden sind?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Broll, ich glaube nicht, daß ein solches Verfahren den langjährigen guten Beziehungen zwischen dem Kollegen Bindig und mir entspräche. Das wäre ein Akt der Grausamkeit.
Herr Kollege Broll, ich hatte schon an Ihrem Gesicht gesehen, was Sie für eine Frage stellen wollten, um uns ein bißchen zu belustigen.
Herr Kollege Brück zu einer Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, davon ausgehend, daß die „Wirtschaftswoche" behauptet, daß in dem Papier gesagt werde, eine Lieferbindung in der Bundesrepublik würde für die Arbeitsplätze kontraproduktiv wirken: Sehen Sie nicht die Gefahr, daß, wenn der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit landauf, landab in Interviews immer wieder darauf hinweist, daß es vor allem auch darum gehe, Aufträge für die deutsche Wirtschaft zu sichern, dies dazu führen kann, daß auch andere Länder verstärkt Lieferbindungen einführen, was dann weniger Aufträge für die deutsche Wirtschaft nach sich zieht, die, wie wir wissen, im internationalen Bereich wettbewerbsfähig ist?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Kollege Brück, in der Hoffnung, daß ich Ihre Frage in der Situation voll erfaßt habe, darf ich darauf antworten, daß uns diese Gefahren sehr wohl bekannt sind. Aus diesem Grunde haben wir und auch der Minister bei seinen zahlreichen Äußerungen zu diesen Fragen immer wieder klar herausgestellt, daß Beschäftigungswirksamkeit in unserer Interpretation nicht Lieferbindung heißt und daß wir eine Lieferbindung im Zusammenhang mit Entwicklungshilfeleistungen nicht einzuführen gedenken.
Es gibt in dieser Frage einschlägige Erfahrungen aus dem Jahre 1968, als der Kollege Wischnewski Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit war. Ich habe mich in den letzten Tagen noch einmal mit diesen Erfahrungen befaßt. Gerade dies hat dazu geführt, daß wir eine klare Trennung zwischen dem Gesichtspunkt der Beschäftigungswirksamkeit und der Lieferbindung machen.
Ich würde aber auch darum bitten, Herr Kollege Brück, daß die zahlreichen Kollegen, die uns immer wieder mit sehr konkreten Wünschen zu Projekten ansprechen, bei den berechtigten Sorgen Ihres Wahlkreises diese Grundsatzfrage genauso im Auge behalten, wie wir uns bemühen, dies zu tun; denn es gibt hier zweifellos neben der von Ihnen hervorgehobenen makroökonomischen Betrachtung natürlich auch die Betrachtung im Einzelfall, wo ein Auftrag unter Umständen das Überleben einer Firma in den nächsten Monaten bedeuten kann.
Danke schön, Herr Staatssekretär.Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Bindig auf:Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung für ihre entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Zaire, wenn Meldungen zutreffen, wonach der zairische Staatspräsident Mobutu seit Jahren Geldbeträge — man spricht von mindestens 2 Milliarden US-Dollar — auf private Konten im Ausland übertragen haben soll, und sieht die Bundesregierung im Zusammenhang damit negative Auswirkungen auf die Pflege unserer Beziehungen mit Zaire angesichts von Informationen, wonach die Mitarbeiter der zairischen Botschaft in Bonn seit zehn Monaten keine Gehälter mehr erhalten haben sollen?Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bindig, die deutsch-zairische Zusammenarbeit dient der Verbesserung der Lebensverhältnisse der 30 Millionen Einwohner Zaires. Die Mittel, die im Rahmen der deutsch-zairischen Zusammenarbeit zugesagt werden, sind zur Durchführung von Projekten, die der Bevölkerung unmittelbar dienen, erforderlich. Bei dem auch mit Zaire im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit geführten Politikdialog, den die Bundesregierung besonders pflegt, wird darauf hingewirkt, daß die zairische Regierung alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel zur Entwicklung des Landes einsetzt. Das tun wir im Rahmen der uns zur Verfügung stehenden — sicherlich nicht übermäßigen — Möglichkeiten.
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Parl. Staatssekretär Dr. KöhlerNun wird seit Jahren in der Presse berichtet, daß Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Zaire große Vermögen im Ausland besitzen. Möglichkeiten, solche Meldungen, z. B. daß der Präsident der Republik Zaire Geldbeträge auf private Konten ins Ausland überweist, zu überprüfen, hat die Bundesregierung nicht.Was die Gehälter für zairische Diplomaten in Bonn betrifft, so fallen Auszahlung und Festsetzung der Gehälter natürlich in die Zuständigkeit zairischer Stellen und sind dem Einblick der Bundesregierung ebenfalls entzogen. Trotzdem haben wir uns darum gekümmert, und wir haben erfahren, daß die Zahlungsrückstände Ende September ausgeglichen worden seien.
Zusatzfrage des Abgeordneten Bindig.
Herr Staatssekretär, hat denn die Bundesregierung, wenn es immer wieder Informationen über grenzenlosen Reichtum einiger führender Leute in Zaire gibt, einmal versucht, herauszufinden, ob diese Meldungen stimmen, z. B. über ihren Botschafter?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bindig, selbstverständlich haben wir alle Informationen eingeholt, die dazu überhaupt zu bekommen sind. Und wenn Sie in den Zahlen der letzten Jahre einmal nachschauen, werden Sie deutlich merken, daß die zeitweiligen Rückstände Zaires in der Bedienung seiner Schulden von uns auch zum Gegenstand haushaltsmäßiger Konsequenzen gemacht worden sind. Zaire ist in den Jahren 1978 bis 1981 in weit größerer Höhe mit Mitteln der Zusammenarbeit bedient worden als in den letzten drei Jahren. Ich kann Ihnen die Zahlen im einzelnen gern zur Verfügung stellen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Bindig.
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, daß sich die Bundesregierung selbstverständlich darum bemüht hat, solche Fragen aufzuklären: Können Sie dann einmal einen ganz konkreten Beleg erbringen, daß die Bundesregierung sich um die Frage gekümmert hat, ob der Staatspräsident dieses Landes, Mobutu, nun 2 Milliarden DM oder 15 Milliarden DM auf Konten im Ausland angelegt hat, wie in Medien immer wieder behauptet wird?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen, Herr Kollege Bindig, daß die Nachprüfung — und nur die würde ja zur Wahrheitsfindung führen — solcher Meldungen nicht im Rahmen unserer Möglichkeiten liegt. Sie wissen auch, daß so etwas, wenn es geschieht, normalerweise in Ländern geschieht, in denen das Bankgeheimnis mit einer Strenge gehütet wird, die jedermann den Einblick unmöglich macht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schwenninger.
Herr Staatssekretär, wenn Sie also an dem Finanzgebaren dieses Staatsoberhaupts außerhalb seines Landes nicht so sehr interessiert sind: Würde Sie dann vielleicht mehr interessieren, was dieser Mann so an Lebensstil innerhalb seines Landes präsentiert, wozu gehört, daß er eine eigene Residenzstadt hat aufbauen lassen, in die er nur mit dem Flugzeug gelangen kann? Spielt denn ein solches Kriterium bei der Vergabe von Entwicklungshilfe keine Rolle?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schwenninger, wie in ähnlichen Fällen, die es in der Dritten Welt gibt — sicherlich nicht nur in dem Lande, das Sie hier erwähnen —, ist die normale Schlußfolgerung deutscher Entwicklungspolitik die, daß wir die Schwerpunkte unserer Zusammenarbeit auf Sektoren legen, die der Bevölkerung unmittelbar zugute kommen. Das heißt in Zaire, daß wir den Schwerpunkt auf Transport und Landwirtschaft und in Zukunft verstärkt auch auf Trinkwasser- und Elektrizitätsversorgung in ländlichen Zentren und die Unterstützung des Basisgesundheitswesens legen. Wir haben zu diesem Zweck eine Evaluierungsmission vorgenommen, um sicherzustellen, daß dieses Geld tatsächlich dort hinkommt, wo wir es hinhaben wollen, nämlich zu den armen Bevölkerungsschichten. Durch Untersuchungen unabhängiger Gutachter fühlen wir uns in diesem Ansatz absolut bestätigt. Die Evaluierung hat ausdrücklich festgestellt, daß die Projektergebnisse unmittelbar der Bevölkerung zugute kommen.
Der Abgeordnete Toetemeyer zu einer Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, spielt die Frage, in welcher Weise Gefahr besteht, daß deutsche Entwicklungsgelder von Potentaten der Entwicklungsländer zu falschen Zwecken genutzt werden, in Ihren Überlegungen überhaupt keine Rolle?
Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Toetemeyer, seit der berühmten Geschichte mit dem goldenen Bett und der gläsernen Badewanne vor nunmehr annähernd 20 Jahren hat jede Bundesregierung mit äußerster Sorgfalt darauf geachtet, daß die von uns zur Verfügung gestellten Mittel nicht in mißbräuchliche Wege geleitet werden können.
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Köhler für die Beantwortung.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Probst zur Verfügung.ich rufe zuerst die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Sauermilch auf:Warum wird nach Auffassung der Bundesregierung mit der Erhöhung der Atomtransporte durch Inbetriebnahme des Zwischenlagers Gorleben nicht wenigstens so lange gewartet, bis die vom Bundesminister für Forschung und Technologie in Auftrag gegebene Risikoanalyse über Atomtransporte vorliegt?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
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6374 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Herr Kollege Sauermilch, in dem in der Frage angesprochenen Forschungsprojekt Sicherheitsstudien Entsorgung — kurz auch PSE genannt — wird ein sicherheitsanalytisches Instrumentarium entwickelt, und zwar für alle wesentlichen Einrichtungen der Entsorgung, ergänzt um Transporte radioaktiver Stoffe.
Bei Transporten geht es schwerpunktmäßig um die Modellierung einer angenommenen Freisetzung von Radionukliden aus Transportbehältern bei angenommenen Unfällen während des Transportes radioaktiver Stoffe zwischen Kernkraftwerken und den Anlagen zur Entsorgung. Es werden probabilistische Methoden angewandt, um für Ereignisse, die zu einer Strahlenexposition führen können, die Werte für die Kollektivdosis bestimmen zu können.
Die in PSE entwickelten Methoden und Fallbeispiele sind von der notwendigen deterministischen Bestimmung maximaler Individualdosen im Rahmen von atomrechtlichen Genehmigungen schon im Ansatz verschieden. Daher können vom Forschungsprojekt PSE
keine Vorgaben für die Genehmigung von Transporten radioaktiver Stoffe abgeleitet werden.
Über die Genehmigung von Transporten radioaktiver Stoffe muß nach geltendem Atom- und Verkehrsrecht und den darin sichergestellten Schutzmaßnahmen entschieden werden. Die in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Transportvorschriften beruhen auf den weltweit befolgten Empfehlungen der Internationalen Atomenergieorganisation in Wien für den sicheren Transport radioaktiver Stoffe. Jahrelange Erfahrungen zeigen, daß die Transportvorschriften ausreichend sind.
In der Bundesrepublik Deutschland hat es bisher im Zusammenhang mit der Beförderung radioaktiver Stoffe noch keinen Unfall gegeben, bei dem Personen durch Strahlung oder durch freigesetzte radioaktive Stoffe nachweislich geschädigt worden sind.
Zusammenfassend ist zu sagen, daß die Bundesregierung keinen Anlaß sieht, die anstehenden Transporte zum Zwischenlager Gorleben nicht zu genehmigen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sauermilch.
Herr Staatssekretär, einmal abgesehen von dem Fachchinesisch, das Ihre Antwort wieder auszeichnet: Bestätigt die Bundesregierung die Aussage im Zwischenbericht der genannten Risikoanalyse, wonach selbst bei der Annahme einer unfallfreien Beförderung die Atomtransporte den größten Beitrag zum Gesamtrisiko der Entsorgung leisten?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat keine Kenntnis, daß im Zwischenbericht als Ergebnis eine solche Aussage wie die von Ihnen formulierte steht.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wenn das so ist: Welche neuen Informationen liegen Ihnen denn vor, die diese Aussage aus dem Zwischenbericht des Projektes Sicherheitsstudien Entsorgung Nr. Z usw. — Sie kennen sie j a — widerlegen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die Studie hat eine ganz andere Aufgabe als die, in ein Genehmigungsverfahren einzuwirken. Die Studie ist eine Analyse des gesamten Umfeldes, die früher oder später auch als Beweis dafür herangezogen werden kann, daß ein Gesamtentsorgungskonzept — immer unter der Annahme eines möglichen Störfalls — vernünftig ist, positiv ist und auch die größtmögliche Sicherheit gewährleisten kann.
Zusatzfrage des Abgeordneten Jannsen.
Herr Staatssekretär, bestätigt die Bundesregierung die Aussage im Zwischenbericht der vom Bundesforschungsministerium in Auftrag gegebenen Studie, wonach auch bei dem störungsfreien Betrieb von Schienentransporten nennenswerte Kollektivdosen auftreten und das Transportpersonal und die Bevölkerung entlang der Transportstrecken der radiologischen Wirkung der die Abschirmung durchdringenden Gamma- und Neutronenstrahlung ausgesetzt sind?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Nein.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Bard.
Wenn das alles so ist, dann möchte ich Sie gern fragen, warum der Zwischenbericht dieser Risikostudie auch auf Anfrage bei Ihnen nicht erhältlich war.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die bisher ermittelten wichtigen Zwischenergebnisse sind veröffentlicht und auch zugänglich. Die endgültige Zusammenstellung der vorhandenen Zahlen ist derzeit im Gange. Es wird Anfang 1985 eine Veröffentlichung erfolgen. Da ist nichts geheim, Frau Kollegin.
Zusatzfrage des Abgeordneten Catenhusen.
Herr Staatssekretär, Sie haben ja in einer Pressemitteilung erklärt, daß diese Studie in einigen 100 Exemplaren an interessierte Bibliotheken abgegeben worden sei. Können Sie sich vorstellen, daß auch der Interessentenkreis der Mitglieder des Ausschusses für Forschung und
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CatenhusenTechnologie künftig mit solchen Informationen versorgt werden könnte?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Selbstverständlich kann ich mir das vorstellen. Sie können diese Informationen natürlich jederzeit haben. Bloß: Es ist ein Zwischenbericht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schwenninger.
Herr Staatssekretär, wie gedenkt das Bundesforschungsministerium auf die Anfrage der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg nach Durchführung einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung zu den Atomtransportrisiken zu antworten?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Mir ist diese Anfrage persönlich nicht bekannt, also kann ich auch nicht sagen, wie wir darauf antworten werden. Ich nehme an, daß die Anwort höflich und sachlich erfolgen wird.
Frau Nickels zu einer Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, haben Sie die Absicht, in Zukunft eine Information der Bevölkerung, die an den Transportstrecken lebt, durchzuführen? Liegen für diese Transportstrecken eigene Katastrophenschutzpläne vor?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Da ich zwar für die Bundesregierung, aber nicht für den für die Genehmigungsverfahren in diesem Bereich zuständigen Innenminister spreche, entzieht es sich meiner Kenntnis, wie derzeit die Informationslage auf diesem Gebiet ist. Aber im Grunde steht nichts im Wege, daß solche Informationen gegeben werden. Die Frage ist lediglich, welchen Sinn es haben soll.
Das Entscheidende in dieser Frage ist, daß ein maximaler Schutz gewährleistet ist. Das zu gewährleisten, ist die Bundesregierung außerordentlich intensiv bemüht.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Hürland.
Herr Staatssekretär, wenn es zutreffend ist, daß bedauerlicherweise in Kohlegruben und auch bei Kohletransporten jährlich immer noch sehr viele — auch tödliche — Unfälle passieren, aber nicht im Bereich der Kernkraftwerke, dann frage ich: Könnten Sie sich vorstellen, daß die Bundesregierung auch einmal in diesem Bereich eine Aufklärung betreibt?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat natürlich die verschiedenen Risikofaktoren in den einzelnen Bereichen einander gegenübergestellt und damit selbstverständlich auch im gesamten Bereich der Energieversorgung die Risiken abgewogen. Es ist kein Zweifel, daß der Bereich mit dem geringsten Risiko die Atomenergieversorgung ist.
Zusatzfrage des Abgeordneten Conradi.
Herr Staatssekretär, würde es die Kapazität dieser Regierung zur internen Koordination überschreiten, wenn Ihr Haus das Bundesinnenministerium — der Staatssekretär sitzt zwei Stühle neben Ihnen — um Amtshilfe bitten würde, um sicherzustellen, daß die Bevölkerung, die an diesen Transportwegen wohnt, auf die Gefahren der Atomtransporte hingewiesen wird und entsprechende Schutzpläne für den Fall entwickelt werden, daß einmal etwas passiert?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Conradi, wir könnten natürlich jetzt über alle nur denkbaren Bereiche diskutieren. Ich spreche für das Forschungsministerium und dadurch, in dieser Eigenschaft, auch für die Bundesregierung. Wenn Sie aber eine entsprechende Frage haben, steht es Ihnen jederzeit frei, diese Frage so zu präzisieren, daß das Innenressort die Frage nach Ihrem Wunsche beantwortet.
Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, nun hat gerade der Bundesforschungsminister seit Jahren in diesem Bereich — gerade was Gorleben und Kernenergie betrifft — große Öffentlichkeitskampagnen gemacht, um aufzuklären. Wird sich der neue Forschungsminister dessen annehmen, um das, was im Parlament in der Fragestunde an Fragen, bezogen auf das Gutachten, das Sie erwarten, aufgenommen wurde, der Öffentlichkeit darzustellen? Es kann doch nicht sein, daß Sie in einem solchen Falle die Verantwortung für die Öffentlichkeitsarbeit dem Innenminister übertragen wollen.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich fürchte, daß Sie jetzt verschiedene Probleme durcheinanderwerfen. Das eine ist das Problem der Aufklärung durch die Bundesregierung. Hier läßt sich diese Bundesregierung von keiner Ihrer Vorgängerinnen übertreffen. Es ist eine Bundesregierung der offenen Information. Das gilt für alle Bereiche.
Der zweite Bereich ist die Frage eines atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens. Eine derartige Frage zu stellen steht Ihnen frei. Sie wird Ihnen dann von dem zuständigen Ressort beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Sauermilch auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage aus dem Zwischenbericht dieser Risikostudie von Mai 1983, derzufolge die zu erwartende Kollektivdosis an radioaktiven
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6376 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Vizepräsident WestphalStrahlen für die Bevölkerung bei Realisierung des vorgesehenen „Integrierten Entsorgungskonzepts" um das Vierfache ansteigt, vor dem Hintergrund des § 28 Strahlenschutzverordnung, demzufolge „jede unnötige Strahlenexposition oder Kontamination von Personen, Sachgütern oder der Umwelt zu vermeiden" ist?Herr Staatssekretär, bitte.Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sauermilch, für das von PSE gewählte Fallbeispiel ergibt sich nach den vorläufigen Ergebnissen im Zwischenbericht Z 3/III A, Stand Mai 1983, beim bestimmungsgemäßen Transport für die Kollektivdosis im Rahmen eines dezentralen Integrierten Entsorgungskonzeptes ein um den Faktor 4 höherer Wert als im Fall des Nuklearen Entsorgungszentrums, in dem die Anlagen zur Entsorgung und Endlagerung an einem Standort zusammengefaßt sind. Die Ursache liegt in den bei einer dezentralen Entsorgung längeren Transportstrecken und im erhöhten Transportaufkommen bei Abfällen aus der Wiederaufarbeitung.Insgesamt ist die Kollektivdosisbelastung durch Transporte gering im Vergleich zur Kollektivdosisbelastung aus den gesamten Anlagen des Brennstoffkreislaufs und auch äußerst gering im Vergleich zur Dosisbelastung aus natürlicher Radioaktivität. Die natürliche Radioaktivität ist diesbezüglich mindestens um den Faktor 100 größer. Standortentscheidungen für kerntechnische Anlagen können aus sachlichen und rechtlichen Gründen aus den für die Transporte abgeschätzten Kollektivdosen nicht abgeleitet werden.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sauermilch.
Können Sie bestätigen, daß die Aussage im Zwischenbericht, wonach für den schwach- und mittelaktiven Atommüll auf Grund der instabilen Umhüllung eine Kollektivdosisstrahlung angenommen werden muß, die 24mal so groß ist wie die Strahlendosis, die für den unfallfreien Transport angenommen wird, richtig ist?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen diese Aussage im Augenblick nicht bestätigen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Catenhusen.
Herr Staatssekretär, enthält der von Ihnen angesprochene Zwischenbericht auch Aussagen über die zu erwartenden Kollektivdosen an radioaktiven Strahlen für die Bevölkerung im Vergleich zur Realisierung eines Entsorgungskonzeptes mit Wiederaufarbeitung oder eines ohne Wiederaufarbeitung mit direkter Endlagerung?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß der Endbericht hierüber Aufschluß gibt.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihrer Antwort schließen, daß bei diesem Bericht, den Sie ja angesprochen haben, auch
gleichzeitig ein gesamtes integriertes Entsorgungskonzept, also auch die Wiederaufarbeitung in Gorleben, betrachtet wurde?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Es ist der Zweck dieser Studie, für den gesamten Entsorgungsbereich sicherheitsanalytische Modelle zu entwickeln. Auch Optimierungsfragen können damit untersucht werden.
Herr Staatssekretär, ist davon auszugehen, daß Herr Ministerpräsident Albrecht die Wiederaufbereitung will?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß selbstverständlich nicht nur Herr Ministerpräsident Albrecht eine Wiederaufbereitung möchte. Er hat nie gesagt, daß er die Wiederaufbereitung nicht möchte, sondern nur, daß sie sich im damaligen Augenblick politisch nicht durchsetzen läßt. Aber es wäre zweckmäßig, ihn selbst zu fragen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Bard.
Wann kann man mit der Beendigung dieses Rätselratens rechnen, und wann liegt der Bericht vor? Vielleicht kann man ihn auch dem Ausschuß vorlegen.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Liebe Frau Kollegin, Rätselraten gibt es bei der Bundesregierung nicht, vielleicht in Ihren Kreisen.
Der Abschluß dieser Studie ist in diesem Jahr zu erwarten und eine Zusammenstellung der Ergebnisse für Anfang 1985; ich sprach bereits davon.
Es entgeht einer Bundesregierung manches Angenehme, wenn sie keine Rätsel rät.
Wir kommen zur Frage 10 des Abgeordneten Catenhusen:Wie vereinbart die Bundesregierung die Zusammenarbeit der DFVLR mit dem brasilianischen Centro Technico Aerospacial , einer militärischen Einrichtung, mit einer ausschließlich auf friedliche Zwecke gerichteten Zielsetzung der deutsch-brasilianischen Raketentechnologie-Kooperation angesichts bekanntgewordener Überlegungen in Brasilien, eine militärische Variante der Höhenforschungsrakete SONDA zu entwickeln, die auch als Trägersystem für nukleare Sprengköpfe geeignet wäre (vgl. Estado de Sao Paulo vom 9. Dezember 1983)?Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Catenhusen, das SONDA-Raketenprogramm ist seit etwa zehn Jahren ein Schwerpunkt des nationalen brasilianischen Weltraumforschungsprogramms mit dem erklärten Ziel, den wissenschaftlich-technologischen Anschluß an die weltweite Entwicklung auf diesem Gebiet zu erarbeiten. Es ist offensichtlich, daß diese Schlüsseltechnologie für friedliche Anwendungen in den Bereichen der Telekommunikation, Kartographie, Ressourcenerkennung, Klimatologie, Meteorologie und Umweltschutz gerade
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984 6377
Parl. Staatssekretär Dr. Probstfür fortgeschrittene Entwicklungsländer mit kontinentaler Flächenausdehnung von eminenter Bedeutung ist und daß diese insbesondere wirtschaftliche Bedeutung besonders in Brasilien zunehmen wird.Folgende Projekte werden im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen DFVLR und CTA bearbeitet, wobei es sich im wesentlichen um den Austausch von Wissenschaftlern und wissenschaftlichen Informationen sowie um die Veranstaltung von gemeinsamen Seminaren handelt: Materialforschung, Flugbahn- und Fallberechnungen, Schubvektorkontrolle, Höhenforschungsexperimente in der oberen Erdatmosphäre durch gemeinsame Nutzung der äquatornahen brasilianischen Basis in Natal.Wegen der technischen Natur der gemeinsamen Forschungsprojekte sowie auf Grund entsprechender Vereinbarungen mit der brasilianischen Regierung, an deren Einhaltung auch widersprechende Äußerungen in der Presse keinen Zweifel begründen, schließt die Bundesregierung aus, daß von deutscher Seite erarbeitetes und in die Zusammenarbeit eingebrachtes technisches Gerät und Knowhow für militärische Zwecke eingesetzt werden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Catenhusen.
Sind der Bundesregierung Planungen innerhalb der brasilianischen Militärs bekannt, daß eine militärische Variante, ausgehend aus der SONDA 4, mit vier Antriebsstufen entwikkelt werden soll, die das gleiche Triebwerk wie die zivile Variante SONDA besitzen soll, und daß der Unterschied zwischen einer zivilen und einer militärischen Satellitenträgerrakete in Brasilien nur im Lenksystem bestehen soll, während alle anderen technischen Systeme von einem derartigen Objekt übernommen werden können?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Nein.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Catenhusen.
Wie stellt die Bundesregierung sich vor, daß sie in einer raketentechnischen Zusammenarbeit mit einer militärischen Einrichtung in Brasilien die ausschließliche friedliche Zielsetzung der militärischen Einrichtung CTA in Brasilien im Bereich der Raketentechnik sicherstellen kann?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Catenhusen, ich habe es nachprüfen lassen: Die von Ihnen gestellte Frage wird seit etwa zehn Jahren in regelmäßigen Abständen immer wieder gestellt, ohne daß es irgendeinen Anhaltspunkt für militärische Zwecke bei der Nutzung der deutsch-brasilianischen Zusammenarbeit gibt. Das gilt auch für heute. Die Bundesregierung hat immer wieder, gerade wegen dieser Fragen, Beobachtungen angestellt und Informationen eingeholt. Es gibt keinen Anlaß für Ihre Befürchtung.
Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung das hier eben im Bundestag angesprochene Thema bei den deutsch-brasilianischen Gesprächen nochmals ansprechen, um eine zum jetzigen Zeitpunkt verbindliche Antwort zu erhalten?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Es gibt einen Vertrag, und es gibt laufende Kontakte und auch laufende Prüfungen dieser Frage, so daß ich davon ausgehe, daß bei weiteren Kontakten diese Frage auch erneut gestellt und geprüft wird.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schwenninger.
Herr Staatssekretär, ich wollte hier einmal eine ethische Frage einbringen: Sind Sie nicht der Meinung, daß in diesem Land, wo vor allen Dingen im Nordosten eine riesige Hungersnot herrscht, eine solche Zusammenarbeit auf diesem Forschungsgebiet den Ärmsten der Armen überhaupt nichts nützt und daß also zur Bekämpfung des Hungers das Geld eigentlich völlig falsch angelegt ist?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, da sind wir wahrscheinlich diametral unterschiedlicher Auffassung; denn technologischer Fortschritt muß, und zwar bei allen Nationen, angewendet werden, um ein sicheres Auskommen zu gewährleisten und insbesondere auch die Völker von der Geißel des Hungers zu befreien. Nur die besten Technologien sind in ihrer weittragenden Anwendung nach heutiger Erkenntnis dazu geeignet.
Zusatzfrage des Abgeordneten Weisskirchen.
Herr Staatssekretär, kann ich denn dem, was Sie eben gesagt haben, entnehmen, daß die CTA auch für die nukleartechnologische Entwicklung in Brasilien von hohem Stellenwert ist?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die CTA ist in Brasilien die einzige Einrichtung für den Bereich der Raumfahrtforschung, und sie betreut auch alle zivilen Aktivitäten, so daß es hier nicht zutrifft, daß eine militärische Stelle ausschließlich Militärisches entwickelt. Es gibt in Brasilien nur eine einzige Anlaufstelle, und die deutschen Stellen haben vertragliche Regelungen der Zusammenarbeit.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Bard.
Können Sie mir bei dem, was Sie vorhin an Projekten aufgezählt haben, diejenige Technologie benennen, die den Hunger in Brasilien stillt?
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6378 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Es ist überhaupt keine Frage, daß in einem so großen Land die Telekommunikation eine große Bedeutung für die Wirtschaft hat, daß die Kartographie und Landentwicklung von großer Bedeutung sind, daß die Erkennung von Ressourcen von großer Bedeutung für ihre Nutzung ist, daß Klimatologie und Meteorologie gerade in diesem Lande für den Hunger von Bedeutung sind und daß selbstverständlich auch der Umweltschutz seine Bedeutung hat. Und das sind die Ziele der gegenseitigen Kooperation — nicht davon gesprochen, was technisches Können in andere Bereiche hinein bewirkt. Wir kennen dies ja aus unserer technischen Vergangenheit.
Wir kommen zur Frage 11 des Abgeordneten Catenhusen.
Wird die Bundesregierung vor der für den Monat November in Aussicht genommenen Kabinettsentscheidung über eine bundesdeutsche Beteiligung am Bau einer amerikanischen bemannten Raumstation eine Kosten-Nutzen-Analyse unter wissenschaftlichen, ökonomischen und sicherheitspolitischen Gesichtspunkten als Entscheidungsgrundlage erstellen lassen, und wen hat die Bundesregierung mit der Erstellung einer solchen Kosten-Nutzen-Analyse beauftragt?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Catenhusen, eine Kosten-Nutzen-Analyse unter den von Ihnen genannten drei Gesichtspunkten hat die Bundesregierung bisher nicht erstellt oder auch erstellen lassen.
Eine Entscheidung über eine deutsche Beteiligung am Bau einer amerikanischen bemannten Raumstation steht derzeit aber auch im Kabinett noch gar nicht an. Vielmehr steht die Bundesregierung, wie ich Ihnen auf eine frühere Frage schon mitteilte, über das Angebot der Vereinigten Staaten von Amerika mit unseren Partnern in der Europäischen Weltraumorganisation ESA in einen Prozeß der Meinungsbildung.
Zusatzfrage des Abgeordneten Catenhusen.
Soll ich also wirklich der Meinung der Bundesregierung Glauben schenken, daß sie sich über ein halbes Jahr nach Formulierung des Angebots der amerikanischen Regierung an die deutsche Bundesregierung, sich an einem derartigen Projekt mit einem finanziellen Umfang von schätzungsweise 18 bis 19 Milliarden Dollar zu beteiligen, noch keine Meinung durch eine KostenNutzen-Analyse über den wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und möglicherweise auch sicherheitspolitischen Stellenwert dieses Projektes gebildet hat?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Catenhusen, zunächst zu der Bedeutung von KostenNutzen-Analysen: Bei einer weittragenden Technologie kann man natürlich sehr unterschiedlicher Auffassung sein; denn eine Nutzenabschätzung solch einer Technologie ist undenkbar, genauso wie sie bei anderen Technologien, etwa bei der Entwicklung des Automobils oder bei der Entwicklung der Eisenbahn oder bei der Entwicklung eines Kommunikationsnetzes der Bundespost, nicht möglich war. Dies möchte ich einmal vorausschicken.
Dennoch nimmt die Bundesregierung und nehmen die europäischen Partner alle Anhaltspunkte für den Nutzen eines derartigen Unternehmens wahr. Es gibt derzeit — es muß ja schrittweise vorgegangen werden — im europäischen Bereich eine Vorbereitungsphase unter Führung der ESA. Der Projektname ist „Columbus". Aspekte einer möglichen Beteiligung sowie die möglichen Kosten und der mögliche Nutzen werden in einer zweijährigen Phase eingehend geprüft, und dann wird es eine Entscheidung geben.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Catenhusen.
Ausgehend von meiner historischen Kenntnis, daß sich Herr Daimler bei der Entwicklung des Autos sehr wohl dessen bewußt war, daß man damit schneller als mit dem Pferd vorwärtskommt, möchte ich Sie doch fragen: Liegen der Bundesregierung bisher keine Prüfungsergebnisse über ernst zu nehmende kritische Hinweise von Wissenschaftlern darauf vor, daß erstens die Idee der Errichtung von Produktionsstätten im Weltall so vage und ungeklärt sei, daß sie für die Entscheidung für ein solches Projekt nicht tauge, und daß zweitens eine derartige Station für viele wissenschaftliche Zwecke der Grundlagenforschung, z. B. für Astronomie und Erdbeobachtung, ungeeignet sei.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Abgesehen davon, daß ich von Herrn Daimler nicht glaube, daß er bei seinem ersten Auto schon wußte, daß ein Auto schneller als ein Pferd ist,
denke ich, daß es eben zweckmäßig ist, alle von Ihnen aufgeworfenen Fragen in dieser Vorbereitungsphase zu prüfen, und das geschieht ja. Bitte ein bißchen Geduld!
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, nach Ihrer Antwort auf die Frage des Herrn Kollegen Catenhusen möchte ich die Frage stellen: Ist es richtig, daß sich zwar entsprechend der von Ihnen geäußerten Meinung der Bundesforschungsminister bezüglich der Beteiligung noch nicht festgelegt hat, der Bundesaußenminister aber in Verlautbarungen in der Öffentlichkeit eine andere Meinung zu diesem Thema vertritt, und können Sie für die gesamte Bundesregierung erklären, daß dies alles noch so offen ist, wie Sie es jetzt dargestellt haben?Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, ich kann für die Bundesregierung das erklären, was ich bereits erklärt habe. Daß es verschiedene Meinungen über die Bedeutung eines solchen Projektes gibt, liegt auf der Hand. Entscheidend ist,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984 6379
Parl. Staatssekretär Dr. Probstwas die Bundesregierung beschließt. Ein Kabinettsbeschluß hierzu liegt noch nicht vor.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Weisskirchen.
Herr Staatssekretär, ist denn die Kontroverse, die es darüber in der Bundesregierung offensichtlich noch gibt, möglicherweise darauf zurückzuführen, daß dieses Projekt unter bestimmten Bedingungen auch für militärische Zwecke im Weltraum benutzt werden kann?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es gibt in der Bundesregierung keine Kontroverse zu diesem Thema, allenfalls einen Meinungsbildungsprozeß.
In den Fachkreisen ist man sich aber mit Sicherheit darüber klar, daß eine Weltraumstation für militärische Zwecke eine denkbar ungeeignete Einrichtung ist, weil sie außerordentlich leicht abgeschossen werden kann.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Forschung und Technologie. Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Probst für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Der Herr Parlamentarische Staatsekretär Spranger steht uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Allerdings haben die Fragesteller der Fragen 20 — Abgeordneter Kirschner —, 22 und 23 — Abgeordneter Dr. Klejdzinski — sowie 24 und 25 — Abgeordneter Dr. Meyer zu Bentrup — um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten auf diese Fragen werden daher als Anlagen abgedruckt werden.
Wir kommen zur Frage 21 des Herrn Abgeordneten Stiegler. — Er ist nicht im Saal. Die Frage wird entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Ich rufe Frage 26 des Abgeordneten Dr. Kübler auf:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die EAP vor, insbesondere zur Mitgliedschaft, zur Finanzierung und zu den politischen Zielen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Dr. Kübler, sicherheitsrelevante Erkenntnisse über die EAP liegen der Bundesregierung nicht vor.
Herr Staatssekretär, liegen dann verfassungsrechtliche Bedenken der Bundesregierung vor, und ist die Bundesregierung gegebenenfalls in die Prüfung solcher Gesichtspunkte eingetreten?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann nur wiederholen, daß sicherheitsrelevante Gesichtspunkte, bei denen Sie insoweit verfassungsrechtliche einbeziehen können, nicht vorliegen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Kübler.
Herr Staatssekretär, kann mir die Bundesregierung erklären, warum sie ein zweites Mal nur so kurze Antworten zu geben bereit ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann die Fakten ja nicht durch beliebige Romanerzählungen verlängern.
Damit ist Ihr Fragerecht verbraucht. Die Abgeordnete Frau Dr. Bard hat um eine Zusatzfrage gebeten.
Recherchieren Sie überhaupt? Ich stelle die Frage jetzt auch so kurz, wie Ihre Antworten waren.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Sie kennen doch die gesetzlichen Grundlagen der zuständigen Behörden, und diese handeln entsprechend dieser gesetzlichen Grundlagen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Catenhusen.
Kann ich nach Ihren Antworten wirklich davon ausgehen, daß der Erkenntnisstand der Bundesregierung geringer ist als der des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, der auf Anfragen einiger Abgeordneter in einer Stellungnahme z. B. die Frage aufgeworfen hat, aus welchen Quellen, möglicherweise Geheimdienstquellen, diese Partei finanziert wird?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es geht nicht darum, daß der Verfassungsschutz den Wissensstand des Wissenschaftlichen Dienstes zu beurteilen hat, sondern daß hier Fragen beantwortet werden auf Grund der Arbeit, die der Verfassungsschutz entsprechend seinem gesetzlichen Auftrag zu erfüllen hat, und das führt zu diesen Antworten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen — in Erinnerung an unsere Debatte über das Selbstverständnis des Parlaments —, daß die Alternative zur wenig befriedigenden kurzen Antwort nicht der Roman, sondern die erschöpfende Auskunft der Bundesregierung ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Sie legen doch sicherlich Wert darauf, daß die Auskunft der Wahrheit entspricht, und dementsprechend ist die Antwort abgefaßt gewesen.
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6380 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers des Innern. Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger, für die Beantwortung der Fragen.
Beim Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz ist es so, daß für die Fragen 27 und 28 des Abgeordneten Löffler um schriftliche Beantwortung gebeten worden ist. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Die Fragen 29 und 30 des Abgeordneten Dr. Wittmann werden gemäß Nr.2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet, und die Frage 31 des Abgeordneten Broll ist vom Fragesteller zurückgezogen worden. Somit brauche ich diesen Geschäftsbereich nicht aufzurufen.
Wir kommen zum Geschaftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Für die Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Häfele zur Verfügung.
Für die Frage 32 des Abgeordneten Austermann und die Fragen 33 und 34 der Abgeordneten Frau Zutt haben die Fragesteller um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 35 des Abgeordneten Müller . Ist er im Raum? — Er ist nicht da. Dann wird das entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Ich rufe die Frage 36 des Herrn Abgeordneten Schmidhauer auf:
Trifft es zu, daß Mineralölprodukte, deren Entweichen als flüchtige Kohlenwasserstoffe in die Atmosphäre mit Hilfe von Dämpferückgewinnungsanlagen, z. B. bei modernen Raffinerieverladungseinrichtungen, aus Umweltschutzgründen verhindert wird, zweimal der Mineralölsteuer unterworfen werden, und wie beabsichtigt die Bundesregierung für den Fall, daß dies bisher so ist, eine die Einführung moderner Umweltschutztechniken weniger ungerecht belastende steuerliche Behandlung sicherzustellen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Schmidbauer, der Bundesregierung ist eine Anlage bekannt, in der Kohlenwasserstoffe aus Gas-Luftgemischen zurückgewonnen werden, die beim Verladen von Mineralölen aus einer Raffinerie anfallen. Wenn die Kohlenwasserstoffe aus versteuerten Mineralölen stammen, werden sie — als Teil einer nachfolgenden Lieferung versteuerter Mineralöle — erneut mit Mineralölsteuer belastet.
Eine Entlastung der Gas-Luftgemische von der Mineralölsteuer, die in die Raffinerie aufgenommen werden, kommt nach geltendem Mineralölsteuerrecht deshalb nicht in Betracht, weil sie keine Mineralöle im Sinne des Mineralölsteuergesetzes sind. Der Mineralölanteil im Gemisch ist bei der Aufnahme auch selten bekannt. Eine etwaige gesetzliche Regelung wirft deshalb die Frage auf, ob Aufwand und Nutzen der Mengenerfassung für eine Steuererstattung in einem angemessenen wirtschaftlichen Verhältnis stehen. Die Gespräche auf Fachebene sind noch nicht abgeschlossen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmidbauer.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen die Größenordnungen, die rückgewonnen werden, und die Größenordnungen der Doppelzahlungen an Mineralölsteuer bekannt?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wir wollen das auch in Gesprächen mit dem Fachverband klären, weil es bisher noch nicht genügend Anhaltspunkte gibt.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmidbauer.
Können Sie den Zeitpunkt abschätzen, wo ich eine befriedigendere Antwort als die jetzt gegebene erhalten kann?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wenn Sie einverstanden sind, werde ich, sobald wir soweit sind, Ihnen die Antwort von mir aus geben.
Ich rufe die Frage 37 des Abgeordneten Schmidbauer auf:
Sind der Bundesregierung andere Fälle bekannt, in denen die Entwicklung moderner Umweltschutztechniken zu Problemen einer angemessenen steuerlichen Behandlung geführt haben, und auf welche systematische Weise werden derartige Fälle erfaßt und gelöst?
Herr Staatssekretär, bitte.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Weitere Fälle dieser Art liegen dem Bundesministerium der Finanzen gegenwärtig nicht vor. Dennoch will der Bundesminister der Finanzen diese Frage mit den Verbänden der Mineralölwirtschaft erörtern, um unvertretbare steuerliche Folgen auszuräumen, die einer sinnvollen Beseitigung oder Aufarbeitung von mineralölhaltigen Stoffen entgegenwirken.
Keine weitere Zusatzfrage.Dann sind wir schon am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dank, Herr Staatssekretär Dr. Häfele.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Es steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Sprung zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.Herr Rapp hat um schriftliche Beantwortung seiner Fragen 38 und 39 gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Wir kommen zur Frage 40 des Abgeordneten Stiegler, der inzwischen erschienen ist:Wie ist der Stand der Verhandlungen der Bundesregierung mit den Zonenrandländern über die Fortführung der erweiterten Kohlefrachthilfe über den 31. Dezember 1984 hinaus, und ist die Bundesregierung bereit, mit den Zonenrandländern, insbesondere mit Bayern, eine Anschlußvereinbarung für die nächsten Jahre abzuschließen?Bitte, Herr Staatssekretär.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984 6381
Herr Kollege Stiegler, wie die Bundesregierung in der Antwort auf Ihre Anfrage vom 16. Mai 1984 dargelegt hat, hat sich die sachliche Grundlage für die allein im ostbayerischen Grenzgebiet gewährte erweiterte Kohlefrachthilfe insofern entscheidend verändert, als der bayerische Teil des Zonenrandgebietes keine ungünstigeren Strompreise als das sonstige Zonenrandgebiet mehr aufweist. Die Beratungen mit Bayern und den übrigen Zonenrandländern über die aus dieser Sachlage zu ziehenden Schlußfolgerungen konnten noch nicht abgeschlossen werden.
Die Bundesregierung läßt sich für die zu treffende Regelung einerseits von dem Auftrag des Zonenrandförderungsgesetzes leiten, für teilungsbedingte Frachtmehrkosten einen Ausgleich durch Frachthilfeleistungen zu gewähren; andererseits sieht sie aber auch die Notwendigkeit, Subventionen abzubauen. Die Bundesregierung strebt noch vor Ende des Jahres eine Übereinkunft mit den Zonenrandländern ab.
Keine Zusatzfrage.
Wir kommen zur Frage Nr. 41 des Abgeordneten Schwenninger:
Wieso liegt bei der Lieferung von 104 Kisten mit 515 Heckler & Koch-Gewehren, die von den peruanischen Behörden im Dezember 1983 auf dem Flughafen von Lima beschlagnahmt wurden, kein Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz oder das Kriegswaffenkontrollgesetz vor?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Schwenninger, die Firma Heckler & Koch hatte die nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz und dem Außenwirtschaftsgesetz erforderlichen Genehmigungen, vollautomatische Gewehre nach Peru auszuführen. Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, daß die erwähnten Waffen außerhalb der erteilten Genehmigungen geliefert wurden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schwenninger.
Besteht für die Bundesregierung nicht Grund zu der Annahme, daß den an dieser Lieferung Beteiligten die erforderliche Zuverlässigkeit fehlt, was angesichts der Beschlagnahmeaktion des peruanischen Zolls naheliegt, und sieht die Bundesregierung nicht den § 6 Abs. 3 Nr. 3 des Kriegswaffenkontrollgesetzes berührt?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schwenninger, dies ist nicht der Fall. Die Bundesregierung hat eine sorgfältige Prüfung vorgenommen, bevor die Genehmigung erteilt wurde.
Noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schwenninger.
Wer ist nach Informationen der Bundesregierung der Empfänger der fraglichen Gewehre, und konnte die Herstellerfirma Heckler & Koch, Oberndorf, der Bundesregierung diese Information geben? Es geht also wirklich darum: Wer hat sie bekommen, oder wer sollte sie bekommen?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Genehmigung hat die Firma Heckler & Koch erhalten.
Es geht darum, wer sie erhalten hat, Herr Kollege, und die Genehmigung hat die Firma Heckler & Koch erhalten.
Jetzt gibt es eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jannsen.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, dem Hause mitzuteilen, wer die Waffen — nicht die Genehmigung — erhalten sollte?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Empfänger der Lieferungen sind Sicherheitskräfte Perus gewesen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Sauermilch.
Herr Staatssekretär, steht die innere Lage Perus nicht der Lieferung solcher Gewehre an Peru entgegen angesichts der sich häufenden Menschenrechtsverletzungen?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Die Lieferungen, um die es sich bei der Frage von Herrn Schwenninger handelte, sind im letzten Jahr erfolgt.
Die Genehmigung dafür ist im letzten Jahr erteilt worden.
Damit ist nichts über mögliche Genehmigungen in der vor uns liegenden Zeit ausgesagt worden.
Darin ist die Bundesregierung frei.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat vor der Erteilung der Genehmigung sehr sorgfältige Prüfungen vorgenommen, und sie ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die Genehmigung erteilt werden könnte.
Zusatzfrage des Abgeordneten Catenhusen.
Kann die Bundesregierung Informationen bestätigen, daß im Bereich von Ayacucho in Peru von der Guardia Civil Massaker an der
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6382 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
CatenhusenBevölkerung mit Hilfe von gelieferten Heck1er & Koch-Gewehren begangen worden sind?Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen diese Frage nicht beantworten. Darüber liegen mir keine Informationen vor.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Bard.
Wenn Sie auf diesem Gebiet recherchiert haben und sich diese Nachrichten als richtig herausstellen: Wären Sie bereit, weitere Geschäfte dieser Art zu unterbinden?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Wenn um neue Genehmigungen nachgesucht wird, werden in die Überlegungen alle Faktoren einbezogen, die normalerweise zu betrachten sind, wenn über solche Genehmigungen entschieden wird.
Wir kommen zur Frage 42 des Abgeordneten Carstensen :
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Menge von Reet aus Südosteuropa und über den Einfluß dieses Imports auf die Preise für die inländischen Reeterzeuger?
Herr Staatssekretär, bitte.
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Carstensen, der Bundesregierung liegen keine genauen Angaben über die importierten Mengen von Reet aus Südosteuropa vor. Aus der Einfuhrstatistik, die Reet lediglich unter der Sammelposition „Bambus, Schilf und dergleichen" erfaßt, kann aber entnommen werden, daß im Jahre 1983 mengen- und wertmäßig mehr als die Hälfte der Importe dieser Position aus Ungarn und Österreich stammen. Dies waren zirka 5,7 Millionen Kilogramm mit einem Wert von rund 5 Millionen DM. Dabei dürfte es sich fast ausschließlich um Reetimporte handeln.
Über den Einfluß dieser Importe auf die Preise für die inländischen Reeterzeuger liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. Da die amtliche Produktionsstatistik keine Angaben über Reet enthält, ist auch ein Mengen- bzw. Preisvergleich zwischen den Importen und der heimischen Reeterzeugung ohne konkrete Angaben der Importeure und der deutschen Reeterzeuger nicht möglich.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Carstensen.
Herr Staatssekretär, wären Sie in der Lage, diese Auskünfte einzuholen, um sicherzustellen, daß auch bei uns Reetflächen wirtschaftlich bewirtschaftet werden können, damit die Aufgaben, die auch die Reetflächen im Rahmen des Landschafts- und Naturschutzes haben, erfüllt werden können?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Wir sind gerne bereit, diese Auskünfte einzuholen, soweit es möglich ist, darüber Informationen zu bekommen. Nach der Einfuhrstatistik ist das nicht möglich. Man kann aber an den entsprechenden Verband herantreten. Ich glaube, dafür käme der Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks in Frage. Vielleicht ist es möglich, von dort zusätzliche Informationen zu erhalten.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Carstensen.
Carstensen [CDU/CSU]: Herr Staatssekretär, würden Sie zustimmen, wenn die Bundesregierung eine Art Förderung geben würde, um Preisunterschiede zwischen südosteuropäischem Reet und deutschem Reet auszugleichen, damit die Reeterzeuger bei uns in die Lage versetzt werden, ihre Flächen ordnungsgemäß zu bewirtschaften?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn hier Probleme auftreten, wie Sie sie angesprochen haben, können die deutschen Reeterzeuger mit dem Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft über die Möglichkeit eines Preisprüfungsverfahrens sprechen. In einem solchen Untersuchungsverfahren könnte gegebenenfalls ein gewisser Aufschluß auch über den Einfluß der Importe auf die Preise gewonnen werden. Das setzt allerdings voraus, daß die deutschen Reetgewinner an diesem Verfahren mitwirken und entsprechende Informationen zur Verfügung stellen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sauermilch.
Herr Staatssekretär, führen Sie die Tatsache, daß auf der Insel Sylt eine starke Häufung von Reetdächern festzustellen ist, darauf zurück, daß die Reetpreise zur Zeit so hoch sind, daß es sich der Normalbürger nicht mehr leisten kann?
Dr. Sprung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, daß die Reetdächer auf der Insel Sylt nicht erst im letzten Jahr hergestellt worden sind, sondern daß es sich hier um eine landschaftliche Besonderheit handelt. Reetdächer werden seit Jahrzehnten gerade in Sylt bevorzugt. Ich glaube, wir alle erfreuen uns an diesen Reetdächern.
Wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Wirtschaft. Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Sprung, für die Beantwortung der Fragen.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Geldern zur Verfügung.Ich rufe die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Carstensen auf:
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984 6383
Vizepräsident WestphalHat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, ob von deutschen Meiereien, inbesondere aus der DDR, aus der CSSR und aus Österreich zugekauft wird, um eigene Kapazitäten auszulasten?
Herr Kollege Carstensen, nach Erkenntnissen der Bundesregierung wird von deutschen Molkereien keine Milch aus der CSSR und aus Österreich zum Zwecke der Auslastung der Kapazitäten zugekauft. Aus Kostengründen würde sich diese Praxis auch verbieten, weil Einfuhren dieser Länder als Drittland-Einfuhren gelten, auf die bei einem Fettgehalt bis 4 % eine Abschöpfung in Höhe von rd. 50 DM pro 100 Kilo erhoben würde.
Mit der DDR ist ein Bezugskontingent von 12,2 Millionen Kilogramm Milch vereinbart worden. Diese Vereinbarung ist getroffen worden, um die Versorgung der Bevölkerung in Berlin sicherzustellen und stellt daher nur auf die Meiereizentrale Berlin ab.
Im übrigen finden gewisse Milchlieferungen zwischen benachbarten Mitgliedstaaten und der Bundesrepublik Deutschland statt, die jedoch alle der Garantiemengenregelung Milch unterworfen sind.
Zusatzfrage des Abgeordneten Carstensen.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, ob es in gewissen Gebieten im Bundesgebiet Defizite bei den Meiereien in puncto Auslastung der eigenen Kapazitäten gibt?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen, Herr Kollege Carstensen, darüber jetzt zwar keinen umfassenden Überblick geben, aber mir persönlich sind solche Auslastungsprobleme bekannt, die eine Folge der Garantiemengenregelung sind. Allerdings ist die Frage des Zukaufs von Milch nicht nur in diesem Zusammenhang zu sehen. Das ist ein wirtschaftliches, marktwirtschaftliches Verhalten, das über die Grenzen der Europäischen Gemeinschaft hinweg auch vor dieser Garantiemengenregelung Milch stattgefunden hat — hinüber und herüber.
Noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Carstensen.
Herr Staatssekretär, wenn es Unterschiede hinsichtlich der Auslastung der Kapazitäten bei uns im Bundesgebiet gibt — ob im Norden mehr oder im Süden weniger, sei hier dahingestellt —: Wäre die Bundesregierung bereit und in der Lage, eventuell für einen Ausgleich zwischen den Meiereien zu sorgen oder einen Ausgleich zwischen den Meiereien zu unterstützen?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Carstensen, das kann ich nicht in Aussicht stellen. Die Garantiemengenregelung Milch wird bei uns als eine Maßnahme durchgeführt, die auf den einzelnen Erzeuger abstellt. Wir haben insbesondere auch auf Wunsch der Molkereien keine Molkerei-Lösung, sondern die Erzeuger-Lösung gewählt.
Nun ist es zunächst einmal Aufgabe der Molkereien, in ihrem jeweiligen Einzugsgebiet und auch — durch entsprechende wirtschaftliche Maßnahmen — über ihr Einzugsgebiet hinaus Auslastung herzustellen bzw. ihren Grad entsprechend herunterzuführen. Außerdem sind, glaube ich, solche Überlegungen, wie Sie sie ansgesprochen haben, zu diesem Zeitpunkt durchaus verfrüht. Wir könnten uns über dieses Thema möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt erneut unterhalten.
Wir kommen zur Frage 44 des Abgeordneten Dr. Althammer:
Ist die Bundesregierung darüber informiert, daß nach Angaben des Fachverbandes der Marktmolkereien vom 25. September 1984 die Preise für Milch, Butter, Käse, Joghurt, Sahne und Speisequark steigen werden, weil eine Verknappung an Milchaufkommen auf Grund der jüngsten EG-Beschlüsse zur Eindämmung der Überschüsse aufgetreten sei?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Althammer, die Bundesregierung beobachtet die Preisentwicklung am Markt ständig und ist deshalb darüber informiert, daß die Preise für eiweißreiche Milcherzeugnisse, Frischbutter und Käse gegenwärtig in gewissem Umfang steigen.
Zurückzuführen ist diese Entwicklung auf den üblichen saisonalen Rückgang der Milchanlieferungen, der allerdings in diesem Jahr durch die Garantiemengenregelung noch verstärkt wird.
Es ist jedoch zu erwarten, daß — abgesehen von etwaigen Preisänderungen durch den teilweisen Abbau des deutschen Währungsausgleichs am 1. Januar 1985 — diese Entwicklung — wie in den Vorjahren — wegen der ab Dezember wieder steigenden Milcherzeugung zum Stillstand kommen wird.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Althammer.
Herr Staatssekretär, können Sie erklären, wie angesichts einer chronischen Überproduktion und angesichts ganz erheblicher Einlagermengen solche Preissteigerungen zustande kommen?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Althammer, ich habe soeben einige Gründe dafür genannt. Es hat mit dem saisonalen Rückgang der Milchanlieferung zu tun. Aber das ist eine sehr vorübergehende Erscheinung, die wir in all den Jahren gehabt haben. Die Bundesregierung geht davon aus, daß dies keine wirkliche Tendenz anzeigt, sondern sich in Kürze aus ebenfalls saisonalen Gründen wieder korrigieren wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Carstensen.
Herr Staatssekretär, wenn die Preise steigen, heißt das doch wohl, daß der Verbraucher mehr bezahlt. Wenn ich daneben sehe, daß die Bauern weniger
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6384 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Carstensen
bekommen, stellt sich für mich die Frage, wo das restliche Geld bleibt.Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Carstensen, das sind geringfügige Veränderungen bei Milcherzeugnissen, über die wir eben gesprochen haben. Ihre Feststellung, daß dies mit sinkenden Erzeugerpreisen einhergehe, trifft für den Milchbereich nicht zu.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, verstehe ich richtig, daß bei Ihrer Landwirtschaftspolitik die von Herrn Althammer angesprochene Entwicklung ganz normal ist, so daß man sich überhaupt nicht zu wundern braucht?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Ich habe bei den Antworten auf diese Frage darauf hingewiesen, daß es sich um geringfügige Veränderungen im Verbraucherpreisgefüge handelt, die saisonüblich, lange bevor eine Veränderung der Milchmarktordnung beschlossen worden ist, in allen Jahren vorgekommen ist. Dies zeigt keine allgemeine Tendenz bei den Verbraucherpreisen an. Vielmehr gehen wir davon aus, daß sich diese jetzt eintretenden Veränderungen bereits in wenigen Wochen wieder korrigiert haben werden.
Ich darf noch einmal die Feststellung, die ich eben auf die Frage des Kollegen Carstensen gemacht habe, wiederholen: Diese Veränderung bei den Verbraucherpreisen aus saisonalen Gründen gehen im übrigen auch in diesem Herbst nicht mit gesunkenen Erzeugerpreisen im Bereich Milch einher.
Ich rufe jetzt die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer auf:
Trifft es zu, daß bei der EG einerseits rund 1 Million Tonnen Butter eingelagert sei, andererseits aber die Nachfrage nach Butter innerhalb der Bundesrepublik Deutschland nicht gedeckt werden könne?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Althammer, es trifft zu, daß sich bei Butter der Lagerbestand der EG zur Zeit auf mehr als 1,2 Millionen t beläuft. Was die laufende Produktion angeht, so blieb diese wegen der geringeren Milchanlieferungen und des höheren Butterfettverbrauchs, insbesondere für Käse und Vollmilchpulver, erheblich unter der Vorjahresproduktion. Einen Ausgleich für die gesunkene Produktion bieten zunächst einmal die Bestände der privaten Lagerhaltung, die bereits seit dem 16. September 1984 in den Markt fließen. Diese Maßnahme ist eigens dafür geschaffen worden, um den Saisonausgleich zwischen Angebot und Nachfrage herbeizuführen. Die in der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung stehenden Mengen belaufen sich zur Zeit auf rund 65 000 t. Das sind etwa 32 % des deutschen Butterverbrauches während dieses milchschwächeren Halbjahres.
Damit dürfte das Butterangebot in der Bundesrepublik Deutschland ausreichen, um die Nachfrage voll zu decken, zumal auch nach Wirksamwerden der Garantiemengenregelung bei der Milch immer noch ein Selbstversorgungsgrad für die Gemeinschaft von rund 115% verbleibt.
Zusatzfrage von Dr. Althammer.
Herr Staatssekretär, bedeutet das konkret, daß mit keiner Steigerung des Butterpreises zu rechnen ist?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Das bedeutet es, j a.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Althammer.
Herr Staatssekretär, gehen Sie davon aus, daß auch in diesem Jahr zu Weihnachten wieder eine Verbilligungsaktion bei Butter stattfinden wird, und wann ist damit zu rechnen?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung drängt seit geraumer Zeit in Brüssel darauf, daß eine solche Weihnachtsbutter-Aktion durchgeführt wird. Auch wir sind der Auffassung, daß sie möglichst bald durchgeführt werden muß, damit sich die Marktbeteiligten, die Verbraucher rechtzeitig darauf einstellen und sie auch in vollem Umfang wahrnehmen können.
Eine Entscheidung in der Gemeinschaft ist bisher nicht gefallen, weil eine solche Aktion erhebliche Kosten verursacht. Sie wissen, daß erst gestern über den Nachtragshaushalt der EG beschlossen worden ist. Ich hoffe, daß wir nunmehr bald auch die finanzielle Grundlage für eine positive Entscheidung der EG über eine solche WeihnachtsbutterAktion haben werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, stimmt es, daß die Butterlagerung — so merkwürdig es klingt — ein Schweinegeld kostet und daß der Butteresser nicht nur als Kunde im Laden über den Preis für die Butter bezahlt, sondern auch als Steuerzahler zu erheblichen Subventionen für die Butter beitragen muß?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, weil dies so ist und wir eine Agrarpolitik in der Europäischen Gemeinschaft beim Regierungswechsel vorgefunden haben, die dazu geführt hatte, daß enorme Lager angelegt werden mußten, hat es im Frühjahr dieses Jahres die agrarpolitische Kurskorrektur zur Begrenzung der Produktion gegeben, die uns hoffentlich bald aus dieser Situation, hohe Lagerbestände halten zu müssen, herausführen wird.
Zusatzfrage des Abg. Carstensen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984 6385
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß es in den letzten Monaten endlich einmal wieder gelungen ist, keine Butter in die Interventionsläger einzubringen, um die gerade erwähnten hohen Kosten senken zu können?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Die Butterbestände sind auch im Laufe dieses Jahres noch gestiegen. Aber ich kann jetzt sagen, daß diese Tendenz durch die Garantiemengenregelung gebrochen ist.
Zusatzfrage des Abgeordneten Sauermilch.
Herr Staatssekretär, halten Sie es angesichts dieser geringen Abbaumöglichkeiten, die Sie jetzt angedeutet haben, für normal, und müssen wir uns damit abfinden, daß wir Butterberge in längerer Zukunft in dieser Größenordnung und damit auch die volkswirtschaftlichen Kosten, die Herr Dr. Sperling angedeutet hat, haben werden?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sauermilch, hier hatte sich in der Vergangenheit etwas angehäuft, was nicht mit einem Federstrich aus der Welt zu bringen ist. Aber ich bin sicher, daß wir auf dem richtigen Weg sind, dies allmählich abzubauen. Sie müssen vielleicht folgende Zahl in diesem Zusammenhang kennen. Der Gesamtabsatz eines Jahres auf dem Weltmarkt — als Ausweichventil für das, was in der Europäischen Gemeinschaft bei zu hoher Produktion nicht mehr abzusetzen ist — beträgt etwa ein Viertel dessen, was zur Zeit eingelagert ist. Die Möglichkeiten, diese enormen Vorräte durch Sonderaktionen innerhalb der Gemeinschaft oder durch Verkäufe außerhalb der Gemeinschaft abfließen zu lassen, sind also begrenzt, und wir müssen damit rechnen, daß es noch eine Weile dauern wird, bis diese enormen Vorräte abgebaut sind.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Kübler.
Herr Staatssekretär, wie hoch schätzen Sie die Kosten einer eventuellen Weihnachtsbutteraktion für den Steuerzahler?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kübler, es kommt sehr auf die Konditionen an. Die waren in der Vergangenheit unterschiedlich. Ich kann deswegen jetzt keine genaue Zahl nennen, was eine Weihnachtsbutteraktion kosten wird. Die Bundesregierung fordert diese Aktion, weil wir überzeugt sind, daß sie letztlich kostengünstiger ist, als weiter für die Lagerung und damit für den Qualitätsabfall der Butter zu zahlen. Nur: Selbst wenn die Kosten im Vergleich geringer sind, muß man sie erst einmal aufbringen können. Das ist das Problem der Gemeinschaft bei völlig angespannter Finanzlage.
Zusatzfrage des Abgeordneten Broll.
Herr Staatssekretär, wenn Sie die genauen Kosten verständlicherweise nicht nennen können: Können Sie einmal die Elemente nennen, aus denen sich diese Kosten zusammensetzen?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Die Butter muß so erheblich verbilligt werden, daß ein tatsächlicher zusätzlicher Absatz erzielt wird. Eine geringfügige Verbilligung des Verbrauchspreises der Butter würde keinen Effekt auf die Steigerung des Verbrauchs haben. Wenn also diese Aktion zwei Ziele verfolgen soll, nämlich dem Verbraucher ein günstiges Angebot zu machen und zugleich Lagerbestände der Gemeinschaft wirksam abzubauen, dann muß eine Verbilligung erfolgen, die so erheblich ist, daß sie weit unter dem Preis liegt, zu dem die Gemeinschaft diese Butter angekauft hat, so daß daraus der Hauptkostenanteil entsteht.
Wir sind am Ende der Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Geldern.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Vogt zur Verfügung.
Der Fragesteller der Frage 46, der Abgeordnete Kirschner, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zu der Frage 47 der Frau Abgeordneten Steinhauer:
Sind der Bundesregierung Veröffentlichungen bekannt, daß z. B. in Nordrhein-Westfalen keine Mittel für neue Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mehr zur Verfügung stehen, und wie sind solche Verlautbarungen mit den Antworten der Bundesregierung in der Fragestunde am 19. September 1984 in Einklang zu bringen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Steinhauer, auf die Frage des Herrn Kollegen Lutz habe ich in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 19. September 1984 ausgeführt, daß das diesjährige Bindungsvolumen für die Förderung von Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung nahezu erschöpft ist, und zwar teils infolge rechtlicher Bindungen durch Anerkennungsbescheide der Arbeitsämter, teils durch Bereithalten von Beträgen für Maßnahmen, deren Förderungsbewilligung in Kürze bevorsteht. Es besteht deshalb kein Widerspruch zwischen meiner Antwort und Veröffentlichungen, daß im Jahre 1984 für neue Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen keine weiteren Haushaltsmittel mehr zur Verfügung stehen, sondern erst wieder 1985.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre heutige Antwort so verstehen, daß Sie die gesamten Antworten vom 19. September 1984 heute relativieren wollen? Seinerzeit haben Sie bestritten,
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6386 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Frau Steinhauerdaß es amtliche Statistiken über die noch vorhandenen Mittel gibt.Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe in der Fragestunde am 19. September 1984 geantwortet, daß aus Gründen der Statistik nicht aufgeführt werden kann, in welchen der zahlreichen Arbeitsämter im Bereich des Bundesgebietes keine Mittel mehr für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur Verfügung stehen. Deshalb steht meine heutige Antwort keineswegs im Widerspruch zu dem, was ich in der Fragestunde am 19. September 1984 ausgeführt habe.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, muß ich davon ausgehen, daß der Informationsfluß von der Bundesanstalt für Arbeit zur Bundesregierung so schlecht ist, daß Ihnen Mitteilungen vom 18. August 1984 nicht bekannt waren, die am 19. September, und zwar morgens vor Ihrer Antwort, in der Zeitung standen, wonach im Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen alle Mittel erschöpft sind und im Arbeitsamt Dortmund ein Stau von 10 Millionen DM vorhanden ist?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich darf Sie bitten, meine Antworten zur Kenntnis zu nehmen. Ich habe gesagt, daß für neue Maßnahmen im Jahr 1984 keine Mittel mehr zur Verfügung stehen, daß das Bindungsvolumen ausgeschöpft ist. Das habe ich vor 14 Tagen in der Fragestunde gesagt, das sage ich heute. Es besteht kein Widerspruch. Sie konstruieren bestenfalls einen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatssekretär, wenn es finanzielle oder haushaltsrechtliche Gründe sind — wenn ich Sie richtig verstanden habe —, die dagegen sprechen, frage ich Sie: Wie erklären Sie es sich dann, daß die Bundesregierung angesichts eines zu erwartenden Überschusses bei der Bundesanstalt für Arbeit von über 3 Milliarden DM nicht bereit ist, hier auch haushaltsrechtlich korrekt aufzustokken?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, für das Jahr 1984 stehen für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen 1,724 Milliarden DM zur Verfügung. Das ist der weitaus höchste Betrag, der jemals für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen angesetzt worden ist.
Ich habe nur darauf hingewiesen, daß wir im Rahmen von AB-Maßnahmen einen hohen Stand von Beschäftigten haben. Wir können aus finanziellen Gründen diesen hohen Stand in diesem Jahr nicht noch weiter anheben.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung; denn die Frage 48 des Abgeordneten Austermann wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär, Herr Würzbach, zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Kuhlwein auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung plant, künftig auch den Luftraum „ostwärts von Hamburg" für den Tiefflugverkehr der Bundesluftwaffe zu benutzen, und sind damit die Kreise Herzogtum Lauenburg, Stormarn und Segeberg gemeint?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Kuhlwein, der Bundesminister der Verteidigung hat umfangreiche Untersuchungen des militärischen Tiefflugverkehrs in der ganzen Bundesrepublik Deutschland mit dem Ziel durchführen lassen, Möglichkeiten für eine Verringerung der Lärmbelastung für die betroffene Bevölkerung zu finden. Diese Untersuchungen ergaben unter anderem, daß eine Reduzierung vor allem an sogenannten Lärmschwerpunkten im wesentlichen nur durch Erweiterung der nutzbaren Lufträume in der Bundesrepublik möglich ist.
Auf diesem Ergebnis fußend untersucht das Ministerium Nutzungsmöglichkeiten von bisher nicht oder nur wenig genutzten Lufträumen, so z. B. im grenznahen Bereich zur südlichen und östlichen Landesgrenze. In diese von einer wissenschaftlichen Gesellschaft empfohlenen Untersuchungen sind auch der Raum ostwärts von Hamburg und damit die von Ihnen erwähnten Kreise einbezogen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, wie darf man nach Ihren Äußerungen jetzt Ihre Äußerung in der „Ahrensburger Zeitung" vom 17. September dieses Jahres verstehen, wo Sie gesagt haben, daß Sie selbst vor allem wegen der Grenze zur DDR erhebliche Bedenken gegen eine Ausweitung des Bereichs für Tiefflüge auf den Raum östlich von Hamburg hätten und daß Sie sich kaum vorstellen könnten, daß eine solche Lösung gefunden würde, wenn aber doch, daß das noch mehrere Jahre dauern würde?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Äußerungen — ohne jetzt auf den Wortlaut eingehen zu müssen — sind so zu verstehen, daß wir, wie ich es Ihnen eben erläuterte, gründliche und umfassende Untersuchungen auf Grund gegebener militärischer wie auch wissenschaftlicher Anregungen vornehmen lassen. Dazu zählt das nähere Herangehen an die Grenze zur Schweiz und nach Österreich. Sie sind informiert, daß dort bestimmte Maßnahmen getroffen wurden. Dazu zählt auch, diesen Raum im Hinblick auf Möglichkeiten, Vorteile und Nachteile — vorgegebene Eckpunkte, dichte Besiedelung, Grenze zur DDR als eine
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984 6387
Parl. Staatssekretär WürzbachGrenze ganz besonderer Art — zu untersuchen und dann zu einer Entscheidung zu kommen.Die endgültige Entscheidung — das betrifft Ihre zweite Frage und die des Kollegen; wir werden darauf noch nähere Antworten zu geben haben — ist noch nicht getroffen. Die Dinge, die Sie erwähnten und die ich auf Befragen auch nannte, stehen aber als feste Größen im Raum.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß Sie dem Kollegen Wolfgang Schwenk in einem Schreiben vom 3. September 1984 versprochen haben, den Raum westlich von Hamburg spürbar zu entlasten, indem Sie — so hieß es wörtlich — versuchen, den Luftraum ostwärts von Hamburg für den Tiefflugverkehr zu öffnen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich bestätige, daß ich dem Kollegen den Zustand der Untersuchung mitgeteilt habe, nämlich die Möglichkeit eines Durchflugs ostwärts von Hamburg zu prüfen. Ich habe erklärt — das ist logisch —, daß dies zu einer Verringerung der Zahl der im Augenblick westlich vorbeifliegenden Flugzeuge führte.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schwenk.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, nachdem Sie mir die eben zitierte Antwort gegeben haben, für die ich mich bedanke und die ich entsprechend den parlamentarischen Gepflogenheiten veröffentlicht habe — sie hat großen Widerhall gefunden hinsichtlich der Erwartung, daß es bei der nächsten Übungssaison bereits besser wird —, darf ich an Sie die Frage richten: Können Sie dafür auch eine Zeitvorstellung nennen? Die Bevölkerung in dem von mir vertretenen Raum erwartet jetzt natürlich, daß eine spürbare Entlastung stattfindet.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Wir werden diese Untersuchungen nicht unter irgendeinem Zeitdruck durchführen können. Hieran sind mehrere Ministerien beteiligt, beispielsweise der Verkehrsminister, was die Lufthansa angeht. Wir haben auch mit den Alliierten wegen der gemeinsam vorzunehmenden Tiefflugüberwachungszone zur DDR bestimmte Schritte einzuleiten. Es muß auch das Auswärtige Amt eingeschaltet werden.
Es zeichnet sich jedoch unabhängig von den Ergebnissen dieser Untersuchungen leider ab, daß wir durch den Großraum Hamburg, den wohl keiner von uns mit in die Überflugzone hineinnehmen will, und durch die Nähe zur DDR-Grenze und durch die im Raum Lauenburg einerseits und im Raum Lübeck andererseits in unser Gebiet hineinragenden „Nasen" des DDR-Gebiets zu einer solchen Enge auf der einen Seite und zu einer solchen Nähe zur DDR auf der anderen Seite kommen, daß die in Aussicht gestellte und für Sie wie für uns gewünschte Entlastung Ihrer Region und eine Entzerrung insgesamt nur realisiert werden könnten unter Inkaufnahme einer politisch wohl nicht hinzunehmenden Gefahr, daß ein Flugzeug, auch wenn es langsamer flöge, in wenigen Sekunden über dem Gebiet der DDR wäre. Nach jetzigem Kenntnisstand käme eine Öffnung dieses Raumes nicht — wenn, dann nur äußerst eingeschränkt — in Frage.
Zusatzfrage des Abgeordneten Heyenn.
Herr Staatssekretär, Sie haben aus Anlaß eines Flugzeugabsturzes im Raum Stade dem Kollegen Schwenk nicht als Ergebnis der Untersuchung einer Arbeitsgruppe, sondern als Auffassung des Parlamentarischen Staatssekretärs und damit der Bundesregierung mitgeteilt, daß eine spürbare Entlastung für den Raum Stade durch die Öffnung des Luftraums ostwärts von Hamburg zu erwarten sei.
Heute sagen Sie in Übereinstimmung mit Ihren Presseäußerungen im ostwärts von Hamburg gelegenen betroffenen Raum, daß damit wohl kaum zu rechnen sei. Sehen Sie hierin nicht einen gravierenden Widerspruch, eine Täuschung der Bevölkerung im Raum Stade? Kann man Ihren Aussagen heute entnehmen, daß die Überlegungen, ostwärts von Hamburg Schneisen zu eröffnen, gestorben sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich sehe in den gemachten Äußerungen keinerlei Widerspruch. Wenn Sie den Brief an den Kollegen, den er Ihnen sicherlich zur Verfügung stellt, wenn er es nicht schon getan hat, richtig lesen, dann werden Sie sehen, daß Sie hieraus bei einer sachlichen Ableitung keinen Widerspruch konstruieren können.
Zusatzfrage des Abgeordneten Sauermilch.
Herr Staatssekretär, kann die Konsequenz aus Ihren Äußerungen und den Geschehnissen, die hier geschildert worden sind, nicht eigentlich nur heißen, auf die Tiefflüge im Großraum Hamburg ganz zu verzichten?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Wir werden über dem Ballungsraum Hamburg, so wie übrigens über Großstädten von etwa 100 000 Einwohnern an, keine Tiefflüge durch die Bundesluftwaffe oder die hier übenden Alliiertenluftwaffen durchführen.
Ich rufe die Frage 50 des Abgeordneten Kuhlwein auf:Auf welchen Trassen ist unter Berücksichtigung des grenznahen Raums und der Bevölkerungsdichte im Umkreis der Freien und Hansestadt Hamburg mit Tiefflugverkehr zu rechnen?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die Untersuchungen sind, wie eben erläutert, noch nicht völlig abgeschlossen. Daher können keine konkreten Angaben über Einzelheiten bezüglich einer möglichen Trassenführung gemacht werden. Es ist aber selbstverständlich, daß bei der, wie immer zu treffenden Entscheidung die Siedlungsdichte und die Notwendigkeit eines sicheren Abstandes zur Grenze in beson-
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Parl. Staatssekretär Würzbachderem Maße berücksichtigt werden müssen. Im Raum südöstlich von Hamburg bliebe nur, je nach An- und Abflugrichtung, ein sehr schmaler Streifen in nicht so großem Abstand zur DDR, dessen Nutzung daher voraussichtlich nicht in Frage kommen wird.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Trifft es zu, daß sich die Bundesregierung um eine Verlegung der Luftverteidigungsidentifikationszone, ADIZ, um etwa zehn Kilometer nach Osten bei Alliierten bemüht, um eine neue Tiefflugschneise östlich von Hamburg zu schaffen, und über welche Gemeinden, gegebenenfalls in welcher Höhe, würde eine solche Tiefflugschneise gehen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Zum zweiten Teil, Herr Kollege, habe ich Ihnen eben geantwortet, daß diese exakten Untersuchungen nicht vorliegen; ich kann dazu keine Äußerungen machen. Insgesamt bemühen wir uns, nicht nur im Raume Schleswig-Holstein, sondern in der gesamten Länge zur Grenze, die ADIZ bezüglich ihrer Ausdehnung — das ist die Zone, nach der Sie fragen — zu überprüfen, um sie in manchen Räumen möglicherweise zu erweitern — ich denke an das Beispiel mit den Nasen, die in unser Gebiet hineinreichen —, sie aber in anderen Bereichen kilometermäßig schmaler zu machen. Diese Gespräche laufen seit einiger Zeit.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Dürfen wir Ihren Äußerungen zu diesem Gesamtkomplex heute entnehmen, daß das Bundesverteidigungsministerium nicht energisch versuchen wird, den Tiefflugverkehr im Raume Stade zu entlasten und einen Teil davon in den Raum ostwärts Hamburgs zu verlegen, sondern daß Sie im Gegenteil der Auffassung sind, daß eine Verlegung wegen der besonderen Situation dort — Hamburg auf der einen Seite, die DDR-Grenze auf der anderen Seite — zu zusätzlichen Schwierigkeiten führen würde, von denen man lieber Abstand nehmen sollte?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Sie dürfen meinen Äußerungen entnehmen, daß wir uns bemühen, im Raume Stade, wie in allen anderen Bereichen, in denen wir Tiefflüge durchführen, zu einer Entlastung im Interesse der dort wohnenden Bevölkerung durch mannigfaltige Maßnahmen — einige sind über dem Bundesgebiet realisiert, manches versuchen wir auch im Ausland auszuweiten — zu kommen.
Sie dürfen weiterhin den Antworten entnehmen, daß wir nach dem augenblicklichen Kenntnisstand beim Abwägen der Möglichkeiten der Vor- und Nachteile und der gegebenen Gefahren durch Sekundenschnelle beim Abweichen von einem sehr schmalen Kurs zwischen Hamburg und der DDR,
voraussichtlich wohl nicht dazu kommen werden, dorthin Flüge verlagern zu können.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schwenk.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gehört zu den Maßnahmen, die Sie eben in der Antwort an Herrn Kollegen Kuhlwein vorgeschlagen haben und die Sie vorsehen, auch der Einsatz von Tiefflugüberwachungsgeräten, um dem entgegenzutreten, daß die Tiefflüge in sehr geringer Höhe, möglicherweise sogar unter Unterschreitung der zulässigen Höhen, durchgeführt werden, insbesondere durch die schon mehrfach, nicht hier, aber in der Presse genannten mobilen Überwachungsgeräte?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Eindeutig ja, Herr Kollege. Ich weiß, daß wir auch in dem Gespräch — wenn ich mich richtig erinnere — erörtert haben, daß dieses Gerät auf Anforderung — in dem wirklichen oder vermeintlichen Gefühl, daß über dem jeweiligen Raum Verstöße vorkommen — dort hingeschickt wird, wobei ich noch einmal vor unserem Parlament darauf hinweisen möchte, daß wir den Bitten der Kollegen, dieses System dorthin zu geben, nachkommen, daß sie aber bitte Verständnis haben mögen, daß wir das nicht, bevor wir da sind, und nicht am Tage, an dem wir kommen, der Öffentlichkeit mitteilen, daß wir die Überprüfung vornehmen. Erst wenn wir eine Woche überprüfen, machen wir etwa in der Mitte der Woche dem Landrat, dem Bundestagsabgeordneten und den Behörden eine Mitteilung; denn dies hieße, vorher, auf Umwegen, quasi die zu warnen, die wir überprüfen wollen, ob sie sich vorschriftsmäßig verhalten.
Ich breche hier ab. Herr Heyenn, Sie sind dann morgen noch einmal mit zwei Fragen dran. Heute sind wir in besonderer Eile und müssen pünktlich verfahren. Ich bitte um Verständnis dafür. — Schönen Dank, Herr Staatssekretär. Sie müssen morgen noch einmal wiederkommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema:
Folgen der Regierungspolitik für die Bauwirtschaft
verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sperling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kohl, Sie sind jetzt zwei Jahre im Amt,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984 6389
Dr. Sperlingund die Lage der Bauwirtschaft muß man mit genau denselben Worten beschreiben, die im Oktober 1982 richtig waren.Erstens. Die Zahl der Baugenehmigungen sinkt.Zweitens. Die Bauaufträge reichen gerade noch für zwei Monate Beschäftigung; das ist bereits etwas niedriger als im Oktober 1982.Drittens. Die Firmenpleiten erreichen in diesem Jahr eine neue Rekordhöhe.Viertens. Die Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter ist höher als zuvor; sie ist in beiden Jahren, die Sie regierten, gestiegen.Herr Schneider hat mit dem, was er an Milliarden bekam, ein kurzes Strohfeuer für die Bauwirtschaft entfacht. Es wurde teuer mit Mitnehmereffekten erkauft. Es wärmte nur einen Winter lang. Die Strukturprobleme der Bauwirtschaft hat Bauminister Schneider nicht angepackt. Aber nach Ihrem Motto, Herr Bundeskanzler, daß entscheidend sei, was hinten herauskommt, hat Herr Schneider vor kurzem erklärt, daß die Bauwirtschaft mit 200 000 Arbeitsplätzen weniger in Zukunft zu rechnen habe. Herr Bundeskanzler, Ihr Bauminister hat weder Kurs noch Konzept in dieser Lage. Er paßt in Ihre Bundesregierung.
Als vor einem Jahr die Auftragszahlen noch wuchsen, da hat Herr Schneider gern die Rolle des Bauwirtschaftsministers gespielt. Heute ist er zur Rolle des Bauvorschriftenministers verkümmert.Bauwirtschaftsminister ist nun Herr Bangemann. Kurz nach Amtsantritt sprach er noch von „notwendigen Belebungsmaßnahmen für die Baukonjunktur". Dann wurde er krank. Er genas wieder, Gott sei Dank. Aber die Hoffnungen der Bauwirtschaft, Herr Bangemann, sind inzwischen begraben.
Herr Bangemann, Sie haben in dieser Lage für die Bauwirtschaft weder Kurs noch Konzept. Sie passen auch in diese Bundesregierung.
Baufinanzierungsminister ist Herr Stoltenberg. Rund 25 Milliarden hat er allein für den Wohnungsbau in diesem Jahr an Subventionen zu vergeben, meist über Steuerbegünstigungen. Diese Subventionen ließen sich weitaus beschäftigungswirksamer ausgeben, als es derzeit geschieht. Zur Rettung der Bauwirtschaft wäre dies sehr schnell nötig. Aber in seinem Konsolidierungseifer hat Herr Stoltenberg zwar noch die schleswig-holsteinischen Großbauern im Sinn, schon nicht mehr die Kleinbauern. Bauhandwerker und Bauarbeiter kommen bei ihm nicht mehr vor. Er hat für sie weder Kurs noch Konzept und paßt in Ihre Bundesregierung, Herr Kanzler.
Hintenheraus kommen 200 000 Arbeitsplätze weniger. Das hätte Herrn Blüm aufwachen lassen müssen. Aber seine Gewerkschaftskollegen sollteneigentlich Versicherungsbeiträge gegen Arbeitslosigkeit zahlen und nicht Konsolidierungsbeiträge für Herrn Stoltenberg. Herrn Blüm kümmert das nicht. Für seine Gewerkschaftskollegen hat er weder Kurs noch Konzept. Er paßt in Ihre Bundesregierung.
Herr Bundeskanzler, Hilfe wäre nötig. Im Bundesrat liegt ein Gesetzentwurf aus NordrheinWestfalen zur steuerlichen Behandlung selbstgenutzten Wohneigentums. Er ist der Schlüssel für jede beschäftigungspolitisch wirksame Umordnung von Bausubventionen.
Dieser Gesetzentwurf zeigt, was man ohne Behinderung von Herrn Genscher machen kann.Im Bundestag liegt ein Vorschlag der SPD-Bundestagsfraktion für ein „Sondervermögen Arbeit und Umwelt". Er würde 18 Milliarden DM Investitionssumme freisetzen. Er zeigt, was man ohne Behinderung durch Herrn Lambsdorff machen kann. Herr Bundeskanzler, beide Initiativen könnten Sie zum Nulltarif übernehmen. Bauhandwerker und Bauarbeiter würden erleichtert in Richtung Weihnachten schauen. Die leiden nämlich bereits an der Erblast, die Sie sich selber vermacht haben.
Auf Sie, Herr Bundeskanzler, richten sich prüfende Blicke, und es sind nicht mehr nur die Bauhandwerker und Bauarbeiter, die da fragen, sondern es sind auch — wie die Wahlergebnisse aus NordrheinWestfalen zeigen — andere, und sie fragen: Braucht und will denn dieser Bundeskanzler fürs Regieren überhaupt Kurs und Konzept? Paßt Herr Kohl überhaupt an die Spitze einer Bundesregierung?
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kansy.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Sperling, wer GRÜNE poussiert, der sollte nicht über arbeitslose Bauarbeiter weinen.
Und aus der Dachlatte des Herrn Börner ist eine Dachlatte mit Knospe geworden, die nicht mehr auf einem Bau steht, sondern irgendwo in der Ecke.
— In der Aktuellen Stunde gibt es keine Zwischenfragen, Herr Kollege; lesen Sie einmal die Geschäftsordnung!
Nicht heute, meine Damen und Herren, sondern im Herbst 1982, am Ende der Regierung Helmut
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6390 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Dr.-Ing. KansySchmidt, steckte die Bauwirtschaft in der schwersten Krise der Nachkriegszeit. Aufziehende Strukturprobleme und vor allen Dingen eine verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik verursachten einen Konjunktureinbruch, von dem sich die Bauwirtschaft bis heute nicht erholt hat. Sie warf die ganze Branche im Grunde auf ein Krankenbett.
Die neue Bundesregierung hatte damals keine Zeit, große Therapiediskussionen zu beginnen. Der Schwerkranke mußte sozusagen von Mund zu Mund beatmet werden. Das war unser Sonderprogramm im Herbst 1982.Es ist doch beachtlich: Da meldet sich der Herr Sperling, damals Hauptverantwortlicher für diese Agonie der Bauwirtschaft, und kritisiert den Bauminister und den Bundeskanzler mit Parolen wie „Strohfeuer" usw. Mir kommt das so vor, Herr Kollege Sperling, als ob Sie sich hier wie ein gescheiterter Kurpfuscher aufspielen,
der zu dem Arzt sagt, der mühsam Heilung versucht: Der Kranke ist viel zu schnell gesund geworden; es besteht die Gefahr, daß er schon wieder krank wird.
Das ist die Situation!
Wir waren uns doch von Anfang an klar, daß mit den Sofortmaßnahmen der Bundesregierung nur der konjunkturbedingte Teil der Krise bereinigt wurde;
die strukturellen Probleme der Bauwirtschaft sind nicht innerhalb von Monaten und auch nicht innerhalb von einem oder zwei Jahren zu lösen. Das wird ein langfristiger Prozeß. Hier gilt es, vernünftige Rahmenbedingungen abzustecken — da sind wir dabei —, hier gilt es, seriöse Perspektiven aufzuzeigen — da sind wir dabei! Nur, meine Damen und Herren von der SPD: Mit Horrormeldungen werden Sie dem Problem nicht gerecht werden, allerdings auch nicht — ich sage das in aller Offenheit — mit dem Hinweis, wie erfolgreich unser Sonderprogramm war. Aus diesem Grunde sind ja auch die Koalitionsfraktionen, wie Sie wissen, dabei, ein Konzept für die Zukunft zu erstellen.
Der Wohnungsbau wird sich auf einem heute vorhandenen Niveau stabilisieren. Wir kennen die Probleme im Bestand. Im Wirtschaftsbau wird es nach dem Ende dieses Jahres mit dem Auslaufen der Investitionszulage vielleicht eine kleine Delle geben; aber die Rahmenbedingungen sind abgesteckt.
Ich will Ihnen einmal folgendes sagen: Eine jährliche Wachstumsrate von einem oder zwei Prozentmehr oder ein Prozent weniger Zinsen bringen für die Bauwirtschaft zehnmal mehr als Ihre ganzen Programme, die Sie schon in der Vergangenheit versucht haben und womit Sie immer gescheitert sind.
Deswegen, meine Damen und Herren: Die CDU/ CSU stellt sich dem Problem; aber die zur Mode gewordene Politik der SPD, Katastrophen heraufzubeschören,
macht jetzt noch nicht einmal im Bereich der Bauwirtschaft halt. Sie erweisen allen einen Bärendienst: den Betrieben, den über 1 Million Arbeitern im Bauhauptgewerbe und vielen Hunderttausenden im Baunebengewerbe. Nicht parteipolitische Süppchenkocherei auf allen Gebieten, die Ihnen gerade vor die Flinte kommen, ist jetzt nötig, sondern Augenmaß und Perspektive, und die werden Sie von unserer Fraktion und dieser Bundesregierung bekommen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sauermilch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich müßte das Thema dieser Aktuellen Stunde anders heißen, nämlich: Folgen der Politik von Regierung und Wirtschaft, hier besonders der Bauwirtschaft, für die Menschen, die Opfer der Arbeitslosigkeit, die Opfer der jahrzehntelangen Zerstörung unserer gesamten natürlichen und gebauten Umwelt.
Die Zerstörung speziell unserer gebauten Umwelt haben die des vorletzten Weltkrieges weit übertroffen. Da erscheint es mir doch ein bißchen merkwürdig, daß die SPD hier so tut, als hätte sie daran keinen Anteil, Herr Dr. Sperling. Dabei war sie lange Zeit in der großen Koalition der Zersiedlungs- und Betonierungseuphorie sogar federführend tätig.
Das, was Sie hier angesichts des sich abzeichnenden Scheiterns der Schneiderschen Konkunkturprogramme verlangen, ist bei der Not der Unternehmen und der Handwerker am Bau entweder ein Täuschungsmanöver oder ein Trugschluß. Man kann nicht die Bedürfnisse der Bauwirtschaft isoliert als wesentlichen Maßstab einer Wohnungs- und Städtepolitik mißbrauchen. Die Verwertungsinteressen der Bauindustrie mit den Arbeitsplatzinteressen der Bauarbeiter zu verklammern, wie die SPD es offenbar will, endet z. B. bei einem viel zu teuren sozialen Wohnungsbau oder bei einer Art Neuer Heimat, bei der Fortschreibung von marktwirtschaftlichen Mißgeburten wie den Bauherrenmodellen und ist letzten Endes die Fortsetzung der Trostlosigkeit unserer Städte mit den gleichen Mit-
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Sauermilchteln, ohne daß den berechtigten Interessen am Bau gedient wäre.Beifall von rechts ist dabei meiner Ansicht nach völlig unangebracht;
Die CDU-Konjunkturwerker, die sich fadenscheinige grüne Mäntelchen umgehängt haben, arbeiten weiter mit den Preßlufthämmern ihrer globalen Wachstumsideologie an der quantitativen Ausdehnung der Baunachfrage bei gleichzeitiger Kürzung der kommunalen Etats.
Welche Chancen sehen die GRÜNEN? Städte wie Osdorfer Born, das Märkische Viertel oder Neuperlach haben wir viel zu viele; sie sind Mahnmale der Menschenverachtung. Eine wichtige Aufgabe ist es, gerade diese jüngsten Errungenschaften der gebauten Zivilisation zu sanieren, vielleicht sogar stellenweise abzureißen und neu zu konzipieren — ein Arbeitsfeld auch für die Leute vom Bau. Die Ara der Wohnsilo-Dinosaurier ist zu Ende. Dagegen lohnt es sich, die alten Stadtteile — in Berlin-Kreuzberg, in Altona oder in vielen weniger bekannten Städten — zu regenerieren, eine große, aus meiner Sicht eine der wichtigsten Aufgaben für Wohnungspolitik und Städtebau, aber auch für die Bauwirtschaft. Gerade diese Aufgabe ist besonders beschäftigungswirksam, aber nicht für jene Baulöwen- und Generalunternehmer-Mafia, die sich beim Auftragspoker die Trumpfasse umschichtig in die Armel schiebt, wenn wieder einmal eine Preisabsprache für ein Millionenprojekt ansteht.
Auch die Ära der Baufirmen-Ichthyosaurier ist vorbei.Ein weiteres Arbeitsfeld ist die Verbesserung der Infrastruktur der alten Städte, der Ausbau der öffentlichen Nahverkehrssysteme, die Umwandlung von Industriebrachen, die Renaturierung alter Zersiedlung, alternative Heizungssysteme, der Ausbau der öffentlich-sozialen Einrichtungen.Ein weiteres große Arbeitsfeld ist die Beseitigung von Schäden an Gebäuden, Kunstdenkmälern, Brücken usw. durch Schadstoffemissionen, Abgase, Stäube aus diversen Dreckschleudern im In- und Ausland. Eine für viele neue Möglichkeit und für uns alle eine Notwendigkeit ist schließlich die Orientierung auf die Ökologie. Ihre in vielen Bereichen erst noch neu zu entwickelnden praktischen Auswirkungen auf den Bau — und da besonders für die kleineren und mittleren Handwerksbetriebe rund um den Bau — sind immens. Nur dieser Weg kann aus unserer Sicht langfristig den Menschen und nicht den Unternehmen allein helfen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grünbeck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann Bauwirtschaft wie jede andere Wirtschaft nicht am Markt vorbei durch staatliche Förderungsinstrumente beeinflussen.
Doch wenn sich Herr Sperling hierherstellt und sozusagen als Musterbeispiel die Vorschläge von Nordrhein-Westfalen präsentiert,
dann frage ich Sie nur, wo die meisten leeren Wohnungen stehen. Das ist nämlich in Nordrhein-Westfalen. Wollen Sie noch mehr leere Wohnungen produzieren, wie das in Nordrhein-Westfalen geschieht
und wie das geschehen wäre, wenn dieses Parlament Ihren Vorschlägen zum Beschäftigungsprogramm gefolgt wäre?
Die Winterbaumaßnahmen haben Sie gar nicht erwähnt, die eine steigende Tendenz haben. Ich sage Ihnen auch, daß mich Ihre Sorge um die Pleiten erschüttert. Ich werde Ihnen auf diese giftigen Angriffe auf diese Regierung eine Antwort geben.
— Da brauchen Sie nicht gespannt zu sein; da kriegen Sie genau die Wahrheit serviert, die Sie heute mit diesem Beitrag des Herrn Sperling verdient haben. Sie müssen gerochen haben, was ich sagen wollte.
13 Jahre lang haben Sie einen Finanzminister gestellt, der eine Ausgabenpolitik betrieben hat, die die Zinsen ständig nach oben getrieben hat. Ständig steigende Zinsen sind das größte Gift für die Baukonjunktur überhaupt.
Jetzt haben wir einen Finanzminister, der bei einer Stabilisierungsrate liegt, die niemand erwartet hat und die die besten Voraussetzungen für eine Strukturwandlung in der ganzen Bauwirtschaft überhaupt darstellt.
Wir danken dem Finanzminister. Ihre Finanzminister hätten in diese Regierung nicht hineingepaßt.
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6392 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
GrünbeckSie haben 13 Jahre lang einen Arbeitsminister gestellt, der die Lohnnebenkosten zur höchsten Lohnnebenkostenquote dieser Welt gemacht hat.
Heute haben wir mehr als 235% an Lohnnebenkosten. Das heißt, daß der Arbeitnehmer und der kleine Mann mit mittlerem Einkommen die Löhne und die tatsächlichen Kosten für die Bauwirtschaft gar nicht mehr bezahlen können. Diese Arbeitsminister hätten in diese Regierung nicht hineingepaßt, alle miteinander nicht.
Sie hatten einen oder mehrere Bauminister, aber keiner von diesen hatte auch nur ein einziges langfristiges Konzept für die Bauwirtschaft
— einschließlich Herrn Vogel. Wir sind der Meinung, daß die Bundesregierung jetzt in den neuen Leitlinien zur Wohnungsbauförderung den richtigen Ansatz gefunden hat. Keiner Ihrer Bauminister hätte in diese Bundesregierung gepaßt.
Herr Vogel hat zweifache Schuld auf sich geladen, einmal als Bauminister, wo er nicht viel gebracht hat, und dann als Justizminister.
Dort hat er ein Mietrecht geschaffen, das jeden Investor in der Bauwirtschaft hat erschauern lassen, überhaupt etwas zu bauen, weil das Mietrecht so war, daß der Eigentümer keine Rechte mehr hatte.
— Ich habe Sie bisher als souveränen Humoristen kennengelernt, Herr Sperling, aber ich bin froh, daß ich Sie getroffen habe.Sie hatten einen Justizminister, der ein Mietrecht geschaffen hat, das nicht mehr in die Welt paßt. Ich glaube, die Bundesregierung hat richtig gehandelt, eine Bauwirtschaft darauf auszurichten, daß sie dem Strukturwandel, der nun einmal erforderlich ist, weil der Markt in bestimmten Bereichen gesättigt ist, die Rahmenbedingungen gibt, damit er sich in Kontinuität vollziehen kann.
Wir werden die Regierung bei diesen Maßnahmen unterstützen. Wir sind auch der Meinung, daß durch Terminsetzungen im Augenblick eine überhitzte Endphase der Baukonjunktur eingetreten ist.Die Bauherrenmodelle gehen zu Ende; die Option der Mehrwertsteuer hat einen ungeheuren Druck auf die Bauwirtschaft ausgeübt. Ich wäre dankbar, wenn wir wirklich schnell und unkompliziert den Fertigstellungstermin auf den 31. März verlängern, damit wir jetzt nicht Bauarbeiter Überstunden machen lassen, die dann im Januar, Februar, März möglicherweise als Arbeitslose stempeln gehen müssen.
Diese Vorschläge müssen Sie sich mal überlegen. Aber ich habe die Hoffnung längst aufgegeben, daß Sie sich was überlegen; Sie betreiben ja etwas andere s.Unser Ansatz ist richtig. Ich danke Ihnen, Herr Bundesbauminister, daß wir den Eigentumsmarkt besser ausstaffieren wollen, weil dafür ein Markt vorhanden ist. Bezüglich der Eigentumsquote haben wir einen Anteil von etwa 38 %. Der Bundesbauminister hat 50 % angestrebt. Das entspricht den Intentionen. Wir sind auch im Städtebau und Dorferneuerungsprogramm auf dem richtigen Weg. Herr Bundesbauminister, Sie haben unsere volle Unterstützung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfram.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist erschütternd, was die bisherigen Sprecher der Regierungskoalition zur Lage der Bauwirtschaft und zur Lösung der schwierigen Probleme in diesem Bereich gesagt haben.
Die Bauwirtschaft wird es Ihnen zu danken wissen. Es ist im Grunde genommen ein Hohn, wenn die Bauwirtschaft und die in ihr Beschäftigten lesen müssen, welche Selbstbeweihräucherung die Bundesregierung in ihrer zweijährigen Regierungsbilanz treibt, wenn sie sagt: Die Wirtschaft investiert wieder, die Auftragsbücher sind voll. — Jeder kann vor Ort beim nächsten Bauunternehmen erfahren, wie schlimm die Lage in diesem Bereich ist.Bei dieser Lage fällt der Bundesregierung nichts anderes ein, als die Gemeinden aufzufordern, mehr zu investieren.Meine Damen und Herren, ich möchte zunächst folgendes feststellen: Nach unserem Verfassungsverständnis sind die Gemeinden autonom. Sie sind sich ihrer Verantwortung bewußt. Sie wissen, was sie zu tun haben. Die Städte und Kreise weisen die Gängelei und die Einmischungen dieser Bundesregierung in ihre kommunale Unabhängigkeit und Eigenständigkeit entschieden zurück.
Wir fordern diese Bundesregierung, vor allem denHerrn Bundesfinanzminister, auf, endlich eine ge-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984 6393
Wolfram
meindefreundliche Politik zu betreiben, wie es die Vorgängerregierung unter Helmut Schmidt getan hat.
Ich fordere — dabei kann ich mich auch auf Stimmen von führenden CDU-Kommunalpolitikern berufen — die Bundesregierung deshalb auf, die Gemeinden nicht laufend mit mehr Sozialausgaben zu belasten, um die Bundesanstalt für Arbeit und damit den Bund finanziell zu entlasten.
Wir, die wir in den Gemeinden kommunalpolitische Verantwortung tragen, sind nicht länger bereit, Herr Bundeskanzler, für die Fehler und Versäumnisse Ihrer Politik zu bezahlen.Wir vor Ort baden heute aus, was Sie an falscher Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik betreiben.Die Lage am Arbeitsmarkt wäre in bestimmten Regionen noch katastrophaler, würden wir in den Gemeinden nicht längst kräftig gegensteuern.Die Ausbildungsplatznot wäre viel größer, würden wir in den Gemeinden nicht Tausende zusätzlicher Ausbildungsplätze schaffen und bereitstellen. In meiner Stadt Recklinghausen sind es in diesem Jahr allein über 300 zusätzliche Ausbildungsplätze. Herr Bundeskanzler, wir lösen ein Versprechen ein, das Sie leichtfertig gegeben haben.
Die Lage der Städte, Kreise und Gemeinden ist sehr differenziert. Es gibt arme und reiche Gemeinden, es gibt solche mit extrem hoher Arbeitslosigkeit, und es gibt solche mit Gott sei Dank relativ geringer. Es gibt reine Dienstleistungszentren, und es gibt Kohle-, Stahl-, Werft- und andere Standorte, die spezieller Hilfe bedürfen. Es gibt Gemeinden, die haben eine optimale Infrastruktur, und es gibt solche mit größerem Nachholbedarf. Deshalb ist es zynisch, so zu reden
und gleichzeitig die Gemeinden zusätzlich mit Aufgaben des Bundes zu belasten.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten sind für eine gemeindefreundliche Politik.
— Sie sind nervös. Schreien Sie nicht, hören Sie meine Argumente an!
Wir können die Krise in der Bauwirtschaft allein nicht lösen, aber wir sind bereit, wenn die Bundesregierung uns hilft und wir über mehr eigene Mittel verfügen können, zusätzlich dafür zu sorgen, daß mehr investiert wird und mehr Aufträge erteilt werden. Unser Programm „Arbeit und Umwelt", die Vorschläge der IG Bau, Steine, Erden wären eine gute Beratungsgrundlage. Herr Bundeskanzler, holen Sie doch einmal die Gewerkschaften und die Bauindustrie an einen Tisch und greifen Sie deren gute Vorschläge auf!Wir sind bereit, der Bauwirtschaft zu helfen. Die Lage in der Bauwirtschaft ist gekennzeichnet durch fehlende Aufträge, unzureichende Preise und sinkende Umsätze. Die Bauwirtschaft kann keine Investitionen vornehmen, was sich auch auf die Auftragslage der Baumaschinenindustrie auswirkt. Die Zahl der Beschäftigten wird leider weiter reduziert. Wir sind bereit zu helfen, wenn Sie uns nicht belasten, sondern entlasten. In den Gemeinden gibt es noch viel zu tun. Wir könnten im Wohnungsbau, bei der Stadtsanierung, in der Wohnumfeldverbesserung, bei der Beseitigung von Altlasten, beim Umweltschutz, bei der Verkehrsberuhigung und dem Radwegebau, bei der Modernisierung alter Kanalisationen, bei der Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs, bei Energiesparmaßnahmen und beim Ausbau der Fernwärmeversorgung viel tun, wenn Sie uns Geld nicht nehmen und vorenthalten, sondern geben würden.
In diesem Sinne bitte ich gerade die Kommunalpolitiker in den Koalitionsfraktionen, sich nicht irreführen zu lassen von einer Politik, die Erfolge vorgaukelt, aber in Wirklichkeit den Gemeinden und der Bauwirtschaft Schaden zufügt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Daniels.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stimme Herrn Kollegen Wolfram zu, daß die Lage der Bauwirtschaft von den öffentlichen Investitionen in erheblichem Maße abhängt.
Ich stimme ihm auch zu, daß die Gemeinden hierbei eine besondere Rolle zu spielen haben. 65 bis 70 % der öffentlichen Investitionen erfolgen durch ihre Aufträge.Allerdings: Ein Vergleich zwischen dem, was unter der SPD-geführten Bundesregierung erfolgt ist, und dem, was unter der jetzigen Bundesregierung stattfindet, fällt auch hier zu Lasten Ihrer Regierung vernichtend aus. Die kommunalen Investitionen haben Anfang der 80er Jahre einen dramatischen Rückgang erfahren. Sie haben sich von 1980 bis 1983 um rund 10 Milliarden DM vermindert. Dies sind die Folgen der SPD-geführten Bundesregierung, die die Gemeinden bis an den Rand des finanziellen Ruins getrieben hatte.
Herr Kollege Wolfram, jetzt ist auch auf diesem Gebiet eine Wende eingetreten.
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6394 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Dr. DanielsWir haben die Talfahrt gestoppt.
Herr Kollege Sperling, ich kann Ihnen das mit Zahlen beweisen. Im ersten Quartal dieses Jahres haben sich die gemeindlichen Investitionen nur noch um 438 Millionen DM vermindert, im zweiten Quartal nur noch um 162 Millionen DM. Es sind also deutlich abnehmende Raten. Die Prognosen nicht nur des Bundesfinanzministeriums, sondern auch der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände, die ja bekanntlich aus allen Parteien zusammengesetzt ist, stimmen bis auf Stellen hinter dem Komma überein. Sie prognostizieren — bitte hören Sie gut zu — für die Jahre 1985 bis 1988 jährlich rund 2 Milliarden — das sind rund 6 % — Zunahme der gemeindlichen Investitionen, in den nächsten vier Jahren.
Das ist die übereinstimmende Prognose des Finanzministeriums und der kommunalen Spitzenverbände. Unter Ihrer Regierung Rückgang, jetzt Zunahme der Investitionen!Das ist, Herr Kollege Sperling, völlig unabhängig davon, wie die Städte regiert werden. Mein Kollege Samtlebe aus Dortmund, Präsident des Deutschen Städtetages, hat vor kurzem gesagt, er könne in diesem Jahre 50 Millionen DM in die Rücklage tun, weil die Steuereinnahmen auch seiner Stadt so angezogen haben, daß es ihm finanziell wieder besser geht.
Auch dies läßt sich mit Zahlen belegen. Steuereingänge: 1982 bei den Gemeinden Steigerung um 2 %, 1983 um 5,4 %, im ersten Quartal 1984 um 9,5%. Wie war es unter Ihrer Regierung? Um rund eine Milliarde DM haben die Steuereingänge der Gemeinden von 1980 bis 1981 abgenommen.Zur Zeit Ihrer Regierung war jede Schätzung schlechter als die vorhergehende und das Ergebnis noch einmal schlechter als die letzte Schätzung. Jetzt ist jede Schätzung besser als die vorhergehende, und das Ergebnis ist noch einmal besser als die letzte Schätzung.
Das ist die Wende im Bereich der Gemeindefinanzen.Gerade an diesem Beispiel wird deutlich, wie wichtig die allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch für die Bauwirtschaft sind. Die Städte und Gemeinden werden jetzt wieder in den Stand gesetzt, ihre Aufgaben zu erfüllen. Sie beginnen wieder zu investieren, ohne daß sie dazu gegängelt werden müssen. Das zeigen die Zahlen deutlich.Natürlich wird es deshalb auch in Zukunft keine goldenen Jahre für die Bauwirtschaft geben. Aber die Bauwirtschaft kann mit einem Aufschwung bei den öffentlichen Aufträgen rechnen. Gerade dieStädte und Gemeinden wissen, wie wichtig es ist, der Wirtschaft Mut zu machen. Das bringt Steuereinnahmen. Das verschafft die Möglichkeit, Aufgaben zu erfüllen und zu investieren. Das stärkt die Bauwirtschaft. Das schafft auch neue Arbeitsplätze.
Ich kann Ihnen nur sagen: 13 Jahre SPD-Regierung haben gezeigt, daß alle Programme wirkungslos sind, bei denen nur Geld verteilt wird, das man vorher gutgehenden Wirtschaftsbetrieben abgenommen hat.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ehrenberg.
— Bitte, meine Damen und Herren, gönnen Sie dem Redner diese fünf Minuten doch ungestört. Denken Sie an das Sprichwort: „Was du nicht willst, das man dir tu', das füg' auch keinem andern zu!"
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute mittag lief um 13.08 Uhr eine AP-Meldung über die deutschen Ticker mit der Überschrift: „Massiver Einbruch im Bauhauptgewerbe". Herr Kansy, es ist kein Katastrophenverein, der das gemeldet hat, sondern das Bundeswirtschaftsministerium in Bonn ist es, von dem diese Meldung kommt.
Also, das Bundeswirtschaftsministerium teilt heute mittag mit — Sie, die Redner von den Regierungsfraktionen, scheinen das alle nicht zu wissen —, daß es im Bauhauptgewerbe mit einem Minus von 12,5% zu einem massiven Einbruch gekommen ist.
Ich bitte Sie, Herr Kansy und Herr Daniels, lesen Sie nach, was der Bundeswirtschaftsminister zur Lage im Bauhauptgewerbe sagt.Vielleicht lesen Sie auch nach, wie sich die Situation insgesamt entwickelt hat. Diese magere Bilanz des Baugewerbes mit rückläufigen Aufträgen, abnehmender Produktion und sinkender Beschäftigung hat im Verlauf eines Jahres zu 6,5% mehr Arbeitslosigkeit im Baugewerbe geführt. Insgesamt haben wir seit 1982, seit Sie die Regierung übernommen haben,
350 000 Arbeitslose mehr und 1 Million mehr als 1981. Das sollten Sie inzwischen noch nicht vergessen haben.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984 6395
Dr. EhrenbergMan muß hier j a wohl an die erste Regierungserklärung des Bundeskanzlers Kohl erinnern. Am 13. Oktober 1982, vor jetzt fast zwei Jahren, sagte Herr Kohl hier in anklagendem Ton, daß jeder vierzehnte Erwerbstätige arbeitslos ist. Herr Bundeskanzler, heute, zwei Jahre später, sucht jeder zehnte Arbeitnehmer — nicht mehr jeder vierzehnte, sondern jeder zehnte Arbeitnehmer — vergeblich einen Arbeitsplatz.
Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
Aber in Ihren schön und kräftig frisierten Bilanzen steht nichts davon, daß jeder zehnte Arbeitnehmer vergeblich — und auf Dauer vergeblich — einen Arbeitsplatz sucht.Sie sind auch nicht bereit, etwas dagegen zu tun.Im Sozialbudget 1983 wird für das Jahr 1987 von einer Arbeitslosenquote von 9 % bis 9,5%, d. h. von 2,2 bis 2,4 Millionen Arbeitslosen, ausgegangen. Das ist die Absichtserklärung der Politik dieser Koalition, und die hätte ich gern in Ihren frisierten Bilanzen zum Oktober, Herr Bundeskanzler, gefunden.
Wenn Sie wollten, wenn es Ihnen mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ernst wäre, dann könnten Sie, so glaube ich, der Bauwirtschaft immer noch eine Schlüsselrolle für die Konjunkturentwicklung zuerkennen. Es gibt für die Leute vom Bau Vorhaben genug, wenn die Regierung den Mut und die Einsicht hätte, etwas zu tun.
Das konkrete sozialdemokratische Programm „Arbeit und Umwelt" gibt hier Hinweise genug.
Herr Bundeskanzler, Sie haben Ende Oktober in Bremen die Nodseeschutz-Konferenz. Dort wird die Bundesrepublik stolz auftreten, weil sie das MARPOL-Übereinkommen zum Schutze der Gewässer unterzeichnet hat. Aber sie wird sich dort sagen lassen müssen, daß kein deutscher Hafen in der Lage ist, die nach diesem Übereinkommen vorgesehene Entsorgung der Rückstände von den Schiffen vorzunehmen, weil die Infrastruktur nicht vorhanden ist.
Hier wäre ein kurzfristig bauwirksames und Beschäftigungs-Programm
— Wenn Sie, Herr Kollege, auf die uralte Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern hier anspielen, dann sage ich Ihnen nur: Das ist mir ein schöner Hinweis auf das Grundgesetz, um sich der beschäftigungspolitischen Verantwortung zu entziehen. Das ist nicht die Pflichterfüllung, die wir von einer Bundesregierung erwarten dürfen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer die Reden aus den Reihen der SPD anhört, der muß die Fragen des lesenden Arbeiters im Jahre 1984 erneut stellen. Sie lauten:Wer hat das Investitionszulagenprogramm beendet? — Die SPD. Wer hat jahrelang gegen das Bauherrenmodell polemisiert, die Anleger vom Wohnungsmarkt vertrieben? — Die SPD.
Wer hat die steuerliche Förderung der Wohnungsmodernisierung zum 30. Juni 1983 auslaufen lassen? — Die SPD. Wer hat den sozialen Wohnungsbau verkommen lassen? — Die SPD.
Wer ist daran schuld, daß wir im Jahre 1982 eine Leistung von unter 350 000 Wohnungen hatten, die geringste Zahl seit 1949? — Die SPD.
Wer ist daran schuld, daß die sozialen Mietwohnungen teurer sind als die frei finanzierten? — Die SPD.
Also, meine Herren, wer hinter so dünnem Glas sitzt wie Sie, sollte schweigen.
— Meine Damen und Herren, ich kann natürlich das Zitieren der Fragen des lesenden Arbeiters fortsetzen:Wer polemisiert gegen die Verkabelungsmaßnahmen des Bundespostministers, die Milliarden-DM-Aufträge für die Bauwirtschaft bringen, und will sie verhindern? — Die SPD.
Wer verhindert in Hessen Baumaßnahmen mit einem Volumen in Milliarden-Höhe? — Die GRÜNEN.
Wer hat behauptet, die Baupolitik und die Mietenpolitik dieser Bundesregierung würden die Mieten um 10 bis 30 % hochtreiben — das hat an dieser Stelle am 10. Dezember 1982 stattgefunden? — Die SPD.
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6396 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Bundesminister Dr. SchneiderWelche Mietpreissteigerungen haben wir im frei finanzierten Wohnungsbau? Die letzte Zahl: 2,9 %. 30 % hatten Sie prophezeit.
— Meine Damen und Herren, ich glaube, daß Sie nervös werden. Wer ein so schlechtes Gewissen wie Sie hat, der sollte nicht nur nervös, sondern zu seiner angeborenen Röte noch röter werden.
Meine Damen und Herren, aber jetzt wollen wir einmal zur Sache selber kommen.
Kommen wir zu den nackten Fakten. Baufertigstellungen im Wohnungsbau von Januar bis Juli 1984 — die letzten amtlichen Zahlen —: insgesamt plus 13,8 %. Wohnungen in Wohnungsbauten und Wohnheimen: plus 14,9 %. Einfamilienhäuser: plus 16,2 %. Mehrfamilienhäuser: plus 16,9 %. — Meine Damen und Herren, und was haben wir 1982 übernommen? Das Sofortprogramm hat doch außerordentlich gewirkt. Zu dem leichtfertigen, um nicht zu sagen: dummen Gerede vom Strohfeuer frage ich: Was ist daran Strohfeuer gewesen? Auf Grund Ihrer gesamten Konjunkturpolitik hatten wir im Oktober 1982
einen Stau von Bauvorhaben aus den Jahren 1981 und 1982. Der hätte sich im Jahre 1983 fortgesetzt. Warum? Weil die Wartefristen bei der Zuteilung der Bausparverträge immer länger geworden sind. Durch die Maßnahmen zur Bausparzwischenfinanzierung mit einem Volumen von einer halben Milliarde DM konnte eben — und das war unsere Intelligenz —
innerhalb von drei Monaten der Stau aufgelöst und die Zahl der beantragten Baugenehmigungen um bis über 30 % gesteigert werden.
Wir haben diesen Rückstau aufgelöst und jetzt beim Bau eine Phase der Normalisierung.Ein Weiteres. Wir werden natürlich keine neuen Sonderprogramme für Mietwohnungen auflegen. Die Zeit der Trabantenstädte ist vorbei. Ich habe es richtigzustellen, wenn in der Öffentlichkeit behauptet wird: Über 1 Million Wohnungen stehen leer. Gehen Sie doch nach Hamburg! Wo stehen denn die Wohnungen leer? Gehen Sie nach Nordrhein-Westfalen! Wo stehen sie leer?
Unsere Wohnungspolitik hat die soziale Treffsicherheit im sozialen Wohnungsbau wiederhergestellt,
zielt auf die Familien, auf die Eigennutzer ab.
Wir führen den Wegfall der Nutzungswertbesteuerung für den Selbstnutzer ein.
— Dazu haben Sie lang genug Zeit gehabt! Was in Jahrzehnten nicht gelungen ist: diese Regierung Helmut Kohl schafft es.
Ein Weiteres. Wir haben nicht nur ein Sofortprogramm vorgelegt, das ein absoluter Erfolg war. Wir werden sozial gerecht, sozial treffsicher, wirtschaftlich vernünftig und bedarfsbezogen Wohnungsbau betreiben. Was bedeutet das? Wir erhöhen beispielsweise für ein Ehepaar mit einem Kind, das bisher nach § 7 b des Einkommensteuergesetzes in acht Jahren 80 000 DM erhalten hat, die steuerlichen Abzugsbeträge auf 140 000 DM. Ist das kein Erfolg?
— Bei welchem Jahreseinkommen? Unter den gleichen Bedingungen, unter denen zu Ihrer Zeit gefördert worden ist.
Ein Weiteres: Sie haben den sozialen Wohnungsbau nach Ihren eigenen Worten, lieber Kollege Conradi, verkommen lassen.
— Ja sicher, Sie haben den sozialen Wohnungsbau verkommen lassen. Die soziale Treffsicherheit ging verloren. Wir stellen sie wieder her und führen die wirtschaftliche Vernunft im Baugeschehen wieder ein.
Sie behaupten ein Weiteres: Baulandbereitstellung muß billiger werden. Wir haben einen erfreulichen Rückgang der Kosten bei Bauland-Immobilien. Ohne gesetzliche Eingriffe hat der Markt hier die notwendige Korrektur gebracht.Sie nennen als weiteres die Altbauerneuerung. Ja, meine Damen und Herren, Sie haben zehn Jahre lang die Städtebauförderung um 220 Millionen DM stehen lassen.
Wir haben vom ersten Tag an gesteigert und haben jetzt im neuen Haushalt einen Ansatz von 320 Millionen DM.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984 6397
Bundesminister Dr. Schneider— Das Modernisierungsprogramm haben Sie gestoppt und am 30. Juni 1983 auslaufen lassen.
Die SPD behauptet: Ohne nachhaltige Ertragsaussichten und nach Abbau der Subventionen im Bauherrenmodell entfalle der Geschoßwohnungsbau. Wer hat denn das Bauherrenmodell politisch diffamiert? Wer hat denn den Anleger im Wohnungsbau diffamiert? Das sind doch Sie gewesen. Ich habe nicht die Zeit, das alles vorzutragen.Ich stelle fest: Am 20. September waren es 35 Jahre her, daß Konrad Adenauer an dieser Stelle erklärt hat: Die Beseitigung der Wohnungsnot und die Bildung von Wohnungseigentum werden eine vorrangige Bedeutung in der Politik dieser Bundesregierung haben. Wir haben nach 35 Jahren Wohnungsbau in der Bundesrepublik Deutschland einen Übergang vom öffentlich dirigierten Verteilungsmarkt zu einem echten Mietermarkt. Der Mieter sucht sich seinen Vermieter aus. Und damit haben wir den höchsten Grad an Mieterschutz erreicht.
Wir werden dort bauen und die Bauwirtschaft beschäftigen, wo Bedarf ist. Das ist auf dem Gebiet der Stadterneuerung. Das neue Programmwort heißt: „Stadtökologie". Stadtökologie bedeutet: Wir werden die Leistungen auf den Gebieten des sozialen und kulturellen Gemeinbedarfs, des Umweltschutzes, der Energieversorgung, der Entsorgung usf., auch im heiztechnischen Bereich, in dem Maß fördern, in dem es sinnvoll ist.Die Sozialdemokraten sollten sich an das erinnern, was sie versäumt haben. Durch die Wohnungen, die wir in den ersten 20 Jahren unserer Regierungsverantwortung gebaut haben, haben wir den sozialen Bestand preisgünstiger Wohnungen gebaut. Dann hatten Sie die Aufgabe zu bauen. Hier sind Milliarden an Nachsubventionierungen notwendig. Unsere wohnungsbaupolitische Leistung hat sozialen Bestand und wird Sie politisch überdauern.
Das Wort hat der Abgeordnete Müntefering.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Schneider, draußen stehen Hunderttausende von arbeitslosen Bauarbeitern, und draußen gehen tagtäglich neue Firmen der Bauwirtschaft pleite. Sie stellen sich währenddessen hierher und halten eine kleinkarierte Rede. Sie versuchen, sich mit dem zu rechtfertigen, was vor zehn oder 15 Jahren war. Das ist angesichts dessen, was inzwischen draußen an Problemen aufgelaufen ist, nicht angemessen.
Sie sollten als Bundesbauminister sagen, wie Sie die Probleme lösen wollen, und nicht sagen, wie es vor 15 oder 20 Jahren gewesen ist. Deshalb haben wir diese Aktuelle Stunde beantragt. Das ist die Antwort, die wir von Ihnen erwarten.
Sie haben eine Zwischenbilanz gemacht. Ich will Ihnen auch eine aufmachen, und zwar in zwei Punkten. Sie sind 1982 mit der Behauptung angetreten, diese Regierung sei der Wachstumsimpuls an sich, sie werde den Investitionsstau beseitigen, der Wohnungs- und Städtebau sei die Wachstumslokomotive der Wirtschaft. Sie haben das Mietrecht mit der Behauptung stranguliert, das werde den Mietwohnungsbau in neue Höhen treiben.Das Ergebnis nach zwei Jahren ist: Die Zahl der Pleiten ist größer als je zuvor.
Die Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter ist größer als je zuvor. Die Zahl der Genehmigungen nimmt ab.
1983 — das wirft ein bezeichnendes Licht auf Ihre Argumentation — hieß es, die Zahl der Genehmigungen sei entscheidend, nicht die der Fertigstellungen. 1984 rechnen Sie uns vor, so viele Fertigstellungen hätten wir. Die Genehmigungen fehlen. Was wollen Sie eigentlich 1985 und 1986 sagen, wenn Sie weder Genehmigungen noch Fertigstellungen haben?
Was tut der Bundesbauminister? Er trägt als historische Großtat ein imaginäres Baugesetzbuch vor sich her, das in zwei, drei, vier oder fünf Jahren fertig sein wird und das mitnichten die Probleme unserer Städte und Gemeinden löst. Sie warten auf andere Antworten. Diese Arbeit am Bundesbaugesetzbuch sollten Sie Ihrem Parlamentarischen oder beamteten Staatssekretär überlassen. Sie sollten sich um die politischen Entscheidungen in Ihrem Hause kümmern.Was tun Sie? Sie kürzen im Haushalt die Mittel für den sozialen Wohnungsbau, sowohl in diesem Jahr als auch in der mittelfristigen Finanzplanung bis 1988. Sie weigern sich, Modernisierung und Energiesparen zu fördern. Sie verschieben die Wohngeldverbesserung vom 1. Januar 1985 auf Mitte 1986.
Sie lassen zu, daß die FDP die Mitverantwortung des Bundes für die Lösung schwieriger Wohnungsprobleme zurückdrehen will und Ihr Ministerium quasi in Frage stellt. Sie ignorieren die Hilferufe von Bauwirtschaft und Bauarbeitern. Sie sagen nichts dazu, daß der Bundesfinanzminister den Haushalt auf Kosten der Kommunen konsolidiert und dadurch in den Kommunen die Investitionsanstöße unmöglich macht.
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6398 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
MünteferingSie ignorieren die Vorschläge der SPD-Bundestagsfraktion, über ein Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" neue Impulse in den Gemeinden zu geben. Wissen Sie denn nicht, daß vor Ort große Probleme bestehen im Bereich Gewässerschutz, im Bereich Trinkwassersicherung, im Bereich Verkehrsberuhigung, im Bereich Stadterneuerung, wo dieses Programm eine große Hilfestellung geben könnte?
Sie verschieben die Neuregelung der Eigentumsförderung auf das Jahr 1987, ohne zu bedenken, daß Sie damit einen neuen Attentismus auslösen. Was sollen denn die Menschen denken, die sich jetzt überlegen, ob sie bauen sollen oder nicht, wenn sie von Ihnen hören: 1987? Keiner weiß etwas Genaues.Die Sozialdemokraten aus Nordrhein-Westfalen haben Sie gebeten, unterstützt von unserer Fraktion: Übernehmen Sie den Vorschlag von Nordrhein-Westfalen zur Neuregelung der Eigentumsförderung zum 1. Januar 1985, und zwar ohne die sozial ungerechte Steuerprogression, vielmehr mit einem Abzug von der Steuerschuld, so daß alle in gleicher Weise begünstigt werden.
Der Wohnungsbau wird nie wieder die Größenordnungen wie vor zehn Jahren erreichen. Wir wollen keine Sonderprogramme, wir wollen auch keine Illusionen über die Möglichkeiten in diesem Bereich erzeugen. Wir wollen vielmehr, daß die Möglichkeiten genutzt werden, die es gibt. Das heißt Modernisieren, das heißt Energiesparen, das heißt Stadterneuerung, das heißt Umweltmaßnahmen in diesem Bereich. Die Gemeinden haben da viele Aufgaben auf dem Tisch liegen. Helfen Sie durch Ihre Politik mit, daß das endlich auch realisiert werden kann.
Ein letzter Satz: Sie haben Hessen erwähnt. Wissen Sie denn eigentlich nicht, daß die bauwirtschaftlichen Verbände in Hessen gerade dieser Tage ausgerechnet den Haushaltsansatz im Bereich Wohnungs- und Städtebau des Landes Hessen gelobt haben? Das sollte Ihnen zu denken geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Kraus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst zu Herrn Sauermilch. Herr Sauermilch, ich will mich mit Ihren Vorschlägen hinsichtlich der Bauwirtschaft generell nicht auseinandersetzen. Aber ein Wort möchte ich zu Ihren Bemerkungen zu der Frage Neuperlach sagen. Ich finde, es ist nicht richtig, wenn man sich von hier aus zum Richter macht über das Wohnumfeld von so vielen Leuten, denen es dort inzwischen gut gefällt. Sie legen doch immer großen Wert darauf, die Menschen zu befragen. Ichbin ganz sicher, daß Sie das in diesem Fall noch nie getan haben.
Man macht es sich auch viel zu einfach, wenn man heute auf derartigen Siedlungen herumreitet, die, wie ich es einmal ausdrücken möchte, an Charme gewinnen, die zunehmend Atmosphäre bekommen. Die Infrastrukturprobleme nehmen dort immer weiter ab.
Sie übersehen ganz einfach, daß es auch Menschen gibt, die gern in einer großen ordentlichen Wohnung leben. Es ist nicht der Normaltyp, der es vorzieht, in einer Ansammlung von Bruchbuden zu hausen, und das Ganze dann für besonders romantisch hält. Nur das ist in etwa die Alternative zu den modernen Bauprogrammen.
Wir brauchen heute so etwas nicht mehr, weil der Bedarf heute nicht mehr so groß ist wie damals.Ich möchte noch etwas zur allgemeinen Situation der Bauwirtschaft sagen. Natürlich ist es so, daß sich auf dem Bausektor einiges tut, was uns zu denken geben muß.
Wir sind aber der Meinung, daß Programme nichts bringen. Programme bringen deshalb nichts, weil sie — das wurde auch gerade von Herrn Sperling gesagt — zu teuer sind. Was wir brauchen, ist eine langfristige Politik, die eine Umstrukturierung in der Bauwirtschaft ermöglicht.
— Natürlich jetzt. Selbstverständlich sagen wir das jetzt. Sie wissen, daß unsere Bemühungen in diese Richtung gehen. Denken Sie z. B. an das Gesetz, das morgen hier im Deutschen Bundestag verabschiedet werden soll, das genau in die richtige Richtung zielt, nämlich auf die geänderten Bedarfsstrukturen Rücksicht zu nehmen und weniger das zu tun, was bisher notwendig war.
Dieses Gesetz ist sicher wegweisend für die neue Politik, die sich als richtig erweist.Im übrigen glauben wir, daß man natürlich auch nicht am langfristigen Bedarf vorbei bauen kann. Es ist nun einmal so, daß eine gewisse Bedarfssättigung in bestimmten Bereichen eingetreten ist. Wir müssen jetzt versuchen, diese Umstrukturierung — natürlich auch mit Hilfe des Staates — zu bewältigen.
Deshalb halte ich es auch durchaus für richtig, daß weiterhin gefordert wird, die Haushalte so umzustrukturieren, daß mehr für sinnvolle, volkswirtschaftlich rentierliche und langfristig notwendige Bauinvestitionen getan wird. Das ist unsere Politik.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984 6399
KrausIn dieser Richtung müssen wir meines Erachtens auch fortfahren.Eine letzte Anregung. Ich hielte es für sehr sinnvoll, wenn sich die Bundesregierung mit der Frage beschäftigte, wie man den deutschen Baufirmen im Ausland besser helfen kann. Es ist doch ganz offenbar so, daß ein erheblicher Teil der Schwierigkeiten darauf zurückzuführen ist, daß die Baunachfrage aus dem Ausland ungeheuer zurückgegangen ist.
Sehr viele hochqualifizierte Kräfte kehren aus dem Ausland zurück. Sie drängen auf den sowieso schon schwierigen heimischen Markt und verschlechtern damit die Wettbewerbssituation gerade der mittleren und kleineren Baufirmen erheblich.Es müßte doch Mittel und Wege geben, daß auch unsere Bundesregierung, ähnlich wie das andere vergleichbare Industriestaaten tun, eingreift, sei es mit Erweiterungen im Bereich der Hermes-Bürgschaften oder durch ähnliche Dinge. Ich möchte ausdrücklich anregen, in dieser Richtung etwas zu versuchen. — Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Ehrenberg, der Umgang mit Menschen steht unter dem Gebot der Nächstenliebe; Tieren gegenüber soll man freundlich sein, die Umwelt soll man schonen, und bei Daten muß man vorsichtig sein.
Ich würde Ihnen raten, diese Vorsicht auch als Abgeordneter zu beachten, weil Sie nämlich sonst den Verdacht verstärken, daß schon während Ihrer Regierungstätigkeit der Umgang mit diesem spezifischen Gut der amtlichen Tätigkeit eines Ministers nicht ganz in Ordnung war.Möglicherweise haben Sie auch nicht damit gerechnet, daß ich so schnell die Tickermeldung bekomme. Aber das hätte Ihnen angesichts der Qualitäten meines Hauses eigentlich bewußt sein müssen.Ich will deswegen die ganze Meldung zitieren. Unter der Überschrift „Industrieproduktion im August gesunken" heißt es:Die Industrieproduktion der Bundesrepublik ist im August gegenüber dem Vormonat saisonbereinigt um 2% gesunken.
Nach vorläufigen Berechnungen des Bundeswirtschaftsministeriums waren vor allem die Aktivitäten des Bauhauptgewerbes um 12, 5% rückläufig.Das sind die Zahlen. Sie, meine Damen und Herrenvon der SPD, sollten den arbeitenden Menschen inunserem Lande doch wirklich gestatten, im August Urlaub zu machen!
Bekanntlich ist das ein Urlaubsmonat. Ich will Ihnen die Zahlen vorlesen, die den gesamten Verlauf des Jahres umfassen, soweit wir ihn bisher erlebt haben; denn nur das kann einen richtigen Eindruck geben. Da wird nicht bestritten,
daß sich die positiven Zahlen der gesamten industriellen Produktionsentwicklung nicht in der gleichen Weise in der Bauindustrie erreichen ließen.
Das läßt sich an den Zahlen zeigen, wobei Sie — soweit Sie an der Diskussion im Wirtschaftsausschuß schon teilgenommen haben — genau wissen, daß das auch sehr differenziert ist. Das sollte man ebenfalls nicht verschweigen. Man darf nicht einfach ein Gesamtgemälde entwerfen, sondern man muß, wenn man sich wirklich mit den Problemen ernsthaft befassen will, in die Details eintreten.
Wir haben zunächst einmal zu sagen, daß alle Vergleiche, die in diesem Jahr angestellt werden, natürlich schon deswegen gegenüber dem vergangen Jahr schlechter sein müssen, weil dessen Zahlen sehr gut waren. Wenn Sie also prozentuale Vergleichszahlen von diesem Jahr nehmen, dann vergleichen Sie immer ein sehr gutes Jahr,
das, wie ich einmal sagen will, beispielsweise bei den Auftragseingängen 1983 ein Plus von 21 % gegenüber 1982 hatte.
Wenn man 1983 ein Plus von 21 % hat, dann ist es doch ganz selbstverständlich, daß sich das dann, wie Sie ja selber zugeben, nicht im Laufe des Jahres 1984 so fortsetzen ließ.
— Herr Sperling, Sie brauchen gar nicht so laut dazwischenzurufen. Ich habe alles aufgeschrieben, was Sie interessiert. Ich komme Punkt für Punkt darauf.
— Das gilt auch für Sie, Herr Ehrenberg.Bei den Baugenehmigungen haben wir im Jahre 1983 ein Plus von 25 % gehabt. Das bedeutet natürlich, daß sich dieses hohe Niveau im Jahre 1984 so nicht hat halten lassen. Das gilt aber mit Unter-
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6400 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
Bundesminister Dr. Bangemannschieden. Im Wirtschaftshochbau beispielsweise, wo wir 1983 auch schon gute Zahlen hatten, wie auch im Wirtschaftstiefbau, wo wir nicht nur 1983 einen Nachfrageanstieg hatten, sondern schon im bisherigen Jahresverlauf ein Plus von 21,2 %, und auch bei der öffentlichen Nachfrage, meine Damen und Herren von der Opposition, gibt es kein Nachlassen. Der Kollege Daniels hat schon darauf hingewiesen. Wir haben keine Nachfrageschwäche im öffentlichen Bau: 1984 öffentlicher Hochbau plus 6 %, Straßenbau plus 10 %, sonstiger öffentlicher Tiefbau plus 8 %. Deswegen ist der schlichte Vergleich mit dem Jahre 1983 nicht seriös.
— Sie sollten aus den Tickermeldungen nicht nur das lesen, was Ihnen paßt. Wenn Sie mit Zahlen arbeiten, dann müssen Sie das gesamte Bild geben. Sonst ist das wirklich unseriös.
Jetzt komme ich zu den Gemeinden. Sie sollten diese Mär wirklich einmal einstellen. Der Kollege Stoltenberg hat schon darauf hingewiesen, daß das Defizit der Gemeinden in diesem Jahr auf 1 Milliarde DM absinken wird. Das heißt, die Gemeinden haben zum erstenmal wieder mehr Spielraum für eigene Investitionen.
Natürlich gibt es da Ausnahmen. Es gibt selbstverständlich Gemeinden im Ruhrgebiet, wo diese allgemeine gute Situation nicht zutrifft. Der durchschnittliche Wert aber, der auch für die durchschnittliche Investitionstätigkeit wichtig ist, zeigt einen deutlich größeren Spielraum der Gemeinden.Das ist auch gar kein Wunder. Wenn wir im August eine Preissteigerungsrate von 1,7 % hatten und im September eine Preissteigerungsrate von 1,6 %, und wenn wir die gute Hoffnung haben, in diesem Jahr auf jeden Fall mit einer 2 vor dem Komma bei den Preissteigerungsraten zu enden, dann ist das nicht etwas, was vom Himmel fällt und was in Andersens Märchen vorkommt, die Sie immer erzählen, sondern das ist eine Leistung dieser Regierung, die sich auch bei den Gemeinden bemerkbar macht.
Deswegen brauchen wir keine neuen Programme. Was wir brauchen, Herr Kollege, ist der Appell der Bundesregierung an die Gemeinden,
wobei wir uns nicht in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden einmischen. Das ist ganz selbstverständlich. Jedermann weiß das auch. Unsere Bundesrepublik lebt ja geradezu von dem föderalen Dreiklang Gemeinde-Länder-Bund. Da hat sich noch nie jemand ernsthaft in die Kompetenzeneines anderen eingemischt, und der Bund schon gar nicht in die Kompetenzen der Gemeinden.
Aber es wird doch wohl einer Bundesregierung gut anstehen, den Gemeinden zu sagen: schöpft eure Haushaltsansätze für Investitionen aus. Das wollen Sie ja auch.
Allerdings, eines werden wir nicht tun — —
— Ich bin sieben Jahre lang Stadtrat in einer Gemeinde von 21 000 Einwohnern gewesen. Sieben Jahre lang war ich in einem Kreistag. Darf ich Ihnen sagen, was mich an dieser Tätigkeit so befriedigt hat? Da ist es mir gelungen, Kollegen der SPD durch Argumente zu überzeugen. das ist mir im Bundestag noch nie gelungen.
— Herr Conradi, in Stuttgart ist Ihnen das natürlich nicht gelungen. Aber das lag nicht an den anderen, sondern möglicherweise an Ihnen.Wir werden eines nicht tun: Wir werden keine Programme auflegen, die in der Tat das zustande bringen würden, was Sie mit Recht kritisieren würden: ein Strohfeuer. Das machen wir nicht. Aber die Tätigkeit dieser Regierungen, auch in der Finanzpolitik, ist so gut, daß Sie, meine Damen und Herren, krampfhaft suchen müssen, einen Punkt zu finden, den Sie kritisieren können.
Das Wort hat der Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bangemann, Sie haben beklagt, daß Sie zur Zeit die SPD im Bundestag nicht überzeugen; Ihnen gelänge das nicht mehr. Herr Bangemann, wir kennen uns sehr lange. Vor zehn Jahren haben Sie mich in Ihrer politischen Grundhaltung mehr überzeugt als heute.
Aber wir sollten — da appelliere ich an die Kollegen aus dem Wirtschaftsausschuß — einen Moment an die Art und Weise zurückdenken, wie wir die Baukrise im Wirtschaftsausschuß debattiert haben. Da vertrat der Minister als einziger die Meinung, die er jetzt wiederholt hat, alles sei in Butter, man müsse nichts tun. Der Herr Schwörer, der entweder nicht reden will oder nicht reden darf, hat dort in Angriffen schärfer formuliert als ich, Herr Kraus hat dort ganz anders geredet als hier. Heute haben wir Jugendliche hier im Parlament. Ein Stück der Unglaubwürdigkeit des Parlaments besteht auch dar-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984 6401
Rothin, daß Sie im Ausschuß immer anders reden als hier in der Öffentlichkeit.
Wir waren uns im Wirtschaftsausschuß mit Ausnahme des Ministers in sechs Punkten einig:Erstens. Es gibt einen Beschäftigungsrückgang im Baugewerbe.Zweitens. Es gibt jetzt mehr arbeitslose Bauarbeiter als vor einem Jahr, und im Winter werden es nochmals viel mehr werden.Drittens. Es gibt jetzt weniger Aufträge; aktuell: Einkommen.Viertens. Der Auftragsbestand ist tiefer als jemals zuvor; darüber waren wir uns auch einig.Fünftens. Die Arbeitsstundenzahl, die pro Zeiteinheit geleistet wird, ist Monat für Monat rückläufig.Sechstens. Wir haben — das müßte Sie nach den langen Diskussionen zu dem Thema am meisten beunruhigen — im ersten Halbjahr 1984 einen Pleitenrekord im Bausektor: 1 028 Pleiten in einem halben Jahr.Das war übereinstimmend die Diskussion im Wirtschaftsausschuß. Und da kommen Sie hierher und tun so, als sei alles in Ordnung, als sei überhaupt kein Handlungsbedarf da, obgleich Sie vorher exakt das Gegenteil gesagt haben.
Das ist unglaubwürdig. Da vermißt man auch die Aufgabenerfüllung, die Sie als Koalitionsfraktion wahrnehmen müßten.Herr Bangemann, es hilft doch nichts, diese Zahl zu schönen. Sie haben sogar gesagt, die Zahl des Rückgangs am Bau sei vom Urlaub geprägt, weil so viele Leute urlaubsbedingt nicht gearbeitet hätten. Nun steht in der AP-Meldung im Satz zuvor, daß es saisonbereinigte Zahlen sind. Sie kennen also nicht einmal den Unterschied zwischen einer saisonbereinigten und einer unbereinigten Monatszahl.
Das müssen Sie noch lernen. Übrigens, der Herr Schlecht ist ein guter Lehrmeister. Fragen Sie ihn mal und lassen Sie sich über Ihren Irrtum aufklären.Sie haben gesagt: Weiterlesen, Herr Ehrenberg! Im nächsten Satz, den Sie nicht mehr zitiert haben, steht nun weiter: „Die Herstellung im Baugewerbe lag damit in den Sommermonaten dieses Jahres deutlich unter den Vorjahresziffern." Exakt dies hat Herr Ehrenberg hier ausgeführt!
Das heißt: Es zeigt sich immer mehr, daß dieser Wirtschaftsminister zwar Schlagzeilen produzieren kann, aber keine Antwort auf Probleme hat.
Meine Damen und Herren! Ich will in vier Punkten kurz sagen, was wir vorschlagen.Erstens. Sondervermögen „Arbeit und Umwelt", diese dringend notwendigen Umweltinvestitionen, bringen Bauarbeitsplätze.
Zweitens. Wohneigentumspolitik muß angekurbelt werden. Der Vorschlag von NRW liegt auf dem Tisch; machen Sie etwas auf dieser Basis. Der kleine Mann muß wieder bauen können.
Drittens. Wiederaufnahme der Förderungsmaßnahmen für Modernisierung, Stadterneuerung und Energieeinsparung, die sich Ende der 70er Jahre bewährt hatten, die dann auch wegen der Blockierung durch die FDP ausgelaufen sind.
Viertens. Stärkung der Gemeindefinanzen, damit hier investitionsbezogen mehr getan werden kann.Das sind vier Maßnahmen, keine Uraltprogramme, langfristig angelegt, kapazitätsmäßig orientiert. Das wäre eine Antwort auf die jetzt beginnende Baukrise. Wir werden Sie daran erinnern, daß Sie diese Vorschläge jetzt im Herbst ausgeschlagen haben. Im Winter werden es viele, viele bitter bezahlen müssen.
Das Wort hat der Abgeordnete Jung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist keine Frage: Mit einer vernünftigen antizyklischen Haushaltspolitik könnte gegenwärtig etwas für die Lage unserer Bauwirtschaft getan werden, insbesondere dann, wenn wir dazu beispielsweise die rund 29 Milliarden DM Zinsen hätten, die wir allein in diesem Jahr für die Schulden ausgeben müssen, die Sie zuvor gemacht haben, meine Damen und Herren!
Der kleine Mann, der einfache Arbeiter, wäre auch wieder imstande, zu bauen, wenn in den vergangenen Jahren nicht diese verheerende inflationäre Entwicklung auch bei den Baumarktpreisen stattgefunden hätte, die von Ihrer Seite jahrelang verharmlost worden ist.
Meine Damen und Herren, mit einer unangebrachten Polemik können wir die gegenwärtig kritische Lage unserer Bauwirtschaft nicht verbessern. Der mittelständische Bauunternehmer, der Handwerksmeister im Bauhaupt- und im Baunebengewerbe zum Beispiel wollen von uns hören, mit welchen mittel- und langfristigen politischen Maßnahmen wir ihre Position verbessern werden.
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Jung
Da möchte ich mit aller Klarheit darauf hinweisen: unsere Politik, die zum Abbau der Staatsquoten führt, die zum Abbau der Lohnnebenkosten führt,
die zu einem generellen Abbau der steuerlichen und bürokratischen Belastungen unseres Baugewerbes führt — das ist wohl eine der wirkungsvollsten Maßnahmen für unsere Bauwirtschaft!Lassen Sie mich aber aus meiner langjährigen ehrenamtlichen Tätigkeit in der Selbstverwaltung des Handwerks etwas zu einem Thema oder, besser gesagt, zu einem Mißstand sagen, dessen Beseitigung wesentlich zur Verbesserung der Ertragslage unserer Bauwirtschaft beitragen würde. Ich meine, die Schwarzarbeit. Wir mußten nämlich in jüngster Vergangenheit feststellen, auch noch Ende vergangenen Jahres, daß zwar die Baugenehmigungen zugenommen haben, daß zwar der Baustoffhandel erhöhte Umsätze hatte, daß aber gleichermaßen die Auftragslage für unsere mittelständische Bauwirtschaft zurückgegangen ist. Sachkenner auf diesem Gebiet sagen, daß hieran insbesondere auch die Schwarzarbeit eine wesentliche Schuld trägt.Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Es ist einfach notwendig, daß wir in unserer Gesellschaft auf diesem Gebiet zu einem Umdenken kommen. Das Unrechtsbewußtsein bezüglich des Gesetzesverstoßes der Schwarzarbeit muß wieder geschärft werden. Schwarzarbeit ist kein Kavaliersdelikt.Ich möchte Ihnen einmal ein Beispiel dafür geben, welche Größenordnungen das bei uns annimmt. In meinem Bereich der Handwerkskammer Freiburg, der sich über vier große Landkreise erstreckt, haben wir mit Vertretern der Baupolizeibehörde und der Presse eine Fahrt zur Besichtigung und Überprüfung von vermutlichen Schwarzarbeiterbaustellen unternommen. Das führte zu einem erschreckenden Ergebnis. Wir mußten nämlich feststellen, daß alle Baustellen — es war an einem Samstag, und es ging insgesamt um acht große Baustellen — typische Schwarzarbeiterbaustellen waren.Was wir da an Schwarzarbeiterpfusch,
an baulichen Mängeln, an einer Umgehung von Sicherheitsbestimmungen nach den berufsgenossenschaftlichen Vorschriften erlebt haben, war ganz einfach erschreckend. Noch über Tage hinaus hat die Presse, teilweise mit Bildreportagen, über diese Besichtigungsfahrt berichtet.Wir haben dort einen Balkon gesehen, der geradezu auf Absturz programmiert war, und er ist in der Tat wenige Tage später auch heruntergefallen,
und zwar auf ein geparktes Auto.Meine Damen und Herren, warum erwähne ich das alles? Ich bin der Meinung:
Jeder von uns — das ist ein Appell an Sie, meine Damen und Herren —, wir alle sollten dazu beitragen, daß dieser Mißstand der Schwarzarbeit bei uns zurückgedrängt wird,
denn der Schwarzarbeiter betrügt uns alle:
Er unterschlägt seine Steuerzahlungen, er unterschlägt seine Sozialabgaben, und nicht umsonst verurteilen alle Gewerkschaften die Schwarzarbeit.Ich möchte damit schließen und noch einmal an Sie, meine Damen und Herren, den Appell richten: Tragen auch Sie in Ihren Wahlkreisen dazu bei, diese Schwarzarbeit einzudämmen. Jede Handwerksinnung und jede Kreishandwerkerschaft ist Ihnen dafür von Herzen dankbar.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klose. — Herr Abgeordneter, bringen Sie nicht so viele Unterlagen mit, denn Sie haben nur zwei Minuten.
Ich weiß, Herr Präsident! — Meine Damen und Herren, ich habe in dieser Debatte sehr aufmerksam zugehört und habe festgestellt, daß die Meinungsverschiedenheiten eigentlich schon bei der Frage einsetzen, ob denn die Lage nun ernst sei oder nicht. Ein Kollege von der Koalition hat von einer kleinen Delle gesprochen, die sich zeige, der Mittelstandspolitiker Grünbeck, der doch weiß, das es in diesem Jahr bei mittelständischen Betrieben weit über 2000 Insolvenzen geben wird, sagt diesem Bundesbauminister seine volle Unterstützung zu — ein, wie ich finde, erstaunlicher Vorgang —,
und der Bauminister selber sagt, wir gingen in eine Bauphase der Normalisierung hinein, und er sagt das, obwohl wir gegenwärtig 135 000 arbeitslose Bauarbeiter haben und nach seinen eigenen Worten in den nächsten vier Jahren weitere 200 000 arbeitslos werden.Da fragt man sich wirklich, was das für eine Regierung ist,
ob es an der Schwarzarbeit liegt oder vielleicht, wie mein Kollege Peter Conradi sagt, doch daran, daß die Schwarzen nicht genügend arbeiten.
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KloseMir scheint das letztere etwas wahrscheinlicher zu sein.Im übrigen lohnt es sich manchmal, Broschüren zu lesen, etwa eine vom Mai dieses Jahres. Da sehe ich, daß 1983 das Jahr des wirtschaftlichen Umschwungs war, daß 1984 das Jahr des konjunkturellen Aufschwungs sei, daß der Rückgang der Beschäftigung zum Stillstand gekommen sei und daß die Zahl der Arbeitslosen allmählich sinke. Das alles ist übrigens unterschrieben von dem Herrn Bundeskanzler, der dort — nicht lächelnd, also untypisch — auf einem Foto abgebildet ist.An anderer Stelle lese ich, daß die erzielten Fortschritte ausgebaut und neue Arbeitsplätze in großem Umfang geschaffen werden müssen; das sei die Aufgabe für die 80er Jahre.Ich hätte es doch zu gerne gehabt, wenn der Bundeskanzler den lieben Mitbürgern Bauarbeitern, die arbeitslos sind oder nach den Worten seines Ministers arbeitslos werden, gesagt hätte, wie sie in den nächsten drei Jahren Arbeit finden werden. Das wäre eine Erklärung gewesen, die diese Debatte lohnend gemacht hätte!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kolb.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Sperling, Sie kommen hierher und stellen sich sozusagen als der Verfechter der Forderung nach mehr Arbeit in der Bauwirtschaft dar. Das ist schon eigenartig, wenn man weiß, daß Sie aus Hessen kommen, wo im Rahmen des letzten Haushaltsplanes bestimmte Maßnahmen gestrichen wurden, weil man um der Machterhaltung willen Zugeständnisse machen mußte. Herr Kollege Wolfram, ich habe das Gefühl, daß demnächst einige Ihrer neuen Kollegen in Nordrhein-Westfalen den Oberbürgermeistersessel damit erkaufen, daß sie gewisse Zugeständnisse bei den Dingen machen, die Sie hier massiv gefordert haben. Wir können uns später darüber unterhalten.
— Herr Kollege Ehrenberg, ich kann mich daran erinnern, daß Sie damals als wir über das 4,35-Milliarden-Programm zur Energieeinsparung gesprochen haben und ich das Potential für Haussanierung und ähnliches auf ungefähr 800 Milliarden DM hochgerechnet habe, ganz glatt sagten: Wir machen jetzt nur ein Pilotprogramm, um den Bürger dazu zu animieren, diese Dinge anschließend selbst zu tun. Wir als Staat können dies nicht, wir wollen dies nicht. Das muß der Bürger im Endeffekt auch bezahlen.
— Entschuldigen Sie, lieber Kollege Müntefering, daran kann ich mich erinnern, das war in der Diskussion.Nun kommen wir zum entscheidenden Punkt. Alles, was wir hinsichtlich der Energieeinsparung und ähnlichem machen können, rechnet sich betriebswirtschaftlich nicht, weil die Investitionskosten höher sind als das, was man einsparen kann. Das war in diesem Bereich immer das Problem.Ein Zweites — der Herr Kollege Jung hat das soeben angedeutet —: Ein Großteil der heutigen Kosten in der Baubranche ist für den Normalverdiener zu hoch.
Das ist eine Situation, die durch die Tarifpartner herbeigeführt wurde, die in Zeiten der Hochkonjunktur meinten, man könne kräftig zuhalten. Ich spreche jetzt nicht speziell die Gewerkschaften, sondern die Arbeitgebervertreter an, die gesagt haben: Das macht nichts, wir können uns das leisten. Das hat zu abenteuerlichen Situationen geführt.
— Darauf komme ich sofort.Wir haben dann die Situation erlebt, daß man im Sommer nicht mehr arbeitete, um im Winter mit hohen Zuschüssen aus der Bundesanstalt für Arbeit Dinge zu vollziehen, bei denen eigentliche jeder Vernünftige den Kopf schüttelt, wie aufwendig man arbeitet.
— Lieber Kollege Ehrenberg, wer war es denn, der in der Zeit der 70er Jahre die Elefantenkartelle gebracht hat? Es wurden plötzlich ausgeschrieben: ein Stück Universität, ein Stück Krankenhaus, ein Stück Brückenbauwerk. Man hat das plötzlich für das Richtige gehalten, so nach dem Motto: Da kann man nur noch die Großen brauchen. Natürlich sind die Großen dann auch gekommen, und sie haben diese Kartelle gemacht. Das ist doch unbestritten.
Sie konnten da herrlich absahnen. Nun ist es umgekehrt: Jetzt gehen die Großen in den mittleren Bereich, und zwar mit Preisen, Herr Kollege Roth, die dort nicht mehr haltbar sind.Ich habe Sie neulich in der Haushaltsdebatte gefragt, ob Sie mir sagen könnten, was wir für die 22,5 Milliarden DM Zinsen für die Schulden, die Sie uns hinterlassen haben, nicht alles investieren könnten. Wir haben früher über unsere Verhältnisse gelebt und müssen das jetzt teuer bezahlen. Das Ergebnis ist, daß jetzt natürlich auch in der Baubranche all die Schwierigkeiten kommen.Ich vermisse hier in Ihren Reihen den Kollegen Hauff. Der Kollege Hauff hat 1979 als Verkehrsminister der Bauwirtschaft noch rund 72 Milliarden DM für die nächsten zehn Jahre angesagt. Dann hat man das anschließend — mit Ritsch — auf rund 40 Milliarden DM zurückgenommen.
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6404 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. Oktober 1984
KolbDie Erwartungshorizonte waren auch in der Baubranche enorm hochgesteckt. Anschließend wurde gesagt: Freunde, wir haben uns fürchterlich geirrt, dies geht nicht. Es ist abenteuerlich, uns jetzt zu sagen: Ihr sorgt nicht für die Bauwirtschaft.Letzte Bemerkung zum Kollegen Hauff: Ich bin gespannt, wie er in Frankfurt das doppelte Kunststück fertigbringt, seine Haltung zu verkaufen, demnächst der Bauwirtschaft zu helfen, und sich gleichzeitig einen Partner zu suchen, von dem er sich seine Mehrheiten erhofft.
Das ist die Unglaubwürdigkeit, die Sie hier vertreten. Jetzt kommen Sie mit Krokodilstränen und sagen: Der Bauwirtschaft geht es schlecht. Die Ursachen haben Sie gelegt, und die Folgen tretenheute ein. Wir bedauern dies. Das Rezept, das Sie bringen, bei einem Rausch mit Schnaps zu helfen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird nicht helfen.Schönen Dank.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit auch am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 4. Oktober 1984, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.