Protokoll:
10022

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 10

  • date_rangeSitzungsnummer: 22

  • date_rangeDatum: 15. September 1983

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:40 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/22 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 22. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983 Inhalt: Begrüßung einer Delegation des isländischen Parlaments 1493 D Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum Thema „Unsere Verantwortung für die Umwelt" in Verbindung mit Erste Beratung des von dem Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Benzinbleigesetzes — Drucksache 10/147 (neu) — in Verbindung mit Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes (3. Mineralölsteuer-Änderungsgesetz) — Drucksache 10/339 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN Verbot des Herbizidwirkstoffs Paraquat — Drucksache 10/202 — in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Waldschäden und Luftverunreinigungen Sondergutachten März 1983 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen — Drucksache 10/113 — Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI . 1429 D Dr. Hauff SPD 1437 C Dr. Miltner CDU/CSU 1444 D Baum FDP 1447 B Sauermilch GRÜNE 1451 C Dr. Späth, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg 1454 C Schneider, Staatsminister des Landes Hes- sen 1461 A Kiechle, Bundesminister BML 1467 C Schäfer (Offenburg) SPD 1502 C Dr. Laufs CDU/CSU 1506A Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 1508 C Dr. Ehmke (Ettlingen) (GRÜNE) . . . 1511 B Geil, Staatsminister des Landes Rheinland-Pfalz 1514A Daubertshäuser SPD 1516 A Hoffie FDP 1519A Dr. Riesenhuber, Bundesminister BMFT 1520A Stahl (Kempen) SPD 1523 B Seesing CDU/CSU 1526 A Bredehorn FDP 1527 B Drabiniok GRÜNE 1530 B Freiherr von Schorlemer CDU/CSU . . . 1531 D Müller (Schweinfurt) SPD 1533 C II Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit — Drucksache 10/189 — in Verbindung mit Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes — Drucksache 10/340 — Geil, Staatsminister des Landes Rheinland-Pfalz 1535 C Reimann SPD 1536 D Keller CDU/CSU 1539 B Frau Schoppe GRÜNE 1541A Müller (Düsseldorf) SPD 1542 C Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU . . 1545A Eimer (Fürth) FDP 1546 C Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 1549 A Weisskirchen (Wiesloch) SPD 1552 D Frau Männle CDU/CSU 1554 D Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Zuschüsse zum tariflichen Vorruhestandsgeld (Vorruhestandsgeldgesetz) — Drucksache 10/122 — Weinhofer SPD 1556 B Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 1558 D Hoss GRÜNE 1560 D Cronenberg (Arnsberg) FDP 1562 C Zink CDU/CSU 1565 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Rückkehrbereitschaft von Ausländern — Drucksache 10/351 — 1567 A Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Apel, Gobrecht, Huonker, Lennartz, Frau Matthäus-Maier, Dr. Mertens (Bottrop), Offergeld, Poß, Purps, Rapp (Göppingen), Schlatter, Dr. Schöfberger, Dr. Spöri, Dr. Struck, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Antragsfrist für den Lohnsteuer-Jahresausgleich — Drucksache 10/304 — 1567 A Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Änderung der Auslieferungspraxis der Bundesregierung und Staatenbeschwerde gegen die Türkei — Drucksache 10/357 — 1567 B Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Lage in Chile — Drucksache 10/360 — 1567 B Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. Juni 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg über den Verzicht auf die Beglaubigung und über den Austausch von Personenstandsurkunden sowie über die Beschaffung von Ehefähigkeitszeugnissen — Drucksache 10/59 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 10/206 — 1567 C Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Zerlegungsgesetzes — Drucksache 10/306 — 1567 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 6. Dezember 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Bau einer Straßenbrücke über den Rhein zwischen Sasbach und Marckolsheim — Drucksache 10/252 — 1567 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Internationalen Kakao-Übereinkommen von 1980 — Drucksache 10/265 — 1567 D Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 3626/82 des Rates zur Anwendung des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft — Drucksache 10/381 — 1568 A Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN Erneute Überweisung von Vorlagen (Unterrichtungen) aus früheren Wahlperioden — Drucksache 10/358 — 1568 A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983 III Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN Beirat für handelspolitische Vereinbarungen — Drucksache 10/373 — 1568 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages — Drucksache 10/365 — 1568 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages — Drucksache 10/366 — 1568 C Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages — Drucksache 10/367 — 1568 C Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages — Drucksache 10/368 — 1568 C Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages — Drucksache 10/369 — 1568 C Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages — Drucksache 10/370 — 1568 D Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages — Drucksache 10/371 — 1568 D Beratung der Sammelübersicht 7 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/363 — in Verbindung mit Beratung der Sammelübersicht 8 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/364 — 1568 D Beratung der Übersicht 1 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 10/173 — 1569 A Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Veräußerung des bundeseigenen Geländes der ehemaligen Klosterkaserne in Konstanz — Drucksache 10/226 — 1569 A Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Bundeseigene Restfläche der ehemaligen Marine- Kaserne Bremerhaven- Lehe; hier: Veräußerung an die Stadt Bremerhaven — Drucksache 10/372 — 1569 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anpassung der Richtlinie 76/889/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Funkstörungen durch Elektro-Haushaltsgeräte, handgeführte Elektrowerkzeuge und ähnliche Geräte, und der Richtlinie 76/890/ EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Funk-Entstörung bei Leuchten mit Starter für Leuchtstofflampen — Drucksachen 10/134, 10/242 — . . . . 1569 C Fragestunde — Drucksachen 10/377 vom 9. September 1983 und 10/384 vom 14. September 1983 — Bereitschaft der Bundesregierung zum Gespräch mit dem Hohen UN-Flüchtlingskommissar Poul Hartling DringlAnfr 14.09.83 Drs 10/384 Dr. Schmude SPD Antw StMin Möllemann AA . . . . 1474 A, C, D, 1475A,B,C,D, 1476A,B,C,D, 1477A,B,C ZusFr Dr. Schmude SPD 1474 C ZusFr Dr. Hirsch FDP 1475A ZusFr Dr. de With SPD 1475A ZusFr Schäfer (Offenburg) SPD . . . 1475 B IV Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983 ZusFr Brück SPD 1475 C ZusFr Duve SPD 1475 C ZusFr Frau Dr. Hamm-Brücher FDP . 1475 D ZusFr Bindig SPD 1476 A ZusFr Frau Dr. Timm SPD 1476 B ZusFr Lambinus SPD 1476 C ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 1476 D ZusFr Wartenberg (Berlin) SPD . . . 1476 D ZusFr Paterna SPD 1477 A ZusFr Dr. Penner SPD 1477 B ZusFr Becker (Nienberge) SPD 1477 C Entwicklung der Anschlußdichte sowie Höhe der Kostenunterdeckung beim Kabelfernseh-Pilotprojekt Ludwigshafen; Gründe für die Ermächtigung des Postministers zur Abweichung von den im Juli 1983 beschlossenen Kabelanschlußgebühren MdlAnfr 63, 64 09.09.83 Drs 10/377 Paterna SPD Antw PStSekr Rawe BMP . 1478 A, D, 1479A,C ZusFr Paterna SPD 1478 C, D, 1479A,C „Kommerzialisierung des Weltraums" im Rahmen des deutschen Weltraumprogramms MdlAnfr 65 09.09.83 Drs 10/377 Dr. Steger SPD Antw PStSekr Dr. Probst BMFT . 1479D, 1480A ZusFr Dr. Steger SPD 1479D, 1480 A Wissenschaftlich-wirtschaftliche Konsequenzen aus der Zusammenarbeit mit den USA beim Bau von Spacelab; Fortführung der Kooperation MdlAnfr 66 09.09.83 Drs 10/377 Dr. Steger SPD Antw PStSekr Dr. Probst BMFT . . . 1480B, C ZusFr Dr. Steger SPD 1480 C Vorlage eines Meeresforschungspro- gramms, insbesondere zugunsten der deutschen Schiffbauindustrie MdlAnfr 67, 68 09.09.83 Drs 10/377 Grunenberg SPD Antw PStSekr Dr. Probst BMFT . . . . 1480D, 1481 A, B, C, D, 1482A, B ZusFr Grunenberg SPD 1480 D, 1481 A, D, 1482 A ZusFr Dr. Klejdzinski SPD . . . . 1481B, 1482 B ZusFr Dr. Steger SPD 1481B, 1482 A Ausschöpfung der Haushaltsmittel für das Programm „Humanisierung des Arbeitslebens" im Jahre 1983 MdlAnfr 69, 70 09.09.83 Drs 10/377 Stockleben SPD Antw PStSekr Dr. Probst BMFT 1482C, D, 1483A,B ZusFr Stockleben SPD . . . 1482C, D, 1483A, B ZusFr Fischer (Homburg) SPD 1482 D Verbesserte Informierung der US-Bürger über die Bundesrepublik Deutschland, ihre Menschen und die Ziele deutscher Politik MdlAnfr 7, 8 09.09.83 Drs 10/377 Lowack CDU/CSU Antw StSekr Boenisch BPA . 1483 C, D, 1484 C, D, 1485 A, B, C, D, 1486A, B ZusFr Lowack CDU/CSU 1484 B, D ZusFr Frau Reetz GRÜNE 1485A, B ZusFr Brück SPD 1485 C Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 1485 D ZusFr Lambinus SPD 1486 A Äußerungen des Leiters des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge über die deutsche Asylgesetzgebung MdlAnfr 13, 14 09.09.83 Drs 10/377 Dr. Hirsch FDP Antw PStSekr Spranger BMI 1486 C, D, 1487 A, B, C, D ZusFr Dr. Hirsch FDP 1486 C, D, 1487 B ZusFr Frau Dr. Hamm-Brücher FDP . . 1487 C ZusFr Duve SPD 1487 C Einfluß der Bundesrepublik Deutschland auf die Konditionierung der vom Währungsfonds gewährten Kredite; Militärausgaben der Schuldnerländer MdlAnfr 19, 20 09.09.83 Drs 10/377 Rapp (Göppingen) SPD Antw PStSekr Dr. Häfele BMF . . . 1488A, B, D, 1489 A, B, C ZusFr Rapp (Göppingen) SPD . . . 1488 B, C, D ZusFr Schlatter SPD 1489 A ZusFr Bindig SPD 1489 A ZusFr Duve SPD 1489 B ZusFr Brück SPD 1489 C Fluglärmverringerung für die Stadt Fulda durch den Ausbau des Hubschrauberlandeplatzes Sickels MdlAnfr 23 09.09.83 Drs 10/377 Klein (Dieburg) SPD Antw PStSekr Dr. Häfele BMF . . 1489D, 1490A ZusFr Klein (Dieburg) SPD . . . 1489 D, 1490A ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 1490A Verbesserung der Information zwischen Bundesbehörden und kommunalen Körperschaften beim Bau militärischer Anlagen Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983 V MdlAnfr 24 09.09.83 Drs 10/377 Klein (Dieburg) SPD Antw PStSekr Dr. Häfele BMF . . . 1490 B, C, D ZusFr Klein (Dieburg) SPD 1490 B,C ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 1490 D Einberufung einer Lärmschutzkommission für den amerikanischen Truppenübungsplatz Wildflecken und deren Zusammensetzung MdlAnfr 27 09.09.83 Drs 10/377 Dr. Klejdzinski SPD Antw PStSekr Dr. Häfele BMF . . . . 1491A, B ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 1491 A, B Zur Geschäftsordnung Becker (Nienberge) SPD 1491 B Aktuelle Stunde betr. Bereitschaft der Bundesregierung zum Gespräch mit dem Hohen UN-Flüchtlingskommissar Poul Harding Dr. Schmude SPD 1491C Dr. Miltner CDU/CSU 1492 C Schily GRÜNE 1493 B Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 1494 A Wartenberg (Berlin) SPD 1494 C Genscher, Bundesminister AA 1495 B Weirich CDU/CSU 1496 A Frau Dr. Timm SPD 1496 D Fischer (Frankfurt) GRÜNE 1497 B Dr. Kohl, Bundeskanzler 1498 A Dr. Vogel SPD 1499 B Dr. Hirsch FDP 1500A Klein (München) CDU/CSU 1500 D Duve SPD 1501 B Kalisch CDU/CSU 1501 D Nächste Sitzung 1569 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 1571*A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983 1429 22. Sitzung Bonn, den 15. September 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 16. 9. Deres 15. 9. Eigen 16. 9. Ertl * 16. 9. Gerstl (Passau) * 15.9. Dr. Glotz 15. 9. Haase (Fürth) * 16. 9. Heyenn 16. 9. Dr. Holtz * 16. 9. Frau Huber 15. 9. Dr. Kreile 16. 9. Liedtke 16. 9. Dr. Müller * 16. 9. Müller (Remscheid) 15. 9. Offergeld 16. 9. Dr.-Ing. Oldenstädt 16. 9. Petersen 16. 9. Reddemann * 16. 9. Repnik 16. 9. Roth (Gießen) 16. 9. Dr. Rumpf 16. 9. Schäfer (Mainz) 16. 9. Schulte (Unna) * 16. 9. Schwenninger 16. 9. Dr. Soell 16. 9. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim * 15. 9. Stobbe 16. 9. Dr. Waigel 16. 9. Dr. Warnke 16. 9. Frau Dr. Wex 16. 9. Wilz 16. 9. Frau Dr. Wisniewski 16. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
Gesamtes Protokol
Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID1002200000
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 bis 6 auf:
2. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum Thema „Unsere Verantwortung für die Umwelt"
3. Erste Beratung des von dem Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Benzinbleigesetzes
— Drucksache 10/147 (neu)
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß (federführend)

Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
4. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes (3. Mineralölsteuer-Änderungsgesetz)

— Drucksache 10/339 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß (federführend)

Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN Verbot des Herbizidwirkstoffs Paraquat
— Drucksache 10/202 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit (federführend)

Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Innenausschuß
6. Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Waldschäden und Luftverunreinigungen
Sondergutachten März 1983 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen
— Drucksache 10/113 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß (federführend)

Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Forschung und Technologie
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist vereinbart worden, die Tagesordnungspunkte 2 bis 6 in verbundener Beratung zu behandeln und für die Beratung sechseinhalb Stunden vorzusehen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung hat der Bundesminister des Innern.

Dr. Friedrich Zimmermann (CSU):
Rede ID: ID1002200100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Schutz der Umwelt ist nach der Sicherung des Friedens die wichtigste Aufgabe unserer Zeit. Der Bundeskanzler hat den Stellenwert der Umweltpolitik in seinen Regierungserklärungen vom 13. Oktober letzten Jahres und 4. Mai dieses Jahres sichtbar gemacht. Die Bundesregierung beweist ihr Engagement im Umweltschutz durch zukunftsorientierte Maßnahmen. Ich erinnere an die Novellierung der Immissionswerte der TA Luft und der Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Ich verweise auf den Beschluß zur Einführung bleifreien Benzins und das in der letzten Woche im Kabinett verabschiedete Aktionsprogramm „Rettet den Wald".
Diese Politik für eine gesunde Umwelt wird von der Bevölkerung mit breiter Zustimmung aufgenommen. Insbesondere schöpfen junge Menschen wieder Hoffnung, weil sie merken, daß diese Bundesregierung nicht nur redet, sondern handelt und mit der Sicherung unserer Lebensgrundlagen Ernst macht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir werden diese Politik mit allem Nachdruck fortsetzen. Die Bundesregierung begrüßt es deshalb, daß sich der Deutsche Bundestag heute mit der Umweltpolitik befaßt.



Bundesminister Dr. Zimmermann
An erster Stelle unserer Bemühungen steht die Sorge um unseren Wald. Das Waldsterben weitet sich besorgniserregend aus. Eine erste Erhebung Ende 1982 hat ergeben, daß eine Fläche von knapp 8 % in der Bundesrepublik geschädigt ist. Zur Zeit werden mit verbesserten Methoden neue Erhebungen durchgeführt. Die Bestandsaufnahme wird erst im Herbst vorliegen, aber schon jetzt kann man sagen, daß eine erhebliche Zunahme der Waldschäden zu befürchten ist. Die Schäden, wie sie heute auftreten, hat es auch in den Phasen der letzten hundert Jahre, in denen es immer wieder Waldschäden gab, weder nach Art noch nach Umfang je gegeben.

(Sehr richtig! bei den GRÜNEN)

Die Waldschäden treten erstmals auch fernab von industriellen Ballungszentren auf. Wir haben Waldschäden an den verschiedensten Baumarten im gesamten Bundesgebiet und über unsere Grenzen hinaus.
Die genauen Schadensursachen sind immer noch unklar. Nach Meinung der Fachleute spricht aber vieles dafür, daß Luftverunreinigungen allein oder in Kombination mit anderen Ursachen in maßgeblicher Weise an der Entstehung und dem Ausmaß der Schäden beteiligt sind. Diese Schädigung der Wälder stellt eine Herausforderung ersten Ranges dar. Ihr muß mit allen Mitteln einer vorsorgenden Umweltpolitik begegnet werden. Der Patient Wald ist krank. Wir müssen mit der Behandlung beginnen, ohne die Ursache der Krankheit genau zu kennen.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Sensationell!)

Eine weitere intensive Forschung nach den Ursachen des Waldsterbens ist notwendig. Forschen kann aber das Handeln nicht ersetzen.
Diese Erkenntnis hat die Bundesregierung zu sofortigen Maßnahmen veranlaßt. In dem in der vorigen Woche beschlossenen Aktionsprogramm „Rettet den Wald" hat sie diese Maßnahmen zusammengefaßt und präzisiert. Das Programm wird fortlaufend aktualisiert und den neuesten Erkenntnissen und Erfordernissen angepaßt werden. Ich möchte es näher erläutern.
Erstens. Die Bundesregierung wird die Forschung zur Aufklärung der Ursachen der Waldschäden noch weiter verstärken. Die Einrichtung regionaler Forschungsschwerpunkte ist hierbei eine wichtige Hilfe. Insgesamt belaufen sich die von Bund, Ländern und Forschungseinrichtungen bereitgestellten Mittel inzwischen auf rund 56 Millionen DM. Ein im Juni 1983 berufener Forschungsbeirat mit namhaften Wissenschaftlern wird die einzelnen Forschungsansätze zu einem zielgerechten, systematischen Konzept zur Aufklärung der Waldschäden zusammenfügen und den weiteren Forschungsbedarf bestimmen.
Zweitens. In einem umfassenden Abbau der Luftverunreinigungen sieht die Bundesregierung ein entscheidendes Mittel zur Bekämpfung des Waldsterbens. Wir haben von Anfang an den Standpunkt vertreten, daß mit Maßnahmen gegen dieses Phänomen nicht gewartet werden darf, bis abschließende,
wissenschaftlich unumstößliche, gesicherte Erkenntnisse vorliegen.
Wir betreiben eine umfassende Vorsorgepolitik, um die Luftverunreinigungen an der Quelle zu erfassen und sie Schritt für Schritt abzubauen. Wir schützen damit nicht nur die menschliche Gesundheit, sondern auch Böden und Gewässer, Gebäude und wertvolle Kunstdenkmäler, auch alle sonst in Frage kommenden Sachgüter.
Die Bundesregierung hat Anfang des Jahres die Novellierung der Immissionswerte der TA Luft abgeschlossen.

(Schily [GRÜNE]: Hat die TA Luft etwas mit SO2 zu tun!)

Sie ist am 1. März in Kraft getreten. Die neuen Vorschriften verbessern den Schutz der menschlichen Gesundheit und schützen erstmals auch besonders empfindliche Pflanzen und Tiere. Das wird hoffentlich nicht ohne positive Auswirkungen auf den Zustand der Wälder bleiben. In einer weiteren Novellierung wird die Bundesregierung die Emissionswerte der TA Luft gründlich überarbeiten. Sie sind nicht mehr letzter Stand der Erkenntnisse. Ziel dieser Novellierung ist es, die Abgasreinigung von mehr als 40 industriellen Abgasarten an den aktuellen Stand der Technik anzupassen und vor allem den Ausschuß von Stäuben, Schwermetallen und Kohlenwasserstoffen erheblich zu verringern. Die Arbeiten sind angelaufen; noch in diesem Jahr wird der erste Entwurf vorgelegt werden.
Zentrale Bedeutung hat die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die am 1. Juli dieses Jahres in Kraft getreten ist. Diese Anlagen, insbesondere Kraft- und Fernheizwerke, leiten allein rund 3 Millionen Tonnen Schwefeldioxid im Jahr in die Luft ab. Das sind mehr als 80 % des gesamten Schwefeldioxidausstoßes. Ziel der Verordnung ist es, den jährlichen Ausstoß um zunächst rund 1,2 Millionen Tonnen zu drosseln.
Es kommt darauf an, die Verordnung konsequent umzusetzen.

(Schily [GRÜNE]: In welchem Zeitraum?)

Hier ist neben den Bundesländern, die für den Vollzug verantwortlich sind, vor allem die Industrie gefordert. Die Industrie muß jetzt unverzüglich einen Umrüstungsplan für ihre Altanlagen aufstellen und mit der Umsetzung zügig beginnen. Die in öffentlicher Hand befindlichen Unternehmen — das ist vor allem bei vielen Elektrizitätsunternehmen der Fall — haben hier eine besondere Verantwortung.
Ein weiterer wichtiger Schritt zur Verbesserung der Luftqualität ist die Verringerung der Autoabgase. Sie tragen erheblich zur Luftverunreinigung bei. Deswegen ist nicht nur die Wirtschaft, die Industrie, die Energieversorgung, Schadstofflieferant, sondern auch jeder Bürger selber. Und er muß es wissen: 37 % der Kohlenwasserstoffe und ca. 45% der Stickoxide, die in der Bundesrepublik Deutschland in die Luft abgegeben werden, stammen aus dem Auto.
Die Europäische Gemeinschaft hat im Juni dieses Jahres unter deutscher Präsidentschaft eine Ver-
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983 1431
Bundesminister Dr. Zimmermann
schärfung der Grenzwerte für Autoabgase um 20 % beschlossen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, reicht aber zu einer nachhaltigen Verminderung der Autoabgase nicht aus.
So hat die Bundesregierung am 21. Juli dieses Jahres beschlossen, die gesetzlichen Grundlagen zur Einführung bleifreien Benzins ab 1. Januar 1986 zu schaffen. Ziel ist es, die Schadstoffe von Kfz-Abgasen um bis zu 90 % zu verringern. Um dies zu erreichen, ist im wesentlichen folgendes erforderlich: Festlegung der Benzinqualität für bleifreies Benzin, Prüfung, ob steuerliche Regelungen zur Einführung bleifreien Benzins erforderlich und geeignet sind, Einführung von Abgasgrenzwerten, die nach der heutigen Technik im wesentlichen nur mit der Katalysatortechnologie eingehalten werden können.
Ich will ganz klar sagen, daß mit dem Kabinettsbeschluß Abgasgrenzwerte angestrebt werden, die bis an die Grenze dessen gehen, was bereits jetzt mit der Katalysatortechnologie erreichbar ist. Wir können es uns angesichts unserer Umweltbelastung und der Waldschäden, meine Damen und Herren, nicht leisten, hinter vergleichbaren Begrenzungen der Vereinigten Staaten und Japan zurückzubleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Bundesregierung rechnet bei der Umsetzung dieses Beschlusses mit der aufgeschlossenen Mitwirkung von Mineralölwirtschaft und Automobilindustrie, die aufgefordert bleibt, auch andere, der Katalysatortechnologie mindestens gleichwertige Technologien zu entwickeln. Der Bürger hat kein Verständnis dafür, daß die Automobilindustrie — die deutsche gilt als die beste der Welt — umweltfreundliche Automobile in andere Staaten exportiert, für den Inlandsabsatz diese fortschrittlichen Kraftfahrzeuge aber angeblich nicht anbieten kann.
Die Bundesregierung hat mit dem Beschluß „bleifrei in die Zukunft" eine Pilotfunktion in der Europäischen Gemeinschaft übernommen. Die Bundesregierung wird an der Spitze des Umweltschutzes in Europa stehen. Sie will gemeinsam mit ihren EG-Partnern diese neue Politik im Interesse der Bevölkerung aller europäischen Staaten voranbringen. Hierbei haben wir schon eine Reihe von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und anderer Nachbarländer auf unserer Seite. Der österreichische Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz hat mir gerade bestätigt, daß Österreich die deutsche Entscheidung außerordentlich begrüßt und zum gleichen Zeitpunkt in die gleiche Richtung vorgehen wird.
Im übrigen erwartet die Bundesregierung, daß die Kommission der Europäischen Gemeinschaft dieser Linie folgt. Wir werden mit allem Nachdruck dafür eintreten, daß sich die Europäische Gemeinschaft nicht mit geringfügigen Verbesserungen begnügt. Die Bundesregierung fordert, daß sich die für April 1984 zugesagten Vorschläge der EG-Kommission ebenfalls an den jetzt von uns vorgegebenen
Abgasgrenzwerten und ihrer Technologie orientieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das Kraftfahrzeug ist aus unserem Leben nicht wegzudenken. Niemand wird behaupten, daß die Bundesregierung ein Gegner der Motorisierung sei.

(Drabiniok [GRÜNE]: Das stimmt!)

Aber wir haben in der Vergangenheit nicht genug die Grenzen beachtet, die wir im Umgang mit der Technik einhalten müssen. Autos dürfen heute die Luft nicht mehr als technisch unvermeidbar belasten. Die Bundesregierung ist zuversichtlich, daß die Bürger, ob Autofahrer oder nicht, diesen Schritt gutheißen und auch zu persönlichen Opfern bereit sind.
Drittens. Zum Aktionsprogramm „Rettet den Wald" gehören auch marktwirtschaftliche Instrumente. Die Bundesregierung verläßt sich nicht nur auf Gebote und Verbote. In Fortentwicklung der sozialen Marktwirtschaft muß das Eigeninteresse von Unternehmen und Verbrauchern für den Umweltschutz genutzt werden. Wir brauchen gerade jetzt angesichts der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der Haushaltsprobleme mehr unternehmerischen Wagemut und mehr marktwirtschaftliche Dynamik im Umweltschutz.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP Zurufe von den GRÜNEN)

Dabei kann und darf es nicht um weniger, sondern es muß um mehr und konsequenteren Umweltschutz gehen.
Stärker marktwirtschaftlich orientierter Umweltschutz bedeutet, innerhalb des Rahmens staatlicher Anforderungen die Entscheidungsspielräume des einzelnen zu vergrößern. Er soll in die Lage versetzt werden, im Einzelfall die ökologisch und ökonomisch beste Lösung zu praktizieren.

(Zuruf von der SPD: Etwas anderes hat Herr Gruhl auch nicht gewollt!)

Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 gesagt: Zie ist, daß sich umweltfeindliches Verhalten nicht lohnen darf. „Umweltfreundliches Verhalten muß sich auch wirtschaftlich auszahlen."

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Viertens. Im Kampf gegen das Waldsterben brauchen wir den technischen Fortschritt. Deshalb wird die Bundesregierung die Erforschung und Entwicklung fortschrittlicher Verfahren, die die Abgabe von Schadstoffen an die Luft vermindern oder ganz ausschließen, verstärkt fördern. Nach der Rauchgasentschwefelung brauchen wir insbesondere neue Technologien gegen die Stickoxide. Dies ist vor allem für die Weiterentwicklung umweltfreundlicher Kraftwerkstechnologien notwendig, damit die heimische Kohle umweltpolitisch vertretbar bleibt und auch in Zukunft ihre wichtige Rolle in der Energieversorgung beibehalten kann. Auch die Reduzie-



Bundesminister Dr. Zimmermann
rung von Schwermetallen sowie von organischen Schadstoffen hält sie für notwendig.
Fünftens. Nationale Maßnahmen allein reichen nicht aus. Luftverschmutzungen machen an keiner Grenze halt. Die Hälfte unserer Schwefeldioxidbelastung stammt aus dem Ausland. Aber ebenso exportieren wir die Hälfte des aus deutschen Quellen kommenden Schwefeldioxids.
Erforderlich sind deshalb Maßnahmen der Luftreinhaltung nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Ländern. Diesem Ziel dienen vielfache Aktivitäten der Bundesregierung in Ost und West. Besonders wichtig ist für uns die Europäische Gemeinschaft. Die Bundesregierung hat daher die Organe der Gemeinschaft und die übrigen- Mitgliedstaaten der EG zu weiteren Anstrengungen gedrängt und die dazu erforderlichen Vorschläge erarbeitet.
Großes Gewicht legen wir auf den Entwurf der Grundsatzrichtlinie Luftreinhaltung, der auf einer deutschen Konzeption beruht. Für diese Richtlinie, die den Mitgliedstaaten die Bekämpfung der Luftverschmutzung an der Quelle nach dem jeweils bestverfügbaren Stand der Technik zur Pflicht machen soll, hat die Bundesregierung beim Treffen des Europäischen Rates in Stuttgart die grundsätzliche Zustimmung und Unterstützung der Regierungschefs gewonnen. Wir erwarten, daß diese Richtlinie wie auch die Richtlinie zur Einführung der Umweltverträglichkeitsprüfung noch in diesem Jahr verabschiedet und damit für alle Mitgliedstaaten verbindlich wird.
Die Bundesregierung begrüßt die Absicht der EG-Kommission, noch in diesem Jahr einen Richtlinienvorschlag zur Emissionsbegrenzung bei Großfeuerungsanlagen vorzulegen. Die Bundesregierung sieht darin einen dringend notwendigen zweiten Schritt zur Harmonisierung möglichst strenger Grenzwerte für die schädlichen Stoffe auf der Gemeinschaftsebene.
Im Rahmen der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa, ECE, kommt es darauf an, die am 16. März 1983 in Kraft getretene Internationale Luftreinhaltekonvention mit Leben zu erfüllen. Diese Konvention stellt für die Bundesregierung ein unverzichtbares Instrument dar, weil sie unsere Nachbarn in West und Ost zu einer gemeinsamen Luftreinhaltepolitik verpflichtet. Auf der ersten Sitzung des Exekutivorgans in Genf ist es uns in einem ersten Schritt gelungen, eine allgemeine Verpflichtung zu einer deutlichen Verminderung des Ausstoßes von Schwefeldioxid durchzusetzen. Bereits im nächsten Jahr müssen die Vertragsstaaten über ihre Maßnahmen zur Verwirklichung dieses Ziels berichten. Zu den Schwerpunkten des Arbeitsprogramms der Vertragsstaaten gehören Erhebungen über die Auswirkungen der Niederschläge auf die Wälder. Damit werden wir demnächst auch ein genaueres Bild über die Waldschäden bei unseren westlichen und östlichen Nachbarn bekommen.
Grenzüberschreitende Luftverschmutzung ist auch ein innerdeutsches Problem. Inzwischen
konnten mit Regierungsexperten der DDR erste Fachgespräche in Leipzig und Bonn über Fragen der Rauchgasentschwefelung geführt werden. Diese Gespräche werden in Kürze fortgesetzt. Die Bundesregierung hofft, daß diese Gespräche bald zu praktischen Problemlösungen führen.
Die Bundesregierung wird auch ihre Bemühungen, mit der CSSR zu Vereinbarungen zu kommen, kontinuierlich fortsetzen. In Gesprächen der Außenminister am 1. und 2. Februar 1983 in Prag hat die CSSR ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit erkennen lassen. Expertengespräche auf der Ebene der Grenzbevollmächtigten haben stattgefunden und werden fortgesetzt. Morgen kommt der tschechoslowakische Botschafter zum Bundesminister des Innern, um das Besuchsprogramm für die Reise in die CSSR vorzubereiten.
Die Zusammenarbeit im Umweltschutz mit Österreich und der Schweiz ist außerordentlich erfolgreich. Nach dem Meinungsaustausch mit dem zuständigen österreichischen Bundesminister Dr. Steyrer über alle Problemfälle des Umweltschutzes werde ich in Kürze ähnlich umfassende Gespräche mit dem schweizerischen Bundesrat Egli führen.
Sechstens. Ein weiteres Element des Aktionsprogramms „Rettet den Wald" sind schließlich forstwirtschaftliche Maßnahmen. Die Bundesregierung weiß, daß auch solche Maßnahmen zum Überleben unserer Wälder beitragen können. Sie sollen vor allem die Widerstandskraft der Wälder stärken, um damit ihren Bestand zu sichern und die Schäden in Grenzen zu halten, z. B. durch Maßnahmen der Schädlingsbekämpfung, der Düngung,

(Schily [GRÜNE]: Ach du meine Güte, der Kalkung?)

der Bodenverbesserung sowie der Aufforstung. Ich möchte diese Maßnahmen hier nicht näher erläutern; meine Kollege Ignaz Kiechle wird zu diesem Bereich noch das Wort ergreifen.
Siebtens. Die Bundesregierung mißt privaten Initiativen zum Schutz der Wälder eine hohe Bedeutung bei. Daher habe ich mit meinem Kollegen Kiechle und dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel in seiner Eigenschaft als Präsident der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald vereinbart, auf der Gründungsversammlung am 4. Oktober in Bonn eine Stiftung „Wald in Not
— Gemeinschaftswerk zur Rettung des Waldes" ins Leben zu rufen. Aufgabe dieser Stiftung soll es sein
— ergänzend zu den Anstrengungen des Staates und der Wirtschaft —, die Sachkunde und das Engagement von umweltbewußten Bürgern, Verbänden und sonstigen privaten Initiativen zusammenzuführen und zur Rettung des bedrohten Waldes zu nutzen und zu fördern. Die Stiftung ermöglicht es jedem, an diesem Gemeinschaftswerk mitzuwirken. Ich rufe alle Menschen in diesem Lande auf, sich zu beteiligen und die Stiftung nach besten Kräften zu unterstützen. Es ist vorgesehen, dem Herrn Bundespräsidenten die Schirmherrschaft der Stiftung anzutragen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn. Donnerstag, den 15. September 1983 1433
Bundesminister Dr. Zimmermann
Achtens. Das Aktionsprogramm „Rettet den Wald" konzentriert sich auf realistische Maßnahmen

(Schily [GRÜNE]: Auf Kalk im Wald und Kalk im Gehirn!)

der Luftreinhaltung und der Forstwirtschaft. Die Aufgaben, die vor uns liegen, sind schwer. Die Bundesregierung hat in ihrer erst kurzen Amtszeit rasch und zielstrebig gehandelt. Wir bleiben aber dabei nicht stehen. Wir werden alle denkbaren Möglichkeiten zur Reinhaltung der Luft und zur Bekämpfung des Waldsterbens in unsere Überlegungen vorurteilsfrei mit einbeziehen.
Die Bundesregierung hat die Bundesministerien deswegen am 6. September 1983 ausdrücklich beauftragt, alle Vorschläge zu prüfen, die darauf abzielen, die Luftreinhaltung weiter zu verbessern. Für die Reinhaltung der Luft, für die Rettung der Wälder gibt es kein Tabu. Wir werden auch die bereits bestehenden Regelungen systematisch daraufhin prüfen, ob sie sich bewährt haben. Lücken werden wir schließen, Fehlentwicklungen abstellen.
Die Bundesregierung wird ihre Politik auch in allen übrigen Bereichen des Umweltschutzes fortentwickeln.
Mit Sorge verfolgt die Bundesregierung die Vernichtung tropischer und subtropischer Wälder. Das kann unübersehbare Nachteile für die Lebensbedingungen auf der ganzen Erde haben.

(Schily [GRÜNE]: Aha!)

Die Ursachen dieser bedrohlichen Entwicklung sind — anders als bei uns — großflächige Rodungen, Raubbau an Nutzholz, insbesondere an tropischen Edelhölzern, sowie die Bevölkerungsexplosion und die Massenarmut in jenen Regionen der Dritten Welt. Millionen von Menschen, die dort am Rande des Existenzminimums leben, sind gezwungen, wertvolle Waldvorräte zu opfern, um Brennholz und Anbau- und Weideflächen zu gewinnen.
Die Bundesregierung sieht ihre Aufgabe deshalb darin, dieser Gefährdung mit ihrer Entwicklungspolitik entgegenzuwirken. Sie setzt sich — in Übereinstimmung mit der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedeten „Weltcharta über die Erhaltung der Natur" — nachdrücklich für ein Konzept der Erhaltung und Entwicklung der Tropenwälder ein. Die Bundesrepublik Deutschland leistet hierzu seit vielen Jahren einen substantiellen Beitrag. Sie ist bereit, ihr Engagement, insbesondere ihr entwicklungspolitisches Forstprogramm, zu intensivieren und zur Erhaltung der tropischen und subtropischen Wälder international Impulse zu geben.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Was, wo, wieviel?)

Ihre entwicklungspolitischen Maßnahmen wird sie in Zukunft durch Umweltverträglichkeitsprüfungen absichern.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Ein Bereich, der bei uns lange vernachlässigt worden ist, ist der umfassende Schutz des Bodens.

(Schily [GRÜNE]: Sehr richtig!)

Der Boden ist vor allem durch Schwermetalle und bestimmte Chemikalien gefährdet, die nicht oder nur schwer abbaubar sind und sich im Boden anreichern. Von dort können sie zum Teil über Futter- und Nahrungsmittel auch die menschliche Gesundheit gefährden. Die Bundesregierung ist entschlossen, den Boden als Speicher und Filter für den Wasserhaushalt, als Lebensraum für Pflanzen und Tiere und in allen seinen anderen vielfältigen Funktionen zu erhalten. Die Probleme des Bodenschutzes müssen übergreifend und notfalls mit neuen Instrumenten gelöst werden. Hierzu wird die Bundesregierung eine umfassende Bodenschutzkonzeption vorlegen.
Im engen sachlichen Zusammenhang zum Bodenschutz stehen Naturschutz und Landschaftspflege. Die heimische pflanzliche und tierische Artenvielfalt ist in den vergangenen Jahren erheblich zuruckgegangen.

(Schily [GRÜNE]: Auch durch den RheinMain-Donau-Kanal!)

Die Lebensräume wildwachsender Pflanzen und wildlebender Tiere werden aus vielfältigen Ursachen beeinträchtigt oder zerstört.

(Zuruf von den GRÜNEN: Auch beim Rhein-Main-Donau-Kanal!)

— Beim Rhein-Main-Donau-Kanal hat die Arten-und Pflanzenvielfalt durch die Erhaltung der Altwässer ausdrücklich zugenommen, verehrter unwissender Herr Kollege.

(Beifall bei der CDU/CSU — Lachen und Zurufe von den GRÜNEN — Schily [GRÜNE]: Die Kellerasseln oder was?)

Die Bundesregierung hält die bisherigen Bemühungen beim Biotopschutz für nicht ausreichend. Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat deshalb die Arbeiten zu einem Biotopschutzprogramm aufgenommen, damit die einheimischen Pflanzen- und Tierarten und ihre Lebensgemeinschaften besser geschützt werden.

(Schily [GRÜNE]: Das ist doch eine Frechheit, das zu behaupten!)

Die Bundesregierung unterstützt die Bemühungen der Küstenländer, mehr für den Schutz des Wattenmeeres zu tun, weil dem Wattenmeer eine überragende Bedeutung für die Fischbestände der gesamten Nordsee, für die nord- und mitteleuropäische Vogelwelt und nicht zuletzt für die Erholung der Menschen zukommt.

(Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE])

Im Hinblick auf die in der letzten Zeit in der Öffentlichkeit diskutierten großflächigen Eindeichungen im Wattenmeer setzt sich die Bundesregierung ferner dafür ein, daß Eingriffe dieser Art aus Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der



Bundesminister Dr. Zimmermann
Agrarstruktur und des Küstenschutzes" nicht mehr gefördert werden.

(Frau Blunck [SPD]: Das sind Sprüche!)

Ausnahmen sollen nur noch in Betracht kommen, wenn die notwendige Sicherheit der Bevölkerung nicht durch andere vertretbare Maßnahmen gewährleistet werden kann.
Neben der Sorge für unser Wattenmeer ist der Schutz der Meere überhaupt ein dringendes Anliegen der Bundesregierung. Wir verfolgen mit Sorge die Belastung der Nordsee mit Schadstoffen aus den Flüssen, der Luft, der Schiffahrt, der Abfallbeseitigung und der Erdölgewinnung.

(Schily [GRÜNE]: Haben Sie mal BayerLeverkusen angerufen wegen der Dünnsäureverklappung?)

Die Bundesregierung setzt umfassende Vorsorgemaßnahmen fort, um weiteren Gefährdungen entgegenzutreten und ökologischen Fehlentwicklungen vorzubeugen.

(Schily [GRÜNE]: Hat das Greenpeace oder die Bundesregierung verhindert, Herr Minister?)

Ich darf in diesem Zusammenhang insbesondere auf unsere Aktivitäten zum Schutz der Binnengewässer verweisen, die auch der Meeresumwelt zugute kommen.

(Schily [GRÜNE]: Greenpeace ist erfolgreicher!)

Zum Schutz vor Schiffsunfällen haben wir die Verkehrssicherheit, vor allem in der Deutschen Bucht, verbessert. Mit einem 100-Millionen-Programm von Bund und Küstenländern sind Schiffe und Geräte für die Ölbekämpfung angeschafft worden. Ich erwarte, daß laufende Forschungs- und Entwicklungsvorhaben in Kürze Möglichkeiten bieten, Ölverschmutzungen auch bei rauher See wirksam zu bekämpfen. Die Kontrolle jedenfalls haben wir wesentlich verstärkt. Fahrzeuge der Wasser- und Schiffahrtsverwaltungen des Bundes, des Bundesgrenzschutzes und des Zolls stehen zur Verfügung. Flugzeuge mit spezieller Ausrüstung können auch bei schlechten Sichtverhältnissen und nachts Ölverschmutzungen erkennen.

(Zuruf des Abg. Duve [SPD])

Durchschlagende Erfolge können wir aber nur erzielen, wenn alle Anliegerstaaten der Nordsee sich vom Prinzip der Vorsorge leiten lassen und nicht abwarten, bis irreparable Schäden entstanden sind. Daher wird die Bundesregierung für 1984 die Umweltminister der Anliegerstaaten der Nordsee zu einer Internationalen Nordseeschutzkonferenz einladen. Die fachlichen und organisatorischen Vorbereitungen sind bereits in vollem Gange. Ziel und Zweck dieser Konferenz ist es, einen internationalen Konsens über konkrete Maßnahmen herbeizuführen. Ich denke dabei insbesondere an die Verringerung von Schadstofftransporten über Binnen- und Küstengewässer, die Einstellung der Verklappung und Verbrennung von Abfällen auf See, die Verhinderung von Ölverschmutzungen.
Parallel dazu arbeitet die Bundesregierung intensiv in der Helsinki-Kommission mit, damit auch die Verschmutzung der Ostsee, deren Sauerstoffnot gerade in den letzten Wochen wieder Gegenstand alarmierender Meldungen war, eingedämmt und vermindert werden kann. Unsere vorrangigen Bemühungen gelten der Bekämpfung der Ölverschmutzung und der Reduzierung der Schadstoffe, die von Land aus in die Ostsee gelangen.
Zum Schutz der Binnengewässer verfolgt die Bundesregierung das Ziel, die Einleitung von Schadstoffen bereits an der Quelle zu vermindern oder ganz zu vermeiden.

(Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Konkret! Was heißt das konkret?)

Wir werden die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zur Verbesserung von Klär- und Rückhaltetechniken sowie von Verfahren zur Aufbereitung von Abwasser und Brauchwasser sowie zur Entsorgung von Schlämmen intensivieren und deren Ergebnisse in die Praxis einführen.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Die Techniken sind da! Sie müssen die Industrie nur in die Lage versetzen, sie zu bauen!)

Damit wollen wir auch dazu beitragen, unsere natürlichen Wasservorräte zu schonen. Die Bundesregierung wird jede Anstrengung unternehmen, damit über einen wirksamen Gewässerschutz gesundes Trinkwasser langfristig gesichert wird.

(Schily [GRÜNE]: Das sind alles wohlfeile Absichtserklärungen! Wir wollen etwas Konkretes hören!)

Dem Vorsitzenden des Innenausschusses des Deutschen Bundestages habe ich den erbetenen Erfahrungsbericht zum Abwasserabgabengesetz als Grundlage für eine sachliche parlamentarische Erörterung über die Wirkungen und die Praktikabilität der Abwasserabgabe zugeleitet. Der Bericht zeigt auf, daß das Abwasserabgabengesetz, von Anlaufschwierigkeiten abgesehen, in allen Bundesländern vollzogen wird. Die Abwasserabgabe hat Industrie und Gemeinden veranlaßt, sich verstärkt um den Bau von Kläranlagen oder um andere Verfahren zur Minimierung der Schadstoffe im Abwasser zu bemühen. Bei der Auswertung des Berichts wird die Bundesregierung zu entscheiden haben, ob Vorschriften dieses Gesetzes effektiver und einfacher ausgestaltet werden können und der Verwaltungsaufwand bei der Durchführung des Gesetzes verringert werden kann. Wie ich wiederholt erklärt habe, geht es hierbei um mögliche Verbesserungen, aber nicht um Verwässerungen des Abwasserabgabengesetzes.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das Problem der Werraversalzung und der erheblich belasteten Elbe müssen wir durch Verhandlungen mit der DDR lösen. Wir haben in Expertengesprächen einen Anfang gemacht, der Fortschritte erhoffen läßt. Die DDR hat auf unsere intensiven Bemühungen hin in den letzten Tagen erklärt, daß sie zu weiteren Gesprächen und Verhandlungen bereit ist. Die nächsten Treffen sind für Oktober vor-
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983 1435
Bundesminister Dr. Zimmermann
gesehen. Im Fall der Röden erwartet die Bundesregierung in der nächsten Zeit die Unterzeichnung einer Vereinbarung, die zu einer erheblichen Verbesserung der Flußqualität führen wird. Die Bundesregierung wird weiter jede Gelegenheit nutzen, um mit der DDR bei besonders dringlichen Umweltproblemen konkrete Verbesserungen zu erzielen. Sie wird in dem Bemühen nicht nachlassen, über Gespräche mit der DDR zu einer dauerhaften Zusammenarbeit auch beim Umweltschutz zu gelangen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Einen zunehmend wichtigen Bereich des Umweltschutzes sieht die Bundesregierung in der Abfallwirtschaft. Die lange Ungewißheit über den verbleib der Seveso-Abfälle hat deutlich gemacht, daß es in Europa an einer ausreichenden Kontrolle der grenzüberschreitenden Beseitigung von gefährlichen Abfällen fehlt. Sonderabfalltourismus ist zu einem beängstigenden Schlagwort in der umweltpolitischen Diskussion geworden. Die Bundesregierung wird alles tun, um dieser Art von vermeintlicher Problemlösung einen Riegel vorzuschieben. Abfalleinfuhr, Abfallausfuhr und Abfalltransit müssen strengen Genehmigungsverfahren unterworfen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Abfälle sind grundsätzlich in dem Staat zu beseitigen, in dem sie anfallen.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU — Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Gilt das auch für Atomabf all?)

Nur so sind die Risiken der unkontrollierten Beseitigung von gefährlichen Abfällen über Grenzen hinweg in den Griff zu bekommen.
Die Bundesregierung hat in diesen Tagen eine Vorschaltnovelle zum Abfallbeseitigungsgesetz beschlossen, die diese Grundsätze zum erstenmal in Europa rechtlich verankert. Ich hoffe, daß der Gesetzentwurf in diesem Haus und im Bundesrat mit der notwendigen Dringlichkeit behandelt und verabschiedet werden kann.
Das Prinzip „weitergehender Beseitigung im eigenen Land" erfordert die Schaffung von Einrichtungen zur Sonderabfallbeseitigung. Damit sind politische Entscheidungen zur Festlegung von Standorten für solche Anlagen gefordert.

(Schily [GRÜNE]: Wie ist das mit dem Atommülltourismus?)

Das ist oft unpopulär. Man kann aber nicht nach der ordnungsgemäßen Beseitigung gefährlicher Abfälle rufen und gleichzeitig die Schaffung notwendiger Anlagen durch lautstarke Proteste verhindern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nach dem Sankt-Florians-Prinzip können wir nicht vorgehen. Hier ist manchem, der sich nur für einen Umweltschützer hält, mehr Verständnis für die Zusammenhänge der Problematik zu wünschen. Das gilt auch für die Sanierung von Altdeponien.
Die Bundesregierung setzt sich daher dafür ein, daß die Abfallverwertung in unserem Land systematisch ausgebaut wird, und sie hat auf diesem Gebiet konkrete Vorstellungen. Bis Ende der 80er Jahre soll die Hälfte des Hausmülls verwertet und die Abfallbeseitigung auf hoher See gänzlich eingestellt sein. Diese Ziele sind ehrgeizig, aber nicht utopisch.
Abfallverwertung, meine Damen und Herren, ersetzt nicht Abfallvermeidung. Die besten Abfälle sind die, die gar nicht erst entstehen.

(Sauermilch [GRÜNE]: Verpackungsindustrie!)

Das gilt auch für die Verpackungen. Hier geht es vor allem darum, das System von Mehrwegverpakkungen zu erhalten. An dieser Forderung habe ich gegenüber der Wirtschaft keinen Zweifel gelassen.

(Fischer [GRÜNE]: Bravo!)

Die Wirtschaft hat freiwillig zugesagt, den Marktanteil von Mehrwegverpackungen nicht weiter absinken zu lassen. Die Bundesregierung wird die Einhaltung dieser Absichtserklärung sorgfältig beobachten, um dann zu entscheiden, ob staatliche Eingriffe zur Steuerung der Entwicklung notwendig werden.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Aber nicht zu lange warten!)

Wirtschaftswachstum und Wohlstand haben zu einer vielfachen Zunahme der Lärmquellen geführt. Ich weise beispielhaft auf den rapiden Anstieg von Kraftfahrzeugen und Motorrädern sowie auf die Zunahme des Flugverkehrs hin. Lärm ist in den letzten Jahrzehnten zu einer ernsten Belastung der Bevölkerung in der dichtbesiedelten und industrialisierten Bundesrepublik geworden.

(Schily [GRÜNE]: Was ist denn mit den Tiefflügen?)

Der Bundesregierung kommt es in erster Linie darauf an, den Lärm bereits an der Quelle zu bekämpfen. Besonders wichtig ist der Kampf gegen den Verkehrslärm. Mit Nachdruck setzt sich daher die Bundesregierung für die einheitliche Verschärfung der Lärmgrenzwerte für Kraftfahrzeuge und Krafträder in der Europäischen Gemeinschaft ein.
Außerdem wird die Bundesregierung die Voraussetzung dafür schaffen, daß lärmarme Nutzfahrzeuge in lärmsensiblen Gebieten Benutzungsvorteile erhalten, um die Nachfrage nach solchen Fahrzeugen anzuregen. Die Straßenverkehrszulassungsordnung wird entsprechend geändert. Der Entwurf ist in Arbeit.
Schließlich werden wir auch den Lärmschutz an Straßen und Schienenwegen Schritt für Schritt verbessern. So hat der Bundesminister für Verkehr am 6. Juli 1983 als vorläufige Regelung Richtlinien für den Lärmschutz an Bundesfernstraßen erlassen. Sie betreffen die notwendige Vorsorge und Sanierung. Sie enthalten insbesondere die vom Deutschen Bundestag im März 1980 mit Zustimmung aller Fraktionen beschlossenen anspruchsvollen Immissionsgrenzwerte für neue Straßen, die im



Bundesminister Dr. Zimmermann
späteren Gesetzgebungsverfahren in der 8. Legislaturperiode nicht mehr durchgesetzt worden sind.
Im übrigen wird die Bundesregierung ihre Politik zum Schutz vor Lärm einschließlich der Maßnahmen gegen Flug- und Arbeitslärm noch eingehend in der Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion der SPD vom 7. Juli 1983 dem Deutschen Bundestag darlegen.
Im Mittelpunkt unserer Verantwortung für die Umwelt steht der Mensch und seine Gesundheit. Im Rahmen des Schutzes vor schwerwiegenden Krankheiten ist die Krebsbekämpfung von besonderer Bedeutung. Die Bundesregierung hat in der neuen TA Luft, die seit dem 1. März 1983 in Kraft ist, Grenzwerte für die Emission von 15 krebserregenden Stoffen festgelegt, die gegenüber früheren Werten bis zum 200fachen verschärft worden sind. Wir haben die technischen Möglichkeiten, die in den letzten Jahren entwickelt worden waren, voll ausgeschöpft. Darüber hinaus werde ich gemeinsam mit dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit der Umweltministerkonferenz einen von Fachleuten des Bundes und der Länder überarbeiteten Bericht über das Krebsrisiko durch Luftverunreinigungen zuleiten, der einen wichtigen Beitrag zu einem umfassenden Programm zur Krebsbekämpfung darstellt.
Die Bundesregierung wird zum Schluß der menschlichen Gesundheit und der Umwelt auch ihre Politik zur Kontrolle von Chemikalien mit allem Nachdruck fortsetzen. Zum Schutz der Gesundheit wird die Bundesregierung weiter entschieden gegen die Belastung von Lebensmitteln mit bedenklichen Stoffen vorgehen. Die Arbeiten zur Neuordnung der zersplitterten Vorschriften über die Kennzeichnung, den Handel und den Umgang mit gefährlichen Stoffen und Zubereitungen werden wir beschleunigen. Unser Ziel ist es, die Länder-Giftverordnungen alsbald abzulösen und durch eine einheitliche und übersichtliche Neuregelung zu ersetzen.

(Beifall des Abg. Stahl [Kempen] [SPD])

Einem verstärkten Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie des Naturhaushalts vor der Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel dient ebenfalls der von der Bundesregierung am 14. Juni 1983 beschlossene Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Kulturpflanzen, der das Pflanzenschutzgesetz von 1968 ersetzen soll. Die Verkehrs- und Anwendungsvorschriften für Pflanzenbehandlungsmittel werden verstärkt, insbesondere um Grundwasser, Boden, Pflanzen und Tiere stärker als bisher zu schützen.
Das überraschende Ausmaß der Waldschäden hat uns gezeigt, daß die bisherigen wissenschaftlichen Prognoseinstrumente nicht ausreichen. Wir müssen deshalb neue Methoden entwickeln und anwenden, die uns eine genaue Beobachtung der Natur und der Entwicklung der Umwelt ermöglichen. Wir werden zunächst in Zusammenarbeit mit den Ländern die Datenbasis zur Lage der Umwelt verbessern. Die Arbeiten hierzu sind angelaufen. Außerdem ist vorgesehen, wichtige und aussagefähige Untersuchungsproben in einer Umweltprobenbank langfristig sicherzustellen und für zukünftige Vergleichsuntersuchungen über Veränderungen in der Umwelt bereitzuhalten. Wenn wir heute über solche Proben aus den Wäldern in den letzten 30 Jahren verfügen könnten, könnten wir vermutlich die Ursache des Waldsterbens schneller aufklären.
Ergänzend werden wir versuchen, durch fortlaufende wissenschaftliche Untersuchungen und Beobachtungen repräsentativer Gebiete die Erkenntnisse über Vorgänge in unserer Natur zu vertiefen, damit wir in Zukunft ähnlich überraschende Schadenseinbrüche vermeiden können.
Um Kontinuität und die langfristig angelegte Politik der Vorsorge zu sichern, halte ich es darüber hinaus für erforderlich, den Leitlinien und Schwerpunkten der Umweltpolitik der Bundesregierung eine vertiefte Darstellung und Begründung in einem besonderen Umweltbericht zu geben. Wir werden dort ausführlicher und gründlicher, als dies in einer Regierungserklärung möglich ist, darlegen, wo langfristig die Schwerpunkte unserer Arbeit liegen, was wir in dieser Legislaturperiode und darüber hinaus vorhaben und von welchen Grundüberlegungen wir uns dabei leiten lassen. Wir streben damit keine unrealistische Totallösung aller Umweltprobleme an. Solche Ansprüche führen nur zu Ankündigungen und versäumten Gelegenheiten. Wir wollen eine am konkreten Handlungsbedarf, am Machbaren und an der gezielten Problemlösung orientierte Darstellung, die für jedermann die Prioritäten und Akzente unserer Politik sichtbar macht. Wichtige Bausteine habe ich Ihnen mit meinen Ausführungen zum Schutz des Waldes, des Bodens und der Nordsee bereits vorgestellt. Der Bericht selbst wird 1984 vorgelegt werden.
Die Bundesregierung kennt die Sorgen und Ängste der Bevölkerung über die Gefahren für unsere natürlichen Lebensgrundlagen; die Bundesregierung teilt diese Sorgen.

(Drabiniok [GRÜNE]: Und handelt nicht!)

Sie ist entschlossen, zielstrebig und konsequent die Umweltsituation Schritt für Schritt zu verbessern. Der Erfolg wird sich um so eher einstellen, je entschlossener und umfassender die Umweltpolitik der Bundesregierung unterstützt wird. Die Bundesregierung begrüßt deshalb den Entschließungsantrag, den die Fraktionen von CDU/CSU und FDP zur Umweltpolitik eingebracht haben. Sie stimmt mit den Maximen und Forderungen dieses Antrags voll überein. Sie steht zu ihrer Verantwortung für die Umwelt. Verantwortung für die Umwelt, meine Damen und Herren, tragen wir alle: Regierung und Parlamente, Wirtschaft und Gewerkschaften und nicht zuletzt der Mensch in diesem Land selbst.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich bin sicher: Wenn jeder an seinem Platz und mit seinen Mitteln seinen Teil der Verantwortung für unsere Umwelt wahrnimmt, werden wir das Ziel erreichen, das der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gesetzt hat, „die uns anvertraute Umwelt den nachfolgenden Generationen zu erhalten".



Bundesminister Dr. Zimmermann
Gestatten Sie mir zum Abschluß dieser Regierungserklärung noch eine persönliche Anmerkung. Ich bin davon überzeugt, daß jeder einzelne und wir alle gemeinsam in diesem Haus für einen wirksamen und einen verbesserten Umweltschutz eintreten. Ich begrüße den Wettbewerb an Ideen und Meinungen. Ich habe auch nichts gegen jetzt noch utopische Forderungen; denn die Utopie von heute ist oft die Realität von morgen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Oho-Rufe von der SPD und den GRÜNEN)

Ich bitte jedoch bei allem verständlichen Bemühen um ein umweltpolitisches Profil

(Zuruf von den GRÜNEN)

— die Kehrseite der Medaille kommt schon noch — nicht zu vergessen, daß wirksamer Umweltschutz und gesunde Wirtschaft nicht Gegensätze sind, sondern als Einheit gesehen werden müssen. Nur eine florierende Volkswirtschaft kann die finanziellen Mittel für neue Maßnahmen im Umweltschutz aufbringen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das, was wir an Umweltschutz für die nächsten Jahre brauchen und vorschlagen müssen, kostet zweistellige Milliardenbeträge, die nicht von einer schrumpfenden Wirtschaft und von Menschen mit geringem Einkommen aufgebracht werden können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn wir uns in der Welt umschauen, so stellen wir fest, daß eine schlechte Volkswirtschaft Hand in Hand mit verhängnisvollen Sünden gegen die Umwelt einhergeht. Für uns in der Bundesrepublik gilt es daher, beim Umweltschutz alles Denkbare zu diskutieren und alles Machbare durchzusetzen.
Das zweite, was ich sagen möchte, ist ein Appell an uns alle: Erliegen wir nicht der Versuchung, uns in Anbetracht schwerwiegender Umweltschäden in düsteren Zukunftsvisionen zu ergehen. Machen wir die Menschen problembewußt, aber machen wir ihnen keine Angst vor der Zukunft!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zeigen wir Wege auf, strengen wir uns an, vermitteln wir vor allem Mut, die Probleme anzupacken!
Ich bin davon überzeugt, daß wir es schaffen können, nicht von heute auf morgen, aber doch schneller, als manche heute glauben. Wir sollten jedoch wissen und keine falschen Illusionen hegen: Die Sünden von Jahren und Jahrzehnten können nur in langen Zeiträumen wieder korrigiert werden. Umweltschutz ist kein kurzatmiges Programm, sondern Umweltschutz wird von jetzt an eine ständige Aufgabe, eine ständige Herausforderung sein, für diese Bundesregierung und für alle, die nach ihr kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Trotz aller Umweltprobleme sage ich: Deutschland ist in seinem Kern gesund.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Gesund san ma!)

Es gibt Schäden, aber sie werden zu beheben sein. Jeder, der unsere Landschaft bewußt erlebt, wird meinem Urteil zustimmen: Deutschland ist einer der schönsten Flecken in dieser Welt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir alle müssen — jeder an seinem Platz — dazu beitragen, daß das Leben hier lebenswert bleibt.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID1002200200
Wird das Wort zur Einbringung oder zur Begründung der Vorlagen unter den Tagesordnungspunkten 3 bis 5 gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner ist Herr Hauff. Bitte schön.

Dr. Volker Hauff (SPD):
Rede ID: ID1002200300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Regierungserklärung

(Zuruf von der CDU/CSU: War gut!)

zur Verantwortung für unsere Umwelt muß sich an den Herausforderungen messen lassen, vor denen wir stehen. Die Herausforderung, vor der wir stehen — zusammen mit vielen anderen Industrieländern —, ist die dramatische Veränderung im Verhältnis von Mensch und Natur.
Früher war das Ziel menschlichen Handelns die Beherrschung der Natur. Das hat zu riesigen Erfolgen, das hat zu einem beispiellosen Wohlstand geführt. Aber heute erkennen wir, daß dieser Weg auch zur Zerstörung der gesunden Umwelt, auch zur Bedrohung der Natur geführt hat. Der Mensch führt sich in weiten Teilen der Welt als ein Feind der Natur auf, und das kann nicht gutgehen. Deswegen empfinden immer mehr Menschen die Zerstörung der Umwelt als eine konkrete Gefahr für ihr persönliches Leben. Diese Menschen haben recht.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht in den Zeitungen alarmierende Nachrichten entdecken. Da gibt es mit Blei vergiftete Kinderspielplätze; da findet man im Trinkwasser gesundheitsgefährdende Stoffe; da werden Schadstoffrückstände, sogar DDT, in der Muttermilch entdeckt; da sind inzwischen im Schwarzwald neun von zehn Tannen krank; da gehen täglich in der Bundesrepublik 160 ha Boden durch Bebauung für Häuser, für Straßen, für öffentliche Einrichtungen und ähnliches verloren. Und jedes Jahr — so sagen uns die Fachleute — sterben seltene Tierarten aus. Schließlich steigt die Zahl — das halte ich für das Wichtigste — der durch Umweltverschmutzung bedingten Erkrankungen der Menschen steil an. Kurz gesagt: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, der Mensch lebt nicht mehr in Frieden mit der Natur.
Gemessen an dieser Herausforderung war diese Regierungserklärung sicherlich eine lange Rede mit vielen Ankündigungen, mit vielem, dem man zustimmen kann, aber auch mit vielen Undeutlichkeiten. Nur, ich finde, wir brauchen keine wortreichen Regierungserklärungen, sondern wir verlangen, daß die politischen Entscheidungen, die getrof-



Dr. Hauff
fen werden, dem Ernst der Lage wirklich gerecht werden.

(Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Nachdem ihr so lange geschlafen habt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Keine Angst, das kommt alles noch zur Sprache.
— Hier beginnt unsere Kritik — hören Sie gut zu —; denn zwischen den großen Worten und den tatsächlichen Umweltmaßnahmen dieser Regierung — und das ist der einzige legitime Maßstab —, den eigenen Ankündigungen und den eigenen Entscheidungen klafft ein riesengroßer Unterschied.

(Berger [Lahnstein] [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selbst nicht!)

Statt Politik betreiben Sie Public Relations. Sie betreiben eine Politik der starken Worte und der schwachen Taten. Sie leben von Ankündigungen, die gut klingen.

(Beifall bei der SPD — Dr. Laufs [CDU/ CSU]: Sie nehmen nicht einmal die Beschlüsse zur Kenntnis!)

— Ich nehme Entscheidungen zur Kenntnis. (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Die sind gefallen!)

- Auf die kommen wir gleich zu sprechen. Keine Bange, Herr Laufs.
Wer Ihre Reden und Ihre Interviews liest, Herr Bundesinnenminister, wer Sie in unregelmäßigen Abständen mit dem Hubschrauber über die sterbenden Wälder fliegen sieht, dem drängt sich in der Tat der Eindruck auf, hier handele es sich um einen engagierten Umweltschützer, den die Sorge um unsere Umwelt treibe

(Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt auch!)

und der auch uneinsichtigen Leuten die Stirn biete, jenen uneinsichtigen Leuten, die es beispielsweise auch in der Industrie gibt und die uns und Ihrem Vorgänger, Herrn Baum, früher das Leben so schwergemacht haben.
Nur, zwischen Ihren Ankündigungen und Ihren Taten klaffen Lücken. Ich fange mit dem ersten Beispiel, mit der ersten Entscheidung an, die diese Regierung getroffen hat. Sie sagten, Herr Bundesinnenminister, am 4. Februar 1983 im Bundesrat: In der Umweltpolitik der Bundesregierung hat absolute Priorität die Luftreinhaltung.
Mit der vorliegenden Novellierung der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft ... hat die Bundesregierung einen bedeutsamen Schritt auf dem Wege zur Verbesserung der Luftqualität vollzogen. Das wird nicht ohne positive Auswirkungen auf die Situation unserer Wälder bleiben.
Nur, das Gegenteil ist der Fall.

(Schily [GRÜNE]: Sehr wahr!)

Entgegen Ihrer Ankündigung enthält die TA Luft, die Sie vorgelegt haben, keinerlei Verbesserung der Schwefelbelastung.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Sie müssen wissen, daß das nicht richtig ist, was Sie sagen!)

Das wäre wirklich wichtig gewesen, um den Wäldern zu helfen. Wir wollen nicht Ankündigungen haben, sondern Entscheidungen, die den Ankündigungen gerecht werden.

(Beifall bei der SPD — Dr. Laufs [CDU/ CSU]: Genau das ist nicht richtig, was Sie jetzt sagen! Das ist gegen besseres Wissen!)

Die Chance haben Sie verpaßt. So sieht in Wahrheit Ihr Beitrag zum Kampf gegen das Umweltsterben aus: Ankündigungen, Worte.

(Zurufe)

— Herr Laufs, hören Sie gut zu; es geht weiter. Wir diskutieren in der Sache miteinander.
Geändert haben Sie in der neuen TA Luft das Berechnungs- und Meßverfahren zur Ermittlung der Zusatzbelastung.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Mit entsprechender Verwirklichung!)

Diesem Verfahren haben in der Tat alle zugestimmt. Wir auch, alle Bundesländer und zunächst übrigens auch die Umweltschutzverbände. Sie haben — das fand damals Zustimmung — gesagt, mit Hilfe dieser komplizierten Formel werde etwas für den Umweltschutz und gegen das Waldsterben getan. Nun stellt sich heraus, daß das gar nicht stimmt. Da haben Sie ein — Herr Bundesinnenminister, das ist ein Wort des früheren Umweltschutzministers von Nordrhein-Westfalen — krummes Ding gedreht.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das ist doch unerhört!)

In Zahlen ausgedrückt: Im Fall von NordrheinWestfalen bedeutet das praktisch bei der Verschmutzung mit Schwefel, daß nach dem alten Verfahren 1981 70 Anlagen den Grenzwert überschritten hätten; nach dem neuen Verfahren wäre das keine einzige Anlage mehr gewesen.

(Hört! Hört! bei der SPD)

So kann man auch Politik machen. Auf dem Papier eine Verbesserung, aber in Wirklichkeit überhaupt keine Verbesserung der Luftqualität. In Wahrheit bleibt der Dreck.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

Unseren sterbenden Wäldern haben Sie damit keinen guten Dienst erwiesen.
Die „Süddeutsche Zeitung" hat recht, wenn sie wörtlich sagt: „Mit Hilfe von Taschenspielertricks wird dafür gesorgt, daß der deutsche Wald weiter sterben muß."

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn!)

Gehen wir zur nächsten Entscheidung dieser Bundesregierung, der Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Ich sage immer noch: Wir messen Sie an den eigenen Ankündigungen und fragen, ob das,



Dr. Hauff
was angekündigt war, auch dem entspricht, was getan wird. Da gab es zunächst eine Vorlage aus dem Bundesinnenministerium. Sie hatte viele Schlupflöcher und Ausnahmeregelungen. Die Umweltschutzverbände sprachen mit einem gewissen Recht von einer „Großschwindelverordnung", die da vorgelegt wurde. Diese massive öffentliche Kritik — übrigens doch auch aus den Bundesländern, die von der Union regiert waren und sind — hat dann im Bundesrat zu wesentlichen Veränderungen und Verbesserungen geführt. Nur, Herr Bundesinnenminister, diese Verbesserungen stammen nicht von Ihnen, sondern von der Mehrheit der Bundesländer, übrigens mit sehr bunten Abstimmungskoalitionen, die sich da ergaben.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Und Rücktritten von SPD-Ministern!)

Wenn man das Ergebnis, das dabei herausgekommen ist und das heute geltendes Recht ist, bewertet, dann kommen trotz dieser Verbesserungen die Herren Späth und Dregger — der eine ist im Saal, der andere nicht — nach wenigen Monaten zu dem Ergebnis, daß diese Verordnung überholungsbedürftig ist. Herr Dregger sagt wörtlich: „Wir müssen die Obergrenzen der zulässigen Schadstoffbelastungen absenken. Wir müssen die Übergangsfristen z. B. für alte Kraftwerke verkürzen." Und das noch nicht einmal nach einem halben Jahr, nachdem man das vorher noch als großen Fortschritt gefeiert hat! Wir haben Ihnen das schon bei der Verabschiedung gesagt. Man ist geneigt zu sagen: Spät kommt ihr, doch ihr kommt, verehrter Herr Späth.

(Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Ihr überhaupt nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Herr Zimmermann, mittlerweile kriegen Sie selbst kalte Füße. Denn Sie scheinen ja zu merken, daß Ihre Verordnung eine umweltpolitische Fehlleistung ist. Sonst hätten Sie doch nicht — was Sie getan haben — an die Bundesländer geschrieben, sie sollten in den landeseigenen Anlagen mehr tun, als die Verordnung selbst vorsieht, also über das hinausgehen, was der Gesetzgeber vorschreibt. Es wäre in der Tat gut, wenn das geschähe. Allerdings drängt sich ein Schluß aus diesem Brief, den Sie an die Bundesländer geschrieben haben, zwingend auf: Sie halten die Großfeuerungsanlagen-Verordnung offensichtlich selbst für mangelhaft, für verbesserungswürdig.
Was Ihr Image als unnachgiebiger Umweltschützer betrifft, so ist der Lack wohl endgültig ab, denn die Einhaltung der schärferen Vorschriften, die Sie in dem Brief anmahnen, fordern Sie ja nicht von der privaten Industrie, sondern nur von den öffentlichen Unternehmen. Herr Zimmermann, Sie müssen noch den Beweis erbringen, daß Sie Umweltschutz in der Tat auch einmal gegen mächtige wirtschaftliche Interessen durchsetzen können.

(Beifall bei der SPD)

Vielleicht waren Sie doch etwas zu nachgiebig und zu nachsichtig gegenüber dieser Lobby. Hat man Sie denn arg bedrängt, so muß man Sie fragen. Haben Sie mit dieser Verordnung wirklich das
Bestmögliche getan? Offensichtlich nicht, wenn man Herrn Dregger Glauben schenken kann.
Kürzlich — ich zitiere dies — nannten Sie als Leitlinie Ihrer Politik — Sie haben es sinngemäß heute in der Regierungserklärung noch einmal wiederholt —, „daß sich umweltfeindliches Verhalten nicht lohnen darf, während sich umweltfreundliches Verhalten auch wirtschaftlich auszahlen muß". Sie fordern weiter „eine Stärkung des Eigeninteresses der Wirtschaft an der Verminderung der Umweltbelastungen". — Richtig! Ich stimme Ihnen zu. Das ist ein vernünftiger Gedanke. Verehrter Herr Zimmermann, warum aber lehnen Sie dann eines der hervorragendsten und flexibelsten Instrumente in der Luftreinhaltepolitik, die in der Diskussion sind, nämlich die Schwefelabgabe, wie sie vom Land Hessen beschlossen wurde, eigentlich ab?

(Beifall bei der SPD)

Die Unglaubwürdigkeit und Unverbindlichkeit Ihrer Ankündigungen, die Umweltverschmutzer tatsächlich bei ihren ökonomischen Interessen zu pakken und entsprechend zu belasten, werden nur noch durch Ihre parteitaktische Abneigung übertroffen, einem Vorschlag zuzustimmen, der aus dem sozialdemokratisch geführten Bundesland Hessen kommt. Die SPD-Bundestagsfraktion wird noch in diesem Jahr ein Schwefelabgabengesetz nach dem hessischen Vorbild im Bundestag einbringen.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden dann Ihre Bekenntnisse zu marktwirtschaftlichen Lösungen im Umweltschutz auf die Probe stellen. Meine Prognose ist: Genauso wie bei der Einführung des bleifreien Benzins werden Sie bei der Schwefelabgabe am Ende klein beigeben. Sie wackeln ja jetzt schon und sagen, das sei alles prüfungsbedürftig.
Meine Damen und Herren, es gibt aber noch mehr von der Öffentlichkeit wenig beachtete Beispiele für umweltpolitisch prahlerische, aber leider konsequenzenlose Ankündigungen.

(Duve [SPD]: Öko-Prahlhans!)

Die Bundesregierung wendet sich in ihren Regierungserklärungen gegen den zunehmenden Flächenverbrauch. Das ist ein gutes Argument. Der Bundesverkehrsminister redet aber vollmundig von 3 000 neuen Bundesautobahnkilometern, die gebaut werden sollen. Nur weil das Geld knapp ist, kann er es nicht machen. Fast ist man geneigt zu sagen: Gott sei Dank.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Sie wollten vor zehn Jahren jedem einen Autobahnanschluß vor das Haus bauen!)

Mit Bezug auf das Sicherheitsniveau unserer Kernkraftwerke sagt diese Bundesregierung — so wörtlich —, sie wolle „keinerlei Abstriche" zulassen. Mein Eindruck ist allerdings: das ist offensichtlich nicht so ganz ernst gemeint. Was tut sich denn da mit der Lockerung der Störfallrichtlinien? Wie sehen denn die Entwürfe aus, die im Umlauf sind?

Dr. Hauff
Meine Vermutung ist: Hier kündigt sich ein kleiner Skandal an.

(Zustimmung bei der SPD)

Was soll eigentlich die Aussage, daß Sie für eine stärkere Berücksichtigung von Umweltverträglichkeitsprüfungen sind? Wo, bei welchen Projekten, wann wollen Sie das machen'? Setzen Sie das beim Wattenmeer durch, machen Sie das beim RheinMain-Donau-Kanal?

(Zustimmung bei der SPD)

Wenden Sie die Regelungen doch an. Sie brauchen in diesem Zusammenhang doch gar nichts anzukündigen.
Beim Waldsterben haben Sie nun eine ganz famose Idee. Sie könnte von einer Werbeagentur stammen. Gemeinsam mit Ihrem Kollegen Kiechle rufen Sie jetzt zur Gründung einer Stiftung „Wald in Not" auf. Ein tolles Wort! Hier wird der ShowCharakter Ihrer Politik besonders deutlich. Damit es keinen Zweifel gibt: Eine Stiftung ist dort eine gute Sache, wo sich die Bürger zur besseren Zusammenarbeit, zur Förderung ihrer Ziele zusammenschließen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie können ja beitreten!)

Wer etwas tun will, soll sich doch bitte der Aktion „Rettet den Wald" anschließen, die die Menschen, die sich um den Wald Sorgen machen, in Freudenstadt durchführen. Das ist eine Aktion, bei der sich die Bürger zusammenschließen. Schließen Sie sich dem doch an. Das wäre eine vernünftige Entscheidung.

(Beifall bei der SPI))

Wenn Sie aber selbst zur Gründung einer Stiftung aufrufen, wird man den Verdacht nicht los, hier wolle man sich aus der Verantwortung stehlen, hier wolle man darauf verzichten, politische Maßnahmen wirksam durchzusetzen.
Bei der Einführung des bleifreien Benzins haben wir gesagt: Wir brauchen eine klare Entscheidung dieser Bundesregierung. Wir sind dafür. daß bleifreies Benzin eingeführt wird. Wir sind bereit, die negativen Auswirkungen, die es gibt, mit zu tragen und mit zu verantworten. Und vor wenigen Monaten, ja, vor wenigen Wochen, haben wir hier im Bundestag über diese Frage diskutiert. Und dabei haben Sie diese Forderung wörtlich als „Weltfremdheit" bezeichnet und groß argumentiert, der deutsche Arbeiter müßte, wenn er in Zukunft nach Italien fahre, am Brenner sein Auto stehenlassen. Und deswegen komme das überhaupt nicht in Frage; europäische Lösungen müßten her.

(Dr. Vogel [SPD]: Im Mai war es!)

— Erklären Sie uns doch bitte einmal, was sich zwischen Mai und September verändert hat und den Sinneswandel rechtfertigte, den Sie heute hier vorgetragen haben.

(Beifall bei der SPD — Dr. Laufs [CDU/ CSU]: Sind Sie gegen diese Entscheidung?)

Erklären Sie uns doch einmal, was geschehen ist,

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind klüger geworden!)

daß Sie heute den Vorschlag von uns Sozialdemokraten zur steuerlichen Begünstigung bleifreien Benzins für prüfungswürdig halten — eine vernünftige Entscheidung —, während Sie noch im Mai im Bundesrat den hessischen Vorschlag dazu nicht einmal für wert hielten, sich überhaupt damit zu befassen. Erklären Sie uns doch einmal, was da wirklich passiert ist.

(Zuruf des Abg. Dr. Laufs [CDU/CSU])

Das einzige, was geschehen ist, ist, daß eine wachsende Zahl von Menschen erkennen, daß das vernünftige Vorschläge sind, und daß man denen Beifall gespendet hat. Und um diesen Beifall geht es jetzt auch Ihnen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat Anfang Juli ihre Vorschläge zur Bewahrung unserer lebendigen Umwelt erarbeitet. Ich will im Rahmen dieser Debatte über die Regierungserklärung auch über die ganz kurzfristigen Entscheidungen reden, die wir uns noch für das Jahr 1983 vorgenommen haben.
Erstens. Wir brauchen einen neuen Ansatz, um Ökologie und Ökonomie zu versöhnen. Wir schlagen dazu eine Initiative „Arbeit und Umwelt" vor. Da genügt es nicht nur, von mehr Dynamik zu reden, sondern da braucht es konkrete Entscheidungen der Regierung. Dazu, wie man das auf Regierungsseite umsetzen könnte, findet sich in Ihrer Regierungserklärung kein Wort.
Zweitens. Die schnelle Einführung des bleifreien Benzins ist für uns jetzt das Wichtigste. Wir fordern zusammen mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund, daß das jetzt geschieht. Wir hoffen, daß sich Regierung und Opposition in dieser Frage gegenseitig unterstützen. Wir hoffen es; ich bin mir nicht sicher, ob es dazu kommen wird. Wenn Ihre Taten, Herr Bundesinnenminister, auch tatsächlich so ausfallen, daß sie den Ankündigungen entsprechen, besteht in der Tat kein Anlaß, Sie in dieser Frage zu kritisieren. Nur Ihre Regierungserklärung ist zu diesem Punkt unklar und verschwommen.

(Beifall bei der SPD)

Sie nennen keinen Termin für die Einführung der neuen Abgaswerte entsprechend der Katalysatortechnik bei Neuwagen. Hier darf nicht drum herum geredet werden. Der Zickzackkurs der letzten Tage muß zu Ende sein. Nennen Sie klipp und klar den Termin, und sagen Sie klipp und klar, daß die Abgasgrenzwerte, die mit dem Dreiwegkatalysator zu erreichen sind, die unterste Grenze dessen sind, was zu akzeptieren Sie bereit sind. Eine klare Aussage, bitte. Aber wenn man nur vage davon redet, daß man das bleifreie Benzin einführen wolle, können das auch ganz andere Dinge sein. Hier fehlt noch einiges. Ich hoffe, daß das im Laufe dieser Debatte klarer wird.
Drittens. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird bald den Entwurf eines Schwefelabgabengesetzes nach dem hessischen Vorbild einbringen. Das bedrohliche Fortschreiten des Wald-



Dr. Hauff
sterbens erfordert unser aller Ernsthaftigkeit. Wir fordern die Bundesregierung eindringlich auf, die Möglichkeiten eines solchen Schadstoffabgabengesetzes noch einmal ohne Vorurteile und ohne parteitaktische Überlegungen zu prüfen. Wir sehen darin eine sinnvolle Ergänzung zu Verboten und Geboten. Zu diesem Punkt schweigen Sie sich in Ihrer Regierungserklärung gänzlich aus. Kein Wort dazu, obwohl breit öffentlich diskutiert wird, was eigentlich die Position der Bundesregierung dazu ist.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Sie haben offensichtlich nicht zugehört!)

Aber vielleicht irre ich mich auch,

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Zuhören!)

und die Stiftung „Wald in Not" ist Ihre Alternative zu einem Schwefelabgabengesetz. Es kann sein, daß so Ihre Umweltpolitik aussieht.
Viertens. Wir haben im Sommer eine Große Anfrage zum Lärmschutz eingebracht. Wir haben die Bundesregierung aufgefordert, Stellung zu nehmen zu den Schwerpunkten Lärm am Arbeitsplatz, Lärm im Verkehr und Gerätelärm. Und wir wollen diesen Streßfaktor Nr. 1 hier im Deutschen Bundestag im Herst debattieren. Bei diesem Punkt verweisen Sie in Ihrer Regierungserklärung auf die Großen Anfragen der Sozialdemokraten. Gut, warten wir die Antwort ab. Dann werden wir darüber diskutieren.
Fünftens. Die zunehmende Verschmutzung und die wachsenden Umweltprobleme der Nordsee erfordern rasche Maßnahmen.
Die Nordsee und das Wattenmeer müssen durch ein Bündel von Maßnahmen geschützt und vor der Vergiftung mit 01 und Chemikalien gerettet werden. Wir haben zusammen mit unseren Freunden in den Küstenländern ein Aktionsprogramm für die Nordsee erarbeitet. In Ihrer Regierungserklärung verweisen Sie in diesem Zusammenhang auf die Nachbarländer. Ich finde das etwas dürftig.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das ist aber auch mächtig revolutionär, was Sie sagen!)

Sechstens. Dringlich erscheint meiner Fraktion die Verabschiedung eines Verbotsgesetzes zur Abwendung der Gefahren, die mit der Verwendung von 2,4,5-T-haltigen Unkrautvernichtungsmittel verbunden sind.

(Beifall bei der SPD)

Wir begrüßen eine entsprechende Initiative der nordrhein-westfälischen Landesregierung für ein Verbotsgesetz und hoffen, daß sich die Bundesregierung in dieser Frage diesem Anliegen nicht verschließen wird. Aber dazu enthält Ihre Regierungserklärung wiederum kein Wort.
Siebtens. Ein Bereich, von dem wir befürchten, daß er wohl zwischen der Bundesregierung und uns kontrovers bleiben wird, wird die weitere Energiepolitik sein. Dazu wird mein Kollege Harald Schäfer im weiteren Verlauf der Debatte noch einmal Stellung nehmen.
Meine Damen und Herren, ich habe mehrfach den Zwischenruf gehört: Warum ist das nicht alles in den 13 Jahren gemacht worden; warum kommt das erst jetzt? — Damit möchte ich mich sehr gern auseinandersetzen.
Die Umweltgesetzgebung der sozialliberalen Koalition, die in der Zusammenarbeit zwischen Sozialdemokraten und Freien Demokraten entstanden ist, gilt heute in Europa als vorbildlich. Das weiß auch Herr Zimmermann; das weiß übrigens auch Herr Dregger, wenn Sie seine Rede, die er in Ihrer Fraktionssitzung vor drei Tagen in Berlin gehalten hat, noch einmal nachlesen. Ich darf Sie selbst, Herr Zimmermann, zitieren, und zwar aus Ihrer Rede vor dem Verband der bayerischen Bezirke. Dort sagen Sie, daß „im Gewässerschutz in den letzten Jahren viel erreicht worden" sei. Dort verweisen Sie auf die „erfreulichen Fortschritte" bei der biologischen Abwasserbehandlung. Dort erkennen Sie auch die „erfreuliche Entwicklung in der Abfallwirtschaft". Dort würdigen Sie auch die Finanzierungshilfen, die die alte Bundesregierung z. B. über das Rhein-Bodensee-Programm oder über das Zukunftsinvestitionsprogramm von 1977 bis 1981 geleistet hat. Da wurde einiges erreicht. — Herr Zimmermann, ich stimme Ihnen zu: Es ist erfreulich, was da geschehen ist. Es wurde auch gegen vielfache Widerstände durchgesetzt,

(Boroffka [CDU/CSU]: Vorsicht!)

die meist einzelnen egoistischen wirtschaftlichen Interessen entsprangen. Wir Sozialdemokraten sind stolz auf das, was in der sozialliberalen Koalition umweltpolitisch erreicht wurde.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind stolz darauf, ohne Selbstgefälligkeit, aber im Bewußtsein, daß wir zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Weg eingeschlagen haben. Übrigens oft gegen den erbitterten Widerstand der damaligen Opposition. Das sollte man nicht vergessen, wenn man die Reden heute hört.
Aber es gibt auch Gefahren — auch darüber möchte ich offen mit Ihnen reden —, die wir alle miteinander unterschätzt haben, z. b. beim Waldsterben. Keine der im Bundestag vertretenen Parteien hat 1980 vorausgesehen, daß diese Umweltzerstörung so schnell voranschreitet, wie das jetzt erkennbar ist.

(Zustimmung bei der SPD — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Aber außerhalb haben das einige Leute vorausgesehen!)

— Herr Fischer, ich bin gern bereit, Ihnen zu zeigen, daß weder

(Zurufe von den GRÜNEN)

— hören Sie gut zu! — das Wahlprogramm der GRÜNEN von 1980 noch das Bundesprogramm der GRÜNEN von 1980 weder das Wort noch das Thema „Waldsterben" überhaupt erwähnen.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜNE])

1442 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983
Dr. Hauff
Sehen Sie, so schnell wird man zur alten Partei, wenn man den Mund zu voll nimmt. So schnell geht das heutzutage.

(Beifall bei der SPD)

Aber es ist uns Sozialdemokraten auch schwergefallen — auch dies will ich nicht verschweigen —, jenes berühmte Bündnis zwischen Waldläufern und Malochern zu schaffen. Das ist richtig. Und das wird auch so bleiben. Den richtigen Weg zur Versöhnung zwischen Ökologie und Ökonomie zu finden, bleibt ein Problem. Dabei werden sich auch weiterhin Konflikte nicht vermeiden lassen, auch nicht bei uns selbst. Darüber mache ich mir keine Illusionen. Es geht jedem so in seiner Partei, der ernsthaft über Umweltschutz redet.

(Lenzer [CDU/CSU]: Sie müssen auch einmal Leistungen anerkennen!)

Neben diesen Problemen, die mit dem Bewußtsein der Menschen zusammenhängen, gibt es noch einen ganz anderen sachlichen Zusammenhang, der meines Erachtens im Hinblick auf Ihre Zwischenrufe noch sehr viel wesentlicher ist. Weder der technische Fortschritt noch die Umweltverschmutzung sind während der letzten Jahrzehnte stehengeblieben. Unsere Umweltschutzgesetzgebung — das gilt nicht nur für die soziale liberale Umweltschutzgesetzgebung, sondern das werden auch Sie erfahren -, jede Umweltschutzgesetzgebung kann nur in dem Maße verbessert werden, wie neu entwikkelte Technologien, wie neuerarbeitete Erkenntnisse zur Bekämpfung von Umweltschäden es tatsächlich gestatten. Schadstoffminderungen beispielsweise im Abgas oder im Abwasser können heute eben auf Grund der technischen Entwicklung weiter gehen, ais wir es in den Gesetzeswerken der 70er Jahre und den Verordnungen festgehalten haben. Hier sind, meine Damen und Herren, in gewissen Abständen und parallel zum technischen und zum wissenschaftlichen Fortschritt immer wieder Anpassungen erforderlich. Auf diese weisen wir Sozialdemokraten heute hin, ohne uns Nachlässigkeit in der Vergangenheit nachsagen lassen zu müssen. Lernfähigkeit ist hier gefragt, auch von der Politik, nicht nur von Wissenschaftlern und Ingenieuren.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch auf den Zusammenhang zwischen Umwelt, Wachstum und Beschäftigung eingeben. Wir Sozialdemokraten wissen, daß Umweltschutz nicht erst dann beginnt, wenn der Dreck oder der Gestank die Villenvororte erreicht hat. Deswegen treten wir zusammen mit den Gewerkschaften für einen aktiven Umweltschutz ein. Dieser beginnt zunächst am Arbeitsplatz.

(Beifall bei der SPD)

Ich stimme dem Bundesinnenminister zu, wenn er kürzlich darauf hinwies — wörtlich —:
Eine wachsende Umweltschutzgüterindustrie zeigt uns, daß der Umweltschutz nicht Hemmschuh, sondern geradezu Schrittmacher des technischen Fortschritts ist.
Richtig! Ich würde es mit meinen Worten so sagen: Mehr Umweltschutz heißt auch mehr Technik, mehr Innovation, mehr neue Produkte.
Auch hier drängt sich die Frage auf: Wenn das richtig ist, warum versäumt es vor diesem Hintergrund die Bundesregierung, diesen Aspekt in dem kürzlich eingebrachten Bundeshaushalt angemessen zu berücksichtigen,

(Beifall bei der SPD)

etwa im Rahmen eines Programms zu Wachstum und Beschäftigung, eines Programms zur Verbesserung der Wachstums- und der Umweltbedingungen?

(Zuruf von der CDU/CSU: Mit neuen Schulden!)

Bereits im Juli haben wir Sozialdemokraten die Dringlichkeit eines solchen Programms unterstrichen.
In dem Zusammenhang erinnere ich an das Wort unseres früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt: Wir brauchen beides, mehr Arbeitsplätze und mehr Umweltschutz. Wir können auch beides zugleich erreichen. Hier erinnere ich an ein Wort von Karl Schneider: Wir brauchen mehr Arbeitsplätze durch mehr Umweltschutz. So muß die Lösung aussehen!

(Beifall bei der SPD)

Im Umweltschutz gibt es einen drängenden Investitionsbedarf. Allein die nachweisbaren Gesundheitsschäden als Folge der Umweltverschmutzung rechtfertigen ein umweltpolitisches Investitionsprogramm in Milliardenhöhe, weil es auch Schäden in Milliardenhöhe gibt. Denken wir nur an die Erkrankung der Atmungswege der Menschen! Heute werden diese Schäden sozialisiert, indem man sie auf die Solidargemeinschaft der Versicherten überwälzt. Deswegen sind Maßnahmen zur Luftverbesserung kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit zur Schadensabwendung.
Die ständigen Verschlechterungen der Umweltbedingungen haben auch dazu geführt, daß sich in der Bevölkerung das Bewußtsein verändert hat. In wachsendem Maße sind die Menschen kritisch und mißtrauisch gegen Umweltverschmutzungen geworden. Sie sind bereit, zur Verbesserung dieser Situation Opfer, Einschränkungen, zusätzliche Belastungen auf sich zu nehmen; denn sie wissen: Nichts ist so teuer wie unterlassener Umweltschutz.

(Beifall bei der SPD)

Die OECD schätzt, daß in den Mitgliedsländern die gesamten Schäden allein durch Luftverschmutzung einschließlich der Gesundheitsschäden jährlich 3 bis 5% des Bruttosozialprodukts ausmachen. Allein die Gebäudeschäden durch Luftverschmutzung schätzt das Umweltbundesamt auf 1,5 Milliarden DM.
Wenn es uns nicht gelingt, durch massive Investitionen im Umweltbereich für einen entsprechenden Ausgleich zu sorgen, d. h. die Schäden abzuwenden, dann müssen wir, ob wir uns dessen bewußt sind



Dr. Hauff
oder nicht, die Schäden in Kauf nehmen, d. h. praktisch reale Wohlstandsverluste hinnehmen.
Bei all diesen Berechnungen ist zusätzlich zu berücksichtigen, daß viele ökologische Langzeitschäden, z. B. die Bodenversalzung oder das Artenaussterben, in Geldkategorien überhaupt nicht zu fassen sind.
Die Umweltindustrie, die Ökoindustrie ist eine Schlüsselindustrie für die Zukunft. In allen Industrieländern steigt das Umweltbewußtsein der Menschen und steigt die Nachfrage nach technisch ausgereiften Produkten der Umweltindustrie, um die Umweltprobleme zu lösen. Meine Damen und Herren, das sind die Märkte von morgen. Das schafft mehr Arbeit durch mehr Umweltschutz.

(Beifall bei der SPD)

Wer hier die Nase vorn hat, sorgt vor. Deswegen ist es wirtschaftlich sinnvoll, beim Umweltschutz die Nase tatsächlich vorn zu haben. Deswegen ist die Aussage, nur eine florierende Wirtschaft könne sich den Aufwand von Mitteln für den Umweltschutz leisten, etwas zu kurz gedacht.

(Beifall bei der SPD)

Hier gibt es einige Daten und Fakten, die zum Handeln aufrufen. So liegen die Ausgaben für Umweltschutz, gemessen an den Gesamtinvestitionen des Bruttosozialprodukts, in Japan bei 14 %; in der Bundesrepublik betragen sie lediglich 5,5%. Mit anderen Worten: Hier liegen ungenutzte Chancen für mehr Arbeit durch mehr Umweltschutz.
Das ist für uns Sozialdemokraten das Hauptargument für diese Initiative, für dieses Programm „Arbeit und Umwelt", wie wir es genannt haben. Ein solches Programm ist sowohl umwelt- als auch wachstums- und beschäftigungspolitisch dringend geboten. Es ist auch finanzierbar, wenn man endlich darauf verzichtet, in Form von Steuersenkungen bei der Vermögensteuer Milliarden zum Fenster hinauszuwerfen, die überhaupt nichts nutzen und überhaupt nichts voranbringen.

(Beifall bei der SPD — Schily [GRÜNE]: Beispiel Kalkar! Widerspruch bei der CDU/CSU)

Wir werden dazu einen konkreten Vorschlag im Bundestag einbringen.
Ich weiß, daß die Menschen durchaus bereit sind, für den Umweltschutz auch finanzielle Opfer zu bringen, aber nur dann — das ist richtig —, wenn sie sicher sein können, daß damit tatsächlich wirksame Maßnahmen gegen das Waldsterben, für die Verbesserung der Qualität des Trinkwassers, gegen den Lärm, für den Gewässerschutz, für den Schutz des Bodens, für die Verkehrsberuhigung und auch - hoffentlich erschrecken Sie nicht — für den Bau von Radwegen beispielsweise ergriffen werden. Die Bürger lehnen Opfer nicht grundsätzlich ab. Sie sind bereit, sie zu akzeptieren, wenn man konkrete Ziele damit verbindet; das ist erforderlich und möglich.

(Beifall bei der SPD)

Solche Umweltabgaben sind im übrigen auch ökonomisch dann sehr sinnvoll, wenn dadurch ein umweltpolitisch vernünftiges Verhalten unterstützt wird. Unsere Erfahrungen mit dem Abwasserabgabengesetz sind ermutigend; das sagt ja auch der Erfahrungsbericht, den die Bundesregierung vorgelegt hat.

(Zuruf von der SPD: Jetzt!)

— „Mittlerweile", sagen Sie; das ist richtig. Es gab da andere Stimmen, z. B. die des Herrn Späth, der das immer kritisiert hat. Herr Späth, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einmal jemanden, der nicht in der politischen Auseinandersetzung steht und der das etwas aus der Distanz betrachten kann, zitieren. Ein Vorstandsmitglied von Daimler-Benz, Herr Reuter, hat dazu folgendes gesagt — ich finde, daß dies eine bemerkenswert weitsichtige Aussage eines Verantwortlichen in der Wirtschaft ist —:
Letztlich ist politisch — also mit öffentlicher Klarheit, über die Konsequenzen — zu entscheiden, was wir uns vorrangig leisten wollen: entweder illusionäre Hoffnungen auf Steigerungsraten beim Massenkonsum wie in der Vergangenheit oder aber eben nicht individuell käufliche Produktionsstruktur, die den neuen Einsichten in unsere Abhängigkeit von knapper werdenden Umweltressourcen entspricht. Ich
— so Reuter —
halte es jedenfalls für keinen Zufall, daß das marktwirtschaftlich konstruierte Abwasserabgabengesetz die brillanteste umweltpolitische Erfolgskarriere gemacht hat.

(Beifall bei der SPD)

So weit ein Vertreter aus der Industrie. Die Abwasserabgabe ist ein gutes Beispiel dafür, was der Staat tun muß, damit das ökologisch Notwendige für die Betroffenen auch zum ökonomisch Vernünftigen wird.

(Beifall bei der SPD)

In diese Richtung müssen wir unsere umweltpolitischen Instrumente weiterentwickeln. Wir Sozialdemokraten haben den Grundsatz, daß eine Stärkung des Eigeninteresses der Umweltverschmutzer an der Vermeidung von Umweltbelastungen dringend ist. Ich möchte in dem Zusammenhang noch einmal jemanden zitieren, der nicht unmittelbar an der parteipolitischen Auseinandersetzung steht, Herrn Bennigsen-Foerder, den Vorstandsvorsitzenden der VEBA. Er sagte dazu — und das stimmt sehr nachdenklich —:
Rund 200 Jahre betrachteten wir das Wirtschaften als Kombination der Faktoren „Arbeit" und „Kapital", wobei jeder Faktor im Wirtschaftsprozeß so zu entlohnen ist, daß seine Regenerationskraft gesichert bleibt. Nun erkennen wir die Bedeutung des dritten Faktors, der „Natur". Er wurde in der Wirtschaftstheorie als sogenanntes „freies Gut" behandelt und in der Praxis ohne Rücksicht auf deren Erhalt der Regenerationskraft eingesetzt oder — sagen wir ru-



Dr. Hauff
hig — ausgebeutet. Waren wir bislang daran gewöhnt, im Rahmen der Güterproduktion den Faktoren Kapital und Arbeit jeweils einen Lohn für ihren Beitrag zu zahlen, so müssen wir uns nunmehr gedanklich darauf einstellen, daß aus demselben Produktionswert künftig auch der dritte Faktor seinen Lohn bekommt.

(Beifall bei der SPD — Richtig! bei der CDU/CSU)

So Herr Bennigsen-Foerder.
Dies ist in sehr nüchternen Worten eine Erkenntnis, der sich heute niemand mehr verschließen kann, der sich mit Umweltschutz ernsthaft beschäftigt. Ich wäre dankbar gewesen, wenn Ihre Regierungserklärung nicht nur eine Aneinanderreihung von Ankündigungen gewesen wäre, sondern in diesen Grundsatzfragen endlich einmal auch Klarheit und Orientierung vermittelt hätte. Das wäre geistigmoralische Erneuerung gewesen. Aber statt dessen haben wir nur Sprüche gehört.

(Beifall bei der SPD — Dr. Laufs [CDU/ CSU]: Das ist unglaublich! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Genau das hat sie getan! — Sie haben 13 Jahre Zeit gehabt, was haben Sie da getan? — Die Versäumnisse Ihrer Regierung!)

— Also, wenn Sie sich zu Wort melden wollen, bitte schön! Aber Ihr Geschrei überzeugt mich nicht. —
Ökonomie und Ökologie müssen wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Der ökologischen Krise der Industriegesellschaft entspricht übrigens die Krise der Wirtschaftstheorie, die eben die Natur als freies Gut behandelt. Das heißt, die gängige Wirtschaftswissenschaft behandelt die Natur als etwas, das wirtschaftlich irrelevant ist. Meine Damen und Herren, das ist falsch. Das müssen wir erkennen. Dort ist eine Wende notwendig: daß diese Einschätzung aus ökonomischen Gründen falsch ist.

(Beifall bei der SPD)

Für den Umweltschutz heißt das ganz praktisch, daß eine bloße Abwehr, daß ein rein defensiver Umweltschutz nicht ausreicht. Wir müssen in den nächsten Jahren noch stärker den vorsorgenden Umweltschutz betonen. Das wird ein Problem sein,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das machen wir doch!)

das uns miteinander mehrere Jahrzehnte beschäftigen wird.
In diesem Zusammenhang stellt sich dann die Frage, ob wir den Umweltschutz als Staatszielbestimmung im Grundgesetz verankern wollen. Meine Fraktion, die Fraktion der Sozialdemokraten, sagt noch einmal klar und deutlich, daß wir diesen Vorschlag begrüßen, den die Kommission „Staatszielbestimmung/Grundgesetzaufträge" vor wenigen Tagen dem Bundesjustizminister übergeben hat.

(Beifall bei der SPD)

Sie schlägt nämlich vor, in unserer Verfassung den Umweltschutz ebenso wie Arbeit und Kultur als Ziel staatlichen Handelns zu verankern. Mit diesem Vorschlag wird an einen Gedanken angeknüpft, den Hans-Jochen Vogel seinerzeit als Justizminister schon geäußert hat und der damals Eingang in die Regierungserklärung der sozialliberalen Koalition gefunden hat. Wir knüpfen daran an. Wir halten es für sinnvoll und für richtig. Denn es kann dadurch klargestellt werden, daß auch die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen ein verfassungsrechtliches Gebot und geschütztes Ziel staatlichen Handelns ist.

(Beifall bei der SPD)

Arbeit und Umwelt sind wichtig, mindestens so wichtig wie die Förderung eines stetigen und angemessenen Wirtschaftswachstums. Wir wissen doch heute — anders als vor 20 Jahren —: es gibt kein Grundrecht auf Leben ohne eine gesunde Umwelt. Von einer Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz sind deswegen wichtige Impulse auf die Gesetzgebung, auf die Verwaltung und auch auf die Rechtsprechung zu erwarten.
Es geht nicht an, daß das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gemäß Art. 109 GG verfassungsrechtlich geboten wird, nicht aber daß die Gesetze der Wirtschaft mit denen der Natur in Einklang stehen. Das geht so nicht.

(Beifall bei der SPD)

Jeder Schritt, der zeigt, daß wir uns um den Frieden mit der Natur bemühen, in der Tagespolitik, in unseren Orientierungen, von denen wir uns dabei leiten lassen, und in dem, was wir in unsere Verfassung hineinschreiben, ist ein guter Schritt und wird von vielen Menschen als ein Zeichen verstanden, als ein Zeichen der Ermutigung. Wir brauchen in unserer Zeit viele solcher Zeichen der Ermutigung, damit sich die Menschen in unserem Lande wohl fühlen können.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)


Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID1002200400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Miltner.

Dr. Karl Miltner (CDU):
Rede ID: ID1002200500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Regierungserklärung zum Umweltschutz hat in einem umfassenden Sinne die Umweltpolitik der Bundesregierung dargestellt und nach meiner Auffassung an Klarheit und Zielstrebigkeit und auch an Konkretheit nichts zu wünschen übrig gelassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von den GRÜNEN)

Die CDU/CSU begrüßt daher die heutige Regierungserklärung zum Umweltschutz. Es ist gut, daß die Bundesregierung am Anfang ihrer Legislaturperiode — zum wiederholten Male, muß ich sagen — den hohen Stellenwert des Umweltschutzes im Rahmen ihrer Gesamtpolitik herausgestellt hat. Nach der Regierungsübernahme im vergangenen Oktober hat sie bekanntlich rasch und entschlossen gehandelt. Die vergangenen Monate haben gezeigt:



Dr. Miltner

(Lachen und Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: „Verwandelt"! — Das ist richtig! — Gegenrufe von der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Zum Guten verwandelt!)

— Entschuldigung, verwaltet, der auf Worte Taten folgen läßt.
Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, hat die jahrelange Lähmung in der Umweltpolitik beendet.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Lassen Sie mich einmal ein paar Bemerkungen zu den Ausführungen meines Kollegen Hauff sagen. Ich glaube, die SPD hat es sehr schwer, heute hier Tadel an der Regierungspolitik anzubringen, da sie 13 Jahre lang Zeit gehabt hat, Umweltpolitik zu machen. Was ist dabei herausgekommen? Trotz jahrelanger Forderungen aus den Ländern hat sie von der Ermächtigung zum Erlaß einer Großfeuerungsanlagen-Verordnung keinen Gebrauch gemacht.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: So ist es!)

In ihrem Umweltbericht 1976 hatte sich die Regierung zum Ziel gesetzt, die Schadstoffanteile in den Autoabgasen bis 1980 auf ein Zehntel der Durchschnittswerte von 1969 herabzusetzen.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

1981 mußten Sie einräumen, daß die Emissionen von Automotoren an Kohlenmonoxyd um 17 %, an Kohlenwasserstoff um 32 % und an Stickoxyden sogar um 85% über denen von 1970 lagen.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das sind die Fakten, Herr Hauff!)

Das sind die Fakten, die wir hier feststellen müssen. Vielleicht sollte sich die SPD auch einmal darum bemühen, ihre Politik mit dem nordrheinwestfälischen Ministerpräsidenten abzustimmen.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU — Susset [CDU/CSU]: Dem laufen die Minister davon!)

Ich glaube, die heutige Regierungserklärung ist dem Ernst der Lage in jeder Hinsicht gerecht geworden. Der mutige Schritt, der mutige Beschluß, die gesetzlichen Grundlagen für die Einführung bleifreien Benzins ab 1. Januar 1986 zu schaffen, setzt weitere Maßstäbe, insbesondere im Kampf gegen das Waldsterben. Sie haben vorhin gefragt: Warum eigentlich jetzt schon, nach wenigen Monaten, am 21. Juli, dieser Beschluß gekommen ist? Das ist damit zu beantworten, daß die Bemühungen des Bundesinnenministers, mit unseren Nachbarstaaten auf dem Gebiet voranzukommen, Erfolg gehabt haben, und in der Zwischenzeit die Mehrheit dieser Länder, nämlich Italien und Frankreich, Schweiz und Österreich, zustimmen. Es wird demnächst, in einigen Jahren, so sein, daß derjenige, der kein bleifreies Benzin hat, den Alleingang wird machen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Noch ein Wort zu den Abgaswerten, die Sie vermißt haben, Herr Hauff. Der Bundesinnenminister hat in seiner Rede — ich glaube, so konkret, wie dies in einer Regierungserklärung nur möglich ist — davon gesprochen. Er sagte: Die Einführung von Abgaswerten, die heute im wesentlichen nur mit der Katalysatortechnologie eingehalten werden können.

(Dr. Hauff [SPD]: Was weißt „im wesentlichen"?)

Ich glaube, damit hat er die Begrenzung so scharf vorgenommen, wie er das in einer Regierungserklärung nur tun kann.
Meine Damen und Herren, wir müssen heute feststellen: Der Schutz der Umwelt ist um so dringlicher geworden, als in der Vergangenheit viele aus der Umweltbelastung unserer Zivilisation erwachsenen Probleme und Gefahren nicht erkannt wurden, nicht erkannt werden konnten oder auch nicht konsequent bekämpft wurden. Die alarmierenden Schädigungen, nicht nur das rapide Waldsterben, zwingen uns zum schnellen Handeln. Aber es ist wenig hilfreich, wenn jetzt von allen Seiten Bekenntnissen zur Notwendigkeit des Umweltschutzes noch weitere hinzugefügt werden. Durch Demonstrationen und Proteste ist noch kein einziger Baum in der Bundesrepublik gerettet worden.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von den GRÜNEN)

Rationale Umweltpolitik muß handeln und muß sehr schnell handeln. Wir wollen so schnell wie möglich das Machbare in der Umweltpolitik erreichen. Was wir jetzt brauchen — ich denke wiederum an das Problem des Waldsterbens —, sind weder Propheten noch nebulöse Konzeptionen, sondern einfach konkrete Entscheidungen und deren Durchsetzung.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Machen Sie es doch!)

Die Bundesregierung wird daher nicht an ihren Berichten, auch wenn diese zum Teil notwendig sind, sondern an ihren konkreten Maßnahmen für den Umweltschutz gemessen werden.
Zu den einzelnen Bereichen des Umweltschutzes macht der Ihnen vorliegende Entschließungsantrag der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion im einzelnen Aussagen, auf die auch mein Kollege Paul Laufs zu sprechen kommen wird. Dieser Entschließungsantrag stellt den Handlungsbedarf fest, angefangen beim Waldsterben, bei der Luftreinhaltung, über den Gewässerschutz, den Bodenschutz, die Abfallwirtschaft, die Lärmbekämpfung, die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarstaaten, mit der DDR, mit der Dritten Welt, eben auf allen Gebieten des Umweltschutzes.

(Krizsan [GRÜNE]: Der wird ja ein Paradies!)

Die Umweltpolitik meiner Fraktion ist nach folgenden Leitlinien ausgerichtet:
Erstens. Die Bundesrepublik ist ein Industriestaat, der auf technischen Fortschritt angewiesen ist. Einer Bevölkerung von über 60 Millionen kön-
1446 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag. tien 15. September 1983
Dr. Miltner
nen wir nun einmal kein idyllisches Leben aus dem eigenen Biogarten ermöglichen.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Ich denke, wir nehmen ab!)

Rationale Umweltpolitik heißt deshalb: ja zur Industriegesellschaft, ja zur Technologie. Gleichzeitig heißt es aber auch: Nutzung und Gebrauch der natürlichen Lebensgrundlagen nur so, daß sie weiter benutzbar bleiben und sich regenerieren können. Wir müssen Vorsorge gegen die Ursachen künftiger Schäden treffen. Deshalb heißt rationale Umweltpolitik auch, nach den Ursachen von Umweltschäden, nach Möglichkeiten zur Behebung von Schäden zu forschen und die Erfindungskraft unserer Industrie, unseres Handwerks, unserer Hochschulen in den Dienst des Umweltschutzes zu stellen.
Rationale Umweltpolitik heißt schließlich, so weit wie möglich bereits durch umweltbewußte Planung zur Erhaltung der Umwelt beizutragen. Der Umweltschutz muß Bestandteil der umweltrelevanten politischen Sachgebiete sein, also ganz stark verankert z. B. in der Verkehrspolitik, in der Energiepolitik, in der Landwirtschaft, in der Raumordnungspolitik und in der Bauleitplanung.
Zweitens. Unsere Marktwirtschaft, die wir mit Recht eine soziale nennen, muß auch eine ökologische Marktwirtschaft sein. Wir haben in der Zwischenzeit gelernt, daß unsere Natur mit Luft und Wasser und Boden uns unter den Händen verdirbt, wenn man sie als Gut behandelt, das beliebig und kostenlos verfügbar ist. Einem Ausverkauf der Natur müssen wir begegnen, indem wir der Marktwirtschaft ökologische Korsettstangen einziehen.

(Schily [GRÜNE]: Ökologisch mit Korsettstangen zu verwechseln!)

Ökologisch wird unsere Marktwirtschaft dann sein, wenn sich alle am Markt Vertretenen — Wirtschaft, Industrie, Handel, öffentliche Hand, der Verbraucher — bei ihrem Verhalten am Gleichgewicht und an der natürlichen Weiterentwicklung unseres Lebensraumes ausrichten. Ökologische Marktwirtschaft bedeutet ein klares Nein zur Ausbeutung unserer natürlichen Ressourcen. Luft, Wasser und Boden müssen von allen genutzt werden können, und zwar so, daß sie nicht nur heute unbeschädigt zur Verfügung stehen, sondern daß sie späteren Generationen einen humanen Lebensraum bieten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Darum ist Umweltschutz auch ein ethisches Gebot, es ist aber auch ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Sauber, sauber!)

Wir müssen unsere Umwelt im Rahmen der Marktwirtschaft schützen. In unseren Augen muß Umweltschutz ein integraler Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft werden. Wir müssen also ökologische und soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik betreiben.
Drittens. Die Umweltpolitik darf sich nicht in Geboten und in Verboten erschöpfen.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Sagt auch der Herr Zimmermann!)

Staatliche Ordnungspolitik zur Erhaltung der Umwelt ist natürlich gut und schön und in erheblichem
Umfange auch unverzichtbar, ganz klar. Mit Gesetzen und Verordnungen und einer stetig wachsenden Umweltbürokratie körnen die gegenwärtigen
Probleme in der Umwelt nicht bewältigt werden. Ob
etwas um weltgerecht oder umweltbelastend ist,
muß daher unübersehbaren und beachtenswerten Faktor in der Nutzen-Kosten-Rechnung sowohl der Industrie als auch beim einzelnen Verbraucher werden.

(Schily [GRÜNE]: Umweltbilanz!)

Nur wenn wir Umweltschutz möglichst marktwirtschaftlich betreiben, können wir auch hoffen, ihn möglichst wirksam und möglichst kostengünstig zu bekommen. Denn die Erfahrung lehrt uns: Was in Ämtern ausgedacht wird mag zwar durchaus tauglich sein, ist aber meistens nicht das wirksamste und meistens auch nicht das kostengünstigste Mittel.

(Beifall bei der CDU/CSC Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Sanierung der Beamtenhierarchie!)

Mit anderen Worten: Wir wollen das Eigeninteresse von Industrie und Handwerk zur Bewahrung unserer Lebensgrundlagen ausgenutzt wissen. Wir wollen Spielräume geben, damit die Industrie in der Lage ist die Mittel ihrer Wahl auszusuchen, um einen möglichst effizianten Umweltschutz zu erreichen. Also: ,,Umweltschutz nicht gegen die Industrie, sondern mit der Industrie machen" ist die Devise.
Wir sind uns dabei im klaren die vom Staat gemachten Vorgaben im Umweltschutz längerfristig verläßlich sein müssen,

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Richtig!)

damit die Wirtschaft sich darauf einstellen kann, damit die Wirtschaft ihren Einfallsreichtum mobilisieren und entfalten kann.
Viertens. Eine aktive Umweltschutzpolitik hat in der Bundesrepublik Deutschland 60 Millionen Adressaten. Unsere Burger werden einsehen. daß Umweltschutz ebensowenig wie die soziale Sicherheit zum Nulltarif zu haben ist. Wir sind überzeugt, daß das gewachsene Umweltbewußtsein unserer Bevölkerung letztlich auch das Verständnis für die notwendigen Umweltmaßnahmen und deren Kostenbelastung einschließt. Jeder einzelne Bürger wird sich in den kommenden Jahren den Umweltschutz etwas kosten lassen müssen. Produkte, die billig erscheinen, jedoch bei ihrer herstellung oder nach dein Gebrauch zu überhöhten Umweltkosten führen, können wir uns in der Zukunft nicht mehr leisten.
In den letzten Tagen sind zum Waldsterben demoskopische Erhebungen gemacht worden. Danach kennen 99 Prozent das Wort „Waldsterben". Das ist erfreulich. Es zeigt, dati last alle Bürger mehr oder



Dr. Miltner
weniger über diese Problematik informiert sind. 65 Prozent haben ihre Bereitschaft zu Opfern erkennen lassen. Aber auch von der Industrie werden in der Zukunft noch mehr

(Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE])

konkrete und kostenbelastende Maßnahmen für eine umweltschonende Produktion verlangt. Das wird für manche Unternehmen unbequem sein. Umstrukturierungen und Übernahme sonstiger Lasten werden verlangt. Gerade die Mineralölindustrie und die Autoindustrie werden einen besonderen Beitrag leisten müssen. Aber ich wiederhole auch, was hier schon gesagt worden ist: Der Umweltschutz muß ja auch finanziert werden. Er muß von der Wirtschaft und vom Verbraucher bezahlt werden.
Nicht zuletzt ist auch die öffentliche Hand Adressat der fordernden Umweltpolitik. Und ich appelliere von dieser Stelle an alle Einrichtungen der öffentlichen Hand, beim Umweltschutz mit gutem Beispiel voranzugehen.
Wenn wir Umweltschutz rational und aktiv mit dem Ziel einer ökologischen Marktwirtschaft betreiben, haben wir in der Bundesrepublik keinen Anlaß zu Resignation oder zu Pessimismus. Die Bundesrepublik — ihre Bevölkerung und die Regierung — hat die Herausforderungen des Umweltschutzes angenommen. Ein Volk, das sich in einer Generation aus dem Nichts nach dem Zweiten Weltkrieg an die Spitze der Industrienationen hinaufgearbeitet hat, dieses Volk wird auch diese Bewährungsprobe im Umweltschutz bestehen.

(Sehr richtig! und Sehr gut! bei der CDU/ CSU)

Die Bundesregierung ist, wie sie erklärt hat, bereit, die großen Probleme des Umweltschutzes anzugehen, und hat sich selbst ehrgeizige Ziele gesetzt. Die CDU/CSU wird diese Ziele mit ihr vorantreiben. Sie wird die Bundesregierung darin unterstützen, sie wird ihr Rückhalt geben. Die Bundesregierung kann sich im Umweltschutz auf die Bundestagsfraktion der CDU/CSU verlassen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID1002200600
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1002200700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir, die Freien Demokraten, sind der Meinung, daß der „Maßstab Natur" zu einem politischen Maßstab werden muß. Die „Zukunft" ist für uns in der Politik hier in der Bundesrepublik und anderswo noch kein durchgängiges Thema. Wir sind alle wohl viel zu stark der Gegenwart verhaftet. Aber wir begreifen allmählich, daß das Überleben der Menschheit entscheidend abhängt vom Überleben des Naturhaushalts, des Wasserhaushalts, des Weltklimas, der Natursysteme.
Wie kaum vorher in der Geschichte der Menschheit liegt die Zukunft des Planeten in unserer Hand. Wir müssen dafür sorgen, daß die düsteren Szenarien, die uns vorliegen, eben nicht zur Wirklichkeit werden. Durch globale Umweltzerstörung wie die
Vernichtung tropischer und subtropischer Wälder, durch den schonungslosen Verbrauch von Rohstoffen durch Übervölkerung werden sich die Spannungen auf der Welt verstärken. Nach meiner Meinung ist daher Umweltschutz ein Stück Weltinnenpolitik geworden, und die internationale Zusammenarbeit ist hier mindestens ebenso wichtig wie in den Bereichen Abrüstung, Energie- und Wirtschaftspolitik.
Leider ist die internationale Kooperationsbereitschaft noch unterentwickelt. Das gilt auch für die Zusammenarbeit in Europa, obwohl hier Fortschritte erzielt werden konnten. Das gilt aber auch für andere Foren der Weltpolitik wie beispielsweise die Weltwirtschaftsgipfel. Es ist für mich unbegreiflich, daß die globale Umweltzerstörung bisher kein Thema für die Weltwirtschaftsgipfel gewesen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)

Die Europäische Gemeinschaft — auch dies muß kritisch angemerkt werden — ist noch keine konsequent handelnde Umweltgemeinschaft geworden.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Zu sehr sind die Nationalstaaten auf ihre eigenen Vorteile bedacht; zu wenig wird die Verantwortung für grenzüberschreitende Umweltverschmutzungen von den Verursachern übernommen. Aber immerhin: Es gibt eine sich entwickelnde Zusammenarbeit mit dem Ziel, Umweltschäden zu bekämpfen.
Was die DDR und die Länder Osteuropas angeht, so liegt die Zusammenarbeit erst in bescheidenen Anfängen, so positiv die Fortschritte auch sind, die wir beispielsweise zur DDR hin im Rahmen unserer Politik erreicht haben.
Die Zusammenarbeit mit Osteuropa wird wichtig bestimmt durch die internationale Luftreinhaltekonvention der ECE. Hier ist das einzige Instrumentarium gegeben, mit den Staaten Osteuropas zu Übereinkommen zu gelangen.
Da sich das Waldsterben fortsetzt, möchten wir, die Freien Demokraten, die Bundesregierung bitten, eine gesamteuropäische Konferenz zum Schutz der Wälder ins Augen zu fassen, eben um auch West- und Osteuropa hier zusammenzubringen. Nationale Alleingänge sind auf Dauer vergeblich, wenn die anderen nicht mitziehen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

„Umweltpolitik verlangt Umdenken und Nachdenken. Liberales Ziel ist es, jedem Bürger die für seine Gesundheit und sein Wohlbefinden notwendige Qualität seiner Umgebung zu sichern. Deshalb muß Umweltpolitik den gleichen Rang erhalten wie soziale Sicherung, Bildungspolitik oder Landesverteidigung." — Dies, meine Damen und Herren, war ein Zitat aus dem Freiburger Programm der Freien Demokraten von 1971. Wir haben das nicht nur beschlossen, sondern wir haben — jedenfalls im Bereich des Umweltschutzes — auch danach gehandelt.

(Zuruf des Abg. Roth [SPD])




Baum
Der Antrag, den die beiden Koalitionsfraktionen heute vorlegen, liegt in der Kontinuität dieser Politik. Wir unterstützen den Bundesinnenminister bei der Durchsetzung und bei der Fortentwicklung der umweltpolitischen Ziele und fügen hinzu: Es sind unsere Ziele ebenso wie seine. Wir wollen der Legendenbildung erneut entgegentreten, als sei dies alles seit dem 1. Oktober letzten Jahres erfunden worden.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich kenne nahezu kein Projekt, das nicht im Kabinettsbeschluß vom 1. September vorigen Jahres „Umweltbilanz und Perspektiven" vorhanden gewesen wäre.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Leider müssen wir alle bekennen — das ist schon gesagt worden —, daß wir von dem Phänomen des Waldsterbens überrollt worden sind. Wir haben es so nicht vorhersehen können. Auch die Länder, Herr Kollege Späth — wir hatten j a im Mai Gelegenheit, uns darüber zu unterhalten —, waren darauf nicht vorbereitet. Viele dieser Schritte, etwa die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, waren und sind nur in der Kooperation mit den Ländern möglich.
In dem vorliegenden Antrag werden folgende Positionen bekräftigt, die für uns von besonderer Bedeutung sind:
Da ist die konsequente Anwendung des Vorsorgeprinzips: Vorsorge auch dann, wenn wir nicht genau wissen, wie die Schadstoffe zusammenwirken. Vorsorge ist dann, wenn wir es genau wissen, meistens zu spät. Also müssen wir vorher handeln.
Umweltverträglichkeitsprüfungen sind für alle umweltrelevanten Maßnahmen der öffentlichen Hand erforderlich. Wir setzen — auch das ist in dem Antrag ausgeführt — auf dezentrale Lösungen, wo es irgend geht, beispielsweise bei der Abfallbeseitigung und bei der Wiederaufarbeitung von Abfall, aber auch bei der Abwasserbeseitigung.

(Schily [GRÜNE]: Und bei der Kerntechnologie?)

Diese dezentralen Lösungen sind in vielen Fällen kostengünstiger und wirkungsvoller.
Wir setzen konsequent auf das Verursacherprinzip. Wir wollen marktwirtschaftliche Instrumente einsetzen, wo es geht. Allerdings muß der Staat nach wie vor Normen setzen und diese auch kontrollieren.

(Schily [GRÜNE]: Wie ist es mit dem Verursacherprinzip bei der Atomenergie, Herr Baum?)

Wir bekräftigen unser Ziel, die Schadstoffbekämpfung an der Quelle vorzunehmen. Wir wollen immer erneut den Stand der Technik durchsetzen. Wir wollen uns also nicht mit dem Status quo abfinden oder Verschmutzungsrechte anerkennen. Der Maßstab „Stand der Technik", wie er etwa im Bundes-Immissionsschutzgesetz verankert worden ist, ist das Bewegungsprinzip, das die ständige Verbesserung der Umweltqualität gewährleistet.
Wir begrüßen die Verstärkung des Naturschutzes, wie sie in dem Antrag zum Ausdruck kommt. Bei der Agrarproduktion muß die Umweltverträglichkeit noch stärker als bisher berücksichtigt werden. Wir warten auf die Vorlage einer Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz mit dem Ziel, die sogenannte Landwirtschaftsklausel an umweltpolitischen Zielen zu orientieren. Ich hoffe, daß Herr Kiechle dazu einiges sagt.
Das geplante Biotopschutzprogramm ist voranzutreiben. Geschützt werden muß das Wattenmeer. Wir brauchen eine Verbesserung des Artenschutzes. Besondere Anstrengungen zum Schutz wildlebender Pflanzen und Tierarten sind erforderlich. Hier sind wir ja alle einig.
1979 hatte ich zusammen mit dem Kollegen Ertl eine Projektgruppe „Ökologie" unter Leitung des Bonner Professors Bick gebeten, uns bestehende Defizite bei der Durchsetzung ökologischer Maßstäbe aufzuzeigen. Dieser Bericht liegt jetzt vor. Seine Erkenntnisse können, meine ich, bei der Erarbeitung beispielsweise eines Bodenschutzprogramms sehr gut verwertet werden.
Besondere Sorge bereitet uns der hohe Landverbrauch in der Bundesrepublik Deutschland. Wir wollen die Bundesverkehrswegeplanung auf das Notwendigste begrenzen.

(Sehr gut! bei der SPD)

Neue Siedlungen dürfen keine ökologisch wertvollen Landflächen verbrauchen. Von dem Plan, 3 000 km Autobahnen zu bauen, halten wir nichts.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

Vor wenigen Tagen hat eine Gutachterkommission unter Leitung von Professor Denninger die Einfügung von neuen Staatszielbestimmungen in das Grundgesetz befürwortet. Das ist eine alte Forderung meiner Partei. Wir haben sie in den Koalitionsverhandlungen 1980 dem Koalitionspartner unterbreitet. Das Ergebnis war dann die Berufung dieser Kommission. Wir werden das Gutachten jetzt sorgfältig auswerten und erwarten die Unterstützung des Hauses.
Das Zentralthema, sozusagen der Augenöffner in Sachen Umweltpolitik, ist nach wie vor das Waldsterben. Hier stehen wir in der Tat vor einer ökologischen Katastrophe. Wir müssen zugeben, das Vorsorgeprinzip hat nicht funktioniert. Wir sind von der Entwicklung, die wir so nicht voraussehen konnten, überrollt worden. Um so wichtiger ist es, daß die Bundesregierung die Politik fortgesetzt hat, die wir eingeleitet haben. Wir begrüßen hier die Entscheidungen der Bundesregierung.
Diese Politik betrifft zunächst das Auto. Obwohl die deutsche Automobilindustrie im europäischen Vergleich bei der Abgasreduzierung noch immer vorne liegt, müssen wir feststellen: Die im Umweltprogramm 1971 vorgegebenen Ziele, die von uns wiederholt bekräftigt worden sind, sind heute nicht erreicht. Wir erwarten jetzt eine Reduzierung der Schadstoffe, die von Kraftfahrzeugen ausgestoßen



Baum
werden, um weitere 90 %, wie Herr Zimmermann das dargestellt hat.
Wir stellen folgende Forderungen an das umweltfreundliche Auto:
Erstens die Einführung bleifreien Benzins alternativ zu dem bisherigen Kraftstoff schon, wenn irgend möglich, ab 1. Januar 1985, Herr Zimmermann — nicht erst Ende 1985, wie die Bundesregierung das vorsieht.

(Beifall bei der FDP)

Wir werden prüfen, ob Steuerpräferenzen gewährt werden können. Es muß auch darauf geachtet werden, daß der freie und mittelständische Mineralölhandel bei dieser Gelegenheit nicht vom Markt gedrängt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

Eine solche Gefahr gab es auch bei der Einführung des Benzinbleigesetzes.
Zweitens. Wir halten den Dreiwegekatalysator derzeit für das wirksamste Instrument zur Abgasreinigung. Wir sehen jedoch mit Genugtuung, daß sich die von uns von vornherein vertretene Meinung durchsetzt, nicht eine Einbauvorschrift zu erlassen, sondern eine Wirkungsvorschrift.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Damit bleiben der Industrie verschiedene technische Optionen. Es ist hier beispielsweise an Maßnahmen am Motor selbst zu denken.
Drittens. Hier haben wir bei keiner der hier sitzenden Parteien ein Echo gefunden: Die FDP fordert, die Gesamtbelastung durch eine bessere Kontrolle des jetzigen Autobestandes wesentlich zu verringern. Bei den ca. 28 Millionen Kraftfahrzeugen, die wir in der Bundesrepublik Deutschland haben, könnte nach verläßlichen Schätzungen eine Reduzierung der Abgase um 20 bis 30 % erreicht werden. Wir stellen uns vor, daß in einem unbürokratischen Verfahren — auch durch Heranziehung mittelständischer Unternehmen — das Abgasverhalten von Altfahrzeugen im halbjährlichen Rhythmus überprüft wird. Dabei müssen auch neben Kohlenmonoxid, das heute allein geprüft wird, die anderen Schadstoffe und Dieselemissionen einbezogen werden. Wir haben uns an den Bundesverkehrsminister mit der Bitte gewandt, in diesem Sinne eine Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vorzubereiten.
Viertens. Die öffentliche Hand sollte bei der Nachfrage nach umweltfreundlichen Treibstoffen und Fahrzeugen vorangehen.
Fünftens. Die FDP erinnert die Bundesregierung daran, daß die Reduzierung des Lärms beim Kraftfahrzeug nicht vergessen werden darf. Viele Millionen Bürger sind durch Straßenlärm in ihrer Gesundheit beeinträchtigt. Auch hier sollte, wenn es nicht anders geht, überlegt werden, im nationalen Alleingang vorzugehen.
Sechstens. Wir fordern die Bundesregierung auf, zum Schutze der Gesundheit unserer Bürger, wenn notwendig, auch den nationalen Alleingang zu wagen. Die Erfahrungen der letzten Wochen zeigen: Die Bundesrepublik Deutschland bleibt nicht allein. Nur mit dieser Entschlossenheit bringen wir einen Prozeß in Gang, der ansonsten im Dickicht der verschiedenen nationalen Einzelinteressen steckenbleiben würde.
Siebtens. Wir erwarten, daß der Bundesinnenminister sobald wie möglich konkrete Werte hinsichtlich der Abgasgrenzen und der Benzinqualität vorlegt. Nur so kann sich die Forschung, nur so können sich Automobilindustrie und Zulieferer auf die kurzen Fristen einrichten.
Ich möchte heute am Tage der Eröffnung der Automobilausstellung noch ein Wort zur Automobilindustrie sagen. Wir würdigen die Bemühungen um Treibstoffeinsparung. Dies ist ein wesentlicher Beitrag zum Umweltschutz. Wir sehen auch seit einiger Zeit Bemühungen um konsequentere Schadstoffreduzierung. Ich wünsche mir aber an diesem Tage besonders, daß die deutsche Automobilindustrie erkennt, daß es einen Markt für das umweltfreundliche Auto gibt und daß zahlreiche Bürger auch bereit sind, dafür finanzielle Opfer zu bingen.

(Beifall bei der FDP)

Ich wünsche mir also, daß die Umweltfreundlichkeit unserer Autos endlich auch zu einem Verkaufsargument wird, daß die Abgaswerte beim Kauf eines Autos bekannt sind und verglichen werden können. Unsere Mitbürger sollten die Autoverkäufer eben nicht nur nach dem Treibstoffverbrauch, sondern auch nach dem Abgasverhalten ihres neuen Autos fragen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Zur Luftreinhaltung bei Energie- und Industrieanlagen vertreten wir folgende Position. Von besonderer Bedeutung ist für uns im gemeinsamen Antrag der Koalitionsfraktionen folgender Passus:
Die Bundesregierung wird ... aufgefordert, ... bis Anfang 1984 zu prüfen und darüber zu berichten, ob und gegebenenfalls wie Emissionen, inbesondere Schwefeldioxid und Stickoxide aus sogenannten Altanlagen, noch schneller und weitgehender vermindert werden können, als dies nach den bereits bestehenden Vorgaben zu erwarten ist.
Mit seiner Aufforderung an die Länder hat der Bundesinnenminister vor einigen Tagen zu erkennen gegeben — wir begrüßen das —, daß er eine Unterschreitung der jetzt gesetzten Fristen nicht nur für notwendig, sondern auch für möglich hält, zumindest was die besonders belastenden Altanlagen angeht. Das sind ja gar nicht nur Anlagen, die jahrzehntelang in Betrieb sind. Es sind Anlagen wie z. B. in Buschhaus, die noch gar nicht in Betrieb sind, bei denen wir uns darum kümmern müssen, ob sie überhaupt gemäß den vorliegenden Genehmigungen in Betrieb gehen können.



Baum
Auch wir setzen — wie die Bundesregierung — im Bereich des Umweltschutzes und der Luftreinhaltung auf das Verantwortungsbewußtsein der Wirtschaft und deren Bereitschaft, über das vorgesehene Pflichtsoll hinaus Umweltschutz zu betreiben. Wir haben die Schwefeldioxidabgabe gefordert. Sie bleibt auf der Tagesordnung. Wir haben gute Erfahrungen mit Abgaben, etwa auch im Benzinbleigesetz und beim Altöl. Über die Ausgestaltung im einzelnen, über die Anwendung neuer ökonomischer Instrumente wollen wir gern in eine umfassende Diskussion eintreten. Eine Möglichkeit wäre, daß in Luftreinhalteplänen ein Zielrahmen festgelegt wird, der regional mit den betroffenen Firmen und Industriezweigen abgestimmt wird.

(Vorsitz: Vizepräsident Frau Renger)

Durch solche Vereinbarungen können. in Form einer verschärften Sanierungsklausel bestehende Genehmigungsbescheide befristet außer Kraft gesetzt werden und die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Firmen und Industriezweigen gefordert werden. Zu denken wäre auch an ein kombiniertes Prämien- und Abgabensystem. Ich verweise auf Modellvorschläge meines Kollegen Rumpf, wonach die Schadstoffemissionen von Schwerfeldioxid und Stickoxiden durch ein Bonus-Malus-System mit marktwirtschaftlichen Mitteln reduziert werden können. Ein Handel mit Verschmutzungsrechten und -genehmigungen entspricht eher dem amerikanischen Rechtssystem. Mit unseren Zielen, den Stand der Technik durchzusetzen, steht dies nicht ohne weiteres im Einklang.

(Sehr wahr! bei der SPD)

Wenn es uns gelänge, mindestens für die Belastungsgebiete jedes Jahr das Emissionsvolumen um einen bestimmten Prozentsatz zu senken, wobei es auch Ausgleichs- und Kombinationsmöglichkeiten zwischen Emittenten geben kann, so wäre dies ein wesentlicher Fortschritt. Wir müssen unbedingt darauf achten, daß unsere Ziele nicht durch allzulange Genehmigungsverfahren unterlaufen werden.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Eine Langfriststrategie zur Luftreinhaltung erfordert nach unserer Meinung — hier sind wir anderer Meinung als die Bundesregierung; sie hat ihre Meinungsbildung, wie ich annehme, aber noch nicht abgeschlossen — eine Novellierung des Bundes- Immissionsschutzgesetzes.

(Zustimmung bei der FDP)

Wir brauchen diese Novellierung, um Sanierungsmaßnahmen der geschilderten Art überhaupt treffen zu können, um in Luftreinhalteplänen verbindliche Umweltqualitätsziele vorgeben zu können und um die Berufung auf § 17 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, also die Berufung auf wirtschaftliche Gesichtspunkte der Betreiber, abmildern zu können. Schon die Großfeuerungsanlagen-Verordnung stößt ja an den Rahmen der Möglichkeiten des Bundes-Immissionsschutzgesetzes.
Es ist unsere Pflicht, auf die wirtschaftlichen Folgen unserer Entscheidungen hinzuweisen. Luftreinhalteinvestitionen sind außerordentlich teuer. Erhebliche Lasten kommen auf Kraftwerksbetreiber und Industrie zu. Einzelne Bundesländer — wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen mit seiner Kohle — sind in ihrer Wirtschaftsstruktur besonders betroffen. Wir werden deshalb, so meine ich, über eine Verteilung der Lasten nachdenken müssen. Das ist heute noch nicht gesagt worden. Wir möchten diesen Prozeß hier aber anstoßen. Insbesondere dann müssen wir das tun, wenn nach der Vorlage des Waldschadensberichtes im Oktober zusätzliche Maßnahmen getroffen werden.
Möglicherweise sind die Investitionen nur durch einen Lastenausgleich in einem nationalen Notprogramm zu bewältigen. Ich weise darauf hin, daß die Abwassermaßnahmen am Rhein, seinen Nebenflüssen und am Bodensee auch nur mit Unterstützung möglich waren, also durch die Betreiber allein gar nicht zu schaffen waren. Wir sollten also über neue Finanzierungsinstrumente nachdenken.
Über forstwirtschaftliche Maßnahmen wird mein Kollege Bredehorn heute noch sprechen.
Wir setzen auf eine weitere Novellierung der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft in bezug auf die Emissionen.
Das Potential der Industrie als Anbieter und Abnehmer von Energie muß optimal genutzt werden. Der erforderliche Energieverbund darf nicht durch Monopolstellung öffentlicher Versorgungsunternehmen behindert werden. Mögliche Einsparungen an Energie und damit Entlastungen der Umwelt müssen auch realisiert werden können. Das macht nach unserer Auffassung eine Überprüfung des Energiewirtschaftsgesetzes erforderlich. Wir wollen die Bundesregierung dazu ermuntern.
Wir setzen uns für den verbesserten Schutz unseres Wassers ein. Es geht um den Grundwasserschutz mit dem Ziel, die Belastung durch Nitrate, Schwermetalle und Pflanzenschutzmittel zurückzudrängen. Wir wollen die phosphathaltigen Waschmittel durch umweltfreundliche Ersatzmittel ablösen. Dies haben wir in unserem Antrag niedergelegt, Herr Kollege Laufs. Wir wissen, da gibt es einige Probleme. Das Ziel muß doch aber klarwerden. Ich habe im übrigen nie verstanden, daß wir um der Weißmacher willen unsere Gewässer vorsätzlich geschädigt haben.
Wir erwarten zu alledem Berichte der Bundesregierung bis 1984 sowie die notwendigen Gesetzentwürfe.
Wir freuen uns, daß die Bilanz des Abwasserabgabengesetzes positiv ist. Entgegen aller Kritik, zuletzt noch im Bundestagswahlkampf 1980, hat sich dieses marktwirtschaftliche Instrument hervorragend bewährt.
Die Reinhaltung der Meere, insbesondere von Nord- und Ostsee, ist eine dringliche Aufgabe. Die Verklappung von Dünnsäure und das Verbrennen von Abfällen auf den Meeren ist einzustellen.



Baum
Schadstoffe müssen eben hier auf dem Lande sicher beseitigt werden.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU/ CSU)

Wir freuen uns, daß es eine internationale Nordseeschutzkonferenz geben wird — wir hatten sie bereits in Angriff genommen , und wir hoffen, daß dies noch 1984 geschehen wird.
Eine wirksame Eindämmung des Lärms auch an Altstraßen, Herr Bundesinnenminister, ist erforderlich. Dazu erwarten wir Vorschläge. Wir haben dazu in unserem Antrag einige Anregungen gegeben.
Die Abfallwirtschaft hat sich in den letzten zehn Jahren zu einem zentralen Problembereich des Umweltschutzes und der Rohstoffversorgung entwikkelt. Wir begrüßen die Aktivitäten der Bundesregierung, haben allerdings Zweifel, Herr Zimmermann, ob Sie es bei den bisherigen Anstrengungen zur Verringerung des Abfallaufkommens aus Verpakkungen belassen können. Es geht vor allem darum, das System der Mehrwegverpackungen zu sichern. Das ist nach dem heutigen Stande, nach den Verhandlungen mit der Wirtschaft eben nicht gewährleistet. Insbesondere wehren sich Teile des Handels. Wir sind der Meinung, alternativ zu freiwilligen Vereinbarungen sollten jetzt die gesetzlichen Möglichkeiten genutzt werden, etwa zum Verbot von Einwegverpackungen. Der Staat muß eben handeln, wenn das Kooperationsprinzip versagt.

(Zustimmung bei der FDP und der SPD)

Einige Bemerkungen zum Schluß: Wir lassen uns durch die düsteren Szenarien, wie sie etwa in „Global 2000" aufgezeigt sind, nicht lähmen, meine Damen und Herren. Wir wissen, daß wir etwas dagegen tun können. Wir sollten uns also auch ermutigt sehen, das scheinbar Unmögliche und Unerreichbare anzustreben, und nicht in tausend Bedenken ersticken. Vieles schien auch in der Vergangenheit technisch nicht machbar und nicht zu finanzieren, und es wurde doch erreicht, und es wurde doch gemacht.
Umweltvorsorge ist eine Überlebensfrage für unsere Industriegesellschaft, eine Jahrhundertaufgabe, vergleichbar mit der Lösung der sozialen Frage in früheren Jahrzehnten. Künftig wird es nur eine an ökologischen Zielen orientierte Soziale Marktwirtschaft geben. Wir appellieren an den Erfindungsreichtum, an die Kreativität unserer Wirtschaft. Wir wissen, daß nur im Rahmen einer funktionierenden, einer gesunden Volkswirtschaft Umwelterfolge zu erzielen sind. — Allerdings sind in einer zerstörten Umwelt auch keine Wirtschaftserfolge mehr zu erzielen.
Die Zwangswirtschaften des Ostens haben diese Herausforderung bisher nicht annähernd so gut bestanden wie unsere freie Wirtschaftsordnung.
Wir wissen: Es gibt keine Umweltbelastung zum Nulltarif. Die meisten Schadstoffe bleiben in der Luft, bleiben im Wasser und bleiben im Boden. Es gibt aber auch keine Beseitigung von Umweltschäden zum Nulltarif. Wir sind uns bewußt, daß verbesserter Schutz der Umwelt heute hohe Kosten für die Wirtschaft und für die Verbraucher zur Folge
hat. Wir wollen die aufgewandten Mittel so wirksam wie möglich einsetzen. Wir würdigen das Engagement vieler Bürger, die einzeln, in Gruppen, in Umweltinitiativen und -verbänden an dieser Aufgabe mitwirken und in vielen Fällen nicht nur geredet haben, sondern für sich und ihr eigenes Leben Konsequenzen gezogen haben.

(Hört! Hört! bei den GRÜNEN)

Bei der großen Übereinstimmung, die doch, Herr Kollege Hauff, in diesem Hause heute sichtbar wird, ist es, meine ich, letztlich nicht die Stunde der gegenseitigen Vorwürfe, sondern die Zeit für die Fortsetzung gemeinsamer Anstrengungen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002200800
Das Wort hat der Herr Abgeordneter Sauermilch.

Walter Sauermilch (GRÜNE):
Rede ID: ID1002200900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Die GRÜNEN sind u. a. deswegen in den Bundestag gekommen, weil sie eine neue gesellschaftliche Entwicklung repräsentieren und tragen, die mitbestimmt ist von den Erkenntnissen der Ökologie. Diese Wissenschaft ist nicht gestern erfunden worden. Sie erlebt aber heute allgemein und speziell auch hier heute eine geradezu inflationäre Bewertung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Na, na!)

Die Ursache dafür, der Bewußtseinswandel, was die Endlichkeit der Ressourcen, die Verletztheit des Lebendigen und die Rücksichtslosigkeit des Menschen betrifft, müßte eigentlich längst Bestandteil jeder Politik, jedenfalls verantwortungsbewußter, weitblickender Politik, sein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist aber hier real — nicht verbal — in erschrekkender und bezeichnender Weise nicht der Fall.
Wir stellen heute fest, daß die Bundesregierung, vertreten durch Herrn Innenminister Zimmermann, erstmalig Aussagen zum Thema Umweltschutz macht, die einen gewissen Stellenwert haben, nachdem frühere Äußerungen in diesem Hohen Hause nicht über das Niveau von Sprechblasen und Worthülsen hinausgekommen sind.

(Beifall bei den GRÜNEN — Werner [CDU/ CSU)

Herr Zimmermann, es gab eine Zeit, in der Sie weder von Umweltschutz geredet noch etwas dafür getan haben. Wir, die davon geredet haben und nichts tun konnten, wurden von Ihnen ignoriert und später verspottet, als Sie uns nicht mehr ignorieren konnten. Aber als auch das Spotten nicht mehr half, diffamierten Sie uns, und das tun Sie noch heute.
Sie konnten nicht verhindern, daß nun auch wir in diesem Hause sind. Darüber müssen Sie wenigstens einmal reden, auch wenn Sie immer noch nicht das Notwendige tun. Aber, Herr Innenminister und auch Herr Bundeskanzler, es bleibt den Bürgern und Bürgerinnen draußen in diesem Ihrem Lande nicht verborgen, daß Sie erst jetzt davon
1452 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983
Sauermilch
reden, nachdem wir Sie dazu gezwungen haben, weil wir hier hineingewählt worden sind,

(Beifall bei den GRÜNEN — Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine ganz kleine Unterschätzung!)

und, nachdem es schon fast zu spät ist, dieses Land von den Schäden Ihrer Politik zu sanieren, ein Land, dessen Böden vergiftet, dessen Luft verpestet, dessen Flüsse Kloaken sind, ein Land, in dem die Wälder sterben, die Menschen in Ghettos und die Haustiere in „Zuchthäusern" leben.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das ist doch Quark, Herr Sauermilch! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja furchtbar!)

Es wird bald ein neues Sprichwort geben: Der Zimmermann erspart die Axt im Walde.

(Beifall bei den GRÜNEN — Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Sehr witzig!)

Wenn ich sage „Ihrer Politik", dann meine ich natürlich, daß auch die anderen ehemals regierenden Parteien hier ihr Fett abkriegen müssen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002201000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. Hamm-Brücher?

Walter Sauermilch (GRÜNE):
Rede ID: ID1002201100
Nein, ich habe leider nicht genug Zeit zur Verfügung. Bitte das nächste Mal.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Aber die von Ihnen, Herr Dregger — Herr Dregger ist heute nicht da? —,

(Zuruf von der CDU/CSU: Der war da!)

in der vergangenen Woche so gerühmte Politik eines Ludwig Erhard hat nämlich die Wurzeln dazu gelegt.
Ich muß schon sagen, Herr Zimmermann, das Wort Umweltschutz aus Ihrem Munde zu hören ist schon sehr merkwürdig und gibt Anlaß zu größter Skepsis, Herr Wendeminister.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Ihre verbale Wende ist jedenfalls total. Ich bin eigentlich geneigt, Ihnen gegenüber ein Vermummungsverbot auszusprechen: Sie haben Ihre umweltfeindliche Realpolitik mit einer Öko-Maske getarnt. Diese Maske muß runter.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Der spricht, wie er heißt!)

Nun kurz zu Ihren Vorstellungen von der Bewältigung der anstehenden Probleme. Weil die zu verwaltenden Bereiche Ihres Haushalts so unüberschaubar vielfältig und so entfremdet von jeglicher menschlichen Dimension sind, haben sich Ressortdenken der Bürokraten, Perfektionismus der Technokraten und Machtdenken der etablierten Politiker zu einem Haushalt verdichtet, dessen Beweglichkeit immer geringer wird, egal welche Partei gerade damit operiert. Schließlich streitet man nur noch über — bezogen auf das Gesamtvolumen — winzige Details, die sich vorwiegend als immer
mehr Sozialknapserei für — und jetzt, Herr Zimmermann, hören Sie bitte gut zu — mehr Massenbeherrschungsmittel und Kriegstechnik entlarven. Parallel dazu entwickelt das kapitalistische System mit seinem sogenannten freien Geldmarkt eine Eigendynamik, die u. a. die Staatsverschuldung an den Rand eines Abgrunds treibt. Und dann ist da schließlich auch noch der Onkel aus Amerika.
Herr Zimmermann, ich führe hier bewußt den Begriff „Massenbeherrschungsmittel" als Ergänzung zu dem Begriff „Massenvernichtungsmittel" ein und verstehe unter Massenbeherrschungsmittel die Gesamtheit von Einflußnahmen und Mitteln struktureller Gewalt wie Polizei, Bundesgrenzschutz, Rasterfahndung, BKA-Computer, Fernsehüberwachung, Verkabelung und Schlimmeres sowie stehende Heere samt Kriegstechnik bis hin zur Unterstützung von Volksverdummungsmaßnahmen wie Werbefernsehen, Fensterreden in Parlamenten,

(Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Das machen Sie! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Steuer- und Subventionsdschungel und vieles mehr.

(Zurufe von der CDU/CSU: Da muß er selber lachen! — Sauermilch ist ein Beherrschungsmittel!)

Willige Exekuteure sind dabei übrigens die multinationalen Konzerne mit ihrer äußerst beschränkten Haftung oder auch die sogenannten Energieversorgungsunternehmen, deren Mißbrauch ihrer Versorgungsaufgaben, Ignoranz und Rücksichtslosigkeit gen Himmel stinkt und nur noch mit ihrem Reichtum konkurrieren kann.

(Gerstein [CDU/CSU]: Dümmer geht es wirklich nicht mehr!)

Ist es nicht z. B. pervers, daß die öffentlichen Hände vielfach Aktionäre von Energieversorgungsunternehmen sind'? Ist es etwa keine Volksverdummung, uns weismachen zu wollen, da gebe es keine Interessenkonflikte? — „Konflikt" sollte man übrigens mit ck schreiben. — Ist es nicht eine Bankrotterklärung unserer politischen Kultur, daß die FlickAffäre — besser gesagt: der Flick-Skandal — immer noch nicht lückenlos aufgeklärt und geahndet ist? Wo soll da das Vertrauen der Bürger noch herkommen in einen Staatshaushalt, dessen Konsequenz wieder einmal die Armen ärmer und die Reichen reicher macht?
Ein römisches Sprichwort heißt: Geld stinkt nicht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Pecunia non olet!)

— Auch ich kann Latein, Herr Kollege. Ich sage es aber auf deutsch, damit es mehr Menschen verstehen können. — Also: Geld stinkt nicht. Das stimmt zwar, aber nur zu Anfang. Man kann Gras über eine Affäre genauso wie über eine Mülldeponie wachsen lassen. Aber irgendwann beginnt sie, zu stinken, zu faulen, das Grundwasser der Demokratie zu vergif-



Sauermilch
ten, unweigerlich und schwer zu reparieren, Herr Lambsdorff. Aber Sie sind ja nicht allein. —

(Zurufe von der CDU/CSU: Kommen Sie doch mal zur Sache! — Jetzt sagen Sie doch bitte mal etwas Konkretes!)

— Was ich hier sage, ist sehr konkret. Sie sollten nur einmal begreifen, wie konkret es ist.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Differenzen zwischen dem Bürger und seinem Staat treten da auf, wo der Staat den Konsens über die gemeinsamen Interessen verläßt und in eigener Machtvollkommenheit Schwerpunkte für eigene Macht setzt. Dies aber ist Machtmißbrauch des Staates.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie machen Sie die Milch warm?)

Natürlich wandeln sich die Auffassungen über diesen Konsens mit den gesellschaftlichen Veränderungen. Nur muß jederzeit eine gesellschaftliche Reflexion stattfinden können, um — wiederum im Konsens — Kurskorrekturen beim Bürger und seinem Staat konkret zu ermöglichen. Dies ist aber bei der eingeengten, vom Kapitalismus geprägten Sichtweise — oder, besser: Darstellungsweise — dieses Staates nicht gegeben.
Dagegen hat sich das Bewußtsein vieler Bürger durchaus gewandelt, und dies, obwohl massive Verdummungsversuche wie beschrieben diesen Prozeß zu bremsen trachten. Aber Sie können die Bürger nicht mehr für so dumm verkaufen, daß sie nicht begreifen, daß nun tatsächlich unwiderruflich große Teile der deutschen Wälder sterben und mit ihnen die gesamte Natur und Kultur. Sie können die Bürger nicht mehr für so dumm verkaufen, daß sie nicht begreifen, daß nun tatsächlich unsere letzten Grundwasserreserven vergeudet und zerstört werden, daß nun die schleichende Vergiftung von Luft, Wasser und Nahrung eine medizinische Vorsorge zur Farce macht und die Krankheit unserer Kinder garantiert,

(Gerstein [CDU/CSU]: Das ist Katastrophenpolemik!)

daß nun tatsächlich der Rüstungswahnsinn das Stadium des Amoklaufs erreicht hat, eines Amoklaufs, der uns schon ohne den Einsatz dieser Horrormaschinerie — einfach nur durch deren Herstellung — unvorstellbare Mengen an Energie und wertvollsten Ressourcen kostet.
Es klafft hier also ein Dissens zwischen dem Bürger und seinem Staat, den nicht der Bürger zu vertreten hat. Vielmehr muß der Staat das geschilderte geänderte Bewußtsein endlich reflektieren und in entsprechende Leistungen ummünzen.

(Berger [CDU/CSU]: Und Sie wollen das dann machen, ja?)

Es ist gegen die Aufgabe des Staates, wenn man die Unfähigkeit des einzelnen Bürgers, diese Politik wegen deren beschriebener Entfremdung von j eglichem menschlichen Maß zu durchschauen, ausnutzt. Das Berufsgeheimnis eines verantwortungslosen Politikers ist das Wissen vom Unwissen seiner Wähler.

(Gerstein [CDU/CSU]: So etwas Dummes haben wir in diesem Hause noch nie gehört!)

Ökologisch bestimmte Politik berücksichtigt vor allem Mensch, Tier und Natur in ihrer Gesamtheit. Ökologisch bestimmte Politik geht sparsam mit Energie und Ressourcen um und berücksichtigt die Entropie. Ökologisch bestimmte Politik stellt ihre Kultur in einen sozialen Zusammenhang und betrachtet Geschichte als verwertbare Erfahrung der Gesellschaft. Schließlich betreibt ökologisch bestimmte Politik Vorsorge für kommende Generationen, und zwar für die ganze überschaubare Zeit — Vorsorge statt Verpflichtungsermächtigung!
Jetzt einmal ein Satz zur EG, zur EG-Kasse.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die wird aber zittern, wenn sie den hört!)

Eigentlich kann ein Politiker es nicht verantworten, einen Verein zu subventionieren, dessen geradezu absurde Prämien- und Vernichtungsidiotie die europäische Kabarett-Szene seit Jahren beschäftigt.

(Gerstein [CDU/CSU]: Das war aber toll ausgedrückt!)

Man könnte darüber lachen, wenn es angesichts des Welthungers nicht so grauenhaft wäre, daß Kühe mit Trockenmilch gefüttert werden, daß Millionen Tonnen Obst in Müllhalden gekippt werden, während sich ein aufgeblähter Beamtenapparat darum sorgt, welchen Durchmesser eine Erbse haben muß oder wie man Bananen in Norwegen züchten kann.

(Susset [CDU/CSU]: Aber Norwegen gehört nicht zur EG!)

Dagegen ist ökologisch orientierte Politik auch im klassischen Sinn ökonomisch. Ökologisch handeln bedeutet Vorbeugen und dadurch spätere Umweltschäden in astronomischer Höhe vermeiden. Wie oft muß man Ihnen das noch sagen, damit Sie endlich handeln?
Die etablierte Politik verhält sich, wie Carl Amery in seinem Buch „Natur als Politik" vergleicht, wie ein Hochstapler, der ohne Geld in ein vornehmes Lokal einkehrt, Austern bestellt und sich der Hoffnung hingibt, darin zum Bezahlen eine Perle zu finden.

(Werner [CDU/CSU]: Das scheint ja Ihre Politik zu sein!)

Wie anders ist es zu verstehen, wenn in den Atomkraftwerken hochgiftige Isotope wie Plutonium, dessen Halbwertzeit über 23 000 Jahre beträgt, mit Duldung unseres Staates hergestellt und verwendet werden, ohne daß man heute weiß, wie sie eines Tages beseitigt werden?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wie anders ist es zu verstehen, daß mit Duldung unseres Staates Luft, Boden und Gewässer mit nicht abbaubaren Substanzen unserer chemischen Industrie irreparabel vergiftet werden? Wo sollen
1454 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983
Sauermilch
wir denn die vielen Perlen finden, die wir dafür bräuchten, um dieses schon fast nicht mehr Machbare zu bewältigen?
Bald wird es keine Austern mehr geben, weil die Selbstreinigungskraft unserer Gewässer und Meere endgültig erlahmt ist. Die Austern schmecken alle schon verdammt nach Ö1.

(Lenzer [CDU/CSU]: Woher wissen Sie das? — Zuruf von der CDU/CSU: Essen Sie Austern? — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

Statt Perlen enthalten sie Quecksilber und Kadmium. Werden unsere Kinder in Müllhalden oder in Steppen aufwachsen? Werden unsere Enkel das Ende einer vom Menschen bewirkten ökologischen Nische markieren? Entspricht das unserem Grundgesetz? Ich frage mich ernstlich — und viele fragen sich —, ob, so betrachtet, unser Grundgesetz noch auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung dieser Politik steht.
Ich möchte einmal den Blick auf ein Papier lenken, das Ende 1979 von dem damaligen Minister für Inneres und von dem für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten in Auftrag gegeben wurde, die sogenannte Bick-Studie. Der Abschlußbericht wurde übrigens im April dieses Jahres vorgelegt. Ich empfehle Ihnen allen diese Lektüre. Ich zitiere kurz:
Zweifellos gibt es Forschungsdefizite auch im ökologischen Bereich. Aber diese dürfen vom Politiker nicht dort als Alibi zum Nichtstun benutzt werden, wo nur rasche Vorsorgemaßnahme noch Hilfe bringen kann ... Es wird eine wesentliche Aufgabe des Aktionsprogramms Ökologie sein müssen, bei der Festlegung der Wertmaßstäbe neue Akzente zu setzen. Der wertmäßigen und zeitlichen Prioritätensetzung kommt besondere Bedeutung beim Arten- und Biotopschutz zu ... Gerade hier sind Sofortmaßnahmen unverzichtbar, wenn überhaupt das Programm einen Sinn haben soll.
Und an anderer Stelle:
Natürlich ist es notwendig, bestimmte Anteile des nutzbaren Raumes für wirtschaftliche Interessen zur Verfügung zu haben. Selbst die daraus resultierende Verdrängung von Arten ist ethisch neutral, solange sie der Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse dient, nicht aber, wie heute so oft, der Überproduktion und der Ermöglichung eines Luxuskonsums. Die Lebensraumvernichtung von Tier- und Pflanzenarten aus solchen allein am Egoismus des Menschen orientierten Gründen ist nicht nur ethisch verwerflich, sondern auf Dauer auch dem Menschen schädlich.
Wir können uns heute nicht mehr auf einen rein technischen Umweltschutz beschränken. Wir können uns nicht mehr auf Biotopschutz im konservativen Sinne beschränken. Wir können allerdings die bestehenden Gesetze viel stärker für den Umweltschutz ausschöpfen. Zusätzlich brauchen wir neue
Gesetze. Wir müssen zusätzlich die Umweltverträglichkeitsprüfung einführen.
Herr Miltner, eine ökologische Marktwirtschaft geht nicht, jedenfalls nicht so, wie sie von Ihnen vorhin beschrieben wurde. Für eine neue Politik muß im Prinzip gelten, daß nur die nicht mehr ortbaren Umweltschaden-Beseitigungskosten der Allgemeinheit angelastet werden dürfen, während alle zukünftigen Produktionen mit der echten, der ökologisch ermittelten Belastung bedacht werden müssen, die sich nach dem Verursacher- und nach dem Vorsorgeprinzip ergibt. Das Ganze ist eine Verpflichtung für uns alle. Sonst werden wir nach der anspruchsvollen Aufforderung „Macht Euch die Erde untertan" eines Tages sehr bescheiden feststellen müssen: Es ist vollbracht. Und die Erde wird sein wie zu Anfang: wüst und leer.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002201200
Das Wort hat Herr Ministerpräsident Späth.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1002201300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, nach dem Herrn Vorredner wieder zum Schwarzbrot des Problems zurückkehren zu müssen.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU/ CSU)

Denn ich habe den deutlichen Eindruck — lassen Sie mich dies als Bemerkung zu meinem Vorredner sagen —: wir müssen jetzt entscheiden, ob wir weiterhin bei der Problembeschreibung bleiben oder ob wir endgültig darangehen, die Probleme zu lösen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich glaube, die Irritation, die der Herr Bundesinnenminister heute hier auslöst, ist die Irritation, die sich zusammenfassen läßt in Ihrer Anfangsbemerkung: Sie lassen einfach nicht zu, daß dieser Minister jetzt die Probleme löst; denn wie soll man sie dann noch so problematisch beschreiben, wenn man mit der Lösung schon angefangen hat?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich muß sagen, die Bürger — und das ist der Grund, warum ich froh bin, daß diese Debatte heute stattfindet, und ich halte es für wichtig, daß gerade bei dieser Debatte Bund und Länder zusammenwirken — haben es satt, sich von den Politikern die Trostlosigkeit des Seins im allgemeinen beschreiben zu lassen. Vielmehr haben die Bürger Politiker gewählt, um zu hören, was wir jetzt konkret tun, um mit den konkreten Problemen fertigzuwerden. Das ist die Frage.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD — Zurufe von der SPD)

Ich kann mir natürlich vorstellen, daß dies einigen Leuten den Boden ihrer Argumentation entzieht.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

— Das kommt alles. Ich bin sehr ermutigt, daß wir,
wenn man einmal eine Reihe von verbalen Notwen-



Ministerpräsident Späth (Baden-Württemberg) digkeiten der oppositionellen Auseinandersetzung hier wegnimmt, doch eine ziemlich weitgehende Übereinstimmung in der Frage des Anpackens einer Reihe von ganz konkreten Problemen, z. B. bei der Luftreinhaltung, haben.
Ich will mich auf diesen Punkt der Luftreinhaltung konzentrieren, weil ich der Meinung bin: Natürlich gehört auch der Biotopenschutz, der Naturschutz, die Weiterentwicklung des Wasserbereichs, das Grundwasser und dessen Sicherung dazu. Ich glaube, wir sollten uns einmal ganz konkret des Themas der Luftverunreinigung annehmen.
Herr Kollege Hauff, ich glaube, in der Sache kommen wir uns in einigen Bereichen ziemlich nahe. Lassen Sie mich zu der Anfangskritik etwas sagen, was mir aufgefallen ist. Das letzte Mal haben Sie bei der Debatte gesagt — Herr Kollege Baum hat es heute wiederholt —, daß z. B. die Entwürfe der TA Luft schon dagewesen seien, als Herr Innenminister Zimmermann diese Aufgabe übernahm. Dies mag richtig oder falsch sein; ich glaube, es ist richtig. Sie sagen einerseits: Sie haben das gemacht, was wir vorbereitet haben. Heute fragen Sie andererseits: Was haben Sie denn gemacht? Viel zu wenig. Ich kann nur sagen, daß der Innenminister zwei richtige Dinge gemacht hat. Er hat gesagt: Was wir haben, setzen wir gleich in Kraft, und dann überlegen wir, wie wir die nächste Stufe machen. Das ist reale Umweltpolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie sagen, es ist zu wenig geschehen. Es ist davon gesprochen worden, wir hätten im internationalen Bereich noch zu wenig Problembewußtsein. Ich stimme Herrn Baum ausdrücklich zu, denn auch finde es eigentlich schade, daß wir auf den großen internationalen Konferenzen zu wenig über den Schutz unserer Umwelt reden. Aber eins sollten wir auch feststellen: Zum erstenmal ist beim Gipfel in Stuttgart unter den Regierungschefs überhaupt über eine Resolution im Umweltbereich gesprochen worden, und zwar auf Antrag dieser Bundesregierung. Wenn im übrigen bei manchen Spaziergängen und Begegnungen großer Staatschefs über solche Dinge gesprochen worden wäre, so wie beim deutschen Bundeskanzler und dem Präsidenten Mitterrand über die Frage gesprochen worden ist, ob Frankreich nicht beim bleifreien Benzin mitmacht, hätte manches staatspolitische Gespräch der Vergangenheit vielleicht nicht so bedeutende Themen gehabt, aber wir wären in der EG vielleicht schon ein Stück weiter mit dem Umweltschutz. Auch das ist doch Realität.

(Beifall bei der CDU/CSU — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Sehen Sie, wie wichtig es ist, daß die Bürger den Politikern im Genick sitzen, Herr Späth!)

— Noch wichtiger ist es, daß nicht nur die Bürger den Politikern im Genick sitzen, sondern daß die Politiker unabhängig davon, was ihnen im Genick sitzt, über die realen Probleme sprechen, die sie miteinander lösen müssen. Das haben die Deutschen und die Franzosen offensichtlich intensiv getan; das war früher nicht der Fall.
Mit unseren osteuropäischen Gesprächspartnern wird die Initiative jetzt in Richtung Umwelt gelenkt. Wir von den Ländern hoffen, daß die Bundesregierung diesen Weg so engagiert weitergeht, wie sie das jetzt begonnen hat.
Ich glaube, daran kommt niemand vorbei: Was in einem Jahr an Handlungsbereitschaft und Handlung in Gang gekommen ist, ist viel mehr als das, was sich vorher real bewegt hat.

(Schily [GRÜNE]: Die Schnecke kommt auch voran!)

Ich will das jetzt gleich etwas konkretisieren.
Fangen wir mit der Forschung an! Herr Hauff, ich glaube, wir sollten uns eingestehen, daß wir die Umweltforschung konzentrierter in all ihren Querverbindungen hätten in Angriff nehmen müssen. Heute wissen wir, daß Schwefeldioxyd eines der Hauptprobleme ist, wir wissen, daß die Stickoxyde die zweite große Problemsäule sind. Wir werden dasselbe wie bei der Abwasserreinigung erleben, daß sich nämlich nach einiger Zeit herausstellt, daß da noch viele Komponenten sind, über die wir zu wenig wissen. Ich halte es z. B. für gut, daß wir jetzt in Karlsruhe, in München und an anderen Plätzen die Forschung zusammenfassen und konzentrieren, um sicherzustellen, daß wir in wenigen Jahren auch über die Dinge mehr wissen, die wir noch nicht kennen, die zum Waldsterben führen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Natürlich ist es ein ehrliches Eingeständnis, wenn wir sagen, daß uns alle das Waldsterben vom Tempo und von der Entwicklung her etwas überrascht hat. Was ist die richtige Reaktion? Der Bundesinnenminister hat gesagt, wie hoch die Forschungsmittel sind. Wir haben für das Land Baden-Württemberg gesagt, das ist eine großartige Chance. Eigentlich müßten alle und auch diejenigen, die z. B. Gegner von Kernkraft sind, positiv werten, daß wir einen ganzen Teil der Kapazität des Forschungszentrums Karlsruhe immer mehr auf die wissenschaftliche Erforschung der Umwel tprobleme lenken und daß wir diese Kapazität, die wir beim Großforschungszentrum haben, mit der Kapazität der Forstwissenschaftler in Freiburg, im Schwarzwald und der Kapazität derer verbinden, die die technologischen Anlagen zur Luftreinhaltung bei der Universität Karlsruhe herstellen. Das Land Baden-Württemberg gibt pro Jahr 10 Millionen als Land. Wenn der Bund 10 Millionen und die EG auch 10 Millionen dazugeben, dann haben wir jedes Jahr in diesem Forschungszentrum 30 Millionen DM Grundforschungsmittel. Damit werden wir in wenigen Jahren wissen, wie die Probleme zusammenhängen. Das ist ein konkreter Schritt in der Umweltforschung, der uns weiterbringt.

(Beifall bei der CDU/CSU) Darum sollten wir das tun.


(Krizsan [GRÜNE]: Dann ist der Wald tot! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)




Ministerpräsident Späth (Baden-Württemberg)

— Wir geben eben das Geld für das Richtige aus. Das ist entscheidend.

(Widerspruch bei den GRÜNEN — Schily [GRÜNE]: Sie haben unser Sofortprogramm nicht gelesen!)

— Natürlich! Während Sie den toten Wald herbeireden und ihn dann auch betrauern, wie es sich ordentlich gehört, heißt unsere Aufgabe: Lebensrettung und nicht Todesbegleitung für den deutschen Wald. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von den GRÜNEN)

— Herr Schily, ich bestätige Ihnen ausdrücklich: Sie sind mit Sicherheit die besten Leichenredner beim Waldsterben. Aber wir sind die, die die Lebensrettung an den Anfang setzen

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Totengräber! — Krizsan [GRÜNE]: Leichenforscher!)

und versuchen, den Wald zu retten.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002201400
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1002201500
Ja, gerne.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002201600
Bitte, Herr Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1002201700
Herr Ministerpräsident, haben Sie unser Programm, das wir dem Deutschen Bundestag vorgelegt haben — das Sofortprogramm gegen Waldsterben und Luftverunreinigung — nicht gelesen, und wäre es, ich darf Ihnen diese Frage stellen, nicht empfehlenswert, einmal solche konkreten Vorschläge zu studieren, bevor man solche Aussagen macht, wie Sie sie eben gemacht haben?

(Zurufe von der CDU/CSU)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1002201800
Doch, mache ich gerne. Nur würde ich gerne die umgekehrte Frage stellen, Herr Schily: Würden Sie es nicht für gut gehalten haben, wenn Ihr Repräsentant, der hier geredet hat, z. B. einmal konkret gesagt hätte, was Sie an Forschungsbemühungen unterstützen — wie wir das in Karlsruhe machen —, statt hier eine allgemeine Vorlesung über die Gefährdung der Demokratie zu halten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hier im Deutschen Bundestag ist doch der Platz, an dem wir diskutieren können: Was können wir gemeinsam tun? Wo sind wir unterschiedlicher Meinung? Wie bringen wir das Problem voran? — Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Ich habe mich mehr in einer Anfangsvorlesung über die allgemeine Fragestellung der Demokratie und des Umweltschutzes befunden, als in einer Debatte, in der wir über den deutschen Wald reden. Das ist mein Punkt.
Wir müssen jetzt erreichen, daß wir durch Forschung rascher wissen, wo weitere Probleme sind. Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt ist: Wie
kommen wir bei den Problemen, von denen wir wissen, mit konkreten Maßnahmen voran? Da, meine ich, sagt der Bundesinnenminister mit seinem Katalog und dem, was er heute vorgetragen hat, genau das Richtige. Das können Sie im Antrag der Koalitionsfraktionen wiederfinden. Ich will das noch einmal festhalten, weil auch aus der Sicht der Bundesländer die ganz konkrete Frage: Wie gehen wir Schritt für Schritt in die richtige Richtung?, im Grunde die Frage ist, die wir heute vormittag diskutieren müssen. Ich fange an mit der Großfeuerungsanlagen-Verordnung und der TA Luft.
Punkt eins. In Gang gesetzt sind die Teile 1 und 2 bei der TA Luft. Ich glaube, das sollte man einfach einmal festhalten. Dies war richtig. Wenn der Bundesinnenminister heute sagt, nach den Untersuchungen, die wir gemacht haben, müßten wir schon den nächsten Schritt vorbereiten, dann kann ich nur sagen: Ich bin ja gottfroh, daß ein Bundesinnenminister bereit ist, zu sagen: Je länger wir untersuchen, desto mehr merken wir, daß wir schon den nächsten Schritt gehen. Das ist doch weit besser, als wenn er sagen würde: Mir reicht's, ich habe etwas gemacht. Dann dürfen Sie ihm aber nicht vorwerfen, er wolle schon wieder eine Verordnung weiterentwickeln, und anschließend Lernfähigkeit fordern. In keinem Bereich werden wir so flexibel sein müssen, wie im Umweltschutz, weil wir dauernd neue Erkenntnisse bekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte noch etwas anmerken, worüber wir einmal diskutieren sollten. Das ist auch eine Bitte an den Herrn Bundesinnenminister. Wir von Baden-Württemberg haben damals bei der Behandlung der TA Luft im Bundesrat den Sachgüterschutz angesprochen. Wir sind der Meinung, daß man den Gedanken, in der TA Luft einen Sachgüterschutz zu verankern, aufgreifen sollte, weil er uns die Möglichkeit geben würde, z. B. bei Waldgebieten nicht nur die momentane Belastungssituation zu sehen, sondern auch die besondere Gefährdung des Sachgüterbereiches. Das ist einer der Punkte, über die wir noch reden sollten.
Zweitens. Wir sollten möglichst bald zum Teil 3 der TA Luft kommen. Ich bin sehr froh, daß Sie erklärt haben, daß Sie das noch bis Jahresende vorlegen wollen. Ich halte es für ganz wichtig, daß wir mit dem Teil 3 vor allem an die vielen Kleinbereiche kommen. Denn es hilft nichts, wenn wir nur die großen Verschmutzer im Auge haben, aber nicht die vielen kleinen Verschmutzer, die zusammen natürlich eine Unmenge Luftbelastung bringen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Überlegen Sie nur einmal, was die Anlagen unter 50 MW nach dem Stand der Technik bereits an Begrenzungeh verordnet bekommen könnten. Ich glaube, wir haben da eine gute Chance, ein Stück weiterzukommen.
Das ist also die erste Forderung: Den Teilen 1 und 2 jetzt rasch den Teil 3 folgen lassen und zweitens die Frage des Sachwerts noch mal überprüfen. Wir sollten hier ganz konkret sagen, wo die nächsten Schritte sind.



Ministerpräsident Späth (Baden-Württemberg)

Jetzt komme ich zur Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Wir haben im Bundesrat darauf hingewiesen, daß bei dem Konzept, das jetzt in Kraft ist, die Emissionen von 3,5 Millionen t mit Sicherheit bis Ende der 80er Jahre um mehr als 1 Millionen t reduziert werden können. Wir sehen alle, daß das zu wenig ist. Und daraufhin hat der Herr Bundesinnenminister gesagt: Wir müssen die nächsten Schritte überlegen. Auch das ist richtig.
Die Frage ist: Wohin müssen wir gehen? Auch das haben wir im Bundesrat angesprochen. Jetzt sollte aber niemand sagen, das sei ein Vorwurf an die Bundesregierung. Lesen Sie einmal die Ausschußprotokolle des Bundesrates. Und jetzt muß ich wieder wie in der letzten Debatte hier sagen: Das ist in Nordrhein-Westfalen ein anderes Problem als in Baden-Württemberg. Und deshalb haben wir von Baden-Württemberg aus gesagt: Wir wollen eine weitere Stufe, nämlich von 100 MW bis 300 MW. Dort ist eine Gruppe von Verschmutzern nicht erfaßt. Zweitens: Wir müssen die Altanlagen rascher stillegen. Ich glaube: Das zentrale Problem wird die Stillegung der Altanlagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und Beifall des Abg. Schily [GRÜNE] — Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE])

— Entschuldigung! Werfen Sie das doch nicht Herrn Zimmermann vor, sondern stellen Sie einmal fest, daß er, der sich am Anfang darauf eingelassen hat, die nordrhein-westfälischen Interessen so weit in die Kompromisse einzubauen, jetzt sagt, und zwar zu Recht sagt: Wenn ich das abwäge, muß ich da noch mal nachfassen. Und ich kann nur sagen: Er hat doch von sich aus in den letzten Wochen gesagt: Wir müssen bei den Altanlagen noch mal nachfassen.

(Beifall des Abg. Berger [CDU/CSU] — Zuruf des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜNE])

Und ich meine: Wir könnten da noch mal 30 bis 40% runterkommen.
Ich will aber gleich die Folgeprobleme ansprechen. Das erste Problem heißt Braunkohle. Das müssen wir natürlich fairerweise dazusagen. Überlegen Sie: Wir haben heute allein 20 % der Energiedarstellung, nämlich etwa 13 000 MW, aus der Braunkohle. Während wir bei der Steinkohle schon 4 600 MW mit Rauchgasentschwefelung versehen haben, haben wir bei der Braunkohle bisher nur ein Versuchsprojekt, nämlich das in Neurath. Das heißt: Wenn wir da weitergehen, müssen wir auch nach Lösungen suchen, wie wir mit dem Problem der Braunkohleverarbeitung fertig werden. Wir haben damals im Bundesrat beantragt, für Braunkohle einen Höchstemissionswert von 10 % vorzuschreiben. Prüfen Sie einmal, warum das keine Mehrheit gefunden hat. Ich meine, es gehört zur Ehrlichkeit, daß wir, wenn wir abwägen, uns da nichts gegenseitig in die Schuhe stecken.
Das nächste Problem ist die Stickoxydreinigung. Ich glaube, wir sollten ein Zweites tun. Wir haben in Baden-Württemberg jetzt versucht, zwei Kraftwerke zu entwickeln, bei denen wir Pilotprojekte auch mit japanischer Technologie versuchen wollen. Wir sind sicher, daß die Technologie, die entwickelt ist, nicht heute Standard unserer Technik ist, aber daß wir jetzt in der zweiten Phase schon darüber nachdenken müssen, während wir die erste Phase durchführen, wie wir in ein paar Jahren mit neuen Technologien — die dann übrigens Exportschlager werden könnten, Herr Hauff — den Stand der Technik weiterentwickeln. Und wenn wir da aus den letzten Jahren Rückstände haben, dann müssen wir eben die japanischen Technologien übernehmen und weiterentwickeln. Da sollten wir nicht zimperlich sein. Wir brauchen im Grund jetzt Pilotprojekte für die nächste Generation der Kraftwerke, die dann schon die nächste Stufe der Entschwefelung erreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD])

Noch mal zur Altanlagenstillegung. Ich glaube, Herr Bundesinnenminister, die Überlegung, die da in Ihrem Haus läuft, ist richtig. Wir müssen die Fristen verkürzen. Und dabei kommt uns etwas entgegen. Das ist der gegenwärtig geringere Energiebedarf im Gegensatz zu unseren Rechnungen.

(Schily [GRÜNE]: Die Bürger wissen das besser als die Politiker!)

— Also unser Bürger, vor allem der Arbeitslose, kann wenig dafür, daß wir wenig Energie verbrauchen, weil wir so wenige Arbeitsplätze im Augenblick voll fahren können.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Fragen Sie doch mal nach der Tarifstruktur, Herr Ministerpräsident!)

— Entschuldigung! Warum regen Sie sich denn auf? Ich bin der Meinung: Je weniger Energie wir verbrauchen, umso besser. Vielleicht können wir uns darauf einigen. Nicht wahr?

(Beifall bei der CDU/CSU) Gut. Einigen wir uns doch darauf.

Im Augenblick haben wir 10 800 Megawatt Steinkohle, davon 6 200 Megawatt ohne Rauchgasentschwefelung. Im Augenblick befinden sich zehn Kraftwerke mit zusammen 6 500 Megawatt im Bau. Das gibt uns eine Chance, vor 1988 das Stillegungstempo zu beschleunigen und damit die durch die Großfeuerungsanlagen-Verordnung eingeleitete Tendenz fortzusetzen. Wir haben eine Umstellungsreserve von nahezu 4 000 Megawatt. Wir sollten sie ganz rasch nutzen, damit wir schneller mit den Werten herunterkommen.
Ich möchte Ihnen den Unterschied vorrechnen, damit sichtbar wird, was das konkret bedeutet. Pro Megawatt Stromerzeugung haben wir bei den Altanlagen auf der Grundlage von 4 000 Betriebsstunden einen S02-Ausstoß von 30 t. Bei den Neuanlagen sind es 4,5 t. Das heißt, wir haben eine große Chance, die Dinge durch eine raschere Umrüstung und Stillegung voranzubringen.
Dabei gibt es aber ein interessantes Problem, auf das ich hinweisen will, nähmlich den Jahrhundertvertrag mit der Kohle. Wir wollen in Baden-Würt-
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Ministerpräsident Späth (Baden-Württemberg)

temberg ein System entwickeln, wie wir ganz rasch stillegen können. Wir haben dazu eine gute Chance. Wir haben folgendes festgestellt. Wir könnten beispielsweise unsere Strombezüge von NordrheinWestfalen, die jetzt auslaufen, beibehalten, weil es leichter möglich wäre, in Nordrhein-Westfalen einige große Kraftwerke umzustellen und dafür die kleinen Kraftwerke in Baden-Württemberg stillzulegen. Das könnte an der Steinkohlenzuordnung nach dem Jahrhundertvertrag scheitern.
Ich meine, wir sollten miteinander überlegen, wie wir die Position der deutschen Steinkohle sichern können, gleichzeitig aber so flexibel sind, daß uns nicht am Schluß diese Lieferverpflichtungen daran hindern, die richtigen Kraftwerke stillzulegen und die Dinge richtig zu ordnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sage das, weil wir dort aufpassen müssen, daß wir nicht in ein Tabu geraten.
Ich möchte etwas zum hessischen Vorschlag und zum Vorschlag der SPD bezüglich der Schwefelabgabe sagen. Es gibt Überlegungen in der Richtung: Wenn man eine Abgabe verlangt, geht es schneller. Meine Überlegung ist folgende. Der Wald geht sowohl an bezahltem als auch an unbezahltem Schwefel zugrunde. Wir sollten also nicht so sehr in ein Abgabedenken verfallen, sondern der Staat muß sagen, was er noch zuläßt und was nicht. Dann ist es eigentlich gleichgültig, ob das bezahlt oder unbezahlt ist.
Ich sehe einen Ansatz — ich habe das auch bei Herrn Baum etwas herausgehört — in dem Gedanken der Zertifikatslösung. Ich bin nicht sicher, daß der folgende Gedanke richtig ist, aber man muß ihn untersuchen. Man könnte beispielsweise sagen: Wir legen bis 1990 alles an Altanlagen still, was nicht umgerüstet werden kann, oder wir haben bis dahin umgerüstet. Dies bedeutet, daß wir beispielsweise in sieben Jahren um 100 % herunterfahren, also pro Jahr um 15 %. Wir können demjenigen, der schneller als mit 15 % herunterfährt, die Möglichkeit geben, seine Kapazität an andere zu verkaufen.

(Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Das ist der Vorschlag!)

— Das ist ein Vorschlag, den einige Professoren entwickelt haben, den Sie aufgenommen haben. Ich will das ausdrücklich unterstützen. Lassen Sie uns überlegen, ob wir die Zielvorgabe nicht schneller mit einer marktwirtschaftlichen Lösung erreichen als über eine neue Abgabe mit neuer Verwaltungsbürokratie.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich will ausdrücklich sagen: Ich kämpfe nicht gegen den hessischen Entwurf unter dem Aspekt „Da kommt ein Vorschlag von Hessen, also haben wir dagegen zu sein!".
Beim Abwasser sieht es noch ein bißchen anders aus. Ich mache aber keinen Hehl daraus: Im Augenblick machen in Baden-Württemberg die Verwaltungskosten 50% der Einnahmen aus der Abwasserabgabe aus.

(Dr. Hauff [SPD]: Wegen Ihrer Verwaltung! Bringen Sie Ihre Verwaltung in Ordnung!)

— Herr Kollege Hauff, ich würde gern mit Ihnen über die Rationalisierung der Verwaltung streiten. Vergleichen Sie einmal die Personalkosten in unserem Land mit den Personalkosten in den anderen Ländern, dann können Sie mit mir streiten.
Wenn Sie viele kleine Betreiber haben, dann müssen Sie denen sagen, was nicht mehr geht. Die höchsten Abgaben hat Hessen deshalb, weil es dort ein paar Betriebe gibt, die große Mengen Abwasser produzieren und mit denen man mit geringem Verwaltungsaufwand hohe Abgaben vereinbaren kann.

(Zuruf von der SPD: Nordrhein-Westfalen!)

— Dort ist es genauso. Sie können schlicht sagen: Wo die Großindustrie sitzt und mit wenigen Bescheiden hohe Abgaben gezahlt werden, stimmen die Relationen. Wenn Sie den vielen Kleinen nachjagen müssen, dann ist es besser, Sie sagen: Das geht nicht mehr. Das halte ich für die bessere Lösung.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002201900
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schäfer?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1002202000
Frau Präsidentin, ich bitte um Entschuldigung, ich habe mich bisher immer auf Zwischenfragen eingelassen und dann die Redezeit überschritten. Ich weiß, daß die Terminierung sehr knapp ist. Deshalb eine letzte Zwischenfrage.

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1002202100
Herr Ministerpräsident, die erste.
Am 30. August 1983 hat der Bundesinnenminister erklärt, das Instrument der Abwasserabgabe habe sich bewährt. Er steht damit im Einklang mit dem Urteil aller Umweltsachverständigen. Würden Sie nach dem, was Sie eben ausgeführt haben, im Bundesrat eine Initiative auf Abschaffung der Abwasserabgabe ergreifen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1002202200
Ich kann Sie beruhigen: Wir Baden-Württemberger lieben keine Nebenkriegsschauplätze. Diese Abgabe ist jetzt eingeführt, und jetzt lassen wir das einmal laufen. In ein paar Jahren machen wir Bilanz. Dann müssen wir überlegen, was daran gut und was daran schlecht ist. Ich bin immer noch der Meinung, daß die Goldorfen-Messung blödsinnig ist. Aber jetzt lassen Sie uns das erst einmal machen. Jedenfalls kann ich Ihnen nicht mit einer dramatischen Abwasserabgabeschlacht helfen. Diese Schlacht ist geschlagen. Jetzt schlagen wir die Luftschlacht. Deshalb sollten wir uns nicht wieder auf den Nebenkriegsschauplatz Abwasserabgabe begeben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deutscher Bundestag 10. Wahlperiode - 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983 1459
Ministerpräsident Späth (Baden-Württemberg)

Falls Sie für den baden-württembergischen Wahlkampf noch ein paar Äußerungen brauchen, kann ich Ihnen die ja in schriftlicher Form schicken.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Ich möchte aber gern noch etwas zu diesem Thema sagen. Hinsichtlich der Zertifikatslösungen sollte man also einfach einmal offen prüfen, ob dort der Ansatz sein könnte, zumal das ein gutes Vorbild für die nachfolgende Beschränkung der Abgase der Kleinanlagen sein könnte.
Aber da wir schon bei der öffentlichen Hand sind, möchte ich noch eine andere Bemerkung machen, die auch an meine Kollegen aus den anderen Bundesländern gerichtet ist. Wer dauernd vorschlägt, was die Bundesregierung machen soll, soll bitte auch einmal darlegen, wie der Zustand der Heizkraftwerke in den eigenen Ländern ist, d. h. in den landeseigenen Heizkraftwerken. Baden-Württemberg hat ein Sonderprogramm in einem Umfang vors 44 Millionen DM aufgelegt, um alle nach dem Gesetz nicht mit einer Entschwefelungsanlage zu versehenden landeseigenen Anlagen zu entschwefeln. Ich schlage vor, daß die Bundesländer, die zum Bund mit Forderungen kommen, in ders Wettbewerb eintreten, möglichst schnell die eigenen Anlagen in Ordnung zu bringen. Das ist die beste Vorbildfunktion, mit der wir den Bürgern beweisen können, wie ernst wir es mit Umweltschutz meinen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Noch ein letzter Vorschlag zu diesem Problemkreis — er betrifft die Initiative Baden-Württembergs zur Senkung des Schwefelgehalts von leichtem Heizöl und Dieselkraftstoff -: Wir sollten nicht unterschätzen, daß es heute für 1 bis 1,5 Pfennig möglich ist, in den Raffinerien den Anteil des Schwefelgehalts von 0,3 auf 0,15 beim Dieselkraftstoff und bei leichten Heizöl zu senken. Das entspricht 125 000 Tonnen Schwefeldioxid. Meine Bitte ist, daß die Bundesregierung diesen Gedanken auch aufnimmt.
Dann kommen wir noch zum schweren Heizöl. Das Problem hat sich enorm verringert. Wir puffen aber immer noch 500 000 Tonnen pro Jahr hinaus. In den Raffinerien gibt es jetzt die ersten Konzepte, um in den Crack-Anlagen z. B. Ölkoks herzustellen. Ich glaube, wir können kein Ergebnis von heute auf morgen erwarten, zumal wir wahrscheinlich ein bißchen Zeit brauchen, um die Verbrennung von schwerem Heizöl umzustellen. Aber auch hier sollten wir versuchen - notfalls mit Erdgaskonzepten oder anderen Hilfen —, die Verwendung von schwefelhaltigem schweren Heizöl abzustellen; denn wenn es uns gelänge, mindestens estens das schwefelhaltige schwere Heizöl aus dem Verkehr zu -ziehen, wäre das ein zusätzlicher Erfolg.
Wenn wir das Stück für Stück tun, sieht der Bereich schon ganz anders aus. Das ist. ein Konzept, das sich sehen lassen kann. Wenn wir dann nach ein paar Jahren Bilanz ziehen, werden wir sehen, daß wir mehr getan haben als mit allen Globalreden über die Situation des deutschen Waldes.
Ich komme zum Auto. Ich will dazu nur wenige Sätze sagen. Ich komme aus einem Land, das im Ausland entweder mit dem Namen eines Waldes oder mit dem Namen einer Automobilfirma verbunden wird. Es ist überhaupt keine Frage, daß es Gegensätze geben kann. Es gibt in meinem Land keinen Autofahrer, der den Wald für das Autofahren aufgibt. Ich meine, das ist auch in den anderen Ländern so. Nur, auch hier halte ich es für richtig, daß die Bundesregierung einmal ein Zeichen gesetzt hat, indem sie gesagt hat: Wir machen das jetzt.
Es ist ja ganz interessant, daß die einen jetzt sagen, das sei ein Schnellschuß, und die anderen, das gehe alles noch nicht weit genug. Die Aussage 1. Januar 1986, verbunden mit der Zusage der Flexibilität im Einzelbereich, um praktisch voranzukommen, ist doch die einzige Aussage, die ein Minister am Anfang eines Unternehmens treffen kann, um klarzumachen: Freunde, wer glaubt, er könne mit allgemeinen Forderungen noch Zeit gewinnen, hat sich bei mir getäuscht; zweitens mache ich keinen Schnellschuß, um ein Programm in Gang zu setzen, das dann nicht realisierbar ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe dazu eine Reihe von Überlegungen, aber ich will jetzt nur sagen: Damit ist auch für die europäischen Nachbarn der entscheidende Impuls gegeben; denn sie wissen jetzt, daß diese Republik nicht mehr fackelt. Vielmehr drohen wir denjenigen, die nicht mitspielen, mit einem Alleingang.

(Dr. Hauff [SPD]: Im Mai hat der Minister noch gesagt, das sei doch weltfremd!)

— Herr Kollege Hauff, ich würde da gerne etwas anderes sagen. Ich würde gerne eine Rückfrage stellen, weil Sie gesagt haben, wir hätten damals alles getan. Was mich am meisten irritiert — —

(Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE])

— Unser Bestmöglichstes. Ich will mit Ihnen auch gar nicht so wild darüber streiten, sondern ich will Ihnen nur folgendes sagen. Was mich z. B. irritiert, ist, daß wir heute noch eine EG-Richtlinie haben. Mir ist nicht klar, warum es der früheren Bundesregierung nicht gelungen ist, den Teil zu beseitigen, der erst für den 1. Oktober 1984 die Werte im Autobereich vorsieht, die unsere deutsche Automobilindustrie bis jetzt schon freiwillig erfüllt hat.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002202300
Herr Minister, ich muß Sie noch einmal fragen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kohn?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1002202400
Frau Präsidentin, ich bitte um Entschuldigung: nein. Es tut mir leid, aber ich habe nur noch fünf Minuten.
Das erste, was wir tun müssen, ist, in Europa darauf zu drängen, daß wir die Werte, die in Europa eine Senkung um 20 % bedeuten, als erstes zum 1. Juli nächsten Jahres durchsetzen, damit wir die Basis haben, auf der wir dann aufbauen können, wenn wir die weiteren Werte dann europaweit durchsetzen können.
1460 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983
Ministerpräsident Späth (Baden-Württemberg)

Zum anderen sollten wir jetzt nicht darüber streiten, genausowenig, wie wir jetzt einen losgelösten Zeitstreit um den 1. Januar 1986 anfangen sollten. Was bringt denn ein Monat hin oder her? Das ist ja nicht die Frage. Der Termin muß stehen.
Wir sollten jetzt nicht über den Weg dorthin — Katalysator oder kein Katalysator — streiten. Ich will das ausdrücklich sagen: Mit welchem Verfahren die Automobilindustrie arbeitet, ist doch nicht Aufgabe der Ordnungspolitik, sondern es ist Aufgabe der Ordnungspolitik, die Werte festzulegen. Wir müssen das ausräumen, damit wir darüber nicht mehr zu streiten brauchen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

— Ich bedanke mich ausdrücklich.
Das nächste Problem, das wir haben und warum wir überlegen müssen, wie wir da vorgehen, ist die Tatsache, daß wir natürlich im Augenblick sagen müssen: Wir haben keine anderen gesicherten technischen Werte als die Werte, die in den USA und Japan gängig sind. Ich würde also davor warnen, jetzt einen Wert festzuschreiben, der technisch noch nicht so flüssig ist, daß wir sofort mit ihm einsteigen können. Ich würde eher eine Stufenlösung empfehlen, nämlich die amerikanischen Werte festzulegen und parallel dazu zu untersuchen, mit welchen technischen Verfahren wir in einer weiteren Stufe die nächste Möglichkeit erreichen können. Dann kommt nämlich auch ein Stück Stabilität in die Diskussion. Es könnte so sein, daß die einen extreme Werte fordern, die wir nicht herstellen können, und die anderen sagen: Das ist eine gute Idee. Dann passiert nämlich gar nichts.
Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen. Lassen Sie uns doch überlegen, ob wir nicht die Leute mit einer Kraftfahrzeugsteuerermäßigung oder einer Freistellung prämieren, die z. B. von den 10 % Autos, die wir schon ausgerüstet haben, ab dem nächsten Jahr welche kaufen. Die Automobilindustrie kann doch dieselben Autos, die sie nach Amerika liefert, auch schon in Deutschland verkaufen. Dann geben wir denen eine Prämie, die das Geld dafür aufwenden.
Wir brauchen nicht darüber zu streiten, wo wir bei den steuerlichen Fragen anstehen. Sicher ist eines. Wir sollten einmal alle die prämieren, die umweltfreundlich sind. Dann spricht sich das herum. Irgendwann werden wir wahrscheinlich steuerlich die bestrafen müssen, die am längsten brauchen, um sich zur Umweltfreundlichkeit durchzuringen. Ich meine also, eine Stufenlösung in beiden Bereichen wäre hilfreich.
Was das bleifreie Benzin anbetrifft, bin ich der Meinung, daß wir alles tun sollten, um möglichst bald neben dem bleifreien Benzin mit niederer Oktanzahl wegen der Verbräuche das bleifreie Superbenzin zu haben. Wir haben lange darum gekämpft, daß wir möglichst wirtschaftliche Motoren haben. Jetzt haben wir den Umweltfaktor. Wir sollten jetzt aber plötzlich nicht nur noch den Umweltfaktor sehen. Die Tatsache, daß es Japan gelungen ist, bereits im September bleifreies Superbenzin auf den
Markt zu bringen, sollte uns dazu bringen, daß wir in den Unternehmen Wege finden, auf denen wir in Stufen das bleifreie Einfachbenzin und das bleifreie Superbenzin bereitstellen können.
Wir werden z. B. einen Versuch machen. Wir haben zwar noch nicht das Tankstellennetz. Es ist zu Recht auf den Mittelstand und die Probleme hingewiesen worden. Wir haben aber einmal überlegt, daß wir z. B. mit den Autos, die nur im Stuttgarter Raum fahren, also den Dienstwagen und Taxis, durch eine Zusammenarbeit mit einer Stuttgarter Autofirma, die die Autos schon hat, einen Großversuch starten können, um pilotmäßig zu sehen, wie das läuft. Wenn wir das alles anpacken, wird auch für den Bürger sichtbar, daß wir durchaus ein Stück dieser Entwicklung erreichen.
Ein Letztes. Lassen Sie uns das Prüfverfahren angehen. Der Herr Bundesinnenminister hat vor kurzem einmal darauf hingewiesen, daß man, wenn wir mehr Kontrollen hätten, wahrscheinlich feststellen könnte, wie viele Autos falsch eingestellt sind. Ich meine, wenn die Industrie dazu überginge, in Zusammenarbeit mit den Werkstätten — ähnlich wie bei der TÜV-Prüfung, bei der die Werkstätten ja auch eine Eigenberechtigung haben — alle halbe Jahre die Abgase zu prüfen, würden wir wahrscheinlich eine ganze Menge ohne neue Normen erreichen. Dies würde einfach dadurch erreicht, daß die Autos richtig eingestellt sind. Es gibt also einfache Dinge, bei denen der Bürger, auf die Umweltprobleme aufmerksam geworden, selbst mehr tun kann. Wir sollten ihn dazu ermuntern, seinen eigenen praktischen Beitrag zu leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir sollten in dem Konzept, in dem die Werte festgelegt sind, auch bald sagen, wann wir den Altwagenbestand nicht mehr zulassen. Ich glaube, es ist ganz wichtig, daß wir mit einem Gesamtkonzept arbeiten. Das ist auch der Grund, warum wir nicht mit Detailkonzepten hier und da einmal schnell steuern. Ich sage das auch an die Adresse unserer Kollegen in Hessen. Wir sollten nicht punktuell Vorschläge, die sich entweder auf Steuererleichterungen für bleifreies Benzin oder auf die Kraftfahrzeugsteuer oder auf Abgaswerte beziehen, unterbreiten. Wir brauchen vielmehr ein Gesamtkonzept, damit zwei Dinge erreicht werden.
Erstens. Der Bürger muß sich orientieren können, mit welchen Ordnungsvorstellungen der gesamte Komplex angegangen wird.
Zweitens. Wir sollten vermeiden, daß wir die Automobilkäufer mit zu viel Hickhack einmal in die Richtung und dann in die andere Richtung drängen. Wenn wir z. B. die Guillotine irgendwann herunterlassen, ohne das Ganze in ein Konzept zu bringen, werden wir zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Autoboom haben, während das Interesse zu einem anderen Zeitpunkt wieder nachläßt. Es darf nicht so sein, daß irgendwann einmal der belohnt wird, der am schnellsten noch ein altes Auto kauft, damit er die Vorschriften nicht erfüllen muß, und wir dann alles wieder umstellen. Das Konzept sollte unserer Bevölkerung vielmehr so früh wie möglich aufzei-



Ministerpräsident Späth (Baden-Württemberg)

gen, daß der belohnt wird, der die Umweltfreundlichkeit in den Mittelpunkt seiner Überlegungen beim Kauf und Betrieb eines Autos stellt. Wir brauchen präzise Konzepte für die Stillegung der alten Autos. Auch die Industrie muß sich an klaren Konzepten im Bereich der Ordnungspolitik orientieren können. Deshalb bin ich der Meinung, es ist richtig, daß der Innenminister jetzt ein Zeichen gesetzt hat und das Konzept vorlegt. Wenn wir das, was darin vorgesehen ist, alles tun, werden wir in dieser Legislaturperiode mehr für die Rettung des deutschen Waldes getan haben, als es mit allen verbalen Kraftakten möglich ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002202500
Das Wort hat Herr Minister Schneider aus Hessen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1002202600
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesminister des Innern hat in den letzten Wochen und auch heute den Schutz der natürlichen Umwelt im allgemeinen und die Bekämpfung der Luftverschmutzung im besonderen zur wichtigsten Aufgabe nach der Sicherung des Friedens erklärt. Dem kann ich nur zustimmen. Ich kann auch größtenteils der Problembeschreibung, die der Bundesinnenminister und auch Herr Ministerpräsident Späth eben gegeben haben, in der gleichen Weise meine Zustimmung geben. Aber ich vermisse, daß sich an diese Problembeschreibung konkrete Handlungsanweisungen aus der Sicht der Regierung anschließen. Immer, wenn hier zu allgemeinen Beschreibungen und Aussagen Ausführungen gemacht worden sind, sind sie dann beendet worden, wenn es in der Fortsetzung eigentlich der konkreten Handlungsanweisung bedurft hätte, und das, meine Damen und Herren, obwohl die Umweltkatastrophe Waldsterben und die Versuche ihrer Eindämmung, wie ich meine, uns allen ein Lehrstück dafür sein müßten, wie es umweltpolitisch nicht weitergehen darf.
Genau das haben wir alle — ich betone das „alle" und möchte hier auch die frühere Bundesregierung einbeziehen — in letzten Jahren getan:. Wir haben uns im Ergebnis darauf beschränkt, bei umweltbelastenden Anlagen zu fordern, daß sie dem Stand der Technik oder ähnlich lautenden Bestimmungen entsprechen. Niemand hat in der Praxis gefragt, wie belastbar unsere Luft ist, wie belastbar die Gewässer sind, wie belastbar der Boden ist. Wie wenig wir wissen, zeigt gerade auch die von der Bundesregierung so gelobte TA Luft; denn auf viele Fragen, die wir hätten stellen müssen, hätten wir auch in der Vergangenheit keine fundierte naturwissenschaftliche Antwort bekommen.
Die TA Luft, deren Emissionsgrenzwerte für Schwefel- und Stickoxid zur Zeit im gesamten Bundesgebiet eingehalten werden, Herr Bundesinnenminister, kann nicht verhindern, daß der Wald trotzdem stirbt. Wir erleben hier zum erstenmal ganz drastisch, was Ökologie bedeutet. Wer nur isolierte
Teilaspekte des Umweltschutzes herausgreift, denkt nach meiner Auffassung zu kurz.

(Beifall bei der SPD)

Die Lehre hieraus, Herr Ministerpräsident Späth, kann nicht nur mehr Forschung sein, insbesondere dann nicht, wenn wir noch nicht einmal bereit sind, die Ergebnisse der vorangegangenen Forschungen in die praktische Politik umzusetzen.

(Beifall bei der SPD)

Ich hatte das bei meiner Rede hier vor einigen Wochen am Beispiel der Wirbelschichtfeuerung dargelegt. Und ich kann meiner Verwunderung heute noch mehr Ausdruck geben, wenn der Landesvorsitzende der CDU in meinem Lande, Herr Wallmann, nunmehr einen Brief an den Bundeskanzler schreibt, daß der Wirbelschichttechnologie zum Durchbruch zu verhelfen sei, und den Einsatz in seiner eigenen Stadt wegen noch nicht genügender Erprobung ablehnt.

(Beifall bei der SPD)

Es hilft nicht, nach mehr Forschung und Technologie zu rufen, wenn man am Ende nicht bereit ist, sie einzusetzen.

(Sehr wahr! bei der SPD)

Solange wir nicht definitiv wissen, meine Damen und Herren, wie viele Schadstoffe die Umwelt verträgt, kann es nur ein Ziel geben, nämlich jede Emission, die technisch vermeidbar ist, auch umgehend zu vermeiden, alles zu tun, sie umgehend zu unterbinden.

(Beifall bei der SPD)

Es kommt noch ein Zweites hinzu, was ich in allen Ausführungen bisher vermißt habe, die Forderung, daß alle Emissionen, die nicht nachweislich unschädlich sind, als schädlich behandelt werden müssen. Auch das halte ich für eine ganz wichtige Aufgabe der Umweltpolitik.
Auch hier haben wir in der Vergangenheit Lehrgeld zahlen müssen. Ob bei umweltfreundlichen Kraftfahrzeugen, ob bei der Rauchgaswäsche, ob bei der Abwasserreinigung, immer ist es der Industrie über Jahre hinweg gelungen, den umwelttechnischen Fortschritt mit den Argumenten, mehr sei nicht machbar oder, mindestens, mehr sei nicht bezahlbar, zu bremsen. Wenn wir über die Kosten dieses Einsatzes von Technologie sprechen — das tun wir bei jeder Gelegenheit; wir fragen doch immer, wie belastbar die Wirtschaft sei — sollten wir doch auch ehrlich sagen, was wir an öffentlichen Mitteln aufzubringen haben, um die Schäden zu beseitigen, die auf Grund dieser Belastung zustande kommen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn es definitive Zahlen gibt, daß die Luftbelastungen jährlich Folgeschäden in Höhe von 7 Milliarden DM auslösen,

(Sehr gut! bei der SPD)

im Baubereich, durch Korrosion, für deren Beseitigung wir doch auch öffentliche Mittel aufwenden müssen, dann muß das in die Diskussion gebracht werden und nicht nur das Argument: Wir dürfen die



Staatsminister Schneider (Hessen)

Wirtschaft nicht überfordern, weil das am Ende nicht mehr bezahlbar ist. Bezahlen müssen wir es so oder so.

(Beifall bei der SPD)

Wir könnten, wenn wir es vernünftig machten, auch den ökologischen Schaden — von dem gesundheitlichen Schaden der Menschen spricht kaum jemand — vermeiden, verhindern helfen.
Ich meine, daß die Unternehmen auch in Zukunft kein eigenes Interesse an mehr Umweltschutz haben werden, solange sie Umweltbelastungen kein Geld kosten, so lange diese nicht in ihre Kalkulation miteinbezogen werden müssen.
Auch künftig — lassen Sie mich das hier als ein Umweltminister, der die Gesetze, die hier beschlossen werden, praktisch in einem Land anzuwenden hat, sagen — werden selbst unsere besten Beamten nicht annähernd so gut wissen wie die Schadstoffemittenten selber, was tatsächlich machbar ist. Wir haben uns doch ständig mit der Frage, was neuester technischer Stand sei und ob der Einsatz entsprechender Technologien am Ende noch wirtschaftlich verkraftbar sei, auseinanderzusetzen.
Das Ziel „so viel Umweltschutz wie möglich" wird demnach nur erreichbar sein, wenn die Wirtschaft mitspielt — das ist hier wiederholt auch gesagt worden —, wenn Umweltschutz — und das füge ich jetzt hinzu — für sie ebenso ein Anliegen wird wie die Senkung der Produktionskosten z. B. durch Energieeinsparung. Es gibt dafür, wie ich bisher erfahren habe, nur eines, was in unserem Wirtschaftssystem zählt: der Griff in den Geldbeutel.
Ich knüpfe an das an, was vorhin Herr Hauff hier von dem Vorstandsvorsitzenden der VEBA zitiert hat, als er davon gesprochen hat, daß in unserem Wirtschaftssystem seit 200 Jahren nur Kapital und Arbeit als Wirtschaftsfaktoren eine Rolle spielen und der kostenlose Faktor Natur halt auch in die wirtschaftlichen Kalkulationen entsprechend einbezogen worden ist, weil die Schäden ja von anderen zu bezahlen gewesen sind. Diese Erkenntnis, die von einem Industriemanager vorgetragen worden ist, teile ich. Jetzt müssen wir sie in praktische Politik umsetzen

(Beifall bei der SPD)

und nicht nur danach rufen, daß das marktwirtschaftliche System dies ganz von selber lösen wird. Mehr Marktwirtschaft im Umweltschutz heißt dann nichts anderes, als die Umwelt auch ökonomisch zu dem zu machen, was sie ökologisch schon längst ist, nämlich zu dem knappsten und teuersten Rohstoff. Das ist j a auch ein wirtschaftliches Moment neben den Folgeschäden für uns alle.
Das bedeutet, daß der Staat Preise für die Umweltverschmutzung festsetzen muß. Denn der Markt kann sie für die unteilbare Luft oder die fließenden Gewässer nicht bilden. Sie sind deshalb nicht anders erfaßbar. Das ist der entscheidende Punkt.
Ich stelle mir ohnehin die Frage, warum in einer Gesellschaft, in der nach Ihrem Willen vom Krankenhausaufenthalt bis zum fälschungssicheren Per-
sonalausweis für den Bürger alles seinen Preis hat, ausgerechnet die Benutzung unseres natürlichen Lebensraums als Müllabladeplatz für Produktionsabfälle kostenlos sein soll.

(Beifall bei der SPD)

Das ist die Frage, die sich um die Abgaben wie die Schwefelabgabe rankt.
Herr Ministerpräsident Späth, hier nützt es nicht, immer wieder das Argument vorzutragen, dem Wald sei es egal, ob für die Emission von Schwefeldioxid etwas gezahlt wird oder ob sie kostenlos ist. Das ist doch nicht das Problem. Es geht darum, diese Emission zum Kostenfaktor zu machen,

(Beifall bei der SPD)

damit das technisch Mögliche umgesetzt wird und nicht Geld in die Kasse kommt. Das ist der Punkt.
Gerade bei dem Beispiel der Schwefelabgabe muß man das Argument des Verwaltungsaufwands hinzufügen. In Hessen geben acht Feuerungsanlagen 75 % der gesamten S02-Emissionen ab. Diese Anlagen sind alle erfaßt. Sie müssen alle eine Emissionserklärung abgeben. Wir wissen ganz genau, wer wieviel abgibt. Sie sprechen von Verwaltungsaufwand, wenn es darum geht, die Tonnenzahl mit einer gewissen Zahl, die für die einzelne Tonne gilt, zu multiplizieren und einen Bescheid zugehen zu lassen. Hier darf ich Ihnen sagen: Der Verwaltungsaufwand ist nahezu null.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Genau das hat er erklärt! Er hat doch auf die regionalen Unterschiede hingewiesen!)

Da kann ich das Argument, daß wir mit mehr Verwaltungsaufwand in der ökologischen und umweltpolitischen Frage nicht weiterkämen, nicht gelten lassen.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, hier zeigt sich, daß Sie zwar ständig von mehr Markt im Umweltschutz reden, ihn aber offensichtlich nicht wollen.

(Beifall bei der SPD)

Was haben Sie denn an mehr Markt anzubieten und hier konkret zu sagen, wie das gelöst werden soll?

(Dr. Vogel [SPD]: Eine Stiftung! Die gehen stiften! — Weitere Zurufe von der SPD)

Ich warte auf die entsprechenden Antworten. Herr Späth hat nur von Ver- und Geboten gesprochen.

(Dr. Vogel [SPD]: Stiftung!)

— Dazu komme ich noch. Ich nenne: Verschärfung der TA Luft, Verschärfung der Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Hier wird nur von marktwirtschaftlichen Instrumentarien gesprochen, aber es wird keines konkret angeboten.

(Kolb [CDU/CSU]: Wissen Sie denn, was Marktwirtschaft ist?)

Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983 1463
Staatsminister Schneider (Hessen)

— Davon können Sie ausgehen, daß mir das in der Tat geläufig ist.

(Kolb [CDU/CSU]: Das scheint mir aber nicht so zu sein!)

Ich habe in dieser Frage — das habe ich vor einiger Zeit in diesem Hause schon einmal gesagt — zu den Wirkungsmöglichkeiten der Marktwirtschaft, in diesen Fällen angewandt, offensichtlich mehr Vertrauen als Sie, die Sie ständig davon reden.

(Beifall bei der SPD)

Ich darf noch einmal dies sagen: Den unsinnigen Vorschlag, mit Umweltverschmutzungsrechten Extraprofite machen zu lassen, hat in der Zwischenzeit auch das Haus des Bundesinnenministers als unpraktikabel abgelehnt. Herr Kollege Späth, Sie haben Herrn Baum offensichtlich falsch interpretiert. Ich habe ihn so verstanden, daß er allein schon wegen der völlig unterschiedlichen rechtlichen Systeme und der anderen mit der Bundesrepublik nicht vergleichbaren Möglichkeiten die Anwendung amerikanischer Vorschriften als nicht praktikabel bezeichnet hat und nicht das gesagt hat, was Sie unterstellen. Ich habe mich damit auseinandergesetzt, und ich halte es in der Tat auch in Übereinstimmung mit dem Bundesinnenminister und seinem Haus für ein nicht praktikables Mittel. Wenn wir aber Schadstoffabgaben nicht wollen — die sind wohl am Ende zu wirksam? — : Was bleibt denn dann eigentlich für Ihr Argument mehr Marktwirtschaft im Umweltschutz übrig? Darauf müssen Sie doch einmal eine Antwort geben und nicht nur allgemeine Aussagen machen! Sie müssen insbesondere sagen, wie sich das dann im einzelnen auswirkt.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie schon eine Schadstoffabgabe als marktwirtschaftliches Instrument zur Steuerung der Umweltverschmutzung ablehnen, dann sollte man doch Aktivitäten in Sachen Umwelt von Ihnen, meine Damen und Herren insbesondere von der Bundesregierung, wenigstens dort erwarten, wo Sie das Sagen haben, wo es also nicht nur darauf ankommt, auf den Gesetzgeber hinzuweisen. Ihre Beamten — das ist doch genauso wie bei uns in den Ländern — kontrollieren doch direkt oder indirekt ein Drittel der deutschen Kraftwerkskapazitäten. Warum sorgen Sie dort nicht für umgehende Rauchgasentschwefelung, anstatt für den ökonomisch unsinnigen Bau immer neuer Kernkraftwerke zu plädieren? Ich stimme ja auch wiederum seit wenigen Wochen mit dem Herrn Späth überein.

(Dr. Miltner [CDU/CSU]: Gilt das auch für Biblis, was Sie soeben gesagt haben?)

Als wir uns im Mai hier auseinandergesetzt haben, hat er hier noch den Bau von Kernkraftwerken als das zentrale Mittel zur Beseitigung der Waldschäden hingestellt. In der Zwischenzeit hält er selbst Whyl für überflüssig.

(Zuruf von den GRÜNEN: Davon sollten Sie lernen!)

Ich will in meinem Appell an die Bundesregierung nur noch folgendes sagen: Hessens größter S02-Emittent — mit über 50% der gesamten SO2Emissionen in Hessen — gehört zu 85 % der VEBA,

(Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!)

deren Hauptaktionär j a die Bundesrepublik Deutschland ist. Am künftigen Spitzenreiter in Sachen Luftverschmutzung, dem Kraftwerk Buschhaus, sind j a die zu 100 % bundeseigene VIAG und die VEBA zusammen sogar zu 99 % beteiligt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002202700
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Schorlemer?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1002202800
Im Augenblick nicht. — Ich darf das, was Ministerpräsident Späth gesagt hat, insofern für Hessen ergänzen. Wir appellieren an die Bundesregierung in den Bereichen, in denen sie unmittelbaren Einfluß hat, das zu tun, was sie von den Ländern fordert; wir tun das auch.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben an den vier Universitäten in Hessen vier landeseigene Kraftwerke. Die Emissionen dieser vier Kraftwerke machen noch nicht einmal 1 % der Schwefeldioxidemissionen aus. Trotzdem rüsten wir sie um.

(Dr. Hauff [SPD]: Und was macht Herr Lambsdorff?)

Wir haben allein in diesem Haushalt 15 Millionen DM dafür zur Verfügung gestellt, Herr Ministerpräsident Späth. Ich kann nur sagen: Ich schließe mich Ihrem Appell, der nicht nur an die Kollegen der anderen Länder, sondern vor allem an die Bundesregierung gerichtet ist, an, die, wie gesagt, unmittelbar über 50 % der S02-Emissionen in Hessen verfügt. Die Bundesregierung kann dort etwas tun.
Solange wir hier nicht für Abhilfe sorgen, kann ich den Beteuerungen, zugunsten unserer Wälder soviel wie möglich tun zu wollen, keinen Glauben schenken, wenn nicht am konkreten Einzelfall ein Beitrag dazu geleistet wird. Denn es ist — da stimme ich wieder mit Ihnen, Herr Bundesinnenminister, überein; der Herr Bundeskanzler hat das, glaube ich, auch so formuliert — fünf Minuten vor Zwölf für den Wald, aber Sie halten die Uhr nicht an; Sie lassen sie weiterlaufen. Das ist der konkrete Vorwurf.
Statt den Kraftwerksbetreibern, die j a große Luftverschmutzer sind und die mit dem Stromverkauf ja auch immer noch Gewinne einfahren, endlich wirksame Auflagen zu machen, soll nun der Bürger zur Kasse gebeten werden. Sie preisen hier die Stiftung „Wald in Not", Herr Bundesinnenminister. Ihr Staatssekretär hat es begrüßt — ich zitiere ihn —, ,,... daß dem Bürger alsbald Gelegenheit gegeben wird, einen aktiven und materiellen Beitrag zur Rettung der Wälder zu leisten". Sie wollen Geld bei den Bürgern kassieren, und keiner weiß, was anschließend damit geschehen soll. Vielleicht soll ein Beitrag für die Düngemittelindustrie geleistet werden, indem Kalk in den Wald gestreut werden soll, auch wiederum ohne Rücksicht darauf, was an-



Staatsminister Schneider (Hessen)

schließend mit dem Wasser und dem Gesamtbiotop Wald geschieht.

(Beifall bei der SPD — Dr. Laufs [CDU/ CSU]: Das ist doch Unsinn, was Sie hier sagen!)

Es wird doch versucht, mit Mitteln zu arbeiten, deren Wirksamkeit bisher in keiner Weise erwiesen ist.
Wenn der Herr Bundeslandwirtschaftsminister nachher Ausführungen machen wird, wie erfolgreich die Landwirte hier gearbeitet hätten, dann möchte ich ihm vorweg empfehlen, ein paar Ausführungen dazu zu machen, welche negativen Auswirkungen dieser landwirtschaftlichen Nutzung von uns allen ökologisch noch zu verkraften sind und welche wir noch nicht verkraftet haben. Dies sollten wir bedenken, bevor wir etwas Neues im Wald beginnen.
Ich frage Sie: Wann wollen Sie auch den Umweltverschmutzern endlich Gelegenheit geben, ihren längst fälligen Beitrag zu leisten, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der SPD — Dr. Hauff [SPD]: Zahlt Hoechst in die Stiftung? — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Wann bezahlt Hoechst?)

Mir drängen sich dazu nur zwei denkbare Antworten auf, die für die Bundesregierung beide wenig schmeichelhaft sind: Entweder sie will gar nicht, daß die Luftbelastung in diesem Jahrzehnt wirklich verringert wird

(Dr. Miltner [CDU/CSU]: Das ist doch primitiv, so etwas zu sagen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— lassen Sie mich das doch hinzufügen —, oder sie lehnt die Schadstoffabgabe nur deswegen ab, weil das SPD-regierte Hessen sie vorgeschlagen hat.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Aber auch da halte ich die Bundesregierung noch für lernfähig; denn in einem anderen Bereich ist sie es j a bereits gewesen.
Daß letzteres der wahre Grund für ihre Ablehnung ist, dafür spricht z. B. auch das für mich unglaubliche Verhalten der Bundesregierung in Sachen Kfz-Abgase.

(Dr. Hauff [SPD]: So ist es!)

Lassen Sie mich in Erinnerung rufen: Als Hessen im Bundesrat den Schadstoffausstoß aus Kraftfahrzeugen durch die steuerliche Begünstigung bleifreien Benzins und die drastische Senkung der Abgasgrenzwerte deutlich verringern wollte, hatten Sie aus meiner Sicht — in der Zwischenzeit ja auch wohl selbst erkannt — nur unverantwortliche Sprüche übrig. „Abgestellte Autos am Brenner" haben Sie als Horrorgemälde dem Hohen Hause hier vor Augen geführt, Herr Bundesinnenminister.

(Dr. Vogel [SPD] und Dr. Hauff [SPD]: Im Mai!)

Ich zitiere, Frau Präsident, mit Ihrer Erlaubnis die Aussage von Herrn Zimmermann zur Einschätzung des nationalen Alleingangs — wörtliches Zitat —:
Mein Gott, so was von Weltfremdheit, wie hier zum Ausdruck gekommen ist, habe ich selten gehört.

(Dr. Vogel [SPD]: Zimmermann im Mai!)

Das war im Mai dieses Jahres. Herr Staatssekretär Spranger hat den nationalen Alleingang im Bundesrat drüben als „grotesk und undurchführbar" gekennzeichnet.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Als Sie merkten, mit welcher Wucht die öffentliche Meinung den hessischen Vorstoß annahm, daß sogar zwei CDU-regierte Länder dem Antrag Hessens in der Bundesratsentscheidung zur Mehrheit verhalfen, machten Sie das bekannte Wendemanöver. Wir haben jetzt manchmal den Eindruck, als ob Sie das Ganze erfunden hätten.

(Zurufe von der SPD)

Wir haben es begrüßt, Herr Bundesinnenminister. Denn schließlich freut sich auch der Himmel mehr über einen reuigen Sünder als über 99 Gerechte.

(Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Da habt ihr viel zu tun!)

Doch was bisher herausgekommen ist — jetzt lassen Sie mich konkret werden —, war ein unausgegorener, zwei Sätze umfassender Kabinettsbeschluß, nicht mehr und nicht weniger.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das ist die Wahrheit! — Weitere Zurufe von der SPD)

Herr Bundesinnenminister, nach den Gesprächen, die ich in der letzten und in der vorletzten Woche noch einmal mit Vertretern der Automobilindustrie, mit den Betriebsräten der betroffenen Unternehmen und mit der Mineralölwirtschaft geführt habe, fordere ich Sie dringend auf, sofort solide Grenzwertvorschläge auf den Tisch zu legen,

(Beifall bei der SPD)

damit sich die Automobilindustrie auf die ab 1986 einzuhaltenden Grenzwerte endlich einrichten kann. Wenn das nicht sofort geschieht, ist dieser Termin nicht haltbar.

(Beifall bei der SPD)

Denn die wissen doch gar nicht, in welche Richtung sie ihre Entwicklung weiterbetreiben sollen. Ich werde den Verdacht nicht los, daß das mit dem 1. Januar 1986 am Ende vielleicht doch nicht so ganz ernst gemeint ist, weil es nach Übereinstimmung aller, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, dann gar nicht mehr leistbar ist.

(Dr. Hauff [SPD]: Zickzack mit Zimmermann!)

Die Industrie und die Mineralölwirtschaft können ihre Produktionsplanung nicht entsprechend umstellen, wenn sie nicht wissen, was diese Bundesregierung am Ende an Werten verlangt. Da stimmen wir überein, Herr Späth, aber die können das doch nicht ohne Vorgabe machen. Sind die Werte so, daß



Staatsminister Schneider (Hessen)

es mit oder ohne Katalysator geht? Sind sie so, daß man sie nur mit dem Katalysator einhalten kann? Das ist ja für die technischen Umstellungsprozesse in den Werken eine ganz eminent wichtige Frage. Wie sollen die das denn machen, um da hinzukommen, wenn sie nicht wissen, wohin die Reise geht?

(Beifall bei der SPD)

Es genügt nicht, einfach zu sagen, wir fordern das.
Ich darf hier noch einmal sagen, daß Hessen Grenzwertvorschläge gemacht hat.

(Dr. Hauff [SPD]: So ist es!)

Wir haben dem Bundesrat einen Entschließungsentwurf zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung und zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes vorgelegt.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Wann? — Dr. Hauff [SPD]: Rechtzeitig! — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Aber nicht, als Sie noch an der Regierung waren!)

— In diesem Jahr, im April.
Die Grenzwertvorschläge Hessens mit bis zu 90%iger Abgasentgiftung sind Anfang dieses Jahres öffentlich geworden. Jeder Tag, der ins Land zieht, macht die Beschlußlage der Bundesregierung unglaubwürdiger und bringt den Gegnern der Abgasentgiftung neuen Spielraum. Dessen müssen wir uns bewußt sein.
Es gibt mittlerweile auch einen Grenzwertvorschlag des Bundesumweltamtes, der in den Schubladen des Bundesinnenministers liegt. Er stimmt — Herr Bundesinnenminister, ich hoffe, Sie können mich da bestätigen — im wesentlichen mit den hessischen Vorschlägen überein. Er ist sogar hinsichtlich der Stickoxide noch weitergehend als der hessische Vorschlag.
Solange aber Grenzwerte zur Disposition stehen, wird kein verantwortliches Unternehmen konkrete Planungen einleiten. Das muß man deutlich sagen. Deshalb ist es eben einfach unglaubwürdig, daß wir, ohne das auf den Tisch zu legen, den Termin 1. Januar 1986 einhalten können.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben in Hessen auch versucht, weiter Schrittmacherdienste zu leisten, über die gesetzlichen Möglichkeiten hinaus. Wir haben in dieser Woche in Friedberg die ersten Tankstellen mit bleifreiem Benzin eröffnet und werden in der kommenden Woche in Darmstadt weitere eröffnen. Gemeinsam mit einem großen Mineralölkonzern werden weitere Tankstellen in Hessen folgen.

(Kolb [CDU/CSU]: Betreibt die das Land Hessen, oder werden die privat betrieben?)

Darauf kommt es an, weil es vor ein paar Monaten noch umstritten war, ob es überhaupt möglich ist, bleifreies Benzin anzubieten. Das ist ja auch hier bestritten worden. In der Zwischenzeit ist es so, daß alle großen Mineralölgesellschaften mir schriftlich anbieten, wo sie wann zu welchen Bedingungen sofort bleifreies Benzin anbieten können. Wir werden
deshalb auch die Landesfahrzeuge in Kürze mit bleifreiem Benzin betanken, um die Nachfrage — und darauf kommt es im Augenblick an — nach diesem umweltfreundlichen Kraftstoff anzustoßen.
Die Mineralölwirtschaft hat uns zu erkennen gegeben, daß bei genügend Nachfrage der Mehrpreis nicht mehr als 2 Pfennig ausmacht. Ich sage das auch, um diese Zahlen, die da immer im Raum stehen, einmal zu verdeutlichen. Sie, Herr Innenminister, wissen dies, wie ich meine, auch aus der Studie des Bundesumweltamtes seit Monaten. Die Bundesregierung aber hüllt sich in dieser Frage im konkreten in Schweigen, und von Taten ist keine Spur. Warum nimmt die Bundesregierung die Vorreiterrolle der öffentlichen Hand nicht wahr und stellt den riesigen Fahrzeugpark des Bundes auf bleifreies Benzin um?

(Beifall bei der SPD)

Wir haben in unseren Gesprächen mit den Automobilkonzernen erfahren, daß auch bei älteren Modellen bleifreies Benzin eingesetzt werden kann. VW z. B. hat mir noch einmal am Montag bestätigt, daß bei Typen der Jahrgänge ab 1977 bei VW keine Bedenken bestehen, mit den jetzigen Motoren bleifreies Benzin zu fahren. Doch statt den Horrorzahlen, die aus allen möglichen Bereichen über Mehrverbrauch und Mehrkosten kommen, verläßliche Zahlen beispielsweise aus der Studie des Bundesumweltamtes öffentlich entgegenzuhalten, stößt der Bundesverkehrsminister ins gleiche Horn wie die Automobilkonzerne: 10 bis 20 % Mehrverbrauch, verkündet Herr Dollinger.

(Dr. Hauff [SPD]: So ein Quatsch! — Weitere Zurufe von der SPD)

Nichts davon ist richtig, Herr Bundesverkehrsminister Dollinger. Wenn gleiche Autotypen mit gleicher Oktanzahl des Benzins verglichen werden, dann wird kein Gramm Benzin mehr verbraucht, sagen uns die Automobilhersteller selbst in internen Gesprächen. Und das sind auch die Erkenntnisse, die Ihnen vorliegen und nicht veröffentlicht werden. Es bedurfte schon einer ADAC-Untersuchung an deutschen Fahrzeugen in Amerika, um Zahlen auf den Tisch zu legen, die angeblich die deutsche Automobilindustrie selber uns nicht geben konnte. Ich frage mich in dem Zusammenhang, warum die Argumente, die für die kurzfristige Einführung abgasarmer Technologie und bleifreien Benzins sprechen, von der Bundesregierung nicht publiziert werden. Es drängt sich der Verdacht auf — ich wiederhole es —, daß mit dem Argument der überzogenen Mehrkosten, das in die Öffentlichkeit gestreut wird, der bundesdeutsche Autofahrer weichgeklopft werden soll, um dann 1986 ein Aufatmen erzeugen zu können, wenn der Zweisatzkabinettsbeschluß dann doch noch vertagt wird.
Ich möchte davor warnen, mit möglichen Tricks Ihre eigenen Ankündigungen zu umgehen. Damit eines klar ist: dem Wald kann nur geholfen werden, wenn die Abgasentgiftung ab 1986 auf alle Neufahrzeuge und nicht nur auf neue Typen Anwendung findet. Doch haben wir auch heute nichts Konkretes gehört, wie das bewerkstelligt werden soll. Hier
1466 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983
Staatsminister Schneider (Hessen)

werden Hintertürchen offengehalten. Unsere Forderung im hessischen Vorschlag nach bleifreiem Benzin ab 1985 und die Einführung schärferer Abgasgrenzwerte ab 1986 ist angesichts der Dramatik des Waldsterbens großzügig bemessen.
Lassen Sie mich hier noch ein weiteres Beispiel hinzufügen. Am letzten Montag, vor drei Tagen, hat mir VW vier verschiedene Typen von Katalysatorenfahrzeugen, die in Serie hergestellt werden, vorgestellt und mir angeboten, daß ich sie sofort kaufen könnte. Es handelt sich um den VW Jetta, der serienmäßig hergestellt wird und in der Amerika- und Japanversion in der Bundesrepublik lieferbar ist. Es handelt sich um den Audi 80, um den Audi 100. Selbst für Minister gibt es ein Angebot: Der neue Audi Turbo 200 kann mit Abgaskatalysator für bleifreies Benzin angeboten werden, und zwar sofort.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Das Angebot ist mir erst am Montag gemacht worden. Angesichts der Tatsache, daß sich auch Minister an Haushaltsvorgaben zu halten haben, können Sie davon ausgehen, daß wir die entsprechenden Fahrzeuge bei der nächsten Gelegenheit anschaffen werden, zumal wir die Möglichkeit haben, sie auch zu fahren, weil wir, wie ich gesagt habe, auch schon bleifreie Tankstellen eingerichtet haben und diese Fahrzeuge dann entsprechend betanken können. Hoffentlich hinkt der Gesetzgeber dieser Entwicklung, die in den letzten paar Wochen in der Tat rasant gewesen ist, nicht hinterher, so daß es dort einen Nachholbedarf gibt.
Ich habe, Herr Bundesinnenminister, auch kein Verständnis dafür, daß Sie erklären, Sie wollten prüfen, ob eine steuerliche Regelung zur Einführung bleifreien Benzins zweckdienlich und ausreichend ist. Lassen Sie mich hier deutlich sagen, daß Sie hier auch nichts zu prüfen haben. Sie haben nicht zu prüfen, sondern der Bundestag hat über den Antrag des Bundesrats zu entscheiden, in dem das in Form eines Gesetzentwurfs steht. Das ist die Sach- und Rechtslage.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen Ihnen vorhalten: Betätigen Sie sich bitte an der Prüfung, und lassen Sie sich in Ihrer Entscheidung von der Bundesregierung nicht vorprogrammieren!

(Beifall bei der SPD — Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Wir sind gestandene Abgeordnete!)

Wir müssen der Bundesregierung vorhalten, bei den Schadstoffen aus den Auspufftöpfen und den Kraftwerksschloten nur unzureichende und halbherzige Vorschriften verabschiedet zu haben oder auch zu planen.
Lassen Sie mich noch etwas zu einem anderen Thema sagen. Beim Schutz der Umwelt und des Menschen vor den tagtäglichen Gefahren durch Chemikalien sieht es nicht weniger schlimm aus. Mit dem Chemikaliengesetz ist eines der letzten großen Umweltgesetze der sozialliberalen Koalition
verabschiedet worden, und damit sollten die 45 000 verschiedenen Chemikalien, die hierzulande auf dem Markt sind, einer Kontrolle unterworfen werden. Dieses Gesetz ist am 1. Januar 1982 in Kraft getreten, und seitdem ist außer der Bereitstellung von Stellen und der Besetzung durch das zuständige Ministerium nichts passiert, um das Gesundheits- und Umweltrisiko der auf dem Markt befindlichen Chemikalien auch nur in einem einzigen Fall zu beschränken. Wie lange wollen Sie eigentlich noch warten und dieses Gesetz ignorieren, während Tag für Tag ungeprüfte toxische, krebsverdächtige, erbschädigende Chemikalien den Markt überschwemmen? Ist es nicht Anlaß genug, Herr Bundesinnenminister, beispielsweise die Chemikalie PCB endlich zu verbieten, wenn wir feststellen, daß 90 % der Muttermilchproben auf Grund des hohen PCB-Gehaltes nicht den Höchstmengenvorschriften für Trinkmilch entsprechen?

(Beifall bei der SPD)

Die Umweltministerkonferenz hat, wie Sie wissen, bereits im April 1982 auf meinen Antrag hin gefordert, PCB nach dem Chemikaliengesetz zu verbieten. Sie haben gewartet, bis der letzte deutsche Produzent in Leverkusen nun erklärt hat, gegen Ende des Jahres die Produktion einzustellen. Wie ich gestern der Presse entnommen habe, haben Sie die Absicht, eine Änderung der PCB-Richtlinie der EG vorzuschlagen, wonach die Herstellung und Verwendung in neuen Transformatoren und Kondensatoren verboten werden sollte. Dies reicht nicht, Herr Bundesinnenminister. 30 000 bis 40 000 t dieses Stoffes befinden sich gegenwärtig in Transformatoren und Kondensatoren im Umlauf in der Bundesrepublik Deutschland.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Wir haben darauf hingewiesen, daß im Brandfall aus den PCBs hochtoxische Verbindungen entstehen können;

(Dr. Hauff [SPD]: Dioxin!)

darunter befindet sich das berüchtigte Seveso-Gift TCDD. Das stellt ein unkalkulierbares Risiko dar.
Wir haben das vor zwei Wochen in Hessen in einem Werk der Bundesbahn in Frankfurt erlebt, wo durch einen Marder ein Kurzschluß ausgelöst worden ist und die Kühlflüssigkeit ausgelaufen ist. Wir hatten Gott sei Dank, wie alle Untersuchungen ergeben haben, nichts damit zu tun, daß es zur Bildung dieses hochgiftigen Stoffes gekommen ist. Wir werden hier jedoch nicht aus der Verantwortung entlassen. Deshalb kündige ich schon an, daß wir aus Hessen in Kürze zu einem Verwendungsverbot von PCB eine entsprechende Vorlage machen werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage: „zu einem Verwendungsverbot", nicht zu einem Einsatzverbot für neue Transformatoren.
Bei der Kontrolle hochtoxischer Chemikalien haben wir aber nicht nur Verantwortung für die Bundesrepublik, sondern, wie ich meine, auch für die Dritte Welt. Daß Sie auch hierbei Ihrer Verantwortung in der Bundesregierung nicht gerecht werden,



Staatsminister Schneider (Hessen)

zeigt mir der Entwurf des neuen Pflanzenschutzgesetzes, in dem der unerträgliche Zustand belassen bleibt, Pflanzenschutzmittel, die hierzulande verboten oder nicht zugelassen sind, für den Export freizugeben.
Im Jahre 1980 wurden 150 000 t Pflanzenbehandlungsmittel in der Bundesrepublik produziert; davon sind allein 144 000 t für den Export bestimmt gewesen. In den 70er Jahren hat sich die Bundesregierung dazu verpflichtet, bei dem Export, besonders in Entwicklungsländer, ausschließlich umweltverträgliche Güter und Technologien anzubieten. Sie hat die einschlägigen Umweltresolutionen der UNO unterstützt. Das große Geschäft mit Pestiziden spielt sich nämlich in den Entwicklungsländern ab, wo nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation jährlich 500 000 Menschen an Pestizidvergiftung erkranken und 5 000 bis 10 000 an deren Folgen sterben.

(Carstensen [CDU/CSU]: Wie viele würden sonst verhungern?)

— Herr Kollege, wenn Sie sich angeguckt hätten, wofür diese Mittel eingesetzt werden und was mit den Produkten geschieht, wenn sie wieder nach Europa importiert werden, dann würden Sie so etwas nicht sagen.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002202900
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ertl?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1002203000
Schönen Dank, ich möchte zu Ende kommen.
Der entscheidende Punkt ist, daß in diesen Ländern ein sachgerechter Umgang mit diesen gefährlichen Chemikalien nicht gewährleistet werden kann.

(Kolb [CDU/CSU]: Dann lassen Sie ihn doch fragen! — Zuruf des Abg. Ertl — Herr Ertl, eine Umfrage des Auswärtigen Amtes unter der Verantwortung Ihres Kollegen Bundesaußenminister Genscher hat folgendes ergeben: In 81 Ländern der Erde existiert keine Pflanzenschutzgesetzgebung, wenn Sie die hierzulande angewandten Kriterien auch nur annähernd berücksichtigen. Somit ist es nicht nur ein umweltpolitischer, sondern, wie ich meine, auch ein entwicklungspolitischer Skandal, daß hierzulande verbotene hochgiftige Stoffe — ich nenne als Beispiel Heptachlor, quecksilberhaltige Fungizide und HCB — dorthin verkauft werden, wo die Plantagenarbeiter weder die Anwendungsvorschriften lesen noch in der Lage sind, mit Hilfe des Dreisatzes die Spritzbrühe richtig anzusetzen. Das ist doch die Realität. Das ist im übrigen auch ein Stück Umweltinnenpolitik, wie es Herr Baum vorhin bezeichnet hat — ich wiederhole das noch einmal —, denn über die exportierten Produkte kommt der größte Teil dieser Chemikalien auf unseren Markt zurück. Die Belastung unserer Umwelt mit Schadstoffen hat eine kritische Grenze erreicht. Das Waldsterben, das so viele erst darauf aufmerksam gemacht hat, ist nur ein Symptom. Das müssen wir uns immer wieder vor Augen führen. Auch der Mensch rückt in die Gefahrenzone, denn das, was den Wald kaputtmacht, geht j a nicht spurlos durch den menschlichen Körper. Seien wir uns doch dessen bewußt, was Bleihaltigkeit im Blut von Kleinkindern bedeutet. Das ist z. B. durch die Abgasproblematik in den Großstädten nachgewiesen. Daß es einen Zusammenhang gibt, hat ebenfalls eine amerikanische Untersuchung ergeben. Sie gibt immerhin eine Chance und eine Hoffnung, daß innerhalb von drei Jahren nach Einführung von bleifreiem Benzin der Bleigehalt im Blut von Kleinkindern in den Großstädten um 35 % sinkt. Gibt uns das denn nicht die entsprechende Rückenstärkung, hier etwas zu tun und mit den Gegenargumenten fertigzuwerden und Signale zu setzen, um hier nicht nur Ausführungen zu machen, sondern in konkreten Bereichen, in denen es des Handelns und nicht mehr der Untersuchungen und Ankündigungen bedarf, endlich ein Stück weiterzukommen? Ich habe versucht, das an vier Beispielen hessischer Initiativen zu zeigen, die zu konkreten Lösungen führen können, mit denen diese Entwicklung aufgehalten werden kann. Ich glaube, für kleinliche Taktiererei ist kein Raum mehr. Wir haben konkrete Vorschläge gemacht. Sie müssen jetzt handeln. Und ich bitte Sie eindringlich, sofort zu handeln. (Anhaltender Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Kolb [CDU/CSU])


(Beifall bei der SPD)


(Beifall bei der SPD)


(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002203100
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1002203200
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Verlaufe der Debatte ist in lauten Tönen manches aufgeregt gesagt worden.

(Dr. Spöri [SPD]: Ihr Vorgänger hat wenigstens immer noch einen Witz gemacht!)

Der Herr Vorredner, der Herr Minister Schneider, hat hier eine Wahlkampfrede gehalten.

(Buh-Rufe von der SPD)

Die sollten Sie in Hessen vor der Bevölkerung halten, die Sie bisher 30 Jahre in der Verantwortung erlebt hat. Da können Sie auch die 13 Jahre Verantwortung der SPD im Bund gleich in Ihre Betrachtungsweise einbeziehen.

(Dr. Miltner [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Sie haben gemeint, Sie müßten auch noch von Düngung reden. Als landwirtschaftlicher Lehrmeister



Bundesminister Kiechle
kann ich Ihnen nur sagen: Ziemlich ohne Verstand!

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Ich füge Ihnen auch ganz unverblümt meinen Eindruck von den Themen hinzu, die Sie angeschnitten haben, nämlich den: Man redet am leichtesten über die Dinge, von denen man am wenigsten versteht.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/ CSU — Zuruf von der SPD)

Allerdings: Wenn Ihre Ratschläge die Politik der Bundesregierung in den letzten 13 Jahren beeinflußt haben, wundert mich manches gar nicht mehr.

(Zuruf des Abg. Dr. Hauff [SPD])

— Hören Sie ruhig zu!

(Roth [SPD]: Reden Sie einmal zur Sache und protestieren Sie nicht so dusselig!)

— Sie werden von mir eine ganze Menge zur Sache erfahren. Aber diese Art von Rede geht ganz am Problembewußtsein der meisten Leute, besonders unserer jungen Mitbürger, die auf Antworten warten, vorbei und zeichnet ein Horrorgemälde. Diese Rede, die sich hier in Beschuldigungen einer Bundesregierung ergeht, die gerade zehn Monate amtiert, dabei Verantwortung mittragen soll für eine, die in den letzten 13 Jahren j a all das hätte tun können, was Sie heute von uns verlangen, ist schon ein etwas starkes Stück.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/ CSU])

Ich möchte hinzufügen, meine Damen und Herren von der SPD: Sie werden's nie lernen, auch Sie, Herr Hauff, nicht.

(Zurufe von der SPD)

Sie kommen vom Steuer- und Abgaben- und Belastungsdenken gegen die Bürger einfach nicht herunter. Wenn Sie ein Problem lösen wollen, denken Sie nur darüber nach, wie Sie dem Mitbürger wieder Geld aus der Tasche ziehen können, und über nichts sonst.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU — Dr. Hauff [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Ich lasse keine Zusatzfrage zu; die können Sie sich sparen.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Hätten wir noch die 29 Milliarden, die wir jetzt jährlich für Zinsen für die Schulden ausgeben müssen, die Sie gemacht haben,

(Widerspruch bei der SPD)

dann könnten wir beim Bund wahrhaftig auch mit Geld eine ganze Menge mehr zum Vorantreiben des Umweltschutzes tun.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Waldsterben hat, wie zu erwarten war, in der bisherigen Debatte einen breiten Platz eingenommen. Der Herr Kollege Dr. Zimmermann hat ausführlich zu den umweltpolitischen Aspekten Stellung genommen und die Ziele und Maßnahmen der Bundesregierung zu diesem Problembereich dargelegt. Sicher ist es so, daß die Bedrohung des Waldes stärker ist, als bisher angenommen worden ist; sie ist sehr viel stärker. Es steht viel mehr auf dem Spiel als nur eine Summe von Bäumen. Es geht nämlich um das Naturgut Wald, um einen Teil unserer Lebensgrundlagen und um den Wirtschaftsfaktor Forst- und Holzwirtschaft.
Zu dieser Entwicklung ist es gekommen, weil wir nicht rechtzeitig erkannt haben und auch nicht rechtzeitig erkennen konnten, welche Gefahr die in die Luft verfrachteten Abfallprodukte unserer Industriegesellschaft für die Wald-Ökosysteme bedeuten. Nach heutigem Kenntnisstand wissen wir eigentlich auch nur, daß Schwefeldioxid und Stickoxide sowie deren Umwandlungsprodukte als Schadstoffe im Vordergrund stehen.
Es gibt auch andere Faktoren wie Frost, Trockenheit, schlechte Nährstoffversorgung auf einzelnen Standorten und waldbauliche Einflüsse auf die Schadensentwicklung. Allerdings: Als Hauptursachen scheiden diese Dinge aus.
Diese Bundesregierung hat von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen, daß es ihr ernst ist mit der Ursachenbekämpfung, mit der Emissionsbegrenzung an der Entstehungsquelle. Sie hat Zug um Zug entsprechende Maßnahmen eingeleitet und auf den Weg gebracht.
Wir müssen wieder Bedingungen erreichen, meine Damen und Herren, unter denen unsere Wälder ungefährdet und natürlich wachsen können. Angesichts des Umfangs der Waldschäden gibt es für mich auch keinen Zweifel, daß jede Möglichkeit genutzt werden muß, um unsere Wälder und damit den deutschen Wald zu retten. „Jede Möglichkeit" heißt: Wir sind nicht diejenigen, die irgendwelche neuen Vorschläge von Hause aus ablehnen, aber wir sind auch als Verantwortliche gezwungen, die Vorschläge auf ihre Durchführbarkeit und auch auf ihre Wirkung hin vorher soweit wie möglich zu prüfen.
Wir werden auch forstliche Maßnahmen einsetzen und anwenden, um den Schadensverlauf in den Wäldern zu verzögern, die Folgen der Schäden zu mildern und weiteren Schäden möglichst vorzubeugen. Ich nenne an erster Stelle die vielzitierte und vorher so spöttisch erwähnte Düngung. Sie ist mit Sicherheit — darüber könnten wir uns vielleicht noch einigen — kein Allheilmittel und sie ist auch kein Patentrezept.
Die Erfahrungen aus der Landwirtschaft lassen sich aus vielerlei Gründen nicht ohne weiteres auf die Forstwirtschaft übertragen. Das Ökosystem Wald ist in der Regel viel sensibler und naturnäher als landwirtschaftliche Ökosysteme. Es hat nämlich einen wesentlich geschlosseneren Nährstoffkreislauf als landwirtschaftlich genutzte Böden, der wegen seiner Empfindlichkeit und seines geschlosse-



Bundesminister Kiechle
nen Charakters nicht gefährdet und gestört werden darf.
Wir wissen aber auch, daß in bestimmten Fällen — ich sage dies ausdrücklich — durch standort- und pflanzengerechte Düngung die Widerstandskraft von Wäldern verbessert und dadurch der Krankheitsverlauf wenigstens abgebremst werden kann. Diese Möglichkeiten sollten wir auch nutzen.
Wir werden auf jeden Fall vermeiden, daß wir durch die Düngung neue Umweltprobleme schaffen. Ich meine hier besonders die einer unsachgemäßen Kalkung und die damit verbundene mögliche Nitratanreicherung des Wassers. Deswegen kommt es eben auch ganz entscheidend darauf an, eine eingehende Bodenanalyse durchzuführen, bevor gedüngt wird. Es nützt weder dem Wald noch der Diskussion, wenn man so tut, als ob hier wieder Geschäftemacherei im Spiel und sozusagen eine Art Verteufelungskampagne einzuleiten sei.
Als weitere forstliche Maßnahme kommt die waldbauliche Stabilisierung von lückig werdenden Beständen durch die frühzeitige Einbringung von geeigneten Baumarten in Betracht. So kann die Schutzwirkung des noch stehenden Waldes für die Jungpflanzen ausgenutzt oder das Bestandsgefüge des Altbestands verbessert werden. Praktisch bedeutet das die Einbringung einer zweiten Baumschicht in ältere Waldbestände. Wo ganze Bestände oder Bestandsteile durch Waldschäden ausfallen — damit müssen wir leider rechnen —, muß eben umgehend wieder aufgeforstet werden.
Wir befinden uns bei den Waldschäden noch überwiegend — ich sage ausdrücklich: noch — im Bereich der geringen bis mittleren Schäden, so daß die Wiederaufforstung geschädigter Waldflächen im Augenblick noch keine große Rolle spielt. Wir müssen aber darauf vorbereitet sein.
Geschädigte Waldbestände — das ist ein weiterer Aspekt — bieten den Schadinsekten und Pilzen viele Angriffspunkte. Hier haben Forstschutzmaßnahmen anzusetzen, um die Verluste in den Waldschadensgebieten nicht noch größer werden zu lassen und ein Übergreifen auf gesunde Bestände zu verhindern. Wir dürfen aber die Forstwirtschaft mit all den genannten Problemen nicht alleine lassen.
Nachdem sich abzeichnet, daß die Schäden weiter erheblich zugenommen haben, prüft mein Haus auf Expertenebene mit den Ländern, welche Möglichkeiten zur Hilfestellung für den Privat- und Körperschaftswald aufgezeigt werden können. Ich hoffe, Herr Minister Schneider, Sie sagen mir nicht auch, wir hätten hier nichts zu prüfen. Wir prüfen, wenn wir das für richtig halten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein weiteres Problem liegt darin, daß geschädigte Bäume rechtzeitig geerntet werden müssen, um den Wert des Holzes zu erhalten. Deshalb ist auch in der nächsten Zeit mit zunehmendem Holzanfall aus Schadensgebieten zu rechnen. Auch hier sind Maßnahmen vorzusehen, um den Holzmarkt stabil zu halten. Holz ist ein wichtiger und in der Zukunft voraussichtlich knapper Rohstoff, den wir nicht verschleudern dürfen.
Wenn wir den eingeschlagenen Weg, wie er heute in der Regierungserklärung mit dem Aktionsprogramm „Rettet den Wald" noch einmal aufgezeigt wurde, konsequent weitergehen, dann sehe ich eine gute Chance, auch diesmal die Probleme zu meistern. Ich darf daran erinnern, daß wir es mit vereinten Kräften bisher geschafft haben, den deutschen Wald zu erhalten, selbst damals als der Krieg und seine Auswirkungen große Lücken in ihn gerissen hatten. So galt es in den Nachkriegsjahren, rund 700 000 ha kahlgeschlagene Wälder wieder aufzuforsten, was sicher keine leichte Aufgabe war und im übrigen zehn Jahre gedauert hat. Wenn auch die Probleme von damals nicht mit den heutigen vergleichbar sind, so bin ich dennoch zuversichtlich, daß wir auch das Problem des Waldsterbens bewältigen werden.
Bei der gegenwärtigen Schadensentwicklung besteht die Gefahr — das muß man realistischerweise sagen; hier hat ja alles Drumherumreden und nervöses Gerufe nach Sofortmaßnahmen keinen Sinn —, daß eine Reihe von Waldbeständen ihr normales Alter nicht erreicht und nach und nach vorzeitig eingeschlagen werden muß. Das bringt der Forstwirtschaft und auch unserer Volkswirtschaft erhebliche Verluste. Wir werden aber durch die Verbesserung der Luftreinhaltung und durch besondere Anstrengungen auf forstlichem Gebiet alle Flächen dem Wald erhalten. Wo Wald ist, wird auch Wald bleiben.
Der Anteil der jungen Waldbestände wird sich dann zwar zu Lasten der älteren vergrößern. Aber aus Waldsterben wird durch Waldverjüngung die Walderhaltung. Das, meine ich, ist ein Konzept, das es auch zuläßt, im Blick auf morgen daran zu glauben, daß diejenigen in diesem Lande, die Verantwortung tragen, wissen, worüber sie reden und in welcher Form sie über ein so wichtiges Thema zu reden haben.
Ich habe viel Verständnis für unsere verängstigten Mitbürger. Manche Rede, die heute gehalten worden ist, hat j a nicht gerade dazu beigetragen, ihr Gefühlsfeld sachlich zu beeinflussen. Im Gegenteil. Aber ich möchte auch hinzufügen: Jammern und blinder Aktionismus retten und ändern gar nichts.
Wissenschaft, Förster und Waldbauern bitte ich um Hilfe und Einsatz, damit in den nächsten Jahrzehnten deutscher Wald dort bleibt, wo er heute ist, wenn auch zum Teil in jüngeren Beständen.
Wir sollten aber über den Wald und seine Schäden nicht die Probleme aus dem Auge verlieren, die ebenso von Bedeutung sind, nur derzeit vielleicht noch weniger auffällig sind. Für mich sind die neuartigen Waldschäden geradezu ein Paradebeispiel für eine durch den Menschen verursachte sehr weit zurückliegende ökologische Zeitbombe; aber ebenso ein Paradebeispiel dafür, daß wir es uns nicht leisten können, Probleme einfach durch Scheinlösungen zu verlagern.

(Dr. Hauff [SPD]: Blabla!)




Bundesminister Kiechle
Als es darum ging — da sind Sie ja, wenn ich mich recht erinnere, noch angesprochen, vielleicht nicht persönlich, aber Ihre Partei —, den Himmel in den Industriegebieten wieder blau zu bekommen — was inzwischen ja auch weitgehend gelungen ist —, haben wir den Grundstein für das Waldsterben gelegt. Durch die damaligen Maßnahmen wurden die Emissionen ja nicht unschädlich gemacht, sie wurden vielmehr nur feiner verteilt und weiter wegtransportiert.

(Zustimmung des Abg. Schily [GRÜNE])

Ich mache dafür niemanden verantwortlich. Aber so etwas ist keine Problemlösung, sondern eine vorübergehende, bequeme Problemverlagerung. Wir müssen die Umweltprobleme — das muß eine gemeinsame Erkenntnis sein — an der Wurzel packen und dürfen sie nicht kaschieren durch eine Maßnahme, die nur eine andere auflöst, ohne das Problem zu lösen.

(Dr. Hauff [SPD]: Also sind Sie gegen Maßnahmen?)

Die Waldschäden zeigen uns, daß die Belastungsfähigkeit unserer Umwelt mit Schadstoffen offenbar überschätzt worden ist. Und zusätzliche Indizien über Gefährdungen auch in anderen Bereichen zeigen uns, daß die Maßnahmen der Bundesregierung zur Verminderung der Schadstoffbelastung nicht nur aus Gründen der Walderhaltung erforderlich sind. Wir wissen, daß es im Wirkungsgefüge des Naturhaushalts noch wesentlich empfindlichere Glieder gegenüber Schadstoffbelastungen als Waldbäume gibt. Ich nenne einmal als Beispiel Flechten und Moose, die sogar als Bioindikatoren zur Feststellung von Luftschadstoffen verwendet werden.

(Schily [GRÜNE]: Was haben Sie denn früher mit dem Kunstdünger gemacht?)

— Es gibt gar keinen Kunstdünger, sondern nur Handelsdünger. —

(Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei den GRÜNEN — Schily [GRÜNE]: So einfach ist das!)

Diese Erkenntnis stützt die Befürchtung, daß vielfältige Anstrengungen zum Schutz von Lebensstätten wildlebender Pflanzen- und Tierarten notwendig sind.

(Zuruf des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜNE])

Luftschadstoffe machen nicht an Schutzgebietsgrenzen halt. — Ich kann nichts dafür, wenn Sie das nicht wissen; das kann ich Ihnen auch nicht näher erläutern. —

(Zurufe von den GRÜNEN)

Diese Schadstoffe dringen in die geschützten Lebensräume ein, schädigen die empfindlichsten Glieder der Lebensgemeinschaften und können so zu einer nachhaltigen Schädigung oder gar Zerstörung wertvoller Biotope führen. Auch daran ist zu denken, wenn man heute nach Biotopen ruft. Auch sie bedürfen des Schutzes.
Auch in der Landwirtschaft stellen wir fest, daß Schadstoffe aus Industrie, Siedlung und Verkehr mehr Belastungen verursachen, als bisher angenommen wurde. Das gilt vor allem für Schwermetalle, schwer abbaubare Stoffe, die sich in Böden anreichern, Pflanzen schädigen und in die Nahrungskette gelangen können und den Landwirten ihre so wichtige Zielsetzung, langfristig qualitativ hochwertige Nahrungsmittel zu produzieren, erschweren.
Aus diesen Gründen ist bei der Novellierung der Technischen Anleitung zu Reinhaltung der Luft eine Einzelfallprüfung vorgesehen worden. Belastungen von Pflanzen und Tieren durch Schadstoffemissionen neuer Industrieanlagen werden dadurch begrenzt. Wenn diese Belastungen Gefahren, erhebliche Nachteile oder Belästigungen für die Allgemeinheit bedeuten, dann soll der Anlage die Genehmigung versagt werden können. Wir brauchen zur Durchführung allerdings noch klare Kriterien. Trotz aller großen wissenschaftlichen Schwierigkeiten, derartige Kriterien zu ermitteln, bemühen wir uns nach Kräften darum, hier weiterzukommen. Rechtssicherheit und Durchsetzungsfähigkeit des ökologischen Immissionsschutzes, d. h. des Schutzes des Naturhaushaltes, würden hierdurch wesentlich gewinnen. Aber die klaren Kriterien sind relativ schwierig zu ermitteln.
Auch der Schutz des Bodens ist ein Schwerpunkt auf dem Gebiet der allgemeinen Umweltpolitik, des Naturschutzes und der Landwirtschaftspolitik; denn er nimmt im Naturhaushalt eine zentrale Stelle ein. Er ist Lebensgrundlage für die Tier- und Pflanzenwelt und wichtigstes Produktionsmittel für die Land- und Forstwirtschaft. Er filtert und speichert unsere Wasservorräte und ist Standort für die verschiedensten menschlichen Aktivitäten. Substanz- und Flächenverluste ebenso wie qualitative Schädigung und Vergiftungen können nicht absehbare Folgen für all diese soeben genannten Funktionen haben.
Gerade aus der Aufgabenstellung meines Ministeriums heraus messe ich dem von Herrn Kollegen Zimmermann genannten Bodenschutzkonzept der Bundesregierung eine besondere Bedeutung zu. Im Rahmen der betroffenen Arbeitsteilung werde ich mich besonders aus der Sicht des Naturschutzes und der Landwirtschaft um die Fragen der Bodengesundheit, Bodenfruchtbarkeit, des Schutzes vor Immissionen und der Substanz- und Flächenerhaltung kümmern. Wir brauchen allerdings möglichst konkrete Bodenschutzziele. Sie müssen definiert werden, damit man daran dann die tatsächlichen — nicht nur die behaupteten — Zustände und Gefährdungen messen und schließlich dort zu Schutzmaßnahmen gelangen kann, wo sie erforderlich sind.
Ebenso wichtig ist der Arten- und Biotopschutz. Ich möchte dazu noch ein Wort sagen. Er steht gewissermaßen im Mittelpunkt des gesamten Umweltschutzes, soweit er nicht die Abwehr unmittelbarer Gefährdungen des menschlichen Lebens oder der Gesundheit zum Inhalt hat.
Ethische Gesichtspunkte, aber auch die Verpflichtung, die natürlichen Lebensgrundlagen für nachfolgende Generationen zu erhalten, legen uns hier eine ganz besondere Verantwortung auf. Es ist



Bundesminister Kiechle
nämlich nicht nur die Artenverarmung, sondern auch der mögliche Verlust von Genreserven für die Züchtung land- und forstwirtschaftlicher Nutzpflanzen, die in diesem Zusammenhang erwähnt werden müssen. Ich versichere Ihnen: Wir nehmen diese Frage nicht nur sehr ernst. Ich werde in meiner Eigenschaft als Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vielmehr auch das Problembewußtsein innerhalb der Landwirtschaft zu diesen Fragen zu schärfen versuchen. Es ist allerdings eine globalere Betrachtungsweise notwendig, als sie vielfach anklingt, wenn wir uns zu diesem Thema des Artenschutzes äußern.
Ziel ist es, die natürliche Vielfalt der Arten und die Lebensgemeinschaften von Arten zu erhalten. Das geht aber natürlich nicht im Blick auf jedes Stückchen Land und auf jede Gemarkung, denn dies würde sonst die völlige Festschreibung vergangener Zustände und Verhältnisse bedeuten. Dies wäre eine Utopie — und nicht einmal eine schöne. Auf das Gesamtgebiet der Bundesrepublik Deutschland und Europas bezogen, sehe ich es aber schon als ein realistisches Ziel an, die vorhandenen Arten in lebens- und entwicklungsfähigen Beständen zu erhalten.
Wir arbeiten in meinem Haus daher bereits an einem umfassenden Biotopschutzprogramm aus Bundessicht. Ausgangspunkt ist die Tatsache, daß gefährdete Pflanzen- und Tierarten nur dann wirksam geschützt werden können, wenn die Lebensräume dieser Arten erhalten werden. „National" betriebener Artenschutz allein gibt allerdings keinen rechten Sinn. Deshalb müssen nationale und internationale Gesichtspunkte gleichgewichtig bewertet werden. „National" heißt dabei für den Bund vor allem „gesamtstaatlich". Es ist besonders wichtig, daß wir aus dieser Sicht den Schutz für die einheimische Pflanzen- und Tierwelt verbessern.
Es muß insgesamt ein guter Schutz erreicht und sichergestellt werden. Dabei kommt es aber nicht nur darauf an, sozusagen ein repräsentatives Reservatsystem zu schaffen, so notwendig das auch ist. Es kommt mehr noch darauf an, die heimische Pflanzen- und Tierwelt in ihrer Vielfalt zu erhalten und die Populationen der Arten, die gefährdet sind, sogar wieder zu vergrößern. Darauf wird unsere besondere Aufmerksamkeit gerichtet sein. Unsere besondere Aufmerksamkeit gilt damit auch den kleinräumigen naturnahen Landschaftselementen, und zwar deshalb, weil sie bei dieser Aufgabe die beste Hilfe bieten.
Im direkten Artenschutz hat der Bund eine besondere Verantwortung im Bereich des internationalen Handels mit Tier- und Pflanzenarten. Das Kontroll- und Schutzinstrument ist das inzwischen allgemein bekannte Washingtoner Artenschutzübereinkommen. Wenn auch die gemeinsame EG-Anwendung ab 1. Januar 1984 gewisse Schwierigkeiten mit sich bringen dürfte, so werden wir es doch weiter konsequent anwenden. Wir haben für unseren Vollzug weltweit Anerkennung gefunden. Diesen hohen Standard wollen wir halten und verbessern.
Wenn es ab und zu zu Kritik innerhalb Deutschlands kam, so wende ich mich hiermit an die Kritiker und sage: Nicht pauschale Anschuldigungen, sondern nur konkrete Hinweise auf etwaige Vollzugsmängel helfen. Wir werden dann jedem konkreten Hinweis nachgehen.
Die Zeit verbietet es mir, den ganzen weiten Bereich des Naturschutzes und der Landschaftspflege abzuhandeln. Daher möchte ich nur noch zwei Hinweise geben, obwohl noch eine Fülle von Aufgaben und Absichten angesprochen werden könnte.
Ich hoffe, daß es gelingt, die rechtlichen Grundlagen des Arten- und Biotopschutzes national und international weiter zu verbessern. Ich versichere Ihnen, daß ich alles daransetzen werde, die ökologisehe Komponente des Umweltschutzes weiter zu stärken, ohne allerdings die ökonomische zu vernachlässigen. Dies geht nur — und weil es hier einige Male angesprochen worden ist, möchte ich es noch einmal wiederholen — mit der Marktwirtschaft; denn wenn es anders wäre,

(Stahl [Kempen] [SPD]: Wo haben Sie denn in der Landwirtschaft Marktwirtschaft, Herr Kiechle?)

— ach, hören Sie doch zu — müßten die Staaten, die ihre Wirtschaft planwirtschaftlich steuern, von einem Punkt aus, mit aller Machtfülle ausgestattet,

(Stahl [Kempen] [SPD]: Was machen wir in der EG in der Landwirtschaft?)

die besten Umweltschutzvorbilder sein, die es gibt. Und die dreckigsten Länder sind es, Entschuldigung.
Als der auch für die Landwirtschaft zuständige Bundesminister habe ich mich auch mit den Auswirkungen der landwirtschaftlichen Produktion auf die Umwelt auseinanderzusetzen. Es ist unbestritten, daß sich aus der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln, Düngemitteln und anderen Hilfsstoffen in der Land- und Forstwirtschaft keine Gefahren für die gesundheitliche Unbedenklichkeit der Agrarerzeugnisse und für den Naturhaushalt ergeben dürfen. Auf allen Stufen, bei der wissenschaftlichen Erforschung und Prüfung dieser Mittel, bei ihrer Zulassung und Anwendung, bei der Beratung der Landwirte, sind deshalb alle entsprechenden Schutzvorkehrungen zu treffen. Wir wollen in diesem Punkt so sicher wir irgend möglich sein. Die vorgelegte Novelle zum Pflanzenschutzgesetz, die derzeit auch im Bundesrat behandelt wird, trägt diesen modernen Erkenntnissen bereits Rechnung.
Darüber hinaus ist es aber auch unser Ziel, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln so weit einzuschränken, wie es von der Sache her möglich ist. Die stärkere Verbreitung und Anwendung der Methoden des integrierten Pflanzenschutzes könnte und wird hier einen wesentlichen Beitrag leisten.
Eine angemessene Düngung allerdings, meine Damen und Herren, ist unabdingbar, um dem Boden die durch die Ernte entzogenen Nährstoffe wie-



Bundesminister Kiechle
der zuzuführen und damit die Bodenfruchtbarkeit nachhaltig zu sichern.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Aber nicht Überdüngung!)

Und dies ist kein künstlicher Vorgang, sondern ein ganz berechtigter und notwendiger. Probleme kann eine zu hohe, in der Regel dann auch noch unsachgemäße Stickstoffdüngung für den Gewässerschutz hervorrufen. Wer wollte das bestreiten?

(Zurufe von den GRÜNEN: Aha! — Dr. Hauff [SPD]: Trinkwasser!)

Hier muß vorsorglich nach Wegen gesucht werden, die einerseits eine einwandfreie und ausreichende Trinkwasserversorgung sicherstellen und andererseits eine sinnvolle landwirtschaftliche Bodennutzung zulassen.

(Dr. Hauff [SPD]: Trinkwasser hat Vorrang! Nicht „einerseits — andererseits"!)

Eine zu hohe Intensität dieser Nutzung ist allerdings nicht erwünscht.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Wird aber gefördert!)

Bei solchen Zielen kann man aber nicht denen folgen, die unentwegt nach dem billigsten Nahrungsmittel rufen, wenn wir hier in diesem Lande schon über Auflagen und Bedingungen teurer produzieren müssen.
Wenn wir uns darauf verständigen können, können wir auch vieles sachlicher diskutieren.

(Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE])

Konflikte werden sich aber nicht immer vermeiden lassen. Und wenn dies so ist, Herr Schily, hat der Schutz der Gesundheit eindeutig Vorrang.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Dies ist auch das Bestreben unserer Landwirte. Gar keine Frage.

(Dr. Hauff [SPD]: Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube!)

Gleiche Rücksicht müssen aber die privaten Haushalte und die Industrie bei der ständig zunehmenden Nutzung der Grundwasservorräte nehmen und die Abhängigkeit der Land- und Forstwirtschaft vom Wasserhaushalt in den ländlichen Gebieten beachten.
Hinsichtlich der Schadstoffbelastungen deutscher Lebensmittel geben die veröffentlichten Untersuchungsergebnisse keinerlei Anlaß — ich möchte dies ausdrücklich sagen — zu akuter Besorgnis.

(Ertl [FDP]: Jetzt geht der Minister Schneider! Der weiß das doch nicht!)

Sie entziehen allen polemischen Behauptungen über vergiftete landwirtschaftliche Erzeugnisse den Boden. Der von unabhängigen Sachverständigen erstellte Ernährungsbericht bestätigt dies zusätzlich.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dies sind Problemkreise, die noch vor einer Generation völlig unbekannt waren. Mancher Rückstandsschadstoff konnte vor zehn, fünfzehn Jahren, weil es das Elektronenmikroskop, mit dem man Mengen im Nanogrammbereich feststellen kann, noch nicht gab, auch nicht gefunden werden. Wenn wir mit Hilfe der Technik auf diesem Gebiet klüger werden, sollten wir alles tun, um diese Hilfe zu nutzen. Aber wir sollten den, der die Auflagen zu erfüllen hat, auch nicht überbeanspruchen.
Inzwischen haben sich nämlich auch in der Landwirtschaft durch den wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt die Rahmenbedingungen von Grund auf geändert. Trotz Bedenken gegenüber bestimmten Entwicklungen der modernen Landwirtschaft und manchmal vielleicht berechtigter Kritik an der Agrarpolitik

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

ist eine Rückkehr zu landwirtschaftlichen Produktionsverfahren der industriellen Frühzeit völlig ausgeschlossen. Die modernen Produktionsverfahren haben nicht nur den Wohlstand der Menschen in unserem Land vergrößert, sondern auch eine gesicherte Ernährungsbasis zu angemessenen Preisen geschaffen

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Mit Futtermitteln aus der Dritten Welt!)

und — das sollten wir nicht vergessen — die körperliche Arbeitslast vermindert. Irgendwo habe ich gelesen, daß die hessiche Sozialdemokratie vorschlägt, die Bauern sollten im Wald wieder mit Pferden statt mit Traktoren die Bäume rücken und die Arbeit von Hand machen.

(Dr. Hauff [SPD]: Wo steht denn das?)

— Ich habe es gelesen.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Wo?)

— Ich schicke es Ihnen zu.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Da warten wir, daß Sie uns das einmal zuschicken! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Ja, ja, ich schicke es Ihnen zu. Sie wissen nicht, was Ihre Kreisverbände alles schreiben. Daran wird es liegen.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Aber Sie auch nicht! — Dr. Hauff [SPD]: Hauptsache Sie wissen, was der Herr Strauß macht!)

Insgesamt gesehen sind deshalb die biologischen
— — Beruhigen Sie sich wieder; ich rede auch so schön ruhig und schreie nicht so wie mein Herr Vorredner.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002203300
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Oostergetelo?

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1002203400
Als ein langjähriger Kollege im Agrarausschuß, bitte.




Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1002203500
Herr Bundesminister, wenn ich es richtig in Erinnerung habe — vor mir liegt das Protokoll der Agrardebatte des vorigen Jahres —, dann haben Sie damals noch von sogenannten Umweltschützern, von Verteufelung in vielen Fragen — auch im Bereich der Pflanzenschutzmittel — gesprochen. Jetzt hört sich das ganz anders an.

(Schily [GRÜNE]: Dann hat er dazugelernt!)

Ich darf Sie fragen, was Sie konkret unternehmen wollen. Zum Beispiel beim Wald haben Sie, glaube ich, zwölf Mal ,,wir" gesagt. Ich will das nicht abwerten, nur: Was wollen wir beim Wald machen? Gibt es Bundeswald? Ist es nicht erforderlich, sich mit allen Bundesländern zusammenzusetzen, um hier voranzukommen, und würde es der Landwirtschaft nicht gut zu Gesicht stehen, wenn sie hier wirklich den Vorreiter spielen würde?

(Zustimmung bei der SPD)


Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1002203600
Lieber Herr Kollege Oostergetelo, auf Ihre lange Frage muß ich drei kurze Antworten geben. ,Wir" heißt: die Bundesregierung. Die Landwirtschaft hat ein großes Interesse daran — sie ist ja auch Waldbesitzer —, in vielen Dingen mit gutem Beispiel voranzugehen. Wollen Sie bezweifeln, daß es ,,sogenannte Umweltschützer" gibt, die Umweltschutz sozusagen als Fahne vor sich her tragen, dafür aber dauernd von der Basisdemokratie und den Raketen reden?

(Beifall bei der CDU/CSU — Stahl [Kempen] [SPD]: Das ist doch eine Gesinnungsänderung in ein paar Monaten! — Schily [GRÜNE]: Ich dachte, Sie hätten die Lernfähigkeit! Das war aber nicht! Sie sollten einmal zugeben, daß Sie etwas dazugelernt haben! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Meinem Verständnis nach dient eine bäuerliche Landwirtschaft auch heute am besten der Erhaltung einer intakten Umwelt. Eine dem Umwelt- und Naturschutz verantwortliche Agrarpolitik kann letztlich nicht nur auf rechtlichen Regelungen beruhen. — Wissen Sie, wenn Ihre Redner zu Umweltschutzthernen ans Mikrophon dieses Hauses treten, sollten sie dazu und nicht zu anderen Themen reden. Dann brauchen wir uns nicht zu streiten.

(Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE])

Sie muß auch von den Betroffenen mit Überzeugung mitgetragen werden und — so möchte ich hinzufügen — getragen werden können. Man darf auch die bei den Ansprüchen nicht überlasten.
Es erscheint mir deshalb wichtig, daß wir solche wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen in der Landwirtschaft und in den ländlichen Räumen fördern, die der Verantwortung für eine gesunde Umwelt und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen in besonderem Maße gerecht werden. Dazu gehört in erster Linie die Erhaltung einer Agrar- und
Sozialstruktur, die in ihrem Kern weiterhin von bäuerlichen Familienbetrieben geprägt bleibt.

(Beifall bei der CDU/CSU und den GRÜNEN)

Es ist eine vordringliche Aufgabe, auch in von der Natur benachteiligten Gebieten bäuerliche Betriebe zu erhalten, die hier besonders Aufgaben des Naturschutzes und der Landschaftserhaltung mit übernehmen.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Bergbauernprogramm!)

Es hat schon fast wehgetan, Herr Minister Schneider, der Sie ja auch für die Landwirtschaft Verantwortung tragen

(Zurufe von der SPD: Er ist nicht mehr da! — Er ist gerade weggegangen!)

— ich sage es ihm trotzdem; man kann es ihm ja berichten —, in welch abfälliger Form Sie ganz pauschal hier über die Landwirtschaft geredet haben.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Die Bundesregierung wird unbeirrt darauf hinarbeiten, daß in Zukunft zwischen Schutz und Nutzung der Natur erst gar kein Widerspruch entsteht. Ihre Politik wird darauf gerichtet sein, Ökonomie und Ökologie aufeinander abzustimmen, die Natur sinnvoll und schonend zum Wohl der Menschen zu nutzen, sie aber nicht der hemmunglosen Ausbeutung zu überlassen, sondern sie mit allen Kräften zu bewahren. Daß dies schwer ist, bezweifelt keiner. Daß dies oft eine Gratwanderung ist, weiß jeder Kundige. Daß man manchmal, ja, sogar öfter als manchmal mit dem Möglichen zufrieden sein muß und vielleicht nicht das Absolute und Optimale erreichen kann, sollte allen, die zu diesem Thema verantwortlich reden, bewußt bleiben.
Ich hoffe, daß ich, ohne meine Stimme allzusehr erhoben zu haben, mit meinen Ausführungen — vielleicht abgesehen von den Bemerkungen zu der polemischen Rede des Herrn Schneider — dazu ein Stück beigetragen habe.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002203700
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.

(Unterbrechung von 13.16 bis 14.00 Uhr)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002203800
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir kehren zum Tagesordnungspunkt 1 zurück: Fragestunde
Es liegt eine dringliche Frage des Abgeordneten Dr. Schmude zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen vor:
Ist die Bundesregierung angesichts des nach der Absage seines Besuches durch den Hohen UN-Flüchtlingskommissar Poul Hartling drohenden Schadens für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland bereit, ihre Bereitschaft zum Gespräch mit Hartling auch für den Bundeskanzler und den Bundesminister des Innern unverzüglich eindeutig und ohne Vorbehalte zu erklären?



Vizepräsident Westphal
Zur Beantwortung der Frage des Abgeordneten Dr. Schmude ist Herr Staatsminister Möllemann erschienen. Bitte, Herr Staatsminister.

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1002203900
Herr Kollege, hinsichtlich des in dieser Woche vorgesehenen Besuchs des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen haben sich Terminschwierigkeiten ergeben. Wegen des Terminkalenders der parlamentarischen Arbeit erklärten sich sowohl der Bundesminister des Innern als auch der Unterausschuß für Humanitäre Hilfe des Bundestages für außerstande, ihre mit Herrn Hartling vorgesehenen Gespräche zu führen. Für die Gesprächsabsage des Bundesminister des Innern war auch seine Beurteilung der auf Grund des Toscani-Berichts gegebenen Lage maßgebend.
Der Bundesminister des Auswärtigen hat seinerseits Herrn Hartling am 7. September erneut mitgeteilt, daß sein Besuch in der Bundeshauptstadt willkommen sei und daß er, also Minister Genscher, ihm zur Verfügung stehe.
In Erwiderung auf die Mitteilung des Bundesministers des Auswärtigen hat der Hohe Flüchtlingskommissar folgendes Telegramm übermittelt — ich zitiere es —:
Ich bedaure tief, daß die Umstände es nicht erlaubt haben, meinen Besuch in Bonn diese Woche wie geplant durchzuführen.

(Duve [SPD]: Hört! Hört!)

Ich hätte mich sehr gefreut, Sie wiederzusehen und einen Meinungsaustausch über eine breite Skala von Themen gemeinsamen Interesses zu führen. Ich hoffe, der Besuch kann zu einem für alle Seiten passenden Datum so bald wie möglich durchgeführt werden.
Ich messe der Zusammenarbeit mit Ihnen und den Behörden der Bundesrepublik Deutschland, die meine Organisation bei der Erfüllung ihrer humanitären Aufgaben so aktiv unterstützen, die höchste Bedeutung zu.
Ich freue mich auf ein baldiges und fruchtbares Zusammentreffen.
Mit besten persönlichen Grüßen Poul Hartling
Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen
Der Bundesminister des Auswärtigen hat gestern morgen in Abstimmung mit dem Bundeskanzler Herrn Hartling telefonisch nochmals den Wunsch der Bundesregierung erklärt, den Besuch bald nachzuholen. Das entspricht der Bedeutung der zu behandelnden Fragen und unserer hohen Wertschätzung für das Amt des Hohen Flüchtlingskommissars und für die Person des Amtsinhabers.
Der Bundesminister des Auswärtigen und der Hohe Flüchtlingskommissar haben vereinbart, die öffentliche Diskussion um und über diesen Besuch nicht fortzusetzen. Ich beschränke mich deshalb auf diese Feststellung.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002204000
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Schmude.

Dr. Jürgen Schmude (SPD):
Rede ID: ID1002204100
Indem ich meiner Überraschung darüber Ausdruck gebe, Herr Staatsminister, daß Sie meine Frage nach der Gesprächsbereitschaft des Bundesinnenministers, die ich an die Bundesregierung gerichtet habe, mit keinem Wort einer Antwort würdigen, wiederhole ich sie und frage ausdrücklich: Hat der Bundesaußenminister dem Hohen Flüchtlingskommissar die Gesprächsbereitschaft des Bundesministers des Innern ohne Vorbedingungen und Vorbehalte übermitteln können?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, ich wiederhole des besseren Verständnisses wegen die entsprechende Passage aus meiner Antwort:
Der Bundesminister des Auswärtigen hat gestern morgen in Abstimmung mit dem Bundeskanzler Herrn Hartling telefonisch nochmals den Wunsch der Bundesregierung erklärt, den Besuch bald nachzuholen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002204200
Herr Dr. Schmude zu einer weiteren Zusatzfrage.

Dr. Jürgen Schmude (SPD):
Rede ID: ID1002204300
Angesichts der gestern offenkundig gewordenen unterschiedlichen Haltungen des Bundesministeriums des Innern und des Auswärtigen Amtes in den Verlautbarungen ihrer Pressesprecher frage ich Sie, ob es richtig ist, daß innerhalb der Bundesregierung eine unterschiedliche Beurteilung dieses Besuches und der Bedeutung des Hohen Flüchtlingskommissars besteht, und ob der Eindruck richtig ist, daß die von Ihnen hier dargestellte Wertschätzung des Außenministers für den Flüchtlingskommissar von dem Bundesinnenminister offensichtlich nicht geteilt wird.
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, es ist zwar vielleicht etwas unüblich, aber auch hier wiederhole ich die entsprechende Passage meiner Antwort des besseren Verständnisses wegen.

(Duve [SPD]: Sie sind doch kein Automat! — Dr. Klejdzinski [SPD]: Sie wollen nichts sagen! — Weitere Zurufe von der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002204400
Das Wort hat im Augenblick Herr Staatsminister Mölemann.
Möllemann, Staatsminister: Ich hatte hier vor, die Antwort der Bundesregierung zu geben und nicht Ihre.
Der Bundesminister des Auswärtigen und der Hohe Flüchtlingskommissar Hartling haben vereinbart, die öffentliche Diskussion um und über diesen Besuch nicht fortzusetzen.
Ich beschränke mich deshalb auf diese Feststellung.

(Zuruf von der SPD: Hier ist das Parlament! — Weitere Zurufe von der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002204500
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch.




Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1002204600
Herr Staatsminister, können wir nach dieser im Namen der Bundesregierung abgegebenen, für die Bundesregierung insgesamt befriedigenden Antwort davon ausgehen, daß auch der Bundesminister des Innern bei dem zu erwartenden Besuch des Flüchtlingskommissars über die Praxis des Asylverfahrens in der Bundesrepublik
— ungeachtet des ihn verärgernden Berichtes — ohne Vorbehalt mit dem Flüchtlingskommissar Gespräche führen wird?
Möllemann, Staatsminister: Zunächst bestätige ich ausdrücklich, daß die Antwort, die ich hier gegeben habe, im Namen der Bundesregierung gegeben worden ist. Ich habe in einer früheren Fragestunde, die eine meiner ersten war, mich darauf hinweisen lassen, daß man ohnehin nur das hier tun kann: für die Bundesregierung sprechen.
Im übrigen habe ich der Antwort, die ich gegeben habe, auch im Blick auf diesen Punkt nichts hinzuzufügen.

(Lachen bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002204700
Die nächste Zusatzfrage, Herr Dr. de With.

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1002204800
Herr Staatsminister, darf ich Ihrer erstaunenswerten und beharrlichen Weigerung, auch nur andeutungsweise auf die präzise Frage von Herrn Kollegen Schmude einzugehen, entnehmen, daß nach wie vor sich ebenso beharrlich der Herr Bundesminister des Innern weigert, den Hohen Kommissar zu einem Gespräch ohne Vorbedingungen zu empfangen?
Möllemann, Staatsminister: Nein, Sie dürfen, meine ich, in eine Antwort nicht hineininterpretieren, was jedenfalls in der Antwort nicht gestanden hat. Ich denke, daß die Aussage, die ich zum dritten-mal zitiere, daß der Bundesminister des Auswärtigen Herrn Hartling telefonisch nochmals den Wunsch der Bundesregierung erklärt hat, den Besuch bald nachzuholen, Ihre Frage beantwortet.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002204900
Die nächste Zusatzfrage hat der Abgeordnete Harald Schäfer.

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1002205000
Herr Staatsminister
— um nochmals nachzufragen —, bedeutet Ihre Antwort, daß die gestern vom Bundesminister des Innern vor dem Innenausschuß des Deutschen Bundestages vertretene Auffassung, der für Asylfragen zuständige Innenminister würde den Hohen Flüchtlingskommissar nur bei Erfüllung von genannten Voraussetzungen zu einem Gespräch empfangen, auch für den Bundesminister des Innern hinfällig geworden ist?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, eine Vereinbarung, die der Bundesminister des Auswärtigen mit dem Hohen Flüchtlingskommissar trifft
— betreffend das Unterlassen jeder weiteren Erörterung der Einzelheiten —, ist für den Bundesministers des Auswärtigen auch aus dem Respekt vor dem Hohen Flüchtlingskommissar bindend. Das gilt auch für mich.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002205100
Die nächste Zusatzfrage kommt vom Abgeordneten Brück.

Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID1002205200
Herr Staatsminister, auch wenn der Bundesminister des Auswärtigen und der Hohe Flüchtlingskommissar vereinbart haben, diese Frage nicht mehr in der Öffentlichkeit zu erörtern, wären Sie, Herr Staatsminister, bereit, dem Deutschen Bundestag mitzuteilen, ob die Bundesregierung das Verhalten des Bundesministers des Innern für richtig hält?
Möllemann, Staatsminister: Der Respekt vor dem Bundesaußenminister und nicht nur mein Respekt vor dem Hohen Flüchtlingskommissar gebietet mir, mich an die getroffene Vereinbarung zu halten.

(Brück [SPD]: Und das Parlament, Herr Staatsminister?)

— Ich glaube nicht, daß das Parlament in seinen Rechten dadurch beeinträchtigt wird.

(Zurufe von der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002205300
Die nächste Zusatzfrage kommt vom Abgeordneten Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1002205400
Hier ist aus innenpolitischen Erwägungen außenpolitisches Porzellan zerschlagen worden. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um künftig sicherzustellen, daß die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers dahin gehend auch wirklich wirkt, daß solche weltweit wahrgenommenen Brüskierungen, um nicht zu sagen Schienbeintritte, aufhören?
Möllemann, Staatsminister: Verehrter Herr Kollege, wenn ich soeben sagte, daß es mir der Respekt vor dem Hohen Flüchtlingskommissar auferlegt, daß ich mich an die getroffene Vereinbarung halte, hat das auch etwas mit Ihrer Frage zu tun.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Sie sind doch nicht dem, sondern uns gegenüber verantwortlich!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002205500
Die nächste Zusatzfrage kommt von Frau Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1002205600
Herr Staatsminister, als Ihr Vorgänger im Amt und bei der Beantwortung von Fragen möchte ich davon ausgehen, daß über das hinausgehend, was Sie gesagt haben, für die Bundesregierung zur Zeit die Vergangenheit bewältigt wurde. Meine Frage richtet sich nun wirklich, wie auch die von Herrn Kollegen Duve, in die Zukunft. Es geht meiner Ansicht nach nicht nur darum, wie man den Schaden einigermaßen begrenzen kann, sondern es geht darum, wie man in Zukunft ganz allgemein vermeiden kann, daß das Ansehen der Bundesregierung durch solche Brüskierungen unter Umständen auch bei anderen Besuchen bei anderen Ressortleitern Schaden nehmen könnte. Meine Frage ist: Inwieweit wird sich die Bundesregierung bei der rechtzeitigen Regelung solcher Fragen in Zukunft stärker auf die Zuständigkeit des Bundesaußenministers verlassen und diesem die Vorhand einräumen?



Möllemann, Staatsminister: Aus der Tatsache, Frau Kollegin, daß, wie vorgetragen, der Bundesminister des Auswärtigen in Abstimmung mit dem Bundeskanzler gestern morgen nochmals mit Herrn Hartling persönlich gesprochen

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Ich meinte das generell!)

und ihm den Wunsch übermittelt hat, ihn hier bald zu empfangen, entnehmen Sie, daß offenkundig nach Meinung des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers die Zuständigkeit dort angesiedelt ist.

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Auch in Zukunft, Herr Staatsminister?)

— Ja, auch in Zukunft.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002205700
Die nächste Zusatzfrage kommt vom Abgeordneten Bindig.

Rudolf Bindig (SPD):
Rede ID: ID1002205800
Wie erklärt sich die Bundesregierung, daß die öffentliche Berichterstattung in der Bundesrepublik das Verhalten des Bundesinnenministers als eine Art Strafaktion oder einen Racheakt für den beim Hohen Flüchtlingskommissariat angefertigten Bericht über die deutschen Asylantensammelunterkünfte aufgefaßt hat, und hält es die Bundesregierung für einen angemessenen Umgangsstil, gegenüber den Repräsentanten einer UN-Organisation mit Boykottmaßnahmen, Straf- oder Racheaktionen zu operieren, statt sich sachlich mit einer Kritik auseinanderzusetzen und sie, falls dies möglich ist, zu widerlegen?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung und der Hohe Flüchtlingskommissar haben vereinbart, eine öffentliche Erörterung — was wir hier erörtern, ist öffentlich —(Lachen und Zurufe von der SPD)

über diese Fragen nicht fortzusetzen, sondern über diese Fragen zu sprechen, wenn der Besuch des Hohen Flüchtlingskommissars, der von beiden Seiten für die nächste Zeit in Aussicht genommen worden ist, hier stattfindet.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002205900
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Timm.

Dr. Helga Timm (SPD):
Rede ID: ID1002206000
Herr Staatsminister, ich glaube, wir alle sind uns einig, daß der Schaden, der mit diesem peinlichen Absagen angerichtet wurde, in der Öffentlichkeit auch dadurch entstanden ist, daß Minister derselben Regierung unterschiedliche Dinge sagen. Herr Bundesaußenminister sagt — Sie bestätigen das —, er habe dem Hohen Flüchtlingskommissar zugesagt, und er möge doch kommen. Sagen Sie jetzt bitte mir und auch dem Hohen Haus, dem Parlament, wer denn nun für die Bundesregierung im Verhalten und im Verhältnis zu den Repräsentanten der Vereinten Nationen eigentlich zuständig ist, und wer dann, wenn es Streit unter Bundesministern derselben Regierung gibt, nach innen und außen die Politik der Bundesregierung verbindlich vertritt!
Möllemann, Staatsminister: Frau Kollegin, Sie haben vollkommen recht, wenn Sie sagen, daß es unsere internationalen Wirkungsmöglichkeiten beeinträchtigen kann, wenn Vereinbarungen, die eine Bundesregierung getroffen hat, von dieser plötzlich nicht mehr gehalten werden sollten. Ich habe heute in der Presse gelesen, daß am Dienstag über diese Frage in einer der Fraktionen dieses Hauses in einem anderen Zusammenhang eine intensive Diskussion geführt worden ist. Diese Bundesregierung hat hier ihre klare Antwort gegeben. Sie wird ein Gespräch mit Herrn Hartling führen. Das hat die Bundesregierung festgelegt.

(Frau Dr. Timm [SPD]: Das ist doch nicht meine Frage, Entschuldigung! Sie haben meine Frage überhaupt nicht beantwortet! — Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Er hat keine Frage beantwortet! — Frau Dr. Timm [SPD]: Wie die Regierung mit dem Parlament umgeht! Unerhört!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002206100
Die nächste Zusatzfrage kommt vom Abgeordneten Lambinus.

Uwe Lambinus (SPD):
Rede ID: ID1002206200
Herr Staatsminister, halten Sie es für möglich, daß die Vereinbarung des Bundesaußenministers mit einer zweiten Person die verfassungsmäßigen Rechte dieses Hohen Hauses außer Kraft setzt, nämlich Fragen an die Regierung zu stellen und auf diese auch Antworten zu erhalten?

(Beifall bei der SPD — Zustimmung der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP])

Möllemann, Staatsminister: Nein. Das halte ich für ganz und gar unmöglich.

(Lambinus [SPD]: Sie verfahren aber doch so!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002206300
Die nächste Zusatzfrage kommt von dem Abgeordneten Dr. Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1002206400
Herr Staatsminister, wenn Sie sich schon darauf berufen, daß Sie etwas festgemacht haben, woran wir uns zu halten haben, darf ich Sie trotzdem fragen: Können Sie mir bitte erklären, wieso es jetzt in diesem Fall üblich ist, daß die Bundesregierung eine Erklärung dafür abgibt, warum man jemanden nicht empfangen konnte oder wollte, während die Frage an sich in die Richtung zielt, warum der Minister des Innern diese Frage nicht beantwortet hat?
Möllemann, Staatsminister: Ja. Wegen der von Frau Dr. Hamm-Brücher mit Recht angesprochenen Zuständigkeit habe ich die Frage hier beantwortet.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002206500
Die nächste Zusatzfrage kommt von dem Abgeordneten Wartenberg (Berlin).

Gerd Wartenberg (SPD):
Rede ID: ID1002206600
Wie beurteilt es denn die Bundesregierung, daß der Innenminister zusätzlich zur Brüskierung des Hohen Kommissars als Strafaktion verfügt hat, daß Teilnehmer des Innenministeriums am Integrationsseminar der Hohen Behörde in Genf zurückgezogen worden sind? Ak-



Wartenberg (Berlin)

zeptieren Sie diese zusätzliche Strafaktion eigentlich unter dem, was Sie hier vorher gesagt haben?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, in Ihrer Frage kommen mehrere Bewertungen zum Ausdruck, die ich nicht teile. Der Sachverhalt, von dem Sie hier sprechen, ist mir nicht bekannt.

(Lachen bei der SPD — Zurufe von der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002206700
Meine Damen und Herren, ich kann ja Ihre Unzufriedenheit und Unruhe verstehen. Aber die Bundesregierung hat sogar das Recht, hier zu sagen, sie will überhaupt nicht antworten.
Der nächste Zusatzfrager ist der Abgeordnete Paterna.

Peter Paterna (SPD):
Rede ID: ID1002206800
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß es keine Methode gibt, den Dissens zwischen dem Bundesinnenminister und dem Bundesaußenminister deutlicher zu machen, als durch die Art, wie Sie hier unsere Fragen nicht beantworten?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Und ist in der Verabredung nach Absprache mit dem Herrn Bundeskanzler und dem Hohen Flüchtlingskommissar nun auch gewährleistet, daß die freie deutsche Presse über diesen Vorgang nicht mehr berichtet und damit auch „weiterer Schaden vermieden wird"?

(Heiterkeit bei der SPD)

Möllemann, Staatsminister: Also, Herr Kollege, diese Bundesregierung hat jedenfalls keine Bemühungen unternommen, in irgendeinem Fall die Berichterstattung der Presse zu beeinträchtigen, und wird das auch künftig nicht tun.

(Zuruf des Abg. Lambinus [SPD])

Darüber hinaus hat die Bundesregierung mit Blick auf die hier in Rede stehende Frage das vorgetragen, was im Augenblick mitteilungsfähig ist. Und ich komme auf den Kern zurück: Es gibt eine Vereinbarung der Bundesregierung und nicht eines einzelnen Ministers mit dem Hohen Flüchtlingskommissar, daß der Besuch alsbald zustande kommt. Ich habe nicht ohne Bedacht von der hohen Wertschätzung gesprochen, die im Telegramm des Hohen Flüchtlingskommissars für die Arbeit und die unterstützende Tätigkeit der Bundesregierung gegenüber seiner Behörde ebenso zum Ausdruck gekommen ist wie in der Erklärung, die der Bundesaußenminister in Abstimmung mit dem Kanzler für den Hohen Flüchtlingskommissar abgegeben hat. Ich wiederhole: Diese Erklärung gilt für die Bundesregierung.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002206900
Die nächste Zusatzfrage kommt von dem Abgeordneten Dr. Penner.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1002207000
Herr Staatsminister, Sie haben in dieser Fragestunde verschiedentlich namens der Bundesregierung — nicht in eigenem Namen — Ihren Respekt und Ihre Wertschätzung für die Arbeit des Hohen Flüchtlingskommissars und speziell des Amtsinhabers zum Ausdruck gebracht. Teilen Sie meine Auffassung, daß diese Ihre verschiedentlich vorgenommene Betonung der Wertschätzung und des Respekts darauf schließen läßt, daß die Bundesregierung es in dieser Fragestunde für dringend geboten hielt, dies besonders zu betonen?
Möllemann, Staatsminister: Die Bundesregierung hat es für dringend geboten gehalten, die Frage des Abgeordneten Schmude in angemessener Weise zu beantworten. Das, was ich gesagt habe, war diesem Bemühen gerecht geworden, denke ich.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002207100
Die letzte Zusatzfrage, von dem Abgeordneten Becker (Nienberge).

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1002207200
Herr Staatsminister, nach all dem, was Sie ausgeführt haben, noch mal zum Kern der Frage. Können Sie für die Bundesregierung erklären, daß der Hohe Kommissar ohne jeden Vorbehalt ein Gespräch mit dem Innenminister dieses Landes führen kann?
Möllemann, Staatsminister: Ich kann hier für die Bundesregierung, Herr Kollege Becker, das erklären, was ich vorgetragen habe, nämlich daß die Bundesregierung Herrn Hartling mitgeteilt hat, daß wir seinen baldigen Besuch — und er wird der Gesprächsführung über alle Fragen dienen, die von beiden Seiten aus von Interesse sind — gern sehen würden.
Ich kann darüber hinaus sagen, daß Herr Hart-ling und Herr Genscher vereinbart haben, weitere öffentliche Erörterungen nicht anzustellen. Im Charakter der Beratungen dieses Hauses liegt es, daß sie öffentlich sind. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

(Bindig [SPD]: Und der Innenminister weigert sich weiter? — Weitere Abgeordnete der SPD melden sich zu Zusatzfragen)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002207300
Meine Damen und Herren, ich bitte um Verständnis. Wir haben 14 Zusatzfragen gehabt. Die Menge der Fragen steht — —

(Zurufe von der SPD: Die Fragen sind überhaupt nicht beantwortet! — 14 Fragen, aber keine Antworten!)

— Genau dies bewegt mich dazu, Sie zu bitten, Verständnis für meine Haltung zu haben. Ich kann nicht erkennen, daß weitere Fragen mehr als das herausbringen, was wir gehört haben.

(Lachen bei der SPD — Zustimmung bei der FDP)

Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Rawe zur Verfügung.
Frage 62 des Abgeordneten Dr. Enders soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.



Vizepräsident Westphal
Ich rufe Frage 63 des Abgeordneten Paterna auf:
Mit welcher Kostenunterdeckung rechnet die Bundesregierung für die Deutsche Bundespost im Kabelprojekt Ludwigshafen in den nächsten fünf Jahren, und von welcher Entwicklung der Anschlußdichten geht die Bundesregierung bei dieser Rechnung aus?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Wilhelm Rawe (CDU):
Rede ID: ID1002207400
Herr Präsident, wenn Sie gestatten und wenn der Herr Kollege Paterna einverstanden ist, würde ich die nächste Frage wegen des Sachzusammenhangs gern mit beantworten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002207500
Herr Paterna ist einverstanden. Dann rufe ich zusätzlich Frage 64 des Abgeordneten Paterna auf:
Welche unternehmensbezogenen Fragestellungen hält die Bundesregierung im Rahmen des Pilotprojekts Ludwigshafen für klärungsbedürftig durch die Deutsche Bundespost, und auf welche haushaltsrechtlichen Bestimmungen gründet die Bundesregierung die Auffassung, der Bundespostminister sei ermächtigt, in so erheblichen finanziellen Größenordnungen von den im Juni 1983 durch den Postverwaltungsrat beschlossenen Kabelanschlußgebühren abzuweichen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Durchführung der Kabelfernsehpilotprojekte erfolgt entsprechend dem Beschluß der Ministerpräsidenten der Länder vom 11. Mai 1978 und bezieht sich auf Akzeptanzuntersuchungen im Programmund Organisationsbereich des Rundfunks. Die Beteiligung des Bundes im Rahmen dieser Vorhaben ist durch die verfassungsrechtlich gegebene Kompetenz der Deutschen Bundespost bei der Netzträgerschaft geregelt und ist auf die „dienende Funktion" im technischen Bereich beschränkt. Dabei schafft die Deutsche Bundespost die technischen Voraussetzungen für die Realisierung der von den Projektträgern bzw. den betreffenden Ländern vorgesehenen Dienste, ohne die programmbezogenen Akzeptanzuntersuchungen durch technische Erprobungen zu beeinträchtigen.
Um den Versuchscharakter der Pilotprojekte Rechnung zu tragen, müssen in Ludwigshafen — wie an den drei anderen Standorten — auch die technischen Gebühren der Aufgabenstellung angepaßt sein. § 49 a Abs. 3 der Fernmeldeordnung räumt ausdrücklich die Möglichkeit ein, außerhalb dieser Ordnung Sonderregelungen zu treffen. Es heißt dort: „Breitbandanschlüsse werden nach dieser Verordnung überlassen, soweit keine anderweitige Regelung getroffen ist."
Unabhängig davon entspricht es einer seit Jahren gehandhabten Übung, die das Einvernehmen aller Beteiligten findet, daß im Bereich von Versuchsprojekten weder die Benutzungsbedingungen noch die Gebühren während der Versuchszeit durch Rechtsverordnungen festgelegt werden.
Zur Frage der vorgesehenen Pilotprojekt-Anschlußgebühren darf ich darauf hinweisen, daß diese nicht in erheblichen Größenordnungen von den Gebühren der Fernmeldeordnung abweichen. Die monatlichen Grundgebühren sind identisch, und die einmalige Anschlußgebühr ist gleich der Subskriptionsgebühr, die auch beim normalen Breitbandanschluß lange Zeit in Anspruch genommen werden kann; lediglich die pilotprojektspezifisehe Subskriptionsgebühr stellt eine räumlich begrenzte und zeitlich befristete Vergünstigung dar.
Diese Vergünstigung hat das Ziel, im Hinblick auf die vorgesehene kurze Laufzeit der Projekte von nur drei Jahren die schnelle Anschlußbereitschaft zu fördern, eine möglichst hohe Teilnehmerdichte innerhalb kurzer Zeit sicherzustellen und damit eine eventuelle Kostenunterdeckung im technischen Bereich in Grenzen zu halten.
Was Kalkulationen über die Kostendeckung für einen Fünfjahreszeitraum anlangt, ist davon auszugehen, daß nach Abschluß der Versuchsphase die im Netzbereich erbrachten technischen Aufwendungen in jedem Falle für die drahtgebundene Versorgung der angeschlossenen Bürger mit Fernseh- und Tonrundfunkprogrammen weiterverwendet werden und dann unter den gleichen Rentabilitätsbedingungen wie Breitbandverteilnetze allgemein zu sehen sind.
Bezüglich der zu erwartenden Anschlußdichten ist festzustellen, daß bis 1985 Anschlußmöglichkeiten für ca. 150 000 Wohneinheiten bereitgestellt werden, so daß die durch das Landesgesetz von Rheinland-Pfalz geforderte Mindestbeteiligung von 30 000 Haushalten realisierbar ist.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002207600
Herr Paterna zu einer Zusatzf rage.

Peter Paterna (SPD):
Rede ID: ID1002207700
Herr Staatssekretär, können Sie einmal eine Rechnung aufmachen, wie angesichts von Investitionskosten von über 100 Millionen DM für diese 150 000 potentiell anzuschließenden Haushalte und einer einmaligen Anschlußgebühr von 125 DM im Hause des Postministeriums angenommen werden kann, jemals zu einer Kostendeckung zu kommen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, ich habe auch meine Zweifel, ob wir diese Rechnung beide zu diesem Zeitpunkt so sicher aufmachen können. Aber Sie wissen, wir gehen bei unseren allgemeinen Verkabelungserwartungen davon aus, daß wir in dem ersten Jahr eine Dichte von 25 % erreichen, im dritten Jahr von 40 % und schließlich, gesteigert, im achten Jahr eine von 75 %. Im achten Jahr werden wir dann etwa — jedenfalls nach unseren Kalkulationen — den break even point erreichen können.
Wenn Sie das jetzt einmal auf Ludwigshafen übertragen, dann, meine ich, kann die Rechnung stimmen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002207800
Herr Paterna, eine weitere Zusatzfrage.

Peter Paterna (SPD):
Rede ID: ID1002207900
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hause näher erläutern, was es mit dem Einsatz der für Ludwigshafen beschafften Konverter auf sich hat — ob die damit verbundene Sternverkabelung in den Häusern zu zusätzlichen vergleichbaren Kosten für die Anschlußwilligen führt — und was die Konverter die Post eigentlich bei der Beschaffung kosten?



Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, Sie sind auf dem Gebiet sachkundig und fragen deswegen j a auch so gezielt. Sie wissen natürlich, daß diese Konverter einen erheblichen Preis kosten. Sie werden etwa 2 500 DM pro Teilnehmer ausmachen. Aber das liegt einfach daran, daß sie jetzt für dieses Projekt kurzfristig hergestellt werden müssen. Da wir als Deutsche Bundespost die netztechnischen Voraussetzungen für die Durchführung dieses Ludwigshafener Pilotprojekts zu schaffen haben, meine ich, ist das gerechtfertigt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002208000
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Paterna.

Peter Paterna (SPD):
Rede ID: ID1002208100
Herr Staatssekretär, ich hoffe, ich habe mich eben beim Rechnen auf die Schnelle nicht verrechnet. Aber wenn es zwischen dem Beschaffungspreis der Bundespost von zirka 2 500 DM und dem, was man vom Anschlußwilligen kassiert, nämlich 200 DM, eine Differenz gibt von 2 300 DM und man diese Summe mit 10 000 multipliziert — das wären 23 Millionen DM —, frage ich Sie: Können Sie erläutern, auf Grund welcher haushaltsrechtlichen Voraussetzungen Sie glauben, daß das Ministerium ohne Rückkoppelung mit dem Verwaltungsrat oder mit sonst irgendwie zuständigen Gremien solche Entscheidungen treffen kann?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich sagte vorhin, daß die Deutsche Bundespost grundsätzlich die netztechnischen Voraussetzungen zu schaffen hat. Aber ich habe ja auch schon in der Beantwortung Ihrer ersten Frage deutlich gemacht, daß dort die Akzeptanz von Programmen und Diensten, nicht jedoch die Funktion von Techniken getestet werden sollen.

(Dr. Steger [SPD]: Akzeptanz zum Nulltarif!)

— Eine Sekunde. Sie können j a gerne noch eine Frage stellen, aber ich bitte Sie, lassen Sie mich doch wenigstens die Frage des Kollegen Paterna beantworten. Ich denke, wir haben noch genügend Zeit zur Verfügung.
Jedoch wird die Deutsche Bundespost im Rahmen der Pilotprojekte ihre Möglichkeiten nutzen, um neue Kabelfernsehtechniken und technische Innovationen zu initiieren sowie der deutschen Industrie neue Märkte zu erschließen. So wird sie auch erstmalig im Raum Ludwigshafen das neue fernsteuer- und adressierbare Teilkonvertersystem einsetzen — nach dem Sie ja fragen —, um z. B. Pay TV und anderes zu ermöglichen.
In diesem Zusammenhang ist es, wie bei allen neuen Entwicklungen, natürlich nicht möglich, auf den Postkunden auch die von der Post zu bezahlenden Entwicklungskosten abzuwälzen. Vielmehr hat die Bundespost versuchsgerecht die Teilnehmergebühren so strukturiert, wie sie voraussichtlich anzusetzen wären, wenn diese neuen Geräte bundesweit eingesetzt werden könnten und an Stelle der notwendigen teuren Handfertigung eine wesentlich kostengünstigere Bandproduktion möglich wäre.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002208200
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Parterna.

Peter Paterna (SPD):
Rede ID: ID1002208300
Herr Staatssekretär, da Sie sagen, es solle die Akzeptanz auf seiten der möglichen Teilnehmer getestet werden: Teilen Sie nicht meine Sorge, daß solche Versuchsprojekte dann nicht aussagekräftig sein werden, wenn die jetzt erhobenen Anschlußgebühren von 125 DM ein Viertel dessen betragen, was in der zweiten Hälfte der 80er Jahre von einem anschlußwilligen Teilnehmer nach der jetzt beschlossenen Gebührentabelle mindestens gefordert wird, und daß man hier zu völlig falschen Schlußfolgerungen kommt?

(Sehr wahr! bei der SPD)

Rawe, Parl. Staatssekretär: Nein, ich teile Ihre Sorge nicht. Aber ich will ergänzend gerne hinzufügen, daß wir den Versuch erst dann abschließend beurteilen möchten, wenn er auch durchgeführt worden ist.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002208400
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Ich danke Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Rawe.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Zur Beantwortung der Fragen steht uns zur Verfügung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Probst.
Ich rufe die Frage 65 des Abgeordneten Dr. Steger auf:
Ist im Rahmen des deutschen Weltraumprogramms auch — ähnlich wie in den USA, wo von der NASA eine spezielle Arbeitsgruppe gebildet wurde — an eine „Kommerzialisierung des Weltraumes" gedacht, und welche Schritte sind hierzu bereits unternommen worden?
Herr Staatssekretär.

Dr. Albert Probst (CSU):
Rede ID: ID1002208500
Herr Präsident, die Frage 65 beantworte ich folgendermaßen:
Eine Kommerzialisierung des Weltraums wird im deutschen Weltraumprogramm zur Zeit für die Raumtransportsysteme und die Kommunikationssatelliten gesehen. Die Vermarktung der europäischen Trägerrakete Ariane wurde bereits einer europäischen Industriegesellschaft, nämlich Ariane Space, übertragen, die bisher 25 feste Bestellungen aus aller Welt buchen konnte und über weitere zehn Nutzlasten verhandelt.
Bei den Kommunikationssatelliten hat die Deutsche Bundespost die Nutzung des europäischen Fernmeldesatelliten ECS, der mit wesentlicher deutscher Beteiligung entwickelt wurde, aufgenommen und einen eigenen deutschen Fernmeldesatelliten in ihre weitere Planung einbezogen. Damit ist der Bereich der Kommunikationssatelliten erfolgreich in die Verantwortung der kommerziellen Nutzer übergeführt worden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002208600
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Steger.

Dr. Ulrich Steger (SPD):
Rede ID: ID1002208700
Herr Staatssekretär, ist diese Kommerzialisierung nicht weiterhin mit beträchtlichem öffentlichen Mitteleinsatz, vor allen Dingen seitens Ihres Hauses, aber auch aus dem Bundespostministerium, verbunden, und wie verträgt sich



Dr. Steger
diese massive Subventionierung einer kommerziellen Technologie im Weltraum mit den marktwirtschaftlichen Glaubensbekenntnissen Ihres Hauses?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Steger, da es sich sowohl bei der Luftfahrt wie bei der Raumfahrt im wesentlichen um öffentliche Auftraggeber handelt, ist es selbstverständlich, daß diese Techniken mit öffentlichen Mitteln betrieben werden. Wie wollen Sie einen Wettersatelliten oder einen Fernmeldesatelliten betreiben, wenn nicht entweder der Bundesminister für Verkehr oder der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen den Auftrag gibt und diese Systeme betreibt?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002208800
Eine weitere Zusatzfrage von Herrn Dr. Steger.

Dr. Ulrich Steger (SPD):
Rede ID: ID1002208900
Herr Staatssekretär, können Sie denn dem Hause mitteilen, wie hoch die Beträge der öffentlichen Hand insgesamt für diese Kommerzialisierung des Weltraums sind?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Ich habe die Zahlen nicht parat, Herr Kollege, aber es ist kein Problem, Ihnen diese zukommen zu lassen.

(Dr. Steger [SPD]: Dafür wäre ich sehr dankbar!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002209000
Ich rufe dann die Frage 66 des Abgeordneten Dr. Steger auf:
Welche wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Zusammenarbeit mit den USA beim Bau des Spacelab, und wie soll die Kooperation fortgeführt werden?
Herr Staatssekretär!
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Das Spacelab eröffnet Europa den Zugang zu den bemannten Raumfahrtsystemen, die jetzt nach den erfolgreichen Space-Shuttle-Erprobungsflügen den operationellen Betrieb aufgenommen haben. Die deutsche Industrie schaffte durch die erfolgreiche Entwicklung des bemannten Weltraumlabors den Anschluß in diesem Bereich der Spitzentechnologie. Die NASA hat bereits weitere Spacelab-Geräte in Europa bestellt. Darüber hinaus hat die deutsche Industrie daraus Nutzen gezogen bei der Entwicklung der Experimentträgerstruktur SPAS, die im Juli 1983 erstmals im Space Shuttle geflogen ist.
Diese Spacelab-Entwicklung hat gleichzeitig eine explorative Nutzungsphase des Weltraums als Labor für materialwissenschaftliche und biologischmedizinische Untersuchungen ermöglicht. In Vorbereitung sind eigene deutsche Spacelab-Einsätze für diese Aufgaben sowie für den Betrieb leistungsfähiger wissenschaftlicher Observatorien.
In konsequenter Fortführung der Space Shuttle/ Spacelab-Entwicklungslinie setzt sich die deutsche Seite im Rahmen der ESA für die europäische Entwicklung rückführbarer Raumplattformen und eine angemessene Weiterentwicklung des Spacelab ein. Inwieweit dies Grundlage für eine weitere partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den USA sein
könnte, bleibt dem Ausgang künftiger Verhandlungen vorbehalten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002209100
Eine Zusatzfrage von Herrn Dr. Steger.

Dr. Ulrich Steger (SPD):
Rede ID: ID1002209200
Herr Staatssekretär, mit welcher Zielsetzung geht Ihr Haus denn in diese Verhandlungen, und wie soll insbesondere sichergestellt werden, daß die deutsche Industrie dann auch angemessen an den Aufträgen für die Produktion künftiger Raumfähren beteiligt wird?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Es ist für die Bundesregierung selbstverständlich, die Verhandlungen so zu führen, daß Aufträge rückfließen, was auch in erheblichem Umfange geschehen ist. Da sich diese Entwicklungen heute erst im Stadium wissenschaftlicher Erkundungen befinden, ist daraus derzeit selbstverständlich noch kein kommerzieller Nutzen zu ziehen. Künftig soll aber natürlich eine entsprechende Nutzung für die Bundesrepublik Deutschland oder insgesamt für Europa gesichert werden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002209300
Eine weitere Zusatzfrage von Herrn Dr. Steger.

Dr. Ulrich Steger (SPD):
Rede ID: ID1002209400
Herr Staatssekretär, mit welcher Priorität und welchen zeitlichen Vorstellungen führt denn Ihr Haus diese Verhandlungen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die Verhandlungen werden nach unserer Überzeugung derzeit vielleicht noch gewissermaßen mit zu kurzem Atem geführt. Die Bundesregierung ist dabei, in diesem Bereich im Rahmen eines Programms klare und auch in die Zukunft weisende Vorstellungen zu entwikkeln.

(Dr. Steger [SPD]: Wir wollen es hoffen!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002209500
Wir kommen zur Frage 67 des Abgeordneten Grunenberg:
Wann wird die Bundesregierung ein neues Meeresforschungsprogramm vorlegen?
Herr Staatssekretär!
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Grunenberg, das neue Programm „Meeresforschung und Meerestechnik" ist im Entwurf im Bundesministerium für Forschung und Technologie beraten worden. Es ist vorgesehen, in Kürze in die Erörterungen des Teils „Meeresforschung" der überarbeiteten Fassung mit den Bundesressorts und den Küstenländern unter Beteiligung der Deutschen Forschungsgemeinschaft einzutreten. Nach Abstimmung auch des Programmteils „Meerestechnik" ist 1984 mit der Herausgabe des neuen Gesamtprogramms „Meeresforschung und Meerestechnik in der Bundesrepublik Deutschland" zu rechnen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002209600
Eine Zusatzfrage von Herrn Grunenberg.

Horst Grunenberg (SPD):
Rede ID: ID1002209700
Herr Staatssekretär, wird bei der Aufstellung des neuen Meeresforschungspro-



Grunenberg
gramms die aktuelle Seerechtsentwicklung — niedergeschrieben in der Seerechtskonvention — berücksichtigt, und welche Folgerungen ergeben sich daraus? Ich denke hierbei an bilaterale und internationale Zusammenarbeit, an Forschungskooperation mit Ländern der Dritten Welt sowie auch an die Anpassung der Struktur der Meeresforschungsinstitute in der Bundesrepublik zwecks Erfüllung von Querschnittaufgaben und auch Aufgaben, die aus dem Politikbereich kommen.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die von Ihnen aufgeführten Gesichtspunkte werden selbstverständlich erörtert und bei diesem neuen Programm berücksichtigt. Da das Programm nicht fertig ist, möchte ich den Ergebnissen heute nicht vorgreifen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002209800
Eine weitere Zusatzfrage von Herrn Abgeordneten Grunenberg.

Horst Grunenberg (SPD):
Rede ID: ID1002209900
Herr Staatssekretär, inwieweit wird ein Meeresforschungsprogramm auf dem Gebiet der Tiefseebohrung — fachmännisch gesagt: auf dem Gebiet von ocean deep sea drilling — die Antarktisforschung berücksichtigen, und in welchem Umfang versucht ein solches Programm den Spitzbergen-Vertrag auszufüllen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Selbstverständlich sind diese Aktivitäten insbesondere der Antarktisforschung hier mit zu berücksichtigen. Wie Sie wissen, sind die Rechtsfragen in diesem Zusammenhang sehr problematisch. Aus diesem Grunde soll die Erörterung natürlich auch in enger Abstimmung mit der dafür zuständigen Industrie stattfinden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002210000
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1002210100
Herr Staatssekretär, inwieweit wird dieses Meeresforschungsprogramm durch die Weigerung der Bundesregierung, die Seerechtskonvention zu zeichnen, beeinträchtigt?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Frage betrifft natürlich nicht nur das Forschungsressort, weil hier auch rechtliche Fragen entgegenstehen. Ich vermag Ihnen hierüber heute keine endgültige Würdigung mitzuteilen, bin aber gern bereit, Ihnen eine derartige Würdigung zukommen zu lassen.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Dafür wäre ich Ihnen dankbar!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002210200
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Steger.

Dr. Ulrich Steger (SPD):
Rede ID: ID1002210300
Herr Staatssekretär, halten Sie es angesichts der schwierigen Lage insbesondere der Werften für richtig, daß Ihr Haus ein so wichtiges Programm so lange hat in der Luft hängen lassen, und wäre es nicht besser gewesen, hier mehr industriepolitische Orientierung zu vermitteln?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Steger, wie Sie aus den Erörterungen im Forschungsausschuß gestern wissen, ist die Frage der Förderung der Meeresforschung nicht in erster Linie geeignet, die Werftindustrie zu sanieren. Es ist vielmehr umgekehrt: Nur dann, wenn die Betriebe einigermaßen eine Zukunftsperspektive haben, sind sie bereit, mit uns gemeinsam entsprechende Programme anzugehen. Und wenn hier in der Vergangenheit was nicht von dieser Bundesregierung zu verantworten ist — Versäumnisse geschehen sind, dann ist die Bundesregierung derzeit bemüht, diese Versäumnisse, soweit sie wirklich gegeben sind, aus dem Weg zu räumen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002210400
Mir scheint, der Übergang zur Frage 68 des Abgeordneten Grunenberg ist schon vollzogen. Es ist daher wohl besser, wenn der Herr Staatssekretär erst diese Frage beantwortet.
Ich rufe deshalb jetzt die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Grunenberg auf:
Welche spezifischen Vorhaben zugunsten der deutschen Schiffbauindustrie sollen nach diesem Programm gefördert werden?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Grunenberg, bevorzugt werden solche Vorhaben gefördert, die gute Marktaussichten haben. Das Konzept der weiteren Förderung von Offshore-Technik und Schiffstechnik ist der Verabschiedung des neuen Programms vorbehalten. Soweit die Vorhaben des alten Programms den Zielsetzungen des neuen Programms entsprechen und nicht als abgeschlossen betrachtet werden können, werden sie weitergeführt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002210500
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Grunenberg.

Horst Grunenberg (SPD):
Rede ID: ID1002210600
Herr Staatssekretär, in Anbetracht dessen, daß im Entwurf des Bundeshaushalts 1984 die Mittel für den Neubau eines Forschungsschiffes gestrichen sind, frage ich Sie, ob Sie es für sinnvoll halten, daß man versucht, ein bisher fahrendes Schiff, das allerdings nach 20 Jahren aus der Klasse gelaufen ist, mit einem horrenden Mittelaufwand wiederaufzufixen, wie man bei uns so schön sagt, was nur für vier Jahre ausreicht? Halten Sie es für sinnvoll, diese Überlegungen überhaupt weiterzuverfolgen? Ich rede hier — soweit ich informiert bin — von einer Größenordnung zwischen 60 Millionen und 70 Millionen DM, eher 70 Millionen DM.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen, daß die Ansichten über die Zweckmäßigkeit hier derzeit noch auseinandergehen. Die Planungsunterlagen für einen Neubau zum Ersatz des Forschungsschiffes „Meteor" liegen ausschreibungsbereit vor. Die Ressortabstimmung zwischen Bundesminister für Verkehr, Bundesminister der Finanzen, Bundesrechnungshof und Bundesminister für Forschung und Technologie zu der Frage der Wirtschaftlichkeit eines Schiffsneubaues gegenüber einer sonst 1985 anstehenden unverzichtbaren Grundüberholung des dann 22 Jahre alten Schiffes



Parl. Staatssekretär Dr. Probst
dauert noch an. Es wird angestrebt, dem Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages im Oktober dieses Jahres über das Ergebnis der Ressortabstimmung zu berichten, um gegebenenfalls einen Neubau in die Wege zu leiten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002210700
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Grunenberg.

Horst Grunenberg (SPD):
Rede ID: ID1002210800
Herr Staatssekretär, können Sie gewährleisten, daß ein Neubau als Ersatz für das Schiff „Meteor", der nach der Mittelfestsetzung erst ab 1985 erfolgen könnte, speziell für deutsche Werften ausgeschrieben wird, soweit wir zu der Zeit überhaupt noch eine Werft haben, die so etwas ausführen könnte, oder wird das europäisch ausgeschrieben?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Grunenberg, da die Erörterung unter den genannten zuständigen Stellen bis heute nicht zu Ende gebracht sind, vermag ich Ihnen hier keine endgültige Auskunft zu geben, jedenfalls keine, die über die bereits gemachten Angaben hinausgeht.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002210900
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Steger.

Dr. Ulrich Steger (SPD):
Rede ID: ID1002211000
Herr Staatssekretär, ist Ihnen vielleicht im Verlauf dieser Fragestunde aufgefallen, daß das Engagement der Bundesregierung wie der Einsatz finanzieller Mittel im Bereich der Luft- und Raumfahrt erheblich größer ist als im Bereich der Meerestechnik, und hat dies etwas mit dem bekannten Engagement des bayerischen Ministerpräsidenten im Bereich von Luft- und Raumfahrt zu tun?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Steger, ich weiß nicht, auf welche Zahlen und auf welche Fakten Sie sich beziehen. Sie wissen aus der gestrigen Sitzung des Forschungsausschusses ebenfalls, daß es nicht so sehr eine Frage der Einstellung der Mittel in den Haushalt, sondern mehr eine Frage des Abflusses dieser Mittel ist. Die Risiken sind für die beteiligten Unternehmungen so groß geworden, daß sie nicht ohne weiteres in der Lage oder willens sind, die Komplementärmittel hierzu aufzubringen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002211100
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1002211200
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß sich aus der UN-Seerechtskonvention eine Reihe von Aufgabenfeldern ergeben würden, die es erforderlich machen würden, insbesondere unsere Schiffsbauindustrie bzw. die Werften mit moderner Technologie auszustatten, was zur Folge hätte, daß wir Teile dessen, was gegenwärtig als Krise bezeichnet wird, überwinden könnten?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich mag heute hierzu keine endgültige Wertung vor-
nehmen, sondern möchte Ihnen die Unterlage zukommen lassen, die ich Ihnen zugesagt habe.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Danke!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002211300
Dann kommen wir zur Frage 69 des Abgeordneten Stockleben:
In welchem Umfang sind bisher Mittel aus dem Programm der Bundesregierung zur „Humanisierung des Arbeitslebens" (Kapitel 3003, Titel 683 19) im laufenden Haushaltsjahr bewilligt, und wie hoch ist der Mittelabfluß aus diesem Titel in diesem Jahr?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stockleben, im laufenden Haushaltsjahr sind bis 9. September 1983 zu Lasten des Kapitels 30 03, Titel 68319 24 554 499 DM bewilligt worden. Im laufenden Haushaltsjahr sind bis zum 9. September 1983 aus diesem Titel 52 780 782 DM ausgezahlt worden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002211400
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stockleben.

Adolf Stockleben (SPD):
Rede ID: ID1002211500
Herr Staatssekretär, können Sie sicherstellen, daß der Titel „Humanisierung des Arbeitslebens" bis zum Ende des Haushaltsjahres voll ausgeschöpft wird?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das vermag ich bis heute nicht zu sagen, weil das ja an den entsprechenden Anträgen auf Bewilligung liegt. Die Bundesregierung ist jedenfalls bereit, sinnvolle und von den Fachleuten als positiv bezeichnete Programme im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten so weit wie möglich durchzusetzen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002211600
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Stockleben.

Adolf Stockleben (SPD):
Rede ID: ID1002211700
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hohen Hause mitteilen, wieviel Anträge, die diesen Mittelabfluß sicherstellen können, beim Projektträger vorliegen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stockleben, das kann ich schon, aber nicht im Augenblick. Ich kann Ihnen diese Zahlen selbstverständlich zukommen lassen.

(Stockleben [SPD]: Danke schön!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002211800
Eine weitere Zusatzfrage.

Lothar Fischer (SPD):
Rede ID: ID1002211900
Herr Staatssekretär, können Sie uns hier einmal erklären, was Sie im Rahmen der Antragstellung bezüglich HdA für „politisch sinnvoll" halten?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fischer, ich weiß nicht, wie Sie zu der bedeutenden Einschränkung „politisch sinnvoll" kommen. Ich habe davon gesprochen, daß es sinnvolle, von den zuständigen Fachleuten positiv begutachtete Anträge sein müssen.

(Fischer [Homburg] [SPD]: Entschuldigung! Können Sie dann erklären, was Parl. Staatssekretär Dr. Probst „sinnvoll" heißt? Ich hatte Sie falsch verstanden!)




— „Sinnvoll" ist für mich das, was die Fachleute als sinnvoll erklären.

(Fischer [Homburg] [SPD]: Aha!)

Ich bin nicht in der Lage, festzustellen, ob ein Antrag zu dem Programm „Humanisierung des Arbeitslebens" sinnvoll ist.

(Fischer [Homburg] [SPD]: Schönen Dank! Wir denken dran!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002212000
So war das denn doch eine sinnvolle Zusatzfrage des Abgeordneten Fischer (Homburg).
Ich rufe die Frage 70 des Abgeordneten Stockleben auf:
Wird der Titel „Humanisierung des Arbeitslebens" in diesem Jahr nicht ausgeschöpft, und welche Begründung kann die Bundesregierung gegebenenfalls hierfür geben?
Herr Staatssekretär.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Frage, ob der Titel in diesem Jahr ausgeschöpft wird, kann heute noch nicht beantwortet werden, da Zahlungen bis Mitte Dezember 1983 geleistet werden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002212100
Herr Stockleben, eine Zusatzfrage.

Adolf Stockleben (SPD):
Rede ID: ID1002212200
Herr Staatssekretär, Ihnen ist sicherlich bekannt, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund dieses Programm und diesen Titel besonders kritisch betrachtet, weil er fürchten muß, daß andere Aktivitäten im Bundeshaushalt, im Forschungshaushalt „Förderung der Mikroelektronik", stärkere Beachtung finden werden als das Projekt „Humanisierung des Arbeitslebens". Wie wollen Sie sicherstellen, daß nicht von hier aus eine noch größere Skepsis der Mitglieder des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Arbeitnehmer insgesamt zu den Technologiemaßnahmen der Bundesregierung entsteht und öffentlichen geäußert wird?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Dadurch, daß wir versuchen werden, Vertrauen aufzubauen und nicht Mißtrauen zu nähren; denn es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, daß das Thema „Humanisierung des Arbeitslebens" auch in Zukunft ein wichtiges, wissenschaftlich zu bearbeitendes Gebiet sein wird.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002212300
Eine weitere Zusatzfrage.

Adolf Stockleben (SPD):
Rede ID: ID1002212400
Sind Sie dann nicht mit mir der Meinung, daß, wenn Sie dieses Vertrauen sicherstellen wollen, seitens Ihres Hauses auch dafür Sorge zu tragen ist, daß die Mittel, die dafür im Haushalt bereitgestellt werden, diesen sinnvollen Projekten, die es sicherlich gibt, auch zugeführt werden?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Das kann ich, denn die Bindungen übersteigen derzeit den Ansatz des Jahres 1982. Ebenso ist der Mittelabfluß um 2 % höher als früher.
Nun möchte ich aber hinzufügen, daß die Zahlen allein nichts sagen. Das Programm läuft ja lange, und wir haben gemeinsame Unzufriedenheiten in den Abläufen dieses Programms an bestimmten Stellen gehabt. Es muß sichergestellt sein, daß alte Fehler nicht begangen werden, und die Mittel müssen konzentriert und zielbewußt eingesetzt werden, um in einer Landschaft der knappen Mittel einen möglichst hohen Erfolg zu erzielen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002212500
Das war der Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Danke schön, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Boenisch zur Verfügung.
Zuerst kommt die Frage 7 des Abgeordneten Lowack. Ich bitte um Beantwortung.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch die einseitige Berichterstattung über Deutschland in den Vereinigten Staaten von Amerika zunehmend der Eindruck erweckt wird, daß die Bundesrepublik Deutschland ein unzuverlässiger Verbündeter in der NATO sei und das öffentliche Leben fast ausschließlich durch Demonstrationen und Anschläge gegen militärische Einrichtungen der Vereinigten Staaten von Amerika geprägt werde?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1002212600
Mit Erlaubnis des Präsidenten würde ich gern die Fragen 7 und 8 zusammen beantworten, weil sie zusammengehören.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002212700
Da muß ich den Abgeordneten fragen, ob er einverstanden ist. — Er ist es.
Dann rufe ich auch die Frage 8 des Abgeordneten Lowack auf:
Ist die Bundesregierung bereit, Maßnahmen zu treffen, damit der Durchschnittsamerikaner besser über Deutschland, seine Menschen und die Zielsetzungen deutscher Politik informiert ist?

(Zurufe von der SPD)

Boenisch, Staatssekretär: Bitte? Habe ich etwas verkehrt gemacht?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002212800
Um Ihnen zu helfen, Herr Boenisch: Die Frage kann nur mit Zustimmung des betreffenden Abgeordneten mit einer anderen zusammengefaßt werden. Ich habe da nur eine vermittelnde Rolle.
Boenisch, Staatssekretär: Er hatte schon ja gesagt.

(Lowack [CDU/CSU]: Ich hatte mein Einverständnis bereits signalisiert!)

Die amerikanischen Medien berichten, sofern sie sich mit Deutschland beschäftigen, stets vorrangig über hiesige Ereignisse und Themen, die Amerikaner bzw. amerikanische Interessen betreffen. Seit etwa zwei Jahren sind das vor allem Themen wie die Auseinandersetzung über den NATO-Doppelbeschluß, Demonstrationen gegen die Nachrüstung



Staatssekretär Boenisch
und Anschläge auf amerikanische Einrichtungen. In den amerikanischen Medien wird also über antiamerikanisch erscheinende Vorgänge umfangreicher als über andere Themen aus Deutschland berichtet.
Natürlich hat hierunter das Stimmungsbild in den USA gelitten. 52 % der Amerikaner haben nicht sehr viel bzw. überhaupt kein Vertrauen in die Bereitschaft der Europäer, die Politiker der USA gegenüber den Sowjets zu unterstützen. Immerhin äußern aber noch 40 % sehr viel bzw. ziemlich viel Vertrauen. 61 % der Amerikaner sehen in der Stationierung amerikanischer Truppen in Europa und 55 % in der Stationierung amerikanischer Mittelstrekkenraketen eine Erhöhung der Sicherheit. Nur 14 % der befragten Amerikaner sehen in der Stationierung ein erhöhtes Sicherheitsrisiko.
Zusammengefaßt kann man feststellen: Trotz der verstärkten Negativbilder, die in den letzten Jahren aus Deutschland in die USA kamen, ist das Urteil der Amerikaner über uns gleich gut geblieben.
Unsere informationspolitischen Bemühungen, die gute Meinung der Amerikaner zu stärken und ihre Irrtümer über uns zu korrigieren, sind vielfältig und erweiterungsbedürftig. Die kontinentale Dimension der USA verlangt neue Anstrengungen. Die Meinung Amerikas entsteht nicht nur zwischen New York und Washington. Auch sind die Vorbehalte der Amerikaner gegenüber jeder amtlich geförderten oder amtlich beeinflußten Informationsarbeit in Rechnung zu stellen.
Es ist eine mühsame, auch von früheren Bundesregierungen recht erfolgreich bewältigte Kleinarbeit. Lassen Sie mich aber in allem Freimut hinzufügen, daß durch aus Deutschland stammende Beschimpfungen der USA und ihrer Repräsentanten diese Arbeit beeinträchtigt und erschwert wird.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002212900
Herr Abgeordneter Lowack, Zusatzfrage.

Ortwin Lowack (CSU):
Rede ID: ID1002213000
Unabhängig von dem Lob für eine frühere Bundesregierung und den 40 % Zustimmung in den USA: Halten Sie es nicht für beschämend und auf die Dauer für unsere Sicherheit für sehr gefährlich, daß beispielsweise eine 19 Jahre alte amerikanische Studentin, die Deutsch studiert und in Deutschland war, in einem Brief an einen Abgeordneten des Deutschen Bundestags mitteilt, daß sie sich nicht nach Deutschland traut, obwohl sie gern wieder nach Deutschland kommen würde, weil sie Angst hat, hier — so wörtlich — erschossen zu werden, daß ein Mitglied des amerikanischen Kongresses sich im Gespräch mit deutschen Abgeordneten nicht traut, den Termin eines Besuchs in Deutschland anzugeben, weil er Angst hat, daß ein Anschlag gegen ihn verübt werden könnte,

(Zuruf von der SPD: Frage!)

und daß in Gesprächen mit amerikanischen Politikern zunehmend, wenn Sie fragen, was sie von
Deutschland hören, worüber sie informiert werden, wörtlich geantwortet wird: only trouble?

(Zuruf von der SPD: Sie müssen nicht soviel „Bild"-Zeitung lesen!)

— Das ist alles meine Erfahrung, liebe Kollegen.

(Zuruf von der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002213100
Herr Staatssekretär Boenisch, zur Beantwortung, bitte.
Boenisch, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, natürlich finde ich einen solchen Einzelfall sehr bedauerlich. Ich habe ja auch auf die Gefahren, die in diesen Ereignissen liegen und auch in den Maßlosigkeiten, die von hier ausgehen, hingewiesen. Dem ist aber entgegenzustellen, daß in der Berichterstattung der amerikanischen Medien die Zweifel an der deutschen Bündnistreue im letzten Jahr stark zurückgegangen sind und daß 47 % der Amerikaner nach wie vor in der Bundesrepublik einen der treuesten Alliierten der USA sehen und 65% der Amerikaner zu Europa stehen und der Meinung sind, wenn Westeuropa unter sowjetischen Einfluß geriete, wäre das auch eine Bedrohung der amerikanischen Sicherheit.
Natürlich bin ich mit Ihnen der Meinung, daß sich auch die 19jährigen Studenten dieser Mehrheitsmeinung der Amerikaner anschließen sollten. Aber das ist nicht nur eine informationspolitische Frage, sondern das hängt auch von dem öffentlichen Klima, das hier erzeugt wird, ab.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002213200
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Lowack.

Ortwin Lowack (CSU):
Rede ID: ID1002213300
Sie hatten bereits angeführt, daß eine Menge getan wird. Sehen Sie weitere Möglichkeiten, dafür zu sorgen, daß das Bild über die Bundesrepublik Deutschland in den Vereinigten Staaten von Amerika ausgeglichener dargestellt wird, beispielsweise dadurch, daß man amerikanische Journalisten vermehrt nach Deutschland einlädt im Rahmen einer Art „visitors program", oder dadurch, daß man auch die pressemäßige Vorbereitung von Fahrten deutscher Abgeordneter oder Abgeordnetengruppen in die Vereinigten Staaten von Amerika effektiver in der Richtung gestaltet, daß eine bessere Resonanz in den Vereinigten Staaten möglich ist, daß gegebenenfalls auch durch die deutschen Auslandsvertretungen und durch die Institute, die wir mit unserem Bundeshaushalt fördern, eine etwas bessere und effektivere Auslandsarbeit in dieser Hinsicht betrieben wird?
Boenisch, Staatssekretär: Ich kann nur jeden Punkt Ihrer Frage bejahen und bestärken. Ich kann nur darauf verweisen, daß sich hier alle deutschen Regierungen in einer Kontinuität befinden. Man hat immer etwas für den deutsch-amerikanischen Jugendaustausch getan: in der Vergangenheit wahrscheinlich nicht genug. Man sollte noch mehr tun. Man sollte auch die Reisen und das gegenseitige Kennenlernen verstärken. Es gibt schreckliche gegenseitige Irrtümer sowohl der Deutschen über die Haltung der Amerikaner als auch umgekehrt.



Staatssekretär Boenisch
Es sind z. B. sehr viele Amerikaner der Meinung, daß wir sie nicht genügend unterstützen, um unsere „profitablen Geschäfte" mit der Sowjetunion weiter betreiben zu können.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002213400
Keine weiteren Zusatzfragen des Fragestellers. Dann kommt Frau Reetz.

Christa Reetz (GRÜNE):
Rede ID: ID1002213500
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es kein Negativbild ist, wenn sich angesichts der Anhäufung von Vernichtungswaffen — die Bundesrepublik ist bekanntlich das mit Atomwaffen am dichtesten bestückte Land der Erde — die Existenzängste der Menschen hier in Demonstrationen und Blockaden äußern, und meine Zusatzfrage zu der zweiten Frage lautet — —

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002213600
Augenblick, das müssen wir nacheinander machen, Frau Reetz. Das war erst einmal eine Frage. Sie können zwei Zusatzfragen stellen, weil es sich um zwei eingereichte Fragen gehandelt hat. Aber jetzt ist erst einmal der Staatssekretär dran.
Boenisch, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, es wird Ihnen nicht entgangen sein, daß ich bewußt vorsichtig formuliert habe: „erscheinende Vorgänge", „antiamerikanisch erscheinende Vorgänge". Ich habe diese Formulierung deswegen gewählt, um nicht den Eindruck zu erwecken, als wollte ich hier irgendwelche Teile der Friedensbewegung, die nicht antiamerikanisch sind, als antiamerikanisch diffamieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002213700
Eine zweite Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Reetz.

Christa Reetz (GRÜNE):
Rede ID: ID1002213800
In meiner zweiten Zusatzfrage möchte ich Sie jetzt einmal umgekehrt fragen: Das Bild der Durchschnittsmenschen hier ist meiner Meinung nach von Serien wie „Dallas", Krimis, Horrorgeschichten usw. geprägt. Das ist das Bild, das wir uns hier von den Durchschnittsverhältnissen in Amerika machen. Wie stehen Sie dazu?
Boenisch, Staatssekretär: Es gibt sicherlich — —

(Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: „Dallas" abschalten!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002213900
Jetzt hat der Herr Staatssekretär das Wort.
Boenisch, Staatssekretär: Es gibt sicherlich schreckliche Irrtümer auf beiden Seiten, und diese Irrtümer kann man nur durch Besser-sich-Kennenlernen beseitigen. Die sehr große Entfernung zwischen unseren beiden Ländern und leider Gottes auch eine zunehmende Gleichgültigkeit haben zu dieser beklagenswerten Entwicklung beigetragen. Ich würde aber solchen Vorurteilen, daß wir die Amerikaner nur als ein Volk von Krimiproduzenten sehen, trotzdem nicht glauben, sondern auch hier auf die öffentlichen Umfragen verweisen, daß kein
Volk in Europa von den Amerikanern eine so gute Meinung hat wie wir.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002214000
Jetzt kommt der Abgeordnete Brück mit einer Zusatzfrage.

Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID1002214100
Herr Staatssekretär, fürchten Sie nicht, daß dann, wenn der amerikanischen Presse in einer Frage für die Fragestunde des Deutschen Bundestages einseitige Berichterstattung über Deutschland vorgeworfen wird, in den USA der Eindruck entstehen könnte, es gebe antiamerikanische Gesinnung im Deutschen Bundestag?
Boenisch, Staatssekretär: Entschuldigen Sie, ich habe die Frage nicht verstanden. Können Sie die für mich noch etwas begreiflicher formulieren?

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID1002214200
Herr Staatssekretär, fürchten Sie nicht, daß es in den USA als antiamerikanische Gesinnung ausgelegt werden könnte, wenn ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages, vor allem aus der CDU/CSU-Fraktion, eine Frage für die Fragestunde des Deutschen Bundestages stellt, in der der amerikanischen Presse einseitige Berichterstattung über Deutschland vorgeworfen wird?
Boenisch, Staatssekretär: Also, ich glaube, daß sich die Amerikaner über keinerlei harte Diskussion im Parlament erschrecken; das sind sie gewöhnt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002214300
Dann kommt eine Zusatzfrage von Frau Abgeordneter Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1002214400
Herr Staatssekretär, wären Sie vielleicht bereit, sich zu korrigieren und hier klarzustellen, daß die Mittel für einen verstärkten deutsch-amerikanischen Jugendaustausch und die hohen Steigerungsraten in den deutschamerikanischen Beziehungen im Haushalt des Auswärtigen Amtes bereits von der alten Regierung bereitgestellt worden sind und daß für diese Zwecke in diesem Jahr auch nicht ein Pfennig mehr eingesetzt worden ist?
Boenisch, Staatssekretär: Ich glaube nicht, daß ich mich da zu korrigieren habe.

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Doch! Sie haben vorhin behauptet, das sei jetzt erst geschehen!)

— Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich habe die erfolgreichen Bemühungen der früheren Bundesregierung ausdrücklich anerkannt und bin ja deswegen von einem CSU-Abgeordneten auch leicht gerügt worden.

(Heiterkeit)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002214500
Eine zweite Zusatzfrage von Frau Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1002214600
Herr Staatssekretär, wären Sie im Hinblick auf die sehr, sehr große Sensibilität amerikanischer Journalisten, die die Freiheit und Unabhängigkeit ihres Berufs sehr
1486 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983
Frau Dr. Hamm-Brücher
hoch achten, bereit, hier einmal festzustellen, daß durch staatliche Einladungsprogramme für Journalisten leider überhaupt nichts erreicht werden kann, sondern daß es gilt, freie Initiativen zu unterstützen, die amerikanische Journalisten hier einladen, damit nicht der Eindruck erweckt wird, wir machten jetzt nur noch staatliche Propagandaeinladungen? Das wäre gefährlich.
Boenisch, Staatssekretär: Um Gottes willen, nicht nur offizielle Einladungen. Ich bin auch gern noch — im Zusatz zu meiner Bemerkung über die frühere Bundesregierung — bereit, Ihnen hier vor dem Bundestag ausdrücklich zu attestieren, daß Sie, Frau Hamm-Brücher, in diesen 35 Jahren für die deutsch-amerikanische Freundschaft sehr viel getan haben.

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Herzlichen Dank!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002214700
Danke schön. Es gibt eine weitere Zusatzfrage vom Abgeordneten Lambinus.

Uwe Lambinus (SPD):
Rede ID: ID1002214800
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß es zu den Aufgaben der Bundesregierung gehört, im Rahmen ihrer Auslandsarbeit dafür zu sorgen, daß in den Vereinigten Staaten von Amerika dem Eindruck entgegengewirkt wird, daß die Kritik, die hie und da — zu Recht oder zu Unrecht, darüber können wir gerne streiten — an Aussagen einiger amerikanischer Politiker geübt wird, überhaupt nichts, aber auch überhaupt nichts damit zu tun hat, was die breite Masse des deutschen Volkes mit dem Volk der Vereinigten Staaten von Amerika verbindet?
Boenisch, Staatssekretär: Ich glaube, ich habe vorhin schon klargemacht, daß ich niemals eine Kritik an einer bestimmten amerikanischen Maßnahme als antiamerikanisch diffamieren werde. Selbstverständlich wird das auch das Bundespresseamt nicht tun.
Aber ich bitte Sie dann auch, den zweiten Teil meiner Bemerkung ernst zu nehmen — und auch in Ihrer Fraktion ernst zu nehmen —, daß wir mit Maßlosigkeiten und Beschimpfungen gegenüber den USA und ihren Repräsentanten, gerade den Kritikern und dem, was Sie für berechtigte Kritik halten, den schlechtesten Dienst erweisen.
-Vizepräsident Westphal: Wir sind am Ende dieses Abschnitts, weil die Frage 9 — von Frau Simonis — zurückgezogen worden ist.
Danke schön, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Wir brauchen ihn aber nicht zu behandeln, weil der eine Fragesteller der Abgeordnete Dr. Hupka, um schriftliche Beantwortung seiner Fragen 10 und 11 gebeten hat und der andere, der Abgeordnete Dr. Lammert, seine Frage 12 zurückgezogen hat. Die Antworten auf die Fragen 10 und 11 werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen dann zur Behandlung des Geschäftsbereichs des Bundesministers des Innern.
Es steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger zur Verfügung.
Die erste zu beantwortende Frage ist die des Abgeordneten Dr. Hirsch, Frage 13:
Ist der Bundesregierung der Bericht des UN-Flüchtlingskommissariates (UNHCR) bekannt, demzufolge der neue Leiter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf gegenüber den Berichterstattern erklärt haben soll, die deutsche Asylgesetzgebung sei vor allem für deutschstämmige und eventuell für andere Europäer gedacht, Asylbewerber aus „rechtsregierten" Ländern seien nicht willkommen und er könne sich hinsichtlich nichteuropäischer Ausländer allenfalls vorstellen, christliche Türken in die Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen?
Bitte, Herr Staatssekretär.

Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID1002214900
Herr Kollege Dr. Hirsch, Ihre Frage beantworte ich wie folgt. Der von Frau Toscani vom Büro des UNHCR in Genf verfaßte Bericht vom 1. Juli 1983 ist der Bundesregierung bekannt. Weder der Bericht des UN-Flüchtlingskommissariats noch die darauf beruhende Berichterstattung in der Presse entsprechen den tatsächlichen Äußerungen des Leiters des Bundesamtes.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002215000
Zusatzfrage von Herrn Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1002215100
Herr Staatssekretär, mir ist natürlich inzwischen bekannt, daß Ihnen der Bericht bekannt ist. Würden Sie mir liebenswürdigerweise sagen, seit wann der Bundesregierung der Bericht bekannt ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Der Leiter des Bundesamtes hat sich mit Schreiben vom 12. August 1983 an den Hohen Flüchtlingskommissar in Genf gewandt. Einen Abdruck dieses Schreibens hat er dem Bundesminister des Innern zugänglich gemacht. Aus diesem Zeitraum und auch aus den Veröffentlichungen, die in diesem Zeitraum erschienen sind, könnte die Kenntnis des Bundesinnenministers abzuleiten sein.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002215200
Weitere Zusatzfrage von Herrn Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1002215300
Herr Staatssekretär, ich möchte bei dieser Frage nichts über die segensreiche Tätigkeit des Leiters des Bundesamtes in Zirndorf hören, sondern ich möchte gerne wissen, wann dem Bundesminister des Innern dieser Bericht bekanntgeworden ist, und nicht irgendwelche Meldungen darüber.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Hirsch, ich muß darauf hinweisen, daß Ihre Frage war, ob der Bundesregierung der Bericht bekannt ist. Diese Frage habe ich bestätigt. Das genaue Datum — da bitte ich um Nachsicht — kann ich jetzt nicht nennen. Ich bin gern bereit, zu eruieren und Ihnen die Information zu geben.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002215400
Dann kommen wir zu der zweiten von Herrn Dr. Hirsch gestellten Frage, der Frage 14:



Vizepräsident Westphal
Was hat die Bundesregierung nach dem Erscheinen des Berichts — vergleiche z. B. Süddeutsche Zeitung vom 9. August 1983 — in dieser Sache unternommen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die zweite Frage, Herr Dr. Hirsch, beantworte ich wie folgt. Unsere Vertretung beim UNHCR in Genf hat sich am 15. August 1983 an den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen in Genf gewandt. Sie hat dabei Vorstellungen erhoben, daß der Bericht nichtstaatlichen Stellen zugeleitet und Gegenstand berufsschädigender öffentlicher Diskussionen wurde, bevor er der Bundesregierung zur Kenntnis übermittelt worden ist. Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen hat inzwischen schriftlich sein Bedauern darüber ausgedrückt.
Darüber hinaus hat der Leiter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Schreiben vom 12. August 1983 beim Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen gegen die falsche Wiedergabe eines Gesprächs mit Frau Toscani und Frau Paul energisch protestiert und dringend um eine Richtigstellung gebeten. Er hat dabei unter Darstellung seiner tatsächlichen Ausführungen der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß die falsche Darstellung allein darauf beruhe, daß Frau Toscani ihn nicht richtig verstanden habe und es sich nicht um eine bewußt tendenziöse Darstellung handle.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002215500
Herr Dr. Hirsch zu einer Zusatzfrage.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1002215600
Herr Staatssekretär, wenn die Äußerungen, die dort in diesem Bericht als Äußerungen des Leiters des Bundesamtes in Zirndorf wiedergegeben werden, gemacht worden sein sollten, dann wären sie in der Tat in höchstem Maße schockierend. Ich muß Sie darum fragen, ob der Bundesminister des Innern den Leiter des Bundesamtes dienstlich zu einer Äußerung aufgefordert hat.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Hirsch, ich kann darauf verweisen, daß der Leiter des Bundesamtes bereits am 12. August in einem fast fünfseitigen Schreiben eine klare und deutliche Gegendarstellung an den Hohen Flüchtlingskommissar gesandt hat. Ich bin gern bereit, Ihnen diese Stellungnahme zur Verfügung zu stellen, weil eine Darlegung hier im Rahmen der Fragestunde zu umfangreich wäre.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002215700
Herr Dr. Hirsch zu einer weiteren Zusatzfrage.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1002215800
Herr Staatssekretär, wenn ich nach Ihrer Antwort nun schon annehmen muß, daß der Leiter des Bundesamtes nicht zu einer dienstlichen Äußerung aufgefordert worden ist, möchte ich Sie gern fragen, ob sich der Bundesminister bei den Ländern vergewissert hat, ob die Darstellungen, die in diesem Bericht über die Unterbringungspraxis bei Bundesländern enthalten sind, zutreffen oder nicht.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Hirsch, Ihre erste Schlußfolgerung kann aus meinen Ausführungen meines Erachtens nicht gezogen werden. Die Abstimmung mit den Ländern in bezug auf diesen Bericht ist zur Zeit im Gange.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002215900
Zu einer weiteren Zusatzfrage Frau Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1002216000
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie gern fragen, wie das bei solchen offiziellen Besuchen, wie das zweifellos seitens des Hohen Flüchtlingskommissars gewesen ist, gehandhabt wird. Spricht dann der Leiter dieses Lagers allein mit den Abgesandten des Hohen Flüchtlingskommissars, oder sind weitere deutsche Vertreter dabei, die unter Umständen auch als Zeugen fungieren müssen? Im Augenblick steht wohl Aussage gegen Aussage.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Der Leiter des Bundesamtes hat mitgeteilt, daß mehrere Personen anwesend waren, die als Zeugen zur Verfügung stehen und seine Darstellung bestätigen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002216100
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1002216200
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann ist aus Genf ein schriftliches Bedauern hinsichtlich der Entstehungsgeschichte dieses Berichts und des Zorns des Herrn Direktors aus Zirndorf zum Ausdruck gebracht worden. Ist dieses schriftliche Bedauern nicht möglicherweise genug gewesen, und gab es dann noch irgendeinen psychologischen Anlaß bei Ihnen im Hause zu dieser Brüskierung, über die wir vorhin mit Herrn Möllemann diskutiert haben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dieses Schreiben aus Genf wird durch Sie einer Wertung unterzogen, der ich mich nicht anschließen kann.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002216300
Die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Nagel und die Fragen 16 und 17 des Herrn Abgeordneten Catenhusen werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Spranger.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Häfele steht uns zur Beantwortung zur Verfügung.
Herr Abgeordneter Wolfram (Recklinghausen) hat um schriftliche Beantwortung seiner Frage 18 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Rapp (Göppingen) auf:
In welcher Weise — institutionell und inhaltlich — nimmt die Bundesregierung als der drittgrößte Kapitaleigner des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank auf die Konditionierung der vom Währungsfonds ausgereichten Kredite Einfluß?



Vizepräsident Westphal
Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Hansjörg Häfele (CDU):
Rede ID: ID1002216400
Herr Kollege Rapp, ich darf Ihre Frage 19 so beantworten:
Die Interessen der Bundesrepublik Deutschland im Internationalen Währungsfonds (IWF) werden vom deutschen Exekutivdirektor wahrgenommen. Er handelt auf Weisung des Bundesministers der Finanzen, die in Abstimmung mit der Deutschen Bundesbank erteilt wird.
Der deutsche Stimmrechtsanteil im IWF beträgt zur Zeit fünf Prozent. Nach Inkrafttreten der im März 1983 beschlossenen Quotenaufstockung würde sich der deutsche Stimmrechtsanteil auf sechs Prozent erhöhen.
Stabilisierungsprogramme im Zusammenhang mit IWF-Krediten werden zwischen IWF-Geschäftsleitung und Vertretern des kreditsuchenden Landes ausgehandelt. Auf diese Verhandlungen haben andere IWF-Mitglieder keinen Einfluß. Kreditanträge sowie die entsprechenden wirtschaftspolitischen Stabilisierungsmaßnahmen werden nach Abschluß der Verhandlungen dem Exekutivdirektorium zur Billigung vorgelegt. In der Aussprache hierüber kann der deutsche Exekutivdirektor zur Wirtschaftspolitik des kreditsuchenden Landes Stellung nehmen. Kreditanträge von IWF-Mitgliedern werden in der Regel von Industrie- und von Entwicklungsländern einvernehmlich gebilligt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002216500
Zusatzfrage des Abgeordneten Rapp (Göppingen).

Heinz Rapp (SPD):
Rede ID: ID1002216600
Herr Staatssekretär, hat es im Rahmen dieses Procedere schon einmal stattgefunden, daß der deutsche Exekutivdirektor im Sinne dessen, was ich mit meiner Frage 20 intendiere, auf Beschlüssen und Abreden Einfluß genommen hat?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich will gern Ihre Frage 20 beantworten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002216700
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Rapp.

Heinz Rapp (SPD):
Rede ID: ID1002216800
Nicht dazu.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002216900
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Rapp (Göppingen) auf.
Wie nimmt die Bundesregierung zu der weit verbreiteten Kritik Stellung, daß der Internationale Währungsfonds mit dem gewiß richtigen Ziel, eine konsolidierende Wirtschafts- und Finanzpolitik durchzusetzen, zwar immer wieder tief und oft zu Lasten der breiten Schichten in die Sozialpolitik der Schuldnerländer eingreift, bisher aber nie erkennbar auf die Rüstungs- und Militärausgaben der betreffenden Staaten mit dem Ziel ihrer Rückführung Einfluß genommen hat?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich darf Ihre Frage 20 beantworten: Die Kreditvergabepolitik des Internationalen Währungsfonds (IWF) richtet sich nach vereinbarten Richtlinien. Diese Richtlinien sehen u. a. vor, daß die Anwendung von Erfüllungsklauseln auf solche Bereiche beschränkt bleibt, mit denen der Erfolg eines Stabilisierungsprogramms bewertet werden kann. Erfüllungsklauseln be-
schränken sich in der Regel auf volks- und finanzwirtschaftliche Bedingungen, z. B. Kreditversorgung der Wirtschaft, Umfang,öffentlicher Haushalte, sowie auf Auflagen, die notwendig sind, um die Verpflichtungen nach dem IWF-Übereinkommen einzuhalten, z. B. Abbau von Zahlungseinschränkungen, Beseitigung bestimmter Wechselkurspraktiken. Der Ausrichtung der Erfüllungsklauseln auf volks- und finanzwirtschaftliche Bedingungen liegt der Gedanke zugrunde, daß kreditsuchende Mitgliedsländer bei der Gestaltung ihrer Wirtschaftspolitik den größtmöglichen Spielraum selbst behalten sollen. Es ist nicht Aufgabe des IWF, in die inneren Angelegenheiten eines Mitglieds einzugreifen. Dies gilt insbesondere für den empfindlichen Bereich der Sicherheitspolitik. Es ist bewährte Praxis, daß solche Fragen im IWF-Exekutivdirektorium nicht behandelt werden. Der IWF besitzt in diesem Bereich weder eine Aufgabe noch eigene Sachkunde. Würde er seine Befugnisse in diese Richtung überschreiten, dann würde dies leicht zu einer Politisierung führen, die den währungspolitischen Zielen des Fonds abträglich wäre. Währungspolitik kann kein Ersatz für Außenpolitik sein. Für die Außenpolitik sind andere Einrichtungen vorgesehen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002217000
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Rapp.

Heinz Rapp (SPD):
Rede ID: ID1002217100
Herr Staatssekretär, ich war dieser Antwort gewärtig. Nun möchte ich Sie fragen, wie Sie es sich denn erklären, daß aus der Konditionenpolitik des IWF immer dasselbe herauskommt: Die Sozialhaushalte werden gedrosselt, und die Rüstungshaushalte bleiben unberührt. Meine Frage lautet nun ergänzend, ob dies nicht wenigstens einmal bei den Schlußgesprächen von einem deutschen Exekutivdirektor gerügt wurde.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Selbstverständlich werden bei diesen Besprechungen die Haushalte insgesamt durchleuchtet und Empfehlungen ausgesprochen. Aber das, was Sie mit Ihrer ursprünglichen Frage beabsichtigt haben, daß man gleichsam auf die Sicherheitspolitik eines Landes Einfluß nimmt, darf nach der Satzung des IWF nicht geschehen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002217200
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Rapp.

Heinz Rapp (SPD):
Rede ID: ID1002217300
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht einen Widerspruch darin, daß man einerseits die Rüstungspolitik eines Staates, von der in aller Regel dritte Staaten negativ berührt werden, mit dem Postulat der Autonomie der einzelnen Staaten belegt, wohingegen die Sozialgestaltung eines kreditnehmenden Landes sozusagen außerhalb der Autonomie dieses Staates laufen soll?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wir können die Bedingungen des IWF nicht ändern. Das ist eine Praxis, die ja die alte Bundesregierung genauso geübt hat, wie Sie wissen, Herr Kollege Rapp.




Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002217400
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schlatter.

Günter Schlatter (SPD):
Rede ID: ID1002217500
Herr Staatssekretär, da Sie schon darauf hinweisen, daß Regeln bestehen, daß infolgedessen auf Regeln eingewirkt werden kann und daß Regeln also auch geändert werden können, bleibt doch die Frage zu stellen, ob eine maßlose Rüstungspolitik eines kreditnehmenden Landes eben nicht nur ein sicherheitspolitischer Faktor ist, sondern auch starke Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung dieses Landes hat, und es ist zu fragen, ob es nicht doch legitim ist, darauf im Sinne der wirtschaftlichen Entwicklung Einfluß zu nehmen.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich wiederhole noch einmal, daß selbstverständlich eine Würdigung des Gesamthaushalts stattfindet und daß im Blick auf das Verhältnis der einzelnen Bereiche des Haushalts zueinander Empfehlungen ausgesprochen werden. Aber der IWF hat nach seiner Satzung nicht die Aufgabe — es wäre sogar ein Fehler, wenn er sie übernehmen wollte —, speziell auf die Sicherheitspolitik eines Landes Einfluß zu nehmen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002217600
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Bindig.

Rudolf Bindig (SPD):
Rede ID: ID1002217700
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß es zwar richtig ist, daß es die übliche Praxis des IWF ist, soziale Auflagen zu machen, aber auch einmal einen Fall, nämlich Peru, gegeben hat, in dem der IWF Auflagen im Hinblick auf den Militärhaushalt gemacht hat? Hier handelte es sich aber um eine linksmilitärische Regierung, während sich der IWF gegenüber rechtsmilitärischen Regierungen regelmäßig so einstellt, daß die Ausgaben des Militärhaushalts nicht kritisiert werden.

(Krizsan [GRÜNE]: Hört! Hört!)

Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, daß Ihre Unterscheidung die Wirklichkeit nicht trifft. Wenn das Beispiel, das Sie erwähnt haben, zutrifft, bestätigen Sie im übrigen, daß durchaus eine Gesamtwürdigung des Haushalts vorgenommen wird.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002217800
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1002217900
Die außenpolitische oder überhaupt politische Keuschheit des IWF in allen Ehren: Herr Staatssekretär, ich hätte von Ihnen gern gewußt, wie denn nach der neuen Festlegung der Quoten, die Sie eben erwähnt haben, der Gesamtanteil der westlichen Industriestaaten prozentual aussieht. Nach meiner Vermutung — Sie mögen das bestätigen oder auch nicht — sind es weit über 50 %.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen die genauen Zahlen, die ich im Moment nicht zur Hand habe, gern mitteilen. In der Tat wird das, wenn man Japan hinzunimmt, in der Summe der Löwenanteil sein. Aber es bleibt natürlich die Empfindlichkeit dieser Staaten der Dritten Welt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002218000
Herr Brück, möchten Sie noch eine Zusatzfrage stellen? — Bitte sehr.

Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID1002218100
Herr Staatssekretär, da Sie von der Empfindlichkeit dieser Staaten im sicherheitspolitischen Bereich sprechen: Glauben Sie nicht auch, daß die gleiche Empfindlichkeit im sozialpolitischen Bereich vorhanden ist?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Brück, Sie wissen aus Ihrer Praxis so gut wie ich, welche Aufgaben der IWF hat. Es wäre eine Überfrachtung der Aufgaben des IWF, wenn man ihn dazu verwenden wollte, sicherheitspolitisch auf andere Länder einzuwirken. Er hat eine Gesamtwürdigung des Haushalts vorzunehmen, und da, wo die Länder in erster Linie Fehler machen, macht er Auflagen. Er darf aber nicht Sicherheitspolitik eigenständiger Art betreiben.

(Duve [SPD]: Herr Blüm hätte die Frage anders beantwortet! — Weitere Zurufe von der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002218200
Wir kommen zu Frage 21 des Abgeordneten Dr. Sperling. — Ich sehe Herrn Dr. Sperling nicht. Dann wird — auch bei seiner zweiten Frage, der Frage 22 — nach der Geschäftsordnung verfahren.

Heinrich Klein (SPD):
Rede ID: ID1002218300

Wie beurteilt die Bundesregierung den Wunsch der Stadt Fulda, einen Außenlandeplatz für den Hubschrauberplatz Sickels einzurichten, und ist sie der Ansicht, daß hiermit eine Entlastung von Fluglärm für die Bevölkerung der Stadt Fulda verbunden wäre?
Herr Staatssekretär!
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Klein, ich darf Ihre Frage 23 so beantworten:
Die Bundesregierung steht dem Wunsch der Stadt Fulda, eine Außenlandeplatz zu errichten, aufgeschlossen gegenüber. Sie bemüht sich seit langem, geeignetes Gelände ausfindig zu machen. Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß die Lärmbelästigungen für die Bewohner der Stadt Fulda insbesondere dadurch verringert werden könnten, daß Übungs- und Ausbildungsflüge, z. B. Platzflüge, Start- und Landeübungen, Schwebeflüge und Notlandeübungen, auf einen Außenlandeplatz verlegt werden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002218400
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klein.

Heinrich Klein (SPD):
Rede ID: ID1002218500
Herr Staatssekretär, gibt es bereits ein Zusage des Ministeriums, wonach Sie die Absicht haben, den Antrag der Stadt Fulda bejahend zu beantworten, und hängt möglicherweise die offizielle Mitteilung dieser Zusage von einem bestimmten Datum im Laufe dieses Monats ab?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Keinesfalls, Herr Kollege! Es ist, wie Sie wissen, gar nicht so einfach, einen solchen Ausweichplatz zu finden. Es werden natürlich Untersuchungen angestellt. Ein bestimmter Platz hat nicht die Zustimmung des Landes Hes-



Parl. Staatssekretär Dr. Häfele
sen gefunden. Es gibt andere Bemühungen. Wir hoffen, daß eine Lösung gefunden werden kann.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002218600
Eine weitere Zusatzfrage von Herrn Klein.

Heinrich Klein (SPD):
Rede ID: ID1002218700
Kann ich daraus schlußfolgern, daß Sie die Absicht haben, das vorgesehene Objekt am Autobahnkreuz bei Hersfeld aufzugeben und einen neuen Platz zu suchen, daß also der erstgenannte Platz nicht mehr in der Diskussion ist?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wenn Sie das bundeseigene Gelände beim Segelflugplatz Hattenbach meinen, wozu das Land Hessen nein gesagt hat, dann muß ich Ihnen bestätigen, daß insoweit wohl kaum mehr eine große Aussicht besteht. Vielmehr wird im Augenblick eine andere Lösung gesucht.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002218800
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1002218900
Herr Staatssekretär, sind Sie unter diesen Umständen dennoch bereit — weil Sie noch auf der Suche sind —, den Oberbürgermeister der Stadt Fulda zu einem Gespräch zu empfangen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Die Kommunen werden immer ordnungsgemäß unterrichtet. Bloß, man kann sie nur über etwas unterrichten, was man konkret schon weiß.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002219000
Jetzt kommen wir zur Frage 24 des Abgeordneten Klein (Dieburg):
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, die Information zwischen Bundesbehörden (z. B. dem Bundesfinanzministerium, der Oberfinanzdirektion etc.) einerseits und den entsprechenden betroffenen kommunalen Körperschaften andererseits in Fragen der Verteidigung z. B. Bau militärischer Anlagen, zu verbessern?
Herr Staatssekretär.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich darf Ihre Frage 24 im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Verteidigung wie folgt beantworten:
Die Unterrichtung kommunaler Körperschaften — das knüpft an die vorhergehende Zusatzfrage an — über Fragen der Verteidigung erfolgt im Rahmen bestehender Verfahren, z. B. nach dem Raumordnungsgesetz, dem Landesbeschaffungsgesetz oder dem Bundesbaugesetz. Die Verfahren haben sich bewährt. Für eine Änderung sieht die Bundesregierung keinen Anlaß.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002219100
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klein.

Heinrich Klein (SPD):
Rede ID: ID1002219200
Gestatten Sie mir, daß ich anderer Meinung bin. Diese Verfahren haben sich keineswegs bewährt. Der Endverbraucher, nämlich der Fragen stellende Bürger ist durchaus der Meinung, Herr Staatssekretär — .. .

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002219300
Herr Abgeordneter, Sie müssen eine Frage stellen.

Heinrich Klein (SPD):
Rede ID: ID1002219400
... ich frage Sie, ob Sie mir insofern zustimmen —, daß das Verweisen auf 17 verschiedene Rechtsvorschriften und auf 18 verschiedene Behörden ihm keineswegs die nötige Antwort gibt.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Sie müssen mir schon konkret mitteilen, was Sie beanstanden. Wir haben uns so wie die alte Regierung auch — das sind ja weitgehend Fälle, die noch von der alten Regierung eingeleitet worden sind — an die Vorschriften, an die Gesetze gehalten. Man kann den Behörden keinen Vorwurf machen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002219500
Herr Abgeordneter Klein, Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.

Heinrich Klein (SPD):
Rede ID: ID1002219600
Herr Staatssekretär, es mag sein, daß die Praxis der alten Regierung keineswegs anders war.
Aber meine Frage, Herr Staatssekretär: Können Sie mir zustimmen, daß die Fülle der neuen Vorhaben im Rüstungsbereich auch mehr Fragen als früher bei den Bürgern auslöst und die derzeitige Situation eine rasche Beantwortung der aufkommenden Fragen, die der Bürger zumal von kommunalen Stellen erwartet, einfach nicht zuläßt?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Sie haben völlig recht, daß die betroffene Gemeinde, die betroffenen Bürger natürlich aufrichtig informiert werden müssen. Bloß, es hat eigentlich keinen Sinn, über etwas zu informieren, was überhaupt noch nicht klar ist. Wir können auch nicht in der Öffentlichkeit ständig Unsicherheiten schaffen, indem wir sagen, daß fünf Modelle überlegt werden, aber noch keinerlei Vorentscheidung getroffen ist, welches Modell man wählen will. Erst wenn man ein Ziel hat, wenn man weiß: wir wollen das und das, kann man unterrichten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002219700
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1002219800
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir einer Meinung, wenn Sie vorhin angemerkt haben, Sie informierten erst dann, wenn Sie konkret wüßten, um was es sich handelt, daß es für eine Regierung doch auch dienlich sein kann, Überlegungen mit den Bürgern zu diskutieren, um dann, wenn man diese Überlegungen mit den Bürgern diskutiert hat, möglicherweise zu einer Schlußfolgerung zu kommen, die vielleicht weiser ist als die zuerst von der Regierung in Aussicht genommene?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Die Behörden, die die Gesetze durchführen, diskutieren selbstverständlich mit den Bürgern; nur hat es keinen Sinn, Unsicherheiten zu verbreiten über mögliche Modelle, die in Wirklichkeit vielleicht überhaupt nicht in Betracht kommen. Sie wissen: bevor ein Ziel gewählt wird, sind vorher viele andere Ziele in der Diskussion. Es muß zunächst geklärt werden, was man eigentlich will.




Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002219900
Die Fragen 25 und 26 von Frau Dr. Czempiel sind zur schriftlichen Beantwortung überwiesen worden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 27 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung, die versprochene Lärmschutzkommission für Wildflecken einzurichten, und ist geplant, in diese Kommission außer militärischen Vertretern auch zivile Mitglieder zu berufen, etwa Beauftragte der betroffenen Kommunen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Die Frage, wie die Einrichtung eines Lärmschutzbeauftragten für den Truppenübungsplatz Wildflecken sinnvoll zu gestalten ist, wird, wie Herr Parlamentarischer Staatssekretär Würzbach am 11. August 1983 in Wildflecken angekündigt hat, mit den amerikanischen Streitkräften in einer Arbeitsgruppe erörtert. Vom Ergebnis dieser Erörterung wird auch abhängen, wann der Lärmschutzbeauftragte bestellt wird.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002220000
Herr Abgeordneter Klejdzinski, Zusatzfrage.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1002220100
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, warum Sie meine Frage mit einem Hinweis auf den Parlamentarischen Staatssekretär Würzbach beantworten, obwohl sich auf Grund der Fragestellung Ihre Zuständigkeit im einzelnen ergibt?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wir haben in der Bundesregierung eine gute Zusammenarbeit. Mein Kollege Würzbach war am 11. August 1983 in Wildflecken und hat dort das verkündet, was ich jetzt bestätigt habe. Ich finde das eine hervorragende Zusammenarbeit.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002220200
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1002220300
Darf ich Sie trotzdem fragen, wie Sie sich diese Äußerung mir gegenüber darstellend erklären können, daß ich Sie frage, wie ich Sie in der Frage gefragt habe?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich wollte nur noch einmal meinen Kollegen Würzbach bestätigen, der schon am 11. August 1983 das ausgeführt hat, was Sie jetzt erfragen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002220400
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Fragestunde. Ich bitte diejenigen, die nicht mehr drangekommen sind, um Verständnis: Die Fragen werden geschäftsordnungsmäßig behandelt, also schriftlich beantwortet.
Mir liegt der Wunsch eines Vertreters der SPD-Fraktion vor, zur Geschäftsordnung zu sprechen. Das Wort hat der Abgeordnete Becker (Nienberge).

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1002220500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Dringlichkeitsfrage des Kollegen Schmude in der heutigen Fragestunde ist von der Bundesregierung nicht ausreichend beantwortet worden. Mit den allgemeinen Ausführungen des Staatsministers im Auswärtigen Amt sind wir nicht zufrieden. Wir wollen wissen, ob die Bundesregierung einschließlich des Bundesinnenministers, Dr. Zimmermann, ohne Wenn und Aber und damit auch ohne jeden Vorbehalt zu einem Gespräch mit dem Hohen UN-Flüchtlingskommissar bereit ist. Deshalb beantrage ich für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion eine Aktuelle Stunde gemäß Anlage 5 unserer Geschäftsordnung Ziffer I 1 b der Richtlinien für die Aussprache zu Themen von allgemeinem aktuellen Interesse.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002220600
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. I 1 b der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine
Aktuelle Stunde
zu der Antwort der Bundesregierung auf die Dringliche Frage des Abgeordneten Schmude verlangt. Das ist ausreichend unterstützt. Die Aussprache muß nach Nr. 2 a der Richtlinie unmittelbar nach Schluß der Fragestunde durchgeführt werden. Das ist jetzt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmude.

Dr. Jürgen Schmude (SPD):
Rede ID: ID1002220700
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach den Regelungen für die Aktuelle Stunde soll sie stattfinden können in einer dringlichen Angelegenheit, in der die Bundesregierung in der Fragestunde Fragen von Abgeordneten dieses Hauses nicht ausreichend beantwortet hat. Insofern ist dies heute der klassische Fall einer Aktuellen Stunde nach dem, was sich Herr Staatsminister Möllemann bei der Nichtbeantwortung von Fragen in der Fragestunde geleistet hat.

(Beifall bei der SPD)

Dabei hätte es der Vorgang, um den es geht, nahegelegt, hier heute schnell und eindeutig Klarheit zu schaffen, um etwaige Mißverständnisse, wenn es sich denn um sie handeln sollte, auszuräumen.
Wir alle haben mit großer Bestürzung — ich bin froh, daß sich dies nicht auf die Opposition beschränkt — von der Absage des für diese Tage geplanten Besuches des UNO-Kommissars Hartling, des Hohen Kommissars für Flüchtlingsfragen, erfahren. Wir haben mit Betroffenheit seine Begründung zur Kenntnis genommen, daß die Umstände ihm jetzt einen Besuch nicht erlaubten, und dabei erfahren, daß diese Umstände in nichts anderem bestehen als darin, daß der Bundesinnenminister ihm gezielt einen Gesprächstermin verweigert hat

(Hört! Hört! bei der SPD)

im Hinblick auf einen internen Arbeitsbericht aus der Behörde des Kommissars, der durch Indiskretion öffentlich geworden ist. Dies ist eine einmalige und für Mitteleuropa bisher noch gar nicht dagewesene Brüskierung dieser Institution.

(Beifall bei der SPD, bei einzelnen Abgeordneten der GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Schmude Dr. Hirsch [FDP] — Dr. Klejdzinski [SPD]: Der Zimmermann hört nicht mal zu!)




Wir hatten nun gehofft, daß die Bundesregierung diese Veröffentlichung zum Anlaß nehmen werde, um selbst schnell Klarheit zu schaffen und den Schaden zu verringern oder sogar ganz zu vermeiden. Insofern wissen wir es zu schätzen, daß der Bundesminister des Auswärtigen aus seiner Kompetenz heraus die Tragweite des Vorgangs offenbar sofort erkannt und sich um Klärung und Nachholung des Besuches bemüht hat. Aber ebenso sind wir konsterniert darüber, daß in den gestrigen öffentlichen Verlautbarungen der Pressesprecher des Innenministeriums und des Auswärtigen Amtes eine überall bemerkte unterschiedliche Haltung deutlich geworden ist.

(Duve [SPD]: Sehr richtig!)

Der Pressesprecher des Innenministeriums hat nach wie vor darauf bestanden, der Kommissar möge sich bitte von diesem Bericht distanzieren, er möge ihn zumindest korrigieren und damit erst eine Gesprächsgrundlage schaffen, die Grundlage für ein Gespräch, das sonst nicht möglich sein solle. Dann noch hinzuzufügen, dies sei keine Vorbedingung, heißt die eigenen Worte und Forderungen Lügen strafen.

(Zustimmung bei der SPD)

Dieser Vorgang kann so nicht hingenommen werden. Der Schaden für die Bundesrepublik ist offensichtlich, wenn wir eine so hochangesehene Institution und einen so hochangesehenen Mann so brüskieren.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Der Schaden auch für das Ansehen unseres liberalen Asylrechts und unsere Asylpraxis — mag es in diesem Bereich im Einzelfall auch Grund zu Beanstandungen geben — ist ebenso offensichtlich. Der Schaden für das Ansehen des Kommissars, wenn wir ein so schlechtes Beispiel geben, ist auch offensichtlich.
Wir haben deshalb eine dringliche Frage eingebracht und in der Fragestunde bei der Beantwortung dieser Frage und bei der Beantwortung von 18 Zusatzfragen darauf gewartet, daß der Sprecher der Bundesregierung hier sagt: Jawohl, auch der Bundesinnenminister ist gesprächsbereit — ohne Vorbehalte und Vorbedingungen. — Eben diese Aussage hat er in einer einmaligen Weise, die auch das Parlament brüskiert, verweigert. Er hat sich darauf bezogen, die Regierung habe sich schon geäußert. Das genügt uns aber nicht, nachdem wir erfahren, daß es innerhalb der Regierung unterschiedliche Haltungen gibt, und angesichts der Tatsache, daß er selbst hier heute nicht für den Innenminister gesprochen hat. Er beruft sich auf eine Vereinbarung, die Sache nicht weiter zu erörtern. Das mag für den Arbeitsbericht gelten. Die Grundfrage aber, wie es die Bundesregierung mit dem Ansehen dieser wichtigen Institution hält, muß heute hier geklärt werden.
Herr Bundesinnenminister, ich bitte Sie: Treten Sie vor.

(Zuruf von der SPD: Antreten!)

Bringen Sie in einem Satz Ihre Gesprächsbereitschaft ohne Vorbehalte und Vorbedingungen zum Ausdruck. Dann ist die Luft aus der Sache heraus.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002220800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Miltner.

Dr. Karl Miltner (CDU):
Rede ID: ID1002220900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Aktuelle Stunde heute vor Augen hält und gestern in der Innenausschußsitzung war und dort die Fragen mit angehört hat, die vom Bundesinnenminister beantwortet worden sind, dann muß man sich fragen, was das heute hier soll.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Lachen und Zurufe bei der SPD und den GRÜNEN)

Wenn das eine so wichtige Geschichte gewesen wäre, hätte man diese Fragen gestern in der Innenausschußsitzung in Anwesenheit aller Mitglieder des Innenausschusses der SPD eingehend behandeln können, und man hätte das in der richtigen Form vorher dem Bundesinnenminister gesagt.

(Zurufe von der SPD: Waren Sie in der Fragestunde? — Weitere Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, wir wissen, daß es um einen Bericht des Hohen Flüchtlingskommissars ging,

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sie haben die Fragestunde versäumt! Herr Möllemann hat das Gegenteil von dem gesagt, was Zimmermann gestern mehrfach erklärt hat! — Weitere Zurufe von der SPD)

der zugrunde legt, daß in unserer Asylpraxis Mängel vorhanden sind, die überhaupt nicht bestehen.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Völlig richtig!)

Die Asylpraxis in der Bundesrepublik Deutschland ist im Innenausschuß des Deutschen Bundestages — das nur als Beweis — wiederholt als richtig dargestellt worden.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Nicht gut! — Weitere Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, die Vorwürfe, die in diesem Bericht enthalten sind, treffen ja in der Hauptsache die Bundesländer und nicht den Bund. Darum konnte der Bundesinnenminister diesen Bericht so nicht stehenlassen und mußte seine Konsequenz auch gegenüber dem Hohen Flüchtlingskommissar zum Ausdruck bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Duve [SPD]: Genau das Gegenteil von dem, was Herr Möllemann gesagt hat! — Weitere Zurufe von der SPD: Das wird j a immer schlimmer!)




Dr. Miltner
Die Asylpraxis in der Bundesrepublik Deutschland ist in Ordnung.

(Anhaltende Zurufe von der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002221000
Meine Damen und Herren, lassen Sie den Redner ausreden.

Dr. Karl Miltner (CDU):
Rede ID: ID1002221100
Wer demgegenüber von der Bundesrepublik Deutschland behauptet, sie sei ein asylfeindliches Land, der muß mit Blindheit geschlagen sein oder äußert sich wider besseres Wissen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Ich würde sagen, Sie reden wider besseres Wissen!)

Hier gewährleistet die Verfassung den politisch Verfolgten das Asyl als Grundrecht, und es wird nicht, wie in den meisten Staaten der westlichen Welt, nach politischer Opportunität gewährt. Hier haben in den letzten Jahren Tausende Asyl erhalten. Und allein im ersten Halbjahr dieses Jahres wurden fast 2 000 Anträge positiv beschieden.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Abgelehnt wurden sie!)

Es ist deshalb schlicht falscher Alarm, wenn im Zusammenhang mit dem vom UNO-Flüchtlingskommissar selber abgesagten Deutschlandbesuch der Bundesregierung Rücksichtslosigkeit in der Asylpolitik vorgeworfen wird.

(Dr. Vogel [SPD]: Warum hat er abgesagt?)

Wir haben uns doch im vergangenen Jahr sehr eingehend mit der Asylgewährung befaßt und ein Asylverfahrensgesetz unter Zustimmung aller damaligen Fraktionen verabschiedet.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sie reden am Thema vorbei! — Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Das ist faul!)

Ich glaube, wir als deutsche Abgeordnete haben heute die Pflicht, gegen unsachliche Kritik an der Asylgewährung oder der Unterbringung von Asylanten in unseren Bundesländern Front zu machen und dafür zu sorgen, daß dieser Bericht der Wahrheit entspricht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002221200
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1002221300
Meine Damen und Herren Kollegen! Ich kann dem Kollegen Schmude in seinen Ausführungen nur zustimmen.

(Feilcke [CDU/CSU]: Ist doch klar!)

Wir debattieren wieder einmal über einen Minister, den wir den Mister Januskopf nennen könnten. Vormittags erleben wir ihn als den großen Baumschützer,

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Umwelt-! — Weiterer Zuruf von der SPD: Baumfäller!)

und nachmittags erleben wir ihn dann als denjenigen, der es offenbar mit dem Asylrecht, den Menschenrechten nicht so ernst nimmt, wie es in einem Rechtsstaat notwendig ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Bohl [CDU/CSU]: Frechheit! — Weitere erregte Zurufe von der CDU/CSU)

Man kann natürlich in einer gewissen Tradition des deutschen Kommandotones mit einer Kritik so fertig werden, daß man befiehlt: Kritik hat zu unterbleiben.

(Klein [München] [CDU/CSU]: Meinen Sie den Bastian?)

Aber wenn Sie denken, das sei die richtige Art und Weise, mit einem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen, dem Flüchtlingskommissar, umzugehen, dann, glaube ich, sind Sie auf dem falschen Dampfer gelandet.

(Klein [München] [CDU/CSU]: Und Sie im falschen Parlament!)

Schauen Sie sich doch den Bericht an, einen internen Bericht. Wie soll sich denn das entwickeln, wenn man einen Besuch davon abhängig machen will, daß man sagt: Ich befehle erst einmal: Die Kritik hat zu unterbleiben, und dann bin ich gnädigst bereit, den Flüchtlingskommissar zu empfangen. — Wenn das international der Umgangston werden sollte, werden Sie, glaube ich, dem Ansehen der Bundesrepublik keinen Gefallen tun.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Zum Umgangston sollten Sie schweigen, Herr Schily! — Broll [CDU/CSU]: Verstehen Sie denn etwas vom Umgangston?)

Sie, Herr Zimmermann, sollten sich eher darum kümmern, wie es wirklich in den Flüchtlingsunterkünften aussieht. Vielleicht sollten Sie sich diese Flüchtlingsunterkünfte und die Unterbringung mit dem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen gemeinsam anschauen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das wäre eine bessere Maßnahme als hier hochnäsig zu sagen: Nein, ich empfange dich nicht, wenn du nicht vorher ein internes Papier zurückziehst.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Distanzierst! Wortwörtlich will er die Distanzierung!)

— Distanzierung, genau das ist es, was wir immer hören: Erst distanzieren und dann diskutieren. So, denke ich, ist eine rechtsstaatliche Demokratie nicht aufzubauen. — Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002221400
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich Sie davon unterrichten, daß wir Gäste haben. Auf der Tribüne haben Gäste des Deutschen Bundestages aus dem Parlament Islands, des Althing, unter Leitung seines Vizepräsidenten Platz genommen.

(Beifall)

Ich begrüße Sie herzlich und freue mich, daß Sie uns zuhören.



Vizepräsident Westphal
Die nächste Rednerin ist Frau Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1002221500
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Für die Fraktion der FDP möchte ich dem Herrn Bundesaußenminister ausdrücklich für seine umgehende Initiative in dieser für uns alle peinlichen Angelegenheit danken.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich hoffe, daß diese Initiative dazu beigetragen hat, den, wie auch wir meinen, eingetretenen beträchtlichen Schaden einzugrenzen und auch wieder in Ordnung zu bringen, denn die Vergangenheitsbewältigung hat im Augenblick nicht mehr viel Sinn. Das Hohe Haus sollte sich vielmehr einmal Gedanken darüber machen und bei der Regierung nachfragen, wie solche unliebsamen Zwischenfälle im internationalen Umgang in Zukunft vermieden werden können.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich möchte hier noch einmal unterstreichen, welche ungewöhnliche internationale Bedeutung das Hohe Kommissariat der Vereinten Nationen hat,

(Zustimmung des Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD])

daß es wohl die angesehenste Institution der Vereinten Nationen überhaupt ist,

(Beifall bei der FDP und der SPD)

daß der Träger, der Hohe Kommissar, zweimal den Friedensnobelpreis erhalten hat, meine Damen und Herren,

(Hört! Hört! bei der SPD)

und ein früherer Ministerpräsident eines uns nun wirklich befreundeten und benachbarten Landes, nämlich Dänemarks, ist. Bei dieser Gelegenheit sollte dem Amt und der Tätigkeit seines Trägers hohe Anerkennung ausgesprochen werden. Dieses Amt ist die letzte Hoffnung für Hunderte von Millionen von Flüchtlingen, Obdachlosen, Hungernden und Vertriebenen in der ganzen Welt. Wir tun wohl daran, diese Arbeit in jeder Weise zu unterstützen und zu fördern.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Deshalb,. meine verehrten Damen und Herren, danken wir dem Herrn Außenminister für seine Initiative und unterstützen sie. Jeder, der im außenpolitischen Bereich tätig war, weiß, wie besonders sensibel die Weltöffentlichkeit gerade auf uns Deutsche bei der Behandlung von Asylanten und Flüchtlingen schaut.

(Beifall bei der SPD)

Das ist der eigentlich entscheidende Grund, weshalb ich für die FDP den Herrn Innenminister dringend bitte, hier zu sagen, daß er bereit ist, Herrn Hartling zu empfangen. Ich glaube, daß ein schlechter Bericht, ein unzutreffender Bericht nicht ein
Grund weniger ist, dies zu tun, sondern genau ein Grund mehr, dies zu tun.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002221600
Das Wort hat der Abgeordnete Wartenberg (Berlin).

Gerd Wartenberg (SPD):
Rede ID: ID1002221700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Worten der Frau Kollegin Hamm-Brücher muß man wohl erwarten, daß der Herr Innenminister hier heute noch deutliche Worte sagen wird und sich hoffentlich von seinem Vorgehen distanzieren wird.

(Zustimmung des Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD])

Ich glaube, wenn er politisch überhaupt noch klar denken kann,

(Lachen bei der CDU/CSU)

dann muß er diese Distanzierung vornehmen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Miltner, Sie haben den Vorgang durch Ihre Rede nicht in eine bessere Situation für ihre Fraktion gebracht. Wenn man hier in der Aktuellen Stunde spricht, dann muß man vorher möglichst auch in der Fragestunde anwesend gewesen sein.

(Beifall bei der SPD)

Ihnen ist die Peinlichkeit widerfahren, daß Sie nicht gemerkt haben, wozu Herr Möllemann nicht gesprochen hat. Herr Möllemann hat nämlich krampfhaft versucht, nichts zu sagen, indem er gesagt hat: Wir wollen um Gottes willen nicht über den Bericht sprechen. Wir wollen die Angelegenheit begraben. Sie machen genau das Gegenteil: Sie stellen den Bericht in den Mittelpunkt, erhöhen die Peinlichkeit und lenken damit von dem eigentlichen Vorgang wieder ab, der doch so einfach zu bereinigen wäre, indem hier ein klares Wort von Regierungsseite käme. Die Regierung hat sich einer der angesehensten Institutionen der Welt gegenüber falsch verhalten.

(Beifall bei der SPD)

Wie peinlich der Vorgang ist, muß ich Ihnen auch an Hand eines weiteren Vorkommnisses schildern. Es geht hier ja nicht nur um die Brüskierung des Hohen Kommissars, sondern es geht um zusätzliche unglaubliche Peinlichkeiten, die sich die Regierung eines der größten Industriestaaten der westlichen Welt nicht leisten dürfte.
Da findet eine Veranstaltung des Hohen Kommissars in Genf statt. Das Innenministerium meldet zu dieser Integrationsveranstaltung Mitglieder seiner Behörde als Teilnehmer. Dann wird dieser Bericht zum Anlaß genommen, diese Teilnehmer wieder abzumelden.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Was sind das eigentlich für Verhaltensweisen der
Regierung der Bundesrepublik Deutschland? Wis-



Wartenberg
sen Sie, daß ist wirklich weit unter dem Niveau einer Bananenrepublik.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

So geht es wirklich nicht im internationalen Umgang.
Ich glaube, man muß hier auch noch einen anderen Punkt sehen. Seit Anfang August ist dieser Bericht bekannt. Wenn dieser Bericht seit Anfang August bekannt ist, dann muß es doch wohl Ihnen, Herr Innenminister, möglich gewesen sein, die Dinge in klärenden Gesprächen richtigzustellen. Statt dessen lassen Sie es zu einer Eskalation kommen, die dazu führt, daß nun der Außenminister hektisch versucht, etwas zu kitten, was inzwischen kaputtgegangen ist und was vielleicht nur ganz schwer zu kitten ist, wenn der Innenminister nicht bereit ist, hier klare Worte zu sagen. Das heißt, die Sache ist seit Anfang August, also über einen Monat bekannt. Jetzt bricht Hektik aus, weil man merkt, daß sich der Innenminister verrannt hat an einer Stelle, wo er mit wenigen Worten eine Lösung hätte erreichen können.
Ich halte das Ganze für unwürdig und hoffe, daß der Innenminister das von dieser Stelle aus bereinigt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002221800
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)


Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID1002221900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auslösender Umstand für die Diskussion ist ein interner Bericht, der in der Behörde des Hohen Kommissars für Flüchtlingsangelegenheiten erstellt worden ist. In diesem internen Bericht wird eine Beurteilung der Zustände in Aufnahmelagern der Bundesrepublik Deutschland für Asylsuchende gegeben. Dieser Bericht entspricht nach Auffassung der Bundesregierung in keiner Weise den Tatsachen. Er ist geeignet, die Zustäde in unserem Lande in einem unerträglichen und für uns nicht akzeptablen Licht erscheinen zu lassen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von den GRÜNEN)

Dieser Bericht bezieht sich auf Lager in den Bundesländern Bayern — —

(Duve [SPD]: Hier spricht der Außenminister im Wahlkampf nicht als Außenminister! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Herr Abgeordneter, wollen Sie nicht eine sachliche Darstellung hören, nachdem Ihre Redner bisher ja weniger zur Sache als zu den Umständen gesprochen haben?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dieser Bericht bezieht sich auf angebliche Mißstände in Lagern der Bundesländer Bayern, Hessen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Ich denke, daß wir Anlaß haben, auch aus diesem Grunde diese Frage nicht parteipolitisch, sondern
unter dem Aspekt des Ansehens unseres Landes als eines intenational anerkannten liberalen Aufnahmelandes zu sehen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das war einmal!)

Die Bundesregierung hat diesen Bericht, der durch eine Indiskretion bekanntgeworden ist

(Zuruf von der SPD: Indiskretion?)

— ja, dieser Bericht ist durch eine Indiskretion bekanntgeworden, Herr Kollege, ohne daß es eine amtliche Distanzierung davon gegeben hätte —, die Bundesregierung hat diesen Bericht zum Anlaß genommen, durch ihren Vertreter, Herrn Botschafter Arnold, am 16. August 1983 ihre Auffassung zum Ausdruck bringen zu lassen, daß sie in diesem Bericht, in der Vorbereitung des Berichts und in der Ankündigung des Besuches der Berichterstattenden Umstände sieht, denen sie nicht zustimmen kann. Sie hat zugleich ihr Interesse an der Fortsetzung der Zusammenarbeit mit dem Hohen Flüchtlingskommissar zum Ausdruck gebracht.
Nicht hektische Initiativen des Außenministers in den letzten Tagen, sondern die von mir von Anfang an erklärte Bereitschaft, den Hohen Kommissar zu empfangen, zeigt, daß die Bundesregierung natürlich bereit ist, mit dem Vertreter eines Amtes, das sie hoch einschätzt, mit einer Persönlichkeit, die hohen persönlichen Respekt genießt, jederzeit über diese Fragen zu sprechen.

(Zuruf von der SPD: Das soll der Herr Zimmermann sagen!)

— Herr Abgeordneter, ich habe gestern dem Hohen Kommissar außerdem mitgeteilt, daß bei dem von uns erwünschten Besuch der Herr Bundeskanzler selbstverständlich bereit ist, den Hohen Kommissar zu empfangen und über diese und andere Fragen zu sprechen. Der Bundeskanzler spricht noch immer — übrigens auch jedes andere Mitglied der Bundesregierung — für die gesamte Bundesregierung. Ich tue das auch hier an dieser Stelle.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD: Und Herr Zimmermann?)

Ich nehme den Staatsminister Möllemann gegen den Vorwurf in Schutz, er habe das Parlament nicht ausreichend unterrichtet. Es hat gestern eine längere Debatte im Innenausschuß gegeben. Herr Möllemann hat Hergang und Sachverhalt heute erläutert.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Nein!)

Er hat sich aber an eine Vereinbarung gehalten, die ich gestern mit dem Hohen Kommissar getroffen habe, nämlich die Diskussion über die Umstände dieses Besuchs nicht fortzusetzen.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Das tun wir nicht, um etwas unter den Teppich zu
kehren, sondern wir tun es, damit die Zusammenarbeit unseres Landes mit dieser wichtigen Institu-
1496 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983
Bundesminister Genscher
tion nicht durch öffentliche Polemik und Auseinandersetzung beeinträchtigt wird.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Kittelmann [CDU/CSU]: Die SPD schadet dem Land! — Weitere Zurufe)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002222000
Das Wort hat der Abgeordnete Weirich.

Dieter Weirich (CDU):
Rede ID: ID1002222100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte vier Feststellungen treffen.
Erstens. Der Bundesinnenminister hat gestern den Innenausschuß des Deutschen Bundestages offen und offensiv informiert.

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN — Zurufe von der SPD: „Offensiv"!)

— Natürlich offensiv; so ist der Bundesinnenminister. Er ist Gott sei Dank offensiv, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Noch nicht einmal die Hälfte der SPD-Abgeordneten war in dieser Ausschußsitzung anwesend, und dann inszenieren Sie heute diesen Theaterdonner!

(Kittelmann [CDU/CSU]: Typisch!)

Zweitens. Die Kampagne gegen den Innenminister nimmt langsam groteske Züge an. In der letzten Sitzung haben Sie gesagt: „Treten Sie ab!", und in der heutigen Sitzung sagen Sie: „Treten Sie vor!".

(Heiterkeit bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich sage Ihnen: Dieses Instrument nutzt sich bei der Unionsfraktion ab. Wir werden kühl und gelassen hinter diesem erfolgreichen Innenminister stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Dieser Politiker tut Ihnen doch nur deswegen so weh, weil er erstens der Garant der inneren Sicherheit und zweitens der Vorreiter einer vernünftigen Umweltschutzpolitik ist.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Ich komme zu meiner vierten und letzten Feststellung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Stück mehr Solidarität innerhalb des Parlaments wäre angebracht. Wenn in einem Bericht die Asylpolitik der Bundesrepublik Deutschland pauschal abqualifiziert wird, wenn in einem Bericht steht, es gebe eine zwangsweise Internierung von Bewerbern,

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Gibt es die denn nicht?)

dann, meine Damen und Herren, wird diese freiheitliche Republik in die Nähe von Unrechtsregimen gerückt, und das akzeptiert diese Unionsfraktion nicht.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Mich macht in diesem Zusammenhang betroffen, daß Sie nicht über den Inhalt des Berichts diskutieren und daß Sie sich nicht gemeinsam mit uns solidarisieren gegen diese Pauschalschelte und Diffamierung der freiheitlichen Bundesrepublik, sondern daß Sie den Innenminister attackieren. Das ist Ihr eigentlicher Fehler.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, insbesondere Sie von der Sozialdemokratischen Partei machen einen großen Fehler: Mit Ihrer Initiative rücken Sie die sozialdemokratischen Innenminister in den Bundesländern — die gibt es noch — auf die Anklagebank. Deswegen müssen wir über den Inhalt des Berichts diskutieren und keine vordergründigen Attacken gegen den Innenminister der Bundesrepublik Deutschland richten.
Zum Schluß möchte ich hinzufügen, meine Damen und Herren, daß hier nicht inhaltlich diskutiert wird, sondern nur versucht wird, eine Frage zu personalisieren. Das macht mich betroffen. Wir alle sollten uns dagegen wehren, daß von der Bundesrepublik Deutschland ein Zerrbild gezeichnet wird. Dafür steht Ihnen die Union nicht zur Verfügung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002222200
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Timm.
Frau Dr. Timm: (SPD) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesaußenminister, jetzt ist die Konfusion j a wohl komplett. Wir haben heute eine dringende Frage in der Fragestunde gestellt, und Herr Staatsminister Möllemann hat penetrant gesagt:

(Kittelmann [CDU/CSU]: Was heißt „penetrant"?)

„Dieses werden wir jetzt nicht weiter diskutieren", und Sie sagen jetzt plötzlich wieder, der auslösende Umstand war eben doch ein Bericht,

(Kittelmann [CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört!)

obgleich Sie gleichzeitig wiederum sagen: wir haben heute die Vereinbarung getroffen — das hat auch Herr Staatsminister Möllemann dauernd gesagt —, im Interesse unserer guten Beziehungen zum Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen über die Umstände im Zusammenhang mit dem ausgefallenen Besuch des Hohen Flüchtlingskommissars nicht weiter zu reden. Also, dies verstehe ich nun überhaupt nicht mehr: Was ist denn nun eigentlich die Haltung der Bundesregierung?

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Zurufe der CDU/CSU)

Genau auf diese Frage nämlich habe ich heute in der Fragestunde keine Antwort bekommen. Dies ist



Frau Dr. Timm
ja gerade das Unbefriedigende, weshalb wir auch diese Aktuelle Stunde gefordert haben.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist eine scheinheilige Argumentation!)

Wer ist in der Bundesregierung zuständig, wenn ein solcher Besuch vorbereitet wird, ansteht? Alles ist vorbereitet, und plötzlich muß er aus „Umständen" abgesagt werden. Der Bundesaußenminister beeilt sich, zu sagen, er habe jederzeit Zeit. Der Bundesinnenminister sagt, er habe keine Zeit, und läßt seinen Sprecher sagen, für ein sachliches Gespräch müßten vom Hohen Flüchtlingskommissar erst einmal die Voraussetzungen hergestellt werden. Wer hat denn nun in dieser Bundesregierung eigentlich die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit?

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Dies ist meine Frage, dies ist mein Punkt. Denn es handelte sich ja wohl um einen Besuch des Hohen Kommissars der UN für Flüchtlingsfragen bei der Bundesregierung. Im übrigen ging es j a bei den angekündigten Gesprächen auch gar nicht allein um das Asylproblem. Es ging auch — und dies ist ja im zehnten Jahr der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in den Vereinten Nationen nicht ganz uninteressant — um unsere Beziehungen, um unser Verhältnis, unser bisher so gutes Verhältnis zu dieser Behörde der Vereinten Nationen, um diese Kontinuität.

(Beifall bei der SPD)

Dies ist meine Frage.
Der Bundesaußenminister sagt — jetzt, hinterher —, er habe Zeit gehabt. Aber er hat sich offenbar ja wohl nicht durchgesetzt, als die Frage akut war, als dieser Besuch anstand und alles vorbereitet war, mit vielen, vielen anderen Gruppierungen auch noch. Dies ist das Problem, und auf diese Frage hat das Parlament wohl eine Antwort zu bekommen; es hat einen Anspruch darauf, eine Antwort zu bekommen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Im vorliegenden Fall, Herr Bundesaußenminister, respektiere ich Ihre persönliche Haltung und auch die Politik, die Sie mit dem Außenministerium für diese Bundesrepublik in bezug auf die Vereinten Nationen bisher betrieben haben, aber es stellt sich die Frage: Ist dies — und das wäre ein Wort — für die ganze Bundesregierung zuverlässig und durchführbar? — Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: Das waren ein paar Worte zuviel, Frau Kollegin!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002222300
Das Wort hat der Abgeordnete Fischer (Frankfurt).

(Kittelmann [CDU/CSU]: Jetzt wird eingepeitscht! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1002222400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Keine Sorge! — Man
spricht hier heute von einer Kampagne gegen den Innenminister. Auch gestern wurde seitens der Unionsfraktionen im Innenausschuß schon recht lautstark von einer Kampagne geredet,

(Zuruf von der CDU/CSU: Sonst haben Sie j a nichts im Sinn!)

teilweise von noch mehr. Seltsamerweise, Herr Kollege Weirich, bleibt das eine bestehen: Auch Sie sagten gestern, Sie kennten den Bericht gar nicht, geschweige denn der Rest des Innenausschusses. Dieser Bericht liegt offiziell nicht vor; zumindest lag er dem Innenausschuß gestern offiziell nicht vor. Und allein auf die Tatsache hin, daß sich Herr Innenminister Zimmermann diffamiert fühlt, von billiger Polemik zu sprechen, halte ich doch für weit überzogen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Hauser [Esslingen] [CDU/CSU]: Herr Fischer, Sie haben den Bericht doch! Lesen Sie ihn einmal vor!)

Es geht hier mittlerweile offensichtlich darum, Bekenntnisse zu Herrn Zimmermann abzulegen, Bekenntnisse, daß er ein Garant und Vorreiter ist, Herr Weirich. Wenn man sich die letzten Wochen, vor allen Dingen bezüglich der Ausländer- und Asylpolitik, anschaut, dann habe ich das Gefühl, daß sich Herr Zimmermann mehr und mehr zum Geisterreiter dieser Regierung entwickelt,

(Beifall bei den GRÜNEN)

zu einem Geisterreiter mit schlimmen Konsequenzen in der Asyl- und Ausländerpolitik.

(Zuruf von den GRÜNEN: Apokalyptischer Reiter!)

— Ein apokalyptischer Reiter für viele, die in Auslieferungshaft sitzen; das ist richtig. — Wenn man dieses Doppelverfahren, nämlich auf der einen Seite Beantragung politischen Asyls und auf der anderen Seite Festnahme und Überbringung in Auslieferungshaft, sieht, wenn man den Tod Altuns sieht, wenn man sieht, daß im Zusammenhang mit der beantragten Ministerentlassung über die näheren Umstände der Türkeireise, über die näheren Umstände der beiden Briefe, die der Innenminister und der Justizminister geschrieben haben, jegliche Auskunft auch im Innenausschuß von Herrn Spranger verweigert wurde, wenn man das im Zusammenhang dann noch sieht mit der Absage des Besuchs des Hohen Kommissars — und in dem Bericht des Hohen Kommissars stehen im wesentlichen Fakten, die von unabhängigen deutschen Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international, den freien Wohlfahrtsverbänden und den Ausländerbeauftragten der Kirchen ebenfalls seit langem schon behauptet werden —, wenn man das alles summiert, dann frage ich mich, ob man als deutscher Abgeordneter nicht die Pflicht hat, darauf hinzuweisen, daß es sich um skandalöse, ja menschenbedrohende Zustände handelt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In diesem Zusammenhang lassen Sie mich ein abschließendes Wort sagen. Wer nichts zu verbergen hat, der sollte erst recht einladen, wenn er sich



Fischer (Frankfurt)

diffamiert fühlt, und dort gemeinsam hingehen. Wenn man nichts zu verbergen hat, kann man einladen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002222500
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Höchste Zeit! — Wo bleibt Zimmermann? — Ist Zimmermann entlassen?)


Dr. Helmut Kohl (CDU):
Rede ID: ID1002222600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir ein kurzes und für die Bundesregierung zu dieser Debatte abschließendes Wort.

(Lambinus [SPD]: Zimmermann drückt sich!)

Erstens. Der Hohe Kommissar wurde von niemandem seitens der Bundesregierung ausgeladen. Vielmehr hat der Kollege Genscher, Bundesaußenminister und Vizekanzler, ausdrücklich die Bereitschaft der Regierung erklärt, Herrn Poul Hartling, den wir hoch schätzen, selbstverständlich zu empfangen.
Wir haben daraufhin, als ich mit dem Gegenstand befaßt wurde, sofort die Erklärung abgegeben, daß angesichts dieses Berichts und der politischen Tragweite, die diese — von wem auch immer — offensichtlich beabsichtigte Indiskretion für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland hat, ich selbst gemeinsam mit meinen Kollegen Herrn Hartling empfangen werde. Wir werden einen Termin vereinbaren. Wir werden ganz ruhig und vernünftig darüber sprechen, ruhig und vernünftig im Stil, aber ganz klar in der Sache, daß diese Art der Berichterstattung über die Handhabung des Asylrechts in der Bundesrepublik Deutschland für uns völlig inakzeptabel ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Als einer, der in vielen Jahren in einem deutschen Bundesland als Ministerpräsident in einer besonderen Verantwortung auch für diese Fragen stand, weiß ich, daß sich die Kollegen in den Bundesländern, die für diese Lager die Hauptverantwortung tragen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten große Mühe geben, das Schicksal der Asylanten zu erleichtern. Das, was in diesem Bericht über die Arbeit der Landesregierungen und der dort Bediensteten steht — in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Bayern und Baden-Württemberg —, ist für mich in keiner Form akzeptabel.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Dieser Bericht ist nicht zutreffend, dieser Bericht ist falsch. Wer aus diesem Bericht politische Konsequenzen zieht, wie das teilweise in bestimmten Teilen der Weltöffentlichkeit geschehen ist, ist für mich kein Gesprächspartner, der um das Wohl und um die wirklichen Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland besorgt ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von den GRÜNEN)

Soviel zur Sache.
Zweitens. Der Bundesinnenminister stand, wie eben hier ja von allen Seiten bestätigt wurde, gestern rund 90 Minuten dem Innenausschuß, dem zuständigen Ausschuß des Deutschen Bundestages, zur Verfügung. Das heißt, jeder von Ihnen, und zwar aus allen Fraktionen, hatte hinreichend Gelegenheit, entsprechend der parlamentarischen Tradition sich dort mit ihm auch kritisch auseinanderzusetzen. Im Verlauf — so wurde mir berichtet, und ich habe keinen Zweifel daran, daß dies so ist; einer der Redner hat es ja eben auch bestätigt —, im Verlauf dieses Gesprächs und der Diskussion im Innenausschuß wurde deutlich, daß zumindest die allergrößte Mehrheit des Innenausschusses, vielleicht sogar alle Kollegen aus dem Bundestag, diesen fraglichen Bericht nicht kannten. Und es ist natürlich ein gewisses Problem, über einen Bericht zu diskutieren, den man nicht kennt.

(Lebhafte Zustimmung bei der SPD und den GRÜNEN — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Mittlerweile hat man ihn!)

Meine Damen und Herren, es ist dann auch ein gewisses Problem, über die Reaktion eines Ministers zu urteilen, der den Bericht kennt, wenn man selbst den Bericht nicht kennt. Das ist in der Tat ein gewisses Problem.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

Der Kollege Zimmermann hat mir soeben noch einmal versichert, daß er dem Innenausschuß gestern ausdrücklich angeboten hat — Sie haben das offensichtlich akzeptiert —, Ihnen alle Dokumente, die im Besitz der Regierung sind, auch diesen Bericht, zur Verfügung zu stellen.

(Hauser [Esslingen] [CDU/CSU]: So ist es!)

Meine Damen und Herren von der SPD, es drängt sich doch jetzt die Frage auf: Warum machen Sie die Aktuelle Stunde nicht in der nächsten Sitzungswoche, wenn Sie diesen Bericht studiert und gelesen haben?

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Warum machen Sie eine Aktuelle Stunde zu einem Zeitpunkt, wo Sie wissen müssen, daß Sie über den Inhalt eines Berichtes diskutieren, den Sie nach Ihrem eigenen Zeugnis nicht kennen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Hauff [SPD]: Am Thema vorbei! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Es bleibt zum Schluß also die einfache Feststellung, daß in dieser jetzigen Aktuellen Stunde wie in vielen Äußerungen der letzten Wochen der Versuch gemacht wird, einen Ihnen unliebsamen Minister anzugreifen, wenn möglich zu verdrängen, abzuschießen, um es deutlicher zu sagen.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Mit einem Wort: Hier geht es nicht um die Aufhellung eines Sachverhalts; denn diese Aufhellung



Bundeskanzler Dr. Kohl
kann erst erfolgen, wenn Sie den Bericht studiert haben.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Es ging gar nicht um den Bericht!)

Wir können nach Ihrem Studium des Berichts hier erneut darüber diskutieren.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Mühsamer Rechtfertigungsversuch! Am Thema vorbei! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

— Schon allein aus der Tatsache, daß Sie keine Rede ertragen können und versuchen, den Redner niederzuschreiben, können Sie ermessen, wie es wirklich um Ihre Diskussionsfähigkeit steht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zusammenfassend sage ich noch einmal namens der Bundesregierung: Wir haben die Einladung an den Hohen Kommissar ausdrücklich erneuert,

(Schily [GRÜNE]: Ohne Bedingungen?)

ich selbst werde den Hohen Kommissar empfangen und werde gemeinsam mit meinen Kollegen über die Fragen, die anstehen, mit ihm sprechen. Ich bin sicher, daß am Ende dieses Gesprächs stehen wird, daß der Hohe Kommissar die großartige Arbeit, die die Bürger, die Behörden, die Bundesländer und alle Bundesregierungen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Sachen Asylrecht geleistet haben, anerkennen wird. Ich kann keinen Sinn darin erkennen — um das gleich abschließend zu sagen —, daß sich Vertreter der Bundesregierung beim jetzigen Stand der Debatte weiter äußern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002222700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel.

Dr. Hans-Jochen Vogel (SPD):
Rede ID: ID1002222800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihre Ausführungen, Herr Bundeskanzler, haben den Sachverhalt nicht geklärt, sondern weiter verwirrt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ihre Ausführungen haben den Schaden, der der Bundesrepublik in dieser Sache droht, nicht gemindert, sondern die Peinlichkeit erhöht.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Bohl [CDU/CSU]: Das ist absurd!)

Der einfache Sachverhalt ist, daß der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Hartling, einen Besuch in der Bundesrepublik vereinbart hatte.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das ist nicht richtig! Das ist nicht wahr!)

— Entschuldigung: beabsichtigt hat. Es ist eine Tatsache, daß sich der Herr Bundesminister, des Auswärtigen so verhalten hat, wie man es in seiner Position erwarten kann, und es ist eine Tatsache, daß der Bundesinnenminister den Hohen Kommissar in einer peinlichen Weise brüskiert hat.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Sie haben zu allem gesprochen, Herr Bundeskanzler, nur nicht zu dem Punkt, der Gegenstand unserer Kritik ist. Wir kritisieren, daß der Herr Bundesinnenminister einen Gesprächstermin mit dem Hohen Kommissar mit der Begründung verweigert — ich verlese die Begründung, die der Pressesprecher des Bundesinnenministeriums gegeben hat —: Der Herr Innenminister muß erwarten, daß Herr Hartling selbst das Fundament für ein sachliches Gespräch bereitet. Dies ist eine Brüskierung.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es ist eine Brüskierung durch einen Bundesinnenminister, der den türkischen Innenminister in Ankara besucht und dafür seine Gründe haben mag, aber den Repräsentanten einer Organisation, die zweimal mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden ist, in dieser Weise behandelt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Kittelmann [CDU/CSU]: Etwas weniger Aufregung!)

Herr Bundeskanzler, es geht doch gar nicht um den Bericht.

(Kittelmann [CDU/CSU]: Ein bißchen weniger Aufregung!)

Alle sagen, daß sie den Bericht nicht kennen. Es mag ja auch sein, daß dieser Bericht Feststellungen enthält, die falsch sind. Aber lassen Sie sich von Ihrem Bundesaußenminister belehren, daß man falsche Feststellungen durch Gespräche mit dem Kommissar ausräumt und überwindet, und nicht durch Brüskierung.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)

— Ach, meine Herren, wenn ich so empfindlich wäre wie mein Vorredner, würde ich fernsehwirksam davon reden, daß Sie mich niederschreien. Lassen Sie doch diese Geschichten!

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das Verhalten Ihres Bundesinnenministers hat es nicht erleichtert, sondern erschwert, unberechtigte Vorwürfe auszuräumen.

(Beifall bei der SPD)

Und jetzt noch etwas. Herr Bundeskanzler, haben Sie einen Gedanken daran verschwendet, was es für die Arbeit dieser Institution, auf die in Ländern mit harter Verfolgung die Menschen ihre Hoffnung setzen, bedeutet, daß Diktatoren in Zukunft sagen können: Wir empfangen Sie nicht; Sie empfängt ja noch nicht einmal der Innenminister der Bundesrepublik.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Laufs [CDU/CSU]: Gift! Unglaublich!)

Herr Bundeskanzler, Sie sind Ihrer Aufgabe, das Auswärtige Amt und das Innenministerium zu koordinieren, nicht gerecht geworden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Lachen bei der CDU/CSU)

Und der Punkt unserer Kritik, Herr Bundeskanzler, bleibt unverändert bestehen. Herr Zimmer-



Dr. Vogel
mann ist drauf und dran, die Umgangsformen, die in Bayern von der CSU mit ihren innenpolitischen Gegnern praktiziert werden,

(Lachen bei der CDU/CSU)

auf den internationalen Verkehr auszudehnen.

(Beifall bei der SPD)

Und das kann nur schlimme Folgen haben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich fordere Sie auf, Herr Bundeskanzler, das zu tun, was Sie nur ungern tun, nämlich klipp und klar an die Seite Ihres Außenministers zu treten und das Verhalten Ihres Innenministers zu mißbilligen.

(Anhaltender Beifall bei der SPD — Beifall bei den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002222900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1002223000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich im Namen meiner Fraktion auf ganz wenige und leidenschaftslose Bemerkungen beschränken.
Der Sinn dieser Aktuellen Stunde sollte es sein, uns Klarheit und Sicherheit darüber zu verschaffen, daß es zwischen der Bundesregierung und dem Flüchtlingskommissar zu einem Gespräch ohne Vorbehalte, ohne Vorbedingungen und in aller Offenheit kommt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich frage mich, ob wir heute durch diese Debatte dazu beigetragen haben, dieses Gespräch zu erleichtern.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich muß sagen, daß wir es dankbar begrüßen, daß der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister in der uns allein interessierenden Frage, nämlich ob es ein solches Gespräch gibt, ohne Vorbehalte hier klare und für die Bundesregierung insgesamt befriedigende Erklärungen abgegeben haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich muß allerdings hinzufügen: Herr Bundesinnenminister, ein persönliches Wort von Ihnen am Anfang dieser Debatte wäre nötig gewesen und hätte noch mehr gebracht.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt einen Flüchtlingskommissar, weil wir in einem Jahrhundert der Flüchtlinge leben. Und das Asylrecht — dafür müssen wir sorgen — darf nicht ein nur papierenes Recht sein, sondern es muß verwirklicht werden. Darum sollten wir Asylbewerber nicht nur als eine Belastung sehen, sondern wir sollten stolz darauf sein, daß so viele Menschen in unserem Land Zuflucht suchen, weil sie auf die Rechtsstaatlichkeit und die Gerechtigkeit dieses Landes vertrauen. Und das nach 30 Jahren erreicht zu haben, ist nichts Geringes. Es ist etwas, auf das wir stolz sein müßten!

(Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es ist richtig, daß der Bundesinnenminister im Innenausschuß gestern — Herr Weirich, Sie haben die Formel „offensiv" gebraucht — Stellung genommen hat. Ich hätte mir gewünscht, der Bericht wäre etwas intensiver gewesen.

(Zustimmung bei der SPD)

Das heißt, wir müssen uns mit den Einzelheiten dieses Berichts befassen, weil man eines sagen kann: daß eine pauschale Bewertung der Wirklichkeit des Asylrechts in der Bundesrepublik unseren Leistungen nicht gerecht wird. Aber das sollte uns die innere Kraft geben, in Offenheit darüber zu reden, ob es einzelne Dinge gibt, die zu beanstanden sind, und was in der Verfassungswirklichkeit getan werden kann, um da etwas zu verbessern.
Ich war überrascht, heute in der Fragestunde zu hören, daß wegen der in dem Bericht wiedergegebenen Äußerungen des Leiters des Bundesamtes — wenn sie zutreffend sein sollten, wären sie ja skandalös — keine dienstliche Äußerung angefordert worden ist. Wir hätten gern diese Sicherheit, auch im Interesse des Beamten selber, und wir meinen, daß in der Zeit seit dem Bekanntwerden dieses Berichts, seit Anfang August, in der Tat eine größere Klarheit über die dort vorgebrachten Beanstandungen hätte geschaffen werden können.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Das Ziel also, dem wir uns verpflichtet fühlen, dem sich die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit verpflichtet fühlt,

(Zuruf von der SPD: Na, na!)

ist nicht, sich wegen einer Kritik beleidigt zurückzuziehen, sondern ist, offen und vorbehaltlos mit dem Flüchtlingskommissar zu sprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und bei der SPD)

Herr Bundesinnenminister, die Sie tragenden Fraktionen gehen davon aus, daß Sie sich dieser Haltung der Bundesregierung anschließen werden.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Schily [GRÜNE]: Das soll er selber sagen! — Zurufe von der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002223100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klein (München).

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1002223200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Hirsch hat — dafür bin ich ihm sehr dankbar — eben festgestellt, daß die wirklich interessierenden Fragen in dieser Aktuellen Stunde von dem Herrn Bundeskanzler und von dem Herrn Außenminister beantwortet worden sind. Jetzt darf ich, da ich diesen Eindruck des Kollegen Hirsch teile, Ihnen eine Frage stellen: Wonach, Herr Dr. Vogel, haben Sie eigentlich noch gefragt?
Herr Dr. Vogel, wir kennen uns lange genug, und ich kenne auch Ihre starke Willenskraft,

(Dr. Hauff [SPD]: Richtig!)

die Sie zu einer künstlichen Erregung befähigt.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)




Klein (München)

Sie haben hier nach Beantwortung der Fragen festgestellt, der Sachverhalt sei nicht geklärt.

(Dr. Vogel [SPD]: Ja!)

Ich kenne auch Ihre juristischen Fähigkeiten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie nicht begriffen haben, was hier gesagt worden ist.

(Dr. Vogel [SPD]: Haben Sie es begriffen?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich zitiere ein Wort des Oppositionsführers, des Führers der sozialdemokratischen Fraktion, Dr. Hans-Jochen Vogel. Er hat vom Schaden gesprochen, der der Bundesrepublik drohe.

(Demonstrative Zustimmung bei der SPD — Dr. Klejdzinski [SPD]: Richtig erkannt! — Dr. Hauff [SPD]: Durch Zimmermann!)

Erwägen Sie bitte, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, einmal ganz ernsthaft, ob die Art und Weise des dramatisch inszenierten Spektakels, das Sie hier heute aufgeführt haben, nicht internationalen Schaden anrichtet!

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Ein großer Tragöde sind Sie nicht!)

Wenn es Ihnen mit der von Ihnen beschworenen angesehenen Persönlichkeit und mit der angesehenen Institution so ernst wäre, hätten Sie gestern die Möglichkeit genutzt, im Innenausschuß zumindest anwesend zu sein.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Aber wie ich höre, war ja nur ein kleiner Teil da.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Unerhört!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die Fraktion der CDU/CSU kann ich hier erklären: Wir haben von Kanzler und Außenminister befriedigende Auskunft erhalten. — Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002223300
Das Wort hat der Abgeordnete Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1002223400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Klein, wir haben eine solche befriedigende Antwort nicht erhalten. Ganz im Gegenteil.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie wollen sie nur nicht hören!)

Wir müssen es alle bedauern, daß der Bundeskanzler das Verhalten des Innenministers mit der Brüskierung hier praktisch gedeckt hat und seinem Außenminister eben nicht zur Seite getreten ist. Er hat nicht mitbekommen, was Herr Möllemann heute erklärt hat, daß nämlich nach einer Übereinkunft zwischen Außenminister und Hohem Kommissar über den Bericht zur Zeit nicht geredet werden soll.
Auch die beiden Abgeordneten des Innenausschusses, die der CDU angehören und hier geredet haben, haben das wohl nicht mitbekommen.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Sie sind doch gestern aus dem Ausschuß gelaufen!)

— Ich bin gestern im Innenausschuß gewesen.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Ganz kurz. Dann sind Sie weggelaufen!)

Es geht um die Frage, ob dieser Bundeskanzler in der Lage ist, die vielfältigen Beziehungen aller Behörden der Bundesrepublik mit dem Ausland und mit internationalen Behörden im Sinne seiner Richtlinienkompetenz so zu gestalten, daß solche provinziellen — will ich einmal vorsichtig sagen — Knietritte, Schienenbeintritte, wie sie erfolgt sind — der Innenminister hat das gestern ja ganz klar gesagt —, unterbleiben.

(Beifall bei der SPD)

Die Frage ist also: Was wird die Bundesregierung künftig tun, um zu verhindern, daß in dem vielfältigen Geflecht aller deutschen Behörden mit internationalen Organisationen, mit anderen Staaten — auch auf der Ebene der Bundesländer — nicht noch einmal so etwas passiert?
Der Innenminister hat sich doch angemaßt, einen Referentenentwurf — so würde man das bei uns vornehm umschreiben — zu nehmen, populär hochzuziehen, zu dramatisieren und Einzelheiten aus dem Bericht, der gar keiner ist, zu erzählen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Wahrscheinlich doch, um Stimmung in der Öffentlichkeit für die Auffassung zu erzeugen, hier sei die Bundesrepublik angegriffen worden. Darum geht es hier nicht, sondern es geht um die Fähigkeit dieser Bundesregierung, international so aufzutreten, wie es zumindest dieser Hohe Kommissar erwarten kann.

(Beifall bei der SPD)

Herr Bundeskanzler — er ist nicht mehr da; gut —, Sie haben dann allerdings auch diesen — ich sage jetzt einmal — populistischen Fehler gemacht, der in der Demokratie häufig begangen wird. Sie haben etwas, von dem Sie glauben, Sie könnten damit eine Mehrheit kriegen — Asylfragen, Lager usw. —, noch einmal hochgespielt, statt sich ganz klar zur außenpolitischen Dimension der Sache zu erklären.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir sind mit der Antwort nicht zufrieden, und wir hoffen, daß das praktische Verhalten der einzelnen Regierungsmitglieder in der Zukunft so sein wird, daß solche peinlichen Ausrutscher nicht mehr stattfinden.

(Beifall bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002223500
Das Wort hat der Abgeordnete Kalisch.

Joachim Kalisch (CDU):
Rede ID: ID1002223600
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Duve, Stimmung haben Sie gemacht.
Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Nachdem der Herr Bundeskanzler hier klare und deutliche Worte gesprochen hatte, wußte ich eigentlich nicht, was es noch zu erörtern gab.

(Widerspruch bei der SPD)




Kalisch
— Warten Sie doch ab. Lassen Sie mich doch ausreden. Wenn ich Herr Dr. Vogel wäre, würde ich sagen: Ich hätte gesprochen, Sie haben mich niedergeschrien.
Herr Dr. Vogel hat in der ihm eigenen Art genüßlich in den Vorwürfen herumgerührt. Das war natürlich von tiefer Sorge getragen. Lassen Sie mich bitte das wiederholen, was der Kollege Klein gesagt hat. Nach den vielen klarstellenden Äußerungen frage ich mich: Was haben Sie davon eigentlich begriffen? Haben Sie nicht hingehört, haben Sie die Augen und Ohren zugemacht?

(Zuruf von der CDU/CSU: Die wollten gar nichts hören! — Duve [SPD]: Sie sind doch auch nicht in der Fragestunde gewesen!)

Wir haben die klärenden Äußerungen des Staatssekretärs im Innenausschuß gehört. Der Innenminister war, ich glaube, eineinhalb Stunden im Innenausschuß.

(Zurufe von der SPD)

— Ja, geben denn Ihre Mitglieder in den Ausschüssen nicht das weiter, was dort besprochen wird? — Wir haben im Innenausschuß vereinbart, daß uns der Bericht vorgelegt wird. Nach Vorlage des Berichts werden wir darüber im Innenausschuß diskutieren. Entweder Sie haben es nicht wahrgenommen, oder Sie wollten es nicht wahrnehmen.
Im übrigen, meine Damen und Herren, muß das j a doch auch mit den Ländern abgeklärt werden. Wir müssen uns doch ein Gesamtbild machen und müssen dann gemeinsam diskutieren.

(Frau Dr. Timm [SPD]: Das ist doch kein offizieller Bericht! — Weitere Zurufe von der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002223700
Meine Damen und Herren, vielleicht geben Sie dem Redner die Möglichkeit, die fünf Minuten ungestört zu sprechen. — Bitte, sprechen Sie weiter.

Joachim Kalisch (CDU):
Rede ID: ID1002223800

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Sehr gut: die „Kampagne des Herrn Innenministers"!)

— Ich meine gegen den Herrn Innenminister.
Meine Damen und Herren, es steht nicht gut. Ich finde es absolut von Unverständnis getragen, daß Sie hier versuchen, diese Dinge in dem freizügigsten Land, was Asylbewerber angeht, zu unserem Schaden aufzuklittern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ihnen galt immer ein Wort, meine Damen und Herren von der SPD: Sie hatten immer großes Selbstbewußtsein. Sie hatten sogar das Selbstbewußtsein, die USA zu beraten. Sie hatten das Selbstbewußtsein — oder haben es immer vorgetäuscht —, allen anderen Staaten als Ratgeber zu dienen. Nun, wir
sind das freizügigste Land, was die Asylbewerbungen angeht.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Die Bewerbungen ja!)

Wir haben, glaube ich, nur den Schaden davon, wenn Sie Ihre Interessen nicht den Interessen unserer Gesamtheit unterordnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie sollten das, was gesagt worden ist, noch einmal nachklingen lassen. Vielleicht kommt Ihnen dann über Nacht die Erleuchtung, so daß auch Sie wissen, was sich abgespielt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002223900
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Die Aktuelle Stunde ist geschlossen.
Wir fahren in der Tagesordnung — Beratung über Umweltschutzmaßnahmen — fort. Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer (Offenburg).

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1002224000
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben heute morgen bereits eine vierstündige Debatte zur Umweltpolitik gehabt. Sie war, was die Redner der Union anging, gekennzeichnet durch Bekenntnisse zum entschlossenen und zielgerichteten Handeln. Besonders hervorgetan hat sich dabei Herr Ministerpräsident Späth, der nicht nur — und dies zu Recht — auf Forschungsinitiativen des Landes Baden-Württemberg hingewiesen hat — —

(Anhaltende starke Unruhe)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002224100
Herr Abgeordneter, entschuldigen Sie, daß ich unterbreche. — Darf ich alle Damen und Herren des Hauses bitten, ihre Plätze einzunehmen oder ihre Unterhaltung außerhalb des Plenarsaals durchzuführen. — Darf ich auch die Dreiergruppe bitten, die Unterhaltung außerhalb des Plenarsaals fortzuführen. — Herr Abgeordneter Schäfer, bitte, fahren Sie fort.

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1002224200
Herr Ministerpräsident Späth — da war ich gerade stehengeblieben — hat nicht nur auf forschungspolitische Initiativen hingewiesen, sondern als besonders vordringlich auch die Veränderung der gerade verabschiedeten Großfeuerungsanlagen-Verordnung bezeichnet, jener Verordnung, meine Damen und Herren von der Koalition und auch Sie, Herr Bundesinnenminister, die Sie als den umweltpolitischen Durchbruch als die Lösung im Kampf gegen das Waldsterben darstellen. Wir stimmen dem Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg in seiner Kritik an der Großfeuerungsanlagen-Verordnung zu, wir stimmen ihm zu, daß dies nicht der umweltpolitische Durchbruch ist.

(Beifall bei der SPD)

Wir stimmen ihm zu, daß dies nicht die Maßnahme ist, die den Kampf gegen das Waldsterben erfolgreich nach vorne treibt.



Schäfer (Offenburg)

Späth — wie übrigens auch Sie, Herr Zimmermann — stellt sich verbal an die Spitze des Umweltschutzes. Es sieht anders aus, wenn wir die Taten anschauen, beispielsweise die des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, eines Landes mit ehemals großen und schönen Waldbeständen. Die Bilanz ist, wie Sie wissen, niederschmetternd. Neun von zehn Tannen im Schwarzwald sind krank. Was tut Herr Späth wirklich außer vollmundigen Ankündigungen? Er lehnt die Bundesratsinitiative des Landes Hessen zu einem Schwefelabgabegesetz ab. Herr Späth hat hier in diesem Hohen Hause am 20. Mai seine Ablehnung wie folgt begründet — ich zitiere —:
Wenn ich den Rauch im Kamin sehe, dann ist es für mich kein Unterschied, ob der bezahlt ist oder nicht bezahlt ist.
So einfach macht es sich der in Umweltreden so forsche Ministerpräsident, wenn es um Taten geht. Meine Damen und Herren, um dies gleich deutlich zu sagen: Natürlich spielt es für uns keine Rolle, ob die Schwefel- oder sonst die Luft verunreinigenden Abgase mit einer Abgabe belegt waren oder nicht, wenn sie erst einmal in der Umwelt sind. Der Witz der Abgabe ist doch aber, daß diese so verteuerten Abgase dann gar nicht mehr anfallen, wenn eine entsprechende Umweltabgabe vorgesehen ist. Um Ihnen von der Koalition und auch Herrn Minister Späth den Sachverhalt in der Sprache des Herrn Ministerpräsidenten etwas näherzubringen: Herr Späth sieht eben den Rauch im Kamin nicht mehr, wenn für ihn bezahlt werden muß, weil er die Umwelt dann nämlich nicht mehr belastet.
Die Bundesregierung — auch Sie, Herr Zimmermann, haben das heute morgen getan — beschwört immer wieder den Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente beim Umweltschutz. Gebote und Verbote reichen für einen wirksamen Umweltschutz allein in der Tat nicht aus. Sie müssen durch marktwirtschaftliche Instrumente ergänzt werden. Das marktwirtschaftliche Instrument der Abgabe — darüber ist heute morgen schon gesprochen worden — ist dabei ein wirksames Steuerungsmittel, weil endlich neben den Produktionsfaktoren „Arbeit" und „Kapital" auch die Ressource „Umwelt" in die Betriebskosten eingeht. Bei der Abwasserabgabe besteht darüber in diesem Hause Konsens. Nur der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, Herr Späth, und früher der Ministerpräsident von Bayern, Herr Strauß, halten die Abwasserabgabe für ein umweltpolitisch untaugliches Instrument. Wir in diesem Hause sind uns in der Bewertung hingegen einig. Die Schwefelabgabe hingegen wird von Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, vor allem von der Union, wie auch von Herrn Zimmermann ohne Wenn und Aber abgelehnt. Das Bekenntnis zum Kampf gegen das Waldsterben wird bei Ihnen dann brüchig, wenn es auf den Prüfstand konkreter umweltpolitischer Entscheidungen kommt. Oder hat etwa, Herr Zimmermann, jener umweltpolitische Kommentator beim Süddeutschen Rundfunk recht, der am 3. September die Debatte über die Schwefelabgabe wie folgt kommentierte — ich zitiere jetzt —: Nur einen großen Nachteil hat die Schwefelabgabe. Sie wird ideologisch den Roten
zugeordnet, und offensichtlich sind es die ideologischen Scheuklappen des Herrn Ministerpräsidenten Späth und — dies füge ich hinzu — der Bundesregierung und der Bundesratsmehrheit, die Herrn Späth und die Bundesratsmehrheit daran hindern, einem solchen Vorschlag zuzustimmen.

(Dr. Schmude [SPD]: Sehr wahr!)

Ihr Verhalten — so fährt der Kommentator fort — sei um so unverständlicher, weil doch unbestritten das Instrument dieser Schwefelabgabe dem von ihnen verbal vorgegebenen Ziel, die Umweltbelastungen drastisch zu verringern, tatsächlich entgegenkommt.
Meine Damen und Herren, ich fordere Sie auf: Legen Sie Ihre ideologischen Scheuklappen ab! Der Wald braucht keine Ideologie. Der Wald braucht keine langen Reden. Unser Wald braucht konkrete und schnelle Hilfe. Stimmen Sie endlich dem Schwefelabgabengesetz zu! Wir werden Sie im Herbst dieses Jahres durch die Einbringung eines eigenen Gesetzentwurfs dazu zwingen, Farbe zu bekennen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: 13 Jahre haben Sie regiert!)

Heute morgen ist — vor allem von den Rednern der Regierung — viel über die Ursachen des Waldsterbens gesprochen worden. Ich will mich nicht an der Diskussion darüber beteiligen, welcher Schadstoff zu welchem Prozentsatz das Waldsterben hauptursächlich in die Wege geleitet hat. Ich will auf eines hinweisen, was unbestritten ist: Etwa 90 % der durch Luftverunreinigungen verursachten Schäden stammen aus Energieumwandlungsprozessen. Dazu gehören nicht nur Energieumwandlungsprozesse in Kraftwerken, dazu gehören auch solche in Autos. In Ihrer Rede, Herr Zimmermann, kam der Problembereich Energieeinsparen nicht mit einer Silbe vor.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Maßnahmen wie Benzinbleigesetz, wie Schwefeldioxidabgabe allein reichen nicht aus, um dem Waldsterben Einhalt zu gebieten. Wenn es so ist — und das ist unbestritten —, daß die Verursachung der Waldschäden zu 90 % unmittelbar auf Energieumwandlungsprozesse zurückzuführen ist, muß es unser umweltpolitisches Ziel sein, durch rationelle Energieverwendung und -umwandlung, durch haushälterischen Umgang mit Energie, durch weniger Verbrauch der Ressource Energie auch die Umweltbelastungen zu reduzieren. Das ist ein umweltpolitisches Gebot.

(Gerstein [CDU/CSU]: Wer war gegen die Kernenergie?)

Dies ist notwendig zur Bekämpfung des Waldsterbens, meine Damen und Herren. Wo bleibt denn Ihr Energieeinsparprogramm?
Die sozialliberale Koalition hat das 4,36-Milliarden-DM-Programm zur Förderung von Energieeinsparmaßnahmen vorgelegt,

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Die Zinsen für Ihre Schulden müssen wir noch lange zahlen!)




Schäfer (Offenburg)

das drei Dinge erreicht hat. Es hat Arbeitsplätze geschaffen, vor allem in der mittelständischen Industrie. Reden Sie einmal mit den betroffenen Handwerkern, dann werden Sie hören, wie die das Energieeinsparprogramm, das 4,36-Milliarden-DMProgramm, unter der sozialdemokratischen Bundesregierung in die Wege geleitet, aus Beschäftigungsgründen begrüßt haben.

(Zustimmung bei der SPD)

Das ist ein Programm, meine Damen und Herren, das zweitens Energie einsparen hilft, das den kostbaren Rohstoff Energie schont. Und es ist schließlich ein Programm, das die Umweltbelastungen reduziert.
Nicht ein Wort, von keinem Redner, auch nicht heute morgen von Herrn Späth, zu dem Zusammenhang von Energie und Umwelt! Nicht ein Wort, daß wir es in dem Dreieck zwischen Energieschonung, Umwelterhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen mit einem Schlag schaffen können. Hier haben wir einen Schlüssel in der Hand, einen wichtigen Lösungsbeitrag zu leisten. Mit Energieeinsparmaßnahmen schonen wir die Umwelt; wir schaffen Arbeitsplätze und verbrauchen weniger kostbare Energierohstoffe.
Ich will ein Drittes sagen, meine Damen und Herren. Herr Ministerpräsident Späth, der sich entscheidungsfreudig gibt, ist ein Mann — das kann jeder bestätigen —, der unheimlich anpassungsfähig ist. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen, an der Haltung zur Energiepolitik, und dabei auf zwei Gefahren hinweisen, die übrigens auch bei Ihrer Politik bestehen. Herr Späth hat im März dieses Jahres ein eigenartiges Junktim als energie- und umweltpolitische Leitlinie seiner Regierung verkündet. Ein ähnliches Junktim sehe ich hier bei der Bundesregierung. Herr Späth hat erklärt, es müsse dringend nachgerüstet werden, was die Kohlekraftwerke angehe, aber nur unter der Voraussetzung, daß gleichzeitig der Bau von Kernkraftwerken beschleunigt vorangetrieben werde. Er hat das auch noch anders formuliert. Er hat gesagt, wenn man bei der Stromerzeugung aus Kohle in seinem Land nicht bereit sei, ohne Hilfen nachzurüsten, dann werde man beschleunigt Kernkraftwerke zubauen, dann werde man über den Weg des beschleunigten Zubaus von Kernkraftwerken der Kohle den Garaus machen. Das war im April, meine Damen und Herren.

(Zuruf von der CDU/CSU: 1800 oder 1900?) — Im April dieses Jahres, 1983.

Er hat übrigens hier im Deutschen Bundestag, noch im Mai dieses Jahres erklärt, das Kernkraftwerk Wyhl sei unverzichtbar; der Bau sei bereits in Vorbereitung; es sei umweltpoltisch unverzichtbar; es sei energiepolitisch unverzichtbar. Am 30. August dieses Jahres hat er dann seinen verdutzten Landsleuten erklärt, das Kernkraftwerk Wyhl sei gegenwärtig nicht notwendig. Die Entwicklung des Energieverbrauchs mache es auf absehbare Zeit überflüssig.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das hat er nicht gesagt!)

Man müsse es jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bauen. Das ist der gleiche Ministerpräsident, Herr Laufs, der nach Veröffentlichung des Urteils des Verwaltungsgerichts in Mannheim erklärt hatte: Wir werden unverzüglich mit dem Bau des Kernkraftwerks Wyhl beginnen, und zwar unmittelbar nach der Landtagswahl am 25. März 1983.
Um die Verwirrung noch deutlicher zu machen, meine Damen und Herren: Am 31. August dieses Jahres, einen Tag später, hat der für Energiepolitik zuständige Wirtschaftsminister des Landes BadenWürttemberg auf eine schriftliche Anfrage eines unserer Landtagskollegen erklärt: Die Landesregierung hält an ihrer Entscheidung fest. Das Kernkraftwerk Wyhl muß unverzüglich gebaut werden, muß unverzüglich ans Netz gehen. — Auf diese Art und Weise verspielt man Glaubwürdigkeit, auf diese Art und Weise gewinnt man nicht das in schwierigen Fragen notwendige Vertrauen in sachgerechte energiepolitische Entscheidungen.
Um das Maß vollzumachen, in diesem Zusammenhang ein letztes Beispiel zu Ihrer Energiepolitik und zu der der Landesregierung von Baden-Württemberg.

(Zuruf von der CDU/CSU: Schon wieder Baden-Württemberg?)

Am 19. Oktober 1981 — ich zitiere jetzt wörtlich — führt der Herr Ministerpräsident — —

(Dr. Miltner [CDU/CSU]: Sie müssen sich in den Landtag von Baden-Württemberg wählen lassen! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind im falschen Parlament!)

— Verehrter Herr Kollege Miltner, der Ministerpräsident dieses Landes hat vor diesem Hohen Hause zum wiederholten Male energiepolitische und umweltpolitische Vorstellungen entwickelt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Weil er was zu sagen hat!)

Wir bringen Wirklichkeit und Anspruch auf den Prüfstand. Wir stellen fest, daß in zentralen Fragen bei der CDU/CSU Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Ein Musterbeispiel dafür ist jenes sorgenumwobene Kraftwerk Wyhl, das, wie Sie wissen, eine große Bedeutung bei den Diskussionen im Bundestag gehabt hat, das auch im Bundestag diskutiert werden muß. Insofern nehme ich den Ministerpräsidenten nur ernst, wenn ich auf seine Ausführungen hier im Bundestag eingehe.
Er hat also — um das abschließend zu zitieren — noch am 19. Oktober 1981 festgestellt:
Die Landesregierung sieht deshalb, selbst bei verringerten Zuwachsraten, keine Möglichkeit, auf das Kernkraftwerk Neckarwestheim II und Wyhl zu verzichten.
Ich frage den Herrn Ministerpräsidenten, und ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wenn es so ist, daß mit den Investitionskosten für die Errichtung eines Kernkraftwerkes das sind je nach Schätzung zwischen 5 Milliarden bis 7 Milliarden DM — der nachträgliche Einbau von Rauchgasentschwefe-
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983 1505
Schäfer (Offenburg)

lungsanlagen in fast allen Kraftwerken finanziert werden kann, was die öffentlichen Versorgungsunternehmen auf den neuesten Stand der Technik bringen würde, um den Ausstoß an Schwefeldioxid wirklich zu verhindern, warum legen Sie dann nicht endlich entsprechende Energieeinsparprogramme vor?

(Zustimmung bei der SPD — Dr. Laufs [CDU/CSU]: Milchmädchenrechnung!)

Warum leitet der baden-württembergische Ministerpräsident, warum leiten nicht Sie, Herr Bundeswirtschaftminister, eine sanfte Umorientierung hin zur sofortigen Entschwefelung der Emissionen von Kohlekraftwerken ein?
Ich komme zum Schluß des energiepolitischen Teils meiner Rede. Sie preisen — jetzt übrigens stiller als früher — den Bau von Kernkraftwerken als Allheilmittel gegen das Waldsterben.

(Duve [SPD]: Jawohl! Und gegen die Kohle!)

Es ist im Grunde ein Allheilmittel für den Tod der Kohle.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir wissen, daß die Kohle nur eine Zukunft hat, wenn sie umweltfreundlich ist;

(Duve [SPD]: Wenn sie entschwefelt wird!)

wir wissen, daß das Land Nordrhein-Westfalen und das Saarland Anspruch auf die Solidarität der Bundesrepublik insgesamt haben. Man darf Kernenergie nicht gegen die Kohle und damit zu Lasten der Bürger in Nordrhein-Westfalen und im Saarland durchsetzen wollen.
Meine Damen und Herren, wir wissen auch, daß die Erhaltung, die Förderung und der Ausbau der einheimischen Kohle aus Gründen nationaler Energieversorgung unabdingbar notwendig sind. Aus energiepolitischen Gründen und aus Vorsorgegründen ist es verfehlt, eine Politik des Vorrangs der Kernenergie zu Lasten der Kohle zu betreiben. Kernenergie ist aber auch tatsächlich — unabhängig wie man sonst zur Frage der Nutzung der Kernenergie steht — kein Mittel zur wirksamen Bekämpfung des Waldsterbens. Sie brauchen von der Planung bis zum Bau eines Kernkraftwerks sechs bis acht Jahre. Wir können nicht so lange warten, bis nach Ihren Vorstellungen in acht oder zehn Jahren die Kernenergieanlagen installiert sind,

(Zuruf von der CDU/CSU)

und weiterhin die Umweltbelastung zulassen. Kernenergie ist auch unter Umweltgesichtspunkten — die Zeitdimension mit einbezogen — keine wirksame Antwort im Kampf gegen das Waldsterben.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich zur Frage der Kernenergie eine letzte Überlegung anfügen. Wir waren uns in diesem Hause, meine Damen und Herren, querbeet — und ich glaube, das war nicht nur verbal — einig,

(Zuruf von der SPD: Quer-Ökobeet!)

daß es unabhängig davon, wie man sonst die Nukleartechnologie beurteilen mag, an dem hohen Sicherheitsstandard keinen Abstrich geben darf. Wir waren uns darin einig, daß Strahlenschutz, Umweltschutz und Reaktorsicherheit den Vorrang vor wirtschaftlichen Überlegungen haben müssen.
Nun gibt es erste Hinweise und Bestätigungen,

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Welche denn?)

daß Sie hier in aller Stille gravierende Abstriche vornehmen.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Bauen Sie doch keine Pappkameraden auf!)

Wir werden in diesem Hause bei anderer Gelegenheit über die Reduzierung der Reaktorsicherheit und die Reduzierung des Strahlenschutzes debattieren.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Ein Beispiel, Herr Kollege Laufs, vorab: Bei der ursprünglichen Planung der Wiederaufbereitungsanlage, die jetzt in Draghan oder Wackersdorf gebaut werden soll, war es 1977 Beschlußlage der damaligen Bundesregierung — Empfehlung der damaligen Reaktorsicherheits- und Strahlenschutzkommission —, daß die gefährlichen Edelgase Krypton 85 und Tritium in jedem Fall zurückgehalten werden müssen, weil sie so gefährlich sind, daß auch keine Bruchteile davon in die Umgebung — Wasser, Luft oder in welches Medium auch immer — gehen dürfen.
Das ist rückgängig gemacht worden, lieber Herr Kollege Laufs. Herr Kollege Laufs, ein erster Hinweis: Das ist rückgängig gemacht worden. Entgegen den bisherigen Empfehlungen ist es nunmehr die Politik dieser Regierung, bei der Wiederaufarbeitungsanlage, die gebaut werden soll, auf wichtige bisherige umweltpolitische Vorsorge zu verzichten.

(Zurufe von der SPD)

Das ist ein Beispiel, meine Damen und Herren, wir werden bei anderer Gelegenheit weitere Beispiele bringen.
Meine Damen und Herren, wir haben heute eine lange Umweltdebatte, und dies ist wohl auch gut so. Wir Sozialdemokraten haben nicht nur in dieser Umweltdebatte unsere Positionen markiert und hier entsprechende Initiativen eingebracht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Welche?)

Lassen Sie mich zum Schluß im Grundsatz noch einmal deutlich machen, was uns in der Umweltpolitik trägt.
Wir haben längst, längst die törichte Fragestellung „Umweltschutz kontra Arbeitsplätze" überwunden; wir haben längst die törichte Behauptung überwunden, Umweltschutz bedeute den Ausstieg aus der Industriegesellschaft. Es gibt keine Alternative zur Industriegesellschaft, es gibt aber ökologisch verantwortbare Alternativen in ihr,

(Beifall bei der SPD)

und dafür arbeiten wir Sozialdemokraten, und dafür treten wir ein.
1506 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983
Schäfer (Offenburg)

Wir haben heute einen umfassenden Katalog von beabsichtigten Initiativen durch die Bundesregierung gehört.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Ankündigungen!)

— Ankündigungen! Der reinste Ankündigungsminister! Wir werden Sie beim Wort nehmen, werden Ihre Initiativen parlamentarisch begleiten und überprüfen

(Dr. Miltner [CDU/CSU]: Was haben Sie denn früher gemacht?)

und wir werden, verehrter Herr Kollege Miltner, Ihnen dort unsere parlamentarische Unterstützung geben, wo es im Interesse einer vernünftigen, zukunftsgerichteten Umweltpolitik liegt.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Tun Sie das doch mal!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002224300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.

Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1002224400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die CDU/CSU war und bleibt Umweltschutz eine im besten Sinne konservative Aufgabe: zu erhalten und zu bewahren, was wert ist, erhalten und bewahrt zu werden. Dazu gehört zu allererst die Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt und unsere natürlichen Lebensgrundlagen.

(Duve [SPD]: Direktes Zitat von Erhard Eppler!)

Für uns in der CDU/CSU ist Umweltpolitik die Politik der hart erkämpften Kompromisse, des langen Atems bei Aufgaben, die viel Geld Kosten, sehr viel Geld sogar. Wir sagen dies mit aller Deutlichkeit. Aber wir handeln auch, und das ist der Unterschied zu Ihnen von der SPD.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei früheren, von der SPD geführten Bundesregierungen kamen die Pläne nicht aus den Schubladen heraus. Bundesinnenminister Zimmermann hat in elf Monaten mehr auf den Weg gebracht als andere Regierungen in ganzen Wahlperioden. Er findet damit unseren Beifall und unsere volle Unterstützung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Immer dann, wenn — wie jetzt in Hessen — Wahlkampf geführt wird, entdeckt die SPD ihr umweltpolitisches Herz.

(Zuruf von der SPD: Und die CDU!)

Hätte sich der heutige Umweltexperte der SPD, der Kollege Hauff, als damaliger Verkehrsminister für die Einführung bleifreien Benzins ausgesprochen, so hätten wir vielleicht wertvolle Jahre gewonnen.

(Zuruf von der SPD: Das ist abgelehnt worden!)

Was hat er denn getan, um internationale Abgasvorschriften der EG bei uns umzusetzen? Was hat er zur Bekämpfung von Verkehrslärm erreicht? Nichts! Und dann kommt heute diese Polemik in
unsere Debatte. Die umweltpolitische Entwicklung ist an Ihnen in der SPD vorbeigegangen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002224500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hauff?

Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1002224600
Bitte schön!

Dr. Volker Hauff (SPD):
Rede ID: ID1002224700
Herr Kollege Laufs, wenn Sie sagen, in der Umweltpolitik sei im letzten Jahr nichts passiert, es sei nicht gehandelt worden, wie erklären Sie sich dann die Ausführungen Ihres Fraktionsvorsitzenden vor wenigen Tagen in Berlin? Er hat dazu ausgeführt: „Nach den Erfolgen in der Abfall- und Abwasserbeseitigung muß in dieser Legislaturperiode der Durchbruch in der Bekämpfung der Luftverschmutzung gelingen."

(Dr. Miltner [CDU/CSU]: Wer hat denn die Abwasserbeseitigung gemacht? Ihr doch nicht!)


Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1002224800
Lieber Herr Kollege Hauff, ich bin — vielleicht im Gegensatz zu Ihnen — persönlich in Berlin anwesend gewesen, als unser Fraktionsvorsitzender zur Umweltpolitik sprach.
Ich habe Sie hier gefragt, was Sie als Verkehrsminister getan haben, als Sie damals die Verantwortung trugen. Ich habe Sie gefragt, was Sie in Sachen Umweltpolitik erreicht haben. Das stand hier doch zur Debatte. Aber ich muß leider sagen: Fehlanzeige.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002224900
Gestatten Sie noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hauff?

Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1002225000
Ja, aber kurz.

Dr. Volker Hauff (SPD):
Rede ID: ID1002225100
Herr Kollege Laufs, ist Ihnen bekannt, daß das Verkehrslärmschutzgesetz, das die Bundesregierung der letzten Legislaturperiode verabschiedet hatte, u. a. auf Grund des Widerstands der CDU/CSU nicht zustande gekommen ist

(Dr. Miltner [CDU/CSU]: Sie haben doch die Mehrheit gehabt!)

und daß die Bundesregierung daraufhin in ihren Richtlinien festgelegt hat, daß für die Bundesstraßen die Lärmwerte festgelegt werden, die in dem Entwurf, wie er vom Bundeskabinett verabschiedet worden war, stehen, daß also die Bundesregierung für ihren Bereich dafür gesorgt hat, daß zur Bekämpfung des Verkehrslärms das getan wird, was in Ihrem Entwurf zum Verkehrslärmschutzgesetz steht?

Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1002225200
Das ist mir wohl bekannt. Mir ist auch bekannt, welch gigantischen Verschiebebahnhof Sie damals zu Lasten der Gemeindefinanzen wieder veranstaltet hätten. Wir haben damals zwar mit Ihnen das Verkehrslärmschutzgesetz vorbereitet und zugestimmt, aber wir haben gesehen, welch massive Widerstände von den Gemeinden auch aus den Ländern gekommen sind, die Sie regieren.




Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002225300
Gestatten Sie eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Hauff?

Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1002225400
Nein, wegen der fortgeschrittenen Zeit jetzt nicht mehr.
Herr Kollege Hauff, Ihren Vorwurf von heute morgen muß ich noch aufgreifen, durch die Novellierung des Teils 2 der TA Luft sei die Gefahr für die Wälder durch Taschenspielertricks erhöht worden. Dieser Vorwurf zeigt, daß Sie die Konstruktion des Teils 2 der TA Luft nicht verstanden haben. Sie sollten eigentlich wissen, daß im Teil 2 für Schadstoffe Immissionswerte festgelegt sind, die lediglich darüber entscheiden, ob an Ort und Stelle weitere Anlagen errichtet oder bestehende erweitert werden können. Diese Grenzwerte haben natürlich mit den sehr viel geringeren Immissionswerten im Schwarzwald, im Schwäbischen Wald oder im Harz überhaupt nichts zu tun. Kein vernünftiger Mensch hat je behauptet, mit dem verabschiedeten Teil 2 die TA Luft könne gezielt das Waldsterben bekämpft werden. Den Wäldern soll vielmehr durch die drastische Verminderung der Emissionen von Schwefel- und Stickoxiden geholfen werden.

(Zuruf des Abg. Dr. Hauff [SPD])

Dazu wurde die Großfeuerungsanlagen-Verordnung erlassen.
Darum geht es auch jetzt u. a. in der Neufassung des Teils 3 der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft.

(Zuruf des Abg. Hauff [SPD])

Nur so lassen sich die Immissionswerte in den Wäldern senken und langfristig akkumulierte Schadstoffablagerungen vermeiden. Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis, wenn Sie die Zusammenhänge nicht kennen, wie es heute morgen aus Ihren Ausführungen durchschien.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Ankündigung der Herren Hauff und Schäfer sagen, daß die SPD den hessischen Entwurf eines Schwefelabgabengesetzes übernehmen werde.

(Dr. Hauff [SPD]: Und der Herr Baum!)

Hierzu ist zu bemerken, daß sich die zur Nachrüstung und Stillegung von Altanlagen technisch zwingend gebotenen Zeiträume auch durch ökonomischen Druck, also durch Sanktionen, nicht beliebig verkürzen lassen. Die GroßfeuerungsanlagenVerordnung setzt bereits ehrgeizige Ziele. Die Abgabe hätte wahrscheinlich keine Beschleunigung der Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung und damit schnellere Hilfe für den Wald, sondern lediglich die Abschöpfung von Mitteln zur Folge, die eben für diese Nachrüstungs- und Neubauinvestitionen erforderlich sind. Ihre Schwefelabgabe bedeutet deshalb „investieren und zahlen", und das kann nicht richtig sein.
Meine Damen und Herren, die Koalitionsfraktionen haben heute einen Entschließungsantrag zur Umweltpolitik in dieser Debatte eingebracht, der neue Akzente setzt und konkrete, auch mit engen Terminen versehene Vorschläge macht. In der Vergangenheit sind die Folgen geringfügiger, aber schleichend zunehmender und langfristig wirkender Umweltbelastungen unterschätzt und nicht konsequent genug bekämpft worden. Es ist unser politischer Wille, daß die Umweltvorsorge in der 10. Wahlperiode mit Vorrang vorangetrieben wird. Dies gilt insbesondere für die Luftreinhaltung.
Umweltvorsorge bedeutet, den Ausstoß von Schadstoffen an der Quelle mit der besten einsetzbaren Technik zu vermeiden, ohne daß dabei die Frage nach Schädlichkeitsgrenzen oder UrsacheWirkungs-Beziehungen gestellt wird. Der dabei zugrunde liegende Gedanke ist einfach: Wenn umweltfremde Stoffe und Belastungen erst gar nicht in die Umwelt gelangen, so können sie dort mit Sicherheit keine Schäden anrichten.
Wir machen uns nichts vor: Umweltvorsorge ist schwer durchsetzbar, weil der Nutzen vorsorglicher Maßnahmen nicht unmittelbar nachweisbar ist. Die Kosten aber sind es. Der Staat muß die Rahmenbedingungen mit Augenmaß setzen. Eines ist uns dabei klar: Die zunehmend sichtbar werdenden Umweltschäden an der Vegetation, im Boden und in den Gewässern, die schleichenden Gesundheitsgefahren für den Menschen, die Verluste an Pflanzen- und Tierarten verlangen von uns, das Tempo der Umweltentlastungen zu verschärfen. Dies tut die jetzige Bundesregierung, nach allen Versäumnissen der vergangenen Jahre. Wir unterstützen sie dabei, und wir wollen bald geprüft haben, ob weitere beschleunigende Maßnahmen ergriffen werden können.
Ein zweiter Gedanke ist uns wichtig. Bisher wurde Umweltpolitik ganz überwiegend durch auf Anlagen bezogene Ge- und Verbote umgesetzt. Wir wollen darüber hinaus das wirtschaftliche Eigeninteresse an der Nutzung umweltfreundlicher Verfahren und Produkte mobilisieren und stärken.
Der hessische Umweltminister Schneider sagt, er könne sich dies nicht konkret vorstellen. Das verwundert mich. Warum sollte z. B. die Restnutzungsdauer von Altanlagen nicht übertragbar gemacht werden, derart, daß die am wirtschaftlichsten und umweltfreundlichsten arbeitende Altanlage noch längere Zeit betrieben werden kann, wenn dafür die unwirtschaftlichste und umweltbelastendste stillgelegt wird? Warum sollte es nicht möglich sein, überdurchschnittliche Sanierungserfolge mit anderen Belastungen zu verrechnen und auszugleichen, z. B. Industrieausstoß mit Emissionsminderungen bei nichtgenehmigungspflichtigen Anlagen, etwa bei der Einführung von Fernwärme?
Wenn wir die Belastungen in den kranken Waldgebieten wirklich schnell zurückschrauben wollen, müssen wir flexibel und differenziert vorgehen. Vorzeitige Stillegung, Nachrüstung, veränderte Einsatzpolitik von Energieträgern muß regional abgestuft in Kooperation zwischen Industrie, Forstwirtschaft und Wissenschaft flexibel machbar sein.
Die bereits verschärfte GroßfeuerungsanlagenVerordnung mit ihren kurzen Fristen für Umrüstungen und ihren stark abgesenkten Grenzwerten stellt hohe Ansprüche an die Kraftwirtschaft. Beim Schwefelausstoß ist der technische und wirtschaftliche Handlungsspielraum darüber hinaus gering ge-



Dr. Laufs
worden. Anders ist dies bei den Stickoxiden und anderen Schadstoffen. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie uns bald ins einzelne gehende Vorschläge macht.
Es versteht sich ja von selbst: Vertrauen allein auf Eigeninitiative und Selbstverantwortlichkeit der Wirtschaft reichen nicht aus. Umweltschutz ist für den einzelnen Betrieb zu einem erheblichen Kostenfaktor geworden. Die Wirtschaft steht heute vor weiteren strukturellen Anpassungen angesichts der elektronischen Herausforderung, der Energiekosten, der Nord-Süd-Problematik, angesichts vieler gesättigter Märkte und anderem mehr. Es ist unrealistisch, in dieser schwierigen Situation verstärkten Umweltschutz allein aus unternehmerischer Eigeninitiative zu erwarten, wenn nicht Anreize dafür gegeben werden.
Wir sind für eine Kombination von Vorschriften und Anreizen. Wir erwarten — um ein Beispiel zu nennen —, daß bleifreies Benzin mit unverminderter Qualität angeboten werden wird, also auch bleifreies Superbenzin. Seine Herstellung ist bekanntlich mit höheren Kosten verbunden. Wir können uns vorstellen, daß bleifreies Benzin steuerlich so begünstigt und verbleiter Kraftstoff allmählich so verteuert werden, daß es nach dem 1. Januar 1986 nicht interessant sein kann, mit alter Automobiltechnik noch lange weiterzufahren. Die Anreize müssen sorgfältig austariert werden, damit sich der Übergang in das bleifreie Zeitalter auch für die Wirtschaft ohne Brüche vollzieht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir sind nicht die Partei eines hysterischen Aktionismus. „Umweltschutz total" ohne Rücksicht auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung ist nicht unsere Politik. Herr Hauff hat den Vorwurf erhoben, die Großfeuerungsanlagen-Verordnung sei verwässert worden. Die Emissionsgrenzwerte müßten verschärft, die Fristen verkürzt werden. Auch Herr Kollege Schäfer hat sich dies zu eigen gemacht.
Wir nehmen das mit Interesse zur Kenntnis. Wir werden mit Ihnen die Spielräume für weitere Verschärfungen sorgfältig prüfen. Sie stimmen gewiß mit uns darin überein, daß für einen Emissionsgrenzwert für Schwefeldioxid sowohl die technische Leistungsfähigkeit der Abgasentschwefelungsanlagen als auch der Schadstoffgehalt des eingesetzten Brennstoffs, also der deutschen Kohle, maßgebend sind. Die Grenzwerte in der Verordnung heben daher auf den Stand der Technik der Abgasentschwefelung und auf den Schwefelgehalt der deutschen Kohle ab. Japanische Werte, auf die immer wieder hingewiesen wird, sind dort nur deshalb möglich, weil Japan extrem schwefelarmes Öl mit 0,1 bis 0,2 Gewichtsprozent Schwefelgehalt und australische Kohle mit einem Schwefelgehalt von nur 0,5% einsetzen kann. Das Schwergewicht der japanischen Versorgung liegt überdies auf dem Öl.
Herr Hauff und Herr Schäfer, Sie sollten sich in dieser Hinsicht von Ihren Freunden in Nordrhein-Westfalen aufs laufende bringen lassen, Ihren Freunden, die u. a. auch daran interessiert sind, daß die deutsche Kohle nicht vom Energiemarkt ver-
schwindet. Wir müssen die Anpassungsfristen, die technisch und von der Qualität der deutschen Kohle her einfach gegeben sind, sehr sorgfältig beachten, Herr Kollege Schäfer. Hier in diesem Saal ist es einfach, scharfe Formulierungen zu finden. Wir werden das mit Ihnen im einzelnen durchdiskutieren.
Meine Damen und Herren, der Antrag der Koalitionsfraktionen enthält eine ganze Reihe von Wünschen und Forderungen an die Bundesregierung. Diese soll u. a. in enggesetzten Fristen über Umweltqualitäten in verschiedenen Bereichen berichten und konkrete Vorschläge zur weiteren raschen Verbesserung des Umweltschutzes machen. So soll schon bis Anfang 1984 geprüft und darüber berichtet werden, ob und gegebenenfalls wie der Ausstoß von Schwefel und Stickoxiden von Altanlagen noch schneller und weitgehender vermindert werden kann.
Wenn wir die Bundesregierung unter solchen zeitlichen Druck setzen wollen — die Situation zwingt uns zu schnellem Handeln —, so müssen wir diesen vorliegenden Antrag in den Ausschüssen sehr zügig beraten. Wir bitten alle Fraktionen um entsprechende Mitwirkung. — Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002225500
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID1002225600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Erlauben Sie mir bitte zwei kurze Vorbemerkungen.
Erstens. Ich bitte insbesondere die Opposition um Nachsicht, wenn ich verhältnismäßig kurz nach diesem Debattenbeitrag das Plenum verlassen muß. Ich war gebeten worden, von meiner Möglichkeit, Rederecht wahrzunehmen, mit Rücksicht auf die Fraktionen nicht frühzeitiger Gebrauch zu machen. Ich bitte um Entschuldigung, daß mich meine Terminlage zwingt — was ich nicht gern tue —, kurz nach meinem Debattenbeitrag zu verschwinden.
Zweitens. In der gestrigen Aktuellen Stunde zum Thema Werften hat mich der Kollege Klose, der, so glaube ich, jetzt nicht im Hause ist, aufgefordert, Betriebsversammlungen von Werften zu besuchen. Ich habe meine Bereitschaft erklärt und wundere mich natürlich nicht — das war gestern abend schon zu erwarten —, daß die Einladungen einlaufen. Ich werde am Montag um 9.00 Uhr zur Betriebsversammlung der AG Weser nach Bremen gehen. HDW Hamburg hat mich ebenfalls darum gebeten. Morgen geht das aber nicht, weil wir hier ein Stahl-Spitzengespräch haben. Ich will mich im übrigen im Falle HDW mit dem Bundesminister der Finanzen als Vertreter des Eigentümers abstimmen. Ich will auch überlegen — das ändert nichts an meiner grundsätzlichen Bereitschaft, aber es muß geprüft werden —, ob es angemessen ist, daß ein Mitglied der Bundesregierung zu einer Betriebsversammlung in einer besetzten Werft geht. Das muß mindestens geprüft werden. Da ist eine dritte Einladung, aus Emden, die auch noch angenommen wird, aller-



Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
dings nicht in der nächsten Woche. Ich kann mich jetzt nicht auf Betriebsversammlungsreden konzentrieren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, nun zum Thema. Ich bin heute morgen in Frankfurt gewesen, um die Internationale Automobilausstellung zu eröffnen, wo im übrigen — Herr Schäfer — über das Thema „Energieeinsparung beim Kraftfahrzeug" gesprochen worden ist, das auch Umweltkonsequenzen hat, und wo ich für die Bundesregierung mit Dank feststellen konnte, daß die 1978 zwischen der damaligen Bundesregierung und der deutschen Automobilindustrie verabredeten Werte für Kraftstoffeinsparungen vorfristig erreicht werden.
Ich habe aber im übrigen unsere Erwartungen sehr deutlich gemacht, daß nun im Bereich der Abgasproblematik — sprich: des Umweltschutzes — neue Anstrengungen unternommen werden müssen, die zum Teil — das muß man sehen — im Widerspruch zum Ziel der Energie- und Kraftstoffeinsparung stehen.
Wie Sie wissen, hat der Beschluß des Kabinetts zur Reduzierung der Abgase bei Kraftfahrzeugen bei der Automobilindustrie Kritik gefunden. Das ist auch in Frankfurt im Laufe des heutigen Tages noch einmal deutlich geworden. Ich will noch einmal klarstellen: Es geht nicht darum, technische Lösungen vorzuschreiben. Das ist nicht Sache von Behörden und Beamten. Es kommt auf den Effekt, auf das Ergebnis an, nicht auf den Weg dorthin. Die Bundesregierung wird deshalb — das muß sie noch tun — klare Grenzwerte setzen, die sich allerdings an den Möglichkeiten der Katalysatoren orientieren werden.
Die Konkretisierung des Grundsatzbeschlusses der Bundesregierung wird so sein, daß beim Übergang auf neue Normen und neue Verfahren gesamtwirtschaftliche Friktionen soweit wie möglich vermieden werden. Man wird deshalb auch über ökonomische Anreize nachdenken müssen, um den Übergang zu erleichtern.
Wir wünschen, mit unseren europäischen Partnern gemeinsam zu handeln. Ich sehe natürlich die Schwierigkeiten, die wir bei der Abstimmung noch überwinden müssen. Wir alle wissen, daß das Zeit braucht, aber angesichts der Waldschäden halten wir es für richtig, daß wir die Initiative ergriffen haben, um in Europa vorwärts zu kommen. Wir sind in vielen anderen Gebieten Vorreiter für manchmal unbequeme Entwicklungen in Europa gewesen. Es ist nicht verkehrt, daß wir uns auch in dieser Frage gewissermaßen etwas vor der Front der europäischen Länder bewegen. Allerdings darf der Abstand auch aus Wettbewerbsgründen nicht so groß werden, daß man die anderen im Nebel der Abgase hinten gar nicht mehr sehen kann.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Umweltschutz ist integraler Bestandteil einer Langfristökonomie. Eine Wirtschaftspolitik, die unsere Lebensgrundlagen verwirtschaften würde, ist
auf Dauer zum Scheitern verurteilt. Es gibt keine prinzipiellen Gegensätze zwischen Umweltpolitik und Wirtschaftspolitik. Hier bin ich mit Ihnen, Herr Schäfer, einig. Die Meinung, der Wirtschaftsminister sei kraft Amtes gegen Umweltpolitik, ist falsch. Er muß aber, wenn und wo das nötig ist, auf kurzfristig eintretende ökonomische Folgen hinweisen und unnötige Beschäftigungseinbrüche vermeiden helfen.
Herr Schäfer, ich habe mit Interesse bei dem zugehört, was Sie zum Thema „Kernenergie und Kohle" — das ist ja nun wahrlich ein altes Thema — ausgeführt haben. Ich habe Sie lange — da sagt man Ihnen ja nichts Böses nach, jedenfalls nicht aus Ihrer Sicht — an der Spitze der Bewegung gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie gesehen. Ich sehe Sie mit Vergnügen heute einträchtig mit dem Kollegen Hauff auf einer Bank sitzen. Das war früher in dieser Frage nicht der Fall. Vielleicht ist es ja auch heute noch so.
Wir haben nie gesagt, Herr Schäfer, daß Kernkraft das Allheilmittel zur Problemlösung des Waldsterbens und der Umweltpolitik sei. Aber ich bestreite auch nachdrücklich das, was Sie unter lebhafter Zustimmung des Kollegen Duve hier eben gesagt haben, nämlich Kernkraft sei das sichere Mittel für den Tod der Kohle. Wir haben immer, und zwar in Übereinstimmung mit dem Kohlebergbau, mit der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie, gesagt und gewußt — das galt in der alten Regierung und gilt unverändert in der neuen Regierung —, daß wir unsere Energieversorgungsprobleme nur lösen können, wenn wir Kohle und Kernenergie einsetzen.

(Gerstein [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Und wir wissen auch, daß nun einmal aus ökonomischen Gründen der Einsatz der Kernenergie in der Grundlast und der Einsatz der Kohle in der Mittel-und der Spitzenlast das Grundraster ist, das nicht immer, aber wohl im Grund stimmt. Dabei wird es auch bleiben. Und alle diejenigen, die jedenfalls alles tun wollten, um Kernenergie überhaupt zu verhindern, oder heute noch alles tun, um Kernenergie voll abzuschaffen, sollten sich bitte mal überlegen — oder sie brauchen ja gar nicht zu überlegen; sie können es ja sehen —, wohin diese Politik bei verstärktem Einsatz von Kohle umweltmäßig und was die Waldschäden anlangt, hinführt.

(Zuruf des Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD])

Wirtschaftlich betrachtet, ist die Umweltqualität ein Gut, das sich die Bürger zwar wünschen, für das es aber keinen Markt gibt. Und deshalb muß der Staat Rahmenbedingungen setzen, um die Produktion des Gutes Umwelt zu erzwingen oder die Zerstörung des Gutes Umwelt zu verhindern. Und die Politiker entscheiden, orientiert an den tatsächlichen oder den vermuteten Wünschen der Bürger, ob und in welchem Ausmaß das Gut Umwelt produziert wird.
Wir entscheiden damit auch darüber, welche anderen Wünsche der Bürger hinter dem Umweltschutz zurückstehen müssen. Denn das müssen wir
1510 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
dem Bürger sagen: Mehr Umweltschutz bedeutet, vor allem in Zeiten geringerer Wachstumsraten, Verzicht auf andere Güter. Und ich denke, die Politiker müssen mehr als bisher die Bürger im Land über diese Zusammenhänge aufklären. Maßnahmen fordern, aber deren Konsequenzen nicht nennen, das ist eine Politik, die vielleicht Beifall findet. Aber verantwortlich ist eine solche Politik nicht. Zum Nulltarif gibt es — —

(Zuruf von der SPD: Die Ursache ist ... !)

— Meine Damen und Herren, ich bin j a sehr einverstanden, wenn das Verursacherprinzip eingehalten wird. Das ist 1971 von meiner Partei in den Freiburger Thesen aufgeschrieben worden, als andere, die heute über Umweltschutz reden, das Wort überhaupt noch nicht buchstabieren konnten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Auch beim Verursacherprinzip zahlt letztlich natürlich der Verbraucher die Rechnung. Es muß ja auch so sein. Zum Nulltarif gibt es den Umweltschutz nicht. Und das muß draußen ehrlich gesagt werden.
Die umweltpolitischen Vorgaben des Staates

(Zuruf des Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD])

führen zu Strukturveränderungen in der Wirtschaft, die verkraftet werden müssen. Deswegen müssen wir die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft berücksichtigen. Deshalb ist es unabdingbar, der Wirtschaft durch rechtzeitige — ich betone: rechtzeitige — und klare politische Entscheidungen die notwendigen Signale zu geben, damit Zeit zur Anpassung bleibt. Das erfordert z. B. bei der Nachrüstung von Kraftwerken, daß Auflagen in ihrer zeitlichen Bemessung mit den Zeiten kongruent sein müssen, die die Genehmigungsverfahren beanspruchen, die Planung und Bau von neuen Anlagen erfordern. Es kann j a wohl nicht angehen, daß wir sagen, solche Anlagen müssen im Zeitraum von — nehmen wir einmal ein Beispiel — drei Jahren errichtet werden, während gleichzeitig dieselben Gesetzgeber und dieselben Verwaltungen für Genehmigungsverfahren, Planungsverfahren, Lieferfristen, Abnahme u. ä. einen Zeitraum von vier Jahren bewirken. Das können wir keinem vernünftigen Menschen erklären, und wir können es auch keinem zumuten.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Wer tut das denn?)

Wir wollen den Umweltschutz so kostengünstig wie möglich haben, und wir wollen, daß die Unternehmen selbst ein Interesse daran haben, für die Umwelt aktiv zu werden. Es wird zu Recht gefragt, ob diesen Gesichtspunkten im geltenden Umweltschutzrecht bereits ausreichend Geltung verschafft wurde. Die Diskussion zu diesem Thema läuft unter dem Stichwort „marktwirtschaftliche Ansätze in der Umweltpolitik". Ich begrüße diese Diskussion. Sie wissen, daß sich die Bundesregierung auf Beschluß des Kabinetts vom 14. Juni mit diesen Fragen beschäftigt. Die Dinge sind, wie die bisherigen Erörterungen gezeigt haben, sehr schwierig. Für einen Maktwirtschaftler haben manche Vorschläge einen großen Reiz. Der Prüfstein ist aber immer, ob sie umweltpolitisch vertretbar sind. An Ansätzen, die beidem genügen, arbeiten wir.
Es gibt nun allerdings auch sogenannte ökonomische Lösungsansätze, die unter der Flagge der Marktwirtschaft präsentiert werden und segeln, tatsächlich aber etwas anderes wollen. Sie arbeiten mit Sanktionen oder der Androhung ökonomischer Nachteile und zielen nicht darauf ab, dem Unternehmer Entscheidungsspielraum für kostengünstigeren Umweltschutz einzuräumen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002225700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schäfer? — Bitte.

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1002225800
Da Sie gerade über marktwirtschaftliche Instrumentarien sprechen und die Diskussionswürdigkeit einiger von ihnen zu Recht zur Debatte stellen, frage ich Sie, ob Sie in Übereinstimmung mit der Fraktion der FDP der Einführung einer Schwefelabgabe zustimmen würden.

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID1002225900
Herr Kollege Schäfer, Sie können sich sicher lebhaft vorstellen, daß die Antwort darauf der Satz ist, mit dem es jetzt weitergeht.
Meine Damen und Herren, ich sagte gerade, man arbeitet in solchen Modellen mit Sanktionen oder der Androhung ökonomischer Nachteile und zielt nicht darauf ab, dem Unternehmer Entscheidungsspielraum für kostengünstigeren Umweltschutz einzuräumen. Dies gilt z. B. für den hessischen Entwurf eines Schwefelabgabegesetzes.
Eine Abgabe im ökonomischen Sinne — man könnte auch „Lenkungsabgabe" sagen — stellt die Betroffenen vor die Alternative, entweder sich entsprechend dem angestrebten Ziel zu verhalten — in unserem Falle also die Emissionen herabzusetzen — oder die Abgabe zu zahlen. Sie können also je nach ihrer konkreten wirtschaftlichen Situation selbst entscheiden, ob sie investieren oder zahlen wollen. Das ist das System des Abwasserabgabengesetzes, da das Wasserhaushaltsgesetz für Altanlagen keine Verpflichtung, nachzurüsten, also zu investieren, enthält.
Anders aber der hessische Entwurf: Er sattelt die vorgeschlagene Schwefelabgabe auf eine ausgefeilte Altanlagenregelung drauf, die die Unternehmen zu erheblichen technischen Anstrengungen und entsprechenden Investitionen verpflichtet. Die Betroffenen hätten also nicht die Handlungsalternative, zu zahlen oder zu investieren, sondern würden gezwungen, zu investieren und zu zahlen. Die Mittel, die sie für ihre Investitionen dringend benötigen, würden ihnen auf diese Weise auch noch entzogen.
Hinzu kommt, daß die hessische Regelung den EVUs die Möglichkeit abschneiden will, die Abgabe an die Tarifkunden weiterzugeben. Da ist es nur ein geringer Trost, daß notleidende Unternehmen anschließend aus dem Abgabeaufkommen wiederum Investitionsmittel erhalten können. Ich kann einem



Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
solchen Kreislauf keine Sympathie entgegenbringen; er ist ein Musterbeispiel unnützer Staatseingriffe.
Eine andere Form der Abgabe, auch der Schwefelabgabe, hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen vorgeschlagen, nämlich eine Abgabe in dem Zeitpunkt und für den Fall, daß innerhalb einer bestimmten Frist keine Entschwefelungsmaßnahmen, keine umweltschützenden Maßnahmen vorgesehen worden sind, also gewissermaßen eine bestrafende Abgabe. Das ist ein anderes Thema und muß unter anderen Gesichtspunkten gesehen werden als dieser Fall.

(Dr. Hauff [SPD]: Das steht doch in dem Entwurf von Hessen!)

— Aber, Herr Hauff, in dem Entwurf von Hessen steht eben der Anfangstatbestand. Den Leuten wird gesagt: Du mußt Entschwefelungsanlagen — oder was immer für Anlagen — bauen, du mußt investieren und zahlen. Und das ist Unfug.

(Dr. Hauff [SPD]: Nein, das stimmt doch nicht! — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Da hat man Ihnen etwas Falsches aufgeschrieben!)

— Nein, wir haben uns das schon angesehen. Wir lassen uns gerne belehren, wenn das nicht der Fall ist. Bisher war es der Fall.
Dieser Weg ist nicht zu machen. Er wäre im übrigen auch ein sicherer Weg, unsere Wirtschaft auf den internationalen Märkten in Schwierigkeiten zu bringen. Die Produktion des Gutes Umwelt, die ja in der Regel mit der Produktion anderer Güter einhergeht, erhöht die Kosten dieser anderen Güter. Soweit auf dem internationalen Markt diese Kosten nicht hereingeholt werden können bzw. ausländische Güter ohne solche Kosten produziert werden, entsteht für die deutsche Wirtschaft ein Wettbewerbsproblem.
Hier bleibt uns nur die Möglichkeit, das deutsche Angebot durch Senkung bzw. geringeren Anstieg anderer Kostenfaktoren wettbewerbsfähig zu halten. Wer mehr Umweltschutz will, muß im Interesse der internationalen Wettbewerbsfähigkeit — und das heißt der Beschäftigung in der Bundesrepublik — den Produktivitätsanstieg fördern und den Lohnkostenanstieg in Grenzen halten.
Mir lag daran, meine Damen und Herren, den Versuch zu machen, ein paar ökonomische Gesichtspunkte in diese Debatte einzubringen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002226000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke (Ettlingen).

Dr. Wolfgang Ehmke (GRÜNE):
Rede ID: ID1002226100
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde!

(Zuruf von der CDU/CSU: Sind noch welche da?)

— Ja, einige sind noch da. — Die Debatte der letzten Stunde und das gegenseitige Vorwerfen alter
Sünden haben meines Erachtens klar gezeigt, daß es in diesem Hause nur eine Partei gibt, die in Sachen Umweltschutz glaubwürdig ist, nämlich DIE GRÜNEN.

(Lachen bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU: Das zeigt die Präsenz Ihrer Kollegen! — Nicht ein Drittel Ihrer Kollegen sind da!)

Man könnte fast meinen, daß sowohl die SPD als auch die CDU/CSU einen Teil des grünen Parteiprogrammes abgeschrieben hätten, wenn man die Reden Ihrer Vertreter hört. Ich betone: einen Teil.
Der Antrag, den die CDU/CSU eingebracht hat, enthält zwar einerseits anerkennenswerte Elemente — dort, wo es um die mittelfristige Bekämpfung von Belastungssymptomen geht —, andererseits aber fehlen im Antrag wirksame Sofortmaßnahmen gegen die galoppierende Umweltzerstörung — siehe Beispiel Waldsterben —

(Beifall des Abg. Schily [GRÜNE])

sowie konkrete Weichenstellungen für eine nachhaltig orientierte Umweltvorsorgepolitik. Ich werde das gleich ausführen.
Sie reden zwar dauernd davon, aber präzise Schritte in Richtung auf eine ökologische Wirtschaftsform sucht man in Ihrem Antrag vergebens. Sie geben zwar zu, daß in der Wirtschaftspolitik die ökologischen Rahmenbedingungen stärker als bisher beachtet werden müßten, Sie haben aber nicht erkannt, daß wir auf diesem Raumschiff Erde nicht überleben können, wenn wir nicht der Erhaltung unserer Lebensgrundlagen den Vorrang einräumen vor dem betriebswirtschaftlichen Nutzen einiger Interessengruppen auf Kosten der Umwelt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vom Vorrang der Ökologie ist in dem Antrag der CDU/CSU nichts zu sehen. Sie kurieren nach wie vor an Symptomen herum, anstatt das Grundübel zu beseitigen.

(Beifall des Abg. Schily [GRÜNE])

Deshalb kann ich Ihre Umweltaktivitäten nur als grünen Theaterdonner bezeichnen.

(Beifall des Abg. Schily [GRÜNE] — Dr. Laufs [CDU/CSU]: Nun mäßigen Sie sich!)

Wegen der Kürze der Zeit, die mir zur Verfügung steht, möchte ich bloß eine saure Gurke aus dem Einmachglas herausfischen, die sich eben auch der Herr Bundeswirtschaftsminister schon angeschaut hat.
Durch den Antrag der Koalition zieht sich wie ein roter Faden die Absicht, den Spielraum für die Wirtschaft durch ökonomische Anreize, durch die Anwendung marktwirtschaftlicher Prinzipien in der Umweltpolitik zu erweitern. Was soll das bedeuten, und wie ist das zu bewerten?
Sie sagen, daß Sie den Verursachern, also Kraftwerken und Industriebetrieben, die Möglichkeiten zu gegenseitigem Ausgleich und zur Kompensation von Umweltbelastungen verschaffen wollen. So



Dr. Ehmke (Ettlingen)

steht es jedenfalls in Ihrem Antrag. Dies beinhaltet ' die Ausgabe käuflicher und handelbarer Umweltlizenzen oder Umweltzertifikate.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Haben Sie nicht meine Rede gehört, Herr Kollege Ehmke?)

— Herr Kollege Laufs, ich kann zitieren aus der „Welt" vom 28. Juni 1983, wo ganz ausdrücklich gesagt wird, daß das Innenministerium den Auftrag gegeben hat, zu prüfen, ob Verschmutzungslizenzen ausgegeben werden sollen. Hier soll auf kaltem Wege, auf dem Verordnungswege, dieses Instrument eingesetzt werden.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Deswegen glaube ich, ist es an der Zeit, daß wir hierzu mal ganz deutlich Stellung nehmen. Es geht um die Einführung von Umweltlizenzen oder Umweltzertifikaten, womit Firmen etwa Rechte zur Abgabe von Schadstoffen in Luft oder Wasser erwerben oder mit anderen Firmen tauschen können.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das sind Unterstellungen!)

Wer viele Schadstoffe abgibt, muß viele Lizenzen besitzen oder erwerben, was ihn finanziell belastet; wer wenig Schadstoffe abgibt, steht betriebswirtschaftlich besser da und kann seine Produkte billiger auf den Markt bringen.

(Dr. Miltner [CDU/CSU]: Wenn wir das gewollt hätten, hätten wir es hineingeschrieben!)

— Wenn es nur um diesen Effekt ginge, wäre das ja sehr positiv, Herr Kollege Miltner.

(Susset [CDU/CSU]: Das steht in dem Antrag gar nicht drin!)

So weit, so gut. Auf den ersten Blick sieht das bestechend aus: Die Luft in den Belastungsgebieten könnte dadurch sauberer werden; man könnte deshalb wieder mehr Betriebe ansiedeln in den Belastungsgebieten; Wachstum und Investitionstätigkeit wären dort also wieder möglich; die Planung der Firmen wird erleichtert, vor allem die Investitionsplanung; die Umweltkosten für die Verursacher liegen niedriger als bei reiner Auflagenpolitik, und die Anwendung neuer, umweltorientierter Technologien wird angeregt. Wir sehen also, daß die Vorteile eindeutig auf seiten der Industrie und der Verursacher liegen.
Wie steht es nun um die Nachteile? Wer hat diese zu tragen? Ganz grundsätzlich muß man festhalten, daß es sich bei den Umweltzertifikaten ja um amerikanische Modelle handelt, die man nicht ohne weiteres in das deutsche Immissionsschutzrecht übernehmen kann.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Völlig richtig!)

Selbst Herr Troge, der Umwelt-Referent des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, warnt bezeichnenderweise davor, immer und sofort das technisch Machbare zu verlangen, weil sonst kein Spielraum für die Auswahl wirtschaftlicher Maßnahmen vorhanden sei.
Einerseits sind die Erfahrungen in den Vereinigten Staaten wirklich nicht besonders überzeugend, andererseits müßte eine Vielzahl deutscher Gesetze und Verordnungen geändert werden, wenn man das bei uns einführen wollte. So widerspricht die im Antrag der Koalition vorgeschlagene Kompensation zwischen Anlagen hoher und niedriger Emission ganz eindeutig dem auch von Ihnen rein verbal geforderten Vorsorgeprinzip. Kompensation — und das steht ja schließlich in Ihrem Antrag, das sind keine Hirngespinste, Herr Kollege Laufs —

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Was Sie da sagen, ist doch nicht zutreffend! Sie sprechen dauernd über Dinge, die wir so nicht machen!)

bedeutet, daß z. B. Altanlagen mit hohem Schadstoffausstoß, sogenannte Dreckschleudern wie Buschhaus, die eigentlich stillgelegt werden müßten, noch weiter betrieben werden dürfen, wenn an anderer Stelle in der betreffenden Region eine Neuanlage mit hochwirksamen Filtern erbaut wird und die Gesamtbelastung einen bestimmten Wert nicht überschreitet.

(Hört! Hört! bei den GRÜNEN — Dr. Laufs [CDU/CSU]: Ist doch nicht richtig, was Sie sagen!)

— Natürlich, so steht es in Ihrem Antrag. (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Wo denn?)

Nach dem Vorsorgeprinzip muß aber bei jeder Anlage die Minimalemission nach dem Stand der Technik gefordert werden. Deshalb ist eine Kompensation, also eine Aufrechnung von Anlagen mit verschieden hohen Emissionen, nach § 5 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes gar nicht zulässig, zumindest nicht in Belastungsgebieten.

(Hört! Hört! bei den GRÜNEN)

Ein weiterer Nachteil ist darin zu sehen, daß kapitalkräftige Betreiber Umweltzertifikate horten, damit den Markt wieder teilweise außer Kraft setzen und punktförmig hohe Schadstoffemissionen erzeugen.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: So was gibt's nicht mal in Amerika!)

— Doch. Dann haben Sie noch nie etwas von hot spots gehört, Herr Kollege Laufs. Die Umweltbelastung wird also mit Sicherheit durch Zertifikate keinesfalls verringert.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Das zeigt, daß Sie von dem Thema eigentlich nicht sehr viel verstehen.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Ich habe mich sehr genau informiert, besser als Sie!)

Entscheidend für uns GRÜNE aber ist, daß die Emissionsrechte durch Ihre Vorstellungen zu einem freien Handelsgut werden und der Staat bzw. die Verwaltung die Genehmigungsrechte nicht



Dr. Ehmke (Ettlingen)

mehr direkt in der Hand hat. Dies können wir als GRÜNE nicht akzeptieren.

(Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Miltner [CDU/CSU]: Wir auch nicht!)

Meine Damen und Herren, wir sagen j a zu einer Verteuerung der Umweltbelastung; das hat positive Effekte. Wir sagen auch ja zu einer Förderung der Innovationen und selbstheilenden Kräfte in der Wirtschaft. Dies kann man aber auch über die von uns und jetzt auch von der FDP und der SPD vorgeschlagene Schadstoffabgabe erreichen, die j a auch ein marktwirtschaftliches Instrument darstellt,

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Sein kann!)

— unter gewissen Umständen sein kann und es meistens ist.
Zur Kommerzialisierung von Natürgütern, zur Behandlung der Umwelt wie eine Ware, die die Industrie kaufen, verkaufen, gebrauchen und belasten kann, wie es ihr opportun erscheint, sagen wir entschieden nein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zur Veräußerung staatlicher Genehmigungsrechte bezüglich des Schadstoffausstoßes in Luft und Wasser sagen wir ebenfalls nein. Wir dürfen nicht vergessen: Der Staat ist dem Gemeinwohl verpflichtet.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Die Industrie aber ist ein Verband, der — völlig legitim, wie ich betone — in erster Linie seine eigenen betriebswirtschaftlichen Interessen und nicht die Interessen des Gemeinwohls vertritt. Deshalb darf der Staat keine Aufweichungen bei Genehmigungsrechten und Grenzwerten zulassen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Unser Vorschlag, den wir im Antrag betreffend das Waldsterben auch detailliert begründet haben, lautet: Einführung einer Schadstoff- und Abwärmeabgabe in Kombination mit einer verschärften Auflagenpolitik.

(Schily [GRÜNE]: So ist es richtig!)

Damit werden die genannten positiven Seiten der sogenannten marktwirtschaftlichen Instrumente genutzt, ohne die unverzichtbaren Eingriffs- und Genehmigungsrechte des Staates preiszugeben.

(Schily [GRÜNE]: Zimmermann sollte mal zuhören!)

Bei dem Bekenntnis der Union zu marktwirtschaftlichen Prinzipien werde ich allerdings das Gefühl nicht los, daß Sie damit neben der geistigmoralischen Wende jetzt auch eine ökologische Wende einleiten wollen, und zwar auf Kosten der Umwelt zum Nutzen der Wirtschaft.

(Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Dummes Zeug!)

Die Umwelt soll kommerzialisiert werden. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder Sie haben die Nachteile der Umweltzertifikate, der Umweltlizenzen noch nicht richtig erkannt und sich etwas von cleveren Interessenvertretern aufschwatzen lassen oder
— was ich eher annehme — Sie legen hier wieder einmal nur ein Lippenbekenntnis zum Umweltschutz in der Form ab,

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Kombination von beidem!)

daß der Modebegriff „marktwirtschaftliche Prinzipien" nur vorgeschoben wird, um durch die Hintertür neue Möglichkeiten für ein größeres Wirtschaftswachstum zu eröffnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn das keine Lippenbekenntnisse sind, dann lassen Sie Ihren Sprechblasen doch einmal Taten folgen! Sie reden vom Verursacherprinzip — eben hat es der Wirtschaftsminister wieder getan — und durchbrechen es laufend, z. B. bei der Subventionierung von Industriestrom für Aluminiumhütten auf Kosten der Kleinstromabnehmer. Sie reden von der Marktwirtschaft und lösen das Monopol der Energieversorgungsunternehmen — eine Ursache für das Waldsterben — nicht auf.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie reden von der beispielhaften Rolle der Unternehmen in öffentlicher Hand, sorgen aber nicht dafür, daß Ihre Aufsichtsratsmitglieder in den Energieversorgungsunternehmen eine sofortige Abgasreinigung veranlassen. Wir sehen, Anspruch und Wirklichkeit klaffen bei Ihnen weit auseinander.

(Beifall bei den GRÜNEN) Ich bin gleich am Ende, Herr Präsident.

Das sind Anzeichen dafür, meine Damen und Herren, daß Ihnen das Hemd der Wirtschaft immer noch näher ist als die Hose des Umweltschutzes.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie wollen jetzt das Wichtigste, was der Staat auf diesem Sektor noch hat, nämlich die Genehmigungsrechte, auf dem sogenannten freien Markt verhökern. Ihre ökologische Wende zielt auf eine Ökonomisierung und Kommerzialisierung der letzten freien und öffentlichen Naturgüter wie Wasser, Luft und Boden ab. Dem kann kein Ökologe zustimmen. Das haben schon die Indianer erkannt, als sie sagten — jetzt passen sie einmal gut auf — —

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002226200
Mit den Indianern machen wir dann Schluß, bitte.

(Heiterkeit — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Der letzte Mohikaner! — Weitere Zurufe von der SPD und der CDU/CSU)


Dr. Wolfgang Ehmke (GRÜNE):
Rede ID: ID1002226300
Das ist der letzte Satz. Jetzt passen Sie einmal gut auf — ich möchte Sie bitten, sich daran ein Beispiel zu nehmen —: Die Natur ist unsere Mutter, und eine Mutter verkauft man nicht. — Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002226400
Das Wort hat der Minister für Soziales, Gesundheit und Umwelt des Landes Rheinland-Pfalz.




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1002226500
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man so geharnischt Kritik an anderen übt, wie das mein Vorredner getan hat, muß man irgendwann in der Rede auch einmal sagen, was man selbst will. Das habe ich allerdings von meinem Vorredner nicht gehört.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich darf aus der Sicht des Bundesrates und des Landes Rheinland-Pfalz sagen, daß wir sowohl die Regierungserklärung wie auch die Initiative der Koalitionsfraktionen nachdrücklich begrüßen, weil wir genau diese Schritte auch im Hinblick auf den Vollzug, der den Ländern obliegt, benötigen. Ich meine, wir brauchen — und dazu will ich etwas sagen — mehr denn je zusätzliche Phantasie im Hinblick auf marktwirtschaftliche Instrumente. Und marktwirtschaftliche Instrumente, verehrter Herr Dr. Ehmke, bedingen, wenn man sich einig in der Sache ist, daß man hier und da ein Gesetz ändert oder ein neues Gesetz schafft. Wenn man selbst im Deutschen Bundestag nicht mehr über eine Gesetzesänderung diskutieren kann, frage ich mich, warum wir hier überhaupt miteinander reden.
Es steht für mich außer Zweifel, meine verehrten Damen und Herren, daß unsere gegenwärtige, auf Ge- und Verbote aufbauende Umweltpolitik auch im internationalen Vergleich wesentliche Erfolge ermöglicht hat.

(Dr. Hauff [SPD]: Da ist Herr Laufs anderer Meinung! — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Er hat vorhin gesagt, es sei nichts geschehen! Schlecht abgestimmt!)

— Er hat das nicht anders gesagt, Herr Kollege Hauff. Vielleicht hören Sie mir noch einen Augenblick zu.

(Weitere Zurufe von der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Die können doch nicht zuhören!)

Deshalb darf und wird die Suche nach marktwirtschaftlich verträglichen Instrumenten keineswegs zu einem Verzicht des Staates auf Rechtsetzung,

(Beifall des Abg. Dr. Hauff [SPD])

auf die Festlegung von Grenzwerten und auf Genehmigungsvorgänge führen. Wir dürfen allerdings auch nicht nur eine defensive Strategie betreiben. Wir brauchen als Ergänzung dieser Gesetze Regelungen, die das ökonomische Eigeninteresse in den Dienst des ökologischen Fortschritts stellen.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Richtig!)

Derjenige, der sich umweltgerechter verhält, der sich etwas mehr einfallen läßt, um Belastungen aus der Luft, aus dem Wasser zu nehmen, vom Boden fernzuhalten — ich sage das jetzt sehr deutlich —, der muß davon auch wirtschaftlich profitieren. Es ist doch nichts Ehrenrühriges, wenn man das so formuliert.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer beispielsweise Techniken in der Rauchgasentschwefelung — ich bleibe bei diesem einen Beispiel — entwickelt, mit denen man deutlich unter
den gegenwärtigen Grenzwert von 400 mg/m3 kommt, hat bei der Umsetzung dieses Fortschritts in seiner Produktionsanlage im Augenblick keinen Vorteil; denn durch die Orientierung am Stand der Technik, wie sie das Bundesimmissionsschutzgesetz fordert, wird die Entwicklung von dieser Seite her eingeengt. Heute — und das ist für mich immer das Fatale — trägt die Genehmigungsbehörde die Beweislast, wenn es darum geht, festzustellen, was technisch möglich ist — die Genehmigungsbehörde, wohlgemerkt. Es müßte doch anders sein. Der Unternehmer, der über viel mehr Fachwissen verfügt, der über viel mehr Branchenkenntnisse verfügt, müßte doch hier eigentlich den Beweis führen müssen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das ist aber gefährlich, wenn der Unternehmer die eigenen Grenzwerte festsetzen kann!)

Mehr Anreize wirtschaftlicher Art schaffen mehr Eigeninteresse an Umweltverträglichkeit. Das bedeutet in der Konsequenz mehr Umweltschutz für das gleiche Geld, meine Damen und Herren.
Wir brauchen Überlegungen, wie wir beispielsweise unser derzeitiges Genehmigungsverfahren erweitern. Dieses Genehmigungsverfahren knüpft an die Einzelanlage an. Ich bin allerdings der Auffassung: Nicht die Emission einer Anlage ist letztlich das Entscheidende, sondern entscheidend ist die Belastung — oder besser sage ich jetzt: die Entlastung —, die wir in einem bestimmten Ballungsraum, in einem bestimmten Belastungsraum erzielen.
Deshalb meine ich, daß man auch Überlegungen der Wirtschaft dahin gehend mit heranziehen muß, an welchen Stellen sie die besten Umweltfortschritte mit den vorhandenen Mitteln erreichen kann. Diese Tendenz haben wir übrigens bereits. Wir haben sie bereits in der TA Luft; denn dort kennen wir die Kompensationslösungen. Ich erinnere an die Sanierungsklausel, die dort festgelegt worden ist.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das ist etwas ganz anderes!)

— Wenn Sie etwas anderes wollen, können Sie das j a hier sagen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002226600
Einen Augenblick, bitte, Herr Minister! — Ich bitte Sie, Herr Schäfer, Ihre Zwischenrufe doch ein bißchen einzuschränken. Es geht jetzt schon den ganzen Nachmittag so. — Bitte schön.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1002226700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will noch eine zweite Bemerkung zu den Abgaben machen. Zunächst etwas zur Schwefelabgabe. Wenn man das Wort Abgabe sagt, denken viele, das sei eine marktwirtschaftliche Lösung. Dann soll es Abgaben für Lärmbelästigungen, für Emissionen jedweden Schadstoffes, für Eingriffe in Natur und Landschaft — und was sonst alles so gefordert wird — geben. Man sagt, man belege Natur-Güter mit einem bestimmten Preis, und das sei doch marktwirtschaftlich.



Staatsminister Geil
Ich meine, so einfach ist es nicht. Mit vollem Recht kann man gegen die heute oft zitierte Schwefelabgabe, so wie sie in dem hessischen Gesetzentwurf vorgeschlagen worden ist, zu Felde ziehen. Meine Damen und Herren, die von Hessen vorgesehene Schwefelabgabe ist nach langer Beratung im Bundesrat als keine marktwirtschaftliche Lösung angesehen worden. Sie ist dort sang- und klanglos untergegangen. Sie hat nämlich mit Anreiz, mit Marktwirtschaft und Selbststeuerung wenig, mit einer neuen Steuer allerdings sehr viel zu tun. Deswegen ist es für mich kein marktwirtschaftliches Instrument.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Jeder Kenner der Materie weiß doch — meine verehrten Damen und Herren, ich beziehe mich jetzt einmal auf die Altanlagen; der Bundeswirtschaftsminister hat soeben einiges dazu gesagt —, daß eine derartige Abgabe in so pauschaler Form, die lediglich auf einen Schadstoff ausgerichtet ist — aus dem Schornstein kommt ja noch etwas anderes heraus —, schlicht und einfach eine Kostenüberwälzung auf den Verbraucher darstellt. Aber eine Verhaltenssteuerung — mehr Umweltschutz oder mehr technischer Fortschritt — wird doch dadurch überhaupt nicht erreicht. Wir wollen keine neue Steuer, sondern wir wollen mehr Umweltschutz, wir wollen mehr technischen Fortschritt in dieser Situation.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe sogar den Verdacht und die Sorge: Wenn wir diese Form der Abgaben weiterverfolgen und sie als marktwirtschaftliches Instrument verkaufen, dann begeben wir uns in der Umweltpolitik

(Zuruf des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜNE])

letztlich in ein Fahrwasser, daß wir über diesen Weg alle marktwirtschaftlichen Überlegungen zu Umweltsteuern diskreditieren. Das kann doch nicht das Ziel sein.

(Zuruf des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜNE])


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002226800
Was ich soeben gesagt habe, gilt auch für Sie, Herr Fischer.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Entschuldigung!)

Es geht doch nicht so.

(Zuruf von der CDU/CSU: Er hat jetzt Schreidienst!)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hauff?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1002226900
Ja. Vizepräsident Stücklen: Bitte schön, Herr Hauff.

Dr. Volker Hauff (SPD):
Rede ID: ID1002227000
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß der hessische Gesetzentwurf zu der Frage der Überwälzung einen konkreten Vorschlag macht, um die Gefahr, die Sie soeben skizziert haben, zu vermeiden, und sind Sie bereit, zu akzeptieren, daß man, wenn Sie sich in der Weise zu dem Problem
einlassen, als Minimalkenntnis wenigstens voraussetzen darf, daß Sie den Entwurf gelesen haben und die Dinge kennen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1002227100
Die Bewertung meiner Minimal- oder Maximalkenntnisse müssen Sie mir selbst überlassen, Herr Kollege Hauff. Ich kenne den Entwurf; ich habe darüber im deutschen Bundesrat beraten.

(Dr. Hauff [SPD]: Was sagen Sie denn zum Vorschlag?)

— Ja, einen Augenblick, ich komme ja schon dazu. Sie müssen mich mindestens ausreden lassen. — Ich halte diesen Vorschlag, so wie er dort steht, für nicht praktikabel. Er hätte nie Bestand gehabt und hätte sich nachher, falls das Gesetz wirklich Gesetzeskraft erlangt hätte, nicht verwirklichen lassen.

(Dr. Hauff [SPD]: Warum?)

Meine Damen und Herren, noch eine zweite Bemerkung zu dem Entwurf. — Vielleicht hören Sie da auch noch zu. — Für mich ist es umweltpolitisch geradezu grotesk, wenn die Abgabepflicht nach diesem Gesetzentwurf auf Kernkraftwerke über 50 MW beschränkt wird. Meine verehrten Damen und Herren, ich muß Sie fragen: Was soll dann mit all den Kleinanlagen geschehen? Wollen wir durch eine solche Abgabe wirklich erreichen, daß in den kleinen Anlagen die schwefelbelastete Kohle verbrannt wird, während in den Großanlagen — Herr Schneider sprach j a heute morgen sehr gezielt von acht Anlagen in Hessen — dann die schwefelarme Kohle verfeuert wird? Das wäre umweltpolitisch kontraproduktiv. Das kann doch nicht Sinn eines solchen Gesetzentwurfes sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nur am Rande sage ich dazu: 30 Abgaben haben wir bereits in der Bundesrepublik Deutschland; es sind 30 an der Zahl! Ich möchte keine Inflationierung weiterer Abgaben. Ich möchte nicht mehr Bürokratie in meiner Umweltbehörde installieren, die überwacht, die zählt und abrechnet, sondern ich möchte mehr Umweltschutz, und das ist mit diesem Gesetzentwurf nicht zu erreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine verehrten Damen und Herren, ich war belustigt heute morgen, von Herrn Kollegen Schneider zu hören, wieviel Millionen DM in seinen Haushalt eingestellt worden sind, um im staatlichen Bereich Schadstoffe zu eliminieren. Wenn ich es richtig weiß, dann hat Hessen überhaupt keinen genehmigten Haushalt. Deswegen haben wir am 25. September dort ja auch Wahlen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Das lag ja wohl an der CDU!)

Das sollte man hier zumindest auch noch feststellen.
Marktwirtschaftliche Instrumente sind nach meiner Auffassung dringend notwendig, aber die Bandbreite derartiger Initiativen darf nach meiner festen Überzeugung nicht auf Abgaben begrenzt wer-
1516 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983
Staatsminister Geil
den, sondern wir müssen weiter denken, breiter denken.
Zu meinem Vorredner möchte ich sagen: Herr Ehmke, für mich gibt es kein Tabu. Ich möchte die amerikanische Lösung, die Sie kritisiert haben, nicht. Aber wir sollten auf jeden Fall einmal darüber nachdenken und vernünftig darüber reden. — Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002227200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Daubertshäuser.

Klaus Daubertshäuser (SPD):
Rede ID: ID1002227300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung und insbesondere Sie, Herr Innenminister, erheben j a den Anspruch, eine umfassende Umweltschutzkonzeption zu besitzen; dies war jedenfalls heute morgen Ihr Anspruch.

(Zuruf von der CDU/CSU: Dem ist so!)

Ich möchte nun diesen Ihren Anspruch am Beispiel der Verkehrspolitik dieser Bundesregierung messen. In der Verkehrspolitik hat sich eine erschreckende Wende vollzogen; denn Sie sind dabei, den Stellenwert des Umweltschutzgedankens in der Verkehrspolitik auf Null zu bringen.
Die Unionsparteien haben bereits in der 8. Legislaturperiode gegen das Motto „Qualität vor Quantität im Straßenbau" polemisiert. Sie sahen bereits damals darin einen Verrat an der freien Fahrt des freien Bürgers. Kein Wunder, daß Ihr Verkehrsminister kurz nach seinem Amtsantritt eine neue Straßenbaueuphorie im Stil einer Zigarettenreklame unter die Leute brachte.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben in Ihrer Oppositionszeit die ökologischen Orientierungen der SPD zum Anlaß genommen, uns monatelang bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten wegen dieser ökologischen Thesen und der von uns betriebenen, den Umweltschutz berücksichtigenden Verkehrspolitik zu diffamieren. Logischerweise haben Sie bereits in den wenigen Monaten Ihrer Regierungszeit den Stellenwert des Umweltschutzes im Verkehrsbereich auf den kleinstmöglichen Nenner gebracht.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben unseren Ansatz verlassen, daß sich eine umweltorientierte Verkehrspolitik als gestaltende Kraft verstehen muß, die an den Ursachen des Verkehrs, also an den aus der räumlichen und funktionalen Arbeitsteilung folgenden Verkehrsbedürfnissen und ihren Auswirkungen ansetzen muß. Sie sind unsensibel gegenüber Entwicklungstendenzen. Sie sagen: Natürlich muß man die umweltpolitischen Störfaktoren berücksichtigen.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Ich meine, diese beiden Worte „umweltpolitische Störfaktoren" zeigen schon den wahren Stellenwert, den Sie den Umweltfragen beimessen.

(Beifall bei der SPD)

Für Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, ist der Umweltschutzgedanke offensichtlich nicht ein Grundwert, sondern Sie verstehen ihn lediglich als notwendiges Übel. Weil dies so ist, empfehlen Sie als Therapie nur weiße Salbe, anstatt konkrete umweltpolitische Strukturveränderungen in der Verkehrsinvestitionspolitik vorzunehmen.
Dies sieht dann konkret so aus: weniger Investitionsmittel für die Deutsche Bundesbahn, weniger Investitionsmittel für den öffentlichen Personennahverkehr, dafür aber mehr Geld für dieses Unsinnsproj ekt Rhein-Main-Donau-Kanal — wider alle ökologische und ökonomische Vernunft,

(Beifall bei der SPD)

nur weil dieser Kanal zum Prestigeobjekt für den starken Mann aus München wurde.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Dies ist ein Beispiel dafür, wie schnell bei Ihnen Umweltschutz auf dem parteiegoistischen Altar geopfert wird.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Ha, ha!)

Man muß sich dies vor Augen halten: Da werden Investitionsmittel im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs und der Bundesbahn gekürzt, um sie in den Kanal zu werfen. Also mehr Landschaftsverbrauch, Herr Laufs, mehr Ölverbrauch, Herr Laufs, stärkere Zerstörung der natürlichen Umwelt, Herr Laufs — das ist Ihr Umweltschutzanspruch.

(Beifall bei der SPD)

Hier hat sich der Bundesverkehrsminister, ob gewollt oder ungewollt, einmal mehr als Geisterfahrer in Sachen Umweltschutz erwiesen.
Aber noch beschämender ist in dieser Frage das Verhalten der FDP, die ja noch 1982 im Kabinett den Vorschlag für eine qualifizierte Beendigung des Baus des Rhein-Main-Donau-Kanals unterstützt hat und deren Parteitag noch im Januar 1983 den Rhein-Main-Donau-Kanal als ökologisch und ökonomisch unvertretbar bezeichnet hat.
Angesichts der zu erwartenden ökologischen Verwüstungen ist es eigentlich unglaublich, wenn die Bundesregierung behauptet, daß sie die Umweltverträglichkeit dieses Großprojekts geprüft habe. Wenn dies so ist, dann ist dies höchstens ein Beispiel dafür, wie gering der Wert derartiger Überprüfungen zu veranschlagen ist.
Man kann nur hoffen, daß die Bürger nun ihrerseits diese katastrophale Umweltpolitik der Bundesregierung einer eigenen Umweltverträglichkeitsprüfung unterziehen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Wann steigen Sie aufs Fahrrad?)

Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, Herr Laufs, Sie kürzen der Deutschen Bundesbahn j a nicht nur die Investitionsmittel, nein, Sie demotivieren sie und die Bediensteten der Deutschen Bundesbahn mit Ihren Negativvokabeln. Was soll denn dieses Gerede von dem notwendigen Abbau der Leistungen, von der Notwendigkeit von



Daubertshäuser
Privatisierungen? Ich sage Ihnen: Mit Ihrer Kahlschlagsanierung und Ihren Schrumpfbahnideen können Sie kein zukunftsgerichtetes Bahnkonzept entwerfen.

(Dr. Miltner [CDU/CSU]: Was haben Sie denn 13 Jahre lang bei der Bundesbahn angerichtet?)

— Ja, Herr Miltner, wann definieren Sie denn endlich die Rolle der Deutschen Bundesbahn in unserem Gesamtverkehrsgefüge? Wann würdigen Sie endlich die positive umwelt- und energiepolitische Rolle?

(Zuruf des Abg. Schwarz [CDU/CSU])

— Ich sage Ihnen noch etwas dazu. Sie können es in unserer Konzeption doch nachlesen, Herr Kollege Schwarz.

(Lachen bei der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1002227400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Möllemann?

Klaus Daubertshäuser (SPD):
Rede ID: ID1002227500
Bitte sehr, Herr Kollege Möllemann.

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1002227600
Herr Kollege, ich komme leider ein paar Sätze zu spät dran. Ich hatte mich schon vorhin gemeldet, aber Sie sind dann zu einem anderen Punkt übergegangen.
Ich wollte Sie zu Ihrer kritischen Würdigung des Projekts Rhein-Main-Donau-Kanal fragen, ob Ihnen möglicherweise entgangen ist, daß die entscheidenden Beschlüsse zu diesem Projekt und die entscheidenden Schritte der Umsetzung in der Phase der Großen Koalition und der sozialliberalen Koalition durchgeführt worden sind, und wie Sie damit eine derartige Betrachtungsweise vereinbaren können, als habe für Sie die Politik mit dem 6. März dieses Jahres begonnen.

Klaus Daubertshäuser (SPD):
Rede ID: ID1002227700
Herr Kollege Möllemann, ich kann Ihnen nur antworten, daß Ihnen offensichtlich entgangen ist, daß es in der sozialliberalen Bundesregierung einen Kabinettsbeschluß für die qualifizierte Beendigung dieser Maßnahme gab, die von Ihnen damals mitgetragen wurde.

(Beifall bei der SPD)

Das haben Sie zwischenzeitlich vergessen.
Ich will zu der Bundesbahnpolitik noch etwas sagen. Dies ist eigentlich ein Pfund, mit dem die Bundesregierung doppelt wuchern könnte. Aber bis heute gibt es nach einem Jahr nur Fehlanzeigen. Investitionen für die Deutsche Bundesbahn — das ist aktiver Umweltschutz. Aber was tut dieser Verkehrsminister? Er will das am stärksten umweltbelastende Verkehrssystem, nämlich den Individualverkehr, durch forcierten Straßenbau einseitig fördern, obwohl das Straßennetz der Bundesrepublik Deutschland so umfassend ausgebaut ist, daß es überhaupt nur noch wenige große unbeeinflußte Flächen gibt.

(Kolb [CDU/CSU]: Da kommen Sie mal zu mir!)

Wir sagen: Mit einer umweltgerechten Verkehrspolitik läßt sich die nötige Dienstleistung im Verkehr erbringen, ohne unheilbare ökologische und soziale Schäden zu verursachen.
Öffentlicher Personennahverkehr — das ist aktiver Umweltschutz. Aber was tun Sie hier? Sie verlassen im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs die von uns vorgezeichnete Linie, insbesondere mit dem Hinweis auf angeblich zu hohe Folgekosten.
Aber ist denn Ihre Frage nach der Kostenbelastung überhaupt richtig gestellt? Sie fragen: Wieviel Geld stecke ich da hinein, und wieviel kriege ich wieder heraus? Diese Fragestellung ist doch wahrhaftig viel zu kurz; denn sie vernachlässigt die Kosten, die durch dichten innerstädtischen Autoverkehr entstehen. Die Kosten für die Außenrestaurierung des Kölner Doms sind ja wohl auch Verkehrskosten; denn die Steine dort werden auch durch die Autoabgase zerfressen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Vorher schon von der Eisenbahn!)

Auch die Kosten für die Bekämpfung von Lärm- und Abgasimmissionen und zur Behebung der damit verbundenen Gesundheitsschädigungen sind Verkehrskosten. Die erschreckend hohe Zahl von innerstädtischen Verkehrstoten und -verletzten stellt neben dem schlimmen menschlichen Leid besonders schlimme Kosten dar.
Deshalb sagen wir: Die Minderung — womöglich die Beseitigung — von alledem ist Gewinn. Wenn man das addiert, sieht die Rechnung schon ganz anders aus.
Und was soll denn das Gerede von der Abstimmung für den Individualverkehr, die der Autofahrer gegen den ÖPNV vorgenommen habe? Wer ist denn dieser Autofahrer? Es ist der Bürger, der ein Auto hat, der aber nicht nur Auto fährt, sondern auch z. B. nachts ruhig schlafen will, der auch seine Gesundheit geschützt haben will. Es ist Aufgabe einer umweltorientierten Politik, Benachteiligungen und Schäden abzubauen und auch die Mobilitätschancen derjenigen zu erhöhen, die nicht oder nur selten über ein Auto verfügen.

(Vorsitz: Vizepräsident Wurbs)

Sie werden, Herr Minister, auch beim öffentlichen Personennahverkehr Ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht; denn Sie bauen den öffentlichen Personennahverkehr ab. Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs — das ist aktiver Umweltschutz.
Herr Innenminister, Sie haben Ihre Richtlinien zum Schutz vor Verkehrslärm angesprochen. Was Sie hier tun, ist dem Bürger Sand in die Augen streuen. Sie täuschen Aktivitäten vor. Aber Ihrem eigenen Anspruch, Schutz vor Verkehrslärm zu betreiben, werden Sie jedenfalls nicht gerecht.



Daubertshäuser
Und warum verschweigen Sie, Herr Kollege Laufs, bei Ihrer Rede, wer 1980 das Verkehrslärmschutzgesetz hat scheitern lassen? CDU/CSU und FDP waren es, die den im Vermittlungsausschuß erzielten Einigungsvorschlag hier im Parlament mit einer fadenscheinigen Argumentation rundweg abgelehnt haben, sicher aus den unterschiedlichsten Motiven. Aber Sie haben es hier damals gemeinsam abgelehnt.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Sie haben keine Mehrheit mehr gehabt!)

Heute müssen wir uns nun anhören, was diese Verhinderungskoalition in Sachen Lärmschutz zwischenzeitlich erreicht haben soll. Das, was hier bejubelt wird, ist ein Minimalkonsens zwischen Bundesverkehrsminister und Bundesinnenminister. Er ist zustande gekommen, weil man sich nicht auf ein Verkehrslärmschutzgesetz oder auf eine Verkehrslärmverordnung einigen konnte. Noch im Januar dieses Jahres kündigte der Bundesinnenminister vor der Hanns-Seidel-Stiftung an, er werde den Entwurf einer Rechtsverordnung nach dem BundesImmissionsschutzgesetz vorlegen, um Lärmbelastungsgrenzen für neue Straßen und Schienenwege festzusetzen.
Herr Bundesinnenminister, Sie haben Ihre Zusagen wieder einmal nicht eingehalten. Die vorgelegten Richtlinien stehen qualitativ weit hinter Ihrem Versprechen zurück. Diese Richtlinien haben keine Bindungswirkung für den Straßenbaulastträger, und sie haben keine Bindungswirkung für die Gerichte. Eine Verordnung oder ein Verkehrslärmschutzgesetz, das Sie hier 1980 haben scheitern lassen, hätte diese Wirkung selbstverständlich gehabt. Ihre Richtlinien können eine normative Regelung keinesfalls ersetzen.
Meine Damen und Herren, Schutz vor Verkehrslärm — das ist aktiver Umweltschutz! 1980 haben Sie die Umweltpolitik in dieser Frage auf dem Altar parteitaktischer Interessen geopfert, und heute arbeiten Sie hier mit billigen Taschenspielertricks. Herr Minister, mit Ihren Richtlinien werden Sie Ihren eigenen Ansprüchen hinsichtlich des Schutzes vor Verkehrslärm nicht gerecht. Das, was Sie hier betreiben, ist eine Irreführung der Millionen Bürger, die vom Verkehrslärm belästigt werden.
Meine Damen und Herren, daß Sie Herr Innenminister, nichts dazugelernt haben, zeigt ein anderer Vorgang. Das Bundesinnenministerium versucht, auf das Unternehmen Deutsche Bundesbahn nachhaltig einzuwirken, die üblichen Fahrpreisermäßigungen für die Personenbeförderung zu Großveranstaltungen im Rahmen der Friedensdemonstration im Herbst 1983 nicht zu gewähren.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Hört! Hört!)

Das Bundesinnenministerium hat die Deutsche Bundesbahn aufgefordert, von Preisnachlässen Abstand zu nehmen, wenn es sich um Veranstaltungen handelt, durch die die Bundesregierung erkennbar unter Druck gesetzt werden soll. Insbesondere für Herrn Spranger ist es offenbar unerträglich, daß, so
Herr Spranger, „die Friedensbewegung an den Ermäßigungsmöglichkeiten der Deutschen Bundesbahn partizipiert".

(Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Er hat schon recht!)

— Herr Kunz, das ist Ihr eigenartiges Demokratieverständnis, das auch hier bei der neuen politischen Spitze des Bundesinnenministeriums sichtbar wird.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Dr. Kunz [Weiden] [CDU/ CSU]: Ein Mißbrauch von Steuergeldern!)

Wie sonst soll man denn das dort vorhandene Bemühen verstehen, gegenüber der Ausübung verfassungsrechtlich geschützter Grundrechte Hemmnisse und Barrieren aufzubauen? Herr Minister, durch Ihr reales politisches Handeln setzen Sie

(Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Akzente!)

die energie- und umweltfreundlichste Beförderungsart unter Druck, weil Sie meinen, damit Ihnen mißliebige Demonstrationen erschweren zu können. Durch solche Maßnahmen werden Bürger — übrigens zu Lasten des Unternehmensergebnisses der Deutschen Bundesbahn — am Bahnreisen gehindert mit dem Ergebnis, daß die auf den Individualverkehr Abgedrängten die Umwelt zusätzlich belasten. Wo bleibt denn hier Ihr eigener Anspruch hinsichtlich Bekämpfung und Eindämmung der Emission von Schadstoffen? Er bleibt, Herr Minister — wie so häufig bei Ihnen —, auf der Strecke. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, wie schnell Sie bereit sind, umweltpolitisches Denken in Ihrer Tagespolitik hintanzustellen.
Für uns gehört die langfristige Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen zu den wichtigsten Positionen sozialdemokratischer Politik. Diese Politik hat das Ziel, die Lebensbedingungen, insbesondere die der Arbeitnehmer, zu verbessern, wozu neben der Freizügigkeit bei der Arbeitsplatzwahl und der Erreichbarkeit von Infrastruktureinrichtungen auch die Möglichkeit gehört, die Freizeit ohne schädliche Umwelteinwirkungen zu verbringen und die Arbeitskraft zu regenerieren. Deshalb stellt unsere Verkehrspolitik einen wesentlichen Baustein in einem ökologisch verantwortbaren Wirtschafts- und Gesellschaftskonzept dar. Hier hat der Umweltschutz einen eigenständigen Stellenwert, hier wird Umweltschutz nicht untergebuttert, hier wird Umweltschutz nicht auf dem Altar eines verstaubten Staatsverständnisses geopfert.
Meine Damen und Herren, wer glaubwürdig von einem umfassenden Umweltschutzkonzept reden will, darf die Verkehrspolitik nicht aus dem Umweltschutz ausblenden, wie Sie das getan haben.

(Beifall bei der SPD — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Sehr richtig!)

Wer dies dennoch tut, so wie Sie, Herr Minister, wird seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht. — Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Das glauben Sie selber nicht!)





Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1002227800
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.

Klaus-Jürgen Hoffie (FDP):
Rede ID: ID1002227900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die plötzliche verkehrspolitische Debatte verlangt hier, Herr Kollege Daubertshäuser, eine Antwort aus dem Stand, weil Sie in einer Reihe von Behauptungen, Vermutungen und Schlußfolgerungen objektiv Falsches dargestellt haben und so getan haben, als hätten Sie die letzten zehn Jahre der Verkehrspolitik in diesem Hause entweder nicht verstanden oder wollten sie heute nicht mehr wahrhaben.
Sie sprechen von einer verkehrspolitischen Wende, versuchen das unter das Generalthema Umweltschutz zu stellen und beginnen gleich mit der seit Monaten in der breiten Öffentlichkeit immer wieder, auch von Ihnen aufgestellten Behauptung, die neue Bundesregierung wolle unter Bundesverkehrsminister Dollinger weit über das Maß, das hier im Deutschen Bundestag 1980 einstimmig mit den Stimmen aller Fraktionen beim Bundesfernstraßenausbauplan beschlossen worden ist, weitere
2 000 bis 3 000 km allein an Autobahnen neu in die Landschaft setzen.

(Zurufe des Abg. Schily [GRÜNE])

Diese Behauptung ist falsch. Sie wissen das genau. Sie führen es trotzdem immer wieder an und erklären dabei nicht, daß es sich bei diesen 3 000 km um die Differenz dessen handelt, was damals aus der Zeit des Bundesverkehrsministers Leber mit 13 000 km 1980 zur Disposition stand und was der Deutsche Bundestag mit der Mehrheit aller Fraktionen um volle 10 000 km Fernstraßenausbau reduziert hat. 3 000 km blieben unter der Verantwortung eines sozialdemokratischen Verkehrsministers stehen. Genau die Wiederholung dieser festgelegten
3 000 km, die der Bundesverkehrsminister Dollinger in der Öffentlichkeit vorgetragen hat, nehmen Sie nun zum Anlaß, im Grunde Ihre eigene Politik zu kritisieren, ohne aber eindeutig, klipp und klar zu sagen: Wir verabschieden uns von den 3 000 km, für die wir noch 1980 eingetreten sind und hier auch eine Mehrheit im Bundestag herbeigeführt haben, Herr Kollege Daubertshäuser.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das, was im Straßenbau künftig noch gemacht wird, dient dem Umweltschutz, ist Straßenbau nach Maß.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Die Startbahn West auch!)

— Darüber können wir dann auch reden, Herr Kollege; im Moment sind wir beim Straßenbau. — 80 % der Investitionsmittel für den Straßenbau in den 80er Jahren sind Mittel für ortskernentlastende Umgehungsstraßen. Auch Sie, Herr Kollege Daubertshäuser, und Ihre Fraktion werden wohl nicht bestreiten können, daß dies ein nachhaltiger und wirksamer Beitrag

(Zurufe von den GRÜNEN)

für den Umweltschutz ist, der in bisherigen Haushaltsplänen des Bundes nicht die Rolle gefunden
hat, die wir uns gern hätten wünschen können:
Ortskernentlastung durch Umgehungsstraßen, die dafür sorgen, daß unsere Bürger befreit werden von Lärm und von Abgas, daß wir keine sozialen Verwerfungen in den städtischen Bereichen haben, daß nämlich diejenigen, die es sich leisten können, hinausfliehen ins Grüne und dann die Alten, die sozial Schwachen und die Ausländer zurückbleiben. Das sind Konsequenzen, auf die wir bereits vor Jahren hingewiesen haben.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Da kennen Sie sich aus, bei den sozial Schwachen! Da sind Sie Spezialist für!)

Sie werden also sehen, daß neben diesem Programm der Ortsumgehungsstraßen, die ein Element des Umweltschutzes und der Verkehrssicherheit beinhalten, die wesentlichen weiteren Mittel Unterhaltungsinvestitionen sind, nämlich Mittel, um die Straßeninfrastruktur, die vorhanden ist und die im wesentlichen ausreicht, um den Bedürfnissen der Bürger und der Wirtschaft gerecht zu werden, auch auf Dauer volkswirtschaftlich erhalten zu können. Daran werden Sie sicher keine Kritik üben können.
Sie haben die Politik der Bundesregierung bezüglich der Deutschen Bundesbahn kritisiert. Sie wissen sehr genau, daß der Bundesverkehrsminister im Verkehrsausschuß des Bundestages am 30. November seine Neukonzeption zur Gesundung der Bundesbahn vorlegen wird. Dies geschieht in einem vergleichsweise kurzen Zeitrahmen, nachdem zehn Jahre lang immer wieder neue Konzepte auf dem Tisch waren, aber kein einziges auch nur halbwegs zu den wünschenswerten Erfolgen geführt hat, nämlich dieses für den gesamten Bundeshaushalt rollende Risiko endlich zu beseitigen und diesem Risiko einen Prellbock auf den Schienenstrecken entgegenzustellen.
Die FDP-Fraktion hat deutlich gesagt: Wir werden uns mit einer kleinen Sanierungslösung nicht zufriedengeben. Wir werden ja sehen, Herr Kollege Daubertshäuser, inwieweit die SPD-Fraktion bereit ist, auch angesichts des Widerstands der Gewerkschaft der Eisenbahner, dann die notwendigsten Konsolidierungsschritte zur Sanierung der Bundesbahn tatsächlich einzuleiten.
Sie haben hier erklärt, die Verkehrspolitik schraube den Umweltschutz auf Null. Tatsache ist — die Abgasdiskussion will ich hier nicht neu beleben —, daß wir im Sommer dieses Jahres Richtlinien für den Verkehrslärm, für den Neubau von Straßen, für die Sanierung von Straßen auf der Grundlage der Werte von 1980 herausgegeben haben.

(Daubertshäuser [SPD]: Haben Sie bei den Richtlinien nicht zugehört?)

Sie werden in diesem Haus erleben, meine Damen und Herren von der Opposition, daß das Verkehrslärmschutzgesetz mit Unterstützung der CDU/CSU neu eingebracht wird, und zwar mit den Grenzwerten und auf der Grundlage der Berechnungen, denen Sie damals zwar im Bundestag noch zustimmen konnten, denen aber im Vermittlungsausschuß auch diejenigen, die in den Reihen der SPD Verant-



Hof fie
wortung tragen, nicht zuzustimmen bereit waren, die die FDP mit Unterstützung der beiden großen Parteien hier im Hause als vertretbar durchsetzen konnte. Dann werden wir sehen, ob es erneut am Widerstand auch der SPD-geführten Länder, der Gemeinden und Städte unter Ihrer Verantwortung an ganzen 38 Millionen DM jährlich scheitern muß, daß endlich bis zu 50 % des Verkehrslärms reduziert werden können. Ich wäre dankbar, wenn wir dann Ihre volle Unterstützung haben.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1002228000
Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Ende zu kommen.

Klaus-Jürgen Hoffie (FDP):
Rede ID: ID1002228100
Es ist sicher — um einen letzten Satz zu sagen, Herr Kollege Daubertshäuser — eine grundsätzliche verkehrspolitische Aussprache notwendig, um noch einmal deutlicher und im Detail klarzulegen, mit welch falschen und die Bevölkerung verunsichernden Behauptungen Sie durchs Land ziehen, die unserer gemeinsamen Position, die wir in der Verkehrspolitik in Grundsätzlichkeiten bisher immer hatten, weiß Gott wenig dienlich sind. — Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1002228200
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Forschung und Technologie.

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1002228300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einige Reden klangen so, als ob wir nicht über die vergangenen Jahre bei vertauschten Rollen die wesentlichen Umweltschutzgesetze gemeinsam verabschiedet hätten. Einige klangen so, als ob nicht die Arbeit der vergangenen Jahre darauf angelegt gewesen wäre, mit gemeinsame Bemühen zu einem vernünftigen Weg zu finden. Wenn wir das in Zukunft nicht genauso anlegen, werden die Probleme tatsächlich außerordentlich schwer lösbar. Ich erwarte, daß wir die Sache in der gleichen Sachlichkeit, wie wir es bisher getan haben, auch in Zukunft anlegen. Dies bedeutet erstens, daß wir versuchen, auf sachgerechte Lösungen gemeinsam hinzugehen, und zweitens die Landschaft nicht mit einem Pessimismus zu überziehen, der die Probleme unlösbar macht, weil wir dann einfach nicht mehr weiterkommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Innenminister hat darauf hingewiesen, daß Forschung notwendig ist, daß Forschung aber die Entscheidung nicht aufhalten kann. So haben wir es immer angelegt. Umweltforschung entsteht offenkundig weder aus der Grundlagenforschung noch aus dem Markt. Umweltforschung ist eine eigentliche und ursprüngliche Leistung des Staates. Der Markt kann Umwelttechnik nicht hervorbringen, es sei denn, der Staat gibt vorher einen verpflichtenden Rahmen, in dem sie sich entwickeln kann. Die Grundlagenforschung ist auf Ziele hin gerichtet und frei. Sie kann nicht im Querschnitt und in der Weise arbeiten, wie wir es brauchen. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, diese staatliche Aufgabe vernünftig anzulegen.
Wir haben hier drei Bereiche, und sie lassen sich alle bei dem grundlegenden Problem, das wir heute diskutiert haben, darlegen, nämlich am Problem der Waldschäden. Wir müssen erstens Schäden sehr frühzeitig erkennen, Risiken erkennen, wir müssen zweitens ökologische Zusammenhänge erfassen und im Querschnitt, in Systemen denken, wir müssen drittens umweltfreundliche Techniken entwickeln, um das, was wir als Problem erkannt haben, auch wirklich bekämpfen zu können.
Der Kollege Schneider hat darauf hingewiesen, er sei der Ansicht, alle Emissionen, die nicht als unschädlich nachgewiesen sind, seien hier zu bekämpfen. Dies ist wohl kein sachgerechtes Vorgehen. Die Schwierigkeit bei der Frage der Waldschäden, über die wir heute sprechen, war, daß wir das Problem am Anfang nicht erkannt haben. In dieser Phase kann man auch nicht erkennen, ob irgend etwas schädlich ist. Herr Hauff hat darauf zu Recht hingewiesen, 1980 habe noch keine Partei begriffen, was los sei. Die Sache ist schlimmer. Noch 1982 hat die hessische Landesregierung mitgeteilt, daß in Hessen Schäden aus Emissionen, die über lange Strecken transportiert worden sind, bei den Bäumen nicht zu beobachten seien. Die hessische Landesregierung hat auch im Mai 1982 nicht gemerkt, was los ist.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: So ist es!)

Dann jetzt überzukompensieren und zu versuchen die Probleme unter dem Motto anzugehen, wie Böll es beschrieben hat, „Es muß etwas geschehen, egal was", führt nicht zu sachgerechten Lösungen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vor einem Jahr hat die hessische Landesregierung nichts gemerkt. Jetzt stellt sie fest, daß nur noch 37 % der 60- bis 80jährigen Fichten überhaupt noch unbeschädigt sind. Was wir hier machen müssen, ist: Wir müssen — dies ist schwierig und nur begrenzt staatlich zu organisieren — in der Wissenschaft ein Frühwarnnetz aufbauen, daß uns kritische Entwicklungen rechtzeitig bewußt werden, unabhängig, ob es um Wasser oder um Luft geht, um den Boden oder um Schädigungen.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Hätten Sie einmal rechtzeitig auf die Bürgerinitiativen gehört!)

— Jawohl, Herr Kollege Fischer. In der Tat ich muß sagen, viele Bürgerinitiativen haben hier einen vorzüglichen Beitrag gebracht. Es wird allerdings dann kritisch, wenn die Bürgerinitiativen unter der Flagge großer grundsätzlicher Umweltanliegen egoistische Ziele verfolgen; dies gibt es auch. Ich bin außerordentlich dankbar für die Anregungen, die wir bekommen haben. Die sind in der Diskussion wichtig gewesen.
Bei den ökologischen Zusammenhängen, die wir erkennen müssen, war doch bei den Waldschäden das Problem — das ist auch ein Problem dieser Diskussion —, daß wir uns vielleicht zu sehr darauf verlassen, mit einer Bekämpfung des Schwefeldioxids hätten wir die Probleme gelöst. Wir müssen beim Schwefeldioxid ran. Das haben wir mit der Großfeuerungsanlagen-Verordnung und mit



Bundesminister Dr. Riesenhuber
der TA Luft getan. Wir müssen gleichzeitig wissen, daß es durchaus noch andere Risiken geben kann; die werden wir ebenfalls angehen. Hier ist über Benzin, Blei, über Stickoxide und Ozon geredet worden. Wir müssen noch genauer erkennen, wie diese Wirkungen zusammenspielen. Ich nenne auch die Schwermetalle und Photooxydantien. Wir müssen wissen, was standortbedingt ist, was Vorbelastung von nährstoffarmen Böden ist, was waldbauliche Fehler waren. Wir müssen wissen, wo biotische Schädlinge auftreten. Wir müssen dies alles im Zusammenhang verstehen.
Dies wiederum kann der Staat nur im Rahmen organisieren. Was wir gemacht haben, ist, daß wir in der Bundesregierung zusammengefaßt haben, was an Wissen und Kompetenz beim Landwirtschaftsminister, beim Innenminister und beim Außenminister vorhanden ist. Wir haben die Länder und die Deutsche Forschungsgemeinschaft einbezogen. Wir haben alle, die hier Zuständigkeit und Wissen haben, zu einem einzigen Team zusammengebunden. Ich muß mich bedanken für den großen Einsatz der Wissenschaftler. Es ist eine ziemlich kleine Gruppe von Wissenschaftlern, die hier kompetent mitarbeitet, die in einer hervorragenden Weise dieses schwierige Gebiet in kurzer Zeit interdisziplinär so aufgearbeitet hat, daß wir tatsächliche Entscheidungen zu Projekten fällen konnten, die in der Sache begründet sind.
Wissen Sie, man kann sagen, 56 Millionen DM für neue Projekte sind eine schöne Sache. Und man kann hier sagen, in meinem Haushalt hat sich das verzwanzig- oder verdreißigfacht, was angesetzt worden ist. Das ist gar nicht der Punkt. Der Punkt ist, daß wir Geld in intelligenter Weise ansetzen, um die Wissenschaftler zur Arbeit zusammenzuführen, so daß der Meteorologe mit dem Botaniker oder der Kraftwerkbauer mit dem Volkswirt spricht und aus dem Ganzen ein Netz von Verständnis über Probleme entsteht, das die Probleme überhaupt erst lösbar macht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dazu gehört natürlich genauso die Zusammenarbeit in Europa, die auch eine wissenschaftliche Zusammenarbeit sein muß. Die Tagung, die wir Anfang nächster Woche in Karlsruhe veranstalten, ist eine Tagung der gesamten EG. Wir erwarten dreierlei. Wir erwarten, daß wir bei den beschränkten wissenschaftlichen Kapazitäten die verschiedenen Forschungsteams aufeinander zuführen, daß die vernünftig miteinander arbeiten. Wir erwarten zweitens, daß wir wissen, was wir an Technik haben, wo Grenzwerte liegen, die wir implementieren können. Wir erwarten drittens, daß aus dieser gemeinsamen Forschung eine gemeinsame Arbeit in Europa entsteht, daß aus gemeinsamer Überzeugung gemeinsam Grenzwerte festgelegt werden. Wenn wir so arbeiten, daß wir national immer mehr tun, immer mehr Prozente und Zehntelprozente herausholen, es uns aber nicht gelingt, Europa zu harmonisieren, greift das Ganze nicht am richtigen Punkt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn die Hälfte des Schwefeldioxids, die bei uns
niedergeht, aus anderen Ländern Europas kommt,
dann müssen wir da genauso ansetzen, wie bei jedem anderen Punkt. Wenn wir da nicht gemeinsam vorgehen, können wir das Problem nicht lösen. Dies muß von den Umweltministern und durch eine gemeinsame Forschung gemacht werden.
Das dritte, das hier dazugehört — das erste ist das Frühwarnnetz, das zweite ist die ökologische Betrachtung im Querschnitt und die Einsicht in die Probleme —, ist die Entwicklung der Techniken. Dies hat zwei Zwecke. Der eine ist, daß eine neue Technik einen neuen Stand der Technik konstituiert und damit neue Normen schafft. Wenn wir neue Normen haben, die als Grenzwerte eingerichtet werden können, dann können sich innerhalb der neuen Normen — das ist die Stärke des Marktes — in Konkurrenz alternative Technologien so ausdifferenzieren, daß wir die beste technisch-wirtschaftliche Lösung für ein Problem kriegen.
Die Anlage muß so sein, daß wir durch Forschung an Techniken immer neue Standards setzen, und zwar in Bereichen, wo wir durch die Wirkungsforschung erkannt haben, was kritische Quellen sind, und daß wir aus einem vernünftigen Zusammenspiel aus der neuen Technik und der Erkennung der schwierigen Ursachen der Risiken neue Normen entwickeln, die verpflichtend sein können. Dies haben wir in vielen Bereichen erfolgreich gemacht.
Es gibt eine ziemlich vordergründige Diskussion — auch Herr Schneider hat seinen Beitrag geleistet — zu der Frage, wie man hier mit Wirbelschicht umgehen könnte. Er hat gesagt, der Walter Wallmann habe in Frankfurt die Wirbelschicht nicht gebaut. Ich halte viel von Wirbelschicht. Ich habe die Wirbelschicht als Technik schon vor fünfzehn Jahren geliebt, weil sie elegant ist, als ich zum erstenmal eine gefahren habe. Diese Wirbelschichten sind an einzelnen Stellen hervorragend geeignet. Wenn Sie aber eine begrenzte Infrastruktur haben und erhebliche Abhängigkeiten wie an dieser Stelle in Frankfurt, dann müssen wir auf das zurückgreifen, was wir eben auch haben, nämlich eine exzellente Rauchgasentschwefelung. Die Möglichkeit und die Kunst, mit verschiedenen Verfahren die Grenzwerte zu erreichen, besteht doch darin, daß wir flexibel auf die jeweils angepaßte Situation die bestmögliche Technik hinbringen, die entwickelt worden ist, und daß aus diesem Zusammenspiel von Staat, Wissenschaft und Technik Normen und Umweltbedingungen entstehen, die umfassend verantwortbar sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1002228400
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Reetz?

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1002228500
Ja, bitte. — Sagt mir bitte einmal jemand, wie lange ich schon rede?

Christa Reetz (GRÜNE):
Rede ID: ID1002228600
Herr Minister, ist aus Ihren Ausführungen zu entnehmen, daß Sie Schäden nur dann angehen wollen, wenn Sie auf Grund von Wissenschaft und Technik fundierte Kenntnisse haben und darauf die Maßnahmen aufbauen, daß Sie an-



Frau Reetz
dernteils Anwendungen — z. B. die Anwendung der Atomenergie in bezug auf die Entsorgung oder die Anwendung der Mikrolektronik — überhaupt noch nicht wissenschaftlich und technisch im Griff a-ben und nicht sagen können, was in Zukunft auf uns zukommt, daß Sie also die Anwendungen machen ohne die fundierten Erkenntnisse, aber die Schäden beheben wollen mit den Erkenntnissen und nicht vorher?

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1002228700
Verehrte Frau Kollegin, ich möchte hier genau festlegen, wo ich den Punkt sehe. Wissen Sie, ich bin der Ansicht, daß wir nicht im Sinne einer naturwissenschaftlich strengen Kausalitätsschrittfolge nachweisen können, was jetzt der einzelne Punkt war. Dazu sind die Systeme viel zu komplex. Deshalb habe ich auch eingangs gesagt, wir müssen auch dann, wenn wir noch nicht letzten Endes alles übersehen, beim Schwefel, bei den Stickoxiden und bei der Autoabgasentgiftung ansetzen. Frau Kollegin, die andere Seite ist doch die: Wir müssen tatsächlich die Forschung so vorantreiben, daß wir letzten Endes wirklich in die Situation kommen, mit einem Pfeil ins Schwarze zu treffen, anstatt mit einer Granate ins Blaue schießen zu müssen. Das scheint mir die intelligente Aufgabe zu sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Sie haben die Frage nicht beantwortet, Herr Minister!)

Ich bin durchaus nicht der Ansicht, daß wir schon jetzt sämtliche Probleme gelöst haben. Auch bei der Kraftwerkstechnik gibt es noch offene Fragen. Es ist heute auf die Entstickungsanlagen hingewiesen worden, auf die De-NOx-Verfahren. Hier sind wir in der Tat soweit, daß wir nachziehen müssen, was in Japan schon weitgehend Stand der Technik ist. Wir sind hier mit eigenen Verfahren in der Pilotphase. Wir werden in Kürze in die technische Stufe gehen können.
Herr Späth hat völlig recht: Es ist dem Schwefel gleich, und es ist dem Wald gleich, ob hier eine deutsche oder eine japanische Technik gebaut wird. Aber wir müssen die Technik so entwickeln, daß wir als Industrienation auch in Umwelttechniken die Spitzenposition haben, die wir brauchen, um mit einer modernen Technik wettbewerbsfähig sein zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1002228800
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hauff?

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1002228900
Gerne.

Dr. Volker Hauff (SPD):
Rede ID: ID1002229000
Würden Sie so weit gehen, daraus die klare Konsequenz zu ziehen, daß wir auch in den Umweltnormen im internationalen Vergleich an der Spitze liegen müssen?

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1002229100
Herr Kollege Hauff, ich bin der festen Überzeugung, daß wir nur überleben können, wenn wir unsere Aufgaben als modernste und umweltfreundlichste Industrienation erfüllen. Beides müssen die gleichen Ziele sein. Ich halte aber nichts davon, daß man beispielsweise Grenzwerte setzt, die nicht im Stand der Technik begründet sind. Es gibt hier einige Vorstellungen, die jenseits der Realität sind. Dagegen grenze ich mich eindeutig ab.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1002229200
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1002229300
Gerne. Aber dann muß ich Schluß machen.

Dr. Volker Hauff (SPD):
Rede ID: ID1002229400
Heißt das, daß Sie überall dort, wo technische Lösungen national oder international da sind, der Meinung sind, daß sie auch in Form von Gesetzgebung festgeschrieben werden müssen?

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1002229500
In dem Moment, wo wir festgestellt haben, daß Schädigungen in entsprechender Weise eintreten, die diese Grenzwerte rechtfertigen: Ja.

(Lenzer [CDU/CSU]: Das steht übrigens in unserem Antrag drin!)

— Genauso ist es. Beides gehört dazu, eine eindeutige Feststellung der Wirkung und die Festlegung einer Technik, die die Schadensursache beseitigt. Wir müssen hier an beide Enden heran, an die Bekämpfung der Schadstoffe an der Quelle und danach an die Behebung der Schäden, soweit das überhaupt möglich ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben hier — ich habe nur versucht, das an dem Beispiel des Waldes zu zeigen — eine Fülle von technischen Möglichkeiten. Ich bin überhaupt nicht erfüllt von Hurra-Patriotismus. Ich bin überhaupt nicht der Überzeugung, daß die Probleme gelöst sind. Ich bin aber der festen Überzeugung, daß jede Diskussion, die so geführt wird, als ob die Lösung der Probleme hoffnungslos wäre, die Lösung der Probleme hoffnungslos macht — wir haben in den fünf Jahren von 1977 bis 1981 85 Milliarden DM für Umweltschutz ausgegeben —, wenn man nicht gleichzeitig darüber redet, daß die Zahl der Sonnenstunden an der Ruhr größer geworden ist, wenn man nicht darüber redet, daß der Bodensee eben nicht mehr tot ist, wenn man nicht darüber redet, daß wir selbst bei dem Main — wir kennen ihn beide — schrittweise vorankommt. Mein Anglerverein hat mir jetzt erzählt, sie wollen nächstes Jahr ein Pokalfischen im Main machen; ich wünsche ihnen guten Erfolg dafür.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Dann würde ich aber da nicht Mittagessen, Herr Minister!)

Wir müssen auch über die Erfolge sprechen, wenn wir langfristig den Leuten abverlangen wollen, was hier bezahlt werden soll.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




Bundesminister Dr. Riesenhuber
Meine feste Überzeugung ist, daß wir hier mit der technischen Intelligenz, die wir haben, mit der Geschicklichkeit, Wissen im Querschnitt zu organisieren, mit den intelligenten Fragestellungen unserer Wissenschaftler zu einem Netz von Umweltschutz kommen können, das in der Tat nicht nur die Hypotheken der Vergangenheit aufarbeitet, sondern künftige Risiken rechtzeitig einfängt, das die Voraussetzungen schafft, daß wir nicht nur bei irgendwelchen konventionellen Techniken wirklich international spitze sind, sondern auch bei den neuen Techniken. Wir werden international keine Technik verkaufen können, die wir nicht im eigenen Land erfolgreich einsetzen. Deshalb werden wir diese Umwelttechniken auch unter diesem Aspekt einzusetzen haben, und zwar, soweit wir es können, eigene.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Wie bei der Kernenergie!)

— Auch bei der Kernenergie, Herr Fischer, um das ganz klar zu sagen. Ich bin der entschiedenen Auffassung, daß eine Industrienation wie wir auf keine Technik verzichten kann, wenn sie verantwortbar ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn wir den Rahmen des Verantwortbaren im Genehmigungsverfahren, zur Sicherheit, zum Umweltschutz, zur Entsorgung, festgelegt haben, wenn wir festgestellt haben, daß wir im internationalen Vergleich wirklich an der Spitze liegen und die Risiken in einer verantwortbaren Weise eingefangen haben, dann bin ich der festen Überzeugung, daß der Staat auch die Garantie zu übernehmen hat, daß eine solche Technik gebaut wird und nicht aus Irrationalitäten ins Aschgraue verzögert wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es kommt mir darauf an, den Umweltschutz so zu fahren, daß wir möglichst kurzzeitig ökonomische und ökologische Probleme lösen können. Nur, wenn wir die Spannung zwischen Wachstum und Umwelt, die es gibt, zwischen Wirtschaft und Technik auf der einen Seite, Umweltschutz und einer verletzlichen Welt auf der anderen Seite, nur wenn wir diese Spannung in einer intelligenten Weise überbrücken, werden wir als Industrienation erfolgreich überleben. Daran wollen wir gemeinsam arbeiten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1002229600
Das Wort hat der Abgeordnete Stahl.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1002229700
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesforschungsminister, die wohlklingenden und runden Formulierungen, die wir von Ihnen gehört haben, gehen sicherlich ins Ohr. Ich gebe zu, Sie waren sehr nachdenklich in dem, was Sie zur Wirkungsforschung und neuen Normen gesagt haben.
Lassen Sie mich aber auch mit Kritik anmerken, daß die drei Punkte, die Sie hier aufgezählt haben, und die Sie, ich will fast sagen, im Schweinsgalopp darzustellen versucht haben, doch sehr allgemein waren, was die künftige Politik Ihres Hauses in diesem Bereich betreffen soll. Dies ist meines Erachtens traurig bei einer Debatte, wo doch Ihr Haus, Herr Bundesforschungsminister, wenn ich es recht weiß, mit über 200 Millionen DM im Bereich der Umweltforschung für Energietechnologie beteiligt ist.
Wir Sozialdemokraten wollen nicht den Menschen mit der Technik nur versöhnen, sondern vor allen Dingen die Technik dem Menschen anpassen und in seinen Dienst stellen.

(Lenzer [CDU/CSU]: Wir auch!)

Daher ist unser Verständnis von Umweltschutz auch nicht das einer Reparaturwerkstatt für industrielle Fehlleistungen und Versäumnisse, die sich in den letzten Jahrzehnten meines Erachtens stark gezeigt haben, sondern die dauernde Aufgabe: den, wie es Jochen Vogel, ich glaube, in der letzten Bundestagssitzung hier formuliert hat, Frieden mit der Natur wiederherzustellen und zu erhalten.
Aber nichts, meine Damen und Herren, wäre falscher, als ökologisches Denken nur mit einer romantischen Sehnsucht unter dem Stichwort „Zurück zur Natur" gleichzusetzen. Es geht also nicht lediglich um die Berechenbarkeit von Rahmenbedingungen, die der Staat auflegt, wie Sie, Herr Dr. Riesenhuber, vor knapp zwei Jahren immer noch sehr eng behauptet haben, sondern konkret darum, wie vorhandene Umweltschäden repariert werden können, und, was noch viel wichtiger ist, darum, neue, umweltfreundliche Technologien, die die natürlichen Kreisläufe so weit wie möglich unberührt lassen, zu entwickeln. Es geht also darum, daß wir die Alarmsignale — da stimme ich Ihnen zu, Herr Dr. Riesenhuber —, wahrnehmen, daß wir sehen, daß dieser Frieden mit der Natur weiter gefährdet ist, daß wir unser Handeln darauf einstellen, wie wir unsere Lebensbedingungen auch mittels neuer technologischer Entwicklungen erhalten und, wo notwendig, verbessern können und wollen.
Es ist daher ein entscheidender Fehler des neuen Forschungsministers, die Projektförderung im bisher erkennbaren und nach seiner Aussage weiteren Rahmen zurückzuschrauben und bei der weiteren notwendigen Entwicklung der Umweltschutzpolitik den Selbstheilungskräften der Wirtschaft unter Setzung, wie Sie soeben auch gesagt haben, von Rahmenbedingungen mehr zu trauen als der zielorientierten Entwicklung spezieller Technologien in zahlreichen Wirtschaftsbereichen mit ganz bestimmten Projekten.
Sie haben zwar, Herr Dr. Riesenhuber, den Umwelttitel im Haushalt 1984 um 10% erhöht und damit Ihrer lobenswerten Absicht Ausdruck gegeben, die Umweltforschung als wichtigen und vorrangigen Teil Ihrer Forschungs- und Entwicklungspolitik zu behandeln, doch wäre es falsch, hier indirekte Maßnahmen der Förderung an die Stelle der Projektförderung zu setzen.

(Boroffka [CDU/CSU]: Da kann man aber verschiedener Meinung sein!)

Diese Politik, Herr Forschungsminister, gibt uns
Anlaß zur Sorge. Ja, wir Sozialdemokraten halten



Stahl (Kempen)

sie in diesem Punkt für falsch, da damit all das, was die Entwicklung der Umwelttechnologie leistet und geleistet hat, deren Früchte Sie als Forschungsminister ja nun einheimsen, die die frühere Bundesregierung zielstrebig und auch systematisch gesät hat,

(Boroffka [CDU/CSU]: Da ist aber mancher Appel mit Wurm dabei!)

nun über längere Zeit zum Stillstand kommt.
Welches Unternehmen, Herr Dr. Riesenhuber, welche Branche der Wirtschaft wird eine neue Umwelttechnologie die mit hohem Risiko behaftet ist, bei einer bloßen Steuervergünstigung marginaler Art statt direkter Projektförderung noch entwikkeln wollen? Dies ist doch die Frage, vor der wir stehen. Sie haben mit der Projektförderung die Möglichkeit, die Höhe des Zuschusses von einem Punkt zum anderen zu senken oder zu steigern, um eben in wichtigen Bereichen mittels dieser Förderung Umweltschutzprojekte auch entsprechend durchzusetzen.
Aus dem seinerzeit von Herrn Stoltenberg geführten Atomministerium wurde ein Forschungs- und Technologieministerium, das sich auch die Aufgabe gestellt hatte, neue Umweltschutztechnoligien zu entwickeln. Wir haben diese Aufgabe konsequent angepackt und, wie Sie aus dem Kabinettsbericht vom vorigen Jahr über Umweltforschung und Technologien entnehmen können, schon eine große Reihe vorzeigbarer Erfolge erzielt. Dies haben Sie, Herr Dr. Riesenhuber, gestern bei den Haushaltsberatungen im Ausschuß auch herausgestellt. Sie sprachen davon, daß es nun verstärkt darauf ankomme, die Ergebnisse der Forschung und Entwicklung auch umzusetzen. Diese Auffassung teilen wir grundsätzlich, aber wir warten auf konkrete Schritte von Ihnen. Sie haben in Ausführungen hier — auch in den Ausführungen eben — die notwendigen Schritte zwar angesprochen, wenn auch sehr undeutlich, aber keine konkreten Maßnahmen aufgezeigt, wie Sie die Umsetzung erreichen wollen. Dies vermissen wir hier, Herr Kollege Boroffka.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1002229800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lenzer?

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1002229900
Wenn sie mir nicht auf die Redezeit angerechnet wird, gern.

Christian Lenzer (CDU):
Rede ID: ID1002230000
Herr Kollege Stahl, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir uns in den Obleutegesprächen darauf geeinigt haben, den Minister in der Ausschußsitzung zunächst einmal eine allgemeine Einführung geben zu lassen, was er gestern getan hat — für Ihre Verhältnisse war sie zu lang; dies wurde j a gerügt —, in der nächsten Ausschußsitzung dann aber ins Detail zu gehen? Der Minister hat sich bereit erklärt, jede einzelne Frage in aller Breite zu beantworten.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1002230100
Herr Kollege Lenzer, was Sie sagen, ist richtig. Hier habe ich aber davon gesprochen, daß der Bundesforschungsminister heute in dieser ersten und wohl sehr wichtigen Umweltschutzdebatte im Plenum des Deutschen Bundestages nichts darüber gesagt hat, wie er künftig die Umsetzung von vorhandenen hohen Technologien im Umweltbereich erreichen will. Was die Haushaltsberatungen anbetrifft, so sind wir ganz einer Meinung. In dieser Hinsicht habe ich nichts zu kritisieren. Ich habe lediglich gesagt, Herr Kollege Lenzer, daß der Forschungsminister anerkannt hat, daß all das, was wir in den letzten Jahren im Forschungsbereich getan und auch gemeinsam getragen haben — das stelle ich nicht in Frage —, in Ordnung ist und daß diese Technik einen hohen Standard hat.
Als Beispiel für die Einpassung moderner Technologien in die Kreisläufe der Natur will ich das Abfallproblem nennen. Auf Grund der fortgeschrittenen Umweltprogramme hatte die damalige Bundesregierung als erstes Industrieland der Welt bereits Mitte der 70er Jahre ein eigenes Abfallwirtschaftsprogramm aufgestellt. Dieses Programm hatte zum Ziel, Umweltbelastungen durch Abfälle aus Industrie und Haushalten abzubauen und gleichzeitig neue Konzepte der Wiederverwendung und Verwertung von Abfallstoffen zu erforschen, die Einführung in die Praxis zu bewirken, um den Rohstoff- und Energiehaushalt zu entlasten. Die Verringerung der Abfallmengen trägt dazu bei, Ökonomie und Ökologie, die von vielen Seiten immer wieder in Gegensatz gebracht werden, miteinander zu versöhnen und Störungen in den natürlichen Kreisläufen zu vermeiden.
Für die Umsetzung will ich hier beispielhaft auf das Rohstoffrückgewinnungszentrum im Ruhrgebiet und die Ansätze in Süddeutschland, z. B. in Ludwigsburg und Konstanz, sowie die Projekte zur Behandlung von problematischen Abwässern in Krefeld und in Alsfeld verweisen. Herr Bundesforschungsminister, das waren damals alles zielorientierte Projekte, die Modellcharakter haben und die nur mit einer Verbesserung der von Ihnen bezeichneten Rahmenbedingungen niemals begonnen worden wären. Wir stellen als Sozialdemokraten bei Ihnen fest, daß in diesem Bereich nun doch Unstimmigkeiten bestehen. Dies ist eigentlich ein Beispiel dafür, wie man von der Grundlagenforschung bis zur Umsetzung in einem Zeitraum von etwa acht bis zwölf Jahren mit dem hohen Sachverstand, den wir haben, in diesem Lande eine ganze Menge bewegen kann. Auch im Bereich der Energietechnologien ist vieles erreicht worden, was heute aber unbedingt der Umsetzung bedarf. Ich nenne hier nur die Wirbelschichtfeuerung, die Sie ja auch angesprochen haben, die Rauchgasentschwefelung für Kraftwerke und die Wärmerückgewinnung aus Kraftwerken und Industrie.
Meine Damen und Herren, diese Entwicklungen können die deutsche Steinkohle, gezielt umgesetzt, den verlorenen Wärmemarkt zu einem großen Teil zurückgewinnen lassen, ihren Einsatz in der Energieversorgung langfristig sichern und die Umweltbelastung ganz wesentlich verringern. Die Bergleute an der Ruhr, im Aachener und im Ibbenbürener Raum und an der Saar wissen, daß die Steinkohle damit gute Chancen hat, langfristig und be-



Stahl (Kempen)

ständig im Markt eingesetzt zu werden. Verehrter Herr Bundesforschungsminister, aber auch hier fehlt es an einer klaren Konzeption der Bundesregierung, diese Technologien, die j a nun wirklich entwickelt sind, in den Markt einzuführen und im Markt durchzusetzen. Dazu, Herr Forschungsminister, haben Sie hier wenig gesagt. Und wir haben auch nichts dazu gehört, was die Bundesregierung in diesem wichtigen Feld künftig zu tun gedenkt.

(Lenzer [CDU/CSU]: Herr Stahl, machen Sie doch mal einen konkreten Vorschlag!)

Hiermit kann ein notwendiges Bündnis — lassen Sie es mich einmal mit den Worten von Hans-Otto Bäumer sagen — von Waldläufern und Malochern, das in unserem Land dringend notwendig ist, erreicht werden. Damit können Arbeitnehmerinteressen mit den Interessen der Industrie in Einklang gebracht werden.
Ich glaube auch — und ich würde sie sogar ermuntern —, daß die Bürger unseres Landes bereit sind, bei überzeugenden und vorzeigbaren politischen Entscheidungen einen zusätzlichen finanziellen Beitrag zu leisten. Ich verweise hier auch auf die Aussagen von Herrn Rau sowie von Herrn Ministerpräsident Späth und Herrn Hauff heute.
Der Katalog von Technologien, die in den letzten Jahren zu einem hohen Standard entwickelt wurden, ließe sich fortsetzen. Ich glaube, es ist gut, hier in diesem Hause auch einmal darüber zu reden, was wir denn mittels staatlicher Förderung in den letzten zehn bis zwölf Jahren im technologischen Bereich bewirkt haben. Ich will diese Projekte aber hier nicht aufzählen. Herr Bundesforschungsminister, Sie können allerdings, wenn Sie die Einführung solcher Technologien durch gezielte Maßnahmen der Bundesregierung erleichtern und unterstützen, in der Wirtschaft Arbeitsplätze sichern und neue schaffen. Wir Sozialdemokraten werden Sie auf diesem Weg und bei Ihrem Bemühen unterstützen.
Aber es müssen Rahmenbedingungen gesetzt werden, und zwar in Europa. Das hat die Bundesregierung bisher nicht durchsetzen können. Ein Teil der Schadstoffe, die die Bundesrepublik belasten, stammen — und dies ist keine Neuigkeit — aus dem europäischen Ausland. Während der Zeit der EG-Präsidentschaft hat die Bundesregierung außer großen Worten für die Vereinheitlichung und Durchsetzung von Regelungen zur Umweltverbesserung wenig, j a, gar nichts, bewirkt.
Wir fordern daher die Bundesregierung auf, sich, gestützt auf die KSZE-Beschlüsse, für eine europäische Umweltkonferenz einzusetzen, auf der Maßnahmen gegen die weitere Verschmutzung der Umwelt in Europa verbindlich verabschiedet werden müßten, die dann in den einzelnen Ländern durchzuführen wären.
Ich möchte noch auf einen schon eingangs genannten Gesichtspunkt zurückkommen, meine Damen und Herren. Umweltschutz ist nicht allein eine Frage der Ökologie, sondern auch eine Frage von Arbeit und Technik. Arbeitsplätze, von denen keine Gefahren für die Gesundheit der Beschäftigten ausgehen, sind in der Regel auch umweltverträglich. Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer vor Gefahren am Arbeitsplatz sind daher im Umkehrschluß auch Umweltschutzmaßnahmen. In diesem Sinne sind auch große Teile des Programms zur Humanisierung des Arbeitslebens zu verstehen. Hier sollen Forschung und Entwicklung betrieben werden, die die Arbeitnehmer vor Staub, Lärm und dem Umgang mit gefährlichen Arbeitsstoffen schützen.
Herr Bundesforschungsminister, ich warne davor, diesen Teil des Programms zu unterschätzen und bei der geplanten Umstrukturierung des Programms hier größere Einschnitte zu machen. In diesem Zusammenhang können vor allen Dingen auch die Gewerkschaften einen wichtigen Beitrag leisten, weil sie den Sachverstand und das Schutzinteresse der Arbeitnehmer einbringen und so helfen können, daß Ökonomie und Ökologie zu einem vernünftigen Ausgleich gebracht werden.

(Feilcke [CDU/CSU]: Schön formuliert!)

Herr Dr. Riesenhuber, wir Sozialdemokraten werden die Bundesregierung bei der Durchsetzung der umweltpolitischen Ziele wo eben möglich unterstützen, und wir werden darüber diskutieren, um sie zu stützen. Wir fordern Sie aber auf: erstens, die Grundlagenforschung im Umweltbereich stärker interdisziplinär abzustimmen, zweitens, die Forschung bei internationalen Vorhaben vor allem im europäischen Bereich besser zu koppeln, damit eine bessere Grundlage zur Zusammenarbeit, zur möglichen Durchsetzung der Erkenntnisse vorhanden ist, drittens, die Projektförderung nicht noch stärker abzubauen, damit die Entwicklung von Umweltschutztechnologien nicht zum Stillstand kommt —unsere Industrie braucht im Interesse der Menschen und möglicher neuer Arbeitsplätze diese Innovationen für die künftigen Auseinandersetzungen auf den Weltmärkten —, viertens, durch eine gezielte Strategie mittels verbesserter staatlicher Maßnahmen in Modellvorhaben erprobte Umweltschutztechnologien schneller im Markt einzuführen und, fünftens, die Auswirkungen von neuen Technologien, also die Technologiefolgenabschätzung, besser als bisher im Vorfeld, also bei der Erforschung und Erprobung von Techniken unter Umweltschutzgesichtspunkten zu berücksichtigen.
Abschließend, Herr Forschungsminister: Wir erwarten von der Bundesregierung, daß den heute vorgetragenen wohlklingenden Worten die notwendigen Schritte zu Taten folgen. Wir geben Ihnen gern einen Vertrauensvorschuß, denn die notwendige Durchsetzung der Umweltpolitik sollte meines Erachtens nicht zum Zankapfel der Parteien werden.

(Lenzer [CDU/CSU]: Das ist sehr anständig!)

Es bedarf hier gemeinsamer Anstrengungen. Die Lage ist ernst genug. Aber, Herr Forschungsminister, wir werden Sie auch an den Taten messen und nicht an den Worten.

(Beifall bei der SPD)





Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1002230200
Das Wort hat Herr Abgeordneter Seesing.

Heinrich Seesing (CDU):
Rede ID: ID1002230300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst in Weiterführung der Gedanken, die Herr Kollege Stahl hier vorgetragen hat, einige grundsätzliche Vorbemerkungen machen. Das Los des Politikers ist es, daß er sich in der Sache immer wieder mit Teilaspekten unseres Lebens und unserer Welt auseinandersetzen muß. Der Teilaspekt, mit dem wir uns heute befaßt haben, hat in der Diskussion, die wir führten, eine besondere Stellung bekommen. Wenn Umwelt auch nicht die ausschließliche Existenzgrundlage unseres Lebens ist, so ist die Frage nach der Umwelt heute die Frage nach dem Lebensraum für unsere Kinder morgen. Dieser Lebensraum ist nicht dadurch gesunder, schöner, menschlicher und natürlicher zu machen, daß wir nun Fahnen vor uns hertragen, die die Aufschrift tragen: Zurück zur Natur. — Herr Kollege Stahl, ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie das auch nicht tun wollen.
Es geht erstens um den Wandel der Gesinnung, es geht zweitens um die Nutzung aller Kräfte des Menschen, seines Denkens, seines Forschens, um die Nutzung der Technik, die den Menschen schon heute zur Verfügung steht und morgen stehen wird. Ziel dieser Bemühungen muß es sein, zu einer die ganze Erde umfassenden Solidarität zwischen Menschen und Natur zu kommen.
Der Stand der Diskussion läßt allerdings befürchten, daß manche auch in dieser Frage die Einzelheit wieder zum Ganzen erklären und sich auf eine ökologische Sicht des Weltganzen beschränken. Es ist vielmehr notwendig, das Ganze von Natur und Geschichte zu suchen, soweit man es nur finden kann. Es geht letzten Endes um die Kooperation zwischen Mensch und Natur, und es geht darum, Forschung und Technologie in den Dienst dieser Sache zu stellen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Wie schon gesagt, es kann nicht darum gehen, menschliche Entwicklungen, ökonomisches Wachstum auf Null oder noch darunter abzubauen. Hierzu hat Liedke schon vor mehr als zehn Jahren erklärt: Das Bewahren macht das Bebauen nicht entbehrlich.
Wenn man den Idealvorstellungen mancher Bürger unseres Landes folgen wollte, müßte man in Teilen der Bundesrepublik Deutschland die Arbeit einstellen. Das gilt besonders für Nordrhein-Westfalen und das Saarland. Ich möchte heute einige Tropfen Wermut in unseren aufgestauten See der Hoffnungen, was die Zukunft betrifft, träufeln.
Die gewachsenen Strukturen dieser Länder sind nicht von heute auf morgen zu ändern. Wir alle wissen, wie unbedingt notwendig die Verminderung des Schadstoff- und Staubausstoßes ist. Wir müssen aber auch einsehen, daß wir die Probleme nicht im Handstreich lösen können.

(Lenzer [CDU/CSU]: Richtig!)

Meine Damen und Herren, daß sich unsere Wirtschaft bemüht, die Dinge in Ordnung zu bringen,
zeigt etwa die chemische Industrie, deren Umsatzrendite von 4,8 % auf 2 % zurückging, deren Kostenaufwand für Umweltschutz aber von 1,5% auf 4 % des Umsatzes anstieg. Nun ist für manche Leute der erste Wert zu hoch, der zweite Wert noch zu niedrig oder umgekehrt. Man sollte dies dennoch als freundliches Zeichen werten.
Wir sollten auch nicht unterschlagen, daß nur eine starke Wirtschaft in der Lage sein wird, die Erfordernisse des Umweltschutzes voll zu verwirklichen. Wir müssen also — ob man es nun hören will oder nicht — auch den ökonomischen Fragen den entsprechenden Rang einräumen. Das bedeutet nun keinesfalls eine Auflösung unseres Forderungskatalogs im Umweltschutz. Es bedeutet vielmehr, daß alles darangesetzt werden muß, durch unermüdliches Forschen und Entdecken unsere Wirtschaft in die Lage zu versetzen, auch unter den Bedingungen eines harten Umweltschutzes noch so günstig zu produzieren, daß sie konkurrenzfähig bleibt, daß sie Arbeitsplätze erhält und schafft.
Wir kommen nicht umhin, anzuerkennen, daß etwa das Thema Luftreinhaltung in ursächlichem Zusammenhang mit den Fragen zukünftiger Energieversorgung steht. Unabhängig von der bekannten Tatsache, daß CDU und CSU aus verschiedenen Gründen der Entwicklung der Kernenergie eine große Bedeutung zumessen, ist es notwendig, sich auch mit dem zukünftigen Rang anderer Energieformen zu befassen. Da äußern Politiker aller Richtungen, etwa im Bundesland Nordrhein-Westfalen, ihre Sorge um die Zukunft der Kohle. Die bereits erlassene Großfeuerungsanlagen-Verordnung wird die Steinkohlenkraftwerke zwingen, jährlich etwa 1,7 Milliarden DM für die Entschwefelung aufzubringen, jährlich 1,7 Milliarden DM. Das heißt, Kohlestrom wird um etwa 2 bis 3 Pfennig je Kilowattstunde in der Herstellung teurer werden. Das soll nach unserem Willen erst der Anfang der Bemühungen sein, die Entstehung des sauren Regens zumindest stark zu verringern.
Die strengen Vorschriften der neuen Verordnung fordern die Kraftwerksbetreiber und hier besonders die der öffentlichen Hand heraus, nun alles zu tun, um ihre Kraftwerke zügig, das heißt vor den gesetzten Terminen, umzurüsten oder stillzulegen. Der Steinkohlenbergbau z. B. muß in der Lage bleiben, seinen langfristigen Versorgungsauftrag als bedeutendster inländischer Energieträger zu erfüllen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen muß der Jahrhundertvertrag zwischen Bergbau und Elekrizitätswirtschaft in sinnvoller Form verwirklicht werden. Deswegen müssen aber auch Kohleforschung und die Erprobung umweltfreundlicher Technologien zur Kohleverwendung unverändert und mit Nachdruck weitergeführt werden.
Man muß aber auch ganz deutlich ansprechen, daß der weitere Energieträger Braunkohle ebenfalls gezwungen sein wird, außerordentlich große Anstrengungen zu unternehmen, um durch die Er-



Seesing
findung neuer Technologien seinen Anteil an der Energieversorgung zu halten.
Ich möchte in aller Kürze auf einige weitere Sachverhalte eingehen, die in einem engen Zusammenhang mit Energie, Umwelt und Forschung stehen.
Erstens: Wir haben bisher wenig Wissen über die Emissionsverursacher im einzelnen. Das gilt ganz besonders für die vielen unterschiedlichen Einzelfeuerungsanlagen. So muß man fragen: Wie steht es um die Schadstoffbelastung etwa durch Ölheizungen, und ist es richtig, daß wir beim Hausbrand bisher im Umweltschutzbereich wenig Fortschritt zu verzeichnen haben?
Zweitens: In allen Bereichen werden wir uns Gedanken machen müssen, wie auf energiesparendste Weise mit dem höchsten Umweltschutzfaktor die Nachfrage nach Energie befriedigt werden kann. Ich verweise hier auf die Diskussion in vielen Städten unseres Landes, wie man etwa eine Fernwärmeversorgung regeln soll: durch ein zentrales Heizkraftwerk oder durch viele Blockheizkraftwerke.
Drittens: Wir sollten uns auch der Entwicklung von dezentralen Fernwärme-Versorgungssystemen im ländlichen Raum, z. B. zur Stützung des Gartenbaus, zuwenden, um zu einer weiteren Schadstoffverringerung zu kommen.
Schließlich viertens: Wenn auch Entschwefelungsanlagen entsprechend dem Stand der Technik vorhanden sind, so kann damit die technische Entwicklung nicht einfach zu Ende sein, was etwa die weitere Verbesserung gleichzeitiger Abscheidung anderer Schadstoffe oder auch die Herstellung kostengünstiger Anlagen angeht. Beschleunigt werden muß die großtechnische Erprobung von Anlagen zur Stickoxidminderung, damit auch die deutschen Technologien in diesem Bereich voll verfügbar werden.
Ich will es unterlassen, auf einige andere Fragen der Forschung im Bereich des Umweltschutzes einzugehen. Ich möchte abschließend und zusammenfassend nur noch ein Wort sagen.
Wer wirklich Umweltschutz will, der muß weniger reden und mehr denken und handeln, und wir wollen das tun.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1002230400
Das Wort hat Herr Abgeordneter Bredehorn.

Günther Bredehorn (FDP):
Rede ID: ID1002230500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Kollege Gerhard Baum hat heute morgen für meine Fraktion grundsätzliche Ausführungen zur Umweltpolitik gemacht.
Ich möchte noch einige Aspekte insbesondere in bezug auf den Schutz von Natur und Landschaft hinzufügen. Die FDP hat gerade für diesen Bereich in ihrem 1981 beschlossenen ökologischen Aktionsprogramm wichtige Akzente gesetzt, an denen sich unser politisches Handeln auch weiterhin orientiert.
Wir haben schon 1981, als die Waldschäden allgemein noch nicht ernstgenommen wurden, gefordert, daß sich die Luftqualität nicht nur an den Menschen, sondern an den jeweils empfindlichsten Pflanzen orientieren muß. Viele Pflanzen sind gegenüber Luftschadstoffen wesentlich empfindlicher als der Mensch. Die Schäden in unseren Wäldern zeigen das in erschreckend anschaulicher Weise. Aber wir wissen, daß es noch wesentlich empfindlichere Pflanzen gibt. Erst wenn wir uns dessen bewußt sind, wird das volle Ausmaß der Umweltgefährdung deutlich, das mit dem Waldsterben sichtbar geworden ist.
Gestatten Sie mir zum Waldsterben nur einige ganz kurze Anmerkungen, weil schon viel dazu gesagt worden ist.

(Zuruf von den GRÜNEN: Zu wenig!)

Unser Wald ist ein ganz erheblicher Wirtschaftsfaktor. In ihm stecken riesige private und öffentliche Vermögenswerte. An ihm hängen Arbeitsplätze in einer Größenordnung von mehr als 500 000. Daran müssen auch diejenigen einmal denken, die argumentieren, durch scharfe Auflagen zur Emissionsbegrenzung würden Arbeitsplätze in der Industrie gefährdet.
Noch eines: Hier findet ein massiver Eingriff in das Vermögen unserer Waldbesitzer statt. Diese Vermögensverluste werden von den Verursachern nicht ersetzt.
Die ökologischen Auswirkungen des Waldsterbens sind noch schlimmer. Sie kennen die wichtigsten Funktionen des Waldes: Speicherung und Reinigung des Wassers, Regeneration der Luft, Schutz des Bodens, Erhaltung des Klimas und Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Wir können auf diese wichtigen Funktionen des Waldes nicht verzichten. Der Naturhaushalt als Ganzes käme in Gefahr. Es bedarf also aller Anstrengungen, um unseren Wald wirkungsvoll zu schützen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es muß sofort etwas geschehen. Der Wald zeigt als empfindlicher Bioindikator nur an, was für die Menschen auf Dauer tödlich sein kann.
Nach den Grundsätzen des ökologischen Aktionsprogramms der FDP für die 80er Jahre gelten das Vorsorgeprinzip, das Verursacherprinzip und das Kooperationsprinzip. Getreu diesen Prinzipien sind wir aufgerufen, die wissenschaftlich erkannten Verursacherschadstoffe vorsorglich und durch Kooperation aller Beteiligten zu beseitigen. Dies bedeutet in erster Linie, daß die Emissionsquellen für SO2 und NOx verstopft werden müssen.
Die Bundesregierung wird auf Drängen der FDP am 1. Januar 1986 das bleifreie Benzin einführen, um den Einbau von Katalysatoren in Kraftfahrzeugen zu ermöglichen. Dadurch kann der Stickoxidausstoß praktisch ausgeschaltet werden. Es würde jedoch bis zum Jahr 1992 dauern, um nur die Hälfte der Pkws mit Katalysatoren auszurüsten. Deshalb muß die Umrüstung durch marktwirtschaftliche Impulse beschleunigt werden.

(Beifall bei der FDP)




Bredehorn
Mein Kollege Wolfgang Rumpf hat die Vorschläge gemacht, die wir wirklich ernsthaft miteinander diskutieren müssen. Auch die SO2-Emittenten müssen nach marktwirtschaftlichen Prinzipien in die Pflicht genommen werden. Der Gesetzgeber muß verlangen, daß die Schwefeldioxidemission innerhalb von sieben Jahren um 70 % reduziert wird. Das vom Kollegen Rumpf vorgeschlagene Bonus-MalusSystem gibt uns hier einen Denkanstoß.
Der Schutz des Waldes kommt auch allen anderen Teilen von Natur und Landschaft zugute. Das gilt für Gewässer, in denen sich auch schon Schädigungen durch Luftschadstoffe zeigen, ebenso wie für den Schutz des Bodens, wie für den Schutz wildlebender Pflanzen und Tiere. Der Schutz wildlebender Pflanzen und Tiere ist für die FDP ein zentrales Anliegen, weil ihre Gefährdung immer noch besorgniserregend fortschreitet. Zu ihrem Schutz ist die Luftreinhaltung ein Teilbeitrag. Insgesamt sind wesentlich umfangreichere Anstrengungen erforderlich.
Der zentrale Ansatzpunkt zum Schutz wildlebender Pflanzen und Tiere ist der Schutz ihrer Lebensstätten. Die FDP hat daher in ihrem ökologischen Aktionsprogramm ein Biotopschutzprogramm gefordert. Ich habe heute morgen gehört, daß im Bundeslandwirtschaftsministerium daran gearbeitet wird. Aber ich habe die dringende Bitte an Herrn Bundesminister Kiechle — er sitzt jetzt nicht mehr hier, aber ich darf Herrn Staatssekretär Gallus bitten, das weiterzureichen —, der Fertigstellung dieses Programms besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Wir brauchen es bald.
Da ich schon bei einer Bitte an den zuständigen Bundesminister bin, möchte ich eine weitere hinzufügen — Sie mögen sie bitte weiterleiten, Herr Parlamentarischer Staatssekretär —: Die FDP wünscht eine Revision der Landwirtschaftsklausel und die Einführung der Verbandsklage im Bundesnaturschutzgesetz.

(Beifall bei der FDP)

In einer Koalition müssen bei unterschiedlichen Meinungen Kompromisse geschlossen werden. Die FDP war und ist deswegen bereit, Sie in dieser Legislaturperiode mit der Verbandsklage nicht zu bedrängen. Aber im Naturschutz darf es keinen Stillstand geben. Ich möchte Sie bitten, Herr Minister, zu prüfen, ob Sie uns nicht ein inhaltliches Äquivalent zur Verbandsklage anbieten können. Dabei denke ich z. B. an eine weitere Verbesserung der Verbandsbeteiligung oder an einen Ausbau der Landschaftsplanung. Ich meine auch, wir sollten gemeinsam eine vernünftige Formel für die Revision einer Landwirtschaftsklausel finden können.

(Dr. Ehmke [Ettlingen] [GRÜNE]: Jawohl!)

Ich sage das in Kenntnis aller Ihrer angekündigten Maßnahmen zum Naturschutz, die wir Freien Demokraten nachdrücklich unterstützen, aber in der Absicht, den Stein noch etwas weiterzuwerfen, weil wir im Naturschutz ein weiteres Stück vorankommen wollen und müssen.
In diesem Zusammenhang scheint es mir notwendig, noch einen weiteren wichtigen Punkt anzusprechen: Wir müssen alles unternehmen, um den Landschaftsverbrauch auf das absolut Notwendige zu beschränken.

(Beifall bei der FDP)

Im Jahre 1982 verbrauchten wir durchschnittlich 160 Hektar täglich, seit 1959 105 Hektar täglich.

(Dr. Ehmke [Ettlingen] [GRÜNE]: Ja, und wo kommt das her? Vom Autobahnbau!)

Das sind rund 1,2 Millionen Hektar Land. Wir in der FDP sind uns darin einig, daß die Verkehrsfläche nur noch geringfügig ausgedehnt werden darf und sich die Verbesserung des Verkehrsnetzes daher vorrangig auf den Ausbau bestehender Verkehrswege konzentrieren muß.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir sollten das insbesondere auch bei der Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplanes berücksichtigen. Auch im Siedlungsbereich müssen diese Aspekte stärker beachtet werden.
Zusammen mit den Kollegen der CDU/CSU haben wir diese Problematik in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung aufgegriffen. Bei der notwendigen Eindämmung des Landschaftsverbrauchs hat die Bundesregierung unsere volle Unterstützung. Weitere Flächenverluste können nur noch hingenommen werden, wenn die Inanspruchnahme nach Abwägung aller Gesichtspunkte unabwendbar ist.
Unsere Landwirtschaft steht heute im Spannungsfeld von Ökonomie und Ökologie. Bundesministger Kiechle hat hier heute morgen in seiner Rede erklärt, der Bauer müsse Nutzung und Schutz der Natur in Einklang bringen. Zur Erhaltung ihrer Existenz ist die Landwirtschaft heute gezwungen, sich an die ökonomischen Erfordernisse anzupassen und den technischen Fortschritt zu nutzen. Andererseits muß sie sich aber davor hüten, Boden, Pflanze und Tier nur noch als Produktionsfaktoren in einem an naturgesetzlichen Vorgaben und ökonomischen Gesetzmäßigkeiten ausgerichteten Produktionsprozeß zu sehen. In der modernen Landwirtschaft können nicht nur Einkommensmaximierung und bestmögliche Kapitalverzinsung Richtschnur des Handelns sein. Vielmehr müssen darüber hinaus der Respekt vor der Natur, die Sicherheit des Betriebes, die Nachhaltigkeit in der Bewirtschaftung und die Weitergabe des von den Eltern übernommenen Hofes an die nächste Generation weiterhin im Vordergrund stehen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Nach meiner Meinung sind dies aber auch in unserer modernen Zeit nach wie vor die vorherrschenden Verhaltensmuster, die wir — trotz großer Aufgeschlossenheit für technische Neuerungen — in unserer weitgehend noch bäuerlich strukturierten Landwirtschaft vorfinden. Ich bin überzeugt, daß es auch in Zukunft der Bauer sein wird, der die an die Landwirtschaft gestellten vielfältigen Aufgaben am besten erfüllen kann.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)




Bredehorn
Denn sein Bestreben, Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen, das im Rahmen seiner Werteordnung technisch Verantwortbare über das technisch Mögliche zu stellen und auch über den Tag hinaus zu denken, garantiert uns allen eine sichere Versorgung mit qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln sowie den Erhalt unserer Kultur- und Erholungslandschaft.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Aber bei der Massentierhaltung ist nichts qualitativ hochwertig! — Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Das sind keine landwirtschaftlichen Betriebe! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Ich rede von bäuerlichen Betrieben, Herr Fischer. Aber darüber können wir uns gerne einmal unterhalten; dazu bin ich gerne bereit.
Heute hören wir von bestimmter Seite — auch von Ihrer Seite immer wieder, Herr Fischer — den Ruf nach dem Öko-Bauern.

(Zuruf von der FDP: Aber erst wollen die sie enteignen!)

Wir freien Demokraten begrüßen es, daß Landwirte bereit sind, mit neuen Formen der Bewirtschaftung voranzugehen und Beispiele zu geben. Wir sind auch bereit, diese Beispiele durch Bundesmittel zu fördern.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Was sagt der Graf dazu?)

Wir wehren uns allerdings ganz entschieden dagegen, die große Mehrheit der konventionell wirtschaftenden Landwirte zu verdächtigen, sie zerstörten die Bodenfruchtbarkeit. Das Gegenteil ist der Fall. In den letzten 100 Jahren Landbau ist die Fruchtbarkeit unserer Böden nicht zerstört, sondern ganz außerordentlich gesteigert worden.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU — Lachen bei den GRÜNEN)

Der hessische Landesminister Schneider hat hier heute morgen sehr polemisch über den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln geredet. Wir sind zur Zeit dabei, das Pflanzenschutzgesetz zu novellieren. Ziel muß dabei eine weitestgehende Schonung der Natur und der Kulturpflanzen sein.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Und der Menschen!)

Wir wollen die Zulassungsbedingungen neuer Pflanzenschutzmittel zukünftig verschärfen, einen Sachkundenachweis einführen, neue Geräte einer Registrierungspflicht unterwerfen, die Anwendung von Pflanzenbehandlungsmitteln außerhalb landwirtschaftlich, forstwirtschaftlich und gärtnerisch genutzter Flächen nur noch mit einer Genehmigung zulassen und eine bessere Kennzeichnung der Pflanzenbehandlungsmittel, vor allem für den Export, vorschreiben. Dabei müssen wir aber auch wissen, daß in einigen Exportländern der Reisanbau z. B. eben nur möglich ist, wenn Pestizide angewandt werden. Hier stehen wir sicher alle in einer großen moralischen Verantwortung.
Hierbei möchte ich daran erinnern, daß es der Bundeslandwirtschaftsminister Josef Ertl war, der 1978 den integrierten Pflanzenschutz einführte, den wir nach Kräften weiter entwickeln und dessen Einführung in die Praxis auf breiter Basis fördern sollten.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Vorschlag für Ordensverleihung!)

Für die Verbesserung des Naturschutzes sind auch im internationalen Bereich weitere Anstrengungen erforderlich. Bei vielen internationalen Übereinkommen gibt es noch zu viele Schlupflöcher. Sie müssen geschlossen werden. Ich hoffe, daß dies von den zuständigen Bundesministerien in bewährter kontinuierlicher Kleinarbeit vorangebracht wird.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Beim Schutz unserer natürlichen Umwelt dürfen wir auch unsere Gewässer nicht vergessen. Das gilt für die Binnengewässer ebenso wie für die See. Als Abgeordneter aus Niedersachsen liegt mir natürlich

(Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Keine Schleichwerbung!)

der Schutz der Nordsee besonders am Herzen. Dabei geht es mir um den Naturschutz, aber auch um die Interessen unserer Fischer. Beide Bereiche sind auf die Eindämmung der Nordseeverschmutzung angewiesen. Ich meine, die Nordsee darf nicht weiter zum Abfalleimer für alle Anrainerstaaten werden.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und den GRÜNEN)

Auf vielen Wegen gelangen heute riesige Mengen von Schadstoffen in das Meer und in unsere Nordsee, von Land aus über die Flüsse und Rohrleitungen, durch die Atmosphäre oder durch Schiffe, durch Meeresbodenausbeutung und durch die Abfallbeseitigung. So gelangen Schwermetalle wie Quecksilber oder Blei, Chemikalien, chlorierte und hochchlorierte Kohlenwasserstoffe in die Nordsee und stellen eine riesige Belastung dar. Kranke Fische, kranke Seehunde, krankes Kleingetier sowie Tausende verölter Seevögel sind schreckliche Zeichen der Gefährdung des Naturraumes Nordsee. Wir alle haben die Pflicht, durch unser politisches Handeln und Tun der Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen zum Erhalt einer gesunden Nordsee gerecht zu werden.
Dabei fehlt es uns heute nicht an Gesetzen, Beschlüssen, Verordnungen und Sicherheitsauflagen. Worum es jetzt geht, sind die Ratifizierung, die Ausfüllung, die Überwachung und die Durchsetzung dieser Gesetze und Verordnungen. Deshalb begrüßen wir die geplante Konferenz der Nordsee-Anliegerstaaten. Wir hoffen, daß dort die erforderlichen Fortschritte endlich erzielt werden.
Noch ein Wort zur Überwachung. Wir an der Küste sind dankbar und freuen uns, daß durch den sogenannten Juli-Vertrag freie Flugkapazität des holländischen Maritime Patrol angemietet wurde



Bredehorn
und eine Überwachung der Nordsee stattfindet. Wenn man jedoch hört, daß der für diese Zwecke gedachte Titel für das kommende Jahr bereits wieder mit einem Sperrvermerk versehen ist, fordere ich hiermit die Bundesregierung auf, ab 1. Januar 1984 mit einer nationalen Flugüberwachung des deutschen Nordseeküstenraumes zu beginnen.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU])

Das Wattenmeer ist für die Fische der gesamten Nordsee, aber auch für die Vogelwelt von internationaler Bedeutung. Ich begrüße ganz außerordentlich die Ankündigung des Bundesinnenministers hier heute morgen, für großflächige Eindeichungen im Wattenmeer, die unersetzbare Naturflächen zerstören, keine Mittel mehr aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" zur Verfügung zu stellen. Wir sind uns sicherlich einig, daß der Schutz der Menschen hinter den Deichen nach wie vor erste Priorität hat und daß dort, wo Deiche erhöht werden müssen, dies in den vorhandenen Deichlinien geschehen sollte.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Abschließend möchte ich folgendes feststellen. Ich wollte mit meinen Anmerkungen deutlich machen, daß die FDP die Umweltpolitik der Bundesregierung im Bereich von Natur und Landschaft voll unterstützt. Dabei sollte aber auch unser Wunsch deutlich werden, daß wir in einigen Bereichen noch etwas weitergehen möchten. Trotzdem bleiben wir auf dem Boden der Wirklichkeit. Utopische Forderungen, wie sie von den GRÜNEN immer wieder vorgebracht werden und wie sie teilweise leider von der SPD übernommen werden, nützen der Sache langfristig nicht. Blinder Eifer schadet nur.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Die Umweltpolitik muß kontinuierlich und konsequent unter Berücksichtigung auch anderer öffentlicher Belange fortgesetzt werden. Bereits im Jahr 1971 — da waren Sie, meine Herren, mit an der Regierung — hat die Bundesregierung unter der Federführung des damaligen Bundesinnenministers Hans-Dietrich Genscher das erste Umweltprogramm vorgelegt. Das haben Sie, meine Herren von den GRÜNEN — wie heute morgen Herr Sauermilch verkündete —, nicht als erste erfunden. Im Jahr 1981 hat die FDP ihr ökologisches Aktionsprogramm beschlossen. Dieses ist für die FDP die Grundlage, wie bisher konsequent, beharrlich und vorausschauend in der Umweltpolitik zu arbeiten und unserer Verantwortung für die Umwelt gerecht zu werden. — Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1002230600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Drabiniok.

Dieter Drabiniok (GRÜNE):
Rede ID: ID1002230700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Ich möchte am Anfang auf die Ausführungen von Herrn Zimmermann eingehen. Das liegt zwar schon einige Stunden zurück, aber ich will es dennoch kurz tun. Herr Zimmermann, wenn Sie halbsoviel Einsatz für die Verschärfung des Demonstrationsrechts und der Ausländer-raus-Politik einsetzen und statt dessen die gewonnene Zeit in das Studium der ökologischen Zusammenhänge stecken würden, täte es Ihrem Umweltbewußtsein sehr gut.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Halten Sie die Bundesbürger eigentlich für so dumm, daß diese es nicht merken, daß Sie wieder nur Papier produzieren wollen? Sie verhalten sich wie ein Arzt an dem Bett des vom Tod bedrohten Patienten Wald und verabreichen ihm nicht das lebensrettende Medikament, das Sie in Händen halten, weil Sie Angst vor den Nebenwirkungen haben.
Ihr Vorschlag, Herr Zimmermann, bleifreies Benzin und Abgaskatalysatoren erst ab 1. Januar 1986 für Neufahrzeuge einzuführen, bedeutet nicht die Rettung, sondern ist das Todesurteil für den Wald. Bis alle Kraftfahrzeuge mit Katalysatoren ausgerüstet sind, werden zirka 10 bis 14 Jahre vergehen. Fragen Sie einmal Ihre Waldexperten, ob es den Wald dann noch gibt! Bleifreies Benzin muß sofort oder, wie es unser Vorschlag vorsieht, ab 1. Juli 1984 eingeführt werden. Ab diesem Datum müssen die für den Export bestimmten Pkw mit Katalysatoren hier zu erwerben sein. Die Umrüstung alter Kraftfahrzeuge mit Katalysatoren ist in den meisten Fällen möglich und sollte, um einen Anreiz zu schaffen, durch Rückerstattung eines Teils, etwa 25 %, des Kaufpreises für Katalysatoren bei kleineren Fahrzeugen bis 1 100 ccm gefördert werden.
Die Umrüstung der Kraftfahrzeuge auf bleifreies Benzin allein löst die Probleme des Umwelt- und Menschenschutzes in der Verkehrspolitik nicht. Das Auto ist nun einmal Umweltzerstörer Nr. 1 und gehört eingeschränkt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was hat der Autoverkehr in den letzten zehn Jahren verursacht? In den letzten zehn Jahren wurden von den Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik 79 Millionen Tonnen Giftgas und 50 000 Tonnen Blei in die Luft geblasen. Im Straßenverkehr verunglückten 170 000 Menschen, darunter 35 000 Kinder unter 15 Jahren, tödlich. 1982 wurden zirka 50 Milliarden DM Unfallfolgenkosten verursacht. Für Straßen- und Kanalbauten werden wertvolle Erholungs- und Naturschutzgebiete zerstört.
Eine ökologische Verkehrspolitik ist dagegen an die Mobilitätsbedürfnisse des einzelnen angepaßter Verkehr, unter Berücksichtigung der ökologischen, sozialen und verkehrssicherheitspolitischen Interessen der Allgemeinheit. Im Klartext heißt das: die Einschränkung des individuellen Autoverkehrs bei gleichzeitiger Förderung, sprich Verbesserung, aller öffentlichen Verkehrsmittel sowie des Fußwege- und Radwegebaus. Das bringt Arbeitsplätze.
Nur ein Beispiel: Allein durch die Einrichtung von Rad- und Fußwegenetzen z. B. in Hessen wären dort 70 000 bis 80 000 zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Durch die Investition von 1 Milliarde DM



Drabiniok
in die öffentlichen Verkehrsmittel sowie die Deutsche Bundesbahn würden nicht nur 24 000 Arbeitsplätze geschaffen, nein, diese Verkehrsmittel sind auch energiesparender, sicherer, landschaftsschonender und sozialer als Auto und Straße.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es lohnt sich durchaus, einmal die soziale Ungerechtigkeit der bisherigen Verkehrspolitik zu durchleuchten. Die öffentlichen Verkehrsunternehmen sind durch den Zwang zur Eigenwirtschaftlichkeit, d. h. kostendeckend zu fahren, angehalten, das Angebot auf gewinnträchtige Strecken zu beschränken, während beim Autoverkehr die Kosten und Auswirkungen, wie Bereitstellung von Parkraum, Aufwendungen für Straßenbau, Unfallschäden usw., von allen Bürgern getragen werden müssen. Ich halte es für unsozial und politisch fatal, daß die 70 % der Bevölkerung, die über kein Auto verfügen und auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, dort unter hohen Preisen, häufig schlechten Taktzeiten und unter den Streichungen des Streckennetzes zu leiden haben, noch zur Kasse gebeten werden, um für die Folgeschäden, die der Autofahrer verursacht, aufzukommen.
Aus diesen Gründen ist es notwendig, die öffentlichen Verkehrsmittel attraktiver zu gestalten. Es gibt vielfältige Möglichkeiten. Eine Sofortmaßnahme wäre die Erhöhung der Geschwindigkeit des öffentlichen Personennahverkehrs durch eine Bedarfsampelschaltung und den Vorrang dieser Verkehrsmittel vor dem Individualverkehr. Dazu würde ich gern noch mehr ausführen, insbesondere zur Deutschen Bundesbahn. Doch kündige ich wegen der knappen Redezeit lediglich an, daß wir einen Vorschlag zur Novellierung des Bundesbahngesetzes und ein entsprechendes Finanzierungskonzept für die Bundesbahn in den nächsten 14 Tagen vorlegen werden.
Wir fordern den Stopp des Autobahnbaus.

(Kolb [CDU/CSU]: Jawohl!)

Die Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen auf 100 km/h und auf Bundesfernstraßen auf 80 km/h und innerorts auf 30 km/h in Nebenstraßen

(Kolb [CDU/CSU]: Rückwärtsfahren ist besser!)

würde neben der relativen Geschwindigkeitserhöhung der Deutschen Bundesbahn und des öffentlichen Personennahverkehrs zum Auto viele sinnvolle, ja notwendige Effekte haben. Sie sind im wesentlichen: Energieeinsparung, geringer Giftgasausstoß, Lärmminderung, Verringerung des Flächenbedarfs beim Straßenbau und Erhöhung der Verkehrssicherheit. Aus diesem Grund halten wir eine Geschwindigkeitsbegrenzung für notwendig. Sie, meine Damen und Herren von der sogenannten christlich-liberalen Koalition

(Kolb [CDU/CSU]: Was heißt hier „sogenannt"?)

haben zu entscheiden, ob Ihnen unsere Kinder und
der Wald mehr wert sind als die Interessen der
Autoindustrie und einiger unverbesserlicher Autofahrer nebst deren Clubs.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zum Schluß möchte ich auf drei der umweltpolitisch wohl katastrophalsten Verkehrsprojekte eingehen, die jemals in der Geschichte der Bundesrepublik geplant worden und in Bau gegangen sind. Ich meine den Rhein-Main-Donau-Kanal, die Startbahn West und den Flughafen München 2 im Erdinger Moos.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist für den Rhein-Main-Donau-Kanal schon viel Landschaft zerstört worden. Sie glauben, meine Damen und Herren, es ist besser, den Kanal fertig-zubauen. Es ist, behaupte ich, noch nicht zu spät, den größten Teil der Natur, insbesondere das Altmühltal, sowie die Donauschlingen zu retten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Innenminister und auch Herr Verkehrsminister, ist Ihnen klar, daß Sie mit dieser Naturzerstörung für den Rhein-Main-Donau-Kanal die Schöpfung vergewaltigen?

(Zurufe von der CDU/CSU)

Daß schon 70 % der Bausumme ausgegeben sind, kann kein Argument dafür sein, daß Sie weitere 30 % wegschmeißen wollen. Die Sinnlosigkeit und Schädlichkeit dieses Projektes sind schon jetzt, vor der Fertigstellung, erkannt. Deshalb: Keine Mark für den Kanal! Selbst wenn Herr Zimmermann die Absicht hätte, sich über diesen Kanal in den Balkan abzusetzen, sind wir der Auffassung, daß er dazu besser die Bahn benutzen sollte.

(Schily [GRÜNE]: Herr Zimmermann ist am Werk!)

— Ja; richtig.

(Kolb [CDU/CSU]: Also ich habe mal gelernt, daß man Verträge halten soll!)

— Das kommt noch.
Das Erdinger Moos und besonders die Startbahn West sind zwei Beispiele, für wen und gegen wen sich die Verkehrs- und Umweltpolitik in diesem Land wendet. Nur ein Bruchteil der Bevölkerung profitiert von den Flughafenerweiterungen. Eine ganze Region mit Millionen Menschen muß die Folgen von Lärm, Abgas, Zerstörung von Naherholungsgebieten zugunten der sogenannten nationalen Interessen tragen.

(Zuruf des Abg. Eimer [Fürth] [FDP])

Wer solch eine zerstörerische Verkehrs- und Umweltpolitik fortsetzen will, handelt unverantwortlich. — Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1002230800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Schorlemer.

Freiherr Reinhard von Schorlemer (CDU):
Rede ID: ID1002230900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Kollege Drabiniok, es lohnt sich nicht,



Freiherr von Schorlemer
auf Ihre Thesen betreffend den totalen Autostopp einzugehen.

(Schily [GRÜNE]: Totaler Autostopp? — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das finden Sie in den USA auch! — Weitere Zurufe)

Nur eines hat mich dabei sehr erfreut: der Beifall von Herrn Schily. Jetzt komme ich zu Ihnen.

(Schily [GRÜNE]: Ja, bitte schön!)

Als ich nämlich Ihren dicken Mercedes vor dem Tulpenfeld sah, mußte ich feststellen: Der fährt Diesel, der fährt nie Fahrrad, der fährt immer mit dem Mercedes,

(Schily [GRÜNE]: Nein, nein, stimmt gar nicht!)

und der soll sich von seinen Kollegen hier einmal entsprechende Vorträge anhören.

(Beifall bei der CDU/CSU — Kolb [CDU/ CSU]: Andere sollen laufen, er darf fahren! — Schily [GRÜNE]: Umweltfreundlicher Diesel!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Wald kann nur dann gerettet werden, wenn Schadensverhütung vor Schadensvergütung geht. Deshalb haben wir in unserem Entschließungsantrag auch gefordert, daß die Bundesregierung bis Anfang 1984 Vorschläge dazu vorlegt, wie Immissionen z. B. aus Altanlagen schneller und weitergehend vermindert werden können. Der Innenminister hat dies in seiner Rede auch angesprochen.
Notwendig ist meines Erachtens eine wesentlich wirksamere Absenkung der für die Waldschäden verantwortlichen Schadstoffbelastungen der Luft, und zwar mit einer entschiedenen Verkürzung der Zeit der Umstellung und einer sehr viel höheren Schadstoffdrosselung.

(Dr. Ehmke [Ettlingen] [GRÜNE]: Also!)

Der Herr hessische Innenminister Schneider hat hier heute morgen — —

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Innenminister ist er nicht! — Schily [GRÜNE]: Die haben einen echten Umweltminister!)

— Gut. Der Umweltminister Schneider aus Hessen hat heute morgen in seinem Wahlkampfbeitrag u. a. Buschhaus angesprochen. Nur, er hat am wenigsten Grund.

(Kolb [CDU/CSU]: Wo sind die Genossen?)

Deshalb hat er auch ganz bewußt meine Zwischenfrage nicht zugelassen. Ich hätte ihm nämlich vorlesen müssen, daß die niedersächsischen Sozialdemokraten erwarten, daß das umstrittene Heizkraftwerk Buschhaus im Kreis Helmstedt in Betrieb genommen wird.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

In einer Erklärung hat Oppositionsführer Karl Ravens am Freitag den jüngsten Beschluß der CDU-Landtagsfraktion scharf kritisiert und betont, wer nicht wolle, daß das Kraftwerk seinen Betrieb aufnehme, der verurteile 3 000 Menschen zur Arbeitslosigkeit. Ich glaube, der Kollge Schäfer hat vorhin
etwas von Ökologie und Arbeitsplätzen gesagt; er sollte das auch noch einmal nachlesen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Herr Landwirtschaftsminister Kiechle hat zu Recht darauf hingewiesen, daß allein die Düngung nicht das Heilmittel ist, um die Zerstörung des Waldes zu verhindern.
Verehrter Kollege Bredehorn, wir haben uns ja, als wir 1980 gemeinsam in den Bundestag kamen, schon einmal vor diesem Hause mit unterschiedlichen Meinungen über die Praktikabilität der Landwirtschaftsklausel und der Verbandsklage unterhalten. Ich könnte mir vorstellen, daß wir diese Diskussion durchaus wieder aufnehmen sollten, wobei ich allerdings so ehrlich bin, Ihnen zu sagen, daß ich bisher keine neue Erkenntnis habe, die meine Freunde und mich dazu ermunterte, diese beiden Dinge nun einzuführen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Absterben der Waldbäume ruft bei vielen Bürgern, die sich an der Schönheit und der Romantik des Waldes immer wieder erfreuen,

(Lachen bei den GRÜNEN)

gefühlsmäßiges Betroffensein hervor. Der Wald stellt aber auch einen Vermögenswert von ca. 200 Milliarden DM dar. Der jährliche Produktionswert beträgt rund 3,5 Milliarden DM. Er sichert ca. 100 000 feste und 800 000 Teilzeitarbeitsplätze.

(Schily [GRÜNE]: Jetzt kommt die Kritik an Zimmermann!)

Die Waldschäden führen neben fortschreitender Verminderung zu jährlichen Verlusten der Forstbetriebe durch Ertragsminderung und durch Mehraufwendungen von mehr als 1 Milliarde DM.
Der Wald ist nicht nur Holzproduzent; er schützt auch vor Bodenerosion durch Wind und Wasser; er gleicht die Schwankungen des Kleinklimas aus; er filtert und speichert das Trinkwasser und reinigt die Luft.

(Schily [GRÜNE]: Bravo!)

Diese Funktionen des Waldes schlagen volkswirtschaftlich erheblich zu Buche.
Darüber hinaus ist der Wald das wichtigste Ökosystem und damit bedeutend für den gesamten Naturhaushalt, für die Erhaltung der Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren wie auch für die Erholung der Menschen.

(Dr. Ehmke [Ettlingen] [GRÜNE]: Das sagen wir schon lange!)

Daher schädigt die Verunreinigung der Luft nicht nur den Wald, sondern auch die Fruchtbarkeit des Bodens, die Gewässer und die Materialien. Der Kölner Dom ist in diesem Zusammenhang immer wieder erwähnt worden, obwohl die anfängliche Zerstörung bekanntlich durch die Eisenbahn, nicht durch die Autos erfolgte. Auch dies soll man fairerweise hinzufügen.

(Schily [GRÜNE]: Also auch Abschaffung der Eisenbahn, oder wie?)




Freiherr von Schorlemer
Welche forstpolitischen Konsequenzen müssen aus dem Waldsterben gezogen werden? Minister Kiechle hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung jede Möglichkeit nutzen werde, um entsprechende Hilfen zu geben. Es muß alles versucht und getan werden, erstens den Schadensverlauf zu bremsen.

(Schily [GRÜNE]: Den Staat zu bremsen!)

— Nein, den Schadensverlauf zu bremsen. — Zweitens muß der Holzmarkt gesichert bleiben. Dazu gehören mengenmäßige Vorausschätzungen und die laufende Erfassung des Schadensanfalls. Die Bundeswaldinventur wird das erleichtern helfen. Nach dem Forstschädenausgleichsgesetz müssen Einschlagsbeschränkungen ausgesprochen werden. Dazu gehören weiter Drosselung des Imports und Förderung des Exports von Holz.
Wenn wir einmal davon ausgehen, daß etwa 50 % der Luftverunreinigung aus dem Ausland kommt, wir aber auch 50 % weitergeben, muß man doch zu dem Schluß kommen: Es kann nicht angehen, daß erhebliche Schadstoffe auch von unseren östlichen Nachbarn zu uns gelangen und der Wald bei uns dadurch gefährdet wird, zusätzlich aber auch noch aus diesen Ländern zu herabgedrückten Preisen Holz in unseren Land importiert und dadurch der ohnehin stark belastete Holzmarkt völlig in den Keller gebracht wird, was die Preise angeht.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das sind ja dirigistische Tendenzen! — Schily [GRÜNE]: Sie müssen mal mit Herrn Strauß telefonieren!)

Durch steuerliche Maßnahmen muß erreicht werden, daß im Rahmen der durch Waldschäden verursachten Holznutzung keine zusätzlichen Belastungen entstehen. In vereinfachter Form müßten auch die Nutzungssätze angepaßt und bei den Einheitswerten berücksichtigt werden. Die Möglichkeiten der Rücklagenbildung nach dem Forstschädenausgleichsgesetz sollten neu bedacht werden. Man sollte auch überprüfen, ob nicht forstliche Rest- und Abfallstoffe verwertet werden können, da das einen Beitrag zur Forcierung der Waldhygiene darstellen kann. Wir bekommen den Borkenkäfer damit aus dem Wald, und im übrigen besteht so die Möglichkeit, durch den Einsatz des Abfallbrennstoffes, der zudem ein schwefelarmer Brennstoff ist, die Umwelt nicht so stark zu belasten.
In einer Debatte, in der unsere Verantwortung für die Natur herausgestellt werden soll, gehören auch einige Sätze zum Thema Landwirtschaft und Natur. Die bäuerliche Landwirtschaft in ihren vielfältigen Formen und Größen ist anpassungsfähig und bietet die beste Gewähr für eine umweltschonende Erzeugung von Gütern. Sie prägt und pflegt unsere Kulturlandschaft und ist der beste Schutz gegen Monokulturen, überzogene Spezialisierungen und Industrialisierung der Agrarproduktion. Darum sind gesunde bäuerliche Familienbetriebe auch ein Garant für abwechslungsreiche Landwirtschaft und kostengünstige Landschaftspflege.
Der Boden nimmt hierbei eine zentrale Stellung für die Nahrungsmittelversorgung ein. Seine
Fruchtbarkeit muß daher als Grundlage für eine ausreichende und qualitativ hochwertige Nahrungsmittelproduktion erhalten werden.

(Zuruf von der SPD: Nur demjenigen, der das nicht weiß, sagen Sie etwas Neues!)

— Wenn Sie es wissen, ist es ja gut. — Es müssen auch alle Anstrengungen unternommen werden, die Fremstoffbelastungen weiter zu verringern, um noch bestehende Restrisiken, insbesondere bei regional stärker auftretenden Belastungen, auszuschalten.
Diese Bundesregierung geht in der Umweltpolitik den richtigen Weg, weil sie realistisch handelt und damit gegenüber der kommenden Generation die Verantwortung fühlt, die natürlichen Lebensgrundlagen vor nachhaltigen Störungen und Schädigungen zu bewahren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1002231000
Das Wort hat der Abgeordnete Müller (Schweinfurt).

Rudolf Müller (SPD):
Rede ID: ID1002231100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Noch im Februar 1982 habe ich die Regierung von Unterfranken nach Waldschäden gefragt. Damals hieß die Antwort: Von Schäden ist nichts bekannt. Heute ist das auch in Unterfranken Umweltproblem Nummer eins.
Heute ist es nicht mehr nur ein Problem der Waldbesitzer oder der Holzindustrie, sondern heute droht das ökologische Gleichgewicht großflächig mit noch nicht abzuschätzenden Folgen für unser Land umzukippen. Die drohenden Gefahren erfordern ein sofortiges Handeln. Deshalb dürfen wir auf keinen Fall warten, bis auch der letzte Zweifel der Wissenschaftler über die Ursachen dieser Umweltkatastrophe ausgeräumt ist. Es muß alles getan werden, um Schadstoffe zu vermindern. Es muß aber auch etwas getan werden, um die Bäume gegen die trotz aller Maßnahmen noch Jahre andauernden Belastungen widerstandsfähig zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb darf nicht nur die langfristig sicher wünschenswerte Aufzucht umweltresistenter Bäume das vordringliche Ziel aller Bemühungen sein, sondern entscheidend ist jetzt die möglichst rasche Beseitigung der Umweltgefahren. Aus diesem Grunde sind wir dafür, waldbauliche Maßnahmen aller Art zu testen und für solche Versuche Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen.
Warnen möchte ich aber davor, dem kranken Wald mit einer Schocktherapie zu Leibe zu rücken und durch Überdüngung oder falsche Düngung das ohnehin gefährdete ökologische Gleichgewicht völlig aus den Fugen zu bringen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Boroffka [CDU/CSU]: Sie brauchen doch Herrn Kiechle nicht zu wiederholen!)

Wir wissen — Herr Bredehorn hat auch darauf hingewiesen —, daß es auch in der Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten Entwicklungen gegeben
1534 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983
Müller (Schweinfurt)

hat, die unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes mehr als kritisch zu betrachten sind. Wir müssen jedoch dabei berücksichtigen, daß ein Landwirt, der seinen Betrieb erhalten will, wie jeder andere Unternehmer auch nach ökonomischen Gesichtspunkten arbeiten muß. Er muß die Möglichkeiten des technischen Fortschritts nutzen und moderne Produktionsmethoden anwenden. Das führt zwangsläufig zu Zielkonflikten. Diese Art der Landwirtschaft hat zwangsläufig zu einer Verarmung der Landschaft geführt.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Eine hohe Nutzungsintensität durch verstärkte Düngung, vermehrten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sowie ausgeräumte Agrarlandschaften durch Beseitigung von Hecken, Rainen und ökologischen Ausgleichszellen haben zwangsläufig zu Umweltbelastungen geführt.
Es liegt mir aber fern, meine sehr verehrten Damen und Herren, aus diesem Grund Landwirte als Umweltzerstörer zu geißeln. Landwirtschaftliche Nutzflächen sind nicht grundsätzlich Naturschutzgebiete. Eine Rückkehr ins vorige Jahrhundert, in eine Landwirtschaft, in der dem Boden mühsam mit krummem Rücken ein kümmerlicher Ertrag abgerungen wurde, mag verklärten Romantikern verlockend erscheinen, ist aber wirklichkeitsfremd und kann niemandem zugemutet werden.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Richtig ist allerdings — dies muß allen Kritikern der Landwirtschaft eingeräumt werden —, daß in der Vergangenheit bewußt oder unbewußt viel gesündigt worden ist. Das hat nichts mit Horrorgemälden zu tun; wir dürfen aber auch nichts verniedlichen. Mit der Flurbereinigung wurden oft weite, eintönige Flächen geschaffen. Ökologische Inseln, die selbst beim Einsatz von Großmaschinen nicht gestört hätten, wurden dennoch beseitigt. Im land- und forstwirtschaftlichen Wegebau wurde oft zu großzügig gemessen und unvernünftig asphaltiert und betoniert. Aber erstens haben sich diese Maßnahmen keineswegs als so wirtschaftlich wie erhofft erwiesen, und schon auf Grund dieser Erkenntnisse ist man von vielen Fehlern abgerückt. So hatten überbreite Waldwege verstärkten Windbruch zur Folge, trockengelegte Naßwiesen führten zu einem Absinken des Grundwasserspiegels und damit zu versiegenden Brunnen und Quellen, auf das Roden der Hecken folgte eine verstärkte Winderosion auf den Feldern. Außerdem stellte sich heraus, daß ein großzügiger, oft prophylaktischer Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln nicht nur sehr teuer ist, sondern auch den Ertrag nicht unbedingt verbessert.
Gerade der Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel gehört zu den die Umwelt am stärksten belastenden Faktoren.

(Richtig! bei der SPD)

Auch die teilweise übertriebene oder einseitige mineralische oder organische Düngung stellt ein zunehmendes Umweltrisiko dar.
Zweitens, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir trotz aller Kritik und nicht zu leugnender Umweltbelastungen zugeben, daß die Art der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung mit den bestehenden Gesetzen durchaus in Einklang stand. Wir als Gesetzgeber haben in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren doch auch dazugelernt und in der sozialliberalen Koalition eine Vielzahl neuer Gesetze zur Erhaltung unserer Umwelt geschaffen bzw. bestehende Gesetze — um erkannte Zielkonflikte zu lösen — in entscheidenden Punkten geändert.

(Beifall bei der SPD)

Wir waren doch mit recht stolz auf diese Gesetze, die zum Zeitpunkt ihrer Verabschiedung als international vorbildlich galten und auch heute noch in vielen Fällen erheblich weiter gehen als nationale Regelungen anderer Staaten.
Daß es dennoch immer wieder zu Mißständen, ja, sogar zu Umweltkatastrophen kommen kann, hat viele Gründe. So nutzen die besten Gesetze nichts, wenn sie nicht eingehalten werden. Es ist schwer, darüber zu wachen, daß kein Tümpel heimlich trokkengelegt, kein Altöl in einem unbewachten Moment ins Grundwasser gekippt, kein Bach in einer schnellen Privataktion verrohrt oder in freier Natur, oft an landschaftlich besonders schönen Plätzen, eine wilde Müllkippe angelegt wird.
Es ist daher — erstens — unbedingt erforderlich, daß die Bundesregierung ihre Aufklärungsarbeit im Bereich des Umweltschutzes nicht nur für Landwirte, sondern für die gesamte Bevölkerung weiter intensiviert.
Zweitens liegt eine weitere Schwierigkeit im Bereich des Unmweltschutzes darin, daß viele Probleme nicht mehr nur auf nationaler Ebene wirkungsvoll gelöst werden können. Eine Intensivierung internationaler Zusammenarbeit ist unabdingbar. Ob Waldsterben oder Käfighaltung von Legehennen, Tierversuche oder Handel mit vom Aussterben bedrohten Tieren — nationale Alleingänge setzen zwar Zeichen in die richtige Richtung, durchschlagende Wirkung erhalten sie jedoch erst, wenn zumindest unsere EG-Partner mitziehen. Ich weiß, daß dies bei dem sehr unterschiedlichen Umweltbewußtsein in Europa schwierig ist. Dennoch muß die Bundesregierung diesen bereits von uns eingeschlagenen Weg weitergehen.
Drittens möchte ich nicht zuletzt darauf hinweisen, daß auch unsere Gesetze nicht für die Ewigkeit gemacht sind. Sie müssen neuen Einsichten und Erkenntnissen angepaßt werden. Denken wir dabei nur an das Bundeswaldgesetz und das darin geregelte Betretungsrecht. Dies war vor vielen Jahren ein großer Fortschritt, und wir waren sehr stolz darauf. Inzwischen fragen sich jedoch durchaus kompetente Leute, ob dieses Betretungsrecht nicht mehr Schaden als Nutzen gebracht hat und ob eine Einschränkung im Interesse des Tier- und Pflanzenschutzes nicht sinnvolll wäre.
Ähnlich verhält es sich mit der Landwirtschaftsklausel im Naturschutzgesetz. Erst recht gilt der Grundsatz, daß der Gesetzgeber auf Grund neuer



Müller (Schweinfurt)

Erkenntnisse rasch und entschlossen zu handeln hat für den Fall, daß Gesundheitsgefährdungen bisher zugelassener Wirkstoffe bekannt werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das 1972 verkündete DDT-Verbot und an die jetzt bevorstehende Diskussion über ein Verbot des Herbizidwirkstoffs Paraquat. Deswegen möchte ich abschließend den Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auffordern, die notwendigen Maßnahmen im Bereich des Umweltschutzes unverzüglich in die Wege zu leiten und die Gesetzentwürfe vorzulegen. Wir werden uns für eine rasche Verabschiedung einsetzen. — Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1002231200
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Zum Punkt 2 der Tagesordnung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 10/383 vor. Es ist beantragt, den Entschließungsantrag zu überweisen zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, den Ausschuß für Verkehr, den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen, den Ausschuß für Forschung und Technologie und den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Sind Sie mit den Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Zu den Tagesordnungspunkten 3 bis 6 schlägt der Ältestenrat die Überweisung der Vorlagen an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Es ist jedoch auf eine Änderung hinzuweisen. Auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung soll die federführende Beratung der Vorlage zu Tagesordnungspunkt 5 nicht durch den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, sondern durch den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten erfolgen. Sind Sie mit den Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a) und b) auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit
— Drucksache 10/189 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes
— Drucksache 10/340 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 7 a) und b) und eine Aussprache von 90 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Das Wort zur Einbringung wird gewünscht. Das Wort hat der Herr Staatsminister für Soziales, Gesundheit und Umwelt des Landes Rheinland-Pfalz.
Bitte, Herr Staatsminister.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1002231300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen für den Bundesrat den Entwurf eines Gesetzes zur Anderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes zu begründen. Ziel dieses Gesetzentwurfes ist es, zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen, indem ausbildungshemmende Vorschriften beseitigt werden.
Meine verehrten Damen und Herren, dankenswerterweise haben wir in diesem Jahr durch die Anstrengungen der privaten Wirtschaft und auch der öffentlichen Arbeitgeber wesentlich mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung als im letzten Jahr. Wir wissen aber genausogut, daß noch weitere Ausbildungsplätze fehlen. Der Staat hat hier nach meiner Auffassung und nach Auffassung des Bundesrates die Pflicht, die Normen, die Gesetze und die Verordnungen, die er selbst geschaffen hat, daraufhin zu überprüfen, ob durch ausbildungshemmende Vorschriften nicht Ausbildung verhindert wird.
Schwerpunkt der vom Bundesrat beabsichtigten Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes ist eine bessere Harmonisierung gesetzlicher Schutzvorschriften mit den Ausbildungserfordernissen der betrieblichen Praxis. Wie notwendig dies ist, ergibt sich auch daraus, daß der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung bereits im Juli dieses Jahres im Vorgriff zu der Gesetzesinitiative des Bundesrates und zu ihrer Ergänzung die Verordnung zur Verbesserung der Ausbildung Jugendlicher erlassen hat.
Neben der Änderung der Verordnung müssen aber auch die Normen, die die Arbeitszeit regeln, überprüft werden. Hier haben sich in den letzten Jahren erhebliche Veränderungen ergeben. So haben wir z. B. durch die allmähliche Einführung eines frühen Arbeitsschlusses am Freitag in zahlreichen Betrieben und Verwaltungen die Viereinhalbtagewoche schon fast erreicht. Die Einhaltung der wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden wird durch eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit von Montag bis Donnerstag ermöglicht. Die oft — nach meiner Auffassung zu Recht — kritisierte Arbeitszeitordnung ist immer noch flexibel genug, um eine derartige Arbeitszeitverteilung für die erwach-



Staatsminister Geil (Rheinland-Pfalz)

senen Arbeitnehmer zuzulassen. Diese Aussage gilt allerdings nicht für das wesentlich jüngere Jugendarbeitsschutzgesetz. Es geht starr von einem Achtstundentag aus und läßt damit nur eine gleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit auf alle fünf Werktage zu. Immer wieder muß sich deshalb die Gewerbeaufsicht bei ihren Betriebskontrollen von Ausbildern und Auszubildenden heftige Kritik gefallen lassen.
Um diesem Auseinanderklaffen von betrieblicher Praxis und gesetzlicher Regelung entgegenzuwirken, sieht der Gesetzentwurf des Bundesrates die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit für Jugendliche von acht auf achteinhalb Stunden vor. Selbstverständlich handelt es sich hier um eine Höchstarbeitszeit. Zum Ausgleich für die Inanspruchnahme des Achteinhalbstundentages muß die Arbeitszeit an einem anderen Werktag derselben Woche entsprechend verkürzt werden. Die 40-Stunden-Woche wird damit nicht angetastet. Das muß man betonen. Die Gesamtbelastung der Jugendlichen während der Dauer ihrer Ausbildung wird also nicht erhöht.
Der verschiedentlich erhobene Vorwurf, diese Verlängerung der täglichen Arbeitszeit stelle einen Abbau des Jugendarbeitsschutzes dar, entlarvt sich nach meiner Auffassung als böswillige Polemik.

(Zurufe von der SPD)

Ein weiterer Punkt des Gesetzentwurfes betrifft die Vorverlegung des Ausbildungsbeginns Jugendlicher in Bäckereien und Konditoreien. Kein Kritiker hat bisher widerlegen können, daß in diesen Handwerksberufen bereits ab 4 Uhr morgens Arbeiten durchgeführt werden, die für die Ausbildung unverzichtbar sind. Viele Arbeiten konnten bisher nur unter Verstoß gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz geschehen. Der Bundesrat weiß sich hier mit dem Bundesarbeitsminister einig. Dieses Problem konnte allerdings auf dem Verordnungswege nicht gelöst werden, weil die Ermächtigungsnorm dies nicht hergibt.
Ich räume durchaus ein, meine Damen und Herren, daß ein Arbeitsbeginn um 4 Uhr morgens für einen Jugendlichen nicht leicht ist, aber die vorgeschriebenen ärztlichen Untersuchungen sorgen dafür, daß der Jugendliche in seiner Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigt wird.

(Zuruf von der SPD: Fangen Sie doch einmal damit an!)

Den damit sicherlich verbundenen Unbequemlichkeiten steht jedoch ein Gewinn an Ausbildungsqualität gegenüber.

(Zurufe von der SPD)

Ein weiterer Punkt ist die Frage der Ausbildung in mehrschichtigen Betrieben. Bei Schichtbetrieben beginnt in den meisten Fällen die Frühschicht um 6 Uhr und endet um 14 Uhr; die Spätschicht dauert von 14 Uhr bis 22 Uhr. Die auszubildenden Jugendlichen dürfen jedoch nur zwischen 7 Uhr und 20 Uhr beschäftigt werden. Jugendliche, die kein Ausbildungsverhältnis eingehen, dürfen allerdings auch nach der bisherigen Regelung ab 6 Uhr morgens beschäftigt werden. Spätestens hier wird deutlich, daß dies nichts mit Gesundheitsschutz zu tun hat, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich ganz offen sagen: Ich möchte erreichen, daß wir mehr Jugendliche in Ausbildung bringen und weniger Jugendliche als Anlernkräfte oder als ungelernte Kräfte beschäftigen.

(Beifall bei der CDU/CSU: Wir brauchen wieder viele Lehrlinge!)

Um dieses Mißverhältnis zwischen der üblichen betrieblichen Arbeitszeit und der gesetzlichen Regelung zu beseitigen, hat der Bundesarbeitsminister in seiner Verordnung zur Verbesserung der Ausbildung Jugendlicher bestimmt, daß in einem Industriezweig Jugendliche schon ab 6 Uhr ausgebildet werden können. Mehr ließ die Ermächtigungsnorm nicht zu. Die umfassende Regelung bleibt deshalb dem Gesetz vorbehalten.
Weiterer wichtiger Bestandteil des Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfes, meine Damen und Herren, ist die Vorverlegung des täglichen Ausbildungsbeginns für Jugendliche in Fleischereien, Bau- und Montagestellen sowie in der Krankenpflege.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Der vom Bundesrat eingebrachte Gesetzentwurf betrifft ausschließlich Vorschriften, die sich als ausbildungshemmend erwiesen haben.

(Zurufe von der SPD)

— Ich weiß, daß Sie mir widersprechen; ich habe das auch im Bundesrat bereits von Mitgliedern Ihrer Partei gehört.

(Zuruf von der SPD: Sie haben immer noch nichts dazugelernt!)

Aber, meine Damen und Herren, Sie können nicht darüber hinwegsehen, daß damit zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen werden. Und um diese Frage geht es im Jahre 1983.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der notwendige Gesundheitsschutz der jugendlichen Arbeitnehmer wird nicht angetastet. Die vorgesehenen Gesetzesänderungen sollen bewirken, daß die Ausbildung wirkungsvoller in die betriebliche Praxis einbezogen wird. Damit wird ein Beitrag zur Erhaltung bestehender und der Schaffung neuer Ausbildungsplätze geleistet.
Der Bundesrat bittet Sie um Beratung dieses Gesetzentwurfes. — Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1002231400
Das Wort hat der Abgeordnete Reimann.

Manfred Reimann (SPD):
Rede ID: ID1002231500
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Die Jugendarbeitslosigkeit steht heute auf der Tagesordnung. Zum Gesetz werde ich nachher noch einiges sagen. Wir, die SPD im Deutschen Bundestag, werfen der Bundesregierung und dem Bundeskanzler vor,

(Zurufe von der SPD: Wo ist er denn?)




Reimann
daß die Verantwortung gegenüber den Jugendlichen nicht erfüllt worden ist und daß auch die Bundesregierung diesem Auftrag nicht nachgekommen ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat denn die Arbeitslosen geschaffen?)

Ich frage die Bundesregierung, ob bei ihr überhaupt der soziale Konsens besteht, die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik abzubauen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Unerhört! — Feilcke [CDU/CSU]: Weil Sie nicht wissen, wovon Sie reden!)

Ich frage das in Anbetracht von 97 000 jungen Menschen, die ohne Lehrstelle, ohne Ausbildungsstelle sind. Deshalb gehe ich davon aus, daß CDU und CSU die Arbeitslosigkeit scheinbar als ein vorübergehendes Übel betrachten und daß sie auf die biologische Lösung dieses Problems warten.

(Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört! — Feilcke [CDU/CSU]: Das ist dumm und verantwortungslos!)

Das heißt, sie wartet auf die Bevölkerungsabnahme, die bis zum Jahr 2000 eintritt.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Ihre Zwischenrufe waren schon intelligenter, Sie bringen das Niveau der Bundesregierung zum Ausdruck.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt gar nicht, er hat gar keinen gemacht!)

Wie sonst ließe es sich denn erklären, daß der Herr Bundeskanzler mit seinem Versprechen im Regen steht oder daß der Herr Bundeskanzler darauf angewiesen ist, Bittgesuche gegenüber der Industrie zu machen. Sie haben das doch in der Beantwortung einer Anfrage selbst zum Ausdruck gebracht. In der Antwort heißt es, daß die Bundesregierung gar keine Veranlassung hat, in die spezifische Verantwortung der Unternehmer einzugreifen, die für ein ausreichendes Angebot an Ausbildungsplätzen zu sorgen haben. Damit wird der Schwarze Peter für das Versprechen des Bundeskanzlers im Grunde genommen der Industrie zugeschoben. Diese Antwort der Bundesregierung ist kein Ruhmesblatt in dieser Angelegenheit,

(Beifall bei der SPD)

nicht nur, weil die Lösung der Probleme für Sie nicht möglich ist — wir bieten Ihnen ja Lösungen an —, sondern weil damit zum Ausdruck gebracht wird, daß Sie lösungsunfähig sind.
Wie erschreckend die Zahlen im Lehrstellenbereich sind, habe ich auch beim Arbeitsamt Ludwigshafen feststellen können; dort hat ja auch der Herr Bundeskanzler kandidiert. Dort schrumpfte das Lehrstellenangebot gegenüber dem Vorjahr erheblich,

(Hört! Hört! bei der SPD)

aber der Andrang auf Lehrstellen durch Lehrstellenbewerber ist beachtlich in die Höhe gegangen. Wenn wir wissen, daß erfahrungsgemäß 60 % der Schulentlassenen in die betriebliche Ausbildung gehen, so wären in diesem Jahr noch mehr Lehrstellen notwendig gewesen. Erschreckend ist vor allen Dingen die Zahl von Jugendlichen ohne Lehrstellen, von denen zwei Drittel Mädchen sind, die alle die beruflichen Anforderungen erfüllen. Das werden Ihnen die Arbeitsämter bestätigen.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie die Fehlinterpretationen, daß sie nicht geeignet und nicht arbeitswillig seien, weg. Sie sind hier am falschen Platz.
Deshalb hatte ich auch dem Herrn Bundeskanzler am 23. August einen Brief geschrieben

(Zuruf von der CDU/CSU: Donnerwetter! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

und ihn gebeten, seine ganze Kraft im Namen seiner eigenen Glaubwürdigkeit einzusetzen, um durch Programme und geeignete Maßnahmen dem schlimmen Zustand der Hoffnungslosigkeit der Jugend ein Ende zu bereiten.

(Zurufe von der CDU/CSU: Tun Sie einmal etwas dafür! — Was haben Sie denn gemacht?)

— Ihren Zwischenrufen entnehme ich, wie ernst Sie das Problem der Jugendarbeitslosigkeit nehmen.

(Beifall bei der SPD)

Ich kann nur hoffen, daß viele junge Menschen zuhören und auch die Debatte einmal hinausgetragen wird, damit jeder sieht, mit welcher Einstellung Sie an diese Problematik herangehen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Wir schreiben keine Briefe, wir handeln! — Zurufe von der CDU/CSU: Wie viele Lehrstellen haben Sie denn durch Ihren Brief erreicht? — Wenn es nach Ihnen ginge, hätten wir noch mehr!)

— Meine Herren, ist Ihnen eigentlich bekannt, wie schlimm es ist, wenn junge Menschen 70 und mehr Bewerbungen schreiben und 70 und mehr Absagen bekommen? Haben Sie das schon einmal gemacht?

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU: Das kennen wir! — Da schreiben Sie dann einen Brief! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Hören Sie einmal: Schuld und Erblast? Wir nehmen unsere Schulden gern zurück, wir nehmen unsere Erblast gern zurück, nur die Akteure, die Sie übernommen haben, die nehmen wir nicht mehr zurück.

(Beifall bei der SPD)

Also, die Antwort des Bundeskanzlers steht noch aus. Ich gehe davon aus, daß er den Brief noch nicht gelesen, noch nicht erhalten hat. Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Brief aus irgendwelchen Gründen unbeantwortet bleibt, denn die Öffentlichkeit hat ein Interesse an der Antwort.

(Jaunich [SPD]: Der wird eines Tages vom Adenauerhaus aus beantwortet!)

Deshalb möchte ich sagen, daß die jugendlichen Arbeitslosen aus zwei großen Gruppen bestehen —



Reimann
damit komme ich zum zweiten Punkt —: Es sind einmal die Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz haben, und zum anderen jene, die arbeitslos sind, wobei ich auch meine, daß hier eine gewisse Perspektivelosigkeit für die Zukunft vorhanden ist, die auch von der Bundesregierung und den jetzt regierenden Parteien nicht aufgehoben wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie können nur miesmachen!)

Ausbildung, die Jugendliche sozusagen in die Arbeitslosigkeit entläßt, ist schlimm. Das kleinere Übel — das wissen wir aus der Industrie — ist es, wenn Jugendliche ausbildungsfremd eingesetzt werden. Ich darf Ihnen sagen, daß wir uns auf die Dauer Gedanken darüber machen sollten, ob es sinnvoll ist, über den betrieblichen Bedarf hinaus auszubilden, oder ob wir das auch über den gesellschaftlichen Bedarf hinaus tun dürfen.
Lassen Sie mich das einmal an einem Beispiel erläutern. Ich komme aus der chemischen Industrie. Ein Laborant in der chemischen Industrie — übrigens ein Lieblingsberuf für viele Ausbildungssuchende — wird in der Regel in die Arbeitslosigkeit entlassen, wenn der eigene Ausbildungsbetrieb ihn nicht übernimmt. Denn er wird bundesweit nicht gebraucht. Gebraucht wird allenfalls der Chemiefachwerker. Aber auf den sind die jungen Menschen nicht besonders scharf, weil der in der Regel nachts arbeiten muß und weil er Schichtarbeit machen muß, was in der Industrie oft mit schweren und schwierigsten Bedingungen verbunden ist. Deshalb muß man die Bundesregierung auch einmal fragen dürfen, was Sie getan hat oder tun wird,

(Zuruf von der CDU/CSU: Um diese Betriebe zu schließen, die solch schwere Arbeit anbieten!)

um der geforderten flexiblen, mobilen, ausbildungsbereiten, ausbildungsfähigen — Sie waren da ja im Formulieren sehr kreativ — Jugend eine Zukunftsperspektive anzubieten.

(Beifall bei der SPD)

Uns allen ist bekannt, daß es noch vor wenigen Jahren Berufe gab, die heute niemanden mehr ernähren. Es ist aber auch bekannt, daß es heute Berufe gibt, auf die im Grunde genommen wenige vorbereit sind, so daß es da in der Industrie offene Stellen gibt. Ich meine, daß wir vieles dadurch tun könnten, wenn wir dazu beitrügen, Ausbildungsplätze im sozialen und im Umweltschutzbereich zu schaffen. Hier gibt es einen sehr großen gesellschaftlichen Bedarf.
Jetzt wird mir sicherlich wieder der Zuruf wegen der Schulden gemacht werden. Ich möchte trotzdem sagen: Hier darf an Geld nicht gespart werden; denn Schuldenabbau auf Kosten der Auszubildenden zu betreiben wird sich mit Sicherheit bald rächen, weil eines der wesentlichsten Kapitale in der deutschen Wirtschaft der ausgebildete Facharbeiter bzw. der Facharbeiterstand ist.

(Beifall bei der SPD)

Das sind nur wenige Gründe, warum wir Sozialdemokraten so hartnäckig an dieser Frage kleben
und an ihre Lösung herangegangen sind. Ich kann Ihnen nur sagen: Sehen Sie zu, daß Sie Lösungen erarbeiten und Lösungen übernehmen, die die Sozialdemokraten aufgezeigt haben. Dazu wird nachher noch einiges von anderen Rednern gesagt werden.
Mit Sicherheit, Herr Minister Geil, ist es keine Lösung, das Jugendarbeitsschutzgesetz zu ändern. Dazu darf ich Ihnen einige Anmerkungen geben, weil Sie als vorrangigen Grund der Änderung das Bäckerhandwerk genannt haben.
Schauen Sie einmal die Zahlen an! Anfang der 70er Jahre wurden weniger als 10 000 Bäcker und 5 000 Konditoren ausgebildet. Heute sind es annähernd 30 000 Bäcker und 10 000 Konditoren, die ausgebildet werden. Insgesamt wurden in diesem Beruf — nach Angaben des Berufsbildungsberichts 1983 — 227 000 Bäcker und 77 000 Konditoren ausgebildet. Das sind insgesamt 314 000 Menschen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine tolle Steigerungsrate!)

— Ja, es ist ein tolles Ding, wenn heute in diesem Beruf nur 120 000 Bäcker arbeiten. Sehen Sie mal, wie toll das Ding jetzt ist; da kommen wir nämlich genau hin! — Dann entlassen wir jährlich permanent ausgebildete Bäcker und Konditoren in die Arbeitslosigkeit. Und kein Mensch redet darüber. Aber Sie betrachten das noch als Selbstverständlichkeit.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

— Aber ich bitte Sie! Das sind doch Tatsachen.

(Abg. Hinsken [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Ich habe nur eine kurze Redezeit. Seien Sie mir nicht böse, wenn ich jetzt eine Zwischenfrage nicht zulasse. Wenn ich danach noch sprechen darf, werde ich Ihre Frage gern beantworten.

(Hinsken [CDU/CSU]: Feigling! — Zuruf von der CDU/CSU: Wieviel Konditoren gibt es?)

— Es gibt zur Zeit 327 000 ausgebildete Bäcker und Konditoren. Davon sind 120 000 beschäftigt. Der Rest ist arbeitslos. Das ist doch ganz logisch.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die Logik eines deutschen Schäferhundes!)

Obwohl es diese hohe Ausbildungsquote nicht nur dort, sondern auch in anderen Berufen gibt, spricht die CDU/CSU von „ausbildungshemmend". Das muß man sich einmal vorstellen. Da ist doch überhaupt kein Sinn mehr drin.

(Beifall bei der SPD)

Da wird also das Doppelte und Dreifache ausgebildet, und was zuviel ist, wird in die Arbeitslosigkeit entlassen. Und dann nennt man das auch noch ausbildungshemmend. Und deshalb muß der jetzige Zustand geändert werden. Deshalb sollen junge Menschen morgens um vier in den Betrieb kommen können.



Reimann
Wissen Sie, meine Herren von der CDU/CSU, manchmal habe ich den Eindruck, daß hier Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz legalisiert werden sollen und sonst gar nichts.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Sie backen heute sehr kleine Brötchen!)

— Ja, ich bin auch kein Bäcker.

(Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie denn einen ordentlichen Beruf?)

Da muß man auch einmal den Familienminister fragen, ob er es zuläßt, daß ein solches Gesetz geändert wird.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1002231600
Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Schluß zu kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Manfred Reimann (SPD):
Rede ID: ID1002231700
Eine Minute bitte!

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1002231800
Nein, mehr kann ich nicht zulassen. Wir sind unter Zeitdruck. Ich bitte, zum Schluß zu kommen.

Manfred Reimann (SPD):
Rede ID: ID1002231900
Ja, ich komme zum Schluß. — Da muß man auch einmal den Familienminister fragen, ob er es zulassen kann, daß diese Familien am Wochenende zerstört werden. Weil meine Redezeit um ist, noch kurz die Bitte: Fragen Sie doch einmal Ihre eigenen Kinder, Ihren eigenen Sohn, ob er bereit ist, morgens um 3 Uhr aufzustehen und um 4 Uhr in die Backstube zu gehen. Heute morgen hat der DGB eine Pressekonferenz mit Journalisten um 4 Uhr durchgeführt. Fragen Sie die mal.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1002232000
Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Schluß zu kommen; Ihre Redezeit ist weit überschritten.

Manfred Reimann (SPD):
Rede ID: ID1002232100
Dann werden Sie von Ihren Kindern die Antwort kriegen, und entsprechend dieser Antwort verhalten Sie sich: denn dann werden Sie diese Änderungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes ablehnen.

(Beifall bei der SPD)


Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1002232200
Meine Damen und Herren, ich rüge einen nichtparlamentarischen Ausdruck des Abgeordneten Hinsken.
Das Wort hat der Abgeordnete Keller.

Peter Keller (CSU):
Rede ID: ID1002232300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst einmal auf das hinweisen, was Bundesarbeitsminister Blüm schon bei der Verabschiedung des Jugendarbeitsschutzgesetzes 1976 als Abgeordneter treffend — ich würde sagen: wie meist — gesagt hat

(Dreßler [SPD]: Aber nicht immer, nur meist!)

— da sind wir uns ja einig —: „Das Leben schafft immer einen Fall mehr, als die Katalogisierer sich ausdenken können." Auf Grund der gesamtwirtschaftlichen Situation und besonders nach den Erfahrungen mit dem Jugendarbeitsschutzgesetz von
1976 gibt es viele Fälle des Lebens, die im Gesetz eben nicht vorgesehen waren.
Der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes ist

(Dreßler [SPD]: Eine Katastrophe!)

ein Minimalkatalog dessen, was in der Praxis seit längerer Zeit als änderungsbedürftig angesehen wird.

(Dreßler [SPD]: Vom Wirtschaftsrat!)

— Nein, von anderen Gremien. — Die von den Ländern und den vollziehenden Behörden, z. B. den Gewerbeaufsichtsämtern, gemachten Erfahrungen mit dem Jugendarbeitsschutzgesetz in der betrieblichen Praxis sprechen hier, wenn man sich das anschaut, eine deutliche Sprache. Vor vielen Jahren wurde schon der damalige Bundesarbeitsminister Ehrenberg gedrängt, zumindest von seiner im Gesetz vorgesehenen Verordnungsermächtigung Gebrauch zu machen, um die ärgsten Ungereimtheiten zu beseitigen. Doch geschehen ist nichts. Die damalige Bundesregierung hat die Erfahrungsberichte der Länder einfach zur Seite gelegt.

(Dreßler [SPD]: Der CDU-Länder!)

Als Hauptargument gegen den Gesetzentwurf wird immer wieder vorgebracht — wir haben es j a vorhin wieder gehört —, das geltende Gesetz sei nicht ausbildungshemmend; die Lehrstellen hätten sich, z. B. im Bäckerhandwerk und im Baugewerbe, seit 1976 erhöht.

(Dreßler [SPD]: Das stimmt doch!)

Man muß aber doch fragen, ob es überhaupt ein Argument ist, vor den betrieblichen Erfordernissen einfach die Augen zu schließen und so zu tun, als sei dieses Gesetz gleich der Weisheit letzter Schluß.

(Dreßler [SPD]: Jetzt kommen Sie einmal langsam zur Sache!)

— Jawohl, genau das. — Wahr ist, daß die Ausbildungsbetriebe trotz der Überreglementierung und trotz des Gesetzesperfektionismus ihr möglichstes getan haben, um jungen Menschen eine Ausbildung zu vermitteln. Dieses ernsthafte und verantwortungsbewußte Verhalten der Betriebe darf nicht dazu herhalten, bestehende Schwierigkeiten zu ignorieren und berechtigten Änderungswünschen aus der Praxis einfach einen ideologischen Riegel vorzuschieben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich werde nun versuchen, Ihnen an wenigen Beispielen darzulegen, daß mit dem jetzt zur Beratung anstehenden Gesetzentwurf der Schutz der arbeitenden Jugend gewährleistet bleibt und zugleich ein Beitrag geleistet wird, den Geltungsbereich dieses Gesetzes, nämlich durch vermehrte Ausbildungsplätze, auszudehnen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Großteil der Betriebe war und ist ernsthaft bemüht, das Jugendarbeitsschutzgesetz korrekt und verantwortungsbewußt einzuhalten. Ich glaube, dafür muß



Keller
auch einmal von dieser Stelle aus schlicht und einfach Dank gesagt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kuhlwein [SPD]: Dafür, daß die ein Gesetz einhalten, brauchen wir uns wohl nicht zu bedanken! Das scheint unter ihresgleichen etwas Besonderes zu sein! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Dazu gäbe es viel zu sagen.
Dennoch, so weisen die Berichte der Gewerbeaufsicht aus, kam es immer wieder, teilweise betriebsbedingt, teilweise personalbedingt, zu Verstößen gegen die Unzahl von Detailbestimmungen und damit selbstverständlich zu Bußgeldverfahren. Hierbei waren zahlenmäßig die Klein- und die Mittelbetriebe vor Verstößen am wenigsten gefeit. Lediglich in Großbetrieben mit eigenen Lehrwerkstätten konnte im großen und ganzen von einer vollen Einhaltung des Jugendarbeitsschutzgesetzes gesprochen werden. Die Erfahrungen haben eben gezeigt, daß der Betriebsablauf in der Praxis komplizierter und vielschichtiger ist, als es sich jede noch so präzise formulierende bürokratische Maschinerie ausdenken kann.

(Zuruf von der SPD: Sagt der Wirtschaftsrat!)

Nehmen wir noch einmal das Beispiel vom starren Achtstundentag. Ich frage Sie: Ist es uns eigentlich entgangen, daß in den Betrieben draußen vielfach am Freitagnachmittag die Arbeit beendet wird und dafür an den übrigen Werktagen zur Erreichung der 40-Stunden-Woche etwas länger gearbeitet wird? Ich frage weiter: Soll der Jugendliche zur Erreichung seines Ausbildungszieles am Freitagnachmittag extra irgendwo im leeren Betrieb nachsitzen, und welcher Ausbilder opfert schon gerne dafür seinen freien Nachmittag?

(Zuruf von der SPD: Nein!)

Im Bäckerhandwerk, im Fleischergewerbe, in Krankenanstalten und in einigen weiteren Gewerbebetrieben

(Zuruf von der SPD)

ist bisher ein großer Teil der Arbeit getan, wenn der Jugendliche schließlich seine Arbeit am Morgen aufnehmen darf. Es sind eben viele Arbeiten dabei, die zum Erlernen des Berufs erforderlich sind und betriebstechnisch zu späteren Zeiten am Tag kaum nachholbar sind.
Wir müssen uns aber auch bei dem anstehenden Entwurf fragen, ob wir nicht etwas zuviel an Bürokratie vornehmen. So habe ich persönlich Bedenken bei der Dreiteilung im Bäckerhandwerk: über 15 Jahre ab sechs Uhr, über 16 Jahre ab fünf Uhr und über 17 Jahre ab vier Uhr Arbeitsbeginn.

(Zurufe von der SPD)

— Ich weiß, was es bedeutet, so früh zu arbeiten, weil ich es selber so praktiziert habe. — Wir sollten bei den Beratungen darüber diskutieren, ob wir hier nicht vielleicht — den Aufschrei höre ich schon voraus — zu der Regelung des Jugendarbeitsschutzgesetzes von 1960 zurückkehren, soweit es
zur Erreichung des Ausbildungszieles notwendig ist, eben nur zwei Einheiten zu bilden: unter 16 Jahre ab sechs Uhr und über 16 Jahre ab vier Uhr. Ich will es auch begründen und etwas salopp formulieren. Wir können weder einem Ausbilder noch einem Auszubildenden zumuten, ständig mit dem Jugendarbeitsschutzgesetz unter dem Arm herumzulaufen, wie dies einmal ein Innenminister in einer anderen Situation getan hat.

(Zuruf von der SPD: Das muß man kennen, nicht damit herumlaufen! — Heiterkeit)

Musterbeispiel einer ausbildungsfeindlichen Vorschrift ist die bisherige Bestimmung, wonach eben in mehrschichtigen Betrieben Jugendliche nur außerhalb eines Berufsausbildungsverhältnisses ab 6 und bis 23 Uhr — solange werden wir heute wahrscheinlich tagen — beschäftigt werden dürfen. Da muß man sich einfach fragen: sind denn Jugendliche außerhalb eines Ausbildungsverhältnisses weniger schutzbedürftig? Der Zweischichtenbetrieb für die Ausbildung wird durch eine solche Regelung unnötig erschwert.
Der uns vorliegende Entwurf kann ebenso wie die vor einigen Monaten erlassene Verordnung nur ein erster Schritt zur Verbesserung und praxisnäheren Ausgestaltung des Jugendarbeitsschutzgesetzes sein.

(Zuruf von der SPD)

Dabei — damit will ich Sie beruhigen — werden wir auch in Zukunft den Grundgedanken des Gesetzes, darüber sind wir uns sicher einig, nämlich Jugendliche vor Belastungen zu bewahren, die sie überfordern und zu gesundheitlichen Schäden führen können, streng beachten.

(Lambinus [SPD]: Mir kommen die Tränen, wenn ich das höre!)

Dem jungen Menschen ist im Arbeitsleben ein Platz einzuräumen, der seinem eingeschränkten Leistungsvermögen entspricht. Das kann aber nicht heißen, alles und jedes reglementieren zu wollen und die Grenzen für den Ausbildungsbetrieb so eng zu ziehen, daß mancher ausbildungsbereite Betrieb lieber auf die Ausbildung verzichtet.

(Lambinus [SPD]: Sie wissen doch, daß das Märchen sind!)

— Da habe ich solche Märchen erlebt, Kollege Lambinus.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1002232400
Das alte Jugendarbeitsschutzgesetz wurde seiner Aufgabe nicht mehr gerecht; denn es entstand auf Grund der Verhältnisse, die wir damals hatten. Diesem Gedanken der dynamischen Entwicklung im Arbeitsleben — das kann sicher keiner wegdiskutieren —, besonders auf Grund der vielfältig gemachten Erfahrungen der letzten Jahre, müssen die Regierung und das Parlament Rechnung tragen. Die CDU/CSU will die Beratungen mit dem zweifachen Ziel führen, dem notwendigen Gesundheitsschutz auf der einen und einer möglichst umfassen-



Keller
den praxisnahen Ausbildung der Jugendlichen auf der anderen Seite Rechnung zu tragen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist — so formuliere ich — nicht Rückschritt, sondern Fortschritt, dies ist der Blick nach vorn.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002232500
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schoppe.

Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1002232600
Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Wir alle stehen diesem Problem der Arbeitslosigkeit mit großer Beklommenheit gegenüber. Die neuesten Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit sagen aus, daß 9,6 % der Jugendlichen arbeitslos sind. Ich finde es sehr löblich, daß sich die SPD den Kopf darüber zerbrochen hat, wie man das Problem angehen kann. Nur halte ich das Sofortprogramm, das Sie hier vorgelegt haben, an einigen Punkten nicht für ausreichend. Ich möchte das einmal an zwei Punkten darlegen.
Bei Ihnen steckt immer die Tendenz darin — das ist mir auch schon gestern aufgefallen, als es um die Werftenkrise ging —, sehr kurzfristige Maßnahmen in die Wege leiten zu wollen. Ich frage mich, was danach passieren soll. So ist es auch bei diesem Programm hier. Da fordern Sie z. B. Ausbildungsplätze bei der Bundesbahn, bei der Bundespost und bei der Bundeswehr.
Nehmen wir einmal die Bundespost. Bei der Bundespost sind in diesem Jahr 3 930 Auszubildende des Fernmeldehandwerks fertig geworden. Davon sind 1 000 ins Fernmeldehandwerk übernommen worden, 1 000 weiteren ist ein Arbeitsplatz in diesem Bereich angeboten worden, der aber schon ausbildungsfremd ist. Den letzten 1 000 Ausgebildeten ist ein ausbildungsfremder Arbeitsplatz, eine Beschäftigung im Postdienst angeboten worden.
Dazu kommt jetzt noch, daß 3 000 Frauen bei der Post demnächst rausfliegen werden, weil die Cornputertechnik auch bei der Post Einzug gehalten hat. Das sind realistische Zahlen. Man kann nicht jeden Bereich auf Teufel komm raus ausweiten wollen, wenn dort keine Arbeitsplätze vorhanden sind.

(Gilges [SPD]: Ausbildung ist immer besser als gar nichts!)

Was bedeutet denn Ihre Forderung? Warum sollen dort Leute ausgebildet werden, wenn sie nachher in diesem Beruf nicht arbeiten können? Diese Lösung für Jugendliche muß man einfach ablehnen. Es geht nicht darum, die Jugendlichen für ein bis drei Jahre von der Straße und aus der Statistik herauszuholen, sondern es geht darum, langfristige Maßnahmen einzuleiten, die den Jugendlichen auch eine Perspektive zeigen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU: Welche denn? Jetzt geht es los!)

Vielleicht ist Ihr Vorschlag, mehr Arbeitsplätze bei der Post, die heimliche Unterstützung für die Verkabelung der Bundesrepublik.
Jetzt kommen wir zu den Ausbildungsplätzen bei der Bundeswehr. Was haben Sie sich denn dabei gedacht? Zwei Drittel der arbeitslosen Jugendlichen sind Frauen. Wollen Sie die Frauen in die Bundeswehr stecken?

(Zurufe von der CDU/CSU)

Ich denke, daß Friedenspolitik und Jugendpolitik, um die es sich hier handelt, sehr eng miteinander verknüpft sind.

(Zuruf von der CDU/CSU: Dienst in der Bundeswehr ist Friedensdienst!)

Ich denke, daß es in dieser Zeit, wo wir es mit Massenvernichtungswaffen zu tun haben, darum geht, daß wir sehr eindeutige Aussagen zur Friedenspolitik machen. Unter diesen Umständen, wo es um Massenvernichtungswaffen geht, kann man doch die Arbeitsplätze bei der Bundeswehr nicht vermehren wollen, wenn man für Friedenspolitik ist. Unter diesen Umständen gehören weder die Männer noch die Frauen in die Bundeswehr.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und für eine Friedenspartei ist es auch nun wirklich nicht ausreichend, wenn die Exoten Ihrer Partei in Muthlangen auf der Blockade sitzen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Feilcke [CDU/ CSU]: Das stimmt!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002232700
Frau Abgeordnete Schoppe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuhlwein?

Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1002232800
Ich habe noch fünf Minuten. Bitte sehr.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1002232900
Frau Kollegin Schoppe, ist Ihnen bekannt, daß es in der Bundeswehr Ausbildungen nach dem Berufsbildungsgesetz gibt, die nicht von Soldaten absolviert werden, sondern von Zivilbediensteten oder Lehrlingen, und daß man da z. B. Kfz-Schlosser und so was lernen kann und daß deswegen Ausbildungskapazitäten dort genutzt werden sollten?

Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1002233000
Es ist mir bekannt. Aber ich weise darauf hin, daß man sehr sensibel mit der Frage Bundeswehr umgehen muß, wenn man das hier formuliert. Und Sie wissen auch, daß Frauen, wenn sie keine Arbeitsplätze kriegen, ein Angebot, in die Bundeswehr zu gehen, dankbar annehmen würden.
Aber ich möchte jetzt fortfahren.

(Zuruf des Abg. Carstensen [CDU/CSU])

— Es braucht ja keine Aufregung bei Ihnen zu entstehen. Wir werden ja diesen Überweisungsvorschlag für Ihr Sofortprogramm unterstützen.

(Feilcke [CDU/CSU]: Oh, das hilft uns weiter!)

Es geht also überhaupt nicht darum, Arbeitsplätze auf jeden Fall und in jeder Branche zu schaffen. Wir haben ja schon dargelegt, was wir uns dabei gedacht haben. Wir haben ein Programm, ein SOS-Programm, das wir hier vorgestellt haben. Da
1542 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983
Frau Schoppe
werden Investitionen in Betrieben geschaffen, wo sinnvolle Produkte unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes hergestellt werden, d. h. wo eine ökologische Produktion, eine umweltschonende Produktion stattfindet. Das würde dann auch bedeuten, daß dort nicht nur Ausbildungsplätze, sondern Arbeitsplätze geschaffen werden, wo auch Jugendliche eine längerzeitige Perspektive haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dazu kommt das Förderprogramm im sozialen Bereich, wo wir eine halbe Million als Sofortprogramm für schon bestehende Initiativen im sozialen und im gesundheitlichen Bereich fordern. Auch das sind arbeitsplatzschaffende Maßnahmen. Wir halten das für das bessere Vorgehen.
Nun noch kurz zur Änderung des Arbeitsschutzgesetzes. Da kann doch die Regierungspartei hier überhaupt nicht um den heißen Brei herumlügen. Und es gelingt Ihnen hier auch nicht.

(Carstensen [CDU/CSU]: Oh! Oh! Oh!)


(Günther [CDU/CSU]: Hinzurichten? Das nehmen Sie mal gleich zurück hier!)

— Die Jugendlichen hier so zuzurichten und auch die gesetzlichen Maßnahmen dafür zu schaffen, daß sie möglichst gut in den Arbeitsprozeß hineinpassen und daß sie gut ausgebeutet werden können.

(Carstensen [CDU/CSU]: Das ist doch mies!)

Denn wenn es so wäre, wie Sie sagen, daß die Arbeitsplätze durch die bestehenden Jugendschutzmaßnahmen abgebaut werden, dann sagen Sie mir bitte mal die Zahlen. Wo ist denn 1976 nach Inkrafttreten dieses Gesetzes in den betreffenden Bereichen die Zahl der Ausbildungsplätze zurückgegangen? Nirgends! Dieses Argument von Ihnen ist doch völlig absurd.

(Beifall bei den GRÜNEN — Feilcke [CDU/ CSU]: Sie ist niedrig geblieben und dann erst ein bißchen gesteigert worden! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Wenn Jugendliche so früh aus dem Bett müssen, dann ist das unter dem Aspekt der gesundheitlichen Vorsorge strikt zu verurteilen.

(Zuruf des Abg. Kuhlwein [SPD])

Überlegen Sie sich einmal, wann einer aufstehen muß, wenn er um vier Uhr anfangen muß! Und wann muß der aufstehen, der um sechs Uhr anfangen muß?

(Feilcke [CDU/CSU]: Dann gehen die gerade erst ins Bett! — Carstensen [CDU/ CSU]: Stört es Sie denn auch, wenn ich spät ins Bett gehe?)

Die Jugendlichen merken diese Schäden zunächst
überhaupt nicht, weil Jugendliche sich in ihrem
Temperament und in dem, was sie wollen, immer
leicht überfordern. Aber Spätschäden werden auf uns zukommen, die nicht reparabel sind. Gucken Sie sich mal an, was Arbeitsmediziner sagen! Die sagen Ihnen nämlich genau dies: daß das für Jugendliche abzulehnen ist.

(Beifall bei den GRÜNEN — Carstensen [CDU/CSU]: Früh ins Bett gehen und früh aufstehen, das ist auch gesund! — Feilcke [CDU/CSU]: Early to bed and early to rise makes a man healthy, wealthy and wise!)

Diese erste Änderung des Arbeitsschutzgesetzes kann doch nur die Einleitung einer Demontage des Jugendarbeitsschutzes überhaupt sein. Und das lehnen wir in aller Schärfe ab.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002233100
Frau Kollegin Schoppe, bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich gern sagen: Auch wenn Sie den Begriff des „Herumlügens" nicht personifiziert haben, glaube ich nicht, daß wir ihn hier gut gebrauchen können. Vielleicht überlegen Sie sich das bitte für das nächste Mal.
Als nächste Wortmeldung habe ich die des Abgeordneten Müller (Düsseldorf). Bitte schön!

Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1002233200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD hat das Ihnen vorliegende Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit vor allem aus den folgenden drei Gründen eingebracht:
Erstens. Es ist offenkundig, daß mit einer Politik der Appelle und der folgenlosen Versprechungen die Berufsnot der Jugendlichen nicht zu beseitigen ist.

(Beifall bei der SPD)

Wir stellen heute eindeutig fest, daß die Politik des Bundeskanzlers Kohl die gegebene Lehrstellengarantie nicht erfüllen kann.

(Zustimmung bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Daß die Versprechen gehalten worden sind!)

Dies ist doch allzu sehr ein Wahlkampfmanöver gewesen. Ich habe volles Verständnis dafür, daß dieses Manöver bei den arbeitslosen Jugendlichen angesichts der tatsächlichen Entwicklung nur Enttäuschung und Verbitterung hinterläßt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das möchten Sie gerne!)

Dafür tragen Sie, Herr Bundeskanzler, die Verantwortung, und zu dieser Verantwortung müssen Sie auch stehen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Wen haben Sie jetzt angeguckt?)

— Auch Sie! Sie haben ihn j a sehr unterstützt. Ich bitte darum, hier auch einmal selbstkritisch zu sein. Das wäre vielleicht für uns alle sinnvoll.

(Zurufe von der CDU/CSU: Genau das ist der Punkt! — Sie sind ein Schwarzmaler!)




Müller (Düsseldorf)

Wir kritisieren Sie nicht nur deshalb, weil Sie dieses Versprechen — wie Ihnen ja mehrfach, u. a. heute vom Deutschen Gewerkschaftsbund, bescheinigt worden ist — leichtfertig gegeben haben. Wir kritisieren Sie auch deswegen, weil dieses Versprechen in einem eklatanten Widerspruch zu Ihren Taten steht.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Sie wissen auch nicht, wovon Sie reden!)

Wir haben heute offiziell rund 97 000 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer sagt das?)

— Die Bundesanstalt für Arbeit! Das wissen Sie doch. — Die Dunkelziffer ist zudem, wie örtliche Erhebungen beweisen, beträchtlich.

(Zuruf von der CDU/CSU: Können Sie einmal sagen, wie viele davon einen Ausbildungsplatz haben wollen?)

— Ich komme gleich noch einmal auf die Arbeitslosigkeit; da werden Sie sich wundern. Warten Sie ab!
Nun komme ich zu etwas, was der Bundesminister für Arbeit und Soziales am Freitag der letzten Woche gesagt hat. Als langjähriger Vorsitzender eines Jugendwohlfahrtsausschusses in einer großen Stadt, die sehr viel mit dem Thema „Jugendarbeitslosigkeit" zu tun hat, war ich, Herr Minister, wirklich entsetzt über Ihre flapsige Art. Sie haben unsere, wie ich finde, berechtigte Kritik an diesem Mißstand und unsere Hinweise auf die sozialstaatliche Verantwortung der Bundesregierung als statistische Buchhalterübungen abgetan!

(Zurufe von der SPD: So ist er nun einmal — Pfui!)

Ich finde, das ist eine für einen Arbeitsminister wirklich absolut peinliche Bemerkung. Sie sollten das wirklich einmal überdenken.

(Beifall bei der SPD)

So kann man mit den Jugendlichen nicht umgehen!
Wir, die SPD, werden aber nicht lockerlassen, allen Jugendlichen die Chance zu einer qualifizierten Ausbildung zu geben. Ich sage ganz bewußt „qualifizierte Ausbildung", weil wir mit Sorge Ihre Versuche sehen, unter dem Vorwand, den Lehrstellenmangel beseitigen zu wollen, systematisch bildungspolitische Reformen zurückzunehmen und in die 50er Jahre zurückzugehen.

(Beifall bei der SPD — Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Geben Sie doch zu, daß die Lockerung des Jugendarbeitsschutzes nichts anderes als der Preis für die unzureichenden Bemühungen der Wirtschaft ist!
Meine Damen und Herren, wir haben das Sofortprogramm zum zweiten deshalb eingebracht, weil der Lehrstellenmangel im Zusammenhang mit der allgemeinen Jugendarbeitslosigkeit gesehen werden muß; wir dürfen ihn nicht auf die Ausbildungsprobleme allein reduzieren. Frau Schoppe, das tut
das Programm, wie Sie wissen, wenn Sie es richtig gelesen haben, auch nicht. Gerade in den Bereichen, für die Sie Forderungen erheben, haben wir im dritten Teil gute und meiner Meinung nach weiterführende Vorschläge zur Schaffung dauerhafter Arbeitsplätze gemacht.

(Zustimmung bei der SPD) Wir fordern da auch neue Ansätze.

Wir sehen mit großer Sorge, daß die Zahl arbeitslos gemeldeter Jugendlicher unter 20 Jahren weiterhin stark ansteigt. Ende August waren rund 210 000 erfaßt. Wir müssen deshalb feststellen: Die Politik der Bundesregierung ist schon auf dem Ausbildungssektor unzureichend, aber bei einer aktiven Beschäftigungspolitik zur Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit versagt sie völlig.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU: Die Regierung Schmidt hat da versagt! — Die Hinterlassenschaft!)

Wir haben dieses Sofortprogramm zum dritten deshalb eingebracht, weil wir als Sozialdemokraten dieser schlimmen Entwicklung nicht tatenlos zusehen. Gerade in sozialdemokratisch geführten Kommunen und Bundesländern gibt es vorbildliche Maßnahmen und Programme zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit.

(Zurufe von der CDU/CSU: Und die höchsten Arbeitslosenzahlen! — Das sind doch strukturschwache Zonen!)

— Wenn Sie „strukturschwache Zonen" sagen, muß ich Sie daran erinnern: Zur Solidarität der CDU/ CSU-geführten Regierungen gehört es auch, jetzt den Bundesländern zu helfen, die jahrelang ihren Beitrag zur Entwicklung der gesamten Bundesrepublik geleistet haben.

(Beifall bei der SPD)

Jahrelang war Nordrhein-Westfalen beispielsweise der Motor des Wachstums. Es hat jetzt in der Tat Schwierigkeiten auf Grund der Krise im MontanBereich. Aber wo ist denn Ihre Hilfe in der konkreten Krise?

(Beifall bei der SPD)

Die SPD macht mit diesem Sofortprogramm ein konkretes Angebot, ein Angebot auch an Sie. Wir wollen gemeinsam die Berufsnot der Jugendlichen mildern. „Wir fordern Sie auf, endlich Ihrer sozialen Verantwortung gerecht zu werden und sich nicht weiter aus dieser Verantwortung zu stehlen." Das ist kein Satz von mir, sondern ein Zitat aus einer Presseerklärung, die der Deutsche Gewerkschaftsbund noch gestern herausgegeben hat. Es war der Kollege Fehrenbach, das zuständige Vorstandsmitglied des DGB, der die Bundesregierung aufgefordert hat, die Motivationspflege endlich zu beenden und konkrete Politik zu machen.

(Beifall bei der SPD)

In der Tat: Die Zeit der großen Sprüche muß beendet werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut! Dann hören Sie jetzt auf!)




Müller (Düsseldorf)

Ich war in den letzten Jahren Vorsitzender des Jugendwohlfahrtsausschusses in Düsseldorf, wie ich soeben schon sagte, und möchte deshalb das Problem auch einmal aus konkreter Praxiserfahrung schildern. Im Arbeitsamtsbereich Düsseldorf wurden Ende August 1983 rund 2 700 arbeitslose Jugendliche unter 20 Jahren erfaßt. Die Dunkelziffer der nicht erfaßten Jugendlichen beträgt nach Erhebungen des Jugendamtes mindestens 1 200; Erfahrungen, die durch Erhebungen auch in anderen Kommunen bestätigt werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie auch die Zahlen vom letzten Jahr?)

Hinzu kommt, daß durch engagierte Maßnahmen der Stadt, Wirtschaft, Gewerkschaften und freien Träger mehr als 2 000 Jugendliche — ich glaube, wir stehen insofern bespielhaft da — in zeitlich befristeten Sondermaßnahmen erfaßt sind. Das bedeutet aber dennoch, daß die Zahl der Jugendlichen unter 20 Jahren ohne festes dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis bei insgesamt fast 6 000 liegt. Vergewissern Sie sich einmal, was das heißt: fast 6 000 Jugendliche. Erhebungen in anderen Kommunen kommen leider zu ähnlich besorgniserregenden Ergebnissen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1002233300
Haben Sie sich auch einmal mit der anderen Seite beschäftigt? Wissen Sie eigentlich, daß zunehmend Jugendliche ihre Ausbildungsabsichten aus Resignation aufgeben? Wissen Sie eigentlich, daß vor allem Mädchen und ausländische Jugendliche immer mehr vom Ausbildungsmarkt verdrängt werden? Aber die zählen Sie wohl nicht mit.
Diese Situationsbeschreibung gibt zudem noch kein ausreichendes Bild; denn wir müssen auch die weitere Entwicklung in den nächsten Jahren beachten. Ich möchte deshalb noch bei dem Beispiel Düsseldorf bleiben, obwohl sicherlich andere Regionen wesentlich schlechter dran sind.
Angesichts der demographischen Entwicklung ist auch bei günstigen wirtschaftlichen Annahmen erst Mitte bis Ende der 90er Jahre mit einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt zu rechnen. Das bedeutet im Klartext: Viele Jugendliche haben keine Chance und müssen mit einer langen Phase der Arbeitslosigkeit fertig werden. Ist Ihnen diese Dimension des Problems klar? Wenn ja: Warum tun Sie dann nicht mehr?

(Beifall bei der SPD)

Ist Ihnen klar, daß Sie die Verpflichtung und soziale Verantwortung als Regierungsparteien haben, etwas zu tun?
Was sagen Sie denn beispielsweise zu der neuen Mahnung der Bundesanstalt für Arbeit, die Bundesregierung solle endlich sagen, was mit dem Entlaßjahr 1984 — bei dem wir mit mindestens denselben Problemen wie in diesem Jahr zu rechnen haben —
geschehen soll? Bisher sind Sie darauf jede Antwort schuldig geblieben.
Die SPD ist in großer Sorge, daß ein Teil unserer Jugend ins soziale Abseits gerät und sich in dieser Gesellschaft als nutzlos empfindet. Die Informationen aus den großen Städten sind alarmierend.

(Feilcke [CDU/CSU]: Sie hatten 13 Jahre Zeit zur Sorge!)

Ich will nur auf zwei wichtige Faktoren hinweisen. Nach übereinstimmenden Meldungen steigt gerade die Zahl der Jugendlichen bei den Nichtseßhaften und bei den Sozialhilfeempfängern sehr drastisch an. Man spricht von 200 000 jugendlichen Sozialhilfeempfängern im Bundesgebiet und schätzt eine Dunkelziffer, die genauso hoch liegt. Ich warne davor, Jugendliche deshalb mit fragwürdigen Etiketten zu belegen. Mit Begriffen wie „ausbildungswillig" oder „ausbildungsfähig" grenzt man im Prinzip nur Jugendliche aus, die keinen Arbeitsplatz haben. Man nimmt ihnen damit den Mut.

(Beifall bei der SPD)

Ich würde gern mal ein Beispiel zitieren, weil man immer sagt, die Jugendlichen hätten keine Lust zur Ausbildung. Man kann nämlich auch umgekehrte Beispiele nennen. Sie, Herr Blüm, haben doch sehr merkwürdige Beispiele gebracht. Ich will deshalb mal die andere Seite zitieren, die Sie so oft verschweigen. Da hat z. B. in einem Brief an den Bundeskanzler — ich bin sofort fertig, Herr Präsident — ein Steuerberater gesagt, der Bundeskanzler möge ihm helfen bei der Suche nach geeigneten Auszubildenden. Er hat dabei für die Auszubildenden folgende Kriterien angegeben. Diese Auszubildenden müssen die Bereitschaft haben, sich nicht auf das Jugendarbeitsschutzgesetz zu berufen. Der Vater soll Gewerbetreibender und darf keinesfalls Arbeitnehmer sein. Die Eltern müssen natürlich Hausbesitzer sein. Der Bewerber darf kein Brillenträger sein.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Originalzitat; wir wollen damit nur deutlich machen, daß diese Entwicklung, für die Sie die Verantwortung tragen, von manchen zur sozialen Demontage ausgenutzt wird.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

— Sie tragen dafür die Verantwortung, weil Sie nicht ausreichend handeln. Das ist Ihre Verantwortung.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002233400
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1002233500
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002233600
Sie müssen jetzt schließen.

Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1002233700
Nur noch ein Satz. — Meine Damen und Herren, Sie reden über die Sor-



Müller (Düsseldorf)

gen um die Jugend. Sie können da nicht nur den Mund spitzen, Sie müssen endlich mal pfeifen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Wir reden nicht und pfeifen nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002233800
Das Wort hat der Abgeordnete von Waldburg-Zeil.

Graf Alois von Waldburg-Zeil (CDU):
Rede ID: ID1002233900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Müller, Sie haben in einem etwas früheren Teil Ihrer Ausführungen gesagt, das Sofortprogramm sei ein Angebot. Ich sehe das genauso. Die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist ein Ziel, das sich Regierung und Opposition, Parteien und gesellschaftliche Kräfte gleichermaßen gesteckt haben und stecken müssen.
Privileg der Opposition ist es, frei von beengender Haushaltsdisziplin Phantasie entfalten zu dürfen. Deshalb will ich jetzt nicht die Frage stellen, warum Ihnen all dies, diese 29 Punkte, nicht im Sommer letzten Jahres eingefallen sind,

(Beifall bei der CDU/CSU — Schily [GRÜNE]: Warum es Ihnen im Sommer vorigen Jahres nicht eingefallen ist! Da waren Sie ja die Opposition! — Zurufe von der SPD)

als die Jugendarbeitslosigkeit praktisch genauso hoch war wie heute.

(Anhaltende Zurufe von der SPD)

Ich will auch gar nicht rügen, daß in dem von der SPD vorgelegten Sofortprogramm 1,6 Milliarden DM zusätzlich und ungedeckt verausgabt werden sollen, daß Folgelasten in doppelter Höhe — das muß man dazusagen — in den nächsten zwei Jahren anfallen und daß das, was der Jugend mit der einen Hand gegeben werden soll, ihr mit der anderen Hand als Hypothek aufs Haupt geladen wird: über das Schuldenmachen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Zweimal!)

Ich will vielmehr versuchen, die 29 angeregten Maßnahmen nicht im einzelnen, aber wenigstens beispielhaft für die kommenden Beratungen vorzusortieren.
Da sind zunächst einmal Maßnahmen, die ich unter den Begriff „eingerannte offene Türen" fassen möchte, Maßnahmen also, die von der Bundesregierung bereits erfüllt wurden. Es ist ja sehr erfreulich, wenn die Opposition etwa fordert, was die Regierung bereits erfüllt hat. Ich nenne die Förderung kombinierter Bildungsmaßnahmen zur Berufsvorbereitung und zum nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses — bereits erledigt durch die 22. Änderungsanordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit vom 15. März 1983. Ich nenne eine Reihe verschiedener ABM-Maßnahmen: Kombination „Arbeit und Lernen" — 2 200 Teilnehmer in laufenden Maßnahmen, 2 000 in geplanten —, sozialpädagogische Betreuung von arbeitslosen Jugendlichen mit Hilfe von ABM, Ausbau von ABM — mittlerweile sind bereits 35% der dort Betreuten Jugendliche. Ich spreche an die sehr positiv zu wertende Forderung nach der geschlechtsneutralen Ausschreibung; sie ist bereits Sollvorschrift nach den arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetzen. Allerdings würde ich zustimmen: Dies sollte auch in die Praxis umgesetzt werden. Ich spreche die Ausbildungsstellen an, die bei Bundesbahn, Bundespost und Bundeswehr gefordert wurden. Sie liegen bereits 30 % über dem Bedarf und bringen natürlich das Problem mit sich, daß dies zwar Ausbildungsplätze sind, aber nicht Arbeitsplätze werden.
Ich spreche zum zweiten Maßnahmen an, die bereits in Vorbereitung sind. Ich nenne die Novellierung des Gesetzes über die Gewährung von Bildungsbeihilfen für arbeitslose Jugendliche aus Bundesmitteln, auch wenn die viermonatige versicherungspflichtige Beschäftigung noch nicht erfüllt ist. Ich nenne die Gespräche mit den kommunalen Spitzenverbänden, die bereits stattgefunden haben. Über 1 000 zusätzliche Ausbildungsplätze wurden zugesagt.
Als dritten Bereich mochte ich Maßnahmen ansprechen, über die in der Tat beraten werden muß und bei denen noch mehr konkrete Phantasie eingebracht werden sollte. Ich muß zunächst einmal betonen, daß sich in der Beurteilung der Problematik der Ausbildungsplatzsituation und der Jugendarbeitslosigkeit, wie sie sich in der Einführung des Antrages befindet, unsere Vorstellungen im Grunde genommen decken. Ich möchte hinzufügen, daß beim Behindertenprogramm eine Aufstockung um 20 Millionen DM erfolgt ist und durchaus darüber zu reden sein wird — ich hoffe, daß die Frau Minister dazu nachher noch sprechen wird —, ob hier vielleicht nicht noch etwas Zusätzliches getan werden kann. Sie haben unter II. 2. eine Reihe von Maßnahmen im Umweltbereich und im Sozialbereich angesprochen. Nachdem wir heute die große Umweltdebatte gehabt haben, möchte ich nur daran erinnern, daß gerade im Bereich der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen die Waldhygiene und der Schutz des Waldes vor Borkenkäferbefall sehr viel Phantasie erfordern werden. Es gibt Vorschläge, die in Ihrem Papier nicht vorkommen, die aber beraten werden sollten. So hat etwa der Verband der Berufsschullehrer einen Vorschlag gemacht, der mir sehr interessant erscheint, daß nämlich Beruf sschulen als Betrieb ebenfalls Auszubildende beschäftigen könnten.
Viertens muß ich aber auch solche Maßnahmen erwähnen, die wir ablehnen müssen, weil sie mehr Bürokratie bedeuten — wie die Meldepflicht für offene Ausbildungsplätze —, die Ausbilder verbittern, statt sie zu ermutigen — wie der „Altväterbart" der Ausbildungsplatzabgabe —, die das duale System durch Abhängigmachung von unmittelbarer Förderung gefährden oder die Lösungen vortäuschen, obwohl in Wirklichkeit schon jetzt Angebote auf Grund von Motivationsproblemen nicht ausgeschöpft werden konnten, z. B. bei Maßnahmen zur Berufsvorbereitung und sozialen Eingliederung junger Ausländer. Es hat also keinen Sinn, hier zusätzliche Mittel vorzusehen, wenn es bereits



Graf von Waldburg-Zeil
Haushaltsreste gibt, weil die Mittel nicht ausgeschöpft werden konnten.
Wir werden Ihre Vorschläge also gründlich beraten, soweit die entsprechenden Maßnahmen nicht schon verwirklicht oder in Vorbereitung sind und soweit wir nicht wissen, daß die Realisierung sich insgesamt schädlich auswirkt, etwa auf die Gesamtarbeitslosigkeit, von der Jugendarbeitslosigkeit ja nur ein Teil ist.
Lassen Sie mich ein ganz kurzes Wort zum Jugendarbeitsschutzgesetz sagen. Niemand denkt daran, den Jugendarbeitsschutz zu lockern. Es geht nur darum, starre Grenzen flexibler zu machen, und zwar zugunten der Jugendlichen und zugunsten der Ausbildungsmöglichkeiten. Meine Damen und Herren, ich komme aus einem ländlichen Wahlkreis. Dort fahren die Auspendler gerne zusammen mit einem Auto und sparen somit Benzin und Nerven. Wenn aber der Vater um 6 Uhr zur Schicht fährt und der Sohn erst um 7 Uhr am Bau beginnen darf, dann gibt es eben einfach Probleme.

(Kuhlwein [SPD]: Was ist denn, wenn der Sohn jetzt um 4 Uhr in die Bäckerei muß? Wie lösen Sie das damit? Fährt der Vater dann auch um 4 Uhr?)

— Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat ja den sehr scherzhaften Vorschlag gemacht, der Deutsche Bundestag möge ein gutes Beispiel geben und auch schon um 4 Uhr früh tagen. Das würde ich sehr befürworten. Allerdings würde ich dann auch gern den Acht-Stunden-Tag in Anspruch nehmen.
Es gibt auch Probleme mit dem freien Nachmittag. Wenn der Berufsschulunterricht genau gleich auf zwei Tage verteilt wird, sind eben auch zwei volle Nachmittage weg. Bei Berücksichtigung der Feiertage bleibt dann im Betrieb so wenig Zeit, daß mancher das Ausbilden aufgibt. Nach meiner Erfahrung können allerdings solche Probleme wie die eben genannten auch ohne Gesetzesänderung durch Besprechung der Beteiligten vor Ort geregelt werden. Ein wenig guter Wille gehört aber dazu.
Ein Letztes. Mädchenausbildungsplatznot und Mädchenarbeitslosigkeit stellen sich als allervordringlichstes Problem. Aber muß die SPD denn immer so argumentieren, wie es im Antrag betreffend ein Sofortprogramm geschieht, wenn gesagt wird — ich zitiere —, daß Mädchen wieder in die traditionelle Rolle als Hausfrau und Mutter zurückgedrängt werden? Ziel muß doch sein, daß jeder seine Rolle wählen kann. Es wäre doch endlich einmal an der Zeit, die ständige Diffamierung der Rolle der Hausfrau und Mutter zu beenden;

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kuhlwein [SPD]: Wer diffamiert denn? Das weisen wir zurück! Sind Sie für Ausbildung von Mädchen? Keine Antwort!)

denn ohne die Rolle der Mutter säße keiner von Ihnen hier im Bundestag. — Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002234000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1002234100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Sofortprogramm der SPD zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zitiert auf der ersten Seite einen Absatz aus dem Bericht der Enquête-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat": daß Arbeitslosigkeit das Selbstwertgefühl der Jugend bedrohe, daß sie zu Resignation und Apathie führen könne.

(Dreßler [SPD]: Dem stimmen Sie ausdrücklich zu?)

Wir teilen diese Meinung. Wir glauben, daß diese Sätze sehr deutlich zeigen, welchen Stellenwert diese Diskussion bei uns haben muß. Die FDP steht zu dieser Aussage der Enquête-Kommission.

(Zuruf von der SPD: Zu Aussagen stehen die!)

— Mich wundert, daß Sie nicht zuhören können. Sie haben das letztemal im Ausschuß nicht zuhören können und jetzt auch nicht. Es wäre vielleicht ganz gut, wenn Sie jemanden ausreden lassen könnten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Eine einheitliche Analyse bedeutet noch nicht ein einheitliches Rezept. Und das Vorliegen eines Rezepts bedeutet noch nicht, daß es unbedingt richtig sein muß. Auch wenn einige Punkte darin sind, die wir für vernünftig halten — mein Vorredner hat das schon sehr gut differenziert —, so teilen wir den Grundgedanken des Rezeptes der SPD nicht.
Die SPD fordert in Ihrem Programm 1,6 Milliarden DM zur Schaffung von 150 000 Ausbildungsoder Arbeitsplätzen. Wenn man das einmal durchrechnet, so bedeutet das pro Arbeits- oder Ausbildungsplatz mehr als 10 000 DM im Jahr oder etwas weniger als 900 DM im Monat. Meine Kollegen von der SPD, glauben Sie wirklich im Ernst, daß irgendein Kämmerer einer Stadt oder Gemeinde im Jahr 1984 noch bereit sein wird, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, wenn er durch Warten, durch Nichtstun, in jedem Einzelfall im Jahr 10 000 DM ersitzen kann? Was glauben Sie, wie viele Ausbilder ebenfalls abwarten werden, weil sie hoffen können, vielleicht ebenfalls in den Besitz dieser Warteprämie zu kommen? Es geht unserer Meinung nach nicht an, daß die Betriebe, die rechtzeitig Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen, denen gegenüber schlechter gestellt werden, die sich erst später dazu bereitfinden. Als Liberaler sage ich der Wirtschaft und den Betrieben: Sie wollen die Freiheit zur Entscheidung; ich unterstütze das. Aber die Zwillingsschwester der Freiheit ist die Verantwortung. Und die lastet auf der Wirtschaft. Von dieser Verantwortung können wir die Wirtschaft nicht freisprechen.
Ich will damit uns Politiker nicht aus der Verantwortung drücken.

(Zuruf von der SPD: Ziehen Sie doch die Konsequenzen!)

Das Problem der Jugendarbeitslosigkeit ist nicht von der allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Lage zu trennen. Wir lösen das Problem der Jugendarbeitslosigkeit auch nicht dadurch, daß wir



Eimer (Fürth)

eine Gruppe fördern und damit möglicherweise einer anderen Gruppe Chancen wegnehmen.
Die Ursachen für die heutige mißliche Lage will ich in zwei Punkten kurz ansprechen. Da ist einmal die Bevölkerungsentwicklung. Wir wissen, daß die Abfolge von besonders geburtenstarken und geburtenschwachen Jahrgängen eine der Ursachen ist. Darauf wurde bereits in der Vergangenheit hingewiesen. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß wir dieses Problem in einer Generation wieder haben werden; denn diese Geburtenwellen werden sich wie ein Echo in die nächste Generation fortsetzen.

(Dreßler [SPD]: Lösen wir doch erst einmal das jetzige Problem! — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das sind demographische Wehen, die Sie hier beschreiben!)

— Meine Kollegen, selbstverständlich müssen wir etwas tun.
Ich will Ihnen ein Rezept sagen. Wir können dieses Problem nicht von der allgemeinen wirtschaftlichen Lage trennen. Zu Zeiten der Vollbeschäftigung hatten wir eine Investitionsquote von 25 %. Heute, wo wir Arbeitslosigkeit haben, beträgt die Investitionsquote noch ca. 20 %.

(Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Aber Ihr Wirtschaftsminister ist doch zuständig!)

Ich meine, wir müssen dafür sorgen, daß die Investitionsquote wieder steigt. Auch als Sozialpolitiker muß ich zugeben, daß nur die Gewinne der Wirtschaft die Grundlage unseres Wohlstands sind. Wenn ich Gewinne wegsteuern will, dann steuere ich nicht das Einkommen der Großen weg, sondern — die Gewinne der Großen sind meistens Wertsubstanzzuwachs, Arbeitsplätze — dann steuere ich im Grunde genommen Arbeitsplätze weg.

(Lachen bei der SPD — Schily [GRÜNE]: So einfach ist das! — Zuruf des Abg. Dreßler [SPD])

— Vielleicht lassen Sie mich ausreden. Wenn Sie wollen, können Sie eine Zwischenfrage stellen.
Einige der Veränderungen des Rahmens werden in zwei Gesetzentwürfen des Bundesrates angeregt. Einer, der die ausbildungshemmenden Vorschriften betrifft, wurde bereits kurz vor der Sommerpause besprochen, der andere Teil wird heute in der Debatte eingebracht. Es dreht sich dabei um die Änderung des Jugendschutzgesetzes. Ich will dabei sehr deutlich machen, daß der Jugendschutz im Kern nicht angegriffen werden kann.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002234200
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßler?

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1002234300
Vielleicht darf ich darauf aufmerksam machen, daß Sie mir fünf Minuten zuwenig Redezeit gegeben haben.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002234400
15 Minuten.

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1002234500
Am Anfang wurden hier nur 10 Minuten eingestellt.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Händlermentalität!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002234600
Wir werden aufpassen, Herr Eimer.

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1002234700
Ich gestatte die Frage selbstverständlich.

Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1002234800
Herr Kollege Eimer, habe ich Sie soeben richtig verstanden, daß deshalb, weil die Bundesregierung der Wirtschaft 3,5 Milliarden DM Steuergelder zugute kommen läßt, die Bundesregierung für die arbeitslose Jugend keine 1,5 Milliarden DM mehr zur Verfügung hat?

(Beifall bei der SPD)


Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1002234900
Herr Kollege, ich glaube, Sie sehen das Problem etwas verkehrt. Die Hilfen für die Wirtschaft allgmein lindern die Situation am Arbeitsmarkt insgesamt und stützen die Wirtschaft insgesamt. Ich werde im einzelnen noch auf die Maßnahmen zu sprechen kommen. Ich habe am Anfang deutlich gemacht — vielleicht haben Sie da zugehört —, daß eine Reihe von Vorschlägen, die Sie gemacht haben, durchaus vernünftig ist. Wir werden sie genau beraten und unterstützen. Vielleicht haben Sie ein wenig Geduld; ich will versuchen, noch darauf einzugehen.
Im vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates wird eine flexible Gestaltung der Arbeitszeit vorgeschlagen. Ich sehe darin keinen Abbau des Jugendschutzes. Ich möchte meiner Kollegin Frau Schoppe dazu ein Beispiel bringen. Mein Haus wurde von einem kleinen Bauunternehmen gebaut.

(Reents [GRÜNE]: Schwarzarbeit!)

Diese Baufirma hatte jeden zweiten Freitag zum freien Tag gemacht. Nach der geltenden Regelung des Jugendarbeitsschutzgesetzes ist es nicht möglich, in dieser Firma Jugendliche zu beschäftigen. — Ich habe dort auch keine Jugendlichen gesehen, ich habe dort auch keine Lehrlinge gesehen. — Ich kann mir nicht vorstellen, daß Lehrlinge dies, wenn sie dennoch nicht länger als 40 Stunden in der Woche arbeiten, als eine Verschlechterung des Schutzes ansehen, sondern ich bin überzeugt, daß sie das als das gleiche betrachten, als das es die betroffenen erwachsenen Kollegen sehen, nämlich als einen Gewinn an Lebensqualität.

(Jaunich [SPD]: Herr Kollege Eimer, bauen Sie in zwei Jahren einmal an und gucken Sie dann einmal, ob da Jugendliche auf dem Bau sind! — Heiterkeit bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002235000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Schoppe? — Frau Schoppe bitte.

Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1002235100
Herr Kollege Eimer, ist Ihnen bekannt, daß es eine Studie der Universität Konstanz gibt, die aussagt, daß 16 % der Jugendlichen angegeben haben, im Betrieb sowieso schon immer viel länger als acht Stunden arbeiten zu
1548 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983
Frau Schoppe
müssen, und heißt das nicht, daß man, wenn man die achteinhalb Stunden hereinnimmt, wie in der Änderung zum Jugendarbeitsschutz gefordert wird, daß nämlich der Arbeitstag unter bestimmten Voraussetzungen achteinhalb Stunden betragen kann, der Ausbeutung der Jugendlichen Tür und Tor öffnet?

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1002235200
Frau Kollegin, ich kenne diese Studie nicht. In den Fällen, in denen Betriebe gegen Schutzgesetze verstoßen, muß ich selbstverständlich sagen, daß das nicht korrekt ist. Das muß abgestellt werden. Nur, wenn die Gesamtarbeitszeit erhalten bleibt, kann ich selbst mit bösestem Willen nicht feststellen, daß damit der Jugendschutz beeinträchtigt ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen, die Vorverlegung der Arbeitszeit bei Bäckereien, Fleischereibetrieben und Montagestellen. Ich will gleich sagen, daß ich nicht glaube, daß sich so sehr viel mehr Lehrstellen in Bäckereibetrieben finden werden, wenn die Arbeitszeit vorverlegt wird. Aber ich glaube auf der anderen Seite, daß es zweckmäßig ist, daß ein Lehrling, ein Auszubildender, z. B. nicht erst dann in die Metzgerei kommt, wenn die Wurst bereits fertig ist.
Ich glaube, daß es wegen bestimmter Ausbildungsvorgänge notwendig und zweckmäßig ist, in manchen Fällen die Ausbildungszeit vorzuverlegen.

(Gilges [SPD]: Dummes Zeug!)

Ich bin davon überzeugt, Herr Kollege Gilges, daß es für Jugendliche besser ist, wenn sie mit ihren erwachsenen Kollegen zusammen auf die Arbeitsstelle, auf eine Baustelle fahren können und nicht mit einem öffentlichen Verkehrsmittel. Sie müssen dann nämlich meistens, weil die Baustellen weiter weg sind, genauso früh anfangen, als wenn sie sonst mit ihren erwachsenen Kollegen zur Arbeitsstätte fahren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich habe die Hoffnung, daß hier tatsächlich neue Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden. Eine Stunde früher anfangen kann doch so schädlich nicht sein.

(Zuruf von der SPD: So ein Quatsch!)

Haben wir denn nicht durch Verordnungen für alle Deutschen, angefangen von Kindergartenkindern ab drei Jahren bis zu Erwachsenen mit 65 Jahren, die Arbeitszeit um eine Stunde vorverlegt, ohne daß irgendwo schädliche Auswirkungen bekanntgeworden sind, nämlich durch die Einführung der Sommerzeit?

(Heiterkeit — Beifall bei der FDP — Krizsan [GRÜNE]: Erzählen Sie noch mehr solche Witze!)

Ich habe noch niemanden erlebt, der sagen konnte, daß er dementsprechend eine Stunde früher ins Bett gegangen ist, auch Kinder nicht.

(Kuhlwein [SPD]: Die Landwirte haben uns erzählt, daß sogar die Kühe darunter leiden!)

— Ich gehe davon aus, daß Arbeitnehmer keine Rindviecher sind, Herr Kollege.
Wir werden alle Ihre Vorschläge im Ausschuß prüfen, nicht nur die des Bundesrates, sondern auch die der SPD. Wenn ich am Anfang dem Grundgedanken des Vorschlags auch nicht in allen Punkten zustimmen konnte, halte ich doch einige Details — ich habe das bereits gesagt — für überlegenswert. So meine ich, daß es durchaus zweckmäßig ist, z. B. das Benachteiligtenprogramm zu erhöhen. Ich glaube auch, daß man das Modell des Annahmekartenverfahrens, das in Ihrem Vorschlag enthalten ist, durchaus prüfen sollte. Es ist zwar eine bürokratische Maßnahme, aber ich kann mir vorstellen, daß sie sehr kurzfristig wirksam ist. Offensichtlich sehen auch Sie, meine Kollegen von der SPD, das Problem, daß es eine Reihe von Auszubildenden gibt, die nicht nur einen Ausbildungsvertrag unterschrieben haben, sondern mehrere, sonst wären Sie auf die Idee mit dem Annahmekartenverfahren nicht gekommen.
Ich meine auch, daß wir etwas aufnehmen sollten — einige Ihrer Vorschläge sind ja im übrigen aus der Enquete-Kommission übernommen —: Wir sollten mehr tun, um die Kammern zu bewegen, Ausbildungsverbände zwischen kleinen Betrieben zu fördern.
Ich will etwas anderes ansprechen, was die SPD nicht aufgenommen hat. Ausbildungsplätze und Forderungen der Ausbildungssuchenden fallen oft regional auseinander. Wir sollten versuchen, ob man nicht durch Hilfen z. B. im Bereich der Lehrlingsheime etwas mehr tun könnte, um diese beiden Gruppen in Einklang zu bringen. Ich bin mir bewußt, was es für junge Leute bedeutet, von der Familie wegzukommen. Aber ich glaube, wir können damit die Not der Arbeitslosigkeit und die Not der mangelnden Ausbildungsplätze etwas mildern. Vielleicht können wir dadurch auch die Mobilität hin zu den Arbeitsplätzen etwas fördern.
Sehr nachdrücklich möchte ich aber an die Bundesanstalt in Nürnberg appellieren, nicht nur ängstlich das Vermittlungsmonopol zu bewahren. Alle uneigennützigen Bemühungen, so z. B. von Kirchen, Gewerkschaften, Verbänden, auch Zeitungen, sollten nicht torpediert, sondern unterstützt werden durch eine tatkräftige Zusammenarbeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Kollegen, wir brauchen die Hilfe aller. Auch Seelenmassage bei Betrieben, die noch mehr ausbilden könnten, als sie jetzt ausbilden, ist nötig. Ich hoffe, daß die Debatte heute abend dazu einen kleinen Beitrag geben konnte. — Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)





Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID1002235300
Das Wort hat der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Frau Dr. Wilms.

Dr. Dorothee Wilms (CDU):
Rede ID: ID1002235400
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, die jetzige Debatte hat gezeigt, daß wir alle in der Zielsetzung der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit übereinstimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir müssen alle Anstrengungen gemeinsam unternehmen, damit möglichst wenig junge Menschen die schlimme Lebenserfahrung der Arbeitslosigkeit machen müssen. Wir müssen verhindern, daß junge Menschen, weil sie keine Arbeit bekommen, in Ratlosigkeit und auch in Lebenspessimismus verfallen.

(Zuruf von der SPD)

Ein so ernstes und schwieriges Problem, das uns alle miteinander bewegt, verlangt eine genaue Analyse der Lage, damit wir dann auch gezielt fragen können, was zu tun ist.

(Dressler [SPD]: Wir wollen aber auch etwas tun!)

Lassen Sie mich einige Bemerkungen zur Analyse machen. Ohne hier irgend etwas verniedlichen zu wollen:

(Zuruf von der SPD: Bravo!)

Im internationalen Vergleich ist die Jugendarbeitslosigkeit bei uns noch relativ gering.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Bei den unter 25jährigen sind in Italien leider — das ist überhaupt kein Grund zur Freude; ich darf das nur sagen — 34 % arbeitslos, in Frankreich über 26%, in der Bundesrepublik 14,9 %.

(Zuruf von der SPD: Da haben wir ja noch viel Zeit!)

Das sind zu viele. Jugendarbeitslosigkeit ist aber eben leider auch ein europäisches Problem.

(Zurufe von der SPD)

— Ich komme gleich noch einmal auf das Löbchen der vorigen Regierung. Ich sage dazu gleich noch ein paar Worte. — Nach Meinung aller Fachleute ist
— so gesehen — das relativ günstige Abschneiden der Bundesrepublik eine Folge der Flexibilität und des freiwilligen Engagements im Rahmen des dualen Ausbildungssystems.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir werden im Ausland um dieses System zu Recht beneidet. Aber — auch das muß gesagt werden — das duale Ausbildungssystem kann natürlich nur in Grenzen Schwächen des Arbeitsmarktes ausgleichen. Es kann nicht generell und für alle Fälle für die Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit in Anspruch genommen werden.
Das Ziel der Politik der Bundesregierung ist es — hier stimmen sicherlich wieder alle Fraktionen in diesem Hohen Hause überein —, daß nach Möglichkeit jeder junge Mensch eine Ausbildung nach seiner Begabung und Veranlagung erhält. Ich hoffe — ich glaube, das dürfen wir heute schon sagen — allen pessimistischen Unkenrufen zum Trotz, daß wir in diesem Herbst ein sehr hohes Ziel an Ausbildungsplätzen erreichen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: „Alle"!)

Alle Zahlenangaben, die bisher vorliegen, alle Zwischenberichte, sowohl aus der Arbeitsverwaltung wie aus den Kammerorganisationen, weisen daraufhin, daß wir das Anfang des Jahres angepeilte Ziel von 685 000 Ausbildungsplätzen erreichen werden. Das bedeutet, daß das Plus von 30 000 erreicht ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Aber, meine Damen und Herren — wir reden ja heute generell über Jugendarbeitslosigkeit —, machen wir uns nichts vor! Ich stimme meinen Vorrednern zu, wenn sie gesagt haben, daß mit Bildungspolitik allein Jugendarbeitslosigkeit nicht zu beseitigen ist. Die Gründe und die Ursachen für Jugendarbeitslosigkeit liegen eben nicht nur in dem Bildungsbereich, sondern ohne Zweifel auch in der allgemeinen wirtschaftlichen Lage, in der finanzpolitischen Lage, und sie liegen auch in der Wirtschafts- und Finanzsituation, die Sie, meine Kollegen von der SPD, uns im vorigen Jahr hinterlassen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

Lassen Sie mich einige Worte zu dem Programm sagen, das Sie heute eingebracht haben. Bei einigem muß ich natürlich fragen: Wenn das für Sie heute so vordringlich ist, warum haben Sie das denn nicht schon im vorigen Jahr, als die Jugendarbeitslosigkeit auch schon hoch war, nicht in Ihrer eigenen Regierungszeit durchgesetzt?

(Zuruf von der SPD)

Diese Frage muß doch wohl erlaubt sein. Die Vorredner haben leider auf diese Frage, die ja auch schon Kollegen aus der Fraktion gestellt haben, keine Antwort gegeben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Nachredner werden es auch nicht tun!)

Ich möchte hier aber auch nicht im einzelnen auf die Vorschläge eingehen. Dazu wird im Ausschuß hinlänglich Gelegenheit sein. Lassen Sie mich auch ein paar generelle Bemerkungen machen.
Erste Bemerkung: Eine Reihe der von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen sind ja bereits realisiert oder sind auf gutem Wege, etwa die Ausweitung der Möglichkeiten zur Gewährung von Bildungsbeihilfen für arbeitslose Jugendliche, die Öffnung des § 40 des Arbeitsförderungsgesetzes, nämlich die Erweiterung der berufsvorbereitenden Maßnahmen, oder die Erweiterung und Durchführung von ganz gezielten Modellvorhaben auf dem Gebiet der Ausbildung und der Qualifizierung junger Menschen. Hier sind wir ja, wie gesagt, bereits auf gutem Wege. Ich bin dankbar, wenn die Opposition die Bemühungen der Regierung hier unterstützt.



Bundesminister Frau Dr. Wilms
Lassen Sie mich eine zweite Bemerkung machen: Meine Damen und Herren, die Bewältigung des Problems erfordert eine ganz genaue Zielgruppenanalyse,

(Gilges [SPD]: Sie sollten nicht nur analysieren, sondern auch einmal handeln!)

nämlich die Frage: Wer ist es denn, der arbeitslos wird oder bleibt? Mit generellen Maßnahmen ist manchem eben nicht geholfen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut! Sehr richtig!)

Lassen Sie mich das generell sagen: So sehr ich selber darauf dränge und gedrängt habe — und für alle Unterstützungen dankbar bin —, daß wir das Benachteiligtenprogramm weiter ausgedehnt haben, so sind wir uns doch darüber im klaren, daß das Benachteiligtenprogramm natürlich nicht für jeden und für alle hilfreich ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Für Mädchen mit mittlerer Reife, die bereits eine Handelsschule besucht haben und nun noch, weil sie vielleicht keinen Arbeitsplatz finden, einen Ausbildungsplatz für eine kaufmännische Lehre suchen, ist ein Benachteiligtenprogramm nicht das Richtige. Es muß eben dann, zum Teil auch auf lokaler Ebene, noch nach anderen Möglichkeiten gesucht werden. Ich bin froh, daß wir, etwa auch nach Gesprächen mit den kommunalen Spitzenverbänden, im Bereich der pflegerischen Berufe eine gewisse Ausweitung erreichen konnten; ich konnte schon darüber berichten.
Meine Damen und Herren, was die Ausweitung der Modellversuche „Mädchen in gewerblich-technischen Berufen" angeht: So sehr ich das selber, wie Sie wissen, auch bejahe und begrüße und fördere — nur, allen hilft das nicht. Oder nehmen Sie die Ausweitung der MBSE, die Sie fordern: Diese Maßnahmen sind zwar sehr wichtig, aber wir sehen, daß sie zum Teil nicht greifen. Die Mittel sind heute teilweise nicht ausgeschöpft. Auch dies ist ja eine Tatsache.
Lassen Sie mich eine dritte Bemerkung machen: Eine Reihe der von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen sind nach unserem Verständnis ordnungspolitisch in hohem Maße bedenklich. Denn Ihre Vorschläge schwächen zum Teil die Verantwortung der Betriebe im dualen System und sind daher mittelfristig mehr schädlich, als sie nützen. Sie fordern z. B. die verstärkte Finanzierung von AusbildungsVerbundsystemen. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß Ausbildungs-Verbundsysteme notwendig und wichtig sind. Ich hielte es aber für verfehlt, sie jetzt bundesweit finanziell zu unterstützen. Denn dann würde von daher jede Eigeninitiative auf diesem Gebiete unterbleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Jeder würde die Hand aufhalten und zunächst einmal die staatliche Hilfe verlangen. Überhaupt bin ich der Meinung — lassen Sie mich das grundsätzlich sagen —, daß bei direkten Finanzförderungsprogrammen in Richtung auf Unternehmen äußerste Zurückhaltung geboten ist. Denn wenn hier ein
Einbruch erfolgt, werden wir zu erwarten haben, daß in den Betrieben bundesweit ein Attentismus ausbricht.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Jedes Unternehmen kommt sich ja geradezu genasführt vor,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

wenn es die Angebote vorher freiwillig erhöht hat und nachher sieht, daß der andere, der diesen Weg nicht freiwillig mitgegangen ist, auch noch eine Belohnung dafür bekommt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Sagen Sie das dem Herrn Blüm? Oder wem sagen Sie das?)

Sie wissen genau, daß Rundbriefe, die von der Bundesanstalt für Arbeit — aus welchen Gründen auch immer — auf den Weg gebracht worden sind,

(Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Ja, eben! Wer hat das veranlaßt? Da sitzt er doch!)

längst storniert worden sind, weil hier wirklich ein Irrtum, eine Sache passiert ist, die dem Wunsch und dem Willen der Bundesregierung überhaupt nicht entspricht — das darf ich hier sehr deutlich sagen —, weil wir eben wissen, daß man mit solchen gezielten Maßnahmen den Attentismus — auch mit Blick auf das nächste Jahr, 1984 — geradezu heraufbeschwört. Und dies kann nicht unsere Politik sein.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002235500
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuhlwein?

Dr. Dorothee Wilms (CDU):
Rede ID: ID1002235600
Bitte schön.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1002235700
Frau Minister, kann es nicht doch sein, daß der soeben von Ihnen beschriebene Vorgang, der seine Wurzel ja, wie wir gehört haben, im Arbeitsministerium haben soll, bei vielen Betrieben die Haltung erzeugt, darauf zu warten, ob es nicht vielleicht doch noch Geld vom Bund gibt, wenn man zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt?

Dr. Dorothee Wilms (CDU):
Rede ID: ID1002235800
Herr Kollege Kuhlwein, ich habe ja gerade ausgeführt — und ich sage hier die Meinung der Bundesregierung, d. h. ich spreche jetzt auch für den Kollegen Blüm und für alle anderen Kabinettsmitglieder voll mit —, daß die Bundesregierung in keiner Weise beabsichtigt, direkte Finanzförderungsprogramme in Richtung auf Betriebe zu starten. Insoweit kann hier kein Attentismus entstehen. Vor allen Dingen wenn ich mit Freuden hören, daß Sie offensichtlich unserer Meinung sind,

(Zuruf von der SPD: Sind wir immer gewesen!)




Bundesminister Frau Dr. Wilms
kann j a in der Richtung von Ihnen auch keinerlei Hinweis kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU) Sehr schön, ich höre das mit Freuden.


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002235900
Frau Bundesminister, es gibt einen Abgeordneten Dr. Blüm, der Ihnen eine Frage stellen möchte. Sie sehen sich offensichtlich so selten.

Dr. Dorothee Wilms (CDU):
Rede ID: ID1002236000
Herr Abgeordneter Blüm, bitte schön.

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1002236100
Frau Minister, wären Sie bereit, den Herrn Abgeordneten Kuhlwein zu bitten, daß er nicht unwahre Mitteilungen weiter verbreitet?

Dr. Dorothee Wilms (CDU):
Rede ID: ID1002236200
Ich glaube — —

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002236300
Frau Minister, Dreiecksgespräche sind hier nicht erwünscht.

Dr. Dorothee Wilms (CDU):
Rede ID: ID1002236400
Die Antwort erübrigt sich dann vielleicht auch. Sie ergibt sich aus dem Rahmen der Debatte, Herr Kollege Blüm.
Lassen Sie mich eine weitere Anmerkung zum Programm machen. Ich habe die große Sorge, daß Sie hier nicht gut gerechnet haben. Die Vorschläge, die Sie machen, kosten nicht nur 1,6 Milliarden, wie es vielleicht ausgewiesen wird. Denn die Vorschläge, die Sie machen, können ja nicht nur für ein Jahr gelten. Die müssen sich über mehrere Jahre hinziehen, wenn sie überhaupt Sinn haben sollen. Dann kommen Sie nach Adam Riese — das kann jeder nachrechnen —, auf 3 bis etwa 5 Milliarden DM. Das ist ein ganz erheblicher Batzen. Wir sollten diese Finanzfrage nicht einfach mit einer Handbewegung wegfegen.
Lassen Sie mich noch ein Letztes sagen. Wenn Sie darauf hinweisen, das Geld könne ja durch eine gesetzlich gebotene Umlagefinanzierung zwischen ausbildenden und nichtausbildenden Betrieben aufgebracht werden, dann — ich wiederhole mich — kann ich nur sagen: Man muß warnen davor. Denn damit zerstören wir die Grundlage des dualen Systems. Die beruht nämlich auf der einzelbetrieblichen Finanzierung und damit auf der Einzelverantwortung der Betriebe. Alles andere zerstört — —

(Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Aber in Konstanz und in Karlsruhe ist es anders!)

— Wenn einzelne Branchen, wenn einzelne Kammern das auf freiwilliger Basis unter Zustimmung ihrer Mitgliedsbetriebe machen,

(Zuruf von der SPD: Dann geht es doch!)

ist das eine andere Frage, als wenn Sie par ordre de mufti, d. h. durch den Bundesgesetzgeber hier eine Auflage machen. Ich glaube, darüber sind wir uns einig.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Die Bundesregierung glaubt, daß man durch eine realistische Politik den Problemen der Jugend am besten gerecht wird. Ich sage noch einmal: Die Probleme der Jugendarbeitslosigkeit sind ein Teil des Problems der Gesamtarbeitslosigkeit. Insoweit sind alle Bemühungen zur Wiederbelebung der Wirtschaft hier auch für diesen Punkt von ganz entscheidender Bedeutung.
Der zweite Punkt ist folgender. Ich glaube, daß unser Ansatzpunkt, die Betriebe zu bewegen, noch mehr Ausbildungsplätze als im Vorjahr und als in den Jahren zuvor zur Verfügung zu stellen, erfolgreich war. Ich habe Ihnen eben die Zahlen genannt. Ich glaube, daß der Bundeskanzler im Herbst hocherhobenen Hauptes hier in dieses Parlament kommen kann,

(Kuhlwein [SPD]: Da kann er sich das Genick brechen! — Weitere Zurufe von der SPD)

weil sich herausstellt, daß das, was hier diskutiert worden ist, nämlich ein Plus von 30 000 Lehrstellen, ohne weiteres erreicht wird.

(Zurufe von der SPD)

Die Union hat sich hier überhaupt nicht zu verstekken.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir werden im Spätherbst zu prüfen haben, ob es hier und da regional, branchenmäßig noch Probleme gibt,

(Zuruf von der SPD: Wieso, für jeden ist doch eine Lehrstelle da?!)

die dann zielgerecht angegangen werden müssen durch Bundesmaßnahmen, durch Landesmaßnahmen, durch kommunale Maßnahmen, damit hier auch die letzten Probleme abgebaut werden.
Ich erspare mir jetzt mit Blick auf die Uhr, das zu wiederholen, was ich in der vorigen Woche im Rahmen der Haushaltsdebatte sagte, indem ich noch einmal aufzeige, was die Bundesregierung gemacht hat, Benachteiligtenprogramm usw.; ich verweise auf meine Rede in der vorigen Woche.
Lassen Sie mich aus der Sicht der Bundesregierung noch eines zu der hier vorliegenden Gesetzesinitiative des Landes Rheinland-Pfalz zum Jugendarbeitsschutzgesetz sagen und im Zusammenhang damit auch zu der Verordnung des Bundesministers für Arbeit zu § 21 des Jugendarbeitsschutzgesetzes.
Die Bundesregierung begrüßt diese Gesetzesinitiative des Landes Rheinland-Pfalz zum Jugendarbeitsschutzgesetz. Ich möchte hier für die Bundesregierung noch einmal in aller Deutlichkeit sagen: Es geht nicht um den Abbau des Jugendarbeitsschutzes, wie es heute immer wieder so leichthin behauptet wird.

(Widerspruch und Zurufe von der SPD)




Bundesminister Frau Dr. Wilms
Es geht um die Anpassung von Arbeitszeitvorschriften an inzwischen geänderte Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungswesen

(Beifall bei der CDU/CSU — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das ist dasselbe, nur anders ausgedrückt!)

und um die Entwicklung einer neuen Gesamtkonzeption auf diesem Feld.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Seifenblasen!)

Für die Bundesregierung möchte ich hier mit aller Deutlichkeit betonen, daß der notwendige Gesundheitsschutz für junge Menschen nicht angetastet wird. Andererseits dürfen wir den Blick auch nicht davor verschließen, daß der Jugendarbeitsschutz seit jeher von zwei Zielen geprägt ist: dem notwendigen Gesundheitsschutz auf der einen Seite und einer möglichst umfassenden praxisnahen Ausbildung Jugendlicher auf der anderen Seite.
Die Bundesregierung wurde in den letzten Tagen vielfach angegangen, sie würde Tendenzen unterstützen, Auszubildende in den Betrieben nunmehr wieder als billige Arbeitskraft auszubeuten, denn es sei unzumutbar, daß ein Auszubildender um 6 Uhr morgens dem Meister beim Brötchenbacken helfen müsse. Ich sage das in allem Ernst: Wer so argumentiert, der fällt in die Argumentation vom Anfang der 70er Jahre zurück, wo es hieß, Ausbildung sei Ausbeutung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Folge dieser Aktionen war, daß die Betriebe die Ausbildung eingestellt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Soeben wurde hier gesagt, in den 70er Jahren seien die Ausbildungszahlen nicht abgesunken. Aber alle Fachleute wissen, in welchem Ausmaß die Ausbildungszahlen Mitte der 70er Jahre gesunken waren und erst jetzt allmählich wieder wachsen. Ich warne davor.

(Zurufe von der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002236500
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Schoppe?

Dr. Dorothee Wilms (CDU):
Rede ID: ID1002236600
Bitte schön, Frau Kollegin.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002236700
Bitte, Frau Schoppe.

Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1002236800
Frau Wilms, teilen Sie meine Auffassung, daß in dem Fall, wo die Arbeitszeit vorverlegt wird, d. h. die Auszubildenden früher in den Betrieb kommen, folgender Effekt eintritt: Die Auszubildenden werden Fachkräfte, die vorher diese Arbeit gemacht haben, von den Arbeitsplätzen verdrängen, es wird also das eintreten, was Sie eigentlich gar nicht wollen, es werden wieder neue Leute arbeitslos?

Dr. Dorothee Wilms (CDU):
Rede ID: ID1002236900
Nein, Frau Kollegin Schoppe, diese Auffassung kann ich nicht teilen.
Ich möchte geradezu nahtlos auch an Ihre Frage ein zweites Argument anfügen. Wer argumentiert, junge Menschen könnten nicht während der Produktion ausgebildet werden, und man müsse sie daher auch zeitlich vom Produktionsprozeß quasi abtrennen, der verkennt, was duale, was betriebliche Ausbildung eigentlich bedeutet. Betriebliche Ausbildung heißt nämlich Ausbildung durch die Arbeit und in der Arbeit. Insoweit kann sich Ausbildung immer nur dann vernünftig vollziehen, wenn auch der Arbeitsprozeß vorhanden ist. Ich glaube, das müssen wir deutlich sehen. Wer hier den Arbeitsprozeß vom Ausbildungsprozeß abkoppeln will, schafft im Grunde genommen den Kernbestandteil der betrieblichen Ausbildung ab.
Meine Damen und Herren, die vorliegende Gesetzesinitiative will unzeitgemäße gesetzliche Vorschriften abbauen, die weder dem Jugendlichen noch dem berechtigten Anliegen des Ausbildungsbetriebes helfen. Ich glaube, es ist im Interesse junger Menschen, unter veränderten Umständen über die Abstimmung von Jugendschutz und Ausbildungsmodalitäten neu nachzudenken. Die Arbeitszeitvorschriften des Jugendarbeitsschutzgesetzes sind nach unserer Auffassung besser als in der Vergangenheit mit dem notwendigen Gesundheitsschutz der Jugendlichen und mit den Voraussetzungen einer guten Ausbildung in Einklang zu bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dabei ist auch zu prüfen, welcher Weg am besten geeignet ist, diese Aufgabe zu erfüllen: das Gesetz, die Rechtsverordnung oder auch der Tarifvertrag. Vor diesem Hintergrund nimmt die Bundesregierung die hier vorliegende Initiative zum Anlaß, das Thema in seinem Gesamtzusammenhang neu zu durchdenken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002237000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weisskirchen (Wiesloch).

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1002237100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, Frau Dr. Wilms, auf drei Punkte kurz zu antworten. Wissen Sie: Gerade in dem Zeitraum von 1974 bis 1978, als Helmut Rohde vier Jahre lang der Bildungsminister der sozialliberalen Koalition gewesen ist, sind Quantität und Qualität der beruflichen Bildung ins wirklich Hervorragende gesteigert worden. Und Sie standen damals abseits und haben das kritisiert.

(Beifall bei der SPD)

Das duale System war in Quantität und Qualität nie so stark wie in der Zeit der sozialliberalen Koalition. Mal sehen, wie die Ausbildungsplatzanalyse am Ende dieses Jahres aussehen wird. Sie wird anders aussehen, als Sie hier heute vorgetragen haben.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Zweitens. Sie haben behauptet — und Graf von Waldburg-Zeil hat das vorhin auch gesagt —, wir



Weisskirchen (Wiesloch)

hätten dieses Programm schon früher einbringen müssen. Darf ich Sie daran erinnern, daß wir im Dezember 1982, vor fast einem Jahr, schon einmal rund 700 Millionen DM für die Kernpunkte dieser Forderung von Ihnen verlangt haben? Sie haben nichts anderes getan, als zu diesem Programm nein zu sagen. Das ist die Wahrheit.

(Zuruf des Abg. Graf von Waldburg-Zeil [CDU/CSU])

Das Dritte, Herr Waldburg-Zeil. Man kann sich ja die Frage stellen: Wie sollen diese 1,6 Milliarden pro Jahr finanziert werden? Die Frage ist völlig berechtigt. Nur, wenn Sie ab diesem Jahr dazu übergehen, jährlich 2,6 Milliarden DM denen zuzuwerfen, deren Steueranteil über die Vermögensteuer abgesenkt werden soll, dann ist diese Frage unzulässig. Dann ist es auch gegenüber den jungen Leuten unvertretbar, wie Sie hier argumentieren.

(Beifall bei der SPD)

Schade, daß der Herr Bundeskanzler nicht hier sein kann.

(Zuruf von der SPD: Der kommt erst im Frühjahr wieder!)

Folgendes Zitat würde ihn sicher sehr freuen:
Aus der Ära der Sprüche sind wir heraus. Ich habe vorhin die Stunde der Wahrheit genannt, um es einmal etwas pathetisch zu formulieren. Und aus dieser Gesinnung soll man herangehen und jetzt nicht also sagen: „Ich reiche nicht zu dem meine Hand, und ich reiche nicht zu dem meine Hand" und da Barrikaden aufrichten. Man muß dort zeigen, wie man den Leuten hilft. Mit diesen Sprüchen kann man niemand helfen.
So weit Originalton Helmut Kohl.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1002237200
Mit diesen Ihren Sprüchen vom Dienstag dieser Woche können Sie überhaupt niemandem helfen.

(Beifall bei der SPD)

Wie werden Sie denn als Regierung am 30. September dastehen, wenn die Stunde der Wahrheit für den Bundeskanzler geschlagen haben wird

(Zuruf des Abg. Dolata [CDU/CSU])

und dann offenbar wird, daß die Bundesanstalt für Arbeit — um auf der Sprachebene des Herrn Bundeskanzlers zu bleiben — ihm die Hosen herunterzieht von den Sprüchen, die er bisher gemacht hat?

(Beifall bei der SPD)

Welche Verrenkungen wird dann die Bundesregierung der Öffentlichkeit vorführen? Welche Erklärungen hat er doch vor dem 6. März abgegeben? Da hieß es doch: Für jeden — Frau Minister Wilms: für jeden! — ist eine Lehrstelle da; nicht für 30 000 zusätzlich allein, sondern für jeden ist eine Lehrstelle da.

(Schily [GRÜNE]: Hört! Hört! Hören Sie sich das doch mal an, Frau Wilms!)

Wollen wir doch dann mal die Bilanz genau prüfen, ob das, was hier versprochen worden ist, eingetroffen ist!

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Wir werden es nicht zulassen, daß Sie sich mit Ihren eigenen Versprechungen aus dem Staub machen.

(Günther [CDU/CSU]: Wir bleiben aber hier!)

Auf der Suche nach Ausflüchten, nach Fluchtwegen behaupten Sie jetzt, es gebe Jungen und Mädchen, die nicht fähig und nicht willens seien und deshalb keinen Ausbildungsplatz bekämen. Was, frage ich Sie — und das meine ich wirklich ernsthaft —,

(Günther [CDU/CSU]: Wer hat das denn gesagt?)

— der Herr Bundeskanzler hat das gesagt —

(Günther [CDU/CSU]: Wann denn?)

muß der empfinden, der sich fünfmal beworben hat, der sich zehnmal beworben hat, der sich noch öfter beworben hat — und die Antwort war Nein? Wieviel Hoffnung wird denn da am Beginn des Berufslebens betrogen?
Und gerade weil Sie doch immer so das Wort von der Familie und diesem Grundwert rhetorisch vor sich hertragen: Sind Sie sich eigentlich dessen bewußt, welche seelischen Belastungen zwischen Eltern und Kindern auftreten müssen, wenn Sie ihnen auch noch von der Bundesregierung regierungsamtlich den Stempel aufgedrückt haben, sie seien unfähig oder nicht willens?

(Beifall bei der SPD)

Und weil es doch gerade Sie sind, die den Leistungsgedanken so hoch vor sich hertragen: Sie wissen doch genau so gut wie ich aus der Shell-Studie — 4 000 junge Leute sind befragt worden —, daß 98 % der jungen Leute Ausbildung wollen, Arbeit wollen, ihre eigenen Kräfte entwickeln und ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen wollen. Die wollen doch einsteigen. Schieben Sie doch denen bitte nicht auch noch den Schwarzen Peter zu!

(Beifall bei der SPD)

Das Bundesverfassungsgericht, auf das Sie sich ja auch sehr oft berufen, hat im Dezember 1980 sehr klar formuliert, wo die Verantwortung liegt. Es hat gesagt:
In dem in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden dualen Berufsausbildungssystem liegt die spezifische Verantwortung für ein ausreichendes Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen der Natur der Sache nach bei den Arbeitgebern.
Soweit das Bundesverfassungsgericht. Damit ist übrigens auch eindeutig klar: Es ist Pflicht und Aufgabe der Arbeitgeber, das Bildungsrecht unserer Jugend durch die notwendige Zahl von Ausbildungsplätzen zu verwirklichen. Auch die Arbeitge-



Weisskirchen (Wiesloch)

ber werden wir — wie Sie — nicht aus der Verantwortung entlassen.

(Beifall bei der SPD)

In diesem Jahr steht das duale Ausbildungssystem, Frau Minister Wilms, wirklich vor der entscheidenden Bewährungsprobe. Am 30. September wird die Summe gezogen, und dann werden Tausende von jungen Menschen — lesen Sie das nach, was Herr Stingl in seinem letzten Rundschreiben gesagt hat — vor jenem verschlossenen Tore stehen, von dem der Herr Bundeskanzler immer sagt, es stünde so unheimlich weit offen.
Dann müssen Sie sich entscheiden, welche Antwort Sie auf diese Frage geben. Da haben Sie zwei Möglichkeiten. Entweder hat der Herr Bundeskanzler, als er diese Anzeige mit seinem Konterfei aufgegeben hat, nicht gewußt, daß diese Verpflichtung von den Arbeitgebern zu erfüllen ist; dann hat er die jungen Leute getäuscht und ihnen etwas vorgemacht. Oder aber er hat nicht gewußt, wovon er spricht; dann hat er sich selbst getäuscht. Zu einem dieser beiden Argumente müssen Sie sich durchringen; mit beiden sehen Sie überhaupt nicht gut aus.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Zur Sache!)

Wie stehen eigentlich die jungen Leute da, denen ihr durch das Grundgesetz, durch das Verfassungsgericht bestätigter Anspruch auf Ausbildung nicht erfüllt wird? Muß dieses Nein zu ihren eigenen Lebenschancen, zu ihrem Lebensziel, von den Betroffenen nicht so verstanden werden, daß diese Gesellschaft das eigene Ziel, das sie für die jungen Menschen eigentlich verwirklichen müßte, gar nicht verwirklicht? Ist es denn nicht so — das müßten sich doch eigentlich gerade Konservative fragen lassen —, daß es der Kern unseres eigenen Selbstverständnisses ist, daß man sich in Arbeit und in Ausbildung selbst verwirklichen kann? Das ist doch der Kern unseres Selbstverständnisses!
Was bedeutet es denn, wenn die bisher 100 000 Jugendlichen und dazu noch einmal etwa 600 000 unter 25 Jahren entweder keinen Ausbildungsplatz oder keinen Arbeitsplatz haben? Was bedeutet es, daß sie ihre Fähigkeiten nicht entwickeln? Werden da bei den jungen Menschen nicht Zweifel gesät, ob es denn in dieser Gesellschaft noch gerecht zugeht? Und dabei hoffen wir doch immer, daß wir die jungen Menschen an uns binden können!
Da wird so oft und so klug von Staatsverdrossenheit geredet.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie reden doch nur!)

Da wird gesagt, man müsse Orientierung geben. Das alles ist richtig. Aber die wichtigste Orientierung ist: Schaffen Sie endlich die Ausbildungsplätze, die Sie versprochen haben!

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002237300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hinsken?

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1002237400
Ja.

Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1002237500
Herr Kollege Weisskirchen, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich selbst als Ausbilder und Unternehmer fünfmal inseriert und noch keinen gefunden habe, der bereit ist, dieses mein Ausbildungsplatzangebot anzunehmen, obwohl ich aus einem Gebiet komme, in dem die Jugendarbeitslosigkeit bei über 10 % liegt?

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)


Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1002237600
Wissen Sie,
ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen: Ich kenne ja die Qualität Ihrer Ausbildung nicht.

(Zurufe von der CDU/CSU: Ja, was wollt ihr denn? — Billig! — Unfair! — Weitere Zurufe)

— Ich war Lehrling und habe die Erfahrung gemacht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wo denn?)

— Ich hatte offensichtlich einen besseren Lehrherrn als Sie.
Wissen Sie, das Problem ist, daß den jungen Menschen — das sage ich sehr wohl auch selbstkritisch
— weder Sprüche helfen, die der Herr Bundeskanzler macht, weder helfen ihnen Anzeigen, in denen man Versprechungen macht, die man nicht einhalten kann, noch hilft den jungen Menschen Polemik.

(Demonstrative Zustimmung bei der FDP — Lachen bei der CDU/CSU)

Was zählt, werden die Ausbildungsplätze sein, die am Ende dieses Jahres den jungen Menschen angeboten werden. Das zählt!

(Zurufe von der CDU/CSU)

Unser Sofortprogramm ist eine Hilfe für diejenigen, die solche Ausbildungsplätze zusätzlich zur Verfügung stellen wollen.

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002237700
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich glaube, das ist gerade eine gute Stelle, um Schluß zu machen.

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1002237800
Ich bedanke mich dafür, daß wir in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages und im Plenum die Gelegenheit haben werden, die Regierung und die sie tragenden Parteien endlich zu zwingen, Farbe zu bekennen, was sie denn tun wollen, um Ihren Versprechungen auch Taten folgen zu lassen.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002237900
Das Wort hat Frau Abgeordnete Männle.

Prof. Ursula Männle (CSU):
Rede ID: ID1002238000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Müller, wir rechnen durchaus mit den Mädchen. Deswegen möchte ich auch den Schwerpunkt meiner Ausführungen auf die Probleme der Mädchen legen, die von der Arbeitslosigkeit betroffen sind. Ich werde das in ei-



Frau Männle
nem sachlichen Ton und nicht in billiger Polemik machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Jugend-Enquete-Bericht kann man einen interessanten Satz entdecken. Da heißt es: „Die Diskussion um die Jugend darf sich nicht einseitig an einem männlichen Lebensentwurf orientieren." Die Besonderheit — oder Sie können auch sagen: die Benachteiligung — der Mädchen zeigt sich am deutlichsten in dem nun seit Jahren bestehenden überproportional hohen Arbeitslosenanteil gegenüber den Jungen. Ein Vergleich der Arbeitslosenquoten von 1973 auf 1980 zeigt, daß diese Schere immer größer wird. So sind 4,7 % der unter 20jährigen Mädchen und 5,8% der bis zu 24jährigen jüngeren Frauen arbeitslos, während dieser Prozentsatz bei den männlichen Jugendlichen beider Altersgruppen 1,4% beträgt, Dunkelziffern gar nicht mitgerechnet.
Die Ursachen sind seit Jahren bekannt und in vielen Berichten jeweils dargelegt. Ich darf nur einige herausgreifen. Der Anteil der Mädchen in der betrieblichen Ausbildung beträgt nur 39 % gegenüber 61% bei den Jungen. Mädchen weichen weitgehend in schulische Ausbildung aus, die sie dann anschließend nur schlecht einen Arbeitsplatz finden läßt.
In bezug auf die Berufswahl der Mädchen ist die Konzentration auf nur wenige Berufe ebenfalls ein Faktor. Wir wissen, daß die meisten Mädchen Verkäuferin, Friseuse, Bürokauffrau und Arzthelferin werden wollen.

(Zuruf von der SPD: Müssen!)

Hier hat sich schon einiges gelockert, aber dennoch kann man diese Konzentration feststellen.
Die Ausbildungsgänge der Frauen sind darüber hinaus in der Regel kürzer und qualitativ weniger attraktiv als die der Männer. Nur für Männer werden normalerweise in den Fertigungsberufen Ausbildungsplätze angeboten. Ausbildungsplätze, die Frauen offenstehen, werden vorwiegend in Dienstleistungsberufen angeboten. Wir alle wissen, daß durch die Entwicklung der neuen Technologien hier im Rahmen der weiteren Rationalisierung Gefährdungen auftreten können.
Wir wissen auch — das ist ein weiterer Punkt —, daß die Bereitschaft sinkt, Mädchen auszubilden, solange genügend männliche Bewerber zur Verfügung stehen. Hier wirken leider immer noch traditionelle Vorurteile und andere Überlegungen. Diese überkommenen Einstellungen spielen hier eine Rolle.
Wir wissen auch, daß die weitreichende Schutzgesetzgebung nur für Frauen mit eine entscheidende Ursache dafür ist, daß Mädchen der Zugang zu vielen Berufen erschwert wird.
Ich darf einige Therapieansätze bringen. Nachdem die Redezeit insgesamt gekürzt worden ist, muß ich das jetzt in einem kurzen Durchgang machen.
Ich kann das, was in dem Bericht der Bundesregierung zu den grundsätzlichen Fragen der Berufsausbildung ausgeführt ist, nur unterstreichen. Die Bundesregierung kommt in diesem Bericht zu der Erkenntnis, daß die Ausbildungschancen junger Frauen weiter verbessert werden könnten, wenn alle Ausbildungsplätze gleichermaßen für Jungen und Mädchen angeboten würden. Auch freiwillige Frauenförderungspläne zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungs- und Arbeitsplätze, vor allen Dinge natürlich auch im öffentlichen Dienst und nicht nur in der Wirtschaft, könnten hilfreich sein.
Frau Minister hat schon in Teilaspekten auf das Benachteiligtenprogramm hingewiesen. D as ist auch etwas, was zu berücksichtigen ist.
Wir wissen auch, daß Jugendarbeitsschutz und andere Gesetzesvorschriften dazu beitragen, daß die Frauenbeschäftigung hintansteht. Denken Sie z. B. an die unsinnige Bestimmung, daß keine Mädchen eingestellt werden können, wenn Damentoiletten 50 Meter zu weit entfernt sind.
Wir unterstützen auch als Fraktion die Initiative der Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft, mehr Ausbildungsplätze für Mädchen in den Krankenpflegeberufen zur Verfügung zu stellen. Wir wissen, daß hier zwar zunächst eine Überlastquote entsteht, aber wir meinen, daß durch die zukünftigen geburtenschwächeren Jahrgänge die Zahl der Krankenpflegeschülerinnen eher zurückgehen wird.
Eine weitere Möglichkeit, den Lehrstellenmangel zu verringern, ist die Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze im hauswirtschaftlichen Bereich. Denken Sie daran, daß man hier durch steuerliche Erleichterungen teilweise durchaus Abhilfe schaffen kann.

(Zurufe von der SPD)

Ganz entscheidend aber ist es, daß es uns gelingt, durch überzeugende Konzepte zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf den Mädchen frühzeitig Lebensperspektiven aufzuzeigen, um sie nicht sozusagen im Regen stehen zu lassen, wenn sie nach einigen Jahren ausschließlicher familiärer Widmung ganz oder teilweise wieder in den Beruf zurückkehren wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch hier könnte der öffentliche Dienst Vorbildfunktion übernehmen.
Meine Damen und Herren, der Jugend-EnqueteBericht schildert die heutige Mädchengeneration als optimistisch, engagiert, flexibel und leistungsbereit. An unserer Politik liegt es, daß diese positiven Erwartungen in die Zukunft nicht in Resignation oder Protest umschlagen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002238100
Wenn jemand, kurz bevor er redet, seine Redezeit ein wenig eingeschränkt bekommt, dann ist es schon eine Leistung, die Be-



Vizepräsident Westphal
achtung finden sollte, wenn er das dann auch schafft. Das sei anerkannt.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, wir sind am Ende dieser Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 7 a und 7 b an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge stehen in langer Reihe auf der Tagesordnung; Sie ersehen das aus den Vorschlägen des Ältestenrates. Sind Sie mit den Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Zuschüsse zum tariflichen Vorruhestandsgeld (Vorruhestandsgeldgesetz — VRGG)

— Drucksache 10/122 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung verlangt? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordneten Weinhofer.

Karl Weinhofer (SPD):
Rede ID: ID1002238200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor der Sommerpause brachte die SPD-Bundestagsfraktion den uns heute vorliegenden Gesetzentwurf über Zuschüsse zum tariflichen Vorruhestandsgesetz im Plenum ein. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren der Koalition, lehnten damals bereits in erster Lesung den Gesetzesantrag ab. Wir Sozialdemokraten begrüßen es, daß Sie sich heute wenigstens der Notwendigkeit stellen, auf unsere Argumente einzugehen, und sich nicht ständig vor der Entscheidung drücken, dies um so mehr, als doch die CDA und selbst der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Ernst mit der Vorruhestandsregelung machen wollen.
Wir sind ja in diesem Punkte einiges gewöhnt, so z. B., daß der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung gerade vor der Bundestagswahl dieses Jahres mit dem dicken Packen der Versprechungen hausieren ging, um anschließend monatelang mit den dünnen Lippen des Schweigens zu glänzen.

(Beifall bei der SPD)

Ein halbes Jahr ist nun vorbei, und diese Bundesregierung hat es nicht für notwendig erachtet, konkrete Schritte zu unternehmen, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen

(Zuruf von der CDU/CSU: Von wem reden Sie denn?)

und in bestimmten Bereichen einzudämmen. Dies bestätigt selbst Herr Albrecht in einer seiner Thesen.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Wir Sozialdemokraten haben stets die Notwendigkeit der Arbeitszeitverkürzung in unterschiedlichster Form bejaht, nicht erst vor Wahlkämpfen.

(Dr. Miltner [CDU/CSU]: Aber nichts beschlossen!)

Tatsache ist, daß die sozialdemokratischen Arbeitsminister Ehrenberg und Westphal in der alten, der sozialliberalen Koalition die Initiative zur Verwirklichung des Döding-Plans ergriffen haben. Es waren die FDP und insbesondere Graf Lambsdoff, die damals im Wege gestanden haben. Damals wie heute ist es die FDP, die das Vorruhestandsgeld ablehnt und statt dessen die Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze mit versicherungsmathematischen Abschlägen propagiert. Ich hoffe, daß die Presseberichte mit der Überschrift „Blüm macht mit der Tarifrente Ernst" diesmal stimmen und die Vorstöße nicht rein taktischer Natur sind.

(Dreßler [SPD]: Hoffnungsloser Optimist!)

Bislang gibt es keine verbindliche positive Stellungnahme eines CDU- oder CSU-Gremiums zum Vorruhestandsgeld. Wir sind uns dessen bewußt, daß bestimmte Teile der CDU/CSU wie der FDP die Verknappung der Arbeit ausnutzen, um durch den Druck der Arbeitslosigkeit vermeintliche alte Arbeitstugenden zurückzugewinnen. Ich finde es angesichts des Reichtums unserer Gesellschaft einfach beschämend, daß 90 bis 95% unserer Beschäftigten oft bis zur Erschöpfung arbeiten, während 5 bis 10 % zum Nichtstun verurteilt sind.

(Beifall bei der SPD)

Ich meine, daß dein wachsenden Heer der Arbeitslosen nicht mit dem Streit zwischen angebots-
und nachfrageorientierter Wirtschaftspolitik gedient ist. Die Arbeitslosen erwarten von den politischen Parteien praktische Lösungen, damit sie Arbeit erhalten.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb wäre auch ein öffentlicher Streit sinnlos, welche Form der Arbeitszeitverkürzung die bessere ist. Man sollte es vielmehr den Tarifparteien in ihren jeweiligen Bereichen überlassen, die beste Form zu suchen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr vernünftig!)

Deshalb wollen wir Sozialdemokraten den Gesetzgeber mit unserem Ihnen vorliegenden Vorschlag dazu bringen, Hilfen für tarifvertragliche Anstrengungen zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit zu geben. Dies setzt allerdings auch voraus, daß der Staat sich finanziell engagiert, was auch möglich ist, da im Gegenzug Zahlungen an Arbeitslose eingespart werden.

(Zuruf von der SPD: Nicht nur bei der Vermögensteuer!)




Weinhofer
Unsere Pläne sehen vor: Arbeitnehmer, die mindestens 58 Jahre alt sind und denen aus Anlaß ihres vorzeitigen Ausscheidens bis zum frühestmöglichen Rentenbeginn auf Grund eines Tarifvertrages eine laufende Geldzahlung gezahlt wird, sollen ergänzend hierzu von der Bundesanstalt für Arbeit ein gesetzliches Vorruhestandsgeld erhalten. Dabei soll dem vorzeitig ausscheidenden Arbeitnehmer eine aus tarifvertraglicher und gesetzlicher Leistung zusammengesetzte Gesamtversorgung zustehen, die mindestens 75 % des letzten Nettoentgeltes erreicht. Voraussetzung für die Zahlung des gesetzlichen Vorruhestandsgeldes ist die Wiederbesetzung des frei werdenden Arbeitsplatzes mit einem Arbeitslosen, die gegenüber dem Arbeitsamt in der Regel durch ein Testat des Betriebsrates nachgewiesen werden soll. Im Gegensatz zur jetzigen Regierung, die ungezielt Steuergeschenke in einem Umfang von 3,5 Milliarden DM an die Unternehmen verteilt — in der Hoffnung, arbeitsmarktpolitische Effekte zu erzielen —, ist bei unserem Vorschlag, dessen Verwirklichung nur etwa 500 Millionen DM, also nur ein Siebtel des zuvor genannten Betrages kostet, die Gewähr gegeben, daß jeder frei werdende Arbeitsplatz auch tatsächlich zur Beschäftigung eines arbeitssuchenden Menschen führt.

(Beifall bei der SPD)

Außerdem gehen wir Sozialdemokraten davon aus, daß es vernünftiger ist, für einen älteren Arbeitnehmer die Rente zu zahlen, als für einen jungen Menschen Arbeitslosenunterstützung zu zahlen.

(Beifall bei der SPD)

Dies darf aber nur das Angebot für ein freiwilliges vorzeitiges Ausscheiden und nicht etwa die Zwangsverrentung bedeuten. Wenn auch ein Wandel in der Einstellung zur Arbeit feststellbar ist, so wird die Arbeit doch als Sinngebung des Lebens angesehen. Die Verkürzung der Lebensarbeitszeit bedeutet deshalb, gesundheitspolitisch gesehen, auch ein Stück Humanisierung des Arbeitslebens.
Eine humane Sozialpolitik muß darauf abzielen, daß gerade die Jahrgänge, die durch eine Frühverrentung in den Jahren 1984, 1985 und folgende aus dem Erwerbsleben ausscheiden, also die Jahrgänge 1922, 1923 und folgende, keine zusätzlichen Belastungen aufgebürdet erhalten. Es sind dies die Jahrgänge, die die größten Opfer im Krieg, in Gefangenschaft, im Wiederaufbau geleistet haben und deren Angehörige zumeist keine Gelegenheit fanden, ihren Wunschberuf zu ergreifen. Von dieser Generation darf und kann kein Opfer im Interesse der jüngeren Generation dahingehend verlangt werden, daß sie untragbare finanzielle Einbußen bei einer möglichen Frühverrentung erleidet.
Wir Sozialdemokraten fordern deshalb, daß das Vorruhestandsgeld 75 % des früheren Nettoarbeitseinkommens betragen muß. Ebenso wie das Arbeitslosengeld soll es steuerfrei bleiben. Die Empfänger von Vorruhestandsgeld bleiben in der Kranken- und Rentenversicherung pflichtversichert. Beiträge sind nur vom ehemaligen Arbeitgeber zu entrichten und werden nach dem früheren Bruttolohn berechnet. Der staatliche Zuschuß beträgt zwei Drittel des Vorruhestandsgeldes einschließlich der
Aufwendungen für die Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge.
In der Bundesrepublik, meine sehr verehrten Damen und Herren, gibt es rund 900 000 Arbeitnehmer, die das 58. Lebensjahr vollendet haben und durch dieses Gesetz leistungsberechtigt würden, falls für sie ein Tarifvertrag abgeschlossen würde. Wir nehmen an, daß in der Anlaufphase des Gesetzes ca. 100 000 Personen das Vorruhestandsgeld beanspruchen könnten. Vorsichtig gerechnet könnten damit zunächst etwa 90 000 Arbeitslose eine Stelle finden.
Die Arbeitslosenstatistik der Bundesrepublik zeigt, daß mehr als die Hälfte der vergeblich einen Arbeitsplatz Suchenden ungelernte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sind. Und wir wissen, daß der technische Fortschritt und neue Organisationsformen heute und in Zukunft insbesondere Arbeitsplätze vernichten, für die keinerlei Ausbildung notwendig ist. Eine humane Sozialpolitik muß darauf abzielen, daß die Menschen, die von ihren Voraussetzungen her benachteiligt sind, nicht an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.

(Beifall bei der SPD)

Es gehört zum sozialen Wohlbefinden einer Nation, daß in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit Prinzipien wie Gerechtigkeit und Solidarität nicht entwertet werden.

(Beifall bei der SPD)

Dort, wo die Menschen in den oberen Rängen flexibel, selbstbestimmt arbeiten, wo die Leute ihre eigenen Aufpasser sind, loyal, leistungsbewußt, lebensversichert und gewinnbeteiligt, muß sich Solidarität für diejenigen breitmachen, die in den unteren Rängen nach dem alten Muster malochen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Dort gelten weiterhin kollektive Tarifverträge mit mechanischen Arbeitszeiten und fixen Lohnregelungen. Werden dort gleitende Arbeitszeiten oder ähnliches eingeführt, sind sie streng überwacht wie die Arbeit selber.
Wer ruft denn am lautesten nach der Auflösung fester Zeitgrenzen? Es ist die Industrie, weil ihr Kapital arbeiten muß. Auch wir Sozialdemokraten sind für neue Ideen und Vorhaben wie die Einführung der 35-Stunden-Woche offen. Heute haben wir den Punkt erreicht, wo der Einsatz von mehr Kapital zwar den Anstieg der Produktivität impliziert, aber nicht zwangsläufig mehr Wachstum. Wir brauchen Jahr für Jahr ca. 3% Wirtschaftswachstum, um nur den Beschäftigungsschwund durch den Anstieg der Produktivität auszugleichen. Und selbst der notorische Aufschwungprophet, Bundeskanzler Helmut Kohl, wagt es nicht, ein Wachstum von mehr als 3 % vorauszusagen.

(Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Wo ist er denn wieder?)

Wir werden durch die Rationalisierung zusätzlich Druck auf den Arbeitsmarkt erfahren und zusätzlich bis 1989 Jahr für Jahr weitere Belastungen durch die Zunahme der Erwerbsbevölkerung. 3 Mil-



Weinhofer
lionen bis 3,5 Millionen Arbeitslose fragen nicht nach dem ideologischen Streit der Koalitionsparteien, sondern sie fragen in erster Linie, ob das für sie Notwendige getan wurde.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt bei den Unternehmern welche, die argumentieren, Arbeitszeitverkürzungen seien nicht angebracht, weil später wegen der rückläufigen Geburtenentwicklung Arbeitskräfte fehlten. Ich meine, daß eben diese Behauptung bestätigt, daß sich die Verkürzung von Lebens-, Jahres- und Wochenarbeitszeit positiv auf den Abbau der Arbeitslosigkeit auswirkt. Es wird selbst in den Reihen der CDU/CSU nicht verstanden, daß der Kollege George in seinem berüchtigten Papier unter anderem behauptet hat,

(Zuruf von der SPD: Wo ist Herr George?)

— er ist nicht da — Arbeitszeitverkürzungen seien beschäftigungsschädlich.
Es muß sich allerdings erst noch herausstellen, ob sich die Blümsche Verschlußsache für eine Vorruhestandsregelung als ein Sprung nach vorne erweist oder ob die Herren Lambsdorff, Albrecht und George mit ihren Konzepten und Rezepten die Rolle rückwärts vollziehen.

(Zuruf von der SPD: Das steht zu befürchten!)

In deren Konzepten, meine Damen und Herren, wird nicht der Abbau von Arbeitszeit, da wird der Abbau von sozialen Leistungen, von Rechten propagiert.

(Beifall bei der SPD)

Ich meine, es darf angesichts der Hessen- und Bremenwahl nicht passieren, daß es dem Bundesarbeitsminister wieder gelingt, mit den dicken Bakken der Versprechungen durch das Land zu ziehen und nach der Wahl mit den Lippen des Schweigens zum Problem der Arbeitslosigkeit dazustehen.

(Beifall bei der SPD)

Unser Entwurf zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit ist finanzierbar. Die Tarifparteien bringen rund 835 Millionen DM auf. Die Bundesanstalt für Arbeit zahlt Zuschüsse in Höhe von 1,67 Milliarden DM. Gleichzeitig werden in der Gegenrechnung rund 1,15 Milliarden DM Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe eingespart, so daß der Bund nur mit einem Nettoaufwand von 520 Millionen DM zu rechnen hat.
Ferner werden für die gesetzliche Rentenversicherung Beitragsmehreinnahmen in Höhe von rund 315 Millionen DM, für die gesetzliche Krankenversicherung von rund 30 Millionen DM erwartet. Wir Sozialdemokraten gehen davon aus, daß sich das Vorruhestandsgeld deshalb zu einem großen Teil durch Einsparungen beim Arbeitslosengeld und bei der Arbeitslosenhilfe refinanziert.

(Zuruf von der SPD: Dies ist richtig!)

In der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 4. Mai 1983 heißt es unter anderem:
... die Bundesregierung bejaht eine flexiblere Gestaltung des Arbeitslebens. Eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit darf jedoch nicht zu einer zusätzlichen Gesamtbelastung der Wirtschaft und der öffentlichen Finanzen führen.
Dies bedeutet doch im Klartext, daß es wiederum nur die Arbeitnehmer und die Angestellten sind, die Sie zur Kasse bitten.

(Beifall bei der SPD)

900 000 Arbeitnehmer über 58 Jahre sind in der Bundesrepublik beschäftigt. Wenn auf Grund entsprechender Tarifverträge etwa die Hälfte von einem Vorruhestandsangebot ab dem 58. Lebensjahr Gebrauch machen würde, gäbe es eine wesentliche Entlastung des Arbeitsmarktes und entsprechende Chancen für jüngere und mittlere Jahrgänge, eine vernünftige Position zu finden.
Die Verkürzung der Lebensarbeitszeit ist deshalb nur ein Teil unserer Strategie, um die Arbeitslosigkeit zu überwinden. Wir werden weitere geeignete Maßnahmen von seiten der Gewerkschaft wie der Unternehmer unterstützen, insbesondere eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit, um die Arbeitslosigkeit abbauen zu helfen und damit das soziale Wohlbefinden unseres Volkes zu verbessern.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002238300
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

(Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Jetzt kommt der flotte Sprüchemacher!)


Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1002238400
Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! In der Tat, wir können die Diskussion hier als Austausch von Vorwürfen führen oder wir können sie als einen Wettbewerb um die besseren Lösungen führen. An beidem kann ich teilnehmen.

(Zurufe von der SPD)

Wenn Sie sich darüber beschweren, wir hätten nach einem Jahr noch keinen Gesetzentwurf vorgelegt. dann nehme ich an Ihnen Maß: Sie waren 13 Jahre in der Regierung und haben keinen Gesetzentwurf vorgelegt.

(Widerspruch bei der SPD)

Lieber Kollege Weinhofer, darf ich noch einmal die Frage nach Ihrem Verständnis von Wirtschaft und Gesellschaft stellen. Aus dem Satz in der Regierungserklärung, daß flexiblere Lösungen keine zusätzliche Belastung von Wirtschaft und öffentlichen Kassen hervorrufen sollen, schließen Sie, daß die Arbeitnehmer es bezahlen sollen. Offenbar übersetzen Sie Wirtschaft mit Arbeitgeber. Das ist allerdings ein frühkapitalistischer Standpunkt. Für uns ist Wirtschaft Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Beide gehören zur Wirtschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich sehe in dem Thema Arbeitszeit nicht nur eine arbeitsmarktpolitische Dimension. Es geht nicht nur um eine arbeitsmarktpolitische Defensive, sondern es geht auch um eine Initiative in Sachen Humanisierung.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983 1559
Bundesminister Dr. Blüm
Insofern sollten wir dieses Programm nicht nur als eine Verteidigung in schwierigen beschäftigungspolitischen Lagen vorstellen und vortragen.
Ich sehe, daß Fragen der Arbeitszeit und die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen für die Beschäftigungspolitik nicht reichen. Wir brauchen Investitionen, wir brauchen Qualifikationen. Wir sind uns sicherlich einig, daß es keinen Königsweg gibt, sondern viele Wege, die zum Ziel führen. Auf einem Weg wird auch die Arbeitszeit ihren Beitrag leisten müssen.
Die Bundesregierung wird immer Arbeitszeitmaßnahmen vorziehen, bei denen Flexibilität und nicht Starrheit das Erkennungsmerkmal ist.

(Zuruf von der SPD: Was heißt das denn?)

Wir werden immer Arbeitszeitverkürzungen vorziehen, die ein freiheitliches Angebot sind gegenüber Zwangsmaßnahmen. Das heißt ganz konkret, daß eine Verordnung der 35-Stunden-Woche für uns in der Prioritätenskala ganz unten und ein flexibles Angebot ganz oben steht, das ist ganz konkret.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Ich denke, daß in diesem Programm Arbeitszeit ja auch ein Stück Selbständigkeit enthalten sein muß, die Selbständigkeit der Arbeitnehmer zu erhöhen, nämlich beispielsweise selber das Datum zu bestimmen, an dem man aus dem Erwerbsleben ausscheidet, selbst zu bestimmen, wie man sich seine Arbeit einteilt — nicht nur die einfache Alternative Vollerwerb oder gar kein Erwerb. Deshalb gehört auch das Programm Teilzeit in unser Programm „Humanisierung plus arbeitsmarktpolitische Entlastung".
Meine Damen und Herren, es gibt ja eine Reihe von Vorschlägen aus dem Bereich der Gewerkschaften, die gerade diese Forderungen erfüllen. Es ist j a keineswegs so, daß nur die Dampfwalze der 35-Stunden-Woche daß einzige gewerkschaftliche Angebot wäre. Ich will für die Bundesregierung gerne darstellen, daß wir die Vorschläge aus dem Bereich der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten aus dem Bereich der Gewerkschaft Chemie prüfen. Wir halten sie für besser als — ich wiederhole es — die Dampfwalze der 35-Stunden-Woche. Diese geht über Klein- und Großbetriebe hinweg und verschärft möglicherweise im Kleinbetrieb die Arbeitsmarktprobleme.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002238500
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen?

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1002238600
Bitte, j a. — Ich darf nur noch klarstellen, daß ich nicht gesagt habe, daß Wochenarbeitszeit tabuisiert werden könne. Es gab immer Wochenarbeitszeitverkürzungen, das ist ja gar nichts Neues. Ich habe nur eine Prioritätenskala aufgestellt und gesagt, daß die freiheitlichen, flexiblen Lösungen den starren Zwangsmaßnahmen vorzuziehen sind. — Bitte schön, Herr Kollege!

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002238700
Herr Abgeordneter Dreßler!

Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1002238800
Herr Minister, Sie haben gerade erklärt, daß Sie die Vorschläge der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gastsätten vorziehen und sie einer Prüfung unterziehen.
Bei mir implizierte das, daß Sie diesen Vorschlägen sehr aufgeschlossen gegenüberstehen. Wenn ich Sie nun darauf hinweise, daß unser Gesetzentwurf, über den wir hier debattieren, exakt diesen Vorstellungen entspricht, darf ich dann der Erwartuang Ausdruck geben, daß Sie den Vorschlag der SPD-Fraktion, der identisch ist mit Ihrer gerade genannten Intention, ebenso begrüßen?

(Beifall bei der SPD)


Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1002238900
Herr Kollege Dreßler, ich werde Sie gleich, wenn Sie es wünschen, sofort, auf die Schwachstellen Ihres Vorschlages, auf die Rechenfehler in Ihrem Vorschlag hinweisen.
Beispielsweise rechnen Sie in Ihrem Vorschlag mit einer Leistungsempfängerquote von 80 %. Um das aus diesem Fachchinesisch herauszubringen: Die Ersparnis der Bundesanstalt für Arbeit ist um so größer je mehr Arbeitslose, die eine Leistung erhalten, von dieser Vorruhestandsregelung begünstigt werden. Sie rechnen mit einer Leistungsempfängerquote von 80% Arbeitslosen, die eine Leistung erhalten würden. Tatsächlich haben wir in diesem Jahr eine Leistungsempfängerquote von 68 %. Wie kommen sie eigentlich dazu? Meinen Sie, qua Beschluß könnten Sie die Leistungsempfängerquote auf 80 % erhöhen? Sie haben eine Rechnung gemacht, die eine Summe vorgibt, und sich anschließend die Zahlen nach gustus zusammengesetzt. Wenn schon, dann seriös. Ihres ist ein unseriöser Vorschlag, weil er mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. Dies ist der erste Punkt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweiter Punkt: Sie rechnen mit einer Wiederbesetzungsquote von 90%. Meine Damen und Herren, ich sage es gar nicht mit Schadenfreude: Schön wär's, wenn es eine Wiederbesetzungsquote von 90% gäbe. Alle Erfahrung, alle Praxis spricht leider dafür, daß die Wiederbesetzungsquote wesentlich niedriger ist.
Also stimmen die Zahlen Ihrer Rechnung nicht. Die Treffsicherheit dessen, was Sie hier vortragen, hat die Streubreite einer Schrotflinte, aber nicht die Treffsicherheit, die von einer seriösen Gesetzgebung erwartet wird. Sie sehen, Herr Dreßler, ich beschäftige mich ganz konkret mit ihrem Vorschlag, weil ich glaube, daß wir in einen Wettbewerb um die besseren Vorschläge eintreten sollten.
Drittens: Sie haben die Lücke der 59er-Regelung nicht geschlossen. Kenner unter Ihnen werden wissen, was es bedeutet, daß ein 59jähriger nach einjähriger Arbeitslosigkeit mit 60 Jahren in die Rente eintreten kann. Wenn Sie diese Lücke nicht schließen, ist das für den Unternehmer wesentlich billiger als eine Vorruhestandsregelung. Warum sollte eine Vorruhestandsregelung ziehen, wenn die 59er-Re-
1560 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. September 1983
Bundesminister Dr. Blüm
gelung viel billiger ist und nicht mit einer Wiederbesetzungsvorschrift verbunden ist.
Meine Damen und Herren, ich glaube schon, daß wir in dieser Frage auch auf die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften angewiesen sind. Das will ich ausdrücklich bekennen. Denn die Gewerkschaften sind näher am Ball. Was für die eine Branche richtig ist, muß nicht für die andere gelten. Ich halte nichts von einer Sozialpolitik, des „Entweder für alle oder für niemand". Ich glaube, die Chancen liegen in der Differenzierung. Deshalb brauchen wir den Tarifvertrag. Er ist spezifischer. Wir können zwar ein Rahmengesetz, aber nicht die Lösung bieten.

(Zurufe von der SPD)

— Wenn Sie mit mir übereinstimmen, brauchen Sie doch nicht aufgeregt dazwischenzurufen.
Ich glaube, daß die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften auch deshalb wichtig ist, weil es keine Arbeitszeitpolitik ohne Rücksicht auf die Einkommenspolitik gibt. Sie können den Kuchen nicht zweimal essen, und was man für die Arbeitszeitverkürzung weggenommen hat, landet nicht mehr in der Lohntüte. Da der Staat allerdings keine Zuständigkeit bei der Einkommensfindung hat — wir achten ja die Tarifautonomie —, gibt es hier nur die Hauptverantwortung der Tarifpartner.
Ich sehe sehr wohl, daß von uns auch das Thema Teilzeitarbeit angegangen werden muß. Ich will nicht leugnen, daß hier Mißbrauchsmöglichkeiten enthalten sind. Nur wollen wir dann gemeinsam versuchen, den Mißbrauch zu verhindern, ohne den richtigen Gebrauch gleichzeitig mit abzuschaffen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002239000
Herr Abgeordneter Glombig wünscht eine Zwischenfrage zu stellen.

Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID1002239100
Ist Ihnen eigentlich entgangen, daß unser Gesetzentwurf das Angebot für die Tarifvertragsparteien ist,

(Beifall bei der SPD)

d. h., daß wir mit diesem Gesetzentwurf den Rahmen schaffen wollen, damit die Tarifvertragsparteien, die etwas machen wollen, auch in der Lage sind, das zu machen, so daß das nicht für irgend jemand ein Zwang ist?

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1002239200
Herr Kollege Glombig, ich weiß nicht, warum Sie sich diesen Schuh angezogen haben. Nicht in jeder meiner Bemerkungen ist eine Kritik an Ihnen oder Ihren Freunden enthalten. Ich habe nur gesagt: Ihre Rechnung stimmt nicht. Weil die Rechnung nicht stimmt, ist es ein unseriöser Vorschlag. Wo wir übereinstimmen, brauchen wir diese Übereinstimmung in der Tat ja nicht zu verheimlichen.
Ich wollte das Thema Flexibilität ausweiten, und zwar nicht nur auf das Thema Lebensarbeitszeit.

(Jaunich [SPD]: Kommen Sie zur Sache!)

— Das ist sehr zur Sache. Meine Damen und Herren, Sie dürfen in diesem Parlament doch nicht
bestimmen, was Sache ist. Die Regierung muß schon selber mitbestimmen können, was die Sache ist, die sie für richtig hält.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal zum Thema flexible Lebensarbeitszeit auch unter dem Gesichtspunkt des Alters hier einen Beitrag leisten. Ich glaube, dieses Gesetz darf nicht so verstanden werden, als sollten die Alten aus der Gesellschaft herausgedrängt werden. Das Thema Alter stellt sich uns ganz neu, weil die dritte Lebensphase mit und ohne Arbeitszeitverkürzung noch einmal ein eigenständiger Abschnitt ist. Wenn wir unsere ganzen Lebensgewohnheiten, unser Prestige nur an Erwerbsgewohnheiten festmachen, dann werden wir mit den Alten in der Sackgasse landen, dann werden wir in Sinnlosigkeit landen.
Deshalb brauchen wir auch im Zusammenhang mit der Verkürzung von Lebensarbeitszeit eine Aufwertung des Alters als einer eigenständigen Lebensphase mit eigener Würde und mit eigenen Aufgaben. Ich glaube, gerade auch vom Alter könnte ein Beitrag zur Entkrampfung einer harten Leistungsgesellschaft ausgehen. Vom Alter könnte ein Beitrag zu einer neuen Nachbarschaftskultur ausgehen. Von den Alten könnte auch eine Aufwertung des Ehrenamtes, der Mitarbeit in Parteien und Gewerkschaften ausgehen. Wenn wir die Lebensarbeitszeit nur verkürzen, ohne gleichzeitig den freigewordenen Raum mit einer neuen Kultur der Mitmenschlichkeit, des Ehrenamtes zu erfüllen, dann führt das Programm der Arbeitszeitverkürzung in die Sinnlosigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1002239300
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoss.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1002239400
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst etwas zu Herrn Blüm sagen. Es wird sicher nicht bezweifelt, daß Herr Blüm auf der Suche nach Lösungen im sozialpolitischen Bereich ist. Aber wir müssen zugleich auch zur Kenntnis nehmen, daß sein Spielraum, in diesem Bereich flexible und freiheitliche Lösungen zu finden, doch enger geworden ist angesichts der Dinge, die wir bei der Haushaltsdebatte erlebt haben, daß insgesamt auf der Unternehmerseite 3,5 Milliarden DM Plus zu Buche schlagen und etwa 1,5 Milliarden Minus bei denen zu Buche schlagen, die in unserer Gesellschaft in der mittleren und unteren Skala zu finden sind.

(Vorsitz: Vizepräsident Frau Renger)

Es geht auch nicht darum, das möchte in diesem Zusammenhang einmal ganz eindeutig sagen, daß wir, wie Herr Blüm gesagt hat, einen Kuchen nicht zweimal aufteilen können. Es geht uns im Grunde darum, daß der eine Kuchen, den wir zur Verfügung haben, richtig aufgeteilt wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der zweite Kuchen ist eigentlich schon eine Fiktion, die von einigen Dingen ablenken soll.



Hoss
Ich möchte nun zu einigen Dingen, die mir an dem Gesetzentwurf zum Vorruhestandsgeldgesetz der SPD nicht gefallen, Anmerkungen machen. Zunächst glaube ich, daß es richtig ist, diesen Gesetzentwurf in den richtigen Zusammenhang zu stellen. Mir scheint, daß der von der SPD aufgezeigte Zusammenhang zu oberflächlich ist. Der Gesetzentwurf geht nämlich in der Präambel davon aus, daß die Grundlage die ist, daß alle Möglichkeiten der Arbeitszeitverkürzung ausgeschöpft werden müssen. Ich glaube aber, daß das Problem unserer älteren Kollegen weniger ein Problem des Arbeitsmarktes ist, sondern in erster Linie ein menschliches Problem. Wir wissen, daß die meisten unserer älteren Kollegen von 58 an aufwärts ausgelaugt sind, daß die letzten 20 Jahre des Arbeitsverhältnisses und der Betriebsarbeit ihren Tribut gefordert haben, angefangen mit längeren, stressigen Anfahrts- und Abfahrtswegen zu und von der Arbeit bis zu schlechteren Arbeitsinhalten, die man kurz so bezeichnen kann, daß der Arbeiter in den meisten Fällen nicht seine Werkzeuge beherrscht und mit ihnen arbeiten und umgehen kann, sondern im Verlaufe eines technologischen Prozesses heute an Maschinen gestellt wird, wo die Maschine ihn beherrscht und er in Monotonie gelangt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Ergebnis ist — ich will nur die Zahl in Erinnerung rufen —: 80 % der männlichen und 90 % der weiblichen Kollegen scheiden vor dem 62. Lebensjahr aus dem Arbeitsleben aus.

(Schily [GRÜNE]: Hört! Hört!)

Diese Tatsache muß Ausgangspunkt für Überlegungen sein, wenn es darum geht, die Lebensarbeitszeit zu verkürzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es geht nicht darum, unsere älteren Kollegen — ich will diesen menschlichen Gesichtspunkt im Vordergrund sehen — als Schachfiguren auf dem Feld von Arbeitsmarktstrategen zu sehen, die hin und her geschoben werden und die man heute hereinnimmt. Dann wird aber ein Entwurf eines befristeten Gesetzes vorgelegt, das nur bis 1987 gilt und in dem man ganz deutlich sagt, daß man das dann, wenn auf dem Arbeitsmarkt eine andere Situation eintreten sollte, wieder zurücknimmt.
Ausgehend von der menschlichen Seite unserer älteren Kollegen ist die Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze geboten. Darauf sollten wir uns alle in diesem Haus konzentrieren. Dabei muß eine Lösung gefunden werden, die nicht von den Gedanken getragen wird, die der Herr Albrecht mit seinen Thesen aufgeworfen hat oder die der Herr Abgeordnete Haimo George geäußert hat, von denen wir wissen, daß ihnen die Kürzungsmaßnahmen der Regierung noch viel zu gering sind.
Wenn jetzt gesagt wird, daß das nicht ginge — diese Argumente wurden auch von dem SPD-Staatsminister Clauss in der Bundesratsdebatte vorgetragen, der sagte: Die Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für alle auf 60 Jahre, wir sagen: auf 59 Jahre, ist zwar die beste Lösung, aber sie geht finanziell nicht —, dann frage ich: Hat die SPD schon alle Hoffnungen aufgegeben, daß es eine Möglichkeit gibt, die flexible Altersgrenze zu günstigen Bedingungen herabzusetzen? Da muß ich an den Antrag erinnern, den wir gestellt haben und der sich darauf bezieht, daß der Bundeszuschuß aus dem Bundeshaushalt für die Rentenversicherungen in einer Höhe gezahlt wird, die nicht den tatsächlichen Aufwendungen für Fremdleistungen der Rentenversicherung gerecht wird. Wir haben ausgerechnet, daß die Rentenversicherungen jährlich 19 Milliarden DM zuwenig an Zuschüssen vom Bund bekommen, indem die Rentenversicherungen mit Fremdleistungen belastet worden sind, bei denen der Bund eigentlich verpflichtet gewesen wäre, diese Summe zu zahlen. Es sind vom Standpunkt der Rentenversicherung aus die Gelder da. Ich bitte das ganze Haus, besonders die SPD: Wenn es darum geht, für unsere Kollegen etwas zu tun, dann kann es nur über den Weg der Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze gehen und nicht auf dem von euch vorgeschlagenen Weg.
Ich will das beweisen — zweiter Punkt. Das zentrale Anliegen des Vorschlags ist die Wiederbesetzung der Arbeitsplätze. Ein älterer Kollege soll veranlaßt werden auszuscheiden; dafür soll ein jüngerer oder ein anderer Kollege in den Betrieb hineinkommen. Diese Vorgänge grenzen sich auf Betriebe ein, die heute in der Lage sind, trotz Rationalisierungsprozesse ihre Belegschaft zu halten, d. h. die trotz der vorgenommenen Rationalisierung in der Lage sind, ältere Kollegen abzugeben und jüngere einzustellen, die nicht abbauen. Mit diesem Gesetzentwurf werden Tendenzen in den Betrieben unterstützt, daß man ältere, verbrauchte Kollegen aus dem Betrieb herausnimmt und jüngere, frische hereinholt. Das ist durch und durch Unternehmerpolitik.
Das ist durch und durch eine Politik, die nicht die Interessen unserer älteren Kollegen abdeckt. Es führt dazu, daß in solchen Betrieben, die in der Lage sind, ihre Belegschaft zu halten, ein moralischer Druck auf die älteren Kollegen ausgeübt wird — nicht nur von den Personalabteilungen, von denen freundliche Gespräche mit diesen Leuten geführt werden, daß sie nach einer bestimmten Anzahl von Krankheiten und Fehltagen doch besser daran täten, diese Rente zu nehmen, sondern, wie wir wissen, auch von einem großen Teil der Kollegen, die bei diesem Problem nicht durchblicken. Nach diesem Gesetzentwurf kommen unsere älteren Kollegen unter einen ziemlichen moralischen Druck, den wir ablehnen. Uns liegt nichts daran, eine Strategie zu verfolgen, die Rationalisierungs-
und Verschiebungsprozesse zu Lasten der älteren Kollegen in die Betriebe hineinträgt.

(Beifall des Abgeordneten Reents [GRÜNE])

Die Frage, wer das kontrollieren soll, ist dabei noch offen. In dem Gesetzentwurf wird gesagt, es soll kontrolliert werden. Das kann man vielleicht noch im ersten Jahr machen. Es ist für Betriebsräte unmöglich, über Jahre zu kontrollieren, daß auch wirklich der Platz eines älteren Kollegen besetzt wird. Außerdem gibt es noch eine ganze Reihe an-



Hoss
derer Probleme, die dabei auftauchen, die ich jetzt nicht erwähnen will.
Dritter und letzter Punkt: die Finanzierung. Es ist vorgesehen, daß zwei Drittel die öffentliche Hand trägt, vermittelt über die Bundesanstalt für Arbeit, und ein Drittel dieser Vorruhestandsbezüge vom Unternehmer getragen wird. Bei dieser Rechnung fällt völlig unter den Tisch, daß der Betroffene, nämlich der ältere Kollege, mit einem Geld nach Hause gehen muß, das 25% unter seinem bisherigen Nettoverdienst liegt. Es wird hier großzügig über Gelder verhandelt, der Betroffene mit seiner negativen Bilanz wird hier aber nicht eingeführt. Ich denke, daß das zu beachten ist. Nach allen Erfahrungen bezweifle ich auch, daß die Unternehmer bereit sind, dieses Drittel, das sie aufzubringen haben — d. h. wenn sie den neuen Mann einstellen, müssen sie den Lohn für den neuen Mann zahlen plus ein Drittel für den ausgeschiedenen —, auch tragen werden. Sie werden vielmehr bei den laufenden Tarifverhandlungen — im Gesetzentwurf wird schon darauf hingewiesen — das abwälzen. Es werden sicherlich Sozialpläne, die zu machen wären, eingespart, damit der Unternehmer auf seine Kosten kommt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002239500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jaunich?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1002239600
Eigentlich bin ich am Ende; aber gut, Sie können, bitte.

Horst Jaunich (SPD):
Rede ID: ID1002239700
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß bei einer Regelung, wie Sie sie dem Hohen Hause empfohlen haben, nämlich bei einer weiteren Vorverlegung der Grenze für das flexible Altersruhegeld, sich die Einkommenseinbußen ebenfalls mindestens um 25 % gegenüber dem früheren Arbeitseinkommen bewegen würden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1002239800
Ich habe darüber gesprochen, daß beim Bundeszuschuß etwas zu machen ist. Der Gesamtverband der Rentenversicherungsträger und viele andere Verbände sind sich bewußt, daß hier der Bund den Rentenversicherungsträgern nicht die Milliarden gibt, die der Rentenversicherung zustehen. Wenn wir diese Fragen klargekriegt haben, dann finden wir auch die Möglichkeiten, eine Lösung zu finden, die mit den Kollegen zu vereinbaren ist und mit der die Kollegen zufrieden sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich komme zum Abschluß. Ich denke, der gute Wille spricht aus diesem Gesetzentwurf. Ich finde aber, daß dieser Gesetzentwurf ein bißchen etwas von einem Windei hat. Ich glaube, wir sollten uns lieber auf das Wesentliche konzentrieren, nämlich auf die Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für alle älteren Kollegen und nicht für die älteren Kollegen, die in Betrieben arbeiten, denen es noch relativ gut geht, und damit für einen von der Zahl her relativ beschränkten Kreis.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002239900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1002240000
Frau Präsident! Verehrte Kolleginnen! Verehrte Kollegen! In der liberalen Wahlaussage 1983 haben wir gesagt:
Eine Liberalisierung der Arbeitszeit muß in Angriff genommen werden. Maßnahmen der Arbeitszeitverkürzung müssen freiwillig, rücknehmbar und gesamtwirtschaftlich kostenneutral sein.
Ich möchte mich nicht selbst zitieren und verweise deswegen in bezug auf den Gesamtzusammenhang zwischen Kosten und Arbeitsplatzvernichtung auf das, was ich am vorigen Freitag hier von dieser Stelle gesagt habe.

(Lutz [SPD]: Eigene Zitate sind aber nicht sehr einleuchtend!)

— Möglicherweise sind sie für Sie, Egon Lutz, nicht einleuchtend, aber dieses Urteil ist kein Beweis für die Qualität Ihrer Bemerkung.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Entsprechend diesem unserem Wahlprogramm heißt es in der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983:
Die Bundesregierung bejaht eine flexiblere Gestaltung des Arbeitslebens. Eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit darf jedoch nicht zu einer zusätzlichen Gesamtbelastung der Wirtschaft und der öffentlichen Finanzen führen.
Ich gehe auch davon aus, daß die Initiatoren dieses Gesetzentwurfes nicht die Absicht haben, mehr Schaden als Nutzen anzurichten, oder anders ausgedrückt: mehr Arbeitsplätze zu gefährden als neue zu bringen.

(Abg. Lutz [SPD] und Abg. Dreßler [SPD] melden sich zu einer Zwischenfrage — Jagoda [CDU/CSU]: Und die Humanisierung der Arbeitswelt für die Parlamentarier? Nachts um viertel nach zehn noch Fragen stellen! Unmöglich!)

An diesen Kriterien möchte ich den vorliegenden Gesetzentwurf sehr gerne messen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002240100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1002240200
Ich wäre den Kollegen dankbar, wenn sie sich einigen würden, wer von den beiden die Zwischenfrage stellt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002240300
Soweit ich gesehen habe, hat sich der Kollege Dreßler zuerst gemeldet.

(Zurufe von der SPD)


Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1002240400
Herr Kollege Cronenberg, nachdem Sie gerade den Satz aus der Regierungserklärung zitiert haben: Darf ich daraus entnehmen, daß die FDP-Fraktion, für die Sie hier reden, einen Gesetzentwurf zur Vorruhestandsregelung, der diese Prämissen unmöglich erfüllen kann, logischerweise



Dreßler
ablehnen würde, mit der Folgerung, daß es keinen gibt?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1002240500
Mit der Logik ist das so eine Sache.

(Lachen bei der SPD)

Ich glaube in der Tat, daß diese Prämissen einen sinnvollen Gesetzentwurf ermöglichen, einen Entwurf, der auch Ihren Intentionen gerecht werden kann.

(Abg. Lutz [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Nein, bitte keine weitere Zwischenfrage. Aber vielleicht beruhigt es ein wenig, wenn ich jetzt erkläre, daß ich es an Ihrem Gesetzentwurf für sehr begrüßenswert halte, daß die Forderung vorausgestellt wird, es bedürfe in erster Linie der gemeinsamen Anstrengungen der Tarifvertragsparteien, und daß dieser Grundsatz auch nach Ihren Vorstellungen Priorität gegenüber anderen Überlegungen hat.

(Zurufe von der SPD)

— Sehen Sie, da haben wir schon einmal ein ordentliches Stück Übereinstimmung.
Ich möchte noch einmal wiederholen, was ich von dieser und anderer Stelle schon des öfteren gesagt habe: Die Regelungen in der chemischen Industrie, die zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit für ältere Arbeitnehmer geführt haben, und die auch ihren Niederschlag bei den Lohnabschlüssen gefunden haben, sind ein deutlicher Beweis dafür, daß sich die Tarifvertragsparteien ihrer Verantwortung bewußt sein können und trotz mangelnder gesetzgeberischer Tätigkeiten, wie Sie sagen, bereit sind, aktiv zu werden. Hier die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen ist überhaupt nicht gegen meine Intention, auch wenn Sie dies überraschen mag oder wenn Sie, wie ich den Eindruck habe, dies sogar bedauern.

(Zurufe von der SPD)

Positiv ist auch zu werten, Herr Kollege Lutz, daß die von Ihnen vorgeschlagene Regelung rücknehmbar sein soll.
Herr Kollege Hoss, ich kann Ihnen nicht beipflichten, wenn Sie den Eindruck erwecken, hier gebe es sozusagen eine Manipulationsmasse. Ich werde gleich noch näher darauf eingehen. Denn Selbstverwirklichung durch Arbeit ist auch für ältere Arbeitnehmer lobenswert, richtig und wünschenswert und wir möchten, wenn die Chance dazu besteht, auch den Alteren diese Möglichkeit zur Selbstverwirklichung nicht verbieten.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Aber a posteriori!)

Ich gebe Ihnen recht: In vielen Großbetrieben ist die Situation in der Tat so, daß die Monotonie der Arbeit zu den von Ihnen geschilderten Folgen führt. Aber 70 Prozent der Beschäftigten sind, wie Sie wissen, in kleineren und mittleren Betrieben beschäftigt. Und Ihnen ist ebenso bekannt, daß in diesem Bereich die Bereitschaft, der Wille und, wenn Sie so
wollen, auch die Lust, länger zu arbeiten, vorhanden sind. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die dieses Angebot macht, und hoffe, daß wir uns in diesem Punkt nicht unterscheiden.

(Lutz [SPD]: Und Sie glauben das?)

— Das laß weg!

(Lutz [SPD]: Und Sie glauben das?)

— Also, Egon Lutz, mir zu unterstellen, ich würde hier etwas vortragen, von dem ich persönlich nicht überzeugt bin, das verletzt mich persönlich. Ich möchte daher sehr darum bitten, diesen Zwischenruf aus dem Protokoll zu streichen. Das schafft eine Atmosphäre, die nicht in Ordnung ist. Das liegt auf dem Niveau dessen, was der Kollege Weinhofer eben hier erklärt hat, nämlich daß Leute, die ausbilden wollen, die Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen, demotivierend als einzige Antwort schlicht und ergreifend zu hören kriegen: Da muß ja deine Ausbildung nicht in Ordnung sein. Das sind Argumentationen, die wir unter uns gegenseitig nicht verwenden sollten.

(Zuruf des Abg. Roth [SPD])

— Na j a, Herr Kollege Roth: So und nicht anders ist es soeben hier geschehen. Das sollten wir uns doch nicht selber antun.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002240600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1002240700
Nein! Schluß! Nach dieser persönlichen Beleidigung bitte ich dafür um Verständnis.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Kern und Angelpunkt Ihres Entwurfs ist eine rigorose Wiederbesetzungspflicht.

(Zuruf des Abg. Lutz [SPD])

Ohne diese stimmen weder die heruntergerechneten Kosten noch die zu hoch eingeschätzten Arbeitsmarkteffekte. Ich begrüße, daß die SPD-Fraktion hier bescheiden von 100 000 Arbeitsplätzen redet und nicht wie in dem alten Entwurf aus Hessen
— wahlkampfbedingt; vergessen wir's — von 400 000. Also dieser 'Schritt zur Realität ist ja auch etwas Lobenswertes und Vernünftiges.

(Zurufe von der SPD — Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Realisierung Ihres Vorschlags führt zu einer Bürokratisierung und Kontrolle im Arbeitsleben, die ich für unerträglich halte.

(Zuruf des Abg. Lutz [SPD])

Ich möchte die Betriebsräte nicht als Ordnungspolizei eingesetzt wissen und möchte auch mit aller Deutlichkeit sagen, daß nach meinen Erfahrungen Betriebsräte diese Aufgabe gar nicht wahrnehmen können und wollen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig! Gar nicht wollen!)




Cronenberg (Arnsberg)

Denken Sie an die Betriebsräte, die in den Betrieben in der bösen Pflicht gewesen sind, auszusuchen, wer entlassen wird! Wer den Streit zwischen Betriebsräten und den Kollegen erlebt hat, der muß auch Verständnis dafür haben, daß Betriebsräte, um nicht wieder in solche Situationen zu kommen, eher zu Überstunden als zu solchen Lösungen neigen. Die Praxis der Betriebe und die Verhaltensweisen dieser Betriebsräte, für die ich volles Verständnis habe, beweisen auch, daß hier meine Einschätzung des Verhaltens von Betriebsräten den Betriebsrealitäten mehr entspricht als der Wunsch, die Betriebsräte hier als Ordnungspolizei einzusetzen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Lutz [SPD])

Ganz abgesehen davon möchte ich am Rande erwähnen, daß es in vielen Betrieben keine Betriebsräte gibt. Wollen Sie da einen Staatskommissar einsetzen? Oder was?

(Zurufe von der SPD)

Beschäftigungswirksame Konsequenzen verspricht dieses Programm auf jeden Fall für einen, nämlich für die Bürokratie. Sieben Jahre lang muß kontrolliert werden; denn so lange soll der Arbeitgeber alljährlich nachweisen, daß der Arbeitsplatz durch einen vom Arbeitsamt vermittelten Arbeitslosen besetzt worden ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002240800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glombig?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1002240900
Selbstverständlich.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002241000
Herr Abgeordneter Glombig.

Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID1002241100
Herr Kollege Cronenberg, kann es sein, daß Sie den Gesetzentwurf gar nicht gelesen haben?

(Lutz [SPD]: Das kann sein! — Zurufe von der FDP und der CDU/CSU)

Ich habe den Eindruck, daß Sie von einem ganz anderen Gesetzentwurf als dem sprechen, den wir vorgelegt haben.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1002241200
Also, lieber Eugen Glombig, diese Unterstellung

(Heiterkeit bei der SPD)

ist zwar zu dieser späten Stunde ganz nett, aber falsch.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Lutz [SPD]: Sie haben lesen lassen!)

Modellrechnungen, die uns vorgelegt werden — und dies bitte ich jetzt doch ernsthaft einer Überprüfung zu unterziehen —, sind nun einmal sehr problematisch. Bei einer Wiederbesetzungsquote von 50 % — wie Sie wissen, sagt Meinhold: nur 30 % — wäre eine Entlastung der Bundesanstalt für Arbeit um 0,4 Milliarden DM statt der eingesetzten 1,3 Milliarden DM sehr viel realistischer.

(Zuruf des Abg. Lutz [SPD])

So gesehen, gibt es eine beachtliche Differenz zwischen den nach optimistischen Schätzungen zu erwartenden Einsparungen und den realitätsfernen Modellrechnungen des Entwurfs.

(Lutz [SPD]: Seit wann?)

Man soll sich keinen Illusionen hingeben. Jede noch so perfekt erscheinende Kontrolle, jedes lükkenlose Gesetzes- und Vorschriftennetz hat Schlupflöcher. Darin hängenbleiben werden die Kleinen. Das Ganze wird so nicht funktionieren.
Im Grunde genommen wird hier ein neuer Kündigungstatbestand aufgebaut, der meiner festen Überzeugung nach mehr Schaden als Nutzen bringt. Denn der Kündigungsschutz hat ja auch dazu geführt, daß in erheblichem Umfange mehr Überstunden gefahren werden, als es wünschenswert ist, weil man Angst davor hat, einzustellen.

(Zurufe von der SPD)

Welcher Arbeitgeber wird — dies ist ein anderer Aspekt — bereit sein, wenn überhaupt, unter diesen Bedingungen einen älteren Arbeitnehmer einzustellen, wenn er anschließend mit solcher Belastung rechnen muß? Denken Sie einmal darüber nach, wie sich ein Arbeitgeber verhalten muß, wenn er vor der Frage steht, einen über 50jährigen einzustellen und anschließend mit den von Ihnen vorgeschlagenen Mehrbelastungen fertig zu werden, die sich für ihn — für die Kalkulation, für den Betrieb — ergeben! Sie müssen sich doch darüber klar sein, daß dies auf eine Benachteiligung der älteren Arbeitnehmer hinausläuft, weil deren Chancen, wieder in den Arbeitsprozeß eingegliedert zu werden, eindeutig sinken.

(Zurufe von der SPD)

Ich bitte Sie also, einmal darüber nachzudenken, ob Sie damit überhaupt dem Anspruch gerecht werden können, auch älteren Arbeitnehmern Arbeitsmöglichkeiten zu verschaffen.
Bei all den Überlegungen ist, Herr Kollege Hoss, wie schon angedeutet worden ist, auch zu berücksichtigen, daß das Recht auf Arbeit eben nicht nur für jüngere, sondern auch für ältere Arbeitnehmer gilt. Wir sollten alles vermeiden, was in den Betrieben einen faktischen Druck dahin ausüben könnte, daß die älteren Arbeitnehmer aus dem Arbeitsprozeß ausscheiden sollen.

(Lutz [SPD]: Mir bricht das Herz!)

Wir Liberalen setzen uns da für mehr Wahlfreiheit für den einzelnen bei der Gestaltung des Arbeitslebens durch Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze und durch Einführung von Teilzeitrenten für ältere Arbeitnehmer ein. Kostenneutralität muß durch eine entsprechende Abstaffelung gewährleistet sein.

(Zurufe von der SPD)




Cronenberg (Arnsberg)

Der Ausbau dieser Wahlfreiheit liegt im Interesse der einzelnen und verhindert zugleich eine Gefährdung oder gar Vernichtung weiterer Arbeitsplätze.
Ich weiß, daß ich mich nicht in allen Punkten Ihrer Zustimmung erfreuen konnte.

(Lutz [SPD]: Ganz gewiß nicht!) Ich bin darüber auch


(Zuruf von der CDU/CSU: Nicht traurig sein!)

— nein, nicht traurig; ich kann damit leben.
Aber zum Schluß möchte ich, Egon Lutz, doch noch eine Bemerkung an Sie richten: Zeigt ein Politiker Beständigkeit, wirft man ihm, wie eben geschehen, Starrheit vor. Ändert er seine Meinung, bezichtigt man ihn der Wankelmütigkeit. Den schmalen Pfad zwischen Beständigkeit und Wandelbarkeit nennt man Klugheit.

(Zuruf von den GRÜNEN: Auf welchem Kalenderblatt hat das gestanden?)

Sich darum zu bemühen wird Aufgabe für uns sein.
— Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002241300
Meine Damen und Herrn, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

(Lutz [SPD]: Leider!)

— Ja, wir könnten noch! Wenn wir ein bißchen ermahnen, kommt schon noch jemand.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja!)

— Mir wurde gesagt, daß das nur eventuell der Fall ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das gilt!)

— Fünf Minuten, oder?

(Zink [CDU/CSU]: Frau Präsidentin, ich versuche, es abzukürzen!)

— Wenn es denn sein muß! Bitte, Herr Kollege Zink.

Otto Zink (CDU):
Rede ID: ID1002241400
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, mein ursprüngliches Konzept zu reduzieren, um den zeitlichen Möglichkeiten gerecht zu werden.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das erste und wichtigste Ziel der Koalition der Mitte ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.

(Zurufe von der SPD)

Als wir vor fast einem Jahr die Regierungsverantwortung übernahmen, mußten wir als erstes eine sausende Talfahrt der Wirtschaft stoppen,

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

die auch den Arbeitsmarkt in den Abgrund zu reißen drohte.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

In einem Jahr konnten wir keine Wunder vollbringen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Niemand kann aus dem Rückwärtsgang gleich in den dritten oder den vierten Gang schalten,

(Schily [GRÜNE]: Erst recht nicht in den fünften!)

ohne wenigstens vorher zu stoppen, wenn er nicht riskieren will, daß er den Motor abwürgt.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Zurufe von den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002241500
Herr Kollege Zink, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lutz zulassen?

Otto Zink (CDU):
Rede ID: ID1002241600
Frau Präsidentin, ich habe meinerseits die Bereitschaft erklärt, meine Ausführungen abzukürzen. Aus diesem Grunde bitte nicht!

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002241700
Danke schön, keine Zwischenfragen.

Otto Zink (CDU):
Rede ID: ID1002241800
Aber wir haben mehr erreicht, als man realistischerweise erwarten konnte. Mit der Rückkehr zu einer seriösen Haushaltspolitik und den Weichenstellungen für eine zuverlässige und leistungsfreundliche Wirtschaftspolitik haben wir im Jahre 1983 den seit 1981 zu verzeichnenden explosionsartigen Anstieg der saisonbereinigten Arbeitslosenzahlen praktisch gestoppt.
Wir werden sinnvollen und möglichen Maßnahmen, die in irgendeiner Form zur Verkürzung der Arbeitszeit beitragen, unsererseits grundsätzlich nicht entgegentreten.

(Lutz [SPD]: Dann stimmen Sie doch zu!)

— Lassen Sie mich doch zu Ihrem Vorschlag noch kommen; ich werde dazu noch etwas sagen. — Zu diesen sinnvollen und möglichen Maßnahmen gehören ohne jeden Zweifel auch solche zur Verkürzung der Arbeitszeit. Für jeden, der unsere Lage realistisch analysiert, ist es klar, daß wir keine hohen Wachstumsraten, etwa von 6 oder 7 %, über mehrere Jahre erreichen können, die notwendig wären,

(Schily [GRÜNE]: Wollen Sie die erreichen?)

um allein durch wirtschaftliches Wachstum in diesem Jahrzehnt Vollbeschäftigung wiederherstellen zu können.
In diesem Zusammenhang möchte ich zum Ausdruck bringen, daß ich mich über die Aussagen freue — ich erspare es mir, sie jetzt zu zitieren —, die der Bundeswirtschaftsminister in der vorigen Woche in der Debatte über die Frage der Verkürzung der Arbeitszeit dem Hohen Hause vorgetragen hat. Sie sehen, hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit der Arbeitszeitverkürzung gibt es innerhalb der Koalition Gemeinsamkeiten.
Wenn ich mir unsere konkrete Situtation heute ansehe, scheinen mir die Voraussetzungen für rasche Fortschritte in der Frage von Rahmengesetzen zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit durchaus



Zink
günstig zu sein. Ich will nur darauf hinweisen, daß die Gewerkschaften ihrerseits im Zusammenhang mit der Arbeitszeitverkürzung ihre Bereitschaft bekundet haben, sich in der Tarifpolitik nicht mehr ausschließlich der Barlohnerhöhung zu verschreiben. Vielmehr haben die Gewerkschaften ebenfalls wiederholt ihre Solidarität mit den Arbeitslosen bekundet und ihre Bereitschaft signalisiert, etwas zu tun.
Nach dieser ersten Feststellung möchte ich als zweites festhalten: Wir sind uns sicherlich alle darin einig, daß wir der Rentenversicherung keine weiteren Lasten aufbürden können, daß also die Finanzierung eines vorgezogenen Ruhestandes aus Mitteln der Rentenversicherung nicht in Frage kommen kann.
Ein dritter Punkt. Es spricht sich langsam herum, daß der Wildwuchs, den wir zur Zeit im Zusammenhang mit der Lebensarbeitszeitverkürzung haben — z. B. von der sogenannten 59er-Regelung über Sozialpläne bis zu dem Bereich der überhandnehmenden Inanspruchnahme der Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente —, dazu führt, daß die Belastung der Solidargemeinschaften einseitig zugunsten von Großunternehmen und in der Regel nicht zugunsten von Kleinunternehmen erfolgt.
Lassen Sie mich in einem weiteren Sprung auf einen vierten Punkt hinweisen. Die Erkenntnis gewinnt an Boden, daß der Staat nur begrenzte Möglichkeiten hat, Arbeitszeitverkürzungen anzuordnen. Statt dessen ist es sinnvoller, daß er den Tarifparteien Anreize gibt und vor allem für den Bereich der Lebensarbeitszeitverkürzungen einen geeigneten Rahmen schafft, innerhalb dessen sie in eigener Verantwortung und unter Berücksichtigung unterschiedlicher Voraussetzungen in verschiedenen Branchen und Tarifgebieten Arbeitszeitverkürzungen vereinbaren können. Hierhin gehört auch die Erkenntnis, daß Arbeitszeitverkürzungen auf freiwilliger Basis besser sind als zwangsweise verordnete;

(Lutz [SPD]: Das steht alles in unserem Entwurf!)

nicht nur, weil das menschlicher ist, sondern auch, weil die Betroffenen dann weniger Anstrengungen unternehmen werden, solche Maßnahmen zu umgehen.
Schließlich sind wir uns sicherlich auch weitgehend darin einig, daß möglichst rasch ein Rahmen für Lebensarbeitszeitverkürzungen geschaffen werden muß, damit er den Tarifparteien in den kommenden Tarifrunden zur Verfügung gestellt werden kann. Das hat z. B. die Konferenz der Arbeits- und Sozialminister der Länder in der Vergangenheit bekundet. Diese Bekundung möchte ich auch unsererseits ausdrücklich begrüßen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion über Zuschüsse zum tariflichen Vorruhestandsgeld

(Lutz [SPD]: Ist hervorragend!) liegt vom grundsätzlichen Ansatzpunkt her durchaus in dem Rahmen, den eine realistische, effektive Lösung einhalten muß.


(Lutz [SPD]: Aha!)

Das möchte ich hier ausdrücklich anerkennend anmerken.

(Beifall bei der SPD)

Besonders begrüße ich auch, daß hier der Gedanke gemeinsamer Anstrengungen der Tarifparteien zur Lösung der Arbeitsmarktprobleme ausdrücklich hervorgehoben wird.

(Beifall bei der SPD)

Dieses Eingehen auf den Gedanken der sozialen Partnerschaft hebt sich wohltuend ab von manchen klassenkämpferischen Tönen, die wir in der letzten Zeit hier hören mußten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Leider zeigt aber die Analyse des Gesetzentwurfs einige Positionen, zu denen eine kritische Anmerkung unsererseits notwendig wäre.

(Roth [SPD]: Das machen wir im Ausschuß!)

Frau Präsidentin, in Abkürzung meines Redetextes darf ich mir vielleicht an dieser Stelle den Hinweis erlauben, daß der Bundesarbeitsminister vorhin eine Reihe dieser Punkte angesprochen hat, die ich jetzt meinerseits noch einmal unterstrichen hätte.

(Roth [SPD]: Wenn Norbert redet, kann Otto schweigen!)

— Ich will zum Ende kommen, Herr Kollege Roth, damit Sie bald zu Ihrem anderen Thema hier kommen.
Wir gehen davon aus, daß wir diese Vorschläge in einer sachlichen Beratung im zuständigen Ausschuß prüfen werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage allerdings dazu: Ich gehe davon aus, daß auch die Kommission im Bundesarbeitsministerium noch Beratungen anstellt, um die noch in diesem Gesetz vorhandenen Lücken zu schließen. Ich glaube, dann können wir gemeinsam zu einem guten Ergebnis kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1002241900
Große Einigkeit im Hause!
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf zu überweisen. Sie entnehmen die Überweisungsvorschläge aus der Tagesordnung. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Meine Damen und Herren, es ist interfraktionell vereinbart worden, daß die nachfolgenden Tagesordnungspunkte ohne Debatte verabschiedet werden. Es geht also sehr viel schneller.



Vizepräsident Frau Renger
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Rückkehrbereitschaft von Ausländern
— Drucksache 10/351 —
Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Auswärtiger Ausschuß
Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Erhebt sich gegen die Überweisungsvorschläge des Altestenrates Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Apel, Gobrecht, Huonker, Lennartz, Frau Matthäus-Maier, Dr. Mertens (Bottrop), Offergeld, Poß, Purps, Rapp (Göppingen), Schlatter, Dr. Schöfberger, Dr. Spöri, Dr. Struck, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Antragsfrist für den Lohnsteuer-Jahresausgleich
— Drucksache 10/304 —
Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Finanzausschuß
Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetzentwurfs an den Finanzausschuß vor. — Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Änderung der Auslieferungspraxis der Bundesregierung und Staatenbeschwerde gegen die Türkei
— Drucksache 10/357 —
Interfraktionell ist Ausschußüberweisung vereinbart worden. Es wurde vorgeschlagen, den Antrag auf Drucksache 10/357 an den Rechtsausschuß — federführend — und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß und den Innenausschuß zu überweisen. — Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Lage in Chile
— Drucksache 10/360 —
Überweisungsvorschlag des Ältesten rates: Auswärtiger Ausschuß
Hier wird vorgeschlagen, zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu überweisen. — Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Das ist so beschlossen.
Punkt 13 der Tagesordnung:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. Juni 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg über den Verzicht auf die Beglaubigung und über den Austausch von Personenstandsurkunden sowie über die Beschaffung von Ehefähigkeitszeugnissen
— Drucksache 10/59 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuß)

— Drucksache 10/206 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Reuter
Dr. Blank

(Erste Beratung 12. Sitzung)

Meine Damen und Herren, auch hier keine Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Artikeln 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen?

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Wir enthalten uns! Wir haben das noch nie gelesen! — Gegenrufe von der CDU/CSU)

— Dieses Gesetz ist mit großer Mehrheit beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 bis 16 sowie den Zusatzpunkt zur Tagesordnung auf:
14. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Zerlegungsgesetzes (3. ZerlÄndG)

— Drucksache 10/306 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 6. Dezember 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Bau einer Straßenbrücke über den Rhein zwischen Sasbach und Marckolsheim
— Drucksache 10/252 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr
16. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum



Vizepräsident Frau Renger
Internationalen Kakao-Übereinkommen von 1980
— Drucksache 10/265 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Zusatzpunkt zur Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 3626/82 des Rates zur Anwendung des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft
— Drucksache 10/381 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates sind in der Tagesordnung ausgedruckt. Erhebt sich gegen diese Überweisungsvorschläge Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN
Erneute Überweisung von Vorlagen (Unterrichtungen) aus früheren Wahlperioden
— Drucksache 10/358 —
Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN
Beirat für handelspolitische Vereinbarungen
— Drucksache 10/373 —
Wer dem Antrag auf Drucksache 10/373 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Eine Enthaltung!)

— Das wird notiert. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 bis 25 auf:
19. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuß)

Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages
— Drucksache10/365 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schwenk (Stade)

20. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuß)

Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages
— Drucksache 10/366 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Miltner
21. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuß)

Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages
— Drucksache 10/367 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Kübler
22. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuß)

Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages
— Drucksache 10/368 — Berichterstatter: Abgeordneter Buschbom
23. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuß)

Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages
— Drucksache 10/369 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Wolfgramm (Göttingen)

24. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuß)

Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages
— Drucksache 10/370 — Berichterstatter: Abgeordneter Louven
25. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuß)

Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages
— Drucksache 10/371 — Berichterstatter: Abgeordneter Broll
Wer den Beschlußempfehlungen des Ausschusses auf den Drucksachen 10/365 bis 10/371 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 26 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 7 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/363 —



Vizepräsident Frau Renger
b) Beratung der Sammelübersicht 8 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/364 —
Auch hierzu wird das Wort nicht gewünscht. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen ist es so beschlossen.
Ich rufe Punkt 27 der Tagesordnung auf:
Beratung der Ubersicht 1 des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
— Drucksache 10/173 —
Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/173, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den in der vorgenannten Drucksache aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassunsgericht abzusehen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen ist es mit Mehrheit so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 und 29 auf:
28. Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen
Veräußerung des bundeseigenen Geländes der ehemaligen Klosterkaserne in Konstanz
— Drucksache 10/226 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
29. Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen
Bundeseigene Restfläche der ehemaligen
Marine-Kaserne Bremerhaven-Lehe;
hier: Veräußerung an die Stadt Bremerhaven
— Drucksache 10/372 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Der Ältestenrat schlägt vor, die Anträge dem Haushaltsausschuß zu überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist auch dies so beschlossen. —
Ich rufe Punkt 30 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen (15. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anpassung der Richtlinie 76/889/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Funkstörungen durch Elektro-Haushaltsgeräte, Handgeführte Elektrowerkzeuge und ähnliche Geräte, und der Richtlinie 76/890/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Funk-Entstörung bei Leuchten mit Starter für Leuchtstofflampen
— Drucksachen 10/134, 10/242 — Berichterstatter: Abgeordneter Linsmeier
Wer der Empfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/242 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen ist es mit Mehrheit so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angelangt.

(Beifall)

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 16. September 1983, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.