Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten weiteren Tagesordnungspunkte ergänzt werden:1. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung2. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes
— Drucksache 7/178 —Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/608 --Berichterstatter: Abgeordneter Möller
a) Bericht und Antrag des Innenausschusses — Drucksache 7/587 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Miltner Abgeordneter Pensky
3. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern
— Drucksachen 7/411, 7/442 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/609 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Riedl
b) Bericht und Antrag des Innenausschusses — Drucksachen 7/601, 7/604 —Berichterstatter: Abgeordneter Becker (Nienberge) Abgeordneter Berger
Das Haus ist damit einverstanden. Die Erweiterung der Tagesordnung ist beschlossen.Die Fraktion der FDP hat für den aus dem Verwaltungsrat der Lastenausgleichsbank ausscheidenden Direktor i. R. Leukert den Abgeordneten Schmidt benannt. Ist das Haus damit einverstanden, daß der Abgeordnete Schmidt (Kemp-ten) zum Mitglied des Verwaltungsrats der Lastenausgleichsbank gewählt wird? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Abgeordnete Schmidt (Kempten) gewählt.Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Finanzen hat mit Schreiben vorn 17. Mai 1973 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß, Leicht, Höcherl, Dr. Althammer und der Fraktion der CDU/CSU betr. Finanzplan des Bundes 1972 bis 1976 — Drucksache 7/496 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7,594 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 17. Mai 1973 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Vogel , Dr. Miltner und der Fraktion der CDU/CSU betr. Verbot der KPD durch den Bundesminister des Innern — Drucksache 7/486 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/602 verteilt.Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 16. Mai 1973 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgenden, bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben habe:Verordnung des Rates zur Verschiebung des Zeitpunktes, in dem die Verordnungen Nr. 1055/72 des Rates vom 18. Mai 1972 über die Mitteilung der Einfuhr von Kohlenwasserstoffen an die Kommission und (EWG) Nr. 1056/72 des Rates vom 18. Mai 1972 über die Mitteilung der Investitionsvorhaben von gemeinschaftlichem Interesse auf dem Erdöl-, Erdgas- und Elektrizitätssektor an die Kommission im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland angewendet werden— Drucksache 7/301 —Verordnung des Rates zur Ausdehnung des Anhangs der Verordnung (EWG) Nr. 109/70 zur Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die Einfuhr aus Staatshandelsländern auf weitere Einfuhren— Drucksache 7/280 -Verordnung des Rates zur Festlegung bestimmter Ausgangszollsätze— Drucksache 7/388 —Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1464/72 vom 10. Juli 1972 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für 20 000 Stück Färsen und Kühe bestimmter Höhenrassen, nicht zum Schlachten, der Tarifstelle ex 01.02 A II b) 2 des Gemeinsamen Zolltarifs- Drucksache 7/297 — Verordnung des Ratesüber die zeitweilige Aussetzung der auf bestimmte Obst- und Gemüsesorten mit Ursprung in den assoziierten afrikanischen Staaten und Madagaskar oder den überseeischen Ländern und Gebieten angewandten Zölleüber die zeitweilige Aussetzung der auf bestimmte Obst- und Gemüsesorten mit Ursprung in der Vereinigten Republik Tansania, der Republik Uganda und der Republik Kenia angewandten Zölle— Drucksache 7/266 —Der Bundeskanzler bat im Nachgang zu seinem Schreiben vom 23. März 1973 die Stellungnahme des Bundesrates vom 4. Mai 1973 und die Gegenäußerung der Bundesregierung zumEntwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1973
übersandt, die als Drucksache 7/599 verteilt werden.Der Bundeskanzler hat im Nachgang zu seinem Schreiben vom 23. März 1973 die Stellungnahme des Bundesrates vom 4. Mai 1973 und die Gegenäußerung der Bundesregierung zumFinanzplan des Bundes 1972-1976übersandt, die als Drucksache 7/600 verteilt werden.Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 22. Mai 1973 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß, Leicht, Höcherl, Dr. Althammer und der Fraktion der CDU, CSU betr. Entwicklung der Investitionen im öffentlichen Gesamthaushalt bis 1976 — Drucksache 7/501 -beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/605 verteilt.
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1930 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Präsident Frau RengerNach einer interfraktionellen Vereinbarung kommen wir zunächst zu dem Tagesordnungspunkt:Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Der Herr Bundeskanzler hat das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der erste Besuch eines Generalsekretärs des Zentralkomitees der KPdSU, also des führenden Mannes der Sowjetunion, in der Bundesrepublik Deutschland ist ein herausragend zu nennendes Ereignis in der Entwicklung seit dem zweiten Weltkrieg. Herr Breschnew hat die historische Perspektive des Dialogs der beiden Staaten betont. Ich vermute, daß diese Beurteilung hier durchweg nicht umstritten sein wird. Die Bundesregierung bewertet jedenfalls die Tatsache und das Ergebnis des Besuchs positiv.Als Gastgeber darf ich zunächst etwas sagen, was selbstverständlich klingen mag: Ich freue mich, daß der Generalsekretär und seine Begleiter sich in den Tagen ihres Aufenthalts in Bonn offensichtlich wohlgefühlt haben. Ich will an dieser Stelle allen Beteiligten danken, die für den guten und gesicherten Ablauf der Begegnung gesorgt haben.Die drei Abkommen, die am vergangenen Sonnabend unterzeichnet wurden, aber auch die Abschlußerklärung vom Montag sind wichtige Bausteine im neuen Gefüge unserer Beziehungen zur Sowjetunion. Nicht weniger wichtig ist aber die Möglichkeit des persönlichen Gedankenaustauschs zwischen den politisch Verantwortlichen — und dies gerade dann, wenn es sich um Repräsentanten unterschiedlicher gesellschaftlicher Ordnungen und gegeneinander entstandener Bündnissysteme handelt. Generalsekretär Breschnew hat das in seiner Tischrede am Montagabend auf dem Petersberg so ausgedrückt: man könne den Weg zu dem, was man sich vorgenommen habe, nach einem solchen Gespräch mit jener größeren Sicherheit gehen, die auf der besseren Kenntnis beruhe.Nun hat der Besuch — so darf man wohl sagen — weltweite Aufmerksamkeit gefunden. Mir wäre es lieber, wenn solche Begegnungen den Charakter des Außergewöhnlichen verlören. Deshalb sprach ich in meiner Begrüßung am Freitag davon, daß Treffen solcher Art — auch wenn wir Deutsche in sie einbezogen sind — Elemente einer nicht mehr als sensationell empfundenen Praxis werden mögen.Vereinzelte Stimmen in ausländischen Zeitungen meldeten Bedenken an: als ob ein Gespräch zwischen Brandt und Breschnew Anlaß zu Mißtrauen gebe. Das Gros der ausländischen Kommentatoren ist anderer Meinung. Sie urteilen so realistisch wie die Regierungen unserer Verbündeten, die in den Gesprächen von Bonn einen guten Beitrag zur Politik der Entspannung erkennen, von der wir sagen können, daß sie die eigentliche europäisch-internationale Politik dieser Jahre geworden ist. Hier gibt es nicht die geringste Meinungsverschiedenheit zwischen unseren westeuropäischen Partnern und uns. Die Übereinstimmung mit den Vereinigten Staaten konnte ich in meinen Gesprächen mit Präsident Nixon Anfang dieses Monats klar feststellen.Meine Damen und Herren, niemand braucht zu vermuten, wir ließen uns von wirklichkeitsfremden Vorstellungen leiten oder wir seien uns nicht stets jener Faktoren bewußt, die sich aus unserer Zugehörigkeit zur westeuropäischen Gemeinschaft und zum Atlantischen Bündnis ergeben. Von diesen Gegebenheiten — und ihren östlichen Entsprechungen — ist auch die sowjetische Seite in ihren Gesprächen mit uns ausgegangen.Wir haben die vier Tage des Arbeitsbesuchs wirklich zur Arbeit genutzt. Wir zählten viele Stunden intensiver Gespräche zwischen dem Generalsekretär und mir, zwischen den Kabinettsmitgliedern und ihren sowjetischen Kollegen, zwischen Fachleuten für eine ganze Reihe von Themenbereichen. So hat sich der Bundesminister des Auswärtigen lange mit dem Generalsekretär unter vier Augen über Probleme des Nahen Ostens unterhalten. Er ist für seine Gespräche in den Hauptstädten von drei arabischen Staaten über die Auffassungen des amerikanischen Präsidenten und des ersten führenden Mannes der Sowjetunion aus erster Hand unterrichtet. Das wird auch mir bei dem ersten Besuch eines amtierenden Bundeskanzlers in Israel über Pfingsten nützlich sein. Lassen Sie mich hinzufügen, daß ich mir der besonderen Bedeutung dieser Reise bewußt bin und mich mit der gebührenden Sorgfalt auf sie vorbereite.Herr Breschnew und ich haben die Themen der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ausführlich behandelt. Ich verletze nicht die Pflicht der Diskretion, wenn ich sage, daß die Sowjetunion nicht nur an einem baldigen Beginn der europäischen Konferenz interessiert ist, sondern auch auf eine zügige Verhandlung drängt. Ich habe den Generalsekretär darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik und ihre Partner im Westen nicht das geringste Interesse daran haben, irgend etwas zu verzögern, daß es aber notwendig sei, durch gute Vorarbeit den Erfolg der Konferenz zu sichern.Der Gedankenaustausch über Fragen, die mit der gegenseitigen Verminderung von Streitkräften in Mitteleuropa verbunden sind, spiegelte die Entwicklung, die wir seit dem Treffen in Oreanda im Frühherbst 1971 beobachteten und an der wir selbst teilhatten. Was damals nur eine Möglichkeit zu sein schien, ist jetzt in das konkretere Stadium der Vorgespräche gerückt. Ich habe im übrigen mit Befriedigung festgestellt, daß von sowjetischer Seite die Bedeutung von Maßnahmen anerkannt wird, die, abgesehen von eigentlichen Truppenreduktionen oder vor ihnen, mehr Vertrauen bilden können.Die Fragen der Zusammenarbeit und der Sicherheit habe ich vor drei Wochen, wie Sie wissen, meine Damen und Herren, auch mit Präsident Nixon gründlich erörtert. Der amerikanische Präsident erwartet nun den Besuch von Generalsekretär Breschnew. Ich werde am kommenden Dienstag Premierminister Heath bei uns sehen, der gerade intensive Gespräche in Paris hinter sich hat. In wenigen Wochen wird Präsident Pompidou im Rahmen des permanenten deutsch-französischen Dialogs bei uns zu Gast sein. Dies ist nur ein Hinweis auf die Vielzahl und Vielfalt der Kontakte und Verhandlungen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1931
Bundeskanzler BrandtSie sollen alle dem einen Ziel dienen, mehr Sicherheit in und für Europa zu schaffen.Die Bundesrepublik Deutschland ist ein respektierter Partner dieser Entwicklungen, die ein amerikanischer Kommentator „world diplomacy in action" — internationale Diplomatie in Aktion — genannt hat. In allen Gesprächen und gegenüber allen Partnern kann es nur eine deutsche Politik der Eindeutigkeit geben. Daran halten wir uns, und davon lassen wir uns nicht abbringen.Meine Damen und Herren, sehen Sie bitte auch in diesem Zusammenhang die Ankündigung, daß die Regierung in den nächsten Tagen den gesetzgebenden Körperschaften Gesetzentwürfe zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen und über das Kontrollabkommen zwischen sieben Staaten der Europäischen Gemeinschaft und der InternationalenAtomenergieorganisation zuleiten wird.Lassen Sie mich im Gesamtzusammenhang unserer Ost-West-Politik ergänzend folgendes bemerken. Ich bedauere, daß die Bayerische Staatsregierung beim Bundesverfassungsgericht Klage gegen unseren Vertrag mit der DDR erheben will und versucht, das Ratifikationsverfahren durch Maßnahmen verschiedener Art aufzuhalten. Die Bundesregierung teilt die Rechtsauffassung nicht, die hier angemeldet wird. Bei allem Respekt vor den verfassungsmäßigen Rechten der Landesregierung in München: solche Schritte werden uns deutschland- und außenpolitisch in keiner Weise helfen.
Ich werde hierauf an anderer Stelle zurückkommen. Ich möchte aber schon jetzt mit der gebotenen Deutlichkeit sagen dürfen: auch wer unsere Politik überwiegend kritisch begleitet, sollte die Gefahren sehen, die sich aus der Isolierung unserer Bundesrepublik ergeben müßten und die sich aus der Trennung der Menschen ein und desselben Volkes schon ergeben haben. Die Bundesregierung wird weiterhin alles tun, um solche Gefahren nach Möglichkeit abzuwenden.
In der Abschlußerklärung, die Generalsekretär Breschnew und ich unterschrieben haben, handelt ein Absatz von Berlin. Die Besprechungen über dieses Thema haben beträchtlichen Raum eingenommen. Dabei war zweierlei von vornherein klar. Erstens. Beide Seiten stehen auf der Grundlage des bekannten Viermächteabkommens. Zweitens. Keine der beiden Seiten hat die Absicht oder die Möglichkeit, das Abkommen zu ändern oder ihm für ihr bilaterales Verhältnis eine besondere Interpretation zu geben.Auf der anderen Seite ist deutlich geworden, daß zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland bei der Anwendung des Abkommens praktische Schwierigkeiten existieren, die gelöst werden müssen und die unter Nutzung der im Viermächteabkommen gegebenen Möglichkeiten auch gelöst werden können.Wir haben uns darüber verständigt, daß neben der strikten Einhaltung auch die volle Anwendung der Bestimmungen des Abkommens notwendig ist.Unsere bilateralen Beziehungen können insgesamt nicht besser sein, als es die Lage in Berlin ist.
Wir werden nun in Ruhe auf beiden Seiten an die Arbeit gehen und uns mit den Erfahrungen im ersten Jahr der Anwendung des Abkommens bemühen, künftige Schwierigkeiten entweder zu vermeiden oder für sie Lösungen zu finden, die dem gemeinsamen Wunsch nach guten Beziehungen entsprechen.In einer Erklärung über das Zusammentreffen zwischen dem Herrn Bundespräsidenten und Generalsekretär Breschnew wird gesagt, daß Probleme erörtert wurden, die — wie es in der Verlautbarung hieß — viele Bürger bewegen. Ich bin überzeugt, daß diese Unterredung nicht ohne Ergebnis bleiben wird, wobei es nützlich sein könnte, wenn wir uns die Zurückhaltung bei der öffentlichen Behandlung auferlegen, die es im Interesse der Sache braucht. Wer die gemeinsame Erklärung vom Montag abend aufmerksam liest, wird im übrigen finden, daß Probleme, die einzelne Bürger beider Staaten betreffen, auch dort ihren Niederschlag gefunden haben.Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zum Schluß noch ein Wort zu den wirtschaftlichen Fragen sagen, die in den Gesprächen mit den Vertretern der Sowjetunion eine wichtige Rolle spielten. Mancher Bericht auch in unserer Presse schoß dabei beträchtlich über das Ziel hinaus. Ich unterstreiche, daß beide Staaten an einer langfristigen engeren Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet interessiert sind. Wir haben über Grundsätze und Anwendungsmöglichkeiten gesprochen. Aber wir haben keine Verhandlungen über Einzelprojekte geführt oder gar Entscheidungen getroffen. Unserer Wirtschaftsordnung ist es gemäß, daß die Unternehmen, die sich für eine Zusammenarbeit mit sowjetischen Stellen interessieren, die Verhandlungen in eigener Verantwortung führen. Die Bundesregierung kann und will ihnen, wo es nötig ist, mit ihrem Rat und ihren Möglichkeiten behilflich sein. Daß die Berliner Firmen in diese Zusammenarbeit — auch in diese Zusammenarbeit, will ich sagen — voll einbezogen werden können, entspricht unserem Handelsvertrag mit der Sowjetunion.Ich betrachte im übrigen manches, was in diesen Tagen gesagt wurde, nicht nur als Zeichen eines guten Willens, sondern auch als Ausdruck realistischer Überlegungen. So ist die Absage Generalsekretär Breschnews an den Gedanken der Autarkie von vielen mit besonderer Aufmerksamkeit notiert worden. Die größten und mächtigsten Staaten sind ebenso wie wir anderen, wir mittleren und kleineren, auf Austausch angewiesen, und ohne Zusammenarbeit findet niemand mehr den Weg zu dauerhafter Sicherheit.Meine Damen und Herren, ich fand die sowjetische Seite aufgeschlossen für die Einsicht., daß größere Aufgaben nicht nur bilateral zwischen unseren Volkswirtschaften, sondern dort, wo es zweckmäßig ist, auch unter Beteiligung Dritter und als Gemeinschaftsaufgaben gelöst werden können. Der Generalsekretär hat im übrigen unsere Zugehörigkeit zur Europäischen Gemeinschaft und durch sie gewach-
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1932 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Bundeskanzler Brandtsene Bindungen als etwas Selbstverständliches behandelt.Auch daran erkenne ich, daß die Begegnung in Bonn eine wohl wichtige Etappe auf dem Weg war, den wir in der Regierungserklärung vom 18. Januar skizzierten. Unsere Friedenspolitik hat sich immer wieder als beharrliche Realpolitik zu bewähren.
Das Wort in der Aussprache hat der Herr Abgeordnete Carstens.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 18 Jahre nach dem Besuch des ersten deutschen Bundeskanzlers, Konrad Adenauer, in Moskau und nach zwei Besuchen, die der jetzt amtierende Bundeskanzler seinerseits der Sowjetunion in den letzten zwei Jahren abgestattet hat, ist in der vergangenen Woche der Generalsekretär der KPdSU, Herr Leonid Breschnew, zu einem Besuch in der Bundesrepublik Deutschland eingetroffen. Die CDU/CSU-Fraktion sieht darin ein bedeutendes Ereignis. Ob es ein historisches Ereignis war, meine Damen und Herren, wird erst die Zukunft erweisen,
und auch erst die Zukunft wird erweisen, in welchem Sinne es ein historisches Ereignis war, wenn es ein solches war.
Die CDU/CSU-Fraktion hat es begrüßt und begrüßt es weiter, daß der Besuch Gelegenheit zu mannigfachen Kontakten, auch zu einem Gespräch mit Vertretern der Opposition, gegeben hat. Manche der innenpolitischen Begleiterscheinungen des Besuches — insbesondere die ungleiche Behandlung zweier Demonstrationen, die hier in Bonn stattfanden -
erfüllen uns allerdings mit Sorge.
Der Besuch war ein weiterer Schritt auf dem Wege der von vielen westlichen und osteuropäischen Ländern betriebenen Entspannungspolitik. Es ist bekannt, daß die CDU/CSU, als sie die Regierung stellte, die ersten wichtigen Schritte zur Entspannung und Verbesserung der Beziehungen mit den osteuropäischen Staaten eingeleitet hat.
Die CDU/CSU tritt unverändert für eine ausgewogene Entspannungspolitik ein.
Der Chef der KPdSU hat während seines Besuches in unserem Lande weitere Schritte zur, wie er es nannte, Sicherheit in Europa befürwortet, und die Bundesregierung hat dem zugestimmt. Es ist nicht bekannt, ob der Bundeskanzler in seinen Gesprächen auch die Rüstungsentwicklungen im Warschauer Pakt angesprochen hat.
Dazu möchte ich mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, aus der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 18. Januar 1973, auf die er sich soeben selber in anderem Zusammenhang bezog, folgende Passage zitieren:Es ist nicht zu übersehen, daß die Rüstungsentwicklung im Warschauer Pakt das östliche Gesamtpotential steigerte. Die Bundesregierung zieht daraus keine vorschnellen Schlüsse, aber sie stellt fest, daß es eine parallele Tendenz in Westeuropa nicht gibt.
In einem Interview, welches der Herr Bundeskanzler im April dieses Jahres einer amerikanischen Zeitschrift gab, wurde von einem Journalisten gefragt:Was geht in Osteuropa vor? Ist dort nicht eine militärische Verstärkung festzustellen?Antwort des Herrn Bundeskanzlers:Ja, ich habe den Eindruck, daß man sich dort in der falschen Richtung bewegt.Meine Damen und Herren, wir verstehen, daß die Bundesregierung dieses Problem, wenn sie es anläßlich des Besuchs von Generalsekretär Breschnew angesprochen hat, vielleicht nicht öffentlich erörtern möchte. Wir sehen daher einem Bericht der Bundesregierung über diese Frage im Auswärtigen Ausschuß entgegen. Uns, die CDU-CSU-Fraktion, läßt diese auch von der NATO festgestellte militärische Entwicklung im Bereich des Warschauer Paktes jedenfalls nicht gleichgültig.Mit besonderem Nachdruck hat der Generalsekretär der KPdSU für eine langfristige wirtschaftliche, industrielle und technische Kooperation mit unserem Lande geworben. Sicher ist dies ein Feld, welches einer gemeinsamen Prüfung unterzogen werden sollte. Allerdings ist es wohl richtig, darauf hinzuweisen, daß bisher einer stärkeren Ausweitung des deutsch-sowjetischen Warenverkehrs ein entscheidendes Hindernis entgegenstand, nämlich daß die sowjetischen Lieferungen erheblich hinter den deutschen Lieferungen zurückblieben.
Nun stellt sich der Herr Generalsekretär vor, daß die Bundesrepublik der Sowjetunion langfristige Kredite einräumen könnte. Alle Beteiligten in der Bundesrepublik stimmen aber — jedenfalls doch wohl bisher — darin überein, daß eine Zinsverbilligung dieser Kredite aus öffentlichen Mitteln nicht in Betracht kommt. Auch muß, so glaube ich, bedacht werden, welche Wirkung eine künstliche Steigerung der deutschen Exporte in einer ohnehin kräftigen Aufschwungphase unserer Konjunktur hätte.Die CDU/CSU-Fraktion vermißt in den veröffentlichten Erklärungen jeden Hinweis auf die Teilung der deutschen Nation, auf die ungelöste Frage der deutschen Einheit, auf die Verweigerung der Menschenrechte, jeden Hinweis auf die zahlreichen Unmenschlichkeiten gegenüber einem Teil des deutschen Volkes.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1933
Dr. Carstens
In einer Rede, die der Herr Bundeskanzler auf dem Petersberg gehalten hat, finden sich folgende Sätze— ich habe diese Rede damals selbst gehört —:Wir sind im näheren und weiteren Umkreis keinem wichtigen Problem ausgewichen. Wir haben keine Schwierigkeit, der wir uns gegenübersehen, verschwiegen.Aber wer darin einen indirekten Hinweis auf die deutsche Frage vermuten sollte, findet in dieser Rede zwei Sätze später den Hinweis:Wir können ehrlich von einer Übereinstimmung in entscheidenden Fragen sprechen.
Ich muß sagen: Wenn hierin ein Hinweis auf das deutsche Problem lag, dann war es in der Tat ein sehr versteckter Hinweis.Die Vertreter der Opposition haben in ihrem Gespräch mit dem Generalsekretär die Frage der deutschen Teilung und der mit ihr verbundenen Härten und Unmenschlichkeiten angeschnitten, weil sie dies für die Pflicht aller frei gewählten Vertreter des deutschen Volkes halten.
Alles in allem zeigen auch die anläßlich dieses Besuchs gehaltenen Reden und die dabei abgegebenen Erklärungen jenes merkwürdige Ungleichgewicht, das für die Ostpolitik der Bundesregierung so charakteristisch ist. Während die Bundesregierung bereitwillig und weitgehend auf die Wünsche ihres Gastes einging, legte sie sich bei der Wahrung gewisser fundamentaler deutscher Interessen sehr große Zurückhaltung auf.
Der Herr Bundeskanzler hat es für richtig gehalten, heute anläßlich seiner Erklärung sein Bedauern darüber auszusprechen, daß die Bayerische Staatsregierung Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen den Vertrag mit der DDR erheben will.
Ich weiß nicht, ob hier der richtige Ort ist, das Verhalten einer Landesregierung in einer solchen Frage zu erörtern.
Die CDU/CSU-Fraktion ist sich mit der Bayerischen Staatsregierung in der politischen Ablehnung des Grundvertrags einig.
Die Fraktion hat sich nach eingehender Aussprache, in der auch erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken laut wurden, gegen die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts durch die Fraktion ausgesprochen.
Das berührt aber selbstverständlich nicht das Rechteines deutschen Landes, von den ihm verfassungsrechtlich gegebenen und zustehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen.
Ich darf Sie, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, übrigens daran erinnern, daß es Ihre Fraktion in diesem Hohen Hause in den 50er Jahren war, die den damals eingeschlagenen und jetzt von Ihnen so sehr gelobten Weg in die westeuropäische Integration — damals handelte es sich um die Europäische Verteidigungsgemeinschaft — durch eine Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zu blockieren suchte.
Nicht verständlich ist mir der Hinweis des Herrn Bundeskanzlers auf eine mögliche Isolierung unseres Landes im Zusammenhang mit der beabsichtigten Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Ich unterstelle nicht, daß in dieser Äußerung ein versteckter Hinweis an die Adresse des Bundesverfassungsgerichts liegen soll.
Aber ich empfehle doch dringend, klarzustellen, daß das nicht gemeint war.In seiner Erklärung hat der Herr Bundeskanzler eingehend über Berlin gesprochen. In der Tat sind anläßlich dieses Besuchs zwei Abkommen mit der Sowjetunion unterzeichnet worden, die eine Berlin-Klausel enthalten. Das ist sicherlich zu begrüßen. Andererseits hört man, daß ein Abkommen nicht unterzeichnet werden konnte, weil es nicht zu einer Einigung über die Berlin-Klausel in diesem Abkommen kam.
Die gemeinsame Schlußerklärung enthält dazu den Satz, den der Herr Bundeskanzler hier soeben selbst im wesentlichen wiedergegeben hat und in dem es heißt, daß er — der Herr Bundeskanzler — und Herr Breschnew übereinstimmend der Auffassung seien, daß die strikte Einhaltung und volle Anwendung des Berlin-Abkommens von 1971 für eine dauerhafte Entspannung im Zentrum Europas und für eine Verbesserung der Beziehungen zwischen den entsprechenden Staaten, insbesondere zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion, von wesentlicher Bedeutung seien.Auf den ersten Blick erscheint es verblüffend, daß hier im Grunde nichts weiter als die strikte Einhaltung und Anwendung eines gerade erst geschlossenen Abkommens zugesichert wird, wie man meinen möchte, eine bare Selbstverständlichkeit.
Aber natürlich kann die Bekräftigung einer übernommenen Verpflichtung auch nichts schaden. Nur stellt man bei genauerer Analyse des Textes fest, daß der bisherige Dissens über die Auslegung des Viermächteabkommens von 1971 nicht ausgeräumt ist. Wir werden daher abwarten müssen, welche Früchte diese Erklärung in Zukunft tragen wird.
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1934 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Dr. Carstens
Die Berlin-Frage wird uns in diesem Hause noch oft beschäftigen. Es erscheint mir deshalb notwendig, erneut darauf hinzuweisen, daß sich die Bundesregierung im Jahre 1970, als sie die ersten grundlegenden Vereinbarungen mit der Sowjetunion traf, einer schweren und folgenreichen Unterlassung schuldig gemacht hat. Sie hat es damals versäumt, ihren Standpunkt in der Frage der Vertretung Berlins, der übrigens mit dem Standpunkt der drei Westmächte völlig identisch war und ist, gegenüber der Sowjetunion durchzusetzen, d. h. in einem Zeitpunkt, in dem die Bundesregierung ihrerseits nahezu sämtliche deutschlandpolitischen Forderungen der Sowjetunion erfüllte.Alle von den Sprechern der Bundesregierung zur Entschuldigung dieses Sachverhalts vor diesem Hause vorgetragenen Argumente sind nicht stichhaltig, insbesondere ist der Einwand haltlos, die Bundesregierung sei nicht befugt gewesen, gegenüber der Sowjetunion die Interessen des Landes Berlin damals zu vertreten, diese Ermächtigung habe sie erst seit dem Viermächteabkommen von 1971. Tatsächlich — und das hat ein Vertreter der Bundesregierung erst kürzlich mit voller Klarheit dargelegt — geht das Recht der Bundesrepublik Deutschland, für Berlin auch in internationalen Angelegenheiten zu handeln, auf eine Ermächtigung der drei Westmächte aus dem Jahre 1952 zurück.
Es hätte also nichts im Wege gestanden, damals, 1970, bei den grundlegenden Absprachen mit der Sowjetunion auch eine Absprache darüber zu treffen, daß die Bundesrepublik Deutschland das Land Berlin — selbstverständlich in den von den drei Westmächten gezogenen Grenzen — auch gegenüber der Sowjetunion vertreten wird. Wenn man schon von historischen Perspektiven spricht, so scheint mir hier eine Unterlassung von historischer Bedeutung vorzuliegen,
für die Sie, Herr Bundeskanzler, nach Lage derDinge wohl die persönliche Verantwortung tragen.
Die CDU/CSU-Opposition begrüßt es, daß der Herr Bundeskanzler in seinen Erklärungen, in seinen Reden bei den verschiedenen Anlässen auf das Atlantische Bündnis und die Europäische Gemeinschaft hingewiesen hat, in die — nach seinen Worten — die Bundesrepublik Deutschland eingebettet sei. Allerdings hat die Bundesregierung nicht erreichen können, daß eine entsprechende Erklärung auch in das gemeinsame Schlußkommuniqué aufgenommen wurde. Die CDU/CSU fordert die Bundesregierung auf, ihre volle Kraft für den Fortgang der europäischen Einigung, insbesondere der politischen Einigung Europas einzusetzen.
Nur wenn die Ost-West-Entspannung von einer Verstärkung der europäischen Integration begleitet ist und wenn außerdem das Atlantische Bündnis voll intakt bleibt, wird es möglich sein, das Gleichgewicht zu erhalten, welches die unerläßliche Voraussetzung für die Bewahrung des Friedens in Freiheit ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundestagsfraktion der Sozialdemokraten dankt dem Herrn Bundeskanzler für seine Erklärung.
Wir stimmen der Feststellung zu, die am Schlusse des gemeinsamen Kommuniqués getroffen worden ist:Der Bundeskanzler und der Generalsekretär ...stimmten überein, daß die von ihnen geführten Gespräche die Ausweitung der Bereiche der Zusammenarbeit beider Staaten, darunter auch in internationalen Fragen, gefördert und Perspektiven einer aktiven Entwicklung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion auf politischem, wirtschaftlichem, wissenschaftlich-technischem und kulturellem Gebiet im Interesse beider Staaten eröffnet haben. Die erzielten Ergebnisse lassen beide Länder mit Zuversicht in die Zukunft blicken.Das ist auch unsere Überzeugung.Wir halten fest, daß in dem gemeinsamen Kommuniqué in aller Deutlichkeit gesagt worden ist, daß beide Seiten entschlossen sind, der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europazum Erfolg zu verhelfen mit dem Ziel derSchaffung einer dauerhaften Grundlage für Frieden, Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.Wir stimmen zu, daß im Zusammenhang mit dem Gedankenaustausch über die Fragen der gegenseitigen Verminderung von Streitkräften und Rüstungen in Mitteleuropa
ausgedrückt worden ist, daß beide Seiten sich einig darin sind,daß vereinbarte Regelungen, die dem Prinzip der unverminderten Sicherheit der beteiligten Staaten Rechnung tragen, dem Ziel der Festigung des Friedens in Europa dienen würden. Sie erklärten ihre Bereitschaft, dazu beizutragen, daß in multilateralen Verhandlungen ein Einvernehmen über ein für alle Beteiligten annehmbares Herangehen an die Lösung dieser Probleme erzielt wird.Bezüglich des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen begrüßen wir es, daß im Zusammenhang mit diesen Gesprächen — und der Herr Bundeskanzler hat das heute hier noch einmal ausdrücklich hervorgehoben — darauf hingewiesen worden ist, daß in Anbetracht des am 5. April dieses Jahres unterzeichneten Abkommens zwischen
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1935
Wehnersieben Ländern der Europäischen Gemeinschaft und der Internationalen Atomenergieorganisation die Bundesregierung den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen den gesetzgebenden Körperschaften zur Zustimmung vorlegen wird und daß in diesem Zusammenhang gesagt worden ist:Beide Seiten sind der Auffassung, daß die Durchführung dieses Vertrages ein Schritt auf dem Wege zur Abrüstung ist und zur Verminderung der Gefahr eines Atomkrieges und zur Festigung der internationalen Sicherheit beitragen wird.Das sind wesentliche Feststellungen über Inhalt und Ergebnisse dieser Gespräche, die ja auch ihre Fortsetzung finden werden. Ich begnüge mich damit, eine westliche Stimme — „Corriere della Sera"zu zitieren, in der es heißt: „Was sich abzeichnet, ist auf keinen Fall ein neues Rapallo, wie manche gemeint haben, sondern vielmehr eine Zusammenarbeit zwischen dem Westen und dem sowjetischen Kontinent, bei der die Bundesrepublik als einer der Partner mitwirkt."Die sozialdemokratische Fraktion erklärt hier ihre volle Zustimmung zu dem, was bei diesen Gesprächen und im Abschlußkommuniqué über die Weiterentwicklung der bilateralen Beziehungen und die konkreten Schritte auf den verschiedenen Gebieten klargestellt worden ist.Nun, man sollte nicht daran vorbeisehen, meine Damen und Herren vor allen Dingen von der Opposition, daß erstmals von Bonn und von Moskau eine Erklärung zum Berlin-Problem gemeinsam herausgegeben worden ist. Das ist sogar als ein ganz wesentlicher Schritt im benachbarten Ausland in aller Deutlichkeit herausgehoben worden. Wir sollten — soweit das geht — versuchen, nicht daran herumzutüfteln, was noch schöner hätte sein können, sondern festhalten und feststellen: Auf der Grundlage der von keiner Seite in Frage gestellten Viermächteverantwortung für Berlin haben Sowjetunion und Bundesrepublik Deutschland gemeinsam erklärt, daß dieses erste Viermächteabkommen über Berlin strikt eingehalten und voll angewendet d. h. also durchgeführt - werden soll.Ich muß bei dieser Gelegenheit meinem verehrten Vorredner, Herrn Professor Carstens, sagen: Wenn die CDU/CSU-Fraktion wenigstens eine Art Geste angesichts des klaren Satzes gemacht hätte, den der Bundeskanzler in seiner hier heute morgen gegebenen Erklärung gesprochen hat und der lautete:Unsere— das heißt der beiden Gesprächspartnerländer — bilateralen Beziehungen können nicht besser sein als die Lage in Berlin.
Ich deutele, meine Damen und Herren, nicht an dem herum, was ein Bundeskanzler am 16. August des Jahres 1961 in einer Erklärung über sein Gespräch mit dem damaligen sowjetischen Botschafter über die Beziehungen unter Verschweigung dessen, was damals gerade in Berlin geschehen war, ausgedrückt hat.
Ich kann nicht umhin, daran zu denken, wie die Lage, die Bundesrepublik und Berlin betreffend, im Vertrag zwischen Moskau und der DDR vom 12. Juni 1964 ausgesehen hat.Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wenn Sie diejenigen, die die eine Seite des Briefwechsels, der zu dem Berlin-Abkommen gehört, repräsentieren, nicht herabsetzen oder unglaubwürdig machen wollen, können Sie doch nicht daran vorbeisehen, daß an Fragen — von denen eben hier gesagt worden ist, man vermisse sie in der Erklärung im Briefwechsel der drei Westalliierten mit der UdSSR und umgekehrt bei ausdrücklicher jeweiliger Bestätigung beider Standpunkte in bezug auf das BerlinAbkommen festgehalten worden ist.
Es muß eigentümlich aussehen, wenn Sie dies nicht wenigstens erwähnten; denn es könnte ja sogar auch in Ihrem Interesse liegen, daß sich die Opposition nicht auch in diesen Fragen abseits stellt. Herr Kollege Carstens hat gestern schriftlich erklärt:Bei aller Anerkennung der Nützlichkeit des Besuches ist jedoch vor der Illusion zu warnen, daß sich die langfristigen politischen Ziele des östlichen Gesprächspartners dadurch ändern. Diese Feststellung berührt die grundsätzliche Zustimmung der CDU/CSU zu ausgewogenen Entspannungsschritten nicht.Man muß sich schon sehr mit Instrumenten bewaffnen, um herauszufinden, wo diese grundsätzliche Zustimmung, die von ganz entgegengesetzten Handlungen nie berührt wird, eigentlich wirklich begründet ist.
Man kann hier nur sagen, daß manches Fragezeichen und mehr gerade im Zusammenhang mit dem, was wir heute hier gehört haben und erörtern, angesichts der Schritte der Regierung des Freistaats Bayern und der CSU gesetzt werden muß.
Ich weise, meine Damen und Herren — und ich bin sicher, damit im Einverständnis mit allen meinen politischen Freunden zu handeln —, als unerhört zurück, was hier von meinem Vorredner von einem „versteckten Hinweis an die Adresse des Bundesverfassungsgerichts" gesagt worden ist.
Weil Sie die Güte hatten, daran zu erinnern, daß die SPD-Opposition seinerzeit gerichtliche Schritte unternommen hat, habe ich vorhin gesagt: Sie müssen es ja nicht genauso machen, Sie müssen nicht alle Fehler der damaligen Opposition nachvollziehen.
— Ja sicher, das haben wir längst begriffen, dennhier ist am 30. Juni 1960 unter jene Dinge ein Strich
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1936 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Wehnergezogen worden. Bei uns aber gilt ein Strich, und da sagt man nicht nur „grundsätzlich".
Meine Damen und Herren, im Zusammenhang damit erlaube ich mir auch einige Betrachtungen zu sorgenvollen Mahnungen, die der gegenwärtig amtierende Parteivorsitzende der CDU an seine eigenen Kollegen gerichtet hat, hier vorzubringen. Er hat in einer Rede vor dem Bundesvorstand der CDU am 12. Mai dieses Jahres ausdrücklich erklärt:Nach Verabschiedung des Grundvertrages gegen uns müssen wir den Anschluß an die Weltpolitik finden.Wer diesen Satz liest, weiß, was darin steckt: einmal, daß mit der Annahme des Grundlagenvertrags gerechnet wird, zum andern aber, daß die CDU/CSU — jedenfalls sagt er das von der CDU — dagegenstimmen wird. Wenn der Vertrag angenommen ist, dann „müssen wir den Anschluß an die Weltpolitik finden". Wer ihn erst finden muß, der hat ihn zur Zeit nicht!
Herr Dr. Barzel hat weiter gesagt:
Wir müssen sehen, daß in dem Ausmaß, in dem wir etwa auch noch nach den Verträgen vordringlich die Außenpolitik der Bundesregierung bekämpfen, dies aus der Sicht befreundeter Regierungen so aussehen könnte, als würden wir zugleich deren Politik bekämpfen. Wir können uns das mit dem Blick auf die Konferenzen in Wien und Helsinki und angesichts der Tatsache, daß unsere ausländischen Freunde und Partner mehr als früher mit uns zusammenzuarbeiten und uns zuzuhören bereit sind, auch im Interesse der Bundesrepublik Deutschland einfach nicht leisten.
Wenn das mit solcher Eindringlichkeit gesagt werden muß, muß es also über das, was die Interessen der Bundesrepublik und den erst noch zu findenden Anschluß an die Weltpolitik und das Verhältnis zu befreundeten Regierungen angeht — hier ist nicht die bayerische Staatsregierung,
sondern hier sind die Regierungen in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und die Regierungen im Nordatlantischen Verteidigungsbündnis gemeint , Meinungsverschiedenheiten geben, und dann weiß man, worum es eigentlich geht!Herr Dr. Barzel hat erwähnt:Europäische Nachbarn fragen mich, ob wir etwa prinzipiell nicht bereit seien, dort zu sein, wo multilateral auch die DDR auftrete. Bei unseren Freunden entsteht die Sorge, als sei diese Uniondie einzige Gruppe in Europa, die diese Konferenzen prinzipiell nicht wolle.Da haben Sie wieder „prinzipiell" ; Sie haben auch von Grundsätzen gesprochen, Herr Dr. Carstens.Herr Dr. Barzel hat damals eindringlich gesagt:Ich kann deshalb nur empfehlen, den Versuch zu machen, durch unser Verhalten und unsere Aussagen in der Außenpolitik nach Verabschiedung des Grundvertrages eine Kooperation mit der Regierung zu versuchen, um, gestützt darauf, auch mit unseren Freunden im Ausland besser kooperieren zu können.Und damit vergleichen Sie nun bitte einmal das, was der Herr Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion hier mit jener — ich habe gesagt: unerhörten — Unterstellung getan hat
— ja, sicher —, als er von einem Wink an die Adresse des Bundesverfassungsgerichts sprach. Ich sehe, bei Ihnen sind Grundsätze und Mahnungen und Praxis und das, was Sie dann davon halten, sehr weit voneinander entfernt.
Der Herr Dr. Barzel, um noch einmal auf ihn zurückzukommen, hat in dieser Sitzung des Bundesvorstandes der CDU gesagt:Ich glaube, daß es pflichtvergessen und unverantwortlich wäre, von gestern zu träumen und dadurch an falschen, verhinderbaren Entwicklungen für morgen mitschuldig zu werden.
Und— so sagte er weiter —ich hoffe, daß niemand von uns versucht, sich eine Welt zu malen, die es nicht gibt.Das müssen Sie aber selbst wissen, ob es bei Ihnen solche gibt.
Und am Schluß jener Rede heißt es:Ausgehend von den gegen uns geschaffenen und von uns nicht verantworteten außen- und deutschlandpolitischen Realitäten, dürfen wir nicht mit rückwärtsgewandter Bitternis, sondern müssen wir mit dem aus der Geschichte geborenen Auftrag und mit nach vorn gerichteter Entschlossenheit handeln.Um noch einmal zu hämmern:Es gilt, die Realität dieses einen deutschen Volkes zu stärken, das Selbstbestimmmungsrecht
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1937
Wehnerzu erstreben, durch Kontakte und Verträge zu mehr Austausch zwischen den Menschen und den Staaten in Deutschland zu gelangen, durch mehr Austausch zu mehr Freizügigkeit und durch mehr Freizügigkeit zu Selbstbestimmung zu kommen.Es gilt,— sagte er schließlich —der Westpolitik weiterhin Vorrang einzuräumen, die europäische Vereinigung unter den veränderten Bedingungen zu vollziehen, den „runden Tisch" mit den USA und Kanada zu schaffen, die Konferenzen in Wien und Helsinki positiv zu sehen und sie, was möglich ist, in unserem Sinne zu beeinflussen. Es gilt, der Sowjetunion und den Ländern Ost- und Mitteleuropas deutlich zu machen, daß Frieden und Zusammenarbeit unsere Ziele sind.So sagte der gegenwärtig amtierende Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Union in der Sitzung seines Vorstandes am 12. Mai.
Meine Damen und Herren, wir haben aufmerksam gehört, was Herr 'Breschnew in seiner Fernsehansprache am 21. Mai gesagt hat. Da heißt es: Über die Fragen der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen sowie über den Luftverkehr sind dieser Tage, wie Ihnen bekannt ist, konkrete Abkommen zwischen unseren Ländern unterzeichnet worden, die gegenseitige Verständigung und auf beiden Seiten Bereitschaft zur Zusammenarbeit zum Ausdruck bringen.Wie wichtig gute Beziehungen für unsere beiden Staaten, für unsere Völker auch sein mögen, nicht weniger wichtig ist es, daß die Herstellung und Entwicklung dieser Beziehungen heutzutage zu einem umfassenderen Prozeß einer gründlichen Gesundung des internationalen Lebens in Europa und nicht nur in Europa gehört.Und in diesem Zusammenhang fuhr er fort:Es vollzieht sich der Übergang von einem Vierteljahrhundert des kalten Krieges zu Beziehungen des Friedens, der gegenseitigen Achtung und Zusammenarbeit zwischen den Staaten in Ost und West. Eben darauf ist die Politik der frielichen Koexistenz gerichtet, die von der Sowjetunion gegenüber den Staaten mit entgegengesetzem Gesellschaftssystem vertreten wird.Soweit Herr Breschnew in seiner Ansprache an die Hörerinnen und Hörer bei uns hier in der Bundesrepublik und darüber hinaus an die, die mitsehen und mithören konnten.
Was jedenfalls diesen Übergang von dem Vierteljahrhundert des kalten Krieges zu Beziehungen des Friedens und, wie auch noch charakterisiert, der gegenseitigen Achtung und Zusammenarbeit zwischen den Staaten in Ost und West betrifft: dazu und dabei wollen wir als Bundesrepublik unseren Beitrag leisten, ihn leisten als ein westliches Land in der Mitte Europas und als ein Teil des atlantischen Bündnisses.
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der amerikanische Präsident Kennedy hat einmal festgestellt — ich zitiere —:Der Friede ist ein täglicher, wochen- und monatelanger — ich sage: jahrelanger — Prozeß der allmählichen Meinungsänderung, der langsamen Aushöhlung alter Widerstände, des stillen Aufbaus neuer Strukturen. Für eine Aussprache ist es niemals zu spät.Mir scheint das ein gutes Motto für außenpolitische Überlegungen zu sein. Wir haben uns bemüht, uns immer daran zu halten.Die sozialliberale Koalition hielt es für ihre Pflicht, auch für eine Verfassungspflicht — ich möchte das in dieser Situation besonders betonen -, Wege zu suchen, die drei Ziele erreichen sollen: die Sicherung des Friedens, die Entspannung und Zusammenarbeit in Europa und die Erhaltung unserer nationalen Substanz. Mit einer weiteren Pflege von Konfrontation und Spannungsherden, wie dies in den letzten Jahren deutlich geworden ist, konnte den Interessen des gesamten deutschen Volkes nicht gedient sein. Der einzige realistische Weg waren die vertraglichen Regelungen und der Weg des Gesprächs. Im Kommuniqué, in den Gesprächen zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Generalsekretär Breschnew spiegelt sich das Bemühen um eine fortschreitende Entspannung wider.Natürlich gilt es, mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Unser Standbein — das sage ich ganz deutlich — war und ist dabei die westeuropäische Integrationspolitik.
Auch gilt es nüchtern zu prüfen, ob und wie sich die erzielten Übereinkommen im politischen Alltag bewähren werden und welche Chancen sie bieten. Besonders erwähnenswert scheint mir aber zu sein, daß die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft heute von der sowjetischen Seite als Selbstverständlichkeit angesehen und in die gesamte praktische Politik einbezogen wird. Allen falschen Prophezeiungen zum Trotz geht es eben nicht darum — wie gerade immer wieder von der Opposition behauptet worden ist —, Versuche zur Sprengung der Europäischen Gemeinschaft durch die Sowjetunion abzuwehren, sondern es geht heute darum, Wege zu finden, gemeinsam zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem COMECON zu einer wirtschaftlichen Kooperation zu kommen. Das ist der entscheidende Fortschritt, der mit erzielt worden ist.
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1938 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
MischnickDie allseitigen Bemühungen, zur Entkrampfung in Europa und zur Normalisierung zu gelangen, wären unvollständig, wenn sie nicht unmittelbar auch den Menschen dienen würden.Seit Ende des Zweiten Weltkrieges ist es erstmals gelungen — das sollte doch immer wieder unterstrichen und immer wieder gewürdigt werden —, mit der Regierung der UdSSR eine verbindliche Absprache über Berlin auf bilateraler Basis zu erreichen. Das hat keine Regierung vorher erreicht; das sollten wir endlich anerkennen!
Die klaren Feststellungen in der Gemeinsamen Erklärung zu dem Viermächteabkommen über Berlin haben nach meiner Meinung, nach Meinung meiner Fraktion, die Möglichkeiten für die Weiterentwicklung der politischen Beziehungen erleichtert.Es ist schon vergessen, wie vor diesem Breschnew-Besuch in der Öffentlichkeit eine falsche Stimmung gemacht worden ist. Beispielsweise habe ich es selbst erlebt, daß Ende April in einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung in Berlin die, wie ich damals schon feststellte, unberechtigte Sorge geäußert wurde, die Handhabung des Viermächteabkommens würde bei dem Besuch Breschnews überhaupt nicht zur Sprache kommen. Alle diese Kleingläubigen sind wieder einmal beschämt worden, sie haben wieder einmal falsch prophezeit.
Das Kommuniqué beweist, daß unsere Interessen, die Interessen der Bundesrepublik Deutschland, Berlins, aller Deutschen, mit Nachdruck vertreten worden sind.Wenn ich nun die Kritik von Herrn Carstens hier höre, kann ich nur sagen, eines ist sicher: Die gleichen Kritiker, die diese ausdrückliche Bestätigung der Anwendung der Viermächtevereinbarung als einen Beweis dafür ansehen, wie notwendig es offensichtlich sei, Selbstverständlichkeiten mit der Sowjetunion schriftlich abzusichern, wären mit Sicherheit die lautesten Schreier gewesen, wenn dieser Passus in dem Kommuniqué nicht enthalten gewesen wäre.
Das ist doch der Tatbestand, vor dem wir stehen.
Eine Friedenspolitik erfordert zu ihrer Festigung natürlich auch den Ausbau der wirtschaftlichen, der industriellen Zusammenarbeit, auch mit gesellschaftspolitisch anderen Systemen. Deshalb begrüßt die freie demokratische Fraktion den Abschluß der Abkommen über wirtschaftlich-technologische Zusammenarbeit und über den Kulturaustausch. Damit sind befriedigende Voraussetzungen für eine künftige Zusammenarbeit auf diesen Gebieten geschaffen worden. Die Unterzeichnung dieser Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion hat aber auch bewiesen, daß eine Aufnahme der Berlin-Klausel, einer Klausel über die Gültigkeit der Verträge auch für Berlin, durchsetzbar ist entgegen allen Zweifeln, wie sie vor dieser Begegnung noch überall geäußert worden sind.
Mit diesen Verträgen sind nach meiner Überzeugung positive Präzedenzfälle geschaffen worden, an denen sich auch die anderen Warschauer-Pakt-Staaten jetzt orientieren werden, ja — davon bin ich überzeugt — orientieren wollen. Weiterhin glaube ich, daß die Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR erleichtert worden sind, wenn auch — um das gleich hinzuzufügen — damit nach meiner Überzeugung nicht alle Probleme als von vornherein gelöst betrachtet werden können. Die langfristigen wirtschaftlichen Bindungen, die hier aufgebaut werden sollen, tragen nach meiner Überzeugung auch zur Sicherung der friedlichen Entwicklung in Europa bei. Daß eine solche wirtschaftliche Zusammenarbeit sich nicht im luftleeren Raum entwickeln kann, sondern vom politischen Gesamtklima abhängt, ist doch sehr deutlich geworden.Meine Damen und Herren, es wäre verfehlt, die positiven Aspekte dieses Besuchs überzubewerten und zu glauben, daß das deutsch-sowjetische Verhältnis nun für alle Zukunft problemfrei sei. Das erwartet niemand. Ich sehe es aber als einen weiteren entscheidenden Fortschritt an, daß mit der Ratifizierung der Verträge heute strittige Fragen nicht mehr wie in der Vergangenheit durch Notenaustausch geklärt werden sollen, was meistens zu Verhärtungen geführt hat, sondern daß durch das direkte Gespräch der für beide Seiten tragbare Kompromiß möglich geworden ist. Das ist gegenüber früher auch ein entscheidender Fortschritt.
Wir sind der Überzeugung, daß das Kommuniqué und die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers ein wichtiger Beitrag zur weiteren Entspannung in Europa sind und der Sicherung des Friedens dienen. Wir danken dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Bundesaußenminister sowie dem gesamten Kabinett für die Arbeit, die hier in den letzten Wochen geleistet worden ist.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch einige Bemerkungen zum Beschluß der Bayerischen Staatsregierung wegen des Grundvertrages machen. Der Herr Kollege Carstens hat zwar davon gesprochen, er sei sich im Zweifel, ob das hier der richtige Ort sei. Meine Damen und Herren, ich kann mir politisch keinen anderen und besseren Ort vorstellen, als diesen, um über diese Frage zu reden. Wo denn sonst?
Meine Damen und Herren, in einer Phase der Entspannungspolitik, in der sichtbare Zeichen zu spüren und zu sehen sind, in der Fortschritte für die Menschen, wenn auch ganz allmählich und Schritt für Schritt, sichtbar werden, muß der von der CSU eingeschlagene Weg nach Karlsruhe nach meiner Überzeugung ins politische Abseits führen. Ich habe diese Vokabel in der Hoffnung gewählt, daß sie dann vielleicht für den Kollegen Stücklen verständlicher ist. Jedem in diesem Hohen Hause ist nach den eingehenden Diskussionen im Plenum und in den beteiligten Ausschüssen bekannt, daß die Bundesregierung überhaupt erst nach sorgfältigem Abwägen der verfassungsrechtlichen Normen in die
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1939
MischnickVerhandlungen mit der DDR eingetreten ist und sich durchaus in dem Rahmen bewegt hat, den das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat. Ich zitiere aus dem bekannten Urteil, in dem es wörtlich heißt:nachdem die zu politischem Handeln berufenen Organe der Bundesrepublik Deutschland zu entscheiden haben, welche Wege sie zur Herbeiführung der Wiedervereinigung als politisch richtig und zweckmäßig ansehen.Wem angesichts dieser Tatsache in der Deutschlandpolitik nichts weiter einfällt, als im Stadium des konkreten Handelns gleich nach dem Richter zu rufen, verhält sich in meinen Augen zumindest unpolitisch.
Diese nach rückwärts gerichtete Entscheidung der CSU läßt befürchten, daß bei dem überstarken Einfluß von Franz Josef Strauß auf die gesamte CDU/ CSU-Fraktion auch in Zukunft keinerlei politische Alternativen zur Deutschlandpolitik dieser Koalition erwartet werden können.
Das bedauern wir im Interesse der betroffenen Menschen.
— Wenn Sie das als Märchen ansehen, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie auch nur eine einzige praktische Alternative hier auf den Tisch legen würden. Das können Sie nicht, und das wissen Sie.
Mir scheint diese Verfassungsklage mehr ein Ausdruck — und ich sage das bewußt des schlechten Gewissens
als des politischen Wollens zu sein, nämlich des schlechten Gewissens gegenüber den Menschen in unserem Lande, denen man aus parteitaktischen Gründen eingeredet hat, diese Verträge seien verfassungswidrig, und die nun von Ihnen praktisches Handeln einklagen. Wir sehen der Entscheidung des Gerichts mit Ruhe und Gelassenheit entgegen.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache zur Regierungserklärung.
Wir kommen zu den Punkten 2, 3, 4 und 5 der Tagesordnung:
2. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Steueränderungsgesetzes 1973
Drucksache 7/419
aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/603 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Haehser
bb) Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksachen 7/591, 7/592 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Sprung
b) Zweite Beratung des von den Abgeordneten Höcherl, Vogt, von Bockelberg, Katzer, Dr. Wagner und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes
— Drucksache 7/223 —
Bericht und Antrag des Finanzausschusses
- Drucksachen 7/591, 7/592 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Sprung
c) Beratung des Berichts und des Antrags des Finanzausschusses über die zustimmungsbedürftige Dritte Verordnung über steuerliche Konjunkturmaßnahmen
— Drucksachen 7/546, 7/591, 7/592 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Sprung
3. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes 1964 und des Gesetzes über das Branntweinmonopol
— Drucksache 7/422 —
Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/590 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Weber
4. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft
— Drucksache 7/499 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Finanzausschuß
Haushaltsausschuß
5. Beratung des Sondergutachtens zur konjunkturpolitischen Lage im Mai 1973
— Drucksache 7/530 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß
Der Ältestenrat empfiehlt verbundene Debatte.-
Ich höre keinen Widerspruch.
Wird das Wort zur Berichterstattung zu Punkt 2 gewünscht? — Bitte schön, Herr Kollege Sprung!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In dem vorliegenden Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 1973 sind die wich-
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1940 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Dr. Sprungtigsten Maßnahmen des von der Bundesregierung vorgelegten Stabilitätsprogramms zur Bekämpfung der ausufernden konjunkturellen Entwicklung und der damit verbundenen inzwischen extremen Preissteigerungen enthalten. Dieses Programm ist in zwei Etappen zustande gekommen.Als sich Anfang des Jahres erste Überhitzungserscheinungen der Wirtschaft bei anhaltendem Preisanstieg abzeichneten, beschloß die Bundesregierung zur Abschöpfung von Liquidität und Kaufkraft die Auflegung einer Stabilitätsanleihe und ersuchte den Bundestag um folgende steuerpolitische Maßnahmen: 1. die Aufhebung der Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen als Sonderausgaben, 2. die Streichung der degressiven Abschreibung nach § 7 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes, 3. die Herabsetzung der Investitionszulage von 10 auf 7,5 % nach dem Investitionszulagengesetz bei Errichtungs- und Erweiterungsinvestitionen, 4. die Erhebung einer Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer als Stabilitätsabgabe in Höhe von 10 % für Jahreseinkommen von 100 000 DM bei Ledigen und von 200 000 DM bei Verheirateten. Der aufkommende Betrag sollte bei der Deutschen Bundesbank auf einem Sonderkonto stillgelegt werden. Zu diesen steuerpolitischen Maßnahmen trat die Erhöhung der Mineralölsteuer um 5 Pf je Liter hinzu.Noch während des Beratungsverfahrens über den entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zeigte sich, daß diese Maßnahmen unzureichend sein würden, um das angestrebte Ziel zu erreichen, nämlich die Übersteigerung der konjunkturellen Entwicklung zu bremsen und in der Preisentwicklung eine Tendenzwende herbeizuführen. In der Zwischenzeit erklomm die Preissteigerungsrate für den privaten Verbrauch die nach dem Kriege noch nie erreichte Höhe von 7,5 % Ende April. Der konjunkturelle Aufschwung läßt die Projektion des Jahreswirtschaftsberichts inzwischen weit hinter sich. Die Entwicklung nimmt boomhafte Züge an. Vor allem aber zeigt sich — das ist das eigentlich Gefährlich der heutigen Situation —, daß Wirtschaft und Verbraucher den Fortgang von Preissteigerungen in ihre wirtschaftlichen Entscheidungen mit einzubeziehen beginnen. Eine gefährliche Inflationsmentalität macht sich breit. Der Boom beginnt sich aus sich selbst zu nähren.Angesichts dieser Situation sind weitere harte und durchgreifende Maßnahmen unerläßlich, um die überbordende Nachfrage sowohl nach Investitionsgütern als auch nach Verbrauchsgütern drastisch zu beschneiden. Die Bundesregierung erweiterte in der Kabinettssitzung vom 9. Mai 1973 den Katalog der bereits im Entwurf des Steueränderungsgesetzes 1973 vorgeschlagenen Maßnahmen in folgender Weise:5. Auch für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens wird die degressive Abschreibung nach § 7 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes ausgeschlossen.6. Zur Dämpfung der Investitionsnachfrage wird eine Investitionssteuer von 11 % erhoben.7. Zur Beschränkung der Nachfrage im Bausektor, der besondere Überhitzungserscheinungen zeigt, wird die degressive Abschreibung nach § 7 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes für alle Gebäude, mit Ausnahme der Gebäude, die nach dem Zweiten Wohnungsbauförderungsgesetz gefördert werden, sowie der § 7 b des Einkommensteuergesetzes, also die erhöhte Abschreibung für Einfamilien-, Zweifamilienhäuser und Eigentumswohnungen, aufgehoben.8. Zur weiteren Abschöpfung von Liquidität und Kaufkraft im Bereich der privaten Nachfrage wird die Stabilitätsabgabe bereits für Einkommen von 24 000 DM bei Ledigen und von 48 000 DM bei Verheirateten erhoben.Darüber hinaus werden weitere flankierende haushaltspolitische, handelspolitische, Wettbewerbs- und verbraucherpolitische Maßnahmen angekündigt. Die genannten steuerpolitischen Maßnahmen wurden als Anträge der Koalitionsfraktionen in die Beratungen des Entwurfs des Steueränderungsgesetzes 1973 eingebracht.Der Finanzausschuß hat in seinen Sitzungen in der vorletzten und in der letzten Woche das von mir soeben in seinen Grundzügen wiedergegebene Stabilitätsprogramm der Bundesregierung in der gebotenen Eile beraten, soweit es gesetzlich seinen Niederschlag findet. Auf Antrag der Opposition hörte der Ausschuß außerdem das Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bundesbank, Dr. Schlesinger, und den Vorsitzenden des Sachverständigenrats, Professor Dr. Kloten. In den Beratungen des Ausschusses bestand allgemeine Einigkeit über die Notwendigkeit durchgreifender Maßnahmen. Unterschiedliche Beurteilung fand dagegen die Frage, ob das Stabilitätsprogramm in sich ausgewogen und ausreichend sei. Alle Fraktionen stimmten darin überein, daß das Programm ohne Zweifel eine dämpfende Wirkung auf die konjunkturelle Entwicklung und auf die Preisentwicklung haben würde, auch wenn der Bremsweg sehr lang sein dürfte.Ein Kaufkraftentzug, wie er durch das Programm erzielt werden könnte, dürfte nicht ohne Wirkungen bleiben. Die Schätzungen über die Höhe des Kaufkraftentzuges schwanken allerdings erheblich, weil es so gut wie unmöglich ist, die Einnahmen aus der Investitionssteuer zu berechnen. Wirkt die Investitionssteuer, so sind die aufkommenden Steuereinnahmen vergleichsweise gering; wirkt sie nicht, so sind sie erheblich.Die Opposition, meine Damen und Herren, bestreitet jedoch, daß das Programm ausgewogen sei; sie bestreitet auch, daß das Programm ausreichend sei. Was die Ausgewogenheit betrifft, so bestünde, sagt die Opposition, ein deutliches Übergewicht der investitionsdämpfenden Maßnahmen. Diese Maßnahmen seien für sich genommen sicherlich geeignet, die Nachfrage nach Investitionen zu dämpfen. Es sei jedoch notwendig, alle Maßnahmen zusammen zu sehen, und da zeige sich, daß die Nachfrage nach Verbrauchsgütern nur in geringem Ausmaß beschränkt werden dürfe, obgleich eine Quelle der inflatorischen Überhitzung mehr und mehr auch die Verbrauchernachfrage sei.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1941
Dr. SprungDiese Meinung der Opposition wurde auch von den beiden Sachverständigen geteilt. Der Vertreter der Bundesbank erklärte, daß man die Gewichte vielleicht etwas anders hätte verteilen können. Der Vorsitzende des Sachverständigenrates äußerte Zweifel, ob die Verbrauchernachfrage überhaupt beschränkt werden würde, da auch die Stabilitätsabgabe im wesentlichen nur die Investitionen, nicht aber den privaten Verbrauch treffen werde. Diejenigen, die die Stabilitätsabgabe zu zahlen haben, werden ihren Verbrauch kaum einschränken; sie werden einfach weniger sparen.Der Vorsitzende des Sachverständigenrates verwies in diesem Zusammenhang noch einmal auf das Sondergutachten des Gremiums und auf die darin vorgeschlagenen beiden alternativen Maßnahmenbündel zur Einschränkung der Nachfrage. Die erste Alternative enthält bekanntlich neben anderen den Vorschlag der Erhebung eines Konjunkturzuschlags gemäß § 26 des Stabilitätsgesetzes. Die aufkommenden Mittel sollten zur Vermögensbildung für die Bezieher niedriger Einkommen verwendet werden. Die zweite Alternative des Sondergutachtens sieht vor, neben der Stabilitätsabgabe, wie sie nunmehr vorgeschlagen ist, und neben anderen eine Steuer auf Investitionen von 5 % zu erheben und die aufkommenden Mittel stillzulegen. Aus Gründen der Ausgewogenheit und der flächigeren Wirkung der Maßnahmen hätte der Vorsitzende des Sachverständigenrates persönlich der ersten Alternative, also dem Konjunkturzuschlag plus Vermögensbildung, den Vorzug gegeben. Diese Alternative hätte außerdem seiner Meinung nach den Vorzug gehabt, den Bremsweg zu verkürzen.Ebenso, meine Damen und Herren, trägt nach Meinung der Opposition die öffentliche Hand, und hier insbesondere der Bund, nicht genügend zur Nachfragebeschränkung bei. Während der Vertreter_ der Bundesbank über das Haushaltsgebaren des Bundes alles in allem ein positives Urteil fällte, weil mit den Steuermehreinnahmen, wenn sie stillgelegt werden, Liquidität entzogen werde, die mit den traditionellen kreditpolitischen Mitteln nicht erreichbar sei, erklärte der Vorsitzende des Sachverständigenrates, daß schon die Haushaltsplanung des Bundes nicht konjunkturneutral sei. Die Anwendung des Schuldendeckels habe nur dann eine dämpfende Wirkung, wenn der Verzicht auf eine Kreditaufnahme nicht durch Steuermehreinnahmen ausgeglichen werde.Die Opposition war darüber hinaus der Auffassung, daß das Programm außerdem nicht ausreichend sei. Sie erklärte zu Beginn der Beratungen des Ausschusses, daß sie bereit sei, wirksame zusätzliche Maßnahmen zu unterstützen, auch wenn diese unpopulär sein könnten, wenn die Bundesregierung sie vorschlage. Das Stabilitätsgesetz biete hierfür die Handhabe. Solche Maßnahmen könnten zugleich der Unausgewogenheit des Programms begegnen. Falls die Bundesregierung hierzu nicht bereit sei, könne die Opposition dem Stabilitätsprogramm nur zustimmen, wenn dieses in folgenden Punkten geändert werde.Erstens. Die aus der Stabilitätsabgabe anfallenden Mittel werden gemäß dem Stabilitätsgesetz stillgelegt.Zweitens. Um Kaufkraft im Bereich der Verbraucher abzuschöpfen, wird für alle Einkommen unterhalb von 24 000 bzw. 48 000 DM für freiwilliges Sparen eine Stabilitätsprämie von 30 %, höchstens jedoch 150 DM je Sparer, gewährt.Drittens. Die Mineralölsteuererhöhung unterbleibt, da sie preistreibend wirkt.
Viertens. Die Steuermehreinnahmen werden als Konjunkturausgleichsrücklage bei der Bundesbank stillgelegt.Bei Annahme dieser Vorschläge erklärte sich die Opposition außerdem bereit, nicht nur dem Stabilitätsprogramm der Bundesregierung zuzustimmen, sondern bis auf weiteres auch auf ausgabeerhöhende und einnahmemindernde Initiativen zu verzichten.Meine Damen und Herren, die Koalitionsparteien lehnten diese Vorschläge ab. Den Vorschlag für freiwilliges Sparen, zu dem über eine Stabilitätsprämie ein entsprechender Anreiz gegeben wird — übrigens ein Vorschlag zur zusätzlichen Abschöpfung der Kaufkraft, den im Grundsatz auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin in seinem Minderheitsgutachten zur konjunkturellen Lage vom 12. April gemacht hat —, schien den Koalitionsparteien nicht ausgereift bzw. technisch zu schwierig zu sein. Außerdem würde dadurch der Haushalt in einem unzumutbaren Außmaß belastet. Die Stabilitätsanleihe schöpfe im übrigen die möglichen Sparbeiträge ab.Der Antrag, die Mineralölsteuer fortfallen zu lassen, wurde mit der Begründung abgelehnt, daß die daraus aufkommenden Steuermehreinnahmen zur mittelfristigen Konsolidierung des Bundeshaushaltes erforderlich seien. Vom Vorsitzenden des Sachverständigenrates wurde in der Anhörung diese Begründung unterstützt, jedoch sehr nachdrücklich erklärt, daß die Erhöhung der Mineralölsteuer unter stabilitätspolitischen Gesichtspunkten nicht gerechtfertigt werden könnte. Die Erhöhung der Mineralölsteuer wäre allerdings dann anders zu beurteilen, wenn die daraus fließen Steuermehreinnahmen bei der Bundesbank stillgelegt würden. Eine solche Stilllegung ist aber im Gesetz nicht vorgesehen.Der Antrag, die aufkommenden Beträge aus der Stabilitätsabgabe und die Steuermehreinnahmen gemäß Stabilitätsgesetz stillzulegen, wurde von den Koalitionsfraktionen mit der Begründung zurückgewiesen, daß die spätere Verwendung der Mittel durch Gesetz beschlossen werden würde.Die von der Opposition angesprochene verfassungsrechtliche Problematik der Stabilitätsabgabe als Ergänzungsabgabe wurde dabei eingehend mit-beraten. Die Koalitionsparteien sind in diesem Punkte der Auffassung der Bundesregierung gefolgt, nach der diese Abgabe als eine dem Bund zustehende Steuer sowohl der Höhe nach als auch des
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1942 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Dr. Sprungaußergewöhnlichen Anlasses wegen gerechtfertigt sei.Der vorliegende Entwurf des Steueränderungsgesetzes 1973 enthält eine Verpflichtung der Bundesregierung, die spätere Verwendung der aus der Stabilitätsabgabe anfallenden Mittel durch Gesetz beschließen zu lassen, allerdings nicht. Von der Bundesregierung wird in der Begründung lediglich in Aussicht gestellt, daß, sobald es die Konjunkturlage gestatte, die Bundesregierung dem Gesetzgeber vorschlagen werde, die stillgelegten Mittel für die Finanzierung von dringlichen Bundesaufgaben freizugeben. Gleichzeitig soll, wie es in der Begründung außerdem heißt, aber auch geprüft werden, in welcher Form diese Mittel für Zwecke einer breitgestreuten Vermögensbildung verwandt werden können. Es ist in den Beratungen des Ausschusses nicht ganz klar geworden, wozu die Mittel tatsächlich endgültig verwandt werden sollen, für die Finanzierung von dringlichen Bundesaufgaben oder für die Vermögensbildung. Was die Zusage einer späteren Verwendung der Mittel durch Gesetz betrifft, so ist natürlich nicht zu übersehen, daß eine Verwendung nach den Vorschriften des Stabilitätsgesetzes nur unter wesentlich strikteren Voraussetzungen möglich ist als im Falle der Verwendung nach den Vorschriften eines einfachen Bundesgesetzes.Auch die angehörten Sachverständigen brachten klar zum Ausdruck, daß die bei der Bundesbank stillzulegenden Mittel so behandelt werden müßten, als wären sie im Sinne eines Konjunkturzuschlages erhoben worden, also gemäß Stabilitätsgesetz und dem Antrag der Opposition.Der letzte Punkt von allgemeiner Bedeutung, meine Damen und Herren, der kurz erwähnt werden sollte, ist die außenwirtschaftliche Flanke. Die Bedeutung dieses Problems liegt auf der Hand. Die Auslandsnachfrage ist in den letzten Monaten fast explosionsartig gestiegen. Wähend die inländische Nachfrage vor allem nach Investitionsgütern in einem erheblichen Ausmaß besteuert wird, bleibt die Nachfrage des Auslandes davon unberührt. Der Regierungsvertreter erläuterte die Gründe für den Verzicht auf Maßnahmen, die den Export belasten oder den Import erleichtern. Aus dem Ausschuß heraus wurde die Befürchtung laut, daß von der Außenhandelsseite her das vorgeschlagene Stabilitätsprogramm teilweise unterlaufen werden könnte. Das Problem der außenwirtschaftlichen Absicherung stellt sich aber insbesondere dann, wenn das Stabilitätsprogramm Erfolg zeigen sollte.Der Vertreter der Bundesbank teilte diese Bedenken nicht. Der Überschuß in der laufenden Rechnung würde sich in den nächsten Monaten in einem tragbaren Rahmen halten. Einen weiteren Schutz böte das Block-Floaten in der EWG. Die D-Mark liege in dieser Gruppe am unteren Interventionspunkt. Schließlich erlaubten steigende Zinsen im Ausland, vor allem in den USA, der Bundesbank auch weiterhin, ihren scharfen Restriktionskurs in der Kreditpolitik beizubehalten. Dieser scharfe Restriktionskurs in der Kreditpolitik ist im übrigen nach Auffassung beider Sachverständiger Voraussetzung für die Wirksamkeit des gesamten Stabilitätsprogramms.Weniger optimistisch als der Vertreter der Bundesbank äußerte sich der Vorsitzende des Sachverständigenrats zu den Möglichkeiten im Bereich der Außenwirtschaftspolitik.Meine Damen und Herren, was das Steueränderungsgesetz 1973 in seinen Einzelheiten betrifft, so möchte ich auf folgende Punkte besonders hinweisen:Einstimmig wurde vom Ausschuß der Antrag der Opposition angenommen, die in bezug auf die Höhe des Einkommens nunmehr unbegrenzte Steuerfreiheit für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge bereits für das Kalenderjahr 1973 vorzusehen.Ausgiebig hat sich der Ausschuß mit den Konsequenzen der Streichung des § 7 b beschäftigt. Es herrschte Einigkeit, daß für Fertighäuser eine besondere Regelung getroffen werden sollte.Nicht einverstanden erklären konnten sich die Koalitionsfraktionen mit dem Antrag der Opposition, für den sozialen Wohnungsbau den § 7 b weiterhin in Kraft zu lassen. Die Opposition argumentierte, daß der soziale Wohnungsbau ja auch von der Streichung des § 7 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes, also der degressiven Abschreibung von Wohngebäuden, ausgenommen bleibe.Ebenso abgelehnt wurde von den Koalitionsfraktionen ein Vorschlag des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen, der von Abgeordneten der Opposition als Antrag eingebracht wurde, im Investitionszulagengesetz der politisch bedingten besonderen Situation des Zonenrandgebiets beim Nachweis der Förderungswürdigkeit Rechnung zu tragen.Ich möchte zum Schluß noch eine kurze Mitteilung zu Protokoll geben. Auf Seite 41 sind in Art. 3 a Nr. 12 § 30 Abs. 7 Satz 1 — das betrifft die Umsatzsteuer, also hier die Investitionssteuer — nach den Worten „der Steuer für den Selbstverbrauch unterlegen hat," die Worte „vor dem 1. Mai 1975" anzufügen. Diese Ergänzung hat nur klarstellenden Charakter.Meine Damen und Herren, namens des Finanzausschusses, der den vorliegenden Gesetzentwurf mehrheitlich bejahte, bitte ich, dem Entwurf in der erarbeiteten Form zuzustimmen.
Das Wort zur Berichterstattung zu Punkt 3 hat der Abgeordnete Dr. Weber.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Gesetz zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes 1964 und des Gesetzes über das Branntweinmonopol soll die Einnahmestruktur des Bundeshaushalts nachhaltig und dauerhaft verbessert und außerdem eine Begrenzung der Nettokreditaufnahme des Bundeshaushalts 1973 erreicht werden. Darüber hinaus ist dieses Gesetz stabilitätspolitisch erwünscht.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1943
Dr. Weber
Die Opposition hat die Erhöhung der Mineralölsteuer abgelehnt, weil sie das hat Herr Dr. Sprung eben in seinen Ausführungen bereits erwähnt — unmittelbar preiserhöhend wirke und der Kraftfahrzeugsteuerreform im Wege stehe. Die Koalitionsfraktionen waren der Meinung, daß beide Gründe nicht stichhaltig sind; denn bei allen Steuererhöhungen muß damit gerechnet werden, daß mehr oder weniger erfolgreich versucht wird, die Mehrbelastungen auf die Preise zu überwälzen.Die Koalitionsfraktionen waren demgegenüber der Meinung, daß erstens die Mineralölsteuererhöhung Kaufkraft abschöpft und damit mittelbar durch Verschmälerung der Nachfrage preisstabilisierend wirkt; daß sie zweitens die einzige Maßnahme im Konsumbereich überhaupt ist, auch für und gegen diejenigen, die von der Stabilitätsabgabe nicht betroffen werden; daß sie drittens dazu dient, öffentliche Aufgaben langfristig zu finanzieren, und, wie auch der Sachverständigenrat in seinem Nachtragsgutachten unter Ziffer 18 festgestellt hat, langfristig einen inflatorischen Impuls im Haushalt dauerhaft zu beseitigen vermag. Deswegen ist die Feststellung, die Herr Dr. Sprung hierzu getroffen hat, auch willkürlich. Sie stimmt mit den Feststellungen, die sowohl Herr Schlesinger wie auch Herr Kloten in der Anhörung im Finanzausschuß getroffen haben, nicht überein.
Viertens. Das Gesetz führt zu einer Verminderung der Kreditaufnahme und trägt damit auch zu einer weiteren Beruhigung des Kapitalmarktes bei.Fünftens. Der Ausschuß hat festgestellt, daß die Bundesrepublik mit dieser Steuererhöhung auch im Vergleich der europäischen Tankstellenpreise nicht an die Spitze der europäischen Länder vorrückt, sondern daß sie vielmehr mit den Abgabepreisen im Mittel der anderen vergleichbaren europäischen Länder liegt.Sechstens. Der Ausschuß war schließlich der Meinung, daß dieses Gesetz der Kraftfahrzeugsteuerreform nicht im Wege steht. Die Kraftfahrzeugsteuerreform hat mit der Mineralölsteuererhöhung nicht das geringste zu tun.Siebtens. Auf Antrag der Opposition, dem sich die Koalitionsfraktionen angeschlossen haben, hat der Finanzausschuß das Direktoriumsmitglied der Bundesbank, Herrn Schlesinger, und den Vorsitzenden des Sachverständigenrates, Herrn Professor Kloten, gehört. Beide Herren haben die Maßnahmen, die von der Regierung vorgeschlagen werden, für dringend notwendig und in der Realisierung für wünschenswert gehalten.Namens des Finanzausschusses bitte ich deshalb, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen.
Ich danke den beiden Herren Berichterstattern.
Wir kommen nun zur verbundenen Aussprache. Das Wort — zugleich zur Stellungnahme zu Punkt 5 — hat Herr Bundesminister Friderichs.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Wir haben ein Gesamtpaket von fünf zusammenhängenden Tagesordnungpunkten zu behandeln. Die Berichterstatter haben bezüglich der Beratung der drei ersten Tagesordnungspunkte bereits ausführlich die unterschiedlichen Standpunkte in diesem Hause dargestellt. Da wir aber bei einigen Punkten eine Art erste Lesung haben, möchte ich zu dem Gesamtpaket noch einmal kurz die Auffassung der Bundesregierung darstellen.Die Bundesregierung hat unter Ziffer 11 des Jahreswirtschaftsberichts ausgeführt, daß die dargelegten Planungen für die Wirtschafts- und Finanzpolitik im einzelnen erst im Laufe des Jahres konkretisiert werden könnten und gegebenenfalls an eine veränderte Wirtschaftslage anzupassen seien. Die Notwendigkeit einer Anpassung zeichnete sich bereits ab, als die nationale Wirtschaftspolitik durch den Dammbruch an den Devisenmärkten nahezu zur Wirkungslosigkeit verurteilt wurde.Erst die Entscheidungen über eine Vereinbarung auf währungspolitischem Gebiet haben die Voraussetzungen geschaffen, ein neues Maßnahmenbündel vorzulegen. Obwohl damals ein Aufwertungseffekt der D-Mark erreicht worden ist, hat dieser auf die binnenwirtschaftliche Situation angesichts der weltweiten Hochkonjunktur nicht durchgeschlagen. Die expansive Nachfrage aus dem Ausland wurde durch eine kräftige Belebung der Inlandsnachfrage, insbesondere nach Investitionsgütern, begleitet. Hinweisen möchte ich auch auf die Entwicklung der öffentlichen Haushalte insgesamt, auf die Tarifabschlüsse, insbesondere aber auf die Effektivlohnentwicklung. All das zusammen schaffte Spielraum für weitere Preiserhöhungen. Nahezu jeder schöpfte seine Möglichkeiten und seinen Spielraum aus. Es wurden Löhne, Preise und letztendlich auch die Verantwortung überwälzt.Angesichts dieser Lage war die Bundesregierung der Auffassung, daß das Stabilitätsprogramm vom 17. Februar dieser Situation nicht mehr gerecht werde, daß es nicht mehr ausreiche. Sie hat daher eine Reihe zusätzlicher Maßnahmen vorgelegt.Die jetzigen Beschlüsse, meine Damen und Herren — und dieser Tatsache ist sich die Bundesregierung bewußt , sind hart und einschneidend. Aber wir sind der Auffassung, daß angesichts der konjunkturellen Situation Halbheiten oder auch eine Summe aufeinander nicht abgestimmter Einzelmaßnahmen nicht mehr in die Landschaft paßten. Es mußte hart zugepackt werden. Notwendig war daher ein Maßnahmenpaket, das nicht nur wirksam, sondern insgesamt auch glaubwürdig für die Rückgewinnung von mehr Stabilität sein mußte.Bei Erscheinen des Sondergutachtens des Sachverständigenrates stand dieses Paket bereits in seinen Grundrissen fest. Ich möchte hier auf das Sondergutachten nicht im einzelnen eingehen. Aber eines scheint mir richtig zu sein: selbst die teilweise etwas überspitzten Formulierungen haben dazu beigetragen, in breiten Schichten der Öffentlichkeit das Bewußtsein für die Handlungsnotwendigkeit zu schärfen.
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1944 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Bundesminister Dr. FriderichsMit dem Maßnahmenbündel, das heute in diesem Hohen Hause behandelt wird, hat die Bundesregierung Bedingungen geschaffen, unter denen einer bedrohlichen Eskalation des Preisanstiegs mit allen daraus resultierenden wirtschafts-, finanz- und gesellschaftspolitischen Gefahren in absehbarer Zeit Einhalt geboten werden kann und die Rückkehr zu geringeren Preissteigerungsraten realisiert werden kann.Meine Damen und Herren, ich möchte hier noch einmal betonen, daß die Bundesregierung, wie auch mehrfach vom Kollegen Schmidt und mir öffentlich dargelegt, direkte Eingriffe in die Lohn- und Preisbildung ablehnt. Sie wären nicht nur ein Verstoß gegen unsere marktwirtschaftliche und verfassungsrechtliche Ordnung, sondern sie böten auch, wie ausländische Erfahrungen rings um uns herum beweisen, keine Chance für eine nachhaltige Stabilisierung. Sie bedeuten ein Kurieren an Symptomen, mehr nicht.
Die Bundesregierung mußte daher als Ansatzpunkt ihres Stabilitätsprogramms die längerfristigen Ursachen des Prozesses treffen, nämlich die gesamtwirtschaftliche Übernachfrage. Es ist das Ziel, mit dem Maßnahmenbündel insgesamt so viel an Liquidität und Kaufkraft abzuschöpfen, daß die nominale Gesamtnachfrage im Laufe der nächsten 12 Monate um etwa 15 Milliarden DM reduziert wird. Grundbedingung für den Erfolg ist — und dessen sind wir uns bewußt —, daß die Deutsche Bundesbank ihre restriktive Kreditpolitik konsequent fortsetzt und daß der außenwirtschaftliche Handlungsspielraum auch weiterhin gegeben ist.Angesichts der gegenwärtigen und absehbaren Konjunkturentwicklung, aber auch unter Gesichtspunkten der Einkommensverteilung entspricht es den stabilitätspolitischen Erfordernissen, das Schwergewicht der Belastungen auf die Investitionsnachfrage, auf den Wohnungsbau, auf die Bezieher höherer Einkommen, aber auch auf die öffentlichen Haushalte zu legen. Die besondere Belastung der Investitionen — wobei ich mir erlaube, auf die Befristung der Maßnahmen noch einmal hinzuweisen — und der höheren Einkommen hat nichts mit einer Politik gegen die Unternehmer zu tun, wie manchmal draußen behauptet wird, sondern sie entspricht den konjunkturpolitischen Erfordernissen.Außerdem — und auch das soll hier klar und deutlich zum Ausdruck kommen — mußte ein übermäßiges Vorauseilen der Gewinnentwicklung vor den Lohneinkommen im Laufe dieses Jahres verhindert werden. Wenn auch die Prognose des Sachverständigenrates — sie wurde bekanntlich vor dem Beschluß der Bundesregierung erstellt — hinsichtlich des Ausmaßes der außergewöhnlichen Scherenstellung zugunsten der Gewinneinkommen von mir nicht geteilt wird, so hätte doch das Vorauseilen der Gewinne unseres Erachtens nicht nur den Arbeitsfrieden gefährdet, sondern insbesondere auch die bisherigen Tarifabschlüsse in Frage gestellt.Die Bundesregierung ist sich der Tatsache bewußt, daß diese Restriktionsmaßnahmen in einem begrenzten Umfang auch den realen Wachstumsspielraumbeeinträchtigen — eine Frage, die ja auch draußen diskutiert wird —; aber angesichts der größeren Gefahr, die aus einer Beschleunigung des Preisauftriebs für das gesamte Ordnungssystem erwächst, müssen kurzfristige Nachteile zugunsten der Wiederherstellung von mehr Stabilität und längerfristigen realen Wachstumschancen hingenommen werden.Mit der Einengung der Preisüberwälzungsspielräume und dem durch die neuen Daten ausgeübten Druck auf die Marktteilnehmer wird der Notwendigkeit Rechnung getragen, das inflatorisch bestimmte Bewußtsein zu ändern und damit auch den Teufelskreis des Antizipierens von Lohn- und Preissteigerungen zu durchbrechen.Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, hat gehandelt. Sie weiß allerdings, daß die eigentliche Restriktionswirkung des Maßnahmebündels mit einem gewissen Verzögerungseffekt verbunden ist. Das ist bei marktkonformen Maßnahmen nun einmal so.Es wird jetzt darauf ankommen, daß die Unternehmer und Tarifpartner die in diesem Programm gesetzten Daten — auch soweit sie noch nicht zu einer effektiven Einengung der Spielräume geführt haben — in ihr Handeln einbeziehen; oder anders ausgedrückt: daß Unternehmer und Tarifvertragsparteien schon jetzt bereit sind, ein dem Sinn und Inhalt dieses Paketes entsprechendes Verhalten zu beweisen. Wir hoffen' und erwarten, daß von heute an die Summe aller Einzelentscheidungen dieser geänderten Datenkonstellation entspricht. Jeder ist aufgerufen, hier ein Zeichen mit zu setzen. Wenn nur der Staat oder wenn nur eine Gruppe sich daran halten werden, meine Damen und Herren, kann dieses Programm nicht helfen. Darauf haben auch die Sachverständigen unmißverständlich hingewiesen.Es kommt darauf an, für einen befristeten Zeitraum auf das eine oder andere zu verzichten, damit wir uns auf Dauer in einer soliden Ordnung wieder das leisten können, was wir für erstrebenswert halten.Die Beteiligten der Konzertierten Aktion, meine Damen und Herren, stimmten am vergangenen Freitag trotz Kritik an Einzelheiten dem Programm insgesamt zu. Die Teilnehmer der Konzertierten Aktion erklärten sich bereit, dieses Programm nach Kräften mitzutragen, weil auch sie — und zwar übereinstimmend — die Wiedergewinnung von mehr Stabilität als ein vorrangiges Ziel betrachten. Ich werte diese Bereitschaft der Konzertierten Aktion als ein gutes Zeichen; ich werte es als ein besseres Zeichen als es ein formaler Stabilitätspakt wäre, der zudem mit unserer Wirtschaftsordnung nicht in Einklang stehen würde.Meine Damen und Herren von der Opposition: Sie täten gut daran, sich am Verhalten der Konzertierten Aktion zu orientieren;
das heißt: bei Kritik an Einzelheiten insgesamt Zustimmung, weil wir in einer Lage sind, in der noch so berechtigte Kritik an dem einen oder anderen Punkt nicht aufgewogen werden kann durch dieDeutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23, Mai 1973 1945Bundesminister Dr. FriderichsNachteile, die entstünden, wenn dieses Programm insgesamt zerredet oder beim Inkrafttreten längere Zeit hinausgezögert würde.Ich glaube, meine Damen und Herren — und dessen müssen Sie sich selbst bewußt sein —, die breite Öffentlichkeit hat kein Verständnis dafür, daß angesichts der konjunkturellen Situation Verzögerungen oder Kritik an Einzelheiten das Inkrafttreten des Programmes nennenswert hinausschieben und damit — darüber sollten wir uns klar sein — die Wirkung mehr als fraglich machen.Ich hoffe, daß das Verhalten der Konzertierten Aktion nicht nur die Opposition dieses Hohen Hauses beeindruckt, sondern auch die Mehrheit des Bundesrates; denn er wird sich ja mit dieser Frage noch in dieser Woche zu beschäftigen haben.Meine Damen und Herren, wer die notwendige Einsicht in die Wirkungen dieser Entscheidungen besitzt und wer die Konsequenzen eines möglichen Fehlverhaltens abzuschätzen vermag, kann diesem Programm seine Zustimmung nicht verweigern.
Das Wort hat der Abgeordnete Pieroth.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister soeben das von der Bundesregierung vorgelegte Stabilitätsprogramm mit „wirksam" bezeichnet hat, wenn die Sachverständigen im Finanzausschuß zu Urteilen wie „unausgewogen" und „ungleichgewichtig" gekommen sind, dann sehen wir darin zunächst einen Widerspruch.
Wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister mit vielleicht verständlicher Blickrichtung zur Öffentlichkeit hin Kritik an Einzelmaßnahmen nicht mehr wünscht, so fragen wir uns, warum man denn zu einer Diskussion mit der Möglichkeit von gemeinsam getragenen Verbesserungen am Stabilitätsprogramm in der Bundesregierung nicht bereit ist.
Das ist von seiten der Regierung nichts anderes als die Aufforderung: Friß, Vogel, oder stirb! Wenn einem das Wasser in der Stabilitätspolitik so bis zum Hals steht, sollte man mit einer Opposition, die den Willen zur konstruktiven Zusammenarbeit immer wieder zum Ausdruck gebracht und letzte Woche im Finanzausschuß erneut bewiesen hat, so nicht umgehen!
Wir als Opposition hätten es uns genauso einfach machen können. Wir hätten bisher sagen können: Daß heute in der Bundesrepublik Deutschland eine Inflation nie gekannten Ausmaßes herrscht, hat diese Regierung und keine andere zu verantworten. Möge sie doch dann selber sehen, wie sie aus dieser Stabilitätskrise wieder herauskommt, in die sie uns hineingebracht hat!Wenn wir als Opposition diese Haltung nicht einnehmen, wenn wir statt dessen wiederholt dieser Regierung in diesen Fragen unsere Kooperation angeboten haben, wenn wir bereit sind, unpopuläre Maßnahmen zu unterstützen, die durch die Versäumnisse dieser Regierung notwendig geworden sind, so tun wir das einfach deshalb, weil wir eine bestimmte Auffassung von unserer Aufgabe als parlamentarische Opposition haben. Unsere Aufgabe als Opposition ist es nicht — danach haben wir bei allen Vorlagen hier im Haus gehandelt —, kurz und bündig zu allem nein zu sagen, was die Regierung vorschlägt. Allerdings sagen die Regierungsparteien zu allem nein, was wir vorschlagen. Wir erfüllen als Opposition eine Aufgabe für alle Bürger in diesem Land. Wir verteidigen die Rechte und Interessen aller Bürger gegen Fehler und Übergriffe dieser Regierung. Dazu müssen wir falsche Politik der Regierung kritisieren und kontrollieren, dazu bringen wir aber auch eigene Vorschläge ein, wie es besser gemacht werden kann.
Solche Alternativvorschläge sind besonders nötig, wenn das Wohl aller Bürger, wenn unsere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung — und das ist die Sache, zu der ich zu sprechen habe —, so gravierend getroffen werden wie durch die gegenwärtige Stabilitätskrise. Eine Alternative ist insbesondere dann nötig, wenn die Regierung gegenüber dieser Krise so augenfällig mit ihrem Latein am Ende ist, wie das unsere Bevölkerung in diesen Wochen erlebt. Es muß aber eines klar sein: Mit solchen Vorschlägen übernehmen wir nicht den Schwarzen Peter, den uns die Regierung immer dann gern zuschieben möchte, wenn sie selbst die Verantwortung für Mißerfolge ihrer eigenen Politik scheut. Aus dieser Verantworwortung für die gescheiterte Wirtschafts- und Finanzpolitik entlassen wir diese Regierung nicht!
Wir haben versucht, mit den Regierungsfraktionen über unsere Vorschläge zu diskutieren und darüber, was es an Möglichkeiten gibt, den Karren gemeinsam aus dem Dreck zu ziehen. Wir haben das zuletzt heute vor einer Woche im Finanzausschuß getan. Die Erfahrung, die wir machen mußten, war enttäuschend. Die Vertreter der Regierungsparteien haben gegen unsere Vorschläge ein paar technische Einzelheiten eingewandt, die sich hätten lösen lassen können, über die man hätte reden können. Sie haben aber dann, als wir gefragt haben, ob sie denn überhaupt eine ernsthafte Diskussion mit uns über unsere Vorschläge wollen, nichts anderes gewußt, als die Abstimmungsmaschinerie in Gang zu setzen. Statt einer Diskussion wurden wir mit Mehrheit niedergestimmt. Wir bedauern das um so mehr, als die Vorschläge der Regierung wahrhaftig nicht der Weisheit letzter Schluß sind. Das hat sich ja inzwischen herumgesprochen, und Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, lesen das beim Frühstück in Ihrer Zeitung ja auch.Ich verzichte im Interesse der von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister vorgegebenen Kürze auf eine Zitatenhäufung, die allerdings schon interessant
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1946 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Pierothwäre. Wenn selbst in der doch wohl unverdächtigen „Zeit" letzte Woche Michael Jungblut seine Analyse des Stabilitätsprogramms treffend mit den Worten „Kur von zweifelhaftem Wert" überschreibt, dann kommt er als Journalist in seiner Sprache — und er meint dann noch, daß der Schuß auch nach hinten, also preissteigernd, losgehen könnte — zu keiner anderen Beurteilung, als wenn Dr. Schlesinger im Ausschuß von einem ungleichgewichtigen Programm sprach und Dr. Kloten meinte, dieses Programm hätte keine die Verbrauchsnachfrage dämpfende Wirkung.Meine Damen und Herren, trotz unserer entmutigenden Erfahrungen möchte ich, bevor es zu spät ist, jetzt noch einmal den Versuch machen, eine Basis für das zu umreißen, was angesichts der Schwierigkeit der Lage von Regierung und Opposition gemeinsam getan werden könnte, aber auch aufzuzeigen, wo Einigkeit nicht besteht. Es geht mir dabei um fünf Punkte; über die anderen werden meine Kollegen sprechen.Erstens. Einigkeit besteht zwischen der Regierung und uns in der Diagnose. Wir haben eine Inflation im Land, die in nie gekannter Weise — mit allen Folgen, die für unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung daraus entstehen können — die Preisstabilität gefährdet. Der Herr Bundeswirtschaftsminister erhält unsere Zustimmung, wenn er auf der Handwerksmesse in München erklärte, daß, wenn diese inflationäre Entwicklung so weitergeht, über soziale Marktwirtschaft in absehbarer Zeit nicht mehr gesprochen werden kann.Zweitens. Einigkeit besteht wohl auch über das Ziel der Therapie, über das konjunkturpolitische Erfordernis. Die Nachfrage muß gedämpft, Kaufkraft muß stillgelegt werden.Über die Therapie selbst müßte in zwei wichtigen Punkten, die wir vorschlagen, auch eine Einigung möglich sein. Es geht uns einmal um eine echte Stilllegung der abgeschöpften Mittel, nicht nur um eine halbherzige Stillegung oder gar, wie man vielleicht sagen kann, um eine offenherzige Nicht-Stillegung, wie sie diese Bundesregierung vorhat. Es geht zum anderen um eine wirksamere Kaufkraftabschöpfung, als sie die Regierung vorsieht, nämlich um eine Abschöpfung auch beim privaten Verbrauch aus den Masseneinkommen.Drittens, so hoffe ich, müßte ebenfalls eine Einigung über unseren Vorschlag möglich sein, im Zuge der Inflationsbekämpfung auch einen sozialen Ausgleich für die Menschen zu schaffen, die am härtesten von der Inflation betroffen sind, für die Mitbürger mit geringerem Einkommen.Viertens besteht Einigkeit — zumindest den Worten nach — auch darüber, daß mit den aufgebrachten Mitteln die Vermögensbildung gefördert werden soll. Darüber, wie weit diese Einigkeit nach dem Etikettenschwindel von Hannover auch in der Sache selber geht, müssen wir hier allerdings schon etwas deutlicher reden.Fünftens. Keine Einigkeit scheint darüber zu bestehen, ob die abgeschöpften Gelder Eigentum des Staates oder irgendwelcher kollektiver Apparate werden sollen oder ob sie wenigstens teilweiseEigentum der Bürger bleiben können. Hierüber haben wir ebenfalls zu diskutieren. Wir sollten dabei nicht krampfhaft in Einigkeit machen, wenn sich hier grundsätzliche Unterschiede zwischen der kollektiven Zielsetzung der Regierung und unserem Ziel, persönlich verfügbares Eigentum für alle zu schaffen, zeigen.Zum ersten Punkt: Einig sind wir uns mittlerweile in der Diagnose der heutigen wirtschaftlichen Situation. Wir stehen inmitten eines heftigen Konjunkturaufschwungs, der getragen wird von zweistelligen Zuwachsraten der Staatshaushalte, der Investitionstätigkeit und des Exports. Der private Verbrauch hinkt im Augenblick noch hinterher; er wird im weiteren Verlauf des Aufschwungs sicherlich nachziehen. Gleichzeitig sehen wir uns einer nie dagewesenen Inflationsrate von beinahe 8 % — mit wachsender Tendenz — gegenüber. Im Verlaufe dieses Jahres wird die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in zunehmendem Maße das Produktionspotential übersteigen, so daß sich erweiterte Überwälzungsspielräume auftun und neue Inflationsschübe ergeben.Zu Punkt zwei. Einigkeit läßt sich auch darüber feststellen, wie dem Boom begegnet werden muß. Dem Wirtschaftskreislauf muß vorübergehend Kaufkraft entzogen werden. Über die konkret anzuwendenden Maßnahmen und darüber, an welchen Stellen dem Kreislauf Kaufkraft entzogen werden muß, gehen unsere Meinungen, wie sich im Finanzausschuß gezeigt hat, allerdings auseinander.Der Sachverständigenrat hat in Ziff. 31 seines Sondergutachtens zwei Maßnahmenbündel zur Auswahl gestellt, wobei er dem ersten mit einem generellen Konjunkturzuschlag und daraus zu speisenden vermögenspolitischen Maßnahmen den Vorzug einräumt, da dadurch auch die Konsumgüternachfrage gedämpft wird.In diesem Zusammenhang beschränkt sich unsere Kritik im wesentlichen darauf, daß erstens keine Dämpfung des privaten Verbrauchs erfolgt und somit Preisüberwälzungsspielräume offengehalten werden und daß zweitens die Steuereinnahmen nicht nach den Vorschriften des Stabilitätsgesetzes stillgelegt werden.Der Entzugseffekt eines generellen Konjunkturzuschlages, meine Damen und Herren, hätte sich auf rund 9 Milliarden DM belaufen, während die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen für den „Klub der 800 000" dem Wirtschaftskreislauf 4,5 Milliarden DM entziehen.Um hier bitte nicht mißverstanden zu werden, möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, daß wir ebenfalls keinen allgemeinen Konjunkturzuschlag wollen, nicht zuletzt auf Grund der Tatsache, daß unser Einkommen- und Lohnsteuertarif infolge der Inflation unter dieser Regierung den Kontakt zur individuellen Leistungsfähigkeit verloren hat.
Wenn man den zwangsweisen Konsumverzicht ablehnt, so braucht man meiner Ansicht nach jedoch noch lange nicht auf einen freiwilligen Bei-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1947
Pierothtrag der heute von der Stabilitätsabgabe nicht direkt betroffenen Personen zu verzichten. Das heißt - wie wir es im Finanzausschuß vorgeschlagen haben —: die freiwillige Stillegung von Ersparnissen, die von Einkommensbeziehern unter der Grenze von 24 000 DM bzw. 48 000 DM getätigt werden können. Natürlich muß man dafür in der heutigen Inflationsmentalität einen Anreiz in Form einer saftigen Prämie bieten. Wir dachten an eine 30 %ige Prämie bis zu einem Höchstbetrag von 500 DM je Sparer. Diese Mittel müßten bei den Geschäftsbanken auf Sperrkonten eingezahlt und bei der Bundesbank vorübergehend stillgelegt werden. Auf diese Weise könnten die fehlenden 4,5 Milliarden DM — und vielleicht noch mehr —, die der generelle Konjunkturzuschlag zusätzlich gebracht hätte, stillgelegt werden, so daß dadurch derselbe Entzugseffekt erzielt werden könnte, wie er mit dem Maßnahmenbündel 1, für das sich ja Professor Kloten innerhalb seiner zwei Alternativen ausgesprochen hat, erreicht worden wäre.
Zu Punkt drei: Mir ist selbstverständlich auch bekannt, daß die Sparförderung nur solche Personen begünstigt, die sparfähig und auch sparwillig sind. Es werden also innerhalb dieser Einkommensgruppe nur die relativ bessergestellten Personen begünstigt. Aus diesem Grunde hätte man, wie auch von uns in die Debatten eingebracht, erwägen können, Einkommensbeziehern, die nicht sparfähig sind, einen Betrag in Höhe des Höchstprämiensatzes als Inflationsausgleich auf ein Sperrkonto zu überweisen. Auch über diese Maßnahme des sozialen Ausgleichs müßte sich doch mit den Koalitionsfraktionen reden lassen, da sie ja in der Öffentlichkeit doch • nicht müde werden, ihren Alleinvertretungsanspruch für alle Unterprivilegierten zu betonen.
Zu Punkt vier: Die Verwendung von abgeschöpften Mitteln für die Vermögensbildung hat auch die Regierung in ihrer ersten, in ihrer Februar-Vorlage schon angekündigt. In den letzten Äußerungen ist diese Ankündigung nicht mehr enthalten; auch heute war in dieser Richtung vom Bundeswirtschaftsminister kein deutliches Wort mehr zu hören. Ich weiß nicht, warum davon jetzt nicht mehr gesprochen wird. Braucht diese Regierung jetzt kein Feigenblatt mehr? Wir warten jedenfalls auf eine deutliche Antwort.Mit der Erklärung der Regierung, sie wolle mit abgeschöpften Geldern die Vermögenspolitik fördern — so wie bis Februar geschehen —, ist es natürlich auch noch nicht getan. Denn jedermann weiß, daß diese Regierung seit Jahren Erklärungen abgibt, sie wolle Vermögensbildung. Jedermann weiß aber auch, daß die Regierung kein Konzept hat, wie sie denn individuelle Vermögensbildung zu machen gedenkt. Die FDP sagt etwas anderes als die SPD, und das, was die SPD auf ihrem Parteitag in Hannover beschlossen hat, verdient denNamen Vermögensbildung — in unserem Sinne — wirklich nicht.
Vermögensbildung ist nämlich die breite Streuung des Eigentums, besonders des Produktivkapitals, für alle Bürger.
— Herr Professor Burgbacher kommt gleich anschließend; das können Sie sich wohl denken.Was der SPD-Parteitag statt dessen beschlossen hat, ist eine noch schärfere Konzentration des Produktivvermögens in einem kollektivistischen Mammutfonds und nichts anderes.
Daß die Regierung kein vermögenspolitisches Konzept hat, wirkt sich in der heutigen Stabilitätskrise zum Schaden aller Bürger besonders mißlich aus. Sie hat nämlich damit ein wichtiges, vielleicht das wichtigste Instrument für die Stabilisierung der heutigen konjunkturellen Situation nicht zur Hand.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehrenberg?
Sehr gern, Herr Kollege Ehrenberg.
Herr Kollege Pieroth, Sie sprachen soeben davon, daß die Beteiligung am Produktivvermögen für alle Bürger gefordert wird, und nannten anschließend das in Hannover beschlossene Konzept der SPD ein kollektivistisches Instrument. Ist Ihnen nicht bekannt, daß nach diesem Konzept über dezentrale Investmentfonds rund 20 Millionen Arbeitnehmer, die ja hoffentlich auch nach Ihrem Verständnis Bürger dieses Staates sind,
unmittelbar am Produktivvermögen der deutschen Volkswirtschaft beteiligt werden sollen?
Herr Kollege Ehrenberg, über dezentrale Fonds, die miteinander nicht in Wettbewerb treten dürfen — das ist entscheidend; Sie haben es wahrscheinlich gar nicht so gewollt —, werden nach Ihren Vorstellungen die begünstigten Bürger allenfalls Besitzer zweitrangigen Vermögens. Und die Erträge aus diesem Vermögen enthalten Sie ihnen ja noch vor. Das ist nicht das, was wir unter persönlich verfügbarem Eigentum verstehen.
Jedenfalls gilt: Was mittelfristig gesperrt und langfristig im Produktivvermögen angelegt wird, ist dem Konsum für längere Zeit entzogen. Genau das, meine Damen und Herren, wäre jetzt nötig. Ich frage mich, wie viele Stabilitätskrisen die Regierung noch abwarten will, ehe sie dieses vermögens-
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Pierothpolitische Instrument der Konjunkturpolitik schaffen und dann auch einsetzen wird. Gelegenheit dazu hatte sie genug.Ich darf jetzt auf Ihren Zuruf eingehen: Im Jahre 1970 haben wir hier bereits den Gesetzentwurf über den Beteiligungslohn eingebracht. Er hätte allen Arbeitnehmern jährlich 6 Milliarden DM Eigentum am Produktivkapital der Wirtschaft gebracht —6 Milliarden DM, die, konjunkturpolitisch gesprochen, dem Konsum entzogen gewesen wären. Sie wollen heute schon mit 41/2 Milliarden DM Stabilitätsabgabe konjunkturpolitisch etwas erreichen. Ich glaube, heute wären manche von Ihnen sehr froh, wenn damals unser Gesetzentwurf angenommen worden und das Gesetz heute in Kraft wäre. Denn das Gesetz über den Beteiligungslohn ließe sich ohne weiteres auch in der Weise anwenden, daß neben seinem Hauptzweck, die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen zu fördern, auch der erwünschte Nebeneffekt erreicht würde, die Konjunktur zu stabilisieren. Aber Sie haben damals abgelehnt.Im letzten Herbst hat der Sachverständigenrat vorgeschlagen, dieses vermögenspolitische Instrument für die Stabilitäts- und Verteilungspolitik einzusetzen. Sie haben nichts getan. In der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht haben wir Ihnen in diesem Hause erneut ans Herz gelegt, das vermögenspolitische Instrument für die Konjunkturpolitik zu entwickeln. Sie haben wieder nichts getan. Heute machen wir Ihnen erneut den Vorschlag: Reden Sie nicht nur wie bisher über die Vermögensbildung, sondern tun Sie etwas dafür!Unser Vorschlag dafür lautet: Die stillgelegten Beträge können nach Ablauf der Stillegungszeit von den Bürgern umgewandelt werden in persönliches Eigentum am Produktivkapital der Wirtschaft. Damit wird ein Konsumstoß vermieden und wird die Vermögensbildung der Bürger gefördert.Sie werden jetzt fragen: Wie soll das funktionieren? Ich würde diese Frage verstehen, da Sie ja noch keine Antwort haben. Wir haben für das Verfahren der Anlage wie auch für den Anlagekatalog und für die notwendigen flankierenden Maßnahmen auf dem Kapitalmarkt ein sorgfältig durchdachtes Programm entwickelt, den Gesetzentwurf über den Beteiligungslohn — „Burgbacher-Plan" genannt —, Bundestagsdrucksache VI/616. Das ist unser Angebot. Man könnte dieses vermögenspolitische Instrument gegebenenfalls sogar in einem § 26 a in das Stabilitätsgesetz übernehmen. Für diese Politik haben wir Ihnen hiermit erneut Möglichkeiten aufgezeigt. Sie sollten mit uns prüfen, was wir davon gemeinsam verwirklichen können — im Interesse der Stabilität, im Interesse aller, im Interesse gerade der Bürger, die auf Stabilität ganz besonders angewiesen sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Rapp .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da mein Herr Vorredner erneutversucht hat, die Masche vom Alternativprogramm der Opposition zu stricken, möchte ich vorab einer Legendenbildung entgegenwirken, da das Ganze möglicherweise darauf hinauslaufen könnte.Als der wirtschaftspolitische Sprecher der Opposition, Herr Narjes, am 10. Mai an dieser Stelle von den Vorschlägen der Opposition zur Preisstabilisierung sprach, die die Regierung mißachtet haben soll, hat er mit dieser Behauptung hier im Hause einen Heiterkeitserfolg erzielt. Ihn scheint dies irritiert zu haben, offensichtlich war er der Meinung, daß zu jenem Zetpunkt so etwas wie ein alternatives Stabilisierungsprogramm der Opposition bestanden hat. Meine Damen und Herren, so kann man sich täuschen.Für uns, die Sozialdemokraten, war es jedenfalls irgendwie befreiend, als dann so etwas wie ein Alternativprogramm der Opposition am 16. Mai endlich im Finanzausschuß auf den Tisch kam, eingeschmuggelt mit einem schüchternen Papierchen, was noch dem vorangegangenen gewaltigen Kreißen der Berge dieses Programm allerdings auch schon der Form nach als das sprichwörtliche Mäuschen auswies, das nach allzu gewaltigem Kreißen der Berge allemal zum Vorschein zu kommen pflegt.Wir von der SPD jedenfalls — ich sagte es schon — haben nach dieser Geburt aus verschiedenen Gründen aufgeatmet. Zum ersten ist es nicht sehr vergnüglich, all die Zeit immer gegen Phänomene oder richtiger gegen Phantome ankämpfen zu müssen. Zum zweiten ist mit einem Schlag die von der Opposition in der Öffentlichkeit zur Schau getrogene Attitüde weggewesen, sie hätte eine Wunderwaffe im Kampf gegen die Preissteigerungen anzubieten.
Zum dritten hatten wir endlich etwas, woran wiruns selbst messen konnten und woran andere uns,die Koalition, und die Opposition messen konnten.Dies war nun in der Tat ein Vergnügen, wenn ich da nur an das Hearing mit den Herren Dr. Schlesinger von der Bundesbank und Professor Kloten vom Sachverständigenrat denke, das Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, doch gewiß nicht beantragt haben würden, wenn Sie geahnt hätten, welch weitgehende Zustimmung das Stabilisierungsprogramm der Regierung dabei fand.Das im Hearing erzielte 8:2-Ergebnis, um es in der Fußballsprache zu sagen, kam im Ausschußbericht nicht so ganz angemessen zum Ausdruck, um das vorsichtig zu formulieren. Deshalb werden wir uns spätestens nach Vorliegen des Protokolls mit der Frage beschäftigen müssen, ob der Ausschuß, wenn wir in ähnlich gelagerten Fällen künftig wieder vor der Frage stehen, einen oder zwei Berichterstatter bestellen soll.
Nun haben wir uns am 18. Mai im Finanzausschuß gefragt, ob jenes Alternativprogrämmchen mittlerweile schon wieder sanft entschlafen sei, wurde es doch von der Opposition — und doch wohl unter
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Rapp
dem Eindruck des Hearings — im Ausschuß gar nicht erst zur Abstimmung gestellt.
— Es wurde nicht zur Abstimmung gestellt! Daß es heute vom Scheintod wiederauferstanden ist, muß einiger Anstrengungen bedurft haben.Mein Vorredner hat des weiteren davon gesprochen, daß der Regierung das Wasser bis zum Halse stehe, was doch wohl heißen soll, dies alles sei zu spät gekommen. Meine Damen und Herren, die Attitüde, Sie hätten es schon immer gewußt, ist doch einigermaßen peinlich für eine Partei, die sich nachweislich in der Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklungen oftmals so grob getäuscht hat, wie dies bei der CDU der Fall war.
Muß ich denn daran erinnern, daß Sie noch für den Sommer 1972 das Gespenst der Arbeitslosigkeit heraufbeschworen haben? Muß man denn daran noch erinnern?
Tatsächlich mußte sich die Bundesregierung jetzt zweimal nach oben korrigieren.Kritik an der Regierung ist natürlich immer erlaubt; aber ein bißchen „Kritikehen" sollte man doch auch an den Sachverständigen noch äußern dürfen, die sich ja auch korrigieren mußten. Infolgedessen wäre es nach meinem Dafürhalten angemessener gewesen, in diesem Zusatzgutachten nicht ganz diese selbstsichere Sprache zu sprechen. Aber das Argument mit dem „zu spät" und dem „zuwenig" steht doch einer Partei und einer Opposition schlecht an, die am 16. Mai zum erstenmal wirklich etwas Greifbares auf den Tisch gelegt hat und vorher mit einer Alternative nicht präsent war. Damit haben wir Sozialdemokraten doch den Wahlkampf im Grunde bestritten, daß Sie nichts anzubieten hatten. Täuschen Sie sich doch nicht. Das ist doch nicht angemessen.
Herr Pieroth hat sein Programm, das im wesentlichen eine vermögenspolitische Aussage war —denn zur Konjunkturpolitik war offenbar nicht viel zu sagen —, hauptsächlich wieder damit begründet, daß er unser Programm „kopflastig" nannte. Sie sagen, unser Paket sei unausgewogen, es sei kopflastig, wobei Sie — die Sprache verrät es — den Kopf natürlich immer im Unternehmensbereich, d. h. bei den Investitionen, ansiedeln. Jedenfalls greife das Programm zu wenig im Konsumbereich.
Lassen Sie mich dazu vorab sagen, daß wir nach dem Verursacherprinzip vorgehen. Unsere Konjunktur ist zum einen export- und zum anderen investitionslastig — und davon ist hier die Rede —, und sie ist nicht oder jedenfalls noch nicht konsumlastig. Nach dem Jahreswirtschaftsbericht sollten die Investitionen in 1973 um 12 bis 13 % steigen. Tatsächlich werden sie um über 16 % steigen. Die Auftragseingänge in der Investitionsindustrie lagen im ersten Quartal 1973 um 33 % über dem Vergleichszeitraum, im Maschinenbau sogar um 45 %. Wo im Konsumgüterbereich gibt es Vergleichbares?Wenn Sie nun der Meinung sein sollten, das Stabilisierungsprogramm drücke die Gewinnerwartungen der Unternehmer und Manager unter den Level, unter dem sie die Investitionslust verließe, so möchte ich daran erinnern, daß im Jahr 1972 bei nur 2 % höherem Investitionsaufwand gegenüber dem Vorjahr die Selbstfinanzierungsquote von 69 % auf 75 % gestiegen ist. Das mit der Kopflastigkeit zieht also nicht.Übrigens — wenn ich das in Klammern anmerken darf —: wenn die Neuverschuldung der Unternehmen in 1972 dennoch sehr hoch war, dann ist daraus doch abzulesen, wo das Geld hinging, nämlich in die Liquidität.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pieroth?
Ja, bitte.
Herr Kollege, würden Sie mir zugestehen, daß das Wort „ungleichgewichtig" keine Erfindung von uns ist, sondern von Herrn Dr. Schlesinger im Finanzausschuß geäußert wurde?
Wir werden das Protokoll abwarten. Ich habe mitstenographiert, und ich habe in der Beziehung einige Anmerkungen in der Richtung mitbekommen, daß man sehr wohl über einen weitergehenden Konjunkturzuschlag hätte nachdenken können, daß aber die Bundesbank sich gleichwohl der politischen Implikationen einer solchen Maßnahme bewußt sei. Dies habe ich mitbekommen, und etwas anderes ist nicht gesagt worden.
Eingehender muß man sich mit dem Einwand befassen, die Investition von heute zur Ausweitung der Kapazität und zu ihrer Rationalisierung sei doch die Voraussetzung für die Stabilität von morgen. Dazu ist zunächst einmal zu sagen, daß in vielen Investitionsgüterbereichen und in vielen Bereichen des Baumarktes wegen der Stabilisierungsmaßnahmen überhaupt nicht weniger als ohne diese Maßnahmen produziert werden wird. Es wird nur der Dampf der Übernachfrage abgelassen, die güterwirtschaftlich ohnehin nicht realisiert werden kann, aber nach dem Schema die Preise hochtreibt, daß jemand,
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1950 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Rapp
der in der Warteschlange hinten steht, nach vorne geholt wird, sofern er nur mehr zahlt als die anderen. Diese heiße Luft wird abgelassen. Denn realwirtschaftlich ist die Übernachfrage heiße Luft, die allerdings in ihren monetären Auswirkungen die Preise aufbläht.Des weiteren aber muß es zumindest gestattet sein, an dieser Stelle auch einmal die Frage aufzuwerfen, ob unsere Wirtschaft nicht da und dort geradezu in einen Investitionsrausch verfallen ist. Wenn etwa infolge der degressiven Abschreibung ein Abschreibungstopf schon nach wenigen Jahren voll ist, wird die betreffende Maschine sozusagen abgetrieben werden, lange bevor sie ihren optimalen Kapazitätseffekt erbracht hat. Manch einer sollte hier einmal den Verschwendungseffekt gegen den tatsächlich erzielbaren Rationalisierungseffekt aufwiegen.Es kommt hinzu, daß bei der Massenhaftigkeit dieser Vorgänge die inflatorische Lücke zwischen dem Einkommens- und dem Kapazitätseffekt immer größer wird. Mit alledem wollte ich nicht die Investitionen verteufeln, aber doch zum Nachdenken anregen. Im übrigen sind die auf die Investitionen zugreifenden Maßnahmen zumeist befristet und teilweise variabel, womit der Gefahr einer Übersteuerung entgegengewirkt wird. Dies also war der Hintergrund für die Aussage, unser Programm sei kopflastig, oder, wie Herr Pieroth meinte, es sei zu wenig im Zugriff auf die Konsumnachfrage geschehen.Als Pendent, als Alternative zu der angeblichen Investitionslastigkeit des Stabilisierungsprogramms, die freilich nur der Reflex auf die Investitionslastigkeit der Konjunktur ist, schlagen Sie vor, über einen zusätzlichen Sparbonus von 30 % bei Einkommen unter 24 000 bzw. 48 000 DM Konsumentenkaufkraft freiwillig abzuschöpfen. Wir haben Ihnen darauf im Ausschuß im wesentlichen mit den folgenden Argumenten geantwortet, die wir im Hearing bestätigt fanden und bei denen wir verbleiben.Erstens. Es gibt im Angebot der Sparmöglichkeiten überhaupt keine Lücke, die mit Ihrem Projekt geschlossen werden könnte.Zweitens. Ihre Sache wäre weder im Unternehmensbereich noch in der Finanzverwaltung noch im Bankenapparat administrativ zu verkraften. Darüber gab es bei der Beratung überhaupt keinen Zweifel.Drittens. Wir müssen Stabilitätspolitik für heute und morgen machen. Ihr Projekt wäre —
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Geben Sie mir recht, wenn ich sage, daß Herr Schlesinger in dem Hearing bestätigt hat, daß die Bundesbank, wenn es verlangt würde, die Sache bewältigen könnte?
Aber nicht kurzfristig; das glauben Sie doch wohl. Ich komme von der
Bundesbank. Die Bundesbank führt überhaupt keine privaten Konten oder zumindest nicht in nennenswertem Umfang. Die Kontenführung bei der Bundesbank ist auf einige Hunderttausend beschränkt. Nun stellen Sie sich einmal vor, wie groß ein Apparat demensioniert sein müßte, auf den plötzlich Millionen von Konten zukommen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Bockelberg.
Ich habe gefragt, ob Sie mir bestätigen können, daß Herr Dr. Schlesinger als Vertreter der Bundesbank das im Ausschuß geäußert hat.
Ich kann bestätigen, daß er das geäußert hat. Ich konnte ihn aber gar nicht anders verstehen, als daß er gemeint hat, dies würde eine sehr lange Anlaufzeit erfordern, und die Zeit haben wir nicht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pieroth.
Herr Kollege, Sie haben sicherlich eine große Bankenerfahrung. Würden Sie trotzdem — notfalls könnte man das Tonband heranziehen, das ja zum Glück mitgelaufen ist — die definitive Aussage von Herrn Schlesinger von der Ungleichgewichtigkeit des Programms und die Aussage von Herrn Professor Kloten bestätigen, daß das Programm keine die Verbrauchsnachfrage dämpfende Wirkung habe? Würden Sie auf Grund der Tonbandaufnahme bestätigen, daß Herr Schlesinger ausdrücklich gesagt hat, die Bundesbank könne sich auf jeden Stabilitätsbeitrag einstellen, und daß er nicht zwischen einer kurzfristigen und einer langfristigen Wirkung differenziert hat?
Ich habe nicht verstanden: worauf einstellen könne?
Er sagte damals, die Bundesbank könne sich technisch auf jeden Stabilitätsbeitrag einstellen.
Sie kann sich darauf einstellen, aber nicht kurzfristig. Dabei glaube ich es belassen zu sollen. Ich kenne mich aus.Im übrigen hat Herr Schlesinger in der Tat einige Bemerkungen zum Haushalt gemacht. Ich darf an dieser Stelle noch einmal kontrastieren, was in diesen Tagen im Innenausschuß passiert ist, wo Ihre Partei Mehrausgaben von 1,5 Milliarden DM gefordert hat. Dies ist die Situation, und das erbittert uns. Deshalb dürfen Sie nicht erwarten, daß wir diese Debatte wohltemperiert führen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1951
Herr Kollege, meinen Sie, daß auch eine Verdoppelung des Betrages nach dem 624-DM-Gesetz — das wäre ja auch ein Denkmodell — auf unüberwindliche technische Schwierigkeiten stieße?
Ich kann mir denken, daß es auf unüberwindliche fiskalische Schwierigkeiten stieße.
Die Sparförderung kostet uns derzeit 9 Milliarden DM. Ich frage Sie, wo Sie die restlichen Milliarden hernehmen wollen.
Ich war dabei, Herrn Pieroth zu erklären, weshalb wir im Ausschuß — das geschah doch nicht etwa deshalb, weil wir diesem Progrämmchen, diesem Mäuschen brutal das Lebenslicht ausblasen wollten; wir haben unsere Haltung vielmehr sachlich begründet — auf dieses Projekt nicht eingehen konnten.Drittens. Wir müssen Stabilitätspolitik für heute und morgen betreiben. Ihr Projekt wäre — denken Sie doch bitte nur einmal an die Geschäftslage im Finanzausschuß — dieses Jahr überhaupt nicht mehr in Gesetzestexte zu bringen.Viertens. Das System der Sparförderung ist zudem insgesamt so kompliziert, so sehr der Vereinfachung bedürftig, daß man ganz gewiß nicht noch eine neue Regelung einführen sollte.Fünftens. Die Sparförderung — das habe ich bereits angedeutet — kostet die öffentliche Hand schon in diesem Jahr 9 Milliarden DM. Es ist leicht dahingesagt, daß Sie das Geld für Ihr Projekt aus der Stabilitätsabgabe entnehmen würden. Dann wäre es doch aber, so glaube ich, zunächst einmal aus dem konjunkturpolitischen Kalkül heraus. Auf jeden Fall wäre das Geld weg.Sechstens. Es würde zu erheblichen Umverlagerungen und weniger zur Neubildung von Ersparnissen kommen.Siebentens. Da diese Koalition keine Rezessionspolitik zu betreiben gedenkt, müßten Sie erst einmal die Situation zu beschreiben versuchen, in der die Guthaben aus dem Stabilitätssparen je wieder freigegeben werden könnten.Dies waren für uns — zusammengenommen — triftige Gründe, auf Ihr Projekt nicht einzugehen.Herr Pieroth hat es nun auch noch für richtig gehalten, gegen das, was die Regierung vorhat, das Überwälzungsargument ins Spiel zu bringen. Ich möchte auch darauf noch kurz eingehen. Sie sagen, die steuerlichen Mehrbelastungen würden ja doch überwälzt; das sei konjunkturpolitisch unergiebig oder gar schädlich. Mit diesem Einwand, so finde ich, sollten gerade Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, besonders sorgfältig umgehen. Im Klartext kann das doch nur heißen, daß man natürlich nur die Konsumentenkaufkraft stärker belasten,d. h. abschöpfen könnte, daß man also nur den Arbeitnehmern einen Stabilitätsbeitrag abverlangen könnte, weil nur sie es sind, die nicht überwälzen können.Übrigens stimmt dieses Überwälzungsargument so gar nicht. Sagen Sie nicht, daß Arbeitnehmer mit Einkünften unter 24 000 bzw. 48 000 DM einen Konjunkturzuschlag nicht auch überwälzen könnten. Muß ich Ihnen erläutern, wie sie das tun würden? Wer das Überwälzungsargument hochspielt, sollte gleich hinzufügen, daß es gut und richtig wäre, alle Stabilisierungsmaßnahmen gleich einzustellen. Das Überwälzungsargument stimmt aber zum Glück gar nicht. Es ist immer wieder gut, sich zu vergegenwärtigen, daß das volkswirtschaftliche Angebot aus genau 100 % besteht und lediglich die Optik durch den Geldschleier hindurch bewirkt, daß manche meinen, aus einem Angebot von 100 % könne eine Nachfrage von 120 % alimentiert werden.Dieses Stabilitätspaket ist doch ein rundes Ganzes. Nicht von ungefähr steht der Programmpunkt einer restriktiven Geld- und Kreditpolitik ganz vornan. In dem Maße nämlich, in dem es gelingt, den Geldmantel der Wirtschaft näher an die realen Möglichkeiten heranzubringen, wird Überwälzung weniger gelingen — das ist doch klar , weil es sonst an die Umsätze und von der Mengenseite her an die Gewinne geht. Da und dort würde die Umwälzung also weniger gelingen; aber freilich würde es insbesondere auf vermachteten Märkten hier und da anders aussehen.Hier sind wir an dem Punkt, an dem man sagen müßte, daß Unternehmer, denen an dieser Wirtschaftsordnung liegt, erkennen müßten, daß diese Ordnung niemanden nachhaltiger zu zerstören vermag als sie selbst. Was passiert denn, wenn man einerseits auf die Friedenspflicht der Arbeitnehmer pocht und diesen Frieden genießt, andererseits aber noch während der Laufzeit der Tarifverträge die Preise wegen angeblich gestiegener Löhne erhöht?Die höhere Belastung des Unternehmensbereichs und der hohen Einkommen ist für die Stabilisierung schon insofern unerläßlich, als sie das Auseinanderklaffen der Gewinneinkommen einerseits und der realen Lohneinkommen andererseits wenigstens zügelt. Diese Scherenentwicklung ist — das weiß jeder, der sich im Verteilungskampf auskennt — in höchstem Maße destabilisierend.Meine Damen und Herren, ich wollte mit meinen Ausführungen von vornherein erstens der Legendenbildung vorbeugen, als hätten wir in der Vergangenheit gegen ein wirklich greifbares Stabilisierungsprogramm der Opposition anzukämpfen gehabt — wir hatten mit Phantomen zu kämpfen —, und zweitens sagen, daß wir gegen die Behauptung anzugehen hatten, wir hätten im Ausschuß nur brutal niedergestimmt. Ich glaube dargelegt zu haben, weshalb wir aus guten und wohlerwogenen Gründen auf Ihre Alternativen, wie Sie sie nennen, nicht eingehen konnten.
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1952 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat heute morgen an dieser Stelle gesagt, daß die Maßnahmen hart und einschneidend seien. In der Tat, sie sind es und müssen es sein, wenn auf diesem. Gebiet etwas bewirkt werden soll. In einer sehr steil ansteigenden Konjunkturentwicklung können wir mit ein paar geschmeidigen Sachen nichts erreichen; wenn schon, dann muß auch deutlich, und zwar auf allen Gebieten, wo immer diese Konjunkturentwicklung ihre Ursache hat, gleichzeitig eingegriffen werden. Das heißt, daß man — und das fällt einem Finanzpolitiker sicher nicht ganz leicht — auf manche Verfeinerungen verzichten muß, die im Steuerrecht aus Gründen der Systematik und der Gerechtigkeit sonst erforderlich sind.
In der Tat gibt es gegen jede Maßnahme begründete Einwendungen. Wer von uns würde, sei es von der Opposition, sei es in der Koalition, solche Einwendungen nicht spielend finden können! Nur, meine Herren und Damen, wenn irgendwo ein Brand schwelt, dann muß man eben auch einmal über den Rasen gehen dürfen; anders geht es nicht. Hier ist eine Situation gegeben, in der es nicht auf die Fortentwicklung des Steuerrechts, sondern auf Maßnahmen ankommt, die der Stabilität dienen. Jede Verfeinerung könnte dazu führen, die Maßnahmen, die jetzt ergriffen werden, mehr oder weniger als eine Fortentwicklung des Steuerrechts zu betrachten. Gerade die Unausgewogenheit in einzelnen Bereichen, die Grenzfälle, die unvermeidlich sind, halten uns den Blick dafür offen, daß es sich hier um eine vorübergehende Maßnahme aus besonderen Gründen handelt und nicht etwa um eine wie gesagt irgendwie verkappte Fortentwicklung des Steuerrechts. Insoweit sollten wir, so meine ich, auch manche Bedenken, die wir haben mögen, unter diesem Gesichtspunkt sehen, daß eine nicht ganz befriedigende Regelung geradezu den Willen zur Änderung, zur Wiederabschaffung oder was immer der richtige Weg sein mag, wachhält.
Wir bremsen in den verschiedenen Bereichen: Wir bremsen insbesondere auf dem Gebiet der Investitionen, wo die Nachfrage in bedrohlichem Maße ansteigt, und zwar durch die Investitionsabgabe, durch die Aussetzung der degressiven Abschreibung und auch das betrifft allerdings nicht nur dieses Gebiet — durch die Stabilitätsabgabe bei höheren Einkommen. Wir bremsen im Bereich der breiten Konsumnachfrage, und zwar, meine Herren und Damen von der CDU, einmal durch die Möglichkeit der Stabilitätsanleihe, zweitens dadurch, daß die Schuldzinsen bei der Einkommensteuer nicht mehr abzugsfähig sind, und drittens durch die Mineralölsteuererhöhung, die Sie aber wohl ablehnen wollen. Wir bremsen weiterhin im Bereich der überschießenden Liquidität durch die Anleihe. Dann bremsen wir im Bereich der Baunachfrage, insbesondere dadurch, daß wir die degressive Abschreibung im Mietwohnungsbau gemäß § 7 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes nahezu abschaffen und
§ 7 b zeitweilig aussetzen. Schließlich bremsen wir in erheblichem Maße bei den öffentlichen Ausgaben, wobei unser Wunsch wäre, daß in gleichem Maße und mit gleicher Verantwortung die Länder und die Gemeinden den bereits eingeleiteten Sparmaßnahmen der Bundesregierung folgen. Zusammen genommen macht das ein sicherlich schwerwiegendes und zugleich brauchbares Instrument aus.
Nun haben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, ein „Kontrastprogramm" vorgelegt und nach außen hin als eine entscheidende Alternative verkündet. Herr von Bockelberg hat allerdings auf dem Steuerkongreß bedauert, daß die Öffentlichkeit davon so wenig Notiz genommen hat. Ich habe den Eindruck, sie hat auch gemerkt, daß da eigentlich nichts drinsteht.
Denn was um alles in der Welt ist da eigentlich Kontrast? Erstens. Sie wollen die Mineralölsteuer nicht. Aber das vermindert ja den Effekt, den Sie doch im Grunde auch wollen, nämlich nachdrücklich Kaufkraft stillzulegen und liquide Mittel abzusaugen. Zweitens. Sie wollen die Stabilitätsabgabe im Mittelfeld rückzahlbar machen. Aber Sie waren ja selbst bereit, darauf auch wieder zu verzichten. Das ist also nicht so sehr alternativ.
Die kleineren Sachen wie Schuldzinsenabzug wollen Sie nicht oder jedenfalls nicht so und nicht jetzt; das mindert wiederum das Volumen der Maßnahmen. Und dann kommt Ihr entscheidender Punkt, den Sie als einzigen gegen diese Minderungen anbieten, nämlich statt oder neben — oder wie auch immer der Anleihe ein prämienbegünstigtes Kontensparen für diejenigen einzuführen, die unter 24 000 DM verdienen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Frau Kollegin Funcke, sollte Ihnen entgangen sein, daß in dem neuesten Antrag der CDU/CSU die Ablehnung der Mineralölsteuererhöhung schon nicht mehr enthalten ist?
Ich weiß nicht, ob man das beantragen muß. Wenn man etwas ablehnt, muß man ja die Ablehnung nicht beantragen. Ich nehme an, daß die Kollegen der CDU/CSU weiterhin bei der Ablehnung der Mineralölsteuererhöhung bleiben wollen. Das kann man sicherlich unterstellen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Bockelberg?
Bitte schön.
Frau Kollegin, habe ich mich auf dem Steuerkongreß so unklar ausgedrückt, daß Sie dann sagen konnten: anstatt ..., anstatt ..., anstatt . .. will die CDU/CSU
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1953
von Bockelbergnur dies, und habe ich mich so unklar ausgedrückt, daß die Vorschläge ergänzende Maßnahmen seien zu all dem, was die Regierung bringt?
Entschuldigen Sie, Herr Kollege, das „anstatt" oder „daneben" habe ich nur bezüglich der Frage der Anleihe gesagt. Im Ausschuß war nicht ganz klar, ob Sie die Anleihe dafür verringern wollten oder ob Sie neben dem prämienbegünstigten Kontensparen auch die volle Anleihe laufen lassen wollten. Das war nicht so ganz klar.
Was ist denn nun eigentlich mit dem ominösen Kontensparen, von dem Sie bis zu 10 Milliarden DM Aufkommen und Abschöpfung erwarten? Um überhaupt zu etwas zu kommen, müssen ja erst einmal die von Ihnen abgelehnten 2 Milliarden Mineralölsteuererhöhung und die 700 Millionen DM Mehreinkünfte aus der Beseitigung der Schuldzinsen ausgeglichen werden. Sie glauben, da kämen darüber hinaus noch Milliarden zusammen, die die Leute freiwillig sparten, weil sie 30 % Prämie bekämen. Sie sagen weiter, ein paar technische Einzelheiten seien noch nicht klar gewesen. Diese technischen Einzelheiten waren erstens: Wer führt die Konten? Wo baut die Bundesbank in aller Eile und Schnelligkeit eine ganze Depositenabteilung auf, möglicherweise noch mit Kassenräumen, neuen Sparbüchern und was alles dazu gehört? Das hat Herr Rapp schon gesagt. Zweitens. Sie sagen Verzinsung ja, aber sagen nicht wie und wie hoch und aus welchen Mitteln. Drittens. Die Prämie soll 30 % betragen neben der schon bestehenden Sparprämie und neben den Vergünstigungen, die das 312-Mark-Gesetz bereits gewährt. Wo darüber hinaus noch viele Milliarden herkommen können, ist schwerlich zu sagen. Herr Kollege Becker hat ja schon gemeint, es könnten vielleicht auch nur 2 Milliarden und nicht 10 Milliarden DM sein. Irgendwo dazwischen würde der Betrag wohl liegen.
Aber nun kommt das Entscheidende. Die Prämie und auch die Zinsen, nehme ich an — denn die Bundesbank wird sie ja wohl nicht aus eigenen Mitteln beisteuern; sie hat ja keine entsprechenden Einkünfte —, wollen Sie aus dem Aufkommen der Stabilitätsabgabe nehmen. Dieses Aufkommen wird aber, wie wir alle wissen, nach Abzug der nach Ihren Vorstellungen rückzahlbaren Beträge nur ungefähr 3,2 bis 3,4 Milliarden DM erbringen. Wollen Sie uns einmal sagen, wie das eigentlich rechnerisch aussieht?
Sie müssen doch folgendermaßen rechnen. Wenn Sie 30 % Prämie und für mindestens zwei oder drei Jahre noch Zinsen bezahlen, sind Sie schon bei über 50 %. Da die Bundesbank alle ihre Mitarbeiter ja auch noch bezahlen muß und eine individuelle Kontenführung viel Arbeit macht, müßte noch ein sehr erheblicher Verwaltungskostenzuschuß geleistet werden. Dann müssen Sie — wenn Sie wirklich auf die 10 Milliarden DM hoffen, auf die Sie natürlich nie kommen — gut und gern 6 Milliarden DM für die Unkosten, Prämie und Verzinsung ansetzen. Soviel bringt Ihnen aber die ganze Stabilitätsabgabe nicht. Außerdem wollen Sie aber doch die Stabilitätsabgabe in die Konjunkturausgleichsrücklage tun, und die wiederum darf nach dem Stabilitätsgesetz nicht etwa für Zins- und Prämienzahlungen verwendet werden. Nun sagen Sie doch um alles in der Welt: Wie können wir denn ein solches völlig unausgereiftes Programm annehmen? Das ist doch wirklich nicht möglich.
Herr Kollege Pieroth, hier muß ich nun im Namen der Mitglieder der Koalitionsfraktionen im Finanzausschuß eines zurückweisen. Sie haben gesagt, wir hätten Ihr Programm gar nicht diskutiert, wir hätten einfach die Abstimmungsmaschine in Gang gesetzt. Das stimmt nicht. Wir haben wiederholt gesagt: Nun legt uns doch erst mal ein Programm auf den Tisch, über das man konkret reden kann! Sie haben darauf erwidert: Wir können ja mal über alles reden, wir sind flexibel. Das heißt: es war kein konkreter Vorschlag da. Deshalb haben wir dann halt über das Prinzip abstimmen müssen. Sie waren damit einverstanden. Allerdings hat dann die Mehrheit im Finanzausschuß dieses verwaschene und schwammige Gebilde abgelehnt; aber Sie können das doch nun wirklich nicht als den Einsatz einer Abstimmungsguillotine bezeichnen, wenn wir eine solche total unbrauchbare Vorlage als nicht mehr diskutabel ansehen. Das würden Sie umgekehrt vermutlich auch tun.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth?
Bitte schön.
Frau Kollegin, wollen Sie uns mit diesen Worten also bestätigen, daß man im Ausschuß zunächst über einige Details gesprochen hat, daß Sie aber, als wir dann die Frage stellten: Wollen Sie überhaupt das Prinzip mit uns sprechen?, kurzfristig zur Abstimmung geschritten sind?
Nein, wir haben über das Prinzip eine ganze Weile gesprochen. Aber dann haben wir gefragt: Wollen Sie nun eine klare Vorlage auf den Tisch legen — dann stellen wir die Beratung und Abstimmung bis dahin zurück —, oder wollen Sie das nicht? Sie wollten nicht, und so haben wir dann über das bereits diskutierte, von Ihnen aber nicht vorgelegte Programm im Prinzip abgestimmt. Ich weiß nicht, was man eigentlich anderes hätte tun sollen. Wir können doch nicht sechs Wochen über solch ein schwammiges Gebilde weiterreden.
Lassen Sie mich mit dem Hinweis auf die Vermögensbildung, Herr Kollege Pieroth, abschließen. Sie meinten eben, daß es möglicherweise Leute in den Koalitionsfraktionen geben könnte, die sehr betrübt seien, daß wir Ihren Vermögensbildungsplan vom Kollegen Burgbacher nicht inzwischen verabschiedet hätten; dann wären wir der Sorge um eine möglicherweise schwierige Konzipierung eines vernünftigen Vermögensbildungsplans enthoben. Meine Herren und Damen von der Opposition, ich habe den
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1954 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Frau FunckeEindruck, daß in Ihren eigenen Reihen eine Menge Leute froh sind, daß dieses Gesetz nicht gekommen ist. Was erreicht denn dieser Plan? Er belastet doch einseitig die lohnintensiven Betriebe zusätzlich neben den ständig steigenden Löhnen.
Diese zusätzliche Belastung für die Vermögensbildung auf dem Rücken der lohnintensiven Betriebe halten wir allerdings nicht für eine gute Sache, zumal diese Leistung für die Vermögensbildung, so wie Sie das vorgeschlagen haben, in guten und schlechten Zeiten aufgebracht werden muß, nicht etwa nur aus dem Gewinn, sondern auch im Falle eines Verlustes, weil sie eben an den Lohn gebunden ist und nicht an die Ertragslage des jeweiligen Betriebes.Wir sehen eine ganz andere Form der Vermögensbildung vor. Daß sie noch nicht ausgereift auf dem Tisch liegt, sollte uns allen doch die Chance der weiteren Diskussion geben. Die Sache ist zu schwierig, als daß man sie mit einem schnellen Konzept eilfertig verabschieden könnte.Was wir aber sicherstellen möchten, ist, daß die jetzt aufkommenden und stillzulegenden Beträge als ein Einstieg in die Vermögensbildung behandelt werden. Wir alle in diesem Hause haben dann als Gesetzgeber die Möglichkeit, über die Modalitäten zu sprechen. Hier wird nicht etwas von der Regierung irgendwo unter der Hand ausgegeben. Die Verwendung der Mittel, die jetzt stillgelegt werden, bleibt eine Angelegenheit des Parlaments.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die politische Gesamtwürdigung des Stabilitätsprogrammes der Bundesregierung werden bei der dritten Beratung unsere Kollegen Höcherl und Dr. Müller-Hermann vornehmen.Ich möchte eingangs etwas zurechtrücken, das der Kollege Rapp vorhin angeführt hat. Wie war es denn im Finanzausschuß? Die Tonbandaufzeichnungen werden wir ja einmal auswerten können. Es lag ein ernsthaftes Angebot von uns vor — und zwar in Fortsetzung derjenigen, die unser Fraktionsvorsitzender oder Parteivorsitzender schon in den letzten Wochen gemacht hatte —, die eine Blöße des Programms, daß zuwenig Massenkaufkraft, konsumtive Kaufkraft abgeschöpft wird, auszugleichen, damit die Regierung ihrer Führungsrolle gerecht werden kann. Hilfsweise hatten wir angeregt, ob man nicht, wenn das nicht auf dem Wege gemacht werde, wie es die Regierung nun einmal entschieden hat, gemeinsam den Versuch unternehmen könne — wir haben nicht behauptet, daß das schon ein völlig fertiges Konzept sei , etwas zu finden, um wenigstens durch Anreize in den unteren Einkommensschichten Kaufkraft zusätzlich stillzulegen. Über diesen Antrag, über diese Idee wurde abgestimmt. Die Regierungsmehrheit verwarf das, so daß unser Angebot nicht mehr behandelt werden konnte.Lassen Sie mich aber, meine Damen und Herren, ganz kurz begründen, weshalb die Opposition eine Mitverantwortung für die Erhöhung der Mineralölsteuer nicht übernehmen kann. Unsere Überzeugung, daß die Erhöhung der Mineralölsteuer — wie man so schön sagt — nicht in die „preispolitische Landschaft" hineinpaßt, ist in allen Beratungen seit der ersten vom 5. April 1973 noch gewachsen.Die Mineralölsteuererhöhung um 5,6 Pf je Liter wirkt unmittelbar preistreibend. Soweit sie in die Kosten eingeht, wird sie überwälzt, also auch mittelbar preistreibend wirken. Es kommt noch hinzu, daß gerade hierin — da alle Bürger davon erfaßt werden — eine Signalwirkung erblickt werden kann, es gehe mit den Preisen weiterhin nach oben. Damit wird genau das nicht erreicht, was die Bundesregierung will, nämlich die Inflationsmentalität zu brechen.Die Bundesregierung selbst hat ein Beispiel geliefert, daß in dieser Landschaft Preiserhöhungen nicht richtig sind, indem sie in ihrem Gesamtprogramm beschloß, vorerst auf die Erhöhung der Post- und Fernsehgebühren zu verzichten. Das ist genau der gleiche Gedanke, der auch bei der Mineralölsteuererhöhung anzuwenden wäre. Solange eine Tendenzwende nicht in Sicht ist, wirkt jede Steuererhöhung — zumal jede Verbrauchsteuererhöhung — unmittelbar zusätzlich preistreibend.Diese Meinung ist auch nicht durch das Sondergutachten der fünf Weisen etwa entkräftet worden. Es wird hier immer so getan, als hätten sich die fünf Weisen für diese Mineralölsteuer so ausgesprochen, wie es die Regierung vorhat. So ist es nicht! Lesen Sie genau nach! Unter Nr. 33 heißt es eindeutig:Bei den einnahmepolitischen Maßnahmen sind in erster Linie solche zusätzlichen Einnahmen in Betracht zu ziehen, deren Erhebung entweder schon im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz für diesen Zweck vorgesehen sind oder die ebenfalls konjunkturpolitisch begründet werden können.Erst im weiteren Verlauf dieses Punktes heißt es, daß längerfristig Einnahmeerhöhungen für den Fiskus notwendig seien. In diesem Zusammenhang wird davon gesprochen, daß „schon ab 1974" — schon ab 1974! Steuern erhöht werden müßten. Dabei wird die Mineralölsteuererhöhung — also im Hinblick auf 1974 — zur Konsolidierung des Fiskus begrüßt.Man kann also die Aussagen der Sachverständigen so auslegen: Sie sind heilfroh, daß die Bundesregierung im Hinblick auf eine mittelfristige Konsolidierung der öffentlichen Haushalte wenigstens irgendwo überhaupt etwas anpackt.Professor Kloten hat am 17. Mai im Finanzausschuß auf Fragen ausdrücklich erklärt, daß diese Mineralölsteuer kaum „primär stabilitätspolitisch begründet" werden könne. Sie sei allenfalls mittelfristig zu rechtfertigen, aber „nicht ad hoc". — Das
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1955
Dr. Häfelehat er im Finanzausschuß auf unsere Frage wörtlich erklärt.Auch Dr. Schlesinger, der diese Erhöhung insgesamt bejaht, hat auf Befragen ausgeführt, daß Ausgabenkürzungen bei den öffentlichen Haushalten natürlich wirksamer wären, weil sie breiter als Einnahmeverbesserungen wirken würden. Das hat er ganz generell gesagt. Er hat dann bei der Mineralölsteuererhöhung hinzugefügt, daß die Stillegung das Entscheidende sei. Genau das ist der schwache Punkt. Bis heute erklärt zwar die Bundesregierung, sie wolle das auch auf einem Sonderkonto stillegen, aber eben nicht so bindend, wie die Sachverständigen es übereinstimmend bei uns im Finanzausschuß verlangt haben, um die konjunkturpolitische Wirkung zu erzielen. Es ist keine gesetzliche Verpflichtung vorhanden, es ist nur eine Absicht der Bundesregierung ohne jede gesetzliche Verpflichtung; was sie mit diesem Geld und wann sie damit etwas tun will, ist überhaupt nicht geklärt.Nun wird gesagt, diese Mineralölsteuererhöhung wirke sozialer und sei deswegen vertretbarer als etwa ein allgemeiner Konjunkturzuschlag. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Porzner hat am 23. März 1973 im Bundesrat in seiner Rede ausgeführt, daß der Durchschnitts-Pkw-Halter, der etwa 15 000 km im Jahr fährt und durchschnittlich 12 Liter verbraucht, 8 DM je Monat mehr bezahlen müsse. Meine Damen und Herren, das ist genau die gleiche Belastung wie ein 10%iger Konjunkturzuschlag bei einem Verheirateten mit zwei Kindern und einem Monatseinkommen von 1 100 DM. Es kommt aber noch hinzu, daß die Mineralölsteuererhöhung, umgekehrt wie der Konjunkturzuschlag, jemanden relativ um so mehr trifft, je weniger Einkommen er hat, während der Konjunkturzuschlag gerade die persönlichen Verhältnisse des einzelnen in sozial vertretbarer Weise berücksichtigen kann. Auch das soziale Argument ist also nicht zutreffend.Schließlich kommt noch hinzu, daß die Erdölländer, vor allem im Orient, immer mehr dazu übergehen, jede Mineralölsteuererhöhung bei uns zum Anlaß zu nehmen, um ihrerseits einen größeren Anteil zu erhalten, einen höheren Preis verlangen zu können. Da wir inzwischen an einer Schwelle angelangt sind, die kaum mehr einen Spielraum nach oben zuläßt, ist das um so bedenklicher.Der zweite Hauptgrund, warum wir diese Mineralölsteuererhöhung nicht mittragen können, besteht darin, daß sie einer wirklich durchgreifenden Kraftfahrzeugsteuerreform im Wege steht. Wir begrüßen die Initiative des Bundesrates und unterstützen sie. Die Idee ist richtig, daß, insgesamt gesehen aufkommensneutral bei Kraftfahrzeugsteuer und Mineralölsteuer also etwa, wie der Bundesrat vorschlägt, 3,7 Pfennige -, eine Mineralölsteuererhöhung erforderlich ist, um eine wirkliche Kraftfahrzeugsteuerreform durchzuführen. Dies könnte, weil die Bundesregierung bisher gezögert hat, frühestens 1974 in Kraft treten. Wahrscheinlich ist schon das nicht mehr zu schaffen, so daß ein realistischer Zeitpunkt heute wahrscheinlich nur noch der 1. Januar 1975 wäre. Man kann uns also nicht entgegenhalten, die 3,7 Pfennig würden jetzt auchnicht in die „preispolitische Landschaft" hineinpassen, sondern das ist ein Steuerreformkonzept frühestens für das Jahr 1974.Inzwischen ist bekanntgeworden, daß im Finanzministerium ein Referentenentwurf existiert, wonach wiederum bei der Kraftfahrzeugsteuer ein Dreiklassenrecht geschaffen wird mit allen Nachteilen, die auf diesem Felde mit Klassen einfach verbunden sind. Es handelt sich wiederum um eine verkappte Hubraumsteuer, die nicht zu der durchgreifenden Vereinfachung führt, die sowohl für die einzelnen Kraftfahrzeughalter als auch für die Finanzämter dringend erforderlich ist. Sie führt auch nicht zu der notwendigen Konstruktionsneutralität in Richtung auf mehr Verkehrssicherheit oder mehr Umweltschutz in bezug auf das Kraftfahrzeug. Zudem muß man wissen, daß der Referentenentwurf des Finanzministeriums dazu führen würde — wenn etwa gesagt wird, daß unser Konzept teilweise auch zu Erhöhungen führt, was zuzugeben ist —, daß drei Viertel des Pkw-Bestandes — das sind die Pkws von 1000 bis 1700 ccm — wesentlich stärker belastet würden, als nach dem Bundesratsvorschlag vorgesehen ist. Meine Damen und Herren, hier, bei der Kraftfahrzeugsteuer, ist wirklich einmal nicht Verbalismus am Platz, sondern hier ist ein Feld für „Reform", für „Progressivität" oder für „mehr Lebensqualität'' , wie diese Regierung immer wieder rhetorisch verkündet.Deswegen fordere ich den Finanzminister, der leider wieder einmal nicht anwesend ist, auf, einmal hinauszugehen -- —
— Entschuldigung! Aber vielleicht kann er zuhören! - Herr Finanzminister, ich fordere Sie auf: Gehen Sie einmal hinaus zu einigen Finanzämtern und sehen Sie sich einmal an, wie es draußen bei den Finanzämtern ausschaut, die in manchen Bereichen nicht mehr durchkommen! Gerade die Kraftfahrzeugsteuerreform wäre geradezu ein Trick, durch den 2000 bis 3000 Beamte für andere notwendige Aufgaben freigesetzt werden könnten.Den Verkehrsminister fordere ich auf, die Kraftfahrzeugsachverständigen anzuhören. Sie alle fordern die Kraftfahrzeugsteuerreform, wie der Bundesrat sie vorschlägt. Und den Umweltschutzminister, den Innenminister, fordere ich auf, hier etwas Konkretes für mehr Umweltschutz, für Luftreinheit und weniger Lärmerzeugung, zu tun. Dafür ist diese Kraftfahrzeugsteuer geeignet.Schon aus diesem Grunde, meine Damen und Herren, schon deshalb, weil dadurch die Reform blockiert wird, können wir der Erhöhung der Mineralölsteuer nicht zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vohrer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von der CDU wurde jetzt mit Herrn
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1956 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Dr. VohrerHäfele der dritte Mann zum Rednerpult geschickt, der uns glauben machen sollte, die CDU präsentiere hier eine stabilitätspolitische Alternative, die eine Reihe publikumswirksame Anträge beinhaltet, am Schluß dann aber ausgewogener sein soll als das von der Regierung vorgelegte Programm. Ich glaube, wir müssen die Ausgewogenheit hier einmal in aller Intensität analysieren. Wir müssen hier einmal untersuchen, inwieweit ein Programm, das auf die Erhöhung der Mineralölsteuer wie auf die Aussetzung der 7 b-Abschreibung verzichtet,
das die Zonenrandgebiete begünstigt und alle möglichen sonstigen Ausnahmen enthält — Sie kennen die damit verbundenen Ausgaben; Frau Funcke hat darauf hingewiesen, was allein Ihr Sparprogramm kostet —, inwieweit ein Programm also, das alle diese Punkte beinhaltet, am Schluß ausgewogener sein soll als die Regierungsvorlage. Was verstehen Sie denn unter ausgewogen? Das sollten Sie hier einmal sagen. Ausgewogen ist meiner Ansicht nach nur ein Programm, das die Quoten der am Volkseinkommen Beteiligten nicht verändert. Wir stehen doch vor der Situation, daß wir in unserem Sozialprodukt ein Gütervolumen zur Verfügung haben, das, verglichen mit der kaufkräftigen Nachfrage, zu klein ist. Das heißt: wir haben Konsum, Investitionen und Staatsausgaben, die als aggregierte Ausgabeposten größer sind als das zur Verfügung stehende Gütervolumen, vermehrt um den Import und vermindert um den Export.Wir sollten uns hier nicht groß darüber unterhalten, wie dieses Ungleichgewicht zustande kam. Darüber wurde in diesem Hause genügend gesprochen. Aber wir sollten hier in aller Deutlichkeit untersuchen: wie entwickelt sich die Lohnquote, wie entwickelt sich die Gewinnquote auf Grund dieser Maßnahmen? Und wir können feststellen, daß die bereinigte Lohnquote in den letzten acht Jahren nahezu konstant war und daß sie lediglich zyklische Schwankungen von ± 1 % aufgewiesen hat. Vor dem Hintergrund der Quoten haben wir den Stellungskrieg zu sehen, den Stellungskrieg und das Rivalisieren um das Sozialprodukt, wo sich öffentliche Hände, Arbeitgeber und Arbeitnehmer darum rangeln, wer welche Anteile erhalten soll.Wir können feststellen, daß wir hier relativ leicht ein Stabilitätsprogramm präsentieren können, das auf die Quoten keine Rücksicht nimmt. Wir können die Mehrwertsteuer erhöhen und haben damit ein sehr einnahmewirksames Mittel. Wir können einen allgemeinen Konjunkturzuschlag machen. Wir können die Investitionen durch entsprechend massive Besteuerung senken. Und wir können auch Haushaltskürzungen vornehmen. All das sind Maßnahmen, die geeignet sind, im Sinne der Stabilität wirksame Erfolge herbeizuführen.Aber das sind theoretische Maßnahmen. Wir müssen hier als Politiker entscheiden und müssen immer wieder die Quoten im Auge behalten, um sowohl den Arbeitsplatzfrieden zu sichern als auch die Investitionsbereitschaft der Unternehmer imgesamtwirtschaftlich gewünschten Ausmaß zu behalten.Die Ausgangssituation ist gekennzeichnet durch ein kräftiges Vorhalten der Unternehmer mit Preissteigerungen. Dem stehen von seiten der Gewerkschaften Lohnsteigerungen gegenüber, die zumindest zu Jahresbeginn noch als stabilitätsgerecht bezeichnet werden konnten. Auf der dritten Seite haben wir eine Entwicklung der Staatsausgaben, die bei Bund, Ländern und Gemeinden verschieden interpretiert werden muß. Zumindest was den Bund anbetrifft, kann man aber sagen, daß er sich eine gewisse Zurückhaltung auferlegt hat.
— Eine gewisse! Sie haben richtig gehört.Wir wollen aber hier kein Stabilitätsprogramm präsentieren, das ein allgemeines Streichkonzert darstellt, bei dem wir unabhängig von den Vorleistungen alle Positionen um den gleichen Prozentsatz reduzieren. Deshalb müssen wir die wichtigste volkswirtschaftliche Größe in ihrer Entwicklung untersuchen.Für die Löhne sieht dies folgendermaßen aus: Unsere Prognosen für 1973 gehen dahin, daß die Nominallohnsteigerungen bei 9 bis 10 % liegen werden, das Bruttosozialprodukt andererseits aber nominal nur um rund 14 % steigen wird. Unter diesen Voraussetzungen ist das Verhalten der Gewerkschaften verantwortungsbewußt, wobei man sagen muß, daß es auch zwischen den Lohngruppen ein gewisses Gerangel gibt. Daß die Drucker hier die „Schwarzen Schafe" sind, wissen Sie so gut wie ich.Wir sollten aber die Vorleistungen der Arbeitnehmer nicht dadurch bestrafen, daß wir jetzt eine allgemeine Stabilitätsabgabe einführen, die die unteren Einkommensgruppen mit belastet. Wir sollten vielmehr das Verhalten der Arbeitnehmer und damit auch der Gewerkschaften dadurch belohnen, daß wir jene Gruppe, die aufgrund der Regelung mit der Freigrenze 24 000 DM bzw. 48 000 DM nicht betroffen wird — voll wirksam werden die entsprechenden Grenzen ja erst bei 30 000 DM bzw. 60 000 DM —, von Abschöpfungen verschonen. Im gleichen Atemzug sollten wir aber darauf hinweisen, daß die Einkommensgrenze für die FDP kein Dogma ist. Eine Variation der Einkommensgrenze ist für uns die große Kneifzange in unserem stabilitätspolitischen Werkzeugkasten. Wir sollten davon wegkommen, den Tarifpartnern mit Seelenmassagen gegenüberzutreten, sondern wir haben ganz klar zu sagen, wie unsere Instrumente aussehen, mit denen wir einen Beitrag zur Stabilität leisten wollen.Ich möchte noch eine Bemerkung an die Adresse der Gewerkschaften anfügen. Wir sollten immer wieder darauf hinweisen, daß Lohnsteigerungen über die Produktivitätssteigerungen hinaus, also über das Wachstum des Sozialprodukts hinaus, keine wirksamen Maßnahmen sind, um die realen Einkommen zu erhöhen. Wir erlauben uns auch, die Gewerkschaften immer wieder darauf hinzuwei-
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Dr. Vohrersen, daß die tarifvertragliche Absicherung von Vermögensbildung, wie sie Herr Leber zu den Zeiten, als er noch nicht auf der Regierungsbank saß, bei der Gewerkschaft Bau, Steine, Erden immer wieder gefordert und auch durchgesetzt hat, eine verteilungspolitisch wirksamere Maßnahme ist als Lohnsteigerungen.Hinzu kommt, daß wir zweifelsohne zugeben müssen, daß die Stabilitätsabgabe in bezug auf Konsumverminderung natürlich nicht den Effekt hat, wie es beispielsweise eine bis in die unteren Einkommensgruppen hineinreichende Abschöpfung hätte.Als einzige wirksame, massive Maßnahme zur Abschöpfung von Konsumnachfrage haben wir die Erhöhung der Mineralölsteuer. Wir können damit rechnen, daß diese gewünschte konjunkturpolitische Wirkung der Steuererhöhung dann eintritt, wenn die 2 Milliarden DM, die aus der Steuererhöhung resultieren, bei der Bundesbank stillgelegt werden. Da wir davon ausgehen können, daß alle Steuermehreinnahmen stillgelegt werden, wird auch die Mineralölsteuer die Wirkung einer Stillegung haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bockelberg?
Bitte schön.
Kann ich davon ausgehen, daß die stillgelegten Einnahmen aus der Mineralölsteuer in die Konjunkturausgleichsrücklage eingebracht werden sollen?
Sie wissen, daß wir alle Steuermehreinnahmen, die über den Haushaltsansatz hinausgehen, stillegen werden. Insofern können wir zwar das entsprechende Einnahmebündel mit dem Etikett „Mineralölsteuer" versehen, aber die konjunkturpolitische Wirkung, auf die es uns ankommt, wird dadurch nicht besser.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bockelberg?
Bitte schön.
Ich hatte gefragt, ob Sie die stillgelegten Gelder in die Konjunkturausgleichsrücklage — das ist der wesentliche Punkt — bringen oder ob Sie sie dann, wenn es Ihnen paßt, wieder — sei es durch Bundesgesetz — entsperren wollen.
Sie können davon ausgehen und soviel Verantwortungsbewußtsein seitens der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen voraussetzen, daß wir jene Gelder nicht ausgeben werden, ohne daß wir stabilitätspolitisch eine Situation vorfinden, die uns dies erlaubt.
— Irgendwann würde ich auch gerne meine Ausführungen fortsetzen.
Sie möchten jetzt keine Zusatzfragen mehr zulassen? Gut.
Wir können aber darauf hinweisen, daß wir die Mineralölsteuer nicht ohne weiteres als langfristige Maßnahme für den allgemeinen Steuertopf sehen, sondern auch gewisse Wünsche bezüglich der Mehreinnahmen aus der Mineralölsteuer haben. Wir wollen jene Steuer für den Verkehrssektor zweckgebunden wissen und wollen auch erreichen, daß aus den Einnahmen aus der Mineralölsteuer nicht nur die Verdichtungsräume mit öffentlichen Nahverkehrsmitteln profitieren, sondern daß auch im ländlichen Raum, wo der Individualverkehr langfristig noch seine Bedeutung haben wird, der Straßenbau nicht zu kurz kommt.
Im Zusammenhang mit der Kritik der CDU, daß der Konsumsektor nicht getroffen wird, kann ich darauf hinweisen, daß die Sparförderung, die Sie vorschlagen, keineswegs den konsumreduzierenden Effekt haben wird, den Sie sich erhoffen. Frau Funcke hat schon darauf hingewiesen. Darüber hinaus kann man auch noch nachweisen, daß die Gruppe derer, die überhaupt sparen und das Programm in vollem Maße ausnutzen können, relativ kleiner ist, als Sie das denken, daß außerdem auch die Vermögenskonzentration im oberen Drittel der von Ihnen anvisierten Gruppe eintreten wird, so daß eine breite Streuung der Vermögensverteilung damit eher verhindert wird.
Im übrigen ist auch zu betonen, daß wir Ihnen seitens der FDP einen Kompromiß angeboten haben. Wir haben Ihnen im Ausschuß angeboten, die Mittel der Stabilitätsabgabe mit Ihnen zur Vermögensbildung zu verwenden. Wir wollten aber nicht, wie Sie es vorgeschlagen haben, die Mittel in der Weise verwenden, daß ein Vermögensbildungsmodell als Nebenprodukt der Stabilitätsdiskussion über die Bühne gezogen wird. Wir wollten uns lediglich auf das Prinzip einigen und ein Vermögensbildungsmodell durchsetzen, bei dem auch die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen zum Tragen kommt.
Herr Pieroth, ich bin erstaunt, daß Sie hier für den CDU-Stabilitätsvorschlag einstehen, wo Sie doch so viel Wert darauf legen, daß bei der Vermögensbildung eine Beteiligung am Produktivvermögen stattfindet. Das CDU-Modell aber schließt nach Ihrem Vorschlag, wie er vorliegt, das Produktivvermögen überhaupt nicht ein.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege, ist Ihnen wirklich nicht bekannt, daß der einzige Gesetzent-
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PierothWurf, der eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen vorsieht, ein Gesetzentwurf der CDU/CSU ist?
Aber die Alternative, um die es hier geht, die Sie durchsetzen wollen, der Vorschlag, den Sie im Ausschuß gemacht haben, hat mit Produktivvermögen überhaupt nichts zu tun.
- Wenn wir finanzielle Mittel in so erheblichem Umfang aufwenden, wollen wir immerhin ein Vermögensbildungsmodell schaffen, das auch unseren politischen Zielsetzungen entspricht.
Ich komme zu einer weiteren Frage. In dem Sondergutachten wird deutlich ausgewiesen, daß wir nach der Prognose für das zweite Halbjahr 1973 die stolzeste Wachstumsrate im Investitionsbereich haben. Insofern liegt es sehr nahe, auf diesen Bereich gezielt dämpfend einzuwirken. Im übrigen haben die Unternehmer bislang sehr viel Geschick in der Vermeidung von Steuerwirkungen bewiesen. Mit unserem Investitionssteuergesetz wollen wir den Unternehmern einen Anreiz geben, die Steuer zu vermeiden. Hier ist diese Wirkung erwünscht. Denn wenn die Unternehmer die Steuer vermeiden, haben wir den von uns gesamtwirtschaftlich erstrebten Effekt, daß die Investitionsquote zurückgeht.
Sie wissen, daß wir, was die Staatsausgaben betrifft, sowohl durch Haushaltskürzungen wie auch durch die Verminderung der Kreditaufnahme, also des Schuldendeckels, eine vernünftige Maßnahme vorgeschlagen haben.
Wir sollten nun den gesamten Katalog, ohne alle 21 Maßnahmen im Detail hier zu analysieren, daraufhin abklopfen, inwieweit die Quoten verändert werden. Es ist ganz interessant, daß die Lohnquote von 1971 mit 63,8, von 1972 mit 64,0 und von 1973 mit 63,7 % nahezu konstant geblieben ist. Sie ist im Gegenteil sogar rückläufig bzw. wird den Schätzungen zufolge rückläufig sein. Von den Maßnahmen wird insofern keine einseitige Belastung des Unternehmersektors bewirkt.
Auch die Zuwachsrate, die in den einzelnen Sektoren eintritt, sollte genauer untersucht werden. Dabei werden Sie feststellen, daß das Wachstum der Nettoeinkommen sowohl der Arbeitnehmer wie auch der Unternehmer in der Größenordnung von 9 % liegt. Beide Zahlen weisen nach, daß der Zuwachs nicht einseitig zugunsten einer Gruppe erfolgt. Entsprechendes läßt sich zumindest für den Bund sagen, auch hier wird die Wachstumsrate in der Größenordnung von 9 % liegen.
Insofern haben wir hier ein Stabilitätsprogramm vorgelegt, das keine Belohnung derer beinhaltet, die am weitesten vorgehalten haben. Wir haben das jeweilige Vorhalten mit in die Rechnung einbezogen, was im Endergebnis eine Gleichbehandlung der betreffenden Sektoren mit sich bringt. Wir werden aber bei der Beobachtung der Szenerie sehr aufmerksam sein und jene Gruppen zurückpfeifen, die jetzt die Situation dazu nutzen, sich einseitige Vorteile zu verschaffen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, lassen Sie mich dazu noch eines sagen: Wenn die CDU-Sozialausschüsse in Bochum zum erstenmal feststellen, daß die Gruppen miteinander reden müßten, wenn Herr Katzer Sie überhaupt erst einmal aufruft, daß die Gruppen innerhalb der CDU, nämlich die Sozialausschüsse und der Wirtschaftsrat, miteinander reden' müßten, dann zeigt das, wie wenig Sie von dem gesamten Konfliktstoff, der in solch einem Stabilitätsprogramm steckt, begriffen haben. Bei diesem Konflikt geht es um die Anteile am Sozialprodukt, also die Quoten der Gruppen.
In der Addition der Maßnahmen können wir davon ausgehen, daß die Nachfrage in einer Größenordnung von 15 bis 20 Milliarden DM reduziert wird. Insofern können wir auch eine Antwort auf das von Ihnen präsentierte Problem des nicht ausreichenden Volumens geben. Noch nie war es innerhalb dieser Bundesrepublik möglich, seitens der Politiker ein so konsequentes Programm aufzustellen. Sie haben recht, wenn Sie sagen: Dies war auch noch nie nötig. Aber immerhin ist es in der gegebenen politischen Situation eine Leistung der Regierung und der sie tragenden Koalition, hier ein solches Programm zu präsentieren. Nachdem die Interpretation des Programmes durch die Sachverständigen sehr stark strapaziert wurde, möchte ich hier doch noch sagen, daß die Gesamtkritik von Norbert Kloten in der „Zeit" dahin zusammengefaßt wurde, daß es „ein repektables Programm" sei.
Sie können sicher sein, daß auch wir die Schwächen des Programms kennen, daß auch wir wissen, daß wir die Gemeinden in ihrer Finanzpolitik noch nicht ausreichend im Griff haben, daß auch wir die Schwierigkeiten der tariflichen Gestaltung der Eingangsstufe bei der Stabilitätsabgabe sehen, daß auch wir die differenzierten Wirkungen der Investitionssteuer nach Branchen und Regionen kennen und daß auch wir die Probleme sehen, die durch die Ankündigungseffekte die Wirkung des Programms vermindern. Wir glauben aber dennoch politisch verantwortlich gehandelt zu haben, indem wir zwischen Effizienz der Maßnahmen, Gerechtigkeit für die einzelnen Gruppen und verwaltungstechnischer Realisierbarkeit abgewogen haben.
Insofern möchte ich die Fraktion der CDU/CSU bitten, daß sie die von mir vorgetragenen Argumente anerkennt und die Ausgewogenheit des Programms zukünftig anders sieht. Ich würde mich freuen, wenn die CDU/CSU ihre Entscheidung im Bundestag und im Bundesrat von diesen Argumenten beeinflussen ließe. Sie haben von den Koalitionsparteien und von der Regierung ein ausgewogenes Stabilitätsprogramm vorgelegt bekommen, es liegt jetzt an Ihnen, diesem Programm zuzustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Huber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zum Alternativ-
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Frau Huberprogramm der CDU drei Bemerkungen machen. Zunächst die Feststellung, daß es uns als ein eilig zusammengeflicktes, nicht einmal als Dokument vorhandenes Programm im Finanzausschuß erschien. Wir hatten kein Papier, wir hatten keine Details. Es wurde sozusagen über Nacht geboren. Es besteht im wesentlichen aus vier Punkten. Erster Punkt: ein Teil der Stabilitätsabgabe sollte rückzahlbar sein und verzinst werden. Zweiter Punkt: die unter der Einkommensgrenze 24 000 DM bzw. 48 000 DM liegenden Einkommensbezieher sollen in eine weitere Sparförderung kommen, mit sehr hohen Prämien. Drittens: die Mineralölsteuererhöhung soll dafür wegfallen. Vor allen Dingen sollen die Gelder, die aus der Stabilitätsabgabe aufkommen, nach dem Stabilitätsgesetz stillgelegt werden.
Erste Bemerkung! Dieses Programm ist in sich widersprüchlich. Ich kann nicht verstehen, wie Sie uns hier auf der einen Seite dartun wollen, daß man diese Stabilitätsabgabe gar nicht eisern genug zurücklegen könnte, und auf der anderen Seite schlagen Sie selber vor, einen Teil dieser Abgabe rückzahlbar und verzinslich zu machen.
— Ja, jetzt haben Sie es fallengelassen; im Finanzausschuß haben Sie es vorgetragen. — Und dann schlagen Sie eine Sparförderung vor, gerade für die unteren Einkommensgruppen, sozusagen eine Fahrt ins Blaue, wobei man gar nicht weiß, wie das wirkt und wieviel dabei herumkommt und wie gerecht das überhaupt ist. Ausgerechnet diese Sparförderung wollen Sie dann noch aus dem Aufkommen der Stabilitätsabgabe finanzieren, wie Sie ja vorgetragen haben.Wenn jemand eine so risikoreiche Behandlung dieser Stabilitätsabgabe vorschlägt, dann soll er auf der anderen Seite nicht immerfort sagen: Dies muß nun aber ganz eisern zurückgelegt werden und soll nur im Notfall wieder aufgelöst werden können. Das ist Punkt eins.Zu Punkt zwei muß ich folgendes sagen. Sie brauchen sich doch nicht zu wundern, wenn wir Ihre Prognose der jeweiligen Lage nicht zur Grundlage unserer Betrachtung machen. Ich kann mich noch sehr gut erinnern — es ist noch gar nicht so lange her —, daß sehr maßgebliche Leute Ihrer Fraktion uns eine kommende Krise an die Wand gemalt haben. Nun, kurze Zeit später, tadeln Sie die Regierung dafür, daß sie nicht rasch genug und nicht kräftig genug diesen Boom bremst. Sehen Sie mal: ein Boom, und vor kurzem sollte es doch noch die Krise sein. Bei so einer unterschiedlichen und so unsicheren, rasch wechselnden Betrachtung der Konjunktur kann die SPD sich im Grunde nur auf das verlassen, was ihr selber richtig erscheint.
Dritte Bemerkung! Wenn ich genau hinsehe, was Sie für Anträge stellen und was Sie sich jetzt auch noch aus dem Bundesrats-Programm zu eigengemacht haben — bei dem Investitionszulagengesetz —, dann stelle ich fest, daß Sie im Grunde wieder Dinge gefordert haben, die den Haushalt mehr belasten und die die Mindereinnahmen und die Mehrausgaben steigern. Sie wollen die Investitionszulagengeschichte auf zwei Jahre begrenzen. Dann haben wir wieder die Mehrbelastung des Haushalts, die wir gerade vermeiden wollten. Sie haben Ausnahmen bei § 7 b diskutiert. Sie haben das nachher nicht mehr aufgegriffen, aber es ist bei uns diskutiert worden. Auch wenn Sie hier auf die Kopflastigkeit der Investitionssteuer hinweisen, so sind dies alles Denkansätze, die bedeuten, daß wir nicht zu weniger Ausgaben, sondern daß wir zu Mehrausgaben kommen. Gerade dies tadeln Sie doch. Ihre Begründung war doch, die Bundesregierung täte nicht genug aus den eigenen Mitteln. Hier will ich wiederum sagen: alle Ansätze, die Sie in Form der Anträge bringen, zielen darauf ab, sie keineswegs zu schmälern. Da haben Sie Ihren Denkansatz also nicht verwirklicht.Wenn man sich die Anhörung der beiden Sachverständigen noch einmal vor Augen hält, kann im großen und ganzen überhaupt nicht bestritten werden, daß sie das Programm der Regierung jetzt als richtig und auch als ausreichend bezeichnet haben. Die ausdrückliche Frage, ob weitere Maßnahmen vorgeschlagen würden, wurde verneint.Ein Wort zur Mineralölsteuer, über die Herr Dr. Weber schon gesprochen hat! Es steht ja im Sachverständigengutachten, daß sie nur primär preissteigernd wirke, aber im Endeffekt doch die Kreditbelastung des Haushalts mindere und so doch abschöpfend wirke.Ich möchte jetzt abschließend folgendes sagen. Unser Stabilitätsprogramm ist dringend geboten. Es ist durchgreifend. Die Belastungen sind hart, aber sie sollen gerecht sein. Wir denken, wir haben die richtigen Ansatzpunkte gewählt. Wir können uns nicht auf ein Programm stützen, das in erster Linie den vermögenspolitischen Ansatz sieht. Dafür ist jetzt nicht die Stunde.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Narjes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich bin dem Herrn Bundeswirtschaftsminister dankbar, daß er die Diskussion mit dem Bemühen um einen allgemeinen Überblick über das stabilitätspolitische Programm und über den Ernst der Situation und die aus ihm sich ergebenden Konsequenzen begonnen hat. Ich kann den Absätzen des Kommuniqués der Konzertierten Aktion, die sich in allgemeinen Bemerkungen erschöpfen, wie gehandelt werden müsse, durchaus zustimmen. Wir haben nichts dagegen einzuwenden. Gerade in diesem Geiste haben wir zahllose Angebote für eine gemeinsame Arbeit, eine gemeinsame Verantwortung unterbreitet. Diese Angebote sind nicht akzeptiert, nicht zur Kenntnis genommen worden. Sie können deshalb von uns
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1960 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Dr. Narjesnicht erwarten, daß wir ohne Annahme unserer Angebote dazu bereit sind, Ihnen die Kastanien aus dem Feuer zu holen.Wir diskutieren heute über ein ernsthaftes Programm — das soll nicht bestritten werden —, dessen Wirkungen — das sind keine Prognosen irgendwelcher Institute, sondern das hat sich aus der Diskussion im Wirtschaftsausschuß ergeben -frühestens zur Jahreswende erreicht werden können. Das heißt, wir werden heute bei 71/2 % Preissteigerungen auseinandergehen und im Herbst hoffentlich nur bei 81/2%), wenn nicht mehr, wieder zusammenkommen. Wir schulden schon heute der Bevölkerung, deren Unruhe -wächst, volle Klarheit darüber, wo die Zusammenhänge, wo die Verantwortung, wo die Ursachen für das liegen, was sie in diesem Sommer und in diesem Herbst erwartet.Ich bin dem Herrn Bundeswirtschaftsminister auch dafür dankbar, daß er ein Wort zu den politischen Lebenslügen gefunden hat, die jetzt von einigen Teilen als Entschuldigung für einiges Fehlverhalten vorbereitet werden. Ich denke z. B. an die Behauptung, die Preise würden von den Unternehmern diktiert. Das ist in dieser Form schlicht falsch. Wäre es richtig, gäbe es keine Märkte, und all unser Bemühen um eine Wettbewerbsgesetzgebung wäre illusorisch. Ich habe vielmehr manchmal den Eindruck, daß der eine oder andere, der diese These vertritt, der Versuchung erlegen ist, bestimmte Verhältnisse, wie sie etwa auf dem Wohnungsmarkt unter monopolistischer Beherrschung durch gewisse gemeinnützige Gesellschaften bestehen, zu verallgemeinern und auf das gesamte Wirtschaftsleben zu übertragen.Die Frage, die auch heute wieder gestellt worden ist, nämlich ob die Opposition nicht das Inkrafttreten des Stabilitätspaketes verzögere, ist bereits nach dem 17. Februar aufgeworfen worden. Hier scheint sich eine Art Dolchstoßlegende gegen die Opposition zusammenzubrauen. Ich möchte dem mit aller Deutlichkeit widersprechen.
Die Bundesregierung allein hat aus freien Stücken. ohne daß es dafür stabilitätspolitische Gründe oder gar Zwänge gäbe, die weder im Stabilitätsgesetz noch in der Verfassung vorgesehene Sondersteuer einer Stabilitätsabgabe zum Instrument der Inflationsbekämpfung gewählt. Das Stabilitätsgesetz, das wir immer gefordert haben, bietet für diese Zwecke das Instrument des Konjunkturzuschlags an. Da Sie dieses legale Instrument nicht genutzt haben und in eine fragwürdige, verfassungswidrige Konstruktion ausgewichen sind, liegt das Verschulden für die sich hieraus ergebenden Verzögerungen allein bei Ihnen, bei der Bundesregierung, und nicht etwa bei der Opposition.
Sie müssen sich deshalb auch immer wieder die Frage gefallen lassen, warum sie die legalen Mittel verschmäht und das Abenteuer einer Stabilitätsabgabe gewählt haben.Die Frage nach Ihren Motiven führt automatisch zu einer näheren Durchleuchtung des Pakets. Ich komme dabei zu etwas anderen Ergebnissen, als Frau Präsident Funcke sie hier vorgetragen hat. Die Intention des Stabilitätsgesetzes geht doch u. a. in Perioden des Aufschwungs dahin, durch ein Bündel geeigneter Maßnahmen die Nachfrage global zu dämpfen. Es kennzeichnet aber die beiden Programme der Bundesregierung vom 17. März und vom 19. Mai, daß sie versucht, das Ziel der Dämpfung der Nachfrage als Vorwand für die gleichzeitige Verwirklichung anderer, nicht stabilitätsorientierter, also sachfremder Absichten zu nutzen, die mit der Inflationsbekämpfung wenig oder gar nichts zu tun haben. Insbesondere versucht sie, die steuerpolitischen Möglichkeiten zu allgemeinen dauerhaften Steuererhöhungen umzufunktionieren, gleichgültig ob es sich dabei nun um die Mineralölsteuer oder die Streichung gewisser Vergünstigungen oder auch um die als Vorläufer einer Dauerabgabe gedachte Stabilitätsabgabe handelt.Mit dieser Maßnahmenkombination beschwört die Bundesregierung zwei grundsätzliche Probleme herauf. Das eine Problem ist verfassungspolitischer Natur, denn das Steuerbewilligungsrecht des Parlaments wird auf diese Weise unter dem Vorwand der Stabilitätsbekämpfung ausgehöhlt und entwertet. Die Stabilitätsmaßnahmen stehen nämlich immer unter Zeitdruck. Es ist geradezu ein Kriterium ihrer Wirksamkeit, inwieweit es gelingt, die Entscheidungs- und Anwendungsverzögerungen abzukürzen. Die entsprechenden sachfremden Steuergesetze werden durch diese Ihre Praxis nun unter denselben Zeitdruck gesetzt. Die angemessene Beratung dieser Gesetze wird unterbunden, und ihre Einbettung in umfassendere Steuerreformvorstellungen wird verhindert. Hiergegen können auch nicht die in dieser Hinsicht nicht ganz verständlichen Ausführungen in dem Sondergutachten der Sachverständigen zur Mineralölsteuer angeführt werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Ja, gerne!
Herr Kollege Dr. Narjes, Sie beklagen, daß die vorgesehenen Maßnahmen verhindern, daß den stabilitätspolitischen Erfordernissen schnell Rechnung getragen wird. Wären Sie bereit, zuzugeben, daß die von Ihnen und Ihrer Fraktion vorgeschlagenen zusätzlichen vermögenspolitischen Maßnahmen sicherlich ebenfalls nicht schnell durchzuführen sind?
Herr Kollege Graf Lambsdorff, für diese Maßnahmen, auf die ich noch zu sprechen komme, gilt der allgemeine politische Grundsatz: Es sind die Sachverständigen, die die Schwierigkeiten der Lösung finden, und es ist Sache der Regierung und der Politiker, die Lösung der Schwierigkeiten durch Entscheidungen zu finden.
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Dr. NarjesGenau das ware auch in diesem Fall bei sachgemäßer Beratung im Finanzausschuß möglich gewesen.Hiergegen könnten also auch nicht die Ausführungen in dem Sondergutachten zur Mineralölsteuer angeführt werden, denn die Sachverständigen haben offensichtlich aus allgemeiner einnahmenpolitischer Betrachtung des Bundeshaushalts ihr im Prinzip zustimmendes Votum abgegeben.Aber noch ein Weiteres ist mit dieser Praxis verbunden und zu ihr anzumerken. Der Mißbrauch der Möglichkeit, mit Steuern zu steuern, kann das gesamte stabilitätspolitische Instrumentarium auf die Dauer in seiner Glaubwürdigkeit gefährden, denn die Instrumente des Stabilitätsgesetzes sollen ja nicht nur für einen konjunkturellen Aufschwung verfügbar sein, sondern unter ständiger Fortentwicklung der Behandlung auch aller künftigen vergleichbaren konjunkturellen Situationen dienen. Sie müssen deshalb ihrer Natur nach wiederaufhebbar, reversibel sein, sollen sie nicht ihre konjunkturpolitische Glaubwürdigkeit für die Zukunft verlieren. Gerade gegen dieses Verbot verstößt dieses zweite Programm, denn in künftigen vergleichbaren Situationen wird die disponierende Wirtschaft nicht mehr an den vorübergehenden Charakter der Maßnahmen glauben, sondern sie schon als mehr oder weniger vollzogene Steuererhöhung, als endgültiges Datum in ihre Kalkulation einbeziehen. Sie wird dementsprechend nicht mehr bereit sein, auf die künftige Wiederaufhebung der Maßnahmen zu warten.Wie im übrigen eine zusammenhängende Steuerreform aussehen soll, wenn in jeder Aufschwungphase unkoordiniert und ohne großen Zusammenhang an der Steuerschraube gedreht wird, bleibt ebenfalls eine offene Frage. Diese grundsätzlichen Erwägungen sollten gerade auch für die an einem funktionsfähigen parlamentarischen System — und dazu gehört insbesondere die Steuerbewilligungsbefugnis — interessierten Abgeordneten der Koalition Anlaß genug zu einer ernsthaften Selbstprüfung sein, ob sie mit ihrem bedingungslosen Ja zu dem Programm der Bundesregierung nicht allzuschnell fixen Schlaumeiern der Finanzpolitik aufgesessen sind. Die Steuergesetzgebung, eine der wichtigsten Aufgaben des Parlaments, sollte man fein säuberlich von den Maßnahmen der Konjunkturpolitik trennen.Anmerkung in der Zusammenfassung der zweiten Lesung verdient auch ein weiterer Punkt, nämlich Ihre Weigerung, die Rückzahlung und Stillegung so zu vollziehen, wie es das Stabilitätsgesetz vorsieht. Kennzeichen aller von Ihnen angebotenen Formulierungen über die Verwendung konjunkturbedingter Mehreinnahmen ist vielmehr die eindeutige Verweigerung der Stillegungsformen, die allein an konjunkturpolitischen Zielen und Zwecken orientiert sind. Hierin müssen wir — das ist ein sehr ernster Punkt, der besonders dann ernst ist, wenn Sie die Absicht haben sollten, auf unsere Kooperationsangebote einzugehen — das Eingeständnis sachfremder Ziele und Mißbrauchsabsichten vermuten. Mehr noch: Wer diese allein am Stabilitätsziel orientierten Stillegungsformen verweigert, stellt damit indirekt auch die Ernsthaftigkeit und die Bereitschaft zum Durchhalten der eigenen stabilitätspolitischen Maßnahmen in Frage.
Bei dieser Gelegenheit sollte ich ein Wort des Dankes an den Herrn Bundeswirtschaftsminister aussprechen, der erneut wiederholt hat, daß ein Lohn- und Preisstopp für die Bundesregierung kein geeignetes Instrument zur Bekämpfung der konjunkturpolitischen Situation ist.
Es gibt keine marktordnungskonforme Alternative zur freien Preisbildung, zur freien Lohnbildung mit allen sich daraus wiederum gleichzeitig ergebenden Verpflichtungen derjenigen, die die Tarifverhandlungen führen und die am Markt ihre Entscheidungen treffen. Sie alle müssen wissen, daß dabei freiwillige Disziplin unendlich viel weniger einschneidend, unendlich viel einfacher ist als der Ruf nach dem Staat.Gleichwohl können wir nicht übersehen, daß ein Wort zu den Problemen der Sozialpartner und auch, was ihre Entscheidungen betrifft, zu ihrem Verhältnis gegenüber dem Parlament als Ganzem nötig ist. Ein Parlament wie der Bundestag, das Anspruch darauf erheben muß, das höchste politische Verfassungsorgan des Staates zu sein, darf nicht übersehen, in welchem Umfang seine eigene Entscheidungsfreiheit und damit auch die des demokratischen Staates durch Vorgänge im Bereich der Tarifpartner in den letzten sechs Monaten in die Diskussion gezogen worden ist. Seitdem im vergangenen Herbst die Sachverständigen in ihrem Jahresbericht 1972 auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Konjunkturzuschlag und der Höhe der Tarifabschlüsse der Sozialpartner hingewiesen haben, ist der Bundesregierung und diesem Parlament und damit auch dem ganzen Staat mehrfach in unterschiedlichen Formulierungen in Aussicht gestellt worden, daß eine Benutzung dieser Instrumente des Stabilitätsgesetzes schwerwiegende Nachteile für den sozialen Frieden, für den ganzen Staat haben könne. Die Sachverständigen haben dieses Thema durchaus gesehen und sagen dazu in Ziffer 13 ihres Berichts — ich bitte, ihn zitieren zu dürfen —:Unter günstigen verteilungspolitischen Umständen wäre es vielleicht selbstverständlich gewesen, wenn der Staat die fehlende Einwilligung der zu Besteuernden weniger wichtig genommen, sich vielmehr dagegen verwahrt hätte, daß die Arbeitnehmerorganisationen ihr Machtprivileg im Rahmen der Tarifautonomie dafür nutzen wollen, ihn an der Anwendung eines Gesetzes zu hindern, das eigens für wirtschaftliche Situationen wie die gegenwärtige geschaffen worden ist und das sozialen Gesichtspunkten durchaus Rechnung trägt ...Später wird dann dieser ungebührliche Machtanspruch nicht akzeptiert bzw. durch den Hinweis auf die schreiende Ungerechtigkeit der Inflation in diesem Falle als gerechtfertigt dargestellt. Ich zitiere diesen Satz mit dieser Nachdrücklichkeit, weil wir im Parlament unabhängig von der Frage
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1962 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Dr. Narjesunserer Parteizugehörigkeit die bedenklichen Aspekte dieser Diskussion hellwach beobachten müssen, damit aus einer unreflektierten Entwicklung von Gruppenmacht im Verhältnis zur Staatsmacht nicht Probleme entstehen können, die die Ausübung unseres Wächteramtes nötig machen. Gerade wenn sich mehrere Gruppen gegen den Staat verbünden sollten, was ich im Augenblick nicht unterstelle, stellt sich dieses Problem mit doppelter Schärfe. Das hier herauszustellen ist notwendig. So wenig eine Demokratie ohne Demokraten und ein freiheitlicher Staat ohne pflichtbewußte Bürger leben können, so wenig kann eine marktwirtschaftliche Ordnung funktionieren, ohne daß sich die in ihr mit autonomen Befugnissen privilegierten Sozialpartner den mit dem Grade ihrer Privilegierung wachsenden Pflichten und Verpflichtungen gegenüber der Allgemeinheit bewußt sind.60 % unserer volkswirtschaftlichen Kosten sind in irgendeiner Form Lohnkosten. Die Möglichkeit, über ihre Höhe autonom verhandeln zu können, ist eine der schwersten Bürden, die überhaupt einer Prozedur außerhalb der parlamentarischen Kontrolle übertragen werden können.Wir sind nicht blind gegenüber den schweren Führungsproblemen, denen sich die Gewerkschaften in ihrer gegenwärtigen Situation gegenübersehen. Wir meinen auch, daß sie dabei Hilfe verdienen, zumal ein Teil der radikalen Forderungen in ihren eigenen Reihen von Gruppen aufgestellt werden, die das marktwirtschaftliche System durch konsequente Überforderungen aus den Gewerkschaften heraus selbst in Frage stellen möchten. Gerade deshalb ist es so notwendig, über die Grenzen von Gruppenmacht hinweg bezüglich der Verpflichtung der einzelnen Beteiligten auch in diesem Hause ebenso deutliche wie notfalls hilfreiche Worte zu sprechen.Offensichtlich — auch das muß gesagt werden — hat es so etwas wie einen nichtöffentlichen Stabilitätspakt — oder eine nichtöffentliche Stabilitätsabrede — zum Jahresende gegeben, über dessen Ergebnis die Führung der Gewerkschaften enttäuscht ist. Dazu hat sie einigen Anlaß; denn die zum Erfolg dieses Punktes notwendigen flankierenden Maßnahmen insbesondere der öffentlichen Haushalte sind ausgeblieben, wie das in den Hinweisen des Sondergutachtens im einzelnen ja ausgeführt ist. Auch sind auf der Unternehmerseite die Preiserhöhungsspielräume vielfach unangemessen ausgenutzt worden, nicht zuletzt deshalb — und das ist die Folge des Umstandes, daß es sich um einen nichtöffentlichen Stabilitätsaspekt gehandelt zu haben scheint —, weil auf der Unternehmerseite und in der Wirtschaft überhaupt das Bewußtsein für die Dringlichkeit dieser Problematik nicht im nötigen Umfange vorhanden war.Diese Mängel habe ich gemeint, als ich schon im Januar 1973 nach Abgabe der Regierungserklärung dargestellt habe, daß die Bundesregierung die erste Runde im Kampf um die Preisstabilität bereits verloren habe.Ein letztes Wort zu den Vorwürfen, die CDU/ CSU habe keine Alternativen gehabt und habekeine. Diese Vorwürfe sind während des Wahlkampfes erhoben worden. Wir haben damals Formulierungen und Forderungen aufgestellt, die Sie jetzt bis in den Wortlaut hinein als Regierungsforderungen wiederfinden. Das Wort von und die Forderung nach der Tendenzwende sind bei uns bereits in den Dokumenten des Parteitages in Wiesbaden enthalten gewesen.
Die Forderung nach einem abgestuften Programm über mehrere Jahre — weil es sich um eine harte Arbeit handelt —, war bereits in Wiesbaden vorhanden. Sie haben das damals noch verspottet. Sie haben gemeint, Sie könnten mit der seichten Formel, 5 % Arbeitslosigkeit seien ein schwerwiegenderes Übel als 5 % Inflation, über die Runden kommen.
Das zweite war im Februar. Auch damals wurde hier behauptet, die CDU habe keine Alternative. Wir haben Ihnen damals gesagt: Wenden Sie das Stabilitätsgesetz an! Das ist die Alternative zur Nichtanwendung des Stabilitätsgesetzes. Das haben Sie damals bestritten. Zehn Wochen später legen Sie uns einen Katalog der Anwendung eben dieses Stabilitätsgesetzes vor, das Sie damals noch nicht als Alternative anerkannten.So wie wir Ihnen im Februar gesagt haben, daß das Stabilitätsgesetz ausgeschöpft werden muß, wenn Sie diese Entwicklung in den Griff bekommen wollen, sage ich Ihnen heute, daß die Alternative zu einem prozyklischen, preistreibenden Finanzgebaren des ganzen Staates ein preisdämpfendes, die Nachfrage der öffentlichen Hände einschränkendes, antizyklisches Finanzgebaren des Staates ist.Ich sage weiter, daß die Alternative zur unsozialen, preistreibenden — ich beziehe mich auf das, was der Herr Kollege Häfele gesagt hat --Mineralölsteuererhöhung und zu einer in schwere Nöte verstrickten Lohnpolitik entweder ein allgemeiner, rückzahlbarer, verzinslicher Konjunkturzuschlag oder ein umfassender Einstieg in überproportionale Maßnahmen der Sparförderung ist; denn durch die proportionalen Maßnahmen der bisherigen Art können Sie den drohenden Entsparprozeß nicht mehr aufhalten.Wer aber beides ignoriert und den Kopf in den Sand steckt, wird im Herbst bittere Enttäuschungen erleben, wenn wir uns in einer weiteren Runde über Ursachen und Fehler und Mängel und „Zu wenig" und „Zu spät" an dieser Stelle zu unterhalten haben.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.Dr. Friderichs, Bundesminister für Wirtschaft, Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Die soeben gehaltene Rede veranlaßt mich,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1963
Bundesminister Dr. Friderichsunverzüglich zu antworten. Das, was hier gesagt worden ist, Herr Abgeordneter Dr. Narjes, ist eben keine Alternative. Das hören wir jetzt seit Monaten. Es ist nichts anderes als ein permanentes Herummäkeln an formalen Fragen ohne substantiellen Gehalt.
— Ich möchte es so kurz machen, daß wir alle gemeinsam zu Mittag essen können.
Aber Ihnen gestatte ich selbstverständlich eine Zwischenfrage.
Herr Bundesminister, halten Sie es für ein Herummäkeln, wenn ich — ohne heute auf das Sachverständigengutachten Bezug zu nehmen; das ist schon in der letzten Diskussion hier geschehen — darauf hinweise, daß die öffentliche Hand bisher nicht ihre Pflicht getan hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin Ihnen für den Beifall sehr dankbar, weil sicherlich auch das Land Schleswig-Holstein damit gemeint ist.Was ich unter Herummäkeln verstehe, will ich Ihnen klar sagen. Wenn ich Ihnen die Meinungsäußerungen aus den Reihen der Opposition seit Beginn dieses Jahres auch nur auszugsweise vortrüge, dann würden Sie — —
— Ich bin bereit, über alles, was ich zum Jahreswirtschaftsbericht gesagt habe, mit Ihnen zu diskutieren, und ich stehe auch dazu.
Aber wenn ich lese, was Herr Stoltenberg am 8. Dezember zu den Maßnahmen sagt, die kommen müssen, was Herr Narjes sagt, was Herr Strauß sagt — fast jedesmal etwas anderes —, dann verstehe ich eigentlich nicht, daß Sie den Mut haben, sich hier hinzustellen und ein Programm zu kritisieren, das in weiten Punkten dem Programm Ihres Parteifreundes Schäfer entspricht oder sogar von ihm geteilt wird.
Zweitens möchte ich zu einigen Punkten, die Sie angeschnitten haben, etwas sagen, weil sie ernster sind, als sie von manchen offensichtlich gesehen werden. Sie haben die Frage: allgemeiner Konjunkturzuschlag ohne Freigrenze oder Stabilitätsabgabe wieder aufgeworfen. Ich will mich jetzt mit Ihnennicht über rechtliche Konstruktionen streiten; aber auch das können wir gern noch tun — —
— Wenn das verfassungswidrig wäre, hätten Sie ja rechtliche Möglichkeiten. Dieses Haus hat nicht die Absicht, verfassungswidrige Gesetze zu beschließen; das unterstelle ich keiner Fraktion.
Sie haben in diesem Zusammenhang unter teilweisem Zitieren des Sachverständigengutachtens wieder einmal das aufleben lassen, was draußen in Diskussionen immer wieder angeführt wird: Diese Regierung habe diese Freigrenze gewählt, weil sie nicht den Mut gehabt habe, darunterzugehen, um sich nicht mit den Gewerkschaften in dieser Frage anzulegen. - Ich greife das auf, weil es landauf, landab von Ihnen so verbreitet wird. Dies ist einfach falsch!
Deswegen wird es hier klargestellt. Diese Regierung hat aus ganz anderen Gründen die Freigrenze gewählt, nämlich deshalb, weil sie wußte, daß ein Konjunkturzuschlag in dieser Höhe für alle Beschäftigten unverzüglich dazu geführt hätte, bereits abgeschlossene Tarifverträge in Frage zu stellen;
denn auch die verantwortungsbewußten Führer der Gewerkschaften hätten ihre Basis nicht mehr halten können,
zumal — lassen Sie mich das genauso deutlich sagen — die Unternehmerseite selbst das alles durch die Effektivlohnentwicklung bereits überrollt hatte.
— Das ist die Wahrheit, und die muß gesagt werden.
Wie sieht es denn aus! Wir haben Abschlüsse von 8,5 %, von 8,9 % und 9,9 %.
Wir haben eine effektive Entwicklung von 12,5 % allein in den ersten drei Monaten gehabt. Das ist die Wahrheit.
— Wenn man Ihre Reden hört, leider nicht.
Ich möchte sehr deutlich sagen: In der Konzertierten Aktion und in den Vorbesprechungen waren es nicht nur und gar nicht einmal in erster Linie die Gewerkschaftsvertreter, die uns von einem allgemeinen Konjunkturzuschlag aus konjunktur-
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1964 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Bundesminister Dr. Friderichspolitischen Gründen abgeraten haben, sondern es war vor allem die andere Seite.
Ich nenne den Präsidenten der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände; ich nenne den Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Industrie. Sie haben gesagt: Was habt ihr denn davon, wenn ihr damit vielleicht noch etwas Liquidität abschöpft, aber auf der anderen Seite in einem falschen Zeitpunkt zu einer Kostenproduktion beitragt!Das war die Überlegung, die Kollege Schmidt und ich hatten, als wir diesen Vorschlag machten, der übrigens — man höre und staune — auch wieder mit Äußerungen aus der Opposition konform geht. Denn auch namhafte Oppositionspolitiker haben sich exakt so geäußert.
Ich möchte noch ein Wort dazu sagen. Ich bin darüber hinaus der Meinung — das ist jetzt kein konjunkturpolitisches, sondern ein gesellschaftspolitisches Argument —, daß die Gruppe in der Bevölkerung, die so viel verdient, wie sie zum täglichen Lebensunterhalt benötigt, aber auch nicht mehr — die gibt es ja auch —,
unter den Preissteigerungen in einer anderen Form als diejenigen zu leiden hat, die nicht ihr gesamtes Einkommen für ihren täglichen Lebensunterhalt benötigen.
Diese beiden Gründe waren für die Konstruktion ausschlaggebend, die die Bundesregierung bei der Stabilitätsabgabe gewählt hat.Ich habe durchaus Verständnis für Ihr Mißtrauen, was die Bundesregierung mit den dadurch angesammelten Beträgen in Höhe von 4,6 Milliarden DM unternehmen werde. Die Opposition muß mißtrauisch sein; das ist ihre Aufgabe.
Ich bitte, bei einer Zwischenfrage gleich ans Mikrophon zu treten; sonst wird die Handbewegung als Wortmeldung aufgefaßt.
Herr Bundesminister, habe ich bei meiner Kritik nicht von allen Gruppen und nicht nur von den Gewerkschaften gesprochen, als ich sagte, die Absprache oder das Verhalten der Sozialpartner dürfe nicht dazu führen — das war eine prinzipielle Kritik —, diesen Bundestag in seiner Handlungsfähigkeit zu beeinträchtigen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe die Tendenz Ihrer Ausführungen anders verstanden.
Sie haben Anspruch auf eine Antwort auf die mir gestellte Frage. Die habe ich Ihnen gegeben.
Zweitens zu Ihrem Mißtrauen bezüglich der Stabilitätsabgabe und ihrer Verwendung! Die Bundesregierung hat am 17. Februar beschlossen, den Betrag, der dadurch angesammelt wird, zu einem Einstieg in die Vermögensbildung zu nutzen. Dabei bleibt es. Diese Verwendung ist sowohl unter konjunktur- wie unter gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten sinnvoll.Sie haben drittens das Finanzgebaren des Staates angesprochen, ein Punkt, der in unseren Überlegungen eine große Rolle gespielt hat. Wenn ich die Kürzung der Gesamtausgaben des Bundeshaushalts und die Senkung bei den Gemeinschaftsaufgaben um 10 % bei allen dreien zusammenrechne — Streckung beim ERP-Sondervermögen —, so ergibt sich allein im Bundeshaushalt eine Summe von 1 Milliarde DM. Meine Damen und Herren, ich habe kein Verständnis dafür, daß Sie hier noch wagen, die Frage des Finanzgebarens der öffentlichen Hand, soweit es den Bund betrifft, anzusprechen, wenn ich mich gleichzeitig im Wirtschaftsausschuß einer permanenten Kritik ausgesetzt sehe, weil diese Beträge eingespart worden sind. So ist doch die Lage!
Wir werden das ja heute nachmittag alles noch hören. Sie schreien: Subventionsabbau! Wenn wir die Investitionszulage von 10 auf 7,5 % senken, schreit dieselbe Opposition: Dort bitte nicht! Sagen Sie bitte, wo Sie abbauen wollen!
Wenn wir bei der Gemeinschaftsaufgabe bewußt nicht einmal kürzen, sondern lediglich im Jahr 1973 10 % weniger ausgeben, um sie mittelfristig in der Gesamtplanung trotzdem zu einem konjunkturpolitisch richtigeren Zeitpunkt auszugeben, dann kommt derselbe Einwand von der Opposition wiederum im Wirtschaftsausschuß in aller Breite. Wir werden sicher heute nachmittag von Herrn Warnke und anderen darüber auch noch etwas hören. Hier muß klar gesagt werden: Wer in dieser Situation Rückgewinnung der Stabilität will, muß bereit sein, auch berechtigte regionale oder sektorale Überlegungen im Interesse der Güterabwägung dem anderen Ziel unterzuordnen. Dies erwartet die Öffentlichkeit auch von einer Opposition.
Sie haben als letztes — ich will nur auf diesen einen Punkt noch eingehen — das Wort übernommen, das im Augenblick bei den stabilitätspolitischen Bemühungen alles andere als hilfreich und darüber hinaus falsch ist. Sie haben das Wort von dem Entsparungsprozeß übernommen. Erstens ist zu beweisen, meine Damen und Herren, ob er eingetreten ist oder eintreten wird. Zweitens. Wenn Bundesbürger aus der Tatsache, daß die Sparkassen und die Banken die Habenzinsen nicht rechtzeitig erhöht
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1965
Bundesminister Dr. Friderichshaben, die Konsequenz ziehen, ihre Konten umzuschichten — beispielsweise in die besser verzinsliche Stabilitätsanleihe —, dann hat das mit Entsparung nichts zu tun, sondern es offenbart ein vernünftiges volkswirtschaftliches Verhalten dieser Bevölkerungsgruppe, damit sie wenigstens auf diese Weise an der derzeitigen Entwicklung partizipiert.
Dann von einem Entsparungsprozeß zu reden, ist um so gefährlicher, als man in der Tat diesen Entsparungsprozeß herbeireden kann, womit allerdings ein nennenswerter Beitrag dieser Opposition gegen die Stabilitätspolitik geleistet wäre.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Ehrenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Debatte ist, vor allen Dingen während und nach dem Beitrag von Herrn Narjes, von der Opposition immer wieder die Tendenzwende angesprochen worden. Ich glaube, jeder in diesem Hause ist sich darüber klar, welch massiver Anstrengungen es bedarf und wie schwer es sein wird, diese Tendenzwende herbeizuführen. Ich habe aber den Eindruck, noch sehr viel schwerer, als eine Tendenzwende in der Preisentwicklung herbeizuführen, muß es sein, bei Ihnen, meine Damen und Herren von der parlamentarischen Opposition, eine Tendenzwende in Ihrem stabilitätspolitischen Verhalten herbeizuführen.
Dort zeigt sich leider nichts an Tendenzwende, denn immer noch wie schon seit dem Sommer 1970 zeigt sich bei Ihnen eklatant der Widerspruch zwischen Ihren großen Forderungen und Ihrem Verhalten dann, wenn es gilt, konkret durch Stimmabgabe in diesem Hause etwas für die Stabilitätspolitik zu tun, wie aus Ihren Anträgen und bisherigen Verlautbarungen zu erwarten ist.
— Zum Beispiel? Ich bin dabei, auf einen Widerspruch nochmals aufmerksam zu machen. Als hier vor zwei Wochen das Regierungsprogramm vorgelegt wurde, gab es bei Ihnen eine breite verbale Zustimmung, die bis zum Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz ging.
Bei den Beratungen im Finanzausschuß hieß es dann: Dieses Programm ist unzureichend und unausgewogen. Und es wurden zusätzliche wirksame Maßnahmen gefordert. Zur gleichen Zeit forderten Sie im Wirtschaftsausschuß die gesamte Streichung der Art. 2 über die Investitionszulagen. Sie wollten also auf der einen Seite etwas Zusätzliches,
ohne etwas Wirksames anzubieten, und auf der
anderen Seite wollten Sie ein wichtiges Stück dieses
Pakets aus dem Stabilitätsprogramm herausnehmen
und es auf die strukturpolitische Erörterung im Oktober vertagen. Wenn das, meine Damen und Herren, keine Widersprüche sind, was ist es dann?
Aber es geht weiter mit diesen Widersprüchen, sehr viel weiter.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke?
Ja, bitte!
Herr Kollege Ehrenberg, sind Sie als Bundestagsabgeordneter des Landes Niedersachsen, das ein strukturpolitisch schwieriges Land ist, bereit, zumindest darüber nachzudenken, wie den strukturschwächeren Gebieten trotz des Stabilitätsprogramms im Rahmen einer allgemeinen Konjunkturpolitik geholfen werden kann?
Wir sind sehr bereit, darüber nachzudenken. Das habe ich Ihnen auch schon im Ausschuß gesagt.
Und wir werden bei der Beratung des im Bundesrat eingebrachten Antrags einiger Bundesländer sehr wohl Gelegenheit haben, darüber zu reden, ob eine Regionalisierung der Konjunkturpolitik möglich ist oder nicht. — Aber erst noch Herr Warnke, dann reden wir nur noch über Regionalpolitik. Bitte!
Herr Kollege Ehrenberg, würden Sie meiner Auffassung zustimmen, daß die Unausgewogenheit eines Programms gerade darauf beruhen kann, daß man einige Räume nicht genug und andere Gebiete — und zwar vielfach gerade die wirtschaftsschwächsten — verstärkt zur Kasse bittet, wie ich Ihnen das im Wirtschaftsausschuß dargetan habe?
Verehrter Herr Kollege Warnke, Sie haben es im Wirtschaftsausschuß dargetan. Nur leider war das, was Sie dargetan haben, nicht richtig. Ich muß Sie bitten, sich das dann doch einmal anzusehen. Ich will darauf gern eingehen, obgleich ich das in der kurzen Zeit gar nicht wollte. Ich muß Sie bitten, sich einmal anzusehen, was denn nun für die Regionalpolitik getan worden ist und was Ihrer Meinung nach so verheerend sein soll.Ich darf Sie daran erinnern, daß es 1967 im Bundeswirtschaftsministerium für die Regionalförderung insgesamt einen Haushaltsansatz von 171 Millionen DM gab. 1972 waren es 319 Millionen DM plus 313 Millionen DM Investitionszulage. Das ist nach fünf Jahren das Dreieinhalbfache dessen, was vorher aufgewendet wurde.1973 wird es trotz der Kürzung der Investitionszulage um 2,5 % bei genau dem gleichen Ansatz bleiben, weil die Anträge mit 10 % sonst auf ein sehr viel höheres Volumen hinausgegangen wären.
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1966 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Dr. EhrenbergEs wird also gegenüber 1972 an der effektiven Förderung nichts gekürzt. Die Ausgaben für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" bleiben unverändert; das Förderungsgefälle bleibt bestehen.Aber eines muß ich, wenn Sie hier schon immer die Regionalpolitik anführen, in aller Deutlichkeit sagen. Wer zwei Jahrzehnte lang mit einer Wirtschaftspolitik des laissez-faire, mit einer Wirtschaftspolitik also, die keine war,
gleichzeitig die Entleerung der ländlichen Räume und die Probleme in den Ballungsgebieten erst herbeigeführt hat, der hat, meine Damen und Herren, keine Legitimation, sich jetzt als der große Hüter der wirtschaftsschwachen Regionen fern der Ballungsgebiete aufzuspielen. Diese Legitimation müssen Sie sich erst erwerben!
Aber zurück zu der eigentlichen Aufgabe, das Stabilitätsprogramm hier noch einmal gegen einige der vorgebrachten Angriffe in Schutz zu nehmen, und auch einen Satz zu Ihrer Haltung der angeblichen Mithilfe, die konkret eine Nicht-Hilfe ist! Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Herr Stoltenberg, auch aus einer wirtschaftsschwachen Region, hat bereits im Bundesrat einen Antrag einbringen lassen, der in verschiedenen Punkten eine Aufweichung des Programms enthält. Er hat gleichzeitig jedenfalls dann, wenn man der Frankfurter Allgemeinen Zeitung glauben darf — dort auch schon gesagt: „Sollte die Koalition hierauf nicht eingehen, dann wird wohl der Vermittlungsausschuß in Kraft treten müssen."Ich habe sehr das Gefühl, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Sie, die Sie hier verbal so für Stabilität eintreten, gleichzeitig längst schon an das denken, was der Abgeordnete Franke hier vor einer Woche an dieser Stelle bei der Verabschiedung des 16. Rentenanpassungsgesetzes gesagt hat: nämlich wieder eine Zangenbewegung durch die parlamentarische Opposition und die Mehrheit des Bundesrates vorzunehmen, um das Stabilitätsgesetz zu verzögern.
Aber dieses Gesetz, meine Damen und Herren, verträgt keine Verzögerung. Sie haben sich so oft auf das Sachverständigengutachten bezogen. Daher würde ich doch sehr darum bitten, auch das nachzulesen, was dort über die Notwendigkeit des Tempos gesagt wird. Wenn Sie von dieser berühmten Zangenbewegung Gebrauch machen sollten, so muß ich es Ihrem Verständnis von der Institution „Bundesrat" überlassen, ob diese merkwürdige Formulierung „Zangenbewegung" nicht etwas anzeigt, woran die Verfassungsgeber bei der Einrichtung des Bundesrats sicher nicht gedacht haben. Als ein Instrument, parlamentarische Niederlagen der Opposition in diesem Hause auf diesem Umwege inHalbsiege oder Dreiviertelsiege umzumünzen, ist der Bundesrat jedenfalls nicht gedacht gewesen.
Wenn Sie von dieser Möglichkeit, die Herr Stoltenberg angekündigt hat, Gebrauch machen wollen — wobei eindeutig nachweisbar ist, daß die dort gestellten Anträge keine Verbesserung, sondern lediglich eine Aufweichung des Programms bedeuten —, dann sollten Sie sich, glaube ich, ernsthaft überlegen, woher Sie in künftigen Stabilitätsdebatten, die ja sicherlich stattfinden werden, überhaupt noch die Legitimation nehmen wollen, über Stabilität zu reden, wenn Sie jetzt das rechtzeitige Inkrafttreten des Stabilitätsprogramms verhindern.
— Es ist hier mehrmals davon gesprochen worden,
und bisher haben Sie doch Identifizierungen mit Herrn Stoltenberg jedenfalls nicht von sich gewiesen.Lassen Sie mich jetzt einiges zu dem sagen, meine Damen und Herren, was mein verehrter Ausschußvorsitzender, Herr Narjes, hier gesagt hat.Herr Narjes hat darauf hingewiesen, daß es nicht die Aufgabe der Opposition sein kann, 'der Regierung die Kastanien aus dem Feuer zu holen.
Das erwartet auch niemand von Ihnen. Nur sollten Sie dann auch vorher Ihre Mithilfe nicht anbieten, sondern von vornherein sagen, Sie wollten es nicht; das ist aber nicht geschehen.
Dann, glaube ich, ist es sehr nötig,
etwas zu den Schlußausführungen des Herrn Narjes zu sagen, in denen er sehr eindrucksvoll mit großem wirtschaftsphilosophischen Aufwand davor gewarnt hat, daß dieses Parlament seine Entscheidungsfreiheiten durch die autonomen Entscheidungen der Tarifpartner beeinträchtigen läßt. Ich will dieses Problem hier keineswegs verharmlosen. Aber eines muß in aller Deutlichkeit gesagt werden: Ich hätte es zumindest sehr gern gesehen, verehrter Herr Narjes, wenn Sie vor diesen Ausführungen über die Gefährlichkeit der Beeinflussung der Entscheidungen durch die autonomen Gruppen nicht so leichthin und ohne jedes Wort der Kritik, sondern als Selbstverständlichkeit davon gesprochen hätte, daß sich die Unternehmer der Investitionssteuer durch Kalkulation entziehen würden.Wer um die Entscheidungsfreiheit oder Regierung und des Parlaments fürchtet, meine Damen und
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1967
Dr. EhrenbergHerren, sollte, wenn er diese freiheitliche Wirtschaftsordnung ernst nimmt — dazu besteht Anlaß genug —, sein Augenmerk in erster Linie auf das Unternehmerverhalten an der Preisfront und nicht auf die Tarifparteien richten.
Die haben in den vergangenen fünf Monaten genug Verantwortung bewiesen;
sie werden es mit Sicherheit auch weiterhin tun.— Ich habe noch nicht gewußt, daß Herr Ehmke ein Tarifpartner ist. Das ist neu.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Ehrenberg, ist Ihnen nicht bekannt, daß der Bundespostminister sehr wohl ein Tarifpartner ist?
Der Bundespostminister war ein Tarifpartner am 1. Januar und hat damals einen sehr vernünftigen Tarifabschluß gemacht. Er wird wieder in Tarifverhandlungen stehen. Zur Zeit sind Tarifverhandlungen dort nirgendwo auf der Tagesordnung. Falls Sie das nicht wissen sollten, schauen Sie nach!
— Ja, warten Sie ab!
Herr Narjes hat hier an uns appelliert, die notwendige Einschränkung von Gruppenmacht vorzunehmen. Wir werden noch zu Beginn des nächsten Monats im Ausschuß für Wirtschaft Gelegenheit haben — alle miteinander —, an der sehr notwendigen Einschränkung von Gruppenmacht mit einer sehr wirksamen Maßnahme mitzuwirken: die Preisbindung der zweiten Hand als ein Instrument der Gruppenmacht der Produzenten endlich zu beseitigen.
Ich hoffe sehr, daß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die Sie hier so für die Einschränkung von Gruppenmacht eintreten, uns helfen werden, das zu tun.
Ich möchte überhaupt eines hier abschließend zum Ausdruck bringen. Die Arbeit im Wirtschaftsausschuß dieses Hauses unterscheidet sich von Ihren stabilitätspolitischen Beiträgen hier sehr wohltuend durch große Sachlichkeit und große Fairneß. Ich hoffe sehr, daß es in Zukunft möglich sein wird, diese Ausschußatmosphäre auch auf öffentliche wirtschaftspolitische Diskussionen zu übertragen. Die Arbeit im Ausschuß läßt mich auch hoffen, daß es
möglich sein wird, wenn Sie schon — aus welchen Gründen auch immer — nicht bereit sind, dem Stabilitätsprogramm zuzustimmen, noch vor der Sommerpause in diesem Hause ein neues Wettbewerbsgesetz zu verabschieden, damit auch jene Unternehmer, die nicht bereit sind, sich aus eigener Einsicht langfristig vernünftig zu verhalten, durch einen kompromißlosen, harten Wettbewerb zu einem vernünftigen Verhalten gezwungen werden können.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die allgemeine Aussprache zu den verbundenen Punkten 2 bis 5 der Tagesordnung.
Ich eröffne die Einzelberatung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Steueränderungsgesetzes 1973 — Punkt 2 a der Tagesordnung — in der Fassung des Ausschußantrages auf Drucksache 7/591.
Ich rufe die Art. 1 und 1a auf. — Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte. ich um ein Handzeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr Art. 2 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/611 vor. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Warnke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hatte das Hohe Haus freundlicherweise zu einem gemeinsamen Mittagessen eingeladen. Nunmehr hat er sich leider entschlossen, dieses Mittagessen allein einzunehmen. Ich bedauere das insbesondere deshalb, weil wir jetzt gerade auf die Gebiete der Bundesrepublik zu sprechen kommen wollen, in denen Schmalhans Küchenmeister ist.
Art. 2 des Steueränderungsgesetzes zielt auf die Drosselung der Konjunktur in den Fördergebieten. Diesen Gebieten, in denen immerhin ein Drittel der Bevölkerung der Bundesrepublik lebt, wird damit ein Sonderopfer auferlegt. Sie werden fünffach belastet:erstens durch die Investitionssteuer, die alle Gebiete betrifft,zweitens durch die Streckung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur",drittens durch die Streckung der Mittel für die Verbesserung der Agrarstruktur,viertens durch die massive Kürzung der Straßenbaumittel zugunsten des Vorrangs des öffentlichen Personennahverkehrs in den Ballungsräumen und die fehlende Ausweichmöglichkeit bei der nunmehr
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1968 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Dr. Warnkedrohenden Erhöhung der Mineralölsteuer vom Kraftfahrzeug auf den öffentlichen Personennahverkehr undfünftens durch die Kürzung der Investitionszulage.Nun hat Herr Ehrenberg in seinen Ausführungen, wie wir von der Koalition seit Monaten zur Kenntnis nehmen müssen, diese fünffache Belastung — ich bin bei der Zusammenstellung der Liste noch konservativ gewesen, Herr Ehrenberg; Sie werden das einem CSU-Mann auch nachsehen — verharmlost, heruntergespielt, verniedlicht und versucht, eine Haushaltsentwicklung darzustellen, von der ich nur sagen kann, Herr Ehrenberg: Sie sollten sich langsam mit dem Gedanken vertraut machen, daß die Verantwortung für die Strukturpolitik in der Bundesrepublik Ihre Partei nunmehr im siebenten Jahr hintereinander trägt. Sieben Jahre lang haben Sie in den zuständigen Ministerien für Verkehr, für Städtebau und Wohnungswesen, für Innerdeutsches und — bis zum letzten November — für Wirtschaft die Strukturpolitik der Bundesrepublik geprägt. Wie lange wollen Sie denn noch eine Schonfrist für die Korrektur von Versäumnissen in Anspruch nehmen, die angeblich in 20 Jahren entstanden sind, wenn sieben Jahre nicht genügen, etwas zustande zu bringen? Ich glaube, im verflixten siebenten Jahr ist es dann Zeit, sich etwas in den Hintergrund zurückzuziehen. In den Fördergebieten hat man jedenfalls nicht gemerkt, daß in diesen sieben Jahren unter Ihnen der Wohlstand ausgebrochen wäre.
— Herr Ravens, Ihre Erfolgsbilanz sollten Sie vor den Wählern der Fördergebiete noch einmal ohne den Rückenwind ausbreiten, den Ihnen die große Politik und eine geschickte Öffentlichkeitsarbeit Ihrerseits beim letztenmal gegeben haben.
Ich möchte noch einmal sagen, Herr Ehrenberg, neben den Haushaltszahlen, auf die ich jetzt nicht eingehe — ich gebe nur zu Protokoll, daß sie nicht stimmen und daß ich sie in der Haushaltsdebatte widerlegen werde —, gibt es manchmal Sekunden der Wahrheit, etwa wenn Jochen Steffen beim Süddeutschen Rundfunk ans Mikrophon tritt und sagt, die SPD sehe die Probleme der ländlichen Räume, kümmere sich aber nicht darum, weil die Masse der Wähler in den Städten sitze.
Das, Herr Kollege Ehrenberg, werden Sie noch von keinem Landesvorsitzenden der CDU/CSU gehört haben. Wir vermissen bis heute eine klare vorbehaltlose Distanzierung der Sozialdemokratischen Partei von dieser unglaublichen Äußerung eines ihrer Landesvorsitzenden.
Das Endergebnis Ihrer Konstruktion im Stabilitätsprogramm ist folgendes: Die wirtschaftsschwächsten Räume werden am stärksten belastet, ihnen wird ein Sonderopfer auferlegt, das weit überdie Belastung der übrigen Gebiete und ihrer Bewohner hinausgeht. Wenn wir am Wochenende in unseren Wahlkreisen erscheinen und sagen: schöne Grüße aus Bonn, in Zukunft gibt es 71/2 % Förderung mit der rechten Hand, und 11 % ziehen wir euch mit der linken Hand wieder aus der Hosentasche, dies ist unser neues pfiffiges Fördersystem, das wir uns im Deutschen Bundestag ausgedacht haben!, dann wird der Wähler ebenso nach dem Psychiater rufen, wie es neulich der Herr Minister Ertl in Luxemburg einmal getan hat.
Wenn die CDU/CSU-Fraktion dennoch bereit ist, Verantwortung für diesen Schritt mit zu übernehmen — für die Kollegen meiner Fraktion, deren Wahlkreise mitbetroffen sind, kann ich nur sagen: zähneknirschend mit zu übernehmen —, dann deshalb, weil vier Jahre der Sünde wider die Stabilität durch die verschiedenen Regierungen Brandt uns in eine Inflation getrieben haben, die wir nur noch unter Inkaufnahme eklatanter Ungerechtigkeiten bekämpfen können.
Daß solche widersinnigen Verfahren, rechts zu fördern und links zu besteuern, heute als notwendig bezeichnet werden können, zeigt die Tiefe der inflatorischen Verstrickung, in die wir durch Ihre Politik geraten sind.
Wir sehen uns deshalb nur in der Lage, einer Herabsetzung der Investitionszulage um ein Viertel zuzustimmen, wenn diese Herabsetzung auf die Dauer von zwei Jahren befristet wird. Auf diese stabilitätsgerechte Befristung zielt unser Änderungsantrag. Es ist die gleiche Frist, die die Bundesregierung für die Dauer der Investitionssteuer vorgeschlagen hat. Es gibt keinen Grund, den Fördergebieten über das Stabilitätsopfer hinaus, das allen auferlegt wird, nun auch noch eine längere Dauer zuzumuten.
Wir appellieren an die Koalitionsfraktionen, diese ausgestreckte Hand der Opposition nicht auszuschlagen. So klug ist diese Bundesregierung auch wieder nicht, und so dumm ist dieses Parlament Gott sei Dank ebenfalls nicht, als daß wir auf unser Gesetzgebungsrecht zugunsten kritikloser Übernahme von Verwaltungsvorschlägen verzichten müßten.
Herr Kollege Ehrenberg hat Korrekturen an diesem Programm durch den Bundesrat, die bitter nötig sind, gemäß der uns schon lange genug bekannten Gleichschaltungsphilosophie damit beantwortet, daß das Programm in beiden Häusern nach der Parole „Alles hört auf mein Kommando, ruckzuck!" akzeptiert werden müsse.
Herr Abgeordneter, Sie begründen einen Antrag. Darf ich daran erinnern!
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Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1969
Frau Präsidentin, es tut mir leid, daß ich die SPD so in Verlegenheit gebracht habe,
daß sie über Ihre Intervention erleichtert ist, auf die ich natürlich achtgebe.
Das, was im Regierungsvorschlag über unseren Änderungsantrag hinausgeht, hat mit Wiedergewinnung der Stabilität nichts mehr zu tun. Die auf Zeit und Ewigkeit verordnete Verschlechterung der Förderungsbedingungen ist langfristige Strukturpolitik. Es ist unserer Sorge für die Menschen in den Fördergebieten unwürdig, solche Dinge ohne angemessene Beratung durch das Parlament unter dem irreführenden Titel „Stabilität" im Eilverfahren durchpeitschen zu wollen. Ich melde hier und heute als Voraussetzung für unseren Änderungsantrag den Wiedergutmachungsanspruch für die Gebiete an, deren Entwicklungschancen durch die heutigen Beschlüsse gemindert werden, und für die Menschen in den Fördergebieten, deren Einkommensrückstand nun noch länger unterdurchschnittlich bleiben wird. Wir werden diesen Wiedergutmachungsanspruch bereits bei der Verteilung der gekürzten Mittel für den Verkehrsausbau geltend machen.
Unter diesen Voraussetzungen bitte ich um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag.
Wird das Wort gewünscht? — Bitte, Frau Abgeordnete Huber!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst hat Herr Abgeordneter Warnke gesagt, daß die sozialliberale Koalition ja schon seit 1966 Möglichkeiten auf dem Felde der Investitionszulagenpolitik gehabt habe. Dies möchte ich richtigstellen. Denn 1966 waren wir in der Großen Koalition, was im gewissen Sinne auch Hinderungen bedeutet hat.
— Sicherlich! — Die Möglichkeiten, die wir jetzt haben,
haben sich doch erst seit 1969 ergeben. Dies ist doch unbestreitbar.
Der Antrag auf Drucksache 7/611 betrifft zwei Punkte: 1. Zeitliche Begrenzung der Herabsetzung der Zulagen auf zwei Jahre, auf knapp zwei Jahre, wie ich betonen möchte, 2. keine Hereinnahme von genaueren Kriterien für die Förderungswürdigkeit. Ich möchte dazu für die SPD-Fraktion sagen, daß für die Änderung des Investitionszulagengesetzes nicht nur konjunkturpolitische, sondern auch haushaltspolitische Gesichtspunkte maßgebend waren. Dem Gesetzgeber schwebte bei der Verabschiedung des Gesetzes vor, daß die Mindereinnahmen bei der Gewährung solcher Zulagen zwischen 1970 und 1972
Bund und Länder ungefähr 890 Millionen DM kosten sollten. Die tatsächliche Summe liegt bei rund 1,3 Milliarden DM.
Angesichts dieser Tatsache und des Umstandes, daß infolge eines hohen Investitionsvolumens und einer Ausweitung der Fördergebiete mit einer weiteren Steigerung zu rechnen ist, kann man, glaube ich, schon allein haushaltspolitisch eine zeitliche Begrenzung nicht vertreten.
Darüber hinaus möchte ich sagen, daß andererseits die Herabsetzung der Investitionszulage bei der Errichtung und Erweiterung von Betriebsstätten und im Bereich der Forschung von 10 auf 7,5 % auch konjunkturpolitisch durchaus vertretbar, d. h. ausreichend, erscheint. Der Anreiz ist bei einer solchen Zulage immer noch groß genug, zumal auch die Möglichkeit besteht, über diese Grundförderung hinaus im Wege der Gemeinschaftsaufgaben zu weiteren Förderungen zu kommen, auch wenn darauf kein Rechtsanspruch besteht.
Zu den Forschungsvorhaben ist anzumerken, daß sie jetzt doppelt gefördert werden, einmal über die Zulage und dann durch die Sonderabschreibungen. Die Sonderabschreibungen nach § 82 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung bleiben uneingeschränkt erhalten.
Im übrigen war die Ausgestaltung des Gesetzes mit praktikablen Kriterien, insbesondere was den Begriff „volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig" angeht, dringend nötig. Wie unhandlich das Gesetz bisher war, zeigt die Flut von 600 Prozessen, die bisher anhängig sind und die ein Investitionsvolumen von 2,7 Milliarden DM ausmachen. Der Gesetzgeber kann und sollte keine Maßstäbe setzen, deren Auslegung erst in langjährigen Musterprozessen erfolgt.
Ich bitte daher im Namen meiner Fraktion, den Antrag auf Drucksache 7/611 abzulehnen.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 7/611. Wer diesem Antrag zustimmen will, der gebe ein Handzeichen. — Die Gegenprobe, bitte! — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.Wir stimmen über Art. 2 in der Ausschußfassung ab. Wer dem zustimmen will, der gebe ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltung en? — Art. 2 ist damit angenommen.Ich rufe Art. 3 auf. Hierzu liegt ebenfalls ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/606 vor. Wird dieser Antrag begründet? — Herr Abgeordneter Dr. Kreile hat das Wort. Ich bitte, bei der Begründung daran zu denken, daß wir eine längere allgemeine Aussprache hatten, und sich möglichst an die in der Geschäftsordnung vorgesehenen 15 Minuten zu halten.
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1970 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ein wesentlicher Punkt des dem Deutschen Bundestag vorliegenden Stabilitätspakets ist die Stabilitätsabgabe. Die Bundesregierung hat in ihrem Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 1973 vom März 1973 vorgeschlagen, diese Stabilitätsabgabe als eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer zu erheben. Gegen die rechtliche Ausgestaltung als Ergänzungsabgabe haben sich zahlreiche Stimmen erhoben. Der Bundesrat hat diese rechtliche Ausgestaltung als nicht verfassungskonform scharf kritisiert und sie abgelehnt.Da die Bundesregierung gleichwohl darauf beharrte, sieht sich die CDU/CSU-Fraktion veranlaßt, einen Änderungsantrag auf der Drucksache 7/606 vorzulegen, der die verfassungskonforme Ausgestaltung dieser Stabilitätsabgabe sicherstellt. Die CDU/CSU-Fraktion hält nämlich zusammen mit der Bundesregierung und den Koalitionsparteien eine als Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer ausgestaltete Stabilitätsabgabe für eine Maßnahme, die, wenn sie richtig eingesetzt wird, zu einer Inflationseindämmung führen kann. Gerade aber dieses schneidende Instrument der staatlichen Konjunkturpolitik in der Form eines Steuergesetzes bedarf — wie alle den Staatsbürger belastenden Maßnahmen und Gesetze — der einwandfreien rechtlichen Ausgestaltung, der sicheren verfassungsmäßigen Grundlage. Diese aber fehlt der von der Bundesregierung und den Koalitionsparteien vorgeschlagenen Ergänzungsabgabe. Es ist unverständlich, warum sich die Bundesregierung, und zwar ohne Not, dem Risiko aussetzt, daß durch die Anfechtung der Stabilitätsabgabe durch einen Steuerpflichtigen das Stabilitätsabgabegesetz für verfassungswidrig erklärt wird, warum die Bundesregierung das Risiko eingeht, daß ein wesentlicher Teil ihres Stabilitätspakets in Frage gestellt und dann möglicherweise beseitigt wird. Die verfassungsrechtliche Fragwürdigkeit der von der Bundesregierung gewählten Konstruktion als Ergänzungsabgabe ist bereits hinlänglich bekannt. Dadurch wird das Risiko für die Bundesregierung, daß ein Steuerpflichtiger mit seinen Angriffen gegen dieses Gesetz durchdringt, um so größer. Der Bundesrat hat das bereits in seiner Stellungnahme vom 23. März klar herausgestellt. Es geht hier um die Respektierung des föderativen Aufbaus unserer Bundesrepublik. Dieser Aufbau sollte gerade dort respektiert werden, wo es darauf ankommt, daß alle diesen Staat tragenden Institutionen sich in der Bekämpfung der Inflation einig sind bzw. einig sein müssen.Da die Bundesregierung jedoch unverständlicherweise, um nicht zu sagen: unverständigerweise auf ihrer fragwürdigen Rechtskonstruktion beharrt, und zwar obwohl dies stabilitätspolitisch zunächst ohne Belang zu sein scheint, müssen hier nochmals die Gründe dargelegt werden, warum das vorgelegte Stabilitätsabgabegesetz in dieser Form nicht verfassungsgemäß ist.Erstens. Das Grundgesetz sieht unter den dem Bund zustehenden Steuern ausdrücklich nur eine einzige Ergänzungsabgabe vor. Art. 106 Abs. 1 des Grundgesetzes läßt keine andere Auslegung zu.Diese eine Ergänzungsabgabe wird aber bereits erhoben. Wenn die Bundesregierung ihre zweite Ergänzungsabgabe nun damit zu rechtfertigen versucht, sie hätte ja ohne weiteres die jetzt vorgeschlagene Ergänzungsabgabe mit der bisherigen verbinden können, so muß sie sich die Frage gefallen lassen, warum sie dies dann nicht tut. Der Grund kann nur darin liegen, daß die Rechtfertigung hierzu fehlte, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 9. Februar 1972 für die Einführung von Ergänzungsabgaben verlangt hat.Ich komme damit auf den zweiten Gesichtspunkt zu sprechen. Dankenswerterweise hat der ehemalige Bundesfinanzminister Alex Möller — ich habe das bereits in der ersten Lesung ausgeführt. — schon am 24. Januar 1973 auf diese Gründe aufmerksam gemacht. Er hat erklärt, er sei der Meinung — und diese Meinung ist richtig —, daß es verfassungsrechtlich nicht möglich sei, die Ergänzungsabgabe einfach bis ins Unendliche fortlaufen zu lassen und sie auch noch zu erhöhen.Eine Ergänzungsabgabe darf nur zur Deckung eines außerordentlichen Finanzbedarfs des Bundes erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht hat dies so ausgedrückt. Die Ergänzungsabgabe sei dazu bestimmt, anderweitig nicht auszugleichende Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt zu decken, den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes in begrenztem Rahmen eine elastische, der jeweiligen Konjunkturlage und dem jeweiligen Haushaltsbedarf angepaßte Finanzpolitik zu ermöglichen. Die von der Bundesregierung jetzt aber vorgeschlagene Stabilitätsabgabe entspricht dieser Zielvorstellung in keiner Weise, denn es besteht — die Bundesregierung hat dies durch den Mund des Bundesfinanzministers öfters erklärt — derzeit kein außerordentlicher Finanzbedarf. Dies ist auch leicht verständlich, wenn man die geradezu beängstigend wachsenden Steuereinnahmen sieht. Immerhin werden in diesem Jahr mindestens 22,6 Milliarden DM mehr Steuern in die öffentlichen Kassen fließen, als ursprünglich angenommen worden ist. Diese sogenannten heimlichen Steuererhöhungen können nicht mehr verborgen werden.Die Bundesregierung versucht nun, die Ergänzungsabgabe damit zu rechtfertigen, es liege hier ein — durch die Ergänzungsabgabe zu deckender — längerfristiger Finanzbedarf vor. Dies ist ein Argument, das man sich näher ansehen muß. Im Februar/März dieses Jahres hat die Bundesregierung diesen längerfristigen Finanzbedarf, als sie die Einkommensgrenze für das Einsetzen der Stabilitätsabgabe auf 100 000 bzw. 200 000 DM festgesetzt hat, mit 2,4 Milliarden DM beziffert. Nunmehr senktsie die Einkommensgrenze für die Stabilitätsabgabe auf 24 000 bzw. 48 000 DM. Damit erhöht sich aber das Aufkommen von 2,4 auf 4,6 Milliarden DM.Nun kann es aber nicht sein, daß der außerordentliche Finanzbedarf, der als Rechtfertigung für die Ergänzungsabgabe angeführt werden könnte, im März 1973 2,4 Milliarden DM gewesen ist und im Mai 1973 bereits 4,6 Milliarden DM beträgt. Die Rechtfertigung der Bundesregierung für diese Form
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1971
Dr. Kreileder Ergänzungsabgabe erweist sich also als eine Scheinbehauptung. Die Stabilitätsabgabe ist deswegen eine Abgabe, die — wohl nicht unabsichtlich — insoweit falsch begründet ist.Wir aber wollen eine Stabilitätsabgabe, die weder falsch begründet ist noch mit Scheinbehauptungen, noch mit Vorwänden gerechtfertigt wird, welche von der Entwicklung in so kurzer Zeit überholt werden. Deshalb haben wir den Vorschlag gemacht, die Stabilitätsabgabe so umzugestalten, daß sie verfassungskonform ist. Das geht nur durch einen Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer, der nach den Grundsätzen des Stabilitätsgesetzes konstruiert ist.Werden diese Grundsätze eingehalten, so sind wir mit der Stabilitätsabgabe in der vorgeschlagenen Höhe von 10 % einverstanden. Ebenso sind wir mit dem gewählten Personenkreis — also mit den Einkommensgrenzen von 24 000 bzw. 48 000 DM einverstanden, obwohl Sachverständige, und zwar auch diejenigen, die im Finanzausschuß hierzu gehört worden sind, eine weitere Senkung der Grenzen als wirksamer und konjunkturgerechter bezeichnet haben. Ich wiederhole aber: Wir sind mit 10 % bei einem Einsetzen bei 24 000 bzw. 48 000 DM einverstanden.Die Bundesregierung hat die Ansicht vertreten, ein Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer sei nicht praktikabel. Der Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf, unser Änderungsantrag, wird Ihnen das Gegenteil beweisen. Insbesondere sieht unser Antrag vor, daß der Stabilitätszuschlag nicht zur Bemessungsgrundlage für die Kirchensteuern, die jüdische Kultusabgabe und die Ergänzungsabgabe gehört. Damit ist also auch das von der Bundesregierung vorgebrachte Argument ausgeräumt, die Stabilitätsabgabe würde, als Zuschlag ausgestaltet, zu einer Erhöhung der Kirchensteuern und der Ergänzungsabgabe führen.Der entscheidende konjunkturpolitische Kern unseres Vorschlags ist aber die Stillegung der Stabilitätsabgabe bei der Bundesbank als Konjunkturausgleichsrücklage. Wir sind hier der Meinung, daß bei der Stillegung der abgeschöpften Beträge strikt nach den Grundsätzen des Stabilitätsgesetzes verfahren werden muß. Mit dieser Auffassung befinden wir uns in der guten Gesellschaft der Sachverständigen und der Bundesbank und, wie ich annehme, sicherlich auch einiger von denen, die im Kabinett über diese Frage gesprochen haben. Denn die konjunkturpolitisch nachhaltige Wirkung der Stabilitätsabgabe liegt nur darin begründet, daß das abgeschöpfte Geld aus dem monetären Kreislauf herausgenommen wird und die angesammelten Beträge erst dann wieder zurückgeleitet werden, wenn es die gesamtwirtschaftliche Lage erlaubt.Es ist nicht verständlich, daß die Bundesregierung auf diesen Vorschlag bisher nicht eingegangen ist, sondern hier offenbar mutwillig die Ablehnung des Steueränderungsgesetzes 1973 nicht nur riskiert, sondern geradezu provoziert. Denn auch sie ist doch durch die Stellungnahmen der Sachverständigen dahin gehend belehrt worden, daß nur durch diese Art der Stillegung, also in Form einer Konjunktur-ausgleichsrücklage, der konjunkturpolitische Effekt der Maßnahme erreicht wird. Wer sich aber so verhält, setzt sich dem Verdacht aus, daß er mit den stillgelegten Mitteln aus der Stabilitätsabgabe andere als stabilitätskonforme Ziele verfolgt.Die Wiedererlangung der Stabilität ist — das habe ich bereits an anderer Stelle gesagt — ein gemeinsames Anliegen aller diesen Staaten tragenden Institutionen, also des Bundes, der Länder, der Regierungskoalition und der Opposition sowie der Partner in der Wirtschaft. Deswegen zielt unser hier vorgelegter Änderungsantrag darauf ab, die Stabilität sicherer zu machen, sie rechtlich abzusichern und verfassungskonform zu gestalten. Nur dadurch wird gewährleistet, daß die Wirkung der Stabilitätsabgabe auch eintritt. Der Staat darf nicht Gefahr laufen, daß eine seiner zentralsten stabilitätspolitischen Maßnahmen schlußendlich ins Leere geht, weil etwa die rechtsprechende Gewalt der gesetzgebenden Gewalt unseres Staates bescheinigen muß, sie habe das Grundgesetz nicht beachtet. Dem wollen wir mit unserem Antrag vorbeugen. Wir sind sicher, daß dieses Hohe Haus erkennt, daß es bei den Grundfragen unserer Wirtschaft, nämlich bei der Wiederherstellung der Stabilität und der Bekämpfung der Preissteigerungen, zu einer rechtlich einwandfreien und einheitlichen Haltung kommen muß.Unser Antrag möge also unsere Bereitschaft zur Kooperation zeigen und als solcher verstanden werden. Wir dürfen deshalb erwarten, daß auch die Bundesregierung und die Parteien der Regierungskoalition zu dieser Kooperation bereit sind.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Huber.
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Der Änderungsantrag auf Drucksache 7/606 umfaßt zwei Punkte: erstens soll die Abgabe als Zuschlag ausgestaltet werden, zweitens soll sie nach Maßgabe des § 15 Abs. 1 des Stabilitätsgesetzes stillgelegt werden.Hierzu möchte ich erstens darauf hinweisen, daß ich zu dem grundlegenden Widerspruch in Ihrem Programm, gerade was die Frage der Stillegung betrifft, in meinen Ausführungen in der allgemeinen Debatte schon gesprochen habe. Darüber hinaus möchten die Koalitionsfraktionen — auch Frau Funcke hat dies schon anklingen lassen — deutlich machen, daß ihnen gerade in der Frage der Stillegung eine flexible Lösung als die bessere erscheint.
— Sie wissen doch ganz genau, daß die Auflösung einer nach § 15 des Stabilitätsgesetzes stillgelegten Rücklage nach § 15 Abs. 5 unter ganz harte Kautelen fällt und praktisch erst in der Krise erfolgen kann.
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1972 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Frau Huber— Wenn Sie das wollen, dann verstehe ich nicht, was Sie uns heute morgen in Ihrem Alternativprogramm vorgetragen haben.
Aber dazu habe ich schon gesprochen.Wir sind erstens aus Gründen der flexiblen Anpassung, aber zweitens auch aus einem anderen Grund dafür, es so zu belassen, wie es von der Regierung vorgeschlagen worden ist. Dieser Grund ist, daß sich die Länder nicht sämtlich als strenge Hüter solcher Konjunkturausgleichsrücklagen erwiesen haben. Das Schicksal der Konjunkturausgleichsrücklage vom Mai 1971 hat gezeigt, daß man sich nicht auf die Garantiefunktion der Länder verlassen kann. Sie wissen das sehr wohl. Das ist ein bedeutendes Argument.
— Dann achten Sie mal auf Ihre Länder, daß die auch solchen Vereinbarungen in ihrer Zielsetzung folgen.
— Ja, ja, Herr Wagner, wir sprechen von der Praxis, Sie sprechen von der Theorie.
Im übrigen hat Herr Dr. Kreile hier ganz besonders verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet. Dazu möchte ich sagen, daß verfassungsrechtliche Prüfungen ergeben haben, daß die Erhebung zugunsten des Bundes in der Ausgestaltung als Ergänzungsabgabe nicht deswegen verfassungswidrig ist, weil es sich um eine zweite Ergänzungsabgabe handelt. Der Verfassungsgrundsatz der Bundestreue verpflichtet den Bund zwar, sich des Problems des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern immer wieder anzunehmen, und dies halten wir in der Tat für ein ernstes Problem.
Er verpflichtet ihn aber nicht, sich anläßlich dieses eilbedürftigen Konjunkturprogramms dieses Problems anzunehmen und es hierbei auszudiskutieren, was schon rein zeitlich unmöglich ist.
— Dann argumentieren Sie doch hier nicht immer konjunkturpolitisch, wenn Sie in Wirklichkeit auf so ein Argument abheben wollen! Lassen Sie mich das einmal ganz deutlich sagen.
Die Frage des Finanzausgleichs — darin werden Sie mir beistimmen — kann doch nicht kurzfristig im Rahmen dieses Pakets hier beraten werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Frau Kollegin Huber, nun habe ich aber doch die Frage an Sie: Sind Sie der Ansicht, daß Eilbedürftigkeit eine Antwort auf eine verfassungsrechtliche Frage ist, und sind Sie wirklich der Ansicht, daß es eine Priorität der Praktikabilität vor der Verfassungskonformität gibt?
Aber, Herr Professor Mikat, ich habe schon ausgeführt, daß verfassungsrechtliche Untersuchungen ergeben haben, daß dies nicht verfassungswidrig ist; das ist Punkt 1. Und wenn Sie so sehr darauf abheben, — die Präsenz hier im Saal zeigt eigentlich nicht, daß die CDU so schrecklich daran interessiert ist, hier die Verfassung zu retten.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mikat?
Ich war noch nicht fertig.Ich möchte Ihnen sagen, daß wir einmal verfassungsrechtlich auf einem anderen Standpunkt stehen und daß wir zweitens glauben, daß das sehr wichtige Problem des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern nicht heute im Rahmen dieser eilbedürftigen Debatte gelöst werden kann. Es kann aber gar kein Zweifel daran bestehen, daß wir dieses Problem wieder aufgreifen. Darum geht es aber hier heute nicht.
— Die ist ganz beträchtlich besser als Ihre.
Ich wiederhole, daß wir das komplexe Problem des Finanzausgleichs durchaus im Auge haben, es aber nicht im Rahmen dieser Lösung diskutieren.Im übrigen möchte ich anmerken, daß sich die Bundesregierung — wie aus der Begründung zu § 9 des Stabilitätsabgabengesetzes hervorgeht — verpflichtet hat, den Bundesgesetzgeber bei gegebener Konjunkturlage zu bitten, ein entsprechendes Gesetz zu beschließen, wonach diese Rücklage aufgelöst werden kann. In dem Zusammenhang kann man wohl nicht von einer Scheinabgabe und von einer fragwürdigen Begründung sprechen. Wie wirksam diese Maßnahmen sein werden, werden Sie bald in der Praxis merken.Wir bitten um Ablehnung des Antrages auf Umdruck 606.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1973
Das Wort hat Herr Professor Mikat.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Haben Sie dort drüben keine Angst, daß ich lange sprechen will.
Frau Kollegin Huber hat leider eine Zwischenfrage nicht zugelassen; ich möchte daher folgendes feststellen: So billig sollte es sich die Koalition nicht machen, daß sie auf verfassungsrechtliche Argumente, die von unserer Fraktion vorgetragen worden sind, lediglich antwortet, die Sache sei geprüft.
Bei der klaren Bezugnahme meiner Fraktion auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes kann ich nur noch einmal vorbringen: Wenn die Regierung begründet, Praktikabilitätserwägungen seien die vornehmlichen Erwägungen, so müssen wir daran festhalten, daß Praktikabilität noch niemals den Vorrang vor dem Votum der Verfassung gehabt hat. Darum geht es uns.
Wir sind in dem Ziel, Stabilität zu erreichen, Frau Huber, mit Ihnen einig. Unser Vorschlag erreicht das Stabilitätsziel, bleibt aber im Rahmen der Verfassung. Das ist für uns der vorrangige Gesichtspunkt auch in dieser Diskussion. Man sollte uns nicht einfach sagen: Das haben wir geprüft — bitte, Schluß der Debatte!
Wird noch weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 606. Wer diesem Antrag zustimmen will, der gebe ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über Art. 3 in der Ausschußfassung ab. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen, mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe nunmehr die Art. 3 a, 4, 5, 6, 6 a, 7, 8 und 9 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zustimmen will, gebe ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist nicht der Fall. Einstimmige Annahme.
Das Gesetz ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Ich eröffne die
dritte Lesung.
Das Wort hat Herr Bundesminister Schmidt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die dritte Lesung gibt Anlaß zu einigen grundsätzlichen Ausführungen über dieses Stabilitätspaket.Die Bundesregierung hat. am 17. Februar den Jahreswirtschaftsbericht verabschiedet und aus der dort gegebenen Analyse der gesamtwirtschaftlichen Situation die Maßnahmen entwickelt, die schon am 2. März in Form von Entwürfen zum Steueränderungsgesetz 1973 und eines Änderungsgesetzes zum Mineralölsteuergesetz dem Bundesrat zugeleitet wurden. Der Bundesrat hat sich noch im März dazu geäußert, wobei die Mehrheit des Bundesrates die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen allesamt abgelehnt hat — zum Teil mit sehr vordergründigen Argumenten. Ich stehe nicht an zu registrieren, daß inzwischen im Bundesrat ein Meinungswandel — das ergibt sich auch aus den Bezugnahmen der Debatte von heute vormittag — zur stabilitätspolitischen Vernunft hin stattgefunden hat. Die Herren in Kiel und in Mainz und in Stuttgart und in München sind ebenso wie die Sprecher der CDU/CSU-Fraktion vorsichtiger geworden.Ich möchte noch einmal in Erinnerung rufen dürfen — ich sage das auch bei leerer Bundesratsbank, weil es sich ja bis zur Bundesratssitzung am Freitag herumsprechen wird —, daß damals der Bundesrat sogar eine endgültige Ablehnung der stabilitätspolitischen Maßnahmen in Aussicht stellte, wenn nicht bis zur zweiten Lesung eine ausreichende Verbesserung der Finanzausstattung der Länder für die Jahre ab 1. Januar 1974 zugesichert werden könne.Dieses von der Mehrheit des Bundesrats geforderte, der Sache nach durch nichts gerechtfertigte Junktim zwischen stabilitätspolitischen Maßnahmen einerseits, die naturgemäß einer frühestmöglichen Verabschiedung bedürfen, und der Regelung des Beteiligungsverhältnisses von Bund und Ländern an der Mehrwertsteuer ab Januar nächsten Jahres andererseits hat sehr dazu beigetragen, daß in der Offentlichkeit und auch für mich erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit des damaligen Vorbringens der Mehrheit des Bundesrates entstanden sind.Am 23. März 1973 haben wir im Bundesrat noch nichts davon gespürt, daß bei der damaligen Beratung des Stabilitätsprogramms etwa die Mehrheit bereit war, irgend etwas zu tun, das ihr eigenes Stabilitätsbewußtsein demonstriert hätte. Erst am 4. Mai 1973, in einer sehr viel späteren Sitzung des Bundesrats, hat dann als erster der Ministerpräsident Kohl von Rheinland-Pfalz die allgemeine Bereitschaft — jedenfalls für seine Landesregierung — erklärt, Verantwortung für stabilitätspolitische Maßnahmen mittragen zu wollen. Damit sollte sicherlich der Eindruck, der in der Öffentlichkeit entstanden war, neutralisiert werden, als ob das Stabilitätsprogramm insgesamt wegen der Gegenargumente der Länder überhaupt der Ablehnung verfallen könnte.Nun berät — das hat die bisherige Debatte heute morgen erwiesen — das Hohe Haus heute nicht nur die finanzpolitischen Sofortmaßnahmen, die die Bundesregierung am 17. Februar 1973 erarbeitet hat, sondern gleichzeitig auch all die übrigen Vorschläge aus diesem 21-Punkte-Programm, zu dem die Bundesregierung ihre gesamten stabilitätspolitischen Vorstellungen am 9. Mai 1973 vervollständigt hat. Soweit diese Regelungen in Gesetzesform verabschiedet werden müssen, sind sie durch ein Initiativ-
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1974 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Bundesminister Schmidtverfahren der beiden die sozialliberale Koalition tragenden Fraktionen bei der Beratung im Finanzausschuß in das Steueränderungsgesetz 1973 einbezogen und heute mittag zur Abstimmung gestellt worden. Es ist mir und sicherlich auch den beiden Regierungsfraktionen dabei durchaus bewußt, daß dieses Verfahren einerseits verfassungsmäßig völlig einwandfrei ist, daß es jedoch auf der anderen Seite zu einer gewissen zeitlichen Beeinträchtigung der Mitwirkung des Bundesrats geführt hat. Aber wegen der Notwendigkeit, dieses Programm so schnell wie möglich zu verabschieden, war dieses Opfer zumutbar, insbesondere angesichts der vorhergehenden Haltung des Bundesrats zur Stabilitätspolitik überhaupt.Wenn nun inzwischen einige Landesregierungen mit Eifer auf den fahrenden Zug noch aufspringen möchten, mit eigenen Gesetzentwürfen, die mit Einschluß einiger Druckfehler von der Bundesregierung abgeschrieben worden sind unter Weglassung einiger Bestimmungen, die ihnen gerade passen, dann ist das nur ein Zeichen dafür, daß sich auch dort inzwischen die Erkenntnis durchsetzt, daß die öffentliche Meinung nicht nur in unserem Lande, sondern in EWG-Europa insgesamt und auch die sogenannte Konzertierte Aktion und auch die Sachverständigen und jeder, der sich überhaupt mit der Materie beschäftigt, inzwischen zu der Erkenntnis gekommen ist, daß allerdings ein Paket von solcher Eindringtiefe notwendig sei und daß weder die Landesregierung in Mainz noch die in Kiel noch die in München sich hier als Straßensperre betätigen dürfen.Nun ist seit der Verabschiedung des Jahreswirtschaftsberichts und der damals von der Regierung vorgelegten Gesetzentwürfe im Februar die konjunkturelle Entwicklung wesentlich weitergegangen. Die Bundesregierung mußte wegen dieser weitergehenden Entwicklung im Mai zusätzliche Maßnahmen vorschlagen. Mir liegt sehr am Herzen, etwas in Ihr Bewußtsein zu heben, was heute morgen keine Rolle gespielt hat, was Sie aber sehen müssen: sie konnte überhaupt auch erst nach den währungspolitischen Maßnahmen vom März solche Maßnahmen vorschlagen. Ich möchte ganz deutlich hervorheben, daß das heute zur Beratung anstehende Stabilitätsprogramm erst möglich geworden ist durch die gemeinsame Entscheidung von sechs EWG-Ländern im März, ihrerseits nicht mehr in Dollars zu intervenieren und den Kurs des Dollar freizugeben, was wir seitdem auch tatsächlich getan haben.
Was man im März noch nicht ganz genau vorhersehen konnte, war, wie gut das wohl funktionieren würde. Erst im Laufe des Monats April hat man ein Gefühl für die Funktionstüchtigkeit dieser gemeinsamen Floating-Lösung bekommen. Und erst nachdem das, was wir im Februar in der ersten Dollarkrise unseren englischen, italienischen, französischen und holländischen Freunden ja schon nahezulegen versucht hatten, was wir damals aber nicht erreicht hatten — damals sind die Amerikaner ihrerseits durch die Abwertung des Dollar mit unserer Zustimmung der Situation entronnen; aberwenige Wochen später zeigte sich, daß das Vertrauen in den Dollar damit nicht ausreichend wiederhergestellt werden konnte —, im März erreicht war, nämlich die gemeinsame Dollarfreigabe, war überhaupt die Möglichkeit gegeben, eine restriktive Kreditpolitik wirkungsvoll zu treiben. Und die Klagen des Herrn Narjes und anderer, wir hätten vorher nicht gehandelt, gehen völlig ins Leere, weil sie die vorher ungedeckte währungspolitische Flanke
der binnenwirtschaftlichen Stabilitätssituation außer acht lassen. Sie gehen völlig ins Leere!
Dadurch, daß Sie Ihr Gesicht in freundliche Falten verziehen, Herr Narjes, können Sie darauf nicht antworten. Aber bitte sehr!
Herr Bundesfinanzminister, wäre es nicht bei der Lage, wie Sie sie schildern, erst recht nötig gewesen, mit finanzpolitischen Mitteln schärfer einzugreifen, bevor die außenwirtschaftliche Absicherung so, wie Sie sie geschildert haben, sichergestellt war? Es bestand überhaupt kein Grund, mit finanzpolitischen Maßnahmen zu warten, bis die außenwirtschaftliche Absicherung hergestellt war. Das hat auch, wie Ihnen bekannt sein dürfte, unter anderem der EWG-Ministerrat betont, dessen Ergebnissen Sie sich angeschlossen haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Fragestellung zeigt eben nur zu deutlich, Herr Dr. Narjes, daß Sie das Problem wirklich nicht verstanden haben.
Die Empfehlungen im EWG-Ministerrat sind dort durch Initiative der deutschen Bundesregierung zustande gebracht worden; sie richteten sich an alle Europäer. Wenn alle Europäer gemeinsam danach gehandelt hätten — etwa so, wie wir es im Februar durch das Kabinett vorgeschlagen hatten —, schon dann hätte sich die Auseinanderentwicklung der europäischen Währungen und des Dollar unvermeidlich vollziehen müssen, aber wir wären dann wenigstens mit unseren europäischen Partnern im Paket gewesen. Dieses Paket haben wir dann — quasi de jure, aber ich müßte eigentlich sagen: politisch erst im März herstellen können.Wenn wir im Januar wesentlich stärker gebremst hätten, als wir es getan haben,
hätten wir die Verantwortung für die dadurch ausgelöste Dollarkrise auf die deutsche Bundesregierung gezogen und hätten uns die Aussichten genommen, anschließend zu einer Verabredung mit den EWG-Partnern und mit den Amerikanern zu kommen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1975
Bundesminister SchmidtAber ich gestehe gerne zu, daß sich die Machbarkeit währungspolitischer internationaler Verabredungen in Kiel — ob man sich dort im Landeshaus oder als Direktor des Weltwirtschaftsarchivs betätigt — nicht ganz so einsichtig ist wie für diejenigen, die unmittelbar an diesen Operationen beteiligt sind.
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? —
Herr Bundesminister, wollen Sie bitte davon Kenntnis nehmen, daß ich nicht von der Geld- und Kreditpolitik gesprochen habe, die Sie eben in Ihrer Antwort angesprochen haben, sondern von den Maßnahmen, die unabhängig von der außenwirtschaftlichen Absicherung möglich gewesen wären? Für sie hätten Sie nicht auf die Absicherung zu warten brauchen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe das schon bei der ersten Fragestellung durchaus verstanden. Nur, welches Instrument immer Sie zur Konjunkturdämpfung ansetzen — Kreditpolitik, Steuerpolitik, Ausgabenpolitik des Staates —, insgesamt hätte jede spektakuläre Aktivität der vereinzelten Bundesrepublik Deutschland im Januar und Februar uns zum Auslöser der Dollarkrise gemacht. Das gilt es zu begreifen.
Nun möchte ich hervorheben, daß auch heute die Stabilitätspolitik als ein Bündel von Maßnahmen gesehen werden muß, Herr Narjes. Die fortdauernde währungspolitische Absicherung nach außen durch sechs EWG-Staaten ist die entscheidende Voraussetzung. Das zweite Element sind die Kreditrestriktionen durch die Bundesbank. Das dritte sind die steuerpolitischen Maßnahmen insbesondere zur Einengung des Investitionsspielraums der Unternehmungen, aber auch andere Einschränkungen. Das vierte ist die Ausgabenpolitik der öffentlichen Hände. Zum fünften wäre es sehr schön, wenn die Wettbewerbspolitik sich hier als Partner hinzugesellen würde. Ich kann nur unterstreichen, was die Bundesregierung dazu in einer sehr vorsichtigen Formulierung vor 14 Tagen oder drei Wochen öffentlich gesagt hat. Dies alles gehört zusammen.
Wenn aber jemand meint, das alles ginge nur über die Restriktion der öffentlichen Ausgaben, dann soll er zu Hause in Kiel damit anfangen und einmal vormachen, wie das eigentlich geht.
Es ist doch geradezu hanebüchen, daß dieselben Leute auf der einen Seite verlangen, der Staat solle mehr sparen, und auf der anderen Seite gleichzeitig das Ansinnen an die Bundesregierung richten, sie solle ihnen zusätzlich Milliarden für ihre Ausgaben zur Verfügung stellen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Narjes?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, danke schön. Lassen Sie mich ein bißchen weiter sprechen; Sie bekommen nachher Ihre Gelegenheit.
— Wenn Ihnen, Herr Narjes, soviel daran liegt, bitte sehr!
Herr Bundesminister, ich spiele gern mit. In der Verfassung ist eine konjunkturpolitische Mitverantwortung des Bundes für die gesamte öffentliche Finanzwirtschaft vorgesehen. Das bedeutet, daß der Bund nicht nur für seinen eigenen Haushalt sprechen kann, sondern die Verantwortung für alle drei Bereiche mit zu tragen hat. Wenn Sie mir widersprechen, muß ich Ihnen sagen: das kann man nicht in der Form vom Tisch wischen, daß man den Ländern und Gemeinden ihren Teil ohne Kommentar zuschiebt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich wollte denen gar nichts zuschieben, Herr Narjes; ich wehre mich dagegen, daß sie uns etwas abzwacken.Im übrigen gibt es natürlich so etwas wie eine gemeinsame Verantwortung der Länder, der Gemeinden und des Bundes für den sogenannten öffentlichen Gesamthaushalt. Nur wenn man diese gemeinsame Verantwortung erkennt und in Kenntnis dieser gemeinsamen Verantwortung für seine Aufgaben oder Ausgaben wesentlich mehr Geld verlangt, als man bisher hatte, sollte man das mindestens begründen. Diese Begründung habe ich bisher auch nicht aus Kiel gehört, Herr Kollege Narjes.Mir lag im Augenblick nur daran, allen denjenigen, die heute morgen aus der CDU/CSU-Fraktion wegen des „zu spät" polemisiert haben, in ihr Bewußtsein zu heben, daß ein so tiefgreifendes Handeln v o r der außenwährungspolitischen Absicherung unmöglich gewesen wäre und daß wir uns auch den Spielraum für das jetzt sehr scharf greifende Handeln erst im März durch die 3 %ige Aufwertung der D-Mark verschafft haben, die die deutsche Währung an den unteren Rand der Schlange brachte, über uns Spielraum schuf, den wir nun in Konsequenz der Auswirkungen dieses stabilitätspolitischen Programmes im Laufe der Monate auch ausfüllen werden.Ganz sicher sind wir dabei auch weiterhin auf währungspolitische Kooperation mit unseren europäischen Partnern angewiesen. Es war ein sehr glücklicher Zufall, daß Frankreich, mit dem wir durch den deutsch-französischen Freundschaftspakt zu besonderer, enger und regelmäßiger Konsultation verbunden sind, mit dem wir dieses stabilitätspolitische Programm konsultiert haben, ehe die Bundesregierung ihre Beschlüsse endgültig faßte und sie diesem
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1976 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Bundesminister SchmidtHohen Hause übermittelte, zugleich auch unseren wichtigsten Partner in dieser währungspolitischen Verabredung, die im Slang gemeinhin „die Schlange" genannt wird, darstellt. Mir liegt daran, auch hier gegenüber gewissen Zweifeln über die späteren währungspolitischen Konsequenzen dieses Programms, die es hier und da geben mag, deutlich zu sagen, daß die Bundesregierung ihr Programm in Abstimmung und mit Zustimmung durch diesen wichtigsten Partner hier vorgelegt hat.Sie werden sich erinnern, daß die Maßnahmen, die wir im Februar beschlossen hatten, gleich anschließend durch die erste Dollar-Krise in allen erhofften Wirkungen zugedeckt wurden. Außer den psychologischen konnten die Wirkungen ansonsten ja noch gar nicht eintreten, weil es sich um Gesetzgebung handelte und ein langer Prozeß vor uns lag. An das Inkrafttreten war zum 1. Juli gedacht. Bestenfalls konnten davon im Februar und März psychologische Wirkungen auf die Preis- und Lohnbewegungen ausgehen. Aber sie wurden völlig durch die Dollarschwäche im Februar und durch den Zustrom von Dollarliquidität in unsere Volkswirtschaft zugedeckt, die zwar im Bereich der Banken inzwischen durch die sehr scharf zugreifende Politik der Bundesbank abgeschöpft ist, aber noch keineswegs überall im Bereich der Unternehmungen, jedenfalls nicht im Bereich der großen Unternehmungen.Wir haben uns also inzwischen diesen außenwährungspolitischen Spielraum geschaffen. Er wird zugleich ausgenützt durch die Bundesbank und durch die Gesetze, die Ihnen heute hier zur Verabschiedung in dritter Lesung vorliegen. Die Bundesbank wird sicherlich auch in Zukunft das Mögliche tun, damit die Geld- und Kreditpolitik ihre Rolle bei dieser mit Recht als Konzertierte Aktion zu bezeichnenden Operation spielen kann.Mein Kollege Friedrichs hat vorhin eine Berner-kung an die Adresse der Sparkassen und Kreditinstitute insgesamt gemacht. Ich will mich dieser Bemerkung gern ausdrücklich anschließen und sagen: Ich kann nur hoffen, daß der Zinsanstieg auf den Kapitalmärkten, der die notwendige Konsequenz der Kreditverknappung ist, die bewußt in Kauf genommene Konsequenz, inzwischen endlich auch die Sparzinsen in Bewegung bringen wird. Ich halte nichts davon, wenn dieselben Leute einerseits unter der Oblate „Sparerschutzgemeinschaft" Forderungen an die Bundesregierung stellen und andererseits in ihrer hauptamtlichen Funktion als Bank- oder Sparkassenvorstände nicht so handeln, wie es im Interesse der Stabilität und auch des Sparers wünschenswert wäre. Davon halte ich gar nichts.
— Man muß die Folge der Verknappung des Kredits und auch der Verknappung der zur Investition bereitstehenden Finanzierungsmittel mit allen Konsequenzen wollen. Man kann nicht zugleich das Kapital knapp machen und es trotzdem billig lassen.Das ist ein Kunststück, daß keiner fertig bringt. Man muß dann beides wollen.In diesem Zusammenhang ein Wort zur Stabilitätsanleihe, deren erste Tranche mit einer Emission von 11/2 Milliarden DM ja die größte öffentliche Emission gewesen ist, die es in der Geschichte unseres Landes je gegeben hat. Sie ist auf eine sehr große Anlagebereitschaft bei den privaten Sparern gestoßen. Herr Kollege Friedrichs hat zu dieser Anzapfung schon seine Meinung — zugleich ist dies meine Meinung — gesagt.Ich will in diesem Zusammenhang nur noch das sehr leichtfertige Wort zurückweisen, das hier jemand gebraucht hat, das Wort von dem „Entsparvorgang". Wenn 360 Millionen DM — das ist etwa die Summe, um die es sich hier handelt; im Rahmen von 1,5 Milliarden DM Emissionen sind es ungefähr 360 Millionen DM — Sparguthaben in Stabilitätsanleihe umgeschichtet worden sind, so ist das kein Entsparvorgang, Herr Narjes. Erstens bekommen die Leute für ihre Ersparnisse mehr Zinsen, als sie vorher bei ihrer Bank oder Sparkasse erhalten haben, zum anderen stehen diese 360 Millionen DM jetzt eben niemandem mehr zur Verfügung — weder zu Investitionen noch dazu, darauf weitere Kredite des Bankinstituts aufzubauen. Es ist nicht nur ein Liquiditätsentzug, es ist auch ein Entzug an investitionsbereiten Finanzierungsmitteln. Daran ist nichts zu kritisieren. Im Gegenteil: das ist eine der von vornherein erwarteten Wirkungen der Stabilitätsanleihe.Es wird sicherlich eine zweite Tranche geben, nämlich dann, wenn auf dem Markt wieder so viel zur Verfügung steht, daß es sich lohnt und daß es möglich ist, abzuschöpfen und anschließend bei der Bundesbank zu neutralisieren.In Klammern übrigens: Denjenigen, die Angst hatten, der Bund würde hier seine Verpflichtungen nicht erfüllen, darf ich sagen, daß ich die Bundesbank gebeten habe, in Zukunft in jedem Monatsbericht auszuweisen, was der Bund und was die elf einzelnen Länder im Zentralbanksystem stillgelegt haben. Da werden wir sehr genau verfolgen können, wie das geht. Schade, daß das nicht schon immer so geschah! Da hätte man sehen können, wie recht Frau Kollegin Huber hatte mit dem Hinweis, daß zwar der Bund bisher alle seine auch freiwillig übernommenen Stillegungspflichten voll erfüllt hat, nicht aber, Herr Kollege Höcherl, der Freistaat Bayern.
Es gibt überhaupt keinen Anlaß, Mißtrauen gegenüber dem Bund zu hegen. Die bisherige Geschichte der Stillegungen zeigt, daß ein Teil der Länder sich nicht stabilitätskonform und abredegemäß verhalten hat, wohl aber der Bund und die bisherigen Bundesregierungen, die an diesen Operationen beteiligt waren.Zur Stabilitätsanleihe will ich nur sagen, daß die Kapitalverknappung, die wir gemeinsam mit der Bundesbank herbeiführen, zum anderen aber auch
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1977
Bundesminister Schmidtdie Sozialversicherungen, indem sie 4 Milliarden DM in Bundesbankpapieren stillgelegt und dem Kapitalmarkt entzogen haben bzw. dabei sind, das zu tun, natürlich auch dazu führt, daß die erste Tranche der Stabilitätsanleihe, die zu 81/2 % ausgegeben worden ist, vorübergehend im Kurs unter 100 fällt. Dafür ist den Sparern, die diese Anleihe gekauft haben, acht Jahre lang eine Verzinsung von 81/2% sicher, sehr viel mehr, als sie von ihrer Bank bekommen haben.Es ist ja aber nicht so, daß der Kurs dort bleiben wird. Es muß sich doch jeder vorstellen ,das sage ich besonders in Richtung auf die Unternehmerschaft unseres Landes —, daß in nicht allzu ferner Zeit, wenn dieses Paket insgesamt gemeinsam mit der Kreditpolitik gereift, diese Steuersätze, insbesondere die Investitionssteuer, und diese Kapitalzinsen wieder wegkommen. Wenn wir die Erwartung nicht hätten, würde diese Investitionsbremse ja nicht wirken. Denn die Leute würden dann antizipieren, daß die Steuersätze dort oben bleiben und sie daher auch heute schon investieren können und nicht ein oder zwei Jahre zu warten brauchen. Unsere Vorstellung ist doch, daß das Gesamtpaket wirkt, daß dann später diese Investitionsbelastung sowohl von der steuerlichen Seite her als auch von der Kapitalmarktseite her, genauer: von der Zinsseite her, applaniert wird und dann die bis dahin verschobenen Investitionen stattfinden können. Dann wird eben auch der Kurs der ersten Tranche der Stabilitätsanleihe wieder oben sein. Eine Konversion auf ein höheres Zinsniveau kommt aus vielerlei Gründen nicht in Betracht. Ich will das nicht ausführen.Nun ist hier auch ein bißchen über die Mineralölsteuer polemisiert worden. Da sich der Kollege Narjes und andere von der Opposition einzelne Argumente des Sachverständigenrates zunutze und zu eigen gemacht und sie ausgebreitet haben, sollten Sie auch fair genug sein, Herr Kollege Narjes, zuzugeben, daß der Sachverständigenrat aus konjunkturpolitischen wie aus späteren finanzpolitischen Gründen die Angemessenheit der Erhöhung der Mineralölsteuer zu diesem Zeitpunkt ausdrücklich positiv bewertet hat. In dem Zusammenhang hat der Kollege Häfele erneut von der Kraftfahrzeugsteuerreform gesprochen. Er meint, man könne dort 2000 oder 3000 Beamte sparen. Das ist richtig, Herr Kollege Häfele, aber doch nicht unbedingt dadurch, daß man die Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineralölsteuer umlegt und eine einzige Klasse von Fahrzeugen schafft. Sie haben in Anlehnung an historische Reminiszenzen von einer Drei-Klassen-Kraftfahrzeugsteuer geredet, die kommen solle. Das ist allerdings die Absicht der Bundesregierung. Ich kann nicht einsehen, wieso es in Baden-Württemberg einen Beamten zusätzlich verlangt, wenn auf den Mercedes 300 statt einer Plakette drei geklebt werden müssen, weil es eben ein sehr viel schwererer Wagen ist. Ich kann nicht einsehen, daß das mehr Beamte kostet. Das ist ein hergesuchtes Argument ohne jede Bedeutung. Sicherlich wird der Mercedes 300 drei Plaketten brauchen und der Volkswagen 1300 nur eine Plakette, Die Plaketten werden alle drei gleich aussehen, und das Aufkleben einer Plakette macht auch nicht weniger Arbeit als das Aufkleben von drei Plaketten. Das hat alsomit ihren 3000 Beamten nichts zu tun; es hat nur damit etwas zu tun, daß Sie in der öffentlichen Meinung durch diese Art von Argumenten Unklarheit und Nebel schaffen wollen. Deswegen müssen sie zurückgewiesen werden. Die Mineralölsteuer muß mit der Kraftfahrzeugsteuer nichts zu tun haben. Die Kraftfahrzeugsteuerreform, die wirklich Beamte einsparen wird, wird in sich aufkommensneutral gestaltet werden können.Im übrigen, Herr Kollege Häfele, wenn Sie hier Vorwürfe wegen der Kompliziertheit der Erhebung bei den Finanzämtern erheben wollen, dann schauen Sie sich einmal Ihre hier vorgelegten vermögenspolitischen Vorschläge an, die Sie mit dem Stabilitätspaket verknüpfen wollten, was das wohl für Komplikationen herbeigeführt und wie das am 1. Juli hätte praktiziert werden sollen!
Das ist der Versuch, das Stabilitätspaket mit solchen Gewichten zu behängen, daß es in Wirklichkeit nicht wirksam werden kann.
Das gilt ja für viele dieser Vorschläge.
Das Land Schleswig-Holstein hat sich jetzt gegen die Beseitigung des Schuldzinsenabzuges gewandt. Es will einen bestimmten Sockel gelten lassen mit der Behauptung, dies diene den Arbeitnehmern. Sie müssen einmal die Beispiele nachrechnen, welchen Beziehern welcher Jahreseinkommen das dient, was das Land Schleswig-Holstein vorschlägt. Sie müssen sich darüber im klaren sein, daß es doch nur der Finanzierung von Käufen dient, für die beim Käufer selber eine ausreichende Kaufkraft noch nicht vorhanden ist. Die Konsumfinanzierung — um die handelt es sich — hat sich im Laufe der letzten drei Jahre über diese ganzen Absatzkreditinstitute mehr als veranderthalbfacht. Nun sind wir nicht der Meinung, daß die Nachfrage nach Konsumgütern in der gegenwärtigen, einem Boom entgegengehenden Entwicklung der Hauptmotor ist. Aber es ist doch auch nicht so, daß wir nun auf diesem Gebiete irgendeinen Anlaß hätten, sie noch weiterhin zu fördern.Es sind alles von der CDU/CSU hergesuchte Dinge, die letztlich, nachdem man eingesehen hat, daß man sich der öffentlichen Mitverantwortung jedenfalls nicht entziehen kann, doch nur helfen sollen, den Eindruck der Wahrung eines eigenen Weges oder eines eigenen Profils zu machen.Auch über die Stabilitätsabgabe ist hier erneut wieder geredet worden. Wenn man das alles zusammen vorlesen würde, Herr Narjes, was Sie als einzelne Person dazu an verschiedenen Vorschlägen im Laufe der letzten drei Monate gemacht haben, wäre das schon eine ganze Menge. Wenn ich dann noch Herrn Stoltenberg und den Minister des Saarlandes, Herrn Schäfer, mit vorläse, hätten wir eine große Palette von verschiedenen Meinungen.
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1978 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Bundesminister Schmidt— Es ist ja erst zehn Tage her, daß Herr Kollege Narjes die Grenze von 16 000 und 32 000 DM vorgeschlagen hat, wenn ich mich nicht sehr irre. Jetzt ist Ihre Fraktion offenbar bereit, der Grenze von 24 000 und 48 000 DM zuzustimmen. Es ist noch gar nicht so lange her, da wollten Sie Stabilitätszuschlag nach Stabilitätsgesetz.
Dann wollten Sie einen rückzahlbaren, der verzinst werden sollte; das war Herr Strauß. Die Zahl der Vorschläge war enorm. Man kann die Zahl der Alternativen, die Sie hier zur Debatte gestellt haben, nur bewundern. Bloß haben Sie sich erst in letzter Sekunde entschlossen, welche von den vielen Alternativen Sie benutzen wollen, um Ihrerseits doch bei dem Nein bleiben zu können, Herr Kollege.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte!
Herr Bundesminister, können Sie eine einzige Stelle nennen, wo ich einen Konjunkturzuschlag ohne Untergrenze empfohlen habe?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, das kann ich nicht. Das war Herr Strauß. Der wollte es nach dem Stabilitätsgesetz, aber rückzahlbar, doch nicht ganz nach dem Stabilitätsgesetz, und verzinslich.
Herr Bundesminister, ist Ihnen nicht bekannt, daß Herr Strauß und ich übereinstimmend immer nur rückzahlbare und verzinsliche Konjunkturzuschläge mit Untergrenzen entweder in Höhe von 16 000 und 32 000 oder in dieser Nähe gefordert haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Also „in dieser Nähe", wie Sie eben gesagt haben, macht die Sache schon sehr unpräzise.
— Ich bitte Sie, zwischen 16 000 und 24 000 ist ein stabilitätspolitisch ganz dick zu Buch schlagender Unterschied. Wenn Sie bei 16 000 einsetzen, weiß ich nicht, wie denn in Dortmund und wie denn in Hörde und wie denn in Bochum und wie denn in Essen im August und September die Situation sein wird. Da hat doch Herr Kollege Friderichs absolut recht. In diese Situation wollen Sie uns doch hineinjagen.
Da kann man doch nicht so tun, als ob das nur eine andere Zahl wäre. Sie hätten ja dann hinterher auch Ihre Zustimmung doch nicht erteilt. Sie hätten uns nur erst einmal auf den Dampfer zu bringen versucht. Zum Schluß hätten Sie sich wieder, genau wie bei den Schuldzinsen, zum angeblichen Anwalt der angeblichen Interessen der Arbeitnehmer gemacht, Herr Kollege.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Bundesminister?
Herr Bundesminister, eine Zahl von 32 000 bedeutet, auch nach der Berechnung, wie Sie sie anstellen, daß wir in Größe von 32 000 — —
Ich bitte eine Frage zu stellen, Herr Kollege!
Darf ich die Frage anschließen: Sind Sie nicht mit mir der Ansicht, daß bei einer Einkommensgrenze von 36 000 die von Ihnen zitierten Dortmunder Arbeiter sämtlich nicht unter diese Grenze gefallen wären?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bei 36 000 ja, aber eben nicht bei 16 000, Herr Kollege Narjes, wovon Sie gesprochen haben.
Ich habe von den Verheirateten gesprochen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, es gibt aber auch viele, die noch nicht verheiratet sind.
— Es tut mir leid, daß einige von Ihnen dieses für bloße Polemik halten. Sie zeigen dadurch nur, daß Sie noch nicht einmal jenes arbeitsmarktpolitische Verständnis besitzen, das die Herren Sohl und Friedrich öffentlich vortragen. Nur das zeigen Sie.
Aber Herr Narjes hat ja auch vom „Stabilitätspakt" erneut gesprochen. Lieber Herr Narjes, was soll das eigentlich sein, ein „Stabilitätspakt"? Wissen Sie, wenn ich für die Tarifpolitik einer großen Gewerkschaft Verantwortung trüge und mir würde das Angebot eines Stabilitätspakts gemacht, würde ich mich fragen: was sollen die von mir vertretenen Arbeitnehmer zu diesem Pakt beitragen, und was soll die andere Seite dazu beitragen? Es ist ganz klar, was der Arbeitnehmervertreter beitragen soll: er soll sich auf irgendwelche Begrenzungen in der Lohnentwicklung festlegen lassen. Dann fragt er: Was macht ihr eigentlich mit den Preisen? Darauf antwortet die andere Seite: Ja, in der Wettbewerbswirtschaft können wir die Preise nicht vorschreiben; darauf können wir keinen Einfluß nehmen. Dann sagt er: Schön, das verstehe ich; aber wollt ihr euch nicht wenigstens bei euren Tantiemen oder Gewinnentnahmen oder Vorstandsgehältern oder Dividenden beschränken? Darauf sagen die wieder: Das können wir auch nicht; dazu sind wir untereinander zu uneinig. — Lassen Sie doch das Gerede vom Stabilitätspakt zu Hause, wo es hingehört!
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1979
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr!
Herr Bundesminister ist Ihnen bekannt, daß ich vom Stabilitätspakt nur in die Vergangenheit gerichtet gesprochen habe? Ist Ihnen bekannt, daß ich insbesondere kritisiert habe, daß die Gewerkschaftsführer, die sich am Jahresende auf eine solche stillschweigende Vereinbarung verlassen haben, in ihrer Autorität verschlissen sind, weil die kompensierenden Maßnahmen ausblieben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Narjes, Gott sei Dank ist die Autorität der Vorsitzenden der deutschen Industriegewerkschaften nicht verschlissen und Gott sei Dank haben wir alle ein Interesse daran, daß das so bleibt.
Sie haben, genauso wie Herr Kreile und auch Herr Professor Mikat, verfassungsrechtliche Zweifel an der Stabilitätsabgabe gesät. Einer von Ihnen hat sogar behauptet, sie sei nicht legal. Ich sehe Sie schon gemeinsam mit Ihren bayerischen Freunden nach Karlsruhe galoppieren.
Ich sehe dem mit dem gleichen Interesse entgegen, mit dem ich sehe, wie einig die bayerische Staatsregierung bei der Anrufung des Gerichts in Karlsruhe war. Ich sehe schon die Einigkeit in Kiel, in Mainz, in Stuttgart und in Saarbrücken auf uns zukommen. Sie sollten mit solchen Sachen vorsichtig sein, genauso wie ich Sie, Herr Narjes, ohne jede Polemik bitten möchte, hier nicht solche Prognosen, solche Ziffern in die Welt zu setzen, wie Sie es für den Herbst getan haben. Das tut nicht gut. Vielleicht ist einer meiner Kollegen bereit, darauf noch näher einzugehen. Ich halte diese Zahl, die Sie als Prognose genannt haben, für absolut nicht verantwortbar.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Narjes?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, ich bitte zu bedenken, daß ich während der Rede von Herrn Narjes zwar auf meinem Abgeordnetenplatz gesessen habe, also die geschäftsordnungsmäßige Möglichkeit gehabt hätte, ihn mit sechs Zwischenfragen zu unterbrechen. Da ich das aber nicht getan habe und er jetzt zur siebten Frage ansetzt, bitte ich um Verständnis dafür, daß ich auch einmal zu Ende kommen möchte.
Die Bundesregierung hat aus den Gründen, die Sie jetzt vielleicht etwas besser verstehen, Abstand davon genommen, einen allgemeinen Konjunkturzuschlag auf alle Arbeitseinkommen zu erheben, weil er, wie Herr Kollege Friderichs mit Recht gesagt hat, im Endeffekt geradezu das Gegenteil vonmehr Stabilität hätte bewirken müssen. Dabei wollen wir auch bleiben.Das Kernstück unseres Pakets ist, soweit es durch die Gesetzgebung wirksam gemacht werden muß, der Versuch, durch eine Reihe von steuerpolitischen Maßnahmen die Investitionstätigkeit in diesem Lande zu beschränken. Die auf maximal zwei Jahre befristete Investitionssteuer in Höhe von 11 % — der Sachverständigenrat hatte nur 5 % vorgeschlagen; wir sind erheblich darüber hinausgegangen — wird am besten daran gemessen, wie wenig Ertrag sie bringt. Wenn sie einen hohen Ertrag erbringen sollte, so hätte sie nicht gut funktioniert. Sie soll gerade dazu führen, daß beabsichtigte Investitionen, die eigentlich an der Reihe wären, zeitlich hinausgeschoben werden. Ich wäre also froh, wenn diese Steuer trotz des wirklich sehr hohen Satzes von 11 % einen relativ geringen Ertrag erbrächte. Uns schien allerdings ein so hoher Steuersatz notwendig zu sein, um überhaupt eine Schwelle für jene Personen zu errichten, die in den einzelnen Unternehmen die Investitionsentscheidungen zu treffen haben.Dann ist hier auch ein bißchen über den Beitrag polemisiert worden, den der öffentliche Gesamthaushalt — der Bundeshaushalt macht gut 40 % davon aus — erbringt. Ich will hier keine nachträgliche oder, wenn Sie so wollen, verfrühte Haushaltsdebatte vom Zaune brechen. Ich will nur eines sagen. Wenn irgend jemand von der Opposition noch einen Punkt entdeckt, an dem man im Bundeshaushalt über das hinaus, was wir Ihnen vorgeschlagen haben, Einsparungen vornehmen kann, so wäre ich begierig, dies zu hören. Ich kann Ihnen nicht im voraus versprechen, daß ich dem Vorschlag in allen einzelnen Punkten zustimmen würde, aber ich wäre begierig, das zu hören. Ich würde allerdings auch erwarten, daß die Flut von ausgabewirksamen Anträgen, die von Ihrer Fraktion gestellt worden ist —. im Innenausschuß des Bundestages wurden z. B. Anträge mit einer finanziellen Auswirkung von einer Milliarde DM gestellt —, dann zurückgezogen würde.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie waren so großzügig, Anträge zu stellen, die Bund, Bahn und Post zusammen 480 Millionen DM, die Länder 375 Millionen DM und die Gemeinden weitere 200 Millionen DM kosten sollten. Insgesamt belaufen sich die finanziellen Auswirkungen auf über eine Milliarde DM. Und das ist nicht das einzige Gebiet. Sie wollten ja im Wirtschaftsausschuß auch mehr Geld ausgeben. Ich halte nichts davon, Ihnen das ganze Jahr über vorzurechnen, was Sie früher schon alles beantragt haben. Wenn Sie heute nun aber von Stabilität und mehr Einsparungen bei den öffentlichen Haushalten sprechen, während Sie sich gestern und vorgestern im Ausschuß kraß entgegengesetzt dazu verhalten haben, so erlaubt mir das, Ihnen abermals zu sagen: Sie haben zwar ein Bedürfnis, von sich reden zu machen, aber ein Konzept haben Sie nicht.
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1980 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn KrollSchlüter?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein.
— Nach welchen?
— Das sind mehr als 1000, leider! Aber dafür werden auch 2 000 woanders eingespart. Wenn Sie den Kollegen von der FDP und SPD, den Kollegen der Regierungskoalition im Haushaltsausschuß dabei helfen, irgendwo noch ein paar Stellen zu streichen, wird der Finanzminister sicher bereit sein, nachher dafür Dankesurkunden auszustellen. Er ist aber nicht allein verantwortlich.
— Da irren Sie sich! Herr Breschnew hat sich meine Unterschrift auf einem Zehnmarkschein sorgfältig aufbewahrt.
— Lassen Sie uns über die Stellen noch einmal im Ernst sprechen. Wir wollen im Laufe des Haushaltsjahres 1973 2 000 Planstellen einsparen. Das werden wir wohl auch schaffen. Diese Einsparung hat den Hauptzweck, die auf vielen Gebieten unvermeidlich notwendigen zusätzlichen Planstellen im Gesamtergebnis wenigstens wieder auszubalancieren. Das müssen Sie im Verhältnis zueinander sehen. Ich will Ihnen aber nicht verschweigen, daß ich es noch lieber sähe, wenn es statt 1600 nur 1100 oder, wie Sie gesagt haben, 1000 neue Stellen wären. Es ist nur halt so, daß man sich auf vielen Gebieten dem Anfall neuer Arbeiten oder größerer Quantitäten der gleichen Arbeit nicht ganz entziehen kann. Das fängt bei der Flugsicherung an und hört bei der Polizei auf. Dazwischen gibt es noch viele andere Gebiete, im Hinblick auf die selbst bei bestem Sparsamkeitswillen niemand sagen kann, daß dort nicht die und die Stellen notwendigerweise geschaffen werden müssen. Das gilt dann auch für Peking, United Nations und für unsere Vertretung in OstBerlin.
— Bitte!
Herr Minister, wollen Sie das Argument der Ausbalancierung denn nicht auch für die Opposition gelten lassen, die die Schwerpunkte in der Haushaltspolitik eben anders gesetzt haben will und sich auch bemüht, dann, wenn sie irgendwo Mehrausgaben fordert, entsprechende Kürzungsvorschläge zu machen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Müller-Hermann, das Argument der Ausgewogenheit habe ich meinerseits immer unter einem anderen Aspekt gebraucht. Ich habe mehr an die soziale Ausgewogenheit gedacht. Das gehört eigentlich noch mit zu der Kontroverse mit Herrn Narjes und anderen über den Konjunkturzuschlag.
Wenn Sie sehen, wie sich ohne Eingreifen des Gesetzgebers im Laufe des Kalenderjahres 1973 die Brutto- und Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und -vermögen entwickeln würden und wie sich demgegenüber ohne Eingreifen des Gesetzgebers die Brutto- und Nettoeinkommen aus unselbständiger Arbeit entwickeln würden, und daraus erkennen, daß man dieser Entwicklung entgegentreten muß — die meisten, Sie eingeschlossen, nehme ich an, aus sozialem Gewissen, aber zusätzlich eben auch aus stabilitätspolitischen Notwendigkeiten —, dann führt Sie das zu der Schwerpunktverteilung der Maßnahmen, die hier insgesamt steuerlich vorgesehen sind.Das Argument der Ausgewogenheit hat sich von mir aus nicht auf das Verhältnis von steuerpolitischen zu ausgabenpolitischen Maßnahmen beziehen sollen. Bei ausgabenpolitischen Maßnahmen, die den Bund betreffen — ich übersehe nicht die 16 000 Gemeinden und Gemeindeverbände und auch nicht ganz die elf Länder —, wiederhole ich, was ich sagte: Wenn Sie noch etwas finden, bin ich begierig, darüber zu reden. Ich bin nicht ganz sicher, daß man es dann akzeptieren kann. Aber wir haben wirklich alles ausgekratzt. Der Bundeshaushalt ist zu 95 % seiner Ausgaben durch nationales oder internationales Recht gebunden. Dies bitte ich im Bewußtsein zu behalten. Der verbleibende Spielraum ist durch dieses Paket und die Stillegungsbeschlüsse des Kabinetts in einer Weise verringert worden, daß ich persönlich eher fürchten muß — man kann die Konsequenzen im Bund erst im Laufe des Monats Juli oder August ganz übersehen —, daß wir zu einem negativen Spielraum kommen könnten. Aber ich will hier kein Menetekel an die Wand malen.Eine letzte Bemerkung zu den Streitigkeiten über die Stillegung. Hier ist schon darauf hingewiesen worden, daß die bisherige Finanzgeschichte der Bundesrepublik überhaupt kein Argument dafür hergibt, daß sich der Bund nicht an seine Pflichten halten würde, eher dafür, daß andere dies bisher nicht getan haben.Daß das, was wir hier vorhaben, mit der Verfassung nicht im Einklang stehen soll, kann ich nicht einsehen. Nach Art. 109 Abs. 4 GG in Verbindung mit dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz kann eine Verpflichtung des Bundes über Bundesmittel nur mit Zustimmung des Bundesrats — darum geht es ja; es geht immer um Ihre fünf Länderregierungen, die hier im Spiel bleiben wollen, auch was Ihre Argumente heute morgen betrifft — lediglich dann erfolgen, wenn es sich um eine Konjunkturausgleichsrücklage handelt, die von Bund und Ländern gemeinsam bei der Bundesbank zu unterhalten ist. Um so weniger kann eine Regelung er-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1981
Bundesminister Schmidtfolgen, nach der über Bundesmittel etwa nur mitZustimmung des Bundesrats verfügt werden könnte.Finanzplanungsrat und Konjunkturrat hatten 1971 empfohlen, daß Bund und Länder ihre Steuermehreinnahmen bei der Bundesbank stillegten. Wie ist es tatsächlich gegangen? Nur drei Länder haben den Aufruf zur Selbstverpflichtung überhaupt honoriert, und dann haben alle drei die stillgelegten Mittel hinterher wieder aufgelöst. Ich sähe dem mit Vergnügen entgegen, wie die Finanzminister der Länder dieses Argument vortragen werden. Aber die werden es nicht tun. Die Ministerpräsidenten, die davon etwas weiter weg sind, werden sich vielleicht überlegen, ob sie es tun. Jedenfalls zeigt dieses geschichtliche Beispiel, daß die Mitwirkung der Länder bei der Festlegung von Steuermitteln des Bundes keine Gewähr für stabilitätsgerechtes Verhalten bietet.Herr Kollege Friderichs hat in Ihre Erinnerung zurückgerufen, was Sie auch in den Zeitungen gelesen haben, daß die sogenannte Konzertierte Aktion das ist, wie ich immer noch meine, ein falscher Ausdruck für eine Gesprächsrunde — am 18. Mai dem Programm ausdrücklich insgesamt zugestimmt und bei Kritik im Detail hier und Kritik im Detail dort doch übereinstimmend erklärt hat, das Programm nach Kräften mittragen zu wollen. In diesem Sinne, in dem sich dort Arbeitnehmer- und Unternehmerverbände ausgesprochen haben, möchte ich erwarten, daß sich nicht nur die Mehrheit dieses Hauses, sondern — ich denke an die Erklärung, die Ministerpräsident Kohl am 4. Mai im Bundesrat abgegeben hat hoffentlich auch eine Mehrheit des Bundesrats diesen Maßnahmen nicht verschließt, auch nicht durch alle möglichen Tricks dafür sorgt, daß sie über den 1. Juli hinaus verzögert werden, ehe sie im Bundesgesetzblatt stehen.
— Ja, das ist auch so einer der Tricks. Hinterher kommt das Vermittlungsbegehren, und es wird ein eigener Gesetzentwurf, der aber — ich sage es noch einmal — abgeschrieben ist, auch mit Druckfehlern, nachgeschoben.
— Ich beklage mich ja nicht. Ich warne nur einige, die meinen, Stabilitätspolitik sei eine Sache, um einen erst zum 1. Januar nächsten Jahres zu regelnden Streit über Finanzmassen zwischen Bund und Ländern im Vorwege auskochen zu wollen. Ich kann nur sagen: Wer diese Gesetzgebung verzögert, verliert jede Legitimation, die Bundesregierung wegen ihrer Stabilitätspolitik irgendwo zu mahnen oder zu kritisieren.
Weil hier soviel Eile notwendig ist, ist auch ein ausgesprochener Dank der Bundesregierung an die Kolleginnen und Kollegen und an die Vorsitzende des Finanzausschusses des Deutschen Bundestagesnotwendig, die diese schnelle Arbeit geleistet haben.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir ein Wort zur Geschäftslage. Wir sind im Ältestenrat davon ausgegangen, daß der Nachmittag den Ausschüssen zur Verfügung steht. Wir haben jetzt sechs Wortmeldungen vorliegen, die eine Zeit von etwa 21/2 Stunden in Anspruch nehmen werden. Ich bitte alle Kollegen dringend, sich in der Debatte so kurz wie möglich zu fassen.
— Selbstverständlich, „15 Minuten" steht in der Geschäftsordnung. Wenn Sie sich daran halten könnten, wäre das für das ganze Haus gut.
Das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Höcherl.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Stabilitätspolitik ist für die CDU/CSU immer ein zentrales Thema gewesen. In den 20 Jahren, in denen wir in der Verantwortung waren, haben wir Stabilitätspolitik betrieben und nachgewiesen.
— Ja, betrieben und nachgewiesen.Zum erstenmal überhaupt sind wir in der unangenehmen Situation, daß wir eine große Vorlage nach dem Stabilitätsgesetz erledigen müssen. Sie wissen doch genau, daß es sich nach der ganzen Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes hier um ein wirtschaftspolitisches Notstandsgesetz handelt, das nur in äußersten Fällen in Anspruch genommen werden sollte. Wenn nämlich normale und vernünftige Wirtschaftspolitik betrieben worden wäre und wenn das über die ganzen letzten vier Jahre hinweg der Fall gewesen wäre, wären wir gar nicht in der Lage, uns mit solchen Dingen auseinandersetzen zu müssen — es besteht gar kein Anlaß, mit geschwellter Brust auf diese Vorlage hinzuweisen; es ist sehr bedauerlich, daß wir in eine solche Situation gekommen sind — und solche Eingriffe, deren Wirkungen doch niemand absehen kann, nun vornehmen zu müssen.
Nun, meine Damen und Herren, die Ursachen der heutigen Situation gehen viel weiter zurück. Sie gehen zurück, Herr Bundeskanzler, in die Zeit der ersten Auflage Ihrer Regierung, als Sie im Spätherbst 1969 Ihr Kabinett zusammenflickten und -schneiderten. Damals haben Sie ein wohlbestelltes Haus übernommen. Aber bereits damals waren Anzeichen dafür sichtbar, daß der Neigungswinkel der wirtschaftlichen Entwicklung etwas noch oben geht.Damals, meine verehrten Damen und Herren, hat sich etwas ereignet, wozu Sie in Ihren 20 Jahren Opposition moralisch niemals in der Lage waren. Wir haben unsere Hilfe bei Stabilitätsbemühungen angeboten. Sie waren in den Flitterwochen dieser Koalition, und es sind Ihnen viele Versprechungen über die Lippen geflossen. Dann kam der graue
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1982 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
HöcherlAlltag, der graue Ehe- und Koalitionsalltag im Jahre 1970. Wir haben durch Herrn Barzel erklärt: Wir sind bereit, Ihnen von Ihren großartigen Versprechungen herunterzuhelfen und Sie wieder auf den Boden zu bringen. Das Angebot haben wir gemacht.
— Ja, Herr Schäfer, Sie haben bloß nicht darauf gehört. — Einiges war derart übertrieben, daß Sie es zurücknehmen mußten. Das andere haben Sie für Wahlkämpfe und sonstigen politischen Hausgebrauch noch lange verwendet.Wenn Sie damals angefangen hätten, wenn Sie die Zeichen der Zeit richtig erkannt und von Ihrer Euphorie in dieser neugebildeten Koalition etwas abgelassen hätten, wären Sie Ihrem jetzt totgeschwiegenen damaligen Wirtschaftsminister, der Ihnen einmal eine Wahl gewonnen hat, gefolgt, als er im Frühjahr 1970 die ersten Vorschläge mit den richtigen Ansatzpunkten gemacht hat! Nein, Sie haben ihn mit Brosamen abgespeist. Es waren ja Wahlen in der Nähe: der 14. Juni mit drei Landtagswahlen, der erste Test für diese neue Regierung. Infolgedessen konnte man sich Unangenehmes nicht erlauben; man zog den parteipolitischen Vorteil dem allgemeinen Wohl vor.Es wurde eine Sondersitzung einberufen — wir wissen es noch --; nicht weil ein besonderer Anlaß vorhanden gewesen wäre, sondern weil die Wahl inzwischen vorbei war. Es kamen einige bescheidene Maßnahmen.Die Haushaltsführung des Bundes hat in all den Jahren ihrer Regierungszeit niemals den Anforderungen des Sachverständigenrates oder der Bundesbank entsprochen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage.
Ja, selbstverständlich, Herr Professor Schachtschabel!
Herr Kollege Höcherl, ist Ihnen bekannt oder können Sie dazu Stellung nehmen, daß im Sondergutachten des Sachverständigenrates unter Ziffer 19 steht, es gehe gegenwärtig gar nicht darum, „der staatlichen Ausgabenpolitik eine den öffentlichen Aufgaben unerträgliche antizyklische Lückenbüßerrolle zuzuweisen".
Herr Professor Schachtschabel, wer spricht denn schon von einer „unerträglichen antizyklischen Lückenbüßerrolle"? Der Staat muß seinen Anteil dazu beitragen, der private Verbraucher und derjenige, der investiert. Nur mit diesen dreien zusammen ist diese Aufgabe zu bewältigen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff.
Ja, bitte!
Herr Kollege Höcherl, werden Sie bei Ihrem Ritt in die Vergangenheit auch noch auf den Wahlkampf 1965 und das anschließende Haushaltssicherungsgesetz zurückkommen?
Nein, aber auf den letzten Wahlkampf komme ich zurück.
Vom Jahre 1970 bis heute haben Bundesbank, Sachverständigenrat und alle wissenschaftlichen Institute Sie ständig gemahnt. Wir haben uns dieser Stimme der Vernunft angeschlossen. Wahrscheinlich weil auch die Opposition sich diesen Stimmen angeschlossen hat, haben Sie nichts unternommen, so wie Sie das jetzt auch machen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Nein, ich möchte die Ausführungen fortsetzen. Die berühmte Taktik, den Gesamtzusammenhang etwas aufzulockern, wollen wir nicht einführen. Wir sind alle in Zeitnot. Bei anderer Gelegenheit sehr gern.
Der Bundeskanzler hat ein etwas gestörtes Verhältnis zur Wirtschaftspolitik. Seine Passion ist die Außenpolitik; wir haben gerade einige Tage einer großartigen Regie miterlebt. Aber er sollte nicht vergessen: in der Stabilitätspolitik liegen die einzigen Möglichkeiten einer außenpolitischen Potenz auf wirtschaftlichem Gebiet. Etwas anderes haben wir praktisch nicht mehr vorzuweisen. Das sollte er mit seiner Vorliebe und seiner Passion für die Außenpolitik nicht vergessen.Für den Kanzler waren die ersten Mahnungen Gespenster, die die Opposition beschworen hat. In der Zwischenzeit haben diese Gespenster Leben angenommen und treiben ihr Unwesen in unserer wirtschaftlichen Situation. Das ist doch die Lage!Dann wurden wir väterlich beruhigt: Es geht uns doch allen besser! — Das hat sich so nett und angenehm angehört. Noch vor wenigen Monaten haben Sie erklärt: Es gibt überhaupt keine Möglichkeit bei unserer fugenlosen internationalen Verflechtung und den gegenseitigen Einwirkungen. Das war Ihre Meinung. In der Zwischenzeit haben Sie wohl etwas anderes feststellen können: daß es Möglichkeiten geben muß.Als der Schatzkanzler Schmidt seine ersten Lernwochen absolvierte, war für ihn das Wort Stabilität ein Unfug, ein modernes Wort. Das war für einen gelernten Volkswirt eine bemerkenswerte Äußerung.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1983
HöcherlEr hat wohl das Oberseminar bei Schiller nicht ganz gewissenhaft besucht.Danach wurden seine Anmerkungen immer sachgerechter. Allmählich ging ihm ein Licht auf. Während des Wahlkampfes gab es eine herrliche Geschichte: ein 15-Punkte-Programm zur Reform. Eine herrliche Sache! Darin waren z. B. Einfuhr von Lammfleisch zur Entlastung des Fleischmarktes und ähnliche Dinge vorgesehen. In der Zwischenzeit sind die Zeiten ernst geworden und die Anforderungen nicht mehr ganz so mit der leichten Hand zu bewältigen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt?
Herr Kollege, würden Sie mir in Ansehung der liebenswürdigen Einschätzung meines Fortschrittes zu immer sachverständigeren Äußerungen bitte erklären, wie sachverständig ich Ihrer Einschätzung nach inzwischen heute geworden bin?
Ja, das will ich Ihnen sagen. Ich muß noch auf eine sehr schöne Geschichte zurückkommen. Ich habe vorgestern mit großem Interesse gelesen, daß Sie vor den Steuerberatern Ausführungen über das Stabilitätsprogramm gemacht und dort eine großartige Legende erfunden haben, die Sie auch dem Bundestag wieder verpaßt haben. Sie ist wirklich großartig. Sie haben behauptet, daß alles, was sich jetzt abspielt — die 3%ige Aufwertung in dieser gemeinsamen Aktion, der 17. Februar mit dem ersten Vorschlag und das Mai-Paket — eine große, geschlossene strategische Idee war. Meine Damen und Herren, das ist eine Legende, die wir etwas auflösen müssen.
Ich gebe Ihnen zu, daß die 3%ige Aufwertung eine entscheidende Rolle vor allem für Maßnahmen der Bundesbank wegen der Zinsfrage spielt. Aber Sie haben am 17. Februar mit all Ihren Kollegen geglaubt, die Maßnahmen von damals reichten aus,
und erst dann, als die Bundesbank ganz massiv eingriff, als die Sachverständigen in ihrem Sondergutachten eine Sprache führten, die man im allgemeinen von Wissenschaftlern nicht gewohnt ist — da wurde von Führungslosigkeit und von Skandal bei der Finanzplanung gesprochen —, haben Sie gehandelt und eine ganze Reihe von Vorschlägen aus diesem Gutachten übernommen, nur bei einigen Partien so, daß wir anderer Meinung sind. Das war doch keine große strategische Planung! Sie wurden überrascht von dem plötzlichen Preisanstieg im Monat April. Das war die Überraschung. Dann haben Sie Ihre Kräfte wieder zusammengefaßt. Ihre erste Voraussicht am 17. Februar ging nicht über den Tellerrand hinaus. So war die Wirklichkeit, und das ist kein geschlossenes Paket, das ist nicht innerlich harmonisch und strukturiert, sondern das ist Stück um Stück.
Nun unsere Haltung dazu. Ich habe gesagt, wir haben Stabilitätspolitik sogar in den Mittelpunkt unseres Wahlkampfes gestellt. Wir wurden draußen nicht so verstanden, weil die volkswirtschaftliche Aufklärung draußen leider nicht dieses Maß besitzt, wie wir es uns gemeinsam wünschen müßten. Wir nehmen kein Wort davon zurück. Aber daß wir so früh in einer so drastischen Form bestätigt würden, habe ich nicht geahnt. Ich habe gedacht, der Prozeß würde sich etwas fortsetzen und etwas länger dauern. Aber Sie haben auch im Frühjahr nichts unternommen und gewartet, bis es so heiß wurde und die Drohungen und Mahnungen der Bundesbank ausgesprochen wurden. Es wird immer gesagt, Sie gingen Arm in Arm mit der Bundesbank. Ich will Ihnen etwas sagen: Sie lassen die Bundesbank wie ein Aschenbrödel auf der Straße sitzen. Sie haben doch erklärt, Sie wollen ihr mehr Instrumente geben. Wo sind denn die Gesetze? Diese können Sie doch jeden Tag vorlegen! Wir werden Ihnen dabei helfen, daß die Bundesbank mehr Möglichkeiten erhält. So muß sie mit einem Instrumentarium, das für die währungspolitische oder preispolitische Seite allein nicht ausreicht, Ihnen Ihre Arbeit lange Zeit abnehmen, bis wir Stück für Stück langsam nachkommen. Das ist doch der Vorgang.
Nun unsere eigene Position dazu. Ich glaube, Sie nehmen es uns aus unserer eigenen stabilitätspolitischen Vergangenheit ab; wir waren die Musterknaben in ganz Europa und in der Spitzengruppe der Stabilität; das kann uns niemand bestreiten. Natürlich hat es auch, außenpolitisch bedingt, einmal in der Koreakrise und zum anderen im Jahre 1966 einige Schwierigkeiten gegeben. Wenn Sie die Linie durchziehen, sind das 2 % Preissteigerung. Das ist eine Spitzenleistung bei einem Neuaufbau.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte!
Herr Höcherl, würden Sie uns nach diesen vielen Ritten in die Vergangenheit sagen, ob Sie eine ungefähre Ahnung haben, wie hoch die Devisenreserven der Bundesbank im Jahre 1969 waren und wie hoch sie jetzt sind und woher das wohl kommt?
Es ist mir durchaus bekannt, wie hoch sie sind, aber Sie haben ja von 1970/71 bis heute nichts unternommen. Selbst die 20 Milliarden sind in wenigen Tagen hereingeflutet, und Sie konnten nichts ändern, obwohl das schon sichtbar war. Das spricht nicht für Sie, sondern für den Sinn unserer Warnung.Wir waren bereit, Ihnen damals zu helfen, und sind auch heute bereit, diese Dinge mitzutragen. Wir sind aber nicht bereit, meine Damen und Herren, ein Stabilitätsdiktat entgegenzunehmen, wie es Ihnen beliebt.
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1984 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
HöcherlWir sind bereit, mit Ihnen einen Stabilitätspakt zu schließen, nicht draußen, sondern hier mit Ihnen.Wir haben uns jedem zeitlichen Druck gefügt; das wird niemand bestreiten. Wir haben auf alle Möglichkeiten der Fristeinrede verzichtet. Wir haben in den Beratungen auch Gegenvorschläge gemacht.Und jetzt kommt ein interessanter Fall, der heute x-mal abgehandelt wurde. Es geht um die vermögensbildende Verwendung dieser Reserven. Hat nicht Bundesminister Friderichs erklärt, daß ein Kabinettsbeschluß vorliegt, wonach Sie diese Mittel vermögensbildend anlegen wollen? Das hat er hier vor wenigen Stunden erklärt. Wenn das schon so ist und wenn wir in dieselbe Richtung gehen, warum soll es dann nicht möglich sein, mit den Arbeitskräften aus Ihrem Bereich eine in diese Richtung zielende Entwicklung zugunsten der Kleinverdiener und der Sparer einzuleiten? Sie waren nicht dazu bereit. Sie wollen diktieren, wie wir das in den Ausschüssen leider immer wieder erleben. Früher ging es im Finanzausschuß quer Beet über alle Parteien hinweg, der Sache entsprechend. Nein, heute wird nach der Fahne abgestimmt, selbst wenn für uns oder gemeinsam mit uns argumentiert wird.Wir sind bereit — die Abstimmungen haben es gezeigt —, den größten Teil mit Ihnen zu tragen. Und ich erkläre hier für meine Fraktion folgendes: Das ist nicht die letzte Beratung, die darüber stattfindet. Noch kommt der Bundesrat, und es wird einen Vermittlungsausschuß geben. Ich hoffe sehr, daß Sie sich wenigstens dann entschließen können, bei der Frage der Stillegung vernünftige Konzessionen zu machen und einen gemeinsamen Weg zu finden, um sich von dem Verdacht zu reinigen, daß Sie dieses Geld für heute noch nicht öffentlich bekannte Ausgaben, von denen Sie bereits wissen, daß sie auf Sie zukommen, oder für die bekannten Gefälligkeiten 1975 und 1976 verwenden wollen. Reinigen Sie sich von diesem Verdacht, stimmen Sie einer Lösung zu, nach der die Stillegung so vereinbart wird, daß auch wir bei der Freigabe mitbestimmen können und die Korrektheit des Verfahrens mit unter Kontrolle halten.Was nun die Frage der Bezieher kleiner Einkommen betrifft, so waren wir nie für einen Konjunkturzuschlag in der Form, wie er im Gesetze steht, weil das aus den Gründen, die Sie auch genannt haben, nicht mehr möglich ist, weil die Preissteigerungen solche Formen angenommen haben, daß dieser Personenkreis nicht mehr durch ein Zwangssparen strapaziert werden darf. Aber wer aus persönlichen Gründen freiwillig sparen kann, dem sollten wir, um einen zusätzlichen Effekt zu erzielen, eine kräftige Prämie aus den Mitteln geben, die hier aufkommen.Darüber hinaus bitten wir sehr darum — das wird in einer Entschließung niedergelegt —, daß Sie auch die Steuermehreinnahmen über die vorgesehene Abdeckung und die Schätzung hinaus in einer Konjunkturausgleichsrücklage festlegen.Was den Haushalt betrifft, so haben Sie längere Ausführungen gemacht, und Sie haben unserer Fraktion vorgeworfen, sie hätte Erhöhungsanträgen zugestimmt. Das ist, was den Innenausschuß angeht,richtig, und es gibt auch noch den einen oder anderen weiteren Antrag. Wir werden uns bemühen, diese Anträge mit einer angemessenen Deckung auszustatten, und wir werden uns bemühen, im Rahmen dieser Stabilitätspolitik zu bleiben. Aber Sie können uns nicht vorschreiben, daß nur Ihre Prioritäten Geltung haben und daß wir kein Recht haben, andere Prioritäten vorzuschlagen. Darum geht es doch.
Wenn Sie von der bisherigen Methode abgehen, einfach zu diktieren, sind wir bereit, dieses ganze Paket - dem größten Teil stimmen wie sowieso zu; es geht nur um diese beiden Fragen - mit Ihnen zu tragen und mit Ihnen einen gemeinsamen Weg zu gehen, obwohl es viele Zweifel gibt. Ich nenne z. B. die Investitionssteuer. Die Frage ist, ob sie wirkt, ob sich nicht der Export, der davon gar nicht betroffen ist, verstärkt und ob das alles nicht schon zu spät ist.Es ist auch nicht richtig, Herr Schmidt, zu sagen, daß Sie vor dem 3. März nicht andere Maßnahmen hatten treffen können. Eine ganze Reihe von Maßnahmen aus diesem Bündel war durchaus auch schon am 17. Februar vorzuschlagen. Damals haben Sie gemeint, es. geht mit weniger. Sie haben sich verschätzt, Sie haben sich geirrt. Das kann jedem passieren, aber nicht in so kurzer Zeit und nicht so kräftig und nicht so, daß die Allgemeinheit so schwere Folgen zu tragen hat. Wenn Sie bereit sind, mit einer kleinen, vernünftigen Konzession - vielleicht im Vermittlungsausschuß, in dem wir uns wieder damit zu befassen haben — mit uns in einer gemeinsamen Sache zu paktieren und den Stil, zu diktieren, aufgeben, sind wir bereit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Offergeld.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bilde mir nicht ein, in dieser Debatte, die schon sehr stark ausgeufert ist, noch neue Argumente vortragen zu können. Es geht mir trotz der liebenswürdigen Art von Herrn Höcherl darum, festzustellen, daß auch er hier keine Alternative der Opposition geboten hat, daß er vielleicht die Vorschläge der Opposition um eine weitere Variante erweitert hat. Wir wissen bis zum jetzigen Zeitpunkt also nicht, woran wir mit der Opposition sind.Sie fordert ständig Maßnahmen der Regierung, sie solle etwas vorschlagen, was mehr Stabilität bringt. Wenn diese Maßnahmen vorgeschlagen und von uns im Parlament unterstützt werden, spricht Herr Höcherl von einem Diktat. Wir haben eine ganze Reihe von Vorschlägen der Opposition gehört. Wir würden gern heute noch wissen, was eigentlich verbindlich ist. Ist das pathetische Angebot zur Kooperation von Herrn Kohl verbindlich, ist verbindlich, was Herr Schäfer gemeint hat, ist verbindlich, was zunächst im Finanzausschuß gesagt wurde, was man aber nach der miserablen Vorstel-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1985
Offergeldlung, die man damit auch vor den Sachverständigen gegeben hatte, zum Teil gar nicht mehr zur Abstimmung stellte, oder ist verbindlich, was Herr Höcherl heute gesagt hat? Die Opposition verwickelt sich laufend in Widersprüche. Ihr ganzes Programm ist widersprüchlich und ist, wo man auch hinfaßt, geeignet, das, was die Bundesregierung vorgeschlagen hat, in seiner Wirksamkeit herabzusetzen. Das gilt für den rückzahlbaren und verzinsbaren Konjunkturzuschlag, über den man, wie ich glaube, nach den Erfahrungen, die wir vor einigen Jahren gemacht haben, nicht mehr ernsthaft diskutieren kann. Das gilt auch für die zusätzliche Sparförderung. Die Argumente dagegen sind hier schon mehrfach genannt worden. Das würde nur zu einer Umschichtung und zu einer neuen Belastung der Haushalte führen. Ich wundere mich über Herrn Narjes, der in einem Atemzug mehr Haushaltseinsparungen verlangt und davon spricht, man müßte die Sparförderung verstärken. Ich glaube, auch Ihnen müßte bekannt sein, daß schon heute die Ausgaben dafür weit über 8 Milliarden DM liegen.Die Opposition widerspricht sich selbst, wenn sie ständig nach Subventionsabbau ruft und dann jede einzelne Maßnahme ablehnt, z. B. bei den Investitionszulagen, wo es uns nur darum geht, die Investitionszulagen auf das zu reduzieren, was das Parlament in der GroßenKoalition 1968/69 eigentlich wollte. Damals sind wir den falschen Zahlen von Franz Josef Strauß aufgesessen. Da wurde von 890 Millionen DM für die Jahre 1970 bis 1972 gesprochen; wir haben jetzt für diesen Zeitraum 1,3 Milliarden DM. Es geht uns nur darum, diese Summe auf das zu reduzieren, was die Parlamentarier im Auge hatten. Schon dagegen wehren Sie sich. Wenn es um die Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen als Sonderausgaben geht, so weiß jedermann, daß dies Ausgaben sind, die hauptsächlich für den Konsum verwendet werden. In den letzten Jahren haben die Kredite, die über die Sonderausgaben finanziert werden, die ungeheure Steigerungsrate von rund 60 %. Einerseits verlangen Sie Maßnahmen gegen die Steigerung des Konsums, sind aber andererseits nicht bereit, hier die Streichung der Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen als der Sonderausgaben zu akzeptieren.
— Sie haben hier zugestimmt; aber ich darf Sie darauf aufmerksam machen — Herr Häfele, das führt wieder auf die andere Frage zurück —, daß Ihr Parteifreund Stoltenberg in seinem Antrag im Bundesrat das wieder streichen will. Da taucht wieder die Frage auf, was bei Ihnen eigentlich verbindlich ist. Sie können immer sagen: da sind wir dafür, und ein anderer ist dagegen. Das ist die Schwierigkeit, mit der wir uns ständig auseinanderzusetzen haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Herr Offergeld, ist Ihnen nicht bekannt, daß Ihnen das Angebot der Opposition in der zweiten Lesung dieses Gesetzes auf den Tisch gelegt worden ist? Das sind die Angebote, und die sind hier niedergestimmt worden.
Ja, das Angebot, das Herr Höcherl gemacht hat, lautete schon wieder etwas anders, und der Antrag von Herrn Stoltenberg, der ja wohl auch zu Ihrer Partei gehört, im Bundesrat ist auch wieder anders.
Wenn sich einer von Ihnen, der Autorität hat — man fragt sich, wer — einmal hier hinstellen und sagen würde, was nun gilt, wären wir dafür dankbar.
Wir stimmen dem Stabilitätsprogramm der Bundesregierung zu. Wir glauben, es ist durchaus ausgewogen und geeignet, die Schere in der Einkommensentwicklung, die vom Sachverständigenrat prognostiziert wird, zu korrigieren. Die Zahlen sind in der Tat erstaunlich. Ich darf sie noch einmal in Erinnerung rufen. Nach der Prognose der Sachverständigen werden im zweiten Halbjahr die Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit um 24,5 % steigen, die aus Arbeitnehmertätigkeit um nur 10 %. Wir glauben, daß dieses Programm genau an der richtigen Stelle ansetzt. Wir glauben auch, daß die öffentlichen Haushalte, was den Bund betrifft, ihren Beitrag geleistet haben und in diesem Jahr noch leisten werden. Wir meinen allerdings auch, daß wir mit den Ausgabebeschränkungen an die Grenze des Ertragbaren gegangen sind. Wir sehen keine Möglichkeiten zu weiteren Streichungen, die nicht mittel- und langfristig schwere gesellschaftliche Schäden zur Folge haben würden. Wir müssen immer wieder darauf hinweisen, daß Haushaltspolitik nicht nur Ausgabenbeschränkung heißt, sondern daß Haushaltspolitik auch auf der Einnahmenseite ansetzen kann. Diesen zweiten Weg haben wir gerade mit diesem Programm zu gehen versucht. Wir werden diesem Programm zustimmen.
Es wird innerhalb einer Frist von zwölf Monaten — so die Schätzung der Bundesbank — zu einem Liquiditätsentzug in Höhe von 15 Milliarden DM führen. Wir versprechen uns durchaus keine Wunder, insbesondere was die zeitliche Wirksamkeit anlangt. Wir sind aber sicher, daß dieses Programm bis zum nächsten Frühjahr wirken wird, daß die Bremsen ziehen werden. Es bleibt uns nur der Wunsch, daß der Bundesrat parteipolitische Überlegungen hinter Überlegungen des Gemeinwohls zurückstellt, so daß wir zu einer möglichst baldigen Verabschiedung dieses Programms kommen werden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff.
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1986 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Auf die Einzelheiten der hier zur Verabschiedung stehenden Gesetzentwürfe ist in der zweiten Lesung ausführlich eingegangen worden. Ich will deswegen nur zu einzelnen Schwerpunkten sprechen, zu denen, wie ich glaube, noch die eine oder andere Bemerkung gerechtfertigt und notwendig ist.Zunächst einmal bin ich dem Herrn Bundeswirtschaftsminister dafür dankbar, daß er, um jeder Form der Legendenbildung vorzubeugen, noch einmal klar gemacht hat, daß es nicht der einseitige Wunsch der Gewerkschaften gewesen ist, einen generellen Konjunkturzuschlag nicht einzuführen, sondern daß uns mehrere entscheidende Gruppen, insbesondere auch die Arbeitgeber, dringlich gebeten haben, von einer solchen Maßnahme Abstand zu nehmen, die — ich wiederhole das — die Kauf- und Konsumkraft nach meiner persönlichen Ansicht natürlich besser abgeschöpft hätte.Herr Kollege Narjes hat von dem „Abenteuer der Stabilitätsabgabe" gesprochen. Ich weiß nicht, ob er im Augenblick im Saal ist. Seine Abenteuerlust ist doch auf recht einfache Weise zu befriedigen. Ich nehme an, diese Bemerkung wird seinem konservativen Selbstverständnis nicht zu nahe treten.Herr Pieroth, ein Wort zu den Bemerkungen, die Sie abqualifizierend zur Frage der Vermögensbildung gefunden haben. Sie sprachen von „Wasser bis zum Halse" und „Etikettenschwindel". Es hat mich amüsiert, daß ausgerechnet Sie diese beiden Bilder benutzten. Sie kamen zu einer Ablehnung der Vermögensbildung auf dem Fondswege und bezeichneten ein solches Vermögen als zweitrangiges Vermögen. Ich darf noch einmal deutlich machen — ich glaube, ich bin da in den letzten Wochen auch in der Öffentlichkeit nicht mißverstanden worden —, daß wir mit Lösungen über einen zentralen Fonds nichts im Sinne haben. Aber ich warne noch einmal davor, die Fonds-Lösung, an der sich Millionen von Sparern zum Zwecke der Beteiligung am Produktivvermögen beteiligt haben, schlichtweg als eine zweitrangige Form der Vermögensbildung darzustellen. Damit versachlichen Sie die Argumentation nicht. Es ist die technisch am besten entwickelte Form einer solchen Beteiligung. Solange Sie uns keine bessere, zweckmäßigere und billigere Lösung anbieten können, sollten Sie bei der Verurteilung dieser Form Zurückhaltung üben.Die Investitionssteuer wird nach der Schätzung des Bundeswirtschaftsministeriums in den nächsten 12 Monaten einen Investitionsverzicht von 10 bis 20 0/o mit einer Summe von 4 bis 7 Milliarden DM bewirken. Ich glaube, daß dies eine einschneidende, aber auch ausreichende und angemessene Wirkung zeitigen wird. Wir müssen den Appell an die Wirtschaft wiederholen, diese Investitionseinschränkung nicht damit zu beantworten, daß nun in übertriebenem und verstärktem Maße das, was hier ausfällt, im Export kompensiert oder gar überkompensiert wird; denn über die Problematik der Exportlücke sind wir uns durchaus im klaren.Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie diese Problematik sehen und sie uns kritisch vorhalten, müssen Sie uns sagen, wie wir sie schließen sollen, ohne unangenehme, meist spekulative Nebenwirkungen damit zu erzeugen. In meinen Augen gibt es kein brauchbares und schon gar kein markt- und ordnungspolitisch vertretbares Argument.
— Selbstverständlich dürfen Sie darauf hinweisen, nur sollten Sie uns gleichzeitig sagen, wenn Sie das als einen kritischen Tatbestand empfinden, wie das geändert werden kann.
- Sie wissen es auch nicht, dann sind wir uns einig in diesem Punkte.Der Herr Bundesfinanzminister hat darauf hingewiesen, daß sich die Investitionssteuer eigentlich dann als gerechtfertigt und richtig erweist, wenn sie einen möglichst niedrigen Ertrag bringt. Dem stimme ich zu, will gleichzeitig aber hinzufügen, daß dieser niedrige Ertrag nicht durch Umgehungen bewerkstelligt werden sollte. Man hört im Lande gelegentlich davon.
— Herr Kollege Stücklen, Sie sind sich darüber im klaren, daß die Umgehungen, die ich angesprochen habe, versucht werden. Das ist im Gefolge jeder Kontrollmaßnahme möglich und häufig der Fall. Sie fordern zu Umgehungen heraus. Wir sollten aber darum bitten und dazu auffordern, daß das nach Möglichkeit unterbleibt.Ich bin im Hinblick auf die konjunkturpolitischen Erfordernisse der Exportsituation ausgesprochen dankbar dafür, daß sich die Bundesregierung bei dem Besuch, der uns in den letzten drei Tagen in Bonn beehrt hat, konjunkturpolitisch richtig und verantwortungsbewußt verhalten und nichts getan hat, was diesen Bestrebungen entgegenstehen würde.Ein Wort noch zum Vorschlag zu § 7 b, der allgemein akzeptiert wird. Sie wissen, daß heute 44 % des Wohnungsbaus in dieser Form steuerlich gefördert werden. Ich möchte mit aller Deutlichkeit sagen, daß wir der Ansicht sind, daß die Kreditverteuerung und die Kreditverknappung auf dem Baumarkt wahrscheinlich eine sehr vie] bedeutendere und wichtigere Wirkung und einen größeren Einfluß haben werden als die Aussetzung der steuerlichen Vergünstigungen. Sie können schon heute kaum noch eine Bauzwischenfinanzierung bekommen, und wenn Sie sie bekommen, können Sie sie kaum noch bezahlen.Ich darf mir im Zusammenhang mit der Veränderung der steuerlichen Erleichterungen beim Bauen die Bemerkung erlauben, daß sich nun klar herausstellt, daß das seinerzeit aus wohlverstandenen und berechtigten Gründen eingeführte Prinzip der Gemeinnützigkeit bei den Wohnungsbaugesellschaften jetzt zu Wettbewerbsverzerrungen führen kann.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1987
Dr. Graf LambsdorffUnd ob erworbene Rechte heute noch wohlbehütete Rechte sein müssen, dies kann zumindest im Hinblick auf den Steuerausfall gefragt werden. Ich bin mir über die personellen Verquickungen auf diesem Sektor auf allen Seiten unserer politischen Wirklichkeit durchaus im klaren und erwarte persönlich kein freundliches Echo auf solche Bemerkungen.
Warum eigentlich das Ganze? Das sollte doch bei der Diskussion über die vielen Einzelheiten heute noch einmal gesagt werden. Eben deswegen, weil ein nachhaltiger Inflationsprozeß in Größenordnungen, wie wir sie jetzt haben, und vielleicht mit noch etwas höheren Zahlen, diese Marktwirtschaft ohne jeden Eingriff der berüchtigten Systemveränderer ruiniert.Weil das so ist und weil es hier wirklich darum geht, an dieser Grundordnung festzuhalten und sie zu bewahren, habe ich wenig Verständnis, Herr Warnke, für die partikularen Argumente, die Sie aus sehr regionaler Sicht vorgetragen haben, die ich aber mit Herrn Höcherl so klassifizieren würde, daß sie nicht über den Tellerrand hinausgehen. Partikularinteressen müssen in dieser Situation zurücktreten.
Auch Länderinteressen sind Partikularinteressen, sind Teilinteressen. Daran sollten sich die Länder im Bundesrat erinnern. Ich wiederhole, daß es mir hier nach der Methode zu gehen scheint: „Mit 5 % sind wir dabei." Ich bin sehr gespannt, Herr Kollege Höcherl, ob, falls wir im Vermittlungsausschuß zu einer einvernehmlichen Regelung über die Frage der 5% oder der 43 % kommen, das lebhafte Interesse an einer anderen Form der Stillegung bei den Ländern, die von der CDU/CSU regiert werden, noch so virulent ist wie heute. Wir werden sie in dieser Frage, falls es dazu kommt, beim Wort nehmen.Die Betonung, daß hier Partikularinteressen ausscheiden müssen, ist nicht, wie der „Spiegel" neulich behauptete, groß-deutsches Pathos, sondern schlichtweg bundesdeutscher Realismus. Wir sollten die Inflationsbefürchtungen, die in unserer Bevölkerung und in unserem Lande auf Grund geschichtlicher Erfahrungen immer groß gewesen sind, nicht als eine Last, sondern als eine Hilfe für die Politik betrachten, als eine Hilfe nämlich in dem Sinne, daß wir Verständnis für unsere Maßnahmen finden können.Wir erwarten die Mitwirkung aller Betroffenen, sowohl der Wirtschaft, insbesondere auch der Kreditwirtschaft, wie aber auch der Tarifpartner. Dies ist keine unbillige und phantastische Forderung, keine Bitte eines Parzivals, sondern es ist die Aufforderung, jetzt mitzumachen, jetzt mit uns gemeinsam zu handeln in der Erkenntnis - und das ist eine sehr geschäftliche und nüchterne Erkenntnis —, daß es aller Voraussicht nach billiger ist, jetzt mitzumachen, weil es ohne Bereitschaft zur Mitarbeit hinterher schlimmer ist, die größere Zeche bezahlen zu müssen.Lassen Sie mich noch einmal ein Wort zu den Inflationsursachen sagen. Das ist zwar immer wiederholt worden, aber ich befürchte, daß Ihre Argumentation, meine Damen und Herren von der Opposition, dazu beiträgt, daß nach wie vor Verwirrung angerichtet wird und Verwirrung bestehenbleibt. Darf ich mit Erlaubnis der Frau Präsident noch einmal zitieren, was Herr Kollege Narjes in der vorigen Sitzung des Bundestages, in der wir diese Themen behandelt haben, dazu gesagt hat:Immer war jemand anders schuldig, nur nicht die Regierung. Man suchte den Täter der Inflation in Vietnam oder an den Schreibtischen obskurer Spekulanten, jedenfalls nicht da, wo er tatsächlich gesessen hat.
— Meine Damen und Herren, ich freue mich, daß ich Ihnen Gelegenheit gegeben habe, Ihren Beifall zu wiederholen. - Ich weiß nicht, Herr Kollege Narjes, ob Ihr schlechtes Gedächtnis hierbei eine Rolle spielt, ob Sie auf das schlechte Gedächtnis der Offentlichkeit spekulieren oder ob Sie uns ein schlechtes Gedächtnis unterstellen.
Jedenfalls haben wir von dieser Stelle aus nicht gesagt, daß die Schuld an dieser Entwicklung allein und einzig außerhalb unserer Grenzen zu suchen sei.Wir haben allerdings wohl gesagt — und ich wiederhole das —, daß die Hauptursache für diese inflationäre Entwicklung weltweit zu suchen ist. Dies ist richtig, und dies bleibt richtig, auch wenn Sie es noch so häufig bestreiten.
Es hat noch niemals einen Krieg gegeben, Herr Wagner, der nicht Inflation im Gefolge hatte. Es hat noch niemals einen Weltkrieg gegeben, der nicht Weltinflation in Gefolge hatte. Währungspolitisch ist der Vietnamkrieg ein Weltkrieg mit weltweiten Inflationsfolgen gewesen. Dabei müssen wir uns darüber im klaren sein, daß die Nachkriegsinflationen meist noch schwieriger und gefährlicher waren als die eigentliche Kriegsinflation. Hüten wir uns nur davor — und betrachten wir mit aller Sorgfalt die Entwicklung —, daß wir auch noch die Nachkriegsrezession bekommen!Damit sind wir beim außenwirtschaftlichen Problem. Ich kann dem Herrn Bundesfinanzminister nur zustimmen, wenn er seine Befriedigung und seine Zuversicht über das weitere Funktionieren des Floatens im Block ausgesprochen hat. Ich glaube, es wäre an der Zeit, daß wir unser Vertrauen und unsere Zuversicht in dieses Block-Floaten auch dadurch zum Ausdruck bringen, daß wir im Rahmen des Blocks die Kapitalverkehrskontrollen — ohnehin eine Absicht der Bundesregierung, die aber zunächst einmal wegen der internationalen Abmachungen aufgeschoben werden mußte — aufheben. Sie sind nicht nötig. Sie sind im wesentlichen auch nicht überprüfbar. Denn wenn wir sie wirklich ernsthaft überprüften, würde dies nicht nur Kontrollen in unserem Lande bedeuten, sondern Sie müßten Polizei oder Bundesgrenzschutz — ich will mich hier
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1988 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Dr. Graf Lambsdorff„Kuhlmann-neutral" ausdrücken — nach Hongkong, Luxemburg oder auf die Bahamas schicken. Die ganze Welt können wir aber nicht kontrollieren, und das will auch niemand.Aber die Lösung des außenwirtschaftlichen Problems, Herr Kollege Höcherl, rechtfertigt nicht Ihre Darstellung, wir hätten die Bundesbank wie ein Aschenbrödel sitzenlassen. Wer hätte noch vor zwei Monaten überhaupt zu prophezeien gewagt, daß die Maßnahmen der Bundesbank in einem Ausmaß wirken würden, wie wir es in den letzten Wochen und Monaten erlebt haben und wie wir es auch in Zukunft erleben müssen? Denn eine harte Kreditpolitik der Deutschen Bundesbank ist nach übereinstimmender Auffassung dieses Hauses, wie ich glaube feststellen zu können, eine der wesentlichen, ,der entscheidenden Voraussetzungen für das Funktionieren dieser Politik.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang bitte eine Bemerkung zu der jüngsten Anregung machen, wir sollten die D-Mark aufwerten. Sie wissen, daß diese Anregung vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung gekommen ist. Ich kann dazu nur sagen — ich möchte das in aller Deutlichkeit und, wie ich glaube, auch mit der gebotenen Schärfe tun —, daß diese Ratschläge aus dem Elfenbeinturm sind, mit denen wir politisch überhaupt nichts anfangen können, weil eine einseitige Aufwertung der D-Mark im gegenwärtigen Zeitpunkt politisch völlig unvertretbar ist. Aufwertungen in der Vergangenheit — darüber müßten wir einmal nachdenken — haben die Strukturveränderungen der deutschen Wirtschaft, die wahrscheinlich notwendig sind, nämlich die Strukturveränderung eines ursprünglich rein exportorientierten Landes zu einem Land, das außerhalb seiner Grenzen Produktionsstätten errichtet, nicht bewirkt. Sie haben eines jedenfalls bewirkt — natürlich nicht nur dieses —: sie haben die berühmte dynamische Rente für Ölscheichs zur Folge gehabt. Das kann aber nicht Ziel unserer Währungspolitik sein.Die notwendigen Strukturveränderungen, die ich soeben kurz angedeutet habe, sollten eines mit sich bringen: sie sollten uns Anlaß geben, das Problem der multinationalen Unternehmungen, deren Schwierigkeiten mir durchaus geläufig sind und auch nicht heruntergespielt werden sollen, emotionsfrei zu sehen und zu behandeln. Eine Bestandsaufnahme ist notwendig. Denn wenn wir die deutsche Industrie auffordern, draußen zu investieren, also multinational zu werden — in Amerika wird eben das Volkswagenwerk als ein multinationales Unternehmen angesehen; man versteht darunter nicht nur diejenigen Unternehmen, die bei uns tätig sind —, dann müssen wir dafür sorgen, daß nicht psychologische Barrieren aufgebaut werden, bevor das überhaupt angefangen hat. Noch einmal: was zu untersuchen und zu kritisieren ist, muß kritisiert und auch abgestellt werden, aber sachbezogen und emotions-frei.Wir warnen erneut davor, den Erfolg der Maßnahmen, die wir jetzt beschließen, schon im Jahre 1973 zu erwarten. Sicherlich werden wir es erst 1974 erleben, daß sie wirklich greifen. Dies berechtigt HerrnKollegen Narjes aber nicht zu der Äußerung, wir hätten jetzt 7,5 % Preissteigerungen, und wenn wir uns im Herbst hier wieder versammelten, lägen sie bei 8,5 %.
Herr Narjes, Sie wissen, daß Psychologie und Inflationsmentalität bei diesen Vorhaben eine entscheidende Rolle spielen. Wie können Sie dann hier im Bundestag eine solche Prophezeiung wagen?
— Herr Kollege Wagner, das ist keine Frage des Vertrauens in die Regierung, sondern das ist eine Frage des Vertrauens in die wirtschaftliche Entwicklung. Wenn das Vertrauen zur Regierung und zur wirtschaftlichen Entwicklung, die uns alle angeht, nicht nur die Regierung, nicht nur die Opposition, nicht nur die Wähler der Regierung, nicht nur die Wähler der Opposition, von vornherein in Frage gestellt wird, so fehlt mir für eine derartige Äußerung zu diesem Zeitpunkt jegliches Verständnis.
Wir werden im Lande zwar von vielen Seiten kritisiert — das ist das gute Recht jedes einzelnen —; aber nach dieser Kritik folgt eigentlich immer die Bemerkung: Wirken wird die Sache wohl. Das scheint mir ein besserer Beweis dafür zu sein, daß wir eine ausgewogene Maßnahme vorschlagen, als die partikulare Kritik, die aus der einen oder anderen Richtung von dem einen oder anderen von Ihnen vorgebracht wird.Ich möchte aber nicht versäumen, in diesem Zusammenhang doch noch einige Bemerkungen über die Rolle der Opposition in der Debatte der letzten Wochen zu machen. Frau Funcke hat Ihnen heute morgen, wie ich meine, überzeugend dargelegt, welchen Eiertanz Sie aufgeführt haben, um die Stabilitätsabgabe anders, aber unpraktikabel gestalten zu können. Sie haben dabei das Ei des Kolumbus, das stehenbleibt, eben nicht gefunden. Das Ei fällt immer wieder um und zerbricht. Wir sind Eiertänze von Ihnen gewöhnt. Ich möchte mir hier abseits von meinem Fachgebiet folgende Bemerkung erlauben. Ihr Fraktionsvorsitzender hat heute morgen in der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Grundvertrages einen Eiertanz aufgeführt, der wirklich klassisch ist. Er wird wahrscheinlich daran gemessen werden, wie viele solcher Eiertänze er in den nächsten Monaten erfolgreich bestehen kann, ohne allzuviel zu zerbrechen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1989
Dr. Graf Lambsdorff— Herr van Delden, ich habe im Augenblick von Eiern und nicht von Steinen gesprochen. Eier sind zerbrechlicher als Steine.Wo ist eigentlich die Opposition gewesen, als heute vor zweieinhalb Wochen deutlich wurde, daß die Voraussagen des Jahreswirtschaftsberichtes überholt sind und daß die Preissteigerungsraten höher gewesen sind, als wir es ursprünglich erwartet hatten? Meine Damen und Herren, dies hätte für Sie doch eigentlich der Anlaß zu einem oppositionellen Freudenfest sein müssen. Was haben Sie statt dessen betrieben? Ein innerfraktionelles Schlachtfest!
— Meine Damen und Herren, wir können uns gern darüber unterhalten, wer in welcher Form geschlachtet worden ist; aber ich weiß nicht, ob Sie das interessant finden.
Ich möchte nur gern wissen, wo in dieser Situation Ihre konkreten Vorschläge geblieben sind? Es gibt Mitglieder Ihrer Fraktion, die mir gesagt haben: Jetzt wären wir eigentlich dran, unsere Vorschläge auf den Tisch zu legen, mit denen wir die Regierung unterstützen und deren Stabilitätspaket verbessern und vorwärtstreiben können. — Wo sind diese Vorschläge geblieben? Herr Kollege Narjes, was kam von Ihrer Seite? Herr Müller-Hermann, ich freue mich, daß Sie — Sie sind ja Vorsitzender des Arbeitskreises „Wirtschaftspolitik" Ihrer Fraktion — heute zum erstenmal an dieser Stelle in den wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen dieser Wochen das Wort ergreifen werden. Wo sind die Vorschläge, die die Opposition hätte machen können? Was ist denn, z. B. auch von dem verhinderten Schatzkanzler Franz Josef Strauß, gekommen?
Fehlanzeige auf der ganzen Linie!Ich will aber nicht ungerecht sein, meine Damen und Herren.
— Herr van Delden, es hat einen Vorschlag gegeben. Es hat den Vorschlag des saarländischen Wirtschaftsministers Schäfer gegeben. Dieser Vorschlag wurde veröffentlicht. Er sah nur dem sehr ähnlich, was die Regierung vorgeschlagen hatte. Herr Schäfer hat mit seinen konkreten Vorschlägen, die schnell wieder zurückgezogen worden sind, eines bewiesen, nämlich daß wir in diesem Parlament — das beweisen auch seine übrigen Veröffentlichungen — eine Bereicherung der wirtschaftspolitischen Debatte bekommen hätten, wenn die Schatzkanzlerambitionen von Herrn Franz Josef Strauß es nichtmit sich gebracht hätten, daß Herr Schäfer nicht hier ist.
— Nein, Herr Stücklen, ich habe keinen schlechten Traum gehabt. Ich hatte den Wunsch, mit Herrn Schäfer hier diskutieren zu können. Dies ist aber verhindert worden. Ich habe den Wunsch, mit jemandem zu diskutieren, der zum richtigen Zeitpunkt schnell und reaktionsfähig konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt hat, die wirklich Hand und Fuß gehabt haben, wobei man über die Einzelheiten wie über alles natürlich sprechen kann.
Herr Kollege Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmöle?
Bitte sehr!
Herr Kollege, sind Sie der Meinung, daß Sie die Fehlleistungen der Regierungspolitik auf dem Gebiet der Stabilität dadurch verwischen können, daß Sie auf Nebenkriegsschauplätze ausweichen?
Herr Kollege, wenn ich es recht sehe, bin ich mitten im Gebiet der Stabilitätspolitik.
Wenn Sie die Frage der wirtschaftspolitischen Diskussion und der Kapazität, mit der sie betrieben wird, als Nebenkriegsschauplatz bezeichnen, so ist das Ihre Sache. Mir scheint, wir befinden uns durchaus auf dem Hauptkampfplatz.
Meine Damen und Herren, statt kritisch mitzuarbeiten, wie wir es uns gewünscht hätten, haben Sie sich bemüht, der Regierung alle Knüppel zwischen die Beine zu werfen, die Sie nicht gerade brauchten, um 'Ihre internen Auseinandersetzungen damit zu führen.
Wir können nur hoffen, daß wir jetzt auf dem Weg über den Bundesrat zu einem tragbaren und brauchbaren Ergebnis kommen. Denn das eine steht für meine Freunde und mich fest: Die CDU/CSU-Fraktion in diesem Hause hat keine brauchbare Alternative zur Wirtschafts- und Finanzpolitik der sozialliberalen Koalition, ja, mehr noch: sie ist auch keine brauchbare Alternative.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller-Hermann.
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1990 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich vor, meine Schlußbemerkungen mit der Feststellung zu beginnen, daß sich Koalition und Opposition bei der Beurteilung der konjunkturpolitischen Situation und dem, was not tut, nähergekommen sind, weil inzwischen, wie ich meine, wohl auf allen Seiten der volle Ernst und die Bedeutung der Entscheidungen klargeworden sind, vor die wir heute durch eine Entwicklung gestellt sind, für die ja in erster Linie die Regierung und die Koalition die Verantwortung tragen.
Sehr verehrter Herr Kollege Graf Lambsdorff, der ich Sie sehr schätze,
ich muß Ihnen sagen, daß das, was Sie hier eben vorgetragen haben, eine Überheblichkeit, einen Hochmut aufweist, zu dem diese Regierung und die Koalition, auch die sie mittragende FDP, weiß Gott keinen Anlaß haben.
Die Verantwortung für unseren Staat und auch die Verantwortung für die inflationäre Entwicklung trägt diese Bundesregierung. Stabilität beginnt zu Hause, beginnt im eigenen Land, unabhängig davon, daß niemand bestreitet, welch großes Gewicht auch die außenwirtschaftlichen Verzahnungen unserer Volkswirtschaft haben. Die Stabilität beginnt zunächst einmal bei der politischen Führung, meine Damen und Herren, und das ist eben in erster Linie eine Frage des Vertrauens.Wenn wir so sehr beklagen, daß es in unserem Lande so etwas wie eine Inflationsmentalität gibt, weil eben jeder schon die Preissteigerungs- und Geldentwertungsquoten der vor uns liegenden Zeit einkalkuliert — das ist bei den Unternehmern, den Gewerkschaften, den Verbrauchern und den Bauwilligen so —, dann ist das letztlich darauf zurückzuführen, daß diese Regierung bisher jedenfalls keinen überzeugenden Anlaß dafür geboten hat, daß die Menschen darauf Vertrauen haben, daß ernsthafte, gewichtige, durchgreifende und entschlossene Bemühungen angestellt werden, den Geldwert wieder zu stabilisieren. Das sind die Fakten, von denen wir auszugehen haben.
Ich wiederhole, was alle meine Vorredner, unsere Fraktion und unsere Parteien in den letzten Wochen mehrfach betont haben: Wir sehen in Ihren Maßnahmen, die Sie jetzt zur Entscheidung vorgelegt haben, zum erstenmal einen ernsthaften Schritt in die richtige Richtung. Die Kritik der Opposition am Regierungsprogramm hat sich ja auch heute auf ganz wenige, im Grunde auf zwei fundamentale Punkte beschränkt, von denen wir annehmen, daß sie der Einsicht der Koalition entsprechen müßten und daß sie daher auch revidiert werden könnten, wenn bei Ihnen nur der nötige Wille besteht.Diese beiden fundamentalen Punkte will ich noch einmal ganz kurz und präzise zusammenfassen.Erstens. In Übereinstimmung mit allen Sachverständigen, mit den wirtschaftswissenschaftlichen Instituten und mit der Bundesbank gehen wir davon aus, daß die Abschöpfung von Verbrauchernachfrage allein über die Erfassung von 800 000 Haushalten nicht weit genug geht. Deshalb zielt unser Vorschlag, von dem ich allerdings zugebe, daß er technisch noch besser ausgefeilt werden müßte, darauf ab, durch zusätzliche Anreize einen freiwilligen Konsumverzicht in den breiten Schichten der Bevölkerung zu bewirken, um damit nach unseren Berechnungen etwa 4 Milliarden DM Verbrauchernachfrage zusätzlich abzuschöpfen, und das in einer Weise zu praktizieren, bei der diejenigen, die sich dieser freiwilligen Leistung unterziehen, keinen Schaden nehmen, sondern langfristig über vermögenswirksame Maßnahmen davon profitieren.Das zweite ist die Frage der Technik der Rücklagenbildung. Hierzu enthält das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz sehr konkrete Vorschriften. Auch der heutigen Debatte habe ich kein einziges Argument entnehmen können, auch nicht aus dem Munde des Herrn Bundesfinanzministers und aus dem Munde des Herrn Bundeswirtschaftsministers, warum Sie den Weg des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes mit seinen strengen Vorschriften nicht zu gehen bereit sind. Sie können es uns als Opposition doch nicht übelnehmen, meine Damen und Herren — ich glaube, hier nehmen wir ein Stück Verantwortung für das Ganze wahr —, wenn wir hier hellhörig und mißtrauisch werden, daß Sie aus Opportunitätsgründen diese Rücklage zu einem Zeitpunkt, der Ihnen aus parteipolitischen Gesichtspunkten zweckmäßig erscheint, ohne Rücksicht auf die stabilitätspolitischen Gegebenheiten auflösen könnten. Das ist der Ansatzpunkt, und auf diesen weise ich noch einmal hin.
Wir als Opposition haben — und mehr können wir ja nicht tun — in dieser, wie ich ausdrücklich sage: Notstandssituation der Regierung immer wieder Zusammenarbeit angeboten. Eine Reaktion darauf ist auch heute nicht erfolgt. Ich sage ausdrücklich, dies ist nicht die Zeit, die Sorgen, die unsere Bevölkerung mit der Geldentwertung hat, zum Gegenstand der parteipolitischen Konfrontation zu machen. Alle Kräfte, die sich für unseren Staat und unsere freiheitliche Grundordnung verantwortlich fühlen, sind jetzt aufgerufen, gemeinsam weiteres Unheil abzuwehren.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eines hinzufügen. Diese Zusammenarbeit erscheint uns um so dringlicher, als zur Wiedergewinnung der Stabilität—und daran kommt doch niemand mehr vorbei —auch unbequeme und unpopuläre Maßnahmen notwendig sind und noch notwendig werden. Mit Recht ist hier nur angedeutet worden, was zur Sicherung der außenwirtschaftlichen Flanke noch auf uns zukommen könnte. Das werden sehr schwierige, sehr komplizierte, sehr verantwortungsreiche Entschei-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1991
Dr. Müller-Hermanndungen sein. Es wäre sicherlich auch im Interesse der Regierung und der Koalition, wenn sie in diesen Fragen rechtzeitig die Abstimmung mit der Opposition suchten. Nur, meine Damen und Herren, zur Kooperation gehört auch die Konsultation, Sie können nicht erwarten, daß wir allem unbesehen zustimmen, was ohne uns im Schoße der Koalition ausgebrütet worden ist.Zum Abschluß! Wir setzen als Opposition jetzt unsere Erwartungen auf den Vermittlungausschuß, da wir annehmen, daß die Mehrheit des Bundesrates ihn anrufen wird. Im Vermittlungsausschuß bzw. bis zur Tagung des Vermittlungsausschusses besteht noch eine -- ich füge hinzu: dringend zu nutzende — einmalige, vielleicht letzte Chance, gemeinsam und ohne zeitliche Verzögerung — der Termin der Inkraftsetzung des Steueränderungsgesetzes und der anderen Gesetze, 1. Juli, wird auch von uns gesehen und nicht behindert — noch zu einem ausgewogenen und ausreichenden Stabilitätsprogramm zu kommen, das Aussicht hat, wirklich erfolgswirksam zu sein, und das wir aus unserer Verantwortung heraus dann auch mittragen können.Um diesen Weg offenzuhalten, und weil das Steueränderungsgesetz in der vorliegenden Form den Ansprüchen eines wirklich wirkungsvollen Stabilitätskonzepts nicht gerecht wird, bleibt uns unter den gegebenen Umständen nichts anderes übrig, als dem Steueränderungsgesetz und dem Mineralölsteuererhöhungsgesetz unsere Zustimmung zu verweigern und heute nein zu sagen, nachdem Sie unseren ausschließlich von der Sache her bestimmten wesentlichen Änderungswünschen die Zustimmung verweigert haben.
Dies, meine Damen und Herren, ist ein konkretes Angebot, das ich Ihnen zum Schluß dieser Debatte im Namen meiner Fraktion noch einmal übermitteln darf. Es zu nutzen ist Ihre Sache in der Koalition und in der Bundesregierung.
Sie haben das eben vor der Schlußabstimmung erklärt.
Wenn ich die Rede von Herrn Dr. Narjes vom 10. Mai mit dem vergleiche, was heute hier von Pieroth bis Müller-Hermann vorgetragen wurde, fällt mir ein Wort von Heinrich Heine ein, das ich etwas abgewandelt anführen möchte: Die Opposition versuchte, Drachen zu säen, und was wir hier heute im Plenum geerntet haben, waren Flöhe.
Meine Damen und Herren, ich möchte auf den Ausgangspunkt der Debatte zurückkommen. Es geht darum, wirtschafts- und gesellschaftspolitische Gefahren abzuwenden; es gilt, die Preissteigerungsraten wieder in den Griff zu bekommen und nach unten zu drücken. Darum geht es!
Die Regierung hat ein Maßnahmenbündel mit 21 aufeinander abgestimmten Instrumenten vorgelegt. Damit wurde das bereits am 7. Februar von der Regierung verabschiedete Maßnahmenprogramm drastisch ausgebaut oder erweitert.
Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist der Auffassung: Das stabilitätspolitische Programm der Bundesregierung ist richtig dosiert und auf die Zielgruppen abgestimmt. Die Unternehmer wurden besonders angesprochen, die Arbeitnehmer in Grenzen in den Gruppen herangezogen, deren Einkommen das vertretbar erscheinen läßt.
Der Vollzug des Bundeshaushaltes gibt den Ländern und Gemeinden ein Beispiel. Der Bundesfinanzminister verdient Respekt. Wir erleben ständig, welchen Wünschen und Pressionen von Gruppen -
auch von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition — er als Kassenwart ausgesetzt ist. Verzichtsethik ist meist am anderen orientiert.
Dieses Stabilitätsprogramm ist ein ernst gemeintes Angebot auch an den Bundesrat, meine Damen und Herren.
Es verlangt konkreten Verzicht. Wir — die sozialdemokratische Fraktion — sind dazu bereit. Wir werden dem Steueränderungsgesetz zustimmen.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Wer dem Gesetz in dritter Lesung seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Ich bitte, die Abstimmung zu wiederholen. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Es bestehen Zweifel im Präsidium, welches die Mehrheit ist. Ich bitte, zur Auszählung den Raum zu verlassen.
Ich schließe die Abstimmung.
Das Abstimmungsergebnis liegt vor. Insgesamt haben 415 Kollegen die Stimme abgegeben; davon haben 232 mit Ja und 183 mit Nein gestimmt. Es gab keine Stimmenthaltungen. Das Gesetz ist damit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu dem von der Fraktion der CDU/CSU vorgelegten Entschließungsantrag. Wird noch das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag auf Drucksache 7/607. Wer diesem
1992 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Vizepräsident Frau Funcke
Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses unter Nr. 2, den Entwurf Drucksache 7/223 für erledigt zu erklären. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Verordnung auf Drucksache 7/546. Der Ausschuß empfiehlt Zustimmung. Dazu haben wir aber einen Änderungsantrag aller drei Fraktionen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir stimmen zuerst über diesen Änderungsantrag Drucksache 7/610 ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir stimmen nunmehr über die Verordnung als Ganzes ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich komme zu dem Antrag des Ausschusses unter Nr. 4, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Es folgt nun die zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes 1964 und des Gesetzes über das Branntweinmonopol. Wird in der zweiten Lesung das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich rufe Art. 1, 2, 3 und 4 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Wird das Wort in dritter Beratung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Zur Abstimmung hat der Abgeordnete Ollesch um das Wort gebeten.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sehe mich im Gegensatz zur Mehrheit meiner Kollegen der FDP-Fraktion nicht in der Lage, dem Gesetz zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes 1964 und des Gesetzes über das Branntweinmonopol zuzustimmen. In Übereinstimmung mit meinen Kollegen Karl Geldner und Hansheinrich Schmidt , die das Änderungsgesetz ebenfalls ablehnen, gebe ich über die Ablehnungsgründe eine schriftliche Erklärung zum Stenographischen Bericht. *)
Wir kommen zur Abstimmung in dritter Beratung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Gesetzentwurf ist angenommen.Zu Punkt 4 der Tagesordnung schlägt der Ältestenrat vor, den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft — Drucksache 7/499 — dem Ausschuß für Wirtschaft — federführend — und dem Ausschuß für Finanzen sowie dem Haushaltsausschuß — mitberatend — zu überweisen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Zu Punkt 5 der Tagesordnung schlägt der Ältestenrat vor, das Sondergutachten zur konjunkturpolitischen Lage im Mai 1973 dem Ausschuß für Wirtschaft — federführend — und dem Haushaltsausschuß — mitberatend — zu überweisen. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 129 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 25. Juni 1969 über die Arbeitsaufsicht in der Landwirtschaft— Drucksache 7/109 —Bericht und Antrag des Ausschusses fürArbeit und Sozialordnung
— Drucksache 7/533 —Berichterstatter: Abgeordneter Gansel
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort in der Aussprache gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.Änderungsanträge liegen nicht vor.Ich rufe auf Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift. — Die Einzelabstimmung wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer in der Schlußabstimmung der Vorlage seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 136 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 23. Juni 1971 über den Schutz vor den durch Benzol verursachten Vergiftungsverfahren— Drucksache 7/257 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 7/536 —
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1993
Vizepräsident Frau FunckeBerichterstatter: Abgeordneter Müller
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Beratung wird nicht gewünscht.Ich rufe auf in zweiter Beratung Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift. — Die Einzelabstimmung wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Wir stimmen nun noch über Ziffer 3 des Ausschußantrags in Drucksache 7/536 — soweit das Übereinkommen 136 in Betracht kommt — ab, die Vorlage der Bundesregierung auf Drucksache 7/48 zur Kenntnis zu nehmen. — Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.Wir kommen zu Punkt 8 der Tagesordnung:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 135 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 23. Juni 1971 über Schutz und Erleichterungen für Arbeitnehmervertreter im Betrieb— Drucksache 7/258 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 7/536 —Berichterstatter: Abgeordneter Müller
Das Wort zur Berichterstattung und zur Aussprache wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift. — Die Einzelabstimmung wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Auch hier ist noch über Ziffer 3 des Ausschußantrages auf Drucksache 7/536 — soweit er sich auf das Übereinkommen 135 bezieht —, abzustimmen, die Vorlage der Bundesregierung auf Drucksache 7/48 zur Kenntnis zu nehmen. — Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.Meine Herren und Damen, wenn ich richtig unterrichtet bin, ist interfraktionell vereinbart, an dieser Stelle die heutigen Beratungen zu den einzelnen Punkten abzuschließen.Wir kommen damit nunmehr zur Fragestunde— Drucksache 7/588 —Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Erkel zur Verfügung. Ich rufedie Frage 1 des Herrn Abgeordneten Kahn-Ackermann auf:Beabsichtigt die Bundesregierung, angesichts der zahlreichen Beanstandungen von Entschädigungsberechtigten nach dem Reichshaftpflichtgesetz gegenüber der Deutschen Bundesbahn, das aus dem Jahr 1908 stammende Reichshaftpflichtgesetz, das in keiner Weise mehr den Erfordernissen der Gegenwart entspricht und zu zahlreichen, ungerechtfertigt niedrigen Entschädigungsleistungen an Opfern von Eisenbahnunglücken führt, baldigst zu ändern?Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Reichshaftpflichtgesetz regelt ausschließlich die Gefährdungshaftung des Eisenbahnunternehmers und gewisser Inhaber anderer Anlagen, die bestimmte Gefahren mit sich bringen, und zwar regelt es diese Haftung wegen der generellen Gefährdung. Daneben gilt im Haftungsrecht das Verschuldensprinzip, das eine Haftung bei Verschulden begründet und generell keine Höchstbeträge einer solchen Haftung kennt.
Die im Reichshaftpflichtgesetz vorgesehene Gefährdungshaftung entspricht als solche im Grundsatz auch den Erfordernissen der Gegenwart. Anders ist es nach den im Reichshaftpflichtgesetz vorgesehenen Höchstbeträgen, hier dem seit 1939 unveränderten Rentenhöchstbetrag von 15 000 DM jährlich. Diese Grenze kann nicht mehr als unbedingt befriedigend bezeichnet werden. Schon früher ist eine Überprüfung dieser Höchstgrenzen im Rahmen einer umfassenden Neuregelung des gesamten Schadensersatzrechts in Aussicht gestellt worden. Darüber hinausgehend wird man prüfen müssen, ob es notwendig ist, bestimmte Bereiche des Haftpflichtrechts, wozu auch die Haftungshöchstgrenzen zählen, vorzuziehen und auch unabhängig von der Neuregelung 'des Schadensersatzrechtes anzugehen.
Im Bundesministerium der Justiz werden die Fragen, die im Zusammenhang mit einer Erhöhung der Rentenhöchstbeträge im Reichshaftpflichtgesetz stehen, geprüft und Regelungsvorschläge entwickelt. Dabei müssen jedoch die ebenfalls notwendigen Änderungen in anderen Bereichen, vor allem im Straßenverkehrsgesetz — und insbesondere insoweit auch die Auswirkungen einer solchen Erhöhung auf die Versicherungsprämien — berücksichtigt werden. Das ist ein nicht ganz leicht zu bewerkstelligendes Verfahren.
Eine Zusatzfrage?
Muß ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß Sie nicht mehr damit rechnen, daß in dieser Legislaturperiode die notwendigen Novellen zu den von Ihnen hier angezogenen Gesetzen vorgelegt werden, soweit die Bundesregierung beteiligt ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, so wollte ich diese Antwort nicht verstanden haben. Ich kann einen konkreten Zeitpunkt im Augenblick nicht nennen. Aber ich rechne damit, daß im Laufe der Legislaturperiode die Frage von der Regierung hier behandelt wird.
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1994 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Immer.
Würde eine solche Regelung bedeuten, daß von dieser Neuregelung Ansprüche auch rückwirkend betroffen werden, also positiv?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube nicht, daß man diese Regelung rückwirkend treffen kann.
Keine Zusatzfrage mehr.
Dann rufe ich die Frage 2 des Abgeordneten Reddemann auf:
Wie oft hat die Bundesregierung seit dem 1. November 1969 Anträgen von Staatsanwaltschaften zugestimmt, gegen Journalisten wegen Veröffentlichung angeblicher Staatsgeheimnisse zu ermitteln, und in wie vielen dieser Fälle laufen Ermittlungsverfahren?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. Erkel, Staatssekretär im Bundesministerium der Jusitz. Die Veröffentlichung bzw. Preisgabe von Staatsgeheimnissen ist in § 97 StGB unter Strafe gestellt. Die Vorschrift des § 97 Abs. 3 StGB macht die Strafverfolgung von der Ermächtigung der Bundesregierung abhängig. Seit dem 1. November 1969 hat die Bundesregierung in keinem Fall eine Strafverfolgungsermächtigung gemäß § 97 Abs. 3 StGB gegen einen Journalisten erteilt. Es laufen dementsprechend auch, soweit der Bundesregierung bekannt ist, keine Ermittlungsverfahren gegen Journalisten wegen eines Verstoßes gegen diese Vorschrift.
Anders ist die Frage im Hinblick auf die vielfach erörterten Verfahren nach der Vorschrift des § 353 c StGB zu beantworten, die den sogenannten Geheimnisbruch regelt. Dazu darf ich folgendes bemerken:
Die Bundesregierung hat im August 1971 auf Vorlage der Staatsanwaltschaft Bonn in einem Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von geheimen Fernschreiben der Deutschen Botschaft in Washington neben einer Strafverfolgungsermächtigung gemäß § 353 b StGB gegen Angehörige des öffentlichen Dienstes wegen möglichen Bruchs von Dienstgeheimnissen auch eine Strafverfolgungsermächtigung gemäß § 353 c Abs. 4 StGB wegen Verletzung formeller Geheimhaltungsvorschriften erteilt, die auch zu Ermittlungen gegen Journalisten geführt hat. Die Ermittlungen in diesem Verfahrenskomplex sind noch nicht abgeschlossen.
Eine Zusatzfrage.
Darf ich fragen, gegen wieviele Journalisten im Augenblick nach § 353 c mit Zustimmung der Bundesregierung ermittelt wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat keine Zustimmung erteilt, gegen einzelne Journalisten zu ermitteln, sondern sie hat die in § 353 c
vorgesehene allgemeine Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen Verdachts einer Straftat erteilt. In diesem Zuge ist, wie wir alle wissen, auch gegen Journalisten ermittelt worden. Die genaue Zahl ist mir im Augenblick nicht bekannt.
Eine zweite Zusatzfrage.
Darf ich Sie dann fragen, ob Sie dem Hause in der nächsten Sitzungswoche die genauen Zahlen vorlegen können, damit das Haus informiert ist, in welch großem Umfange im Augenblick noch wegen der damaligen Ereignisse ermittelt wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, auch diese Frage kann ich nicht verläßlich beantworten. Es handelt sich um Verfahren, die nicht von einem Organ der Bundesregierung geführt werden, sondern um Verfahren, die von mehreren Ländern durch mehrere Staatsanwaltschaften geführt werden. Inwieweit über diese Verfahren Auskunft erteilt werden kann, müssen Sie in einem solchen Fall — es handelt sich ja um anhängige Ermittlungsverfahren, die nicht abgeschlossen sind die zuständigen ermittlungsführenden Stellen beurteilen. Deshalb könnte die Bundesregierung eine solche Frage überhaupt nur im Benehmen und nach Verbindungnahme mit den ermittlungführenden Stellen beantworten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, dem Hause auch mitzuteilen, in wie vielen Fällen frühere Regierungen, also von 1949 bis 1969, die Genehmigung zur Strafverfolgung von Journalisten erteilt haben?
— Da hat man es ohne Genehmigung gemacht, wie in der „Spiegelaffäre"!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Vorschrift des § 353 c ist im Achten Strafrechtsänderungsgesetz neugefaßt worden. Deshalb sind die früheren Fälle, glaube ich, nicht unmittelbar vergleichbar mit der Anwendung dieser Vorschrift. Falls es sich feststellen läßt, bin ich gern bereit, Auskünfte zu geben.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, da die Bundesregierung diese Ermächtigung allgemein gegeben hat, wäre es also Ihrer Meinung nach in der Tat möglich, daß gegen einige hundert Journalisten ermittelt wird, ohne das die Bundes-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1995
Dr. Schulze-Vorbergregierung irgendeine Möglichkeit hat, das wieder abzustellen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auf den Gang des eingeleiteten Ermittlungsverfahrens kann die Bundesregierung keinen Einfluß nehmen.
Eine Zusatzfrage, bitte schön!
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß § 353 c für frühere Bundesregierungen deshalb nicht von Bedeutung war, weil man damals vorsichtshalber gleich Ermittlungsverfahren nach Landesverratsbestimmungen veranlaßt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Rechtslage vor dem Achten Strafrechtsänderungsgesetz war so, daß ein Gutteil der Fälle, die jetzt unter § 353 c zu subsumieren sind, z. B. der Verrat von diplomatischen Geheimnissen, unter die Bestimmung des § 97 gefallen sind, die Sie soeben erwähnt haben.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Staatssekretär, können Sie das Benehmen, das Sie soeben als möglich bezeichnet haben, auch tatsächlich herstellen, so daß Sie die Zahlen den Fragestellern zuleiten können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn das möglich ist, gerne.
Keine Zusatzfrage? — Die Fragen 68 und 69 des Herrn Abgeordneten Staak zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau müßten hier beantwortet werden. Der Fragesteller hat aber um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz erledigt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nunmehr zu der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Dr. Joachimsen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Herrn Abgeordneten Engholm auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Deutschen Industrie- und Handelstages , „Im Sinne einer Koordinierung von Betriebsverfassungsgesetz und Berufsbildungsgesetz wäre es aber wünschenswert, auch dem Ausbildenden die Möglichkeit zu geben, den Ausbildungsvertrag zu verlängern. Das wird jedesmal dann wichtig sein, wenn bei einem leistungsschwachen Lehrling durch — wenn auch gesetzlich verankerte — ausbildungsfremde Tätigkeit die Erreichung des Ausbildungsziels gefährdet erscheint.", und gedenkt sie, eine entsprechende Gesetzesinitiative zu ergreifen?
Bitte sehr!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung teilt die in der vom Deutschen Industrie-
und Handelstag herausgegebenen Zeitschrift „Position", Heft Nr. 4, 1972, S. 26 ff., vertretene Auffassung über eine Änderung des Berufsbildungsgesetzes nicht. Sie wird keine entsprechende Änderung des Berufsbildungsgesetzes vorschlagen.
Die Bundesregierung hält an dem in § 29 Abs. 3 des Berufsbildungsgesetzes niedergelegten Grundsatz fest. Danach soll ausschließlich der Auszubildende darüber entscheiden, ob es in seinem Interesse liegt, einen Antrag auf Verlängerung der Ausbildungszeit zu stellen.
Zusatzfrage.
Teilen Sie meine Auffassung, Herr Professor Jochimsen, daß gesetzlich verankerte Tätigkeiten, wie es hier heißt, also etwa die Arbeit in der Jugendvertretung nach dem Betriebsverfassungsgesetz, keineswegs als ausbildungsfremd angesehen werden können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, im Zusammenhang mit einer Tätigkeit als Jugendvertreter von ausbildungsfremder Tätigkeit zu sprechen, beruht nach Auffassung der Bundesregierung auf einer Verkennung und falschen Interpretation des Berufsbildungsgesetzes und des Betriebsverfassungsgesetzes.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn trotzdem die Forderung nach einer Verlängerung der Ausbildungszeit erhoben wird, könnte es sich hier vielleicht um den Versuch einer, sagen wir, vorbeugenden Disziplinierung unbequemer Jugendvertreter handeln?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich meine, daß die Übernahme derartiger Funktionen vom Gesetzgeber gewollt ist und in § 78 des Betriebsverfassungsgesetzes ausdrücklich geschützt und gefördert wird. Die Bundesregierung hält selbstverständlich an diesem Willen des Gesetzgebers fest. Damit zusammenhängende weitere Fragen fallen aber in den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung.
Keine weitere Zusatzfrage? — Dann ist die Frage aus Ihrem Geschäftsbereich beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
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1996 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Vizepräsident Frau FunckeIch rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Matthöfer zur Verfügung.Ich rufe die Frage 4 des Herrn Abgeordneten Rollmann auf:Hat die Bundesregierung die Absicht, die Wirtschaftspolitik Chiles, die 1972 eine Inflationsrate von über 180 % und ein minimales Wirtschaftswachstum zur Folge hatte sowie durch eine Mißachtung des deutschen Privateigentums in Chile gekennzeichnet ist, auch noch durch eine jährliche Kapitalhilfe in Höhe von 50 Millionen DM zu unterstützen?
Herr Kollege Rollmann, nach den mir vorliegenden Zahlen trifft es zu, daß die Preissteigerungsrate in Chile in den letzten 12 Monaten bei etwa 180 % lag. Über das erzielte reale Wirtschaftswachstum sind mir keine verläßlichen Zahlen verfügbar.
Ihrer Formulierung, die Wirtschaftspolitik Chiles sei von einer Mißachtung deutschen Privateigentums geprägt, kann ich in dieser Form nicht zustimmen. Es ist Ihnen sicher bekannt, daß die aus freien Wahlen hervorgegangene Regierung der Republik Chile eine Umstrukturierung der chilenischen Wirtschaftsordnung eingeleitet hat. Zu diesem Umstrukturierungsprozeß gehört u. a. auch die Vergesellschaftung von Unternehmen und Industrien, die dort als Schlüsselbereiche für eine staatliche Wirtschaftslenkung und -kontrolle angesehen werden. Von diesem Prozeß sind deutsche Privatinvestitionen nicht ausgenommen worden.
Die chilenische Regierung hat jedoch in ihrem bisherigen Verhalten den Willen erkennen lassen, mit den von Enteignungen betroffenen deutschen Eigentümern zu einer befriedigenden Lösung zu kommen. Die Bundesregierung weiß insbesondere auch die Anstrengungen Chiles zu würdigen, seine in der multilateralen Umschuldung für 1972 übernommenen Verpflichtungen zu erfüllen. Es entspricht unserer erklärten Absicht der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern, Chile, mit dem uns traditionell enge und freundschaftliche wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen verbinden, bei der Überwindung seiner derzeitigen finanziellen Schwierigkeiten zu unterstützen.
Hinzu kommt, daß nach allgemeiner Ansicht die Wirtschaftspolitik der Regierung Allende unter anderem durch das Bemühen geprägt wird, die Lebensbedingungen der bisher ärmsten Bevölkerungsteile zu verbessern und eine Befriedigung der elementarsten Lebensbedürfnisse dieser Schichten zu ermöglichen. Es würde jedoch den Rahmen dieser Antwort sprengen, darauf im einzelnen einzugehen.
Es trifft zu, daß die Bundesregierung beschlossen hat, Chile in diesem Jahr — nach einer gewissen Unterbrechung — wieder eine Zusage für Kapitalhilfekredite zu geben.
Dies steht im Einklang mit der entwicklungspolitischen Konzeption der Bundesregierung, nach der Entwicklungspolitik darauf abzielt, die Lebensbedingungen der Bevölkerung und die soziale Gerechtigkeit in den Ländern der dritten Welt zu verbessern. Die tatsächliche Höhe der Zusage steht offiziell noch nicht fest. Sie wird aber den von Ihnen genannten Betrag unter den jetzt gegebenen Umständen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erreichen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß das deutsche Privateigentum, soweit es in landwirtschaftlichen Betrieben besteht, in der Vergangenheit in Chile sogar gesetzeswidrig, unter Verletzung chilenischer Gesetze beeinträchtigt worden ist, ohne daß die chilenische Regierung etwas dagegen unternommen hat? Ich denke hier etwa an die willkürlichen Landbesetzungen.
Herr Kollege Rollmann, ich weiß nicht, ob die chilenische Regierung für diese Landbesetzungen verantwortlich zu machen ist. Ich kann von hier aus auch nicht beurteilen, was sie dagegen hätte unternehmen können.
Soweit ich aber unterrichtet bin, gibt es keinen Zweifel am ernsthaften Bestreben der chilenischen Regierung, soweit dies ihr möglich ist, jeden hier auftretenden Einzelfall zur Zufriedenheit zu regeln. Herr Abgeordneter Rollmann, deutsches Eigentum ist bisher in Chile ganz sicher nicht schlechter behandelt worden als chilenisches oder anderes ausländisches Eigentum.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß im Gegensatz zu den erklärten Absichten der chilenischen Regierung, die hier Ihre Unterstützung gefunden haben, die Lebenssituation der breiten Schichten des chilenischen Volkes in den vergangenen Jahren infolge der Inflation und der Warenknappheit — in Santiago und in anderen chilenischen Städten bilden sich lange Schlangen vor den Geschäften — sehr viel schlechter geworden ist?
Herr Abgeordneter Rollmann, darüber werden die breiten Schichten des chilenischen Volkes bei den nächsten demokratischen Wahlen selbst zu urteilen haben.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten von Bothmer.
Herr Staatssekretär trifft es zu, daß sich gerade die Versorgung der ärmsten Bevölkerungsschichten mit Nahrungsmitteln trotz des Produktionsrückganges in Chile verbessert hat?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1997
Das trifft zu, Frau Abgeordnete. Der Milchverbrauch ist meines Wissens um etwa 50 % pro Kopf gestiegen. Sie wissen, daß insbesondere bei Kleinkindern dann, wenn der Proteinbedarf nicht befriedigt wird, schwere Gehirnschäden entstehen können. Es ist außerordentlich wichtig für die Entwicklung eines Menschen, daß er im frühen Lebensalter ausreichend Protein bekommt. Die chilenische Regierung hat es z. B. unternommen, eine ausreichende Versorgung in dieser Hinsicht sicherzustellen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Lattmann.
Herr Staatssekretär, da die Entwicklung des Geldwerts nur ein Kriterium zur Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Wirtschaftspolitik eines Landes ist, frage ich Sie: Ist der Bundesregierung bekannt, wie sich die Wirtschaftspolitik Allendes auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt hat? Ist die Arbeitslosigkeit gestiegen, oder ist sie geringer geworden?
Die Bekämpfung von Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit ist nach der entwicklungspolitischen Konzeption der Bundesregierung ein Schwerpunkt unserer Hilfe. Insofern sehen wir mit einer gewissen Befriedigung, daß die Arbeitslosigkeit in Chile zurückgegangen ist.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Engholm.
Trifft es zu, Herr Kollege Matthöfer — bitte unterrichten Sie dann auch den Herrn Kollegen Rollmann diesbezüglich —, daß der frühere Präsident Chiles und mögliche und wahrscheinliche Präsidentschaftskandidat der christlichen Partei Chiles, also der Schwesterpartei der Christlich Demokratischen Union in der Bundesrepublik, verschiedene ausländische Regierungen und auch die Weltbank mit Nachdruck aufgefordert hat, Kredite nicht etwa zu bremsen, sondern weiter nach Chile zu leiten?
Das kann ich auf Grund meiner persönlichen Gespräche in Chile auch bestätigen. Alle Christdemokraten, mit denen ich gesprochen habe, und auch der höchste Vertreter des katholischen Klerus in Chile haben mich aufgefordert, dafür einzutreten, daß die deutsche Hilfe wieder aufgenommen wird.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Schmidhuber.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung im Rahmen der Verhandlungen über die Fortsetzung der Kapitalhilfe auch
die Frage der Entschädigung deutschen Eigentums angeschnitten?
Herr Abgeordneter, zur Zeit schweben keine wichtigen Fragen dieser Art. Ohne den Vertretern der Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus hier nun neues Anschauungsmaterial liefern zu wollen, möchte ich Ihnen aber doch sagen, daß bei derartigen Verhandlungen nicht nur über die Höhe der Kredite gesprochen wird.
Eine Frage der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin.
Herr Staatssekretär, meine Frage bezieht sich auf die „charakterliche Sauberkeit" von Chile als Schuldner. Trifft es zu, daß die Regierung der Unidad Popular einerseits eine hohe Schuldenlast von ihrer christdemokratischen Vorgängerin übernommen hat, sich andererseits aber trotz der prekären Devisenlage, die ja nicht zuletzt auf die fallenden Kupferpreise zurückzuführen ist, ernsthaft und gar nicht erfolglos bemüht, ihre Schulden zurückzuzahlen?
Das ist unser Eindruck, Frau Abgeordnete.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Evers.
Ist Ihnen bei Ihrem Besuch in Chile auch aufgefallen, daß dort die Bevölkerung in beträchtlichem Umfang sehr lange Zeit nach dem Grundnahrungsmittel Brot anstehen muß, um überhaupt eine gewisse Mindestversorgung sichergestellt zu bekommen, und würden Sie diesen Tatbestand auch zu der von Ihnen vorhin erwähnten Verbesserung der Lebensbedingungen gerade der breiten Bevölkerungsschichten rechnen?
Herr Abgeordneter, die Weizenknappheit in Chile ist auf verschiedene Ursachen zurückzuführen, einmal auf die durchgeführte Landreform, die in diesem Fall Produktionsverluste mit sich gebracht hat. Wir haben die unterentwickelten Länder immer aufgefordert, Landreformen durchzuführen. Wir sollten sie jetzt nicht eines Fehlverhaltens bezichtigen, wenn eine in Fortsetzung der christdemokratischen Bemühungen zugegebenermaßen sehr schnell und radikal durchgeführte Landreform zu vorübergehenden Produktionsverlusten führt. Zudem haben schwere Unwetter in Chile die Landwirtschaft geschädigt und die Erträge im vergangenen Jahr erheblich vermindert. Außerdem glaube ich, daß der Pro-Kopf-Verbrauch von Weizen gestiegen ist. Diese drei Faktoren haben zusammen dazu geführt, daß eine Knappheit eingetreten ist.
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1998 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Huonker.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß durch die Verwirklichung der Vorstellungen, die der Frage des Herrn Kollegen Rollmann zugrunde liegen, daß nämlich die deutsche Entwicklungshilfe als Instrument zur Einmischung in die inneren Verhältnisse eines anderen Landes eingesetzt werden sollte, die deutsche Entwicklungspolitik insgesamt weltweit diskreditiert würde?
Wir versuchen, uns in die autonome Entwicklungsplanung der entsprechenden Entwicklungsländer einzupassen und uns nicht in. interne Angelegenheiten einzumischen. Ich glaube auch nicht, daß Herr Abgeordneter Rollmann mit seiner Frage sagen wollte, daß die Interessen der Bundesrepublik Deutschland auf die Vertretung der Interessen von Privateigentümern reduziert werden sollten. Wir haben ein Interesse daran, daß in der Welt die Spannungen zwischen armen und reichen Ländern abgebaut werden. Das kann nur geschehen, indem in diesen Ländern auch die Ursachen der Unterentwicklung beseitigt werden. Wir haben nun allerdings den Eindruck, daß man in Chile den Versuch macht, Ursachen von Unterentwicklung zu beseitigen.
Meine Damen und Herren, ich bitte, zu beachten, daß wir hier keine Agrardebatte über Chile zu führen haben.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß der chilenische christdemokratische Präsidentschaftskandidat Radimiro Tomic am 20. März 1973 in einem Interview mit der „Welt" sinngemäß etwa erklärt hat, daß kein unterentwikkeltes Land in Lateinamerika aus seiner inneren Armut und äußeren Abhängigkeit finden kann, wenn nicht — und jetzt wörtlich — durch sozialistische Organisationsformen auf gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Gebiet? Würden Sie daraus nicht schließen, daß die Christdemokraten in Chile in diesen Dingen offenbar eine andere Auffassung haben als der Christdemokrat Rollmann?
Ich schlage vor, Herr Abgeordneter, daß Sie diese Frage direkt an Herrn Rollmann richten.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Reiser.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin von Kapitalhilfekrediten für Chile gesprochen. Ist es etwa so, daß Chile im Vergleich zu anderen Ländern Lateinamerikas von uns bevorzugt wird?
Nein, Herr Abgeordneter, es ist nicht so. Chile wird in diesem Jahr zum erstenmal wieder gleichbehandelt werden mit Ländern wie etwa Peru oder Kolumbien.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Schwencke.
— Dann eine Zusatzrfage des Herrn Abgeordneten Kiechle.
Herr Staatssekretär, angesichts der Weizenknappheit, der Brotknappheit und der Landreform, die in dieser Fragestunde bis jetzt eine Rolle spielten, möchte ich Sie fragen, wieviel Menschen auf einem Quadratkilometer nutzbarem Land in Chile zu versorgen sind.
Herr Abgeordneter, da bin ich wirklich überfragt, weil ich Ihre Definition für „nutzbares Land" nicht kenne. Chile hat weite Flächen die agrarwirtschaftlich nicht nutzbar sind. Ich kann Ihnen aber sagen, daß etwa in Brasilien, das zweieinhalbmal so groß wie Indien ist und nur etwa ein Fünftel der Bevölkerung Indiens hat, die Nahrungsmittelversorgung der unteren Schichten wahrscheinlich noch in sehr viel stärkerem Maße als in Chile defizitär ist.
Ich lasse nur noch zwei Fragen zu. Bitte schön, Herr Kollege Dr. Slotta!
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Verstaatlichung der chilenischen Kupferminen im chilenischen Parlament einstimmig, also auch mit den Stimmen der dortigen Christdemokraten, erfolgte? Und muß es nicht merkwürdig berühren, wenn hier gegen einen einstimmigen Beschluß des chilenischen Parlaments von einer Seite des Hauses votiert wird?
Es waren nicht nur die Christdemokraten, sondern auch die Nationalen, die für die Nationalisierung der Kupferminen gestimmt haben. Ich darf Ihnen sagen, Herr Abgeordneter, daß Herr Dr. Salvador Allende Gossens auch mit den Stimmen der Christdemokraten — in voller Kenntnis des Programms der Unidad Popular — zum Präsidenten der Republik Chile gewählt worden ist.
Letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Holtz.
Herr Staatssekretär, finden Sie es nicht merkwürdig, daß zwar nach unserer Hilfe für Chile, nicht jedoch nach einer Unterstützung Brasiliens gefragt wurde, obwohl, wie die „FAZ"
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 1999
Dr. Holtzam 19. Mai berichtete, 13 katholische Bischöfe in einer schweren Anklage gegen das Militärregime folgendes feststellten:Die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen in Brasilien gründen sich auf Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Unterernährung, Kindersterblichkeit, Prostitution, Analphabetentum, kulturelle und politische Diskriminierung und das wachsende Ungleichgewicht zwischen Reich und Arm charakterisieren die institutionalisierten Rechtsbrüche in Brasilien.
Herr Abgeordneter, es fällt mir schwer, Ihnen nicht zuzustimmen. Aber ich glaube, es steht mir nicht zu, ohne Not von der Regierungsbank aus die politische Stoßrichtung der Frage eines Mitglieds dieses Hauses zu kritisieren.
Keine Zusatzfrage mehr. — Damit sind diese Fragen beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Westphal zur Verfügung. Ich rufe die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Rollmann auf:
In welchem Umfang fördert clic Bundesregierung die Kindergruppenarbeit von Jugendverbänden?
Herr Abgeordneter Rollmann, wir müssen nach diesem chilenischen Ausflug in die Niederungen der Jugendarbeit zurücksteigen. Ihre Frage möchte ich wie folgt beantworten.
Die Kindergruppenarbeit der Jugendverbände wird im örtlichen und regionalen Bereich geleistet. Da sich die Förderungskompetenz des Bundes im Bereich der Jugendverbandsförderung grundsätzlich auf die überregionalen Maßnahmen der zentralen Träger beschränkt, kommt insoweit eine unmittelbare Förderung aus dem Bundesjugendplan nicht in Betracht. Wohl können Mitarbeiter für die Kindergruppenarbeit, wenn sie in einer Verbandszentrale tätig sind, über die Personalkostenzuschüsse oder, wenn sie an zentral durchgeführten Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen, über die Förderung der Mitarbeiterschulung am Bundesjugendplan partizipieren.
Denkbar wäre schließlich die Förderung von Projekten im Programm „Erprobung neuer Konzeptionen und Methoden in der Jugendhilfe", wenn die in den Richtlinien für den Bundesjugendplan genannten Förderungsvoraussetzungen erfüllt werden.
Eine Zusatzfrage.
Unter Dank für diese Information wollte ich fragen: In welchem Umfang
wird denn diese Kindergruppenarbeit nun über die zentralen Träger gefördert, Herr Staatssekretär?
Herr Kollege Rollmann, wir führen darüber keine Statistik. Wir lassen bei der Jugendförderung den Verbänden einen sehr breiten freien Raum, in dem sie selber entscheiden können, wie sie ihre Arbeit einteilen. Wenn wir die eingesetzten Mittel in ein Verhältnis zu dem stellen, was man von diesen Verbänden an statistischen Angaben fordern müßte, würde ich sagen: Wir sollten beim letzteren etwas kurztreten, auch wenn wir dann nicht so klug sind und Fragen dieser Art nicht beantworten können.
Noch eine Zusatzfrage.
Die Bundesregierung ist also nicht in der Lage, etwa zu sagen: Wir fördern soundso viele Referenten für Kindergruppenarbeit bei den zentralen Trägern?
Ich kann das nicht beantworten, und ich würde auch die Umfrage scheuen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Lenzer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 9. Mai 1973 in der Beilage Natur und Wissenschaft unter dem Titel „Voreingenommene Krebsforscher?" erhobenen Vorwürfe, daß in der Bundesrepublik Deutschland fast nichts auf dem Gebiet der Krebs-Mehrschritt-Therapie geschieht, und welche Konsequenzen gedenkt sie daraus zu ziehen?
Herr Kollege Lenzer, die in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 9. Mai 1973 erhobenen Vorwürfe, daß sich die deutsche Krebsforschung nicht ausreichend mit der Mehrschritt-Therapie nach von Ardenne befaßt hat, treffen nicht zu. Sowohl am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg als auch an Instituten in Gießen, Homburg, Münster und Dortmund liefen und laufen Untersuchungen und Versuchsreihen über die Mehrschritt-Therapie. Da Professor von Ardenne im Herbst 1972 ein neues Konzept für seine Behandlungsmethode veröffentlicht hat, konnten einige Versuchsreihen, die umgestellt werden mußten, bisher nicht abgeschlossen werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, dem Hause Auskunft darüber zu geben —weil in diesem Artikel auch der Vorwurf der Voreingenommenheit der Berater der Bundesregierung erhoben wurde —, auf welche Beratungsgremien sich die Bundesregierung bei der Beurteilung von Projekten im Bereich der Krebsforschung abstützt?
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2000 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Herr Kollege Lenzer, wir haben diese Frage auch schon dem Kollegen Metzger in der vorigen Woche, so glaube ich, beantwortet. Wir haben unsererseits als Ministerium nicht die Möglichkeit, über Forschungsergebnisse fachlich allein zu urteilen. Wir stützen uns auf Äußerungen von Krebsforschern, insbesondere vom Deutschen Krebsforschungsinstitut in Heidelberg. Aber das, was ich Ihnen hier an Untersuchungen, die über das Ardenne-Verfahren laufen oder gelaufen sind, andeute, sind Angaben über die Arbeiten von Professoren an ganz anderen Instituten in vielen Städten der Bundesrepublik.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, wenn ich jetzt davon ausgehe, daß die Bundesregierung in diesen Fragen, wenn es um Beratung geht, ausschließlich auf den in diesem Institut angesiedelten Sachverstand zurückgreift.
Nein, so möchte ich es nicht verstanden wissen. Selbstverständlich suchen wir uns alles, was an wissenschaftlichen Äußerungen vorhanden ist, um uns daraus unsere Meinung zu bilden,
Dann rufe ich die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Immer auf:
Inwieweit wird bei der Neufassung des Arzneimittelrechts die Übung der Arzneimittelhersteller, Ärztemuster zur Erprobung abzugeben, eingeschränkt, damit ein Mißbrauch in medizinischer und abrechnungstechnischer Hinsicht ausgeschaltet wird?
Herr Kollege Immer, Hersteller, Vertriebsunternehmer und Großhändler dürfen nach § 34 Abs. 3 des Arzneimittelgesetzes Ärztemuster nur unter bestimmten Bedingungen abgeben. Zum einen muß der Empfänger Angehöriger eines Heilberufes sein; bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln kommen als Empfänger jeweils nur der Arzt, der Zahnarzt und der Tierarzt in Betracht. Zum andern muß der Abgabe eine ausdrückliche Anforderung vorausgehen. Schließlich dürfen Ärztemuster nur in einem Umfang abgegeben werden, der dem Erprobungszweck im konkreten Fall angemessen ist.
Ich weiß, Herr Kollege, daß diese Bedingungen nicht immer eingehalten werden, obwohl die Zuwiderhandlungen als Ordnungswidrigkeiten qualifiziert sind. Nicht selten werden Ärztemuster in einer Menge abgegeben, die den zur Erprobung notwendigen Bedarf übersteigt. Die Vorschrift leidet vor allem darunter, daß ihre Befolgung durch die zuständigen Behörden nur schlecht kontrolliert werden kann. Im Rahmen der beabsichtigten Neuordnung des Arzneimittelrechts wird dieser Mangel behoben und die Vorschrift so gestaltet werden, daß ihre Anwendung effektiver überwacht werden kann.
Ich bitte um Verständnis, Herr Kollege, wenn ich im gegenwärtigen Zeitpunkt keine konkreten Formeln nenne, zumal die Frage auch in den Gremien des Rates der Europäischen Gemeinschaften ansteht.
Zusatzfrage.
Ich gehe davon aus, Herr Staatssekretär, daß Ihnen bekannt ist, daß die Überwachung der Lagerung von Medikamenten bei Apotheken ganz bestimmten regelmäßigen Kontrollen unterworfen wird, und frage, ob ähnliche Regelungen nicht wenigstens als Mindestbestimmung für Ärzte gelten müßten. Ich unterstelle, daß die Kontrolle sehr schwierig ist; aber ich möchte gerne wissen, ob in dieser Richtung Gleichstellung erwartet werden kann.
Bei der Vorbereitung der Gesetzgebung und, wie ich sagte, auch in den europäischen Gemeinschaften gibt es Gedanken in der Richtung, sowohl beim Arzneimittelhersteller, also auf der Produzenten- oder Verteilerseite, als auch beim Arzt die Kontrolle der Einhaltung der Bestimmungen zu verstärken. Wir beabsichtigen somit, von beiden Seiten an das Problem heranzugehen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, liegen Erfahrungen darüber vor, welchen Wert diese Vorschrift für die Erprobung in der Praxis hat, und gehen Sie davon aus, daß hier wirklich gewissenhaft erprobt wird und nicht Medikamente abgegeben werden, obwohl der Erprobung eigentlich das Studium der in der einschlägigen Literatur beschriebenen Wirkungen vorausgehen sollte?
Herr Abgeordneter, ich glaube, zu dem Inhalt Ihrer Fragestellung, mindestens Ihres zweiten Teils, habe ich in meiner Hauptantwort schon Stellung genommen, indem ich Ihnen einerseits sagte, daß die Vorschrift auf eine Kontrolle abzielt, andererseits die Praxis nicht zufriedenstellend beurteilt werden kann. Die Frage, ob Erprobung auf diesem Wege auch in der Zukunft erforderlich ist, würde ich auch weiterhin mit einem Ja beantworten.
Keine Zusatzfrage? — Dann danke ich Ihnen, Herr Staatssekretär.Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf.Ich rufe die Frage 22 des Herrn Abgeordneten Enders auf:Ist der Bundesregierung bekannt, daß ausländische Jugend- und Sportgruppen, die zur Begegnung mit ihren deutschen Freunden mit dem Omnibus in die Bundesrepublik Deutschland einreisen, an der Grenze auf Grund der Umsatzsteuererklärung über die Beförderung von Personen durch ausländische Beforde-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 2001
Vizepräsident Frau Funckerer im grenzüberschreitenden Gelegenheitsverkehr mit Kraftomnibussen zum Teil erhebliche Geldbeträge zahlen müssen, und hält es die Bundesregierung für angebracht, bei Fahrten, die der Jugendbegegnung, der Völkerverständigung und Partnerschaft dienen, auf die Steuererhebung nach der genannten Umsatzsteuererklärung zu verzichten?
Herr Kollege Dr. Enders, die von Ihnen aufgeworfene Frage ist bereits im vergangenen Jahr gemeinsam mit den obersten Finanzbehörden der Länder geprüft worden. Die Prüfung hat zu dem Ergebnis geführt, daß die Umsatzsteuerbefreiung für Träger und Organe der Jugendhilfe nach dem Wortlaut des Umsatzsteuergesetzes nur inländischen, nicht aber ausländischen Einrichtungen gewährt werden kann.
Die Ausdehnung der Steuerbefreiung auf ausländische Jugend- und Sportgruppen wäre nur durch eine Gesetzesänderung möglich. Die Bundesregierung hält es zur Zeit jedoch nicht für angebracht, den gesetzgebenden Körperschaften einen Entwurf zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vorzulegen, insbesondere weil die Kommission der Europäischen Gemeinschaften eine neue Richtlinie zur Harmonisierung der Umsatzsteuern in der EG vorbereitet. Diese Richtlinie, die auch einen Katalog der zulässigen Steuerbefreiungen enthalten wird, muß zunächst abgewartet werden.
Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß ausländische Jugendgruppen, die sich mit deutschen Jugendgruppen in der Bundesrepublik treffen, unter gewissen Voraussetzungen — es darf sich z. B. nicht nur um touristische Veranstaltungen oder um Maßnahmen der Jugenderholung handeln — eine Förderung pro Tag und Teilnehmer von 10 bis 14 DM erhalten. Sie mögen daraus ersehen, daß der Bund internationale Jugendbegegnungen bereits in beachtlichem Umfang finanziell unterstützt.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen Klagen bekannt, daß die vorliegende Steuer auf der Kilometerentfernung beruht und somit die Gruppen am stärksten belastet, die z. B. von der westlichen Grenze zu einer Partnerstadt in das Zonenrandgebiet fahren?
Mir ist nicht bekannt, daß die Steuer auf der Kilometerzahl beruht. Natürlich wird die Umsatzsteuer hinsichtlich des Wertes bemessen, und je länger eine Fahrt ist, um so höher ist der Preis, und insofern spielt die Kilometerentfernung eine Rolle. Aber wir sind trotz dieser Erkenntnis nicht in der Lage und haben auch nicht die Absicht, das Umsatzsteuergesetz in diesem Punkt zu ändern, weil wir glauben, daß deutsche Jugendgruppen im Ausland kaum so gefördert werden, wie Jugendliche aus dem Ausland hier in Deutschland seit langer Zeit gefördert werden. Unsere Jugendlichen, die ins Ausland fahren, werden im Ausland weniger gefördert, als dies hier bei uns geschieht. Deshalb sehen wir nicht ein, warum eine Umsatzsteueränderung in dieser Frage vorgenommen werden sollte.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, rechtfertigt die Höhe der eingehenden Steuern die negativen Auswirkungen auf die Bemühungen um größeren Jugendaustausch mit unseren Nachbarstaaten?
Herr Abgeordneter, sicher rechtfertigt die Höhe — wenn Sie jetzt von den Steuereinnahmen sprechen — dies nicht, aber es rechtfertigt ebenso nicht einen Abbau der Umsatzsteuer für ausländische Jugendliche in Deutschland; denn wir sind ganz sicher, daß der Betrag, der die Jugendlichen belastet, so gering ist, daß eine Umsatzsteueränderung nicht notwendig ist.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe dann Frage 23 des Herrn Abgeordneten Dr. Probst auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Gemeinden mit besonders starkem Wachstum finanziell dadurch häufig in Schwierigkeiten kommen, daß der auf sie entfallende Lohn- und Einkommensteueranteil nach einer bis zu fünf Jahren zurückliegenden Statistik, d. h. nicht nach dem tatsächlichen Bevölkerungsstand, ausgezahlt wird?
Herr Abgeordneter Probst, der Bundesregierung ist bekannt, daß die Gemeinden mit starkem Bevölkerungswachstum bei der Aufteilung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer durch die Zugrundelegung der Verhältnisse in einem mehrere Jahre zurückliegenden Erhebungszeitraum benachteiligt sind. Bei der Ausarbeitung des Gemeindefinanzreformgesetzes war versucht worden, zu zeitnäheren Schlüsseln zu gelangen. Dies hat sich jedoch wegen des hohen Arbeitsaufwands für die Aufstellung der erforderlichen Statistik als nahezu unmöglich erwiesen. An dieser Sachlage hat sich auch seither nichts geändert.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es Bemühungen in Ihrem Ministerium, hier etwa dadurch Abhilfe zu schaffen, daß man stark wachsenden Gemeinden entsprechend ihrer Einwohnerzahl eine Abschlagszahlung gibt und eine spätere Abrechnung vornimmt?
Wir halten dies für kaum möglich. Den Wachstumsgemeinden könnte theoretisch im Wege einer Ergänzung des Gemeindefinanzausgleichsgesetzes ein Ausgleich durch Sonderzuweisungen gewährt werden, die nach Maßgabe der Bevölkerungszuwachses zu bemessen wären und aus den Mitteln stammen müßten, die den Ländern
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2002 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Parl. Staatssekretär Hermsdorffür die Ausschüttung an die Gemeinden zur Verfügung stehen.Im übrigen sind wir der Auffassung, daß diesen Wachstumsgemeinden im Grunde genommen in erster Linie nur von den Ländern und nicht vorn Bund geholfen werden kann.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, es handelt sich hier natürlich um eine Aufgabe des Bundes bei der Steuerverteilung, und alle Wege, diesen Gemeinden zu helfen, sind relativ kompliziert. Deshalb die Frage: Wäre es nicht zweckmäßig, den sehr stark wachsenden Gemeinden, die sich ja nur in Ballungsgebieten befinden können, dadurch schnell zu helfen, daß man ihnen eine Abschlagszahlung auf den Einkommensteueranteil gewährt? Das wäre doch ein relativ einfacher Weg auch der Abrechnung.
Dies ist theoretisch wahrscheinlich möglich. Daran, daß es in der Praxis ein Weg wäre, habe ich meine Zweifel. Ich bin gar nicht sicher, ob wir hier nicht Einspruch von den einzelnen Ländern, aber auch von anderen Gemeinden bekämen.
Im Grunde genommen sind die Fragen und die Probleme der Wachstumsgemeinden am besten aus der Sicht des Landes und nicht aus der Sicht des Bundes zu erkennen. Bei dem Steuerverbund, den wir haben, wäre es also hier in erster Linie Sache der Länder, auszuhelfen, und nicht Sache des Bundes. Ich sehe nicht ein, daß wir vom Bund aus noch einmal durch Sonderzuweisungen einen neuen Verbund mit wachstumsstarken Gemeinden schaffen sollten. Dies müßte Sache der Länder sein.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 24 des Herrn Abgeordneten Dr. Probst auf:
Ist die Bundesregierung bereit, für solche Gemeinden mit besonders starkem Wachstum eine dem Bevölkerungsstand angeglichene Abschlagszahlung auf die Lohn- und Einkommensteuer zu gewähren und dadurch den statistischen Fehler auszugleichen?
Ich habe in meiner Zusatzantwort einen Teil der Antwort auf diese Frage schon vorweggenommen. Ich möchte wiederholen, was ich eben ausgeführt habe, daß ich dies nämlich in erster Linie als eine Sache der Länder betrachte.
Ich möchte aber hinzufügen, daß wir die Frage in der nächsten Sitzung des Finanzplanungsrates einmal aufbringen werden, um dieses Problem mit den Ländern und mit den ja auch im Finanzplanungsrat vertretenen Gemeinden zu erörtern und den Versuch zu machen, zu einer Lösung zu kommen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich das so verstehen, daß Sie sich bemühen wollen, den Wachstumsgemeinden möglichst unbürokratisch und wirkungsvoll zu helfen?
Ich möchte an meinem Bemühen keinen Zweifel aufkommen lassen. Ich sage Ihnen nur, daß es hier eine Reihe von verwaltungsmäßigen Schwierigkeiten geben wird, die man nicht unterschätzen sollte.
Herr Staatssekretär, meine letzte Frage: Glauben Sie nicht, daß es im Hinblick auf den Einkommensteueranteil sehr ungerecht ist, wenn z. B. eine Gemeinde aus dem Raume München, deren Verhältnis ich kenne, die Einwohnersteuerzuteilung noch aus der Statistik von 1968 bekommt? Damals hatte diese Gemeinde 1600 Einwohner; mittlerweile hat sie über 11 000 Einwohner. Aber die Änderung der Statistik kann gesetzlich erst im Jahre 1975 erfolgen. Glauben Sie nicht, daß das sehr ungerecht ist und daß hier eine Abschlagszahlung gerechtfertigt wäre?
Herr Kollege Probst, ich habe die Schwierigkeiten der Wachstumsgemeinden in allen meinen Antworten keinesfalls bezweifelt. Ich habe aber klarzumachen versucht, daß dies in erster Linie eine Frage des betreffenden Landes oder der Länder überhaupt und nicht eine Frage des Bundes ist. An dieser Auffassung halte ich auch nach Ihren letzten Bemerkungen fest — mit dem Zusatz, den ich vorhin hinsichtlich des Finanzplanungsrates gemacht habe.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Evers.
Herr Staatssekretär, da eine Mehrleistung für die schnell wachsenden Gemeinden im Rahmen des Ausgleichs zu Lasten der weniger schnell wachsenden Gemeinden gehen müßte, kann ich verstehen, daß Sie sich nicht in der Lage sehen, hier zusätzliche Zahlungen zu leisten. Aber wären Sie bei den von Ihnen angekündigten Besprechungen bereit, darauf hinzuwirken, daß die neuesten Bevölkerungszahlen, die jeweils nach wenigen Monaten vorliegen, insgesamt als Korrekturmaßstab für die Einigung daraufhin geprüft werden, ob man sie überhaupt zugrunde legen kann?
Herr Kollege, ich wäre absolut bereit, dieses Thema im Finanzplanungsrat zu erörtern. Ich muß allerdings noch einmal darauf hinweisen, daß auch in den Zuwachsgemeinden tatsächlich und realistisch unterschiedliche Voraussetzungen bestehen können. Es kann in einer Zuwachsgemeinde auf Grund gewisser struktureller Voraussetzungen zu einer ganz anderen finanziellen Situation kommen als in einer anderen. Deshalb meine ich, daß die Zuwachsgemeinden in erster Linie
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 2003
Parl. Staatssekretär Hermsdorfam besten von dem zuständigen Land und nicht vom Bund beurteilt werden können. Deshalb muß, wenn man helfen will, versucht werden, hier eine Verständigung zwischen allen drei Ebenen zu finden. Der Bund kann das nicht allein machen; er würde nicht nur über seine Kompetenz hinausgehen, sondern er würde, wenn er von sich aus tätig würde, wahrscheinlich Probleme aufreißen, die er aus seiner Sicht tatsächlich nicht übersehen kann.
Keine Zusatzfrage. Die Frage 25 soll auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 26 kann nach den Richtlinien für die Fragestunde nicht behandelt werden, weil die Materie heute Gegenstand der Tagesordnung war.
Damit sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich beantwortet; ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Groß auf:
Sind unerschöpfliche Energiereserven im heißen Erdinnern, auf die von den Vereinten Nationen laut Pressemeldungen hingewiesen wurde, auch in Europa, speziell in der Bundesrepublik Deutschland, vorhanden, und wenn ja, sieht die Bundesregierung eventuell in Zusammenarbeit mit anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft eine Möglichkeit, diese Energiequellen zu nutzen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Groß, Energiereserven im Innern der Erde, auf die von den Vereinten Nationen hingewiesen wurde, befinden sich in geringem Umfange auch in der Bundesrepublik. Geothermische Untersuchungen haben bei Landau und bei Urach in Baden-Württemberg kleinere Aufheizungen im Untergrund gezeigt, die aber wahrscheinlich nicht wirtschaftlich verwertet werden können. Günstiger sind die Aussichten für eine wirtschaftliche Nutzung heißer Tiefenwässer für Fernheizanlagen. Die Bundesanstalt für Bodenforschung arbeitet zur Zeit eine Studie über die Verwertbarkeit der Erdwärme in der Bundesrepublik unter Abschätzung der Möglichkeiten in den übrigen Ländern der Gemeinschaft aus.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie es nach dem bisherigen Kenntnisstand für sinnvoll halten, wenn die Bundesregierung in Kontakt mit den Regierungen der anderen Staaten der Europäischen Gemeinschaft tritt, um dort etwa nach solchen Möglichkeiten zu forschen und dabei gegebenenfalls auch mit ihnen bei der Erschließung zusammenzuarbeiten, z. B. in Italien?
Herr Kollege, obwohl die geothermischen Aufheizungen in der Regel örtlich beschränkt sind, werden wir selbstverständlich die
Möglichkeiten einer Nutzung, insbesondere mit Frankreich und Italien, erörtern. Die Bundesregierung wird nach Vorlage der erwähnten Studie diese Möglichkeiten einer Zusammenarbeit sorgfältig prüfen. Wir sehen allerdings als Voraussetzung für konkrete Gespräche das Vorliegen dieser Studie an, auf die ich hingewiesen habe.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Milz auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die in den regionalen Aktionsprogrammen „Nordeifel — Grenzraum Aachen" und „Eifel — Hunsrück" umschriebenen Förderungsgebiete in ihrer jetzigen Struktur vergleichbar sind und daß sich hieraus eine gleichwertige und gleichartige Förderung zwangsläufig ergibt?
Herr Kollege, gestatten Sie mir, daß ich Ihre beiden Fragen im Zusammenhang beantworte?
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 29 des Abgeordneten Milz auf:
Wie erklärt die Bundesregierung den auffälligen Unterschied zwischen dem Mittelbedarf ins Aktionsprogramm „Nordeifel -Grenzraum Aachen" mit 45 Millionen DM und dem Aktionsprogramm „Eifel — Hunsrück" mit 107,10 Millionen DM, und wie ist in diesem Zusammenhang der gleiche Unterschied im Bereich der verfügbaren Förderungsmittel zu erklären?
Die von Ihnen angesprochenen regionalen Aktionsprogramme „Nordeifel-Grenzraum Aachen" und „Eifel — Hunsrück" sind vom Planungsausschuß der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", dem unter Vorsitz des Bundesministers für Wirtschaft sämtliche Wirtschaftsminister der Bundesländer angehören, in den ersten Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe übernommen worden. Dieser ist mit Wirkung vom 1. Januar 1972 in Kraft getreten. Gleichzeitig hat der Planungsausschuß ein umfangreiches Forschungsprogramm als Grundlage für eine Neuorientierung der regionalen Wirtschaftspolitik eingeleitet. Dieses Forschungsprogramm befaßt sich vor allem mit dem Umfang der Fördergebiete und den in den einzelnen Regionen anzustrebenden Förderungszielen sowie dem sich daraus ergebenden Mittelbedarf. Mit den ersten Ergebnissen der laufenden Forschungsaufträge ist in Kürze zu rechnen. Sie werden im Herbst im Planungsausschuß geprüft und zur Grundlage entsprechender Beschlüsse gemacht werden.Aus diesem Grunde möchte ich zu dem von Ihnen angestrebten Vergleich der beiden Aktionsräume vor Abschluß dieser Beratungen nicht Stellung nehmen. Hinsichtlich des Mittelbedarfs möchte ich darauf hinweisen, daß die Planungen eines Aktionsprogramms letztlich durch die Verfügbarkeit an Bundesmitteln begrenzt werden und daß gegenwärtig für alle drei Aktionsprogramme des Landes Nordrhein-Westfalen insgesamt lediglich 3 Millionen DM zur Verfügung stehen. Dieser Anteil Nordrhein-Westfalens an den Bundesmitteln für die Gemein-
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2004 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Parl. Staatssekretär Grünerschaftsaufgabe ist historisch bedingt. Er wird durch Landesmittel in erheblichem Umfange ergänzt, die aber im Rahmenplan selbst keinen Niederschlag finden.Bei der Neuorientierung der regionalen Wirtschaftspolitik im Herbst dieses Jahres wird selbstverständlich auch ein neuer Verteilungsschlüssel entsprechend dem festgestellten Finanzbedarf der einzelnen Gebiete beschlossen werden müssen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, muß ich Ihre Antwort so verstehen, daß die Drucksache 7/401, die uns vor wenigen Tagen zugegangen ist, insofern als gegenstandslos zu bezeichnen ist, als das, was uns dort an Zahlen genannt ist, noch einmal, wie Sie angekündigt haben, überprüft wird?
Es trifft zu, Herr Kollege, daß ein solches regionales Förderungsprogramm ständiger Wandlung unterliegt, und daß es Aufgabe aller beteiligten Stellen ist, die Richtigkeit solcher Programme zu überprüfen. Das ist das Ziel der eingeleiteten Untersuchungen. Die Zahlen, die Ihnen im Augenblick bekannt sind, sind die Grundlagen unserer Arbeit. Allerdings möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß neue Erkenntnisse, zu denen wir etwa kommen, dann auch Grundlage unserer gemeinsamen Arbeit im Planungsausschuß sein werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gehe ich recht in der Annahme, daß es bei der Ausformung und insbesondere bei der Darstellung solcher Aktionsprogramme wesentlich auch auf die Mithilfe oder die Mitarbeit der jeweiligen Landesregierung ankommt?
Der Anteil der jeweiligen Landesregierung an diesen Programmen ist ganz entscheidend.
Eine weitere Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, Sie sprachen davon, daß diese Förderungsmaßnahmen im Lande Nordrhein-Westfalen durch Landesmittel erheblich verstärkt würden. Ist dies in Rheinland-Pfalz anders, oder werden auch dort erhebliche Landesmittel noch zusätzlich zu den in der Drucksache 7/401 aufgeführten Mitteln gegeben?
Die Praxis der einzelnen Länder in dieser Frage ist unterschiedlich, weil die finanziellen Möglichkeiten der einzelnen Länder, die Programme
zu ergänzen, sehr unterschiedlich sind. Es ist aber zutreffend, daß auch in anderen Ländern von der Landesregierung ergänzende Mittel gegeben werden.
Letzte Zusatzfrage.
Ich darf noch einmal fragen: Können Sie mir die Frage beantworten, ob das Land Rheinland-Pfalz zusätzlich zu den hier aufgeführten Mitteln noch Landesmittel in den Aktionsraum Eifel — Hunsrück hineingibt?
Diese konkrete Frage kann ich Ihnen nicht beantworten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 30 des Herrn Abgeordneten Wüster auf:
Hält die Bundesregierung die Ankündigung des Versicherungsaufsichtsamts, per 1. Juli 1973 die Prämie in der Kfz-Haftpflichtversicherung für Personenkraftwagen und Kombiwagen erneut um 10 und 13 % anzuheben, trotz verminderter Unfallquote und günstiger Ertragslage der Versicherungsgesellschaften für gerechtfertigt?
Herr Kollege, die den Genehmigungsbehörden eingereichten Unternehmenstarife in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung sehen überwiegend eine Laufzeit bis zum 31. Dezember 1974 vor. Die Tarifbeiträge sind im wesentlichen von der Höhe des Schadenbedarfs — das ist der durchschnittliche Schadenaufwand je Versicherungsvertrag — und der voraussichtlichen Schadenentwicklung abhängig. Der Schadenbedarf hat sich in den letzten Jahren ständig erhöht. Er stieg vom Jahre 1971 auf das Jahr 1972 um 9 % von 252 auf 278 DM, obschon im gleichen Zeitraum die Schadenhäufigkeit um 5,7 % gesunken ist. Mit einem weiteren Anstieg des Schadenaufwands muß für die Jahre 1973/74 auch bei einer leicht rückläufigen Schadenhäufigkeit gerechnet werden. Da die erhöhten Kosten des Schadenverlaufs in Zukunft nicht mehr durch die jetzt geltenden Beiträge gedeckt werden können und die beantragten Tarife die in § 8 Abs. 2 des Pflichtversicherungsgesetzes im einzelnen normierten Voraussetzungen — nämlich eine schaden-
und kostengerechte Kalkulation — erfüllen, muß das Bundesaufsichtsamt die Genehmigung für eine Prämienänderung in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung erteilen. Die genaue Höhe der Prämienerhöhung für die einzelnen Versicherungsunternehmen ist noch nicht festgelegt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wird hier nicht etwas antizipiert, was noch nicht vorliegt? Nach meinen Ermittlungen ist nämlich die Schadenhäufigkeit von 233 Schadenfällen im Jahre 1960 auf 132 im Jahre 1972 gesunken. Die wirtschaftliche Lage
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973 2005
Wüsterder Versicherungen hat sich durch die in den letzten vier Jahren vorgenommene Prämienerhöhung um 54 % verbessert. Die Versicherungen haben einen Gewinn in Höhe von 130 Millionen DM gemacht. Die Ankündigung weiterer Tariferhöhungen ist also eine prozyklische Maßnahme und entspricht nicht den Bedingungen der Bundesregierung.
Herr Kollege, trotz der zutreffenden Unterstellung, daß sich die wirtschaftliche Lage der Versicherungsunternehmen insgesamt in der von Ihnen angedeuteten Weise entwickelt hat, bleibt die Tatsache bestehen, daß alle unsere Untersuchungen ergeben haben, daß eine solche Angleichung der Prämien notwendig ist, um den zu erwartenden Schadenverlauf abzudecken. Es ist die Verpflichtung des Amtes, in dieser Weise zu reagieren und auch einen mit Sicherheit vorauszusehenden Verlauf der Schadenentwicklung zu berücksichtigen.
Eine weitere Zusatzfrage? —
Ich rufe dann die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Wüster auf:
Ist die Bundesregierung bereit, im Interesse aller Versicherten und einer erfolgreichen Stabilitätspolitik eine öffentliche Kostenrechnung vorzulegen?
Herr Kollege, die Versicherungsunternehmen sind bereits nach der von meinem Hause erlassenen Tarifverordnung verpflichtet, für die Versicherungsarten der Kraftfahrversicherung den technischen Überschuß oder Fehlbetrag eines jeden Kalenderjahres durch Gegenüberstellung der Einnahmen und Ausgaben festzustellen und der Genehmigungsbehörde vorzulegen. Die Auswertung der eingereichten Überschußabrechnung wird jeweils vom Bundesversicherungsamt im Bundesanzeiger veröffentlicht. Darüber hinaus sollen die Versicherungsunternehmen in Zukunft verpflichtet werden, auch die Nettozinserträge, soweit sie der Kraftfahrzeugversicherung zugerechnet werden können, auszuweisen. Eine entsprechende Ergänzung der Tarifverordnung wird zur Zeit in meinem Hause vorbereitet; sie soll noch im Laufe dieses Jahres in Kraft treten. Es ist beabsichtigt, eine Auswertung ebenfalls zu veröffentlichen.
Ich nehme an, daß damit Ihrer Anfrage Rechnung getragen ist.
Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung bereit, das Kraftfahrversicherungsrecht so zu verändern, daß die Befugnisse des Bundesversicherungsaufsichtsamtes wesentlich erweitert werden?
Wir sind der Meinung, daß die Befugnisse des Bundesversicherungsaufsichtsamtes ausreichen, um den jeweils — auch wirtschaftlich — gegebenen veränderten Verhältnissen Rechnung zu
tragen, wie ja etwa gerade meine Antwort auf Ihre vorherige Frage deutlich zeigt.
Das schließt nicht aus, daß wir auch Veränderungen in den Befugnissen des Aufsichtsamtes vorsehen werden, wenn sich dazu eine wirtschaftliche Notwendigkeit ergeben sollte.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 32 und 33 des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs können gemäß Ziffer 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde nicht beantwortet werden, weil sie die Tagesordnungspunkte 2 bis 5 betreffen.
Ich rufe die Frage 34 des Herrn Abgeordneten Schmidhuber auf. — Der Kollege ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz und die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst können gemäß Ziffer 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde ebenfalls nicht beantwortet werden.
Die Frage 36 des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn ist vom Antragsteller zurückgezogen worden.
Ich rufe daher die Frage 38 der Abgeordneten Frau von Bothmer auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß deutsche Firmen über ihre Niederlassungen und Vertretungen in Südafrika rege Wirtschaftsbeziehungen zu Rhodesien unterhalten, daß beispielsweise das Telefonvermittlungsamt für die rhodesische Stadt Bulawayo von einer deutschen Großfirma unter der Auftragsbezeichnung „Johannesburg I/II" ausgebaut und mit aus München gelieferten Anlagen ausgestattet wird, und ist die Bundesregierung bereit, diesbezüglichen Hinweisen auf Verstöße gegen die 13. Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung vom 7. November 1968 bzw. die Bestimmungen des Runderlasses Außenwirtschaft Nr. 51,68 vom 9. November 1968 (Bundesanzeiger Nr. 211 vom 9. November 1968) nachzugehen?
Frau Kollegin, der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß deutsche Firmen über ihre Niederlassungen und Vertretungen in Südafrika rege Wirtschaftsbeziehungen zu Südrhodesien unterhalten.Soweit es sich um rechtlich selbstständige Niederlassungen deutscher Firmen oder um Zweigniederlassungen mit Leitung und Buchführung in Südafrika handelt, unterliegen diese als Gebietsfremde allerdings auch nicht den Beschränkungen des deutschen Außenwirtschaftsverkehrs mit Südrhodesien. Insofern kann nicht verhindert werden, daß Waren aus der Bundesrepublik, die legal nach Südafrika ausgeführt worden sind, gelegentlich ihren Weg nach Südrhodesien finden.Der Bundesregierung ist auch nicht bekannt, daß das Telefonvermittlungsamt in Bulawayo mit aus München gelieferten Anlagen ausgestattet wird. Sie ist selbstverständlich bereit, Untersuchungen darüber einzuleiten, ob hierbei gegen die einschlägigen Bestimmungen des Außenwirtschaftsrechtes verstoßen wurde, insbesondere ob die Ausfuhr nicht von vorneherein für Südrhodesien als Käufer- oder Verbrauchsland bestimmt war.
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2006 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1973
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort dann entnehmen, daß die Bundesregierung dafür Sorge tragen wird, daß die in der Republik Südafrika tätigen und niedergelassenen deutschen Unternehmen auf die Illegalität des Transithandels mit Rhodesien nachdrücklich hingewiesen werden, und daß die Bundesregierung versuchen wird, diesen Transit zu verhindern, weil dadurch die Sanktionen umgangen werden?
Die Bundesregierung hat den gesamten Warenverkehr, den Dienstleistungsverkehr, den Kapitalverkehr und den Zahlungsverkehr mit Südrhodesien unter Genehmigung gestellt. Da grundsätzlich keine Genehmigungen erteilt werden, kommen die Beschränkungen des Wirtschaftsverkehrs mit Südrhodesien einem vollständigen Embargo gleich.
Daß dennoch gelegentlich Waren aus der Bundesrepublik nach Südrhodesien gelangen oder Erzeugnisse südrhodesischer Herstellung mit unrichtigen Ursprungszeugnissen in die Bundesrepublik eingeführt werden, liegt darin begründet, daß sich einige als Umschlagplatz für solche Waren dienende Nachbarländer Südrhodesiens den Sanktionen nicht angeschlossen haben. Die Bundesregierung hat aber von sich aus alles getan und wird auch in Zukunft alles tun, um den Sanktionen, die ja von den Vereinten Nationen verhängt worden sind, volle Geltung zu verschaffen.
Eine Zusatzfrage.
Darf ich davon ausgehen, Herr Staatssekretär, daß Sie Hinweisen nachgehen werden, die darauf hindeuten, daß diese Sanktionen auf eine von mir angedeutete Weise umgangen werden?
Selbstverständlich, Frau Kollegin. Ich habe das im Blick auf den von Ihnen konkret genannten Fall schon zugesagt.
Keine weitere Zusatzfrage. Dann danke ich Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Logemann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Ronneburger auf:
Ist die Behauptung zutreffend, daß sich die Preis-Kostenschere trotz teilweiser Verbesserung einzelner Agrarpreise immer mehr zuungunsten der deutschen Landwirtschaft öffnet, und welche Beispiele im einzelnen kann die Bundesregierung dafür oder dagegen anführen?
Herr Kollege Ronneburger, die Preis-Kosten-Situation hat sich in den letzten beiden Wirtschaftsjahren 1971/72 und 1972/73 eindeutig zugunsten der deutschen Landwirtschaft entwickelt.
Nach dem aufwertungsbedingten Preisrückgang im Wirtschaftsjahr 1970/71, der durch Ausgleichszahlungen von jährlich 1,7 Milliarden DM ausgeglichen wurde, begannen im Oktober 1971 die Erzeugerpreise kräftig anzusteigen. Seitdem liegen die monatlichen Steigerungsraten gegenüber dem entsprechenden Vorjahresmonat beim Index der Erzeugerpreise über denen des Index der Betriebsmittelpreise, so daß sich die Preis-Kosten-Schere immer mehr zugunsten der Landwirtschaft geschlossen hat.
Für einzelne Produkte sind keine Zeitreihen über produktspezifische Kosten bekannt. Allerdings ist zu erwähnen, daß die Erhöhung der Futtermittel-preise infolge der weltweiten Eiweißknappheit zu einem Anstieg der Veredelungskosten geführt hat.
Wenn auch im April 1973 die Preise erstmals wieder zurückgingen, so dürfte eine Rückkehr zu dem Niveau von Mitte 1972 vorläufig nicht gelingen. Jedoch zeigen die Erzeugerpreise - am deutlichsten für Schlachtschweine und Schlachtrinder, für Milch sowie für Obst und Gemüse , daß sich die PreisKosten-Situation verbessert hat. Diese Entwicklung wird auch durch die Einkommenssteigerung in der Landwirtschaft, wie sie im Agrarbericht 1973 ausgewiesen ist, bestätigt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, diese Ihre Aussage für den Verlauf insbesondere in den letzten Monaten zu präzisieren und auch dazu Stellung zu nehmen, ob die zusätzliche Belastung durch Erhöhung der Eiweißkosten in den Futtermitteln und die eingetretenen Preissenkungen bei Schlachtbullen trotzdem den Schluß zulassen, daß eine positive Entwicklung bis in diese letzten Monate hin angehalten hat, und ob wir in diesem Jahr - im Vergleich des jeweiligen Monats mit dem Vorjahresmonat — trotz dieser Belastungen noch Steigerungen um etwa 10 bis 15 % zu verzeichnen haben?
Für das gesamte Wirtschaftsjahr, in dem wir jetzt stehen, möchte ich sagen, daß wir entsprechend unserer Aussage im Agrarbericht die Entwicklung so haben werden, also eine positive Preisentwicklung da ist. Allerdings ist in den letzten Monaten festzustellen — darauf habe ich schon hingewiesen -, daß gerade durch die Verteuerung bestimmter Futtermittel nun die Situation etwas schlechter geworden ist. Hinzu kommt — auch das muß man hinzunehmen eine Steigerung der Düngemittelpreise; sie wird sich vor allen Dingen erst im nächsten Wirtschaftsjahr auswirken. Ferner kommt hinzu, daß die Kosten für gewisse Betriebsmittel erheblich gestiegen sind. Infolgedessen wird man in diesen letzten Monaten wahrscheinlich feststel-
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Parl. Staatssekretär Logemannlen, daß sich das Preis-Kosten-Verhältnis nicht mehr zugunsten der Landwirtschaft entwickelt hat.
Eine weitere Zusatzfrage? — Das ist nicht der Fall.
Die beiden Kollegen, die die Fragen 40 und 41 gestellt haben der Abgeordnete Schmitz und der Abgeordnete Simpfendörfer — sind nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet; die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs; ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir sind zugleich am Ende der heutigen Fragestunde und der heutigen Sitzung.
Ich berufe das Haus auf morgen, den 24. Mai, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.