Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren! Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll dip Tagesordnung ergänzt werden um dein
Mündlichen Bericht des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Änderung von Kostenermächtigungen, sozialversicherungsrechtlichen und anderen Vorschriften
— Drucksache VI/897 —
Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist. — Dann ist die Erweiterung der Tagesordnung damit beschlossen. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll der Bericht des Vermittlungsausschusses heute um 18 Uhr aufgerufen werden.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Vorsitzende des Vermittlungsausschusses hat am 3. Juni 1970 mitgeteilt, daß der Vermittlungsausschuß das vom Deutschen Bundestag in seiner 45. Sitzung am 22. April 1970 beschlossene Verwaltungskostengesetz bestätigt hat. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/899 verteilt.
Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat am 2. Juni 1970 mitgeteilt, daß gegen die nachfolgenden Verordnungen keine Einwendungen erhoben wurden:
Verordnung des Rates zur Verlängerung des Wirtschaftsjahres 1969/1970 für Rindfleisch
Verordnung des Rates zur Verlängerung des Milchwirtschaftsjahres 1969/1970
— Drucksache VI/ 618 — Verordnung des Rates zur Bestimmung der Tafelweinarten
Verordnung des Rates zur Festsetzung der Orientierungspreise für die Zeit vom . . . 1970 bis zum 15. Dezember 1970
Verordnung des Rates mit Grundregeln für die Festsetzung des Referenzpreises für Wein
Verordnung des Rates zur Definition bestimmter aus Drittländern stammender Erzeugnisse der Zolltarifnummern 22.04 und 22.05.
- Drucksache VI/768 —
Verordnung des Rates zur Festsetzung der Auslösungspreise für bestimmte Tafelwefnarten für die Zelt vom . . . bis zum 15. Dezember 1970.
— Drucksache VI/770 —
Damit kommen wir zum ersten Punkt der Tagesordnung:
Fragestunde
— Drucksache VI/869 —
Es kommen zuerst die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zunächst die Frage 45 des Abgeordneten Geldner. Tst Herr Geldner im Saal?
— Dann wird die Frage schriftlich beantwortet. Das gilt auch für die Frage 46.
Ich komme zur Frage 47 des Abgeordneten Niegel:
Welche Gründe haben zu der Meldung der „Süddeutschen Zeitung" vom 5. Mai 1970 geführt, die sich auf Äußerungen von Bundeskanzler Brandt beruft, „der offensichtlich tief besorgt über die Verschlechterung dar Handelsbeziehungen zu den USA und deren möglichen politischen Auswirkungen eine 15prozentige f Getreidepreissenkung für angemessen halte, wofür den Bauern aus dem Haushalt ein Ausgleich gewährt werden müsse"?
Herr Niegel ist im Saal. Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Der Herr Bundeskanzler hat keine Äußerungen getan, die darauf schließen lassen könnten, daß er eine solche Getreidepreissenkung für angemessen halte.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Niegel.
Herr Staatssekretär, hat der Herr Bundeskanzler — wenn schon der Staatssekretär im Ernährungsministerium die Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers immer dementieren muß
— wenigstens dann bei der „Süddeutschen Zeitung" darauf hingewiesen, daß er diese Äußerung nicht getan hat?
Ich bin für die Äußerungen der Süddeutschen Zeitung nicht verantwortlich. Ich kann Ihnen nur mitteilen, daß der Bundeskanzler eine solche Äußerung nicht getan hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine zweite Zusatzfrage!
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2956 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Herr Staatssekretär, wenn Sie .schon sagen, der Herr Bundeskanzler habe diese Äußerung nicht getan — ich habe ja in meiner Frage nicht nach der Äußerung, sondern nach den Gründen dieses möglichen Zitats gefragt --, möchte ich fragen, ob dann jenes Zitat zutrifft, ,daß der Bundeskanzler vor dem National Presseclub in Washington zur gleichen Zeit erklärt hat, die Bundesrepublik Deutschland werde sich auch weiterhin mit Nachdruck dafür einsetzen, daß die Europäische Gemeinschaft eine weltweite Liberalisierung nicht hemmen dürfe. „Brandt scheint auch zu weiteren Zugeständnissen auf dem Getreidesektor bereit zu sein", schreibt dazu das Landwirtschaftliche Wochenblatt.
Dazu kann ich nicht Stellung nehmen, weil ich diese Äußerung im Text nicht vorliegen habe. Ich darf aber noch einmal darauf verweisen, daß aus meiner Antwort soeben schon ersichtlich wurde, daß der Bundeskanzler eine Äußerung in Richtung Getreidepreissenkung nicht getan hat.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Dasch.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für denkbar, daß auf Grund dieser Äußerung des Herrn Bundeskanzlers bei Liberalisierungsverhandlungen der EWG mit den USA doch ein niedrigerer Getreidepreis in der EWG herbeigeführt werden könnte?
Nein, dieser Auffassung bin ich nicht. Das würde im übrigen auch im Widerspruch stehen zu den agrarpolitischen Vorstellungen der Bundesregierung.
Ich komme zur Frage 48 des Abgeordneten Müller . Ist er im Saal? — Nein. Dann wird die Frage schriftlich beantwortet; das gilt auch für die Frage 49.
Ich komme zur Frage 50 des Abgeordneten Niegel:
Wieviel landwirtschaftliche Betriebe werden im Bundesgebiet und in Bayern künftig nach dem vom Bundesernährungsminister vorgelegten Richtlinienentwurf für ein mittelfristiges Förderungsprogramm der Bundesregierung im Bereich der Landwirtschaft, unter Berücksichtigung der einzelnen Forderungskriterien — wie z. B. bereinigtes Betriebseinkommen von 24 000 DM je Betrieb, ordnungsgemäße Buchführung bzw. zweimaliger Buchführungsabschluß pro Jahr, persönliche und berufliche Qualifikation durch Landwirtschaftsgehilfenprüfung und landwirtschaftlicher Fachschulabschluß sowie Bereitwilligkeit zu Kooperation — noch mit einer Förderung rechnen können?
Herr Kollege Niegel, ich beantworte Ihre Frage wie folgt.
Eine genaue Beantwortung der gestellten Frage wäre nur dann möglich, wenn für eine repräsentative Anzahl von Betrieben im Bundesgebiet bzw. in Bayern Betriebsentwicklungspläne vorliegen würden. Weder für Bayern noch für das Bundesgebiet existieren jedoch bisher solche Unterlagen. Die Entwicklungsfähigkeit eines Betriebes läßt sich nur an Hand einer genauen betriebswirtschaftlichen Analyse des Einzelunternehmens sowie an Hand der individuellen Fähigkeiten und Neigungen des Betriebsleiters beurteilen. Deshalb soll die Vorlage eines Betriebsentwicklungsplanes in jedem Fall zur Voraussetzung einer Förderung gemacht werden.
Aus den vorgesehenen Buchführungsauflagen dürfte sich keine ungerechtfertigte Abgrenzung des Berechtigtenkreises ergeben, da die landwirtschaftlichen Buchstellen zugesichert haben, daß ihre Kapazität ausreiche, um den zu erwartenden Arbeitsanforderungen gerecht zu werden. Die Anforderungen an die Berufsausbildung sollen nur für die Betriebsleiter gestellt werden, die nach 1953 geboren sind, so daß sich jeder Betroffene rechtzeitig hierauf einstellen kann.
Die Bereitschaft zur Kooperation setzt eine persönliche Entscheidung des Betriebsinhabers voraus, die von hier aus nicht beurteilt werden kann.
Das Förderungsprogramm ist den Bundesländern zugeleitet worden und wird mit ihnen ausführlich beraten werden. Ich werde darüber hinaus einen Praktikerausschuß mit dem Programm befassen. Der Ernährungsausschuß dieses Hohen Hauses beabsichtigt, ein öffentliches Hearing zu veranstalten. Die Wissenschaft werde ich befragen.
So ist gewährleistet, daß die endgültigen Bestimmungen unter Verwendung der Meinungen aller Fach- und Sachkundigen erlassen werden können.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Niegel.
Herr Staatssekretär, würden Sie meiner Meinung zustimmen, daß nach dem Grünen Bericht heute ein bereinigtes Betriebseinkommen von 1032 DM vorliegt? Wenn man von diesem bereinigten Betriebseinkommen, das Sie ja zur Zielschwelle machen, ausgeht und die Betriebe über 5 ha im Bundesgebiet ansieht, dann bleiben von den 700 000 Betrieben über 5 ha 100 000 übrig, die über die Grenze des bereinigten Betriebseinkommens gelangen; in Bayern sind es nur noch 25 000. Das heißt, daß 600 000 Betriebe über 5 ha im Bundesgebiet und 210 000 Betriebe in Bayern nicht mehr mit einer Förderung rechnen können.
Herr Kollege Niegel, ich würde Ihrer Auffassung und den von Ihnen genannten Zahlen nicht zustimmen. Im übrigen wurde die Zielschwelle so festgelegt, daß die Betriebe nach der Umstellung
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 2957
Parlamentarischer Staatssekretär Logemannentsprechend den Grundsätzen des Landwirtschaftsgesetzes ein angemessenes Einkommen erzielen sollen.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Niegel. Ich bitte Sie, sich kurz zu fassen.
Herr Staatssekretär, in welchen Kriterien unterscheidet sich dieser sogenannte Ertl-Plan vom Mansholt-Plan, abgesehen von der Zielschwelle?
Der Plan, den wir jetzt vorgelegt haben— Sie meinen das mittelfristige Förderungsprogramm —, unterscheidet sich in sehr wesentlichen Punkten vom sogenannten Mansholt-Plan, auch von der zweiten Ausgabe, in der eindeutig ein Einkommen für zwei volle Arbeitskräfte angestrebt wird.
Im übrigen, Herr Kollege Niegel, verstehe ich Ihre Besorgnisse nicht; denn Ihnen dürfte bekannt sein, daß Ihr Parteifreund und ehemaliger Landwirtschaftsminister Höcherl in seinem Buch „Die Welt zwischen Hunger und Überfluß" auf Seite 125 die Einführung einer sogenannten Entwicklungsschwelle vorgeschlagen hat. Darüber hinaus hat er in seinem Buch die Einführung einer sogenannten Eingangsschwelle als absolute untere Grenze für die Förderungswürdigkeit der Betriebe angeregt.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dasch.
Herr Staatssekretär, da in dem Vorschlag des Ernährungsministeriums eine Jahresschwelle von vier Jahren festgelegt wurde, wonach ein Betrieb 24 000 DM Gesamteinkommen oder 16 000 DM Pro-Kopf-Arbeitseinkommen erhalten haben soll, frage ich Sie, auf welchen gesicherten Grundlagen der Preispolitik oder der preispolitischen Zielsetzung der Bundesregierung diese Jahre berechnet werden sollen.
Herr Kollege, vielleicht darf ich hier eine Antwort verlesen, die der Abgeordnete Logemann einmal auf eine ähnliche Frage seinerzeit von Bundesernährungsminister Höcherl bekommen hat. Da heißt es:
Die Zahl der Voll-, Zu- und Nebenerwerbsbetriebe läßt sich weder absolut noch im Verhältnis der einzelnen Betriebsformen festlegen, jedoch wird sich auch zukünftig ähnlich wie in der Vergangenheit die Zahl der Betriebe und der Anteil der einzelnen Betriebsformen ändern. Der Verlauf der Entwicklung wird maßgeblich von der Einkommenserwartung unserer Industriegesellschaft bestimmt, also von einem
außerlandwirtschaftlichen Faktor, — der sich
einer Quantifizierung deshalb entzieht, weil zusätzlich noch zahlreiche andere endogene und exogene Determinanten wirksam werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Dr. Gleissner.
Herr Staatssekretär, ohne noch einmal in die Zahlenarithmetik einzusteigen, frage ich: Ist es nicht so, daß Sie mit dem Förderungsprogramm, welches Sie jetzt vorschlagen, einen Weg begehen, der erstens einmal von dem abweicht, was bisher Sie, Herr Ernährungsminister, zehn Jahre lang selbst und im besonderen in der seinerzeitigen Mansholt-Debatte im Dezember 1968 vertreten haben, und daß damit zweitens der bäuerlichen Landwirtschaft erneut Defätismus und Resignation beschert werden?
Herr Kollege, Ihre Auffassung kann ich nicht teilen. Wir haben uns bemüht, in unserem mittelfristigen Förderungsprogramm sehr flexible Lösungen und Entwicklungen vorzuschlagen und Kriterien einzusetzen, die tatsächlich weitgehend flexibel gehalten worden sind. Es ist doch bekannt, daß eigentlich schon Herr Minister Höcherl die Vaterschaft für diesen Entwurf angemeldet hat. Er hat gesagt, das sei die Fortsetzung seines Plans. Ich darf darauf hinweisen, daß ich insofern Ihre parteipolitische Übereinstimmung nicht kenne.
Moment, Herr Abgeordneter Gleissner! Zu einer zweiten Zusatzfrage haben Sie das Wort nicht bekommen, und Sie bekommen es auch nicht.
Herr Abgeordneter Haack!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, da in der Frage des Kollegen Niegel nach einer Förderung landwirtschaftlicher Betriebe im Bundesgebiet und in Bayern gefragt wird, darf ich Sie um Auskunft darüber bitten, ob die Bundesregierung davon ausgeht, daß es nur eine einheitliche Förderung im gesamten Bundesgebiet geben darf.
Wir gehen natürlich vom gesamten Bundesgebiet aus.
Herr Abgeordneter Dr. Jobst!
Herr Staatssekretär, wer ist überhaupt dazu in der Lage, die verlangten und vorzulegenden Buchführungsunterlagen zu prüfen?
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2958 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Die Möglichkeit dazu besteht durchaus.
Herr Abgeordneter Dröscher!
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß nach Jahren der Ungewißheit und der unklaren Aussagen darüber, welche Schwellen gesetzt werden sollen, jetzt endlich klare Vorstellungen bestehen, so daß diejenigen Betriebe, die nun die Chance haben, Hilfe zu erhalten, keinen Grund zu Defätismus, sondern zu Optimismus haben?
Gerade diese Absicht haben wir und deshalb haben wir die flexible Lösung in unsere Vorstellungen zum mittelfristigen Förderungsprogramm aufgenommen.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft, Herr Staatssekretär Dr. Arndt, und zwar zuerst zur Frage 34 des Abgeordneten Schulte . Ist der Fragesteller im Saal? — Das ist nicht der Fall. Dann wird die Frage schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 35 des Abgeordneten Dr. Jobst:
Treffen Meldungen zu, wonach der beim Bundesminister für Wirtschaft bestehende Arbeitskreis „Automation" in eine „Deutsche Kommission für technischen und strukturellen Wandel " umgewandelt werden soll?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich bitte, die beiden Fragen zusammenfassend beantworten zu dürfen.
Bitte sehr! Dann rufe ich noch die Frage 36 des Abgeordneten Dr. Jobst auf:
Welche haushaltsmäßigen Belastungen sind für diese Maßnahme vorgesehen, und wie sollen sie gedeckt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Meldungen treffen zu, Herr Kollege. Es ist vorgesehen, den Arbeitskreis „Automation" durch Kabinettsbeschluß in eine von der Bundesregierung unabhängige Sachverständigenkommission umzuwandeln. Die Einzelheiten, insbesondere Einzelheiten der haushaltsmäßigen Belastung, werden zur Zeit zwischen den Ressorts erörtert.
Zusatzfrage, bitte sehr!
Herr Staatssekretär, warum ist die Umwandlung erforderlich, nachdem der bisherige Arbeitskreis „Automation" regelmäßig unter Beteiligung der Sozialpartner sowie der Bundesministerien für Arbeit und Sozialordnung und für Wirtschaft getagt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ein Teil der Teilnehmer wünscht die Umwandlung in einen unabhängigen Sachverständigenausschuß. Das ist ein Petitum, dem die Regierung nicht allzu starken Widerstand entgegensetzen könnte.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, zu sagen, welche Wissenschaftler von Rang bisher in den Arbeitskreis „Automation" berufen wurden und nach welchen Auswahlkriterien diese Berufung erfolgt ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin gern bereit, darüber in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages eingehend Bericht zu erstatten.
Sie können noch einmal fragen, Herr Dr. Jobst, da Sie zwei Hauptfragen gestellt haben.
Ja, ich habe noch eine Zusatzfrage. Ich möchte gern wissen, Herr Staatssekretär, welche Forschungsobjekte ohne Ausschreibung an wen vergeben worden und wie viele Ausschreibungen bisher erfolgt sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin gern bereit, Ihnen auch das im Ausschuß oder direkt schriftlich mitzuteilen. Das ist ein umfangreicher Katalog, der sich nicht zur Verlesung eignet.
Herr Abgeordneter Dasch, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Aufträge der Bundesregierung für diese Forschungsobjekte immer nur an den gleichen engen Kreis der Institute vergeben werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
So viele Aufträge hat es für diesen Arbeitskreis noch nicht gegeben. Es waren bisher 14 Objekte. Ich sehe hier durchaus unterschiedliche Namen bei den bearbeitenden Forschern. Das reicht von Bonn bis Berlin und von Frankfurt bis Heidelberg.
— München ist ganz besonders stark vertreten.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 2959
Herr Abgeordneter Niegel, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, warum vergibt der Bundesminister für Wirtschaft die meisten Forschungsprojekte auf dem Umweg über das Rationalisierungskuratorium der Deutschen Wirtschaft und nicht direkt an die wissenschaftlichen Institute?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weil das Rationalisierungskuratorium der Deutschen Wirtschaft gewisse Aufgaben hat, in deren Rahmen es solche Aufträge zu vergeben wünscht und sich dabei des Rückgriffs auf öffentliche Mittel des Bundes bedient. Es handelt sich um Projekte der Rationalisierung und Produktivitätssteigerung. Ich glaube, das läuft schon seit zehn Jahren. Die Frage ist nur, in welchem Verhältnis diese Projekte zur gesamten Aktivität des RKW stehen sollten. Über diese Frage stehen wir zur Zeit in Erörterung mit dem RKW.
Ich komme zur Frage 37 des Herrn Abgeordneten Di. Giulini:
Kann die Bundesregierung Auskunft geben, oh bei Kapitalhilfen in Entwicklungsländer Lieferbindungen vereinbart weiden, die der bundesdeutschen Industrie zugute kommen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Giulini, bei der multilateralen Kapitalhilfe gibt es sowieso keine Form von Lieferbindungen. Bei der bilateralen Kapitalhilfe gibt es Lieferbindungen, insbesondere bei der Warenhilfe, zum geringfügigen Teil auch bei der projektgebundenen Hilfe. Diese Lieferbindungen hat die Bundesregierung im Jahre 1969 zugunsten der Entwicklungsländer gelockert. Seitdem können Unternehmen aus Entwicklungsländern auch im Falle von Lieferbindungen sich um Kapitalhilfeprojekte bewerben und Lieferungen und Leistungen dafür erbringen.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr!
Darf ich fragen, Herr Staatssekretär, ob zu dieser Handhabung unsererseits ein paralleles Verhalten der Vereinigten Staaten vorliegt.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft Es gibt einen internationalen Vergleich über den Anteil der Lieferbindungen an der Entwicklungshilfe. Dabei schneidet die Bundesrepublik Deutschland recht günstig ab, die von Ihnen soeben genannten Länder weitaus ungünstiger. Es gibt allerdings auch Länder — wie Holland und Schweden —, deren Lieferbindung noch geringer ist als die der Bundesrepublik.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie meinen Eindruck bestätigen, daß die Amerikaner durch die strenge Vorschrift, daß, wenn man Dollar gibt, auch im Dollar-Raum gekauft werden muß, einen gewissen Vorteil haben, daß wir z. B. auch in Dollar leisten und die Entwicklungsländer den Eindruck haben, es komme eben von der anderen Seite — ich will nicht sagen: von der falschen Seite —, und dadurch diese Leistung nicht mittelbar oder sogar unmittelbar der deutschen Industrie zugute kommt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese USA-Leistungen ,sind nicht ausschließlich entwicklungspolitisch zu sehen, Herr Abgeordneter; da stimme ich Ihnen völlig zu. Andererseits muß man sich fragen, ob ein Land mit Zahlungsbilanzschwierigkeiten, wie es die USA seit langem sind, überhaupt Entwicklungshilfe in dem gegenwärtigen Umfang bewilligen würde, wenn nicht diese Bindung bestünde.
Dann kommt die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Giulini:
Welche Stellung nimmt die Bundesregierung zur Zeit hei Kapitalhilfe in Entwicklungsländer ein, nachdem 1965 keine Lieferbindung bestand, 1965 bis 1970 eine solche aber praktiziert wurde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es stimmt nicht, daß im Jahre 1965 keine Lieferbindungen bestanden, Bindungen also erst in dem Zeitraum danach eingeführt worden sind. Tatsächlich gibt es für die Warenhilfe diese Bindung von Anfang an und für den Teil der projektgebundenen Hilfe eine geringfügige Bindung in Höhe von 10 % der Kapitalhilfe. Im übrigen ist die Bundesregierung — sie hat das wiederholt erklärt — der Auffassung, daß die entwicklungspolitische Wirksamkeit der Kapitalhilfe erhöht wird, wenn Lieferungen und Leistungen international ausgeschrieben werden. Dazu paßt die Lieferbindung nicht. Die Bundesregierung arbeitet daher auf einen weiteren Abbau der Bindungen — vor allem in der OECD und in der Welthandelskonferenz — hin. Insoweit heutzutage überhaupt noch Kapitalhilfekredite liefergebunden sind, hat das den Grund, die deutsche Wirtschaft zu schützen, und zwar vor den Lieferbindungspraktiken anderer Geberländer, wie Sie vorhin mit Recht sagten. Im übrigen beträgt der Anteil der Lieferbindungen an den gesamten Kapitalhilfe-Zusagen des Jahres 1969 33,5 %. Davon entfallen über 20 % auf Warenkredite und auf Reparaturgeschäfte.
Wir kommen zu den Fragen 39 — des Abgeordneten Weigl — und 40 — des Abgeordneten Dr. Ritz —:Welche Folgerungen will die Bundesregierung aus der Tatsache ziehen, daß sich das bestehende Lohngefälle zwischen deri einzelnen Fördergebieten seit 1967 laufend verstärkt, z. B. dadurch, daß die Verdienste der Industriearbeiter in Berlin jetzt schon um 22,8 % über den Verdiensten der Industriearbeiter im niederbayerischen Zonenrandgebiet liegen?Ist die Bundesregierung bereit, angesichts der Katastrophe in Rumänien, deren riesiges Ausmaß Teilen der Öffentlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland noch gar nicht bewußt ist, beim Ministerrat der EWG eine Sondersitzung mit dem Ziel zu beantragen, eine wirksame und schnelle Hilfsaktion der EWG, ins-
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2960 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Vizepräsident Dr. Jaegerbesondere auf dem Gebiet der Nahrungsnuttelversorgung, einzuleiten?Die Fragen werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet.Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Rohde vom 4. Juni 1970 auf die Frage 39 des Abgeordneten Weigl lautet:Im Oktober 1969 beliefen sich die Bruttostundenverdienste der Industriearbeiter im Bundesgebiet auf 5,61 DM und in Bayern auf 5,08 DM. Großstadtverdienste sind mit den Durchschnittseinkommen in Flächenländern überhaupt nicht vergleichbar. Vergleicht man aber Berlin mit anderen Großstädten, so liegt das Lohnniveau in Berlin niedriger. Im übrigen hat sich der Lohnrückstand Bayerns seit 1967 nicht verstärkt; er hat sich leicht verringert.Die Bundesregierung bemüht sich, durch eine aktive Strukturpolitik im Zusammenwirken mit den Ländern die Wirtschaftskraft der schwach strukturierten Gebiete zu stärken. Durch das Angebot zusätzlicher Arbeitsplätze wird das bestehende Einkommensgefälle abgebaut. Die Bundesregierung hat sich zu dieser Politik ausführlich in ihrem soeben erstatteten Strukturbericht geäußert .Auf die Frage 40 des Abgeordneten Dr. Ritz hat der Parlamentarische Staatssekretär Rohde am 3. Juni 1970 geantwortet:Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, daß eine rasche Hilfe gegeben wird, falls an die Europäischen Gemeinschaften derartige Wünsche herangetragen werden.Bei den zahlreichen für die nächsten Wochen vorgesehenen Ratstagungen kann die Behandlung dieser Frage auf einer dieser Tagungen erfolgen. Die Einberufung einer Sondersitzung dürfte unter diesen Umständen nicht notwendig sein.Im übrigen möchte ich auf die erhebliche bilaterale Hilfe verweisen, die von deutscher Seite Rumänien schon gewährt werden konnte und über die das Bulletin der Bundesregierung vom 26. Mai 1970 nähere Ausführungen macht.Ich komme zur Frage 41 des Abgeordneten Kiep.— Er ist nicht im Saale; die Frage wird schriftlich beantwortet.Die Fragen 42 und 43 des Abgeordneten Dr. Pohle sind zurückgezogen.Wir kommen zur Frage 44 des Abgeordneten Jung:Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um die infolge der Diskontsatzerhöhung der Deutschen Bundesbank besonders hart getroffenen mittelständischen Unternehmen insbesondere in den Gebieten vor dem Konkurs zu bewahren, die im Gegensatz zu den konjunkturüberhitzten Städten der Ballungsgebiete auf Grund ihrer Wirtschaftsstruktur nicht an dem Konjunkturboom ursächlich beteiligt waren und somit von den wirtschaftspolitischen Maßnahmen von Bundesregierung und Bundesbank besonders hart getroffen werden?Die Frage wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt vom 3. Juni 1970 lautet:Eine räumliche, sektorale und betriebsgrößenmäßige Abstufung der geld- und währungspolitischen Maßnahmen ist in einem einheitlichen Wirtschafts- und Währungsgebiet wie der Bundesrepublik nicht möglich und marktwirtschaftlich nicht vertretbar.Die Bundesregierung ist -- wie sie bereits im Strukturbericht 1970 ausgeführt hat — bemüht, den kleinen und mittleren Unternehmen die Anpassung an den technischen Fortschritt und an wirtschaftliche Strukturveränderungen zu erleichtern. Hierfür stellt sie Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt, ferner zinsgünstige ERP-Kredite sowie Bürgschaften oder Rückbürgschaften zur Risikominderung bereit. So wurde das Volumen der ERP-Kredite für die typisch mittelständischen Bereiche gegenüber 1969 um 20 v. H. von 285 auf 342 Millionen DM aufgestockt.Auch im Bereich der regionalen Wirtschaftsförderung gibt die Bundesregierung gezielten Maßnahmen den Vorzug. Sie hat die dafür 1970 verfügbaren Mittel um 30 Millionen DM gegenüber dem Vorjahr, nämlich auf 353,8 Millionen DM, erhöht und durch Einführung der Investitionszulage den Anreiz, neue Dauerarbeitsplätze zu schaffen, erheblich verstärkt. Schließlich wurde durch die neue Konzeption der Regionalen Aktionsprogramme die Wirksamkeit aller Maßnahmen des Bundes und der Länder verbessert.Ich komme dann zur Frage 32 des Abgeordneten Dr. Hammans. — Er ist nicht im Saale. Die Frage wird schriftlich beantwortet.Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zunächst die Frage 31 des Abgeordneten Leicht:Wann wird die Bundesregierung eine Zusage fur den auf verschiedenen Justizministerkonferenzen im Jahr 1969 und bei späteren Einzelbesprechungen im Bundesjustizministerium in Aussicht gestellten Zuschuß von 50 v. H. der Bau- und Erschließungskosten für die Errichtung einer Deutschen Richterakademie in Trier geben?Herr Parlamentarischer Staatssekretär Bayerl!
Herr Kollege Leicht, Herr Minister Jahn und auch seine Herren Amtsvorgänger haben mehrfach erklärt, daß sie sich um eine angemessene finanzielle Beteiligung des Bundes an den Kosten der Richterakademie bemühen werden, ohne daß jedoch ein bestimmter Prozentsatz der Beteiligung genannt worden ist.
Der Bund trägt bereits jetzt einen wesentlichen Anteil der sächlichen Kosten der sogenannten „fliegenden Richterakademie". Als sich abzeichnete, daß eine Richterakademie mit festem Standort errichtet werden sollte, haben wir uns wegen der finanziellen Beteiligung des Bundes erneut an den Herrn Bundesminister der Finanzen gewandt. Diese Verhandlungen sind noch nicht völlig abgeschlossen. Ich hoffe zuversichtlich, daß in Kürze Klarheit darüber erzielt werden kann, in welchem Umfang der Bund einen Zuschuß leisten wird.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, demnach trifft es also nicht zu, daß der Bund bereits einen bestimmten Prozentsatz für seine Beteiligung in Aussicht gestellt hätte.
Nein, das trifft nicht zu.
Wir kommen zu Frage 33 des Abgeordneten Dr. Haack:
Wie wird die Bundesregierung sich dafür einsetzen, daß Triebtäter durch hormonelle Kastration behandelt werden können?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Haack, ich verstehe Ihre Frage so, daß mit dem Ausdruck „hormonelle Kastration" eine medikamentöse Behandlung gemeint ist, die den Geschlechtstrieb in ähnlicher Weise dämpft wie die Kastration. Die Erforschung und Erprobung solcher Behandlungsmethoden hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Die Bundesregierung wird sich im Rahmen ihrer rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten dafür einsetzen, daß diese Fortschritte auch nutzbar gemacht werden können.Die Bundesregierung hat sich schon in der vergangenen Wahlperiode darum bemüht, daß recht-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 2961
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Bayerlliche Bedenken, die einer derartigen Behandlung im Wege stehen könnten, ausgeräumt wurden. Auf ihren Vorschlag ist in das Gesetz über die freiwillige Kastration und andere Behandlungsmethoden vom 15. August 1969 eine Bestimmung aufgenommen worden, die klarstellt, daß außer der chirurgischen Kastration auch die medikamentöse Behandlung von Triebstörungen zulässig ist.Die wissenschaftliche Diskussion über Methoden und Ergebnisse der medikamentösen Behandlung von Triebstörungen ist noch im Fluß. Die Bundesregierung wird diese Entwicklung aufmerksam beobachten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung im Kontakt mit den Ländern sich darum bemühen, daß die rechtliche Möglichkeit nicht dadurch in Schwierigkeiten gerät, daß vielleicht bürokratische oder finanzielle Hindernisse entstehen könnten? Ist auch sichergestellt, daß etwa die Krankenkassen bereit sind, hier über die entsprechenden Bestimmungen der RVO dafür zu sorgen, daß auch vom Finanziellen her diese Möglichkeit besteht?
Herr Kollege Haack, Sie wissen, daß die Frage der Kosten in den Zuständigkeitsbereich der Länder fällt. Ich bin davon überzeugt — das ist auch unsere Erfahrung —, daß es bisher keine finanziellen Schwierigkeiten gibt, weder bei denjenigen, die sich bereits im Vollzug in einer Strafanstalt befinden — denn dort fällt die medikamentöse Behandlung zur Triebdämpfung unter die ärztliche Behandlung wie sonst auch, so daß die Kosten der Staat tragen muß —, noch bei Behandlungsbedürftigen, die sich noch nicht in einer Maßregel oder einem Strafvollzug befinden. Hier ist es eine Frage, ob sich diese sexuelle Abnormität bereits so verdichtet hat, daß sie als Krankheit zu beurteilen ist. Wenn dem so ist, muß sie nach der Reichsversicherungsordnung oder nach dem Bundessozialhilfegesetz selbstverständlich behandelt werden. Wir haben jedenfalls noch keine Erfahrungen, daß es deswegen Schwierigkeiten gibt.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Herr Staatssekretär Rohde steht zur Verfügung.
Die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Weigl
Ist es sozial vertretbar, daß für das in Ausbildung befindliche Kind Waisenrente bis zum 25. Lebensjahr gewährt wird, wenn der Vater Arbeiter bei der Deutschen Bundesbahn war, dagegen bis zum 27. Lebensjahr, wenn der Vater als Beamter der Deutschen Bundesbahn verstorben ist?
wird auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet.
Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Rohde auf die Frage des Abgeordneten Weigl vom 4. Juni 1970 lautet:
Ihre Frage gilt der Tatsache, daß bei Leistungen an und für Kinder über 18 Jahre, die sich noch in Schul- oder Berufsausbildung befinden, in der Sozialversicherung eine niedrigere Altersgrenze gilt als im Beamtenrecht und in der Kriegsopferversorgung. Die Bundesregierung hält diesen Zustand für wenig befriedigend und erstrebt eine einheitliche Altersgrenze für alle öffentlichrechtlichen Leistungen dieser Art.
Dabei muß auch geprüft werden, wer die Mehrausgaben tragen soll, die der Sozialversicherung durch die Erhöhung der Altersgrenze von 25 auf 27 Jahre erwachsen würden. Da die Heraufsetzung der Altersgrenze den in Ausbildung stehenden Kindern zugute käme, sollten nach Auffassung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung diese Mehrausgaben aus öffentlichen Mitteln bestritten werden.
Wir kommen zu Frage 52 des Abgeordneten Russe:
Bedauert die Bundesregierung entsprechend der Auffassung der Freien Demokratischen Partei, daß sie noch nicht in der Lage war, „all das an wohlfahrtsstaatlichen Sicherungsstrukturen zu beseitigen, was in über zwanzigjähriger CDU-Verantwortung entstand" ?
Herr Präsident, ich bitte, die beiden Fragen zusammen beantworten zu dürfen.
Bitte sehr! Dann rufe ich auch Frage 53 des Abgeordneten Russe auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, Strukturen der sozialen Sicherung abzubauen und gegebenenfalls welche?
Herr Staatssekretär, bitte.
Der von Ihnen, Herr Kollege, erwähnte Artikel in der „Freien Demokratischen Korrespondenz" antwortet unter anderem einer Kritik am Sozialbericht, die in dem Unternehmerbrief des Deutschen Industrieinstituts veröffentlicht worden war. Dabei kam es dem Verfasser anscheinend darauf an, sich gegen eine globale und polemische Verwendung des Begriffs „Wohlfahrtsstaatliche Sicherungsstrukturen" zu wenden. Auch Sie, Herr Kollege Russe, werden nicht für sich beanspruchen wollen, in 20jähriger Regierungsverantwortung geradezu „wohlfahrtsstaatliche Sicherungsstrukturen" erreicht zu haben. Man sollte mit solchen schillernden Begriffen vorsichtig umgehen.
Der Sozialbericht 1970 zeigt in allen seinen Teilen, daß es Ziel der Bundesregierung ist, das „Sozialleistungssystem und die sozialpolitischen Aktivitäten den gewandelten Verhältnissen anzupassen" und weiterzuentwickeln, um dem einzelnen Menschen — ich zitiere wörtlich — ,;die Chance zu bieten, sich in einer sich wandelnden Umwelt zu behaupten". Damit hat sich die Bundesregierung klar für einen weiteren Ausbau des sozialen Rechtsstaates entschieden.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Müller, eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, können Sie uns in diesem Zusammenhang schon sagen, welche Strukturen der sozialen Sicherung bei
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2962 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Müller
den von der Bundesregierung in Aussicht genommenen inneren Reformen berücksichtigt werden?
Herr Kollege, darüber hat die Bundesregierung einen umfangreichen Sozialbericht vorgelegt. Darüber haben wir in diesem Parlament mehrere Stunden diskutiert. Ich habe den Eindruck, es würde diese Fragestunde überfordern, das zu wiederholen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Geisenhofer.
Herr Staatssekretär, gehört nach Ihrer Meinung das Arbeitsförderungsgesetz zu den wohlfahrtsstaatlichen Sicherungsstrukturen, und fassen Sie die Kriegsopferversorgung als ein Element der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung auf?
Die von Ihnen genannten Gesetze sind Bestandteil des sozialen Rechtsstaates und sozialstaatlicher Entwicklung.
Ich komme zur Frage 54 des Abgeordneten Geisenhofer:
Trifft es zu, daß sich der Bundesrechnungshof bei seinen Beanstandungen zur neuen Organisationsverteilung des Bundesarbeitsministeriums auch dahin geäußert hat, bei dieser Organisationsverteilung seien personelle und nicht sachliche Gesichtspunkte maßgebend gewesen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Herr Präsident, auch die Fragen 54 und 55 möchte ich gern im Zusammenhang beantworten.
Bitte sehr! Ich rufe dann noch die Frage 55 des Abgeordneten Geisenhofer auf:
Welche weiteren Beanstandungen, die in der Antwort in der Fragestunde vom 8. Mai 1970 nicht erwähnt sind, hat der Bundesrechnungshof erhoben, und wie gedenkt der Bundesarbeitsminister, den Beanstandungen abzuhelfen?
Herr Minister Arendt hat in seiner Antwort vom 8. Mai 1970 an Herrn Kollegen Härzschel bereits darauf hingewiesen, daß Beanstandungen des Bundesrechnungshofes zur neuen Organisationsverteilung im Bundesarbeitsministerium nicht vorliegen. Ich möchte noch einmal betonen, daß sich Ihre Fragen nur auf Anmerkungen eines Referenten des Bundesrechnungshofes anläßlich einer Haushaltsbesprechung beziehen können. Dabei ist auch ohne nähere Begründung eine Bemerkung im Sinne Ihrer Frage gemacht worden. Über die Besprechung ist in meinem Hause ein Vermerk angefertigt worden. Ich will hier nicht untersuchen, auf welche Weise dieser hausinterne
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 2963
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2964 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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2966 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
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2968 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
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2970 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
— Das werden wir sehen, Herr Kollege. — Das Regierungsprogramm Ihrer Partei war mit den Kernworten „Erfolg, Stabilität, Reformen" ausgestattet.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben als Parteivorsitzender die Wähler aufgefordert, der SPD Vertrauen für eine Politik der Stabilität, des Friedens und der Reformen zu geben.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 2971
WindelenViele Wähler haben dieses Versprechen für bare Münze genommen,
und sie sind jetzt enttäuscht.
Sie haben für wahr genommen, Herr Bundeskanzler, was die SPD und Sie bei Ihrem Amtsantritt versprochen haben.
Diese Regierung, so sagten Sie, wolle eine Regierung der inneren Reformen sein.
Diese Regierung, so sagten Sie, wolle „mehr Demokratie wagen",
diese Regierung wolle eine Gesellschaft, die mehr Freiheit bietet
und mehr Mitverantwortung fordert, von der Bildung bis zum Tierschutz,
j von der Gesundheitsvorsorge bis zur Raumordnung.
Überall sollten die Weichen für eine sonnige Zukunft gestellt werden.
Jetzt, meine Damen und Herren von der Koalition, tragen Sie über sieben Monate die Verantwortung für diese Regierung.
— Ja, viel zu wenig. Jetzt fragen wir Sie: Wo sind denn wenigstens Ansatzpunkte zu erkennen?
Wo sind wenigstens Ansatzpunkte zu erkennen, daß Sie diese Ihre Wahlversprechungen erfüllen werden?Ohne SPD ging es abwärts, so sagten Sie,
mit der SPD geht es aufwärts.
Aber aufwärts ging es bisher nur mit den Preisen und mit den Mieten.
Wo aber bleibt die umfassende Bildungsreform,
die doch an erster Stelle stehen sollte, wo die Stabilität des Preisniveaus?
— Das Urteil darüber, Herr Kollege Wehner,
überlasse ich den Wählern.
Wo bleibt die Stabilität des Preisniveaus, die nach Ihrem Wahlprogramm mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigt werden sollte?
Wo haben Sie denn die Forderungen des Stabilitätsgesetzes erfüllt,
von dem Sie völlig richtig in Ihrer Regierungserklärung sagten, daß es zum Handeln verpflichte, wenn das marktwirtschaftliche Gleichgewicht gefährdet sei? Hier hieß es auch noch, daß ein stetiges Wachstum eine stetige Wirtschaftsentwicklung, Arbeitsplätze sowie steigende Einkommen und wachsende Ersparnisse vor der Auszehrung durch Preissteigerungen sichere. Gilt das heute, nach sieben Monaten, schon nicht mehr, Herr Bundeskanzler?
Was aber ist dann Ihr Wort noch wert, und wie lange wird das gelten, was Sie heute dem deutschen Volk versprechen?
Eine Regierung, Herr Bundeskanzler, die wie die Ihre den Eindruck erweckte, sie sei zu außergewöhnlichen Reformerfolgen fähig, muß mehr bieten, als Sie bisher geboten haben.
Sonst wäre es besser gewesen, Herr Bundeskanzler, wenn Sie mit Ihrem Wahlprogramm und Ihrer Regierungserklärung ein wenig bescheidener geblieben wären. Aber dann hätten Ihnen wohl die zwei Stimmen für die Mehrheit gefehlt, mit der Sie zum Bundeskanzler gewählt worden sind.
Seit der ersten Lesung des Bundeshaushaltsplans am 20. Februar dieses Jahres sind wieder mehr als drei Monate vergangen. Sie hätten inzwischen Ge-
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2972 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Windelenlegenheit gehabt, Ihre Absichten zu verdeutlichen und die Finanzierung zu konkretisieren.
Herr Bundeskanzler, in keinem Punkt unserer Kritik, die damals von dem Kollegen Wörner vorgetragen worden ist, sind unsere Bedenken, unsere Vorbehalte inzwischen ausgeräumt worden.
Sie, Herr Bundeskanzler, sind wohl so tief in Ihre Ostpolitik und die darüber in der Koalition ausgelösten Spannungen verstrickt,
daß Ihnen offenbar keine Kraft mehr bleibt, um sich den versprochenen, den dringend notwendigen inneren Reformen endlich tatkräftig zuzuwenden.
Was aber, Herr Bundeskanzler, wird Ihnen dann bleiben, wenn unser Volk immer deutlicher sieht, daß vertretbare Lösungen auch hier ausbleiben?
Im Augenblick ist es doch Ihr ganzes Bestreben,Entscheidungen vor den Landtagswahlen hinauszuschieben, um die Mängel Ihrer Politik zu verbergen.
Aber die Stunde der Wahrheit, Herr Bundeskanzler, wird auch Ihnen nicht erspart bleiben.
Hoffentlich ist es dann nicht zu spät, Herr Kollege!
Haben wir denn überhaupt noch eine Regierung,
eine Regierung, die handelt, meine Damen und Herren, und eine Koalition, die nicht nur lacht, sondern endlich einmal etwas auf den Tisch legt?
Haben wir denn noch eine Regierung, die nicht nur redet und propagandistischen Nebel verbreitet?
. — Zurufe von
der SPD.)Nun, meine Damen und Herren, auf dem Papier haben wir natürlich eine Regierung.
Aber die körperliche Existenz allein ist doch noch kein Beweis für Aktionsfähigkeit und für Qualifikation.
Sieben Monate sozialistisch geführter Bundesregierung
haben genügt, um einen beispiellosen Vertrauensvorschuß zu verwirtschaften, den Ihnen gutgläubige Wähler gewährt haben, Herr Bundeskanzler.
Mehr noch: Nicht nur bei der Opposition — von der werden Sie sagen, sie sei berufsmäßig dazu verpflichtet —, sondern in allen Teilen des Landes geht doch die Frage um, die jeden Staatsbürger unmittelbar betrifft: Ist diese Regierung denn noch in der Lage, sachgerechte Entscheidungen zu treffen?
Dieser Frage können Sie nicht mit Lachen ausweichen.
Sie müssen sich dieser Frage stellen, Herr Bundeskanzler, denn Sie und Ihre Regierung haben in diesem Hause geschworen, den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden.
Sie haben geschworen, Herr Bundeskanzler, Ihre Pflicht gewissenhaft zu erfüllen. Diesem Schwur und Ihrem Amte sind Sie verpflichtet. Daran werden Sie gemessen.
Gerade deswegen wiegt die Unruhe, gerade deswegen wiegt die Unsicherheit über die Handlungen und Unterlassungen dieser Regierung so schwer. Weniger als acht Monate haben genügt, meine Damen und Herren, um Illusionen zu zerstören.
— Das werden wir in Ruhe abwarten, Herr Kollege.
Wie ist es dazu gekommen? — Diese Bundesregierung wollte eine neue Deutschland-, eine neue Außenpolitik. Nun, die Außenpolitik ist in Bewegung gekommen; das ist nicht zu bestreiten. Aber die Folge ist doch wachsendes Unbehagen über eine mögliche — —
— Ja, hören Sie sich einmal um im Lande!
Hören Sie einmal auf die besorgten Stimmen, die sich überall erheben!
Das wachsende Unbehagen über eine mögliche Verschlechterung
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 2973
Windelender deutschen Position gegenüber dem Osten, die Sorge vor einer wachsenden sowjetischen Vorherrschaft in Europa
und die Verwirrung über die widerspruchslose Hinnahme einer Unzahl von demütigenden Beleidigungen aus Ostberlin.
Warum, Herr Bundeskanzler, folgen Sie denn nicht Herrn Dahrendorf, der Ihnen geraten hat, endlich auch einmal deutlich zu sagen, was wir über die inneren Verhältnisse in der DDR denken,
daß wir den Mangel an elementaren Rechten wie Pressefreiheit, Recht auf freie Wahlen zutiefst verurteilen? Nun, Herr Dahrendorf hat inzwischen seine Konsequenzen gezogen. Wann, Herr Bundeskanzler, werden Sie das tun?
Aber auch über die innere Entwicklung wächst die Unsicherheit in unserem Lande weiter, sei es in der Wirtschaft, sei es bei dem Verbraucher, sei es bei den Mietern. Die Ungewißheit ist durch den Parteitag der SPD in Saarbrücken noch größer geworden. Richtungskämpfe haben uns kein Bild der Geschlossenheit gezeigt.
— Nein, das betrachte ich mit großer Sorge, Herr Kollege Wehner.
Immer deutlicher zeigt sich doch Ihre Hilflosigkeit.
Dafür trägt meine Fraktion die Verantwortung und nicht Sie, Herr Kollege Wehner.
— Dieser Zwischenruf charakterisiert Sie, Herr Wehner, nicht mich.
Nun, meine Damen und Herren , wir sind von Ihnen ja nichts anderes gewohnt.
Regierung und Koalition begegnen jeder Kritik immer nur mit dem Hinweis auf ein angeblich übernommenes schwieriges Erbe vergangener Regierungen,
insbesondere aber mit dem Hinweis auf eine verspätete Aufwertung.
— Warten Sie ab! — Das zweite Argument ist die ebenso regelmäßige Retourkutsche an die Opposition, sie solle doch eigene konstruktive Vorschläge machen.
— Warten Sie, es kommt noch! — Diese ständigen Wiederholungen sind doch der Beweis Ihrer Hilflosigkeit und nicht der unseren.
Das, Herr Bundeskanzler, erinnert doch nur an tibetanische Gebetsmühlen,
aber doch nicht an eine sachgerechte Politik.
— Nun, daß Sie nur immer dasselbe herunterleiernund daß Ihnen nichts Neues einfällt, Herr Kollege.
So ist es.
Allmählich hat sich doch in diesem Land herumgesprochen, daß nach sieben Monaten Regierungszeit nicht mehr alles mit einer angeblich verspäteten Aufwertung entschuldigt werden kann. Es hat sich aber auch herumgesprochen, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister selbst den entscheidenden Beitrag zu der von Ihnen heute beklagten Verspätung der Aufwertung geleistet hat.
— Natürlich, die haben das eben begriffen
und warten jetzt auf Ihren Beifall, Herr Wehner.
Es war doch der Bundeswirtschaftsminister und nicht etwa die heutige Opposition, der im allenfalls richtigen Zeitpunkt vor der Aufwertung zurückgeschreckt ist.
Das war im Herbst 1968, spätestens, Herr Wehner, bei der Konferenz der der Notenbankpräsidenten im November 1968 in Bonn.
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2974 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
WindelenHier bestand die Chance.
— Nun, die Verantwortung für diese Maßnahmen trug Herr Schiller, und er strich damals auch das ein, was an Lorbeeren gespendet wurde.
— Nein, im Gegenteil, Herr Kollege Wehner; Sie haben das offenbar vergessen.
Herr Schiller feierte die Abwehr der Aufwertung als seinen großen Sieg und als seinen großen Erfolg.
— Das scheint Ihre tägliche Lektüre zu sein, Herr Wehner.
— Na schön, dann denken Sie mal.
Hier, meine Damen und Herren — —
— Herr Kollege Wehner, wir unterscheiden uns ganz sicher in der Art, ,unsere Diskussionen zu führen.
Ich muß Ihnen ehrlich sagen, daß ich das nicht mal bedauere.
Nun, meine Damen und Herren, im November 1968 bestand die Chance zu einer weltweiten Kurskorrektur. Wenn Sie uns das nicht glauben wollen, dann fragen Sie doch den damaligen Präsidenten der Bundesbank, Herrn Blessing; er wird es Ihnen bestätigen.
Was soll die ständige Frage nach konstruktiven Vorschlägen der Opposition?
Sie soll doch offensichtlich nur die Handlungsunfähigkeit der Regierung verbergen.
— Nun, Herr Wehner, da die Bundesregierung nichts Positives vorzuweisen hat, sucht sie ihr Versagen durch ständige Retourkutschen zu verdecken.
Wer hat denn in diesem Land den Auftrag übernommen zu regieren? Wir oder Sie?
— Dann versuchen Sie doch nicht ständig, die Öffentlichkeit über die tatsächlichen Verantwortlichkeiten zu täuschen, Herr Kollege.
Die Aufgabe der Regierung ist es zu handeln. Die erste Aufgabe der Opposition wäre es, die Regierung zu kontrollieren und zu kritisieren. Dennoch hat diese Opposition weit mehr getan, als eigentlich ihres Amtes wäre.
— Fassen Sie sich in Geduld, Sie bekommen es gleich zu hören. Weil Sie es so wünschen, Herr Kollege Schäfer, bleiben wir also bei diesem Thema.
Wer erfüllt eigentlich zur Zeit die Aufgabe Nr. 1, nämlich die Erhaltung der Stabilität? Ist es die Regierung? Oder sind es andere?
Wer hat denn die Anwendung des Stabilitätsgesetzes abgelehnt? Wer hat durch sein Verhalten dazu beigetragen, daß die Stabilitätspolitik fast ausschließlich auf den Schultern der Bundesbank ruht? Wer hat die rund 80 Anträge, welche die Opposition im Haushaltsausschuß zu einer antizyklischen Fiskalpolitik durchsetzen wollte, mit jeweils einer Stimme Mehrheit abgelehnt?
Wer hat denn noch im vergangenen Jahr vorgeschlagen, alle Beschlüsse über ausgabenwirksame Gesetze mit Rücksicht auf die Konjunktur zurückzustellen? Dazu gehörte auch das Steueränderungsgesetz 1970.
Meine Damen und Herren, die Bilanz dieser Regierung ist erschütternd.
Die Bundesrepublik wird nach sieben Monaten sozialdemokratischer Bundesregierung von einer Preiswelle heimgesucht, wie sie unser Land seit 20 Jahren nicht mehr gekannt hat.
Die Geldentwertungsrate in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen ist so groß, daß sie nicht mehr als schleichende Entwertung bezeichnet werden kann.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 2975
WindelenWas tut die Regierung angesichts dieser Entwicklung,
deren Gefährlichkeit für jeden offensichtlich ist? Die Antwort lautet: so gut wie gar nichts.
Eines allerdings beherrscht diese Bundesregierung vorzüglich. Sie verwendet viel propagandistisches Geschick und hohe Steuergelder darauf, der deutschen Öffentlichkeit Sand über die tatsächliche Lage in die Augen zu streuen.
Die Deutsche Bundesbank, der Sachverständigenrat für die Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung, die Gemeinschaftsdiagnose der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute und die OECD üben Kritik an der Politik Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler. Man muß sich bereits fragen: Welche kompetente Stelle kritisiert diese Bundesregierung eigentlich nicht?
Der Sachverständigenrat stellt fest, daß spätestens Anfang des Jahres 1970, ich wiederhole: spätestens Anfang dieses Jahres sichtbar geworden ist, daß die konjunkturellen Auftriebskräfte stärker waren als mit dem Stabilitätsziel vereinbar. Es wird Ihnen bescheinigt, daß die notwendige Abstimmung zwischen der Bundesregierung und der Bundesbank gefehlt habe. Und schließlich: die Bundesregierung habe die Chance verpaßt, den Aufschwung in eine Fahrt stetigen Wachstums einmünden zu lassen. Die Bundesbank stellt fest, daß von einer Spätphase im Sinne des Auslaufens des Booms nicht die Rede sein könne, sondern daß die Auftriebskräfte weiter nach oben gerichtet seien. Erst das Ausbleiben fiskalpolitischer Maßnahmen zur Nachfragedämpfung zwang die Bundesbank zu ihrem Schritt vom 6. März dieses Jahres, den Diskont und den Lombardsatz auf diese exotische Höhe zu setzen. Von allen sachverständigen Seiten wird der Bundesregierung vorgeworfen, das Stabilitätsgesetz nicht angewendet zu haben. Die Bundesregierung hat die Instrumente zur Wiederherstellung des wirtschaftlichen Gleichgewichts in der Hand, und sie hat sie nicht genutzt. Das ist ein schweres Versäumnis. Als Ergebnis ihrer Entschlußlosigkeit verliert die Deutsche Mark täglich mehr an Wert.
— Nein, es ist gewissenlos und verantwortungslos, angesichts dieser offensichtlichen Tatsachen nicht zu handeln!
— Herr Kollege Wehner, ich habe nur zitiert, was Leute gesagt haben, die sachverständiger sind als ich!
— Nein, ich habe zitiert, was die Bundesbank und die Konjunktursachverständigen gesagt haben,
und wenn Sie das als Panikmache bezeichnen, dann sagen Sie das denen, die das erklärt haben in ihrer Verantwortung, die wir ihnen auferlegt haben!
Besonders makaber mutet es an, meine Damen und Herren, daß der Bundeswirtschaftsminister ja die Anwendung des Stabilitätsgesetzes gewollt hat, aber in seiner eigenen Fraktion gescheitert ist.
Diese Regierung springt mit dem Erlös der Hände Arbeit von Millionen Arbeitnehmern
und mit deren sauer ersparten Spargroschen
in einer Weise um, die man nur als verantwortungslos bezeichnen kann.
Herr Bundeskanzler, Sie haben gestern auf einer Wahlveranstaltung Ihrer Partei in Bielefeld behauptet, die Führung der CDU/CSU habe versucht, führende Vertreter der deutschen Industrie dazu zu bringen,
gegenüber Lohnforderungen besondere Härte zu zeigen, um möglichst noch vor dem 14. Juni wilde Streiks zu provozieren.
Herr Bundeskanzler, ich weise diese frei erfundeneund infame Unterstellung in aller Schärfe zurück.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat das seinerseits bereits dementiert.
Wir ersuchen Sie, Herr Bundeskanzler, treten Sie den Wahrheitsbeweis für diese Behauptung an
oder entschuldigen Sie sich vor diesem Hause!
In welcher Verfassung muß sich der Bundeskanzler befinden, wenn er zu solchen Methoden greift?
Sie flüchten sich, Herr Bundeskanzler, auch sonst in Aussagen, die mit der Realität nichts zu tun haben.
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2976 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
WindelenSie sprechen von der Sicherheit der Arbeitsplätze, die doch wichtiger sei als ein wenig Geldentwertung. Nun, Herr Bundeskanzler, das ist eine Täuschung der Öffentlichkeit.
Nicht die Arbeitsplätze sind gefährdet, das beweist allein die Überbeschäftigung, die alle bisherigen Rekorde sprengt, sondern der Geldwert und damit der Erlös der Arbeit ist in Gefahr.
Es handelt sich doch nicht um ein wenig Entwertung, sondern um massive Preissteigerungsraten,
die massivsten seit der Korea-Krise, wie Herr Arndt selbst vor diesem Haus erklärt hat. Daß die Spartätigkeit rapide nachläßt und daß im März dieses Jahres weniger als halb so viel gespart wurde als im März ,des vergangenen Jahres, ist wohl das beunruhigendste Anzeichen.
Es ist der in Zahlen ausgedrückte Beweis für das rapide schwindende Vertrauen in die Politik dieser Regierung.
Und was tut diese Bundesregierung? Sie beschließt am 21. Mai dieses Jahres, abzuwarten und nichts zu tun. Nun, Herr Bundeskanzler, die Richtlinien der Politik bestimmen Sie. Die Ziele der Wirtschaftspolitik sind im Stabilitätsgesetz verpflichtend niedergelegt. Danach sind Sie aufgefordert, dem wirtschaftspolitischen Ziel Priorität einzuräumen, das am meisten gefährdet ist. Alle dazu berufenen Institutionen sagen uns, daß die Preisstabilität am meisten gefährdet ist. Dennoch hat es die Bundesregierung abgelehnt, das Stabilitätsgesetz, besonders auf der Einnahmeseite, sachgerecht anzuwenden. Damit vernachlässigt sie die Priorität der Stabilität, und sie verstößt gegen den verpflichtenden Auftrag dieses Gesetzes.
Sie vertauscht damit die Prioritäten. An die Stelle der Stabilität ist das Wachstum getreten. Aber jedermann weiß in diesem an Inflationserfahrungen reichen Land, daß inflationäres Wachstum nur Scheinwachstum ist.
Das deutsche Volk hat für die Fehler dieser Regierung bereits einen hohen Preis bezahlt.
Wie lange wollen Sie das deutsche Volk noch zur Kasse bitten, um Ihre Versäumnisse bezahlen zu lassen?
In der Regierungserklärung, die Sie, Herr Bundeskanzler, am 28. Oktober vergangenen Jahres vor diesem Haus abgegeben haben, findet sich auch die eigentlich selbstverständliche Feststellung, daß unser Volk keinen Bedarf an gespreizter Würde und hoheitsvoller Distanz habe.
— Sie sagen, das ist richtig. Nun, dann werden Sie ja unseren Anträgen diesbezüglich zustimmen.
Nach dieser selbstverständlichen Maxime haben die früheren Regierungen Adenauer, Erhard und Kiesinger gehandelt, ohne davon viel Aufsehen zu machen.
Sie, Herr Bundeskanzler, hielten das für notwendig. Es sollte offenbar doch wohl verschleiert werden, was bei Ihnen unter dem Deckmantel sozialistischer Selbstgenügsamkeit in Wirklichkeit geschieht.
In der Praxis — nun hören Sie zu! — sieht das so aus: Seit 1966 sind die Bundeskanzler Erhard und Kiesinger für ihren außergewöhnlichen Aufwand aus dienstlicher Veranlassung mit Verfügungsmitteln in Höhe von 170 000 DM jährlich ausgekommen.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben diesen Ansatz gleich um über 70 % auf 290 000 DM erhöhen lassen.
Aber damit nicht genug. Die Verfügungsmittel desBundeskanzlers zu allgemeinen Zwecken sollen nachIhren Vorstellungen von 250 000 DM auf 350 000 DM,
also noch einmal um 40 %, um weitere 100 000 DM aufgestockt werden.
Und wenn auch das nicht reichen sollte, dann kann man noch auf den Verstärkungstitel im Einzelplan der allgemeinen Finanzverwaltung zurückgreifen, den die sozialistisch-liberale Regierung von 73 000 DM gleich um 120 % auf 160 000 DM erhöhen will.
Das also ist die Wirklichkeit, meine Damen und Herren, was die gespreizte Würde anbelangt.
Der recht bescheidene Repräsentationsauf wand der früheren Chefs des Bundeskanzleramtes wurde jeweils mit aus dem Titel für den Bundeskanzler
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 2977
Windelenbefriedigt. So viel Selbstbescheidung von HerrnEhmke zu erwarten, war offenbar zu viel verlangt.
Bei so viel Großzügigkeit seines Bundeskanzlers sah er offenbar keinen Anlaß, seinerseits zurückzustehen.
Zwar will er nicht — oder vielleicht auch noch nicht — so viel wie der Kanzler haben, aber er fordert für sich den immerhin stattlichen Betrag von 50 000 DM.
Der Chef des Kanzleramtes — von der Kompetenz her sollte seine Funktion eigentlich mehr ein Wirken nach innen und nicht die Repräsentation nach außen sein — erhält damit einen höheren Repräsentationsbetrag als alle anderen Bundesminister, mit Ausnahme des Bundesaußenministers.
— Sie wissen, Herr Tamblé, daß das für alle gilt, nicht für die Person, sondern für das Amt.Meine Damen und Herren, es ist kaum zu begreifen, wie etwa der Finanzminister oder der Ernährungsminister mit 20 000 DM auskommen soll, wenn Herr Ehmke für sich das 2 1/2fache verlangt.
Ich halte diesen Umgang mit den Steuergroschen der Bürger schlicht und einfach für einen Skandal.
Herr Bundeskanzler, man kann natürlich sagen, in einem 90-Milliarden-Etat komme es nicht darauf an, für repräsentative Zwecke einige Hunderttausend Mark zusätzlich in Anspruch zu nehmen. Herr Bundeskanzler, Sie vergessen dabei aber, daß es sich dabei bei diesem Geld um die Steuergroschen unserer Bürger handelt,
die Ihnen doch nur zu treuen Händen übertragen wurden.
— Nun, Herr Kollege Tamblé, ich haben Ihnen ja die Ansätze von Herrn Erhard und von Herrn Kiesinger noch einmal in Erinnerung gerufen, und die Beträge haben wir gemeinsam festgelegt, Herr Kollege Tamblé! Das ist doch die Wahrheit!Ich habe Ihnen die Zahlen vorgelegt. Sie haben ja anschließend Gelegenheit, die Ansätze wieder auf das Niveau der Vorgänger zurückzuführen!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn Sie die Demokratie festigen wollen, dann wäre etwas Bescheidenheit angemessener!
Wir fordern Sie auf, für unseren Antrag zu stimmen, der die Ansätze, wie sie für die früheren Bundeskanzler gegolten haben, wiederherstellt.Große Sorge haben wir aber auch im Hinblick auf die künftige politische Entwicklung wegen der Personalanforderungen im Bundeskanzleramt. Für 1970 soll, wenn auch zum Teil erst 1971 in Kraft tretend, das Personal des Bundeskanzleramtes von 302 Kräften auf 392 erhöht werden.
Das ist eine Aufstockung um 30 %, unabhängig von den Stellenhebungen, die gleichzeitig beantragt werden. Hier, Herr Bundeskanzler, ist doch offenbar beabsichtigt, für Ihren Sonderminister Ehmke die Errichtung eines Superministeriums zu erreichen.
Die im Haushalt 1970 angestrebte Ausstattung mit 392 Stellen ist doch offenbar noch keineswegs der Endzustand in diesem Haus. Das wird doch ganz deutlich, wenn man sich die monströsen Baupläne für das neue Kanzleramt vor Augen hält. Nach den in der Presse veröffentlichten Zahlen sollen sich die Gesamtkosten des von der neuen Regierung geplanten Neubaues des Bundeskanzleramtes auf rund 100 Millionen DM belaufen. Zum Vergleich: Der kürzlich in Godesberg errichtet Neubau des früheren Bundesschatzministeriums hat 12,5 Millionen gekostet. Dort konnten immerhin 415 Bedienstete untergebracht werden. Aus dieser Zahl, meine Damen und Herren, lassen sich leicht Schlüsse auf die wirklichen Absichten des Bundeskanzleramtes ziehen. Berücksichtigen Sie die zwischenzeitlich kräftig gestiegenen Baukosten, berücksichtigen Sie zusätzlich noch den repräsentativen Aufwand eines Bundeskanzleramtes und rechnen wir dafür großzügig 15 Millionen oder 20 Millionen von den 100 Millionen ab, dann bleibt immer noch ein Kostenaufwand von etwa 80 Millionen. Und wenn im Schatzministerium 12,5 Millionen für über 400 Bedienstete ausreichen, dann läßt sich leicht ermitteln, daß für 80 Millionen etwa 2000 Bedienstete untergebracht werden können.
— Ja, und sie ist schlüssig, Herr Kollege Schäfer, sie ist völlig schlüssig, und Sie können sie nachrechnen. In Ihrer Regierungserklärung heißt es: Wir wollen mehr Demokratie wagen!
Da heißt es: Wir wollen unsere Arbeitsweise öffnen und dem kritischen Bedürfnis nach Information Genüge tun. Meine Damen und Herren, wo bleiben denn die Informationen über die Planungen im Kanzleramt?
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2978 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Windelen— Nein, dafür wollen wir nicht das Geld streichen. Das kann völlig kostenlos hier vor diesem Haus geschehen, Herr Kollege.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was soll mit einer solchen Massierung von Personal in der Führungsspitze der Regierung denn erreicht werden? Sollen die übrigen Ministerien zu nachgeordneten Verwaltungsbehörden degradiert werden? Soll die in Artikel 65 verfassungsrechtlich verankerte Selbstverantwortung der Bundesminister für ihr Ressort auf kaltem Wege in eine Art Präsidialdemokratie
nach amerikanischem Muster umgewandelt werden, vielleicht mit dem Unterschied, daß der Vizepräsident in Gestalt des Sonderministers Ehmke die tatsächliche Regierungsgewalt übernimmt?
Meine Damen und Herren, auch wir verkennen nicht, daß die jetzige Unterbringung ;des Bundeskanzleramtes teilweise sicher unzureichend ist.
Auch Bundeskanzler Kiesinger hatte Umbau- und Anbaupläne in einer Größenordnung von weniger als 12 Millionen DM angemeldet.
— Den hat nicht Herr Bundeskanzler Kiesinger, sondern Herr Bundeskanzler Erhard gebaut, und den hat .der jetzige Bundeskanzler nicht bezogen,
weil ihm die Luft auf dem Venusberg besser bekommt. Dagegen haben wir nichts.
Wir haben allerdings einiges dagegen, daß wir für das Privatvergnügen des Herrn Bundeskanzlers, auf dem Venusberg und nicht im vorhandenen Kanzlerbungalow zu wohnen, nun noch 189 000 DM zusätzlich für Sicherungskosten ausgeben sollen.
— Ich entsinne mich der Art und Weise, mit der Sie damals wegen wesentlich geringerer Beträge polemisiert haben.
Wir sind auf keinen Fall gewillt, den verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch sehr problematischen Vorstellungen des Bundeskanzlers unbesehen zuzustimmen.
Nun einige Anmerkungen, Herr Bundesminister Ehmke, zu Ihrer Strategie und Taktik der personalpolitischen Säuberung im Kanzleramt, die die Zeitschrift „Die Zeit" als „Ehmkes Beutezug" bezeichnet hat.
Ihre zahlreichen Rechtfertigungsversuche haben sich allesamt als Rohrkrepierer erwiesen.
Die zuletzt in der Fragestunde am 8. Mai dieses Jahres an Sie gerichteten Fragen wegen der disqualifizierenden und anmaßenden Bemerkungen über das Bundeskanzleramt und dessen Bedienstete — damals hieß es, die Institution sei „eine Mischung aus Friedhof und Museum" gewesen; die Beamten, Angestellten und Arbeiter dieser obersten Bundesbehörde seien „fast zu einem Club für Freizeitgestaltung" degeneriert — bleiben nach wie vor völlig unbefriedigend beantwortet.
Sie erklären schlicht, aber für uns keineswegs ergreifend, Sie hätten die Ihnen zugeschriebenen Äußerungen gar nicht getan. Die Verbreiter dieser überheblichen und verletzenden Äußerungen aber bleiben dabei, daß Sie eben dies nachweislich gesagt hätten. Ich frage an dieser Stelle: Wer lügt denn hier?
— Einer von beiden muß doch gelogen haben!
Ich frage das an dieser Stelle, ohne auf die möglichen Konsequenzen einzugehen, die sich aus einer Mißachtung des Parlaments ergeben könnten. Fordern Sie endlich den „Spiegel" zu einer Berichtigung auf, Herr Ehmke, wenn Sie Ihrer Sache so sicher sind!
Ihre Kontroverse, Herr Minister Ehmke, mit dem Bund der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes wird von uns nicht nur deswegen so ernst genommen, weil Sie unzulässigerweise bei Ihrer Säuberungsaktion in Rechtspositionen der betroffenen Beamten eingegriffen haben.
Bei Ihren Rechtfertigungsversuchen greifen Sie vielmehr auf das „besondere Gewaltverhältnis" des Dienstherrn gegenüber den Beamten zurück.
Dies aber, Herr Minister Ehmke, ist ein Rückfall in finsterste Reaktion;
denn das Beamtenverhältnis ist, den Grundsätzen unseres freiheitlichen und sozialen Rechtsstaats entsprechend, eben kein „besonderes Gewaltverhältnis" mehr.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 2979
Windelen— Das hat auch Ihre Partei, Herr Tamblé, immer wieder bekundet.Sie befinden sich, Herr Minister Ehmke, also im klaren Widerspruch zu den beamtenpolitischen Leitlinien Ihrer eigenen Partei,
und Sie sollten deswegen den begangenen Fehler lieber eingestehen, anstatt ihn durch Rechtfertigungsversuche mit falschen Argumenten nur noch zu vermehren und gleichzeitig Ihre eigene Partei in einer wichtigen Aussage zu desavouieren.Darüber hinaus stellt sich für uns die Frage, ob Ihre Maßnahmen denn mit dem Art. 3 des Grundgesetzes vereinbar sind, nach dem niemand wegen seiner politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden darf.
Wir werden jedenfalls unser Wächteramt als Opposition um so gründlicher wahrnehmen, je trickreicher Sie glauben, uns überlisten zu können.
Und schließlich, Herr Minister Ehmke, sorgen Sie endlich für Ruhe in dem Ihnen doch nur auf Zeit anvertrauten Bundeskanzleramt!
Das Personalvertretungsgesetz, dem auch Sie verpflichtet sind, schreibt vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Behördenleitern und dem Personalrat vor. Wie lange wollen Sie sich denn noch von diesem Personalrat bescheinigen lassen, er werde durch Sie unzureichend informiert, Sie forderten ihn zu Stellungnahmen für organisatorische Maßnahmen auf, die bereits definitiv getroffen seien,
Sie hätten verschiedene Kategorien von Beamten geschaffen, Sie hätten Maßnahmen getroffen, die mit höchstrichterlichen Entscheidungen nicht vereinbar seien, Sie hätten zahlreiche neue Stellen für das Bundeskanzleramt beantragt, während andere Amtsangehörige nichts anderes täten ,als ihre Anzüge spazierenzuführen.Nun, sieben Monate nach ihrem Start bietet diese Bundesregierung ein trauriges und widersprüchliches Bild.
Herr Abgeordneter Windelen, ich darf Sie bitten, langsam zu Ende zu kommen.
— Der Abgeordnete Windelen hatte im ersten Teil seiner Rede so viele Zwischenrufe, daß ich ihm einen „Gütezuschlag" geben muß.
Dieses widersprüchliche Bild zeigt sich sowohl in Fragen der inneren Ordnung als auch der Deutschlandpolitik. Wer innerhalb weniger Wochen erst Steuersenkungen verspricht, dann Steuererhöhungen erwägt, einen Kreislaufkollaps aus Liquiditätsmangel befürchtet und gleich danach einen weiteren Liquiditätsentzug begrüßt, wer erst einen Vorstoß — ,so hieß es — zur internationalen Zinsabrüstung ankündigt und anschließend den höchsten Diskont- und Zinssatz in diesem Land als richtig bezeichnet, der wird kaum ein sicheres Urteil für sich in Anspruch nehmen können,
der wird nicht das nötige Vertrauen schaffen, das jede Regierung braucht.
Auf dem Parteitag Ihrer Partei in Saarbrücken wurde viel von Zukunft gesprochen, von einer sehr linken Zukunft übrigens.
Wo aber blieb Ihr Rezept für die Probleme von heute?
Natürlich ist es einfacher, den drängenden Entscheidungen von heute in Zukunftsvisionen zu entfliehen.
— Herr Schäfer, Sie sind keiner, dafür kenne ich Sie lange genug.
Aber was uns jetzt drückt, das ist der Preisauftrieb,
was uns jetzt drückt, das sind die Gefahren für die
Konjunktur, und darüber schweigen Sie beharrlich.
Seit November vergangenen Jahres ist kostbare Zeit verstrichen. Sie mögen sich und unserem Volk weiter Illusionen machen, die Preislawine rollt weiter. Wann wird die Regierung endlich aufwachen?
In der Deutschland- und Ostpolitik versuchen Sie, Herr Bundeskanzler, die Opposition nun in die nationalistische Ecke zu drängen.
Es ist bemerkenswert, und es kennzeichnet Sie und nicht uns, wenn Sie das, was Sie selbst bis vor wenigen Monaten noch als unverzichtbar bezeichnet haben,
heute Nationalismus nennen.
Herr Abgeordneter Windelen, ich möchte Sie noch einmal bitten, zum Schluß zu kommen.
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2980 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Wenn ich nicht so oft gestört worden wäre, Herr Präsident, wäre ich schon längst fertig.
Schließlich haben Sie, Herr Bundeskanzler, 1963 den Schlesiern erklärt, Verzicht sei Verrat. Herbert Wehner ist es gewesen, der 1966 Günter Gaus gesagt hat, wir wären Strolche, wenn wir das jetzt noch nicht realisierbare Selbstbestimmungsrecht der Mitteldeutschen preisgeben würden.
Im August 1968 beschlossen wir noch gemeinsam, Herr Bundeskanzler, daß die Anerkennung des anderen Teiles Deutschlands als Ausland oder als souveräner Staat deutscher Nation nicht in Betracht kommt. Heute nennen Sie, Herr Wehner, das „Schmiere".
In der Regierungserklärung verkünden sie noch, Herr Bundeskanzler, daß eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesregierung nicht in Betracht kommt. Jetzt stellen Sie Herrn Stoph in Kassel in Aussicht, daß im Laufe der Zeit auch die Frage, die Herr Stoph als völkerrechtliche Anerkennung der DDR bezeichnet, sich lösen ließe. Wie lange, Herr Bundeskanzler, gilt denn Ihr Wort, und wie lange, Herr Bundeskanzler, wird das gelten, was Sie heute zu uns sagen werden?
Herr Bundeskanzler, Sie haben mit der Regierungserklärung und mit den Wahlversprechen in unserem Volk große Erwartungen und Hoffnungen erweckt; es wartet jetzt auf Ihre Taten. Sie haben erklärt, wir stünden nicht am Ende unserer Demokratie, sondern wir fingen jetzt erst richtig an.
— Sehr wahr! sagen Sie. Nun, inzwischen hatten Sie fast acht Monate Zeit, Ihre Vorstellungen von neuer Demokratie zu entwickeln.
Das ist erst der Anfang Ihrer Regierungszeit. Wie soll dann das Ende aussehen? Unser Volk hat mehr von Ihnen erwartet und Besseres verdient.
Wir sind nicht bereit, diesen Zwiespalt zwischen Versprechungen und Leistungen hinzunehmen.
Wir lehnen deswegen die Annahme des Einzelplans des Bundeskanzleramtes ab.
Meine Herren und Damen! Wir haben niederländische Gäste bei uns im Hause. Ich begrüße die Herren Abgeordneten der Ersten und Zweiten Kammer des niederländischen Parlaments und heiße sie herzlich willkommen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition fühlt sich herausgefordert durch Äußerungen, die ich gestern als Vorsitzender meiner Partei
auf einer SPD-Betriebsrätekonferenz gemacht habe. Ich will gleich darauf eingehen. Ich darf die Opposition vielleicht so verstehen, daß in anderen Fällen auch andere hier im Bundestag für das geradestehen, was sie auf Parteiversammlungen sagen.
Ich habe in Bielefeld gesagt, die Opposition sei in ihren Methoden nicht wählerisch,
das sehe man besonders stark in der Außenpolitik, aber auch in der Wirtschaftspolitik sei das zuweilen höchst bedenklich. So hätte ich aus sicherer Quelle erfahren,
daß die Opposition Versuche unternommen habe, Kreise der Industrie gegen die Bundesregierung -zumal vor den Landtagswahlen am 14. Juni — in Frontstellung zu bringen. Meine .Quelle ist ein fundierter Vermerk der Bundesgeschäftsführung meiner Partei.
Er besteht aus zwei Ziffern, die meinen Ausführungen zugrunde lagen. Ziffer 1:Mitglieder der CDU/CSU-Führung haben vor einiger Zeit bei führenden Männern der Industrie und des BDI darauf gedrängt, die Industrie solle gegenüber den Lohnforderungen der Gewerkschaften besondere Härte zeigen.
Es mache nichts, wenn es vor den Wahlen am 14. Juni noch zu Streiks komme. Von der Industrie wurde diese Empfehlung der CDU/CSU zurückgewiesen. Auch prominente CDU-Politiker halten dieses Verfahren für nicht richtig.Soweit zu Ziffer 1. Nun Ziffer 2:Außerdem erfuhr ich aus sicherer Quelle einige Details
zu einer Meldung der Zeitschrift „Der Volkswirt" vom 29. Mai. Dort hieß es: „Ende vergangener Woche
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 2981
Bundeskanzler Brandtes steht hier nicht drin, Herr Barzel, aber ich denke, es war der 22. Mai; „Der Volkswirt" war vom 29. Mai —auf einem Treffen mit dem Gemeinschaftsausschuß der deutschen Wirtschaft mußten sich CDU-Politiker sagen lassen, weitere Stabilisierungsmaßnahmen drohten in Stagnation zu münden.Soweit dieses Zitat von Seite 16 des „Volkswirts". Der Vermerk sagt im Anschluß daran:Anlaß zu dieser Warnung des Gemeinschaftsausschusses, in dem BDI und BDA vertreten sind, war, daß die CDU/CSU-Führung diese Verbände dazu gewinnen wollte, die Preisdiskussion mit ihren Mitteln anzuheizen.
Meine Damen und Herren, niemand wird behaupten können, diese Hinweise seien aus der Luft gegriffen. Ich hatte und habe keinen Grund, die Seriosität dieser Information zu bezweifeln.
Was den BDI und die BDA angeht, so habe ich gern zur Kenntnis genommen, daß sie mit diesen Vorgängen nicht offiziell befaßt gewesen sind.
Ich selber habe in Bielefeld gesagt, die Gesprächspartner der Opposition seien mit ihrem Ansinnen insoweit abgeblitzt. Der BDI-Sprecher hat gestern seinerseits die Möglichkeit eingeräumt — ich zitiere —, daß der eine oder andere Industrielle —98 % der Industriellen sind Mitglied im BDI —von CDU-Politikern in dieser Frage angesprochen worden sein könnte.
Herr Stoltenberg hat gestern angekündigt, daß sich die CDU/CSU rechtliche Schritte gegen mich vorbehalte. Ich kann Sie daran nicht hindern.
Ich denke, das ist deutlich genug.
Und im übrigen: warum so zimperlich? Sie sind es doch sonst auch nicht, zumal in diesen Wochen.
— Sie haben doch gesagt, Sie wollten das rechtlich klären.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner?
Gern.
Herr Bundeskanzler, Sie könnten dieser ganzen Auseinandersetzung sehr schnell ein Ende bereiten ...
Herr Kollege, würden Sie bitte eine Frage stellen.
... wenn Sie meine Frage beantworteten. Wer hat zu welcher Zeit an welchem Ort mit wem von der deutschen Industrie über die Sachen gesprochen, die Sie gestern in der Wahlveranstaltung behauptet haben? Nennen Sie sie doch!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Wörner, ich habe Ihnen gesagt: Ich habe mich geäußert,
und zwar gestützt auf das, was der Bundesgeschäftsführung meiner Partei vorliegt.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr!
Herr Bundeskanzler, können Sie Ihren hier sitzenden Bundesgeschäftsführer, der Ihnen diesen Vermerk gegeben hat, auffordern, hier Roß und Reiter zu nennen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Wischnewski wird sich hier zu Wort melden, wenn er es selbst für richtig hält.
— Das ist so im Deutschen Bundestag.
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2982 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Bundeskanzler Brandt— Hier ist keiner des anderen Vorgesetzter, sondern im Deutschen Bundestag meldet sich jeder Abgeordnete dann, wenn er sich zu Wort melden will.
Meine Damen und Herren, die Opposition wünscht, Herr Kollege,
daß sie die Regierung sei. Das ist in Ordnung. Das ist der SPD auch so gegangen, als sie in der Opposition war.
Der reibungslose Übergang von einer Regierung zur anderen — —
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren,
der reibungslose Übergang der Regierungsverantwortung
von der einen zur anderen Koalition zeigte — da mögen Sie sagen, was Sie wollen —
die Stabilität unserer demokratischen Ordnung. Um so bedauerlicher ist es,
daß der kritische Dialog und das sachliche Zusammenwirken zwischen Regierung und Opposition zunehmend schwieriger geworden sind.
In den ersten Monaten war das anders,
schien es zumindest positivere Ansätze zu geben,
und ich hatte den Eindruck, Herr Kollege Barzel,
daß dies damals auch Ihren Intentionen entsprach.
Meine Damen und Herren — Herr Bundeskanzler, ich bitte um Entschuldigung —, es ist jetzt das drittemal seitens der CDU/CSU das Wort „Verleumdung" gefallen. Ich muß das auf das äußerste bedauern.
Ich bitte, sich bei den Ausdrücken ein wenig an den Ort unserer Beratungen zu erinnern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe gesagt, meine Damen und Herren, daß sich dies — zumal seit dem CSU-Parteitag — fast schlagartig verändert hat. Sie müssen selber wissen, ob Sie damit gut bedient sind. Sie müssen aber auch wissen,
daß es der Regierung schwer, wenn nicht unmöglich ist, mit einer gewissermaßen totalen Opposition zurechtzukommen.
Lassen Sie mich feststellen: Am Willen der Regierung zur Unterrichtung der Opposition und zur Beratung mit der Opposition hat es nicht gefehlt.
Für die Unterrichtung der Opposition — da können Sie sagen, was Sie wollen —
sind sehr viel mehr Termine angesetzt worden, als das früher üblich war.
Das ist nun einmal eine Tatsache. Es hat auch nicht an der Bereitschaft gefehlt, die Einwände der Opposition wohl zu bedenken. Ich bleibe — weil das meine Pflicht ist — zum sachlichen Zusammenwirken bereit,
wo immer dies im Interesse des Staatsganzen erforderlich ist und wo es in Anbetracht der unterschiedlichen Meinungen möglich ist. Wozu ich nicht bereit sein kann, ist
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 2983
Bundeskanzler Brandteine Verschiebung der Verantwortlichkeiten, die mir nach der Verfassung aufgetragen sind.
Was die Arbeit des Bundeskanzleramts angeht, so denke ich nicht daran, auf die Bemerkungen des Herrn Windelen zur Frage der Repräsentationsmittel einzugehen,
es sei denn, daß ich diese Bemerkung mache: Ich halte es für ehrlicher, ein Bundeskanzler sagt dem Haushaltsausschuß, was er braucht, als wenn er so tut, als komme er mit dem aus, was vorgesehen ist, und dann beim Finanzminister Nachforderungen stellt.
Und was das Haus angeht: Wenn Sie wollen, ich nicht. Ich habe meine Gründe. Es ist ein nettes Haus, eigentlich nicht für eine Familie gebaut, ein schönes Haus für Repräsentationszwecke. Auch der Bundespräsident wird es jetzt dafür mit in Benutzung nehmen, auch der Außenminister. Das, denke ich, führt nicht weiter.Zur Arbeit des Bundeskanzleramts, Herr Kollege Windelen: Die Kontroverse, die es hierzu seit Ende des vergangenen Jahres gibt, stellt sich mir so dar: Die Opposition würdigt nicht oder nicht ausreichend, daß unsere Regierungsarbeit ganz unabhängig von den politischen Kräfteverhältnissen der Modernisierung bedarf. Dazu gehört, daß der Bundeskanzler über eine effektive Behörde verfügt, nicht als Befehlszentrale, nicht als Superministerium, aber um die Aufgaben wahrzunehmen, die er und das Bundeskanzleramt — er nach der Verfassung, er und das Kanzleramt nach der Geschäftsordnung — wahrzunehmen haben. Daß dies notwendig ist, das wurde lange vor dem Regierungswechsel vom vergangenen Herbst zu Papier gebracht. Meine Aufgabe und die meiner Mitarbeiter ist es, aus dem schon früher als notwendig Erkannten Konsequenzen zu ziehen. Wir kommen damit, das gebe ich offen zu, langsam genug voran. Aber wir haben begonnen und wir werden uns nicht davon abbringen lassen, daß die Zentrale der Regierungstätigkeit modernisiert und effektiver gestaltet werden muß. Ich arbeite gern im Palais Schaumburg. Aber die Unzulänglichkeiten des Hauses dürfen auf die Dauer nicht in der Unzulänglichkeit der Apparatur ihre Fortsetzung finden. So ist das ganz einfach und so sage ich es.Die Opposition, die sich mit mir in dieser Zeit zumeist außenpolitisch auseinandersetzt, hat auch den Vorwurf erhoben — gerade jetzt in der Rede von Herrn Windelen —, daß die innenpolitischen Aufgaben vernachlässigt würden.
Dieser Vorwurf ist nicht gerechtfertigt. Dieses HoheHaus kann sich nicht darüber beklagen, daß es indiesen sieben Monaten, auf die schon hingewiesenworden ist, nicht mit Vorlagen und Berichten der Regierung zu zentralen und anderen wichtigen innenpolitischen Vorhaben bedient worden sei. Im Laufe eines halben Jahres hat die Regierung nicht nur den Bericht zur Lage der Nation, nicht nur den Jahreswirtschaftsbericht und den Nachtrag dazu, sondern auch den Sozialbericht, den Strukturbericht, das Weißbuch zur Sicherheit
vorgelegt, und morgen wird das Kabinett den angekündigten Bericht über Bildung und Wissenschaft beraten, verabschieden und dem Bundestag zuleiten. So, wie wir es angekündigt haben, werden in der zweiten Hälfte des Jahres die Berichte zur Verkehrspolitik, zur Gesundheitspolitik, zum Städtebau und zur Raumordnung sowie zur Vermögenspolitik unterbreitet werden, ganz abgesehen davon, daß wir, gestützt auf die Empfehlungen der Sachverständigenkommission, zu entscheiden haben werden, wie weit die Steuerreform in den nächsten beiden Jahren vorangebracht werden kann.Das Dilemma der Reformpolitik, meine Herren, ist keinem Kundigen verborgen geblieben.
Aus konjunkturpolitischen Gründen haben wir viele Milliarden stillgelegt.
Das führt zu einer Phasenverschiebung wichtiger Infrastruktur- und Reformvorhaben.
Daß mir das nicht angenehm ist, wird jeder verstehen. Aber ich stehe zu dem, was wirtschafts- und finanzpolitisch notwendig ist. Dabei werde ich mich auf längere Sicht nicht damit zufrieden geben, daß wir jede Konjunktur automatisch mit einem Minus an Sozialinvestitionen bezahlen müßten. Es ist sachlich nicht haltbar, wenn in diesem Zusammenhang— so auch gestern und vorgestern in diesem Hause— von „Wortbruch" gesprochen wird. In Wirklichkeit ist es doch so, daß die Opposition in diesen Monaten gefordert hat, einerseits aus konjunkturpolitischen Gründen Geld stillzulegen, andererseits für bestimmte Vorhaben mehr Geld auszugeben.
Ich habe gestern und vorgestern noch in diesem Hause den Widerspruch erlebt zwischen Wünschen, auf einem Gebiet mehr zu tun, und dem gleichzeitigen Hinweis darauf, man müsse allgemein — im Haushaltsausschuß nämlich — weniger ausgeben. Keiner kann, wie die Engländer sagen, Herr Kol-
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2984 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Bundeskanzler Brandtlege Barzel, den Kuchen essen und ihn außerdem noch ganz behalten wollen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Bundeskanzler?
Herr Bundeskanzler, ist Ihnen vorgetragen worden, daß die CDU/CSU im April in ihrem Drei-Punkte-Programm zur Konjunkturpolitik vorgeschlagen hat, sich mit der Koalition darüber zu verständigen, alle Anträge — die eigenen wie die der Koalition —, welche die Einnahmen oder die Ausgaben betreffen, bis zum 1. Januar 1971 zurückzustellen? Ist Ihnen das vorgetragen worden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jawohl.
Ich denke, es ist gestern auch in der Konjunkturdebatte
von seiten der Regierung und der Regierungskoalition gesagt worden, wie wenig Ihr Punkte-Programm aus dem April insgesamt als hilfreich betrachtet werden konnte. Zur Konjunkturpolitik ist gestern gesprochen worden. Ich will hier nur noch einmal betonen: es war richtig — da mögen Sie sagen, was Sie wollen —, daß sich die Bundesregierung nicht zur Hektik hat verleiten lassen.
Das wird von den meisten Unternehmern nicht anders als von den Gewerkschaftsführer gesehen.
Die Ratschläge, die von verschiedenen Seiten gegeben worden sind, widersprechen weithin einander. Wir haben uns für ein besonnenes Verhaltenten entschieden und werden dabei bleiben.
Herr Kollege Windelen, Sie können heute vormittag viel erzählen; Sie können den Leuten im Lande nicht weismachen, daß es ihnen schlecht geht. Die Leute wissen nämlich, daß das nicht stimmt.
Herr Kollege Windelen hat gefragt, was es heißen solle: mehr Demokratie wagen. Herr Kollege Windelen, mehr Demokratie wagen heißt, damit wir uns klar verstehen, nicht, über jeden Stock zu springen, den die Opposition hinhält. Das bedeutet es nicht.
Mehr Demokratie wagen heißt auch nicht., die Diplomatie abschaffen.
Auf diplomatische Sondierungen verzichten, das heißt es auch nicht.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Kalinke?
Brandt, Bundeskanzler: Bitte sehr!
Herr Bundeskanzler, sind Sie bereit, zu erläutern, warum es allen Deutschen nach zwanzigjähriger Politik unter der Führung der CDU/CSU besser geht und warum in den letzten Monaten die Kaufkraft der Renten und aller Einkommen abgesunken ist? Sind Sie bereit, das zu erklären?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Kalinke, ich bleibe bei dem, was ich sage. Bei allen Ungerechtigkeiten der Einkommens- und Vermögensstruktur, an denen wir in den kommenden Jahren auch nicht achtlos vorübergehen können, geht es den Menschen draußen besser als früher. Sie werden ihnen nicht einreden können, daß es ihnen schlechter geht.
Meine Damen und Herren, ich wiederhole. Demokratie bedeutet auch nicht, so sagte ich, daß man auf die Diplomatie verzichtet.
Mehr Demokratie wagen bedeutet vor allem anderen Abbau von Privilegien.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Müller ?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, jetzt möchte ich mich zusammenhängend zu diesem Punkt äußern.Mehr Demokratie wagen heißt Beteiligung der Bürger und der ,gesellschaftlichen Gruppen an den politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entscheidungen. Und das heißt dann auch, jawohl, Transparenz der Entscheidungen.
— Ob Sie das Belehrungen nennen oder nicht, der Bundeskanzler hat mindestens dasselbe Recht, seine Redezeit so auszufüllen, wie der Sprecher der Opposition glaubte seine Redezeit mit seinen Vorwürfen ausfüllen zu können.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 2985
Bundeskanzler BrandtDiese Regierung sucht den Kontakt mit den gesellschaftlichen Gruppen, und sie hat ihn in zahlreichen Einrichtungen zum Teil neu geschaffen, zum Teil ausgebaut. Ich wiederhole: Mehr Demokratie wagen heißt auch Abbau von Privilegien. In der Bildungs- und Vermögenspolitik haben wir begonnen und werden zielstrebig daran arbeiten, Stück um Stück vorhandener Privilegien dort abzutragen, wo sie in den letzten 20 Jahren nicht kleiner, sondern zum Teil größer geworden sind. Dies ist die Aufgabe.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aller Polemik zum Trotz: diese Bundesregierung versteht sich als eine Regierung der inneren Reformen,
und wir haben auf dem Wege dorthin schon einiges verwirklicht.
— Ich weiß nicht, mit was für Menschen im Lande Sie umgehen. Die Menschen, mit denen ich umgehe, wissen, was die Streichung des Rentnerkrankenkassenbeitrages und was die Erhöhung der Kriegsopferrenten bedeuten.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kliesing?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, ich will meinen Satz erst zu Ende führen dürfen. — Ich wiederhole den unerbrochenen Satz: Wir haben auf dem Wege dahin schon einiges verwirklicht, vieles in Angriff genommen, und anderes ist in Vorbereitung.
Jetzt mag die Zwischenfrage kommen.
Herr Kollege Kliesing, bitte schön!
Herr Bundeskanzler, darf ich nochmals auf Ihre Ausführungen zur Demokratie zurückkommen. Ich möchte Sie fragen: Glauben Sie, daß der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland mit der Haltung, die er vor wenigen Minuten hier in einer ernsten Frage, als es um die Ehre demokratischer Politiker und einer demokratischen Partei ging, an den Tag gelegt hat, dem Ansehen der Demokratie in Deutschland einen guten Dienst erwiesen hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich weiß nicht, wo in meiner Darlegung die Kategorie der Ehre Ihnen gegenüber erschienen ist; ich habe von politischer Haltung gesprochen.
— Ich habe von politischer Haltung gesprochen.
Herr Kollege Stoltenberg, ich rüge den Ausdruck „Verleumdung".
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es hat sich, was die Verankerung der Reformvorstellungen in der Regierung angeht, nichts geändert an dem, was der Bundesfinanzminister dazu bei der Einbringung des Haushalts 1970 vorgetragen hat. Wenn das alles hier heute in Frage gestellt werden soll, dann muß dem folgendes entgegengehalten werden.Erstens. Selbst nach Abzug der Konjunktursperren und deren teilweiser Umwandlung in Kürzungen verbleibt für den Haushalt des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft gegenüber 1969 eine entscheidende Steigerungsrate. Das ist der erste Schritt, um die Voraussetzungen für die Mitwirkung des Bundes an einer besseren Bildungspolitik entscheidend zu verstärken. Noch in diesem Monat wird die Bundesregierung mit den Landesregierungen ein Abkommen über eine gemeinsame Kommission für Bildungsplanung treffen. Dann ist die Grundlage geschaffen, damit Bund und Länder einen Bildungsgesamtplan und ein Nationales Bildungsbudget aufstellen können. Die Bundesregierung wird ebenfalls — ich erwähnte es schon — noch in diesem Monat in ihrem Bildungsbericht das Hohe Haus ausführlich über ihre Bildungskonzeption informieren.
— Das mußte verschoben werden. Ich habe das in Ihrer Abwesenheit vorgestern bei der Verteidigungsdebatte dem Hohen Haus gesagt, Herr Dr. Barzel. Mit Rücksicht auf den Bildungs- und Wissenschaftsrat mußte dieser Bericht auf den Juni verschoben werden. Deshalb haben wir das Weißbuch auf Mai vorgezogen.
Zweitens. Nach dem Bildungsprivileg bedarf das Privileg in der Vermögensbildung dringend des Abbaus.
Die Bundesregierung hat vier Monate nach Übernahme der Regierungsverantwortung den Entwurfeines Dritten Vermögensbildungsgesetzes vorgelegt,
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2986 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Bundeskanzler Brandtder, wie ich hoffe, noch vor der Sommerpause von diesem Hause verabschiedet. wird. Die mit der Verdoppelung des Begünstigungsrahmens verbundene Umstellung auf das Zulagensystem und die Einführung einer Einkommensgrenze bedeuten einen entscheidenden Schritt zur Ausrichtung der Förderung auf die kleinen und mittleren Einkommen.
— Wie sehr sich das Dritte Vermögensbildungsgesetz, meine Herren Lacher, von seinen Vorgängern unterscheidet, wird auch daran deutlich, daß die Tarifparteien jetzt in großem Umfang zum Abschluß vermögenswirksamer Verträge übergehen.
Allein nach den bis jetzt bekannten Tarifabschlüssen werden rund sieben Millionen Arbeitnehmer noch in diesem Jahr vermögenswirksame Leistungen erhalten. Das sollten wir nicht übersehen.
Drittens. Ebenfalls nur wenige Monate nach dem Amtsantritt hat die Regierung ihren Entwurf zum Städtebauförderungsgesetz vorgelegt. Die seit langem überfällige Reform des Bodenrechts wird mit diesem Gesetzentwurf eingeleitet. Die Gemeinden und Gemeindeverbände erhalten endlich notwendige Voraussetzungen zur Sanierung der Altstädte und zur modernen Stadtentwicklung; ein Problem aus dem langen Katalog der notwendigen inneren Reformen, dessen Lösung entscheidend das Gesicht der Bundesrepublik in den nächsten 30 Jahren bestimmen wird.
Zum vierten — ich habe es Ihnen schon durch eine Zwischenbemerkung gesagt — zeigen auf dem Gebiet der Sozialpolitik die Aufhebung des Krankenkassenbeitrages der Rentner, die Verbesserung und Dynamisierung der Kriegsopferrenten, die erstrebte Gleichstellung der Angestellten und Arbeiter als Parallele zu der Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten bei der Lohnfortzahlung, zeigen aber auch die Ihnen bald vorliegenden Entwürfe für ein modernes Betriebsverfassungsgesetz und Personalvertretungsgesetz, daß wir sozialpolitisch zu handeln wissen und zu dem stehen, was wir versprochen haben.
Fünftens lassen Sie bitte ein ganz kleines Beispiel gelten, von dem ich weiß, daß es nur eine kleine Gruppe betrifft; aber wir wollen und Sie sollten auch dies bitte nicht achtlos beiseite schieben; denn ich halte es für ein durchaus wesentliches Beispiel. Mit dem Gesetzentwurf über die Errichtung einer öffentlich-rechtlichen Stiftung für das behinderte Kind wird die Grundlage einer wirksamen Hilfe für jene besonders benachteiligte Gruppe von Mitmenschen geschaffen. Das Problem der Contergan-Kinder, das ja hier den Ausgangspunkt der Überlegungen, der Suche nach einer Lösung gebildet hat, besteht seit über acht Jahren. Sie könnnen sagen, was Sie wollen, — diese Regierung hat Ernst damit gemacht, diesen jungen Menschen und ihren Eltern wirksam zu helfen.
Die skizzierten Problemkreise zeigen die Notwendigkeit innerer Reformen. Die Lösungen dokumentieren den Willen der Bundesregierung dazu. Die Notwendigkeit innerer Reformen in vielen anderen Bereichen wird noch deutlicher werden, wenn die Bundesregierung im Herbst ihren Bericht über die Gesundheitspolitik vorlegt.Herr Kollege Windelen, es war nicht irgendeine Laune und schon gar kein Zufall, daß die von mir geführte Bundesregierung ihre Arbeit unter das Leitmotiv innerer Reformen gestellt hat. Wir werden unsere Arbeit zur Verwirklichung der notwendigen Reformen unbeirrt fortsetzen, und ich bin sicher, daß die Bundesregierung dabei die Unterstützung der Mehrheit dieses Hohen Hauses finden wird.
Der Sprecher der Opposition in dieser Debatte hat heute vormittag erneut — so wie es andere vor ihm getan haben — seiner Besorgnis Ausdruck gegeben, auf dem Gebiete der auswärtigen Politik könne dem, was nach Osten hin versucht wird, zuviel Aufmerksamkeit, zuviel Energie gewidmet werden.Ich muß mich, wenn das schon angesprochen wird, erneut gegen einige Legenden wenden. Erstens wende ich mich gegen die Legende, daß wir die Westpolitik, die Politik der westeuropäischen Einigung und der vertrauensvollen Zusammenarbeit im Bündnis vernachlässigten. Hiervon kann überhaupt keine Rede sein. Das Gegenteil ist richtig. Diese Regierung hat in sechs Monaten so viel für die Ankurbelung der westeuropäischen Zusammenarbeit getan, wie überhaupt nur getan werden konnte.
Zweitens muß ich mich gegen die Legende wenden, unsere Ost- und Deutschlandpolitik enthalte Elemente, die nicht jedermann bekannt seien.
In Wirklichkeit bewegen wir uns voll in dem Rahmen, der durch die Regierungserklärungen vom 28. Oktober vergangenen Jahres und vom 14. Januar dieses Jahres abgesteckt wurde, und, um es nach meiner Intervention von vorgestern noch einmal zu sagen, wir befinden uns in voller Übereinstimmung mit unseren Verbündeten. Wer sagt, er sei für die Poiltik, die im NATO-Kommuniqué vom Mittwochabend vergangener Woche festgelegt ist, kann nicht zugleich gegen die Politik dieser Regierung sein, weil die Politik dieser Regierung un-abgekürzt mit der Politik übereinstimmt, die im NATO-Kommuniqué ihren Niederschlag gefunden hat.
Drittens wende ich mich auch gegen die Legende, die Außenpolitik sei innerhalb der Regierung bzw.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 2987
Bundeskanzler Brandtzwischen dem Bundesaußenminister und dem Bundeskanzler nicht voll abgestimmt.
Ich kann mich an Jahre erinnern — dabei denke ich nicht einmal notwendigerweise an die allerletzten —, in denen es ein Vorteil für die Bundesrepublik gewesen wäre, wenn Regierungschef und Außenminister an einem Strang gezogen hätten. Heute ist das der Fall.
Ich bin nicht gewillt, die Unterstellung hinzunehmen, der Bundeskanzler oder die Regierung stünden nicht mehr zum Recht auf Selbstbestimmung. Deshalb war auch die Zitierung des Kollegen Wehner und meiner selbst völlig unangebracht, weil auch diese Zitierung erneut in bösartiger Weise unterstellt, der Streit gehe darum, daß hier eine Seite, nämlich die Mehrheit dieses Hauses, nicht zum Selbstbestimmungsrecht stehe. Das ist nicht wahr!
Genauso kann ich nicht hinnehmen, daß hier undnoch mehr draußen im Lande völlig unwählerisch— um nicht einen härteren Ausdruck zu benutzen— unterstellt wird,
Sie hätten sich mit einer Regierung auseinanderzusetzen, die das Unrecht oder die Vertreibung unserer Landsleute aus dem Osten oder die Spaltung Deutschlands nachträglich völkerrechtlich oder wie auch immer anerkennen wolle. Davon kann keine Rede sein!
Das ist unwahr, und das ist unmöglich! Auch Sie werden erkennen, daß dies unmöglich ist. Und wenn Sie den Hinweis darauf so auslegen, als ob Sie dadurch in eine nationalistische Ecke gestellt würden, dann muß ich diese Einschätzung Ihnen selbst überlassen.
Es geht um die Sache selbst,
und im übrigen wird niemand seines begrenzten Erfolges froh werden, der auf diese Weise Gefühle hochpeitscht und ein paar rechtsradikale Stimmen gewinnt.
Ich weiß, daß wir nicht alle einer Meinung sein können. Aber das hat hiermit nichts zu tun. Ich weiß auch, daß die Opposition ihre Gründe hat und daß es ihr Recht ist, den Etat des Bundeskanzlers abzulehnen. Für den selbst gilt das alte Wort, daß einen stärker macht, was einen nicht umwirft.
Das Blatt des heutigen Tages wird rasch umgeschlagen sein. Die Auseinandersetzungen gehen weiter, so auch die Pflicht.
Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine persönliche Bemerkung insbesondere an die Kollegen der CDU/CSU. Sie wissen, daß ich mich in diesem. Hause — ich gehöre ihm 17 Jahre lang an — stets bemüht habe, mit allen Fraktionen dieses Hauses sachlich zusammenzuarbeiten. Ich sehe mit großer Sorge, daß in diesem Haus ein Stil einreißt, den wir in den 50er Jahren gehabt haben
und der mich teilweise sogar noch an einen Stil meiner Jugendzeit erinnert. Ich bedauere das sehr, und ich bedauere um so mehr, daß einige Kollegen der CDU/CSU, die ich persönlich sehr schätze, die- sen Stil mitmachen. Wir sind in diesem Hause aufgerufen, die Probleme unseres Landes zu lösen. Das geht nicht, wenn wir nur den Versuch machen, mit Verdächtigungen und Unterstellungen zu arbeiten.
Ich komme daher zurück auf einen Zwischenruf des Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, des Kollegen Barzel, auf einen Zwischenruf, den ich sehr bedauere und von dem ich gern sähe, daß er zurückgenommen würde, nämlich: „Dieser Mann auf Adenauers Stuhl!"
Meine Damen und Herren, fangen Sie hier nicht an, nachträglich zu glorifizieren, wo nichts zu glorifizieren ist!
Wenn Sie wissen wollen, wo dieser Stil begonnen hat, dann sage ich Ihnen, daß dieser Mann, Bundeskanzler Adenauer, hier mit Schroth und Scharley und anderen Verleumdungen gearbeitet hat, die er nach der Wahl zurückgenommen hat.
War es Bundeskanzler Adenauer, der hier die Sozialdemokratische Partei verdächtigt hat, sie bekomme Geld von der DDR?! Und nach den Wahlen hat er gesagt: Das habe ich vor den Wahlen gesagt;
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2988 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Hermsdorfjetzt nehme ich es zurück! — Das ist der Stil gewesen, mit dem Sie gearbeitet haben!
War es der Bundeskanzler Adenauer, der gesagt hat: Wer die SPD wählt, der wählt den Untergang Deutschlands!?
Sie können nicht erwarten, daß wir diesen Stil mitmachen. Jetzt fangen Sie wieder damit an!
Herr Kollege Hermsdorf, auch für Sie gilt, daß das Wort „Verleumdung" in diesem Hause nicht fallen sollte.
Nun frage ich Sie, ob Sie eine Zwischenfrage beantworten möchten.
Nein.
— Augenblick, ich möchte nur ein paar Feststellungen treffen. Diese Feststellungen, die ich getroffen habe, können Sie bis zur Stunde nicht bestreiten. Sie sind hier gefallen. Daran besteht kein Zweifel.Herr Kollege Heck, Sie haben in einer Rede in Fulda von der „Inflationspartei" gesprochen. Ich erinnere Sie an ein Interview oder, besser gesagt, 1 ein Round-table-Gespräch, das im Jahre 1966 zwischen den Kollegen Mende, Wehner und Ihnen stattfand. Damals waren wir bei einer Preissteigerung von 4 %, und Herr Mende gebrauchte das Wort „Inflation". Sie waren der erste, der dem damals widersprochen und gesagt hat, diesen Begriff „Inflation" könne man um Gottes Willen bei einer Preissteigerung von 4 % nicht anwenden;
denn unser Volk verbinde mit diesem Begriff eine ganz andere Vorstellung. Es würden Erinnerungen an das Jahr 1923 wach, und deshalb solle man von „Preisauftrieb" reden, aber nicht von „Inflation".Herr Kollege Heck, gilt das, was Sie damals sagten, auch heute noch, oder warum sagen Sie heute „Inflationspartei"? Sie wissen genau, daß von Inflation überhaupt nicht geredet werden kann.
— Wie haben Sie sich damals verhalten, Herr Kollege Heck? Sie wissen genau, daß dieses Problem so schwierig und so diffizil ist und so unterschiedlich von den verschiedensten Fachleuten gedeutet wird, daß ich es, das sage ich auch, nicht für gut halte, wenn Sie diese Debatte und jede andere Plenarsitzung dazu benutzen, immer wieder anzuheizen. Dies kann uns nicht helfen. Das erste, was bei einer Entwicklung wie dieser notwendig ist, ist, daß auf allen Seiten der gute Wille vorhandenist, eine Beruhigung herbeizuführen, aber nicht das Gegenteil.
Ich komme damit zu der Verdächtigung, die heute morgen von dem Herrn Kollegen Windelen vorgetragen wurde,
bei der auch wieder behauptet wurde: Die SPD ist eine Verzichtspartei, diese Regierung verzichtet auf wohlerworbene und feststehende Rechtsansprüche, und ähnliches mehr. Nun, ich muß Ihnen offen folgendes sagen. Sie erinnern sich wohl daran, daß dieses Wort „Verzichtspolitiker" schon einmal gebraucht wurde, weil eine sozialdemokratische Regierung mit der Hinterlassenschaft einer Politik von Bankrotteuren nach 1918 fertig werden mußte. Auch diese Regierung mußte mit einer Politik des Bankrotteurs und Hasardeurs Hitler fertig werden und mit den Realitäten, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben, ringen und die Probleme einer Lösung zuführen.Was ist das für ein Stil, wenn man einem Mann wie Bundeskanzler Brandt, von dem man weiß, mit welcher Leidenschaft und mit welcher Energie er als Regierender Bürgermeister von Berlin für die Selbstbestimmung, für die Freiheit dieser Stadt und dieses Landes gekämpft hat, heute unterstellt, er sei ein „Verzichtspolitiker" ! Das ist ein Skandal; daran glauben Sie selbst nicht!
Diese Partei zu verdächtigen und zu sagen, wir wollten oder würden versuchen, hier Vorherrschaft der Sowjets sozusagen zu zementieren oder diese Gefahr laufen! Meine Damen und Herren, wer hat denn die Auseinandersetzung mit den Kommunisten geführt, und wo wäre dieses Land geblieben, hätte sich nicht damals Kurt Schumacher in die Bresche geworfen und diese Leute zurückgewiesen? Wo wären Sie denn da geblieben?
Sie können der Sozialdemokratischen Partei niemals bestreiten, daß sie die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus geführt hat, und zwar siegreich geführt hat, so daß unser Land davon verschont blieb.
— Schauen Sie, daß ist wieder eine solche Berner-kung! Von Ihnen habe ich allerdings nichts anderes erwartet. Was soll denn das? Wollen Sie nun zugestehen, daß man hier solche historischen Tatsachen erwähnen kann? Da sagen Sie: Herr Stoph wird sich freuen! Sagen wir das andere, dann sa-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 2989
Hermsdorfgen Sie, wir arbeiteten Herrn Stoph zu! Was sollen wir denn eigentlich noch sagen, damit es Ihnen gefällt? So geht das nicht
Sie sagen: Mehr Demokratie! Meine Damen und Herren, mehr Demokratie, einverstanden. Das wird auch von dieser Regierung praktiziert. Nur verstehen Sie unter mehr Demokratie mehr Lärm und nach Möglichkeit Leidenschaften aufputschen. Das geht nicht! So werden Sie die Arbeit dieser Regierung nicht hindern können, sondern das Volk wird darüber entscheiden, daß dieser Stil, wie Sie ihn angefangen haben, unwürdig ist.
Herr Kollege Hermsdorf, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rawe?
Bitte schön!
Herr Kollege Hermsdorf, Sie haben gerade herausgestellt, daß Sie einen besseren Stil wollen. Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß wir heute morgen eine viel, viel sachlichere und viel bessere Debatte hätten haben können, wenn sich der Herr Bundeskanzler wenigstens einmal dazu hätte bekennen können, daß er die Außerungen von gestern zurückgenommen oder hier wenigstens ordentlich die Quellen genannt hätte?
Wir hätten eine viel bessere Debatte haben können, wenn Herr Windelen in ebenso sachlicher Form hier gesprochen hätte, wie das der Herr Bundeskanzler getan hat. Dann hätten wir die sachliche Debatte haben können.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat hier ausgeführt, was diese Regierung bisher, in sieben oder acht Monaten, an Arbeit geleistet hat. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Und daß auch Sie dem nichts hinzuzufügen haben, beweist mir doch, daß Sie anfangen, bei einem Haushalt von 90 Milliarden DM über 100 000 DM mehr für den persönlichen Verfügungsfonds des Bundeskanzlers zu reden. Als ob das der entscheidende Punkt wäre!
Ich sage Ihnen: S i e werden an dieser Kleinigkeit von 100 000 DM gemessen, w i r an den Leistungen dieser Regierung!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Rutschke.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Windelen hat sich heute bemüht, darzulegen, daß die jetzige Bundesregierung, die jetzt sieben Monate im Amt ist, versagt habe, daß sie nichts erreicht habe. Er hat sogar die Wahlaussagen noch einmal plakatiert und sie ins Verhältnis zu der jetzigen Arbeit der Bundesregierung gesetzt. Ich darf gleich von vornherein sagen: diese Wahlplakatierungen galten nicht für sieben Monate, sondern für vier Jahre, und Sie müssen der Regierung auch die Möglichkeit geben, die Arbeit zu leisten, die Sie aber ständig zu hindern versuchen!
Das ist auch eine Tatsache, mit der Sie sich auseinandersetzen müssen.Sicherlich ist Polemik für die Opposition ein Mittel, um vor der Bevölkerung besonders deutlich darzulegen, daß sie es viel besser machen würde. Aber mit Polemik kommen wir in der Sache nicht weiter, und ich war eigentlich recht betrübt darüber, Herr Kollege Windelen, daß Sie mit einer zu 99 % mit Polemik angefüllten Rede an dieses Pult getreten sind. Das führt in der Sache wirklich nicht weiter. Ich kenne Sie doch als einen sachlichen Mann, und ich weiß nicht, wer Sie beraten hat, eine Rede in dieser Form zu halten.
Sie machen also der Bundesregierung zum Vorwurf, daß sie im Bereich der Konjunkturpolitik zu wenig tat. Das nehmen wir sehr ernst. Wir sind auch nicht erfreut über diese Entwicklung. Aber ich möchte Sie bitten, daran zu denken — im Jahre 1966 waren wir j a gemeinsam in der Koalition —, wie schmal der Grat ist zwischen überschäumender Konjunktur und Rezession. Das haben wir ja erlebt. Wenn diese Bundesregierung in diesem Bereich etwas vorsichtiger ist, so zieht sie vielleicht die Lehren aus dem Jahre 1966. Damals ist vielleicht zu schnell reagiert worden. Wenn hier Vorsicht geboten ist, so halte ich das für eine durchaus vertretbare Sache, aber wenn Sie das, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, von der Opposition, der Regierung ankreiden, dann müssen Sie glaubhaft bleiben.Der Kollege Katzer empört sich z. B. bei den Kriegsopfern darüber, wie wenig diese Regierung für sie getan habe, daß viel mehr hätte gegeben werden müssen. Er aber war es, der als Ressortminister drei Jahre lang nichts getan hat, und als er ein halbes Jahr vor den Bundestagswahlen mit seinem Vorschlag auf eine Erhöhung um 15 % zum Finanzminister kam, hat ihm dieser nur 12 % genehmigt. Herr Katzer hat heute kein Recht, sich so aufzuführen und jetzt zu sagen, es sei unerhört, wie wenig für die Kriegsopfer getan worden sei, obwohl wir ,den Witwen 25 % und den Beschädigten 16 % Verbesserung gegeben haben. Das muß man auch einmal anerkennen.
Meine Damen und Herren, Sie machen sich draußen in der Öffentlichkeit auch nicht glaubhafter,
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2990 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Dr. Rutschkel wenn Sie mit diesen Methoden arbeiten. Wir haben das gestern erlebt: Der Herr Kollege Baier stellt sich hier hin und beklagt, wie wenig beim Kindergeld getan worden sei, Er sagte, es hätten 1,8 Milliarden DM eingeplant werden müssen. Auf der anderen Seite kommt heute morgen Herr Barzel und sagt, er wolle keine ausgabesteigernden Forderungen stellen,
es sei denn, daß es vorher mit der Regierung abgesprochen sei.
Er wünschte einen Ausgabenstopp. So kann man das nicht machen. Sie machen sich in höchstem Maße unglaubwürdig. Uns in der Koalition liegt daran, daß dieses Parlament glaubwürdig bleibt; dazu gehört die Opposition. Mit dieser Art der Polemik, die Sie hier vortragen, tun Sie uns allen keinen Gefallen.
Herr Kollege Windelen, Sie sind ja bereit gewesen, heute fremde Sünden zu beichten, die im übrigen keine sind. Sie unterstellen der Regierung, daß sie in der Ostpolitik gespalten sei. Dieses „Gespalten"-Geschwätz kennen wir schon seit früherer Zeit, insbesondere von der CDU. Sie hat das immer wieder groß an die Wand gemalt, obwohl es gar keine Ursache gab, derartiges zu tun. Sie sagt, daß wir in der Außenpolitik nicht einig seien, und sie bauscht Fälle auf, die sich ganz offensichtlich nur als Irrtümer herausgestellt haben; ich denke jetzt an die Briefaffäre. Diese Sache ist geklärt.Wir haben mit dieser Bundesregierung das eine Ziel: wir wollen versuchen, unserem Volk den Frieden zu erhalten. Denn was nutzt uns eine ständige Konfrontation mit der anderen Seite, die letzten Endes zu unserem Nachteil sein wird!
Deshalb wollen wir uns bemühen, einen Modus vivendi zu finden. Ich kann jetzt auf die Einzelheiten nicht eingehen, aber das ist unser Ziel. Wir bemühen uns nur, diesen Modus vivendi zu finden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wörner. 45 Minuten sind beantragt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte einen Beitrag leisten, die Debatte zu versachlichen. Ich würde Sie bitten, mit Ihren polemischen Zwischenrufen wenigstens vorläufig zurückzuhalten, es sei denn, die Frau Präsidentin rechnet das auf meine Redezeit nicht an; dann bin ich auch gern bereit, jede Menge Ihrer etwas polemischen Zwischenrufe zu ertragen.Herr Hermsdorf, ich kenne Sie und ich habe an Ihnen Ihre Sachlichkeit geschätzt und schätze sie.Aber was Sie eben praktiziert haben, hat mir etwas nach der Methode „Haltet den Dieb!" ausgesehen. Denn hier ist der Versuch unternommen worden, von einer Stilwidrigkeit des Herrn Bundeskanzlers — und es ist nicht bloß dies — abzulenken, die hier zunächst einmal zur Debatte steht, Herr Bundeskanzler.
Ich darf zunächst aus der dpa-Meldung zitieren, was Sie in Bielefeld gesagt haben:Vor mehreren hundert Betriebs- und Personalräten sagte Brandt, er habe eine sichere Quelle dafür, daß die Führung ,der CDU/CSU-Bundestagsfraktion versucht habe, führende Männer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie dazu zu bringen, daß die Industrie gegenüber Lohnforderungen besondere Härte zeige, um möglichst noch vor dem 14. Juni wilde Streiks zu provozieren.
Herr Bundeskanzler, Sie haben vorher Ihre Rede hier zitiert.
Sie haben dabei den schwersten Vorwurf ausgelassen. Sie haben schlichtweg eben jenen letzten Halbsatz unterschlagen.
Zeigt das etwa Ihr schlechtes Gewissen in dieser Angelegenheit?Ich kann Ihnen sagen: Sie haben weder den Versuch gemacht noch den Beweis angetreten, auf meine Frage zu antworten, die ganz klar gestellt war — ich wiederhole sie hier —: Wer aus der CDU/CSU-Fraktion hat mit wem vom Bundesverband der Deutschen Industrie zu welchem Zeitpunkt und an welchem Ort darüber gesprochen? Herr Bundeskanzler, ich stelle fest: keiner aus der CDU/CSU-Fraktion hat dein Gespräch in dieser Richtung geführt. Der Beweis dafür liegt schon darin begründet, daß Ihre angeblich sichere Quelle der Bundesgeschätfsführer der SPD ist, der noch einmal die Chance hat, sich hier zu dieser Quelle zu äußern, aus der er das hat.
Sie haben den Wahrheitsbeweis für diese Behauptung nicht angetreten.Nun, Herr Bundeskanzler, wir alle sind keine Engel, und ich gebe gern zu, daß man im Wahlkampf auch einmal über die Stränge schlagen kann. Ich 'glaube aber, Herr Bundeskanzler, hier haben Sie diese Grenze überschritten, und zwar weit; denn was Sie hier praktiziert haben, Herr Bundeskanzler, stehe ich, der dafür bekannt ist, daß er nicht unnötig polemisiert,
nicht an als politische Brunnenvergiftung zu bezeichnen.
Es hätte Ihnen gut angestanden, Sie hätten auch in Bielefeld die Toga des Staatsmannes anbehalten, die Sie doch sonst so gern überziehen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 2991
Dr. WörnerIch kann Ihnen sagen, es weckt in mir ein bißchen den Verdacht, daß es da an Argumenten fehlen muß, wenn man den Arbeitern gegenüber, die doch angeblich Ihre traditionellen Wähler sind, auf solche Latrinenparolen zurückgreifen muß, weil man ihnen seine Politik nicht mehr verständlich machen kann;
denn die Arbeiter sind unruhig geworden.
Ich möchte diesen Vorwurf der politischen Brunnenvergiftung auch begründen. Ich gebrauche dieses Wort zum erstenmal, und ich sage es nicht leicht- fertig. Ich hätte es auch gegenüber jedem anderen Politiker, gegenüber jeder anderen Partei gebraucht. Warum ist das politische Brunnenvergiftung, und warum gefährdet das den Stil nicht nur in diesem Hause, sondern auch außerhalb dieses Hauses? Weil damit zum ersten, und zwar deutlich, versucht wird, den Menschen draußen vorzumachen und uns zu unterstellen, daß wir das Parteiinteresse über das Interesse der Menschen und dieses Staates stellen. Herr Bundeskanzler, wenn wir damit anfangen, haben Sie und hat Herr Hermsdorf kein Recht mehr, in einer Weise zu sprechen, wie Sie es hier getan haben. Denn Sie sind doch mit der Parole angetreten, mehr Demokratie zu wagen. Wo kommen wir hin, wenn dieses Beispiel Schule macht, Herr Bundeskanzler?
Ich will Ihnen noch einen anderen Grund sagen, warum ich das, was Sie hier getan haben, für gefährlich halte. Sie haben Leidenschaften nicht nur angesprochen, sondern zu erzeugen versucht, Leidenschaften, die Sie eines Tages vielleicht nicht mehr selbst kontrollieren könnten. Ich persönlich gehöre als junger Mensch seit langer Zeit der CDU/CSU an, und zwar deswegen, weil es diese Partei gewesen ist, die das Klassenkampfdenken, das gegeneinander gerichtete Denken der Schichten in unserem Volk, überwunden hat, die den Proletarier aus seiner Stellung herausgerissen und ihn zum geachteten Wirtschaftsbürger gemacht hat.
Mit diesem Zitat wird versucht, die Kluft wieder aufzureißen: hier Arbeitgeber und dort Arbeitnehmer. Damit wird versucht, das soziale Klima in diesem Land zu stören, Herr Bundeskanzler.
Deswegen weise ich das erneut zurück.
Ich bin nicht derjenige, der von einer klassenlosen Gesellschaft träumt. Ich weiß, daß die Interessen in diesem Staat sehr verschieden sein können und verschieden bleiben werden und daß es immer wieder Konflikte geben muß. Aber wir sollten nicht durch solche Äußerungen versuchen, dieses alte Klischee des 19. Jahrhunderts, das wir überwunden hatten, in diesem Staat wieder einzuführen.
Wir wollen das Miteinander, die Union der Schichten und nicht dieses Klassenkampfdenken von vorgestern haben.
— Entschuldigen Sie bitte! Ich hätte gern auf dieses Vorwort verzichtet. Der Sinn meiner Zwischenfrage bestand darin, den Herrn Bundeskanzler aufzufordern, den Wahrheitsbeweis für seine Behauptung anzutreten. Hätte er das getan, hätte ich dazu überhaupt nicht gesprochen. Ich habe noch Stoff genug, Herr Hermsdorf; das werden Sie schon noch merken.Herr Bundeskanzler, es steht einem Demokraten wohl an, wenn er nicht nur zu dem steht, was er gestern gesagt hat, sondern sich, wenn er es nicht beweisen kann, dafür entschuldigt. Das hätte ich von Ihnen erwartet. Dazu haben Sie Gelegenheit, und zwar noch heute und hier in diesem Parlament. Das wäre demokratischer Stil, den wir von Ihnen erwarten können.
Es geht mir hier gar nicht so sehr um die Person des Herrn Bundeskanzlers, sondern mir geht es noch um eine andere Frage. Ich gebe zu, daß ich nicht ohne Neid gesehen habe, daß die junge Generation vielfach den Eindruck hatte, daß sich mit Ihrer Regierung ein sogenannter Stilwandel anbahnen könnte. Ich sage, ich habe das nicht ohne Neid registriert, wenn ich dieses Gefühl auch nicht für berechtigt gehalten habe.Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung diese Stimmung weidlich ausgenutzt. Ich will mir das zweifelhafte Vergnügen ersparen, all die großartigen Worte zu wiederholen, die da über Toleranz, über Aufrichtigkeit, über Redlichkeit und Wahrhaftigkeit gesagt wurden. Dieses Wort: „mehr Demokratie wagen" hat eben nicht nur Hoffnungen bestärkt, sondern damit haben Sie sich unter einen Anspruch gestellt, den wir nicht um der Polemik willen, sondern um des Hintergrundes willen jetzt als Opposition an Sie anlegen müssen.
Da aber kann ich nur sagen, Ihre ganze Regierungstätigkeit, der ganze Stil in diesem Hause zeichnet sich nicht — auch draußen nicht — durch mehr Demokratie, durch mehr Unterrichtung, durch mehr Information, durch weniger Unwahrheit aus, sondern ich sage Ihnen — und ich wiederhole das, was ich vor drei Monaten in diesem Parlament festgestellt habe —: was wir bis jetzt erlebt haben, Herr Bundeskanzler — und Sie haben neuerlich den Beweis dafür geliefert — ist nicht mehr, es ist weniger Demokratie.
Nun zum einem anderen Kapitel. Ich darf auf etwas eingehen, was Sie in Ihrer Entgegnung auf die Rede meines Kollegen Windelen hier dargelegt haben. Sie haben davon gesprochen, daß sich die Reformpolitik in einem Dilemma befinde, und
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2992 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Dr. Wörner1 Sie haben da diese eigenartige Theorie der Phasenverschiebung gebracht. Und draußen im Wahlkampf — wenn ich Zeitungsberichten Glauben schenken darf — erklären Sie ja auch all den Leuten, Sie müßten leider mit den Reformen noch etwas zuwarten, weil das Geld zwar vorhanden sei, aber nicht ausgegeben werden könne. Ich will einmal ganz von dem Widerspruch absehen, der darin zu der Behauptung Ihres Bundesfinanzministers liegt, er habe da ein ganz böses Erbe angetreten; das reimt sich ja vielleicht nicht ganz zusammen. Aber lassen wir das einmal! Sie haben dann als Beweis für die Tätigkeit dieser Regierung auf dem Gebiet der Reformen eine ganze Reihe von Berichten genannt, darunter den Jahreswirtschaftsbericht, darunter den Sozialbericht. Ich kann nur sagen, Herr Bundeskanzler, das sind Berichte, die Sie auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung vorlegen müssen und die jedes Jahr von jeder Regierung vorgelegt werden.
Wenn Sie das allerdings bereits als den Ausdruck der Reformbereitschaft werten, wird Deutschland noch einige Zeit auf seine Erneuerung warten müssen.
Denn eines steht doch fest, Herr Bundeskanzler. Das haben Sie in Saarbrücken selbst beklagt, als Sie von Ihrer jungen Mannschaft nach Ihrem langfristigen gesellschaftspolitischen Konzept gefragt wurden. Sie haben gesagt: Wir müssen uns jetzt daran machen — Sie haben ein neues Wort geprägt —, ein sogenanntes Langzeitprogramm zu erarbeiten. Herr Bundeskanzler, das reimt sich auch wieder nicht mit den Ankündigungen in Ihrer Regierungserklärung. Sie wußten doch um die konjunkturelle Situation, als Sie diese Regierungserklärung abgaben. Sie wußten doch darum, daß Sie offensichtlich kein Langzeitkonzept hatten. Sie wußten um das angeblich traurige Erbe, das Sie angetreten hatten. Warum also so große Versprechungen in Ihrer Regierungserklärung, wenn dann so kleine Taten dabei herausspringen, Herr Bundeskanzler?
Ich finde auch bei gründlichem Durchforsten Ihrer Absichtserklärungen nicht eine einzige Absichtserklärung, die wirklich für sich in Anspruch nehmen könnte, reformerisch zu sein, d. h. die Dinge in Bewegung zu bringen, die Strukturen unserer Gesellschaftsordnung den Erfordernissen anzupassen. Dort, wo Sie das hätten tun können, in der Bildungspolitik, haben wir bis jetzt recht kärgliche Versuche erlebt. Ich glaube den Verdacht äußern zu müssen, daß die Verschiebung des Bildungsberichts nicht oder nicht in erster Linie auf den Bildungs- und Wissenschaftsrat zurückzuführen ist, sondern schlicht und einfach darauf, daß diese Bundesregierung kein schlüssiges Bildungskonzept vorzulegen in der Lage ist.
Ich will Ihnen sagen, Herr Bundeskanzler, warumich diese Phasenverschiebung für falsch halte. Ichglaube, daß eine Regierung, die mit der Behauptung antritt, Deutschland erneuern zu wollen, sich darüber im klaren sein muß, daß Reformen zu versprechen zwar eine sehr angenehme und, wie ich meine, sehr leichte Aufgabe und eine leichte Chance ist, daß aber die Durchsetzung von Reformen, und zwar nicht nur in einer Hochkonjunktur, sondern auch auf der Talsohle, ein ungeheuer schwieriges und unpopuläres Geschäft ist. Da muß man eines haben, und das geht Ihnen ab: den Mut, Prioritäten in jeder konjunkturellen Lage zu setzen.
Diesen Mut erwarten wir von Ihnen. Es ist doch wohl die Bankrotterklärung einer solchen Reformpolitik, wenn als Antwort auf Vorwürfe in dieser Richtung nichts anderes kommt als : „Ja nun, ich will Sie doch darauf hinweisen, und Sie können den Leuten doch nicht weismachen, daß es ihnen schlecht geht."
Das sagen Sie mal draußen der jungen Generation! Das sagen Sie mal all den Menschen, die mit Recht auf Reformen warten. Das ist Ihre Antwort, nicht wahr,
der Appell, daß es ihnen nicht schlecht geht. Gott sei Dank geht es diesen Leuten in unserem Volk nicht schlecht. Aber wessen Verdienst ist das denn, Herr Bundeskanzler?
Überdies: seit wann ist das eine Ausrede, Herr Bundeskanzler, um über Gefahren hinwegzutäuschen, die nicht nur wir sehen, die Institutionen und Presseorgane sehen, die Ihnen wesentlich näherstehen als uns, über Sorgen, ob die D-Mark stabil bleibt, ob die Handlungsfähigkeit dieser Regierung ausreicht, nicht etwa, um Reformen durchzuführen — nein, so viel erwarten sie im allgemeinen gar nicht mehr —, sondern, um auch nur das zu tun, was die Basis erhält, auf die unser Volk das sogenannte Wirstchaftswunder gegründet hat, nämlich die Stabilität von Wirtschaft und Währung. Das ist die Basis. Verkaufen Sie mal den Leuten draußen nur munter Ihre These weiter, man müsse die Inflationsrate von 4 °/o in Kauf nehmen, weil man die Arbeitsplätze sicher erhalten müsse. Seit wann bedeutet Inflation sichere Arbeitsplätze? Da hat unser Volk ganz andere Vorstellungen.
Ich persönlich sage, da habe ich ganz andere Vorstellungen von sozialem Fortschritt. Sie reden hier von Vermögensbildung. Wissen Sie nicht, daß die größte Gefahr für die Vermögensbildung eben darin besteht, daß das Geldvermögen durch eine — bewußt oder unbewußt — inflationäre Politik von Tag zu Tag an Wert verliert? Was soll man denn dem Sparer dann noch sagen?
Das ist doch ein Widerspruch.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 2993
Dr. WörnerWas denken Sie denn? Glauben Sie, die OECD ist eine Behörde, die die CDU inzwischen in Dienst genommen hat? Diese OECD, eine internationale Behörde, fordert Sie und Ihre Regierung zum Handeln auf. Warum? Weil die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in Gefahr gerate. Das wissen die Arbeiter, und das können Sie ihnen auch nicht verschweigen, daß wir zum Teil vom Export leben und daß derjenige, der die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft gefährdet, langfristig Wohlstand und sozialen Fortschritt gefährdet und damit die Basis für alles Weiterkommen.
Dann kam noch die Contergan-Stiftung. Wir sollten uns hüten, eine solche Sache als Beweis des Reformwillens anzuführen. Sie ist erstens für mich etwas zu ernst, um hier zitiert zu werden. Zweitens wissen Sie genauso wie wir, daß die Stiftung von einem Kollegen meiner Fraktion, der allerdings dabei nicht in seiner Eigenschaft als Fraktionsmitglied sprach, geboren wurde, nämlich von dem Kollegen von Weizsäcker. Die Kirchen begannen darüber mit den Interessenten zu verhandeln. Ihr Regierung hat das dann autgegritten. Ich sage hier, damit nicht das leiseste Mißverständnis besteht: selbstverständlich stehen wir hinter dieser Stiftung, und zwar völlig unabhängig davon, wer sie ins Leben gerufen hat. Wir werden alles tun, um sie funktionsfähig zu halten.
Herr Bundeskanzler, ich darf eines noch einmal aufgreifen; das muß ich hier einmal loswerden. Lassen Sie es mich ganz offen sagen; ich will nicht heucheln. Es ist jetzt gar nicht in erster Linie aus parteipolitischen Gründen gesagt. Sie wissen so gut wie ich, daß zu Anfang der siebziger Jahre Weichenstellungen vorgenommen werden. Wenn man es etwas pathetisch ausdrücken will, kann man sagen, das Schicksal nicht nur dieses Jahrzehnts entscheidet sich daran, mit welcher Entschlossenheit und mit welchem Mut die Weichen gestellt werden. Wir wissen um die Größe der Aufgabe. Wir wissen um die Milliarden, die wir für unser Bildungssystem brauchen — erst neulich ist es uns wieder vorgerechnet worden —, angefangen von den Hochschulen über das Schulwesen im allgemeinen bis hin zum Berufsschulwesen. Wir wissen um die Aufgabe der Stadtsanierung. Wir wissen um die Aufgabe der Raumordnung. Die Umweltgefahren sind doch uns allen bewußt, Herr Bundeskanzler. Dazu kommt eine ganze Reihe weiterer Aufgaben, die nur mit unendlich vielen Investitionen zu bewältigen sind. Deswegen ist es so entscheidend und deswegen ist es so bedauerlich — ich sage das noch einmal nicht aus parteipolitischen Gründen —, daß eine Regierung, welche die Chance hat, diesen Moment zu nützen, so wenig zu bieten hat und schon angesichts von ein paar Landtagswahlen knieschwach wird und nicht mehr in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen.
Herr Bundeskanzler, man muß sich eben entscheiden. Entweder Sie machen es mit einer Politik der Gefälligkeit allen recht, oder Sie machen die Politik, die nötig ist, um unserem Volk die Zukunft zu sichern. Und das ist eine andere Poltik.
Bei Ihrer Aufzählung haben Sie eines verschwiegen, Herr Bundeskanzler. Sie haben verschwiegen, daß Sie nicht nur aus konjunkturpolitischen Gründen solche Reformausgaben nicht getätigt haben. Sie haben verschwiegen — ich sagte es schon —, daß Sie nicht vermocht haben, die Prioritäten zu setzen. Herr Bundeskanzler, ich kann Ihnen nur sagen, es wird Zeit, daß Sie, nachdem für Sie schon die Glaubhaftigkeit der Tat in Gefahr ist, verlorenzugehen, wenigstens noch die Glaubhaftigkeit des Wortes aufrechterhalten. Ich darf Ihnen sagen — ich meine fast, ich könnte hier für eine ganze Menge mehr Leute im Lande sprechen, als Anhänger meiner Partei sind —, die Glaubwürdigkeit dieser Regierung, gerade was die Reformvorstellungen anlangt, entscheidet langfristig natürlich auch über die Glaubwürdigkeit der Demokratie in diesem Lande. Sie entscheidet darüber — das müssen Ihnen die Jungsozialisten in Ihrem eigenen Lager zeigen —, ob Sie es vermögen, in der jungen Generation die Hoffnung aufrechtzuerhalten, daß es in dieser Staatsform möglich ist, das Notwendige für die Zukunft zu tun, ohne zum Mittel der Revolution zu greifen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Es geht uns ja nicht schlecht" — vielleicht wird es dem einen oder anderen da immer noch besser gehen —, bei dem wir aber als Gemeinschaft und als Nation ärmer geworden sein werden, wenn wir diese Aufgaben nicht bewältigt haben, Herr Bundeskanzler.Nun noch kurz zu einigen Feststellungen, die Sie geglaubt haben über die Legendenbildung treffen zu müssen. Ich kann Ihnen in einem nicht recht geben: wenn Sie sagen und es beteuern, daß Sie zum Selbstbestimmungsrecht stehen; nicht in dem Sinne, daß ich bezweifeln möchte, Herr Bundeskanzler, daß Sie persönlich dieses Ziel haben, so gut wie jeder andere in diesem Hause. Ich bestreite Ihnen, und das ist vielleicht der Unterschied zwischen uns, nicht die Redlichkeit und die Aufrichtigkeit Ihrer Motive und
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2994 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Dr. WörnerIhrer Zielsetzung, aber Sie haben die Dinge doch allzusehr vereinfacht. Nicht diese Legende ist im Umlauf und schon gar nicht von uns geschaffen worden; hätten Sie bei der Rede meines Kollegen von Guttenberg hingehört, dann wüßten Sie, was unsere eigentliche Sorge ist. Unsere Sorge ist nicht, daß Sie nicht formal und auch aus innerer Überzeugung das Selbstbestimmungsrecht als ferne Zielvorstellung aufrechterhalten. Nein, unsere Bedenken gehen dahin, daß Ihre konkrete Politik, die Politik, die Sie bei Ihren Verhandlungen in Moskau, in Warschau, und in der DDR machen, daß diese konkrete Politik eben den Weg zum Selbstbestimmungsrecht verbaut und offene Möglichkeiten verschließt.
Herr Bundeskanzler, ich bestreite Ihnen nicht, daß Sie persönlich über das Unrecht in der DDR, über das Unrecht auch anderswo ebenso empört sind und darunter ebenso leiden wie jeder aufrechte Demokrat sonst auch und daß es natürlich nicht Ihre Absicht ist, Unrecht zu legalisieren. Sie sind ein in einer Demokratie gewählter Bundeskanzler, und es wäre schäbig, Ihnen das unterstellen zu wollen. Aber warum, Herr Bundeskanzler, trauen Sie sich nicht mehr, Unrecht zu nennen, wo Unrecht besteht,
Terror zu nennen, wo Terror besteht?
Nun kann ich mir vorstellen, Herr Bundeskanzler, daß das die Methode Ihrer Politik ist. Ich würde vom gedanklichen Modell her durchaus die Möglichkeit sehen, daß man sich überlegt, es könnte sein, daß dadurch, daß ich nun fortlaufend den Willen zur Entspannung betone, daß ich alles verschweige, was uns trennt, daß ich einmal darauf verzichte, Unrecht Unrecht zu nennen — —
— Herr Kollege Wehner, lassen Sie mich Ihnen bei dieser Gelegenheit eines sagen: Ich bin einer, ob Sie das nun gespielt nennen wollen oder nicht, der vor manchen Ihrer Eigenschaften und vor mancher Seite Ihrer Person — ich sage das ausdrücklich — Respekt empfindet; darüber habe ich auch außerhalb dieses Hauses nie Zweifel gelassen. Aber als eines kann ich Sie nicht akzeptieren — und so spielen Sie sich in diesem Hause gelegentlich auf —: als meinen Schulmeister habe ich Sie nicht berufen, und zum Zensor dieses Hauses sind Sie auch nicht geeignet,
wenn wir von Stilfragen reden: Hören Sie sich einmal an, was die Menschen draußen im Land über Ihren Stil in diesem Parlament denken. Wenn Sie das Urteil der Menschen kennten, würden Sie sich hier in Zaum nehmen.
Ich sage Ihnen noch einmal, es könnte sein, daß die Initiatoren dieser Politik sagen: „Es kann dann zu einer Entspannung führen, wenn ich das einmal ausklammere.
Aber — lassen Sie mich zum Abschluß diesen Gedanken zum Ausdruck bringen — ich glaube, daß nicht nur die klare und logische Überlegung dem entgegensteht, sondern ich sehe, daß die Praxis dessen, was Sie getan haben und an gutem Willen gezeigt haben, und was uns von drüben an Entgegenkommen entgegenschlägt, in keinem Verhältnis zueinander steht. Ich sehe nur eines: je mehr Sie sich scheuen, die Dinge beim Namen zu nennen, desto dreister und unverschämter wird die andere Seite — die wahrlich Grund hätte, schlechten Gewissens zu sein — in der Art, die Zustände bei uns in der Bundesrepublik anzuprangern.Ich muß sagen, mich hat es etwas geniert, zu erleben, daß ein frei gewählter Bundeskanzler einer Republik, in der Recht besteht, in der es Freiheit gibt, in der Rolle eines Angeklagten vor einem Mann sitzen mußte, der allen Grund hätte, das Unrecht an seiner Tür zu kehren.
Wenn das wenigstens langfristig Aussicht auf Erfolg hätte, wenn wenigstens eine Strategie dahinterstehen könnte — aber ganz im Gegenteil! Denn die geschichtlichen Erfahrungen — und Sie haben sie selber machen müssen — zeigen eines ganz klar und deutlich: Die Freiheit hat noch nie dadurch gesiegt, daß freie Menschen nicht mehr ausgesprochen haben, daß die Freiheit nicht nur für jeden privat, sondern für alle Menschen in der ganzen Welt zu gelten habe.
Das ist die große Sorge, die ich bei dieser Politik habe, daß sie nämlich unter dem Vorwand, Bewegung in die Außenpolitik bringen zu wollen, die innere Dynamik, und ich sage hier sogar: die historische Dynamik gegen uns und gegen den gesamten Westen kehren muß.Wenn ich die Situation recht sehe, ist es doch so, daß uns ein Kampf angeboten wird; Gott sei Dank — und wir wollen es hoffen — kein militärischer Kampf, weder heute noch morgen. Aber uns wird gesagt — das wird doch wieder und wieder von Breschnew, von Ulbricht und von allen Seiten gesagt —, daß Koexistenz Kampf der Gesellschaftssysteme bedeutet.
Die drüben — unterschätzen Sie sie nicht — sind nicht alles bloß Taktiker, die das eben mal so dahinsagen. Einige davon glauben, was sie sagen; einige davon haben diesen missionarischen Auftrag
oder spüren ihn in sich.
Wenn uns dieser Kampf um das bessere Gesellschaftssystem in dieser Welt angeboten wird,
der Kampf darum, welches die menschenwürdigere Ordnung auf dieser Welt ist — —
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 2995
Dr. Wörner— Herr Schäfer, ich hoffe mit Ihnen, daß wir bestehen. Aber, Herr Schäfer, wir werden nur dann bestehen
— das lassen Sie mich einmal ganz klar und deutlich zum Schluß sagen —, wenn wir den Mut haben, Freiheit nicht nur für uns, Recht nicht nur für uns, sondern auch für diejenigen zu fordern, die dieses Recht und diese Freiheit in unserem Volk und anderswo auf der Welt nicht haben.
Meine Herren und Damen, es ist interfraktionell vereinbart worden, daß in der Zeit zwischen 13 und 15 Uhr keine Abstimmung stattfinden soll. Das bedeutet, daß die Abstimmung über diesen Etat nach 15 Uhr erfolgt. Sollten wir mit der Debatte früher fertig sein, können wir eine Mittagspause einlegen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wischnewski.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu den Ausführungen, die der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei gestern in Bielefeld gemacht hat, möchte ich folgendes ausführen.
Erstens. Die Informationen sind von mir gegeben worden. Ich stehe zu diesen Informationen. Ich habe an meinen Informanten nicht den geringsten Zweifel.
Die Opposition hat rechtliche Schritte angekündigt.
Ich stehe für diese rechtlichen Schritte gerne zur Verfügung und hoffe, daß Sie so schnell wie möglich davon Gebrauch machen.
Zweitens. Herr Dr. Barzel muß selbst wissen, wann er mit wem in Köln über Fragen der Tarifpolitik und der Tarifauseinandersetzungen gesprochen hat.
Drittens. Das Gespräch der CDU/CSU-Führung mit dem Gemeinschaftsausschuß der deutschen Wirtschaft — nicht zu Fragen der Tarifpolitik — über Preispolitik
und Konjunkturpolitik, in dem Sie, wie im „Volkswirt" ja steht, versucht haben, Ihre Vorstellungen dort anzuhängen, hat am 22. Mai 1970 in Bonn im Hotel „Königshof" stattgefunden. Teilnehmer waren: Herr Dr. Barzel, Herr Stücklen.
Das Wort hat der Abgeordnete Stoltenberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Wischnewski hat mit seinen Schlußbemerkungen einen eindrucksvollen Beweis für den Informationsstand, den er im Hinblick auf unsere Gespräche besitzt, und auch für die Sorgfalt, mit der er seinen Parteivorsitzenden und Bundeskanzler informiert, gegeben.
Das Gespräch am 22. Mai, das in jener ominösen Aufzeichnung genannt wird, die der Bundeskanzler als Quelle benutzte, fand auf Einladung des Präsidenten Dietz vom Gemeinschaftsausschuß der deutschen Wirtschaft in einem Kreis von 40 Personen statt. Für meine Fraktion ist dieses Gespräch von Herrn Kollegen Barzel und von mir geführt worden, nicht von Herrn Stücklen, den Sie hier als Teilnehmer zitiert haben.
Damit ist ja schon illustriert, daß Sie nicht einmal die elementarsten Tatsachen dieses Gespräches kennen, an die sich die ungeheuerlichen Verleumdungen anknüpfen, die der Bundeskanzler in Bielefeld ausgesprochen hat.
Herr Kollege Wischnewski, haben Sie doch nach dieser Demonstration Ihres Nichtwissens den Mut, hier zu sagen, daß Sie einer falschen, unseriösen Information aufgesessen sind. Es war ein Gespräch im Kreise von 40 Persönlichkeiten. Ich habe gestern, bevor ich meine scharfe Korrektur dieser Anschuldigungen und Unterstellungen des Bundeskanzlers an die Presse gegeben habe, sowohl mit Herrn Präsidenten Dietz also auch mit Herrn Präsidenten Berg telefoniert, weil ja auch ein zweites Gespräch des BDI genannt war. Beide Herren haben mich ausdrücklich ermächtigt, hier heute zu sagen, daß in unseren beiden Unterhaltungen am 20. Mai in Köln und am 22. Mai in Bonn — an beiden babe ich teilgenommen — nicht der Ansatz eines solchen Gedankens vorgetragen worden ist den der Bundeskanzler auf Grund Ihrer Information in Bielefeld in dieser unmöglichen Weise in die deutsche politische Auseinandersetzung eingeführt hat.
Ich wiederhole meinen Appell an Sie, Herr Wischnewski, nachdem Sie hier öffentlich vor diesem Hause und vor der ganzen deutschen Öffentlichkeit Ihr Nichtwissen demonstriert haben — Sie wissen nicht einmal, wer an einem solchen Gespräch teil-
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2996 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Dr. Stoltenberggenommen hat —, sich in der Sache zu korrigieren und damit auch dem Bundeskanzler die Möglichkeit zu geben, diese ungeheuerliche Brunnenvergiftung, die er gestern in die Welt gesetzt hat, aufzuheben.
Meine Damen und Herren, wir stehen — dieser Tag macht es deutlich, deutlicher noch als der gestrige — in einer Zuspitzung der innenpolitischen Auseinandersetzung. Die Gründe dafür mögen vielschichtiger Art sein, und jeder ist geneigt, die Schwächen des anderen zu sehen, die Schärfen in den Attacken besonders zu empfinden, und sicherlich mag es auch das eine oder andere an Kritik aus unseren Reihen geben, was den Bundeskanzler bedrängt und was er als ungerechtfertigt empfindet. Das ist in einer Zeit so grundlegender politischer Auseinandersetzungen um Sachfragen, in denen Sie eine Wende der deutschen Politik einleiten weit über das hinaus, was Sie dem deutschen Wähler vor der Wahl gesagt haben —, gar nicht zu vermeiden. Aber wir alle sollten doch auch gewisse Grenzen erkennen, die im Interesse unseres Staates in dieser Auseinandersetzung gewahrt werden müssen.
— Ja, ich erinnere Sie an das — und ich empfehle Ihnen ausdrücklich, das einmal nachzulesen , was der Kollege Professor Dahrendorf gestern abend im Zweiten Deutschen Fernsehen in einem beachtlichen Interview gesagt hat an allgemeinen Reflexionen, aber auch an durchaus kritischen und offenen Bemerkungen zu der Art, wie etwa diese Regierung die großen Schicksalsfragen der deutschen Außen- und Ostpolitik behandelt;
eben so, daß man zunächst monatelang von Sondierungen spricht, ja, auch Ihnen gegenüber, meine Damen und Herren von der Koalition, von Sondierungen gesprochen hat, und dann eines Tages plötzlich nicht nur zur Überraschung der CDU/CSU, sondern auch solcher, die in dieser Regierung und dieser Koalition eine Mitverantwortung tragen, ein Ergebnis vorgelegt wird, von dem man sagt: Hier ist keine substantielle Änderung mehr möglich, weil es im Grunde ausgehandelt ist und sonst eine tiefe Belastung unserer Beziehungen zur Sowjetunion die Folge ist. Ob das die Art ist, wie wir diese großen Entscheidungen in Deutschland erdiskutieren, treffen und tragen können — Mehrheiten und Minderheiten —, das ist eine Frage, die Sie auch im Lichte der gestrigen Betrachtungen des Kollegen Professor Dahrendorf, die ja ein Abschiedswort für seinen Weggang aus diesem Hause und dieser Regierung waren, vielleicht noch einmal prüfen sollten.Hier hinein, Herr Bundeskanzler, gehört in der Tat, daß Sie den Mut zur Korrektur haben sollten! All das, was Sie in Ihrer Regierungserklärung und auch heute im zweiten Teil Ihrer Ausführungen an Schönem und Allgemeinem über Demokratie, über Zusammenarbeit, über Ringen um die besseren Lösungen gesagt haben, ist doch fragwürdig, wenn Sie nicht bereit sind, so etwas zu korrigieren, was Sie gestern auf Grund einer falschen Information, einer von Ihnen leichtfertigerweise nicht überprüften Information an schweren Beschuldigungen und Unterstellungen gegen die stärkste Fraktion dieses Hauses gesagt haben!
Es wird nicht möglich sein, ernste Auseinandersetzungen zu vermeiden, und es wird von beiden Seiten immer Härten geben, die der andere besonders empfindet. Aber ich sage noch einmal, der Regierungschef dieses Landes scheint uns besonders berufen zu sein, in einer besonderen Verantwortung zu stehen, hier die Grenzen zu erkennen, die gerade ihm durch das Wort des Staates gesetzt sind, und er scheint uns auch berufen zu sein, dafür zu sorgen, daß die Gegensätze nicht zu einer tiefen Kluft werden, die unser Land neu spalten könnte.
Das Wort hat der Herr Bundesaußenminister.
Frau Präsident! Herr Kollege, das dauert nur eine einzige Minute; ich glaube, es ist in diesem Augenblick aber nötig, auf das einzugehen, was der Kollege Dr. Stoltenberg zu Professor Dahrendorf gesagt hat, der nicht hier ist, sondern der dienstlich im Auswärtigen Amt ist.Herr Kollege Stoltenberg, ich bin im Moment nicht im Besitz des Textes der gestrigen Fernsehsendung, aber ich kann sicher folgendes sagen, selbst ohne den Text zu kennen.
— Meine Damen und Herren, warten Sie doch ab, was ich sagen will.
— Sie neigen dazu, Ihre Meinung zu äußern, bevor Sie wissen, was Ihr Gesprächspartner zu sagen beabsichtigt.
Ohne den Text zu kennen, kann ich Ihnen folgen-das sagen. Sie haben den Eindruck erweckt, als ob Herr Professor Dahrendorf sich selber nicht ausreichend informiert gefühlt habe und über das Ergebnis von Gesprächen erstaunt gewesen sei.
— Diesen Eindruck haben Sie auf jeden Fall bei mir erweckt, sicher auch bei vielen Zuhörern.
Sie werden selber zugeben, daß Herr Professor Dahrendorf als Parlamentarischer Staatssekretär im Auswärtigen Amt sicherlich eher als jeder andere in jeder Phase der Gespräche in Moskau an erster Stelle informiert gewesen ist, und zwar vom Dezember des Jahres 1969 bis zum letzten Tage.
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Bundesminister ScheelIch wollte nur den Eindruck, der entstehen konnte, verwischen, als ob sich hier irgendein Mangel an Information ergeben habe.
Das Wort zu einer kurzen Sachdarstellung hat der Abgeordnete Barzel.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem Herr Kollege Stoltenberg eine Klarstellung gegeben hat, möchte ich, Herr Wischnewski, auf den ersten Teil Ihrer Bemerkung folgendes entgegnen. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion führt, wie dies seine Pflicht ist, Gespräche sowohl mit Gewerkschaftern als auch mit Unternehmern. Wenn in diesen Gesprächen über Wirtschaft und Gesetzgebung hinaus das Thema auf Fragen von Tarifverträgen kommt, führt der Vorsitzende seit Monaten, nämlich seit das 312-DM-Gesetz tariffähig ist, aus, daß er beide Seiten bittet, endlich im Interesse der Vermögensbildung breiter Schichten von der Tariffähigkeit dieses Gesetzes Gebrauch zu machen. Dies und sonst gar nichts.
Ich stelle aber fest, Herr Wischnewski, daß Sie sich als Generalsekretär Ihrer Partei bemühen, Vermerke und Informationen über Gespräche zu erhalten, die andere Kollegen des Hauses führen. Das reiht sich würdig in eine Reihe ein mit den Wählerlisten, die Sie vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen ausgegeben haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich auf einige Ausführungen der Kollegen Wörner und Windelen eingehe, idarf ich noch kurz auf die Ausführungen von Herrn Stoltenberg hinsichtlich der Zitate aus einem Interview unseres Parlamentarischen Staatssekretärs Professor Dahrendorf zurückkommen.
Herr Kollege Stoltenberg, den Eindruck, den Sie hier durch die Zitierung des Parlamentarischen Staatssekretärs Dahrendorf erwecken wollten, können Sie, wenn Sie ,den Text wörtlich gelesen haben, nicht aufrechterhalten.
Damit hier nicht wieder falsche Vorstellungen haften bleiben, darf ich Ihnen den, glaube ich, entscheidenden Passus aus diesem Interview wörtlich vorlesen. Er macht, so glaube ich, für jeden deutlich, 'daß das, was Sie mit der Berufung auf dieses Interview meinten, einfach nicht zutreffend ist. Nach dem amtlichen Text sagte Professor Dahrendorf:
Ich
— also Professor Dahrendorf —
habe in der Tat im Hinblick auf einige Einzelfragen im Rahmen dieser Ostpolitik — wenn Sie es so wollen —, was unser Vorgehen und das Tempo unseres Vorgehens betrifft, bestimmte Vorstellungen und habe die auch geäußert. Aber
— jetzt kommt der entscheidende Satz —
das sind Vorstellungen vor dem Hintergrund der eindeutigen Unterstützung dieser Politik.
Ich glaube — und deshalb habe ich das zitiert —, daß das die entscheidende Feststellung ist.
Herr Kollege Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stoltenberg?
Bitte schön!
Wenn Sie die entscheidendeen Sätze zitieren, sollten Sie dann nicht auch, Herr Kollege Kirst, den Satz von Herrn Dahrendorf zitieren, der diesem Satz vorausgeht:
Und nun ist mir sozusagen passiert, daß ich zum Opfer dieser Polarisierung geworden bin.
Herr Kollege Stoltenberg, dann müssen Sie natürlich noch einen weiteren Satz rückwärts gehen.
Wenn wir wollen -- dann würde aber die Redezeit nicht ausreichen —, können wir ja das ganze Interview vorlesen. Aber, Herr Kollege Stoltenberg, um nun den gedanklichen Zusammenhang für alle darzustellen, muß ich wohl 'diesen Teil der Antwort vorlesen:Die gesamte Ostpolitik — so will gesagt — — wenn Sie so wollen also ein ganzes Paket von Entscheidungen --, das sind Entscheidungen, auf deren Anfangsweg ich sehr kräftig mitwirken konnte,
und ich bin sehr froh darüber, daß ich da mitwirken konnte. Wir müssen eine Politik der Initiativen nach Osten betreiben. Was ich nicht gewünscht habe und was leider eingetreten ist, ist eine innere Polarisierung der Diskussion, eine sehr starke Gegenüberstellung der Fronten in dieser besonderen Frage, in der wir mehr als in anderen breite Mehrheiten und ein weitgehendes Maß an Einigkeit brauchen.
Ich frage Sie, verehrter Herr Kollege Stoltenberg —klatschen Sie bitte nicht zu früh, Herr Leicht! —:Wer hat denn mit dieser Polarisierung, die hier ge-
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Kirstmeint ist, aus ganz durchsichtigen Gründen angefangen?
Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einigen Worten der Kollegen Wörner und Win- delen kommen. Wenn ich jetzt sage, daß ich den Stil der heutigen und der gestrigen Debatte nicht als besonders glücklich empfinde, dann nicht als Zensor, sondern als einer, der vielleicht von einer solchen Haushaltsdebatte mehr erwartet hat. Denn wenn ich mir die bisherigen Reden der Herren Vertreter der Opposition angehört habe, dann ist das mit wenigen Ausnahmen immer die Wiederholung des gleichen Versandhauskatalogs aus pauschalen Behauptungen und Verdächtigungen,
die zu meinem Bedauern auch eine Vertiefung der Auseinandersetzung über spezielle Probleme unmöglich macht. Ich glaube, Herr Kollege Wörner hat in seiner, im übrigen ja sicher sehr wirkungsvollen Rede auch deutlich gemacht, warum ,das in dieser Situation so ist. Er hat auf die Landtagswahlen angespielt, die am 14. Juni stattfinden. Auch da muß ich ,allerdings die Frage stellen: Wer hat denn damit begonnen, in dieser Situation die für die Länder selbst doch durchaus wichtigen politischen Wahlen und Entscheidungen umzufunktionieren — wie es heute heißt -- in Zwischenwahlen zum Bundestag? Das sind wir doch nicht gewesen!
Herr Leicht, in dieses Kapitel gehört doch auch — und das stellt in der Tat den Bezug her — der Versuch der Opposition, bei einigen sehr wichtigen Dingen — ich erinnere an die Kriegsopferversorgung, ich erinnere an den Aufwertungsausgleich, ich erinnere an die Demonstrationsrechtsreform — den Bundesrat parteipolitisch zu mißbrauchen.
Herr Kollege Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wörner? — Bitte schön!
Herr Kollege, ist Ihnen ein Ausspruch — ein jedenfalls in der Presse wiedergegebener und bis jetzt nicht dementierter Ausspruch — des Herrn Bundeskanzlers bekannt, wonach die Landtagswahlen ein Signal für seine Regierung seien und ihn in den Stand setzen könnten, seine Politik fortzusetzen?
Sicher gibt es eine solche Äußerung. Sie war aber die Reaktion auf den von Ihnen langfristig unternommenen Versuch, über diese Landtagswahlen eine Zwischenentscheidung über diese Regierung herbeizuführen.
Und so sehen wir auch leider — und ich bedaueredas sehr —, daß diese Haushaltsdebatte seitens derCDU als eine Non-Stop-Wahlkampfschau inszeniert wird.
Herr Kollege Wörner, Sie haben unter anderem von den Reformen gesprochen. Ich glaube, wenn man die Dinge nüchtern sieht, wird sich jeder darüber im klaren sein, daß man Reformen nicht in sieben oder acht Monaten verwirklichen kann. Das ist ein Widerspruch in sich selbst. Vielleicht warten Sie auch nur darauf, aus Ihrer konservativen Grundeinstellung heraus dann gegen die Reformen Sturm laufen zu können.
Aber immerhin, daß hier eine Regierung mit der Notwendigkeit von Reformen angetreten ist, die sie anpacken und verwirklichen wird, worauf Sie sich verlassen können, spricht wohl auch dafür, daß hier in 20 Jahren vieles entstanden ist, was diese Reformen überhaupt erst einmal erforderlich macht. Das sollten Sie dabei auch sehen.
Ich glaube, es war schon besser, mit dem Programm der Reformen in Wahlkämpfe und in eine neue Regierung zu gehen als mit der Litanei, die uns von Ihnen jahrelang geboten wurde und im Prinzip auch heute noch geboten wird: keine Experimente.
Hier ist die Frage der Prioritäten angesprochen worden. Ich glaube, diese Regierung hat Prioritäten gesetzt; ich habe das im Februar in der Haushaltsberatung hier gesagt. Das Setzen dieser Prioritäten durch diese Regierung und diese Koalition wird sich in künftigen Haushalten, in künftigen Fortschreibungen der Finanzplanung noch stärker auswirken, als sich das so kurzfrisitg — zwischen der Einbringung des Haushalts und der Regierungsbildung war praktisch nur wenige Wochen Zeit — auswirken konnte.Wir werden dabei nicht so verfahren wie Sie. Ich habe einmal gesagt, die CDU hat die Theorie der relativen Prioritäten erfunden,
d. h. Priorität hat immer das, worüber irgend jemand von der CDU gerade redet.
Darüber können Sie auch nicht hinweggehen. Herr Dr. Barzel hat es, glaube ich, heute wieder gesagt: Wir haben ja der Koalition, der Regierung dieses großzügige Angebot gemacht. Herr Dr. Barzel, das stimmt. Das wissen wir. Das hat Sie aber nicht daran gehindert — und Sie haben das auch zugegeben —, Dutzende von ausgabewirksamen Anträgen hier einzubringen. Das tun Sie, um nach dranßen sagen zu können: Diese gute CDU will das alles für euch, Bevölkerung. Mit dem zweiten Atemzug sagen Sie dann aber: Das wollen wir so schnell nicht verwirklichen. —
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KirstSie wollen hier also einen doppelten Effekt, einmal den generellen der Dämpfung und der Bremsung, zum anderen den der individuellen Anträge, mit denen Sie insbesondere bestimmte Gruppen ansprechen. Und das alles unter Ihrem parteitaktischen Gesichtspunkt und ohne sachliche Wikung. Man muß das einmal hier darstellen — das gehört einfach dazu —, um die Glaubwürdigkeit der schönen großen Worte, die von Ihrer Seite hier immer wieder gesagt werden, ins rechte Licht zu stellen.
Nun wollte ich aber gern noch einige Worte zu den Dingen sagen, die der Kollege Windelen angesprochen hat. Ich hatte ohnehin erwartet, daß das vielleicht etwas fundierter hier geschieht. Ich meine die Frage der Stellenvermehrungen und der Umorganisation im Bundeskanzleramt.Ich darf zunächst einmal feststellen: Ausweislich des Protokolls des Haushaltsausschusses hat auch die Opposition im Haushaltsausschuß rund 50 % der Stellenvermehrungen zugestimmt.
— Nicht 50 % der CDU, Herr Baier, sondern 50 % von den rund 88 Stellen. Ich habe es noch einmal nachgerechnet. Das Protokoll liegt da. Ich kann es nachher mit Ihnen gemeinsam durchgehen.
Von diesen rund 88 Stellen haben Sie etwa die Hälfte bewilligt, unterschiedlich in den einzelnen Gruppen, das will ich Ihnen gern zugeben.
Sie dürfen hier aber nicht den Eindruck erwecken, Sie seien gegen diese Stellen insgesamt gewesen. Deshalb habe ich das gesagt. Ich glaube, Sie stehen hier noch auf der Rednerliste. Vielleicht wollen Sie das auch noch verdeutlichen.Ich meine aber — und davon haben wir uns überzeugt —, daß diese Stellen ein in sich ausgewogenes Konzept einer nötigen Organisation darstellen. Man kann nicht da und dort eine oder ein paar Stellen abhandeln. Man muß das entweder insgesamt machen, oder man müßte es lassen. Deshalb sind wir bereit, diese Stellen insgesamt so wie im Haushaltsausschuß auch hier zu bewilligen.Nun hat der Kollege Windelen in diesem Zusammenhang auch den Vorwurf vom „Superministerium" oder wie immer man das bezeichnet, erhoben. Ich habe diesen Eindruck nicht. Ich meine, daß hier ein modernes, notwendiges Führungsinstrument entsteht. Jeder Abgeordnete konnte sich über das orientieren, was damit beabsichtigt ist. Der Minister im Bundeskanzleramt hat am 9. März zunächst die Mitglieder des Haushaltsausschusses und dann am 18. März zusätzlich alle Abgeordneten dieses Hauses sehr umfassend und nach unserer Auffassung überzeugend über das unterrichtet, was hinter dieser Stellenvermehrung und überhaupt hinter der Umorganisation des Bundeskanzleramts steht. Man muß sich, wenn diese Theorien hier wieder aufgetragen werden, manchmal fragen: Können oder wollen Sie einfach nicht lesen?Ich will auch nicht auf die Frage der Repräsentationsmittel eingehen; dazu ist genug und Überzeugendes gesagt worden. Im übrigen ist im Zusammenhang mit einer anderen Position, wo die CDU auch streichen wollte, zumindest zu berücksichtigen, daß hier auch noch die Aufgaben des Bundesratsministeriums übernommen worden sind.Was den Neubau anlangt, so möchte auch ich feststellen, daß es im Haushaltsausschuß keinen Antrag der CDU/CSU gegeben hat, dafür keine Mittel zu bewilligen. Aus haushaltstechnischen Gründen sind wir auf Vorschlag der Berichterstatter gemeinsam dazu gekommen, die dort zunächst vorgesehen gewesenen Mittel zu streichen, weil die Planungskosten aus einem anderen Etat — ich glaube, es ist Einzelplan 08 — gedeckt werden können. Es hat sich aber niemand von Ihnen gegen einen Neubau ausgesprochen.Zusammenfassend meine ich — damit schließt sich der Kreis vielleicht —, daß diese Stellen und Umorganisationen notwendig sind, um insbesondere bisher vorhandenen Leerlauf im gesamten Apparat der Bundesregierung zu vermeiden, um auch auf diese Weise vielleicht oder bestimmt mit eine Voraussetzung dafür zu schaffen, daß das, was hier insgesamt im Mittelpunkt der Debatte steht und was von Monat zu Monat und von Jahr zu Jahr sichtbarer werden wird, verwirklicht wird, daß diese Regierung eine Regierung der Reformen Ist und in Zukunft bleiben wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Wischnewski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe keinerlei Anlaß, an den Worten des Kollegen Dr. Stoltenberg zu zweifeln, daß er an diesen Sitzungen teilgenommen hat. Dies ist für mich Anlaß, die mir gegebenen Informationen zu überprüfen. Wenn es notwendig ist, werde ich mich öffentlich revidieren und entschuldigen, in jedem Fall vor den Landtagswahlen Stellung nehmen.
Meine Damen und Herren, ich habe nur noch zwei Wortmeldungen. Ich frage mich, ob es unter diesen Umständen richtig ist, eine Mittagspause einzulegen und erst um 15 Uhr abzustimmen.
— Ich meinte es nur für den Fall, daß man etwa bis 13 Uhr mit den Wortmeldungen fertig ist und einige Mitglieder des Hauses der Meinung sein sollten, daß man auch nach 13 Uhr noch abstimmen sollte.Das Wort hat der Abgeordnete Baier.
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3000 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind beim Haushalt des Bundeskanzlers. Lassen Sie mich nach der Behandlung vieler wichtiger gesamtpolitischer Fragen diesen Haushalt noch einmal unter die Lupe nehmen.
Herr Kollege Hermsdorf, Sie versuchten, die sehr großzügige Art des Geldausgebens im Bundeskanzleramt mit dem Hinweis wegzuwischen: Diese Regierung wird nicht an den Kleinigkeiten des Geldausgebens im Bundeskanzleramt gemessen. Nun, sie wird sicher nicht nur daran, sondern sowohl daran als auch an ihren Leistungen gemessen, die sie zu erbringen hat.
Ich will Ihnen eines sagen: die gemeinsame Verpflichtung und Aufgabe dieser Regierung und dieses Parlaments ist es, für eine verantwortliche und sparsame Verwendung der Steuergelder einzutreten. Die Bevölkerung hat kein Verständnis dafür, wenn die Mittel, wie wir es im Haushalt des Bundeskanzlers — Einzelplan 04 — erleben, im wesentlichen dazu verwendet werden, die Machtvollkommenheit, die Würde dieses Kanzleramts noch zu vergrößern.
Hier muß ich noch einmal auf einige Zahlen aufmerksam machen. Meine Damen und Herren, die Steigerungen im Gesamtetat des Bundeskanzlers lagen in der letzten Legislaturperiode jeweils zwischen 7 und 9 Millionen DM. Nun erleben wir in diesem Jahr unter der Regierung Brandt, daß plötzlich eine Steigerung um 27 Millionen DM eintritt. Wenn ich mir den Personalhaushalt ansehe, stelle ich fest, daß sich die jährlichen Steigerungen früher in einem Rahmen von 10 bis 40 Personen bewegten. Dagegen erleben wir in diesem Jahr unter der Regierung Brandt beim Bundeskanzlerhaushalt eine Erhöhung des Personalbestands um insgesamt 101 Personen. Sicherlich sind darunter manche Stellen, die notwendig sind und denen auch wir zustimmen. Aber der Gesamtetat 04 bringt eine Steigerung von 101 Personen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte, Herr Kollege Hermsdorf!
Es ist nur eine Kleinigkeit. Aber sind Sie nicht der Auffassung, daß das eine falsche Zahl ist? Sie zählen hier die Haushalte 1970 und 1971 zusammen. Sie wissen genau, daß nur die Hälfte der Stellen für 1970, die andere Hälfte jedoch erst für 1971 bewilligt worden ist.
Diese Differenzierung ist richtig, Herr Hermsdorf. Dann muß ich eben feststellen, daß diese 101 Stellen, die vom Bundeskanzleramt angefordert wurden, für die Jahre 1970 und 1971 vom Haushaltsausschuß beschlossen worden sind.Meine Damen und Herren, es ist im Grunde eine schockierende Kurve nach oben, wie hier die Steuermittel verwendet werden. Lassen Sie mich eines zu den Begründungen sagen. Herr Professor Ehmke und der Sprecher der SPD haben heute gesagt, die politischen Gewichte hätten sich zuungunsten des Kanzleramts zu den Ressorts hin verlagert, die Koordinierungsaufgabe könne nur mangelhaft wahrgenommen werden und das Prinzip der politischen Richtungsgebung durch das Bundeskanzleramt habe sich zugunsten der Ressorts verschoben. Dann muß ich mich fragen, Herr Minister Ehmke, wie es eigentlich früher zu den „einsamen Beschlüssen" des Bundeskanzlers Adenauer kommen konnte. Wie konnte es bei einer solchen Konstruktion dazu kommen, daß sich der Bundesaußenminister Brandt darüber beschwerte, daß ihm der Bundeskanzler Kiesinger ins Handwerk pfusche, wenn es stimmt, daß sich die gesamte Gewalt immer mehr zu den einzelnen Ressorts hin verschoben hat? Eines davon stimmt sicherlich nicht.Zu der Zeit, als die CDU den Bundeskanzler stellte, meldete dieses Haus seine Anforderungen stets in einer zurückhaltenden Weise an. Trotzdem hat die SPD als Opposition herbe und bittere Kritik an Kleinigkeiten geübt, die hier immer wieder vorgebracht wurden, Lieber Kollege Hermsdorf, Sie haben am wenigsten Grund, sich heute darüber zu erregen, daß wir kritisch sind, wenn ich nur daran denke, welches Theater Sie damals um einen Teppich gemacht haben, der für den Bungalow des Bundeskanzlers angeschafft werden sollte.
Daran muß man erinnern, meine Damen und Herren, und Sie sollten heute mit gleichem Maß messen.Aber ich muß auch diesem Haus und der Regierungskoalition noch ein sehr ernstes Wort sagen. Wir haben mit großer Sorge beobachtet, wie die Anforderungen der Regierung, des Bundeskanzleramtes im Haushaltsausschuß von der Regierungskoalition behandelt worden sind. Während wir als Regierungspartei Jahr für Jahr auch bei der eigenen Partei, die die Regierung getragen hat, eine kritische Überprüfung vorgenommen und Streichungen beschlossen haben, haben wir in diesem Jahr erlebt, daß die Regierungskoalition die Vorschläge der Regierung angenommen hat, ohne sich in einem einzigen Fall von Überlegungen leiten zu lassen, ob das auch wirklich notwendig ist. Sie hat sie einfach übernommen und darüber mit einer Stimme Mehrheit beschlossen.Hier muß man die Frage stellen, meine Damen und Herren, ob die Kontrollfunktion, die das Parlament gegenüber der Regierung auszuüben hat, noch vorhanden ist, wenn die Vorschläge der Bundesregierung wie durch eine Abstimmungsmaschine einfach akzeptiert werden, ohne daß man sie einer kritischen Prüfung unterzieht und versucht, das eine oder andere, was nicht notwendig ist, zu streichen.Nach den unrühmlichen Aktionen in Ihrem Haus, Herr Bundesminister Ehmke, mit den „blauen Briefen" — die, wie Sie sagten, bekanntlich auf weißem Papier geschrieben waren —, nach der monatelan-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3001
Baiergen Nichtbeschäftigung von Beamten und Angestellten haben Sie uns dann diese massiven Personalanforderungen vorgelegt. Sie haben das nicht in dem Kernhaushalt getan, der von der Bundesregierung vorgelegt wurde, sondern nachher in dem Ergänzungshaushalt, der dem Parlament so etwas still und heimlich noch zur Beschlußfassung zugeleitet wurde. Als Sie uns den Kernhaushalt vorlegten, wußten Sie doch schon genau, daß Sie diese Stellen brauchten; denn Sie hatten ja, was die Einrichtungen betraf, diese zum Teil bereits im Kernhaushalt untergebracht.Allein für Ihr Ressort, das Bundeskanzleramt, verlangen Sie 43 Beamten- und 37 Angestelltenstellen, obwohl gleichzeitig das Bundesratsministerium mit 38 Stellen in das Bundeskanzleramt übergegangen ist und diese Stellen gleichmäßig auf Ministerien und Bundeskanzleramt übernommen wurden.Wie zu Ihren Plänen, Herr Bundesminister Ehmke, eine Neuorganisation, eine Umstrukturierung des Kanzleramtes vorzunehmen, Ihr eigener Personalrat steht, dem man auch einiges Sachverständnis zubilligen sollte, wissen Sie. Der Personalrat des Bundeskanzleramtes hat festgestellt, daß die Struktur des Bundeskanzleramtes nach diesem Organisationsplan von Herrn Minister Ehmke weiterhin von dem Ressortprinzip bestimmt wird. Der eigene Personalrat kam zu der Auffassung, günstigstenfalls dürfte eine zur Ressortbürokratie parallele Bürokratie entstehen, die einerseits Doppelarbeit leistet, andererseits aber niemals so leistungsfähig sein kann wie die Ressortbürokratie.Es sind also keine sachlichen Gründe, die zu dieser weiteren Auffächerung geführt haben, zur Schaffung einer neuen Abteilung, die offensichtlich wegen des Koalitionsproporzes geschaffen werden mußte. Es sind keine Änderungen an der Struktur und der Arbeitsmethode Ihres Hauses. Sie haben das ja auch getan, ohne ein Organisationsgutachten vorliegen zu haben. Es ist eine Vermehrung, eine Aufblähung Ihres Personalhaushalts, wie sie noch nie da war, was letztlich eben doch die politischen Hintergründe haben muß, daß hier ein Überministerium geschaffen werden soll. Oder wollen Sie damit Voraussetzungen schaffen für die Einleitung einer systematischen Durchdringung des Regierungsapparates mit eigenen Parteileuten? Das muß man sich doch fragen, wenn es keine durchschlagenden sachlichen Gründe gibt.Herr Minister Ehmke, ich muß hier auch das Wort zu einem Bereich sagen, über den zu sprechen etwas schwerfällt: die höchst bedenkliche Personalpolitik, die Sie beim Bundesnachrichtendienst eingeleitet haben. Unter dem Motto, Herr Bundesminister Ehmke: „Bisher hat der Bundesnachrichtendienst das Bundeskanzleramt kontrolliert, jetzt soll das Bundeskanzleramt den Bundesnachrichtendienst kontrollieren", haben Sie hier eine Personalveränderung vorgenommen, wie sie in der Geschichte des deutschen Geheimdienstes und aller Geheimdienste der westlichen Welt ein einmaliger Vorgang ist.
Bei der Besetzung der Führungsspitzen der Geheimdienste haben Sie Parteianhänger bevorzugt und haben so die Durchdringung des so sensiblen Apparates eines Geheimdienstes begonnen und ihn damit in die Innen- und Parteipolitik hineingezerrt. Es würde dem die Krone aufsetzen, wenn Sie nun Ihr Vorhaben verwirklichten und eine gemeinsame Auswertung für die Nachrichtendienste im Bundeskanzleramt einrichteten, um dann etwa so auszuwerten, wie es im Belieben des Bundeskanzleramtes stünde.Ich hoffe, daß das nicht der Fall sein wird. Aber wie in der Öffentlichkeit darüber gedacht wird, das stand in der deutschen Presse, wo sich jenes bundesweite Ärgernis ausdrückte. Nicht im Bayernkurier und im Deutschen Monatsblatt, aber in der „Zeit" beispielsweise war zu lesen:In die Spitze des Bundesnachrichtendienstes gehören keine Parteifunktionäre. Denn schließlich kann man sie dort nicht bei jedem Regierungswechsel austauschen.Die „Süddeutsche Zeitung" sicherlich auch keineder CDU nahestehenden Zeitung — schrieb:So gesehen, müßten die Maßnahmen Ehmkes also auf eine Machtübernahme der SPD im BND hinauslaufen. Nichts bliebe übrig von einer auch von den Regierungsparteien unbeeinflußten Berichterstattung, wie sie in den westlichen Nachrichtendiensten Grundsatz ist.Das sind beunruhigende und erschreckende Feststellungen für alle jene, denen es um die Sicherheit dieses Volkes ernst ist.Aber Sie waren auch sonst nicht zimperlich in den Anforderungen. Man kann das nicht so bagatellisieren, Herr Hermsdorf, wie Sie es heute getan haben. Wir wollen nicht auf und ab rechnen, wie Sie in den letzten Jahren als Opposition handelten und wie es heute nun geschieht. Nein, das wollen wir nicht tun. Wir wollen auch nicht darüber rechten, was Sie damals gesagt haben, als dieser dringend notwendige Kanzlerbau erstellt werden mußte, weil es keine Dienstwohnung für einen Bundeskanzler gab, welches Geschrei und Getöse es gab. Wir reden nicht darüber, wenn dieser von Ihnen gestellte Bundeskanzler die Luft auf dem Venusberg vorzieht, in seiner Wohnung bleibt und wenn dafür 346 000 Mark in diesem Jahr zur Ausstattung und zur Absicherung dieses Hauses ausgegeben werden müssen. Wir wollen nicht auf und ab rechnen, aber man muß sehen, mit welcher Großzügigkeit gehandelt wird.Ich muß noch einmal auf die Verfügungsmittel zurückkommen. Das ist recht interessant. Damit zugleich, Herr Präsident, will ich unseren Änderungsantrag Umdruck 39 begründen. Wir gehen davon aus, daß Sie hier plötzlich zuviel des Guten fordern, wenn Sie die Verfügungsmittel des Bundeskanzlers um 120 000 DM aufstocken, die im übrigen — nun wird es interessant — dem Bundesminister Ehmke für seine Tätigkeit zur Verfügung stehen, gleichzeitig aber für Bundesminister Ehmke einen Verfügungsfonds von 50 000 DM schaffen, der gleichzeitig
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3002 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Baierdem Staatssekretär Bahr zur Verfügung steht, aber dem Staatssekretär Bahr in seiner Eigenschaft als Berlin-Beauftragtem noch einmal einen Verfügungsfonds von 20 000 DM zubilligen. So greift das eine Rad in das andere hinein. Hier zeigt sich, mit welcher Großzügigkeit Sie zur Erhöhung der eigenen Würde sich die Steuergelder bewilligen.Auch der Geheimfonds des Bundeskanzlers wurde von 250 000 auf 350 000 DM mit der einen Stimme Mehrheit im Haushaltsausschuß bewilligt. Auch das zeigt, mit welcher Großzügigkeit Sie die Steuergelder verwalten, wie Sie damit umgehen.Das gleiche gilt für das, was wir in den Positionen 4 und 5 unseres Änderungsantrages ansprechen. Für Gutachten, für Honorare, für eine Systemanalyse haben Sie in diesem Jahr eine ganze Million Mark mehr gefordert und mit einer knappen Mehrheit im Haushaltsausschuß sich auch gebilligt. Das ist der Haushalt des Bundeskanzleramtes. Er zeigt uns, wie hier neben der zu kritisierenden politischen Arbeit auch in einer großzügigen, ja verantwortungslosen Weise mit den Steuergeldern umgegangen wird. Das schafft jenes Unbehagen. Was hier geschieht, meine Damen und Herren, hat nichts mit Solidität zu tun. Auch aus diesem Grunde werden wir diesen Haushalt ablehnen.
Das Wort hat Bundesminister Ehmke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich nicht vor, zu den Argumenten von Herrn Kollegen Windelen und Herrn Kollegen Baier zu sprechen, weil es sich, soweit es sich überhaupt um Argumente handelt, um keine neuen Argumente handelt. Es sind Dinge, die ich den Mitgliedern des Hauses schriftlich dargelegt habe und die eingehend im Haushaltsausschuß besprochen worden sind.Das einzige, was ich von Herrn Windelen eigentlich neu gelernt habe, ist, daß es einen „Bund der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes" geben soll und daß ich mich in der Auseinandersetzung um die beamtenrechtlichen Fragen angeblich auf das besondere Gewaltverhältnis berufen hätte. Das hat zwar die verehrte Opposition behauptet, aber nicht ich. Es würde gut tun, wenn man auch das liest, was ich selbst zu diesen Fragen gesagt habe.Herr Kollege Windelen und Herr Kollege Baier sind auf die Repräsentationsfonds eingegangen. Ich muß sagen, ich verstehe eigentlich gar nicht, warum. Jedenfalls Sie, Herr Baier, sollten doch aus den früheren Beratungen wissen, daß hier zum großen Teil nur Forderungen übernommen worden sind, welche die alte Hausleitung auch schon gestellt hatte, z. B. die Erhöhung des Dispositionsfonds auf 350 000 DM. Diesen Vorschlag habe ich schon in den Akten gefunden.
— Das ist richtig. Aber Ihr eigener Kanzler — oder der Chef des Kanzleramtes, Herr College Carstens, war es wohl, Herr Dr. Kiesinger — war wie ich der Meinung, daß die Mittel erhöht werden sollten. Dann sollte man es jetzt nicht so darstellen, als ob wunder was für ein Unrecht geschehe
und bei diesen relativ geringen Summen die Steuergelder des kleinen Mannes verschleudert würden.Der Herr Bundeskanzler hat schon zu Recht gesagt, es ist eine Sache, was ich im Haushalt habe, und eine andere, was ich außerplanmäßig bekomme. Sie müssen z. B. hinzurechnen, was außerplanmäßig oder aus anderen Mitteln seinerzeit für das Gartenfest des Kanzlers gewährt worden ist.
Ich halte das für völlig in Ordnung. Auch ein demokratischer Staat muß sich darstellen können. Wir tun das viel zuwenig. Es ist falsch zu meinen, eine Demokratie müsse nicht repräsentieren und sich darstellen. Rechnen Sie doch bitte auch die Mittel ein, die dem Bundesratsministerium zustanden. Diese Aufgaben sind ja an uns übergegangen, auch die Ministerpräsidentenkonferenzen,
Sie werden dann sehen, daß zur Aufregung kein Grund besteht.
— Herr Wörner, ich bin gern bereit, eine Frage zu beantworten. Zwischenrufe richtig zu hören ist zu schwierig.Herr Kollege Baier, ich verstehe auch nicht ganz Ihren Vorwurf, daß ich die Personalforderungen erst im Ergänzungshaushalt gebracht habe. Das ist bei allen Ressorts so gewesen, die umorganisiert wurden. Damit habe ich einem Wunsch des Finanzministers entsprochen. Es war also nicht, wie Sie sagen, gewissermaßen ein Trick von mir.
Ich hätte das gern im Kernhaushalt gehabt.
Im übrigen bin ich etwas enttäuscht. Ich habe mir die Mühe gemacht, dem Haus eine doch recht ausführliche schriftliche Studie zu unterbreiten. Ich war nach dem Motto „Mehr Demokratie und mehr Information" im Arbeitskreis der CDU und wir haben dort eine sehr interessante Diskussion gehabt. Wir haben eine gute Diskussion im Haushaltsausschuß gehabt. Herr Baier, und dann kommen Sie und sagen, es habe sich im Kanzleramt nichts geändert. Der Personalrat ist inzwischen überzeugt, daß sich etwas geändert hat.
Durch das neue System der Frühkoordinierung sehen wir z. B. zum erstenmal wirklich einen Überblick über die Vorhaben der verschiedenen Ressorts.Herr Baier, ich habe Ihnen im Haushaltsausschuß auf Ihre Fragen auch im einzelnen dargelegt, wie es
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Bundesminister Dr. Ehmkesich mit der operativen Planungsabteilung verhält, mit den Ad-hoc-Gruppen und mit dem, was man ein Matrix-Management-System nennt, das wir ja erst langsam aufbauen können. Wenn sie dem nicht zustimmen, sollten Sie aber doch zugeben können, daß hier der Versuch einer wirklichen Neuorganisation gemacht wird.Ich selbst habe Ihren Vorschlag im Haushaltsausschuß unterstützt, daß der Bundesrechnungshof seinerseits ein Organisationsgutachten macht. Auch mir ist mit Kritik gedient. Mir geht es um die Leistungsfähigkeit des Amtes.Darum ist es auch nicht richtig, Herr Kollege Baier, wenn Sie sagen, die neue Abteilung für Innen- und Gesellschaftspolitik sei nun Koalitionsproporz. Wir hatten ein Kanzleramt, in dem die Gesellschafts- und Reformpolitik von einem Hilfsreferenten in einem Referat bearbeitet wurde, welches das Innen- und das Justizministerium betreute. Das ist doch kein Zustand für eine Kanzleramt, ein Organ der politischen Führung und Richtlinienbestimmung in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts in einem Industriestaat.
Über den Bundesnachrichtendienst will ich jetzt nicht viel zu sagen. Ich meine, wir sollten ihm eine Chance geben und den neuen Herren auch. Ich bin sehr froh, wie die Dinge dort laufen. Die schon unter meinem Vorgänger begonnene dringende Reform des Dienstes macht ruhige Fortschritte. Ich glaube, dem Dienst ist jetzt am besten gedient, wenn man ihn, auch kurz vor Wahlen, nicht mehr in Auseinandersetzungen hineinzieht, als es der Sache dient.
— Ganz sicher nicht, aber ich würde sagen, dann sollten auch Sie es nicht tun. Sie sehen wohl, daß ich das mit ruhiger Hand zu machen versuche, nachdem die Entscheidungen, die getroffen werden mußten, getroffen worden sind.Nun haben Sie gesagt — damit komme ich schon zum Schluß —: „Ja, wie war es denn eigentlich früher? Der Bundeskanzler Adenauer hat doch seine einsamen Beschlüsse gefaßt, und der Bundeskanzler Kiesinger hat doch dem Außenminister Brandt ins Handwerk gepfuscht! Das kann man beides ohne jeden Sachverstand und ohne jede Vorbereitung durch ein leistungsfähiges Bundeskanzleramt." Das ist kein Argument dagegen, daß, wenn man eine rationale, in sich abgestimmte Politik betreiben will, man eben doch einen größeren und vor allen Dingen einen besseren Apparat braucht. Wenn wir mehr Technik hätten, brauchen wir dabei einen Teil des Personals nicht. Wenn man eine rationale Politik machen will, ist es bei dem heutigen Zustand unserer Gesellschaft weder mit einsamen Beschlüssen noch mit Ins-Handwerk-Pfuschen getan.Darum kann ich leider auch dem Kollegen Windelen nicht versprechen, daß ich Ruhe ins Kanzleramt bringen werde. Mein Gefühl ist, da war lange genug Ruhe. Seitdem der alte Herr und Herr Globke das Haus verlassen hatten, war es dort ziemlich ruhig.Ich bin vielmehr der Meinung, ich muß alles tun, um in das Amt Arbeit und Leistung zu bringen, zum Wohle unseres Volkes, so wie das die Beamten und die Minister in ihrem Diensteid schwören.
Meine Damen und Herren! Noch ein Wort über den Fortgang unserer Verhandlungen. Es hat sich gezeigt, daß nicht überall Klarheit besteht, wie wir jetzt weiter verfahren werden. Wir tagen ohne Mittagspause durch, aber zwischen 13 Uhr und 15 Uhr ist Abstimmungssperre. Besteht jetzt Klarheit?
Das Wort hat der Abgeordnete Wohlrabe.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beim Einzelplan 04 ist auch die Position des Bundesbevollmächtigten für Berlin etatisiert. Es war bereits eben vom Kollegen Baier der Repräsentationsfonds dieser Position, der mit über 20 000 DM auch neu geschaffen worden ist, angesprochen worden. Ich möchte dazu ein kurzes Wort sagen, weil ich meine, daß bei den vielfachen Tätigkeiten des Amtsinhabers über diese Position ein Wort verloren werden sollte.
Ich meine, daß der Bundesbevollmächtigte für Berlin, der leider fast nie in Berlin ist und der heute seine Aufgabe als Beauftragter für Berlin-Fragen, weil er sehr selten da ist, nur sehr mäßig wahrnimmt, uns hier doch einmal mitteilen lassen sollte, wie seine Aufgaben in Berlin in Zukunft zu sehen sind. Denn in Berlin geht der Spruch um, daß dieser Mann heute nicht Bundesbevollmächtigter für Berlin, sondern mehr Bevollmächtigter für Moskauer Gespräche sei, also mehr für etwas, was nicht seine ursprüngliche Aufgabe ist.
Wer immer in Bonn seinen Sitz hat und noch einen erheblichen Teil seiner Zeit in Moskau verbringt, kann nicht die so vielfachen Aufgaben für Berlin richtig wahrnehmen und sich um diese kümmern. Und gerade dort in Berlin täte das im Moment sehr not.
Ich will gar nicht davon sprechen, daß schon die Berufung und die Person, die hier zur Debatte steht, in Berlin recht kritisch aufgenommen worden sind.
— Bitte, lesen Sie doch die Presse und die Einlassungen Ihrer eigenen Parteifreunde in Berlin, dann werden Sie das feststellen können! — Die FDP war sogar der Meinung, diese Berufung sei vollkommen überflüssig. Auch das ist feststellbar, Kollege Löffler. Das wissen Sie selber.
Ich meine nur, und das ist wichtig hier festzuhalten: Wir, die CDU/CSU-Fraktion, bejahen die Position des Bundesbevollmächtigten für Berlin; wir bejahen sie aber vor allem unter dem Gesichtspunkt, daß diese Position durch Arbeit in Berlin wahrge-
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Wohlrabe
nommen wird und nicht am Rande. Das ist Berlins nicht würdig!
Wer zum Wohle dieser Stadt arbeiten und seine Aufgaben in Berlin richtig wahrnehmen will,
wer diesen SPD/FDP-Senat in Berlin unterstützen will — das gehört ja auch dazu; es ist bitter notwendig, wie Sie ja selber wissen, daß dieser Senat, den wir dort zur Zeit haben, Stütze und Hilfe bekommt —, der muß mit seiner ganzen Arbeitskraft in Berlin sein, und es geht nicht, das mit der linken Hand zu machen.
Die Aufgabe des Amtssitzes in Berlin bedeutet einen weiteren Schritt in der Demontage der Bundespräsenz in Berlin. Dazu hat diese Regierung durch ihren Entschluß, dieses Amt nicht mehr in Berlin wahrzunehmen, erheblich beigetragen.
Das ist übrigens nicht die einzige Vorleistung, die hier jetzt zur Debatte steht. In den Debatten in diesem Hause sind viele genannt worden. Um sie- einmal numerisch aufzuzählen, erinnere ich an die Bundestagswochen in Berlin; ich erinnere an die Versprechungen der SPD- und FDP-Fraktionen: sie sind nicht eingehalten worden. Ich erinnere an die Auseinandersetzung um die Eröffnung des Reichstages. Ich bitte, sich doch das auch einmal anzuschauen. Ich erinnere aber auch an die von Ihnen initiierte Frage des Stimmrechts der Berliner, als es für Sie noch opportun war. Und ich erinnere schließlich auch an die neuen Steuererhöhungen, die auf den Interzonenautobahnen unrechtmäßig eingeführt worden sind und die die Berliner Zugangswege beeinträchtigen, und ich frage — darüber konnte uns gestern der Parlamentarische Staatssekretär Reischl keine schlüssige Auskunft geben —, ob dagegen überhaupt etwas geschehen ist und ob diese Bundesregierung dagegen protestiert hat.
Das alles hätten wir zumindest als Aufgabenbereich des Bundesbevollmächtigten für Berlin für sehr erheblich und wichtig angesehen. Wir stellen fest, daß in diesem Punkt nichts, aber auch gar nichts erfolgt ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haehser? — Bitte schön!
Herr Wohlrabe, da Sie vom Reichstag gesprochen haben: Ist Ihnen bekannt, daß im Haushaltsausschuß Mitglieder Ihrer Fraktion die Auffassung vertreten haben, man möge die Bewachung des Reichstags einer Wach- und Schließgesellschaft übertragen?
Ich möchte gern einmal wissen, wer das gesagt hat. Mir ist diese Äußerung nicht bekannt. Ich war in der Sitzung dabei, lieber Kollege Haehser, und ich habe an keiner einzigen Stelle in der gesamten Debatte über den Einzel-plan 02 eine derartige Auffassung gehort. Das ist die Wahrheit.
— Ja, das scheint hier jetzt Methode geworden zu sein.Meine Damen und Herren, wir treten dafür ein, eine weitere Stärkung der Präzens des Bundes in Berlin durchzusetzen. Dazu gehört, daß nicht nur immer wieder verbal bekundet wird, West-Berlin sei in das Rechts-, Finanz- und Währungssystem der Bundesrepublik integriert; dazu gehören vor allem auch Taten. Eine solche Tat wäre die, daß der Bundesbevollmächtigte in Berlin arbeitet und dort seinen Sitz nimmt.Die Anwesenheit der Bundesorgane in der alten deutschen Hauptstadt — das ist eine psychologisch sehr wichtige Frage, die in Berlin immer wieder diskutiert wird — muß beibehalten werden; auch ihre Rechte müssen aufrechterhalten werden. Dazu gehört auch, daß der Berlin-Bevollmächtigte seinen Sitz in Berlin hat. Es reicht nach meiner Auffassung nicht aus, wenn man nur sagt: Wir werden das freie Berlin festigen, und es gleichzeitig an Taten ermangeln läßt.Über Taten und geleistete Arbeit des Bundesbevollmächtigten in Berlin kann hier nicht berichtet werden, weil es darüber nicht viel zu berichten gibt. Das Steckenpferd dieses Bevollmächtigten ist, wie wir alle wissen, das Entwerfen großer Pläne, das Führen von Geheimgesprächen mit dem Ziel — das steht im Gegensatz zu der kontinuierlichen Politik früherer Bundesregierungen —, mit dem Osten ins Geschäft zu kommen.
„Wandel durch Annäherung" war und ist die große Zauberformel des Berlin-Beauftragten, deren Befolgung auch diese Regierung, insbesondere der Bundeskanzler und Minister Ehmke — ob es auch der Außenminister getan hat, weiß ich nicht, denn er wird ja nicht in dem Maße informiert —, zur Leitlinie ihrer Politik gemacht haben, ohne freilich — auch das sei einmal festgestellt — mit dieser Formel bis heute eine einzige positive Änderung für die Menschen im geteilten Deutschland und in Berlin erreicht zu haben.
In diesem Sommer sind es sieben Jahre her, seit der Bundesbevollmächtigte für Berlin, Herr Bahr, diese Formel „Wandel durch Annäherung" zum erstenmal verkündete. Seitdem ist vieles schlechter geworden. Die Bundesregierung hat eine Annäherung vollzogen und die Situation durch Vorleistungen gewandelt. Die Forderungen Ost-Berlins sind jedoch seitdem nur härter und unverschämter geworden. Auch das ist eine Konsequenz der Politik des Wandels durch Annäherung.
Die CDU/CSU vertritt die Auffassung, daß der Berlin-Bevollmächtigte seine Tätigkeit in und für
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WohlrabeBerlin — beides gehört nämlich zusammen, lieber Kollege Hermsdorf — wahrnehmen sollte und daß dem Steuerzahler auch keine Mehrkosten -- wir befinden uns ja in der Etatdebatte -- dadurch aufgebürdet werden dürfen, daß nunmehr zwei Amtssitze, einer in Bonn und einer in Berlin — letzterer bestand schon —, und zwei Wohnungen geschaffen werden. Damit sind wiederum Kosten verbunden. Wir sind der Meinung, daß es einen Berlin-Beauftragten am Rhein nicht geben darf. Das wird der Situation, die wir heute in Berlin haben, nicht gerecht. Es ist vielmehr erforderlich, daß der Bundesbevollmächtigte für Berlin seine Arbeit in Zukunft überwiegend in dieser Stadt wahrnimmt und draußen nicht alles mögliche andere macht.
Das Wort hat Bundesminister Ehmke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte für den Kollegen Bahr nur sagen, daß ich etwas erstaunt bin, zu hören, daß man in Berlin mit dieser Regelung, die wir gefunden haben, unzufrieden ist. Wenn jemand mehr Aufgaben übernimmt, als sein Vorgänger gehabt hat, spricht das ja wohl nicht gegen ihn. Herr Kollege Wohlrabe, ich wäre dankbar, wenn Sie sich einmal in Berlin beim Senat oder hier bei der Berliner Vertretung nach der Zusammenarbeit erkundigen würden. Ich glaube, die Zusammenarbeit zwischen Bund und Berlin war nie besser als im Augenblick.
Das Wort hat der Abgeordnete Hörmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Baier hat vorhin bedauert, daß bei den Beratungen im Haushaltsausschuß im Hinblick auf die Personalstellen von uns nicht der strenge Maßstab angelegt worden ist, der früher bei anderen Bereichen unter anderen Regierungen angelegt wurde.
Ich beziehe mich erstens auf das, was ich heute morgen als Berichterstatter dazu gesagt habe, warum wir 89 Stellen mehr genehmigt haben. Ich glaube, es kann nicht unsere Aufgabe sein, kleinkarierte Streichungen vorzunehmen.
Es muß unsere Aufgabe sein, der Regierung das Material, das Geld und das Personal zur Verfügung zu stellen, das sie braucht.
Was hilft denn das Geschrei von Herrn Wörner, dieReformen müßten beginnen, wenn wir nicht die Voraussetzungen dafür schaffen, daß reformiert werden kann.
Im Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation im geteilten Deutschland, der am 11. März 1968 vom damaligen Bundeskanzler Dr. Georg Kiesinger gegeben wurde, wurde z. B. ausgeführt:Dem Zwang zur Modernität dürfen sich auch die Strukturen und Institutionen des Staates nicht entziehen. Viele unserer aus den Traditionen des 19. Jahrhunderts überkommenen Einrichtungen und Verfahren genügen schon der heutigen Zeit nicht mehr und müßten vor den Anforderungen der Zukunft versagen.Das ist vollkommen richtig; wir unterstützen das. Aber das trifft doch gerade auch auf eine notwendige Modernisierung des Bundeskanzleramtes zu. Letzten Endes wurde doch aus diesem Grunde schon von der damaligen Regierung eine Studiengruppe für Systemforschung eingesetzt, die 1969 einen ersten Zwischenbericht vorgelegt hat. Aus diesem Grunde wurde auch damals schon eine Denkschrift zur Frage der Reform der Arbeitsweise des Kabinetts und des Bundeskanzleramtes erstellt, in der über die moderne Instrumentierung des Bundeskanzleramts berichtet wird.Diejenigen, die damit beauftragt waren — z. B. auch der genannte Personalrat, von dem soviel die Rede ist, war ja mit beauftragt, diese Denkschrift zu erstellen —, haben doch die Ansätze klargelegt, auf die Rücksicht genommen werden muß, wenn man an diese Modernisierung herangeht.Oder erinnern wir uns an das Schreiben des Präsidenten des Bundesrechnungshofs. Was sagt er denn über unser Bundeskanzleramt? Er sagt zusammengefaßt:Die gesellschaftspolitische Entwicklung bringt zunehmend eine Verzahnung aller Bereiche staatlicher Tätigkeit und damit aller Ressorts mit sich. Dies bedingt rechtzeitige Abstimmung mit Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers. Der Informationsaustausch zwischen Bundeskanzleramt und Ressorts ist lebensnotwendig, muß ausgebaut werden. Das Bundeskanzleramt muß in die Lage versetzt sein, seine Kontrollfunktionen im Rahmen des Art. 65 GG auszuüben. Die Koordinierung im Kabinett wird immer schwieriger. Sie wird mit Sorge beobachtet.Damals!
Diesbezügliche Bemühungen des Bundeskanzleramtes, das zu verbessern, sind positiv zu sehen, werden vom Rechnungshof unterstützt. Die vom Bundeskanzleramt in dieser Richtung begonnenen Maßnahmen sind verfassungsrechtlich notwendig.Das Wort „Führungszentrale" stimmt nicht.Das heißt doch nun: Wenn man daraus Konsequenzen zieht und wenn man den Mängelkatalog,
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Hörmannder in diesen Denkschriften über das Bundeskanzleramt aufgestellt worden ist, beheben will, muß man die Voraussetzung zur Modernisierung und Reform des Bundeskanzleramts schaffen. Da finde ich es einfach unverständlich, daß man auf diese Weise argumentiert.Der Ansatz des Bundeskanzleramts erhöht sich um ganze 5,4 Millionen. Davon sind 3,6 Millionen Personalmehranforderungen und Personalmehrkosten durch das 2. Besoldungsneuregelungsgesetz. Die übrigen Beträge könnte ich im einzelnen aufführen;
ich möchte mir das aber jetzt schenken; ist auch nicht notwendig.Ich will auch darauf verzichten, einen Vergleich herbeizuführen: was die Notwendigkeit des Verbleibens des Bundeskanzlers auf dem Venusberg kostet gegenüber den Kosten, die jeweilige frühere Bundeskanzler durch notwendige Umbauten, durch Neubauten usw. verursacht haben. Warum sollen wir darüber überhaupt reden? Das sind notwendige Dinge, die man macht, die jedem Bundeskanzler zustehen. Ich finde es ausgesprochen klein kariert, wenn man über diese 185 000 DM spricht.
Eine Zwischenfrage?
Gern!
Herr Kollege Hörmann, ich nehme an, Sie verzichten auch — weil Sie das für kleinlich halten würden — darauf, hier zu erörtern, was für ehemalige Bundeskanzler gefordert worden ist?
Ich verzichte gern darauf. Auf jeden Fall haben wir, glaube ich, in dieser Frage gemeinsam eine vernünftige und beiderseits vertretbare Lösung gefunden!
Noch eine Zwischenfrage?
Bitte, gern!
Herr Kollege Hörmann, würden Sie so nett sein und auf die Frage Ihres verehrten Fraktionskollegen Haehser eine Antwort geben, bei der Sie feststellen werden, daß ich im Haushaltsausschuß erklärt habe, die CDU/CSU-Fraktion verzichtet auf Anträge bei dieser Position?
Die ursprünglichen Anforderungen, die gestellt worden waren, liefen
ja in eine ganz andere Richtung. Da ging es darum, ehemaligen Bundeskanzlern auf Lebenszeit gewisse persönliche Stellen und Sachkosten zur Verfügung zu stellen; ursprünglich, anfänglich. Durch viele Gespräche hat sich das dann auf einen anderen Vorschlag reduziert. Wir haben uns dann im Haushaltsausschuß auf einen Vorschlag geeinigt, der ehemaligen Bundeskanzlern drei Personalstellen verschiedener Größenordnung für die Dauer von vier Jahren vom Ausscheiden an gewährleistet.
Warum wollen wir gegenseitig solche Dinge aufrechnen? Aber fangen Sie doch nicht damit an, Herr Kollege Windelen, oder Sie!
— Er hat mich gefragt, und ich habe eine vernünftige Auskunft gegeben.
Wenn Sie Kürzungsanträge stellen, wie beispielsweise in Ihrem Umdruck Nr. 39, dann erinnern Sie sich doch — bitte schön — daran, wie es früher war. Sie wollen den Ansatz 529 01 — Zur Verfügung des Bundeskanzlers — kürzen. 1956 war der Ansatz damals erstmalig 60 000 DM. Er wurde 1961 nach fünf Jahren, mehr als verdoppelt auf 140 000 DM. Das sind 133 % mehr. 1966 wurde er dann auf 170 000 DM gesetzt. Seit dem steht er auf diesem Stand. Es ist nicht mehr als recht, nach fünf Jahren jetzt 1970 wiederum eine Anpassung an die weitere Entwicklung vorzunehmen, wenn man nicht die Möglichkeiten der Beweglichkeit des Bundeskanzlers so einschränken will, daß die Erfüllung der Aufgabe damit hinfällig wird.
Sachlich läßt sich dieser Kürzungsantrag nach meiner Meinung genausowenig begründen wie der Kürzungsantrag auf Umdruck 40, den ich für meine Partei, wenn ich darf, geich mit behandeln möchte. Auf Umdruck 40 schlagen Sie eine Kürzung um 3,5 Millionen DM für die Öffentlichkeitsarbeit Inland vor. Auch hierzu darf ich Ihnen folgendes in Erinnerung rufen. Ansatz 1965: 5 Millionen DM, Ansatz 1968: 7 Millionen DM zuzüglich einer überplanmäßigen Ausgabe in Höhe von 2,6 Millionen DM — insgesamt also 9,6 Millionen DM —, Ansatz 1969: 8 Millionen DM. Wenn wir die Fortentwicklung sehen, ist der Ansatz von 9,5 Millionen DM durchaus begründet. Eine Kürzung auf 6 Millionen DM, wie Sie sie vorschlagen, würde eine Einschränkung des Informationswesens im Inland bedeuten.
Uns muß im Interesse der Reformen daran liegen, die Informationsmöglichkeit auch der Bundesregierung im Inland, über das, was gemacht und reformiert werden muß, zu ermöglichen. Deshalb werden wir diese Ihre Anträge ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle sind davon unterrichtet gewesen, daß der Haushalt des Bundeskanzlers eigentlich gestern gelesen werden sollte, dies aber
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Dr. Barzelnicht möglich war, weil der Herr Bundeskanzler dringende dienstliche Verpflichtungen außerhalb habe. Wir haben dem alle entsprochen. Ich hoffe, Herr Bundeskanzler, Ihre dienstlichen Verpflichtungen außerhalb haben sich nicht mit der Unwahrheit von Bielefeld allein erschöpft.
Ich möchte Sie doch herzlich einladen, Herr Bundeskanzler, nach der Erklärung von Herrn Wischnewski hier auch eine Erklärung abzugeben, damit die Luft für die Gespräche im Hause verbessert wird.
Sowohl der Herr Bundesaußenminister gestern als auch der Herr Bundeskanzler heute morgen haben noch einmal hinsichtlich der Außenpolitik einen sachlichen Faden aufzunehmen versucht. Sie haben, was Ihr gutes Recht ist, noch einmal gesagt, natürlich gehöre es zu den Rechten und Pflichten der Regierung, auch Geheimdiplomatie zu betreiben. Das bejahen wir ausdrücklich. Dies ist sogar Ihre Pflicht, Herr Bundeskanzler. Nur: Sie finden eigentlich zu einer neuen Form, nämlich zu einer Form sichtbarer Geheimdiplomatie, indem jeden Tag zu lesen ist, Herr Bahr fahre dorthin, Herr Duckwitz fahre dorthin. Daraus entwickeln sich dann Spekulationen, und das Ganze macht den Eindruck einer Riesenfriedensinitiative.Man muß natürlich fragen, was hier eigentlich wirklich ist. Da sowohl der Herr Bundesaußenminister als auch der Herr Bundeskanzler, was wir natürlich sehr sorgfältig gehört haben, versucht haben, auch an die Adresse der CDU/CSU zu sagen, daß man vielleicht doch Argumente und Informationen austauschen sollte, möchte ich zu diesem Punkt einiges sagen, was in diese Debatte heute gehört. Ich tue dies auch im Hinblick darauf, Herr Bundeskanzler, daß Sie heute Ihr Bulletin mit einer besonderen Sache, auf die ich noch zu sprechen komme, füllen und heute abend, wie man hört, in Ihrem Kabinett eine wichtige Entscheidung zu treffen haben.Nach der Debatte der vergangenen Woche, in deren Mittelpunkt mit Recht der vermutliche Inhalt des Vertrages mit der Sowjetunion gerückt war, gab es — übrigens von vielen Seiten — zum Wochenende eine Kulmination in Polemik, die hätte gefährlich verden können. Daraufhin haben wir es, um die notwendigen Kontroversen auf die Sache zurückzuführen, für richtig gehalten, öffentlich das Bild mitzuteilen, das sich uns über die vorgesehenen Abmachungen mit der Sowjetunion ergibt. Ich habe erklärt — ich möchte es nun in diese Debatte einführen —:Es ergibt sich das Bild, daß die Bundesregierung gegenüber der Sowjetunion folgende Verpflichtungen übernehmen wird:1. Achtung der Grenzen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR;2. Achtung der Oder-Neiße-Linie als Westgrenze Polens;3. Verpflichtung, diese Grenze auch in Zukunft nicht ändern zu wollen;4. Bereitschaft, die Frage der Gültigkeit des Münchner Abkommens mit der tschechischen Regierung zu klären;5. Aufnahme beider deutscher Staaten in die UNO;6. Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung zwischen Bundesrepublik Deutschland und DDR;7. Unterstützung einer europäischen Sicherheitskonferenz.Die Sowjetunion übernimmt — so unser Bild —die Verpflichtung, ihre Beziehungen gemäß Art. 2 der UNO-Satzung mit der Bundesrepublik Deutschland zu gestalten. Die speziellen Interventionsartikel der UNO-Satzung, nämlich 53 und 107, bleiben vorbehalten.Für Berlin sind Zusagen nicht gegeben. Das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes ist nicht Vertragsinhalt.Am Schluß dieser Erklärung habe ich dann hinzugefügt:Sollte dieses Bild falsch sein und die Bundesregierung Irrtümer feststellen, dann würde keiner schneller und Berner als ich selbst dies öffentlich zugeben.
Auf diese Erklärung hin unternahm die Bundesregierung — wie ich beweisen werde — einen Feldzug des Verniedlichens, des Verschweigens und des Vernebelns.
Und gestern beehrte mich, Herr Bundeskanzler, ein anonymes Autorenkollektiv des Bundespresseamtes eines polemischen Generalangriffs mit Nebelwerfern. Da haben Sie nun wirklich Herrn Ahlers überfordert. Er ist ein gelernter Fallschirmjäger, und ich bin gelernter Fernaufklärer; die können Sie beide mit Nebel nicht stören, Herr Bundeskanzler.
Nun nehme ich an, daß Sie, nachdem diese Polemik heute Ihr Bulletin als Aufmacher ausfüllt, die Freundlichkeit haben werden, unter dem Aspekt der Argumente und der Demokratie das, was ich dazu zu sagen habe, morgen am selben Platz im Bulletin zu plazieren. Meine Damen und Herren, es wird weder gelingen, uns durch diese polemischen Geschichten von dem Blick auf das, um was es geht, abzulenken, noch gar — wie es vor dieser Debatte gewünscht war — uns dadurch in die Defensive zu lenken.
Das Ganze bestätigt doch nur das Bild, wie wir es gewannen, und es bestätigt, daß dieses Bild richtig ist.
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Dr. BarzelIch habe nicht die Absicht, mich auf das miserable Niveau dieses regierungsamtlichen Pamphlets zu begeben,
zumal bezeichnenderweise keiner wagt, seinen Namen für dieses Pamphlet herzugeben.
Gestern war in den deutschen Zeitungen viel über den vermutlichen Inhalt zu lesen. Ich weiß, daß viele Journalisten besten Wissens und Gewissens schrieben, was man ihnen zur Information gesagt hatte. Ob diejenigen, die diese Informationen gaben, gleichfalls so handelten, weiß ich nicht. Ich weiß aber, daß diese Informationen unvollständig und unrichtig waren; und ich fürchte, daß es sich mit den Informationen, die die Kollegen des Hauses aus den Regierungsfraktionen erhalten haben, nicht viel anders verhält.
Erstens. Als Folge der Informationspolitik des Herrn Bundeskanzlers war gestern in den Zeitungen zu lesen, die Bundesregierung würde die Fragen des Vorbehalts der „deutschen Option" gegenüber der Sowjetunion — soweit sind wir also gekommen, daß das fundamentale Verfassungsziel des Grundgesetzes von dieser Regierung noch als „deutsche Option" bezeichnet wird! Man muß die Worte wägen, meine Damen und Herren! —, also das, was man wohl besser als das Selbstbestimmungsrecht und das Wiedervereinigungsrecht des) deutschen Volkes bezeichnet, nach einer Formel regeln, welche Konrad Adenauer in Moskau 1955 bei der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen gebraucht habe. Es ist dann weiter zu lesen, daß Adenauer damals eine einseitige Rechtsverwahrung gegenüber der Sowjetunion abgegeben und deren Text später auch öffentlich mitgeteilt habe.Dies ist, Herr Bundeskanzler — und wenn Ihnen vor lauter Bemühungen um neue Stellen und ähnliche Umbaupläne das Archiv abhanden gekommen sein sollte, so habe ich aus dem Archiv des Bundestages die Unterlagen zu diesem Fall mitgebracht —, Informationspolitik nach dem Motto: Wahr ist, was uns paßt!
Die ganze Wahrheit sieht anders aus. Ich möchte nun sehr herzlich um die Fairneß auch der Damen und Herren Journalisten bitten, die die andere Meldung verbreitet haben, weil sie es wirklich nicht besser wissen konnten.Es sind drei Vorgänge von 1955 in Moskau festzuhalten: a) ein gemeinsames Schlußkommuniqué vom 13. September 1955, b) Bleichlautende Schreiben des Ministerpräsidenten Bulganin und des Bundeskanzlers Konrad Adenauer vom 13. Dezember 1955 und c) der einseitige Rechtsvorbehalt des Bundeskanzlers Adenauer. Diese drei Dinge gehören zusammen. In diesem gemeinsamen Schlußkommuniqué, unterschrieben von beiden Staaten, heißt es, — ich zitiere —:Beide Seiten gehen davon aus, daß die Herstellung und Entwicklung normaler Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion zur Lösung der ungeklärten Fragen, die das ganze Deutschland betreffen, beitragen und damit auch zur Lösung des nationalen Hauptproblems des deutschen Volkes — der Wiederherstellung eines deutschen demokratischen Staates — verhelfen werden.Soweit das Zitat, meine Damen und Herren.Der gleiche Text findet sich sowohl in dem Brief Adenauers an Bulganin wie in dem Bestätigungsbrief Bulganins an Adenauer.Dieser Briefwechsel war die Verabredung — der Vertrag, wenn Sie so wollen — über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Sprechen wir also, mit dem Blick auf das, was Sie vor sich haben: Die Wiedervereinigung Deutschlands stand damals im Vertrag — dies sollte man wissen — und war nicht Gegenstand von verbalen Vorbehalten. Der Rechtsvorbehalt Adenauers — der war einseitig, das ist hier auch im Bundestagsprotokoll nachzulesen — stellte fest, daß durch die Aufnahme der Beziehungen— jetzt kommt wieder etwas Interessantes, diese Formel als Vorbild zu nehmen, für das, was jetzt passiert — keine Anerkennung des derzeitigen beiderseitigen territorialen Besitzstandes erfolge, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands dem Friedensvertrag vorbehalten bleibe und daß die Bundesregierung bei ihrer Auffassung hinsichtlich der Vertretung der Interessen des ganzen deutschen Volkes bleibe.Damit ist klar, daß diese Bundesregierung nicht nur Halbwahrheiten verbreitet, sondern auch den in der Sache völlig gegenteiligen Standpunkt Konrad Adenauers zu Unrecht für sich zu reklamieren versucht.
Herr Bundeskanzler, dies ist nun der vierte Fall, in dem von Wiedervereinigung oder Selbstbestimmung nicht die Rede ist. In den Kasseler 20 Punkten kommt es nicht vor. In dem, was Sie mit der Sowjetunion vorbereitet haben — wie Sie sagen —, kommt es nicht vor. In der Erklärung Ihres Pressesprechers über das Ergebnis von Rom werden zwar die Ziffern 8 und 9 erwähnt, nicht aber die zentrale Ziffer 4, die die Selbstbestimmung enthält. Und in der Mitteilung über die Formel Adenauers 1957 fehlt auch der wesentlichste Punkt.Meine Damen und Herren, wer diese vier Fehler als vier Pannen hinzunehmen bereit ist, dem würde ich sagen, das wären vier Pannen zu viel. Wir Blauben nicht mehr an Pannen!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben sich heute hier — und das war Ihr gutes Recht — auch als Parteivorsitzender hingestellt. Sie sind der Vorsitzende einer Partei, die draußen im Lande behauptet — anders als Sie hier im Hinweis auf den Briefwechsel Adenauers neulich —, in der Ostpolitik sei 20 Jahre nichts geschehen. Hier im Hause aber, ge-
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Dr. Barzelgenüber den Kollegen und gegenüber Journalisten, versuchen Sie den Eindruck zu erwecken — auch heute morgen haben Sie dies versucht —, in der Kontinuität Adenauers und in der Kontinuität Kiesingers hinsichtlich der Politik der Großen Koalition zu sein.Auch dieser Eindruck wird zu Unrecht erweckt. Die Bundesregierung läßt durch das Bundespresseamt in dem erwähnten Pamphlet sagen, „keine Gebietsansprüche zu erheben" habe schon die Große Koalition angeboten. Auch das ist selektive Wahrheit.Der Gewaltverzichtsvertragsentwurf der Großen Koalition sah vor, der Sowjetunion gegenüber — bei entsprechender Gegenleistung — die Verpflichtung einzugehen, die Wiedervereinigung Deutschlands nicht mit gewaltsamen Mitteln herbeiführen zu wollen. Es heißt dann in dem Entwurf — ich zitiere —:In dem Wunsch, den Abschluß eines deutschen Friedensvertrags zu erleichtern und die Verwirklichung der Einheit Deutschlands auf friedlicher und demokratischer Grundlage zu fordern — —erklärt die Bundesregierung:Dementsprechend verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutschland, die Wiedervereinigung Deutschlands oder die Änderung der gegenwärtigen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland nicht mit gewaltsamen Mitteln herbeizuführen und sich in ihren Beziehungen mit der Sowjetunion an die in Art. 2 der UNO-Charta niedergelegten Grundsätze zu halten. Die Bundesrepublik Deutschland erhebt keine Gebietsansprüche gegenüber irgend jemand, wie sie schon in ihrem Memorandum vom 9. 4. 1968 erklärt hat. Sie wird weiterhin die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte hinsichtlich Berlins achten.Meine Damen und Herren, das ist etwas fundamental anderes als das, was jetzt betrieben wird. Da wird ein Friedensvertrag als Ziel bezeichnet, weil die Sowjetunion erklärt hatte, nur durch einen Friedensvertrag würden Art. 53 und 107 wirklich beseitigt. Da wird als Ziel bezeichnet, die Wiedervereinigung Deutschlands zu erreichen, und da wird gesagt, daß man die Grenzen für ganz Deutschland ändern wolle, aber mit friedlichen Mitteln. Das ist der Inhalt des Gewaltverzichtsvertragsentwurfs der Großen Koalition, — Außenminister Brandt.Auch hier ist also das Ziel des Grundgesetzes, die Wiedervereinigung, im Vertrag selbst bezeichnet. Nichts ist darin enthalten, was die Änderung der Grenzen und die Selbstbestimmung aller Deutschen heute oder morgen ausschlösse. Im Gegenteil! Die Entwürfe der jetzigen Bundesregierung sehen, im Gegensatz zu denen der Großen Koalition, das im Vertrag nicht vor.Sie können sich also, Herr Bundeskanzler, insoweit nicht auf die Kontinuität der Großen Koalition hier berufen.
Das gilt auch nicht für die anderen Dinge. Deshalb möchte ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, dies sagen: Unsere Alternative zu ihrer Politik, nach der Sie immer fragen, ist die kontinuierliche Fortentwicklung der in der Großen Koalition gemeinsam begonnenen Politik; ist die Politik, die Sie wesentlich zusammen mit Kiesinger formuliert haben; die wir gemeinsam den Wählern gegenüber vertreten haben; die Sie heute nicht mehr wahrhaben wollen. Wer das heute noch verteidigt und dafür „Nationalist" beschimpft wird, der muß Ihnen sagen: Wer das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen verteidigt, ist ein Demokrat und nicht ein Nationalist!
— Herr Kollege Wehner, zu Ihrem Zuruf, den der Herr Präsident eben offensichtlich überhört hat, kann ich Ihnen nur sagen — mein Kollege Wörner hat es heute sehr höflich und grundsätzlich gesagt; ich sage es Ihnen jetzt, weil das der dritte Zuruf dieser Art an meine Adresse ist —: Ich dachte, der Herbert Wehner aus dem Sächsischen Landtag wäre endgültig nicht mehr in diesem Hause.
Ich komme zum dritten Punkt. Der Herr Außenminister der Großen Koalition, Brandt, erklärte am 12. Juli 1968 — nachzulesen in der Dokumentation der Bundesregierung Kiesinger über den Gewaltverzicht —, die Sowjetunion beanspruche — ich zitiere wörtlich — „sogar das Recht, auch nach einem friedlichen gegenseitigen Gewaltverzicht einseitig Gewalt gegen den Partner des Gewaltverzichts anwenden zu können." Das ist ein wörtliches Zitat des Bundesaußenministers Brandt.Eben dieser Außenminister formulierte und verantwortete eine deutsche Note an die Sowjetunion vom 9. April 1968, in der es hieß, dieser einseitige Gewaltvorbehalt nach Abschluß eines solchen Vertrags würde einen Gewaltsverzichtsvertrag jeder praktischen Bedeutung entkleiden.Nun aber erklärt die Bundesregierung, welche dieser frühere Außenminister führt, sie wolle auf diesem Gebiet von der Sowjetunion nichts anderes erreichen als das, was auch die Westmächte uns gegenüber erklärt hätten. Herr Bundeskanzler, wenn wir dazu hier subtiler debattieren werden, werden wir die Londoner Schlußakte von 1954 — das ist die fundamentale Erklärung der Westmächte — in die Debatte einführen. Aber das Wenigste, was Sie erreichen müssen, wenn Ihre eigenen Aussagen stimmen, ist doch entweder die Selbstbestimmung ais das Ziel der Deutschen i m Vertrag, weil dann dargetan ist, daß diese Politik nicht „aggressiv" ist und Art. 53 in sich zusammenfällt, wie mein verehrter Kollege von Guttenberg gestern in einer öffentlichen Erklärung doch wohl unmißverständlich deutlich gemacht hat, oder Sie müssen mindestens das erreichen, was die britische Regierung — ich nenne bewußt die britische Regierung — am 28. November 1969 hierzu erklärt hat — ich zitiere —:Artikel 53 und 107 der Charta der VereintenNationen verleihen kein Recht zu einseitiger
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Dr. Barzelgewaltsamer Intervention in der Bundesrepublik Deutschland.Nur wenn Sie, Herr Bundeskanzler, eine solche eindeutige — nicht mehrdeutige — Erklärung oder das andere Materielle haben, das ich soeben nannte, können Sie in Ihrer Informationspolitik mit Recht den Eindruck erwecken, daß das Problem vom Tisch sei. Können Sie wirklich hier — vor diesem Hause — sagen, daß Herr Bahr eine solche Zusage von Herrn Gromyko in der Tasche habe, Herr Bundeskanzler?
Wenn Sie das nicht können, nenne ich eine Informationspolitik, die den gegenteiligen Eindruck erweckt, eben eine Fälschung.Viertens. Die Bundesregierung erweckt den Eindruck, als wolle sie durch ihre Politik in ganz Europa die Verhältnisse auflockern. Dieser Eindruck wird erweckt, obwohl die Bundesregierung weiß, daß es nicht zur Auflockerung, sondern zur Stärkung der Hegemonie der Sowjetunion führt, wenn diese Bundesregierung Verpflichtungen der Sowjetunion gegenüber eingeht, die doch, falls überhaupt, nur bilateral, also direkt, gegenüber der DDR, gegenüber Polen und der Tschechoslowakei sinnvoll eingegangen werden können und dürfen, wenn man wirklich von Hegemonie und Rivalitäten, von Blökken und Konfrontationen wegkommen will.Herr Bundeskanzler, wenn Sie solche Verpflichtungen in Moskau festschreiben, z. B. die Verpflichtung, sich mit der Tschechoslowakei zu einigen, wohl wissend, daß die Tschechoslowakei einen Vertrag mit der Sowjetunion hat, wonach das Münchener Abkommen ex tune ungültig ist,
so daß die Tschechoslowakei vertragsbrüchig würde, wenn sie mit uns etwas anderes beschlösse, ist das wieder ein Punkt Ihres Verbalismus,
und es wird wieder ein falscher Eindruck erweckt. Dann kann nämlich die Sowjetunion kommen und Sie interventionistisch fragen: Wo bleibt das Abkommen mit der Tschechoslowakei, wo bleibt das mit Polen, wo bleibt das mit der DDR? Schaffen Sie hier mehr Freiheit und Souveränität für die Bundesrepublik Deutschland oder mehr Einschränkung unseres eigenen Handlungsspielraums?
Ich sage das, weil nicht bestritten worden ist, daß diese Bundesregierung solche Verpflichtungen der Sowjetunion gegenüber einzugehen bereit ist. Also dient diese Politik nicht der Überwindung, sondern der Festigung der Frontstellung in und durch Deutschland und der Einschränkung des Handlungsspielraums der Ostpolitik dieser Bundesregierung. Sie wollen doch neben dem Vertrag noch Pflichten übernehmen, Herr Bundeskanzler. Warum ist das nicht Gegenstand Ihrer Informationspolitik?Fünftens. Niemand wird uns durch Vernebelung und durch Massenproduktion polemischer Papiere, den Blick auf die deutschen Interessen und auf dieGegenleistungen verstellen können. Wir sehen davon nichts.Wir werden weiterhin — insoweit sehe ich einige Erklärungen von Herrn Scheel, aber auch von Herrn Brandt aus den letzten Tagen als eine Annäherung an unseren Standpunkt an, worüber wir sehr froh sind — — Herr Wehner lacht, wenn ich von der Annäherung an unseren Standpunkt spreche. Ich weiß, Sie wollten die Gemeinsamkeit nicht; Sie haben sie auch kaputtgemacht, Herr Wehner.
Wir werden weiterhin die Festigung des freien Berlins als die unverzichtbare Basis für alles andere ansehen. Und dazu ist doch nichts Gutes zu hören. Statt dessen wird die Forderung nach der selbständigen politischen Einheit Berlin, und zwar im vollen selbständigen, staatlichen Sinne, vom Osten her immer lauter, — und das wohl auch in Konferenzräumen.Herr Bundeskanzler, Sie haben doch gelesen, was die Prawda auf das „Signal von Rom" geantwortet hat: das sei unrealistisch. Das hat vorgestern in der Debatte eine Rolle gespielt. Aber sie hat doch gefordert, realistisch und hilfreich sei allein das Festschreiben aller Realitäten, und dazu gehöre vor allem das politisch selbständige Berlin.Man muß doch wissen, daß die Sowjetunion eine gewisse eigene Interpretation der Formel von der Normalisierung der Lage nach den bestehenden Realitäten hat, der Sie doch zuzustimmen wünschen. Das bedeutet, nach sowjetischer Auffassung, doch bereits das Bestehen West-Berlins als selbständiger politischer Einheit. Ich denke, der Bundesregierung wird, wie uns, die Erklärung Gromykos vor dem Obersten Sowjet vom 10. Juli 1969 zu dieser Frage bekannt sein.Herr Bundeskanzler, wenn Sie glauben sollten —wie der Verlautbarung Ihrer Fraktion über Ihre Mitteilung vor Ihrer Fraktion zu entnehmen ist —, daß man nach dem Vorbild des Sperrvertrages —darauf haben Sie nicht verwiesen — doch eine gewisse Zeit setzen könnte zwischen den Unterschriften in den einzelnen Bereichen, in denen Sie tätig sind, und der Gesamtratifikation all dieser Dinge — das scheint doch Ihre Überlegung zu sein, wenn Worte, die Sie dort gesprochen haben, recht verständlich sind —, dann möchte ich doch daran erinnern, daß dieser Unterschied zwischen Unterschrift und Ratifikation uns beim Sperrvertrag nicht geholfen, sondern geschadet hat. Dieser Unterschied hat nur dazu geführt, Euratom zu gefährden, statt das vorher zu sichern. Deshalb würde ich doch hier sehr herzlich bitten, Herr Bundeskanzler — und dies ist die fundamentale Position der CDU/CSU —, zuerst das freie Berlin zu sichern und vorher auch andere Unterschriften nicht zu leisten.
Sechstens und letztens. Die Pamphletisten von denen ich sprach, dieses Kollektiv, behaupten anonym, wir wollten gar kein Abkommen mit der Sowjetunion, wir seien für Alles oder Nichts usw. Wahr ist, daß unsere Position ganz anders ist. Ich verlese
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Dr. Barzelhier deshalb — ich tue dies bewußt zu dieser Stunde, vor der Abstimmung über den Haushalt des Kanzlers und vor der Entscheidung im Kabinett heute abend über diese Frage —:Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU hat am 26. Mai ihre Position einstimmig wie folgt bezogen:Die Fraktion der CDU/CSU hat der Aufnahme von Gesprächen der Bundesregierung mit den Regierungen in Moskau, Warschau und Ost-Berlin unter der Voraussetzung zugestimmt, daß sie nach Vorbereitung und Durchführung eine Verbesserung der Beziehungen, eine Minderung bestehender Spannungen und Verbesserungen für die Menschen erwarten lassen. In solchen Gesprächen wird die Fraktion die Fortsetzung der durch die früheren Bundesregierungen unter den Kanzlern Adenauer, Erhard und Kiesinger verfolgten Politik sehen.Der Verlauf der Kasseler Begegnung erfüllt diese Voraussetzung nicht.Die Fraktion der CDU/CSU lehnt eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR und eine Politik, die trotz gegenteiliger Beteuerung praktisch zur Anerkennung führt, ab, weil sie unserer Forderung nach Selbstbestimmungsrecht, nach menschlichen und politischen Grundrechten für die dort lebenden Deutschen entgegenstehen würde.Grundlage unserer Politik kann nur die Sicherung unserer Freiheit durch die feste Verankerung der Bundesrepublik Deutschland im Nordatlantischen Bündnis und in den Europäischen Gemeinschaften sein. Ziel unserer Politik bleibt die Weiterentwicklung zum europäischen Bundesstaat.Die CDU CSU-Fraktion unterstützt das Bemühen um den Abschluß von Gewaltverzichtsvereinbarungen mit Moskau, Warschau und Ost-Berlin. Gewaltverzicht und Aufrechterhaltung der sowjetischen Gewaltvorbehalte schließen sich jedoch aus.Die Festlegung von Grenzen bleibt einem frei vereinbarten Friedensvertrag mit Deutschland vorbehalten. Die CDU/CSU-Fraktion wird sich daher jeder Vorwegnahme von materiellen Grenzregelungen widersetzen.Sie unterstützt die Verhandlungen zwischen den drei Westmächten und der Sowjetunion mit dem Ziel, die Lage des freien Berlin und seiner Bewohner unter Wahrung des Viermächtestatus für ganz Berlin und der gewachsenen Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik zu festigen.In diesen Verhandlungen sieht die Fraktion einen entscheidenden Prüfstein für die Bereitschaft der Sowjetunion, auch ihrerseits einen Beitrag zur Entspannung zu leisten. Fortschritte in der Berlinfrage sind Voraussetzungen für vertragliche Regelungen mit der Sowjetunion.
So weit unsere Politik.
Das gehörte in diese Erklärung, weil, wie ich hoffe, Sie, Herr Bundeskanzler, Ihren Einfluß darauf verwenden werden, daß diese Antwort auf die Polemik auch im Bulletin voll erscheint.
Wir hatten Ihnen, Herr Bundeskanzler, bei Ihrem Amtsantritt eine glückliche Hand gewünscht. Wir stellen heute fest, daß Sie diese glückliche Hand im Umgang mit dem Parlament, im Umgang mit den Fakten, im Umgang mit der Wahrheit, im Umgang mit den Reformen und im Umgang mit der Wahrung der Interessen des ganzen Deutschlands nicht hatten. Wir werden deshalb Ihrem Haushalt die Zustimmung auch politisch verweigern.
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Barzel hat davon gesprochen, daß Nebel über die Politik dieser Regierung verbreitet worden sei. Er hat damit den Eindruck erwecken wollen, die Grundsätze, nach denen diese Regierung angetreten ist, seien nicht bekannt. In der Regierungserklärung, in der Antwort der Regierung auf Ihre Große Anfrage und in der Debatte vor zehn Tagen hat der Bundesaußenminister all das dargelegt, was an Grundsätzen bei den Verhandlungen dieser Regierung mit den Staaten des Warschauer Paktes von uns beachtet wird. Dabei bleibt es. Das ist unsere Ausgangsbasis. Wir lehnen es einfach ab, in einem Stadium, wo die Prüfung der Vorschläge noch nicht abgeschlossen ist, hier im Plenum wider jeden internationalen Brauch in Einzeldiskussionen über mögliche Vereinbarungen einzutreten.
Diese Methode, hier durch immer wieder gleiche Fragen, durch fortwährendes Infragestellen, ob die Grundlagen dieser Politik die gleichen geblieben seien, zu versuchen, das eine oder andere vielleicht noch an zusätzlicher öffentlicher Diskussion zu erzwingen, schadet den Verhandlungen und nützt ihnen nicht. Sie schaden damit den möglichen Abkommen, und Sie nützen ihnen nicht mit Ihrer Politik.
Heute wurde von dem Kollegen Barzel wieder gesagt, diese Politik diene nicht der Überwindung, sondern der Festigung der Spaltung. Sie maßen sich ein Urteil an, bevor die Gespräche überhaupt abgeschlossen sind, und treiben damit eine Politik einer Art, die draußen wieder Angst erwecken soll, draußen wieder eine Psychose erwecken soll, wie Sie es in der Vergangenheit über Jahrzehnte hin getan haben.
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3012 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Mischnick, habe ich richtig gelesen, daß Sie zum 30. Mai in einem Interview mit dem Hessischen Rundfunk die Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser vorgesehenen Abmachungen aufgeworfen haben?
Herr Kollege Barzel, auf diese Frage habe ich gewartet. Es ist wieder genau dasselbe passiert — wie vor wenigen Tagen — mit der Zitierung dessen, was ich im Hessischen Rundfunk gesagt habe, wie heute vormittag durch Herrn Kollegen Stoltenberg mit den Äußerungen von Herrn Dahrendorf. Ich habe in dem Interview gesagt: wie bei jedem Vertrag, der abgeschlossen und ratifiziert werden muß, muß die Verfassungsmäßigkeit geprüft werden. Das braucht Zeit. Das kann man nicht von heute auf morgen machen. — Nichts anderes.
Ich habe weder eine Wertung des Ob noch etwas anderes zum Ausdruck gebracht. Diese Prüfung erfolgt, das wissen Sie ganz genau. Aber Sie haben hier den Eindruck erwecken wollen, als hätte ich Zweifel in die Verfassungsmäßigkeit gesetzt. Genau das ist nicht der Fall gewesen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege Mischnick, haben Sie schon ein Ergebnis Ihrer Überprüfung feststellen können?
Aber lieber Herr Kollege Barzel! Zunächst einmal auf die Frage, warum ich überhaupt etwas gesagt habe: weil die Frage danach an mich gerichtet worden ist.
Zum zweiten. Das Ergebnis kann natürlich erst vorliegen, wenn alles im einzelnen diskutiert worden ist. Sie wissen ganz genau, daß das Kabinett darüber diskutieren und die Sachverhalte prüfen wird. Die Koalitionsfraktionen werden gemeinsam nach Abschluß aller Prüfungen tragen, was sie im Interesse des deutschen Volkes für notwendig halten. Ob Sie bereit sind, das mit zu tragen, wird sich dann herausstellen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es sind noch eine ganze Reihe anderer Punkte im Laufe der Vormittagsdebatte und auch in den letzten Tagen
gebracht worden, zu denen ich hier noch einige wenige Bemerkungen machen könnte.
Es ist durch das, was Sie, Herr Kollege Barzel, zum Schluß sagten — dafür habe ich Verständnis —, versucht worden, ein wenig darüber hinwegzugehen, daß wir Ihnen mehrfach nachweisen konnten, wie widersprüchlich Ihre Politik als Opposition in diesem Hause ist, besonders wenn es um den gesamten Haushalt geht. Wir haben Sie darauf hingewiesen, daß aus Ihren eigenen Reihen während dieser Debatte Anregungen, Verlangen nach mehr Ausgaben gekommen sind. Ich denke an den Kollegen Zimmermann, der die Erhöhung des Wehretats forderte. Sie kritisieren, daß wir kürzen. Gleichzeitig machen Sie dieser Regierung den Vorwurf, sie habe nicht genügend gekürzt. Als ich eben hier heraufging, erhielt ich wieder einen Änderungsantrag aus Ihrer Fraktion — ich muß korrekt sagen, von Kollegen Ihrer Fraktion, nicht der Gesamtfraktion —, wo Sie Verbesserungen im Bundesversorgungsgesetz vornehmen und damit Mehrausgaben beschließen wollen. Herr Kollege Barzel, genau die gleiche Masche haben wir früher in unserer gemeinsamen Koalition erlebt. Die Fraktionsführung sagt: Wir sind gemeinsam der Auffassung, daß hier eine Politik der Sparsamkeit getrieben werden muß. Gleichzeitig werden aus den Reihen ihrer eigenen Fraktion Änderungsanträge eingebracht, mit denen man hinausgeht und draußen sagt: wir, die CDU, wir wären aber bereit gewesen, das zu tun. — Sie widersprechen sich am laufenden Band und behaupten dann, diese Regierung sei handlungsunfähig. Sie sind handlungsunfähig, weil Sie auseinanderfallen.
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage? —
Bitte schön!
Herr Kollege Mischnick, würden Sie mir einmal gütigst sagen, welche Beweggründe Ihre Fraktion hatte, beim Mehrwertsteuergesetz etwa in extremer Weise so zu verfahren, wie Sie es eben gegeißelt haben? Würden Sie das gütigst in Ihre Betrachtungen einbeziehen!
Ich möchte wissen, was Sie jetzt meinen, was wir beim Mehrwertsteuergesetz hier in den letzten sieben Monaten beschlossen haben. Es ist überhaupt nichts dazu beschlossen worden. Ich weiß, daß wir, als das Mehrwertsteuergesetz beraten wurde, eine Reihe von Änderungsanträgen gestellt haben. Wir haben damals aber nicht die Behauptung aufgestellt, wir wollten nichts ändern, und haben dann doch Änderungsanträge eingebracht. Das ist doch der Unterschied.
Sie stellen sich heute hin und sagen, diese Regierung habe die Reformen noch nicht durchgesetzt. Ja, mein verehrter Kollege Dr. —
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3013
Mischnick— Sie meinen, die Reformen seien noch nicht einmal in Gedanken angefangen? Ich kann Ihnen nur sagen, es wäre erstaunlich, wenn Ihr sonst so gut funktionierender Informationsdienst aus vielen alten Verbindungen heraus in diesen Fällen plötzlich versagt haben sollte. Daß die Reformen nicht nur im Gedankenansatz, sondern schon zum großen Teil in entsprechenden Entwürfen da sind, wissen Sie. Sie selbst haben versucht, entsprechende Vorlagen schnell im Plenum einzubringen und damit der Regierung zuvorzukommen. Das ist doch der beste Beweis dafür, daß die Regierung dabei ist, entsprechende Reformen auszuarbeiten.
Ich möchte Ihnen nur empfehlen, hier einmal klarzustellen, wie ernst Sie eigentlich das nehmen, was Ihr Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen, unser Kollege Köppler, sagt:Heinrich Köppler verspricht nicht, das alles von heute auf morgen zu schaffen. Dazu sind die Aufgaben zu schwer.Wenn es darum geht, bei den Wählern in diesem Lande Ihren Regierungsanspruch zu erheben, sagen Sie, es gehe nicht von heute auf morgen. Von dieser Regierung erwarten Sie, daß sie in sieben Monaten alle Reformen nachholt, die Sie nicht zustande gebracht haben.
— Lieber Herr Kollege Wörner, die Regierungserklärung kenne ich sehr genau. Darin steht aber nicht, daß die Reformen bis zum Mai/Juni 1970 durchgeführt sein sollen.
Es sind viel mehr Termine genannt worden, wonach monatlich bis heute bestimmte Sachtermine behandelt wurden, außer dem Umtausch Juni/Mai
— wieso „Aha"? —, als nämlich das Weißbuch und die Vorlage des Bildungsberichtes ausgetauscht wurden. Der Bildungsbericht kommt in den nächsten Tagen. Ich kann mich noch sehr genau erinnern, wie aus Ihren Reihen der Vorwurf kam, der Bundesverteidigungsminister habe — bei der NATO-Tagung war es, glaube ich — gewisse Gesichtspunkte dargelegt, die er nicht hier im Hause vorgetragen habe. Deshalb haben wir gesagt: Das Weißbuch so bald wie möglich her, damit diese Dinge behandelt werden können.Sie können nicht auf der einen Seite ständig draußen kritisieren, jede Meinungsäußerung sei verfrüht, wenn sie nicht vorher im Parlament gemacht sei, und, wenn wir das dann entsprechend tun, wieder behaupten, wir hielten nie unseren ProgrammFahrplan ein.
— Lieber Herr Dr. Wörner, das müssen Sie doch aus Ihrer eigenen Regierungszeit wissen, daß die Fraktionen, die eine Regierung tragen, im allgemeinen im Plenum keine Konzeption für die Regierungsarbeit entwickeln müssen. Wir mußten das in der Koalition mit Ihnen allerdings manchmal tun, weil Sie nicht bereit waren, auf unsere Anregungen einzugehen. Das war der Unterschied. Heute ist das anders.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Schluß noch feststellen: Diese Debatte über den Bundeskanzleretat war von seiten der CDU/CSU als die große Auseinandersetzung angekündigt worden. Wenn ich daran denke, daß in München sogar von Ihnen, Herr Kollege Barzel, gesagt worden ist, diese Regierung müsse so schnell wie möglich gestürzt werden und auf eine Frage geantwortet wurde, möglichst noch in diesem Jahr, dann muß ich mich fragen, wo bleiben denn eigentlich neben den sachlichen Alternativen, die Sie bis zur Stunde nicht zustande gebracht haben, Ihre personellen Alternativen. Sie schaffen es ja nicht einmal, früh sich auf einen Redner zu einigen, und müssen dann versuchen, hier eine Ersatzlösung zu finden, weil Sie Angst haben, der eine oder andere könnte damit als Kanzlerkandidat herausgestellt werden. Lösen Sie erst einmal das, dann können Sie über Regierungsverantwortung reden!
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, sich bei der Haushaltsplanberatung und bei diesem Einzelplan das zunutze gemacht hätten, was es an Umbauten, an Umstellungen und Veränderungen im Bundeskanzleramt gibt, hätte das eine interessante Debatte geben können über moderne Regierungserfordernisse und modernen Regierungsstil. Sie haben eine andere, eine völlig andere Art gewählt, Sie haben einen anderen Grundakkord angeschlagen, etwa so: Diese Bundesregierung übe sich finanziell in Verschwendung und politisch in einer Art von Hochstapelei. Das haben Sie hier dargestellt. Ich muß sagen, es ist schade, daß Sie, die Sie von sich sagen, Sie seien die Opposition in diesem Hause, nicht alternativ geworden sind, sondern nur destruktiv.
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3014 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
WehnerSie werden aber, meine Damen und Herren, wenn überhaupt, nur kurzfristig Freude daran haben. Ich möchte im Sinne dessen, was das Sprichwort sagt, sagen: Ihre Behauptungen haben kurze Beine, oder ins Politische übertragen: CDU/CSU haben kurze Beine. Sie kennen das Sprichwort. Es wird auch in das Bewußtsein des Volkes eingehen, daß das synonym ist für das, was sonst da steht.Die Bundesregieung hält ihr Arbeitsprogramm ein. Wir sind damit stark befaßt. Wir haben häufig Mühe, die Zeiten für Ausschußsitzungen herauszubekommen, weil wir gleichzeitig das Pensum mit zu bewältigen haben und die Regierung das vorher zu leisten hat, Ihre sehr umfangreichen Großen Anfragen — sie sind groß im Umfang, sonst nicht — zu beantworten.
Meine Damen und Herren, hier debattieren wir Monat für Monat über das, was die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung angekündigt hat, sie werde im Januar, im Februar — so geht es bis zum Dezember — die verschiedenen Aufgaben anpacken. Die Bundesregierung hat das bisher genau und pünktlich eingehalten. Sie treten hier auf mit der Frage, wo denn die Bundesregierung etwas getan habe. Dabei stimmen Sie mit, d. h. zuerst dagegen, und nachdem Sie einige Zeit dagegengestimmt haben, wie bei dem Kriegsopfer- und Hinterbliebenenversorgungsgesetz, schließen Sie sich am Ende an, hoffen schließlich, daß irgendwo noch der Bundesrat — wo Sie es noch machen können — die hier rechtens zustande gekommenen Mehrheitsbeschlüsse blockiert.
Das ist Ihre Rolle.
Wir haben den Landwirtschaftsbericht pünktlich vorgelegt. Wir haben dabei zum ersten Mal auf diesem schwierigen Gebiet eine soziale Komponente stark hervortreten lassen. Wir haben uns an das Versprochene gehalten. Das hat dann den von Ihnen geführten Landesregierungen so gut gefallen, daß sie sich dieses Gesetz mit dem Ausgleich von 920 Millionen DM schließlich selbst an den Hut stecken wollten, damit die Leute denken, Sie hätten das gemacht.
Vorher wollten Sie eine „Grüne Straße" mobilisieren. Das juckte Sie im Winter. Die Bauern waren vernünftiger als Sie.
Wir haben den Sozialbericht hier erörtert. Sie hatten gedacht, man könnte ihn so allmählich vergammeln lassen. Es ärgert Sie nun, daß der Sozialbericht unter das Volk kommt. Es ist gut, daß die Leute, die mitreden wollen, wissen, worauf man Anspruch hat, was man zu erwarten hat, was weiter wird.
— Nein, das war auch „nichts Neues". Für Sie ist alles nicht neu, was Sie nicht selbst nachgemacht haben.
Wir haben hier den Strukturbericht diskutiert. Aber Sie stricken und häkeln
weiter an der Legende, daß der Termin für den Bildungsbericht hinausgeschoben werde, nicht wegen des Wissenschaftsrates,
sondern weil das Konzept fehle. Und in ein paar Tagen ist Ihr Windei wieder geplatzt; denn dann liegt der Bericht vor. Dann werden wir sehen: Es ist zwar kein Wunder, aber das ist genau das, was man bei der Verantwortung und bei den Zuständigkeiten dieser Regierung und ihrer Mehrheit jetzt machen kann und machen muß.
Übrigens passen Ihre Vermutungen immer schlechter zusammen. In derselben Debatte ist gesagt worden: Ach, die Sache mit dem Weißbuch; da habt Ihr wohl etwas machen wollen, damit der Parteitag es nicht richtig und rechtzeitig erfährt. Aber zwischen dem Weißbuch zu den Verteidigungsfragen und dem Wissenschafts- und Bildungsbericht gab es nur einen Austausch: das eine in dem einen Monat, das andere in dem anderen Monat. Ihre Vermutungen sind in der Regel aus der Luft gegriffen.
— Nein, Sie halten ganz ,andere,
und was für welche: aus einer stickigen Luft, in der Sie sich wohler fühlen als dort, wo man über die Sache redet.
Was soll man denn über Ihr Niveau und Ihre Fähigkeit zur sachlichen Diskussion sagen,
wenn Sie z. B. erklären — wie heute Ihr Hauptredner —, die Bundesregierung habe mit viel propagandistischem Geschick und hohen Steuergeldern den Leuten nur Sand in die Augen zu streuen versucht. Es ist ungeheuerlich, was Sie sich herausnehmen, Sie, aus deren Reihen einmal der Plan kam, ein Propagandaministerium nach bewährtem Muster unter Lenz zu errichten, weil Sie auch noch
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3015
Wehnerdie Erbfolge davon haben wollten, und andere solche Dinge.
Sehen Sie, die CDU/CSU, die sich als „Opposition" bezeichnen will, verlangt am Mittwoch — um bei der Sache zu bleiben — die Streichung aller Mittel aus den Einzelplänen, z. B. für die Krebsaufklärung und andere wichtige Punkte in der Gesundheitsvorsorge, um dann am Donnerstag in der Fragestunde
zu drängen und zu fragen, warum ,dafür denn nicht mehr geschehe. Bringen Sie erst einmal Ihre eigenen Gedanken — falls man das Gedanken nennen kann — in Ordnung, dann können wir weiterreden.
Sie werden doch wohl nicht ernsthaft annehmen, daß man auf dem Niveau, das Sie hier in den Fragen erster Ordnung einzuführen belieben, miteinander sprechen kann?!
So ist das in allen Einzelplänen, das wissen die Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses, und das haben wir auch hier im Plenum noch einmal in einer neuen Auflage erlebt. Sie geben sich der Lust hin, unverantwortlich über Inflation, über Geldentwertung zu reden, um Leute zu schrecken. Das tun Sie ganz systematisch. Das ist ein politisches Rezept.
Das ist aber kurzlebig. Sie zielen dabei immer nur auf den Schlitz am 14. Juni, auf nichts anderes.
Danach werden Sie aber dastehen — wir werden Sie dann ja wiedersehen — wie Leute, die vergessen möchten, was vorgestern von ihnen selber gesagt worden ist.
— Sie haben alle geredet, und Sie bringen mich hier nicht aus dem Konzept.Sie wollen mit dem, was Sie da zusammenkleistern, mit dem Inflationsgerede, etwas suggerieren, wovon Sie sich Stimmungs- und Stimmengewinn erhoffen. Das ist alles!
Sie machen und betreiben das in dieser Weise. Sie schlagen Schaum.
Diejenigen unter Ihnen, die denken — solche gibt es ja auch —, wissen ganz genau, daß dieser Schaum nicht lange hält.
Dazu ist Ihre Flüssigkeit und auch Ihre Potenz nicht stark genug, aber immerhin, bis zum 14. Juni, so meinen Sie, reicht es, und dann werden wir einmal weitersehen.
Wissen Sie, was Sie wollen?
Die Bundesregierung und wir, die wir für sie stehen, sollen in den von Ihnen produzierten Stacheldrahtverhauen „Inflation", „Ausverkauf", „Verzicht", „Landesverrat" hängenbleiben und, um in Ihrem Jargon zu bleiben, zur Strecke gebracht werden. Das ist der ganze Gehalt, den diese Ihre Stacheldrahtproduktionen haben.
Und dann gehen Sie in derselben Sitzung hin — ich bewundere Ihre Art, Krokodilstränen quetschen zu können, ohne daß man immer ganz genau merkt, wie Sie quetschen —(Heiterkeit bei den Regierungsparteien. —Lachen bei der CDU/CSU)und sagen, der Bundeskanzler sei doch eigentlich berufen, zu sagen und dafür zu sorgen, daß die Gegensätze nicht zu einer Kluft werden. Das sagen Sie, die Sie von der Kluft leben, die Sie nur mit dem Graben leben können; anders können Sie ja gar nicht leben!
Es ist eine Schmach, daß es in diesem Hause möglich war, daß der erste Sprecher der Fraktion, die von sich gerne sagen läßt, sie sei die stärkste,
im Zusammenhang mit einer Summe des Haushalts des Bundeskanzlers davon sprach, für das Privatvergnügen des Bundeskanzlers, auf dem Venusberg zu wohnen, seien soundso viel Mittel für Sicherungsmaßnahmen eingesetzt.
Meine Damen und Herren, Sie erzeugen ein Klima — manche unter Ihnen, nicht alle, tun das sogar ganz bewußt —, das Rechtsextremisten und deren Instinkte, diese geistige und schließlich auch einmal
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3016 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Wehner— das werden wir erleben — physische Mordlust, begünstigt.
Wenn Sie nicht daran gehindert werden, werden die Opfer diejenigen sein, die Sie verunglimpfen und verdächtigen.
Meine Damen und Herren, wer gemeint hat — auch ich habe das gemeint —, die Arbeit in Bundestag und Bundesregierung, auch eine zeitweilige gemeinsame Arbeit, werde zur Versachlichung der Beurteilung des innenpolitischen Gegners führen,
muß jetzt erkennen, daß Sie, was Sie selbst betrifft, dieselben geblieben sind, die Sie vorher im Verhältnis zu anderen, die sich Ihnen nicht fügen wollten, gewesen sind. Das ist leider wahr.
Sie waren ja auch bereit und dabei, den staatspolitisch unverzeihlichen Fehler zu begehen, bei der Bundespräsidentenwahl am 5. März 1969 lieber Ihren Kandidaten mit den Stimmen der NPD wählen zu lassen, als hinzunehmen, daß ein Sozialdemokrat dieses Amt übernimmt.
Das ist Ihre Schlagseite! Und diese Bundesrepublik wäre innen- und außenpolitisch in eine katastrophale Entwicklung gekommen, wenn Ihnen damals dieser unverzeihliche, staatspolitisch unverzeihliche Fehler geglückt wäre!
Meine Damen und Herren, nach der Einlassung von Herrn Barzel — einmal durch seine Frage und zum anderen durch das, was er hier am Schluß an diskutablen, zu beachtenden, aber heute hier völlig falsch placierten Ausführungen gemacht hat — habe ich noch zweierlei zu sagen.Der Herr Dr. Barzel hat gerügt, daß der Bundesgeschäftsführer der SPD gewisse Informationen hat und daraus Schlußfolgerungen zieht, und er sagt, wir bemühten uns, Informationen über die Zusammenkünfte anderer zu bekommen. Als habe es hier in Bonn kein System Globke und keine Rufmordpraxis mit Dossiers und Gerüchten gegeben!
— Als habe es hier, Herr Stücklen, kein System Globke und keine Rufmordpraxis mit System und mit Dossiers gegeben!
Ich habe dazu nur zu sagen: Mir persönlich, HerrStücklen, tut es leid, daß die Höflichkeit derNachfolger-Bundesregierung, die wir jetzt haben, im Bundeskanzleramt so weit geht, den Deckel über diese Praktiken nicht zu lüpfen. Das tut mir leid; denn dann wäre manches einfacher auszutragen, und es wäre Ihnen noch sehr viel schwerer, in manchen Sachen Versteck zu spielen und den feinen Max zu spielen!
Zum Schluß zu der politischen Einlassung. In Berlin war es die CDU, als sie Koalitionspartner der SPD dort war, die den Regierenden Bürgermeister seinerzeit hinderte, das Gespräch mit dem damaligen Ministerpräsidenten der Sowjetunion zu führen. Sie haben eine ganze Szenenserie aufgeführt, um das zu verhindern. Es ist Ihnen damals leider gelungen. Jetzt möchten Sie als Opposition hier den Bundeskanzler daran hindern, zu tun, was der Bundeskanzler und seine Bundesregierung tun müssen, damit wir, Bundesrepublik, Partner im Bemühen um die Friedensordnung in Europa sein können.Das geht nicht, ohne daß man die Voraussetzungen dafür schafft. Das geht nicht nur mit Erklärungen, mit Behauptungen und mit Deklarationen. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU — ich sage es zu den paar, die hiergeblieben sind — —
— Fragen Sie die doch! Das kann doch ich nicht wissen; entschuldigen Sie mal!
Machen Sie das hinterher in einer Sitzung aus, aber doch nicht mit mir; ich habe die doch nicht dirigiert!
Sie werden doch nicht sagen, die hätten vor mir Angst gehabt! Es sind doch gestandene Damen und Herren. Nein, Sie sind in diesen Fragen eigentlich immer nur stark im Verhindern gewesen!
Sie waren immer nur stark im Verhindern. Aber Sie täuschen sich, wenn Sie annehmen, es sei noch Ihre eigene Zeit. Die hat sich geändert.Meine Damen und Herren, daß Sie den Einzelplan 04 ablehnen, versteht sich politisch. Daß Sie es mit Schmähungen tun,
tut mir leid, aber das kennzeichnet Sie und sonst nichts.Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
Das Wort hat der Abgeordnete von Wrangel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche hier,
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3017
Baron von Wrangelobwohl meine Fraktion ausgezogen ist, Herr Kollege Wehner, und weil Sie, glaube ich, etwas getan haben, was man hier nicht tun darf. Sie haben den Graben vertieft, und Sie hatten, wie Herr Kollege Wörner Ihnen bescheinigte, in diesem Hause eine große Reputation
und wurden von vielen von uns, auch von den Jüngeren, als Politiker geachtet. Aber gerade diese Reputation erlaubt es Ihnen nicht und ist auch kein Freibrief, uns zu schmähen, wie Sie dies mit dem Wort „Mordlust" soeben getan haben.
Herr Kollege Wehner, Sie haben damit doch eben jene Nachbarschaft, von der in diesem Parlament die Rede gewesen ist und die von dieser Regierung so oft beschworen wird, in dieser Stunde für meine Begriffe — ich muß es so sagen — in schamloser Weise verletzt.
Die CDU, CSU-Bundestagsfraktion wird sich auf dieses Niveau der Diskussion nicht begeben, Herr Kollege Wehner, auf dieses Niveau bestimmt nicht!
Ich glaube auch, daß Sie es eines Tages im Hinblick darauf, daß die Bundesrepublik Deutschland auf die Dauer Gewicht als Verhandlungspartner in der Welt haben sollte, bereuen werden, daß Sie so leichtfertig diese Gemeinsamkeit aus parteitaktischen Gründen aufgekündigt haben.
Sie haben darüber hinaus hier vom Sprichwort und von den kurzen Beinen gesprochen. Wir haben heute, was das anlangt, vom Bundeskanzler und von Herrn Wischnewski eine besondere Lektion erhalten. Ich glaube, solche Lektionen brauchten Sie uns wirklich nicht zu geben.
Ich möchte noch hinzufügen, daß wir gerade nach Ihrer Rede, Herr Kollege Wehner, und nach den Antworten, die wir auf die sachbezogenen Fragen von Herrn Dr. Barzel auch heute erhalten haben, besorgt darüber sind, daß diese unsere Demokratie mehr und mehr unter der Macht einer Barackenbürokratie der SPD zu leiden beginnt.
— Herr Kollege Apel,
es gehört offenbar zu den neuen Methoden der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, die Staatsräson immer dann zu beschwören, wenn dieser Regierung irgend etwas unbequem ist. Dies aber verstehen wir nicht darunter, wenn wir von mehr Demokratie reden und sachbezogene Diskussion in diesem Parlament meinen.
Darüber kommen Sie auch nicht mit selbstgefälligen Reden und auch nicht mit Schmähungen hinweg. — Herr Kollege Apel, darüber kommen Sie auch nicht hinweg, wenn Sie den Versuch machen, durch Lautstärke das zu überbrücken, was Ihnen leider an sachlichen Aussagen zu den Fragen, die wir gestellt haben, gefehlt hat.Meine Damen und Herren, ich möchte in dieser Minute für meine Fraktion eigentlich nur sagen, daß wir den Versuch machen wollten — dies ist geschehen —, diese Regierung zu bitten, dringende Fragen, die dieses Volk bewegen, endlich einmal zu beantworten und die Karten auf den Tisch zu legen. Dies ist wieder nicht geschehen.
Statt dessen erhielten wir keine Antworten und eine Schmährede, die in die Geschichte dieses Parlaments eingehen wird als eine Rede, die viel Schaden angerichtet hat und bestimmt nichts zum Guten wenden konnte.
Das Wort hat der Abgeordnete Wienand.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege von Wrangel erklärte hier am Schluß seiner Ausführungen, als Antwort auf die gestellten Fragen sei eine Schmährede erfolgt.
Wir sollten doch wenigstens zum Abschluß dieser Debatte einmal den Versuch unternehmen, Herr Kollege von Wrangel,
nicht nur so zu tun, als seien Fragen offengeblieben,
wie es hier durch fast alle Ihre Redner getan worden ist. Wir sollten in diesem Hause vielmehr den ernsthaften Versuch unternehmen, ein Resümee aus dem zu ziehen, was beantwortet worden ist, und was von Ihnen, sei es, weil sie prinzipiell anders denken wollen oder nicht anders denken können, nicht zur Kenntnis genommen worden ist.
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3018 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Wienand1 Wir haben das gestern morgen in der Konjunkturdebatte erlebt, als der Bundesfinanzminister z. B. die 2 Milliarden DM aufgeschlüsselt hat. Ungeachtet der zweiten Rede und der Veröffentlichungen des Bundesfinanzministers hat dann der nachfolgende Sprecher Ihrer Fraktion, der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, der sachverständige Kollege Leicht, der Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium war, hier so gesprochen, als hätte der Bundesfinanzminister nicht zwei- oder dreimal geredet und als hätte sich der Haushaltsausschuß nicht wochen- und monatelang mit dieser Materie befaßt.
Was ist denn das für ein Beispiel, und was verlangen Sie dann noch an Antworten sachbezogener Art, wenn Sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen oder können, was an Antworten von der Regierung oder von den Sprechern der Koalitionsparteien hier gegeben wird?
Ich will ein anderes Beispiel bringen. Wir haben hier lang und breit über das Weißbuch diskutiert. Der Bundesverteidigungsminister hat zu allen Fragen Rede und Antwort gestanden, bis zu den Fragen, bei denen auch Sie in der internen Beratung, ) wenn wir mit den einzelnen Sachverständigen Ihrer Fraktion unter vier Augen sprechen, zugeben, daß in der Tat die Zeit noch nicht reif für Entscheidungen ist, wenn es nicht Fehlentscheidungen werden sollen. Sie benutzen, obwohl sie das mit Sachverstand zugeben, hier in der Polemik Argumente, als würden keine Antworten gegeben oder als seien sie bar jeglichen Sachverstandes.
Ich will nicht die Vergangenheit beschwören. Es ließe sich sehr viel über Stil in diesem Hause sagen. Ich will nur ein Beispiel aus meiner Erinnerung anführen; das ist der einzige Ordnungsruf, den ich in siebzehn Jahren Parlamentstätigkeit bekommen habe und der mir noch in Erinnerung ist, nämlich als der vorhin so viel beschworene Bundeskanzler Adenauer aus ganz anderem Anlaß zitiert wurde und er etwas in die Debatte hier einführte, was mit Scharley und Schroth bezeichnet worden ist und was ich als Entgleisung zu nehmen bereit war, aber nicht mehr von dem Augenblick an, als er dann ohne mit der Wimper zu zucken, noch nicht einmal leidenschaftlich, sondern in der ihm eigenen Unterkühltheit, sagte: „Wenn Sie das geschmerzt hat, lernen Sie daraus! Ich nehme nichts zurück". Und er rehabilitierte diese Männer nicht, und einer ist darüber ins Grab gegangen.
Wenn das alles beschworen werden soll und wir von Schmähungen hin und her reden, dann solltees einmal ein Aufwaschen geben, und es sollte einmal ein Schlußstrich gezogen werden, und dann sollten wir uns sachbezogen und zukunftsorientiert unterhalten und nicht immer wieder Geisterbeschwörungen vornehmen.
Wenn Sie hier zur Außen- und Ostpolitik immer wieder erneute Fragen stellen, auch Herr Kollege Dr. Barzel, so von mir eine persönliche Antwort darauf. Ich habe in der Opposition Informationen aus dem engen Bereich, für den ich Verantwortung hatte — im Verteidigungsausschuß — zu schätzen gewußt. Ich habe nie Mißbrauch damit getrieben.
— Lassen Sie mich doch bitte ausreden, Herr Kollege van Delden. Ich habe zwar in einem Fall erlebt, daß ich um eine persönliche, vertraulich zu haltende Unterredung gebeten worden bin, die dann nachher, weil man genau wußte, daß ich mich daran hielt, hier im Bundestag in die Debatte eingeführt wurde, und ich stand vor meinen eigenen Freunden da wie einer, der mit gezinkten Karten spielt.
Auch das habe ich von dieser Seite des Hauses erlebt. Aber sosehr ich für die Informationen in dieser Zeit dankbar war, sosehr bin ich während der Großen Koalition dafür eingetreten, die FDP in der Opposition in diese Informationen einzubeziehen, und so sehr bin ich jetzt bei dieser Koalition dafür eingetreten.Aber, Herr Kollege Dr. Barzel, Sie wissen genauso gut wie ich, daß eine ganze Reihe von Fragen, die Sie stellen, zur Stunde von diesem Bundeskanzler, von diesem Außenminister und von einem Sprecher dieser Regierung nicht beantwortet werden können und nicht beantwortet werden dürfen, wenn das Ganze einen Sinn haben soll.
Es haben Zusammenkünfte stattgefunden. Ich habe an einigen teilgenommen. Ich habe — einige in diesem Hause genauso wie ich — zu schätzen gewußt, daß weder der Herr Außenminister noch ein Staatssekretär noch — in ein oder zwei Fällen, in denen ich dabei war — der Herr Bundeskanzler Fragen und Antworten ausgewichen sind. Sie haben das gesagt, und wir haben keine weiteren Informationen dazu.Aber wenn verhandelt wird und wenn das zu einem guten Ende geführt werden soll, wird es uns allen dienlicher sein, wenn man die Vorhalte, die man hat, in interne Gespräche einführt und sagt: Da ist für uns die Grenze. Ich sage das nach beiden Seiten hin, vor allem aber zu Ihnen, weil ich für mich das Gefühl gewonnen habe, daß ein Teil dessen, was besprochen und was aus meiner Sicht auch
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WienandIhnen gegenüber zufriedenstellend beantwortet worden ist, nachher von Ihnen in eine solche Art der Fragestellung gekleidet wurde, daß diese Regierung, wenn sie nichts gefährden will, was mittlerweile erreicht worden ist, nicht antworten kann. Sie haben dieses Übergangsstadium in einer Art ausgenützt, wie es eine demokratische Opposition nicht ausnutzen sollte, wenn sie weiter den Anspruch aufrechterhalten will, in gemeinsamem Interesse mit der Regierung und der Koalition tätig zu sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wienand, was Sie an mich persönlich gerichtet gesagt haben, nehme ich sehr ernst, weil Sie es sagten. Das, was an Information uns vorlag und vorliegt, war nicht der Gegenstand dessen, was mich veranlaßte, diese sieben Punkte und die anderen zu formulieren, sondern es war das, Herr Kollege Wienand, was man uns verschwieg.
Ich glaube, es gehört hierher, daß ich in aller Form bei jedem der Informationsgespräche, an denen ich teilgenommen habe, erklärte — und die andere Seite legte auch immer Wert darauf —, daß dies niemanden in dem beeinträchtige, was er als freier Abgeordneter nach seiner Meinung zu tun sich für verpflichtet halte; natürlich immer ausgenommen etwa der Bruch der Geheimhaltung; das ist ganz klar.
Ich habe sogar am vorletzten Montag bei der letzten Information bei dem Herrn Bundeskanzler dies noch wiederholt und habe ihm sogar einige der Fragen, die ich am Mittwoch hier stellen würde, vorher genannt. Ich habe ihm gesagt, es sei die Pflicht der Opposition, einiges aufzunehmen, was im Volk eine Rolle spiele, und hier durch die Regierung klarstellen zu lassen. Die Schwierigkeit, die hier entsteht, ist doch das, was ich vorhin die sichtbare Geheimdiplomatie genannt habe. Ich will das nicht ergänzen.
Das Zweite. Herr Bundeskanzler, erlauben Sie mir einen Versuch: Die sachlichen Kontroversen sind nötig, und sie sind hier nun ausgetragen.
— Sie werden mich jetzt nicht hindern, meine Damen und Herren! Aber das, was hier Ihr Fraktionsvorsitzender über die „Mordlust" gesagt hat und was Sie in Bielefeld behauptet haben, ohne es aufrechterhalten zu können, daß muß beides vom Tisch, wenn in diesem Parlament nicht mehr Schaden nehmen soll als ein paar persönliche Beziehungen oder ein paar Beziehungen von Parteien. Herr Bundeskanzler, hier geht es an das Fundament dieses Staates. Ich bitte Sie, Ihren Beitrag dazu zu leisten.
Meine Damen und Herren, nach der mir von dem amtierenden Präsidenten übergebenen Liste liegen zur Aussprache keine Wortmeldungen mehr vor.
Meine Damen und Herren, es ist interfraktionell vereinbart worden, daß zwischen 13 und 15 Uhr keine Abstimmungen stattfinden. Damit unterbreche ich die abschließende Beratung des Einzelplans 04 und rufe Punkt 9 auf:
Einzelplan 09
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft
— Drucksachen VI/828, zu VI/828, VI/854 —
Berichterstatter: Abgeordneter Röhner Abgeordneter Hauser
Ich frage, ob das Wort dazu gewünscht wird.
Wird das Wort begehrt? — Keine Wortmeldungen.
— Herr Kollege Rösing, ich kann hier natürlich nicht darauf Rücksicht nehmen, wenn sich die Geschäftsführer auf den weiteren Ablauf der Debatte nicht vorbereitet haben. Ich bitte dafür um Verständnis.
Zu Einzelplan 09 liegen keine Wortmeldungen vor. Wir kommen dann nachher um 15 Uhr zur Abstimmung. — Herr Rösing!
Herr Präsident, zu Einzelplan 04 liegen eine Reihe von Änderungsanträgen vor. Ich glaube, wir verfahren zweckmäßigerweise so, daß wir jetzt die Änderungsanträge begründen lassen und dann die Abstimmungen ab 15 Uhr vornehmen. Danach sollten wir mit dem Einzelplan 09
— Wirtschaftsministerium — beginnen.
Herr Kollege Rösing, mir werden hier die Materialien übergeben. Danach ist der Änderungsantrag Umdruck 39 von Ihren Rednern ausdrücklich als bereits begründet erklärt worden.
— Doch, das ist mir hier ausdrücklich übergeben worden. Die Anträge sind begründet, so daß nur noch die Abstimmung vorzunehmen ist. Das wird mir eben noch von dem vorhin amtierenden Präsidenten bestätigt. — Sie können jetzt nur zur Geschäftsordnung etwas sagen, nicht mehr zur Sache.
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3020 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenIch habe die Beratung des Einzelplans 04 abgeschlossen.
Herr Präsident, es ist folgendermaßen. Es liegen zwei Änderungsanträge vor. Einer davon ist begründet worden. Der andere bezieht sich auf das Presse- und Informationsamt. Hierfür ist der Berichterstatter Lothar Haase zuständig, der den Antrag noch nicht begründet hat und ihn jetzt begründen möchte.
Meine Damen und Herren! Nachdem ich die allgemeine Aussprache zu Einzelplan 04 bereits geschlossen und den Einzelplan 09 aufgerufen habe, werde ich diesen Änderungsantrag um 15 Uhr zu Beginn der Abstimmungen zur Begründung und Aussprache aufrufen. Ich bitte dafür um Verständnis. Ich kann hier nicht ununterbrochen den geschäftsordnungsmäßigen Ablauf ändern.
Zu Einzelplan 09 lagen keine Wortmeldungen vor. — Herr Abgeordneter Rösing!
Es stellt sich heraus, daß über die Mittagspause offensichtlich nicht richtig disponiert worden ist, Herr Präsident.
Das Gefühl habe ich auch.
Die Sprecher zu Einzelplan 09, die wir ausdrücklich für heute nachmittag vorgesehen haben, sind nicht im Saal. Vor diesem Hintergrund bitte ich, die Sitzung bis 15 Uhr zu unterbrechen. Wir können dann mit den Abstimmungen fortfahren.
Meine Damen und Herren, es ist Übung in diesem Hause, dem Antrag einer großen Fraktion auf Unterbrechung stattzugeben. — Aber zur Geschäftsordnung hat sich noch Herr Kollege Schulte gemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es war völlig klargestellt, wie wir verfahren wollten. Zwischen 13 und 15 Uhr sollten keine Abstimmungen stattfinden, aber wir wollten weiter beraten. Dann müssen natürlich die Kollegen, die an den Beratungen teilnehmen, auch hier sein. Ich bin eigentlich dagegen, daß wir jetzt unterbrechen; denn wir müssen noch eine beachtliche Tagesordnung abwickeln.
Meine Damen und Herren, wir sollten den Versuch machen, uns zu verständigen. Ich schlage vor, daß wir die Sitzung bis 1/23 Uhr unterbrechen.
Bis dahin können die Herren die Redner hierhergeholt haben. Ich glaube, das kann man vertreten.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14.30 Uhr.
Meine Damen und Herren! Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort und fahren fort in der Beratung des Einzelplans 09.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Stein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Niemand wird, so glaube ich, in diesem Hause überrascht sein, wenn ich ankündige, daß meine Freunde und ich außerstande sind, diesem Einzelplan zuzustimmen. Die Gründe sind gestern ausführlich hier erörtert worden; ich möchte sie nur noch einmal kurz zusammenfassen.Die Wirtschaftspolitik findet nicht unseren Beifall, weil die Regierung die konjunkturellen Dinge treiben läßt, anstatt sie verantwortlich zu stabilisieren, wie das nach unserer Auffassung ihre gesetzliche Pflicht ist. Die umstrittenen wissenschaftlichen Perspektiven der einen oder anderen Einzelmaßnahme spielen dabei keine ausschlaggebende Rolle. Erfahrungsgemäß wird die Bedeutung dieser Detailprobleme immer stark überschätzt. Entscheidend ist vielmehr, so glaube ich, daß es der Bundesregierung an jedem Konzept fehlt, außer an dem des Beobachtens, so daß jetzt auch der Wirtschaftsminister selbst, der schon lange zum Tun geraten, aber nicht die allerletzten Register gezogen hat, diese Politik des bloßen Abwartens vertreten muß. Wie wir gestern gehört haben, kann der Wirtschaftsminister zwar die Möglichkeiten zum Handeln in saubere Kategorien einteilen, aber mehr kann und darf er zur Zeit offenbar nicht.Durch die Politik des Unterlassens sind aber inzwischen — objektiv kann darüber gar kein Streit bestehen — Schäden entstanden, die gesamtwirtschaftlich irreparabel sind und die gerade auch sozial schwächere Kreise und Schichten unserer Bevölkerung getroffen haben. Wir bedauern diesen Zustand und dieses Ergebnis auf das äußerste.Einer der Staatssekretäre seines Ressorts hatte die Freundlichkeit, schon vor der gestrigen Debatte im Fernsehen zu versichern, daß sich die Regierung bei ihrer Nichtbekämpfung der bedenklichen Preisflut selbstverständlich nicht von Wahlterminen beeinflussen lasse. In der gestrigen Debatte gab es bei ähnlichen Versicherungen der Herren Koalitionssprecher auf unserer Seite einige Heiterkeit. Ich möchte allerdings die Hoffnung nicht unterdrücken, daß mit dem 15. Juni die Vernunft und die Entschlußkraft in die Stuben der amtlichen Wirtschaftspolitik wieder einkehrt.
Auch die aufschlußreiche Bemerkung des Bundeskanzlers, daß in der Konjunkturpolitik momentan die Vollbeschäftigung den absoluten Vorrang habe — eine Äußerung, die ebenfalls, wie wir uns alle denken können, ohne jede wahlpolitische Nebenabsicht gemacht wurde —, läßt diese Hoffnung nicht als völlig aussichtslos erscheinen.
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Stein
Ich muß leider nochmals eins unterstreichen: Sorgen des Regierungschefs wegen der Vollbeschäftigung, und das bei 1,7 Millionen Gastarbeitern und zahllosen unbesetzten Plätzen, — da kann man wirklich nur den Kopf schütteln. Vor allem ist das keine Alternative, Vollbeschäftigung oder Preisstabilität. Wer den Geldwertschwund treiben läßt, der gefährdet auf die Dauer auch die Arbeitsplätze.Der Vorwurf an uns, daß wir die inflationäre Entwicklung hochspielten, um am 14. Juni einige „Panik-Stimmen" zu gewinnen, ist nach meiner Auffassung der Gipfel der Unsachlichkeit.
Da schmilzt durch eine fehlerhafte Wirtschaftspolitik für viele Leute der Lohn ihrer Lebensarbeit auf den Sparkonten dahin. Wir wissen, der ursprüngliche Wert kehrt niemals wieder, mehr noch: die Lebenshaltung derselben Leute verteuert sich zur selben Zeit ganz beachtlich. Zur Unzulänglichkeit der statistischen Zahlen lassen sich in diesem Zusammenhang Bände sagen. Und wir von der Opposition, die wir diesen Zustand geradezu pflichtgemäß anprangern und voller Sorge in die Zukunft blicken, betreiben angeblich bloße Wahlmache und Stimmenfang!Ich muß das heute nochmals ganz klar zurückweisen und dazu ein Weiteres über die Konjunkturpolitik hinaus sagen: Wenn wir seit einiger Zeit die rein wahlpolitische Aufmachung so vieler Dinge in der allgemeinen Politik und in der Publizistik betrachten, wissen wir, in welche Gefahr die freie Meinungsauseinandersetzung plötzlich und unerwartet gekommen ist und was die Stunde geschlagen hat.Noch einmal zur Sache: Wir können diese Wirtschaftspolitik nicht gutheißen. Die Tatsache, daß Regierung und Koalition auch gestern wieder die gefährliche Untätigkeit der Regierung mit einem großen Aufwand entgegenstehender und zum Teil einfach in die Welt gesetzter Behauptungen zu verbrämen suchte, bestärkt uns in dieser Ablehnung.
Unter diesen Behauptungen ist eine sehr bedenklich, nämlich daß der jetzige Zustand der Wirtschaftvornehmlich die Preiswelle — weit hinter der Bedenklichkeit des Gesamtzustandes von 1966/67 zurückbleibe. Begründet wird das mit einer winzigen Differenz in der Geschwindigkeit der Preiserhöhung für die Lebenshaltung in jener Zeit im Vergleich zu heute sowie mit einigen anderen kleinen und nicht wesentlichen Unterschieden. Ich kann vor dieser vollkommenen Verkennung der Lage nur nachdrücklich warnen. Eine solche Betrachtungsweise wirkt nicht nur einschläfernd, sie ist auch völlig falsch.Der kompetente und unabhängige Vizepräsident der Deutschen Bundesbank hat vorgestern mit Recht erklärt, daß die Gefahr für unsere Wirtschaft seit 1950 noch nie so groß gewesen sei wie jetzt.
Die wirtschaftspolitischen Ausgangspunkte sindnämlich heute in jedem in Betracht kommendenTeilbereich anders als 1966/67, und ich fürchte, die Regierung weiß das ganz genau.Doch ich will nicht in alle Zahlenunterschiede gehen. Wenn ich allerdings beispielsweise die heutige Einkommenspolitik betrachte, vor der die Koalition gestern ja auch ganz und gar kapituliert hat, wenn ich den entscheidenden, unbestreitbaren Einfluß dieser Politik auf die Preisbewegung sehe und dann lese, was von amtlicher Seite darüber gesagt wird, muß ich mich fragen, was überhaupt nochernst zu nehmen ist. Herrscht doch eine fast religiöse Inbrunst, um ganz schlichte, eindeutige Zusammenhänge nicht wahr haben zu wollen. Auch hier muß man doch die Gesamtlage sehen, von der ich eben gesprochen habe. Diese Gesamtlage ist einfach so: Alles strebt dem Maximum an Ausnutzung der Chancen zu, ohne sich um die gesamtwirtschaftlichen Folgen zu kümmern.Dieses Verhängnis hat bekanntlich mit den unkontrollierten Streiks begonnen, und seit dieser Zeit ist die lohnpolitische Vernunft bei Arbeitgebern und Gewerkschaften — wenn ich das so sagen darf — ganz wesentlich vermindert. Das für alle unbefriedigende Ergebnis ist, daß wir zwar mehr in die Lohntüte stecken, auf der anderen Seite aber einen ganz stattlichen Teil durch die Preissteigerungen wieder wegnehmen.Wir gönnen den Arbeitnehmern die Erhöhung von ganzem Herzen, aber wir wenden uns gegen die Inflationierung des Arbeitsverdienstes.
— Ich weiß, das Wort Inflationierung hört die Koalition nicht sehr gerne. Wir haben das gestern vernommen. Ich bin bei der Anwendung dieses Wortes auch sehr vorsichtig.
Aber wir können auf diese Kennzeichnung nicht verzichten, nachdem nach unserer Ansicht, aber auch nach der Meinung des unabhängigen Sachverständigenrates eine automatische Geldentwertungsbewegung eingesetzt hat.
Ein Punkt kam gestern langsam in ein klareres Licht. Ich meine den alten Streit um die grundlegende längerfristige Wirkung der Aufwertung. Sie war jedenfalls, wie wir jetzt offenbar gemeinsam feststellen können, mindestens zum Teil wirkungslos und verschenkt. Es fehlte das Ergänzungsprogramm für den Binnenbereich. Die Behauptung, daß die erhoffte Entspannung wegen eines unzulänglichen Aufwertungssatzes ausgeblieben sei, kennzeichnet dann nur noch das Faktum, daß die Regierung die Dinge nicht im Griff hat.Die Gründe für die Ablehnung dieser Wirtschaftspolitik betreffen natürlich auch noch andere Dinge. Die Quittung, die die Bundesbank für die Untätigkeit der Regierung im Hinblick auf die Konjunktursituation gegeben hat, war bekanntlich die exorbitante Zinsrate von 7,5 %. Diese 7,5 % waren zugleich eine Art Zensur für die gezeigte schwache
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Stein
Leistung. Aber der Zensierte erklärte zur allgemeinen Überraschung, daß er diese Zensur als berechtigt empfinde, selbst aber nichts weiter zu tun habe. Dann erteilten bekanntlich die Sachverständigen mehrfach Zensuren, und schließlich tat es auch die Bundesbank wieder. Aber der Zensierte erklärte wieder dasselbe, setzte seine fehlerhaften Prognosen weiter fort. Diese Hartnäckigkeit kann nach unserer Auffassung nur politische Gründe haben. Ich will auch insoweit nicht alles wiederholen, was dem Ressort gestern in das Stammbuch geschrieben worden ist.Eines will ich in dem Zusammenhang aber noch sagen. Die amtlichen Verlautbarungen des Bundeswirtschaftsministeriums über Boom und Abklingen der Konjunktur sind — zum Nachteil des Ressorts — im Laufe der Zeit leider vielfach zu einer Quelle für bittere Witze geworden, da der Ofen weithin sichtbar und ohne Unterlaß weiter glüht. Die Fakten sind schon lange alarmierend, und sie bleiben es. Aber ich wiederhole: Vor dem 14. Juni haben sie offenbar keine Chance, von dieser Regierung berücksichtigt zu werden.
Herr Abgeordneter Professor Stein, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte?
Bitte sehr!
Herr Kollege, empfinden Sie es nicht wie ich als eine gewisse Schizophrenie, wenn bestimmte Leute in den Vorständen und Aufsichtsräten über Zuwachsraten in Höhe von 20 % jubeln und dann am Abend als Verbandsfunktionäre vielleicht Krokodilstränen über die Konjunkturpolitik weinen?
Wir sind hier nicht unter Vorstandsmitgliedern oder unter Funktionären.
Ich spreche nur als Politiker, und bei dieser Klarheit, mit der ich gesprochen habe, ist es ganz offensichtlich, daß Ihre Auffassung nicht zutrifft.
Ich wiederhole also noch einmal: Die Fakten sind schon lange alarmierend, und sie bleiben es. Aber vor dem 14. Juni haben sie offenbar keine Chance, von dieser Regierung berücksichtigt zu werden.
Ein Zweites ist gestern ebenfalls nicht mehr verbrämt worden, nämlich die scharfe Geldentwertung, die draußen meist unter der harmlosen Überschrift „Preiserhöhung" diskutiert wird. Ihre unzulängliche, ja geradezu widerwillig betriebene Abwehr machen deutlich, daß unsere amtliche Wirtschaftspolitik das Wachstum weit vor die Preisstabilität stellt und weiterhin stellen will.
Meine Damen und Herren, das Ganze ist dann eben kein Betriebsunfall der Konjunkturpolitik mehr. Weil das Ganze nicht mehr stimmt, hilft auch kein Einzelmedikament mehr. Wir haben uns gestern dennoch bemüht, Ihnen ein Rezept zu geben. Nach dem 14. Juni werden wir weiter darüber reden. Wir können die Regierung von der Schuld um so weniger freisprechen, als die Entwicklung nach unserer Auffassung langfristig zu erkennen war. Die Nachfrage war durch allerlei Außerplanmäßigkeiten stark angereichert worden und wurde — das ist von uns gestern klargelegt worden — durch keinerlei Bremseffekt monetär oder psychologisch abgefangen. Hohe Inlandsaufträge, bald wieder stark anwachsende Auslandsaufträge, viel Geld bei den Verbrauchern, ein ausgekehrter Arbeitsmarkt — hier hätte ganz anders konzertiert werden müssen. Aber die Preiswelle tobt sich aus, weil in der Politik der Regierung, mit Ausnahme der verteuerten Kreditkosten, kein fester Punkt zu finden war, und die Preiswelle wird sich deshalb auch keineswegs bald verabschieden.
Inzwischen wird sich der Bundeswirtschaftsminister, der leider auch gestern — das muß ich sagen —das Bild eines von der Parteilinie zuwenig unabhängigen Mannes geboten hat, mit der Auffindung weiterer theoretischer Kategorien von Dämpfungsmöglichkeiten beschäftigen.
Die Schuld an der Lohnentwicklung kann man natürlich der Regierung nur am Rande anlasten. Ich deutete das an. Aber daß man auch von amtlicher Seite den Kostendruck verharmlost und den Zusammenhang zwischen Investitionen und Sicherheit des Arbeitsplatzes auf einmal plötzlich nicht mehr mit umfassen will, hat zur Unsicherheit der Wirtschaft stark beigetragen.
Ich kenne die mannigfachen Zahlenbeispiele, die in dieser Frage veranstaltet worden sind. Diese Spiele sollen dartun, daß bei solchermaßen gestiegenen Umsätzen der Faktor Lohn keine sensationelle Ausweitung mehr erfahren hat. Erstens kann man eben im Falle Kohle eindrucksvoll studieren, daß Lohnerhöhungen ausschließlich und unmittelbar Preiserhöhungen — und was für welche, meine Damen und Herren — nach sich ziehen, und zweitens muß das Ganze doch im Ramen der sonstigen Kostenentwicklung gesehen werden.
Herr Abgeordneter Professor. Dr. Stein, gestatten Sie, daß ich Sie auf den Zeitablauf aufmerksam mache.
— Die ist abgelaufen.
Im ersten Vierteljahr dürften die allgemeinen Kostenerhöhungen bei rund 8 % gelegen haben. Dazu kommen noch die höheren Kredit- und Rohstoffkosten. In diesem Bild muß man die Lohnentwicklung sehen, gegen die die Regierung nicht klar und eindeutig Front gemacht
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Stein
hat. Auch die Arbeitgeber können sie nicht verhindern, besonders wenn die Verbraucher bei diesem Markt keinen Widerstand bieten.Zur angeblich antizyklischen Haushaltspolitik der Regierung kann ich nur die gestrigen Feststellungen unterstreichen, daß nämlich die Maßnahmen zu spät kamen, bei weitem unzulänglich waren und durch das Auf und Ab in der Regierungsdiskussion sachlich und psychologisch ohne Wirkung geblieben sind.Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind einige der Gründe, die uns veranlassen, diesen Einzelplan abzulehnen. Wir wollen damit kein großes politisches Theater veranstalten, sondern nur den Ernst der konjunkturellen Lage nach der gestrigen Debatte noch einmal klarstellen. Die nicht gebremste Geldentwertung erfordert eine andere Wirtschaftspolitik, als sie zur Zeit getrieben wird. Wir wissen, daß der Wirtschaftsminister diese Politik, wenn überhaupt, nur mit halbem Herzen vertritt. Wir wissen auch, da wir gestern gut zugehört haben: Wie es wäre, wenn andere an seiner Stelle säßen. Die flankierenden Reden haben hier sehr wohl einiges offenbart.Das Gesamtbild dieser Wirtschaftspolitik ist negativ. Wir lehnen sie ab und stimmen deshalb diesem Einzelplan nicht zu. Was der Politik fehlt, ist in erster Linie der Entschluß zur Stabilität und die entschlossene Absage an die Geldentwertung.
Meine Damen und Herren, das Wort hat die Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Herr Kollege Stein hat es für richtig gehalten, im Namen der CDU die „tibetanische Gebetsmühle" der Anklagen in der Wirtschaftspolitik wieder in Bewegung zu setzen.
Sie tut das seit zwei Tagen, und es fällt schwer, Herr Kollege Stein, anzunehmen, daß das kein Theater sein soll, wie Sie es gerade gesagt haben.
Wir alle würden das ja noch sechsmal mehr ertragen, wenn Sie uns endlich sagten, was S i e denn nun eigentlich machen wollen
und was Sie eigentlich von der Regierung erwarten.
Denn Sie sind ja doch wohl nicht hier in diesem Hause, um lediglich anzuhören, was die Regierung tut, und dann zu sagen: Das ist verkehrt! Sie sind doch vielmehr in diesem Hause, um Alternativen anzubieten.
So jedenfalls hat die FDP in den vergangenen drei Jahren ihr Aufgabe als Opposition gesehen. Wenn es Ihnen an der Vorstellung darüber mangeln sollte, was man in der Opposition macht, empfehle ich Ihnen, dort einmal nachzulesen. Da hat es nämlich eine Menge Anträge und eine Menge Vorschläge und echte Alternativen gegeben.
— Darauf komme ich noch zurück.Ich habe Verständnis dafür, daß die CDU sehr zögernd ist, im Bereich der Konjunkturpolitik konkrete Vorschläge zu unterbreiten; denn sie hat ja in der Vergangenheit bewiesen, daß sie immer genau falsch gelegen hat.
— Herr Althammer. hören Sie doch einmal zu. Es schadet Ihnen nichts, wenn Sie auch einmal zuhören!
Als wir eine Rezession hatten und das ganze Haus gemeinsam ein Stabilitätsgesetz verabschiedet hatte, haben Sie genau das Gegenteil von dem beschlossen, was das Stabilitätsgesetz verlangte. Denn in dem Stabilitätsgesetz steht doch wohl eindeutig, daß in Zeiten der Rezession die Steuern gesenkt werden müssen. Die Große Koalition hat aber unter maßgeblicher Finanzführung des Ministers a. D. Strauß in zweieinhalb Jahren Rezession zehn Steuererhöhungen beschlossen.Damit Sie es glauben und sich erinnern, darf ich Ihnen das im einzelnen aufzählen. Es begann mit der Sektsteuer, dann kamen die Tabaksteuer, die Mineralölsteuer, die Ergänzungsabgabe und die Mehrwertsteuer — —
— Hören Sie doch erst einmal zu! Das scheint Ihnen furchtbar schwer zu fallen, meine Herren und Damen. Wir müssen beinahe eine Anfangsstunde für I-Männchen einführen, damit die CDU lernt, wie man sich in der Opposition benimmt.
Die Mehrwertsteuer brachte bereits in der Zeit, als sie noch 10 % betrug, mehr als die alte Umsatzsteuer. Sie haben dann sechstens die Mehrwertsteuer auf 11 % erhöht. Sie haben siebtens eine Straßenverkehrsgütersteuer, achtens eine Exportsteuer, neuntens die Lohnfortzahlung, die ja nicht zugunsten der Arbeitnehmer, sondern des Finanzministeriums geht, beschlossen,
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Frau Funckeund Sie haben zehntens Steuervergünstigungen wie die Kilometerpauschale und ähnliches abgebaut.
— Das habe ich ja schon erwähnt! Hören Sie doch nur einmal zu! Denn wenn Sie zuhörten, brauchten Sie keine Zwischenrufe zu machen!Sie haben also in einer Zeit, in der man Steuern hätte senken müssen, zehn Steuererhöhungen durchgeführt. Darüber hinaus haben Sie — auch daran erinnern Sie sich ungern — beim Übergang zur Mehrwertsteuer in bezug auf die Altvorräteentlastung trotz aller Warnungen seitens der FDP einen völlig falschen Prozentsatz beschlossen und vier kostbare Monate verstreichen lassen, bis Sie den Fehler eingesehen und korrigiert haben.
— Sie haben es hinterher eingesehen; deswegen brauchen Sie jetzt nicht mehr dagegen zu reden.Das alles hat doch damals die Rezession verschärft und verlängert, und so ist der Eindruck durchaus berechtigt, daß die Vorschläge der CDU in diesen Dingen nicht übermäßig glaubwürdig sind. Man muß daher Verständnis dafür haben, daß man sich jetzt mit Vorschlägen lieber zurückhält. An Ihrer Stelle täte ich das wahrscheinlich auch.
Als es dann Zeit war, mit dem Bremsen anzufangen, haben Sie in der Aufwertungsfrage gepaßt. Herr Kollege Stein sagte eben sehr richtig — ich habe mir das alles notiert —: Die Maßnahmen kommen zu spät, die Situation war langfristig zu erkennen, und die Fakten lagen lange auf dem Tisch.— Ich frage mich dann allerdings, warum die frühere Regierung, wenn das alles schon so lange zu erkennen war, nicht langfristig vorausschauend richtig reagiert hat, z. B. die Aufwertung zu beschließen und die Entscheidung nicht hängen zu lassen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller-Hermann?
Bitte schön!
Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin, die Sie jetzt als Abgeordnete sprechen! Darf ich in Ihre Erinnerung rufen, daß unter dieser ja offenbar ganz miserablen CDU/CSU-Wirtschaftspolitik die nominellen Arbeitseinkommen von 1950 bis 1969 um 200% angewachsen sind, die Preise um 50 %, d. h. die realen Einkommen urn 150 % zugenommen haben?
Sie dürfen mich daran erinnern, Herr Kollege, nur scheint es mir, daß Sie gerade an einer falschen Stelle kämpfen; denn wir reden jetzt nicht von Lohnerhöhungen; die habenwir in der jetzigen Zeit viel mehr als Herrn Kollegen Stein offenbar lieb ist.
— Ich spreche von der Konjunkturpolitik, und denen, die dafür verantwortlich waren und falsch handelten. Denn das liegt ja doch zu Tage. Wenn der Kollege Stein sagt, die Konjunkturentwicklung sei seit langem vorauszusehen gewesen, dann hat eben die alte Regierung einiges versäumt.Nun hat die neue Regierung sofort am ersten Tag ihres Bestehens gehandelt und Maßnahmen getroffen. Sie hat die Aufwertung beschlossen, sie hat weiterhin eine Haushaltspolitik betrieben, die im Interesse der Konjunkturpolitik Sperrungen und Übertragungen in die Ausgleichsrücklagen vornimmt. Wir haben weiterhin die vorgesehenen Steuersenkungen verschoben, wenngleich ich hier noch einmal daran erinnern möchte, daß es sich beim Steueränderungsgesetz nicht um eine echte Steuersenkung, sondern um ein Eliminieren des ständig überproportionalen Anstiegs der Lohnsteuer handelt. Wir haben ein Gesetz zur verstärkten Sparförderung, wir haben in der Tarifpolitik des Staates, Herr Kollege Stein, große Zurückhaltung in der Lohnsteigerung erreicht. Darüber hinaus aber dürfen Sie, Herr Kollege Stein, die Tarifpolitik von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ja wohl nicht der Regierung anlasten, es sei denn, Sie wollten die Tarifhoheit der Sozialpartner in Frage stellen, was allerdings nicht der Vorstellung der FDP entspricht. Wir sind weiterhin der Meinung, daß wir die Bildungsanleihe, wie sie die Regierung im Grundsatz beschlossen hat, bald realisieren.Nun, meine Herren und Damen, sagen Sie: Das hat ja alles noch nicht sofort gewirkt. Wenn Herr Kollege Stein recht hat, daß solche Dinge langfristig anzufassen sind, dann haben Sie auch einen langfristigen time lag. Das ist doch wohl für jeden, der ein wenig wirtschaftspolitische Kenntnisse hat, selbstverständlich.Wenn Sie nun darüber hinaus sagen, das Stabilitätsgesetz müsse angewendet werden, dann, meine Herren und Damen, sind Sie uns eine Antwort auf die Frage schuldig, welche Maßnahme nach Ihrer Auffassung angewendet werden soll.
Herr Kollege Stoltenberg sagt: Wir warten auf die Vorschläge der Regierung, wir werden sie dann wohlwollend prüfen. — Das reicht uns nicht.
Herr Kollege Barzel hat in dem Interview, das er gestern gegeben hat, erkennen lassen, daß ihm ein Regierungswechsel in Bonn — wonach er gefragt wurde — zu früh käme. Das scheint uns in der Tat der Fall zu sein. Denn angenommen, Sie würden jetzt hier einen Wirtschaftsminister stellen müssen— ich frage mich, wer das wohl überhaupt sein könnte;
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3025
Frau Funckeaber immerhin, wenn Sie jetzt einen stellen müßten —, um alles in der Welt, was würde der denn jetzt tun? Wollen Sie das alles „geheimhalten", oder wären Sie es nicht bei Ihren ständigen Kritiken schuldig, zu sagen — wenn schon nicht uns, dann wenigstens der Öffentlichkeit, um glaubwürdig zu sein , was Sie denn jetzt eigentlich mit dem Stabilitätsgesetz anfangen würden?
Sagen Sie uns: Wollen Sie die Steuern erhöhen? Wollen Sie die degressive Abschreibung abschaffen? Wollen Sie etwa die Investitionssteuer auf dem derzeitigen Satz halten, oder wollen Sie das, was mit Wissen oder Nichtwissen des Herrn Bundesministers a. D. Strauß in der Frage der Investitionssteuer falsch gelaufen ist, nun korrigieren? Dieses alles müßten Sie uns denn doch einmal sagen, und nicht nur uns, sondern auch der Öffentlichkeit, damit es glaubwürdig ist.
Meine Herren und Damen, und jetzt wird es ernst.
— Ja, ich sage das in vollem Bewußtsein. Herr Kollege Stoltenberg hielt es heute für angebracht, an einer Stelle zu sagen, wir wollten über die Maßnahmen für die Contergan-Kinder nicht sprechen, das sei zu ernst. Wir haben allerdings den Eindruck, meine Herren und Damen, daß Sie die Beratung dieser Tage für Spielerei halten, für Wahlpropaganda und sonst gar nichts. Uns ist es aber zu ernst mit den Fragen, die hier zur Diskussion stehen, als daß wir hier nur eine Art Wortspielerei und Wortklauberei betreiben.Herr Kollege Stein, es war immerhin kein anderer als Herr Berg, der als Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie davor gewarnt hat, die Preisfragen und die Konjunkturlage in einer Form in der Öffentlichkeit zu behandeln — nicht in die Öffentlichkeit zu tragen; das kann man, wenn es sachlich ist —, die nur zu Angstkäufen auf der einen Seite und zum Hochreden der Preise auf der anderen Seite führen kann. Ich darf Sie an diese Worte erinnern; das ist unsere Auffassung.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, was Herr Stein mit seinem Nachklapp heute bezweckt, welches Ziel er verfolgt hat.
— Man kann ein anderes Bild wählen: Er wollte noch einmal die Platten von gestern wieder auflegen — Kurzspielplatten. Lieber Herr Stein und die ganze CDU/CSU: Und wenn Sie heute noch so viele Platten von gestern auflegen, das Terrain, das Sie gestern in der großen politischen Sachdiskussion verloren haben, gewinnen Sie nicht zurück.
Herr Stein, das Terrain gewinnen Sie nicht zurück, und wenn Sie noch so viele Ihrer Platten drehen — oder ablesen.
Nun zur Sache selbst, zum Inhalt Ihrer Ausführungen. Sie wissen ganz genau, daß zu Anfang dieses Jahres den großen Verbänden eine Option angeboten worden ist. Sie stehen einem Verband nahe, dessen Arbeit ich schätze und der in der Konzertierten Aktion die ganze Zeit großartig mitgearbeitet hat. Diese Unternehmensverbände sind Anfang dieses Jahres klar und deutlich gefragt worden: Was wollt ihr lieber in der weiteren Konjunkturpolitik, mehr Fiskalpolitik oder mehr Geldpolitik der Bundesbank?
Da hat es eine eindeutige Option für die Geldpolitik der Bundesbank gegeben.
Und heute stellen Sie sich hin und jammern über dieDiskontpolitik der Bundesbank. Das ist Herr Stein!
Das war Ihre eigene Option,
und jetzt stellen Sie sich hin und jammern darüber.Nun zur Art und Weise der Diskussion. Ich habe Herrn Vizepräsidenten Emminger gestern nicht zitiert, denn ich hatte kein Zitat von ihm. Es gab nur ein On-dit aus einer Zeitung; wir haben auch heute noch nicht das Manuskript. Wir haben uns aber, Herr Stein, gestern bei der Bundesbank sachkundig gemacht, und ich kann hiermit erklären: Die Äußerung, wie sie gestern hier zitiert worden ist, hat Herr Vizepräsident Emminger nicht getan.
Ein drittes und letztes zu Herrn Stein. Ich habe Ihnen gestern, wie Sie selber sagen, vier sauber formulierte Alternativen der Konjunkturpolitik dargelegt. Ich habe Ihnen gesagt, die Bundesregierung steht bei der zweiten Alternative. Ich habe gesagt, es ist wohl fair, wenn wir Sie nun danach fragen, was Sie für das Richtige halten. Ich verlange von Ihnen aus der Opposition nicht vorweg ein Rezept. Ich weiß, Herr Stein, es wäre vergebens, das zu verlangen.
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3026 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Bundesminister Dr. SchillerAber ich habe Sie gebeten — und einige Herren waren sehr nachdenklich —, sich Gedanken zu machen, welche der Alternativen 1 bis 4 für die CDU/CSU in Frage käme.
Aus Ihren Worten heute kann ich nur eines ersehen: nach 24 Stunden Denkpause, Herr Stein, kommen Sie immer noch zu dem Ergebnis, daß Sie nicht wissen, welche Alternative Sie selber ansteuern sollten.
Das ist das Ergebnis der Einlassung von Herrn Stein, der Beitrag der CDU/CSU zu einer klaren Zuordnung im Sinne dieser Alternativen. Dieser Beitrag ist und bleibt gleich null.
Das Wort hat Herr Abgeordneter von Bismarck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Erläuterungen der Kollegin zu den Steuerproblemen kann man in 14 oder 15 Minuten nicht abhandeln. Nur, daß Sie die ungewöhnlich glückliche Terminierung der Einführung der Mehrwertsteuer, zu der uns ja unsere europäische Politik verpflichtet,
hier als einen Beweis gegen eine vernünftige wirtschaftspolitische Gedankenführung der CDU angeführt haben, das fand ich sehr stark.
Herr Abgeordneter von Bismarck, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Funcke?
Herr Kollege, könnte es sein, daß bei der Unruhe und dem Nichtzuhören Ihrer Fraktionskollegen bei meiner Rede auch Sie nicht verstanden haben, was ich gesagt habe? Ich habe nämlich nicht gesagt, daß ich den Zeitpunkt der Einführung für verkehrt gehalten habe, sondern die Feststellung getroffen, daß mit der Einführung der Mehrwertsteuer auch eine Steuererhöhung verbunden war.
Frau Kollegin, Sie haben aber doch die Terminierung all der Vorschläge zum Beweis dafür angeführt, daß diese Dinge zu einer falschen Zeit gemacht worden sind, nämlich nicht in einer heißen, sondern in einer kühlen Periode.
Meine Damen und Herren, eben wurde von den Verbänden gesprochen. Der Herr Wirtschaftsminister hat dem Kollegen Stein vorgeworfen, daß er die Verbände hier offenbar falsch interpretiert. Herr Minister Schiller, eines der problematischen Dinge, die wir an Ihrer Politik sehen, ist ja gerade das, was Sie eben vorgeführt haben: daß Sie uns an Stelle einer eigenen Argumentation, einer Begründung dafür, daß Sie an einem bestimmten Tage nicht handeln oder sich nicht durchsetzen, jetzt fragen, was die Verbände denn für Wünsche gehabt haben. Wir haben seit längerer Zeit das Gefühl, daß in dieser Sache nicht mehr regiert wird. Sie haben es uns eben klassisch vorgeführt.
Meine Damen und Herren, wenn man davon ausgeht — —
Herr Abgeordneter von Bismarck, entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche.
Auf der Tribüne links habe ich Beifallsäußerungen festgestellt. Ich muß ausdrücklich darauf hinweisen, daß von den Zuschauertribünen keine Beifalls- oder Mißfallenskundgebungen erfolgen dürfen.
Fahren Sie bitte fort.
Meine Damen und Herren, wenn man davon ausgeht, daß uns die Freiheit der Marktwirtschaft den Wohlstand in 20jähriger dynamischer Arbeit aller Arbeitenden verschafft hat, von denen der Herr Bundeskanzler heute morgen mit soviel Stolz sprach — —
Einen Augenblick! Selbstverständlich habe ich nicht veranlaßt, daß hier jemand deswegen das Haus verläßt. Es sind ja junge Menschen, die uns hier besuchen; da ist es ganz klar, daß sie Anteil nehmen.
Ich nehme an, daß die Klasse, da es kurz nach drei Uhr ist, ohnehin ihren Platz turnusmäßig verläßt. Ich werde mich aber noch einmal vergewissern.
Meine Damen und Herren, wenn man davon ausgeht, daß uns die Freiheit der Marktwirtschaft in 20 Jahren durch die Mitarbeit aller, auf die der Herr Bundeskanzler heute morgen mit so viel Stolz Bezug genommen hat, den Wohlstand verschafft hat, so muß man, ehe wir über den Haushalt des Bundeswirtschaftsministers abstimmen, nach den Erfahrungen der gestrigen Debatte noch einmal mit allem Ernst die Aufmerksamkeit dieses Hauses und der Öffentlichkeit auf die Frage richten, ob wir denn wirklich alle, alle Parteien dieses Hauses, noch zu dieser Markt-
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Dr. von Bismarckwirtschaft stehen. Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, haben gestern in einer für Sie, für uns und alle Bundesbürger ernsthaften Konjunkturlage diese Entwicklung in einer spielerischen, fast schäkernden Form erläutert.
Diese Form stand, wie ich meine — ich habe das gestern schon gesagt —, in einem erschreckenden Widerspruch zu dem Ernst der Problematik.
Herr Lenders hat gestern für die Sozialdemokratische Partei zum Punkt Stabilität etwas gesagt, das unsere Fragen auslösen mußte. Ich darf das aus dem Manuskript zitieren, das die Sozialdemokratische Partei zur Information herausgibt. Herr Lenders hat hier gestern folgendes gesagt:Die Konstellation der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse, in der wir international stehen, bietet doch nur eine zukunftsgerichtete Strategie: die Entscheidung für Vollbeschäftigung und Wachstum bei möglichst geringer Preisniveaubewegung.
Meine Damen und Herren, die Frage ist, was diese Abstufung der Stabilität zu bedeuten hat.Drittens habe ich nach den gestrigen Einlassungen, Herr Minister Schiller, nachgelesen, was Sie auf dem Parteitag der SPD in Saarbrücken kürzlichI) gesagt haben. Ihr erster Satz lautete — ich darf zitieren —:Wenn wir heute die Wirtschaftspolitik in ihren europäischen und internationalen Zusammenhängen analysieren, so sollten wir davon ausgehen, daß unsere Außenpolitik und unsere Wirtschaftspolitik ein Ganzes bilden. Dies sind zwei Seiten einer Gesamtkonzeption, eben unserer sozialdemokratischen Politik.Diese Aussage berechtigt, ja, ich meine, verpflichtet uns vor der Öffentlichkeit und vor diesem Hause, nach den gestrigen Eindrücken die Frage zu stellen, wohin diese sozialdemokratische Wirtschaftspolitik zielt. Zielt sie nunmehr in die gleiche Richtung wie das ostpolitische Konzept der Bundesregierung, das uns gleichzeitig mit all den Problemen des Westens so schnell und so umfassend wie möglich zu einem Arrangement mit der Sowjetunion und den kommunistisch regierten Staaten bringen soll, während wir doch alle wissen, daß noch ein Berg von Aufgaben zur Vollendung des europäischen Bundesstaates vor uns steht?Ich zitiere weiter. Sie haben dann gesagt:doch wichtiger ist: die Einbeziehung der Sowjetunion und Osteuropas in die internationale Arbeitsteilung, in den Prozeß wirtschaftlicher Integration.Weiter sagten Sie:Wir sagen ja zu den gemeinsamen Projektender ökonomischen Kooperation, von der in derErklärung dieser Staaten in Budapest 1969 die Rede war.Schließlich:Und jetzt in diesen ersten Monaten der neuen Bundesregierung haben wir uns in Wirtschaftsverhandlungen mit Jugoslawien, Rumänien und Ungarn dafür eingesetzt und konkrete Abmachungen erzielt, damit wir gerade mit diesen Ländern des Ostens konkrete Projekte der industriellen Kooperation in Ländern der Dritten Welt in Übersee durchführen können.Man muß vor diesem Hintergrund fragen, ob die zitierte Äußerung von Herrn Lenders die verschämte Ankündigung des im übrigen mit dem Gesetz im Widerspruch stehenden herabgesetzten Stellenwerts der Stabilität sein sollte. Soll nunmehr das Gebot der Stabilität, das im Stabilitätsgesetz gleichwertig neben Vollbeschäftigung und Wachstum seht, auch noch, so frage ich, Herr Minister, hinter ostpolitische Ziele zurücktreten? Sind wir dabei, unsere Rolle in Europa als Verteidiger der Marktwirtschaft, deren Herzstück die Stabilität ist und bleibt, aufzugeben, um zum Künder neuer Modelle, z. B. des jugoslawischen, zu werden? Man sage uns nicht, das seien — wie Sie das heute morgen schon gesagt haben — nur Unterstellungen und nur Wahlkampfworte. Meine Herren, wir haben oft schon erfahren müssen, wie schnell die Aussagen dieser Regierung, insbesondere auch Ihres Wirtschaftsministers, sich wandeln können.
Ebenso wie auf dem Felde der Deutschland- und Außenpolitik sind wir hier zu der Erkenntnis gekommen, daß man Worte der Regierung nicht immer wörtlich nehmen darf. Was der Herr Bundeskanzler sagt, darf der Herr Fraktionsführer der SPD uminterpretieren. So mußten wir uns auch im Bereich der Wirtschaftspolitik offenbar damit abfinden, daß nicht nur die Analysen, die Erwartungen, die Therapie und die Signale falsch waren, nein, auch damit — so hatte man gestern den Eindruck —, daß zunehmend die Unterrichtung der Öffentlichkeit immer häufiger falsch wird.Die Aussage des Herrn Bundeswirtschaftsministers in Saarbrücken und die gestrige Aussage von Herrn Lenders machen uns die Frage zur Pflicht, ob auch die Kompaßzahl falsch ist. Hat man den Herrn Wunderprofessor endgültig als Galionsfigur an einem Schiff zu sehen, das mit falscher Flagge, nämlich der Flagge der Marktwirtschaft, auf rotem Kurs segelt?
Die Flagge ist dann falsch, wenn man das Herzstück der Marktwirtschaft, die Stabilität, abstuft. Die Flagge ist dann falsch, Herr Minister, wenn — wie am 27. Februar geschehen — zur Erhaltung der Stabilität vom Wirtschaftsminister, von der Bundesbank vorgeschlagene Maßnahmen zur Abschöpfung von Kaufkraft — das obszöne Wort werden wir hier nicht aussprechen, Herr Schiller — des-
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3028 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Dr. von Bismarckwegen nicht durchgeführt werden, weil Landtagswahlen bevorstehen, Landtagswahlen, bei denen man sich auf allen Seiten sehr sorgsam hütet, sie zu erwähnen. Die Flagge ist dann falsch, wenn man den Verzicht auf die vom Zentralbankrat, vom Wirtschaftsminister und vom Sachverständigenrat für notwendig gehaltene Kaufkraftabschöpfung damit begründet, die Vollbeschäftigung sei in Gefahr. Es wurde soeben schon gesagt, daß sie noch nie so wenig in Gefahr war wie heute und daß wir nicht an zuviel Vollbeschäftigung, sondern an der Überbeschäftigung im Augenblick unsere liebe Not haben. Das Schiff segelt unter falscher Flagge; denn Marktwirtschaft verträgt es nicht, daß man Preissteigerungen in der Höhe, wie wir sie heute haben und nach Ansicht aller Fachleute noch erwarten müssen, bagatellisiert und so verschönt, wie das gestern von Vertretern der Regierung und der Koalitionsparteien wiederum geschehen ist.Man hat auch nicht das Recht, unter der Flagge der Marktwirtschaft zu segeln, wenn man den Rückgang des Sparervertrauens dadurch zu tarnen sucht — wie das im Nachtrag zum Jahreswirtschaftsbericht unter Ziffer 10 geschehen ist —, daß man über die Sparquote des Jahres 1970 meditiert und sich dazu in demselben Zusammenhang wegen des Dritten Vermögensbildungsgesetzes lobt, das, wie wir alle wissen, erhebliche Mängel hat. Die Bundesbank sieht die Dinge anders. So sind den Banken auf Sparkonten und durch den Verkauf von Sparbriefen zusammen im Februar 1970 1,5 Milliarden DM gegenüber 2,1 Milliarden DM im Vorjahr und im März 300 Millionen DM gegenüber 1,2 Milliarden DM zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres zugeflossen.Der deutsche Bürger, meine Damen und Herren, zeigt, wie wir aus der kürzlich veröffentlichten Analyse des Allensbacher Instituts wissen, kein Verständnis für ein Absinken unserer Treue zur Stabilität. Die Bundesrepublik, die in den letzten 20 Jahren durch die Stabilität wieder gesund gemacht worden ist und das geht nicht auf die Bilanz Ihrer Partei —, möchte in der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung die Stabilität erhalten wissen, die uns die Freiheit verschafft und erhält, die wir nicht nur für uns, sondern auch für unsere Nachbarn erweitern wollen.Ich frage Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister: Welchen Kurs segelt das Schiff der Wirtschaftspolitik, auf dem Sie doch jedenfalls zur Zeit noch der Steuermann sind? Sie gehörten in der Frage der Aufwertung, die Sie ständig zitieren, gewiß zu den Spätentwicklern. Sie haben zehn Monate nach dem Rat der Sachverständigen Ihr Herz für diese Sache entdeckt. Aber dann haben Sie die Aufwertung erheblich und gegen alle konjunkturellen Erfahrungen in ihren Wirkungen weit überschätzt und daher erst im Januar mit steuernden Maßnahmen begonnen. — Herr Minister Schiller, Sie winken ab, weil Sie vielleicht der Meinung sind, all diese Dinge wüßten sie alleine richtig. Das zeichnet Sie aus.Aber Ihr marktwirtschaftliches Gewissen hat noch einmal geschlagen: am 27. Februar, eben zur rechten Zeit mit dem richtigen Vorschlag. Ich sage das, damit Sie alle wissen, was wir darüber denken. Sie hatten die Unterstützung der Bundesbank. Sie hatten die Unterstützung des Sachverständigenrates. Und Sie hätten, wenn Sie es hätten wissen wollen, wissen können, daß Ihnen die Opposition dabei nicht in den Arm gefallen wäre.
Warum, frage ich, haben Sie nicht Kurs gehalten?
Herr Abgeordneter von Bismarck, Ihre Redezeit ist schon abgelaufen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zum Schluß kämen.
Ich komme zum Schluß. Warum haben Sie nicht Kurs gehalten? Oder wollte Ihre Partei oder Ihre Mannschaft den marktwirtschaftlichen Kurs nicht mehr? Wenn ihr die Flagge der Marktwirtschaft für die Wähler genügt, dann müssen wir Sie fragen, ob Sie das mit Ihrem marktwirtschaftlichen Gewissen vereinbaren können.
Die Konzertierte Aktion, für den 22. Mai angesetzt, wurde wieder abgesagt. Statt dessen hören wir nur noch Beschwichtigungen. Herr Minister Schiller, ein Wirtschaftsminister ohne Fortune ist schlimm. Ein Wirtschaftsminister, der sich dazu benutzen läßt, vom Steuermann zur Galionsfigur gemacht zu werden, kann eine Katastrophe sein, eine Katastrophe für die Freiheit, von der wir alle leben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Geschäftsordnung gibt nach wie vor die Möglichkeit, hier Reden zu verlesen. Aber ich wäre doch dankbar, wenn die Redner, die die Absicht haben, das hier zu tun, wenigstens dem amtierenden Präsidenten die Courtoisie erwiesen, die Einwilligung einzuholen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Junghans.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem die Opposition zum fünften Male diesen Kaffee hier aufgewärmt hat, verleitet es mich, Ihnen einige Dinge ins Stammbuch zu schreiben.Erstens bin ich der Auffassung, daß Sie sich wahrscheinlich nicht im klaren darüber sind, welchen Schaden Sie durch dieses dauernde Aufwärmen, durch dieses Preisgerede, durch diese Preishysterie dem deutschen Volke angetan haben.
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JunghansWenn wir und die Bundesregierung Ihren Vorschlägen gefolgt wären, hätten wir erstens heute eine Preissteigerungsrate von 6 bis 7 %
infolge Ihrer Nichtaufwertungsbemühungen. Zweitens hätten wir eine Arbeitslosigkeit, deren Prozentzahl ich hier nicht nennen möchte.
Erinnern Sie sich vielleicht, daß der Herr Strauß gesagt hat: „Ich wäre dafür gewesen, die Lohn- und Einkommensteuer ab 1. Oktober vorübergehend um 10 % zu erhöhen"?
Meine Damen und Herren, nach Ihren Intentionen wäre drittens das Wachstum und damit die Möglichkeit für Reformen gleich Null. Da frage ich Sie, wie Sie dann Ihre Anträge hätten begründen wollen zur Erhöhung der Ausgaben in bestimmten Haushalten.
Viertens hätten wir ein Haushaltsdefizit. Ich erinnere an Ihre Anträge.Wir haben heute ein reales Wachstum von 6 % für 1970. Es geht also jedem Manne und jeder Frau in der Bundesrepublik besser als im vergangenen Jahre. Das debattieren Sie nicht weg.
Wir haben eine Preissteigerungsrate von 3,5 %
im Gegensatz zu 4,5 % im Jahre 1966. Der Matador auf diesem Felde heißt immer noch Erhard.
Bei der Preissteigerungsrate für das Jahr 1970 ist klar, daß sie durch die Vorbelastung um die Jahreswende nicht mehr gesenkt werden kann.
— Herr Müller-Hermann, Sie können Statistiken lesen, was ich Ihnen sogar zutraue. Sie wissen doch ganz genau, daß wir heute einen normalen Preisauftrieb in der Größenordnung von 2 % gehabt hätten, wenn es nicht eine Vorbelastung dadurch gegeben hätte, daß Sie sich gegen die Aufwertung gesperrt haben. Darüber gibt es doch gar keinen Zweifel.
Wir stellen fest, daß das Vertrauen der Bevölkerung in die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung auch durch Ihre fünfmaligen Angriffe, auch durch Ihr dauerndes Aufwärmen — und kalter Kaffee wirdnach meiner Auffassung nach fünfmaligem Aufwärmen ungenießbar — nicht gebrochen ist.
Nehmen Sie bitte in dieser Stunde zur Kenntnis: Sie können uns, die Koalitionsparteien, nicht verleiten, der deutschen Wirtschaft und damit der Bevölkerung aus wahltaktischen Gründen Schaden zuzufügen.
Meine Damen und Herren! Damit stehen wir am Ende der allgemeinen Aussprache.
Ich rufe jetzt den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 30 *) auf. Das Wort hat der Abgeordnete Röhner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Änderungsantrag auf Umdruck .30 bezweckt, wenigstens teilweise die Mittel für die „Frachthilfe für die Beförderung von Steinkohle" wieder in den Haushalt einzusetzen. Zur Begründung unseres Antrages bemerke ich kurz folgendes.Die Kohlefrachthilfe ist seit 1960 eingeführt worden. Sie wird aus dem Aufkommen an Mineralölsteuer gespeist. Sie war und ist für Anpassungsmaßnahmen zugunsten der Kohle vorgesehen und gehört zum Paket dieser Maßnahmen.Sinn der Frachthilfe war es 1960 — man muß an die damalige Situation bei der Kohle denken -und ist es nach unserer Auffassung heute noch, den Kohleabsatz zu fördern und zu sichern. Dann sollte damit ein Ausgleich für Tariferhöhungen verbunden sein. Letztlich soll mit der Beihilfe in strukturschwachen und vor allem revierfernen Gebieten die Wettbewerbssituation der dort ansässigen kohleverbrauchenden Wirtschaft günstig beeinflußt und verbessert werden. Von dieser Auffassung ließ sich offensichtlich die jetzige Bundesregierung noch bei der Aufstellung des Haushalts leiten. Denn der ursprüngliche Ansatz für die Kohlefrachthilfe im ausgedruckten Entwurf des Haushaltsplans belief sich auf 55 Millionen DM. Mit der Einbringung des Ergänzungshaushalts im Januar änderte plötzlich die Regierung ihre Ansicht und kürzte den entsprechenden Titel von 55 Millionen DM auf 5 Millionen DM. Dieser Betrag ist vorgesehen und gerade ausreichend, um Altanträge aus dem Jahre 1969 noch abzuwickeln. Die Regierung hat diese ihre geänderte Meinung damit begründet, daß sie einmal darauf hinwies, daß sie im gesamten Kohlebereich Einsparungen vornehmen mußte und sie sagte zum zweiten, daß es abzuwägen gewesen wäre, welche Einschränkungen den Steinkohlenbergbau am wenigsten belasten würden. Sie hat sich dabei dafür entschieden, daß die Absatzförderung an die Eisen-und Stahlindustrie und an die Elektrizitätswirtschaft der Frachthilfe, die sich für die revierfernen Ge-*) Siehe Anlage 2
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3030 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Röhnerbiete besonders auswirkt, vorgezogen und ihr eine zentralere Bedeutung beigemessen wird. Zum letzten sagte die Regierung in verschiedenen Verlautbarungen, daß die Kohlefrachthilfe in erster Linie eine kohlepolitische Maßnahme und keine strukturpolitische Maßnahme sei.Dazu möchte ich namens der CDU/CSU-Fraktion feststellen: Die Wegnahme der Kohlefrachthilfe ist eine einseitige, sachlich nicht gerechtfertigte Maßnahme; denn andere Absatzförderungen wurden nicht nur beibehalten, sondern die Haushaltstitel wurden zum Teil noch aufgestockt.Zweitens stelle ich fest, daß diese Kürzung am härtesten die revierferne kohleverbrauchende Wirtschaft trifft, die bereits im Oktober 1969 — wir kennen das alle — eine drastische Kohlepreiserhöhung zu verkraften hatte und in den letzten Wochen abermals eine Kohlepreiserhöhung unterbringen mußte.Aber auch der Hausbrand und der Gewerbeverbrauch sind von dieser Maßnahme betroffen.Es ist deshalb drittens nach unserer Ansicht falsch, die Frachthilfe ausschließlich unter energiepolitischen Gesichtspunkten zu betrachten; sie verbessert die Versorgungslage und die Wettbewerbssituation vor allem der mittelständischen Industrie in strukturschwachen Gebieten und revierfernen Gebieten.Viertens ist es unverständlich, meine Damen und Herren, daß ausgerechnet anteilsmäßig diesen Problemgebieten die Hilfe gestrichen wird, um Hilfen für die Elektrizitätswirtschaft und für die Eisen- und Stahlindustrie, die in einer Hochkonjunktur stehen, nicht nur beibehalten, sondern noch vergrößern und aufstocken zu können.
Wir sind der Meinung, man soll die Konjunktur dort dämpfen, wo sie überschäumt, und nicht dort, wo bestenfalls auch im Jahre 1970 ein normaler Wirtschaftsablauf festzustellen ist.
Aus diesen Gründen beantragen wir, den Titel 683 13 im Kapitel 09 02 um 30 Millionen DM auf 35 Millionen DM aufzustocken, um wenigstens für den Rest des Jahres die Kohlefrachthilfe für diese Gebiete zu gewährleisten.Als Deckung für diese Mehrausgabe schlagen wir eine Kürzung in gleicher Höhe bei Titel 683 26 vor. Dadurch wird bei diesem Titel der Ansatz auf 115 Millionen DM verringert. Seine Ausstattung belief sich bei der Erstaufstellung des Haushalts ohnedies nur auf 25 Millionen DM. Man möchte also annehmen, daß in diesem Titel die Belastung aufgenommen werden kann. Die verbleibenden 115 Millionen DM in diesem Titel reichen nach unserer Ansicht aus, um die daraus vorgesehenen Zuschüsse der öffentlichen Hand für die Kokskohle und für die Kokslieferungen des Steinkohlenbergbaus an die Eisen- und Stahlindustrie unter Berücksichtigung der heutigen Konjunktur- und Marktsituation zu gewährleisten.Unser Antrag berücksichtigt — lassen Sie mich das abschließend feststellen — sowohl die Interessen der arbeitenden Menschen im Ruhrgebiet wie auch die Interessen der Verbraucher, und zwar auch jener Verbraucher, die zur Kohle standen, als wir alle im ganzen Lande und nicht zuletzt hier in diesem Hohen Hause große Sorgen wegen der Kohlekrise hatten.
Ich bitte Sie deshalb, dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Umdruck 30 Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Kulawig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns mit diesem Antrag schon im Haushaltsausschuß auseinandergesetzt und auch mit der Antragsbegründung, die nun hier bei der Wiederholung des Antrages keine wesentlich neuen Elemente gebracht hat. Ich muß dem Hohen Hause empfehlen, .dasselbe zu tun, was die Mehrheit im Haushaltsausschuß tat: diesen Antrag abzulehnen.Wie der Kollege Röhner festgestellt hat, ist die Frachthilfe für Steinkohlentransporte in revierferne Gebiete im Jahre 1960 unter völlig anderen Verhältnissen eingeführt worden, als wir sie heute nach der Neuordnung im deutschen Steinkohlenbergbau vorfinden. Ich darf das Haus ,davon in Kenntnis setzen, daß die Entlastung für den Verbraucher zwischen 20 Pf und 2,20 DM lag. Man kann außerdem bezweifeln, daß, würde sie weiter beibehalten, dieser geringe Kostenvorteil von den Händlern an ,die Verbraucher weitergegeben würde.Es ist schon im Haushaltsausschuß darauf hingewiesen worden, daß die Regierung die Reduzierung des Ansatzes von 55 auf 5 Millionen DM vorgeschlagen hat, weil die Kohlenmittel im Haushaltsplanentwurf 1970 eine wesentliche Kürzung gegenüber 1969 erfahren haben. Während im Haushalt 1969 bei Kap. 09 02 590,2 Millionen DM ausgewiesen waren, sind es gemäß dem Ergänzungshaushalt im Jahre 1970 nur noch 468,5 Millionen DM. Davon sollten 30 Millionen DM gesperrt werden. In der Zwischenzeit ist daraus eine Kürzung geworden. Außerdem hat der Haushaltsausschuß weitere 12 Millionen DM aus den Kohletitelngestrichen.Man sah sich also vor der Aufgabe, angesichts des geringeren Finanzvolumens für die Kohletitel im Einzelplan 09 die volkswirtschaftlich sinnvollste Konzentration zugunsten der Energiepolitik vorzunehmen. Das geschieht durch Konzentration auf die Absatzsicherung für ,den Kohlenverbrauch in der Elektrizitätswirtschaft und in der Stahlindustrie und auf Investitionshilfen für die Rationalisierung in der neuen Ruhrkohle AG. Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Kokskohleregelung, die im Haushalt 1970 Mittel in Höhe von 145 Millionen DM erfordert, stützt sich auf eine Entscheidung der Europäischen Kommission vom Dezember 1969, die im Gemeinschaftsbereich Absatzbeihilfen und Förderbeihilfen vorsieht.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3031
KulawigErlauben Sie mir, das in einigen wenigen Zahlen darzustellen, damit klar wird, daß der Haushaltsansatz für die Kokskohlenbeihilfe realistisch ist und es nicht möglich ist, ihn um 30 Millionen DM zu kürzen.
Das war zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt.
Die Absatzbeihilfe, die auf einem Außenabsatz an Kokskohle und Koks in Höhe von 17 Millionen t basiert, erfordert bei einer Beihilfe von 2,56 DM je Tonne einen Gesamtbetrag von rund 43 Millionen DM. Dieser Betrag wird von den Gemeinschaften ersetzt. Hinzu kommt ein revierferner Innenabsatz von 6,5 Millionen t. Er erfordert im Bundeshaushalt einen Betrag in Höhe von 16 640 000 DM.Die zweite Subventionsart, die Förderhilfe, wird für einen Außenabsatz von 17 Millionen t und einen Innenabsatz von 25,3 Millionen t, zusammen also 42,3 Millionen t, gewährt. Der Beihilfesatz von 4,75 DM pro Tonne bleibt unter 'dem Höchstsatz, der im Ermächtigungsrahmen der Europäischen Kommission vorgeschlagen ist. Der Gesamtbedarf hierfür beträgt 217 057 000 DM.Die Kohle fördernden Länder haben sich an dieser Kokskohlenbeihilfe mit einem Drittel ,des Betrages zu beteiligen. Das sind 72,5 Millionen DM, so daß für den Bundeshaushalt für das Jahr 1970 der Betrag von 145 Millionen DM übrig bleibt, und das ist das, was ,im Bundeshaushaltsentwurf 1970 nach den Beratungen im Haushaltsausschuß ausgewiesen wird.Ich möchte ferner darauf hinweisen, daß die Vereinbarungen, die zwischen der deutschen Stahlindustrie und der Ruhrkohle AG getroffen worden sind, den Beschluß zur Grundlage haben, der im Haushaltsausschuß gefaßt worden ist und der auch von der Bundesregierung gegenüber der Ruhrkohle AG und der Stahlindustrie vertreten worden ist, d. h. die Gewährung des 'Rabattes für Hausbrandkohle ist davon abhängig, daß der Betrag, der im Haushaltsplan ausgewiesen ist, hier akzeptiert wird.Aus diesen wegen der Kürze der Zeit knapp dargelegten Gründen bitte ich Sie, den Änderungsantrag abzulehen und dem Beschluß des Haushaltsausschusses auch in zweiter Lesung Ihre Zustimmung zu geben.
Meine Damen und Herren, damit stehen wir am Ende der Beratungen zum Einzelplan 09.
— Herr Abgeordneter Schulhoff, Sie können nur zur Geschäftsordnung sprechen; Sie haben sich nicht in die Rednerliste eingetragen.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Schulhoff wollte hier noch einen Antrag einbringen.
Dieser Antrag liegt dem Hause aber nicht vervielfältigt vor. Wir können einen Antrag, der dem Hause nicht vorliegt, nicht beraten. Ich bitte dafür um Verständnis.
Ich akzeptiere das, meine Damen und Herren.
Herr Kollege, es bleibt Ihnen bei der Meinung des Hauses nichts anderes übrig.
Ich könnte ja versuchen, mich zu widersetzen. Wenn ich sage, ich akzeptiere das, so bedeutet das, daß ich die Gründe akzeptiere, die es dem Präsidenten nicht möglich machen, mir zu gestatten, diesen Antrag, der zur Zeit vervielfältigt wird — es ist der Antrag mit der Nr. 54 —, hier vorzutragen. Ich folge einem Rat meines Freundes Stücklen und begnüge mich damit, Ihnen anzukündigen, daß ich diesen Antrag in dritter Lesung wieder steilen werde. Bis dahin ist er vervielfältigt.
Lassen Sie mich — nur damit Sie wissen, worum es geht — noch sagen — —
Ich wäre Ihnen wirklich sehr dankbar, wenn Sie Ihre kurzen Ausführungen nun nicht für eine Begründung des Antrages verwenden würden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich wollte gar keine Begründung geben. Ich wollte nur sagen, worum es sich überhaupt handelt.
— Keine Aufregung. Sie sehen mich in der dritten Lesung wieder. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 30 zum Einzelplan 09. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. —Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Keine Stimmenthaltungen. Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 09. Wer dem Einzelplan 09 in der nun vorliegenden Fassung zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Einzelplan 09 ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie eben angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 04. Dazu liegt zunächst der Änderungsantrag Umdruck 39 vor. Dieser Antrag ist, wie mir der vorhin amtierende Präsident mitgeteilt hat, bereits begründet, so daß ich ihn zur Abstimmung stellen kann.
3032 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4 Juni 1970
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Wer dem Antrag Umdruck 39 *) der Fraktion der CDU/CSU zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. Danke. Gegenprobe! Danke schön. Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist mit der gleichen Mehrheit wie bei der letzten Abstimmung abgelehnt.
— Das Präsidium ist sich über das Ergebnis der Abstimmung einig.
Ich rufe den Änderungsantrag Umdruck 40 **) der Fraktion der CDU/CSU in zweiter Beratung auf. Wird dazu das Wort gewünscht? — Der Abgeordnete Reddemann wünscht das Wort. Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich halte es für notwendig, noch ein paar Sätze zu dem Antrag Umdruck 40 zu sagen, und zwar deswegen, weil ich den Eindruck habe, daß die Bundesregierung im Augenblick dabei ist, aus dem Bundespresse- und Informationsamt eine Art von Bundespropagandaministerium zu machen,
das sich nur deswegen noch von einem Ministerium unterscheidet, weil man wohl bisher nicht daran denkt, einen parlamentarisch verantwortlichen Minister dafür zu ernennen.Nach dem Willen des Gesetzgebers soll das Bundespresseamt ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten — „die Politik der Bundesregierung gegenüber den Organen des Nachrichtenwesens vertreten. Es hat weiterhin die Bevölkerung über die politischen Ziele und die Arbeit der Bundesregierung zu informieren". Nach der Praxis der Propagandabehörde Ahlers werden indessen seit einem halben Jahr Informationen durch platte Reklame, die offene Zusammenarbeit mit der gesamten Presse durch ein Mißtrauen gegenüber kritischen Journalisten und die Wertung journalistischer Freiheit durch diffamierende Abwertungen ersetzt.
Wider besseres Wissen hat die Bundesregierung Anzeigen herausgegeben, die der Bevölkerung suggerieren sollten, die Preise seien am Sinken. Ich habe eine dieser Anzeigen hier. Wenn ich mir die Kurve des Nach-unten-Gehens ansehe, habe ich eher den Eindruck, daß man in dieser Anzeige den Aktienindex der letzten Woche gezeigt hat,
keineswegs aber das tatsächliche Preisniveau. Wenn Sie die entsprechenden Erklärungen der zuständigen Sachverständigen sehen, werden Sie darüber nicht mehr streiten.Der Bundespressechef hat am 21. Januar allen Ernstes vor diesem Hause erklärt, die deutsche Presse sei nicht in der Lage, die Bevölkerung aus-*) Siehe Anlage 3 **) Siehe Anlage 4reichend über die politischen Ereignisse zu informieren.
Wir haben das zur Kenntnis genommen, und ich bin erstaunt darüber, daß sich Herr Ahlers bis heute noch nicht korrigieren mußte.Ich erinnere Sie an die Arroganz, mit der der Regierungssprecher eine ganze Gruppe von Journalisten, nämlich die Redakteure der Springer-Zeitungen, pauschal beschuldigt hat, Nachrichten zu fälschen, und daß er es bis heute nicht für notwendig gehalten hat, diese Behauptung auch nur irgendwie zu beweisen. Ich habe mir die Mühe gemacht, die Sache einmal zu untersuchen und festzustellen, was denn da so nachrichtenfälschend war. Im Bundespresseamt ist ja eine sogenannte Dokumentation erarbeitet worden. Der Bundespressechef hat sie vorsichtshalber diesem Hause nicht zugeleitet. Aber da in Bonn alles, was nicht gerade im Zentralorgan der SPD, „Vorwärts", abgedruckt ist, sehr schnell be-kann wird, kann ich mir erlauben, hier einige Zitate zu bringen.
Was nämlich — meine Damen, meine Herren, ich verstehe, daß Sie das nicht gern hören — hier unter der Bezeichnung „Kampagne gegen die Bundesregierung und die sie tragenden Persönlichkeiten" zusammengestellt wurde, das heißt zum Beispiel: „Regierung Brandt hat taktische Fehler begangen." Oder es heißt: „Brandt hatte einen schlechten Tag." Oder es heißt: „Scheel schimpfte auf Mende und die Presse." Das sind Teile der Arbeiten, die als angebliche Nachrichtenfälschung nach vorn gebracht wurden!
Als eine der Gipfelleistungen empörender Nachrichtenfälschung empfand man dann im Presseamt — ich zitiere wieder wörtlich —: „Der Bericht in der ,Welt' vom 7. 1. über das Dreikönigstreffen der FDP ist sehr negativ und ironisch." Daß man unter diesen Umständen dann sogar noch ein korrekt wiedergegebenes Zitat aus der „Neuen Zürcher Zeitung" ebenfalls in diese sogenannte Dokumentation mit hineingenommen hat, wundert eigentlich niemanden.Der Deutsche Presserat hat entsprechend reagiert. Er hat die Äußerungen von Conrad Ahlers eindeutig mißbilligt und diese fadenscheinigen Pseudoargumente zurückgewiesen. Wir warten aber bis heute darauf, daß sich Conrad Ahlers für seine Behauptung entschuldigt, und wir warten bis heute darauf, daß der Bundeskanzler, der sich ja hier im Bundestag vor diese Behauptung gestellt hat, sein Bedauern ausspricht.
Ich habe den Eindruck, das geht ähnlich wie in der Bielefelder Affäre, wo man mit Begeisterung falsche Behauptungen in die Welt setzt und in dem Augenblick, da man sie beweisen soll, nur noch Rückzieher macht.
Ich meine aber, daß wir um der Pressefreiheit willen hier vor diesem Hause eindeutig feststellen
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3033
Reddemannmüssen, daß der Vorwurf der Nachrichtenfälschung nicht die Redakteure der Springer-Zeitungen und auch nicht die ebenfalls in die Garotte genommenen Fernsehredakteure trifft, sondern daß diese Behauptung eindeutig auf ihre Urheber zurückfällt.
Das Ganze ist aber nicht nur ein Problem Ahlers, sondern das Ganze ist ein Problem Bundeskanzler; denn der Bundeskanzler ist der Dienstvorgesetzte des Herrn Ahlers, und er kann sich nicht einmal darauf berufen, vielleicht sei der Herr Ehmke zuständig, weil jeder, der ein bißchen in der Materie Bescheid weiß, die Intimfeindschaft zwischen Herrn Ehmke und Herrn Ahlers kennt.
Der Bundeskanzler ist verantwortlich für den Stil dieser Regierung, und wenn er sich weigert, selbst dieses Parlament vernünftig zu informieren, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn sein Pressechef die Öffentlichkeit und die Presse ebenfalls schlecht informiert.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie wirklich mehr Demokratie und nicht mehr Sozialdemokratie hier wagen möchten, hören Sie bitte auf, diese Methoden der Volksaufklärung und Propaganda noch weiterhin in den Vordergrund zu stellen.
— Herr Wehner, Ihre Zwischenrufe lese ich gern hinterher nach. Nach Ihrer ungeheuerlichen Entgleisung von heute
halte ich es nicht für richtig, mit Ihnen auch nur im geringsten in ein Gespräch einzutreten.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Corterier?
Herr Kollege, ich habe in diesem Hause so oft versucht, bei Ausführungen Ihrer Fraktionskollegen Zwischenfragen zu stellen. Ich habe mir vorgenommen, genauso nein zu sagen, wie es mir gegenüber oft genug getan worden ist.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie wieder eine richtige Informationspolitik betreiben wollen, dann verlassen Sie sich nicht mehr auf die Verführungskünste eines Herrn Augstein und dessen Regierungsnachrichtenmagazin; denn er wird Sie in dem Augenblick so rücksichtslos wie auch andere fallen lassen, wenn die Außensteuerung von ihm bei Ihnen im Kabinett nicht mehr funktioniert.
Herr Bundeskanzler, verlassen Sie sich bitte auch nicht auf Lobpreisungen aus dem Munde eines Herrn Nannen, der früher schon einmal einen Führer und Kanzler, den wir beide verabscheuen, mit außerordentlicher Freudigkeit bedacht hat.
Sie haben es eigentlich nicht nötig, einen solchen Hofpoeten zu haben, nachdem Sie erklärt haben, daß Sie glaubten, mit Ihrer Wahl sei der Nationalsozialismus endgültig erledigt.
Herr Bundeskanzler, verlassen Sie sich bitte auch nicht auf die Merseburger Zaubersprüche, denen die roten Scheuklappen das Panorama zum klassenkämpferischen Guckloch eingeengt haben.
Herr Bundeskanzler, machen Sie wieder das, was notwendig ist: treiben Sie eine vernünftige Informationspolitik! Hören Sie wieder auf kritische Stimmen im Journalismus;
lassen Sie sich nicht einfach von Hofsängern des Schaumburger Hofes und dessen Konzert begleiten. Verhindern Sie, daß dieses Presse- und Informationsamt der Bundesregierung eine Maulkorbpolitik betreibt! Dann werden wir beim nächsten Mal — falls Sie diesen Etat dann noch einbringen können —
nicht mehr auf die Idee kommen, einen Streichungsantrag einzubringen, sondern dann sind wir gerne bereit, mit Ihnen gemeinsam für eine vernünftige Informationspolitik einzutreten.
Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, hier wieder eine Debatte über die Titel „Öffentlichkeitsarbeit" zu eröffnen. Wir haben gestern durch unseren Sprecher, Herrn Kollegen Raffert, klargemacht, wie wir die Dinge ansehen. Ich habe nur zwei Bemerkungen hinzuzufügen.Erstens. Der Kollege hat hier behauptet, wir wollten aus dem Bundespresseamt ein Bundespropagandaministerium machen. Er hat sich dann sogar noch in einem Vokabular ausgedrückt, das von 1933 bis 1945 üblich war. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Pläne zur Erweiterung und zum Ausbau des Bundespresseamtes stammen nicht von uns, sondern Sie haben das versucht, und wir haben das während Ihrer Regierungszeit mit Hilfe der FDP verhindert und werden das auch in Zukunft verhindern.
Das Zweite ist, daß ich einem Kollegen, der hier in diesem Stil redet und der den Herrn Bundespräsidenten nach seiner Wahl als einen Spießer bezeichnet hat, nicht antworten werde.Wir lehnen den Antrag ab.
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3034 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Meine Damen und Herren, damit kommen wir zur Abstimmung über den Abänderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 40 . Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Danke schön. Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 04.
Zur Abstimmung hat der Abgeordnete Wagner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Abstimmung und in Rede steht nicht nur der Haushaltsplan des Kanzleramtes, zur Abstimmung steht auch die Politik dieser Bundesregierung. Angesichts der Gewichtigkeit dieser Entscheidung beantragen wir namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren! Es ist der Antrag auf namentliche Abstimmung gestellt. Ich gehe davon aus, daß der Antrag hinreichend unterstützt ist.
Wir treten in die Abstimmung ein.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04 bekannt. Von den uneingeschränkt stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 247 mit Ja, 241 mit Nein gestimmt. Enthalten hat sich niemand. Von den Berliner Abgeordneten haben 12 mit Ja, 8 mit Nein gestimmt. Der Stimme enthalten hat sich niemand.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 488 und 20 Berliner Abgeordnete; davonJa: 247 und 12 Berliner AbgeordneteNein: 241 und 8 Berliner AbgeordneteEnthalten: keineUngültig: keineSPDAdamsDr. AhrensDr. ApelArendt Dr. Arndt (Hamburg) BaackBaeuchle Bäuerle BalsBarcheDr. BardensBatzBauer BayDr. BayerlDr. Bechert Becker (Nienberge),Dr. BeermannBehrendtBergmannBerkhan Berlin BiermannBöhmBörnerFrau von BothmerDr. Brand BrandtBrandt
BredlBrück Brünen BuchstallerDr. von Bülow BuschfortDr. BußmannCollet CorterierCramerDr. von Dohnanyi DröscherDürrEckerlandDr. EhmkeFrau EilersDr. EndersEngholmDr. EpplerEsters Faller FellermaierFiebigDr. FischerFlämigFrau Dr. FockeFolgerFranke FrehseeFrau FreyhFritsch GeigerGerlach GertzenDr. GeßnerGlombigGnädingerGscheidleDr. HaackHaage Haar (Stuttgart)Haase HaehserHalfmeier1-Iansen 1-lansing Hauck Dr. HauffDr. Hein HenkeFrau Herklotz Hermsdorf HeroldHirsch
Hörmann HofmannHornFrau HuberDr. HupkaJahn JaschkeJunghansJunker Kaffka KaterKernKillat-von CorethDr. Koch Koenig KohlbergerKonradDr. Kreutzmann KriedemannKrockert Kulawig LangeLangebeckDr. LauritzenLautenschlagerFrau LauterbachLeberLempLemperLendersLiedtkeLöbbertLotzeMaibaum Marquardt Marx
Matthes Matthöfer Frau MeermannDr. Meinecke Meinike (Oberhausen) MetzgerMichelsMöhringDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller
Dr. Müller Müller (Nordenham)Dr. Müller-EmmertDr. MüthlingNeemann Neumann Dr. Nölling Offergeld Frau Dr. OrthFrhr. Ostman von der Leye PawelczykPeiterPenskyPeters
PöhlerPorznerRaffertRavensDr. Reischl Frau RengerRichterDr. RinderspacherRohdeRosenthal RoßSäcklSanderSaxowskiDr. SchachtschabelDr. Schäfer
Frau SchanzenbachScheuDr. Schiller Schiller
Frau SchimschokSchirmer SchlagaDr. Schmid Schmidt (Braunschweig)Dr. Schmidt Schmidt (Hamburg)Dr. Schmidt Schmidt (München)Schmidt Schmidt (Würgendorf)Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeSchoettle Schollmeyer Schonhofen Schulte
Schwabe SeefeldSeibertSeidelFrau Seppi SimonDr. Slotta
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3035
Dr. SperlingSpilleckeStaak
Frau StrobelStrohmayrSuckTallertDr. TambléFrau Dr. TimmTönjes UrbaniakVitWalkhoffDr. Weber
Wehner Welslau Wende Wendt WestphalDr. WichertWiefel WienandWilhelm WischnewskiDr. de WithWittmannWolfWolframWrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer ZanderBerliner AbgeordneteDr. Arndt
Bartsch Bühling Frau KrappeLiehrLöffler Mattick Dr. SchellenbergFrau SchleiDr. SeumeSieglerschmidtFDPDr. AchenbachDr. DahrendorfFrau Dr. Diemer-Nicolaus DornErtlFrau FunckeGeldner GenscherGraaff Grüner Helms JungKirstKleinertKrallLogemannMertes MischnickMoerschOlleschPeters
Dr. RutschkeScheelSchmidt WurbsBerliner Abgeordnete BormCDU/CSUDr. Abelein AdornoDr. Aigner Albervon Alten-NordheimDr. AlthammerDr. Arnold Dr. ArtzingerDr. BachBaierBalkenhol Dr. Barzel Dr. Becher
Dr. Becker
Becker BerberichBerdingBergerBewerunge Biechele BiehleDr. BirrenbachDr. von Bismarck BittelmannBlankBlumenfeldvon BockelbergDr. BöhmeFrau Brauksiepe Breidbach BremerBremmDr. BurgbacherBurgerDr. Czaja DammDaschvan Delden Dichgans Dr. Dittrich Dr. DollingerDraegervon Eckardt EhnesEngelsbergerErhard ErnestiErpenbeck Dr. Evers Dr. Eyrich von Fircks Franke
Dr. Franz Dr. FreiwaldDr. FrerichsDr. Früh Dr. Fuchs Dr. Furler Dr. GatzenFrau Geisendörfer GeisenhoferGerlach GewandtGierensteinDr. Giulini Dr. GleissnerGlüsing Dr. GölterDr. Götz GotteslebenFrau GriesingerDr. GruhlFreiherr von und zu GuttenbergHaase
Dr. Häfele Härzschel Häussler Dr. HallsteinDr. HammansHanzvon HasselHauser Dr. Hauser (Sasbach)Dr. HeckHein
Frau Dr. HenzeDr. Hermesdorf HöcherlHöslHorstmeierHortenDr. HubrigHussing Dr. Huys Frau Jacobi
Dr. JaegerDr. Jahn Dr. JenningerDr. Jobst JostenDr. JungmannFrau KalinkeKatzerDr. KempflerKiechle KiepDr. h. c. KiesingerFrau Klee Dr. KlepschDr. KleyDr. Kliesing KlinkerKöppler KösterKrammig Krampe Dr. KraskeDr. KreileFrau Dr. Kuchtner LampersbachLeichtLemmrich LensingDr. Lenz Lenze (Attendorn)LenzerLinkDr. Löhr Dr. Luda Lücke
Lücker MajonicaDr. MartinDr. Marx MaucherMeister Memmel MickDr. Mikat Dr. MiltnerDr. Müller Müller (Niederfischbach) Müller (Remscheid)Dr. Müller-Hermann MurschNiegelDr. von Nordenskjöld OrgaßOttPetersen Pfeifer Picard PierothDr. PingerDr. Pohle PohlmannDr. PrasslerDr. Preiß Dr. ProbstRainer Rasner RaweReddemannDr. ReinhardRichartsRiedel
Dr. Riedl
Dr. RinscheDr. RitgenDr. Ritz RockRöhner Rösing RollmannRommerskirchenRoserRufRussePrinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinSchleeDr. Schmid-BurgkDr. Schmidt Schmitt (Lockweiler)Dr. h. c. SchmückerSchneider
Dr. Schneider
Dr. SchoberFrau Schroeder
Dr. Schröder Schröder (Sellstedt)Schröder SchulhoffSchulte Dr. Schulze-VorbergDr. SchwörerSeitersDr. SiemerSolkeSpilker SpringorumDr. SprungStahlbergDr. Stark
Stein
SteinerDr. StoltenbergFrau StommelStorm Strauß Struve StücklenSussetvon ThaddenTobabenFrau TüblerUnertlDr. UnlandVarelmannVehar Vogel VogtVolmerWagner
Dr. Wagner
Frau Dr. WalzDr. WarnkeWawrzikWeber
WeiglDr. Freiherr von Weizsäcker WernerWindelen
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3036 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Winkelheide WissebachDr. WörnerFrau Dr. Wolf Baron von Wrangel Dr. WulffZieglerDr. Zimmermann ZinkBerliner AbgeordneteAmrehn BendaDr. GradlDr. Kotowski LemmerMüller
Frau Pieser WohlrabeDamit ist der Haushalt verabschiedet. Ich rufe den Einzelplan 10 auf:Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.— Drucksachen VI/829, N/854 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. von Bülow Abgeordneter Müller
Ich erteile das Wort dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Dr. von Bülow.
— Sie wünschen, daß das Haus darauf verzichtet?
— Meine Damen und Herren, verzichten Sie auf die Berichte, damit es schneller geht? — Gut! Dann wollen wir in die Aussprache eintreten. Das Wort hat Herr Dr. von Bülow.B)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 10 des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ist der einzige Plan in diesem Haushalt, in dem größere Umschichtungen in Höhe von etwa 120 Millionen DM vorgenommen worden sind. Er hat dieses Jahr ein Gesamtvolumen von 7,7 Milliarden DM gegenüber 5,5 Milliarden DM im Jahre 1969. Drei Faktoren haben dieses Ergebnis bewirkt.
Zum ersten ist die EWG-Marktordnung auf 3,5 Milliarden DM angestiegen und hat damit gegenüber 1969 eine Erhöhung um 1,5 Milliarden DM erfahren. Man muß hinzufügen, daß das gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung der vergangenen Regierung, die 2,2 Milliarden DM vorgesehen hatte, eine Erhöhung um 1,3 Milliarden DM ist. Der Anstieg dieser Ausgaben wird uns auch in Zukunft Jahr für Jahr vor ein Dilemma stellen.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Aufmerksamkeit für den Kollegen, der spricht. Ich bitte Sie außerdem, Platz zu nehmen. Ferner bitte ich diejenigen, die eine dringende Unterhaltung führen müssen, diese außerhalb des Saales zu führen.
Der Abgeordnete Bewerunge hat in dem Pressedienst der Christlichen Demokraten veröffentlicht, daß nach fünf oder sechs Monaten neuer Bundesregierung die Agrarfinanzierung bereits mit 4,5 Milliarden DM in den roten Zahlen stecke. Demgegenüber ist festzuhalten, daß die Steigerung der Ausgaben um 1,3 Milliarden DM gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung der letzten Regierung ja nicht auf die Beschlüsse dieser Regierung zurückzuführen ist, sondern auf die Agrarpolitik, die die vergangene Regierung eingeleitet hat und aus der wir im europäischen Konzert nicht mehr herauskommen.Dadurch, daß die EWG-Marktausgaben in einem bedenklichen Ausmaß ansteigen, sind wir in eine Zangenbewegung hinsichtlich der nationalen Agrarstrukturpolitik hineingekommen. Es ist keineswegs verwunderlich, daß diese Zangenbewegung in der mittelfristigen Finanzplanung der vergangenen Regierung zu einer Streichung von 500 Millionen DM im nationalen Agrarprogramm geführt hat. Demgegenüber hat diese Regierung eine Erhöhung des Ansatzes gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung im nationalen Agrarbereich um 389 Millionen DM durchgeführt, und der Haushaltsausschuß hat zusammen mit dem Ernährungsausschuß weitere 120 Millionen DM hier hineingebracht.Zum dritten sind die Ausgaben gestiegen, weil der Aufwertungsausgleich, das Versprechen dieser Regierung, den Landwirten den vollen Ausgleich der Schäden zu gewähren, die sie durch die Aufwertung erlitten haben, mit 920 Millionen DM zu Buche schlägt. Herr Bewerunge, Sie können ja sagen, was Sie wollen, aber dieses Geld kommt den Landwirten zugute, genauso wie die dreiprozentige Mehrwertsteuerregelung den Landwirten zugute kommt. Ich glaube, daß die Landwirtschaft insgesamt in diesem Jahr nicht so schlecht dasteht, wie Sie es draußen im Land behaupten.Diese Umschichtung von 120 Millionen DM war möglich, weil wir, die Berichterstatter, uns sehr genau und mit großer Sorgfalt die Finanzierung des EWG-Agrarbereichs angeschaut und gesehen haben, daß in diesem Jahr hier eine Umschichtungsmöglichkeit in dieser Größenordnung gegeben ist. Es ist natürlich für den Haushaltsausschuß und für den Ernährungsausschuß verführerisch, das jedes Jahr aufs neue so zu machen. Da müssen wir eine gewisse Disziplin wahren, um die Haushaltsansätze wahrhaftig und der vermutlichen Entwicklung angepaßt zu belassen.Es ist aufgehoben worden die sogenannte Sippenhaftung zwischen dem nationalen Agrarbereich und dem EWG-Agrarbereich, die besagte, daß Mehrausgaben im EWG-Agrarbereich aus Mitteln für die nationale Strukturpolitik gedeckt werden müssen. Das ist ein echter Durchbruch für die Landwirtschaft, der einen entscheidenden Fortschritt darstellt. Ich glaube also, man kann nicht so wie Sie, meine Herren Abgeordneten von der Opposition, landauf, landab sagen, die sozialdemokratisch geführte Koalition werde zu einem Untergang der deutschen Landwirtschaft führen. Das können Sie nicht sagen, wenn Sie diese Tatbestände zur Kenntnis nehmen.Die Mittel für die Flurbereinigung sind um 14 Millionen DM aufgestockt worden, die für den Wirtschaftswegebau um 2 Millionen DM, die Mittel
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3037
Dr. von Bülowfür die von der Natur benachteiligten Gebiete um 15 Millionen DM, die Wasserwirtschaft um 2 Millionen DM, das Emsland- und das Nordprogramm um 10 Millionen DM, die Unfallversicherung um 55 Millionen DM, um eine Beitrittserhöhung um 30 % zu vermeiden, für die Fischabsatzwerbung und schließlich für den Küstenschutz mit 20 Millionen DM. Wir haben damit die Haushaltsansätze des letzten Jahres nahezu vollständig wiederhergestellt, trotz der enormen Steigerungen der Ausgaben im EWG-Bereich und trotz des Aufwertungsausgleichs, den wir zahlen müssen.Von diesen Mitteln ist noch einmal ein Betrag von 50 Millionen DM abzusetzen, es handelt sich um die Ansätze, bei denen wir einstimmig Sperren in Kürzungen verwandelt haben. Das ist bedauerlich. Auf der anderen Seite muß festgehalten werden, daß auch hier wieder der Einzelplan 10 der Landwirtschaft derjenige ist, der am wenigsten mit Sperren versehen worden ist.Meine Damen und Herren! Dieser Haushalt beweist, daß wir sehr wohl die Probleme der Landwirtschaft sehen, daß wir versuchen wollen, sie in eine moderne Struktur zu überführen.Es ist auch nicht richtig — wie im CDU-Pressedienst behauptet worden ist —, daß in diesem Jahr etwa keine Investitionshilfen gezahlt würden. Es sind 64 Millionen DM an Investitionshilfen eingesetzt; sie dienen der Abwicklung des Programms, das bis zum Jahre 1969 auf Grund des EWG-Anpassungsgesetzes abgelaufen ist. Ein neuer Ansatz von 10 Millionen DM ist eingesetzt worden, dazu weitere 20 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen, mit denen das neue Investitionsförderungsprogramm finanziert werden soll. Es wird sich in der Zukunft zeigen, ob wir in der Landwirtschaftspolitik eine vernünftige Basis über alle Parteien hinweg finden können und ob die CDU-Opposition es wagen wird, vom Gießkannenprinzip Abstand zu nehmen.
— Das sollte man Ihnen sagen. Wir werden die Diskussion um das Investitionsförderungsprogramm in den nächsten Monaten hier im Hause haben.
Ja, Herr Höcherl hat für sich in Anspruch genommen, daß dieses Programm noch in seiner Zeit erarbeitet worden sei. Aber wir werden ja sehen, ob Sie als Fraktion in der Lage sind, die Fördermittel zu einem großen Teil schwerpunktmäßig auf die Landwirte zu konzentrieren, die hauptberuflich in der Landwirtschaft bleiben und den EWG-Anpassungsprozeß bestehen wollen.Nun noch ein Wort zu den Kürzungsanträgen, die die Opposition hier vorgelegt hat. Sie hat in einem Antrag niedergelegt, daß sie erstens eine globale Haushaltskürzung von 1,5 Milliarden DM in den Haushaltsplan eingesetzt haben möchte. Wenn man dem Antrag folgte, müßte auch in den Landwirtschaftsetat ganz erheblich eingegriffen werden. Und das müßte dann natürlich zu Lasten der Ansätze fürdie nationale Strukturpolitik gehen. Der zweite Antrag verlangt, in jedem Etatposten, der nicht auf einer gesetzlichen Verpflichtung beruht und der nicht die Bezahlung von Personal zum Gegenstand hat, eine 10 %ige Kürzung des Ansatzes vorzusehen. Der Betrag, der dadurch zustande käme — ich habe mir das mal zusammenstellen lassen —, wäre ungefähr eine Summe von 100 bis 150 Millionen DM, je nachdem wie man Ihre Anträge auslegt. Ich glaube kaum, daß das dem Vorteil der deutschen Landwirtschaft dient.
Sie gestatten eine Zwischenfrage? — Bitte!
Herr von Bülow, sollten Sie noch nicht zur Kenntnis genommen haben, daß der Antrag, von dem Sie sprechen, der eine globale Kürzung um 10 % vorsieht, inzwischen nicht mehr vorliegt, sondern durch den Antrag 34 ersetzt worden ist?
Was hat der zum Gegenstand?
Daß die 10 % eben nicht mehr enthalten sind.
Dann hat es sich also herumgesprochen, daß das ein fataler Anschlag gerade auf die vernünftigsten Strukturmaßnahmen der Landwirtschaft war.
Ich bin glücklich darüber, daß diese Einsicht bei Ihnen gekommen ist.
Wir müssen nachher auch erörtern, was das für Konsequenzen im Straßenbau hat. Man kann nämlich nicht im Haushaltsausschuß auf der einen Seite der Meinung sein, 200 Millionen für konjunkturschwache Gebiete zu entsperren und auf der anderen Seite dann eine globale Haushaltskürzung von 1,5 Milliarden DM einführen. Wenn das durchgehen sollte, schädigen wir die konjunkturschwachen Gebiete mit einem Keulenschlag.
Ich möchte jetzt zum Schluß kommen. Ich glaube, daß die Landwirtschaft Vertrauen haben kann in diese Regierung, die in einer sehr schwierigen Situation steht, was die Finanzierung des Umstrukturierungsprozesses der Landwirtschaft anlangt. Wir sind, wie gesagt, in dieser Zangenbewegung zwischen EWG-Finanzierung und den Mitteln für unsere eigene Strukturpolitik. Ich hoffe, daß wir unsere Mittel in Zukunft mehr als bisher auf eine sinnvolle und auf den zukunftsträchtigen Einzelbetrieb und seine Zukunft abgestellte Planung konzentrieren können.
Das Wort hat der Abgeordnete Röhner.
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3038 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie, daß ich zum Einzelplan 10, dem Agrarhaushalt, auch seitens der Opposition der CDU/CSU-Fraktion, einige Bemerkungen mache. Der Agrarhaushalt zeichnet sich eigentlich nicht nur bei seinen Lesungen in diesem Hohen Hause, sondern auch im ganzen Jahresablauf immer dadurch aus, daß er eine besondere Beachtung, eine besonders kritische Durchleuchtung und Wertung erfährt. Der Agrarhaushalt 1970 wird da keine Ausnahme machen. Er ist durch einige Besonderheiten gekennzeichnet, die ihn gegenüber zurückliegenden Agrarhaushalten hervorheben und herausstellen. Der Agrarhaushalt 1970 hat tatsächlich einen Rekordstand. Er beläuft sich auf rund 7,7 Milliarden DM. 1969 waren es noch rund 5,4 Milliarden DM.Die Gründe für diese Etatausweitung sind bekannt. Herr Kollege Dr. von Bülow hat teilweise darauf hingewiesen. Es sind einmal die durch die EWG bedingten Mehrausgaben für Marktordnungen, die immerhin die stattliche Höhe von rund 1,5 Milliarden DM ausmachen. Es sind weiter jene Beträge, die infolge der D-Mark-Aufwertung in diesem Haushalt eingestellt worden sind. Das sind jene Beträge, die für die Preisbruchvergütungen der aufnehmenden Hand und — das ist der größere Posten — für den unmittelbaren Einkommensausgleich aufgewandt werden mußten. Beides zusammen ergibt rund 1 Milliarde DM.Ich will jetzt keine Debatte darüber führen, ob es notwendig gewesen wäre, in dieser Weise einen Rekordstand des Agrarhaushaltes herbeizuführen. Ich bin versucht, an das Wort des Bundeskanzlers bei der Regierungserklärung und bei der Aussprache über die Regierungserklärung zu erinnern, als z. B. darauf hingewiesen wurde, daß die ganzen die EWG betreffenden Haushaltsmittel in einen eigenen Haushalt eingestellt werden. Damit sollte der Einzelplan 10 auch optisch entlastet werden. Aber sie sind nicht in einen besonderen Haushalt gebracht worden, sondern werden im Haushalt 1970 wie ehedem an der bisherigen Stelle angetroffen.Ich will auch nicht die in diesem Hause vielfach und unter den unterschiedlichsten Gesichtspunkten bereits geführte Aufwertungsdebatte wiederholen, zumal ich der Meinung bin, daß die vor uns liegenden Probleme im europäischen Agrarbereich eher noch größer und schwieriger sind als die unmittelbar hinter uns liegenden.Das gilt vor allen Dingen dann, wenn es nicht alsbald gelingt, die auf der Haager Gipfelkonferenz beschlossene Wirtschafts- und Währungsunion im EWG-Bereich herbeizuführen. Unsere Landwirtschaft und vielleicht auch die eine oder andere Landwirtschaft eines Partnerstaates wird kaum mehr eine zweite Welle der Ab- und Aufwertung überstehen. Währungspolitische Maßnahmen, wie wir sie 1969 in Frankreich und anschließend bei uns mit der D-Mark-Aufwertung in der Bundesrepublik erlebt haben, werden dann nicht mehr zu überstehen sein, wenn mangels anderer Lösungsmöglichkeiten das gleiche Instrumentarium wie bei der Franc-Abwertung und bei der D-Mark-Aufwertung wiederum angewandtwird. Träfe uns eine derartige Währungsänderung im agrarischen Bereich dieses gemeinsamen Europas noch einmal, würde das zu ernsthaften Gefährdungen der Integration führen. Es würde — das gehört doch wohl in eine Haushaltsdebatte — noch schwieriger, eine mittelfristige Haushaltsplanung und Haushaltsführung im EWG-Raum anzustreben und zu erreichen.
Deshalb erwarten wir, daß in der gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsunion ein System verankert wird, das ein für allemal verhindert, daß der Landwirtschaft erneut Einkommenseinbußen zugemutet würden, und das verhindert, daß die EWG-Mitgliedsstaaten noch einmal gezwungen würden, in ihren nationalen Haushalten zum Instrument von Ausgleichszahlungen zu greifen. Denn dadurch wird die Landwirtschaft in der Öffentlichkeit unberechtigterweise zum Subventionsempfänger abgestempelt. Ausgleichszahlungen übrigens, die neue Ungerechtigkeit leicht deshalb heraufbeschwören, weil eben bestimmte Methoden, etwa die Orientierung am Umsatz, an der Produktionsmenge oder am Preis, bei einem Verteilungssystem von solchen Ausgleichsbeträgen schlechterdings unmöglich sind.Lassen Sie mich nunmehr auch ein paar Worte zum Beratungsergebnis sagen, soweit es durch die Arbeit des Haushaltsausschusses in den vergangenen Wochen zustande gekommen ist. Sicher — der Kollege von Bülow wies bereits darauf hin — kann man vorneweg erfreulicherweise feststellen, daß es bei den Beratungen des Haushaltsausschusses gelungen ist, für den nationalen Bereich der Agrarpolitik zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen. Der Haushaltsausschuß hat durch diese seine Beschlüsse zum Agraretat zugunsten unserer Landwirtschaft weitgehend das erfüllt, was der Bundeskanzler und sein Finanzminister in der Aussprache zur Regierungserklärung und bei der ersten Lesung des Haushalts in Aussicht gestellt, aber nicht verwirklicht hatten.
Es war also das Parlament, das hier die Korrektur vornahm, damit dieses Ergebnis zustande kommen konnte, das ich als erfreulich bezeichnet habe.
Auf das Problem der Sperren wurde bereits hingewiesen. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Es ist natürlich bedauerlich, daß damit im landwirtschaftlichen Bereich, und das ist ja ganz allgemein ein Problembereich, durch diese Sperren auch diese Opfer mit übernommen werden mußten.Wenn ich eben aus den Etatberatungen im Haushaltsausschuß etwas Erfreuliches darstellen konnte, dann soll man sich trotzdem nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieser Agraretat 1970 noch weit davon entfernt ist, das zu ermöglichen, was man sich im Rahmen einer längerfristigen Konzeption erhofft. Einer Konzeption, die zu einer weiteren Erleichterung im landwirtschaftlichen Bereich, die zur harmonischen Förderung des Strukturwandels in der Landwirtschaft beitragen könnte und müßte.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3039
RöhnerDer Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung die volle Teilnahme der Landwirtschaft an der Einkommens- und Wohlstandsentwicklung seiner Agrarpolitik in Aussicht gestellt. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, machen wir uns nichts vor, kann nur erreicht werden, wenn alle Instrumente der Agrarpolitik und — besonders darauf kommt es mir an — die Preis- und Marktpolitik optimal eingesetzt werden. Aber neben diesem teilweisen Verlustausgleich für die Landwirtschaft sehe ich die Einkommenssteigerungen sonstiger Bereiche und Gruppen. Darf ich z. B. in diesem Zusammenhang darauf hinweisen — ich freue mich darüber, daß das festgestellt werden kann, und bringe das nur, um einen Vergleich zu schaffen —, daß beispielsweise in der Zeit von April 1969 bis April dieses Jahres der Industrielohn um rund 16% gestiegen ist, daß etwa von Februar 1969 bis Februar 1970 die Baukosten in der Landwirtschaft um fast 9 % gestiegen sind. Was uns in diesem Jahr auf diesem Sektor noch erwartet, darüber brauchen wir uns keine Illusionen zu machen. Darf ich zusätzlich anführen, daß ebenfalls von Februar 1969 bis Februar 1970 die Landwirtschaft für ihre Maschineninvestitionen rund 8 bis 9 % mehr aufwenden mußte als im vergangenen Jahr. Nicht unerwähnt kann hier auch bleiben, wie sich der Rekorddiskontsatz zwangsläufig auf die Kreditbeschaffung in der Landwirtschaft auswirken muß. Bei diesem Rekorddiskontsatz — lassen Sie mich das mit aller Deutlichkeit feststellen — ist es unserer Landwirtschaft in diesem Jahre überhaupt nicht möglich, Kredite aufzunehmen und damit zu arbeiten.Wie steht es mit der Versicherung der Regierung in der Regierungserklärung, man werde bemüht sein, einen Strukturwandel durch Preisdruck zu vermeiden und zu unterbinden? Ich bin der Ansicht, wenn dieser Satz aus der Regierungserklärung nicht nur Versprechen bleiben soll, dann muß unsere Landwirtschaft erwarten, daß sie in erster Linie über die Agrarpreise einen Ausgleich erfährt und zumindest einen Einkommensausgleich in der Höhe, in der inzwischen der Tauschwert der landwirtschaftlichen Produkte und die Kaufkraft unseres Geldes nachgelassen haben. Fast möchte ich sagen: mindestens in Höhe der Inflationsquote, die wir heute schon zu beklagen haben.Ich bin auch der Meinung, wenn man das Wort aus der Regierungserklärung ernst nehmen will, genügt es nicht, in Brüssel die heutigen Agrarpreise nur zu verteidigen; dann muß in Brüssel auch preisoffensiv gehandelt werden. Man sollte nicht einfach sagen, daß hier alles verschüttet und abgegraben wäre. Wenn ich es recht beurteile, gibt gerade die in jüngster Zeit verabschiedete europäische Marktordnung ein klassisches Beispiel für eine aktive Preispolitik. Es war allerdings nicht die Bundesrepublik Deutschland, es war Italien, das bei diesen Beratungen höhere Preise gefordert und durchgesetzt hat. Immerhin ist das doch ein Beispiel dafür, daß auch auf dem europäischen Acker auf diesem Gebiet noch etwas erreicht werden kann.Ich verkenne dabei gar nicht das Problem der Beseitigung der Überschüsse. Ich will da nicht sehr indie Breite gehen. Ihnen allen ist hoffentlich bekannt, daß es eine Reihe von Vorschlägen gibt, diesen Überschuß zu beseitigen. Es sind Vorschläge, die auch Opfer von unserer Landwirtschaft verlangen werden. Aber unsere Landwirtschaft — vor allem denke ich da an unsere jungen Leute in der Landwirtschaft — ist heute wirklichkeitsnahe genug und bereit, auch Opfer auf sich zu nehmen, wenn es um jene Maßnahmen geht, die tatsächlich zu einem Erfolg führen.Ein viertes möchte ich kurz ansprechen. Wenn wir uns in dieser Zeit um einen harmonischen Strukturwandel auf dem Lande bemühen und wenn es uns ernst ist, unserer gemischten Agrarstruktur auch für die Zukunft eine Chance zu geben, dann wird diese Regierung auch in der Agrarsozialpolitik einige zusätzliche Maßnahmen ergreifen müssen.
Die Vorschläge und die Anträge der CDU/CSU-Fraktion hierzu liegen dem Haus zum Teil schon vor. Sie sind hinreichend bekannt. Ich habe ihnen nichts hinzuzufügen. Diese Vorschläge — das wissen wir sehr wohl — setzen natürlich eine Erhöhung der entsprechenden Haushaltsansätze in den kommenden Jahren um vielleicht 450 bis 500 Millionen DM voraus. Ich verkenne nicht, daß das ein respektabler Betrag ist. Aber ich bin der Überzeugung, diese Mittel sind erforderlich, wenn wenigstens mit einer bescheidenen Erhöhung des Altersgeldes gerechnet werden soll. Diese Mittel sind auch erforderlich, um endlich einen gesetzlichen Krankenversicherungsschutz für die Landwirte und hier insbesondere für die Altenteiler einzuführen und zu gewährleisten.
Diese Mittel sind schließlich auch deshalb erforderlich, weil die Zuschüsse für die Unfallversicherung endlich auf eine gesetzliche Basis gestellt werden müssen.Ich bin fast ein wenig versucht, in diesem Zusammenhang auf die Probleme einer anderen Urproduktion, nämlich auf die Probleme des Bergbaus, vergleichsweise hinzuweisen. Über die Lage in diesem Bereich klang das eine oder andere auch in der gestrigen konjunkturpolitischen Debatte an. Ich will dem nichts hinzufügen. Ich darf zur Kennzeichnung der heutigen Situation nur sagen: Die Halden im Ruhrgebiet sind Gott sei Dank verschwunden. Koks und Kohle sind auf dem deutschen Markt zur Mangelware geworden. Wir alle kennen wohl die jüngsten Äußerungen der Amerikaner, die darauf hinauslaufen, daß wir in einem Krisenfall nicht unbedingt mit einer ausreichenden Versorgung mit Öl rechnen könnten. Die Mineralölindustrie ist heute kaum in der Lage, die Schwerindustrie in ausreichendem Umfang mit schwerem Heizöl zu versorgen. Die Wirtschaft hat die Erhöhung der Löhne und die Erhöhung der Kohlenpreise in der letzten Zeit mehr oder weniger lautlos hingenommen.
Es wurden keine großen Worte darüber verloren.Meine sehr verehrten Damen und Herren! Warum erwähne ich das? Einfach, weil ich der Meinung bin,
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3040 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Röhnerwas man hier für Rechtens hält — und wir unter-stützen das und haben das unterstützt —, kann man einem anderen Bereich, nämlich der Landwirtschaft, kaum vorenthalten.
Immerhin fließt über den sozialen Sektor ein Betrag von etwa 4 Milliarden DM jährlich in die Knappschaftsversicherung. Das bedeutet einen Sozialzuschuß von 5400 DM pro Versicherten im Jahr; das bedeutet einen Zuschuß in Höhe von 16 500 DM für den aktiven Bergmann. Meine Damen und Herren, ich möchte nicht mißverstanden werden; wir unterstützen und bejahen das.
Wir bitten aber um Verständnis dafür, wenn wir hinzufügen: in Anbetracht dieser Größenordnungen sollte wenigstens ein Bruchteil dieser Summe auch für die Lösung der sozialen Probleme im agrarischen, ländlichen Bereich zur Verfügung gestellt werden können.
Ich möchte ein weiteres Problem, das im diesjährigen Agrarhaushalt sichtbar geworden ist, ganz kurz ansprechen. Ich beziehe mich jetzt auf die Maßnahmen, die dazu dienen, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft zu verbessern. Sehr verehrter Herr Landwirtschaftsminister, in dieser Hinsicht kann ich dem Agrarhaushalt 1970 kein gutes Zeugnis ausstellen. Denn trotz der Erhöhungen bestimmter Ansätze, die der Haushaltsausschuß vorgenommen hat — ich habe bereits vorhin darüber gesprochen —, gibt es gerade bei diesen wettbewerbsverbessernden Maßnahmen weitestgehend Leerlauf. Ich weise nur darauf hin, daß die Investitionshilfe für Maßnahmen, die in diesem Jahre durchgeführt werden müßten und sollten, nicht mehr gewährt wird. Ich weise weiter darauf hin, daß in der Landwirtschaft die Zinsverbilligungen infolge der schon erwähnten hohen Diskontsätze äußerst problematisch geworden sind.Herr Minister, Ihr neues Programm zielt nach den Presseankündigungen nicht zuletzt auf eine Verbesserung der Wettbewerbssituation unserer Landwirtschaft ab. Das Parlament wird sich in den nächsten Wochen und vor allem im Herbst damit ausführlich zu beschäftigen haben. Einzelheiten sind noch nicht bekannt. Nur sporadisch konnten wir dies oder jenes der Presse entnehmen oder auf Grund einer kurzen persönlichen Unterrichtung in Erfahrung bringen. Ich möchte deshalb nicht näher auf dieses Programm eingehen, sondern lediglich einige Feststellungen dazu treffen. Es wäre nicht gut, es wäre Augenauswischerei, wenn über ein groß herausgestelltes Programm die ohnehin zu knappen Mittel lediglich nach einem neuen Umverteilungssystem eingesetzt würden, ohne daß auch nur eine Mark mehr für die Verbesserung der Wettbewerbssituation in unserer Landwirtschaft aufgewandt würde.
Sonst hätten wir zwar wieder einmal ein neues Programm, aber keine neuen Möglichkeiten und keine neuen Hilfen.Eine Gesamtkonzeption zur Lösung unserer Agrarprobleme — lassen Sie mich das zum Abschluß sagen — erfordert vor allem eine wirklich ausreichende finanzielle Untermauerung und Ausstattung.Ein Weiteres. Wir von der Opposition werden darüber wachen, daß bei diesen neuen Programmen dem einzelnen Landwirt die Initiative für seinen Weg überlassen bleibt. Wir werden es nicht zulassen, daß in diesem Wandlungsprozeß ein direkter oder indirekter Druck stattfinden kann.
Verehrter Herr Landwirtschaftsminister, Sie werden nur dann unsere volle Unterstützung haben, wenn Sie sich für eine Agrarpolitik entscheiden, die unserer Landwirtschaft hilft, aus ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Isolation herauszukommen. Wir unterstützen dann Ihre Agrarpolitik, wenn sie das Leben auf dem Lande für die dort wohnenden Menschen lebenswerter gestaltet und damit auch einen Beitrag zur Bekämpfung der Entvölkerung und Verödung des flachen Landes leistet. Sie werden unsere Unterstützung haben, wenn Ihre Agrarpolitik darauf gerichtet ist, daß durch volle Teilnahme der Landwirtschaft an der allgemeinen Einkommensentwicklung und durch eine Angleichung der sozialen Verhältnisse die Voraussetzungen für ein breit gestreutes Eigentum erhalten bleiben.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst allen Berichterstattern meines Haushaltes sehr für ihre aktive Mitarbeit danken. Ich möchte insbesondere dem Haushaltsausschuß sehr für die wohlwollende Behandlung meines Haushaltes danken. Ich glaube, mit gutem Grund hier sagen zu können, dieser Etat ist vom Haushaltsausschuß sehr sehr wohlwollend behandelt worden. Dafür sprechen die Zahlen. Ich muß noch einmal unterstreichen, was der Kollege von Bülow gesagt hat.Wie sah es z. B. auf dem Sektor „Nationale Agrarpolitik", Kap. 10 02, auf? In dem alten Finanzplan, den wir als Regierung übernommen haben, waren 2 693,6 Millionen DM vorgesehen. Durch die Regierungsvorlage wurden die Mittel auf 3 969,8 Millionen erhöht, und letzten Endes haben wir durch die dankenswerte Beratung des Haushaltsausschusses, insbesondere auch die Arbeit der Berichterstatter, einen Endstand von 4 038,1 Millionen DM. Ich kann somit mit gutem Grund sagen, die Bundesregierung hat ihre Zusage wahrgemacht, im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung die Fortführung der bis dahin eingeleiteten Maßnahmen zu gewährleisten! Diese Zusage ist eingehalten worden und wird mit diesem Haushalt voll erfüllt. Das möchte ich in aller Deutlichkeit nochmals feststellen.
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Bundesminister ErtlLassen Sie mich dabei zu dem Problem 1003 — gesonderte Ausweisung — und 1002, zusammen im Einzelplan 10, etwas sagen. Man kann sicherlich von der Optik her dazu geteilter Meinungsein. Aber ich hätte keine Deckungsmöglichkeit. Auch das muß ich hier sagen. Und weil ich diese Dekkungsmöglichkeit behalten will, ist mir dieser praktikablere Weg lieber im Interesse dessen, daß ich bei Einsparungen auf dem einen Sektor die Möglichkeit habe, nationale Förderungsmaßnahmen durchzuführen. Das wollte ich nur noch einmal sagen, weil ich der Meinung bin, daß man hier nicht die Dinge in ein falsches Licht rücken soll.Der Kollege Röhner hat noch einmal auf das Problem der Auf- und Abwertung hingewiesen. Das ist in diesen Tagen wiederholt geschehen. Wenn man dieser Bundesregierung nirgends Initiativen nachweisen könnte, eines, glaube ich, kann diese Bundesregierung für sich beanspruchen: daß sie auf dem europäischen Sektor initiativ geworden ist und die Phase der Stagnation überwunden hat,
und zwar durch die Beschlüsse von Den Haag, die — und mir sind eine ähnliche Konferenz und ein ähnliches Ergebnis nicht bekannt — ganz klar lauten: erstens beschleunigte Maßnahmen zur Erweiterung der Wirtschafts- und Währungsunion zu treffen — dafür ist eine eigene Kommission unter Vorsitz des Ministerpräsidenten Werner aus Luxemburg eingesetzt, die Bundesregierung hat von sich aus einen Vier-Stufen-Plan vorgelegt mit dem Ziel, das 1980 zu erreichen —, zweitens den Beitritt anderer Staaten zu ermöglichen. Ich glaube also, mit gutem Grund behaupten zu können und behaupten zu müssen: hier war diese Bundesregierung initiativ und hat eine neue Zielsetzung aufgenommen, während wir bis dahin in einer Phase der Stagnation waren.Im übrigen darf ich etwas zur Problematik der Rechnungseinheit und zur Problematik des Grünen Dollars, die in diesem Hohen Hause wiederholt diskutiert worden ist, mitteilen. Ich kann zunächst darauf hinweisen, daß ich persönlich für mich beanspruchen kann, daß ich bereits im Jahre 1962 auf diese Problematik hingewiesen habe. Damals gab es allerdings sehr viele Kollegen auch in den Reihen der CDU/CSU, die meinten, die Wirtschafts- und Währungsunion komme von selbst. Wir wollen uns darüber heute nicht streiten; das ist eine Frage für sich. Ich kann nur sagen, das Kabinett hat sich mit dieser Frage befaßt, und auf Beschluß des Kabinetts ist eine eigene Expertengruppe aus verschiedenen Ressorts gebildet worden oder wird gebildet, die sich besonders um die Problematik der Währungs- und Konjunkturpolitik und deren Auswirkung auf die Landwirtschaft bemühen und Untersuchungen anstellen und notfalls auch Vorschläge ausarbeiten wird. Sie sehen, daß die Bundesregierung auch auf diesem Sektor durchaus von sich aus bereit ist, ihren Teil zu tun.Ich brauche nicht noch einmal zu betonen, wie sehr ich es ablehne, die Ausgleichszahlungen infolge der Aufwertung als Subventionen für die Landwirtschaftzu bezeichnen. Das hat diese Bundesregierung nie behauptet, sondern diese Maßnahme war zum einen aus der Bindung der Agrarpreise an Rechnungseinheiten notwendig, und zum anderen, um hier sogar einen Beitrag zur Stabilität bei den Lebenshaltungskosten zu leisten. Insoweit war es eine Leistung für die Allgemeinheit, und die Auszahlung war eine voll berechtigte.Im übrigen möchte ich folgendes bemerken. Ich habe vor kurzem in Zusammenarbeit mit dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung eine Verbraucherumfrage durchführen lassen. Ich weiß inzwischen, daß die Verbraucher viel positiver zur Landwirtschaft stehen, als man es vielerorts glaubt.
— Ich bin der letzte, der Verdienste anderer nicht würdigt; dazu bin ich immer bereit. Ich bin aber auch dafür, daß man anerkennt, was eine andere Regierung leistet. Es muß derselbe Maßstab für alle gelten. Bei der Umfrage haben auf die Frage, ob sie eine heimische landwirtschaftliche Produktion wollen, 80% der Verbraucher uneingeschränkt mit Ja geantwortet. Interessant ist — das darf ich vielleicht als kleine Pointe bringen, damit die Debatte ein klein wenig aufgelockert wird —, daß bei der Frage, welches Produkt als besonders wichtig erscheint, die Kartoffel an der Spitze der Antwortskala steht. Sie sehen, die Verbraucher haben die Erinnerung an die ehemaligen Zeiten noch nicht ganz verloren.Es wurde hier sehr auf die allgemeine Konjunkturentwicklung hingewiesen. Die Debatte würde überfordert, wenn ich auf Einzelheiten einginge. Selbstverständlich ist die Bundesregierung bemüht, alles zu tun, um die konjunkturelle Entwicklung im Griff zu behalten. Darüber hat das Hohe Haus gestern debattiert. Ich bin der festen Überzeugung, daß wir in absehbarer Zeit, sobald sich in der Konjunktur eine Beruhigung abzeichnet, auch wieder zu normalen Diskontsätzen kommen werden.Ich möchte hier, damit in der Öffentlichkeit kein falscher Eindruck entsteht, noch einmal feststellen, daß die Investitionshilfe nicht eingestellt ist. Der Betriebsmittelindex insgesamt weist einen Anstieg von 3,2 % auf. Wir müssen die Zahlen schon so sehen, wie sie sich als Durchschnittswerte ergeben.Es wurde mit Recht, glaube ich, vom Kollegen Röhner darauf hingewiesen, daß es selbstverständlich notwendig sei, eine dynamische Markt- und damit auch eine Preispolitik zu betreiben. Ich kann darauf nichts erwidern. Ich kann nur sagen, ich habe eine Situation vorgefunden, die durch erhebliche Überschüsse gekennzeichnet war. Ich bin glücklich, daß ich sagen kann, vor dieser Getreideernte gibt es keine Getreideüberschüsse mehr. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, um zu normalen Marktverhältnissen zu kommen. Ich würde mich freuen, wenn ich dies auch nach der Getreideernte sagen könnte. Ich habe alle Zuversicht, daß die Schwierigkeiten auf diesem Sektor in diesem Herbst nicht diejenigen
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3042 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Bundesminister Ertlsein werden, die ich bei meiner Amtsübernahme vorgefunden habe. Hier handelt es sich sicherlich um unterschiedliche Situationen.Wenn man in der Agrardebatte so sehr auf eine dynamische Preispolitik hinweist, verstehe ich nicht, wieso mir der Kollege Luda den Vorwurf machen konnte, daß ich die aufwertungsbedingten Preissenkungen nicht an die Verbraucher weitergebe. Ich muß Ihnen ganz offen sagen, hier muß die CDU mit einer Zunge reden; sie darf nicht mit zwei Zungen reden. So geht das nicht.
Dann muß man auch den Mut haben, vor den Verbraucher hinzutreten und zu sagen: Auch die Landwirtschaft hat ein Anrecht darauf, im Rahmen der allgemeinen Entwicklung zu ihrem Preis zu kommen. Man kann nicht vor den Verbrauchern sagen: Die Preise müssen herunter! und vor den Bauern sagen: Die Preise müssen herauf! Das ist nicht richtig. Ich muß Sie und den Kollegen Luda bitten, dergleichen Vorwürfe in Zukunft nicht mehr an meine Adresse zu richten. So geht es wirklich nicht.
Das gibt ein schiefes Bild.
Im übrigen darf ich zum Problem der Preispolitik auf folgendes hinweisen. Ich wurde gerade auf die Kontinuität aufmerksam gemacht. Ich darf auf das Buch meines Amtsvorgängers verweisen, zu dem ich ein Vorwort schreibe, damit die zweite Auflageerscheint. Ich bin der Meinung, die Öffentlichkeit muß sehr genau wissen, was in diesem Buch an Agrarpolitik und an Preismaßnahmen vorgeschlagen wurde. Darüber können wir uns also in der Zukunft immer unterhalten, und deshalb schreibe ich auch sehr gerne ein Vorwort für die zweite Auflage, weil ich sehr daran interessiert bin, daß diese Vorstellungen für die Zukunft erhalten bleiben. Daran läßt sich dann in Zukunft sicherlich manches noch bereden.Zu der Weinmarktordnung kann ich mindestens eines feststellen: daß die italienischen Winzer wegen der starren Haltung des deutschen Landwirtschaftsministeriums zu Hunderttausenden in Rom protestiert haben, und daß die französischen Winzer ebenfalls wegen meiner starren Haltung protestiert haben. Also muß ich in Brüssel nicht ganz so inaktiv gewesen sein, sonst hätte man sich nicht so beschwert.Summa summarum: Lassen Sie mich noch einmal herzlich danken. Ich freue mich, daß ich die volle Unterstützung der Opposition für ein neues Programm habe, das wir sicherlich im Detail beraten müssen. Es ist dem Ernährungsausschuß zugeleitet worden, und ich stelle es bewußt zur Diskusion, weil ich der Meinung bin, daß es besser ist, solche Regelungen vor dem Inkraftsetzen zu diskutieren als hinterher. Das ist für die Wirksamkeit und auch für den Vollzug eines solchen Programms sehr wesentlich.Ich darf darauf hinweisen, daß wir in diesen sieben Monaten .der Regierungstätigkeit einen sozialen Komplex bereits erfaßt haben, nämlich die Landabgaberente und die Landabgabeprämie. Der Gesetzentwurf liegt vor: a) die Erhöhung, b) die Erweiterung auf den vierfachen Einheitswert.Im übrigen darf ich mich bei allen sehr bedanken. Ich freue mich sehr, daß dieses Hohe Haus meinem Haushalt und somit auch der deutschen Landwirtschaft eine so große Aufmerksamkeit und Beachtung schenkt.
Das Wort zur Begründung des Änderungsantrags auf Umdruck 26 *) hat Herr Abgeordneter Lotze.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen auf Umdruck 26 wird wie folgt begründet:Seit Beginn der Grünen Pläne werden zur Seßhaftmachung verheirateter Landarbeiter Bundesmittel für den Landarbeiterwohnungsbau bereitgestellt. Für 1970 sind dafür im Einzelplan 10 4 850 000 DM eingesetzt. Diesem Betrag steht ein Überhang an Bewilligungen von 11,7 Millionen DM gegenüber. Der Förderungsbetrag sollte deshalb erhöht werden, und zwar, wie beantragt und vom Fachausschuß vorgeschlagen, von 4 850 000 DM um 3 Millionen DM auf 7 850 000 DM.Damit wäre nach unserer Auffassung die Möglichkeit gegeben, mindestens die noch nicht bewilligten Neuanträge aus dem Jahre 1969, die ja bereits bei der Deutschen Siedlungs- und Rentenbank vorliegen, zu bewilligen. Dies ist zur Vermeidung von Härten auch unbedingt erforderlich. Die Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft weist zu Recht darauf hin, daß sich die Mehrzahl der Antragsteller im Vertrauen auf die Bewilligung der Eigenkapitalbeihilfe durch den Ankauf von Grundstücken oder auch auf andere Weise finanziell festgelegt hat und bei Verzögerung dieser Bewilligung teure Zwischenkredite aufnehmen muß.Unser Deckungsvorschlag läuft darauf hinaus, den Ansatz für Flurbereinigung um diese 3 Millionen DM auf 231 820 000 DM zu kürzen. Als Begründung verweisen wir auf unseren alten Vorschlag, auf unsere Forderung, das Verfahren der Flurbereinigung zu vereinfachen und damit kostengünstiger zu gestalten. Zu dem Deckungsvorschlag, den Sie, meine Herren von der Opposition, eingebracht haben, möchte ich sagen, daß er sich in bequemer Weise auf einen großen Topf aus dem Kapitel 10 03 bezieht. Ich stelle dazu für die Koalitionsfraktionen folgendes fest:1. Einsparungen des Kapitels 10 03 können wegen der jetzt vorhandenen Übertragbarkeit sowieso zur Aufstockung der Ansätze für nationale Maßnahmen im Kapitel 10 02 verwendet werden.2. Der angesprochene Titel Magermilchstützung ist durch Beschlüsse des Ernährungs- und des Haus-*) Siehe Anlage 5
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Lotzehaltsausschusses gegenüber dem Regierungsentwurf bereits erheblich gekürzt.
3. Wie üblich sind die Deckungsvorschläge der Opposition prozyklisch, d. h. von nicht konjunkturneutraler Wirkung.
Ich möchte meine Antragsbegründung in diesem Zusammenhang mit der Feststellung abschließen, daß der Landarbeiterwohnungsbau aus eigentums-und arbeitsmarktpolitischen Gründen auch in Zukunft weiter gefördert werden muß; in welchem Umfang und Ausmaß, sollte überprüft werden. Wir begrüßen es deshalb, daß der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten eine unabhängige Institution — ich glaube, es soll die Agrarsoziale Gesellschaft werden — beauftragen will, durch Erhebungen die Wohnverhältnisse der Landarbeiter festzustellen, um so zu einer objektiven Grundlage für die Beurteilung der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der Fortführung dieser Maßnahmen zu kommen.Aus den vorgetragenen Gründen bitten wir Sie, unserem Änderungsantrag auf Umdruck 26 Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort zur Begründung des Umdrucks 28 *) hat der Abgeordnete Dr. Ritz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei beiden Umdrucken, bei dem soeben von Herrn Lotze begründeten Umdruck 26 und bei diesem Umdruck 28, handelt es sich um die gleiche Zielsetzung, nämlich um die Aufstockung der Mittel für den Landarbeiterwohnungsbau um 3 Millionen DM. Ich kann mich deshalb hier im wesentlichen auf die Aussage beschränken, die zu diesem Punkt Herr Lotze gemacht hat, zusätzlich mit ;der Bemerkung, daß es uns richtig erscheint, Herr Minister, 2u prüfen, ob wir nicht etwa auch die Förderung des Wohnungsbaus für Betriebshelfer in diesen Titel mit einbeziehen können. Ich könnte mir denken, daß sich hier eine sehr dankenswerte Aufgabe stellt, von Nord bis Süd in allen Bundesländern. Wir regen heute schon an — wir werden das im Entschließungsantrag in dritter Lesung noch sichtbar machen —, .daß im Rahmen dieses Gesetzes bei der Förderung des Wohnungsbaus auch die Betriebshelfer berücksichtigt werden.
Aber jetzt ein Wort zur Deckung. Die Koalition schlägt vor, die Deckung für die 3 Millionen DM aus der Flurbereinigung zu nehmen. Wir bedauern das sehr, 'denn entgegen dem Eindruck, den eine Aussage von Herrn von Bülow hier hervorrufen könnte, ist es nicht so, daß durch die Beschlüsse des Haushaltsausschusses bei der Flurbereinigung der
S) Siehe Anlage 6
alte Ansatz von 1969 wiederhergestellt worden ist, sondern durch die Umwandlung der Sperren in Kurzungen ist in der Tat eine Kürzung von 10 Millionen DM vorgenommen worden. Wir sind der Meinung, daß diese wichtige agrarstrukturelle Maßnahme nicht noch zusätzlich um 3 Millionen DM gekürzt werden sollte.
Herr Kollege Lotze, wir sind nicht der Meinung, daß es ,einfacher oder billiger ist, jetzt 10 03 vorzuschlagen. Wir sind vielmehr nach gründlicher Überlegung und Prüfung sogar mit Kollegen Ihrer Fraktion und der Fraktion der FDP der Meinung, 'daß es möglich sein muß, diese 3 Millionen DM im Rahmen des gesamten Kapitels 10 03 einzusparen. Ich möchte also davor warnen, gleich jetzt hier 'definitiv festzulegen, daß diese 3 Millionen DM zu Lasten 'der Flurbereinigung gehen.
Ich darf Sie deshalb sehr herzlich bitten, meine
Damen und Herren, unserem Antrag zuzustimmen,
also der Anhebung um 3 Millionen DM beim Landarbeiterwohnungsbau — wie auch im Antrag der
Koalition —, einschließlich der Überlegung, ob wir
die Betriebshelfer mit einbeziehen können. Hinsichtlich der Deckung bitte ich Sie, nicht dem hier vorliegenden Änderungsantrag der Koalition zu folgen, sondern unserem Änderungsantrag, der die Dek-kung bei 10 03 sucht. Ich glaube, daß dieser Weg für die Landwirtschaft der beste ist.
Zur Begründung des Antrags Umdruck 50 *) hat der Abgeordnete Wohlrabe das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht bei diesem Antrag darum, es dem Deutschen Komitee für die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen — FAO — durch einen Zuschuß zu ermöglichen, seine Tätigkeit fortzusetzen. Ich darf daran erinnern, daß auch andere Komitees internationaler Organisationen, z. B. die Deutsche UNESCO-Kommission, Bundesmittel erhalten, und zwar wesentlich höhere als die hier beantragten 80 000 DM. Auch darf ich daran erinnern, daß das Deutsche Komitee für die Welternährungsorganisation von dem zuständigen Bundesernährungsminister, der diesen Antrag auch durch die Mithilfe seines Hauses unterstützt, gegründet worden ist. Ihm gehören nicht nur der Präsident des Deutschen Bundestages, sondern auch die Vorsitzenden der Fraktionen an. Es ist also eine Institution, in der alle Kräfte mitwirken. Ich wäre dem Hause sehr dankbar, wenn diese 80 000 DM bewilligt werden könnten, auch weil ich meine, daß gerade in diesem wichtigen Punkt der Deutschen Welthungerhilfe im Rahmen der Bemühungen junger Mitbürger eine entsprechende Unterstützung zuteil werden sollte.Ich darf darüber hinaus darauf verweisen, daß in wenigen Tagen in Den Haag der II. Welternährungskongreß beginnt und daß die Bundesrepublik*) Siehe Anlage 7
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3044 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
WohlrabeDeutschland in wenigen Monaten 20 Jahre der FAO angehört. Es wäre, glaube ich, ein nicht gerade sehr gutes Geburtstagsgeschenk für die FAO, die im Oktober ihren 25. Gründungstag begeht, wenn sie zu diesem Zeitpunkt hören müßte, daß das Komitee für Welthungerhilfé aufgelöst werden müßte, weil der Zuschuß einfach nicht zur Verfügung steht.Um das nicht eintreten zu lassen und dieses gute Anliegen zu unterstützen, stellen wir diesen Antrag und bitten auch die anderen Fraktionen, ihm ihre Zustimmung nicht zu versagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Althammer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung, wenn es jetzt etwas durcheinandergeraten ist. Ich wollte hier nur mitteilen, daß die Fraktion der CDU/CSU in Anbetracht der noch offenen Fragen, die mein Kollege Röhner vorhin dargestellt hat, sich bei der Abstimmung über den Etat des Bundeswirtschaftsministeriums der Stimme enthalten wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Bülow.
Ich möchte ganz kurz zu dem Antrag das Wort nehmen, den der Kollege Wohlrabe gerade begründet hat. Nach unserer Meinung sollte diesem Antrag nicht gefolgt werden, und zwar deshalb, weil im Einzelplan 23 für Entwicklungshilfe bereits ein Posten für die Deutsche Welthungerhilfe ausgebracht ist und es nach den Grundsätzen der Bundeshaushaltsordnung nicht zulässig ist, daß für denselben Zweck Mittel in zwei verschiedenen Titeln veranschlagt werden. Außerdem ist dazu zu sagen, daß die Aktionen „Misereor" und „Brot für die Welt" der Katholischen und der Evangelischen Kirche Büros für die Welthungerhilfe unterhalten und in erheblichem Umfang Mittel zur Verfügung stellen. Die Ausbringung eines besonderen Ansatzes in Einzelplan 10 halten wir nicht für gerechtfertigt.
Wird des weiteren noch das Wort gewünscht? — Frau Dr. Wolf!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich gemeldet, weil die Information, die wir eben bekommen haben, nicht zutrifft. Im Haushalt des BMZ ist kein Titel für die Welthungerhilfe ausgebracht, sondern nach sehr vielen Beratungen im Ausschuß ist so verfahren worden, daß die Welthungerhilfe, weil sie als eine Unterorganisation der FAO im Bundeslandwirtschaftsministerium ressortiert, durch dieses Bundesministerium unterstützt werden soll. Im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ist mehrfach darüber gesprochen worden und eine Einigung, an der auch das frühere Mitglied Ihrer Fraktion, Herr Kahn-Ackermann, mitgewirkt hat, in der Weise erfolgt, wie wir sie jetzt in unserem Antrag vorgeschlagen haben, daß diese Mittel, wie es auch der zuständige Ausschuß beschlossen hat, im Haushalt des Landwirtschaftsministeriums zur Verfügung gestellt werden sollen. Im Haushaltsausschuß ist davon nur auf Grund dieser nicht zutreffenden Information abgesehen worden.
Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über die Änderungsanträge. Täusche ich mich in der Feststellung, daß die Änderungsanträge auf den Umdrucken 26 und 28 im Beschluß das gleiche enthalten und nur der Deckungsvorschlag verschieden ist?
— Wir müssen also getrennt darüber abstimmen.Wir stimmen dann in der Reihenfolge, in der die Änderungsanträge eingebracht worden sind, zuerst über den Änderungsantrag der Fraktionen der SPD/ FDP auf Umdruck 26 ab. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, wir müssen die Abstimmung durch Erheben wiederholen.Wer dem Änderungsantrag der Fraktionen der SPD/FDP auf Umdruck 26 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Sitzungsvorstand ist sich nicht einig. Wir müssen auszählen.Ich darf das Ergebnis der Abstimmung durch Auszählung bekanntgeben. Es haben abgestimmt: mit Ja 252, mit Nein 217 Mitglieder des Hauses. Enthalten hat sich niemand. Der Antrag ist damit angenommen. Ich darf wohl den Umdruck 28 damit für erledigt erklären? — Die Antragsteller sind einverstanden. — Meine Damen und Herren, darf ich Sie um Ruhe bitten, damit wir die Abstimmung gut zu Ende führen können.Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der CDU/CSU auf Umdruck 50. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Der Antrag ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt, mit der der vorige Antrag angenommen wurde.Somit kommen wir zur Abstimmung über den Einzelplan 10 in der Ausschußfassung mit der vorhin beschlossenen Änderung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen und einigen Gegenstimmen angenommen.
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Vizepräsident Dr. JaegerWir kommen zu Punkt IV/18 der Tagesordnung, dem Einzelplan 23:Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit— Drucksachen VI/837, VI/854 — Berichterstatter: Abgeordneter EstersFalls Sie auf den Bericht verzichten, können wir davon absehen. — Das ist der Fall. Wünscht jemand das Wort? — Herr Abgeordneter Kiep!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der zur Diskussion stehende Einzelplan 23 betrifft die Entwicklungspolitik, ein Bereich, der in der Bedeutung hinter den bisher behandelten Einzelplänen kaum zurücksteht, der sich aber dadurch grundsätzlich von den heute und gestern diskutierten Bereichen unterscheidet, daß es seit Anbeginn dieser staatlichen Tätigkeit so gut wie keine Kontroversen über die Entwicklungspolitik, ihre Gestaltung und ihre Bedeutung zwischen den drei Fraktionen dieses Hauses gegeben hat. Wir haben auch heute keinen Anlaß, kontrovers zu debattieren. Wir sind uns darüber im klaren, daß eine Reihe von Entwicklungen im Gange ist, die beschleunigt werden müssen. Wir sind uns mit der Bundesregierung über die Notwendigkeiten zu einer Weiterentwicklung unserer Politik einig.
Wir haben vor einigen Wochen auf Grund einer Initiative der sozialdemokratischen Fraktion, der sich die CDU/CSU und FDP im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit angeschlossen haben, ein Hearing veranstaltet und haben in einer mehrstündigen Sitzung eine Fülle von Meinungen über die Entwicklungspolitik, ihre Gestaltung, ihre Probleme, ihre Mängel zur Kenntnis nehmen können. Im Rahmen dieses Hearings ist eine Reihe von wichtigen Anregungen entgegengenommen worden, darunter eine, welche die Diskussion im Bereich der Entwicklungspolitik schon seit längerer Zeit beherrscht und über die es auch im Bereich des Entwicklungspolitischen Ausschusses des Deutschen Bundestages eigentlich keine unterschiedlichen Meinungen gibt.
Die Experten, die wir angehört haben, haben uns übereinstimmend empfohlen, was wir auch schon vorher wußten, daß die Funktionen in der Entwicklungspolitik in einer Hand, in der Hand des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit, zusammengefaßt werden müssen. Insbesondere wurde betont; daß dies für den Bereich der Kapitalhilfe zu gelten habe.
Wir haben Ihnen heute zur zweiten Lesung einen Änderungsantrag vorgelegt, der Ihnen ausgedruckt als Umdruck 44 vorliegt. In ihm schlagen wir Ihnen vor, die Zuständigkeit für die Kapitalhilfe allein dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu übertragen. Ich möchte das ganz kurz in wenigen Worten begründen, denn die Diskussion darüber wird schon seit längerer Zeit geführt. Die Argumente sind Ihnen sicherlich auch schon bekannt.
Erstens sind wir der Ansicht, daß die Entwicklungspolitik eine Politik „sui generis" ist und daß das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit als das federführende und politisch verantwortliche Haus auch die Zuständigkeit für diesen wichtigen Zweig der Entwicklungspolitik, der immerhin fast die Hälfte der Mittel in Anspruch nimmt, haben müßte.
Zweitens wissen wir auf Grund einer ganzen Reihe von Erfahrungen — diese Erkenntnisse werden nicht nur bei uns gemacht und verwertet, sondern auch in anderen Entwicklungsgeberländern , daß die Zusammenfassung der verschiedenen Sparten der Entwicklungshilfe in einzelnen Projekten notwendig ist, um einseitige Auswirkungen bestimmter Projekte gerade in dem Bereich der Kapitalhilfe zu vermeiden und sie durch Projekte der anderen Bereiche zu ergänzen, die wir unter dem Begriff der technischen Hilfe zusammenfassen.
Drittens ist es für die Glaubwürdigkeit unserer entwicklungspolitischen Bemühungen und unserer Aussage wichtig, daß diese Politik eine besondere Priorität in der Rangordnung unserer Regierungstätigkeit verdient und daß wir durch eine Übertragung der Zuständigkeit deutlich machen, daß Entwicklungspolitik nicht ein Hilfsinstrument der Außen- oder der Wirtschaftspolitik ist, sondern daß es sich hier um eine Politik sui generis handelt.
Ich meine, daß wir in einer Zeit, in der viele, gerade jüngere Menschen es in zunehmendem Maße schwierig finden, sich für staatliche Tätigkeiten aller Art einzusetzen und zu engagieren, durch einen solchen Beschluß die Glaubwürdigkeit dieser staatlichen Bemühungen und damit auch die Engagementbereitschaft der jüngeren Generation stärken und festigen könnten.
Ich bitte Sie herzlich, unserem Antrag, der Ihnen vorliegt, zuzustimmen.
Nachdem die Diskussion über dieses Thema nun schon seit einiger Zeit, auch angeregt durch die Kirchen und durch die Jugendverbände, in der Öffentlichkeit gelaufen ist und nachdem auch gerade die Kollegen hier im Hause verschiedentlich in dieser Frage um Stellungnahmen bemüht worden sind, sind wir, die CDU/CSU-Fraktion, der Ansicht, daß es zweckmäßig wäre, hier in diesem Fall und zu dieser Stunde eine namentliche Abstimmung durchzuführen, die ich hiermit beantragen möchte.
Das Wort hat der Abgeordnete Esters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Kiep hat soeben dargelegt, daß es in diesem Hause in den grundsätzlichen Fragen der Entwicklungspolitik kaum Meinungsverschiedenheiten gibt. Zu diesem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU, Umdruck 44 *), muß ich*) Siehe Anlage 8
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3046 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Estersallerdings sagen, daß er ganz offensichtlich darauf abzielt, die zwischen dem Bundesminister für Wirtschaft und dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit am 15. Mai 1970 getroffene Vereinbarung nicht zum Tragen kommen zu lassen und zu stören. Diese Vereinbarung stellt unserer Meinung nach sicher, daß die Verantwortung für die Erarbeitung der entwicklungspolitischen Grundsätze beim BMZ liegt, und sie gewährleistet darüber hinaus, daß Planung und Auswahl von Kapitalhilfeprojekten in völliger Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen der Bundesregierung stehen.Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten darf ich den Abs. 2 und den Abs. 3 dieser Vereinbarung zitieren:
Die Planung und Auswahl von Projekten der Kapitalhilfe erfolgt in Übereinstimmung mit den entwicklungspolitischen Grundsätzen der Bundesregierung. Das BMZ übernimmt es, eine — nach regionalen und sachlichen Prioritäten abgestimmte — lang- und mittelfristige Schwerpunktplanung des Einsatzes aller Instrumente der Entwicklungshilfe zu erarbeiten. Die Einordnung der Kapitalhilfe in ein solches Konzept und seine Behandlung im einzelnen erfolgt — unbeschadet der Beteiligung anderer Ressorts — einvernehmlich zwischen BMW und BMZ.
Entsprechend werden die Grundzüge von Verbundprojekten der Entwicklungshilfe im Lenkungsausschuß beschlossen, bevor die beteiligten Ressorts ihre Teilvorschläge erarbeiten.
Herr Abgeordneter Esters, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wulff?
Nein, ich schließe mich dem Kollegen der CDU an, der keine Zwischenfragen zuließ.
Für uns ist durch diese Vereinbarung eine Entwicklungspolitik aus einem Guß gewährleistet, und darauf kommt es uns an. Der Bundesminister für Wirtschaft und der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit haben hier unserer Meinung nach einen gangbaren Weg zur Kooperation gefunden. Wir sind sicher, daß diese Vereinbarung ihre konkrete Ausfüllung erfahren wird.
Ihr Antrag ist mir persönlich taktisch-politisch zu durchsichtig, als daß wir ihm zustimmen könnten.
Obwohl für diesen Antrag auch in unserer Fraktion, wie Ihnen nicht unbekannt ist,
Verständnis vorhanden ist,
bitte ich darum, diesen Antrag jetzt abzulehnen.
Wir wollen in diesem Falle der Regierung den Rücken freihalten und das werden wir tun.
Sie dürfen sicher sein, Herr Kollege, daß auch in dieser Frage eine Vereinbarung zustande kommt, die das entwicklungspolitische Konzept dieser Regierung durchführbar werden läßt.
Das Wort hat der Abgeordnete Sperling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gebe gern zu, daß man Entwicklungspolitik aus einem Guß auch bekommen könnte, wenn man dem Antrag der CDU zustimmte.
— Klatschen Sie nicht zu früh! Ich bin einer der Skeptiker, auf die Sie rechnen.
Dies ist der erste Haushalt, den ich verabschieden helfe. Die Debatte über diesen Haushalt hat mir gezeigt, daß dieser einsame Rest von rationaler Argumentation auf Ihrer Seite des Hauses eigentlich nur dazu dient, politische Polemik an einer anderen Stelle zu entfalten.
In dieser Debatte hat es von Unterstellungen und Verdächtigungen gegenüber der Regierung gewimmelt. Ich möchte Ihnen wahrhaftig nicht die Möglichkeit bieten, zu einer völlig falschen Interpretation zu kommen. Das ist das Problem, um das es mir geht.
Es kann sein, daß Sie in der Sache recht haben. Ich bin der Ansicht, daß auch die Vereinbarung, die zwischen den Ministern getroffen wurde, Entwicklungshilfe aus einem Guß gewährleisten kann.
Herr Abgeordneter Sperling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Petersen?
Bitte schön!
Herr Kollege, können Sie mir bitte sagen, an welcher Stelle ein polemischer Zungenschlag in den Ausführungen des Kollegen Kiep sichtbar wurde, und sind Sie der Auffassung, daß das, was Sie jetzt sagen, dabei hilft, im Bereich der Entwicklungspolitik die notwendige gemeinsame Grundlage in diesem Haus zu erhalten?
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Wir brauchten eine gemeinsame Grundlage in diesem Haus nicht nur für die Entwicklungspolitik. Ich gebe Ihnen wiederum gern zu, daß der Kollege Kiep sachlich und fair und rational argumentiert hat. Das ist der einsame Rest von sachlicher und fairer Argumentation.
Aber nach meinem Eindruck diente er nur dem einen Zweck, einige wenige Abgeordnete, die in unserer Fraktion skeptisch sind, davon abzuhalten, hier anders zu stimmen.
Dieser einsame Rest von sachlicher, fairer Argumentation lohnt es für mich nicht, zu sagen: Ich setze die Regierung in die Minderheit. Mir scheint — und auch das ist für mich als Neuling neu —, daß bei Stimmabgaben leider weitaus komplexere Erwägungen eine Rolle spielen, als ich mir früher einmal habe träumen lassen. Ich meine, daß ein sachlich argumentierendes Parlament, das die Sachlichkeit die ganze Zeit durchhält, auch durchaus Fronten auflösen kann. Ich bitte Sie jetzt schon, für den nächsten Haushalt, den wir verabschieden wollen, nach Möglichkeit gemeinsam eine andere Argumentationsbasis für die gesamte Auseinandersetzung zu suchen. Dann werden Sie feststellen, daß man auch über die Linien hinweg gemeinsam entscheiden kann.
Meine Damen und Herren, wird des weiteren zu diesem Änderungsantrag das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Von der Fraktion der CDU/CSU ist namentliche Abstimmung beantragt warden. Es sind genügend Abgeordnete zur Unterstützung dieses Antrags im Saal. Wir stimmen also namentlich ab.Ich eröffne die namentliche Abstimmung und bitte, die Karten einzusammeln.Ist noch jemand im Saal, der seine Stimme noch nicht abgegeben hat? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung.Ich gebe das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung durch Auszählung bekannt. Mit Ja haben von den uneingeschränkt Stimmberechtigten 227, mit Nein 244 Mitglieder dieses Hauses gestimmt. Von den Berliner Abgeordneten haben 7 mit Ja, 12 mit Nein gestimmt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 470 und 19 Berliner Abgeordnete; davonJa: 227 und 7 Berliner AbgeordneteNein: 243 und 12 Berliner AbgeordneteEnthalten: keineUngültig: keine CDU/CSUDr. Abelein AdornoDr. Aigner Albervon Alten-NordheimDr. AlthammerDr. Arnold Dr. ArtzingerDr. BachBaierBalkenhol Dr. Barzel Dr. Becher
Dr. Becker
Becker BerberichBerdingBewerunge BiecheleBiehleDr. von Bismarck BittelmannBlankBlumenfeldvon BockelbergDr. BöhmeFrau Brauksiepe Breidbach BremerBremmDr. BurgbacherBurgerDr. Czaja DammDaschvan Delden Dichgans Dr. DittrichDr. DollingerDraegervon. Eckardt EhnesEngelsbergerErhard ErnestiErpenbeck Dr. Eyrich von Fircks Franke
Dr. Franz Dr. Freiwald Dr. Frerichs Dr. FrühDr. Fuchs Dr. Furler Dr. GatzenFrau Geisendörfer Geisenhofer Gerlach GewandtGierenstein Dr. Giulini Dr. GleissnerGlüsing Dr. GölterDr. GötzGottesleben Frau GriesingerDr. GruhlFreiherr von und zu GuttenbergHaase
Dr. Häfele HärzschelHäusslerDr. Hallstein Dr. HammansHanzvon HasselHauser Dr. Hauser (Sasbach)Dr. HeckHein
Frau Dr. HenzeDr. Hermesdorf HöcherlHöslHorstmeier HortenDr. Hubrig HussingDr. HuysFrau Jacobi
Dr. JaegerDr. Jahn Dr. JenningerDr. JobstJostenDr. JungmannFrau Kalinke Dr. Kempfler KiechleKiepDr. h. c. KiesingerFrau Klee Dr. Klepsch Dr. KleyDr. Kliesing KlinkerKösterKrammig KrampeDr. Kraske Dr. KreileFrau Dr. Kuchtner Lampersbach LeichtLemmrich LensingDr. Lenz LenzerLinkDr. LöhrDr. LudaLücke
Lücker MajonicaDr. MartinDr. Marx MaucherMeisterMemmelMickDr. Mikat Dr. MiltnerDr. Müller Müller (Niederfischbach) Dr. Müller-Hermann MurschNiegelDr. von Nordenskjöld OrgaßOttPetersen PfeiferPicardPierothDr. Pinger Dr. Pohle Pohlmann Dr. Prassler Dr. Preiß Dr. Probst Rainer
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3048 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
RaweReddemannDr. ReinhardRichartsRiedel Dr. Riedl (München) Dr. RinscheDr. RitgenDr. RitzRockRöhnerRösingRollmannRoserRufRussePrinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinDr. Schmid-BurgkDr. Schmidt Schmitt (Lockweiler)Dr. h. c. SchmückerDr. Schneider
Dr. SchoberFrau Schroeder Dr. Schröder (Düsseldorf) Schröder (Sellstedt) Schröder (Wilhelminenhof) SchulhoffSchulte Dr. Schulze-VorbergDr. SchwörerSeitersDr. SiemerSolkeSpilkerSpringorumDr. SprungStahlbergDr. Stark SteinerDr. StoltenbergFrau StommelStormStruveSussetvon ThaddenTobabenFrau TüblerUnertlDr. UnlandVarelmannVeharVogelVogtVolmerWagner Dr. Wagner (Trier) Frau Dr. WalzDr. WarnkeWawrzikWeber WeiglDr. Freiherr von Weizsäcker WernerWindelenWinkelheideWissebachDr. WörnerFrau Dr. WolfBaron von Wrangel Dr. WulffZieglerDr. Zimmermann ZinkBerliner AbgeordneteAmrehn Dr. GradlDr. Kotowski LemmerMüller Frau PieserWohlrabeSPDAdamsDr. AhrensDr. ApelArendt
Dr. Arndt
Baack BaeuchleBäuerle BalsBarcheDr. BardensBatzBauerDr. BayerlDr. Bechert Becker (Nienberge)Dr. BeermannBehrendtBergmannBerkhan Berlin BiermannBöhmBörnerFrau von BothmerDr. Brand BrandtBrandt
BredlBrückBrünen BuchstallerDr. von BülowBuschfortDr. BußmannCollet CorterierCramerDr. von DohnanyiDröscherDürrEckerlandFrau EilersDr. EndersEngholmDr. EpplerEsters Faller FellermaierFiebigDr. FischerFlämigFrau Dr. FockeFolgerFranke
Frehsee,Frau FreyhFritsch Geiger Gerlach
GertzenDr. GeßnerGlombigGnädingerGscheidleDr. HaackHaage
Haar
haase
Haehser Halfmeier Hansen Hansing HauckDr. Hauff Dr. Hein HenkeFrau HerklotzHermsdorf HeroldHirschHöhmann
Hörmann HofmannHornFrau HuberDr. HupkaJahn
Jaschke Junghans JunkerKaffkaKaterKernKillat-von CorethDr. Koch Koenig KohlbergerKonradDr. KreutzmannKriedemannKrockert Kulawig LangeLangebeckDr. Lauritzen LautenschlagerFrau LauterbachLeberLempLemper Lenders Liedtke Löbbert LotzeMaibaum MarquardtMarx
Matthes MatthöferFrau MeermannDr. Meinecke Meinike (Oberhausen) MetzgerMichels MöhringDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller
Dr. Müller Müller (Nordenham)Dr. Müller-EmmertDr. MüthlingNeemann Neumann Dr. NöllingOffergeld Frau Dr. OrthFrhr. Ostman von der Leye PawelczykPeiterPenskyPeters
PöhlerPorzner RaffertRavensDr. ReischlFrau RengerRichterDr, RinderspacherRohdeRosenthalRoßSäcklSander SaxowskiDr. SchachtschabelDr. Schäfer Frau SchanzenbachScheuDr. SchillerSchiller
Frau SchimschokSchirmer SchlagaDr. Schmid Schmidt (Braunschweig) Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (Hamburg)Dr. Schmidt Schmidt (München) Schmidt (Niederselters) Schmidt (Würgendorf)Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeSchoettleSchollmeyerSchonhofenSchulte
Schwabe Seefeld Seibert SeidelFrau SeppiSimonDr. SlottaDr. SperlingSpilleckeStaak
Frau StrobelStrohmayrSuckTallertDr. TambléFrau Dr. TimmTönjes Urbaniak VitWalkhoffDr. Weber WehnerWelslau Wende WendtDr. WichertWiefel Wienand Wilhelm WischnewskiDr. de WithWittmannWolfWolfram Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander ZebischBerliner AbgeordneteDr. Arndt
Bartsch Bühling Frau KrappeLiehr
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3049
LöfflerMattickDr. Schellenberg Frau SchleiDr. SeumeSieglersmidtFDPFrau Dr. Diemer-Nicolaus DornErtlFrau FunckeGeldnerGenscherGraaffGrünerHelms Jung Kirst. KleinertKrall LogemannMertesMischnickMoerschOlleschPeters Dr. RutschkeScheelSchmidt WurbsBerliner Abgeordnete BormDer Antrag ist abgelehnt.Das Wort zur Abstimmung hat der Abgeordnete Kiep.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der CDU! CSU-Fraktion möchte ich mitteilen, daß wir uns bei der Abstimmung über den Gesamthaushalt des Einzelplans 23 der Stimme enthalten werden. Ich möchte das wie folgt begründen.
Es ist hier von dem Sprecher der Regierung vorgetragen worden, daß der Bundesminister für Wirtschaft und der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit ein Abkommen abgeschlossen hätten, das eine Entwicklungspolitik aus einem Guß sichere. Dies ist nicht das erste Abkommen dieser Art, das abgeschlossen worden ist. Wenn ich mich in der Runde umsehe und Herrn Kollegen Wischnewski erblicke, der dort steht, erinnere ich mich an andere Abkommen in einer anderen Zeit, die auch nicht zu einer Entwicklungspolitik aus einem Guß, auf die es uns ja allen ankommt, geführt haben.
Um deutlich zu machen, was ich meine, möchte ich Ihnen in aller Kürze zwei kurze Punkte aus der Vereinbarung der beiden Häuser mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten verlesen, wobei eigentlich am Anfang des Abkommens noch der Satz stehen müßte: „Die hohen vertragschließenden Parteien einigen sich wie folgt." In § 5 dieser Abmachung heißt es wie folgt:
Ist bei Besuchern aus Entwicklungsländern im Ministerrang ein Gespräch auf Minister- oder Staatssekretärsebene nur im BMZ vorgesehen, werden diese Besucher zunächst im BMZ, eventuell in Anwesenheit eines Vertreters des BMWi, empfangen. Besucher der Weltbank und der IDA aber werden zunächst im BMWi empfangen.
Und in § 7 heißt es zum Schluß:
Bundesministerium für Wirtschaft und Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
werden auf Grund praktischer Erfahrungen um
eine ständige Verbesserung der gegenseitigen Zusammenarbeit bemüht sein.
Dieses, meine sehr verehrten Damen und Herren, reicht uns als Sicherstellung der Entwicklungspolitik aus einem Guß, um die es uns hier geht, nicht aus. Wenn ich auch Sympathie und Verständnis für die Kollegen der SPD habe, die sich in dieser Abstimmung anders entschieden haben — etwa nach dem Motto, wie ich gerade hörte: Als das Thema das letzte Mal zur Sprache kam, da war uns der Schiller zu stark, jetzt ist er uns zu schwach! —, so bitte ich Sie doch um Verständnis dafür, daß wir uns in dieser Frage hier heute der Stimme enthalten und uns im übrigen vorbehalten, in der dritten Lesung einen Entschließungsantrag mit gleichem Wortlaut, mit gleicher Absicht einzubringen.
Das Wort hat der Herr Abgeordneter Brück.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin einigermaßen erstaunt, daß die Kollegen der CDU/CSU jetzt diesem Haushalt nicht zustimmen. Denn, Herr Kollege Kiep, Sie werden sich erinnern, daß Sie im Ausschuß diesem Haushalt zugestimmt haben, weil Sie, wie Sie zu Recht sagten, damals der Auffassung waren, daß es über den Inhalt der Entwicklungspolitik keine Kontroversen gibt. Wenn das aber so ist, wenn es keine Kontroversen gibt, dann verstehe ich nicht, daß Sie jetzt, weil Sie hinsichtlich der Kompetenzverteilung anderer Meinung sind, diesem Haushalt nicht zustimmen. Wir haben in all den Jahren zuvor gut zusammengearbeitet, und das ist wohl für die Entwicklungshilfe notwendig. Ich glaube, es wäre besser, anstatt über Kompetenzstreitigkeiten hier zu diskutieren, über die Sache zu diskutieren. Wir sollten das später einmal nachholen.
Ich bitte darum, dem Haushalt zuzustimmen.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung.Wer dem Einzelplan 23 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Stimmenthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen und wenigen Gegenstimmen angenommen.Meine Damen und Herren, ich habe folgendes bekanntzugeben. In der morgigen Fragestunde stehen neben den beiden Dringlichkeitsfragen nur noch 15 Fragen zur Beantwortung an. Da die Beantwortung unter Umständen keine ganze Stunde ausfüllen wird, muß das Haus damit rechnen, daß die Beratung des Haushalts schon vor 9 Uhr fortgesetzt wird.Meine Damen und Herren! Es ist verabredet, um 18 Uhr mit den übrigen Punkten der Tagesordnung
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3050 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Vizepräsident Dr. Jaegerzu beginnen. Es lohnt sich also nicht mehr, einen neuen Haushaltseinzelplan aufzurufen, denn es ist in diesem Augenblick 18 Uhr. Ich darf mit den Zusatzpunkten beginnen.Ich rufe den ersten Zusatzpunkt auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer— Drucksache VI/601 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache VI/885 — Berichterstatter: Abgeordneter Hermsdorf
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksachen VI/860, zu VI/860 —
Ich danke dem Herrn Berichterstatter, dem Abgeordneten Dr. Schellenberg, für seinen Schriftlichen Bericht. Zu einer mündlichen Ergänzung hat er das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur einige Bemerkungen.
Zunächst eine Berichtigung. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, in dem Art. 2 Nr. 1 bei § 2 Abs. 6 Satz 1 — auf Seite 11 der Drucksache VI/860 — die Worte „sie die Prämie für" durch die Worte „sie die vermögenswirksamen Leistungen" zu ersetzen. Bei der vorliegenden Fassung hätte der Absatz überhaupt keinen Sinn. Hier ist ein technischer Fehler unterlaufen.
Ich bitte den Herrn Präsidenten, über den Art. 2 in dieser geänderten Fassung abstimmen zu lassen.
Eine weitere Bemerkung. Da in der Öffentlichkeit über den Kreis der Arbeiter, Angestellten und Beamten, die von den Vermögensbildungsgesetzen Gebrauch machen, die verschiedensten Zahlen genannt werden, möchte ich hierzu einige wenige Angaben machen:
Nach dem Zweiten Vermögensbildungsgesetz — das ergab sich aus einer Kleinen Anfrage der CDU/ CSU — hatte die Bundesregierung im Februar dieses Jahres berichtet, daß 1968 4,5 Millionen Arbeitnehmer — das war die letzte vorhandene exakte Zahl — vermögenswirksam gespart haben.
Die Bundesregierung ist in ihrem Entwurf bei der finanziellen Begründung davon ausgegangen, daß nach dem letzten Stand der Schätzungen 7,4 Millionen Arbeitnehmer vermögenswirksam sparen. Inzwischen wurden Tarifverträge abgeschlossen, von denen der bedeutsamste für die Metallindustrie am 1. Juli dieses Jahres in Kraft tritt. Es werden deshalb nach den bisher bekannten Feststellungen der Ministerien vom Beginn des Jahres 1971 an unter Berücksichtigung dieser Tarifverträge mindestens
12 Millionen Arbeiter, Angestellte und Beamte nach dem Vermögensbildungsgesetz sparen. Nach dem vollen Inkrafttreten dieses Gesetzes werden also — und das ist ein sehr wichtiger Tatbestand mehr als die Hälfte der 22 Millionen Arbeitnehmer vermögenswirksam sparen. Diese enorme Zunahme der Arbeitnehmer, die nach dem Vermögensbildungsgesetz in der jetzt zu beschließenden Fassung sparen — sie wurde vom Ausschuß einstimmig angenommen — ist äußerst bedeutsam. Eine derartige Steigerung der Zahl der Arbeitnehmer, die vermögenswirksam sparen, kann aus sozialpolitischen, volkswirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Gründen nur begrüßt werden
Das Wort hat der Abgeordnete Lampersbach.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich habe die Ehre, namens der CDU/CSU-Fraktion einen Antrag einzubringen, nach dem die Einbeziehung der Selbständigen in die Vermögensbildung ermöglicht werden soll. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat grundsätzlich die Notwendigkeit anerkannt, auch diese Gruppe in die Sparförderung einzubeziehen. Sie können das auf Seite 7 des Schriftlichen Berichts nachlesen.Die Begründung für die Einbeziehung dieser Gruppe ist insbesondere durch die strukturellen Veränderungen der letzten Jahre hinreichend gegeben. Ich glaube, ein Überdenken dieser Frage bringt das Haus zu der Auffassung, daß dieser Antrag insgesamt zu begrüßen ist.Ich darf auch darauf hinweisen, daß eine Vielzahl gerade der Selbständigen aus dem Mittelstand sowohl aus Gründen der Altersversorgung als auch aus anderen materiellen Gründen unbedingt mit Berücksichtigung finden müßte. Die CDU/CSU ist der Auffassung, daß die Gründe, die im Ausschuß zu dem Entschließungsantrag geführt haben, die Selbständigen später einzubeziehen, nicht durchschlagend sind. Die angeblich zeitraubende Änderung bei der gesetzestechnischen Behandlung und Umgestaltung dürfte durch unseren Antrag nicht mehr gegeben sein.Ich glaube auch, meine Damen und Herren von der Koalition, daß Sie auf sehr große Unglaubwürdigkeit draußen stoßen würden, wenn Sie sich unserer Argumentation und der Bitte, diesem Antrag zuzustimmen, verschließen würden. Die soziale Gesetzgebung — so darf ich feststellen — kann heute nicht mehr nur einem bestimmten Teil der Bevölkerung vorbehalten sein, sondern hier sind auch die Teile einzubeziehen, die ursprünglich und früher sicherlich nicht dafür in Frage kamen.Keineswegs überzeugend ist aber auch das Argument, die Vermögensförderung für die Selbständigen würde die Kosten ins Unerträgliche steigern. Ich glaube, auch hierzu kann man klar sagen, daß die Kostenfrage in diesem Falle keine Entschuldigung bieten kann.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3051
LampersbachIch wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie unserem Antrag zustimmen könnten, weil dadurch eine wesentliche und, ich würde sagen, durch die zeitliche Verzögerung sicherlich noch härter werdende Argumentation außerhalb dieses Hauses in sich zusammenbrechen würde und wir hier einen Schritt in der Sozial- und Gesellschaftspolitik tun würden, der von dieser gesamten Gruppe und der Bevölkerung überhaupt dankbar anerkannt würde.Ich bitte daher um Zustimmung zu unserem Antrag.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Freien Demokraten begrüßen, daß die CDU/CSU auf einmal der Meinung ist,
daß auch fur die Selbständigen in diesem Gesetz eine Verankerung erfolgen sollte, obwohl die Dinge — das möchte ich als erstes sagen — im Ausschuß anders geregelt worden sind und obwohl das — dies möchte ich auch vorweg sagen — in dieser Form gar nicht geschehen kann. Ich werde gleich auf die Probleme, die Sie, Herr Lampersbach, nicht angeschnitten haben, eingehen.Wir begrüßen es, daß diese Frage hier angesprochen worden ist. Ich habe allerdings bereits in der ersten Lesung für die Freien Demokraten erklärt, daß die Frage der Einbeziehung der Selbständigen in eine ähnliche, in gleicher Weise geförderte Sparlösung geprüft werden müsse. Das ist eine alte Forderung von uns Freien Demokraten. Ich glaube, das werden Sie nicht bestreiten.Trotzdem halten wir — das darf ich für die Freien Demokraten sagen — den Antrag in dieser Form und die Einbeziehung in dieses Gesetz am heutigen Tag für nicht sehr glücklich. Wir werden ihn deshalb ablehnen, und ich werde auch sehr genau begründen, warum.Zum einen muß ich feststellen, Herr Kollege Lampersbach, daß Ihre Kollegen im zuständigen Ausschuß zumindest am Ende der Beratungen ebenfalls anderer Meinung waren, nachdem wir uns über die Frage unterhalten hatten. Sie haben einen solchen Antrag im Ausschuß nicht gestellt, weil dort die Probleme angeschnitten worden sind, weil zweifellos durch den gemeinsam verabschiedeten Entschließungsantrag der Weg für eine bessere, vernünftigere und auch den Selbständigen genehmere Lösung eröffnet worden ist und die Bundesregierung einen Auftrag in dieser Richtung erhält.Worin bestehen die Bedenken, aus denen heraus wir die Einbeziehung ablehnen? Einmal würde dadurch eine Änderung der gesamten bisherigen Gesetzessystematik eintreten. Das Gesetz bekäme einen anderen Namen. Es wäre dann nicht mehr ein
und zwar fristgemäß auch im Hinblick auf die konjunkturpolitischen Überlegungen, die damit verbunden sind. Dieses Gesetz kann dann nicht am 1. Juli in Kraft treten, sondern möglicherweise erst Ende des Jahres, was Rückwirkungen auf anderen Gebieten zur Folge hätte.Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sollten sich noch einmal sehr genau überlegen, ob dieser Antrag wirklich durchdacht ist, und zwar im Interesse der Selbständigen und der Förderung der Vermögensbildung, die wir mit diesem Gesetz beabsichtigen. Sie sollten sich überlegen, ob er genug durchdacht ist, zumal da sich Ihre Fachleute im Ausschuß der Meinung der übrigen Ausschußmitglieder angeschlossen haben, die Dinge über ,den Entschließungsantrag in Angriff zu nehmen und sie wegen der erheblichen Problematik, die ich angedeutet habe, nicht in diesem Gesetz zu verankern. Ich halte diesen Antrag — seien Sie mir nicht böse — im Grunde für einen Schauantrag
oder — ich möchte das jedoch nicht unterstellen — für eine Verzögerungstatik auf dem Wege zu weiteren Schritten in Richtung auf Idie Vermögensbildung.
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3052 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Schmidt
— Doch, Sie verzögern heute die Verabschiedung dieses Gesetzes.
Das Wort hat der Abgeordnete Urbaniak.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Ausschuß hat sich mit dem Entwurf des 624-DM-Gesetzes sehr intensiv beschäftigt, und es ist Ihnen auch das Ergebnis der öffentlichen Anhörung bekannt. Ich muß hier feststellen, daß die Fraktion der CDU/CSU in den Beratungen hierzu keine vernünftigen Gesichtspunkte vorgetragen, geschweige denn eine Konzeption vorgelegt hat. Ihr Kollege Katzer hat bei der ersten Lesung in diesem Hause für die Frage der Selbständigen genau — das können Sie im Protokoll nachsehen — eine Minute übrig gehabt. Ich frage nun: Warum diese Hast?
Sie haben im Ausschuß dem Gesetzentwurf zugestimmt; Sie haben darüber hinaus dem Entschließungsantrag bz. Selbständige Ihre volle Zustimmung gegeben, nach dem im nächsten Jahr eine gründliche Beratung der Vorlage der Regierung stattfinden soll. Wir meinen, daß die am 12. Juli 1961 beschlossene gesellschaftspolitische Konzeption „Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand" nicht verlassen werden darf. Daher lehnen wir Ihren Antrag ab.
Was würde aber geschehen, wenn wir Ihrem Antrag zustimmten? — Bei einer groben Schätzung ergibt sich, daß wir rund 860 Millionen DM für das jeweilige Entstehungsjahr aufzubringen hätten. Sie haben sicherlich mit Absicht den Zeitpunkt kurz vor dem 14. Juni gewählt.
Im übrigen müßte nach § 96 Abs. 7 der Geschäftsordnung der Haushaltsausschuß — mein Vorredner hat das erwähnt — sich mit dieser Angelegenheit beschäftigen. Unter Umständen würde noch der Vermittlungsausschuß angerufen, da auch schwerwiegende bürokratische Konsequenzen mit dieser Maßnahme verbunden sind, z. B. weitere Belastungen der Finanzämter. Wir können dem also nicht zustimmen.
Darüber hinaus würden aber die bisherigen Sparer, insbesondere in der Metallindustrie, die aus eigener Leistung 312 DM aufbringen, am 1. Juli die Leistungen des Arbeitgebers nach ihrem Tarifvertrag und ihre eigenen Leistungen nicht konzentrieren können, da das 624-DM-Gesetz dann ja nicht in Kraft wäre.
Bei der gesamten Konzeption der von Ihnen vorgeschlagenen Änderung sind doch folgende Überlegungen anzustellen. Selbständige haben keinen Arbeitgeber, der für sie vermögenswirksame Leistungen anlegen kann. Selbständige können sich nicht selber ein Darlehen gewähren. Selbständige können nicht mit sich selbst Verträge über vermögenswirksame Leistungen abschließen. Eine Verrechnung der Sparzulagen mit der Lohnsteuer ist bei den Selbständigen nicht möglich, da keine Lohnsteuer abzuführen ist und weil sie in diesem Fall keine Arbeitnehmer beschäftigen. Hinsichtlich der
mithelfenden Familienangehörigen wäre das Ergebnis noch erschreckender.
Der Ausschuß sollte sich im nächsten Jahr auf Grund seines Entschließungsantrags, der auf den Kreis der Selbständigen abzielt, gründlich mit der Sache beschäftigen. Er kann dann die Lage der Selbständigen viel besser beurteilen und im Sinne des einstimmig angenommenen Entschließungsantrages vernünftige Vorlagen für das Parlament vorbereiten.
Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, Herr Urbaniak, der erst einige Monate hier im Hause ist, hat seine Jungfernrede gehalten. Wir gratulieren ihm dazu.
Das Wort hat nunmehr Herr Abgeordneter Lampersbach.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich bei der Einbringung ganz bewußt jeglicher Polemik enthalten und habe versucht, hier in einer streng sachlichen Darstellung die Dinge vor Ihnen abrollen zu lassen. Die Bemerkungen des Kollegen Schmidt zwingen mich allerdings dazu, einige zusätzliche Bemerkungen zu machen.Ich hatte eigentlich gehofft, daß wir dieses sozialpolitisch und gesellschaftspolitisch sehr wichtige Gesetz in einer ruhigen und vernünftigen Atmosphäre verabschieden können. Wenn Sie, Herr Kollege Schmidt , hier eine in der Sache nicht richtige Darstellung geben, erfordert das allerdings eine Zurechtrückung. Sie wissen ganz genau, daß die Vertreter meiner Fraktion an dein bekannten Montagabend um 19.30 Uhr den Vorsitzenden, Herrn Professor Schellenberg, sofort gebeten haben, diesen Punkt mit in die Behandlung einzubeziehen. Der Vorsitzende wies darauf hin, daß nur schriftliche Vorlagen behandelt werden könnten. Ich habe ihn daraufhin darauf aufmerksam gemacht, daß auch mündliche Anträge zu behandeln seien. Daraufhin wurde festgestellt, daß das am nächsten Tage nachzuliefern sei. Ich habe mich bemüht, in kürzester Zeit eine Formulierung zustande zu bringen. In der Zwischenzeit ist die Sache rein formal weitergelaufen, und der Entschließungsantrag ist zustande gekommen. So sind die Dinge. Ich mache jetzt keinem einen Vorwurf. Aber hier plötzlich von einer Augenwischerei der CDU/CSU-Fraktion den Selbständigen gegenüber zu sprechen, halte ich nicht für fair.Ein Zweites, Herr Kollege Urbaniak! Sie sagen, die Lohnsteuer werde von Selbständigen nicht erhoben. Das ist bekannt. Sie wissen, daß diese Besteuerungsart in drei verschiedene Begriffe unterteilt ist, die aber alle einen beinhalten: Lohnsteuer, Einkommensteuer. Natürlich muß eine Verrechnungsmöglichkeit gefunden werden. Es ist erstaunlich, wenn Sie sagen, daß derjenige keinen Zuschuß erhalten könne, der kein Arbeitnehmer sei. Nein, i diese vermögenswirksamen Leistungen werden von
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3053
Lampersbachdem Unternehmer, der in harter Arbeit, zum Teil mit seinen Familienangehörigen, diese Dinge durchzieht, allein aufgebracht werden müssen. Wir glauben, daß gerade aus diesen Gründen die Einbeziehung durchaus gerecht und vernünftig ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Nölling?
Herr Kollege Lampersbach, wie kommt es denn, daß Sie im Ausschuß tatsächlich zu dieser Frage keinen einzigen Entwurf für eine Regelung vorgelegt haben, daß Sie im Gegenteil mit uns darum gefeilscht haben, ob wir den Termin zur Vorlage von Vorschlägen für die Förderung von Selbständigen auf den 30. Juni oder auf den 30. September legen sollten, und daß Ihre Kollegen einstimmig sowohl dem Gesetz als auch dem Entschließungsantrag zugestimmt haben?
Jeder hat es gehört, Herr Kollege Wehner, jeder. Hoffentlich haben Sie es verstanden.
Herr Kollege Nölling, das stimmt nur zum Teil, was Sie sagen.
— Herr Wehner kann sich ja anschließend melden und kann dazu sprechen; er war sicherlich auch nicht dabei. — Herr Nölling, das stimmt ganz genau, was Sie sagen, nur mit einem Unterschied: hierüber ist eine Abstimmung zu dem Zeitpunkt erfolgt, als wir noch bei der Formulierung waren. Das war dem Kollegen Schellenberg auch bekannt. Ich mache gar keinen Vorwurf, daß das passiert ist. Wir haben aber sofort angekündigt, daß wir zur zweiten Lesung hier einen entsprechenden Antrag einbringen werden. Wenn das bis zu Ihnen nicht durchgedrungen ist, kann ich das nur bedauern.
Eine zweite Sache, Herr Kollege Urbaniak! Ich weiß nicht, wie Sie auf die Kosten von 800 Millionen kommen, die Sie genannt haben. In der Drucksache zu VI/860 steht auf Seite 7 ganz klar, daß die Kosten mit 380 Millionen DM jährlich anzusetzen sind, wenn auf Grund der vorhandenen Daten die Ausschöpfung in dem Rahmen erfolgt, was man ja auch noch nicht weiß. Ich gebe zu, daß es sehr schwierig ist, hier exakt auch tatsächlich eintretende Zahlen bekanntzugeben — von jeder Seite, auch von der Regierung —, da man auf Grund der Erfahrungen mit dem 312-DM-Gesetz nicht weiß, in welchem Umfang die Selbständigen sich nunmehr überhaupt beteiligen können.
Das dritte und letzte, was hier zu berichtigen ist, Herr Kollege Urbaniak: der Termin ist von uns in voller Absicht auf den 1. Januar 1971 gesetzt worden.
Ich wollte diese sachlichen Bemerkungen ohne alle Polemik noch einmal vorbringen, um die Dinge klar und nüchtern hier zur Behandlung zu stellen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Lampersbach, auch mir lag es fern, hier Polemik einzubeziehen. Ich glaube, Sie haben mich von dieser Stelle in diesem Hause aus schon des öfteren zur Frage der Selbständigen sprechen hören und wissen sehr genau, wie ich und meine Freunde zu diesen Fragen stehen. Ich hätte es nur gewünscht, wenn Sie seinerzeit in der Lohnfortzahlungsdbeatte, Herr Lampersbach, sich auch hier so betätigt hätten, wie Sie das diesmal tun, — optisch. Wir haben es nicht optisch getan; das muß ich noch sagen. Aber, Herr Kollege Lampersbach, ich will jetzt gar nicht auf die Verhandlungen im Ausschuß eingehen. Ich will nur vorlesen, was der Bericht des Ausschuß-vorsitzenden selbst, den Sie wohl nicht anzweifeln, auf Seite 7 enthält. Ich darf mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren. Unter Nr. 11 „Sparförderung für Selbständige" heißt es:
Auf Anregung von Vertretern aller Fraktionen hat der Ausschuß eingehend erörtert, ob es sinnvoll ist, Selbständige in das Dritte Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer einzubeziehen.
— Erörtert! —
Einmütig war der Ausschuß der Auffassung, daß gesetzliche Vorschriften zur Sparförderung von Selbständigen erforderlich sind. Der Ausschuß hielt es aber für unmöglich, derartige Vorschriften für Selbständige in das vorliegende Dritte Vermögensbildungsgesetz für Arbeitnehmer einzubauen.
Das war die einmütige Meinung des Ausschusses, auch Ihrer Kollegen, auch von Ihnen, Herr Kollege Lampersbach, wenn ich nicht irre. So waren die Tatsachen. Wir haben beraten, wir haben die Kosten und alles beraten, haben aber dann auf Grund der Tatsachen, welche ich vorhin als Problematik bei der Sache hinstellte, dem Entschließungsantrag den Vorzug gegeben, um das zu tun, was wir alle wollen, den Selbständigen eine gleiche Sparförderung zu gewährleisten.
Das Wort hat der Abgeordnete Burger.
— Verzeihung, Herr Professor Schellenberg, zu diesem Antrag? Jetzt liegt nur noch eine Wortmeldung von Herrn Burger zu dem nächsten Antrag vor. Sonst liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Einen Augenblick, Herr Kollege Burger, eine Sekunde!
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3054 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
— Es ist nicht gesehen worden. Die Wortmeldung liegt nicht schriftlich vor. Bitte sehr, Herr Professor Schellenberg! Herr Burger wird gern bereit sein, einen Moment zurückzutreten.
Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe mich nur deshalb gemeldet, weil mich Herr Kollege Lampersbach in meiner Eigenschaft als Vorsitzender angesprochen hat. Meine Damen und Herren, der Ausschußvorsitzende konnte das Anliegen, das eingehend diskutiert wurde — es war keineswegs nur ein Anliegen der CDU; Herr Kollege Schmidt hatte es im Ausschuß zuerst angesprochen, und auch die Kollegen der SPD hatten sich für dieses Anliegen eingesetzt —, nicht zur Abstimmung stellen, weil wir bei Einzelberatungen im Ausschuß nicht über allgemeine Prinzipien, sondern nur über Anträge abstimmen können.Ich habe die Regierung gefragt, inwieweit sie uns Formulierungshilfe leisten kann. Die Regierung hat erklärt, das benötige eine völlige Überarbeitung der bisherigen Gesetze über Vermögensbildung für Arbeitnehmer und der Regierungsvorlage. Sie benötige, um eine neue Konzeption unter Ausdehnung auf Selbständige zu entwickeln, mindestens 14 Tage. Das hat die Regierung ohne Widerspruch der Vertreter der Opposition erklärt. Deshalb hat, dann die CDU/CSU im Ausschuß darauf verzichtet, einen Antrag zur Frage der Selbständigen zu stellen.Die Formulierung des jetzigen Antrags der CDU/ CSU zu § 12 a in Verbindung mit Art. 5 trägt weder gesetzestechnisch noch verfassungsrechtlich dem Anliegen, Selbständige in den vorliegenden Gesetzentwurf einzubeziehen, auch nur im entferntesten Rechnung. Durch das, was Sie beantragen, soll an Stelle einer Arbeitnehmersparzulage in Zukunft eine Sparzulage auch für Selbständige und Familienangehörigen gewährt werden.Damit komme ich zur finanziellen Größenordnung. Ursprünglich war im Ausschuß von der Einbeziehung der Selbständigen die Rede. Dazu hatte die Regierung erklärt, das koste 380 Millionen DM jährlich mehr. Jetzt steht in diesem Antrag: Einbeziehung auch von mithelfenden Familienangehörigen.
Hierfür kommen 1,8 Millionen mithelfende Familienangehörige in Betracht. Das bedeutet über die 380 Millionen DM hinaus einen weiteren Mehraufwand von weiteren 480 Millionen DM jährlich. Das sind zusammen jene 860 Millionen DM, die Herr Kollege Urbaniak als Mehraufwand für den jetzt eingebrachten CDU/CSU-Antrag genannt hat. Meine Damen und Herren, daß das eine völlig neue Beratung des Haushaltsausschusses erfordert, ist doch unbestreitbar, und verzögert die Verabschiedung des Gesetzes um mindestens 2 Wochen.Damit bin ich bei der Frage des Termins. Die Kollegen, die ständig an den Ausschußberatungen teilgenommen haben — Herr Kollege Lampersbach, Siekonnten leider nicht immer an den Beratungen teilnehmen —, haben gemeinsam im Einvernehmen mit allen Fraktionen den Präsidenten und den Altestenrat gebeten, dem Ausschuß auch während wichtiger Plenarsitzungen die Möglichkeit zu geben, zu tagen. Dem haben der Herr Präsident und der Ältestenrat entsprochen. Dies deshalb, weil wir gemeinsam der Auffassung waren, das Gesetz müsse vor dem 1. Juli verkündet werden. Die Arbeitnehmer, die bisher von der Möglichkeit des freiwilligen Sparens nach § 4 Gebrauch gemacht haben und die nun durch Tarifverträge, die am 1. Juli in Kraft treten, im erweiterten Rahmen — nämlich mit 624 DM ab 1. Januar 1970 — vermögenswirksam sparen können, sollen die erweiterten Möglichkeiten nutzen können.Deshalb haben sich alle Kollegen — auch die der CDU/CSU-Fraktion, die an allen Beratungen teilgenommen haben — gemeinsam dafür eingesetzt, eine Entschließung zur Frage der Ausdehnung der Sparförderung für Selbständige zu fassen.Während zu anderen Anträgen es im Ausschußbericht heißt: Auf Antrag der Regierungsparteien SPD und FDP, heißt es in der Entschließung zur Frage der Selbständigen hier: Auf Antrag aller Fraktionen, also auch Ihrer Kollegen, Herr Kollege Lampersbach. Der Entschließungsantrag wurde gemeinsam formuliert. Auf besondere Anregung haben wir noch mit der Regierung wegen des Termins der Gesetzesvorlage für Selbständige hart gerungen. Die Regierung sagte, sie könne wegen des Zusammenhangs mit der Steuerreform nicht so schnell den Entwurf vorlegen, Ihre Kollegen haben gefordert, der Entwurf müsse schnell fertig werden. Daraufhin haben wir den Entschließungsantrag gemeinsam eingebracht und gemeinsam verabschiedet. Jetzt kommen Sie mit dem Antrag und meinen, durch die Formulierung eines Paragraphen könnten Sie eine Konzeption, die seit zehn Jahren besteht, nämlich das Vermögensbildungsgesetz für Arbeitnehmer, grundlegend verändern.Meine Damen und Herren von der CDU, Ihr Antrag ist einfach — entschuldigen Sie — nicht ausgegoren. Die Fassung ist irgendwie plötzlich aus der hohlen Hand entstanden. Wir haben — darauf darf ich aufmerksam machen — Ihren Entwurf, den Entwurf, der unter dem Namen „Burgbacher-Plan" läuft, im Ausschuß nicht einfach weggewischt, z. B. wegen der Frage auch der Selbständigen. Sie haben es so gewünscht, wir haben erklärt: Also schön, warten wir die Ergebnisse der mitberatenden Ausschüsse für Wirtschaft und Finanzen ab und lassen den CDU/ CSU-Antrag erst einmal liegen.Diese Regelung wird durch Ihren jetzigen Antrag zunichte gemacht. Deshalb wären Sie, meine Damen und Herren von der CDU gut beraten, wenn Sie den Antrag nicht zur Abstimmung stellten, sondern zurückzögen. Sie haben an der Entschließung über die Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Sparförderung für Selbständige mitgewirkt, und Sie haben sich mit uns gemeinsam im Ausschuß hinter die Konzeption des Gesetzentwurfes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer einschließlich des Entschließungsantrages gestellt.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3055
Meine verehrten Damen und Herren, ich darf zunächst einmal feststellen, daß zu diesem Antrag, Umdruck 52') weitere Wortmeldungen nicht mehr vorliegen.
Zur gesamten Geschäftslage darf ich folgendes sagen. Wir haben uns im Ältestenrat dahin verständigt, daß wir heute abend die Haushaltsberatungen eine Zeitlang unterbrechen, um ab 18 Uhr in zweiter und dritter Lesung über eine Reihe von Vorlagen abzustimmen, wobei wir davon ausgegangen sind, daß sie mehr oder weniger ohne Diskussion vor sich gehen würden. Wir haben nur zu diesem Tagesordnungspunkt einige Anträge. Alles andere wird nachher glatt verlaufen. Danach setzen wir die Beratung des Haushalts bis 21 Uhr fort. Ich möchte nur bitten, daß man sich darauf einstellt.
Ich schlage vor, wir kommen gleich zur Abstimmung über einen Teil des Antrags Umdruck 52, und ich rufe den Antrag Umdruck 51 zur Begründung auf, wenn er ansteht. Sind Sie damit einverstanden?
Wir kommen dann zur Abstimmung. Ich darf Sie bitten, die Abstimmungsunterlage, Drucksache VI/860, zur Hand zu nehmen.
Zunächst rufe ich Art. 1 auf, die Einleitung. Zu Art. 1, der Einleitung, müssen Sie den Antrag Umdruck 52 Ziffer 1 nehmen. Dieser Antrag ergänzt nur den Einleitungssatz des Art. 1. Wer diesem Antrag Umdruck 52 Ziffer 1 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — ich bitte um die Gegenprobe! Enthaltungen? — Abgelehnt.
Ich rufe Art. 1 Nr. 1 auf. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 2 auf. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe nunmehr Art. 1 Nr. 3 auf. Dazu gehört der Antrag Umdruck 51 **). Zur Begründung hat der Abgeordnete Burger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht in diesem Änderungsantrag darum, bei vermögenswirksamen Leistungen für Behinderte nicht die Unterstützungen nach dein Bundessozialhilfegesetz, aus der Kriegsopferfürsorge oder nach dem Wohngeldgesetz zu kürzen, die diese Personen erhalten.
Meine Damen und Herren, dieser Änderungsantrag wird sich finanziell nicht auswirken. Es ist lediglich die Attraktivität für diese Behinderten gegeben — z. B. Blinde oder Querschnittgelähmte —, die noch Leistungen aus den genannten Sozialgesetzen erhalten, auch vermögenswirksame Leistungen in Anspruch zu nehmen. Ich bin der Auffassung, daß das Hohe Haus diesem Antrag zustimmen könnte. Die Behinderten sind sehr dankbar. Sie erwarten, daß auch ihnen die Chance der Vermögensbildung nach diesem Gesetz praktisch eingeräumt und daß diese Möglichkeit auch interes-
*) Siehe Anlage 9
**) Siehe Anlage 10
sant gemacht wird. Ich darf Sie sehr herzlich bitten, dem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat Herr Professor Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß leider bitten, den Antrag abzulehnen,
und zwar aus folgendem Grund: Es ist ein prinzipielles Anliegen, Anrechnungsvorschriften in Sozialgesetzen zu verbessern. Darüber können wir gern diskutieren, aber nicht aus Anlaß dieses Gesetzes. Dann bringen Sie das bitte vor, wenn wir eine Verbesserung des Bundessozialhilfegesetzes und des Bundesversorgungsgesetzes beraten. Dann können wir über jede Änderung von Anrechnungsvorschriften sprechen. Wir sind stets bereit, zur rechten Zeit darüber mit Ihnen zu diskutieren. Aber Ihr Antrag Umdruck 51 hat aber weitgehende Konsequenzen.
Im übrigen muß ich Ihnen den Vorwurf machen, Herr Kollege Burger, daß der CDU/CSU-Antrag unausgegoren ist. Schon der erste Paragraph, den Sie ansprechen, § 75, ist ein falscher Paragraph. Es muß heißen „§ 76". Sie haben Ihren Antrag noch nicht einmal gründlich durchgelesen, und so etwas sollen wir hier schnell verabschieden.
Außerdem ist noch auf folgendes hinzuweisen. Der Sinn Ihrer und unserer Konzeption ist, das vermögenswirksame Sparen zu fördern. Das wird nicht zu kleinen Sparsummen, sondern langfristig zur Ansparung von erheblichen Beträgen führen, die, wenn dieses Gesetz verwirklicht ist, für den einzelnen Arbeitnehmer den Betrag von 10 000 DM weit überschreiten werden. Solche Beträge wollen Sie nun prinzipiell von jeder Anrechnung auf alle Leistungen der Sozialhilfe freistellen. Das bedeutet eine völlige Veränderung des Sozialhilfeprinzips nach gegenwärtigem Recht.
Darüber können wir gerne diskutieren, aber bitte nicht jetzt, sondern im Zusammenhang mit einer Novellierung der betreffenden Gesetzentwürfe. Deshalb müssen wir jetzt Ihren Antrag ablehnen. Im übrigen haben Sie die Anrechnungsfrage weder in Ihrem eigenen Gesetzentwurf noch bei der Regierungsvorlage im Ausschuß auch nur angesprochen. Ihr jetziger Antrag ist einfach unausgegoren.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Burger, es wäre wirklich besser gewesen, wenn Sie
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3056 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Schmidt
den sicher gutgemeinten Antrag im Ausschuß gestellt hätten und sich erst einmal erkundigt hätten, was schon geltendes Recht ist und um welche Paragraphen es sich handelt. Erstens muß es nicht § 75, sondern § 76 heißen, und zweitens ist der erste Teil Ihres Antrags bereits geltendes Recht. Es geht also praktisch nur um die beiden Gruppen nach § 88 des Bundessozialhilfegesetzes und § 24 des Wohngeldgesetzes. Das wäre bei einer Beratung im Ausschuß wahrscheinlich von vornherein klargeworden. Dann hätten Sie vermutlich selbst gemerkt, daß es so, wie Sie es hier gern möchten, nicht geht. Überlegen Sie sich noch einmal, ob Sie diesen Antrag wirklich stellen wollen. Wir werden den Antrag jedenfalls ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Burger.
Meine Damen und Herren! Auch in den gedruckten Bericht hat sich ein Druckfehler eingeschlichen. Ich bitte also, die entsprechende Änderung vorzunehmen: es muß § 76 Abs. i heißen.
Das, was wir von der CDU/CSU-Fraktion hier beantragen, ist doch durchaus nicht neu. Es paßt doch in das System. Nach § 88 Nr. 7 des Bundessozialhilfegesetzes können viele Vermögensarten nicht angerechnet werden, z. B. ein kleines Hausgrundstück. Wenn also bei einem Behinderten, einem Blinden oder einem sonstigen Bezieher von Sozialhilfe das Vermögen eines kleinen Hausgrundstückes nicht angerechnet wird, warum soll dann analog nicht auch diese Leistung unter diese freizusetzenden Einnahmen oder Vermögen fallen? Ich bin durchaus der Auffassung, daß wir es hier mit einem echten Anliegen dieser Behindertengruppen zu tun haben und daß wir diesem Anliegen bei der Verabschiedung des Vermögensbildungsgesetzes Rechnung tragen können. Ich meine, wir brauchten wirklich nicht noch Jahre zu warten, bis wir zu einer Novellierung des Bundessozialhilfegesetzes kommen.
Meine Damen und Herren, ich appelliere an Sie, an die Regierungskoalition: Ihr Minister hat vor wenigen Tagen ein Programm für die Behinderten veröffentlicht, der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung auf diese Probleme hingewiesen. Das hier ist eine kleine Geste, auf die die am schwersten Behinderten hoffen. Die Blinden, die Querschnittgelähmten, all jene, die im Schatten stehen, haben ein Interesse daran, daß wir dem zustimmen. Hier geht es um einen ganz konkreten Fall, und es gilt, ja dazu zu sagen. Es kostet nichts, meine Damen und Herren. Das ist nur ein Angebot an diese Behindertengruppen; auch sie wollen an dem Vermögensbildungsgesetz teilhaben. Meine Damen und Herren, Sie sollten ja dazu sagen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zu diesem Änderungsantrag liegen nicht vor. Wir kommen dann zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 51 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Nr. 3 der Ausschußfassung; Sie finden sie auf Seite 5 der Drucksache. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe Umdruck 52 Ziffer 2 auf. Danach soll in Art. 1 eine neue Nr. 3 a eingefügt werden. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 52 Ziffer 2 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Abgelehnt.
Ich rufe die Nrn. 4, 4 a, 4 b, 5, Art. 2, Art. 3, Art. 3 a, Art. 4 in der Ausschußfassung auf. Es liegen keine Änderungsanträge vor. Das Wort wird nicht begehrt. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Zu Art. 5 liegt auf Umdruck 52 Ziffer 3 ein Änderungsantrag vor. Wer der Ziffer 3 im Umdruck 52 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. Ist abgelehnt.
Ich rufe auf den Art. 5, den Art. 6, den Art. 7, —Einleitung und Überschrift. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Ist angenommen.
Wir kommen damit zur
dritten Beratung
Ich darf nun an die Herren, die in der dritten Beratung des Wort nehmen, appellieren, ein wenig auf die Zeit zu achten.
Wir haben noch sehr viel zu erledigen.
Zunächst einmal hat Herr Minister Arendt das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst dem Hause, insbesondere aber den Damen und Herren des federführenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, meinen herzlichen Dank aussprechen für die zügige, aber doch gründliche Beratung des Gesetzentwurfs für ein Drittes Vermögensbildungsgesetz. Durch diese zügige Beratung wird es möglich, das Gesetz bereits gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des Tarifvertrages über vermögenswirksame Leistungen in der Metallindustrie zu verkünden. Auf diese Weise, meine Damen und Herren, können die vielen Arbeitnehmer in der Metallindustrie die bisher schon von dem Gesetz Gebrauch machten, ihr außertarifliches Sparen fortsetzen, obwohl der Tarifvertrag den Begünstigungsrahmen von 312 DM bereits ausschöpft.Die Erwartungen, die die Bundesregierung an ihren Entwurf für ein Drittes Vermögensbildungsgesetz geknüpft hat, haben sich in den wenigen Wochen seit der ersten Lesung dieses Gesetzent-
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Bundesminister ArendtWurfs am 15. April in eindrucksvoller Weise bestätigt. Allein im ersten Halbjahr 1970 sind für rund 7 Millionen Arbeitnehmer Tarifverträge über vermögenswirksame Leistungen abgeschlossen worden oder in Kraft getreten. Das ist mehr, als in den zehn Jahren seit dem Regierungsentwurf von 1960 für das 312-Mark-Gesetz erreicht worden ist. Wir schätzen die Zahl der Arbeitnehmer, die zu Beginn des Jahres 1971 vermögenswirksame Leistungen erhalten, bereits auf rund 12 Millionen, und wir sind überzeugt davon, daß sich diese Zahl in Zukunft laufend erhöhen wird. Wir können also erwarten, meine Damen und Herren, daß auch ohne gesetzliches Zwangssparen mit den unserem freiheitlichen Staat angemessenen Mitteln in absehbarer Zeit allen Arbeitnehmern die Vorteile dieses Gesetzes zugute kommen. Mit den eindrucksvollen Erfolgen der letzten Wochen sind auch die Skeptiker widerlegt.Meine Damen und Herren, ich freue mich, daß die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Verbesserungen des Gesetzes, also vor allem die Einführung einer Arbeitnehmer-Sparzulage mit der Beseitigung der bisherigen Rentenminderung und die Verdoppelung des begünstigten Betrages auf 624 DM, vom federführenden Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung einstimmig, also auch mit den Stimmen der Opposition, beschlossen worden sind. Die Einführung der Arbeitnehmer-Sparzulage war bekanntlich nie umstritten. Sie wird einhellig begrüßt. Das war bei der Verdoppelung des begünstigten Betrages bisher anders. Mit der Zustimmung der Opposition hat sich offenbar hier die Erkenntnis durchgesetzt, daß auch die Verdoppelung zur rechten Zeit erfolgt ist und keineswegs, wie noch bei der ersten Lesung behauptet wurde, einseitig die Besserverdienenden begünstigt.Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat den Gesetzentwurf noch in einigen Punkten ausgebaut. Insbesondere die Einkommensgrenze, durch die Bezieher sehr hoher Einkommen von den Vorteilen des Gesetzes ausgeschlossen werden, ist gerechtfertigt. Die Bundesregierung hatte dieses Problem bereits in der Begründung ihres Gesetzentwurfs angesprochen und eine derartige Lösung grundsätzlich bejaht. Sie wird, wie bereits mehrfach angekündigt, auch bei dem für 1971 geplanten Regierungsentwurf für die Reform der allgemeinen Sparförderung Vorschläge machen, um die Sparförderung stärker auf die unteren und mittleren Einkommensschichten auszurichten. Das ist nicht nur wegen der sonst ständig wachsenden Haushaltsbelastungen geboten, sondern vor allem auch deshalb, weil — um es einmal einfach zu sagen — eine Sparförderung für die Reichen nicht unserer gesellschaftspolitischen Konzeption entspricht.Die Bundesregierung ist nicht der Ansicht, daß mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf bereits das vermögenspolitische Soll für diese Legislaturperiode erfüllt ist.
Sie wird schon im nächsten Jahr mit der Steuerreform und mit der Reform der allgemeinen Sparförderung neue vermögenspolitische Akzente setzen.
Sie wird darüber hinaus in dem zum Jahresende zu erstattenden Bericht über die Vermögensbildung die gesamte vermögenspolitische Problematik im Gesamtzusammenhang darstellen.Dieser Gesetzentwurf ist ein erster, aber sehr wichtiger Schritt auf dem Wege zu einer größeren sozialen Gerechtigkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Burgbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich folge mit Rücksicht auf die Belastung des Hohen Hauses gern dem Wunsch des Präsidenten, mich kurz zu fassen.Wie Sie sehen, haben wir diesem Gesetz zugestimmt. Wir sehen in diesem Gesetz zwar keine Lösung der Kernprobleme der Vermögensbildung. Wir sehen einen bescheidenen Beitrag, sozusagen eine Fortsetzung der zwei von uns verabschiedeten 312-DM-Gesetze, von denen das eine zehn Jahre und das andere fünf Jahre alt ist. Es ist sozusagen eine Aufstockung des alten Rechts, das wir geschaffen haben. Es ist leider keine Verbreiterung des alten Rechts in die Gruppen minderen Einkommens. Es ist eine Bevorzugung der Gruppen besserer Einkommen; denn wenn bisher von 23 Millionen unselbständig Tätigen 7,5 Millionen, wie wir vom Herrn Minister gehört haben, vom ersten 312-DM-Gesetz Gebrauch gemacht haben, ist nicht einzusehen und nicht glaubhaft, daß dieses aufgestockte zweimalige 312-DM-Gesetz die Lösung der Vermögensbildung bei minderen Einkommen bringt. Wenn demnächst 12 Millionen beteiligt sind, so ist das von den 23 oder 24 Millionen die gute Hälfte, und die andere Hälfte, die vor der Tür steht, ist genau die, welche eigentlich die bezüglich der Vermögenspolitik aus der Sicht des Hohen Hauses förderungswürdigste sein müßte.
Deshalb haben wir unser sogenanntes Beteiligungslohngesetz vorgelegt, und wir freuen uns über die mittelbaren Auswirkungen dieses Gesetzes. Der Übergang von der Steuerprivilegierung zur Prämie ist in unserem Gesetzentwurf enthalten, ebenso wie die Überlegungen über die Einbeziehung der Selbständigen. Wir freuen uns, daß dieser unser Gesetzentwurf in den nächsten Monaten weiter beraten wird, und wir hoffen zuversichtlich, daß dann die Selbständigen geringeren Einkommens einbezogen werden können. Wir können nicht einsehen, daß es bei für die Privilegierung festliegenden Einkommensgrenzen noch ein Unterschied sozialpolitischer Art sein kann, ob jemand seine 20 000 DM als Arbeitnehmer oder als Selbständiger verdient. Der Selbständige hat denselben Anspruch auf Gleichbehandlung in der Sozialpolitik, auch bei der Vermögensbildung.
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Dr. BurgbacherWir hoffen, daß sich dieser eigentlich selbstverständliche Grundsatz dann auch durchsetzt.Damit sind die 5 Minuten, die ich mir vorgenommen habe, zu Ende; ich hätte noch viel zu sagen. Wir haben ein Schrittchen nach oben gemacht; machen wir in Zukunft Schritte in die Breite! Denken wir vor allem an die Mitbürger mit geringeren Einkommen, gleichgültig, ob sie unselbständig oder selbständig sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Rosenthal.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich zur Drucksache VI/601 spreche, so will ich mich an die Mahnung des Herrn Präsidenten halten. Wir haben alle noch viel zu tun, und wir werden müde sein. Ich möchte es deshalb kurz machen.
Das 624-Mark-Gesetz ist ein erster Schritt, ein wichtiger Schritt, ein Schritt in die richtige Richtung und vor allem ein Schritt zur richtigen Zeit. Ich bin überhaupt, Herr Professor Burgbacher, der Ansicht, daß dies der erste Schritt ist; alles andere waren Schrittchen. Die Zahlen zählen gegen Sie. Beim ersten Vermögensbildungsgesetz waren es knapp 380 000, die überhaupt teilgenommen haben,
beim zweiten Vermögensbildungsgesetz — in vier
Jahren — waren es 5 Millionen, und davon waren
4 Millionen nicht tarifliche, also wieder die besserverdienenden Leute.
— Ich will es nicht lange machen; das ist hier bekannt. Das 312-Mark-Gesetz
— auch wenn Sie mich unterbrechen, bleibt es so, weil es bekannt ist — war scheinsozial. Ein Mann mit 600 DM im Monat konnte nichts von der Steuer absetzen, einer mit 1500 DM konnte 56 DM absetzen und einer mit 4000 DM 108 DM,
von den Schmälerungen bei Rente und Krankengeld gar nicht zu reden. Diese Nachteile sind bei unserem Gesetz durch die Zulage abgeschafft, und Sie können sich ausrechnen, daß plus Sparprämie auf Bausparverträge der Staat heute diese Menschen je nach Kinderreichtum und Einkommen mit 50 his 85 % unterstützt. Deshalb ist es auch richtig, daß wir in den Sparverträgen deutlich machen, was der Staat hier tut. Es ist auch richtig, daß wir endlich die Sparverträge vereinfachen; denn die bisherige Regelung mit dem immer neuen Abschließen von Sparverträgen hat ja viele Leute eher abgeschreckt.
Die Verdoppelung wird hier so ein bißchen weggewischt, als wäre sie unwichtig. Die ist so unwichtig, wie nach zehn Jahren der Unterschied zwischen
5100 DM nach dem alten Gesetz und 13 500 DM auf der hohen Kante nach dem neuen Gesetz ist. Das, meine Damen und Herren, ist nicht unwichtig.
— Hätten Sie früher an den Kaufkraftschwund gedacht, dann wären wir heute nicht dort.
Nun zu etwas anderem, was im Ausschuß sehr diskutiert worden ist, nämlich die Einkommensgrenze. Es ist gesagt worden, davon wären nur einige Prozent betroffen, und es ist gesagt worden: Der Staat spart nicht viel. Gespart werden immerhin 50 Millionen DM. Ob sich das lohnt oder nicht, weiß ich nicht. Aber uns, meinen Freunden und mir,
scheint das Wichtigste, daß endlich einmal den schlimmen, finanzpolitisch unsoliden und unehrlichen Gesetzen ein Riegel vorgeschoben wird, die diejenigen weiter mit Staatsgeldern bezuschussen, die bereits so viel verdienen, daß sie selber sparen können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ott?
Ich glaube, in Erklärungen der Fraktionen sind diese nicht üblich.
Sie sind an sich möglich, aber Sie können Nein sagen.
Ich bin am Ende meiner Ausführungen. Ich möchte nur folgendes sagen: Ob in der Wirtschaft, ob im Sport oder in der Politik: auf das Timing kommt es an. Das Timing ist richtig wie gestern nacht; denn Metall hat abgeschlossen, und Otto Brenner ist für mich immer noch der Uwe Seeler im Team der Gewerkschaften.
Zweitens. Das Timing ist richtig; denn hier trifft etwas zusammen, was sozial ausgleichend und außerdem konjunkturstabilisierend ist. Ich bin der Ansicht, daß wir mit diesem Schritt das erste Mal seit zwanzig Jahren eine glaubhafte Vermögensbildung aus Ihrem Dornröschenschlaf geweckt haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich
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Schmidt
werde mich an die Fünfminutengrenze halten. Nur wenige Anmerkungen für die Freien Demokraten zur Verabschiedung dieses Gesetzes.Wir Freien Demokraten begrüßen es — das möchte ich auch der Opposition sagen —, daß heute der Bundestag dieses Gesetz einstimmig verabschiedet, damit es schnell in Kraft treten kann. Wir sehen darin einen weiteren wuchtigen Schritt auf dem Wege zu einer Vermögensbildung breiter Schichten.Wir begrüßen besonders — und ich möchte unseren Dank auch an die Ausschußmitglieder der anderen Fraktionen aussprechen —, daß zwei Anregungen von uns im Ausschuß aufgegriffen wurden: einmal die Einbeziehung der Lebensversicherung als Anlagemöglichkeit und zum anderen die in § 14 für kleinere und mittlere Unternehmer vorgesehene Möglichkeit, ihre vermögenswirksamen Leistungen an Arbeitnehmer bis zu 30 % von der Steuerschuld abzuziehen, und zwar auf Grund der allgemeinen Verdoppelung des Begünstigungsrahmens auf 6 000 DM erhöht.Wir haben es auch sehr begrüßt, daß die Bundesregierung von Anfang an den § 4 ebenfalls in die Verdoppelung mit einbezogen hat. Wir glauben, daß durch die Verdoppelung allein schon von der Zahl her ein wesentlicher Mehranreiz gegeben ist. Wir halten es auch für sehr gut, daß durch den Übergang zum Zulagesystem ein erheblicher Anreiz vor allem für die Tarifpartner gegeben ist, stärker in dieses Gesetz einzusteigen.Kollege Burgbacher, das Wort von der „Hälfte vor der Tür" dürfte schon nicht mehr ganz stimmen, wenn der öffentliche Dienst ebenfalls mit dabei ist. Sie wissen, daß es in dieser Richtung bereits Gesetzesvorlagen und Absprachen gibt. Dann sind wir nämlich schon bei 75 %.
— Das ist ja nur ein erster Schritt; das wissen Sie auch!
— Meistens macht man den ersten Schritt vor dem zweiten. Sie wollten mit dem Beteiligungslohn gleich den fünften machen, wußten aber noch nicht genau, wohin es ging.Wir begrüßen auch, daß mit der 40 %igen Prämie die Sparmöglichkeit für Familien mit drei und vier Kindern familiengerechter gestaltet wurde, denn die höhere Sparmöglichkeit ist zweifellos nicht so familiengerecht wie die höhere Prämie.Wir sind auch sehr dankbar und halten es für sehr gut, daß mit diesem Gesetz wiederum eine Absage an ein gesetzliches Zwangssparen ausgesprochen wird. Wir sehen diesen Weg nicht als den richtigen. Weg für eine Vermögensbildung in breiten Schichten an. Ohne eine Bereitschaft zur Spartätigkeit ist es sehr schwer, eine Eigentumsgesinnung und überhaupt einen Vermögensbildungswunsch zu erzielen. Das ist nicht so einfach.Abschließend möchte ich für die Freien Demokraten an die Tarifpartner appellieren, daß sie jetztverstärkt — die ersten Anzeichen sind da — vonden Möglichkeiten dieses Gesetzes Gebrauch zu machen.
Gleichzeitig möchte ich für die Freien Demokraten einen Appell an die Bundesregierung und das zuständige Ressort richten, daß sie uns entsprechend dem Entschließungsantrag bis zum Sommer nächsten Jahres eine Vorlage für die Selbständigen liefern. Wir teilen die Meinung, die von Ihnen, Herr Burgbacher, vorgetragen wurde, deß die Selbständigen heute in gleicher Weise und mit gleichen Chancen in die Sparförderung einbezogen werden müssen. Nur muß zum Teil noch überlegt werden, welches die besten Wege sind.Wir werden lern Gesetz gern zustimmen.
Meine Damen und Herren, damit ist die Liste der Wortmeldungen zur dritten Lesung erschöpft. Wir kommen jetzt zur Schlußabstimmung in dritter Lesung. Wer dem Gesetz in seiner Gesamtheit zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Wir haben dann noch über zwei Ausschußanträge abzustimmen, und zwar über die Ziffern II und III auf den Seiten 1 und 2. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist so beschlossen.Ich rufe auf den Punkt 2 der Zusatztagesordnung:
Drucksachen VI/640, VI/581 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der GeschäftsordnungDrucksache VI/886 —Berichterstatter: Abgeordneter Krampeb) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache VI/861 —Berichterstatter: Abgeordneter Härzschel
Ich eröffne die zweite Beratung. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die zweite Beratung.Ich bitte Sie, die Drucksache VI/640 zur Hand zu nehmen. Ich lasse abstimmen über § 1 bis § 20, Einleitung und Überschrift. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
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3060 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Präsident von HasselIch eröffne diedritte Beratung.Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe sie.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Wir haben dann noch über den Ausschußantrag Ziffer 2 in der Drucksache VI/861 abzustimmen. Wer diesem Antrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.Ich rufe Zusatzpunkt 3 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Termins für die Vorlage des Entwurfs des Rentenanpassungsgesetzes— Drucksache VI/792 —Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache VI/862 —Berichterstatter: Abgeordneter Härzschel
Ich eröffne die zweite Beratung. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die zweite Beratung.Wir stimmen über §§ 1 bis 4 sowie Einleitung und Überschrift ab. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich eröffne diedritte Beratung.Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe sie.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Unter den Tagesordnungspunkten, die wir jetzt noch zu behandeln haben, ist einer, bei dem ganz kurze Erklärungen zum Antrag Umdruck 531 abgegeben werden. Es ist Zusatzpunkt 4 zur Tagesordnung, den ich hiermit aufrufe:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes
— Drucksache VI/798 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache VI/883 —Berichterstatter: Abgeordneter Krampe *) Siehe Anlage i Ib) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache VI/863 —Berichterstatter: Abgeordneter Glombig
Ich eröffne die zweite Beratung. Zur Begründung des Antrags Umdruck 53 und wohl gleichzeitig auch zur Aussprache hat Herr Abgeordneter Maucher das Wort erbeten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung diesen Gesetzentwurf eingehend beraten und dort einige Anträge gestellt. Gestatten Sie mir, daß ich in dem Zusammenhang vorweg einige Bemerkungen zum Bericht über diesen Gesetzentwurf mache.Nach der Geschäftsordnung ist es verbindlich und verpflichtend, daß auch die Meinung der Opposition zur Geltung kommt und aus dem Bericht klar ersichtlich ist. Ich gebe durchaus zu, daß bei der Schnelligkeit und der kurzen Zeit ein Bericht nicht bis zum Ende vollständig sein kann. Aber in diesem Fall muß ich feststellen, daß die Anträge, die wir gestellt haben, im Bericht nicht erwähnt sind. Aus diesem Grunde ist nicht ersichtlich, wie der Ausschuß zu den einzelnen Fragen Stellung genommen hat.Wir haben erstens festgestellt, daß die Erhöhung der Renten bei den einzelnen Beschädigten- und Hinterbliebenengruppen nicht generell 5,5 % beträgt, sondern beispielsweise bei den zu 30 % Beschädigten nur 4,9 %. Im Grunde genommen schreibt das Gesetz zwingend vor, um 5,5 % zu erhöhen. Dabei ist darauf hingewiesen worden, daß man die einzelnen Leistungen im Bundesversorgungsgesetz in der Praxis bisher bei Pfennigbeträgen immer nach oben aufgerundet hat. Wir sind der Meinung, daß das auch hier geschehen sollte.Nach der Diskussion wurde im Ausschuß ein Antrag nicht gestellt; denn im Ausschuß bestand Übereinstimmung darüber, daß die Regierung diese Angelegenheit prüfen und bei der nächsten Anpassung unter Umständen entsprechende Vorschläge unterbreiten und eine Stellungnahme abgeben sollte. Es wurde also auf eine weitere Antragstellung verzichtet.Zweitens wurde der Antrag gestellt, in § 30 Abs. 4 Satz 3 die Worte „ungerade Zahl" zu streichen. Das würde bedeuten, daß damit der Berufsschadensausgleich alljährlich wie die übrigen Leistungen angepaßt wird. Wir haben im Augenblick die Situation, daß praktisch zweierlei Recht besteht, nämlich dergestalt, daß in den Fällen, wo der Berufsschadensausgleich nach dem Beamtenrecht angepaßt wird, die Anpassung immer dann vorgenommen wird, wenn das Beamtenrecht geändert wird, in den übrigen Fällen alle zwei Jahre nach den tariflichen Bestimmungen. Es ist im Grunde nur natürlich — das ist die Folge der jährlichen Anpassung —, daß man jetzt auch alle übrigen Leistungen aufeinander abstimmt. Dieser Antrag ist abgelehnt worden.
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MaucherWir haben im Ausschuß der Entschließung zugestimmt und den Antrag hier nicht mehr eingebracht. In der Entschließung wurde nämlich eine Harmonisierung beschlossen, d. h. wir haben im Ausschuß beschlossen, die Regierung aufzufordern, entsprechende Vorschläge zu unterbreiten. Wir hoffen, daß diese Angelegenheit nicht zuletzt deshalb geregelt wird, weil zwar im nächsten Jahr die Anpassung erfolgt, jedoch nicht in zwei Jahren, also im Jahre 1972, in den von mir angesprochenen Fällen. Wir hoffen, wie gesagt, daß bis dahin eine entsprechende Klärung erfolgt.Außerdem haben wir den Antrag gestellt, daß die Grundrente der Witwen, soweit sie den Betrag von 150 DM überschreitet, nicht angerechnet wird. Dieser Antrag ist ebenfalls abgelehnt worden. Wir haben dabei auf den Antrag und die Begründung des Bundesrates verwiesen. Der Bundesrat hat dazu eine ausführliche Begründung gegeben. Die Begründung der Bundesregierung für die Ablehnung wäre eigentlich einer eingehenden Diskussion wert. Leider haben wir dazu nicht die Zeit.Aus diesem Grund haben wir hier und heute den Antrag gestellt, zumindest den Betrag, der über 180 DM hinausgeht, die Erhöhung der Grundrente bei der Anpassung nicht anzurechnen. Der Antrag hat finanzielle Auswirkungen in Höhe von etwa 25 Millionen DM, allerdings nicht in diesem Haushaltsjahr, sondern erst 1971. Wir sind der Meinung, daß dieser Betrag in einem Haushalt von 6,6 Milliarden DM untergebracht werden kann. Nach unseren Berechnungen betrug das Ist im letzten Jahr 40 Millionen DM weniger als das Soll. Das möchte ich klarstellen. Eine Regelung der finanziellen Frage ist möglich. Das wollte ich in Erwägung zu meiner Erklärung sagen.Wir sind der Meinung, daß das Anpassungsgesetz in seiner Gesamtheit genau durchdacht werden muß. Ich bedauere sehr, daß wir im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, der viele Aufgaben zu bewältigen hat, nicht die Zeit gehabt haben, unseren Antrag eingehend zu begründen und darüber gründlich zu beraten. Diese Frage bedarf schon im Hinblick auf die verwaltungsmäßige Durchführung einer gründlichen Beratung. Vielleicht wird es notwendig sein — ich würde das jedenfalls für richtig halten —, diese Dinge einmal in einem Sonderausschuß zu behandeln.Was die verwaltungsmäßige Durchführung betrifft, erscheint es mir dringend notwendig, daß bei der Anwendung der Bestimmungen in der Landwirtschaft und beim Hausbesitz eine erhebliche Vereinfachung erfolgt. Außerdem ist es dringend notwendig, einige Dinge, die sich aus der heutigen Situation ergeben, der Entwicklung anzupassen. Im Bericht über die Lage der Kriegsopfer ist bei den Witwen ein Durchschnittsalter von 62 Jahren festgestellt worden. In vielen Fällen, nämlich in den Fällen, in denen der verstorbene Ehemann 65 Jahre alt geworden wäre, wird der Schadensausgleich erheblich gekürzt oder fällt sogar ganz weg. Das bedeutet für die Betroffenen eine außergewöhnliche Härte. Wir empfehlen der Regierung — wir habendazu keinen Antrag gestellt; das kann durch eine Rechtsverordnung geschehen —, eine Regelung vorzusehen, nach der wenigstens der Besitzstand gewahrt bleibt. Das ist unsere Bitte.Abschließend ein Wort zur Anpassung der Kriegsopferversorgung. Lassen Sie mich dazu einen Satz sagen. Im Augenblick beträgt der Abstand zur allgemeinen Bemessungsgrundlage 233 DM. Er wird in etwa 10 Jahren bei 400 DM liegen. Es wird unsere Aufgabe sein, darüber nachzudenken, in welcher Weise der immer größer werdende Rückstand aufgeholt werden kann. Das ist eine Aufgabe, die uns und damit dem Parlament gestellt ist.Ich würde mich freuen, wenn der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung in Zukunft nicht nur eine Abstimmungsmaschine wäre oder als Vollzugsorgan der Regierung wirkte.
— Seien Sie mir nicht böse, wenn ich das sage.
Verehrter Herr Kollege, darf ich Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Ich bin gleich am Ende. — Ich meine das gar nicht polemisch. Es ist kein Vorwurf.
— Nein, das ist kein Vorwurf. Wir haben in den ganzen Jahren in dieser Frage immer sehr ernsthaft um die einzelnen Probleme gerungen. Bitte, nehmen Sie es so, wie ich es meine. Aber, meine verehrten Damen und Herren, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie wenigstens diesem Antrag zustimmten.
Das Wort hat der Abgeordnete Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich zu Beginn ganz kurz einige Ausführungen in meiner Eigenschaft als Berichterstatter zu den Anmerkungen des Kollegen Maucher hinsichtlich der Berichterstattung mache.Erstens. Die Mehrheit des Ausschusses — ebenso wie der Berichterstatter — ist der Auffassung, daß das Zweite Anpassungsgesetz zur Kriegsopferversorgung sehr ausführlich beraten worden ist.Zweitens. Das Ergebnis dieser Beratungen ist exakt in dem Bericht, der Ihnen vorliegt, wiedergegeben worden. Es ist nicht üblich, zu berichten, wie die Abstimmung zu allen Anträgen, die im Ausschuß eingebracht werden, ausgegangen ist. Nach meiner Kenntnis jedenfalls ist das nicht üblich, auch nicht bei anderen Gesetzgebungsverfahren. Ich habe mich danach erkundigt, daß sich diese Praxis hier
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Glombigentwickelt hat. Jedenfalls ist, was das Petitum hinsichtlich des Kleiderverschleißes und der Aufrundung der Beträge angeht, die Meinung des Ausschusses hier richtig wiedergegeben worden.Ich möchte mich aber im übrigen an die Abmachung halten, Herr Kollege Maucher, nur eine kurze Erklärung zu dem Antrag auf Umdruck 53 abzugeben, der kein Antrag der CDU/CSU-Fraktion, sondern nur einer Gruppe der CDU/CSU-Fraktion ist. Ich muß offen gestehen, daß ich Ihre Kritik, die Sie hinsichtlich der Anrechnung der Witwengrundrenten bei der Feststellung des Einkommensverlustes vorgebracht haben, nicht ganz verstehen kann, weil Sie ja damals bei der Schaffung des Schadensausgleichs mit dem Zweiten Neuordnungsgesetz 1964 folgendem Antrag zugestimmt haben. Das ist der Antrag, Herr Kollege Maucher, den Sie damals mit unterschrieben haben. Das muß hier doch einmal klargemacht werden, damit kein falscher Eindruck entsteht. Ich darf mit Genehmigung des Präsidenten diesen Antrag zitieren:Der Einkommensausgleich wird gewährt, wenn die Einkünfte der Witwe einschließlich der Grund- und Ausgleichsrente— es sind dann die einzelnen Stufen und Bruchteile angegeben — . . . des Einkommens ihres Ehemannes erreichen, das dieser erzielt hat oder voraussichtlich erzielt hätte.Das ist die Sachlage auf Grund des Zweiten Neuordnungsgesetzes und der Gesetzesinitiative, die die CDU/CSU damals ergriffen hat. Ich gebe zu, daß man unterschiedlicher Meinung darüber sein kann, ob die Grundrenten beim Schadensausgleich angerechnet werden sollen oder nicht. Aber man darf doch nicht übersehen, meine Damen und Herren, daß eine andere Berechnungsweise des Schadensausgleichs mit ganz erheblichen Mehraufwendungen verbunden wäre.Hier besteht doch immer wieder der Widerspruch: Offiziell sagen Sie als CDU/CSU-Fraktion, daß eine Ausweitung des Haushalts im Hinblick auf unsere konjunkturelle Lage nicht angebracht sei, auf der anderen Seite gibt es Gruppen in Ihrer Fraktion, die immer wieder unverdrossen neue Anträge auf Leistungsvermehrung stellen. Das ist hier erneut der Fall. Sie haben zwar Ihre Zielvorstellung heruntergeschraubt; Sie gehen nicht mehr — wie der Bundesrat davon aus, daß nur 150 DM Grundrente angerechnet werden sollen, sondern davon, daß 180 DM Grundrente angerechnet werden sollen. Aber auch mit dieser Veränderung würde der Mehraufwand im Jahre 1971 25 Millionen DM betragen,
die auch aufgebracht werden müßten. Sie kennen die Schwierigkeiten im Haushalt und das Ringen um 50 000 oder 100 000 DM. Hier geht es um 25 Millionen DM. Das Finanzvolumen, das wir mit dem Ersten Anpassungsgesetz beschlossen haben, in Höhe von fast 6 Milliarden DM mehr für die nächsten vier Jahre in der Kriegsopferversorgung istdoch ein „Happen", der nur schwer zu bewältigen ist.Ihr Antrag soll nach Ihrer Auffassung aber nur der erste Schritt sein. Wenn das nur der erste Schritt ist, kann ich nur feststellen, daß eine völlige Freilassung der Grundrenten nach unseren Feststellungen einen Mehraufwand von jährlich einer halben Milliarde DM zur Folge hätte. Dieser Betrag wäre aufzubringen, wenn dieser Weg weitergegangen werden würde. Das muß man in diesem Zusammenhang zumindest deutlich machen.Ich möchte Ihnen noch sagen, daß mit dem Inkrafttreten des Zweiten Anpassungsgesetzes auf Grund der jetzigen Bestimmungen des Bundesversorgungsgesetzes eine Angleichung der Berechnungsgrundlagen für den Schadensausgleich an die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse erfolgt und damit die Witwen 1971 nicht nur eine 5,5%ige Rentenanpassung erhalten werden, sondern durchschnittlich eine Rentenanpassung von 20 %. Diese erhalten 375 000 Witwen. Das ist eine Leistung, die man nur im Zusammenhang mit der Anpassung nach § 56 des Bundesversorgungsgesetzes verstehen kann.
Wir sollten die Differenz zwischen den einzelnen Gruppen der Witwen bei der Anpassung nicht allzu groß werden lassen, weil dann wieder eine soziale Ungerechtigkeit unter den Witwen selbst entsteht. Ich weiß nicht, ob das bei den Kriegsopfern im allgemeinen auf Verständnis stoßen würde. Auch dieser Hinweis ist wichtig.Dann zu der Entschließung, die auf unsere Initiative eingebracht worden ist. Wir wollen die Bundesregierung beauftragen — —
— Das ist ja nicht abgelehnt worden. Diese Entschließung steht hier zur Debatte. Darüber werden wir jetzt entscheiden. Es geht darum, eine Harmonisierung der Anpassungsvorschriften vorzunehmen. Darunter verstehen wir in erster Linie — ich erkläre das ausdrücklich im Namen der SPD-Bundestagsfraktion -- eine Anpassung der Berechnungsgrundlagen für den Schadensausgleich an die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse in jedem Jahr. Es ist ein großer Schritt, den wir mit dem Dritten Anpassungsgesetz vorhaben. Insofern ist Ihr Antrag wirklich unbegründet. Wir bitten, dieser Entschließung zuzustimmen, die auch noch eine Überprüfung der Elternrenten vorsieht.Zum Abschluß noch ein Hinweis darauf, daß mit diesem Gesetz ab 1. Januar 1971 im Durchschnitt 5,5 % Mehrleistungen für die Kriegsopfer gegeben werden. Diese werden bereits Ende Dezember für Januar 1971 zum erstenmal ausgezahlt werden. Die 375 000 Witwen werden, wie gesagt, erheblich mehr bekommen. Außerdem haben wir eine Verbesserung der Erholungsfürsorge vorgesehen.Wir sind der Auffassung, daß auch dieses Zweite Anpassungsgesetz zur Kriegsopferversorgung einen weiteren Schritt zur Realisierung des Versprechens von Bundeskanzler Brandt in seiner Regierungserklärung vom 29. Oktober vorigen Jahres darstellt:
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Glombigauch den Kriegsopfern ihr Recht werden zu lassen. Es ist ein Beweis dafür, daß wir mit dem Ersten Anpassungsgesetz bereits in eine neue Ära der Kriegsopferversorgung eingetreten sind. Wir haben die Renten für die Kriegsopfer wertbeständig gemacht, und wir werden diese Renten wertbeständig erhalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst darf ich zwei Sätze zu dem Änderungsantrag einiger Kollegen aus der CDU/CSU sagen. Auch wir sind der Meinung, daß dieser Änderungsantrag abzulehnen ist, obwohl wir das Problem völlig kennen und in dem Entschließungsantrag einstimmig vom Ausschuß — seine generellen Lösungsmöglichkeiten angesprochen worden sind. Wir sind der Meinung, daß einmal deshalb hier keine Änderung erfolgen sollte, weil die zwar nur 30 Millionen immerhin eine 10 %ige Aufstockung der bereits für 1971 270 Millionen betragenden Mehrausgaben auf Grund dieses Gesetzes bedeuten würden. Das wäre wieder eine materielle Änderung in der zweiten Lesung; die Auswirkungen auf die weitere Verabschiedung wissen Sie selbst.
Wir haben im Entschließungsantrag die Anpassung der Harmonisierungsvorschriften, der Anrechnungsbestimmungen und alle diese Dinge vor uns. Wir wollen die Dinge in einer anderen Novelle, in einer Neuordnungsgnovelle ordnen. Sie gehören nach unserem Dafürhalten nicht in dieses Gesetz hinein.
Denn — damit lassen Sie mich schon schließen — wir stimmen diesem Gesetz ganz besonders gern zu, weil wir Freien Demokraten der Meinung sind, daß mit diesem Gesetz in Anlehnung an die in § 56 vor gar nicht allzu langer Zeit geschaffene, von uns sehr lange gewünschte Dynamisierung nunmehr zum erstenmal die Anpassung — die jährliche folgende Anpassung — für die Kriegsopfer erfolgt. Damit sind wir im Bundesversorgungsrecht einen erheblichen Schritt weitergekommen, einen Schritt, den wir Freien Demokraten schon vor Jahren gern gesehen hätten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Ich glaube, es ist das einfachste, man stimmt zunächst über den Antrag auf Umdruck 53 ab. Wer diesem Antrag Umdruck 53 seine Zustimmung gibt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe die Artikel 1, 2 und 3 auf. — Ich werde darauf aufmerksam gemacht, daß es im Antrag des Ausschusses eine Ergänzung zu Art. 3 gibt. Dann rufe ich Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimuli, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei wenigen Enthaltungen ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Lesung angekommen.Wir kommen zurdritten Beratung.Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.Wer dem Gesetz in dritter Lesung in seiner Gesamtheit zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Wir müssen dann noch über Ziffer 2 und 3 des Antrages des Ausschusses auf Drucksache VI/863 abstimmen. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? -Es ist so beschlossen.Ich rufe dann Punkt 5 der Zusatztagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Dittrich, Draeger, Seibert und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes zur Neuordnung der Pensionskasse Deutscher Eisenbahnen und Straßenbahnen-- Drucksache VI/402 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung -- Drucksache VI/884 —Berichterstatter: Abgeordneter Hermsdorf
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung Drucksache VI/859 —Berichterstatter: Abgeordneter Geisenhofer
Ich eröffne die zweite Beratung. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die zweite Beratung.Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Sie haben die Drucksache VI/859 vor sich. Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig beschlossen.Ich eröffne diedritte Beratung.Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die dritte Beratung.Wer in der dritten Beratung diesem Gesetzentwurf seine Zustimmung gibt, den bitte ich, sich zu erheben. Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig beschlossen.Ich rufe Punkt 6 unserer Zusatztagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfs
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Präsident von Hasseleines Dritten Gesetzes zur Änderung undErgänzung des Personenstandsgesetzes— Drucksache VI/744 —Schriftlicher Bericht des Innenausschusses
— Drucksache VI/887 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Kempfler
Ich bedaure, daß es noch eine Wortmeldung dazu gibt, aber sie ist angemeldet. Ich danke dem Berichterstatter, Herrn Dr. Kempfler. Sprechen Sie als Berichterstatter?
— Das sind mildernde Umstände.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich danke für die Zubilligung mildernder Umstände. Ich werde mich bemühen, die Strafe dadurch noch weiter herabzusetzen, daß ich ganz kurz spreche.
Dieser Entwurf hat erfreulicherweise keinerlei politischen Zündstoff. Auch das gibt es noch. Als einziger Punkt war eine Meinungsverschiedenheit zwischen Bundesrat und Bundesregierung kontrovers. Dieser Punkt wurde durch einstimmigen Beschluß des Ausschusses geklärt.
Ich habe das Wort nur zu einer Klarstellung ergriffen. Art. 1 Nr. 12 ist in Drucksache VI/887 nicht mehr aufgeführt. Das hat aber keine Bedeutung, sondern war nur ein Redaktionsfehler. Die Beschlußfassung im Innenausschuß und im Plenum bezieht sich also auch auf Art. 1 Nr. 12 in Drucksache VI/744.
Der Innenausschuß bittet Sie einstimmig, diesem Gesetz zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort wird nicht weiter gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung in der zweiten Lesung. Sie haben dazu die Drucksache VI/887 zur Hand. Blättern Sie bitte auf den Anfang auf Seite 2. Wer den Artikeln 1 bis 3 — einschließlich der vom Berichterstatter als Korrektur eingefügten Ziffer 12 — sowie Einleitung und Überschrift seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe die
dritte Beratung
auf. Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die dritte Beratung.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Wir haben über die Ausschußempfehlung unter Ziffer 2 abzustimmen. Wer zustimmt, den bitte ich
um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Zusatztagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über vermögenswirksame Leistungen
— Drucksache VI/797 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache VI/889 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jenninger
b) Schriftlicher Bericht des Innenausschusses
— Drucksache VI/888 —
Berichterstatter: Abgeordnete Frau Tübler
Ich danke den Berichterstattern. — Die Berichterstatter wünschen nicht das Wort.
Ich eröffne die Aussprache in zweiter Beratung. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die §§ 1 bis 10, Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Becker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Gesetzentwurf ist der erste Schritt für vermögenswirksame Leistungen für Bundesbeamte, Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit. Die neue Bundesregierung hat damit ein weiteres Versprechen der Regierungserklärung vom 28. Oktober eingehalten, nämlich sich um eine gezielte Vermögenspolitik zu bemühen. Und noch eine Feststellung: Diese Bundesregierung ist überhaupt die erste Regierung, die einen Gesetzentwurf über Vermögensbildung im öffentlichen Dienst vorlegt, und zwar einen Entwurf, der ausdrücklich einkommensschwachen Gruppen, nämlich den Beziehern von Grundgehältern unter 811 DM, zugute kommt. Wir gehen davon aus, daß diesem ersten Schritt am 1. Januar des nächsten Jahres ein weiterer Schritt folgen wird, der das gesellschaftspolitische Ziel der Vermögensbildung in breiten Schichten der Verwirklichung näherbringt.Mit Bezug auf die heutige Haushaltsdebatte ist festzustellen, daß die Ausgabenansätze im Bundeshaushalt 1970 aus Anlaß dieses Gesetzes nicht verändert werden müssen. Bei den Beratungen im Innenausschuß des Deutschen Bundestages ist die Einbeziehung der Empfänger von Unterhaltszuschüssen in diese Maßnahmen zur Vermögensbildung auf Antrag der SPD- und FDP-Mitglieder einstimmig be-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3065
Becker
schlossen worden. Der Haushaltsausschuß hat dem Gesetzentwurf zugestimmt. Durch diesen Antrag sollte dokumentiert werden, daß bei dem gesellschaftspolitischen Bemühen um Vermögensbildung die jungen Menschen so früh wie möglich einbezogen werden sollen.Im übrigen ist die Bundesregierung ersucht worden, zu prüfen, ob und gegebenenfalls wie Ruhestandsbeamte und sonstige aus dem Berufsleben Ausgeschiedene vermögenswirksame Leistungen erhalten können. Außerdem wurde die Bundesregierung gebeten, Vorschläge über die Ausdehnung bzw. Verbesserung dieser gesetzlichen Bestimmungen zum 1. Januar 1971 zu unterbreiten.Dieses Gesetz reiht sich ein in eine Kette von Maßnahmen und Vorhaben, die sich um Verbesserungen im öffentlichen Dienst bemühen. Sowohl die Besoldungsmaßnahmen zum 1. Januar 1970 mit ihren wesentlichen strukturellen Verbesserungen für Geringverdienende als auch die Berufung der Kommission zur Feststellung des Besoldungsrückstandes und der für die Weiterentwicklung des öffentlichen Dienstrechts gehören dazu.Ich bitte Sie, diesem Gesetzentwurf zur Vermögensbildung für Beamte und Soldaten als einem entscheidenden gesellschaftspolitischen Markstein in Richtung auf künftige Überlegungen zur Vermögensbildung im öffentlichen Dienst Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Tübler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich sehr gewundert, daß der Herr Mitberichterstatter entgegen der Absprache im Innenausschuß hier noch einen Diskussionsbeitrag zu dieser Vorlage geleistet hat. Er hat dabei den Anschein erweckt, als ob die Einbeziehung der Anwärter nur auf Antrag der Fraktionen von SPD und FDP erfolgt sei. Ich möchte das hier richtigstellen: es war ein interfraktioneller Antrag, der einstimmig beschlossen wurde.
— Ja, das müßte man sagen. Ich bin auch dieser Meinung, Herr Baier.
— Herr Schäfer, unser Antrag war ja eingebracht. Wir haben uns auf die damaligen Absprachen und Forderungen zur Besoldungserhöhung berufen. Damals haben wir schon einmal gesagt, daß ein Teil der Zahlungen, die den Besoldungsrückstand ausgleichen sollten, vermögenswirksam angelegt werden sollte. Wir haben aber gleichfalls den Antrag gestellt — und zwar in Übereinstimmung mit dem Herrn Mitberichterstatter —, die Anwärter mit einzubeziehen. Ich war nicht der Meinung, daß es im Innenausschuß darüber Meinungsverschiedenheiten gegeben hätte.
Ich wollte die Sache nur richtigstellen; denn ich meine, wenn man vorher Absprachen trifft, sollte man sich auch daran halten.
Meine verehrten Damen und Herren, Frau Kollegin Tübler hat ihre Jungfernrede gehalten. Ich darf sie dazu beglückwünschen.
Damit sind die Wortmeldungen zur dritten Beratung erschöpft. Ich schließe die Beratung.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer diesem Gesetz in der Schlußabstimmung seine Zustimmung gibt, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Wir müssen dann noch über den Ausschußantrag Ziffer 2 abstimmen. Wer ihm zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Wir kommen nunmehr zu Punkt 8 der Zusatzpunkte zur Tagesordnung:Beratung des Schriftlichen Berichts des Sonderausschusses für Sport und Olympische Spieleüber den Antrag der Abgeordneten Stücklen, Wagner , Dr. Riedl (München), Geisenhofer, Dr. Kreile und Genossenbetr. mittelfristige Finanzplanung und Olympische Spieleüber die Berichte des Bundesministers des Innernbetr. Vorbereitung und Gesamtfinanzierung der Olympischen Spiele 1972— Drucksachen VI/ 103, VI/108, VI/382, VI/852 — Berichterstatter: Abgeordneter Schirmer dazuBericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der GeschäftsordnungDrucksache VI/890 — Berichterstatter: Abgeordneter SäcklWir haben dazu auf Seite 3 der Drucksache VI/852 den Antrag des Ausschusses mit den Ziffern 1, 2 und 3, über den wir abstimmen müssen. Wer ihm zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. —Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Wir kommen nunmehr zu Punkt 9 der Zusatzpunkte:Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Änderung von Kostenermächtigungen, sozialversicherungsrechtlichen und anderen Vorschriften
— Drucksache VI/897 —
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3066 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Präsident von HasselDazu haben wir lediglich Beschluß zu fassen. — Herr Kollege Arndt, Sie wollen noch als Berichterstatter begründen? — Bitte schön, Herr Kollege Arndt als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Jahre 1966 hatte das Bundesverfassungsgericht die Gebührenordnung für das Kartellgesetz wegen mangelnder Ermächtigungsgrundlage im Sinne von Art. 80 des Grundgesetzes für verfassungswidrig und damit für nichtig erklärt. Dadurch wurden zahlreiche Gebührenordnungen auf Grund von gleich-lautenden oder ähnlichen gesetzlichen Ermächtigungen ebenfalls notleidend.
Die Bundesregierung hat daraufhin zwei Kostenermächtigungsgesetze eingebracht, in denen die ganzen notleidenden Gebührenordnungen auf eine verfassungsgerechte Grundlage gestellt wurden. Diese beiden Kostenermächtigungsgesetze trugen in der Arbeit des Rechtsausschusses die Bezeichnung „Scheusal", weil die juristische Materie so schwierig ist. Wir haben es heute hier mit dem „Scheusal 2" zu tun, einem Bundesgesetz, das 28 andere Bundesgesetze ändert, indem es in ihnen verfassungskonforme Ermächtigungsnormen für Gebührenordnungen schafft.
Der Bundesrat hat gegen zwei Punkte dieses Gesetzes, des Kostenermächtigungs-Änderungsgesetzes, den Vermittlungsausschuß angerufen, und zwar zunächst wegen der Justizverwaltungskostenordnung, die die Kosten von Strafgefangenen und Strafverwahrten behandelt. Der Vermittlungsausschuß hat in diesem Punkt dem Vermittlungsbegehren nicht stattgegeben, so daß wir uns mit dieser Frage nicht mehr zu befassen brauchen.
Der Vermittlungsausschuß hat hingegen beim Seelotsengesetz dem Vermittlungsbegehren, mit dem der Bundesrat den Vermittlungsausschuß angerufen hat, stattgegeben. Ich empfehle Ihnen, diesem Antrag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen. Maßgebend dafür sind folgende Erwägungen. Die Bundesregierung hatte in diesem Seelotsengesetz eine Gebühr für die Geleitung eines Schiffes durch Lotsen mit Landradar, also auf dem Land fest montierten Radarstationen, die den Weg des Schiffes zu den deutschen Seehäfen verfolgen können, neu vorsehen wollen. Maßgebend für den Vorschlag, diese neue Gebühr abzulehnen, also dem Antrag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen, war die Überlegung, daß durch die Erhebung der Gebühr eine ganz erhebliche Verschlechterung der Wettbewerbslage der deutschen Seehäfen eintreten würde. Die Wettbewerbslage der deutschen Seehäfen würde sich insbesondere zugunsten der Rheinmündungs- und Benelux-Häfen verändern.
Es muß hier noch kurz bemerkt werden, daß dieser Vorschlag des Vermittlungsausschusses keineswegs, wie bisweilen draußen im Lande geäußert worden ist, zum Nachteil der beteiligten Seelotsen ausgelegt werden kann. Es geht hier nämlich nur um die staatliche Gebührenpflicht, um die Gebühr, die der Staat von dem Schiff, das gelotst wird, erhebt. Es handelt sich also nicht um eine Vorschrift, die unmittelbar auf die Vergütung, die die Lotsen selber bekommen, Einfluß hätte. Wir entscheiden also bei diesem Antrag nicht über das Einkommen der Lotsen, sondern nur über die Höhe der Lotsengebühren, die der Staat, hier die Bundeskasse, einnimmt.
Zweitens muß darauf hingewiesen werden, daß durch diese reine Gebührenvorschrift ebenfalls nicht die Frage präjudiziert wird, ob die Tätigkeit an diesen Landradargeräten auch eine Lotsentätigkeit sei. Diese Arbeitsplatzbewertung liegt außerhalb dieser Vorschrift. Es handelt sich hier, wie gesagt, um eine reine Gebührenvorschrift.
Weil die Lotsen also keinen Nachteil erleiden, wir andererseits eine Benachteiligung der deutschen Seehäfen befürchten, bittet der Vermittlungsausschuß Sie, dem Antrag in Drucksache VI/897 zuzustimmen. Der Antrag sieht vor, Art. 24 Nr. 1 des Seelotsengesetzes zu streichen und die Nrn. 2 bis 5 in diesem Artikel zu den Nrn. 1 bis 4 zu machen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Sie haben die Vorlage. Wird dazu noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Antrag in Drucksache VI/897, der soeben begründet wurde, zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Wir kommen nun zu Punkt III der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Absatzfondsgesetzes— Drucksache VI/877, VI/894 —Die erste Beratung hat gestern stattgefunden. Ich danke den Berichterstattern und eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache in dritter Beratung. Wer diesem Gesetzentwurf in der Schlußabstimmung zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest und teile dem Hohen Hause mit, daß des Rätsels Lösung der einstimmigen Annahme des Gesetzes die Hostessen des Absatzfonds sind, die oben auf der Tribüne sitzen; sie waren dabei, als dieses Gesetz beraten wurde.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3067
Präsident von HasselWir kommen zu Punkt V der Tagesordnung:Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften— Drucksache VI/560 —Schriftlicher Bericht des Innenausschusses
— Drucksache VI/818 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Renger
Ich eröffne die zweite Beratung. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die zweite Beratung. In dem Antrag des Ausschusses vom 22. Mai auf Seite 2 der Drucksache VI/818 wird empfohlen, den von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher Vorschriften — Drucksache VI/560 — für erledigt zu erklären. Über diesen Antrag lasse ich abstimmen. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitteich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen ist dieser Antrag angenommen und damit der Gesetzentwurf abgelehnt worden.Dann müssen wir noch über die Ziffer 1 dieses Ausschußantrages abstimmen. Wer der Ziffer 1 dieses Antrages zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt VI auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit vom 16. April 1964 und zum Protokoll zur Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit vom 16. April 1964— Drucksache VI/567 —Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache VI/856 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Kley
Ich eröffne die Beratung. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung.Wir kommen zur Schlußabstimmung, und zwar über Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift in der Drucksache VI/ 567. Wer zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? -Ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt VII auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 118 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 28. Juni 1962 über die Gleichbehandlung von Inländern und Ausländern in der Sozialen Sicherheit— Drucksache VI/650 —Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache VI/858 —Berichterstatter: Abgeordneter Bredl
Ich eröffne die zweite Beratung. Wird das Wort begehrt? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe sie.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wir stimmen ab über die Art. 1 bis 4 — Einleitung und Überschrift. Wer zustimmt, den bitte ich sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe den Punkt VIII der Tagesordnung auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachtenEntwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 128 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29. Juni 1967 über Leistungen bei Invalidität und Alter und an Hinterbliebene— Drucksache VI/793 —Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung Drucksache VI/857 —Berichterstatter: Abgeordneter Bredl
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort begehrt? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift. Wer zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt IX der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes für Jugendwohlfahrt— Drucksache VI/674 —Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit — Drucksache VI/864 —Berichterstatter: Abgeordnete Frau Dr. Henze
Ich eröffne die zweite Beratung. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die zweite Beratung.Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Lesung. Ich bitte, Drucksache VI/864 zur Hand zu nehmen. Wir stimmen über Art. 1 bis 4, Einleitung und Über-
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3068 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Präsident von Hasselschrift ab. Wer zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich eröffne diedritte Beratung.Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die dritte Beratung.Wer dem Gesetz in seiner Gesamtheit zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Enthaltungen? Ich stelle einstimmige Annahme fest.Wir kommen zu Punkt X der Tagesordnung:Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Riedl , Schirmer und den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Ausprägung von Olympiamünzen— Drucksache VI/743 —Der Ältestenrat schlägt vor, diesen Entwurf an den Sonderausschuß für Sport und Olympische Spiele — federführend — sowie an den Finanzausschuß, den Haushaltsausschuß und den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen.Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Überweisungsvorschlag zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Wir kommen damit zu Punkt XI der Tagesordnung:Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Lenz und der Fraktion der CDU/ CSUbetr. Enquete-Kommission Verfassungsreform — Drucksache VI/653 —Der Ältestenrat schlägt die Überweisung an den Rechtsausschuß — federführend — und an den Innenausschuß vor.Zur Begründung der Vorlage hat Herr Abgeordneter Dr. Lenz das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will meine Begründung sehr kurz halten. Wir sind uns ja, wie aus Punkt XII der Tagesordnung ersichtlich, in der Sache im wesentlichen einig. Ich hätte hier überhaupt nichts gesagt, wenn der Bundesminister der Justiz nicht anläßlich des 21. Jahrestages der Verkündung des Grundgesetzes Anlaß genommen hätte, die verfassungspolitischen Intentionen der CDU und der CSU in Frage zu stellen.
Ich lese hier in seiner Rede, die er aus diesem Anlaß gehalten hat, daß die CDU/CSU und der Abgeordnete Dichgans für eine Totalrevision des Grundgesetzes einträten. Was den Abgeordneten Dichgans angeht, so wird er, wie ich glaube, selbst das Wort nehmen. Was die Einstellung der CDU/ CSU angeht, kann ich nur sagen, daß der Herr Bundesminister der .Justiz nicht richtig informiert ist. Vielleicht sollte er einmal die zuständige Verfassungsabteilung des Bundesministeriums des Innern befragen, wie die Einstellung der CDU/CSU zu diesem Punkt ist.
Wir stehen jedenfalls, Herr Bundesminister der Justiz, auf dem Standpunkt, daß die einzusetzende Kommission weder an dem rechtsstaatlichen, noch an dem parlamentarischen, noch an dem sozialstaatlichen, noch an dem bundesstaatlichen Charakter unserer Verfassung irgend etwas ändern sollte. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß Sie das bei ordentlicher Prüfung des Dossiers auch hätten feststellen können.
Im übrigen schließen wir uns, was die Zusammensetzung der Kommission angeht, den Vorstellungen der Koalition an. Wir sind also mit der Erhöhung auf sieben Mitglieder je Gruppe einverstanden. Ich nehme an, daß wir im Ausschuß auch über die übrigen Fragen, die noch zu erörtern sind, Einvernehmlichkeit erzielen. Ich will das nicht länger ausdehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dichgans.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! An dem Wort „Totalrevision" hat sich eine Polemik entzündet, in der mein Name besonders häufig vorkommt. Das erweckt den Eindruck, wie wenn hier tiefgreifende, grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten beständen. Das ist aber durchaus nicht der Fall.In diesem Hohen Hause sind wir uns über zweierlei einig. Die hektische Folge von Änderungen des Grundgesetzes, wie wir sie etwa im vorigen Jahr erlebt haben — eine Änderung je Monat —, ist schlechthin unerträglich.
Zweitens. Niemand denkt daran, das Grundgesetz als Ganzes zu beseitigen, Tabula rasa zu machen und eine völlig neue Verfassung zu schaffen, auch ich nicht.Wir haben aber zwei Aufgaben.Erstens. Wir brauchen ein Gesamtkonzept, eine Linie für die Zielvorstellungen der Verfassungsreform, in die wir die einzelnen Änderungen einbetten, eine Lösung von der bisherigen Praxis, die isolierte Probleme durch isolierte Grundgesetzänderungen zu lösen versuchte, nicht aufeinander abgestimmt.Die zweite Frage: Sollten wir nicht nach zwanzig Jahren im Lichte unserer Erfahrungen die Frage stellen, ob die Mechanismen, mit denen dieses Parlament seine politischen Aufgaben bewältigt, wirklich heute noch optimal sind? Meine Damen und Herren,
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3069
Dichgansdiejenigen, die miteinander hier die letzte Stunde erlebt haben, werden wohl meine Zweifel teilen.Diese Fragestellungen, langfristig ausgerichtet, sind das, was ich Gesamtrevision nenne. In meinem Buch über die Verfassungsreform habe ich einen Katalog der Fragen zusammengestellt, die meiner Meinung nach der Behandlung bedürfen. Zu meiner Freude habe ich konstatiert, daß dieser Katalog kaum von dem verschieden ist, den Herr Minister Genscher seinerseits bei einer Verfassungsreform für prüfungsbedürftig hält.
Meine Damen und Herren, sind Sie damit einverstanden, daß wir die Beratung dieses Punktes mit dem Punkt XII der Tagesordnung verbinden:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, FDP betr. Enquete-Kommission zur Reform der bundesstaatlichen Struktur
— Drucksache VI/739 —
Dann kann nämlich Herr Professor Schäfer das gleich miteinander verbinden. Sind Sie damit einverstanden?
Bitte, Herr Abgeordneter Professor Schäfer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz kurz zur Begründung des Antrages der Fraktionen der SPD und FDP. Wir gehen in unserem Antrag davon aus, daß unter Wahrung der Grundprinzipien, d. h. der Wertordnung unserer Verfassung, untersucht werden soll, inwieweit eine Fortentwicklung der bundesstaatlichen Struktur notwendig ist. Wir haben hier im Bundestag ziemlich genau vor vier Jahren darauf hingewiesen, daß es unmöglich ist, jedes Jahr eine Grundgesetzänderung zu machen; wir haben in der Zwischenzeit mehr als 25 Grundgesetzänderungen!
Die Hauptprobleme haben sich in den letzten Jahren auf den Gebieten des Bund-Länder-Verhältnisses herausgestellt. Ich nenne nur drei Gebiete, die von besonderer Wichtigkeit sind: die Frage der Gestaltung des Bildungswesens mit der außerordentlich komplizierten Kompetenzverteilung, die Fragen der inneren Sicherheit und die Fragen des Besoldungswesens. Deshalb halten wir es für richtig, daß das Parlament von sich aus eine Enquete-Kommission zur Prüfung dieser Fragen einsetzt.
Wir sind der Auffassung, daß man beide Anträge miteinander verbinden sollte. Wir sind aber bislang nicht der Meinung, daß man von einer Gesamtrevision des Grundgesetzes sprechen sollte, weil die Grundordnung, die Werte, die das Grundgesetz geschaffen hat — wie es soeben auch von meinen Vorrednern ausgeführt wurde — sich insoweit bewährt haben. Das Wort Gesamtrevision legt den Gedanken und die Schlußfolgerung nahe, daß sich diese demokratische Grundordnung für diesen Staat nicht bewährt habe. Dabei handelt es sich im wesentlichen — darüber werden wir einig sein — um eine Fortentwicklung dessen, was bereits besteht.
Es wird nun darauf ankommen, daß in den beiden Ausschüssen, denen die Anträge überwiesen werden, eine Formulierung gefunden wird, die beide Vorstellungen miteinander verbindet, damit nachher eine Arbeit geleistet werden kann, die diesem Hause die Möglichkeit gibt, sinnvoll in gemeinsamer Verantwortung die Verfassung weiterzuentwickeln.
Das Wort wird nicht weiter begehrt. Dann lasse ich darüber abstimmen, daß wir die Drucksache VI/653 und die Drucksache VI/739 an die zuständigen Ausschüsse verweisen. — Es ist so beschlossen.Ich rufe auf Punkt XIII der Tagesordnung:Beratung des Mündlichen Berichts des Innenausschusses über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der EG-Kommission für eine Verordnung zur Änderung der Regelung der Bezüge und der Sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Kernforschungsstelle, die in Italien dienstlich verwendet werdenVerordnung zur Änderung der Regelung der Bezüge und der Sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Kernforschungsstelle, die in den Niederlanden dienstlich verwendet werden— Drucksachen VI/651, VI/855 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schäfer
Ich darf dem Herrn Berichterstatter danken. Wird das Wort noch gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich fest, daß wir gemäß Antrag des Ausschusses diese Vorlage zur Kenntnis nehmen. — Widerspruch erhebt sich nicht. Das ist so beschlossen.Wir haben damit sämtliche Tagesordnungspunkte außerhalb des Haushalts erledigt. Wir kehren zurück zur Beratung des Haushalts und kommen zu Einzelplan 25:hier : Einzelplan 25Geschäftsbereich des Bundesministers für Städtebau und WohnungswesenDrucksachen l/ 838, VI/854 —Berichterstatter: Abgeordneter StrohmayrWir müssen zunächst einmal klären, wer den Änderungsantrag der CDU/CSU auf Umdruck 45 ') begründet.
— Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Baier.*) Siehe Anlage 12
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3070 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU wird dem Einzelplan 25 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen — nicht die Zustimmung erteilen.
Die Leistungen dieses Ministeriums müssen als unzulänglich bezeichnet werden.
Schon in der wohnungspolitischen Debatte der letzten Woche haben wir darauf hingewiesen, wie sehr unter der verfehlten Konjunkturpolitik der Wohnungsbau, vor allem der soziale Wohnungsbau zu leiden haben. Aber bereits in den letzten Jahren haben wir festgestellt, daß der soziale Wohnungsbau unter der Amtsführung von Dr. Lauritzen ständig zurückgegangen ist. Im Rahmen des öffentlich geförderten Wohnungsbaus wurden 1967 noch 170 000 Wohnungen gebaut. Diese Zahl fiel 1968 auf 150 000 Wohnungen, und 1969 belief sie sich auf ganze 131 000 Wohnungen. Herr Wohnungsbauminister, selbst wenn wir, wie Sie es gern tun, den zweiten Förderungsweg dazuzählen, stellen wir fest, daß es 1969 nur 165 000 Wohnungen waren.Besonders katastrophal wirkt sich dies bei der Eigentumspolitik im Wohnungsbau aus. Es war immer der Wille der CDU/CSU, in möglichst großem Maße Eigentumsbildung im Wohnungsbau zu betreiben und dies breiten Schichten der Bevölkerung zugute kommen zu lassen. Bei den derzeitigen Baupreisen und Kapitalkosten ist dies nicht möglich. Die Eigentumspolitik im Wohnungsbau ist in der Tat „unter den Schlitten" gekommen.Für diese Entwicklung müssen wir Sie, Herr Wohnungsbauminister Dr. Lauritzen, verantwortlich machen; vor allem auch deshalb, weil Sie nicht erst seit diesem Jahr, sondern seit vier Jahren die Verantwortung für dieses Ministerium tragen. Sie können sich dabei nicht damit herausreden — wie Sie von der SPD es so gern tun —, es sei eben auch Schuld der CDU/CSU, daß dieses oder jenes nicht in Ordnung ist.Diese Diskussion führt aber nicht weiter; wir haben sie ja schon in der großen wohnungspolitischen Debatte geführt. Es wird dadurch nicht besser in der Wohnungsbaupolitik. Wir hören zwar überall Reden, Festvorträge. In Aufsätzen und in Büchern wird dargestellt, was in der langfristigen Wohnungsbaupolitik zu tun sei, und es wird über gezielte Förderungsmaßnahmen für bestimmte Personenkreise gesprochen. Aber es bleibt bei diesen Deklamationen, und mehr und mehr wird das, was an ideenreicher Wohnungsbaupolitik vorhanden war, wie es damals noch unter dem Wohnungsbauminister Lücke geschaffen wurde, ausgesaugt.
— Ja, das ist leider eine Tatsache, die wir mit Bedauern zur Kenntnis nehmen müssen.Wir stellen keinerlei gezielte wirkungsvolle Maßnahmen in den letzten Jahren fest, weder im sozialen Wohnungsbau noch in der Eigentumsbildung, noch etwa in der Verbesserung der Mobilität im Wohnungsbau, noch etwa im Hinblick auf die Vermeidung der weiterhin immer untragbarer werdenden Fehlbelegungen des sozialen Wohnungsbaues, wo nichts geschieht, und auch nicht in dem Bemühen um die Erhaltung des Altbaubestandes. Herr Minister Lauritzen, als ich Sie letztes Jahr darauf ansprach, sagten Sie, der böse Finanzminister Strauß sei daran schuld, er habe Ihnen nicht die Mittel zur Verfügung gestellt. Ich möchte Sie fragen: Welcher Finanzminister ist in diesem Jahr schuld, daß Sie nicht mehr für die Erhaltung des Althausbesitzes tun können? Auch für die Mobilisierung der vielen Milliarden von Wohnungsbaudarlehen — das hatten Sie angekündigt — ist keinerlei Initiative erfolgt.Eine einzige neue Idee haben wir in diesem Haushalt allerdings zur Kenntnis genommen, nämlich das „Sonderprogramm zur Förderung von Maßnahmen zugunsten des Wohnungsbaus". Das klingt wunderschön. Aber wenn Sie sich das näher betrachten, werden Sie feststellen: Hier sollen in der Höhe von 25 Millionen DM, wofür eine Bindungsermächtigung erteilt werden soll, Zuschüsse und Darlehen an Länder, öffentliche Unternehmen, private Personen und Sonstige im Inland, wie es so schön heißt, gegeben werden. Für jeden etwas soll hier, ohne Richtlinien und offensichtlich auch ohne Begrenzungen in der Sache und in der Höhe, nach Gutdünken gezielt — das macht nämlich der Wohnungsbauminister —, vielleicht nach Wohlverhalten da und dort etwas verteilt werden. Dies, meine Damen und Herren, ist nichts anderes als eine Privatschatulle, die sich der Herr Wohnungsbauminister hier zulegen möchte.
Das ist in einer zwanzigjährigen Wohnungsbaupolitik noch nie dagewesen. Das muß vor allen Dingen dann herausgestellt werden, wenn gleichzeitig wichtige gesellschaftspolitische Maßnahmen nicht genügend bedient werden, etwa der Studenten- oder der Schwesternwohnheimbau.
— Das sind Tatsachen, Herr Kollege Wehner; die können Sie mit Ihren Sprüchen nicht aus der Welt schaffen.
Auch für den Altenwohnungsbau geschieht nicht mehr, obwohl er dringend notwendig ist. Gleichzeitig soll dieser Sonderfonds zur persönlichen Bedienung des Ministers geschaffen werden.Deswegen legen wir Ihnen unseren Antrag Umdruck 45 vor. Statt der Schaffung dieser Privatschatulle für den Wohnungsbauminister sollten diese 25 Millionen DM für wichtige gesellschaftspolitische
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3071
BaierMaßnahmen wie Studentenwohnheimbau, Altenwohnheimbau eingesetzt werden.
— Herr Wehner, wieso sind das Bestechungsgeschichten?
— Das soll der Herr Minister erklären, was er mit diesem Geld machen will.
Es ist leider eine Tatsache, die wir schon bei den Beratungen im Haushaltsausschuß festgestellt haben, daß es Ihnen peinlich ist, wenn wir diese Absichten an das Licht der Öffentlichkeit zerren; das verstehe ich allerdings.
In unseren Augen ist es keine Wohnungsbaupolitik, wenn etwas nach Gutdünken, nach Wohlverhalten verteilt werden soll.Herr Minister, wenn wir so Ihre gesamte Wohnungsbaupolitik betrachten, wenn wir uns die Frage stellen, welche Leistungen in dieser Amtszeit vorliegen, kommen wir zu dem Ergebnis: Gewogen und für zu leicht befunden.
Meine Damen und Herren, das Wort hat die Frau Abgeordnete Meermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Kollegen dm Haushaltsausschuß sind das ganze Jahr über in diesem Ausschuß festgehalten, und sie können an vielen Plenarsitzungen nicht teilnehmen. Ich begreife daher, daß sich bei einigen von ihnen so etwas wie ein aufgestauter Redebedarf ansammelt.
— Nein, Herr Baier. Ich wollte gerade meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß Sie wenigstens in dieser Debatte gestern und heute auf Ihre Kosten gekommen sind.
— Sie persönlich, meine ich. Offensichtlich besteht darüber hinaus aber auch noch ein aufgestauter Informationsbedarf, Herr Baier.
Ich würde Ihnen empfehlen, diesen Bedarf dadurch zu stillen, daß Sie einmal nachlesen, was hier im Bundestag zu der Großen Anfrage der CDU am 26. Mai gesagt worden ist.
— Sie sollten es noch einmal lesen. Einige Ihrer Fragen sind nämlich damals bereits geklärt worden, Herr Baier. Wir sollten jedenfalls auch in der Wohnungspolitik mit den Füßen auf dem Teppich bleiben.
Worum geht es in dem Antrag, den Sie gestellt haben? Es geht um eine Streichung, die in einem bestimmten Titel vorgenommen worden ist, eine Streichung, die uns allen zweifellos wehtut. Niemand hat sie gern vorgenommen. Niemand kürzt gern Mittel aus konjunkturpolitischen Gründen.
— Eben nicht, Herr Baier! Soviel ich weiß, ist der Beschluß, von dem ich rede, einstimmig gefaßt worden, und soviel ich weiß, haben Sie der Kürzung zugestimmt. Darum geht es doch.
— Ich weiß, worum es geht.
— Genau! Genau darauf werde ich zu sprechen kommen.
— Herr Baier, würden Sie mir bitte genauso zuhören, wie ich Ihnen zugehört habe.34 Millionen DM sind in einem anderen Programm gesperrt bzw. gestrichen worden, und das ist einstimmig geschehen.
— Was soll dann der Widerspruch? Sie wollen jetzt mit dem Sonderprogramm des Bundeswohnungsbauministers andere Titel, darunter den, in dem die Streichungen vorgenommen wurden, auffüllen. Das ist doch das Problem.
— Herr Baier, als Sie vorhin von der Notwendigkeitsprachen, daß aus diesem Programm besondersAltenwohnungen gefördert werden sollten, ist mir
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3072 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Frau Meermanneingefallen, daß Sie und ich nicht zum erstenmal gegeneinander argumentieren.
— Aber ich erinnere mich genau an das erste Mal. Damals habe ich nämlich den Antrag der SPD-Fraktion begründet, einen mit 20 Millionen DM ausgestatteten Titel zum Bau von Altenwohnungen zu schaffen. Sie haben diesen Antrag damals für Ihre Fraktion abgelehnt. Ich hätte das gar nicht erwähnt, wenn nicht die Begründung so interessant gewesen wäre.
Damals haben Sie nämlich gesagt, das sei nach dem Grundgesetz nur schwer möglich, weil das im wesentlichen eine Aufgabe der Gemeinden, der Städte und auch der Länder sei. Zweitens haben Sie gesagt, Sie seien gegen „Sondertöpfe". Drittens haben Sie gesagt: Außerdem gibt ja der Minister aus seinem Sonderfonds Zusatzdarlehen für den Bau von Altenwohnungen. Lesen Sie es nach!
Sie haben also damals anerkannt, daß sich Ihr Minister eine bestimmte Flexibilität für gewisse Aufgaben bewahren müsse. Darum geht es jetzt.Herr Baier, es ist betrüblich, daß Sie diesem Grundsatz, daß auch Wohnungsbaumittel nicht nur mit der Gießkanne gestreut werden sollten, sondern nach Bedarf auch einmal flexibel eingesetzt werden müßten, nicht weiter durchgehalten haben. Wir hätten manche Schwierigkeit im sozialen Wohnungsbau weniger, wenn nicht fast ausschließlich nach dem Gießkannenprinzip vorgegangen worden wäre.Spätestens ,die Strukturdebatte vor einigen Tagen hätte Ihnen zeigen müssen, daß es außerdem im Haushalt ,des Bundeswohnungsbauministers eine Möglichkeit geben muß, auch in solchen Gebieten, wo 'das besonders dringend ist — ich denke z. B. an das Zonenrandgebiet, ich denke an das Saargebiet —, den Wohnungsbau regional, schwerpunktmäßig zu fördern.
Infolgedessen ist es nicht mehr ,als folgerichtig, daß das Sonderprogramm zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus, von dem Sie hier sprechen, beide Möglichkeiten vorsieht. Auf der einen Seite gibt es die Möglichkeit, mit regionaler Hilfe einzuspringen, auf der anderen Seite ist es auch ein soziales Programm.Sie haben nun 'die Vorstellung,
daß der Bundeswohnungsbauminister mit finsterenAbsichten an die Verteilung aus diesem Topf herangeht. Was kann er damit denn wirklich machen?— Er kann damit die Spitzenfinanzierung vornehmen bei strukturbegleitenden Wohnungsbaumaßnahmen, weiterhin bei Maßnahmen der Stadtsanierung und Dorferneuerung, bei Wohnungsbauprojekten für alte Menschen und junge Familien, bei Härtefällen besonderer Art, für kinderreiche Familien, auch bei der Sanierung von Studentenwohnheimen. Dafür ist dieses Programm gedacht, also auch für die Zwecke, für die Sie die Mittel verwenden wollen. Der einzige Unterschied besteht darin, daß Sie diese als Verpflichtungsermächtigung vorgesehenen 25 Millionen DM wieder gießkannenmäßig auf die Länder verteilen wollen,
während wir ,der Auffassung sind, daß es auch aus konjunkturpolitischen Gründen gerade jetzt vernünftig ist, die Mittel dort einzusetzen, wo wirklich eine Sonderförderung erforderlich ist.Außerdem wissen Sie ja als alter Haushaltsexperte, Herr Baier, daß im Gegensatz zu den Wohnungsbaumitteln, die aus Rückflüssen des sozialen Wohnungsbaus bestehen, hier ein Titel ist, der aus allgemeinen Deckungsmitteln des Bundes gespeist wird. Wir sehen die Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 25 Millionen DM in diesem Titel als einen Anfang für künftige Zuschüsse aus allgemeinen Mitteln an den sozialen Wohnungsbau. Der Herr Bundesfinanzminister weiß, daß wir das so sehen, und wir wissen, daß er diese Mittel in den nächsten Jahren aufstocken wird.Darum meine ich, Herr Baier: Wenn man es gut meint mit der Zukunft des sozialen Wohnungsbaus, muß man diesen Antrag ablehnen.
— Nein. Man muß dafür sein, daß Wohnungsbaumittel zielgerecht dort eingesetzt werden, wo sie am nötigsten gebraucht werden.Außerdem, Ihre Fraktion fragt uns so häufig: Wie sieht das denn eigentlich aus mit dem langfristigen Wohnungsbauprogramm des Wohnungsbauministers, ist das finanziell abgesichert? — Hier haben Sie den Anfang der finanziellen Absicherung.
— Das ist der Anfang der finanziellen Absicherung, jawohl. Wir haben ja in diesem Jahr auch noch nicht mit dem langfristigen Wohnungsbauprogramm beginnen können. Dies ist der Anfang, und wir sind der Auffassung, daß das unbedingt so erhalten bleiben muß.Herr Baier, auf Ihre allgemeinen Bemerkungen möchte ich nur kurz eingehen. Sie verweisen auf den Rückgang des sozialen Wohnungsbaus. Ich meine, Sie sollten sich für die Vergangenheit nicht alles als Verdienst Ihrer Partei hier im Bundestag ankreiden, was durch Mitwirkung der Länder entstanden ist. Wenn Sie sich einmal ansehen, wie in den Jahren, als Sie noch die Alleinregierung hatten, die Förderung des allgemeinen sozialen Wohnungsbaus hier vom Bund aus geschehen ist, werden Sie z. B. für das Jahr 1966 — allgemeiner sozialer Woh-
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Frau Meermannnungsbau ohne Sonderprogramme — noch ganze 92 Millionen DM finden. Das war ein Anteil von nur 3,7 % an den Mitteln für den allgemeinen sozialen Wohnungsbau. Als Dr. Lauritzen Wohnungsbauminister wurde, wurden die Mittel aufgestockt: 1967 158 Millionen, 1968 328 Millionen. Das ist mehr, als seit 1960 in irgendeinem Jahr hierfür eingesetzt worden ist. 1969 sind es wieder 156 Millionen DM. Das sollten Sie auch nicht ganz übersehen, Herr Baier, wenn Sie von Leistungen des sozialen Wohnungsbaues sprechen. Wir haben hier mit dem Haushalt zu tun, und da werden wir ja auch über Zahlen sprechen müssen, die im Haushalt des Bundeswohnungsbauministers sind. Da sieht das ein bißchen anders aus, als wenn Sie sich alles als Verdienst unter den Nagel reißen wollen, was insgesamt in der Bundesrepublik auf dem Gebiet des sozialen Wohnungsbaues geschehen ist.
Herr Kollege Baier, ich erspare es mir, auf Ihre weiteren Ausführungen einzugehen. Daß Sie dem Haushalt des Bundeswohnungsbauministers nicht zustimmen würden, war nach der Debatte der letzten Woche zu erwarten; das wundert uns weiter nicht.Was die sozialdemokratische Bundestagsfraktion anlangt, so ist sie der Auffassung, daß sie einen guten Wohnungsbauminister und eine gute Wohnungsbaupolitik hat. Aber wir scheuen uns nicht, zu sagen, daß unsere Politik noch besser werden kann, wenn wir endlich einmal aufhören können, Gesetze zu machen, die das in Ordnung bringen müssen, was Sie in der Zeit, als Sie die Wohnungsbauminister stellten, falsch gemacht haben.
Aus diesem Grunde bitte ich Sie, meine Damen und Herren, den Antrag, den die Opposition gestellt hat, abzulehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wurbs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte heute an dieser Stelle keine neue Wohnungsbaudebatte vom Zaune brechen, da ja in der letzten Woche die beiden Standpunkte zur Wohnungsbausituation klargelegt wurden. Innerhalb einer Woche werden sich keine neuen Erkenntnisse herausgestellt haben, die es rechtfertigten, eine erneute Debatte zu führen. Auch über die konjunkturelle Situation ist im Verlaufe der gesamten Debatte der letzten beiden Tage genügend gesagt worden.
Ich möchte zu dem Antrag kurz Stellung nehmen. Wir waren uns im Wohnungsbauausschuß im wesentlichen darüber einig, daß die Wohnungsbaupolitik nicht zum Instrument der Konjunktursteuerung gemacht werden soll. Wir haben im Ausschuß den Etat des Wohnungsbauministeriums im einzelnen beraten und waren uns darüber einig — wenn ich richtig orientiert bin —, diesen Einzelplan so anzunehmen.
Ich will auch nicht in die Polemik einsteigen, die teilweise in den Worten von Herrn Kollegen Baier anklang. Dazu ist das Problem zu ernst. Denn uns allen liegt die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem und angemessenem Wohnraum sehr am Herzen.
Wir sind uns aber darüber im klaren, daß wir in den nächsten Wochen und Monaten entsprechende Zeichen setzen müssen. Wir stehen vor der Frage, ob wir den sozialen Wohnungsbau wie bisher mit den gleichen Förderungsmitteln fortführen sollen —dann wären entsprechende Mehrkosten durch Mieterhöhung auszugleichen — oder ob wir zu Lasten der Quantität des Wohnungsbaues entsprechend höhere Förderungsmittel geben sollen. Damit aber wäre eine Reduzierung des Wohnungsbaus verbunden. Diese beiden Punkte sind im einzelnen zu entscheiden.
Ich bin der Auffassung, daß wir den Posten der 25 Millionen DM in der vorgesehenen Form stehenlassen sollten. Denn ein Teil Ihres Anliegens wird ja mit diesem Posten abgedeckt. Es ist keineswegs so, Herr Baier, daß der Wohnungsbauminister die Mittel nach Gefühl und Wellenschlag verteilen kann. Ich darf in Erinnerung rufen, daß in einer Protokollnotiz des Haushaltsausschusses ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, daß die Maßnahmen, die der Wohnungsbauminister vorhat, dem Haushaltsausschuß anzuzeigen sind.
— Herr Baier, das sollte doch aber aus Gründen der Fairneß bei der Begründung dargelegt werden. Es sollte nicht der Anschein erweckt werden, als ob der Wohnungsbauminister einen Verfügungsfonds habe, den er irgendwie leichtfertig und nach seiner Auffassung verteilen könnte.
— Der Wohnungsbauminister ist doch verpflichtet, im Haushaltsausschuß anzuzeigen, wie er diese Mittel verwenden will.
Weil wir z. Z. nicht wissen, welcher Mittelbedarf im sozialen Wohnungsbau noch auf uns zukommt, um diese Vorhaben zu fördern, sind wir dafür, diese einzelne Position so zu belassen, wie sie im Haushaltsplan ausgewiesen ist. Wir bitten daher, den Antrag der Opposition abzulehnen.
Dem Einzelplan 25 stimmt die FDP-Fraktion zu.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen.
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3074 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier wiederholt sich im Grunde genommen das, was wir nun seit gestern mittag erleben. Dinge, die sattsam aus der sehr ausführlichen Debatte vom Dienstag voriger Woche bekannt sind, werden wieder vorgetragen. Man sucht nach Motiven, um den Beschluß, den Etat nicht anzunehmen, irgendwie begründen zu können. Dieses Bemühen tritt doch in Erscheinung. Ich möchte auf das Bezug nehmen, was ich sehr ausführlich am Dienstag voriger Woche gesagt habe. Das kann man im Protokoll dieses Hauses nachlesen.Über eines muß ich aber doch meine Verwunderung zum Ausdruck bringen, nämlich den neuen Stil, den jetzt auch Herr Kollege Baier übernimmt, so mit Andeutungen, Unterstellungen, sogar Verdächtigungen. Ich bin nicht bereit, in diesem Stil der Diskussion zu folgen.
Immer wieder wird versucht, nachzuweisen, daß die Eigentumsmaßnahmen und der Eigenheimbau in den letzten Jahren katastrophal zurückgegangen sind. Sehen Sie sich die Zahlen an, die auch an dieser Stelle wiederholt genannt worden sind. Der Anteil der Eigentumsmaßnahmen liegt seit zehn Jahren bei 30 %: als Herr Lücke Wohnungsbauminister war, als Herr Bucher Wohnungsbauminister war, und bei dem jetzigen auch. Der Anteil pendelt zwischen 29,5 % und 31,2 %. Der Anteil ist also praktisch immer konstant. Sie dürfen deshalb nicht mit Behauptungen kommen, die Sie nicht beweisen können. Das ist das, was ich gemeint habe mit Unterstellungen und Verdächtigungen
und schiefen Andeutungen.
Überraschend ist wahrscheinlich für das ganze Haus der „Ideenreichtum" der früheren Wohnungsbaupolitik gewesen, von dem die Mieter und die Wohnungsuchenden jahrelang nichts gemerkt haben, bis heute nicht.
3 % Wohnungsdefizit genügten Herrn Lücke, um aus einem schwarzen Kreis einen weißen zu machen.
Die Degression der Wohnungsbaumittel hat dazu geführt, daß der Bundesanteil dauernd rückläufig war. Meine Damen und Herren, was ist die Konsequenz? Die Länder haben den Rückgang der Bundesmittel mit Landesmitteln nicht auffangen können. Sehen Sie sich doch die Länderstatistik an! Wo liegt denn der Rückgang im sozialen Wohnungsbau? Sehr differenziert bei den einzelnen Ländern! Es wäre sehr interessant, sich das einmal im einzelnen anzusehen. Das ist die Erbschaft.
– Nein, nicht die letzten drei Jahre! Sehen Sie sich an, wie die Wohnungsbaumittel seit 1957 in jedem Jahr um 10 % zurückgegangen sind. In den ersten Jahren haben die Länder das noch abfangen können. Als die Depression einsetzte, waren die Länder nicht mehr in der Lage, den Rückgang der Wohnungsbaumittel — —
— Ach, was sind das für alberne Bemerkungen!
Das ist das, was ich Ihnen zum Vorwurf mache, diese simple Form, politische Diskussion hier zu führen, ohne über die Sache zu reden.
Ich komme zu der anderen auch leicht seltsamen Formulierung des Herrn Kollegen Baier von der „Privatschatulle des Bundesministers". Was ist das für eine Form, politische Diskussionen zu führen? Als wenn es darum ginge, hier persönliche Dispositionen zu treffen!
Herr Baier, Sie waren dabei, als der Haushaltsausschuß folgenden Beschluß gefaßt hat:
Der Ausschuß ersucht die Bundesregierung, den Haushaltsausschuß über die Maßnahmen aus diesem Sonderprogramm vor dem Einsatz entsprechender Mittel zu unterrichten.Das wird geschehen. Bevor ein Pfennig gezahlt wird, kommt das Sonderprogramm in den Haushaltsausschuß.
— Ja, bitte sehr, aber bevor die Mittel ausgegeben werden! Das war doch, so haben Sie eben gesagt, Ihr Vorschlag!
— Sie haben eben gesagt, das sei Ihr Vorschlag gewesen. Reden Sie doch nicht um die Sachen herum! Es wird ja langsam seltsam, wie hier in diesem Hause diskutiert wird.
Wir haben sehr deutlich gesagt, was wir mit diesen Mitteln tun wollen. Wir wollen strukturpolitische Wohnungsbaumaßnahmen — darüber ist im Rahmen der Strukturpolitik diskutiert worden —, den Wohnungsbau für junge Familien und den Altenwohnungsbau fördern. Und diese Mittel werden grundsätzlich nach den vorhandenen Richtlinien eingesetzt. Deswegen ist es sinnvoll, daß wir diesen Topf nun nicht noch einmal in zwei Teile aufspalten, wobei der eine Teil — das haben Sie völlig übersehen —
genauso behandelt wird wie der alte. Der zweiteTeil wird genauso behandelt wie der alte, und nurein Teil wird für einen Verwendungszweck fest-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3075
Bundesminister Dr. Lauritzengelegt. Ich verstehe nicht, was Sie damit erreichen wollen. Wir brauchen eine gewisse Flexibilität, um auch unterschiedliche Verwendungszwecke berücksichtigen zu können. Dies ist der erste Ansatz um nun einmal ein langfristiges Wohnungsbauprogramm zu beginnen und, darauf aufbauend, zu weiteren Lösungen dieser Probleme zu kommen.Zum Schluß darf ich an folgendes erinnern. Wir haben das Wohngeldgesetz vorgelegt; wir haben Gott sei Dank das Städtebauförderungsgesetz, das längst hätte geltendes Recht sein können,
wenn die CDU damals mitgemacht hätte,
wenn sie nicht gemauert hätte
und nicht dem Bundeskanzler der damaligen Regierung, wie ich weiß, laufend Briefe geschrieben hätte.
— Wir wären längst fertig mit diesem Gesetz. — Wir werden das Wohngeldgesetz sehr schnell vorlegen und als nächstes dann das langfristige Wohnungsbauprogramm.Nur eines muß ich Ihnen noch sagen, meine Damen und Herren. Diese Dinge in relativ kurzer Zeit mit einem Mitarbeiterstab zu bewältigen, wie er diesem Ministerium zur Verfügung steht, ist nur durch sehr intensive Arbeit möglich gewesen. Ich muß das einmal im Interesse meiner Mitarbeiter sagen, die Urlaubssperren und Sonntagsarbeit haben hinnehmen müssen, um überhaupt fertig zu werden.Wir werden unsere Arbeit konsequent fortsetzen und werden uns durch diesen seltsamen Stil der Diskussion nicht beeinträchtigen lassen.
Meine Damen und Herren! Ich schließe die allgemeine Aussprache und frage zunächst, bevor wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU auf Umdruck 45 kommen, die Antragsteller, ob ich über den Gesamtantrag in einer Abstimmung durch das Haus entscheiden lassen kann? — Danke schön!
— Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die Diskussion innerhalb des Hauses
so einschränken könnten, daß die Verhandlungen weitergeführt werden können.
Wer dein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 45 zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! —Danke schön. Stimmenthaltungen? — Bei einer Stimmenthaltung ist der Antrag abgelehnt.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzelplan 25 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen —. Wer dem Einzelplan 25 zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! —
Stimmenthaltungen? — Der Einzelplan 25 ist mit den Stimmen der Koalitionsparteien gegen die der Opposition angenommen.
Ich rufe nunmehr Punkt IV Ziffer 20 der Tagesordnung auf:
Einzelplan 27
Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutschen Beziehungen
— Drucksache VI/839 —
Berichterstatter: Abgeordneter Wohlrabe
Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache.
Es liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU auf Umdruck 46 vor. Ich frage, ob dazu das Wort gewünscht wird. — Der Herr Abgeordnete Wohlrabe hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich zum Antrag ein Wort sage, möchte ich eine kurze Bemerkung vorweg machen. Die finanziellen Erörterungen über den Einzelplan 27 — —
Herr Kollege, darf ich Sie noch einen Augenblick unterbrechen. — Meine Damen und Herren, ich möchte nur noch die CDU/CSU als Antragsteller fragen: Wird der Antrag Umdruck 47 *) gesondert begründet? Ich habe zunächst nur den Antrag Umdruck
46 **) aufgerufen. Ich möchte aber zur Vereinfachung
fragen, ob auch der Antrag Umdruck 47 durch den Herrn Abgeordneten Wohlrabe begründet werden soll.
Dem ist so. — Ich mache das zusammen.
Gut, ich rufe also beide Anträge auf.Bitte schön, fahren Sie fort, Herr Abgeordneter.*) Siehe Anlage 14 **) Siehe Anlage 13
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3076 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Die Erörterungen über den Einzelplan 27 — das möchte ich voranschicken — haben in einer sachlich angenehmen Form und ohne finanzielle Beanstandungen stattgefunden. Ich glaube auch für den Kollegen Seidel als Mitberichterstatter sagen zu können, daß wir die finanziellen Dinge im Einzelplan 27 in den großen Zügen sehr schnell und auch sehr einvernehmlich haben regeln können.
Da es sich aber um einen vorwiegend politischen Etat handelt, der meines Erachtens mit dem Etat des Bundeskanzleramts und dem des Auswärtigen Amts gleichzusetzen ist, werden Sie sicher verstehen, daß wir, da uns „die Richtung nicht paßt" — wie hier schon mehrfach zum Ausdruck gekommen ist —, die im deutschlandpolitischen Bereich gefahren wird, diesem Einzelplan 27 — innerdeutsche Beziehungen — nicht zustimmen werden. Meine Damen und Herren von der SPD, ich möchte diese Erklärung in aller gebotenen Ruhe abgeben. Ich glaube es mir versagen zu können, jetzt noch nähere politische Erläuterungen zu geben. Die Haltung der CDU/CSU-Fraktion ist in nunmehr acht Debatten über die Deutschlandpolitik klargestellt worden, und das reicht nicht aus.
Aber ein politisches Wort zu unserem Antrag, der das Vorwort zu diesem Einzelplan betrifft, möchte ich doch sagen. Wir hatten bisher im Vorwort zu den Zweckbestimmungen beim Ministerium für innerdeutsche Beziehungen den Satz:
Der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen hat die Aufgabe, die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands vorzubereiten, den Zusammenhalt unseres Volkes zu stärken ...
Bei der neuen Regierung lautet dieser Satz:
Der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen hat die Aufgabe, der Einheit der Nation zu dienen, den Zusammenhalt unseres Volkes zu stärken ...
Die CDU/CSU beantragt, die alte Fassung wiederherzustellen.
— Verehrter Herr Kollege Wehner, ich sage nur dies: ich glaube, daß es jetzt nicht notwendig ist, über Ablehnung oder Nichtablehnung zu diskutieren. Aber ich bin erst einmal gespannt, ob Sie bereit sind, das Wort „Wiedervereinigung" hier aufzunehmen, oder nicht; das möchte ich erst einmal sehen.
Ich fahre fort in der Sache, weil mir das zu wichtig zu sein scheint.
Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung, daß die alte Fassung wiederhergestellt werden sollte, und zwar weil die Präambel des Grundgesetzes das deutsche Volk und damit insbesondere die frei gewählte Regierung der Bundesrepublik Deutschland, also die Regierung, verpflichtet, nicht nur die nationale, sondern ausdrücklich auch die staatliche Einheit zu wahren. Die von der Bundesregierung neu geschaffene Formulierung, die dem Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen lediglich die Aufgabe überträgt — und insofern ist dieser Satz, der jetzt darin steht, eine Einschränkung —, der Einheit der Nation zu dienen, und damit stillschweigend die bisher auch gestellte Aufgabe, nämlich die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands vorzubereiten, preisgibt,
bedeutet daher eine Mißachtung des in der Präambel des Grundgesetzes formulierten Auftrags.
Dieser Auftrag ist wie folgt formuliert — ich glaube, es ist notwendig, das hier einmal vorzulesen,
damit es auch draußen gehört wird —:
Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.
— Hoffentlich beherzigen Sie es auch. Wissen allein reicht nicht; danach handeln, verehrter Herr Kollege, ist wichtig.
Und wenn Sie es wissen und nicht danach handeln, ist das noch schlimmer; damit Sie genau wissen, was ich meine.
Die Väter unseres Grundgesetzes, zu denen Theodor Heuss — —
Herr Abgeordneter Wohlrabe, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Horn?
Herr Kollege Wohlrabe, unterstellen Sie einem der hier Anwesenden, daß er nicht dem Grundgesetz gerecht werden will? Ich bitte Sie um eine präzise Auskunft angesichts Ihrer Ausführungen gegenüber einem Kollegen von der anderen Seite des Hauses.
Zwischen Wollen, Absicht und tatsächlichem Tun unterscheide ich. Ich möchte deutlich sagen, daß ich hier Unterschiede mache.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3077
WohlrabeDie Väter unseres Grundgesetzes, zu denen Heuss, Adenauer wie auch Schumacher gehören,
haben uns eine Verpflichtung aufgegeben.
— Ich verbessere mich sehr gern: „und Kurt Schumacher gehören".
— Nach dem, was sich heute abgespielt hat, können Sie, Herr Wehner — bitte nehmen Sie das zur Kenntnis —, uns nicht mehr darüber belehren, was sich gehört oder nicht.
Die Väter des Grundgesetzes haben uns eine Verpflichtung aufgegeben, als sie das Grundgesetz unter die Worte gestellt haben:... von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen ...
— Das, was im Grundgesetz mit den Worten „vom Willen beseelt ..." umschrieben ist, muß immer wieder und fortgesetzt erneuert werden. Es ist unsere Pflicht, das zu tun. Diese Einlassung hat der ehemalige Minister für innerdeutsche Beziehungen — damals hieß er noch Minister für gesamtdeutsche Beziehungen —, Herbert Wehner, gemacht. Ichglaube, sie sollte, gerade weil es uns darum geht, die alte Fassung wiederherzustellen, hier einmal zur Kenntnis gebracht werden, damit man weiß, wie früher gesprochen wurde, und weil wir die Hoffnung haben, daß doch noch einmal so gehandelt wird.
Diese Verpflichtung, den Willen zur Wiederherstellung der staatlichen Einheit nicht erlahmen zu lassen, darf weder im Inland noch im Ausland mißdeuet werden können.
Deshalb sollte die bisher gebräuchliche klare und zweifelsfreie Aufgabenstellung des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen beibehalten werden. Ich bedaure es, daß unser Antrag an dem Tag, an dem die Erfurter Gespräche stattgefunden haben, von der Regierungskoalition SPD/FDP im Haushaltsausschuß erstmalig abgelehnt wurde. Wir stellen diesen Antrag auch heute wieder, weil ich persönlich die Hoffnung habe, daß die Äußerungen des Bundeskanzlers vor seiner Fraktion — am letzten Montag hat der Bundeskanzler, glaube ich, diese Äußerungen getan — zumindest, soweit ich es erkennen konnte, eine Modifizierung darstellen und vielleicht doch dazu führen, daß Sie bereit sind, die alte Fassung wiederherzustellen.Ich möchte hier im Deutschen Bundestag ein Wort von Matthias Walden zitieren, einem Publizisten von hohem Rang.
— Daß für Sie vielleicht nur Herr Nannen von hohem Rang ist, verwundert mich nicht. Für mich ist Matthias Walden aber in der Tat von hohem Rang.
Er sagt:Wer aber den Begriff „Wiedervereinigung" fallenläßt, nur weil er Mißdeutungen ausgesetzt sein könnte, begeht einen Fehler. Er beginge ihn auch, wenn er an der Sache festhielte, denn erstens haben sich die vier Siegermächte auf diesen Begriff selber festgelegt, und zweitens ist dieser Begriff im deutschen Volk in vielen Jahren eben zu einem ganz festen Begriff geworden. Wer das Wort aufgibt, signalisiert daher dem Volke gewollt oder ungewollt, das Ziel sei verloren.Für uns ist dieses Ziel nicht verloren, und deshalb wollen wir mit diesem Antrag, daß die alte Fassung wiederhergestellt wird.
Und nun noch ein Wort zu den Publikationen. Meine Damen und Herren, darüber ist bereits durch die Rede des Kollegen Raffert und durch die Rede des Kollegen Reddemann ausführlich die Position der beiden großen Fraktionen dargelegt worden. Wir haben im Haushaltsausschuß ebenfalls unsere Begründung für eine Kürzung gegeben. Ich darf nur daran erinnern, daß der Ansatz nicht voll in Höhe des mehr Beantragten von 500 000 DM, sondern nach unserer Auffassung nur in Höhe von 300 000 DM gekürzt werden soll. Wir würden dieses Hohe Haus bitten, hier eine Kürzung in der vorgeschlagenen Höhe vornehmen zu wollen.Mehr möchte ich dazu nicht sagen, meine Damen und Herren, weil die Frage der Publikationen ausführlich erörtert ist. Das Wichtigste ist und bleibt der zuerst gestellte Antrag. Sie, die Mehrheitskoalition, haben die Möglichkeit, hier heute durch die Abstimmung zu bekunden, wie Ihre Meinung zu dieser Frage wirklich aussieht.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Seidel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist erstaunlich, erstaunlich für die CDU/
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3078 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
SeidelCSU, daß sie ein so ernstes Thema mit der schwachen Besetzung glaubt hier behandeln zu können, die Sie hier aufweisen können.
Darin zeigt sich die ganze politische Heuchelei, die Sie in dieses Thema hineinlegen.
Darüber müssen Sie sich im klaren sein, daß Siemit dieser Art von Politik überhaupt niemanden — —
Herr Abgeordneter Seidel, ich rüge — —
— Herr Abgeordneter Seidel und Herr Abgeordneter Wehner, ich rüge Ihre Bemerkungen „Heuchelei".
— Ich rüge Ihre Bemerkung nachdrücklich.
Meine Damen und Herren!
Ich wollte Sie nur darauf hinweisen, mit welcher Art und Weise Sie hier durch Ihre Anwesenheit ein so ernstes Thema ernst genommen wissen wollen! Die Art, wie Sie hier auftreten, ist ja lächerlich!
Da müssen Sie schon anders hier auftreten, nicht mit dieser Art und Weise, wie Sie hier diese Dinge behandeln wollen, mit dieser Art von Besetzung!
Ich will jetzt hier zu diesen Ausführungen des Kollegen Wohlrabe Stellung nehmen. Meine Damen und Herren, jedes Mitglied dieses Hohen Hauses weiß, daß kein einzelnes Ressort der Bundesregierung die anspruchsvolle Aufgabe, „die Wiederherstellung der deutschen Einheit vorzubereiten", allein erfüllen kann. Die Deutschlandpolitik ist, wie es in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 wörtlich heißt — ich zitiere —,eine ständige Aufgabe der ganzen Regierung und umfaßt Aspekte der auswärtigen Politik, der Sicherheits- und Europapolitik ebenso wie die Bemühungen um den Zusammenhalt unseres Volkes und um die Beziehungen im geteilten Deutschland.
Dieser Zielsetzung entsprechend ist die Aufgabe des Ministeriums für innerdeutsche Beziehungen im Vorwort zum Haushaltsplan dargestellt worden. Da heißt es:Der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen hat die Aufgabe, der Einheit der Nation zu dienen, den Zusammenhalt unseres Volkes zu stärken, die Beziehungen im geteilten Deutschland zu fördern und
die deutschlandpolitische Verantwortung der Bundesregierung wahrzunehmen, insbesondere in Gesetzgebung und Verwaltung die Bemühungen der verschiedenen Ressorts zu koordinieren, den gesamtdeutschen Gedanken zu fördern, an Maßnahmen zur wirtschaftlichen Gesundung und kulturellen Entwicklung der Gebiete an der Demarkationslinie und in anderen Grenzbereichen mitzuwirken.Soweit das Vorwort zu diesem Einzelplan 27.Das ist eine eindeutige, für das Ressort reale Aufgabenstellung, um in jeder möglichen Weise die Deutschlandpolitik der Bundesregierung verantwortlich zu fördern. Mehr kann man von einem Ressort innerhalb der Bundesregierung nicht verlangen.Das Vorwort der früheren Ministerien zum Einzelplan 27 lautete:Der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen hat die Aufgabe, die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands vorzubereiten, den gesamtdeutschen Gedanken zu fördern und die dem deutschen Volkstum drohenden Gefahren, besonders in den Grenzgebieten, abzuwehren.Bei dem Vergleich der Vorworte 1969 und 1970, das erkennt jedermann, der guten Willens ist, bringt das Vorwort 1970 die uns alle bewegenden politischen Anliegen zum Ausdruck,
ohne dem Ministerium für innerdeutsche Beziehungen mehr politische Erwartungen anzutragen, die schließlich nur der ganzen Bundesregierung aufgegeben sein können.
Meine Damen und Herren, hier ist die Präambel des Grundgesetzes angesprochen worden. Dazu kann ich nur sagen: Diese Bundesregierung wird dieser Präambel des Grundgesetzes in jeder Weise gerecht.
An ihren Taten kann man es erkennen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3079
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Borm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war zu vermuten, daß sich an dem Etat des Ministeriums, dem die Aufgabe obliegt, die Einheit Deutschlands wiederherzustellen und das Wohl des deutschen Volkes wahrzunehmen, wieder einmal die Leidenschaften entzünden würden.
Es tut mir leid, daß der Stil, der eingangs dieser Debatte am heutigen Tage, die weiß Gott nicht zu den Höhepunkten parlamentarischen Lebens in Deutschland gehört, praktiziert wurde, nunmehr wieder eingeschlagen wurde.
Ich habe Ihnen wenig zu sagen. Zunächst einmal die Feststellung: der Etat dieses Ministeriums wird so, wie er vorgezeichnet ist, und ohne Namens- und sonstige Änderungen von der FDP begrüßt und er soll nach unserem Willen so bleiben. Aber ein Wort des Kollegen Wohlrabe verdient festgehalten zu werden: „Die Richtung paßt uns nicht!" Meine Damen und Herren, dieses Wort halten wir fest. Uns paßte früher vieles in der Richtung nicht.
Hätten Sie früher in der Politik zum anderen Teil Deutschlands oder auch sonst zu den Mächten, die dafür in Frage kommen, über das Schicksal Deutschlands zu entscheiden, eine andere Richtung eingeschlagen, hätten wir nicht die Schwierigkeiten, vor denen wir heute stehen.
Sie stellen mit Ihren Worten in Zweifel, als ob es einen deutschen Menschen gäbe, der hier in diesem Bundestag sitzt, der das Ziel der Wiedervereinigung nicht als sein oberstes Ziel betrachtet.
Das bleibt Ihnen überlassen. Wir werden Ihnen das beweisen.
Nur eines: Sie haben nicht dafür gesorgt, daß die Vorbedingungen dafür geschaffen wurden, so, wie wir uns jetzt abzumühen haben.
Ich will keineswegs polemisch sein, aber diese Feststellung müssen Sie sich gefallen lassen.
— Die wird nicht von hier getroffen, die wird Ihnen
einst in den Geschichtsbüchern bescheinigt werden.
Meine Damen und Herren, diese Dinge sind oft genug gesagt worden, aber da Sie immer wieder die gleichen Verdächtigungen aussprechen, müssen Sie es sich gefallen lassen, daß Sie die gleichen Repliken erhalten.
Ich habe allerdings anläßlich des Etats doch eine Bemerkung zu machen. Es ist. selbstverständlich die Aufgabe des Ministeriums, alle jene Kräfte zu fördern und zu unterstützen, die die Traditionen wahren wollen, die dafür sorgen wollen, daß der Zusammenhalt im deutschen Volk gefördert wird. Ich frage mich aber — ich melde hiermit die Bedenken an, und die zuständigen Gremien werden sich darüber einmal ernstlich Gedanken zu machen haben —, ob alle jene Organisationen, die früher einmal förderungswürdig gewesen sind, durch ihr heutiges Verhalten noch förderungsfähig geblieben sind.
Wenn ich das, was sich in der letzten Zeit abgespielt hat, nachlese, wenn ich lese, was Schweizer Zeitungen darüber schreiben — ich will nicht von deutschen Zeitungen reden —, dann fange ich an, mich darüber zu schämen, was dort geschehen ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Fircks?
Bitte schön!
Herr Kollege, machen Sie Ihre Kritik an dem Verhalten einiger Organisationen, die Sie jetzt als nicht mehr förderungswürdig zu charakterisieren versuchten, von dem Verhalten gegenüber Ihren politischen Vorstellungen abhängig, oder was ist Ihr Kriterium, an dein Sie sie messen? Würden Sie uns das bitte einmal deutlich machen!
Ich habe Ihnen gesagt, daß wir darauf bestehen werden, in eine Prüfung einzutreten. Wenn Sie es wissen wollen: ich mache meine Kritik nicht von dem abhängig, was meinen Vorstellungen entspricht. Aber ich stütze meine Kritik an dem Verhalten beispielsweise auf das, was in ausländischen Zeitungen steht und dem Namen Deutschlands nicht zuträglich ist.
Ja, lesen Sie bitte nach, was in der „Tat" steht! Sie wissen genau, worum es sich handelt.
— In der Tat bin ich ein Liberaler.
Ich bin es gewöhnt, meine Kollegen von der CDU/ CSU, daß Ihre Antwort auf Kritiken, die Ihnen nicht gefallen, immer die Unterstellung ist, man sei nicht im deutschen Interesse tätig, man habe irgendwelche anderen Verbindungen. Das haben Sie mit sich ab-
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BormI zumachen. Dieser Vorwurf ist zu niedrig, um zu ziehen.
Es ist heute anläßlich der Beratung des Etats nicht die Zeit, ins einzelne zu gehen, aber wir werden uns anläßlich der Beratungen über die Verwendung der Gelder sehr ernste Gedanken machen.
Ein Wort noch an das Ministerium selber. Ich habe sehr aufmerksam bei den verschiedenen Ministerien alle jene Ansätze gelesen, die auch zusammengefaßt worden sind und die auch in dem Etat des Ministeriums selber ihren Niederschlag gefunden haben. Da ist mir ein geistiger Zwiespalt aufgefallen mit dem Bemühen, mit dem anderen Teil Deutschlands ins Gespräch zu kommen. Es ist so, daß sich die Chefs der Regierungen in Erfurt und in Kassel — mit welchem Erfolg, hat derzeit nichts zu tun — getroffen haben, daß aber andererseits in den Ansätzen des Ministeriums oder der Ministerien von Geldern gesprochen wird, die Verwendung finden in der „sowjetisch besetzten Zone", im „sowjetischen Besatzungsgebiet" oder in der „Sowjetzone". Wir sollten uns bei dem neuen Etat einmal den Kopf zerbrechen, ob diese Sprachregelung noch dem Klima, das wir anstreben, angemessen ist. — Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Wrangel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, daß ich die Verhandlungen aufhalten muß. Zum zweitenmal in der heutigen Debatte sind Überzeugungen, die von der CDU/CSU geäußert wurden, von seiten der Sozialdemokraten mit unglaublicher Polemik und unglaublichen Unterstellungen beantwortet worden,
ohne daß sie dabei sachbezogene Äußerungen machen konnten.
Ich muß dies im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Entschiedenheit zurückweisen.
Meine Damen und Herren von der SPD, wir müssen Ihnen heute einmal vorhalten, daß wir Sie und Ihre Repräsentanten gegen Ihre heutige Haltung in Schutz nehmen müssen, denn alles das, was der Kollege Wohlrabe gesagt hat, ist doch über 20 Jahre lang von Ihnen mitgetragen worden, und heute wollen Sie sich auf einmal aus vordergründigen Gesichtspunkten nicht mehr dazu bekennen.
Dies ist ein trauriges Zeichen für einen Gesinnungswandel, den wir einfach nicht verstehen und nicht billigen konnten.
Ich möchte nur noch eines sagen gerade im Zusammenhang mit dem, was der Kollege Borm über die Bezeichnungen gesagt hat. Der Kollege Wehner hat hier einmal erklärt, — ich kann es aus dem Gedächtnis zitieren —, der wahre Souverän ist das deutsche Volk, und es ist unsere Pflicht, dem wahren Souverän zur Geltung zu verhelfen! — Man kann doch wohl nicht behaupten, daß die Machthaber drüben der wahre Souverän der Bevölkerung in Mitteldeutschland sind. Dies ist doch das Motiv für unseren Antrag gewesen, und nichts anderes.
Meine Damen und Herren, ich stelle fest: daß wir es zu tun haben mit einem Bundeskanzler, der nicht da ist und sonst zur Sache schweigt, einem Fraktionsvorsitzenden der SPD, der wieder einmal entgleist ist, und einem Bundesgeschäftsführer der SPD, der Verleumdungen nicht verifizieren kann!
Herr Borm, Sie haben wieder einmal eine Legende verbreitet, von der Sie wissen müßten, daß sie falsch ist. Nicht wir haben die Wiedervereinigung nicht erreichen können, sondern sie konnte nicht erreicht werden, weil eine nuklear gerüstete Macht in Europa sie nicht gewollt hat. Das ist die Wahrheit, und wir lassen diesen Tatbestand nicht verfälschen.
Dies alles, meine Damen und Herren, ist der Ausdruck einer Verlegenheit einer Regierung und einer Koalition. Sie haben gerade mit dieser Art der Polemik wieder einmal nur gezeigt, daß sie ein Programm haben, das aus Widersprüchen und Unsicherheit besteht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kotowski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach ,den Worten des Herrn Kollegen von Wrangel könnte ich mich und werde ich mich außerordentlich kurzfassen. Ich möchte jedoch — —
— Aber, meine Damen und Herren, wir wissen alle, daß es sehr spät ist. Wir wissen auch, daß es Ihnen in der heutigen Debatte insgesamt nicht gutgegangen ist. Ich verstehe also, daß Sie .auf Schluß drängen, aber hören Sie doch ein bißchen zu.Ich möchte nur weniges hinzufügen, weil gerade Herr Kollege Borm als mein engerer Wahlkreiskollege aus Berlin gesprochen hat. Ich glaube nicht, daß es übermäßig viele Berliner gibt, die die Ge-
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Dr. Kotowskischichtsauffassung, welche Herr Kollege Borm hier vorgetragen hat, als richtig ansehen werden.
Es ist doch ganz unzweifelhaft so — und die Berliner haben das erfahren, Herr Kollege Borm —, daß der reichliche gute Wille, den wir alle aufgebracht haben, in einer Situation 'natürlich keinen Nutzen haben konnte, wo die stalinistische Macht eine Politik betrieb, die eben die reine Unterwerfung verlangte.Ich darf Sie, Herr Kollege Borm, vielleicht daran erinnern, daß ein angesehener sozialdemokratischer Publizist dem Kollegen Lemmer, der sich noch in einem relativ späten Zeitpunkt, um 1950 herum, bemühte, seine Kontakte zu alten liberalen Kollegen in Ost-Berlin zu pflegen, öffentlich vorgeworfen hat, er trenne sich damit von der Gemeinschaft der deutschen Demokratie, nur deswegen, weil er einem alten liberalen Reichstagskollegen noch 1950 in Ost-Berlin die Hand gereicht hat. Ich möchte doch meinen, daß diese Erinnerung unmöglich bei allen Mitgliedern dieses Hauses verblaßt sein kann.Wenn Sie ,also ,eine neue Position beziehen, so sagen Sie das! Ich glaube, ein sehr großer Teil der Giftigkeit in der Atmosphäre liegt nicht nur in der Herstellung eines Freund-Feind-Verhältnisses, wie ich es zu meinem Schrecken durch Verstöße des Herrn Abgeordneten Wehner im Dezember hier feststellen mußte, sondern einfach auch daran, daß offenkundig in einem immer größer werdenden Teil der Bevölkerung die Unsicherheit darüber wächst, was diese Regierung will.Wenn Sie eine ganz neue Politik aus objektiven Gründen glauben betreiben zu müssen, also zu der Überzeugung kommen: Was wir vor drei, vier Jahren vorbrachten — ich erinnere an die eindrucksvollen Zitatsammlungen, die wir hier auch heute wieder gehört haben —, stimmt nicht mehr, wenn Sie der Meinung sind, daß sich die objektiven Tatsachen so verändert haben, daß wir eine ganz andere Politik treiben müssen, 'dann sagen Sie das! Das ist eine rationale Diskussionsgrundlage. Wir werden deswegen bestimmt niemand verketzern, weil er bestimmte objektive Tatbestände anders werten zu müssen glaubt. Aber es ist doch nicht möglich, zu behaupten, 'daß man eine im wesentlichen identische Politik weiter betreibe, wenn man objektiv und tatsächlich eine vollständig andere betreibt.Noch etwas mehr! Ich will das bekannte Wort von „mehr Demokratie", das wohl von Günther Grass in die Regierungserklärung hineingeschrieben ist, nicht weiter strapazieren. Ich weiß nicht genau, ob es von ihm stammt; aber es ist so schön, daß das so sein könnte. Das allermindeste ist aber, daß Sie sagen — nicht die Einzelheiten jeder Phase der Verhandlungen; das können Sie nicht —, wohin die Reise geht. Solange Sie das nicht sagen, werden wir uns mit Recht wohl darauf berufen müssen, daß Sie noch vor ein, zwei Jahren nicht nur die Position, die wir vertreten, eingenommen haben, sondern sie mit aller Härte und Schärfe eingenommen haben. Ich glaube, das dürfte nicht verschwiegen werden.Ein letztes Wort zu einer beiläufigen Bemerkung I des Herrn Kollegen Borm, die er auf eine Zwischenfrage aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion gemacht hat. Da habe ich zu meinem wirklichen Erstaunen — ich möchte nicht sagen: zu meinem Entsetzen; dazu ist mir die Sache nicht wichtig genug — gehört, daß Herr Kollege Borm die Förderungswürdigkeit von Verbänden in Deutschland davon abhängig macht, daß sie in ausländischen Zeitungen entsprechend gewürdigt werden.
Herr Kollege Borm, welche ausländische Zeitungen meinen Sie denn da?
Herr Kollege Borm hat das so formuliert, nicht ich. Er hat es doch gesagt. Vielleicht nimmt er die Gelegenheit, das noch einmal zu verifizieren. Wir müssen uns sogar Meinungsbildungen gefallen lassen, die uns gar nicht gefallen, und müssen davon ausgehen, ob die Betreffenden auf dem Boden des Grundgesetzes und der Gesetze stehen. Aber nun noch eine Theorie der Art aufzustellen, daß eine liberale Toleranz davon abhängig ist, wie diese Organisationen in ausländischen Zeitungen behandelt werden, das erscheint mir komisch.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Borm?
Herr Kollege Kotowski, würden Sie bereit sein, das Protokoll zu lesen? Da habe ich den Namen der Zeitung nämlich genannt.
Herr Kollege Borm, ich habe mich auf Ihre Antwort auf die Zwischenfrage bezogen. Ihre zuvor gemachte Bemerkung hätte ich passieren lassen. Aber das, was Sie auf die Zwischenfrage geantwortet haben, bedarf doch wohl der Interpretation in diesem Hause. Denn ich halte es für völlig ausgeschlossen, daß die Förderungswürdigkeit von Verbänden und Organisationen in Deutschland nach Ihrer Meinung an solchen Kriterien gemessen werden kann. Das kann nur ein Versprecher gewesen sein, und ich bitte Sie, das gleich zu berichtigen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mattick.
Meine Damen und Herren! Herr von Wrangel hat seine Ausführungen mit der Bemerkung eingeleitet, wir, die Sozialdemokraten, würden hier gegenüber der CDU und ihren Überzeugungen mit unglaublichen Unterstellungen vorgehen.
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3082 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Mattick— Herr Kollege von Wrangel, haben Sie denn nicht mehr die Rede Ihres Kollegen Wohlrabe im Ohr? Das war doch eine einzige Unterstellung in bezug auf die sozialdemokratische Politik.
Das war doch eine einzige Verdrehung unserer wirklichen Politik, Herr Wahlrabe,
mit der wohlgezielten Absicht, hier in später Stunde noch eine solche Diskussion zu entzünden. Die können Sie haben.
Ich will Ihnen einmal etwas sagen, Herr von Wrangel. Ich habe mir Ihre Bemerkungen sehr genau aufgeschrieben. Sie sprachen davon, daß wir mit unglaublichen Unterstellungen gegen Ihre Überzeugungen angingen,
und wir Sozialdemokraten hätten einen „Gesinnungswandel" gegenüber einer Politik vollzogen, die wir 20 .Jahre lang gemeinsam getragen hätten.
Herr von Wrangel, ich möchte Ihnen einmal folgendes in Erinnerung rufen. Seit wir in diesem Hause über die deutsche Frage sprechen, jedenfalls solange ich daran beteiligt bin, gibt es die Kontroverse zwischen der sozialdemokratischen Position und der Position Adenauers. Wir haben nämlich immer behauptet
— heute bestätigt sich das, Herr von Wrangel —,daß oberstes Ziel der Politik Adenauers nicht die deutsche Wiedervereinigung gewesen ist.
— Herr Müller-Hermann, ich weiß nicht, ob der Präsident alle Ihre Bemerkungen gehört hat.
— Ich habe sie gehört und möchte Ihnen dazu folgendes sagen.
Herr Abgeordneter Mattick, ich rüge den Ausdruck „Lumperei" des Abgeordneten Müller-Hermann.
Ich bedanke mich!
Worum geht es denn? Worüber haben Sie sich jetzt eigentlich so sehr erregt? Hier ist vor drei Wochen ein Zitat von Adenauer in die Debatte geworfen worden, das auch Sie noch in Erinnerung haben werden. Danach hat der damalige Bundeskanzler Adenauer gesagt: „Ich bin derjenige, der die europäische Einheit der deutschen Einheit vorziehen kann. Ich bin der einzige, der das tun kann und der sich dafür einsetzt." — Und jetzt wollen Sie bestrei- ten, daß die Politik Adenauers vordergründig keine Wiedervereinigungspolitik gewesen ist? Das können Sie doch gar nicht bestreiten. Jetzt tun Sie so, als ob 20 Jahre lang Ihre Politik zur Wiedervereinigung beigetragen habe.
Herr Abgeordneter Mattick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Wrangel?
Ja, ich gestatte.
Herr Kollege Mattick, darf ich Sie sachlich fragen, warum trotz Ihrer Polemik gegen Konrad Adenauer diese Regierung in den letzten Tagen gerade Konrad Adenauer als Kronzeugen zu bemühen versucht hat.
Nein, nein, das sind zwei verschiedene Dinge. Konrad Adenauer ist von uns nicht als Kronzeuge für die Wiedervereinigungspolitik bemüht worden.
Das würde keinem Sozialdemokraten einfallen, Herr von Wrangel. Das möchte ich Ihnen sehr deutlich sagen.
Aber nun möchte ich noch etwas zu Ihren Bemerkungen zum „Gesinnungswandel" sagen, Herr von Wrangel. Sie gehen von einer falschen Vorstellung aus. Herr von Wrangel, Gesinnungswandel bedeutet, daß man von dem abgeht, was man gewollt hat. Wir sind jedoch auf der Suche nach neuen Wegen, nachdem auch durch Ihre Politik ein Stillstand eingetreten ist. Wir können diesen Stillstand nur auf neuen Wegen überwinden. Wir sind jetzt dabei, die Möglichkeiten abzutasten. Das ist kein „Gesinnungswandel" in bezug auf das, was wir wollen, sondern das ist das Bemühen, in einer veränderten Welt, die sich mit uns gemeinsam verändert hat, wozu wir alle beigetragen haben, neue Wege zu suchen, die zu einem Ziel führen, nämlich den Menschen drüben zu helfen, Wege zu finden, den Status quo, die Erstarrung, aufzulösen; denn Ihre Politik hat die Erstarrung nicht aufgelöst.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3083
Mattick— Herr Wohlrabe, ich spreche jetzt mit Herrn von Wrangel. Das als Gesinnungswandel zu unterstellen — das, was Sie hier sagen —, ist wiederum eine unglaubliche Unterstellung gegenüber der Sozialdemokratischen Partei.
— Wir haben gar nichts unterstellt.
Die objektiven Tatsachen haben sich verändert, und eine Regierung und Parteien, die nicht imstande sind, dieses zur Voraussetzung ihrer Politik zu machen, können schöne Sprüche klopfen, aber sie werden nicht einen Schritt weiterkommen. Unser Bemühen ist es, einen Schritt weiterzukommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Marx.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Mattick, ich wäre jetzt nicht hierher gegangen, wenn Sie nicht in einer sehr merkwürdigen Verkehrung Ihren Angriff auf die sogenannten Unterstellungen selber mit einem vor der geschichtlichen Wahrheit und — wie ich annehme — auch vor Ihrer eigenen ehrlichen Überzeugung nicht bestehenden fundamentalen und — ich muß es leider sagen — üblen Angriff auf Adenauer und sein Wirken hier begleitet hätten.
— Verehrter Herr Mattick, wenn Sie immer so gedacht haben, dann war das eben immer ein falsches Denken.
Aber ich muß Ihnen sagen: Die Art und Weise, wie Sie glauben, hier die Adenauersche Leistung verdrehen und in einer täuschenden und — ich wiederhole es — üblen Form umbiegen zu können, wird weder vor der geschichtlichen Prüfung noch vor Ihren eigenen Einlassungen aus der damaligen Zeit bestehen können, lieber Herr Mattick!
Herr Mattick, Sie haben gesagt, Adenauer habe nicht die Wiedervereinigung herbeigeführt und habe die Erstarrungen nicht auflösen können. Darf ich Sie einmal fragen: Verkennen Sie eigentlich die Tatsache, daß Konrad Adenauer in der ganzen Zeit, da er Politik machte, auch eine Westpolitik machte, von der der Bundeskanzler vor einigen Tagen sagte, daß sie in das sichere Bündnis mit den
westlichen Staaten hineingeführt habe, daß Sie diese Politik in einer so armseligen Weise hier diffamieren zu können glauben? — Bitte sehr!
Herr Kollege Marx, ich frage Sie: War das Zitat, das der Kollege Mattick gebracht hat, falsch oder richtig?
Das Zitat war falsch; sonst wäre ich nicht an dieses Pult gegangen. Und es war ein Beitrag zu dem, was gestern von Ihrer Seite in diesem Saale als Geschichtsklitterung ausgegeben worden ist.
Herr Abgeordneter Marx, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Mattick?
Bitte, Herr Kollege Mattick.
Herr Marx, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage: In der Sache war das Zitat völlig richtig? Das ist hier schon mehrmals zitiert worden, was ich da vorhin gebracht habe. Und die zweite Frage, die ich gern stellen würde: Würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik im Jahre 1955 neue Tatsachen geschaffen hat, die wir jetzt auszuwerten verpflichtet sind, nachdem man sie 15 Jahre lang hat ruhen lassen?
Herr Mattick, normalerweise sollten wir etwas anders miteinander umgehen. Sie sollten keine Fragen stellen, die Sie mit einer Wertung verbinden, die ihrerseits natürlich falsch ist. Herr Mattick, wenn Sie sich an die von Ihnen soeben genannten 15 Jahre zurückerinnern, müssen Sie doch einfach von jener fundamentalen und uns alle bedrückenden Tatsache ausgehen, die Sie doch jetzt auch in einer schwierigen Situation spüren: daß — und das ist vorhin gesagt worden — die Sowjetunion nicht nur mit ihren 20 Divisionen in dem, was Sie sich „die DDR" zu nennen angewöhnt haben, steht, sondern daß sie in einer außerordentlich massiven Weise versucht, eine dynamische, für ihre eigenen Ziele
wirkende Politik auszuführen. Da können Sie doch nicht sagen, daß während dieser Zeit eine Wiedervereinigung möglich gewesen wäre, die dies alles nicht berücksichtigt. Das können Sie doch nicht sagen.
Herr Abgeordneter Marx, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Biermann?
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3084 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Ich gestatte sie.
Herr Kollege Marx, ist es richtig, daß vor 15 oder 10 Jahren oder vor 18 oder 20 Jahren noch keine 20 oder 30 Divisionen dort standen, und ist es ebenso richtig, daß in den ersten 15 Jahren nach 1948 die Verhärtung zwischen dem Westen und dem Osten größer und die Aussichten der Wiedervereinigung schlechter denn je anstatt besser geworden sind, und ist das die Politik?
Herr Biermann, auf diese Frage kann ich ganz klar und objektiv antworten, und ich würde Sie bitten, die dazu vorliegende Literatur endlich einmal zu befragen und sich wirklich nach Tatsachen zu richten und nicht nach eigenen Hirngespinsten.
Denn wir wissen, daß seit dem Jahre 1945 im anderen Teil Deutschlands erhebliche Truppenansammlungen sind und daß niemals, zu keiner Zeit, weniger als 20 sowjetische Divisionen, und zwar Elitedivisionen, vorhanden waren, von jenen Leuten geführt, die später in der sowjetischen Militärhierarchie in die höchsten Spitzen aufgestiegen sind. Und ich würde bitten, auch weder „10" noch „15 Jahre" zu sagen. In der ganzen Zeit war diese harte sowjetische Wirklichkeit im andern Teile Deutschlands vorhanden. Niemand wird sagen können, wie es möglich gewesen wäre — auch nicht Ihre früheren Einlassungen vor 10 oder 15 Jahren —, diese Tatsachen zur Seite zu schaffen. Denn sie waren für die sowjetische Seite nie eine Möglichkeit des Kompromisses oder des Entgegenkommens, sondern immer ein fester militärischer Standpunkt, den sie behalten mußten, um die Bevölkerung drüben im anderen Teile Deutschlands, die Bevölkerung in Polen und in der Tschechoslowakei niederzuhalten. Dies war Ziel und Inhalt der sowjetischen Politik. Niemand kann es abstreiten.
Wer die Adenauersche Politik würdigen will, der soll nicht — ich wiederhole — von der Fülle der Illusionen, sondern von den Tatsachen ausgehen. Darum habe ich es sehr bedauert, Herr Kollege Mattick, daß Sie heute abend wiederum von den Tatsachen abgewichen sind, wiederum versucht haben, einen Beitrag zu leisten, eine Legende in die Bevölkerung hineinzubringen, die Ihnen auf diesem Wege nicht folgen wird. Es wird sich durchsetzen, Herr Mattick, was die Wirklichkeit ist, nicht was bei dem einen oder anderen aus parteipolitischen Gründen an Korrektur geschichtlicher Wahrheit vorgebracht wird. Dessen haben Sie sich schuldig gemacht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte den Zuruf aus der CDU-Fraktion gleich aufgreifen. Ich habe tatsächlich den Eindruck, daß Ihnen das noch fehlt. Denn ich möchte Sie an einige Dinge erinnern, die wahrscheinlich nicht mal eine Woche bei Ihnen im Gedächtnis haften geblieben sind. Ich möchte auf das zurückkommen, Herr Kollege Marx, was hier gesagt worden ist zu der Position — —
— Ich weiß, Sie können gute Zwischenrufe machen, Sie werden auch sicher im Protokoll nachher stehen.
— Ich komme auf Adenauer zurück, auf seine Zitate.
Konrad Adenauer hat zwei Sätze gesagt, die ich bitte, Herr Präsident, vorlesen zu dürfen und die das noch einmal genau in die Erinnerung zurückrufen sollten, auch bei Ihnen. Das ist wichtig für die Ausgangsposition der heutigen innerdeutschen Politik. Konrad Adenauer hat zu Mendes-France gesagt:
Sie verlieren nichts, wenn Sie die deutsche Einheit opfern, aber ich. Doch wir sind bereit, sie zu opfern, wenn wir in ein starkes westliches Lager eintreten können.
Das ist das eine. Das zweite Zitat hat er gegenüber Francois-Poncet ausgesprochen, und dieses zweite Zitat lautet:
Vergessen Sie bitte nicht, daß ich der einzige deutsche Kanzler bin, der die Einheit Europas der Einheit seines Landes vorzieht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Christdemokratischen Union: auf dem Hintergrund dieser politischen Vorstellungen klingt natürlich das, was der Kollege Wohlrabe vorgetragen hat, wie eine blasphemische Unterstellung.
— Auf diese Frage komme ich gleich zusprechen, keine Sorge, Herr Kollege Wohlrabe.
Herr Abgeordneter Dorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mick? —
Nein, ich möchte meine Zeit einhalten, Herr Präsident.
— Ach, wissen Sie, dieser Zwischenruf ist doch viel zu primitiv, als daß ich bereit wäre, darauf einzugehen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3085
DornNun zu dem Stimmrecht der Berliner, Herr Kollege Wohlrabe! Wer von Ihrer Fraktion, Herr Rösing, hat wohl heute nachmittag bei der normalen Auszählung in diesem Hause darauf gedrängt,
daß die Berliner Stimmen extra gerechnet worden sind?
Sie können gleich heraufkommen und antworten. Vielleicht können Sie es gleich klarstellen. Es wäre gerade im Interesse der Argumentation um die Position Berlins von großer Wichtigkeit.
— Ich habe Ihnen eine Frage gestellt.
Es wird ja kein Problem sein, nachher die Frage zu beantworten, von wem aus Ihrer Fraktion die Anregung stammt.
— Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage. Sie haben jederzeit die Gelegenheit, hier oben Ihre Meinung zu sagen.Nun möchte ich Sie an etwas erinnern, Herr Kollege Wohlrabe. Sie waren damals noch nicht im Hause. Aber viele Mitglieder Ihrer Fraktion haben damals einen Aufschrei veranstaltet, als wir bei Grundgesetzänderungen um der Sache und Klarstellung willen die Stimmrechtsfrage hier angesprochen haben. Darum ist es schon von großer Wichtigkeit, daß man in dieser Frage glaubwürdig bleibt.
Lassen Sie mich ein anderes sagen. Es ist vorhin gesagt worden, die Politik der Regierung bestehe aus Widersprüchen. Herr von Wrangel hat das gesagt. Herr von Wrangel, in der Deutschlandpolitik dieser Regierung ist wohl so viel wie von keiner Regierung vorher argumentiert und gegenargumentiert worden. Sie können sagen, die Regierungsmeinung sei falsch. Das haben Sie oft genug getan. Niemand nimmt Ihnen das übel, weil es Ihre Meinung ist und weil Sie diese Meinung seit 20 oder 25 Jahren unverändert vertreten haben, und mit den Adenauerschen Positionsvorstellungen Ihre Politik aufgebaut haben.
— Herr von Wrangel, keine Sorge, es kommt alles; keine Sorge. Sie waren ja wohl schon Mitglied dieses Hauses und haben doch wahrscheinlich noch miterlebt, wie unerhört schwierig es damals in den Besprechungen des Koalitionsausschusses zwischen CDU und FDP war, als wir den gesamtdeutschenMinister — so hieß das damals — gestellt haben, uns dafür einzusetzen und Ihre Bereitschaft zu finden, einige Schritte einer neuen Politik in Deutschland mit zu gehen. Ich selbst habe das doch in stundenlangen Diskussionen mit Ludwig Erhard, Franz Josef Strauß und anderen Mitgliedern Ihrer Partei im Koalitionsausschuß miterleben können,
wie unerhört schwierig es gewesen ist, Sie endlich auf diesen Weg zu bringen. Dann begannen auch bei Ihnen einige sehr ernsthaft nachzudenken. Es ist ja heute auch nicht uninteressant — —
— Ach, Herr Kollege von Wrangel, vielleicht werden Sie das, was ich Ihnen sage, nicht mehr als so gnädig ansehen. Aber es gehört mit zur Geschichte.
— Ja, ja, ich weiß, Sie sind ein großer — — Na, ich möchte es mir ersparen.
Aber schauen Sie, Herr Kollege von Wrangel, dann begann nämlich zum Beispiel Ihr Fraktionsvorsitzender, darüber nachzudenken, welche anderen Weg man gehen könnte. Und es war hochinteressant für uns, welche Vorschläge er von seinem Besuch in den Vereinigten Staaten mitbrachte, Vorschläge, die er dort in Veranstaltungen und bei Interviews vertreten hat. Er meinte damals, eine Wiedervereinigungspolitik werde erleichtert, wenn sowjetische Truppen im Bereich der Bundesrepublik stationiert würden.
Das waren Vorschläge, die von Ihrem Fraktionsvorsitzenden konkret vorgetragen worden sind.
— Herr Kollege Marx, er hat noch viele andere Vorschläge gemacht,
aber das, Herr Marx, war einer der für uns interessantesten. Und gerade im Zusammenhang mit den Unterstellungen, die Sie in den letzten Tagen und Wochen hier permanent serviert haben, ist Ihnen unangenehm, daß wir Sie daran erinnern.
— Das kann ich verstehen. Trotzdem ist es Ihnen unangenehm; denn Sie vertreten diese Auffassung heute noch.
— Ja, Sie vertreten diese Auffassung heute noch.
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3086 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Dorn— Wahr ist es schon! Wahr ist es schon; denn ich habe Herrn Barzel ja gefragt — –
— Ach, Herr Kollege Marx, das, um was es in dieser Frage geht,
ist im Zwiegespräch zwischen Herrn Barzel und mir besprochen worden. Ich habe es hier vorgetragen, und von ihm ist bestätigt worden, daß es so gewesen ist. Sie können doch heute nicht wegdiskutieren, daß er diesen Vorschlag, sowjetische Truppen sollten in der Bundesrepublik Deutschland stationiert sein, gemacht hat! Das können Sie doch nicht wegdiskutieren!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Wrangel?
Nein.
Ich möchte jetzt nur noch eine Schlußbemerkung machen.
— Natürlich, Herr von Thadden, wenn ich so gut wäre wie Sie, könnte ich das jetzt auch noch. Aber es gibt eben in manchen Dingen auch Unterschiede.
Eine Bemerkung möchte ich noch zu den vielen unruhigen Zwischenrufen machen, die vorhin gemacht worden sind, als mein Fraktionskollege Borm die Frage der Unterstützung einzelner Organisationen angesprochen hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle ein, soweit ich es kann, offenes, aber auch ein sehr ernstes Wort dazu sagen. Seitdem wir, mein Freund Hans-Dietrich Genscher und ich, in das Bundesministerium des Innern eingezogen sind
— eingezogen, natürlich, Herr Ruf, ganz normal, wie das üblich ist; wir haben das Haus nicht besetzt, sondern wir sind eingezogen —,
haben wir ja auch die Liste der Verbände zu sehen bekommen, die in den letzten Jahren mit Millionen- und Abermillionen-Beträgen ausgestattet worden sind.
Viele aus Ihrer Fraktion haben sich ja durch eine Vielzahl von Briefen an den Minister und an mich bemüht, nun uns davon zu überzeugen, daß wir die Unterstützung der einzelnen Verbände weiterführen sollen.
Es ist Ihnen ja auch kein Geheimnis geblieben, daß einiges in diesem Bereich erheblich verändert worden ist, Herr Kollege Marx.
— Das hat mit Gleichschaltung gar nichts zu tun! — Wenn Sie wüßten — ich nehme zu Ihren Ehren an, daß Sie es nicht wissen, Herr Kollege Marx —, mit welcher Begründung für welche Organisationen Millionenbeträge ausgezahlt worden sind,
dann kann ich Ihnen nur sagen: Es ware gut, Sie würden sich einmal darum kümmern.
Ihnen würden dabei die Haare zu Berge stehen!
— Sehr verehrte Frau Kalinke, Sie sind viel zu lange in diesem Hause, als daß Sie nicht wüßten, was unter bestimmten Positionen als geheim auch für uns gilt.
Ich kann Ihnen nur sagen: Diese Regierung hat zum ersten Mal das erreicht, was die Sozialdemokraten mit Ihnen nicht erreicht haben und wir mit Ihnen nicht erreicht haben —
— Ach, „Gleichschaltung", — Herr Baier, dieses Geschwätz ist doch viel zu dumm.
Dazu ist mir dieses Thema auch viel zu ernst. Das lassen Sie mich sagen: Wir haben durchgesetzt, daß endlich die parlamentarische Kontrolle dieser Titel eingeführt wird.
Zum ersten Mal in diesem Jahr werden diese Titel von Abgeordneten aller drei Fraktionen eingesehen und die Bezuschussung der Verbände sowie die Begründung für die Bezuschussung der Verbände den Fraktionen dieses Hauses mitgeteilt, damit endlich dieser Stil aufhört, der in den vergangenen Jahren von Ihnen praktiziert worden ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rösing.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3087
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dorn hat die Frage an mich gestellt, wer von meiner Fraktion heute nachmittag bei der Abstimmung darauf gedrängt habe, daß die Berliner Abgeordneten getrennt ausgezählt werden. Ich erkläre zu dieser Frage des Kollegen Dorn, daß niemand meiner Fraktion
darauf gedrängt hat, daß die Berliner Stimmen getrennt ausgezählt werden. Die Auszählung ist durch den Vorstand an dem Auszählungstisch erfolgt, und der Präsident hat das Abstimmungsergebnis so bekanntgegeben, wie es hier im Hause üblich ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Mertes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß diese Feststellung des Kollegen Rösing zu meinem Bedauern bestreiten. Herr Kollege Rösing, ais ein Schriftführer — es war der Kollege Ruf — mit dem Ergebnis von drüben kam und Ihnen das Zahlenergebnis mitteilte, da haben Sie zu Herrn Ruf die Bemerkung gemacht — ich selbst stand dabei; ich habe Sie noch darauf hingewiesen, wenn Sie sich bitte erinnern wollen —, daß in diesem Fall getrennt ausgezählt werden müsse
— ja, Herr Kollege Rösing — und daß es Ihnen darauf ankomme, das Ergebnis ohne Berliner Stimmen zu erfahren.
Sie wissen genau, es ging um den Einzelplan 04, und da hatten Sie im stillen die Hoffnung, daß ohne Berliner Stimmen das Ergebnis für Sie besser wäre als mit Berliner Stimmen.
Herr Kollege Rösing, ich bedaure, daß ich. diese Tatsachen hier feststellen muß. Aber nach Ihrer Bemerkung blieb mir in der Tat nichts anderes übrig.
Ich stelle nur fest, daß es nicht unsere Praxis ist, jeweils aus Opportunitätsgründen zu entscheiden, ob die Berliner Stimmen mitgezählt werden sollen oder nicht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rawe?
Bitte sehr.
Herr Kollege Mertes, würden Sie bitte auch so freundlich sein und bekanntgeben, wie bislang bei namentlichen Abstimmungen das Stimmergebnis hier bekanntgegeben worden ist? — Nämlich genau in der Weise, die Sie jetzt beanstanden.
Ich will Ihre Frage gern beantworten. Wir Freien Demokraten sind der Meinung, daß die Kollegen aus Berlin bei allen Abstimmungen über Haushaltsfragen voll stimmberechtigt sind.
Wir sind in der Tat ja auch in den meisten Fällen so verfahren, daß die Stimmen zusammengezählt wurden. Wir halten es deshalb für völlig überflüssig, daß nur bei namentlichen Abstimmungen eine Ausnahme davon gemacht wird.
Herr Abgeordneter Mertes, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wohlrabe?
Ja, bitte!
Herr Kollege Mertes, ist Ihnen bekannt, daß in der letzten Legislaturperiode, wie mir heute der Kollege Kurt Mattick berichtete, der Kollege Dorn vorn an der Eingangstür zu diesem Plenarsaal Berliner Abgeordnete daran gehindert hat, an einer Abstimmung teilzunehmen?
Herr Kollege Wohlrabe, ich bezweifle, daß es sich so verhalten hat, wie Sie es hier darzustellen versuchen. Aber ich bin kein Übermensch. Sie fühlen sich als solcher. Ich bekenne in aller Bescheidenheit: Ich bin kein Übermensch, ich bin nicht überall in diesem Hause. Wenn es der Kollege Dorn für zweckmäßig hält,
wird er dazu Stellung nehmen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rawe?
Bitte, Herr Kollege Rawe!
Herr Kollege, da Sie meine erste Frage offensichtlich nicht verstanden haben, möchte ich sie noch einmal wiederholen. Ich hatte Sie nicht danach gefragt, wie wir allgemein bei Haushaltsberatungen abgestimmt haben, sondern ich hatte Sie gebeten, zu sagen, wie wir in den letzten 25 Jahren das Abstimmungsergebnis bei namentlichen Abstimmungen festgestellt haben.
Verehrter Herr Sollege Rawe, darum geht es hier gar nicht. Ich habe Ihnen dazu meine grundsätzliche Meinung und die grundsätzliche Meinung meiner Fraktion gesagt. Hier ging es allein darum, daß der Kollege Rösing Wert darauf
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Merteslegte, daß bei dieser Abstimmung ein Unterschied gemacht wurde.
Meine Damen und Herren, ich erteile zunächst dem Abgeordneten Ruf das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe als Schriftführer und Mitglied des Ältestenrates um das Wort gebeten. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß bei namentlichen Abstimmungen die Simmen der Berliner .Abgeordneten seit eh und je getrennt gezählt und dem Präsidenten gemeldet werden. So sind wir heute verfahren, so sind wir immer verfahren.
Das Wort hat der Abgeordnete Collet.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mich jetzt nicht mit der Frage auseinandersetzen, die hier von Herrn Ruf angesprochen wurde, wie wir bisher und immer abgestimmt haben. Ich gehe von der Argumentation des Kollegen Wohlrabe und von der anschließenden Behauptung des Herrn Kollegen Rösing aus. Ich saß mit am Tisch der Auszähler. Wir hatten schon die blauen und die roten Stimmkarten vor uns liegen — die Karten der Berliner Abgeordneten waren darunter —, als von einem Kollegen Ihrer Fraktion ausdrücklich verlangt wurde, getrennt auszuzählen. Das wollte ich hier nur feststellen.
Das Wort hat der Abgeordnete Moersch.
Herr Abgeordneter Hermsdorf, halten Sie Ihre Wortmeldung aufrecht?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Damit in diesem Protokoll keine falschen Behauptungen stehenbleiben, möchte ich zu der Abstimmung über die damalige Verfassungsänderung folgendes anmerken. Der Kollege Dorn hat dem Präsidenten — Herr Mommer hat präsidiert — damals eine getrennte Auszählung vorgeschlagen, weil nicht die gesamte Große Koalition bereit war, für die Finanzverfassungsreformvorschläge zu stimmen. Für die Annahme war ja eine Zweidrittelmehrheit der Mitglieder des Hauses nötig; darum ging es. Es bestand die Gefahr, daß die Tatsache, daß die Stimmen — das war damals keine namentliche Abstimmung, sondern eine Auszählung, Herr Wohlrabe; das ist nämlich ein großer Unterschied — nicht getrennt nach voll stimmberechtigten und Berliner Abgeordneten ausgezählt
worden sind, für irgend jemanden, z. B. eine Gemeinde, die mit der Verfassungsänderung nicht einverstanden gewesen wäre, ein Anfechtungsgrund gewesen wäre. Wenn diese formale Feststellung der für die Verfassungsänderung notwendigen Zweidrittelmehrheit im Protokoll nicht getroffen worden wäre, hätte das zu einer Rechtsunsicherheit führen können. Das wurde damals im Hause besprochen, und das sollte niemandem Anlaß zur Polemik sein, der dabei war. Ich stelle auch fest, daß kein Kollege, der dabei war, eine solche Behauptung aufgestellt hat.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Aussprache zum Einzelplan 27 wurde hier von Diskussionsrednern an die Regierung die Frage gerichtet, an welchen Grundauffassungen sie sich orientiere, um ihre Politik zu betreiben. Diese dauernden zweifelnden Fragen möchte ich noch einmal in aller Deutlichkeit in der Weise beantworten, daß ich sage: Die Politik der Bundesregierung orientiert sich an der Regierungserklärung und auch an dem Bericht zur Lage der Nation, der am 14. Januar dieses Jahres hier abgegeben worden ist, um in diesen Fragen, die uns hier bewegen, jedes Mißverständnis ausräumen zu helfen.
— Auch dazu komme ich noch, Herr Kollege MüllerHermann. Die Frage nach dem Grundgesetz — wie wir es damit halten — ist eigentlich schon in der Fragestellung eine sehr dubiose Sache.
Ich möchte meinen, daß sich diese Bundesregierung von niemandem übertreffen läßt in der Verpflichtung, in der sie sich gegenüber dem Grundgesetz weiß, ,und daß diese Bundesregierung auch nicht unterteilt und differenziert zwischen Absicht, Wollen und Handeln, sondern daß sie eine Sprache spricht und sich in dieser Auffassung auch mit den Regierungsparteien einig weiß. Eigentlich sollten das auch andere Abgeordnete des Hauses bereits aus der Praxis erkannt haben.Hier nun, meine sehr geehrten Damen und Herren, geht es um den Einzelplan 27 des Haushaltsplanes und dabei um zwei konkrete Anliegen, die Sie unterbreitet haben. Einmal geht es darum, das Vorwort zu diesem Einzelplan zu ändern, um darin eine politische Orientierung zum Ausdruck zu bringen. Zum anderen geht es Ihnen darum, daß Sie in jenem Tit. 53101 — Herstellung, Erwerb und Verbreitung von Publikationen gesamtdeutschen Charakters — die Haushaltstitel kürzen wollen. Diese Ansätze wollen Sie jährlich um 300 000 DM gekürzt wissen. Ich werde dazu noch einiges sagen. Aber zunächst lassen Sie mich etwas zu der Vorbemerkung zum Haushaltsplan ausführen, um deut-
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Bundesminister Frankelich zu machen, welche Absicht bei dieser Formulierung Pate stand.Das Vorwort des Ihnen vorliegenden Haushaltsplanes, das der erfolgten Umbenennung des Ministeriums Rechnung trägt, umreißt klar und deutlich die Funktionen des Ministeriums. Ich glaube, das ist die Aufgabe des Haushaltsplans: in dieser Vorbemerkung deutlich zu machen, um was es geht.Die Funktionen des Ministeriums sind umrissen aus den Erfordernissen der politischen Entwicklung, die dazu beigetragen haben, daß wir meinen, sehr deutlich zum Ausdruck bringen zu sollen, daß das grundlegende Prinzip, der Einheit der Nation zu dienen, mit dem ganzen Gewicht seiner Aussage allen Aufgaben des Hauses vorangestellt ist. Das wird zusätzlich durch den formulierten Auftrag noch verstärkt, in dem es heißt: den Zusammenhalt unseres Volkes zu stärken. Ich meine, auch das muß dabei zum Ausdruck gebracht werden, und alle Damen und Herren, die an der praktischen Arbeit mitbeteiligt sind, werden nicht in Zweifel ziehen können, daß die Arbeit des Hauses darauf abgestellt ist.Darüber hinaus trägt auch die Formulierung der Aufgabe, „die deutschlandpolitische Verantwortung der Bundesregierung wahrzunehmen, insbesondere in Gesetzgebung und Verwaltung die Bemühungen der verschiedenen Ressorts zu koordinieren", der praktischen Wirksamkeit dieses Hauses Rechnung. Daß das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen nach dem Willen der Bundesregierung diese Aufgabe auch tatsächlich durchführen soll, wird damit noch einmal besonders betont. Die Frage der Öffentlichkeitsarbeit, die das Ministerium wahrzunehmen hat, wird genau wie in früheren Jahren durch den Passus „den gesamtdeutschen Gedanken zu fördern" gekennzeichnet. Hier sind keine Änderungen eingetreten.Wenn es schließlich heißt, daß das Ministerium „an Maßnahmen zur wirtschaftlichen Gesundung und kulturellen Entwicklung der Gebiete an der Demarkationslinie und in anderen Grenzbereichen mitzuwirken" habe, so entspricht diese Formulierung dem bisherigen Text „die dem deutschen Volkstum drohenden Gefahren, besonders in den Grenzgebieten, abzuwehren". Auch wenn inhaltlich dasselbe gesagt wird, sind in der jetzigen Fassung die Aufgaben des Ministeriums dargestellt und erkennbar.Die Rolle Berlins schließlich wird nicht als Besonderheit hervorgehoben, sondern als Selbstverständlichkeit in allen Arbeiten und Planungen meines Hauses berücksichtigt.Das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen hat in den vergangenen Jahren für die Koordinierung der Politik der Bundesregierung gegenüber der DDR eine besondere Bedeutung erlangt. Das gilt nicht nur für die Vorbereitung und Durchführung der Gespräche in Erfurt und Kassel, sondern auch für die Koordinierung der Verhandlungen mit der DDR auf anderen Gebieten. Wenn ich davon ausgehe, daß auch die jetzige Opposition zur Zeit der Großen Koalition der Notwendigkeit, die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschlandund der DDR zu verbessern, im Prinzip zugestimmt hat, frage ich mich, welchen Sinn die Ablehnung des Haushalts des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen eigentlich haben kann.
Es ist doch unvorstellbar, daß die Alternative zur Deutschlandpolitik der Bundesregierung „keine Deutschlandpolitik" heißen sollte; denn darauf würde es ja letztlich abzielen, wenn Sie für Ihr Begehren eine Mehrheit in diesem Hause erringen könnten. Ich möchte auch meinen, auf nichts mehr und nichts weniger läuft schließlich Ihre Ankündigung, den Haushalt abzulehnen, hinaus, wenn nicht der Gedanke dahintersteht, daß man das gefahrlos tun könne, weil man auf Grund der gegebenen Mehrheitsverhältnisse das gesteckte Ziel gar nicht erreichen kann.Deutschlandpolitik, meine Damen und Herren, ist auch eine Woche vor dem 14. Juni eine Frage, die uns alle hier im Hause angeht und die wir vor unserem gesamten Volk vertreten müssen. Darüber hinaus bitte ich Sie, auch zu bedenken, welche konkreten Konsequenzen Ihre ablehnende Haltung, wenn sie hier eine Mehrheit fände, hätte. Ich darf Ihnen einige Beispiele nennen, die schwerwiegende Auswirkungen auf die Durchführung der nicht umstrittenen Aufgabenstellung des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen hätten.Allein im Randgebiet zur DDR und zur Tschechoslowakei wurden im Jahre 1969 über 150 Schulen und Kindergärten aus den Mitteln meines Hauses gefördert. Ohne die erheblichen Zuwendungen des Bundes hätten die meisten dieser Schulen und Kindergärten nicht errichtet werden können. In diesem Jahr sind für den Schul- und Kindergartenbau 22 Millionen DM vorgesehen. Wollen Sie eine Einstellung dieser Maßnahmen?
Für kulturelle Maßnahmen, wie z. B. Erwachsenenbildung, Büchereiwesen, Häuserpflege, Heimat- und Denkmalpflege, Theater und Festspiel, Bau von Schülerheimen und Einrichtungen von Schulen, ist ein Betrag von 12 Millionen DM ausgewiesen. Ich glaube, es bedarf keiner weiteren Erläuterung, wie bedeutsam diese Maßnahmen für die Bevölkerung im Zonenrandgebiet sind.
Wie Ihnen bekannt ist, fördert mein Ministerium seit langem Reisen nach Berlin und an die Grenze mitten durch Deutschland. Es wird doch niemand in diesem Hause sein, der die praktische Anschauung der Situation Berlins und des Gebiets entlang der Grenze mitten durch Deutschland den interessierten Bürgern unseres Landes vorenthalten möchte. Ich jedenfalls bin froh, daß das Interesse der Bevölkerung im Bundesgebiet, auch diesen Teil der deutschen Wirklichkeit an Ort und Stelle kennenzulernen, seit Jahren in erheblichem Umfang zugenommen hat und zunimmt.Wollen Sie ferner durch die Ablehnung dieses Haushalts erreichen, daß den Rentnern, die mit nur 10 DM versehen für vier Wochen aus der DDR in die3090 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, der 4. Juni 1970Bundesminister FrankeBundesrepublik kommen können, von uns keine Hilfe mehr bekommen sollen?
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Althammer? — Bitte schön!
Herr Minister, nachdem Sie immer wieder die Frage stellen, ob wir alle diese Sachleistungen ablehnen wollen, darf ich Ihnen die Frage stellen: Würden Sie sagen, daß in den Jahren, als die SPD in der Opposition war, eine solche Folgerung aus der Ablehnung, die Sie damals bei den Haushalten ausgesprochen haben, etwa zu ziehen gewesen wäre?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte darauf antworten, daß die Sozialdemokraten in der Zeit, in der sie in der Opposition standen, sich in solchen Fragen, wenn sie ihre Oppositionsposition deutlich machen wollten, der Stimme enthielten, aber nicht dagegen stimmten. Das war ihre Form.
Sie lehnen diesen Haushalt ab und gefährden damit das, was jetzt noch dazu beiträgt, die geringe Bindung, die zwischen den beiden Teilen Deutschlands besteht,
jedenfalls in etwa aufrechtzuerhalten. Das ist die Konsequenz; das können Sie nicht leugnen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wohlrabe?
— Meine Damen und Herren, es ist Sache des Redners, zu entscheiden, ob er eine Zwischenfrage zuläßt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr!
Bitte sehr, Herr Kollege Wohlrabe!
Sehr geehrter Herr Minister, ist Ihnen bekannt — und ich habe hier mittlerweile die Niederschrift meiner Rede —, daß ich einleitend gesagt habe, daß diesem Etat in finanziellen Dingen in jeder Hinsicht und damit auch in jeder einzelnen Etatposition in einvernehmlicher Regelung — das habe ich bewußt vorangestellt: in einvernehmlicher Regelung — die Zustimmung gegeben werden konnte durch die Berichterstattung,
daß aber -- und so ist es nun einmal, wenn man nicht nur Buchhalterpolitik betreibt, sondern politische Arbeit -- wir der Auffassung sind,
daß hier in der politischen Gesamtlinie eine Ablehnung anfällt? Ich bitte, dieses — und ich wäre sehr dankbar, wenn Sie das bestätigen könnten — doch bei Ihrer Aussage zu vermerken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Fragestellung war zwar etwas schwierig zu erkennen, aber ich habe sehr aufmerksam zugehört. Das enthebt mich aber nicht der Feststellung, zu welchen Konsequenzen Ihr Begehren führt, und deshalb meine ich, daß ich ruhig den Katalog der weiteren Maßnahmen vortragen sollte, damit die ganze Bedeutung dieses schizophrenen Verhaltens — so möchte ich es bezeichnen — erkennbar wird.
Sehen Sie, für diese Maßnahmen, die ich eben aufzählte — und diese Mittel werden zur Verfügung gestellt, weil wir nicht nur reden, sondern handeln —, ist der größte Teil unseres Haushalts vorgesehen, nämlich fast 70 Millionen DM. Die von der Opposition angegriffene Öffentlichkeitsarbeit meines Hauses umfaßt folgende Bereiche — nämlich jene, die Sie um 300 000 DM jährlich kürzen wollen; damit das auch noch deutlich wird —:
Die Zusammenarbeit mit Funk, Presse, Fernsehen und Film über die aktuelle Unterrichtung hinaus, insbesondere durch Versorgung mit Arbeitsunterlagen sowie dokumentarischem Material, weiter die Zusammenarbeit mit den verschiedensten Organisationen, Verbänden, Bildungsstätten, auch und gerade mit Jugend-, Studenten- und Schülerorganisationen, insbesondere durch Förderung politischer Bildungstagungen, Seminare und Vortragsveranstaltungen, Informationen durch Ausstellungen, Filmveranstaltungen, Dokumentationen für Lehrzwecke, Förderung und Herausgabe von Publikationen, insbesondere Dokumentationen, Analysen, Informationsschriften und Merkblätter, ohne die überhaupt nicht die Möglichkeiten gegeben sind, in etwa der gegebenen Situation im anderen Teil Deutschlands Rechnung zu tragen, um Briefe, Päckchen und ähnliches hinüberschicken zu können.
Die schon genannte Förderung von Studienfahrten nach Berlin und an die Grenze und schließlich die Förderung innerdeutscher Begegnungen.Diese Öffentlichkeitsarbeit, die nichts mit Propaganda zu tun hat, wäre durch Kürzungen ernsthaft gefährdet.
Die Haltung der Opposition, den Haushalt des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen insgesamt abzulehnen, ist nicht nur unverständlich, sondern steht in erklärtem Gegensatz zu ihren Wünschen im Hinblick auf Verstärkung der Aktivitäten der Bundesregierung gerade in diesem Bereich.Wie stark diese Konsequenz ist, zeigt sich nicht nur im großen, sondern im konkreten Einzelfall,
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970 3091
Bundesminister Frankez. B. bei Ihrer Forderung, den Tit. 53 101 um 300 000 DM zu kürzen. Hier verlangen Sie doch praktisch, daß wir jener Informationspolitik nicht mehr nachkommen sollen, deren Erfüllung Sie andererseits bei jeder sich bietenden Gelegenheit von uns fordern.
Wir können nicht und wollen nicht wie früher die innerdeutsche und gesamtdeutsche Informationsarbeit an den allgemeinbildenden Schulen vernachlässigen. Die Kultusministerkonferenz, mit der wir über diese Frage ausführlich gesprochen haben, hat zusammen mit uns festgestellt, daß gerade auf diesem Gebiet eine große Informations- und Wissensnotwendigkeit besteht. Dafür tragen wir alle zusammen auch im Hinblick auf die Zukunft die Verantwortung.Es scheint mir geboten zu sein, daß die Schüler ihre Informationen über Deutschland und seine Probleme im Zusammenwirken mit den Kultusministerien und von dem dafür zuständigen Ministerium erhalten. Wir wollen dabei keine einseitige Darstellung der Regierungspolitik geben, sondern ganz einfach das zeitgeschichtliche und aktuelle Wissen dokumentarisch vermitteln. Deshalb bedauern wir, daß Sie gerade hier Ihre Mitarbeit verweigern, wo Sie nach Lage der Dinge und in Ihrem eigenen Interesse eigentlich zustimmen müßten.Wenn die von meinem Hause zusätzlich beantragten Mittel von 500 000 DM ,auf 200 000 DM reduziert werden sollten, fällt dieser wichtige Teil der Informationsarbeit praktisch aus. 500 000 DM sind ohnehin schon das Minimum dessen, was unbedingt erforderlich ist. Außerdem verringern sich — auch dies möchte ich ausdrücklich betonen praktisch die bisherigen Möglichkeiten um weitere 200 000 bis 300 000 DM, wenn wir den Gesamttitel betrachten,
denn gerade auf dem Sektor der Publikationen sind die Herstellungskosten erheblich gestiegen.Wer also möchte, daß wir in Zukunft gezwungen sind, den Bürgern und insbesondere den Schülern nicht die notwendigen Informationen über die Probleme und die Situation Deutschlands geben zu können, der möge in diesem Fall für eine Kürzung eintreten. Der soll dann aber auch sagen, was dies tatsächlich bedeutet. Darum meinte ich, bevor Sie sich entscheiden, Ihnen das noch einmal in aller Ausführlichkeit vor Augen führen zu sollen.Nun noch eines zur allgemeinen Politik meines Hauses und der Bundesregierung überhaupt. Sie haben hier im Lande so wunderschöne Plakate angeschlagen. Darauf steht: Zwei Schritte voran und keinen zurück.
— Sehr richtig! Ich will Ihnen etwas sagen: Wir waren 1967 schon viel weiter, als wir es heute sind. Damals wurde hier im Hause von jemandem gesagt: Wir müssen uns ehrlich fragen, ob Bemühungen um eine friedliche Lösung überhaupt einen Sinnhaben, ob wir nicht, statt trügerische Hoffnungen zu wecken, warten müssen, bis der Geschichte etwas Rettendes einfällt, und uns bis dahin darauf beschränken, das zu bewahren, was uns geblieben ist. Eine solche rein defensive Politik würde von Jahr zu Jahr in größere Bedrängnis führen. Sie würde uns nicht nur keinen Schritt vorwärtsbringen, sie könnte uns auch das gar nicht bewahren, was sie bewahren will; denn die Zeit wirkt nicht für uns. Der das gesagt hatte, war der damalige Bundeskanzler Kiesinger am 7. Juni 1967.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wohlrabe?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was heute von Ihnen vertreten wird,
scheint mir weit hinter das zurückgefallen zu sein, was wir damals gemeinsam erreicht hatten.
Dafür hat auch die Bevölkerung draußen kein
Verständnis Hören Sie sich um dann haben Sie
Veranlassung, sich in Ihrer Auffassung zu revidieren, aber nicht wir als Bundesregierung!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kliesing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als der Herr Minister eben so alle förderungswürdigen Angelegenheiten und Titel seines Haushalts aufzählte und dann meinte, das müßten wir doch unterstützen und deshalb seinem Haushalt zustimmen, kam mir die Erinnerung an unseren Kollegen Erler. Herr Minister, Sie werden sich selbst so gut erinnern wie ich, dali der Kollege Erler jedes Jahr bei den Haushaltsberatungen hier heraufkam und sagte: Wenn dieSPD gegen den Haushalt des Verkehrsministers stimmt, dann bedeutet das noch lange nicht, daß sie keine Straßen bauen will.
Ich möchte Sie eigentlich bitten, Herr Minister, sich diese, wie ich glaube, sehr vernünftige Auffassung heute abend zu eigen zu machen.Wir haben gar nichts gegen Ihre Informationsschriften. Wir halten Ihre Schülerheime und all die anderen schönen Sachen und Hilfsmaßnahmen für die Zonenrandgebiete, die Sie uns vorgetragen haben, für durchaus förderungswürdig Aber so, wie der Kollege Erler und Ihre Fraktion Straßen bauen wollten und trotzdem aus politischen Gründen den Haushalt des Verkehrsministers ablehnten, machen wir es mit Ihrem Haushalt. Also bitte, verbreiten Sie nicht die Legende, daß diese Ihre sachlichen Angelegenheiten nicht unterstützen, sondern nehmen Sie zur Kenntnis, daß wir Ihre und die Deutschlandpolitik Ihrer Regierung — insbesondere im Hinblick auf das, was in einer ganzen Anzahl
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3092 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1970
Dr. Kliesingder 20 Punkte von Kassel steht — für gefährlichund für verderblich für die deutsche Nation halten!
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der Aussprache und kommen zur Abstimmung. Ich muß über beide Anträge gesondert abstimmen lassen.
Wer dem Änderungsantrag Umdruck 46 der Fraktion der CDU/CSU zu Einzelplan 27 zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 47 zur zweiten Beratung des Einzelplans 27 auf. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Keine Stimmenthaltungen. Der Antrag ist ebenfalls abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über Einzelplan 27. Wer Einzelplan 27 in der nun vorliegenden Fassung zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Bei zwei Stimmenthaltungen mit Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.
Ich rufe noch drei Einzelpläne auf, die, soweit ich das übersehen kann, ohne Aussprache behandelt werden können.
Ich rufe Punkt 22 auf:
hier: Einzelplan 32 Bundesschuld
— Drucksache VI/841 —
Berichterstatter: Abgeordneter Strohmayr
Ich frage den Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. — Das ist nicht der Fall. — Das Wort wird auch anderweitig nicht gewünscht.
Wer Einzelplan 32 in der vorliegenden Fassung zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Bei zahlreichen Stimmenthaltungen angenommen.
Ich rufe Punkt 23 auf:
hier: Einzelplan 33 Versorgung
— Drucksache VI/842 —
Berichterstatter: Abgeordneter Schröder
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. — Das Wort wird nicht — auch nicht aus dem Hause — gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer Einzelplan 33 zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 35 auf: Einzelplan 35
Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte
— Drucksachen VI/843, /854 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Bußmann
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich frage, ob zur Aussprache das Wort gewünscht wird. — Das ist auch nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung.
Wer dem Einzelplan 35 in der nun vorliegenden Fassung in der zweiten Beratung zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende unserer Beratungen. Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Mick nach § 35 der Geschäftsordnung das Wort zu einer persönlichen Bemerkung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler beschloß heute morgen seine Rede — ich zitiere sinngemäß — mit dem Satz: Ich halte es mit dem alten Wort: was mich nicht umwirft, macht mich stärker. — Ich machte daraufhin den Zwischenruf: „Das hat schon Dr. Goebbels gesagt!" — Inzwischen habe ich mich belehren lassen, daß dieses Wort von Friedrich Nietzsche stammt.
Ich persönlich hörte es im Rundfunk bei einer Rede von Dr. Goebbels im Berliner Sportpalast. Ich betone ausdrücklich, daß mir nichts ferner liegt, als den Herrn Bundeskanzler mit der eben genannten Person in irgendeine Verbindung zu bringen.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete von Wrangel, und zwar ebenfalls zu einer persönlichen Bemerkung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Wort „Gesinnungswandel", das ich gebraucht habe, ist mißdeutet worden. Ich möchte ausdrücklich betonen, daß ich mit dem Wort „Gesinnungswandel" einen konkret erkennbaren Auffassungswandel in der SPD-Fraktion gemeint habe.
Meine Damen und Herren! Wir stehen am Ende unserer heutigen Beratungen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 5. Juni, 8 Uhr, ein. Wir beginnen mit der Fragestunde. Die Fraktionen haben vorgeschlagen, die Haushaltsberatung dann mit dem Einzelplan 14 zu beginnen.
Die Sitzung ist geschlossen.