Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich bemerken, daß die Fragestunde erst um 14.00 Uhr aufgerufen wird.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden um dieBeratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung betr. Änderung und Ergänzung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages— Drucksache VI/521 —Ist das Haus mit der Erweiterung einverstanden? —Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Sodann soll die Tagesordnung ergänzt werden um dieWahl eines Mitglieds des Verwaltungsrates der Lastenausgleichsbankund um dieWahl eines Mitglieds des Vermittlungsausschusses.— Auch hier höre ich keinen Widerspruchs. Ich darf dann diese beiden Punkte vorwegnehmen.Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom 29. April 1970 als Mitglied des Verwaltungsrates der Lastenausgleichsbank Herrn Leukert, München, zur Wiederwahl vorgeschlagen. Ist das Haus mit diesem Vorschlag einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist Herr Leukert gemäß § 7 Abs. 4 des Gesetzes über die Lastenausgleichsbank als Mitglied des Verwaltungsrates gewählt.Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom 29. April 1970 für den Abgeordneten Blank, der als ordentliches Mitglied des Vermittlungsausschusses ausscheidet, den Abgeordneten Russe benannt. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen. Der Abgeordnete Russe ist als ordentliches Mitglied des Vermittlungsausschusses gewählt.Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Vorsitzende des Vermittlungsausschusses hat am 29. April 1970 mitgeteilt, daß der. Vermittlungsausschuß das vom Deutschen Bundestag in seiner 39. Sitzung am 18. März 1970 beschlosseneDritte Gesetz zur Reform des Strafrechtsbestätigt hat. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/730 verteilt.Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft hat am 29. April 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Jenninger, Dr. Häfele, Dr. Miltner, Schulte und Genossen betr. Bereitstellung von Bundesfördermitteln für Baden-Württemberg — Drucksache VI/609 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/708 verteilt.Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 29. April 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Häfele, Burger, Dr. Evers, Dr. Furler, Frau Kalinke, Müller und Genossen betr. unterschiedliche Rechtsvorschriften im Sozialversicherungsrecht in einzelnen Bundesländern — Drucksache VI/440 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/713 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat am 30. April 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Schirmer, Dr. Müller-Emmert, Müller , Brück, Wende, Metzger, Wrede, Schmidt (München), Dr. Müller (München), Schmidt (Kempten), Krall, Jung und Genossen und der Fraktion der FDP betr. Tätigkeit von Sportpädagogen und Fachberatern im Ausland — Drucksache VI/556 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/729 verteilt.Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriftender Mitgliedstaaten über alkoholfreie Erfrischungsgetränke— Drucksache VI/681 —überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über die Finanzierung von Interventionsausgaben auf dem Binnenmarkt für Rindfleisch— Drucksache VI/682 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 886/68 zur Festsetzung des Richtpreises für Milch sowie der Interventionspreise für Butter, Magermilchpulver, Grana Padano und Parmigiano-Regiano für das Milchwirtschaftsjahr 1968/69— Drucksache VI/690 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 950/68 des Rates vom 28. Juni 1968 über den Gemeinsamen Zolltarif— Drucksache VI/693 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft , Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVorschlag einer Verordnung des Rates zur Aufstellung der Grundregeln für die Lieferung von Butter und Magermilchpulver an unterentwickelte dritte Länder, an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und an die Joint Church AidEntwurf einer Entschließung des Rates über die Finanzierung und Lieferung von Butter und Magermilchpulver an Entwicklungsländer
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2476 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Vizepräsident Dr. JaegerEntwurf eines Beschlusses des Rates betreffend die Aushandlung der verschiedenen Verträge mit einigen Entwicklungsländern, dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz und der Joint Church Aid— Drucksache VI/699 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten , Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatDamit komme ich zu Punkt 2 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Durchführungsgesetzes zum Gesetz über einen Ausgleich für Folgen der Aufwertung der Deutschen Mark auf dem Gebiet der Landwirtschaft— Drucksachen VI/602, zu VI/602 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung—Drucksache VI/707 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. von Bülowb) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksachen VI/706, zu VI/706 — Berichterstatter: Abgeordneter Saxowski
Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Saxowski, für seinen Schriftlichen Bericht. Sind mündliche Ergänzungen notwendig? — Das ist nicht der Fall.Ich rufe in der zweiten Beratung die §§ 1 bis 5 auf. Wird hierzu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich lasse abstimmen. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.Ich komme damit zu § 6 und zu dem dazu vorliegenden Änderungsantrag*). Er wird begründet vom Herrn Abgeordneten Kiechle.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der uns vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Ausgleich für die Folgen der Aufwertung der Deutschen Mark auf dem Gebiet der Landwirtschaft ist ein Gesetz mit Grundsatzbedeutung. Es basiert auf dem Versprechen der Bundesregierung, keinen Preisdruck auf die Landwirtschaft auszuüben. Insofern ist es allerdings ein fragwürdiger Notbehelf. Ich möchte darauf hinweisen, daß die späte Vorlage dieses Gesetzes finanzielle Nachteile für die Landwirte hat. Die diesem Gesetz innewohnende Teilzweckbindung von Mitteln für soziale Zwecke ist mit dem Prinzip der Schadenserstattung nicht zu vereinbaren. Soziale Maßnahmen sind keine Einkommenserstattung. Es wäre auch gut, wenn die Bundesregierung den durch einen ihrer Sprecher erhobenen Vorwurf, die deut-
*) Siehe Anlage 2 sche Landwirtschaft sei Aufwertungsgewinner, zurücknähme. Dieser Vorwurf ist sachlich falsch.
Was uns aber völlig unverständlich erscheint, ist die Form der Verteilung der Mittel. Das vorliegende Gesetz hat auch agrar- und strukturpolitischen Charakter. Es sollte daher unter Berücksichtigung des Art. 91 a des Grundgesetzes von den Ländern durchgeführt werden. Wir würden es begrüßen, wenn die Bundesregierung mit den Fachministern der Länder als den sachlich Zuständigen und, vom föderativen Aufbau der Bundesrepublik her gesehen, Kompetenten zusammenarbeitete.
Statt dessen sieht der Gesetzentwurf entgegen den auf der Agrarministerkonferenz vom 23. Januar getroffenen Vereinbarungen eine Einschaltung der Alterskassen vor. Dies ist ein fragwürdiger Stil der Zusammenarbeit. Besonders wegen der von verschiedenen Seiten innerhalb der Bundesregierung in der letzten Zeit angedeuteten Möglichkeit einer Trennung von Preis- und Einkommenspolitik für die Landwirtschaft ist dieses Vorgehen unverständlich. Wir lehnen allerdings eine derartige Trennung von Preis und Einkommen ab. Auch neueste Vorschläge aus Brüssel deuten auf verstärkte Regionalisierung der landwirtschaftlichen Struktur- und Föderungspolitik hin.
Dies macht eine Zusammenarbeit mit den Länderministern um so notwendiger. Die Länder sind in der Lage, den Einkommensausgleich schnell und reibungslos auszuzahlen. Sie verfügen über ein dichtes Netz fachlicher Dienststellen. Es besteht aus dieser Sicht keine Notwendigkeit, entgegen dem Votum des Bundesrates zu handeln und der deutschen Landwirtschaft einen Teil ihres Einkommens über eine soziale Einrichtung zu erstatten. Den im Zusammenhang mit dieser Frage bereits erhobenen Vorwurf, die Länder verfolgten wahltaktische Ziele, weisen wir zurück. Er mutet einfach lächerlich an.
Schließlich verweisen wir auf die Gefahr einer verzögerten Auszahlung des Schadensausgleichs, die durch die Anrufung des Vermittlungsausschusses seitens des Bundesrates entstehen könnte. Die Verantwortung dafür müßte die Bundesregierung übernehmen.
Die juristische Begründung für unseren Änderungsantrag zum vorliegenden Gesetzentwurf wird der Kollege Hauser übernehmen. Unabhängig davon bitte ich das Hohe Haus, unserem Änderungsantrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Saxowski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte, den Änderungsantrag zu § 6 auf Umdruck 23 abzulehnen und es beim Beschluß des Ernährungsausschusses zu belassen. Herr Kiechle, meine Herren von der
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SaxowskiCDU/CSU, wir sind nicht der Auffassung, daß hier eine Verzögerung eintritt, sondern wir waren uns, glaube ich, in dem vorbereitenden Ausschuß, dessen Leitung ich selbst hatte, bis auf eine Stimme darüber einig, daß es bei der Regelung über die Alterskassen bleiben sollte. Die verfassungsmäßigen Bedenken — das steht doch wohl einwandfrei fest — sind ausgeräumt. Wahltaktische Manöver in bezug auf die Länder liegen uns völlig fern. Uns geht es doch einzig und allein darum, die Auszahlung des Aufwertungsausgleichs möglichst schnell — und das heißt: vor der neuen Ernte — zu erreichen. Darüber waren wir uns einig.
Das steht im Mittelpunkt unserer politischen Überlegungen.Ich glaube auch nicht, daß der Bundesrat aus rein pragmatischen Erwägungen hiergegen Einspruch erhebt; denn ihm wird wie den Ländervertretern auch daran gelegen sein, eine möglichst schnelle Auszahlung zu erreichen.Im übrigen ist die Auffassung des Bundesrates gar nicht so einstimmig. Sie haben damit argumentiert, daß im Augenblick nur die Stadtstaaten für die Alterskassenregelung sind. Dem darf ich entgegenhalten, daß sich im Bundesrat auch große Flächenstaaten der Alterskassenregelung anschließen.Weiterhin darf ich darauf hinweisen, daß sich auch der Bauernverband für die Auszahlung durch die Alterskassen ausgesprochen hat. Im Lande Nordrhein-Westfalen — aus dem ich komme — sind die Auffassungen der beiden Kammerpräsidenten sehr kontrovers. Während der eine die Auszahlung über die Länder fordert, verlangt der andere die Auszahlung über die Alterskassen. Auch das bitte ich in Ihre Beurteilung der Situation mit einzubeziehen. Über diese Fragen einen Krieg zu entfachen hielte ich für völlig verfehlt.Die verfassungsrechtlichen Bedenken sind ausgeräumt. Darüber gibt es auch keine Diskussion mehr.Uns geht es zunächst darum, daß keine besonderen Kosten entstehen. Die Alterskassen haben sich verpflichtet, die Verteilung ohne weitere Unkosten, d. h. ohne Abzug von den 920 Millionen DM — das liegt Ihnen ja auch am Herzen —, zügig durchzuführen. Das bedeutet, daß die Landwirtschaft bis Ende Juli in den Genuß dieses Aufwertungsausgleichs kommen wird. Ich bitte, das zu bedenken.Auf der anderen Seite muß man sehen, daß auch die Möglichkeiten der Länder in dieser Frage sehr unterschiedlich sind. Da gibt es überhaupt kein einheitliches Bild. Wenn das Land Bayern in der Lage ist, über den Dieselkraftstoffausgleich vielleicht schneller zu zahlen, können wir auch den Stichtag 1. Januar, von dem ausgegangen wird, nicht zugrunde legen, sondern wir müssen auf Grund der Koeffizienten immer die bestellte Fläche in Rechnung stellen.Ich darf noch einmal erwähnen, daß die Alterskassen Katasterunterlagen von rund 880 000 Betrieben für die Auszahlung besitzen und daß dieAuszahlung für ungefähr 200- bis 225 000 Betriebe im Antragsverfahren abgewickelt werden muß. Auf Grund dieser Situation glaube ich, daß wir gut beraten wären, es bei dem Antrag des Ernährungsausschusses zu belassen.Ich darf daher bitten, den Antrag der CDU/CSU zu § 6 abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Helms.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 hat die Bundesregierung der Landwirtschaft zugesagt, die Einkommensverluste, die ihr durch die Aufwertung der D-Mark und die Bindung der gemeinsamen Agrarpreise an den „Grünen Dollar" entstanden sind, voll auszugleichen. Bekanntlich sind die Verluste mit 1,7 Milliarden DM errechnet worden. Davon sollen 780 Millionen DM durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 % ausgeglichen werden. Diese Regelung ist seit dem 1. Januar in Kraft und hat sich als praktikabel erwiesen. Es ist festgestellt worden, daß sie bis zum Erzeuger durchgeschlagen ist.Ich meine, daß die Opposition ihre Zweifel, ob die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 % beim Erzeuger ankommt, doch wohl nicht weiterhin, insbesondere auch außerhalb dieses Hohen Hauses, arglos in den Raum stellen kann. Meine Damen und Herren von der Opposition, hier zählen doch sicher mehr die Tatsachen als bloße Kritik um der Kritik willen.Bezeichnend für diese Arglosigkeit scheint in diesem Zusammenhang auch die von einem Kollegen der Opposition eingebrachte Frage zur heutigen Fragestunde zu sein, in der er von einem Preisverfall für Schweine spricht, obwohl trotz der D-MarkAufwertung die Schweinepreise zum Teil wesentlich über dem Stand des Vorjahres liegen.Die Bedenken der Opposition und des Bundesrates bezüglich der Auszahlung der Ausgleichsmittel über die landwirtschaftlichen Alterskassen sind unseres Erachtens nicht überzeugend. Durch die Auszahlung über die landwirtschaftlichen Alterskassen ergibt sich vielmehr die Möglichkeit, daß die Landwirtschaft durch ein schnelles, unkompliziertes, bundeseinheitliches und kostensparendes Verfahren ihre Ausgleichsbeträge erhält. Schnell heißt hier: noch vor der diesjährigen Ernte, also Mitte bis Ende Juli.Mit der Abwicklung der Ausgleichszahlungen durch die Alterskassen haben wir bereits bei der Auszahlung der EWG-Anpassungshilfe gute Erfahrungen gemacht. Der Weg über die Alterskassen ist also schon von der CDU/CSU mit vorgezeichnet worden. Um so unverständlicher ist es uns, wenn trotz guter Erfahrungen jetzt von der Opposition ein anderer Weg gefordert wird. Der Vorteil der landwirtschaftlichen Alterskassen besteht in erster Linie darin, daß von ihnen der weitaus größte Teil der landwirtschaftlichen Betriebe und anspruchsberechtigten Nutzflächen erfaßt wird. Die Alterskassen
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Helmsverfügen über laufend fortgeschriebene Erhebungsunterlagen. Sie sind so in der Lage, ihren Mitgliedern den erforderlichen Vordruck kurzfristig zuzustellen.Besonders günstig sind auch die Prüfungs- und Kontrollmöglichkeiten, da den Alterskassen die Verhältnisse ihrer Mitglieder bekannt sind, insbesondere auch durch das Kataster für die Beitragsleistungen zur Unfallversicherung. Hervorzuheben ist vor allem noch der geringe Verwaltungsaufwand, der bei der Abwicklung über die Alterskassen entsteht und zu keinerlei kostenmäßiger Belastung der Landwirtschaft führen wird, weil die Alterskassen die entstehenden geringen Mehrkosten nach § 13 des Gesetzes über die Altersversorgung der Landwirtschaft abgelten können.Wie im Ernährungsausschuß zu vernehmen war, verfügt nur das Land Bayern über ähnlich günstige technische und organisatorische Voraussetzungen wie die Alterskassen. Sie werden dafür Verständnis haben, daß dieses Argument uns nicht ausreicht, einer Regelung zuzustimmen, die in anderen Bundesländern für die Bauern Nachteile bringen wird, besonders wenn man dabei bedenkt, daß eine Überlastung aller Dienststellen von der Gemeindeebene an aufwärts erfolgen würde.Die verfassungsrechtlichen Einwände, die vom Bundesrat und von der Opposition gegenüber der Regierungsvorlage erhoben wurden, sind durch die gutachtlichen Stellungnahmen des Rechtsausschusses und seitens des Justizministeriums frühzeitig ausgeräumt worden.Nun hat die EWG-Kommission in Anwendung des Art. 93 des EWG-Vertrages, nach dem sie gehalten ist, fortlaufend in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten die in ihnen bestehenden Beihilferegelungen zu überprüfen, aus Gründen befürchteter Wettbewerbsungleichheit nach Art. 92 gegen die unzureichende Differenzierung des Dreiergruppenschlüssels, der in dem Regierungsentwurf vorgesehen war, Bedenken erhoben. Der Ernährungsausschuß hat nun, auch aus Gründen der EWG-Konformität, vor allem aber wegen der größeren Gerechtigkeit, einen Vierergruppenschlüssel entwikkelt, der mir unter den gegebenen Umständen die beste Lösung zu sein scheint. Er stellt eine Verbesserung des Dreiergruppenschlüssels der Regierungsvorlage dar, während der vom Bundesrat vorgesehene Zweierschlüssel einen möglichst gerechten Schadensausgleich nicht gewährleistet.Grünes Licht also, meine Damen und Herren, für diese eilbedürftige Vorlage. Ich würde es für höchst bedauerlich halten, wenn die Opposition, nachdem wir im Ausschuß zu einer Übereinstimmung in der schwierigen Frage des Verteilungsschlüssels gekommen sind, bei der beabsichtigten Auszahlungsregelung über die Alterskassen auf rot schalten würde und wenn der Bundesrat, einem Kompetenzegoismus und Kästchendenken verfallend, sich genauso verhielte und gegebenenfalls den Vermittlungsausschuß anriefe und damit eine merkliche Verzögerung dieser Vorlage einträte. Die „Deutsche Bauernzeitung" schreibt dazu am 2. Mai — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —, für eine derartige Verzögerung könnte von landwirtschaftlicher Seite keinerlei Verständnis aufgebracht werden. Das ist auch die Meinung der Freien Demokraten. Wir geben der Vorlage unsere Zustimmung.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hauser .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich meiner großen Freude Ausdruck geben, daß, wie sonst selten, ein landwirtschaftliches Problem ein derart lebhaftes Interesse des Hauses findet, .daß alle drei Fraktionen der Landwirtschaft so zahlreich ihren Tribut zollen.
Nur frage ich mich bei der rechtlichen Begründung der Änderungsanträge der CDU-Fraktion — dies allein ist meine Aufgabe — angesichts der vorausgegangenen Ausführungen des Herrn Kollegen Saxowski und des Vertreters der FDP wie auch angesichts des Ablaufs der Ausschußberatungen, ob ich hierbei die Zustimmung der Koalitionsfraktionen finden werde. Mir ist nämlich ein kritisches Wort des ehemaligen italienischen Botschafters Quaroni in Erinnerung, der einmal meinte, viele Begegnungen mit den Großen der Welt hätten ihn doch skeptisch gemacht in bezug auf die Möglichkeiten, bei Menschen viel zu erreichen.An dieses Wort bin ich um so mehr erinnert, wenn ich an die Beratungen des Rechtsausschusses bei seiner gutachtlichen Stellungnahme zu dieser Vorlage denke. Herr Kollege Schmidt saß ja wie ein allzu gestrenger Schulmeister hinter den Mitgliedern des Rechtsausschusses und drängte voll Ungeduld, daß die Klassenaufgabe endlich gelöst würde.
Er fand sogar einen überaus gelehrigen Schüler im Rechtsausschuß, der der Erste sein wollte und mitten in den rein rechtlichen Erörterungen — denn nur dies war die Aufgabe des Rechtsausschusses — Antrag auf Schluß der Debatte stellte, was ich in den zehn Jahren meiner Zugehörigkeit zum Rechtsausschuß bis dahin tatsächlich noch nicht erlebt hatte.
Aber ich fühle mich durchaus in guter Gesellschaft bei dem, was ich an rechtlichen Darlegungen nun zu machen habe. Kann ich doch an so manches anknüpfen, was der heutige Herr Bundesjustizminister und auch Sie, Herr Kollege Frehsee, zum gleichen Thema von der gleichen Stelle aus vor fünf Jahren gesagt haben. Nur sind heute die Fronten verschoben. Aber die Wege der Menschen und sicherlich auch ihre Erkenntnisse sind oft recht verschlungen und geheinmnisvoll, wie ich an der bisherigen Ein-
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Dr. Hauser
lassung der Koalitionsfraktionen entgegen ihrer Stellungnahme vor fünf Jahren zu diesem Thema zu konstatieren habe.
— .Sie haben recht, Herr Barzel, manchmal werden" in 14 Tagen die Meinungen hier geändert.
Die CDU-Fraktion übernimmt voll die Empfehlung des Bundesrates im ersten Durchgang und stellt den Antrag, statt der Alterskassen, wie vorgesehen, die Landwirtschaftsverwaltungen der Länder mit der Auszahlung des Aufwertungsausgleichs zu betrauen. Dafür sprechen folgende Gründe.Erstens: Schon in diesem Gesetz sind bereits für 1972 und 1973 die unmittelbaren Ausgleichsleistungen zum überwiegenden Teil degressiv gestaltet und in Form von Strukturmaßnahmen bzw. strukturbeeinflussenden Sozialmaßnahmen vorgesehen. Dies weist § 1 der Vorlage aus. Nun gehört aber, worauf mein Vorredner aus der CSU schon hingewiesen hat, nach Art. 91 a des Grundgesetzes, den wir im vergangenen Jahr eingefügt haben, gerade die Verbesserung der Agrarstruktur zu den Gemeinschaftsaufgaben, bei denen Bund und Länder zusammenzuwirken haben. Ist es dann vertretbar, so frage ich mich, Teile dieser Strukturpolitik, wie sie mit diesem Gesetz entscheidend angestrebt wird, Institutionen — Selbstverwaltungskörperschaften wie etwa den Alterskassen — zu übertragen, die wesentliche Entscheidungen ohne Einflußnahme von Bund und Ländern treffen können? Ist dies mit dem Sinn des Grundgesetzes vereinbar? Auch wenn man gewiß nicht sagen kann, daß damit die zwingend vorgeschriebene Gemeinschaftsaufgabe ausgehöhlt würde! Aber kann man so schlankweg und unbekümmert, meine Herren von der SPD, über einen Verfassungsauftrag, ja eine Verfassungsverpflichtung hinweggehen, zumal da es sich um eine über Jahre hinweg wirkende gesetzliche Leistung handelt?Zweites Bedenken: Die Alterskassen sind Sozialversicherungsträger und als solche Körperschaften des öffentlichen Rechts im Sinne des Art. 87 Abs. 2 des Grundgesetzes. Da der Gesetzgeber diese Kassen als Sozialversicherungsträger errichtet hat, haben sie auch nur insoweit die Autonomie, durch Satzungen ihre Aufgaben zu regeln und ihre Organe zu beauftragen. Hier soll ihnen aber nun eine unmittelbar agrarpolitische Aufgabe zugewiesen werden. Dies ist daher — ich zitiere den Herrn Bundesjustizminister Jahn aus seiner Rede vor fünf Jahren, als das Grundgesetz noch keinen Art. 91 a enthielt — völlig sachfremd und systemwidrig und stellt einen verfassungsrechtlich sehr bedenklichen Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht dieser Körperschaften dar; denn die Aufgabe, mit der die Alterskassen hier betraut werden sollen, liegt außerhalb ihres gesetzlich festgelegten Sachbereichs und deshalb auch außerhalb ihrer Selbstverwaltungsautonomie.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie um etwas mehr Aufmerksamkeit für den Redner bitten!
Drittes Bedenken: Sicherlich gibt es insofern einen historischen Vorgang, als 1965 nach Art. 5 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Altershilfe für Landwirte den Alterskassen die Aufgabe zufiel, die damals vom Bund bereitgestellten Haushaltsmittel der Investitionshilfe für landwirtschaftliche Betriebe zu verteilen. Aber gab es bei Erfüllung der Aufgabe damals nicht recht beträchtliche Schwierigkeiten, als es etwa zu verwaltungsgerichtlichen Klagen kam und die Alterskassen sich nur sehr ungern in die Rolle des Beklagten gedrängt sahen? Soweit mir bekannt, wurde damals von seiten der Gerichte die Passivlegitimation der Alterskassen überhaupt nicht geprüft. Es hätte sonst schon dort festgestellt werden müssen, in welcher Funktion die Kassen die Auszahlung vorzunehmen haben, ob nur als Zahlstelle, so wie etwa die Post die Rentenauszahlungen vornimmt. Es hätte aber auch festgestellt werden müssen, ob die Alterskassen überhaupt über den ihnen zugewiesenen legitimen, eigentlichen Aufgabenbereich hinaus einen weiteren Sachbereich, der sachfremd ist, erledigen dürfen.Das nächste Bedenken: Bekanntlich gibt es zweierlei Alterskassen, bundesunmittelbare und länderunmittelbare. Mit anderen Worten, die den Kassen eigentlich zugewiesene Aufgabe wird von verschiedenen Trägern übernommen, wobei noch zu bemerken ist, daß nur der entschieden kleinere Teil als bundesunmittelbare Selbstverwaltungsorganisation besteht. Greift damit aber der Bund nicht völlig unnötig in die Verwaltungskompetenz der Länder ein, wenn nun auch die der Länderaufsicht unterstehenden Alterskassen mit dieser Bundesaufgabe befaßt werden? Denn die Aufsicht über die Auszahlung von Geldern aus dem Bundeshaushalt einschließlich der Rechnungsprüfung muß ja zweifellos beim Bund bleiben. Das werden Sie mir ja zugeben, meine Herren!Das nächste Bedenken: Die Mehrheit der Länder hat mit vollem Recht insbesondere verfassungsrechtliche Bedenken dagegen geltend gemacht, daß der Bund die Auszahlung des Währungsausgleichs auch auf die bundesunmittelbaren Alterskassen übertragen wolle; denn nach Art. 87 Abs. 2 des Grundgesetzes sei das nicht möglich, so wurde im Bundesrat argumentiert, da hier die Alterkassen nicht als Sozialversicherungsträger tätig würden. Aber auch Abs. 3 in Art. 87 des Grundgesetzes scheidet als Rechtsgrundlage aus, weil die bundesunmittelbaren Alterskassen nicht für das gesamte Bundesgebiet örtlich zuständig sind, wie dies etwa in dem anerkannten Grundgesetzkommentar von Maunz-Dürig mit guten Gründen vorausgesetzt wird.Noch ein Argument, das gegen Ihren Lösungsversuch spricht. Der Kreis der Landwirte, die einen Ausgleichsanspruch erhalten, ist unbestritten größer als der Kreis derer, die Mitglieder der Alterskassen sind. Werden nun die Kassen mit dieser Auf-
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Dr. Hauser
gabe betraut, werden sie also auch für Nichtmitglieder tätig werden müssen. Herr Frehsee, wer bezahlt dann die besonderen Aufwendungen, wenn die Bundesregierung in der Begründung zu der Vorlage grobhin bemerkt: „Dem Bund erwachsen aus der Durchführung des Ausgleichs durch die Alterskassen keine Kosten"?Bekanntlich werden die Mittel zur Durchführung des Altershilfegesetzes einschließlich Verwaltungskosten in erster Linie durch die Beiträge, sodann durch sonstige Einnahmen und schließlich durch die erforderlichen Bundesmittel aufgebracht.
— So 'steht es in § 12 des Altershilfegesetzes, Herr Schmidt. Daß durch die Erweiterung des Aufgabenbereichs der Alterskassen personelle und sachliche Mehraufwendungen notwendig werden, ist doch offenkundig, selbst wenn die Alterskassen, die bei den zugehörigen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften errichtet worden sind, als ausgesprochene Sozialversicherungsträger weitgehend über die erforderlichen Katasterunterlagen verfügen. Hierauf angesprochen, meinte der Regierungsvertreter im Rechtsausschuß, es müßten sowieso Bundeszuschüsse an die Alterskassen geleistet werden; mit anderen Worten, man könne aus .diesem gemeinsamen Topf dann ein höheres Defizit der Kassen dekken.
Der Herr Regierungsvertreter verkannte aber, daß die geleisteten Bundeszuschüsse nur das Defizit zu decken haben, das sich aus dem Unterschied zwischen dem Beitragsaufkommen dieser Körperschaften und der Erfüllung der Ansprüche auf Altershilfe nach diesem Gesetz ergibt.
— Bitte, wenn Sie das meinen! Wenn Ihnen derartige rechtliche Bedenken so belanglos erscheinen, tun Sie mir leid.
Was der Bund hier dazugibt, Herr Schmidt, ist zweifellos zweckgebunden und hat nichts, aber auch gar nichts mit dieser neuen Aufgabe zu tun. Es kann deshalb auch für diesen Aufgabenbereich überhaupt nicht verwandt werden. Wo ist nun aber in der Gesetzesvorlage die bestimmte Kostenvorschrift, die hier wirklich zu beachten wäre?Schließlich, Herr Schmidt, ein letzter Punkt, der sehr wohl noch zu beachten ist. Sind denn die Alterskassen auch fachlich zu der Übernahme dieser Aufgabe geeignet?
Fordert z. B. § 5 Abs. 6 dieser Gesetzesvorlage für die Inanspruchnahme der einmaligen erhöhten Ausgleichsleistung, daß eine Erstaufforstung der Verbesserung der Agrar- oder der Infrastruktur dienen muß? Die Feststellung, ob diese Voraussetzung wirklich gegeben ist, bedarf doch meines Erachtens einer ganz besonderen Sachkenntnis und steht völlig im Ermessen der auszahlenden Behörde.Diesem Einwand versuchte der Regierungsvertreter im Rechtsausschuß damit zu begegnen, daß er erklärte, in diesem Fall müßten sich die Alterskassen eben auf die Forstbehörden stützen. Das sei sowieso in einer Rechtsverordnung vorgesehen. Kann man aber auf dem Umweg über eine Rechtsverordnung einfach die nach der Gesetzesvorlage vorgesehene Ermessensentscheidung der Alterskassen damit aufheben, daß man diese Kassen nun strikt anweist, ein Gutachten der Forstbehörde zugrunde zu legen, wogegen andererseits die Verwaltungen der Länder mit ihren Landwirtschaftsbehörden dem Gesetzesauftrag zweifellos entschieden sachgerechter nachkommen können?Diese Ungereimtheiten —ich habe wirklich nur die augenfälligsten angesprochen — führen zwangsläufig zu .dem Ergebnis, den Antrag des Bundesrates aufzunehmen und den Ländern die Ermächtigung zur Bestimmung der für den unimittelbaren Ausgleich zuständigen Stellen zu geben.In diesem Sinne, meine Damen und Herren, bitte ich um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag.
Das Wort hat der Abgeordnete Löffler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mit großem Interesse den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Hauser zugehört, in denen er seine rechtlichen, insbesondere verfassungsrechtlichen Bedenken dargelegt hat. Ich frage mich nur: Ist das jetzt das richtige Sachgebiet und der richtige Zeitpunkt, solche verfassungsrechtlichen und juristischen Bedenken in dieser Breite hier zu behandeln?
Selbst wenn meine Fraktion bereit wäre, einiges davon anzunehmen, müßten Sie uns Zeit geben, all das, was hier vorgetragen worden ist, sehr gründlich zu prüfen.
— Sie haben eben den Zwischenruf gemacht, Herr Dr. Ritz, wir hätten genügend Zeit gehabt, das zu prüfen. Ich stelle nur fest, daß weder bei der öffentlichen Sitzung, bei dem Hearing, noch in den Ausschußberatungen diese Bedenken so massiv und detalliert vorgetragen worden sind,
weil das — Herr Dr. Ritz, das müssen Sie wahrscheinlich zugeben — auch kaum in Ihrem Interesse war. Denn wir waren uns alle darüber einig, daß gerade in diesem Fall der Spruch gilt: Wer schnell gibt, gibt doppelt. Darauf hat main Kollege Saxowski bereits hingewiesen.
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LöfflerDas bedeutet aber auch, daß ein einheitliches Auszahlungsverfahren gewährleistet sein muß, das auch eine gleichzeitige Auszahlung bei allen betroffenen Landwirten möglich macht.Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß in der öffentlichen Sitzung, als sich abzeichnete, daß die Alterskassen das möglicherweise übernehmen werden, von seiten der CDU/CSU-Fraktion nur eine einzige Frage — von Herrn Kollegen Struve — gestellt wurde, und diese bezog sich nicht auf irgendwelche verfassungsrechtliche Bedenken; sie bezog sich eigentlich nur darauf, ob die Alterskassen in der Lage sind, das schnell und zügig durchzuführen, so wie es alle Fraktionen in diesem 'Haus von Anfang an wollten. Hier boten sich nun einmal die Alterskassen an.Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß wir bei der Beratung im Ernährungsausschuß völlig leidenschaftslos an dieses Problem herangegangen sind. Es gab sogar einige Mitglieder der Regierungskoalition, die in dieser Frage völlig offen waren, nicht gebunden waren. Die Entscheidung hat sich nur auf Grund sachlicher Argumente gebildet.Drittens. Die Alterskassen verfügen über einen mal kurz zusammen — heißen:Erstens. Die Alterskassen verfügen über alle notwendigen Unterlagen.Zweitens. Die Erhebung der Fläche wird gekoppelt mit einer Bereinigung des Katasters, die sowieso ansteht.Drittens. Die Alterskassen verfügen über einen Stamm von Sachbearbeitern, die in dieser Materie Bescheid wissen.Viertens. Die Kontrolle ist dadurch gegeben, daß die Angaben für die Ausgleichszahlungen Rückwirkungen auf die Beiträge haben.Fünftens. Es entstehen keine zusätzlichen Kosten.Schließlich der wichtigste Punkt: Die Auszahlung kann wenige Wochen nach Verabschiedung des Gesetzes vorgenommen werden.Was steht dem an Argumenten von Ihrer Seite entgegen?
Ich gebe Herrn Kiechle zu, daß er sich hier bemüht hat, darzulegen, daß auch die Länder dazu in der Lage seien. Er meinte, die Behauptung, daß die Länder das nicht könnten, sei zuwenig begründet. Aber ich möchte gern genauso konkret, wie ich die Punkte genannt habe, die für die Alterskassen sprechen, jetzt diejenigen Punkte hören, die für die Länder sprechen.Wenn eine solche Begründung nicht gegeben wird, Herr Dr. Ritz, dann muß man damit rechnen, daß man möglicherweise Überlegungen anstellt und fragt: Stecken dahinter nicht vielleicht doch andere Motive?
Ich will jetzt hier gar keine Motivforschung betreiben. Aber es ist nicht zu leugnen, daß in deröffentlichen Debatte bereits diese Motive angesprochen werden.
Ich darf mit freundlicher Genehmigung des Herrn Präsidenten aus dem Pressedienst der Agrarsozialen Gesellschaft zitieren. Da heißt es:Normalerweise entzündet sich in unserer Wohlstandsgesellschaft ein Streit um Geld meist nur dann, wenn die Empfänger öffentlicher Mittel miteinander konkurrieren. Hier haben wir es mit einem Novum zu tun. Man drängt nicht zur Kasse, um zu bekommen, sondern man will an die Kasse, um auszuzahlen.Und jetzt kommt ein Satz; der ist nicht von mir, ich zitiere ihn:Sollten hier am Ende wahltaktische Überlegungen mit eine Rolle spielen?
Und dann heißt es:
Die Vorstellungen der Agrarminister blockieren eine möglichst rasche Auszahlung der Ausgleichsmittel, die man nach dem Gesetzentwurf durch die Alterskassen auszahlen möchte.
So weit dieses Zitat. Ich darf darauf hinweisen, daß diese Worte nicht von mir stammen.Zu diesen Motiven muß man Stellung nehmen. Man könnte sich ja darüber unterhalten, bloß muß man es dann klipp und klar, deutlich sagen, muß es abwägen unter Berücksichtigung der gegebenenfalls vorhandenen Nachteile. Unsere Aufgabe hier ist es jedenfalls, mitzuhelfen, daß das Wort der Regierung erfüllt werden kann, daß die Ausgleichszahlungen so schnell, so perfekt und so gründlich wie möglich an die deutschen Landwirte gelangen. Jeder, der zu diesem Zeitpunkt
durch ein Vorbringen detaillierter verfassungsrechtlicher Bedenken die Auszahlung hinauszögern will,
sollte das dann auch gegenüber der deutschen Landwirtschaft vertreten.
In diesem Sinne bitte ich Sie um Ablehnung dieses Antrages.
Meine Damen und Herren, wird weiterhin zu Umdruck 23 das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann komme ich zur Abstimmung. Ich nehme an, daß ich über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU als Ganzes abstimmen kann. — Die Antragsteller sind einverstanden. Ich lasse nunmehr
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2482 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Vizepräsident Dr. Jaegerüber den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Umdruck 23 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, das Ergebnis ist nicht mit Sicherheit festzustellen; wir müssen auszählen. —Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt; mit Ja haben gestimmt 187 Mitglieder des Hauses, mit Nein 214; enthalten hat sich niemand. Der Antrag ist abgelehnt.Ich lasse nunmehr über § 6 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.Ich rufe §§ 7 bis 12 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen sowie der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.Wir kommen zurdritten Beratung.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird dasWort gewünscht? — Herr Abgeordneter Dr. Ritz!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der dritten Lesung findet die gesetzgeberische Arbeit über den Aufwertungsausgleich für die Landwirtschaft ihren vorläufigen Abschluß. Mir erscheint es deshalb angebracht, einige politische Bemerkungen zu dem Gesamtkomplex der vorliegenden Materie zu machen.Das vorliegende Gesetz und das Gesetz über den Aufwertungsausgleich, das wir zuvor beschlossen haben, sind der Versuch, die Störungen, die bei Änderung der Währungsparitäten durch die Bindung der europäischen Agrarpreise an die Rechnungseinheit entstehen, zu verhindern bzw. auszugleichen. Die ganze Gesetzgebung stand unter dem hohen Anspruch, einen vollen und einen gerechten Aufwertungsausgleich zu schaffen. Wir sind nach wie vor der Auffassung, daß weder das eine, der volle Ausgleich — wenn man an die Degression ab 1972 und an die völlige Umwandlung der Mittel ab 1974 denkt —, noch das andere, der gerechte Ausgleich, gelungen ist.Darüber hinaus, meine Damen und Herren — ich glaube, das muß in dem Zusammenhang gesagt werden —, spielt aber ein anderer Komplex eine nicht minder wichtige Rolle. Durch die Abwertung des französischen Franc und die Aufwertung der D-Mark im vergangenen Jahr ist im nominalen Preisniveau bei den europäischen Agrarpreisen ein Unterschied von 20% zu Lasten der Bundesrepublik entstanden. Im Übergang wird dieser erhebliche Unterschied durch die getroffenen und noch zu treffenden Maßnahmen ausgeglichen. Auf die Dauer kann allerdings nicht verkannt werden, daß wir durch diese Preisverzerrungen in eine erhebliche Wettbewerbsbenachteiligung gekommen sind. Lassen Sie mich mit aller Deutlichkeit sagen, hier kommen Wettbewerbsverzerrungen auf uns zu, die all das weit in den Schatten stellen, was die FreienDemokraten in ihren guten Zeiten als Opposition immer wieder als Wettbewerbsverzerrungen herausgestellt haben.Die Konsequenzen dieses Gesetzes und dieser ganzen Gesetzgebungsarbeit haben ihre Ursache in der europäischen Rechnungseinheit, im sogenannten Grünen Dollar. Dieser gleiche Grüne Dollar war früher einmal Motor der europäischen Integration. Er ist durch die erfolgte Paritätsänderung und künftig mögliche Paritätsänderungen ether zum Sprengsatz für den Agrarmarkt geworden.Ich glaube, die Bundesregierung wird sich schon heute Gedanken darüber machen, wie wir dieses Problem des Grünen Dollars lösen, wenn vor Vollzug der Währungs- und Wirtschaftsunion etwa weitere Paritätsveränderungen anstehen sollten ,bzw. vollzagen werden sollten. Das ist nicht eine Fata Morgana, sondern es kann kein Zweifel sein, daß vielfach auch schon in unserem Lande wieder von möglichen Veränderungen der Parität gesprochen wind. Es ist also in der Tat Zeit, zu überlegen, wie man bei künftigen Paritätsänderungen das Problem des Grünen Dollars löst. Wir sind jedenfalls der Meinung, daß unter den gegebenen Voraussetzungen der Grüne Dollar nicht mehr integrierende, sondern leider desintegrierende Kraft hat. Wir müssen heute nach Lösungen suchen, die dieses Problem in Zukunft ausschalten.Der vorliegende Gesetzentwurf stellt einen Kompromiß dar, und zwar, wie wir meinen, beileibe keinen guten. Wenn man berücksichtigt, daß vor der Aufwertung beide Koalitionsparteien so taten, als hätten sie die Patentlösung schon in der Tasche, kommt man zu dem Ergebnis, daß wir zu spät mit schlechten Lösungen konfrontiert worden sind.Der vorliegende Gesetzentwurf ist uns für Februar angekündigt worden. Wir haben ihn schließlich im April im Ausschuß beraten können. Damit gerieten wir unter erheblichen Zeitdruck; daran kann gar kein Zweifel sein. Dieser Zeitdruck war es auch, der dazu führte, daß viele Fragen nicht ausdiskutiert werden konnten wie z. B. die Frage der Alterskassen, nachdem der Durchlauf durch !den Bundesrat erfolgt war. Wir standen einfach deshalb unter Zeitdruck, well auch wir der Meinung sind, daß es an der Zeit ist, daß die Landwirte nun jenes Geld bekommen, welches die Bundesregierung ihnen schon seit 1. Januar schuldet, woran ja kein Zweifel sein kann.
Nur, meine Damen und Herren, unter diesem Zeitdruck hat die Sachberatung natürlich weithin gelitten. Dias muß man hier einfach objektiv einräumen.Eine weitere, politische Bemerkung. Wir haben bereits am 5. Dezember bei der ersten Beratung des ersten Aufwertungsausgleichsgesetzes zum Ausdruck gebracht, daß wir der Meinung sind, daß die Festlegung der Bundesregierung in Brüssel zu erheblichen Schwierigkeiten führen könnte, die Festlegung z. B. auf die feste Summe von 1,7 Milliarden, obwohl damals jeder wußte, daß die Berechnungsgrundlage davon ausging, daß 500 Millionen in Abzug gebracht waren, die angeblich durch Verbilligung der Betriebsmittel hier auftreten sollten. Niemand zwei-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2483
Dr. Ritzfelt heute mehr daran, daß von dieser Verbilligung der Betriebsmittel und damit von einer Minderung des Betrages um 500 Millionen DM keine Rede sein kann. Wir haben schon am 5. Dezember des vorigen Jahres unsere Sorge zum Ausdruck gebracht — ich bitte, das im Protokoll nachzulesen —, daß es infolge dieser EWG-Verordnung sehr schnell zu einem Konflikt zwischen der Kommission und der Bundesregierung kommen könne. Diese Situation ist sehr viel früher eingetreten, als wir befürchtet hatten. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie die Fragestellung der Kommission mit Nachdruck korrigiert und sichtbar macht, daß wir mindestens noch anderthalb Jahre brauchen, um überhaupt einen ungefähren Überblick zu haben, wie sich das Verfahren in der Praxis tatsächlich bewährt.Der jetzt vorliegende Verteilerschlüssel erscheint uns der beste von allen bisher diskutierten schlechten. Mit ihm ist eine Lösung gefunden worden, die wenigstens in etwa, z. B. durch die korrektere Bewertung der Sonderkulturen, den Ertragswerten und -verhältnissen entspricht. Aber von einer gerechten Lösung kann natürlich auch in diesem Zusammenhang keine Rede sein.
— Ja, die Anträge! Wir haben eben keine Zeit gehabt, z. B. die Vorschläge von Professor Niehaus sorgfältig zu diskutieren und zu untersuchen, wie man etwa über den Umsatz, im Grunde das entscheidende Kriterium für die Aufwertungsverluste, einen Weg finden kann. Darüber haben wir einfach nicht lange genug diskutieren können.
— Ja, Herr Kollege Peters!
Herr Kollege Ritz, können Sie jetzt gerechtere Lösungen vorschlagen, die im Ausschuß nicht zur Diskussion gestanden haben?
Verehrter Herr Kollege Peters, ich habe gerade gesagt — Sie haben sich wahrscheinlich ein wenig zu früh gemeldet —, daß wir in den Ausschußberatungen, begonnen im April, bis zur vorigen Woche einfach keine Zeit hatten, die gesamten Probleme tiefgreifend genug zu diskutieren. Herr Kollege Peters, es ist doch kein Zweifel, daß auch jetzt eine Fülle von Ungerechtigkeiten bleibt, auf die wir hingewiesen haben. Man ordnet jetzt z. B. Grobgemüse wie Feingemüse ein und hat die unterschiedlichen Ertragswerte der Böden nicht berücksichtigt. Es kann doch kein Zweifel sein, daß diese Probleme bestehen. Wir standen unter diesem Zeitdruck, die Bauern so schnell wie möglich in den Genuß der Ausgleichsmittel zu bringen — aber was heißt hier „Genuß" — und der Verpflichtung nachzukommen, diese direkten Ausgleichsmittel so schnell wie möglich auszuzahlen.
— Bitte schön, Sie haben noch eine Frage.
Herr Abgeordneter Peters zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Ritz, soll ich daraus schließen, daß das Vierteljahr der Beratungen nicht gelangt hat, Ihnen Einfälle zu bringen, die Sie hätten vorbringen können?
Herr Kollege Peters, ich weiß nicht, wie Sie von einem Vierteljahr sprechen können, da wir doch im April mit den Beratungen im Ausschuß begonnen haben. So schnell ist meine Zeitrechnung nicht. Vielleicht ist die Ihrige schneller.
Es kann auch kein Zweifel sein, daß etwa die viehstarken Betriebe bei dieser Regelung nicht genügend berücksichtigt werden. Auch das muß hier in aller Deutlichkeit gesagt werden.
Ich komme zum Schluß.
— Aber Herr Kollege Löffler, ich will Ihnen nicht das Wort nehmen.
Eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Löffler.
Herr Dr. Ritz, wären Sie bereit, zuzugeben, daß die wichtigen Punkte des Gesetzes
— Alterskassen, Verteilerschlüssel — bereits in einer formellen Vorlage der Regierung Ende Januar allen Mitgliedern des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vorgelegen haben und daß damit eine Grundlage für Beratungen gegeben war, so daß wir nicht unter dem Druck standen, nur im April die kontroversen Punkte beraten zu können?
Herr Löffler, natürlich ist mir das bekannt. Nur ist auch Ihnen bekannt, daß sich z. B. der Verteilerschlüssel seitdem noch sehr häufig verändert hat und daß in der jetzigen Fassung die ursprüngliche Vorlage überhaupt nicht mehr wiederzuerkennen ist.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Wir werden das Verfahren, das jetzt beschlossen wird, sehr sorgfältig daraufhin prüfen, wie es sich in der Praxis bewährt oder nicht bewährt. Wenn sich zeigen sollte, daß hier ein schlechter Weg — ein schlechterer, als wir ihn uns gewünscht hätten — gefunden worden ist, werden wir uns nicht scheuen, für das nächste Jahr entsprechende Änderungen vorzuschlagen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Niegel?
Ja, vor dem letzten Satz.
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2484 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Dr. Ritz
Herr Kollege Ritz, sind Sie in der Lage, dem Herrn Kollegen Löffler zu erklären, daß zu der Zeit, wo nach seiner Meinung die Vorlage eingereicht wurde, Herr Bundesernährungsminister Ertl den Länderministern versprochen hat, die Verteilung über die Länderverwaltungen vorzunehmen?
Herr Kollege Niegel, ich unterstelle, daß Sie hier richtig informiert sind. Mir fällt das so jetzt im Moment nicht ein,
aber ich weiß aus Gesprächen mit Länderministerien, daß zumindest der Bundesminister in dieser Frage der Verteilung bzw. der Auszahlungsstellen eine sehr viel flexiblere Haltung eingenommen hat.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließen. Unter den hier gemachten Voraussetzungen stimmen wir diesem Gesetz mit schwerwiegenden Bedenken zu. Wir stimmen ihm zu, nicht zuletzt, um den Landwirten die Ausgleichsmittel, die ihnen zum großen Teil schon lange zustehen — wir sind hier der Landwirtschaft gegenüber schon lange Schuldner —, nicht weiter vorzuenthalten. In diesem Sinne werden wir diesem Gesetz zustimmen, ohne unsere Bedenken allerdings an dieser Stelle verschweigen zu können.
Das Wort hat der Abgeordnete Saxowski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Ehre, im Auftrag meiner Fraktion folgende Erklärung abzugeben. Mit den heutigen Beratungen des vorliegenden Gesetzentwurfes schließen wir zunächst die Regelung des Aufwertungsausgleichs für die deutsche Landwirtschaft ab. Es scheint uns an dieser Stelle ein Rückblick angebracht, da uns die Fragen des Aufwertungsausgleichs für die deutsche Landwirtschaft praktisch seit Beginn dieser Legislaturperiode beschäftigt und in Anspruch genommen haben.Am 27. Oktober 1969 wurde die durch das Zögern der vorigen Bundesregierung längst überfällige Aufwertung der D-Mark vorgenommen. Das war die erste und entscheidende Maßnahme der von dieser Regierung eingeleiteten Stabilitätspolitik.Unmittelbar danach wurden die schwierigen Verhandlungen im EWG-Ministerrat erforderlich, um für die deutsche Landwirtschaft einen Ausgleich für die Preisminderungen durchzusetzen. In diesem Zusammenhang möchte ich vor allem dem Bundeswirtschaftsminister Schiller für den damaligen großen Einsatz danken. Selbstverständlich richtet sich dieser Dank genauso an Herrn Bundesminister Ertl. Wir danken Ihnen recht herzlich! Denn was wir vorher an Ausgleich hatten, kann sich an dem jetzt Erreichten überhaupt nicht messen. Das müssen Sie endlich auch einmal zur Kenntnis nehmen.
Wir wissen heute, daß die im Ministerrat durchgesetzte Regelung sehr günstig für die deutsche Landwirtschaft und vor allen Dingen ausreichend ist. Bei dem damals von verschiedenen Seiten in der Bundesrepublik angestrebten und geforderten Grenzausgleich wäre doch — das können wir ganz offen aussprechen — zu befürchten gewesen, daß dieser Grenzausgleich genau wie in Frankreich degressiv geworden wäre. Herr Barzel, darüber können Sie lächeln; es ist so.
Wir haben dann im November und Dezember in schneller Verhandlung in diesem Hause das Aufwertungsausgleichsgesetz beraten, womit erreicht worden ist, daß seit 1. Januar dieses Jahres die Mehrwertsteuerregelung in Höhe von 780 Millionen DM jährlich voll zugunsten der Landwirtschaft durchschlägt. Das müssen heute sogar die Verbände zugeben.
Die Beratung des jetzt zu beschließenden Durchführungsgesetzes hat sich in den ersten Monaten dieses Jahres — das wollen wir zugeben — etwas verzögert. Um so wesentlicher ist es jetzt, daß bis zum Inkrafttreten keine weiteren Verzögerungen eintreten, damit garantiert wird, daß den deutschen Bauern die Ausgleichszahlungen für 1970 noch vor der Ernte — und das war unser Anliegen —, d. h. im Juli dieses Jahres gewährt werden können.Zu strittigen Punkten dieses Gesetzes. Wir haben in der Frage des differenzierten Flächenschlüssels einen pragmatischen Kompromiß gefunden, der jetzt doch von nahezu allen Seiten anerkannt wird. Ich muß dabei daran erinnern, daß wir seinerzeit bei der Regelung der EWG-Getreidepreis-Ausgleichszahlungen ein viel gröberes Verfahren gewählt hatten. Das schien Ihnen damals aber in Ordnung zu sein.Selbstverständlich müssen wir jedoch auch die Solidarität in der deutschen Landwirtschaft ansprechen, weil wir heute sehr bestimmt wissen, daß die Gesamthöhe des Ausgleiches mit 1,7 Milliarden DM ganz gewiß einen vollen Einkommensausgleich ermöglicht.Zuletzt noch eine Bemerkung zu dem kontroversen Komplex des Auszahlungsweges. Wir sollten daraus keine Weltanschauung machen und auch hier den pragmatischen Weg anstreben. Ich möchte darauf verweisen, daß sich der Deutsche Bauernverband für die Auszahlung über Alterskassen ausgesprochen hat. Dem haben — wie in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung und in der vorliegenden Ausschußfassung geregelt — ebenfalls die Stadtstaaten und auch bedeutende Flächenstaaten zugestimmt, so daß ich mir kaum vorstellen kann, daß jetzt irgend jemand in diesem Hause oder im Bun-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2485
Saxowskidesrat die rechtzeitige und schnelle Auszahlung dieser Gelder in Gefahr bringen will.Zusammenfassend ist zu erklären, ,daß die Entscheidung über den Aufwertungsausgleich für die deutsche Landwirtschaft eine politische Entscheidung dieser Bundesregierung darstellt. Das ist eine hervorragende Entscheidung, die auch draußen im Lande weitgehend anerkannt wird. Ich möchte nur am Rande darauf verweisen, daß solche Entscheidungen in der Nähe von Wahlterminen — vorher oder nachher — früher bisweilen anders ausgesehen haben. Die politische Entscheidung geht davon aus, daß Stabilitätspolitik nicht auf dem Rücken der Bauern ausgetragen werden darf. Ebenso ist die Gesamthöhe mit 1,7 Milliarden DM jährlich als politische Entscheidung zu begreifen.Trotz allem wird jedoch deutlich, daß wir in der EWG zu einer fortschreitenden Harmonisierung auch in der Währungspolitik kommen müssen. Hätten wir, was wir uns alle wünschen, schon heute eine gemeinsame Währung in dieser EWG, wären alle diese Arbeiten der letzten Monate nicht erforderlich gewesen. Deshalb müssen wir alle auch in diesem Hause geduldig an der Fortentwicklung und Erweiterung des Gemeinsamen Marktes weiterarbeiten. Dieses Gesetz stellt dafür einen vehementen Appell dar.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst bei dem Hohen Hause sehr dafür bedanken, daß dieser Gesetzentwurf so rasch und so aktiv beraten wurde. Ebenso freue ich mich, daß es keine Diskussion darüber gibt, daß der Weg, den wir bezüglich des Schlüssels gewählt haben, ein richtiger und ein guter Weg ist. Absolut richtige Lösungen wird es in der Politik nicht geben. — Kollege Barzel, ich nehme an, Sie wollen eine Frage stellen.
Eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Dr. Barzel.
Herr Kollege Ertl, sind Sie bereit, in Ihre Schlußbemerkung noch folgendes Problem aufzunehmen? In der heutigen „Zeit" sagt Ihr Kollege im Kabinett Schiller, daß eine neue Aufwertung nicht ausgeschlossen werden könne. Darf ich Sie fragen, ob dies mit Ihnen abgestimmt ist und ob Sie glauben, nochmals einen Währungsausgleich in der Form, wie er hier vorliegt, mit der EWG verabreden zu können, Herr Kollege Ertl.
Herr Kollege Barzel, Sie haben eine zweiteilige Frage gestellt. Ich kenne das Interview in der „Zeit" noch nicht, und Sie werden verstehen, daß ich, solange ich es noch nicht gelesen habe, zu dem ersten Teil keine Antwort gebe. Dazu müßte ich den Text zunächst genau lesen. Es könnte ja auch ein Teilsatz sein. Ich nehme an, Sie werden mir zustimmen, daß ich mich zunächst informieren muß.
Zum „Grünen Dollar" werde ich noch etliches sagen, ebenso zur Wirtschafts- und Währungsunion. Sonst hätte ich mich gar nicht gemeldet.
Vielleicht könnten Sie, Herr Kollege Ertl, die Frage beantworten — eine rein theoretische Frage —, ob Sie glauben, für den Fall einer erneuten Aufwertung wieder einen Währungsausgleich für die Bauern mit Genehmigung der EWG möglich machen zu können.
Herr Kollege Barzel, eine theoretische Frage müßte ich theoretisch beantworten. Ich mache aber lieber praktische Politik.
So habe ich es auch in diesem Fall gehalten. — Ich möchte mich also noch einmal sehr herzlich bedanken.Auf eines möchte ich hinweisen: Auch der zuständige Minister — in diesem Fall in meiner Person — hat unter Zeitdruck gestanden. Ich möchte auf die gesamte Problematik nicht eingehen, aber es ist bekannt, warum ich unter Zeitdruck gestanden habe. Ich glaube sagen zu können, daß mein Haus — es ist mir ein Bedürfnis, meinen Mitarbeitern sehr zu danken — sich redliche Mühe gegeben hat, innerhalb eines halben Jahres zwei so wesentliche Gesetzentwürfe einzubringen. Die mußten ja zunächst erarbeitet werden. Ich darf sicherlich mit Ihnen gemeinsam feststellen, daß es nicht alltäglich war, daß eine solche Last auf ein Haus zugekommen ist, nicht zuletzt auf Grund der Versäumnisse, über die man natürlich sehr ernst diskutieren kann. Ich möchte allerdings sagen, was ich tun konnte und was mein Haus tun konnte, das ist geschehen. Wir haben beispielsweise ein Hearing veranstaltet, und ich glaube, dieses Hearing war sehr nützlich. Ich bin überhaupt der Meinung, daß man solche Vorlagen in einer breiten Diskussion behandeln sollte.Nun lassen Sie mich einige Bemerkungen zu dem Problem des „Grünen Dollars" machen. Der „Grüne Dollar" ist nicht meine Erfindung. Ich bin gern bereit, Herr Kollege Barzel, Ihnen z. B. meine Ausführungen aus dem Jahre 1962 zuzuleiten, in denen ich darauf hingewiesen habe, wie problematisch es ist, gemeinsame Marktordnungen auf der Basis einer Rechnungseinheit zu konstruieren — ich sehe hier gerade den Herrn Kollegen Hallstein; vielleicht kann er aus seinem Erfahrungsschatz sagen, was ihn damals bewegte —, ohne über die Voraussetzung der Kostenharmonisierung, d. h. der Wirtschafts- und Währungsharmonisierung, zu verfügen. Das habe ich mit übernehmen müssen. Wir haben leider zehn Jahre isolierte Agrarpolitik betrieben, und ich
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2486 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Bundesminister Ertlmußte darauf hinweisen — Sie wissen, ich war jetzt zwei Tage in London —, daß jegliche Agrarpolitik, insbesondere in dieser sehr strengen Form von Marktordnungen, auf der Basis der Rechnungseinheit für sich problematisch ist, wenn die währungs- und wirtschaftspolitischen Voraussetzungen nicht gegeben sind.Damit komme ich zu einem wichtigen Punkt. Hier darf ich Übereinstimmung mit meinem Kollegen Schiller feststellen. Mein Kollege Schiller und ich haben in den Verhandlungen in Brüssel — Herr Barzel, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie jetzt aufpaßten, das wäre sehr nützlich — sehr deutlich darauf hingewiesen, daß die sehr fortschrittliche wirtschaftspolitische Zusammenarbeit auf diesem Sektor nur möglich ist — ich habe es hier schon einmal betont —, wenn diese Gemeinschaft sich zu einer Stabilitätsgemeinschaft entwickelt. Leider sind die konjunkturellen Barometer in dieser Gemeinschaft sehr unterschiedlich; das muß ich zu meinem Bedauern feststellen. Aber die Frage ist, wie wir das besser in den Griff bekommen können.Ich glaube, diese Bundesregierung hat zum erstenmal einen Stufenplan für die Wirtschafts- und Währungsunion festgelegt. Zu sehr hatten wir uns nur in Agrarpolitik und nur in Agrarmarktordnungen betätigt. Ich stehe nicht an, zu sagen — das habe ich wiederholt in der Öffentlichkeit getan, das habe ich in Brüssel wiederholt getan —: der „Grüne Dollar" wird problematisch, wenn es nicht gelingt, auf dem Wirtschafts- und Währungssektor gleichrangige Fortschritte wie auf dem Agrarsektor zu erreichen. Das ist nach meinem Dafürhalten eine ganz klare Erkenntnis, und ich kann nur sagen, hier muß das Haus gemeinsam handeln, hier müssen alle mitmachen, damit wir zu Lösungen kommen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Höcherl?
Herr Bundesminister, nachdem Sie nicht bereit waren, eine theoretische Frage zu beantworten, beantworten Sie doch bitte folgende praktische Frage. Im ,, Handelsblatt" von heute heißt es, daß die Bundesregierung offiziell in Paris beim Internationalen Währungsfonds vorgeschlagen hat, daß in Zukunft auf „crawling peg", d. h. auf eine jährliche 2%ige Änderung nach oben oder nach unten ausgewichen werden sollte. Ist das mit Ihnen abgestimmt, und was soll dabei mit dem „Grünen Dollar" geschehen? Soll er jungfräulich behandelt werden, oder wie soll er herauskommen?
Ich kann nur noch einmal sagen, unsere Bemühungen müssen dahin gehen, daß unsere Gemeinschaft eine Stabilitätsgemeinschaft wird. Das ist das erste. Zweitens: Die Frage eines flexiblen Wechselkurses das ist Ihnen bekannt, Herr Kollege Höcherl — ist längst im Zehnerklub diskutiert worden. Wenn es zu einer flexibleren Wechselkursgestaltung kommt, wird man zweifelsohne den Bestand des „Grünen Dollar" einer kritischen Überprüfung unterziehen müssen. Das ist eine ganz klare Antwort auf Ihre Frage.
Darf ich eine Zusatzfrage stellen?
Bitte!
Mich interessiert nur, ob Sie von der Absicht der Bundesregierung, dies offiziell in Paris vorzulegen, verständigt wurden, ob das alles mit Ihrem Einverständnis geschehen ist. Die innere Struktur der Bundesregierung interessiert mich.
Herr Kollege Höcherl, auch Sie beziehen sich auf Zeitungsmeldungen. Ich muß zunächst die Zeitungsmeldungen nachlesen, um festzustellen, inwieweit zitiert wurde.
— Ich war jetzt zwei Tage in London, und ich habe nicht zuletzt über den „Grünen Dollar" gesprochen. Ich halte es für sehr wesentlich, daß sich die Bundesregierung auch im allgemeinen Gedanken macht, wie wir das Problem der Wechselkurse gestalten können; das ist doch eine notwendige Aufgabe für sie. Das ist doch selbstverständlich. Deshalb kann es doch gar keine Rivalitäten zwischen den Ressorts geben.
— Kollege Stücklen, Sie müssen schon zum Mikrofon hingehen, wenn Sie etwas fragen wollen.
Zuerst hat sich der Abgeordnete Dr. Apel zu einer Zwischenfrage gemeldet.
Herr Minister, können Sie die Opposition daran erinnern, daß die Diskussion über „crawling peg" bereits im Jahreswirtschaftsbericht eröffnet worden ist und daß die Beamten der Bundesregierung nichts weiter tun, als darüber in Paris Diskussionen zu führen, die akademisch sind und die angesichts der Tatsache geführt werden müssen, daß die Inflationierungsraten in den Ländern der EWG, aber auch in der westlichen Welt unterschiedlich sind?
Herr Kollege Apel, ich kann es nur unterstreichen. Ich habe mich auch bemüht, das sehr praktisch und einleuchtend in der Dreiteilung
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Bundesminister Ertlzu schildern, aber offensichtlich ohne Kenntnisnahme, und dafür kann ich natürlich nichts, daß man das nicht zur Kenntnis nehmen will.
Gestatten Sie nun eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stücklen?
Herr Bundesminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß Herr Kollege Höcherl nicht einmal Kritik geübt, sondern lediglich die praktische Frage aufgeworfen hat, ob diese für die Landwirtschaft so einschneidenden Vorschläge mit einem variablen Wechselkurs mit Ihnen abgestimmt waren oder nicht?
Ich kann nur sagen, daß Kollege Schiller mit mir Gespräche darüber geführt hat, daß wir uns darüber im klaren sind, daß wir auf dem Wege zur Entwicklung der Inflationsgemeinschaft notfalls auch Änderungen des Wechselkurses mit einbeziehen müssen, — mit allen Konsequenzen. Darüber muß man sich doch Gedanken machen.
Also die sind abgestimmt mit Ihnen?
Das ist selbstverständlich eine Meinung, die nicht im Abstimmungswege herbeigeführt werden muß,
sondern es ist eine Meinung — — Über solche Fragen kann ich mich doch nicht mit Kollegen Schiller abstimmen, sondern: die Notwendigkeit veranlaßt mich zu derselben Verhaltensweise wie ihn. Es ist doch die Realität.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Moersch?
Herr Kollege Ertl, können Sie den Kollegen von der CDU und CSU bestätigen, daß die deutsche Verhandlungsposition dieser Bundesregierung in Brüssel und in den Agrarverhandlungen sehr viel besser als in früheren Zeiten, wo die CDU und CSU den entsprechenden Ressortsminister gestellt haben, dadurch war, daß in den Verhandlungen die Konzepte der beteiligten Ressorts aufeinander abgestimmt waren, während früher der Bundeswirtschaftsminister Schmücker und der Landwirtschaftsminister Schwarz gegenteilige Ansichten in Brüssel geäußert haben?
Herr Kollege Moersch, das ist ja der Grund, warum offensichtlich der Herr Kollege Stücklen anderer Meinung ist: weil es ihm nicht selbtsverständlich ist, daß wir uns in solcher Form hier akkordieren. Das ist der Grund. Das verstehe ich. Deshalb gibt es auch das Mißverständnis. Er kann es gar nicht verstehen, daß wir in einer solchen Frage von der natürlichen und selbstverständlichen Basis ausgehen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wagner?
Herr Bundesminister, würden Sie Kollegen Moersch darüber unterrichten, daß die vorzügliche Abstimmung zwischen den Ressorts, die er soeben lobend erwähnt hat, in Brüssel dazu geführt hat, daß der deutsche Finanzierungsanteil in der EWG, der bei früheren Bundesregierungen 32% nie überschritten hat, in den nächsten Jahren zügig auf 34, 35 und dann voraussichtlich 38 % steigen wird?
Dazu kann ich nur sagen, daß er bei 32,2 festgelegt wurde und daß es über des Ansteigen nach dem Jahre 1975 bisher nur theoretische Berechnungen gibt. Vielleicht war das eine theoretische Antwort, aber es war eine theoretische Frage. Man sollte nicht mit Behauptungen Einwendungen machen, die noch nicht endgültig fixiert sind.
Aber nun zu Ihrer Frage, Herr Kollege Barzel! Ich kann Ihnen nur sagen: über diese Frage haben wir uns schon in Brüssel Gedanken gemacht und diese auch geäußert. Wir haben das, was ich hier gesagt habe — das ist vielleicht der Unterschied gegenüber früher —, in aller Deutlichkeit auch in Brüssel klargemacht, daß es natürlich eine Grenze geben kann, wo man den bisherigen Weg nicht fortsetzen kann. Aber vielleicht können Sie mit Ihrem Kollegen Hallstein über das Thema reden: Er wäre uns vielleicht ein guter Gehilfe in dieser Frage. Und auch ,Sie könnten uns ,ein bißchen mithelfen. Denn ich kann nur noch sagen: hier hat man auf sehr tönernen Beinen ein Haus aufgestellt, auf sehr tönernen Fundamenten. Das ist das Problem, vor dem wir stehen, insbesondere infolge der hohen Inflationsraten unserer Nachbarstaaten.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Moersch?
Herr Kollege Ertl, können Sie dem Gedächtnis des Kollegen von der CDU dadurch aufhelfen, daß Sie bestätigen, daß die Finanzierungs-
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Moerschquote, die jetzt ausgehandelt worden ist, geringer ist als das, was 1962 die CDU-Mitglieder des Kabinetts haben wollten und was durchzusetzen Sie nur gehindert worden sind durch den Finanzminister, den die FDP gestellt hat?
Auch darüber ließe sich sehr viel reden.
— Ich weiß nicht, wer die Theoriestunde eingeleitet hat, aber auch über dieses Thema ließe sich natürlich viel reden.
Meine Damen und Herren, vielleicht wäre es zweckmäßig, jetzt den Herrn Bundesminister wieder eine Weile sprechen zu lassen!
Ich brauche keine Schonfrist, so ist es nicht! In der Frage kann ich mich sehr wohl behaupten. Wenn Sie wollen, können wir die Diskussion über die Aufwertung aufrollen.
Ich wollte es Ihnen ersparen, das Thema Aufwertung noch einmal anzurühren! Das nur am Rande.
Nun wurde in einer Zwischenfrage behauptet, ich hätte versprochen, daß das nur über die Länder verteilt wird. Dazu muß ich eine Richtigstellung geben. Ich gebe zu, ich habe mindestens den Vorschlag, es über die Länder zu machen, ebenso favorisiert wie den anderen Vorschlag. Aber ich habe hier auf meinem Tisch, — und ich bin bereit, das jedermann lesen zu lassen —, einen Brief meines von mir sehr verehrten Vorgängers Hermann Höcherl, wo er sich besonders bedankt für die Anpassungshilfe, die via Altershilfe ausgezahlt wurde, und ich muß sagen, auch dieses Argument hat mich sehr überzeugt. Das war mit ein Argument, das mich überzeugt hat, daß es vielleicht gar nicht so unklug ist, den Weg über die Altershilfe zu gehen. Ganz abgesehen davon, daß wir langfristig diese Hilfen nach 1973 auf dem sozialen Sektor sowieso umpolen müssen, habe ich die nun vorgeschlagene Lösung für nützlich gehalten. Das ist eine rein nüchterne Überlegung und ist für mich kein Prinzipstreit. Ich bin bereit, über diese Frage immer zu diskutieren, wie Sie wissen; aber zu sagen, ich hätte verbindlich versprochen! Das werden mir alle bezeugen; es sei denn, Herr Niegel, Sie wären inzwischen Länderminister geworden und dabeigewesen, dann könnten Sie etwas anderes behaupten. Aber ich gebe zu, daß ich sehr wohl gesagt habe, auch diesen Weg kann man sicher als einen nützlichen Weg empfinden. Ich halte diese Meinung sogar aufrecht, aber ich bin immer bereit, besseren Argumenten zu folgen, und ich hoffe, daß das die Opposition auch tut. Das ist ein nützlicher Weg. Das zur Klarstellung dieser Frage.
Ich möchte auch nicht verhehlen, daß ich mit sehr vielen Kollegen — denn ich komme ja aus der Landwirtschaftsverwaltung und aus der Beratung — über dieses Thema gesprochen habe. Eitel Freude wäre über diese Aufgabe bei den Landwirtschaftsämtern gar nicht, und zwar landauf und landab, aus wohlbekanten Gründen. Insoweit bilde ich mir ein, daß ich doch noch sehr praxisnah bin. Es ist ganz nützlich, wenn man mit denen, die die Arbeit zu leisten haben, spricht.
Nebenbei: Gerade ein Land — das möchte ich hier in aller Deutlichkeit sagen — ist in diesen letzen Wochen auf mich zugekommen und hat gesagt, ich möchte doch zusätzlich Geld bereitstellen, damit wir überhaupt neue Berater einstellen oder bisherige Berater weiterbeschäftigen können, weil sie die Beratungsarbeit nicht leisten können. Ich bin für die Beratungsarbeit, aber ich möchte die Berater von der Verwaltungsarbeit fernhalten. Auch diese Gesichtspunkte muß man in einem ausgewogenen Maß ein klein wenig berücksichtigen.
So glaube ich wirklich sagen zu können, daß wir bei diesem Gesetz unsere Zusage an die Landwirtschaft erfüllen, daß diese Zahlungen vor der Ernte erfolgen können. Ich bin auch der Meinung, daß dieser Schlüssel ein optimaler Schlüssel ist — einen absolut gerechten Schlüssel wird es nicht geben, das habe ich immer gesagt —, und letzten Endes, daß der Weg über die Alterskasse dafür Sorge trägt, daß es verwaltungsmäßig sehr rasch und flüssig abgewickelt wird.
Es bleibt mir nur übrig, am Schluß allen zu danken. Ich möchte insbesondere auch mit Genugtuung hervorheben, daß ich mich freue, daß auch die Opposition diesem Gesetz zustimmt.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorhin hat in der Zwischenfrage des Kollegen Dr. Barzel ein Interview des Bundesministers für Wirtschaft, Professor Dr. Karl Schiller, eine Rolle gespielt. Herr Dr. Barzel fragte, ob es stimme, daß Herr Professor Schiller in diesem Interview eine neue Aufwertung für 1970 nicht ausgeschlossen habe.
— Sie müssen es ja wissen, Herr Stücklen; sie fühlen sich ihm sicherlich sehr verbunden.„Die Zeit" hatte ihm folgende Fragen vorgelegt. Die erste lautete: „Wie beurteilen Sie die Folgen der Aufwertung?" — Darauf antwortete Professor Schiller: „... ein wichtiger Schritt zur Wiederherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichge-
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Parlamentarischer Staatssekretär Dr. ArndtWichts ...". Zweite Frage: „Wenn Sie noch einmal in der Situation vom 9. Mai 1969 stünden" — das war der Tag, an dem das berühmte Nein der damaligen Kabinettsmehrheit der CDU/CSU zur Aufwertung kam —, „würden Sie dann heute aufwerten, und wenn ja, um welchen Satz?" — Darauf sagte er: „Es war falsch, damals nein zu sagen; hätte man eher ja gesagt, wäre der Satz niedriger gewesen."Jetzt kommt die Frage: „Glauben Sie, daß in absehbarer Zukunft" — so fragte die Zeitung — „wieder eine Änderung des Wechselkurses der Mark als Mittel der Währungs- und Konjunkturpolitik zu erwarten steht?" Darauf erwiderte der Bundeswirtschaftsminister: ,,... solange es den wichtigsten Industrieländern des Westens nicht gelingt, eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungspolitik auf dem Stabilitäts- und Wachstumspfad zu treiben",
werde man auf Wechselkursänderungen als Mittel der Stabilitätspolitik nicht verzichten können.
— Das ist eine klare Aussage, die auch im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung steht und von der Opposition nicht kritisiert worden ist. Darin steht nichts davon, daß er für 1970 irgend etwas ausschlösse oder nicht ausschlösse. In Wirklichkeit, Herr Dr. Barzel, handelt es sich also bei dem, was Sie zitiert haben, nicht um eine Äußerung des Bundesministers für Wirtschaft, sondern um ihre Meinung zu einer Äußerung, die er gemacht haben soll.
Zweitens. Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wurde nach den Verhandlungen gefragt, die in den letzten Wochen im Zehnerklub in Paris stattgefunden hätten. Diese Verhandlungen können weder dieses Hohe Haus noch die Opposition überraschen. Im Jahreswirtschaftsbericht, über den wir ausführlich diskutiert haben, steht, daß die Bundesregierung Ideen und Initiativen der internationalen Währungsgremien in Richtung auf eine größere Lockerung positiv gegenübersteht. In diesem Zehnerklub diskutieren Beamte der Bundesregierung und Mitglieder des Direktoriums der Deutschen Bundesbank über derartige Modelle, und zwar auch unter der Conditio, daß so etwas in der EWG selbst eigentlich nur schwer möglich ist, sondern vielleicht irgendwann einmal von der EWG gegenüber dritten Ländern ausgehen kann. Die Beamten und die Mitglieder der Deutschen Bundesbank erfüllen damit nur ihre Pflicht, sich über so etwas Gedanken zu machen. Das sind wichtige stabilitätspolitische Fragen. Sie sind in dieser Pflicht bestärkt worden, weil die betreffende Passage in der Diskussion über den Jahreswirtschaftsbericht auch von der Opposition in keiner Weise in Frage gestellt worden ist. Das kann man auch nicht. Selbstverständlich muß so verfahren werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Arndt, Sie haben aus das Zitat hingewiesen und haben, was den vorliegenden Wortlaut betrifft, in einer anderen Reihenfolge zitiert.
Es ist zwar nur eine Nuance, aber eine wichtige Nuance; sie wird Ihnen nicht entgangen sein.Die Frage in der „Zeit" lautet: „Glauben Sie, daß in absehbarer Zukunft wieder eine Änderung des Wechselkurses der Mark als Mittel der Währungs- und Konjunkturpolitik zu erwarten steht?" Sie haben darauf die Antwort des Bundeswirtschaftsministers vorgelesen und damit angefangen: „Solange es in den wichtigsten Industrieländern ...". Korrekt heißt der Text der Antwort des Bundeswirtschaftsministers auf die von mir verlesene Frage:Auf Wechselkursänderungen als Mittel der Stabilitätspolitik und zum Zweck einer sinnvollen Orientierung der internationalen Arbeitsteilung wird man nicht verzichten können, solange ....
Dies glaube ich, ist ein ganz großer Unterschied.
— Aber meine Damen und Herren, wer sich in der Logik auskennt, der weiß: Wenn man erst ein Prinzip aufstellt und dann ein Komma macht und sagt „solange", ist das etwas anderes, als wenn man das Prinzip andersherum formuliert, wie es hier jetzt geschehen ist.
— Na, passen Sie einmal auf. Es kommt noch mehr, Herr Moersch. Ich will nicht darauf zurückkommen, daß diese Sache genau wie die andere, nach der gefragt war, offensichtlich nicht mit dem Bundesernährungsminister abgestimmt war. Meine Frage war nur, Herr Arndt, ob dem Herrn Bundesernährungsminister bekannt ist, daß die „Zeit" unter dieser Überschrift das veröffentlicht hat. Ich bin gern bereit, aus der „Zeit" noch mehr vorzulesen, wo dann auch noch die Gerüchte aus dem Bundeswirtschaftsministerium wiedergegeben sind. Ich will Sie gar nicht nach Gerüchten fragen.
— Ach, Herr Schäfer, was wir hier machen, machen wir schon, wie wir es für richtig halten. Wir lassen uns nicht einschüchtern.Ich möchte Sie nur an eines erinnern. Es ist nicht so lange her, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister von dieser Stelle aus, als wir Spekulationen auf dem Währungssektor hatten, versucht hat, „Haltet den Dieb!" an die falsche Adresse zu rufen. Wir legten Wert darauf, dies hier heute aktenkundig zu machen, von welcher Seite zum erstenmal wieder die Debatte über diese Frage eröffnet ist: Wenn in einer solchen Landschaft — nach der Messe in Hannover; und wir wissen, wie es voriges Jahr auf der Messe in Hannover war — dem Herrn Bundeswirtschafts-
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2490 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Dr. Barzelminister diese Frage gestellt wird und er dann nicht sagt: „Nein", sondern: Das kann man nicht ausschließen — selbst wenn er dann ein Komma macht —, dann wollen wir feststellen, daß diese Frage hier heute zu stellen war, weil damals wie heute die Frage nicht beantwortet worden ist, was diese Bundesregierung gegenüber der EWG für den Fall eines erneuten Währungsschritts für den Ausgleich unserer Landwirte zu tun imstande ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Apel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es muß ,ein Trauma der Opposition in diesem Hause sein, immer dann, wenn über Aufwertung geredet wird, erneut die Grundfragen anzusprechen und zu erörtern. Dieser Tagesordnungspunkt, Herr Barzel, eignet sich nun ganz besonders schlecht dafür, Ihr Trauma wieder zu erwecken; denn die Landwirtschaft ist doch nach der Aufwertung in der Tat gut bedient worden, und hier haben wir voll zu unserem Versprechen gestanden.
Aber zur Sache selbst. Wir sind in einer Situation, in der wir uns nun entscheiden müssen, ob für uns, wenn um uns herum in den westlichen Ländern, insbesondere bei unseren EWG-Partnern, aber auch bei unseren anderen westlichen Handelspartnern die Preise wesentlich schneller steigen als bei uns, damit die Frage der außenwirtschaftlichen Absicherung gestellt bleibt, oder ob wir das hinnehmen wollen und damit das Thema der außenwirtschaftlichen Absicherung — sprich: Aufwertung — nicht mehr ansprechen wollen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dasch?
Natürlich.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Dasch!
Herr Kollege Apel, Sie haben vorher davon gesprochen, daß .die Landwirtschaft bei der Aufwertung gut gefahren sei. Sind Sie bereit, zuzugeben, daß bei Einkalkulation der allgemeinen 5 bis 6 %igen Preissteigerung die Landwirtschaft 1970 tatsächlich die vorberechneten Aufwertungsverluste erleidet?
Herr Dasch, und Sie sind sicherlich bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Indizes ausweisen, daß auch die landwirtschaftlichen Preise in diesen letzten Wochen und Monaten ganz nett gestiegen sind.
Wir kommen also nicht darum herum, wenn wir feststellen, daß um uns herum die Preise steigen
— überall wesentlich stärker steigen als bei uns,
bis auf zwei, drei Länder —, uns sehr ernsthaft zu
überlegen, was wir mit diesem Problem tun wollen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte diesen Gedanken zu Ende führen, Herr Präsident, und dann werde ich die Zwischenfragen zulassen.Das ist doch das zentrale Problem, vor dem wir stehen.
Insofern, Herr Barzel, hat der Bundeswirtschaftsminister nichts anderes gesagt, als was im Jahreswirtschaftsbericht steht und von Ihnen akzeptiert wurde,
daß nämlich auch in Zukunft die außenwirtschaftliche Absicherung natürlich Instrument der Konjunkturpolitik in unserem Lande bleiben muß, wenn wir nicht die Inflation importieren wollen, ohne uns dagegen zu wehren.
Es stellen sich natürlich sofort die Fragen nach dem Grünen-Dollar, nach der EWG. Hierzu muß man dann — und das hat der Bundesernährungsminister sehr deutlich gemacht — unseren EWG-Partnern sagen: Ihr könnt nicht beides haben; ihr könnt nicht den Grünen-Dollar ohne eine gemeinsame Konjunktur- und Währungspolitik haben. Ihr müßt euch zusammen mit uns entscheiden, was ihr wollt. — Insofern finde ich auch diese Aussage in Ordnung. Sie heißt nämlich: Du, Brüssel, mußt aufpassen, daß dein Agrarmarkt nicht kaputt geht; du, Brüssel mußt endlich anfangen, mit uns zusammen eine gemeinsame Währungs- und Konjunkturpolitik zu betreiben. Daß die Bundesregierung dazu bereit ist, hat sie wiederholt erklärt.Letzte Bemerkung. Herr Kollege Barzel, wenn Sie der Meinung sind, mit dieser wirklich akademischen und theoretischen Äußerung des Bundeswirtschaftsministers, die sich auf den Jahreswirtschaftsbericht stützt und die auf das Stabilitätsgesetz Bezug nimmt — —
— Herr Kollege Rösing, ich kann doch nichts dafür, daß die „Zeit" solche Überschriften verwendet. Die Überschrift hat doch nicht der Bundeswirtschaftsminister gemacht, sondern die Redaktion dieser Zeitung.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2491
Dr. ApelWenn wir also dieses Thema so akademisch behandeln, wie es vom Bundeswirtschaftsminister behandelt worden ist, man kann nicht, wie Sie es hier tun, Herr Barzel, sagen, damit lösten wir irgendwelche neuen Spekulationswellen aus. In der letzten Woche haben wir in der Aktuellen Stunde hier im Hause unbestritten festgestellt, daß laut IfoTest und laut anderer Angaben die Auslandsnachfrage nicht nur auf hohem Niveau stagniert, sondern in der Tat rückläufig ist, so daß wir keineswegs in einer Situation sind, in der die Aufwertung nicht mehr greift. Wir sind sehr wohl noch in der Situation, daß die außenwirtschaftliche Absicherung unserer eigenen Konjunkturpolitik funktioniert.Ein anderes Problem ist die binnenwirtschaftliche Nachfrage, die kräftig gestiegen ist. Das steht hier nicht zur Diskussion, das werden wir zu erörtern haben, wenn wir Ihre Große Anfrage diskutieren.Konsequenz: Erstens lehnt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion die von Ihnen gemachten Unterstellungen gegenüber dem Bundeswirtschaftsminister als unbegründet ab, zweitens gibt es überhaupt keinen Grund, dem Bundeswirtschaftsminister mit Mystifikationen und Unterstellungen nahezutreten. Er hat das gesagt, was in Ordnung ist, nämlich was im Jahreswirtschaftsbericht und im Stabilitätsgesetz steht.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Zitieren ist es so eine Sache, es ist doch sehr wichtig, daß man Zitate ganz nachliest. Ich bitte um Entschuldigung, aber ich bin heute früh erst aus London zurückgekehrt, hatte also nicht die Gelegenheit, die Presse ganz durchzusehen. Ich will auf die Frage der Überschrift einer Zeitung nicht eingehen. Das ist redaktionelle Arbeit. Ich glaube, darüber gibt es hier keinen großen Zweifel.Ich möchte allerdings jetzt, weil ich so sehr gefragt worden bin, wie ich dazu stehe — auf Grund der Unkenntnis konnte ich nicht sagen, ob alles zitiert ist —, einen weiteren Teil aus der „Zeit" zitieren, und der lautet:Die Anstrengungen zumindest der EWG-Länder für eine harmonisierte Wirtschaftsentwicklung und Wirtschaftspolitik müssen also abgewartet werden.Ich stimme diesem Satz vollauf zu. Das ist. auch das erklärte Ziel der Bundesregierung. Im übrigen hat sie als erste einen Stufenplan vorgelegt. Sie war initiativ, und wer immer will, kann die Rede des Kollegen Schiller und meine Rede nach der Aufwertung in Brüssel nachlesen. Wie Sie wissen, habe ich sie zum Teil den Kollegen zugesandt. Ich glaube, ich habe dieses Thema bezüglich einer Ersatzlösung Reservefonds, um es sehr deutlich zu sagen, von mir aus in aller Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt. Ich bedaure sehr, daß man diesen Gedanken um uns herum, bei der Kommission wie auch bei anderen Partnerstaaten, nicht die nötige Aufmerksamkeit zuwendet. Aber wir werden nicht locker lassen, und ich hoffe nur, daß uns das Hohe Haus dabei unterstützt. Dann wird es für uns auch viel leichter sein.Es heißt dann weiter:Es wäre aber eine Überforderung der europäischen Solidarität, wollte man von einem stabilitätsorientierten Mitgliedstaat verlangen, sich großzügigeren Auffassungen der Nachbarn anzuschließen.Ich unterstreiche diesen Satz mit Nachdruck; denn das vertreten wir seit jeher: diese Gemeinschaft muß sich zu einer Stabilitätsgemeinschaft, sie darf sich nicht zu einer Inflationsgemeinschaft entwickeln. Deshalb auch unser sicherlich schwieriger, aber im Zeichen der Stabilität notwendiger Beschluß der Aufwertung. Das muß ich doch noch einmal feststellen, obwohl ich das Zitat nicht angeführt habe; man muß eben ganz zitieren! Dann stellen sich die Dinge auch in einem anderen Licht dar. Insoweit kann ich nur sagen: das ist ebenso meine Auffassung wie die des Kollegen Schiller. Dazu brauchen wir keine formale Abstimmung, weil das eine Selbstverständlichkeit ist.
Ich muß auch zu der anderen Frage etwas sagen; das ist auch sehr interessant. Ich will dazu nur die beiden letzten Sätze aus dem „Handelsblatt" zitieren:Innerhalb der EWG werde es wohl bei festen Wechselkursen bleiben, da man um die Währungsunion bemüht sei. Für die EWG käme also nur eine vergrößerte Außenflexibilität in Frage.Auch hier stellt sich die Frage wiederum ganz anders. Zunächst müssen wir von dem Tatbestand ausgehen, daß die Rechnungseinheit innerhalb der EWG ein fester Bestandteil ist. Die Frage lautet: Kann diese Rechnungseinheit dadurch langfristig gesichert werden, daß wir durch wirtschafts- und währungspolitische Gleichheit endlich das Fundament dafür schaffen?In diesem Prozeß stehen wir mitten drin. Darüber muß verhandelt werden. Das ist übrigens auch ein sehr wichtiger Punkt im Hinblick auf die Beitrittsverhandlungen. Insoweit ist es sicherlich notwendig, daß man das Problem in aller Offenheit anspricht und sich Gedanken macht, wobei man von gegebenen Tatbeständen ausgehen und sagen muß: Falls das andere nicht nachfolgt, werden wir zwangsläufig zu Handlungen gezwungen werden. Mehr, glaube ich, kann man im jetzigen Zeitpunkt zu diesem Thema nicht sagen, und insoweit kann ich nur mit ruhigem Gewissen feststellen, das sind Facts, die auch gar nicht Gegenstand einer Abstimmung im Kabinett sein müssen; das sind selbstverständliche wirtschaftspolitische Tatsachen, die einfach zur Kenntnis zu nehmen sind.
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2492 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Das Wort hat der Abgeordnete Höcherl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es sind einige Richtigstellungen notwendig. Herr Staatssekretär Arndt, Sie sind elegant — ich möchte fast sagen: dufte — an der eigentlichen Frage vorbeigeschlichen. Es handelt sich gar nicht mehr um Modelle und Sandkastenspiele, sondern um Wirklichkeiten. Herr Ministerialdirektor Hankel — ein Mann, den Sie sehr gut kennen — hat offiziell mitgeteilt, daß in den Verhandlungen beim Internationalen Währungsfonds drei Modelle zur Debatte stünden und daß sich die Bundesregierung für das dritte Modell entschieden und einen Antrag im Sinne des crawling peg gestellt habe.
Das bedeutet also 2 % nach oben oder nach unten. Das sind insgesamt 4%, also ungefähr die heutige Preissteigerungsrate. Es ist nun die Frage, was mit dem Grünen Dollar geschieht; das war die erste Frage. Es ist kein Modell mehr, und das hat mit dem Jahreswirtschaftsbericht gar nichts zu tun. Es ist auch gar nichts 'dagegen einzuwenden, daß solche sachlichen Erörterungen geführt werden. Aber die Bundesregierung hat sich bereits auf diesen Vorschlag geeinigt.
Deswegen war die zweite Frage: Weiß denn der Herr Ernährungsminister von diesen Dingen, die ihn wirklich sehr interessieren müßten? Natürlich ist er außerordentlich belastet; dafür haben wir Verständnis, und wir erkennen seine Leistungen an. Aber hier war er nicht informiert. Er mußte hier ja erst einen Lernprozeß durchmachen, und er hat sich — geschickt, wie er ist — von Frage zu Frage informieren lassen. In Wirklichkeit wußte er gar nichts.
Wir können ihn nur bedauern, weil er von wichtigen Dingen innerhalb des Kabinetts nichts weiß. Wir haben ja gesehen, daß z. B. der Herr Bundeskanzler große Teile der Außenpolitik alleine führt und diensttuender Wirtschaftsminister ist. Wir sehen, daß im Informationsbereich und Abstimmungsbereich einige Dinge nicht in Ordnung sind. Wir bedauern Herrn Kollegen Ertl, daß er nicht so eingeschaltet wird, wie das die Verfassung für die Führung eines Ressorts vorsieht.
Das Wort hat der Abgeordnete Niegel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie, Herr Bundesminister, daß ich kurz auf Ihre Ausführungen eingehe, die Sie als Antwort auf meine Zwischenfrage gemacht haben. Sie haben seinerzeit gesagt, es treffe nicht zu, daß Sie für den Ausgleich über dieLänderverwaltungen gewesen seien. Ich muß nachdrücklich auf ein Schreiben des bayerischen Staatsministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hinweisen. Herr Staatsminister Dr. Eisenmann hat Ihnen geschrieben:Für Ihr Schreiben vom 26. 3. 1970 danke ich Ihnen. Ihre unerwartete Meinungsänderrung zur Frage des Vollzugs des Gesetzes hat mich außerordentlich überrascht; denn auf der Agrarministerkonferenz am 23. 1. 1970 haben Sie sich meiner Auffassung und der meiner Kollegen angeschlossen, und ich war überzeugt, daß die Entscheidung über die Abwicklung des Aufwertungsausgleichs zugunsten der Länderverwaltungen gefallen sei. Heute muß ich mich allerdings fragen, welchen Sinn letztlich. Agrarministerkonferenzen haben, wenn über derartige für Länder entscheidende 'Beschlüsse von seiten des Bundes einfach hinweggegangen wird.
Herr Kollege Apel, Sie haben vorhin mit einer gewissen Nonchalance davon gesprochen, daß die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise gestiegen seien. Wenn Sie und Ihre Fraktion mit dieser Einstellung zur deutschen Landwirtschaft künftighin Agrarpolitik machen,
wird, glaube ich, das eintreten, vor dem mein Kollege Ehnes zu Beginn ides Aufwertungsausgleichs gewarnt hat, nämlich die deutschen Landwirte zu Sozialhilfeempfängern zu stempeln.
Herr Kollege Apel, die Erzeugerpreise für die Landwirtschaft sind nicht gestiegen. Bei der Milch sindsie heruntergegangen, bei Schweinefleisch ebenfalls
— lesen Sie die letzten Marktnotierungen! —, bei Rindern sind sie nicht nach oben gegangen, und bei Getreide sind sie heruntergegangen. Ich habe in der letzten Woche in der Fragestunde eine entsprechende Frage gestellt, und Herr Staatssekretär Logemann hat darauf geantwortet, daß es nicht auszuschließen sei, daß mit der Regionalisierung weitere Preiseinbußen hingenommen werden müßten. Ich erinnere an die jetzigen Verhandlungen in Brüssel. Die Bundesregierung ist bereit, die Qualitätsstandards bei Getreide so herabsetzen zu lassen, daß nur begrenzt interveniert werden kann. Weiterhin wird die Bundesregierung wahrscheinlich den Interventionszeitraum so kürzen lassen, daß man das Getreide bei Anlieferung nicht mehr beim Lagerhaus abliefern kann. So sind doch die Verhältnisse in der deutschen Landwirtschaft. Schauen Sie doch hinaus! Index hin, Index her — das ist eine andere Frage —, die Kosten in der Landwirtschaft sind gestiegen. Wer einen Betrieb bewirtschaftet, der weiß, daß die Ausgaben steigen, aber die Einnahmen
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2493
Niegelnicht mitsteigen. Da muß man sich doch fragen, wohin diese Agrarpolitik und diese Wirtschaftspolitik führt.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Stücklen hat bei mir jegliches Limit an Fragen, und ich bin gern bereit, sofort in den Dialog einzutreten.
Erstens. Herr Kollege Niegel, ich kann das nicht so im Raum stehenlassen; sonst hätte ich mich gar nicht mehr zu Wort gemeldet. Die Haltung der Bundesregierung ist in einer Bundesratssitzung sehr genau erläutert worden, und ich möchte hier keine Wertung der einzelnen Meinungen vornehmen.
Zweitens. Ich habe als meine oberste Pflicht aufgefaßt, zunächst einmal die Meinung der Länderminister zu hören. Aber nach dem alten Grundsatz „Audiatur et altera pars" habe ich auch die andere Seite gehört, beispielsweise die Vertreter der Alterskassen. Ich darf hier etwas vorlesen, was mich sehr überzeugt hat; denn ich bin immer der Meinung, daß man sich gute Erfahrungen, die man gewonnen hat, zunutze machen sollte. Ich habe hier einen Brief vom 21. Oktober 1966. Er lautet:
Sehr geehrter Herr Löffel!
Die Auszahlung der Anpassungshilfe 1965 durch die landwirtschaftlichen Alterskassen ist bis auf wenige Restfälle abgeschlossen. Die Bereitschaft der landwirtschaftlichen Alterskassen, die Auszahlung der Anpassungshilfen zu übernehmen, hat wesentlich dazu beigetragen, daß die Zahlungen an die Bauern und die Landwirte zügig und termingerecht zum größeren Teil noch im Jahre 1965 geleistet werden konnten. Hierfür möchte ich Ihnen als dem Vorsitzenden des Vorstands ides Gesamtverbandes der landwirtschaftlichen Alterskassen meinen Dank aussprechen. Ich darf Sie bitten, diesen meinen Dank euch an die Vorstände, die Geschäftsleitung ... zu übermitteln.
Mit vorzüglicher Hochachtung Hermann Höcherl
Ich habe mich hier wertvoller Erfahrungen bedient. Nur finde ich es sehr merkwürdig, daß ich dafür gescholten werde.
Ich muß wirklich sagen, daß ich das außerordentlich merkwürdig finde.
Im Sinne der Kontinuität und in der besonderen Verehrung meines Amtsvorgängers habe ich mir - in Verbindung mit der Methode Audiatur et altera pars — gesagt: Mach es so, wie es dein Vorgänger sicherlich richtig und gut gemacht hat! Nun sagt aber Herr Kollege Niegel, ich habe es schlecht gemacht. Es ist zwischen Regierung und Opposition eben ein Unterschied. Das habe auch ich mitgemacht, und dafür habe ich volles Verständnis.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage 'des Abgeordneten Dr. Ritz?
Herr Bundesminister, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß der Flächenschlüssel, der hier 1965 zur Anwendung kam, völlig anders ist als derjenige, der jetzt in diesem Gesetz vorgesehen ist, und zweifelsohne ganz andere Erhebungen notwendig macht? Deshalb ist dieser Vergleich doch wohl ein wenig zu einfach.
Nein, ich bin erstens nicht Ihrer Auffassung, und zweitens weiß ich, warum die Länder nur einen Flächenschlüssel wollten.
Das ist das Problem. Aber bitte sehr, wenn Sie so fragen! Wir können zur Erläuterung Näheres beitragen; dann kommen wir auf den tieferen Grund. Ich bin bereit, auch darüber offen zu sprechen. Bis jetzt habe ich mich davor gehütet.Ich habe also wirklich nach der Methode audiatur et altera pars gehandelt. Ich habe offen zugegeben, daß ich zunächst den Vorschlägen der Länderminister zugeneigt hatte; das habe ich gar nicht bestritten. Ich habe aber auch die andere Seite gehört, habe mich dort umgesehen, mich mit vielen Kollegen unterhalten, mit Leuten aus der Praxis und der Vertretung des Berufsstandes, der mich in der Mehrheit unterstützt. Ich habe also alle Fakten geprüft, und dann kam ich nach reiflicher Überlegung dazu, daß der Weg über die Alterskasse vielleicht der bessere und der reibungslosere ist. Das ist eine ganz nüchterne Überlegung. Ich weiß nicht, warum man hierüber einen Prinzipienstreit vom Zaun brechen soll.Davon ganz abgesehen finde ich es merkwürdig, Herr Kollege — das muß ich sehr deutlich sagen —, daß dasselbe Land Bayern zu mir kommt und sagt, ich solle 500 000 DM für Berater zahlen, mit der Behauptung, es könne sie nicht weiter finanzieren, und gleichzeitig diesen Beratern neue Arbeit aufbürden will. Ich finde das eine merkwürdige Logik.
So geht es nicht! Da muß man schon anders kommen und darf nicht gleichzeitig in die Lande hinausfahren und sagen, die Bundesregierung stelle kein Geld zur Verfügung, aber die Landesregierung erübrige viel Geld. Ich muß schon sagen, daß die Logik so nicht zusammenpaßt, sondern das riecht in irgendeiner Form. Sie dürfen es mir auch nicht übelnehmen, wenn ich sage, daß man merkt, woher der Geruch kommt; ganz geruchlos sind wir in politischen Fragen auch nicht.
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2494 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dasch?
Herr Bundesminister, sind Sie auf Grund der Praxis, die Sie ja kennen, nicht der Meinung, daß die landwirtschaftlichen Alterskassen bei der Durchführung dieser Aktionen die Amtshilfe der Landwirtschaftsämter in Bayern in Anspruch nehmen müssen?
Herr Kollege Dasch, ich bin sehr glücklich über die Diskussionen, die innerhalb der CDU und, wie ich hoffe, auch in der Fraktionsgemeinschaft der CDU/CSU über eine zweckmäßigere Kooperation zwischen Bund und Ländern geführt werden. Insoweit halte ich das für eine selbstverständliche Frage, über die wir hier gar nicht diskutieren müssen. Wenn über diese Frage schon Diskussionen stattfinden, dann können wir gleich fragen: Was darf der Bund überhaupt noch machen, wann darf er es machen, und wie darf er es machen? Wenn Sie mich so fragen, muß ich sagen: Ich halte es für eine selbstverständliche Noblesse.
Gestatten Sie eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dasch?
Herr Bundesminister, sind Sie nicht bereit, anzuerkennen, daß die Landwirtschaftsämter und die bayerische Landwirtschaftsverwaltung, ob sie nun direkt oder indirekt beauftragt werden, im Grunde genommen die gleiche Arbeit zu leisten haben?
Nein. Wenn Sie sich in der Sache erkundigen, werden Sie sehen, daß das eben nicht zutrifft. Rückfragen sind nur bei 1% der Auszahlungsberechtigten notwendig. Infolgedessen trifft Ihre Frage für 99 % nicht zu.
Noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dasch.
Herr Bundesminister, können Sie auch die Bedenken zerstreuen, daß die Fragebogen, die jetzt von den Alterskassen eingesammelt werden, auch für andere Zwecke gebraucht oder sogar mißbraucht werden könnten?
Ich habe keinen Anlaß, Ihre Bedenken zu teilen.
Herr Kollege Niegel, Sie haben offensichtlich in großer Vorausschau erkannt, wie sich die Bundesregierung in Zukunft in allen Fällen in Brüssel verhält. Das ist ein großes Talent. Ich bewundere Sie. Nur müssen Sie sich genau erkundigen. Die Frage des Standards z. B. — das hat nicht der Landwirtschaftsminister Ertl entschieden, ich sage das gar nicht, um in Vergangenheitsbewältigung zu machen — ist eine Angelegenheit des Verwaltungsausschußverfahrens. Ich würde Ihnen raten, einmal zu studieren, wie in Verwaltungsausschußverfahren vorgegangen wird. Erst dann können Sie hier in dieser polemischen Form solche Reden halten. Diese Rede war dazu angetan, die Dinge bewußt aufzuputschen. Bei dieser Art, muß ich Ihnen ganz offen sagen, bin ich gar nicht bereit zu antworten.
Das Wort hat der Abgeordnete Höcherl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, daß ich mich noch einmal zu Wort melden muß. Aber ich bin zitiert worden.Der Herr Kollege Ertl hat trotz seiner Überlastung in den Archiven geforscht und einen Brief herausgezogen, der meinen Namen trägt. Damit will er jetzt einen Kronbeweis führen. Aber das reicht halt nicht aus, Herr Kollege Ertl. Die Sache ist so: Ich habe den Brief geschrieben und bekenne mich dazu. Ich gebe auch zu, daß ich all das, was heute zur rechtlichen Seite vorgetragen worden ist, damals, obwohl ich selber Jurist bin, im Interesse einer raschen Erledigung nicht in dieser Gründlichkeit durchdacht habe. Das gebe ich zu. Wenn ich aber nun höre, welche Einwendungen kommen, wie sehr sie berechtigt sind und wie sehr sie einer sauberen Gesetzgebung entsprechen, dann bin ich auch bereit zu sagen: jetzt kommen Gesichtspunkte, die Vorrang haben. Unsere Gesetzgebung muß sauber sein.Nun zu den Verdächtigungen, wir wollten die Verabschiedung verzögern. Wir haben hier ganz offiziell erklärt: wir stimmen dem Gesetz zu, hätten es aber lieber in einer besseren rechtlichen Form. Allein darum geht es.Wenn Sie nach Hause an den Tegernsee kommen, Herr Kollege Ertl, müssen Sie sich folgendes sagen lassen. In der Zeit damals, aus der der Brief stammt, war die elektronische Datenverarbeitung in der bayerischen Landwirtschaftsverwaltung bei weitem nicht so weit wie heute. Heute sind all diese Daten gespeichert, so daß es sehr schnell ginge. Und es würde nichts kosten. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.Man könnte auch noch andere Spekulationen anstellen, über den 14. Juni usw. Das könnte man alles, aber wir tun es nicht. Wir stimmen dem Gesetz zu. Wir sind bloß für eine bessere juristische Formulierung.
— Ich weiß gar nicht, was Sie dagegen einzuwenden haben. Das wird man doch wohl noch sagen dürfen. Herr Kollege Ertl, Sie kriegen unseren Segen für dieses Gesetz. Es ist ein mäßiges Gesetz, und es ist sehr verzögert worden. Der Schuldner Bund, vertreten durch den Landwirtschaftsminister, hat eine Schuld, die am 1. Januar fällig war, und er kommt vielleicht im Herbst mit der Zahlung. Eine schöne Zahlungsmoral, muß ich sagen!
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2495
Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, ich darf bekanntgeben, daß der Finanzausschuß jetzt sofort zu seiner von dem Herrn Präsidenten genehmigten Sitzung zusammentritt.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen vom 29. Juli 1969 zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den mit dieser Gemeinschaft assoziierten afrikanischen Staaten und Madagaskar sowie zu den .mit diesem Abkommen in Zusammenhang stehenden Abkommen
— Drucksachen VI/483, zu VI/483 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache VI/709 —Berichterstatter: Abgeordneter Hermsdorf
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache VI/686 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Giulini
Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Dr. Giulini, für seinen Schriftlichen Bericht. — Zur Ergänzung bitte sehr!
Meine Damen und Herren, entschuldigen Sie bitte, daß ich Ihre Zeit noch ganz kurz in Anspruch nehme. Der Entwurf des Gesetzes war im Ausschuß unstreitig. Lediglich wegen der Wichtigkeit in außenpolitischer Hinsicht ist mir aufgetragen worden, Sie zu bitten, noch zwei oder drei Vertreter der im Ausschuß vertretenen Fraktionen zu Wort kommen zu lassen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe in zweiter Beratung auf Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift. Das Wort hat Herr Abgeordneter Kaffka.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Haus liebt keine Deklamationen, obgleich es diesem Grundsatz oft widerspricht. Das hier zur Ratifizierung vorliegende Assoziierungsabkommen ist von erheblicher politischer Bedeutung sowohl im Blick auf die Außenpolitik, im Blick auf die Politik der Gemeinschaften als auch im Blick auf die Entwicklungspolitik.
Ich möchte hier einige Bemerkungen anschließen, die vielleicht auch darüber hinausreichen. Das Assoziierungsabkommen beschränkt sich auf die 18 afrikanischen Staaten, die bereits 'bisher vom 1. und 2. EWG-Entwicklungsfonds Hilfe und Unterstützung bekamen, und schließt an das am 30. Juni auslaufende Erste Jaunde-Abkommen an, das fortgeführt werden soll, und muß von daher hier eine positive Würdigung empfangen.
Der Wunsch, der ausgesprochen werden soll, ist der, daß das Abkommen möglichst auf die anderen Entwicklungsländer ausgeweitet wird. Unter diesem Gesichtspunkt betrachte ich es als positiv, daß dem Hause heute eine Vorlage über ein Abkommen mit Tansania, Uganda und Kenia vorgelegt wurde, ein Abkommen, das allerdings nur den Warenaustausch betrifft und nicht die Entwicklungshilfe.
Es ist nun im Zusammenhang mit den Präferenzen ein Problem aufgetaucht. In dieser Frage hat wohl die Verhandlungsdelegation der Bundesregierung in den Verhandlungen darauf hingewirkt, daß die Präferenzen nicht so stark wirken, daß die anderen Entwicklungsländer in Afrika benachteiligt werden. Ich betrachte es als erforderlich, daß gleiche handelspolitische Startchancen für alle Entwicklungsländer erzielt werden. Es muß das Ziel sein, ein weltweites Präferenz abkommen für alle Entwicklungsländer zu erreichen. Als Stufe auf dem Wege zu diesem Ziel hin ist dieses Assoziierungsabkommen positiv zu würdigen.
Schließlich drittens ein Schlußpunkt: Es ist notwendig, daß das Abkommen schnell ratifiziert wird. Ich bin sehr dankbar, daß der Bundestag heute dieses Assoziierungsabkommen ratifizieren wird und daß wir die Frist bis zum Ablauf des bisherigen Jaunde-Abkommens einhalten. Leider stehen einige Mitglieder der Gemeinschaft, was die Ratifizierung betrifft, noch aus, und wir können hier nur den Wunsch aussprechen, daß dieses Abkommen so schnell wie möglich von allen Ländern ratifiziert wird, damit kein Bruch in der notwendigen Hilfe für die 18 Entwicklungsländer eintritt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sprung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Auftrag der Fraktion der. CDU/CSU möchte ich zu der Verabschiedung des vorliegenden Zustimmungsgesetzes folgende Erklärung abgegeben.Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird dem Hohen Hause zum dritten Male eine Vereinbarung vorgelegt, die die Beziehungen zwischen der EWG und den mit ihr assoziierten Staaten und Madagaskar betrifft. Die Verabschiedung des vorliegenden Gesetzes, mit dem das Hohe Haus seine Zustimmung zur Fortführung der Assoziierung erteilt, scheint uns ein gegebener Anlaß zu sein, einige
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2496 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Dr. SprungAusführungen zu dem Problem der Assoziierung im allgemeinen und zu den wichtigsten materiellen Regelungen im besonderen zu machen.Es steht heute außer Zweifel, daß die Assoziierung der einstigen afrikanischen Länder und Hoheitsgebiete, die sich bei Inkrafttreten des EWG- Vertrages noch im Stadium von Kolonien befanden, eine Entscheidung von erheblicher politischer und wirtschaftlicher Tragweite war. Diese Länder wurden in den Gemeinsamen Markt einbezogen, ohne daß sie damit zugleich selber dem vollen Wettbewerb mit den Ländern des Gemeinsamen Marktes ausgesetzt waren. Dazu erhielten sie erhebliche Beträge zur Finanzierung von Entwicklungsvorhaben, insbesondere für Investitionen im Infrastrukturbereich.Daß diese Länder die Assoziierung wirklich als Unterstützung, als eine neue Form von Zusammenarbeit empfanden, zeigte sich, als sie selbständige souveräne Staaten wurden und damit die Möglichkeit hatten, die Assoziierung mit der Gemeinschaft aufzukündigen. Nichts von alledem ist geschehen, und zwar deshalb nicht, weil diese Länder sehr bald erkannten, daß die Assoziierung für ihre politische und wirtschaftliche Entwicklung von größter Bedeutung war.Das vorliegende Abkommen bietet auch für die Zukunft die Hilfen an, die bereits in der Vergangenheit gewährt wurden, und erweitert sie darüber hinaus noch. Es liegt bei den assoziierten Staaten, von diesen Angeboten in voller Freiheit und zum eigenen Nutzen entsprechenden Gebrauch zu machen.Angesichts dieser Sachlage und angesichts der Hilfe, die mit dem vorliegenden und den früheren Abkommen für die assoziierten Staaten gewährt wird und an der die Bundesrepublik einen sehr erheblichen Anteil hat, ist es allerdings zumindest verwunderlich, wenn gerade von einigen dieser Staaten die Bitte der Bundesregierung, die an alle Länder der dritten Welt gerichtet war, die Frage der internationalen Stellung der DDR nicht durch entsprechende Entscheidungen zu präjudizieren und zunächst die innerdeutschen Verhandlungen abzuwarten, ignoriert wurde. Wir bedauern dieses Verhalten außerordentlich. Die freundschaftliche Haltung, mit der die Bundesrepublik stets den assoziierten Staaten entgegengetreten ist und von der sie sich auch künftig leiten läßt, sollte es diesen nicht unmöglich machen, so wie wir uns ihrer Probleme annehmen, umgekehrt auch Verständnis für unsere sehr schwierige innerdeutsche Situation zu zeigen.Was den materiellen Inhalt des AssoziierungsAbkommens betrifft, so sind es zwei Aspekte, die besondere Aufmerksamkeit verdienen: Da sind einmal die sogenannten Präferenzen im Handelsverkehr zwischen den assoziierten Staaten und der EWG. Für den Warenverkehr gilt grundsätzlich Zollfreiheit und Befreiung von mengenmäßigen Beschränkungen, d. h. die assoziierten Staaten sind mit der EWG in Form einer Freihandelszone verbunden.Es liegt auf der Hand, daß daraus für die übrigen Entwicklungsländer, die nicht mit der EWG assoziiert sind, zweifellos nachteilige Auswirkungen resultieren. Wir begrüßen es daher, daß in dem neuen Assoziierungsabkommen zur Vermeidung dieser Auswirkungen auf andere Entwicklungsländer eine Reihe von Sätzen des gemeinsamen Zolltarifs gesenkt bzw. aufgehoben sind. Es ist zu hoffen — ich stimme darin mit meinem Herrn Vorredner überein —, daß dieses Problem sich möglichst bald durch eine rasche Verwirklichung eines allgemeinen Präferenzsystems für die Entwicklungsländer erledigt.Ebenso ist es zu begrüßen, daß die assoziierten Staaten auch weiterhin auf die Wareneinfuhr aus den EWG-Ländern, die an sich grundsätzlich zollfrei ist, Zölle dann erheben können, wenn die wirtschaftliche Entwicklung der assoziierten Staaten oder die Finanzierung ihrer Haushalte dies erfordert. Denn eine Eingliederung der Entwicklungsländer in die internationale Arbeitsteilung ist nur möglich, wenn auch bei ihnen zu dem traditionellen Rohstoffexport eine industrielle Produktion hinzutritt. Das aber gelingt nur durch die Einräumung von Präferenzen.Der immer wieder zu hörende Einwand, daß damit nur einer unwirtschaftlichen Produktion in den Entwicklungsländern Vorschub geleistet wird und damit dem Ziel einer Eingliederung der Entwicklungsländer in die internationale Arbeitsteilung und den Welthandel entgegengerichtet wäre, ist nicht stichhaltig. Wir sehen die Präferenzgewährung als ein wesentliches Instrument an, die wirtschaftliche Entwicklung der assoziierten Staaten nachhaltig zu fördern.Ausschlaggebende Bedeutung kommt in dem neuen Abkommen, wie bereits in den beiden vorangegangenen, wieder der finanziellen und technischen Zusammenarbeit zu. Erfreulich ist, daß das Volumen des Entwicklungsfonds weiter, und zwar auf 1 Milliarde DM, erhöht wurde. Erfreulich ist ferner, daß es auf diesem Gebiet so etwas wie eine Entwicklung gibt, die darin besteht, daß die Zusammenarbeit ständig verfeinert und auf eine immer breitere Grundlage gestellt wird.Nach den Vereinbarungen des EWG-Vertrages, also im ersten Fünfjahresabkommen, gab es nur verlorene Zuschüsse mit der Zweckbestimmung, sie für Infrastrukturvorhaben wirtschaftlicher und sozialer Art einzusetzen. Im ersten Jaunde-Abkommen von 1963, also im zweiten Fünfjahresabkommen, wurde zwar bereits die Möglichkeit vorgesehen, auch Mittel für Produktionsvorhaben mit üblicher finanzieller Rentabilität zu verwenden. Die volle Gleichstellung solcher Investitionen mit den InfrastrukturInvestitionen wird jedoch erst durch das vorliegende Abkommen vorgenommen.Mit Genugtuung nehmen wir davon Kenntnis, daß das Problem der Beteiligung deutscher Firmen an den Ausschreibungen von Projekten in den assoziierten Staaten, die aus der Finanzhilfe der Gemeinschaft finanziert werden, sich inzwischen weitgehend erledigt hat. Während die Beteiligung am ersten Entwicklungsfonds weit unter 10 % lag und zu sehr
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Dr. Sprungviel Kritik Anlaß gegeben hat, partizipierten deutsche Firmen am zweiten Entwicklungsfonds bis Ende 1969 mit insgesamt nunmehr 23%. Damit wird zwar immer noch nicht der Anteil der Bundesrepublik an der Finanzhilfe in Höhe von rund einem Drittel erreicht; doch kann wohl auch kaum gefordert werden, daß der Anteil von Firmen der Bundesrepublik unbedingt dem Prozentsatz der Leistungen der Bundesrepublik an der Gesamtfinanzhilfe entsprechen müßte. Auch wir sind der Meinung des Pearson-Berichts, daß die sogenannte Lieferbindung, die damit indirekt gefordert wurde, zu kritisieren ist, weil, wie alle Untersuchungen gezeigt haben, damit für die Entwicklungsländer erhebliche direkte und indirekte Mehrkosten verbunden sind. Das, was man aber fordern kann, ist, daß auch deutschen Firmen entsprechend den Bestimmungen des Abkommens die Teilnahme an Ausschreibungen und Aufträgen zu den gleichen Bedingungen offensteht wie den Firmen und Unternehmen der übrigen EWG-Länder und assoziierten Staaten selbst und daß die Auftragsbedingungen verbessert werden.Wir begrüßen es schließlich, daß auch auf dem Gebiet der technischen Zusammenarbeit das neue Abkommen weitere Verbesserungen bringt. Außerdem halten wir es für wünschenswert, daß auf dem Gebiet der Investitionen die internationale Zusammenarbeit weiter ausgebaut wird, indem für die Finanzierung von Projekten auch Mittel aus anderen Quellen einschließlich anderer internationaler Finanzierungseinrichtungen mit eingesetzt werden. Endlich sollte die Finanzhilfe wie die Assoziierung schlechthin auch unter dem Gesichtspunkt gesehen und betrieben werden, wie damit die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den assoziierten Staaten selbst unterstützt und gefördert werden kann.Alles in allem kann gesagt werden, daß auch das neue Assoziierungsabkommen wiederum ein Schritt vorwärts ist auf dem Wege der wirtschaftlichen Entwicklung der mit der EWG assoziierten Staaten. Die Fraktion der CDU/CSU stimmt daher dem Assoziierungsabkommen zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Graaff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Fraktion der 'Freien Demokratischen Partei darf ich uneingeschränkte Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzeswerk betonen. Wir sind mit den übrigen Fraktionen dieses Hohen Hauses der Meinung, daß damit für die Entwicklungsländer erhebliche Vorteile verbunden sind, die unsere Bemühungen, ihnen den Anschluß an eine moderne Welt zu ermöglichen, erleichtern sollen.
Ich kann aber nicht umhin, auch auf eine negative Seite, wenn ich es einmal so bezeichnen darf, hinzuweisen. Sie wissen, daß die EWG immer wieder in der Gefahr steht, von anderer Seite dahin gehend beschuldigt zu werden, daß sie sich bei ihren Assoziierungsabkommen bei der Einräumung von Präferenzen nicht GATT-konform benimmt. Wir als FDP haben schon immer den Standpunkt vertreten, daß gerade die EWG eine weltweite liberale Handelspolitik betreiben sollte, ohne daß dabei — um das ausdrücklich zu betonen — die Notwendigkeiten, den .Entwicklungsländern zu helfen, übersehen werden. Diese Forderung nach einer liberalen Handelspolitik entspricht auch der Lage der Bundesrepublik als einer .der großen Handelsnationen dieser Welt. Unsere Lage gegenüber Drittländern würde schwierig, wenn nicht sogar unerträglich werden, wenn wir diese weltoffene Haltung nicht mehr einnähmen.
Man soll sicherlich die Bedenken, die insbesondere von seiten der Vereinigten Staaten immer wieder in Richtung GATT-Konformität erhoben werden, nicht überschätzen, zumal auch die Entwicklung der Handelsströme in den letzten Jahren die Sorgen der Vereinigten Staaten bisher nicht bestätigt hat. Trotzdem sollte die EWG, so meinen wir, den Gedanken der Bundesregierung aufgreifen, indem sie eine, wie es so schön genannt wird, Ständige Consulting Commission errichtet, um die Verbindung zwischen EWG und GATT so zu festigen, daß Vorwürfe, wie sie in der letzten Zeit gegen diese Assoziierungsabkommen aus anderen Ländern erhoben worden sind, in Zukunft nicht mehr vorkommen können.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Wir kommen zur Abstimmung. Da es sich um ein Zustimmungsgesetz handelt, bedarf es keiner dritten Beratung. Wer dem Gesetz auf Drucksache VI/483 in zweiter Beratung und im ganzen zustimmen will, der möge sich erheben. — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Meine Damen und Herren, die Fraktionen haben den Wunsch ausgesprochen, daß zusätzlich zu der gedruckten Tagesordnung eine Änderung und Ergänzung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages beraten und beschlossen werden soll:Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung betr. Änderung und Ergänzung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages— Drucksache VI/521 —Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Starke , Collet, Mertes.Ich nehme an, daß keine besondere Begründung erfolgen wird.Es liegt ein interfraktioneller Änderungsantrag auf Umdruck 24 *) vor. Danach soll der § 24 Abs. 2 eine andere Fassung erhalten; die brauche ich wohl nicht zu verlesen. Ferner soll in § 81 Abs. 3 der Satz 2 gestrichen werden. Ist das Haus mit diesen Änderungen einverstanden? — Kein Widerspruch? — Keine Enthaltung? — Dann ist so beschlossen.Wir kommen nunmehr zur Schlußabstimmung, und zwar, da es kein Gesetz ist, durch einfaches Ab-*) Siehe Anlage 3
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Vizepräsident Dr. Schmidstimmungsverfahren. Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. —Gegenprobe! — Enhaltungen?Es ist so beschlossen.Außerdem haben wir über die Ziffern 2 und 3 des Ausschußantrags noch abzustimmen:2. In den Anlagen der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages wird jeweils das Wort „Abgeordneter" durch die Worte „Mitglied des Bundestages" ersetzt.3. Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages wird ohne Änderung der Paragraphenfolge neu bekanntgemacht.Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Dann ist so beschlossen.Nunmehr rufe ich Punkt 4 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes— Drucksache VI/507 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache VI/710 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Althammerb) Schriftlicher Bericht des Verteidigungsausschusses
— Drucksache VI/687 —Berichterstatter: Abgeordneter Biehle .Das Wort hat der Abgeordnete Biehle.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich als Berichterstatter des Verteidigungsausschusses einmal auf die Wichtigkeit dieses Gesetzes hinweise angesichts der besonderen Bedeutung, die auch das Sanitätswesen und die ärztliche Versorgung in der Bundeswehr haben. Es ist ein besorgniserregender Fehlbestand an Sanitätsberufsoffizieren festzustellen. Das Gesetz soll dazu beitragen, diesen Mangel zu beseitigen.
Die Bewerberzahlen für das aktive Sanitätsoffizierskorps sind seit Jahren sehr stark rückläufig. Durch den Inspekteur des Sanitätswesens ist vor nicht allzu langer Zeit festgestellt worden, daß von den 1300 Ärzten, die notwendig sind, nur 759 vorhanden sind und daß etwas getan werden muß, um diesen Mangel zu beseitigen. Zur Zeit — das muß auch gesagt werden — sind nur 42 % der Sanitätsoffiziersposten besetzt. Beim ärztlichen Dienst sind es sogar nur knapp 36%. Nach den Berechnungen würde sich das 1980 so auswirken, daß von den Posten für aktive Sanitätsoffiziere nur 32 % besetzt werden können. Auch ,der Einsatz von entsprechenden wehrpflichtigen Ärzten oder auch von Vertragsärzten könnte diesen Engpaß nicht mehr entsprechend überbrücken oder auch die ärztliche Versorgung der Truppe sicherstellen. Schon heute ist zu sagen, daß die Dienstposten für Fachärzte, für Spezialisten, Leitende Sanitätsoffiziere, die ja eine langjährige Erfahrung benötigen, nicht mehr besetzt werden können.
Auf Grund dieser Tatsache hat schon der Verteidigungsausschuß am 14. November 1968 die Einführung einer Sanitätsoffiziersanwärter-Laufbahn gefordert. Neben den schon in der Vergangenheit geschaffenen Verbesserungen wie z. B. den besseren Aufstiegsmöglichkeiten, den Zulagen, der Facharztweiterbildung für alle jungen Berufssanitätsoffiziere soll gerade die vorgesehene Neuordnung die entscheidende Maßnahme zur Einführung einer attraktiven Laufbahn darstellen.
Der Gesetzentwurf trägt auch den praktischen Erfahrungen des bereits eingeleiteten Truppenversuchs entsprechend Rechnung. Nach dieser künftigen Regelung ist der Ausbildungsgang so vorgesehen, daß Abiturienten als Sanitätsoffiziersanwärter zur Bundeswehr kommen und nach einjähriger militärischer Ausbildung zum Studium beurlaubt werden, wobei dann zwei Monate jährlich der militärischen Ausbildung dienen sollen. Eine solche Regelung war schon bei der früheren Wehrmacht üblich und ist auch heute bei einer Reihe von NATO-Staaten noch in Anwendung. Man kann auch sagen, daß bereits 50 % der jetzigen Berufssanitätsoffiziere der Bundeswehr ehemalige aktive Sanitätsoffiziere der Wehrmacht waren.
Mit Billigung des Verteidigungsausschusses ist seit dem 1. Januar auch dieser Truppenversuch angelaufen, und es war eine sehr positive Regelung festzustellen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dichgans?
Herr Kollege, darf ich fragen, bestehen denn Aussichten, daß die zusätzlichen Offiziersanwärter, die Sie auf diese Weise gewinnen wollen, überhaupt Studienplätze an deutschen Universitäten erhalten, und bestehen diese Aussichten auch für die Reservisten, die Sanitätsoffiziere der Reserve werden wollen?
Dazu darf ich Ihnen gleich sagen, daß gerade auch an Hand dieser Truppenversuche bisher sehr positive Ergebnisse erzielt worden sind und daß auch der Numerus clausus keine Schwierigkeiten gebracht hat, nachdem die jungen Leute, die sich bisher gemeldet haben, entsprechende Studienplätze gefunden haben und indem künftig nur solche Bewerber angenommen werden, die bereits auf den Universitäten immatrikuliert sind. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, daß hier keinerlei Schwierigkeiten bestehen. Es sind auch entsprechende Vereinbarungen getroffen, und man glaubt, daß auch durch den Ausbau akademi-
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Biehlescher Bundeswehrkrankenhäuser — ich denke dabei an Ulm — dieses Problem für die Zukunft sicherlich beseitigt werden kann.Ich darf noch auf einen Punkt zurückkommen, der im Bundesrat angesprochen wurde. Dort ist gefordert worden, daß man prüfen möge, ob die Höhe des Ausbildungsgeldes in angemessener Relation steht zu den im Rahmen der allgemeinen Studienförderung nach dem Honnefer Modell gewährten Beträgen und den Unterhaltszuschüssen für Beamte im Vorbereitungsdienst für die Laufbahn des höheren Dienstes. Dieser Antrag ist durch das Land Nordrhein-Westfalen eingebracht worden. Nach den Vorstellungen des Bundesrates sollte der Betrag des Ausbildungsgeldes bei 560 DM liegen. Man geht davon aus, daß nach dem Honnefer Modell rund 350 DM gezahlt werden und der Unterhaltszuschuß für Referendare im Schnitt — bei einem Ledigen von 26 Jahren — 764 DM beträgt.Nach dem Gesetzentwurf staffelt sich der Betrag des Ausbildungsgeldes je nach dem Fortschritt des Studiums und dem zwischenzeitlich erworbenen militärischen Dienstgrad. Es beginnt im ersten Studienjahr mit 666 DM und beträgt im sechsten Studienjahr 1096 DM. Entscheidend für die Ansätze des Ausbildungsgeldes ist, daß der Sanitätsoffiziersanwärter nicht Student allein ist, weil er ja neben der akademischen Ausbildung auch eine entsprechende militärische Ausbildung bekommt. Es wäre auch nicht gerechtfertigt, wenn der Sanitätsoffiziersanwärter besoldungsmäßig schlechtergestellt würde als I Soldaten, die mit Dienstbezügen zum Studium abkommandiert werden, zumal da in der Sanitätsoffizierslaufbahn die Beförderung zum Leutnant ein Jahr später als in den übrigen Bereichen erfolgt. Die Bedenken des Bundesrates sind daher absolut nicht berechtigt.Einer Regelung, die Betreffenden mit vollen Bezügen zum Studium abzukommandieren, ist zu widersprechen, da bei einem vorzeitigen Ausscheiden eine Rückforderung der Dienstbezüge nicht möglich ist. Das ist besonders entscheidend, da hiermit dem Versprechen, als Berufssanitätsoffizier Dienst zu leisten, Nachdruck verliehen werden kann.Der Bundesrat hat grundsätzlich keine Einwendungen erhoben, sondern die Annahme des Gesetzentwurfs empfohlen, wobei er lediglich auf die Entschließung hingewiesen hat. Der Innenausschuß hat ebenfalls gutachtlich dazu Stellung genommen und seine Annahme empfohlen. Da auch der Haushaltsausschuß keine Bedenken hat, kann dem Gesetzentwurf zugestimmt werden.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe die Artikel 1, 2, 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Keine Wortmeldungen.
Wer einverstanden ist, gebe das Handzeichen. -
Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Wir kommen zur Schlußabstimmung in
dritter Beratung.
Wer dem Gesetz zustimmen will, möge sich erheben. — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Gesetzes über befristete Freistellung von der deutschen Gerichtsbarkeit
— Drucksache VI/645 —
Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache VI/723 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dürr,
Abgeordneter Vogel
Berichterstatetr sind die Abgeordneten Dürr und Vogel. Wird der Bericht mündlich erstattet, oder verweisen Sie auf Ihren Schriftlichen Bericht?
- Es wird auf den Schriftlichen Bericht verwiesen. Änderungsanträge liegen nicht vor.
Ich rufe in zweiter Beratung die §§ 1, 2, 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — 2 Enthaltungen.
Wir kommen zur
dritten Beratung. Das Wort hat der Abgeordnete Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen der Fraktion der CDU/CSU gebe ich folgende Erklärung zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Gesetzes über befristete Freistellung von der deutschen Gerichtsbarkeit vom 29. Juli 1966 ab.Die Fraktion der CDU/CSU wird dem Entwurf nicht zustimmen, sondern sich bei der Abstimmung der Stimme enthalten. Sie bringt damit ihre rechtlichen und rechtspolitischen Bedenken gegen diese Art von Gesetzgebung zum Ausdruck. SPD und FDP glauben in Übereinstimmung mit der derzeitigen Bundesregierung in Verfolg ihrer deutschlandpolitischen Zielsetzungen diesen Weg gehen zu sollen. Sie tragen dafür die Verantwortung.Die CDU/CSU verzichtet darauf, den vorliegenden Entwurf zum Gegenstand streitiger Auseinandersetzungen im Deutschen Bundestag zu machen.
Im Bemühen, den Machthabern im anderen TeilDeutschlands keinen Vorwand zu liefern, das Treffen zwischen dem Bundeskanzler und Herrn Stoph
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Vogelam 21. Mai 1970 in Kassel scheitern zu lassen, glaubt sie insoweit in diesem besonderen Fall ihre Bedenken zurückstellen zu können. Die CDU/CSU beschränkt sich deshalb auf die folgenden allgemeinen Bemerkungen.Erstens. Im freiheitlichen Rechtsstaat darf nicht die jeweilige Opportunität darüber entscheiden, welches Recht gilt, ab wann es gilt und ab wann es nicht mehr gilt. Die Kontinuität des Rechts unabhängig von tagespolitischer momentaner Opportunität gehört zum Rechtsstaat. Deshalb darf dieses Parlament nicht beliebig Gesetze heute erlassen und morgen wieder aufheben, nur weil heute dies und morgen jenes opportun erscheint.Zweitens. Die Auffassung der Bundesregierung, das Gesetz vom 29. Juli 1966 sei durch die Entwicklung überholt, ist so unzutreffend. Der Anwendungsbereich des Freistellungsgesetzes ist weiter als der derjenigen Bestimmungen, durch die es nach Auffassung der Bundesregierung überholt sein soll. Im übrigen hat es nach wie vor, auch soweit es Fragen der Strafverfolgung betrifft, seinen eigenen Sinn neben den neugefaßten Vorschriften der Strafprozeßordnung, die das Opportunitätsprinzip eingeführt haben.Drittens. Die Fraktion der CDU/CSU ist nicht bereit, ihre Entscheidung in diesem Hause davon abhängig zu machen, was die Machthaber im anderen Teil Deutschlands in Verfolgung ihrer Politik als diskriminierend bezeichnen. Sie geht davon aus, daß sie sich insoweit in Übereinstimmung mit den anderen Fraktionen dieses Hauses befindet. Das festzuhalten ist wichtig angesichts weitergehender Forderungen nach Aufhebung oder Änderung von in der Bundesrepublik Deutschland geltendem Recht. Für die Aufhebung des Freistellungsgesetzes vom 29. Juli 1966 können andere Gründe ins Feld geführt werden. Sie lassen sich nicht zuletzt aus den Bedenken herleiten, die im Jahre 1966 bereits gegen den Erlaß des Freistellungsgesetzes erhoben worden sind.Ich möchte noch folgende Schlußbemerkung anfügen. Die Absicht des Freistellungsgesetzes war es, mit Mitteln des Rechtsstaates den im Jahre 1966 geplanten Redneraustausch zwischen SPD und SED zu ermöglichen. Wenn hier jemand diskriminiert hat, meine Damen und Herren, dann die Machthaber im anderen Teil Deutschlands, die in bewußter Verdrehung der Tatsachen das Freistellungsgesetz als „Handschellengesetz" diffamiert haben. Die Fraktion der CDU/CSU bedauert es, daß diese diskriminierende Bezeichnung während der Diskussion der letzten Zeit hier und da in der Bundesrepublik kritiklos übernommen worden ist und daß nicht alle, die dazu berufen gewesen wären, dem mit Entschiedenheit entgegengetreten sind.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Freistellungsgesetz wurde 1966 geschaffen, um innerdeutsche Begegnungen zu ermöglichen. Dieser Zweck ist damals nicht erreicht worden. Die Aufhebung dieses Gesetzes soll ebenfalls eine innerdeutsche Begegnung erleichtern. Das ist die politische Seite.
Zur rechtlichen Seite ist zu sagen, daß materiell die Bestimmungen des Freistellungsgesetzes durch die Gesetzesänderungen überholt sind, die der vergangene Bundestag durch den Erlaß des des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes getroffen hat. Bei der Abstimmung über ,das Freistellungsgesetz im Frühsommer 1966 vermerkt das Bundestagsprotokoll zahlreiche Gegenstimmen aus der Fraktion der CDU/CSU. Der Herr Kollege Memmel hat ausdrücklich erklärt, er halte das Freistellungsgesetz für ein Sondergesetz und sei nicht in der Lage, ihm zuzustimmen. Wenn dieses Gesetz, das Herr Memmel als Sondergesetz bezeichnet hat und das zweifellos eine Ausnahmeregelung, begründet mit politischer Opportunität, war, heute aufgehoben werden soll, dann müßten er und seine Fraktionskollegen, die damals mit ihm gestimmt haben, der Aufhebung dieses Gesetzes eigentlich mit besonderer Freude zustimmen.
Es muß noch eines betont werden. Da die Vorschriften des Freistellungsgesetzes durch das Achte Strafrechtsänderungsgesetz überholt sind, wäre die Aufhebung des Freistellungsgesetzes aus Rechtsgründen auch dann angebracht, wenn im Monat Mai überhaupt keine innerdeutsche Begegnung bevorstünde. Die Fraktionen der Koalitionsparteien stimmen dieser Aufhebung des Freistellungsgesetzes zu.
Keine weiteren Wortmeldungen. Änderungsanträge liegen nicht vor.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz 'zustimmen will, der möge sich erheben. — Enthaltungen? — Gegenstimmen? — Ohne Gegenstimmen bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Sozialberichts 1970
— Drucksache VI/643 —
Ich darf bemerken, daß für den Redner der CDU/CSU, Herrn Katzer, 45 Minuten Redezeit angemeldet wurden.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Arendt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Am 28. Oktober )1969, also vor wenig mehr als sechs Monaten, hat der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung angekündigt, die Bundesregierung werde „ihre Pläne und Vorhaben auf dem Gebiet der inneren Reform unseres Landes dem Parlament und der Öffentlichkeit in Einzelberichten unterbreiten". Nach dem Bericht zur Lage der Nation, dem Wirtschafts- und dem
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2501
Bundesminister ArendtLandwirtschaftsbericht, habe ich die Ehre, Ihnen heute den vierten dieser Berichte vorzulegen, den Sozialbericht 1970. Die Bundesregierung hält Sozialpolitik für so wichtig, daß sie den Bundestag und damit auch die Öffentlichkeit in einem besonderen Bericht über ihre Absichten informieren will.Zum erstenmal beschränkt sich die sozialpolitische Berichterstattung der Bundesregierung nicht nur auf Tatbestände in der Rentenversicherung. In. Verbindung mit dein Sozialbudget entstand dieser Sozialbericht oder, wenn Sie so wollen, das sozialpolitische Kursbuch dieser Bundesregierung. Der Sozialbericht zählt Tatsachen über soziale Zustände in der Bundesrepublik auf. Er hat darauf verzichten müssen, den sozialen Befund der Gesellschaft vollständig aufzunehmen. Dazu ist der Sachverhalt zu vielschichtig. Der Bericht nennt aber Tatbestände, die uns nicht angenehm sein und uns nicht gleichgültig lassen können. Ich führe drei besonders gewichtige Themen an: die Chancenungleichheit in der Bildung, die ungerechte Vermögensverteilung und das Schicksal von vier Millionen behinderten Menschen.Es ist bekannt, daß Kinder aus Arbeiterfamilien Oberschulen und Hochschulen nur weit unter dem Anteil besuchen, den die Arbeiter ;an der Bevölkerung der Bundesrepublik haben. Die Schulbildung entscheidet aber mehr als je zuvor über berufliche und soziale Chancen. Wenn wir eine demokratische Gesellschaft der Gleichberechtigten wollen, müssen wir allen Kindern mindestens die gleichen Startchancen geben.
Wir werden neue und größere Anstrengungen unternehmen müssen, damit wir dieses Ziel erreichen. Dazu .hat sich die Bundesregierung verpflichtet.Weiterhin ist bekannt, daß die Erträge unserer wachsenden Wirtschaft in der Gesellschaft sehr ungleich verteilt sind. Wenige Haushalte verfügen über einen hohen Anteil an Produktivvermögen. Die Bundesregierung wird einen Vermögensbericht erstatten, der die Verteilung des Bestandes und der Zuwächse an Vermögen verdeutlichen wird, obwohl nur unzulängliche statistische Unterlagen zur Verfügung stehen.Nicht so gut bekannt ist die Tatsache, daß in der Bundesrepublik vier Millionen behinderte Menschen leben. Die meisten können aus eigener Kraft nicht am steigenden Wohlstand teilnehmen. Sie brauchen Hilfen vom Staat und von allen übrigen sozialen Gruppen der Gesellschaft. Es 'fehlt aber an Einrichtungen, und es fehlen Fachkräfte, mit denen wirksamer als bisher geholfen werden kann. Die Bundesregierung wird deshalb mehr für die Wiedereingliederung der Behinderten und Beschädigten in Beruf und Gesellschaft tun.Angesichts solcher Schattenzonen haben wir keine Veranlassung, auf der Wohlstandsfanfare fortgesetzt die Melodie „Es geht uns alien immer besser" zu blasen. Es ist bei uns eben nicht alles so schön, wie es manchmal erscheinen soll.
Natürlich haben wir nach den Zerstörungen des zweiten Weltkrieges große Aufbauleistungen auf vielen Gebieten vollbracht. Anderes kam aber dabei zu kurz. Selbstverständlich können wirr mit unserem System der sozialen Sicherung sowohl in Europa als auch außerhalb Europas Vergleiche mit anderen Ländern aushalten. Aber wir können und dürfen uns mit dem Erreichten nicht begnügen. Wir müssen neue Ziele und Aufgaben ins Auge fassen.
Insofern dient der Sozialbericht 1970 auch derGewissenserforschung und der Bewußtseinsbildung.Die Öffentlichkeit ist daran gewöhnt worden, die Risse, Bergschäden und Verwerfungen im Sozialgebäude der Bundesrepublik geduldig zu übersehen. Es ist an der Zeit, dieses Gebäude zu verankern, zu stützen und wohnlicher einzurichten.
Dabei soll — ich wiederhole es — nicht bestritten werden, daß im Laufe der Zeit manches besser geworden ist. Das ändert aber nichts an der Notwendigkeit, den Sozialbereich zu reformieren und die sozialpolitischen Mittel rationaler als bisher einzusetzen.
Der Sozialbericht 1970 beschreibt, auf welchen Wegen welche aufeinander abgestimmten Schritte die Bundesregierung zum Ziel größerer sozialer Gerechtigkeit zu tun gedenkt. Ich möchte, bevor ich darauf näher eingehe, eine Vorbemerkung machen. Das Sozialbudget 1968 hat sich darauf beschränkt, ausgewählte Leistungsarten aus dem Gebiet der sozialen Sicherung fortzuschreiben. Obwohl der Sozialbericht 1970 inhaltlich und methodisch viel weiter ausgreift, sind uns bei seiner Zusammenstellung die Vorarbeiten nützlich gewesen, die für das Sozialbudget 1968 geleistet worden sind. Dafür habe ich meinem Herrn Amtsvorgänger zu danken.
Der Sozialbericht 1970 ist Bestandsaufnahme und Rechenwerk. Der Zahlenteil gliedert zum erstenmal in der Geschichte der deutschen Sozialpolitik die Ströme der Sozialleistungen nicht nur nach Institutionen, sondern auch nach Funktionen auf. Es ist jetzt möglich, zu sehen, wie hohe Leistungen für welche einzelnen Risiken gewährt werden. Eine solche Gliederung liefert also Grundriß und Außenansicht unserer Sozialverfassung. Dennoch kann der Sozialbericht 1970 noch nicht alle Wünsche erfüllen. Dazu fehlen einfach unentbehrliche statistische Unterlagen. Lassen Sie mich ein Beispiel geben. Die Statistik hat die Produktion von Regenschirmen aufmerksamer registriert als gewisse soziale Sachverhalte.
Wir werden diese Lücken schließen, und wir werden auf diesem Feld verbessern müssen.Eine moderne Sozialpolitik, wie die Bundesregierung sie versteht, beschränkt sich nicht mehr darauf, die negativen Wirkungen des gesellschaftlichen
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Bundesminister ArendtWandels zu korrigieren. Sie begnügt sich nicht damit, die Rand- und Ausnahmesituationen zu mildern, die sich aus dem gesellschaftlichen Wandel ergeben. Insoweit der Wandel die beherrschende Tatsache der Gegenwart und der Zukunft ist, wird Sozialpolitik, verzahnt vor allem mit Wirtschafts- und Finanzpolitik, wünschenswerte Veränderungen vorbereiten und herbeiführen.Meine Damen und Herren! Der große Bogen einer gestaltenden Sozialpolitik läßt sich in vier Hauptabschnitte gliedern: in Aktivitäten vor, während, nach und außerhalb des Berufs- und Arbeitslebens. Die Bundesregierung sieht in Arbeit und Beruf die Hauptachse der Sozialpolitik.In den Hauptabschnitt des vorberuflichen Lebens gehören die Familien- und die Jugendpolitik, Bildung und Ausbildung.Zum zweiten Hauptabschnitt zählen die großen Tatbestände an der Basis des Arbeitslebens: das Arbeitsrecht, insbesondere also Betriebsverfassungsgesetz, Personalvertretungsgesetz und die Mitbestimmung, der Arbeitsschutz — den man besser Arbeitnehmerschutz nennen sollte — mit Unfallforschung und Unfallverhütung, aber auch die wichtige Frage der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand.Zum dritten Hauptabschnitt rechnet die Alterssicherung des nachberuflichen Lebens. Hierher gehören die Überlegungen über die Einführung einer flexiblen Altersgrenze.Der vierte Hauptabschnitt schließlich hat in den letzten Jahren an Bedeutung und Gewicht gewonnen. Er umschließt unter anderem Krankenversicherung, Rehabilitation, Fortbildung und Umschulung sowie Sozialhilfe.Lassen Sie mich aus dem Soizalbericht 1970 zunächst den Zahlenteil betrachten. Das Rechenwerk steht auf dem Boden der volkswirtschaftlichen Grundannahmen, die der mittelfristigen Zielprojektion und der mehrjährigen Finanzplanung der Bundesregierung zugrunde liegen. Der Vorwurf der Opposition, das Sozialbudget halte sich nicht im Rahmen der mittelfristigen Projektion der Bundesregierung, ist absurd. Herr Kollege Katzer, Sie wissen aus Ihrer Regierungstätigkeit, daß kein Bundesarbeitsministerium eine sozialpolitische Vorausrechnung vorlegen kann, die nicht mit allen beteiligten Häusern gerade in den Grundannahmen sorgfältig abgestimmt ist. Das Sozialbudget beruht — davon können Sie ausgehen — in seinen Annahmen voll auf derselben Wirtschaftsprojektion, die der mehrjährigen Finanzplanung zugrunde liegt.Das Rechenwerk unterstellt aus methodischen Gründen für die Periode bis 1973 unveränderte sozialpolitische Gegebenheiten, mit Ausnahme solcher Ausgabepositionen, die die Bundesregierung in ihrem mehrjährigen Finanzplan beschlossen hat.Unter diesen Voraussetzungen kommt der Sozialbericht 1970 zu drei wesentlichen Ergebnissen:Erstens. Das geltende Sozialrecht beeinträchtigt nicht das weitere Wachstum der Wirtschaft.Zweitens. Der sozialpolitische Bewegungsraum ist auf mittlere Sicht nicht mehr so eng wie bisher angenommen wurde.Drittens. Bis 1973 werden die Nettoverdienste jährlich um real 4 bis 5% steigen. Diese Annahme liegt um 1 % über der Schätzung aus dem Sozialbudget 1968.Wie aus der Presse zu entnehmen war, hat die Opposition am Montag vor Journalisten in diesem Zusammenhang von einem Rechenfehler im Sozialbudget gesprochen. Lassen Sie mich auf die Zahlen etwas näher eingehen. Die Berechnungen, die von Oppositionsvertretern angestellt wurden, um der Bundesregierung einen Rechenfehler nachzuweisen, gehen von anderen Annahmen aus als unsere Berechnungen. Sie nehmen als Basis die langfristige Berechnung für die Einnahmen und Ausgaben der Rentenversicherung, die die Bundesregierung dem Parlament vorgelegt hat. Diese Zahlen entsprechen dem Erkenntnisstand vom November 1969. Sie gehen davon aus, daß das Einkommen der Arbeitnehmer 1970 um 11% pro Kopf steigen wird.Wie ich in meiner Rede anläßlich der Streichung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrages gesagt habe, ist die Einkommensentwicklung in diesem Jahre so günstig verlaufen, daß die Bundesregierung ihre Schätzungen für 1970 ändern mußte. Deswegen geht das Sozialbudget wie der Jahreswirtschaftsbericht von einer aktuelleren Zahl aus, nämlich einer Lohn- und Gehaltsentwicklung von 12%. Sie finden diese Zahlen auf Seite 58 des Sozialbudgets. Für die Berechnungsperiode des Sozialbudgets, also von 1969 bis 1973, ergibt sich daraus eine durchschnittliche Entwicklung der realen Nettolöhne und -gehälter je abhängig Beschäftigten von 4,4 %.Inzwischen ist die Annahme einer 12%igen Lohnsteigerung, wie sie der Jahreswirtschaftsbericht und das Sozialbudget unterstellen, wiederum als zu niedrig anzusehen. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand erhöht sich die reale Zuwachsrate auf durchschnittlich 4,8%.Meine Damen und Herren, Sie sehen daraus, daß die Bundesregierung ihre Behauptung, die realen Nettoeinkommen der Arbeitnehmer würden von 1969 bis 1973 zwischen 4 und 5% jährlich wachsen, voll aufrechterhalten kann.
Das kann sie um so mehr, als diese Zahlen nach derselben Methode errechnet wurden, die im Sozialbudget 1968 einen Zuwachs von 3 bis 4 % ergeben hat.Interessant finde ich in diesem Zusammenhang die Projektion der CDU/CSU, daß der Zuwachs der realen Nettoeinkommen bei den Arbeitnehmern in den nächsten Jahren nur 2,5% betragen soll. Die Bundesregierung teilt diese Zielvorstellungen nicht. Sie wird dafür sorgen, daß durch eine Politik der Vollbeschäftigung die Einkommensentwicklung der Arbeitnehmer auch in der Zukunft günstig sein wird.
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Bundesminister ArendtIm Überblick errechnet das Zahlenwerk des Sozialberichts folgende Positionen. Die gesamten Aufwendungen für die soziale Sicherung werden im Jahrfünft 1969 bis 1973 um 45,4% auf fast 179 Milliarden DM steigen. Innerhalb der sozialen Sicherung ergeben sich beträchtliche Verschiebungen. Von den fünf großen Teilfunktionen weisen vier wachsende Leistungen aus. In runden Zahlen — einschließlich bestimmter Überschneidungen — werden die Leistungen für die Alterssicherung auf 47 Milliarden DM, die Leistungen für Gesundheitssicherung auf 44 Milliarden DM steigen. Besonders bemerkenswert erscheint mir, daß die Aufwendungen für vorbeugende, wiederherstellende und wiedereingliedernde Maßnahmen, die unter dem Stichwort „produktive Leistungen" zusammengefaßt sind, überdurchschnittlich wachsen und im Jahre 1973 annähernd 38 Milliarden DM ausmachen werden. Die Zahlen für die soziale Sicherung enthalten erstmals auch betriebliche Leistungen und soziale Steuervergünstigungen. Die betrieblichen Sozialleistungen werden auf über 19 Milliarden DM anwachsen. Dagegen werden die indirekten öffentlichen Sozialleistungen — insbesondere Steuervergünstigungen für Ehepaare, Kinder und Altersfreibeträge — relativ abnehmen, aber immer noch fast 19,5 Milliarden DM betragen.Das funktionale Rechenwerk des Sozialberichts führt zu folgenden wesentlichen Ergebnissen. Die Leistungen für alte Menschen und Hinterbliebene und die produktiven Leistungen wachsen überdurchschnittlich. Absolut, also in Mark und Pfennig, steigen auch die Familienleistungen und die Leistungen für Kriegsfolgen weiter. Die öffentlichen Sozialleistungen werden 1973 einen Anteil von knapp 19% am Bruttosozialprodukt haben. Der öffentliche Anteil an der Finanzierung der sozialen Sicherung bleibt mit rund 40% im wesentlichen unverändert. Die Finanzierung aus Beiträgen und öffentlichen Mitteln ist gesichert.In diesem letzten Jahr der Übersicht wird das Sozialbudget einen Finanzierungsüberschuß von vier bis fünf Milliarden DM ausweisen. Das beweist, wie solide die Finanzierung der sozialen Sicherung ist. Wenn die Opposition meint, der Spielraum für sozialpolitische Maßnahmen sei enger als das Sozialbudget ausweist,
dann muß ich darauf hinweisen, daß von dieser Regierung bisher nirgendwo erklärt wurde, daß nur im Rahmen dieses Überschusses Sozialpolitik betrieben werden soll.
Nach diesem Überblick über den finanziellen Hintergrund der nahen sozialpolitischen Zukunft möchte ich einige Hauptlinien nachzeichnen, die sich aus der Bestandsaufnahme des Sozialberichts 1970 ergeben.Die Untersuchungen, die wir für den Sozialbericht angestellt haben, bestätigen bestimmte, aus Wissenschaft und Praxis belegte Tatsachen, die eine dynamische Gesellschaft charakterisieren. Ich stelle diese Ergebnisse voran, weil sie für alle sozialen Teilbereiche und für alle sozialpolitischen Überlegungen gelten.Erstens. Wachsendem privatem Wohlstand steht ungenügende Deckung des öffentlichen Bedarfs gegenüber.Zweitens. Es bestehen erhebliche regionale Ungleichgewichte im Grad der Industrialisierung und in der Erreichbarkeit sozialer Dienste.Drittens. Die berufliche Umschichtung bringt neue soziale Risiken.Viertens. Das Wirtschaftswachstum führt zeitweilig oder strukturell zu schwerwiegenden Unterschieden in Einkommen und Vermögen.Fünftens. Diese Disparitäten lösen sich nicht von selbst auf.Innerhalb des vorberuflichen Bereichs stellt sich die Aufgabe einer verbesserten, chancengerechteren Ausbildungsförderung. Der mehrjährige Finanzplan der Bundesregierung enthält Mittel, mit denen eine umfassende gesetzliche Regelung der Ausbildungsförderung von der Grundschule bis zur Hochschule verwirklicht werden soll.Ein Sonderproblem ist die Frage der elternunabhängigen Förderung. Sie stellt sich mit dem wachsenden Streben der jungen Generation nach Unabhängigkeit. Die Bundesregierung prüft zur Zeit auf der Basis des Ausbildungsförderungsgesetzes und an Hand ausländischer Erfahrungen, ob und wie sie ihre Förderungspolitik in diese Richtung erweitern kann. Hier stehen hohe Haushaltsbeträge zur Rede. Ob für eine familienunabhängige Förderung künftig neben verlorenen Zuschüssen auch die Form des Darlehens benutzt werden kann, ist noch offen. Das Ausbildungsförderungsgesetz, das am 1. Juli in Kraft tritt, verwirklicht die familienunabhängige Förderung schon für den zweiten Bildungsweg. Weiterhin wird im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit bei volljährigen oder verheirateten Personen in betrieblicher Ausbildung oder in der Ausbildung für Sozialberufe das Elterneinkommen nicht mehr auf den Ausbildungsbedarf angerechnet. Gleiches gilt auch für die Teilnehmer an einer beruflichen Fortbildung oder Umschulung.Die Bundesregierung wird Ihnen, meine Damen und Herren, Vorschläge zur Vervollständigung des Ersten Ausbildungsförderungsgesetzes machen, die mit Jahresbeginn 1973 wirksam werden sollen.Aus- und Fortbildung bestimmen immer mehr die Berufschancen, das Einkommen und damit die gesellschaftliche Stellung des einzelnen. In Zukunft sollen berufsbezogene Bildungswege bis zur Hochschule reichen. Berufliche Bildung muß als gleichrangiger Bestandteil der gesamten Bildungsreform verstanden werden.
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2504 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Bundesminister ArendtEinige Möglichkeiten, die sich aus dem Berufsbildungsgesetz ergeben, haben wir inzwischen aufgegriffen. So wird die Berufsbildungsforschung im neuen Bundesinstitut in Berlin konzentriert. Wir werden Inhalte und Ziele der Berufsbildung neufassen und sie an Veränderungen anpassen müssen. Der berufsbildende Fernunterricht soll weiterentwickelt und verstärkt angewandt werden, wobei das Fernsehen bislang noch nicht genutzte Möglichkeiten eröffnet.Die Berufsausbildung muß in wesentlichen Teilen neu geordnet werden. Viele Berufsbilder, Ausbildungspläne und Prüfungsanforderungen sind überholt und erneuerungsbedürftig. Sie entsprechen nicht mehr dem Stand der Technik.
Wir müssen uns auf eine systematisch geplante, sachlich und zeitlich gegliederte Berufsausbildung einstellen, die dem Menschen ebenso angemessen ist wie der Wirtschaft.
— Ich sage das auch Ihnen!
Im Zusammenhang mit der Steuerreform strebt die Bundesregierung an, die beiden Gleise des Familienlastenausgleichs, Kindergeld und Steuervergünstigung, zusammenzulegen. Noch in diesem Jahr soll das Kindergeld verbessert werden, das seit dem Jahre 1964 unverändert geblieben ist.
Für den zweiten Hauptabschnitt der Sozialpolitik, für die Phase des Arbeitslebens selbst, häufen sich. naturgemäß die Vorhaben. Ich bitte deshalb um Ihr Einverständnis, wenn ich summarisch aufzähle und für Einzelheiten auf den Text ides Sozialberichts verweise. Die Hochtechnisierung verlangt einen Ausbau des Arbeitsschutzes oder, wie ich es vorhin schon sagte, des Arbeitnehmerschutzes. Das Hohe Haus wird in Kürze über den Ausbau des Bundesinstituts für Arbeitsschutz zu einer Bundesanstalt für Unfallforschung und Arbeitnehmerschutz entscheiden. Wir erwägen, für die innerbetriebliche Sicherheit der Arbeitnehmer eine einheitliche gesetzliche Grundlage zu schaffen. Solche Überlegungen fordert die in der Regierungserklärung angekündigte Humanisierung des Arbeitslebens von uns.
Veränderte Tatbestände im Arbeitsleben, Wandlungen in der Rechtsprechung und die Ordnungsfunktion der Tarifparteien erfordern die Weiterentwicklung des kollektiven Arbeitsrechts.
Anfang nächsten Jahres wollen wir den Entwurf zu einem Zweiten Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz vorlegen. Noch in diesem Jahr soll eine Sachverständigenkommission gebildet werden, die ein Arbeitsgesetzbuch vorbereiten soll.
Zum Betriebsverfassungsgesetz, meine Damen und Herren, werden wir noch in diesem Jahr eine Novelle einbringen. Sie soll eine bessere Beteiligung der Arbeitnehmer an den betrieblichen Entscheidungen im personellen, im sozialen und im wirtschaftlichen Bereich sichern. Zum Gutachten der Mitbestimmungskommission wird die Bundesregierung ihre Stellungnahme dem Bundestag in einer besonderen Vorlage unterbreiten.Zum Jahresende wird auch der Vermögensbericht vorliegen. Er wird Grundsätze und Modelle für den weiteren Weg der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand entwickeln. In die große Steuerreform werden Voraussetzungen für eine breitere Vermögensbildung eingehen müssen. Den Ausbau der Statistiken über Vermögen und Einkommen zu einem aussagefähigen Instrument halten wir für dringend erforderlich. Jetzt schon erhofft sich die Bundesregierung vom Dritten Vermögensbildungsgesetz Anstöße für die Tarifparteien, in großem Umfang vermögenswirksame Leistungen zu vereinbaren. Die laufenden Verhandlungen und Erklärungen der Tarifparteien bestätigen die Erwartungen der Bundesregierung.Das Gewicht der Arbeits- und Berufsförderung hat sich von Absicherung und Vermittlung zu aktiver Planung verlagert. Die Bundesanstalt für Arbeit setzt in diesem Jahr nahezu die Hälfte ihres Haushalts von drei Milliarden Mark für arbeitsmarktpolitische und berufsfördernde Maßnahmen ein. Etwa die Hälfte der Rücklagen der Bundesanstalt in Höhe von sechs Milliarden Mark wird umlaufend dazu genutzt, Arbeitsplätze zu schaffen oder umzustrukturieren. Die Arbeitsmarktpolitik wird engere Verbindungen zur Strukturpolitik suchen müssen, insbesondere in der Landwirtschaft und in der Textilwirtschaft.Die Bundesregierung untersucht im Arbeitskreis „Automation" die Zusammenhänge zwischen technischem Fortschritt und seinen sozialen Auswirkungen, um unerwünschte Folgen der Automation abwenden zu können. Sie wird die Zusammenarbeit innerhalb des Arbeitskreises organisatorisch verbessern.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt zur nachberuflichen Lebensphase einige Bemerkungen machen!Um die Alterssicherung der Bevölkerung zu verbessern, arbeiten wir an Lösungen, noch nicht gesicherte Selbständigen-Gruppen in die soziale Rentenversicherung aufzunehmen.Wie Ihnen bekannt ist, ergänzt die betriebliche die gesetzliche Altersversorgung in beachtlichem Umfang. Sie leidet jedoch überwiegend daran, daß Pensionsansprüche beim Arbeitsplatzwechsel verfallen und die Leistungen nicht der wirtschaftlichen
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2505
Bundesminister ArendtEntwicklung angepaßt werden. Die Bundesregierung strebt an, solche auch von vielen Arbeitgebern anerkannten Mängel abzubauen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt zu einem ganz wichtigen Problem kommen! Die seit Jahrzehnten bestehende starre Altersgrenze von 65 Jahren in der Rentenversicherung entspricht nicht mehr den wirklichen Verhältnissen in den Betrieben.
Die große Zahl der vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheidenden Menschen spricht eine eindeutige Sprache. Für alle Versicherten ist im Hinblick auf die unterschiedlichen Berufsanforderungen und die unterschiedliche individuelle Leistungsfähigkeit in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen die starre Grenze eine unbefriedigende Lösung.
Ich stelle mir vor, daß schon bald der Arbeitnehmer innerhalb gewisser Zeitspannen zwischen Rentenbezug und Arbeit wählen kann. Wir berechnen jetzt die möglichen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, auf die Volkswirtschaft, auf die Finanzwirtschaft, und wir werden Modelle für die Gesetzgebung entwickeln. Außerdem suchen wir mit Hilfe einer Umfrage mehr Aufschluß über die Einstellung der Bevölkerung zu einer flexiblen Altersgrenze zu gewinnen.Natürlich, meine Damen und Herren, ist für die freie Entscheidung eines Arbeitnehmers, früher oder später aus dem Erwerbsleben auszuscheiden, die Kenntnis der jeweiligen Höhe seiner Rente die wichtigste Voraussetzung. Deshalb wollen wir jeden Versicherten in regelmäßigen Abständen durch einen Kontoauszug über seinen Rentenanspruch informieren.
Dazu werden wir die Rentenberechnung vereinfachen müssen. Wir haben jetzt Bestimmungen, die vom Versicherungsträger umfangreiche und langwierige Einzelermittlungen verlangen. Das Ergebnis dieser Ermittlungen macht die Rentenberechnung undurchsichtig.Die Bundesregierung wird dem Gesetzgeber Vorschläge unterbreiten, solche Bestimmungen auf das wirklich Unentbehrliche zu kürzen. Das ist eine Voraussetzung für den regelmäßigen Kontoauszug. Ich hatte kürzlich Gelegenheit, bei der Bundesknappschaft die ersten Kontoauszüge an Versicherte auszugeben.Jeder Versicherte wird eine Versicherungsnummer erhalten; das ist unumgänglich. Eine Rechtsverordnung wird es noch in diesem Jahr Arbeitgebern mit Datenverarbeitungsanlagen gestatten, für die Vergabe von Versichertennummern wesentliche Angaben mittels Magnetband zu machen.Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu Problemen machen, die sich durch das zeitweilige Ausscheiden aus dem Berufsleben ergeben! Bereits in der Regierungserklärung hat der Bundeskanzler die Weiterentwicklung der sozialen Krankenversicherung angekündigt. Wir stehen dabei — das ist gar kein Geheimnis - vor einer Vielzahl von Fragen, die gelöst werden müssen. Dabei hilft uns eine Sachverständigenkommission. Sie hat vor wenigen Tagen ihre Arbeit aufgenommen.Die Bundesregierung hat für die Wiedereingliederung behinderter und beschädigter Menschen in Arbeit und Gesellschaft ein Aktionsprogramm entwickelt und der Öffentlichkeit übergeben. Der Rang, den die Aufgabe der Wiedereingliederung besitzt, wurde in der Regierungserklärung hervorgehoben. Darin verpflichtet sich die Bundesregierung, den Benachteiligten und Behinderten Chancen zu eröffnen, wo immer dies möglich ist. Uns geht es darum, daß alle Behinderten alle 'gebotenen Hilfen schnell und unbürokratisch erhalten.
Geld und Gesetze allein aber können nicht schaffen, woran es den Behinderten vor allem fehlt: Aufgeschlossenheit und Anteilnahme. Deshalb wird die Bundesregierung überall um Verständnis für die Behinderten werben. Sie wird sich bemühen, daß die äußeren Hindernisse abgebaut und die psychologischen Hemmnisse überwunden werden, die den Behinderten noch vielfach von einer Teilnahme am Leben der Gesellschaft ausschließen.Meine Damen und Herren, ich habe hier nur zu einigen wichtigen Problemen Ausführungen gemacht. Diese und viele andere Fragen müssen in der nächsten Zeit angepackt werden.Dieser Sozialbericht 1970 muß aber auch in Verbindung mit der Regierungserklärung gesehen werden. Sozialbericht und Regierungserklärung sind das sozialpolitische Kursbuch dieser Regierung. Wie ein roter Faden zieht sich durch alle bisherigen Maßnahmen der Regierung das Streben nach größerer sozialer Gerechtigkeit.
Denken Sie an die Verbesserung des Kriegsopferrechts mit den strukturellen Verbesserungen und der Dynamisierung; denken Sie an die Verbesserung des Unterhaltsgeldes für Umschüler; denken Sie an den Wegfall des Krankenversicherungsbeitrages für Rentner; denken Sie an die Vorlage des Dritten Vermögensbildungsgesetzes, und denken Sie an die vom Kabinett beschlossene Erhöhung und Dynamisierung der Krankenversicherungspflichtgrenze für Angestellte und an die Einführung des Arbeitgeberanteils zum Krankenversicherungsbeitrag für alle Angestellten.
Bei diesen und vielen anderen Vorhaben richtet sich die Regierung nach den Grundsätzen der größeren sozialen Gerechtigkeit. Natürlich sind Aktivität und Initiative erforderlich, wenn der Auftrag des Grundgesetzes erfüllt und der soziale Rechtsstaat für alle verwirklicht werden soll. Vor diesem Hintergrund ordnen sich die Teilfunktionen der Sozialpolitik zu einem großen, geschlossenen Bild der sozialen Gegenwart, dessen Umrisse wir ausfüllen müssen. Bis hierher, meine ich, sollte zwischen uns Übereinstimmung bestehen.
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2506 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Bundesminister ArendtLassen Sie mich aber nachdrücklich sagen, meine Damen und Herren, dieser Sozialbericht 1970 ist kein Bericht der „offenen Fragen". Er ist sachlich vollständig, inhaltlich geschlossen und finanziell solide.
Natürlich enthält der Sozialbericht auch offene Fragen. Wir sind nämlich nicht so vermessen, zu glauben, wir hätten auf alle Fragen schon jetzt Antworten. In einer sich schnell wandelnden Welt ist es wichtiger, Probleme zu erkennen, Fragen zu stellen, Lösungen zu suchen, anstatt so zu tun, als sei die Welt in bester Ordnung.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß sagen: ich will mich gar nicht bei dem von der Opposition immer wieder erneuerten Vorwurf aufhalten, die Verwirklichung der inneren Reformen lasse auf sich warten. Falsches wird durch Wiederholungen nicht richtiger. Die Bundesregierung wird mehr soziale Gerechtigkeit ins Land bringen. Darauf können Sie sich verlassen.
Das bedeutet tiefgreifende Veränderungen. Warum auch nicht!
Für uns ist soziale Gerechtigkeit Aufforderung und Verpflichtung, für alle Menschen die bestmögliche soziale Wirklichkeit zu schaffen. Der Sozialbericht 1970 weist dazu den Weg.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Katzer. Seine Redezeit ist auf 45 Minuten festgesetzt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Arendt, Falsches wird natürlich durch Wiederholungen nicht richtiger, .aber Wiederholungen, wie wir sie eben von Ihnen gehört haben, machen bereits Gesagtes auch nicht interessanter. Denn was Sie hier dargestellt haben, ist doch im wesentlichen — ich komme nachher darauf zurück — eine Wiederholung von Ankündigungseffekten, eine Wiederholung von Dingen, die wir in der Regierungserklärung im Grunde schon gehört und damals kritisiert haben.Über eines freue ich mich, nämlich über Ihre Bemerkung zur beruflichen Bildung. Sie wissen, daß ich in den letzten vier Jahren in diesem Hohen Hause nicht müde geworden bin, den Satz zu prägen, den Sie freundlicherweise jetzt wiederholt haben: daß die berufliche Bildung genauso zur Bildungspolitik gehört wie unsere akademische Ausbildung und daß die berufliche Bildung den gleichen Rang hat wie die Bildung auf unseren Universitäten. Schließlich haben wir 1,4 Millionen Lehrlinge, mit denen wir es hier zu tun haben.Ich freue mich, Herr Kollege Arendt, daß Sie das aufgegriffen haben. Ich sage das ohne jede Polemik. Ich sage das deshalb, weil ich der Meinung bin, daß uns im Bereich der beruflichen Bildung das nicht passieren darf, was im Bereich der akademischen Bildung leider geschehen ist. Hier sollten wir gemeinsam rechtzeitig alle Anstrengungen machen. Ich möchte Sie einladen — vielleicht können Sie dazu eine Bemerkung machen —, den Weg zu gehen, den ich bei der Verabschiedung des Arbeitsförderungsgesetzes angekündigt habe, indem ich gesagt habe: so gut das Gesetz wohl sein mag, ich glaube fast, daß wir von der Arbeitslosenversicherung zur Arbeitsförderung nur den ersten Schritt bewältigen und uns der Durchbruch im Grunde erst gelingen wird, wenn wir den zweiten Schritt mutig setzen, nämlich den, von der Bundesanstalt für Arbeit weg und zur Bundesanstalt für Arbeit und berufliche Bildung zu kommen, damit wir diesen gesamten Bereich einbeziehen.
Ich weiß, da gibt es Probleme der Länder.
— Es gibt Probleme der Länder, und es gibt andere Probleme. Aber ich meine, das ist der Überlegung wert, das ist ein Sprung nach vorne und nicht ein Beharren auf dem, was wir hier gehört haben.
— Man kann nicht alles auf einmal machen, Herr Kollege.
— Aber Sie sind ja jetzt erst da, wo ich damals anfing. Das ist doch der bedauerliche Punkt. Ich weiß, daß Sie das schmerzt.
— Ach, ich lese das jeden Tag in der Zeitung, lieber Herr Kollege. Ich weiß, daß Sie das schmerzt, und das hat mit Überheblichkeit nicht das geringste zu tun.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat am 16. April die Vorlage des Sozialberichts und des Sozialbudgets begrüßt. Die Bundesregierung führt damit die Arbeiten fort, die wir in der Großen Koalition auf diesem Feld begonnen haben. Wir haben damals bedauert, daß der neuaufgenommene programmatische Teil von seiten der Bundesregierung nicht erkennen läßt, welches gesellschaftspolitische Gesamtkonzept die Bundesregierung verfolgt. Nach den Äußerungen von Herrn Minister Arendt vermag ich auch hier und heute nicht zu erkennen, welche Priorität dieser oder jener sozialpolitischen Maßnahme eingeräumt wird.
Ich muß heute diesem Bedauern hinzufügen, daß dasSozialbudget mit seinem auch für die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung bedeutsamen Teil nicht
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Katzerin die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung eingebettet ist. Dazu werde ich nachher noch eine Bemerkung machen.Ehe ich zum Sozialbericht spreche — Herr Kollege Dr. Götz wird nachher zum Sozialbudget noch das Wort nehmen —, lassen Sie mich eine kurze Vorbemerkung machen. Der Sozialbericht umfaßt 228 Seiten mit einer Fülle von Zahlen. Wir hatten zum Studium dieses Sozialberichts genau fünf Tage Zeit.
Der Bericht der Mitbestimmungskommission ist fast ebenso umfangreich. Er liegt bereits fünf Monate vor, und die Bundesregierung ist bis heute nicht in der Lage, uns ihre Stellungnahme zu diesem Gutachten der Mitbestimmungskommission zu geben.
— Da brauchen Sie nicht zu lachen, Herr Wehner! Ich an Ihrer Stelle würde weinen!
— Ich weiß nicht, warum Sie darüber lachen.
— Entschuldigen Sie, warum lachen Sie denn darüber?
— Entschuldigen Sie, ich finde, es ist hier ein ganz erheblicher Unterschied, Herr Kollege Wehner! Vorhin kam der Zwischenruf: „Und was machen Sie?" Wir haben im Wahlkampf nicht versprochen, die Mitbestimmungsfrage hier so, wie Sie es versprochen haben, zu behandeln. Sie stehen hier im Wort, und deshalb finde ich es — ich werde nachher noch dazu kommen — nachgerade etwas peinlich, wie hier angebliche oder vermeintliche Prioritäten nicht gesetzt werden. Das bedauere ich, und darüber sollten auch Sie traurig sein; denn das ist ein Punkt, den Sie in der Wahlauseinandersetzung besonders in Nordrhein-Westfalen ganz groß nach vorn geschrieben haben.
— Ich kann Ihnen meine Reden vorlegen, nicht nur zu diesem Punkt, aber gerade zu diesem Punkt;
ich kann Ihnen meine Reden alle Punkt für Punkt vorlegen, Herr Kollege Wehner! Es geht darum, was Sie im Wahlkampf versprochen haben und wie Sie sich jetzt in dieser Frage verhalten. Ich kann verstehen, daß Sie nervös sind.
— Ich kann es verstehen, aber wir werden Sie aus dieser Verantwortung dennoch nicht entlassen.
Aber das war nur eine Zwischenbemerkung, meine Damen und Herren!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Katzer, nachdem Sie hier so für Konkretisierung plädieren, darf ich eine Ihrer Feststellungen aufgreifen und Sie fragen, ob Sie, wenn die jetzige Bundesanstalt für Arbeit Bundesanstalt für Arbeit und Berufsbildung heißen soll, beabsichtigen, den ganzen Bereich der beruflichen Bildung von den Kammern wegzuziehen und auch eine eigenständige Finanzierung einzuführen.
Herr Kollege, im Interesse der Vervollkommnung der beruflichen Bildung sind mir Institutionen und Einrichtungen nur von sekundärer Bedeutung. Mir kommt es darauf an, eine möglichst leistungsfähige Form zu finden. Aber natürlich habe ich hier vor allem von der Förderung der beruflichen Bildung gesprochen.Nun ist das Sozialbudget der weitaus wichtigste Teil des Sozialberichts. Das Sozialbudget wurde von der Regierung der Großen Koalition erstmals 1968 vorgelegt. Wir haben damals die Aufgaben des Sozialbudgets wie folgt zu präzisieren versucht: Darstellung der gegenwärtigen und mittelfristig zu erwartenden Sozialleistungen, Informationsquelle und schließlich Orientierungs- und Entscheidungshilfe. Diese Aufgaben hat das erste Sozialbudget erfüllt.Ich begrüße es namens der gesamten Fraktion, daß die Bundesregierung nun dieses zweite Sozialbudget vorlegt. Auch dieses zweite Sozialbudget zeugt von einer bemerkenswerten Arbeit der Angestellten und Beamten des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, besonders der Statistiker. Ich glaube, wir sind ihnen allen an dieser Stelle ein Wort des besonderen Dankes schuldig für die viele Arbeit, die hier geleistet worden ist.
Schon im ersten Sozialbudget war dargestellt und ausgeführt worden, daß wir auch die funktionale Gliederung beachten müssen. Diese mit erheblichen Schwierigkeiten verbundene Arbeit hat das Arbeitsministerium geleistet. Zwar scheint mir, daß die funktionale Betrachtung noch etwas dünn ausgefallen ist, aber ich gebe gern zu, daß es sich hier natürlich nur um einen Anfang handeln kann. Auf Dauer gesehen, wird, meine ich, die funktionale Gliederung einen viel größeren Erkenntnis- und Meinungsbildungswert haben als die überkommene Gliederung nach Institutionen.
— Natürlich haben wir im vorigen Jahr schon angefangen. Sie leben bis jetzt von dem, was wir vorher geschaffen haben! Sie müssen sich endlich daran gewöhnen, daß Sie in der Regierung sind! Sie haben
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2508 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Katzerhier zu verantworten, was Sie in diesem halben Jahr in der Regierung geleistet haben und was Sie nicht geleistet haben! Das ist die Position, von der aus wir zu diskutieren haben!
— Sie sind sehr aufgeregt! Ich verstehe das. Sie haben eine schlechte Presse, und das macht Sie nervös.
Meine Damen und Herren! Die im ersten Sozialbudget beispielhaft aufgeführten Hauptkategorien für eine funktionale Gliederung sind im wesentlichen beibehalten worden: Alter, Gesundheit, Familie, Erwerbs- und Berufsunfähigkeit. Allerdings scheint es mir mehr als ein Wortaustausch zu sein — vielleicht kann uns der Minister hierzu etwas sagen —, wenn jetzt an den Tatbestand „Krankheit" angeknüpft wird und nicht mehr von „Gesundheit" die Rede ist.Bedenklich muß es stimmen, daß die Vermögensbildung nicht mehr zu den Hauptkategorien einer funktionalen Gliederung gerechnet wird. Wenig sinnvoll erscheint es auch, im funktionalen Teil plötzlich wieder auf kausale Kategorien zurückzugehen und nach einer Verursachung durch „politische Ereignisse", „Arbeitsunfälle", „Berufskrankheiten" und „sonstige Ursachen" zu unterscheiden. Vor allem das Kriterium „sonstige Ursachen", unter das etwa 90% der Leistungen fallen dürften, ist ohne jede Aussagekraft.Wenn das Zahlenwerk des Sozialbudgets ernst genommen werden soll — hier komme ich zu einem wichtigen Punkt, meine Damen und Herren —, ist eine volle Integrierung der wirtschafts- und finanzpolitischen Daten der Regierung in die Berechnungen zum Sozialbudget unerläßlich. Ich habe auf diesen Punkt bei der Erarbeitung des ersten Sozialbudgets den größten Wert gelegt; denn nur so ist eine Gesamtschau von Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik möglich.Wir haben deshalb, Herr Kollege Arendt, beim ersten Sozialbudget — ich bitte, das einmal nachzuschlagen — in der Anlage III das Sozialbudget in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung eingebaut. Vor allem müssen im Staatskonto der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung die Zahlen des Sozialbudgets erscheinen. Ein Widerspruch zwischen der gesamtwirtschaftlichen Zielprojektion und dem Sozialbudget, das ja ebenfalls eine mittelfristige Vorausschau enthält, wäre für mein Empfinden unerträglich.Natürlich ist nur dann eine Übereinstimmung der Zahlenwerke zu erreichen, wenn sich die beteiligten Ministerien gegenseitig abstimmen. Ich habe den Eindruck, daß der Kontakt zwischen Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsministerium nicht mehr so gut ist, wie er damals gewesen ist, als der Kollege Schiller einmal zu mir sagte, daß die Zusammenarbeit zwischen unseren Häusern doch ausgezeichnet sei.
— Keine Sorge!Wir haben mit dem ersten Sozialbudget nachgewiesen, daß die damaligen wirtschaftspolitischen Ziele der Bundesregierung, die ihren zahlenmäßigen Ausdruck in der mittelfristigen Wirtschaftsprojektion gefunden haben, mit der Entwicklung der Sozialleistungen genau in Einklang standen. Wir haben alle Daten offengelegt. Wir haben auch die Kontrollrechnung veröffentlicht, damit die geringste Möglichkeit einer isolierten sozialpolitischen Rechnung ausgeschaltet wurde. Herr Kollege Arendt, das fehlt in dem von Ihnen vorgelegten Sozialbudget. Die Kontrollrechnung in Form des Einbaus des Sozialbudgets in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung fehlt überhaupt.Deshalb zwei konkrete Fragen an Sie mit der Bitte, sie uns zu beantworten. Erstens: Warum fehlt in dem neuen Sozialbudget die damalige Anlage III des letzten Sozialbudgets? Zweitens: Sind Sie bereit, uns diese nachzuliefern? Ich würde darauf sehr großen Wert legen.Meine Damen und Herren, Sie sprachen von 4oder 5% Steigerung der Netto-Realeinkommen je abhängig Beschäftigten jährlich. Herr Kollege Arendt, Sie haben nicht deutlich gemacht, woher diese Rechnung kommt. Es wird im Verlauf der Debatte etwas schwierig sein, dem unsere Gegenrechnung, die Sie schriftlich bekommen haben, gegenüberzustellen. Das müssen wir aber tun. Denn Sie sollten keine Illusionen wecken — Sie sollten eigentlich gewarnt sein —, die man nachher nicht erfüllen kann.
Nach unseren Berechnungen — darüber müssen wiruns unterhalten — werden eben nicht 4 bis 5% realmehr zur Verfügung stehen. Sie haben auf dieLohnsteigerungen hingewiesen, die in der Tat zuverzeichnen sind. Aber, Herr Kollege Arendt, Siemüssen doch auch die inzwischen sehr viel stärkerangestiegenen Preise in Ihre Rechnung einbeziehen.
Dann ergibt sich nämlich am Ende eine andere Entwicklung, als Sie sie darstellen.Sie wissen doch, daß Sie seinerzeit nicht eine Preissteigerung von 4% eingerechnet haben, sondern eine geringere. Eine höhere Preissteigerung muß bei den Realeinkommen zweifelsfrei abgerechnet werden. Wir werden nachher noch im Detail auf diesen Punkt eingehen. — Ich freue mich, daß Sie zustimmen; denn ich bin .der Meinung, das ist wichtig. Es ist unendlich wichtig, daß man sich über die Grunddaten und Grundannahmen verständigt, ehe man zu den Details kommt.Nun zum Sozialbericht. Dieser Sozialbericht soll offenbar über das Sazialbudget, das eine Beschreibung .dessen enthält, was ist und was nach der geltenden Rechtslage sein wird, hinausgehen.
— Das ist neu. Darauf habe ich damals verzichtet,weil die erstmalige Erstellung eines Sozialbudgets,das es sonst in der ganzen Welt nicht gibt, eine ge-
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Katzerwaltige Aufgabe war. Aber ich habe auch deshalb darauf verzichtet, weil ich mir sagte, daß eine bloße Aufzahlung dessen, was sozialpolitisch relevant oder wünschenswert ist, nicht ,genügt. Wenn man das tut, müßte man in der Tat eine Antwort auf die Frage geben, welche Prioritäten die Regierung in ihrem Programm setzt.
Doch wer diese Antwort im Sozialbericht 1970 sucht, erlebt eine Enttäuschung, und das, was wir mündlich vorgetragen bekommen haben, macht die Sache nicht besser. Der Inhalt dieses programmatischen Teils besteht aus einer Reihe von Problemskizzen, Wichtiges und Unwichtiges bunt gemischt. Ich will ohne Anspruch auf Vollständigkeit nur einige Beispiele nennen.Die wichtige Frage der beruflichen Bildunig wurde auf nur etwas mehr als zwei Seiten abgehandelt. Ich freue mich ausdrücklich, daß der Minister in der mündlichen Begründung auf diesen Punkt ausführlicher eingegangen ist. Ich habe dazu schon eingangs gesprochen.Zur Vermögensbildung .enthält der Bericht auf gut einer Seite einige kräftige Formulierungen über die Vermögensverteilung, eine kurze und knappe Darstellung des 624-Mark-Gesetzes und die Ankündigungeines weiteren Berichts, nämlich des Vermögensbildungsberichts. Nun, meine Damen und Herren, die Opposition, die sich als konstruktive Opposition versteht, hat in dieser Frage gehandelt und einen Gesetzentwurf vorgelegt, den wir in dem Hohen Hause zusammen mit dem 624-Mark-Gesetz beraten haben.
Das Presseecho haben wir gemeinsam verfolgen können, auch die Stellungnahme der Sachverständigen. Uns war ja vorher bekannt, was die Sachverständigen sagen würden; sie hatten sich vorher geäußert. Das ist gar keine neue Position. Wir wollen gar nicht polemisieren. Es geht einfach darum: Wollen wir, wie Sire, demjenigen, der 3,12 .DM sparen konnte, noch einmal mit 312 DM begünstigen, nach dem Motto: „Wer hat, dem wird gegeben werden", oder wollen wir für alle etwas in Gang setzen? Das ist doch der Unterschied.
Ich sage nur dieses eine Beispiel jetzt. Ich werde nachher noch weitere hinzufügen.Herr Kollege Arendt, bei der Krankenversicherung soll die Reform offenbar überhaupt aufhören; denn in dem gesamten Bericht findet sich hierzu das Wort „Reform" nicht. Zu dem, was jetzt an Ankündigungen gebracht wird kann ich nur sagen, daß auch hier die Opposition gehandelt hat. Wir haben am Montag dieser Woche einen Gesetzentwurf zur Weiterführung der Krankenversicherungsreform vorgelegt.
— Sie sollten sich doch freuen, wenn wir Ihnen damit helfen, über Ihre internen Probleme mit Ihrem Koalitionspartner etwas schneller hinwegzukommen.
Das war doch die Absicht.
— Hören Sie mal, Sie haben in den ersten hundert Tagen mit dem Argument gelebt: „Erst hundert Tage!" Jetzt sagen Sie: Zwanzig Jahre. Sie werden nicht aus der Verantwortung kommen, daß Sie die Regierung sind und daß Sie Antwort au geben haben auf die Fragen, die gestellt sind.
Daraus können wir Sie nicht entlassen.
— Natürlich, Herr Kollege Schellenberg, wir haben ja auch welche gemacht. Ich kenne sogar einige, die wir zusammen gemacht haben, ,aber davon wollen Sie nichts mehr wissen.Meine Damen und Herren, zur Frage der Mitbestimmung und Betriebsverfassung läßt sich — —
— Herr Kollege Schellenberg, ich will Ihnen folgendes sagen: Sie sind da sehr nervös und mit Recht, denn Sie stehen hier dem Wähler gegenüber im Wort, dem Sie das versprochen haben. Dieses Wort haben wir nicht. Wir haben auf allen unseren Versammlungen gesagt: Wir haben einen Beschluß des Berliner Parteitages, der heißt: „Offen in dieser Frage." Wir werden im November dieses Jahres auf dem Hamburger Parteitag einen Beschluß fassen, durch den sich die Christlich-Demokratische Union in dieser Frage schlüssig entscheidet. Das haben wir vor den Wahlen gesagt, das haben wir während der Wahlen gesagt, und das sagen wir jetzt nach den Wahlen.
Das ist eine klare, saubere Position.
Meine Damen und Herren, Sie brauchen in diesem Bericht
— es geht hier um Prioritäten — eine halbe Seite für Mitbestimmung und Betriebsverfassung, eine Abhandlung von besonderer Dürre und Lieblosigkeit für ein Thema, das seit 25 Jahren zu Ihren Lieblingsthemen gehört hat.Nun gut, meine Damen und Herren, man könnte natürlich auch sagen, in der Kürze liege hier die Würze. Ich würde das akzeptieren, wenn der knap-
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Katzerpen Darstellung der Problematik in ebenso knappen Worten die geplanten Maßnahmen der Regierung gefolgt wären. Dies ist aber in keinem der Punkte geschehen. Ich bedaure das außerordentlich.Ich möchte auf die Fragen der Unfallversicherung für Schüler, denen der Bericht ganze zwei Zeilen widmet — —
— Ein: CDU/CSU-Gesetzentwurf liegt vor. Wir haben ihn vorgelegt, Herr Kollege, das ist der Unterschied zu Ihnen. Sie sind uns einen Entwurf heute noch schuldig, und wir haben ihn vorgelegt. Genau das ist die Position, die wir hier zu sehen haben.
Die Verheiratetenausschlußklauseln passen ebenfalls nicht mehr in die heutige soziologische Landschaft. Auch in diesem Punkt beschränkt sich der Bericht darauf, eine Prüfung des Problems anzukündigen. Ein entsprechender Gesetzentwurf der Opposition liegt hier ebenfalls vor.Interessant ist, daß der Sozialbericht 1970 offenbar in zwei Punkten von Aussagen der Regierungserklärung abrückt, jedenfalls kann man erkennen, daß hier vorsichtig ein Absetzungsmanöver ansetzt:Erstens. Nach der Regierungserklärung wollte die Regierung das Arbeitsrecht in einem Arbeitsgesetzbuch zusammenfassen. Für Kenner der Materie war diese Ankündigung nichts Neues. Schon frühere Bundesregierungen hatten hier Vorarbeiten geleistet. Bei diesen Vorarbeiten war allerdings deutlich geworden, daß vor Schaffung eines Arbeitsgesetzbuches zahlreiche Schwierigkeiten zu überwinden sind. Nach der Lektüre des Sozialberichtes ergibt sich, daß die Regierung ,zwischenzeitlich offenbar selbst zu dieser Einsicht gekommen ist; außer wiederum der Einsetzung einer Kommission wird nichts mehr angekündigt. Offenbar ist in dieser Legislaturperiode nicht mehr mit einer Regierungsvorlage zu rechnen. Dafür hören wir von einem Zweiten Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz, also der Fortsetzung dessen, was wir begonnen haben.Zweitens. Auch von der Rentenberechnung nach Punkten, Herr Kollege 'Schellenberg, die im Wahlprogramm angekündigt und noch ins Regierungsprogramm übernommen worden ist, liest man im Sozialbericht nichts mehr. Es wäre interessant, zu erfahren, ob dieses Projekt aufgegeben ist oder wie man hier jetzt denkt. Die Regierung will jetzt offenbar das von uns ausgearbeitete Programm durchführen, das Kontoauszüge für den einzelnen Versicherten und 'die Einspeicherung der Versicherungsdaten an Hand von Magnetbändern des Arbeitgebers und Versicherungsschecks vorsieht.Meine Damen und Herren, bei einem so enttäuschenden Maßnahmenkatalog, der nichts enthält, der keine Prioritäten setzt und keine politische Aussagekraft besitzt, fragt man sich nach den tieferen Ursachen. Ich wäre dankbar, wenn wir das gemeinsam sähen. Die Regierung hat zwar innere Reformen angekündigt, sie hat aber nicht deutlich gemacht, welche Ziele sie mit diesen Reformen verfolgt. Reform um der Reform willen, nur damit etwas geschieht, das wäre eine Scheinaktivität, die wir ablehnen und die vor allem den wirklichen Problemen unserer Zeit nicht gerecht würde und zu tiefen, auch für unser 'demokratisches Staatswesen gefährlichen ,Enttäuschungen führen müßte.Natürlich kann man erwarten, daß sich ein programmatischer Sozialbericht über die tieferen Ziele des proklamierten Reformwillens ausläßt. Wenn man daraufhin das mit „Weiterentwicklung der Sozialpolitik" überschriebene Kapitel durchliest, stößt man auf folgende Zielsetzung der Regierung. Da heißt es in Ziffer 24:Die Sozialpolitik soll die sich durch das Wirtschaftswachstum ergebenden Spannungen mildern.Meine Damen und Herren, hier muß ich der Regierung deutlich sagen, das ist zu wenig, das langt nicht für eine konstruktive Sozial- und Gesellschaftspolitik. Haben wir denn nur auf wirtschaftlichem Gebiet Wandlungen? Gibt es nicht ebenso tiefgreifende Veränderungen im Bereich der Kunst, im Bereich des religiösen Lebens, im Bereich des geistigen Lebens? Werden diese Veränderungen nicht Wirkungen haben, die mindestens so tiefgreifend sind wie der Wandel auf wirtschaftlichem Gebiet?
Gehört das denn nicht in eine große gesellschaftspolitische Debatte? Ist denn die Unruhe unserer Jugend etwa eine Folge nur des wirtschaftlichen Prozesses, oder liegen hier die Ursachen nicht sehr viel tiefer? Liegen sie nicht vielleicht auch in einem Absinken von Wertvorstellungen, die noch vor Jahren als absolut richtungweisend gegolten haben?
— Nein, ich habe das ja vorhin dargestellt!
— Aber entschuldigen Sie, was ist das denn für eine primitive Methode?! Ich habe damals erstmalig ein Sozialbudget vorgelegt. Wir 'diskutieren doch, um uns gegenseitig zu helfen, um weiterzukommen. Begreifen Sie doch endlich diese Opposition als das, was sie ist.
Sie ist für den Staat genauso wichtig wie die Regierung, nicht nur zu ihrer Kontrolle, sondern auch zu ihrer Belebung, die sie auf diesem Gebiet — nebenbei bemerkt — sehr nötig hat.
Natürlich muß die Gesellschaftspolitik auf diese Wandlungsprozesses — —
— Ja, Sie begreifen das nicht. Es tut mir leid.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2511
KatzerFür Sie ist „Sache" nur der Paragraph X der Reichsversicherungsordnung. Ich bin aber der Meinung, daß die Gesellschaftspolitik auf diese Fragen Antwort geben muß.Wenn Max Horkheimer als Endstufe der heutigen Entwicklung
— ja, ich nehme das ernst — die total verwaltete Welt sieht, können wir uns doch nicht einfach damit begnügen, Anpassungsschwierigkeiten beim Wachstumsprozeß der Wirtschaft zu kurieren.
— Phrasen? Lesen Sie einmal den Sozialbericht nach. Ich habe nur aus Zeitgründen keine Zitate aus diesem Sozialbericht gebracht. Auf die Dinge, die darin enthalten sind, können Sie in der Tat die Bezeichnung anwenden, die Sie sich jetzt erlaubt haben zu bringen.Wir haben ja schon einige Sachen gemeinsam gemacht. Mir geht es doch darum — ich wäre dankbar und glücklich, wenn wir das erkennen würden—, daß sich Sozialpolitik nicht einfach im Paragraphengestrüpp verbergen darf, daß die Bürger die Sozialpolitik müssen überschauen können und daß wir letztlich wieder zu klaren Wert- und Zielvorstellungen in der Sozialpolitik kommen müssen.
Dazu gehören natürlich der Ausbau und die Erhaltung der sozialen Sicherung als Basis der Selbstbehauptung des einzelnen. Dazu gehört natürlich Sicherung und Ausbau der Freiheit und Gestaltungsräume. Ich habe ohnehin den Eindruck, daß wir uns so benehmen wie die Kinder: die wollen immer das Spielzeug, das sie nicht haben. Wir scheinen alle zu leicht zu vergessen, was Freiheit in einer gesellschaftlichen Ordnung für den einzelnen bedeutet. Das kann letztlich nur der begreifen, der die Unfreiheit erlebt hat.Dazu gehört, Gestaltungsräume für den einzelnen zu seiner schöpferischen Selbstverwirklichung — ich möchte fast sagen — zurückzuerobern. Dazu gehört die Gerechtigkeit für den einzelnen und die sozialen Gruppen. Dazu gehört die Chancengleichheit—darin stimmen wir überein — in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Das gilt für unser Bildungswesen und für die Vermögensverteilung.Dazu gehört auch, daß der Zugang zu öffentlichen Ämtern nicht von der Mitgliedschaft in einer Partei oder einer Organisation, wie immer sie heißen mag, abhängig gemacht werden darf.
— Ich stimme mit Ihnen völlig überein, Herr Kollege, und wenn Sie für Ihren Bereich das anwendeten, was ich in meinem angewendet habe, würden wir auch in der Praxis übereinstimmen, was ich leider nicht feststellen kann.Ein weiteres Ziel ist schon angesprochen worden, und ich bin dem .Arbeitsminister dafür dankbar. Wir müssen uns bemühen, der Vereinzelung des Menschen zu begegnen; wir müssen Ebenen und Bereiche des geistigen Austausches, des aktiven Mittuns und der Mitverantwortung in unserer Gesellschaft neu finden und vergrößern.Ich komme zum Schluß. Auch ich bin nicht ganz zufrieden mit dem, was ich an Postulaten genannt habe. Das ist noch nicht vollständig. Da sind wir am Arbeiten. Das ist ein Weg. Ich will hier nur sagen, wir sind auf diesem Wege, und Sie einladen: begeben Sie sich auch auf diesen Weg, die Zielsetzung ins Auge zu fassen!
— Sie machen immer sehr geistreiche Zwischenrufe.
— Ja, ich muß gestehen: das ist sehr geistreich, Herr Wehner, und ich meine, Ihr Konto an geistreichen Zwischenrufen wäre allmählich erschöpft. Aber bitte, das sollen Sie halten, wie Sie wollen.Nur eine Gesellschaftspolitik, die ihre Zielsetzung weit faßt, wird in unserer Zeit des Umbruchs nicht zum Scheitern verurteilt sein. Wenn ich mir das Ziel der Gesellschaftspolitik dieser Regierung und den Mangel an konkreten Vorschlägen betrachte, so muß ich Ihnen, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, sagen: Wer das Ziel nicht kennt, der wird den Weg dahin nicht finden.
Meine Damen und Herren, wir hatten uns vorgenommen, bis 13 Uhr zu tagen und dann zu unterbrechen. Wir beginnen um 14 Uhr mit der Fragestunde; um 15 Uhr wird diese Debatte fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:Fragestunde— Drucksachen V1//722, V1//731 —Der Herr Präsident hat die zwei Dringlichkeitsfragen des Herrn Kollegen Niegel aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zugelassen. Ich rufe diese beiden Fragen — Drucksache VI//731 — hiermit auf:Welche Stellung nimmt die Bundesregierung gegenüber dem soeben veröffentlichten sogenannten revidierten Mansholt-Plan ein, und wie beurteilt die Bundesregierung insbesondere die dort gemachte Aussage, daß landwirtschaftliche Betriebe künftig u. a. nur noch gefordert werden können, wenn sie einen bereinigten Rohertrag in einer entsprechenden Höhe aufweisen?Wie wird sich der sogenannte revidierte Mansholt-Plan auf die Struktur der deutschen Landwirtschaft auswirken und wieviel landwirtschaftliche Betriebe in der Bundesrepublik können danach künftig noch mit einer Förderung rechnen?
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2512 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
KatzerZur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Logemann zur Verfügung. Bitte schön!
Die Entwürfe der Kommission sind der Bundesregierung noch nicht vorgelegt worden. Sie befinden sich zur Zeit auf dem Wege von Brüssel nach Bonne Dem Hohen Hause werden die Vorschläge auf dem üblichen Weg vorgelegt.
Es besteht die Möglichkeit, .daß sich z. B. der Ernährungsausschuß ausführlich mit den Vorschlägen beschäftigt. Eine Stellungnahme zu den Vorschlägen der Kommission ist derzeit nicht möglich.
Hinsichtlich Ihrer Frage zur Begrenzung öffentlicher Förderungsmittel für die Landwirtschaft ist die Bundesregierung der Auffassung, daß landwirtschaftliche Investitionen künftig nur in entwicklungsfähigen Betrieben gefördert werden sollen Die Abgrenzung der zu fördernden Betriebe in künftigen Investitionshilfeprogrammen der Bundesregierung ist augenblicklich Gegenstand noch nicht abgeschlossener Überlegungen innerhalb der Bundesregierung und mit den Ländern.
Über die Auswirkungen der Kommissionsvorschläge auf die Struktur der deutschen Landwirtschaft läßt sich aus den oben dargelegten Gründen im gegenwärtigen Stadium noch nichts aussagen.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, heute morgen wurde von Ihrem Kollegen die neuerdings „starke Stellung der Bundesregierung in Brüssel" erwähnt. Ich frage Sie: Wie verträgt sich diese angeblich starke Stellung der Bundesregierung damit, daß sie noch nicht über diese für unsere Landwirtschaft weitestreichenden Auswirkungen informiert wurde, zumal die COPA, die Organisation der Bauernverbände, seit acht Wochen im Besitz der Unterlagen ist und die deutsche Presse sich am vergangenen Wochenende ausgiebig damit befaßt hat?
Herr Kollege, mir ist durchaus bekannt, daß in der Presse Äußerungen über die Vorschläge der Kommission veröffentlicht worden sind. Auch ich halte es nicht für gut, daß die Bundesregierung hier später unterrichtet wird als die Presse. Wir werden uns bemühen, in Brüssel entsprechend vorstellig zu werden. Wir halten es für wichtig, daß, wenn solche Pläne vorgelegt werden, zunächst die Regierung unterrichtet wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie vertragen sich Ihre jetzigen Ausführungen mit denen des Herrn Bundesernährungsministers, die er vor
14 Tagen in „Agra-Europe" zu diesem Plan bereits konkret gemacht hat, wovon man heute im Plenum nichts erfährt?
Es geht hier um die konkreten Vorschläge der Kommission. Ich habe Ihnen gesagt, daß sie auf dem Wege von Brüssel nach Bonn sein sollen. Ich kann heute gerade zu diesen Vorschlägen nicht mehr sagen.
Eine weitere Zusatzfrage!
Ich nehme an, Herr Staatssekretär, daß aus der Presse zumindest die Tendenzen bekannt sind. Wird die Bundesregierung die in den Kommissionsvorschägen enthaltene Tendenz, wonach nur Betriebe mit einem hohen bereinigten Rohertrag gefördert werden sollen, billigen?
Herr Kollege, eine Äußerung hierzu wäre wiederum eine Stellungnahme zu Presseäußerungen, und das lehne ich ab. Es liegt, wie gesagt, hier kein konkretes Papier vor. Ich kann deshalb hier auch nicht zu Einzelheiten Stellung nehmen.
Bitte schön, noch eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß nach dem, was aus der Presse zu entnehmen ist, im Höchstfall nur noch 5 % der deutschen Betriebe in den Genuß der Förderung kommen wird, wenn der revidierte Mansholt-Plan angenommen wird, und daß der revidierte Mansholt-Plan in der alten Form durch eine Hintertür neu aufgelegt wird?
Herr Kollege, diese Frage könnte ich wirklich nur dann beantworten, wenn ich das Papier vorliegen hätte und vorher hätte studieren können. Ich kann hier also in keiner Weise solche Feststellungen bejahen, wie Sie sie hier als Vorausahnung, so möchte ich fast sagen, des Kommissionspapiers treffen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Schmidt .
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß die Texte zur Zeit nur auf Französisch vorliegen und daß man gegenwärtig noch mit der Übersetzung in die anderen Sprachen beschäftigt ist?
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2513
Soviel ich weiß, trifft das zu.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dasch.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin von den entwicklungsfähigen Betrieben gesprochen. Gehören nach Auffassung der Bundesregierung nur Vollerwerbsbetriebe in diese Kategorie, oder sind auch entwicklungsfähige Zuoder Nebenerwerbsbetriebe mit einem kombinierten Einkommen gemeint?
Herr Kollege, ich habe durchaus Verständnis für Ihr Interesse an der Definition des entwicklungsfähigen Betriebs. Ich habe im letzten Jahr — mit vertauschten Rollen, darf ich jetzt sagen — ähnliche Fragen an den damaligen Ernährungsminister Höcherl gerichtet. Ich muß Ihnen heute antworten, daß ich auch dazu keine konkrete Aussage machen kann, denn wir haben — wiewohl die Überlegungen in unserem Hause zur Zeit vorwärtsgehen — noch keine Beratungen mit den Ländern geführt.
Eine Zusatzfrage .des Abgeordneten Dröscher.
Herr Staatssekretär, würden Sie die Herren Kollegen von der CDU/CSU darauf aufmerksam machen, daß vor etwa acht Wochen der COPA nicht die fertigen Mansholt-Vorschläge, sondern Entwürfe zu solchen Vorschlägen vorgelegen haben und daß die einzelnen Papiere in der Kornmission erst in der letzten Woche verabschiedet worden sind und daß auch die CDU/CSU-Mitglieder des Landwirtschaftsausschusses in der letzten Woche ein langes Gespräch mit Herrn Mansholt in Brüssel darüber hatten, in dem sie sich hätten informieren können?
Ich bin Ihnen für diese Anmerkung dankbar. Die CDU/CSU-Kollegen haben Ihre Ausführung soeben wahrscheinlich zur Kenntnis genommen. Ich kann nur bestätigen, was Sie gesagt haben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Marquardt.
Herr Staatssekretär, da es sich um einen Vorschlag der Kommission handelt, darf ich wohl annehmen, daß auch der Vizepräsident
zugestimmt hat, der einmal als progressiver angehender Wirtschaftsminister der CDU so gefeiert wurde.
Das ist möglich. Aber auch dazu kann ich keine konkrete Aussage machen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Ritz.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie soeben die Frage des Kollegen Dr. Schmidt , daß das Papier erst in Französisch vorliegt, bejaht haben, Sie aber zuvor sagten, es befinde sich auf dem Weg von Brüssel nach Bonn, frage ich Sie, ob Sie davon ausgehen, daß Ihnen das Papier in französischer Sprache zugestellt wird.
Herr Kollege, davon gehe ich durchaus nicht aus. Aber selbst wenn es in französischer Sprache zugestellt werden sollte: wir haben im Hause ja auch Übersetzer. Das wäre dann also kein Problem.
Meine Damen und Herren, um ein Bild aus der Landwirtschaft zu gebrauchen: ein Ei, das noch nicht völlig vorliegt, läßt sich natürlich hier heute mittag schwer kochen
Danke schön, Herr Staatssekretär!
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminister des Innern. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dorn zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Dr. Riedl auf:
Welche Schritte beabsichtigt die Bundesregierung zur Förderung des Breitensports zu unternehmen, über dessen Einschätzung in der Bundesrepublik Deutschland der Bundespräsident am 25. April 1970 im Deutschen Fernsehen unter anderem festgestellt hat: „In nur wenigen Industrienationen der Welt wird der Breitensport so unterbewertet, ja geringgeschätzt wie in unserer Bundesrepublik . . . Die Geringschätzung des Sports zeigt sich besonders an den Schulen und Hochschulen. Der Sport kann in einer sich schnell wandelnden Gesellschaft die ihm vorgezeichneten Ziele nur dann erreichen, wenn ihm unser ganzes Volk den Rang einer wichtigen Gemeinschaftsaufgabe zuerkennt."?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Dr. Riedl, die Förderung der verschiedenen Bereiche des Breitensports, dem auch die Bundesregierung ganz besondere Bedeutung 'beimißt, fällt fast aussschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Länder und der kommunalen Gebietskörperschaften.Die Bundesregierung strebt an, daß in der vorgesehenen Deutschen Sportkonferenz Bund, Länder, Gemeinden, im Bundestag vertretene Parteien und freie Sportorganisationen gemeinsam über Maßnahmen zur Förderung des Breitensports beraten. Mit den Ländern hat die Bundesregierung bereits
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2514 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Parlamentarischer Staatssekretär Dorn Übereinstimmung erzielt, daß die Deutsche Sportkonferenz Förderungsgrundsätze sowohl für den schulischen ,als auch für den außerschulischen Bereich entwickeln soll. Dabei sollen unter anderem Empfehlungen für die Errichtung von Sportstätten und Übungsgelegenheiten sowie für die Gewinnung, Ausbildung und Fortbildung von Übungsleitern gegeben wenden.In ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich wird die Bundesregierung den Breitensport verstärkt fördern. So unterstützt sie unter anderem die kürzlich eingeleitete Werbeaktion des Deutschen Sportbundes „Trimm dich durch Sport" und ist bemüht, den Betriebssport im Bundesbereich zu intensivieren.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß die finanzielle Förderung des Breitensports allein nicht ausreicht, einen Aufschwung in der Bundesrepublik herbeizuführen und die beklagten Zustände zu verbessern, die auch der Herr Bundespräsident in seiner letzten Fernsehansprache angeprangert hat? Sind Sie deshalb mit mir der Auffassung, daß vor allem auch die öffentliche Aufklärungsarbeit, die zu einer breiteren Basis für den Breitensport führt, verbessert werden sollte und daß die von Ihnen anerkennenswerterweise sehr geförderte „Trimm"-Aktion nur einen Anfang dieser Öffentlichkeitsarbeit darstellt?
Ja, ich bin dieser Meinung.
Eine weitere Frage.
Kann man also, Herr Staatssekretär, damit rechnen, daß die Bundesregierung ähnliche Projekte des Deutschen Sportbundes wie z. B. die „Trimm"-Aktion auch in Zukunft nachhaltig fördern wird?
Nun, Herr Kollege Riedl, wenn Sie sagen „Projekte des Deutschen Sportbundes", dann muß ich sagen: So global kann man diese Frage nicht beantworten, sondern es wird darauf ankommen, um welche Projekte es sich handelt, wie ,die Beteiligung von Bund, Ländern und Gemeinden bei den Bezuschussungen aufgesplittert ist und in welchem Zuständigkeitsbereich die Bundesregierung dabei tätig werden kann; denn sie unterliegt ja der Prüfung durch den Bundesrechnungshof und muß sich also auch an die von dort gesetzten Grenzen halten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Mischnick.
Glauben Sie nicht, Herr Staatssekretär, daß die vorgesehene Deutsche Sportkonferenz dazu eine wesentliche Aufgabe für die Zukunft übernehmen und dabei mit dafür Sorge tragen kann, daß die gewünschte breite publizistische Unterstützung dann erfolgt?
Ich halte das für sehr wahrscheinlich, denn die Vorbereitungen zur Bildung der Deutschen Sportkonferenz haben ja jetzt schon gezeigt, daß zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aber auch mit den Organisationen des deutschen Sports eine weitgehende Übereinstimmung in den Sachfragen besteht, so daß ich meine, daß sich über diesen Weg dann auch dieses Parlament stärker mit einschalten kann.
Herr Kollege, kann ich aus Ihrem Sitzenbleiben entnehmen, daß Sie keine Zusatzfrage stellen wollen?
- Dann wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie das zur Erleichterung des Ablaufs der Fragestunde deutlich machen würden. Bitte schön!
Herr Staatssekretär, welche Möglichkeiten sehen Sie dafür, daß die Bundesregierung ihren Einfluß dahin geltend macht, daß die Bundesländer insbesondere dem sehr im argen liegenden Schulsport verstärkte Bedeutung beimessen und daß sie durch die Schaffung der sachlichen — —
Herr Kollege, entschuldigen Sie, diese Frage steht nicht mehr im Sachzusammenhang mit der vom Kollegen Riedl gestellten Frage. Ohnehin ist diese Frage ein Grenzfall im Hinblick auf den Sportentwicklungsplan und den Antrag, der hier diskutiert wird. Ich lasse diese Frage nicht mehr zu.Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs; ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf, und zwar Frage 2 des Abgeordneten Pieroth:Ist die Bundesregierung bereit, bei einer Novellierung des Mehrwertsteuergesetzes den Mehrwertsteuersatz für in Gaststätten verabreichte Lebensmittel auf die Hälfte zu ermäßigen, um insbesondere Nachteile auszugleichen, die Arbeitnehmer, Reisende und sonstige Personen erfahren, die ihre Mahlzeiten regelmäßig nicht zu Hause einnehmen können und schon dadurch von zusätzlichen Belastungen betroffen sind?Der Herr Abgeordnete Pieroth hat um schriftliche Beantwortung seiner Frage gebeten. Dem wird entsprochen. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Nach den Dringlichkeitsfragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Logemann erneut zur Beantwortung zur Verfügung.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2515
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenWir kommen zur Frage 45 des Herrn Abgeordneten Lensing:Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die durch die Aufwertung der Deutschen Mark bei der Auszahlung aus dem europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds auftretenden Verluste bei einzelnen Zuwendungsempfängern auszugleichen?Bitte schön, Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort!
Herr Kollege Lensing, die Bundesregierung hat sich im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens dafür eingesetzt, daß diese Aufwertungsverluste durch Bundesmittel ausgeglichen werden. Daraufhin hat der Haushaltsausschuß am 22. April 1970 den für 1970 erforderlichen Teilbetrag von 2 Millionen DM in einem besonderen Titel im Einzelplan 10 des Bundeshaushalts für das Rechnungsjahr 1970 eingestellt.
Die' Bundesregierung wird unmittelbar nach Verabschiedung des Bundeshaushalts den Begünstigten, bei denen infolge von Zuschußzahlungen nach der Aufwertung der Aufwertungsverlust bereits eingetreten ist, die entsprechenden Ausgleichsbeträge überweisen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege? — Bitte!
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, kennen Sie die Zahlen von Präsident Dr. Sonnemann, der in seinem Schreiben dieser Tage den Verlust auf diesem Sektor mit 15 Millionen DM bezifferte, und sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß der Aufwertungsgewinn, den ja die Bundeskasse dadurch erzielt hat, daß die Rechnungseinheit, die nach Brüssel gezahlt werden muß, jetzt auch weniger wert ist und daß also weniger Leistungen erbracht werden müssen, voll für diesen Ausgleich zur Verfügung gestellt werden müßte?
Herr Kollege, ich kenne nicht die Zahlen von Herrn Präsident Dr. Sonnemann; ich kenne nur Zahlen, die besagen, daß nach unseren Feststellungen insgesamt ein Verlust von 14,1 Millionen DM vorliegt. Ich darf dazu sagen: Die Bundesregierung wird zu den voraussichtlich abgerufenen Zuschüssen entsprechende Ausgleichsbeträge in den einzelnen Haushaltsjahren bereitstellen. Der Haushaltsausschuß hat das ja durch seinen Beschluß vom 22. April 1970 bereits grundsätzlich gedeckt.
Keine weiteren Zusatzfragen? —
Die Frage 46 ist von dem Herrn Abgeordneten Dr. Schneider gestellt. Ist der Herr Kollege im Saal? — Das ist nicht der Fall. Dann wird die Frage schriftlich beantwortet, Herr Staatssekretär.
Die Frage 47 des Herrn Kollegen Dr. Schneider wird vom Herrn Bundesminister .für Jugend, Familie und Gesundheit beantwortet.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Berkhan zur Verfügung.
Ich rufe Frage 15 des Herrn Abgeordneten Dichgans auf:
Ist die Bundesregierung im Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere zum Schutz der Wasserversorgung, bereit, dafür Sorge zu tragen, daß alle Anlagen zum Lagern wassergefährdender Stoffe — also auch die NATO-Anlagen — den gleichen Anforderungen unterworfen werden, wie sie im zivilen Bereich an jeden Bürger gestellt werden?
Herr Staatssekretär!
Herr Präsident! Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Ja, die Bundesregierung ist hierzu bereit. Im Grunde werden alle Anlagen zum Lagern wassergefährdender Stoffe, auch die NATO-Anlagen, den gleichen Anforderungen unterworfen, wie sie im zivilen Bereich an jeden Bürger gestellt werden. Die Aufsichtsbehörden der Länder prüfen vor Baubeginn die Einhaltung der entsprechenden Gesetze und erteilen daraufhin die Errichtungserlaubnis. Anlagen, die vor dem Inkrafttreten der Gesetze und Verordnungen errichtet wurden — im wesentlichen handelt es sich um Anlagen der ehemaligen Besatzungsstreitkräfte —, wurden den Aufsichtsbehörden der Länder bekanntgegeben. Nicht vorschriftsmäßige Anlagen wenden, soweit sie nicht stillgelegt worden sind, den einschlägigen Gesetzen und Verordungen entsprechend hergerichtet.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, können Sie schätzen, wann etwa die Überprüfungsaktion bei diesen älteren Anlagen abgeschlossen sein wird?
Leider nicht, Herr Kollege Dr. Dichgans. Wir bemühen uns aber wegen der Dringlichkeit, die Sache zeitgerecht zu Ende zu bringen. Mir ist auch nur ein einziger Fall bekannt, wo eine Anlage leck geworden ist und Ölmengen in den Gefahrenbereich gelaufen sind, so ,daß Trinkwasserverseuchungen nicht lausgeschlossen sind. Aber dort haben wir Anlage sofort stillgelegt.
Ich rufe die Frage 16 Ides Herrn Abgeordneten Damm auf.Wie hoch ist die Rente, die Frau Hippel — Witwe des im Juni 1966 tödlich verunglückten Starfighterpiloten Manfred Hippel — für sich und ihre Kinder bekommt, und welche sonstigen Leistungen erhält sie im Zusammenhang mit dem Unfalltod ihres Mannes entgegen der Darstellung in der Illustrierten „Quick" vom 8. April 1970, in der es u. a. heißt: „Vom Staat bekam die junge Witwe für sich und ihre beiden Kinder, Brigitte und Sabine, nur eine Rente. Zuviel, um hungern zu müssen. Beschämend wenig aber als Ausgleich für ihr zerstörtes Lebensglück."?Bitte, Herr Staatssekretär!
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2516 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Herr Kollege Damm, ich beantworte Ihre Frage folgendermaßen. Der Witwe und ,den beiden ,minderjährigen Kindern des leider tödlich verunglückten Piloten — dieser Unfall war im Jahre 1966; ,eis handelte sich um einen Oberleutnant — sind unmittelbar nach dessen Tod als einmalige Leistungen Sterbegeld in Höhe von 2017,92 DM und eine Unfallentschädigung in Höhe von 40 000 DM zugegangen. Mit dem Ersten des auf den Sterbemonat folgenden Monats setzte die laufende Zahlung der Hinterbliebenenversorgungsbezüge - hier kurz Witwen- und Waisengeld genannt — ein, ,die zur Zeit — infolge gewisser Erhöhungen, die Platz gegriffen haben — insgesamt 1455,14 DM monatlich betragen.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, kann man, legt man die tatsächlichen Leistungen, die Sie soeben genannt haben, zugrunde, davon sprechen, das sei „zuviel, um zu verhungern", wie es in der Illustrierten „Quick" gestanden hat?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister !der Verteidigung: Herr Kollege, bei allem Respekt vor dean verunglückten Piloten muß ich dennoch sagen — wenn ich Sie ansehe; ich weiß, welchen bürgerlichen Beruf Sie früher ausgeübt haben; wir haben einen verwandten Beruf —: Ich weiß, wie lange wir dienen mußten, um für unsere gesamten Familien diesen Betrag als Einkommen auf unser Konto buchen zu können. Nichtsdestoweniger will ich hier unumwunden zugeben, daß der Unfall für die betroffene Familie eine gewisse Einkommensminderung bedeutet. Es bleibt ferner dabei zu bedenken, daß der Vater eben durch ,diesen tragischen Unfall aus dem Familienverband ausgeschieden ist.
Sie haben eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gerade wenn ich das letztere in unsere Überlegungen mit einbeziehe: Sehen Sie Möglichkeiten, dafür Sorge zu tragen, daß die durch den Verlust des Mannes und des Vaters ohnehin furchtbar getroffenen Hinterbliebenen nicht noch durch Darstellungen wie eben in der Illustrierten „Quick" 2. B. in :den möglichen Verdacht geraten, im Zusammenhang mit ihrem Schicksall unzutreffende Stellungnahmen abgegeben zu haben?
Ich sehe nur die Möglichkeit, daß nachdenkliche Journalisten und nachdenkliche Kollegen das Protokoll der Fragestunde nutzen, um diesen Tatbestand so bekannt zu machen, daß jeder sich selber ein Urteil darüber bilden kann, ob eine derartige Versorgung unizureichend ist oder ob sie — jedenfalls gemessen an heutigen Preisen und Lebenshaltungskosten — angemessen ist.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Kollege Josten.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich eine so grobe Falschmeldung in der Illustrierten „Quick", welche ja dem Ansehen unserer Bundeswehr schadet?
Herr Kollege Josten, ich kann mir das nur so erklären, daß die Recherchen nicht sorgfältig geführt worden sind. Hätte die Zeitschrift an das Informations- und Pressezentrum des Bundesministeriums der Verteidigung geschrieben, hätten wir selbstverständlich die Auskünfte, die ich jetzt hier mündlich vorgetragen habe, auch ihr gegeben. Ich bin allerdings der Auffassung, daß die Fürsorgepflicht auch gebietet, nicht in aller Welt ohne Not Einkommen von Beamten und Soldaten oder deren Hinterbliebenen bekanntzugeben.
Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Dröscher auf:
Wie will die Bundesregierung dafür sorgen, daß Wehrpflichtige, die ihre Reserveübungen ableisten, nicht in die Lage eines Obergefreiten der Reserve kommen, der sich bei einer 11-TageÜbung am letzten Tag einen Dienstunfall zuzog, sechs Wochen erwerbsunfähig erkrankt ist und von keiner Stelle einen Lebensunterhalt beziehen kann, weil sich sein Arbeitgeber weigert, für den Dienstunfall bei der Bundeswehr Krankengeld zu zahlen, und dem weder Ortskrankenkasse noch Bundeswehr einen anderen Rat geben konnten, als gegen seinen langjährigen Arbeitgeber beim Arbeitsgericht zu klagen?
Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Dröscher, ich beantworte die Frage folgendermaßen. Mit der Beendigung des Wehrdienstes, also auchmit der Beendigung einer Wehrübung, lebt das durch den Wehrdienst unterbrochene Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten wieder auf. Zu den wiederauflebenden Rechten gehört das Recht auf Fortzahlung des Lohns oder einer Vergütung oder, wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig geworden ist, entsprechender Bezüge. Dabei ist es unerheblich, ob sich der Arbeitnehmer die Krankheit oder den Grund der Krankheit schon vor Wiederaufleben des Arbeitsverhältnisses zugezogen hat oder nicht. Diese für den Arbeiter auf dem Lohnfortzahlungsgesetz und für Angestellte auf dem Bürgerlichen Recht beruhende Regelung gewährleistet, daß der Arbeitnehmer ohne Verzögerung in den Genuß des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung kommt und nicht erst das vielfach schwierige Verfahren der Feststellung einer Wehrdienstbeschädigung abzuwarten braucht.Die Belastung. des Arbeitgebers geht nicht über die Belastung hinaus, die ihm nach dem Lohnfortzahlungsgesetz und dem Bürgerlichen Gesetzbuch sowieso obliegt. Bei Arbeitgebern mit nicht mehr als 20 Arbeitnehmern werden 80 v. H. der für Arbeiter fortgezahlten Arbeitsentgelte und Arbeitgeberanteile zu den Sozialversicherungsbeiträgen von den zuständigen Ortskrankenkassen erstattet.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2517
Herr Kollege, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für verständlich, daß der Arbeitgeber — in diesem Falle ein Handwerksmeister — auch die Belastung von 20%, die auf ihn aus einem Dienstunfall, den einer seiner Arbeitnehmer bei der Bundeswehr erlitten hat, zukommt, eher auf den Verursacher des Dienstunfalls abgeschoben haben möchte, nämlich die Bundeswehr, und kann in einem solchen Fall nicht ein Anspruch auf Ersatzleistung geltend gemacht werden?
Herr Kollege Dröscher, ohne hier in eine Polemik einsteigen zu wollen: die Bundeswehr ist nicht Verursacher des Unfalls. Ich habe mich über diesen Einzelfall informiert. Es kann sein, daß die Bundeswehr als Institution die Schuld trifft, aber dieser Unfall ist anders zustande gekommen. Sei es, wie es sei, ich habe ein gewisses Verständnis dafür; aber die Rechtslage ist klar und eindeutig, und ich habe sie Ihnen hier vorgetragen.
Sie haben eine zweite Zusatzfrage.
Könnte man nicht bei zukünftigen Erörterungen, vorausgesetzt, daß es sich wirklich um einen Dienstunfall handelt — und für den gelten ja die Bestimmungen —, dafür sorgen, daß eine Art Erstattungsanspruch deshalb eingebaut wird, weil auch die Erstattungen nach dem Lohnfortzahlungsgesetz auf weite Sicht entfallen werden?
Ich bin gern bereit, das in die Überlegungen einzubeziehen, sofern eine Novelle des Gesetzes ansteht. Ich kann dem aber weng Hoffnung geben, weil das Arbeitsplatzschutzgesetz insbesondere gewährleisten sollte, daß ein nahtloser Übergang vom Wehrdienst in den zivilen Status möglich ist. Wir haben hierbei auch an die Fürsorgepflicht für den betroffenen Dienstleistenden zu denken.
Ich rufe die Frage 18 des Herrn Abgeordneten Hussing auf. — Der Herr Kollege ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet, Herr Staatssekretär.
Ich rufe die Frage 19 des Herrn abgeordneten Dr. von Nordenskjöld auf:
Ist die Bundesregierung der Ansicht, nachdem sie in ihrer Antwort auf meine Frage vom 21. April 1970 nur geäußert hat, daß die Bestimmungen über das Um- und Überfliegen von Industrieanlagen hoher Gefahrenklassen in den sogenannten Nachrichten für Luftfahrer der Bundesanstalt für Flugsicherung festgelegt sind, daß alle Flugzeugführer der Bundeswehr und der alliierten Streitkräfte diese sogenannten Nachrichten für Luftfahrer zur Kenntnis bekommen und die in Frage kommenden Anlagen kennen?
Der Herr Abgeordnete ist im Saal. Herr Staatssekretär!
Herr Präsident, mit Ihrer Genehmigung darf ich die beiden Fragen gemeinsam beantworten.
Herr Kollege, Sie als Fragesteller sind auch einverstanden? — Dann rufe ich die Frage 20 des Abgeordneten Dr. von Nordenskjöld mit auf:
Ist sichergestellt, daß alle in der Bundesrepublik Deutschland vorhandenen Industrieanlagen, die hochempfindliche Sprengstoffe herstellen, wie z. B. elf Werke der Dynamit Nobel AG, als Industrieanlagen hoher Gefahrenklassen eingestuft sind?
Bitte schön!
Der Bundeswehr stehen die „Nachrichten für Luftfahrer", im folgenden kurz NfL genannt, zur Verfügung. Der Inhalt der NfL wird den Luftfahrzeugführern zur Kenntnis gebracht, soweit dies für die Sicherheit des Flugbetriebes erforderlich ist. Alle in den NfL veröffentlichten Anordnungen, Informationen und Hinweise, die internationaler Verbreitung bedürfen, werden unter der Bezeichnung „Notam" oder „Aeronautical Information Circular", von der Bundesanstalt für Flugsicherung in englischer Sprache herausgegeben. Die Stationierungsstreitkräfte gehören zum Bezieherkreis. Eine Unterrichtung der Luftfahrzeugführer der Stationierungsstreitkräf te ist damit sichergestellt.
In der die Sache betreffenden Bekanntmachung wurden die Luftfahrzeugführer allgemein auf die Einhaltung einer ausreichenden Sicherheitsmindesthöhe beim Überfliegen von Industrieanlagen hoher Gefahrenklassen hingewiesen. Als Beispiel dafür, was unter „Anlagen hoher Gefahrenklassen" zu verstehen ist, wurden nur die Anlagen „Chemische Werke Marl-Hüls" und „Phenol-Chemie GmbH, Gladbeck", aufgeführt. Von einer Aufzählung aller Anlagen hoher Gefahrenklasse einschließlich der Werke der Dynamit Nobel AG mußte abgesehen werden, da ihre Anzahl zu groß war und ist, um von den Luftfahrzeugführern beachtet werden zu können.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung nicht dafür Sorge tragen, daß Werke, die sich mit der Herstellung von hochexplosiven Sprengstoffen beschäftigen und nach wie vor ständig überflogen werden, von diesem Überfliegen ausgelassen werden; denn bei diesen Werken ist besonders gravierend, daß das hochempfindliche Alarmsystem, das diese Werke gegen Explosionen haben, durch die Überschallknalle dauernd ausgelöst wird und dadurch große Gefahren für die Beschäftigten dieser Werke entstehen?
Herr Kollege Dr. Nordenskjöld, das Bundesministerium der Verteidi-
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2518 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Parlamentarischer Staatssekretär Berkhangung ist im engen Einvernehmen mit den Kollegen des . Bundesministeriums für Verkehr ständig bemüht, diese Gefahren zu erkennen und sie zu mildern, möglichst ganz zu beseitigen.Aber wenn Sie einmal einen Blick auf die Landkarte tun und dabei berücksichtigen, daß es andere Interessenten gibt, die nicht überflogen werden wollen — ich nenne beispielsweise nur die Kurbäder —, dann werden Sie sehr bald merken, daß bei einer Aussparung aller dieser Gefahrenherde eine fliegerische Ausbildung über der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr möglich ist. Dabei setze ich voraus, daß Sie, Herr Kollege, wissen, daß ein großer Teil der Grundausbildung und der Schießausbildung überhaupt nicht in der Bundesrepublik, sondern im Ausland vorgenommen wird.
Eine. weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie mir in der vorigen Woche schriftlich geantwortet haben, daß Sie bemüht sind, diese Überschallknalle auf die Zeit bis 17 Uhr zu beschränken, und daß das NATO-Manöver, das in der letzten Zeit bei uns in Nordwestdeutschland besonders unangenehm gewesen ist, nun beendet sei, frage ich: ist Ihnen bekannt, daß gerade gestern abend in der Zeit um 9 Uhr in meinem Wahlkreis wieder erhebliche Überschallknalle zu verzeichnen waren?
Herr Präsident, wenn ich das beantworten darf: es ist mir bekannt, und ich habe das mit einer Träne im Auge zur Kenntnis genommen. Aber ich muß Ihnen ganz offen sagen, Herr Kollege Nordenskjöld: wir müssen unserer Luftwaffe Gelegenheit geben, wenigstens in schwachem Maße auch in dem Bereich zu üben, in dem sie Einsatzluftwaffe sein würde, sofern es erforderlich ist. Wir können nicht darauf verzichten, bestimmte Flüge bei Dämmerung und bei Nacht durchzuführen. Das ist zur Übung der Flugzeugführer und damit, Herr Kollege, zu Ihrer Sicherheit erforderlich. Ich bedauere außerordentlich, daß dabei Lärmbelästigungen nicht ausgeschlossen werden können. So weit ist die Technik leider noch nicht.
Herr Staatssekretär, vielen Dank.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen auf. Zur Beantwortung der hier gestellten Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Börner zur Verfügung.
Die erste Frage ist von Herrn Abgeordneten Wagner gestellt worden:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der Aufschub von Straßenbaumaßnahmen, der durch die vorläufige Sperre von 540 Millionen DM im Haushalt des Bundesverkehrsministers bedingt ist, nicht gleichmäßig auf geplante Baumaßnahmen verteilt werden darf, sondern jeweils auf Grund der örtlichen konjunkturellen Lage zu prüfen ist, welche Baumaßnahmen aufgeschoben und welche Baumaßnahmen planmäßig abgewickelt werden müssen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, ,die Bundesregierung teilt durchaus die Auffassung, daß die im Haushalt des Bundesministers für Verkehr vorgesehene vorläufige Sperrung von 540 Millionen DM nicht gleichmäßig auf alle eingeplanten Straßenbaumaßnahmen verteilt, sondern daß bei der Auswahl der zu sperrenden Objekte die jeweilige örtliche konjunkturelle Lage berücksichtigt werden sollte. Allerdings besteht dafür zur Zeit nur noch wenig Spielraum, weil das für 1970 vorgesehene Investitionsvolumen auf Grund von Verpflichtungsermächtigungen aus dem Vorjahr bereits weitgehend vertraglich gebunden ist. Soweit z. B. das bayerische Zonenrandgebiet betroffen ist, kann von einer größeren Beschränkung der dort laufenden Bauvorhaben nicht gesprochen werden. Lediglich der Baubeginn weniger neuer Objekte mußte zunächst zurückgestelt werden, zumal auch nicht unerhebliche Mittel aus dem Anteil des Landes Bayern am Volumen des Bundesstraßenhaushalts für 1970 im Raum München für das Olympia-Bauprogramm benötigt werden. Das volle Straßenbauprogramm 1970 wäre nur dann zu verwirklichen, wenn der Bundesstraßenhaushalt von der vorläufigen Sperre ausgenommen würde.
Danke schön! Keine Zusatzfrage.
Die nächste Frage ist von dem Herrn Abgeordneten Jung gestellt. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Herr Statssekretär, die Frage wird schriftlich beantwortet.
Die nächste Frage ist von dem Herrn Abgeordneten Pieroth gestellt. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet.
Die nächsten 'beiden Fragen sind von dem Herrn Abgeordneten Maucher gestellt. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die beiden Fragen, Herr Staatssekretär, werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 32 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe auf:
Warum hat die Bundesregierung der Herausgabe eines LeninSonderstempels in Berlin zugestimmt?
Herr Staatssekretär, bitte!
Herr Kollege, die Deutsche Bundespost hat den Lenin-Stempel zugelassen, weil er den Richtlinien rentspricht, die allgemein bei der Genehmigung von Sonderstempeln angewendet werden. Nach diesen Richtlinien sind nur Sonderstempel im Zusammenhang mit Veranstaltungen politischer Parteien oder Organisationen nicht zu genehmigen. Diese Voraussetzung lag im Falle des Lenin-Stempels nicht vor.
Eine Zusatzfrage!
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2519
Herr Staatssekretär, treffen Meldungen zu, daß die Herausgabe eines LeninSonderstempels ursprünglich im gesamten Bundesgebiet vorgesehen war, und, wenn ja, warum ist das nicht erfolgt? Darüber hinaus: Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Senats von Berlin, daß es sich bei der Genehmigung eines derartigen Sonderstempels um keinen politischen Vorgang handele?
Herr Kollege, ich habe angedeutet, daß der Lenin-Stempel im Rahmen der Richtlinien, die ,die Bundespost herausgegeben hat, genehmigt wurde. Es ist so, daß er anläßlich einer Briefmarkenausstellung in Berlin und im Rahmen dieser Ausstellung verwendet wurde; daher ist Ihre Frage nach der Genehmigung für das ganze Bundesgebiet hier nicht zutreffend. Es handelt sich hier um eine örtlich begrenzte Aktion einer Gesellschaft, die eine Briefmarkenausstellung anläßlich des 100. Geburtstages Lenins durchgeführt hat.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage? — Bitte!
Der zweite Teil meiner Frage ist nicht beantwortet worden.
Ich habe ja angedeutet, daß die Bundespost in der Herausgabe dieses Sonderstempels keinen politischen Vorgang sieht.
Herr Kollege, Sie haben damit Ihr Fragerecht konsumiert. — Herr Kollege Müller!
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung die Herausgabe dieses Lenin-Sonderstempels nicht für eine Herausforderung an die freiheitliche Bevölkerung von West-Berlin?
Herr Kollege, ich habe gesagt, daß ich das nicht als einen politischen Vorgang ansehe und daß die Herausgabe anläßlich einer Briefmarkenausstellung auch keine Deutung erfahren kann, wie Sie sie soeben gegeben haben.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich Ihres Ministeriums, Herr Staatssekretär, beantwortet.
Wir kommen nunmehr zu dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär von Dohnanyi zur Verfügung.
Die erste Frage des Abgeordneten Leicht wird von dem Bundesminister für Wirtschaft beantwortet.
Ich. rufe die Frage 34 des Herrn Abgeordneten Leicht auf:
Ist es überhaupt nach dem neuesten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse noch zu vertreten, Atomanlagen inmitten dicht besiedelter Gebiete zu errichten, wobei alle Gefährdungen auszuschließen sind?
Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Eine Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Ich darf noch darauf hinweisen, daß voraussichtlich die Fragestunde nicht voll die vorgesehene Stunde in Anspruch nehmen wird. Ich habe die Fraktionen wissen lassen, daß wir im Hinblick auf den weiteren Ablauf gegebenenfalls etwas früher mit der Plenarsitzung beginnen können.
Ich rufe die Frage 35 des Abgeordneten Dr. Schober auf:
Ist der beim Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft ins Leben gerufene Planungsstab zur Koordinierung der Sach-
und Finanzplanung inzwischen tätig geworden, und welche Aufgaben hat er übernommen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, der Planungsstab hat seine Tätigkeit am 1. Januar 1970 aufgenommen. Er hat nach dem Geschäftsverteilungsplan des Ministeriums vor allem folgende Aufgaben: 1. die Koordinierung und Planung im Bereich der Finanz-und Sachplanung des Ministeriums, 2. die Ermittlung von statistischen Rahmendaten, die an allen Stellen des Hauses in gleicher Weise gebraucht werden, 3. Fragen der bundesstaatlichen Struktur und Fragen ,der damit verbundenen Probleme der Finanzreform, 4. Methoden und Prioritäten der staatlichen Förderung von Bildung und Wissenschaft, 5. Grundsätze des wissenschaftlichen Beratungswesens im allgemeinen und Grundsätze des wissenschaftlichen Beratungswesens insbesondere für das Ministerium.
Dem Planungsstab obliegt nicht die eigentliche Programmplanung. Diese ist bei den Fachabteilungen geblieben. Er hat vielmehr Methoden und Grundlagen für die Planung zu erarbeiten, die Planung aufeinander abzustimmen und herausgehobene Fragen, die mehrere Bereiche des Hauses in bezug auf Planungsprobleme berühren, zu koordinieren.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Schober.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir sagen, wie der Planungsstab zusammengesetzt ist und ob ihm auch Berater von außerhalb des Ministeriums angehören.
Herr Abgeordneter, der Planungsstab ist
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2520 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Dohnanyi relativ klein. Ihm gehören im Augenblick erst vier Beamte des höheren Dienstes aus dem Ministerium an. Wir sind auch der Auffassung, daß der Planungsstab langsam aufgebaut werden muß. Schon aus diesem Grund haben wir von Anfang an sowohl Berater aus den Forschungszentren als auch freie Berater zu den Arbeiten des Planungsstabs herangezogen. Es werden u. a. Aufträge auf dem Sektor „Methoden der Prioritäten" und natürlich für den ganzen Bereich dessen, was bundesstaatliche Struktur bedeuten kann, vergeben.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, der Planungsstab müsse langsam aufgebaut werden. Könnten Sie mir sagen, wann etwa mit den ersten Ergebnissen seiner Arbeit zu rechnen sein wird.
Es gibt schon heute Ergebnisse des Planungsstabs, Herr Abgeordneter, z. B. im Zusammenhang mit dem vor uns liegenden Bericht der Bundesregierung zu Fragen der Bildung und Wissenschaft. Dazu hat der Planungsstab eine Reihe von Beiträgen zu leisten gehabt. Im Bereich der vor uns liegenden Finanzplanung hat der Planungsstab bei der Koordination und Zielsetzung eine maßgebliche Rolle gespielt. Ich vermute, daß er bis zum Beginn des Herbstes auf einem relativ konsolidierten Niveau sein wird. Von da an wird allerdings vermutlich noch die eine oder andere ergänzende Aufgabe auch personell zu berücksichtigen sein.
Keine weiteren Zusatzfragen. Vielen Dank, Herr Staatssekretär!
Wir kommen nunmehr zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesminsters für Wirtschaft. Für die Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt zur Verfügung. Ich rufe Frage 39 des Herrn Kollegen Mertes auf. — Der Kollege ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet.
Die Fragen 40 und 41 sind von Herrn Abgeordneten Dr. Pohle gestellt. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die beiden Fragen, Herr Staatssekretär, werden daher schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 42, die der Herr Abgeordnete Krammig gestellt hat:
Ist die Bundesregierung bereit, auf Grund der zwischenzeitlichen Änderungen in der Konjunkturlage, durch die die Zahlen des Jahreswirtschaftsberichts weitgehend überholt sind, einen Nachtrag zu diesem Bericht baldmöglichst vorzulegen?
Der Herr Abgeordnete ist im Saal. Herr Staatssekrektär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage kann ich mit Ja beantworten, Herr Kollege Krammig. Die Bundesregierung hat das bereits in der Aktuellen Stunde am 24. April zugesagt.
Eine Zusatzfrage.
Wann, Herr Staatssekretär, kann etwa mit diesem Bericht gerechnet werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ende Mai.
Die Fragen 43 und 44 des Herrn Abgeordneten Dr. Probst sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Wir kommen zur Frage 33 des Herrn Abgeordneten Leicht:
Ist durch das bei Philippsburg geplante Atomkraftwerk eine Beeinträchtigung der Entwicklungsmöglichkeiten auf dem linken Rheinufer zu befürchten?
Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt vom 6. Mai 1970 lautet:
Nein, das ist nicht zu befürchten.
Das Atomkraftwerk bei Philippsburg, das 1974 fertiggestellt sein soll, ist nur eines von mehreren Kernkraftprojekten in diesem Raum. Bis 1976 ist ein weiteres Werk vorgesehen. Es wird ebenfalls rechtsrheinisch, nämlich in Kirschgartshausen im Landkreis Mannheim, liegen. Seine günstigen Stromgestehungskosten werden jedoch auch den Abnehmern im linksrheinischen Versorgungsgebiet, d. h. im Versorgungsgebiet der Pfalzwerke AG, zugute kommen.
Außerdem wird im Laufe der 70er Jahre im pfälzischen Raum ebenfalls der Bau eines Kraftwerks, voraussichtlich eines Kernkraftwerks, notwendig. Für dieses Kraftwerk ist ein Standort linksrheinisch zwischen Wörth und Speyer vorgesehen.
Meine Damen und Herren, ich sehe gerade, daß Herr Professor Schellenberg den Saal betritt. — Herr Kollege Schellenberg, die Fragestunde ist vorzeitig zu Ende gegangen. Es wäre gut — weil ich sonst die Sitzung unterbrechen müßte —, wenn Sie mit Ihren Ausführungen beginnen könnten. Oder wollen Sie noch eine Weile warten?
— Gut! Unter diesen Umständen unterbreche ich die Sitzung bis 15 Uhr.
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erstmals in unserem Lande legt eine Regierung dem Parlament und der Öffentlichkeit ein konkretes, umfassendes sozialpolitisches Programm vor.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2521
Dr. SchellenbergDas allein ist schon eine geschichtliche Tat. Es hätte Ihnen, Herr Kollege Katzer, nicht schlecht angestanden,
wenn Sie das kurz gewürdigt hätten, wie auch Herr Kollege Arendt positive Worte über Ihre frühere Arbeit gefunden hat.
— Aber dann ist es so dünn ausgefallen, daß es nicht an meine Ohren gedrungen ist.
Herr Katzer hat als Sprecher der Opposition das Thema Sozialbericht unter vier Gesichtspunkten behandelt.Erster Gesichtspunkt. Zum Sozialbudget haben Sie außer einer gewissen positiven Würdigung vor allem kritische Äußerungen gefunden.
Zu diesem Teil wird sich mein Kollege Nölling äußern.Ihr zweiter Gesichtspunkt, Herr Kollege Katzer, war, das Positive am Sozialbericht sei im wesentlichen eine Fortführung der Arbeiten des früheren Arbeitsministers.Ihr dritter Gesichtspunkt: Zu den großen gesellschaftspolitischen Zielsetzungen haben Sie sich, Herr Kollege Katzer, nur sehr allgemein geäußert.Ihr vierter Gesichtspunkt: Zu den konkreten Vorhaben des Sozialberichts — soweit Sie sich damit überhaupt beschäftigt haben —, so äußerten Sie im wesentlichen nur eine kleinkarierte Kritik.
— Das beweise ich auch noch.Herr Kollege Katzer, Sie haben mit einem gewissen Stolz auf die Anträge verwiesen, die die Opposition in den letzten Tagen hier eingebracht hat, und zwar zur Kriegsopferversorgung, zum Kindergeld, zur Vermögensbildung, zur Krankenversicherung. Diese Entwürfe sind, wie im einzelnen bei den späteren Beratungen darzulegen sein wird, vom Inhalt und auch von der Finanzierung her unausgereift. Sie bilden keinen Ersatz für eine sozialpolitische Konzeption der Opposition.20 Jahre hat die CDU don Bundeskanzler und den Bundesarbeitsminister gestellt. Aber niemals hat ein CDU-Bundeskanzler oder -Bundesarbeitsminister dem Parlament ein umfassendes Programm für eine moderne Sozialpolitik vorgelegt.Natürlich gab es auch in früheren Regierungserklärungen irgendwelche Aussagen zur Sozialpolitik. Herr Kollege Katzer, als Sie 1965 Arbeitsminister unter Herrn Erhard wurden, hat dieser in seiner Regierungserklärung die Sozialpolitik — ich zitiere — als Ansatz zu einer sich selbst nährenden inflationistischen Entwicklung disqualifiziert. Das war eine Konzeption des überholten Konservativismus.Sie, Herr Kollege Katzer, hatten als Vertreter des linken Flügels diese Politik als Feigenblatt von Amts wegen zu vertreten.Politisch wichtig ist, daß die CDU/CSU-Fraktion diese überholten gesellschaftspolitischen Vorstellungen bis zur Bundestagswahl 1969 beibehalten hat. Sie hat nämlich am 20. August 1969 im Hinblick auf die 6. Legislaturperiode ein sozialpolitisches Schwerpunktprogramm vorgelegt. In diesem Schwerpunktprogramm heißt es selbstgefällig:Die CDU/CSU-Fraktion hat keine Veranlassung, in der Sozialpolitik umwälzende neue Programme vorzulegen.
An einer anderen Stelle dieses Programms heißt es:Die Leistungen in unserem sozialen Sicherungssystem sind so hoch und im ganzen so ausgewogen, daß wir keine aufwendigen strukturellen Leistungsverbesserungen anstreben sollten.Soweit die CDU/CSU-Fraktion vor der Bundestagswahl.
— Herr Kollege Barzel, wir sprechen jetzt von demProgramm der CDU/CSU für die 6. Legislaturperiode.
— Im Rahmen der politischen Möglichkeiten verwirklichen wir unsere Ziele, das wissen Sie genauso wie wir.
Gegenüber diesen Vorstellungen des CDU/CSU-Schwerpunktprogramms, die ich nicht anders denn als antiquiert bezeichnen kann, geht die Regierungserklärung von der Notwendigkeit innerer Reformen auch auf dem Gebiete der Sozialpolitik aus.
Die Regierungserklärung — fortgeführt und konkretisiert in dem Sozialbericht — hat bezüglich der Sozialpolitik
auf drei Punkte besonderes Gewicht gelegt: soziale Sicherheit für alle, mehr Gerechtigkeit, mehr Freiheit und Demokratie. Das wird jetzt im Sozialbericht verdeutlicht und konkretisiert.
— Das will ich Ihnen beweisen. Deshalb spreche ich hier.Zum ersten: soziale Sicherung für alle.a) Bei uns sind für das Alter weniger Bürger gesichert als in anderen Ländern. Deshalb hat dieses
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2522 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Dr. SchellenbergHaus aus Anlaß der Einbeziehung aller Angestellten in die gesetzliche Rentenversicherung
am 8. Dezember 1967 die Bundesregierung beauftragt, baldmöglichst einen Gesetzentwurf über die Ausdehnung der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Selbständigen vorzulegen.
— Wie Ihre Fraktion gestimmt hat, Herr Kollege Härzschel, darüber wollen wir uns im einzelnen hier nicht unterhalten; es würde für Sie schlecht ausgehen.Herr Kollege Katzer, Sie müssen sich als damaliger Arbeitsminister den Vorwurf gefallen lassen, daß Sie diesen Auftrag des Parlaments nicht erfüllt haben.
Der Sozialbericht enthält hinsichtlich dieser wichtigen gesellschaftspolitischen Aufgabe eine klare Aussage — ich zitiere —:Die Bundesregierung betrachtet es als wichtige soziale Aufgabe, auch für die übrigen Selbständigen eine gesetzliche Alterssicherung zu ermöglichen.Dann heißt es weiter sinngemäß: Soweit Selbständige von Strukturveränderungen betroffen werden, soll ihnen im Rahmen des gegenwärtigen Systems der sozialen Rentenversicherung der Übergang zu einer abhängigen Beschäftigung erleichtert werden. Das ist eine große Zielsetzung.
Nach ihrer Verwirklichung wird auch für Selbständige endlich im Alter eine soziale Sicherung gewährleistet sein.
Das ist die politische Aufgabe, zu der die Bundesregierung im Sozialbericht eine klare Aussage macht.
— Herr Kollege Barzel, soviel verstehen Sie doch vom politischen Geschäft, daß nicht alle Aufgaben innerhalb von sechs Monaten durchgeführt werden können. Aber eine Reihe wichtiger Aufgaben, die in der Regierungserklärung angekündigt wurden, sind bereits erfüllt worden.
b) In Verwirklichung des gesellschaftspolitischen Zieles „Soziale Sicherung für alle" kündigt der Sozialbericht Krankenversicherungsschutz für alle Angestellten an.
— Ja, kündigt an! Sie werden vielleicht morgen in der Zeitung lesen, was das Kabinett heute darüber beschlossen hat.
— Jetzt will ich zum Sozialbericht sprechen, und diesem will ich die Absichten der CDU gegenüberstellen. Dann wird der Minister noch Gelegenheit haben, über heutige Kabinettsbeschlüsse zu berichten.
Im Sozialbericht heißt es sinngemäß: Die Krankenversicherungspflichtgrenze für Angestellte wird erhöht und dynamisiert. Für nicht versicherungspflichtige Angestellte wird ein Arbeitgeberzuschuß bei Wahlfreiheit zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung eingeführt.Die entsprechenden Referentenentwürfe sind bei Einbeziehung der verschiedenen Alternativen bereits mit allen interessierten Stellen beraten worden.Jetzt, gestern oder vorgestern, brachte die CDU/ CSU-Fraktion einen ähnlichen Gesetzentwurf ein, auf den Herr Kollege Katzer mit großem Stolz verwiesen hat.
— Ja, aber Herr Kollege Härzschel, Sie wissen doch wohl noch, wie es vor einem Jahr war!
.
Noch vor einem Jahre wollte die CDU/CSU erst ab 1. Juli 1970 die Versicherungspflichtgrenze.
Nein, nein, nein! Die CDU wollte in ihrem Gesetzentwurf vom 18. März 1969, der dann am 20. Mai im Sozialpolitischen Ausschuß von der CDU wieder zum Antrag erhoben wurde,
ab 1. Juli 1970 die Versicherungspflichtgrenze auf nur 990 DM Monatsgehalt für Angestellte festsetzen,
Sie hätte damit von den 7 Millionen Angestellten 4,5 Millionen von der gesetzlichen Pflichtkrankenversicherung ausgeschlossen.
Wenn die CDU jetzt, als Oppositionspartei, eine dynamisierte Grenze von 1425 DM Monatseinkommen beantragt, dann kann ich das nicht anders bezeichnen, als daß sie versucht, unsere Angestellten als dumm zu verkaufen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2523
Dr. Schellenberg— Als dumm zu verkaufen, nämlich darüber hinwegzutäuschen, wie sich die CDU/CSU vor einem Jahr verhalten hat.
Das gleiche gilt für die Arbeitgeberzuschüsse für nichtversicherungspflichtige Angestellte. In ihrem sozialpolitischen Schwerpunktprogramm für die 6. Wahlperiode vom 20. August 1969 verkündet die CDU/CSU, daß Zuschüsse des Arbeitgebers zum Krankenversicherungsbeitrag lediglich freiwillig gewährt werden sollen.
Jetzt aber, angesichts des Sozialberichts, fordert die CDU im Gesetzentwurf einen gesetzlich festgelegten Arbeitgeberzuschuß zum Krankenversicherungsbeitrag.
— Ja, ja, Fortschritt jetzt! Zwanzig Jahre konservativ.
Jetzt fortschrittliche Anträge im Hinblick auf die Vorlage des Sozialberichts. Das ist ein wenig glaubwürdiges Verhalten der CDU.c) Im Sozialbericht erklärt die Bundesregierung im Rahmen ihrer Zielsetzung „Soziale Sicherung für alle", daß sie noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf über eine umfassende Sicherung der Schulkinder im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung vorlegen wird. Diese verbindliche Zusage der Bundesregierung hat eine lange Geschichte. Es war nämlich die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, die am 17. Januar 1968 hier im Hause einen Antrag über die Unfallversicherung der Schulkinder eingebracht hat.
Daraufhin hat dann am 27. November 1968 der Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, einen Gesetzentwurf über die Unfallversicherung der Schulkinder vorzulegen. Herr Kollege Katzer als früherer Arbeitsminister hat auch diesen Auftrag des Bundestages während seiner Amtszeit nicht erfüllt.
Jetzt verkündet er stolz, daß seine Fraktion einen entsprechenden Antrag einbringt, der den gleichen Gegenstand zum Inhalt hat, den er als Arbeitsminister zwei Jahre hat liegen lassen.
Zum Zweiten: Aus der Regierungserklärung ergibt sich und durch den Sozialbericht wird konkretisiert: mehr Gerechtigkeit in der sozialen Sicherung. Die Bundesregierung ist in einem wichtigen Punkte über diesen Teil der Regierungserklärung in ihrem praktischen politischen Handeln hinausgegangen. Es betrifft den Wegfall des Beitrags der Rentner zur Krankenversicherung. Diese Regierungsinitiative hat die CDU/CSU-Fraktion völlig durcheinandergebracht. Zwiespältig war Ihr Verhalten vom November 1969 an, als die Ankündigung der Bundesregierung erfolgte, bis zur Verabschiedung dieses Regierungsentwurfs am 11. März 1970! Politisch wichtig ist hier die Feststellung des Sozialberichts, daß der Mehraufwand für den Wegfall des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags voll gedeckt ist, ohne daß die dynamische Rentenanpassung und sonstige Leistungsverpflichtungen gefährdet werden.Ein weiterer Bereich, in dem die Bundesregierung ihre Regierungserklärung bereits erfüllt hat: die Kriegsopferversorgung. In wenigen Wochen ist die Zusage der Regierungserklärung voll erfüllt worden in den drei wichtigen Punkten: Erhöhung der Kriegsopferrenten ab 1. Januar 1970, strukturelle Verbesserungen und Einführung einer Dynamisierungsklausel. Die Tatsache, daß sich jetzt bereits das Zweite Anpassungsgesetz im Gesetzgebungsverfahren befindet, beweist überzeugend die große gesellschaftspolitische Bedeutung der jährlichen Anpassung der Kriegsopferrenten an die allgemeine Entwicklung.
In diesem Zusammenhang muß festgehalten werden, daß die CDU/CSU in ihrem Schwerpunktprogramm für die 6. Legislaturperiode lediglich eine Anpassung auf Grund von Berichten der Bundesregierung forderte, die im Abstand von zwei Jahren vorgelegt werden sollen. Diese antiquierte Haltung hinsichtlich des damaligen § 56 und die sehr bescheidenen Anforderungen des damaligen Arbeitsministers an den Haushalt
zur Verbesserung der Kriegsopferversorgung
haben dann die CDU bei der Beratung der Regierungsvorlage veranlaßt, Anträge mit einem sehr erheblichen Mehraufwand zu stellen. Einen Mehraufwand, an den sie vorher niemals gedacht hatte, nämlich jährlich 353 Millionen DM gegenüber der Regierungsvorlage.Nun zu einem weiteren Punkt des Zieles: mehr Gerechtigkeit, nämlich der flexiblen Altersgrenze, über deren Stand der Sozialbericht informiert. Die gegenwärtige Regelung der starren Altersgrenze trägt — das sagt der Sozialbericht, und wir können es unterstreichen —der tatsächlichen Entwicklung der Arbeits- und Leistungsfähigkeit der Menschen nicht Rechnung. Auch in dieser Hinsicht gibt es jedenfalls bisher einen fundamentalen Unterschied zur CDU. In dem sozialpolitischen Schwerpunktprogramm der CDU — das ist nämlich die einzige Äußerung, die von Ihnen für die sechste Legislaturperiode vorliegt — vom August 1969 wird eine Freiheit der Wahl in bezug auf die Altersgrenze rundweg abgelehnt.
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2524 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Dr. SchellenbergWir Sozialdemokraten waren uns immer darüber im klaren, daß eine flexible Altersgrenze arbeitsmarktpolitische, finanzwirtschaftliche Fragen aufwirft. Wir stimmen deshalb dem Sozialbericht zu, daß die gesamten Auswirkungen der flexiblen Altersgrenze sorgfältig zu prüfen sind. Das hat der Herr Bundesarbeitsminister heute unterstrichen. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie nach Abschluß dieser Prüfungen dem Hause einen Gesetzentwurf über die flexible Altersgrenze vorlegt.
In dem dritten Grundsatz der Regierungserklärung, den der Sozialbericht konkretisiert, geht es um mehr Freiheit und mehr Demokratie. Wir begrüßen ,die präzise Erklärung des Sozialberichts, den der Herr Bundesarbeitsminister in diesem Punkt ausdrücklich bekräftigt hat: Die Bundesregierung wird noch in diesem Jahr eine umfassende Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes vorlegen. Wir erwarten von dieser Novelle, von dieser Neuregelung des Betriebsverfassungsgesetzes mehr Freiheit und mehr Demokratie im Arbeitsleben.Wenn der Herr Kollege Katzer heute vormittag erklärt hat, die CDU hätte in dieser gesellschaftspolitischen Frage stets geradlinig gehandelt, dann hat Sie, Herr Kollege Katzer, in dieser Hinsicht Ihr Gedächtnis im Stich gelassen. Die CDU-Fraktion hat nämlich am 2. November 1967 unter Drucksache V/2234 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes eingebracht, der lediglich dem Ziel diente, bestimmte Gruppen durch eine sogenannte Minderheitsklausel zu schützen.
Aber alle wirklichen Probleme, die bei einer Neugestaltung des Betriebsverfassungsgesetzes zu regeln sind, hat die CDU ausgeklammert, und das nennen Sie ein geradliniges Verhalten.
— Wir haben unseren Gesetzentwurf damals eingebracht und stehen politisch dazu.Wie die Entscheidung in dieser Legislaturperiode fällt, ergibt sich aus dem Willen, den die Wähler im September 1969 getroffen haben. Das wissen wir doch alle. Das hören Sie von uns hier, und wenn Sie wollen, kommen Sie zu unserem Parteitag in Saarbrücken, da hören Sie das auch. Da werden wir das gleiche sagen, was unser politisches Gesamtziel ist und was wir im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten hier in enger Zusammenarbeit mit unserem Koalitionspartner verwirklichen können.
So ist es, und so ist es in jeder Koalition, in jedem Parlament.
Meine Damen und Herren, wir haben mit zustimmendem Interesse davon Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung laut Sozialbericht — und der Bundesarbeitsminister hat wegen der Bedeutung auch heute darauf hingewiesen — ihre Stellungnahme zum Gutachten der Mitbestimmungskommission dem Hause in einer besonderen Vorlage zuleiten wird. Das wird die Diskussion über diese wichtige Frage im Parlament und in der Öffentlichkeit voranbringen.Dem Ziel von mehr Freiheit und mehr Demokratie dient auch die Vermögensbildung. Im Gegensatz zur CDU/CSU sind wir mit der Bundesregierung der Auffassung, daß ein gesetzliches Zwangssparen nicht unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung entspricht.
— Herr Katzer, wenn Sie die Zeit gehabt hätten oder sich die Zeit genommen hätten, in der letzten Woche an der Anhörung der Sachverständigen über den Gesetzentwurf der CDU/CSU teilzunehmen, dann hätte Ihre Begeisterung über diesen Entwurf sicher einen starken Dämpfer erhalten. — Sie erhalten das Protokoll.
— Ja, Herr Kollege Härzschel. — Wenn der Herr Präsident so gütig ist, es bei meiner Zeit zu berücksichtigen.
Herr Kollege Schellenberg, würden Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß auch die Sachverständigen der Meinung waren, daß der Tarifvertrag ebenso ein Zwangssparen ist, und den haben Sie ja bejaht?
Herr Kollege Härzschel, nach Schluß der Beratungen dieses Punktes der Tagesordnung hat der Herr Präsident dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung die freundliche Genehmigung erteilt, die Beratungen des Ausschusses fortzusetzen, und Sie wissen, auf der Tagesordnung
steht „Beratung der Gesetzentwürfe zur Vermögensbildung". Herr Kollege Härzschel, wir werden dann im einzelnen versuchen, eine möglichst sinnvolle Regelung auszuarbeiten. Wenn Sie dazu positive Beiträge leisten, dann sind wir Ihnen sehr dankbar.
Das wesentliche Ziel unserer Vermögenspolitik ist, die wirtschaftliche Abhängigkeit des arbeitenden Menschen zu mildern und dadurch seinen Freiheitsraum zu erweitern. Die gesetzliche Neuregelung, so wie sie der Regierungsentwurf vorsieht, beseitigt schwere Ungerechtigkeiten in der bisherigen staatlichen Förderung der Vermögensbildung. Das wird
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2525
Dr. Schellenberg— die -Sachverständigen haben es bestätigt; das ist meine Antwort an Herrn Härzschel — den Tarifpartnern neue verstärkte Impulse zur tarifvertraglichen Vermögensbildung geben. Das wird auch den freien Spielraum der gesellschaftspolitischen Kräfte fördern. Das ist unsere Auffassung.
Im übrigen hat der Herr Bundesarbeitsminister unterstrichen, daß er im Dezember den Vermögensbericht der Bundesregierung mit weiteren Daten vorlegen wird. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung wird auch mit daran zu arbeiten haben, damit der Bundesregierung die Möglichkeit gegeben wird, bessere Unterlagen über die Förderung der Vermögensbildung zu gewinnen.Wir haben mit großem Interesse ,aus dem Sozialbericht zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung an einem Gesetzentwurf zur Einführung des Bildungsurlaubs arbeitet. Das ist, nachdem die bisherigen Bemühungen meiner Fraktion um den Bildungsurlaub in diesem Hause gescheitert sind, ein prinzipieller Fortschritt. Wir begrüßen es auch sehr, daß dieser Bildungsurlaub, wie es im Sozialbericht heißt, nicht nur der allgemeinen beruflichen Bildung dienen soll, sondern auch, ich zitiere, „andere gesellschaftliche und politische Bildungsinhalte umfassen" soll. Das wird, so meinen wir, dem Demokratieverständnis in unserem Volke dienlich sein.Es ist — das ist auch Inhalt des Sozialberichts — ein zwingendes Gebot der Demokratie, Verwaltung und deren Rechtsgrundlagen für den Bürger durchsichtiger zu machen. Transparenz und Vereinfachung unserer sozialen Rechtsordnung können dadurch erreicht werden, daß weitere Bereiche des Sozialrechts nach einheitlichen Grundsätzen in einem Gesetzbuch zusammengefaßt werden. Herr Kollege Katzer, Sie haben die Frage angesprochen. Aber Sie wissen doch, daß schon vor zehn Jahren dieses Haus der Bundesregierung einen Auftrag gegeben hat, die Arbeiten an einem einheitlichen Arbeitsgesetzbuch voranzubringen. Seit vielen Jahren gibt es Etatposten hierfür, aber bisher ist uns noch nicht einmal ein Teilergebnis vorgelegt worden. Um so mehr begrüßen wir ,es, daß nunmehr der Sozialbericht ankündigt, die Bundesregierung werde als ersten Schritt den allgemeinen Teil eines Sozialgesetzbuches noch in dieser Legislaturperiode vorlegen. Das ist eine wichtige und präzise Erklärung.
Mit dem Sozialbericht stellt die Bundesregierung, meine Damen und Herren, das kommt auch im Sozialbericht wörtlich zum Ausdruck, ihre sozialpolitischen Vorhaben zur Diskussion. Wir halten es für notwendig, daß diese Diskussion nicht nur hier im Parlament, sondern auch in der breitesten Öffentlichkeit geführt 'wird. Das ist lebendige Demokratie in einem Bereich, der praktisch jeden einzelnen Bürger unmittelbar angeht. Wir würden es deshalb sehr begrüßen, Herr Bundesarbeitsminister, wenn die Bundesregierung den Sozialbericht, populär dargestellt, in möglichst hoher Auflage der Öffentlichkeit zugänglich macht.
Im übrigen profitiert von dem Sozialbericht natürlich auch die Opposition;
sie weiß nämlich jetzt genau, was die Bundesregierung beabsichtigt und wann sie es durchführen will.
— Es stehen doch Termine drin!
— Meine Damen und Herren von der CDU, die CDU hat diese Hilfe des Sozialberichtes, schon in Gesetzentwürfen ausgenutzt, nämlich ihren Gesetzentwurf zur Krankenversicherung und zur Unfallversicherung für ,Schulkinder. Die Regierungsparteien sind sich darüber im klaren, daß die CDU wahrscheinlich auch in Zukunft, gestützt auf den Sozialbericht, vor der Einbringung von Regierungsvorlagen zur gleichen Materie ähnliche Anträge stellen wird, allerdings, so nehme ich an, mit einem wesentlich höheren Leistungsaufwand. Dennoch wird sie gleichzeitig behaupten, daß ihre Entwürfe finanziell grundsolide seien. — Bitte, Herr Kollege!
Herr Kollege Schellenberg, Sie sind doch der Meinung, daß der Sozialbericht die objektive Wirklichkeit unserer sozialen Verfassung darstellen soll und auch darstellt. Wollen Sie es dann der Opposition verwehren, sich auch an diesem Bericht zu orientieren?
Ich will es ihr nicht verwehren! Ich sage, der Bericht ist eine Hilfe auch für die Opposition. Wir haben an den erwähnten zwei Beispielen gerade in den letzten Tagen erfahren, wie die Opposition ,das ausnutzt. Deshalb sollten Sie den Sozialbericht sehr loben und sich darüber freuen, daß die Bundesregierung vorausischauend erklärt, was sie will und wann sie es tun will.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Schellenberg, warfen Sie nicht eben der Opposition vor, daß sie vielleicht im einen oder im anderen Gesetz etwas mehr fordern könnte als die ,Regierungsparteien. Ich frage Sie: Gilt die Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit denn nur für die Regierungsparteien und nicht auch für die Opposition?
Herr Kollege, wir sind uns darüber klar, daß wir, wie ich hoffe, gemeinsam alles für mehr soziale Gerechtigkeit tun wollen — aber im Rahmen langfristiger finanzieller Vorausschau!
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2526 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Dr. SchellenbergDiesen Grundsatz halben wir, noch als wir Opposition waren, durch Zurücknahme eigener Anträge hier bekräftigt, und an diesen Grundsatz der finanziellen Solidität halten wir uns.
Herr Kollege Schellenberg, gestatten Sie eine zweite Frage des Herrn Abgeordneten Burger?
Ja, bitte schön, Herr Kollege Burger!
Herr Professor Schellenberg, kann man, ohne kleinlich zu sein, Ihre jetzige Aussage mit dem Versprechen des Herrn Arbeitsministers bezüglich mehr sozialer Gerechtigkeit in einen Zusammenhang bringen? Paßt denn das zusammen? Oder würden Sie nicht zugeben, daß das Versprechen des Herrn Bundesministers, für mehr soziale Gerechtigkeit einzutreten, so aufzufassen ist, daß die derzeitige Regierung mehr als die früheren Bundesregierungen leisten will?
Dr. Schellenberg: Herr Kollege Burger, das ist ein sehr differenziertes Problem.
— Man kann mehr an Sozialem leisten, ohne insgesamt mehr Geld auszugeben.
— Das kann man, und das werden wir Ihnen beweisen. Man kann — das haben wir bewiesen — auf Antrag der beiden Regierungsparteien auch im Rahmen einer mittelfristigen Finanzplanung noch mehr für die Sozialpolitik herausholen. Das haben wir nämlich durch den gemeinsamen Antrag der beiden Regierungsparteien zur Dynamisierung der Kriegsopferrenten bewiesen.
Herr Kollege Schellenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller?
Ja, bitte! Herr Kollege Burger, es wurde gerade Herrn Müller das Wort gegeben. Ich muß auf Herrn Müller aufpassen; er ist nämlich auch Berliner. Deshalb werde ich die Ohren spitzen.
Herr Kollege Schellenberg, Sie haben der CDU/CSU-Fraktion unterstellt, sie habe aus dem Sozialbericht bereits Konsequenzen konkreter Art gezogen und entsprechende Anträge eingebracht. Halten Sie die CDU/CSU-Fraktion für so versiert oder für versierter als die SPD, schon jetzt solche Anträge einbringen zu können, obwohl wir den Bericht, der das Datum 20. April 1970 trägt, erst einige Tage in der Hand haben? Oder glauben Sie nicht, daß das unsere eigenen Ideen waren?
Herr Kollege Müller, ich habe gesagt: Der Sozialbericht konkretisiert die Regierungserklärung. Die Punkte, die ich erwähnt habe, sind fast alle bereits in der Regierungserklärung angedeutet und werden jetzt weiter verwirklicht. Im übrigen, Herr Kollege Müller, können Sie mir nicht weismachen, daß die CDU über die Vorbereitungsarbeiten für den Sozialbericht nicht in wesentlichen Grundzügen informiert war; Sie persönlich vielleicht nicht, aber andere Kollegen. Sonst hätte Herr Kollege Katzer nicht schon wenige Tage später über das Sozialbudget, ein kompliziertes finanzwirtschaftliches Programm,
detaillierte Kritiken veröffentlichen
und Pressekonferenzen mit Unterstützung des damaligen Ministerialdirektors für die Sozialplanung abhalten können.
— Herr Nölling wird Ihnen nachher darlegen, wie hervorragend das Sozialbudget ist, und dann können Sie eine Wertung darüber anstellen, welcher Ministerialdirektor besser war und welche Regieung besser ist.
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt zu den finanziellen Fragen einige wenige abschließende Bemerkungen machen. Sie haben in den letzten Wochen und Monaten für den Bereich des Sozialberichts über die Regierungsvorlage hinaus Gesetzentwürfe eingebracht. Ich beziehe mich dabei nur auf ein Jahr, nicht auf die vierjährige Finanzplanung; sonst wäre es ein viermal höherer Betrag. Diese Gesetzentwürfe der CDU/CSU sehen für das Kindergeld 285 Millionen DM, für die Kriegsopferanpassung 353 Millonen DM sowie für die Krankenversicherung — ohne Berücksichtigung des Beitragszuschusses der Arbeitgeber — 270 Millionen DM Mehrausgaben vor. Das macht allein bei drei Gesetzentwürfen einen Mehraufwand für ein Jahr von über 900 Millionen DM aus. Im übrigen sind — das werden wir bei der ersten Lesung Ihres Krankenversicherungsentwurfs hier noch zu besprechen haben — die Finanzierungsangaben bezüglich der Krankenversicherung sehr oberflächlich und fragwürdig.Aber das, was Sie, Herr Kollege Katzer, heute vormittag über den Gesetzentwurf der CDU zur Vermögensbildung gesagt haben, ist hinsichtlich
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2527
Dr. Schellenbergseiner finanziellen Auswirkungen einfach unzutreffend, wie allen Mitgliedern des Ausschusses im einzelnen mitgeteilt wird. Wenn der Präsident es gestattet, werden wir diese Berechnung als Drucksache an das ganze Haus verteilen.Der Ausschuß hat beschlossen, die Bundesregierung damit zu beauftragen, unter den gleichen Annahmen wie denen des Regierungsentwurfs den Entwurf der CDU/CSU zu berechnen.
Die Bundesregierung teilt uns jetzt mit, daß die Belastungen nach dem CDU/CSU-Entwurf für Bund und Länder für das Jahr 1971 5,2 Milliarden DM betragen würden.
Davon war hier bei der ersten Lesung nicht die Rede. Da haben Sie den Eindruck erweckt, als würde der CDU-Entwurf ungefähr so teuer oder so billig sein wie der Regierungsentwurf.
Jetzt stellt sich nach konkreten Berechnungen heraus: 5,2 Milliarden DM Kosten pro Jahr. Die Grundsätze und Annahmen dieser Berechnungen sind von der Bundesregierung jetzt sogar mit Mitarbeitern der CDU/CSU-Fraktion abgestimmt worden, damit sichergestellt ist, daß die Regierung von den gleichen Annahmen und Voraussetzungen ausgegangen ist.
— Aber, Herr Kollege Härzschel, was beweist denn das? Das beweist, daß die CDU/CSU über Nacht — denn den Gesetzentwurf, auf den Herr Katzer so stolz war, haben wir erst am Morgen der Beratung erhalten — Gesetzentwürfe einbringt, die finanziell unausgegoren sind und die sich in phantastischen Größenordnung bewegen.
Gleichzeitig spielt sich die CDU/CSU aber als Hüter von Währung und Stabilität auf.
Das ist ein — ich drücke mich sehr vorsichtig aus — höchst widerspruchsvolles Verhalten.Wir lassen uns dadurch nicht stören. Wir werden zielbewußt Schritt um Schritt den Sozialbericht verwirklichen. Das wird die soziale Landschaft verändern und unsere Politik der inneren Reformen verwirklichen.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Arndt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich schulde dem Hohen Hause, insbesondere dem Kollegen Katzer, einige Informationen.
Sie hatten gesagt, Herr Kollege Katzer, eine Abstimmung zwischen der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik sei eminent wichtig. Dem stimmen wir voll zu.
Sie hatten zweitens gesagt, die Abstimmung zwischen den Zahlen des Sozialbudgets und den Zahlen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung habe diesmal nicht vorgelegen. Das ist richtig. Dennoch hat der Vertreter des Bundesministers für Wirtschaft im Kabinett diesem Sozialbudget zugestimmt. Warum? Weil gleichzeitig eine Revision der Projektionen und Prognosen für das laufende Jahr zu erwarten ist, und zwar vor allen Dingen in bezug auf Produktionssteigerung und Produktivitätssteigerung, die mögliche Differenzen, die in diesem berühmten Jahr 1973 zwischen den Zahlen des Sozialbudgets und dem Staatsverbrauch nach der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auftreten könnten, stark relativieren. Ja, der Vertreter im Kabinett — in diesem Fall war ich das — konnte nicht einmal sagen, ob es zu einer Unter- oder zu einer Überdeckung kommen wird, wenn wir in der Lage sein werden, bis 1974 fortzurechnen.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Katzer?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Einen Satz noch. — Diese Unterlage wird nachgeliefert, und zwar in dem Augenblick, wo die Projektgruppen unseres Hauses mit der Erarbeitung des Nachtrags zum Jahreswirtschaftsbericht fertig sind und an die Fortschreibung der mittelfristigen Projektion gehen können.
Bitte schön!
Herr Staatssekretär, ich verstehe das sehr gut, nur würden Sie unter dieser Annahme rechtfertigen, ,daß in der Vorlage der Bundesregierung nicht von einer 4%igen, sondern von einer 4- bis 5%igen Steigerung der Nettolöhne und -gehälter real im Jahr im Verlauf der mittelfristigen Finanzplanung gesprochen wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Katzer, wahrscheinlich wird die Differenz zwischen der Zielprojektion, die wir im Jahreswirtschaftsbericht für die reale Nettolohnentwicklung diesem Haus vorgelegt haben, und dem Nachtrag, den wir für die reale Nettolohnentwicklung vorgetragen haben, erheblich größer sein als dieses halbe Prozent. Ich kann noch nicht genau sagen, in welchem Maße, so daß ich auch nicht genau sagen kann, ob es mit diesen Zahlen zu einer Unter- oder Überdeckung kommen wird.
Gestatten Sie eine zweite Frage, Herr Staatssekretär?
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2528 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte schön!
Mir geht es nur um die Frage: Ist es angesichts der Ungeklärtheit der Situation überhaupt richtig und angemessen, hier eine konkrete Zahl zu nennen und damit natürlich auch Hoffnungen zu wecken, die möglicherweise morgen nicht gerechtfertigt werden können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Katzer, für das Bundeswirtschaftsminitserium und für mich habe ich diese Frage im Kabinett mit Ja beantwortet, und ich habe diesem Sozialbericht zugestimmt, habe keinen Vorbehalt erklärt, weil ich annehme, ,daß wir das nach der Fortrechnung in der Abstimmung hinbekommen können.
— Nein, das ist eine Annahme, die aber einer Entscheidung zugrunde lag, die ich hier voll vertreten kann.
— Herr Kollege Katzer, die Schätzungen der Institute lagen ja zu dem Zeitpunkt schon vor.
Sie beinhalten ja ein erheblich höheres Wachstum
des realen Sozialprodukts. Die Zahlen, die die
Arbeitskreise der Ministerien jetzt ausrechnen werden, werden noch einmal höher liegen, auch real höher. Ich glaube, daß es keine gute Annahme ist, davon auszugehen, daß die Zahlen, die hier für die Jahre 1971/72 usw. stehen, nachher keine Deckung im Kontensystem der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und damit keine Deckung durch die produktive Leistung unserer Volkswirtschaft finden.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt . Es sind 45 Minuten Redezeit beantragt.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesarbeitsminister hat bei der Einbringung des Sozialberichts diesen vorhin das „sozialpolitische Kursbuch" der sozialliberalen Koalition genannt. Ich möchte dies für die Freien Demokraten vollauf bestätigen. Zweifellos soll dieses Kursbuch dem ganzen Haus die Orientierung über das geben, was die Bundesregierung und was die sie tragenden Fraktionen im sozialpolitischen Bereich nicht nur an Bestandsaufnahme, sondern auch an Zielvorstellungen haben. Es soll auch die Orientierung für die Arbeit der Opposition geben. Ich habe allerdings sowohl aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Katzer als auch auf Grund einiger Zwischenfragen den Eindruck gewonnen, daß es mit dieser Orientierung noch nicht allzu weit her ist. Ich habe den Eindruck gewonnen, daß Sie dieses Kursbuch von hinten nach vorn oder von unten nach oben gelesen haben, dennsonst hätte Herr Kollege Katzer doch nicht in so merkwürdiger Weise Stellung nehmen können. Ich sehe mich gezwungen, Herr Kollege Katzer, vor den Ausführungen, die ich für die Freien Demokraten machen möchte, einige aufklärende Worte zu sagen, weil ich das Gefühl habe, daß die augenblickliche Orientierung der Opposition an diesen Fragen eher auf einem Verschiebebahnhof oder vielleicht auf einem Abstellgleis enden. könnte.
Herr Kollege Katzer, Sie haben die Feststellung getroffen, daß diese Bundesregierung und die sie tragende Koalition — so weit gehe ich mit Ihnen d'accord — für die Sozialpolitik, für die sozialpolitischen Maßnahmen des letzten halben Jahres und für die Aufgaben, die sie sich gestellt haben, die Verantwortung tragen. Herr Kollege Katzer, wer hat denn 20 Jahre die Verantwortung für die Sozialpolitik getragen?
Wieso kamen plötzlich, als Sie wider Erwarten die Opposition des Deutschen Bundestages wurden, aus Ihren Reihen eine Latte von Vorschlägen, die Sie damals, als Sie 20 Jahre lang das Ressort für Sozialpolitik in der Hand hatten, alle hätten verwirklichen können?
- Nun, da haben wir auch unsere Erfahrungen mit Ihnen gemacht, Herr Kollege Katzer.
— Das habe ich nicht behauptet. Aber wenn ich Ihre Anträge und Begründungen aus den letzten Wochen und die Angriffe des Kollegen Katzer, die er damals schon in der Debatte über die Regierungserklärung gemacht hat, noch einmal an mir vorüberziehen lasse, muß ich sagen: das, was scheinbar nicht in Ordnung ist, was Sie plötzlich alles möchten, haben Sie 20 Jahre lang vergessen. Sie haben anscheinend einen Nachholbedarf, sonst hätten Sie nicht plötzlich überproduziert, vor allen Dingen nicht dort, wo die Bundesregierung und die Regierungsfraktionen bereits Gesetze in Arbeit haben. Ich werde dazu gleich noch einige Beispiele bringen.Ein Zweites, Herr Kollege Katzer. Sie haben es bedauert, daß wir in unserer sozialpolitischen Gesetzgebung ein Paragraphengestrüpp haben. Das Wort haben Sie gebraucht. Ich stimme Ihnen völlig zu. Wer war denn 20 Jahre dafür verantwortlich, daß unsere Sozialpolitik leider Gottes so undurchsichtig und für den einzelnen kaum überschaubar wurde?
Doch zumindest die Partei, die das Ressort 20 Jahre verwaltet hat und für diese Fragen verantwortlich war! Es ist also etwas problematisch, jetzt von einem Paragraphengestrüpp . zu sprechen, das Sie selbst in den vielen Jahren hätten entflechten können.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2529
Schmidt
— Nicht Sie allein. Auch Ihren Vorgängern mache ich diesen Vorwurf.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Kalinke?
Herr Kollege, war die FDP seit 1949 nicht immer dabei? Trägt die FDP für die größte Zeit der letzten zwei Jahrzehnte nicht mit Verantwortung? Bekennt sie sich noch dazu?
Meine sehr verehrte Frau Kollegin Kalinke, ich muß bei Ihnen leider etwas Geschichtskorrektur betreiben. Wir waren im ersten Bundestag dabei.
Wir waren in den Jahren, als Sie mit absoluter Mehrheit eine ganze Menge Gesetzesgestrüpp machten, das wir jetzt entwirren mußten, nicht dabei, und wir haben, Frau Kollegin Kalinke, in der Koalition mit Ihnen in manchen Dingen sehr harte Auseinandersetzungen führen müssen. Bei den damaligen Mehrheiten haben Sie die Unterstützung Ihres Koalitionspartners nicht gesucht.
Dann kann es sich doch nur um Punkte gehandelt haben, in denen Sie mit Ihrem jetzigen Koalitionspartner nicht einig waren?
Das wird sich erst noch zeigen, wenn ich die Dinge im Detail aufzeige und wenn wir uns über die Details im Ausschuß unterhalten, Frau Kollegin Kalinke.
Ich darf noch einmal zusammenfassen, was ich feststellen möchte:
das zuständige Ressort war immerhin 20 Jahre lang in den Händen der jetzigen Opposition. Nachdem die Opposition das Ressort nicht mehr hat, nachdem sie nicht mehr in der Regierung sitzt, kommt sie auf einmal mit einem Berg von Gesetzentwürfen, die sie eigentlich damals hätte verwirklichen können, als sie die absolute Mehrheit hatte.
Jetzt aber möchte sie auf einmal beweisen, was noch
zu machen wäre, 'was sie seinerzeit versäumt hat.
Ein Drittes, Herr Kollege Katzer. Sie haben vorhin davon gesprochen, Sie könnten sich vorstellen, daß die Bundesanstalt für Arbeit eigentlich Bundesanstalt für Arbeit und Berufsbildung heißen sollte. Der Kollege Liehr hat dazu noch eine klärende Frage gestellt. Wenn es sich nur um ein Wortspiel handelt, hätte diese Änderung damals durchgeführt werden können, als man die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in Bundesanstalt für Arbeit umbenannte. Ich habe allerdings ein wenig den Verdacht, daß es sich hier um etwas mehr handelt, nämlich darum, daß man das,
was im Berufsbildungsgesetz geschaffen wurde, ändern und die Aufgaben der Berufsbildung, die weitgehend auf die Industrie- und Handelskammern und auf die Handwerkskammern verlagert wurden, auf die Bundesanstalt übertragen möchte.
Daß das Ihre persönliche Vorstellung ist, Herr Minister, könnte ich mir denken. Ich frage mich nur — und ich muß wieder an die Debatte über die Regierungserklärung zurückdenken —: Haben Sie hier als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU in Abstimmung beispielsweise mit dem Kollegen Schulhoff und seinem Kreis gesprochen, oder war das wieder eine persönliche Meinung, die Sie selbstverständlich gern haben können und die ich Ihnen auch konzidiere?
Sie haben in der Debatte zur Regierungserklärung gesagt: „Wenn ich hier spreche, spreche ich als stellvertretender Fraktionsvorsitzender". Es ist also auch die Meinung des Kollegen Schulhoff und des Kreises, der bisher in dieser Hinsicht anderer Meinung war.
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Katzer.
Herr Kollege, es gibt bei dieser Frage finanzielle Probleme, die bei der Bundesanstalt für Arbeit — auch wenn wir die berufliche Bildung hinzufügten — sicherlich sehr gut angesiedelt werden könnten. Es gibt andere Probleme, die wir im Berufsbildungsgesetz geordnet haben. Darf ich Sie fragen, ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, daß es sehr viel sinnvoller wäre, bezüglich der beruflichen Bildung tatsächlich weiterzukommen, statt sich über Institutionen zu streiten und über diese Probleme nur zu reden? Das war mein Vorschlag: darüber sollte man nachdenken; mehr nicht, Herr Kollege!
Wir sind uns in diesem Hause alle darüber im klaren, daß wir uns über die finanziellen Probleme einer noch besseren Berufsbildung weiter unterhalten müssen. Ihre Äußerung war immerhin so, daß sie mißverstanden werden konnte. Deshalb habe ich es jetzt geklärt; nun wissen wir ja Bescheid.
Ein weiterer Punkt. Auch da muß ich wieder ein halbes Jahr zurückgehen. Ich habe Sie schon in der Debatte zur Regierungserklärung gefragt, ob Sie als Vorsitzender der Sozialausschüsse oder als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU sprechen. Ich habe Sie auch gefragt, ob Sie mit Ihren großen Worten über die Ausdehnung der Mitbestimmung für die CDU/CSU-Fraktion gesprochen haben. Auch vorhin wieder, als Sie den Koalitionsfraktionen vorwarfen, daß da nichts geschehe — —
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2530 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Schmidt
— Darf ich davon ausgehen? Dann wundert es mich allerdings, Herr Kollege Katzer, daß die kürzlich in einem kleineren Kreis bei Ihnen vorgesehene Absichtserklärung in dieser Richtung nicht zum Zuge gekommen ist. Es scheint also in Ihrer Fraktion doch noch nicht ganz so zu sein, wenn Sie es auch — das konzediere ich Ihnen — persönlich vielleicht so haben möchten.
— Aber die Absichtserklärung ist bis jetzt durchgefallen?!
— Wenn ich sie im Schreibtisch habe, werden Sie sie sicher im Schreibtisch haben!
Herr Kollege Katzer, noch ein letzter Punkt im Rahmen der Vorbemerkungen, die ich noch machen wollte. Ich kann mich nachher etwas kürzer fassen, weil, wie ich vorhin sagte, das sozialpolitische Kursbuch, der Sozialbericht, für uns eine sehr positive Aussage, eine sehr positive Zielvorstellung beinhaltet. Ich wollte nur noch auf Grund der Bemerkungen, die ich eben machen durfte, folgendes sagen. Herr Kollege Katzer, Sie haben Ihre Ausführungen mit dem Ausspruch beschlossen: „Wer das Ziel nicht kennt, wird den Weg nicht finden." Ich habe bisher aus dem, was von Ihnen vorhin gesagt wurde, aus gewissen Zwischenfragen und aus anderen Gesprächen, die man führt, den Eindruck gewonnen, daß die Opposition das Ziel nicht kennt, nicht weiß, was sie nun eigentlich will und deshalb den Weg nicht so schnell wieder finden wird.Nun aber zum Sozialbericht aus der Sicht der Freien Demokraten. Wir sind sehr erfreut darüber und wir begrüßen es sehr, daß der Sozialbericht im Zusammenhang mit dem Sozialbudget ein wesentlich breiteres Spektrum und eine wesentliche breitere Bestandaufnahme mit den entsprechenden daraus sich ergebenden Vorstellungen aufweist, als das beim letzten Sozialbericht, der vor zwei Jahren erstattet wurde, der Fall war; daß hier wesentlich mehr die von uns immer in den Mittelpunkt der Überlegungen gestellten Gedanken des engen Zusammenspiels, der Zusammenwirkung von Sozial-und Wirtschaftspolitik deutlich geworden sind; daß eines der Hauptziele des Sozialberichts, insgesamt gesehen, die bessere Transparenz unseres gesamten sozialen Leistungssytems darstellt; daß der Bericht nicht nur Bestand anmeldet und Tatsachen berichtet, sondern daraus auch bereits die Probleme ableitet und Lösungswege aufzeigt; daß der Strukturwandel in unserer Gesellschaft, der alle gesellschaftlichen Gruppen betrifft, von vornherein in die Überlegungen mit einbezogen worden ist und daraus auch Folgerungen und Zielvorstellungen angedeutet worden sind.Wir begrüßen es sehr — im Gegensatz zu dem, was Herr Kollege Katzer sagte, der der Meinung war, im Sozialbericht müßte schon wieder etwas anderes als in der Regierungserklärung stehen —,daß eben der Sozialbericht, genau aufbauend aufbauend auf der Regierungserklärung dieser Bundesregierung, die Dinge im Detail analysiert und die Möglichkeiten, Notwendigkeiten und Zielvorstellungen daran aufzeigt. Das ist ja der Sinn, das auszubauen und das, was diese Regierungsfraktionen beschlossen haben, in diesen vier Jahren gemeinsam zu verwirklichen.Deshalb möchte ich namens der Freien Demokraten dem Herrn Bundesarbeitsminister, seinem Hause, dem Kabinett und all denen, die an diesem Sozialbericht und dem Sozialbudget sonst mitgearbeitet haben, den Dank dafür aussprechen, daß sie einen Bericht gegeben haben, der ein modernes, in unsere jetzige Gesellschaft passendes Bild der Sozialsituation, des sozialen Sicherheitssystems, aber auch der liberalen gesellschaftspolitichen Notwendigkeiten darstellt, und daß einige Schwerpunkte gesetzt wurden, die uns, das ganze Haus, zweifellos — im Bereich der Vermögensbildung ist es erst vor kurzem geschehen — in den nächsten Jahren beschäftigen werden.Hier stimme ich auch mit Ihnen, Herr Kollege Katzer, überein — ich bin dafür besonders dankbar —, daß der Bereich der Bildung, der beruflichen Bildung, der Umschulung, der Ausbildung, des Ausbaus der Erfahrungen mit dem Arbeitförderungsgesetz und alle diese Dinge als ein Schwerpunkt gesellschaftspolitischer, ja weiterer sozialpolitischer Überlegungen betrachtet werden muß und daß der Bereich der Vermögensbildung aber das hinaus, was wir im 624-DM-Gesetz zunächst einmal seitens der Bundesregierung und der Regierungsfraktionen vorgeschlagen haben, weiter ausgebaut werden muß.Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich ein paar Bemerkungen machen, um einige Zweckmeldungen in der Öffentlichkeit, in bestimmten Zeitungen etwas zurechtzurücken. Ich habe hier gerade eine Ausgabe des Unternehmerbriefs des Deutschen Industrieinstituts — ich sage das so offen; ich will damit keine Schleichwerbung betreiben —, in dem ein Artikel steht: „Sozialbericht — der liberale Beitrag fehlt". Wer diesen Artikel geschrieben hat, tat es entweder aus Böswilligkeit — aber das will ich nicht einmal unterstellen — oder aus Unkenntnis, ohne diesen Bericht studiert zu haben. Ich glaube, wir Freien Demokraten können mit Recht darauf hinweisen, daß eine ganze Reihe von Empfehlungen und Zielvorstellungen in diesem Sozialbericht mit dem übereinstimmen, was wir schon vor Jahren in diesem Hause angesprochen haben, wofür wir uns schon oft eingesetzt haben.Ich denke dabei daran, daß es die FDP war, die 1961 im Bundestagswahlkampf ein Sozialgesetzbuch und damit eine Durchforstung der Sozialgesetzgebung, eine Transparenz verlangte. Ich denke auch daran, daß sich die Freien Demokraten seit 1961 dafür eingesetzt haben, im Rahmen der Rentenversicherung dem einzelnen Versicherten möglichst immer einen Überblick über den jeweiligen Versicherungsstand zu geben, etwas, was im Regierungsprogramm und im Sozialbericht angeschnitten worden ist. Ich erinnere daran, daß wir bereits im Sommer vorigen Jahres bei der damaligen Novelle
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2531
Schmidt
zur Krankenversicherung im Ausschuß von einer Dynamisierung der Versicherungspflichtgrenze für Angestellte gesprochen haben und daß wir, zumindest solange ich in diesem Hohen Hause bin, immer wieder die Zahlung des Arbeitgeberbeitrags an alle Angestellten, auch über der Versicherungspflichtgrenze, gefordert haben.
Ich erinnere daran, daß mein Kollege Spitrzmüller in fast jeder Debatte über die Rentenversicherung die Öffnung der Rentenversicherung auch für Selbständige, für alle die Selbständigen, die keine Absicherung haben, gefordert hat. Damals gingen diese Anträge nicht durch. Jetzt sind die Forderungen in. diesem gemeinsamen sozialliberalen Bericht enthalten. Jetzt sind sie in den Überlegungen dieser Bundesregierung berücksichtigt. Ich erinnere daran, daß die flexible Altersgrenze, vor vielen Jahren bereits von uns angeschnitten, ebenfalls in der Diskussion ist. Ich will die einzelnen Punkte nur kurz aufzählen. Auch zeitlich käme ich sonst in Schwierigkeiten.Dabei möchte ich den Punkt „eigenständige soziale Sicherung der Frau" etwas herausheben. Wir Freien Demokraten, insbesondere die verehrliche augenblicklich amtierende Frau Präsidentin, haben immer wieder das ,Problem der Hausfrauenrente zur Sprache gebracht und die Notwendigkeit der Absicherung der Hausfrau herausgestellt.
— Es war gar nicht unbescheiden, Frau Kollegin. Ich würde das auch gern darlegen. Aber ich habe nur 45 Minuten, und das würde ein eigenes Referat sein. Das wissen Sie selbst.
Ich darf daran erinnern, daß wir dem Bereich der betrieblichen Altersversorgung immer ein besonderes Augenmerk geschenkt haben und seinerzeit, als es gewisse Überlegungen gab, diese betriebliche Altersversorgung mit ihren Kapitalien zur Beseitigung gewisser Schwierigkeiten der Finanzierung der Rentenversicherung anzutasten, uns erheblich zur Wehr gesetzt haben. Ich könnte den Katalog noch erweitern.
Wir können feststellen, daß dieser Sozialbericht in seinen einzelnen Abschnitten sehr viele Gedanken der Freien Demokraten enthält. Das ist ja auch richtig so, da diese Koalition sich als sozialliberale Koalition versteht, als solche angetreten ist und als solche in diesen vier Jahren die Reformen in den einzelnen Bereichen anzupacken gedenkt.
Ich möchte noch einige wenige Sätze darauf verwenden, was mir am wichtigsten erscheint am Sozialbericht, an seiner weiteren Beratung und daran, wie wir alle ihn aufnehmen, um die Dinge neu zu durchdenken. Das Wichtigste scheint mir die Tatsache zu sein, daß der Bericht ausgesprochen zukunftsorientiert ist, daß er gerade die gesellschaftlichen Entwicklungen, die wirtschaftlichen Entwicklungen, die technischen Entwicklungen behandelt.
— Ich kann mich erinnern, daß es schon Berichte gegeben hat, die Bestandsaufnahmen waren, nicht mehr, Herr Kollege Götz. Diese Fragen der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen werden uns also weiter beschäftigen.
Ich will es mir versagen, jetzt noch einmal auf das Thema Vermögensbildung einzugehen, nachdem wir hier bereits eine ausführliche Debatte gehabt haben und die Beratungen im Ausschuß schon angelaufen sind.
Abschließend komme ich noch einmal auf Sie zurück, Herr Kollege Katzer. Sie haben gesagt: Wer das Ziel nicht kennt, wird den Weg nicht finden. Ich habe die Befürchtung, im Augenblick ist das in Ihren Reihen so. Ich bin der festen Überzeugung und kann das für uns Freie Demokraten sagen: Die sozial-liberale Koalition hat ihr klares gemeinsames gesellschaftspolitisches Ziel vor Augen. Der Sozialbericht gibt uns dafür das Material, zeigt uns die Wege auf. Und Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, dürfen sicher sein, daß wir in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung diese Ziele, die wir vor Augen haben, auch erreichen werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Götz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte in meinem Beitrag zur Diskussion über den Sozialbe-
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2532 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Dr. Götzricht — das war jedenfalls meine Absicht — lediglich zum Teil B des Sozialberichts einige Bemerkungen machen, also zum Sozialbudget 1969/1970. Ich hatte die Absicht, dies so kurz wie möglich zu tun, um Ihre Aufmerksamkeit zu bekommen, die nachläßt, je länger man spricht. Und es ist ohnehin nicht leicht, bei einer so trockenen Materie wie dem Sozialbudget, diese Aufmerksamkeit zu erreichen.Ich möchte zunächst im Hinblick auf die große Bedeutung, die dem Sozialbudget als Orientierungs-und Entscheidungshilfe für die Politik zukommt — und ich glaube, in dieser Feststellung sind wir uns einig —, mit Bedauern vermerken, daß in der sehr kurzen Zeitspanne zwischen der Vorlage dieses Berichts durch die Bundesregierung und seiner Behandlung hier im Plenum nicht die eigentlich für eine gründliche Beratung in den Arbeitskreisen notwendige Zeit zur Verfügung stand. Ich habe mich gefragt: Warum eigentlich diese Eile? Warum eigentlich, Herr Bundesarbeitsminister, dieses Drängen, heute hier den Sozialbericht zu behandeln? Dieses Drängen ging von Ihrem Hause aus. Ich vermute, daß ein innenpolitisches Ereignis der kommenden Woche — und der Parteitag der SPD ist ein bedeutsames innenpolitisches Ereignis — nicht ganz ohne Einfluß auf den Zeitpunkt der Beratung dieser Vorlage gewesen ist. Ich habe viel Verständnis dafür, Herr Bundesarbeitsminister, daß Sie natürlich nicht mit leeren Händen nach Saarbrücken fahren wollen. Ob es Ihnen allerdings gelingen wird, dort Ihre Parteifreunde mit der von Ihnen vorzuweisenden Bilanz Ihrer sechsmonatigen sozialpolitischen Aktivität bei einem Vergleich mit den Versprechungen vor der Wahl zufriedenstellen, nun, das wage ich zu bezweifeln, aber das ist nicht unsere Sorge.
Sie haben heute eine lange Rede gehalten, Herr Bundesarbeitsminister, aber ich finde, der langen Rede Inhalt war unbefriedigend. Ich sage dies ungern, und ich möchte nicht noch mehr in die Wunde stoßen, die sicherlich der Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung" mit seinem Leitartikel vom 6./ 7. Mai unter der Überschrift „Welkender Vorschußlorbeer" bei Ihnen hervorgerufen hat, in dem er davon sprach, wo die mürbe Stelle im Kabinett ist, und sich über den „starken Mann" und den „schwachen Mann" äußerte. Ich will nicht weiter in dieser Wunde bohren.
— Na, von wegen Wunschtraum, Herr Matthöfer! — Aber ich möchte doch meinen, daß der Inhalt Ihrer Rede — ich muß dies hier so sagen —
im wesentlichen nicht mehr war als eine Reproduktion von sozialpolitischen Konzeptionen, Gedanken und Zielvorstellungen, die schon von Ihrem Amtsvorgänger in der Zeit der Großen Koalition entwickelt und in konkreten Vorhaben initiiert wurden.Gäbe es in diesem Hause so etwas wie eine GEMA für politische Absichtserklärungen, ich glaube, Herr Katzer könnte heute ganz ansehnliche Gebühren für politische Reproduktionen kassieren.Zum zweiten. Es war doch wieder im wesentlichen nicht mehr als eine Wiederholung von Absichtserklärungen ohne Konkretisierung in der Sache und ohne präzise Angaben über die Finanzierung Ihrer sozialpolitischen Vorhaben. Der Rest war Lyrik.Nun hat aber Herr Kollege Schellenberg natürlich gleich zu Beginn seiner Ausführungen — vielleicht mußte er es tun, um es mit dem Brustton der Überzeugung sagen zu können — hier erklärt, daß diese Regierung erstmals ein umfassendes und konkretes sozialpolitisches Programm vorgelegt habe. Herr Kollege Schellenberg, nehmen Sie es mir nicht übel: Das war mehr als eine nur leichte Übertreibung. Und wie ich Sie kenne: Wenn Sie von der Richtigkeit dieser Feststellung überzeugt gewesen wären, hätten Sie es sich nicht entgehen lassen, in Ihrem Diskussionsbeitrag hier und heute diese Ihre Behauptung immer wieder zu unterstreichen, herauszustellen und zu ergänzen. Statt dessen, verehrter Herr Professor Schellenberg, haben Sie sich doch im wesentlichen in Ausführungen über die Vergangenheit ergangen. Sie haben sich auseinandergesetzt mit der CDU und ihren Wahlankündigungen. Sie haben sich auseinandergesetzt mit dem Kollegen Katzer und seiner Rede. Da scheint mehr für Sie drin gewesen zu sein als in der Rede des Bundesarbeitsministers.Herr Schellenberg, Sie sagten: „Hier hat die Regierung eine Konzeption entwickelt, die wir zur Diskussion stellen wollen." Ich hoffe und wünsche es — vor allem auch im Ausschuß, Herr Professor Schellenberg. Ich möchte nicht, daß so verfahren wird, daß bei der Beratung über die beiden Gesetzentwürfe zur Vermögensbildung im Ausschuß nicht auch über die Auffassung der Opposition ausführlich diskutiert wird. Ich will nicht hoffen, daß das eintritt, was bei der Anhörung der Sachverständigen hoffentlich nur ein kleines Zwischenspiel war, als einer der Sachverständigen sagte: „Ich will den Regierungsentwurf hier nicht völlig abwürgen" und dann der Zwischenruf kam: „Das geschieht, Herr Professor, im Ausschuß durch Abstimmung".Nun zu Ihnen, Herr Kollege Schmidt . Wann werden Sie sich eigentlich einmal etwas anderes einfallen lassen als den ständigen Hinweis darauf: Ihr habt ja 20 Jahre Zeit gehabt! Herr Kollege Schmidt (Kempten), ich finde, das ist eine billige Bemerkung.
Immerhin haben wir nämlich in diesen 20 Jahren — das können auch Sie nicht bestreiten — ein System der sozialen Sicherheit aufgebaut, das im internationalen Vergleich an der Spitze steht. Wir haben hier eine freiheitliche, eine demokratische und eine soziale Ordnung geschaffen, mit der sich der deutsche Arbeiter identifizieren kann und auch identifiziert.
Herr Kollege Dr. Götz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt ?
Herr Kollege Dr. Götz, können Sie mir dann vielleicht — um Ihnen gleich einmal ein Beispiel vor Augen zu führen — erklären, wie Sie in dieser Woche einen Antrag einbringen können, der den Arbeitgeberanteil für Angestellte bringen soll, daß Sie das aber, solange wir mit Ihnen in der Koalition waren, uns gegenüber immer wieder abgelehnt haben?
Sie werden sich daran erinnern, daß wir hier bei der Verabschiedung des Lohnfortzahlungsgesetzes und in Verbindung damit bei der Veränderung der Einkommensgrenzen erklärt haben, daß dies auch für uns nur ein Provisorium ist, daß wir aber im Hinblick auf die mit der Lohnfortzahlung verbundene Belastung der Wirtschaft für dieses Jahr und in diesem Augenblick keine zusätzliche Belastung hinzufügen wollten, in der nächsten Legislaturperiode aber diesen Einstieg in die Krankenversicherungsreform erreichen wollten.
— Herr Kollege Schmidt , ich denke daran, daß wir um 17 Uhr mit der Ausschußsitzung beginnen wollen; daher möchte ich Ihre zweite Frage, die Sie in petto haben, nicht beantworten.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wollte auch einige freundliche Worte an die Bundesregierung und an den Herrn Bundesarbeitsminister richten. Das hat mir Herr Katzer heute morgen schon vorweggenommen. Herr Bundesarbeitsminister, lassen 'Sie mich nur eine kleine Kritik hier noch anfügen! Sie haben bei der Vorlage des Sozialberichts in der Pressekonferenz versucht, diesen 'Sozialbericht als eine besondere Leistung der neuen Regierung hinzustellen. Das klang auch heute zu Beginn Ihrer Rede etwas an in Ihrer Bezugnahme auf die Regierungserklärung. Ich glaube, hier muß noch einmal festgestellt werden, daß mit dem jetzt vorgelegten Sozialbericht und Sozialbudget doch lediglich das fortgesetzt wird, was unter der Regierung Kiesinger und von dem Bundesarbeitsminister Katzer begonnen wurde. Damals bereits und nicht erst jetzt, Herr Bundesarbeitminister, begann eine bessere Koordinierung der Sozialpolitik mit der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Damals und nicht erst jetzt wurden mit der Vorlage eines Sozialbudgets die Voraussetzungen für eine Versachlichung der Gespräche zwischen den verschiedenen sozialen Gruppen geschaften. Es gehört zweifellos noch zu den sozialpolitisch bemerkenswerten Leistungen der letzten Bundesregierung, daß sie es fertiggebracht hat, ein erstes Sozialbudget zu erstellen; denn damit wurde die Möglichkeit geschaffen, die Sozialleistungen hinsichtlich ihrer Höhe, hinsichtlich ihrer Struktur und hinsichtlich ihrer Finanzierung transparenter zu machen und einer isolierten Betrachtungsweise der Sozialpolitik entgegenzuwirken. Ob das neue Sozialbudget in dieser Richtung einen Fortschritt igebracht hat, muß allerdings noch in Frage gestellt werden. Lassen Sie mich das Inäher ausführen.In dem Sozialbudget stellt die Bundesregierung folgende Thesen auf — ich darf sie mit Genehmigung der Frau Präsidentin kurz zitieren —: Das Sozialbudget basiert auf den volkswirtschaftlichen Grunddaten der mittelfristigen Zielprojektion; das Sinken der Sozialleistungsquote gegenüber dem Sozialbudget 1968 bedeutet, daß heute der Entscheidungsspielraum nicht mehr so eng ist, wie im Sozialbudget .1968 angenommen; durch die sich abzeichnende günstigere Entwicklung der wirtschaftlichen Grunddaten in der neuen mittelfristigen Finanzplanung ist ein realer Zuwachs der Nettoverdienste von jährlich 4 bis 5 % zu erwarten.Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, diese von mir hier zitierten Thesen sind — darauf hat heute morgen bereits Herr Kollege Katzer hingewiesen — für die politischen Konsequenzen von zentraler Bedeutung. Darüber besteht kein. Zweifel. Aber sie entbehren — und ich meine, daran ändern auch die Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministars nichts — einer glaubwürdigen Beweisführung. Denn bei näherer Überprüfung ergeben sich doch erhebliche Zweifel, ob sich das Sozialbudget 1969/70 in allen Punkten wirklich, wie hier behauptet wurde, im Rahmen der mittelfristigen Zielprojektion hält.Im Unterschied zum Sozialbudget 1968 fehlt der zahlenmäßige Beweis, es fehlt der Einbau der Sozialleistungen in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Herr Bundesarbeitsminister, wenn das Sozialbudget die Aufgabe zu erfüllen hat, Orientierungs-und Entscheidungshilfe zu sein, dann kann es diese Aufgabe nur erfüllen, wenn die mittelfristige sozialpolitische Vorausschau mit den relevanten finanz-und wirtschaftspolitischen Zielen der Bundesregierung abgestimmt ist. Ich meine, daß die Ausführungen von Herrn Staatssekretär Arndt hier nicht volle Klarheit geschaffen haben. In dem vorliegenden Bericht fehlt jedenfalls die Kontrollrechnung. Dadurch wird eine Nachprüfung, ob eine Abstimmung der wirtschaftlichen und der sozialen Ziele erfolgt ist, unmöglich gemacht, und diese Nachprüfung wird auch noch dadurch erschwert, daß die Annahmen für die Fortschreibung nicht offengelegt sind. Die Einzelaussage von heute morgen, daß in diesem Jahr die Löhne um über 12 % steigen werden, reicht meines Erachtens zur Beurteilung nicht .aus. Es fehlt die Angabe über die ,Preissteigerungsrate.Der zweite Punkt meiner Kritik richtet sich gegen die Interpretation der Entwicklung der Sozialleistungsquoten im alten und im neuen Sozialbudget. Ich meine, daß die bloße Gegenüberstellung der Quoten und der Ausweise eines globalen Finanzierungsüberschusses noch keine fundierten Aussagen über einen finanziellen Spielraum für neue sozialpolitische Vorhaben macht. Ausgewiesen ist dieser Finanzierungsüberschuß in Höhe von vier bis fünf Milliarden DM im Jahre 1972 und 1973. Dies ist Ausdruck der Konjunkturlage und, wie ich meine, Herr Bundesarbeitsminister, einer sehr optimistischen Annahme über die Finanzentwicklung der
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2534 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Dr. Götzsozialen Institutionen. Gewiß, Überschüsse entstehen in der gesetzlichen Rentenversicherung, Überschüsse entstehen in der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst. Aber die in diesen Institutionen eventuell in diesem Ausmaß anfallenden Überschüsse können doch nicht für sozialpolitische Vorhaben in anderen Bereichen verwendet werden, zumal sie in der gesetzlichen Rentenversicherung in erster Linie zur Überwindung des Rentenberges und für die zwangsläufig höher anfallende Rentenanpassung in Zukunft zur Verfügung stehen müssen.Ein dritter Punkt! Die Annahme des Sozialbudgets, daß in der Periode 1969 bis 1973 ein Zuwachs der realen Nettoverdienste von jährlich 4 bis 5 % zu erwarten sei, ist nicht bewiesen. Eine von uns angestellte und Ihnen ja bekannte Kontrollrechnung ergab eine Steigerung der realen Nettoeinkommen von knapp 4 010. Wenn man das Jahr 1974 dazunimmt, sind es sogar nur 3,8. Legt man aber den Berechnungen des Sozialberichts einen Realeinkommenszuwachs von nur knapp 4 % statt 5 % zugrunde, so ergibt sich eine wesentliche Veränderung der Ausgangsdaten und der Ergebnisse des Sozialbudgets.Nun, ich gebe zu, Herr Kollege Nölling — ich nehme an, daß Sie noch einmal zum Sozialbudget sprechen werden —, daß hier Rechnung gegen Rechnung steht. Es wird sich herausstellen, welche Rechnung der Wahrheit am nächsten kommt. Wir haben in diesem Haus mit Prognosen von bestimmten Seiten unsere Erfahrungen gemacht.
Die vorgelegte Globalrechnung, Herr Bundesarbeitsminister, berücksichtigt auch nicht die unterschiedliche Situation der einzelnen Bevölkerungskreise. Dabei denke ich an die kinderreichen Familien, dabei denke ich an die Bezieher des landwirtschaftlichen Altersgeldes. Beispielsweise bei der Altershilfe für Landwirte sind im Sozialbudget bis 1973 keine Leistungsverbesserungen und bei den Kindergeldleistungen nur eine einmalige geringfügige Verbesserung vorgesehen. Das entspricht meines Erachtens in keiner Weise weder der allgemeinen Einkommensentwicklung noch der Erhöhung der Lebenshaltungskosten.Ich komme zum Schluß. Der letzte Punkt meiner Kritik betrifft ganz allgemein die Aussagefähigkeit des Sozialbudgets. Es soll ja nicht nur, wie ich schon sagte, Orientierungshilfe sein, es soll auch Entscheidungshilfe sein. Seiner erstgenannten Funktion — Orientierungshilfe — wird es, das gebe ich zu, im wesentlichen gerecht. In bezug auf die Entscheidungshilfe bedarf es aber noch wesentlicher Verbesserungen und Erweiterungen. Dies gilt insbesondere für die funktionale Gliederung — auch darauf hat Kollege Katzer schon hingewiesen —, die in ihrer jetzigen Abgrenzung noch wenig aussagefähig ist und wegen der noch vorhandenen Lücken möglicherweise sogar zu falschen Schlußfolgerungen und Maßnahmen führen kann.Ein besseres Instrument zu einer wirklich brauchbaren Entscheidungshilfe wird das Sozialbudgeterst durch die Aufstellung von Alternativrechnungen. Die vermissen wir. Ich meine Alternativrechnungen im Zusammenhang mit den von der Bundesregierung im ersten Teil des Berichts angekündigten neuen sozialpolitischen Vorhaben. Die im Sozialbericht angeführten Gründe für das Fehlen dieser Alternativrechnungen sind meines Erachtens nicht stichhaltig.Wir begrüßen das vorgelegte erweiterte Sozialbudget als Orientierungshilfe. Als Entscheidungshilfe reicht es uns nicht aus. Wir erwarten, daß die Regierung hier und in den Ausschüssen ihre sozialpolitischen Vorhaben endlich mehr konkretisiert und vor allem auch ihre Vorstellungen über die Finanzierung ihrer sozialpolitischen Vorhaben mehr präzisiert. Denn ich meine, es genügt nicht, Absichtserklärungen ständig nur zu wiederholen. Damit werden nur Hoffnungen geweckt, bei deren Nichterfüllung mangels solider finanzieller Grundlagen nur das Vertrauen der Bevölkerung erschüttert wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Nölling.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Götz, Sie hatten Befürchtungen geäußert, daß wir unsere Parteifreunde auf dem kommenden Parteitag nicht zufriedenstellen könnten. Ich möchte Ihnen empfehlen, das unsere Sorge sein zu lassen, und ich möchte Sie darauf vertrösten, sich das Presseecho ansehen zu können.Ganz kurz haben Sie anklingen lassen, daß Sie ganz gern in den Wunden der Regierung herumstochern würden, und zwar mit Zitaten aus der „Süddeutschen Zeitung". Sie haben es dann unterlassen. Ich werde es nicht unterlassen und aus der „Süddeutschen Zeitung" von heute an der Stelle zitieren, wo ich das für sinnvoll halte. Wir fragen uns nach Ihren Ausführungen natürlich, wieviel Zeit eigentlich die Opposition braucht, um ein solch umfassendes Werk fundiert und konstruktiv kritisieren zu können; denn immerhin ist der Sozialbericht am 16. April vom Kabinett verabschiedet worden und stand zum Lesen zur Verfügung.
— Mindestens die Kurzfassung hat vorgelegen, und dann ist auch darüber berichtet worden. — Sie haben sich heute kritisch mit dem Sozialbericht auseinandergesetzt. Sie haben wiederholt, noch stärker als in der Presseerklärung, die Herr Kollege Katzer abgegeben hat, daß es diesem Sozialbericht an einer Gesamtkonzeption fehle. Sie haben außerdem an einer ganzen Reihe von Punkten Kritik geübt. Der Vorwurf, meine Damen und Herren von der CDU, daß wir keine Gesamtkonzeption hätten, ist natürlich dazu angetan, Ihre Glaubwürdigkeit ganz besonders zu erhöhen, und zwar aus zwei Gründen. Herr Kollege Schellenberg hat schon gesagt, daß es Ihnen bisher nicht gelungen sei, in 20 Jahren auch nur etwas Ähnliches wie eine Gesamtkonzeption für unsere Sozialpolitik zu entwickeln. Die letzte Ge-
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Dr. Nöllingsamtkonzeption, die mir zur Kenntnis gekommen ist, stammt von der Kollegin Kalinke; sie datiert vom 5. Februar 1970, veröffentlicht im Pressedienst Ihrer Partei. Ich glaube, ich tue Ihnen keinen Gefallen, wenn ich auf die wesentlichen Äußerungen der Kollegin Kalinke an dieser Stelle eingehe. Wir haben das in unserem Pressedienst getan und waren der Meinung, daß dann, wenn diese Konzeption Ihre Sozialpolitik bestimmen würde, Sie an einer ganzen Reihe von Stellen eine reaktionäre Sozialpolitik machen würden.
— Das ist geschehen in dem Presseartikel, den ich Ihnen gern zuschicke. Es hat mich da besonders interessiert, daß Sie davon sprachen, man müsse ein sogenanntes Existenzminimum sichern in der Gesellschaft, darüber hinaus habe der Staat keine wesentliche Funktion mehr. Ich darf Ihnen sagen, daß ich auf diesen Punkt jetzt nicht weiter eingehen möchte, daß ich Ihnen aber diese Unterlage gern zuschicke.
Bedeutet das, daß Sie im Moment keine Zwischenfrage zu beantworten wünschen?
Ja, im Moment. — Was wir in diesen Tagen an Betriebsamkeit erleben, ist kein sehr erhebender Anblick einer Opposition, die im Wettlauf mit dem Terminkalender der Regierung außer Atem gerät. Wir erleben, daß Sie immer dann, wenn sozialpolitische Vorhaben der Regierung anstehen, so im Schnellverfahren Ihre eigenen Vorstellungen in dieses Plenum, in dieses Parlament hineinbringen. Das haben wir nun einige Male erlebt. Was dabei herauskommt, kann Sie eigentlich auch selbst nicht befriedigen, denn es sind in aller Regel unausgegorene Gesetzentwürfe.Hier nur eine Ergänzung zu der Kritik, die Professor Schellenberg heute schon an Ihrem Krankenversicherungsentwurf geübt hat. Sie haben im letzten Jahr Ihr Paket zur Sozialversicherungsreform gefüllt mit der Forderung nach einer Beteiligung an den Krankenhauskosten. Wir haben das damals abgelehnt. Jetzt in diesem Zusammenhang gehen Sie davon ganz herunter und wollen sogar, daß die Einkommenssituation des kranken Menschen gegenüber der jetzigen Regelung wesentlich verbessert wird. Ich frage mich natürlich auch, wie ein solcher Sinneswandel innerhalb eines knappen Jahres zu motivieren ist, und ich frage mich ebenfalls, wieweit eine solche Änderung in Ihren Vorstellungen dazu beiträgt, daß Ihre sozialpolitischen Initiativen ernst genommen werden und glaubwürdig sein können.Der zweite Punkt, warum ich glaube, daß Ihr Vorwurf hier nicht besonders gut begründet ist: Herr Kollege Katzer hat am 17. April zum Sozialbericht Stellung genommen; dazu war er also in der Lage. Sie hätten daher, als Sie den Vorwurf erhoben, in diesem Bericht sei keine Konzeption zu erkennen, etwas vorsichtiger sein müssen. Sie hätten in der Zwischenzeit, wenn Sie ihn sorgfältig analysiert hätten, erkennen können, daß er Konturen und Details einer Gesamtkonzeption enthält. Ich bin nicht der Meinung, daß es damit getan ist, sich hier nur an einigen Zahlen festzubeißen und diese zu kritisieren. Sie müssen schon mehr investieren, um in diesem Punkt glaubwürdig zu sein.Worin liegt die sozialpolitische Bedeutung dieser beiden Berichte? Ich bin nicht Ihrer Meinung, Herr Dr. Götz, daß man Teil A von Teil B trennen sollte. Ich glaube, wir müßten in einer Gesamtbetrachtung zu einer Würdigung kommen. Beide Teile stehen in einem inneren Zusammenhang. Er mag nicht immer sehr deutlich geworden sein, aber er ist auf jeden Fall vorhanden.Der Sozialbericht signalisiert — deshalb ist er so bedeutsam — das Ende der bisherigen punktuellen, fallweisen, konzeptionslosen Sozialpolitik der letzten 20 Jahre. Das wird an drei Punkten deutlich, die in diesem Bericht hervorgehoben werden müssen. Ich meine einmal die soziale Lageanalyse, d. h. die Frage, was in diesem Staat in bezug auf die sozialen Verhältnisse los ist, dann die Frage der Zielbestimmung und der Methodik in der Sozialpolitik und drittens die Maßnahmenprogrammierung.Meine Damen und Herren, ein Wort zum ersten Punkt, zur Analyse der sozialen Verhältnisse. Der Bericht deckt schonungslos die Versäumnisse der bisherigen Bundesregierungen auf. Es ist mit Händen zu greifen, welche Ungerechtigkeiten nach wie vor in diesem Staat bestehen. Viele Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens sind nach wie vor in bedenklicher Unordnung. Sie können nicht immer nur sagen: Wir konnten nicht alles schaffen; es war nicht möglich, alles auf einmal zu tun.
Die Dinge sind in der Tat so gravierend, daß man diese Entschuldigung nicht ernst nehmen kann.Besonders ins Auge fällt, daß bei der Sozialpolitik der vergangenen 20 Jahre vor allem .die Schwächsten in unserer Gesellschaft immer am schlechtesten weggekommen sind.
Betrachten Sie beispielsweise die Bildungschancen der Arbeitnehmerkinder! Darüber steht etwas in dem Bericht.
— Betrachten Sie bitte — Herr Härzschel, das gilt besonders für Sie — die Ausbildungsmöglichkeiten für die Lehrlinge in unserer Gesellschaft!
Betrachten Sie bitte die Situation der Behinderten! Hier ist beispielsweise auch vom Strafvollzug die Rede, von den Frauen, die nach wie vor diskriminiert werden, von den Tätigkeiten im sozialen Bereich, die nicht die Bedeutung und Anerkennung bekommen haben, die sie verdienen. Die Lageanalyse zeigt also sehr deutlich — ich meine, das
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Dr. Nöllingmuß realistisch und ungeschminkt gesagt werden —, daß die vor uns liegenden Aufgaben sehr groß, man möchte sagen, unübersehbar groß sind.Aus dieser Betrachtung der sozialpolitischen Entwicklungen ergibt sich für die nächsten vier Jahre, daß in der Tat ein Spielraum für mehr sozialpolitischen Fortschritt gebraucht wird.
Herr Kollege Dr. Nölling, würden Sie jetzt eine Zwischenfrage beantworten?
Ja, das werde ich.
Sind Sie jetzt bereit, Herr Dr. Nölling, zuzugeben, daß es unfair ist, im Parlament etwas zu zitieren oder zu behaupten, ohne es zu beweisen, und sich auf einen Pressedienst seiner eigenen Partei zu beziehen, den dieses Hohe Haus und die Öffentlichkeit — das werden Sie gewiß nicht unterstellen können — nicht kennen? Sind Sie der Meinung, daß eine statische Grundsicherung, die auch von Ihrem Koalitionspartner als eine wesentliche Grundlage sozialer Sicherung angesehen wird, und die Möglichkeit, in einer Gesellschaft, deren Wohlstand gemehrt worden ist, darüber hinaus die individuelle Sicherung zu betreiben, etwas Falsches oder gar Diskriminierendes ist? Oder sind Sie nicht der Meinung, daß eine solche Auffassung, wie sie auch Ihr Koalitionspartner und weite Kreise meiner Fraktion vertreten, einen sozialpolitischen Fortschritt bedeutet?
Frau Kollegin Kalinke, ich glaube, daß Sie genau ,das getan haben, was Sie mir vorwerfen, nicht getan zu haben, nämlich die Anwesenden darüber aufgeklärt zu haben, was sie unter Sozialpolitik verstehen. Insofern brauche ich das nicht zu tun. Ich bin auch nicht der Meinung, daß ich unfair gewesen bin.
Meine Damen und Herren, es hat sich sehr auf diese Frage zugespitzt, ob es richtig sei, daß wir in dieser Bundesrepublik in den nächsten Jahren mehr sozialpolitischen Spielraum haben, oder nicht. Letzten Endes muß ein Sozialbudget darüber Auskunft geben. Das wird mit der Zweck sein müssen.
Nun meine ich hierzu folgendes. Die Tatsache, Herr Dr. Götz, daß der Bericht keine volkswirtschaftlichen Daten enthält, wie wir sie uns wünschen und wie sie im ersten Sozialbudget enthalten waren, zu der Behauptung zu benutzen, die Berechnungen seinen falsch, 'ist zumindest sehr unvorsichtig, um es einmal so auszudrücken. Hier wäre ich sehr viel vorsichtiger gewesen. Ich darf Ihnen nun den Gefallen tun, die „Süddeutsche Zeitung" von heute zu zitieren. Da heißt es: „Der Bundesregierung Rechenfehler im Sozialbudget vorzuwerfen ist abwegig."
Die Zahlen, Herr Kollege Katzer, die in dem Sozialbudget von 1968 angenommen worden sind — das wissen wir alle —, sind längst überholt. Über die Zahlen, die nun in den nächsten Jahren auf uns zukommen, haben wir von Staatssekretär Arndt Grundsätzliches gehört. Insofern verstehe ich nicht ganz, warum Herr Kollege Götz nicht bereit war, das als neueste Information aus dem Wirtschaftsministerium zu akzeptieren. Ich meine, man müßte in der Lage sein, auf dem Wege von der Bank bis hierhin zum Rednerpult auch zu lernen und solche Korrekturen zu berücksichtigen.
Nun zu dem letzten Punkt, den ich in diesem Zusammenhang ansprechen möchte. Herr Kollege Schellenberg ist bereits darauf eingegangen; ich muß es wiederholen. Wenn Sie immer sagen, daß wir keinen sozialpolitischen Spielraum nennenswerten Ausmaßes haben, dann ist sehr schwer zu verstehen, warum Sie bei Ihren Anträgen immer so tun, als ob der Spielraum noch größer sei, als wir ihn vorausschätzen. Das haben wir schon in einer Anfrage an die Bundesregierung mit dem Stand vom 10. Dezember 1969 herausbekommen. Wie Sie wissen, waren die Anforderungen, die Ihre Gesetzentwürfe an den Bundeshaushalt usw. herantragen würden, schon damals 5 Milliarden DM höher. Auch hierzu kann ich einfach nicht anders — weil ich es versprochen und angekündigt habe —, als die „Süddeutsche Zeitung" vom 6.17. Mai, also von heute, Herr Dr. Götz, zu zitieren. Ich darf das sicher mit Erlaubnis der Frau Präsidentin tun. Da heißt es am Schluß:
Daraus müßte die Opposition jedoch eigentlich die Folgerung ableiten, daß sie sozialpolitisch Zurückhaltung üben müsse und die Koalition nicht übertrumpfen dürfe. Bislang allerdings war die CDU/CSU mit Eifer um einen anderen Eindruck bemüht gewesen.
Herr Kollege Dr. Nölling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Katzer?
Herr Kollege Dr. Nölling, ist Ihnen heute morgen nicht ganz klargeworden, daß ich versucht habe, drei Schwerpunkte aufzuzeigen, und daß nach wie vor das gilt, was der Fraktionsvorsitzende hier gesagt hat? Die Zahlen — das haben wir heute vom Staatssekretär des Wirtschaftsministeriums gehört—, sind politische Entscheidungen. Es sind ja keine wirtschaftlichen Daten, mit denen Sie arbeiten. Deshalb sind wir bereit, .das zurückzustellen, bis Sie diese Entscheidungen haben, und dann wollen wir Prioritäten setzen. Ist Ihnen das entgangen, Herr Kollege Dr. Nölling?
Herr Kollege Katzer, ich muß trotzdem der Opposition den Vorwurf machen, zu einem Zeitpunkt mit schwerwiegenden Vorwürfen an die Öffentlichkeit getreten zu sein, als sie über die neuesten Entwicklungen keine ausreichenden Informationen hatte.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2537
Dr. NöllingDiesen Vorwurf bin ich nicht bereit zurückzunehmen. Denn ich bin fest davon überzeugt, daß Sie in der Lage gewesen wären und Zeit gehabt hätten — Sie kennen die Presse von gestern wahrscheinlich besser, als, ich sie kenne —, es zu vermeiden, diesen schwerwiegenden Vorwurf in den Raum zu stellen und heute hier im Parlament erklären zu müssen: Jawohl, wir haben uns geirrt; das hätten wir am besten gar nicht gesagt. Zweifellos müssen wir zu einer Korrektur bisheriger Prognosen kommen. Das ist meine Antwort dazu.Meine Damen und Herren, in diesem Sozialbericht wird in den Teilen A und B großes Gewicht auf die Methodik der Sozialpolitik und auf die Ziele gelegt.
Herr Dr. Nölling, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Katzer?
Herr Kollege Dr. Nölling, ist Ihnen nicht klargeworden, daß der Staatssekretär des Wirtschaftsministeriums vorhin ganz klar gesagt hat: Wir haben eine politische Entscheidung getroffen? Damit hätten Sie das tun müssen, was Sie Herrn Kollegen Götz empfohlen haben; dann hätten Sie in Ihrem Sozialbudget sagen müssen: Die Zahlen, die wir angenommen haben, müssen wir noch einmal überprüfen.
Herr Kollege Katzer, mit dem Unterschied, daß sich die Zahlen, die wir in das Sozialbudget 1970 hineingenommen haben, als zu vorsichtige Schätzungen erwiesen haben.
— Ich habe den Staatssekretär so interpretiert, daß die Zahlen, die wir jetzt korrigiert vorfinden, mit ziemlicher Sicherheit nach oben korrigierte Zahlen sind, so daß Ihre Befürchtungen, daß wir unter 4 % real liegen würden, nicht zutreffen werden. Wir müssen aber — und das gebe ich Ihnen zu — abwarten, bis die Zahlen vorliegen. Ich persönlich habe den Eindruck, daß wir eine Korrektur nach oben bekommen werden.
Herr Kollege Katzer, weil wir uns nun gerade miteinander beschäftigen: Sie haben am Schluß Ihres Referates heute morgen sehr stark beklagt, daß in dieser Gesellschaft gewisse Wertvorstellungen nicht mehr voll akzeptiert würden, daß wir moralischen und sonstigen Verfall hätten, wenn ich es einmal so ausdrücken darf. Das hat natürlich auch etwas mit 20 Jahren Regierungspolitik der Vergangenheit zu tun. Sie wissen genauso gut wie ich, in welch starkem Maße gerade freiheitliche Sozialisten und Sozialdemokraten in den fünfziger und sechziger Jahren versucht haben, das von der CDU propagierte, geförderte und unterstützte Konsumentendenken in dieser Gesellschaft zu bekämpfen. Wir haben dauernd versucht, hervorzuheben, daß eine Konsumentenmentalität und alles, was damit zusammenhängt, dieser Individualismus, nicht dazu beitragen kann, daß eine Gesellschaft solidarisch, verantwortlich usw. schließlich zusammenhält. Ich meine, Sie sollten erkennen, daß hier Ursachen liegen, die nicht über Nacht entstanden sind, sondern daß wir es hier mit Problemen zu tun haben, deren Entstehung viele Jahre zurückliegt.
Würden Sie wohl eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Kalinke annehmen?
Ja, bitte schön!
Herr Kollege Nölling, sind Sie bereit, zuzugeben — auch wenn Sie die Jahre in diesem Hause nicht erlebt haben, so haben Sie es sicher nachgelesen —, daß die Christlich-Demokratische Union bei jedem ihrer Anträge, seien sie von der Regierung oder initiativ gewesen, immer neue Anträge der Sozialdemokratischen Partei bekommen hat, die mehr materielle Leistungen und weniger Selbstverantwortung zum Inhalt hatten? Sind Sie bereit, das zuzugeben?
Nein, ich bin nicht bereit, das zuzugeben,
weil ich, Frau Kollegin Kalinke, Ihre Interpretation dessen, was Selbstverantwortung, Selbstbehauptung und Freiheit ist, nicht teile, weil ich der Meinung bin, daß diese Begriffe einen anderen Inhalt haben müßten, als Sie diesen Begriffen unterlegen.
Sind Sie denn bereit, — —
Frau Kollegin, würden Sie bitte versuchen, das in eine Frage zu fassen.
Ja, ich habe eben gefragt. — Darf ich noch einmal fragen, Herr Kollege?
Ja, bitte schön!
Sind Sie bereit zuzugeben, daß eine Gesellschaft, eine Gesellschaftsordnung und die Bürger in dieser Ordnung nur dann frei bleiben, wenn sie noch Spielraum zum selbstverantwortlichen Handeln haben, und daß zur staatlichen Sozialpolitik auch gehört, ihnen diesen Spielraum zu lassen?
Ich bin der Meinung, daß die staatliche Sozialpolitik die Aufgabe hat, die Freiheitsrechte, die unsere Verfassung gibt, materiell zu untermauern. Ich teile Ihre Auffassung nicht, daß man an einer bestimmten Stelle ein für allemal sagen kann: „Hier ist Schluß mit der sozialen Sicherung", wie wir es in der Vergangenheit häufig von Ihnen hören konnten.
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Dr. Nölling— Natürlich: Schluß, weil etwa an einer Stelle der Freiheitsraum des einzelnen angetastet ist. Von solchen Unterscheidungen halte ich nichts. Sie haben beispielsweise lange genug die Einbeziehung der Selbständigen abgelehnt, lange genug die Ausdehnung der Versicherungspflichtgrenze abgelehnt. Das sind doch alles Dinge, die inzwischen gekommen sind und von denen wir der Meinung sind, daß sie den Freiheitsspielraum des einzelnen in dieser Gesellschaft materiell vergrößert haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einiges zu den Zielen und Methoden sagen. Ich glaube, daß wir das aus dem Bericht erkennen müssen. Es sind drei Gesichtspunkte, die das Neue an diesem Sozialbericht ausmachen.Der erste Gesichtspunkt: Die Sozialpolitik muß auf eine Totalanalyse aller sozial relevanten Leistungen ausgerichtet sein. Diese Totalanalyse wird hier zum erstenmal gebracht. Es sind also nicht wie beim ersten Budget die betrieblichen Leistungen und die indirekten Sozialleistungen ausgelassen worden, sondern wir haben diese Leistungen und andere soziale Leistungen mit hineinbekommen. Wir sehen auf einmal, daß die sozialpolitisch motivierten Steuerermäßigungen für die Familie, die bisher immer im Verborgenen geblüht haben, Größenordnungen haben, von denen wir uns bisher im allgemeinen keine Vorstellung gemacht haben. Wenn Sie bitte daran denken, daß das 1973 über 17 Milliarden DM sein werden und daß das neun Zehntel aller direkten Familienleistungen sind! Das ist ein Ergebnis dieser Totalanalyse, das wir jetzt an die Öffentlichkeit bringen können.Zweitens. Das Sozialbudget geht von einer Finalbetrachtung aus, jedenfalls im Ansatzpunkt. Was seit über 15 Jahren in der theoretischen Diskussion über Sozialpolitik eine Rolle gespielt hat, wird hier zum erstenmal fruchtbar gemacht, und zwar bei der Funktionaldarstellung unserer sozialen Leistungen. Daß das Budget eine Gliederung nach Funktionen bringt, ist oft genug betont worden, und auch die Bedeutung ist oft genug herausgestellt worden. Aber worin liegt die Bedeutung dessen, daß das Finalprinzip mehr in den Vordergrund tritt als das bisher dominierende Kausalprinzip? Das finale Denken geht davon aus, daß wir in einer Gesellschaft eine ganze Reihe von Grundrisiken, Lebenslagen, haben und daß wir diese Grundrisiken absichern müssen. Wir geben jedem einzelnen ein festes Sicherungsversprechen. Für jeden wird durch die Sozialpolitik die Grundchance einer Existenz in Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Einkommenssicherheit gewährt.Wir sind durch dieses Sozialbudget einen ganzen Schritt weitergekommen in der Reform unserer Sozialpolitik. Wir sind uns auch im klaren darüber, daß eine Reihe von organisatorischen Fragen gestellt sind und beantwortet werden müssen, wenn dieses Prinzip stärkeren Eingang findet in die Sozialpolitik.Der dritte Gesichtspunkt: Die Sozialpolitik wird durch das Sozialbudget rationaler. Der Zwang zur Rechenhaftigkeit führt dazu, daß unsere Sozialpolitik insgesamt rationaler wird.Meine Damen und Herren, diese drei Gesichtspunkte wollte ich stark betonen: den Gesichtspunkt der Totalanalyse, die Berücksichtigung des Finalprinzips und die Tatsache der Rationalität, die in ihrem Zusammenwirken das Neue an diesem Sozialbericht ausmachen. Ich bin der Meinung, daß wir noch in den Anfängen stecken, aber von hier aus zu einer völlig neuen Betrachtung kommen können.Das Sozialbudget deckt Entwicklungslinien auf, wie heute gesagt worden ist. Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen. Ich würde sagen: wenn diese Entwicklungslinien aufzeigen, daß gewisse Prinzipien unserer Sozialordnung durch Fehlentwicklungen ausgehöhlt werden, liegt in einem solchen Budget für die Regierung ein Handlungszwang, es sei denn, sie will auf die Prinzipien verzichten oder ihre Aushöhlung zulassen. Diesen Sachverhalt können Sie beispielsweise bei der gesetzlichen Krankenversicherung feststellen. Wenn das so weitergeht wie bisher, wird das Solidaritätsprinzip in der- Krankenversicherung ausgehöhlt oder wesentlich abgeschwächt.Ich komme zum letzten Punkt, zum sogenannten Sozialfahrplan. Es ist kritisiert worden, daß wir keine Prioritäten setzten. Herr Kollege Katzer hat das sehr stark betont, ebenfalls der Redner, der nach ihm gesprochen hat. Meine Antwort darauf: wenn so viel im Argen liegt, wie dieser Bericht dokumentiert, hat es für mein Verständnis gar nicht sehr viel Sinn, über Prioritäten zu diskutieren. Dann müssen wir auf breiter Front Sozialpolitik machen und dürfen nicht wieder in das punktuelle Denken, das Prioritätendenken ja im Grunde voraussetzt, zurückfallen.
Deshalb meine ich, daß es keinen Zweck hat zu kritisieren, wir hätten keine Prioritäten gesetzt. Wir wissen, daß wir auf allen diesen Gebieten, die wir angesprochen haben, so schnell wie möglich etwas tun müssen. Da helfen uns Prioritäten und Verschiebungen wichtiger Dinge in die nächsten Jahre nicht sehr viel weiter.Es ist auch gefragt worden, warum wir nicht zu einer Konkretisierung gekommen seien; auf 35 Seiten seien wir nicht zur Konkretisierung unseres sozialpolitischen Programms gekommen. Hierzu möchte ich nur eine Antwort geben. Die Konkretisierung nehmen wir vor, wenn wir Gesetzentwürfe einbringen. Ich bin der Meinung, daß es dann auch früh genug ist, diesem Plenum, diesem Bundestag konkrete Einzelvorschläge zu machen.Ich stelle fest, daß diese beiden Teile des Sozialberichts ganz eindeutig offenbaren, daß in unserer Gesellschaft noch erheblich mehr sozialpolitischer Fortschritt verwirklicht werden kann und natürlich auch verwirklicht werden muß. Wir als Regierungsfraktionen werden dazu beitragen, daß das Regierungsprogramm so zügig, schnell und umfassend verwirklicht wird, wie das in diesem Hause möglich
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2539
Dr. Nöllingist. Der CDU/CSU-Opposition darf ich sagen, daß wir uns dabei auch durch die Profilierungssucht oder durch die Profilierungszwänge, denen Sie immer mehr zu unterliegen scheinen, nicht irre machen lassen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Geldner.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Lassen Sie mich hier noch einige Schwerpunkte aus dem Sozialbericht anführen, den wir, wie mein Kollege Schmidt schon ausführte, als fortschrittlichen Bericht sehr begrüßen. Das Sozialrecht und die Sozialpolitik sind in ihrem historischen Ausgangspunkt und auch in ihrer heutigen Gestalt weitgehend von den beiden Kategorien, nämlich der Selbständigen und der Unselbständigen, geprägt. Dabei spielt weiterhin die Vorstellung eine Rolle, als bestünden bei den einen überdurchschnittlichen Einkommen und bei den anderen durchschnittliche oder geringe Einkommen, als seien die einen sozial schutzbedürftig und die anderen nicht.Der gesellschaftliche und wirtschaftliche Wandel, die Anwendung des technischen Fortschritts und vieles andere mehr haben eine weite Verschiebung der ursprünglichen Zustände bewirkt, die im vorigen Jahrhundert herrschten. Davon unterscheiden wir uns nunmehr grundsätzlich. Deshalb erscheint es uns notwendig, das System sozialer Sicherung an dem auszurichten, was ist und in Zukunft sein wird, nicht aber an dem, was einmal gewesen ist oder gewesen sein mag.Im Hinblick auf die soziale Sicherung des Selbständigen gilt daher folgendes. Während in der Vergangenheit davon ausgegangen werden konnte, daß die Alterssicherung zum einen durch Vermögensertrag oder -verzehr, zum anderen durch Übernahme einer Existenz oder des Betriebes durch Nachkommen oder Pächter oder im Wege des Verkaufs gewährleistet war, trifft dies in einem weiten Bereich aus vielerlei Gründen heute nicht mehr zu.Deshalb besteht bei den Selbständigen das elementare Bedürfnis, unabhängig von Beruf oder Betrieb eine Alters- und Grundsicherung in der einen oder anderen Form zu schaffen. Die Anträge der Freien Demokraten im Hinblick auf die Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung, die in der Vergangenheit im Bundestag gestellt wurden, sind zu unserem großen Bedauern abgelehnt worden. Wir begrüßen es daher, daß es eine entsprechende Regelung in der jetzigen Koalition geben wird.Dabei gehen wir von folgendem aus:Erstens. Die Regelungen sind nach den spezifischen Bedürfnissen der Betroffenen zu schaffen.Zweitens. Die alternativen Formen der Vorsorge sollen gewährleistet werden.Drittens. Die heutigen Diskriminierungen der Selbständigen innerhalb des Rentenrechts — ich denke hier an die Anerkennung von Ausfallzeiten — sollen beseitigt werden.Viertens. Ziel ist die Grundsicherung, zu deren Ergänzung der Betroffene selbst in den verschiedensten Formen beitragen kann.Fünftens. Berufsbezogene Versorgungswerke sollen erhalten bleiben oder neu gebildet werden können, wenn ihre Existenz finanziell langfristig abzusichern ist.Sechstens. Die Bereitstellung öffentlicher Mittel zur Finanzierung oder Mitfinanzierung der sogenannten alten oder uralten Lasten darf nicht ausgeschlossen werden.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Anmerkungen zu den agrarsozialen Fragen machen. Der rapide Strukturwandel in der Landwirtschaft erfordert besondere Maßnahmen. Die Grundzüge dieser Maßnahmen sind sowohl in dem Antrag der Koalitionsfraktionen auf Drucksache VI/390 als auch im Sozialbericht enthalten. Ich möchte auf einen grundsätzlichen Unterschied zwischen der Einstellung der Freien Demokraten und der Einstellung der Opposition zu diesem Fragenkreis hinweisen.Wir haben von seiten der Freien Demokraten nicht die Absicht, den Prozeß zu beschleunigen. Wir wollen aber denjenigen, die außerhalb ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit eine neue Existenz suchen, auch jede nur mögliche soziale Hilfestellung geben, damit sie durch den Berufswechsel keinen sozialen Abstieg erleiden.Wir glauben, daß sich viele in der Bundesrepublik über die möglichen Konsequenzen der Abwanderung aus der Landwirtschaft noch nicht im klaren sind. Wenn dieser Prozeß so anhält oder gar, wie die Opposition fordert — Sie mögen mir entgegnen, das sei nicht der Fall —, durch politische Maßnahmen noch beschleunigt wird, dann sehen wir Freien Demokraten allerdings eine Entwicklung auf uns zukommen, die uns keine Freude bereiten wird.Wir Freien Demokraten sind nämlich über die Begründung des CDU/CSU-Entwurfs Drucksache VI/438 erstaunt, wonach dieser Prozeß beschleunigt werden soll, um, wie es in dieser Drucksache heißt, dem Arbeitskräftemangel in der Industrie zu begegnen. Wer so kurzfristig denkt, meine Damen und Herren, trägt gewollt oder ungewollt zu einer Verschlimmerung der Probleme bei, die sich schon heute aus der immer stärker werdenden Konzentration in Ballungsräumen und der Entleerung in ländlichen Räumen ergibt. Bei einer Beschleunigung dieses Prozesses würde es nicht möglich sein, gleichzeitig ausreichende Maßnahmen der Infrastruktur vorzunehmen — wie auch die Industrieansiedlung —, um eine ausgewogene Wirtschafts- und Einkommensstruktur in den verschiedenen Regionen zu erreichen.Lassen Sie mich zum Schluß noch einige Anmerkungen zu den selbständigen Existenzen machen. Wer heute als kleiner oder mittlerer Unternehmer einen Betrieb verantwortlich führt, sieht sich einer
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2540 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Geldnerwachsenden Flut gesetzlicher Regelungen im Sozialrecht ausgesetzt, wie es heute schon mehrfach angeklungen ist. So ist es im Steuerrecht, auch im Hinblick auf sonstige Auflagen. Man könnte hier einen langen Katalog aufstellen. Der Anteil an Zeit und Kosten für Dinge, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Betriebszweck stehen, hat in der Vergangenheit immer mehr zugenommen.Wir Freien Demokraten begrüßen daher die Absicht der Bundesregierung, die Gesetzgebungskomplexe verständlicher und durchschaubarer zu machen. Damit wird nicht nur unmittelbar den betroffenen Beschäftigten, sondern ebenso den kleinen und mittleren Unternehmen geholfen, und damit wird auch die 'Bereitschaft gefördert, die Existenzen für die Zukunft nicht aufzugeben.Ich glaube, damit werden wir — der Sozialbericht hat ja hier auch die Anhaltspunkte für die Zukunft gegeben — auch im Bereich des Mittelstands und des Gewerbes ebenso wie in der Landwirtschaft Zielprojektionen setzen, die für diese Kreise nutzbringend sein werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Härzschel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einige Ausführungen von Herrn Professor Schellenberg und Herrn Dr. Nölling können nach meiner Meinung nicht unwidersprochen hier im Raum stehenbleiben. Lassen Sie mich deshalb zu einigen Punkten etwas erwidern.
Sie werden nicht müde, immer wieder zu behaupten, all das, was Sie jetzt tun müßten, sei durch das Versäumnis der letzten 20 Jahre bedingt. Sie sind uns bisher aber die Antwort schuldig geblieben, wie diese Versäumnisse eigentlich hätten finanziell abgedeckt werden sollen.
— Entschuldigen Sie! Wir haben doch keinen Juliusturm. Dann kann das Geld doch nur falsch angelegt worden sein. Sagen Sie uns, wo! Diese Antwort haben Sie uns bisher jedenfalls nicht gegeben. Sie müssen einmal deutlich sagen, wo denn unsere Versäumnisse lagen und wie Sie es anders gemacht hätten.
Wie hätten Sie es denn anders gemacht? Das ist doch
die Frage, die Sie bisher nicht beantwortet haben.
— Herr Professor Schellenberg, sind Sie der Meinung, daß wir die nächsten vier Jahre nichts machen würden? Es kommt doch darauf an, daß Sie Prioritäten setzen. Ich muß es noch einmal sagen.
Vorhin wurde die Meinung vertreten, wir sollten die Sozialpolitik auf einer breiten Basis verwirklichen. Dazu muß ich allerdings fragen: Wo haben Sie dafür die solide Finanzbasis? Im Punkt 104 steht nämlich, nachdem Sie — das muß ich anerkennen: eine Fleißarbeit — all die Dinge aufgezählt haben, die uns allen ja mehr oder minder bekannt sind:
Die Bundesregierung wird alle sozialpolitischen Vorhaben rechtzeitig und sorgfältig auf ihre finanziellen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen prüfen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt ?
Herr Kollege Härzschel, können Sie mir vielleicht darüber Auskunft geben, warum von Ihrer Seite in den letzten Wochen seit der Bildung der neuen Regierung eine Reihe von Anträgen — sehr dringlich, sehr bedeutsam, von Ihrer Seite gesehen — gestellt worden sind, deren Anliegen Sie zu den Zeiten, als Sie stärkster Regierungspartner waren oder allein regierten, abgelehnt haben?
Herr Kollege Schmidt, ich komme gleich zu dem anderen Vorwurf, das alles hätten wir ja tun können. Der Kollege Katzer ist in diesem Punkte wiederholt angegriffen worden. Meine Damen und Herren, wenn Sie objektiv sind, dann werden Sie mir doch sicher zustimmen, daß innerhalb der letzten Legislaturperiode Gesetze verabschiedet worden sind, die von größter sozialpolitischer Bedeutung waren. Sie haben auch einen entsprechenden Zeitaufwand in der Beratung benötigt. Ich erinnere daran, daß wir sogar Unterausschüsse bilden mußten, um das Programm, das wir auf der Tagesordnung hatten, überhaupt durchführen zu können. Alles, was jetzt noch notwendig ist, wäre technisch gar nicht durchführbar gewesen.
— Herr Kollege Schellenberg, man nimmt sich's immer, wie man's braucht. Aber Sie müssen doch objektiv feststellen, daß Herr Kollege Katzer die Entwicklung entscheidend mitgeprägt hat.
— Sie wissen doch genau, daß er erst .ein Jahr— Arbeitsminister war, als Sie in die Regierung kamen.
— Sie müssen auch die wirtschaftliche Situation von damals betrachten, als Herr Katzer Arbeitsminister wurde.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2541
HärzschelImmerhin, die Tatsache, daß Sie keine finanzielle Deckung haben, daß Sie nicht wissen, wie Sie die Vorhaben finanziell abdecken wollen, beweist doch, daß Ihre Vorschläge alle sehr nebulös sind.Das beweise ich Ihnen auch mit einer anderen Zahl, und zwar mit der Sozialleistungsquote in der Vorausschau. Im Jahre 1968 betrug der Anteil der Sozialleistungen am Sozialprodukt 19%. Für 1973 haben Sie einen Anteil von 18,9 % vorgesehen, also noch nicht einmal so hoch, wie er 1968 war. Ich möchte wissen, wo denn da eigentlich Ihre Steigerungsraten liegen. Sie können jedenfalls ,das, was Sie vorhaben, nicht abdecken.Ich darf dann noch ein weiteres Zitat bringen. Herr Möller hat die Reformpläne der Ministerien als weit außerhalb des absehbaren finanziellen Rahmens bezeichnet.
— Ja, bitte!
Herr Kollege Härzschel, wissen Sie, wie die Zahlen des Sozialbudgets zustande kommen? Wissen Sie, daß man sozialpolitisch relevante Gesetze, die jetzt in Kraft sind, dabei durchrechnet, daß aber neue Maßnahmen in diesen Quoten nicht enthalten sein können?
Sicher weiß ich das. Aber Sie wollen doch die Leistungen ausweiten. Sie wollen doch alles besser machen. Das schlägt sich finanziell in Ihrer Prognose nicht nieder.
Im übrigen, wenn die Sozialpolitik der letzten 20 Jahre wirklich so schlecht gewesen wäre, dann dürften Sie doch nicht auf diesen Fundamenten aufbauen. Sie haben aber bisher jedenfalls keine neuen Fundamente gesetzt und auch nicht hier verkündet, daß Sie solche setzen wollen.
Sie haben auch gesagt, vor allem die Schwächsten seien vernachlässigt worden. Ich will Ihnen einmal an einem Beispiel deutlich machen, wie Sie das halten, und zwar an dem, was Sie in der Vermögensbildung vorgesehen haben. Zunächst muß ich eines richtigstellen. Herr Professor Schellenberg stellt sich hier so hin und vertritt die Meinung, als sei die SPD nun plötzlich gegen jedes Zwangssparen. Dazu kann ich nur sagen: alle Sachverständigen haben eindeutig erklärt, daß kein Unterschied bestehe zwischen einem tarifvertraglichen — —
Keiner hat das erklärt, sondern es waren sich alle darüber einig, daß das völlig gleich sei. Und diesen Tarifvertrag haben Sie jedenfalls nicht abgelehnt.
— Entschuldigen Sie, ich sage nur, daß die Sachverständigen klipp und klar erklärt haben, es gäbe
hier keinen Unterschied. Für den einzelnen ist der Tarifvertrag ein Zwang, und es ist, wenn Sie so wollen, der Beteiligungslohn ein Zwang.
Wir sind jedenfalls davon ausgegangen, daß es eine Pflicht ist, und wir wollen diese Möglichkeit allen Arbeitnehmern zukommen lassen. Aber das, was Sie wollen, ist, daß gerade diejenigen, die schon sparfähig sind, die in den höheren Einkommensstufen liegen, zusätzlich gefördert werden.
Und gerade die Ärmsten, von denen Sie vorhin sprachen, bekommen dann wieder nichts.
Und ich frage Sie: — —
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte den Gedanken noch ausführen. — Ich frage Sie: Wo ist denn Ihre Gerechtigkeit, wenn Sie mit dem Brustton der 'Überzeugung hier die Summe beanstanden, die bei unserem Gesetz herauskommt? Ihnen sind also 240 DM für alle Arbeitnehmer zu viel. Das muß ich Ihren Ausführungen entnehmen. Entweder sind Sie der Meinung, daß wir allen Arbeitnehmern vermögenswirksame Leistungen zukommen lassen; dann müssen Sie auch die entsprechenden Mittel einsetzen. Oder aber — das möchte ich dann fragen — haben Sie es gar nicht ernst gemeint mit Ihren vermögenswirksamen Leistungen?
Herr Kollege Härzschel, hier sind drei, vier Fragesteller. Darf ich der Reihe nach gehen. Bitte schön, Herr Kollege Dr. Nölling!
Herr Kollege Härzschel, warum haben wir nach Ihrer Meinung in unserer Verfassung eigentlich eine Tarifautonomie vorgesehen und nicht die Möglichkeit, Löhne beispielsweise durch Gesetz zu bestimmen?
Darf ich zurückfragen, warum Sie eigentlich nicht den Tarifpartnern empfehlen, die Mitbestimmungsfrage zu lösen?
Eine zweite Frage, jetzt von Herrn Kollegen Vogt.
Herr Kollege Härzschel, — —
Ja, wollen Sie mir widerlegen, daß das möglich wäre? Wollen Sie mir das widerlegen? Das können Sie doch gar nicht!
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2542 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Herr Kollege Härzschel, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß durch den Regierungsentwurf zur Vermögensbildung neue privilegierte Arbeitnehmerschichten geschaffen werden und genau das Gegenteil von dem erreicht wird, was Herr Kollege Nölling hier als Ziel proklamiert hat?
Genau das, Kollege Vogt, würde ich Ihnen bestätigen;
ich habe auch deutlich zu machen versucht, daß genau das eintreten wird.
Eine Frage des Kollegen Buschfort.
Herr Kollege Härzschel, können Sie mir sagen, welche Arbeitnehmer nicht tariffähig sind?
Herr Kollege, es geht nicht darum, welche Arbeitnehmer nicht tariffähig sind, sondern es geht darum,
daß die Tarifverträge bei den Wachstumsindustrien abgeschlossen werden, dort, wo schon die entsprechenden Möglichkeiten bestehen. Sie haben in Ihrer mittelfristigen Finanzplanung überhaupt nicht damit gerechnet, daß alle Tarifverträge wirksam werden, sondern Sie haben diese vermögenswirksamen Leistungen nur für etwa 10 Millionen Arbeitnehmer vorgesehen.
Ich frage Sie: Warum setzen Sie, wenn Sie es so ernst nehmen, nicht die notwendigen Mittel ein? Sie haben doch selber nicht damit gerechnet, daß so viele Tarifverträge abgeschlossen werden. Und ich sage Ihnen noch einmal: Gerade in den schwachen Industriezweigen werden keine abgeschlossen werden, dort, wo die Leute sind, die in ihrer Einkommenstruktur schon am unteren Ende der Skala stehen, die keine Verbesserungen haben, wie sie in den Großindustrien gang und gäbe sind; denken Sie an die betriebliche Altersversorgung und an andere Dinge.
Hier wird deutlich, daß Sie dem Grundsatz, den Sie verkünden, in der Praxis auf keinen Fall gerecht werden.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rosenthal?
Herr Härzschel, ist Ihnen nicht aufgefallen, daß von der Regierungserklärung bis zu allem, was zu dieser Frage der Vermögensbildung gesagt worden ist, von unserer Partei immer von einem ersten Schritt gesprochen worden ist?
Und zweitens: Ist Ihnen noch nicht aufgefallen, daß wir überall gesagt haben: Dieser erste Schritt muß gegangen werden, weil er gegangen werden kann, weil beide Tarifpartner in diesem Moment willens sind, ihn zu gehen?
Diese beiden Tarifpartner hätten auch jetzt die Möglichkeit, denn das 312Mark-Gesetz besteht. Dazu bedarf es keiner Verdoppelung.
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogt.
Herr Härzschel, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß es auch dem Grundsatz der Tarifautonomie entsprochen hätte, wenn die Tarifpartner alle Fragen, die mit Urlaub zusammenhängen, selbst geregelt hätten? Würden Sie mir weiterhin zustimmen, daß dennoch ein Urlaubsgesetz nicht gegen die Tarifautonomie verstoßen hat? Würden Sie mir darin schließlich zustimmen, daß selbst die sozialdemokratische Fraktion dem Urlaubsgesetz zugestimmt hat?
Ich kann .das nur bestätigen. Man könnte an einer ganzen Reihe von- Beispielen deutlich machen, daß gesetzliche Regelungen die Tarifautonomie in keiner Weise einschränken. Sie wissen doch genau, daß in unserem Gesetzentwurf die Tarifautonomie nicht angegriffen worden ist, sondern daß die Möglichkeiten der Tarifpartner nach wie vor gegeben sind.
Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller.
Herr Kollege Härzschel, würden Sie vielleicht dem Herrn Kollegen Rosenthal sagen, daß es die SPD war, die noch bei der letzten Novellierung des Zweiten Vermögensbildungsgesetzes im vergangenen Jahr unseren Antrag im Ausschuß abgelehnt hat, wonach Familienväter als Alleinverdiener die Möglichkeit haben sollten, bis zu 624 DM anzulegen, und zwar abgelehnt hat mit der Begründung, das komme nur Großverdienern zugute.
Ich glaube, es ist hier eindeutig klargeworden, daß das, was von der Seite vorgeschlagen ist, keinesfalls den Anforderungen an die soziale Gerechtigkeit entspricht, sondern daß wir neue Wege gehen müssen, die wir vorgezeichnet haben. Wir haben immer wieder erklärt, daß wir unseren Entwurf nur als Diskussionsgrundlage ansehen und über Einzelheiten durchaus mit uns reden lassen.
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HärzschelWir sehen in Ihrer Lösung aber jedenfalls keinen entscheidenden Durchbruch.
Gestatten Sie eine letzte Frage?
Nein, ich möchte jetzt fortfahren.
Ich möchte noch zu einem anderen Punkt Stellung nehmen. Herr Kollege Schellenberg, Sie haben die Frage der flexiblen Altersgrenze angesprochen. Wir messen dieser flexiblen Altersgrenze eine große Bedeutung bei. Nur glaube ich, es ist wenig sinnvoll, wenn der Minister im Lande umherfährt und die Sache so darstellt, als sei diese flexible Altersgrenze praktisch schon perfekt, während die finanziellen Grundlagen in keiner Weise gesichert sind, so daß man nicht weiß, wer im einzelnen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird. Man muß doch zuvor klären, wie viele Menschen denn von dieser Möglichkeit, vorzeitig Altersruhegeld zu beantragen, Gebrauch machen werden. Wenn man den Worten der Gewerkschaft Glauben schenken darf, ist die Beanspruchung der Arbeitnehmer heute so groß, daß ein vorzeitiger Verschleiß zu einer größeren Invalidität im späteren Lebensalter führt. Ich würde dem weithin zustimmen. Wenn dem aber so ist, kann man doch nicht ohne weiteres damit rechnen, daß ein Großteil der Arbeiter über das 65. Lebensjahr hinaus weiter arbeiten wird. Die finanziellen Grundlagen müssen also meiner Meinung nach sehr sorgfältig geprüft werden.
Immerhin wird nach Auskunft des Verbandes ein Jahr Altersruhegeld Kosten in Höhe von ca. 1 Milliarde DM verursachen, abgesehen von den Beitragsausfällen und dem Produktionsausfall. Wir sind nicht grundsätzlich dagegen. Wenn wir im letzten Jahr hierzu noch keine klare Aussage gemacht haben, dann deshalb, weil wir gerade bei der Beratung des Dritten Rentenversicherungsänderungsgesetzes darum gerungen haben, die finanzielle Sicherung der Rentenversicherung zu garantieren und die langfristige Vorausschau auf eine gesunde Basis zu stellen. Das ist uns damals gelungen. In der Zwischenzeit sind die Daten für Sie und für uns anders geworden. Deshalb sind bei uns auch neue Überlegungen erfolgt. Das kann man uns sicher nicht zum Vorwurf machen.
Ich möchte abschließend sagen: Das, was Sie uns hier dargelegt haben, war in der Hauptsache eine Auseinandersetzung mit der Opposition, aber keine Darlegung, wie Sie Ihre Vorstellungen realisieren wollen. Darauf aber kommt es letzten Endes an. Es hat wenig Sinn, einen Katalog aufzuzählen, was alles noch zu tun wäre. Es wird auch in fünf und in zehn Jahren noch Dinge geben, die wir zu erledigen haben. Der Strukturwandel in unserer Wirtschaft und in unserer Gesellschaft vollzieht sich so schnell, daß wir ständig neue Probleme zu lösen haben werden.
Einen Vorwurf möchte ich doch auch noch erwähnen. Herr Kollege Dr. Nölling, Sie haben uns den Vorwurf gemacht, wir hätten doch eigentlich diese Konsumgesellschaft hier propagiert, und wir seien schuld daran. Darüber ließe sich sicher streiten, wer hier einen größeren Anteil hat. Immerhin, wenn Sie die Vergangenheit verfolgen, dann werden Sie mir sicher zustimmen, daß Ihr Anteil zumindest gleich groß ist. Ich behaupte aber, er ist größer als der unsere, denn Sie haben diese Gedanken viel stärker als wir propagiert.
Die CDU/CSU wird in der Zukunft die Fortschreibung der Sozialpolitik, den Ausbau unseres sozialen Rechtsstaates vorantreiben, aber eben nach den finanziellen Möglichkeiten also auf einer soliden finanziellen Grundlage.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hauck.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eis wäre bestimmt der Sache und der Problematik angemessen, wenn wir in dieser Debatte auch einige Aussagen zur Familien- und Jugendpolitik gemacht hätten, die nach dem Sozialbericht zu dem Hauptabschnitt des vorberuflichen Lebensgehört. Ich möchte jetzt nicht mit einer neuen ,Runde der Jugend- und FamilienpolitikDebatte beginnen, sondern ich hoffe, daß wir bei der Diskussion über die Kindergeldgesetzgebung Gelegenheit haben, dieses wichtige Problem einmal zu durchdenken; denn auf diesem Gebiet zeigt der Sozialbericht sehr viele Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten auf. Ichglaube, da kann man auch Verschiebungen und Verlagerungen vornehmen.Es ist überhaupt schade, daß wir bei der parlamentarischen Tagesarbeit immer als Gesetzgeber dem Zwang unterliegen, materielles Recht Ezu schaffen, und hier grundsätzliche Diskussionen gar nicht führen können. Ein drastischer Beweis dafür ist z. B., daß wir in der fünften Legislaturperiode nicht den ersten Familienbericht der Bundesregierung und den zweiten Jugendbericht der Bundesregierung behandeln konnten, weil wir der Beratung und Verabschiedung ides Ersten Ausbildungsförderungsgesetzes in den Ausschüssen und im Plenum den Vorrang geben mußten.Der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ist z. Z. dabei, Wege zu suchen, um die Thesen dieser beiden Berichte auch in der sechsten Legislaturperiode parlamentarisch nutzbar zu machen. Ich bin daher der Meinung, daß es hilfreich wäre, wenn wir bei dem Versuch, diese Thesen nutzbar zu machen, in dem Zusammenhang auch den Sozialbericht mit beraten könnten. Ich stelle daher den Antrag, daß dieser Sozialbericht zur Mitberatung auch dem Aus-
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HauckSchuß für Jugend, Familie und Gesundheit überwiesen wird, damit dieser Ausschuß im Zusammenhang mit den anderen Berichtswerken auch zu diesen wichtigen Grundsatzproblemen Stellung nehmen kann. Ich bitte, dem Antrag zu folgen.
Das Wort hat Herr Bundesminister Arendt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin für diese Debatte sehr dankbar, obwohl die Opposition erneut den Vorwurf erhoben hat, diese Regierung halbe keine Konzeption.
Unsere Konzeption — das müßten Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen - ist die Erfüllung der Regierungserklärung Zug um Zug und Punkt für Punkt. Wenn Sie diese Regierungserklärung lesen, dann können Sie feststellen, daß eine ganze Reihe von Punkten aus dieser Erklärung schon als erledigt zu betrachten ist. Da ich den Eindruck habe, daß Ihnen dais entgangen ist, möchte ich noch einmal in Stichworten in Ihre Erinnerung zurückrufen, daß die Kriegsopferversorgung
vom 1. Januar 1970 an strukturell verbessert und dynamisiert wurde, daß das Unterhaltsgeld für Umschüler
erhöht und .dynamisiert worden ist, daß wir das
Dritte Vermögensbildungsgesetz eingebracht haben
— ich komme gleich noch darauf, Herr Kollege Katzer — und daß wir eine ganze Reihe von Kommissionen, die 'angekündigt wurden und die wichtige Vorarbeiten zu leisten haben, zum Teil schon zu konstituierenden Sitzungen zusammengerufen haben; zum Teil wenden sie im Laufe der nächsten Monate zusammenkommen.
Herr Kollege Katzer, ich möchte Sie wirklich bitten — ich will ja keine Kontroverse —, sich einmal zurückzuerinnern, was im Mai 1966 war, als Sie sechs Monate Arbeitsminister waren: ob Sie da die Möglichkeit hatten, mit einer Konzeption vor dieses Hohe Haus zu treten. Sie haben damals gesagt „Wir bitten um eine Denkpause".
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Katzer?
Herr Kollege Arendt, wenn Sie das Hohe Haus um eine Denkpause gebeten hätten, dann wären wir sehr glücklich gewesen und hätten gesagt: Selbstverständlich. Statt dessen kommen Sie mit Weihnachtsgeld und sonstigen Geschichten und zwingen uns dadurch zu Reaktionen. Das war der Punkt, nichts anderes. Wenn Sie hier und heute sagten: „Gebt mir noch ein halbes Jahr Zeit", würde ich als erster sagen: Bitte schön, herzlich gern.
Nein, wir brauchen gar keine Zeit. Wir haben eine Konzeption, die zügig und planmäßig realisiert wird. Lassen Sie mich das an einem Beispiel sagen. Wir haben im Dezember vorigen Jahres im Arbeitsministerium in einer Klausurtagung einen Zeitplan entwickelt. Mir haben meine Mitarbeiter erklärt: Das hat es in diesen 20 Jahren im Arbeits- und Sozialministerium noch nicht gegeben. In diesem Zeitplan — —
— Ja, das wird abgehakt. Wir haben eine Checkliste — ich habe es Ihnen gesagt —, da kann man sehen, was schon erledigt ist. Wir werden auch in der nächsten Zeit unsere Vorhaben nach diesem Zeitplan ausrichten.
Dazu gehört beispielsweise das, was der Bundeskanzler am 28. Oktober angekündigt hat: Erhöhung der Pflichtversicherungsgrenze für Angestellte; eine entsprechende Gesetzesvorlage der Bundesregierung wurde heute im Kabinett verabschiedet.
Ich gebe zu: Sie haben auch ein Gesetz eingebracht, nämlich ein Gesetz über die Unfallversicherung für Schulkinder. Das steht auch auf unserem Programm. Nur — das sage ich Ihnen auch — wenn Ihr Vorrat mal aufgebraucht ist, wird das natürlich für Sie ein bißchen schwieriger werden.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Varelmann?
Herr Minister, sind nicht die Steuereinnahmen in den letzten neun Monaten stärker gestiegen als je zuvor, und ist nicht von dieser Summe nur relativ wenig in den sozialen Bereich geflossen?
Das wissen Sie selbst. Warum soll ich das noch einmal wiederholen, was in den sozialen Bereich geflossen ist.Lassen Sie mich sagen, soweit die Konzeption in Frage kommt — und dann möchte ich zu dieser Konzeption gar nichts mehr sagen —: dazu gehört die Erhöhung der Krankenversicherungspflichtgrenze, dazu gehört das Betriebsverfassungsgesetz — —
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Bundesminister Arendt— Ja, ja, sicher. Ich sage noch einmal: Sie haben auch ein Gesetz vorgelegt — das werden auch wir noch tun — über die Unfallversicherung der Schulkinder. Aber da geht es doch um mehr als um zwei Paragraphen, Herr Kollege Katzer. Da geht es auch darum, daß man mit den in Frage kommenden Stellen darüber spricht und nachdenkt, wie man beispielsweise die Rehabilitation der Kinder einbezieht.
— Das steht doch in Ihrem Gesetzentwurf nicht darin.Wenn Sie sagen „Wo ist die Konzeption?", dann sage ich Ihnen noch eines, da wir gerade von Rehabilitation sprechen. Wir haben ein Programm der Bundesregierung zur Rehabilitation, zur Wiedereingliederung der Behinderten mit den in Frage kommenden Stellen abgesprochen und der Öffentlichkeit verkündet. Worauf es jetzt ankommt, ist, daß dieses umfassende Programm auch mit wirklichem Leben erfüllt wird. Das ist zum Beispiel so ein Punkt, wo nicht unbedingt Geld erforderlich ist, genauso wie bei der Verbesserung des Arbeitnehmerschutzes. Ich sage es sogar noch anders: wenn auf diesem Felde der Verbesserung des Arbeitnehmerschutzes in der Vergangenheit mehr getan worden wäre, dann würde die Unfallentwicklung —2,4 Millionen Unfälle jährlich allein in den Betrieben mit Milliardenkosten — ganz sicher anders verlaufen, als das im gegenwärtigen Augenblick der Fall ist, und wir hätten sogar noch einen Finanzierungsüberschuß.
Wir haben die Absicht, die Vorhaben — ich sage es noch einmal — nach unserem Plan durchzuführen. Sie werden an unseren Aktivitäten die Erfüllung dieser Vorstellung erleben. Die Vorarbeiten für andere Vorhaben sind in Gang gesetzt, oder die sachlichen und die statistischen Grundlagen für künftige Gesetzesvorhaben werden vorbereitet. Dazu gehört beispielsweise die flexible Altersgrenze. Herr Kollege Härzschel, ich reise nicht im Lande umher und verkünde, daß diese flexible Altersgrenze kommt, sondern ich sage: wir haben eine Unterlage zur Vorbereitung dieser Frage in Auftrag gegeben, damit wir einmal wissen, wie die Menschen darüber denken und wie ihre Entscheidung sein wird. Aber zur freien Entscheidung des einzelnen gehören die Vorklärung und Abklärung bestimmter Tatbestände. Ich habe vorhin oder heute morgen in meiner Rede schon gesagt, dazu gehört beispielsweise ein Punkt, den ich für ganz wichtig halte: der jährliche Kontoauszug, der dem Versicherten Aufschluß darüber gibt, welche Anwartschaften und Leistungen er zu erwarten hat.
— Das müssen wir weiterentwickeln, und wir sind jetzt dabei — das habe ich gesagt, das müssen Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen —, wenn wir diese Unterlagen haben, Modelle auszurechnen, wie die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, aufdie Finanzwirtschaft, in der nationalökonomischen Betrachtung sind, damit wir zu einer Entscheidung kommen können. Wir haben in keiner Weise gesagt, daß 1972 oder 1973 ein bestimmtes Modell realisiert wird, und das, glaube ich, müssen wir auch für die Zukunft diskutieren.Wir müssen auch Modelle für die Öffnung der Rentenversicherung entwickeln, damit wir. andere Bereiche einbeziehen können. Das gehört auch dazu.Wir müssen auch ein wenig über die Vermögensbildung sprechen.
— Entschuldigen Sie, Herr Katzer, das muß man doch auch sehen! — Wir haben oft genug gesagt, diese Vorlage des Dritten Vermögensbildungsgesetzes mit der Verdoppelung des Begünstigtenrahmens und mit dem Übergang auf das Zulagesystem ist ein erster Schritt. Wenn Sie sagen, daß in diesem Sozialbericht 1970 über die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand relativ wenig enthalten ist, sind wir da völlig einer Meinung. Aber erstens — das wissen wir auch — waren im Arbeitsministerium Unterlagen über die Vermögensverteilung und die Zuwächse in unserer Gesellschaft kaum vorhanden.
Zweitens haben gesagt, wir legen am Ende dieses Jahres einen Vermögensbericht vor, und dieser Bericht wird auch Modelle enthalten, wie wir die überbetriebliche Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand fördern können.Im Dritten Vermögensbildungsgesetz — das müssen Sie doch einmal einsehen — wird doch mit einem alten Unrecht Schluß gemacht. Das können Sie nicht verniedlichen. Sie können doch nicht sagen, die bloße Verdoppelung auf 624 DM sei nichts. Wichtiger ist doch der Übergang zum Zulagesystem. In der Vergangenheit bis heute war es doch so: Wer hat, dem wird gegeben. Denn die Steuerfreiheit bei dem jetzigen System bedeutet doch, daß der Einkommensschwache nicht so entlastet wird wie der Einkommensstärkere. Deshalb sollten Sie doch gerade den Übergang zum Zulagesystem richtig werten.
— Alber Sie sollten es nicht verniedlichen.
Nun werfen Sie mir vor — das hat der Kollege Katzer getan —, daß wir hei ,der Krankenversicherung nur von der Weiterentwicklung sprechen und nicht von einer Reform. Völlig richtig! Wir haben ganz bewußt den Begriff der Weiterentwicklung der Krankenversicherung geprägt und nicht von „Reform" gesprochen. Wenn ich ,an Ihrer Stelle wäre und die Tragödie mitgemacht hätte, die Sie — nicht Sie persönlich Herr Katzer, sondern Ihre Partei — mit der Reform der Krankenversicherung erlebt haben in den Jahren, die hinter uns liegen, würde ich
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2546 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Bundesminister Arendtdas Wort „Reform" so leicht nicht mehr in den Mund nehmen!
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Finanzierung von bestimmten sozialpolitischen Maßnahmen sagen. Ich glaube, daß Sie bedenken müssen, daß es drei Arten gibt. Da gibt es die Vorhaben, die den Bundeshaushalt berühren. Da gibt es Vorhaben, die die Versicherten und ,die Arbeitgeber berühren, und da gibt es Vorhaben, die überhaupt keine wesentlichen zusätzlichen finanziellen Ausgaben mit sich bringen. Die Gesetze, die den Bundeshaushalt berühren, meine Damen und Herren, sund im Finanzplan der Bundesregierung enthalten und werden bei der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung aufgenommen. So ist beispielsweise der Ansatz der Bundesmittel für die Jahre von 1970 bis 1973 im zweiten Sozialbudget um 6,3 Milliarden DM höher als im vorhergehenden Sozialbudget. Bei den Vorhaben, die die Versicherten und die Arbeitgeber angehen, wie beispielsweise bei der Öffnung der Rentenversicherung und bei ;der Erhöhung der Pflichtversicherungsgrenze für Angestellte, haben wir Modellrechnungen durchgeführt und mit den Beteiligten Abstimmungsgespräche geführt und versucht, Übereinstimmung in den Modellrechnungen zu erreichen.Bei den Bereichen, die nur geringe Kosten verursachen — das sind viel mehr, als gemeinhin angenommen wird —, handelt es sich — das werden Sie mir zugeben — vielfach um Vorhaben, die die sozialpolitische Landschaft am stärksten verändern. Ich habe vorhin als Beispiel die Fragen der Rehabilitation und des Arbeitnehmerschutzes genannt. Denken Sie aber auch einmal an .die Fragen des Betriebsverfassungsgesetzes und der Mitbestimmung! Denken Sie an die bessere Transparenz der sozialen Sicherung, die sich in unserer Politik der Reform des Arbeits- und Sozialrechts niederschlägt! Denken Sie auch an die Kontoauszüge! Denken Sie schließlich an die bessere Koordination der Rehabilitationsmaßnahmen!Meine Damen und Herren, ich bin — lassen Sie mich das noch einmal sagen — für diese Debatte dankbar, auch wenn es in einigen Punkten Meinungsunterschiede gibt. Gerade in dem letzteren Bereich, den ich erwähnte, ist 'die Sozialpolitik nicht durch finanzielle Erwägungen begrenzt. Hier ist der politische Wille entscheidend. Sie können sich — ich sage es noch einmal — darauf verlassen, daß wir den Willen haben, unsere politische Landschaft im Interesse der arbeitenden Menschen und großer Schichten unseres Volkes zu verbessern und den Verhältnissen auf anderen Gebieten anzupassen. Diesen Willen 'haben die Regierung und die Fraktionen, 'die diese Regierung tragen.
Meine Herren und Damen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir sind am Ende der ersten Beratung.Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend — und an den Haushaltsausschuß — mitberatend — vor. Herr Kollege Hauck hat vorgeschlagen, zusätzlich den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit an der Mitberatung zu beteiligen. Dieser Ergänzungsvorschlag geht dem anderen vor. Ich lasse darüber zuerst abstimmen.Wer dem Vorschlag des Ältestenrates plus dem Vorschlag, zusätzlich den Ausschuß für Jugend, Familie und .Gesundheit zu beteiligen, zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.Auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung wird der Tagesordnungspunkt 7 heute abgesetzt und vermutlich im Juni nachgeholt.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 und 9 auf:Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Reichsversicherungsordnung— Drucksache VI/695 —Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung — Drucksache VI/715 — VEs liegen keine Wortmeldungen vor.Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung vor. Wer diesem Überweisungsvorschlag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 24. September 1969 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Vereinigten Republik Tansania, der Republik Uganda und der Republik Kenia sowie zu den Internen Durchführungsabkommen— Drucksache VI/725 —Wortmeldungen liegen nicht vor.Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft — federführend — und an den Auswärtigen Ausschuß sowie den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit — mitberatend — vor.Wer diesem Überweisungsvorschlag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970 2547
Vizepräsident Frau FunckeIch rufe .den Tagesordnungspunkt 11 auf:Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, FDPbetr. Sportförderungsplan der Bundesrepublik Deutschland— Drucksache VI/664 —Wortmeldungen liegen nicht vor.Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Sonderausschuß für Sport und Olympische Spiele — federführend — und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — mitberatend —. Wer diesem Überweisungsvorschlag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:Beratung des Schriftlichen Berichts des Sonderausschusses für Sport und Olympische Spiele über den Bericht des Bundesministers des Innernbetr. Sportförderung— Drucksachen VI/109, VI/717 —Berichterstatter: Abgeordneter Hussing Wortmeldungen liegen nicht vor.Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:Beratung des Schriftlichen Berichts des Sonderausschusses für Sport und Olympische Spiele über den Antrag der Fraktionen der SPD, FDP betr. Fußballweltmeisterschaft 1974— Drucksachen VI/42, VI/684 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Eversdazu:Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache VI/705 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jenninger Wortmeldungen liegen nicht vor.Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.Ich rufe die Punkte 14 und 15 der Tagesordnung auf:Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — Immunitätsangelegenheitenbetr. Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Dr. h. c. Kurt Georg Kiesinger gemäß Schreiben der Rechtsanwälte Heinrich Hannover und Dr. Rudolf Monnerjahn, Bremen, vom 3. Februar 1970
— Drucksache VI/701 —Berichterstatter: Abgeordneter DürrBeratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — Immunitätsangelegenheitenbetr. Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Bundesminister Dr. Ehmke gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 3. Februar 1970 (VI/7)— Drucksache VI/702 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Stark
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen? — Ich höre keinen Widerspruch.Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf Drucksachen VI/701 und VI/702. Wer diesen Anträgen zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:Beratung der Ubersicht 5 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht— Drucksache VI/724 —Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wer der Empfehlung des Rechtsausschusses zustimmen will, den bitte ich um Idas Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.Wir kommen zu Punkt 17 der Tagesordnung:Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Richtlinie des (Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über natriumarme diätetische Lebensmittel— Drucksachen VI/316, VI/718 —Berichterstatter: Abgeordneter BayWünscht jemand dazu das Wort? — Das ist nicht der Fall.Wer diesem Bericht zustimmen will, den bitte ich um das 'Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
über den von der Bundes-
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2548 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1970
Vizepräsident Frau Funckeregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Richtlinie des Rates zur fünften Änderung der Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für konservierende Stoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen— Drucksachen VI/376, VI/719 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. HammansDer Berichterstatter wünscht das Wort nicht mehr. Wünscht jemand zur Sache zu sprechen? — Das ist nicht der Fall.Wer diesem Bericht zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.Schließlich rufe ich Punkt 19 der Tagesordnung auf:Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Verordnung des Rates über die Herstellung und das gewerbsmäßige Inverkehrbringen von Dauermilcherzeugnissen, die für die menschliche Ernährung bestimmt sind
— Drucksachen VI/394, VI/720 —Berichterstatter: Abgeordneter HorstmeierWünscht jemand das Wort dazu? — Das ist nicht der Fall.Wer 'diesem Bericht zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe das Haus für Freitag, den 8. Mai, 9.00 Uhr, ein.Die Sitzung ist geschlossen.