Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Wir kommen sofort zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde
— Drucksachen V/4045, V/4020
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf und teile mit, daß zunächst zwei Fragen zu beantworten sind, die normal eingereicht worden sind, alsdann die Dringlichen Mündlichen Anfragen.
Ich rufe die Frage 83 des Abgeordneten Porsch auf:
Werden die beabsichtigten Einfuhrliberalisierungsmaßnahmen der Bundesregierung für Geschirrporzellan mit Rücksicht auf die großenteils im Zonenrandgebiet ansässige deutsche Porzellanindustrie und deren gefährdete Arbeitsplätze zurückgestellt?
Ist der Abgeordnete im Saal? — Er ist im Saal. — Zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär Arndt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich bitte, die Antworten auf beide Fragen des Abgeordneten Porsch zusammenfassen zu dürfen.
Bestehen Bedenken? — Keine Bedenken. Dann rufe ich auch noch die Frage 84 des Abgeordneten Porsch auf
Wird die Bundesregierung bei Einfuhrliberalisierungsmaßnahmen auch in anderen Wirtschaftszweigen auf Industrien, die vorwiegend im Zonenrandgebiet ansässig sind, Rücksicht nehmen?
Bitte schön!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Porsch, dem Bulletin des Presse- und Informationsamtes ist über die Beschlüsse der Bundesregierung zur Sicherung der Preisstabilität zu entnehmen, daß die Bundesregierung zustimmend von der Absicht des Bundesministers für Wirtschaft Kenntnis nimmt, die Einfuhrmöglichkeiten für Waren der gewerblichen Wirtschaft durch Kontingentsaufstockungen und Aufhebung von Selbstbeschränkungsabkommen auszuweiten.
Einfuhrliberalisierungsmaßnahmen selbst waren nicht Gegenstand der Beschlüsse des Kabinetts und der Absicht des Bundesministers für Wirtschaft. Kontingentsaufstockungen werden von Zeit zu Zeit vorgenommen, um das Instrument der Kontingentierung überhaupt aufrechthalten zu können. Kontingente müssen angepaßt werden an die Wirtschaftsentwicklung, angepaßt werden an die Einfuhrentwicklung, angepaßt werden an die Bedürfnisse eines steigenden Warenaustausches nach allen Seiten. Selbstverständlich werden bei jeder Maßnahme die besonderen Probleme der vorwiegend im Zonenrandgebiet ansässigen Wirtschaftszweige, darunter auch — wie Sie mit Recht betonen — die Porzellanindustrie, gebührend berücksichtigt.
Eine .Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Porsch.
Herr Staatssekretär, nehmen Sie an, daß die Kontingentsaufstockung gerade bei Geschirrporzellan so sein wird, daß sich die im Zonenrandgebiet ansässige Porzellanindustrie mit Recht Sorgen macht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Kontingentsaufstockungen sind nicht hoch; die Porzellanindustrie braucht sich keine Sorgen zu machen. Es handelt sich bei der Porzellanindustrie — und dies sicherlich mit gutem Grund — um den wahrscheinlich am stärksten geschützten Industriezweig in der Bundesrepublik Deutschland. Die Einfuhrquote liegt bei 2 bis 3%.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Porsch.
Herr Staatssekretär, können Sie uns hier Auskunft geben, in welchen anderen Zweigen Kontingentsaufstockungen vorgesehen sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das wird im einzelnen noch festzulegen und zu beraten sein, wobei jede Einzelmaßnahme mit dem Auswärtigen Amt abzustimmen ist.
Metadaten/Kopzeile:
12350 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Porsch.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung bei allen Maßnahmen ganz besonders berücksichtigen, daß die Industrien, die im strukturell benachteiligten Gebiet liegen, wegen ihrer Randlage eines besonderen Schutzes bedürfen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Selbstverständlich, Herr Kollege Porsch. Ich darf noch einmal an meine erste Antwort erinnern: Wer das Instrument der Kontingentierung will, muß auch gelegentliche Anpassungen an die Gegenwart akzeptieren.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schlager.
Herr Staatssekretär, ich darf Ihrer Antwort entnehmen, daß die Regierung auch an ihren Einfuhrerleichterungsmaßnahmen gegenüber dem Ostblock festhalten will. Aber wie kommt es dann, daß der stellvertretende Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Deutschen Bundestag, der Kollege Martin Hirsch, noch am 15. März unter Berufung auf ein Gespräch vor allem mit Herrn Minister Schiller, aber auch mit Ihnen in einem Interview mit der „Frankenpost" die Auffassung vertreten hat, daß für die Regierung Einfuhrerleichterungen allein im Verkehr mit der sogenannten DDR in Frage kämen, während er in Abrede stellt, daß solche Einfuhrerleichterungen für den gesamten Ostblock vorgesehen seien?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schlager, das kann ich mir leider nicht erklären.
Könnte man aus dieser Darstellung vielleicht entnehmen, daß sich die Regierung selbst einmal mit dem Gedanken getragen hat, an Stelle der von meiner Fraktion gegenwärtig nicht für gut befundenen Importmaßnahmen — Ziffer 4 des Beschlusses der Regierung — besser global wirksame Maßnahmen ins Auge zu fassen, wie wir es hier vorschlagen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Global wirksame Maßnahmen sind ja bereits auf Grund des Absicherungsgesetzes getroffen worden. Wir haben leider die Erfahrung machen müssen, daß das Absicherungsgesetz in gewisse Nischen unserer Wirtschaft nicht hineinreicht, und zwar überall dort, wo Kontingente bestehen und nicht verändert wurden. Dort ist die Versuchung besonders groß, die Exportsteuer, der ja auch diese Wirtschaftszweige unterliegen, auf den Inlandspreis abzuwälzen. Dieser Versuch kann sogar gelingen, wenn Kontingente so bleiben, wie sie sind.
Dieses ökonomische Problem ist selbstverständlich erörtert worden. Das hat auch unter anderem zu dieser Maßnahme geführt. Herr Kollege Hirsch wird sich — ich erinnere mich jetzt — auf eine Bemerkung von mir stützen, daß man bei der Porzellanindustrie nicht beides machen kann: nennenswerte Veränderungen gegenüber den Bezügen aus Japan und aus osteuropäischen Ländern und aus Mitteldeutschland.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schlager.
Herr Staatssekretär, muß ich Ihrer Antwort nicht entnehmen, daß Sie, weil Sie jetzt auf weitere globale Maßnahmen verzichten, nun beabsichtigen, zu Lasten einer nach unserer Auffasung in ihrer Existenz gefährdeten Industrie zusätzliche Einfuhrerleichterungen zu gewähren, die sich, weil diese Industrie ja vorwiegend in strukturschwachen Gebieten gelegen ist, im Grunde gegen die von den Ländern und von Ihnen in Aussicht genommene Strukturpolitik richten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich hatte bereits in der Fragestunde der vorigen Woche Gelegenheit, auf eine Frage des Kollegen Weigl zu sagen, daß die Bundesregierung selbstverständlich nicht im Traum daran denkt, die wirtschaftlichen Erfolge, die auch im bayerischen Grenzland für die Beschäftigten zu erreichen waren, wieder herabzumindern. Ich darf noch darauf verweisen, daß ich dem Kollegen Porsch auf seine Fragen betreffend Importe aus anderen Staaten sagen durfte, daß die Maßnahmen, die für die Porzellanindustrie in Erwägung gezogen werden, nicht zu Störungen führen werden.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Zebisch.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Proteste wegen der angeblich vollen Einfuhrliberalisierung in der Porzellanindustrie auf Äußerungen des Syndikus der keramischen Industrie zurückzuführen sind? Welche Informationen hat Herr Dr. Warnke anläßlich seines Besuchs in Ihrem Hause zu diesem Fragenkomplex bekommen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Zebisch, mir ist nicht bekannt, wie sich Herr Dr. Warnke geäußert hat. Selbstverständlich haben wir Gespräche mit ihm gehabt. Hypothesen sind erwogen worden. Wir haben seine Meinung gehört, und das hat unter anderem zu den Beschlüssen des Bundeskabinetts am 18. März geführt, die ich eingangs verlesen durfte.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Höhne.
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Staatssekretär, dann sprachen Sie von der 2 %igen Kontingentierung. Können Sie mir sagen, inwieweit dieses Kontingent ausgeschöpft worden ist?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12351
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Kontingente auch an Geschirrporzellan werden nie annähhernd voll ausgeschöpft, Herr Kollege Höhne.
— Aber nicht die Kontingente. 2 % ist der Gesamtimport. Wir haben ja gegenüber vielen Ländern keine Kontingente, z. B. EWG-Staaten. Dabei darf ich sagen, daß das eine der größeren Sorgen der deutschen Porzellanindustrie ist, daß in einem der EWG-Länder ein wichtiger Konkurrent entstehen könnte.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hörauf.
Herr Staatssekretär, stimmen Meldungen, wonach die Liberalisierung deswegen in Betracht gezogen wurde, weil für die Porzellanindustrie nach einer Bundesschlichtung in Bayern eine Lohnerhöhung um 9 % durchgeführt wurde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hörauf.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die bayerische Porzellanindustrie gegenüber allen Branchen ein sehr niedriges Lohnniveau aufweist und deshalb dauernd gegen Abwanderungen und Fluktuation von Arbeitskräften zu kämpfen hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, Sie verlangen ein Urteil über Tarifabschlüsse, das der Bundesregierung nicht gut ansteht. Der Bundesregierung ist selbstverständlich bekannt, daß es zweieinhalb Jahre lang keine Lohn- und Tariferhöhungen in der feinkeramischen Industrie Bayerns — und die stellt den größten Teil dieser Industrie des Bundesgebietes dar — gegeben hat.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Staatssekretär, ich möchte zu Frage 84 eine Zusatzfrage stellen. Dort ist nach einer möglichen Liberalisierung in anderen Wirtschaftszweigen außer der Porzellanindustrie gefragt. Gibt es Liberalisierungstendenzen hinsichtlich der für den Bayerischen Wald besonders wichtigen Wirtschaftszweige, z. B. des Holzes, des Glases und insbesondere der möglichen weiteren Einfuhr von Granit? Ich denke dabei z. B. an Portugal oder auch an Rumänien, welches im letzten Jahr eine besondere Rolle gespielt hat, und wobei man zu einer vernünftigen Kompromißlösung hat kommen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zunächst ist an eine ganz globale Aufstockung der Kontingente gedacht. In jedem Einzelfall — und dabei wird nichts überstürzt werden, Herr Kollege Fritsch — wird die besondere Lage der dortigen Industrien gebührend berücksichtigt werden.
Ich darf aber noch einmal daran erinnern: wer die Kontingentierung will, muß Kontingentanpassungen nach oben bei steigendem Warenaustausch ebenfalls wollen.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte, Herr Abgeordneter Fritsch!
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antwort so interpretieren, daß in Verfolg der Zusage, daß im Zonenrand- und Grenzgebiet und dabei insbesondere in Bayern keine Konjunkturdämpfungsmaßnahmen beabsichtigt sind, mögliche Auswirkungen von Liberalisierungen auf die Arbeitsplätze der in diesen Räumen Beschäftigten weitgehend abgemildert werden und auf die Ihnen ja bekannten Zahlen der noch vorhandenen Arbeitslesen — mehr als 10% der Erwerbsbevölkerung — Rücksicht genommen wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auf Grund dieser Maßnahme wird kein Arbeitsplatz gefährdet.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Ertl.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre letzte Antwort so deuten, daß Sie der Meinung sind, daß die — wie uns vorliegende Nachrichten lauten — begründeten Befürchtungen sowohl der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer auf irrigen Annahmen bezüglich der Absatzlage und der Produktivität der Porzellanindustrie im Zonenrandgebiet beruhen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Befürchtungen sind nicht begründet, Herr Kollege Ertl.
Eine weitere Zusatzfrage. Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Absatzverhältnisse der Porzellanindustrie auf Grund der von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen als günstig zu bezeichnen sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Porzellanindustrie ist jetzt in einer vergleichsweise sehr günstigen Lage.
Zu einer weiteren Zusatzfrage der Abgeordnete Zebisch, obwohl ich mir nicht im klaren bin, ob ich Ihnen das Wort noch ein-
Metadaten/Kopzeile:
12352 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Präsident von Hasselmal erteilen darf, denn die erste Zusatzfrage hatten Sie geteilt. Trotzdem gebe ich Ihnen das Wort.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. Herr Staatssekretär, können Sie mir vielleicht jetzt bereits die Höhe der Aufstockung für Geschirrporzellan bekanntgeben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist eine Aufstockung der sehr bescheidenen, kleinen Kontingente um etwa ein Fünftel gedacht.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hofmann .
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir ,der Meinung, daß die Frage der Liberalisierung der Porzellaneinfuhr in irgendeiner Form bewußt hochgespielt wurde und damit eine gewisse Unruhe in die Arbeitnehmerschaft gebracht wurde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann das nicht ausschließen, weil man ja Intentionen nie ganz klar erkennen kann. Ich möchte es aber nicht direkt unterstellen. Übrigens sind Liberalisierungsmaßnahmen meines Wissens nie geplant gewesen.
Keine weitere Zusatzfrage. Sonst noch irgendein Standort der Porzellanindustrie, der berücksichtigt werden. sollte?
Das ist nicht der Fall. Meine Damen und Herren, wir hatten zu diesem Thema neun Zusatzfragesteller mit insgesamt 17 Zusatzfragen.
Ich rufe dann die Dringlichen Mündlichen Anfragen auf, und zwar zunächst die Frage 1 des Abgeordneten Schlager:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung beabsichtigt, in Ergänzung der von ihr am 18. März 1969 beschlossenen Ausweitung der Einfuhrmöglichkeiten für Waren der gewerblichen Wirtschaft auch die noch bestehenden Interzonenhandelskontingente für Güter der gewerblichen Wirtschaft zu erweitern?
Der Fragesteller ist im Saal. Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Arndt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schlager, die Antwort kann kurz sein: nein, zur Zeit nicht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schlager.
Herr Staatssekretär, ich höre das heute mit außerordentlicher Freude, im Gegensatz zu manchen Gerüchten, die zu mir gedrungen sind. Heißt es, wenn Sie sagen „gegenwärtig nicht", daß die Regierung in absehbarer Zeit — sagen wir einmal, bis zum Frühsommer dieses Jahres — vielleicht doch Intentionen hat, die Einfuhrmöglichkeiten auszuweiten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Zur Zeit nicht" heißt „heute nicht" . Ich kann im Hinblick auf den innerdeutschen Handel keine bindende Aussage über die Veränderung von Interzonenhandelskontingenten für Güter der gewerblichen Wirtschaft — das ist ein Riesenbereich, Herr Kollege Schlager — bis zum Frühsommer machen, weder in dieser noch in jener Form.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schlager.
Aber Ihre Antwort bedeutet, daß die Bundesregierung nicht daran denkt, schon in der nächsten Zeit — etwa bereits nächste Woche — von diesem Instrument Gebrauch zu machen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vor Ostern gewiß nicht, Herr Kollege Schlager.
Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Staratzke.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß mögliche Maßnahmen im Interzonenhandel nicht mit den augenblicklichen Preisstabilisierungsmaßnahmen, die Sie jetzt vorhaben, im Zusammenhang stehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das dürfen Sie, Herr Kollege Staratzke.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Dr. Siemer auf:
Treffen Berichte zu, daß die Bundesregierung hierbei beabsichtigt, diese Einfuhrbeschränkungen sogar bis auf einen ganz geringen Rest aufzuheben?
Der Fragesteller ist nicht im Saal.
— Die Frage wird vom Abgeordneten Schlager übernommen.
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, die Bundesregierung hat diese Absicht nicht.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Siemer auf:
Für welchen Zeitraum sollen diese Erweiterungen getroffen werden?
Die Frage 3 wird ebenfalls vom Abgeordneten Schlager übernommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage 3 ist erledigt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12353
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Dr. Siemer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Befürchtung, daß über eine Liberalisierung des Interzonenhandels eine Möglichkeit geschaffen wird, noch kontingentierte Güter der gewerblichen Wirtschaft der Ostblockstaaten einzuschleusen?
Sie wird von dem Herrn Abgeordneten Schlager übernommen.
Bitte schön, zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Frage kann man hypothetisch beantworten, Herr Präsident. Die Befürchtung kann man haben, aber sie ist nicht realistisch. Durch eine sehr scharfe Kontrolle ist sichergestellt, daß keine Transitwaren über den Interzonenhandel laufen, mit Ausnahme ganz weniger, aber dann auch direkt vereinbarter Produkte. Das Gesamtvolumen dieser Transitgeschäfte beträgt 15 Millionen im Jahr bei gesamten Lieferungen von anderthalb Milliarden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schlager.
Herr Staatssekretär, kann aber diese Befürchtung, die also hinsichtlich der Liberalisierung des Interzonenhandels nicht gegeben ist, nicht aber eine Realität hinsichtlich Jugoslawiens oder Rumäniens sein?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, auch in diesem Falle nicht.
Warum nicht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weil die DDR kein Interesse daran hat, derartige Transitgeschäfte durchzuführen. Hier geht es darum, ob durch eine Lieberalisierung des Interzonenhandels die Möglichkeit geschaffen wird, kontingentierte Güter der gewerblichen Wirtschaft aus osteuropäischen Ländern einzuschleusen, und zwar auf dem Wege über OstBerlin, Leipzig oder Rostock. Diese Befürchtung ist gegenstandslos.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Staratzke.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß im Zusammenhang mit der liberalisierten Einfuhr im innerdeutschen Handel, im Interzonenhandel in großem Ausmaß Umgehungsgeschäfte über andere EWG-Staaten erfolgen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das wird von Zeit zu Zeit behauptet, und wenn das nachgewiesen wird, wird es natürlich auch entsprechend erörtert werden, Herr Kollege Staratzke. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie nähere Unterlagen darüber zur Verfügung stellen könnten.
Noch eine Zusatzfrage.
Darf ich daraus entnehmen, Herr Staatssekretär, daß die Bundesregierung bereit ist, diese Umgehungsgeschäfte, die also an sich innerdeutscher Handel sind, die aber über andere EWG-Staaten betrieben werden, sorgfältig zu überprüfen und zu verhindern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir würden sie zunächst zum Gegenstand von Gesprächen machen, falls sie tatsächlich Nachteile bringen. Nicht alle Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands, die nun aus diesem oder jenem Grunde auch einmal über andere Länder laufen, sind von vornherein negativ zu beurteilen.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Dr. Luda auf:
Gilt für die Erweiterung dieser Einfuhrmöglichkeiten der Beschluß der Bundesregierung, diese Maßnahmen spätestens im Juli auf ihre weitere Notwendigkeit zu überprüfen?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Frage entfällt, Herr Präsident.
Dann rufe ich die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Luda auf:
Inwieweit würde durch diese Liberalisierungsmaßnahmen die am 18. März 1969 beschlossene Ausdehnung der Liberalisierung im Volumen von 500 Millionen DM erweitert werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das kann ich auch hypothetisch nicht beantworten. Da kann man jede Zahl, die man will angeben. Es ist nicht zu schätzen, was passiert, wenn ein Kontingent aufgehoben werden würde.
Keine Zusatzfrage mehr.
Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Schlager auf:
Ist sich die Bundesregierung dessen bewußt, daß mit der weitgehenden Aufhebung der Einfuhrbeschränkungen im Interzonenhandel insbesondere die deutsche Tuchindustrie angesichts der bestehenden erheblichen Preisdifferenzen einem mörderischen Preiskampf ausgesetzt werden würde und damit eine Gefährdung der Arbeitsplätze verbunden ist?
Herr Staatssekretär, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn ich das ebenfalls hypothetisch beantworten darf: Nein, eine weitgehende Aufhebung dieser Einfuhrbeschränkungen würde für die deutsche Textilindustrie sicherlich keinen mörderischen Preiskampf bedeuten.
— Ja, die deutsche Tuchindustrie.
Und Sie würden auch das verneinen?
Metadaten/Kopzeile:
12354 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Hypothetisch würde ich auch hier sagen: nein.
Verzeihen Sie, ist das eine Zusatzfrage gewesen, Herr Kollege Schlager, oder entsteht dort ein Dialog? Entweder Zusatzfrage oder gar nichts!
Herr Präsident, es war nur eine Klärung.
Zu dieser Frage hat der Kollege Dr. Mühlhan noch das Wort zu einer Zusatzfrage erbeten. Bitte sehr!
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß dasselbe auch für die Teppichindustrie gilt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Dr. Schwörer auf:
Inwieweit ist die Bundesregierung bereit, hinsichtlich der bereits beschlossenen Ausdehnung der Einfuhrmöglichkeiten der Erklärung der Fraktion der CDU/CSU Rechnung zu tragen, daß im gegenwärtigen Stadium eine weitere Liberalisierung der Einfuhren vorerst nur die existenzgefährdeten Wirtschaftsbereiche, die ja größtenteils in strukturschwachen Regionen ansässig sind, empfindlich treffen würde und deshalb abgelehnt werden muß?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dr. Schwörer, ich darf mich noch einmal auf das Bulletin des Presse- und Informationsamts beziehen, in dem die Beschlüsse des Kabinetts zur Fortführung der Stabilitätspolitik niedergelegt sind. Darin steht, daß die Bundesregierung zustimmend von der Absicht des Bundesministers für Wirtschaft Kenntnis nimmt, die Einfuhrmöglichkeiten für Waren der gewerblichen Wirtschaft aufzustocken. Das ist implizite eine Antwort auf Ihre Frage. Ich darf noch einmal ergänzen, Herr Kollege Dr. Schwörer: Wer Kontingente will, muß auch gelegentliche Adaptationen wollen.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Schwörer.
Herr Staatssekretär, hat die Regierung hier nicht vor, bestehende Selbstbeschränkungsabkommen aufzuheben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber nicht im Fall der Schirme.
Aber auf dem Textilsektor, z. B. im Fall der Wollpullover?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Im Fall der Wollpullover haben wir festgestellt, daß die Möglichkeiten des Selbstbeschränkungsabkommens im letzten Jahre nur zu einem Bruchteil genutzt worden sind, daß es sich also praktisch nur um eine Selbstbeschränkung pro forma handelt. Die deutsche Pulloverindustrie ist inzwischen so wettbewerbsfähig geworden, daß von den Import-Chancen gar kein Gebrauch gemacht wird.
Zu einer weiteren Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Schwörer.
Muß man nicht damit rechnen, Herr Staatssekretär, daß dieses Abkommen zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht doch für die deutsche Textilindustrie von Bedeutung sein kann, vor allem für die Industriezweige, die sich in Umstrukturierungsphasen befinden und deshalb einem Wettbewerb aus diesem Raum, wo die Bedingungen völlig anders sind als bei uns, nicht schutzlos ausgesetzt werden dürfen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schwörer, in einem derartigen Fall würde man es wieder neu abzuschließen suchen.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Hammans.
Herr Staatssekretär Arndt, trifft es zu, daß von der Liberalisierung auch die freiwillige Selbstbeschränkung bei Einfuhren von Kleinmosaik aus Japan betroffen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dieses Abkommen läuft sowieso aus, Herr Kollege Hammans.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Brand.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß, wenn die Voraussetzungen, unter denen Einfuhren beschränkt wurden, vor wie nach bestehen, kein Grund ersichtlich ist, sie aufzuheben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu den Voraussetzungen gehört die allgemeine Wirtschaftslage, gehört die Produktivität, die die betreffenden Wirtschaftszweige inzwischen erreicht haben, gehört ein allgemein gestiegener Warenaustausch in der Welt. Insofern darf ich sagen, Herr Kollege Brand, daß sich die Voraussetzungen laufend wandeln. Sie haben sich in erfreulicher Richtung gewandelt. Aus diesem Grunde hat die Bundesregierung gewisse, sehr beschränkte Anpassungen für wichtig gehalten.
Zu einer weiteren Zusatzfrage der Abgeordnete Brand.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12355
Glauben Sie, daß sich diese Voraussetzungen auch bei der deutschen Schirmindustrie gewandelt haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein. Da wird auch nichts geändert, Herr Kollege Brand.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Fritsch.
— Verzeihung, Herr Kollege Brand, Sie hatten bereits zwei Zusatzfragen. Eine dritte bekommen Sie nicht. Es gibt nur zwei.
Herr Staatssekretär, da in der Frage 8 danach gefragt ist, welche Auswirkungen diese Liberalisierung auf die wirtschaftsschwachen Räume haben könnte, und ihre Antwort von vorhin im Raum steht, daß die Arbeitsplätze dadurch nicht gefährdet werden, würde es da die Bundesregierung nicht für sinnvoll halten, einer möglichen Unruhe, die in den betroffenen Räumen entstehen könnte, mit geeigneten Mitteln bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern entgegenzuwirken?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Fritsch, wir sind gern bereit über .das hinaus, was bereits getan worden ist, noch mehr an Information zu tun. Aber von Liberalisierung hat niemand in der Bundesregierung gesprochen. Das ist ein Begriff, der in der öffentlichen Diskussion verwendet worden ist, der aber das Problem leider nur verstellt.
Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Schlager.
Herr Staatssekretär, ich darf davon ausgehen, daß die Kontingenterweiterungen sich in erster Linie auf die Schuhindustrie, die Industrie Steine und Erden, die Textilindustrie sowie die keramische und Porzellanindustrie beziehen. Können Sie mir sagen, auf Grund welcher Preisentwicklung Sie es für gerechtfertigt halten, jetzt schon daran zu denken, auch in Ansehung dieser in ihrer Existenz sehr gefährdeten Wirtschaftsbereiche Dämpfungsmaßnahmen einzuleiten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Granitindustrie habe ich die Daten nicht parat. Im übrigen liegt in allen von Ihnen genannten Industriezweigen die Entwicklung der Erzeugerpreise, auf Jahresfrist gerechnet, weit oberhalb des Durchschnitts der gesamten Industrie.
Als zweites möchte ich sagen, daß die von Ihnen genannten Zweige nur einen Ausschnitt aus dem kontingentierten Bereich liefern. Es gibt auch Kontingentierungen bei Mineralölerzeugnissen, es gibt Kontingentierungen bei NE-Metallen, es gibt Kontingentierungen auf vielen Gebieten, wo man sich fragt, was sie eigentlich zu bedeuten haben.
Zu einer weiteren Zusatzfrage der Abgeordnete Schlager.
Herr Staatssekretär, muß man nicht bei den von Ihnen in Betracht gezogenen Preisbewegungen auf den von uns zitierten Industriebereichen davon ausgehen, daß es sich hier um eine Erholungsphase in der Preisbildung handelt, die nur von Vorteil sein kann und durch die diese Industrie dann auch in die Lage versetzt wird, in Zukunft ihre technische Anpassung zu verbessern und damit ihre Wettbewerbskraft zu stärken?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schlager, das Argument, daß man wieder die Preise wie vor der Rezession haben möchte, heißt praktisch, man möchte die Preise der Hochkonjunktur haben. Das ist mit dem Gebot der Preisstabilität, unter dem wir alle stehen, nicht zu vereinbaren.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Staratzke.
Herr Staatssekretär, um noch einmal auf diese Selbstbeschränkungen zurückzukommen: Sind Sie nicht der Meinung, daß die mangelnde Ausnutzung von Selbstbeschränkungen im Augenblick daran liegt, daß der deutsche Markt eine schwere Rezession hatte und daß der Einkauf auch aus diesen Ländern im Augenblick noch relativ gering ist, was in gar keiner Weise bedeutet, daß diese Selbstbeschränkungen in der Zukunft nicht wieder ausgenutzt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Informationen, Herr Kollege Staratzke, lassen dieses Urteil gerade für diesen Fall nicht zu. Aber ich bin gern bereit, das mit Ihnen an geeigneter Stelle zu besprechen. Im zweiten Halbjahr 1968 war die Textil- und Bekleidungseinfuhr generell bereits wieder recht kräftig im Gang, und die Kaufkraft der Bevölkerung lag auch nicht mehr darnieder, wenn ich das einmal vorsichtig so ausdrücken darf, und dennoch sind die Selbstbestimmungsgrenzen bei weitem nicht ausgenutzt worden.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Staratzke.
Sind Sie bereit, Herr Staatssekretär, die Frage der Aufhebung der Selbstbeschränkungen erst dann aufzugreifen, wenn wir Klarheit darüber haben, wohin die Reise hier im deutschen Markt geht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Staratzke, vielleicht darf ich Ihnen — ich glaube, ich habe Ihre Frage voll erfaßt — darauf — —
Darf ich anschließen: um etwas, was handelspolitisch — —
Metadaten/Kopzeile:
12356 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Verzeihung, Herr Kollege Staratzke, wollen Sie Ihre Frage noch einmal erläutern? Die Frage haben Sie doch schon gestellt.
Hier ist der Strom ausgegangen, und der zweite Teil der Frage war untergegangen.
Nein, Sie waren fertig mit Ihrer Frage. Aber wenn Sie es nicht ganz mitgehört haben, darf ich bitten, die Frage zu wiederholen.
Meine Frage ging dahin, ob es nicht sinnvoller ist, das handelspolitische Instrument von Selbstbeschränkungen erst dann aufzugeben, wenn man sieht, wie der Markt hier in Deutschland reagiert, und wenn diese Selbstbeschränkungen in späteren Zeiten möglicherweise nicht mehr ausgenutzt werden, mit anderen Worten, daß man vorsichtiger operiert und nicht gleich alles wieder kaputtmacht, was man handelspolitisch aufgebaut hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Staratzke, von allen handelspolitischen Instrumenten ist das der Selbstbeschränkung das bei weitem schlechteste. Wir haben damit keine gute Erfahrung gemacht, in keinem Fall, und wir wären sehr froh, wenn wir. von diesen Instrumenten wieder wegkommen könnten. Im Fall der Schirmindustrie ist es nicht möglich, das ist klar.
Zu einer Zusatzfrage Abgeordneter Hofmann .
Herr Staatssekretär, ist es richtig, aus all Ihren Antworten zu entnehmen, daß die Bundesregierung nicht im Sinn hat, Bedingungen zu schaffen, die die Arbeitsplätze gefährden könnten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das wäre den Zielsetzungen der Bundesregierung diametral entgegengesetzt und würde dem Gebot des Stabilitäts-
und Wachstums-Gesetzes widersprechen. Das kann nie beabsichtigt sein. Sie können völlig beruhigt sein, Herr Kollege.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Dr. Schwörer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussichten, daß die Billigpreiseinfuhren in Form von Preisermäßigungen bis zum Verbraucher durchschlagen?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Aussichten beurteilt die Bundesregierung gut. Aber das ist, wie gesagt, nur im Rahmen der Kontingenterhöhung eine reale Frage.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schwörer.
Haben Sie nicht die Sorge, Herr Staatssekretär, daß die Ermäßigungen, die dadurch eventuell eintreten könnten, in einem Bereich hängenbleiben, wo der Verbraucher nichts davon verspürt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schwörer, Anhänger der Preisbindung zweiter Hand würden in diesem Falle darauf verweisen, daß hier eine Mischkalkulation gemacht wird, also das, was hier nicht gesenkt würde, an einer anderen Stelle gesenkt wird. Ich bin nun kein Anhänger dieser Preisbindung. Wir haben aber festgestellt, daß in der Regel billigere Einkaufspreise tatsächlich auch zu billigeren Verkaufspreisen geführt haben.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Schwörer.
Könnte nicht die Gefahr eintreten, daß der Wirtschaftszweig, der in manchen Gebieten mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer beschäftigt, nämlich die Textilindustrie, durch eine solche Änderung, die Sie jetzt vornehmen — a) Wegfall der Selbstbeschränkungsabkommen, b) Aufstockung der Kontingente —, in seinen Möglichkeiten, sich umzustrukturieren, gefährdet und behindert wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schwörer, das sehen wir nicht. Die deutsche Textilindustrie ist zwar im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen relativ geschützt. Im Vergleich zu den Textilindustrien anderer Länder ist sie aber relativ stark der Einfuhr ausgesetzt. Aber das ist der deutschen Textilindustrie hervorragend bekommen. Sie hat sich außerordentlich modernisieren können; sie ist eine der wettbewerbsfähigsten in der Welt. Auch nach dem Absicherungsgesetz sind die Exportaufträge an die deutsche Textilindustrie in starkem Steigen. Einen schöneren Erfolg kann man sich nicht denken. Ich bitte noch einmal, ohne mich wiederholen zu wollen, darauf verweisen zu dürfen, diese Maßnahmen werden so dosiert sein, daß es keine Gefährdung gibt. Aber wenn man bei Kontingenten anpaßt und anpassen muß, ist jetzt bestimmt eine günstige Gelegenheit vorhanden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schlager.
Herr Staatssekretär, im Hinblick darauf, daß es nach einer Rede des Herrn Bundeswirtschaftsministers vordringlich ist, vor allem das Schwergewicht der Wirtschaftspolitik auf die in unserem Land entwicklungsfähigsten Wirtschaftszweige zu legen, darf ich Sie fragen, ob sich nicht die Regierung jetzt mit ihren Kontingenterweiterungen eigentlich dem Verdacht aussetzt, daß sie zwar
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12357
Schlagervon Konjunkturdämpfung spricht, im Grunde aber Osthandelspolitik oder die Fortsetzung einer liberalen Wirtschaftspolitik meint, jedoch zu Lasten der in ihrer Existenz gefährdeten Wirtschaftsbereiche.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schlager, der Bundeswirtschaftsminister würde sicherlich gegen das Etikett „Fortsetzung einer liberalen Wirtschaftspolitik" gar nichts einzuwenden haben.
Aber das ist nicht das Problem. Das, was Sie zitieren, ist, wenn ich mich recht erinnere, eine Wendung aus der Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966, wo es darum ging, zu betonen, daß wir in Zukunft mehr für die Wirtschaftszweige und Tätigkeiten, auf denen die Zukunft dieses Volkes einmal ruhen wird, verwenden, an Stelle der Zahlung von Erhaltungs-Subventionen. Dennoch ist es klar, daß wir auch etwas für eine allmähliche Anpassung tun müssen. Das beste Beispiel. ist die Kohle, wo entsprechend verfahren wird. Auch die Textilindustrie hat eine gute Entwicklung genommen und braucht den internationalen Wettbewerb nicht zu scheuen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schlager.
Herr Staatssekretär, ist der Verdacht nicht doch etwas begründet im Hinblick darauf, daß es während der Rezession gerade noch gelungen ist, weitere Kontingenterweiterungen zu verhindern? Ich darf auf das Frage- und Antwortspiel in den letzten zwei Jahren in diesem Hause verweisen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Schlager, es gibt natürlich in der Bundesregierung vom Ressort her verschiedene Auffassungen über gegebene Situationen. Das gibt es; das ist selbstverständlich der Fall. Das Wirtschaftsministerium war in der damaligen Zeit nicht für eine Veränderung von Kontingenten, und ich glaube, wir waren dabei gut beraten.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Staratzke. Darf ich aber darauf aufmerksam machen, daß noch ein großes Bündel von Fragen vorliegt, die von anderen Kollegen gestellt worden sind, die eine Beantwortung erwarten. Ich bitte, die Zusatzfragen zu beschränken; sonst kommen wir nicht mehr von der Stelle. — Herr Kollege Staratzke zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich habe nur noch die Frage zu stellen: Wie vereinbart es sich, daß die Bundesregierung auf der einen Seite gerade den hier genannten betroffenen Wirtschaftszweigen Strukturhilfen und Anpassungshilfen im Rahmen der Beträge aus dem Absicherungsgesetz geben wollte und noch will und auf der anderen Seite solche harten Maßnahmen wie die Erhöhung der Einfuhren aus Staatshandelsländern und Niedrigpreisländern ergreifen will?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Staratzke, ich glaube, Sie hatten das in einer der letzten Fragestunden schon einmal gefragt. Die Antwort ist, daß während der Diskussion und Beschlußfassung über das Absicherungsgesetz weder die Wirkungen dieses Gesetzes voll zu übersehen waren noch die Weiterentwicklung der internationalen Angebots- und Nachfragesituation zu antizipieren war. Man mußte von Annahmen ausgehen. Diese Annahmen mußten sich natürlich auf das Schlimmste beziehen. Es war darum nur selbstverständlich, daß man ein derartiges Absicherungsprogramm in Höhe der Differenz von Einnahmen und Ausgaben konzipierte. Das ist auch vom Hohen Hause verschiedentlich gefordert worden. In dem Maße, wie sich herausstellte, daß es in diesem oder jenem Fall nicht nötig ist, zu einer derartigen Absicherung der Umstellung zu kommen, ist es selbstverständlich durchaus angebracht, dieses Geld der allgemeinen Verfügungssperre zu unterwerfen. Das war ja auch Beschluß des Bundeskabinetts am selben Tage, dem 18. März.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Wagner auf:
Teilt die Bundesregierung die Befürchtungen der durch die Importmaßnahmen betroffenen Wirtschaftskreise, daß die Importe auf Teilmärkte stoßen, auf denen noch keine Überhitzungserscheinungen zu beobachten sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, die Bundesregierung teilt diese Befürchtungen nicht.
Zusatzfragen werden nicht gestellt. Frage 85 aus der Drucksache V/4020, die von dem Abgeordneten Weigl gestellt ist:
Ist die Bundesregierung bereit, die Förderung der Erschließung von Industriegelände aus dem Regionalen Förderungsprogramm des Bundes auszuweiten auf die Förderung der Erschließung von Siedlungsgelände, falls die Industrieansiedlung von Wohnungsneubauten für Fachkräfte abhängig ist?
Die Frage wird im Einverständnis mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Frage 86 des Abgeordneten Dr. Hammans:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Harmonisierung der regionalwirtschaftlichen Entwicklung in den Mitgliedstaaten der EWG gegenwärtig in Frage gestellt wird durch die unterschiedliche und nach wie vor im Steigen begriffene Höhe der Beihilfen einerseits und durch die schwer durchschaubare Kumulierung der verschiedenen Beihilfen einschließlich kommunaler Infrastrukturbeihilfen andererseits?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, vielleicht darf ich die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten zusammen beantworten.
Metadaten/Kopzeile:
12358 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Keine Bedenken. Ich rufe auch die Frage 87 des Abgeordneten Dr. Hammans auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um einer solchen Eskalation der regionalen Förderungsmaßnahmen entgegenzuwirken?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur ersten Frage: Ja, dies ist der Bundesregierung bekannt. Sie bedauert die in den letzten Jahren zu beobachtende Steigerung und Kumulierung der Beihilfen in den Mitgliedstaaten.
Zur zweiten Frage: Die Bundesrepublik versucht, durch eine maßvolle Beihilfenpolitik von sich aus keinen Anlaß für eine weitere Eskalation der Beihilfen in den anderen Mitgliedstaaten 2u geben. Sie hofft darüber hinaus auf eine baldige Initiative der Kommission zur Beschränkung übersteigerter Beihilfen.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Hammans.
Herr Staatssekretär, um vergleichen zu können, wäre es gut, wenn Sie uns sagen könnten, in welcher Höhe in den einzelnen Mitgliedstaaten Beihilfen gewährt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Beihilfen werden mitunter in der Höhe bis zu 60 % gewährt, in unmittelbaren Anrainerstaaten zu 35 und 25 %. Allerdings muß ich dazu sagen, daß der Gesamtumfang der Beihilfe, die jeweils gewährt wird, in keiner Weise geklärt ist. Das gilt auch für die Bundesrepublik Deutschland, wo wir nicht übersehen, was die einzelnen Gemeinden bei Industrieansiedlung von sich aus tun.
Zu einer zweiten Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Hammans.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, dieses Problem im Ministerrat zur Sprache zu bringen und nicht darauf zu warten, daß irgend jemand es zur Sprache bringt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Ausschuß für mittelfristige Wirtschaftspolitik hat sich in seinem zweiten Programm auch damit beschäftigt. Der Ministerrat hat dieses Programm wie das erste Programm gebilligt. Es wäre jetzt notwendig, daß man zur gegenseitigen Berichterstattung über die tatsächlichen Beihilfen kommt, damit transparent wird, was in welchen Gebieten gemacht wird. Erst dann kann eine sinnvolle Diskussion einsetzen.
Ich rufe die Frage 88 des Abgeordneten Felder auf:
Teilt die Bundesregierung die in maßgebenden Presseorganen vertretene Meinung, die europäische Luftfahrtindustrie werde hinsichtlich ihres Airbus-Projektes in noch größere Schwierigkeiten geraten, weil nun auch plötzlich die amerikanischen Flugzeugwerke Boeing Company mit ihrem Airbus-Projekt B-767 in eine offenbar vorhandene Marktlücke gestoßen sind?
Sie wird vom Abgeordneten Dr. Apel übernommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Herr Kollege. Bei ihrem Beschluß ist die Bundesregierung davon ausgegangen, daß der europäische Airbus auf die Konkurrenz anderer Anbieter stoßen wird -und nur einen Teil des vorhandenen Bedarfs an Flugzeugen dieser Art decken kann. Aber auch unter dieser Voraussetzung sind die Marktaussichten gut.
Im übrigen hat die Firma Boeing wohl noch keine Entscheidung über eine Inangriffnahme ihres Vorhabens gefällt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt .
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Lufthansa, falls sie auf Veranlassung der Bundesregierung eine größere Anzahl Airbusse bestellt, bei ungenügender Rentabilität dieses Flugzeugtyps mit einer Ausgleichsbereitschaft des Bundes rechnen kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich bitte um die Erlaubnis, zunächst die Antwort auf die Frage 89 des Herrn Kollegen Dr. Apel geben zu dürfen.
Dann rufe ich also die Frage 89 des Abgeordneten Dr. Apel auf:
Will die Bundesregierung, wie es Pressemeldungen behaupten, die Absatzchancen des Airbus dadurch verbessern, daß sie zu gegebener Zeit direkt in die Materialpolitik der Deutschen Lufthansa eingreift, um sie zur Abnahme einer größeren Zahl dieses Flugzeugtyps zu veranlassen?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung, Herr Kollege, geht davon aus, daß die Deutsche Lufthansa entsprechend ihrem tatsächlichen Bedarf eine größere Anzahl des europäischen Airbus kaufen wird. Eine solche Abnahmebereitschaft hat die Deutsche Lufthansa mehrfach bestätigt. Sie ist ja, wie Sie wissen, als Aktiengesellschaft nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu leiten.
Die Bundesregierung wird deshalb zu gegebener Zeit die Gespräche über eine mögliche Abnahme des Airbus mit dem Vorstand der Deutschen Lufthansa fortführen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Apel.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Deutsche Lufthansa für 1975 plant, fünf Airbus-Maschinen zu kaufen, und daß sie zur Zeit überhaupt keine Chance sieht, mehr als diese fünf zu verwenden? Sind Sie der Meinung, daß die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12359
Dr. ApelAbnahme von fünf Flugzeugen aus dem Programm von 400, die Sie verkaufen wollen, ausreicht, um den Airbus konkurrenzfähig zu machen und damit die Kosten wieder hereinzubringen?
Das waren bereits zwei Fragen.
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich teile Ihre Auffassung, daß die Abnahme von fünf Flugzeugen für dieses Projekt sicherlich nicht ausreicht, auch wenn man berücksichtigte, daß vielleicht andere Fluggesellschaften in anderen Ländern bereits jetzt die Absicht haben, mehr davon zu erwerben. Aber das hat eben Gegenstand der Gespräche der Bundesregierung mit der Deutschen Lufthansa zu sein. Ich nehme an, „zu gegebener Zeit" wird „alsbald" sein müssen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt .
Herr Staatssekretär, ich möchte die Frage, die ich vorhin gestellt habe, noch einmal wiederholen.
Jawohl, sie gehört dazu.
Darf ich Ihren Antworten entnehmen, daß die Lufthansa, falls sie auf Veranlassung der Bundesregierung eine größere Anzahl Airbusse bestellt, bei ungenügender Rentabilität derselben mit einer Ausgleichsbereitschaft des Bundes rechnen kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schmidt, die Bundesregierung wird die Deutsche Lufthansa nicht veranlassen wollen, sich so oder so zu verhalten. Denn dann würde sich die Deutsche Lufthansa oder jedenfalls ihr Vorstand sich möglicherweise nicht so verhalten, wie es das Aktiengesetz vorschreibt. Hier muß es eine Reihe von Gesprächen, geduldig geführten Gesprächen, geben, in denen das Für und Wider so lange abgeklärt wird, bis per Saldo ein Für herauskommt. Über Einzelheiten dieser Gespräche kann jetzt natürlich noch nichts mitgeteilt werden.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt .
Darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß sich die Lufthansa hier frei entscheiden kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie kann sich frei entscheiden, und die Bundesregierung hat nicht die Absicht, neben der Produktion und Entwicklung des Airbus auch noch den Verkauf des Airbus zu subventionieren.
Ich rufe die Frage 90 des Abgeordneten Dr. Apel auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die westdeutschen Abnehmer niederländischen Erdgases gegenüber den Verbrauchern in den Niederlanden entgegen den Bestimmungen des EWG- Vertrages preislich diskriminiert werden, indem die importierenden deutschen Ferngasgesellschaften stark überhöhte Abnahmepreise bezahlen müssen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte meine Antworten auf die beiden Fragen des Herrn Kollegen Dr. Apel zusammenziehen zu dürfen.
Keine Bedenken! — Dann rufe ich noch die Frage 91 des Abgeordneten Dr. Apel auf:
Ist die Bundesregierung bereit, mit der niederländischen Regierung in Verhandlungen einzutreten, um dieser erhebliche Wettbewerbsverzerrungen auslösenden Diskriminierung ein Ende zu bereiten?
Bitte schön!
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft Der Bundesregierung ist bekannt, daß die deutschen Abnehmer niederländischen Erdgases höhere Preise bezahlen müssen als vergleichbare Abnehmer in den Niederlanden. Sie hat deshalb seit Anfang 1968 an den richtigen Stellen auf die Notwendigkeit von Preissenkungen für das niederländische Erdgas hingewiesen. Auch die EWG-Kommission untersucht, inwieweit die niederländischen Erdgaspreise mit dem EWG-Vertrag vereinbar sind.
Zum 1. Oktober 1968 haben nun die niederländischen Lieferanten die Erdgaspreise erfreulicherweise gesenkt, und zwar um 5 %. Trotzdem scheint nach wie vor ein erheblicher Unterschied zwischen den Preisen für ausländische und für inländische Abnehmer — von den Niederlanden aus gesehen — vorhanden zu sein. In dieser Woche wird der Fragenkomplex deshalb mit der Regierung in Den Haag erneut erörtert werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Apel.
Herr Staatssekretär, können Sie Berechnungen bestätigen, nach denen die Diskriminierung deutscher Erdgasabnehmer in den Niederlanden zwischen 35 und 55 % ausmacht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dieser Prozentsatz wird ganz sicher zu hoch sein. Gewisse offiziös, wenn ich das einmal so sagen darf, vorgenommene Schätzungen kommen auf 20 %. Wir sind dabei, diese Schätzungen zu überprüfen.Vielleicht darf ich in diesem Zusammenhang auch noch sagen: Zu dieser 5%igen Senkung der Erdgaspreise durch die niederländischen Lieferanten ist ja auch noch die 4%ige Importsubvention auf Grund des Absicherungsgesetzes gekommen. Soviel
Metadaten/Kopzeile:
12360 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndtwir ermitteln konnten, haben die Verteilergesellschaften diese beiden Preisermäßigungen weitergegeben.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Dr. Apel.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die niederländische Regierung diese Preisdiskriminierung zielbewußt einsetzt, um Industrieansiedlungsprojekte zu ihren Gunsten zu beeinflussen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das gilt nur für einen . kleinen Teil ihres eigenen Erdgases. Die Niederländer haben, abgesehen von dem generellen Preis, einen speziellen Preis für wichtige regionalpolitische Maßnahmen. Ich darf bekennen, Herr Dr. Apel, daß dieser Teil die deutsche Bundesregierung nicht so stört. Uns stört die Differenz zwischen dem generellen Preis für die niederländischen Abnehmer und dem generellen Preis für die deutschen Abnehmer.
Eine dritte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Apel.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Niederländer eindeutig gegen entsprechende Bestimmungen des EWG-Vertrages, insbesondere gegen die Art. 85, 86 und auch 37, verstoßen haben, und sind Sie nicht der Meinung, daß die Bundesregierung verpflichtet ist, stärker als bisher auch in Brüssel vorstellig zu werden, um die Sache voranzubringen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Apel, die EWG-Kommission prüft, inwieweit die rechtlichen Bestimmungen verletzt sein könnten. Die Bundesregierung ihrerseits hält aber sehr viel von gleichzeitigen bilateralen Verhandlungen, die ja auch schon zu einer Preissenkung geführt haben. Uns kommt es weniger auf den Streit als auf eine Preisanpassung an.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 92 des Abgeordneten Dr. Müller auf:
Ist es richtig, daß das vom Gremium des Generalkommissars für den deutschen Beitrag zur Weltausstellung in Osaka bereits im Sommer 1968 ausgearbeitete und im September gutgeheißene Programm für die kulturelle Selbstdarstellung der Bundesrepublik Deutschland seit Oktober von dem zu diesem Zweck gebildeten interministeriellen Ausschuß nicht mehr weiter verfolgt wurde, obwohl sich die Bundesregierung darüber im klaren sein müßte, daß ein solches Programm, das vom 1. März 1970 an sechs Monate täglich von morgens bis abends das Interesse der Welt ansprechen soll, in nunmehr einem Jahr kaum mehr erprobt und fertigentwickelt werden kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darf ich die Frage 93 gleich mit beantworten?
Bestehen Bedenken? — Keine Bedenken. Ich rufe also noch die Frage 93 des Herrn Abgeordneten Dr. Müller auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß wesentlich kleinere Länder als die Bundesrepublik Deutschland nicht nur sehr viel mehr Geld, sondern vor allem für ihre Programmvorbereitung über zwei Jahre aufwenden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dr. Müller, die deutsche Beteiligung an der Weltausstellung in Osaka wird in den Bereichen Deutschland-Information, Industrie und Kultur ihren Schwerpunkt haben. Auf der Grundlage dieses Konzepts wurde ein Programm entwickelt, das neue Formen der Bühnen- und Filmtechnik verwenden will. Dieses Programm wird laufend verbessert und mit neuen Akzenten versehen. Es ist also nicht richtig, daß irgendein Programm aufgegeben wurde, um durch ein völlig neues ersetzt zu werden.
Die Vorbereitungen werden mit großer Intensität vorangetrieben. Die Bundesregierung sieht daher hinsichtlich der rechtzeitigen Fertigstellung keinen Anlaß zur Besorgnis. Sie hat auch nicht feststellen können, daß die finanziellen Aufwendungen kleinerer Länder über dem von der Bundesregierung für. diesen Zweck vorgesehenen Betrag von 33 Millionen DM liegen. Im Gegenteil, sie sind ausnahmslos niedriger. Allerdings muß die Bundesregierung bei der Vorbereitung des deutschen Ausstellungsbeitrags die Mittel sehr sparsam und geschickt verwenden. Wieviel Zeit sich andere Länder zur Vorbereitung auf die Weltausstellung nehmen konnten, ist der Bundesregierung leider nicht bekannt.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Müller .
Herr Staatssekretär, welche konkreten Konsequenzen hat die Bundesrepublik aus dem — sagen wir einmal — mäßigen Abschneiden auf der letzten Weltausstellung gezogen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie hat die Konsequenz gezogen, ein gemeinsames Programm für diese von mir genannten drei Schwerpunkte zu erstellen; sie hat engsten Kontakt mit den Ausschüssen des Deutschen Bundestages gesucht; sie hat einen Generalkommissar bestellt; sie hat es mit Einverständnis des Hohen Hauses auch erreicht, daß der ursprünglich sehr sparsame Betrag von 30 Millionen DM auf 33 Millionen DM aufgestockt wurde. Außerdem hat sie für die künstlerische Betreuung erste Fachkräfte gewinnen können, so daß es nach menschlichem Ermessen gutgehen müßte.
Eine weitere Zusatzfrage Herr Dr. Müller .
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Rücksicht darauf genommen, daß es sich bei einer solchen Weltausstellung nicht um einen ausgewählten Strom intellek-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12361
Dr. Müller
tueller Besucher handelt, sondern daß es in erster Linie auf eine Massenwirkung und auf einen Massenbesuch ankommt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darauf ist Rücksicht genommen worden. Einer der drei Schwerpunkte ist die Industrie, also etwas, was möglichst viele ansprechen soll. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf kulturellem Gebiet. Der dritte Schwerpunkt ist die Deutschland-Information. Es muß jedem etwas in der Sache und auch in der Qualität des Gewollten geboten werden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe dann die Frage 94 des Abgeordneten Richter auf:
Ist die Bundesregierung bereit, in Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsministerium in Baden-Württemberg zu prüfen, ob innerhalb der strukturschwachen Kreise Buchen und Tauberbischofsheim weitere zentrale Gemeinden wie Wertheim, Lauda, Freudenberg, Königshofen, Külsheim, Grünsfeld, Boxberg, Schweigern, Walldürn, Osterburken, Adelsheim, Seckach, HardheimHöfingen, Mudau und andere Gemeinden Bundesausbauorte außerhalb des Zonenrandgebietes und der Bundesausbaugebiete werden konnen?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs des Bundesministers für Wirtschaft vom 26. März 1969 lautet:
Ich bestätige Ihnen gern, daß die Bundesregierung selbstverständlich bereit ist, jeden Vorschlag eines Bundeslandes zu prufen — aber das Vorschlagsrecht für neue Bundesausbauorte haben die Länder. Vor einem Vorschlag sind alle in Betracht kommenden Landesbehörden zu konsultieren. Es können nur Orte vorgeschlagen werden, die eine Reihe von Anforderungen in ihrer Infrastruktur erfüllen. Sie müssen ferner von der Landesplanung als „Zentraler Ort" anerkannt worden sein, also als Standort fur Industriebetriebe verschiedener Art geeignet sein.
Der Interministerielle Ausschuß für regionale Wirtschaftspolitik — eine Bundesinstitution — entscheidet dann über diese Vorschläge.
Ich rufe die Fragen 95, 96 und 97 des Abgeordneten Biechele auf:
Wieviel regionale Aktionsprogramme für die Bundesfördergebiete werden voraussichtlich für das Jahr 1969 aufgestellt ?
Wird im Zusammenhang mit der Planung dieser Aktionsprogramme die bisherige Konzeption der Bundesfördergebiete überprüft?
Ergeben sich im Zusammenhang mit der Neugliederung der Bundesfördergebiete nach Förderungsräumen neue Aspekte der Förderung?
Der Fragesteller hat sich ebenfalls mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs des Bundesministers für Wirtschaft vom 26. März 1969 lautet:
Im Jahre 1969 werden voraussichtlich 11 Regionale Aktionsprogramme aufgestellt. Dabei handelt es sich um Programme für folgende Aktionsräume: Eifel/Hunsrück , Schleswig/Dithmarschen (Verabschiedung steht unmittelbar bevor), Holstein, Niedersächsisches Zonenrandgebiet, Nord-West-Niedersachsen, Nordhessen, Ostbayern, Oberfränkisches Zonenrandgebiet, Unterfranken, übrige bayerische Fördergebiete, Saar/Westpfalz.
Die als Bundesausbaugebiete anerkannten Landkreise in Nordrhein-Westfalen werden mit dem Eifel-Hunsrück-Programm oder mit dem Nordhessen-Programm (Düren, Warburg) und in Baden-Württemberg mit dem Programm für die übrigen bayerischen Fördergebiete (Mergentheim, Crailsheim) vereinigt.
An eine Änderung der bisherigen Konzeption der Bundesfördergebiete wird nicht gedacht. Die Aktionsräume stellen nur eine besondere Gliederung aller Stadt- und Landkreise dar, die bereits als Zonenrandgebiet oder Bundesausbaugebiet anerkannt sind.
Eine neue Abgrenzung sämtlicher Fördergebiete wird voraussichtlich erst erfolgen, wenn das Gesetz für die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" in Kraft getreten ist.
Mit der Entwicklung regionaler Aktionsprogramme verfolgt die Bundesregierung das Ziel, die Effizienz der regionalen Wirtschaftsförderung noch zu erhöhen. Sie sind besonders geeignet,
— die Gesamtheit der Förderungsmaßnahmen und ihr Zusammenspiel für jedes Gebiet transparent zu machen,
— den Unternehmern eine bessere Übersicht über die Standortbedingungen und damit zusätzliche Investitionsanreize zu geben,
— Unterlagen für die Berücksichtigung eines begründeten Mehrbedarfs an öffentlichen Mitteln innerhalb der mehrjährigen Finanzplanung zu liefern,
— strukturpolitisch wichtige Investitionsvorhaben zu bezeichnen, die im Rahmen konjunkturpolitischer Programme bevorzugt gefördert bzw. von konjunkturdämpfenden Maßnahmen soweit möglich ausgenommen werden,
— durch Vergleichbarkeit der Maßnahmen und Erfolge in den einzelnen Fördergebieten den Wettbewerb zwischen den Regionen anzuregen.
Regionale Aktionsprogramme werden für 5 Jahre aufgestellt und, wie die mehrjährige Finanzplanung, jährlich fortgeschrieben. Sämtliche regionalpolitischen Hilfen des Bundes und der Länder werden darin verbindlich festgelegt.
Ich rufe nun die Frage 108 des Abgeordneten Zebisch aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf:
Kann die Bundesregierung dem Vorschlag der Industrie- und Handelskammer Regensburg folgen, in Zukunft bei der Berechnung der Schwellenwerte alle Frachthilfen zusammenzurechnen?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs des Bundesministers für Wirtschaft vom 27. März 1969 lautet:
Die Bundesregierung kann sich zu ihrem Bedauern den Vorschlag nicht zu eigen machen:
Bei der Festlegung der Mindestgrenze für die Auszahlung von Frachthilfen konnten nur Frachthilfe-Arten anerkannt werden, die es im gesamten Zonenrandgebiet gibt. Die sogenannte „Erweiterte Kohlenfrachthilfe" wird dagegen nur für den bayerischen Teil gewährt. Unter diesen Umständen würde eine Ausnahme zu einer Differenzierung innerhalb des Zonenrandgebiets führen, die die verantwortlichen Stellen der vier Bundesländer und des Bundes nicht für zweckmäßig halten.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung.
Wir kommen dann zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesschatzministers. Die Frage 47 des Abgeordneten Cramer ist im Zusammenhang mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen zu beantworten.
Ich rufe die Frage 48 des Abgeordneten Diekmann auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in Schleswig-Holstein Empörung herrscht, weil die Bundesvermögensverwaltung den Verkauf der im Kriege vom Deutschen Reich für Ausgebombte aus Kiel errichteten Holzhäuser, sogenannter Finnenhäuser, betreibt?
Der Abgeordnete ist im Saal.
Schmücker, Bundesschatzminister: Herr Präsident, darf ich die drei Fragen des Abgeordneten Diekmann im Zusammenhang beantworten?
Keine Bedenken. Dann rufe ich auch noch die Fragen 49 und 50 des Abgeordneten Diekmann auf:Hält es die Bundesregierung für richtig, daß der Kaufwert nach dem Erhaltungszustand festgesetzt wird, obwohl die Mieter selbst auf eigene Kosten die ursprünglich primitiven Häuser hergerichtet haben, und hält sie die Steigerung des Quadratmeterpreises für die Grundstücke von ursprünglich 5 DM bis 6 DM je Quadratmeter auf jetzt 14 DM bis 25 DM für vertretbar?
Metadaten/Kopzeile:
12362 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Präsident von HasselWie läßt sich die Absicht der Bundesregierung, durch das Städtebauförderungsgesetz bei Erneuerung und Entwicklung der Gemeinden den Bodenpreis unter Kontrolle zu bekommen, mit der Praxis der Bundesvermögensverwaltung vereinbaren, hohere Grundstückspreise zu verlangen?Bitte schön!Schmücker, Bundesschatzminister: Der Bundesregierung, Herr Kollege Diekmann, ist nicht bekannt, daß in Schleswig-Holstein Empörung über die Veräußerung der bundeseigenen Finnenhäuser durch die Bundesvermögensverwaltung herrscht. Auch aus dem mir vor einigen Tagen zugegangenen Schreiben des Hauptvorstandes der Interessengemeinschaften der Finnenhausbewohner vom 11. März 1969 ergibt sich dafür kein Anhaltspunkt.Ich bin der Meinung, der Bund sollte auch mit seinem Grundbesitz zur Eigentumsbildung beitragen. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, daß dieses Handeln Arger auslöst. Allenfalls ist es denkbar, daß die Form Anlaß zu Tadel geben könnte. Sollte das der Fall sein, wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir das mitteilten.Die Finnenhäuser befinden sich zur Zeit in einem durchaus zufriedenstellenden Zustand. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, daß sich die Bewohner selbst sehr große Mühe gegeben haben, die Häuser instand zu halten, zum anderen aber auch darauf, daß der Bund in den letzten zehn Jahren 5 644 000 DM für die Instandhaltung ausgegeben hat.Ihre Annahme, der Bund würde eigene Aufwendungen der Mieter bei der Ermittlung der Verkaufspreise zu seinen Gunsten berücksichtigen, trifft nicht zu. Die Verkaufspreise für die Grundstücke und Häuser sind nach dem sorgfältig ermittelten Verkehrswert festgesetzt worden.
Sie liegen an der unteren, im Rahmen der Reichshaushaltsordnung noch vertretbaren Grenze.
Darf ich bitten, die Unterhaltung im Saal ein wenig einzuschränken.
Schmücker, Bundesschatzminister: Die Bodenwerte würden sich auch im Rahmen der Zielsetzung des in Beratung befindlichen Städtebauförderungsgesetzes halten.
In Schreiben zahlreicher Kollegen dieses Hauses ist mir wiederholt nahegelegt worden, diese Häuser zu einem unter dem Verkehrswert liegenden Preis zu veräußern. Noch in den letzten Tagen habe ich mich mit verschiedenen Kollegen darüber unterhalten können.
Das aber, Herr Kollege Diekmann, ist nach der derzeitigen Rechtslage — ich möchte sagen: leider — nicht möglich. Nach der Vorschrift des § 47 der Reichshaushaltsordnung, deren strikte Einhaltung dieses Hohe Haus und seine Ausschüsse von mir fordern, darf der Bundesschatzminister Grundstücke nur zum vollen Verkehrswert veräußern. Wenn ich immer wieder gebeten werde, von dieser Vorschrift zugunsten der Mieter dieser Häuser abzuweichen, muß ich Sie bitten, mir die dafür erforderliche Rechtsgrundlage zu geben. Ich bin in diesem Falle sehr gerne bereit, den sozial schwachen Mietern zu helfen.
Im übrigen darf ich daran erinnern, daß im Haushaltsgesetz für die Veräußerung unbebauter Grundstücke für den sozialen Wohnungsbau bereits eine Ermächtigung besteht, den Verkaufspreis abweichend vom Verkehrswert festzusetzen. Für bebaute Grundstücke habe ich aber eine solche Möglichkeit nicht. Ich kann nur noch einmal sagen, wenn ich sie hätte, würde ich sie gebrauchen, aber ich muß mich im Rahmen der Gesetze bewegen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Diekmann.
Herr Minister, soll der Verkauf nicht doch zurückgestellt werden, wenn sich Mieter nachweislich in einer Notlage befinden? Es gibt doch Rentner als Mieter, oder es gibt Wohnungsinhaber mit sehr geringem Einkommen; hier wäre es doch zweckmäßig, dem Rechnung zu tragen.
Schmücker, Bundesschatzminister: Herr Kollege Diekmann, ich bin der Auffassung, daß man Rücksicht nehmen sollte. Ich bin mit dem Kollegen Lauritzen im Gespräch, ob das vielleicht durch die Übernahme dieser Häuser durch bestimmte Wohnungsbaugesellschaften geschehen kann.
Zusatzfrage.
Ist es richtig, Herr Minister, daß die im Kriege für etwa 3000 bis 4000 Reichsmark errichteten Finnenhäuser doch eigentlich nach kaufmännischen Gesichtspunkten nur noch mit einem Erinnerungswert zu Buche stehen? Das muß man doch bei der Kalkulation und bei der Festlegung des Preises mit berücksichtigen.
Schmücker, Bundesschatzminister: Herr Kollege Diekmann, das müßte man; das Gesetz verbietet mir aber, das zu tun. Ich habe mich bei einem Verkauf ausschließlich nach dem Verkehrswert zu richten. Ich habe vorhin gesagt, daß ich durch die Reichshaushaltsordnung eine Möglichkeit erhalten müßte, wenn eine Änderung etwa im Sinne der Beeinflussung des Grundstücksmarktes überhaupt erfolgen soll. Zur Zeit habe ich diese aber nicht.
Eine dritte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Diekmann.
Herr Minister, ist die Bundesregierung bereit, den Mietern eine langfristige Finanzierung einzuräumen bzw. den Gemeinden oder örtlichen Baugenossenschaften die Grundstücke bei Anzahlung unter Stundung eines Restkaufgeldes zu überlassen?Schmücker, Bundesschatzminister: Herr Diekmann, ich bin bereit, bis an die äußersten Grenzen des Vertretbaren zu gehen. Aber noch einmal: ich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12363
Bundesminister Schmückerwäre dankbar, wenn ich mehr Möglichkeiten bekäme; dazu muß aber das Gesetz entsprechend geändert werden.
Das wären meine Fragen, Herr Minister. Ich möchte aber doch noch zusätzlich sagen — —
Verzeihung! Sie haben nur die Möglichkeit zu fragen. Sie können keine zusätzlichen Erklärungen abgeben, Herr Kollege Diekmann. — Die Fragen sind erledigt.Darf ich fragen, ob der Abgeordnete Jung im Saal ist? — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Fragen 51, 52 und 53 werden schriftlich beantwortet.Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister, für die Beantwortung.Meine Damen und Herren, die Fragestunde ist beendet.Ich rufe auf zur Fortsetzung der Beratung des Bundeshaushalts in zweiter Lesung:Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1969
— Drucksache V/3300 —Berichte des Haushaltsausschusses
Einzelplan 02Deutscher Bundestag— Drucksache V/3922 —Berichterstatter: Abgeordneter Rawe dazuBeratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung über die Anträge der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDPbetr. Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages— Drucksachen V/1418, V/3447, V/3492, V/4008 —Berichterstatter: Abgeordneter Genscher dazuBeratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSUbetr. Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages— Drucksache V/3895 —dazuBeratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages— Drucksache V/3990 — dazuErste Beratung des von den Abgeordneten Frau Jacobi , Frau Wessel und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur ... Änderung des Grundgesetzes— Drucksache V/3965 — dazuErste Beratung des von den Abgeordneten Frau Jacobi , Frau Wessel und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages— Drucksache V/3966 — dazuErste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages— Drucksache V/3992 — dazuErste Beratung des von der Fraktion der SPDeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes überdie Befugnisse von Enquete-Kommissionen— Drucksache V/3991 —Ich schlage Ihnen vor, meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Beratung des Einzelplans 02 den Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung betreffend Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages - Drucksache V/4008 — zu verabschieden. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann kommen wir zur Verabschiedung.Ich bitte, die Drucksache V/4008 zur Hand zu nehmen. Ich empfehle, daß wir, weil im Hause keine volle Einigkeit besteht, über die einzelnen Ziffern des Ausschußantrags getrennt abstimmen. — Ich stelle keine Bedenken fest.Ich rufe Ziffer 1 des Antrags des Ausschusses Drucksache V/4008 auf. Wer ihr seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ohne Gegenstimme und bei einer Enthaltung so beschlossen.Ich rufe Ziffer 2 auf. Wer ihr seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei Gegenstimmen und einigen Enthaltungen ist dieser Antrag angenommen.Ich rufe Ziffer 3 auf. Wer ihr seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist bei Gegenstimmen und einer Enthaltung angenommen.Ich rufe Ziffer 4 auf. Wer ihr zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Genprobe! — Enthaltungen? — Bei einem etwa gleichen Stimmenverhältnis wie zu Ziffer 3 angenommen.
Metadaten/Kopzeile:
12364 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Präsident von HasselWir stimmen jetzt über die gesamte Vorlage ab. Wer der gesamten Vorlage seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei Gegenstimmen und zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit so beschlossen.Damit haben wir den Schriftlichen Bericht Drucksache V/4008 erledigt. Dem Herrn Berichterstatter danke ich für diesen Bericht.Wir treten nun in die Beratungen des Einzelplans 02 ein. Ich darf zunächst dem Herrn Berichterstatter, dem Abgeordneten Rawe, für seinen Bericht danken. Wünschen Sie zur Ergänzung das Wort? — Ich erteile Ihnen, Herr Abgeordneter Rawe, das Wort zur ergänzenden Berichterstattung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte ursprünglich nicht die Absicht, hier zur Erläuterung der Berichterstattung das Wort zu ergreifen, zumal wir heute morgen noch eine Debatte über die Parlamentsreform erleben werden. Ich muß aber noch einige redaktionelle Anmerkungen machen. Dann möchte ich mir auch erlauben, einige Erläuterungen zu geben, die uns die abschließende Beratung hoffentlich etwas erleichtern werden.Zunächst darf ich darauf hinweisen, daß Sie auf Seite 8 des Einzelplans die Stelle des Direktors des Deutschen Bundestages schon nach B 10 ausgewiesen vorfinden. Das ist eine Regelung, die sich aus dem Zweiten Besoldungsneuregelungsgesetz ergibt. Bei der Beratung im Haushaltsausschuß ist übersehen worden, daß wir die Folgerungen aus dem Zweiten Besoldungsneuregelungsgesetz noch nicht in die Einzelpläne aufgenommen hatten. Ich glaube, wir müssen der Gleichbehandlung wegen bei unserem eigenen Einzelplan ebenso verfahren. Ich bitte deswegen, diese Stelle wieder nach B 9 auszuweisen; die Hebung dieser Stelle ergibt sich dann aus dem Zweiten Besoldungsneuregelungsgesetz.Sie finden dann auf der gleichen Seite die Ausweisung der Stellen für die Ausschußassistenten. Der Bundestagsvorstand hatte zunächst vorgeschlagen, die Assistentenstellen der zehn wichtigsten Ausschüsse nach A 16 zu heben. Der Haushaltsausschuß ist dieser Anregung nicht gefolgt. Ich weiß, daß es darüber in allen Fraktionen erhebliche Verärgerung unter den Kollegen gegeben hat. Mir ist auch bekannt, daß eine Reihe von Kollegen heute morgen hier noch einen Änderungsantrag einbringen will, um die Vorlage des Bundestagsvorstandes wiederherzustellen.Deswegen sei mir gestattet, zu verdeutlichen, warum der Haushaltsausschuß zu der erwähnten Entscheidung gelangt ist. Bei den Beratungen des Haushaltsausschusses hatte uns der Herr Präsident vorgetragen, daß er im Rahmen der Parlamentsreform auch eine Reorganisation der Ausschußarbeit vorsehen wolle. Der Haushaltsausschuß war deshalb der Auffassung, daß man die Hebung der Assistentenstellen nach A 16 so lange zurückstellen sollte, bis diese Reorganisation erfolgt ist. Wir wollen dann selbstverständlich gerne die Forderung akzeptieren, daß die Assistentenstellen für die neuen Ausschüsse nach A 16 gehoben werden. Ich bitte deshalb die Kollegen, die hier einen Änderungsantrag einbringen wollen, sehr herzlich, von diesem Antrag Abstand zu nehmen.Wenn Sie die weiteren Personalanforderungen sehen, werden Sie feststellen, .daß sie nicht unerheblich sind. Sie sind in erster Linie dadurch begründet, daß wir für das neue Hochhaus auch entsprechendes Personal zur Verfügung haben müssen. Wir haben die Stellen unter der Zusage des Präsidenten bewilligt, daß er bei der Beisetzung außerordentlich sorgfältig verfahren will und in jedem Einzelfall prüfen will, ob die Stelle schon jetzt so in Anspruch genommen werden muß.Darüber hinaus haben wir dem Herrn Präsidenten einen Planungsstab für die Parlamentsreform bewilligt, weil wir der Auffassung sind, daß über die Parlamentsreform nicht mehr allzu lange geredet werden darf. Sie muß endlich verwirklicht werden. Dazu braucht er einfach diese Mitarbeiter.Lassen Sie mich zu dem vorletzten Punkt kommen. Sie werden im Haushalt in Tit. 411 03 die Ausweisung eines Betrages von 4 Millionen DM für die Erstattung der Kosten für Hilfskräfte der Abgeordneten finden. Es ist Ihnen sicherlich nicht unbekannt geblieben, daß es dazu in der Vergangenheit eine Vielzahl von Presseberichten gegeben hat, die die Dinge häufig völlig falsch wiedergegeben haben. Ich darf mir deshalb erlauben, einmal ganz kurz deutlich zu machen, welche Regelung hier wirklich vorgesehen ist: Aus diesem Titel sollen den Abgeordneten künftig die Kosten ersetzt werden, die sie für eine Hilfskraft zur Erledigung ihrer parlamentarischen Arbeit aufwenden. Ich darf wiederholen: zur Erledigung ihrer parlamentarischen Aufgaben. Das bedeutet, daß es sich hier nicht um die verkappte Finanzierung von Wahlkreisgeschäftsführern oder dergleichen Dingen handelt. Die Richtlinien, die dazu vom Bundestagsvorstand gegeben werden, machen auch deutlich, daß es nicht, wie es kürzlich in einer Illustrierten geheißen hat, um eine pauschale Vergütung oder einen pauschalen Vorteil für die Abgeordneten geht, sondern daß wirklich nur daran gedacht ist, im Einzelfall die nachgewiesenen Kosten für einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin zu ersetzen. Wenn wir so viel von Parlamentsreform reden, sollten wir endlich auch deutlich machen, daß zu einer vernünftigen Parlamentsreform auch gehört, daß den Abgeordneten ordentliche Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden.
Ein Letztes! Sie finden auch noch einen Leertitel in diesem Haushalt, der für Neu-, Um- und Erweiterungsbauten für Zwecke des Deutschen Bundestages vorgesehen ist. Ich bin mir darüber im klaren, daß dieser Leertitel bei einigen Kollegen in diesem Hohen Hause auf Widerstand stoßen wird. Sie werden die alte Diskussion darüber aufleben lassen, ob man einen neuen Parlamentssaal bauen muß oder nicht. Ich glaube aber, daß gerade das umständliche Abstimmungsverfahren in der vergangenen Woche uns deutlich gemacht hat, daß wir die technischen Möglichkeiten auch für das Plenum noch ganz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12365
Raweerheblich verbessern müssen. Ich meine, wenn wir einmal zu einem Umbau oder zu einem Neubau des Plenarsaals kommen, müssen diese Dinge mit berücksichtigt werden. Ich bin auch fest davon überzeugt, daß der weite Weg von dem neuen Hochhaus bis hierhin sehr schnell die Stimmung in diesem Haus dahin gehend ändern wird, daß wir Neubauplänen geneigter sind als früher. Ich meine, wir sollten diesen Leertitel nicht zum Anlaß einer Kritik nehmen, sondern wir sollten den Herrn Präsidenten vielmehr aus diesem Hohen Hause heraus ermuntern, uns sehr bald seine Konzeption für einen Neubau vorzulegen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die Aussprache zum Einzelplan 02 und zu sämtlichen aufgerufenen Vorlagen und erteile Herrn Genscher, dann Herrn Dr. Wörner und danach Herrn Dr. Mommer das Wort. Bitte schön, Herr Genscher!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gewünscht worden, daß wir heute schon, also vor dem Abschluß der Beratungen der Parlamentsreform-Kommission, über die Parlamentsreform sprechen. Wir sind dazu bereit.Lassen Sie mich zunächst ein paar Worte zu den Anträgen der Fraktionen sagen. Die Kollegen der CDU/CSU sind noch einmal mit dem Vorschlag in die Debatte gekommen, die Redezeit in der Parlamentsdebatte zu beschränken. Meine Damen und Herren, wir sagen hierzu wie bei der letzten Beratung dieses Antrages nein, weil wir die freie Parlamentsrede für einen unentbehrlichen Bestandteil der Arbeit dieses Hauses halten.
Wir glauben, daß hier der schlechteste und schwächste Ansatzpunkte für eine Reform des Parlamentes liegt. Mir scheint, daß bei Ihnen innerfraktionelle Probleme mehr Veranlassung zu diesem Antrag gegeben haben als die Sorge um die Lebendigkeit und Arbeitsfähigkeit dieses Hauses. Meine Damen und Herren, Sie können aber mit uns — und das sollte in dieser Debatte möglich sein — dem hohen Präsidium dieses Hauses — und ich nehme hier niemanden aus, keinen Präsidenten oder Vizepräsidenten irgendeiner Fraktion — den Rat geben, endlich eine Bestimmung ,der Geschäftsordnung zu praktizieren, nämlich die Bestimmung, daß von diesem Pult frei zu reden ist.
Wir haben während der Haushaltsberatungen wieder Beispiele fleißigster Referentenarbeit aus Abgeordnetenmund gehört. Das ist das Gegenteil einer freien Debatte, wie wir sie wünschen. Wir werden die freie Rede in diesem Hause, die zeitlich unbeschränkte Rede — eine Begrenzung der Redezeit auf eine Stunde ist selbstverständlich —, um ein Wort des Herrn Bundeskanzlers zu gebrauchen, mitZähnen und Klauen verteidigen, und wenn wir das ankündigen, tun wir das auch, meine Damen und Herren.
Nun ist hier eine Reihe von Vorschlägen der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei zu diskutieren. Die Kollegen der SPD haben vorgeschlagen, den Vorstand des Bundestages und den Ältestenrat zusammenzulegen, diese Gremien also zu einem einflußreicheren Gremium zusammenzufassen. Wir stimmen diesem Vorschlag im Grundsatz zu. Die Zustimmung wird uns durch den Umstand erleichtert, meine Damen und Herren, daß Sie vorgesehen haben, daß dieser Bundestagsvorstand bei der Ausübung der Funktionen, die bisher der Ältestenrat hatte, kein Beschlußorgan sein soll. Ich glaube, das ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Arbeitsfähigkeit des Hauses. Sie haben also in dieser Frage unsere Unterstützung.Sie haben dann einen Vorschlag gemacht, der ein wenig das Initiativrecht der Parlamentsfraktionen stärken soll. Sie haben vorgeschlagen, daß nach dem Ablauf einer Sechsmonatsfrist nach Überweisung eines Antrags ein Sachstandsbericht zu geben ist. Meine verehrten Damen und Herren, wir möchten hier etwas weiter gehen. Wir wünschen, daß nach Ablauf einer bestimmten Frist eine Entscheidung im Ausschuß herbeigeführt werden muß,
Was im Augenblick in einigen Ausschüssen vor allen Dingen mit Anträgen der Opposition praktiziert wird, ist praktisch eine Einschränkung des Initiativrechts des Parlaments.
Ich bedaure, daß ich hier einen so wichtigen Ausschuß wie den Rechtsausschuß nennen muß, wo zwei wichtige Gesetzentwürfe der FDP — einmal zu § 48 des Ehegesetzes und dann zum Zeugnisverweigerungsrecht der Presse — bisher nicht auf die Tagesordnung gesetzt und behandelt worden sind.
Aber, meine Damen und Herren, es gibt auch Beispiele in anderen Ausschüssen. Ich glaube also, daß wir noch zu einer etwas weitergehenden Stärkung der Minderheitenrechte auch in den Ausschüssen kommen müssen.Sie haben sich dafür ausgesprochen, daß die Ausschüsse grundsätzlich nicht öffentlich tagen sollen, wollen es aber möglich machen, daß Ausschüsse öffentlich beraten. Sie haben hier unsere volle Unterstützung. Meine Fraktion ist in ihrer Mehrheit für eine Ausdehnung der Öffentlichkeit der Ausschüsse in diesem Sinne, wobei ich nicht verschweige, daß eine Minderheit in meiner Fraktion, zu der ich mich bekenne, sogar dafür eintritt, die Ausschüsse grundsätzlich öffentlich tagen zu lassen.Ich würde das, meine Damen und Herren, insbebesondere beim Ältestenrat oder beim künftigen Bundestagsvorstand für richtig halten, weil ich glaube, daß manche Vorbehalte, die in diesem Hause gegenüber dem Ältestenrat vorhanden sind,
Metadaten/Kopzeile:
12366 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Genschersehr bald abgebaut werden könnten, wenn bedeutende Politiker dieses Hauses Gelegenheit hätten, einmal einer Sitzung des Ältestenrates als Zuhörer beizuwohnen.
— Dann wären sie möglicherweise auch kuriert, Herr Kollege Schulte.
— Ich hoffe, wir meinen denselben, Herr Kollege Schoettle.
— Ich bin ganz zuversichtlich, daß wir hierbei voll übereinstimmen.Meine Damen und Herren, wenn wir über die Fragen der Parlamentsreform sprechen, müssen wir, glaube ich, der Fragestunde und ihrer Reform erhebliche Bedeutung beimessen. So, wie im Augenblick die Fragestunde betrieben wird, denaturieren wir selbst, aber auch die Bundesregierung ein hervorragendes Recht des einzelnen Parlamentariers. Wenn vorgeschlagen wird, Fragen von lokaler Bedeutung auf den Weg der schriftlichen Beantwortung zu verweisen, so unterstützen wir auch das.Aber, meine Damen und Herren, das kann nicht der einzige Vorschlag zu einer Verbesserung der Fragestunde sein. Ich glaube, es muß damit anfangen, daß die Mitglieder der Bundesregierung dazu übergehen, die Fragen hier im Parlament selbst zu beantworten.
Ich halte es für unerträglich, daß wir manche Minister bisher kaum in der Fragestunde gesehen haben. Dabei bin ich natürlich — Herr Kollege Köppler, wenn ich Sie zum Beispiel sehe — gern bereit, auch mit dem Parlamentarischen Staatssekretär vorlieb zu nehmen. Ich glaube aber, daß der beamtete Staatssekretär nicht der richtige Vertreter der Bundesregierung vor dem Parlament ist, weder in der Debatte noch in der Fragestunde. Wir sollten endlich erreichen, daß es die Bundesregierung als Ehrenpflicht ansieht, ihre Auffassung vor dem Parlament in der Fragestunde zu vertreten.
Wir haben leider die Praxis, daß die Präsenz der Bundesregierung im Parlament zu wünschen übrig läßt. Und vor allen Dingen sollten wir sehen, daß der Werdegang und die Aufgabenstellung der beamteten Staatssekretäre in unserem Staat diese nicht als geeignet erscheinen läßt — ich meine jetzt nicht von der Qualifikation, sondern nur vom Werdegang her —, hier vor dem Parlament die Auffassung der Regierung zu vertreten. Das müssen die politisch verantwortlichen Ressortchefs oder ihre Parlamentarischen Staatssekretär tun, wobei ich gar nicht übersehen will, daß es durchaus Staatssekretäre gibt, die sich, auch wenn sie beamtet sind, schon auf künftige Berufsentwicklungen vorbereiten und politische Funktionen wahrnehmen. Aber im Grundsatz wollen wir dabei bleiben: hier erscheint die Regierung, hier erscheinen ihre Mitglieder, und hier erscheinen die Parlamentarischen Staatssekretäre.Ich glaube, daß wir weiter zu einer Belebung der Fragestunde kommen könnten, wenn wir die erste Fragestunde jeder Woche zu einer politischen Fragestunde machen, in der die Fragen beantwortet werden, die erst im Parlament mündlich gestellt werden. Das bedeutet, daß Bagatellfragen, Fragen, bei denen ein gewisses Detailwissen erforderlich ist, von vornherein ausgeschlossen sind. Hier kann es nur darum gehen, aktuelle politische Fragen sofort durch die Mitglieder der Bundesregierung beantworten zu lassen. Wir schlagen Ihnen deshalb vor, daß die erste Fragestunde jeder Woche als politische Fragestunde dieser Art durchgeführt wird.Das bedeutet aber, daß die gesamte Bundesregierung, angefangen vom Bundeskanzler, im Parlament anwesend ist und daß die abwesenden Mitglieder der Bundesregierung durch den Regierungschef selbst vertreten werden. Auch der Regierungschef sollte das Parlament, die Fraktionen dieses Hauses und die einzelnen Mitglieder dieses Hauses, so ernst nehmen, daß er uns die Ehre seiner Anwesenheit wenigstens bei einer Fragestunde der Woche gibt. Da hat er dann Gelegenheit, die Politik seiner Regierung mit Zähnen und Klauen zu vertreten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wendelborn?
Ja, bitte sehr!
Verehrter Herr Kollege Genscher, sind Sie damit der Auffassung, daß das Hohe Haus in dieser Woche die Beschlüsse der Landesverbände Hessen-Süd und Schleswig-Holstein der SPD zur Anerkennung der DDR hätte diskutieren müssen?
Herr Kollege, das hängt sehr wesentlich davon ab, ob die Regierungsmitglieder, die von der Sozialdemokratischen Partei gestellt werden, sich diese Beschlüsse zu eigen machen. Dann ist das eine Frage von Parlament und Regierung. Aber sie haben ja Gelegenheit, diese Frage, wie sie es auch sonst tun, in der Koalition vorzuklären. Oder?
— Noch eine Frage? — Nein.
Meine Damen und Herren, es ist erforderlich, daß wir uns im Rahmen der Parlamentsreform insgesamt einmal mit dem Verhältnis von Parlament und Regierung befassen. Ich möchte Ihnen offen sagen, daß es mir lieber wäre, wenn ich da oben auf dieser Regierungsbank nur die Mitglieder der Bundesregierung, allenfalls noch die beamteten
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12367
GenscherStaatseskretäre zur Unterstützung sähe. Ich halte es nicht für erforderlich, daß mit dem Auftreten eines Ministers das halbe Ministerium mit auf der Regierungsbank erscheint.
Sehen Sie, dort hinten ist ein Trennungsstrich; den dürfen die Mitarbeiter der Abgeordneten und der Fraktionen nicht überschreiten. Die Mitglieder des Hohen Hauses stehen hier vorn. Sie müssen allein ihre Auffassungen vertreten. Sie sind gehalten, ihr eigenes Wissen vorzutragen. Ich meine, eigentlich sollten das auch die Bundesminister können. Sie können nach meiner Auffassung darauf verzichten, hier im Parlament ihr halbes Haus erscheinen zu lassen.
Wir sollten das im Rahmen der Parlamentsreform ernsthaft mit der Bundesregierung erörtern.Die Bundesregierung hat Rechte; die braucht sie auch. Dazu gehört das Recht, jederzeit das Wort zu ergreifen. Aber dieses Vorrecht der Bundesregierung darf nicht dazu führen, daß die Ausspracherechte des Parlaments praktisch inhibiert werden.
Wir haben in der letzten Woche ein besonders schlechtes Beispiel für die Wahrnehmung dieser Rechte der Bundesregierung erlebt. Nachdem die Bundesregierung zunächst das sogenannte Stabilitätsprogramm beraten hatte, hat sie es für richtig gehalten, dieses Programm am Tage vor der Parlamentsdebatte der Öffentlichkeit zu übergeben, obwohl die Vertreter der Regierungsparteien im Ältestenrat darum gebeten hatten, sofort danach im Parlament das Programm vortragen zu lassen, um die Aktualität der Parlamentssitzungen zu erhalten. Die Herren haben es also für richtig gehalten, die Öffentlichkeit schon vorher zu informieren. Das hat sie aber nicht gehindert, bei der zweiten Lesung des Haushalts des Finanzministeriums hier Statements von insgesamt drei Stunden Dauer abzugeben, bevor der erste Redner des Parlaments das Wort ergreifen konnte.
Meine Damen und Herren, das ist kein guter Stil. der Bundesregierung gewesen. Dabei habe ich Verständnis dafür — das möchte ich einmal sagen; wir wollen ja auch das Gute an der Regierung sehen —, daß zu dieser wichtigen konjunkturpolitischen Frage sowohl Herr Schiller wie Herr Strauß gesprochen haben, damit wenigstens zwei gegensätzliche Meinungen der Bundesregierung artikuliert wurden.
— Das kommt gleich noch.
Meine Damen und Herren, ich glaube aber, es ist auch wichtig, daß wir selbst einmal die Frage stellen, wie wir durch die Art der Parlamentsdebatte das Ansehen des Hauses, seine Rechte und seine Beachtung in der Öffentlichkeit stärken können. Ich halte z. B. gar nichts von dem Versuch, wichtige Gesetzgebungsvorhaben in diesem Hause in einerForm durchzupeitschen, die es praktisch dem einzelnen Parlamentsmitglied nicht mehr ermöglicht, die Tragweite seiner Entscheidung in einer Einzelfrage und die Tragweite seiner Gesamtentscheidung zu übersehen.Für mich wird immer ein Beispiel dieses schlechten Parlamentsstils die Beratung des Finanzänderungsgesetzes 1967 bleiben.
In zahllosen Diskussionen, die ich außerhalb dieses Hauses mit Kollegen der anderen Fraktionen zu bestehen hatte, habe ich erlebt, daß dieser oder jener Kollege gesagt hat: Dem Punkt habe ich nicht zugestimmt, das habe ich nicht übersehen. Ich habe mich am Ende gefragt: Hatte denn dieses Gesetz im Parlament überhaupt eine Mehrheit, nachdem nicht nur wir dagegen waren, sondern auch so viele Kollegen der Großen Koalition?Ich glaube, daß wir auch bei der Beratung des Absicherungsgesetzes nicht so verfahren sind, wie es eigentlich der Bedeutung dieses wichtigen Gesetzes angemessen gewesen wäre. Ich will nicht davon reden, daß sich die Koalitionsfraktionen hier praktisch zum Wortführer der Regierung gemacht haben und Gesetze eingebracht haben, obwohl sie diese Gesetze in der Fraktion inhaltlich noch gar nicht bejaht hatten. Aber daß wir dieses Gesetz dann wirklich in wenigen Stunden im wahrsten Sinne des Worte durchgepeitscht haben, ohne daß alle Auswirkungen zu übersehen waren, die wir heute in der Praxis sehen, war ein schlechter Gesetzgebungsstil. Ich muß hier das wiederholen, was wir damals als Protest gegen dieses Verfahren vorgetragen haben.Es wird also erforderlich sein, daß wir die Beratung in diesem Hohen Hause gerade bei so wichtigen Gesetzen gründlicher führen.Meine Damen und Herren, für mich gehört hierher auch die' Artikulierung der im Parlament vertretenen Auffassungen. Ich habe hier einmal zur Herabsetzung des Wahlalters auf 18 Jahre gesprochen. Daraufhin ist der Kollege Dr. Jaeger, der außerhalb dieses Raumes, aber im Hause an einer Veranstaltung teilnahm, sofort ins Plenum gekommen, um seine abweichende Meinung vorzutragen. Ich habe ihm dafür ausdrücklich gedankt, weil ich weiß, daß sehr viel mehr Kollegen als er in dieser Frage anderer Meinung sind. Ich hätte es für eine schlechte Angelegenheit in diesem Hause gehalten, wenn die abweichende Meinung, aus welchen Gründen auch immer, nicht zum Ausdruck gekommen wäre.Nun hatten wir unlängst im Deutschen Bundestag eine Mitbestimmungsdebatte. Da hat der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei die Auffassungen seiner Fraktion zur Mitbestimmung vorgetragen. Der Fraktionsvorsitzende der FDP hat praktisch das Alternativprogramm dazu entfaltet.
Der Fraktionsvorsitzende der CDU hat die Haltungseiner Fraktion offengelassen. Als mein Fraktionsvorsitzender Mischnick sprach, saß hier vorn der
Metadaten/Kopzeile:
12368 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
GenscherKollege Russe, und wenn Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, einmal das Protokoll dieser Debatte nachlesen; so werden Sie sehen, daß der Kollege Russe während der ganzen Rede von Herrn Mischnick praktisch die CDU durch Zwischenrufe der verschiedensten Art und durch Zwischenfragen vertreten hat und dabei sehr deutlich zum Ausdruck gebracht hat, daß die CDU/CSU offensichtlich für eine Ausdehnung der qualifizierten Mitbestimmung eintritt. Es gibt aber sehr bedeutende CDU-Politiker, die mindestens in der Öffentlichkeit, in ihren Verbänden eine völlig gegenteilige Meinung vertreten. Wo waren die Helden hier im Parlament?
Wo haben sie ihre abweichende Meinung vertreten? Wie wollen Sie eigentlich noch garantieren, daß dieses Parlament Ort der politischen Entscheidung bleibt, wenn eine so wichtige Frage wie die Mitbestimmung in der Weise behandelt wird, daß diejenigen, die eine sehr prononcierte Meinung bei jeder Gelegenheit in der Öffentlichkeit vertreten, diese ihre Meinung hier im Parlament verschweigen?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wörner?
Herr Kollege Genscher, wären Sie bereit, bei der bevorstehenden Debatte über die Deutschlandpolitik Ihre eigenen Fraktionsfreunde, deren auseinandergehende Auffassungen über diese Fragen wir kennen, zu bitten, ihre abweichenden Auffassungen zu Ihren eigenen Entwürfen ebenso deutlich vorzutragen?
Herr Kollege Dr. Wörner, ich kann Ihnen dazu folgendes sagen. Ich möchte meine Kollegen, soweit sie abweichender Meinung sind, von diesem Pult aus ausdrücklich bitten, das Wort zu ergreifen. Ich glaube aber, es wird nur dann jemand das Wort ergreifen, wenn einige Herren von Ihnen vorher zu uns übertreten; denn ich muß Ihnen leider mitteilen, daß alle Anträge, die wir zu dieser Frage eingebracht haben, von der Fraktion einstimmig verabschiedet worden sind.
Meine Damen und Herren, ich kann aber den Vorwurf gegen die Kollegen der CDU/CSU, die eine sehr prononcierte Meinung zur Mitbestimmung haben, die aber hier nicht gesprochen haben, ja, nicht einmal im Saal waren, nicht auf der CDU allein sitzenlassen; denn ich habe auch sehr genau die Regierungsbank beobachtet, als dieses wichtige Thema beraten wurde. Gähnende Leere, meine Damen und Herren, obwohl doch die Mitbestimmung nach Auffassung aller eine besonders wichtige Frage ist. Vor allen Dingen habe ich es vermißt, daß die Minister der Sozialdemokratischen Partei bei dieser wichtigen Frage im Parlament anwesend waren und aus dem Wissen ihrer Ressorts heraus ihre Meinung dazu vertreten haben. Wir hätten z. B. gern die Meinung von Herrn Schiller zu dieser Frage hier gehört.
Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt zuzulassen? — Bitte!
Herr Genscher, halten Sie es nicht für legitim, daß eine Gruppe im Parlament mit ihrer Auffassung zur Sache zurückhält, bis daß eine eingesetzte Kommission das gesamte Material des Für und Wider unterbreitet?
Herr Kollege Schmidt , das Thema steht auf der Tagesordnung des Bundestages. Ich glaube, auch Ihre Wähler haben einen Anspruch darauf, zu erfahren, wie die CDU/ CSU zur Frage der Mitbestimmung steht; es sei denn, Sie wollen im Raum stehenlassen, daß die durch die Zwischenrufe und Zwischenfragen von Herrn Russe zum Ausdruck gebrachten Meinungen die der gesamten CDU/CSU sind.
Meine Damen und Herren, ein Vorgang, den wir bei der Beratung der Notstandsgesetzgebung erlebt haben, gibt Veranlassung, einmal die Frage zu prüfen, wie wir die persönliche Verantwortung des einzelnen Abgeordneten für Parlamentsentscheidungen stärker sichtbar machen können, als das in der Vergangenheit der Fall war. Wir haben bei der Notstandsdebatte in der zweiten Lesung wiederholt namentliche Abstimmung beantragt. Leider reichten damals unsere Möglichkeiten nicht aus — durch den Beschluß von heute vormittag ist das inzwischen korrigiert worden —, so daß nicht sichtbar geworden ist, daß zu wichtigen Einzelfragen der Notstandsgesetzgebung, z. B. zur Frage der richterlichen Kontrolle über Abhörmaßnahmen, unter Umständen gar nicht die erforderlichen Mehrheiten vorhanden waren. Es wäre damals besser gewesen, auch ein besserer parlamentarischer Stil, wenn man die Möglichkeit eröffnet hätte, namentlich abzustimmen.Wir sollten ernsthaft prüfen, ob das nicht generell gilt. Das Problem der Parlamentsberichterstattung in Deutschland ist noch nicht gelöst. Für mich ist ein wesentlicher Teil der Parlamentsreform auch die Frage, wie wir es technisch erreichen können, daß die Presse leichter, einfacher als bisher über die Parlamentssitzungen berichten kann. Ich meine nicht nur die überregionale, sondern auch die regionale Presse. Wir sollten einen Weg finden, der es auch den örtlichen Zeitungen möglich macht, zu berichten, welcher Abgeordnete aus ihrem Erscheinungsgebiet an der Abstimmung teilgenommen und wie er sich in wichtigen Fragen der Gesetzgebung verhalten hat. Da ist für uns eine zusätzliche Aufgabe für die Presse als öffentliche Kontrolle der Parlamentstätigkeit und als Vermittler unserer Tätigkeit zu unseren Wählern.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12369
GenscherNun haben wir in Berlin bei der Wahl des künftigen Bundespräsidenten alle zusammen, glaube ich, das Abstimmungsverfahren, das noch an unsere Vorväter erinnert, beklagt. Wir werden technische Einrichtungen, wir werden einen Abstimmungsmechanismus finden müssen, der vom Platz aus bedient werden kann. Das gibt uns auch die Möglichkeit, daß jede Abstimmung in Zukunft technisch festhält, nicht nur wie die Mehrheit aussieht, sondern wie der einzelne Abgeordnete abgestimmt hat; denn daß wir bisher eine namentliche Abstimmung nicht für jede Abstimmung haben, hat doch im wesentlichen technische Gründe: weil das ein sehr umständliches Verfahren wäre. Wenn wir aber eine Abstimmungsmaschine hier im Bundestag installieren, die vom Platz aus bedient werden kann, gibt es überhaupt keinen Hinderungsgrund mehr, bei jeder Abstimmung festzuhalten, wie der einzelne Kollege abgestimmt hat. Ich glaube, das würde der Durchsichtigkeit der Parlamentsentscheidungen und der Glaubwürdigkeit der einzelnen Kollegen draußen erheblich nachhelfen. Dann würde nämlich nicht die Lage entstehen, daß niemand genau weiß, wie eigentlich Mehrheiten für bestimmte Gesetze zustande gekommen sind.
Wenn wir über die Probleme der Parlamentsreform sprechen, müssen wir auch die Frage anschneiden, wie wir eine weitere Aushöhlung der Zuständigkeiten des Deutschen Bundestages verhindern können. Sie wissen, wir geben zunehmend Zuständigkeiten an die EWG ab; Dinge, die dort entschieden werden, werden nicht mehr parlamentarisch kontrolliert. Wir haben eine „graue Zone" zwischen Bund und Ländern, die der parlamentarischen Kontrolle entzogen ist. Ich erinnere nur an die Landesministerkonferenzen. Wir haben das im Zusammenhang mit dem Föderalismus ja schon erörtert und werden das in Kürze noch einmal tun. Wir sehen die zunehmende Einflußnahme der Bürokratie auf den Bundesrat. Theodor Heuss hat schon im Parlamentarischen Rat befürchtet, der Bundesrat werde am Ende ein „Parlament der Oberregierungsräte" werden. Er hatte in der Tendenz recht, nur hat er die Entwicklung des Stellenkegels damals nicht voll übersehen können;
es sind nicht die Oberregierungsräte, es sind etwas höhere Chargen.
Wir sollten deshalb darüber wachen, daß nicht weiter Zuständigkeiten aus diesem Hause hinausverlagert werden.Hier muß ich noch einmal ein Thema aufgreifen, das ich schon neulich beim Etat des Innenministers behandelt habe. Das ist die Einflußnahme von Institutionen und Gremien außerhalb des Parlaments auf die Parlamentsentscheidung. Ich meine insonderheit die Praxis der konzertierten Aktion, die sich zunehmend Zuständigkeiten anmaßt, Zuständigkeiten an sich zieht, die ihr nicht zugewiesen sind. Das führt dazu, daß außerhalb des Parlaments auch über wichtige Fragen der Gesetzgebung Vorentscheidungen fallen, so daß am Ende dieses Hohe Haus in diesen Fragen nur noch eine Ratifizierungsfunktion hat. Meine Damen und Herren, das ist eine Beschneidung der Rechte des Hauses. Auch der Ausgleich der widersprüchlichen Interessen zwischen den verschiedenen Gruppen unserer Gesellschaft gehört in den Deutschen Bundestag. Wenn Sie es zulassen, daß diese konzertierte Aktion, veranlaßt durch die von Ihnen, meine verehrten Kollegen von der CDU/ CSU und der SPD, getragene Bundesregierung, auf Empfehlung der Bundesregierung außerhalb ihrer eigentlichen Aufgabenstellung auch Fragen der Gesetzgebung behandelt — z. B. Vermögensbildung und die Probleme der Lohnfortzahlung — und dafür Arbeitsausschüsse eingesetzt werden, kommen Sie zu einer Vorformung politischer Meinungen, die auch auf Ihre Entscheidungsfreiheit nicht ohne Einfluß ist.
Mit Recht ist in der Öffentlichkeit bereits darauf hingewiesen worden, daß diese konzertierte Aktion überhaupt nicht den Anspruch erheben kann, daß sie alle Gruppen unseres Volkes vertritt. Sie ist ein closed shop, sie ist ein Kartell der Mächtigen in diesem Staat. Unsere Aufgabe ist es, dieses Kartell der Mächtigen zu brechen und das Parlament ganz allgemein, aber auch in dieser Frage wieder zum Ort der politischen Entscheidung zu machen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wörner; ihm folgt der Abgeordnete Dr. Mommer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gehört für mich und wahrscheinlich auch für einige meiner Kollegen zu den beschämendsten Erinnerungen der letzten vier Jahre in diesem Hause, als im vergangenen Jahr Herr Kollege Dr. Dichgans bei der Beratung des Einzelplans 02 versuchte, eine Debatte über die Arbeit dieses Hauses zu entfachen, er mitleidig belächelt wurde und man über ihn zur Tagesordnung überging. Heute ist das ganz anders geworden. Heute ist Parlamentsreform Mode geworden. Heute „trägt" man Parlamentsreform.
— Herr Moersch, Sie haben sich in dieser Richtung auch ganz nett betätigt.Ich glaube, heute muß man eher davor warnen— das gehört jetzt Herr Moersch besonders gern —, allzu leichtfertig Vorschläge in die Welt zu setzen und allzu große Erwartungen in diese Parlamentsreform zu setzen. Manchmal wird einem geradezu angst — jedenfalls geht es mir so —, wenn man die Fülle der Vorschläge sieht, die zur Parlamentsreform unterbreitet werden, die sich sehr häufig
Metadaten/Kopzeile:
12370 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Dr. Wörnerwidersprechen, die auch von recht unterschiedichem Wert sind und von recht unterschiedlicher Sachkenntnis zeugen.Dennoch sollten wir für das zunehmende Interesse der Öffentlichkeit an der Arbeit dieses Hauses dankbar sein. Wir sollten dankbar dafür sein, daß es uns heute möglich ist, eine Debatte, und zwar über die Grundsätze der Arbeit in diesem Hause, zu führen. Wir sollten dafür dankbar sein, daß wir einmal vor der Öffentlichkeit selbst über unsere Arbeit, über die Probleme unserer Arbeit reflektieren können.Ich glaube, auch in unseren Reihen ist die Erkenntnis gewachsen, daß das Parlament, daß dieser Bundestag in der Art und Weise, wie er im Augenblick arbeitet, nicht mehr weitermachen kann, wenn er nicht seine wirkliche Funktion in der Zukunft verlieren will.
Und nicht bloß deswegen, meine Damen und Herren. Es darf auch nicht das Vorrecht der außerparlamentarischen Opposition werden, unser System in Frage zu stellen, sondern wir unterziehen uns dieser Aufgabe lieber selbst und reflektieren über unsere Arbeit selbst. Wir sind uns diese kritische Besinnung, aber auch die Verbesserung, d. h. die Aktion, das Handeln, schuldig.Ich will mir darum den Spaß verkneifen, auf einige der vielleicht im Blick auf andere Dinge gemachten Ausflüge des Herrn Kollegen Genscher einzugehen, wenngleich ich ihm in manchen Bedenken auch recht gebe. Mein Freund Egon Klepsch wird sich mit den Geschäftsordnungsdingen befassen. Ich möchte mich hier mehr zu den Grundsätzen äußern.Das Ziel der Reformmaßnahmen kann nur sein, das parlamentarische System, das wir haben, funktionsfähig zu machen, d. h. den Parlamentarismus, der seit etwa 200 Jahren mehr oder minder unverändert existiert, den Anforderungen der Zeit anzupassen. Es gibt für uns jedenfalls — und ich glaube, hier kann ich wirklich für alle sprechen — keine Alternative zum parlamentarischen System als solchem.
Wenn man sich in der Öffentlichkeit nach Alternativmodellen umschaut, findet man allerhöchstens die recht kläglichen Versuche der außerparlamentarischen Opposition, das Rätesystem wieder in die Debatte zu werfen, abgesehen davon, daß darüber überhaupt keine präzisen Vorstellungen vorliegen. Schon allein der Gedanke, daß sich der Oberste Rat dieses Rätesystems aus Leuten zusammensetzen müßte, die in mehreren indirekten Wahlen gewählt werden müssen, sollte uns beibringen, daß dieses System jedenfalls keine bessere Lösung für den Parlamentarismus darstellt als das System, das wir im Augenblick praktizieren.Was also bedeutet es, wenn wir von den Zielen der Parlamentsreform sprechen? Es bedeutet, daß wir erstens einmal den verfassungsmäßigen Rang des Bundestages als des obersten Forums der politischen Auseinandersetzung wiederherstellen oder aufrechterhalten. Es bedeutet zweitens, daß wir die Stellung des Bundestages gegenüber der Regierung kräftigen, d. h. die Kontrollmöglichkeiten- des Bundestages nach Möglichkeit ausweiten. Ich bin den Kollegen von der SPD sehr dankbar für einige beachtliche Vorschläge in dieser Richtung, denen wir gern unsere Zustimung geben werden.Schließlich kommt es darauf an — das ist der simpelste Punkt in der Parlamentsreform —, die Arbeit des Parlaments zu rationalisieren. Dabei bitte ich, zweierlei auseinanderzuhalten. Das sage ich vor allen Dingen auch im Blick auf die Diskussion in der Öffentlichkeit, auf die Diskussion in der Presse. Da gehen nämlich ganz verschiedene Dinge durcheinander. Man muß auseinanderhalten die kurzfristigen Vorschlgäe zur Verbesserung des Systems, das wir im Augenblick praktizieren. Das können wir noch in dieser Legislaturperiode verwirklichen.
Dazu gehören die Vorschläge, .die meine eigene Fraktion und die SPD-Fraktion gemacht haben, auch Vorschläge, die Herr Kollege Genscher gemacht hat. Mein Kollege Dr. Klepsch wird sich damit anschließend auseinandersetzen. Aber ebenso klar muß sein, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß selbst, wenn wir alle diese Vorschläge, alle diese Einzelpunkte verwirklichten, wir über einige Kernprobleme dieses parlamentarischen Systems noch nicht hinweg wären. Einige der Schwierigkeiten, wahrscheinlich sogar die größten, würden uns erhalten bleiben. Ich meine also, daß eine Parlamentsreform, die diesen Namen verdient, sich auch und gerade mit den Strukturproblemen auseinandersetzen muß, an denen wir allesamt leiden, ganz gleichgültig, welcher Richtung wir angehören.Ich darf diese Strukturprobleme einmal kurz skizzieren.Da ist zunächst einmal das Strukturproblem der Spezialisierung, die Tatsache, daß ein modernes Parlament nicht mehr existieren kann ohne den Spezialisten, daß der einzelne Abgeordnete nicht mehr aus eigener Sachkenntnis die Fülle dessen zu übersehen vermag, was entschieden wird und wofür er nach außen die Verantwortung trägt. Der Bundestag erläßt pro Jahr etwa 2500 Seiten Gesetze. Jeder von uns weiß, daß er diese Gesetze noch nicht einmal durchlesen kann, auch nicht die bedeutendsten, sondern daß er in vieler Hinsicht vom Spezialisten abhängig ist, draußen aber für seine in der Abstimmung getroffene Entscheidung gefordert wird. Das ist also das Problem: wie wird man mit der besonderen Verantwortung des Spezialisten fertig?Damit zusammen hängt eine andere Frage, die auch zu den Strukturproblemen dieser Demokratie und dieses Parlaments gehört. Ich will sie ganz offen nennen. Das ist das Problem, das man als parlamentsinternen Lobbyismus bezeichnet. Es beruht auf der Tatsache, daß der Spezialist naturgemäß häufig gleichzeitig Interessent ist. Ich brauche nicht einen einzelnen Ausschuß herauszugreifen; ich nenne ein paar, damit ich nicht in den Verdacht gerate, ein-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12371
Dr. Wörnerseitig zu sein. Tatsache ist doch, daß etwa im Innenausschuß Vertreter der Beamtenbünde, im Agrarausschuß Vertreter der Bauernverbände, im Sozialausschuß Vertreter der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände vertreten sind.
Herr Moersch, also wissen Sie, es gibt ein Maß an Polemik, auf das ich beim besten Willen nicht eingehen kann. Sie sollten sich doch, glaube ich, ein bißchen zurückhalten, wenn Sie in diesem Parlament weiterhin ernst genommen werden wollen.
Herr Moersch, sehen Sie, ich versuche, diese Debatte ein bißchen aus der parteipolitischen Polemik herauszuheben. Aber wenn Sie das wollen, kann ich Ihnen anschließend in einer Sonderlektion auch gern ein bißchen polemisch Paroli bieten. Aber ich lege darauf im Moment keinen Wert.Ich war beim parlamentsinternen Lobbyismus, also bei der Frage, wie man verhindern kann, daß die Interessenstrukturen, die zwangsläufig über den Spezialisten in dieses Parlament hineinragen, überwiegen, und wie man diese Interessenstrukturen eindämmen kann.Zum dritten Punkt — auch etwas, was uns besonders quälen muß. Die Gesetzesinitiative hat sich entgegen den Möglichkeiten unserer Verfassung zum großen Teil auf die Regierung verlagert. Das bedeutet im Grunde genommen eine Durchbrechung der Gewaltenteilung; denn die Gesetzentwürfe, die wir auf den Tisch bekommen, bedingen eine Menge von Vorentscheidungen, die wir gar nicht mehr in Frage stellen können oder nur noch in den seltensten Fällen in Frage zu stellen vermögen. Die Frage ist: wie meistert man das? Es sind Vorschläge gemacht worden, etwa der, Parlamentarier mit in die Vorberatung einzubeziehen, oder der, daß das Parlament zunächst über die Grundsätze entscheidet und diese Grundsätze dann der Regierung übergibt.Ich darf noch ein letztes Problem hier aufzeigen. Es ist doch ganz klar: Dieses Parlament erstickt in einer Fülle von Detailproblemen. Wir erlassen eine Unzahl von gesetzlichen Detailregelungen, von Novellen, und darüber vernachlässigen wir in diesem Parlament die eigentliche politische Führungsaufgabe, die uns mehr und mehr abhanden kommt.Meine Damen und Herren, ich habe diese Probleme aufgezählt, obwohl ich sehr offen bekennen muß, daß ich dafür im Augenblick keine Lösung sehe, zumindest keine Patentlösung. Wir wollen hier ganz offen sagen — jedenfalls glaube ich das als einer, der über diese Dinge ein bißchen nachgedacht hat, sagen zu können —: vielleicht gibt es für das eine oder andere Problem keine Patentlösung; vielleicht müssen wir uns damit abfinden, daß wir mit dem einen oder anderen weiterleben müssen. Vielleicht können wir nur Hilfsmittel ansetzen.
Manchen Kritikern draußen, die allzu schnell über Parlamentsreform reden und uns vorwerfen, wir hätten nicht genug und nicht schnell genug gehandelt und würden auch in Zukunft wahrscheinlich nicht schnell genug handeln, möchte ich sagen: es ist eben unendlich viel leichter, über Parlamentsreform zu reden und die Symptome aufzuzeigen, an denen wir leiden, als dafür passable, funktionierende Alternativvorschläge zu entwickeln.
Dies gilt um so mehr, als sich eine Parlamentsreform, wie ich glaube, nicht lediglich im TechnischOrganisatorischen erschöpfen kann, sondern natürlich eingebettet sein muß in eine Reform des Systems der Gesellschaft, in der wir leben. Ich darf hier nur einen Zusammenhang sichtbar machen. Es hat jemand einmal eine für mich ganz passable Pointe gebraucht, indem er sagte: ein Stück Parlamentsreform ist natürlich auch das Ende der Großen Koalition, d. h. das Wiederauftauchen einer breiten, funktionsfähigen Opposition, die in der Lage ist, hier in diesem Parlament große Alternativen anzubieten, und wo es darauf ankommt, ob man nach der einen oder nach der anderen Seite entscheidet. Ich glaube, wir sollten sehen, daß die Parlamentsreform auch in die Art eingebettet ist, wie wir den Parteienstaat praktizieren.Ich glaube nicht, daß ein einzelner Abgeordneter, eine Gruppe von Abgeordneten oder eine Kommission von Abgeordneten imstande wären, Lösungsvorschläge für die Vielzahl der Probleme, gerade dieser Kernprobleme, die ich aufgezeigt habe, allein oder überwiegend zu erarbeiten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich einige der Kollegen zwei oder drei Jahre ausschließlich mit dem Studium dieser Dinge beschäftigen können.Darum hat die CDU/CSU-Fraktion vorgeschlagen — ich hoffe, daß das Hohe Haus dem zustimmen wird —, ein Planungsteam gerade auch für diese Fragen einzusetzen, d. h. ein Team von etwa sechs, sieben oder höchstens acht Leuten, die sich für ein Jahr oder zwei Jahre ausschließlich und mit den Mitteln moderner Organisationsplanung diesen Fragen widmen, neben der Arbeit, die wir gemeinsam im Rest der Legislaturperiode zu erledigen haben. Nur dann, so glaube ich, wird es möglich sein, im nächsten Bundestag an Hand konkreter Alternativvorschläge wirklich gründlich über eine umfassende Parlamentsreform zu diskutieren.Es müßte möglich sein, ein solches Planungsteam noch in dieser Legislaturperiode einzusetzen; es müßte möglich sein, daß dieses Planungsteam noch in dieser Legislaturperiode zu einer Ziel- und Objektplanung kommt, die das neue Parlament dann seiner Arbeit zugrunde legen kann.Meine Damen und Herren, die Stunde für eine Parlamentsreform ist günstig, sowohl zu einer Verbesserung des Systems als auch zu einer umfassenden Parlamentsreform. Es ist höchste Zeit, glaube ich, anzufangen. Sicher: nicht alle Blütenträume werden reifen. Ich bin kein Illusionist; jeder von uns weiß, daß dieses Parlament wie alle Institutionen dieser Demokratie stets der Reform bedürftig
Metadaten/Kopzeile:
12372 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Dr. Wörnersein wird, daß wir nicht mit einem Schlag die Probleme für 50 Jahre lösen können. Dennoch aber darf dieses Wissen keine Ausrede dafür sein, nicht anzufangen.
Jemand hat einmal gesagt, daß auch der längste Marsch mit dem ersten Schritt anfange. Ich glaube, wir werden daran gemessen, ob wir die Kraft zur Erneuerung der Institutionen dieser Demokratie aufbringen. Wir haben allen Anlaß, bei uns selbst und bei der Arbeit dieses Parlaments anzufangen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Wort Reform wird in unserer Zeit nur mit Großbuchstaben geschrieben, und es erscheint wie ein Zauberwort. Natürlich muß man die Reform anpacken, wo immer etwas zu reformieren ist. Aber zunächst einmal muß reformieren doch heißen, daß man vom weniger Guten zum Besseren fortschreitet. Nicht alles, was als Reform angepriesen ist, entspricht dieser Forderung. Und dann: Es nützt nichts, viel über die Notwendigkeit von Reformen zu reden, viele Pläne auszuhecken, so viele Pläne, daß der eine den anderen totschlägt, wie das mir, dem Laien, bei den Plänen zur Hochschulreform zu sein scheint. Es kommt darauf an, daß man das, was man für reformbedürftig hält, jetzt konkret in Angriff nimmt und auf die Fragen, die zu stellen sind und mit Recht gestellt werden, konkrete Antworten gibt. Große Worte helfen nicht weiter; nur die konkrete Arbeit hilft weiter.
Weil wir die Reform gerade auch im Parlament so sehen, haben wir Sozialdemokraten uns die Mühe gemacht, zwar gewiß nicht auf alle Fragen, aber doch auf kleinere und größere, wichtige und weniger wichtige eine Reihe von konkreten Antworten zu geben, sie so zu geben, daß Realisation noch in dieser Legislaturperiode möglich ist. Dabei sind wir uns darüber im klaren, daß manche Fragen nicht angepackt wurden, manche übriggelassen wurden und daß das, was Herr Dr. Wörner die Strukturfrage genannt hat, schon aus Zeitnot auszuklammern war. Aber auch da möchte ich davor warnen, daß man zuviel redet und ganz allgemein schöne Dinge vorschlägt, aber nicht zur Konkretisation kommt. Wenn man nämlich die Konkretisation versucht, stößt man doch auf die Schwierigkeit, auf widerstreitende Gesichtspunkte, die die Lösungen, die man sich einmal so leichtweg vorgestellt hatte, dann doch unmöglich machen.Wir haben als Fraktion eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, die nur soweit auf der Tagesordnung stehen, als sie Rechtstexte für die Geschäftsordnung zum Gegenstand haben und in Form von Gesetzesvorschlägen gehalten sind. Zum anderen Teil werden sich unsere Vorschläge insbesondere bei den Beratungen des Haushalts des Bundestages für das Jahr 1970 niederschlagen, wenn wir dazu Beschlüsse fassen müssen.Meine Damen und Herren, die Leistungsfähigkeit dieses Hauses hängt von einigen Faktoren ab, wie ich meine, erstens von der Leistungsfähigkeit der Abgeordneten einschließlich der Hilfen, die jeder Abgeordnete hat, zweitens von der Ausrüstung des ganzen Hauses mit Einrichtungen der Dokumentation und Information über Hilfsdienste, die uns zur Verfügung stehen, und drittens von der Zweckdienlichkeit der Organisation und der Technik unserer parlamentarischen Einrichtungen, des Plenums und der Organe des Bundestages.Die Leistungsfähigkeit der Abgeordneten. Ich finde, wir sollten nicht nur immer klagen, sondern auch einmal sehen, was wir realisiert haben. Wir haben gerade zu dem noch bevorstehenden Datum des 1. April dadurch einen großen Schritt nach vorn getan, daß wir es jedem Abgeordneten möglich machen, eine qualifizierte Hilfskraft anzustellen, ihn damit von vielen Arbeiten zu entlasten, die nicht den Aufgaben eines Abgeordneten entsprechen.Ich möchte dazu sagen, daß hier nach unserer Meinung ein Anfang gemacht wurde, aber keineswegs ein Ende gesetzt ist. Auf dem Wege der Ausstattung der Abgeordneten mit Hilfskräften müssen wir von Jahr zu Jahr weitere Fortschritte machen. Ich darf darauf hinweisen, daß das auch Konsequenzen für unsere räumlichen Verhältnisse hat.
Kaum ist ein Bau fertig, und schon müssen wir daran denken, wie das weitergeht. Auch das ist bei den Haushaltsberatungen der nächsten Jahre — das erstreckt sich über Jahre — im Auge zu behalten, und da ist weiterzuarbeiten.Kürzlich sagte mir ein Abgeordneter des Congress, daß er elf Angestellte auf Kosten des Congress habe. Das zeigt, wie weit das gehen kann. Ich sagte eben: Ein Mitarbeiter ist kein Ende. Aber ob wir nun für jeden Abgeordneten soviel „Parkinsöhne" zeugen müssen, möchte ich in Frage stellen. Jedenfalls müssen wir auf diesm Wege weitermachen.Was unsere Austsattung mit Hilfsdiensten, mit Dokumentationen angeht, so kommt mit der elektronischen Datenverarbeitung etwas Neues in die Technik der Dokumentation hinein. Die Vorbereitungen zu der Einschaltung und der Nutzung dieser neuen Art der Dokumentation im Bundestag sind im Hause schon im Gange und bereits ein gutes Stück weit gediehen. Hier sollten wir nur eines sicherstellen: Wir müssen von unserer Seite, von der Seite der Abgeordneten, der Verwaltung des Hauses helfen, das in der richtigen Weise voranzutreiben. Wir brauchen eine kleine Ad-hoc-Kommission von drei bis fünf Abgeordneten, die die Verwaltung beraten, damit wir hier schnell vorwärtskommen und das Ganze richtig angepackt wird.Im übrigen möchte ich vor einem Wunderglauben warnen. Eine Datenbank bedeutet keineswegs, daß eine neue Ära in der Welt anfängt, sondern die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12373
Dr. MommerArbeit des einzelnen Abgeordneten, seine Mühe, seine Initiative werden, auch wenn wir eine Datenbank haben, das Entscheidende bleiben,
— Ja. — Die Datenbank gibt immer nur Antworten auf Fragen, die man stellt, und kann sie auch nur geben, wenn man sie vorher eingefüttert hat. Auf das richtige Einfüttern kommt es an.
Hier ist also eine wichtige Arbeit zu leisten. Sie sollte jetzt sofort auch von unserer Seite aus angestrebt werden.Unser wissenschaftlicher Hilfsdienst ist sehr ordentlich. Wir haben ihn im Laufe der bald 20 Jahre Schritt für Schritt ausgebaut. Daran muß man eifrig weiterarbeiten.Aber eines möchte ich hier unterstreichen: Die Assistenz in unseren Ausschüssen ist völlig ungenügend.
Selbst die wichtigsten Ausschüsse haben weniger Mitarbeiter als der einzelne Abgeordnete im Congress als persönliche Mitarbeiter hat. Als wir vor Jahren einmal versuchen wollten, die Ausschußassistenz zu vergrößern, war das eine Frage der Räume; wir hatten sie nicht. Aber jetzt haben wir etwas Luft, und wir müssen schleunigst darangehen, die Ausschußsekretariate auszubauen und sie dabei auch mit höchstqualifizierten Kräften zu besetzen.
Das ist wegen der Qualität unserer Kontrollfunktion notwendig, die doch in erster Linie in den Ausschüssen ausgeübt werden muß; das ist notwendig wegen der Qualität der Gesetze, die wir da machen; und es ist noch aus einem dritten Grunde notwendig: Was wir bisher nicht oder zuwenig betreiben — vielleicht ein wenig über den Petitionsausschuß —, ist die Beobachtung der Bewährung unserer Gesetze. Wenn sie bei uns heraus sind, erst dann merken der Bürger und alle Stellen, die damit zu tun haben, ob wir gute oder schlechte Arbeit gemacht haben. Es sollte eine systematische Aufgabe des Hauses sein, dafür zu sorgen, daß das, was sich an Meinungen über das Gute und das Schlechte — vor allem das Schlechte — unserer Arbeit ergibt, zu uns als Information wieder zurückkommt. Dieses Material muß in den Ausschußsekretariaten schon vorbereitet, aufbereitet werden für Novellen, für die künftige Gesetzgebung. Dazu vor allem auch sollten die Ausschußsekretariate ausgebaut werden. Wir brauchen da ebenso gute Mitarbeiter, wie sie unsere Kollegen Minister in ihren Ministerien für die Ausarbeitung der Gesetzentwürfe brauchen.
Noch ein Punkt! Der Bundestag darf nicht bescheiden sein. Wir sind immer viel zu bescheiden und sind uns selten bewußt, daß wir ja den Souverän repräsentieren und daß die Herren, die dort sitzen, unser Exekutivausschuß sind.
So ist doch das wirkliche Verhältnis, wenn wir die Demokratie ernt nehmen. Deshalb sollte auch das Beste für uns immer gerade gut genug sein.Dementsprechend sollten wir — das ist z. B. auch wieder ein kleiner Punkt —, wenn wir Informationen, Untersuchungen usw. brauchen, uns nicht nur auf das stützen, was wir aus unserem wissenschaftschaftlichen Dienst und aus den Ministerien holen können, sondern wir sollten uns auch an die Forschungsinstitute wenden. Wir sollten alles, was in unsere Lande an Wissen verfügbar gemacht werden kann, mobilisieren und in den Dienst unserer Arbeit stellen.Ich sagte, daß die Leistung des Hauses von der zweckmäßigen Organisation seiner Organe abhängt. Kein gutes Unternehmen kann ohne ein gutes Management sein. Das ist doch heute eine allgemeine Einsicht. Nur mit einem guten Management kann man ein gutes Unternehmen erwarten. Wenn man sich die Struktur des Managements bei uns ansieht, dann muß man sagen: antiquiert, sogar bis auf den Namen. Eines der Steuerungsorgane heißt „Ältestenrat", als säßen da die Ältesten, Herr Rasner; aber da sitzen manchmal recht junge Leute.Wenn man ein so großes Unternehmen „Bundestag" lenken will, dann braucht man zunächst einmal auch ein einheitliches Lenkungsorgan und nicht die Zersplitterung, die wir haben. Da ist der „Vorstand des Bundestages", der etwas sehr Wichtiges zu tun hat, nämlich den Haushalt des Bundestages aufzustellen. Dabei werden die Weichen für die Organisation und die Ausrüstung des Hauses mit Hilfskräften usw. gestellt. Neben dem Vorstand haben wir den Ältestenrat, der das Arbeitsprogramm langfristig und kurzfristig und die Tagesordnungen zu beraten hat. Es ist doch ein Widersinn, daß wir da zwei Organe haben. Wir brauchen eines. An einer Stelle müssen die Entscheidungen für dieses Haus fallen und die Beratungen stattfinden. Herr Genscher hat mit Recht darauf hingewiesen, daß der Ältestenrat ja kein Entscheidungsorgan ist. Die Funktion darf auch nicht in eine Entscheidungsfunktion umgewandelt werden. Wenn wir vereinheitlichen, dann heißt das, daß der neue Vorstand insoweit kein Entscheidungsorgan sein darf. Da soll es vielmehr bei der Regel der Einstimmigkeit bleiben, und wenn es keine Einstimmigkeit gibt, dann ist nichts beschlossen.Das scheint mir bei uns ein ganz wichtiger Vorschlag zu sein: das einheitliche Lenkungsorgan. Dabei verschwindet auch das Präsidium, das da in einem Paragraphen unserer Geschäftsordnung ein Dornröschendasei führt. In Wirklichkeit gibt es dieses Präsidium nicht. Es hat keine Aufgaben, und weil es keine hat, tritt es auch sozusagen nie zusammen. Das muß alles vereinheitlicht werden.Ich freue mich auf das Echo auf diesen Vorschlag und habe die Hoffnung, daß wir diese Reform durchführen können. Wenn wir sie haben, dann ist auch
Metadaten/Kopzeile:
12374 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Dr. Mommerdie Voraussetzung dafür geschaffen, daß wir permanent reformfähig sind. Ein modernes Unternehmen mit einem guten Management zeichnet sich nicht nur dadurch aus, daß es einmal gute Ideen hat und diese verwirklicht, sondern auch dadurch, daß es permanent wach ist, das, was man tut, auf Erfolg und Mißerfolg hin überprüft, und daß man in dem Management die Möglichkeit hat, sofort die nötigen Entschlüsse zu fassen und sich wieder anzupassen, wieder dazuzulernen, wieder weiter zu verbessern.Die Ausschüsse sind ja die Werkstätten unserer Arbeit. Dort wird das Wichtigste getan, und im Plenum wird noch ein wenig herumpoliert. Wir haben uns mit der Frage befaßt, ob man die Zahl der Ausschüsse reduzieren kann. Es wäre erfreulich, wenn man es könnte. Aber der Reduzierung steht ein anderer, ganz wichtiger Grundsatz entgegen. Wir wollen die Kontrolle der Exekutive verbessern. Kontrolle der Exekutive kann nur zu einem bescheidenen Teil hier im Plenum geschehen. In die Details der Riesenressorts kann man bestenfalls — und sogar da kaum — in den Ausschüssen gehen. Vor allem die Ausschüsse müssen die Kontrolle übernehmen.Dann drängt sich wohl der Grundsatz auf, daß jedem Ressort der Exekutive ein Ausschuß der Legislative gegenüberstehen muß. Das scheint uns gegenüber dem Gesichtspunkt des stream-lining und der Reduzierung der Zahl der Ausschüsse vorrangig zu sein. Aber sogar da stolpert man, wenn man bedenkt, daß wir z. B. einen sozialpolitischen und einen Arbeitsausschuß haben und daß wir einen Haushaltsausschuß und einen Finanzausschuß haben. Hier stehen also je zwei Ausschüsse einem Ressort gegenüber. Soll man aus den betreffenden beiden Ausschüssen einen Ausschuß machen?
— Der Praktiker des Hauses wird sagen: Nein, das wird man nicht tun können. — So haben auch wir an keiner Stelle Gelegenheit gefunden, Reduzierungsvorschläge zu machen; einzige Ausnahme ist die vorgeschlagene Zusammenlegung von Ältestenrat und Vorstand. Wir brauchen also so viel Ausschüsse, wie wir Ressorts haben.Die Frage nach der Zahl der Ausschüsse reduziert sich dann auf die Frage: Wie ist die Bundesregierung organisiert? Wenn dort die immer geplanten und nie verwirklichten Ressortzusammenlegungen erfolgt sind, ergibt sich aus dem genannten Grundsatz, daß auch wir in unserem Ausschußsystem einige Vereinfachungen vornehmen können.In diesen Ausschüssen fehlt jetzt ein Instrument zur Kontrolle. Nach der Geschäftsordnung dürfen sich die Ausschüsse nur mit überwiesenen Gegenständen und Vorlagen befassen. Ein guter Ausschußvorsitzender hat sich schon seit langem nicht darum gekümmert und hat in seinem Ausschuß Wege gefunden, das zu behandeln, was notwendig war.
— Der Ausschußvorsitzende findet immer Wege, das zu tun, was er für nötig hält und was die Mehrheit der Ausschußmitglieder für nötig hält.Aber wir sollten auch die Bestimmungen der Geschäftsordnung an die Notwendigkeiten anpassen. Die Ausschüsse müssen das Recht haben, sich mit jedem Gegenstand zu befassen, der in der Zuständigkeit des Gegenüber, des Ressorts der Bundesregierung liegt. Wir müssen prüfen, ob wir den Ausschüssen das Recht geben sollten, darüber auch dem Plenum zu berichten. Das wäre ein berechtigtes Interesse. Aber die Papierflut ist auch ein Argument und in diesem Fall ein Argument gegen solche Berichte.
— Bitte, Herr Kollege Lenz!
Herr Kollege Mommer, sind Ihnen die Erfahrungen des Europäischen Parlaments bekannt, die ergeben haben, daß es ein wesentlicher Punkt zur Verbesserung der Arbeitsweise des Europäischen Parlaments ist, die Selbstbefassung der Ausschüsse mit Materien zu verhindern?
Ich hatte nie die Ehre, Mitglied des Europäischen Parlaments zu sein. Ich kenne diese Erfahrung nicht. Jedenfalls ergibt sich für mich aus der Notwendigkeit der Verstärkung der Kontrolle, daß die Kontrolle dort ausgeübt werden muß, wo sie allein möglich ist. Im Plenum ist sie nicht möglich.
— Das ist damit nicht gesagt. Darum haben wir auch nicht vorgeschlagen, daß der Ausschuß schriftlich berichten können soll. Er soll vielmehr prüfen können. Wir müssen überlegen, wir wir das im einzelnen dann weiter gestalten.Ein Wort über den Petitionsausschuß. Die Kolleginnen und Kollegen aus diesem Ausschuß haben Vorlagen eingebracht. Wir hatten eine wörtlich gleiche Vorlage zur Grundgesetzergänzung und haben darauf verzichtet, sie einzubringen. Unser Vorschlag eines Gesetzes für den Petitionsausschuß unterscheidet sich in einigen Punkten von der Vorlage des Petitionsausschusses. Deshalb haben wir ihn eingebracht.Ich bin sicher, daß wir da leicht auf eine gemeinsame Fassung des Gesetzestextes kommen werden.Ein Wort über Untersuchungsausschüsse. Auch hier liegt eine Notwendigkeit zur Reform vor. Wir hätten einen Gesetzentwurf über Untersuchungsausschüsse eingebracht, wenn nicht die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft seit Jahr und Tag bemüht wäre, einen solchen Entwurf vorzulegen; und wir wollten uns nicht des geistigen Diebstahls schuldig machen. Aber die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft tut sich nicht leicht mit der Arbeit, und sie sollte doch bald mit einer Vorlage kommen.Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn; Donnerstag, den 27. März 1969 12375Dr. MommerVielleicht hilft es, wenn wir sie hier damit bedrohen, daß wir, wenn sie mit ihrer Arbeit nicht fertig wird, gezwungen sein werden, dann doch einen eigenen Entwurf einzubringen.Und noch ein wichtiger Punkt, meine Damen und Herren! Die Kontrolle des Finanzgebarens der Exekutive wird durch den Bundesrechnungshof ausgeübt. Der Bundesrechnungshof hat somit eine Funktion, die eigentlich eine Funktion des Bundestages ist. Nach der Verfassung sind wir das Kontrollorgan.
Alle Hilfsorgane, die es sonst geben mag und die dasselbe Geschäft betreiben, gehören hierhin, in den Bundestag; sie müssen Hilfsorgane des Bundestages sein.Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf über den Rechnungshof in Arbeit; er wurde in der vorigen Woche im Kabinett wieder zurückgestellt. Wir kennen den Text dieses Entwurfs, und ich muß sagen, der Text genügt dieser unserer Forderung in keiner Weise. Der Bundesrechnungshof muß in Zukunft an das Parlament gebunden sein, muß hier seine Heimat haben,
nicht aber in der Exekutive, die durch eben diesen Rechnungshof kontrolliert werden soll! Wir haben uns angesichts der Unwahrscheinlichkeit, daß .aus den Bemühungen der Bundesregierung etwas für uns Befriedigendes herauskommt, entschlossen, noch einen eigenen Gesetzentwurf nachzureichen und ihn auch dann vorzulegen, wenn wir nicht die Möglichkeit haben sollten, ihn noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden.Zu der Transparenz der Arbeit des Bundestages für den Bürger draußen haben wir den Vorschlag gemacht, in unseren Ausschüssen die Möglichkeit zu schaffen, die Öffentlichkeit der Beratungen herzustellen. Ich würde jeden Vorschlag für unpraktikabel halten, und er wäre zum Scheitern verurteilt, der in dieser Frage radikal so weit ginge zu sagen: Die Ausschußsitzungen sind öffentlich. — Das wäre unrealistisch.
Ich glaube, daß wir einen Vorschlag gemacht haben, der allen Anforderungen genügt, der praktikabel und für alle annehmbar ist. Jeder Ausschuß soll in der konkreten Situation, in der er sich befindet, das Recht haben, zu beschließen, daß er die Öffentlichkeit herstellt. Wenn das erst einmal einige Ausschüsse praktiziert haben, erwerben wir Erfahrungen mit dieser neuen Praxis, und dann wird das so gehen, wie es mit den Anhörungen ging, die wir auch jahrelang in der Geschäftsordnung hatten, ohne daß unsere Ausschüsse etwas daraus machten, weil es eben ein unbekanntes Instrument war. Es scheint mir, daß hier genauso Erfahrungen gesammelt werden können und müssen und daß wir dann, ohne jemanden zu zwingen, eine Praxis bekommen, wie sie den tatsächlichen Möglichkeiten und Bedürfnissen entspricht.Wir legen auch einen Gesetzentwurf über die Einsetzung von Enquetekommissionen und die zugehörige Ergänzung der Geschäftsordnung vor. Wir haben schon früher eine ganze Reihe von Enquetekommissionen eingesetzt. Die bekanntesten waren die für die Konzentrationsenquete und die Kohleenquete, aber es gab auch andere. Wir sollten uns dieses Instrument zulegen und es so gestalten, daß es leicht zu handhaben ist. Durch den Gesetzentwurf wird es dann, wenn er angenommen wird, möglich, durch einfachen Beschluß in diesem Hause Enquetekommissionen einzusetzen. Wir konstruieren den Antrag für die Einsetzung eines solchen Enqueteausschusses so, wie wir es jetzt im geltenden Recht schon mit den Untersuchungsausschüssen haben. Ein Viertel der Mitglieder des Hauses soll die Möglichkeit haben, die Einsetzung einer solchen Enquetekommission zu erzwingen.Ein paar Bemerkungen zu unserem Plenum. Ich erinnere an den Plenarsaal. Im Vorstand des Bundestages haben wir grundsätzlich die Weichen für den Neubau eines Plenarsaals gestellt. So wie es nicht dabei bleiben sollte, daß wir alle Abstimmungsmaschinen exportieren, sondern, wie ich in der vorigen Woche hier gesagt habe, wir selber die nächste erst einmal bei uns einbauen sollten, so sollte es auch nicht dabei bleiben, daß wir in diesem Lande den untauglichsten aller Plenarsäle haben, die ich je auf meinen Reisen rund um die Welt gesehen habe.
— Der größte ist er auch, und gerade mit der Größe hängt zusammen, daß er der untauglichste ist, ein Saal, der keine Diskussionsatmosphäre kennen kann.Ein Wort zu der Redezeit. Herr Genscher wandte sich gegen jede Beschränkung der Redezeit. Wir machen nur einen bescheidenen Vorschlag als Beitrag zu diesem Thema. Von dem Soll der 60 Minuten des § 39 unserer Geschäftsordnung wollen wir auf 45 Minuten herunter.Mir scheint aber auch der folgende Gesichtspunkt wichtig zu sein. Mir geht es um die Freiheit aller politischen Kräfte in diesem Haus. Mit der Beschränkung der Redezeit dürfen wir auf gar keinen Fall den Eindruck erwecken, als würde jemandem über die Redezeitbeschränkung ein Maulkorb umgehängt. Das darf es nicht geben.Im übrigen würde ich aber denen, die meinen, daran könne man überhaupt nicht rühren, zu bedenken geben, Herr Genscher, daß es einen gewissen Widerspruch, in dem wir uns hin und her bewegen, aufzulösen gilt. Auf der einen Seite gibt es das Recht auf uneingeschränkte Redezeit. Aber dieses Recht stößt auf das Recht von 517 anderen Abgeordneten, auch gelegentlich mal zu reden, und es stößt auch auf die begrenzte Zeit, die uns insgesamt für unsere Debatten zur Verfügung steht.
Da liegt auch für uns selber eine Begrenzung. Wirsind ja' nicht willens und können es nicht wegen
Metadaten/Kopzeile:
12376 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Dr. Mommerunserer anderen Verpflichtungen, aus 26 Sitzungswochen im Jahr etwa 52 zu machen. Das sind Notwendigkeiten, mit denen man fertig werden muß.Wir müssen im Geschäftsführungsausschuß diese Sache sehr vorsichtig angehen und sehen, ob man da weitere Verbesserungen schaffen kann. Die Vorschläge unserer Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion sind, glaube ich, jedenfalls so, wie sie jetzt vorliegen, nicht die richtige Antwort auf die Probleme.Herr Genscher hat soeben das Schweigen kritisiert. Gott sei Dank schweigen viele in diesem Hause sehr häufig. Auch Sie, Herr Genscher, schweigen zu vielen Fragen sehr häufig. Es ist ein legitimes Mittel des Ausdrucks Ihrer Meinung, wenn Sie zu bestimmten Fragen schweigen. Ich würde auch jedem Minister, gleich welcher Couleur, dieses Recht zugestehen. Wenn er schweigt, spart er uns hier viel Zeit, und er selber muß den Nachteil tragen, daß man Schweigen auch als Äußerung nehmen und es verschieden interpretieren kann.
Man sollte vorsichtig sein mit der Ermunterung an Minister und Abgeordnete, in jedem Fall zu sprechen.Ein Wort zu dem Absentismus, zu dem leeren Plenarsaal. Meine Damen und Herren, hören wir doch einmal damit auf, uns defensiv zu verhalten. Wir sollten uns offensiv verteidigen.
Wir sind keine Schule. Abgeordnete sind keine Pennäler, die morgens um soundso viel Uhr und bis zur letzten Minute da sein müssen. Wir sind hier politische Menschen, und wir müssen denen, die das kritisieren, immer sagen, daß alle freien Parlamente der Welt sich dadurch auszeichnen, daß sie so aussehen wie dieses Haus heute morgen.
Bitte, blicken Sie sich um. Heute morgen sieht es ja gut aus, weil unsere eigene Sache verhandelt wird. Es sieht noch besser aus, wenn noch wichtigere Sachen verhandelt werden. Aber es ist richtig, daß die Abgeordneten bei der normalen, mittleren Arbeit anderen wichtigen Geschäften nachgehen. Das müssen wir den Besuchern sagen. Wenn die Besucher gern volle Parlamente sehen wollen, dann können wir ihnen auch solche empfehlen; dann müssen sie zur Volkskammer nach Ost-Berlin gehen. Wenn die mal ausnahmsweise tagt und einstimmig Beschlüsse faßt, dann ist das Haus bis auf den letzten Platz besetzt.
So war es auch mit dem „teuersten Gesangverein der Welt", mit dem Reichstag Adolf Hitlers.Wir sollten uns nicht wie schulschwänzende Pennäler vorkommen, wenn dieses Haus nicht immer voll besetzt ist. Trotzdem will ich nicht dafür plädieren, daß Sie jetzt alle den Saal verlassen. So ist es nicht gemeint. Wir sollten immer selber abwägen, wo wir im Augenblick am dringendsten gebraucht werden, ob wir jetzt anderen Geschäften nachgehen I müssen oder ob es nicht doch möglich ist,, ins Plenum zu gehen. Ich würde mich freuen, wenn jeder immer diese Überlegung anstellte und als verantwortungsbewußter Abgeordneter die Entscheidung fällte.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte, Frau Griesinger!
Herr Kollege Dr. Mommer, sind Sie auch meiner Meinung, daß wir vielleicht an unsere Pressetribüne die Bitte richten sollten, die Interpretation unserer Arbeit hier mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit zu verbinden, daß wir nicht immer im Plenum sein können, sondern auch viel andere Arbeit haben, damit nicht der Eindruck entsteht, daß wir persönlichen Arbeiten nachgehen, wenn wir nicht hier sind, sondern um unseres politischen Auftrags willen auch anderweitig Verpflichtungen haben?
Ja, die Presse hört uns hier zu, Frau Kollegin Griesinger. Ich hoffe, daß Ihre Worte dort auf guten Boden fallen. Aber es geht zunächst einmal darum, daß wir selber Selbstbewußtsein entwickeln
und der Presse sagen: Nein, nein, ihr beurteilt uns falsch, wenn ihr glaubt, wir seien Pennäler. Wir sind keine Pennäler. Ich bin sicher, daß Selbstbewußtsein unseres Parlamentes von der Presse immer honoriert wird. Wenn etwas honoriert wird, dann das Selbstbewußtsein und die Wahrnehmung der Rechte und Möglichkeiten, die ein Organ des Bundes hat.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Kiep?
Bitte, Herr Kollege Kiep!
Herr Kollege Dr. Mommer, würden Sie mir zustimmen, daß beim Umbau dieses Plenarsaals oder bei einem Neubau vielleicht auch die Ausmaße der Bank, die für die Mitglieder des Bundesrats geschaffen wurde, einer erneuten Überprüfung unterzogen werden sollten, nachdem doch nur bei ganz wichtigen Ereignissen des Föderalismus, wie z. B. einem Besuch des amerikanischen Präsidenten, diese Bank wirklich gefüllt ist?
Herr Kiep, Sie haben eine etwas rhetorische Frage gestellt. In der Antwort will ich noch über das hinausgehen, was Sie sagen. Wenn wir neu bauen, müssen wir uns überlegen, wieviel Platz wir insgesamt schaffen, nicht nur für den Bundesrat, sondern auch für die Bundesregierung und für uns selber. Ich halte es für weise, was man im britischen Unterhaus getan hat. Als man
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn Donnerstag, den 27. März 1969 12377
Dr. Mommer
dort nach der Zerstörung durch deutsche Bomben „the chamber" wiederaufbaute, hat man es so gebaut, daß wohl nur die Hälfte der Abgeordneten darin Platz hat, so daß an großen Tagen nicht alle einen Sitzplatz bekommen und gerade dadurch die Dramatik geschaffen wird, die solchen großen Tagen eigen ist.
Herr Abgeordneter, Sie sollen noch weiter gefragt werden.
Herr Abgeordneter Mommer, Sie erwähnten vorhin, die Öffentlichkeit müsse wissen, warum das Parlament nicht voll besetzt ist. Was kann geschehen, daß sich das Parlament, ein souveränes Parlament, besser als bisher selbst darstellt und jedem unserer Besucher und den glücklicherweise vielen Besuchergruppen sagt, wie unsere Arbeitsmethode ist und warum das Parlament nicht voll besetzt ist, etwa in Erinnerung an ein Wort von Winston Churchill, das Parlament sei das faulste, das am vollsten besetzt sei?
Vielen Dank für die Frage. Unsere Fraktion hat in ihren Vorschlägen auch dazu eine Reihe von Anregungen gegeben. Vor allem muß die Pressestelle dieses Hauses eine nach außen wirkende Pressestelle werden; sie muß dazu ausgebaut werden. Dazu muß sie sich aller modernen Mittel bedienen.
Sie muß dazu auch mit Public-Relations-Firmen zusammenarbeiten und eine Reihe solcher Dinge mehr.
Herr Abgeordneter, würden Sie noch eine Zwischenfrage beantworten?
Ich antworte gern, aber ich mache auf die Uhr aufmerksam; die geht unerbittlich weiter.
Herr Dr. Apel!
Herr Abgeordneter Mommer, bewerten Sie nicht die Größe des Plenarsaals dennoch über, und machen Sie nicht einen Fehler, wenn Sie eine Parallele ziehen zu dem Unterhaus und der Dramatik, die dort entsteht, wenn das Parlament voll ist? Ist dieser Vergleich nicht falsch, und wird dabei das Parlament nicht eher mit einem Fußballstadion verglichen, wo nicht die nüchterne Atmosphäre herrscht, die im Parlament angebracht ist?
Ich bin Ihnen für die Korrektur dankbar, die da nötig ist, weil der Eindruck entstehen könnte, als bewertete ich die materielle Gegebenheit des Saales über. Nein, ich bewerte sie nicht über. Aber jeder von uns weiß, nicht nur von hier, sondern aus den zahlreichen Versammlungen, die er draußen abhält, wie unterschiedlich beredt wir sind, je nachdem, ob man uns in einen großen Saal stellt, der mit einigen 60 Leuten nur zu einem Fünftel gefüllt ist, oder ob man zu 60 Leuten spricht, die in einem kleineren Saal den Eindruck der Fülle vermitteln. Sie reden ganz anders, wenn Sie in dem gefüllten Raum sprechen, als wenn Sie zu denselben Leuten sprechen, wo hier mal einer und da mal einer sitzt. Das ist das, was ich meine. Im übrigen: keine Überbewertung. Aber Parlamentsreform insgesamt, das ist nicht die Frage eines genialen Vorschlags an einer Stelle, sondern das ist auch die Addition von vielen kleinen Dingen, und der Plenarsaal ist für mich kein ganz kleines Ding; es ist mittlere Qualität.
Herr Abgeordneter, Herr Schulte möchte Sie gern etwas fragen.
Herr Kollege Dr. Mommer, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß wir im Hause ganz gegenteilige Erfahrungen gemacht haben, daß die längsten Reden dann gehalten werden, wenn kaum noch jemand hier ist?
Nein, diese Erfahrung kann ich nicht bestätigen. Das beobachte ich oft von dem Sitz da hinter mir — auch in der letzten Woche, gestern usw. —, daß, wenn das Haus -leer ist, z. B. Reden zu Protokoll gegeben werden, die, wenn es voll wäre, mündlich vorgetragen würden.
Ich beobachte auch, daß bei leerem Haus viele, die ein wenig Gespür für das haben, was in einer bestimmten Lage möglich ist, ihre Reden straffen. Es haben nicht alle das Gespür, und insofern haben Sie recht.
Bitte!
Herr Kollege Dr. Mommer, sind Sie nicht der Auffassung, daß eine Verkleinerung des Plenarsaales mit dem Ergebnis, daß nicht mehr jeder Kollege einen Sitzplatz haben würde, lediglich eine optische Korrektur wäre, die auch von den Besuchern dieses Hauses sehr wohl mißverstanden werden könnte?
Nein, ich habe diese Sorge nicht. Ich sagte schon, daß ich da den Mr. Churchill für einen weisen Mann halte, als er jenen Beschluß beim Wiederaufbau des Plenarsaales des Unterhauses faßte. Außerdem wollen wir ja nicht nachmachen, was man in Großbritannien getan hat. Wir hatten schon mal einen Plan zum Umbau hier, der dann wieder steckengeblieben ist. Darin sollte es die Möglichkeit geben, daß an großen Tagen zusätzliche
Metadaten/Kopzeile:
12378 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Dr. MommerSitze in den Saal gebracht werden und jeder seinen Sitzplatz hat. Also da gibt es durchaus Möglichkeiten, das richtig zu dosieren. Aber ich meine, wir sollten keinen so großen Saal bauen wie diesen hier. Wie Sie aus den Zwischenfragen gemerkt haben, gibt ,es da Meinungsverschiedenheiten in meiner Fraktion wie in jeder Fraktion, und das müssen wir dann entscheiden, wenn die Entscheidung zu fällen ist.
Herr Abgeordneter, ich sehe noch zwei Kollegen, die sich an den Mikrophonen aufgebaut haben, um Sie etwas zu fragen. Ich spreche aber doch eine Bitte aus. Wir sollten die Debatte nicht allzusehr in Zwiegespräche auflösen. Denken Sie auch an die Zeit, die uns im ganzen zur Verfügung steht.
Trotzdem, bitte!
Trotzdem eine — —
Nein, ich will dann von meinem Recht Gebrauch machen, keine Fragen mehr anzunehmen,
und zu dem Thema „Forum der Nation" eine Bemerkung machen. Wir haben in der Geschäftsordnung die Instrumente, um aus dem Hause dieses Forum der Nation zu machen. Da braucht nichts getan zu werden. Getan werden muß etwas in unseren Fraktionen. Es hängt von der politischen Kraft der Fraktionen und der einzelnen Abgeordneten ab, ob wir das Forum der Nation werden oder ob wir es nicht werden. Eine Reform in den Texten ist hier nicht nötig.
Dann zur Fragestunde. Wir nehmen das Fragerecht sehr ernst und möchten es auf keinen Fall beschneiden. Wenn sich zeigt, daß wir — wie es in der Praxis so ist — nicht mit allen Fragen durchkommen, nun, dann müssen wir der Fragestunde noch etwas mehr Zeit widmen und etwa an den Donnerstagen aus der Stunde etwas mehr Minuten machen.
— Oder auch abends. Über die Modalitäten können wir reden. Aber es sollte angestrebt werden, daß alle eingebrachten Fragen, die mündlich beantwortet werden sollen, tatsächlich mündlich beantwortet werden.
Herr Genscher hat einen sehr interessanten Vorschlag gemacht: eine Fragestunde aus der Aktualität zu machen. Ich habe so etwas einmal im kanadischen Parlament erlebt; die machen das. Aber, Herr Genscher, wenn Sie es dort ebenfalls erlebt haben, dann wissen Sie auch, was die Kehrseite der Sache ist. Wenn nämlich die Regierung die Fragen nicht vorher kennt, ist sie in der Antwort noch zurückhaltender, noch vorsichtiger, als sie es schon bei vorbereiteter Antwort ist. Insgesamt aber hat eine solche Idee meine persönliche Sympathie; wir könnten darüber weiter reden.
Zum Punkt „Minderheitenrechte" ein paar kurze Bemerkungen. Herr Genscher hat schon gesagt, daß in unseren Vorschlägen eine logische Korrektur unserer geltenden Geschäftsordnung enthalten ist. Wir haben das Antragsrecht für 15 Abgeordnete. Aber die Mehrheit kann verhindern, daß ein solcher Antrag je auf die Tagesordnung kommt, und nicht nur dann, wenn es überhaupt weniger als die Mehrheit sind. Die Mehrheit bestimmt die Tagesordnung. Nur bei Großen Anfragen haben wir das Minderheitenrecht, die Aufsetzung erzwingen zu können. Dais ist unlogisch. Man muß dem, der das Antragsrecht hat, auch das Recht auf Behandlung des Antrages hier geben und das Recht darauf — wie auch Herr Genscher es schon erwähnt hat —, daß im Ausschuß darüber befunden wird. Dort entscheidet die Mehrheit, und dabei bleibt's. Die Mehrheit stimmt ab und entscheidet. Aber die Minderheit muß das Recht haben, die Behandlung zu erzwingen.
Wir haben andere Minderheitenrechte; ich habe sie zum Teil schon genannt: bei der Enquete-Kommission ein Viertel. Bei den Anhörungen meinen wir auch, daß es im Ausschuß ein Minderheitsrecht geben sollte; wenn ein Viertel Anhörungen verlangt, sollen sie angesetzt werden.
Meine Damen und Herren, damit bin ich am Ende unserer Vorschläge. Es sind viele und detaillierte Vorschläge, aber sie sind, glauben wir, praktikabel, und wir können sie noch in dieser Legislaturperiode verabschieden. Der Ausschuß für Geschäftsordnung muß Sonderschichten einlegen, damit das noch möglich wird. Im übrigen muß die Arbeit an der Reform weitergehen. Herr Präsident von Hassel hat dazu durch die Einsetzung eines Ausschusses bei der Verwaltung und mit den Fraktionen des Hauses schon Vorkehrungen getroffen. Herr Wörner hat von dem Planungsteam gesprochen. Auf diesem Wege können wir weitervoranschreiten. Worauf es uns jetzt ankommt, ist, daß wir bis Juni möglichst viel realisieren, damit wir das Reformierte dann im Oktober praktizieren können.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mende.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über den Berichten über diese Debatte könnte möglicherweise morgen in der Presse der vordergründige und irreführende Titel stehen: „Der Deutsche Bundestag debattierte in eigener Sache." Mir scheint, daß es hier um viel mehr geht als um Reformen unserer Geschäftsordnung und Anregungen zur Organisation und Funktion des Deutschen Bundestages. Es geht um die Beantwortung der Frage, die draußen wiederum, wie seinerzeit in der Weimarer Republik, angriffslustig von einer heranwachsenden Generation an uns gestellt wird, ob der Parlamentarismus nicht in einer tiefen Krise stecke und ob es nicht notwendig sei, ihn grundlegend zu verändern.Die Weimarer Republik war kaum vier Jahre alt, da bemächtigte sich bereits ein Teil der Wissen-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12379
Dr. Mendeschaft dieser Frage. Professor Carl Schmitt — nicht zu verwechseln mit dem ehrenwerten Herrn Kollegen Professor Carlo Schmid dieses Hauses — schrieb 1923 eine Broschüre unter dem Titel „Die geistesgeschichtlichen Grundlagen des heutigen Parlamentarismus", die in einer absoluten Negation des parlamentarischen Systems endete. Er meinte, daß der historisch gewachsene Parlamentarismus seine geistige Grundlage verloren habe; es sei wie ein Kunstgriff, wenn man glaube, daß heute in den Parlamenten noch politische Entscheidungen stattfänden; es wäre, als wenn man einen Heizkörper einer Zentralheizung mit gelber oder roter Farbe bemalt hätte, um die Illusion eines lodernden Feuers zu erzeugen. Die Entscheidungen — so Carl Schmitt — fielen nicht mehr im Parlament, sie fielen in den Büros der Parteien, im kleinen Zirkel der Industrien, der Gewerkschaften; es sei schlimmer als zu den schlimmsten Zeiten des Absolutismus. Carl Schmitt war einer der geistigen Wegbereiter der nationalsozialistischen Diktatur in seiner absoluten Verneinung des Pluralismus und in seiner Favorisierung des Monismus, der Herrschaft eines Mannes.Carl Schmitt fand ein Jahr später in dem Bonner Professor Thoma seinen Gegner. Professor Thoma wies nach, daß sich zwar der Schwerpunkt des parlamentarischen Systems aus den Plenarsitzungen in die Ausschüsse, in die Fraktionen verlagert habe, daß aber die geistigen Grundlagen nach wie vor gegeben seien wie die Wesensmerkmale des Parlamentarismus, nämlich die freie Wahl von Vertretern des ganzen Volkes und die dann im Parlament stattfindende, unter dem vollen Licht der Öffentlichkeit erfolgende Auseinandersetzung von Meinungen und Gegenmeinungen in Rede und Gegenrede mit dem Ziel, die relativ beste Lösung durch Mehrheitsentscheidungen zu finden, und die Kontrolle der Regierung durch das Parlament in allen Ebenen.Meine Damen und Herren, 20 Jahre nach Wiedererstehen eines deutschen Parlamentarismus ist in der Tat auch heute eine Bilanz gerechtfertigt. Ich freue mich darüber, einige hier bereits gegebene Anregungen der Kollegen Genscher, Wörner und Mommer ergänzen zu können. Auch heute wird draußen, wie Herr Kollege Wörner mit Recht erwähnte, die Kritik gegenüber dem Parlament, gegenüber dem Parlamentarismus, laut und lauter. Sie hat Wissenschaft, Verbände, aber auch weite Kreise der heranwachsenden Jugend ergriffen.Mir scheint, daß ein Rückblick auf 20 Jahre Deutscher Bundestag und deutsche Landtage das Urteil rechtfertigt, daß sich der Parlamentarismus bewährt hat. Trotz einiger auch heute wiederum nicht zu leugnender Schwächen und gewisser Notwendigkeiten von Reformen, die sich in einigen Anträgen hier niederschlagen, hat sich der Parlamentarismus als das Forum geistiger Auseinandersetzungen im vollen Licht der Öffentlichkeit und der ständigen Verbindung zu den Wählerinnen und Wählern und nicht zuletzt der Kontrolle der Regierung bewährt. Es ist sogar gelungen, zwischen dem sehr schwierigen Problem der absoluten Gewissensentscheidung des einzelnen Abgeordneten — Art. 38 des Grundgesetzes: Der Abgeordnete ist nur seinem Gewissen unterworfen — und der Strukturveränderung der modernen Demokratie im Sinne des Parteienwesens — Art. 21 des Grundgesetzes: Die politischen Parteien wirken bei der Willensbildung mit — einen Kompromiß zu finden, der sich auch im Parteiengesetz niederschlägt. Die 20 Jahre Deutscher Bundestag haben bewiesen, daß in allen Parteien und Fraktionen auch eigenwillige Persönlichkeiten die Möglichkeit ihrer Wirkungsstätte haben, ohne gleich von den Parteibürokratien diszipliniert zu werden und einer Gleichschaltung unterworfen zu sein.Ein so phänomenaler Wiederaufbau, wie er sich in der deutschen Nachkriegsdemokratie demonstriert im politischen, im wirtschaftlichen, im gesellschaftspolitischen Bereich, auch in der Außenpolitik, nach dem Westen die Freundschaft zu gewinnen und nach dem Osten die Versöhnung zu beginnen, eine solche Entwicklung ist die Widerlegung aller Gegner der parlamentarischen Demokratie, die zwar „Parlamentarismus" sagen, aber die Grundlagen einer rechtsstaatlichen Demokratie zerstören möchten.Nun einige Bemerkungen in Ergänzung dessen, was schon gesagt wurde zu der Organisation des modernen Parlamentarismus und zu seinen Funktionen.Die Größe des Deutschen Bundestages steht natürlich auch bei unseren Kritikern draußen oft zur Diskussion. Man bekommt in jeder Veranstaltung Beifall, wenn man sagt, 518 Abgeordnete sind zuviel, 400 täten es auch, sogar 300. Und der Bund der Steuerzahler würde uns dann sicher bescheinigen, daß das außerdem eine Ersparnis von einigen Millionen DM bedeuten würde.
Ich halte diese Diskussion für frevelhaft. Wer eine Verringerung der Zahl der Parlamentarier des Deutschen Bundestags verlangt, verschlechtert die Verbindung der Gewählten mit den Wählerinnen und Wählern,
d. h. er befürwortet wiederum eine Isolierung der Parlamente von der Wählerschaft mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen des Mißtrauens und des Mißvergnügens. Zum anderen sollte uns in Deutschland auch zu denken geben, warum die Länder der klassischen Demokratie — Großbritannien, Frankreich, Italien — eine ähnliche Zahl, adäquat etwa zu ihrer Bevölkerung, von Abgeordneten haben. Ich glaube also, daß der Gedanke der Verringerung der Zahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages geradewegs wieder zu den gleichen Gedankengängen führen kann, die Carl Schmitt im Jahre 1923 äußerte: Der Pluralismus ist schwerfällig; 500 sind zuviel, zu kostspielig; lassen wir auf 300, dann auf 200 heruntergehen! — Am Ende ist es noch am billigsten — so werden dann die Kritiker sagen —, wenn nur wieder einer bestimmt; dann geht es am schnellsten. Aber am Ende wird es wieder am teuersten;
Metadaten/Kopzeile:
12380 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Dr. Mendedenn mit der Katastrophe des 8. Mai 1945 endete genau das, was Professor Carl Schmitt im Jahre 1923 mit seinem Votum für den Monismus in Deutschland geistig eröffnete.
Gestatten Sie eine Frage von Herrn Schulze-Vorberg?
Bitte schön!
Herr Dr. Mende, würde Ihr Gedanke nicht eigentlich dazu veranlassen, darüber nachzudenken, ob man den einzelnen Abgeordneten — gerade im Sinne Ihrer Ausführungen — nicht an einen Wahlkreis binden sollte, und könnte man nicht darüber nachdenken, ob dann etwa 400 Wahlkreisabgeordnete nicht eine bessere Verbindung zwischen den Wählern und den Gewählten herstellen als nur 250 Wahlkreisabgeordnete, wie wir sie zur Zeit haben?
Herr Kollege Schulze-Vorberg, Sie nehmen einen Teil meiner Rede hier schon vorweg. Aber ich möchte Ihnen sofort antworten. Genauso, wie es falsch wäre, das Scheinbild eines vollbesetzten Plenums dadurch zu erzeugen, daß man für 500 Abgeordnete nur 400 Sitzplätze konstruiert, wäre es falsch, zu glauben, man könne eine Strukturveränderung unserer Demokratie im positiven Sinne dadurch erreichen, daß man ein seit 20 Jahren bewährtes Wahlrecht, das einen guten Kompromiß zwischen Persönlichkeits- und Verhältniswahlrecht, zwischen Mehrheit und Gerechtigkeit darstellt, ändert, oft nur aus der zum Teil tendenziösen Motivation, mißliebige Dritte auszuschließen oder mißliebige Vierte erst gar nicht in das Parlament hineinkommen zu lassen.
Ich halte Wahlrechtsreformen aus der Erfahrung der 20 Jahre dieser parlamentarischen Demokratie nicht für notwendig, sondern für den Beginn eines Spieles mit dem Feuer, das die außerparlamentarische Opposition in den Besitz noch anderer Kräfte bringen könnte, als sie heute bei der außerparlamentarischen Opposition leider schon zu beklagen sind, die dann aber nicht mehr vertreten sein werden.
Wollen Sie noch eine Frage zulassen, Herr Abgeordneter?
Wenn mir das, Herr Präsident, nachher entsprechend abgerechnet wird, dann bin ich einverstanden.
Ich rechne hier oben gar nicht; ich habe keine Redezeit festgesetzt.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Herr Dr. Mende, meine Frage zielte eindeutig auf die Bindung des Abgeordneten an einen Wahlkreis. Das war doch eigentlich ein Gedanke, den Sie vorgetragen haben. Können wir das nicht gemeinsam erreichen?
Das ist nur eine Komponente des Problems. Da Art. 38, von dem ich soeben sprach, mit Art. 21 des Grundgesetzes korrespondiert und jeder Mensch Ihnen nachweisen wird, daß wir den Weg von der absoluten repräsentativen Demokratie etwa zur Parteiendemokratie beschritten haben — siehe Art. 21 —, paßt unser Wahlrecht ausgezeichnet zu dieser Verfassungskonstruktion des Kompromisses zwischen Art. 38 und Art. 21, indem nämlich neben der Hälfte direkt gewählter Abgeordneter eine andere Hälfte über die Landeslisten der Parteien gewählt wird. Das scheint mir der beste Kompromiß zwischen den beiden Prinzipien der Verfassung zu sein. Dies kann der Wählerverbindung nur dienlich sein; denn neben dem direkt gewählten Abgeordneten, Herr Schulze-Vorberg, haben Sie in Ihrem Wahlkreis eben noch einen Mitbewerber auf der Landesliste, der Ihnen im Nacken sitzt und Sie zur Leistungssteigerung anreizt.
Das dient dazu, daß Sie öfter in Ihren Wahlkreis gehen, damit Ihnen Ihr Kollege von der SPD oder von der FDP beim nächstenmal nicht den Rang abläuft.Zur Frage der Ausschüsse hat Herr Kollege Mommer hier schon Stellung genommen; Herr Dr. Wörner hat sich zu der Frage möglicher Interessenkollisionen geäußert. Ich glaube, aus der Erfahrung dieser zwei Jahrzehnte, Herr Kollege Mommer, geht doch hervor, daß 30 Ausschüsse zuviel sind, daß auch noch 20 Ausschüsse zuviel sind; 12 Ausschüsse im Deutschen Bundestag würden genügen. Wir wären dann in der Lage, die heutige Einseitigkeit der Besetzung einzelner Ausschüsse etwas mit der Mehrgleisigkeit auch anderer politischer Richtungen zu kombinieren.
Dann würden im Agrarausschuß nicht nur die Agrarier, im Ausschuß für Arbeit nicht nur Gewerkschaftler und im Ausschuß für Beamtenrecht nicht nur Beamte sitzen; dann wäre in einem größeren Wirtschaftsausschuß generell die allgemeine Wirtschaftspolitik zu betrachten, eben auch mit ihren Auswirkungen auf die Agrarpolitik und auf die Gesellschaftspolitik. Also: weniger Ausschüsse, die dann größer sein müßten und differenzierter in der Zusammensetzung sein sollten, um einseitige Interessenbeschlüsse der einzelnen Gruppenvertretungen unseres Staats möglichst zu vermeiden. Ganz ausschließen wird man das nie; denn selbstverständlich besteht moderne parlamentarische Demokratie auch im Interessenausgleich der vielschichtigen gesellschaftspolitischen Strukturen eines modernen Industriestaates.Ganz problematisch scheint mir die organisatorische Ausstattung des Deutschen Bundestages zu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12381
Dr. Mendesein. Was sich hier die Exekutive in 20 Jahren an Hilfsmitteln durch unsere Beschlüsse zueignete — denn wir entscheiden ja über die Haushalte —, haben wir uns selbst nicht einmal im Minimum zugestanden.
Wenn ich daran zurückdenke, welche Fehler wir gemacht haben - vor allem wir, die wir die Ehre und das Glück haben, seit dem ersten Tag, vom September 1949 an, hier ununterbrochen zu sitzen —, muß ich sagen: wir haben zuviel Feigheit gegenüber der sogenannten „veröffentlichten" Meinung in diesem Haus geübt.
Wir ließen uns einschüchtern, als hier die Dampfer vorbeifuhren und Lehrer und Kinder das Lied sangen: „Wer soll das bezahlen, wer hat das bestellt?".
Das, was seinerzeit über die Ausstattung des Deutschen Bundestages geschrieben wurde, insbesondere über die Diäten, ist uns damals so in die Glieder gefahren, daß wir Ausstattungsbeschlüsse faßten und Diäten festsetzten, deren sich jeder Regierungsrat in der Bundesregierung schämen müßte.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte schön!
Herr Kollege Mende, sind Sie bereit, aus dem, was Sie eben richtig sagen, eine Nutzanwendung zu ziehen und nie zu wiederholen — auch wenn wir in Zukunft weitere Baubeschlüsse fassen müßten —, was damals geschah, als wir unser Bürohaus gebaut haben?
Herr Kollege Mommer, Sie dürfen zwei Aspekte nicht durcheinanderbringen. Der eine ist der organisatorische Aspekt; das andere war sehr stark ein politischer Hintergrund. Als wir damals den Mammutbauten widersprachen — das war ja vor Jahren —, geschah das aus der politischen Sorge, daß die absolute Etablierung in Beton und Stahl in Bonn die Deutschlandpolitik und das Verhalten gegenüber Berlin in Frage stellen könnte. Das war der Hintergrund
und nicht so sehr das Problem der Ausgaben.
Sehen Sie, einer der Vorschläge, jedem Abgeordneten einen Assistenten und eine Sekretärin zu bewilligen, mindestens also ein Fünftel dessen, was ein amerikanischer Senator hat, stammt ja von mir nach einem Besuch in Amerika. Die Einrichtung von Stellen für wissenschaftliche Assistenten — Sie können es nachlesen, — geht auf einen Amerikabesuch von 1954 zurück. Sie sind daraufhin angestellt worden. In bezug auf eine bessere Organisation, Ausstattung und Dotierung der Parlamentarier werden Sie bei den Vertretern der liberalen Fraktion immer ein offenes Ohr und eine gebende Hand finden, soweit wir durch unsere Zahl zu den Beschlüssen beitragen können. Denn in der Tat: Unsere mangelnde Selbstachtung, verbunden mit einer gewissen „Pauverté", die wir hier bewiesen haben, hat zu einer Schwäche in der Beurteilung der Funktionen und der Achtung der Parlamentarier draußen im Lande geführt.
Wissen Sie, ich bin ja in der glücklichen Lage, jetzt seit knapp zwei Jahren die Unterschiede zwischen politisch-parlamentarischer Hauptverantwortung hier und in der Wirtschaft zu vergleichen. Und ich muß Ihnen sagen, noch jetzt ärgere ich mich über eigene Versäumnisse in den zurückliegenden 20 Jahren bezüglich einer dem Parlamentarismus entsprechenden organisatorischen und materiellen Ausstattung. Wir alle haben 1949/50 entscheidende Fehler gemacht, als wir in die Knie gingen vor einigen Illustrierten und einigen Presse-Organen, die da glaubten, uns nach der D-Mark einschätzen zu müssen.
Hier ist Großzügigkeit gegenüber dem Souverän auf die Dauer wesentlich billiger und besser als Sparen an der falschen Stelle und die Erregung von Mitleid bei allen denen, die von oben herab- auf die armen Toren schauen, die hier sitzen und für das Minimum ihrer Bezahlung ein Maximum an Leistung und eine Belastung ihrer Familien in Kauf nehmen müssen, wovon ein Manager der Wirtschaft sich keine Vorstellungen machen kann.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Frage? — Der Herr Abgeordnete Ott möchte Sie fragen.
Herr Dr. Mende, da Sie vorher von der Höhe der Diäten sprachen: Ist Ihnen bekannt, daß das deutsche Volk in der Silvesternacht in einer Stunde mehr für Feuerwerkskörper ausgibt als im ganzen Jahr für seine 500 Abgeordneten im Deutschen Bundestag?
Mir sind noch viel mehr Beispiele bekannt. Ich halte es schon für falsch, wenn wir uns in einer öffentlichen Versammlung überhaupt auf eine Rechtfertigung einlassen. Wir müssen so souverän sein, diese Frage als unserer Selbstachtung zuwiderlaufend überhaupt nicht zu diskutieren. Sie werden in jeder Versammlung bei den Gutwilligen Zustimmung finden. Denn in der Tat redet draußen keiner über seine eigenen Bezüge, Nur wir Parlamentarier müssen uns ausziehen bis zum letzten Hemd und vielleicht noch darüber hinaus, damit andere ihre Presse-Auflagen steigern können an der Erregung des Mißvergnügens am Parlamentarismus.
Ich habe übrigens ein anderes Beispiel gewählt, das nicht so explosiv ist wie das Ihre mit den Feuerwerkskörpern. Ich habe gesagt: Pro Staatsbürger
Metadaten/Kopzeile:
12382 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Dr. Mendekostet dieser Deutsche Bundestag unseren Wähler eine Flasche Bier. Das wird selbst der am schlechfesten Bezahlte verstehen!
— In einem Jahr! — Sie haben 40 Millionen Mitbürger und Mitbürgerinnen, die wahlberechtigt sind. Wenn Sie pro Mitbürger eine Mark für eine gute Flasche Bier — es mag aus Dortmund oder aus München sein,
es mag aus beiden Gegenden des deutschen Bierwesens sein — einsetzen, haben Sie, Herr Kollege, 40 Millionen DM. So teuer sind wir gar nicht summa summarum, wenn wir den Parlamentarismus wirklich einmal auf Mark und Pfennig für den Staatsbürger ausrechnen. Also großzügiger in der Ausstattung, großzügiger in der Dotierung und nicht schwächer und armseliger sein wollen als die Ministerialbürokratie.Dahin gehört auch das Thema, das eben Herr Kollege Mommer auf Grund der Zwischenfrage einer Kollegin anschnitt: die Pressearbeit dieses Souveräns. Herr Schulze-Vorberg, ich will jetzt, wenn ich mir die Brille aufsetze, nicht nach Ihren Kollegen auf der Pressetribüne schauen, um nachzuzählen, wieviel es sind. Aber in der Vergangenheit habe ich festgestellt, daß es selten mehr als 10 % der vorhandenen 150 Plätze waren, die besetzt sind, meistens nur ein Zwanzigstel der oben vorhandenen Plätze. Nun kann man, wie es auch Herr Mommer tat, sagen: Die Sitzordnung und das Gesäß allein sind es ja nicht, — um Herrn Dreesbach zu zitieren, der einmal seinem Chef sagte, als er ihn verspätet im Büro antraf: Herr Chef, Sie haben meinen Kopf engagiert, nicht mein Gesäß.
Er hat es noch etwas drastischer ausgedrückt. Aber ich kann es mir bei meinem Alter noch nicht leisten, so drastisch und so kantig wie August Dreesbach zu reden; vielleicht später einmal. — Aber ganz so geht es damit — wir haben noch etwas anderes zu tun —, Herr Kollege Mommer, doch nicht. Erstens ist ein Teil unserer heranwachsenden Jugend über die subtilen Einzelheiten des Funktionierens der parlamentarischen Demokratie nicht informiert. In der Schule wird kaum darüber gesprochen. Also wissen viele Besucher gar nicht, daß mindestens die gleiche Anzahl der Abgeordneten, die hier ist, Besuchergruppen empfängt oder in Straßburg oder in Brüssel sitzt oder Auslandsreisen zu absolvieren hat. Das ist also vielen nicht bekannt.
— Selbstverständlich, wenn noch Ausschüsse parallel laufen, was ich für falsch halte. Das Plenum sollte hier tagen, ohne durch Ausschußsitzungen beeinträchtigt zu sein,
weil es auch den Abgeordneten in Gewissenskonflikte bringt. Wo ist er denn wichtiger? Er möchte hier zu einer Frage Stellung nehmen. Gleichzeitig aber wird seine Abwesenheit im Ausschuß beklagt. Das ist für eine mittlere Fraktion eine große Belastung, wenn Sie Plenar- und Ausschußsitzungen parallel laufen lassen. Das sollte grundsätzlich nicht stattfinden. Der Präsident sollte nur in seltenen Fällen Ausnahmegenehmigungen erteilen.
Zu der Presse! — Sie lenken mich durch Ihren Zuruf ab. — Man mag sagen: Aber die verehrungswürdigen Herren Vertreter der öffentlichen Meinung hören doch jetzt im Rundfunk, in ihrem Büro unsere Diskussion. Aber das ist kein voller Ersatz, genausowenig wie die beste Übertragung eines hervorragenden Sinfoniekonzerts kein Ersatz für den unmittelbaren Besuch darstellt. So ist eben das Anhören der Debatte jetzt in einem Büro im Pressehaus kein vollwertiger Ersatz für die unmittelbare Teilnahme. Hier sollte man in der Tat den Versuch machen, auch mit der Presse in ein besseres Verhältnis zu kommen, nicht in der Frage der besseren Besetzung allein, Herr Mommer, sondern auch in der Frage der besseren Zusammenarbeit.Während das Bundespresse- und Informationsamt mit einem Staatssekretär und fast 1000 Bediensteten besetzt ist und die Werbearbeit für die Bundesregierung in vielfältigster Form und in den mannigfaltigsten Publikationen vonstatten geht — ob früher, als Sie noch in der Opposition waren, zu Ihrem Arger oder heute, da wir in der Opposition sind, zu unserem Arger, mittels ganz- und halbseitiger Anzeigen —, haben wir in der sehr schätzenswerten Frau Gies mit etwa zehn Bediensteten die Summe aller pressepolitischen Tätigkeit des Souveräns. Das Mißverhältnis ist eben nicht tragbar. Auch der Deutsche Bundestag sollte sich eine Presse- und Informationsabteilung zulegen und sie mit besten Kräften besetzen, damit unsere öffentliche Arbeit draußen bekannt gemacht werden kann adäquat zu dem, was sich die Bundesregierung an Bewilligungen im Presse- und Informationsamt leisten kann.
Also eine Presse- und Informationsabteilung des Deutschen Bundestages, — bei allem Respekt vor der großartigen Leistung, die Frau Gies in den letzten 20 Jahren mit ihrem Minimalapparat in dem Verhältnis zwischen Bundestag und Presse schon positiv bewirken konnte.
Meine Damen und Herren, diese wenigen Bemerkungen zur Organisation. Jetzt einige Bemerkungen zur Funktion!Drei Lesungen eines Gesetzes sind antiquiert, sie passen einfach nicht mehr in die heutige Zeit. Zwei Lesungen genügen, eine erste mit einer Aussprache oder in der auf die Aussprache verzichtet wird, und eine zweite, in der dann die Gesetze verabschiedet werden. Dabei bestreite ich, daß es noch notwendig ist, das Antragsrecht noch jedem einzelnen Abgeordneten zu geben, wie es heute noch in der Ge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12383
Dr. Mendeschäftsordnung, überkommen aus der Weimarer Zeit, steht. Denn die Konsequenz des Art. 21 ist doch, daß die Parteien stärker eingeschaltet sind. Es gab bisher in den 20 Jahren nur einen einzigen Abgeordneten, der aus eigener Kraft und mit eigenen materiellen Möglichkeiten — als vielfacher Millionär — in der Lage war, im 1. Deutschen Bundestag ein Mandat zu erwerben. Im zweiten wurde er nicht mehr gewählt, weil er glaubte, ohne eine politische Partei Mandatsträger werden zu können. Das gibt es bei uns nicht. Das ist ausgeschlossen. Das ist die Konsequenz des Art. 21, daß man zwischen Art. 21 — Parteiendemokratie — und Art. 38 den Kompromiß finden muß.Ich würde es also nicht beklagen, wenn wir in der zweiten Lesung keine Einzelanträge der Abgeordneten hätten, sondern das Antragsrecht die Voraussetzungen knüpfte, daß beispielsweise mindestens fünf Abgeordnete einen Antrag stellen müßten; so viel Kollegen wird doch ein jeder unter 500 finden, die den Antrag unterstützen. Aber ich halte die jetzige Art — erste, zweite, dritte Lesung — für eine Zeitverschwendung und für eine erhebliche Belastung unserer Arbeit.Das Problem der freien Rede ist hier schon vielfach angeschnitten worden. Es liegt ja eigentlich — Verzeihung, Herr Präsident — nur an dem Präsidenten. Denn der Präsident hatte auf Grund der Geschäftsordnung schon in den letzten 20 Jahren die Möglichkeit jederzeit einzugreifen, wenn jemand sich hinstellte und ein Pamphlet, eine Rede oder eine Kommentierung hier ablas, die ihm vorher ein Industrieverband, eine Gewerkschaftssektion oder ein Assistent oder gar die eigene Frau ausgearbeitet hatten.
Hier sollte der Präsident von den ihm schon heute obliegenden Geschäftsordnungsbefugnissen Gebrauch machen.Was die Redezeit betrifft, Herr Kollege Mommer, so habe ich meine Sorgen. Ich weiß nämlich — und Sie auch —, wie die Redezeitbeschränkung entstand. Selbstverständlich kann auch heute der Präsident sogenannten Langrednern das Wort abschneiden. Denn auch hier bietet die Geschäftsordnung mit der einen Stunde die Möglichkeit, dann zu sagen: „Sie haben die eine Stunde überschritten, kommen Sie zum Schluß!" Also, bei einer so kollegialen Handhabung ginge das heute schon. Aber ich gebe zu: wenn zwei Minister wie Strauß und Schiller drei Stunden verbrauchen, wird das natürlich etwas schwer. Also, Redezeitbegrenzung auf keinen Fall in der Art, wie wir sie schon einmal hatten: pro Redner fünf Minuten, dann leuchtete hier das Licht auf, und dergleichen.Wie hat diese Redezeitbegrenzung angefangen? Als hier noch die Kommunisten saßen und dort die Sozialistische Reichspartei, die dann beide verboten wurden, hat natürlich Herr Kollege Renner von seinen Redemöglichkeiten ausgiebig Gebrauch gemacht — oder Max Reimann oder Grete Thiele. Ich muß Ihnen sagen: ich vermisse etwas von dieser damals sehr aufgelockerten Spanunng, die insbesondere auf der Linken des Hauses herrschte, wenn Max Reimann oder Heinz Renner oder Grete Thiele sich hier zu Worte meldeten. Im Grunde genommen war das ein Verlust, daß wir damals die KP verloren, denn mit der KP sich hier auseinanderzusetzen, ist besser, als sie über die Verfassungsschutzämter als Märtyrer überwachen zu lassen.
Aber nun, das ist geschehen. Und dann kamen natürlich mit der gleichen Münze Herr von Thadden, den wir ja auch mal hier hatten, und Herr Dorls und Herr Richter — der ja anders hieß — alias Rösler, und da kamen wir damals in die Versuchung, wegen der Obstruktion der beiden extremen Gruppen die Redezeit zu beschränken. Ich bin der Meinung, daß der Präsident nach der Geschäftsordnung genügend Möglichkeiten hat, Filibustern das Wort abzuschneiden. Aber auch extreme mißliebige Gruppen sollten nicht mit Geschäftsordnungstricks daran gehindert werden, hier ihre freie Meinung — wenn sie noch so falsch ist — vor dem deutschen Volk zu sagen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Mommer?
Herr Kollege Mende, ist Ihrem Gedächtnis entfallen, daß diese das Haus sicher lebendiger machenden Extremisten ganz rechts und ganz links nicht durch irgendwelche Verbote aus diesem Haus herausgekommen sind, sondern durch das Votum des Wählers 1953?
Ich muß Sie in der Tat bestätigen und will das etwas korrigieren. — Sie sind 1953 schon ausgeschieden, weil sie beide am Votum des Wählers scheiterten; nicht einmal jeder zwanzigste Wähler stimmte für sie; es waren weniger als 5 %. Sie sind darüber hinaus später an einer möglichen neuen Startchance durch das Verbot des Bundesverfassungsgerichts gehindert worden. So ist es richtiger dargestellt. Wegen der Kürze der Zeit, Herr Kollege Mommer, muß ich auch einiges raffen.Aber wenn Sie jetzt wieder mit dem Gedanken der Redezeitbegrenzung spielen, habe ich die Sorge, daß das wieder für einige — nicht für Sie — ein Mittel sein könnte, mißliebige Kritik hier wenigstens zeitlich zu begrenzen, wenn man sie schon nicht ganz durch eine Wahlrechtsreform, Herr Schulze-Vorberg, ausschließen kann. Die Freien Demokraten sind also allergisch gegen die Begrenzung der Zeit der freien Rede in einem freien parlamentarisch-demokratischen Staat, weil diese Begrenzung der Anfang von Manipulationen an dem System 'der parlamentarischen Demokratie sein könnte, von den Minderheitsrechten der heutigen Opposition ganz zu schweigen.Das Problem der namentlichen Abstimmung, das mein Kollege Genscher schon angeschnitten hat, möchte ich ebenfalls kurz aufgreifen. Uns wird draußen von der Jugend vorgeworfen, die parlamentarische Demokratie lebe von der Anonymität. Man-
Metadaten/Kopzeile:
12384 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Dr. Mendeche Kollegen vertreten draußen im Wahlkreis genau das Gegenteil dessen, was sie hier in der Abstimmung bekundet haben. Man kann sie auch gar nicht überführen. Denn wer will bei dem schnellen Handaufheben sagen: der hat dafür und der hat dagegen gestimmt? Paul Löbe hat schon im ersten Geschäftsordnungsausschuß des Deutschen Bundestages die Wichtigkeit der namentlichen Abstimmung hervorgehoben. Zur parlamentarischen Demokratie gehört ein Höchstmaß an Transparenz. Ich kann mir denken, daß wir zu der Überzeugung kommen, daß die Schlußabstimmungen bei der dritten Lesung eines Gesetzes und die Abstimmung über Ratifizierungsverträge grundsätzlich in namentlicher Abstimmung zu erfolgen haben, damit wir für die Außenwelt und für die Geschichte die Verantwortlichkeit eines jeden Abgeordneten bei jeder Schlußabstimmung festhalten können.
— Herr Kollege Mommer, welche technischen Modalitäten notwendig sind, um das Verfahren zu beschleunigen, ist eine andere Frage. In Großbritannien und in Amerika ist dieses Verfahren selbstverständlich. Dort bringen die Zeitungen auch die Abstimmungslisten. Da kann man draußen nicht mehr pfuschen. Da muß jeder zu dem stehen, was er gewollt oder nicht gewollt hat.
Wenn wir das auch bei uns einführen, werden wir den schweren Vorwurf der außerparlamentarischen Opposition und vieler Jugendlicher gegen die mangelnde Transparenz unserer parlamentarischen Demokratie entkräften.Ich bin also ein entschiedener Freund der namentlichen Abstimmung als Obligo bei Schlußabstimmungen über jedes Gesetz in dritter Lesung.Was die Beschlußfähigkeit dieses Hauses betrifft, so möchte ich in der neuen Geschäftsordnung eine Bestimmung haben, die den Mißbrauch vermeidet, der hier leider einmal vorgekommen ist. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, es war einer der schwärzesten Tage des deutschen Parlamentarismus seit 1949, als die stärkste Fraktion dieses Hauses im Frühjahr 1962 durch ihren Auszug aus dem Plenarsaal in der Frage des Röhrenembargos eine materielle Entscheidung dieses Hohen Hauses unmöglich machte.
Das ist nicht mehr parlamentarisch-demokratisches Verhalten; das ist Obstruktion. Ich möchte in der neuen Geschäftsordnung eine Bestimmung haben, die etwa lautet: Die Herbeiführung der Beschlußunfähigkeit des Deutschen Bundestages durch Verlassen des Plenums oder seiner Ausschüsse ist unzulässig.
— Das kann man durchaus! Die Sitzung wird geschlossen, und eine neue Sitzung wird einberufen.Wenn sich das dann noch einmal, zum dritten Malewiederholt, wird die Öffentlichkeit ihre Konsequenzen daraus ziehen. Es war jedenfalls einer der schwärzesten Tage der deutschen Nachkriegsdemokratie, als diese entscheidende außenwirtschaftliche Frage — das war, wie wir wissen, einer der größten außenwirtschaftlichen Fehler der letzten 20 Jahre, der uns heute noch belastet — mit den Mitteln der Obstruktion und nicht durch die parlamentarisch-verantwortliche Entscheidung gelöst wurde.
Lassen Sie mich zu dem, was ich eingangs sagte, zurückkehren: zu der damaligen Kontroverse zwischen Professor Carl Schmitt und Professor Thoma über die Bejahung oder Verneinung der Grundlagen einer parlamentarischen Demokratie. Dieser 5. Deutsche Bundestag geht ja bald auseinander. Die letzten drei Jahre werden unter einer Sonderbeurteilung stehen müssen; denn durch die Koalition der beiden größten Parteien dieses Hauses ist ein Wesenselement der parlamentarischen Demokratie aufgehoben worden, nämlich die absolute Kontrolle der Regierung durch das Parlament. Die beiden Regierungsfraktionen — das wissen wir — sind doch mehr oder minder — entschuldigen Sie, das soll keine Abwertung sein — Hilfsorgane der Regierung. Die Unterstützung wird bei der Finanzreform oder bei dieser oder jener Frage einmal versagt, aber ansonsten ist die Geradlinigkeit parlamentarischer Unterstützung für die Koalition Kiesinger-Brandt doch fast durchweg gesichert.
— Ich will den Satz noch zu Ende führen. Die Opposition der Liberalen mit ihren 49 Abgeordneten hat zwar — das werden Sie bestätigen — hier im Hause manche unangenehme Frage gestellt, manche Debatte ausgelöst, aber wir haben nie die absolute Kontrollmöglichkeit gehabt, immer nur die relative. Zur absoluten Kontrolle im parlamentarischen System gehört, daß die Opposition des Hauses so stark ist, daß sie der Regierung im Nacken sitzt und daß die Regierung unter der Furcht der Opposition leben muß, daß sie nach der nächsten Wahl die Panzerschränke öffnet und sich sämtliche Geschäftsvorgänge — auch die geheimsten — vorlegen läßt, so wie das Labour von den Konservativen und vielleicht demnächst die Konservativen von Labour verlangen können und in Amerika die Demokraten von den Republikanern und jetzt die Republikaner — —
— Das hat mit der Wahlrechtsfrage nichts zu tun. Sie haben als Opposition die entscheidende Weichenstellung dieser parlamentarischen Demokratie dadurch nicht genutzt, daß Sie, als Sie die Chance hatten, nach 17 Jahren die Richtlinien der Politik zu bestimmen und zu regieren, darauf verzichteten und sich damit begnügten, unter der Führung jener Partei mitzuregieren, der Sie vorher durch Herrn Wehner den Bankrott bescheinigt hatten.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonne Donnerstag, den 27. März 1969 12385Dr. MendeDas war das Problem!
— Nein, das ist nicht wahr! Herr Schmitt-Vockenhausen, — —
— Herr Schmitt-Vockenhausen, die Erregung, die Sie jetzt äußern, kann eine Pflichtübung für Ihren Wahlkreis sein,
sie kann aber auch echt sein.
— Herr Schmitt-Vockenhausen, der Unterschied zwischen uns und der SPD war der, daß wir immer nur
eine kleinere Fraktion waren, mit der eine Koalition zu schließen Sie 1966 wegen ihrer Kleinheit ablehnten. Die Alternative ergab sich weder 1957 — da hatte die CDU die absolute Mehrheit —, noch ergab sie sich 1961; denn da wäre unsere Mehrheit ebenso klein gewesen wie 1966 nach Ihrer Meinung. Aber es hat keinen Zweck, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, hier Ihr schlechtes Gewissen dadurch zu beruhigen — —
— Nein, Sie haben 160 Seiten einer Broschüre gebraucht, um Ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Gestatten Sie mir daher noch zwei Minuten der Diskussion über diese Frage.Meine Damen und Herren! Es ist also die absolute Kontrolle in diesem parlamentarischen System aufgehoben, denn selbst Professor Dahrendorf rechnet ja wohl nicht damit, daß wir Liberalen am 28. September dieses Jahres die absolute Mehrheit bekommen
und- Sie dann wirklich veranlassen könnten, Ihre Panzerschränke zu öffnen.Zweitens, meine Kollegen. Neben dem eben genannten Punkt, Herr Schmitt-Vockenhausen, haben Sie ein zweites Wesenselement der Demokratie aufgehoben. Sie haben nämlich die politisch-parlamentarische Spannung auf eine Nullmarke reduziert. Wir haben gerade jetzt ein bißchen Spannung — gottlob; aber warum ist denn das Parlament so schlecht besetzt? Herr Präsident, das ist nicht nur eine Frage der Ausschüsse oder der anderen Verpflichtungen — —
— Das ist ein Zwischenruf, Herr Schmitt-Vockenhausen, der unter Ihrer Würde und unter Ihrem Rang stehen sollte!
Meine Damen und Herren! Wir haben doch festgestellt, daß wir im 1., im 2., im 3. Bundestag Debatten hatten, die manchmal fünf Tage dauerten. Denken Sie an die Märzdebatte 1958 über die Frage der atomaren Bewaffnung der Bundeswehr, in die sich sogar 18 Göttinger Professoren einschalteten. Das war damals noch das Spannungsverhältnis, das eines der Wesenselemente der parlamentarichen Demokratie darstellt. Heute, da 90 % der Mandate hinter der Regierung stehen, halten es viele Ihrer eigenen Kollegen gar nicht mehr für notwendig zu kommen. Und die, die nicht mehr Berufspolitiker sind — wie ich es war, und als der ich 18 Jahre hier in ständiger Präsenz saß —, die, die noch nebenbei einen Beruf ausüben, können sowieso nicht so häufig kommen wie die Berufspolitiker. Aber die wollen Sie ja doch nicht; Sie wollen ja doch auch den Beruf nebenbei. Und dann kann man eben nicht dauernd dasitzen; das können eben nur die Berufspolitiker, die hier eine Funktion ausüben. Aber das nur als Nebenbemerkung.Sehen Sie, der Kreßbronner Kreis macht es sogar überflüssig, daß Sie noch kommen;
denn im Grunde genommen ist zwischen Kiesinger und Brandt alles so ausgehandelt, daß, wenn noch Barzel und Schmidt erscheinen, Schmitt-Vockenhausen Hessen gar nicht mehr zu verlassen braucht. Sie könnten sich dem Bezirksverband Südhessen vollinhaltlich zuwenden!
Es geschieht hier doch nichts mehr; es geschieht hier doch wirklich nichts mehr. Bis auf die Finanzreform ist alles so gelaufen, wie der Kreßbronner Kreis es für richtig hielt. Sehen Sie, das ist die Konsequenz eines Koalitionspartners, ob Sie im Lastwagenanhänger sitzen oder nur, wie wir, im Kleinwagen. Wer unter der Richtlinienkompetenz des Kanzlers steht, muß sich den Richtlinien des Kanzlers anschließen. Kreßbronn hin, Kreßbronn her, das ist mit ein Element der außerordentlichen Langeweile hier im Haus.
— Das ist doch klar. Sie können zwar aufmucken, Sie können sogar tapfer sein und die Koalition verlassen. Aber ich fürchte, solange das neue Pensionsgesetz nicht verabschiedet ist, das drei Jahre Ministerzeit anrechnet, werden Sie es nicht tun.
— Meine Damen und Herren, wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.
Metadaten/Kopzeile:
12386 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Dr. Mende— Herr Schmitt-Vockenhausen, ich habe Ihnen die Antwort in der Form gegeben, in der Sie dauernd Ihre unqualifizierten Zwischenrufe machen.Darf ich jetzt zum Schluß kommen, Herr Präsident.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich denke gar nicht daran,
Ihnen gegenüber keinesfalls. Sie haben sich durch Ihr Verhalten selbst disqualifiziert.
Meine Damen und Herren, wir sollten der parlamentarischen Demokratie unsere ganze Zuneigung, aber auch unsere Bereitschaft zu den nach 20 Jahren notwendigen Reformen zuteil werden lassen. Gerade die heranwachsende Jugend hat Zweifel. Die Gefahr, daß sie durch falsche Propheten wieder in eine falsche Richtung gedrängt wird, ist groß. Hier sollte in einer Aufklärungsarbeit der Parteien, der Verbände, der Schulen, nicht zuletzt aber auch durch eigene Pressearbeit sichergestellt werden, daß die Jugend den großen Unterschied zwischen den autoritären Systemen und den parlamentarischen Demokratien begreift. Die autoritären Systeme sind wie Fregatten, die mit stolzen Segeln über die Weltmeere segeln mit dem Admiral auf der Brücke und mit geschmückten Uniformen der Mannschaft, bis dieses Schiff auf ein Riff stößt und ebenso schnell untergeht mitsamt dem Admiral, den schön Uniformierten auf der Brücke und den Galeerensklaven im Bauch des Schiffes, die man ja bekanntlich nicht sieht.
Die parlamentarische Demokratie ist ein schwerfälliges Floß. Man rudert nach verschiedenen Richtungen, man diskutiert vielleicht sogar auch, wie heute, kontrovers. Aber obgleich man die Füße immer im Wasser hat, geht dieses Floß nie unter. Für die Schwerfälligkeit des Floßes der parlamentarischen Demokratie Verständnis in der heranwachsenden Jugend zu gewinnen und diese Staatsbürger in einem harten Engagement für diese parlamentarische Demokratie zu gewinnen, das ist die beste Abwehr gegen NPD und DKP.
Meine Damen und Herren, ich möchte einen Punkt klären, der nach meiner Auffassung geklärt werden muß, nachdem Herr Abgeordneter Dr. Mende auf einen Zwischenruf von Herrn Schmitt-Vockenhausen sehr erregt reagiert hat. Ich habe inzwischen feststellen lassen, wie der Zwischenruf lautete, und ich muß sagen, daß er zwar möglicherweise zu einer Erregung bei Herrn Mende Anlaß sein konnte, aber nicht zu einer Maßnahme des Präsidenten.
: Wie lautete
er denn? — Heiterkeit.)
— Ich habe nicht die Absicht, ihn jetzt hier wiederzugeben.
— Sie können ihn im Protokoll nachlesen. Sie haben ihn nicht gehört, Herr Mende? Dann verstehe ich Ihre Erregung nicht.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Klepsch.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zuerst zwei Worte des Dankes sagen, ein Wort des Dankes an den Herrn Bundestagspräsidenten, daß er, dem Wunsch des Hauses folgend, mit so großer Bereitschaft und mit so großer Entschlossenheit die Fragen der Parlamentsreform zügig in Angriff genommen hat, wobei die von ihm getroffenen Maßnahmen unseren vollen Beifall finden können.
Zweitens möchte ich für-viele der jüngeren Kollegen ein Wort des Dankes für die heutige Debatte und den Inhalt der heutigen Debatte an das ganze Haus richten. Ich erinnere mich sehr gut daran, daß wir uns in den zurückliegenden Jahren wiederholt darum bemüht haben, das entschlossene Selbstbewußtsein dieses Hauses herauszustellen — das haben Herr Dr. Mommer und andere Kollegen heute zu Recht getan —, auch einmal seine Arbeitsfähigkeit, seine Aufgabenstellung, sein Ansehen, seine Funktion in der gebührenden Rolle zu sehen und auch der Öffentlichkeit gegenüber zu vertreten. Das ist heute Allgemeingut geworden.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, fürchten Sie nicht, daß ich jetzt den Versuch machen werde, das Panorama der Punkte abzuschreiten, die in dieser Diskussion wichtig und bedeutsam sind. Ich will mich darauf beschränken, auf einige praktische Fragen einzugehen, vor allen Dingen unter dem Gesichstpunkt, was wir in dieser Legislaturperiode noch verwirklichen könnten. Ich möchte darüber hinaus hoffen, daß die Kommission, die der Herr Parlamentspräsident berufen hat, gute Arbeit leistet und auch bei der langfristigen Planung einer besseren Arbeitsweise des Parlaments und seiner besseren Funktionsfähigkeit Erfolg haben wird.
Zu diesen Punkten gehören natürlich ein paar Bemerkungen zu dem, was die Herren Vorredner gesagt haben. Wenn ich mich der Frage der Zahl der Abgeordneten annehme, so nicht deshalb, weil ich sie für den gravierendsten Punkt der heutigen Diskussion halte. Ich möchte nur daran erinnern, Herr Mende, daß dieses Haus auch schon mit weniger Abgeordneten ausgekommen ist und daß es nur eine Frage der Änderung des Wahlrechts war, daß damals die Zahl der Abgeordneten um 20% erhöht wurde.
— Doch, Herr Kollege Hermsdorf. — Bitte sehr!
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn,, den 27. März 1969 12387
Herr Kollege Klepsch, Sie unterliegen hier einem Irrtum. Damals ist zwar die Erhöhung der Abgeordnetenzahl durch das Wahlrecht erfolgt. Aber wir hatten damals genauso wie heute Auseinandersetzungen über die Größe des Parlaments, und es gab eine ganze Reihe von Mitgliedern dieses Hauses, die wegen der Belastung des einzelnen eine größere Zahl haben wollten.
Das mag durchaus sein, Herr Kollege Hermsdorf. Aber die damalige Begründung für die Verschiebung der Zusammensetzung des Parlaments war das Abgehen von dem Schlüssel: 60% Wahlkreisabgeordnete und 40 % Listenmandate auf 50 : 50.
Aber das ist auch nicht der gravierendste Punkt dieser Diskussion. Ich wollte das nur einmal richtigstellen.Ich glaube, daß wir besonders auf eine bessere Arbeit des Plenums hinzielen müssen. Die heutige Diskussion hat sich in einer Fülle von Beiträgen gerade mit der Redezeit auseinandergesetzt. Ich glaube, daß neben den anderen Vorschlägen, die in der Drucksache V/3895 von meiner Fraktion gemacht worden sind, auch die Formulierung für die Neufassung des § 39 Abs. 1 über die Redezeit eine sehr glückliche Formulierung geworden ist. Niemand hat hier die Absicht, der Opposition etwa das Rederecht zu beschneiden. Der Umfang der Redezeit ist für uns eine Frage der Lebendigkeit der Debatte und der Notwendigkeit, so viele Kollegen wie möglich an den Gegenständen der Beratung zu beteiligen.
Aus diesen Gründen haben wir uns um eine Formel bemüht, um allen Bedenken, die etwa hinsichtlich einer Unterdrückung der Minorität bestehen könnten, auszuräumen. Das ist nun auch wirklich nicht der Fall. Die Freie Demokratische Partei wäre auch heute mit ihren 48 oder 49 Abgeordneten in der Lage, selbst wenn die Redezeit auf 15 Minuten festgelegt würde — nicht nur als Anregung, sondern als verpflichtendes Maß —, viele, viele Stunden lang hier zu sprechen. Uns geht es also darum, eine bessere Konfrontation der Auffassungen zu erreichen, und die wird durch die Formulierung, die wir dem § 39 geben wollen, erzielt.Völlig beitreten möchte ich allen Rednern, die sich heute für die Durchsetzung der Bestimmung der Geschäftsordnung eingesetzt haben, die die freie Rede für verbindlich erklärt. Wir sind der Auffassung, daß die Diskussion hier eine solche Lebendigkeit, wie sie den heutigen Vormittag auszeichnete, dann annehmen wird, wenn jeder alles, was ihm auf dem Herzen liegt und was er sich vorher genau überlegt hat, hier auch vorbringt.Nun möchte ich mich der Frage des Neubaus des Plenarsaals zuwenden, die in einigen Beiträgen eine große Rolle gespielt hat. Da es trotz aller Anstrengungen, die wir heute ins Auge fassen, noch viele Jahre in Anspruch nehmen wird, bis diesen idealtypischen Vorstellungen gefolgt werden kann, glauben wir, daß es gut wäre, die Sommerpause zu benutzen, um einen Umbau des Plenarsaals vorzunehmen, der vielleicht auch zur Installierung der technischen Einrichtungen führen könnte, nach denen von allen Seiten gerufen worden ist. Ich glaube, daß das möglich ist und daß das dem Start des neuen Bundestags, der nach den Parlamentsferien zusammentritt, vielleicht auch eine ganz neue Ausgangsposition geben könnte.Wenn ich die Straffung des Gesetzgebungsverfahrens und die Reform der Fragestunde nicht berühre, so deshalb, weil wir das fest formuliert niedergelegt haben und weil wir uns in weitgehender Übereinstimmung mit den hier geäußerten Auffassungen befinden.Allerdings möchte ich zur Reform der Ausschußarbeit einige Bemerkungen hinzufügen. Wir sollten überlegen, ob wir nicht in stärkerem Maße Ad-hocAusschüsse für bestimmte Vorhaben bilden; das wird uns eher die Möglichkeit zu einer gewissen Reduzierung der Zahl der Ausschüsse bieten. Es ist verschiedentlich angeklungen, daß das ins Auge gefaßt werden soll. Ich würde es auch für richtig halten, die Vorbereitung der Ausschußberatung durch Anhörung verschiedener Gruppen oder Sachverständiger durch einige Mitglieder eines Ausschusses — ob die nun den Namen Unterausschuß führen oder nicht, ist für mich eine sekundäre Frage — vorzunehmen, um so eine größere Geschwindigkeit der Vorbereitung für eine flüssige Vornahme der Ausschußberatung zu erzielen. Ich kann aus der Erfahrung des Verteidigungsausschusses, dem ich angehöre, sagen, daß die Bildung eines Untersuchungsausschusses — wenn sich der Verteidigungsausschuß als Untersuchungsausschuß konstituierte, hat er nach landläufigen Vorstellungen dessen Arbeit mit allen Mitgliedern vorzunehmen — über Monate zur Lahmlegung der sonstigen Ausschußarbeit führt; ein völlig unbefriedigender Zustand. Wir müssen Möglichkeiten suchen, die Ausschußarbeit ebenso mit Entlastungen zu versehen, wie das für das Plenum erforderlich ist.Schließlich meine ich, daß es bei den — wie es der Kollege Mende nannte — organisatorischen Arbeitsbedingungen dieses Parlaments sehr stark um die Ausstattung mit Hilfsmitteln für dieses Haus geht. Hier ist sehr viel Gutes gesagt worden. Wenn wir wünschen, daß der Wissenschaftliche Hilfsdienst stärker ausgebaut wird, so ist das, glaube ich, allgemeiner Zustimmung sicher. Wenn wir darüber hinaus die Forderung aufstellen, daß auch die Zuarbeit für den einzelnen Abgeordneten durch die Apparaturen des Hauses verbessert wird, so können wir wohl auch übereinstimmen. Ich denke dabei etwa an die Ausstattung der Abteilung Pressedokumentation, die ganz vorzüglich arbeitet; das werden die Kollegen des Hauses bestätigen können. Aber wer sich einmal die Mühe macht anzusehen, wie diese Abteilung untergebracht und ausgestattet ist, der wird sich fragen, ob wir das eigentlich verantworten können und ob wir nicht den Versuch machen sollten, im weitesten Umfang gerade die Hilfsapparate für das Haus so auszustatten,
Metadaten/Kopzeile:
12388 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Dr. Klepschdaß sie einen Vergleich mit der Ministerialbürokratie auch nur annähernd aushalten können.
Die Frage wird aber dann auch sein — —
— Das ist klar, Kollege Schmitt-Vockenhausen. Aber da ist unser Zugriff minimal, während wir einen durchaus berechtigten Vergleich zwischen der Ministerialbürokratie und unseren eigenen Arbeitsbedingungen herstellen. Ich stimme Ihnen aber durchaus zu.Wir haben in den letzten Wochen in der Publizistik zum Teil etwas giftige Kommentare über die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Mitglieder des Hauses lesen können; Gott sei Dank nur in einigen wenigen Organen. Aber es ist doch einmal am Platze, darauf hinzuweisen, daß die Forderungen, die an dieses Parlament und jedes seiner Mitglieder gestellt werden, ganz selbstverständlich nur dann optimal erfüllt werden können, wenn die hier mitwirkenden Mitglieder des Deutschen Bundestages auch über die entsprechenden Arbeitsbedingungen verfügen.Der Anfang, der mit dem Bestreben gemacht worden ist, die Ausschüsse überhaupt erst einmal mit Assistenten auszustatten, und das Bemühen, Hilfsdienste auszubauen, konnten über eines nicht hinweghelfen, nämlich über die Notwendigkeit, den Abgeordneten von der Routinearbeit zu entlasten. Diese Entlastung ist der Sinn der Maßnahmen, die wir treffen wollen und die wir für berechtigt halten. Der Abgeordnete muß von der Routinearbeit entlastet werden, um sich den Aufgaben zuwenden zu können, für die er eigentlich hier sein Mandat wahrzunehmen hat. Dazu möchte ich sagen, daß viele, die solch giftige Kommentare verbrechen, unter wesentlich günstigeren Arbeitsbedingungen tätig sind als der, den sie damit treffen und kritisieren wollen.
Wir haben diesen Schritt unternommen. Ich teile völlig die Auffassung der Kollegen, die gesagt haben, man solle nicht immer so sehr danach schauen, wie etwas bei diesem oder jenem in der Öffentlichkeit ankommt. Wenn es richtig und berechtigt ist, sind wir es dem Ansehen dieses Hauses als ganz selbstverständliche Verhaltensweise schuldig, die notwendigen Maßnahmen zu treffen. Deshalb habe ich vorhin mit etwas Bedauern gehört, daß unsere Kollegen in zurückliegenden Legislaturperioden wegen solcher Ängste gezögert haben, notwendige Verbesserungen der Arbeit vorzunehmen. Bei unseren Steuergesetzen oder sonstwo haben wir jede Preissteigerungswelle, die Portoerhöhung oder was auch immer abgefangen; nur bei einem Gremium ist das in der Regel nicht geschehen, dem Hohen Hause selber. Das muß man einmal sagen. Wir können nicht bereit sein, uns hier gegenüber einer unberechtigten Kritik in der Rolle des Angeklagten zu sehen. Denn die Kritik an der Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen ist völlig unberechtigt.Ganz sicher ist es notwendig, die Öffentlichkeitsarbeit dieses Hauses zu verbessern. Ich will nichts wiederholen; ich stimme da mit dem, was schon gesagt worden ist, völlig überein. Ich gestatte mir, noch zwei Anregungen zu geben.Wir sollten uns einmal überlegen — weil hier das amerikanische Parlament und andere Parlamente als Modelle in den Blick genommen wurden —, ob wir nicht vielleicht den 20. Jahrestag der Unterzeichnung unseres Grundgesetzes zum Anlaß nehmen sollten, im Foyer dieses Hauses oder an einer anderen geeigneten Stelle eine Ausstellung — mit Vitrinen, mit Dokumenten, Schautafeln und Bildern — durchzuführen, die vielleicht auch zu einer Dauereinrichtung werden könnte. Wir sollten uns bemühen, dieses Haus für die vielen Besuchergruppen, die hierherkommen, noch ansprechender und attraktiver zu machen. Wir sollten von dem Stil wegkommen, allen zu zeigen, wie ärmlich wir hier tätig sind. Das ist ja in der Regel das, was die Besuchergruppen, ganz gleich welcher Couleur, kennenlernen, wenn sie die Abgeordnetenzimmer oder die Ausschußräume oder was auch immer aufsuchen. Wir sollten uns bemühen, unsere parlamentarische Demokratie an Hand dieses Parlaments und seiner Geschichte, die nun 20 Jahre währt, darzustellen.Darüber hinaus wäre es, meine ich, notwendig, dafür zu sorgen, daß das Bild vom Abgeordneten in der Öffentlichkeit durch die Informationspolitik, die dieses Haus betreiben könnte, etwas besser gestaltet wird. Wir müssen uns etwas stärker und erfolgreicher gegen jene Zerrbilder vom deutschen Parlament zur Wehr setzen, die überall herumgereicht werden. Denn es sind ja — aus Ihren Erfahrungen in einer Fülle von Begegnungen werden Sie das bestätigen können — Zerrbilder unserer Tätigkeit, vor die wir uns gestellt sehen. Manchmal bin ich versucht anzunehmen, daß der eine oder andere, der über uns spricht, dabei das Bild des königlich bayerischen Landtagsabgeordneten Josef Filser, den Thoma so treffend beschrieben hat, vor Augen hat, ohne sich mit unserer realen Aufgabenstellung auseinanderzusetzen.Die Reform unserer Parlamentsarbeit ist natürlich — der Geschäftsordungsausschuß beweist es ja — ein fortgesetzter Prozeß. Wir werden immer an der Vebesserung unserer Arbeitsmethoden zu wirken haben. Strukturell muß es aber darum gehen, die Arbeit des Plenums und der Ausschüsse effizienter und durchsichtiger zu machen. Wenn ich mir hier eine Differenzierung von einer von zwei Seiten geäußerten Auffassung gestatte, so aus der Sorge um die Effizienz der Arbeit heraus. Ich glaube nicht, daß es günstig wäre, die Ausschußsitzungen auf Antrag öffentlich zu machen. Dann würden wir nämlich in Wahlzeiten oder bei wahlgriffigen Themen — auch in Zeiten von Kommunal- oder Landtagswahlen oder was auch immer — fortgesetzt ellenlange Geschäftsordnungsdebatten in den Ausschüssen über die Öffentlichkeit der Ausschußsitzungen erleben
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12389
Dr. Klepschund würden von der eigentlichen Sacharbeit etwas abgedrängt werden. Mich beeindruckt eigentlich an der Arbeit der Ausschüsse besonders, daß dort auch einmal ins Unreine diskutiert und gesprochen wird, und das scheint mir gerade für die Wahrheitsfindung und das Aufeinanderzukommen manchmal von außerordentlicher Bedeutung zu sein.Verstehen wir uns deshalb richtig: Die Herstellung der Öffentlichkeit von Ausschußsitzungen würde nur zur Errichtung von nichtöffentlichen Unterausschüssen oder welchen Gremien auch immer führen, in denen dann die eigentliche Abklärung der Sachgegenstände im Unreinen — so darf ich es einmal sagen — erfolgen würde. Deshalb habe ich Bedenken auch gegen die abgemilderte Form, die für die Öffentlichkeit der Ausschußsitzungen in der Antragstellung gefordert wurde. Ich möchte damit keineswegs etwas gegen die Transparenz, die Berichterstattung über die Arbeit der Ausschüsse, gesagt haben. Diese könnte sehr viel umfangreicher sein. Das wird eine Frage der Ausstattung der Ausschußsekretariate und des Informations- und Presseapparats des Hauses sein. Da haben wir ja die besten Vorsätze gefaßt.Bitte sehr, Herr Kollege Moersch!
Herr Kollege Klepsch, können Sie sich nicht vorstellen, daß man eine bedingte Öffentlichkeit der Ausschußsitzungen etwa durch Zulassung von Pressevertretern herstellt, gleichzeitig aber eine wörtliche Berichterstattung, ein wörtliches Zitieren nicht erlaubt, was woanders auch möglich ist? Das wäre doch sicherlich besser als die gefilterte Information, die Ihnen offensichtlich vorschwebt.
Herr Kollege Moersch, das, was ich hier beschrieben habe, ist die gegenwärtige Praxis, die ich nur verbessert sehen will.
Aber die Zulassung einer Anzahl von Personen wirft sowieso zunächst einmal die Frage der Privilegierung von bestimmten Leuten auf, die dann zugelassen werden. Wer soll dann eigentlich von den Mitgliedern der Bundespressekonferenz zugelassen werden und wer nicht? Daraus ergibt sich als nächstes die Frage des Drucks der Lobbyisten, die natürlich dann über ihre Vertretungen eindringen könnten, wobei dann die ausgeschlossene Konkurrenz geltend machen wird, daß sie auch Zutritt haben müsse, und so fort.
Ich halte es, wie immer wir die Frage regeln — so unvollkommen es erscheinen mag —, doch noch für das beste, wenn wir bei dem gegenwärtigen Verfahren bleiben, bin allerdings der Auffassung, daß wir es ausbauen sollten, und zwar durch Hearings, durch die öffentliche Anhörung von Experten oder Gruppen, durch Teile oder durch den ganzen Ausschuß, daß wir also auf diese Weise den Informationsradius für uns selber erweitern und andere an dem Informationsfluß auf uns zu beteiligen. Wir sollten aber dabei bleiben, in den Ausschüssen miteinander wirklich ungeschminkt über die einzelnen Sachfragen zu sprechen.
Ich möchte nun noch etwas zu einer letzten Frage sagen. Das öffentliche Ansehen dieses Hauses ist weitgehend davon abhängig, wie wir selber unsere Funktion sehen und ausfüllen. Deshalb meine ich, daß alle Anstrengungen zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeit des Parlaments und zur Vergrößerung unserer Öffentlichkeitswirksamkeit nicht voll zum Tragen kommen werden, wenn wir selber nicht die Haltung einnehmen, die einige meiner Vorredner — sehr viel älter an Jahren als ich — vorhin vorgetragen haben, indem wir uns nämlich nicht darum bemühen, die Arbeit dieses Parlaments, wenn es eventuell einmal in einer Versammlung günstig erscheint, an dieser oder jener Ecke möglichst kritisch zu würdigen, sondern sie als eine Arbeit vertreten, die wir gemeinsam zum Nutzen aller leisten.
Ich will damit sagen, daß ich es eben nicht für gut halte, Grundsatzstreitereien über die Ausgaben für den Bau eines Hauses für Abgeordnete oder für die Minimalausstattung mit Arbeitszimmern zu beginnen oder sich gar über die Notwendigkeit auseinanderzusetzen, die Bürokostenpauschale im Hinblick auf gestiegene Kosten für Porto und ähnliches mehr anzuheben. Das sind doch Dinge, die man nicht zum Gegenstand von wahlpolitisch gefärbten Auseinandersetzungen machen kann.
In diesem Sinne meine ich auch, daß der heutige Tag eigentlich ein Tag der Aussprache unter uns über die Verbesserung unserer Arbeitsmöglichkeiten sein sollte. Ich hoffe auch sehr, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, daß wir, wenn wir nachher den Einzelplan 02 angenommen haben und wenn wir davon ausgehen, daß unser Präsident darin fortfahren wird — mit der Energie, die er bisher aufgewandt hat —, die Verbesserung der Arbeitsfähigkeit dieses Hauses voranzubringen, nicht nur von Parlamentsreform geredet haben, sondern darin auch ein kleines Stückchen weitergekommen sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Apel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten haben sehr eingehend über die Frage der Redezeitbegrenzung in diesem Parlament gesprochen. Ich bin bisher eigentlich immer der Meinung gewesen, daß wir eine solche Begrenzung nicht vornehmen sollten, nicht zuletzt deswegen, weil auf diese Art und Weise Beschränkungen eingeführt werden könnten, die nicht gut sind für das demokratische Bild, das das Parlament bietet. Nach dem, was ich heute gerade bei älteren Kollegen zum Thema Parlamentsreform erlebt habe, bin ich jedoch der Meinung, daß man über diese Dinge noch einmal nachdenken muß.
Es sind hier nicht nur zu lange Reden gehaltenworden, sondern bei dem Kollegen Dr. Mende sind
Metadaten/Kopzeile:
12390 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Dr. Apelauch Dinge gesagt worden, dien bewerten die Ausführungen von Herrn nicht zum Thema gehören. Wir SozialdemokrateDr. Mende zur Frage der Großen Koalition als eine verspätete Rechtfertigung dafür,
daß er die Freien Demokraten in seiner Ara und unter seiner Führung immer auf einen Kurs festgelegt hat,
der sich dann nachher für die Partei selbst nicht bewährt hat.
Er versucht nun, das auf ein anderes Konto umzubuchen. — Ihren Zuruf „Zum Thema!", Herr Ertl, hätten Sie bei Ihrem früheren Parteivorsitzenden machen sollen.
Lassen Sie mich ein Zweites dazu sagen! Ich kann auch die Erregung von Herrn Dr. Mende durchaus verstehen, denn die Zwischenrufe meines Kollegen Schmitt-Vockenhausen saßen genau auf dem Solarplexus, und dann zuckt man natürlich zusammen; das kann ich verstehen. Eines allerdings kann ich nicht verstehen: Wenn man selber seine Alterssicherung privatrechtlich in Ordnung gebracht hat und dann hier gegen die Pensionsregelung für Minister redet, so halte ich das für unanständig. Das möchte ich hier eindeutig sagen.
Lassen Sie mich nun zu einigen gerade in der letzten Runde angesprochenen Punkten etwas sagen! Natürlich kann man diesen Plenarsaal umbauen. Natürlich kann man darüber streiten, ob der neue Plenarsaal anders aussehen sollte. Wir sind da keineswegs festgelegt. Nur, meine Damen und Herren, Parlamentsreform ist das in dem Sinne nicht. Das ist nur ein Herumkurieren an den Symptomen, und insofern bringt das also nur sehr wenig.Ein Weiteres möchte ich sehr deutlich unterstreichen. Wir halten die Idee, Ausschüsse grundsätzlich öffentlich tagen zu lassen, für nicht glücklich. Es muß in diesem Hause auch Gremien geben, in denen wir quasi ungeschützt in offener Aussprache miteinander reden können. Wenn Sie, Herr Genscher, die Ausschußsitzungen öffentlich machen, erreichen Sie nur, daß dann eben Vorbesprechungen in anderen Gremien diese ungestörte Aussprache erlauben und ermöglichen. Es wird dann nichts weiter passieren, als daß ein weiteres Gremium dieses Parlaments von den Statements der Fraktionsvertreter erobert und die offene Aussprache in andere Gremien zurückverlegt sein wird. — Bitte sehr!Vizepräsident Schoettle Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Würden Sie meine Meinung teilen, daß man dieses Problem dadurch lösen kann, daß auch der Kreßbronner Kreis öffentlich tagt?
Ja, wenn auch Sie so weit gehen und die Sitzungen Ihrer Parteigremien alle öffentlich machen wollen, damit wir deutlich sehen, wie es bei Ihnen zugeht.
Gehen Sie voran, und führen Sie uns das einmal vor!Lassen Sie mich, da ich gerade bei diesem Thema bin, noch einiges zu dem ausführen, was Herr Genscher gesagt hat. — Herr Genscher, Sie wollten gerade zum Mittagessen gehen; es tut mir leid für Sie.
— Sie wollten nicht zum Mittagessen gehen.
— Das ist nett; das ist auch ganz gut für Ihre Linie. Insofern ist das ein ganz vernünftiger Beitrag.
Sie haben gesagt, die Zuständigkeiten, die Einflußmöglichkeiten des Parlaments nähmen durch vielfältige Entwicklungen ab. Daran ist etwas Wahres. Wenn Sie auf die EWG hinweisen, muß ich bemerken, daß die Dinge in Brüssel leider nicht so vorangehen, wie wir es gern möchten.Zum Problem des Bund-Länder-Verhältnisses stimme ich Ihnen weitgehend zu. Auch das Überwuchern der Bürokratie kann nicht bestritten werden.Sie haben von der konzertierten Aktion als einem „Kartell der Mächtigen" gesprochen. Ich finde das ganz lustig; hier gibt es immer zwei Versionen. Die eine Version lautet: das ist das Kartell der Mächtigen, das sind die Dunkelmänner, das ist die Mafia der Großen Koalition usw. Die anderen sagen, das sei nichts weiter als die Fortsetzung der Seelenmassage à la Erhard. Die Wahrheit liegt natürlich irgendwo dazwischen. Faktisch können Sie doch nicht bestreiten, daß es für den Wirtschaftsminister notwendig ist, in der wesentlichen Frage der Lohn-und Preisentwicklung mit den Gruppen, die darüber zu befinden haben, in ein permanentes Gespräch einzutreten, um zu überlegen, wie man die Dinge wirtschaftspolitisch so organisiert, daß sie vernünftig werden.Ich sehe auch gar nicht ein, wie dadurch die Befugnisse dieses Parlaments geschmälert werden; denn in dem Gremium der konzertierten Aktion wird über die Möglichkeiten entschieden, welche die Tarifautonomie bietet oder möglichst nicht bieten sollte. Das sind Dinge, die in diesem Hohen Hause überhaupt nicht angesprochen werden.Der DGB und einige andere Gruppen diskutieren zur Zeit darüber, ob wir einen Wirtschafts- und Sozialrat nach Brüsseler Vorbild bilden sollten, in welchem dann die gesellschaftlich relevanten Gruppen ihrerseits diskutieren und Stellungnahmen abgeben. Diese Diskussion wäre unter dem Rubrum „Einschränkung der Rechte des Parlaments — ja oder
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12391
Dr. Apelnein?" zu führen. Die konzertierte Aktion gibt das, glaube ich, nicht her.Lassen Sie mich zu einigen von Herrn Wörner angesprochenen sogenannten Strukturproblemen kommen. Natürlich, Herr Kollege Wörner, sehen wir alle das Problem der Spezialisierung der Abgeordneten und in Verbindung damit die Tatsache, daß ich nicht mehr in der Lage bin — Sie sind es auch nicht —, in großen Bereichen der Politik noch entscheidend mitzuwirken. Nur sollten wir ja nicht meinen, das sei überhaupt jemals zu ändern; das ist nicht zu ändern, das ist systemimmanent. Selbst dann, wenn man dieses Parlament noch besser, als es gleich mit der Annahme dieses Bundestagshaushalts beschlossen werden wird, stellen würde, bliebe es doch eine Tatsache, daß es nicht möglich sein wird, den einzelnen Abgeordneten so zu stellen, daß er mit vielen Tausenden Ministerialbürokraten in einen Wettstreit eintreten kann.
Ich meine, hier müssen wir unterstreichen, daß es dazu die Fraktionen gibt. Die Fraktionen sind doch nicht nur Gesinnungsgemeinschaften, sondern auch Organisationen der Arbeitsteilung. Ich muß Ihnen sagen: bisher ist es mir fast immer noch gelungen, in den Bereichen, in denen ich nicht so zu Hause bin, zu begreifen, wo die Glocken hängen, wer etwas bekommen soll, wem etwas genommen werden soll. Da es obendrein ein enges Vertrauensverhältnis zu den Kollegen gibt, welche die Fachbereiche bearbeiten, sehe ich hier kein Strukturproblem, sondern bin davon überzeugt, daß es ein systemimmanentes Problem ist, das wir nicht zu sehr hochspielen sollten.Daß die Gesetzesinitiative bei der Regierung liegt, bedauere ich persönlich auch nicht. Diese mehr technische Vorarbeit soll durchaus von denen geleistet werden, die das können. Das Problem liegt doch darin, daß wir immer erst dann an den Drücker, an den Ball kommen, wenn das Spiel gelaufen ist — so, wie die kleinen Jungen auf dem Fußballfeld, wenn das Bundesligaspiel zu Ende ist, einige Spielzüge nachvollziehen. Dann sind wir dran. Das ist das Problem. Dieses Parlament muß endlich einmal dazu kommen, grundsätzlich im voraus zu diskutieren und zu sagen, was es politisch will.
Gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner?
Herr Kollege Apel, stimmen Sie mir nicht darin zu, daß die Gesetzesinitiative der Regierung, so, wie sie ausgeübt wird, eben auch bedeutet, daß der Entwurf, wie er bei uns ankommt, eine Menge nicht nur technischer, sondern auch politischer Vorentscheidungen enthält, die allesamt oder zum Teil zum Einsturz zu bringen wir sehr selten in der Lage sind?
Das ist richtig, Herr Dr. Wörner, aber das liegt natürlich daran, daß die Ministerialbürokratie von uns keine politische Marschrichtung mit auf den Weg bekommt. Wenn dieses Parlament grundsätzlich, sachbezogen diskutieren und sagen würde: „Das ist die Marschlinie!", dann wäre das anders.
Das können wir aber durchaus erreichen, wenn wir uns abgewöhnen, immer erst im nachhinein zu diskutieren, sondern im vorhinein grundsätzlich diskutieren. Dazu wollen wir Enquete-Kommissionen einsetzen, dazu wollen wir Hearings veranstalten, alles das, was ja auch bisher schon in manchen Bereichen sehr gut gelaufen ist. Ich sehe gerade Herrn Dr. Schmidt dort sitzen. Im Bereich des Finanzausschusses gibt es ja Beispiele dafür, daß wir eben nicht nur im nachhinein am Ball sind.Herr Dr. Wörner, Sie haben dann gesagt, dieses Parlament mache zuviel Detailarbeit. Ich habe da meine Bedenken. Wer entscheidet eigentlich, was Detailarbeit und was große politische Linie ist?
— Wir? Sie anders als ich! Das, was für meine Region von Bedeutung ist, ist natürlich auch für mich als den gewählten Vertreter von großer Bedeutung. Es wird für Sie von zweitrangiger, wenn überhaupt von .Bedeutung sein. Ich meine, diesem Dilemma können wir wirklich nur dadurch entgehen, daß dieses Parlament mehr arbeitet. Dieses Parlament muß mehr arbeiten.
Wenn ich sehe, daß aus dem Rhythmus von drei Arbeitswochen und einer sitzungsfreien Woche ein Rhythmus von zwei Arbeitswochen und einer sitzungsfreien Woche geworden ist, muß ich sagen, daß einfach nicht zu verantworten ist, daß dieses Parlament zu wenig tagt, zu wenig zusammentritt. Dann bringen uns natürlich die politischen Hauptfragen dermaßen in Schwierigkeiten,
daß wir keine Zeit mehr für die Sekundärfragen haben, die auch wichtig sind.
— Sehr gut! Nur kann man es vor den Wahlen nicht mehr machen, denn jetzt müssen wir natürlich im Wahlkreis arbeiten. Die Termine liegen fest. Nach den Wahlen müssen wir den ursprünglichen Rhythmus aber wiederherstellen; wir arbeiten faktisch wirklich zu wenig.
Meine Damen und Herren, damit hängt natürlich auch zusammen, daß wir immer noch kein klares Bekenntnis zum Berufspolitiker abgelegt haben. Wenn Herr Dr. Mende nach seiner Rede sofort von hinnen geschritten ist, weil er sicherlich andere, in jeder Hinsicht interessantere Verpflichtungen hat, so ist das ein Zeichen dafür, daß wir endlich begreifen müssen, daß das, was hier in Bonn zu tun ist, den ganzen Mann verlangt. Wir müssen auch unse-
Metadaten/Kopzeile:
12392 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Dr. Apelren Parteien sagen, daß es wohl doch darauf ankommt,
stärker als bisher den Berufspolitiker zu wollen und ihn auch so zu stellen, daß er seine Arbeit tun kann.
Die Verbindung von Beruf und Parlament geht immer zu Lasten des Parlaments und führt dazu, daß die, die hauptamtlich hier sind, entscheiden und damit einen Einfluß nehmen, der eigentlich über die numerische Stellung hinausgeht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Sänger?
O ja! Entschuldigen Sie bitte, Herr Sanger, ich schaue immer nach rechts.
Herr Kollege Apel, wenn Sie auch einmal nach einer anderen Seite hinschauen können, dann möchte ich Ihnen, dem Großstadtabgeordneten, die Frage stellen, ob Sie es nicht auch für eine nützliche, sogar unentbehrliche Arbeit des Abgeordneten halten, nicht nur hier — in welchem Rhythmus immer — zu sein, sondern auch in den zahlreichen Orten und Gemeinden eines ländlichen Wahlkreises.
Herr Sänger, damit bin ich natürlich völlig einverstanden. Dennoch wird natürlich. unsere Politik nur in diesem Hause entschieden. Ich sage hier natürlich meine persönliche Meinung. Ich habe das Gefühl, wir machen in zu kurzer Zeit zuviel, und das liegt nicht zuletzt daran, daß das Parlament nicht genügend oft tagt.
Eine Zwischenfrage von Herrn Ertl.
Herr Kollege Apel, würden Sie beispielsweise dann auch behaupten wollen, daß das Schweizer Parlament, das eine ausgesprochen kurze Sessionszeit — von ungefähr vier Monaten — hat, eine schlechte Demokratie repräsentiert?
Das ist ein bißchen an den Haaren herbeigezogen. Fest steht, daß z. B. das Plenum des britischen Unterhauses wesentlich mehr tagt als wir, viermal so lange. Das kann nicht bestritten werden.
Noch eine Frage von Herrn Ertl.
Würden Sie mir wenigstens darin recht geben, daß es auch im Hinblick auf eine volksverbundene Demokratie sinnvoll ist, wenn jeder Parlamentarier eine berufliche und damit sachliche Verankerung als ein gesundes Fundament besitzt?
Selbstverständlich. Wenn ich mich für den Berufspolitiker ausgesprochen hatte, Herr Ertl, dann natürlich nicht für den politischen Funktionär oder für den Politrentner. Ich bin durchaus der Meinung, daß es notwendig ist, daß alle Schichten des Volkes in diesem Hause vertreten sind. Was aber nicht geht, ist nach meiner Meinung, daß versucht wird, hauptamtlich daneben einen Beruf fortzusetzen; dann ist die Präsenz hier im Parlament eben nicht in ausreichender Zahl gegeben.
Lassen Sie mich abschließen, meine Damen und Herren, und sagen: Alles, was diese Gesetzesfabrik produktiver macht, ist notwendig. Nur ist das allein natürlich noch nicht die ganze Parlamentsreform. Es ist allerdings ein wesentlicher Teil der Parlamentsreform, diesen Apparat produktiver, fruchtbringender, transparenter und nach draußen sichtbarer zu machen.
Wir Sozialdemokraten meinen, daß zwei weitere Aspekte der Parlamentsreform dringend hinzukommen müssen. Unsere Vorschläge sind darauf angelegt. Erstens müssen die Bürgerrechte stärker als bisher durch die Aktion des Parlaments gesichert werden. Dazu gehören die Fragestunde, die Verbesserung der Rechte des Petitionsausschusses, die Stärkung der Untersuchungsausschüsse. Zweitens muß die Stellung der Opposition als des zentralen Gegenspielers der Regierungsmehrheiten verbessert und verstärkt werden. Dazu sollen auch unsere Vorschläge dienen. Alles das zusammen ist Parlamentsreform. Nur den Apparat zu verbessern reicht nicht.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unsere jüngeren Kollegen haben verständlicherweise das Bewußtsein: Jetzt wird Parlamentsreform begonnen, es wird einen großen neuen Anfang geben. Ich glaube, gerade eine jüngere Generation kann ohne ein solches Gefühl des Aufschwungs im Grunde genommen nicht zielbewußt und so arbeiten, daß sie wirklich die Gewißheit eines befriedigenden Ergebnisses hat.Als einer der älteren Kollegen möchte ich mir erlauben, auf einige praktische Beispiele dafür hinzuweisen, daß dieses Haus all die Jahre hindurch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12393
Dr. Schmidt
entscheidende Probleme der Parlamentsreform schon angepackt und auch gelöst hat.Auf Grund der Erfahrungen, die wir im Sommer 1965 mit den Vorwürfen wegen der Wahlgeschenke gemacht hatten, griff ich zu Beginn dieser Legislaturperiode den § 96 der Geschäftsordnung an. Wer ein wenig von diesen Dingen kennt, weiß, daß das einer der neuralgischsten Punkte dieses Hauses ist. Da geht es nämlich um die Frage der Koordination der Anforderungen der Fachausschüsse mit den Vorstellungen des Haushaltsausschusses und mit einer verantwortlichen Finanzgestaltung dieses Hauses. Nun habe ich im Namen meiner Fraktion versucht, in § 96 zunächst einmal grundsätzlich zum Ausdruck zu bringen: Wir haben zu bedenken, was eine Sache kostet, wenn wir einen Antrag aufnehmen oder einen Antrag der Regierung entgegennehmen, und daß wir dann laufend während des ganzen Gesetzgebungsverfahrens uns selbst koordinieren und uns nicht gegenseitig überspielen und überfordern.Diese Fassung des § 96 der Geschäftsordnung liegt heute, nach dreieinhalb Jahren, noch im Geschäftsordnungsausschuß.
Inzwischen hat sich geistig in diesem Hause etwas ereignet, was viel gefährlicher ist. Wir haben für die Regierung eine mittelfristige Finanzplanung institutionalisiert. Sie ist in sich unverbindlich, und ihre Natur ist, daß sie laufend überholt werden muß. Aber sie bindet dieses Haus nicht.
Statt nun die wichtigste Aufgabe wahrzunehmen, beginnt man, der eigenverantwortlichen Haushaltsgestaltung bei der Regierung zu petitionieren und sie zu ersuchen, doch gefälligst so freundlich zu sein und unsere Anliegen in der mittelfristigen Finanzplanung unterzubringen, d. h. unsere Verantwortung auf die Exekutive und deren unverbindliche Planung abzuwälzen. Das ereignet sich in Anträgen dieses Hauses permanent, statt daß man die eigene Verantwortung der finanziellen Grundlegung in der Zusammenarbeit von Fach- und Haushaltsausschuß laufend im Auge behält.
Sie sehen, das ist ein neuralgischer Punkt, das geht an die Nieren. Aber stattdessen reden wir über alle möglichen Techniken und alle möglichen äußerlichen Verbesserungen. Hier ist ein wirklich kranker Punkt, der in Ordnung kommen muß. Hier muß koordiniert werden mit dem Art. 113 des Haushaltsreformgesetzes.
Das ist der eine Punkt.Als Vorsitzender der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft bin ich ja laufend mit den Reformaufgaben dieses Hauses befaßt. Unter anderem haben wir zu Beginn dieser Legislaturperiode im Namen der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft Vorschläge zur Beseitigung der Interessenkollision in diesem Hause und zu einer Regelung der Interessenvertretung gegenüber diesem Hause eingereicht. Das hat in einer Reihe von Anträgen seinen Niederschlag gefunden, die immer noch unerledigt im Geschäftsordnungsausschuß liegen.Der Geschäftsordnungsausschuß kann das offenbar gar nicht leisten. Ich mache dem Vorsitzenden des Ausschusses gar keinen Vorwurf. Ich will nui sagen: wenn dort wesentliche, unsere eigenen geistigen Grundlagen angehende Anträge dreieinhalb Jahre liegenbleiben können, dann muß das doch einen Grund haben. Dann muß da doch irgend etwas nicht funktionieren. Dann kann ich da nicht mit dem Präsidentenwechsel kommen und sagen: jetzt beginnt die Parlamentsreform. Eine Reihe von Anträgen, Gesetzesvorschlägen usw. liegen in diesem Ausschuß. Wie soll denn das gemeistert werden?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Bauer?
Ich weiß, Herr Kollege Bauer, daß Sie jetzt sagen wollen, daß die Immunitätsbelastung Sie fast zu zwei Dritteln auffrißt. — Ja, bitte!
Würden Sie bitte einmal in die Überlegung eintreten, Herr Kollege Dr. Schmidt, ob nicht Schwierigkeiten z. B. bei Beratung der einschlägigen Vorlagen betreffend Interessenvertretung, Lobbyismus dadurch entstehen, daß die Mitglieder des Ausschusses, deren Fraktion einen Antrag eingereicht hat, sich im Ausschuß ganz anders einlassen als im Sinne ihres Fraktionsantrages, und daß es deshalb außerordentlich schwer ist, zu einer einheitlichen konkreten Meinungsbildung zu kommen, und daß dies hemmend auf ein Ergebnis wirkt?
Ich bin sehr dankbar für diesen Hinweis. Wenn Sie die Freundlichkeit gehabt hätten — soweit das etwa mich betroffen haben sollte und meine Fraktion bezüglich des § 96 —, mich frühzeitig zu informieren, damit ich mich da hätte einschalten können, wäre ich dankbar gewesen.Ich meine zumindest berechtigt zu sein, einmal darauf hinzuweisen, daß in diesem Hause Reformkräfte — in allen Fraktionen — tätig sind und daß Bemühungen um eine Gesundung des Parlaments unternommen werden. Ich möchte unseren jüngeren Kollegen dringend ans Herz legen, auch diese Bemühungen in der Tradition fortzuführen und nicht zu meinen, es genüge, hier oder da Techniken und Praktiken zu ändern. Denn das ist nicht das eigentliche Geheimnis der Parlamentsreform.Nun lassen Sie mich noch zu einem dritten Punkt etwas sagen. Da möchte ich auf das eingehen, was Herr Apel und einige andere Kollegen gesagt haben: das Problem der Spezialisierung und der Komplizierung unserer Gesellschaft. Ich glaube, wir brauchen hier nicht zu kapitulieren. Natürlich wird ein Idealziel, wie Sie eben schon mit Recht gesagt haben, nicht erreicht werden. Aber wir brauchen nicht zu kapitulieren.
Metadaten/Kopzeile:
12394 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Dr. Schmidt
Wir wollen einmal darüber nachdenken, wie wir in diesem Hause informiert werden und wie wir in diesem Hause bedient werden. Wir lassen es uns durch Jahre und Jahrzehnte gefallen, in einem Gesetzeschinesisch angeredet zu werden, das wir nie gelernt haben. Ich als Volljurist und als Steuerjurist erkläre Ihnen, daß selbst ich Begründungen von Steuergesetzen gelegentlich selber als Steuerchinesisch empfinden muß bzw. nur mit großer Mühe zu eruieren vermag, was eigentlich hinter dem Chinesisch steckt und welche Bedeutung es hat.Dann wundere ich mich nicht, wenn nicht einmal die Mitglieder des Finanzausschusses, die hier vorne sitzen, wenn die Vorlagen des Finanzausschusses behandelt werden, die Materie durchschauen. Das kann nicht anders sein. Denn Voraussetzung meiner Teilnahme an den Verhandlungen dieses Hauses ist, daß ich nicht chinesisch angesprochen werde, sondern in einer Sprache, die ich verstehe.
Deshalb möchte ich folgendes sagen. Wenn es sinnvoll und notwendig ist, in Begründungen in diesen Spezialsprachen zu reden, muß eben die Tagesordnung dieses Hauses mit Anlagen versehen werden, in denen das Problem in kurzen Stichworten und Hinweisen verständlich angesprochen wird, die Lösungsmöglichkeit, die Alternative aufgezeigt wird. Es muß also eine kurze, knappe Zusammenfassung für jeden Tagesordnungspunkt erarbeitet werden. Diese Zusammenfassung könnte vom Hilfsdienst oder in den Fachausschüssen vorbereitet werden.Wenn wir als Anlagen zu den Gesetzen regelmäßig solche Hinweiszettel in einer ganz bestimmten gebundenen äußeren Form, die auch ein Abheften möglich macht, bekämen und wenn das durch die Fraktionsarbeit, durch die Arbeitskreise, durch den Bundestag in die Ausschüsse ginge, wenn wir weiter ständig neu ergänzte, in sich verständliche Kurzhinweise bekämen, finge auch ich an, mich z. B. für das Fachgebiet „Arbeitsrecht" — oder was es auch sein mag — zu interessieren, für ein Fachgebiet also, dem ich mich sonst nicht widmen kann, weil ich nicht die Zeit und Kraft und Mühe aufwenden kann, um all die Fachüberlegungen, die in die Begründungen verpackt sind, zu eruieren. Ich glaube, diesen Dienst sind wir uns schuldig, daß wir uns in unserer Arbeit gegenseitig anhören, damit wir uns gegenseitig verstehen können. Ich halte das für einen ganz entscheidenden Punkt.
Ich wäre dankbar, wenn der Herr Präsident bei den Beratungen in der Parlamentsreform-Kommission diesen Gedanken einmal etwas nachginge.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Bauer .
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Niemand freut sich mehr als der Vorsitzende des Geschäftsordnungsausschusses, daß endlich wieder einmal Gelegenheit zu einer so groß angelegten Debatte über Dinge, die den Arbeitsmodus und die Arbeitsmölichkeiten in diesem Haus betreffen, gegeben ist, und zwar nicht etwa deshalb, weil dadurch der Ausschuß auf Jahre hinaus, wenn die Reformfreudigkeit so andauert, mit Arbeit und Brot versorgt wird, sondern deshalb, weil es ganz einfach notwendig ist, sich in gewissen Zeitabständen über diese Themen des Arbeitsmodus zu unterhalten.Die wenigsten werden sich bewußt sein, daß sich heute genau der Tag jährt, an dem wir das letzte Mal über diese Fragen geredet haben — es war am 27. März 1968 —, allerdings nicht im Rahmen der Haushaltsberatungen, sondern aus eigenem Anlaß. Damals sind Fragen der Parlamentsreform angesprochen worden. Ich meine, es ist damals immerhin ein Schritt in dieser Richtung sichtbar geworden. Als Stichworte nenne ich nur: die Verbesserung der Debatten im Sinne einer Verlebendigung, vor allen Dingen — gestatten Sie mir hier ein persönliches Wort - die positiv zu sehenden Bestrebungen, der Kurzrede gegenüber der Langrede Vorrang zu geben, die wirksame Anmahnung durch den Präsidenten bei Verlesung von Reden, die Ersetzung des Monologs durch den Dialog und die Möglichkeit der Kurzrede vom Saalmikrophon aus. Ich muß leider daran erinnern, daß diesen Bestrebungen eine Beerdigung erster Klasse zuteil geworden ist, indem dieser Komplex mit 158 gegen 157 Stimmen an den Ausschuß zurückverwiesen worden ist. Die Vorlage liegt heute noch als „Leichnam" im Ausschuß und hat wenig Aussichten auf Realisierung, weil sich bis jetzt hinsichtlich Redezeit keine entsprechenden Kompromißmöglichkeiten angeboten haben.Ich bin erfreut, daß die Parlamentsreform heute immerhin um einige Grade konkreter ins Blickfeld gerückt worden ist. Ich bin auch froh darüber, daß die Frage der Verstärkung der Hilfskräfte, die bei der Haushaltsdebatte im Vordergrund stehen sollte — ein Punkt, der vor allen Dingen zahlenmäßig sehr zu Buche schlägt —, nicht den Vorrang in der Debatte gehabt hat. Ich möchte mir allerdings die persönliche Anmerkung erlauben, daß man sicherlich auch in dieser Frage einiges Lehrgeld wird zahlen müssen.Nun, ich stimme im Grunde mit Herrn Kollegen Dr. Wörner überein: es ist in der Tat so, daß man sagen kann: Parlamentsreform ist die neue Bonner Frühjahrsmode. Und ich möchte nicht hoffen, daß das, was da auf dem Tisch liegt, nur — wie es jemand kraß ausgedrückt hat — ein Schauturnen, mehr Propagandashow gewesen ist, sondern daß man tatsächlich in der Sache weiterkommt. Es ist auch von einem Wettlauf der Fraktionen geredet worden. Wenn man die schriftlichen Vorschläge ansieht, möchte man sagen: es ist ein Wettlauf der beiden großen Fraktionen gewesen, denn von der FDP liegt als Drucksache lediglich noch der Vorschlag eines Senats für Parlamentsfragen auf dem Tisch.
Trotzdem sind in der Debatte wertvolle Anregungenvon seiten der Fraktion der Freien Demokraten ge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12395
Bauer
macht worden, die selbstverständlich in die Überlegungen wesentlich einbezogen werden.Alles in allem sind sicherlich von allen Seiten nicht unerhebliche Anstrengungen gemacht worden, um auf dem Gebiet der Parlamentsreform voranzukommen. Sie stimmen sicherlich mit mir überein, wenn ich sage, daß diese von allen Fronten — vom Präsidium bis nach unten — gemachten Vorstöße, guten Vorsätze und auch die detaillierten Vorschläge allein noch keine Gewähr für eine wirkliche Reform bieten. Ich möchte mir hier die Frage erlauben: Wo muß das Ganze beschlossen werden? Nach der bisherigen Struktur immer noch im Geschäftsordnungsausschuß. Herr Dr. Schmidt hat die Funktionsfähigkeit des Geschäftsordnungausschusses angesprochen. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muß hier ganz offen sagen: Der Vorsitzende ist gezwungen, sich Sitzungstermine abzuringen, weil es im ganzen Ausschuß kein Mitglied gibt, das nicht einem anderen Ausschuß angehört. Wenn ich allein an die unentbehrlichen Juristen denke: sie sind blockiert durch den Rechtsausschuß und durch den Sonderausschuß Strafrechtsreform. Infolgedessen ist es schon allein terminlich eine ungeheure Schwierigkeit, zu Rande zu kommen.Ich darf in diesem Zusammenhang einige Zahlen nennen. Der Geschäftsordnungsausschuß hat in dieser Legislaturperiode bis jetzt neunzehnmal getagt, der Immunitätsausschuß vierzehnmal, der Wahlprüfungsausschuß vierzehnmal. Zusammen waren es 47 Sitzungen und wir werden auf Grund des vorliegenden Materials in dieser Legislaturperiode mit absoluter Sicherheit und in jedem Fall über die Zahl 50 hinauskommen.Man muß für die Vorarbeiten, die aus den verschiedensten Richtungen geleistet worden sind, natürlich sehr dankbar sein. Hier möchte ich zuerst die Arbeitskreise der Fraktionen erwähnen. Ich habe in meiner Fraktion selber dem Arbeitskreis Parlamentsreform angehört, und ich kann mir nicht vorstellen, daß die CDU/CSU ohne einen solchen Arbeitskreis operieren konnte. — Weiter ist ein interner Arbeitsausschuß von Parlamentsexperten auf der Verwaltungsebene im Haus gebildet worden und hat an Vorschlägen gearbeitet. Schließlich ist neuerlich eine interfraktionelle Kommission angeregt worden, die aber noch nicht voll besetzt ist. Und dann erst soll der Geschäftsordnungsausschuß in Funktion treten. Ich erlaube mir, die Frage zu stellen, ob es mit der vielzitierten Transparenz vereinbart werden kann, wenn so viele Vorschaltgremien vorhanden sind. Ich möchte meinen, daß eine Koordinierung, ein Aufeinanderzukommen und eine gemeinsame Willensbildung zur Stunde notwendiger sind als eine große Zahl von Gremien. Verübeln Sie es mir bitte nicht, wenn ich als Vorsitzender auch ganz deutlich sage: Ich müßte es ablehnen, wenn der Geschäftsordnungsausschuß am Schluß nur noch die Funktion des Vollzugsorgans, d. h. des Ausschusses hätte, der den letzten Punkt aufs i setzen soll.Ich darf darauf verweisen, daß ich schon damals, vor genau einem Jahr, im Rahmen der Debatte alsBerichterstatter sagen mußte: Wenn wir von weitergehenden Vorschlägen, als sie damals vorgelegt worden waren, abgesehen haben, dann nur deshalb, weil eine grundsätzliche Revision der Geschäftsordnung, die doch auch Parlamentsreform involviert, im letzten Jahr einer Legislaturperiode kaum mehr Aussicht auf Verwirklichung hat. Ich sage das in vollem Bezug auf die gegenwärtige Situation. Sie können sich an den Fingern Ihrer Hände abzählen, wie viele Sitzungswochen und wie viele Sitzungstage wir noch haben. Mit den auf dem Tisch liegenden Vorlagen kommen wir nur weiter, wenn wir Prioritäten setzen und wenn wir vor allem Tagungsmöglichkeiten schaffen. Dabei kommt man vom Höhenflug der Reformideen rasch auf den nüchternen Boden der Realitäten, wenn man allein an die Sitzungsmöglichkeiten denkt. Die Schwierigkeit liegt darin, daß man die Abgeordneten nicht in Bonn festbinden kann, sondern daß jeder noch andere, unaufschiebbare Arbeitsverpflichtungen hat. Damit bietet sich die Möglichkeit einer Klausur an. Ich sage als Vorsitzender: ich bin bereit, zu jeder Tages- und Nachtstunde Sitzungen durchzuführen dafür zu sorgen, daß die Arbeitsmöglichkeiten entsprechend genützt werden.Ich darf nur andeuten, welche konkreten schriftlichen Vorlagen wir bereits jetzt auf dem Tisch haben: zunächst vier Vorlagen, die mir der sogenannten Haushaltsreform zusammenhängen, drei Vorlagen zur Interessenvertretung — Problem des Lobbyismus —, vier Vorlagen zum Petitionsrecht, ferner folgende Fragen: Reihenfolge der Redner, Zulassung der Assistenten zu den Ausschußsitzungen, Senat für Parlamentsfragen — ein FDP-Vorschlag —, und all das, was heute in der Debatte angeklungen ist und was seinen Niederschlag in eingereichten Vorschlägen gefunden hat. Sie sehen, vor uns liegt ein immenses Maß an Arbeit.Es bleibt mir nur übrig, an Sie alle, meine Damen und Herren, vor allem aber an die Fraktionsvorsitzenden
— ich sehe zur Zeit nur einen im Saal —, an die Geschäftsführer und an die Mitglieder des Ausschusses die Bitte zu richten, in diesen letzten Wochen bei den Sitzungen präsent zu sein; denn das Ziel muß ,sein — dem werde ich als Ausschußvorsitzender meine ganze Kraft und besondere Bemühung widmen —, möglichst viele der Vorschläge zu verwirklichen, vor allem aber zuerst Vorrangigkeiten festzulegen. Sie werden mir zustimmen, wenn ich sage: wir wollen keine Reparatur, wir wollen keine Verschönerungspflästerchen für die Geschäftsordnung, sondern wir wollen zumindest einen konkreten Beginn der Reform, den wir im Laufe der Jahre fortsetzen, weil die Revision der Geschäftsordnung nun einmal beinahe eine Daueraufgabe des Parlaments darstellt.
Das Wort hat Herr Moersch.
Metadaten/Kopzeile:
12396 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da sich die Reihen gelichtet haben und vor allem die Hauptreformer gar nicht mehr im Saale sind,
um sich offensichtlich, nachdem sie uns eine längere Arbeitszeit empfohlen haben, wie Herr Dr. Apel, von der Anstrengung zu erholen, diese Empfehlung hier auszusprechen — —
- Ich habe hiermit nicht den Präsidenten, Herrn von Hassel, gemeint, sondern ich habe meine Vorredner gemeint, von denen ich angenommen hätte — —
— Herr von Hassel, ich hatte eigentlich angenommen, daß Sie die Anführungszeichen, die hier eingesetzt waren, dabei nicht übersehen würden.
— Herr Schmitt, Sie haben wie immer gelegentlich recht.
Die Frage, die hier zur Debatte steht, ist das Selbstverständnis des Parlaments. Ich will zugeben, daß das jetzt vielleicht nicht mehr ganz die geeignete Besetzung ist, darüber noch zu meditieren. Ich will das auch nicht tun, sondern eine praktische Seite der Sache zeigen, die wir beim Haushalt wiederum nicht gelöst haben, die wir aber, hoffe ich, in der nächsten Legislaturperiode lösen können.Kein Mensch in der Welt wird begreifen, daß der Bundestag seine Protokolle in einer populären Form, nämlich in Form einer Wochenzeitung, an die Öffentlichkeit gibt, die gar nicht seiner Aufsicht untersteht, sondern die der Innenminister über die Bundeszentrale für Politische Bildung beaufsichtigt. Das war im großen und ganzen bisher auch ganz nützlich. Aber es war doch ein Versäumnis des Parlaments, sich nicht selbst einen solchen Apparat zu schaffen. Dafür genügt eine Umdisposition der Mittel. Das kostet keine Mark mehr im Haushalt. Dann können wir selbst bestimmen, in welcher Form wir beispielsweise Schwerpunkte bei der Information der Öffentlichkeit bilden, und brauchen uns nicht vom Bundesinnenminister entsprechende Vorlagen machen zu lassen, wobei mein Vertrauen in diese Institution sicherlich geringer ist als das der jeweiligen Regierungspartei, die hier im Saale sitzt. Aber das ist eine Frage für das ganze Parlament. Ich bin der Meinung, der Bundestag muß sich, wenn er aus diesem Defizit an öffentlicher Unterrichtung gegenüber Regierungsstellen herauskommen will, nun auch entschließen, eine Art der öffentlichen Information zu betreiben, die allgemeinverständlich und sachbezogen ist. Dazu brauchen Sie allerdings mehr als das, was jetzt vorgesehen ist, Herr Präsident. Ich will das ganz offen sagen.Ich stelle mir vor, daß es notwendig sein wird, für diejenigen in der Bevölkerung, die spezielle Materialien aus dem Bundestag wollen — ich denke ganz besonders an die Schulen, die politischen Arbeitskreise der Oberschulen und andere —, Zusammenfassung von Materialien herauszugeben, wie etwa ein Gesetz entstanden ist, mit den Dokumenten und den Reden, die dazu gehören, d. h. auf ein Thema bezogene Broschüren zu veröffentlichen, aber nur denen zu geben, die sie anfordern, und jeweils anzukündigen, wann solche Broschüren zur Verfügung stehen. Man kann Kupons für Anforderungen herausgeben. Dann ist die ungezielte Art der Verteilung von Büchern und ähnlichem künftig überflüssig. Das wäre eine Anregung, die ich für notwendig halte, weil man eben auch in der Frage der politischen Bildung nur wirken kann, wenn die, mit denen man diskutiert, zunächst über bestimmte Tatbestände durch entsprechende Originalunterlagen informiert sind.Es wäre z. B. sicherlich nützlich, wenn wir zu den Haushaltstiteln, die wir jedes Jahr verabschieden, nicht nur diese Gesamtwerke von Protokollen hätten, sonder wenn wir die Beiträge zu jedem .einzelnen Haushalt über eine Legislaturperiode hinweg oder, wenn Sie wollen, auch über zwei in einer Sondersammlung denjenigen, die sich für dieses Fachgebiet interessieren, geben könnten. Ich denke hier zum Beispiel an ein in sich abgeschlossenes Gebiet wie Arbeit und Soziales oder Wissenschaft. Bei Etattiteln, die viele Fachbereiche umfassen, wird eine Spezialdokumentation nicht so nützlich sein.Ich glaube, wir sollten bei der nächsten Haushaltsberatung entsprechende Umdispositionen vornehmen. Angestellte und Beamte innerhalb der Regierung können zum Teil auch zum Bundestag versetzt werden, so daß das keinerlei Mehrausgabe bedeutet. Das ist nur eine Frage unserer Aufsicht und auch einer Abstimmung der Arbeit mit dem Bundespresse- und -informationsamt. Ich habe nicht umsonst über unsere Fraktion den Antrag stellen lassen, daß die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit innerhalb des Bundesetats — in der dritten Lesung wird dieser Antrag, wie . ich hoffe, angenommen werden — in allen Ressorts zunächst zur Hälfte gesperrt werden und daß wir dann einen Bericht vorgelegt bekommen, was eigentlich sinnvollerweise mit diesen Mitteln geschehen sollte. Dann können wir sowohl für die Öffentlichkeitsarbeit als auch für die Arbeit des Bundestages noch in diesem Haushaltsjahr möglicherweise umdisponieren. Ich glaube, wir müssen einen Anfang machen und ganz global in die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit eingreifen. Sonst kommen wir nicht zum Ziel.Ein zweites. Ich komme nun gleich zu den Ausschußsitzungen, von denen wir als Fraktion der FDP meinen, daß sie bedingt öffentlich sein sollten. Herr Klepsch hat Zweifel geäußert, ob das sinnvoll sei. Ich halte es für sehr sinnvoll. Was ist eigentlich gewonnen, wenn Sie künftig aus den Ausschüssen umfangreichere Berichte an die Öffentlichkeit geben, die sicherlich, wenn ich das recht verstehe, im Auftrag des Hauses von Berufsjournalisten herausgegeben werden sollen? Das ist eine Möglichkeit. Aber
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12397
Moerschdie andere ist besser: daß Sie den fachkundigen Parlamentsberichterstatter eben auch zu den Ausschußberatungen zulassen. Sie werden keine Schwierigkeiten mit Indiskretionen oder ähnlichem haben. Darüber kann man offen reden. Das sind keine Anfänger, die hier berichten. Wenn Sie die Möglichkeit geben, daß ein fachlich interessierter Journalist die Entstehungsgeschichte eines bestimmten Gesetzgebungswerks mit beobachten kann, werden Sie dadurch eine ganz andere Qualität der Berichterstattung bekommen, als Sie heute zwangsläufig haben, wenn Sie die Vorlage in der zweiten Lesung schon völlig aufbereitet im Plenum zur Abstimmung stellen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Moersch, halten Sie es auch für eine Möglichkeit, daß der Ausschuß jeweils selbst darüber beschließt, ob er öffentlich tagt oder nicht, wodurch auch noch die Modifizierung gegeben wäre, daß er dem Bedürfnis nachkommen kann, sich auch einmal unter sich auszusprechen?
Herr Schulte, wir sind nicht so weit auseinander. Die Frage der Beweislast steht hier zur Debatte. Ich bin grundsätzlich für bedingte Öffentlichkeit und Begründung, wenn die Öffentlichkeit nicht hergestellt wird, weil ich die Gefahren kenne. Mir geht es hier um die Beweislast und um nichts anderes. Dann muß man Erfahrungen sammeln und kann weitersehen. Ich glaube, wir können uns am Ende finden. Aber Sie werden zugeben, daß ein Mann, der sich zum Kartellrecht äußern soll, wirklich im Wirtschaftsausschuß sitzen könnte, damit er sich nicht die einseitigen und verzerrten Informationen von fünf verschiedenen Interessenten zusammenholen muß. Man sollte ihn gleich hineinlassen, damit er weiß, wie die Tendenz war. Im übrigen ist es auch eine Erziehung zur Sachlichkeit, wenn so jemand in den Ausschüssen dabeisitzt.
Deswegen bin ich auch sehr für öffentliche Anhörungsverfahren. Alle Sachverständigen müßten meiner Ansicht nach öffentlich gehört werden, weil das sehr zur Mäßigung einseitiger Standpunkte und zum Ausgleich von Interessen beiträgt, wie wir erfahren haben.
Die Reihe ließe sich hier fortsetzen. Wenn wir den Wunsch haben, mehr in der Öffentlichkeit gehört zu werden, dann müssen wir dafür sorgen, daß die Öffentlichkeit an unserer Arbeit mehr teilnehmen kann. Das ist die Voraussetzung, die wir schaffen müssen; ein Lamento können wir sonst nämlich nicht mit Recht anstimmen.
Zur Frage der Parlamentsberichterstattung in Deutschland im einzelnen Stellung zu nehmen, wäre wohl etwas sehr Schwieriges, obwohl ich der
Ansicht bin, daß vielleicht doch irgendein kluger Verleger in Deutschland existiert, der sich mal durchrechnet, ob ihm nicht die umfassende Veröffentlichung von Parlamentsdebatten am Ende einen Leserkreis sichert, den er bisher sonst nicht ansprechen kann. Ich bin sicher, daß das nicht alle Zeitungen machen können. Aber vielleicht ist irgendeine da, die das auch zum Teil auf Kosten des Finanzamts machen wird. Zunächst wird es ein bißchen gewinnmindernd sein, aber am Ende möglicherweise auflagesteigernd für eine ganz bestimmte Kategorie von Publikationen. Das nur hierzu.
Vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich z. B. die „Frankfurter Zeitung" mit der Ausführlichkeit ihrer Parlamentsberichte einen großen Teil von Abonnenten gehalten, den sie sonst gar nicht in ganz Deutschland hätte haben können. Das muß man auch man hinzufügen. Ich habe den Eindruck, daß manche Verleger über die politische Interessenlage der Leser nicht genügend Bescheid wissen. Es ist eine erwiesene Tatsache, daß in mancher großen Zeitung der Abdruck von Ausschnitten aus dem Parlament eine außerordentliche Attraktion für die Leserschaft bedeutet, weil es nämlich immer noch viele Menschen gibt, die solche Dinge sammeln wollen. Wenn also etwas regelmäßig erscheint, ist das eine Art Beilage, die zu einer Bindung an den Leser beiträgt. Das wird man nicht in großen Auflagen machen können.
— Herr Schulte, die Presse mag das beurteilen, wie sie will; das ist die Entscheidung, die die Verleger zu treffen haben. Wir haben am Ende darüber zu befinden, ob wir uns in bestimmten Fragen, wo wir steuerliche Vergünstigungen und anderes geben, nicht mal überlegen, was die Gegenleistung dafür sein sollte, etwa in der politischen Information. Ich möchte nicht jede Art von bedrucktem Papier gleich werten.
Eine Zwischenfrage von Herrn Sänger.
Herr Kollege Moersch, da Sie von der Berichterstattung der Presse über das Parlament sprechen: finden Sie nicht, daß es vielmehr eine Berichterstattung über Ministerreden ist statt über Parlamentsreden?
Das entspringt der lange üblichen deutschen Erziehung. Das ist eine Tradition, wobei der Obrigkeitsstaat bei uns in bestimmter Form fortlebt. Aber ich bin auch der Meinung, daß wir weniger Posten zur Ministerverherrlichung schaffen sollten, als im Etat stehen. Es sind genügend Leute da, die sich den Kopf zerbrechen müssen, wie sie das tun. Wir erleben ja, wie wir es letzte Woche besprochen haben, daß Minister ins Ausland reisen und vorher auf einer Pressekonferenz das mitteilen, was sie eigentlich im Parlament sagen sollten, um ihren Etat zu vertreten, und uns statt dessen eine lange Nase machen. Das ist alles in diesem Hause
Metadaten/Kopzeile:
12398 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Moerschpassiert. Wir sollten uns so etwas künftig nicht mehr gefallen lassen. Das beste Mittel, das auszuräumen, ist Stellen zu streichen für Leute, die sich solche Dinge einfallen lassen. Das ist nämlich unsere Waffe, die wir haben; eine andere haben wir in diesen Fällen leider nicht, Herr Kollege Sanger.Die Reform der Untersuchungsausschüsse ist hier angeschnitten worden. Die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft hat dazu ganz klare Vorschläge gemacht. Die Frage ist jetzt, wer sie in einen Gesetzestext umformuliert. Da haben sich einige Freiwillige gemeldet, die ich aber im Augenblick nicht im Saal sehe. Vielleicht können wir gelegentlich klären, welches die Freiwilligen sind, die diese Arbeit übernehmen werden. Daß es notwendig ist, die Thesen in Gesetzesformulierung zu bringen, ist gar nicht strittig; die Grundlagen sind jedenfalls geschaffen, und sie sind einstimmig verabschiedet worden. Ich halte das für sinnvoll, was die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft vorschlägt, wenn man die Vorschläge zusammen mit der Verfassungsänderung verabschiedet.Ein weiteres Thema. Wir müssen neben einer Fragestunde, die ich für dringend notwendig halte, wo sich die Minister ungeschützt allen politischen Fragen stellen müssen, auch das Anhörverfahren der Minister im Ausschuß etwas verbessern und müssen auch hier die Möglichkeit einer bedingten Öffentlichkeit herstellen, zu Fachfragen beispielsweise. Da können die Beamten ruhig als Büchsenspanner dabei sein; das ist kein Problem.Nun ist der Einwand gekommen, es sei vielleicht zuviel verlangt, daß man Minister und vor allen Dingen den Bundeskanzler hier zu allgemeinen politischen Themen ohne Vorankündigung befragt. Es wurde von einem Vorredner gesagt, der Befragte müsse ja wissen, was drankommt. Ja, meine Damen und Herren, vor Pressekonferenzen fürchten sich die Herren ja auch nicht; da wissen sie auch nicht, was drankommt. Warum eigentlich dem Parlament minderes Recht geben, als es die Bundespressekonferenz mit Recht für sich in Anspruch nimmt? Wer nicht zu allgemeinen politischen Fragen Stellung nehmen kann, wer nicht so informiert ist, der ist eben da oben auf dieser Bank fehl am Platze, meine ich. Das muß ich verlangen können; das gehört dazu.
Das ist kein Problem.
Was den neuen Plenarsaal betrifft, der vor allen Dingen meinem Kollegen Mommer so sehr am Herzen liegt, kann ich nur sagen, der Saal ist sicher eine wichtige Sache für die Stimmung. Aber in diesem Hohen Hause hat es in den letzten 20 Jahren sehr gute Debatten gegeben. Nur wird man nicht permanent Höhepunkte in einem Parlament verlangen können.Ich bin also nicht der Meinung, daß die Saalfrage eine entscheidende Frage der Parlamentsreform ist. Die Frage ist vielmehr, in welcher Form wir zu einer unabhängigen Meinungsäußerung jeweils kommen und in welcher Form wir uns auf Schwerpunkte in der Debatte konzentrieren. Kollege Dr. Schmidt hat dazu einige wichtige Anmerkungen gemacht. Ich bin ganz sicher: wenn wir die 'berühmte Abstimmungsmaschine haben, in der jede Abstimmung namentlich aufgezeichnet wird, wenn wir infolgedessen die Möglichkeit haben, Jeweils auch im Wahlkreis zu sagen, wie wir gestimmt haben oder wie die Konkurrenz gestimmt hat — was sicher genauso wichtig ist! — und wenn wir schließlich die Möglichkeit haben, die es in anderen Parlamenten gibt, daß man, wenn man verhindert war, wenn man nicht da war, ein Votum nachreicht, um zu einer bestimmten Frage in klarer Form Stellung zu nehmen, dann wird zweifellos auch der Plenarsaal besser besetzt sein. Nur muß man dann natürlich die Abstimmungen auch zeitlich terminieren, muß den Rhythmus der Debatten und der Sitzungstage künftig etwas ändern.Ich muß hier doch noch dem Kollegen Dr. Wörner — es tut mir leid, daß ich -es in seiner Abwesenheit tun muß — auf die keineswegs humorvolle Antwort erwidern, die er gegeben hat. Ich hatte ihn eigentlich als einen Man eingeschätzt, der gelegentlich eine kleine Anmerkung vertragen kann. Mein Hinweis, daß offensichtlich im Familien- und Jugendausschuß keine Junggesellen zu einer fachlichen Beratung vorhanden seien, war nämlich sehr gezielt. Denn Dr. Wörner selber war es doch, der sich in der heimatlichen Presse als Familienminister empfehlen ließ, als die. Neubesetzung des Amtes zur Debatte stand. Da wurde in seinem Wahlkreis die Frage erörtert, warum er nicht im Familienausschuß sei. Da haben andere gesagt: Vielleicht weil er noch nicht verheiratet ist; da kann er ja nicht gut in diesen Ausschuß, also kann er auch nicht Minister werden. — Aber die Reihe seiner persönlichen Empfehlungen hat sich fortgesetzt. Wir haben gelesen, daß er als Bundestagspräsidentenkandidat vorgesehen sei; auch das wurde in Baden-Württemberg in der heimatlichen Presse verbreitet. Daß jemand, der doch offensichtlich eine ganz gute Selbsteinschätzung hat, auf einen Zwischenruf so, wie heute morgen geschehen, antwortet, halte ich nicht für angemessen. Ich meine, wer so Pressepolitik in eigner Sache macht, muß sich auch darauf wappnen, daß andere das merken. Denn alle ziehen wir die Hose wirklich nicht mit der Beißzange an; das muß ich hier doch einmal sagen.
Ein bißchen Ahnung von den Hintergründen haben auch wir. Für die Nichtwürttemberger möchte ich sagen, daß das eine geläufige Wendung ist. Herr Klepsch schaut mich etwas irritiert an. Herr Klepsch, das ist bei uns eine Formel, die jeder kundige Thebaner sehr wohl versteht, in Stuttgart sowohl als auch in der gesamten weiteren Umgebung.Ich darf nun noch ein Wort zu den Angriffen auf meinen Kollegen Dr. Mende sagen, die von Herrn Dr. Apel und Herrn Schmitt-Vockenhausen gekommen sind. Es ist ein großer Irrtum von Herrn Dr. Apel gewesen, zu unterstellen, daß hier etwa jemand zur Pensionsfrage gesprochen habe, der seine Frage gelöst habe. Wer das Gesetz kennt, weiß, daß das nicht wahr ist. Ich halte es auch nicht für sinnvoll, wenn sich jemand zu einer allgemeinen Frage äußert, ihm mit unterstellenden Zwischenrufen zu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12399
Moerschbegegnen. In einem solchen Falle müßte man eben informiert sein.
Ebenso ist es eine Unterstellung, Herr SchmittVockenhausen, die Daueranwesenheit zu bezweifeln. Ich wäre gern bereit, Vergleiche anzustellen. Sie werden jedenfalls meinem Kollegen Dr. Mende nicht vorwerfen können, daß er eine vergleichsweise geringe Beteiligung in diesem Parlament oder gar in den Ausschüssen habe. Auch nachdem er eine freiberufliche Tätigkeit aufgenommen hat, ist er einer der Abgeordneten, die Sie sehr oft in diesem Hause sehen, im Gegensatz zu den Zwischenrufern von heute morgen, von denen ich manche gar nicht so oft sehe, viel weniger höre.Noch ein Wort zur konzertierten Aktion.
— Entschuldigung — dann war es ein doppelter Irrtum; dann müßte er sich auch hier erkundigen. Wir wollen das also nicht ausdehnen. — Die Frage, die Herr Apel angeschnitten hat und wobei er die konzertierte Aktion verteidigt hat, ist allerdings eine Frage, in der unsere Meinung erheblich von einer gewissen Vorstellung von Technokratie, möchte ich einmal sagen, abweicht, die ich aus solchen Bemerkungen wie denen von Kollegen Dr. Apel immer wieder heraushöre. Es kommt nicht darauf an, daß im Lande alles gut geölt funktioniert und daß sich die Interessenten vorher ausgleichen. Wir haben schon ganz andere Beispiele in unserer Geschichte dafür, wie man Interessengegensätze verkleistern kann. Es kommt hier auf etwas ganz anderes an: darauf, daß es keine „Vorparlamente" gibt, die in Wahrheit die Entscheidungen treffen, wobei dem Parlament nur noch weißgemacht wird, es habe zu entscheiden, in Wirklichkeit aber die Sache entschieden ist. Man kann nicht einem solchen Gremium, das nicht verfassungsrechtlich verankert ist, die Vorklärung von wichtigen Gesetzesvorlagen zumuten, wie das geschehen ist.Wir als Parlamentarier — und das sollten auch Sie, meine Kollegen von der SPD, wissen — sollten doch alles daransetzen, damit konzertierte Aktion, Kreßbronner Kreis — diese sogenannten grauen Zonen unserer Verfassung — und was sich sonst noch herausbilden mag, so wenig wie möglich in Aktion treten können.
— Auch der, Herr Schmitt-Vockenhausen, in bestimmtem Umfang.
— Entschuldigung, es ist auch manches nicht gut gewesen, was von uns angeregt worden ist. Nur finde ich, daß Sie, wenn ich den Saldo ziehe, Ihr Konto in letzter Zeit erheblich überzogen haben.
Die Frage ist einfach, wie sich das Parlament am Ende selbst versteht, ob es sich ein bequemes Leben machen will, indem es solche Dinge weiter zuläßt, oder ob wir den unbequemen, aber öffentlichen Weg gehen wollen, den ich in diesem Fall für empfehlenswert halte.Merkwürdigerweise ist heute in diesem Hause über eine Sache noch nicht gesprochen worden, nämlich über die berühmte und früher so oft beklagte Herrschaft der parlamentarischen Geschäftsführer. Ich darf daran doch auch erinnern.
— Das haben Sie vermißt? — Ich habe vor allen Dingen den Beitrag des Kollegen Rasner vermißt, der nun wirklich der Erfahrenste ist. Allerdings hat ein parlamentarischer Geschäftsführer heute gesprochen, der dieses Amt von 1949 bis 1953 innegehabt hat — deswegen hat er hier auch gesprochen —, nämlich Dr. Mende.
— Herr Dr. Mommer, Entschuldigung! Gut, ich nehme das zurück. Es gibt also hier Gleichberechtigung in der Erfahrung, wie ich sehe.Ich muß hier aber gleich zur Richtigstellung noch etwas sagen. Herr Dr. Mende hat seine Ansichten über die zweite und dritte Lesung und über die Frage der Einzelanträge vorgetragen. Das ist nicht Gegenstand eines FDP-Vorschlags, sondern das sind Anregungen, die ich für wertvoll halte, die ich persönlich allerdings in diesem Punkt nicht teile. Ich halte den Einzelantrag nach wie vor für notwendig, und ich halte auch die Form der drei Lesungen für möglich und notwendig. Das sind aber alles technische Dinge, über die man sich sicherlich einigen kann. Das sind keine politisch essentiellen Fragen, wenn ich davon absehe, daß ich das Recht des einzelnen, in der zweiten Lesung Anträge etwa zum Haushalt zu stellen, wirklich für nützlich und notwendig halte. Das kann auch zur Belebung der Beratungen — sicherlich zum Arger vieler Kollegen — beitragen. Diesen Ärger müssen sie eben einkalkulieren, wenn sie ins Parlament gehen.
Eine Zwischenfrage von Herrn Schmitt-Vockenhausen.
Sie hat sich erledigt. Ich hatte nur meditiert, ob nicht der Kollege Rasner seine besondere Sachkunde als parlamentarischer Geschäftsführer vielleicht auch dadurch wieder zum Ausdruck gebracht hat, daß er nicht an der Debatte teilnimmt.
Er hat eine ganze Zeitlang daran teilgenommen.
— Er hätte vielleicht zuviel über die Umstände sagenkönnen, die zur Verhinderung einer vernünftigen
Metadaten/Kopzeile:
12400 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
MoerschNeuordnung der parlamentarischen Arbeit geführthaben. Das wollte er sich möglicherweise ersparen.
Ich hoffe, daß wir von Ihnen allen, von der CDU und SPD, in unserem Wunsch nach Stärkung des Parlaments und der parlamentarischen Demokratie nachdrücklich unterstützt werden und daß es nicht bei verbalen Sympathiekundgebungen bleibt. Denn Ihre Interessenlage ist ja nun Gott sei Dank zum ersten Male offen. Jeder von Ihnen muß, wie wir von der FDP aus Erfahrung wissen, damit rechnen, daß er gelegentlich zu jener Minderheit im Parlament gehören kann, die immer besonders daran interessiert sein muß, das Parlament zu stärken.Dieses „Gefühl von Minderheit", das Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, nun doch ein wenig beschlichen hat, könnte möglicherweise der Motor für eine wirkliche Parlamentsreform sein, und die wünschen wir uns.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Collet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In beantrage, die Sitzung zur Mittagspause zu unterbrechen.
Ich darf diesen Antrag begründen. Wir unterhalten uns hier über Präsenz, über Parlamentsreform, über die Debatte, und wir wollen nicht ein Ablesen. Derjenige, der debattieren will, muß ständig zuhören, damit er auf die Ausführungen des anderen antworten kann und nicht etwas wiederholt. Wenn wir uns mit unserem Verfahren nicht selbst widerlegen wollen, indem wir unterstellen: zwischendurch geht jeder zum Mittagessen, es braucht nicht jeder alles zu hören, weil doch nur das abgelesen wird, was man sich vorher schon aufgeschrieben hatte, und deswegen braucht man nicht auf das zu antworten, was andere vorher gesagt haben usw., ein Verfahren, gegen das wir hier schon seit drei Stunden demonstrieren, müssen Sie meinem Antrag schon zustimmen.
Ich habe nicht klar verstanden, um welchen Antrag es sich nun handelt.
— Unterbrechung der Sitzung. — Wünscht jemand dagegen zu sprechen?
— Das ist nicht der Fall.
Angesichts der Arbeitslage im Hause und der anderen Sitzungen, der Sitzung der CDU/CSU-Fraktion, soweit ich unterrichtet bin — —
— Nein? — Dann schlage ich vor, daß wir bis 15 Uhr unterbrechen.
Die Sitzung ist bis 15 Uhr unterbrochen.
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Wir fahren fort in der Beratung des Haushalts 02, des Einzelplans des Deutschen Bundestages.
— Zunächst hat das Wort Herr Dr. Kübler.
Herr Präsident! Meine Damei und Herren! Alle Welt redet heute von Reformen. Für das Petitionsrecht aber ist dieses Gespräch von der Reform nicht eine neue Bonner Frühjahrsmode, wie vorhin formuliert wurde, sondern das Thema ist seit drei bis vier Jahren in der Öffentlichkeit auf der Tagesordnung. Aus Mißtrauen gegen die Bürokratie forderten sehr viele bei uns die Institution eines Ombudsman. Das führte zu Diskussionen in mehreren Landtagen, in der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft und zu einer Konferenz der Präsidenten der Länderparlamente. Auch die Fraktionen dieses Bundestags erörterten in verschiedenen Arbeitskreisen das Thema.In der vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages im Februar dieses Jahres vorgelegten Auswahlbibliographie können Sie feststellen, daß diese breite Diskussion allmählich dazu führte, statt die neue Institution Ombudsman zu schaffen, die Befugnisse des Petitionsausschusses zu stärken und wirksamer zu machen. Mitglieder des Petitionsausschusses prüften in den letzten 18 Monaten die Möglichkeiten, diese Stärkung ihres Ausschusses über die Geschäftsordnung oder über ein einfaches Gesetz zu erreichen. Allmählich schälte sich die Erkenntnis heraus, daß alle Vorschläge eine Absicherung durch das Grundgesetz brauchen. Das trifft auch für die heute parallel vorgelegten Gesetzentwürfe zu, von denen wir annehmen können, daß sie im Rechtsausschuß zu einem Entwurf harmonisiert werden. Aber Voraussetzung für dieses Gesetz ist eine Grundgesetzänderung, die Ihnen in der Drucksache V/3965 vorgeschlagen wird. Art. 45 c Abs. 1 des Grundgesetzes soll heißen:Der Bundestag bestellt einen Petitionsausschuß, dem die Behandlung der gemäß Artikel 17 an den Bundestag gerichteteten Bitten und Beschwerden obliegt.Also wie bisher Bitten und Beschwerden.Diese Bitten, meist Anregungen zu Gesetzesnovellierungen, werden von dem Petitionsausschuß sehr häufig an die Fachministerien oder an die Fachausschüsse weitergegeben. Wie bisher wird der Petitionsausschuß nur in wenigen Fällen selbst gesetzgeberische Initiative ergreifen. Die Hauptleistung des Petitionsausschusses wird sich bei den Bitten und Anregungen arbeitsmäßig nicht ändern. Er wird also die Anregung eines Bürgers an die richtige Stelle geben, aber — das unterscheidet ihn von einem Briefträger — er wird diese Anregung weitergeben und einen Termin für die Antwort oder die Lösung dieser Frage setzen. Hier haben wir das wichtigste Instrumentarium dieses Parla-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12401
Dr. Küblerments, da es immer Kontakt mit Bürgern hat und da wir hören und spüren können, wie unsere Gesetze aufgenommen oder interpretiert werden oder mit Verbesserungsvorschlägen an uns zurückkommen.Aber Art 45 c Abs. 2 soll lauten:Bei der Überprüfung von Beschwerden wird der Ausschuß als parlamentarisches Kontrollorgan tätig. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.Hier ist also nur noch — ich betone das ausdrücklich — von „Beschwerden" die Rede, nicht mehr von „Anregungen" und „Bitten".In der Geschichte des Parlamentarismus und der Parlamente haben wir das Thema dieser Beschwerden oft sehr deutlich gelöst. Wenn wir daran denken, daß die Parlamente von Paris und London vor Jahrhunderten über mehrere Jahrhunderte hinweg gleichzeitig höchstes Gericht bei Konflikten zwischen Untertan und Krone waren — auch in Altwürttemberg war das eineinhalb Jahrhunderte der Fall —, dann sehen wir, welche Funktion Parlamente schon ausgeübt haben.Das brauchen wir heute nicht, weil der Bürger, der in seinen Rechten durch Organe des Staates verletzt wird, sein Recht vor Gericht einklagen kann. Der Petitionsausschuß weist deshalb bei vielen Beschwerden, bei denen eine klare Rechtsverletzung behauptet wird, den Petenten auf den normalen Rechtsweg hin. Niemand in diesem Ausschuß will mit den Verwaltungsgerichten in Konkurrenz treten; aber es bleibt immer ein gewisser Rest von Rechtsbeugungen, bei denen die Hilfe des Parlamentsausschusses etwas mehr bedeutet als ein Rechtstsreit vor Gericht.Zum Lob unserer Beamten will ich hier ausdrücklich sagen, daß eine Meinungsäußerung des Petitionsausschusses fast immer beachtet wird - zum Wohle des Petenten. Ich betone ausdrücklich, daß die Zahl der Fälle, in denen ein Fehler der Bürokratie bis in obere Instanzen hinein gedeckt wird, sehr gering ist. Ich muß aber mit gleicher Deutlichkeit sagen, daß es diese Fälle leider gibt, in denen selbst höchste Beamte fehlerhafte Aussagen vor dem Ausschuß machen, sei es, daß sie selbst nur falsch informiert wurden, sei es, daß sie aus falsch verstandener Kollegialität andere decken.Ich wiederhole nochmals: die Zahl dieser Fälle ist sehr gering. Trotzdem bin ich der Meinung, daß das, was für das Parlament von Paris vor Jahrhunderten gegenüber dem König recht war, dem Bundestag heute gegenüber der Ministerialbürokratie billig sein sollte. Wir brauchen hier das Recht, ganz genau kontrollieren zu können, mit allen Sanktionen gegenüber Fehlaussagen.Mich persönlich bewegt aber eine andere Erkenntnis, die mich engagiert für diese Grundgesetzänderung eintreten läßt. In diesem unserem modernen und sich in dauernder Entwicklung befindenden Staat können Gerechtigkeit und Gesetzlichkeit manchmal weit auseinanderklaffen. Ich bin mir bewußt, was ich hier sage, wenn ich behaupte, daß Recht und Gesetz bei uns manchmal nicht das gleiche sind. Wir bekommen nämlich des öfterenPetitionen, bei denen wir uns im Ausschuß alle einig sind, daß dem Petenten geholfen werden muß, weil ihm Unrecht geschehen ist. Aber wenn wir dann versuchen, ihm zu helfen, gehen wir den von dem Petenten vorher gegangenen Leidensweg der negativen Kompetenzstreitigkeiten staatlicher Instanzen oder öffentlicher Körperschaften.Oft kämpfte der Staatsbürger auch auf einer falschen Plattform für sein Recht oder verklagte die falsche Institution oder versäumte in seiner Angelegenheit die notwendigen Fristen. Dann dauert es für uns im Ausschuß wieder oft mehrere Jahre, bis wir den Fall einigermaßen in den Griff bekommen; denn aus einer Fülle legaler Handlungen staatlicher Instanzen kann offensichtliches Unrecht werden.Ich gestehe hier freimütig, daß ich manchmal schamrot werde für Antworten unserer Bürokratie, die sich zwar korrekt auf Gesetze und Verordnungen zurückzieht, die dabei aber nicht das menschliche Leid sehen will oder kann, das nur durch eine unglückliche Kombination aller möglichen angewendeten Gesetze und Stichtage entstanden ist.Wir wollen hier aber nicht anklagen, sonst müßte ich Ihnen Beispiele bringen; wir wollen helfen. Wir im Petitionsausschuß spüren es immer wieder, daß der Buchstabe unserer Gesetze töten kann. Wir bitten deshalb um die Vollmacht, der Gerechtigkeit in einzelnen besonders begründbaren Fällen mit der Macht dieses Parlamentes zu dienen. In der Praxis wird das ganz nüchtern so aussehen, daß der Petitionsausschuß die Verursacher einzelner Entscheidungen auf den verschiedenen Ebenen staatlicher Instanzen oder öffentlicher Körperschaften mit dem Endergebnis konfrontiert. Da wohl niemand in diesem Haus hier so vermessen ist, zu glauben, daß wir jemals für alle Ewigkeit gültige und vollkommene Gesetze werden machen können, sollten wir uns diese dauernde Korrekturmöglichkeit in wenigen Einzelfällen öffnen.Zum Schluß möchte ich noch betonen, daß die meisten Petitionen nicht diese traurigen Fälle betreffen, sondern echte Anregungen unserer Bürger sind, die diesen unseren Staat an irgendeinem Punkt verbessern wollen. Ich darf deshalb ganz nüchtern feststellen, daß mehrere zehntausend Petitionen jährlich aus der Überzeugung heraus geschrieben sind, daß dieses Parlament mit seiner politischen Gewalt der Gerechtigkeit dienen will. Geben Sie deshalb dem Petitionsausschuß die Möglichkeit, diese Überzeugung unserer Mitbürger nicht zuschanden werden zu lassen!
Das Wort hat Herr von Hassel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor mir haben etwa ein Dutzend Mitglieder des Hohen Hauses gesprochen. Sie sind ihren Ausführungen gefolgt, Sie haben gehört, was an Kritik am Parlament, an der Arbeit des Parlaments und an den Unzulänglichkeiten des Parlaments vorgebracht wird. Sie haben ein großes Bündel von Vorschlägen bekommen, und ich darf
Metadaten/Kopzeile:
12402 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
von Hasseldoch vielleicht vorab mit einem Worte des Dankes an diejenigen beginnen, die sich die Mühe gemacht haben, aus ihren Erfahrungen, aus ihrer Sachkunde heute zu der bereits mehr als drei Stunden währenden Diskussion beizutragen.Niemand in dem Hohen Hause geht, wie ich glaube, davon aus, daß alle Vorschläge, die gemacht worden sind, nachher auch alle in einem Bündel an das Parlament zurückkommen, einfach deshalb, weil man prüfen muß und wägen muß, was wirklich in ein Gesamtkonzept hineinpaßt. Wenn aber nur 50 % von dem, was heute an Anregungen aus allen Teilen des Hohen Hauses gekommen ist, wirklich realisiert würden, dann wäre das fraglos schon eine große Verbesserung für die Arbeit, die wir zu leisten haben.Man darf zweitens nicht vergessen, daß es außerhalb des Hohen Hauses eine große Gruppe von interessierten Wissenschaftlern und Publizisten gibt, die dieses Geschehen „Parlamentsreform" mit großem Interesse verfolgen und die ihrerseits beachtliche Vorschläge bringen.Das, was heute hier diskutiert und vorgeschlagen worden ist, ist mit der Blickrichtung auf allgemeine Strukturfragen dieses Parlaments gesagt worden. Zunächst einmal aber ist das Nahziel gesetzt worden, daß man dieses Parlament effektiver machen möge, daß man den Gesetzgebungsgang beschleunigen möge, daß die Arbeit erleichtert werden soll und daß man sich im Parlament freimacht von den vielen Details, die unsere Zeit absorbieren, freimacht, um Zeit für große, für bedeutende, für entscheidende, für politische Fragen zu gewinnen.Ich möchte mich bei der Fülle der Anregungen, die der Vormittag gebracht hat, und angesichts der Tatsache, daß noch etwa ein halbes Dutzend Wortmeldungen vorliegen, auf ein paar Anmerkungen und ein paar Bitten beschränken.Ich muß vorausschicken, daß wir unter Zeitdruck stehen. Wenn wir für das, was wir realisieren wollen, nicht innerhalb dieser Legislaturperiode einmal mit dem Sachverstand der Parlamentarier dieses Hauses, die dieses Thema hier seit Jahren verfolgen und genau kennen, die Entscheidung treffen, werden wir am Tage nach der Wahl vom 28. September nicht in der Lage sein, gravierende Dinge zu ändern, die sich festgefahren haben und die man dann währen der nächsten vier Jahre nicht mehr in Ordnung bringen kann. Insofern stehen wir unter Zeitdruck. Wir müssen es zuwege bringen, daß wir zumindest mit einem Teil der Dinge, mit denen man neu beginnen muß — aber nur anfangen kann, wenn ein neues Parlament zusammenkommt —, noch im Juni dieses Jahres fertig werden. Das ist das eine.Es würde mich reizen, hier einmal aus der Sicht eines Mannes, der selber vor 15 Jahren in diesem Hause begann und jetzt auf dem Stuhl des Präsidenten sitzt, der aber nicht vergessen hat, wie ihm damals, 1953/54 ,als Abgeordneter zumute gewesen ist, darzustellen, wie die Arbeit eines solchen Abgeordneten eigentlich vor sich geht und was ihn bedrückt.Mir ist es damals so gegangen, wie es Ihnen noch heute geht. Sie fahren am Wochenende nach Hause und wissen nicht, worüber Sie in der kommenden Woche hier zu entscheiden haben werden. Sie wissen nicht, wie die Tagesordnung aussieht. Sie kennen die Themen nicht, weil sie nicht etwa nur aus einem Sachbereich kommen, sondern vielleicht aus anderthalb Dutzend verschiedenster Sachbereiche stammen. Sie gehen in das Wochenende, wissen nicht, wie Sie sich vorbereiten können, haben ein ungutes Gefühl, weil Sie entscheiden müssen, ohne sich hinreichend vorbereitet zu haben. Sie konnten sich nicht vorbereiten, weil noch nicht bekannt war, wie die kommende Arbeitswoche aussieht. Sie gehen nach Hause und nehmen eine Reihe von Vorlagen mit. Ein paar habe ich mir herausgesucht: veritable große Schinken. Wenn Sie dann den Versuch unternehmen, während des Wochenendes, das im Grunde mit anderen Dingen ausgefüllt ist, zu begreifen, was darin steht, werden Sie diesen Versuch sehr schnell aufgeben.Ich danke Ihnen, Herr Kollege Dr. Schmidt, daß Sie das einmal skizziert haben. Warum nicht ein Vorspann, aus dem hervorgeht, was eine Vorlage im Politischen besagt, was die Vorlage, wenn sie so realisiert wird, eigentlich kostet? Wo eigentlich sind die Streitpunkte dieser Vorlage? Wo etwa gäbe es Alternativen?
Es gibt heute Systeme, die in einer Kurzfassung einen Vorspann von einer Seite machen, in dem Sie lesen können, was eigentlich zur Entscheidung steht. Auf drei weiteren Seiten steht ein bißchen schon das Detail. Wer sich dann in das wirkliche Detail vertiefen will, kann studieren, was in der Gesamtvorlage steht.
Ich möchte Ihnen das an einer dünneren Vorlage zeigen, und zwar an dem Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung der Bundesknappschaft. Darin steht in Art. 1 — Herr Präsident, diesmal müssen Sie mir gestatten vorzulesen — —
Darf ich bei dieser Gelegenheit auch etwas zur Reform sagen, Herr Präsident. Ich glaube, das ist auch ein Zopf, den wir abschneiden müssen. Hier darf jeder zitieren. Wir setzen dabei voraus, daß er nicht filibustert und nicht unendlich viele Seiten abliest.
Ich zitiere also aus dieser Vorlage vom 21. Januar 1969, die der Abgeordnete — angenommen — mit nach Hause nimmt. Dort heißt es:Artikel 1Änderung des ReichsknappschaftsgesetzesDas Reichsknappschaftsgesetz in der Fassung vom 1. Juli 1926 , zuletzt geändert durch das Gesetz zur Verwirklichung der mehrjährigen Finanzplanung des Bundes, II. Teil — Finanzänderungsgesetz 1967 — vom 21. Dezember 1967 (Bundesgesetzbl. I S. 1259), wird wie folgt geändert und ergänzt:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12403
von Hassel1. In § 1 Abs. 4 werden die Worte„nach Absatz 2 nicht versicherungspflichtig oder"gestrichen.2. In § 2 wird Abs. 4 gestrichen.
Ungemein klar! Sie greifen zur Begründung und lesen da zu dieser Ziffer, die ich eben vorlas,Nummer 1Die Änderung ist redaktioneller Art. Sie wird vorgenommen, weil § 1 Abs. 2 RKG mit Wirkung vom 1. Januar 1968 an durch Artikel 1 § 3 Nr. 1 Buchstabe b des Finanzänderungsgesetzes 1967 gestrichen worden ist.
Mit dieser ungemein präzisen Information des Gesetzeschinesisch, Herr Kollege Dr. Schmidt, gehen Sie nach Hause und haben keinen Schimmer, worüber Sie beschließen sollen.Das ist eine Vorlage der Regierung, und ich möchte paritätisch auch das Parlament selber nennen. Wenn Sie z. B. den Antrag Drucksache V/3812 der Abgeordneten Becker, Kühn , Lange, Franke (Hannover), Opitz und Genossen über den Entwurf eines Gesetzes über das Schornsteinfegerwesen lesen,
dann können Sie dort Ähnliches lesen. Also insofern ist es nicht nur in Vorlagen der Bundesregierung, sondern auch in Vorlagen der eigenen Mitglieder dieses Hohen Hauses sichtbar.
Im Gegensatz zum Kollegen Dr. Schmidt bin ich der Meinung, daß man die Information, die eine solche Vorlage für jeden Abgeordneten lesbar — in kurzer Zeit lesbar — enthält, nicht in diesem Hause herstellen lassen muß, sondern dort, wo das Gesetz seinen Ausgang nimmt, nämlich in den Fachressorts.Meine Bitte an die Bundesregierung geht dahin, Herr Kollege Leicht, daß die Bundesregierung — —
— Nein, der „Oberkollege" ist da; das Ministeriumder Finanzen, das ist im Augenblick das wichtigste.
— Sie werden es nachlesen. — Meine Bitte geht dahin, daß dann das Finanzministerium vielleicht die Anregung übermittelt, daß wir Vorlagen bekommen, mit denen diese Informationsmöglichkeiten für den einzelnen Abgeordneten, leicht lesbar, ganz grundsätzlich, vorausgeschossen wird, damit man es wirklich lesen kann.
Das Zweite! Der Abgeordnete fühlt sich alleingelassen in seiner Arbeit. Er muß das alles selber machen, muß Post holen, muß sie lesen, muß sie sortieren, muß die Vorlagen einordnen nach wichtigen und weniger wichtigen.
Er muß antichambrieren, um seine Post diktieren zu können. Er hat keinen, der ihm den Terminkalender führt. Das erlebe ich dann, wenn ich Abgeordnete einlade, daß sie mir nicht sagen, ob sie kommen, einfach deshalb, weil sie niemanden haben, der ihren Terminkalender führt, in Ordnung hält und dem zurückantwortet, der eingeladen hat. Der Abgeordnete —das sage ich jetzt einmal als ein Mann, der das selber erfahren hat — vertrödelt hier seine Zeit mit Dingen, die man wirklich anderen übertragen kann. Für diese Dinge ist er nicht nach Bonn geschickt worden.
Das Dritte! Ein Thema, das hier zu behandeln, mich ungemein reizen würde, ist nun die starke Sorge des Abgeordneten, daß er von der Bürokratie überrollt wird. Ich darf dazu vielleicht nachher ein paar gesonderte Bemerkungen anfügen.Der Abgeordnete selber aber kritisiert nicht nur, sonder er wird auch kritisiert. Heute morgen ist das von einer Reihe von Sprechern in sehr plastischer Form geschildert worden. Das leere Plenum, daß er hier Zeitung liest, daß er plaudert oder daß er gar nicht da ist, wird oben von der Tribüne kritisiert. Sehr richtig hat irgendeiner bemerkt, daß derjenige Abgeordnete, der den ganzen Tag hier im Plenunm ist, noch nicht der tüchtigste sein muß.
Mir ist es einmal so ergangen: Als Vertriebenenminister bin ich in meiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied der Partei zu einer Frauenkonferenz gegangen, bin von morgens bis in den frühen Nachmittag dagewesen, habe geglaubt, daß es etwas Gutes sei, das anzuhören, und mußte von einer Teilnehmerin dort erfahren: „Na, Sie scheinen aber viel Zeit zu haben, daß Sie zu uns kommen."
Das kann also auch für den Tribünenbesucher ein falsches Bild geben: Derjenige, der den ganzen Tag hier ist, wäre nach seiner Meinung der Fleißigste. Nach Kenntnis derer, die wissen, wie die Arbeit des Abgeordneten ansonsten aussieht, kann man darüber zumindest streiten.
Leider hat es das Parlament nach meinem Dafürhalten bisher nicht verstanden, den Tribünenbesuchern in einer lesbaren, freundlichen und einprägsamen Form klarzumachen, wie es eigentlich im Leben eines Abgeordneten aussieht. Einige Redner haben das heute morgen geschildert. Sie haben gesagt: Wir haben Wahlkreisbesucher hier; wir müssen sie betreuen. Man weiß, daß der Abgeordnete mit Fachleuten aus den Ressorts und aus den Verbänden sprechen muß. Man weiß, daß Abgeordnete Zeit haben müssen, um mit Fachkollegen aus der eigenen Fraktion oder aus anderen Fraktionen Dinge vorzubereiten, die zu einem späteren Zeitpunkt auf der Tagesordnung dieses Parlaments stehen. Man
Metadaten/Kopzeile:
12404 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
von Hasselweiß, daß der Abgeordnete mit seiner Post fertig werden muß. Man weiß, daß er all diese Dinge erledigen muß. Dem Tribünenbesucher müßte gesagt werden: Ein Politiker kommt heute nicht mehr zu Rande, wenn er nicht mindestens zwei Dinge zur gleichen Zeit erledigen kann, nämlich leisen und zuhören. In dem Augenblick, wo das Zuhören für ihn wichtig ist, legt er seinen Lesestoff, die Zeitung, die er studieren muß, beiseite und folgt den Ausführungen. Es ist uns in unserer Öffentlichkeitsarbeit bislang nicht gelungen, den Außenstehenden, z. B. den Besuchern dieses Parlaments, klarzumachen, daß ein Politiker diese Eigenschaften haben muß, weil er sonst mit seiner Arbeit nie fertig wird.Ich bin sehr dankbar, daß heute morgen auf die Presse verwiesen worden ist; ich glaube, der Herr Kollege Dr. Mende hat das getan. Heute morgen waren 10% der Plätze auf der Pressetribüne besetzt. Inzwischen sind ein paar andere Herren erschienen, die ich sonst dort nicht sehe. Es ist für einen Fernsehoperateur ungemein dankenswert, einen leeren Teil des Plenums aufzunehmen. Meine humorvoll gemeinte Bitte geht dahin, gelegentlich auch die leere Pressetribüne aufzunehmen.
Genau das, was man an uns kritisiert, daß wir nämlich in der Zwischenzeit in unseren Zimmern sitzen, dort arbeiten und am Lautsprecher verfolgen, was hier vor sich geht, müssen auch die Herren der Publizistik machen: Sie sitzen in den Pressehäusern, verfolgen über den Lautsprecher, was hier vor sich geht, machen dort ihre Arbeit und berichten. Sie müssen es genauso machen wie wir: zwei Dinge zur gleichen Zeit. Hier sind sie dann eben auch nicht anwesend. Meine freundlich gemeinte Bitte geht also dahin, daß auch in der Publizistik ein bißchen eine freundliche Darstellung darüber gegeben werden möge, was eigentlich die Tätigkeit dieses Parlaments bedeutet.
Der Präsident bekommt eine Liste, auf der verzeichnet steht, wer entschuldigt ist, wer Urlaub hat. Es sind heute 83 Mitglieder des Parlaments entschuldigt, davon allein 24 durch die Teilnahme an den Sitzungen des Europäischen Parlaments, 7 durch die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union. Einige von Ihnen sehen zuweilen auch die Krankenliste unserer Mitglieder. Ich weiß nicht, ob. Ihnen bekannt ist, daß der parlamentseigene Arzt z. B. bei der Bundesversammlung in Berlin 90 Wahlmänner ärztlich hat versorgen müssen. Von den 83 entschuldigten Mitgliedern wird eine große Anzahl auf der Liste der Kranken zu finden sein. Ich glaube, daß man auch wissen muß, was die einzelnen Parlamentarier in der Zwischenzeit tun, wenn der Plenarsaal hier leer ist.Mit der Blickrichtung darauf, daß es bislang nicht gelungen ist, darzustellen, wie das Leben der Ibgeordneten eigentlich aussieht, sei noch eine Bemerkung hinzugefügt. Wie ich meine Tätigkeit als Abgeordneter kenne, wird man für den Wahlkreis engagiert. Man muß beim Verkehrsminister durchzusetzen versuchen, daß irgendwo eine Straße gebaut wird. Man muß im Wirtschaftministerium zu erreichen versuchen, daß das Investitionsförderungsprogramm auf den eigenen Wahlkreis ausgedehnt wird. Man muß versuchen, auf Landesebene einen Schulbau zu fördern. Man muß sich bei anderen Investitionsvorhaben einschalten. Lesen Sie einmal nach, was in dieser Beziehung in der Fragestunde vom Abgeordneten alles getan werden muß.Für den einzelnen im Wahlkreis sieht es dann so aus: Man muß dafür Sorge tragen, daß eine Rentenfrage in Ordnung geht. Man muß sich um einen Lastenausgleichsantrag kümmern. Man muß sich um eine Wohnungsgeschichte kümmern. Man wird gebeten, sich für ein Baudarlehen einzusetzen, das beantragt worden ist, das aber nicht von der Stelle kommt. Man wird, meine sehr verehrten Damen und Herren, meine Kollegen, im Wahlkreis als ein Anwalt angesehen, der honorarfrei alles durchzusetzen hat,
was so an Sorgen oder Nöten vorkommt. Und außerdem ist er der billigste Festredner — honorarfrei versteht sich —,
der weder einen Sonnabend noch einen Sonntag auslassen kann. Wie schön war die Zeit, wo es noch einen Streit um ein tagungsfreies Wochenende gab. Vor zehn Jahren gab es eine große Bewegung in dieser Richtung. Diese Bewegung ist leider offensichtlich eingegangen; für einen Bundestagsabgeordneten gibt es das nicht.Und nun ein viertes Wort in der — so möchte ich sagen — eigenen Sache des Abgeordneten; das ist das Thema der Diäten. Es ist dies ja ein magisches Wort, das jeden zur Kritik anreizt: Diäten — und dann noch steuerfrei, wie die eigentlich aussehen? — Ich finde, man sollte einmal eine Darstellung geben, wie sich das Geld zusammensetzt, das der einzelne Abgeordnete im Monat bekommt, und was er mit diesem Gelde im Grunde genommen tut. Darf ich es ruhig einmal sagen: Die Beiträge an die Fraktionen, die Beiträge an die Partei und an seinen Wahlkreis, die zusätzlichen Kosten durch einen zweiten Wohnsitz hier in Bonn — er muß hier regelmäßig essen, er kann es nicht zu Hause, er muß es hier, und as teurer —, doppelte Haushaltsführung, er muß seinen Kraftwagen haben, er hat seine Bürokosten, sein Porto, sein Telefon zu Hause. Meine Meinung ist, daß man ihm hier entgegenkommen könnte. Er muß eine Halbtagssekretärin haben; er muß die Kosten für die Besucher übernehmen, die hierher kommen; diese erwarten vom Abgeordneten ihres Wahlkreises, mindestens zu einer Tasse Kaffee eingeladen zu werden. Bei ihm erscheint zuerst die Spendenliste; man erwartet, daß bei jeder Spende ganz oben der Betrag des Abgeordneten steht, denn er bekommt ja „einige tausend Mark steuerfreie Diäten." — Und dann kommt der Versicherungsbeitrag für seine Altersversorgung von 600 DM.Das sind, wenn Sie das addieren, ungefähr 3600 DM im Monat; und wenn er dann 4600 DM wirklich bekommt, dann ist die Differenz der Betrag, der wirklich hier für seine Arbeit gezahlt wird. Deshalb
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12405
von Hasselmeine ich, daß man dieses Thema Diäten draußen auch ansprechen sollte. Ein Teil sind nicht Diäten, sondern reine Entschädigungen für Kosten, die er hat, er, der nichts von der Steuer absetzen kann. Er kann nicht am Sonntag mit seinem Auto vorfahren und bei der Tankstelle die Frage beantworten: Von wann soll die Quittung sein?
— Ist Ihnen nicht bekannt, daß das passiert ist? — Er kann nicht in ein Restaurant gehen, wo es dann, wenn er sonntags zum Essen geht, heißt: „Von wann soll die Quittung sein?
— Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist vielleicht. ein bißchen übertrieben, was ich sage, aber in diese Richtung geht es.
In dieser Richtung geht es deshalb, weil nämlich der sogenannte Steuerzahler uns diese steuerfreien Diäten dauernd ankreidet.Der im Augenblick nicht anwesende Kollege Dr. Mende hat das heute morgen einmal in Bierwährung ausgerechnet. Das Parlament kostet den einzelnen Wähler so viel wie eine Flasche Bier. — Nun, ich trinke kein Bier, wir trinken dort oben im Norden andere Getränke; ich müßte das einmal auf unsere landesüblichen Getränke umrechnen.Ich habe inzwischen einiges ausrechnen lassen, was das Parlament kostet; vielleicht sind die Zahlen für Sie, die Sie anwesend sind, und für jene, die später das Wortprotokoll nachlesen und daraus auch einmal für sich selber die Zahlen ein bißchen zusammensetzen, nicht uninteressant. Die Parlamente selber — in Bund und Ländern zusammen — kosten pro Kopf der Bevölkerung im Jahr 2,48 DM. Die Verwaltung, das Personal für Bund und Länder zusammen, kostet pro Jahr und Kopf der Bevölkerung 775 DM. Die Kosten für die Bundestagsabgeordneten und die Abgeordneten in den Landesparlamenten zusammen machen 0,12 Prozent der öffentlichen Haushalte aus; und in Mark und Pfennig umgerechnet, in sichtbaren Zahlen -heißt das: für alle Parlamente in Bund und Ländern zusammen betragen die Kosten pro Jahr insgesamt 171 Millionen DM. Darin ist auch der Bau dort drüben enthalten, also nicht nur die laufenden Kosten, etwa die Diäten. Das alles zusammen sind also 171 Millionen; dagegengesetzt: die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden zusammen haben ein Volumen von 138 Milliarden DM. Die Parlamente zusammen 171 Millionen; allein der gesamte Personalkostenaufwand in Bund, Ländern und Gemeinden zusammen 46,5 Milliarden! Ich glaube, wenn man einmal diese Zahlen veröffentlicht, wird auch das Thema „Diäten" in eine vernünftige Relation gesetzt.Der fünfte Punkt bei der Kritik an den Abgeordneten ist leider aus der allerjüngsten Zeit. Man sagt: Jetzt gibt es 1500 DM je Abgeordneten im Monat, siehe Haushalt des Jahres 1969, von uns heute zu verabschieden. Und man meint, der Abgeordnete bekäme diese 1500 DM für sich in seine eigene Tasche. Ich möchte, damit diese Legende von vornherein getötet wird, sagen: er bekommt keinen Pfennig. Er bekommt dieses Geld nicht persönlich in die Hand, sondern unter Vorlage eines Vertrages, den er persönlich abzuschließen hat mit demjenigen, der für ihn arbeitet. Ob es eine Sekretärin ist, eine Halbtags-, eine Ganztagskraft, ein wissenschaftlicher Assistent, teilbeschäftigt, vollbeschäftigt, gleichgültig, dieses Geld wird nur gegen Vorlage eines Vertrages gezahlt, wobei sich der Bundestag selber sehr sorgfältig ansieht, daß es keine Scheinverträge mit der Ehefrau oder dem in Bonn studierenden Sohn sind. Wir versuchen also den Mißbrauch auszuräumen.Man kann auf Grund der Richtlinien, die von der Unterkommission des Bundestagsvorstandes fertiggestellt worden sind, auch jemanden im Wahlkreis beschäftigen, allerdings keinen Parteisekretär in seiner Kreisgeschäftsstelle.Man kann auch etwas anderes sehr Vernünftiges tun. Es können sich eine Reihe von Abgeordneten, fünf, sechs, sieben, zusammenfinden, das Geld poolen und dann zusammen einen qualifizierten Wissenschaftler, einen Assistenten oder eine Sekretärin anstellen. Darin sind die Richtlinien relativ frei. Sie geben dem Abgeordneten oder einer Gruppe von Abgeordneten alle vernünftigen Möglichkeiten.Meine Bitte geht dahin: Die mehrfach behandelten Richtlinien sind fertig. Ich habe sie dem gesamten Bundestagsvorstand zugeleitet und mit Blick auf die Eilbedürftigkeit gebeten, im Umlaufverfahren zuzustimmen. Der Termin ist morgen. Gewiß mag es so sein, daß irgendein Halbsatz dem einen oder anderen nicht paßt. Richtlinien, die für jeden akzeptabel sind, wird es wahrscheinlich nicht geben. Meine Bitte ist nun die, Herr Kollege Rawe, daß dann, wenn das Umlaufverfahren morgen abgeschlossen ist, diese Richtlinien, die an die Mitglieder des Haushaltsausschusses gehen, dem ich zusagte, daß er sie bekommt und sie einsegnen möge, dann allerdings auch im Monat April fertig sind.
— Ich stelle fest, der Haushaltsausschuß
ist viel besser als sein Ruf, der an sich nicht schlecht ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie sieht nun die Bilanz für heute aus der Sicht des Parlamentspräsidenten aus? Ich habe vorgestern eine Kommission konstituiert, die sich aus zehn Abgeordneten des Deutschen Bundestages zusammensetzt, eine politische Kommission, der die vielen, vielen Vorschläge, die gemacht worden sind und die bis zu ihrem Zusammentritt in einer Klausurtagung am 29. und 30. April gemacht werden, auch die Vorschläge des heutigen Tages mit der Auswertung des Wortprotokolls, vorgelegt werden. Das ist die politische Kommission, die für die Fraktionen schon ge-
Metadaten/Kopzeile:
12406 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
von Hasselwisse Vorentscheidungsmöglichkeiten treffen soll; die Entscheidung trifft nachher das Haus.Zweitens habe ich einen Arbeitsstab aus hauptamtlichen Herren gebildet, die ich berufen habe und die eine Möglichkeit der Zuarbeit von der wissenschaftlichen Seite her haben. Sie sind mehr oder weniger ganztägig beschäftigt und leisten ,die Vorbereitungen.Der Arbeitsplan, der mit der politischen Kommission abgestimmt ist, sieht zwei Tage Klausur im April, einen Tag Klausur im Mai vor. Er sieht vor, daß die Klausur und die Arbeit, die dabei zu leisten ist, parallel mit der in dem Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung gemacht werden kann — den Vorsitzenden haben Sie vorhin hier gehört — mit dem Ziel, daß wir Mitte Juni eine Reihe von Vorlagen hier verabschieden können. Der Arbeitsstab hauptamtlicher Mitarbeiter hat in der Zwischenzeit ein erstes Arbeitspapier für die Arbeitsweise des Parlaments erstellt. Es ist den zehn Mitgliedern dieser Kommission zugeleitet worden. Ich identifiziere mich nicht mit allen Vorschlägen dieses Arbeitsstabes, so wenig ich mich mit allen Vorschlägen identifiziere, die heute hier gemacht wurden; das wird niemand erwarten. Aber es ist zunächst einmal ein Start.In diesem Start ist ein Punkt für uns von großem' Interesse, der auch bei den Sprechern der Fraktionen heute morgen anklang. Ich glaube, daß wir eine drastische Verminderung der Zahl der Ausschüsse haben müssen, damit das viele Mitberaten aufhören kann. Die Ausschüsse müssen größer sein, damit sie für all die vielen Spezialfragen, die im Laufe einer Legislaturperiode auftauchen, auch Spezialunterausschüsse bilden können, die aber unter der Verantwortung des Gesamtausschusses arbeiten.
Die Freien Demokraten haben vorhin Ähnliches gesagt. Für die Fraktion der SPD hat mein Kollege Dr. Mommer einiges andere gesagt.
— Als Person. — Ich schöpfe Hoffnung; denn ich würde sagen — Verzeihung, Herr Präsident —: an dem Punkt sollten wir — —
Weder das eine noch das andere ist ganz richtig.
Wir wollen nicht in die Interna eintreten.Jedenfalls werden wir, wenn wir es nicht erreichen, die vielen kleinen Ausschüsse zu wenigen großen, kräftigen Ausschüssen zusammenzufassen, schon damit wir von dem vielen Mitberaten wegkommen, wahrscheinlich keine Arbeitserleichterung erzielen.Das zweite, was in diesem Arbeitspapier steht, ist, daß man die Tagesordnungen der Parlamentssitzungen nach den großen Fachbereichen zusammenfassen sollte, damit nicht bei jeder Gelegenheit, mittwochs, donnerstags und freitags, über alle Themen gesprochen werden muß, sondern die großen Schwerpunkte in einer Woche gebündelt zur Diskussion stehen, in der anderen Woche wieder andere Fragen. Die Ausschüsse sollten dann dafür verantwortlich sein, daß sie das gesamte Parlament vernünftig in der Form informieren, wie ich es vorhin sagte, und die Bundesregierung sollte Ähnliches tun. Die Information des Parlaments könnte dabei also wirklich nennenswert erleichtert werden.Sie wissen selber, daß wir, wenn wir den Beginn der neuen Legislaturperiode herankommen sehen, ohne die Entscheidung zu treffen, wie viele Ausschüsse wir haben wollen, wahrscheinlich nicht zu einer Verminderung kommen. Dann kommen die menschlichen Seiten; ein Ausschußvorsitzender hat einen gewissen Status und die Arbeitsmöglichkeit durch ein Sekretariat. Die Entscheidung muß also vorher getroffen werden, damit man nachher so verfahren kann. Ob dann die Zahl von zehn Ausschüssen richtig ist, ist eine zweite Frage. Aber ich glaube, so wie es heute ist, geht es nicht.Meine dringende Bitte ist daher, daß sich unter dem Druck des Termins vom 28. September — am 29. September haben wir einen neuen Anfang — diejenigen, die mit der Bearbeitung der vielen Vorlagen des heutigen Tages beschäftigt sind, für die Bearbeitung soviel Zeit wie irgend möglich, auch in sitzungsfreien Wochen, nehmen, damit wir das Mitte Juni erledigen können.Ich unterstreiche völlig, was der Herr Kollege Dr. Wörner sagt. Es ist leicht, Vorschläge in die Welt zu setzen. Sie sind publikumswirksam, die Presse wird sie freundlich kommentieren.
— Vielleicht. Ich glaube schon; ich bin nicht so skeptisch wie Sie, Herr Kollege Hermsdorf. — Aber es ist schwer, sie nachher zu realisieren, weil viele menschliche Bereiche dabei eine Rolle spielen. Man sollte also die Reformmöglichkeiten nicht überschätzen, und man sollte vor allen Dingen nicht davon ausgehen, daß die Reformen etwa zu einer Personaleinsparung in der Administration dieses Hauses führen könnten. Wer Reformen will, meine verehrten Kollegen, muß auch bereit sein, die Mittel, die dafür notwendig sind, und das Personal, bereitzustellen, damit man auch wirklich arbeiten kann.Es ist heute angesprochen worden und ich darf es als Erinnerungsposten noch einmal aufnehmen, daß der Wissenschaftliche Hilfsdienst, daß die Bibliothek größer werden wird und daß z. B. die Datenverarbeitung für uns eingeführt wird. Wir brauchen nicht darüber zu streiten: hierher gehört ein Abstimm-Computer. Dazu sind eine Reihe von Vorbereitungen getroffen. Ich gebe zu, daß die Lieferfristen es wahrscheinlich noch nicht möglich machen, bis zum 28. September eine Abstimmaschine hier zu haben, aber es ist auch gleichgültig, ob das drei oder vier Monate früher oder später kommt. Jedenfalls müssen wir diese Maschinerie einführen. Es ist für die Präsidenten ganz entsetzlich, diesen langsamen Ablauf mit Hammelsprung, oder wie in Berlin, in der Zukunft weiterhin zu machen. Das ist das eine.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12407
von HasselDas andere aber ist die Datenverarbeitung selbst. Ich brauche Ihnen das nicht zu sagen, in der Wirtschaft ist man ohne Datenverarbeitung aufgeschmissen, in der Wissenschaft ebenfalls. Als Verteidigungsminister habe ich eine große Zahl von Datenverarbeitungssystemen eingeführt, weil anders Verteidigung nicht mehr zu machen ist.
Aber ich muß aufräumen mit einer Meinung, die man zuweilen hört: Wenn wir uns einen Computer aufstellen, geht alles andere schon von selbst. Meine verehrten Damen und Herren, es gibt ein sehr lesenswertes Buch, das ich vor ein oder anderthalb Jahren gelesen habe, das heißt: „Was denkt sich ein Elektronengehirn?" Was denkt sich ein Computer? Wenn Sie das Buch durchlesen, stellen Sie fest, es steht klipp und klar darin: nichts. Der Computer selber denkt nicht. Er nimmt uns das Denken nicht ab. Das heißt also zu deutsch, wir müssen Leute, wir müssen Männer, wir müssen Wissenschaftler haben, die uns mit einem solchen Computer überhaupt erst die Arbeitsmöglichkeit schaffen; sonst brauchen wir keinen Computer. Dann können wir ihn verschrotten, oder nach dem Vorschlag, der gemacht wurde, exportieren. Ohne die intellektuelle Arbeit lebender Menschen, die etwas von diesem System verstehen, wäre ein Computer für uns rausgeworfenes Geld.Mein Vorredner, Herr Dr. Kübler, hat gesagt: Wir haben das Recht, kontrollieren zu können. — Gewiß! Ich bin, aber der Meinung, daß gerade im Zusammenhang mit dem Thema Datenverarbeitung z. B. das Parlament darauf besonders achten müßte. An einer anderen Stelle wurde gesagt, in der vorigen Legislaturperiode sind 10 000 Seiten Gesetze gemacht worden. Übrigens kommen sie nicht alle von der so geschmähten Regierung, sie kommen zum Teil auch aus unserem Hause. Sie kommen nicht nur von dort kompliziert, sie werden zum Teil von uns noch komplizierter gemacht, noch mehr in die Länge gezogen, mit noch mehr Sonderbestimmungen versehen. Meine Meinung ist, wenn wir eine Datenverarbeitung haben, muß auf eine Sache ganz besonders Wert gelegt werden: jedes Gesetz, analog auch jede Verordnung, jeder Erlaß, muß daraufhin untersucht werden, ob dadurch gleichzeitig der ganze Verwaltungsablauf vereinfacht wird oder nicht.
Ich möchte Ihnen das an einem Beispiel erläutern. Als ich Verteidigungsminister war, stand ich vor der Tatsache, daß von 300 000 Wehrpflichtigen, die gemustert werden, ein Drittel ein Rechtsmittel einlegen, und nach der Einberufung noch einmal ein Drittel. Wenn man das Soldaten- und das Wehrpflichtgesetz kennt, weiß man, welche Ausnahmen gegeben sind. Das sind wenige Ausnahmen. Das sind vielleicht 50 oder 100 Denkmodelle. Ich war also der Meinung, man kann die Frage der Rechtsmittel bei den Wehrpflichtigen in einer Bereichsverwaltung zentralisieren, dort einen Computer aufstellen, 100 verschiedene Denkmodelle einspeisen und das dann mit einem Computer verarbeiten. Antwort: Nein, die deutschen Gesetze lassen das nicht zu.Wir reden so viel über die andere Seite, über die Regierung und die Bürokraten, und sollten doch selber überlegen, daß unsere Gesetze so gemacht werden, daß sie auch mit den modernen Mitteln des 20. Jahrhunderts nachher anwendbar sind und daß nicht mehr mit den Methoden des ersten Teils dieses Jahrhunderts alles mit der Hand gemacht werden muß. Meine Bitte geht dahin: wenn man schon in diesem Hause dauernd von Kontrolle des Parlaments gegenüber der Bürokratie spricht, muß man auch dafür sorgen, daß die Gesetze, die wir machen, nicht dazu beitragen, daß die Verwaltung schwerfälliger wird, sondern das Gegenteil bewirken. Ich bitte jeden, der sich mit Datenverarbeitung beschäftigt, in dieser Richtung zu denken.Nur die fortgeschrittene Zeit hält mich davon ab, ein paar Bemerkungen über das Verhältnis des Abgeordneten zur Bürokratie zu machen. Es gehört bei uns vielfach dazu, die Bürokraten zu kritisieren. Ich finde, wir sollten darüber nachdenken, ob ein staatliches Geschehen ohne die Partnerschaft zwischen den politisch Verantwortlichen und der Administration überhaupt möglich ist. Wir sollten versuchen die starke Kontroverse, die oftmals entsteht, in eine vernünftige Partnerschaft umzuwandeln. Und da allerdings sage ich: nicht indem wir die Bürokratie eine Stufe tiefer setzen. Dieser Aufbau hier wird sowieso abgebaut, das ist aus, dieses hohe Sitzen. Das haben wir neulich abends entschieden;
und der Bundesvorstand wird, glaube ich, am 23. oder 24. April, endgültig darüber Beschluß fassen. Das meine ich also im Moment nicht bldilich. Das wird anders.
Ich glaube übrigens, daß die 350 000 DM, die das kostet, gut angewendet sind. Denn selbst wenn wir einen zweiten Bauabschnitt mit einem eigenen Plenarsaal beschließen, und heute zu planen anfangen und in absehbarer Zeit den Plan fertig haben, wird die kommende 6. Legislaturperiode fast zu Ende sein, bis wir einziehen. Deshalb meine ich, daß die Sache hier in diesem Hause so gut es irgend geht, durch einen bescheidenen Umbau in Ordnung gebracht werden sollte, der während der Sommerpause gemacht werden wird.
Ich meine also, wenn ich hier über das Verhältnis von Bürokratie und Parlament spreche, nicht dies, sondern ich meine, daß dem Parlamentarier, dem counterpart des Bürokraten, eine Aufwertung dadurch gegeben werden muß, daß er bessere Arbeitsmöglichkeiten bekommt.Das schon fast Letzte ist folgendes. Wenn wir uns mit den Arbeitsmöglichkeiten für uns beschäftigen, bedeutet das, daß wir uns auch mit den Arbeitsverhältnissen unserer hauptamtlichen Mitarbeiter befassen müssen. Da liegt nun ein Antrag
Metadaten/Kopzeile:
12408 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
von Hassel— Umdruck 630 *) — vor. Dazu sage ich: da bin ich in einer etwas schwierigen Lage. Ich habe dieses Anliegen im Bundestagsvorstand vertreten, und ich habe es nachher im Haushaltsausschuß vertreten. Der Haushaltsausschuß ist — aus Gründen, die ich respektiere — den Vorschlägen des Vorstandes nicht gefolgt. Der Antrag kommt jetzt noch einmal hier herauf, mit wohlklingenden Namen unterzeichnet. Ich rede jetzt nicht dafür, daß dieser Antrag angenommen wird. Aber der Präsident ist in folgender Situation. Wenn wir — darf ich es einmal an dem einen Punkt „Ausschüsse" aufhängen — die Ausschüsse in größere Bereiche zusammenfassen, müssen wir ihnen eine ausreichende Zahl von hauptamtlichen Mitarbeitern — Ausschußassistenten oder Ausschußsekretären — geben, dann muß man nach meinem Dafürhalten für einen großen Bereich auch die wissenschaftliche Hilfskraft mit dazugeben. Das nur einmal als Denkmodell. Es geht nicht an, daß ein Ausschuß in die zweite Lesung eines Gesetzes eintritt und das Protokoll der ersten Lesung noch nicht bekommen hat, weil wir mit der Arbeit nicht nachkommen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Hermsdorf?
Aber selbstverständlich, Herr Kollege!
Herr Präsident, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß gerade Ihr Argument, daß Sie hinsichtlich der Ausschüsse Reformen durchführen wollten, es war, das uns Veranlassung gab, diesen Antrag nicht zu billigen?
Herr Kollege, ich bin noch gar nicht am Ende. Sie hätten sich die Zwischenfrage für das Ende sparen können und sie dann wahrscheinlich als gegenstandsols erachtet.Ich sage folgendes: Im Grunde müßten wir diese Kräfte haben. Angesichts der Tatsache aber, daß ich noch nicht genau sagen kann: so wird das System aussehen, so werden die Ausschüsse gegliedert sein, so wird die Arbeitsweise sein, sage ich also: Im Grunde war es richtig, daß der Haushaltsausschuß nein gesagt hat.Aber wenn wir erst warten, bis der neue Haushalt 1970 fertig ist, der bei einem neuen Parlament wahrscheinlich — — Erst den Kopf schütteln, wenn ich am Ende bin! Dann ist ein Votum von Ihnen möglich, ob es nun richtig oder nicht richtig ist. Aber ich bin auf dem Wege. — Herr Kollege, das kommt mir so vor wie bei den Studenten. Wenn ich in einem Auditorium einen Satz beginne, der denen nicht paßt, fangen sie an zu scharren, bevor der Satz zu Ende geführt ist, und man ist meist gescheit genug, ihn dann so abzuwandeln, daß am Ende der Beifall da ist.
*) Siehe Anlage 2. Also Sie werden mir zum Schluß noch zustimmen.
Der Weg, den ich also gehen möchte, ist folgender. Ich weiß, daß der Finanzminister, der auf Grund des Haushaltsgesetzes allein dazu in der Lage ist, dem Haushaltsausschuß eine Vorlage nach § 11 vorzulegen, einen solchen Antrag normalerweise nicht stellen würde — ich kenne doch Finanzministerkollegen, die ich deshalb gar nicht kritisiere; das sind immer unsere „Oberkollegen" in der Regierung gewesen —, wenn ich z. B., verehrter Herr Kollege Schoettle, etwa im Juni oder Juli der Meinung bin: so muß es geschehen. Wenn aber der Herr Finanzminister bereit ist zu sagen: Sobald der Vorstand des Deutschen Bundestages ein Konzept vorlegt, für die Ausschüsse muß es so und so aussehen, bin ich, der Finanzminister, bereit, dem Votum des Vorstandes des Deutschen Bundestages zu folgen und dem Haushaltsausschuß einen entsprechenden Vorschlag zu machen, können wir, meine ich, so verfahren.
Denn, meine Damen und Herren, ich bin bei diesem Antrag, für den ich Verständnis habe und der ja ein bißchen in die Richtung dessen geht, was ich selbst im Vorstand und im Haushaltsausschuß vertreten habe, in einer schwierigen Lage. Gesetzt den Fall, ich bekomme alle Stellen. Dann werde ich in den nächsten Monaten des Lebens nicht froh, bis alle daraufhin befördert sind. Viele verdienen unstreitig die Beförderung. Aber bei manchem muß man auch darüber nachdenken, ob nicht die Etage, die er erreicht hat, eine gewisse Endetage ist.Nun kommt aber die Schwierigkeit, und damit verbinde ich eine weitere Bitte an den Herrn Finanzminister, der die ganze Bundesregierung hier vertritt. Wir haben unsere eigenen Beamten. Die Ernennungsurkunden tragen den Namen des Präsidenten. Wir müssen erreichen, daß eine Austauschmöglichkeit von Beamten zwischen dem Parlament und den vielen Ressorts gegeben ist.
Die Ressorts müssen ein Interesse daran haben, füreinige Jahre qualifizierte Herren zu uns abzustellen,
die nachher mit dem Sachverstand aus dem Parlament dorthin zurückkehren und die die Arbeit zwisschen den Ressorts und dem Parlament selber kennen und damit erleichtern. Aber wir müssen im Interesse des Beamten die Möglichkeit haben, denjenigen, der bei uns nicht mehr weiterkommen kann, weil seine Fähigkeit für uns zu begrenzt ist, auch in ein Ressort abzugeben, wo er seine Arbeit vernünftig leisten kann. Das ist eine weitere Bitte, die ich an das Finanzministerium, an die Regierung, habe.Mit dieser Bitte — ich habe mehr Zeit in Anspruch genommen, als ich ursprünglich vorhatte — darf ich diese Bemerkungen beschließen. Ich möchte mich vor allen Dingen bedanken, zum einen bei dem Haushaltsausschuß und den beiden Berichterstattern, die sich mit unserem Haushalt viel Mühe ge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12409
Präsident von Hasselgeben haben, zum zweiten insbesondere auch bei denen, die heute in der Debatte gezeigt haben, daß sie sich Jahre, Monate und Wochen mit diesen Fragen beschäftigt haben. Ich bin sicher, daß die Auswertung des Wortprotokolls viele gute Anregungen aufzeigen wird.
Das Wort hat Herr Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Mitglieder des Haushaltsausschusses insbesondere wissen, daß der Bundesminister der Finanzen schon in den letzten Jahren — und das gilt auch für die Zukunft — es als Selbstverständlichkeit erachtet hat, den Wünschen des Hohen Hauses nach Möglichkeit entgegenzukommen und sich vor allem Zurückhaltung in der Bewertung dessen aufzuerlegen, was dieses Haus will. Das wird auch in Zukunft so geschehen.
Herr Präsident, ich kann sagen: Wenn Sie Ihre neuen Vorstellungen entwickelt haben werden und sich das Ganze dann zu einer Vorlage konzentriert haben wird, wird diese Vorlage selbstverständlich vom Bundesminister der Finanzen nach § 11 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes dem Haushaltsausschuß und damit einer parlamentarischen Institution zur Entscheidung zugeleitet werden.
Zu Ihrer zweiten Frage, der Austauschbarkeit von Beamten innerhalb der Bundesressorts bis hinein auch in die Bundestagsverwaltung: Hier kommen Sie, möchte ich sagen, einem großen Wunsch auch des Finanzministers entgegen, der schon seit langem bestrebt ist, diese Austauschbarkeit herbeizuführen. Allerdings muß ich sagen, daß die Erfahrung bezüglich der praktischen Durchführbarkeit bisher nicht das Beste erwarten läßt. Ich bin Ihnen also dankbar für den Hinweis, daß dieser Austausch in Zukunft mehr als vielleicht in der Vergangenheit betrieben werden soll.
Das Wort hat Frau Jacobi.
Sehr geehrte Herren Präsidenten! Meine Damen und Herren! Ich bin geradezu glücklich, daß sich der Saal nach der Mittagspause wieder etwas gefüllt hat und daß ich die Ehre habe, hier vor dem Präsidenten und zwei Vizepräsidenten des Bundestages zu sprechen.Zunächst möchte ich mich herzlich dafür bedanken, daß Sie es möglich gemacht haben, die Anträge zur Verbesserung des Petitionsrechts noch in dieser Legislaturperiode einzubringen — wir kämpfen seit einem Jahr darum — und sie in die Haushaltsberatungen einzubeziehen.Die Anträge, die von Mitgliedern des Petitionsausschusses ausgegangen sind, haben die Zustimmung und die Unterschrift vieler Mitglieder dieses Hauses erhalten. Das ist ein Zeichen dafür, daß diese Anträge als das betrachtet werden, was sie sein sollen: ein kleiner Beitrag zur Reform der Arbeit des Bundestages. Diese Anträge haben dabei aber einen Vorteil: sie kosten kein Geld.Wir erbitten für den Petitionsausschuß das Recht auf Akteneinsicht in Ministerien und nachgeordneten Behörden und auf Inspektionsmöglichkeit an Ort und Stelle. Diese Hilfsmittel haben den Zweck, den Ausschußmitgliedern und damit dem Bundestag eine größere Sicherheit in der Beurteilung einer Beschwerde zu geben. Es ist kein Mißtrauen in die Verwaltung, was uns Veranlassung gibt, um diese Änderung zu bitten, sondern einfach die Tatsache, daß wir alle, auch die gewissenhaftesten und intelligentesten Beamten in irgendeinem Ministerium, irrtumsfähige Menschen sind. Es besteht die Möglichkeit, aus einem Vorgang verschiedene Schlüsse zu ziehen, eine Sache unterschiedlich zu betrachten. Vier Augen sehen immer mehr als zwei. Komplizierte Tatbestände wollen von verschiedenen Standpunkten aus betrachtet werden. Das Inspektionsrecht wird uns dazu verhelfen, in einer Vielzahl von Fällen schneller zum Zuge zu kommen. Wenn wir den komplizierten Instanzenweg über die Ministerien nicht gehen müssen und wenn wir direkt an Ort und Stelle nachfragen können, um eine Antwort zu bekommen — denn wir müssen auch immer die Gegenseite hören —, werden wir Wochen und Monate einsparen.Von der Verwaltung wird möglicherweise diese unsere Forderung als Eröffnung einer unangemessenen und nicht fachgerechten Kontrolle angesehen und abgelehnt; ich habe schon von einem Bericht aus dem Innenministerium gehört. Verglichen mit der Größe der Verwaltung und der Vielzahl der Ministerien ist es in Wirklichkeit eine ganz kleine stichprobenartige Möglichkeit, einen Eindruck von der Arbeit einzelner Ministerien zu erhalten. Ich glaube, daß das nicht unangemessen ist. Das Parlament als Ganzes kann eine Kontrollfunktion der Regierung gegenüber doch kaum noch ausüben.Demgegenüber wird das Vertrauen der Bürger in die Arbeit des Petitionsausschusses und die Erkenntnis, daß der Bundestag an seinen Beschwerden interessiert ist, ganz entschieden wachsen. Der Bürger will sich mit seinen Sorgen an uns wenden, er will eine angemessene und umfassende Antwort auf seine Fragen haben. Der Petitionsausschuß ist kein Auskunftsbüro für Rechtsfragen und auch kein Gericht; er kann nur Empfehlungen an die Regierung geben. Diese Empfehlungen an die Regierung müssen aber so fundiert sein, daß sie im Einzelfall auch überzeugen können, daß sie entweder die Regierung zur Änderung ihres Standpunktes bewegen oder dem Petenten seine Rechtslage auch bei einer abschlägigen Antwort umfassend zu erkennen geben.Die Gewährung des Rechts auf Akteneinsicht und des Inspektionsrechts kann das Vertrauen der Bürger in das Parlament und in die Regierung nur stärken. Ein Beweis dafür ist die Resonanz, die auf die Neufassung des Petitionsrechts in NordrheinWestfalen aus der Bevölkerung gekommen ist. Die
Metadaten/Kopzeile:
12410 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Frau Jacobi
Einschränkung des Rechts auf Akteneinsicht durch die Geheimhaltungspflicht ist selbstverständlich.
Die Erwähnung in Abs. 2 des § 1 lehnt sich an das Gesetz über den Wehrbeauftragten des Bundestages an; hier ist die gleiche Formulierung, die dort die Rechte einschränkt, gebraucht worden. § 1 Abs. 3 unserer Vorlage besagt, daß diese Befugnisse auf einzelne Abgeordnete - entweder auf den Berichterstatter für die Akte oder auf den Vorsitzenden — übertragen werden können.Um es noch einmal zu betonen: die Rechte, die wir erbitten, sollen uns nur bei der Erfüllung eines Grundrechts, das in Art. 17 des Grundgesetzes verankert ist, helfen. Rechtssystematisch ist es allerdings notwendig, daß man, wenn man ein Gesetz über die Petitionsrechte erläßt, den Petitionsausschuß, dem diese Rechte übertragen werden sollen, im Grundgesetz verankert.Der zweite Antrag — Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes — beinhaltet eigentlich keine Änderung, sondern nur eine ganz kleine Ergänzung des Grundgesetzes. Die Bestellung eines Petitionsausschusses wird dadurch im Grundgesetz festgelegt. Das scheint uns auch deshalb notwendig zu sein, weil dieses Grundrecht, sich zu beschweren, legitim als Recht des Bürgers dem Parlament gegenüber empfunden wird. Durch diese Ergänzung des Grundgesetzes und das Gesetz zur Verbesserung des Petitionsrechts bekennen wir uns alle dazu, daß wir für diese Beschwerden zuständig sind und daß wir, die frei gewählten Abgeordneten, verpflichtet sind, Irrtümer und Fehler zu verbessern, wo solche auftauchen. Wir sind nicht nur zuständig für die Gesetzgebung, sondern wir sollen gleichzeitig darüber wachen, daß die Gesetze auch sinngemäß angewandt werden, so wie wir es bei der Formulierung der Gesetze gewollt haben.Wir möchten durch diese Verankerung im Grundgesetz auch dem Ruf nach dem Ombudsmann begegnen. Die Einführung eines Ombudsmannes bedeutet Kontrolle der Verwaltung und der Regierung durch eine andere Verwaltung, denn der Ombudsmann ist nur die Spitze eines neuen Apparates. Ich möchte, daß wir uns als Parlamentarier nicht nur in unseren Wahlkreisen für zuständig erklären, Beschwerden und Wünsche der Bevölkerung entgegenzunehmen, sondern daß das Parlament als Ganzes sich zu dieser Aufgabe und der vielen Arbeit, die damit verbunden ist, bekennt. Es sollte sichergestellt werden, daß der Bundestag diese seine Verpflichtung nicht auf eine andere Instanz delegieren will. Wir würden dadurch gemeinsam das Parlament und sein Ansehen in der Bevölkerung festigten und stärken.Ich bitte darum, den Entwurf dieser Grundgesetzänderung und des Gesetzes über das Petitionsrecht dem Rechtsausschuß, dem Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung und dem Petitionsausschuß zu überweisen. Der Rechtsausschuß hat zwar geschworen, keine Grundgesetzänderungen mehr vorzunehmen; ich hoffe aber, daß meine Begründungen und die berühmte Rechtssystematik ihn doch dazu veranlassen werden. Ich bitte um Zustimmung zu dieser Überweisung.
Das Wort hat Herr Collet.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Diskussion in diesem Hohen Hause hat sich bemüht, die Unzulänglichkeiten in der Effektivität der Arbeit des Parlaments zu klären und als Ergebnis neue Initiativen zur Verbesserung dieser Effektivität herbeizuführen. Diese Diskussion hat aber auch viele Züge gehabt, aus denen erkennbar war, daß man mit dem Verhältnis, mit der Grundhaltung des Bürgers zum Parlament nicht zufrieden ist. Diese Einstellung wurde auch umgekehrt festgestellt. Wenn wir überprüfen, warum gerade das Verhältnis des Bürgers zum Parlamentarismus nicht so ist, wie es der Parlamentarier erwartet, müssen wir uns die Frage stellen, ob es am Parlamentarismus an sich liegt oder daran, wie er sich darstellt, oder an seiner Systematik, wie in vielen Punkten heute hier angesprochen, oder gar an der — wie heute auch schon vorgetragen wurde — so „bösen Presse". Ich weiß nicht, die Presse ist doch auch ein Teil dieser Bürger. Schreibt sie nun so, weil sie empfindet wie der Bürger, oder hat sich die Bürgermeinung so entwickelt, weil die Presse so über dieses Parlament schreibt?
Wir haben gerade heute und in der vergangenen Woche etliche Beispiele dafür erlebt, daß wir selbst vielfach zu dieser Einstellung des Bürgers beigetragen haben. So hat sich etwa ein Abgeordneter hier an dieses Rednerpult gestellt und gesagt, wir arbeiteten zu wenig, und dies als lapidaren Satz in den Raum gestellt. Er hat es sicher anders gemeint. Auch wenn er jetzt nicht hier ist — ich weiß gerade von ihm, daß er sehr viel arbeitet. Ich habe auch jetzt keine Bedenken, daß er nicht hier ist, weil er nicht arbeitet, sondern ich bin überzeugt, daß er etwas anderes tun muß. Aber es ist sicher unklug, solche Bemerkungen hier in einer derartigen Form zu machen.Die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Mende heute morgen, denen ich sehr interessiert zugehört habe, waren zunächst mehr und mehr geeignet, meinen Beifall zu bekommen, und ich war dabei, meine Meinung über ihn in diesem Teil der Aspekte zu revidieren. Doch dann sprach er in einem polemischen Gedankensprung von Ministerpensionen. Da frage ich mich, ob wir nicht auch dadurch zu einer solchen Grundhaltung in der öffentlichen Meinung beitragen. Denn er kennt die inneren Zusammenhänge ganz genau, und wir sind immer wieder in Versuchung, politisch-psychologisch wegen eines gewissen Effekts, den man erzielen will — zwar nur gegenüber einem Dritten, aber ohne genug Verantwortung gegenüber dem Ganzen —, diese Fehler zu machen.Dazu gehört auch meines Erachtens, der Fall, daß einem Präsidenten „der Kragen platzt", weil das
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12411
ColletPlenum nicht gut besetzt ist, und daß darüber in allen Zeitungen berichtet wird, obwohl auch er weiß, warum die Besetzung so schlecht ist und obwohl auch er genau weiß, wo die einzelnen Abgeordneten sind und was sie zu tun haben. Zu dieser Grundvorstellung der Bürger tragen wir also selbst bei. Es gibt auf der anderen Seite, weil von den Betroffenen selber nicht so in dieser Form dort darüber gesprochen wird, keine öffentliche Diskussion über Oberbürgermeistergehälter. Es gibt auch keine öffentliche Diskussion über Gehälter hoher Ministerialbeamter.
oder leitender Manager in Betrieben. Wer trägt also zu einer solchen Diskussion mit bei? Wir sollten uns, so meine ich, überprüfen.Dazu hat auch Herr Genscher heute morgen beigetragen, wenn er die Frage nach den Ministern stellte, die nicht da sind, womit er beim Zuhörer den Eindruck erweckte, daß die irgendwo „liegen und pennen". Er weiß ganz genau, daß sie einfach nicht da sein können, wenn sie ihre Aufgaben erfüllen wollen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Moersch?
Aber gern.
Herr Kollege Collet, wollen Sie diese Bemerkung von eben nicht in ein etwas anderes Licht rücken? Ist Ihnen nicht bekannt, daß es zum Ärger des gesamten Parlaments wiederholt passiert, daß das Kabinett seine Sitzungen ansetzt, wenn gleichzeitig eine Bundestagssitzung ist, und daß das eine Ungehörigkeit gegenüber dem Parlament darstellt?
In dem Punkt gebe ich Ihnen selbstverständlich recht. Da sind wir uns einig. Aber es gibt solche Bemerkungen auch bei anderen Anlässen. Nur wir wissen um die Zusammenhänge.Wir stehen doch immer wieder vor der Tatsache — mir wird es dabei wie vielen anderen, die sich heute hier oder bei anderem Anlaß engagieren, am Ende dieses Tages so gehen —, daß man sich sagen muß: Nun hast du heute leider wieder nichts gearbeitet, weil du im Plenum warst. So ist doch die Alternative. Der Bürger meint, man arbeitet nichts, wenn man nicht hier sitzt, und selber steht man häufig vor der Frage: Gehst du ins Plenum, setzt dich hin — das ist doch bequemer —, oder gehst du an den Schreibtisch und erledigst die vielen Briefe oder Gesetzesvorlagen oder irgend etwas, was du zu bearbeiten hast? An den Tagen, an denen man sich im Plenum mehr engagiert, kommt man in Gewissenskonflikt und in Rückstand gegenüber denjenigen, denen man versprochen hat, ihre Angelegenheit heute noch zu erledigen.Ich meine, wir müßten dann gerade da, wo wir zuständig sind, überprüfen, ob wir nicht andere Regelungen hinsichtlich der Besuchergruppen finden. Ich habe gestern morgen festgestellt, daß während desPlenums 76, 77 Abgeordnete in verschiedenen Sitzungszimmern mit Besuchergruppen unterwegs waren, weil die die Stadt besuchenden Bürger aus der ganzen Bundesrepublik Abgeordnete sprechen wollen. Ein aus ihrer Sicht sicherlich interessantes Anliegen. Wer dann die Verhältnisse hier gesehen hat, weiß Bescheid. Andere meinen zu Hause, die Abgeordneten seien nicht da oder sie erfüllten nicht ihre Pflicht.Darüber hinaus sollten wir, was unseren Arbeitsrhythmus anlangt, gewisse tagungsfreie Wochen langfristig vorher publizieren und allen Verbänden für zentrale und Landestagungen — ob Gewerkschaften, Unternehmerverbände, ob Reichsbund oder sonst irgendeine Organisation — mitteilen. Wenn die Organisationen dann für Sitzungswochen zu einer Konferenz einen Abgeordneten oder Abgeordnete von jeder Fraktion einladen, sollten wir solidarisch sein und sagen: Es kann kein Abgeordneter kommen.
Man kann nicht das eine beklagen, nämlich die mangelnde Präsenz im Plenum und dann überall den Abgeordneten zur gleichen Zeit verlangen.Es besteht ein Mißverhältnis zwischen dem, was ist und sein muß, und dem, wie es draußen gesehen wird. Das sollte man auch noch durch Öffentlichkeitsarbeit in stärkerem Maße darstellen; es ist heute mehrfach angesprochen worden. Es gibt irgendwo einen ganz alten Film, der aber auch nicht im geringsten dem nahekommt, was ist. Es gibt immer wieder Filme, in denen leere Abgeordnetenbänke gezeigt werden. Es gibt kaum welche, wo am gleichen Tag vom Plenum in die Arbeitszimmer geblendet wird, wo man die Abgeordneten dort an ihren Schreibtischen arbeiten sieht, oder in ein Ausschußzimmer, wo man sieht, wie sie dort an der Arbeit sind. Das wird nicht dargestellt.Es muß möglich sein, einmal für Schulkinder und zum anderen für Erwachsene je einen Film zu drehen, der das Parlament in seiner Vielfalt, in seiner Aufgabenstellung entsprechend darstellt, um auch mitzuhelfen, ein vernünftiges Verhältnis zwischen der Ansicht des Bürgers und dem Geschehen hier im Parlament herzustellen, nicht nur in diesem Saal, sondern auch im Hause und darüber hinaus.Ferner wurde das Für und Wider der Redezeitbegrenzung diskutiert. Ich bin mit meiner Meinungsbildung in dieser Frage noch nicht fertig. Aber man muß hier unter Umständen einen Kompromiß zwischen der ganz kurzen Redezeit, wie sie in dem einen vorgelegten Antrag verlangt wird, und einer vielleicht etwas verlängerten Redezeit finden, die darüber hinausgeht.Wenn wir dazu kommen, grundsätzlich das Ablesen — wie heute hier schon gefordert — zu untersagen, werden wir es auch erreichen, daß dadurch Zeit gewonnen wird. Aber derjenige, der frei spricht, ist in der öffentlichen Meinungsbildung immer wieder der Benachteiligte, vor allen Dingen dann, wenn er im Plenum nach 15 Uhr das Wort ergreift. Das erleben wir doch ständig. Wir sehen ja auch, wie es jetzt hier oben auf der Pressetribüne aussieht. In den Redaktionen sitzt man und
Metadaten/Kopzeile:
12412 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Colletmacht die Zeitung für morgen fertig; das ist selbstverständlich. Wer eine abzulesende Rede fertig mitgebracht hat, kann sie dem Journalisten vorher geben; der erhält auch die entsprechende Berichterstattung.Eine Möglichkeit wäre es, grundsätzlich vormittags um 8 oder 9 Uhr im Plenum zu beginnen und Ausschußsitzungen oder andere Arbeiten nachmittags ab 15 Uhr zu machen; dann hätten wir auch der freien Rede gedient, weil dann keiner mehr gezwungen ist, eine Rede zu konzipieren und sie vorher der Presse zu geben. Wenn er hier im Hause andere Diskusisonsbeiträge miterlebt und das Gefühl hat: ich muß eigentlich meine Rede ändern, weil ich reagieren und auf Vorredner antworten will, — dann kann er dies nicht, weil er sein Manuskript schon dem Journalisten gegeben hat. Er kann ja nichts anderes reden, als das, was er der Zeitung schon gegeben hat.
— Das kann man.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Moersch?
Herr Kollege Collet, ist Ihnen nicht bekannt, daß man sehr wohl eine andere Rede herausgeben kann, als man halten kann, daß z. B. der Fraktionsvorsitzende der CDU vor Jahren in New York eine Rede ausgegeben hat, die überhaupt nicht gehalten wurde und trotzdem in der ganzen CDU Unruhe gestiftet hat?
Damit haben Sie bestätigt, was ich hier andeuten wollte: welche Möglichkeiten sich für die lebhafte Debatte im Parlament ergeben, wenn man nicht gezwungen ist, aus Publizitätsgründen seine Rede vorher schon den Journalisten zu geben.Aber nun zu der anderen Frage, die Herr Kollege Genscher heute morgen hier angeschnitten hat: wenn die Technik ausreicht, will er in jedem Fall namentlich abstimmen lassen. Ich glaube, da muß man dem Kollegen Genscher sagen, daß. das wahrscheinlich selbst dann nicht geht, wenn verwirklicht wird, was der Präsident von diesem Pult aus vor einigen Minuten gesagt hat, nämlich daß jedem Gesetz ein Vorspann beigegeben werden soll, der kurz sagt, um was es geht. Ich glaube nicht, daß wir den Vorschlag verwirklichen können, in jedem Fall namentlich abzustimmen.Herr Kollege Wörner hat heute morgen deutlich gemacht, daß es für den Abgeordneten unmöglich ist, jedes Gesetz in seinem vollen Inhalt zu kennen. Das werden wir auch nicht mit der Technik ändern. Wenn wir das andere dann erzwingen — der Abgeordnete wird dann z. B. daheim nach § 17 gefragt, weil er in der namentlichen Abstimmung so oder so gestimmt hat —, ergibt sich daraus eine andere Problematik. Ich bitte, hierbei auch an diese Frage zu denken. Aber selbstverständlich muß dieInformation über den Inhalt der Gesetze besser werden. Ich bin dem Präsidenten sehr dankbar, wenn er dazu die Initiative ergreift; er hat das vorhin ja angekündigt.Es ist auch die Frage zu prüfen — wegen des Mangels an Hilfskräften konnte ich sie selbst noch nicht prüfen, aber ich stelle diese Frage als Diskussionspunkt in den Raum —, ob wir im Gesetzgebungsverfahren all das, was wir tun, mit Punkt und Komma paraphieren müssen. Ich denke da an meinen ersten Eindruck hier im Parlament. Als ich hierherkam, sollte ich nahezu ein Jahr lang im Innenausschuß Woche für Woche die Bundesdisziplinarordnung mit Punkt und Komma mit bearbeiten. Wir sollten uns bemühen, andere Wege zu finden und etwa durch grundsätzliche politische Beschlüsse zu einem Ergebnis kommen. Ich stelle das nur als Anregung in den Raum. Wir sollten prüfen, ob wir überhaupt vom Ausschuß oder von den Abgeordneten her jedes Gesetz hier in dieser Weise paraphieren müssen.Auch über die Ausgestaltung der Fragestunde — das wurde von einer Seite hier angesprochen; Herr Genscher meinte, man könne die Fragen lokaler Bedeutung schriftlich beantworten — sollte man noch einmal diskutieren. Wir beklagen, daß der Bürger im Lande ein so mangelhaftes Verhältnis, so wenig Beziehungen zu diesem Parlament und zu den Abgeordneten hat. Aber wenn ausgerechnet die Fälle, in denen es um etwas geht, was den Bürger und seinen Wahlkreis direkt betrifft, im Parlament nicht zur Sprache kommen sollen, wird die Beziehung zwischen Bürger und Parlament, die Brücke, über die man zu gehen hat, noch schmaler werden. Ich bitte also, über dieses Problem auch unter diesem Gesichtspunkt nachzudenken. Dann halte ich den Vorschlag, der heute. morgen vom jetzt amtierenden Präsidenten gemacht wurde, donnerstags nachmittags eventuell die Fragestunde. zu verlängern, doch für sinnvoller. Jedenfalls sollte das Recht eines Abgeordneten nicht eingeschränkt werden.
Es wurde weiter die Frage gestellt, ob wir den Berufspolitiker wollen. Herr Dr. Mende hat sich heute morgen sehr eingehend mit dieser Frage befaßt. Er sagte, daß er selbst jahrelang Berufspolitiker gewesen sei. Auch das ist eine Frage, die einer ausführlichen Diskussion wert ist. Ich hatte beinahe den Eindruck, daß er, seit er jetzt diese andere Tätigkeit hat, etwas mehr den Rücken frei hat, daß er stabiler und sicherer ist, seit er nicht mehr nur Berufspolitiker ist. Wenn wir den Berufspolitiker wollen, müssen wir uns als Parlament entschließen, die Grundlagen dafür zu schaffen, daß dem Abgeordneten jene Unabhängigkeit gesichert wird, die derjenige hat, der sich als Beamter entschließt, in das Parlament zu gehen. Von dieser Unabhängigkeit und auch davon, ob er z. B. beurlaubt ist oder andere Möglichkeiten hat, hängt sicherlich auch die Effizienz des einzelnen Abgeordneten ab. Ich bin sehr dankbar, daß heute beschlossen werden soll, daß die Abgeordneten Mitarbeiter bekommen sollen,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12413
Colletweil dadurch die Chancengleichheit vor allen Dingen für diejenigen, die nur Abgeordnete sind und nicht noch irgendwo andere materielle oder personelle Möglichkeiten zur Verfügung haben — ob als Vertreter großer Verbände oder aus eigener Wirtschaftskraft, woher auch immer —, hergestellt wird; denn letztlich hängt die Effizienz eines Abgeordneten nicht nur von der Leistung, vom Fleiß und von der Qualifikation ab, sondern auch noch von anderen Faktoren.Das möchte ich dem Herrn Kollegen Apel — leider ist er nicht mehr hier — noch sagen: Es ist sicher auch ein Unterschied, ob ich in einem Großstadtwahlkreis tätig bin oder ob ich einen Wahlkreis mit über 100 Gemeinden zu betreuen habe, wobei in dem ersten außerdem noch eine große Anzahl von Landtagsabgeordneten oder Bürgerschaftsabgeordneten — so heißen sie ja wohl in Hamburg — vertreten sind und in dem womöglich noch leine Vielzahl von weiteren Helfern der entsprechenden Organisation oder Partei die Wünsche der Bürger entgegennehmen und weiterleiten. Das ist sicherlich ein recht großer Unterschied, so daß also auch von da aus die unterschiedliche Belastung zu werten ist, die der einzelne hat. Ich meine aber, daß wir mit dem Schritt, den wir heute gehen, die Ungleichheit der Chancen wenigstens verringern, daß wir auch anderen eine Möglichkeit geben, etwas öfter hier im Plenum zu sein und nicht nur gezwungen zu sein, im Büro Papier zu sortieren, die dringendsten Briefe zu beantworten oder eine Vorlage zu bearbeiten, die ihnen der Ausschuß zugewiesen hat.Es wäre aber auch sicherlich einmal eine Aufgabe für einen Rationalisierungsfachmann oder vielleicht auch für drei, das Papier zu sichten, das der Abgeordnete bekommt, und zwar daraufhin, ob man das nicht reduzieren und gleichzeitig qualifizierter gestalten könnte. Er selber kann es nur dadurch reduzieren, daß er es zunächst liest und dann wegschmeißt. Er muß aber die Zeit aufwenden — —
— Ich meine nicht die Flugschriften der Verbände — für die hat man nach einiger Zeit Erfahrungswerte —, ich meine offizielle Vorlagen, die man bekommt.Herr Moersch, Sie haben gesagt, dem Parlament fehle es an Einfluß, weil durch die konzertierte Aktion oder durch den Kreßbronner Kreis eine Anzahl von Dingen vorweggenommen werde. — Ich will jetzt hier nicht in die Problematik der Wahlrechtsänderung einsteigen. Aber wenn Sie eine Wahlrechtsänderung nicht wollen — und Sie wollen sie doch nicht, Sie haben dafür Ihre Gründe —,
dann müssen Sie doch hinnehmen, daß zwei in ihrerGrundhaltung ganz unterschiedliche Parteien, wennsie gemeinsam Politik machen und Gesetze verabschieden wollen, die Dinge vorher koordinieren.
— Das ist Ihre Meinung!
— Ja, da hat sich aber gegenüber der Zeit, als, Sie selbst mit in der Koalition waren, nichts geändert.
— Das merke ich aus der Reaktion; vorher gab es von Ihrer Seite keine gegen die Regierung gerichtete Diskussion.
— Das ist eine Frage des Ausdrucks. Man muß einfach Dinge vorher koordinieren, wenn man die Meinungen kennen und aufeinander abstimmen will. Um zu einem Kompromiß zu kommen, gibt es sicherlich keinen anderen Weg.Aber ich glaube, auch wenn wir in dieser Frage nicht einig sind, sind wir uns sicherlich darüber einig — auch diejenigen Abgeordneten, die heute nicht hier sind —, daß dieses Parlament mit Freuden zur Kenntnis nimmt, daß eine zwanzigjährige Diskussion, die aber nicht hier im Plenum stattfand — bestenfalls tropfenweise hier —, nun auch heute hier ihren Ausdruck fand, und dies nicht nur, indem sie zu Protokoll geht, sondern indem schon jetzt eine Vielzahl von Maßnahmen angekündigt und auch durch konkrete Anträge eingeleitet wurden, die sicher dazu beitragen werden, unsere Arbeit zu erleichtern und sie damit zu verbessern, und die sicherlich — davon bin ich überzeugt — auch dazu beitragen werden, das Verhältnis zwischen Bürger und Parlament zu verbessern.
Das Wort hat Herr Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst den Versuch machen, mich mit dem amtierenden Präsidenten wieder zu versöhnen. Durch meine Zwischenbemerkung ist ein Mißverständnis entstanden. Der Abgeordnete Mommer hat, als er hier seine Reformvorschläge machte, selbstverständlich als der Vorsitzende der Kommission der Fraktion für diese Reformvorschläge gesprochen. Es waren also nur einige Passagen, die er persönlich vertreten hat;
Metadaten/Kopzeile:
12414 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Hermsdorfdazu gehörte insbesondere der Umbau des Plenarsaales. — Damit ist also klargestellt, daß Herr Abgeordneter Mommer seine Vorstellungen hier für die sozialdemokratische Fraktion entwickelt hat.
Es gibt noch einen zweiten Punkt, den ich deshalb anschneiden möchte, weil er sich mit Umdruck 630 beschäftigt und weil aus ihm gewisse Konsequenzen für diesen Umdruck entstehen. Es ist der Vorschlag des Präsidenten — das hat er sehr stark herausgestellt — auf drastische Verringerung der Zahl der Ausschüsse. Hier warne ich Neugierige. Ich bin nicht sicher, ob dieser Weg zu einer effektiveren Arbeit führt. Ich nenne nur ein Beispiel. Sie können ja nur Ausschüsse, die fachlich irgendwie zusammenpassen, zusammenlegen. Wenn Sie jetzt z. B. den Haushaltsausschuß und den Finanzausschuß zusammenlegen wollten, möchte ich wissen, wie die Kollegen dann mit der Arbeit fertig werden wollen. Ich warne also davor. Der andere Weg wäre, diese Ausschüsse zusammenzulegen und dann Unterausschüsse zu bilden. Dann kommen Sie zum selben Resultat wie vorher. Daher meine ich, daß wir uns hier noch einiges überlegen müssen, bevor wir diesen Weg gehen.
Dies sage ich hier zum Antrag Umdruck 630, weil ich noch einmal klarstellen möchte, daß der Haushaltsausschuß, als er sich mit diesem Vorschlag beschäftigte, von dem Präsidenten Gedanken darüber vorgetragen bekam, welche Absichten er hinsichtlich der Reform hat. Diese Gedanken, die er vortrug, brachten uns logischerweise dazu, diese Stellen nicht zu bewilligen. Aus diesem Grunde würde ich auch bitten, dem Antrag Umdruck 630 jetzt nicht zu entsprechen. Ich bin ganz sicher, daß wir, wenn es erforderlich sein sollte, über das Finanzministerium oder über den Haushaltsausschuß immer noch eine Lösung finden werden, diese Stellen zu bewilligen.Ich möchte noch eine weitere Bemerkung zu diesem Antrag machen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Stellenberatungen im Haushaltsausschuß, soweit sie den Bundestag betreffen, sind viel diffiziler als die Beratungen über Stellenpläne irgendeines Ministeriums, weil hier jeder einzelne die Verhältnisse und auch die Personen, die betroffen sind, sehr genau kennt. Das macht die Sache so schwierig. Aus diesem Grunde würde ich gerade zu Personalfragen keine Anträge ins Plenum bringen, soweit sie dieses Haus betreffen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Jacobi?
Herr Kollege Hermsdorf, ist Ihnen bewußt, daß wir voriges Jahr unter genau derselben Devise alle Anträge zurückgezogen haben und uns auf den Haushaltsausschuß verlassen haben, daß er im Laufe des Jahres unter Berücksichtigung der Notwendigkeiten Erhöhungen vornimmt? Ich bin diesmal nicht geneigt, in gleicher Weise zu verfahren.
Ich würde es so formulieren, verehrte Frau Kollegin: wenn Sie sich auf den Haushaltsausschuß verlassen, sind Sie sehr gut beraten.
Wir setzen uns ja nicht umsonst vier Monate hin, um diese Dinge im einzelnen durchzuprüfen. Sie sagen, verehrte Frau Kollegin, das geht von Jahr zu Jahr so. Wenn wir allem nachgeben wollten, was uns an Stellenanträgen von Jahr zu Jahr wieder vorgelegt wird — und was wir doch ablehnen müssen —, Sie glauben gar nicht, welche Flut wir in der Personalentwicklung der einzelnen Häuser haben würden.
So einfach ist die Sache nicht.
Ich bitte, den Antrag Umdruck 630, da er leider nicht zurückgezogen wird, aus den Gründen, die ich hier dargelegt habe, abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Präsident hat vorhin in seiner sehr interessanten und in vielen Punkten auch von mir sehr begrüßten Rede die Antragsteller des Antrags Umdruck 630 gebeten, noch einmal zu überlegen, ob der Antrag nicht zurückgezogen werden sollte. Auch der Herr Kollege Hermsdorf hat in einem energischen Plädoyer darum gebeten.Zumindest für eine Reihe der Antragsteller möchte ich hier sagen, daß wir uns in der Vergangenheit leider vergeblich in der Richtung des Antrags bemüht haben. Ich habe sehr viel Verständnis, wenn der Herr Präsident sagt: Wir werden das im einzelnen prüfen und gegebenenfalls nachschieben. Nur muß ich sagen, in der Vergangenheit sind die Ausschußmitarbeiter im Verhältnis zur Verwaltung immer zu kurz gekommen.
Das ist im Haus allseits bekannt. Ich brauche das hier nicht im einzelnen auszuführen. Ich habe die große Sorge, daß diese Sache möglicherweise wieder auf den Sankt-Nimmerleins-Tag oder ad calendas graecas vertagt wird. Deswegen wäre ich für eine Bescheidung des Antrags dankbar. Herr Präsident, es geht uns nicht darum, daß die Stellen alle besetzt werden. Das ist nicht notwendig. Es geht um die Bewertung. Eine Verringerung der Zahl der Ausschüsse kann bei den großen Ausschüssen eher zu einer Höherbewertung als zu einer Verringerung der Bewertung führen. Es wäre deshalb angezeigt, hier eine klare Entscheidung zu treffen. Wir würden Sie, Herr Präsident, selbstverständlich immer dabei unterstützen, wenn Sie von Ihren Vollmachten noch keinen Gebrauch machen, bis Sie Ihrerseits alles geklärt haben. Nur den Rahmen sollten wir hier abstecken.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12415
Das Wort hat der Abgeordnete Schulte.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die Debatte neigt sich jetzt dem Ende zu. Das Haus hat den ganzen Tag nicht nur, wie hier verschiedentlich gesagt worden ist, in eigener Sache verhandelt, sondern wir haben über das Parlament gesprochen. Das Parlament ist die Volksvertretung und von äußerster Wichtigkeit für alles, was wir hier überlegen und gestalten wollen.
In den letzten Monaten sind sehr viele Publikationen über die Parlamentsreform erschienen. Manches davon hat mich außerordentlich besorgt, vor allen Dingen wenn ich heute das Ergebnis der Debatte damit vergleiche. Bestimmt werden im Lande vor allen Dingen sehr viele junge Menschen sagen: was wird denn nun bei dieser Parlamentsreform herauskommen?, weil sie sich im Grunde genommen wahrscheinlich sehr viel mehr davon versprochen haben. Denn sie wollten nicht, daß eine Diskussion über diese oder jene kleine Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten dieses Hauses stattfindet. Das sind zum Teil junge Menschen, die aus einem sehr ehrlichen Bemühen heraus die Frage stellen, ob der Parlamentarismus heute überhaupt die richtige Form der Vertretung ist. Wir haben darüber nicht diskutiert. Zum Teil bedaure ich das, weil ich das für eine sehr wichtige Frage halte und weil ich es auch für wesentlich halte, daß hier einmal gesagt wird, daß wir nicht beabsichtigen, von der parlamentarischen Demokratie abzugehen,
sondern daß wir ihre Effektivität mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, bis zum äußersten steigern wollen.
Nun noch eine zweite Bemerkung, meine Damen und Herren. Wenn wir uns in Detaildebatten um Einzelfragen begeben, wenn wir z. B. über die Stärkung der Minderheitenrechte oder über die Neueinführung von Minderheitenrechten diskutieren, stellen wir immer wieder fest, daß Kontroversen auftreten, die ausschließlich aus einem Mißverständnis erwachsen. Einige Kollegen von uns haben die Vorstellung, daß wir in einem parlamentarischen System etwa amerikanischer Prägung leben, andere haben die Vorstellung, daß wir in einem parlamentarischen System etwa englischer Prägung leben. Daraus ergeben sich sehr große Unterschiede. In einem Fall kann sehr wohl ein ganzes Parlament geschlossen einer Regierung als Kontrollorgan gegenüberstehen. Aber ich glaube, nach der Konstruktion, die wir haben, ist es nur natürlich, daß immer eine Mehrheit dieses Hauses — heute morgen wurde das beklagt — die im Amt befindliche Regierung stützen wird. Es bedarf schon außergewöhnlicher, extremer Umstände, wenn das nicht der Fall sein soll.
Wenn es uns gelingt, diesem Hause insgesamt ein größeres Maß an Selbstbewußtsein in der Richtung zu vermitteln, daß sich ein immer größerer
Teil dieses Hauses, selbst der Fraktionen, die die Regierung tragen, wirklich in der Rolle eines Kontrollorgans der Regierung fühlt, dann machen wir einen weiteren Schritt hin zu dem Parlament, das wir uns alle als ideal vorstellen. Daran sollten wir arbeiten, und darüber müssen wir noch viel diskutieren.
Auch die Kommission, die der Herr Präsident berufen hat, wird nicht darum herumkommen, diese Grundfragen, die damit angesprochen sind, noch einmal zu beleuchten, weil sich daraus viele Konsequenzen für einzelne Probleme ergeben.
Ich habe etwas pessimistisch gesprochen. Ich bin der Auffassung, daß die Summe der vorgeschlagenen Änderungen eine fühlbare Verbesserung nicht nur für unsere Arbeitsbedingungen, sondern für die Bedingungen des Parlamentarismus in der Bundesrepublik überhaupt bringen wird. Ob es sich dabei um eine fundamentale Parlamentsreform handeln wird, wage ich allerdings zu bezweifeln.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Mertes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Hermsdorf hat sich gegen den Antrag auf Umdruck 630 gewandt. Aber ich hatte bei seinen Ausführungen den Eindruck, daß in seiner Argumentation doch ein Bruch war. Er bezog sich nämlich bei der Begründung der Ablehnung auf die Tatsache, daß der Herr Präsident im Haushaltsausschuß vorgetragen habe, die Zahl der Ausschüsse solle erheblich, und zwar auf insgesamt zehn, verringert werden. Gleichzeitig, Herr Kollege Hermsdorf, haben Sie jedoch bezweifelt, daß es zu einer so starken Verringerung der Zahl der Ausschüsse kommen werde, und haben gemeint, daß man in dieser Unsicherheit nicht einen solchen Antrag akzeptieren könne. Wenn ich nun bereit bin, Herr Kollege Hermsdorf, Ihnen in Ihrem Pessimismus beizupflichten, daß man nicht zu einer so weitgehenden Reduzierung der Ausschußzahl kommt, müßte eigentlich Ihr Bedenken entfallen, und Sie müßten daraufhin diesem Antrag zustimmen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hermsdorf?
Bitte sehr!
Sind Sie nicht der Auffassung, daß man, gleich zu welcher Zahl man am Schluß kommt, erstmal das Resultat abwarten sollte, um dann zu entscheiden, anstatt die Entscheidung jetzt vorzuziehen? Denn wir setzen in dem Augenblick, wo wir den Antrag akzeptieren, schon voraus, es bleibt alles so, wie es ist.
Herr Kollege Hermsdorf, wir haben in dieser Frage eine persönliche Entscheidung zu fällen und müssen uns auch eine persönliche Mei-
Metadaten/Kopzeile:
12416 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Mertesnung dazu bilden. Sie gingen davon aus, es kommtnicht zu dieser Reduzierung der Ausschußzahl. Alsomüßten Sie diesem Antrag, so meine ich, zustimmen.Aber Ausschußzahlen hin und her, Herr Kollege Hermsdorf. Um was geht es denn? Es geht doch lediglich darum, daß gewisse Planstellen a n g e -h o b en werden. Es liegt dann beim Herrn Präsidenten oder bei der Verwaltung des Deutschen Bundestags, diese Anhebung zu einer gegebenen Zeit vorzunehmen. Im Augenblick geht es nur darum, und um nicht mehr. Wir sollten diese Dinge nicht noch länger hinausschieben, zumal nicht nach den guten Vorsätzen, die heute im Laufe des Tages zum Ausdruck gekommen sind. Ich bitte Sie also, dem Antrag auf Umdruck 630 zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Baier.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hier wird gelegentlich der Eindruck erweckt, als wäre in den Beratungen des Haushaltsausschusses hinsichtlich Stellenanforderungen dieses Hohen Hauses überhaupt nichts getan worden. Im Haushalt 1969 — das muß man sehr deutlich sagen — sind 494 Beamtenplanstellen gegenüber 394 im Vorjahr vorgesehen.
Also hundert neue Stellen hat der Haushaltsausschuß in diesem Haushaltsjahr für den Deutschen Bundestag geschaffen. Hinzu kommen 447 Angestelltenstellen im Jahre 1969 gegenüber 354 im verflossenen Jahr.
— Lassen Sie mich ausreden, Herr Ruf. Natürlich hängt das auch damit zusammen, daß wir das neue Hochhaus stehen haben. Wir brauchen auch für das Reichstagsgebäude in Berlin neue Kräfte. Aber wir haben auch für dieses Haus nach einer gewissenhaften, gründlichen und sorgfältigen Prüfung das Notwendige getan. Das muß doch hier festgestellt werden.
Worum geht es in diesem Antrag? In diesem Antrag geht es um 13 A 16-Stellen und um neun Hebungen zu Ministerialräten. Darüber haben wir uns auch im Haushaltssausschuß sehr lange unterhalten.
Der Herr Präsident hat hier heute eine sehr gute Rede gehalten, zu der man ihn beglückwünschen muß. Diese Rede zeigt, wie sehr .er sich in die Probleme des Hauses eingearbeitet hat. Aber auch hier wurde klar, meine Damen und Herren: die Reformbestrebungen sind noch nicht abgeschlossen. Es ist noch nicht klar, wie die Reform am Ende aussehen wird, wie viele Ausschüsse es geben wird, welche Bedeutung sie haben werden. Welche Planstellen für die Ausschußassistenten vorgesehen werden, darüber können wir erst dann entscheiden, wenn wir wissen: Wie viele Ausschüsse gibt es, und welche Bedeutung werden diese Ausschüsse haben? Wenn
Sie heute eine Entscheidung treffen, besteht sogar die Gefahr, daß Sie die Reformbestrebungen lähmen oder blockieren, weil nach der Bewilligung dieser Stellen der Trend entstehen würde, sie alsbald zu besetzen.
Der Staatssekretär Leicht hat uns hier einen Weg gewiesen, zu dem, meine ich, alle ja sagen können, auch diejenigen, die diese Stellenhebungen als besonders dringend ansehen. Er hat vorgeschlagen: sobald die Reform abgeschlossen ist, wird eine Vorlage der Regierung beim Haushaltsausschuß erfolgen. Dann werden wir selbstverständlich die personellen Konsequenzen aus der Reform ziehen. Sie heute zu ziehen, wäre verfrüht.
Deshalb bitte ich, den Antrag abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Rawe.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Nachdem Sie heute morgen, Herr Präsident, ein so warmherziges Plädoyer für die Mitglieder dieses Hauses gehalten haben, wage ich es kaum, gegen Ihre anderen Ausführungen bezüglich der Hebung von Assistentenstellen mich auch nur zum Wort zu melden. Gleichwohl möchte ich doch die Antragsteller bitten, nach den Ausführungen, die der Präsident hier gemacht hat, und nach dem Kompromißangebot von seiten des Finanzministeriums zu überlegen, ob man den Antrag nicht doch zurückziehen sollte.
Worum geht es denn? Den Antragstellern geht es doch nur darum, darzutun, daß sie keine Verzögerung der Hebung dieser Stellen hinnehmen wollen. Verzögerung entsteht aber nicht, wenn wir so verfahren, wie es der Präsident und der Staatssekretär Leicht vorgeschlagen haben. Sie haben sich ausdrücklich bereiterklärt, uns unverzüglich bei Vorliegen der neuen Konzeption eine Finanzvorlage zu machen, so daß wir dann ohne Schwierigkeiten die Hebung unverzüglich durchführen können. Ich meine, nur das ist das richtige Verfahren. Wenn wir anders prozedieren, werden Sie, Herr Präsident — nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich das sage —, in eine Zwangslage versetzt; Sie können dann gar nicht anders, als diese Beförderungen auch durchzuführen. Machen wir uns nichts vor: wir verbauen uns dann das, was wir mit der Reorganisation eigentlich erreichen wollen.
Deswegen bitte ich die Antragsteller sehr herzlich, von ihrem Antrag abzusehen. Ich glaube, wir haben einen vernünftigen Kompromiß vorgeschlagen. Man kann unmittelbar nach Verabschiedung des Reorganisationsplanes die Stellen anheben.
Weil ich gerade hier am Rednerpult bin, bitte ich, mir zu gestatten, Herr Präsident, daß ich auch noch zu dem Antrag Umdruck 623 *) Stellung nehme. Dazu darf ich Ihnen seitens des Haushaltsausschusses sagen — ich glaube, ich darf es gleich auch für die Kollegen von der SPD-Fraktion mit erklären —: Wir sind selbstverständlich gern damit einverstanden,
*) Siehe Anlage 3
Deutscher. Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12417
Rawe
daß die kw-Vermerke gestrichen werden, damit dort
die Arbeit nicht in irgendeiner Form erschwert wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Erklärungen der Kollegen vom Haushaltsausschuß bedürfen einer Klarstellung; sonst erhält die Öffentlichkeit ein ganz schiefes Bild. Herr Kollege Baier, diese hundert Beamtenstellen sind doch nicht die Stellen, über die wir hier diskutieren — Ministerialratsstellen —; das sind Dinge, die die Amtsgehilfen und andere betreffen, die wir ins Beamtenverhältnis übernehmen, zum Teil für das Hochhaus. Das ist im Grunde eine soziale Verbesserung, nicht eine Ausweitung unseres Personals.
Das muß man doch wohl einmal sagen.
Das muß in der Diskussion klargestellt werden.
Ich möchte aber noch eine Bemerkung zu den Ausführungen von Herrn Rawe machen. Herr Rawe, ich gehe davon aus, daß der Bundespräsident und der Bundestagsvorstand imstande 'sind, Stellen nicht zu besetzen, die bewilligt sind, wenn sie es nicht für notwendig halten und wenn sie glauben, daß die Qualifikation der Bewerber dafür jetzt nicht ausreicht. Das können wir doch nitch als Abgeordnete dem Finanzministerium überlassen. Dais müssen wir doch wohl selber entscheiden können. Man muß in diesem Hause in diesem Fall auch noch nein sagen können.
— Entschuldigung, aber an der richtigen Stelle, Herr Hermsdorf.
Aber nun komme ich zu dem anderen. Vergleichen Sie doch einmal den Stellenkegel, den Sie selber im Haushaltsausschuß seit vielen Jahren für alle übrigen Verwaltungszweige mitbewilligt haben, mit dem im Bundestag selbst.
Vergleichen Sie damit doch einmal, was Sie beim Bundesrat seit eh und je auf diesem Gebiet mit bewilligt haben. Vergleichen Sie doch einmal die Qualifikation der Ausschußmitarbeiter dort mit denen hier, mindestens im Hinblick auf die Gehaltsstufe, die ja in Deutschland angeblich ein sicherer Ausweis für die besondere Fähigkeit ist. Wenn Sie das miteinander vergleichen, müssen Sie zugeben, daß wir es uns selbst und den guten Mitarbeitern, die wir noch zu gewinnen hoffen — und wir haben eine ganze Menge sehr guter Mitarbeiter in diesem Hause —, schuldig sind, ihnen auch eine attraktive Stelle anzubieten, damit sie nämlich später auch — was wir doch alle wünschen — in die allgemeine Verwaltung wieder zurückgehen können. Wir möchten eine Mobilität schaffen. Dann müssen Sie aber auch Gleichheit in dieser Hinsicht schaffen und können nicht altpreußische Grundsätze beim Bundestag anlegen, wenn Sie sie 20 Jahre lang in der anderen Verwaltung verletzt haben.
Das Wort hat Herr Kühn . — Ihm folgt — das ist die letzte Wortmeldung — Herr Haase (Kassel).
Ich kann mich nach den Ausführungen des Herrn Kollegen Moersch sehr kurzfassen. Ich glaube, daß man Herrn Kollegen Moersch nur zustimmen kann, wenn er darauf hinweist, daß es sich hier nicht darum handelt, zusätzliche neue Stellen zu schaffen, sondern darum, die Qualifikation der Ausschußassistenten in gleichem Maße deutlich zu machen, wie es die Qualifikation der entsprechenden Referenten in den Ministerien selbstverständlich voraussetzt.
Um diese Frage handelt es sich.
Daß das zunächst nicht mit Fragen der einzelnen Person zusammenhängt, Herr Kollege Hermsdorf — wir brauchen uns gar nicht zu erregen; das ist eine sachliche Frage —, sondern daß es hier um ein Prinzip geht und im übrigen Angelegenheit des Präsidenten dieses Hauses und des Vorstandes ist, dann die qualifizierten Leute auf die so als qualifiziert ausgewiesenen Stellen zu bringen, ist die zweite Voraussetzung. Diese hängt aber damit nicht zusammen.
Hier geht es zunächst einmal darum, deutlich zu machen, was dieses Haus will, nämlich daß seine Sachbearbeiter, was die Bewertung ihrer Leistung betrifft, nicht geringer gestellt werden als diejenigen in den Ministerien.
Das Wort hat der Abgeordnete Haase .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Darf ich nur noch einmal kurz sagen, wie problematisch es ist, Stellenplanfragen in der zweiten Lesung im Detail zu erörtern. Das ist das Ende jeder gerechten und sachgerechten Personalpolitik,
die wir vom Haushaltsausschuß auch den anderen Ressorts schulden.Am problematischsten erscheint mir aber folgendes, meine Damen und Herren. Ich lese hier so honorige Namen als Unterzeichner wie Dr. Wil-
Metadaten/Kopzeile:
12418 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Haase
helmi, Frau Jacobi, Dr. Menne und Präsident Schoettle. Meine Damen und Herren, das sind doch Ausschußvorsitzende! Ich verstehe ihre positiven Gefühle ihren engsten Mitarbeitern gegenüber. Aber wo werden wir hinkommen, wenn jeder Abgeordnete die zweite Lesung benutzt, um ihm besonders nahestehende und tüchtige Bedienstete dieses Hauses befördern zu lassen?
Das ist eben das Ende jeder sachgerechten Personalpolitik.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß gegen den Tenor der Ausführungen des Kollegen Haase mit aller Entschiedenheit protestieren.
Ich habe diesen Antrag mit unterschrieben, obwohl ich Vorsitzender des Haushaltsausschusses bin. Bei den Beratungen im Haushaltsausschuß bin ich bei der Vertretung des Vorschlags des Bundestagsvorstands unterlegen. Da ich der Meinung bin, daß der Bundestagsvorstand nicht ohne guten Grund vorgeschlagen hat, die Stellen der Assistenten bestimmter Ausschüsse — und die sind enumeriert in der Vorlage des Vorstands — zu heben, habe ich mir das Recht vorbehalten, diese Auffassung auch im Plenum zu vertreten.
Ich bin nach wie vor der Meinung, daß wir es hier nicht damit zu tun haben, ad personam Stellen zu heben. Mir steht keiner der Betroffenen — wenn sie betroffen sind — irgendwie nahe, ob er nun Assistent meines Ausschusses ist oder der eines anderen Ausschusses, sondern ich gehe davon aus, daß das Perlament das Recht hat, die Stellen, die es für die Bearbeitung bestimmter Aufgaben eingesetzt hat, auch so .zu bewerten, wie es ihrem Charakter und ihrer Aufgabe nach in Ordnung ist. Und das geschieht hier.
Wenn sich herausstellen sollte, daß der eine oder der andere gegenwärtige Stelleninhaber der Stellenbewertung nicht gerecht wird, dann ist es Sache des Chefs des Hauses, darüber zu entscheiden, ob der Mann oder die Frau — um wen immer es sich handelt — an einer anderen Stelle verwendet wird. Aber ich glaube, das Haus hier sollte einen Grundsatzbeschluß in dieser Richtung fassen.
Im übrigen verstehe nicht, warum man hier sagt, es sei nicht möglich, in diesem Hause Personalangelegenheiten des eigenen Hauses zu behandeln. Das verstehe ich nun wirklich nicht.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zunächst zur Abstimmung über zwei Änderungsanträge. In der Reihenfolge müßten wir den Antrag Umdruck 630 *) vorwegnehmen, weil er zu Kap. 02 01 gehört, und dann erst den Antrag Umdruck 623 behandeln, weil der zu Kap. 02 03 gehört. Die Umdrucke liegen Ihnen vor.Wer dem Antrag Umdruck 630 — das ist der soeben umstritten gewesene Antrag — seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? —
— Es besteht kein Streit, der Antrag ist eindeutig angenommen, die Mehrheit ist für die Annahme des Antrags Umdruck 630.Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 623 **). Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ich glaube, der Antrag ist einstimmig angenommen, während beim Antrag Umdruck 630 einige Gegenstimmen und Enthaltungen vorhanden waren.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 02 — Drucksache V/3922 —. Wir stimmen ab über die durch die soeben angenommenen Anträge geänderte Fassung. Wer dem Einzelplan seine Zustimmung gibt, den 'bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Einzelplan 02 ist einstimmig angenommen.Die übrigen Anträge und Gesetzentwürfe sollen entsprechend dem Ihnen vorliegenden Überweisungsvorschlag an die zuständigen Ausschüsse überwiesen werden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht .der Fall.Damit sind der Antrag der Fraktion der CDU/CSU und der Antrag der Fraktion der SPD betr. Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung überwiesen.Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ist überwiesen an den Rechtsausschuß — federführend —, an den Petitionsausschuß und den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — mitberatend —.Die Entwürfe eines Gesetzes über die Befugnisse des Petitionsausschusses sind überwiesen an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — federführend —, den Petitionsausschuß und den Rechtsausschuß — mitberatend —.Der Entwurf eines Gesetzes über die Befugnisse von Enquete-Kommissionen schließlich ist überwiesen an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung - federführend — sowie den Rechtsausschuß — mitberatend —.Damit haben wir die Einzelpläne erledigt.*) Siehe Anlage 2 **) Siehe Anlage 3
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12419
Haushaltsgesetz 1969
— Drucksachen V/3951, zu V/3951 —
Berichterstatter: Abgeordneter Schoettle
Hierzu liegen Änderungsanträge auf den Umdrucken 600 *), 603 *) und 606 *) vor.
Zunächst danke ich dem Herrn Berichterstatter. Darf ich fragen, ob das Wort zur Begründung der Änderungsanträge gewünscht wird. — Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann können wir sehr zügig mit der Abstimmung über den Gesetzentwurf fortschreiten.
— Darf ich fragen, zu welchem Antrag.
— Dann rufe ich Sie bei der Beratung des Antrags Umdruck 606 auf.
Ich rufe aus dem Haushaltsgesetz 1969 — Drucksache V/3951 — die §§ 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7 auf, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen. — Herr Dr. Conring, zu welchem Paragraphen?
— Zu § 7 Herr Dr. Conring!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich glaube, daß es nützlich ist, aus Anlaß einer Streichung, die wir in § 7 Abis. 4 vorgenommen haben, einige allgemeine Bemerkungen zu machen; sie werden recht kurz sein.Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß der Haushaltsplan 1969 in seiner äußeren Gestalt einige Änderungen gegenüber den Haushaltsplänen der Vorjahre aufweist. Derjenige, der Haushaltspläne kennt und irgendein Kapitel oder einen Titel eines Einzelplanes nachsehen möchte, findet die alte Zahl nicht mehr. Es ist an ihre Stelle eine neue Zahl getreten, die er erst suchen muß. Er findet auch neben dem Gesamthaushaltsplan und den Einzelplänen eine Finanzierungsübersicht, die bisher nicht da war. Ich will hier nicht darlegen, welche anderen Vieränderungen sich sonst noch zeigen. Ich will mit diesen beiden Hinweisen nur sagen: es kündet sich in der äußeren Gestalt des Bundeshaushaltsplanes 1969 die kommende Haushaltsreform an. Diese Gestaltung ist auch mit den Ländern abgestimmt und ist, wie ich glaube, im ganzen auch vernünftig.Es ist aber weiter doch auf eines aufmerksam zu machen. Die Grundgesetzänderung für die Haushaltsreform und die Haushaltsreformgesetze selbst sind noch nicht verabschiedet. Sie liegen dem Hohen Hause vor. Wir hoffen, daß sie bald verabschiedet werden möchten. Soweit ist es aber noch nicht.Diese Diskrepanz, die in dem zeitlichen Unterschied liegt — hier die Verabschiedung des Bun-*) Siehe Anlagen 4, 5 und 6 deshaushalts 1969, dort die Verabschiedung der eigentlichen Voraussetzungen dieses Bundeshaushalts, nämlich der Grundgesetzänderung und der Haushaltsreformgeisetze —, drückt sich auch im Haushaltsgesetz selbst aus. Das kommt dadurch zum Ausdruck, daß Sie in dem Haushaltsgesetz einige Bestimmungen finden, die vorerst nur für das Jahr 1969 Geltung haben sollen, die ebenfalls ein Vorgriff auf die Haushaltsreform sind, Bestimmungen, die noch nicht im Haushaltsausschuß diskutiert worden sind, die aber sicher eingehend bei der Beratung der Gesetze über die Haushaltsreform diskutiert werden müssen.Das ist für uns Anlaß, zu sagen — ich glaube, das kann man für alle im Haushaltsausschuß vertretenen Fraktionen feststellen —: Wir stimmen zwar dieser einmaligen Aufnahme in das Haushaltsgesetz 1969 zu, möchten aber doch zum Ausdruck bringen daß wir uns dadurch nicht präjudizieren lassen möchten für die Beratungen der kommenden Haushaltsreformgesetze.Diese etwas abstrakte Darlegung möchte ich an zwei Beispielen verdeutlichen: Bisher war es üblich, den Fehlbetrag, also den Unterschied zwischen Einnahmen und Ausgaben eines Etatjahres, spätestens im übernächsten ordentlichen Etat auszugleichen. Das steht so in der Reichshaushaltsordnung. Das ist eine durchaus überlegte Bestimmung. Wir gehen in diesem Haushaltsjahr 1969 dazu über, den Fehlbetrag des Jahres 1967 nicht im ordentlichen Etat, sondern auf dem Kreditweg auszugleichen.Sie werden mir, glaube ich, folgen, wenn ich die Frage aufwerfe, ob es empfehlenswert sei, dies zu. einer Dauereinrichtung werden zu lassen. Wie ist es — herunter bis zur Gemeinde —, wenn die Regel aufgestellt wird, daß Fehlbeträge, die im ordentlichen Haushalt entstehen, künftig im Kreditwege gedeckt werden? Welche Wirkungen könnte das haben? Ich will das hier nicht näher untersuchen, das ist nicht der Zweck meiner Wortmeldung. Das sind Dinge, die gründlich überlegt sein müssen. Wir haben das in diesem Jahr einmal durchgehen lassen, weil wir, wie gesagt, in der Rangierung der Gesetzesänderungen — Grundgesetz, Haushaltsreformgesetz, Haushaltsgesetz — dieses Jahr zeitlich nicht gut anders verfahren konnten.Ein zweites Beispiel: bisher gilt im Haushaltswesen die Vorschrift der sogenannten Bruttoveranschlagung. Alle Einnahmen und alle Ausgaben, die überhaupt anfallen, müssen einzeln und getrennt voneinander aufgeführt werden. Sie dürfen nicht saldiert werden, denn eine solche Saldierung würde die Unübersichtlichkeit des Haushalts vergrößern. Sie würde auch, wie frühere Kommentatoren zu diesem Grundsatz gesagt haben, so etwas wie eine Verschleierung in die Wege leiten können. Wenn man saldiert, verschwindet die einzelne Einnahme und die einzelne Ausgabe aus dem Gesichtsfeld, und es ist schwer nachzuprüfen, wie sich diese Zahlen eigentlich zueinander verhalten.Dieses Bruttoprinzip ist ein Grundsatz, den wir in diesem Haushalt bei der Kreditfinanzierung verlassen. Im außerordentlichen Haushalt finden wir
Metadaten/Kopzeile:
12420 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Dr. Conringerstmalig in dem Haushaltplan 1969 die Nettofinanzierung. Das mag man gut finden, das hat auch seine volkswirtschaftlichen Gründe, auf die ich hier nicht eingehen will. Ich wollte aber hervorheben, daß diese grundsätzlichen Fragen, ob Bruttoprinzip, ob Nettoprinzip, ob Fehlbetragsdeckung im ordentlichen oder im Kreditwege, wohlüberlegt sein wollen. Deshalb werden Sie verstehen, daß wir zwar in diesem Jahr diesem Haushaltsgesetz zustimmen, daß wir uns aber vorbehalten müssen, beim Haushaltsreformgesetz auf diese Dinge zurückzukommen.Man hat hier und da — und damit möchte ich abschließen — den Eindruck, daß die volkswirtschaftliche Bedeutung des Haushalts, die recht groß ist und die mit wachsenden Haushalten immer bedeutender wird, die budgetären Aspekte der Haushaltsführung etwas in den Hintergrund rückt, vielleicht mehr, als erwünscht sein könnte. Auch das muß einmal geprüft werden. Das konnten wir nicht bei diesem Haushaltsplan tun, dazu wäre keine Zeit gewesen. Es muß aber geprüft werden, bevor wir solche Grundsätze nicht nur für ein Jahr wie für dieses Haushaltsjahr 1969 gutheißen, sondern in den Haushaltsreformgesetzen sagen: Das soll nun für die Zukunft so gelten.Ich meine, wir vom Haushaltsausschuß sind es eigentlich dem Plenum schuldig, auf diese Dinge aufmerksam zu machen.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär des Finanzministers, Herr Leicht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Frage, die Herr Dr. Conring angeschnitten hat, spielte bereits bei den Beratungen im Haushaltsausschuß eine Rolle. Sie wurde dort diskutiert. Man hat zwar mit Bedenken, aber nach Aufklärung doch immerhin, wie ich meine, überzeugt von diesen Vorschriften Kenntnis genommen und sie gebilligt. Ich muß auch darauf hinweisen, daß im Laufe des Verfahrens bei den Beratungen um die Finanzverfassungsreform diese Fragen eine Rolle gespielt haben und in den zuständigen Ausschüssen, insbesondere auch im Rechtsausschuß, geprüft und gebilligt worden sind.
Das gilt zum Beispiel, Herr Kollege Dr. Conring, für die Frage der Bruttoveranlagung. Es ist ja so, wie Sie sicherlich wissen, daß auch in Zukunft nach den neuen Vorstellungen die Bruttoveranlagung bleibt. Was sich ändert, das ist die „Nettodeutlichmachung" — wenn ich so sagen darf — der Kreditfinanzierung. Sie brauchen wir einfach, um dem Modernen gerecht zu werden.
Das ergibt sich übrigens auch aus dem Stabilitätsgesetz. Im Hinblick auf die Tendenz des Stabilitätsgesetzes ist man gezwungen, auf dem Gebiet, das hier angesprochen ist, auch in Zukunft modernere Darstellungen zu haben. Wir könnten die Finanzplanung auch nicht betreiben, wenn wir das Bruttoprinzip in der Frage der Kreditfinanzierung beibehielten, weil wir dann immer zurückrechnen müßten und Sie niemal seine konkrete, klare Aussage über die Frage der Verschuldung innerhalb der Jahre der Finanzplanung hätten.
Lassen Sie eine Zwischenfrage zu? — Bitte, Herr Abgeordneter Conring!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen wohl gegenwärtig, daß ich zur Sache kaum gesprochen habe, sondern lediglich gesagt hatte: „Wir möchten uns nicht präjudizieren lassen, und wir wollen das bei der Haushaltsreform beraten und dann entscheiden" ? Das war der Sinn meiner Ausführungen, dem Sie hoffentlich beipflichten werden.
Das habe ich schon verstanden, Herr Kollege Dr. Conring. Wenn hier aber so ernsthafte Bedenken geltend gemacht werden — das respektiere ich —, dann muß man den Kollegen, die sich mit den Dingen nicht allzusehr befaßt haben, doch auch ein klärendes Wort von seiten der Regierung sagen, damit sie nicht irgendwelche Zweifel haben, ob das, wofür sie sich hier entscheiden sollen, das Richtige ist.
Im übrigen wollte ich zum Abschluß meiner kurzen Bemerkungen feststellen, daß natürlich bei der Beratung über das Haushaltsgrundsätzegesetz und die Haushaltsordnung die Möglichkeit gegeben sein wird, über diese Einzelfragen sich noch zu unterhalten. Ich bin davon überzeugt, daß man dann doch dazu kommen wird, daß als Folge dessen, was wir als Modernisierung unseres aus dem Jahre 1922 stammenden Haushaltsrechts bezeichnen, doch ein guter Abschluß erzielt wird.
Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Leicht.Wir sind in der Abstimmung über die §§ 1 bis 7. Das Wort wird dazu weiter nicht gewünscht. Wer den §§ 1 bis 7 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen so beschlossen.Wir kommen zu dem Änderungsantrag Umdruck 603, wonach ein neuer § 7 a eingefügt werden soll. Wird eine Begründung des Antrags gewünscht? — Das scheint nicht der Fall zu sein. Wer diesem Antrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe die §§ 8, 9, 10 auf. — Wer diesen Bestimmungen seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen so beschlossen.Zu § 11 rufe ich den Antrag Umdruck 606 auf. Wird eine Begründung dieses Antrags verlangt? — Bitte schön, Herr Kollege Hörmann!
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12421
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag Umdruck 606 bedarf einer Begründung. Um Ihnen das Vorlesen der Begründung zu ersparen, möchte ich sie schriftlich zu Protokoll *) geben.
Das ist natürlich eine gute Maßnahme. Aber ob man dann genau weiß, worum es sich handelt, ist mir noch nicht ganz klar.Wer dem Antrag Umdruck 606 , dessen Begründung eben zu Protokoll gegeben wurde, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen ist dieser Antrag angenommen.Ich komme zu § 11 zurück. Wer § 11 unter Berücksichtigung des soeben angenommenen Antrags sowie den §§ 12, 13, 14, 15, 16, 17 und 18 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen so beschlossen.Zu § 19 rufe ich den Änderungsantrag Umdruck 600 auf. Soll er begründet werden? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Antrag Umdruck 600 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag Umdruck 600 ist abgelehnt.Ich rufe die §§ 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30 und 31 auf. — Wer den aufgerufenen Paragraphen die Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei Gegenstimmen und Enthaltungen der FDP angenommen.Ich rufe Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Gegenstimmen der FDP — und keinen Enthaltungen so beschlossen.Wir sind damit am Ende der zweiten Lesung aller Einzelpläne und des Gesetzes gemäß Tagesordnungspunkt II. Die dritte Lesung wird morgen früh nach der Fragestunde um 10 Uhr stattfinden.Ich rufe den Tagesordnungspunkt VI auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Rechnungsjahr 1969
— Drucksache V/3443 —Schriftlicher Bericht des Ausschusses für das Bundesvermögen
— Drucksachen V/3885, zu V/3885 —*) Siehe Anlage 7 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Frerichs Abgeordneter Lange
Zunächst danke ich den Berichterstattern. Wünschen sie noch das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache in zweiter Lesung. Wird Wort gewünscht? — Das Wort wünscht der Abgeordnete Strohmayr. — Er gibt seine schriftlichen Ausführungen zu Protokoll *). Wird sonst noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache der zweiten Lesung.Wir kommen in der zweiten Beratung zur Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 10, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — In zweiter Lesung ist diese Vorlage einstimmig angenommen.Ich eröffne diedritte Beratung.Wird das Wort zur dritten Beratung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf — §§ 1 bis 10, Einleitung und .Überschrift — seine Zustimmung gibt, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist — bei Enthaltungen der Abgeordneten der FDP — in dritter Lesung angenommen.Ich rufe Punkt VII der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Rechte am Festlandsockel— Drucksache V/3669 —Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen — Drucksache V/3892 —Berichterstatter: Abgeordneter Lange
Ich eröffne die Aussprache der zweiten Lesung. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetzentwurf — Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift — zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ich stelle die einstimmige Annahme fest.Ich eröffne diedritte Beratung.Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wer dem Gesetzentwurf — Art. 1 bis 3, Einleitungund Überschrift — seine Zustimmung geben will,*) Siehe Anlage 8
Metadaten/Kopzeile:
12422 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969
Präsident von Hasselden bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt VIII der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge — Drucksache V/3460 —Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge
— Drucksache V/3988 —Berichterstatter: Abgeordneter Hofmann
Ich danke dem Berichterstatter für seinen Bericht. Ich eröffne die Aussprache in zweiter Lesung. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir stimmen ab über die Art. 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift. — Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich eröffne diedritte Beratung.Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ich stelle die einstimmige Annahme fest.Ich rufe Pukt IX der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bannmeilengesetzes— Drucksache V/3694 —Schriftlicher Bericht des Innenausschusses
— Drucksache V/3996 —Berichterstatter: Abgeordneter SchmittVockenhausen
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für den Bericht. Wünscht er zu einer Ergänzung des Wort? — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache in der zweiten Lesung. Wird das Wort gewünscht? — Dais ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Art. 1, 2, 3, der Einleitung und der Überschrift in der Ausschußfassung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich eröffne diedritte Beratung.Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen seine Zustimmung gibt, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Wir kommen zur Abstimmung über Ziffer 2 des Ausschußantrages. Wer diesem Antrag in Ziffer 2 seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gepenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt X der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung— Drucksache V/3980 —Wird eine Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Nach dem Beschluß des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf dem Ausschuß für Sozialpolitik — federführend —, dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung und dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. Wird dem widersprochen?— Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt XI der Tagesordnung auf:Beratung der Sammelübersicht 27 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht— Drucksache V/3977 —Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wer dem Antrag des Ausschusses seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen.— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt XII auf:Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für das Bundesvermögen über den Antrag des Bundesministers der Finanzenbetr. Veräußerung von Teilflächen des ehemaligen Forts „Oberer Eselsberg'' in Ulm an das Land Baden-Württemberg— Drucksachen V/3682, V/3906 —Berichterstatter: Abgeordneter StrohmayrWünscht der Herr Berichterstatter dazu das Wort? — Das ist nicht der Fall.Wer dem Antrag des Ausschusses seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt XIII der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Bundesministersder Finanzen betr. Veräußerung einer Teil-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 225. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. März 1969 12423
Präsident von Hasselfläche der ehemaligen Königin-Olga-Kaserne in Ludwigsburg an die Stadt Ludwigsburg— Drucksache V/3916 —Nach dem Beschluß des Ältestenrates soll der Antrag dem Ausschuß für das Bundesvermögen überwiesen werden. Wer der Überweisung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt XIV der Tagesordnung auf:Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EWG-Kommission für eine Entscheidung des Rates über die Modalitäten zur Feststellung und gegebenenfalls zum Ausgleich der Verlagerung von Zolleinnahmen— Drucksachen V/3680, V/3891 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. SerresIch danke dem Herrn Berichterstatter für die Vorlage seines Berichtes. Wünscht der Berichterstatter zur Ergänzung das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ich bitte diejenigen, die dem Antrag des Ausschusses zustimmen, um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt XV der Tagesordnung auf:Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EWG-Kommission für eine Entscheidung des Rats zur Erhöhung der von der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik und der Italienischen Republikzu eröffnenden Einfuhrkontingente für Wein — Drucksachen V/3696, V/3899 —Berichterstatter: Abgeordneter SeitherWünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Vorschlag des Ausschusses folgt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist bei zwei Enthaltungen, vermutlich aus weinbautreibenden Ländern, so beschlossen.
Meine Damen und Herren, bevor wir zum Ende kommen, möchte ich auf folgendes hinweisen. Der Bundestag hat heute beschlossen, die Fraktionsstärke auf mindestens 5 Prozent der Mitglieder des Bundestages festzusetzen. Demnach sind künftig für selbständige Anträge und kleine Anfragen mindestens 26 Unterschriften erforderliich. Diese neue Fraktionsmindeststärke hat außerdem Bedeutung für: Entschließungsanträge gemäß § 81 Abs. 2 der Geschäftsordnung; Änderungsanträge zur dritten Beratung gemäß § 86 der Geschäftsordnung; Verlangen auf Wiederholung der Abstimmung gemäß § 87 der Geschäftsordnung; Verlangen auf Aussetzung der Schlußabstimmung gemäß § 88 der Geschäftsordnung und Änderungsanträge zu Anträgen, die keinen Gesetzentwurf enthalten; das ist § 100 unserer Geschäftsordnung.Außerdem weise ich noch darauf hin, daß auf Grund des heutigen Beschlusses für das Verlangen auf namentliche Abstimmung nach § 57 der Geschäftsordnung die Unterstützung von 26 Abgeordneten ausreicht. Das Ganze tritt ab morgen in Kraft.Wir sind damit am Ende der Tagesordnung. Ich berufe die nächste Plenarsitzung ein auf Freitag, den 28. März 1969, 9 Uhr.Die Sitzung ist geschlossen.