Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 11. November 1968 mitgeteilt, daß gegen die nachstehenden, vom Rat veröffentlichten Verordnungen Bedenken nicht erhoben werden:
Verordnung des Rates zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Blumenkohl für die Zeit vom 1. November 1968 bis 30. April 1969
— Drucksache V/3394 —
Verordnung des Rates zur Festsetzung des Grundpreises und der Standardqualität für geschlachtete Schweine für die Zeit vom 1. November 1968 bis zum 31. Oktober 1969
— Drucksache V/3359 —.
Zu den in der Fragestunde der 194. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. November 1968 gestellten Fragen des Abgeordneten Dröscher, Drucksache V/3471 Nrn. 2 und 3 *), ist inzwischen die schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. Barth vom 13. November 1968 eingegangen. Sie lautet:
Schon auf der Konferenz der obersten Jugendbehörden der Länder am 19. Februar 1968 in Mainz bestand zwischen den obersten Landesjugendbehörden und mir darüber Übereinstimmung, daß die weitere Gewährung von Stipendien im Rahmen des Studentischen Jugendarbeitsprogramms nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. 7. 1967 nicht in die Zuständigkeit des Bundes fällt und daher auf Dauer nicht im Bundesjugendplan verbleiben kann.
Mit Rundschreiben vom 11. Juni 1968 habe ich den obersten Jugendbehörden der Länder mitgeteilt, daß die Förderung der regionalen Maßnahmen im Studentischen Jugendarbeitsprogramm mit Ende des Rechnungsjahres 1968 entfallen solle. Die Arbeitsgemeinschaft der obersten Landesjugendbehörden hat sich daraufhin am 27. und 28. Juni 1968 erneut mit dieser Frage befaßt und empfohlen, das Studentische Jugendarbeitsprogramm nur schrittweise abzubauen und, wenn möglich, den Abbau bis
zur Finanzreform aufzuschieben. Nach nochmaliger Überprüfung habe ich den obersten Jugendbehörden der Länder mit Rundschreiben vom 3. September 1968 endgültig mitteilen müssen, daß ich aus verfassungsrechtlichen Gründen keine Möglichkeit sehe, die Entscheidung zu ändern. Auf Grund dieses Rundschreibens hat mir lediglich der Kultusminister des Landes NordrheinWestfalen mitgeteilt, er sehe sich gegenwärtig nicht in der Lage, die entstehende Finanzierungslücke durch Landesmittel auszugleichen. Aus anderen Ländern ist mir noch nicht bekanntgeworden, ob sie das Studentische Jugendarbeitsprogramm fortführen wollen und ob ggf. hierfür ausreichende Haushaltsmittel zur Verfügung stehen.
Ich sehe leider keine Möglichkeit, für das Rechnungsjahr 1969 Mittel zur Gewährung von Stipendien im Studentischen Jugendarbeitsprogramm bereitzustellen. Lediglich für die zentralen Maßnahmen dieses Programms — zum Beispiel überörtliche Vorbereitungs- und Auswertungsseminare — sind nach dem Entwurf des Haushaltsplanes auch im kommenden Rechnungsjahr Mittel vorgesehen, die aus Planziffer C II — Ansatz 280 000,— DM — zu entnehmen sind.
*) Siehe 194. Sitzung, Seite 10 452 D
Meine Damen und Herren, wir haben nur die Fragestunde
— Drucksache V/3471 —
Wir kommen zunächst zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung ist der Herr Staatssekretär Leicht hier. Die Fragen 48 und 49 stellt der Abgeordnete Rutschke:
Welche Gründe veranlaßten das Bundesfinanzministerium, dem Präsidenten des Bundesrechnungshofes schriftlich zu verbieten, dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages bei den Beratungen über die Haushaltsreform sachdienliche Auskünfte zu geben?
Sieht die Bundesregierung nicht in einem derartigen Verbot eine unzulässige Beeinflussung des unabhängigen Urteils der Mitglieder des Bundesrechnungshofes?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Ich darf die Frage des Herrn Kollegen Rutschke wie folgt beantworten.Das Bundesfinanzministerium hat dem Präsidenten des Bundesrechnungshofes nicht verboten, dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages bei den Beratungen über die Haushaltsreform sachdienliche Auskünfte zu geben. Das ist insbesondere auch nicht in dem Schreiben geschehen, das Staatssekretär Grund unter dem 13. September 1968 an Präsident Hopf gerichtet hat und auf das Sie, Herr Kollege, mit Ihrer Frage offenbar abzielen. Dieses Schreiben befaßt sich mit Überlegungen zu verfassungsrechtlichen Fragen bei der Einführung der Nettoveranschlagung der Kredite im Haushaltsplan des Bundes. Der Bundesrechnungshof ist bei der Meinungsbildung der Bundesregierung zu den verfassungsrechtlichen Fragen der Haushaltsreform sowie zur Haushaltsreform selbst in weitestgehendem Umfange beteiligt worden. Vertreter des Bundesrechnungshofes waren bei der Erarbeitung der Entwürfe zur Haushaltsreform sowohl im Arbeitsausschuß des Bundes und der Länder als auch im Arbeitsausschuß der obersten Bundesbehörden beteiligt und hatten Gelegenheit zu Änderungsvorschlägen, die in den Gesetzentwürfen auch ihren Niederschlag gefunden haben. Zwei abschließende Besprechungen auf Staatssekretärsebene, die letzte im April 1968, wurden vom Herrn Präsidenten des Rechnungshofes selbst wahrgenommen. Hierbei sind Bedenken gegen die Einführung der Nettoveranschlagung der Kredite seitens des Bundesrechnungshofes nicht erhoben
Metadaten/Kopzeile:
10528 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1968
Parlamentarischer Staatssekretär Leichtworden. Erst später — im Zusammenhang mit dem Haushaltsentwurf 1969 — hat der Herr Präsident des Bundesrechnungshofes erstmals — mit Fernschreiben vom 3. September 1968 — Einwendungen gegen die Nettoveranschlagung der Kredite geltend gemacht, und zwar kurz vor der Kabinettssitzung, in der über den Haushalt 1969 entschieden wurde. Auf dieses Fernschreiben hat das Bundesministerium der Finanzen nach Abschluß der Beratungen im Kabinett mit Schreiben vom 13. September 1968 geantwortet, das inzwischen den Mitgliedern des Rechtsausschusses dieses Hohen Hauses mitgeteilt worden ist. Der letzte Absatz dieses Schreibens, der anscheinend Anlaß zu Falschdeutungen gegeben hat, lautet:Nachdem die Meinungsbildung der Bundesregierung zu den von Ihnen angesprochenen Fragen abgeschlossen ist,— so an den Präsidenten des Rechnungshofes —liegt nunmehr die Entscheidung beim Gesetzgeber. Die Beschlußfassung des Bundeskabinetts ist in Würdigung auch Ihrer Auffassung erfolgt. Eine weitergehende Einflußnahme oder eine abschließende verfassungsrechtliche Beurteilung der Gesetzesinitiativen der Bundesregierung fällt nicht in den Aufgabenbereich des Bundesrechnungshofes, da eine institutionelle Mitwirkung Ihres Hauses bei der Gesetzgebung nicht vorgesehen ist.Dieses Schreiben an den Bundesrechnungshof, das lediglich auf die zur Zeit gegebenen verfassungsmäßigen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten hinweist, schließt keineswegs aus, daß der Präsident des Bundesrechnungshofes auf Grund seiner Sachkunde und Erfahrung von den Ausschüssen des Bundestages auch zu Fragen gehört wird, die nicht in seinen gesetzlich festgelegten Zuständigkeitsbereich fallen. Die Gründe, aus denen der Präsident des Bundesrechnungshofes in Kenntnis des Nichtbestehens eines Weisungsrechts des Bundesministers der Finanzen vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages am 31. Oktober in Berlin von einem seitens des Bundesministers der Finanzen auferlegten „Äußerungsverbot" seines Vorgesetzten gesprochen hat, sind der Bundesregierung nicht bekannt.
Herr Rutschke!
Herr Staatssekretär, wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, daß wir im Rechtsausschuß falsch unterrichtet worden sind? Denn es ist gesagt worden — und dahin ging meine Frage —, daß es ihm verboten worden ist.
Ich nehme an, Herr Kollege Rutschke, daß Sie, wenn Sie Mitglied des Rechtsausschusses sind, mittlerweile den Brief erhalten haben, der den Mitgliedern des Rechtsausschusses zugeleitet worden ist und von dem ich den entscheidenden Absatz soeben vorgelesen habe.
Bitte, Herr Rutschke!
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, mir noch die gesamte Fassung dieses Briefes zur Verfügung zu stellen, die sich auf dieses Verbot oder, wie Sie sagen, angebliche Verbot bezog?
Selbstverständlich werde ich das machen können, Herr Kollege.
Ich rufe die Frage 50 des Herrn Abgeordneten Dr. Bechert . auf:
Trifft es zu, daß Juden, die im Konzentrationslager Wapniarka/Ukraine, angeblich zu Versuchszwecken, mit einer giftigen
Erbsenart ernährt wurden und nun teilweise gelähmt in Israel dahinsiechen, von der Bundesrepublik Deutschland keine Rente zugesprochen erhalten, sondern nur eine einmalige Abfindungssumme von 5000 DM bekommen haben?
Herr Staatssekretär, bitte, wollen Sie antworten.
Ich darf Ihre Frage, Herr Kollege Bechert, wie folgt beantworten.
Es trifft zu, daß rumänische Juden in dem von rumänischen Stellen errichteten und verwalteten Lager Wapniarka in Rumänien — nicht in der Ukraine, wie Sie, Herr Kollege, zunächst sagten — in der Zeit vom September 1942 bis zum Oktober 1943 mit der giftigen Erbsenart Lathyrus sativus ernährt wurden. Das ist darauf zurückzuführen, daß die rumänische Lagerverwaltung — die rumänische Lagerverwaltung! — mehrere Waggons dieser Erbsen, die für Futterzwecke bestimmt waren, auf dem Bahnhof Wapniarka beschlagnahmte und zur Ernährung der Inhaftierten verwendete.
Obwohl die daraus entstandenen Gesundheitsschäden ausschließlich auf Verfolgungsmaßnahmen von Stellen des damals noch freien und souveränen rumänischen Staates zurückzuführen sind und daher der Bundesrepublik nicht angelastet werden können, hatte sich die Bundesregierung in ihrem Kabinettsbeschluß vom 1. August 1959 aus allgemeinen humanitären Gründen ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs bereit erklärt, den in Israel lebenden Geschädigten, die durch die Ernährung mit der giftigen Erbsenart an schweren Lähmungen erkrankt sind, in besonderen Notfällen eine einmalige Hilfe bis zu 5000 DM zu gewähren. Hierbei wurde damals von einer Zahl von 150 ausgegangen. Bis jetzt wurden 418 solcher Fälle entschädigt. Von einem Dahinsiechen kann bei der Mehrzahl der sogenannten Wapniarka-Geschädigten nicht gesprochen werden; denn bei den von meinem Hause veranlaßten medizinischen Untersuchungen durch israelische Amtsärzte hat sich herausgestellt, daß nur ein verhältnismäßig kleiner Teil dieser Geschädigten schwere Schäden erlitten hat. Es hat sich aber auch herausgestellt, daß in einigen Fällen überhaupt keine meßbaren Schäden zurückgeblieben sind.
Herr Dr. Bechert!Dr. Bechert (SPD) : Herr Staatssekretär, bedeutet Ihre Antwort, daß die Bundesregierung der Ansicht ist, daß deutsche Stellen an
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1968 10529
Dr. Bechert
diesem Verbrechen nicht beteiligt waren und nicht irgendwie veranlaßt haben, daß solche Ernährung stattgefunden hat?
Das kann man aus meiner Antwort nicht entnehmen, Herr Kollege Bechert. Ich bitte Sie, sie auch nicht so zu verstehen. Aber ich muß darauf hinweisen, daß im damaligen Zeitpunkt eine unabhängige rumänische Stelle zumindest mitverantwortlich war. Ich glaube, Sie werden erkennen, daß ich das tun mußte.
Herr Dr. Bechert!
Dr. Bechert (SPD): Darf ich darauf aufmerksam machen, daß sogar die Evangelische Kirche in Deutschland und auch die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Deutschland zu Spenden und Patenschaften für diese Geschädigten aufruft.
Das kann möglich sein, Herr Kollege. Wir haben ja auch in anderen Bereichen, wo der Staat nicht berührt ist, solche Aufrufe zu Spenden, um eben vom karitativen Gesichtspunkt aus zu helfen.
Dr. Bechert (SPD) : Ist es nicht sehr naheliegend, Herr Staatssekretär, daß durch die maßlose Judenhetze, die im Nazi-Reich ja schon jahrelang vorher geschehen war, die rumänische Regierung, die nach Ihrer Äußerung damals in ihren Beschlüssen frei war — was ich nicht gerade für sehr wahrscheinlich halte, aber das ist meine persönliche Meinung —, veranlaßt worden ist, so zu handeln, wie da gehandelt worden ist, und entsteht daraus nicht eine Verpflichtung der deutschen Regierung, für diese Opfer zu sorgen?
Ich würde das nicht unbedingt sagen, Herr Kollege Bechert, weil daraus Weiterungen entstehen könnten. Ich sage Ihnen auch den Grund — als meine persönliche Meinung —: Natürlich kann man zu gewissen Dingen erziehen; aber das geschah ja, wenn ich mich recht entsinne, auch in den anderen Völkern, und wir haben ja gerade auch in den Auseinandersetzungen, wo es um die Entschädigungsansprüche jüdischer Bürger ging, feststellen müssen, daß auch in anderen Staaten, nicht nur bei uns, bereits ein gewisser Haß genährt worden ist, der außerhalb unseres Einflußbereichs lag.
Darf ich fragen, ob Ihre beiden anderen Fragen schon beantwortet sind?
Nein, Herr Präsident, sie sind noch nicht beantwortet.
Dann können Sie, Herr Dr. Bechert, jetzt keine weitere Zusatzfrage stellen.
Ich rufe die Frage 51 des Abgeordneten Dr. Bechert auf:
Trifft es zu, daß Bundesbehörden eine weitergehende Hilfe für diese Menschen mit der Begründung ablehnen, es handele sich nicht um einen Fall der berüchtigten „wissenschaftlichen Versuche" der SS, sondern um die Folge falscher Ernährung?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Zu Ihrer zweiten Frage, Herr Kollege Bechert:
Die Ernährung der rumänischen Juden mit der Lathyrus-sativus-Erbse ist kein pseudomedizinischer Menschenversuch im Sinne des Kabinettsbeschlusses der Bundesregierung vom 26. Juli 1951. Dieser Kabinettsbeschluß fußt auf den Feststellungen des Internationalen Gerichtshofs im sogenannten Nürnberger Ärzteprozeß. Dieser Gerichtshof hatte eine bestimmte Anzahl auf wissenschaftlicher Grundlage durchgeführter medizinischer Versuche in deutschen Konzentrationslagern als Versuche unzulässiger Art bezeichnet, zu deren Entschädigung sich die Bundesregierung im Rahmen einer Sonderregelung bereit erklärt hat.
Im übrigen bestand zu derartigen Versuchen überhaupt kein Anlaß, da vom medizinischen Standpunkt aus damals schon längst bekannt war, daß die Lathyrus sativus für die menschliche Ernährung ungeeignet ist und zu Lähmungserscheinungen führt.
Aus den genannten Gründen kann den WapniarkaGeschädigten keine Beihilfe nach dem Kabinettsbeschluß vom 26. Juli 1951 gewährt werden.
Vielleicht darf ich, Herr Präsident, gleich die dritte Frage beantworten, weil sie hiermit in unmittelbarem Zusammenhang steht.
Bitte sehr! Ich rufe also auch die Frage 52 des Abgeordneten Dr. Bechert auf:
Trifft es zu, daß weitere Hilfe bundesamtlich auch deshalb verweigert wird, weil es sich um rumänische Juden handelt, die übrigens mittlerweile israelische Staatsbürger geworden sind?
Es trifft zu, daß eine Entschädigung der aus Rumänien oder aus anderen osteuropäischen Ländern stammenden Juden, die in Israel leben, für Schaden an Körper oder Gesundheit nach dem Bundesentschädigungsgesetz nicht in Betracht kommt, obwohl sie im Rahmen der Sonderregelung für sogenannte Staatenlose und Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention nach § 160 des Bundesentschädigungsgesetzes grundsätzlich anspruchsberechtigt sind. Der durch § 164 des Bundesentschädigungsgesetzes vorgeschriebene Ausschluß von Entschädigungsleistungen für Schaden an Körper oder Gesundheit beruht darauf, daß der Staat
Metadaten/Kopzeile:
10530 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1968
Parlamentarischer Staatssekretär LeichtIsrael im sogenannten Israel-Vertrag vom 10. September 1952 mit Rücksicht auf die an ihn gezahlte Eingliederungs- und Wiedergutmachungshilfe in Höhe von 3 Milliarden DM auf die Geltendmachung von Gesundheitsschäden seiner Staatsbürger verzichtet und somit die Betreuung der Geschädigten selbst übernommen hat.Ein Teil der Wapniarka-Geschädigten dürfte jedoch durch die im Rahmen des Bundesentschädigungsgesetz-Schlußgesetzes erfolgte Neufassung des § 150 des Bundesentschädigungsgesetzes und durch den auf Grund des Art. V des Bundesentschädigungsgesetz-Schlußgesetzes errichteten und mit 1,2 Milliarden DM ausgestatteten Sonderfonds für überregionale Verfolgtengruppen Entschädigungsleistungen im Hinblick auf ihre Gesundheitsschäden nunmehr erhalten können.
Herr Dr. Bechert!
Dr. Bechert (SPD) : Darf ich fragen, Herr Staatssekretär: Ist mit dieser Entscheidung auch gemeint, daß eine Rente gewährt werden kann oder gewährt werden wird?
Das kann ich im Augenblick nicht genau sagen, weil ich die Bestimmungen, die für diese Härtefälle gelten, nicht im Kopf habe. Aber ich bin gerne bereit, Ihnen das schriftlich mitzuteilen.
Herr Dr. Bechert!
Dr. Bechert (SPD) : Darf ich Sie, Herr Sekretär, darauf aufmerksam machen, daß Ihre Antwort auf die Frage 2 einen Widerspruch zu dem enthielt, daß Sie auf die Frage 1 geantwortet hatten, und zwar insofern, als Sie sagten, es sei medizinisch festgestellt, daß der Genuß — wahrscheinlich ist der längere Genuß gemeint — solcher giftiger Erbsen zu Lähmungen führt, während Sie vorhin in Ihrer Antwort auf die Frage 1 darauf hingewiesen haben, daß es unter denen, die in diesem Lager nun betreut werden, solche gibt, die gar keine Schädigung davongetragen haben. Ist es nicht so, daß medizinisch feststeht, daß es viele Jahre dauern kann, bis ein solcher Schaden in Form von Lähmungen zum Vorschein kommt?
Ich kann nicht mehr tun als die Feststellung wiedergeben, Herr Kollege Bechert, die amtsärztliche Untersuchungen, und zwar durch israelische Ärzte, ergeben haben. Dabei wurden sehr schwere Fälle festgestellt. Es wurden aber auch andere Fälle festgestellt, zum Teil eben Fälle, die heute keine meßbaren Schäden — so habe ich gesagt — zeigen.
Frau Freyh!
Darf ich Sie fragen, Herr Staatssekretär: Auf welche Kenntnisse stützt sich Ihr Wissen, daß es sich hier nicht um Menschenversuche gehandelt hat, abgesehen davon, daß Sie eben angedeutet haben, daß Sie von der israelischen Ärztekommission über den Ausgang der Untersuchungen etwas hören konnten?
Das habe ich gar nicht gesagt, gnädige Frau. Ich habe auf die zweite Frage, wo es sich um diese medizinischen Untersuchungen handelt, folgende Feststellung getroffen. Erstens habe ich gesagt, daß nach dem Kabinettsbeschluß aus dem Jahre 1951 und in Verbindung mit der internationalen Konvention gewisse Kriterien auf Grund des Ärzteprozesses — so habe ich mich ausgedrückt — festgelegt worden sind. Als zweites habe ich gesagt, daß an sich gar nicht von Menschenversuchen die Rede sein konnte, weil zu dem Zeitpunkt, als man dieses Mittel gab, bereits feststand, daß dieses Mittel selbst schädigend, daß es giftig ist und zu Lähmungserscheinungen führt. Das war damals schon allgemein bekannt.
Frau Freyh!
Das heißt also, Herr Staatssekretär, daß es sich hierbei nach Ihren Kenntnissen nicht um Menschenversuche gehandelt hätte.
Ich würde viel weitergehen, gnädige Frau: Wenn bekannt war — und ich muß ja das sagen, was feststand —, daß es sich um Gift handelt, das Lähmungserscheinungen zur Folge hat, dann müßte man doch für diejenigen, die das gegeben haben und die das wußten, einen viel schlimmeren Ausdruck gebrauchen, statt nur von Versuchen zu sprechen. Das geht schon viel weiter.
Herr Dr. Bechert!
Dr. Bechert (SPD) : Bedeutet Ihre Antwort nicht, Herr Staatssekretär, daß es dann doch sehr wahrscheinlich die Absicht war, die mit solchen Erbsen Ernährten zu lähmen und nach einiger Zeit daran eingehen zu lassen? Das heißt also, daß es sich doch sehr wahrscheinlich um ein Verbrechen handelt, an dem, wie ich vorhin als meine Meinung erläutert habe, die Deutschen insofern mitschuldig sind, als sie diese wahnwitzige Judenhetze getrieben haben, unter deren Einfluß natürlich auch die rumänische Regierung stand, die ja auf unsere Waffenhilfe angewiesen war.
Ich glaube, ich habe gerade durch meine vorhergehende Antwort deutlich werden lassen, daß es sich nach meiner Meinung selbstverständlich um Verbrechen handelt. Ich habe nur in meiner Antwort an Sie, Herr Kollege, die ja von unseren Feststellungen ausgehen muß, darauf hinweisen müssen, daß damals doch zunächst einmal
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1968 10531
Parlamentarischer Staatssekretär Leichtrumänische Stellen zumindest — ich drücke mich auch hier sehr vorsichtig aus — mitverantwortlich waren, wahrscheinlich in der Mitverantwortung sogar an erster Stelle standen.
Herr Dr. Bechert!
Dr. Bechert (SPD) : Fühlt die Bundesregierung, da es sich doch in nicht wenigen dieser Fälle um lebenslange Schädigungen, und zwar sehr schwere Schädigungen, handelt, nicht die Verpflichtung, an Stelle von einmaligen Zahlungen Renten zu gewähren?
Das würde bedeuten, daß wir die Leistungen erhöhen. Grundsätzlich können wir aus den verschiedensten Gründen — weil dann ja auch andere Gruppen kämen — solche Leistungen nicht erhöhen. Ich habe aber darauf hingewiesen, Herr Kollege Bechert — und das habe ich bewußt getan —, daß auf Grund der schlußgesetzlichen Regelungen die Möglichkeit besteht, wahrscheinlich einem größeren Teil der Beschädigten zumindest weitere Entschädigungen zu geben.
Herr Rollmann!
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß der Antisemitismus über lange Jahrzehnte und längst vor Aufkommen des Nationalsozialismus ein fester Bestandteil des öffentlichen Lebens in Rumänien gewesen ist?
Herr Kollege Rollmann, ich habe bereits darauf hingewiesen, daß in anderen Staaten, nicht nur im damaligen Deutschen Reich, gewisse Tendenzen bestanden. Ich weiß nicht genau, ob das nun und seit wann das in Rumänien der Fall war, aber bei den Untersuchungen von Entschädigungsansprüchen anderer Staaten, auch Staaten des Ostens, hat sich herausgestellt — und das weiß ich, ich könnte einen nennen —, daß es so war, wie Sie jetzt von Rumänien sagten.
Keine weitere Frage.
Ich rufe die Frage 53 des Abgeordneten Strohmayr auf:
Wie erklärt es sich die Bundesregierung, daß für die Raiffeisen-Gedenkmünze in Sonderausführung , die einen Nominalwert von 5 DM hat, nicht weniger als 140 Prozent Aufschlag verlangt wird, obwohl beispielsweise Osterreich für polierte Münzen mit einem Zuschlag von rund einem Viertel des Nennwertes auskommt?
Herr Staatssekretär, bitte!
Herr Kollege Strohmayr, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten. Die Raiffeisen-Gedenkmünze wird, wie die anderen Gedenkmünzen der Bundesrepublik, neben der Normalausführung auch als Sonderausführung für Sammler, also mit Spiegelglanz geprägt. Der Abgabepreis für diese Spiegelglanzmünzen beträgt 10 DM und verringert sich je nach Abnahmemenge bis auf 9 DM. Der Aufpreis beträgt also im Höchstfalle nur 100 % und nicht 140 %, wie von Ihnen angegeben. Er ist durch die erhöhten Prägekosten und den Verwaltungsaufwand bedingt. Ein nennenswerter zusätzlicher Münzgewinn entsteht dem Bunde dadurch nicht.
Herr Strohmayr!
Herr Staatssekretär, ich frage Sie nun: Glauben Sie nicht, da diese Spiegelglanzmünzen inzwischen nicht nur 10 DM, wie ursprünglich, als sie in Umlauf gebracht wurden, sondern bereits 12 DM kosten, daß man deswegen von einem 140 %igen Aufschlag sprechen kann?
Gegen Sammlerwerte können wir nichts tun. Auch die einfache Faßprägung, die man jetzt für 5 DM kaufen kann, hat sicher nach etlicher Zeit bereits einen höheren Wert, weil eben Liebhaberpreise gezahlt werden. Dagegen können wir nichts tun.
Herr Strohmayr!
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß es besser gewesen wäre, bei einer Ausprägung von 6 Millionen Münzen zu bleiben? Dann wären die Preise nicht so in die Höhe geschnellt. Ich hoffe, daß bei den Gutenberg-Münzen 6 Millionen Stück aufgelegt worden sind.
Das ist nicht ganz richtig, Herr Kollege Strohmayr. Wir haben erstmals bei der Raiffeisen-Münze eine Auflage von 3 Millionen vorgenommen, und wir beabsichtigen, bei allen weiteren Münzprägungen, die wir auch noch in diesem Jahre vornehmen, aber insbesondere auch im nächsten Jahr — vier oder fünf, ich könnte es Ihnen vorlesen —, ebenfalls eine Auflage von 3 Millionen zu machen. Das ändert aber nichts daran, daß der Münzgewinn auch bei einer etwas höheren Auflage im Endeffekt doch nicht entscheidend höher wäre, als das im Augenblick der Fall ist.
Es kommt auf folgendes an — ich nenne Ihnen jetzt noch eine Zahl —: Wenn wir diese Münzen in Spiegelglanz prägen, zahlen wir dafür an die Münzstätten — das sind ja Länderstellen — einen Preis von 2,50 DM mehr als im Normalfall. Dann bleiben bei einem Verkaufspreis von 10 DM, wie er ja ist, noch 2,50 DM übrig für die ganze Verwaltung usw. Daraus können Sie sicherlich entnehmen, daß nicht viel übrigbleibt. Ich darf noch einen Hinweis geben: die Münzen selber sagen, daß sie mit den Prägekosten, wie wir sie zahlen, gar nicht mehr auskommen.
Ich rufe die Fragen 54, 55 und 56 des Abgeordneten Behrendt auf:
Wie hoch sind die jährlichen Einnahmen des Bundes aus den an den Grenzen zu den EWG-Ländern auch nach dem 1. Juli
10532 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 195. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 14. November 1968
Vizepräsident Schoettle
1968 noch erhobenen Einfuhrabgaben und Verbrauchsteuern im Reiseverkehr?
Wie hoch sind demgegenüber die jährlichen Verwaltungskosten für die Aufrechterhaltung der Steuer-, Personal- und Kfz-Kontrollen im Reiseverkehr?
Ist die Bundesregierung angesichts eines eventuellen Mißverhältnisses von Aufwand und Ertrag bereit, Einfuhrumsatzsteuern und Verbrauchsteuern sowie die Kontrollen von Reisenden und Fahrzeugen im nichtkommerziellen Bereich, wenigstens gegenüber den übrigen EWG-Ländern, gegebenenfalls durch einen exemplarischen Akt einseitig abzuschaffen bzw. weiter drastisch einzuschränken?
Übernehmen Sie, Herr Rinderspacher?
— Gut.
Ich möchte die Fragen wegen des sachlichen Zusammenhangs gemeinsam beantworten.
Die im Reiseverkehr erzielten Einnahmen werden weder an den EWG- noch an den übrigen Grenzen getrennt von den sonstigen Einnahmen nachgewiesen. Ich vermag deshalb nicht anzugeben, wie hoch sie sind. Ein gesonderter Nachweis für die Zukunft würde einen erheblichen wirtschaftlichen und kaum vertretbaren Aufwand an Zeit und Personal erfordern. Auch die Verwaltungskosten, die bei der Zollverwaltung seit Jahren nur etwa 3 v. H. der Einnahmen betragen, werden beim Reiseverkehr nicht gesondert errechnet. Für ihre Feststellung gilt das eben Gesagte.
Ohne Zweifel wird im Reiseverkehr das Verhältnis der personellen und sachlichen Aufwendungen zu den Einnahmen ungünstiger liegen als in der Güterabfertigung und bei den meisten sonstigen Aufgaben der Zollverwaltung. Dieser fiskalische Gesichtspunkt ist aber für die Frage der Abschaffung oder Beibehaltung von Kontrollen der Reisenden und der Fahrzeuge nicht entscheidend. Der Reiseverkehr wird vielmehr, solange die Steuergrenzen noch bestehen, überwacht, um zu verhindern, daß Waren ohne Mengen- und Wertbegrenzung zu gewerblichen oder privaten Zwecken unkontrolliert eingeführt werden. Ein Wegfall der Überwachung hätte eine erhebliche Störung des Markt- und Preisgefüges sowie eine Schädigung des legalen Handels zur Folge,
Auch ist zu bedenken, daß die Zöllner die Reisenden nicht nur nach mitgebrachten Waren befragen, sie versehen an zahlreichen Übergängen auch die Paßkontrolle. Ferner schützen sie durch ihre Kontrollen die Menschen. Sie schützen auch Tiere und Pflanzen; denken Sie daran, daß solche mit Krankheiten eingeführt werden können usw.
Die Bundesregierung ist im übrigen bestrebt, bei der Besteuerung von Waren im grenzüberschreitenden Reiseverkehr Erleichterungen zu schaffen, die über die derzeitigen Befreiungen hinausgehen. Sie kann derartige Maßnahmen aber nicht einseitig, sondern nur im Zusammenwirken mit den übrigen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft durchführen.
Waren, die ausgeführt werden, werden im Regelfall im Ausfuhrland von Umsatzsteuer und Verbrauchsteuern entlastet. Sie müssen notwendigerweise im Einfuhrland belastet werden, weil entsprechende inländische Waren mit Umsatzsteuer und Verbrauchsteuern belastet sind. Eine Erhöhung der Freigrenze hätte daher zur Voraussetzung, daß im gleichen Maß die Entlastung von den entsprechenden Steuern im Ausfuhrland entfällt. Eine solche Regelung sollte jedoch nach Möglichkeit nur in allen Mitgliedstaaten gleichzeitig eingeführt werden, weil sonst eingeführte ausländische Waren gegenüber den entsprechenden inländischen Waren steuerlich bevorzugt und einheimische Waren im Wettbewerb benachteiligt werden.
Herr Rinderspacher!
Herr Staatssekretär, da ich Ihren Argumentationen nicht in allen Punkten folgen kann, möchte ich Sie fragen: Wäre nicht damit zu rechnen, daß die nach den Bestimmungen mögliche einseitige Erhöhung der Umsatzsteuerfreigrenzen bzw. die völlige Steuerbefreiung im innengemeinschaftlichen Reiseverkehr der EWG durch die Bundesrepublik die übrigen EWG-Partnerstaaten zu ähnlichen Schritten veranlassen würde?
Das könnte sein, Herr Kollege. Ich habe gestern abend gegen Ende der Debatte, als es um einen Antrag in ähnlicher Richtung — allerdings im Hinblick auf Drittländer — ging, darauf hingewiesen, daß wir diese Fragen nochmals sorgfältig prüfen. Es wurde auch der politische Wille zum Ausdruck gebracht, daß wir natürlich alles versuchen werden, was möglich ist. Allerdings mußte ich auch dort einen gewissen Vorbehalt machen, weil eben manche Dinge von uns nicht überschritten werden dürfen, auch nicht national, wenn wir damit unsere eigenen, inländischen Gewerbetreibenden, Wirtschaftstreibenden in eine andere Wettbewerbssituation bringen würden.
Herr Dr. Rinderspacher!
Herr Staatssekretär, da Ihnen bekannt ist, daß von der Kommission Vorschläge zur Abschaffung der Umsatz- und Verbrauchsteuern vorliegen, möchte ich fragen: Bis wann etwa ist damit zu rechnen, daß der Ministerrat der EWG diese Vorschläge annehmen wird?
Wir dringen darauf, daß so etwas so schnell wie möglich geschehen kann, damit innerhalb der EWG das, was die Kommission vorgeschlagen hat, auch sehr rasch beschlossen werden kann.
Herr Rinderspacher!
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Beseitigung der Steuer- und Paßkontrollen innerhalb der EWG wesentlich dazu beitragen könnte, der Bevölkerung
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1968 10533
Dr. Rinderspacherdie Vorteile der europäischen Integration bewußter zu machen?
Diese Auffassung wird geteilt.
Nochmal Herr Rinderspacher!
Wäre es nicht möglich, zumindest die zweiseitige Paßkontrolle in D-Zügen derart zu vereinfachen, daß etwa nur Beamte des Einreiselandes prüfen — wie es ähnlich an der Kehler Brücke im allgemeinen praktiziert wird —, um damit einen Schritt zur endgültigen Abschaffung dieser Kontrollen zu tun?
Das werden wir gerne tun. Aber auch hier ist eben das Einverständnis von zweien — Sie sagten ja: zweiseitig — erforderlich. Es hängt also nicht nur von uns ab.
Ich darf also damit rechnen, Herr Staatssekretär, daß die Bundesregierung in Verhandlungen eintritt, wenn sie nicht schon mit den Partnerländern in Verhandlungen steht, die in diese Richtung zielen.
Sie dürfen damit rechnen. Der politische Wille bei uns ist ganz klar, Herr Kollege.
Herr Rutschke!
Herr Staatssekretär, beabsichtigt die Bundesregierung, die Zollbeamten mit der Durchführung des Paßkontrolldienstes zu beauftragen?
Ich habe vor kurzem in einer Fragestunde darauf hinweisen müssen, Herr Kollege Rutschke, daß ein Gutachten des Präsidenten des Rechnungshofes vorliegt und daß die Bundesregierung wegen Spannungen innerhalb der Ressorts — ich habe es offen angesprochen: Innenministerium und Finanzministerium — noch nicht so weit ist, um diese Frage konkret mit Ja beantworten zu können. Aber Sie können versichert sein, daß eine Entscheidung bald fallen wird.
Herr Rutschke!
Herr Staatssekretär, können Sie mir die Gründe dafür nennen, warum z. B. jetzt bei den Flugplatzkontrollen Landekarten ausgefüllt werden müssen und diese von den zuständigen Beamten geprüft, werden?
Ich kann diese Frage im Augenblick nicht beantworten. Ich wäre dankbar, wenn Sie mir gestatten, Ihnen das schriftlich mitzuteilen.
Wir kommen zur Frage 57 des Abgeordneten Mertes:
Trifft es zu, daß das Land Baden-Württemberg auf Grund der vorliegenden Gesetzentwürfe für die Finanzreform von 1970 an jährlich 260 Millionen DM aus seiner Finanzplanung streichen müßte?
Ihre Frage, Herr Kollege Mertes, beantworte ich wie folgt. Die Bundesregierung teilt nicht die Ansicht von Ministerpräsident Filbinger, daß die von der Bundesregierung vorgelegte Konzeption der Finanzreform erhebliche negative finanzielle Folgen für das Land BadenWürttemberg haben wird.
Ich darf wohl gleich die andere Frage mit beantworten; denn es ist einfach wegen des Sachzusammenhangs nicht anders möglich.
Dann rufe ich noch die Frage 58 des Abgeordneten Mertes auf:
Teilt die Bundesregierung die Meinung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger, daß die von ihr vorgelegte Konzeption für die Verwirklichung der Finanzreform erhebliche negative finanzielle Folgen für das Land Baden-Württemberg haben wird?
Herr Ministerpräsident Filbinger hat einen angeblichen Verlust des Landeshaushalts durch die Reform von 259,3 Millionen DM errechnet. Bezieht man, wie es der Verfassung und der Sachlage entspricht, die Gemeinden in die Betrachtung ein, so beträgt der Verlust nach dieser Berechnung tatsächlich nur 81,3 Millionen DM; denn die Gemeinden werden gleichzeitig um 178 Millionen DM in ihrer Finanzausstattung verstärkt. .Von diesen 178 Millionen DM sind drei Viertel mittelbare Leistungen des Bundes, also Verstärkung der Gemeinden; denn sie rühren aus dem Verzicht von 1 v. H. der Einkommen- und Körperschaftsteuer ab 1969 — Sie kennen ja diese Beschlüsse, unser Vorhaben — zugunsten der Gemeinden und den 250 Millionen DM weitere Verstärkung der Gemeindefinanzmasse 1970 her. Sie werden dem LandBaden-Württemberg nicht abgezogen.Der Nettoverlust des Landes Baden-Württemberg zugunsten der finanzschwachen Länder würde somit nach dieser Berechnung lediglich rund 80 Millionen DM betragen. Angesichts der erheblich günstigeren Steuerausstattung des Landes im Vergleich zum Länderdurchschnitt ist eine solche Belastung unausweichlich, wenn, was alle Länder anerkannt haben, die Steuerausstattung der finanzschwachen Länder verbessert werden soll. In diese Richtung geht auch der Vorschlag der Länder Hessen, Bayern und Nordrhein-Westfalen, der auf der Tagesordnung des Bundesrates für kommenden Freitag steht. Berücksichtigt man, daß der natürliche Steuerzuwachs
Metadaten/Kopzeile:
10534 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1968
Parlamentarischer Staatssekretär Leicht Baden-Württembergs von 1969 zu 1970, also in einem einzigen Jahr, etwa rund 500 Millionen DM betragen wird, so kann nicht davon gesprochen werden, daß die in Frage kommenden Auswirkungen für das Land unzumutbar sind.
Herr Mertes!
Herr Staatssekretär, wenn Sie von der Zumutbarkeit sprechen, weil es sich bei Baden-Württemberg um ein finanzstarkes Land handelt, sind Sie dann nicht auch der Meinung, daß. man bei diesen Berechnungen berücksichtigen muß, daß das Land Baden-Württemberg auch besondere Aufwendungen aufzubringen hat, z. B. im Hochschulbereich, da an den Universitäten in Baden-Württemberg rund 17 % der Studenten immatrikuliert sind bei einem Einwohneranteil von nur 14 %?
Herr Kollege, Sie haben hier einen Punkt angeschnitten, den die Bundesregierung natürlich berücksichtigen muß. Gerade zu dem hohen Anteil von Universitäten im Land Baden-Württemberg und den hohen Kosten, die mit der Unterhaltung verbunden sind, darf ich folgendes feststellen. Es wird erwogen, die Kosten für die Unterhaltung der Hochschulen als besonderen Lastenfaktor bei der Verteilung der Steuereinnahmen zu berücksichtigen. Das würde in das System des derzeitigen Länderfinanzausgleichs passen und könnte auch bei einem Ersatz des horizontalen Finanzausgleichs durch den vertikalen Finanzausgleich berücksichtigt werden. Zur Zeit werden darüber Berechnungen in meinem Hause angestellt. Schon jetzt läßt sich aber sagen, daß sich eine solche Regelung für Baden-Württemberg günstig auswirken würde. Bei der Entscheidung ist jedoch zu bedenken, daß auch für andere Aufgaben eine entsprechende Berücksichtigung gefordert werden könnte, was anders wirkende Verschiebungen bedingen könnte.
Herr Mertes!
Herr Staatssekretär, besteht nicht auch unter der Voraussetzung, daß die in Ihrem Hause errechneten Verluste von jährlich 80 Millionen DM zutreffen, die Gefahr, daß das Land gezwungen ist, seine Zuschüsse an die Kommunen um diesen Betrag zu kürzen, so daß die Gemeindetinanzreform mehr oder weniger ein Schlag ins Wasser wird, weil zumindest zum Teil mit der einen Hand den Gemeinden wieder genommen wird, was sie aus der anderen Hand bekommen sollen?
Ich glaube nicht, daß das unbedingt notwendig ist. Aber wenn man diese Reform mit dem Ziel durchführt, die infolge der Ungleichmäßigkeit der Verhältnisse in den verschiedensten Teilen der Bundesrepublik finanzschwachen Länder an den Durchschnitt heranzuführen, ist es unumgänglich, daß andere Länder, die besser strukturiert, vor allem finanziell besser ausgestattet sind als der Durchschnitt, dazu beitragen, diese Angleichung zu ermöglichen. Um es simpel auszudrücken: Man kann in dieser Frage keine Reform machen, ohne daß es welche gibt, die geben.
Herr Mertes!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß der Finanzausgleich nicht so weit gehen darf, daß dadurch die Leistungskraft einzelner Bundesländer nivelliert wird, was z. B. auch die wirtschaftliche Stellung der einzelnen Länder im Export sehr schwer treffen müßte?
Ich bin Ihrer Meinung.
Herr Baier!
Herr Staatssekretär, sind nicht in den vergangenen Jahren bei allen Bemühungen um eine Einheitlichkeit der Lebensbedingungen in der Bundesrepublik finanzstarke Länder wie das Land Baden-Württemberg weitaus sparsamer mit den im öffentlichen Haushalt zur Verfügung stehenden Mitteln umgegangen, um notwendige Investitionen innerhalb des Landes vorzunehmen, als etwa sogenannte finanzschwache Länder, und ergibt sich nicht daraus, daß eine Schmälerung des Finanzvolumens von Baden-Württemberg in der Zukunft diese notwendigen Investitionen einschränken würde?
Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, haben Sie recht.
Herr Meister!
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß nach dieser Neuregelung künftig der horizontale Finanzausgleich wegfallen wird?
Sie kennen die Vorhaben des Finanzausschusses des Bundestages. Er tagt heute und entscheidet auch über diese Frage. Ich kann noch nicht sagen, wie der Beschluß ausgefallen ist.
Ich bedaure, daß ich mich an diesem Frage- und Antwortspiel nicht beteiligen kann, obwohl auch ich einiges davon weiß.
Wir kommen zur Frage 59 des Abgeordneten Kohlberger:Ist die Bundesregierung bereit, für das Jahr 1968 und für die kommenden Jahre den Steuerfreibetrag bei Weihnachtszuwendungen zu erhöhen?Herr Staatssekretär, bitte!
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1968 10535
Nach dem geltenden Recht erhält jeder Arbeitnehmer einen Weihnachtsfreibetrag von 100 DM. Der Freibetrag wird regelmäßig bei der Zahlung der Dezemberbezüge berücksichtigt. Arbeitnehmern, die von ihrem Arbeitgeber keine Weihnachtszuwendung erhalten, wird der Freibetrag ebenfalls gewährt, so daß man also nicht unbedingt, würde ich meinen, noch vom „Weihnachtsgeld" sprechen kann.
Der Weihnachtsfreibetrag in seiner derzeitigen Gestaltung führt zu Haushaltsmindereinnahmen bei Bund und Ländern in einer Größenordnung von etwa 380 Millionen; davon entfallen auf den Bund 140 Millionen jährlich. Die Bundesregierung sieht schon aus Haushaltsgründen zur Zeit leider keine Möglichkeit, eine Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages in Erwägung zu ziehen.
Herr Kohlberger!
Herr Staatssekretär, halten Sie- es nicht für eine Ungerechtigkeit, daß, wenn Unternehmer Weihnachtsgeschenke an ihre Kunden geben, die Aufwendungen dafür als Werbungskosten abgesetzt werden können, also eine Steuerminderung eintritt, bei Arbeitnehmern dagegen dem Beschenkten sofort 20 % des Geschenks abgenommen werden?
Diese Frage ist hier im Hause- schon öfters erörtert worden; wir haben dieses Thema ja praktisch jedes Jahr vor Weihnachten zu behandeln gehabt. Ich glaube aber, speziell in der Frage, die Sie ansprechen, ist schon etwas geschehen. Wir haben Einschränkungen in den Möglichkeiten bereits vorgenommen.
Herr Kohlberger!
Herr Staatssekretär, haben Sie nicht die Absicht, hier Änderungen herbeizuführen, vielleicht für das Jahr 1969, wenn es für 1968 nicht mehr möglich ist?
Sie sind sicherlich mit mir einverstanden, wenn ich feststelle, daß ich mit dieser Frage überfordert bin; die Frage muß geprüft werden.
Herr Strohmayr!
Herr Staatssekretär, Sie sind sicherlich mit mir der Meinung, daß Arbeitgeber bestimmt gern bereit wären, höhere Weihnachtsgratifikationen zu geben, wenn sie nicht von vornherein wüßten, daß der Staat sofort kommt, um davon zu profitieren. Wir haben beispielsweise 25 Millionen Arbeitnehmer, —
— Immer noch im Zusammenhang mit der Frage! — Ich frage Sie, ob Ihnen bekannt ist, daß wir 25 Millionen Arbeitnehmer haben
und von den 25 Millionen Arbeitnehmern eine ganze Reihe nur 100 DM bekommen, der Arbeitgeber aber bestimmt gern bereit wäre, mehr zu geben als 100 DM, wenn sich nicht der Staat sofort daran beteiligte.
Herr Kollege Strohmayr, es tut mir leid, — ich bin nicht hundertprozentig sicher, ob ich unbedingt Ihrer Meinung sein kann, daß Mehrleisten so ohne weiteres Freude machen würde.
Herr Strohmayr!
Herr Staatssekretär, ich frage Sie: Warum ist denn diese Frage, nachdem Sie auch im vergangenen Jahr zur Diskussion stand, im Ministerium bisher nicht erörtert worden? Warum wird jetzt erklärt, für das Jahr 1968 sei die Sache nicht mehr möglich, weil die Zeit zu kurz sei?
Ich habe ganz klar erklärt, daß wir eine Erhöhung schon aus haushaltsrechtlichen Gründen nicht vornehmen können. Wenn wir den Betrag z. B. verdoppeln, wird sich wahrscheinlich auch der Steuerausfall verdoppeln; das bedeutet ein Weniger von 380 Millionen DM. Ich meine, das war eine klare Erklärung von mir: bereits aus haushaltsrechtlichen Gründen nicht möglich.
Im übrigen, Herr Kollege Strohmayr, wissen Sie genausogut wie jeder andere hier im Raum, daß dies eine Sache ist, von der man mit gutem Grund sagen kann: „Alle Jahre wieder kommt der Weihnachtsmann."
Herr Ott!
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß es eine arbeitsrechtliche Frage ist, ob Weihnachtszuwendungen Geschenke oder ob sie freiwillige Zuwendungen im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses sind?
Ich würde nicht unbedingt sagen, daß es nur eine arbeitsrechtliche Frage sei.
Ich glaube, Herr Kollege Ott, damit ist nicht genau das erfaßt, was der Herr Kollege Strohmayr ansprechen wollte; er wollte damit etwas anderes sagen.
Herr Ott!
Metadaten/Kopzeile:
10536 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1968
Noch eine Zusatzfrage, Herr Staatssekretär. Sind Sie mit mir der Meinung, daß hinsichtlich der Werbungskosten bei den Unternehmern bereits dadurch eine Beschränkung gegeben ist, daß Unternehmer nur bis zu einem Betrag von 100 DM im Jahr steuerfrei zuwenden können, daß über 100 DM hinaus volle Steuerpflicht besteht —, einschließlich der ersten 100 DM und daß damit keine ungleiche Behandlung zwischen Arbeitnehmern und Unternehmern besteht?
Ich habe darauf hingewiesen, daß wir in der Frage der Werbungskosten bereits Einschränkungen vorgenommen haben.
Keine weiteren Fragen mehr. Ich rufe die Fragen 60 und 61 des Abgeordneten Ramms auf:
Wie steht die Bundesregierung zu Überlegungen, die Kraftfahrer in Ballungsgebieten mit Zuschlägen zur Kfz-Steuer mit regional unterschiedlichen Hebesätzen zu belasten?
Ist die Bundesregierung bereit, bei derartigen Überlegungen mit zu berücksichtigen, daß auch Kraftfahrer, die außerhalb der Stadtkerne und Verdichtungsgebiete wohnen, mit zur Verkehrsballung in den Zentren beitragen?
Die Fragen werden von dem Abgeordneten Opitz übernommen.
Ich darf die Fragen des Kollegen Ramms wie folgt beantworten. Uns ist bekannt, daß sich Wissenschaftler dafür ausgesprochen haben, zur Abgeltung der Verkehrsstockungskosten regional gestaffelte Zuschläge bei der Kraftfahrzeugsteuer einzuführen, um dadurch eine Entlastung der Ballungsgebiete zu erreichen. Die Bundesregierung konnte sich mit solchen Überleungen noch nicht näher befassen, da es zur Zeit eine sichere Methode zur Berechnung der Ver.kehrsstockungskosten und deren Verteilung auf die einzelnen Verkehrsteilnehmer nicht gibt. Sie ist daher nicht in der Lage, schon jetzt zu Ihren Fragen Stellung zu nehmen. Das gilt auch für die zweite Frage. Die Bundesregierung wird sich zu Beginn der nächsten Legislaturperiode im Rahmen der Steuerreform mit der Neuregelung der Kraftfahrzeugsteuer zu beschäftigen haben, sobald das Gutachten der Steuerreformkommission vorliegen wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Maucher.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß nach -der im Haushaltssicherungsgesetz vorgenommenen Herabsetzung der Kilometerpauschale eine solche Regelung für die Arbeitnehmer eine unzumutbare Härte bedeuten würde?
L
Ich habe schon gesagt:
die Frage muß eingehend geprüft werden. Sicherlich haben diese Gedanken auch etwas für sich. Aber
jetzt schon endgültig zu entscheiden, ohne das Material zu haben, und jetzt zu sagen: das ist verkehrt und das würde unzumutbar sein, würde eine Überforderung darstellen.
Herr Maucher!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht weiter mit mir der Meinung, daß durch die Heraufsetzung der Benzinsteuer und mit der Zuwendung der 2 Pf an die Gemeinden an sich diesem Anliegen schon weitgehend gedient ist und die obere Belastungsgrenze für die Beteiligten erreicht ist?
Das würde ich nicht unbedingt sagen.
Herr Opitz!
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, bei der Prüfung dieser Fragen auch noch einmal das Problem der unterschiedlichen Versicherungsprämien mit zu überprüfen?
Selbstverständlich. Das ist sowieso eine Maßnahme, die schon oft angekündigt worden ist. Das ist ja auch mit in die Aufgabenstellung der Steuerreformkommission eingebaut worden.
Wir kommen zu den Fragen 62 bis 64 des Abgeordneten Dr. Friderichs:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Erlaß des Bundesministers für Finanzen vom 20. September 1968 III B/4 —V 8530 — 88/68 dazu führen wird, daß den betroffenen Firmen unnötig Kosten entstehen, die viermal so hoch sind wie bei dem bisherigen Verfahren, nach welchem Einspruchsentscheidungen bis zum Abschluß von Musterprozessen zurückgestellt werden?
Hält die Bundesregierung es für vertretbar, die Durchführung von Musterprozessen mit Importeuren und Gerichten abzustimmen und dann vor Abschluß der Prozesse die betroffenen Firmen unter Androhung von erheblicher Erhöhung des Kostenrisikos zur Rücknahme ihrer Rechtsmittel aufzufordern?
Ist die Bundesregierung bereit, den BdF-Erlaß vom 20. September 1968 aufzuheben und die Regelung wieder einzuführen, welche durch Erlaß vom 14. März 1967 III B 4/4 — V 8530 —35/67 getroffen wurde?
Sie werden vom Abgeordneten Freiherr von Lemmingen übernommen. Bitte, Herr Staatssekretär!
Die Beantwortung diser Fragen muß leider etwas ausführlicher sein.Der Erlaß vom 20. September 1968 betrifft die Rechtsstreitigkeiten um die Umsatzausgleichsteuer. Dieser Streit ist inzwischen durch acht Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften und durch ein Urteil des Bundesfinanzhofes grundsätzlich entschieden worden. Bis zum 30. September dieses Jahres waren von den ursprünglich eingelegten 340 000 Einsprüchen gegen Umsatzausgleichsteuerbescheide noch etwa 150 000 Einsprüche und Klagen anhängig. Der Rest wurde inzwischen entschieden oder zurückgenommen. Mit weiteren erheblichen Rücknahmen der Einsprüche und Klagen ist zu rechnen, nachdem auch zwei maßgebende Spitzenverbände der Importwirtschaft, die Fachpresse und
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1968 10537
Parlamentarischer Staatssekretär LeichtRechtsanwälte den Einspruchsführern die Rücknahme der Einsprüche empfohlen haben.In dem Erlaß vom 20. September 1968 hat das Bundesministerium der Finanzen die Konsequenzen aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesfinanzhofes gezogen, und zwar sowohl zugunsten als auch zuungunsten der Verwaltung. Soweit der Bundesfinanzhof Umsatzausgleichsteuersätze für zu hoch erklärt hat, wurden die Zollstellen angewiesen, die Steuerbescheide sofort zugunsten der Einspruchsführer zu berichtigen. Soweit die Umsatzsteuerausgleichssätze nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg angegriffen werden können, sollen die Zollstellen dagegen zunächst die Rücknahme der Einsprüche abwarten. Erst wenn die Einsprüche trotz eines Hinweises der Zollstellen auf die höchstrichterlichen Urteile — mit dem aber keinerlei Rücknahme-Aufforderung verbunden ist — nicht zurückgenommen werden, wird eine Einspruchsentscheidung erfolgen. Bei einer Rücknahme des Rechtsbehelfs vor der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung wird nur ein Viertel der Gebühr nach dem Gerichtskostengesetz erhoben. Wird dagegen ein Einspruchsentscheid erlassen, so wird die Hälfte dieser Gebühr, also das Doppelte, erhoben. Kommt es anschließend noch zu einer Klage, so entstehen, wenn sie nicht rechtzeitig zurückgenommen wird, weitere Gebühren. Das ist die normale, vom Gesetzgeber in den Gesetzen vorgesehene Kostenfolge. Von einer „Androhung von erheblicher Erhöhung des Kostenrisikos" kann keine Rede sein. Lediglich im Interesse der Beteiligten fühlte sich das Bundesfinanzministerium zu dem Hinweis verpflichtet, daß sich die Rechtsbehelfsgebühr bei einer Rücknahme der Einsprüche ermäßigt.Bevor die Grundsatzentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesfinanzhofs ergingen, hatte die Zollverwaltung — nicht die Bundesregierung — mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft und auf regionaler Ebene teilweise auch mit den Finanzgerichten Übereinstimmung darüber erzielt, daß einige Musterverfahren beschleunigt durchgeführt werden und die übrigen Verfahren bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung ruhen sollten. Nachdem nunmehr höchstrichterliche Entscheidungen vorliegen, ist eine weitere Aussetzung der übrigen Verfahren weder erforderlich noch vertretbar.Das Bundesministerium der Finanzen kann eine Aufhebung des Erlasses nicht in Erwägung ziehen. Eine Änderung der ergangenen Weisungen würde alle Beteiligten in Verwirrung stürzen. Diejenigen, die ihre Rechtsbehelfe bereits zurückgenommen haben, würden sich — mit Recht — getäuscht fühlen. Außerdem kann das Bundesministerium der Finanzen nicht mit zweierlei Maß messen, je nachdem, ob das Grundsatzurteil des Bundesfinanzhofs für die Importeure günstig oder ungünstig ist.
Keine weiteren Fragen.
Die Frage 65 des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen:
Welchen Stand haben die Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Singapur über den Abschluß eines Abkommens über die Doppelbesteuerung?
wird im Einverständnis mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Leicht vom 14. November 1968 lautet:
Über ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen ist mit einer singapurischen Delegation im Mai 1967 in Bonn und im August 1968 in Singapur verhandelt worden. Über die wichtigsten Abkommensfragen konnte bereits Einvernehmen erzielt werden. Die Bundesregierung bemüht sich um einen baldigen Abschluß der Verhandlungen.
Ich rufe dann die Frage 66 der Abgeordneten Frau Freyh auf:
Trifft es zu, daß bei Bund und Ländern Lohnsteuerbeträge in Höhe von rund 500 Millionen DM jährlich verbleiben, weil für viele Lohnsteuerpflichtige die Handhabung der gesetzlichen Bestimmungen für die Rückzahlung über den Lohnsteuerjahresausgleich zu kompliziert geworden ist?
Die Darstellung, daß von den Lohnsteuerzahlern aus Unkenntnis ein Betrag von 500 Millionen DM zuviel an Lohnsteuer gezahlt werde, läßt sich nicht belegen. Eine solche Schattenquote ist weder statistisch feststellbar noch nach Lage der Verhältnisse einigermaßen zutreffend zu schätzen.
Es ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß das Bundesfinanzministerium in Zusammenarbeit mit den Finanzbehörden der Länder gerade in den letzten Jahren ständig bemüht war, die Lohnsteuerzahler über ihre Steuerersparnismöglichkeiten aufzuklären. Die Einschaltung von Rundfunk und Presse sowie die Herausgabe von ausführlichen Beratungsblättern haben dazu geführt, daß die Lohnsteuerzahler von Jahr zu Jahr besser über die für sie in Betracht kommenden Steuerersparnismöglichkeiten unterrichtet sind. Nicht zuletzt tragen auch die Lohnsteuerantragsvordrucke und Lohnsteuerberatungsblätter dazu bei, die Lohnsteuerzahler auf die mögliche Steuerermäßigung hinzuweisen. So ist z. B. für den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1968 ein neuer Antragsvordruck entwickelt worden, von dem die Finanzverwaltung durch die neuartige Gestaltung erhofft, daß er den Lohnsteuerpflichtigen bei der Geltendmachung ihrer Steuerermäßigungsgründe eine wesentliche Hilfe bietet.
Wenn auch keine exakten Angaben über die sogenannte Schattenquote gemacht werden können, so steht doch fest, daß ihre Bedeutung in der Öffentlichkeit überschätzt wird. Für das Jahr 1966 — das sind die Zahlen, die wir haben — haben 19,2 Millionen steuerbelasteter Arbeitnehmer 6,2 Millionen Anträge auf Lohnsteuerermäßigung und 12,0 Millionen Anträge auf Lohnsteuer-Jahresausgleich gestellt. Weitere Arbeitnehmer sind zur Einkommensteuer veranlagt worden. Hieraus dürfte klar werden, in welchem Ausmaß die Lohnsteuerzahler die gegebenen Ersparnismöglichkeiten in Anspruch genommen haben.
Frau Freyh zu einer Zusatzfrage.
Metadaten/Kopzeile:
10538 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1968
Abgesehen davon, Herr Staatssekretär, daß ich diese Zahlen der Presse entnommen habe und die Hoffnung hatte, daß Sie etwas dazu sagen könnten, möchte ich Sie nun doch fragen: Sind Sie denn der Meinung, daß die Aktionen zur Aufklärung über die Form und über die Möglichkeiten der Beantragung, die es in einigen Bundesländern gibt, nicht doch darauf hindeuten, daß ein verhältnismäßig großer Teil von Arbeitnehmern nicht genau unterrichtet ist?
Daß es eine Schattenquote gibt, gnädige Frau, ist selbstverständlich. Das ergibt sich auch aus meinen Ausführungen. Wir können sie nur nicht schätzen. Ich habe versucht, die Gründe darzulegen. Wir können nicht sagen: 500 Millionen oder 300 Millionen oder 700 Millionen. Aber wir haben das Bestreben, breit aufzuklären, damit von den gegebenen Möglichkeiten auch Gebrauch gemacht wird. Darauf dürfen Sie sich verlassen. Die Zahlen, die ich genannt habe — 19,2 Millionen steuerbelastete Arbeitnehmer, davon 6,2 Millionen Anträge auf Lohnsteuerermäßigung und 12,0 Millionen Anträge auf Lohnsteuer-Jahresausgleich —, und dann noch die Tatsache, daß auch einige zur Einkommensteuer veranlagt werden, machen doch deutlich, daß diese Schattenquote wahrscheinlich nicht den Umfang haben kann, wie er draußen in der Presse oft genannt wird.
Frau Freyh!
Besitzt die Bundesregierung Möglichkeiten, z. B. darauf hinzuwirken, daß die Finanzämter kostenlose Beratungsstunden für diese Probleme einrichten, wie es z. B. der hessische Finanzminister im vorigen Jahr in weitem Umfang in hessischen Finanzämtern ermöglicht hat?
Ich glaube, wenn jemand zum Finanzamt kommt, wird er jederzeit auch beraten. Wenn jemand gerade in dieser speziellen Frage kommt, wird ihm sicherlich der Hinweis und die Erläuterung gegeben, die er braucht, um tätig werden zu können.
Herr Kohlberger!
Herr Staatssekretär, Sie haben von 19,2 Millionen Erwerbstätigen gesprochen, die Anträge auf Lohnsteuerermäßigung stellen. Es fehlen dann aber noch rund 6 Millionen Erwerbstätige, die keine Anträge stellen. Ich frage Sie, ob diese 6 Millionen, die keine Anträge stellen, nicht die Summe der geschätzten 500 Millionen DM ausmachen. — Ich darf noch folgendes hinzufügen. Ich frage das deshalb, weil Sie vorhin so genau 380 Millionen DM nannten, die sich ergeben würden, wenn der Steuerfreibetrag um 100 DM erhöht würde.
Wenn ich 380 Millionen genannt habe, dann war das immer eine runde Zahl. Wir reden dabei immer von runden Zahlen, auch hier im Parlament, glaube ich.
Zu Ihrer anderen Frage möchte ich aufklärend folgendes sagen. Ich habe von 19,2 Millionen steuerbelasteten Arbeitnehmern gesprochen. Das sind also diejenigen, die durch unsere gesetzlichen Regelungen von der Steuer überhaupt betroffen werden. In diesem Zusammenhang habe ich dann aufzuschlüsseln versucht, wer einen Lohnsteuerermäßigungsantrag gestellt hat, wer einen Lohnsteuerjahresausgleichsantrag gestellt hat und wer auch noch unter die Einkommensteuerveranlagung fällt. Ich glaube, das hat mit der Frage der Gesamtbeschäftigten nichts zu tun. Denn der restliche Teil ist dann nicht steuerlich belastet, weil er auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen nicht unter die Steuer fällt.
Herr Maucher!
Herr Staatssekretär, es ist kein Zweifel, es gibt, glaube ich, Berichte, die besagen, daß wir über 6 Millionen Arbeitnehmer haben, die nicht steuerpflichtig sind, die wegen der Höhe ihres Einkommens steuerfrei sind. Ist dem Finanzministerium bekannt, wie sich diese Zahl in der letzten Zeit entwickelt hat?
Zweitens. Sie haben die beiden Zahlen genannt: 6 Millionen, die einen Antrag auf Steuerermäßigung gestellt haben, und 12 Millionen, die einen Antrag auf Jahresausgleich gestellt haben. Ist es nicht falsch, nur von der Zahl auszugehen und die Zahlen einfach zusammenzuzählen? Es gibt doch noch die Möglichkeit, am Jahresende einen Antrag auf Ausgleich zu stellen, weil Belastungen eingetreten sind, die zunächst beim Ermäßigungsantrag nicht berücksichtigt worden sind.
Ich darf dazu folgendes sagen. Natürlich ist es möglich, die Zahlen zusammenzufassen. Ich habe nur versucht, mit diesen Zahlen deutlich zu machen, daß die Schattenquote so schlecht schätzbar ist, daß sie aber nicht so groß sein kann, wie oft behauptet wird. Es wurden ja nicht nur 500 Millionen genannt, es wurden auch ganz andere Beträge für die Höhe der Schattenquote genannt.
Herr Staatssekretär, ist meine Annahme richtig, daß ein großer Teil der Anträge auf Lohnsteuerjahresausgleich daher rührt, daß . Kosten in Krankheitsfällen geltend gemacht werden? Würde sich nach dem Gesetz über die Lohnfortzahlung diese Schattenquote wesentlich vermindern?
Das kann ich im Augenblick nicht sagen. Ich werde Ihnen das schriftlich mitteilen, wenn die Frage geprüft ist. Ich kann aber noch folgendes sagen. Die Zahl der Anträge auf Lohnsteuerjahresausgleich ist auch des-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1968 10539
Parlamentarischer Staatssekretär Leichthalb hoch, weil manche Betriebe, wie selberweiß, den Lohnsteuerjahresausgleich durchführen, ohne daß der Arbeitnehmer tätig werden muß.
Herr Ott!
Herr Staatssekretär, liege ich mit meiner Vermutung — auf Grund Ihrer vorigen Ausführungen — richtig, daß, wenn bei 25 Millionen Arbeitnehmern etwa 19 Millionen diese Anträge stellen — wobei die 12 Millionen und die 6 Millionen zum Teil zusammenfallen —, dann per Saldo etwa 6 Millionen Arbeitnehmer aus der Lohnsteuerpflicht entlassen werden?
Das ist richtig, Herr Kollege; denn ich habe von 19,2 Millionen Steuerbelasteten gesprochen. Die anderen sind auf Grund der gesetzlichen Regelung nicht mit Steuer belastet.
Herr Mertes!
Herr Staatssekretär, können Sie ungefähr den Prozentsatz der Arbeitnehmer nennen, die zur Einkommensteuer veranlagt werden? Ich frage deshalb, weil Sie von „einigen" Arbeitnehmern sprachen, die der Einkommensteuer unterliegen, obwohl doch z. B. sämtliche Arbeitnehmer, die Haus und Grundbesitz haben, meines Wissens zur Einkommensteuer veranlagt werden. Ich frage, ob unter
diesem Gesichtspunkt der Begriff „einige" noch berechtigt ist.
Ich verbessere mich und sage „ein Teil". Ich kann Ihnen die genaue Zahl jetzt nicht nennen; aber ich werde versuchen, sie festzustellen, und teile sie Ihnen dann mit.
Herr Strohmayr!
Herr Staatssekretär, für den Fall, daß 400 bis 500 Millionen bei der Steuerrückvergütung nicht ausgeschöpft werden, wären ja schon die 380 Millionen DM vorhanden, um mit der Weihnachtsgratifikation von 100 auf 200 DM zu gehen.
Vergessen Sie das Fragezeichen nicht, Herr Kollege!
Zuerst müssen wir dann die 400 bis 500 Millionen haben, Herr Kollege.
Damit, meine Damen und Herren, ist die Fragestunde beendet.
Ich berufe die nächste Plenarsitzung auf Freitag, den 15. November, 9 Uhr ein und schließe die Sitzung.