Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Die folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und der Staatssekretär im Bundesminitserium für wissenschaftliche Forschung haben am 23. September 1968 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Moersch, Merten und der Fraktion der FDP betr. Förderung der Datenverarbeitung — Drucksache V/3198 — beantwortet. Das Schreiben wird als Drucksache V/3279 verteilt.
Wir beginnen mit der
Fragestunde
— Drucksache V/3277 —
Zunächst werden die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beantwortet. Ich rufe die Frage 61 des Abgeordneten Meister auf:
Hält die Bundesregierung die Preisbindung und vor allem die geltenden Preisrichtsätze beim landwirtschaftlichen Grundstücksverkehr in Anbetracht der Neuordnung der Einheitswerte noch für vertretbar?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Höcherl vom 25. September 1968 lautet:
Nach geltendem Recht ist bei der Inanspruchnahme von landwirtschaftlichen Grundstücken für öffentliche Zwecke die Entschädigung nach dem Verkehrswert zu bemessen. Der Verkehrswert ist nach dem Preis zu bestimmen, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit und Lage des Grundstücks bei freier Veräußerung zu erzielen wäre. Von diesem Grundsatz gehen auch die von den Bundesministern für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, der Finanzen, der Verteidigung und des Bundesschatzministers 1963 gemeinsam erlassenen „Entschsädigungsrichtlinien Landwirtschaft" aus, nach denen bei der Schadensermittlung in aller Regel verfahren wird. Diese Richtlinien sehen davon ab, den Verkehrswert von landwirtschaftlichen Grundstücken nach einem festgelegten Berechnungsverfahren zu ermitteln. Sie schreiben vielmehr vor, unter Zuhilfenahme bekanntgewordener zeitnaher Kaufpreise einen in der betreffenden Gegend tatsächlich erzielbaren Grundstückserlös zu schätzen. Preisbindungen oder Preisrichtsätze sind in den Richtlinien nicht vorgesehen.
Entscheidend für die jeweilige Höhe des Verkehrswertes sind Angebot und Nachfrage. Grundlage des Einheitswertes des land-und forstwirtschaftlichen Vermögens dagegen ist der Ertragswert, der sich unbeeinflußt vom Grundstücksmarkt ausschließlich auf Grund der jeweiligen natürlichen und wirtschaftlichen Ertragsbedingungen ergibt. Im allgemeinen liegt der Ertragswert weit unter dem Verkehrswert. In den meisten Fällen besteht keine Abhängigkeit zwischen dem Ertragswert und dem Verkehrswert.
Ist die Erhebung einer zollähnlichen Ausgleichsabgabe für Frischfleisch, das von der Bundeswehr in einen schlachthofpflichtigen Standort „importiert" wird, noch gerechtfertigt, obwohl trotz halbjährlich durchgeführter öffentlicher Ausschreibungen kein ortsansässiger Lieferant eine Bewerbung abgegeben hat, weshalb die Bundeswehr gezwungen ist, von auswärts Frischfleisch zu beziehen?
Das Wort zur Beantwortung der Frage hat der Herr Bundesernährungsminister.
Wenn eine Gemeinde Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen die Erhebung einer Ausgleichsabgabe auf frisches Fleisch vorgeschrieben hat, gilt dies auch für Lieferanten der Bundeswehr. Eine Sonderbehandlung der Bundeswehr, so gern sie von uns aus gewünscht wird, würde als eine Ausnahme gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen und wahrscheinlich rechtlichen Schwierigkeiten begegnen. Auch andere Institutionen des Staates wie z. B. die Einfuhr- und Vorratsstelle Schlachtvieh im Rahmen von Interventionskäufen müssen die Ausgleichsabgabe zahlen. Ausnahmen würden den Zweck der Ausgleichsabgabe, die im Zusammenhang mit dem Ausgleichszuschlag der Aufrechterhaltung der Preistransparenz auf den Schlachtviehmärkten dient, verwässern und das Prinzip der Gleichbehandlung durchbrechen. Von einer zollähnlichen Abgabe oder einem Import kann insoweit nicht die Rede sein.
Der in der Frage geschilderte Tatbestand dürfte im übrigen auch preisliche Ursachen haben.
Werden Zusatzfragen gestellt? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Beantwortung der Frage 63 des Herrn Abgeordneten Hauser:
Geht diese in Frage 63 angesprochene, auf Grund eines 100 Jahre alten Schlachthofzwanges erhobene Abgabe letzten Endes nicht zu Lasten der Verpflegung der Soldaten, weil der abgabepflichtige auswärtige Lieferant diese Gebühr mit 8 Pf pro kg in dem äußerst kalkulierten Preis nicht mehr auffangen kann und deshalb eine Preiserhöhung zwangsläufig an dem Pro-Kopf-Verpflegungssatz mit täglich 2,90 DM abgeht, wenn man zugrundelegt, daß dem Soldaten pro Tag ca. 375 Gramm Fleisch zukommen?
Der hier geschilderte Zusammenhang zwischen der Ausgleichsabgabe und der angeblichen Preiserhöhung für die Verpflegung der Soldaten ist meines Erachtens nicht immer gegeben. Vielmehr ist der auswärtige Lieferant in der
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10066 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968
Bundesminister Höcherl
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968 10067
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10068 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968
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— Ja, man kann die letzte Frage natürlich auch getrennt beantworten.
Ein Dreivierteljahr nach Einführung der Mehrwertsteuer kann festgestellt werden, daß der Systemwechsel trotz der tiefgreifenden Auswirkungen für die ganze Wirtschaft insgesamt gesehen gelungen ist. Der Übergang hat sich im allgemeinen reibungslos und ohne nennenswerte Komplikationen vollzogen. Schwerwiegende Mängel sind nicht aufgetreten. Wie sich nunmehr zeigt, war auch der Zeitpunkt der Umstellung richtig gewählt.
Dieses positive Ergebnis läßt nach Auffassung der Bundesregierung eine kurzfristige Gesetzesänderung nicht notwendig erscheinen. Das dürfte im allgemeinen auch dem Interesse der Wirtschaft entsprechen, die nach den umwälzenden Veränderungen eine gewisse Zeit der Konsolidierung braucht. Wegen der in einzelnen Teilbereichen aufgetretenen Probleme steht die Finanzverwaltung in ständigem Kontakt mit den maßgeblichen Verbänden der Wirtschaft. Hierbei hat sich gezeigt, daß sich die geltend gemachten Schwierigkeiten vielfach durch eine sinnvolle Gesetzesanwendung und die Anpassung an die neuen Gegebenheiten beheben lassen.
Wo sich ein solcher Weg als nicht gangbar erweisen sollte, wird die Bundesregierung, sobald ausreichende Erfahrungen vorliegen, nicht zögern, eine Änderung der betreffenden Bestimmungen vorzuschlagen. Im gegenwärtigen Zeitpunkt besteht allerdings hierfür kein Anlaß.
Zusatzfrage, Herr Kollege Genscher, bitte!
Ist Ihnen nicht bekannt, Herr Staatssekretär, daß z. B. beim Gebrauchtwagenhandel, im Gaststättenwesen und auch bei der Behandlung bestimmter Dienstleistungen ausländischer Auftraggeber schon heute die Probleme klar erkennbar sind und deshalb schon heute neu geregelt werden können?
Herr Kollege Genscher, ich bin mir nicht so sicher, wie Sie sicher zu sein scheinen, daß das alles schon so klar erkennbar sei. Wenn ich z. B. den Gebrauchtwagenhandel nehme, trifft das alles zumindest nach unseren Feststellungen bis jetzt nicht zu, was immer dafür angeführt wird, um hier eine Änderung herbeizuführen, z. B. daß bei der Neuanschaffung von Autos rückläufige Tendenzen festzustellen seien. Genau das Gegenteil ist der Fall.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte!
Um gerade auf diesen Fall zu sprechen zu kommen: Ist Ihnen nicht bekannt, Herr Staatssekretär, daß die jetzt gegebene Rechtslage die Folge hat, daß vertragliche Regelungen getroffen werden, die mit dem Inhalt des Rechtsgeschäfts nicht übereinstimmen?
Um das zu verhindern, haben wir bereits vor Monaten versucht, hier im Verordnungswege eine Regelung zu schaffen, die allerdings nicht ganz dem entspricht, was gewünscht worden war.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Funcke, bitte!
Herr Staatssekretär, da das Ministerium selbst anerkannt hat, daß die Fristenregelung bis zum 10. des nächsten Monats unhaltbar und damit eine Änderung erforderlich ist, frage ich, was die Bundesregierung daran hindert, diese Regelung, die sie bisher im Übergangswege festgelegt hat, zu legalisieren, damit sich die Betriebe organisatorisch und maschinell endgültig einrichten können.
Gnädige Frau, es gibt eine ganze Reihe von bisher beobachteten, ich würde nicht sagen: Mängeln, aber Erscheinungen innerhalb dieses nunmehr neuen Steuersystems, die Veranlassung geben können, eines Tages nach Sammlung gewisser Erfahrungen eine Neuregelung vorzunehmen. Ich sage noch einmal: eine ganze Reihe. Herr Kollege Genscher hat drei Dinge genannt, die in die Prüfung eingeschlossen werden müssen; Sie nennen ein viertes. Ich könnte ebenfalls eine ganze Reihe anderer Dinge aufführen. Ich habe aber schon in der Beantwortung der Frage des Kollegen Genscher darauf hingewiesen, daß es insbesondere zwei Gründe sind, die uns veranlassen, im Augenblick noch nichts zu tun, nämlich erstens das Abwarten eines gewissen Zeitraumes, der uns überhaupt die Möglichkeit zur Beurteilung gibt, und zweitens die Möglichkeit, der Wirtschaft Zeit zu einer gewissen Konsolidierung zu geben. Ich habe darauf hinweisen können, daß die Klagen aus der Wirtschaft gar nicht so sind, daß es unbedingt notwendig ist, nun in allen Einzelfragen hintereinander neue Regelungen zu schaffen.Im übrigen darf ich auch darauf hinweisen, daß die Umstellung auf dieses neue System, ein Gesetzeswerk — so wurde es hier einmal ausgedrückt —, das von säkularer Bedeutung ist, im Laufe der Zeit das eine oder andere mit sich bringt, was neu geregelt werden muß; das ist selbstverständlich.
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10070 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin Funcke.
Herr Staatssekretär, glauben Sie wirklich, daß das Argument: es muß erst einmal Ruhe sein, von den Steuerpflichtigen abgenommen wird, nachdem die Regierung selbst die größte Umwälzung, nämlich die Erhöhung mitten im Jahr auf 11 %, als erste angeregt und durchgesetzt hat?
Das war aber schon lange vorher bekannt, gnädige Frau.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Schmidt.
Herr Staatssekretär, ist die Zahl derjenigen, die eine Fristverlängerung beantragen, überhaupt erheblich?
Ich glaube, Herr Kollege Schmidt, sie ist so erheblich nicht, zumindest nicht, daß es unbedingt notwendig wäre, jetzt einzugreifen. Ich habe die genauen Zahlen nicht im Kopf, bin aber gerne bereit, Ihnen speziell zu dieser Frage etwas Näheres mitzuteilen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Schmidt.
Ist es nicht so, daß die Zahl tatsächlich ganz verschwindend gering ist gegenüber dem, was die Öffentlichkeit aus dieser Frage gemacht hat?
Ich glaube, daß diese Feststellung, die Sie treffen, stimmt.
Dann bitte die Beantwortung der Frage 45:
Welche Konsequenzen will die Bundesregierung aus den Feststellungen des Arbeitskreises Mehrwertsteuer in Wuppertal hinsichtlich der zusätzlichen Arbeits- und Kostenbelastung im Zusammenhang mit der Einführung der Mehrwertsteuer ziehen?
Herr Kollege Genscher, ich darf die Frage wie folgt beantworten. Das gegenüber der früheren Bruttoumsatzsteuer wesentlich verbesserte Besteuerungsergebnis bringt naturgemäß eine gewisse Mehrarbeit für die Unternehmer mit sich. Der Gesetzgeber war daher bereits während des Gesetzgebungsverfahrens bemüht, den Verwaltungsaufwand der Wirtschaft auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken. Ich möchte das Hohe Haus daran erinnern, daß der Ausschuß für wirtschaftliche Verwaltung im Rationalisierungsverband der deutschen Wirtschaft bereits seinerzeit im Benehmen mit dem Bundesfinanzministerium die gesetzlichen Regelungen sehr eingehend auf ihre Durchführbarkeit hin überprüft hat. Diese Untersuchungen werden gegenwärtig unter Berücksichtigung der Erfahrungen mit der neuen Steuer auf Bundesebene fortgesetzt. Selbstverständlich ist die Bundesregierung dankbar, wenn auch von anderer Seite Anregungen für eine Vereinfachung gegeben werden. Sie können daher versichert sein, daß die Tätigkeit des Arbeitskreises Mehrwertsteuer in Wuppertal, dessen Erfahrungsbericht dem Bundesfinanzministerium bisher allerdings noch nicht vorliegt, als wertvoller Beitrag bei der Bewältigung praktischer Fragen geprüft wird.
Zusatzfrage, Herr Kollege Genscher.
Herr Staatssekretär, was meinen Sie dazu, daß der Arbeitskreis festgestellt hat, daß sich im Durchschnitt der Betriebe allein im Bereich der Arbeitskräfte die Mehrbelastung bei 16 O/o hält?
Herr Kollege Genscher, ich kann das natürlich jetzt nicht beurteilen, da ich, wie gesagt, die Feststellungen des Arbeitskreises noch nicht erhalten habe. Wir haben einige Dinge aus der Zeitung entnehmen können. Das gibt aber natürlich nicht die Unterlage, die wir brauchen, um Feststellungen treffen zu können.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nach Kenntnisnahme dieses Berichts bereit, dazu einmal dem Finanzausschuß Ihre Meinung vorzutragen?
Immer, Herr Kollege Genscher. Wenn wir die Unterlagen haben, werden wir natürlich auch dazu Stellung nehmen.
Dann kommen wir jetzt zur Frage 46 des Herrn Abgeordneten Dr. Imle:
Sieht die Bundesregierung in Anbetracht der Tatsache, daß aus der Kurtaxe nach gesetzlichen Bestimmungen kein Gewinn erzielt werden darf, eine Möglichkeit, die Mehrwertsteuer auf die Kurtaxe von 11 % auf 5,5 % zu ermäßigen, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Bäder und Kurorte gegenüber den Bädern und Kurorten in den anderen EWG-Staaten und Skandinavien, wo keine Kurtaxe erhoben wird, zu stärken und damit gleichzeitig die Volksgesundheit in Deutschland zu fordern?
Herr Staatssekretär, bitte!
Herr Kollege Imle, ich darf die Frage wie folgt beantworten. Die Tatsache, daß die Gemeinden die Kurtaxe nur zur Deckung der Kosten erheben, die mit der Bereitstellung der allgemeinen Kureinrichtungen verbunden sind, ist kein Grund für eine ermäßigte. Besteuerung. Bei der Umsatzsteuer kommt es nach ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung auf die Erzielung von Einnahmen an, nicht jedoch auf die
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968 10071
Parlamentarischer Staatssekretär LeichtAbsicht, Gewinn zu erzielen. Wenn sich Wettbewerbsnachteile der deutschen Bäder im Verhältnis zum Ausland deshalb ergeben sollten, weil ausländische Kurorte keine Kurtaxe erheben, so dürfte der Grund dafür doch ausschlaggebend in der Erhebung der Kurtaxe überhaupt zu sehen sein und nicht in der Höhe des Steuersatzes auf die Kurtaxe. Sollten sich Gemeinden im Interesse des Fremdenverkehrs dazu entschließen, keine Kurtaxe zu verlangen, fällt natürlich auch keine Umsatzsteuer an. Doch die Entscheidung über die Erhebung der Kurtaxe ist nicht Sache des Bundes, sondern der Gemeinden. Das neue Umsatzsteuergesetz enthält zur Förderung der Volksgesundheit bereits weitgehende Vergünstigungen. Die Heilberufe sind befreit. Außer den Schwimmbädern unterliegt auch die Abgabe von Heilbädern einschließlich der verschiedensten Inhalationen, Packungen, Trinkkuren usw. dem ermäßigten Steuersatz.Natürlich läßt sich bei der Kurtaxe wie in zahlreichen anderen Fällen darüber streiten, ob nicht auch insoweit der ermäßigte Steuersatz angebracht wäre. Die Bundesregierung hält eine Diskussion hierüber jedoch für verfrüht.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Imle.
Herr Staatssekretär, es ist Ihnen doch sicherlich bekannt, ich kann wohl davon ausgehen, daß die Kurtaxe früher mit 4 % besteuert wurde und heute auf 11 %, also 7 %, angehoben ist und daß sich das natürlich bei dem Besuch der deutschen Bäder gegenüber den anderen auswirkt. Sollte man nicht auch schon aus diesem Grunde an eine Ermäßigung mit herangehen, um die Belastung nicht allzu stark werden zu lassen?
Herr Kollege Dr. Imle, ich habe gerade im Augenblick gesagt, daß es noch etwas verfrüht ist, diese Frage zu entscheiden. Natürlich wird das alles in die Überlegungen mit einbezogen werden. Die Frage, ob 4 oder 11 %, hängt natürlich mit der Umstellung des Systems zusammen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Imle.
Darf ich noch eine Frage stellen, Herr Staatssekretär: Wann sehen Sie den Zeitpunkt „verfrüht" als vorübergegangen an?
Herr Kollege Dr. Imle, es ist noch verfrüht, das im Augenblick zu sagen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Schmidt.
Herr Staatssekretär, gehört diese Frage nicht auch zu dem großen Komplex von Fragen, die bereits im Ausschuß bei der Vorbereitung des Gesetzes im Für und Wider eingehend erörtert worden sind? Sind Sie der Auffassung, daß man alle diese Fragen, die man in der Vergangenheit erörtert hat, immer wieder neu auf das Tapet bringen darf?
Ich bin dankbar, Herr Kollege Dr. Schmidt, daß Sie daran erinnern, aber leider Gottes bin ich ja immer verpflichtet, auf die Fragen der Kollegen Antwort zu geben. Ich teile im übrigen Ihre Meinung .
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Funcke.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre frühere Antwort nicht dahin gehend verstehen, daß auch Sie der Meinung sind, daß einzelne Positionen durchaus änderungsbedürftig sind — wenn Sie auch meinen, nicht jetzt, sondern vielleicht in einem Jahr — und daß es insoweit durchaus berechtigt ist, verschiedene Probleme erneut zur Diskussion zu stellen?
Diese Frage, Frau Kollegin, tangiert nicht unmittelbar das, was Herr Kollege Dr. Schmidt festgestellt hat. Er wendet sich gegen Fragen zu den Dingen, die bereits ausführlich im Ausschuß behandelt worden sind und bei denen heute kein anderer Tatbestand' vorliegt, während wir zum Teil über Dinge sprechen, die unter Umständen geändert werden müssen, die sich jetzt erst, nachdem das System umgestellt ist, herausstellen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß man darüber sprechen und unter Umständen Änderungen herbeiführen muß.
Wir kommen dann zur Beantwortung der Frage 47 des Herrn Abgeordneten Dr. Abelein:
Welche Möglichkeiten einer finanziellen Unterstützung sieht die Bundesregierung für die Unwettergeschädigten vom 29. August 1968 im Kreis Heidenheim?
Ist Herr Abgeordneter Dr. Abelein im Saal? — Das ist nicht der Fall.
— Die Frage wird von Herrn Dr. Schmidt übernommen. Ich war nicht schnell genug.
Die Bundesregierung ist grundsätzlich bereit, bei Katastrophen- und Unwetterschäden im Bundesgebiet im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Zuständigkeit und ihrer finanziellen Möglichkeiten zu helfen. So waren z. B. bei dem Unwetter im Kreis Heidenheim am 29. und 30. August 1968 15 Helfer des Technischen Hilfswerks im Einsatz. Ein Hilfeersuchen an Einheiten der Bundeswehr, das sicherlich auch erfüllt worden
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10072 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968
Parlamentarischer Staatssekretär Leichtwäre, wurde nicht gestellt. Hinsichtlich der Gewährung einer finanziellen Unterstützung folgt die Bundesregierung dem Beschluß des Hohen Hauses vom 16. Dezember 1960, wonach die Beteiligung des Bundes an Hilfsmaßnahmen der dafür in erster Linie zuständigen Länder nur subsidiär und nur dann in Frage kommt, wenn dem Land eine ausreichende Hilfeleistung nicht zuzumuten ist. Voraussetzung im Einzelfall ist ferner, daß die betriebliche Existenz gefährdet und der Schaden nicht durch Versicherungsleistungen gedeckt ist. Diese Voraussetzungen liegen bei den Unwetterschäden im Kreise Heidenheim nicht vor.Nach den ersten Schätzungen des Landes — hier sind wir auf die Angaben des Landes angewiesen — beläuft sich der Gesamtschaden auf rund 5,3 Millionen DM. Davon sind rund 3,4 Millionen DM durch Versicherungsleistungen gedeckt. Für die übrigen Schäden ist das Land Baden-Württemberg finanziell potent genug, um Hilfsmaßnahmen ohne die Unterstützung des Bundes durchzuführen.
Wir sind damit am Ende der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen, da Herr Kollege Dr. Marx sich mit der schriftlichen Beantwortung seiner Frage 48 einverstanden erklärt:
Aus welchem Grunde sind die Vorschläge der EWG-Kommission bei der Ende Juli in Brüssel durchgeführten Außenministerratstagung über Erleichterungen im Reiseverkehr zurückgestellt worden?
Die Antwort des Staatssekretärs Grund vom 25. September 1968 lautet:
Es handelte sich um zwei Vorschläge der EWG-Kommission, nämlich
1. den Entwurf einer Verordnung über die zolltarifliche Behandlung von Waren, die im persönlichen Gepäck von Reisenden eingeführt werden oder in Kleinsendungen an natürliche Personen eingehen,
2. den Vorschlag fur eine Entscheidung des Rates zur Harmonisierung der Regelungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Befreiungen von den im internationalen Reiseverkehr erhobenen Umsatzsteuern und Verbrauchsteuern.
Dabei ging es um drei Problemkreise
a) Zollregelung für den Reiseverkehr und Kleinsendungsverkehr aus Drittländern
b) Steuerregelung für den Reiseverkehr aus Drittländern
c) Steuerregelung für den innergemeinschaftlichen Reiseverkehr.
Der Vorschlag der Kommission für die Regelung zu a) enthält übrigens, was die Bundesrepublik anlangt, nicht nur Erleichterungen, sondern auch leichte Einschränkungen. Jedenfalls müssen die drei Regelungen aber aufeinander abgestimmt sein. Von besonderer politischer Bedeutung ist die Regelung zu c). Die bisherige Rechtslage und die Vorstellungen der einzelnen Mitgliedstaaten über die künftige gemeinsame Gestaltung sowie über die Rechtsform der zu treffenden Entscheidungen waren naturgemäß nicht einheitlich. Die Regelungen waren leider noch nicht genügend ausdiskutiert, so daß dem Rat eine sofortige Entscheidung nicht möglich war. Inzwischen hatten die Regierungen Gelegenheit, ihre Vorstellungen zu überprüfen. Deshalb ist zu hoffen, daß sich im Laufe des Oktobers gemeinschaftliche Lösungen finden lassen.
Eine großzügige Regelung der Steuerbefreiung im innergemeinschaftlichen Reiseverkehr, wie sie die Bundesregierung — teilweise über die Vorschläge der EWG-Kommission hinaus — anstrebt, setzt ein Verbot der Steuererstattungen bei Reiseausfuhren voraus, Deshalb werden — jedenfalls bei uns — Gesetzesänderungen erforderlich werden; sie werden bereits vorbereitet.
Jetzt kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Herr Kaffka ist mit der schriftlichen Beantwortung der Fragen 71 und 72 einverstanden:
Hat die Bundesregierung den Leiter des Antikorruptionsreferates im Bundesverteidigungsministerium von seinem Posten vorläufig suspendiert oder in einen anderen Dienstbereich versetzt, nachdem ihr bekannt geworden ist, daß die Staatsanwaltschaft Bonn im Zusammenhang mit der HS-30-Affäre ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Begünstigung gegen ihn eingeleitet hat?
Hält es die Bundesregierung — falls dies nicht geschehen ist — für richtig, einem so verdächtigten Beamten als Leiter des die HS-30-Affäre bearbeitenden Referates weiterhin die Möglichkeit zu lassen, auf die Aufbewahrung, Herausgabe und Vernichtung der einschlägigen Akten und auf Auskunftserteilung und Dienstanweisungen an die Referatsangehörigen hinsichtlich der Ermittlungen über diese Vorgänge Einfluß zu nehmen?
Der Bundesregierung ist die Einleitung eines Ermittlungslungsverfahrens gegen den Leiter des Referates ES bekannt. Der Beamte hat dies im September 1967 unter Angabe des Sachverhalts ordnungsgemäß dienstlich mitgeteilt
Diese Mitteilung konnte die Bundesregierung nicht veranlassen, disziplinare Vorermittlungen gegen den Beamten einzuleiten. Die Einleitung von Vorermittlungen gegen einen Beamten ist nach § 26 der Bundesdisziplinarordnung nur zulässig, wenn Tatsachen bekannt werden, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Die Überprüfung des Sachverhalts anhand der dienstlichen Unterlagen und der Angaben des Beamten hat keine solche Tatsachen ergeben.
Solche Tatsachen hätten gegebenenfalls vorliegen können, wenn die Staatsanwaltschaft den Dienstherrn von der Einleitung des Ermittlungsverfahrens unter Angabe der Beschuldigung, Tatbestände und Verdachtsgründe unterrichtet hätte. Die Staatsanwaltschaft ist dazu nach Nr. 29 der Anordnung über die Mitteilung in Strafsachen verpflichtet, falls in dem Strafverfahren Tatsachen bekannt geworden sind, die zu Maßnahmen dienstaufsichtlicher oder disziplinarer Art Anlaß geben können. Da eine solche Mitteilung nicht erfolgt ist, mußte die Bundesregierung davon ausgehen, daß in dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren keine Tatsachen bekannt geworden sind, die zu disziplinaren Maßnahmen Anlaß geben können.
Das gleiche gilt für dienstaufsichtliche Maßnahmen. Die der Bundesregierung bekannten dienstlichen Vorgänge haben keinen Anlaß zu dienstaufsichtlichen Maßnahmen geboten.
Wir kommen damit zur Frage 73 des Herrn Abgeordneten Peiter:
Ist die Bundesregierung bereit, die Pläne zur Errichtung einer zweiten Standortverwaltung für den Standort Koblenz auf dem ehemaligen Schießstandgelände Bilotte im Stadtbereich Niederlahnstein noch einmal zu überprüfen, da die Stadt Niederlahnstein für diesen Gemarkungsteil eine Wohnbebauung vorgesehen und diese Absicht bereits im Jahre 1964 mit dem aufsichtsbehördlich genehmigten Flächennutzungsplan, gegen den die Standortverwaltung Koblenz keine Bedenken geltend machte, bekannt gemacht hat?
Das Wort zur Beantwortung hat Herr Staatssekretär Adorno.
Herr Kollege, die Bundesregierung beantwortet die Frage mit Ja. Die Wehrbereichsverwaltung IV in Wiesbaden wurde bereits beauftragt, die Bauplatzfrage für die dringend benötigte zweite Standortverwaltung in Koblenz nochmals zu überprüfen.
Nicht ganz verständlich ist allerdings die Einstellung der Stadt Niederlahnstein gegen die Errichtung einer Standortverwaltung in einem Wohnbaugebiet. Das zu errichtende Gebäude würde sich harmonisch in das städtebauliche Bild einfügen. Auch wird diese Dienststelle der Bundeswehrverwaltung Verwaltungsaufgaben ausführen, die wohl kaum unzumutbare Lärmbelästigungen zur Folge haben. Außerdem ist zu bemerken, daß kein anderes geeignetes und im Bundeseigentum befindliches Baugrundstück zur Verfügung steht. Bei einem Verzicht auf das ,,Bilotte” -Gelände müßte daher die Stadt Niederlahnstein ein Ersatzgrundstück bereitstellen, das die zu stellenden Voraussetzungen — günstige Lage zu den rechtsrheinischen Koblenzer Kasernen — erfüllt.
Zusatzfrage?
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968 10073
Herr Staatssekretär, es ist Ihnen doch bekannt, daß das Zögern der Stadt Niederlahnstein daraus resultiert, daß bei der Besprechung im April 1964 mit der Wehrbereichsverwaltung IV in Niederlahnstein über den Flächennutzungsplan von Wiesbaden keine Einwendungen erhoben wurden, daß erst mit dem Brief vom April 1968 die Absicht wieder kundgetan wurde, dort zu bauen? Wenn man damals eine andersartige Stellungnahme abgegeben hätte, wäre eine Lösung sicherlich gefunden worden.
Herr Kollege, es war nicht erforderlich, gegen den Flächennutzungsplan Bedenken geltend zu machen, da die Bundesregierung davon ausgeht, daß das zu errichtende Dienstgebäude der vorgesehenen Wohnbebauung entspricht.
Wir kommen dann zu der Beantwortung der Frage 74 des Herrn Abgeordneten Peters.
Wie hoch ist der Fehlbestand an Dienstwohnungen in den Marine-Standorten Schleswig-Holsteins?
Herr Staatssekretär, bitte!
Herr Kollege, Dienstwohnungen — nach Maßgabe der Dienstwohnungsvorschriften — werden Angehörigen der Bundeswehr nur im Ausland zugewiesen, Im Inland werden Wohnungen für die Bundeswehr grundsätzlich durch die Gewährung von Baudarlehen an private Bauträger gegen Einräumung eines Wohnungsbesetzungsrechts des Bundes beschafft. Das sind die sogenannten Bundesdarlehenswohnungen. In den Marinestandorten Schleswig-Holstein fehlen — bei einem Gesamtprogramm von 9816 Wohnungen —gegenwärtig insgesamt 1640 Wohnungen.
Zusatzfrage?
Wann, glauben Sie, wird dieser Fehlbestand gedeckt werden können?
Das Wohnungsfehl wird durch 1020 Wohnungen erheblich gemindert werden, die gegenwärtig im Bau sind oder auf Grund bereits abgeschlossener Darlehensverträge alsbald in Bau gehen. Darüber hinaus sind Haushaltsmittel für den Bau weiterer Wohnungen bereitgestellt und für die kommenden Jahre auch eingeplant.
Wir kommen dann zur Beantwortung der Frage 75 des Herrn Abgeordneten Barche.
Herr Präsident, ich würde gern die drei Fragen des Herrn Abgeordneten Barche im Zusammenhang beantworten.
Fragen 75, 76, 77:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß im Bereich der Landkreise Peine und Gifhorn unter der wehrpflichtigen Arbeitnehmerjugend eine beträchtliche Verärgerung darüber besteht, daß die wehrpflichtigen Söhne von selbständigen Landwirten und Handwerksmeistern, die im elterlichen Betrieb tätig sind, in geradezu großzügiger Weise von der Ableistung des Wehrdienstes befreit oder zurückgestellt werden?
Ist die Bundesregierung auch der Auffassung, daß Freistellungen Wehrpflichtiger vom Wehrdienst nur dann erfolgen dürfen, wenn durch die Einziehung des Wehrpflichtigen eine akute Gefährdung der Familienexistenz besteht, und daß dieser Grund für alle Wehrpflichtigen gilt, gleichgültig ob sie als Arbeitnehmer oder im elterlichen Betriebe tätig sind?
Ist die Bundesregierung bereit, bei den zu Frage 76 zuständigen Kreiswehrersatzämtern Aufstellungen anzufordern über die erfolgten Freistellungen bzw. Zurückstellungen und aus welchem Grunde sie genehmigt sind?
Bitte sehr!
Nach § 12 Abs. 4 des Wehrpflichtgesetzes ist die Zurückstellung vom Wehrdienst nicht nur bei einer akuten Gefährdung der Familienexistenz möglich, sondern soll allgemein dann erfolgen, wenn die Heranziehung zum Wehrdienst für den Wehrpflichtigen aus persönlichen, insbesondere häuslichen, wirtschaftlichen oder beruflichen Gründen eine besondere Härte bedeuten würde. Diese Regelung gilt selbstverständlich für alle Wehrpflichtigen.Die Frage, ob ein Wehrpflichtiger wegen Unentbehrlichkeit .im eigenen oder elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb oder Gewerbebetrieb nicht zum Wehrdienst heranzuziehen ist, wird von den Wehrersatzbehörden — wie bei Zurückstellung aus sonstigen Gründen — im Einzelfall in Zusammenarbeit mit den sachverständigen Stellen geprüft. Ich erinnere hier an die Industrie- und Handelskammern, an die Landwirtschaftsbehörden usw. Hierbei kann wegen der bekannten schwierigen Personallage vor allem in der Landwirtschaft und in den Handwerksbetrieben in der Regel nicht auf die Möglichkeit eines Ersatzes durch Hilfskräfte verwiesen werden, weil erfahrungsgemäß Ersatzkräfte kaum zu gewinnen sind oder aber die Kosten hierfür nicht tragbar sind. Inhaber oder Angehörige solcher Betriebe sind daher oft unentbehrlich und deshalb auf Antrag vom Wehrdienst zurückzustellen.Diese Sachlage hat zwangsläufig dazu geführt, daß Wehrpflichtige aus landwirtschaftlichen und handwerklichen Betrieben im Vergleich zu den übrigen Wehrpflichtigen in geringerer Zahl einberufen werden. Darin sehe ich aber keine ungerechtfertigte Bevorzugung dieser Personenkreise. Eine besondere Verärgerung unter den wehrpflichtigen Arbeitnehmern in den Landkreisen Peine und Gifhorn ist der Bundesregierung bislang nicht bekanntgeworden.Im übrigen, Herr Kollege, bin ich aber gerne bereit, bei den für die Landkreise Peine und Gifhorn zuständigen Kreiswehrersatzämtern Aufstellungen anzufordern, die über die bisherigen Zurückstellungen vom Wehrdienst und die hierfür maßgeblichen Gründe Aufschluß geben. Ich wäre jedoch dankbar, wenn diese Aufstellungen auf die beiden letzten Jahre beschränkt werden könnten, um eine über-
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10074 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968
Parlamentarischer Staatssekretär Adornomäßige Belastung der Kreiswehrersatzämter zu vermeiden.
Zusatzfrage, Herr Kollege Barche.
Herr Staatssekretär, darf ich damit rechnen, daß ich Nachricht erhalte, wenn die Aufstellung Ihrem Hause vorliegt?
Sie können damit rechnen, sobald die Untersuchung abgeschlossen ist.
Wir kommen dann zur Beantwortung der Frage 32 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um den Absichten, wie sie bei der Frankfurter SDS-Delegiertenkonferenz und von maßgeblichen Sprechern des SDS in der Öffentlichkeit geäußert worden sind, entgegenzuwirken, daß durch provokatorische Maßnahmen in einzelnen Einheiten der Bundeswehr eine „Revolte" organisiert werden soll?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, die Bundesregierung wird erforderlichenfalls den vom SDS gegenüber der Bundeswehr angedrohten Maßnahmen begegnen. Soweit Vertreter der SDS-Ideologie in die Bundeswehr als Soldaten eingeschleust werden und dort, wie angekündigt, agitieren sollten, sind das Soldatengesetz, die Wehrdisziplinarordnung und das Wehrstrafgesetz die geeigneten Handhaben, den Zersetzungsabsichten des SDS wirkungsvoll entgegenzutreten. Gegen Angehörige und Anhänger des SDS, die nicht Soldaten sind und strafbare Handlungen gegen die Bundeswehr begehen oder beabsichtigen, werden die vom Gesetz zur Anwendung des unmittelbaren Zwanges gegebenen Möglichkeiten in vollem Umfange angewendet. Dabei wird sich die Bundeswehr nicht provozieren lassen. Es wird sich aber auch keine Einheit der Bundeswehr daran hindern lassen, ihren Auftrag auszuführen. Außerhalb des militärischen Bereiches ist es im wesentlichen Aufgabe der Polizei, präventiv und gegebenenfalls repressiv tätig zu werden.
Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung weiter Teile unserer Bevölkerung, daß es grotesk ist, wenn wenige Tage nach den Ereignissen in der Tschechoslowakei das Instrument unserer eigenen Sicherheit durch eine innere Revolte zerstört werden soll?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat mit großem Interesse und auch mit Sorge dies alles verfolgt und zur Kenntnis genommen. Grundsätzlich möchte ich dazu bemerken, daß die Frage nach geeigneten Abwehrmaßnahmen nicht nur von Bundesregierung und Parlament, sondern auch von der Gesellschaft insgesamt, darunter vor allem auch den politischen Parteien, beantwortet werden muß. Dies gilt erst recht in einem Augenblick, da unsere Bevölkerung, mindestens ein großer Teil davon, mit großer Aufmerksamkeit diese Vorgänge verfolgt und ein besonderes Interesse daran hat, daß die innere Geschlossenheit und die Einsatzbereitschaft unserer Bundeswehr gewährleistet sind.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, bei verschiedenen Äußerungen führender Personen des SDS ist gesagt worden, es sei ein besonders günstiger Ansatzpunkt für innere Auseinandersetzungen der Bundeswehr, daß es auf der einen Seite eine nationalistische Offizierskaste und auf der anderen Seite eine breite Masse unterdrückter Mannschaftsdienstgrade gebe. Ich frage, wie die Bundesregierung diese „Analyse" des SDS über die Situation der Bundeswehr beurteilt.
Herr Kollege, wer sich in der Beurteilung der inneren Situation unserer Bundeswehr so offensichtlich irrt, wie das die von Ihnen soeben zitierte Beurteilung zeigt, dem können für das Gelingen seiner eventuellen Absichten keine Chancen in Aussicht gestellt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Moersch.
Herr Staatssekretär, deutet die Übernahme der repressiven Terminologie des SDS in einer Antwort der Bundesregierung bereits auf ein Anzeichen der Einflußnahme auf die Bundesregierung durch den SDS?
Ich möchte diese meine Feststellung nicht so interpretiert wissen, wie Sie es soeben getan haben.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesverteidigungsministers erledigt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zunächst Frage 78 des Abgeordneten Dr. Apel:
Wann ist mit der Entscheidung der Bundesanstalt für Flugsicherung über die Einrichtung einer zweiten Instrumental-Landeanlage für den Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel zu rechnen?
Das Wort zur Beantwortung hat Herr Staatssekretär Börner.
Herr Kollege, die Ent-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968 10075
Parlamentarischer Staatssekretär Börnerscheidung über die Einrichtung einer zweiten Instrumentenlandeanlage für den Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel setzt die Zustimmung der Behörde für Wirtschaft und Verkehr sowie die der Flughafengesellschaft voraus. Die Verhandlungen über den Standort sind noch im Gange. Ein Zeitpunkt für die Entscheidung kann daher zur Zeit nicht genannt werden.Die Errichtung einer zweiten Instrumentenlandeanlage für den Flughafen Hamburg ist nach der langfristigen Planung der Bundesanstalt für Flugsicherung für das Jahr 1972 vorgesehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Apel.
Herr Staatssekretär, heißt das, daß es in Hamburg und auf dem Flughafen Fuhlsbüttel Schwierigkeiten gibt, um eine beschleunigte Beschlußfassung über die zweite ILS-Anlage vorzunehmen?
Ich möchte nicht sagen Schwierigkeiten, sondern die Verhandlungen über vielfältige Gesichtspunkte, die bei der Einrichtung einer solchen Sache zu berücksichtigen sind, sind noch nicht abgeschlossen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Rawe.
Herr Staatssekretär, es ist sicherlich sehr gut, wenn Sie die bestehenden Flughäfen mit weiteren Instrumentenlandeeinrichtungen versehen. Darf ich mir erlauben, zu fragen, welche Pläne in Ihrem Hause in Zukunft in Angriff genommen werden, um auch die Regionalflughäfen, die jetzt schon gebaut werden oder sich in der Planung befinden, in die Flugsicherung einzubeziehen.
Herr Kollege, das ist eine Grundsatzfrage; denn die Bundesregierung hat sich im Verkehrspolitischen Programm, wie Sie wissen, auf die Ausstattung und den Bau bestimmter Großflughäfen in der Bundesrepublik Deutschland konzentriert. Im Zusammenhang mit der Ausweitung des Regionalluftverkehrs muß auch berücksichtigt werden, daß andere Verkehrsträger durch diese Lustverkehrsbemühungen unter Umständen mit in einen Wettbewerb kommen, der volkswirtschaftlich gesehen bestimmte Probleme stellt, die das Hohe Haus bei seiner langfristigen Finanzplanung bei den Haushaltsplänen mitberücksichtigen muß. Ich meine hier den Wettbewerb zwischen den Schnellverkehren der Deutschen Bundesbahn und der defizitären Lage des Regionalluftverkehrs und auch des innerdeutschen Luftverkehrs. Wenn Sie z. B. das Jahresergebnis der Deutschen Lufthansa ansehen, so wird Ihnen deutlich, daß es nicht unbedenklich ist, den innerdeutschen Flugverkehr weiter auszudehnen, weil hier eine Vergrößerung des Defizits entsteht.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Kollege Rawe.
Herr Staatssekretär, ich sehe ein, daß die Frage von erheblicher finanzieller Bedeutung ist. Aber könnte es sein, daß sich durch die Studienkommission, die Ihr Haus vor einiger Zeit nach Amerika entsandt hat, inzwischen vielleicht andere Überlegungen ergeben haben? Und sind Sie gegebenenfalls bereit, uns den Bericht, den diese Kommission erstellt hat, zur Verfügung zu stellen?
Ich bin selbstverständlich bereit, Ihnen den Bericht zur Verfügung zu stellen. Aber ich muß darauf hinweisen, daß es hier um sehr langfristige gesamtverkehrspolitische Überlegungen geht und daß man nicht sofort hier in der Frage des Regionalluftverkehrs aus den Interessen irgendeines Raumes oder irgendeines Bundeslandes eine Überprüfung unseres Standpunktes schlußfolgern könnte.
Mir ging es auch nur um die generelle Frage.
Ich rufe dann Frage 79 des Abgeordneten Dr. Apel auf:
Ist die in der Fragestunde vom 17. Mai 1968 dem Abgeordneten Dr. Meinecke erteilte mündliche Zusicherung, der Bundesanstalt die Lärmbelästigung der Bevölkerung als Mitentscheidungsfaktor stärker als bisher zu empfehlen, erfolgt, und welche Reaktion ist hierauf erfolgt?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage mit Ja. Die Bundesanstalt für Flugsicherung ist angewiesen worden, die Lärmbelästigung der Bevölkerung bei den Verhandlungen mit den örtlichen Hamburger Stellen, soweit möglich, zu berücksichtigen. Als Ausdruck der Bemühungen der Bundesanstalt für Flugsicherung um die Minderung der Fluglärmbelästigung am Flughafen Hamburg werden zur Zeit zwischen 22 Uhr und 6 Uhr (morgens) 54 % Landungen von Norden und 88 % aller Start nach Norden durchgeführt.
Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Dr. Apel.
Herr Staatssekretär, haben Sie schon eine Vorstellung, auf welche Bahn eventuell die zweite ILS-Anlage kommen würde?
Nein. Das möchte ich vor Abschluß der Gespräche, die zwischen der Bundesanstalt und den Hamburger Stellen geführt werden, nicht präjudizieren.
Ich rufe die Frage 80 des Abgeordneten Dr. Meinicke auf:Sind weitere Schritte und Verhandlungen seitens der Bundesanstalt für Flugsicherung unternommen worden, um in der Frage
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10076 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968
Vizepräsident Scheelder Placierung dieser Anlage ein Einverständnis mit den Hamburger Behörden, den kommunalen Parlamenten sowie mit der Flughafenverwaltung zu erreichen?Bitte!
Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage ebenfalls mit Ja. Am 11. Juni 1968 hat bei der Behörde für Wirtschaft und Verkehr eine • Besprechung stattgefunden, bei der von der Bundesanstalt für Flugsicherung die für die Placierung der zweiten Instrumental-Landeanlage zu berücksichtigenden zahlreichen Faktoren dargelegt wurden. An dieser Besprechung haben Vertreter der Flughafengesellschaft, der betroffenen Bezirksvertretungen der Hansestadt Hamburg, der Notgemeinschaft der Flughafenanlieger und ein Sachverständiger für akustische Fragen teilgenommen. Die Verhandlungen werden fortgesetzt, bis ein Einverständnis erzielt ist.
Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Dr. Meinicke.
Herr Staatssekretär, ich bin etwas überrascht durch die Ankündigung, daß das Gerät erst im Jahre 1972 installiert werden soll. Meine Frage geht dahin, ob in Anbetracht der großen politischen Unruhe der betroffenen Bevölkerung über die Lärmbelästigung nicht die Bundesregierung bereit sein sollte, Erwägungen darüber anzustellen, ob im Rahmen dieser Finanzplanung die Installierung dieses Geräts nicht vorgezogen werden könnte.
Herr Kollege, ich habe vorher ja angedeutet, daß das ein sehr langfristiges Programm ist. Es ist nicht nur eine Frage der Bereitstellung von Mitteln, sondern auch eine Frage z. B. von Lieferzeiten in der entsprechenden elektronischen Industrie. Aber ich will dieser Frage gern nachgehen. Nur muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß das Hohe Haus in der mittelfristigen Finanzplanung diesen Titeln nun auch eine gewisse Größe gegeben hat, die nicht willkürlich verändert werden kann. Ihr Vorschlag, konsequent zu Ende gedacht, würde bedeuten, daß wir an anderer Stelle, wo vielleicht der gleiche dringliche Bedarf vorliegt, einsparen müßten.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Dr. Meinecke.
Herr Staatssekretär, Sie haben bereits angedeutet, daß gemeinsame Gespräche aller Beteiligten stattgefunden haben. Aber ich nehme an: doch nicht immer wirklich a 11 e r Beteiligten. Meine Frage ist nun, ob Sie es nicht vor der endgültigen Entscheidung über den Ort der Einrichtung dieser Anlage für hilfreich halten, wenn die Politiker in Hamburg anregten, daß Argumente und Gegenargumente in einem Round-table-Gespräch aller Beteiligten noch einmal gegeneinander abgewogen werden und die Betroffenen sich dann auch
wirklich den besseren Argumenten beugen müßten.
Herr Kollege, ich glaube, es gibt hinsichtlich der Interpretation, wer alles beteiligt ist, zwischen uns ein Mißverständnis. Ich habe Ihnen ja vorgelesen, wer alles an der letzten Besprechung teilgenommen hat. Nach meinem Eindruck sind das alle politische Repräsentanten, die da in engerem Sinne beteiligt sind, und die Gemeinschaft der Flughafenanlieger bzw. derer, die sich durch die heutige Situation beschwert fühlen. Wenn Sie mir Anregungen geben können, diesen Kreis darüber hinaus noch zu erweitern, will ich ihnen. gern nachgehen.
Nur muß ich Sie auf eines hinweisen: wie immer wir auch entscheiden, es bleibt natürlich ein Rest von Unbehagen. Die grundsätzliche Situation ist ja die, daß ein Großflughafen neben Wohngebieten immer ein Störungsfaktor sein wird. Das ist aber eine Frage der Raumordnung, die im Grunde erst nach Inbetriebnahme des vorgesehenen Großflughafens Hamburg-Kaltenkirchen befriedigend gelöst werden kann.
Herr Kollege Dr. Apel!
Herr Staatssekretär, Sie sprachen eben über die mittelfristige Finanzplanung. Sehen Sie eine Möglichkeit, die Installierung der zweiten ILS-Anlage auf dem Hamburger Flugplatz vorzuziehen, wenn die Hansestadt Hamburg in der Lage wäre, quasi finanziell vorzuleisten?
Herr Kollege, ich nehme das Argument gerne als Merkposten in die Haushaltsberatungen des Hohen Hauses in den nächsten Monaten auf. Ich möchte aber heute, wie Sie verstehen werden, dazu keine Zusage geben, weil das natürlich auch die Kompetenzen unseres Ressorts überschreitet.
Ich rufe die Fragen 81 und 82 des Abgeordneten Hirsch auf.
Der Abgeordnete Hirsch ist nicht im Saal.
Die Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 83 des Abgeordneten Franke auf:
Warum hat der Bundesverkehrsminister seine Entscheidung vom 29. November 1967 und Bestätigung vom 22. April 1968, das Autobahnkreuz HansaLinie / Europa-Straße 8 „Autobahnkreuz Osnabrück" zu nennen, geändert?
Bitte schön, Herr Kollege Börner!
Herr Kollege, das „Autobahnkreuz Lotte/Osnabrück" liegt zwischen den Orten Osnabrück und Lotte, fast ausschließlich auf nordrhein-westfälischem Gebiet, aber auch unmittelbar an der Grenze mit dem Land Nieder-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968 10077
Parlamentarischer Staatssekretär Börnersachsen. Gegen die ursprünglich vorgesehene Bezeichnung sind von verschiedenen Seiten neue Gesichtspunkte vorgetragen worden, die die Berücksichtigung der Interessen beider Länder bei der Namensgebung rechtfertigen.Unter Abwägung des Für und Wider aller vorgetragenen Gesichtspunkte hat der Bundesminister für Verkehr die Entscheidung vom 29. November 1967 überprüft und die Bezeichnung des Autobahnknotens mit „Autobahnkreuz Lotte/Osnabrück" neu festgelegt. Mit dieser Namensgebung wird sowohl den Anforderungen des Verkehrs als auch den Interessen der an den Knotenpunkt angrenzenden Länder und Gemeinden am besten entsprochen.Ich darf in diesem Zusammenhang ferner auf den Brief verweisen, den Ihnen mein Kollege Herr Staatssekretär Wittrock am 5. September 1968 in dieser Angelegenheit geschrieben hat und in dem Ihnen alle Erwägungen mitgeteilt worden sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Franke.
Herr Staatssekretär, sind Sie nach dieser Maßnahme bereit, auch alle anderen Autobahnkreuze, die so eng an andere Länder grenzen, nach diesen neuen Gesichtspunkten umzubenennen, z. B. das Autobahnkreuz Bremen, das nur auf niedersächsischem Gebiet liegt, in „Autobahnkreuz Oyten/Bremen"? Ich halte es übrigens für richtig, daß Sie Bremen sagen und nicht Oyten.
Herr Kollege, der Bundesminister für Verkehr ist bei der Namensgebung für solche Knotenpunkte oder Abfahrten immer in der Gefahr, den einen Ort zu bevorzugen und den anderen zu benachteiligen. Nachdem diese Frage in den letzten Monaten in diesem Gebiet nicht ohne Emotionen diskutiert wurde, habe ich nun den Eindruck, daß die jetzt gefundene Lösung den Anspruch erheben kann, eine sogenannte „salomonische Lösung" zu sein. Ich meine allerdings, daß das nicht unbedingt ein Präzedenzfall für andere Stellen der Bundesrepublik mit anderen Verhältnissen sein muß.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Franke.
Herr Staatssekretär, stimmt es, daß alle beteiligten Stellen, auch das Land Nordrhein-Westfalen, der damaligen Benennung in „Autobahnkreuz Osnabrück" zugestimmt haben, und stimmt es, daß immer die großen Orientierungspunkte für die Autobahnabfahrten richtungweisend gewesen sind?
Herr Kollege, ich halte es für problematisch, die Frage so zu stellen, wie Sie sie soeben gestellt haben. Denn es geht nicht um die Zustimmung des Landes Nordrhein-Westfalen, sondern es geht in der Sache darum, daß eine kleiine Gemeinde einen großen Teil ihres Gemeindegebietes durch dieses Autobahnkreuz verloren hat, in ihrer wirtschaftlichen Ausdehnung eventuell sehr eingegrenzt wird und daß zwischen den Interessen dieser Gemeinde und dem verkehrspolitisch durchaus genauso legitimen Interesse der Stadt Osnabrück ein harmonischer Ausgleich gefunden werden mußte.
Ich rufe die Frage 84 des Abgeordneten Freiherr von Gemmingen auf:
Wann ist mit dem Ausbau der Bundesfernstraße 3 südlich Heidelberg, möglichst von der „Schnellstraße L 600 a" bis etwa Ettlingen/Baden, zu rechnen?
Die Frage wird von Herrn Abgeordneten Ramms übernommen. Herr Staatssekretär, bitte!
Herr Kollege, die Planung für den Neubau der Bundesstraße 3 südlich Heidelberg, und zwar im Bereich der Gemeinden Leimen, Nußloch und Wiesloch, konnte vor kurzem abgeschlossen werden. Nach Durchführung des erforderlichen Planfeststellungsverfahrens sollen die eigentlichen Bauarbeiten auf der Verlegungsstrecke Leimen—Nußloch im kommenden Jahr aufgenommen werden.
Zusatzfragen? — Keine mehr.
Frage 85 des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen:
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, daß Straßenbauverwaltung und Deutsche Bundesbahn beim Neubau der Eisenbahnbrücke über die Bundesstraße 43, westlich Bischofsheim, gemeinsam einen Weg finden, den abgängigen Brückenpfeiler, der keinerlei Stützfunktion mehr ausübt, abzutragen?
Bitte sehr, Herr Kollege Börner!
Herr Kollege, die Bundesregierung sieht es als Aufgabe der Deutschen Bundesbahn an, den Brückenpfeiler, der durch die Erneuerung der Eisenbahnbrücke über die Bundesstraße 43 bei Bischofsheim überflüssig geworden ist, zu beseitigen. Sie wird sich in diesem Sinne mit der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn in Verbindung setzen.
Dann kommen wir zur Beantwortung der Frage 86 des Herrn Abgeordneten Dr. Enders:
Wurden bei der Vergabe von Verkehrs- und Kraftfahrzeugversorgungsbetrieben auf der Autobahn „Rhönlinie" auch Betriebe berücksichtigt, die nach der Eröffnung der neuen Bundesautobahn, an ihren Standorten entlang der B 27, einen beträchtlichen Umsatzrückgang zu verzeichnen haben?
Herr Kollege, von den drei Bewerbern, die Betriebe entlang der Bundesstraße 27 — Tankstellen und Gaststätten — innehaben, sind zwei berücksichtigt worden. Eine Bewerbung ist zurückgezogen worden.
10078 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. ,Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968
Frage 87 des Herrn Kollegen Dr. Enders:
Wurden Bewerber aus dem Zonenrandgebiet bei der Vergabe von Verkehrs- und Kraftfahrzeugversorgungsbetrieben auf der neuen Bundesautobahn „Rhönlinie" berücksichtigt?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, aus dem Zonenrandgebiet sind zehn Bewerber bei diesen Raststätten und Kiosken berücksichtigt worden.
Eine Zusatzfrage zu Frage 87? — Herr Kollege Memmel, bitte sehr!
Herr Staatssekretär, welchen Einfluß hat das Bundesverkehrsministerium auf diese doch rein private Gesellschaft, die sich „Gesellschaft für Nebenbetriebe der Bundesautobahnen" nennt, und wie übt es diesen Einfluß aus?
Der Aufsichtsratsvorsitzende dieser Gesellschaft ist ein Beamter unseres Hauses.
Nach dieser Information für Herrn Kollegen Memmel kommt jetzt die Frage 88, eine Frage des Kollegen Peters:
Wann ist mit dem Baubeginn für die Eiderbrücke bei Tönning zu rechnen?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Börner bitte.
Herr Kollege, mit den ersten Bauarbeiten — dem Bau der Zufahrtsstraßen — zum Bau der Eiderbrücke bei Tönning im Zuge der Bundesstraße 5 soll noch in diesem Herbst begonnen werden. Im nächsten Jahr werden dann die Dämme außendeichs bis zur Brücke hergestellt und der Auftrag für den Brückenbau vergeben, so daß die Bauarbeiten an der Brücke selbst, wie wir hoffen, 1970 beginnen können.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Peters.
Herr Staatssekretär, für wann rechnen Sie mit der Fertigstellung der Brücke einschließlich aller Zufahrtsstraßen?
Herr Kollege, das ist eine Frage, die außerordentlich schwer zu beantworten ist. Wir hoffen — ich möchte das hier unverbindlich sagen —, daß wir im Jahre 1971 das gesamte Vorhaben abschließen können. Das hängt aber, wie Sie wissen, auch von Bodenverhältnissen und von Witterungsverhältnissen ab, so daß ich heute hier keine feste Zusage machen kann. Ich bin aber gern bereit, Ihnen nach Rückfrage bei unserer schleswig-holsteinischen Auftragsverwaltung noch nähere Angaben nachzureichen.
Eine weitere Frage, Herr Kollege Peters.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß inzwischen, nachdem ich die Frage gestellt hatte, der Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, Herr Knudsen, in einer Pressekonferenz die Äußerung getan hat, daß Ende 1971 alle Vorhaben baulich abgeschlossen seien?
Das habe ich ja' soeben in Aussicht gestellt. Nur unterscheide ich mich im Enthusiasmus etwas von Herrn Minister Knudsen, weil ich weiß, daß Bauarbeiten in diesem Gebiet unter Umständen auch durch Witterungsverhältnisse außerordentlich stark beeinträchtigt werden können. Ich meine, das Hohe Haus hat einen Anspruch darauf, hier nicht allzu optimistische Prognosen zu hören, die nachher durch die Wirklichkeit eventuell korrigiert werden. Aus den Erfahrungen mit Bauarbeiten in Schleswig-Holstein, die durch Witterungsverhältnisse beeinflußt wurden, möchte ich mich hier, wie gesagt, nicht auf einen Monat festlegen. Ich möchte Ihnen aber sagen, daß unser Ziel, das Ziel der Straßenbauer des Bundesverkehrsministeriums ist, bis dahin fertig zu werden.
Frage 89 des Herrn Kollegen Peters:Welche schienengleichen Bahnübergänge im Zuge der B 201 werden bis zum Beginn der Olympischen Segelregatten 1972 in Kiel durch den Bau von Über- oder Unterführungen entfernt?Herr Kollege Peters hat sich damit einverstanden erklärt, daß die Frage 89 schriftlich beantwortet wird. Die Antwort des Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom 25. September 1968 lautet:Im Zusammenhang mit der Vorbereitung für den Bau der Bundesautobahn Hamburg—Flensburg wird zur Zeit im Raum Schleswig die Aufhebung des Bahnüberganges im Zuge der B 201 bei Schuby geplant. Mit der Beseitigung dieses Bahnüberganges kann jedoch nicht bis zu den Olympischen Segelregatten im Jahre 1972 gerechnet werden.Die Aufhebung weiterer Bahnübergänge Im Zuge der B 201 wird zur Zeit weder von den Straßenbauverwaltungen des Bundes und des Landes Schleswig-Holstein noch von der Deutschen Bundesbahn geplant. Bei diesen Verwaltungen wird auch kein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Olympischen Segelregatten und der Notwendigkeit der Aufhebung von Bahnübergängen im Zuge der B 201 gesehen.Wir kommen zu den Fragen 90, 91 und 92 des Herrn Abgeordneten Rollmann.Herr Abgeordneter Rollmann ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet.Frage 93 des Herrn Abgeordneten Ramms:Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag des Deutschen Gemeindetages, die Straßenbaulast so zu ordnen, daß jede Gemeinde über Straßen erreicht werden kann, die sie nicht zu bauen und nicht zu unterhalten hat?Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatssekretär Börner!
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968 10079
Herr Kollege, die meisten Gemeinden sind an Bundesfernstraßen, Landes-oder Kreisstraßen angeschlossen, deren Baulastträger Bund, Länder oder Kreise sind. Soweit noch Orte nur über Gemeindeverbindungsstraßen in der Baulast der Gemeinden erreichbar sind, wäre es nach unserer Auffassung Sache der Länder, die Gemeinden durch Aufstufung dieser Straßen in eine höhere Straßengattung nach Landesstraßenrecht von der Baulast zu entbinden oder die Straßenbaulast in den Landesstraßengesetzen neu zu ordnen. Der Bund hat, um seinerseits die Länder zu entlasten, in den Jahren 1957 bis 1966 über 6500 km Landesstraßen zu Bundesstraßen aufgestuft.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Ramms.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, mit den Ländern in dem Sinne zu verhandeln, wie Sie es gerade eben angedeutet haben, daß die Aufstufung der Kreisstraßen zu Landstraßen erfolgt und damit die Baulast auf die Länder übergeht?
Herr Kollege, selbstverständlich kann man ein solches Gespräch anläßlich einer Verkehrsministerkonferenz einmal führen. Ich möchte nur sagen, daß hier verfassungsrechtlich schwierige Fragen berührt werden und daß die Länder nicht gehalten sind, sich an eine solche Anregung des Herrn Bundesverkehrsministers zu halten. Ich weiß auch nicht, ob eine Anregung unsererseits bei verschiedenen Ländern auf große Begeisterung stoßen würde.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege Ramms.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß man ruhig einmal eine ablehnende Antwort hinnehmen kann und damit dennoch einen Anstoß gegeben hat, die Baulast von den Gemeinden wegzunehmen, die heute schon sehr stark verschuldet sind?
Ich stimme ja mit Ihnen überein, Herr Kollege. Ich habe ja darauf hingewiesen, daß es Ziel dieser Aufstufungsaktion von Landes- zu Bundesstraßen war, hier Raum und auch finanzielle Bewegungsmöglichkeit für die Länder zu geben, nun ihrerseits den Gemeinden in ähnlicher Weise zu helfen, wie wir das durch die Aufstufungsaktion zu Bundesstraßen getan haben.
Meine Damen und Herren Kollegen, die Fragestunde ist damit beendet.
Wir kommen jetzt zum Punkt 3 unserer Tagesordnung:
Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung
In demselben Memorandum warnte dieser mutige Mann vor Funktionärsherrschaft, vor der Rückkehr zum Stalinismus, und er lobte ,die Entwicklung in der Tschechoslowokei.Das war im Juni. Dann kam der August. Und nun erleben wir mit einem gefährlichen, spannungsreichen September 'das Ende der 'ersten Runde einer westlichen Entspannungspolitik, die sich plötzlich ohne Gegenüber sieht, die ohne ,Adressaten dasteht, die sich als Monolog empfinden muß.Keiner weiß, ob Sacharow mit seinen Mahnungen an die Öffentlichkeit trat, nur um zu bekennen — das wäre schon etwas — oder etwa auch, um zu warnen; ob dies noch ,der 'letzte Notruf eines früher
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10080 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968
Dr. BarzelWissenden war oder schon der Zuruf an die ganze Welt, daß es auch in Moskau Bekenner der Vernungft geben werde, wenn die mächtigen Bürokraten erneut Verdunkelung für die Vernunft bef oh-len haben würden.
Wie immer das sei, wir wissen es nicht. Aber wir können deshalb sagen, wir sprechen nicht nur im eigenen Namen, wenn wir erklären: Unsere Sympathie gilt dem Volk der Tschechoslowakei und unser Protest denen, die die Selbstbestimmung dieses Volkes gewaltsam unterbanden.Was geschah, war ein politischer Exzess, — einer Weltmacht unwürdig. So offenbarte — ich kann diese boshafte Bemerkung nicht unterdrücken — die Sowjetunion selbst ihre Meinung zu der von einigen Propagandisten, z. B. von den Werbereisenden in Sachen Nonproliferation, verbreiteten Meinung, Nuklearmacht sei eigentlich ein Synonym für Friedfertigkeit, Vernunft und Redlichkeit; so offenbarte sie selbst dieses Gerücht als einen höchst liederlichen Umgang mit den Fakten, meine Damen und Herren,
mit den Fakten, soweit es diese Nuklearmacht betrifft.Was geschah, war noch mehr: es war eine Beleidigung des Zeitgeistes, der Gedankenfreiheit und Gewaltlosigkeit will. Es war eine zynische Verhöhnung des internationalen Rechts, und es war eine Provokation aller Europäer, die zusammenstehen, zusammen leben und nicht gegeneinander gestellt werden wollen.
„Gedanken kann man nicht erschießen", das schrieb „Literarny Listy" zum Abschied. Aber dieser Satz ist in meinem Ohr mehr als ein Abschied. „Gedanken kann man nicht erschießen", — darin klingt ein Stück Hoffnung auf einen neuen Frühling mit.Wir haben deshalb zwei Realitäten als erstes festzuhalten: Einmal die brutale Gewalt in den Händen imperialistischer Reaktionäre und dann den Willen der Völker. Noch war die Gewalt stärker.Diese Okkupation in ein Nachbarland hat die militär-politische Lage verändert — der Herr Bundeskanzler hat das gestern dargetan — und sie hat einige Erkenntnisse verdeutlicht. Außerdem sind wir nach unseren Konsequenzen gefragt. Um es gleich zu sagen: Unsere Konsequenzen sollten mit Bedacht abgewogen und so gezogen werden, daß wir nicht etwa in die offenen Messer der kommunistischen Propaganda laufen.
Aber andererseits haben wir nicht mehr und nicht weniger zu vertreten, als unsere Lebensinteressen verlangen.
Dies ist der Gesichtspunkt, und diese Lebensinteressen müssen wir vertreten gegenüber jedermann— auch gegenüber dem, der sie in Frage stellt —,wir müssen sie vertreten. Denn nicht nur die Teilung der Menschheit — wie Sacharow sagt —, sondern vorzüglich die Teilung einer Nation ist „Irrsinn und Verbrechen", meine Damen und Herren.
Und dessen wollen wir nicht schuldig werden.
Die militärpolitische Lage und damit unsere Sicherheitsbedürfnisse sind verändert, weil einmal die Rote Armee nun auch direkt an der Grenze zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei steht, weil zum anderen, was zuwenig bedacht wird, eine im Gelände eingeprobte vermehrte Kampfkraft — und nicht nur eine erhöhte Zahl von Divisionen, sondern auch eine solche von Flugzeugen — uns gegenübersteht.Die Lage ist schließlich verändert — es tut mir leid, dies sagen zu müssen —, weil offenkundig und offenbar die Moskauer Entscheidungen mit den Methoden und Maßstäben der Interessenanalyse und der Rationalität, wie wir sie im Westen zu vollziehen uns angewöhnt haben, nicht zu berechnen sind. Dieses Unwägbare müssen wir nun einrechnen.Wir müssen auch noch zwei andere Fakten einrechnen. Einmal: die Sowjetunion hat — und das kann man in der Literatur heute schon nachlesen — eine sehr starke militärische Transportkapazität aufgebaut, also ein Potential auch für diplomatischen Druck und politische Intervention. Ich sprach jetzt gar nicht vom Militär; aber der Zusammenhang militärischen Potentials mit politischem Druck und diplomatischen Offensiven ist ja wohl offenkundig.Das andere Faktum ist, daß in der Sowjetunion, wie der Professor John Erickson an der Universität Edingburgh — um einen ganz unverdächtigen Zeugen zu zitieren — nachweist, etwas diskutiert wird, was er die „nichtnukleare Option" nennt. Professor Erickson schreibt:Man macht sich— er meint das alles im Blick auf Moskau —Gedanken über den politischen Nutzen der militärischen Machtmittel, jedoch nicht nur der strategischen nuklearen Machtmittel: Begrenzte konventionelle Kampfhandlungen ohne nukleare Eskalation sind denkbar, konventionelle Streitkräfte sind nicht zuletzt dort nützlich, wo die direkte Anwendung strategischer nuklearer Machtmittel weder glaubwürdig noch vorteilhaft wäre. In einem größeren Rahmen sichert die gleiche strategische Macht, auf die das sowjetische Regime sich in der Hauptsache verläßt, ihm schon an sich eine Handlungsfreiheit, bei der Machtmittel von viel geringerem Ausmaß, jedoch größerer Flexibilität sowohl für militärische als auch für politische Zwecke eingesetzt oder zu Demonstrationen benutzt werden können.So weit dieses professorale Zeugnis.Meine Damen und Herren, es tut mir leid — es ist nicht unser Wille, sondern es ist unsere Pflicht als Verantwortliche, die Lage zu sehen und zu schildern, wie sie ist —: wir können hier kein
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Dr. Barzelheiteres Bild der Lage entwerfen. Die Fakten sprechen ihre eigene, realistische Sprache.
Ich hoffe, daß — bei der Betrachtung der Fakten — hier im Hause keiner vergessen hat, wie eigentlich die letzte Krise um Berlin, die die letzte Debatte hier im Hause ausgelöst hat, vorbereitet wurde. Es begann mit einer propagandistischen Offensive gegen uns alle, sie wurde dann etwas spezialisiert auf die NPD, und dann wurde auf den Zugangswegen von und nach Berlin sortiert nach politischer Gesinnung und 'nach politischer Stellung. So begann das, was dann endete, wie wir alle wissen.
Auch dies ist ein Faktum, das wir einrechnen müssen, wenn wir die Lage richtig beurteilen wollen. —Meine Damen und Herren, halten wir uns bei der Lage nicht so lange auf. Wir haben durch den Einmarsch in die Tschechoslowakei Lehren erhalten. Wir konnten und wir können erkennen, daß die Achtung der Kommunisten vor dem Recht auch untereinander nicht weit entwickelt ist — ich will darauf verzichten, den Art. 8 des Warschauer Paktes noch einmal zu zitieren —.Wir konnten und mußten leider erkennen, daß ein bemerkenswert russischer Imperialismus mit einer kräftigen Ideologisierung der Moskauer Politik Hand in Hand geht. Da kann man streiten, was mehr ist — wir müssen beides sehen und müssen uns auf beides als Möglichkeit einrichten.Wir konnten und können erkennen, daß die Sowjetunion starke eigene militärische Kräfte auch benötigt, um ihren Machtbereich zu sichern; daß sie glaubt, innerhalb dieses nuklear von ihr beherrschten Machtbereichs Gewalt, konventionelle Gewalt als zweckmäßiges und erlaubtes Mittel der Politik anwenden zu können.Wir mußten erkennen, daß Walter Ulbricht nicht nur ein Gewaltregime nach innen repräsentiert, sondern auch nach außen; daß gegenwärtig die Teilung Europas, die mitten durch Deutschland und durch Berlin geht, eine Realität ist, welche nur mit langem Atem und großer Zähigkeit verändert werden kann.Wir konnten erkennen, was alles unserem Wunsch nach Wiedervereinigung entgegensteht, wie hart das ist.Wir konnten und mußten erkennen, daß es für uns nur in der NATO Sicherheit gibt, und alle Europäer mußten sehen, daß es in der Krise allein auf die Weltmächte ankam, daß alle Europäer —einschließlich der europäischen Atommächte — nur Objekt waren.Wir wären unverantwortlich, wenn wir nicht auch dies ganz ungeschminkt erkennen und aussprechen würden. Aus unserer Sicht ergibt sich: Die Aktion der Sowjetunion gegen unser Nachbarland steht sicherlich auch im großen Zusammenhang mit der Moskauer Deutschland-Politik. Sie dient ganz bestimmt auch als ein Mittel der psychologischen und politischen Kriegführung der Sowjetunion gegen dieBundesrepublik Deutschland; ich denke, keiner bestreitet, daß es so etwas gibt. Die Absicht, uns einzuschüchtern, ist leider ebenso unverkennbar wie der Wille, unsere Friedenspolitik als politische Aggression zu diffamieren.Diese veränderte Lage und diese — ob neuen oder alten, ist hier nicht so wichtig -- auf dem Tisch liegenden Erkenntnisse müssen die Konsequenzen bestimmen, die wir zu ziehen haben. Und wir haben Konsequenzen zu ziehen! Wir wenigstens finden es unerträglich uneuropäisch und in unglaublichem Maße inhuman und zynisch, wenn da so die aalglatten Achselzucker kommen und sagen: Na, was ist denn eigentlich passiert? So sei eben die Welt! Meine Damen und Herren, die so denken und sprechen, machen sich mitverantwortlich für Gewaltpolitik.
Nicht nur der berühmte Mantel der Geschichte, von dem in diesem Hause seit zwanzig Jahren oft gesprochen wird, soll die Eigenschaft haben, in einem Leben nur einmal ergreifbar zu sein. Ich glaube, daß auch die Lehren der Geschichte nicht immer wiederkommen und eigentlich mehr für die Verantwortlichen als für geschichtliche Seminare bestimmt sind. Wer heute geschichtliche Lehrstunden verschläft, der darf sich nicht wundern, wenn morgen die Geschichte. ihn unsanft weckt, — um über ihn hinwegzugehen.
An der Okkupation der Tschechoslowakei waren Truppen beteiligt, die auf das Kommando Walter Ulbrichts zu hören gezwungen sind. Wir protestieren gegen diesen Mißbrauch deutscher Menschen und des deutschen Namens.
Das deutsche Volk, auch drüben, will keine Gewaltpolitik. Wir haben drüben keine Abstimmungen und keine freien demoskopischen Erhebungen. Aber wir haben die zuverlässige Nachricht von einer Schulklasse aus dem anderen Teil Deutschlands, in der in einem Aufsatz von 34 Schülern 28 gegen diese Beteiligung Ulbrichts den Mut hatten zu schreiben. Dies sind auch Realitäten in Deutschland, die uns in die Pflicht nehmen, meine Damen und meine Herren.
Nun, welche Konsequenzen scheinen uns, der CDU/CSU, angebracht? — Wir sehen sie in fünf Punkten: in der Verteidigung, in der politischen Solidarität, im freien Europa, in der Ost-Politik und im Nichtverbreitungsvertrag.Erstens zu den Verteidigungsanstrengungen: Meine Damen und Herren, hier in diesem Hause ist sicher keiner, der nicht mit dem Blick auf unsere Sicherheit die fortdauernde und unverminderte Anwesenheit befreundeter Truppen für essentiell und für schlechthin vital hält.
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10082 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968
Dr. BarzelWenn wir dies aber sagen, dann müssen wir hier, glaube ich, noch etwas hinzufügen. Wir wissen, was das für die USA bedeutet. Und wir danken — wir danken erneut und in aller Form von dieser Stelle — diesen Soldaten, ihren Familien hier und drüben und ihrer Regierung, die das möglich machen,
und wir wissen, gegen welche Widerstände und um welchen Preis dieses stetige Engagement geleistet wird. Freilich wissen wir auch, daß es im gemeinsamen Interesse geschieht. Aber wir finden es empörend, unbegründet und beleidigend, wenn immer wieder unverantwortliche und geschwätzige Schwachköpfe gelegentlich die glaubhafte Entschlossenheit dieses Engagements in Zweifel ziehen. Meine Damen und Herren, die Lage Deutschlands und Europas wäre doch fundamental anders, wenn dieses Engagement unehrenhaft, unredlich und unwirksam wäre.
Weil wir dies so sehen, ermuntern wir die Bundesregierung, an die Stelle der jährlichen Auseinandersetzungen um die Lösung der Devisenprobleme eine langfristigere Offset-Abmachung treten zu lassen. Da es sich um die Sicherheit nicht nur des freien Deutschland, sondern um die Sicherheit des freien Europa handelt, sollten andere Europäer, die mit uns den Nutzen haben, auch mit uns die Aufwendungen teilen.Wir sitzen alle in einem Boot. Es kann uns Europäer nicht gleichgültig lassen, wenn in den USA — nicht nur des Wahlkampfs wegen — die Frage diskutiert wird, eine ernste Frage, ob man etwa den inneren Frieden dem äußeren geopfert habe; wenn man dort — nach Nelson Rockefeller — 15 Milliarden Dollar je Jahr dringend notwendig braucht, um die allen bekannten Probleme zu lösen, — Probleme, auf die manche Taktlosen auch noch überheblich hinweisen, meine Damen und Herren. Das geht uns auch an, weil doch eine etwa virulente innere Labilität der westlichen Führungsmacht so oder so auf alle ausstrahlen würde.Wenn ich, meine Damen und Herren — was jetzt kommt, sage ich für mich persönlich —, alljährlich sehe, welche Vorteile wir aus den Rückflüssen eines Teils der Marschallplan-Gelder für unsere Gesellschaft ziehen, wenn ich dabei bedenke, daß in den USA vieles, was wir hier tun, nicht möglich ist,
dann frage ich mich manchmal, ob wohl alle Europäer schon das rechte Bewußtsein der wechselseitigen Solidarität entwickelt und die Konsequenzen daraus gezogen haben!
Meine Damen und Herren, sicher hat das Dollar-Problem viele Ursachen. Die US-Truppen in Deutschland sind nur ein Teilaspekt. Auch sollte hier keiner etwa allein mit dem Blick auf die Handelsbilanzen arbeiten; denn man darf nicht übersehen, daß die Strukturen anders sind. Wir Deutsche müssen, anders als die USA, müssen importieren und exportieren. Das Bruttosozialprodukt der USA ist um das Vielfache größer als das unsere; aber dort beträgt der Anteil von Import und Export am Bruttosozialprodukt rund je 4 %, bei uns rund je 16 %. Dies allein gibt also noch nicht genug her.Alle diese Fragen — ich spreche das alles unter der Überschrift „Sicherheit" an — müssen politisch erörtert und im Gesamtzusammenhang im Bündnis besprochen und gelöst werden. Die Frage, ob wir unsere Verteidigungsanstrengungen im engeren Sinne steigern müssen, ist eine Frage an die Bündnispartner, ist natürlich auch eine Frage — so wie der Kanzler sie gestern gestellt hat — an die Sowjetunion. Das Problem ist da; nicht wir haben es erfunden, die Sowjetunion hat es auf den NATO-Tisch gelegt. Wenn alle Bündnispartner gesteigerte Anstrengungen für nötig halten, werden wir, die CDU/CSU, uns nicht versagen. Aber das genügt nicht. Da wir am meisten gefährdet sind, wird es unsere Pflicht sein — und ich bin froh, das aus den Worten des Kanzlers von gestern entnehmen zu können —, dafür zu sorgen, daß die jüngsten Erfahrungen und die nötigen Konsequenzen nicht etwa im Bündnisalltag untergehen.Mir scheint, daß hier zunächst nicht ein Quantitätsproblem zu lösen ist, sondern ein Qualitätsproblem. Auch hier gilt es noch einmal zu sagen, daß Haushaltszahlen und Truppenstärken allein noch nichts sagen. Die Effizienz, die Wirksamkeit der Anstrengungen, — das ist der Gesichtspunkt, auf den es hier vor allem anderen ankommt. Wir müssen in diesem Haus sehen, daß auf unserem Tisch schon wehrpolitische Fragen lagen, die dringend der Beantwortung bedurften, bevor die jüngsten Ereignisse eintraten. Wir hatten hier Bundeswehrprobleme, und vielleicht sollten wir sie schleunigst lösen. Ich nenne die Wehrgerechtigkeit, die vierte Laufbahn, die Schwerpunktbildung, die Unteroffiziere, die Personalplanung, die neuen Beschaffungen und so fort.Meine Damen und Herren, nicht weil wir es so wollen, sondern weil die Sowjetunion erneut eine feindselige Haltung bestätigt hat, müssen wir hier militärische und politische Vorsorge treffen. Dabei dürfen wir uns nicht von der mutmaßlichen oder vermeintlichen Absicht leiten lassen — wie man da irren kann, hat man mit unterschiedlichen Graden wohl erfahren —, sondern wir müssen uns allein von dem vorhandenen Potential der Sowjetunion leiten lassen. Dies muß der Maßstab der eigenen Anstrengungen und der des Bündnisses sein.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat gestern mit unserer Zustimmung — ich brauche es deshalb nicht zu wiederholen — der Bundeswehr gedankt, die unser aller Freiheit und Sicherheit dient. Ohne sie gäbe es hier keine Sicherheit, und deshalb fügen wir nur noch eines hinzu: Sollten wirklich ein paar heißspornige Wirrköpfe versuchen, einen Angriff in die Bundeswehr und gegen sie zu tragen, dann muß dies im Interesse dieser Menschen, im Interesse der Familien und im
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Dr. BarzelInteresse von uns, die wir diese Wehrpflicht zu verantworten haben, den entschiedenen Widerstand von uns allen finden. —
Die zweite Konsequenz betrifft das, was wir politische Solidarität nennen. Meine Damen und Herren, sowohl das bisherige Schicksal des Nichtverbreitungsvertrages wie auch der Ausfall des Gesprächs zwischen Präsident Johnson und Ministerpräsident Kossygin machen doch offenkundig, daß uns diese Frage gestellt ist, die Frage: Welchen Rang hat das Bündnis, das wichtig ist und bleibt, und welchen Rang hat der weltpolitische Kooperationsdialog der Weltmächte, der gleichfalls wichtig ist und bleibt? So unverständlich dieses Zugleich immer noch manchem erscheint: Beides ist — wie die Dinge im Nuklear-Zeitalter liegen — für den Frieden unerläßlich. Also muß es eine Abstimmung der Partner des Bündnisses für beide Bereiche geben! Dieses Zugleich funktioniert nur, wenn man im Bündnis den Dialog und beim Dialog das Bündnis nicht vergißt!Sollte sich aus den Erörterungen im Bündnis als eine Konsequenz vermehrte, auch militärisch vermehrte, Arbeitsteilung ergeben, so muß dem eine vermehrte politische Zusammenarbeit entsprechen, mit sichtbarerer politischer Solidarität, und ich finde eigentlich, hier ist eine gute Stelle, wo wir dem Lebensgefühl mancher Menschen unserer Zeit Ausdruck geben können, wenn wir in diesem Zusammenhang das Wort „Mehr Mitbestimmung" laut rufen, meine Damen und Herren.Politische Solidarität allein an der Kasse — das genügt nicht. Wir üben sie schon reichlich. Und ich habe manchmal den Eindruck, daß die Bankpräsidenten der freien Länder ein entwickelteres Gefühl für die notwendige Solidarität miteinander und untereinander haben als manche Politiker.
Und dabei, meine Damen und Herren, sind doch Währungsprobleme meistens Ausfluß von Handlungen der Politiker. Warum sprechen nicht die Politiker mindestens so häufig und so gründlich miteinander wie die, die am Schluß manchmal währungspolitisch operieren müssen.
Unsere Geschicke sind gemeinsam. Das Wort von dem einen Boot mag keiner hören, aber es ist die Tatsache. Und deshalb ist unsere Verantwortung für den Weltfrieden gemeinsam. Deshalb muß die Politik wechselseitig erörtert, konsultiert werden, und sie muß sich natürlich nicht so völlig konform, aber schon in einer gemeinsamen Richtung bewegen. Und einer muß vom anderen wissen. Und da die Welt eine Einheit geworden ist, muß der eine vom anderen wissen, nicht nur, wenn wir von Berlin sprechen und dort einen Wunsch haben, sondern auch, wenn andere an anderen Stellen der Welt einen Wunsch haben oder etwas zu unternehmen gedenken.Meine Damen und Herren, wenn wir — und ich hoffe, wir alle wollen dies — eine zweite Runde westlicher Entspannungspolitik herbeiführen wollen, wenn wir wollen, daß drüben ein Adressat entsteht, ein Gegenüber, daß der Monolg zum Dialog wird, dann, glaube ich, sollten wie hier erst einmal die Zeit nutzen, um im Westen die Position wieder etwas fester zu fügen.Wir haben nun als Deutsche unter dem Gesichtspunkt politischer Solidarität noch etwas Besonderes, und auch dies nicht etwa, weil wir gern besonderes sein wollen, o nein, sondern weil die Sowjetunion das so bewirkt und wir ein gespaltenes Land sind. Und das ist nun sehr ernst. Die Moskauer Angriffe gegen das freie Deutschland sind ja nicht nur, wie manche zu meinen scheinen, ein aktuelles Ablenkungsmanöver der Propaganda, sondern sie sind Teil einer Politik, 'die seit langer Zeit erkennbar ist, einer Politik, die Bundesrepublik Deutschland zu diskreditieren und zu isolieren, auf ihre politischen Entscheidungen Einfluß zu gewinnen, sich eine Einwirkungsmöglichkeit offenzuhalten und so eine politische Position aufzubauen, in welcher das freie Deutschland zu Zugeständnissen an die sowjetrussische Politik gefügig wird.Während die Botschafter der Sowjetunion nach der Okkupation der Tschechoslowakei — der Kanzler hat gestern sorgfältig darüber berichtet — in anderen westlichen Hauptstädten im wesentlichen zu beruhigen versuchten, mußten wir Drohungen anhören. Dabei scheinen die Verantwortlichen in Moskau zu übersehen, daß sie Positionen einer deutschen Politik kritisieren und bekämpfen, welche rechtlich und tatsächlich von den USA, Frankreich, Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland gemeinsam garantiert und verantwortet werden. Die Stellung des freien Berlin, die Nichtanerkennung der „DDR", die Regelung der Grenzfragen erst durch einen Friedensvertrag und der deutsche Verteidigungsbeitrag — dies alles sind doch, zum Beispiel, politische Positionen, für die wir mit unseren Freunden gemeinsan stehen. Wie sollte es auch anders sein, da doch der Deutschlandvertrag es so bestimmt!Aber die Sowjetunion nimmt sich uns heraus, um uns so in die Lage der Zitrone zu bringen, — von anderen losgelöst. Sie hat uns nicht nur in den letzten Monaten immer wieder, sondern auch schon vor den jüngsten Ereignissen auf das Potsdamer Abkommen hingewiesen. Sie hat sich immer wieder— vor diesen Ereignissen — im Zusammenhang mit dem Gewaltverzichtsdialog auf die angebliche Feindstaatenklausel der UNO-Satzung berufen. Sie hat nicht nur in diesem Sommer den Dialog über Gewaltverzicht — was viele schon vergessen haben— brüsk und wider alle Usancen durch Veröffentlichung der Dokumente öffentlich beendet; sie hat nicht nur im Juni eine das Recht verletzende Zuspitzung um Berlin vom Zaune gebrochen; sondern hier, wie wir gestern vom Kanzler gehört haben, während des Dramas durch ihren Botschafter erklären lassen, wir sollten unsere „feindselige Haltung" und alle Versuche aufgeben, die Lage in Europa zu verändern.
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10084 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968
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Dr. BarzelDiese gegen uns gerichtete Politik — und ich spreche jetzt von politischer Solidarität; das Militärische haben wir ja eben abgehandelt —, diese gegen uns gerichtete Politik der Sowjetunion ist schon niedergelegt in der „Karlsbader Erklärung" vom 24. April 1967, einer Erklärung, auf die die Bundesregierung mit Recht — ich erinnere mich an manche Erklärungen des Kanzlers, des Außenministers, des gesamtdeutschen Ministers — seit langer Zeit immer wieder hingewiesen hat. Wir haben in der Bundestagsdebatte vom 14. März 1968 erneut den ganzen Text hier, soweit er uns betrifft, in die Debatte und damit auch in die Protokolle einbezogen. Denn in diesem Dokument werden nicht nur die bekannten politischen Ziele der Kommunisten Europas formuliert, da wird nicht nur — das ist ein Hohn, wenn man sich das heute durchliest — ein Europa der Gewaltlosigkeit und der Nichteinmischung beschrieben, sondern da wird dann, nachdem das gesagt ist, das freie Deutschland davon ausgenommen. Da heißt es dann: Die „Erfahrungen der Geschichte und die entsprechenden internationalen Abkommen nach dem zweiten Weltkrieg" gäben den anderen Völkern das Recht, auf die Entwicklung „in der Bundesrepublik Deutschland einzuwirken".Die Bundesrepublik Deutschland ist also nicht nur aktueller Prügelknabe der kommunistischen Propaganda, um von eigenen Taten und Untaten abzulenken, sondern schon seit langem das Ziel einer berechneten und konsequenten Politik und einer konsequent berechneten Pression. Mit viel Mühe wird nun der rechtswidrige Versuch unternommen, eine politische Interventionsposition aufzubauen. Meine Damen und Herren, in der Abwehr aller politischen Pressionsversuche der Sowjetunion haben, so meinen wir, Regierung und Parlament, Koalition und Opposition, Deutsche und Alliierte eine gemeinsame Verpflichtung.
Die Sowjetunion muß wissen: Auf Druck reagieren wir mit geschlossener Festigkeit, meine Damen und Herren,
und auf Drohung mit Einmütigkeit. Wir wollen niemanden versuchen, etwa sich selbst in die Lage zu bringen, über dem Essen noch mehr Appetit zu bekommen.Natürlich bleiben wir bereit zum Gespräch, das hat der Bundeskanzler gesagt. Das gilt für uns; ich komme darauf gleich. Aber zunächst gilt es doch einanal, eine ganz feste Position aufzubauen, damit sich keiner die Illusion macht, die Pression würde uns hier der Kapitulation in der Politik näherbringen.Meine Damen und Herren, um das auch noch einmal zu sagen, damit es hier völlig klar ist: Natürlich gibt es kein Interventions recht der Sowjetunion gegen uns. Der sowjetrussische Anspruch findet im internationalen Recht keine Stütze. Aber wir wären blind, wenn wir übersähen, daß die Nuklearmacht Sowjetunion einen solchen Anspruch gleichwohl erhebt. Also wären wir unverantwortlich, wenn wir diesem politischen Anspruch nicht politisch begegneten und unsere Sicherheitsvorkehrungen entsprechend gestalteten. Hier sind nicht nur die Deutschen, hier ist das Bündnis angesprochen. Und die Antwort liegt nicht nur in der militärischen, sondern auch in ,der politischen Solidarität. Wir danken denen, die sie uns schon in diesen Wochen so kräftig bekundet haben.
Meine Damen und Herren, mir liegt nun heute gar nichts am Polemisieren, und ich warte ja 'immer noch, wie sich die Opposition endgültig zu unserer Anregung, zu dem Antrag einer gemeinsamen Resolution stellen wird. Ich bin ein bißchen in Schwierigkeiten, mich dazu jetzt endgültig zu äußern. Ich hatte hier so nette Worte laufgeschrieben, Herr Kollege Mischnick. Die kann ich nun leider nicht sagen; denn 'ich habe wirklich den Eindruck, daß Sie offenbar dem Drang nicht widerstehen können, diese Große Koalition fester zusammenzufügen.
Na, wir werden sehen, was sich da noch ergibt, meine Damen und Herren.Dritter Punkt: Europa! Meine Damen und Herren, dieser Deutsche Bundestag — ich sage, dieser Bundestag; ich hoffe, daß ich da keinem zu nahe trete — ist seit langem mit dem Stand der Entwicklung im freien Europa unzufrieden.
Wir sehen — der Herr Bundeskanzler hat diesgestern unmißverständlich hier ausgesprochen; wirsind 'ihm 'dankbar, daß er das so nüchtern dartat —,
daß die Europäer immer noch Objekt der Weltpolitik sind. Wir empfinden in vielen Bereichen einen schmerzhaften Rückstand gegenüber den USA, unserem Partner. Dabei wissen wir, daß unsere Zukunft von der Vereinigung der Europäer abhängt. Machen wir auch hier niemandem etwas vor! Wir müssen die Lage nehmen, wie sie ist. Die Wahrheit im freien Europa heißt eher Stagnation als Fortschritt.
Dabei 'enthalten sich die Europäer selbst den Rang vor, der ihnen an sich weltpolitisch zukommen müßte.
Wir ,als Deutsche dürfen, glaube ich, weil wir so oft wegen anderer Sachen 'geprügelt werden, sagen: diesmal sind die Deutschen nirgendwo die Bremser 'in 'der europäischen Entwicklung.
Wir haben ja häufig über die europäischen Fragen diskutiert. Ich will davon nichts wiederholen und weise auf den einmütigen Beschluß dieses Hauses hin, als wir vor kurzer Zeit hier, ähnlich wie vier andere Parlamente in Europa, die Resolution des Aktionskomitees der Vereinigten Staaten für Europa verabschiedet haben.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968 10085
Dr. BarzelMeine Damen und Herren, sagen wir es noch eine Nuance deutlicher: Wir alle in Europa leben mit der Chance, den größten Markt der Welt zu realisieren und den Zusammenschluß des freien Europas voranzutreiben. Wir leben leider ebenso mit der Realität, daß diese Chance nicht wahrgenommen wird.
Wir vermögen nicht zu verstehen, wie man zugleich vom unabhängigen und größeren Europa sprechen, aber die Schritte dahin nicht mit vollziehen mag.
Das Wort von der Kooperation — ich möchte im Klartext sprechen, also von der „cooperation" —
ist doch rundum gemeint und nicht nur in einer Himmelsrichtung.Es gibt doch Blöcke, mindestens im wirtschaftlichen Sinne, auch im freien Europa. Fangen wir doch da an, wo die Politik der Kooperation und der Blocküberwindung Chancen hat! Die Beitrittswilligen stehen doch zur Kooperation bereit vor der Türe. Fangen wir mit dem an, was jetzt hier möglich ist, meine Damen und Herren!
Wir haben die Politik der europäischen Vereinigung nie als exklusiv, sondern immer als offen begriffen, auch nach dem Osten. Davon ist in der Entschließung, von der ich eben sprach, auch die Rede. Aber ich meine, je offener wir alle für Beitrittswillige sind, desto glaubhafter wird, daß diese europäische Vereinigung nicht gegen andere, sondern für uns selbst, für alle Europäer gemeint ist.Meine Damen und Herren, wir haben Sorgen. Wir haben sie hier sehr offen auf den Tisch gelegt. Die Lage ist verändert, auch für Frankreich verändert. Deutschland und Frankreich sollten zusammen Konsequenzen ziehen, wie es unsere Freunde in Bad Berneck so deutlich gesagt haben. Diese Konsequenzen ziehen kann doch nur heißen: mehr europäische Wirklichkeit.
Wir wollen das alles mit Frankreich zusammen tun. Wir sehen, wie neue Gebiete, die zwingend zur europäischen Zusammenarbeit drängen, Gebiete, die nicht von den Römischen Verträgen voll umfaßt sind, europäische Antworten verlangen. Wir wollen nichts ohne Frankreich. Aber wir müssen fragen: Können wir das auch, meine Damen und Herren?Dieses Europa muß weiterkommen. Und unser deutsch-französischer Vertrag ist als ein Dienst an der Vereinigung Europas konzipiert.
Meine Damen und Herren, ich komme damit zum vierten Punkt, zur Ostpolitik.Ich glaube, es ist in der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers und auch in dem insoweit übereinstimmenden Willen der Fraktionen dieses Hauses deutlich geworden, daß niemand uns durch Druck oder Drohungen hindern wird, unsere Politik nach unseren Einsichten und nach unseren Interessen zu betreiben.Was will unsere Friedenspolitik? Das ist eine Frage, die heute erörtert werden muß, und ich bin froh, daß der Herr Bundeskanzler sie hier auch so deutlich erörtert hat. Denn das ist ein guter Zeitpunkt, zu bekräftigen, was man damit meint. Diese Friedenspolitik wollte und will, gestützt auf unsere Sicherheit, angelehnt an gleich handelnde Freunde — und nur unter diesen Voraussetzungen — eine bessere politische Landschaft für ganz Europa erreichen; Bausteine zu einer neuen Ordnung fügen. Sie will allen Europäern bewußt machen, daß Deutschland nicht die Ursache, sondern das Opfer der Spannung ist, daß folglich allein die Lösung dieser Spannung allen Entspannung bringen kann.Diese Politik wollte und will die gefährliche ,atomare und politische Konfrontation abbauen durch partielle und regionale Kooperation mit dem Ziel einer dauerhaften europäischen Friedensordnung. Wir sagen ja „Friedensordnung" aus gutem Grunde: „Sicherheitssystem" involviert den Status quo. Friedensordnung heißt: Lösung der Spannungsfragen vorher, meine Damen und Herren.Das Bemühen dieser Politik war und 'ist, Felder gemeinsamen Interesses zu finden, zu entkrampfen, zu entspannen, zu entspalten. Diese Politik verzichtet, wie wir sehen, auf Propaganda, und sie wartet auf die Bereitschaft der Angesprochenen, miteinander alle Streitfragen friedlich zu regeln, alle Beziehungen zu normalisieren und pfleglich zu entwickeln, Gewalt als Mittel der Politik in aller Form auszuschließen und für alle Europäer das Zusammenleben an die Stelle des Gegeneinander-Gestellt-Werdens treten zu lassen.Durch ihre Sprache, durch ihr Entgegenkommen, durch viele Fingerzeige, durch menschliche Begegnungen, durch ihre friedliche Beharrlichkeit suchte diese Politik ihre Ernsthaftigkeit wie 'ihren guten Willen immer wieder zu beweisen.So gelang es — und das muß man heute festhalten —, 'daß alle europäischen Völker — das darf man heute sagen — die kommunistische Propagandabehauptung, die Bundesrepublik Deutschland 'sei friedensgefährdend, einfach nicht glauben. Durch den Einmarsch auch von DDR-Truppen in die Tschechoslowakei offenbarte sich zudem weltweit, wer in Deutschland Frieden und Verzicht auf Gewalt repräsentiert und wer das Gegenteil. Ulbricht hat sich dekuvriert als der Störenfried in Mitteleuropa.
Diese Friedenspolitik, 'die manche in Frage stellen wollen, entspricht unserer Meinung, sie ,entspricht der Vernunft, der Verantwortung für den Weltfrieden und unseren Interessen, unserer mühsam erarbeiteten Erkenntnis. Dies ist unsere Wahrheit. Wir können, wenn einen anderen 'diese Wahrheit stört, nicht zu einer Lüge zurückkehren, um vielleicht einer Lüge zu helfen.
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10086 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968
Dr. BarzelSo müßte man uns schon sagen, was daran „feindselig" sein soll, wenn wir anderen die Hand ausstrecken.Unsere Fraktion hat verschiedentlich, z. B. in ,der Bundestagsdebatte vom 14. März 1968, eine Frage aufgeworfen, die nicht und nie gegen die Perspektive 'dieser Politik gerichtet war. Aber es war eine Frage, die an die Methode dieser Politik gerichtet war, nämlich die Frage, ob es zweckmäßig sei, mit gleicher zeitlicher und sachlicher Intensität zugleich sich um Ostberlin, die Länder Ost- und Mitteleuropas und ,die Sowjetunion zu bemühen. Diese Frage muß nun erneut — freilich nicht hier, sondern in interner Beratung—geprüft und beantwortet werden.Wir legen auch Wert darauf, eine andere Frage erneut zu stellen, die wir am 14. März 1968 von dieser Stelle, ich glaube, in einer Antwort auf. Sie, Herr Kollege Eppler, so formuliert hatten: Wir haben damals — ich will dies eben noch in die Debatte einführen — gesagt:Für uns ist es eine prinzipielle Überlegung, immer von West nach Ost auf Gegenleistung zu sehen. Es wird nicht immer möglich sein, die Gegenleistung gleichzeitig und gleichrangig zu erhalten. Es wird auch Situationen geben, in denen man getrost einmal einen Schritt vorangehen kann. Aber prinzipiell und methodisch bleibt die Frage nach der Gegenleistung zu stellen, und das Ziel, sie zu erreichen, bleibt eine Aufgabe für die deutsche Politik.Das wollten wir auch noch einmal festhalten, meine Damen und Herren,
auch deshalb, weil wir inzwischen doch alle um diese Erfahrung reicher sind: Auch die befristete Vorleistung in Sachen Zeitungseinfuhr, die dieses Haus beschlossen hat, ist doch von denen drüben überhaupt nicht akzeptiert worden, obwohl
die Gegenleistung hier erst später ins Gespräch gebracht werden sollte.Meine Damen und Herren, In so einer Stunde, wo man die Lage offen schildert und sagt, wo die Konsequenzen sind, möchten wir auch noch ein Wort zu kritischen Einwänden gegen diese Ostpolitik sagen. Wir halten uns dazu für verpflichtet, weil wir nach dem 21. August ja miteinander mancherlei Erklärungen abgegeben haben, daß diese Politik fortgesetzt werde. Diese Einlassung ist, wenn ich es recht sehe, fünf Einwänden begegnet, zu denen ich ganz kurz etwas sagen möchte.Da ist zunächst der Einwand — das kann ich ganz kurz machen, weil ihn der Bundeskanzler gestern selbst abgehandelt hat —, die Ostpolitik dieser Bundesregierung und dieser Koalition — ich glaube, wenn ich es recht verstehe, ist das eine Politik, die das ganze Haus unterstützt — sei gescheitert.Dieser Vorwurf ist unberechtigt; denn wir haben niemals erklärt oder die Erwartung gefördert, daß diese Politik schnell und bequem zum Ziele führe. Immer haben wir dies als die Politik des langen Atems und der Geduld bezeichnet. Der Kanzler hat es gestern dargetan, und die Bundesregierung hatte sehr wohl recht, wenn sie am 28. August erklärte: Die Vorgänge in Osteuropa haben gezeigt, daß es mehr denn je notwendig ist, rücksichtslose Machtpolitik durch eine dauerhafte Friedensordnung zu ersetzen, die allen europäischen Staaten Sicherheit verbürgt. Denen, die diesen Einwand erheben, stehen wir gern zu einer internen Diskussion — nicht zu einer lauten — über die Frage zur Verfügung, wer eigentlich welche Niederlage erlitten hat.
Andere wenden ein — das ist der zweite Einwand —, nun sei offenkundig nochmals bewiesen, daß es keinen Zweck habe, Verträge mit Kommunisten abzuschließen oder zu erstreben.Hierzu ist zu sagen, daß das an unserer Politik vorbeigeht; denn unsere Politik war doch nie, einen irgendwie wunderwirkenden Vertrag zu erreichen, sondern unsere Politik ist doch gerade, eine reale Lage mit veränderten Interessen, mit partiell gefundenen gemeinsamen Interessen zu füllen, um dann, gestützt auf solche Realitäten, auf solche Garantien in den Realitäten, vielleicht auch etwas Vertragliches darüberzubauen. Hier kann doch ein Vertrag, unter „gelernten Marxisten", nur ein Überbau sein, meine Damen, meine Herren.Dann meinen andere — das ist der dritte Einwand —, wir müßten mehr an unsere Sicherheit denken und sollten nichts von unserer Substanz preisgeben.Meine Damen und Herren, hierzu sage ich nur: Unsere Politik war und ist nicht — das zeigen die Fakten bis zu dieser Stunde —, etwa unter Gefährdung unserer Sicherheit oder zu Lasten der westlichen Verflechtung des freien Deutschlands oder gar um den Preis einer dem Kommunismus angenäherten inneren Ordnung weiterzukommen. Dies war nie unsere Politik, und deshalb geht auch dieser Einwand ganz an uns vorbei. Wir wollen in ganz Europa ein für die Wiedervereinigung förderliches Klima bewirken und eine neue Lage auf beiden Seiten der Trennungslinie Europas erreichen.Schließlich kommt ein vierter Einwand — den muß man vorsichtig abhandeln —, indem uns einige ermuntern, „härter" — wie sie das nennen — aufzutreten.Meine Damen und Herren, ich will hier nicht darüber diskutieren, ob unsere Politik mit den Vokabeln „hart" oder „weich" überhaupt zu fassen ist. Ich will vielmehr die Frage stellen: Ist es vielleicht so, daß für manchen Kommunisten die Politik des „roll back" oder des „containment" leichter zu ertragen war als unsere Friedenspolitik? Dies ist nicht nur eine theoretische Frage. Es kann sehr wohl so sein, daß die Lage so komplex ist, daß dieselbe Handlung von dem einen als „weich" und von dem andern als „hart" empfunden wird. Hier ist deshalb niemandem gedient, wenn der eine meint, um eine Bestätigung mehr, und der andere meint, um eine
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968 10087
Dr. BarzelHoffnung ärmer geworden zu sein. Die angedeutete Komplexität ist kein Feld, das sich rechthaberisch auflösen ließe.Schließlich gibt es — es sind ganz wenige, und sie sind auch nur außerhalb des Hauses — die Patentrezeptler, die sich jetzt auf die Schenkel klopfen und rufen: Wir müssen zurück in den Anfang der 50er Jahre. Wie immer das da war — vielleicht erscheinen sie uns heute, wo wir vergessen haben, wie hart das damals war, als eine Idylle —, die Geschichte erlaubt nicht den Weg zurück in den Anfang der 50er Jahre; denn die Bedingungen, z. B. die Bedingungen des Friedens im Atomzeitalter, sind verändert. Es gibt kein Zurück in Jahre, die endgültig vergangen sind.Wir bleiben deshalb — und wir legen Wert darauf, das so deutlich hier zu sagen, Herr Bundeskanzler — bei der Politik, die an die Stelle der Konfrontation die Kooperation, an die Stelle der Rivalität die Partnerschaft und an die Stelle der Hegemonie die Gleichberechtigung setzt. Mit dieser Politik ist der Zeitgeist, mit dieser Politik ist die Geschichte, — selbst wenn einzelne Kommunisten die Koexistenz nicht aushalten und sich als Reaktionäre des Zeitgeistes erweisen.Ich kann es nicht unterlassen: Es scheint, daß den Propagandisten in Moskau so langsam ihr Arsenal ausgeht. Wie wäre es denn, wenn sie sich einmal aus dem Füllhorn der Wahrheit bedienten? Da wäre doch z. B. das Thema „Militarismus in der ,DDR' " besonders reizvoll.
Oder, meine Damen und Herren, man könnte Herrn Wiesenthal auffordern, über Nazis in Pankow und Antisemitismus dort zu schreiben.
Wir sind doch imstande, über Jahre täglich alle Spalten von „Prawda" und „Iswestija" zu füllen allein mit Beweisen der Verletzung der Menschenrechte drüben.Fünftens und letztens aus den Konsequenzen: Nichtverbreitungsvertrag. Wir sind dankbar, daß der Herr Bundeskanzler auch diesen Punkt in seiner Regierungserklärung angesprochen hat. Ich meine, jeder vernünftige und gerecht denkende Mensch in der Welt wird verstehen, daß wir dieses Thema einfach in unsere Konsequenzen einbeziehen müssen, nicht weil wir so wollen, wir müssen dies tun. Ich habe eingangs eine Frage gestellt: wie es sich verhielte mit dem Synonym zwischen Vernunft und Nuklearmacht, wenn man diese Nuklearmacht betrachtet.Nun etwas anderes: Unsere Lage, die des freien Deutschland, ist einzigartig. Auch die des ganzen Deutschland ist einzigartig. Wir haben in aller Form und bindend verzichtet, atomare, biologische und chemische Waffen — trotz unserer Bedrohung-hier zu erzeugen. Aller Welt haben wir weiter in der Friedensnote erklärt, solche Waffen auch nicht in nationaler Verfügung haben zu wollen. Es entspricht — damit sich kein Mensch irgendwelchenUnterstellungen hingibt — unserem Willen, der CDU/CSU Willen, in den Versuch der gemeinsamen Resolution diesen Punkt aufzunehmen und diese Position zu bekräftigen. Ich hoffe, daß das gemeinsam geschehen wird, weil es der Bundesregierung natürlich international das Leben erleichtert.Aber ebenso einzigartig für alle Welt ist, daß die Sowjetunion gegen den Willen der Deutschen einen Teil unseres Landes nicht nur besetzt, sondern dort ein fremdes gesellschaftliches System aufzwingt. Leider ist es auch einzigartig — wenn wir an andere Partner im Bündnis denken —, daß die Sowjetunion den freien Teil unseres Landes einzuschüchtern, zu verketzern, zu isolieren sucht und Interventionsdrohungen gegen uns erhebt.Wer dies alles gerecht würdigt und die Verantwortung für dieses Land hat, der kann nicht, der muß verstehen, daß wir auch diesen Vertrag im Lichte der jüngsten Erfahrungen kritisch betrachten, zumal auch noch ein anderer Punkt der „Vertragsphilosophie" einen schweren Schlag bekommen hat, — wenigstens soweit ihn die Werbereisenden verbreitet haben, nämlich das Gerücht, daß offenbar alle Gefahr der Welt von den Kleinen käme.Meine Damen und Herren, unsere Haltung in dieser Frage ist seit langem bekannt, und sie ist konsequent. Wir haben diese Problematik nach den Ereignissen vom 21. August erneut sorgfältig erörtert und haben dabei das bestätigt, was von dieser Stelle aus in der letzten außenpolitischen Debatte dieses Hauses — und der Herr Außenminister war so freundlich, darauf konstruktiv zu antworten —, in der Debatte vom 20. Juni 1968, verbindlich für die Bundestagsfraktion der CDU/CSU gesagt worden ist. Wir haben schon damals die Frage nach diesen Interventionspositionen gestellt. Wir haben die Frage gestellt, wie es eigentlich ist mit einer Verzichtleistung gegenüber einer Macht, die uns bedroht. Wir haben die vier Kategorien bekräftigt, die der Herr Außenminister im April vorigen Jahres hier bezogen hat, und darauf hingewiesen, daß vor der Vorlage aller Dinge im amerikanischen Senat überhaupt keine Situation sei, in der man die Meinungsbildung verdichten könne. Ich sage hier — und dies mit allem Bedacht —: Ohne die befriedigende Klärung der genannten Probleme kann eine deutsche Unterschrift unter diesen Vertrag nicht in Erwägung gezogen werden.
Meine Damen und Herren, wir wissen uns dabei nicht nur mit unseren Positionen bisher einig, sondern auch mit einer fundamentalen Position der Bundesregierung, die am 19. Mai 1967 in aller Form der Welt in einer Note folgendes übermittelt hat:Die Regelung der Nichtverbreitung von Kernwaffen sollte die bestehenden internationalen Spannungen vermindern und eine der Voraussetzungen zur Verbesserung der Beziehungen zwischen allen Vertragsstaaten schaffen. Im Anwendungsbereich des Vertrages sollten die beteiligten Staaten -ihr Verhältnis zueinander als entlastet ansehen, in diesem Bereich auf gegenseitige Beschuldigungen verzichten und
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10088 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968
Dr. Barzelsich dem gemeinsamen Ziel der umfassenden allgemeinen und kontrollierten Abrüstung zuwenden.So weit die Not vom Mai 1967.Die Realität nach den jüngsten Ereignissen ist weit davon entfernt, dieser Erwartung und Voraussetzung zu entsprechen. Das Gegenteil ist der Fall.Ich muß hier zu diesem Punkt noch eine neue Problematik hinzufügen, die jetzt im vollen Gewicht jedermann erkennbar ist. Im Juni 1968 haben die USA, Großbritannien und die Sowjetunion allen Nichtkernwaffenstaaten eine Sicherheitsgarantie über die UNO gegeben. Es ist bekannt, daß wir das für uns nie als ausreichend empfunden haben, weil wir unsere geographische Lage kennen und weil wir die Praxis mit dem Veto der Sowjetunion im Weltsicherheitsrat kennen. Der Text dieser Garantieerklärung spricht von „mit der Anwendung von Kernwaffen verbundener Aggression" beziehungsweise von Aggression, „in der Kernwaffen verwendet werden". — Die Okkupation der Tschechoslowakei war die Aggression einer Nuklearmacht, in der Kernwaffen nicht verwendet wurden. Aber — und das ist die Frage — kann man das alles eigentlich trennen? Stand nicht dieses ganze Potential dahinter, als dieser Gewaltakt passierte, meine Damen und Herren?
Dies ist eine Frage, die nun zusätzlich noch zu erörtern ist.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. In den letzten Wochen mußten viele wieder und andere neu erkennen, daß die Lage ernst ist. Da war dann plötzlich in vielen Gesprächen ein Name wieder da: Konrad Adenauer. So möchte ich mit einem Satz dieses unvergeßbaren Mannes schließen, der hier am 9. Oktober 1962 folgendes sagte:Möge auch die Sowjetunion erkennen, daß ihr nicht damit gedient ist, anderen Menschen eine fremde Lebensordnung aufzuzwingen. Sie gewinnt auf diese Weise keine Freunde, sie gewinnt nicht an Ansehen, und sie gewinnt dabei — im Gegensatz zu dem äußeren Anschein — auch nicht an Macht.
Das Wort hat der Kollege Schmidt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als in den Sommerferien diese Debatte ins Auge gefaßt wurde, handelte es sich eigentlich darum, daß wir der Überzeugung waren, die Veröffentlichung des. deutschsowjetischen Notenwechsels über den von uns vorgeschlagenen Nichtangriffsvertrag oder Gewaltverzichtsaustausch mache eine Bewertung und eine Stellungnahme in diesem Hause notwendig. Inzwischen ist eine Lageveränderung eingetreten durch jenen Akt gewaltsamer Völkerrechtsverletzung, der in seiner Kollektivität — fünf Staaten marschieren über Nacht in einen kleinen Staat ein — in der europäischen Geschichte ohne Beispiel ist.Herr Barzel hat soeben zum Schluß, quasi zusammenfassend, einen Satz von Bundeskanzler Adenauer zitiert. Wir haben manches von dem, was Adenauer getan hat, kritisiert. Unter manchem haben wir gelitten. Manches haben wir anerkannt. Dieser Satz, Herr Barzel, kann jeder, muß jeder in diesem Hause unterschreiben.
Ich möchte in einem Satz an die Tage um den 21. August herum erinnern. Wo auch immer damals Deutsche miteinander redeten, redeten sie in Mitgefühl und Sorge über das, was sie täglich, ja stündlich im Rundfunk, in den Zeitungen und im Fernsehen erfuhren. Die Ereignisse in der Tschechoslowakei haben einen Schock ausgelöst.Wir müssen uns hier frei von dem Schock fragen, ob diese Ereignisse .für unsere Außen-, Sicherheits- und Deutschlandpolitik eine neue Lage ergeben haben. Wir müssen dies nüchtern, gelassen, abwägend tun, aber ebensosehr zur Festigkeit entschlossen.Ich habe die Absicht, zunächst rein analysierend einige Feststellungen zu treffen. Auch wenn sich manches mit dem überschneidet, was soeben der Vorredner und gestern die Regierung erklärt haben, sowie mit dem, was die FDP noch zu erklären wünscht, so sollten doch meines Erachtens Wiederholungen in dieser Debatte nicht vermieden werden; denn es ist notwendig, daß die grundlegende Einigkeit und Geschlossenheit dieses Hauses deutlich wird.
Ehe ich mich der Analyse zuwende, komme ich zu einer Vorbemerkung, die ich mit Genugtuung mache. Zur innenpolitischen Bewältigung des 21. August und der folgenden Tage wäre es in jenen Tagen durchaus denkbar gewesen, daß verschiedene Politiker und verschiedene Parteien in der Besorgnis, was die nächste Nacht für Europa und seine Völker bringen würde, je ihre eigene neue Position zu formulieren versucht hätten, z. B. unter dem Schock. Aber das ist nicht geschehen. Opposition und Koalition, Regierung und Parlamentarier, die sich im Auswärtigen Ausschuß, im Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen und in den Fraktionsvorständen mit der Lage befaßten, waren sich einig in der Fortsetzung der Friedenspolitik.Jeder von uns hat gewußt und oft genug gesagt, daß unsere Friedenspolitik einen sehr langen Atem brauche. Die Vorstellung ist uns so geläufig, daß wir gar nicht mehr merken, wie wir dieses Wort geradezu selbstverständlich benutzen. Soeben hat es der Vorredner wieder getan. Wir wollten uns nicht durch Rückschläge beirren lassen. Gestern hat das der Bundeskanzler mit Recht in die allgemeine Erinnerung zurückgerufen.Ich darf in diesem Zusammenhang zustimmend die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" zitieren — ich weiß nicht, ob einer ihrer Journalisten im Augen-
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blick auf der Tribüne sitzt —, in der Alfred Rapp gestern schrieb, daß wir Deutschen gewiß heute in einer schlechteren Lage wären, wenn wir nicht in den letzten Jahren diese eindeutige Friedenspolitik geführt hätten.Wir Sozialdemokraten haben in einer langen Oppositionszeit dieses Mindestmaß an Gemeinsamkeit immer wieder verlangt. Ich darf ausnahmsweise mich selbst zitieren:Einmütigkeit und Geschlossenheit in der entschiedenen Abwehr sowjetischer Drohungen sowie Einverständnis unter den politischen Kräften der Bundesrepublik über die Notwendigkeiten unserer Außenpolitik bedingen sich gegenseitig.Ich sehe im Augenblik nicht, ob Herr Kollege Schulz im Saal ist. — Aha, da ist er. Sie sind derjenige, Herr Schulz, der genau weiß, in welchem Buch das steht; der Satz ist acht Jahre alt. Diese Gemeinsamkeit — und alle Sozialdemokraten haben auf ihre Weise danach verlangt, genauso wie es auf Ihrer Seite und in der Mitte des Hauses solche Stimmen gab — heißt, in den Grundfragen zusammenzustehen. Sie heißt nicht, daß man in allen Einzelheiten zusammenstehen muß. Das -wird ja auch durch den Ablauf der heutigen Debatte wieder klarwerden.Aber es wäre auch fehlerhaft, meine Damen und Herren, dem deutschen Volk zu verschweigen, daß es zwei völlig andere Stimmen gegeben hat, zum einen die NPD,
die am 23. August in ihrem Parteiorgan einen Aufsatz unter dem Titel „Deutsche, Russen und Tschechen" veröffentlichen ließ, einen Aufsatz, in dem man sich der Sowjetführung an den Hals warf und behauptete — ich zitiere —, ein neues Deutschland habe „die Aufgabe, gegebenenfalls Rußland den Rücken zu decken, und zwar wirksamer als heute Ulbricht, Dubcek und Gomulka".
Zugleich wurde dort das völkerrechtliche Prinzip des Selbstbestimmungsrechts für einige der Völker Europas verleugnet. Denn die nationaldemokratische Zeitung verstieg sich bis zu dem überheblichen Anspruch, alle realen Interessengegensätze mit der Sowjetunion dadurch zu beseitigen, daß sich Deutschland und die Sowjetunion auf Kosten der übrigen ost- und mitteleuropäischen Völker miteinander verständigen würden. Dann beruft man sich dabei fälschlicherweise auf Bismarck, während man doch in Wahrheit bloß von den alten machtpolitischen Motiven des Hitler-Stalin-Paktes ausgeht.
Das ist Herrenvolkarroganz, die wenig dazugelernt hat.
Es ist kein Zufall, daß die andere grundsätzlich abweichende Stimme diejenige der KPD war, die von Ostberlin aus sich in liebedienerischer Weise zum Lautsprecher Ulbrichts macht und den gewaltsamen Einmarsch in ein Land des „sozialistischen Lagers" — wie es dort ja heißt — als eine Tat des „proletarischen Internationalismus" feiert. Die Herren in Ostberlin machen es wahrhaftig den wenigen Kommunisten, die es in der Bundesrepublik Deutschland noch gibt, außerordentlich schwer, Kommunisten zu bleiben und doch in Übereinstimmung mit ihrem Gewissen zu sein.
Man sieht, die Extremisten arbeiten sich immer mal wieder gegenseitig in die Hände. Die SED-Führung hat sogar — Herr Barzel hat, glaube ich, soeben darauf hingewiesen — bei ihren scheinheiligen Begründungen für die Teilnahme ihrer Truppen auch den angeblichen Zionismus angeführt, der sich in Prag betätigt habe. Auch dies ist nur die Wiederaufnahme des Antisemitismus der Nazis, diesmal aus der anderen Himmelsrichtung.
In Wirklichkeit — damit komme ich zu den Feststellungen zur Lage — ist das Moskauer Wunschbild eines einheitlichen proletarischen Internationalismus längst tot. Dies ist eine wichtige Feststellung. Es gibt keinen sogenannten Weltkommunismus, weder im Sinne des Moskauer Führungsanspruchs über die Kommunisten in der Welt noch etwa im Sinne primitiver antikommunistischer Ideologie. Es gibt keinen Weltkommunismus. Es gibt vielmehr vielerlei verschiedene gesellschaftliche und staatliche Systeme und Zielsetzungen der Kommunisten. Es gibt rechtsstaatlich gesonnene und autokratisch motivierte, es gibt demokratisch gesonnene Kommunisten, und es gibt allerdings bürokratisch-diktatorisch gesonnene. Es gibt nicht nur die Moskauer und die Pekinger Spielart, es gibt Belgrad und Bukarest und Havanna. Es gibt die kommunistischen Parteien Westeuropas, die sich jetzt Togliattis politisches Testament gewiß noch sorgfältiger zu Herzen nehmen als damals. 1964 schrieb Togliatti:Wir wissen aber, daß das Nationalgefühl auch nach der Eroberung der Macht ... eine Konstante der sozialistischen Arbeiterbewegung bleibt. Die wirtschaftlichen Fortschritte löschen es nicht aus, sondern geben ihm Nahrung. Auch im sozialistischen Lager muß man sich vielleicht vor der erzwungenen äußeren Uniformität hüten und daran denken, daß die Einheit in der Vielfalt bei voller Autonomie der einzelnen Länder sichergestellt und bewahrt werden muß.Manche werden sich in den kommunistischen Lagern an die Worte des toten italienischen kommunistischen Führers jetzt wohl erinnern. Es ist offenkundig geworden: es gibt Kommunisten, die in der Auseinandersetzung mit anderen Kommunisten sogar ihr Leben riskieren wollen, um ihren eigenen politischen Weg gehen zu dürfen. Das erleichtert die Lage Europas keineswegs, sondern macht sie komplizierter. Deshalb ist es gar kein Grund für uns, die wir im Kampf mit dem Kommunismus stehen, in Schadenfreude auszubrechen.Eine nächste Feststellung: Der in seinen militärischen Einzelheiten offenbar sehr lange und sehr sorgfältig geplante, in seinen politischen Einzelhei-
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ten jedoch keineswegs umsichtig geplante Einmarsch sowie der Zeitpunkt des Einmarsches lassen auf wechselnde Absichten und auf ein Andauern verschiedenartiger Einschätzungen in der obersten sowjetischen Führung schließen. Offenkundig — darauf ist schon hingewiesen worden — hat sich Moskau in der Beurteilung der politischen Situation in der Tschechoslowakei tiefgreifend geirrt. Man muß, auch das wiederhole ich, die Wiederholung falscher Lagebeurteilungen durch die sowjetische • Führung für möglich halten und einkalkulieren.
Mit anderen Worten: Gegenwärtig ist das Tun oder Lassen der sowjetischen Führung schwerer vorherzusehen, als es vordem manchem geschienen haben mag. Noch anders gesagt: Die Moskauer Politik erscheint heute weniger kalkulierbar als vordem.Vor allem im Lichte dieser Erkenntnis der geminderten Kalkulierbarkeit gewinnen die Veränderungen der militärischen Lage in Europa ihre politische Bedeutung. Die Veränderungen sind einseitig zugunsten der Sowjetunion erfolgt, und zwar in zwei Etappen:Im Zusammenhang mit dem zweiten Sinai-Krieg im vorigen Jahr hat die Sowjetunion an der Südflanke Europas Fuß gefaßt, in Syrien, in der Vereinigten Arabischen Republik und in Algerien. Sie hat eine bedeutende Flotte im Mittelmeer stationiert.Zum anderen hat die Sowjetunion in diesem Jahr unter der kaum ernst gemeinten Tarnung fortgesetzter Manöver die Zahl ihrer westlich des eigenen sowjetischen Territoriums stationierten Truppen zunächst um die Hälfte vermehrt. Man muß dazu wissen, daß früher 20 sowjetische Divisionen in der DDR gestanden waren, zwei in Polen und vier in Ungarn. Dieses Potential ist jetzt etwa um die Hälfte vermehrt. Diese Vermehrung heißt noch nicht, daß die sowjetischen Streitkräfte insgesamt vermehrt sind; vielleicht sind dafür jetzt in Sowjetrußland entsprechend weniger Truppen. Ich kann das so genau nicht übersehen; dafür gibt es andere, die das zu prüfen haben, Einrichtungen, die wir haben und die wir im Bündnis gemeinsam haben. Wir wissen auch noch nicht, wie viele der sowjetischen Divisionen endgültig in der CSSR bleiben werden. Jedenfalls aber bedeutet die räumliche Vorverlegung derjenigen, die dort bleiben werden, eine Verkürzung der Aufmarschzeiten für den theoretisch zu denkenden Fall eines militärisch ausgetragenen Ost-West-Konfliktes. Demgegenüber hat es sicher auf seiten des Nordatlantikpaktes keinerlei Veränderung der bisherigen Dislozierung der Truppen gegeben, auch keine Verstärkung in Mitteleuropa.Man muß deshalb am heutigen Tage die Verteilung der militärischen Kräfte auf beiden Seiten Europas als zuungunsten des Westens verändert beurteilei. An diese Feststellung muß aber die zweite unmittelbar anschließen; beide zusammen ergeben erst den Überblick: Insgesamt besteht, insbesondere im Hinblick auf die globalen strategischen Waffen der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten, das Gleichgewicht der auf Europa wirkenden östlichenund westlichen militärischen Kräfte fort, so wie es vorher bestand.Was aber die westlichen militärischen Kräfte angeht: Der entscheidende Teil, oder sagen wir: ein entscheidender Teil, mehrere entscheidende Teile befinden sich außerhalb Europas und geographisch weit von Europa entfernt. Deswegen hängt das Gleichgewicht entscheidend von der Glaubwürdigkeit des Einsatzes dieser entfernten Kräfte zugunsten der gemeinsamen Verteidigung Europas ab. Diese Abhängigkeit ist gar nicht neu; aber sie ist jetzt noch sichtbarer geworden, als sie es für manche in den letzten Jahren gewesen ist.Deshalb also die erneuten Erklärungen des amerikanischen Präsidenten vom 9. und 10. September, die wir begrüßen. Der Bundeskanzler hat gestern zitiert, was Präsident Johnson am 10. September sagte — ich wiederhole es —:Was uns angeht, — uns Amerikaner —so habe ich unmißverständlich klargemacht, daß wir in Gebieten unserer gemeinsamen Verantwortung, wie z. B. Berlin, den Gebrauch von Gewalt und die Drohung mit Gewalt nicht dulden werden.So weit Präsident Johnson. — Ich glaube, daß diese Feststellung der amerikanischen Regierung zur Beurteilung der gegenwärtigen Lage durchaus hinzugehört, weil sie nämlich zur Glaubwürdigkeit die Eindeutigkeit hinzufügt. Wir sind für die ausdrückliche Betonung Berlins, die gestern schon Herr Kiesinger hervorgehoben hat, besonders dankbar; denn sie gibt uns Gewißheit, daß die Deutschen in ihrer Treue zu Berlin und zu den Berlinern auch heute nicht allein stehen in der Welt.
Ich habe in den Vereinigten Staaten nirgendwo Anlaß gefunden, daran zu zweifeln, daß die Staaten auch nach der November-Wahl an dieser Position festhalten wollen und festhalten werden, gleichgültig, ob nun Richard Nixon oder ob Hubert Humphrey ins Weiße Haus einziehen wird. Diese Kontinuität ist besonders wichtig, weil die neue Lage eben auch durch die Interventionsdrohungen der Sowjetunion gekennzeichnet ist, die Moskau seit dem vorigen November in zunehmendem Maße gegen uns richtet. Der Versuch einer gewaltsamen Intervention der Sowjetunion gegen die Bundesrepublik oder Berlin träfe auf die Beistandsgarantien aus den Artikeln 5 und 6 des Nordatlantik-Vertrages, gleichgültig, ob sich ein solcher Interventionsversuch auf den künstlichen Anschein eines Rechtes aus den Artikeln 53 und 107 der UNO-Charta oder auf das Potsdamer Abkommen zu stützen sucht. Die USA, England und andere haben das dankenswerterweise gerade in der vorigen Woche ganz klargemacht.Im übrigen hat bisher niemand das Potsdamer Abkommen, das ja ein Abkommen zwischen den zunächst dreien, dann später vieren der damaligen Siegermächte war, schlimmer verletzt als die So-
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wjetunion selbst, indem sie die DDR zur aktiven Beteiligung an der militärischen Besetzung eines souveränen Staates verleitet hat.
Was die sogenannten Feindstaatenartikeln 53 und 107 der UNO-Charta angeht: sie gewähren niemandem ein zusätzliches Recht. Ihr einziger Zweck damals 1945 war, die von den Siegermächten gegründete UNO nicht mit den Problemen der Waffenstillstände und der Friedensverträge mit Rumänien, Ungarn, Italien, Deutschland oder Japan zu belasten. Einer der höchsten UNO-Beamten in New York hat mir vor einigen Tagen, als ich drüben war, gesagt: Eine Begründung einer gewaltsamen sowjetischen Intervention mit Hilfe dieser Artikel sei absurd. Und er hat hinzugefügt: Das könne man doch schon daran sehen, daß sonst mit gleichem Recht die Vereinigten Staaten z. B. gegen Ungarn intervenieren könnten. Und ich füge hinzu: wahrscheinlich mit noch viel mehr Recht gegen die DDR wegen ihres Völkerrechtsbruches gegenüber der Tschechoslowakei.
Die sowjetische Interventionsdrohung ist denn auch — der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU hat das eben sehr aufgefächert klargemacht — vornehmlich als ein Mittel ihrer psychologischen Kampagne gegen die Bundesrepublik Deutschland zu verstehen, die nicht unterschätzt werden darf. Die Sowjetunion versucht uns stärker als zuvor von unseren Freunden und Verbündeten zu isolieren. Freilich war das schon immer im Rahmen der von Moskau erhofften Zersetzung der NATO ein Ziel der Moskauer Politik.Gegenwärtig ist diese Kampagne für Moskau aus zusätzlichen Gründen noch wichtiger geworden, um nämlich von den Ereignissen in der Tschechoslowakei abzulenken. Die Ereignisse in der Tschechoslowakei sind ja nicht abgeschlossen, da geschieht ja jeden Tag immer noch etwas, jeden Tag, und morgen kann wieder etwas geschehen, das uns beunruhigt und das andere beunruhigen muß, und davon will man ablenken, um die Intervention wenigstens nachträglich mit der Behauptung zu rechtfertigen, Prag sei durch den angeblichen „westlichen Imperialismus" oder durch die „aggressive Bundesrepublik" — oder wie sie es nennen — bedroht gewesen. Sie' brauchen die Kampagne aber vor allem, um die offiziell noch nicht zugegebene Absicht zu begründen, einen Teil der sowjetischen Truppen auf unbestimmte Zukunft in der CSSR zu belassen, und schließlich brauchen sie die Kampagne, um die Völker in den Staaten des Warschauer Paktes wenigstens durch die künstlich neu angefachte Furcht vor den Deutschen zu einigen.Diese letztere Absicht führt mich zu einigen Bemerkungen zur Lage in Osteuropa. Unsere Friedenspolitik, die aktive Friedenspolitik, die mit der sogenannten Friedensnote des damaligen Außenministers Gerhard Schröder am 26. März 1966 unter der Beteiligung und später auch der parlamentarischen Zustimmung der damaligen sozialdemokratischen Opposition zunächst noch tastend begonnen worden ist, die dann seit dem Dezember 1966 durch Außenminister Willy Brandt ausgeweitet, vertieft wurde und ihren heutigen eindeutigen Umriß erhielt, hat in der ganzen Welt Früchte getragen, auch im Osten.Ich habe schon im Sommer 1966, das war noch unter dem Regiment des Antonin Novotny, in Prag keinen hohen KP- oder Staatsfunktionär getroffen, der tatsächlich irgendeine Angst vor uns Deutschen gehabt hätte, obwohl seine offizielle Propaganda genau das Gegenteil sagte. Inzwischen gilt das nun genauso für die kommunistischen Führer in vielen anderen Städten und Staaten Osteuropas. Sie tun so, als ob sie Angst haben müßten vor uns und suggerieren das ihrer öffentlichen Meinung, obwohl sie selber in Wahrheit vor uns keine Angst haben. Und längst, wie wir wissen, gilt für die italienischen oder französischen, für die holländischen oder schwedischen Kommunisten, daß ihnen kein Mensch erzählen kann, Europa müsse Angst vor der Bundesrepublik Deutschland haben.Es ist richtig, daß die Abwesenheit von Furcht vor Deutschland jene von Nation zu Nation, von Staat zu Staat sich verschiedenartig abspielenden geistigen, politischen, wirtschaftspolitischen Entwicklungen in den kommunistischen Staaten und Parteien begünstigt hat. Tatsächlich ist die jeweilige nationale Entwicklung der kommunistischen Parteien in Osteuropa allerdings schon lange im Gange. Der Wille zur Selbstbestimmung der Völker an Stelle von Fremdbestimmung, der Wille zur Souveränität und zur eigenständigen Ausprägung von Gesellschaft und Staat ist eben auf die Dauer nicht zu beseitigen. Das Zentralkomitee des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens hat Ende August erklärt:Die Besetzung der CSSR ist kein zufälliger Irrtum, sondern das Ergebnis hartnäckiger Bemühungen, die innerhalb des Sozialismus bestehenden Widersprüche und Konflikte, die sich um das Wesen, um den Charakter und um die Entwicklungsaussichten der sozialistischen Gesellschaftsbeziehungen sowie um die Politik der sozialistischen und antiimperialistischen Kräfte auf internationaler Ebene konzentrieren, durch wachsende Anwendung der Gewalt aus der Welt zu schaffen, um auf diese Weise die bereits überlebten Verhältnisse und Einrichtungen weiter zu erhalten.Ich zitiere diese Feststellungen aus kommunistischem Munde über andere Kommunisten wegen der darin geradezu selbstverständlich erscheinenden Erwähnung der Verschiedenartigkeit gesellschaftlicher Konzepte innerhalb des Kommunismus. Die Konzepte müssen ja verschieden sein, die Probleme in den Völkern und Staaten sind ja verschieden, die geistige Tradition ist verschieden, die nationale Geschichte ist verschieden, und ebenso sind die jeweilige Wirtschaftsstruktur, der Technisierungsstand oder, marxistisch gesprochen — Sie
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haben auch marxistisch geredet, Herr Barzel, heute morgen, zu unserem Erstaunen — —
— einmal, ich mache es auch nur einmal! —,
die Produktionsverhältnisse verschieden. Auch die Kommunisten in Europa, meine Damen und Herren, können auf die Dauer Gedankenfreiheit, Freiheit der Information, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Reisefreiheit sehr schlecht entbehren.
Und weil das so ist, deswegen erleiden heute — nach dem Einmarsch in die Tschechoslowakei, wo sich doch alles dies zu entwickeln schien — die kommunistischen Parteien Westeuropas so schwere Beeinträchtigungen und — das sollten wir nicht übersehen — sind heute und wohl auch in Zukunft die kommunistischen Parteien Westeuropas nicht mehr länger geeignet, als Instrumente sowjetischer Außenpolitik benutzt zu werden.Wir müssen wohl zur Kenntnis nehmen, .daß durch ,die Ergebnisse in der Tschechoslowakei diese Entwicklungen in einer Reihe östlicher Staaten zunächst unterbrochen werden. Ich meine die Entwicklung zu etwas mehr Freiheit, etwas moderneren Wirtschaftssystemen. Wir wissen nicht, wie lange diese Unterbrechung dauern wird, und wir können auch gar nichts tun, um die Frist dieser Unterbrechung abzukürzen. Wir dürfen in diesem Sinne gar nichts tun wollen, denn wir dürfen und wir wollen uns ja in 'niemandes Angelegenheiten einmischen, so wie wir auch nicht dulden wollen, daß andere sich in unsere Angelegenheiten einmischen.Es zeigt sich an dieser Stelle erneut, daß die Aufspaltung Europas in zwei Lager der sowjetischen Führung in dem Lager, in dem sie dominiert, in dem sie ihre Hegemonie ausübt, sehr viel Spielraum gibt für die Anwendung ihrer Macht. Das war 1956 in Ungarn so, und das ist 1968 noch nicht anders. Und etwas, was viele Menschen vielleicht nicht verstehen, muß man in diesem Zusammenhang betonen: Auch die NATO kann daran nichts ändern; die NATO ist ein Bündnis zur Selbstverteidigung und nicht zur Verteidigung von Dritten.Die Aufspaltung der Welt in zwei Lager ist ein Übel für die Menschheit; sie bedroht auf die Dauer die Existenz; sie kann ,auf die Dauer nicht unsere letzte Weisheit bleiben. Deshalb sind wir und bleiben wir für gleichwertige und gleichzeitige Beschränkung und Kontrolle der Rüstungen. Es ist wider die Vernunft, daß in Europa heute das höchste Maß an Zerstörungskraft angesammelt ist, das es hier jemals gegeben hat, einschließlich des zweiten Weltkrieges jeweils gegeben hat.Aber niemand wird uns ,dazu verleiten, im Vorwege einseitig unsere Bündnisgenossen zu verlassen und einseitig unsere Sicherheit aufs Spiel zusetzen. Aus einer ähnlichen Erkenntnis hatten ja auch die kommunistischen Führer in der CSSR keineswegs im Sinn, ihr Bündnissystem zu verlassen. Und 'der Außenminister hat im Juni hier in diesem Hause gesagt: „So, wie die Dinge in der Welt liegen, erklären wir denen, die es hören wollen, mit allem Freimut, daß wir für das Bedürfnis der CSSR, an ihren Bündnisbindungen festzuhalten, durchaus Verständnis haben."Die Tschechoslowaken wollten innerhalb der sowjetischen Interessensphäre sein. Wie aber auch immer die Sowjetunion ihre Interessensphäre verstehen mag: niemand darf — ich nehme Gedanken auf, die der Bundesaußenminister in Genf aussprach —, die universalen Prinzipien des Völkerrechts verletzen: Souveränität, territoriale Integrität, Gewaltlosigkeit, Selbstbestimmungsrecht und Menschenrechte. Solange die sowjetischen Divisionen auf dem Boden der CSSR bleiben, ,die sie nicht eingeladen hat — für diese Einladung ist der Beweis ja immer noch nicht einmal versucht worden —, solange die Truppen 'auf dem Boden der CSSR stehen, bleiben diese Prinzipien des Völkerrechts verletzt.Es gibt also in Europa eine Sphäre, ich würde nicht sagen, sowjetischer Interessen, es gibt eine Sphäre sowjetischer Dominanz. Das ist ganz klargeworden. Und ihr steht gegenüber nicht eine Sphäre amerikanischer Dominanz in Europa, wohl aber eine Sphäre westlicher gemeinsamer Verteidigungsinteressen. In dieser Sphäre gemeinsamer westlicher Interessen hat in den letzten Jahren ein spürbare und bedenkliche Beeinträchtigung der politischen Zusammenarbeit stattgefunden, die gleichzeitig von einer parallelen Erscheinung im Osten begleitet war. Wir erinnern uns an das Stichwort von der Erosion der Allianzen, wir erinnern uns unter diesem Stichwort vor allen Dingen an das Stagnieren der EWG, an die Verweigerung des britischen Beitritts, an den Rückzug der französischen Streitkräfte aus der militärischen Organisation des Bündnisses — nicht aus dem Bündnis selbst —, und wir erinnern uns an die innerwestlichen Auseinandersetzungen um unsere deutschen Interessen im Zusammenhang mit dem Non-Proliferations-Vertrag.Alles deutet jetzt darauf hin, daß der Erosionsprozeß im Warschauer Pakt und im Comecon der kommunistischen Staaten, der ja ohnehin langsamer vor sich ging als der Auflösungsprozeß hier im Westen, daß der östliche Erosionsprozeß jetzt zunächst zum Stillstand gebracht worden ist. Um so mehr müssen wir mithelfen, daß der westliche Erosionsprozeß zum Stillstand gebracht wird. Denn wir bleiben auf die Funktionstüchtigkeit unseres westlichen Bündnisses angewiesen. Wir kennen dabei die besondere Situation Frankreichs in diesem Bündnis. Wir sind innerhalb des Bündnisses diejenigen, die die engste Verbindung mit Frankreich halten müssen. Nur wir können das tun.Mit Interesse habe ich gelesen, wie Herr Kollege Strauß mit Hartnäckigkeit in seinem soeben erschienenen Buch sich erneut für das „Modell", wie er sagt, einer „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft" einsetzt, wobei er keineswegs auf das amerikanische Bündnis verzichten will. Mit Interesse verfolgen wir ebenso den an den Präsidenten de Gaulle gerichteten Appell der CSU aus Bad Berneck. Es gibt wohl kaum einen Kollegen in diesem Hause, dessen Hoffnungen nicht in Richtung auf ein poli-
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tisch vereinigtes Europa gingen. Ich sage: Hoffnung. Es tut uns weh, daß wir statt dessen nicht Erwartungen sagen können. Auch im Lichte der CSSR-Krise haben wir, Herr Stücklen, bisher aus Paris nichts vernommen, das uns in dieser Beziehung zu realen Erwartungen berechtigen könnte. Auf Hoffnungen und Appelle allein, meine lieben Kollegen aus Bad Berneck, kann man unsere Sicherheit nicht gründen.
— Ich weiß, daß Sie das nicht wollen. Ich möchte nur, daß wir in dem, was wir als Fürsprecher der deutschen Politik sagen, immer wägen, wie weit auch möglich gemacht werden kann, was wir sagen, wie weit es realistisch ist, wie weit es konkret möglich ist.
- Lieber Herr Stücklen, ich will nicht polemisieren. Ich wehre mich dagegen, in diesem Zusammenhang ein Optimist zu sein. Ich will auch kein Pessimist sein. Ich meine, man soll sehr sorgfältig und nüchtern die Tatsachen und die Wirklichkeiten ins Auge fassen und sie weder durch eine rosarote noch durch eine schwarze Brille betrachten.
Was konkret gegenüber den Franzosen möglich sein sollte — lassen Sie mich dazu etwas sagen —, das wäre eine gemeinsame, eine bilaterale deutschfranzösische Anstrengung zur Analyse der neuen Sicherheitslage, zur Überprüfung der bisherigen Pläne und Absichten. Ich höre, daß die Außenminister der beiden Länder darüber im Gespräch sind. Wir wünschen ernstlich solch ein Gespräch und den Willen zum gegenseitigen Verständnis. Es wird sich ja schon an diesem Wochenende zeigen, wie weit die französische Regierung zu diesen und jenen Vorschlägen Interesse bekundet.Meine Freunde und ich haben in den letzten Jahren viele Male in diesem Hause verlangt, daß jede Möglichkeit genutzt werde, um zu einer engen Verzahnung mit Frankreich, z. B. auf konventionellmilitärischem Gebiet oder auf rüstungstechnischem Gebiet, zu kommen. Aber es tut mir leid, heute hinzufügen zu müssen, daß die Chancen dafür augenblicklich noch kleiner erscheinen als früher, wenn ich nach Paris schaue und höre, was dort gesprochen wird.Wir verstehen sehr gut die französische Überzeugung, daß das Denken in Blöcken und Lagern die Zukunft nicht fruchtbarer machen kann als die Gegenwart. Aber ebenso untauglich ist — das sagen wir unseren französischen Freunden — die Vorstellung, daß jeder Staat oder nur einige Staaten oder nur ein einziger Staat des Westens allein das Denken und die Struktur der Blöcke und Lager überwinden kann. Wir können uns den Luxus nicht leisten, den sterilen Streit darüber fortzuführen, ob Europa eine Addition seiner Staaten sei oder ob es erst aus deren Integration erwachsen werde. Europa würde sonst das Objekt der Interessenentscheidung der Supermächte, meine Damen und Herren,
oder des Ausgleichs ihrer Interessenkonflikte.
Europa ist mehr — in dieser Überzeugung treffen wir uns doch mit den französischen Nachbarn — als ein bloß historischer oder geographischer Begriff. Die Staaten auf diesem Kontingent bedürfen heute mehr denn je der Bereitschaft, miteinander zusammenzuarbeiten, wobei die bisher geschaffenen und bestehenden Institutionen niemand hemmen müssen und wobei deren geographische Begrenztheit auch keine Grenze sein muß.Die Bundesregierung hat sich gestern zum Fortschritt in den westeuropäischen Institutionen erklärt. Wir sind einverstanden und unterstreichenmit großem Nachdruck die Notwendigkeit des Beitritts Englands, Dänemarks, Norwegens und aller, die beitreten wollen. Schon in den letzten Jahren, aber gegenwärtig wieder, besteht in Europa die Gefahr — das möchte ich in diesem Zusammenhang auch sagen dürfen —, daß sich einige im Westen, daß sich andere im Norden und vielleicht wieder andere im Süden Europas zu der Illusion verleiten lassen, ihre Sicherheit, die Sicherheit ihrer Staaten sei nicht sonderlich berührt, wenn etwa das westliche Mitteleuropa vom Osten her unter zunehmenden Druck geriete.Mit Interesse hören wir deshalb gerade heute von jüngsten englischen Erwägungen, unabhängig von dem organisatorischen Rahmen der nordatlantischen Organisation in einen Meinungsaustausch auf dem Verteidigungsgebiet einzutreten, um, wie es in London offenbar geheißen hat, auf diesem Gebiet eine europäische Identität anzustreben. Wie wir hörten, wird dort erwogen, einen solchen Meinungsaustausch notfalls auch ohne französische Beteiligung anzuregen. Vielleicht — ich sage das mit allem Bedacht — ist dies ein Anlaß, unserem französischen Partner zu sagen, auch wir in Bonn könnten uns eines Tages gezwungen sehen — unabhängig von unserem tiefverwurzelten inneren Willen, unser besonderes Verhältnis zu Frankreich aufrechtzuerhalten —, auf bestimmten Gebieten eine engere Zusammenarbeit mit anderen europäischen Staaten einzuleiten;
denn unsere eigene Lage verbietet uns, so zu handeln, als käme es auf diese anderen Staaten und als käme es auf das Bündnis nicht mehr an.
Auf jeden Fall muß das Westbündnis als Ganzes seine Lage prüfen. Erst wenn man gemeinsam die neue militärische Lage geprüft hat, kann man gemeinsam zu Konsequenzen kommen. Es ist möglich, daß die Franzosen bei der Prüfung der Lage nicht mitmachen wollen oder daß sie bei den Konsequenzen nicht mitziehen wollen. Die Sicherheit
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unseres Landes und die Sicherheit unserer Bündnispartner würde uns in einem solchen Falle zwingen, auch ohne französische Beteiligung zu Beschlüssen zu gelangen.
Bei der Prüfung ist mir die protokollarische Ebene, auf der sie geschieht, weniger wichtig als die Aufgabenstellung an sich und die gemeinsame Einsicht in ihre Notwendigkeit.Dabei ist von vornherein unzweifelhaft, daß die amerikanische Regierung gleicherweise von dieser Notwendigkeit ausgeht. Ebenso aber ist klar zu erkennen — und ich bewege mich hier sehr weitgehend auf denselben Linien, auf denen soeben der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU über Amerika sprach —, daß viele Amerikaner Sorge haben vor einem möglichen ,,Overcommitment", wie sie es nennen, oder um es ins Deutsche zu übertragen: Sie haben Sorge vor allzu weitreichenden Verpflichtungen. Sie wollen keine zusätzlichen Kastanien aus dem Feuer zu holen verpflichtet werden.Bei manchen Amerikanern kann diese Sorge, die sich nicht zuletzt aus dem für Amerika selbst immer weniger erträglichen Krieg in Vietnam ergibt, in einen neuen Isolationismus einmünden. Wer eine solche Entwicklung vermeiden helfen will — und wir müssen das wollen —, der wird Verständnis dafür aufzubringen haben, daß die Amerikaner generell dann für die gemeinsame Verteidigung mehr tun wollen, wenn auch ihre europäischen Partner mehr tun.In diesem Sinne haben uns allerdings in den letzten Wochen und Tagen die Amerikaner nahezulegen versucht, daß die Bundesrepublik Deutschland bei einer erneuten Festigung des Bündnisses innerhalb Europas eine Art von Führung übernehmen solle. Wir hielten das allerdings aus mehreren Gründen für falsch, und das müssen unsere amerikanischen Freunde verstehen.
Die Amerikaner leiden nicht nur an Vietnam, ohne bisher klar zu sehen, wie sie diesen Krieg beenden können oder wie der nächste Präsident es kann. Sie stehen auch vor schweren inneren Problemen, die ihre Kraft erfordern. Sie stehen außerdem mit ihrer Zahlungsbilanz wegen des großen außeramerikanischen Engagements vor sehr erheblichen Sorgen. Herr Barzel hatte völlig recht mit den Hinweisen auf diesem Gebiet. Auch ich meine, auch wir meinen, daß das Zahlungsbilanzproblem innerhalb der Allianz, das durch Verteidigungsanstrengungen zugunsten des gemeinsamen Bündnisses außerhalb des jeweiligen Heimatlandes entsteht, in Zukunft nicht mehr wie bisher als ein finanztechnisches Problem behandelt werden darf. Man muß es vielmehr als ein Strukturproblem des Bündnisses von hohem politischem Stellenwert sehen.In diesem Zusamenhang, da ich über Amerika spreche, lassen Sie mich eine Bemerkung über die Abgeordnetendiplomatie machen, meine Damen und Herren.
Es hat ja gestern auch ein anderer über dieses Thema extemporiert; es wird mir deswegen nicht` versagt sein. Ich glaube, daß es in bezug auf Länder, zu dienen ein Staat diplomatische Beziehungen hat, amtliche Einrichtungen geben sollte, wenn man mit diesen Regierungen irgend etwas klären will.
Zweitens glaube ich, es ist unerhört wichtig, daß Abgeordnete dieses Hauses nicht nur mit den Ländern, mit denen wir Beziehungen haben, sondern auch mit solchen, mit denen wir keine oder noch keine Beziehungen haben, Kontakte und Gespräche pflegen.
Das ist beides notwendig, nur sollte man dabei dramatische Effekte vermeiden.
— Können Sie Ihren Zuruf noch 'etwas präzisieren? Das würde mir das Vergnügen der Antwort vergrößern.
— Nein, ich weiß nicht, was Sie gemeint haben; Sie müssen schon präzise werden.
— Jetzt verstehe 'ich Sie gar nicht mehr, und ich muß sagen — —
- Wenn er auf dem Gebiet Sorgen hat, soll er siedoch ausbreiten. Wenn Sie meinen, Herr Kollege,daß sie nicht hier ,auszubreiten wären, dann müssen Sie sie im Auswärtigen Ausschuß lausbreiten.
Ich will zu meinen Schlußfolgerungen kommen.Erstens. Wir müssen erwarten und darauf hinwirken, daß 'die anderen Bündnispartner und wir gemeinsam die veränderte Lage in Europa prüfen. Wenn diese Prüfung dazu führt, daß z. B. auf dem Gebiet der gemeinsamen Verteidigungsplanung Konsequenzen gezogen werden müssen, dann müssen 'auch wir zu 'diesen Konsequenzen bereit sein. Aber wir sehen keinen Sinn darin, heute Milliardenbeträge .für zusätzliche Rüstungsanstrengungen zu nennen, ehe die im Bündnis vereinigten Regierungen miteinander gesprochen haben und ehe es einen Beschluß im Rahmen des Bündnisses gibt über das, was nötig ist.
Wenn es im Rahmen des Bündnisses zu Beschlüssen kommt, .so wird der Deutsche Bundestag dazu bereit sein müssen — und das darf ich hier für meine Fraktion ausdrücklich erklären —, unser Teil auf uns zu nehmen und das zu tun, was dann notwen-
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dig ist, und zwar — um ein Wort des Bundesverteidigungsministers, das er im gleichen Zusammenhang gebraucht hat, hier hinzuzufügen — „Nicht mehr, aber auch nicht weniger". Ich warne vor voreiligen großen Worten oder Zahlen. Die Sozialdemokratie hält den gestern vom Bundeskanzler erwähnten Kabinettsentschluß, wonach der Verteidigungsetat in der mittelfristigen Finanzplanung insofern unter einem Vorbehalt steht, für angemessen und gegenwärtig auch für ausreichend.Zweitens. Wir sind gewiß, daß das militärische Gleichgewicht gewahrt bleiben kann und gewahrt bleiben wird und daß deshalb unsere 'Sicherheit, die Sicherheit unseres Volkes und unserer Verbündeten, auch in Zukunft nicht geringer sein wird, als sie bisher war.Drittens. Wir bekräftigen den Beschluß des Deutschen Bundestages vom 20. Juni dieses selben Jahres, der in prägnanter Kürze die Bundesregierung aufgefordert hat, sich um die Festigung der westlichen Zusammenschlüsse auf wirtschaftlichem und militärischem Gebiet zu bemühen, und der in ebenso eindeutiger Prägnanz darauf hingewiesen hat, daß eine europäische Friedensordnung nur erreichbar ist, wenn alle Beteiligten bereit sind, ihren Beitrag zu leisten.Dieser Beschluß wurde vor der tschechoslowakischen Krise gefaßt. Er ist unverändert gültig. Der Bundestag hat damals bedauert, daß unsere Friedenspolitik in einigen Hauptstädten des Ostens nach wie vor mißverstanden, verzerrt dargestellt, durch provokatorische Gegenmaßnahmen entstellt wird, und die Bundesregierung aufgefordert, sich nicht beirren zu lassen. Das war im Juni richtig und das ist heute genauso richtig.
Viertens. Wir wissen, daß die Chancen zur Normalisierung unserer Beziehungen mit einigen Staaten in Osteuropa für eine gegenwärtig noch nicht absehbare Zeit verringert sind. Ähnlich wie Staatspräsident de Gaulle und andere Staatsmänner des Westens es in den letzten Wochen ausgesprochen haben, gehen auch wir von der Überzeugung aus, daß es zutiefst unvernünftig wäre, das Ziel der Normalisierung, das Ziel einer europäischen Friedensordnung aufzugeben. Wir unterstreichen die Regierungserklärung in diesem Punkte nachdrücklich.Fünftens. Der Friede muß organisiert werden. Solange der Osten Europas zur Kooperation, zur Zusammenarbeit mit dem übrigen Europa bei der Organisierung des Friedens nicht imstande ist, muß das übrige Europa versuchen, jenes Maß an eigener innerer Zusammenarbeit zu erreichen, das notwendig ist, um nicht nur die Koexistenz mit dem Osten zu gewährleisten, sondern auch um darüber hinaus Ansätze und vorbereitete Positionen zu schaffen für spätere, stärker auf Kooperation angelegte Beziehungen auch zu Osteuropa.
Auf jeden Fall müssen die Ereignisse der letztenWochen im Norden, im Süden und im WestenEuropas jede Regierung mindestens zu einem intensiven Meinungsaustausch unter den Regierungen und, so möchten wir wünschen, zu gegenseitiger Abstimmung des Handelns unter den Regierungen führen, auch wenn es dafür einen institutionalisierten Rahmen weder gibt noch geben muß, meine Damen und Herren.Sechstens. Wir würden dem Staatsratsvorsitzenden in Ostberlin einen kostenlosen Gefallen tun, wenn wir unsere Bereitschaft zu Gesprächen mit Regierungsvertretern der DDR kategorisch widerriefen.
Wer Gefahrenherde sieht, muß selbst unter Überwindung größten eigenen Widerwillens es für seine Pflicht halten, zur Beseitigung der Gefahrenherde alles zu tun, was ihm selbst möglich ist. Das liegt auch im Interesse unserer Nachbarn. Kollege Wehner hat jüngst gesagt:Wir brauchen uns dabei nicht auf den Kopf zu stellen und nicht zu heucheln. Wir müssen uns nichts vormachen, was wir von diesen Leuten halten.Ich möchte dem zustimmen, ebenso wie meine Fraktion der Bundesregierung zustimmt, die gestern durch den Mund des Regierungschefs erklärt hat, an ihren Vorschlägen gegenüber der DDR-Regierung festhalten zu wollen.Wir wissen, daß unsere Landsleute in beiden Teilen des Vaterlandes von der jüngsten Entwicklung tief bekümmert und besorgt sind. Darin sind wir gerade in diesen Tagen in beiden Teilen des Landes sehr nahe beieinander.Siebtens. Wer Normalisierung und wer Frieden will, darf sich nicht zu Handlungen oder zu Worten hinreißen lassen, die andere herausfordern könnten, selbst dann nicht, wenn der andere uns herausfordern will. Nichts könnte der Propaganda Moskaus oder Ostberlins mehr nützen, als wenn wir in der Bundesrepublik durch unser Reden und unser Tun den Anschein zuließen, als ob auch nur ein Anflug von Wahrheit diesen Anschuldigungen zugrunde läge. Deswegen sind wir besonders dankbar für den Ton und die Sprache, die die Regierungserklärung gestern gefunden hat.
Ich füge hier ein, daß es aus dem gleichen Grunde vernünftig war, z. B. das Manöver „Schwarzer Löwe" mehr in das Innere des Landes zu verlegen, obgleich es das gute Recht jedes Staates ist, auf seinem eigenen Gelände Manöver abzuhalten.
Die Verlegung der Manöver hat übrigens der Bundeswehr zusätzliche Leistungen abgefordert. Um so mehr verdienen die Manöverergebnisse die Anerkennung, die hier schon mehrfach ausgesprochen worden ist.
Achtens. Wer die Spaltung Europas und die Spaltung unserer Nation schließlich überwinden will, kann dies nur erreichen, wenn seine eigene Politik stetig und konsequent und kalkulierbar für die an-
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deren bleibt. Das ist doch die Kehrseite unserer Klage über die abnehmende Kalkulierbarkeit der sowjetischen Politik, daß wir wissen: Unsere eigene POlitik muß vorhersehbar bleiben für die, die mit uns im politischen Wechselspiel stehen.Deshalb erklären wir: Sosehr wir Sozialdemokraten auf der einen Seite alles tun werden, was für die Sicherheit unsere Volkes notwendig sein wird, sosehr halten wir auf der anderen Seite an den Vorschlägen für einen allgemeinen Gewaltverzicht in Europa und für eine europäische Friedensordnung fest.Ich möchte hier nachdrücklich die Ausführungen unterstreichen, welche die Bundesregierung durch den Mund des Außenministers am 3. September auf der Konferenz der Nichtkernwaffenstaaten in Genf gemacht hat:Die Bundesregierung hat sich dafür eingesetzt, daß aus Europa eine Zone der Entspannung wird als Vorstufe einer dauerhaften Friedensordnung. Sie hat vorgeschlagen: Abbau der Konfrontation, wechselseitigen Verzicht auf Gewalt, Normalisierung der Beziehungen mit den Staaten Ost- und Südosteuropas, geregeltes Nebeneinander auf deutschem Boden, erleichterten Austausch in Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft.Der Außenminister hat dann weiter ausgeführt:Diesen Bemühungen ist ein schwerer Schlag versetzt worden. Dennoch bleiben wir bereit, für eine europäische Zone friedlicher Nachbarschaft zu wirken, die allmählich zu konstruktivem Miteinander führt und in der die gefährliche Konfrontation abgebaut werden kann. Wir befürworten daher weiterhin einen ausgewogenen gegenseitigen Abbau der Truppenkontingente, mit dem auch eine angemessene Regelung des Problems der in dieser Region stationierten Kernwaffen verbunden werden könnte.Ich darf feststellen, daß die einhellige Zustimmung, die diese Genfer Rede des Außenministers vor den Regierungsvertretern von über 90 Staaten der Welt fand, ein deutliches Zeichen dafür ist, wie sehr eben die ganze Welt die Stetigkeit unserer Friedenspolitik auch gerade nach der tschechoslowakischen Krise begrüßt und für notwendig hält.
Neuntens. Ein Wort zum Nonproliferationsvertrag. Die CDU/CSU-Fraktion hat ihre Worte hier sehr sorgfältig gewählt, und wir tun das auch.Die Bundesregierung hat am 27. April 1967 vor diesem Hause erklärt — Herr Barzel hat daran erinnert —, welche Kriterien für ihre Unterschrift maßgebend sein werden. Wir wollen an diesen Kriterien nichts ändern. Jedoch erscheint uns die gegenwärtige Situation in Europa heute noch weniger geeignet, auf diesen Vertrag einzugehen, als sie es schon vorher wegen der bis dahin noch nicht ganz klaren Interpretationen war. Verträge kann man nur im Vertrauen darauf schließen, daß ihr Inhalt gegenseitig respektiert wird. Wo schon der Inhalt noch nicht ganz klar ist und wo es darüber hinaus gar am Willen zur Respektierung des Rechts zu fehlen scheint, kann die Geschäftsgrundlage für einen internationalen Vertrag ernsthaft in Frage gestellt sein. Das gilt, wie wir in Genf erfahren haben, ganz gewiß nicht nur für unser Land allein. Ich möchte aber in diesem Zusammenhang jedermann nachdrücklich davor warnen, gegenwärtig endgültige Erklärungen über die Unterschrift oder Nichtunterschrift abzugeben.
So viel zu den Schlußfolgerungen zur äußeren Lage.Wir müssen uns jedoch auch wohl fragen, ob die gegenwärtige äußere Lage uns zu innenpolitischen Konsequenzen führen muß. Ich denke: nicht nur die wirtschaftspolitische, sondern auch die innenpolitische Situation insgesamt ist zur Zeit in unserem Lande von guter Stabilität. Es gibt gewiß die eine und die andere wichtige Ausnahme. Ich muß hier nochmals auf die NPD zu sprechen kommen. Der Einzug von NPD-Abgeordneten in einige unserer Landtage und die Gefahr ihres Einzugs in den Deutschen Bundestag beeinträchtigen in zunehmender und gefährlicher Weise bei unseren Freunden und Verbündeten — —
— Lassen Sie mich bitten den Satz zu Ende sprechen; ich will nachher gern auf einen Zwischenruf eingehen. — Es besteht die Gefahr, daß sich das ausdehnt. Dadurch wird die Freundschaft und die Vertrauensbasis gefährdet, auf der unser Bündnis mit unseren Partnern beruht.
Das Ausmaß von Besorgnis in den uns verbündeten Staaten wegen dieser Entwicklung kann sich vielleicht mancher unserer Bürger zu Hause nicht richtig vorstellen, und deswegen muß es ihm von dieser Stelle aus gesagt werden. Egal in welchem Wahlgang, ob zum Rathaus oder zum Landtag oder hier zum Deutschen Bundestag: jede für die NPD abgegebene Stimme zerstört Vertrauen bei unseren Verbündeten.
Wir brauchen aber dieses Vertrauen unserer Verbündeten. Ohne Freunde und ohne Bündnisgenossen könnten wir weder unsere Sicherheit noch unsere Freiheit in Europa aufrechterhalten.
Wer sich auf dem ultrarechten Flügel einbildet, die Bundesrepublik Deutschland könne auf eigene Faust ihre Sicherheit aufrechterhalten, der ist ein gefährlicher Narr.
Das sollte jeder wissen, der zur Wahl geht, ehe er solche Narren wählt.
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Lassen Sie mich zu der Frage zurückkommen, ob unsere innenpolitische Struktur auch auf die Dauer solchen außenpolitischen Belastungen gewachsen ist, wie wir sie in diesem Sommer erleben. Wir alle wissen, daß dies nicht die letzte Belastung ist, die wir erleben werden.Viele Deutsche haben in den letzten Wochen — das will ich hier einflechten — Hochachtung vor der freiwilligen Disziplin und vor der Klugheit empfunden, die unsere tschechoslowakischen Nachbarn unter schwerster Belastung aufgebracht haben. Die Tschechen und die Slowaken hatten die innere Gewißheit, daß die politische Führung ihres Landes eindeutig und für jedermann im Lande durchsichtig auf dem Wege des Fortschreitens zu mehr Freiheit und Gerechtigkeit war. Diese Überzeugung hat die Einigkeit von Volk und politischer Führung bewirkt, unabhängig davon, ob der einzelne Kommunist war oder ob er es nicht war.Es kann sein, daß für uns in den nächsten Monaten und vielleicht in den nächsten Jahren außenpolitische Fortschritte nicht möglich sind. Deshalb sollten wir uns vielleicht mehr noch als bisher auf den Fortschritt im Innern unseres Hauses konzentrieren. Wir müssen unserem eigenen Volk noch mehr als bisher die Gewißheit geben, daß wir auf einem stetigen Wege zu mehr Freiheit sind, zu mehr Gerechtigkeit, zu mehr Teilhabe des einzelnen am Ganzen. Keiner von uns darf sich den großen gesellschaftspolitischen Aufgaben verschließen, die uns bewegen: die gerechte Verteilung des wirtschaftlichen Wachstums und damit der Vermögen, das Mitreden und Mitbestimmen der vielen, die Hochschul- und die Studienreform oder die Fragen der Wissenschaft und der Bildung. Alle unsere Bemühungen um Sicherheit und Frieden haben auf die Dauer nur dann Erfolg, wenn es uns gelingt, die innere Ordnung zu wahren und Freiheit und Gerechtigkeit für den einzelnen zu mehren.
Stabilität eines Staates nach außen hängt ab von der Stabilität im Innern, und Stabilität der Demokratie hängt ab von dem Fortschritt der Gesellschaft, die demokratisch verfaßt ist. Alle Gesellschaften haben in ihrer Entwicklung immer wieder mit schwerwiegenden Konflikten zu tun. Viele Gesellschaften heute z. B. haben an ihren Hochschulen ungelöste Konflikte. Wir sind darin keineswegs allein. Das kann uns nicht darüber trösten, daß uns auf dem Gebiet offenbar noch nicht sehr viel gelungen ist. Wenn man ins Ausland kommt, so ist dieses Universitätsthema für einen deutschen Politiker in vielen Fällen eines der wichtigsten Gesprächsthemata. Ich will im Zusammenhang damit sagen, daß es mir wohltut, im Ausland häufig zu hören, daß die deutsche akademische Jugend heute offenbar zwar mancherlei seltsame und unbequeme politische Zielsetzungen im Sinn habe, wie gut es aber doch sei, daß sie jedenfalls nicht einen Rückfall in die Pseudoideale des nationalsozialistischen Unrechtsstaates im Sinne habe.
Ich möchte zum Schluß auf die Erklärung der Bundesregierung zurückkommen, Herr Bundeskanzler, der wir zustimmen und in der Sie wiederholt haben, daß wir ebenso wie unsere Verbündeten eine weitschauende Entspannungspolitik nur auf der Grundlage der eigenen Freiheit und Sicherheit und auf der Grundlage des Atlantischen Bündnisses führen können.Dazu darf ich zitieren, was der Abgeordnete Herbert Wehner am 30. Juni 1960 von dieser Stelle aus gesagt hat:Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands geht davon aus, daß das europäische und das atlantische Vertragssystem, dem die Bundesrepublik Deutschland angehört, Grundlage und Rahmen für alle Bemühungen der deutschen Außen- und Wiedervereinigungspolitik ist.Das galt damals, und das gilt heute, und, ich nehme an, das galt damals und gilt heute unter Einschluß aller Fraktionen dieses Hauses, so wie die Lage damals war und wie sie heute immer noch ist.Es mag sein — Herr Barzel hat das, quasi im Vorwege für die FDP sprechend, angekündigt —, daß wir im übrigen nicht in allen Punkten einig sein werden, wenn wir heute abend auseinandergehen. Es ist der sehr ernsthafte Versuch gemacht worden, zwischen allen drei Fraktionen in der gegenwärtigen Phase der deutschen Sicherheits- und außenpolitischen Gefährdung eine gemeinsame Plattform des Deutschen Bundestages zu erarbeiten. Wir waren beinahe so weit, daß wir die Hoffnung hatten, wir könnten uns voll und ganz einigen. Jetzt stellt sich heraus, daß in einem Punkt das wohl doch nicht möglich ist.Vielleicht sollten wir bei der Gelegenheit einmal einen Blick auf die Schwierigkeit werfen, eine Einigkeit unter zwei Parteien herzustellen, die einer Regierungskoalition angehören.
Um so schwieriger muß es sein, unter Dreien eine Einigung zu finden mit einer Opposition, die diese Koalition gar nicht schön findet.
Es ist ein schwieriges Unterfangen, auch wenn man sich ganz ernsthaft und gutwillig von allen drei Seiten bemüht, eine gemeinsam zu akzeptierende Plattform zu finden. Das ist ein schwieriges Unterfangen. Ich bin gleichwohl sehr froh darüber, daß offenbar die FDP-Fraktion ihren Dissens nur auf einen einzigen unter insgesamt 15 Punkten beziehen will.
— Nein, das ist nicht der wichtigste. Jetzt überschätzen Sie wirklich in einer Lage, in der Deutschland bedroht und gefährdet ist, die langfristigen Aspekte einer Politik, die doch erst dann wieder Früchte tragen kann, Herr Kollege, wenn die gegenwärtige Bedrohung zurückgenommen sein wird.
Aber ich wollte die Bedeutung Ihrer Bedenken damit nicht verkleinert haben; ich nehme Sie ernst, und ich nehme Ihre Bedenken ernst.
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10098 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968
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Lassen Sie mich abschließend sagen — und ich glaube, daß auch dies Gedanken sind, in denen wir völlig miteinander übereinstimmen, ob wir in der Mitte, auf der Linken oder auf der Rechten dieses Hauses sitzen —: Wir alle haben Vertrauen in die Urteilsfähigkeit unseres Volkes in außenpolitischen Konflikten wie in innenpolitischen Konflikten. Wir setzen unser Vertrauen darein, daß dieses Volk sich nicht von den Ultrarechten oder von den Ultralinken zu Experimenten mit seiner Freiheit und seiner Sicherheit verleiten lassen wird. Die Demokratie ist heute im Bewußtsein unseres Volkes stärker verankert als jemals in früheren Generationen.Diese Verankerung der Demokratie im Bewußtsein der heute lebenden Deutschen steht und fällt ganz gewiß nicht mit einer zeitbedingten Koalition in diesem Hause. Die Zeit der gegenwärtigen Koalition wird in einem Jahr abgelaufen sein. Aber nicht abgelaufen wird sein und nicht zu Ende gehen darf die gemeinsame Bemühung aller Demokraten um die Bewahrung der Sicherheit und der Freiheit unserer Demokratie nach innen und nach außen.
Unser Volk stimmt in seiner überwältigenden Mehrheit mit der Friedenspolitik überein, die wir hier heute gemeinsam bekunden. Unser Volk will vor neuen Kriegen sicher sein. Wir haben zu viele Kriege erlebt. Dieses Volk will den Frieden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Scheel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu Anfang Herrn Kollegen Schmidt für die Ernsthaftigkeit danken, mit der .er in der letzten Phase seiner Darlegungen über die Pflichten dieses Hauses gesprochen hat, aber auch über die Zusammenarbeit dieses Hauses, über die Notwendigkeit der Zusammenarbeit gerade unter einer Bedrohung, unter der wir alle stehen.Wir müssen gemeinsam anerkennen, daß der eklatante Völkerrechtsbruch der Sowjetunion ein ernster Rückschlag für die Friedenspolitik gewesen ist, die wir gemeinsam getragen haben. Wir alle haben ja doch ,die Hoffnung gehabt, daß die Epoche des Kalten Krieges beendet sei. Diese Hoffnung scheint verfrüht gewesen zu sein. Vor allem für die junge Generation, für die es ein begeisterndes Ziel gewesen ist, die Zusammenarbeit auch zwischen den beiden Teilen Europas, zwischen West- und Osteuropa, zu intensivieren, 'ist dieses Ziel in eine weite Ferne gerückt, und sie ist enttäuscht.Mit den Panzern der Sowjets ist wieder die eiskalte politische Atmosphäre aus den fünfziger Jahren eingezogen, von denen Herr Dr. Barzel heute morgen gesprochen hat. Der Haß, das Mißtrauen, die Angst und die Resignation beherrschen viele politische Diskussionen. Wir 'in der Bundesrepublik vor allem müssen uns fragen, ob denn unsere europäische Friedenspolitik, 'unsere Osteuropa-Politik richtig war oder ob sie, wie manche heute schnell sagen, gescheitert ist, diese europäische Friedenspolitik, die schon 1961 mit dem Wechsel 'im Außenministerium begonnen hat und die in dem langsam entspannteren politischen Klima auch Erfolge sichtbar machen konnte. Heute wagt man ja kaum noch von „Entspannung" zu reden. Aber es ist nun einmal so, daß diese Art von Politik nur wirksam sein kann, wenn sie in einem politisch einigermaßen ,entspannten Klima arbeiten kann.Meine Damen und Herren, wie kam es zu den Ereignissen, die uns diesen Rückschlag beschert haben? Ist es vielleicht so, daß die Politik der Sowjetunion, wie in den letzten Tagen in der Presse häufig zu lesen war, rational nicht berechenbar oder nicht mehr berechenbar ist? — Ich weiß nicht, ob diese Vermutung richtig ist. Sie wissen, daß ich im Juli dieses Jahres in der gespanntesten Zeit in der Tschechoslowakei gewesen bin. Weil idle Zeit so gespannt war, habe ich von meinem Besuch — ich bin auf Einladung dort gewesen — keinerlei publizistisches Aufheben gemacht; denn das hätte sicherlich ,dem gemeinsamen Ziel aller Europäer nicht gedient.Aber ich habe in jenen Tagen in vielen Gesprächen festgestellt, daß die kommunistischen Führer der Tschechoslowakei bei ihren politischen Absichten nicht .das Ziel verfolgten, etwa aus der wirtschaftlichen Organisation der sozialistischen Staaten Osteuropas, aus der Comecon-Organisation, auszuscheiden, und daß es noch viel weniger ihre Absicht war, aus 'der militärischen Organisation, dem Warschauer Pakt, auszuscheiden. Was sie wollten, war der Versuch, zwischen der Tschechoslowakei — und in einem weiteren Sinne auch zwischen Osteuropa und Westeuropa — ein Mehr an Beziehungen herzustellen. Bei dieser Sachlage fragt man sich, warum denn die Sowjetunion in die Tschechoslowakei eingefallen ist, zumal sie doch in Fällen vorher, in denen europäische Länder den erfolgreichen Versuch unternommen haben, sich von der Sowjetunion 'zu lösen, das nicht tat: 'ich meine im Fall Jugoslawien und im Fall Rumänien.Nun, meine Damen und Herren, es gibt Unterschiede zwischen den jeweiligen Entwicklungen in Jugoslawien, Rumänien und der Tschechoslowakei. Jugoslawien hatte sich sehr früh — zu einer Zeit, als die Sowjetunion noch schwach war — unter heftigen persönlichen Fehden von der Kommandozentrale Moskau gelöst, übrigens zu einem Zeitpunkt, als es den Warschauer Pakt noch nicht gab. Bei Rumänien ist es anders gewesen: Rumänien hat das für sich erkämpfte Stück außenpolitischer Bewegungsfreiheit durch eine härtere politische Linie im Innern kompensiert, ja geradezu überkompensiert. Rumänien verficht, was manche immer wieder vergessen, im Innern die härteste politische Linie, den härtesten Stalinismus von allen Sowjetblock-Staaten. Daher empfand die Sowjetunion offenbar nicht die Provokation, die für sie von der Tschechoslowakei ausging; denn die Tschechoslowakei schien in ihrer Entwicklung für die Machtinteressen der Sowjets gefährlicher zu sein.In erster Linie war für sie der Bazillus der ideologischen Aufweichung gefährlich. Es hatte doch so
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Scheelmerkwürdig literarisch mit einer Konferenz über Kafka begonnen, mit einer Konferenz kommunistischer Literaten über Kafka, die der Frage galt, ob Kafka wohl in die Gruppe der kommunistischen Schriftsteller eingereiht werden könne. Man kam zu der Überzeugung: ja. Derjenige, der Kafka kennt, wird sagen: Dieses war ein sensationelles Ergebnis eines Denkprozesses kommunistischer Literaten.Damit fing es an; und es war eine gerade Linie, die danach zu dem Manifest der 2000 Worte führte, das dann die eigentliche Ursache für den Schock der Sowjetunion war. Man sprach in der Tschechoslowakei von mehr Demokratie, von der Freiheit der Meinung und der Garantie der Meinungsfreiheit, davon, daß es keine Zensur mehr geben dürfe. Man hatte die Zensur abgeschafft; man praktizierte die Freizügigkeit der Persönlichkeit, man konnte reisen — eigentlich nur noch durch Devisenbestimmungen etwas behindert —, man wollte mehr Liberalismus in der Wirtschaft, um die Effektivität, um die Leistungskraft der Wirtschaft zu erhöhen. Und die schlimmste Sünde von allen: man diskutierte ernsthaft über das Mehrparteiensystem als einer geeigneten Grundlage einer fortschrittlichen Politik.Meine verehrten Damen und Herren, das allerdings, kombiniert mit den Angriffen z. B. des Generalstabschefs der tschechischen Armee auf den Warschauer Pakt — wenn er dann auch abgesetzt wurde und aus dem Zentralkomitee der KP ausscheiden mußte — und kombiniert mit der Tatsache, daß auf den Straßen in Prag Unterschriften gesammelt wurden, die die Neutralisierung der Tschechoslowakei forderten, — das zusammengenommen stellte die russische Führung allerdings vor eine Entscheidung, der sie sicherlich gern ausgewichen wäre, nämlich vor die Entscheidung, jetzt entweder als eine geistige Führungsmacht einer weltweiten Ideologie oder als Führungsgruppe mit nacktem imperialistischem russischem, wenn man will, sogar nationalrussischem Ziel zu handeln. Die Sowjetunion hat sich entschieden, als imperialistische Macht zu handeln, d. h. ihre Machtpolitik vor ihre ideologischen Ambitionen zu stellen. Sie tat das, obgleich die sowjetische Führung wußte, welche Nachteile sie bei diesem Verhalten in Kauf nehmen muß:Erstens unterliegt es heute keinem Zweifel, daß die Sowjetunion die geistige Führungsrolle im internationalen Kommunismus verloren hat.Zweitens: Die Kluft, die zwischen Jugoslawien und Rumänien auf der einen Seite und der Sowjetunion auf der anderen Seite besteht, wird sich nicht mehr schließen — bei aller Vorsicht, die diese Staaten heute anwenden, weil sie sich gefährdet glauben. Sie werden aber alles versuchen, diesen Abstand zu stabilisieren, und sie werden sicherlich keine Brücken zu bauen versuchen.Drittens: Der Sowjetblock, soweit er unter der Führung der Sowjetunion steht, ist in der dritten Welt, in Südamerika, in Afrika und in Asien, zunehmend einer Isolierung ausgesetzt, wie alle Besucher in diesen Ländern heute schon zu berichten wissen.Viertens: Die inneren Spannungen innerhalb des Warschauer Paktes, die ja schon vorhanden waren, bevor der Überfall auf die Tschechoslowakei begann, haben nicht nachgelassen, sie haben im Gegenteil zugenommen; denn wer von uns könnte glauben, daß die anderen Warschauer-Pakt-Staaten — von der DDR will ich einmal absehen — frohen Herzens an der Seite der Sowjetunion nach Prag marschiert wären? Am allerwenigsten die Ungarn, die ja wußten, wie es aussieht, wenn man in das eigene Land mit Panzern einbricht. Diese Spannungen, meine Damen und Herren, lassen sich so leicht nicht mehr überwinden.Fünftens: Es wird nach meiner festen Überzeugung eine Umgruppierung der Kräftegruppen im Kreml geben. Denn lassen wir uns nicht täuschen: diejenigen, die der Sowjetunion diese weltweite Blamage eingebrockt haben — und es w a r eine weltweite Blamage; nicht nur, daß der Akt als solcher bei allen Menschen auf der Erde Abscheu erweckte, auch die politische Vorbereitung war eine Blamage für die Sowjetunion, die ja nicht einmal, wie soll ich sagen, „im Ausschreibungsverfahren" in der Lage war, einen einzigen Tschechen, einen einzigen Slowaken zu finden, der bereit gewesen wäre, eine Regierung auf den Bajonetten der Sowjettruppen zu bilden —, diejenigen also, die mit Mehrheit die Entscheidung zu dieser Blamage herbeigeführt haben, mögen zwar jetzt ihre Machtstellung noch brutaler demonstrieren als vorher, aber sie werden dennoch auch innerhalb der sowjetischen Führungsstruktur an Einfluß einbüßen. Am Ende wird sich der besonnene, der vernünftige Flügel stärker durchsetzen.Sie haben die Berichte über die geistige Verfassung der russischen Soldaten gelesen, die in die Tschechoslowakei einmarschiert sind und die dort an Ort und Stelle gesehen haben, was es heißt, ein wehrloses Volk aus blankem Machtinteresse zu überfallen. Die geistige Verfassung dieser Soldaten wird mehr zurückwirken, als die sowjetische Führung mit ihrem militärischen Überfall jetzt bewirkt hat.Und sechstens: Unter der Oberfläche, und das ist überall sichtbar, wächst im gesamten Sowjetblock der Drang nach dem reformierten, demokratischen Kommunismus, den die Reformer in Prag praktizieren wollten.Trotz aller dieser Nachteile und trotz der Aussicht, daß die Strukturwandlung nicht abzubrechen ist, die im Sowjetblock vorher so virulent sichtbar war, entschied sich der Kreml für die Aggression. Und im grellen Licht dieser Aggression erkannten wir alle klarer, was in der leicht dunstigen Atmosphäre der Entspannungspolitik vorher zu verschwimmen schien: nämlich die harte, unbeugsame Entschlossenheit der Sowjetunion, den politischen und den militärischen Status quo in Europa mit allen Mitteln zu verteidigen. Die Beispiele kannten wir: 1953 die DDR, 1956 Ungarn und jetzt die Tschechoslowakei. Und die Frage, vor der wir stehen, ist doch: Was wird morgen sein? Wie beurteilen wir die Lage, in der wir uns jetzt befinden? Werden
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10100 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968
Scheeles andere sozialistische Staaten sein, die der Aggression ausgesetzt sind, oder werden wir gefährdet sein, die wir dem anderen Machtlager dieser Welt angehören?Meine Damen und Herren, es zeigt sich bei der Beurteilung der Vorgänge der letzten Monate, daß sich seit 1945 nichts als so 'dauerhaft 'erwiesen hat wie die gegenseitige Respektierung der Einflußsphären, die sogenannte Lübeck-Triester-Linie, von der man sagt, daß sie in Jalta von den Jalta-Signatarmächten verabredet worden sei. Ich weiß, daß dieses Gerücht nicht zu beweisen ist; ich will auch unterstellen, daß es nicht richtig ist. Aber ich glaube doch, die tatsächlichen Abläufe der geschichtlichen Entwicklung der letzten Jahre geben denen recht, die sagen: Diese Abgrenzung der Interessensphären besteht in jedem Falle, und die Haltung der Supermächte ist verständlich, die diese Interessensphären respektieren, weil nämlich die 'direkte Konfrontation zweier Mächte mit einem solchen Potential an atomarer Ausrüstung zu einer Gefährdung führen würde, ,die beide nicht bereit sind, auf sich zu nehmen. Insoweit sind diese Interessensphären ein Element unserer eigenen Sicherheit gewesen, und sie sind es noch. Aber diese beiden Blöcke, die ein Element unserer Sicherheit sind — neben anderen Elementen selbstverständlich —, sind auf der anderen Seite ein Hindernis dafür, daß wir zu einer Intensivierung der politischen, der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Europa kommen, einer Zusammenarbeit zwischen West- und Osteuropa, von der heute fortschrittliche Wissenschaftler und Politiker — auch der osteuropäischen Staaten — sagen, daß sie nötig sei, wenn man für ganz Europa in Wahrheit eine Zukunft bauen wolle.In dieser Krise der letzten Monate hat sich eines nun erwiesen: Die Theorie, daß die Zusammenarbeit ganz Europas zuwege gebracht werden könnte über die Kooperation der Vaterländer, hat sich als irrig herausgestellt. Nicht nur, daß das schon in Westeuropa sehr schwierig wäre, sondern auch die Machtstruktur in Osteuropa läßt diese Theorie nicht Wirklichkeit werden. Die Sowjetunion wird es nicht zulassen, daß lein 'einzelner osteuropäischer Staat seine Beziehungen zu Westeuropa, isoliert vom Rest, 'intensiviert und auf einen besonderen Sockel stellt.Meine Damen und Herren, der 21. August hat uns auch vor Augen geführt, wie kompliziert und wie komplex zugleich die deutsche Frage ist. Denn in allen Phasen der Reformbewegung und der Bekämpfung der Reformbewegung in der Tschechoslowakei, in allen Phasen hat das Deutschlandproblem als Gesamtproblem eine eminent große Rolle gespielt. Es ist kaum ein Tag vergangen, wie Sie ja selbstimmer wieder erlebt haben, angefangen von der Januar-Sitzung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, an dem nicht die Politik der beiden Teile Deutschlands, der Regierungen der beiden Teile Deutschlands in Prag, in Warschau und in Moskau heftig diskutiert worden ist. Und der Einmarsch von deutschen Soldaten der DDR in Prag symbolisiert geradezu, wie groß der Einfluß der deutschen Frage als Gesamtproblem auf die dramatischen Ereignisse dieses Sommers gewesen ist. Bei genauerem Hinschauen erkennen wir, in welchem Maße auch — bewußt oder unbewußt — die Politik der Bundesrepublik die Vorgänge beeinflußt hat.In einer Lage wie der, in der wir uns befinden, fällt es jedem schwer, der dazu zu sprechen hat, nicht Emotionen zu verfallen, denen man mit Recht nachgeben könnte. Aber es tut uns, die wir die Verantwortung haben für das Schicksal unseres Teiles Deutschland, not, Besonnenheit zu wahren in allem, was wir sprechen, und in allem, was wir tun, zumal die Sowjetunion uns in erster Linie verantwortlich machen möchte, uns beschuldigt, die Verantwortung zu tragen für die Maßnahmen, die sie selber getroffen hat. Es ist heute morgen schon gesagt worden, daß diese Propagandatiraden so unglaubwürdig sind und daß das Verhalten der Bundesrepublik Deutschland so seriös, so richtig gewesen ist, daß sich die Sowjetunion in aller Welt mit dieser Art der Propaganda sicherlich keine zusätzliche Glaubwürdigkeit verschaffen kann, wenn sie davon spricht, daß die Truppen, die sie entsandt hatte, ihre Aufgabe, ihre „edle Mission" bis zum Ende „zum Wohle des Friedens" erfüllen müßten. Das ist ein so blanker Zynismus, daß man es einfach nicht lesen kann, ohne daß einem Schauer über den Rücken laufen.Meine Damen und Herren, aus dieser Haltung jedoch entsteht etwas sehr Gefährliches. Aus der Schwäche, in der sich die Sowjetunion befindet, entsteht der aus der politisch-psychologischen Schwäche in der Welt und aus dem eigenen Schuldgefühl geborene arrogante Anspruch der Sowjetunion auf das Recht zur Intervention nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in einer ganzen Anzahl von Staaten dieser Welt. Ich meine, hier gilt es, Festigkeit zu zeigen, nicht nur für uns, sondern auch um unsere Verbündeten davon zu überzeugen, daß es mehr braucht als das, was bisher dazu gesagt worden ist. Denn die skurille Auslegung der UNO-Charta, welche die Grundlage solchen Anspruches ist, ist noch nicht eindeutig widerlegt. Auch was der Generalsekretär der UNO zu diesem Problem gesagt hat, kann mich nicht befriedigen.
Ich meine, wir sollten hier einmal feststellen, daß wir niemandem in der Welt — niemandem! — eine Intervention in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik zubilligen,
keinem einzelnen Staat, auch keiner Gruppe von Staaten. Meine Damen und Herren, das muß gesagt werden. Ich meine, wir wissen doch genau, was wir zu tun bereit sind, um all überall dem Frieden zu dienen. Um des Friedens willen viel zu tun, das sollte für einen Deutschen nicht schwer zu entscheiden sein. Deshalb wollen wir uns nicht zum Popanz einer hektischen Propaganda machen lassen, die an Zynismus kaum 'noch zu überbieten ist. Hier gilt es, unsere Verbündeten weiß Gott noch stärker zu engagieren.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968 10101
ScheelDie Bundesregierung hat sich mach der Meinung meiner Fraktion in der kritischen Zeit richtig verhalten. Der Bundesaußenminister, gedeckt auch durch den Bundeskanzler, hat keine Hysterie, keine Panikmache geduldet, zur Ruhe und Besonnenheit gemahnt. Die Bundesregierung hat, sogar in den ersten Tagen und Wochen, als die Wogen der öffentlichen Meinung noch nicht geglättet waren, auch zu dem gestanden, was wenige Tage vorher ein Hoffnungsschimmer in unserer Deutschlandpolitik zu sein schien, nämlich zu der Verabredung von Ministergesprächen zwischen Ministern der Bundesrepubik und Ministern der DDR. Ich glaube, es ist richtig — ich begrüße die Bestätigung dieser Haltung durch den Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei —, daß wir dieses Thema auf der Tagesordnung halten. Daß man Außenpolitik mit Erfolg nur in einer gewissen Abhängigkeit von der politischen Atmosphäre, in der man sich befindet, treiben kann, ist selbstverständlich; ich kann also nicht immer und zu jeder Zeit alles erreichen. Aber das Ziel muß im Blickpunkt bleiben.
Darin hat die Bundesregierung die Unterstützung der Opposition, auch bei ihrem Bemühen, die Lage zu entschärfen und nüchtern Konsequenzen aus der veränderten außenpolitischen Situation zu ziehen.In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, möchte ich zu der vorbereiteten Entschließung des Bundestages ein paar Worte sagen. Herr Schmidt hat schon erwähnt, daß sich die Fraktionen des Bundestages Mühe gegeben haben, zu einer gemeinsamen Erklärung des Bundestages zu kommen. Die Gemeinsamkeit der parlamentarisch Verantwortlichen in einer solchen Zeit ist für das Volk ein Wert an sich. Wir haben uns unsererseits bemüht, zu dieser Gemeinsamkeit zu kommen. Aber es gibt eine gewisse Grenze, wo die Gemeinsamkeit nicht die unterschiedliche Auffassung überdecken darf. Das sind die Grenzen der Auffassungen im Prinzip. Es hat einen Punkt in dieser Entschließung gegeben, der auch durch die gutwilligste Mitwirkung bei der Erarbeitung einer gemeinsamen- Entschließung von uns nicht akzeptiert werden konnte. Alle übrigen 14 Punkte der Entschließung fanden unsere Billigung. Ein Punkt, der Punkt 6, jedoch konnte unsere Billigung nicht finden. Dieser Punkt in der Entschließung der Fraktionen der CDU/CSU und SPD lautet:Unsere Verbündeten und die ganz überwiegende Mehrheit der Völker haben bekundet, daß sie die Bundesregierung als die einzige deutsche Regierung ansehen, die frei und rechtmäßig gebildet ist.Soweit, so gut. Aber das brauchen wir nicht erst bestätigen zu lassen, das wissen wir ja selbst wohl am allerbesten, daß wir frei und rechtmäßig gebildet sind. Jetzt kommt der Satz:Sie spricht auch für jene, denen mitzuwirken bisher versagt ist.Meine Damen und Herren, das ist, in welcher sprachlichen Form auch immer, der Anspruch des Alleinvertretungsrechts für alle Deutschen im internationalen Geschäft.
— Herr Kollege, Sie täuschen sich außerordentlich! In der Präambel steht nichts dergleichen. In der Präambel steht — wenn Sie den Wortlaut da haben, können Sie das nachlesen —, daß die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates bei der Abfassung des Grundgesetzes in ihrer Verantwortung auch für diejenigen, die bis dahin nicht handeln und nicht sprechen konnten, gehandelt haben. Das ist der Wortlaut.
— Sie müssen gleich den nächsten Satz mitsehen. Es heißt nämlich in der Folge: daher sind wir verpflichtet, die Wiedervereinigung zu vollenden. Sie kennen die Formel.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, gern.
Ich will nicht nach den Verhandlungen und den Vorgängen fragen, sondern nach dem Ergebnis. Ich glaube, wir stimmen überein, wenn ich aus der Präambel des Grundgesetzes zitiere:
Es
— nämlich das deutsche Volk in den Ländern —
hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war.
Das gesamte Deutsche. Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.
Die Frage ist, Herr Kollege — —
Das ist genau das, was ich gesagt habe!
Herr Kollege, es steht im Grundgesetz kein Wort
Eine Sekunde! Dies ist der Text unseres Grundgesetzes, auf das bis zu dieser Stunde die Minister, die Beamten und aridere vereidigt werden. Wir haben gestern versucht, diese Formel aus dem Grundgesetz hereinzuschreiben, weil wir dachten, dies sei eigentlich eine Möglichkeit zur Verständigung.
Herr Kollege Dr. Barzel, was Sie verlesen haben, ist genau das, was ich gesagt habe. Ich hatte das Grundgesetz nicht hier, sonst hätte ich es selbst verlesen können. Im Grundgesetz steht kein Wort, das auch nur zu der Annahme den geringsten Anlaß bietet, daß wir für die Deutschen in
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Scheelder DDR international handeln und sprechen könnten, sondern das Grundgesetz sagt ganz eindeutig, daß bei der Abfassung des Grundgesetzes auch für die gehandelt worden ist, die selbst nicht handeln konnten. Das ist etwas anderes. Aus diesem Grunde ist der nächste Satz so zu verstehen, daß das gesamte deutsche Volk aufgefordert bleibt, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.
— Bitte, sehr gern!
Um die Substanz an Gemeinsamkeit zu vergrößern, frage ich folgendes: Glauben Sie, daß die Menschen im unfreien Teil Deutschlands inzwischen die Möglichkeit haben, so zu handeln, wie sie wollen?
Ich glaube aber nicht, Herr Kollege Barzel, daß wir den Auftrag der Deutschen in der DDR haben, ihre Interessen in der Welt wahrzunehmen, für sie zu sprechen. Das ist einfach unmöglich,
Darf ich eine letzte Frage stellen? Halten Sie es für politisch richtig, daß sich der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der CDU/CSU heute an der Stelle, wo Sie jetzt stehen, zum Sprecher auch unserer Landsleute drüben gemacht hat, als er im Namen derer, die nicht frei sprechen. können, gegen den Mißbrauch des deutschen Namens und deutscher Menschen anläßlich des Einmarsches der Truppen in die Tschechoslowakei protestierte?
Herr Kollege Dr. Barzel, ich glaube, daß diese Ihre Bemerkung in gar keinem Verhältnis zu der Sache steht, über die wir sprechen, in keinerlei Verhältnis.
Dies war eine polemische Bemerkung des Typs von Propaganda, den ich eben als nicht besonders qualifiziert bezeichnet habe.
Herr Dr. Barzel, ich will zu dieser Frage in der ruhigen Art, in der ich unseren Standpunkt verteidigen wollte, die Erläuterung geben, warum wir in diesem Punkt nicht mit Ihnen zusammengehen konnten.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ich lese noch einmal den Satz vor: „Sie spricht auch für jene, denen mitzuwirken bisher versagt ist." Gegen den Satz müssen wir uns wenden, weil wir nämlich fest davon überzeugt sind, meine Damen und Herren, daß diese Formulierung die Außenpolitik der Bundesregierung nicht erleichtert, eher erschwert. Wir sind der Überzeugung, daß-diese Formulierung den Bewegungsspielraum unserer Außenpolitik nicht erweitert, eher verengt. Wir sind auch der Meinung — lassen Sie mich das in allem Ernst sagen, meine Damen und Herren —, daß diese Formulierung das Sicherheitsrisiko, dem wir unterliegen, nicht mindert, eher erhöht.
Aus diesem Grunde haben wir ja nicht etwa auf diesen Punkt verzichtet, sondern wir haben einen eigenen Textvorschlag gemacht, den ich Ihnen verlesen darf.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie vorher zwei Zwischenfragen?
Vielleicht, Herr Präsident, am Schluß dieses Punktes.
Bitte sehr.
Den eigenen Textvorschlag will ich verlesen. Er lautet so:
Es entspricht dem Willen des ganzen deutschen Volkes und dem Verfassungsauftrag des Grundgesetzes, daß die Bundesrepublik Deutschland den anderen Teil Deutschlands nicht völkerrechtlich als Ausland anerkennt.
Das steht in Ihrem Punkt 6 — in einer anderen Form — auch, und das haben wir als unseren Vorschlag vorgetragen: Es entspricht dem Willen des ganzen deutschen Volkes und dem Verfassungsauftrag des Grundgesetzes — der eben hier verlesen worden ist —, daß die Bundesrepublik Deutschland den anderen Teil Deutschlands nicht völkerrechtlich als Ausland anerkennt.
Meine Damen und Herren, ich habe dies hier eingeschoben, weil ich meine, daß man unter dem Gesichtspunkt, wie wir die Entwicklung der letzten Monate meistern, in allem, was wir tun, sorgfältig überlegen, uns zurückhaltend äußern und manchmal vielleicht auch zurückhaltend handeln müssen.
Ich bin der Auffassung, meine Damen und Herren — um hier fortzufahren —, daß die Haltung der Bundesregierung in ihrer Erklärung: daß es zur europäischen Friedenspolitik keine Alternative gibt, richtig ist. An dieser Richtung unserer Außenpolitik sollten wir festhalten. Dahin gehören auch die Fragen, die ich jetzt eben im Zusammenhang mit der gemeinsamen Erklärung erläutert habe.
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage.
Sehr gern.
Herr Abgeordneter von Merkatz!
Herr Kollege Scheel, sind Sie mit Ihren Darlegungen zu dem Begriff „Alleinvertretungsrecht", der ja nicht von
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Dr. von Merkatzuns, sondern von der anderen Seite geschaffen worden ist, nicht der Verdrehung des Tatbestandes unterlegen? Denn die Verantwortung, für das deutsche Volk, unsere Nation, zu sprechen, ist doch der Auftrag des Grundgesetzes, um hier mit der Legitimation freier Gewähltheit dem Denken und Fühlen der deutschen Nation freien Ausdruck zu geben. Es ist doch nie beansprucht worden, etwa völkerrechtlich verbindliche Verträge im Namen des ganzen Deutschlands abzuschließen.
Aber, Herr Kollege, es ist ein Unterschied, ob Sie eine solche Interpretation, wie, Sie sie jetzt gegeben haben, mit der Erläuterung, was von Ihnen damit gemeint ist — mit der Erläuterung nämlich, daß das nicht gemeint ist, was wir nicht wollen —, aussprechen, oder ob Sie diesen Satz, so wie er hier steht, in Ihre Erklärung hineinschreiben. Uns ging es um nichts anderes als darum, die Mißverständnisse, die dieser Satz enthält, von vornherein auszuschalten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiep?
Bitte sehr!
Eine sehr kurze Frage, Herr Kollege Scheel: Sind Sie der Meinung, daß die Formulierung, so wie wir sie vorgelegt haben, geeignet ist, bei den Menschen in Ostdeutschland ein Gefühl der Bevormundung hervorzurufen?
Scheel FDP) : Diese Formulierung ist zweifellos geeignet, Mißverständnisse zu erwecken.
Ich darf meine Frage noch einmal anders formulieren: Glauben Sie, daß die Menschen in Ostdeutschland sich durch diese Formulierung bevormundet fühlen, d. h. glauben Sie, daß die Menschen in Ostdeutschland den Eindruck haben, wir hätten uns hier angemaßt, eine Erklärung abzugeben, hinter der sie nicht stehen?
Ich nehme nicht an, daß Sie diese Erklärung allein für die Menschen in Ostdeutschland abgefaßt haben.
Es ist eine Erklärung des Bundestages, die ja wohl für viele Adressaten gedacht ist. Ich wiederhole noch einmal meine Bemerkung dazu: Uns geht es darum, die mißverständliche Interpretation dieser Formel auszuschließen. Das hat soeben auch Herr Kollege von Merkatz getan; wenn er das hineingeschrieben hätte, wäre die Formel nicht mehr mißverständlich gewesen. So aber ist sie mißverständlich.
Wir haben eine Alternativformel vorgeschlagen. Ich glaube, das ist das Recht, das wir haben. Wir sind in diesem Punkte, wie Sie wissen, vielleicht etwas vorsichtiger, etwas zurückhaltender als mancher in diesem Hause. Aber das werden Sie uns auch zugestehen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt?
Bitte sehr!
Lieber Herr Scheel, würden Sie mir nicht darin zustimmen, erstens, daß es besser wäre, diese Kontroverse so lange aufzuschieben, bis die Erklärung auf den Tischen der Kollegen liegt, und zweitens, daß sie nicht in das Zentrum der Auseinandersetzung über die Bewertung einer Lage gehört, die uns allerdings bedroht, und ich sage: am Leben bedroht, und daß es bei dieser Frage, die Sie im Augenblick erörtern, um eine Sache geht, die erst später vielleicht wieder wichtig wird?
Herr Kollege Schmidt, ich stimme Ihnen in vollem Umfang zu. Ich hatte nicht die Absicht, darüber eine Debatte zu führen, sondern wollte nur in ganz wenigen Worten unsere Haltung erläutern. Das habe ich getan, und ich glaube, das ist für die Aufklärung über unsere Motive auch ausreichend gewesen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Gradl?
Nein, Herr Präsident. Ich bin gerne bereit, die Anregung von Herrn Schmidt aufzunehmen und die Diskussion darüber jetzt abzubrechen, weil wir ja auch noch ein paar andere Fragen zu besprechen haben. Ich nehme an, daß nachher im Laufe der Debatte noch Gelegenheit gegeben sein wird, diesen Spezialfall als das zu behandeln, was er wahrlich ist, nämlich als einen Spezialfall, der nicht in der allgemeinen Debatte diese Bedeutung gewinnen sollte.Meine Damen und Herren, bei der Beurteilung der europäischen Friedenspolitik und ihrer Folgen muß man sagen: Sie ist nicht nur richtig angelegt gewesen, sondern sie hat sich auch bewährt. Denn die Bewegungen im sowjetischen Block sind natürlich nicht zuletzt auch begründet gewesen in der Art der Politik, die sich allmählich zwischen den beiden Teilen Europas herausgebildet hatte. Eines hat sich herausgestellt: Die Sehnsucht der Völker in Europa nach engerer Zusammenarbeit untereinander ist nicht aufzuhalten, und sie wird auch nicht aufzuhalten sein. Deswegen müssen wir bei dieser Politik bleiben. Die gesamteuropäische Frage darf nicht von der Tagesordnung gestrichen werden. Es darf nicht wieder so sein wie nach der Ungarn-Invasion der Russen, als wir auch von uns aus die Beziehungen zu den Sowjetblockländern kappten und dadurch für Jahre Bewegungen im ganzen Block auf
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Scheeljeden Fall erheblich dämpften. Das sollten wir nicht wiederholen, sondern wir sollten bei dem einmal als richtig erkannten Ziel bleiben.Nun stellt sich aber die Frage — und das ist die Frage, die sich vor allen Dingen die Oppositionspartei stellen muß —: Hat unsere Friedenspolitik nicht Mängel, die wir gerade jetzt diskutieren müßten, um zu überlegen, was verbesserungswürdig ist? Hat die Bundesregierung, so frage ich, die Rolle der Sowjetunion im Gefüge des Warschauer Pakts in ihrem eigenen Verhalten immer richtig eingeschätzt? Hier muß ich sagen, können wir der Bundesregierung den Vorwurf nicht ersparen, den Faktor Moskau bei ihren Bemühungen um Verständigung mit Staaten des Warschauer Pakts nicht immer in ausreichendem Maße berücksichtigt zu haben. Das trifft sowohl zu für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Rumänien und Jugoslawien als auch in gewisser Weise für unsere Politik gegenüber der Tschechoslowakei.Natürlich ist die Behauptung völlig unsinnig, die Bundesrepublik verfolge bei ihren Ostkontakten die Absicht, in den kontaktierten Staaten die Konterrevolution in Gang zu bringen. Als wahre Konterrevolutionäre haben sich in diesen Wochen jene Politiker erwiesen, die eine von der gesamten Bevölkerung der Tschechoslowakei getragene revolutionäre Bewegung zu Freiheit und Demokratie hin mit Panzern und Maschinengewehren unterdrückten.Dennoch hätten wir uns und anderen vielleicht manche Enttäuschung und manchen Kummer ersparen können, wenn jederzeit alles vermieden worden wäre, was den Eindruck einer Osteuropapolitik an der Sowjetunion vorbei erwecken konnte.
Wer Verhandlungen mit der Sowjetunion für sinnlos hält — da kommt das Beispiel —, und das genau zu dem Moment, wo Bonn diplomatische Beziehungen zu Rumänien aufnahm, wer die Reise einer deutschen Parlamentsdelegation nach Moskau Jahr für Jahr immer wieder von neuem aufschiebt, wer sich überhaupt in seinen Kontakten auf jene Staaten des sozialistischen Lagers konzentriert, die mehr oder minder ernste Meinungsverschiedenheiten mit der Sowjetunion haben, jene Staaten aber links liegen läßt, die besonders enge Beziehungen zu Moskau unterhalten, der darf nicht verwundert sein, meine Damen und Herren, wenn die Regierung der UdSSR zu der — zweifellos nicht zutreffenden — Feststellung gelangt, das westliche Deutschland betrachte seine Ostpolitik lediglich als Mittel, um die Staaten des Cordon sanitaire der Sowjetunion aufzuwiegeln.Wir wissen alle aus Erfahrung, daß es in der Politik nicht so sehr darauf ankommt, ob das, was man will, von guter Gesinnung getragen ist, wie darauf, daß diese gute Gesinnung von den anderen auch als solche verstanden wird. Auf unser Verhältnis zu Moskau übertragen, bedeutet das: Wir müssen mit konkreten Schritten deutlich machen, daß wir die Sowjetunion als einen Europa zugehörigen Staat betrachten, als unseren Partner auch bei der Entwicklung einer . dauerhaften europäischen Friedensordnung.Das bedeutet nicht, die Augen vor traditionellen russischen Methoden und Praktiken in der Außenpolitik zu verschließen, die uns ja allen bekannt sind. Das bedeutet auch keine Unterwerfung unter den sowjetischen Willen oder die Bereitschaft zur Kapitulation vor den Forderungen sowjetischer Außenpolitik. Das bedeutet lediglich die Absage an eine Politik der Negierung und Isolierung dieses mächtigsten europäischen Staates, den wir wohl oder übel eines Tages für eine Politik der Zusammenarbeit gewinnen müssen, wenn Europa leben und nicht untergehen soll. -In diesem Zusammenhang ist -es angezeigt, eine Bemerkung zur Politik der DDR zu machen. Das massive Einmischen des kommunistischen deutschen Staates in ,die inneren Angelegenheiten eines zudem sozialistischen Nachbarstaates, ,das in dem Einmarsch von Soldaten der Volksarmee gipfelte, hat nicht nur in Deutschland Bestürzung und Empörung ausgelöst. Erinnerungen an den März 1939 tauchten auf. Die Tschechen und die Slowaken haben bewiesen, -daß sie auch dann noch ein sehr gutes Gedächtnis besitzen, wenn ,deutsche Soldaten nicht mehr unter 'dem Hakenkreuz, sondern jetzt unter kommunistischen Symbolen in -die Tschechoslowakei einmarschieren.Kein Zweifel: Ostberlin war zumindest zeitweilig die treibende Kraft im Kampf der kommunistischorthodoxen gegen die progressiven sozialistischen Kräfte in Prag. Und die DDR — -das muß heute von uns und von allen Deutschen bedauernd gesagt werden — hat 'der oft tragischen Geschichte 'der Beziehungen der Deutschen zu ihren slawischen Nachbarn 'in Zentraleuropa ein neues, sehr düsteres Kapitel hinzugefügt, an dem auch wir abzutragen haben.
— Ich habe, wohl mit Ihrem vollen Einverständnis, Herr Dr. Barzel, die Politik der Regierung der DDR kritisiert in der Würdigung dessen, was sich daraus auch für uns ergibt.Ich sagte soeben, die Bundesrepublik habe eine Schlüsselrolle in der Entwicklung gespielt. Sie ist zumindest von den orthodoxen Kommunisten in Osteuropa ganz in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen und Attacken gestellt worden. Die politische Rolle, die die Bundesrepublik, gewollt oder ungewollt, heute in der Weltpolitik spielt, ist jedenfalls größer — mancher mag das gar nicht sehen und hören —, als wir angenommen haben. Darum ist es auch von wesentlicher Bedeutung für Europa, zu welchen Schlußfolgerungen die Bundesrepublik nach dem 21. August in ihrer Außenpolitik gelangt.Hier ist naturgemäß zunächst unsere Bündnispolitik angesprochen. Es ist unumstritten, daß die Aktionen der fünf Mächte des Warschauer Paktes in der Tschechoslowakei und ihre fortgesetzten Drohungen gegenüber weiteren Staaten aus dem Sowjetblocklager ein Element gefährlicher Unsicherheit in die europäische Politik gebracht haben. Die Menschen in unserem Lande und in anderen euro-
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Scheelpäischen Ländern fürchten sich vor kriegerischen Verwicklungen. Die Zusicherungen der Sowjetunion, daß sie keine militärische Aktion gegen die Bundesrepublik und gegen Westberlin plane, stößt nach dem Einmarsch in die Tschechoslowakei vielfach auch bei uns auf Zweifel.Niemand in Europa ist heute in der Lage, eine verläßliche Prognose über das weitere Verhalten der Sowjetunion zu geben, zumal auch niemand die weitere Entwicklung in dem gesamten Sowjetblocklager überblicken kann. Dazu kommt die Stationierung sowjetischer Truppen an der deutschtschechischen Grenze: Statt der bisher 20 sowjetischen Divisionen stehen jetzt 31 sowjetische Divisionen an unserer Grenze. Man kann verstehen, daß vor allem die Militärs geneigt sind, diese Verlagerung militärischen Potentials im Osten in ihren Verteidigungsplanungen nicht unberücksichtigt zu lassen.Ebensowenig kann die Sowjetunion sich darüber wundern, wenn gegenwärtig Politiker der Bundesrepublik besonders nachdrücklich nach einer Stärkung unseres westlichen Militärbündnisses verlangen. Doch es ist gerade auf dem Felde der Verteidigungspolitik geboten, stets mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben und, soweit es die Bundesrepublik angeht, sich der unvermeidlichen politischen und psychologischen Konsequenzen bewußt zu sein, die der deutsche Ruf nach verstärkter Rüstung in ganz Europa noch immer hat.Zur Frage unserer Sicherheit ist einiges festzustellen: Erstens. Solange das NATO-Bündnis besteht und die Bundesrepublik Deutschland Mitglied dieses Bündnisses ist, bedeutet jeder militärische Übergriff auf die Bundesrepublik Deutschland Krieg mit allen Staaten der Atlantischen Gemeinschaft. Die Bundesrepublik hat keinerlei Veranlassung — hier stimme ich Herrn Dr. Barzel zu —, an der Bündnistreue der Vereinigten Staaten oder anderer NATO-Partner zu zweifeln. Daran zu zweifeln, ist auch gar nicht gut.
Das verbessert unsere Position nicht. Das kommt mir so vor, als wenn in einer Ehe jeden Abend, wenn der Ehemann ausgeht, die Ehefrau fragt, ob er an diesem Abend auch treu bleibt. In einer solchen Ehe ist etwas nicht in Ordnung. Ich meine, wir brauchen nicht nach der Treue unserer Bündnispartner zu fragen.Zweitens. Die Sicherheit Berlins ist ebenfalls durch die Anwesenheit der Truppen der drei westlichen Schutzmächte garantiert. Es ist wichtig, das festzustellen.Drittens. Die Verlagerung sowjetischer Divisionen an die tschechische Westgrenze bedeutet an sich noch keine Bedrohung der Bundesrepublik Deutschland. Die bisher erkennbare Aufgabe dieser Truppen ist es, das sowjetisch kontrollierte Gebiet abzuriegeln, nachdem die Divisionen der Tschechoslowakei von den Sowjets nicht mehr als in ihrem Sinne zuverlässig betrachtet werden.
Viertens. Die Kampfkraft der Truppen des Warschauer Paktes — das habe ich eben in anderem Zusammenhang schon gesagt — ist durch die jüngsten Ereignisse nicht gestärkt, sondern eher geschwächt worden. Nicht nur die tschechoslowakischen Divisionen fallen praktisch für Aktionen des Bündnisses aus, sondern auch die Truppen Rumäniens.
Zudem waren und sind bei einigen Teilen der Okkupationstruppen bis zu den russischen Soldaten selbst gewisse Demoralisierungserscheinungen unverkennbar.Fünftens. Das alles erklärt auch die geringe Bereitschaft unserer Verbündeten, für die Sicherheit der Bundesrepublik zusätzliche Leistungen zu erbringen. Die USA sind damit einverstanden, daß die europäischen Partner ihre Verteidigungsbemühungen verstärken, sofern sie die Kosten dafür selbst tragen. Zu einer zusätzlichen Belastung ihrer Haushalte mit Rüstungsaufgaben scheinen aber unsere westeuropäischen Alliierten nicht sonderlich geneigt zu sein, soweit man das heute übersehen kann.Eine neuerliche Stärkung der NATO durch eine intensivere politische und militärische Zusammenarbeit der Partner scheint ebenfalls nur geringe Chancen zu haben. Frankreich — das müssen wir doch sehen — verharrt auf seinem bisherigen Standpunkt, der die Blockpolitik ablehnt und der vor allem eine enge Kooperation mit den Vereinigten Staaten nicht zuläßt. Wir müssen doch heute mit einem gewissen Bedauern erkennen, daß Frankreich als Verbündeter der Bundesrepublik überhaupt nicht in Erscheinung tritt.Die USA selbst stehen in einem Wahlkampf, der dort grundsätzliche politische Entscheidungen zur Zeit unmöglich erscheinen läßt. Davon abgesehen, brennen den Amerikanern ja auch andere Probleme auf den Nägeln: das Problem Vietnam, die Frage der Lösung inneramerikanischer Rassenprobleme und anderes.Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, werden die Grenzen aller verteidigungspolitischen Bemühungen sichtbar, die in den letzten Wochen hier in Deutschland und in Europa, auch in Osteuropa, Schlagzeilen gemacht haben. Ich muß sagen: auf diesem Gebiet zeigen die beiden Regierungsparteien weiß Gott nicht das erfreuliche Bild, das sie uns sonst von ihrer Zusammenarbeit zu zeichnen gewohnt sind.
— Ich betrachte sie auf jeden Fall als vergleichsweise gute Zeichner, Herr Kollege. — Der Bundesaußenminister vertritt in allen diesen Fragen eine sehr zurückhaltende Linie, die wir im großen und ganzen gutheißen. Aber ein Koalitionsfraktionsteil, die CSU, scheint eine andere Vorstellung von der verteidigungspolitischen Lösung der Fragen zu haben, um die wir ringen. Ich lese davon, daß die
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ScheelCSU die Anlehnung—wenn dich die Zeitungsberichte richtig interpretiert habe —
der Bundesrepublik an die französische Force de frappe für erwägenswert und wünschenswert hält; ja es gibt Meldungen — ob sie zutreffen, vermag ich jetzt nicht letztgültig zu sagen —, daß CSU-Kreise die Verlegung französischer Divisionen — isoliert von der NATO — an die deutsch-tschechische Grenze verlangt haben.Dann unterscheiden sich die Koalitionsfraktionen auch :in der Beurteilung der Ergebnisse der parlamentarisch-diplomatischen Reisetätigkeit. Denn ich lese, daß Herr Kollege Birrenbach als das wesentlichste Ergebnis seiner Reise in die Vereinigten Staaten die Erkenntnis mitgebracht hat, es sei zwingend notwendig, die Verteidigungskosten um etwa 1 Milliarde DM zu erhöhen, und ich lese, daß der etwas später in den USA agierende Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei eine solche Erhöhung der Verteidigungskosten als nicht opportun bezeichnet.Dann gibt es offenbar immer noch 'eine Diskussion darum, in welcher Weise man die NATO beleben will. Der Herr Bundeskanzler selbst weiß ja ein etwas leidvolles Lied davon zu singen, wie vorsichtig man in der Diskussion verteidigungspolitischer Fragen sein muß. Als er das Zusammentreten einer Gipfelkonferenz der NATO forderte, mußte er erkennen, daß 'die Partner der NATO, auf die es ja im wesentlichen angekommen wäre, zu einem solchen Gipfeltreffen nicht bereit waren. Auch die Erklärungen des stellvertretenden Sprechers der Bundesregierung, der wohl eine Wiederbelebung -der europäischen Verteidigungsgemeinschaft unter Einschluß von Atomwaffen ins Auge faßte, ist, obwohl der stellvertretende Sprecher der Bundesregierung ja über gewisse militärische Erfahrungen aus der früheren Vergangenheit verfügt, bei den Partnern nicht so wohlwollend. aufgenommen worden, wie manche das zu erwarten schienen.Ich meine, man muß in der Diskussion all dieser Fragen noch mehr Zurückhaltung — auch unter den die Regierung tragenden Parteien — walten lassen. Lassen Sie es mich einmal so ausdrücken: Wir sind nun einmal in unserer Sicherheit abhängig von dem Bündnis, dem wir angehören, so wie es jetzt ist, unabhängig davon, ob es nicht besser wäre, dieses Bündnis weiterzuentwickeln. Wir sind davon 'abhängig, so wie es jetzt ist, und deswegen können wir bei allem, was wir zu Verteidigungsfragen sagen, den Mund nicht voller nehmen, 'als das Bündnis nachher bereit ist zu halten;
und das Bündnis ist nicht allzuviel bereit zu halten.
— Herr Kollege Berkhan, ich glaube, Sie werden beimir überhaupt nichts entdeckt haben, was in dieRichtung militärischer Aktivität zielen könnte; imGegenteil! Ich will jetzt noch etwas gerade zu den Kosten sagen, weil wir bei diesem Thema sind.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte sehr!
Herr Abgeordneter Berkhan!
Herr Kollege Scheel, ist Ihnen entgangen, daß ich dazwischengerufen habe: „Das gilt für die FDP"? Ich habe mich nicht auf Ihre Person bezogen.
Herr Kollege Berkhan, das ist mir zwar nicht entgangen, aber ich habe es wegen der delikaten Situation als Vorsitzender dieser Partei wohlwollend überhört.
Noch eine Zwischenfrage.
Herr Kollege Scheel, dann darf ich fragen, ob Sie als Vorsitzender der FDP bereit sind, in der delikaten Frage der „Arbeitsteilung" — ich will das nicht weiter ausführen — mäßigend auf Ihre Fraktionskollegen einzuwirken.
Herr Kollege Berkhan, das habe ich schon getan.
Gestatten Sie eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Petersen?
Bitte sehr, Herr Petersen!
Herr Kollege Scheel, darf ich fragen, ob Ihnen selber nicht aufgefallen ist, daß Sie mit Ihren letzten Bemerkungen, wonach es zweifelhaft sei, ob das Bündnis tatsächlich unsere Hoffnungen erfüllen würde, im Widerspruch zu dem stehen, was Sie vor fünf Minuten gesagt haben, als Sie erklärten, ein Zweifel am Bündnis sei eine Sünde.
Nein, Sie irren sich ganz außerordentlich;
denn ich habe ja die Funktionsfähigkeit des Bündnisses so, wie es ist, voll bejaht. Aber ich habe davor gewarnt, den Versuch zu unternehmen, aus dem Bündnis mehr zu machen, als es jetzt ist, weil das eben eine Illusion sein würde. Das war meine Haltung.
Nun möchte ich nur noch einen Punkt hier erwähnen, der gerade in diesen Tagen lebhaft disku-
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Scheeltiert wird, nämlich die Höhe unseres Verteidigungsbeitrages im Vergleich zu anderen Partnern unseres Bündnisses. Auch einige unserer „Rückkehrer" haben ja in den Vereinigten Staaten gehört, daß man den dortigen Anteil der Verteidigungskosten am Bruttosozialprodukt dem unseren gegenüberhält. In den Vereinigten Staaten liegt er bei über 9 % des Bruttosozialprodukts, in Großbritannien soll er bei 5,9 % liegen, in Frankreich liegt er bei 5,6 %, und bei uns liegt er bei 4,9 %. Meine Damen und Herren, solche Vergleiche sind natürlich ganz und gar abwegig. Wir können uns weder mit den USA noch mit Großbritannien noch mit Frankreich in der Größenordnung unserer militärischen Ausgaben im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt vergleichen;denn erstens: die USA führen einen Krieg, meine Damen und Herren. Das ist vielleicht manchem entgangen, aber das ist so, und zwar einen sehr kostspieligen Krieg, und der kostet Geld.
Zweitens. Großbritannien ist eine Atommacht und rechnet zu seinen militärischen Ausgaben all die Kosten, die wir unter „Kosten und Ausgaben in ziviler wirtschaftlicher Entwicklung" gern hätten.Drittens. Frankreich ist eine Atommacht, und Sie können die Kosten der militärischen Anstrengungen von Atommächten mit solchen von Ländern, die keine Atommacht sind, überhaupt nicht vergleichen. Sehen Sie sich doch mal die Struktur der Kosten einer Atommacht an! Da werden Sie feststellen, daß ein immens hoher Prozentsatz der wissenschaftlichen Forschung, der Entwicklungstätigkeit für die gesamte Wirtschaft, woraus diese Wirtschaft später Nutzen ziehen wird, — möglicherweise gar nicht zu unseren Gunsten - in den Verteidigungsbudgets steckt. Deswegen ist das überhaupt nicht zu vergleichen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Birrenbach?
Herr Kollege Scheel, ist Ihnen bekannt, daß der Anteil des Rüstungsetats am Bruttosozialprodukt in den Vereinigten Staaten auch vor dem Jahre 1965 viel höher gewesen ist als der deutsche? Er hat immer etwa zwischen 7 und 10 % gelegen.
Zweitens. Würden Sie mir zustimmen, Herr Kollege Scheel, daß die nukleare Komponente in der Rüstung der Vereinigten Staaten ein essentielles Element der Verteidigung auch der Bundesrepublik ist?
Drittens. Würden Sie mir, Herr Scheel, zustimmen — —
Herr Kollege, nicht so viel! Ich kann jetzt nicht so viele Punkte gleichzeitig behalten. Darf ich die zwei zunächst beantworten. Zum ersten Punkt stimme ich Ihnen natürlich zu, weil Sie die Zahlen sicherlich kennen, die Sie genannt haben. Aber das widerlegt meine Meinung überhaupt nicht, im Gegenteil, das trifft für die Vereinigten Staaten auch damals schon zu, was ich über die Nuklearmächte gesagt habe.
Zweitens wiederhole ich, daß in den Kosten für die Verteidigung einer Nuklearmacht gewaltige Summen stecken, die für die zivile Wirtschaft von eminenter Bedeutung sind, die also insoweit mit unseren Kosten nicht vergleichbar sind.
— Nein, bei uns nicht; wir haben ja keine nukleare Verteidigung. Das ist das, was ich sagen muß: Sie können bei den Kosten nicht Nuklearmächte und Nichtnuklearmächte vergleichen. Es wäre interessant, wenn Sie neben diese Prozentsätze einmal die Sätze von Belgien, von Italien und von anderen Nichtnuklearmächten stellten. Dann erst bekommen Sie ein Bild, wie die Kosten der Bundesrepublik in Wahrheit aussehen. Dann liegt die Bundesrepublik nämlich so günstig, wie sie ihre Anstrengungen in Wahrheit auch bezeichnen kann.
Herr Kollege Scheel, ist Ihnen klar, daß sich in Großbritannien die Rüstungskosten ungefähr ein Jahrzehnt lang auf etwa 2,1 bis 2,2 Milliarden Pfund beliefen und davon auf die Nuklearrüstung insgesamt pro Jahr 4' Milliarden D-Mark entfielen, d. h. daß auch der Prozentsatz unabhängig von der nuklearen Rüstung größer als der unsrige gewesen ist?
Meine Damen und Herren,. ich möchte annehmen, daß der Rat des amerikanischen Präsidenten Johnson, den er den beiden Besuchern aus unserem Bundestag gegeben hat, der Rat nämlich, daß die Europäer und daß wir, die Bundesrepublik, vor allem selbst für die Stärkung der NATO sorgen sollten, für uns nicht heißen kann, jetzt etwa daraus die Schlußfolgerung zu ziehen, wir müßten durch erhöhte materielle Aufwendungen für die Rüstung den Rüstungswettlauf in der Welt noch weiter beschleunigen. Das kann nicht der Sinn dieses Rates sein. Ich meine, wir sollten aus diesem Ratschlag des amerikanischen Präsidenten den Schluß ziehen, unsere Anstrengungen in Europa zwar zu erhöhen, aber auf politischem Gebiet; denn die Garantie unserer Sicherheit ist mit militärischen Mitteln, mit Mitteln der Rüstung ohnehin nicht zu Wege zu bringen. Dazu bedarf es erhöhter politischer Anstrengungen.Wirklich entscheidende Bedeutung kommt nach meiner festen Überzeugung den politischen Anstrengungen in den nächsten Monaten zu — nicht in erster Linie der Verteidigungspolitik —, dem Inhalt und der Richtung unserer Außen- und Deutschlandpolitik. Wir erhöhen unsere Sicherheit gewiß nicht
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Scheeldadurch — ich wiederhole das noch einmal —, daß wir Zweifel in die Funktionsfähigkeit unseres bestehenden Bündnisses äußern. Im Gegenteil: Zweifel und Unsicherheit wirken ansteckend und ermuntern politische Abenteurer, einmal die Probe aufs Exempel zu machen. Unsere Sicherheit ist eine eminent politische Aufgabe. Sie zu lösen, bedarf es einer klaren Konzeption und auch großer Beharrlichkeit.Der 21. August mag manches in Frage gestellt haben, was bisher als sicher und möglich galt. Dennoch bleiben einige grundlegende Erkenntnisse europäischer Politik erhalten. Ja, sie werden sogar noch durch die Ereignisse dieses Sommers im Herzen Europas erhärtet, so auch die Erkenntnis, daß eine militärische Lösung der europäischen Probleme unmöglich ist und daß deren politische Lösung nicht gegen die Sowjetunion, sondern nur mit ihr gelingen kann, und weiter, daß die Existenz der Blöcke diese Lösung nicht begünstigt, sondern hemmt, und schließlich, daß der Drang zu Freiheit und Demokratie auf unserem Kontinent mit den Mitteln der Gewalt nur kurzfristig gebremst, aber nicht mehr erstickt werden kann.Und hier möchte ich Herrn Dr. Barzel noch einmal erwähnen, der von Sacharow gesprochen hat. Das ist ja doch der bemerkenswerte Vorgang im Sowjetblock selbst, nämlich bis in die Sowjetunion hinein — —
— Herr Dr. Barzel, ich würde das sehr gerne tun, aber diese Zwischenfragen müssen an die Zeit angehängt werden, und ich wäre nicht gerne bereit, Ihnen zuviel von der Mittagspause wegzunehmen.
Wollen Sie diese Zwischenfrage gestatten?
Ja, bitte!
Sie sagten, daß diese freiheitliche Bestrebung nicht mehr unterdrückt werden kann. Meinten Sie: wird künftig nicht mehr unterdrückt werden können? Denn gegenwärtig ist sie unterdrückt worden.
Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe gesagt: Der Drang zur Freiheit kann zwar gebremst, aber nicht mehr erstickt werden. Dafür wollte ich Sie — oder das, was Sie gesagt haben — gerade zum Zeugen aufrufen. Das ist ja doch das Bemerkenswerte, daß ein Mann wie dieser Atomphysiker von Weltgeltung in der Sowjetunion einen Artikel schreiben kann mit dem Inhalt, den Sie genannt haben, daß er von Demokratie, von der persönlichen Freiheit, von dem verfassungsmäßigen Recht auf die persönliche Freiheit, die Unantastbarkeit der Persönlichkeit sprechen kann, heute in derSowjetunion. Warum? Weil auch hier die Sowjetunion — —
— Er hat eine Rede gehalten.
— Ich bezog mich auf das, was Herr Dr. Barzel hier vorgetragen hat. Daß ein solcher Mann solche Gedanken ausspricht und niederschreibt, ist ein Zeichen und auch ein Beweis für das Dilemma, in dem sich die Sowjetunion selbst heute befindet. Und das ist vielleicht das Tröstliche an der Entwicklung: daß die Macht des Geistes größer ist, als wir bisher angenommen haben.In welchem Dilemma befindet sich die Sowjetunion? Sie steht vor der Frage, auf der einen Seite eine wissenschaftliche und wirtschaftliche Weltmacht sein zu wollen, auf der anderen Seite die Freiheit des Geistes beschränken zu wollen. Aber diejenigen, die die Sowjetunion braucht, um die technischen, geistig-technischen Leistungen zu produzieren, die ihr dazu verhelfen, eine führende technische Macht zu sein, weigern sich und werden sich weigern, solche geistigen Leistungen zu vollbringen und weiterzugeben, wenn ihnen daneben nicht die freiheitliche Entwicklung gewährt wird. Sie werden sagen: Ihr Funktionäre der Partei wollt auf den Mond und wollt dazu unsere geistige Leistung benutzen. Wenn ihr das wollt, und wenn wir euch diese Leistung zur Verfügung stellen sollen, dann müßt ihr uns auch die Freiheit geben, die wir verlangen. — Das ist das Tröstliche, das wir heute an der Entwicklung finden.Die Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland, meine Damen und Herren, kann es darum nur sein, ihre Bemühungen um die Herstellung einer dauerhaften europäischen Friedensordnung, eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems verstärkt fortzusetzen, ungeachtet der Schwierigkeiten, die sich uns auch in Zukunft in den Weg stellen werden. Und ich meine eins noch: Jetzt ist es auch an der Zeit, nach neuen europäischen Impulsen zu verlangen. Es ist bedrückend zu sehen, daß die Politiker in Europa, die sich so gern auch als Staatsmänner bezeichnen lassen, die Situation nicht erkannt haben. Wo ist denn der Staatsmann, der jetzt nach einem neuen Impuls ruft und der neue Impulse in Gang setzen könnte? Ist es nicht für uns einfach unverständlich, daß in dieser Situation die Aufnahme Großbritanniens in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft nicht ohne Formalitäten beschlossen werden kann? Ist es nicht unverständlich, daß wir immer noch um kleinliche Zollpräferenzen diskutieren, wo es darum geht, unsere politische Zukunft zu sichern?Meine Damen und Herren, wir müssen im Interesse der jungen Generation unseres Landes unsere Politik auf ein vielfältiges Zielgebiet ausrichten. Einmal, glaube ich, müssen wir alles unterstützen, was die Integration in Europa — und ich meine jetzt
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ScheelWest- und Mitteleuropa —, fördert, was sie regional und funktional ausdehnt. Wir müssen alles daransetzen, den Beitritt beitrittswilliger europäischer Staaten zuwege zu bringen im Interesse der Zukunft unseres Kontinents, und wir müssen auch die Zusammenarbeit über den rein wirtschaftlichen Sektor hinausbringen. Wir müssen ihn ausdehnen auf die Zusammenarbeit in der Technik, auf die Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik und in der Außenpolitik. Und bei diesen Integrationsbemühungen sollten wir nicht vergessen, gleichzeitig die Kooperation zwischen West- und Osteuropa zu pflegen, wo immer sie zu pflegen ist. Die Bundesrepublik hat hier eine besonders wichtige Position, weil sie mit osteuropäischen Ländern gute — auch wirtschaftlich gute — Verbindungen unterhält, die es weiter zu pflegen gilt. Diese Verbindungen pfleglich zu behandeln, sie mit der Sowjetunion zu diskutieren, weitere Aktivitäten in den osteuropäischen Raum hinein vorher mit der Sowjetunion zu harmonisieren und nicht um die Sowjetunion und die DDR herum Politik zu machen, nur das, meine Damen und Herren, kann das Ziel einer vernünftigen Politik der nächsten Monate und Jahre sein. Und eine solche Politik hätte auch die Unterstützung der Opposition.
Meine Damen und Herren! Ehe ich die Sitzung unterbreche, gebe ich bekannt, daß der Auswärtige Ausschuß nicht, wie vorgesehen, um 14 Uhr zusammentritt, sondern um 14.15 Uhr.
Das Haus tritt wieder zusammen um 15 Uhr. Das Wort hat dann der Herr Bundesminister des Auswärtigen. Die Sitzung ist unterbrochen bis 15 Uhr.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bis auf einen Punkt der Entschließung, zu dem ich — wenn ich es ganz offen sagen darf — aus meiner Verantwortung es begrüßen würde, wenn die Fraktionen sich doch noch verständigten, und abgesehen von einigen analytischen Fragen zeigen die eingehenden Stellungnahmen der Fraktionsvorsitzenden heute vormittag ein hohes Maß an Übereinstimmung mit dem, was der Herr Bundeskanzler gestern für die Regierung erklärt hat.Es ist in der Tat gerade jetzt besonders wichtig, daß Wunschdenken nicht an die Stelle einer illusionslosen Untersuchung der Lage tritt. Zur Lage gehört, daß es in diesem Augenblick in allen Teilen der Bundesrepublik auch Sorgen gibt, die nicht gerechtfertigt sind. Ich meine damit folgendes.So sehr uns bedrückt, was innerhalb des Warschauer Paktes mit unserem Nachbarland, der Tschechoslowakei, geschehen ist: niemand in der Bundesrepublik Deutschland braucht daran zu zweifeln, daß unser Schutz innerhalb des atlantischen Bündnisses unvermindert gegeben ist. Dies gilt gleichermaßen für Berlin, dem mit neuen Mitteln voranzuhelfen gerade jetzt wichtig ist. Ich denke, dazu sind wir alle aufgerufen.
So sehr uns empört, was uns aus Moskau und aus Ostberlin an feindseliger Propaganda entgegenströmt: niemand braucht sich durch die zuweilen hysterische Auseinandersetzung um die sogenannten Feindstaatenklauseln durcheinanderbringen zu lassen.Und noch ein Hinweis: So sehr es deprimiert, wenn Panzer gegen den eigenen Weg eingesetzt werden, für den sich ein ganzes Volk entschieden hat: Niemand braucht deshalb zu meinen, daß der Kampf um den Frieden aussichtslos geworden sei oder daß es sinnlos geworden wäre, um eine europäische Friedensordnung zu ringen. Es ist schwerer geworden, aber noch wichtiger.
Das Ringen um eine 'europäische Friedensordnung ist ganz bestimmt nicht leichter geworden, aber es muß gerade jetzt mit verstärkter Kraft weitergeführt werden. Jeder soll wissen, daß diese Bundesregierung alles tut, was in ihrer Kraft steht, damit unsere Landsleute ruhig schlafen können und damit wir für sie mehr Sicherheit erlangen.Ich verstehe freilich durchaus, wenn viele Mitbürger empört oder gar verzweifelt fragen, weshalb es denn ,der famosen Staatenordnung im Jahre 1968 nicht möglich ist, mit dem Krieg in Vietnam fertig zu werden, mit dem Blutvergießen in Nigeria-Biafra Schluß zu machen oder in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, in der .CSSR, ein zweites München nicht stattfinden zu lassen, oder warum wir nicht mit Sicherheit sagen können, daß andere Länder in Südosteuropa militärischer Bedrohung und Erpressung keinesfalls ausgesetzt sein könnten.So fragen viele im Lande, gerade auch viele der jungen Deutschen; und das ist mehr als verständlich. Dieser Zustand ist einer der Gründe für die Unruhe in der jungen Generation. Ich will allerdings gleich hinzufügen, daß ich damit nicht die Unruhe meine, die von einer kleinen extremstischen — um nicht zu sagen: nihilistischen — Minderheit mit ebenso viel Unverfrorenheit wie Arroganz geschürt wird;
Arroganz auch, was die Beurteilung der Verhältnisse in fremden Ländern angeht.
Ichsage dies' auch unter dem frischen Eindruck der skandalösen und beschämenden Vorgänge, die sich vor wenigen Tagen in Frankfurt beim Besuch des Staatspräsidenten der Republik Senegal abgespielt haben. Ich muß allen Ernstes und vor unserem
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Bundesminister BrandtVolk fragen, wohin wir kommen, wenn ein respektierter ausländischer Gast nicht mehr in die Bundesrepublik kommen kann, ohne unbehelligt den Ort zu erreichen, an dem er beispielsweise durch den Außenminister begrüßt werden soll, wenn er vor Pflastersteinen nicht sicher ist,
wenn seine Nationalflagge angetastet wird.
Ich will nicht Außenminister dieser Bundesrepublik Deutschland sein, wenn in diesem Land die Gastfreundschaft nicht mehr gewährleistet ist.
Für meine eigene Person füge ich hinzu: ich werde die Mitbürger, vor allem die Arbeitnehmer in Betrieben und Verwaltungen, fragen, ob sie es zulassen und ob sie zusehen wollen, daß ausländische Gäste Belästigungen und Demütigungen ausgesetzt werden.Es geht dabei außerdem darum, daß wir nicht gesonnen sind, die Ergebnisse zwanzigjähriger Aufbauarbeit von Extremisten oder Pöbel zerstören zu lassen.
Ich habe als junger Mann eine deutsche Republik zugrunde gehen sehen. Das wollen und werden wir nicht noch einmal erleben. Wir erlebten, wohin Intoleranz, Haß und Gewalttätigkeit führen. Sie führen letzten Endes in den Krieg. Sie resultieren in Millionen Toten und in zerstörten Städten, und daran wollen wir nicht noch einmal mitschuldig werden. Deshalb muß unser Volk auch nach der anderen Seite hin den neuen Nazis eine Abfuhr erteilen, wie immer sie sich nennen mögen.
Nachdem ich dies aus gegebenem Anlaß gesagt habe, füge ich auch heute hinzu: Verhärtung des Denkens ist gegenüber der jungen Generation ebenso schädlich wie Verweichlichung des Empfindens. Ich denke nicht daran, von „den" Studenten, auch nicht von den „linken" Studenten schlechthin zu reden, wenn ich eine extreme Minderheit meine. Ich denke schon gar nicht daran, die junge Generation zu verurteilen. Im Gegenteil, ich verstehe, wenn sie, die nicht terrorisiert, trotzdem kopfscheu wird angesichts des Widerspruchs zwischen alten Strukturen und modernen Möglichkeiten oder — auf diese unsere Debatte heute bezogen — angesichts der Ohnmacht, der schrecklichen Ohnmacht, die wir alle empfinden und die die Jugend wohl noch stärker empfindet und die zum Trauma werden kann. Ich meine die Ohnmacht gegenüber den Rechtsbrüchen der Gewalt und dem Blutvergießen in der Welt, in der wir leben.Anfang voriger Woche hatten wir in Bonn den Besuch des japanischen Außenministers zu dem vereinbarten regelmäßigen Konsultationsgespräch. Ich will alles andere, was die so wichtige bilaterale Zusammenarbeit zwischen Japan und uns betrifft, beiseite lassen und nur diesen einen Punkt hervorheben: Denn wenn man mit den Japanern spricht, dann steht das Vietnam-Thema noch mehr im Mittelpunkt, als wenn man mit europäischen Außenministern spricht. Ich sage nach diesem Gespräch mit jemandem, der dem Geschehen dort näher ist: in Vietnam ist noch immer nicht abzusehen, wann es zu einem Ende der blutigen Auseinandersetzungen kommen wird. Und da hilft es nicht sehr viel, wenn man unseren eigenen Wunsch, den Wunsch des deutschen Volkes, bekräftigt, den Wunsch nach einem baldigen und gerechten Frieden. Trotzdem — und darum erwähne ich es —, nach diesen Konsultationsgesprächen muß man sich schon jetzt Gedanken machen — und andere machen sich Gedanken — über einen Wiederaufbau jenes zerstörten Landes nach dem Ende des Krieges. Dieser Wiederaufbau kann nicht von einigen wenigen Ländern allein bewältigt werden, sondern er muß von einem möglichst großen Kreis von hilfswilligen Nationen getragen werden. In Japan haben sich dazu gewisse Vorstellungen gebildet, und auch wir werden uns eines Tages mit dieser Aufgabe zu befassen haben. Ich bin sicher, daß es dann an deutscher Hilfsbereitschaft nicht fehlen wird.In Afrika ist es der Krieg in Nigeria—Biafra, der weite Kreise unseres Volkes mit tiefer Sorge erfüllt und sie in besonderem Maße empfinden läßt, wie weit wir noch von einer gesitteten Weltordnung entfernt sind, wie sehr wir die Grenzen unseres eigenen unmittelbaren Einflusses erkennen müssen, und wie leicht es ist — ich sage es noch einmal —, einem Gefühl der Ohnmacht und der Verzweiflung zu erliegen.Nun hat es ja an der Bereitschaft zu humanitärer Hilfe bei uns in der Bundesrepublik nicht gefehlt, und daran soll es auch weiterhin nicht fehlen. Die Bundesregierung hat das ihre getan, und sie wird das weiterhin tun, aber wir sind auch — und das ist draußen nicht genügend bekannt — politisch nicht untätig geblieben. Und doch hat es uns bedrückt, daß die Formel von der Nichteinmischung, wenn man sie nicht richtig versteht, sogar als Gleichgültigkeit mißverstanden werden könnte, daß unser Schweigen zur Mitschuld werden könnte, zur Mitschuld daran, daß aus sogenannten vitalen Interessen der Mächtigen die Todesursache der Schwachen wird, daß hunderttausende Frauen und Kinder mit ihrem Leben bezahlen müssen, wo die ost-west-. liche Interessenpolitik in die Irre führt und wo internationale Organisationen versagen.Ich möchte, daß man in diesem Hohen Hause und darüber hinaus versteht: Wir haben nicht erst seit gestern, sondern während dieser ganzen mörderischen Auseinandersetzung versucht, unseren freilich recht begrenzten Einfluß im Sinne der Mäßigung, des Ausgleichs und des Friedens geltend zu machen. Noch in den letzten Tagen haben wir hierüber mit afrikanischen Staatsmänner beraten, mit den Präsidenten Leopold Senghor und Hamani Diori und mit dem ghanaischen Außenminister Anin, der von der Konferenz der afrikanischen Staaten aus Algier hierher kam, mit Repräsentanten, die dem schrecklichen Geschehen noch näher sind, mit Vertretern europäischer Staaten und internationaler Organisationen.Dies ist das eigentlich Enttäuschende, meine Damen und Herren, daß- weder die Vereinten Nationen, noch die Organisation der afrikanischen
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Bundesminister BrandtEinheit, noch das Commonwealth genügend Einfluß hatten oder genügend gemeinsame Interessen zu entwickeln vermochten, um einen ernsthaften Friedensbeitrag zu leisten. Trotzdem darf man es vielleicht als deutscher Außenminister wagen, von dieser Stelle aus zu sagen, ob nicht doch beschwörende Appelle etwas weiterhelfen könnten an diejenigen,
die beteiligt sind und die Einfluß haben, daß sie kein Mittel unversucht lassen möchten, um einen Waffenstillstand herbeizuführen, lieber gestern als morgen. Sie sollten sich auch, so denke ich — und das müßte in das, was ich sagte, ,einbezogen sein —, nicht der Pflicht ientziehen, an der Überwindung dessen mitzuwirken, was der Krieg an Haß und an Furcht hinterläßt.Wenn man daran denkt, dann geht Idas natürlich zwangsläufig zunächst in die Richtung der Regierung Nigerias ebenso wie an die verantwortlichen Führer von Biafra. Aber da muß man auch an den Kaiser von Äthiopien als .den Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses der Organisation dier Afrikanischen Einheit denken, aber wohl doch auch mit besonderer Eindringlichkeit an die Regierungen der Staaten, die wie England und Frankreicheine besondere Verantwortung für den Frieden in der Welt tragen.
An diese besondere Verantwortung, meine Damen und Herren, muß sich jeder erinnern lassen, der, von anderem abgesehen, im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einen permanenten Sitz innehat.Wir können — wenn ich dies noch erwähnen darf — mit Befriedigung verzeichnen, daß die nigerianische Zentralregierung kürzlich die Vereinten Nationen, die Organisation der Afrikanischen Einheit sowie die Regierungen von Großbritannien, Kanada, Polen und Schweden eingeladen hat, Beobachter zu den Fronttruppen zu entsenden, die sich in den eroberten Gebieten davon überzeugen sollen, daß die Zivilbevölkerung nicht das Opfer von Ausschreitungen wird. Einige der eingeladenen Beobachter sind bereits in Lagos eingetroffen. Wir würden es sicherlich begrüßen, wenn diese Beobachtergruppen ihre Tätigkeit auch nach dem Ende des Bürgerkriegs für eine gewisse Zeit fortsetzen könnten. Ich brauche das nicht weiter auszumalen.
Nun hat es aber — und davon ist mit Recht heute morgen in allen drei Reden der Herren Fraktionsvorsitzenden an erster Stelle die Rede gewesen — seit vielen Jahren keinen Vorgang außerhalb unserer Grenzen gegeben, an dem unsere Bevölkerung mit so interessierter Leidenschaft teilgenommen hat wie an der Auseinandersetzung um die CSSR.Dabei haben wir übrigens in der Bundesrepublik ein seltsames Phänomen erlebt: Wenn ich es richtig verstanden habe, dann ist ein Mann wie Alexander Dubcek als erster Kommunist in Deutschland wirklich populär geworden.
Daß dies geschehen konnte, haben wohl wenige geglaubt. Es ist im übrigen ein Zeichen dafür, daß daß deutsche Volk durchaus nicht von Schwarz-
Weiß-Denken oder gar Kreuzzugsgedanken erfüllt ist. Es ist ein Zeichen dafür — wenn ich es recht sehe —, daß die Menschen in diesem Land das Recht .auf Selbstbestimmung, das Recht auf den eigenen Weg, auch wenn dieser eigene Weg ein anderer 'ist als der unsere, anerkennen.
Aber dabei konnte und kann es über eins keinen Zweifel geben: Dubcek war und ist der erste Mann einer kommunistischen Partei. Es konnte vor und nach Cierna und Bratislava, vor und nach dem Einmarsch der Besatzungskommunisten keinen Zweifel geben: die Tschechoslowakei wollte nicht den Warschauer Pakt verlassen. Die kommunistische Partei wollte dort nicht abdanken. Die gesellschaftliche Ordnung, in der die Produktionsmittel sozialisiert sind, war nicht in Frage gestellt. Was der Entwicklung in der Tschechoslowakei den Charakter eines erregenden historischen Experiments gab, war doch wohl der Versuch, Humanität und Kommunismus, Demokratie und Sozialismus östlicher Prägung miteinander zu versöhnen, zusätzlich noch der Versuch, in einem System der übernational gelenkten Staatswirtschaft eine verbraucherbezogene Produktion und eine gewisse Eigeninitiative zu fördern, eine relative Freiheit in Presse, Kultur und Wissenschaft und die Freizügigkeit der Menschen zu etablieren.Dieses große Experiment ist durch den Einmarsch im wesentlichen gestoppt worden. In einer für meine Begriffe unerhörten Solidarität zwischen der Führung einer kommunistischen Partei und der Bevölkerung jenes Landes haben sich die Tschechen und die Slowaken jedoch trotz der Okkupanten jenen kleinen Raum bewahrt, in dem dieses Experiment weitergeht. Dies scheint mir sehr wesentlich zu sein.Es gibt keinen Grund für uns, sich Federn der Tschechen an den Hut zu stecken oder umgekehrt Trauerflor anzulegen. Wir sollten auch nicht so tun, als sei der historische Prozeß durch eine Okkupation einfach beendet.
Ich meine, gerade die Besetzung der Tschechoslowakei hat gezeigt und wird weiter zeigen, daß Panzer keine Ideen unter ihren Ketten zermahlen können, daß politische Probleme mindestens nicht allein durch militärische Maßnahmen zu lösen sind.Die Führung der sowjetischen Weltmacht hat es ungeheuer schwer, mit der Tatsache fertig zu werden, daß die geistigen Strömungen im letzten Drittel unseres Jahrhunderts staatliche Grenzen überspringen. Herr Kollege Schmidt hat heute früh in seiner Rede auf diesen Gesichtspunkt hingewiesen, der sich aus dem Charakter der modernen Industriegesellschaft ableitet. Intelligenz, Bildung technische Entwicklung, wissenschaftlicher Fortschritt beeinflussen die Entwicklung in Ost und West und stellen die Gesellschaft, auch die kommunistische Gesellschaft, vor neue Fragen. Diese Faktoren wirken weiter. Daran ändern auch die Lügen nichts, mit deren Hilfe man10112 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 1861 Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1968Bundesminister Brandtdem Wagen der Geschichte in die Speichen greifen möchte.Ich darf hier auf folgenden interessanten Widerspruch hinweisen: Zur Begründung des 21. August wurde bekanntlich ins Feld geführt, der Einmarsch sei zur Unterdrückung der Konterrevolution notwendig gewesen. Seit dem 5. September — ich habe die Entwicklung sehr genau verfolgt — heißt es, die Aktion sei militärisch notwendig gewesen, denn es habe eine Bedrohung gegeben, eine Bedrohung der Souveränität der CSSR und ihrer sozialistischen Entwicklung durch die Militärmacht der NATO und besonders unserer Bundesrepublik.
Hieran ist natürlich kein wahres Wort.
Völlig in die Irre geht jedoch auch das Gerede, die Bundesrepublik Deutschland habe sich in der CSSR eine wirtschaftliche Vorzugsposition schaffen wollen. Es war und ist übrigens keine Schande, wenn man auch ökonomisch und technisch in der Ost-West-Zusammenarbeit etwas zu bieten hat. Tatsache ist dabei, daß wir uns auch auf diesem Gebiet betont zurückgehalten haben. Unser Handel mit Polen war 1967 größer als der mit der Tschechoslowakei. Dies auch zur Kenntnis einiger nicht-östlicher Partner, die Opfer einer anderen Version geworden sein könnten.Die vor und nach dem Einmarsch in die CSSR gegen die Bundesrepublik Deutschland gestarteten Kampagnen zielen zu einem Teil auf die Außenpolitik dieser Regierung, und zu einem anderen Teil nimmt man die Sozialdemokraten besonders aufs Korn, die ein Teil dieser Regierung sind, sie mit tragen und ihre Arbeit mit prägen. Wer in den letzten Wochen die Argumentation der sowjetischen und besonders der SED-Presseorgane verfolgt hat, wird wissen, was dort zum Hauptargument, vor allen Dingen in Ostberlin zum Hauptargument für die Intervention in der CSSR gemacht worden ist: nämlich die angebliche Gefahr der Übernahme der sozialdemokratischen Forderung nach Einführung eines demokratischen Sozialismus. Wörtlich nachzulesen in der Erklärung der SED-Führung zum Einmarsch in die CSSR.Wer es noch genauer wissen will, der kann im „Neuen Deutschland" vom 11. September lesen, die westdeutsche Sozialdemokratie sei die Konterrevolution schlechthin.
Nun, ich habe den Eindruck, wenn ich das so lese, daß man den Kollegen auf jener Seite des Hauses viel zutraut, manchmal mehr, als sie sich selbst zutrauen.
Die Tatsache, daß 65 kommunistische Parteien die Intervention, wenn auch mit unterschiedlicher Stärke, verurteilt haben, diese Tatsache ist nun wirklich nicht auf die SPD zurückzuführen.
Noch eine Bemerkung zum Thema CSSR — in Unterstreichung von Dingen, die hier vor diesem Hause von der Regierung gesagt worden sind und die das Haus sich zu eigen gemacht hat: Wir wissen alle, daß in wenigen Tagen 30 Jahre vergangen sein werden, seit in München die Politik Hitlers triumphierte, die auf Zerstörung des tschechoslowakischen Staatswesens gerichtet war. Ich denke, uns liegt daran, bei dieser Gelegenheit noch einmal allem eine endgültige Absage zu erteilen, was mit der nazistischen Gewaltpolitik verbunden und von allem Anfang an ungerecht war.
Aber in dieser Zeit — das hat ja eine wesentliche Rolle gespielt in dem, was der Bundeskanzler dem Hohen Hause gestern gesagt hat — kommt es sehr darauf an, lebensgefährliche Irrtümer zu verhindern. Es kommt darauf an, daß der Prozeß, der objektiv in Richtung auf mehr Kommunikation verläuft und der mit der Selbstverständlichkeit eines Naturereignisses sich abwickeln wird, daß der nicht die Sicherheit der Staaten und der Völker gefährdet.Hier hat die Regierung gesagt: was die Bundesrepublik dazu tun kann, das ist sie gewiß bereit zu tun. Dazu gehört, daß wir den Gewaltverzicht auch nach Osten in aller Form angeboten haben. Wir haben ihn in Genf weltweit zur Maxime des Verhaltens zwischen allen Staaten, den Kernwaffenmächten und den Nicht-Nuklearen, erklärt. Aber dem muß dann immer hinzugefügt werden — und darum sage ich es: Wir haben ebenso um die eigene Sicherheit besorgt zu sein, die wir jetzt und in einer jetzt nicht absehbaren Zeit in unserem westlichen Bündnis finden.Dabei haben wir uns angewöhnt, öffentlich über die Schwächen des Bündnisses zu sprechen. Dagegen ist an sich nichts zu sagen. Nur sollten wir dabei, meine ich, nicht vergessen oder andere vergessen machen, daß dieses Bündnis doch die stärkste militärische Kraft darstellt, die es je in der Geschichte der Menschheit gegeben hat. Es wäre schrecklich, wenn es darüber einen Irrtum oder einen Zweifel irgendwo gäbe.
Ich denke, daß der Bundesverteidigungsminister sich im Laufe dieses Nachmittags noch zu Wort melden wird. Dann wird er vermutlich darauf hinweisen, daß die Vorverlegung einer Anzahl sowjetischer Divisionen natürlich militärisch-technisch geprüft und beantwortet werden muß; beantwortet durch das Bündnis und im Bündnis. Aber ich denke, es kann ebensowenig einen Zweifel daran geben, daß, sosehr sich hier regionale Probleme ergeben — wichtige europäische Regionalprobleme —, sich am globalen Gleichgewicht der Kräfte, an der Gültigkeit und Wirksamkeit der westlichen Gesamtstärke nichts geändert hat. Wenn übrigens richtig ist, was wir als Auffassung des bisherigen Leiters der NASA aus den Zeitungen erfahren haben, könnten gefährliche Änderungen des Gleichgewichts heute im Weltraum noch eher stattfinden als durch Truppenverschiebungen auf der Erde.
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Bundesminister BrandtNun scheint es hier und da Mode zu werden, meine Damen und Herren, die USA zu ignorieren oder geringschätzig zu kommentieren, weil sie ihre zahlreichen Schwierigkeiten haben und weil sie außerdem in einem schwierigen Wahlkampf stehen. Ich meine, wir müssen auch jetzt wissen, daß wir „USA" sagen, wenn wir „Bündnis" sagen,
und daß wir aufgeschlossen sind, alle die Fragen sachlich zu prüfen und zu erörtern, die sich ergeben, wenn das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten positiv weiterentwickelt werden soll.Eine nur militärisch-technische Erörterung der Fragen, vor denen die westliche Allianz steht, wäre sicher unfruchtbar. Es geht in entscheidendem Maße auch um politische Fragen, und es wird in den nächsten Wochen genügend Gelegenheit geben, darüber zu sprechen. Dabei wird dann zwangsläufig auch eine Rolle spielen, ob der europäische Faktor innerhalb des atlantischen Bündnisses deutlicher gemacht wird und in seiner gemeinsamen Verantwortung stärker hervorgehoben werden kann.Aber lassen Sie mich wirklich an dieser Stelle noch einmal unterstreichen: Das Bündnis i s t verläßlich, das Bündnis gibt Sicherheit, das Bündnis ist auch stark.Aber nicht nur unsere Bundesrepublik, nicht nur Amerika, England, auch Frankreich — nach der eigenen dort entwickelten Maxime nach dem 21. August — wird sich gewiß fragen müssen, ob die Kräfte, und zwar die in diesem Falle ausschließlich konventionellen Kräfte, auf die Dauer verstärkt werden müssen, wenn die Sowjetunion für einen nicht absehbaren Zeitraum mit einem großen Teil ihrer Divisionen in der Tschechoslowakei bleibt.Dies ist kein Widerspruch. Konrad Adenauer, der heute früh schon in anderem Zusammenhang zitiert wurde, hat seine Erklärung aus seinen letzten Jahren, die Sowjetunion sei ein friedliebendes Land, zu einer Zeit abgegeben, in der das militärische Potential der Sowjetunion gewiß groß und bedrohlich war. Ich glaube, er würde seine Erklärung heute nicht ausdrücklich widerrufen wollen, sondern mit allen anderen zusammen Maßnahmen treffen, damit — wie soll ich es besser nennen? — die Friedensliebe der Sowjetunion nicht in Versuchung geführt wird.
Die Ostpolitik, wie man es manchmal etwas vereinfacht genannt hat, ist manchen Mißdeutungen ausgesetzt gewesen, und das war fast unvermeidbar. Einige meinen, wir seien zu langsam, andere, wir seien nicht schnell genug und nicht weit genug gegangen; hier hebt der eine Vorwurf offensichtlich den anderen auf.Ich habe übrigens nie die Vorstellung von einer unabhängigen, freischwebenden Ostpolitik gehabt, sondern ich bin davon ausgegangen, daß die Ostpolitik im Westen verankert, daß sie organischer Teil unserer Gesamtaußenpolitik sein muß; und wie der Herr Bundeskanzler war ich von Anfang an aufRückschläge vorbereitet und habe mir auch gerade diesen Teil unserer Politik als einen widerspruchsvollen Prozeß vorgestellt.Es hat nun eine Reihe von Fragen gegeben, ob wir uns nicht zu stark auf die Länder Ost- und Südosteuropas zwischen Deutschland und Rußland konzentriert hätten, ihnen gewissermaßen die Priorität eingeräumt und damit zwangsläufig das Mißtrauen der Sowjetunion geschärft oder gar die Normalisierung des Verhältnisses zur Sowjetunion unmöglich gemacht hätten. Der Herr Vorsitzende der Unionsfraktion hat heute vormittag — allerdings mit dem Hinweis, dem ich dankbar nachgehen möchte, das Thema an anderer Stelle zu vertiefen — die Frage aufgeworfen, ob man gleichzeitig und mit gleicher Intensität auf diesen drei Teilgebieten vorgehen kann: Moskau, Hauptstädte der Zwischenzone — wenn man diesen Ausdruck einmal gebrauchen darf — und Ostberlin. Der Vorsitzende der Freien Demokraten hat die doppelte Frage gestellt, ob wir die Sowjetunion richtig eingeschätzt hätten und ob wir nicht in die Gefahr geraten seien, uns zu sehr mit solchen kommunistischen Regierungen einzulassen, die ihrerseits Meinungsverschiedenheiten mit der sowjetischen Regierung auszutragen hatten.Ich darf dazu sagen, meine Damen und Herren: Wir haben gewußt und übrigens auch gesagt, daß unsere Osteuropa-Politik von der Gestaltung unseres Verhältnisses zur Sowjetunion überhaupt nicht zu trennen ist. Die Entwicklung unserer Beziehungen zu den anderen Ländern Osteuropas, so sagten wir, solle die Entwicklung unseres Verhältnisses zur Sowjetunion ergänzen, nicht ihr zuwiderlaufen, und wir fügten hinzu, daß auch der innerdeutsche Ausgleich in engem Zusammenhang mit unserer Osteuropa-Politk steht, daß unsere Entspannungsbereitschaft also die DDR einschließt, ohne daß dies etwas mit einer Aufgabe vitaler Interessen zu tun habe.Aber ich spreche jetzt nicht nur von dem, was in Regierungserklärungen und in Reden ausgeführt wurde, sondern ich darf für diesen Abschnitt der Debatte doch auf die Intensität der Bemühungen, auf die aufgewendete Zeit und den Umfang der Papiere und Dokumente hinweisen. Wenn man das dieser Tage noch einmal getan hat oder hat tun lassen, dann ergibt sich, daß die Aktenlage mit der Wirklichkeit, wie ich sie soeben anzudeuten versuchte, übereinstimmt. Die Sowjetunion hatte und hat die Priorität in unseren ostpolitischen Überlegungen, und ich füge hinzu: die Regierung der Sowjetunion ist durch keinen Schritt, den wir in Ost- und Südosteuropa unternommen haben, überrascht worden.
Wir haben zu keinem Zeitpunkt versucht, Ostpolitik hinter dem Rücken der Sowjetunion zu machen,
weil wir nicht töricht sind und weil wir einen Sinn für Größenordnungen haben.
Um es dem Hohen Hause noch deutlicher zu sagen:Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Ru-
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Bundesminister Brandtmänien, die Aufnahme amtlicher Beziehungen durch den Austausch von Handelsvertretungen mit der CSSR — bekanntlich noch zur Zeit Novotnys —, die Absicht, die diplomatischen Beziehungen mit Jugoslawien wiederherzustellen, dies alles war der Regierung dier Sowjetunion bekannt, als sie beschloß, die Gespräche über einen Gewaltverzicht mit der Bundesrepublik Deutschland zu intensivieren.
Natürlich hat sich der Staatsratsvorsitzende in Ostberlin darum bemüht, dies zu stören. Natürlich waren er und andere voller Unruhe, z. B. über die Erklärung Gomulkas im Sommer letzten Jahres, daß man erst dann an dien Ernst der deutschen Ostpolitik glauben könne, wenn die Bundesrepublik ihre Beziehungen mit Belgrad wiederhergestellt habe. Es hat — verständlicherweise — solche Unsicherheiten gegeben. Ich halte es aber doch für sehr wichtig, daß dies einmal zurechtgerückt wird, damit sich auch bei unseren Freunden insoweit keine falschen Eindrücke festsetzen. Nunmehr ist ohnehin dies wie viele andere Ansätze durch die Entwicklung in der CSSR überschattet worden.Zu Beginn der Sommerferien sind Dokumente auf den Tisch gelegt worden, die während einer ersten Runde des deutsch-sowjetischen Dialogs zum Thema des Gewaltverzichts produziert worden waren. Ich darf die Veröffentlichung über diese negative Zwischenbilanz als bekannt unterstellen, auch die Erklärung vom 12. Juli 1968, daß die Bundesregierung entschlossen ist, den Meinungsaustausch zu gegebener Zeit fortzuführen.Verständlicherweise wird gefragt, wie es weitergehen soll. Der Bundeskanzler hat deutlich gemacht, daß wir unsre Politik der ausgestreckten Hand nicht ändern wollen. Ich darf hinzufügen: Dies gilt auch für die Einzelthemen unserer Ostpolitik. Man muß die Früchte ernten, wenn sie reif sind; wenn sie abfallen und faulen, sind sie nichts mehr wert, und keine Ungeduld vermag die Frist abzukürzen, bis die Zeit zu neuer Blüte und neuer Reife wiederkommt.Nun hat es in den hinter uns liegenden Sommermonaten viel Aufregung wegen des von der Sowjetunion behaupteten Rechts auf Intervention gegeben. Dabei ging es um die fälschliche Berufung auf die Artikel 53 und 107 der Charta der Vereinten Nationen. Ich habe — wenn ich das so freimütig sagen darf — zur Kenntnis genommen, daß einige, die in unserem Lande schreiben, dem, was ihnen der eigene Außenminister zu einem solchen Gegenstand sagt, keine — jedenfalls keine positive — Bedeutung beimessen, während sie dann gleich umschalten, wenn sie dasselbe aus dem Amerikanischen übersetzt auf ihren Redaktionstisch bekommen.Was mich weniger gleichgültig ließ und lassen durfte, war der hier und da erhobene Vorwurf, ich hätte die meinungsberechtigte Öffentlichkeit zu einem wichtigen und gefährlichen Thema nicht unterrichtet, sondern im unklaren gelassen. In Wirklichkeit sind die Artikel 53 und 107 — wenn man so sagen darf — ein alter Hut in doppelter Hinsicht: einmal, weil diese beiden Artikel der Satzung derVereinten Nationen wirklich so abgestanden sind, wie es der geschichtlichen Entwicklung entspricht, zum anderen, weil sich die Sowjetunion seit langem immer wieder auf diese Artikel berufen hat. Ich halte es nicht für nötig, daß wir uns nun selbst diesen alten Hut aufsetzen oder aufsetzen lassen. Daß er nicht neu ist, daß er für uns nicht neu war, als die Sowjetunion ihn uns gegenüber wieder erwähnte, mag deutlich werden, wenn ich das Hohe Haus an folgendes erinnere: Die Sowjetunion hat wiederholt diesen Artikel benutzt, um in ganz verschiedenen Fragen und auf verschiedene Länder bezogen, die Zuständigkeit der Vereinten Nationen zu bestreiten. Dafür gibt es Beispiele in jedem einzelnen der Jahre zwischen 1947 und 1952. Die Sowjetunion hat dann sogar 1966 — das hatten die meisten bloß wieder vergessen —, als sie die gleichzeitige Mitgliedschaft der Bundesrepublik und der DDR in den Vereinten Nationen vorschlug, bei dieser Gelegenheit betont, der Artikel 107 gelte dennoch fort.Ich sage das nur, um deutlich zu machen, daß diese Haltung der Sowjetunion nicht neu ist, wie man häufig angenommen hat. Sie ist der Ausdruck der uns ebenfalls seit langem bekannten Haltung, daß die Sowjetunion zwar alle tatsächlichen oder vermeintlichen Rechte wahrnehmen will, die ihr gemeinsam mit den drei westlichen Mächten in Fragen für Deutschland als Ganzes zugefallen sind, aber gleichzeitig ablehnt, was sich daraus an zugewachsener Verantwortung für Deutschland als Ganzes ergibt, anders ausgedrückt: die Wiedervereinigung. Hier handelt es sich unter anderem auch um hochinteressante Themen für Doktorarbeiten. Ihre Bedeutung für die praktische Politik ist leider begrenzt. Wichtig ist aber folgendes: Die sogenannten Feindstaatenklauseln begründen kein Interventionsrecht. Die Artikel 2 und 51 der UNO-Charta, die im einen Fall von Gewaltverbot und im anderen vom individuellen und kollektiven Recht auf Selbstverteidigung handeln, gelten sinngemäß für uns, auch wenn wir weder einen Friedensvertrag haben noch Mitglied der Vereinten Nationen sind. Und außerdem, und das ist entscheidend, gilt für uns in Übereinstimmung mit der UN-Charta der Schutz des NATO-Bündnisses.
Als wie wenig sensationell die sowjetische Berufung auf die erwähnten Artikel betrachtet wurde, ergibt sich übrigens auch aus der gelassenen Antwort, die die Bundesregierung — nach sorgfältiger Beratung der Beteiligten auf unserer Seite — am 9. April 1968 erteilt hat.Selbst habe ich am 3. September in Genf auf der Konferenz der Nicht-Nuklearen erklärt, für die Beziehungen zwischen den Staaten könne nur das ausnahmslose Gewaltverbot nach den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen friedensfördernde Wirkung haben, und ich leitete daraus ab: Erstens, es ist nicht zulässig, den Gewaltverzicht selektiv auf gewisse Staaten zu beschränken, und zweitens — das steht dann ganz in Übereinstimmung mit dem, was Herr Kollege Scheel in seiner Rede heute mittag sagte —, wir billigen niemandem
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Bundesminister Brandtein Interventionsrecht zu. Das ist dort nicht nur ge-hört, sondern, ich denke, auch verstanden worden.Gefährlich hätten die sowjetischen Thesen dann werden können, wenn sich die Westmächte nicht zu Wort gemeldet hätten. Selbstverständlich haben sie dies getan. Sie sind ja die eigentlichen Adressaten, auch wo es um das Potsdamer Abkommen geht.Der Herr Bundeskanzler hat gestern darauf hingewiesen, daß sich in unserem Teil Europas die Bemühungen der Bundesregierung gegenwärtig auf die Vorbereitung der Tagung des Rates der europäischen Gemeinschaften konzentrieren, der morgen Freitag, in Brüssel wichtige Beratungen zu führen haben wird. Um den Attentismus überwinden zu helfen, den gefährlichen Attentismus in der europäischen Politik, haben wir in den letzten Wochen intensive Kontakte mit allen Mitgliedsregierungen der Gemeinschaft gehabt und sind natürlich auch mit der britischen Regierung in Verbindung geblieben. Und in der vergangenen Woche haben wir den fünf Regierungen der Gemeinschaft die Grundzüge einer von uns ausgearbeiteten Initiative vorgelegt, die, wie wir hoffen, einen neuen Anstoß geben soll. Aus den Konsultationen haben wir den Eindruck gewonnen, daß alle Mitgliedstaaten im Kreise der Sechs eine Forsetzung des inneren Ausbaues der Gemeinschaft wünschen. Ein Zusammenhang mit der Frage, wie die vorliegenden Beitrittsgesuche behandelt werden, läßt sich aber nicht von der Hand weisen. Wenn schon nicht mehr möglich ist, müssen wir hoffen und erwarten, daß die vorgeschlagenen Zwischenlösungen einen Fortschritt bringen; denn wenn das nicht gelingt, wird sich das westliche Europa in einer Sackgasse finden, und das wäre schlecht für alle Beteiligten.Damit auch hier nichts, was meine eigene Position angeht, im unklaren bleibt: Ich bin hier mit angetreten, um die deutsch-französische Zusammenarbeit zu verbessern. Und bei 'diesem Bemühen muß bleiben. Ich denke, ich habe den Kollegen Schmidt richtig verstanden, daß es ihm wie anderen schrecklich leid täte um jeden Schritt, den die Bundesrepublik eventuell einmal ohne Frankreich gehen müßte. Aber niemand wird befriedigt sein, wenn wir über eine längere Zeit auf der Stelle treten oder uns im Kreis bewegen. Ich denke, angesichts der stark verwurzelten Freundschaft zwischen den beiden Völkern und unserer im Prinzip gleichen Interessen für ein unabhängiges Europa ist nicht einzusehen, weshalb es in dier erwähnten Richtung nicht deutlichere Fortschritte geben sollte.Ich darf schließlich ein Wort zur Genfer Konferenz sagen. Diese Konferenz geht in .diesen Tagen zu Ende. Dort standen zwei Probleme im Vordergrund, zu denen wir unseren konstruktiven Beitrag geleistet haben: einmal die Sicherheitsfrage der Staaten, die auf das Atom als Waffe verzichten, und zweitens die friedliche Nutzung der Kernenergie.Die deutsche , Delegation hat deshalb eine Entschließung eingebracht, die von dem übergeordneten Grundsatz des Gewaltverzichts ausgeht und auf die besondere Lage der Nichtkernwaffenstaaten zugeschnitten ist. Unser Text bekräftigt den Grundsatz des Verzichts auf Gewalt und Gewaltandrohung mit nuklearen oder nicht nuklearen Waffen und spricht aus, daß jeder Staat das gleiche und unveräußerliche. Recht besitzt, diesen Grundsatz zu seinen Gunsten in Anspruch zu nehmen, um seine politische, wirtschaftliche 'und kulturelle Ordnung ohne irgendeine Form der Einmischung durch andere Staaten selbst wählen zu können. Wir betonen zugleich das unveräußerliche, in der Satzung der Vereinten Nationen anerkannte Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung. Die Inanspruchnahme dieses Rechts, von Maßnahmen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen abgesehen, darf die einzige legitime Ausnahme von dem übergeordneten Grundsatz der Nichtanwendung von Gewalt in den zwischenstaatlichen Beziehungen sein. Ich 'kann hier mit großer Genugtuung mitteilen, daß die Konferenz in Genf heute vormittag diese deutsche Entschließung mit 50 gegen 5 Stimmen bei 25 Enthaltungen angenommen hat.
Dabei lassen Sie mich hinzufügen: wir machen uns keine Illusionen, so ist das nicht. Dies ist ein Instrument der Politik neben anderen. Aber natürlich machen wir uns keine Illusionen, daß in der gegenwärtigen Weltlage Maßnahmen der Sicherheit, die sich in Resolutionen niederschlagen, mehr sein könnten als 'ergänzende Stützen. Das habe ich selbst Genf auch so zu sagen versucht.Zum anderen hat der friedliche Bereich einen der Schwerpunkte unserer Mitarbeit auf der Genfer Konferenz gebildet. Wir haben keinen Zweifel daran gelassen, daß wir Unterstellungen und Verdächtigungen unserer ausschließlich auf friedliche Zwecke gerichteten nuklearen Tätigkeit nicht hinzunehmen bereit sind. Unsere Erklärungen zu diesen Fragen sind vor einem weltweiten Forum in Gegenwart der Vertreter aller Kernwaffenstaaten mit Ausnahme der Volksrepublik China zu Protokoll gegeben worden. Unsere Auffassung dazu steht im Einklang mit der großen Mehrheit der auf der Konferenz vertretenen Staaten. Besonders positiv vermerkt wurde in Genf gerade von den Entwicklungsländern unsere Bereitschaft zur internationalen Zusammenarbeit und unsere Leistung auf dem Gebiet der technischen Hilfe.Ein weiterer wesentlicher deutscher Sachbeitrag betrifft das Gebiet der Inspektion und Kontrolle spaltbaren Materials. Unsere Herren haben in einem allgemein beachteten Arbeitsdokument die Auffassung zu einer rationellen, wirtschaftlich unschädlichen und gleichzeitig wirksamen Kontrolle dargelegt. Wie Sie vielleicht in den Zeitungen gelesen haben, haben die Delegierten dieser Konferenz durch einen Besuch im Kernforschungszentrum Karlsruhe auch Gelegenheit erhalten, sich selbst ein Bild vom fortgeschrittenen Stadium unserer Arbeiten für ein modernes Kontrollsystem zu machen. Der Widerhall auf der Konferenz zeigt, daß unsere Mitarbeit auf diesem Gebiet ihre Wirkung nicht verfehlt hat.Ich fasse zusammen: Wir haben uns in Genf dafür eingesetzt, daß die Zielsetzung erhalten bleibt, aus Europa eine Zone der Entspannung als Vorstufe für
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Bundesminister Brandteine dauerhafte Friedensordnung werden zu lassen. Dazu würden gehören der Abbau der militärischen Konfrontation, der gegenseitige Gewaltverzicht, die Normalisierung der Beziehungen, ein Modus vivendi dort, wo mehr nicht zu erreichen ist, und erleichterter Austausch. Obwohl diese Bemühungen einen schweren Schlag erhalten haben, nein, gerade weil sie einen schweren Schlag erhalten haben, wird draußen in der Welt, in Genf und anderswo, so sehr gewürdigt, daß wir uns entschlossen haben, unsere Friedenspolitik illusionslos und konsequent fortzusetzen.Ich habe dort in Genf erlebt und bei mancher anderen Gelegenheit sonst in diesen Wochen erfahren, daß wir objektiv wichtiger sind als wir es uns normalerweise bewußt machen, wir Bundesrepublik Deutschland. Aus den USA sagt man uns dies manchmal sogar in der Form, daß wir eine führende Rolle zu übernehmen hätten, nach der wir uns gewiß nicht drängen. In Westeuropa werden wir uns keinesfalls unserer Verantwortung entziehen können. In den weltwirtschaftlichen und währungspolitischen Zusammenhängen spricht unser Anteil für sich selbst. Unsere Widersacher machen uns durch ihre Angriffe auch nicht kleiner, als wir sind. Ich kann nur hoffen, daß dadurch nicht mehr auf uns zukommt, als wir tragen können.Ich denke, wir brauchen unser Licht gar nicht unter den Scheffel zu stellen. Wir sind in ganz guter Gesellschaft draußen, wenn wir uns einer verstärkten Anstrengung — trotz allem einer verstärkten Anstrengung! — für den Frieden verschreiben. Hier liegt über all das, was wir sonst tun, unsere Aufgabe, ob es einem gleich paßt oder nicht, in friedlicher Offensive an den Voraussetzungen einer europäischen Friedensordnung und zur Sicherung des Friedens in der Welt energisch zu arbeiten. Es ist gut, wenn — nein, ich glaube, daß wir uns darin einig sind. Es ist wichtig, daß wir uns darin einig bleiben, wenn es um die Konsequenzen geht, die gewiß nicht immer nur angenehme Konsequenzen sein werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Stücklen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße es, unmittelbar nach unserer Tagung in Bad Berneck als Vorsitzender der Landesgruppe der CSU hier zu einigen außenpolitischen Fragen Stellung nehmen zu können.Lassen Sie mich eingangs zu einigen Spekulationen, die nach unserer Tagung in Bad Berneck aufgetaucht sind, etwas sagen und ein für allemal Gerüchte aus der Welt schaffen, die CSU befinde sich in einem Gegensatz zum Kanzler oder zur CDU.
Ich stelle fest, es gibt in allen wesentlichen politischen Fragen keine Unterschiede zwischen uns undder Auffassung des Kanzlers und der der CDU. DieBehauptung „Streit zwischen der CDU und der CSU" gehört in den Bereich der Wunschträume einiger Parteistrategen. Dabei nehme ich den Kollegen Scheel aus, der heute einem Irrtum unterlegen ist; denn er hat sich auf Quellen berufen, die nicht völlig identisch sind. Unsere alte Freundschaft hätte genügt, um ihm die Originalentschließungen aus Bad Berneck zuzustellen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, für interessierte Kreise, die ausgerechnet immer der CSU den Stempel einer „Kalten-Kriegs-Partei" aufdrücken möchten, mag es eine herbe Enttäuschung gewesen sein, wieder einmal zur Kenntnis nehmen zu müssen, daß wir uns von dem Wege einer konstruktiven Politik für das ganze Europa weder durch Rückschläge von seiten der Sowjetunion noch durch Ausbrüche von Polemik und Anfälle von Resignation abbringen lassen.
Auch die CSU hat kein Patentrezept für die zukünftige Gestaltung dieses Kontinents anzubieten. Es stimmt wohl, daß sich die entscheidenden Probleme im politischen 'Raum nicht lösen, sondern nur überwinden lassen. Die Überwindung unserer nationalen Probleme haben wir dem Grundsatz nach schon seit Jahr und Tag in das europäische Schicksal eingebettet gesehen. Das betrifft sowohl die Frage der Einheit, also der Wiederherstellung der äußeren Gemeinschaft unseres Volkes, als auch der Erhaltung seiner Existenzfähigkeit in einer Welt, deren Maßstäbe von Staaten kontinentaler Größenordnung gesetzt sind. Wir wären die Letzten gewesen, die angesichts des sowjetischen Panzereingriffs in die Tschechoslowakei eine Politik der militärischen Einigelung, eines westdeutschen oder westeuropäischen Isolationismus aus dem Tiefkühlfach geholt hätten.
Genausowenig allerdings steht und stand uns der Sinn nach dem Aufbau von Stellungen, aus denen sich theoretisch eine Strategie des „Roll-back" im politischen oder gar militärischen Bereich entwikkeln ließe. Wir haben uns bewußt zu aktiven Mitträgern einer europäischen Ostpolitik gemacht, die ohne jede Einschränkung auf einen friedlichen Ausgleich, ein gutnachbarliches Verhältnis und eine. konstruktive Zusammenarbeit mit den Völkern Ost- und Südosteuropas abhebt.
Diese Politik soll die Voraussetzung dafür schaffen, daß die Europäer mit der europäisch-asiatischen Weltmacht Sowjetunion eines Tages in einer die Lebensrechte und die Menschenwürde beider Seiten sichernden Koexistenz zu leben vermögen.Dahinter aber steht noch der Wunsch nach einer wirklichen Partnerschaft, die einmal Amerikaner, Europäer und die Völker der Sowjetunion miteinander verbinden möge, auf daß der Weltfrieden und soziale Gerechtigkeit überall auf dieser Welt eine reale Chance haben.
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StücklenMeine Damen und Herren, wir alle in diesem Hause würden einen Kleinmut beweisen, der einer Preisgabe unserer selbst und besonders unserer freiheitlichen Lebensformen gleichkäme, wenn wir eine so verstandene und praktizierte Ostpolitik als gescheitert bezeichneten, nur weil man von Moskau aus mit dem eisernen Handgriff die Uhr der europäischen Geschichte anzuhalten versucht hat. Hier liegt ein Rückfall in die Methodik eines finsteren Imperialismus vor, der gewiß nicht nur im gesamten übrigen europäischen Raum, in der westlichen Welt, von den Völkern in den Entwicklungskontinenten, sondern auch von den Menschen in der Sowjetunion gesehen und empfunden wird.Wenn uns Männer wie Dubcek und andere politische und geistige Führer in Ost- und Südosteuropa berechtigen Anlaß zu der Hoffnung geben, daß schließlich die Völker unseres Kontinents doch ihren inneren Frieden finden werden, so haben wir auch allen Grund, den persönlichen Mut, die Überzeugungskraft und den unvermeidlich wachsenden Einfluß reformwilliger Kräfte in der Sowjetunion selbst nicht zu übersehen.Ich erinnere an den vom Fraktionsvorsitzenden Dr. Barzel zitierten Kernphysiker Andrej Sacharow, der gerade zum „Prager Frühling" gesagt hat:Heute liegt der Schlüssel zu einer progressiven Neuordnung des Herrschaftssystems allein in der geistigen Freiheit.
Das haben insbesondere die Tschechoslowaken verstanden. Und es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß wir ihre kühne Initiative, die für die Zukunft des Sozialismus und der ganzen Menschheit so wichtig ist, unterstützen sollten.Soweit Sacharow.Nur wer selber der These huldigt, daß Macht vor Moral geht, wird solche Äußerungen mit einem mitleidigen Lächeln abzutun suchen. Wenn aber unsere politische Arbeit und unser ganzes Trachten von mehr bestimmt sein sollen als von einem Nur-Sicherheitsdenken auf allen Ebenen, wenn das Leben in Frieden von uns nicht gleichgesetzt werden soll mit dumpfem Konsumgenuß, dann können wir getrost bei den anderen ebenso wie bei uns ein Streben nach sittlichen Werten auch als machtgestaltenden Faktor einsetzen.Wir haben die Ostpolitik der Bundesregierung niemals als einen Versuch verstanden, einzelne Staaten aus dein Warschauer Pakt oder dem sozialistischen Lager herauszubrechen. Es war auch niemals unsere Absicht, Zwietracht zu säen; denn wir wissen sehr wohl, daß man bei einem solchen Vorhaben die Ernte eines friedvoll gestalteten und vom gemeinsamen Aufbauwillen getragenen Europas nicht einzubringen vermag. Wir haben vielmehr immer betont, daß wir an die Möglichkeit einer fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Staaten im europäischen Raum glauben, die verschiedenartige Wirtschaftssysteme haben und sogar über gegensätzliche Gesellschaftsformen verfügen. Allein wichtig ist es, daß auf beiden Seiten der Wille zu einer nationalen und europäischen Selbstbehauptung vorhanden ist. Unter solchen Umständen werden sich auch Instrumentarien für die praktische Durchführung gemeinsamer Unternehmen schaffen lassen, also für eine strukturelle Ausgestaltung eines europäischen Europas.Mit diesem Prinzip einer Politik der aktiven Friedensbereitschaft, die wir nicht nur auf Europa, sondern auf die ganze Menschheit bezogen sehen wollen, befinden wir uns doch wohl in bester Harmonie nicht nur mit dem Bundeskanzler, unserer großen Schwesterpartei, der CDU, nicht nur mit unserem Koalitionspartner, sondern — nach meiner festen Überzeugung — mit allen Mitgliedern dieses Parlaments.Soviel erst einmal als Antwort auf die eingangs erwähnte kühne Behauptung, daß die außenpolitische Konzeption der CSU im Widerspruch zur Regierungspolitik stehe.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die gewaltsame Okkupation der CSSR durch die mit ihr im Warschauer Pakt verbündete Sowjetunion hat in der deutschen Öffentlichkeit mit Recht die Frage nach der Sicherheit und das Sicherheitsbedürfnis verstärkt. Die CDU/CSU hat auf Grund der weltpolitischen Situation und insbesondere auf Grund der geographischen Lage der Bundesrepublik diesen Gedanken der Sicherheit immer in alle ihre politischen Überlegungen mit einbezogen, weil wir leider auf Grund der gegebenen Realitäten und Ereignisse nicht davon ausgehen können, daß wir in einer friedvollen Welt leben, in der kein Staat oder keine Mächtegruppe imperialistische Ziele verfolgt und Gewalt anwenden könnte.Man hat diese Politik als Politik der Stärke diffamiert und jene, ,die diese Politik vertreten haben, als die „kalten Krieger" mit dem Unterton des Verwerflichen bezeichnet. Ich glaube nicht, daß es heute in Deutschland, mit Ausnahme von anarchistischen Kräften oder gutgläubigen Träumern, noch irgendwo einen Zweifel geben könnte, daß die Politik, die von unserem ersten Bundeskanzler, Konrad Adenauer, eingeleitet worden ist,
von der CDU/CSU, manchmal gegen härtesten Widerstand auf der politischen Ebene, durchgesetzt wurde
und zur westlichen Allianz führte, allein die Voraussetzung unserer Sicherheit und unserer Freiheit ist und auch bleiben muß.Meine Damen und Herren! Unsere Sicherheit kann und darf aber auch nicht länger im Endeffekt allein von den globalen Beziehungen der beiden Atomweltmächte zueinander abhängen. Eine aktive Friedenspolitik können wir in und für Europa nur betreiben, wenn wir das große Bündnis des Westens durch eine Gemeinschaftspolitik im westlichen Teil unseres Kontinents ergänzen.Staatspräsident de Gaulle hat am Ende seiner letzten Pressekonferenz höchst eindrucksvoll sein „Es ist zu spät" den Imperialisten und ideologi-
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Stücklenschen Weltherrschaftsträumern im Kreml zugerufen; zu spät, sagte ,er, für die Fremdherrschaft, die eine Zustimmung der Nationen finden könnte, zu spät, daß die kommunistische Ideologie Oberhand über das Nationalgefühl gewinnen könnte, zu spät, um Europa für immer in der Zweiteilung zu halten. Lassen Sie mich aber hier hinzufügen: es ist auch zu spät, um eine Politik der europäischen Selbstbehauptung noch länger unter nationalstaatlichen Zielsetzungen betreiben zu wollen.
Wir wissen genau, daß wir von der Existenz souveräner Staaten 'in Europa }auszugehen haben, und wollen auch keinen „vaterlandslosen Organismus" aus einer Retorte züchten. Aber wir sollten nun endlich mit einer gemeinsam definierten, koordinierten und praktizierten Außen- und Sicherheitspolitik beginnen. Das müßte mit Frankreich doch möglich sein auf der gedanklichen Grundlage, wie sie Außenminister Debré erst in diesem Monat wieder formuliert hat. „Die europäische Organisation", so sagte er, „muß auf eine gemeinsame Politik begründet werden, die ihre eigene Politik ist."Gewiß haben wir in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Fortschritte gemacht, große Fortschritte sogar, wenn ich an die Zollunion denke, die am 1. Juli dieses Jahres in Kraft getreten ist. Für diese harte, zähe und erfolgreiche Arbeit gebührt Ihnen, Herr Bundeskanzler, und Ihrer Regierung aufrichtiger Dank, verbunden mit der Hoffnung, daß diese Arbeit erfolgreich fortgesetzt werden kann.Die Landesgruppe der CSU hat der großen Mehrheit unseres Volkes sicher aus dem Herzen gesprochen, als sie in Bad Berneck forderte, daß Franzosen und Deutsche, die nun schon seit über einem halben Jahrzehnt ein besonderer Freundschaftsvertrag verbindet, endlich mit der gemeinsamen Verantwortung für Europa Ernst machen sollten. Das heißt aber auch, daß wir jetzt und hier in Bonn, in dieser Woche also, mit den Repräsentanten unserer französischen Nachbarnation über ganz konkrete gemeinsame Maßnahmen zu Beschlüssen kommen sollten.Ich frage: Warum sollten wir nicht mit einer koordinierten Außen-, Verteidigungs- und Finanzpolitik beginnen, indem wir einen permanenten deutschfranzösischen Regierungsausschuß ins Leben rufen? Ein solcher Kern an politischer Zusammenarbeit sollte es auch erleichtern, die Wirtschaftsunion unter den Sechs bis zur Währungsunion voranzutreiben und gleichzeitig die Heranführung Großbritanniens sowie anderer interessierter europäischer Staaten an die Gemeinschaft aktiv zu fördern. Hier sollte ein Gremium von deutsch-französischen Sachverständigen bestimmt werden, das ein handelspolitisches Arrangement mit England vorbereitet.Es ist begrüßenswert, daß schon heute der Beschluß vorliegt, die deutsch-französische Studiengruppe über europäische Sicherheitsfragen zu aktualisieren und zu aktivieren. Eine westeuropäische Gemeinschaftspolitik auf deutsch-französischem Fundament ist nicht nur dringend erforderlich zur Verbesserung unserer Verteidigungsposition, zu einer Verstärkung unserer eigenen Sicherheit im Rahmen der westlichen Allianz, zur Erarbeitung eines strategischen Konzepts, das den operativen Erfordernissen dieses Raums entspricht, sondern ebensosehr für eine gesamteuropäisch programmierte Ostpolitik.Diese These wird bestätigt, wenn man heute erkennt, daß den ständigen Übergriffen, Herausforderungen und Verleumdungsaktionen der sowjetischen Macht nur durch eine solidarische Haltung aller Europäer wirksam entgegengetreten werden kann. Die Schaffung des vereinten Europas ist zwingend, ja, lebenswichtig für uns alle, es sei denn, man wäre bereit, die sowjetischen Machtansprüche .zur Veränderung des Status quo im Sinne Moskaus hinzunehmen.Die Vereinigten Staaten von Amerika sind heute sicherlich — darüber gibt es überhaupt keinen Zweifel — fest entschlossen und auch in der Lage, die westeuropäische Position zu halten. Kein Mensch aber kann voraussagen, ob sie dazu immer in der Lage und bereit sein werden, wenn ihre Bündnispartner auf diesem Kontinent nicht mehr politische Eigenverantwortung entwickeln. Wir müssen aufhören, Wunder von Amerika zu erwarten. Wir Europäer müssen selbst alle Anstrengungen unternehmen, um die Position Europas soweit wie möglich aus eigener Kraft zu sichern. Dabei gehen wir heute und für die Zukunft davon aus, daß das Bündnis zwischen uns und den Vereinigten Staaten von Amerika erhalten bleibt.Vorstellungen darüber, wie im Rahmen einer politischen Union eine europäische Verteidigungsorganisation entstehen könnte und sich in das Westbündnis einordnen ließe, hat der Landesvorsitzende der CSU, Franz Josef Strauß, unter anderem bereits 1965 in seiner Mailänder Rede vorgetragen. Dieses Konzept scheint mir heute noch genauso diskutabel und aktuell wie vor drei Jahren zu sein. Strauß sagte damals, es komme lediglich darauf an, eine neue organisatorische Form der Koordinierung zwischen den auf europäischem Boden stationierten amerikanischen Einheiten und einem europäischen Verteidigungssystem zu finden. „Die Anwesenheit großer amerikanischer Kontingente halte ich" — so sagte Strauß — „für unbedingt erforderlich, um dem Osten gegenüber das gemeinsame Sicherheitsinteresse und die gemeinsame Abwehrbereitschaft einer amerikanisch-europäischen Allianz sichtbar zu machen." Ich glaube, daß diese Frage noch mehr Aktualität hat angesichts der Ereignisse in der Tschechoslowakei.Die Mailänder Ausführungen des CSU-Vorsitzenden geben nur eines der möglichen Modelle wieder. Sie zeigen aber deutlich die Richtung auf, in der wir uns eine Stärkung des Bündnisses mit einem größeren Gewicht der europäischen Komponente vorstellen. Für uns steht damals wie heute aber auch die Problematik des Atomwaffensperrvertrages in unmittelbarem Zusammenhang mit der politischen Vereinigung Europas. Wir glauben, daß inzwischen das Verhalten der Sowjetunion immer
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Stücklenmehr Beweise dafür geliefert hat, daß es ihr vor allem darum geht, mit dem Sperrvertrag ein Werkzeug zur Unterbindung der europäischen Einigungsbestrebungen in die Hand zu bekommen.
Daß Moskau sich neuerdings zusätzlich noch einseitige oder kollektive Interventionsrechte anmaßt, die es aus der im Sperrvertrag angerufenen UN-Charta herauslesen möchte, macht uns das Vertragswerk, dessen Mitautor die Sowjetunion ja ist, nur noch suspekter.
Wir begrüßen es sehr, in wie unzweideutiger Form die drei Westalliierten die sowjetische Auslegung der sogenannten Feindstaatenklausel zurückgewiesen haben.
Aber wir sehen noch keine Anzeichen dafür, daß Moskau zu entsprechenden Einsichten gelangt sei. Mit einer Macht, die soeben den Warschauer-Pakt-Vertrag gegenüber einem sozialistischen Bruderland in einem von der ganzen übrigen Welt verurteilten Gewaltakt gebrochen hat, können wir bei unveränderten Umständen wirklich kein 'Abkommen unterzeichnen, das von so weitreichender Bedeutung ist. Die Sicherheit und die Integration Europas haben Vorrang vor diesem Vertrag.Meine Damen und Herren, ich habe mich bei meinen Ausführungen auf die wenigen Punkte beschränkt, die ich auf Grund der Vereinbarungen mit unserem Fraktionsvorsitzenden von seiten der CSU aus beleuchten sollte. Ich darf mich im übrigen den Ausführungen des Fraktionsvorsitzenden Dr. Barzel anschließen, die er zu den anderen Fragen gemacht hat. Sie befinden sich in völliger Übereinstimmung mit uns.
Diese Ausführungen habe ich im Namen der CSU aber auch deshalb gemacht, weil erstens die vermehrte Sicherheit und die europäische Einigung in einem untrennbaren Kausalzusammenhang stehen und weil zweitens Sie, Herr Bundeskanzler, morgen mit dem französischen Staatspräsidenten zu wichtigen politischen Konferenzen zusammentreten. Herr Bundeskanzler — und das soll mein Schluß sein —, Sie haben unser Vertrauen, weil Sie eine Politik des Friedens, der Sicherheit und der Freiheit verfolgen. Sie werden unsere volle Unterstützung haben.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Mick hat eine Rede schriftlich übergeben und bittet, sie hier zu Protokoll zu nehmen l. Ich nehme an, daß dem Wunsch entsprochen wird. Wird sonst noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Damit kommen wir zur Abstimmung über die Anträge. Ich darf zunächst bemerken, daß im Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD Um-
*) Siehe Anlage 4 druck 505 *) eine Berichtigung vorzunehmen ist. Unter Ziffer 11 müssen in der vierten Zeile nach den Worten „gegenüber ihren Bündnispartnern" die Worte „auf die Herstellung" eingefügt werden. Es handelt sich um einen Druckfehler. Damit ist auch in diesem Punkt der Gleichlaut mit dem Antrag der Freien Demokraten hergestellt.
Nun erhebt sich die Frage, wie wir abstimmen wollen. — Herr Abgeordneter Genscher!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entschließungen der Regierungsparteien und der Freien Demokratischen Partei stimmen in den Punkten 1 bis 5 und 7 bis zum Schluß überein. Das ist nicht nur eine formale Übereinstimmung. Vielmehr ist diese Übereinstimmung .in den Grundelementen der Entschließungen in langwierigen Gesprächen zwischen den Fraktionen dieses Hauses erzielt worden.
Über Punkt 6 hat sich heute morgen in der Aussprache eine Diskussion ergeben, die die gegenseitigen Standpunkte erläutert hat.
Angesichts dieser Sachlage empfiehlt es sich, zunächst über die Punkte 1 bis 5 zusammen, dann über Punkt 6 und schließlich über die restlichen Punkte abzustimmen. Meine Fraktion wird, wie gesagt, ,den Punkten 1 bis 5 in der gemeinsamen Formulierung und den Punkten 7 ff. ebenfalls in der gemeinsamen Formulierung zustimmen. Sollten die Koalitionsfraktionen unserer Fassung in Punkt 6 ihre Zustimmung versagen, müßten wir dann insgesamt der Entschließung unsere Zustimmung versagen, auch wenn wir im Kern in den restlichen Punkten einer Meinung in der Beurteilung der Frage mit den Koalitionsfraktionen sind.
Da das Wort zur Geschäftsordnung nicht gewünscht wird, nehme ich .an, daß Einverständnis mit dem Verfahrensvorschlag des Abgeordneten Genscher besteht.Dann kommen wir zur Abstimmung, zuerst über die gemeinsame Formulierung der Ziffern 1 bis 5 der Anträge Umdrucke 505 *) und 506 **). Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.Wir kommen zu Ziffer 6. Da nicht festzustellen ist, welches der weitergehende Antrag ist, tgeht es der Reihenfolge nach. Der ältere Antrag ist der Antrag Umdruck 505 der Fraktion der CDU/CSU. Wer Ziffer 6 in dieser Fassung zuzustimmen wünscht — —
— Entschuldigen Sie vielmals, Herr Schmidt, es war ein reines Versehen. Ich bitte um Entschuldigung.*) .Siehe Anlage 2 **) Siehe Anlage 3
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Ist mir völlig klar, Herr Präsident, daß es ein Versehen war. Aber da es sich um einen wichtigen Punkt handelt, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie Ihren Satz zu diesem Aufruf noch einmal sprächen.
Ich erfülle Ihren Wunsch gern: Da der ältere Antrag der Antrag Umdruck 505 ist, werden wir zuerst über Ziffer 6 in der Fassung des Umdrucks 505, d. h. des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, abstimmen.
Wer dieser Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Gegen die Stimmen der Freien Demokraten angenommen.
Ich lasse nunmehr über die Ziffer 6 der Fassung des Antrags Umdruck 506 der Freien Demokraten abstimmen; denn es wurde mir dieser Wunsch übermittelt. Wer dieser Fassung der Freien Demokraten zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Gegen die Stimmen der Freien Demokraten abgelehnt.
Wir kommen nunmehr wieder zur gemeinsamen Formulierung der drei Parteien: Ziffern 7 bis 15. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig.
Wir kommen damit zur Schlußabstimmung. Wer den in dieser Form nunmehr bewilligten 15 Einzelbestimmungen als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Gegen die Stimmen der Freien Demokraten
— Eine Enthaltung? — Eine Enthaltung. Im übrigen gegen die Stimmen der Freien Demokraten mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Meine Damen und Herren, die übrigen Punkte der Tagesordnung sollen morgen beraten werden. Ich berufe die nächste Sitzung auf Freitag, den 27. September, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.