Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Eine amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister des Auswärtigen hat am 27. Mai 1968 seine an den amerikanischen Botschafter gerichtete Antwortnote übersandt, die die deutsche Übersetzung der Erklärung der Botschafter der Drei Mächte bzw. ihrer Vertreter zum Erlöschen der in Artikel 5 Abs. 2 des Deutschland-Vertrages vorbehaltenen Rechte enthält.
Gleichzeitig hat er eine Verbalnote übersandt, in der der Text einer Vereinbarung vom 27. Mai 1968 zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Drei Mächte zum gleichen Gegenstand enthalten ist.
Sein Schreiben ist als Drucksache V/2942 verteilt.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Fragestunde
— Drucksache V/2936 —
Wir kommen zunächst noch zur Beantwortung der Mündlichen Anfragen aus dem Geschäftsbereich des Herrn Bundesministers der Finanzen, und zwar zu Frage 25 des Herrn Abgeordneten Baier:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach sich die Bundeszollverwaltung für die Abschaffung des Grenzschutzeinzeldienstes und dio ausnahmslose Übertragung der Paßkontrolle an den Grenzübergängen an den Zoll einsetzt?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär des Bundesministers der Finanzen.
Ich möchte die Fragen 25 und 26 wegen des sachlichen Zusammenhangs zusammen beantworten.
Bitte sehr, dann rufe ich noch Frage 26 des Abgeordneten Baier auf:
Welche personellen und finanziellen Einsparungen würden durch eine Zusammenlegung des Paßkontrolldienstes mit der Zollverwaltung erzielt?
Der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages hat den Präsidenten des Bundesrechnungshofes in seiner Eigenschaft als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung am 8. März 1967 beauftragt, sich zur Entbehrlichkeit des Bundespaßkontrolldienstes gutachtlich zu äußern. Es soll geprüft werden, ob die Bundeszollverwaltung, die ohnehin an allen Grenzübergängen vertreten ist, die Aufgaben des Grenzschutzeinzeldienstes in vollem Umfang übernehmen kann. Das Gutachten des Rechnungshofs liegt noch nicht vor. Es ist in Kürze zu erwarten. Das Bundesministerium der Finanzen ist der Auffassung, daß die Zollverwaltung, die bereits an 413 kleineren Grenzübergangsstellen die Paßnachschau durchführt, diese Aufgabe auch an den 79 vom Grenzschutzeinzeldienst besetzten großen Übergängen übernehmen kann.
Der Grenzschutzeinzeldienst verfügt über etwa 1000 Bedienstete. Sie sind in der Grenzschutzdirektion Koblenz, 10 Grenzschutzämtern und 66 Grenzschutzstellen tätig. Im Übertragungsfalle wird die Zollverwaltung etwa 500 Beamte mit ihren Planstellen übernehmen. Den übrigen Bediensteten I könnten unter Wahrung ihrer Rechte andere Dienstposten übertragen werden. Die Grenzschutzdirektionen und die Grenzschutzämter könnten ersatzlos wegfallen. Ihre Aufgaben würden die Oberfinanzdirektionen und bestimmte Hauptzollämter übernehmen. Die Grenzschutzstellen würden in den Zollämtern aufgehen, bei denen sie untergebracht sind.
Die Höhe der finanziellen Einsparungen, Mieten und sonstige Unterbringungskosten, Fahrzeuge, Fernmeldeanlagen und -gebühren, Geräte und Ausstattungen, Geschäftsbedürfnisse, vermag ich im einzelnen noch nicht anzugeben. Hierüber wird das Gutachten des Rechnungshofes Genaues aussagen; aber sicher ist, daß Einsparungen eintreten werden.
Eine Zusatzfrage, Kollege Baier.
Herr Staatssekretär, gibt es auch beachtliche Gründe, die eine weitere Beibehaltung des Paßkontrolldienstes rechtfertigen würden?
Sicherlich gibt es auch Gründe, die dafür sprechen. Es wird aber darauf ankommen, in der Abwägung festzustellen, wo die Schwerpunkte liegen. Wir sind der Meinung., daß die gewichtigeren Gründe für die Lösung, die ich eben vortragen durfte, sprechen.
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9594 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Baier.
Herr Staatssekretär, angesichts der sicherlich möglichen erfreulichen Einsparungen darf ich noch fragen, ob insbesondere die Interessen der Sicherheit der Bundesrepublik bei einer Übernahme durch den Zollgrenzdienst gewährleistet werden.
Das ist selbstverständlich, Herr Kollege Baier.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Bühler.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß an den Stellen, wo der Grenzschutzeinzeldienst tätig ist, die Zahl der Aufgriffe durch den Grenzschutzeinzeldienst 9 : 1 im Vergleich zu denen des Zolles beträgt?
Mir ist die Zahl so genau nicht bekannt, Herr Kollege. Es ist schon möglich, daß es so ist, aber das könnte ja in Zukunft anders werden.
Da ich unmittelbar bei Basel wohne und im Zug oft erlebe, daß zwischen Freiburg und Basel allerhand Leute durch die Paßkontrollbeamten herausgefischt werden, und da ich erlebe, daß unser Gefängnis in Lörrach dauernd mit solchen Leuten besetzt ist, die im Grenzgebiet aufgegriffen werden, wobei natürlich noch sehr viele durchs Netz gehen, möchte ich doch fragen, ob Sie nicht erwägen wollen, daß unser Sicherheitsbedürfnis hier tatsächlich nicht gewahrt bleibt, wenn Zollbeamte, die doch eine ganz andere Ausbildung und eine ganz andere Aufgabe haben, auch noch mit diesen Dingen beschäftigt werden sollen.
Ich habe nicht gesagt, daß es schon soweit ist, Herr Kollege, daß der Grenzschutzeinzeldienst durch den Zolldienst abgelöst wird. Ich habe davon gesprochen, daß im Augenblick der Bundesrechnungshof auf Wunsch des Haushaltsausschusses damit beauftragt ist, ein Gutachten zu erstellen. Bei der Entscheidung über das Gutachten und dessen Resultat werden natürlich auch solche Überlegungen in Erwägung gezogen werden müssen.
Eine weitere Zusatzsatzfrage, Herr Kollege Westphal.
Herr Staatssekretär, würden Sie in Ihre Überlegungen auch einbeziehen, daß bei dem, was Sie andeuteten, auch Bedienstetenprobleme auftauchen und daß diese in einer Weise geregelt werden müssen, die keine sozialen Härten entstehen läßt?
Das ist selbstverständlich, Herr Kollege Westphal. Ich habe in meinen Ausführungen auch schon gesagt, wenn z. B. Einsparungen personeller Art möglich sind, muß unter Wahrung ihrer Rechte dafür gesorgt werden, daß die Betreffenden woanders untergebracht werden.
Eine weitere Zusatzsatzfrage, Herr Kollege Illerhaus.
Herr Staatssekretär, im Zuge der Entwicklung des Gemeinsamen Marktes werden wir sowieso dazu kommen, an den Grenzen die Kontrollen abzubauen; das Vorzeigen eines Passes wird dann überflüssig werden. In der Praxis sieht es so aus, daß an allen Grenzübergangsstellen, die ich kenne, bei der Ausreise von Deutschen von den deutschen Grenzbeamten keine Pässe verlangt werden. Nur wenn man nach Luxemburg einreisen will, wird in Echternacherbrück von den deutschen Grenzbeamten von jedem ausreisenden Deutschen das Vorzeigen des Passes verlangt. Ist die Bundesregierung bereit, der Grenzübergangsstelle in Echternacherbrück Anweisung zu geben, genauso zu verfahren wie alle anderen Grenzübergangsstellen?
Herr Kollege Illerhaus, aus eigener Erfahrung weiß ich, daß nicht nur die Grenzübergangsstelle Echternacherbrück so verfährt, sondern daß auch an anderen Grenzübergangsstellen, insbesondere nach Osterreich, die Ausreisekontrolle durchgeführt wird. Ich werde die Frage prüfen lassen.
Eine weitere Frage, Herr Kollege Illerhaus.
Herr Staatssekretär, Sie haben von Osterreich gesprochen. Ich habe von einem Grenzübergang innerhalb des Gemeinsamen Marktes gesprochen. Hier sollte man doch eigentlich hinsichtlich der Erleichterung vorbildlich sein. Sind Sie nicht mit mir dieser Meinung?
Ich werde die Frage prüfen lassen, Herr Kollege.
Wir kommen zu den Fragen 27 und 28 des Herrn Abgeordneten Opitz:In welchem Zusammenhang sieht die Bundesregierung die Reisekostenpauschbeträge für den Bereich der privaten Wirtschaft mit den Reisekostenpauschbeträgen für den öffentlichen Dienst, so daß sie über eine Erhöhung der ersteren erst dann befinden will, wenn die letzteren angehoben worden sind?Welche Verwaltungsvereinfachung verspricht sich die Bundesregierung davon, daß sie eine Erhöhung des Reisekostenpauschbetrags u. a. mit dem Hinweis .auf den möglichen Einzelnachweis der tatsächlichen Aufwendungen ablehnt?Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär des Finanzministeriums.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9595
Die steuerlichen Reisekostenpauschbeträge für den Bereich der privaten Wirtschaft und die weiteren verfahrensmäßigen Regelungen sind nach den Reisekostenvorschriften, die für den öffentlichen Dienst gelten, ausgerichtet. Diese Anlehnung an das Reisekostenrecht des öffentlichen Dienstes bringt es mit sich, daß Verbesserungen im Bereich des öffentlichen Dienstes auch Auswirkungen auf die steuerlichen Reisekostenregelungen für die Privatwirtschaft haben werden. Zu einer Vorwegerhöhung der steuerlichen Reisekostenpauschbeträge besteht allerdings kein Anlaß, weil diese Pauschbeträge bereits jetzt insgesamt etwas günstiger sind als die vergleichbaren Reisekostenvergütungen des öffentlichen Dienstes. Mit den Reisekostenpauschbeträgen dürfte es in der überwiegenden Zahl aller Fälle möglich sein, die Kosten für die erforderlichen täglichen Mahlzeiten ohne besondere Schwierigkeiten zu bestreiten. Diese Auffassung wird auch von den Finanzministerien der Länder geteilt, mit denen die Frage einer etwaigen Erhöhung der steuerlichen Reisekostenpauschbeträge in den letzten Monaten wiederholt erörtert worden ist. Hiernach darf ich feststellen, daß die geltenden Reisekostenpauschbeträge ihren Zweck als Vereinfachungsregelung noch voll erfüllen. Sollten in Einzelfällen die Pauschbeträge tatsächlich nicht ausreichen, kann es nicht als unzumutbar angesehen werden, wenn die steuerliche Anerkennung dieser höheren Aufwendungen vom Einzelnachweis abhängig gemacht wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Opitz.
Herr Staatssekretär, räumen Sie damit in dieser Frage dem öffentlichen Dienst praktisch einen Führungsanspruch ein, oder ist es nicht doch so, daß die private Wirtschaft auf den öffentlichen Dienst und der öffentliche Dienst auf die private Wirtschaft verwiesen wird?
Ich lege keinen Wert auf einen besonderen Anspruch des öffentlichen Dienstes, sondern uns geht es darum — und ich glaube, das ist richtig —, ob das, was als Pauschbeträge vorgesehen ist, für die Allgemeinheit — jetzt einmal von Einzelfällen abgesehen - reicht.
Damit wird auch der Effekt erreicht, daß eben die Vereinfachung eintritt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Opitz.
Herr Staatssekretär, ist es nicht aber doch so, daß gerade im Dienstleistungsgewerbe durch die Einführung der Mehrwertsteuer eine erhebliche Kostensteigerung eingetreten ist, so daß man sich ernsthaft überlegen muß, ob die Pauschbetrage im Augenblick wirklich noch ausreichen?
Wir sind laufend — ich habe das gesagt, Herr Kollege Opitz — bei der Prüfung. Aber wir können im Augenblick noch nicht feststellen, daß die Pauschbeträge nicht mehr ausreichen. Sie sind so hoch, daß sie erstens einmal günstiger liegen als im öffentlichen Dienst. Das allein ist jedoch nicht das Ausschlaggebende. Sie sind so hoch, daß wir sagen müssen: sie sind im Augenblick noch ausreichend, und wir können es uns nicht erlauben, Pauschbeträge zu schaffen, die weit über das hinausgehen, was n o t wendig ist.
Eine weitere Zusatzfrage wäre nur möglich, wenn die beiden Fragen zusammengefaßt beantwortet worden wären.
Das war schon der Fall.
Dann gibt es noch eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Opitz.
Noch eine Abschlußfrage: Wird bei dieser laufenden Überprüfung — z. B. betreffend Auslandsreisen — auch die Einstufung der einzelnen Länder überprüft; wird dabei überprüft, ob die Einstufung der nordischen Länder z. B. noch den augenblicklichen Kosten entspricht?
Das ist eine Selbstverständlichkeit, Herr Kollege Opitz, aber ich bin
in dem Einzelfall überfragt. Darf ich die Frage nochmals prüfen lassen und Ihnen das Ergebnis der Prüfung mitteilen lassen?
Ja, danke schön.
Wir kämen damit zur Beantwortung der Frage 29 des Herrn Abgeordneten Kubitza:
Wann wird die Bundesregierung ihren Haushaltsentwurf 1969 dem Bundesrat zuleiten?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär.
Ich darf die Frage, Herr Kollege Kubitza, wie folgt beantworten. Es ist das Ziel der Bundesregierung, den Haushaltsentwurf 1969 zusammen mit der Finanzplanung für die Jahre bis 1972 noch im Juni dieses Jahres zu verabschieden. Die Zuleitung an den Bundesrat hängt vom Zeitpunkt der endgültigen Beschlußfassung des Gesamtkabinetts ab. Ein Ablauf der Dreiwochenfrist nach Art. 76 Abs. 2 des Grundgesetzes innerhalb der Parlamentsferien soll jedoch auf jeden Fall vermieden werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Kubitza.
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9596 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
Stimmt die Meldung des Politisch-Parlamentarischen Pressedienstes, wonach die Verabschiedung des Haushalts nur möglich sein wird, wenn am 5. Juni im Finanzplanungsrat eine Einigung über die Aufteilung der Einkommen- und Körperschaftsteuer erzielt werden kann?
ich würde das nicht unbedingt sagen. Es wäre natürlich schön, wenn eine Einigung erzielt würde. Im übrigen aber hat die Bundesregierung selbst zu entscheiden, was sie ihrem Haushaltsplan zugrunde legt.
Wir kommen dann zur Beantwortung der Frage 30 des Herrn Abgeordneten Weigl:
Trifft es zu, daß das vom Bundesrechnungshof erstellte Gutachten die geringen Aufstiegschancen der akademisch vorgebildeten Angestellten des öffentlichen Dienstes unberücksichtigt läßt?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Ich darf Ihre Frage, Herr Kollege Weigl, wie folgt beantworten. Sie bezieht sich offenbar auf die vergleichende Untersuchung über die finanziellen Auswirkungen bei der Verwendung von Beamten oder von Angestellten und Arbeitern im Bundesdienst, die der Präsident des Bundesrechnungshofes als Bundesbeauftragter für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung im Juni 1967 vorgelegt hat. Das Gutachten behandelt einen Ausschnitt der Bundesverwaltung, nämlich die Außenverwaltung des Bundes ohne die Betriebsverwaltungen der Bundesbahn und der Bundespost. In diesem Rahmen vergleicht es die Gesamtkosten, die dem Bund für Beamte und für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes in jeweils gleichwertigen Funktionen entstehen. Bei diesem Vergleich bleiben die Chancen der Beamten und der Arbeitnehmer, in höherwertige Positionen zu gelangen, unberücksichtigt. Das entspricht der Fragestellung des Gutachtens, das darauf gerichtet war, den Unterschied der Kosten bei Wahrnehmung gleichwertiger Funktionen zu ermitteln.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Weigl.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß in der Tat die Angestellten des öffentlichen Dienstes heute nicht mehr die gleichen Aufstiegschancen wie die Beamten haben, weil nicht genügend Planstellen vorhanden sind?
Sicherlich wird es immer so sein, daß, je nachdem, wer die Frage, die Sie gestellt haben, beurteilt, auch das Ergebnis herauskommen kann, daß nicht genügend Möglichkeiten des Aufstiegs gegeben sind. Wir haben aber gerade in den letzten Jahren auch in den Tarifklassen die Möglichkeit des Aufstiegs geschaffen.
Im übrigen wissen Sie auch, daß schon der Bewährungsaufstieg, der, wenn ich mich recht entsinne, im vergangenen Jahr durch Tarifverträge zugebilligt wurde, den Angestellten im öffentlichen Dienst noch mehr Aufstiegsmöglichkeiten als bisher gibt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, diese Frage einmal eingehend prüfen zu lassen?
Selbstverständlich sind wir bereit, das prüfen zu lassen, soweit es die Bundesverwaltung betrifft.
Ich rufe die Fragen 31 bis 33 des Herrn Abgeordneten Dr. Wuermeling auf:Liegt es nach Meinung der Bundesregierung im Sinne der steuerlichen Gerechtigkeit, daß der durch Kinderfreibeträge bewirkte Anteil an der gesamten durch Kinderfreibeträge und • Ehegattensplitting herbeigeführte Steuerausfall mit steigendem Einkommen sinkt, während der durch Splitting bedingte Steuerausfall entsprechend steigt?Trifft es zu, daß der Splittingeffekt einem kleinen Kreis von Beziehern hoher Einkommen, nämlich rund 350 000 Steuerpflichtigen eine Steuerersparnis von rund 2 Milliarden DM bringt, während rund 18 Millionen Ehepaare durch das Splitting nur eine Ersparnis von 8 Milliarden DM erzielen können?Welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung alsbald aus den in den Fragen 31 und 32 angesprochenen Tatbeständen zu ziehen?Die Fragen werden mit Zustimmung des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Leicht vom 29. Mai 1968 lautet:Die in Ihrer Frage 31 angesprochenen Auswirkungen sind eine zwangsläufige Folge des bei der Ehegattenbesteuerung angewandten Splittingverfahrens. Ihre Frage nach der steuerlichen Gerechtigkeit zielt damit auf das Splittingverfahren an sich ab.Die steuerliche Entlastung durch den Splittingeffekt, die Sie in der Frage 32 ansprechen, beträgt insgesamt 10 Mrd. DM. Es trifft zu, daß etwa 250 000 Steuerpflichtige durch den Splittingeffekt bei der Einkommensteuer eine Ersparnis von nominell rd. 2 Mrd. DM erhalten. Hierbei muß man allerdings berücksichtigen, daß ein Tell dieser Steuerpflichtigen, die — wohlgemerkt — mehr als 50 v. H. der veranlagten Einkommensteuer und Lohnsteuer aufbringen, gerade wegen des hohen Einkommens den gleichen Vorteil auch im Wege der getrennten Veranlagung erzielen könnten. Hierdurch vermindert sich die genannte Steuerersparnis von 2 Mrd. DM um mindesten 30 v. H. auf 1,4 Mrd. DM.Dagegen verteilt sich die restliche Steuerersparnis durch das Splitting von rd. 8 Mrd. DM nicht auf 18 Mio, sondern auf 13,1 Mio verheiratete Steuerpflichtige. Hiervon waren jedoch 1961 nur 8,4 Mio steuerbelastet; diese Zahl dürfte sich inzwischen auf etwa 9,5 Mio erhöht haben. Auf diese Zahl muß mithin die Steuerersparnis von 8 Mrd. DM bezogen werden.Die von Ihnen kritisierten Auswirkungen des Splittingverfahrens ließen sich nur durch eine Einschränkung des derzeitigen sog. Vollsplitting abmildern. Wie ich Ihnen bereits in der Fragestunde am 16. Mai 1968 auf eine ebenfalls den Abbau der Splittingvergünstigung betreffende Frage geantwortet hatte, handelt es sich hierbei um ein vielschichtiges und schwieriges Problem, mit dem sich die Bundesregierung noch beschäftigt. Die Beratungen der Bundesregierung sind noch nicht abgeschlossen. Ich bitte Sie deshalb um Verständnis dafür, daß ich auch heute wiederum Ihre Frage nach den Konsequenzen, die die Bundesregierung zu ziehen gedenkt, nicht konkret beantworten kann.Dann kommen wir zur Beantwortung der Frage 52 des Herrn Abgeordneten Mertes:Wie kommt es, daß laut General-Anzeiger für Bonn und Umgegend vom 23. Mai 1968 die Bundesrepublik Deutschland von 1962 bis 1968 rund 2,7 Milliarden DM in den EWG-Agrarfonds eingezahlt und nur etwa 1,4 Milliarden DM zurückerstattet bekommen hat, wogegen Frankreich und die Niederlande etwa das 1 l/2fache ihrer Einzahlung zurückerstattet bekommen haben?
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9597
Ich darf die Frage des Herrn Kollegen Mertes wie folgt beantworten. Mit Ihrer Frage, Herr Kollege, werfen Sie ein Problem auf, das sehr vielschichtig und sehr kompliziert ist. Sicherlich haben Sie Verständnis dafür, daß man bei der Kürze der Zeit in der Fragestunde dieses Gesamtproblem nicht so darstellen kann, wie es unter Umständen möglich wäre.
Die Auswirkungen der Agrarfinanzierung der Europäischen Gemeinschaften auf die Mitgliedstaaten und insbesondere auf die nationalen Haushalte werden, wie Sie sicherlich wissen, vom Fondsvolumen, von den Beiträgen und von den Rückvergütungen aus dem Fonds bestimmt. Die festgestellten Unterschiede der Belastung der Mitgliedstaaten haben ihre wesentliche Ursache in der Abteilung Garantie des Agrarfonds. Die Höhe der Ausgaben in der Abteilung Garantie wird durch die Ausgabentatbestände der Agrarmarktordnungen bestimmt und hier insbesondere durch die Höhe der Preise. Sie wissen, daß, um ein leistungsgerechtes Einkommen über den Preis zu erzielen, die Garantien ausgesprochen werden. Das angestrebte Preisniveau, das grundsätzlich über dem Weltmarktpreisniveau liegt, ist nur dann zu halten, wenn es nach innen und nach außen abgesichert ist. Die Produktion über die Preise zu steuern ist zwar in der volkswirtschaftlichen Theorie richtig, läßt sich aber in der politischen Wirklichkeit nicht realisieren.
Die Preise für Agrarerzeugnisse tragen zwar zur Einkommenssicherung der landwirtschaftlichen Erzeuger bei. Sie führen aber auch auf fast allen Gebieten zu Produktionsausweitungen und damit zu steigenden Ausgaben.
Die unterschiedliche Verteilung von Lasten und Nutzen auf die Mitgliedstaaten erklärt sich hiernach aus dem zu krassen Unterschied zwischen Beiträgen und Rückvergütungen, der mit steigendem Fondsvolumen immer größer wird. Durch das Versagen des Preises als Steuerungsinstrument für die landwirtschaftliche Produktion, das sich besonders deutlich im Bereich der Milchmarktordnung zeigt, kommen Belastungen auf uns zu, die dazu zwingen, den finanziellen Aspekten der gemeinsamen Agrarfinanzierung in den kommenden Brüsseler Finanzverhandlungen noch mehr Geltung zu verschaffen. Im Interesse der Gemeinschaft halten wir es für unsere Pflicht, noch deutlicher als bisher darauf hinzuweisen, daß der finanziellen Leistungsmöglichkeit und der finanziellen Leistungsfähigkeit der Mitgliedstaaten Grenzen gesetzt sind und daß zu einer gemeinsamen finanziellen Verantwortung auch eine größere Harmonie in der Verteilung von Lasten und Nutzen auf die Mitgliedstaaten gehört.
Zusatzfrage, Herr Kollege Mertes.
Herr Staatssekretär, können diese Auszahlungsbeträge nicht in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, die Lage der deutschen Landwirtschaft im Vergelich zu den Landwirtschaften
anderer EWG-Länder sei so ausgezeichnet, daß sich diese Unterschiede bei den Auszahlungsbeträgen zu Lasten der Bundesrepublik rechtfertigen ließen?
Ich glaube nicht, Herr Kollege Mertes, daß dieser Eindruck, wenn man nur ein bißchen von der Materie kennt, entstehen kann.
Weitere Zusatzfrage.
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um auf diesem Gebiet dem Preis wieder seine Funktion zu geben?
Es ist sehr schwer, hier ein Einzelrezept zu geben; das wissen Sie, Herr Kollege Mertes. Aber ich darf sagen: die Bundesregierung und die gerade in Brüssel mitverantwortlichen Minister und Staatssekretäre werden alles versuchen, um das zu erreichen, was Sie mit uns allen wohl anstreben.
Eine Zusatzfrage, Kollege Dröscher.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß unter der Voraussetzung, daß a) die Marktmechanik des EWG-Marktes so bleibt, wie sie jetzt ist, b) die Produktionsvoraussetzungen in anderen Ländern besser sind — mindestens was die Reserven angeht — als bei Lins, jede Preiserhöhung, etwa bei Getreide und Milch, dieses Mißverhältnis, das in der Frage angeschnitten ist, noch zu unserem Nachteil verstärken muß?
Das habe ich bereits bei meiner Antwort an den Herrn Kollegen Mertes angeschnitten.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dröscher.
Wurde die Haltung der Bundesregierung zu den schon in zurückliegenden Zeiten behandelten Fragen der Preiserhöhung durch diese Überlegung mitbestimmt?
Ich habe. darauf hingewiesen, Herr Kollege Dröscher, und zwar ganz bewußt, daß wir in der Zukunft noch mehr als Wisher gerade auf die finanziellen Auswirkungen der Beschlüsse, die in Brüssel gefaßt werden, achten müssen und daß wir noch deutlicher machen müssen, daß die finanzielle Kraft eines Mitgliedstaates und die finanzielle Möglichkeit und Fähigkeit bei diesen Beschlüssen besonders beachtet werden müssen.
Herr Kollege Illerhaus, Zusatzfrage.
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9598 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
Ist die Bundesregierung bereit, mir zuzustimmen, wenn ich sage, daß über Vor- und Nachteile des Gemeinsamen Marktes nicht auf Grund eines einzelnen Tatbestandes geurteilt werden kann, sondern der Gesamterfolg und die Gesamtentwicklung berücksichtigt werden müssen? Sind Sie bereit, mir darin zuzustimmen, daß z. B. der Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft seit Inkrafttreten des Gemeinsamen Marktes in einem sehr viel größeren Umfange gestiegen ist als vorher?
Ich bin bereit, das anzuerkennen. Es ist, glaube ich, heute Allgemeingut, auch in unserer Bevölkerung, daß der Gemeinsame Markt als solche Einrichtung für alle von Nutzen ist. Aber, Herr Kollege Illerhaus, ich muß auch feststellen, daß gerade die Frage, die hier angeschnitten worden ist, uns natürlich — bei den steigenden Zahlen — für die Zukunft Sorge machen muß.
Eine weitere Frage, Herr Kollege Peters.
Herr Staatssekretär, können Sie mir zustimmen, daß man den Nettobeträgen an die EWG, die nach dem Beispiel des Kollegen Mertes etwa 1,3 bis 1,4 Milliarden DM betragen, entgegenhalten muß, was vorher in den Bereichen für Marktordnung im nationalen Bereich gezahlt worden ist, also z. B. vor einigen Jahren 600 bis 700 Millionen DM für die Bundesmilchpfennige und 300 Millionen DM für die Landesmilchpfennige, die jetzt nicht mehr aufgewendet werden?
Herr Kollege Peters, ich bin bereit, das dann anzuerkennen, wenn man das, was man auf diesem Gebiet heute tut, mit dem vergleicht, was man vor Jahren getan hat.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Kollegen Peters.
Herr Staatssekretär, darf ich aus der Antwort auf die Frage des Kollegen Dröscher schließen, daß die Bundesregierung bei den weiteren Verhandlungen in Brüssel das Prinzip verfolgen wird, aus kommerziellen Gründen die Agrarpreise innerhalb der EWG-Marktordnungen so niedrig wie möglich zu halten?
Ich habe gesagt, Herr Kollege Peters, daß die Bundesregierung bei den künftigen Verhandlungen noch mehr als bisher — ich hatte damit bereits betont, daß die Bundesregierung auch bisher schon alles Mögliche versucht hat — versuchen wird, auf der einen Seite das Bestmögliche für unsere Landwirtschaft zu tun, auf der anderen Seite aber auch die Leistungsfähigkeit und Leistungsmöglichkeit vom Finanziellen her in Zukunft noch stärker zu beachten.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Kollegen Logemann.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß die Bundesregierung durch eine stärkere Förderung des deutschen Agrarexports in der Lage wäre, auch die Rückerstattungen aus Brüssel zu erhöhen?
Herr Kollege Logemann, wir haben jetzt keine agrarpolitische Debatte. Deshalb ist Ihre Frage, so herausgegriffen, sehr schwer zu beantworten. Ich kann mir im Augenblick dazu eine Antwort nicht erlauben.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Kollegen Illerhaus.
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht eine Diskrepanz darin, wenn die Bundesregierung auf der einen Seite weiß, daß durch hohe Agrarpreise im Gemeinsamen Markt die Produktionsüberschüsse noch größer werden, und wenn sie auf der anderen Seite trotzdem an diesen hohen Preisen im Rahmen der Verhandlungen des Gemeinsamen Marktes festhalten will?
Wirtschaftlich gesehen. selbstverständlich! Wir müssen aber auch politisch denken, Herr Kollege Illerhaus, und dadurch entstehen für uns die Probleme.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen erledigt.Die Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz, die Frage 3 des Abgeordneten Dröscher:Hat die Bundesregierung, angeregt durch das französische Beispiel, erwogen, eine Amnestie für strafrechtlich wegen der Osterunruhen Verfolgte zu erlassen?wird im Einvernehmen mit dem Herrn Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antwort des Bundesministers Dr. Dr. Heinemann vom 28. Mai 1968 lautet:Der Bundesregierung ist aus Zeitungsmeldungen bekannt, daß die französische Regierung eine Amnestie für diejenigen Straftaten zugesagt hat, die im Zusammenhang mit den Demonstrationen in Frankreich in der letzten Zeit begangen worden sind. Die Bundesregierung ist hierdurch aber nicht angeregt worden, in der Bundesrepublik eine Amnestie für strafrechtlich wegen der Osterunruhen Verfolgte zu erwägen. Die Bundesregierung hat sich mit diesem Problem überhaupt noch nicht befaßt. Ich habe lediglich in einem Gespräch mit Mitgliedern der beiden Koalitionsparteien am 21. Mai 1968 erwähnt, daß ich diese Frage in meinem Hause prüfen lassen würde. Dabei hatte ich nicht nur die strafbaren Handlungen anläßlich der Demonstrationen in den letzten Monaten im Sinn, sondern auch diejenigen Täter und Beschuldigten, die nach dem geltenden Staatsschutzstrafrecht verurteilt worden sind oder noch strafrechtlich verfolgt werden. Hierzu hatte mich der Gedanke gebracht, daß die Verabschiedung des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes eine Korrektur des geltenden Staatsschutzstrafrechts bedeutet. Inzwischen habe ich aus den vierteljährlich geführten Statistiken über die Staatsgefährdungsdelikte festgestellt, daß der betroffene Personenkreis so gering ist, daß ein Straffreiheitsgesetz kaum angezeigt ist.Zu dem anderen Personenkreis, also zu denjenigen Personen, die sich aus Anlaß oder in Zusammenhang mit den Demonstrationen in den letzten Monaten strafbar gemacht haben, hat die vorläufige Prüfung zu folgendem Ergebnis geführt:
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9599
Vizepräsident ScheelVor der Entscheidung, ob man einem Straffreiheitsgesetz nähertreten will, müssen viele Gesichtspunkte sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Mit in erster Linie muß der Gesetzgeber sich ein Bild über. die tatsächlichen Gegebenheiten verschaffen, insbesondere daruber, um wie viele Täter es sich etwa handelt, welche strafbaren Handlungen begangen worden sind und aus welchen Motiven oder zu welchem Zweck demonstriert worden ist. Es liegt in der Natur der Sache, daß wir heute einen solchen Überblick noch nicht haben können. Zwar ist in den einzelnen Ländern der Bundesrepublik eine Vielzahl von Ermittlungsverfahren aus Anlaß strafbarer Handlungen während der Demonstrationen eingeleitet worden. Es steht aber noch nicht fest, in welchem Umfang und mit welchem Ergebnis diese Ermittlungsverfahren zur rechtskräftigen Verurteilung führen werden. Schon aus diesem Grunde kann heute noch nicht gesagt werden, ob für diesen Täterkreis ein Straffreiheitsgesetz überhaupt in Erwägung gezogen werden soll.Wir kommen dann zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft.Als erste rufe ich die Frage 34 des Abgeordneten Kühn auf:Hält es die Bundesregierung für denkbar, daß die Unterzeichner der Kleinen Anfrage — Drucksache V/2785 — aus gewichtigen Gründen nach weitergehenden Maßnahmen fragen, weil ihnen offenbar Tatsachen bekanntgeworden sind, die die in der Antwort — Drucksache V/2846 — angezogenen Richtlinien vom 31. März 1954 als nicht ausreichend erscheinen lassen?Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministers für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung hält es selbstverständlich für denkbar, daß den Unterzeichnern der Kleinen Anfrage Tatsachen bekannt gewesen sind, und sie hält es für selbstverständlich, daß gewichte Gründe zur Formulierung der Kleinen Anfrage geführt haben.
Dann die Frage 35 des Abgeordneten Kühn :
Ist die Bundesregierung, falls sie dieser Meinung ist, bereit, ernsthaft die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen wie z. B. die in der Kleinen Anfrage aufgeführten zu prüfen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich würde die beiden Fragen 35 und 36 gern im Zusammenhang beantworten.
Bitte sehr! Ich rufe dann auch die Frage 36 des Abgeordneten Kühn auf:
Ist die Bundesregierung bereit, Auskunft darüber zu geben, wie die in der Antwort auf die Kleine Anfrage — Drucksache V/2846 — angesprochenen „geplanten Bevorzugungen", die m. E. keine Bevorzugung, sondern notwendiger Ausgleich von Nachteilen sind, konkret aussehen sollen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auf der Grundlage der Anregungen des Bundestagsausschusses für gesamtdeutsche und Berliner Fragen — Schriftlicher Bericht Drucksache IV/3668 aus dem Jahre 1965 — hat das Bundesministerium für Wirtschaft einen Entwurf für neue Richtlinien zur Bevorzugung des Zonenrandgebietes bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgearbeitet. Der Entwurf wird voraussichtlich im Juni im Bundeskabinett beraten werden. Darin wird u. a. eine Verbesserung der sogenannten
Geringfügigkeitsstaffel vorgeschlagen. Des weiteren soll Bewerbern aus dem Zonenrandgebiet die Möglichkeit eingeräumt werden, in das wirtschaftlichste Angebot eines anderen Bewerbers einzutreten.
Die Bundesregierung glaubt in Übereinstimmung mit den Bundesländern, daß durch diese Maßnahmen der Zonenrandwirtschaft weitere und neue Möglichkeiten eröffnet werden, öffentliche Aufträge zu erhalten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Kühn .
Herr Staatssekretär, wird bei der Erarbeitung dieser Richtlinien auch darauf Bedacht genommen werden, daß die Firmen, die in dem Zonenrandgebiet tatsächlich ihren Sitz haben, in erster Linie Berücksichtigung finden? Ein großer Teil der Klagen, die uns bekanntgeworden sind, geht ja darauf hinaus, daß Firmen, die außerhalb dieses Gebietes ihren eigentlichen Sitz haben, dort einen zweiten Sitz errichten, um damit für sich Aufträge zu erreichen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage wird deshalb selbstverständlich in den neuen Richtlinien geregelt werden, Herr Kollege.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Kühn.
Herr Staatssekretär, damit für die Zukunft eine kontinuierlichere Arbeit auch in der Berücksichtigung dieser Fragen erreicht wird, darf ich fragen, ob neben der selbstverständlichen Aufgabe der Abgeordneten, sich dieser Dinge anzunehmen, auch von der Verwaltung her eine stärkere Prüfung erfolgt, ob die Maßnahmen jeweils den bezweckten Erfolg erreichen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das wird gerne geschehen. Selbstverständlich ist auch die Exekutive auf Informationen angewiesen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peters.
Herr Staatssekretär, in Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Kühn sagten Sie, daß bei der Änderung der Vergaberichtlinien ein Übereinkommen mit den Bundesländern erreicht sei. Ich darf Sie fragen, ob das Land Schleswig-Holstein ebenfalls zugestimmt hat. Im Land Schleswig-Holstein haben .wir ja die Diskrepanz, daß die Westküstenkreise wirtschaftlich schwächer gestellt sind als die Ostküstenkreise.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mir ist nicht bekannt, daß ein Land in der Länderwirtschafts-
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9600 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt ministerkonferenz Bedenken gegen die Novellierung dieser Richtlinien erhoben hat.
Eine Zusatzfrage von Herrn Dr. Huys.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin gesagt, der Bewerber aus dem Zonenrandgebiet werde in das wirtschaftlichste Angebot eintreten, nicht in das preisgünstigste. Wo liegt hier der Unterschied?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin nicht in der Lage, darauf im Augenblick eine Auskunft zu geben.
Herr Dr. Dittrich, eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, welche konkreten Möglichkeiten sehen Sie hinsichtlich der Überprüfung des wirtschaftlichsten Angebots insbesondere durch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen, der sich mit diesem Problem laufend beschäftigt, kann sich jederzeit Bericht erstatten lassen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Dittrich.
Vielleicht haben Sie mich falsch verstanden, Herr Staatssekretär. Welche konkrete Möglichkeit hat der einzelne Abgeordnete, zu überprüfen, ob ein Gebot aus einem Zonenrandgebiet die Kriterien umfaßt, die Sie vorher erwähnt haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es liegt bei dem einzelnen Abgeordneten, ob er diese Möglichkeit hat, Herr Kollege. Ich bin selbstverständlich nicht in der Lage, das im einzelnen zu beurteilen.
Herr Kollege Dittrich, nach den Usancen nicht. Aber sie sollen noch eine bekommen.
Meine Frage ist bedauerlicherweise nicht beantwortet, Herr Staatssekretär. Ich wiederhole sie noch einmal: Welche konkreten Möglichkeiten sehen Sie für den einzelnen Abgeordneten, zu überprüfen, ob dieser oder jener Betrieb des Zonenrandgebietes in der Tat unter den wirtschaftlichsten Angeboten war und deshalb hätte zum Zuge kommen können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, dann muß ich auch etwas deutlicher werden. Ich kann Ihnen selbstverständlich sagen, welche Möglichkeiten ich für mich sehe. Ich kann Ihnen nicht sagen, welche ich für Sie sehe.
Ich rufe die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Dr. Huys auf:
Wann ist mit weitergehenden Maßnahmen zur Förderung tier Wirtschaft im Zonenrandgebiet zu rechnen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, mit der in Aussicht genommenen Sonderförderung des Zonenrandgebietes ist noch im Laufe dieses Sommers zu rechnen. Der interministerielle Ausschuß für regionale Wirtschaftspolitik hat bereits grundsätzlich zugestimmt, daß aus Mitteln des regionalen Förderungsprogramms in solchen Teilräumen, in denen sektorale Anpassungsprobleme und Zonenrandlagen mit voller Schärfe spürbar sind, für Neuansiedlung ein Zuschuß bis zur Höhe von 25 °/o der Investitionskosten gewährt wird. Zur Zeit gehen die entsprechenden Vorschläge der Bundesländer ein. In der nächsten Sitzung, im Juni, wird der Ausschuß die von den Ländern vorgeschlagenen Orte, die für diese Sonderförderung in Betracht kommen, prüfen und über diese Vorschläge entscheiden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Kühn.
Herr Staatssekretär, wird es eine Möglichkeit geben, gebenenfalls im Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen über diese Richtlinien vorher noch einmal zu sprechen? Es gibt, wie Sie mir sicher zugestehen werden, dabei eine Fülle von Problemen, die nicht nur mit der Neuansiedlung, sondern auch mit der Beschäftigungslage, mit der Verkehrsferne, mit der mangelnden Verkehrserschließung usw. zu tun haben, Probleme, von denen ich glaube, daß sie im Zusammenhang gesehen werden müssen, wenn man nicht zu punktuellen Maßnahmen kommen will, die letzlich doch nicht den bezweckten Erfolg erreichen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, inwieweit das vor dieser Sitzung geschehen kann, kann ich deshalb nicht beurteilen, weil ich nicht die Disposition des betreffenden Bundestagsausschusses kenne. Aber selbstverständlich ist .die Bundesregierung jederzeit bereit, über ihre Intentionen in diesem oder anderen Ausschüssen Auskunft zu geben.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Kühn.
Herr Staatssekretär, würden Sie auch bereit sein, einer Reihe
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9601
Kühn
von interessierten Kollegen und mir die Möglichkeit zu geben, uns in Ihrem Hause einmal darüber zu unterrichten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Selbstverständlich bin ich auch dazu bereit, Herr Kollege.
Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Peters.
Herr Staatssekretär, sehen Sie eine Möglichkeit, die Investitionsbeihilfen von 25 %, von denen Sie eben sprachen, auch auf die Westküstenkreise Schleswig-Holsteins auszudehnen, die auf Grund der besonderen Lage im Land Schleswig-Holstein diese Hilfe noch eher brauchen als die Ostküstenkreise?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Peters, der Bundesregierung ist dieses spezielle und sehr unglückselige Problem in Schleswig-Holstein bekannt. Aber diese zusätzliche Förderung von 25 % an Stelle der normalen 15 % wird nur sehr wenigen Orten in der Bundesrepublik gewährt werden können, wenn nicht der Sinn dieser Maßnahmen — Herbeiführung einer regionalen Kleinballung — zunichte gemacht werden soll.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Peters.
Herr Staatssekretär, Sie werden mir doch nicht bestreiten, daß der Nordwestraum Schleswig-Holsteins strukturell im Grunde noch schlechter gestellt ist als viele andere Zonenrandgebiete und daß deshalb hier eine Hilfe besonders notwendig ist?
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Herr Kollege Peters, ich bin nicht in der Lage, das hier ad hoc zu beurteilen. Ich wollte nur sagen, daß auch im Falle der Ostküste Schleswig-Holsteins nicht mehrere Orte gleichzeitig diese zusätzliche Förderung genießen können.
Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Dr. Huys auf, die das gleiche Thema betrifft:
Ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß die Zonenrandsituation, die in allen Bundesländern gleich ist, auch für alle Bundesländer gleiche Förderungsmaßnahmen erforderlich macht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung teilt diese Auffassung. Die Richtlinien des regionalen Förderungsprogramms enthalten keine voneinander abweichenden Förderungsrichtlinien für die einzelnen Zonenrandländer. Auch die sonstigen Hilfen des Bundes, z, B. die steuerlichen Erleichte-
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9602 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
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9604 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
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9606 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
Eine weitere Frage, Herr Kollege Schultz.
Schultz (FDP) : Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß der Stellenvorbehalt, über den zwischen dem Bundesverteidigungsministerium, dem Innenministerium und dem Bundesrat praktisch verhandelt werden muß, nur für die Übernahme von Unteroffizieren in den Verwaltungsdienst von Ländern und Kommunen zutrifft und daß ein solcher Vorbehalt für die Unterbringung in der Wehrbereichsverwaltung gar nicht notwendig ist?
Das geht auch aus
meiner Antwort nicht hervor. Ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß beim übrigen öffentlichen Dienst, bei Bund, Ländern und Gemeinden, ein solcher Vorbehalt gemacht worden ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Kollege Schultz.
Schultz (FDP) : Herr Staatssekretär, können Sie die Mitteilung bestätigen, die mir Staatssekretär von Hase gemacht hat, daß im Juni die abschließende Verhandlung über diesen Stellenvorbehalt zwischen Verteidigungsministerium, Innenministerium und Bundesrat stattfinden soll?
Das kann ich bestätigen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Haase .
Herr Staatssekretär, wenn Sie der Meinung sind, daß bis etwa 1971 das Problem der Übernahme in den zivilen Dienst gelöst werden kann, wie stehen Sie dann zu dem Tatbestand, daß im Jahre 1968 von den qualifizierten Bewerbern für die Übernahme in den gehobenen Dienst der Bundeswehrverwaltung im Wehrbereich I nur rund 25 bis 30 % übernommen werden können?
Ich werde diese Frage gerne prüfen lassen, Herr Kollege.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Haase.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß es endlich an der Zeit ist, offen und öffentlich zuzugeben, daß in der Vergangenheit hinsichtlich der Zusicherung der Grundsatz von Treu und Glauben nicht so recht gewahrt worden ist?
Dieser Auffassung bin ich nicht.
Meine Damen und Herren, die Fragestunde ist damit beendet.Wir kommen zum Punkt 9 der Tagesordnung:a) Dritte Beratung des Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes— Drucksachen V/1879, V/2873 —Zusammenstellung der Beschlüsse des Bundestages in zweiter Beratung— Drucksache V/2917 —
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9607
Vizepräsident Scheelb) Zweite Beratung des von den Abgeordneten Dorn, Busse , Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Mischnick und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der rechtsstaatlichen Ordnung im Verteidigungsfall— Drucksache V/2130 —Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache V/2873 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Lenz
Für die dritte Lesung dieser Gesetzesmaterie liegen eine Anzahl von Änderungsanträgen vor. Ich werde jetzt die Artikel aufrufen, zu denen Änderungsanträge vorliegen. Ich werde Sie bitten, die einzelnen Passagen der Änderungsanträge jeweils bei den aufgerufenen Artikeln zu begründen und auch die Aussprache dort zu führen.Zunächst liegt ein Änderungsantrag vor zu § 1 Nr. 1 betreffend Art. 10 Abs. 2 des Grundgesetzes, und zwar auf Umdruck 484 *), Änderungsantrag der Abgeordneten Dorn, Busse usw., unter Ziffer 1. Wird zu diesem Änderungsantrag das Wort gewünscht? — Das ist der Fall. Das Wort zur Begründung hat Herr Dr. Rutschke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist zwangsläufig, daß wir heute in der dritten Lesung der Grundgesetzänderung die wesentlichsten Anträge wiederholen, die wir schon in der zweiten Beratung gestellt haben. Wir wiederholen sie deshalb, weil wir folgender Meinung sind: Diese Eingriffe in die persönliche Freiheit des einzelnen und überhaupt in unser demokratisches Gefüge sind so stark, daß wir nicht darauf verzichten können, unsere Vorstellungen hier nochmals eindeutig zur Geltung zu bringen.Eine sehr entscheidende Frage ergibt sich bei Art. 10 des Grundgesetzes. Wenn diese Bestimmung so geändert wird, wie die Koalitionsfraktionen es verlangen, wird das sehr schwere Probleme hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit in unserer Demokratie mit sich bringen.
Von den Koalitionsfraktionen ist beantragt, in Art. 10 des Grundgesetzes das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis in einer Weise einzuschränken, daß dadurch die Vorstellungen, die der Verfassunggeber in Art. 19 zum Ausdruck gebracht hat, abgeschafft werden. Bisher wurde durch die Verfassung der Rechtsweg garantiert. Derjenige, der nun hier betroffen ist, kann sich praktisch dieses Rechtsweges nicht mehr bedienen. Das ist ein sehr schwerwiegender Eingriff. Ich darf in der Folge noch Zeugen dafür aufrufen, die mit uns der gleichen Meinung sind, die die Bedenken teilen, die wir zum Ausdruck bringen.*) Siehe Anlage 2Hier wird nun vorgesehen, daß derjenige, der unschuldig abgehört wurde, diese Tatsache nicht erfährt, wenn sich herausstellt, daß er zu Unrecht abgehört wurde. Ich begreife beim besten Willen nicht, warum Sie nicht dazu bereit sind, nach Abschluß eines Untersuchungsverfahrens im Zusammenhang mit einem Abhörverfahren. dem Bürger, der offensichtlich unschuldig abgehört worden ist, zu sagen, daß er abgehört wurde und daß nichts gegen ihn vorliegt.
Das ist doch etwas, was unbedingt notwendig ist und was ein Mindestmaß an Fairneß gegenüber dem Bürger darstellt.Ich möchte hier noch einmal betonen — leider ist in der Offentlichkeit ein falscher Eindruck entstanden —, daß wir niemals verlangt haben, dem Bürger, der abgehört wird, das im gleichen Moment mitzuteilen. Davon ist niemals die Rede gewesen. Nur wenn festgestellt wurde, daß er zu Unrecht abgehört worden ist, soll man ihn rehabilitieren, indem man ihm sagt: Wir haben dich zu Unrecht abgehört; wir teilen dir das mit.Warum muß man das mitteilen? Weil sonst in der Offentlichkeit eine psychologische Wirkung ausgelöst wird, die Sie mit Sicherheit nicht wollen. Wenn der Bürger von vornherein weiß: es wird ihm niemals mitgeteilt, daß er abgehört worden ist, dann wird er bei jedem Knacken im Telefon vermuten: hier wird abgehört. Es wird das Vertrauen in das schwinden, was ihm in diesem Bereich an sich durch die Verfassung garantiert ist.
Ich glaube aber auch, daß die Stellen, die die telefonische oder die Postüberwachung anordnen, sehr viel vorsichtiger sein werden, eine derartige Anordnung zu erlassen, wenn sie wissen, daß sie es bekennen müssen, wenn sich herausstellt, sie haben zu Unrecht abgehört. Auch das ist für uns eine entscheidende Frage. Wie leicht ist es sonst für die anordnende Behörde oder Stelle, zu sagen: na, den hören wir mal auf jeden Fall ab; wenn nichts herauskommt, ist auch nichts verloren; wir müssen es nicht verantworten. Wenn sie aber wissen, sie müssen sich unter Umständen dafür verantworten, werden sie auch bei der Anordnung der Kontrolle, des Außerkraftsetzens des Post- und Fernmeldegeheimnisses sehr sorgsam sein.Das sind Gründe, meine Damen und Herren, die doch einleuchtend sein müssen, und ich begreife wirklich nicht, warum Sie nicht bereit sind, auf diesen Kompromiß, den wir hier vorschlagen, einzugehen.
Meine Damen und Herren, Sie werden sonst eine Situation heraufbeschwören, die so auch in Zukunftsromanen — ich denke an Orwell — schon beschrieben worden ist, daß der „Große Bruder" überall mithört. Wir leben in einem freiheitlichen Rechtsstaat und wollen nicht, daß derartige Gedanken aufkommen können. Sie tragen aber dazu bei, wenn Sie darauf beharren.
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9608 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
Dr. RutschkeMeine Damen und Herren, der zweite Grund, warum wir uns darum bemühen, den Satz 2 des Art. 10 Abs. 2 des Grundgesetzes der neuen, vorgeschlagenen Form zu streichen, ist der, daß auch der Rechtsweg, der nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes eine tragende Säule unseres Grundgesetzes ist, hier ausgehöhlt wird. Gestern wurde vom Kollegen Dr. Reischl gesagt, daß wir ja den Rechtsweg weiterhin dadurch einhalten, daß wir ein parlamentarisches Gremium einsetzen, womit der Rechtsweg in etwas anderer Form garantiert sei. Ich glaube, Herr Kollege Dr. Reischl, meine Freunde Hermann Busse und Genscher haben Sie gestern davon überzeugen können, daß diese Auffassung nicht stimmt. — Sie schütteln den Kopf; ich bedaure, daß Sie, Herr Dr. Reischl, der Sie sich sonst doch eigentlich überzeugen lassen, hier nicht überzeugt sind. Aber, Herr Dr. Reischl: Alle Kommentatoren der einschlägigen Gesetzgebung zum Grundgesetz vertreten diese Meinung. Nun ja, es ist vielleicht schwer für die SPD, dies hier zuzugeben. Ich bedaure das eigentlich.Wir haben aber auch Erfahrung mit derartigen parlamentarischen Gremien. Ich denke z. B. an Untersuchungsausschüsse. Hier wird zwar die Strafprozeßordnung angewandt. Aber, Herr Kollege Reischl — wir waren ja einmal gemeinsam in einem Untersuchungsausschuß —, dort werden eben Mehrheitsentscheidungen entsprechend den Stärkeverhältnissen im Parlament getroffen. Ich glaube nicht, daß man das mit dem Rechtsweg gleichsetzen kann, der in Art. 19 Abs. 4 unseres Grundgesetzes vorgesehen ist.
Das ist eben ein Irrtum. Deshalb glauben wir — wir berufen uns hier auf hervorragende Kommentatoren zum Grundgesetz —, daß dieser Weg den Weg, den das Grundgesetz vorgeschrieben hat, nicht ersetzen kann.Ich sagte, daß der Art. 19 Abs. 4 eine tragende Säule in unserer Verfassung ist. Belastende Akte der öffentlichen Hand müssen immer dem Rechtsweg unterliegen.Ich kann nur wiederholen, was gestern schon mein Kollege Genscher hier zum Ausdruck gebracht hat, daß immerhin ein Mann wie Professor Dr. Dürig, einer der Verfasser des wohl anerkanntesten Kommentars zum Grundgesetz, uns noch telegrafisch mitgeteilt hat:Als ausdrücklicher Befürworter einer Notstandsgesetzgebung für den Verteidigungs- und Spannungsfall bitte ich dringend, bei Art. 10 Abs. 2 des Grundgesetzes den Rechtsweg nicht auszuschließen und das Widerstandsrecht in in Art. 20 des Grundgesetzes ersatzlos zu streichen. Beides denaturiert die richterliche Gewalt, vor allem des Bundesverfassungsgerichts, ohne überzeugenden Grund.Soweit Professor Dr. Günther Dürig, Tübingen.
Das sind immerhin Stimmen, meine Damen undHerren, die in der Öffentlichkeit Gewicht habenund die nicht zu verwechseln sind mit irgendwelchen einseitigen Vorstellungen, die von irgendeiner Seite gebracht worden sind.Ich komme aus Karlsruhe und kenne auch die Stimmung beim Bundesverfassungsgericht in dieser Frage, Herr Dr. Reischl. Ich kann Ihnen aus einem Brief sagen, was gerade aus den Kreisen des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck gebracht worden ist. Ich zitiere:Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß viele Juristen in meiner Umgebung, die grundsätzlich die Notstandsgesetze auch in der vorliegenden Form befürworten, gerade an dieser Stelle schwere und schwerste Bedenken erheben. Denn die hiermit begonnene Durchbrechung des alten Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes eröffnet eine wahrhaft erschreckende Perspektive.
Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen, meine Damen und Herren. Sie sollten sich wirklich überlegen, ob Sie eine so weitgehende Aushöhlung der Grundsätze unserer Verfassung hier durchsetzen wollen.
In der gestrigen Debatte wurden Vergleiche mit ausländischen Praktiken gezogen, sicherlich nicht Praktiken, die nur in den Bananen-Staaten üblich sind. Es mag sein, daß in dem einen oder anderen Land, das einen verfassungsmäßig garantierten Rechtsstaat darstellt, gewisse Praktiken auf diesem Gebiet vollzogen werden, die sich von denen, die wir hier verlangen, unterscheiden. Aber eines, meine Damen und Herren, stimmt eben nicht bei diesem Vergleich: Das deutsche Volk hat zwölf Jahre lang unter Diktatur mit Abhören und was dazu gehört gelebt. Deshalb müssen wir zu anderen Lösungen kommen, die rechtsstaatlich überzeugend sind und die unsere rechtsstaatliche Demokratie niemals mehr in Frage stellen.
Meine Damen und Herren, wird dazu das Wort gewünscht? — Herr Dr. Lenz, bitte!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ähnlich wie Herr Kollege Busse gestern möchte ich das Haus um Entschuldigung bitten, daß ich zum drittenmal zu diesem Thema spreche. Einige der Kollegen dieses Hauses haben schon das Vergnügen gehabt, das gleiche zu tun; ich sehe Herrn Kollegen Genscher und Herrn Kollegen Reischl. Es fällt mir deshalb etwas schwer, zu diesem Punkt noch etwas zu sagen, was noch nicht gesagt worden ist. Aber nachdem die Kollegen von der Opposition, was ihr gutes Recht ist, hier noch einmal dazu vorgetragen haben, muß ich das wohl auch tun.Wir sind uns, glaube ich, auf allen Seiten dieses Hauses darüber einig, daß es sich hier um eine bedeutende Frage handelt, daß es eine der wichtigen Bestimmungen des Entwurfs ist. Wichtig an dieser
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Dr. Lenz
Bestimmung ist nicht, daß hier gesetzliche Beschränkungen des Post- und Fernmeldegeheimnisses vorgesehen sind; die gibt es auch heute schon, die hat es immer schon gegeben; ich versage es mir, die -Liste der Gesetze aufzuzählen, in denen solche Beschränkungen stehen. Neu ist, daß die Beschränkungen nicht mitgeteilt werden sollen, und neu ist, daß gegen diese Beschränkung nicht die Gerichte angerufen werden können. Ich glaube, hier sind wir uns auch einig.
— Ja, darüber, ob das sympathisch oder nicht sympathisch ist, Herr Dorn,
— ich habe Sie akustisch nicht verstanden — sind wir uns wahrscheinlich auch ziemlich einig.Wir haben in den Koalitionsparteien und im Rechtsausschuß geglaubt — und das haben wir auch im Ausschuß beraten —, daß die Aufnahme einer Bestimmung, ähnlich wie sie in § 101 StPO gestern auch mit Ihrer Zustimmung aufgenommen worden ist, hier nichts nützt, einer Bestimmung, wonach dem Beschuldigten — der Ausdruck ist falsch —, wo nach demjenigen, der von solchen Maßnahmen betroffen worden ist, mitgeteilt werden kann, daß er abgehört oder seine Post geöffnet worden ist, sofern nicht der Untersuchungszweck gefährdet ist. Wir haben das im Rechtsausschuß geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle dieser Ausnahmefall eintreten wird und nicht der Regelfall, der sich dann scheinbar aus dem Gesetz ergibt. Wir haben aus diesem Grunde gesagt, eine solche Vorschrift nehmen wir nicht auf, denn wir sind der Auffassung, daß damit niemandem gedient ist.Nun zu der zweiten Frage: Welche Kontrollinstanzen soll es geben? Wir sind der Auffassung, daß die vom Grundgesetz zukünftig vorzusehenden und in dem gestern beratenen Gesetz enthaltenen Kontrollinstanzen, nämlich der Bundesminister, der vom Bundeskanzler ernannt wird, das parlamentarische Gremium, das seine Amtsführung überwacht, und die unabhängige Kommission, die die tagtägliche Überwachung vornehmen soll — wir haben ihre Unabhängigkeit im Gesetz noch besonders ausgebaut, wenn Sie den Bericht dazu anschauen, werden Sie das sehen —, hier eine wirksamere und damit die Grundrechte besser sichernde Instanz sind— nicht generell selbstverständlich, aber in diesem Bereich —, als sie die Einschaltung der Gerichte hier gewähren würde. Das ist der Grund, weshalb wir Ihnen diese Fassung vorgeschlagen haben.Ich möchte Sie deshalb bitten, der Vorlage in der Fassung des Rechtsausschusses Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat Herr Kollege Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen Dr.Lenz erfordern eine Erwiderung. Wir müssen noch einmal darlegen, daß der Art. 19 Abs. 4 eine tragende Bestimmung des Grundgesetzes ist. Die Möglichkeit des Staatsbürgers, sich gegen jede Verletzung seiner Rechte durch die öffentliche Gewalt zur Wehr zu setzen, ist das Grundrecht zum Schutze der Grundrechte.
Das ist die Bedeutung dieser Bestimmung.Nehmen Sie es nicht leicht, wenn fast ausnahmslos alle deutschen Staats- und Verfassungsrechtslehrer, also auch diejenigen, die für eine Notstandsgesetzgebung eintreten — wie wir auch, meine Damen und Herren —, an diesem Punkte vor dem warnen, was Sie hier beabsichtigen. Ich habe hier ein weiteres Telegramm vorliegen:Als Staatsrechtslehrer an der Juristischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg halten wir die Beschränkung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes durch Art. 10 Abs. 2 Satz 2 des Entwurfes für eine unerträgliche Beeinträchtigung eines wesentlichen Grundsatzes unserer rechtsstaatlichen Verfassungsordnung.
Meine Damen und Herren, wenn das ernst zu nehmende Männer, anerkannte Staatsrechtslehrer wie Professor Obermayer und Professor Zippelius sagen, dann können Sie daran nicht vorbeigehen.Es geht hier nicht darum, theoretische Regelungen zu finden, es geht nicht darum, Regelungen zu finden, die nicht praktikabel sind, sondern es geht allein darum, daß Sie dem unschuldigen Staatsbürder, demjenigen, der zu Unrecht überwacht worden ist, dieselben Rechte einräumen, die auch Sie dem überführten oder dringend verdächtigen Täter zubilligen wollen.
Was bei dem dringend Verdächtigen praktikabel ist, was bei ihm für rechtsstaatlich notwendig gehalten wird, das muß doch auch oder ich sage fast: das muß doch erst recht für denjenigen gelten, bei dem sich gerade durch die Überwachungsmaßnahme herausstellt, daß man ihn zu Unrecht ins Zwielicht gebracht hatte, und bei dem die Maßnahme nur auf Grund rein tatsächlicher Anhaltspunkte durchgeführt wurde. Wir wollen hier also nicht eine Regelung, die theoretisch ist, die praktisch nicht durchgeführt werden kann, sondern wir wollen eine auch von Ihnen als praktikabel anerkannte Regelung auf diejenigen anwenden, denen eine Tat nicht nachzuweisen ist, wenn sie schon bei denjenigen praktiziert wird, die dringend verdächtig oder sogar der Tat überführt sind.
Meine Damen und Herren, an dieser Problematik kommen Sie nicht vorbei. Die Notwendigkeit der richterlichen Anordnung einer solchen Maßnahme, die Mitteilung von der Durchführung, soweit der Untersuchungszweck es zuläßt — und doch nicht vorher —, und die Eröffnung des Rechtsweges sind
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9610 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
Genscherdie unverzichtbaren Garantien für die Beachtung der Grundrechte. Das Abgeordnetengremium, das Sie hier einsetzen wollen, kann von dem Betroffenen gar nicht angerufen werden, weil man ihm die Maßnahme auch dann noch vorenthält, wenn feststeht, daß man sie zu Unrecht durchgeführt hat. Deshalb ist das eine theoretische Möglichkeit.Gestern ist hier in einer Verniedlichung des Problems gesagt worden, man wolle offensichtlich dem Gericht zumuten, es solle überprüfen, warum es bei jemandem in der Leitung knackt. Das gerade wollen wir vermeiden. Wenn der Bürger weiß, daß ihm in jedem Falle nach Abschluß eines Überwachungszeitraumes eine solche Maßnahme mitgeteilt wird, und zwar nicht nur dann, wenn sie zu Recht durchgeführt wurde, sondern auch dann, wenn sie zu Unrecht durchgeführt wurde, dann wird er nicht mehr beunruhigt sein, dann wird er volles Vertrauen haben, und dann wird er warten, bis die Behörde ihn unterrichtet.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Dichgans? —
Herr Kollege Genscher, würden Sie mir erklären, was eigentlich der unschuldig überwachte Staatsbürger Dichgans, dessen Überwachung eingestellt worden ist, davon hat, daß er hinterher noch einen Prozeß führen kann?
Herr Kollege Dr. Dichgans, zunächst einmal ist das Wissen der Behörde, daß sie sich für jede Überwachungsmaßnahme möglicherweise verantworten muß, die beste Garantie gegen eine mißbräuchliche Ausnutzung dieser Bestimmung.
Auf der Möglichkeit richterlicher Nachprüfung jedes Verwaltungsaktes, jeder staatlichen Maßnahme beruht doch die Rechtssicherheit eines demokratischen Rechtsstaates. Das ist der erste Gesichtspunkt. Der zweite Gesichtspunkt: Der Bürger hat die Möglichkeit, dann klären zu lassen, ob wirklich die Behörde bei der Anordnung der Überwachungsmaßnahme pflichtgemäß gehandelt hat, er hat die Möglichkeit, rehabilitiert zu werden, und er hat auch die Möglichkeit, den leichtfertigen Denunzianten zur Rechenschaft zu ziehen — auch eine wichtige Frage der Sicherung seiner Rechte.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Dichgans?
Herr Genscher, befürchten Sie nicht, daß der unschuldig überwachte Abgeordnete Dichgans gerade dadurch ins Zwielicht gerät, daß mitgeteilt wird, er sei überwacht worden, und daß das für ihn im Ergebnis viel schlimmer ist, als wenn er nichts davon erfährt?
Herr Kollege Dr. Dichgans, die Mitteilung wird außerdem noch beinhalten, daß die Verdachtsmomente, die man als gegeben ansah, sich nicht bestätigt haben. Ich halte diese Form der Rehabilitierung in einem demokratischen Rechtsstaat für nötig.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mende?
Herr Kollege Genscher, würden Sie es nicht für gut halten, dem Herrn Kollegen Dichgans, der ja erst wenige Jahre in diesem Hause sitzt, mitzuteilen, daß es für den früheren Ministerpräsidenten Dr. Reinhold Maier, für den früheren Bundestagsabgeordneten und späteren Botschafter Dr. Pfleiderer und für den früheren Bundestagsabgeordneten Dr. Kohut sehr wertvoll war, daß Falschmeldungen von Sicherheitsdiensten über angebliche Treffen dieser Herren mit russischen Politikern in der Schweiz oder mit Politikern der DDR in Deutschland, über den Bundeskanzler dem Parteivorsitzenden der FDP damals mitgeteilt, zur Aufklärung gebracht werden konnten?
Herr Kollege Dr. Mende, gerade diese Hinweise mögen dem Kollegen Dr. Dichgans zeigen, wie wichtig es ist, dem Betroffenen in einer solchen Frage den Rechtsweg und damit auch die Möglichkeit der Stellungnahme zu eröffnen. Nachdem gestern hier der Eindruck erweckt wurde, der Richter solle das Knacken im Telefon überprüfen, will ich noch einmal klarstellen: Es geht ausschließlich darum, demjenigen, bei dem sich ein Verdacht nicht bestätigt hat, dieselben Rechte einzuräumen, die Sie, meine Damen und Herren, demjenigen geben wollen, bei dem dieser Tatverdacht dringend ist oder der sogar einer bestimmten strafbaren Handlung überführt ist.
Hier fehlt es bis zur Stunde am überzeugenden Argument, warum Sie eine so zentrale Bestimmung wie den Art. 19 Abs. 4 einschränken wollen. Ich sage noch einmal: Dieses Grundrecht zum Schutz der Grundrechte muß gerade bei so wesentlichen Beeinträchtigungen eines Grundrechts wie beim Briefgeheimnis gewahrt bleiben im Interesse des Vertrauens des Bürgers zu unserem Staat, im Interesse auch einer verfassungspolitischen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, die nach unser aller Vorstellungen auch nach der Verabschiedung dieser Gesetzgebung eine freiheitliche sein soll.
Wird das Wort noch weiter gewünscht? — Herr Dr. Reischl, bitte!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will Ihre Geduld nicht unnötig in Anspruch nehmen. Aber die Behauptungen, die zu dieser Frage aufgestellt werden,
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Dr. Reischlwerden nicht dadurch wahrer, daß sie die ganze Zeit wiederholt werden.
Der FDP möchte ich noch eines ins Stammbuch schreiben. Sie geht einfach daran vorbei, daß im letzten Bundestag der Entwurf, der von der anderen Koalitionsregierung, also mit ihren Ministern, eingebracht worden war, eine richterliche Anordnung vorsah, und zwar durch einen Senatspräsidenten des Bundesgerichtshofs, und daß der Bundesgerichtshof, der weiß Gott für die Gerichtsbarkeit kompetent ist, mit aller Klarheit gesagt hat, in diesem Falle seien die Gerichte überfordert, sie würden mißbraucht, und es deswegen abgelehnt hat, daß er, der Bundesgerichtshof, in dieser Weise eingeschaltet wird. Ich muß das einmal so darstellen, wie es gewesen ist. Erst weil die Gerichte es abgelehnt haben und weil man zu der Erkenntnis kam, daß die Gerichte das nicht durchführen können, hat man sich entschlossen, den politischen Weg der Kontrolle zu gehen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Busse? — Bitte. schön!
Herr Kollege Dr. Reischl, sind Ihnen die Ausführungen meines Kollegen Rutschke entgangen, in denen er ganz klar gesagt hat, daß selbst maßgebliche Richter höchster Stellen sich gegen die Regelung des jetzt vorliegenden Entwurfs ausgesprochen haben?
Herr Kollege Busse, sicher, das ist mir nicht entgangen. Ich habe allerdings — und ich wäre ja weiß Gott die Anlaufstelle für solche Einwände von seiten der Gerichte gewesen — von keiner richterlichen Seite Einwendungen bekommen. Im Gegenteil, der Bundesgerichtshof ist von seiner bisherigen Auffassung nicht abgerückt.
Ich sehe es also langsam wirklich als sinnlos an, immer wieder das gleiche zu begründen.
Ich will zum Abschluß nur sagen: Wenn man das Ansehen der Gerichte schädigen und ihr Verfahren denaturieren will, dann muß man eine solche Regelung vorsehen, wie Sie von der FDP sie wollen.
Das Wort hat der Abgeordnete Genscher.
Herr Kollege Dr. Reischl, die Ausführungen die wir heute hier gemacht haben, waren nicht Behauptungen, sondern Rechtsausführungen.
Ich weise aber mit aller Entschiedenheit Ihre Behauptung zurück, daß es die deutschen Gerichte oder die deutschen Richter abgelehnt hätten, eine
solche rechtsstaatliche Regelung zu übernehmen. Zunächst einmal haben Sie nur vom Bundesgerichtshof gesprochen. Aber die damalige Regelung sollte dem Bundesgerichtshof übertragen werden, der eine Fülle von Aufgaben im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu erfüllen hat. Es gibt mehr Gerichte in Deutschland. Sie selbst haben ja für den Fall des dringenden Verdachts beim überführten Täter die Gerichte für zuständig erklärt. Das wollen Sie selbst beschließen. Es geht nur um die Frage, ob Sie das auch bei den weniger Verdächtigen, vor allem bei den Unschuldigen, tun werden. Wenn die Gerichte das eine können, sind sie auch zu dem anderen in der Lage.
Ich möchte hier ganz entschieden Ihrer Behauptung entgegentreten, die Einschränkung des Art. 19 Abs. 4 sei deshalb notwendig, weil es die Gerichte abgelehnt hätten, diese Überprüfungsmaßnahmen durchzuführen. Diese Verantwortung können Sie dem deutschen Richter nicht übertragen. Die deutschen Richter haben sich in ihrer Gesamtheit dazu nicht geäußert. Sie sind dazu auch gar nicht legitimiert.
Meine Damen und Herren, wird noch weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen dann zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 484 Ziffer 1. Wer dem Antrag Ziffer 1 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist dieser Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt, d. h., daß Art. 10 in unveränderter Form bestehenbleibt.
Wir kommen jetzt zu dem Antrag auf Umdruck 484 Ziffer 2 *), der Art. 12 a unserer Vorlage betrifft. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das Wort zur Begründung des Antrags hat Frau Abgeordnete Dr. Heuser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Abgeordneten der Freien Demokratischen Partei bitten Sie, in diesem Punkt das Grundgesetz in der heutigen Fassung unverändert zu belassen. Sie sagen: Frauen sollen im Sanitätsbereich dienstverpflichtet werden können. Die FDP bedauert, daß sich die Koalitionsfraktionen nicht dazu verstehen konnten, von dieser Grundgesetzänderung abzugehen,
einer Grundgesetzänderung, die im Regierungsentwurf noch gar nicht enthalten war. Wäre sie darin enthalten gewesen, meine Damen, dann hätten Sie sich vor der Entrüstung der Frauenverbände und gerade auch der Ihnen Nahestehenden gar nicht retten können. So aber sind die unmittelbar Betroffenen bei der Anhörung zu diesem Punkt nicht anwesend gewesen, konnten ihre Meinung dort überhaupt nicht sagen.*) Siehe Anlage 2
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9612 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
Frau Dr. HeuserMeine Damen, ich spreche Sie ganz besonders an. Ich kann nicht verstehen, daß Sie einer Dienstverpflichtung von Frauen nun Ihre Zustimmung geben wollen,
wo wir uns doch in all den Jahren zuvor einig darüber gewesen sind, daß wir dies nie zulassen wollten.Was, frage ich Sie, hat sich in der Sache und was hat sich in den Voraussetzungen geändert, daß Sie sich so umstimmen ließen? Sie sehen nichts vor, um die Betreuung und Verpflegung von Waisenhäusern und von Altersheimen personell sicherzustellen. Sie sehen nichts vor, um die Arbeitsplätze in lebens-und versorgungswichtigen Betrieben neu zu besetzen, wenn sie von eingezogenen Männern oder von Müttern verlassen werden müssen.
Sie sehen nichts vor für die Betreuung und Versorgung der ausgebombten oder evakuierten Bevölkerung. Ihre Vorsorge richtet sich einseitig auf ein zwar wichtiges, aber doch nicht allein notwendiges Gebiet. Fürchten Sie nicht, damit draußen den Eindruck zu erwecken, daß Sie in der Vorsorge für den Verteidigungsfall sehr intensiv an die militärischen, aber weit weniger an die zivilen Bedürfnisse gedacht haben?
Die FDP wendet sich dagegen, daß Sie weite Bereiche notwendiger Hilfe aus Ihren Überlegungen ausklammern und eine Dienstverpflichtung einseitig gerade dort begründen, wo sie mehr Schaden stiftet als nützt.Als wir hier über das freiwillige soziale Jahr gesprochen haben, da haben Sie alle mit uns gesagt, daß der soziale und pflegerische Bereich vom Wesen her aus der Freiwilligkeit lebt und daß der Zwang hier nichts zu suchen hat. Was hat sich geändert an dieser Ihrer Meinung, die uns hier alle einmal vereint hat? Verkennen Sie sosehr die Grundhaltung all der Menschen, die sich diesen Berufen gewidmet haben? Hat es jemals in Krisen- und Kriegszeiten Beispiele gegeben, daß solche Menschen ihren Platz am Krankenbett verlassen hätten? Ich darf Sie an die kurze Kontroverse erinnern, die gestern in diesem Hause stattfand, als Herr Minister Katzer auf die Frage meiner Kollegin Frau Funcke das Bild eines schwer verwundeten, verblutenden Menschen auf einem verlassenen Operationstisch ohne Pflege und ärztliche Hilfe heraufbeschwor und behauptete, dies sei in der Tat im vergangenen Krieg so gewesen. Wenn das so gewesen sein sollte, dann darf ich Ihnen vielleicht in Erinnerung rufen, daß das zu Zeiten geschehen ist, wo es eine solche Dienstverpflichtung gab. Ich frage Sie: warum wollen Sie sie dann noch? Bei solchen Zufällen und bei solchen schrecklichen Vorkommnissen, wie sie von Herrn Minister Katzer geschildert worden sind, handelt es sich doch um Dinge, die eben im Krieg hingenommen werden müssen und für die man die Schuld nicht auf Dienstpflicht oder Nicht-Dienstpflicht abschieben kann.
Eine Frage an Sie, meine Herren: Haben die deutschen Frauen und Mädchen in der Vergangenheit nicht immer wieder bewiesen, daß sie zur Hilfe und daß sie zu Opfern bereit sind?
Ich bin immer der Ansicht gewesen, daß jeder Dienst im pflegerischen Bereich sein selbstverständliches Ethos in sich trägt, eines, das sich in der Verantwortung und in Notzeiten erst recht entfaltet.In diesem Hohen Hause ist gerade in der jüngsten Zeit so manches zum Wesen demokratischer Gesinnung gesagt worden. Wir alle wissen, wie sehr demokratisches Verhalten in diesem Land noch geübt werden muß, um selbstverständlich zu sein.
Freiwillige Verpflichtung für die Gemeinschaft ist eine grundlegende Vorbedingung für demokratisches Verhalten. Gerade da, wo diese Freiwilligkeit und das Wesen eines Berufs so eng beieinander liegen, ja fast kongruent sind, gerade da wollen Sie den Zwang noch dazu. Sie konnten mich nicht überzeugen, daß dies notwendig ist. Sie werden auf das Unverständnis und auf die Fassungslosigkeit derjenigen stoßen, denen Freiwilligkeit immer selbstverständlich war.Ich bitte Sie, unserem Änderungsantrag zuzustimmen, d. h. den ursprünglichen Wortlaut unseres Grundgesetzes bestehen zu lassen.
Das Wort zu dieser Ziffer des Antrages hat Frau Abgeordnete Schroeder.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Ich bitte Sie, den Antrag auf Umdruck 484 Ziffer 2 abzulehnen.Lassen Sie mich noch ein kurzes Wort zur Frage der Dienstverpflichtung von Frauen sagen, obwohl wir bei der zweiten Lesung sehr gründlich darüber debattiert haben und den ausgezeichneten Ausführungen von Frau Dr. Schwarzhaupt gerade zu diesem Punkt,
der heute wieder angeschnitten worden ist, eigentlich sehr wenig hinzuzufügen ist.Sie haben recht, verehrte Kollegin Frau Dr. Heuser, wenn Sie sagen, daß eine jahrelange Debatte in den Frauenkreisen vorausgegangen ist. Wir haben immer wieder mit allen Kreisen von Frauen Diskussionen über dieses heikle Thema der Dienstverpflichtung von Frauen in einem Notstand und einem Notfall geführt, und ich muß hier doch einmal sagen, daß ich eigentlich den Eindruck habe, daß den berechtigten Bedenken und Wünschen, die in diesen Diskussionen vorgetragen worden sind, mit den jetzigen Formulierungen unserer Vorlagen weitgehend Rechnung getragen wird.Das geschieht einmal gerade durch die sehr starke Betonung der Vorrangigkeit der Freiwilligkeit. Sie haben hier ausgeführt, daß in den Zeiten der Not
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Frau Schroeder
die Frau selbstverständlich wie immer helfen wird. Davon bin auch ich fest überzeugt. Sie hat es eigentlich häufig genug bewiesen.
Wenn das aber so ist, wenn wir genügend Freiwillige haben werden, dann werden wir keinen einzigen Paragraphen dieses Gesetzes anzuwenden brauchen.
Das ist doch einmal so. Ich bin eigentlich froh darüber, daß die zusätzlichen Dienstverpflichtungen von Frauen auf das Gebiet des Sanitäts- und Heilwesens beschränkt worden sind. Ich habe bei allen Diskussionen die Erfahrung gemacht, daß man für den Einsatz auf diesem Gebiet am ehesten und am meisten Verständnis gerade in den Kreisen der Frauen hat.
Es wäre doch völlig sinnlos zu sagen: Sie dürfen zusätzlich in ein ziviles Krankenhaus verpflichtet werden, aber in das am gleichen Ort liegende Lazarett dürfen sie nicht verpflichtet werden. Hier geht es doch um den leidenden Menschen. Ob der nun in einem Lazarett liegt oder in einem zivilen Krankenhaus, das spielt dabei doch überhaupt keine Rolle.
Sie müssen doch auch zugeben, daß wir gerade auf diesem Gebiet absolut sicher sein müssen, daß wir genügend Arbeitskräfte zur Verfügung haben, und leider Gottes wird es doch so sein, daß wir gerade auf diesem Gebiet eine große Zahl zusätzlicher Kräfte brauchen werden, ganz anders als im Frieden, etwa in den Waisenhäusern und Altersheimen, wo es ja möglich ist, daß die dort schon vorhandenen Kräfte bleiben. Deswegen müssen wir hier eine Sicherung einbauen für den Fall, daß die freiwilligen Kräfte nicht ausreichen, und nur das soll ins Grundgesetz hineingeschrieben werden.Da hier so oft ein Schreckgespenst an die Wand gemalt wird, darf ich bei dieser Gelegenheit noch einmal auf alles das hinweisen, was in dem damit in engem Zusammenhang stehenden Arbeitssicherungsgesetz verankert ist und was an Befreiungen, an Begrenzungen möglich ist. Ich darf darauf hinweisen, daß alle Mütter, die auch nur ein Kind unter 15 Jahren haben, von einer Verpflichtung befreit sind, daß alle befreit werden, die pflegebedürftige Angehörige haben, daß wir im Ausschuß auch noch in der Frage des Festhaltens am Arbeitsplatz die Begrenzung von 18 bis 55 Jahren eingeführt haben und daß wir alles unter das Gesetz des Zumutbaren gestellt haben. Damit dürfte einer großen Zahl von Wünschen gerade aus diesen Kreisen entsprochen sein.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Funcke?
Frau Kollegin Schroeder, halten Sie es für vertretbar, daß eine Mutter mit einem Kind von 15 oder 16 Jahren ortsfremd eingesetzt wird und damit das Kind allein bleibt?
Das ist doch gar nicht vorgesehen, Frau Kollegin Funcke.
Wir haben das im Ausschuß bei der Beratung des Arbeitsicherstellungsgesetzes besprochen. Das ist nicht vorgesehen.
Erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Funcke?
Frau Kollegin, können Sie mir die Bestimmung nennen, die das ausschließt?
Nein. Aber es sind ja noch alle möglichen Rechtsverordnungen vorgesehen, die zu den einzelnen Dingen erlassen werden.
Wir sind davon ausgegangen. Sie können auch in den Protokollen des Ausschusses nachlesen, daß etwas Derartiges nicht vorgesehen ist.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Kalinke?
Frau Kollegin, würden Sie mir zustimmen, daß es wohl gefährlicher wäre, wenn eine Mutter mit kleinen Kindern, mit Säuglingen, Parlamentarierin ist oder ein großes Ehrenamt oder einen Beruf ausübt, als wenn eine Mutter mit einer Tochter, die aus der Schule kommt, freiwillig oder in diesem Fall verpflichtet ihre Pflicht tut?
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf doch hier einmal etwas sagen; ich sage das auch im Hinblick auf eine große Anzahl von Zuschriften, die wir bekommen haben. Hier wird manchmal so getan — gerade auch in diesen Zuschriften —, als brauche man nur diese Gesetze mit Nachdruck abzulehnen, um zu erreichen, daß die Frauen in einer Situation allgemeiner schwerster Not — und das ist der Verteidigungsfall — von allem ausgenommen sind, daß sie wie auf einer Insel leben und das alles sie gar nicht betrifft. Es wird doch hier Punkt für Punkt gesucht, was alles an Unannehmlichkeiten, an Härten, vielleicht auch an Gefahren eintreten kann, wenn diese Gesetze durchgeführt werden. Dabei wird leider sehr oft vergessen, einmal abzuwägen: was alles denn an Gefahren auch für die Frauen eintreten kann, wenn wir diese Gesetze nicht durchführen.
wenn wir nicht gründlich genug Vorsorge treffen. Diese Gesetze in ihrer Gesamtheit sollen doch gerade Gefahren mindern, Gefahren für die Zivilbevölkerung und damit auch für die Frauen. Diese Ge-
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Frau Schroeder
setze werden also auch den Frauen zugute kommen, und ich bin überzeugt, daß in einer solchen Stunde der Not, wo harte Pflichten auf alle Bevölkerungskreise zukommen werden, auch die Frauen verstehen werden, daß man Verpflichtungen von ihnen verlangt.Ich bitte, den Antrag abzulehnen.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Moersch?
Laßt ihn doch fragen! Ich bin aber eigentlich fertig.
Offenbar ist Frau Kollegin Schroeder fertig und möchte keine Frage mehr beantworten.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das Wort hat der Abgeordnete Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Ich fühle mich gerade in diesem Falle noch zu einer Bemerkung veranlaßt, die ich mit meinen Kollegen nicht abgestimmt habe, sondern die das Ergebnis meiner Lebenserfahrung ist, also eine ganz persönliche Bemerkung. Diejenigen, die die hier so umstrittene Klausel in das Grundgesetz einführten, taten das auf einem geschichtlichen Hintergrund, der für Millionen Menschen unseres Volkes die tiefsten und bittersten Stunden ihres Lebens bedeutet hat. Das war die letzte Ursache dafür, warum man von diesen Millionen Menschen wiederum denjenigen, die mehr noch als selbst die am bittersten leidenden Männer unter den letzten Tagen und Wochen des Krieges zu leiden gehabt hatten, nämlich den Frauen, wenigstens die Chance geben wollte, daß sich derartige Dinge nicht wiederholen.
Das ist das Menschliche, was ich hinter dieser in unserem Grundgesetz verankerten Bestimmung sehe. Darum würde es mich menschlich ebenso tief treffen, wenn diese Bestimmung abgeschafft würde.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist. nicht der Fall.
Wir stimmen über den Änderungsantrag Umdruck 484 Ziffer 2 ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Dann rufe ich Ziffer 3 auf und frage, ob der Streichungsantrag begründet wird.
Herr Dr. Rutschke! *) Siehe Anlage 2
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wende mich noch einmal gegen die Bestimmung, daß eine Entscheidung, die außerhalb der Jurisdiktion der Bundesrepublik liegt, die in der Hand eines internationalen Gremiums liegt, automatisch Rückwirkungen auf unsere Notstandsgesetzgebung auslöst. Ich halte es nicht für verantwortbar, daß wir in unser Grundgesetz Bestimmungen hineinbringen, .nach denen Entscheidungen, die außerhalb des Bereichs des Grundgesetzes, von einer anderen Stelle als den deutschen Stellen getroffen werden, automatische Rückwirkungen auf unser Verfassungsleben, auf die gesamte Situation in der Bundesrepublik Deutschland haben. Ich warne Sie davor, diese Bestimmung so, wie Sie sie vorgesehen haben, zu beschließen, weil ich der Meinung bin, daß Sie auch diejenigen, die im NATO-Rat die deutsche Seite vertreten, in einen unlösbaren Konflikt bringen können, weil sie durch die Zustimmung, die sie in diesem Gremium geben, praktisch das Parlament ausschalten. Wir haben Ihnen ausführlich dargelegt, warum. Ich will das nicht alles wiederholen. Ich möchte Sie nur bitten, diese Bestimmung nicht hineinzubringen, auch im Hinblick auf die Souveränität, die das deutsche Volk für sich in Anspruch nehmen kann.
Meine Damen und Herren! Bevor ich weiter das Wort erteile, weise ich darauf hin, daß der Redner zu Ziffer 4 gesprochen hat. Ziffer 3 darf ich mit Ihrer aller Einverständnis für erledigt erklären.
Dann fahren wir in der Diskussion über Ziffer 4 fort. Herr Abgeordneter Dr. Lenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier erstens zu dem Antrag der Kollegen der FDP und zweitens zu dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen *) Stellung nehmen. Zu dem Antrag der FDP auf Einführung der Zustimmung des Bundestages lese ich aus dem Bericht die entsprechende Passage vor:Nach Auffassung der Mehrheit des Rechtsausschusses kann die Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland, die durch Beschlüsse eines von Bündnispartnern konstituierten internationalen Organs begründet werden, nicht noch zusätzlich von der Zustimmung des deutschen Parlaments abhängig gemacht werden. Eine derartige innerstaatliche Bindung der Bundesregierung könnte zu starken zeitlichen Verzögerungen führen und die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik beeinträchtigen. Dementsprechend schlägt der Rechtsausschuß in Absatz 3 des Artikels 80 a vor, daß abweichend von Absatz 1 die Anwendung solcher Rechtsvorschriften auch auf der Grundlage und nach Maßgabe eines Beschlusses zulässig ist, der von einem internationalen Organ im Rahmen eines Bündnisvertrages ge-*) Siehe Anlage 3
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9615
Dr. Lenz
faßt wird. Nach Auffassung des Rechtsausschusses ist durch die Formulierung von Absatz 3 Satz 1 klargestellt, daß die Bundesregierung keine Sonderermächtigung erhält. Durch die Worte „nach Maßgabe" in Absatz 3 Satz 1 istfestgelegt, daß die Bundesregierung ohne Mitwirkung des Parlaments im innerstaatlichen Bereich nur die Maßnahmen treffen kann, die der Beschluß des internationalen Organs ausdrücklich vorsieht.Lassen Sie mich danach zu einigen Argumenten des Herrn Kollegen Rutschke Stellung nehmen. Herr Kollege Rutschke hat davon gesprochen, daß durch diese Vorschrift eine automatische Auslösung des Bündnisfalles möglich wäre. Das ist nicht richtig: nach der Fassung, wie sie Ihnen hier vorliegt, muß die Bundesregierung ausdrücklich zustimmen.
Zweitens haben Sie gesagt, daß auf diese Weise Maßnahmen von außerdeutschen Stellen für Deutschland Verbindlichkeit erhalten könnten; so habe ich Sie jedenfalls verstanden. Das ist nicht richtig. Die außerdeutschen Maßnahmen haben keinen Einfluß, wenn die Bundesregierung ihnen nicht zustimmt. Ich bin der Auffassung, Herr Kollege Rutschke, daß jedes Land, mag es auch noch so auf seine Souveränität bedacht sein, der Klausel, wie sie jetzt in Art. 80 a drinsteht — mit Zustimmung seiner Regierung — ohne weiteres zustimmen kann.Ich darf noch einige Worte zum Änderungsantrag der Koalition sagen. Wenn Sie von der Ausschußfassung ausgehen, sehen Sie hier, daß der letzte Satz gestrichen worden und an die Stelle der Satz getreten ist: „Maßnahmen nach diesem Absatz sind aufzuheben, wenn der Bundestag es mit der Mehrheit seiner Mitglieder verlangt."
— Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen? — Bitte schön!
Zu einer Zwischenfrage Herr Abgeordneter Dr. Rutschke.
Herr Kollege Dr. Lenz, darf ich Sie in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß damit nicht mehr die Zweidrittelmehrheit, die sonst in dem Gesetz gefordert ist, garantiert ist, sondern daß die einfache Mehrheit, und zwar die tragenden Parteien der Bundesregierung damit die Möglichkeit haben, diese Zweidrittelmehrheit über den Weg der NATO entsprechend den Bestimmungen durchzusetzen.
Herr Kollege Rutschke, für den wesentlichsten Fall, nämlich Dienstverpflichtungsmaßnahmen, ist durch die Änderung, die wir in der zweiten Lesung beschlossen haben, ausdrücklich an der Zweidrittelmehrheit festgehalten worden.
Ich darf auf den begonnenen Satz zurückkommen. Wir haben Ihnen hier bereits in der zweiten Lesung diesen Änderungsantrag vorgelegt, den ich doch noch mit einigen Worten begründen möchte. In Art. 80 a Abs. 3 Satz 2 soll es heißen: „Maßnahmen nach diesem Absatz" das ist also der Bündnisfall —„sind aufzuheben, wenn der Bundestag es mit der Mehrheit seiner Mitglieder verlangt." Ich möchte Ihnen kurz sagen, warum wir diese Formulierung gewählt haben. Das hängt eng mit dem zusammen, was ich soeben sagte. Wenn die Bundesregierung auf Grund eines Bündnisvertrages, dem der Bundestag ja zugestimmt hat, Maßnahmen auf Grund von Gesetzen ergreift, denen der Bundestag ebenfalls zugestimmt hat, im Rahmen einer internationalen Verpflichtung, dann bedeutet ein Aufhebungsbeschluß des Bundestages in der Praxis, in der politischen Auswirkung einen Mißtrauensantrag gegen die Regierung. Deswegen haben wir im letzten Satz die gleiche Mehrheit genommen, die bei Mißtrauensanträgen gegen die Bundesregierung erforderlich ist.
Das wollte ich zur Begründung sagen.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Dr. Lenz hat nicht nur zu dem Antrag der Freien Demokraten Stellung genommen, sondern auch den Antrag der Koalitionsparteien begründet. Wird zu beiden Änderungsanträgen noch das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Moersch!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kassationsklausel, die jetzt mit den Anträgen der Regierungsfraktionen noch einmal verändert wird, ist in diesem Hohen Hause in der vergangenen Debatte in der zweiten Lesung, soweit ich mich erinnere, in einem wesentlichen Punkte mißverstanden worden. Sehr viele Kollegen, vor allem in der sozialdemokratischen Fraktion, sind offensichtlich der Meinung, daß mit dieser Kassationsklausel, d. h. mit dem Recht des Bundestages, Entscheidungen der Regierung aufzuheben, eine wesentliche rechtsstaatlich parlamentarische Sicherung eingebaut sei. Ich möchte gerade die Kollegen von der SPD davor warnen, sich dieser Täuschung hinzugeben. Mein Kollege Genscher hat in der zweiten Lesung ausdrücklich auf die psychologischen Schwierigkeiten hingewiesen, die darin liegen, daß eine Mehrheit dieses Hauses Entscheidungen, an denen die Bundesregierung im Bündnis mitgewirkt hat, aufzuheben hat. Herr Kollege Dr. Lenz hat soeben gesagt, daß praktisch dann eben eine neue Regierung gebildet werden müsse, wenn der Bundestag in wichtigen Fragen mit einer solchen Entscheidung nicht einverstanden sei.
— Das kommt aufs gleiche hinaus. Diese Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit ist ein Mißtrauensantrag. Das hat Herr Dr. Lenz doch soeben gesagt.
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9616 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
Herr Abgeordneter Moersch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz?
Bitte sehr.
Herr Kollege Moersch, die Mehrheit ist die gleiche. Aber ich habe nicht gesagt — das steht auch nicht drin und das habe ich auch nicht gemeint —, daß etwa hier mit diesem Vorgang die Bildung einer Regierung verknüpft sein müßte.
Herr Dr. Lenz, so fein wollen wir das Haar nicht spalten. Sie haben gesagt, daß das einem Mißtrauen gleichkäme. Deswegen wollten Sie hier die qualifizierte Mehrheit haben. Die Konsequenz eines qualifizierten Mißtrauens gegenüber einer Regierung ist die Bildung einer neuen Regierung; so habe ich das bisher verstanden. Sie können doch nicht in einem so gravierenden Fall zwar eine Entscheidung der Regierung mit der qualifizierten Mehrheit des Bundestages aufheben und gleichzeitig die alte Regierung im Amt lassen. Wenn Sie hier das Mißtrauen zustande bringen, dann haben Sie auch die Mehrheit, die einen neuen Bundeskanzler wählen kann. Das ist doch wohl als Einheit zu betrachten. Das haben Sie vorhin doch so wenigstens auch angedeutet. Aber das ist nicht der Punkt, auf den ich hier vor allem verweisen will, obwohl er mir bedenkenswert erscheint. Man muß die Dinge doch in der ganzen Logik sehen.
In der deutschen Geschichtsschreibung und auch in Beiträgen, die in diesem Hause geliefert wurden, wird nach meiner Auffassung, der ich diese Zeit nicht bewußt erlebt habe, über die Weimarer Republik mehr Falsches als Richtiges gesagt. Auch zum Art. 48 der Weimarer Verfassung wird in diesem Hause viel Unrichtiges gesagt. Ich möchte nicht die ganze Frage des Art. 48, d. h. des Notverordnungsrechtes des Reichspräsidenten über den Kopf des Parlamentes hinweg, aufgreifen. Aber eines steht doch fest: Auch in dem Art. 48 — und damit hat man sich damals ebenso beruhigt, wie der Bundestag dabei ist, sich mit dieser Kassationsklausel zu beruhigen — war das Kassationsrecht des Reichstages hinsichtlich der Notverordnungen enthalten, die der Reichspräsident erlassen hatte. Und was ist in der Praxis daraus geworden? Die Reichskanzlerschaft von Adolf Hitler. Das war das Ende des Weges, auf dem sich das Parlament
— entschuldigen Sie bitte, hören Sie doch genau zu; folgen Sie doch diesem Gedankengang einmal — aus der Verantwortung selbst entlassen hatte. Denn es konnte aufheben, aber es m u ß t e nicht aufheben. Es war oft viel bequemer, zu Notverordnungen, die erlassen wurden, überhaupt nicht Stellung zu nehmen, als sich im Parlament in einer solchen Frage entscheiden zu müssen. Am Ende war das Parlament herabgesunken, der Weg zu Hitler freigemacht. Das ist die Gefahr, in der wir stehen, wenn wir hier glauben, uns mit Kassationsklauseln dieser Art beruhigen zu können.
Herr Abgeordneter Moersch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hirsch?
Herr Kollege Moersch, ist Ihnen entgangen, daß in dem zu verabschiedenden neuen Verfassungstext — im Gegensatz zur Weimarer Republik — keinerlei Notverordnungsrecht vorgesehen ist?
Herr Hirsch, ich habe es nicht für möglich gehalten, daß Sie so sehr an der Sache vorbeifragen könnten, nachdem Sie sich so intensiv mit dieser Frage befaßt haben.
Das ist ist doch überhaupt nicht die Frage. Natürlich
weiß ich das, daß Sie einen Art. 48 nicht drin haben.
Aber warum vergleichen Sie dann die beiden Dinge? Das ist doch ein unzulässiger Vergleich!
Nein, das ist kein unzulässiger Vergleich. Denn das, was man im Art. 48 für den Reichspräsidenten hatte, das haben Sie jetzt mit dem Art. 80 a beim Bündnis mit Zustimmung der Bundesregierung; das ist doch in der Sache gar nicht so sehr verschieden.
— Ja, wenn Sie, Herr Haase, das nicht verstehen, dann bitte ich Sie, einmal die Kommentare zur Reichsverfassung von Weimar nachzulesen und die Geschichte nachzulesen und einmal zu prüfen, was Sie hier eigentlich machen. Ihre Zurufe zeigen mir, daß alles, was hier vorgelegt wird, von der Mehrheit dieses Hauses überhaupt nicht verstanden worden ist.
Herr Abgeordneter Moersch, gestatten Sie eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Hirsch?
Herr Moersch, darf ich Sie dann vielleicht noch etwas konkreter fragen: Ist Ihnen entgangen, daß also nach der neuen Verfassung die Bundesregierung für sich überhaupt nichts tun kann, sondern daß sie lediglich Gesetze und Verordnungen, die dieses Parlament zu gestalten hat, unter Umständen anwenden darf?
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HirschSehen Sie da nicht den Unterschied gegenüber der Weimarer Republik und ihrem Notverordnungsrecht?
Herr Kollege Hirsch, ist Ihnen entgangen, daß wir gestern ausdrücklich gesagt haben - und dem konnten Sie nicht widersprechen —, daß diese Gesetze, die scheinbar — ich sage ausdrücklich „scheinbar" — so perfekt ausgestaltet sind, in den entscheidenden Punkten Generalklauseln enthalten, die eben gerade die Ausschaltung des Parlaments zum Inhalt haben können?
— Natürlich, sehen Sie, indem Sie Verordnungen erlassen, wo Sie eigentlich Gesetze erlassen müßten; indem Sie das, was Sie Gesetze nennen müßten, Verordnungen nennen. Das ist doch der Punkt, auf den es hier ankommt.
— Sie können sich doch einen solchen Gedankengang einmal in Ruhe anhören! Es scheint mir wichtig, daß Sie, bevor Sie sich entscheiden, einmal eine Gegenmeinung zur Kenntnis genommen haben.
Meine Damen und Herren, Sie handeln hier als Parlamentarier in einer Weise, die das Parlament in seiner Bedeutung und Verantwortlichkeit in einer Frage zurückdrängt, bei der das nicht notwendig ist. Beachten Sie: Die Möglichkeit, die Kassationsklausel in dieser Form zu vermeiden, besteht doch in anderen Demokratien, die sich auch etwas dabei gedacht haben, dadurch, daß die Regierung zwar Entscheidungen treffen kann, daß sie aber in einer bestimmten Frist die Genehmigung des Parlaments zu dieser Entscheidung einholen muß. Das ist nämlich die Möglichkeit, die sich Demokratien anderer Art vorbehalten haben, um das Parlament in die Verantwortung zu nehmen. Wenn sie die Vorschrift haben, daß man nach einer bestimmten Frist die parlamentarische Zustimmung braucht oder aber eine Notstandsregelung wieder außer Kraft tritt, dann sind nämlich die Parlamentarier gezwungen, sich mit Mehrheit eine Ansicht zu dieser Sache zu bilden.
Sie führen hier eine Regelung ein, die das Parlament nicht zwingt, Stellung zu nehmen; darum geht es im Kern. Ihre Regelung läßt dem Parlament den Weg offen, ob es aufheben oder ob es passieren lassen will; ich bin der Meinung, daß die Regierung handlungsfähig sein muß, daß sie aber für ihre Handlungen hinterher in einer bestimmten Frist die Zustimmung des Parlaments einholen muß.
Das ist meine Vorstellung von demokratischer Rechtsstaatlichkeit, das ist meine Vorstellung von parlamentarischer Verantwortlichkeit. Weil in der
Weimarer Republik diese Pflicht für den Reichstag nicht bestand, sich nachher über Verordnungen — wie man sie nannte — nach Art. 48 verbindlich zu äußern, deswegen ist dieses Parlament, ist dieser Weimarer Reichstag auch im Bewußtsein des deutschen Volkes Stück für Stück nach unten gesunken, und deswegen ist die Anbetung der Regierungsmacht immer größer geworden. Das Ende war, wie gesagt, eine Abschaffung des Parlaments. Wenn Sie nicht sehen wollen, daß hier in diesem Punkte der Beratung ein großes Problem vorhanden ist, würde ich das allerdings sehr bedauern.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Versuch unternehmen — aber es fällt mir schwer —, nicht so unhöflich zu sein, wie es Herr Kollege Moersch gegenüber der Mehrheit dieses Hauses gewesen ist.
Aber ich muß mich, Herr Moersch, wenn ich an Ihre Worte anknüpfen darf, doch wirklich fragen, ob Sie und Ihre Freunde, die diese Anträge hier stellen und in dieser Form begründen, nun eigentlich nach den vielen Diskussionen, die wir hier gehabt haben, kapiert haben, worum es beim Art. 80 a eigentlich geht.
Die Frage kann man stellen, und die Art Ihrer Reaktion scheint mir doch eigentlich zu zeigen, daß diese Frage jedenfalls berechtigt ist.Ich habe in der zweiten Lesung mehrfach versucht — und viele Kollegen der beiden Regierungsfraktionen aus dem Hause haben das getan —, hier noch einmal den grundlegenden Unterschied darzustellen, auf den Herr Kollege Hirsch in seiner Zwischenfrage mit vollem Recht eingegangen ist, den Unterschied zwischen einer Regelung, wie sie etwa der Art. 48 der Weimarer Verfassung enthielt, und der Regelung, um die es sich hier handelt. Ich wiederhole noch einmal in Kurzfassung, und ich hoffe, daß Sie doch den Versuch unternehmen, es diesmal zu begreifen: Es geht nicht darum und es kann nicht darum gehen, daß das Parlament in irgendeiner Weise aus den ihm verfassungsmäßig zustehenden Rechten verdrängt wird. Diese Rechte bleiben durch die Notstandsverfassung in vollem Umfang erhalten. Sie werden im Bereich des Art. 80 a Abs. 1 über das heutige verfassungsmäßige Maß hinaus erweitert. Dafür gibt es gute Argumente.Die Gesetzgebung ist die Aufgabe des Parlaments zusammen mit dem Bundesrat. Die Regierung ist nicht in der Lage, irgendeine Maßnahme auf Grund einer Bündnisverpflichtung oder auf Grund eigener Initiative zu treffen, ohne daß das Parlament ihr hierfür die erforderliche Rechtsgrundlage liefert.
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9618 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
Bundesminister BendaDie Bundesregierung handelt, soweit es um den Rahmen des Art. 80 a in der Entwurfsfassung geht, auf Grund der durch unseren Beitritt zum Nordatlantikpakt eingegangenen Verpflichtungen, die von diesem Hohen Hause in der verfassungsmäßigen Form ratifiziert worden sind. Art. 5 des Nordatlantikvertrags verpflichtet alle beteiligten Länder, also auch uns, d. h. insbesondere die Regierung der Bundesrepublik, für den Fall eines Angriffs unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen einschließlich der Anwendung von Waffengewalt zu treffen, die sie für erforderlich halten, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten. Um die Einhaltung und Erfüllung dieser völkerrechtlichen Verpflichtung, wenn es zu einer solchen Situation kommen sollte, handelt es sich.Herr Kollege Moersch hat versucht, eine Regelung als vorbildlich hinzustellen, die er übrigens — ohne daß ich mich jetzt noch einmal auf die rechtsvergleichende Diskussion einlassen will — in schiefer und unvollständiger Weise als angeblich internationale und in anderen Ländern vorhandene Regelung dargestellt hat. Er hat versucht, es so darzustellen, daß eine richtige Regelung die wäre, daß die Regierung zunächst einmal handelt und dann ein Kassationsrecht besteht.
Nun, das haben wir.
Aber in dem Änderungsantrag der Kollegen von der FDP lese ich etwas völlig anderes. Da lese ich, daß die Bundesregierung im Rahmen des Bündnisvertrages nur dann soll zustimmen können, wenn sie vorher die Zustimmung des Bundestages, und zwar der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, eingeholt hat. Das bedeutet doch wohl, wenn ich in der Lage bin, den Text dieses Änderungsantrags zu lesen, daß, bevor in den NATO-Gremien Entscheidungen, z. B. nach Maßgabe des in der NATO bestehenden Alarmkalenders über die Verhängung einer bestimmten Alarmstufe, getroffen werden, im Deutschen Bundestag als einzigem Parlament der NATO-Staaten über die Zweckmäßigkeit, Notwendigkeit und zeitliche Opportunität einer solchen militärischen Alarmmaßnahme eine öffentliche Diskussion stattfinden soll.Meine Damen und Herren, glauben Sie, daß es mit dem Sinn des NATO-Vertrages vereinbar ist, wenn Jahre nach dem Beitritt zum NATO-Vertrag eines der Mitgliedsländer kommt und sagt: Ja, wir haben uns zwar verpflichtet, aber ob wir das im Ernstfall einhalten werden, darüber werden wir erst in unserem Land eine öffentliche Parlamentsdiskussion veranstalten und dann sehen, ob wir dafür eine qualifizierte Mehrheit bekommen?
Meine Damen und Herren, es ist doch eine blanke Utopie, wenn man meint, daß man diese Fragen so regeln kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesminister des Innern hat hier soeben den Versuch unternommen, den Eindruck zu erwecken, als wolle die Freie Demokratische Partei mit ihrem Antrag zu Art. 80 a militärische Entscheidungen im Rahmen der NATO von einer vorherigen Zustimmung des Parlaments abhängig machen. Diese Behauptung, Herr Bundesminister, ist falsch.
Denn der Art. 80 a befaßt sich nicht mit militärischen Entscheidungen im Rahmen der NATO, sondern der Art. 80 a befaßt sich mit der Inkraftsetzung vom Bundestag vorher beschlossener Gesetze. Allein um diese Frage geht es. Es geht nicht darum, ob in der NATO bestimmte militärische Alarmstufen beschlossen werden, ob die NATO bestimmte verteidigungspolitische und militärische Entscheidungen fällt. Wir sind mit Ihnen in diesen Fällen der Meinung, daß eine öffentliche Diskussion nicht nur wegen der Offentlichkeit, sondern auch aus Zeitgründen nicht möglich ist. Hier ist die Kontrollmöglichkeit des Parlaments durch die allgemeine Kontrolle der Regierung in jeder Phase ihrer Regierungstätigkeit gewahrt.Bei der Bestimmung, die Sie, Herr Bundesminister, hier soeben — wobei ich Ihnen zubillige: irrtümlich — auf militärische Maßnahmen bezogen haben, geht es in Wahrheit um die Frage, unter welchen Voraussetzungen innerdeutsches Recht in Kraft. gesetzt werden kann oder nicht. Allein darum! Die von Ihnen vorgeschlagene Regelung, meine verehrten Damen und Herren von der Regierungskoalition, sieht vor, daß generell diese Gesetze nur durch Beschlüsse des Bundestages in Kraft gesetzt werden können. Insoweit stimmen wir völlig mit Ihnen überein. Sie sehen aber eine Ausnahme von dieser generellen Notwendigkeit der Zustimmung des Bundestages vor, für den Fall nämlich, daß die NATO einen entsprechenden Beschluß mit der Stimme der Bundesregierung gefaßt hat. Das heißt also, Sie halten es für möglich, daß eine an sich notwendige Parlamentsentscheidung ersetzt wird durch eine Entscheidung der NATO mit Zustimmung der Bundesregierung. Das ist einmalig im gesamten Bereich der NATO, das halten wir nicht für zulässig, das halten wir auch rechtspolitisch nicht für möglich. Das halten wir auch im deutschen Interesse, meine Damen und Herren, nicht für nützlich, weil die Position des deutschen Vertreters in den NATO-Gremien auf diese Weise in ungewöhnlicher Form geschwächt wird; denn im Gegensatz zu anderen kann er sich nicht darauf berufen, daß er unter Umständen noch der Zustimmung des Parlaments bedürfe. Ich sage bewußt: „unter Umständen", weil ich sehr wohl weiß, daß es auch Regelungen in NATO-Staaten gibt, wo diese Zustimmung nicht erforderlich ist. Aber hier geht es um das innerdeutsche Recht. Die Besonderheit der von Ihnen vorgeschlagenen Regelung besteht darin, daß eine an sich für not-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9619
Genscherwendig gehaltene Zustimmung des Parlaments durch einen Beschluß der NATO unter Mitwirkung der Bundesregierung ersetzt werden kann. Das ist verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch nicht vertretbar.
Aber wenn ich schon das Wort an dieser Stelle habe, so muß ich Ihnen sagen, meine Damen und Herren: das ist natürlich nicht der einzige Punkt in der Problematik des Art. 80 a. Wir sind mit Ihnen der Meinung, daß diese Gesetze durch Beschlüsse über jedes Gesetz in Kraft gesetzt werden können, weil durchaus Situationen denkbar sind, in denen man zwar nicht die Anwendung aller einfachen Notstandsgesetze braucht, wohl aber einzelner. Was wir ablehnen, ist hier die Nennung des Begriffs „Spannungsfall", in dem eine globale Inkraftsetzung möglich ist. Der Begriff „Spannungsfall" ist nicht definiert. Hier schaffen Sie eine zusätzliche Rechtsunsicherheit und, wenn Sie so wollen, natürlich auch eine zusätzliche Politisierung eines verfassungsrechtlichen Tatbestandes. Auch das weisen wir aus verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Gründen zurück.
Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Herr Benda.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Genscher, ich kann natürlich Ihre Überlegungen und Ihre Motive nicht kennen, bevor Sie sie hier darlegen. Ich kann also nur von den hier vorgelegten Texten ausgehen. Nach den Texten, fürchte ich, ist es so, wie ich es hier gesagt habe. Wenn Sie etwas anderes wollen — ich freue mich, daß wir wenigstens in einem Teilgebiet uns in der Sache einig zu sein scheinen —, würde ich vorschlagen, daß Sie Ihre Texte daraufhin einmal überprüfen. Denn der Text — ich brauche ihn nicht noch einmal vorzulesen, wir haben ihn alle vor uns — spricht für mein Empfinden ganz eindeutig für das, was ich gesagt habe.
Im übrigen aber, Herr Genscher — und da scheint bei Ihnen ein Irrtum oder eine Unklarheit in der Sachfrage zu bestehen —, ich würde es für einen schweren Fehler halten, davon auszugehen, daß die NATO etwa an Stelle deutscher Instanzen, sei es die Bundesregierung, sei es das Parlament, über die Anwendung deutscher Rechtsvorschriften entscheidet.
— Ich glaube, das eben so gehört zu haben. — Sie kennen ja die Apparatur und den formalen Aufbau der NATO — ich brauche Ihnen sicherlich das alles nicht darzustellen —, und Sie kennen auch den möglichen Inhalt der NATO-Beschlüsse. Selbstverständlich ist es Aufgabe der NATO-Organe, unter Berücksichtigung der jeweiligen Lage Forderungen an die beteiligten Bündnispartner zu stellen, im wesentlichen Forderungen militärischer Art, das liegt im Wesen des NATO-Vertrages. Und es ist Sache
der NATO-Partner — und genauso haben wir es jetzt in dem Art. 80 a Abs. 2 gesagt —, auf der Grundlage und nach Maßgabe eines solchen Beschlusses dann die Entscheidung zu treffen: Was hat in unserem Bereich zu geschehen, erstens nach Maßgabe des innerdeutschen Rechts, dessen Schranken wir nicht überschreiten können, und zweitens nach Maßgabe unserer eigenen Entscheidung, was im Rahmen dieser Verpflichtung, die wir eingegangen sind, und des Beschlusses, den wir zu vollziehen haben, notwendig und zweckmäßig ist? Dies ist doch die Situation. Wenn Sie aber sagen — ohne noch einmal die redaktionelle Frage hier aufzugreifen —: bevor der zugrunde liegende Beschluß im Rahmen der NATO gefällt werden kann, muß die Diskussion hier im Parlament stattfinden, dann sind Sie genau wieder bei der Situation, die ich vorhin dargestellt habe.
Ich fürchte, über dieses Dilemma könnten Sie auch durch eine Umformulierung — die ich jetzt nicht anzuregen habe, wie man das machen könnte, aber selbst wenn es eine Umformulierung gäbe — nicht hinwegkommen, denn es liegt in der Natur der Sache begründet. Deswegen, fürchte ich, ist Ihre Argumentation in sich nicht schlüssig und kann schon aus diesem Grunde, wie ich meine, keine Berücksichtigung finden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wilhelmi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vieles ist durch die Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers schon geklärt. Es beruhigt mich doch zutiefst, daß die FDP nicht schneller und besser formulieren kann als der Rechtsausschuß, sondern daß da mitunter auch etwas passiert. Die Formulierung ist also sicher nicht in Ordnung. Aber darüber wollen wir uns nicht unterhalten.Auf eines muß ich jedoch noch hinweisen; Sie dürfen mit Ihrer Argumentierung doch nicht in der Mitte anfangen. Sie müssen doch damit anfangen, daß zunächst einmal ein Bündnisvertrag abgeschlossen ist und daß der Bündnisvertrag von diesem Hohen Hause genehmigt worden ist. Das ist doch der Ausgangspunkt. Im allgemeinen pflegen nun Regierungen Bündnisverträge einzuhalten oder sollten es wenigstens tun, zu ihrem eigenen Schutz. Unsere Regierung hat das wiederholt und bei jeder Gelegenheit gesagt, und es ist ein Lebensinteresse unseres Volkes, daß diese Bündnisverträge auf das korrekteste eingehalten werden.
Davon wollen wir also bei der ganzen Sache doch ausgehen, und deshalb ist die Lage, wenn im Rahmen des Bündnisvertrages gehandelt wird, total anders, als wenn außerhalb dieses Bündnisvertrages gehandelt wird. Deshalb ist eine nochmalige — ich betone: nochmalige — Einschaltung des Bundestages wirklich überflüssig. Denn der Bundestag
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9620 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
Dr. Wilhelmihat ja schon gesprochen, als er seinerzeit den Bündnisvertrag ratifizierte. Was jetzt geschieht, ist doch nur das, daß die vom Bundestag gewählte Regierung, die das Vertrauen des Bundestages hat — und das darf man in dem Zusammenhang doch wohl einmal sagen —, nun bei den NATO-Entschlüssen ihre Zustimmung gibt. Wenn diese Zustimmung gegeben ist, dann ist allerdings zur Ausführung dieser Beschlüsse und zur Anwendung der Gesetze, die wir hier in aller Ruhe und im tiefsten Frieden erörtert und beschlossen haben, nicht noch einmal die Zustimmung des Bundestages notwendig.Man kann natürlich verschiedene Wege gehen. Man kann eine ganze Notstandsgesetzgebung auf einem Verordnungsrecht der Regierung und einem Nachprüfungsrecht des Bundestages aufbauen. Das kann man machen, und man kann auch begründen, daß man es so macht. Diesen Weg sind wir aber nicht gegangen. Wir sind haargenau den anderen Weg gegangen, und ich glaube, mit guten Gründen. Wir haben alle Gesetze hier schön ausgebreitet, wir haben alle diese Gesetze hier im Frieden beraten, und es geht jetzt immer nur um die Anwendung solcher Gesetze. Da noch einmal den Bundestag einschalten zu wollen — das ist eine Unmöglichkeit, und das ist eine Beengung der Regierung, die bei den Handlungen, die dann notwendig sind, überhaupt nicht denkbar ist. Wir werden uns an anderer Stelle über dasselbe Prinzip wahrscheinlich noch einmal unterhalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Wilhelmi hat mit der Ablehnung einer Beschlußfassung über das Inkrafttreten dieser vom Parlament schon vorher beschlossenen Gesetze gegen die Vorlage der Regierungskoalition gesprochen; denn auch die Regierungskoalition hält grundsätzlich einen solchen Parlamentsbeschluß für notwendig. Da stimmen wir in diesem Hause völlig überein.
Der Streitpunkt besteht in der Frage, ob die Bundesregierung dann für die Anwendung dieser Gesetze der Zustimmung des Bundestages nicht bedarf, wenn sie einen NATO-Beschluß hat. Das ist das Problem: Kann man die grundsätzlich auch von den Regierungsparteien mit Ausnahme von Herrn Dr. Wilhelmi für notwendig gehaltene Zustimmung des Bundestages dadurch ersetzen, daß man einen NATO-Beschluß hat, an dem die Bundesregierung mitgewirkt hat? Hier liegt für uns das verfassungspolitische Bedenken. Darum allein geht es.
Der Herr Bundesminister des Innern hat noch einmal gemeint, daß unser Antrag Anlaß gebe zu der Auffassung, wir wollten alle Beschlüsse der NATO von der vorherigen Zustimmung des Parlaments abhängig machen. Davon kann keine Rede sein. Unser Antrag, Herr Bundesminister, sieht eine Ergänzung des Abs. 2 des Art. 80 a vor. Dieser Abs. 2 befaßt sich ausweislich der Drucksache V/2873 mit der Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften nach Abs. 1.
Das sind alle jene einfachen Notstandsgesetze, über
die wir gestern in zweiter Lesung entschieden haben.
Ich stelle noch einmal fest: Es geht nicht um die grundsätzliche Frage der Zustimmung des Parlaments; die sollte eigentlich nach diesen Beschlüssen ganz unbestritten sein. Es geht allein um die Frage, ob die Regierung die Gesetze dann ohne Parlament anwenden kann, wenn sie dafür einen Beschluß der NATO hat. Eine so starke Einwirkungsmöglichkeit, eine so starke Autorisierung durch ein Bündnisorgan — es geht ja nicht nur um die NATO, es ist für die Zukunft auch ein anderes Bündnis denkbar —, eine so starke Autorisierung der Regierung zur Anwendung innerstaatlichen Rechts durch einen Bündnisbeschluß — es ist keine automatische Inkraftsetzung, es bedarf einer zusätzlichen Entscheidung — wünschen wir nicht. Wir wissen, daß das auch ohne Beispiel in allen Ländern des bestehenden Bündnisses ist.
Aber vorrangig sind für uns die verfassungspolitischen Bedenken. Dort, wo das Parlament nach übereinstimmender Auffassung aller Fraktionen des Hauses grundsätzlich sprechen soll, kann sein vorheriger Spruch nicht durch einen Beschluß der NATO ersetzt werden.
Meine Damen und Herren, wird zu Nr. 6 a und damit den beiden Änderungsanträgen noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann komme ich zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der Freien Demokratischen Partei auf Umdruck 484 Ziffer 4. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit großer Mehrheit abgelehnt.Damit komme ich zu dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Umdruck 485 *). Ich darf wohl über beide Ziffern zugleich abstimmen lassen. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.Ich komme nunmehr zu Nr. 6 b. Dazu liegt der Änderungsantrag der Fraktion der Freien Demokraten auf Umdruck 484 Ziffer 5 vor. Wird er begründet? — Herr Abgeordneter Schultz!Schultz (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Ehre, den Änderungsantrag Umdruck 484 Ziffer 5 zu begründen.Wir möchten, daß in Art. 87 a Abs. 4 des Entwurfs, wie er in der zweiten Lesung angenommen wurde, der Satz eingefügt wird:*) Siehe Anlage 3Schultz
Dieser Einsatz der Streitkräfte bedarf der vorherigen Zustimmung des Bundestages.Was ich hier dazu zu sagen habe, knüpft natürlich an die Diskussion an, die wir eben gehabt haben, nämlich an die Frage: Wann ist das Parlament einzuschalten, vorher oder nachher? Hat es vorher zuzustimmen, oder kann es nachher aufheben?Dieser unser Antrag bedeutet nicht, daß wir unsere in der zweiten Lesung eingenommene Haltung der grundsätzlichen Ablehnung der Bundeswehr im inneren Notstand aufgegeben haben. Er bedeutet vielmehr, daß wir versuchen wollen, Ihnen noch einmal zur Überlegung zu geben, ob es nicht in diesem doch sehr bedeutenden und sehr wichtigen Fall — bei Betrachtung der Geschichte unseres Volkes — richtig wäre, den Bundestag vor der Entscheidung einzuschalten.Ich möchte dazu praktisch auf die zweite Lesung zurückgreifen, um Sie nicht unnötig aufzuhalten. Aber gerade wenn man sich die. zweite Lesung und das, was die verehrten Sprecher da ausgeführt haben, noch einmal vor Augen hält, scheint es mir notwendig zu sein, zu einer Änderung der bisherigen Vorlage und zu einer Zustimmung zu unserem Antrag zu kommen.Ich darf Ihnen das in die Erinnerung zurückrufen. Der Kollege Haase hatte den entsprechenden Antrag der Koalitionsfraktionen begründet und dabei ausgeführt, daß der Einsatz der Bundeswehr im inneren Notstand nur für den alleräußersten Notfall vorgesehen sei, und er hat bei der Begründung dargelegt, daß eine stufenweise notwendige Verstärkung des Einsatzes erst der Polizeikräfte und dann der Einheiten des Bundesgrenzschutzes vorgesehen sei.Was er gegenüber der Vorlage des Rechtsausschusses bei dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen als besonders bedeutsam heraushob, war, daß nach der seinerzeitigen Rechtsausschußvorlage die Bundeswehr institutionell, also ohne Anbindung an Polizeikräfte, eingesetzt werden konnte. Gerade das, so sagte Haase, sollte nun durch diesen Antrag, der dann später angenommen wurde, geändert werden. Die Bundeswehr sollte also nur zur Unterstützung von Polizei und Bundesgrenzschutz eingesetzt werden.Kollege Haase wies dann darauf hin, daß in der SPD-Fraktion Überlegungen laut geworden waren, für diesen Einsatz — nur im äußersten Notfall — einen vorherigen Beschluß des Bundestages herbeizuführen. Aber auch schon in der SPD-Fraktion stieß eine solche Regelung auf Bedenken wegen der Praktikabilität, also wegen der möglichen Durchführung. Ich bin sicher, daß bei dem Koalitionspartner CDU/CSU die Bedenken gegenüber einer solchen Durchführungsmöglichkeit noch größer gewesen wären. Deshalb begnügten sich diese Koalitionsfraktion und auch Kollege Haase in seiner Begründung damit, daß eben nur die Möglichkeit der Aufhebung eines solchen Einsatzes durch Bundesrat oder Bundestag vorzusehen sei. Dabei wurde besonderer Wert darauf gelegt, daß Bundesrat oder Bundestag aufheben könne, daß dabei also nicht eineKongruenz wie sonst bei zustimmungsbedürftigen Gesetzen notwendig sei.Nun kam das Entscheidende. Auf diese Begründung des Kollegen Haase folgte der Herr Bundesinnenminister mit einer Klarstellung. Sie lautete sinngemäß etwa so, daß der äußerste Notfall — den Kollege Haase beschrieben hatte — wohl nicht bedeuten könne, daß Polizei und Bundesgrenzschutz erst einmal versuchen müßten, ob ihre Möglichkeiten ausreichten; es müsse also eine Vorherschau vorgenommen werden, ob diese Kräfte wohl ausreichen würden oder ob nicht sofort die Bundeswehr mit eingesetzt werden müsse. Denn man müsse vermeiden, so sagte der Herr Innenminister, daß die Polizeibeamten in unzumutbare Situationen kämen und daß quasi die Sache auf ihrem Rücken ausgetragen werde.Nach dieser Intervention kam später der Innensenator von Hamburg, Herr Senator Ruhnau, zu Wort. Er hat noch einmal die Eskalationsmöglichkeiten dargelegt — wann also im alleräußersten Notfall die Bundeswehr eingesetzt werden könne —: auf der letzten Sprosse der Stufenleiter steht der Einsatz der Bundeswehr. Er hat dann insbesondere darauf hingewiesen, daß auch dieser Einsatz der Bundeswehr im alleräußersten Notfall nur unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Mittel stattfinden könne.Meine Kollegin Frau Dr. Diemer und auch mein Kollege Dr. Rutschke haben dann darauf hingewiesen, daß für die Bundeswehr auf Grund ihrer anderen Ausbildung und auf Grund ihrer anderen Waffenausrüstung der Einsatz nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel zwar nicht ausgeschlossen, aber doch außerordentlich schwierig sei. Wir haben das — zwar unter Mißfallensbekundungen aus der Mitte des Hauses — hier deutlich gemacht.Aus dieser meiner Gegenüberstellung scheint mir nun doch hervorzugehen — bezüglich dessen, was in der zweiten Lesung zu diesem Problem gesagt worden ist —, daß der Einsatz der Bundeswehr bei einem inneren Notstand besonders besonnener und politischer Überlegung bedarf. Er bedarf vor allem Dingen der Absicht der Übernahme politischer Verantwortung. Da frage ich Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren: wer ist dazu eigentlich mehr aufgerufen als wir in diesem Hohen Hause? Wir haben, glaube ich, sogar die Pflicht, hier die Bundesregierung zu unterstützen. Wir haben die Pflicht, uns mit ihr Gedanken darüber zu machen, wie der innere Notstand bewältigt werden und ob ein Einsatz der Bundeswehr gerechtfertigt sein kann.Wenn gesagt wird, eine solche Regelung sei nicht praktikabel, weil dem Zusammentreten des Bundestages Schwierigkeiten entgegenstehen könnten, muß ich Ihnen sagen: gerade bei dem von Ihnen angesprochenen Fall des inneren Notstandes scheint es mir außer Frage zu sein, daß der Bundestag zusammentreten kann, ja zusammentreten muß.
Denn wir können doch wohl als Parlamentarier, alsvom Volk gewählte Abgeordnete, die eine Verant-
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Schultz
wortung haben, nicht zu Hause sitzen und abwarten, wie sich die politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik in einem solchen Zustand allmählich entwickeln werden.
Ich bin also der Meinung, daß man, gerade weil es sich hier um eine innenpolitische Frage handelt, von dem bisher von Ihnen praktizierten Grundsatz, man enge die Regierung zu sehr ein, wenn man sie zwinge, vorher zu fragen, bei diesem Problem abgehen kann.Lassen Sie mich noch ein Wort zur Verhältnismäßigkeit der Mittel sagen, die die Bundeswehr anwenden soll, wenn sie mit eingesetzt wird. Ich habe den Eindruck, man wird es bei der Bewältigung eines solchen Notstandes hinnehmen, daß die Fronten einmal praktisch hin und her gehen, daß die Polizei einmal zurückweicht, weil sie momentan der Lage nicht Herr wird, um dann später in anderer Formation wieder mit ihr fertig zu werden. Ein Zurückweichen von einmal eingesetzten Bundeswehreinheiten halte ich für praktisch unmöglich, weil die Staatsautorität nicht gestärkt wird, wenn die Bundeswehr, von der man erwarten sollte, daß sie eben nicht zurückweicht, bei solchem inneren Aufruhr vor denen, die ihn inszeniert haben, zurückweicht.Hinzu kommt noch, daß natürlich unsere Soldaten in einen weiteren Gewissenskonflikt getrieben werden können, und wir haben alle Veranlassung, uns das vor Augen zu halten und dagegen die größten Bedenken zu erheben.Ich glaube, daß wir mit den vorhandenen Polizeikräften und mit dem Bundesgrenzschutz in der Lage sind, mit der geschilderten Art von inneren Notständen fertig zu werten, und daß wir deshalb auf den Einsatz der Bundeswehr im Innern verzichten können. Ich bitte Sie deshalb, zumindest unserem Änderungsantrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ohne Zweifel handelt es sich hier um einen kardinalen Punkt des Entwurfs. Wir haben uns im Ausschuß sehr eingehend mit dieser Frage beschäftigt. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich Ihnen einige Passagen aus dem Bericht vorlesen, die sich auf diesen Punkt beziehen. Es heißt dort:
Der Rechtsausschuß hat auch Anregungen geprüft, den bewaffneten Einsatz von einer vorherigen Zustimmung durch den Bundestag abhängig zu machen oder doch die Dauer des zulässigen Einsatzes zu befristen, sofern ihm nicht der Bundestag binnen bestimmter Frist zustimmt. Der Rechtsausschuß glaubt jedoch, daß gerade im Falle besonders gefährlicher Aufstände eine rasche Reaktion erforderlich ist, soll sie Erfolg haben. Hinge die Zulässigkeit des bewaffneten Einsatzes der Streitkräfte in jedem
Fall von einer Mitwirkung des Bundestages ab, so könnte das zur Folge haben, daß die Aufständischen zunächst versuchen würden, das Parlament handlungsunfähig zu machen. Demgegenüber erscheint es dem Rechtsausschuß als eine ausreichende Sicherung der parlamentarischen Kontrolle, wenn sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat jederzeit die Befugnis haben, die Einstellung des bewaffneten Einsatzes zu verlangen.
Meine verehrten Damen und Herren, die Ausführungen meines Herrn Vorredners haben meiner Ansicht nach diese Argumente nicht entkräftet. Ich möchte Sie daher bitten, auch in diesem Punkt bei der Fassung der zweiten Lesung zu bleiben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haase.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Ausführungen des Kollegen Schultz sollte hier wohl noch einiges klargestellt werden. Herr Kollege Schultz, wir müssen von den Beschlüssen des Rechtsausschusses ausgehen und dann zu den Ergebnissen in der zweiten Lesung überleiten. Das Ergebnis der Beratungen im Rechtsausschuß war, daß die Streitkräfte institutionell eingesetzt werden, nicht im Unterstützungsverhältnis zur Polizei oder zum Bundesgrenzschutz. Diese entscheidende und sicherlich außerordentlich schwerwiegende Frage ist im Sinne all derer gelöst worden, die grundsätzlich gegen einen institutionellen Einsatz der Bundeswehr im Falle des inneren Notstandes sind.
Verehrter Herr Kollege Schultz, uns ging es darum, durch eine Modifikation dieser Rechtsvorschrift sicherzustellen, daß die Bundeswehr im Falle eines inneren Notstandes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingesetzt zu werden braucht.
Außergewöhnliche Verhältnisse allerdings erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Um diesen außergewöhnlichen Maßnahmen aber von vornherein eine gewisse Abgrenzung hinsichtlich der Möglichkeit eines Mißbrauchs zu geben, haben wir die Möglichkeit eingeräumt, daß das Parlament im Nachwege unverzüglich eine so durchgeführte Maßnahme der Bundesregierung zurückpfeifen kann, wenn ich so sagen darf. Und dann nehmen Sie bitte eines zur Kenntnis, Herr Kollege Schultz: Wenn eine, ganz gleich wie politisch zusammengesetzte Bundesregierung einmal im Falle eines inneren Notstandes auf den Gedanken käme, eine solche Maßnahme zu ergreifen, die nicht die Unterstützung der Sozialdemokraten findet, würden wir sie am nächsten Tage zurückpfeifen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Haase, ich will unterstellen, daß Ihre Fraktion entschlossen ist, das zu tun, was Sie hier angekündigt haben. Nur ist die Frage, ob das dann ausreicht, ob Sie dann zahlenmäßig stark genug sind, das zu erzwingen, was Sie jetzt mit Ihrer Stimmhergabe preisgeben. Das ist die Problematik, vor der Sie eines Tages stehen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich verstehe wirklich nicht, warum die Möglichkeit, die wir Ihnen mit unserem heutigen Antrag anbieten, Ihre Zustimmung nicht finden kann. Sehen Sie, wir haben in der zweiten Lesung genauso wie heute in unserer Sachauffassung keine Änderung herbeigeführt, weil wir mit einer ganzen Reihe von Innenministern der Länder und Innensenatoren der Stadtstaaten nach wie vor der Auffassung sind, daß die bestehenden Gesetze auf Bundes- und Landesebene ausreichen, um mit dem Problem des inneren Notstands fertig zu werden. Nachdem wir aber gemerkt und auch in der zweiten Lesung in diesem Hause gespürt haben, daß für diese unsere Meinung keine Mehrheit zu gewinnen ist, bieten wir Ihnen jetzt den einzig denkbaren Ausweg an, in der Stunde der inneren Not die Stunde des Parlaments wirksam werden zu lassen. Ich verstehe eigentlich nicht — Sachargumente gegen unsere Auffassung sind bisher auch nicht vorgetragen worden —, warum Sie hier Bedenken haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen! Art. 91 in der zur Zeit gültigen Fassung sieht folgende Möglichkeiten vor. Die erste Möglichkeit bei einer inneren Unruhe ist der Einsatz der Polizei des betreffenden Landes. Es ist die einmütige Auffassung aller Fraktionen, daß das geschehen soll. Wenn aber die Polizei in einem Lande nicht ausreichen sollte, besteht auf Grund der jetzigen Verfassungsregelung zweitens die Möglichkeit, die Polizei mehrerer Länder zusammen einzusetzen, um der inneren Unruhe Herr zu werden. Wenn selbst das nicht ausreicht, sieht Art. 91 vor, daß sich die Bundesregierung die Polizeien der Länder, und zwar aller Länder, einschließlich der Bereitschaftspolizei unterstellen kann, um diese dann gemeinsam einzusetzen und der Unruhe Herr zu werden. Und wenn alles das auch nicht ausreicht, dann sieht die jetzige Verfassungsregelung vor, daß die Bundesregierung zusätzlich zu all diesen kasernierten und nicht kasernierten Polizeikräften auch noch den Bundesgrenzschutz einsetzen kann. Nun sagen Sie: auch das reicht nicht aus. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Sie in Ihrer Argumentation so weit gehen, müßten Sie uns aber konsequenterweise doch in unserem jetzigen Antrag folgen können, daß dieses Parlament, bevor die Bundeswehr eingesetzt wird, dazu die Zustimmung geben muß. Keiner von Ihnen wird doch behaupten können, daß bereits zu einer solchen Zeit innenpolitisch eine Situation eingetreten wäre, in der das Parlament nicht mehr tagen kann. Wenn es so wäre, hätten wir doch
einen anarchischen Chaoszustand erreicht, bei dem die Frage der Wirksamkeit von Maßnahmen überhaupt in Zweifel gestellt werden muß.
Ich bitte Sie also, wirklich ernsthaft zu prüfen, ob Sie nicht den Einsatz der Bundeswehr im Falle des inneren Notstandes an die vorherige Zustimmung des Parlaments binden wollen. Das ist doch die äußerste Grenze, die man überhaupt noch für den Einsatz der Bundeswehr im Innern anbieten kann. Meine Damen und Herren, wenn Sie auch das ablehnen, müssen wir allerdings sagen, daß die Diskrepanz, Herr Kollege Haase, zwischen dem, was Sie in der zweiten Lesung ausgeführt haben, und dem, was der Bundesinnenminister in Beantwortung Ihrer Ausführungen hier ausgeführt hat, eine Problematik aufwirft, die uns im Hinblick auf Ihre verfassungspolitische Auffassung über den Einsatz der Bundeswehr im Innern wirklich bedrohlich erscheint. Meine Damen und Herren, ich kann Sie also nur herzlich bitten, den Einsatz der Bundeswehr im Innern an die vorherige Zustimmung dieses Parlaments zu binden.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Dorn ist zur Begründung seiner Ausführungen noch einmal auf die öffentlichen Anhörungssitzungen
und auf die Aussprache in der zweiten Lesung zurückgekommen.— Entschuldigen Sie, Sie haben gesagt, die Innenminister und -senatoren hätten gesagt, die Polizeikräfte reichten unter allen Umständen aus. Gerade diese Frage ist aber in den öffentlichen Anhörungssitzungen und in der zweiten Lesung ausführlich erörtert worden. Ich möchte nach nochmaliger Rücksprache mit dem Vertreter des Bundesrates, Herrn Innensenator Ruhnau, ausdrücklich erklären, daß gerade die öffentlichen Anhörungssitzungen deutlich gemacht haben, daß es Situationen geben kann, in denen die Polizeikräfte einschließlich der Verstärkung durch den Bundesgrenzschutz nicht ausreichen können. Das sage ich zur Sache.Nun haben Sie, meine Herren von den Freien Demokraten, heute auch nicht beantragt, Art. 87 a in dieser Frage zu ändern. Sie haben lediglich einen Antrag gestellt, daß der Bundestag vorher seine Zustimmung zu diesem Einsatz geben soll. Ich möchte hier noch einmal auf die Stufenfolge hinweisen, die Herr Kollege Even und Herr Innensenator Ruhnau in der letzten Sitzung in der zweiten Lesung erläutert haben. Alle Beteiligten aus den Regierungsparteien haben ihre Auffassung klargemacht und auch der Herr Innenminister hat in der Debatte bestätigt, er teile diese grundsätzliche Auffassung, die in der Aussprache in der zweiten Lesung deutlich geworden ist.Es bleibt also als einzige Frage: Soll man den Bundestag vorher hören, oder soll man es bei der Syste-
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Schmitt-Vockenhausenmatik des Art. 91 des Grundgesetzes belassen? Meine Damen und Herren, wir haben für Fragen des inneren Notstands im Grundgesetz ja die grundsätzliche Bestimmung des Art. 91. Herr Kollege Dorn, Art. 91 sieht klar vor, daß die parlamentarischen Institutionen nicht vorher entscheiden, sondern daß sie ein Aufhebungsrecht haben, und zwar liegt das, weil es sich um eine polizeiliche Situation handelt, nicht beim Bundestag, sondern beim Bundesrat. Ich verweise Sie insoweit auf die Fassung des Art. 91. Hier heißt es:Die Anordnung ist nach Beseitigung der Gefahr, im übrigen jederzeit auf Verlangen des Bundesrates aufzuheben.Die Regierungsparteien haben deshalb unter Berücksichtigung dieser Vorschrift vorgesehen, daß hier der Bundestag ein Aufhebungsrecht hat. Im übrigen — das muß ich sagen — wäre Ihr Vorschlag auch unpraktikabel; denn Leute, die militärisch bewaffnet und organisiert sind und den demokratischen Staat stürzen wollen, werden sich sicher nicht den Zeitpunkt aussuchen, zu dem wir hier in der Lage sind, vorher dazu Stellung zu nehmen.
Gegebenenfalls muß dann schnell gehandelt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Schultz.
Schultz (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Erwiderungen des Herrn Kollegen Haase und von Herrn Dr. Lenz haben mir eben deutlich gemacht, daß die Regelung, die der Rechtsausschuß vorher hatte, eigentlich die bessere gewesen ist, weil nämlich bei dem zunächst vorgesehenen institutionellen Einsatz der Bundeswehr praktisch die Stufenleiter der Eskalation hätte eingehalten werden können. Nunmehr, nach der Änderung, die Sie angenommen haben, ist das ja nicht mehr möglich, wenn ich mich auf die Ausführungen von Herrn Innenminister Benda beziehe, die natürlich im klaren Gegensatz stehen zu dem, was Herr Kollege Haase in der zweiten Lesung und auch heute ausgeführt hat, auch zu dem, was Herr Innensenator Ruhnau in der zweiten Lesung ausgeführt hat. Jetzt wird nämlich die Eskalation mit dem Einsatz der Bundeswehr verknüpft, der zwar nur im alleräußersten Notfall stattfinden soll, wobei aber auf der anderen Seite erreicht werden soll, daß — sagen wir es salopp — Bundesgrenzschutz oder Polizei nicht vorher verheizt werden. Das bedeutet doch, daß nach der Neufassung der Einsatz der Bundeswehr eigentlich zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt in Frage kommen kann, je nach der politischen Überlegung oder der Beurteilung der Lage durch die Regierung. Ich meine also, daß dieser Widerspruch, den ich hier noch einmal darzulegen versucht habe, noch nicht aufgelöst ist.
Wenn nun gesagt wird, wie Herr Kollege Lenz unter Bezugnahme auf seinen Bericht ausgeführt hat, es müsse hier schnell gehandelt werden oder es könnten Situationen eintreten, wo schnell gehandelt werden müsse, kann ich dem sehr verehrten Rechtsausschuß in der Sache nicht folgen; denn ich glaube, daß ein schnelles Handeln gerade in diesem Punkt wahrscheinlich gar nicht notwendig sein wird, weil es auch hier das Moment des innerpolitischen Spannungszustandes geben wird, das wir uns ja genauso auch für den Verteidigungsfall vorstellen können. Dann ist das Parlament selbstverständlich in der Lage — wie ich wieder sage —, geradezu aufgerufen, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen. Es kann die Entscheidung geben, kann praktisch gefragt werden. Deswegen möchte ich Sie doch bitten, sich das Problem vielleicht über die Mittagspause noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen.
Meine Damen und Herren, wird zu diesem Punkt weiter das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Dr. Lenz!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schultz, ich glaube, wir sind in der Sache gar nicht sehr weit auseinander. Wir haben hier beide einen Fall im Auge, wo nur im äußersten Notfalle ohne vorherige Behandlung im Parlament der Einsatz der Bundeswehr vorgesehen werden kann. Ich glaube, in diesem Punkt sind wir uns einig.
Auch nach dem Bericht des Rechtsausschusses, den ich Ihnen soeben noch einmal vorgetragen habe, ist ja nur dieser kleine Bereich erfaßt, und wir stimmen Ihnen vollkommen darin zu, daß die vorherige Einschaltung des Bundestages, wenn es möglich ist, wünschenswert ist. Das möchte ich jedenfalls für meine Person sagen.
Herr Kollege Dorn, daß Sie auch mal dieser Auffassung waren, daß es Situationen geben kann, in denen der Einsatz der Bundeswehr ohne vorherige Zustimmung des Parlaments notwendig werden kann, ergibt sich aus der Fassung des verfassungergänzenden Gesetzes aus dem Jahre 1965, wo ja ein darüber hinausgehender Einsatz der Bundeswehr ohne vorherige Zustimmung des Bundestages vorgesehen war, wenn es die Umstände erforderten.
Ich meiné also, meine ,sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten hier nicht versuchen, künstlich Gegensätze grundsätzlicher Art in einer Frage aufzuwerfen, in der man durchaus, wie Ihre frühere Haltung beweist, verschiedener Meinung sein kann. Ich möchte deshalb noch einmal meine Bitte an Sie wiederholen, der Fassung der zweiten Lesung Ihre Zustimmung zu geben.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der Freien Demokratischen Partei auf Umdruck 484 Ziffer 5. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9625
Vizepräsident Dr. JaegerDamit kommen wir zur Abstimmung über den gesamten § 1 mit den vorhin beschlossenen Änderungen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen Gegenstimmen und bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.Meine Damen und Herren, damit stehen wir am Ende der Einzelberatung der dritten Lesung. Gemäß Ihren vorher gefaßten Beschlüssen eröffne ich nunmehr die allgemeine Aussprache. Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen, Herrn Brandt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Bundesrepublik ist nicht souverän in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes. Ich jammere darüber nicht, ich stelle es einfach fest. So ist die Welt, in der wir leben.
Bisher hatten die Alliierten auch noch Rechte, die uns als Untermieter im eigenen Haus erscheinen ließen. Das soll jetzt geändert werden. Unsere Bundesrepublik ist erwachsen genug, um die Ordnung ihrer inneren Angelegenheiten ohne Einschränkung in die eigenen Hände zu nehmen;
das heißt, auch in eigener Verantwortung die Vorsorge zu regeln für Notfälle, die es hoffentlich nicht geben wird. Die Bundesrepublik gibt sich Vollmachten und begrenzt sie. Wie ein Volljähriger erwirbt sie nicht nur Rechte, sondern übernimmt sie auch Verantwortung.
Verantwortungsbewußtsein und Selbstachtung haben zu dem geführt, worüber heute zu entscheiden ist. Und wir alle miteinander, das Parlament, die Regierung, die Parteien, die gesellschaftlichen Organisationen, die Menschen in diesem Lande haben dafür zu sorgen, daß die Verantwortung für das Recht des einzelnen Bürgers dabei nicht Schaden leidet.
Der Bundestag und die deutsche Öffentlichkeit wissen: An dem Tage, an dem eigene deutsche Gesetze zum Schutze unserer Demokratie in Notzeiten in Kraft treten, erlöschen die Rechte, die sich unsere Alliierten bis dahin vorbehalten haben. So ist es mit ihnen in Art. 5 Abs. 2 des DeutschlandVertrages vereinbart. Diese Vereinbarung gilt und begründet die Ablösung der alliierten Rechte, die praktisch noch immer auf das Besatzungsstatut zurückgehen.
Diese Vorbehaltsrechte räumen in einem Notstandsfall den Alliierten einen fast unbegrenzten Handlungsspielraum ein. Die uns im Deutschland-Vertrag gegebene Möglichkeit zur Ablösung der Vorbehaltsrechte wird jetzt genutzt. In dem Notenwechsel, den ich Ihnen, meine Damen und Herren, zur Kenntnis gebracht habe, wird nur noch einmal zur Gewißheit der Alliierten und zu unserer eigenen deklaratorisch festgestellt, daß wir uns über die Rechtslage einig sind.
Wir ersetzen überlebtes Besatzungsrecht durch Regelungen, wie sie unter gleichberechtigten Vertragspartnern notwendig und üblich sind. Bei allen unseren NATO-Partnern sind Notstandsregelungen, die ein schnelles Handeln in kritischen Situationen möglich machen, ein selbstverständlicher Teil der Rechtsordnung und der Verfassungswirklichkeit. Es ist nicht einzusehen, weshalb das, was anderswo gilt, bei uns nicht auch gelten sollte. Ich weiß, daß auf Grund mißverständlicher Berichterstattung in ausländischen Zeitungen — auch in der Herald Tribune, wie mir eben gesagt wird — Zweifel daran aufgekommen waren, ob die alliierten Vorbehaltsrechte — von Berlin und der gesamtdeutschen Problematik abgesehen — wirklich erlöschen.
Dazu habe ich gegenüber den Herren Fraktionsvorsitzenden erklärt, — und wenn ich Fraktionsvorsitzende sage, dann liegt mir als Mitglied der Regierung daran, in diesem Augenblick auch einmal zu sagen, wie sehr wir wissen und viele von uns in diesen Wochen gewußt haben, welche ungewöhnliche zusätzliche Arbeitslast die Herren Fraktionsvorsitzenden auf sich genommen haben, um dieses Werk zu einem soliden Ergebnis zu bringen —
ich wollte sagen, ich habe gegenüber den Herren Fraktionsvorsitzenden erklärt und wiederhole hier: Die Vorbehaltsrechte nach Art. 5 Abs. 2 des Deutschland-Vertrages erlöschen endgültig. Sie leben auch dann nicht wieder auf, wenn der deutsche Gesetzgeber zu einem späteren Zeitpunkt durch eine erneute Grundgesetzänderung die Notstandsverfassung ändern würde. Diese Auffassung wird von den drei Botschaften geteilt. Ich meine zur Sache, es ist von Bedeutung, daß auf dem Gebiet der Post- und Fernmeldeüberwachung nicht mehr die Alliierten auf Grund des von ihnen vorbehaltenen Besatzungsrechts tätig werden, sondern deutsche Behörden auf Grund der sie bindenden deutschen Gesetze.
Dies ist der eine Punkt, und der andere: Das den Truppen der drei Mächte zustehende Selbstverteidigungsrecht beruht nicht auf vorbehaltenem Besatzungsrecht, — —
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mende?
Herr Bundesaußenminister, Sie haben soeben auf die Pressemeldungen hingewiesen, die nicht den Tatsachen entsprechen. Darf ich die Frage stellen: Ist es richtig, daß maßgebliche Stellen der drei westlichen Mächte die Auffassung vertreten, daß sie sich — solange ihre Truppen auf deutschem Boden stünden — die letzte Verantwortung für deren Sicherheit vorbehalten müßten, und gibt es einen solchen Geheimvorbehalt gegenüber der Bundesregierung?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt keinen Geheimvorbehalt, sondern das, worum
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9626 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
Bundesminister Brandtes geht, wollte ich eben gerade vortragen, Herr Kollege Dr. Mende.
Ich hatte nämlich begonnen zu sagen: Das den Truppen der drei Mächte zustehende Selbstverteidigungsrecht beruht nicht auf vorbehaltenem Besatzungsrecht, sondern es entspricht einem Grundsatz des allgemeinen Völkerrechts;
und über Grundsätze des allgemeinen Völkerrechts braucht man keine geheimen Abmachungen zu treffen. Dieses Recht auf Selbstverteidigung steht z. B. auch den Bundeswehreinheiten zu — um das hier ganz klarzustellen, meine Damen und Herren —, die sich zu Übungszwecken in NATO-Ländern aufhalten.
Wer in diesem Zusammenhang vom teilweisen Fortbestehen der Vorbehaltsrechte spricht, der hat sich entweder nicht mit genügender Sorgfalt sachkundig gemacht oder behauptet etwas, obwohl er weiß, daß es nicht stimmt.
Die hier zur Entscheidung stehende Ergänzung des Grundgesetzes enthält keine Berlin-Klausel, meine Damen und Herren. Damit folgt der Gesetzgeber — in Übereinstimmung mit dem Berliner Senat — der bisherigen Übung, in Grundgesetzänderungen keine Berlin-Klausel vorzusehen.
Diese Praxis beruht auf der auch vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Auffassung der Bundesorgane, daß das Grundgesetz als Ganzes prinzipiell auch im Land Berlin gilt. Durch den Berlin-Vorbehalt der drei Militärgouverneure, der bei der Genehmigung des Grundgesetzes ausgesprochen wurde, sind jedoch alle Bestimmungen des Grundgesetzes in Berlin durch Besatzungsrecht suspendiert, welche die Organisation und Ausübung der Staatsgewalt regeln. Schon daraus folgt, daß die Notstandsverfassung in Berlin nicht anwendbar ist. In Berlin liegt die Zuständigkeit für Notstandsmaßnahmen ausschließlich bei den Besatzungs- respektive Schutzmächten als Trägern der obersten Gewalt.Wir wissen, meine Damen und Herren, daß manche unserer Mitbürger noch immer fragen, ob denn die Vorsorgegesetze überhaupt nötig seien. Hierzu hat nicht zuletzt der Bundesjustizminister, mein Kollege- Dr. Heinemann, wiederholt darauf hingewiesen, daß der Verzicht auf ein im Grundgesetz verankertes Notstandsrecht unweigerlich das Wiederaufleben von Bemühungen um eine außerparlamentarische Notstandsvorsorge der Exekutive zur Folge hätte, die an die Schranken unserer Verfassung nicht gebunden wäre.
Wir sollten uns deshalb in dieser Stunde vor Augen führen, wie in der Zeit bis zur Beseitigung der Schubladengesetzentwürfe ein solches Notstandsrecht ausgesehen haben würde, wenn der Notstandsfall hätte ausgerufen werden müssen.Die drei Alliierten hätten erklärt, sie würden ab sofort wegen einer unmittelbaren Bedrohung ihrer hier stationierten Streitkräfte ihre Rechte gemäß Art. 5 Abs. 2 des Deutschland-Vertrages ausüben. Einen Teil dieser Rechte hätten sie auf die deutschen Behörden übertragen.
Damit hätten sie der Bundesregierung rechtlich und praktisch ermöglicht, den Ausnahmezustand über das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu verhängen.
Ein solcher Beschluß der Bundesregierung wäre möglich gewesen, ohne daß Bundestag oder Bundesrat auch nur die Möglichkeit gehabt hätten, sie daran zu hindern. Während des Ausnahmezustandes hätte die Bundesregierung in Ausübung von Besatzungsrecht in weitem Umfang Notverordnungen erlassen können,
ohne die durch unsere Verfassung gesetzten Grenzen beachten zu müssen. Nach der Planung hätte sie beispielsweise ohne Mitwirkung des Bundestages die Grundrechte der Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, der Freizügigkeit und der Berufsfreiheit . über das im Grundgesetz vorgesehene Maß hinaus einschränken können, hätte sie ohne Rücksicht auf Art. 104 Abs. 2 und 3 des Grundgesetzes anordnen können, daß einzelne Bürger für längere Zeit verhaftet werden, und hätte sie Bundeswehr, Bundesgrenzschutz und die Polizei der Länder ohne jede Kontrolle zentral einsetzen können.Nähere Bestimmungen hätten die zahlreichen Notverordnungen — es waren mehrere Dutzend — gebracht, die ja bekanntlich noch bis November 1967 unter Geheimverschluß in den Schubladen der Bundesregierung und der Länderbehörden, teilweise bis zur Kreisebene, ruhten, um an einem Tage X mit sofortiger Wirkung in Kraft gesetzt zu werden. Ohne den Anschein und die Andeutung einer Polemik mit denjenigen, die unter den seinerzeitigen Voraussetzungen nach diesem Modell arbeiteten und glaubten arbeiten zu müssen, darf ich doch einige Beispiele für den Inhalt solcher Verordnungsentwürfe vortragen:Erstens. Eine Verordnung sah die Heranziehung, sei es durch Dienstverpflichtungen oder Arbeitsplatzwechselverbot, von Männern und Frauen zum Zivildienst ohne die parlamentarischen und materiellrechtlichen Sicherungen vor, wie sie jetzt die Art. 12 a, 9 Abs. 3 und 80 a der Notstandsverfassung enthalten.Zweitens. Es war vorgesehen, das Recht zur Wahl des Aufenthaltsortes einschneidend zu beschränken.Drittens. Die Presse würde in weitem Umfang einer behördlichen Zensur unterworfen gewesen sein.Viertens. In einer weiteren Verordnung waren weitreichende Maßnahmen zur Einschränkung der Versammlungs- und Vereinsfreiheit vorgesehen.
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Bundesminister BrandtFünftens. Eine Verordnung auf dem arbeitsrechtlichen Sektor befaßte sich mit der Einschränkung der Tarifautonomie bis hin zum allgemeinen Lohnstopp.Ich will es mit diesen Hinweisen genug sein lassen und sage: So hätte unser Notstandsrecht" ausgesehen; ähnlich, dies füge ich in vollem Ernst hinzu, würde es — wenn auch wohl mit Abstrichen — wiederum aussehen, wenn wir uns jetzt nicht dazu durchringen würden, die vorliegende Vorsorgeregelung in unser Grundgesetz aufzunehmen.
Der Notstandsfall darf eben nicht die „Stunde der Exekutive" sein, er muß die Stunde der Bewährung des Parlaments und des mündigen Bürgers sein.
Meine Damen und Herren, manche Stimmen von außen wollen nun den Eindruck erwecken, hier habe sich eine Gesellschaft von lauter Bösewichten mit finstersten Absichten zusammengefunden: eine Regierung, die darauf aus ist, ihre Macht zu verewigen, die Grundrechte der Staatsbürger abzuschaffen und einen neuen Krieg vorzubereiten, und ein Parlament, das nichts lieber täte, als sich selbst zu entmannen. Diese absurde Vorstellung nährt eine ganze propagandistische Kampagne.Die Regierung der Sowjetunion hat erst jetzt wieder in einer TASS-Erklärung behauptet, unsere Vorsorgeregelung könnte schwerwiegende Folgen für die Interessen des Friedens in Europa haben. Dies ist nicht neu, aber es ist auch nicht wahr, und unwahre Behauptungen dienen nicht der Zusammenarbeit zwischen den Völkern.
Ich spreche der Sowjetunion selbstverständlich ebensowenig das Recht ab wie irgendeinem anderen Staat, sich um den Frieden zu sorgen und sich dazu zu äußern. Aber ich meine, daß dies hier nur ein vorgeschobenes Argument ist für den Versuch einer Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten.Sollte dies nicht so sein, sollte die Sowjetunion wirklich glauben, daß eine Vorsorge für Notzeiten allein im freien Deutschland und in keinem anderen Lande sonst — übrigens einschließlich der Sowjetunion, einschließlich der DDR und einschließlich all der anderen Länder — gefährlich ist, dann würde es sich um eine Diffamierung unseres Staates und unseres Volkes handeln, und die müßten wir klar zurückweisen.
Ich sage das ohne jede Schärfe. Es sollte endlich Schluß damit sein, daß man uns auf der einen Seite vorhält, wir verträten unsere Interessen nicht selbständig genug, um, wenn wir es tun, uns zu beschuldigen, dies sei gefährlich. Im übrigen ist es absurd, ausgerechnet aus der hier behandelten Materie für irgendeinen unserer unmittelbaren oder mittelbaren Nachbarn eine Gefährdung zu befürchten.Ich gebe zu, die Regierung der Sowjetunion hat das Problem des Notstandes „eleganter" gelöst. — Im Protokoll würde ich das Wort „eleganter" gern in Anführungszeichen sehen. — Sie kann nämlich, gestützt auf eine Blankovollmacht ihrer Verfassung, in einem solchen Falle alles tun, was sie für richtig hält. Und weder hier in diesem Hause noch irgendwo sonst auf der Welt zweifelt jemand daran, daß sie in der Tat in einem solchen Fall auch alles das tun würde, was sie für nötig hält. Sie hat sich da keinerlei Beschränkungen auferlegt, und ich sage auch nicht, das sei von uns aus gesehen eine Gefährdung des Friedens. Sie ordnet eben die Frage auf ihre Weise.Wir Deutsche sind, wie man sieht, auch heute noch Perfektionisten. Wir sind auf diesem Gebiet Perfektionisten wohl auch deshalb, weil wir gebrannte Kinder sind. In der Sowjetunion und anderswo sollte man zur Kenntnis nehmen, daß die Deutschen nach ihrer bitteren Erfahrung selbst in Zeiten der Not Willkür nicht zulassen möchten, wo sie vermieden werden kann, sondern den einzelnen Bürger ebenso wie den demokratischen Staat schützen wollen.
Ich lehne es jedenfalls ab, gleichgültig von wem, Argumente entgegenzunehmen, die den naiven Eindruck erwecken sollen, als ob nicht jede Regierung jedes Staates Vorsorgen trifft und letztlich dazu verpflichtet ist. Mit anderen Worten: Der Außenminister kann gar nicht darüber diskutieren, ob eine Vorsorgegesetzgebung erforderlich ist. Eine andere Frage ist das Wie. Darüber kann man verschiedener Meinung sein, und darüber ist in der Bundesrepublik lange und heftig gestritten worden. Die Tiefe und die Leidenschaftlichkeit der Auseinandersetzungen in unserem Lande haben gezeigt, wie empfindlich das demokratische Gewissen reagiert. Dies gerade ist keine Gefährdung, sondern ist eine Stärkung des Friedens für Europa.Natürlich weiß man auch in Moskau, daß in OstBerlin nicht ein Jahrzehnt lang diskutiert, geschweige denn öffentlich diskutiert worden ist, sondern daß man dort eine ganz „einfache", aber weitreichende, eben eine autoritäre Notstandsverfassung eingeführt hat. Solche Herrschaftsformen wie in Ost-Berlin sind schlechte Ratgeber für ein freiheitliches, demokratisches Staatswesen,
das sich auch in Notzeiten nicht aus den Angeln heben lassen will; denn solche Diktaturen leben im Grunde in einem permanenten Notstand,
bei dem es dann nur darum geht, ob die Schraube noch etwas mehr angezogen wird.Die Sicherung der Demokratie auch in Notzeiten ist ein Dienst, den der deutsche Gesetzgeber nicht nur dem eigenen Volke erweist. Er ist auch ein Dienst an den Völkern, die wegen der Geschichte und der Lage Deutschlands gewisse Besorgnisse hegen.Die Vorsorge für Notzeiten — das weiß man in Wirklichkeit auch draußen — ist die Pflicht des Hausvaters, der die Verantwortung für die Familie trägt. Niemand wird natürlich sagen können, obpMetadaten/Kopzeile:
628 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
Bundesminister Brandtdas vorliegende Instrumentarium allen Lagen, die eintreten mögen, gerecht werden kann. Aber niemand wird bestreiten können, daß man es sich im Abwägen des Für und Wider und im Bemühen um rechtliche Sicherungen nicht leicht gemacht hat. Vielleicht kann man sagen, es sei der Versuch gemacht worden, das Unvereinbare zu vereinbaren. Die Erhaltung und Sicherung der Freiheit unter den Bedingungen ihrer extremen Bedrohung und Gefährdung mit freiheitlichen Mitteln ist eine außerordentlich schwere Aufgabe.Aber nicht in diesem Bemühen liegt eine „deutsche Gefahr", meine Damen und Herren. Wenn es eine „deutsche Gefahr" — nein, heute muß man wohl sagen: europäische Gefahr — gibt, dann liegt sie wieder im Irrationalen und nicht in der soliden Gesetzesarbeit;
dann liegt sie wieder im Bereich jener Unwägbarkeiten, denen mit der Vernunft nicht oder nur schwer beizukommen ist. Jedenfalls, die Feuerwehr für ein mögliches Feuer verantwortlich zu machen ist widersinnig. In staatlichen Maßnahmen, die für Notzeiten Vorsorge treffen wollen, ein Mittel und und einen Weg zu sehen, der das Verhängnis herbeizwingt, ist nicht minder abwegig.Ich will aber hier nicht nur abwegige Polemik zurückweisen. Ich möchte heute auch etwas anderes an die Adresse unserer Nachbarn, nicht zuletzt unserer Nachbarn im Osten, sagen. Die friedlichen Absichten einer 'Regierung sind nicht zu kompromittieren durch das, was sie in der Hoffnung, es nie anwenden zu müssen, für Zeiten der Krise und der Not an gesetzgeberischer Vorsorge trifft. Die friedlichen Absichten einer Regierung sind allein zu messen an ihrer praktischen Politik.
Dieser Maßstab sollte allgemein angewendet werden, von uns gegenüber anderen, von anderen gegenüber uns. Welchen Sinn soll es haben, von guten Beziehungen zwischen den Staaten ohne Rücksicht auf die gesellschaftlichen Systeme zu reden, wenn im deutschen Fall immer wieder eine diskriminierende Ausnahme davon gemacht wird? Welche Kräfte will mann eigentlich stärken,
wenn man durch die Ablehnung aufrichtiger Vorschläge und großer Angebote einen Fatalismus in diesem Volk erzeugt, der dann von bösen Kräften ausgebeutet werden könnte?
Es liegt in der Hand der domokratischen Kräfte in diesem Lande, durch sinnvolles Handeln die Gefahr innerer Notstände abzuwenden. So liegt es auch in unserer Hand, durch eine unbeirrte und konsequente Fortführung unserer Entspannungs- und Fiedenspolitik dazu beizutragen, daß der Fall der äußeren Spannung und der Verteidigungsfall, was an uns liegt, nicht eintreten.
Soweit es in unserer Macht liegt, soll alles geschehen, damit Spannungen nicht verschärft, sondern abgebaut werden, damit zwischen den Völkern in Ost und West nicht Mißtrauen, sondern Vertrauen wächst, damit Kommunikation, Kooperation und Sicherheit für alle zu realisierbaren Zielen werden.Die Verwirklichung solcher Ziele ist allen als gemeinsame Aufgabe gestellt. Keiner kann davon ausgeschlossen werden, ohne das Ziel zu gefährden.Dieses Wissen gibt uns, so hoffe ich, die Selbstsicherheit, die wir brauchen, um uns durch Anwürfe und Verdächtigungen nicht beirren zu lassen. Noch ist diese Welt nicht weit genug fortgeschritten, um den Völkern und den Menschen eine gefahrlose Existenz zu ermöglichen. Sollte, was der Herrgott verhüten möge, die Notstandsverfassung jemals angewendet werden müssen, so würde dies bedeuten, daß die Außenpolitik Schiffbruch erlitten hätte, daß die europäische Friedenspolitik, für die nicht zuletzt auch die Sowjetunion große Verantwortung trägt, gescheitert wäre. Durch deutsche Schuld soll dies nicht geschehen.
Als Stellvertreter des Bundeskanzlers und auch als Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands möchte ich dieses Wort hinzufügen dürfen: Es gibt eine Kritik an der Notstandsgesetzgebung, die ich für reine Demagogie halte. Diese stützt sich in der Bevölkerung zum Teil auf einen Mangel an Vertrautheit mit Tatsachen, und daran sind wir vielleicht nicht immer ganz schuldlos gewesen.Es gibt zugleich eine andere Kritik, die ich ernst nehme und respektiere. Ich meine zahlreiche Männer unseres geistigen und wissenschaftlichen Lebens, aus denen eine ehrliche Sorge spricht. Manche von ihnen meinen, es könnte sich quer durch die Parteien eine Art „Partei der Ordnung" im Sinne bloßer Beharrung bilden, die alle Unzulänglichkeiten des Bestehenden zementieren und in Versuchung geraten könnte, sich zu diesem Zweck auch der Vorsorgegesetze zu bedienen; eben damit würde sie einen tiefen Bruch im Volk, also einen Notstand hervorrufen.Aus dieser Argumentation spricht Mißtrauen gegen die demokratische Verläßlichkeit unserer Parteien. Wir haben keinen Grund, dieses Mißtrauen einfach zurückzuweisen. Ich halte es für besser, wenn wir uns nach den Gründen dafür fragen. Darüber hinaus möchte ich jedenfalls für mich selbst sagen dürfen — es gilt zugleich für meine Freunde —: ich bin davon überzeugt, daß jeder auch nur entfernt ausdenkbare Versuch zu einem Mißbrauch der Notstandsgesetze auf unseren leidenschaftlichen Widerstand stoßen würde.
Wer einmal mit dem Notstand spielen sollte, um die Freiheit einzuschränken, wird meine Freunde und mich auf den Barrikaden zur Verteidigung der Demokratie finden, und dies ist ganz wörtlich gemeint.
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Bundesminister BrandtSo meine ich denn auch, daß viele im Lande wissen sollten, daß man sich auf uns verlassen kann. Sie sollen auch wissen, daß wir uns in Regierung und Parlament, in Parlament und Regierung an das halten, was uns unsere politische Gemeinschaft als ein nach dem Grundgesetz geschaffenes, gebildetes, geformtes Element dieses demokratischen Staatswesens aufträgt. Das gilt für die Einzelfragen, das gilt auch für den Gesamtauftrag, die Beratung der Gesetze so bald wie möglich zum Abschluß zu bringen, damit man sich mit ganzer Kraft für eine Politik des Friedens, der Entspannung, der sozialen Sicherheit und der Gerechtigkeit einsetzen kann.Wir sind, meine sehr verehrten Damen und Herren, Zeugen einer erregenden, manchmal anstrengenden Unruhe der jungen Generation, die inzwischen über alle nationalen Grenzen hinausgewachsen ist. Sie findet in jedem Land andere Anlässe des Protestes. Zum Teil ist sie von dem Aufbegehren gegen das Gefühl getragen, der einzelne Mensch könnte zum manipulierten Rädchen in einer alles beherrschenden Technisierung unserer Welt werden. Sie lehnt ab, sich von Erfahrungen leiten zu lassen, die für sie Geschichte sind. Sie sucht nach Maßstäben und Werten, die über Wohlstandskategorien hinausgehen. Sie möchte Technik in den Dienst ihres noch unformulierten Willens stellen.Ich sympathisiere mit dieser Strömung in der jungen Generation. Das weiß man. Ich wünsche, daß sie ihren Idealen -näherkommen möge, als andere imstande waren, im Laufe jüngerer deutscher Geschichte die Ideale ihrer Jugend zu verwirklichen. Aber jedenfalls können wir doch sicher unbestreitbar feststellen — ich sage auch dies noch besonders nach Osten —, daß die junge Generation in Deutschland mit allem, was in ihr sich rührt, nicht wesentlich anders reagiert als die Jugend anderer Länder auch. In dieser Beziehung gibt es keine Isolierung, und das ist immerhin noch gut so.Die demokratische Empfindlichkeit vieler in unserem Volk hat sich als leicht ansprechbar erwiesen. Das ist auch gut. Doch gehöre ich zu denen, die meinen, daß wir uns fragen müssen, was in unserem Staat nicht stimmt, noch nicht stimmt, wenn zuweilen ganze Gruppen von tiefem Mißtrauen erfüllt sind, wenn man dem Wort des anderen nicht mehr glaubt, wenn alle allen alles oder viele vielen vieles zutrauen. Ich deutete es aus meiner Sicht der Dinge schon an: der Angelpunkt vielen Streites, der um diesen Komplex bis zur Erschöpfung geführt worden ist, heißt Mißtrauen. Das ist gar nicht so verwunderlich. Denn wir Deutsche tragen nun einmal an der Last einer Geschichte, die uns schwere Prüfungen auferlegt hat, aber im tiefsten Sinne nicht Vergangenheit geworden ist. Nach zwei Geschichtskatastrophen im Laufe eines halben Jahrhunderts sind wir allzumal gebrannte Kinder. Erinnerungen verfolgen und quälen uns. Wir sind von den Ereignissen zu tief geprägt, als daß wir Vergangenes ganz vergangen sein lassen könnten. So kommt es — auch bei dem, was uns hier bis in die letzten Stunden miteinander beschäftigt hat —, daß düstere Schatten des Schlimmen und Bösen auf uns lasten, daß wir Tabus und Traumata mit uns herumtragen.Wir geben uns redliche Mühe, die Wiederkehr dessen, was so verhängnisvoll war, zu vermeiden, und lassen uns dabei zuweilen den Blick für nüchterne Realitäten trüben. Wir sind in unserem Denken und Handeln eingeengt, nicht immer wirklich frei. Es fehlt oft das rechte Augenmaß. Wäre .es anders, hätten diese Vorsorgegesetze nicht so viele Emotionen auslösen können.Beinahe fragt man sich, wie man noch überzeugen soll, wo nicht mehr, wo längst nicht mehr zugehört wird.
Wie soll denjenigen, die zu ihrer Verantwortung stehen, geglaubt werden, wenn der Buchstabe des Gesetzes die nachweisbare Verbindlichkeit des Schwarz auf Weiß verliert? Wir sollten freilich auch nicht die Frage überhören — sie anderen und uns selbst stellen —, ob in den zurückliegenden Jahren die Grundsätze der Machtkontrolle und der Wahrhaftigkeit in staatlichen Angelegenheiten hoch genug gehalten worden sind, um Schule machen zu können.Wie wir alle habe ich in diesen Tagen viele Briefe bekommen. Ich habe sie so ernst genommen, wie sie gemeint waren, und dabei auch wieder einiges hinzugelernt. Tief berührt haben mich folgende Zeilen aus einem der Briefe — ich zitiere wörtlich diesen Satz; und nicht irgend jemand hat ihn geschrieben-: „Immerhin bin ich nicht durch Deutsche von den Nazis befreit worden, sondern durch Amerikaner und Engländer, und in diesem Sinne bleibe ich ganz und gar 1945er."Dies und anderes hat mich nicht nur bewegt, erschüttert, sondern auch in der Überzeugung bestärkt, daß vieles doch noch notleidend ist im Verhältnis zwischen Staat und Teilen der geistigen Schichten, wohl auch der jungen Generation, wohl auch der Arbeiterschaft. Ich fürchte wirklich, daß uns weder die Bewältigung der Vergangenheit noch die Vorbereitung auf die Zukunft schon gut genug gelungen ist. Aber jetzt geht eis, so meine ich, um die nüchterne und notwendige Aufgabe des Tages. Um die endgültige Fassung der vorliegenden Gesetzestexte ist lange gerungen worden. Anhörungen und Debatten haben einen Ausgleich herbeigeführt, der unter den gegebenen Umständen wohl nicht anders aussehen konnte. In diesem Stadium hat es gewiß keinen Sinn, noch einmal von vorn anzufangen. Da gibt es manchen, der ,sich auch einen anderen Ansatz und andere Teillösungen hätte vorstellen können. Gewisse Risiken lassen sich ohnehin nicht ausdiskutieren. Aber ich denke, wir sollten uns und anderen klarmachen: ein gewisses Risiko gehört zum Wesen der Demokratie.
Das Risiko nämlich, daß im entscheidenden Augenblick Demokraten dasein müssen, die Verantwortung tragen.
Hier geht es um die letzte Verantwortung jedes einzelnen unserer Bürger für die Bewahrung der Demokratie.
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9630 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
Bundesminister BrandtEin gewisser Unwille in Teilen unserer Bevölkerung über das, was sich in der Vorstellung des Einzelnen mit dem Begriff „Notstand" verbindet, wird gewiß auch nach Verabschiedung der Gesetze nicht von heute auf morgen verschwinden. Es gibt nun einmal Kräfte in unserem Land, die ein Interesse daran haben, den Unwillen am Leben zu erhalten und womöglich noch zu intensivieren.
Für sie ist das Thema „Notstand" nur ein Vorwand zur Unruhe.
Es gibt andere, die es ernst meinen — einige habe ich schon erwähnt — und von denen wir uns nicht trennen lassen dürfen.Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die einzelnen Gewerkschaften haben im Laufe der jungen Geschichte dieser Bundesrepublik zahlreiche Beweise für demokratisches Verantwortungsbewußtsein erbracht.
In der Haltung der Gewerkschaften und der meisten Gewerkschafter zur Vorsorgegesetzgebung hat man das demokratische Verantwortungsgefühl nie überhören können. Es ist hart debattiert worden, aber am Schluß steht für meine Begriffe die Erkenntnis, daß Parlament, Bundesregierung, demokratische Parteien und mit ihnen die Gewerkschaften die gleiche Ordnung und die gleichen Werte verteidigen und die gleichen Gefahren abwenden wollen.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat in den abschließenden Gesprächen mit den Vertretern der Bundesregierung und der im Bundestag vertretenen Parteien eine Warnung anklingen lassen, die wir alle nicht überhören sollten. Er hat davor gewarnt, die mit diesem Gesetzeswerk eröffneten Möglichkeiten zu mißbrauchen, und sei es nur durch bürokratischen Übereifer.
Darin liegt kein Mißtrauen gegen diesen Bundestag und diese Bundesregierung. Ich bin überzeugt, es ist keiner unter uns, der nicht ebenso wie die Gewerkschaften entschlossen ist, gegen einen denkbaren künftigen Mißbrauch von Gesetzen energisch Widerstand zu leisten. In diesem Willen können sich, wenn einmal die Entscheidung nun gefallen sein wird, alle treffen, denen die Erhaltung unserer parlamentarisch-demokratischen Ordnung am Herzen liegt.Jene, die jetzt noch enttäuscht oder empört abseits stehen, werden sich davon überzeugen können, daß das Ende der deutschen Demokratie hier nicht eingeläutet wurde. Die deutsche Demokratie wird mit den Vorsorgegesetzen nicht nur leben, sondern sich auch kräftig weiterentwickeln, besser vorbereitet auf mögliche Gefahren. Den Beweis hierfür kann allein die weitere Entwicklung liefern. Das wird um so eher gelingen, je deutlicher wir zeigen: durch das Inkraftsetzen der Notstandsverfassung und der Vorsorgegesetze ändert sich in der deutschen Innenpolitik und in der deutschen Außenpolitik im Grunde nicht das geringste. Nur werden wir diese Politik künftig als ein Staat führen, der erwachsener, verantwortlicher geworden ist und der hoffentlich auch noch glaubwürdiger werden kann.
Einmal verabschiedet, werden die hier vorliegenden Gesetze ruhen. Die darüber geführte Debatte wird dann zu Ende sein. Keiner der Bürger dieses Landes wird zu spüren bekommen, daß sich an diesem Staat und in diesem Staat irgend etwas geändert hat. Und doch ist unabhängig davon vieles in Bewegung, Erfreuliches und Bedenkliches, Aufrüttelndes und Gefährliches zugleich.Was drüben im Lande unseres französischen Nachbarn geschieht, kann uns nicht gleichgültig lassen. Der europäische Zusammenhang ist so eng, daß uns das Unbeteiligtbleiben verwehrt ist. Wir sind also weder unbeteiligte Beobachter noch Richter über fremde Angelegenheiten. Als Freunde Frankreichs müssen wir sehen, daß dort Bedeutendes vorgeht und daß, ganz unabhängig von dem Ringen der formierten und der nicht formierten Kräfte, mit großen Veränderungen zu rechnen sein wird.Kein Land kommt an den großen Fragen dieser Zeit vorbei. Auch unser Land nicht. Frankreich, das der Menschheit Unvergängliches geschenkt hat, wird vielleicht, hoffentlich — „hoffentlich" ganz dick unterstrichen —, seinen Weg finden und zugleich in der deutsch-französischen Zusammenarbeit, in der europäischen Integration, das sein, was es sein muß. Das wäre ein großes Geschenk für dieses Europa, das mit seinem Zusammenschluß so geringe Fortschritte gemacht hat, obwohl seine Bewohner wissen, daß sie alle eine große Familie sind.
Wir müssen hoffen, daß aus der großen Erregung, die den Kontinent zu erfassen beginnt, neue, stärkere Gemeinsamkeiten hervorgehen werden.Für unser heutiges Thema mag noch der Hinweis erlaubt sein, daß die französische Regierung den Notstandsartikel ihrer Verfassung nicht in Anspruch genommen hat. Wenn das französische Staatsoberhaupt auf die für unsere Begriffe schier unbegrenzte Machtfülle, die ihm dieser Paragraph gibt, verzichtet hat, so wird es — das französische Staatsoberhaupt — in Einsicht in die dortige Lage gehandelt haben. Das ist nicht unser Problem. Die deutsche Vorsorgegesetzgebung würde jedenfalls, von Marginalproblemen abgesehen, auf einen Fall wie den gegenwärtigen französischen auch nicht gepaßt haben. Das will ich damit sagen. Elementare politische Vorgänge im Leben der Völker — gleichgültig, wie man zu ihnen steht — sind nicht durch Paragraphen zu reglementieren. Hier macht sich vermutlich niemand Illusionen, falsche Hoffnungen oder unbegründete Sorgen, je nach dem Standort: Wenn einmal das Volk aufsteht, gelten ungeschriebene Gesetze.Deutschland ist nicht Frankreich. Aber heute gilt — und es wird weiter gelten —, daß es kein Europa
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Bundesminister Brandtohne Frankreich und Deutschland gibt. Die französischen Erschütterungen und Umwälzungen werden unser Volk nicht unbeeinflußt lassen, und vielleicht lernen wir noch besser, daß Regierungsmacht und parlamentarische Macht nicht nur sinnvoll, sondern auch beizeiten genutzt werden müssen. Ich denke, bei vielem von dem, was von außen auf uns einwirkt, bestätigt sich auf eine dramatische Weise dais alte Wort, daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt. An ein menschenwürdiges Dasein werden heute andere Bedingungen geknüpft als vor einer noch gar nicht lange zurückliegenden Zeit.Nach dem Willen einer Staatsführung und einer Volksvertretung, diese Voraussetzungen zu schaffen — Voraussetzungen für ein sinnvolles Leben, dais heute auf den vielfältigen sozialen Stufen ohne Mitdenken, Mitgestalten und Mitverantworten nicht mehr denkbar und nicht mehr vorstellbar ist —, bemißt sich das Vertrauen, das die Bevölkerung auf die Dauer in sie setzt.Um die Vorsorgegesetze ist ein Kampf geführt worden, der Respekt verdient. Für Notzeiten, die hoffentlich niemals eintreten, ist das Menschenmögliche getan. Mein bescheidenes Votum, mein Rat an dieses Hohe Haus wäre nun, an die Arbeit zu gehen, um diesen Staat so zu gestalten, daß er der Mitarbeit aller seiner Bürger sicher sein kann.
Wir treten in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Matthöfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt mir nicht leicht, hier zu sprechen. Die Mitglieder der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion haben gemeinsam versucht, für das von uns zu regelnde Problem eine gute Lösung zu finden. Die damit verbundene Diskussion ist in aller Offenheit und in aller Offentlichkeit geführt worden. Die aus der Mitte der Fraktion gestellten Anträge sind schriftlich gestellt und schriftlich begründet worden. Sie waren nicht nur den Mitgliedern meiner Fraktion, sondern auch den Mitgliedern aller anderen Fraktionen dieses Hauses zugänglich, desgleichen der Offentlichkeit und der Presse. Niemals ist darüber in der Fraktion irgendeine Bemerkung gemacht worden, genauso wie niemals, zu keiner Zeit, in der Fraktion irgendein Druck in irgendeiner Form auf irgendeinen Abgeordneten der sozialdemokratischen Fraktion ausgeübt worden ist. Gerade deshalb, weil die dann von der Fraktion gefällten Entscheidungen mit eindrucksvollen Mehrheiten in allen wichtigen Punkten gefallen sind und weil ich weiß, daß Geschlossenheit und Schlagkraft einer Partei imParteienkampf — das ist ja in einer parlamentarischen Demokratie nichts Verächtliches — wichtig sind, fällt es mir schwer, nicht nur gegen meine Fraktion zu stimmen, sondern auch gegen den Beschluß zu sprechen.Es ist heute in der Debatte gelegentlich von einem Zeitdruck gesprochen worden, unter dem wir uns entscheiden müßten. Ich glaube nicht, daß man von einem solchen Zeitdruck bis zur zweiten Lesung sprechen kann. Ich glaube jedoch, daß es vielleicht nützlich gewesen wäre, wenn wir etwas mehr Zeit gehabt hätten. Das hätte uns auch Gelegenheit gegeben, einige der übertriebenen, verzerrten, teilweise völlig unrichtigen Behauptungen zu widerlegen, die draußen zur Mobilisierung des Widerstandes gegen diese dritte Lesung verbreitet wurden. Ich möchte den Urhebern dieser Behauptungen, die ja subjektiv in gutem Glauben handeln können, doch zu bedenken geben, ob eine antiautoritäre Bewegung, die nach dem Anspruch, den sie an sich selbst stellt, angetreten ist, um Demokratie und Aufklärung zu erzwingen, um die sich im Interesse der Herrschenden vollziehende Manipulierung der Massen zu durchbrechen und durch rationale und inhaltliche Diskussion politischer Grundfragen zu ersetzen, nicht mit ihrem eigenen Anspruch in Widerspruch gerät, wenn sie nun ihrerseits leichtfertig mit der Wahrheit umgeht.Die von den Verteidigern dieser Vorlage allerdings hier und dort betriebene Verharmlosung des Inhalts einiger Vorschriften ist ebenfalls kaum geeignet, bei intelligenten und informierten Gegnern aufklärende Wirkung zu erzielen. Viel eher werden diese ihrerseits daraus ein Recht auf extreme Übertreibung herleiten, was die notwendige Kommunikation zwischen beiden Gruppen natürlich nicht gerade erleichtert und den interessierten Staatsbürger, der bereit und willens ist, sich über Inhalt, Bedeutung und Anwendung dieser Gesetze informieren zu lassen, in ziemlicher Verwirrung zurücklassen muß.Wie schwer es ist, sich über diese Dinge eine klare Meinung zu verschaffen, haben wir, Herr Moersch, heute morgen an der Art und Weise gesehen, wie Sie hier über den Art. 80 a diskutiert haben. Der Art. 80 a — wir sind alle nicht in ihn verliebt — stellt doch eine Verbesserung der augenblicklichen schlechten Rechtslage dar. Mir kommt hier ein Wort von Marx in den Sinn, und Marx ist ja neuerdings auch für Sie akzeptabel:
daß die Menschen ihre eigene Geschichte machen; aber das machen sie nicht frei, sondern sie machen sie unter bestimmten vorgefundenen Bestimmungen. Zu den Bedingungen, unter denen die Regierung der Großen Koalition und meine Fraktion Geschichte machen müssen — und es kann ja kein Zweifel darüber bestehen, daß wir heute eine Entscheidung von geschichtlicher Bedeutung treffen —, gehört auch die schlechte Rechtslage, die Sie mit zu verantworten haben. Es waren Ihre Minister, die den Entwurf vorgelegt haben; es war die Mehrheit Ihrer Fraktion, die den Sicherstellungsgesetzen zugestimmt hat, die der Regierung heute jede Mög-
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9632 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
Matthöferlichkeit zum Handeln geben. Es wird der Art. 80 a sein, der die Möglichkeiten der Regierung einschränkt und nicht erweitert. Nur eine kleine radikale Minderheit bei Ihnen hat dagegen gestimmt;
dazu gehörten Herr Busse, Herr Dorn, Herr Moersch und Herr Dr. Rutschke. Die große Mehrheit der damals anwesenden FDP-Abgeordneten, darunter die Abgeordneten Dr. Bucher, Dr. Dahlgrün, Freiherr von Kühlmann-Stumm, Dr. Mende, Mischnick und Schultz haben für diese schlechten Gesetze, mit denen wir uns jetzt auseinandersetzen müssen, gestimmt. Das ist die Rechtslage.
Die Sicherstellungsgesetze! Ich bitte Sie, das im Protokoll nachzulesen.Es hat in diesem Hause Versuche gegeben, die Notstandsgesetzgebung durch demokratische und rechtsstaatliche Sicherung gegen etwaigen Mißbrauch abzusichern. Diese nicht nur aus der SPD-Fraktion heraus unternommenen Versuche haben in der vorliegenden Fassung ihren Niederschlag gefunden. Ich hoffe, niemand wird das verkennen. Einer anderen, weniger rechtsstaatlichen Lösung hätte die SPD-Fraktion nicht zugestimmt.Niemand sollte auch den Vorteil für die Sicherheit und den Bestand unserer Demokratie verkennen, der darin liegt, daß durch die Verabschiedung dieses Gesetzes die außerordentlich gefährliche Konstruktion: alliierte Vorbehalte, Übertragung und Regieren mit Schubladengesetzen beseitigt wird und ihre politischen Grundlagen endgültig zerstört werden. Der Herr Bundesaußenminister hat heute morgen dazu das Erforderliche gesagt.Ich bin jedoch der Meinung, daß die vorliegende Fassung gleichwohl den an eine wirklich demokratische Notstandsverfassung zu stellenden Anforderungen leider nicht in jeder Hinsicht gerecht wird. Einige Punkte sind für mich so schwerwiegend, daß ich nach sorgfältiger Abwägung aller in Betracht zu ziehenden Faktoren insgesamt nicht zustimmen kann. Diese Entscheidung war nicht einfach. Es sind aber Grundrechtseinschränkungen vorgesehen, die ich nicht für gerechtfertigt halte.Erstens. Es ist verfassungsrechtlich, glaube ich, nicht vertretbar, Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis dem Betroffenen — sofern eine individuelle Kontrolle vorliegt — auch nachträglich nicht mitzuteilen und den Rechtsweg völlig auszuschalten. Es gibt Verfassungsrechtler, die — so scheint mir — mit guten Gründen darlegen, daß hier eine verfassungswidrige Verfassungsnorm geschaffen werden soll.Zweitens. Die Freizügigkeit soll auch zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand und die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes eingeschränkt werden können. Es ist nie ausreichend — oder wenigstens für mich nie befriedigend -- dargelegt worden, warum die bestehenden Möglichkeiten nicht genügen und warum die Exekutive diese zusätzlichen Ermächtigungen haben soll.Drittens. Die durch Art. 12 des Grundgesetzes gewährleistete Berufsfreiheit wird durch den neuen Art. 12 a eingeschränkt. Für bedenklich halte ich dabei das vorgesehene Verbot, den Arbeitsplatz zu wechseln oder aufzugeben. Ich bin übrigens skeptisch, ob Art. 9 Abs. 3 Satz 3 des Grundgesetzes geeignet ist, eine Anwendung dieser Bestimmung gegen Streiks in jedem Fall auszuschließen.Viertens. • Die vorgesehene Schutzklausel für Arbeitskämpfe führt, wenn man die augenblickliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zugrunde legt, im Gegensatz zur Lösung in den anderen großen EWG-Ländern Aussperrung und Streik gleicherweise in unser Grundgesetz ein, allerdings ohne die faktische, ökonomische, moralische und politischethische Verschiedenheit der beiden Kampfmaßnahmen schon dadurch zu einer rechtlichen Gleichrangigkeit machen zu wollen. Sie verhindert nicht eindeutig, daß auch Streiks, die zum Schutz der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geführt werden — übrigens eine sehr enge Auslegung des Streikbegriffs —, beeinträchtigt werden können.Fünftens. Der künftig mögliche Einsatz unserer Streitkräfte im Innern bedeutet eine Erweiterung oder sogar eine drastische Änderung ihres Auftrags. Die Bundeswehr könnte in innerpolitische Auseinandersetzungen hineingezogen werden, eine Aussicht, die nicht nur vielen Soldaten und Offizieren äußerst unsympathisch ist. Für viele unserer Soldaten ist ein bürgerkriegsähnlicher Einsatz der Bundeswehr nicht einmal als Denkalternative vorstellbar.Der sogenannte Objektschutz schließt bei entsprechender, weit hergeholter Auslegung der gefundenen Formulierung nicht aus, daß die Bundeswehr in Zukunft Einsätze zum Betriebsschutz in einer Form probt, die die Beschränkung von Streiks mit umfaßt. Einsätze zum Betriebsschutz könnten .auch erfolgen, wenn einmal eine zukünftige Bundesregierung einen wirtschaftlichen Arbeitskampf als politischen Streik interpretiert.Ferner könnte diese Bestimmung so ausgelegt werden, als gäbe sie den Auftrag, eine Art Vietnam-Kriegführung in der Bundesrepublik vorzubereiten. Diese ohne ausreichende Diskussion, Konsultation und Reflexion der einem solchen Auftrag zugrunde liegenden politischen und militärischen Konzeption vorgenommene unklare Änderung des Kampfauftrags unserer Soldaten muß diese notwendigerweise in neue Ungewißheiten stürzen.Sechstens. Problematisch ist auch die vorgesehene Regelung des Spannungsfalls und des sogenannten Bündnisfalls. Der Spannungsfall ist nicht definiert; das jetzt bestehende Bündnissystem kann ersetzt werden durch andere zwischenstaatliche Verträge; das Aufhebungsrecht des Bundestages ist im Bündnisfall erschwert. Die vorliegende Fassung des Gesetzes weist trotzdem — ich sagte es schon — gegenüber dem Regierungsentwurf wesentliche Verbesserungen auf. Das kann und will doch wohl niemand bestreiten. Gerade weil sie auch eine Reihe positiver Regelungen enthält, ist eine SchwarzWeiß-Beurteilung nicht mehr möglich,
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9633
MatthöferDie „Süddeutsche Zeitung" schreibt heute morgen, einige Abgeordnete der Unionsparteien hätten angekündigt, sie würden mit Nein stimmen, „weil ihnen die jetzt vorliegende Formulierung zu weich oder zu schlapp sei". Natürlich, habe ich mir gleich überlegt, ob ich dann noch auf dem richtigen Weg sein kann. Ich stelle auch fest, daß der hochverehrte Herr Bundesverteidigungsminister nicht anwesend ist und offenbar durch dringende Dienstgeschäfte daran gehindert ist, seine Stimme abzugeben.Mit den Entwürfen früherer Bundesregierungen hat dieses Gesetz kaum irgend etwas gemein. Die Verbesserungen sind auch ein Verdienst — das muß hier fairerweise auch einmal gesagt werden — der außerparlamentarischen Protestbewegung. Durch die lebhafte, kritische und ernsthafte Beteiligung einer breiten demokratischen Offentlichkeit und engagierter Wissenschaftler an der Diskussion wurde in diesem Hause ein Klima geschaffen, das jedenfalls in meiner Sicht der Dinge die Durchsetzung von Änderungsanträgen ganz wesentlich erleichtert hat.
Wenn jetzt von einigen Gruppen außerhalb der etablierten Großorganisationen die Ergänzung von Aufklärung und Diskussion durch offenen Widerstand gefordert wird, so müßte im weitgehend entpolitisierten Klima der Bundesrepublik dieses kritische, demokratische, wache Oppositionsbewußtsein trotz aller Unbequemlichkeiten, trotz aller Bedenken, trotz aller Sorgen, die für manche von uns entstehen — übrigens auch für manche außerhalb dieses Hauses, die das eigentlich nicht erwartet hatten —, eigentlich begrüßt werden. Die radikaldemokratische Motivation der Protestierenden und das manifest gewordene Mißtrauen gegen die Schaffung von Möglichkeiten für rechtswidrig ausgeübte staatliche Gewalt ist doch etwas, was wir uns gemeinsam mit allen Demokraten in diesem unserem Land immer gewünscht haben.Diese Aktionen können sich allerdings nicht ausdrücklich auf Beschlüsse von Gewerkschaftstagen stützen. Gewerkschaftstagsbeschlüsse haben ja wohl in dieser Diskussion bisher keine unwichtige Rolle gespielt. Mit aller notwendigen Klarheit beschloß der Essener Gewerkschaftstag der IG Metall schon im Jahre 1962 — ich weiß, das ist für einige unserer jugendlichen Demonstranten allerdings graue Vorzeit — mit überwältigender Mehrheit, gegen formal-rechtlich korrekt zustande gekommene Notstandsgesetze nicht zu streiken. Der Vorsitzende der IG Metall, Otto Brenner, erklärte noch einmal am 9. Mai dieses Jahres auf der Jugendkonferenz der IG Metall in Köln:Generalstreik gegen die Notstandsgesetze bedeutet, daß wir einen politischen Kampf aufnehmen wollten, der in seiner Konsequenz dahin führen müßte — diesen Gedanken einmal zu Ende gedacht -, daß wir in der Bundesrepublik zum Absturz und zur Ablösung des gegenwärtigen parlamentarischen Systems gelangen würden. Das ist von niemandem gewollt, das hat niemand beabsichtigt, und dem werden wir auch nicht das Wort reden.Soweit Otto Brenner.Ich kann nur hoffen, daß einige der Befürworter der Anwendung von Gewalt das in diesem wie in anderen Völkern aufgestaute, von rechten Extremisten mobilisierbare Aggressions-, Brutalitäts- und Repressionspotential nicht unterschätzen.Wer sich wundert, daß der Widerstand gegen die Notstandsgesetzgebung einen so überraschend großen Widerhall gefunden hat, der sollte sich fragen, ob dieses positive Echo nicht darauf zurückzuführen ist, daß hier eine Summierung von Faktoren vorliegen muß. Große Gruppen unserer Bevölkerung glauben einfach nicht mehr, Einfluß auf die Entscheidungen der Führungsgremien formal demokratisch aufgebauter Organisationen nehmen zu können. Der einzelne Bürger bezweifelt in zunehmendem Maße, ob die Bürokratien von Staat, Wirtschaft, Parteien, Unternehmen und Gewerkschaften noch von ihm beeinflußbar sind. Die Radikalisierung des Protestes, insbesondere bei den Jugendlichen und Studenten -und das sind ja, vielleicht könnten Sie sich in einer stillen Stunde diesen Aspekt der Angelegenheit einmal durch den Kopf gehen lassen, nicht in ihrer überwältigenden Mehrheit Kinder sozialdemokratischer Wähler —, entspringt nicht zuletzt auch der Tatsache, daß wir uns verpflichtet fühlten oder uns gegenseitig gezwungen haben, die Wahlkämpfe nach den Prinzipien kommerzieller Reklame und nicht auf der Grundlage differenzierter politischer Argumentationen zu führen.Nicht zuletzt signalisieren diese Proteste ein allgemeines Unbehagen an der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik. Die I Debatte um den Bildungsnotstand wurde jahrelang als Hysterie abgetan, so daß wir jetzt auf die subjektiven und objektiven Konsequenzen der explosiven Entwicklung in den Wissenschaften nicht vorbereitet sind. Planung und Vorausschau waren jahrelang nicht respektable Wörter. Die Sozialreform verfranste sich in Kostenbeteiligungsplänen und ähnlichem.In den letzten Jahren sind eine Reihe zentraler Konflikte und Probleme dieser Gesellschaft in den demokratischen Institutionen, in Parlamenten, Parteien und Organisationen nicht mehr voll ausdiskutiert worden. Man könnte sogar davon sprechen, daß sich das Klima für ernsthafte politische Diskussionen, z. B. durch die viel zu lange betriebene systematische Verketzerung politischer Gegner und durch die Diskriminierung politischer Minderheiten, verschlechtert hat. Zu den nicht ausdiskutierten oder nicht als diskussionsfähig betrachteten zentralen Konflikten und Problemen gehören u. a. die von den Regierungen nicht betriebene systematische Aufklärung der Bevölkerung über die Folgen eines nuklearen Vernichtungskrieges in Mitteleuropa, unsere Stellung zum Bürgerkrieg in Vietnam, zu den in Europa bestehenden oder neu entstandenen, unsere Freiheit angeblich mitverteidigenden Diktaturen oder autoritären Systemen in Griechenland, Portugal und Spanien. Zu den in der politischen Diskussion tabuisierten Themen gehörten auch die unterbliebene Demokratisierung unserer Universitäten und Schulen, faktische Bildungsprivilegien und Bildungsbarrieren in unserem Lande, die Entstehung von
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9634 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
MatthöferMonopolen im Pressewesen und die damit verbundene Einschränkung der Meinungs-, Informations-und Pressefreiheit und jetzt wieder als neuestes Beispiel aus dieser Debatte die Konsequenzen des in Art. 87 a Abs. 4 vorgesehenen Einsatzes der Bundeswehr im Innern und die daraus sich ergebenden Rückwirkungen auf die Normalzeit.Wer die Gesetzgebung in Bund und Ländern seit 1949 aufmerksam verfolgt, wird feststellen müssen, daß die für Grundrechte bestehenden Einschränkungsmöglichkeiten immer stärker ausgenutzt wurden. Eine wirklich genaue Aufstellung oder gar eine geschlossene Analyse aller seit 1949 vorgenommenen Grundrechtseinschränkungen gibt es bezeichnenderweise nicht. Gäbe es sie, sie würde manchen der hier Anwesenden zum Erstaunen bringen. Die wahre Bedeutung dieser Grundrechtseinschränkungen kann zudem nur dm Zusammenhang mit der Gesamtentwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft in der Bundesrepublik richtig beurteilt werden. Dazu gehört die mit der Unternehmenskonzentration parallel laufende Zusammenballung großer Vermögen in wenigen Händen genauso wie die schon erwähnten Monopolbildungen im Pressewesen, die Aushöhlung der Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer sowie eine Arbeitsrechtsprechung, die Bewegungsspielraum und Kampfmöglichkeiten der Gewerkschaften immer mehr einzuschränken versucht.Durch dieses von uns heute zu verabschiedende Gesetz wird nun — daran kann doch wohl auch bei denjenigen von uns, die die vorliegenden Entwürfe uneingeschränkt bejahen, kein Zweifel bestehen — der Prozeß der vielleicht unbeabsichtigten Erosion und Minimalisierung unserer Grundrechte — manchmal sogar ohne eine aus der zu regelnden Sache sich ergebenden Notwendigkeit — wieder ein kleines Stück vorangetrieben. Manchmal scheint es nur fehlende organisatorische Phantasie oder die mangelnde Bereitwilligkeit, finanzielle Mittel einzusetzen, zu sein, die uns veranlassen, Grundrechte einzuschränken. Dieser einseitigen Einschränkung, die insbesondere die Arbeitnehmer trifft, steht keine vergleichbare Ausweitung von Grundrechten auf anderen Gebieten gegenüber und — was genauso bemerkenswert ist — in Zeiten angeblich gemeinsamer Not auch keine Einschränkung von Verfügungsmacht oder von Gewinnchancen, die sich aus dem Privateigentum an den Produktionsmitteln ergeben.Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir hier nicht Gesetze verabschieden, die erst durch ihre Anwendung Bedeutung bekommen. Auch wenn diese Gesetze in unserer Zeit nicht angewandt werden sollten — wir wollen uns ja alle Mühe geben, und der Herr Bundesaußenminister und Vizekanzler hat das heute morgen eindrucksvoll dargelegt, eine Politik der Entspannung, der Abrüstung und der sozialen Reformen zu betreiben, die Zustände herbeiführt, in denen die Anwendung nicht nur überflüssig, sondern geradezu unmöglich wird —, so wird doch durch ihre bloße Existenz die gesellschaftliche und politische Realität der Bundesrepublik unmerklich verändert und in unseren Behörden die Schubladenverordnungsmentalität nicht vollständig beseitigt, die sich, in den Worten des DGB, nur das„Konzept einer perfektionistischen, bürokratisch gesteuerten und auf obrigkeitsstaatliche Reglementierung abgestellten Notstandsplanung" als möglich vorstellen kann. Hinzu kommt, daß diese Gesetze als Gesamtkomplex unter Umständen geeignet sein könnten, denjenigen in die Hände zu arbeiten, die „Ordnung" und „Unbeweglichkeit" mit Demokratie verwechseln.Wenn ich also dieses Gesetzgebungswerk auch als Teil einer — keineswegs bewußt geförderten — schleichenden Entdemokratisierung auffassen muß, so bin ich doch gleichwohl nicht der Meinung, mit seiner Verabschiedung werde eine hier und heute schon vorliegende, unmittelbare, akute Gefahr für den Bestand unserer Demokratie geschaffen, und schon gar nicht eine Gefahr für den Frieden. Wie könnte dieses Gesetzgebungswerk den Frieden gefährden, wenn z. B. in Zukunft, im Gegensatz zur augenblicklichen Rechtslage, über Mobilmachungsmaßnahmen eben nicht mehr frei von der Exekutive der Bundesrepublik entschieden werden kann? Es besteht aber die Möglichkeit des Mißbrauchs. Ob es allerdings zu Mißbrauch kommen kann, in Situationen, die wir alle nicht vorhersehen können, wird letzten Endes davon abhängen, wie sich von nun an in der Bundesrepublik die gesellschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse entwickeln. Was ich jetzt sage, wird vielleicht manchen im Lande und in diesem Hause zum Widerspruch veranlassen; es ist aber trotzdem wahr. Gerade weil es nach Verabschiedung dieses Gesetzes Möglichkeiten des Mißbrauchs geben könnte, brauchen wir in Zukunft eine Stärkung der demokratischen Kräfte in diesem Lande, und niemand wird es mir übelnehmen, wenn ich dazu vorzugsweise die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und die Gewerkschaften zähle. Ich kann deshalb nur hoffen, daß einige der Organisatoren des Widerstandes gegen eine Notstandsgesetzgebung nicht die Entwicklung so gelenkt haben, wie sie in den letzten Tagen verlaufen ist, weil sie in Wirklichkeit in der nächsten Phase der Entwicklung eine Schwächung gerade dieser Kräfte im Sinn haben.Der lange, weite Bevölkerungskreise erfassende, zum Teil erfolgreiche Kampf gegen eine die Grundrechte unnötig einschränkende Notstandsgesetzgebung hatte sicher doch auch die positive Wirkung, die Bedeutung der Grundrechte für die Stabilität unserer Demokratie mit großer Eindringlichkeit in das Bewußtsein der Masse der Arbeitnehmer zu heben. Es wird jetzt von vielen Bürgern klarer als vorher gesehen, daß die in unserer Verfassung verankerten Grundrechte nicht unabänderlich sind, daß ihre Festlegung in aller Regel das Ergebnis von Auseinandersetzungen zwischen sozialen Kräften ist, daß man diese Rechte schmälern oder ausweiten, angreifen oder verteidigen kann.Wer gemeinsam mit uns in diesem Hause die Demokratisierung aller Lebensbereiche unserer Gesellschaft anstrebt, der hat keinen Grund, nach der Verabschiedung dieser Gesetze zu resignieren. Jetzt ist vielmehr die Zeit, zur Offensive überzugehen und das durch Kritik, Diskussion und Protest geschaffene demokratische Potential zu nutzen zum
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9635
MatthöferKampf für die Ausweitung und Festigung der politischen Demokratie, zur Demokratisierung der Hochschulen, zum Kampf für die Erweiterung des Freiheitsbereichs des einzelnen Arbeitnehmers an seinem Arbeitsplatz und im Betrieb, aber auch zum Kampf um reale und nicht nur formale Demokratie in unseren Parteien und Gewerkschaften. Letzten Endes hat die Auseinandersetzung um die Notstandsgesetze auch gezeigt, daß es für die Gewerkschaften angebracht wäre, sich zu überlegen, wie sie ihre organisatorischen Möglichkeiten in größeren politischen Einfluß in den Parteien umsetzen könnten. Beide Regierungsparteien könnten nach meiner Auffassung dadurch nur gewinnen.Auch der Deutsche Bundestag steht vor der dringenden Aufgabe, zu einer Demokratisierung unserer Institutionen beizutragen. Wir sollten noch in diesem Jahre das von der SPD-Fraktion vorgelegte Gesetz über den politischen und staatsbürgerlichen Bildungsurlaub verabschieden. Nachdem wir ein unserem heutigen Demokratieverständnis entsprechendes politisches Strafrecht geschaffen haben, sollten wir dem französischen Beispiel und den Anregungen unseres Bundesjustizministers im Sinne der gestrigen Ausführungen des Abgeordneten Dr. Arndt folgen und schnell ein Gesetz verabschieden, das denjenigen eine Amnestie bringt, die unter dem übermäßig harten politischen Strafrecht der vergangenen Jahre gelitten haben, und das — auf beiden Seiten — auch jene erfaßt, die im Zusammenhang mit den politischen Unruhen seit dem 2. Juni des vergangenen Jahres Straftaten begangen haben, wobei ich selbstverständlich Tötungsdelikte und Brandstiftung ausnehme.Lassen Sie mich zum Schluß der Hoffnung Ausdruck geben — zu dieser Hoffnung ermutigt mich ganz besonders die sachliche, politische Gegensätze respektierende Art der Auseinandersetzung, die sich in der Haltung insbesondere jüngerer CDU/ CSU-Abgeordneter in dieser Diskussion ausdrückt; ich möchte als Beispiel für viele den Berichterstatter des Rechtsausschusses, Herrn Dr. Lenz, erwähnen —, daß mit der Verabschiedung dieser Gesetze auch jene Ära der deutschen Politik beendet sein möge, in der alternative Lösungsvorschläge der jeweiligen parlamentarischen Opposition, etwa zur Sicherung des Friedens, d. h. zur Erhöhung der Überlebenschance unseres Volkes, von der jeweiligen Regierungspartei zu Schlaginstrumenten in der innerpolitischen Auseinandersetzung, um einen neuen Ausdruck zu gebrauchen: umfunktioniert werden konnten.Ich bin einigermaßen sicher, daß diese Hoffnung in beiden Regierungsfraktionen weit verbreitet ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Even.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach zehnjähriger öffentlicher und umfassender Diskussion ist jetzt die Stunde der Entscheidung durch das vom Volk frei gewählte Parlament gekommen. Niemand kann sich darüber überrascht zeigen. Im Bundestagswahlkampf 1965 ist vor allen Wählern klar herausgestellt worden, daß der neue Bundestag die erforderliche Notstandsvorsorge treffen müsse. Alle Parteien, die im Bundestag vertreten sind, haben sich damals für eine Grundgesetzergänzung und für eine Vorsorgegesetzgebung ausgesprochen.
Sie alle sind für die Ablösung der alliierten Notstandsrechte eingetreten. Danach ist erneut drei Jahre diskutiert worden. Ein neuer Regierungsentwurf, inzwischen der dritte, wurde vorgelegt. Der Bundesrat hat ihn bei seiner ersten Stellungnahme in allen wesentlichen Punkten gebilligt. Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Änderungen sind berücksichtigt worden. Im Juni 1967 fand die erste Lesung der Notstandsverfassung und des Gesetzes zu Art. 10 des Grundgesetzes im Deutschen Bundestag statt. Danach gab es monatelange Beratungen im Rechts- und Innenausschuß. Diese beiden Ausschüsse haben fünf ganztägige öffentliche Anhörungen von bekannten Wissenschaftlern, Verbandsvorsitzenden und anderen Sachverständigen abgehalten. Diese Hearings sind von Rundfunk und Fernsehen übertragen worden und haben eine ausführliche Berichterstattung in der Presse gefunden.Die führenden Gegner einer Notstandsverfassung sind dabei ausgiebig zu Wort gekommen. Ihre Argumente und Einwände wurden sorgfältig geprüft und beraten. Viele Bedenken und sonstige Erkenntnisse aus den öffentlichen Anhörungen haben ihren Niederschlag in den Ausschußberatungen und in den Beschlüssen des Bundestages gefunden. Dabei sind auch die Anregungen verwertet worden, welche die Abgeordneten in Tausenden von Versammlungen im Gespräch mit ihren Wählern mit auf den Weg bekommen haben. In vielen dieser Versammlungen hat es übrigens im Gegensatz zu den Vorwürfen der Gegner einer Vorsorgegesetzgebung warnende Stimmen gegeben, die sich dahin äußerten, der Gesetzgeber stehe zu sehr unter dem Eindruck der Angst vor Mißbrauch und berücksichtige zu wenig das Erfordernis eines schnellen und wirksamen Handelns in Zeiten der Not. Ebenso muß daran erinnert werden, daß eine ganze Reihe namhafter Gegner der Vorsorgegesetzgebung jahrelang eine viel einschneidendere Gesetzgebung verlangt hat, als sie vorgesehen ist, nämlich ein Notverordnungsrecht der Bundesregierung im Verteidigungsfall.Insgesamt haben die Diskussionen gezeigt, daß in den breiten Schichten unserer Bevölkerung volles Verständnis für die Notwendigkeit einer rechtzeitigen Vorsorge besteht. Die lautstarke antiparlamentarische Opposition entspricht in keiner Weise der Meinung der Mehrheit der Bevölkerung.
Die Diskussionen und Stellungnahmen der letzten Wochen haben eindeutig erwiesen, daß keine neuen Argumente mehr vorgebracht werden. Teile der Kritik sind sogar in plumpe Agitation mit wahrheitswidrigen Behauptungen und falschen Zahlenangaben umgeschlagen. So wird in jüngster Zeit behauptet, die Vorsorgegesetzgebung werde geradezu astro-
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Dr. Evennomische Milliardensummen kosten. Meine Damen und Herren, diese Zahlenangaben entbehren jeder Grundlage und sind frei erfunden. Die Anwendung solcher Methoden beweist aber, daß den radikalen Opponenten sachlich überzeugende Argumente nicht zu Verfügung stehen und daß es ihnen nicht um Aufklärung, sondern um Verwirrung geht.
Tatsächlich sind in den jahrelangen Beratungen alle Meinungen, Bedenken, Anregungen sorgfältig erwogen, geprüft und beraten worden. Viele sind berücksichtigt worden. Andere mußten verworfen werden, weil entgegengesetzte Argumente stärker waren. Es gibt kein Gesetz in der deutschen Nachkriegsgeschichte, das gründlicher beraten worden ist als das hier vorliegende.
Allerdings, meine Damen und Herren, scheint es Kräfte zu geben, welche die Diskussion immer wieder von vorn beginnen möchten, um die Beratungen ins Unendliche zu verlängern. Ihnen geht es offenbar überhaupt nicht um die Sache, sondern allein darum, die Gesetzgebung zu Fall .zu bringen. Das Groteske besteht darin, daß die Berücksichtigung von Bedenken, die sich in einer Änderung, einer Verbesserung des Gesetzestextes niedergeschlagen hat, nicht etwa begrüßt, sondern lediglich zum Ansatzpunkt der Behauptung mißbraucht wird, nunmehr liege ein neuer Text vor, der von neuem in voller Breite diskutiert werden müsse. Dadurch soll eine endlose Diskussion heraufbeschworen werden, durch die das Parlament unfähig zu einer Entscheidung gemacht würde. Diese Kreise wollen, meine Damen und Herren — um die Ausdrucksweise der soziopolitologischen Exzentriker zu gebrauchen —,
die Umfunktionalisierung der permanenten Diskussion zur permanenten Manipulation.
Teilweise hat man geradezu den Eindruck, daß die Notstandsgesetzgebung nur als Vorwand benutzt wird und daß in Wahrheit nicht die Vorsorgegesetzgebung, sondern unser Staat schlechthin getroffen werden soll.
Daher ist nunmehr die Zeit reif für die endgültige Entscheidung.Welches sind — noch einmal zusammengefaßt — die ausschlaggebenden Gründe für die Vorsorgegesetzgebung, welchen Zweck verfolgen wir? Es geht allein um die Vorsorge für den Schutz des Lebens und der Freiheit der Barger. Es geht allein um die Erhaltung und Verteidigung der Demokratie gegen ihre Feinde von außen und innen. Alle gegenteiligen Behauptungen sind üble Verleumdungen.
Der Staat muß für die Gesamtheit der Bürger genauso vorsorgen, wie es auch kleinere Gemeinschaftenin der Gesellschaft tun. So wie der einzelne und dieFamilie für Wechselfälle des Lebens vorsorgen, so ist auch der Staat verpflichtet, für Notzeiten die mögliche Vorsorge zu treffen. Der Bundestag würde verantwortungslos handeln, wenn er sich dieser Vorsorgepflicht entzöge, die auf allen Ebenen menschlicher Gesellschaft notwendig ist.
Alle Länder der Welt besitzen Regelungen für Notzeiten. Die kommunistischen Diktaturen gewähren schon in normalen Friedenszeiten ihren Bürgern weit weniger Rechte, als das bei uns im krassesten Notstand möglich wäre.
Für Gefahrenzeiten ist dort der Fortfall auch der letzten Restbestände der Grundrechte vorgesehen. Es muß scharf zurückgewiesen werden, wenn ausgerechnet aus Ost-Berlin störend in unsere Diskussion eingegriffen wird.
Denn dort hat längst die Volkskammer durch Generalermächtigung dem kommunistischen Staatsrat unumschränkte Diktaturvollmachten bei Gefährdungen des Regimes gegeben. Es ist übrigens nicht bekanntgeworden, daß damals die Sowjetunion dagegen protestiert hätte. Daß solche antidemokratischen Regelungen für uns nicht diskutabel waren, braucht nicht näher begründet zu werden.Aber auch in den demokratisch regierten Ländern sind rechtliche und tatsächliche Vorkehrungen für Zeiten der Not vorgesehen. Sie betreffen die Frage der Handlungsfähigkeit der demokratischen Organe, die lebenswichtige Versorgung der Bevölkerung und die Herstellung der vollen Verteidigungsbereitschaft in Spannungszeiten und im Verteidigungsfall. In allen diesen Ländern wird es als selbstverständlich angesehen, daß der Staat im Interesse aller Bürger solche Vorkehrungen treffen muß. In allen diesen Ländern fühlen sich die Parlamente verpflichtet, für schwere Notzeiten vorzusorgen.Unser Grundgesetz enthält bisher solche notwendigen Regelungen nicht. Insoweit war unser Grundgesetz von Anfang an lückenhaft. Wäre es möglich gewesen, schon 1949 bei der Verabschiedung des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat die Fragen der Landesverteidigung und des Notstandes in einem Guß mit einzubeziehen, wären unserem Land viele politischen Zerreißproben erspart geblieben. So standen wir von Anfang an unter der Schwierigkeiten, daß zunächst einmal der Katalog der Grundrechte verabschiedet wurde und daß der notwendig damit zusammenhängende Katalog der Grundpflichten aller Bürger nachgeschoben werden mußte. Darin liegt die eigentliche psychologische Belastung dieser ganzen Notstandsdiskussion.
Diese Lücke in unserer Verfassung hinsichtlich der Notstandsregelung wird bis zur Stunde ausgefüllt durch alliierte Rechte der drei Westmächte, die sich noch aus der bedingungslosen Kapitulation von 1945 und dem Besatzungsrecht ergeben. Diese alliier-
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Dr. Eventen Notstandsrechte haben sich die drei Westmächte im Deutschlandvertrag von 1955 ausdrücklich vorbehalten. Sie entziehen sich unserer parlamentarischen und gerichtlichen Kontrolle und schaffen durch ihre Unbestimmbarkeit eine geradezu beklemmende Rechtsunsicherheit. Das noch geltende alliierte Notstandsrecht läßt fast unbeschränkte Eingriffe in unsere Grundrechte und unseren demokratischen Staatsaufbau zu. Die Alliierten haben sich damals aber gleichzeitig verpflichtet, diese Notrechte als erloschen zu betrachten, wenn sich die Deutschen selber eine sinnvolle Vorsorgegesetzgebung geben würden. Gerade vom demokratischen Standpunkt her muß demnach eindringlich eine deutsche Notstandsverfassung gefordert werden, welche die alliierten Notstandsrechte beseitigt. Es ist daher ebenso bedauerlich wie unverständlich, wenn mit der Behauptung, die Demokratie werde beeinträchtigt, die Verabschiedung der Notstandsverfassung kritisiert wird. Meine Damen und Herren, das genaue Gegenteil ist richtig. Die Grundgesetzergänzung wird die gegenwärtige Rechtslage auf diesem Gebiet demokratisieren. Der Bürger wird nicht nur entgegen der jetzigen Rechtsunsicherheit Klarheit gewinnen, er wird auch wesentlich mehr Rechte haben in der Stunde der Not, als er sie besitzen würde, wenn es bei dem gegenwärtigen Zustand bliebe.Die Alliierten haben nunmehr rechtsverbindlich erklärt, daß sie ihre Notstandsrechte aus dem Deutschlandvertrag als erloschen betrachten, wenn die deutsche Vorsorgegesetzgebung in der vorliegenden Form in Kraft tritt. Es wäre vom demokratischen wie vom deutschen Standpunkt her unverantwortlich, wenn der Bundestag von dieser Gelegenheit, die deutschen Bürger in Notzeiten sicherer und freier zu machen, keinen Gebrauch machenwürde.
Das Kernproblem einer demokratischen Notstandsvorsorge liegt dabei in folgendem: Sie soll zugleich wirksam und mißbrauchssicher sein; denn einerseits muß erreicht werden, daß in Zeiten höchster Gefahr die notwendigen Abwehrkräfte schnell und wirkungsvoll eingesetzt werden können. Zum Schutz des Lebens und der Freiheit der Bürger muß unverzüglich das Erforderliche geleistet werden. Das bedingt eine Straffung der Staatsorganisation und die Gewährleistung handlungsfähiger demokratischer Staatsorgane. Zur Abwehr der gemeinsamen Gefahr bedingt das aber auch die Bereitschaft der Bürger, vorübergehend Opfer auf sich zu nehmen, und wir haben überhaupt keine Veranlassung, diese Opfer zu verstecken. Im Gegenteil, wir sind der Überzeugung, daß unser Staat und unsere freiheitliche Ordnung es wert sind, zu ihrer Erhaltung und Verteidigung Opfer zu bringen.
Das andere Erfordernis einer rechtsstaatlichen Notstandsvorsorge liegt darin, uns alle vor einem möglichen Mißbrauch zu schützen. Es müssen Vorkehrungen getroffen werden, die verhindern, daß die Staatsgewalt entgegen dem Zweck der Notstandsvorsorge ihre Rechte mißbraucht und dieDemokratie gefährdet Diese Furcht vor Mißbrauch hat in allen Beratungen eine zentrale Rolle gespielt. Aus den schmerzlichen Erfahrungen der jüngeren deutschen Geschichte mußten die Folgerungen gezogen werden. Das ist soweit überhaupt möglich geschehen. Man muß sagen, daß es heute überhaupt kein Land auf der Welt gibt, das einen möglichen Machtmißbrauch öffentlicher Gewalt so fürchtet und verabscheut wie unser Land. Es ist daher auch für Notzeiten ein geradezu perfektes System der gegenseitigen Kontrollen und Rechtsgarantien errichtet worden. Die parlamentarische Kontrolle der Exekutive ist in jeder Phase sichergestellt, und das Parlament unterliegt seinerseits ständig der Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts. Ohne Anflug von Selbstüberhebung kann gesagt werden, daß es in der ganzen Welt keine Rechtsordnung gibt, die einen vollkommeneren Rechtsschutz auch in Zeiten der Not gewährleisten würde. Und für den Fall, daß trotzdem unter Bruch der Verfassung und unter Ausschaltung der vorgesehenen Rechtsschutzorganisation versucht werden sollte, die freiheitliche Ordnung zu beseitigen, ist das Widerstandsrecht aller Deutschen gegen die Verfassungsfeinde ausdrücklich anerkannt worden. Meine Damen und Herren, wem das alles immer noch nicht genügt, der muß sich die Frage gefallen lassen, ob es ihm überhaupt ernst ist mit einer wirksamen Verteidigung der Demokratie nach außen und innen.
Würden wir der Demokratie noch mehr Möglichkeiten nehmen, sich ihrer Feinde zu erwehren, müßte das zur Selbstfesselung und damit zur völligen Lähmung ihrer Abwehrkräfte führen. Das würde allein den Feinden der Demokratie zugute kommen.Das Beratungsergebnis, das nunmehr vor uns liegt, ist ein Kompromiß.
Es ist keine Idealgesetzgebung, die es übrigens gar nicht geben kann. Es ist ein Kompromiß, der für viele von uns Wünsche offenläßt, aber unter jedem sachlichen Gesichtspunkt vertretbar ist. Wenn jeder seine eigenen Vorstellungen voll verwirklicht sehen wollte, würde es überhaupt zu keinem Gesetz kommen. Ein Parlament, das nicht bereit ist, sich auf einen Kompromiß in einer so vitalen Lebensfrage unseres Volkes zu einigen, verurteilt sich selber zur Ohnmacht.
Es würde durch diese Selbstlähmung geradezu den Schrei nach einer Diktatur herausfordern.Darum steht nunmehr der Bundestag vor der Aufgabe, sich als frei gewählte Vertretung unseres Volkes zu bewähren. Von bestimmten Minderheiten — ich betone: von bestimmten Minderheiten —, die sehr lautstark sind, aber nicht die Mehrheit des Volkes repräsentieren, werden wir in diesen Tagen unter schweren Druck gesetzt, unter einen Druck, der teilweise an Terror grenzt. Meine Damen und Herren, daraus ergibt sich nur eine Konsequenz: dies ist die Stunde der Bewäh-
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Dr. Evenrung auch für jeden einzelnen Abgeordneten. Erhat sich frei zu entscheiden, wie es ihm Art. 38des Grundgesetzes zur Pflicht macht, in dem es heißt:Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzenVolkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.Daher müssen wir jetzt deutlich machen, daß wir in Wahrung der Belange des ganzen Volkes nicht bereit sind, uns dem Druck einer Minderheit zu beugen.
Würden wir dies tun, hätte der Parlamentarismus in Deutschland zum zweiten Male praktisch abgedankt. Daher begrüßen wir den einstimmigen Beschluß des Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes, daß er trotz Bedenken in mehreren Fragen die Entscheidung des Parlaments respektieren werde.
Wir begrüßen es ebenfalls, daß sich die Deutsche Angestelltengewerkschaft noch wesentlich positiver geäußert und klargestellt hat, daß sie die entscheidenden Verbesserungen anerkenne.
Jeder überzeugte Demokrat in unserem Lande wird so handeln. Ich bin sicher, daß die überwiegende Mehrheit unserer Bevölkerung diesem Beispiel folgen wird. Sie erwartet von uns, daß wir das seit vielen Jahren offene Problem endlich auf Grund einer freien Gewissensentscheidung, die wir nach sorgfältiger Abwägung getroffen haben, lösen.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird der Grundgesetzergänzung zustimmen, weil es erstens nicht nur das Recht, sondern vor allem die Pflicht eines verantwortungsbewußten Parlaments ist, für Notzeiten die mögliche Vorsorge zu treffen, weil zweitens das alliierte Notrecht durch die Grundgesetzergänzung abgelöst wird und damit eine klare, demokratische Regelung in Kraft treten kann, weil drittens die gefundene Lösung an freiheitlichem Gehalt von keiner Verfassung der Welt übertroffen wird
und weil viertens durch die Grundgesetzergänzung jeder Staatsbürger zur Mitverantwortung für den gemeinsamen Schutz unserer freiheitlichen Ordnung aufgerufen wird.Meine Damen und Herren! Wir stimmen der Grundgesetzergänzung in der Gewißheit zu, daß die Bundesregierung auch in Zukunft eine Politik betreiben wird, die allein das Ziel verfolgt, uns die Freiheit zu sichern und den Frieden zu erhalten, und die demnach darauf gerichtet ist, die Anwendung der Vorsorgegesetzgebung unnötig zu machen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Scheel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir stehen am Ende einer der bedeutendsten Debatten dieses Hohen Hauses. Und die Zukunft wird zeigen, ob sie zu der bedeutendsten Entscheidung für den demokratischen Rechtsstaat in Deutschland geführt hat. Rechte, die bisher den Alliierten vorbehalten waren, sollen in die Zuständigkeit der deutschen Stellen übergehen. In diesem Ziel stimmten alle Parteien des Hohen Hauses überein.Die alliierten Vorbehaltsrechte waren die denkbar schlechteste Regelung für den Ernstfall. In jahrelangen Beratungen haben wir uns nun bemüht, eine deutsche Regelung zu entwickeln. Dabei gingen wir Freien Demokraten von dem Grundsatz aus, daß unsere Verfassung die Grundlage unserer freiheitlichen, parlamentarischen Demokratie ist, die unter allen Umständen erhalten werden muß. Auch die „Stunde der Not" darf auf keinen Fall die „Stunde der Exekutive" werden, wie es einmal lautete.
Es galt, die Exekutive auch im Verteidigungsfall parlamentarisch zu kontrollieren. Im Verlauf der jahrelangen Diskussion haben wir Erfahrungen gesammelt; auch auf unserer Seite kamen neue Argumente hinzu. Entscheidend wurden unsere Überlegungen durch die bestürzenden Erfahrungen bestimmt, die wir bei der Teilnahme an der NATOStabsrahmenübung Fallex 66 machen mußten. Wir Freien Demokraten mußten uns nun an die Arbeit machen, um unsererseits einen vollkommen neuen Gesetzentwurf zu erarbeiten; denn die Praxis — das haben wir alle erfahren — sah ganz anders aus, als wir es erwartet hatten. Wir mußten nämlich einsehen, daß die jahrelangen theoretischen Erörterungen uns allen ein perfektionistisches Gesetzeswerk zu bescheren drohten, das der Wirklichkeit unseres Staates — auch im Falle der Not — nicht gerecht werden würde.Vielleicht haben alle Fraktionen dieses Hauses versucht, diese Erkenntnisse beim Fortgang der Beratungen zu berücksichtigen. Mir scheint aber zumindest — und das werden Sie mir gestatten —, daß dies uns Freien Demokraten — zum Leidwesen des einen oder anderen in diesem Hause — am konsequentesten gelungen ist. Wir waren nicht mehr an den Kompromiß in Koalitionen gebunden, wie er für die Koalitionsfraktionen nun einmal als Notwendigkeit besteht. Wir waren auch frei von den immer hörbareren Einflüssen der Formulierungshilfe einer Ministerialbürokratie. Und — das muß jetzt einmal gesagt werden — es ist uns trotzdem gelungen, mit Hilfe unserer Fraktionsfreunde Busse, Dorn und Diemer-Nicolaus, deren Unterschriften unter unserem Entwurf stehen, eine Gesetzesvorlage einzubringen, die alle Kennzeichen einer staatsbürgerlichen Verantwortung unserer Fraktion für unser Land trägt.Der Herr Bundesaußenminister hat — wie ich meine — die bestehende Rechtslage heute vormittag zutreffend dargestellt. Eben diese war der Grund für uns, dem Kompromißentwurf der Koalitionsfraktionen einen eigenen Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung
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Scheelh der rechtsstaatlichen Ordnung im Verteidigungsfall gegenüberzustellen, weil auch wir der Meinung sind, daß in der Bundesrepublik alliiertes Recht nur beseitigt werden kann, wenn deutsches Recht an seine Stelle gesetzt wird.Einem Irrtum aber darf man nicht erliegen, der heute morgen hier leicht aufkommen konnte: die Vorlage der Koalitionsfraktionen nämlich sei die einzige Möglichkeit, die alliierten Vorbehaltsrechte abzulösen. Das ist sicher nicht der Fall. Ich bin davon überzeugt, daß auch der Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte geführt hätte.
Unser Entwurf trug diesen Gesichtspunkten Rechnung; denn uns ging es ja darum, erstens die Beschränkung von unumgänglichen Eingriffsmöglichkeiten in die Rechte unserer Bürger zeitlich auf den Eintritt des Verteidigungsfalles und sachlich auf das Vorhandensein einer konkreten Gefahr, die mit anderen Mitteln nicht abgewendet werden kann, zu begrenzen und zweitens die Funktionsfähigkeit des Gesamtparlaments zu sichern, seine Rechte und die möglichst rache Wiederherstellung .seiner Aktionsfähigkeit zu wahren, sofern diese durch die Auswirkung bewaffneter Konflikte beeinträchtigt werden.Entsprechend dem Geist derer, die unsere Verfassung schufen, haben wir uns in unserem Entwurf bemüht, alle im Verteidigungsfall notwendigen Maßnahmen unter der Kontrolle des Parlaments zu halten. Die Ziele unseres Entwurfs unterscheiden sich insoweit maßgeblich von den Regelungen, die die Regierungsfraktionen heute beschließen werden. Unsere Mitarbeit an der Gesetzgebung hat sich in erster Linie an der Sicherung und dem Schutz der Grund- und Freiheitsrechte der Bürger und der Rolle des Parlaments für die Sicherung der Demokratie in Deutschland orientiert.Der Herr Bundesaußenminister hat vorhin mit Recht gesagt, die Bundesrepublik solle sich nicht zum Richter über unsere französischen Freunde machen. Das meinen wir Freien Demokraten auch. Aber ohne Zweifel können wir doch eine Erkenntnis aus den französischen Ereignissen der letzten Tage auf unsere eigene innere Situation anwenden: Die Probleme des 20. Jahrhunderts lassen sich nicht mehr mit autoritären Verfassungsstrukturen und mit sogenannten starken Männern meistern.
Nicht nur die junge Generation in vielen Ländern der Welt will, daß sich freiheitliche Gesellschaftsordnungen in zunehmendem Maße durchsetzen. Der von den Regierungsfraktionen vorgelegte Kompromißentwurf fördert diese Entwicklung in unserem Lande jedenfalls nicht, wie wir uns das gewünscht haben.Mehrfach haben wir Freien Demokraten von der Regierungsbank und den Regierungsfraktionen hören müssen, durch die Verabschiedung der Verfassungsänderungen und der einfachen Notstandsgesetze ändere sich tatsächlich nichts, sie ruhten, sie würden unser Leben zunächst überhaupt nicht beeinflussen. Wir sind da anderer Ansicht.Lassen Sie mich das erläutern. Als erstes Beispiel für eine sofortige Beeinträchtigung eines der tragenden Rechte unserer Bürger darf ich die Neuregelung zu Art. 10 und — nachher — zu Art. 19 nennen. Die Beseitigung der Garantie des Rechtsweges für einen zu Unrecht von Abhörmaßnahmen Betroffenen bedeutet für uns Freie Demokraten eben den ersten Schritt zur Beseitigung einer der überragenden Verfassungsgrundsätze unseres Staates zum Rechtsschutz seiner Bürger. Wir können uns schon nicht bereit finden, diesen ersten Schritt der Regierungsparteien mit zu vollziehen.
Beispiel Nr. 2, diesmal für die Auffassung der Regierungsfraktionen von der Bedeutung des Parlaments, zu der wir uns in einem entscheidenden Gegensatz befinden: Dieses Beispiel bietet die sogenannte Bündnisklausel in Art. 80 a. Die Möglichkeit der Bundesregierung, auf Grund von Entscheidungen im Rahmen eines Bündnisvertrages ohne vorherige Zustimmung oder wenigstens nachträgliche Genehmigung durch das Parlament Rechtsvorschriften in Kraft zu setzen, entspricht nicht der Bedeutung, die diesem Hohen Hause in unserer Verfassung eingeräumt ist.Die im Koalitionsentwurf vorgesehene Möglichkeit, mit einem qualifizierten Quorum die Auswirkungen derartiger Entscheidungen später zu korrigieren, reicht nach unserer Meinung bei weitem nicht aus, weil innenpolitische Folgen längst eingetreten sein können und in vielen Fällen nicht mehr nachträglich zu beseitigen sind.
Der Exekutive wird für ihre Mitwirkung an einer derartigen Bündnisentscheidung ein Maß an moralischer Verantwortung aufgebürdet, das ihr nach dem Willen des Grundgesetzes nicht zugedacht war.
Andererseits wird die Entscheidung des Parlaments in einer Weise hintangestellt und werden Voraussetzungen dafür geschaffen, die seiner Bedeutung als Kontrollorgan der Regierung und als Entscheidungsorgan unseres Volkes in gar keiner Weise gerecht werden.Gegen die Stimmen der liberalen Opposition haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU und der SPD, eine Verfassungsentscheidung getroffen, mit der die Gewichte in nicht mehr zu vertretendem Umfange vom Parlament auf die Regierung verlagert werden. Die beiden einschneidenden Regelungen, die ich nur als Beispiele zitiert habe, hat meine Fraktion durch Anträge zu ändern versucht, die wir eingehend und, wie ich glaube, überzeugend begründet haben. Wäre die Entscheidung über diese Anträge weniger vom Prinzip der Quantität und mehr vom Prinzip der Qualität der Argumente bestimmt worden, dann sähe die deutsche Notstandsverfassung heute anders aus.
Wir Freien Demokraten sind auch — und erst recht — nach den Debatten dieses Hohen Hauses
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Scheelnach wie vor der Meinung: wir brauchen keine Sonderregelungen für den sogenannten inneren Notstand.
Wir lehnen den Begriff „Spannungsfall" wegen seiner Unbestimmbarkeit ab.
— Für den Verteidigungsfall, Herr Kollege, haben wir eine in sich konsequente Vorlage erarbeitet und Ihnen und den Bürgern im Lande als Alternative vorgelegt. Wir nehmen für uns in Anspruch zu wissen, daß im Falle eines äußeren Konflikts besondere Regelungen notwendig sind; wir fühlen uns aber der Verfassung und unserem freiheitlichen Rechtsstaat so verpflichtet, daß wir ihn auch in diesem Fall schützen und aufrechterhalten wollen.Meine Damen und Herren, wir haben hier im Parlament gekämpft, um auch den Bürgern da draußen im Lande klarzulegen, daß die Freien Demokraten ihre Haltung zur Notstandsverfassung so und nicht anders eingenommen haben, weil sie meinen, auf diese Weise am besten für den Schutz unserer Verfassung einzutreten. Daran ändern übrigens auch die üblichen und sicherlich zu erwartenden Einmischungsversuche aus Ost-Berlin und aus Moskau überhaupt nichts. Denn gerade diese beiden Staaten haben am allerwenigsten ein Recht, sich zum Sachwalter unserer Verfassung zu machen.
Das lehrt schon ein flüchtiger Blick auf ihre eigenen Verfassungen und ihre eigenen Regelungen für den Notstand.Sie, meine verehrten Damen und Herren, haben nun nach langen und harten — und ich sage auch: nach fairen - Debatten die endgültige Entscheidung zu treffen. Die Fraktion der Freien Demokraten muß dem Gesetz ihre Zustimmung versagen. Wir beantragen — wegen der Bedeutung dieser Materie —, über dieses Gesetzeswerk namentlich abzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf am Beginn meiner Ausführungen meinen verehrten Kollegen Adolf Arndt zitieren, der sich im Frühjahr 1955, noch vor Inkrafttreter der Pariser Verträge und des Deutschland-Vertrages, mit dem Problem der Vorbehaltsrechte und ihrer Ablösung durch deutsches Verfassungsrecht beschäftigt hat. Adolf Arndt hat damals gesagt:Die Pariser Verträge haben die Frage des Notstandsrechts aufgeworfen ... Wo jedoch eine Notverfassung fehlt, oder wo sich eine Regelung der Notstandsbefugnisse als unzureichend erweist, dort bricht sich das Fürchterlichste Bahn, was einem Rechtsstaat widerfahren kann, das hemmungslose Unrecht.
Mange] t es an einem Notstandsrecht, oder ist die Regelung dieses Rechts mangelhaft, so kann ein solcher Mangel verderblicher sein als das mutige Gewähren kräftiger, aber auch klarer und insbesondere genau umgrenzter Befugnisse, vor denen man sich in Weimar so geängstigt hatte ...
Diese vor mehr als 13 Jahren ausgesprochene Überzeugung haben wir nicht verlassen. Die Sozialdemokraten haben auf fünf Bundesparteitagen kontinuierlich die damals, 1955 erstmalig von Adolf Arndt und von Carlo Schmid, den mein Freund Hirsch vor 14 Tagen hier in ähnlichem Sinne zitiert hat, gesetzten Prinzipien bestätigt und fortentwickelt.Im Juni 1965, heute vor drei Jahren, hat von dieser Stelle aus unser verstorbener Freund. Fritz Erler die gleichen Prinzipien noch einmal vorgetragen. Auch damals hatten wir es mit den Ergebnissen von Ausschußberatungen unseres Parlaments zu tun, die den damals vorliegenden zweiten Regierungsentwurf weitgehend verändert hatten. Fritz Erler hat damals alle die Punkte aufgezählt, in denen sich die sozialdemokratische Fraktion einig war mit der Fraktion der CDU/CSU, einig war mit der Fraktion der FDP. Sie beide bildeten ja damals eine Regierungskoalition, und sie beide hatten den damaligen Ausschußergebnissen in zweiter Lesung ihre Zustimmung erteilen wollen.
Fritz Erler hat damals zugleich auch jene vier Punkte klargemacht, wegen deren die sozialdemokratische Fraktion dem damaligen Beratungsergebnis nicht hat zustimmen können.Der erste und wichtigste Punkt war der: Wir waren unter den drei Fraktionen zwar einig, daß im Falle des äußeren Notstands Dienstleistungen für die Sicherung der Verteidigung auch außerhalb der Bundeswehr erforderlich sind, auch darüber, daß dabei die Rechte der Arbeitnehmer gesichert werden müssen. Aber über das Wie der rechtlichen Sicherung dieses Anspruchs ist damals Einigung nicht erzielbar gewesen.Zweitens fehlte das Gesetz zur Ausführung des Art. 10, von dem eben Herr Scheel sprach, das Sie damals schaffen wollten, nur nicht vorgelegt hatten, und das wir nun gestern endlich in zweiter Lesung verabschiedet haben. Wir sagten: Wir können deshalb nicht zustimmen, weil ohne das Gesetz die Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte nicht zustande kommt. Und, Herr Scheel — den Einwand müssen Sie sich auch jetzt machen lassen —: In dem dankenswerten Entwurf, den Sie vorgelegt haben und der auch die Diskussion über die Verfassungsergänzung beflügelt hat, hat gerade dieser Punkt gefehlt. Deswegen glaube ich Ihnen zwar, daß Sie ehrlich überzeugt waren, als Sie hier eben sagten, auch Ihr Gesetzentwurf hätte zur Ablösung führen können. Aber ich muß Sie darauf hinweisen, daß hier eine entscheidende Lücke Ihres jetzigen Entwurfs bestanden hat.
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Herr Scheel, ich will gewiß genausowenig polemisieren, wie Sie etwa polemisiert hätten. Aber es hat mich doch etwas gestört, daß Sie an einer Stelle, an der Sie sich mit diesem Punkt beschäftigten— ich weiß nicht, ob ich das Wort richtig mitgeschrieben habe —, vom Wegfall des Telefongeheimnisses sprachen. Tatsächlich ist es heute leider so, daß jeden Tag und jede Woche auf Grund des immer noch geltenden Deutschland-Vertrags — Art. 5 Abs. 2 — nicht die Behörden dieser Regierung — —
— Es tut mir leid. Ich will Sie nicht mißinterpretieren. Wenn ich Sie falsch verstanden habe, nehmen Sie es mir bitte nicht übel. — Aber ich darf den Satz zu Ende führen: Tatsächlich ist es so, daß hier nicht etwas wegfällt, was es bisher gegeben hat, sondern daß eine Garantie eingeführt wird, die es bisher nicht gab.
— Gegenüber dem bisherigen Status ist auch kein Rechtsweg weggefallen, Herr Scheel.
— Gut, wir machen ja auch etwas Besseres gegenüber dem bisherigen Zustand! Sie sollten nur nicht sagen, daß etwas weggefallen sei. Das könnte jemand, der kein Fachmann ist, mißverstehen.
— Schön; wir wollen uns nicht gegenseitig in eine Sache verhaken, die den ersten Rang im Augenblick nicht mehr einnehmen kann.Wir haben damals wegen eines dritten Punktes, den Erler vorgetragen hat, nicht zugestimmt, nämlich weil Sie beide die Pressefreiheit einschränken wollten, und wir wollten das nicht.Ein vierter Punkt war, daß Sie beide der Bundesregierung das Recht geben wollten, in Notstandsfällen dritte Personen zu beauftragen, im Namen der Regierung den Ländern Weisungen zu erteilen. Ich habe das bei mir selbst immer den Reichsstatthalter-Paragraphen genannt.Das waren die vier Gründe, die heute vor drei Jahren die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bewogen haben, dem damaligen Ergebnis nicht zuzustimmen.Heute, drei Jahre später, nach einer erneuten, dritten Regierungsvorlage, die wiederum im Ausschuß durchgearbeitet worden ist, sind unsere vier damaligen Ablehnungsgründe entfallen, weil unseren Bedenken und unseren Forderungen aus dem Jahre 1965 Rechnung getragen worden ist durch die Ergebnisse der Rechtsausschußberatung und durch die Ergebnisse der Beratungen und der Abstimmungen in zweiter Lesung hier heute vor 14 Tagen.Darüber hinaus ist aber das heute zur Abstimmung kommende Gesetzgebungswerk in bisher ungezählten weiteren Punkten eine entscheidende Verbesserung gegenüber dem Gesetzentwurf, dem auchSie, Herr Scheel, heute vor drei Jahren Ihre Stimme haben geben wollen, wir aber nicht haben geben wollen. Ich muß offen bekennen, daß meine Fraktion heute vor drei Jahren nicht damit gerechnet hat, im Jahre 1968 ein so ausgewogenes Gesetz verabschieden zu können, wie es heute zur Abstimmung steht.Der Begriff „Grundgesetz", um das es ja hier geht, ist wegen des Aspektes der Vorläufigkeit, unter dem der Parlamentarische Rat die 1949 entstehende Bundesrepublik Deutschland gesehen hat, an die Stelle des früher in Deutschland geläufigen Begriffs „Verfassung" gesetzt worden. Was heißt aber „Verfassung"? Verfassung bedeutet nicht nur die Regelung der Funktionen der Organe des Staates, die Unabhängigkeit der Organe des Staates voneinander und das Gleichgewicht der Organe des Staates zueinander, sondern Verfassung regelt und sichert vor allem anderen die Freiheitsrechte, die Grundrechte, die Menschenrechte des einzelnen dem Staat gegenüber und verpflichtet diesen Staat, diese Grundrechte zu verwirklichen. Jede Verfassung der Welt muß die Spannung lösen, die zwischen den Rechten der Bürger und den Aufgaben der Staatsorgane besteht. Wir haben jüngst — der Außenminister hat darauf vorhin in sehr vornehmer Zurückhaltung hingewiesen — im anderen Teil Deutschlands eine Verfassungsgebung erlebt, die in unerhörter Weise die Rechte der Staatsspitze über die Rechte des einzelnen Bürgers gestellt hat.
In unserer Verfassung ist und bleibt der Kern der Grundrechte jeden Bürgers unantastbar.Dabei weiß jedermann im Lande, daß keiner seine Grundrechte hemmungslos ausleben darf. Jeder Erwachsene weiß das. Wir alle kennen z. B. Konflikte, die sich aus der Inanspruchnahme des Grundrechts der freien Meinungsäußerung und damit der Demonstrationsfreiheit ergeben können mit den Grundrechten anderer Bürger, z. B. mit dem Grundrecht anderer Bürger auf freie Entfaltung der Persönlichkeit oder mit deren Grundrecht auf Freiheit der Berufsausübung. Deshalb muß das Recht des einen in jeder Situation gegen das Recht des anderen abgewogen werden; Juristen sprechen hier wohl auch von der Notwendigkeit der Gemeinverträglichkeit bei der Ausübung des eigenen Grundrechtes.Natürlich gibt es im konkreten Einzelfall Konflikte, die den Bürger irritieren. Besonders irritiert und beunruhigt aber kann der Bürger werden, wenn er den Eindruck bekommt, daß der Gesetzgeber, daß der Bundestag in das Gleichgewicht der Grundrechte eingreifen wolle, insbesondere wenn es sich um das Gleichgewicht der Grundrechte im Verhältnis zu den Rechten der Staatsorgane handelt.Deshalb schafft in jedem freien Staat- der Welt eine Verfassungsänderung, die bevorsteht, Irritation. Unruhe, Spannung, Konflikte. Weil dies so ist, schreibt die Verfassung aller freien Staaten vor, daß Verfassungsänderungen großer Mehrheiten in den Parlamenten bedürfen. So ist das auch in unserem Grundgesetz. Die Vorschrift des Grundgesetzes, die eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat verlangt, will ja gerade erzwingen, daß der
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Konflikt durch einen Kompromiß gelöst werde, der von einer überwältigenden Mehrheit im Parlament getragen wird. Ich stimme Herrn Even in diesem Punkte ohne jede Einschränkung zu. — Vielleicht darf ich die Gelegenheit benutzen, im Namen meiner Fraktionsfreunde Herrn Even zu dem freudigen Ereignis zu beglückwünschen, das heute in seiner Familie eingetreten ist.
— Herr Scheel ruft mir zu, daß er sich dem Glückwunsch auch seinerseits anschließt und hofft, daß es kein Notstandsgegner werde.
Bei dem Ringen um den Kompromiß, meine Damen und Herren, der eine breite Mehrheit finden muß, hat uns Sozialdemokraten in all den Jahren — Sie haben es vielfach gespürt, ich darf es ein letztes Mal sagen —, die bittere Erfahrung bewegt, die wir Deutschen mit der Weimarer Reichsverfassung, mit dem Art. 48 gemacht haben. Der damalige Art. 48 enthielt eine nahezu unbeschränkte Vollmacht an den Reichspräsidenten zur Ausnahmegesetzgebung auf dem Wege der Notverordnung. Diese Vollmacht sollte damals durch ein einfaches Gesetz näher bestimmt werden. Das Gesetz ist nie erlassen worden. Infolgedessen blieb die Bevollmächtigung pauschal und nahezu unbegrenzt, und sie ist zum Schluß der Weimarer Zeit dem Staate zum Verhängnis geworden. Noch schlimmer allerdings war die nun wirklich grenzenlose Bevollmächtigung des Reichskanzlers Hitler am 23. März 1933, durch die das deutsche Parlament sich selbst endgültig entmachtet hat.Diese Erfahrung hat uns Sozialdemokraten bei der Beratung der heute zur Entscheidung stehenden Materie von Anfang an zu der Konsequenz geführt, daß die Notstandsvorsorge im Grundgesetz auf keinen Fall pauschal und ohne nähere Bestimmung geregelt werden darf, daß sie die Einzelheiten keineswegs einer zukünftigen Bundesregierung überlassen darf, daß sie vielmehr umgekehrt dem Gesetzgeber, d. h. dem Parlament in jeder Stufe und in jeder Lage nicht nur die Gesetzgebung sondern auch die Kontrolle über die Regierung ungeschmälert erhalten muß. Aus dieser Einsicht ist unsere Ablehnung des ersten Regierungsentwurfs im Jahre 1960 erwachsen.In diesem Bundestag, in meiner Fraktion, aber nicht nur dort, sitzen Kollegen, die im Deutschen Reichstag die Notverordnungen der Ara Papen oder Schleicher und das Ermächtigungsgesetz für Hitler selbst miterlebt haben. Ich darf einmal — mit seinem Einverständnis — von meinem älteren Kollegen Josef Felder sprechen, der damals als jüngster Abgeordneter des Deutschen Reichstages gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt hat,
der anschließend sein Vaterland verlassen und emigrieren mußte, der dann freiwillig nach Deutschland zurückkehrte und ins KZ gesperrt wurde. Josef Felder ist einer derjenigen in der sozialdemokratischen Fraktion, die aus jener damaligen Erfahrungheraus der heutigen Grundgesetzergänzung zustimmen wollen,
weil er eben aus eigener Erfahrung weiß, daß keine Regierung unbeschränkte und unkontrollierte Vollmachten behalten oder bekommen darf.
Herr Felder hat mir gesagt, daß er gegen manche Einzelheit dieses Entwurfs Bedenken trage, daß er aber zustimmen müsse, um jeder Möglichkeit vorzubeugen, daß spätere Regierungen von den bis zu dieser Stunde immer noch geltenden alliierten Vorbehaltsrechten und dem Rückgriff auf den sogenannten übergesetzlichen Notstand törichten oder gar zerstörerischen Gebrauch machen könnten.Die Sozialdemokraten in diesem Hause haben Verständnis für manche, die Josef Felders persönliche Erfahrung nicht haben können und die deswegen z. B. von seiner persönlichen Entscheidung nur mit Bedenken Kenntnis nehmen. Nachdem zum Niedergang der ersten deutschen Demokratie der Art. 48 einen Teil beigetragen hat, empfinden manche auch in der heutigen Notstandsgesetzgebung eine Belastung unserer zweiten Demokratie. In der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion gibt es einzelne Kollegen, die aus diesem Grunde heute nicht mit Ja stimmen wollen. Ich selbst bin, wie Felder, anderer Meinung, gerade weil an die Stelle des pauschalen Art. 48 der Weimarer Verfassung nun hier und heute eine nahezu perfekte, ausschließliche Regelung in der Verfassung treten soll.Aber — zweitens — daneben gibt es auch andere Motive für Bedenken gegenüber dem Gesetz. Einer meiner Kollegen hat hier ja schon seine persönlichen Bedenken vorgetragen. Ich spreche hier für die Gesamtheit der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion und will für einige andere Kollegen sagen: Weil, wie ich schon gesagt habe, jede Verfassungsänderung das Verhältnis zwischen Bürgern und Staatsorganen berührt, könnten sich nach der Meinung dieser Kollegen Staatsorgane in ihrer Stellung gestärkt fühlen. Wenn dies so wäre, würde sich möglicherweise die Mißbrauchsschwelle für staatliches Handeln verschieben.Drittens. Wir haben insbesondere auch die Bedenken aus gewerkschaftlichem Lager in unserer Fraktion sehr ernst genommen, die darauf hinweisen, daß im aktuellen Falleines staatlichen Notstands die Abgrenzung zwischen den Rechten zwangsläufig sich verändere. Wir haben sehr begrüßt, daß die Gewerkschaften gegenüber dem Anspruch dieses Parlaments, durch Bundestagsbeschluß mit Zweidrittelmehrheit Bürger unseres Landes in Pflicht nehmen zu können, zunächst vielmehr den Grundsatz der Freiwilligkeit voll ausgeschöpft sehen wollen. Wir haben diesen Grundsatz in der Gesetzgebung weitgehend durchsetzen können. Aber ich will hier nicht verschweigen, daß von seiten derjenigen, die uns diesen Grundsatz so sehr ans Herz gelegt haben, seine organisatorische Konkretisierung bisher noch nicht in befriedigender Weise versucht worden ist.
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Viertens. Ich weiß auch — das gilt wohl überwiegend für die rechte Seite des Hauses, für Kollegen in der anderen Koalitionsfraktion; einer der Kollegen der anderen Koalitionsfraktion ist ja schon öffentlich ,ein bißchen angezapft worden, nachdem in der Zeitung stand, daß er an der Abstimmung nicht teilnehmen wolle —, daß manche unüberwindbare Bedenken gegenüber diesem Gesetz tragen, weil es ihrer Meinung nach in perfektionistischer Weise bis in die letzte Verästelung hinein verfassungsrechtliche Vorschriften schafft, die in Notfällen der Regierung und ihren Behörden das Handeln gerade dann sehr erschweren könnten, wenn zum Schutz der Bürger schnell gehandelt werden muß. Auch diese Bedenken haben mich persönlich beeindruckt, zumal ich glaube, daß, je perfekter eine Gesetzesregelung ist, um so geringer ihre Durchsichtigkeit werden muß und infolgedessen um so geringer das kontrollierende Bewußtsein der öffentlichen Meinung seine notwendige Rolle spielen kann.
Bedenken dieser Art spielen auch in meiner Fraktion eine Rolle.Nach unserer festen Überzeugung ist es Pflicht dieses Deutschen Bundestages, auch für den Notfall vorzusorgen, daß ein Höchstmaß an individueller Freiheit und an Schutz für den einzelnen gewahrt werde. Ich halte es schlechthin für unsinnig und lebensgefährlich, wenn einige einen theoretischen Notstandsfall gleichsetzen mit jenem großen Atomschlag, von dem sie reden und gegen den jeglicher Schutz überflüssig sei; infolgedessen sei auch die ganze Vorsorge nicht notwendig. Wer sich die Welt so vorstellt, macht sich die selbstzufriedene Negation zu leicht, meine Damen und Herren.
Wenn wir nicht für den Schutz des Bürgers sorgen, so frage ich: An wen wird sich eigentlich später, wenn es um den Schutz des Bürgers einmal zu schlecht bestellt sein sollte, der Bürger wenden? An den Staat doch wohl, an die Regierung, an den Bundestag. Oder wird er sich etwa an das von keinem Wähler legitimierte Kuratorium „Notstand der Demokratie" wenden?
Wir alle hier, alle drei Fraktionen, handeln heute im Bewußtsein unserer Verantwortung gegenüber einem Staat, der den Bürgern zu allen Zeiten, auch zu Notzeiten, ein Höchstmaß an Freiheit und ein Höchstmaß an individuellem Schutz geben soll. Deswegen haben wir Respekt gegenüber allen, die aus dem gleichen Verantwortungsbewußtsein, aus der gleichen Sorge um diesen demokratischen Staat ihre Bedenken nicht überwinden können. Ich glaube auch, daß das ungewöhnliche Maß öffentlicher Diskussion über dieses Gesetz unserer demokratischen Gesellschaft kein schlechtes Zeugnis ausstellt.
Bei einigen Diskussionsbeiträgen muß man allerdings erhebliche Mühe aufwenden, um sie ernst zu nehmen.
Ich komme darauf noch zurück. Aber ich will auch gestehen, daß ich gegenüber einigen Kollegen in diesem Haus Mühe aufbringen muß, um zu verstehen, daß sie heute vor drei Jahren einem wesentlich schlechteren Gesetz ihre Zustimmung haben geben wollen und heute einem wesentlich besseren Gesetz ihre Zustimmung verweigern wollen.
Ohne jede Polemik! Ich kann schwer verstehen, wie eine Fraktion dieses Hauses den Wandel ihres Verhaltens mit dem Wechsel aus der Regierung in die Opposition begründet.
— So ist es hier vor einem Jahr in der ersten Lesung geschehen. Ich muß es wohl nicht zitieren.Mir scheint, daß hier wirklich — ich rede ganz ernst und polemisiere nicht — ein entscheidender Unterschied zwischen der rechten und linken Fraktion besteht, wobei ich die CDU für einen Augenblick einmal als Mitte ansehen darf, als die Mitte zwischen rechts und links.
— Na ja, manche Ihrer Reden klingen linker als links; das gebe ich zu.
Aber in allem Ernst: Mir scheint, daß hier im Kern einer der Wesensunterschiede zwischen diesen beiden Fraktionen, von denen ich rede, deutlich wird. Die ,sozialdemokratische Fraktion hat, was die Materie dieses Gesetzes angeht, ihre Haltung im Prinzip nicht verändert, ob es sich um die Zeiten der Opposition gegen die Regierungen Adenauer und Erhard oder um die gemeinsam getragene Regierung Kiesinger handelt.
Ich darf hier ein Wort Kurt Schumachers
vom 8. Januar 1950 vorlesen, das nicht an die Adresse einer fremden Fraktion, sondern damals an die Adresse der eigenen Partei in Berlin gerichtet worden ist. Schumacher sagte damals — dais ist beinahe 20 Jahre her —:Das Wesen des Staates ist nicht die Regierung, und das Wesen des Staates ist nicht die Opposition. Das Wesen des Staates ist die Regierung u n d die Opposition.Darin sind wir alle miteinander einig. Schumacher fuhr fort:Wer dieses Volk einigermaßen in seinen nationalpolitischen Notwendigkeiten . . . begreift, kann den Staat und kann die Opposition nur nach demselben Prinzip der Verantwortung führen.Die heute vor uns liegende Ergänzung der Verfassung enthält — das muß man hier noch einmal sagen dürfen — eine allgemeine, keineswegs auf Notzeiten beschränkte Verbesserung für jeden Bür-
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ger. Art. 20 Abs. 4 des Grundgesetzes soll in Zukunft klarstellen, daß jeder Bürger ein Widerstandsrecht gegen jeden besitzt, der die grundgesetzliche Ordnung durch einen Staatsstreich zu beseitigen unternimmt. Dies ist weiß Gott alles andere als etwa eine Aufforderung zur Selbstjustiz — wie es demagogisch draußen im Lande verfälscht worden ist, die es der Staatsgewalt angeblich ermögliche, die Bürger gegen Unruhestifter zu mobilisieren. Ich will hier klarstellen: Aus dieser neuen Bestimmung des Art. 20 Abs. 4 fließt u. a. die ausdrückliche Legitimation auch zu einem politischen Generalstreik gegen einen Staatsstreich, von wem auch immer er versucht werden sollte. Jedermann im gewerkschaftlichen Lager sollte dies erkennen.
Meine Freunde und ich wissen aber, daß das Stichwort „Streik" in anderem Zusammenhang in unserer Fraktion eine große und lange umstrittene Rolle gespielt hat. Wenn wir Sozialdemokraten allein eine Zweidrittelmehrheit in dieser Stunde hier besäßen, — —
— Herr Barzel wagt es nicht zu hoffen.
Und das war noch nicht mal die Unwahrheit, Herr Barzel.
Wenn wir allein eine Zweidrittelmehrheit besäßen, so wäre ohne jeden Zweifel die Neufassung des Art. 9 Abs. 3 so erfolgt, daß die Anwendung aller für Notfälle geschaffenen Artikel gegen Streiks derart ausgeschlossen worden wäre, daß wir vom „Streikrecht" gesprochen hätten und nicht, wie das jetzt geschieht, von „Arbeitskämpfen".
Aber auch die jetzt gefundene Fassung verbietet ohne jeden Zweifel, daß Notstandsrecht gegen einen Streik angewendet wird, der von einer Gewerkschaft zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geführt wird. Dies kann von niemandem anders ausgelegt werden, es sei denn, er wolle lügen.
Wir hätten gern darauf verzichtet, durch die Benutzung des Begriffes „Arbeitskampf" auch der Aussperrung den gleichen Schutz vor Notstandsmaßnahmen zu ermöglichen. Dieses Bedenken scheint mir jedoch faktisch ohne große Bedeutung, denn eine Notstandsmaßnahme gegen aussperrende Arbeitgeber ist ohnehin schwer vorstellbar. Der Haupteinwand mancher meiner Kollegen an dieser Stelle richtet sich denn auch dagegen, daß die Benutzung des Begriffes „Arbeitskampf" ein gewisses Maß an Anerkennung der Aussperrung zu enthalten scheint.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich bitte um Entschuldigung, Herr Präsident, ich möchte diese Passage im Augenblick zu Ende führen dürfen.
Hier bedarf es einer Klarstellung. Die jetzt gefundene Fassung des Art. 9 Abs. 3, der wir zustimmen wollen, verändert oder verschiebt die Bewertung nicht, die das Grundgesetz bisher gegenüber Streik und Aussperrung zu erkennen gegeben hat. Bisher ist ja das Recht des Arbeitskampfes im wesentlichen durch die Rechtsprechung unserer Gerichte entwikkelt worden. Das Wort „Streik" oder „Streikrecht" kam im Grundgesetz auch bisher nicht vor. Die Gewerkschaften waren darüber keineswegs glucklich. Auch das Wort „Arbeitskampf" kam bisher nicht vor. Aber ich habe keinen Zweifel, daß nunmehr die bisherige Arbeitsrechtsprechung im Lichte der heutigen Verfassungsergänzung überprüft werden muß. Denn schließlich kann kein Gericht daran vorbeigehen, daß der Verfassunggesetzgeber ab heute ausdrücklich auch für ganz normale Zeiten verbietet, daß etwa das Wehrpflichtgesetz zu Maßnahmen gegen Streikende verwendet werden kann. Dann ergibt sich doch die Frage, ob danach immer noch ein Gericht zunächst den Streik grundsätzlich als unzulässig ansehen und erst unter dem Gesichtspunkt der sogenannten Sozialadäquanz als gerechtfertigt betrachten darf. Wir Sozialdemokraten haben die grundsätzliche Zulässigkeit des Streiks immer bejaht, und wir haben die ausgetüftelte Lehre von der Sozialadäquanz immer für völlig überflüssig gehalten. Auch wer uns bisher in dieser Meinung nicht hat zustimmen wollen, wird sich nunmehr zu einer Veränderung seiner Position gezwungen sehen. Auch das sollte draußen verstanden werden.
Wenn wir Sozialdemokraten allein über eine Zweidrittelmehrheit verfügten, würden wir auch an manch anderer Stelle andere Regelungen vorziehen. Wir wissen aber, daß die Texte der heutigen Vorlage die besten sind, die jemals seit acht Jahren hier in diesem Bundestag und im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit hätten finden können.
Sie sind nach meiner Überzeugung auch für den überschaubaren Raum unserer politischen Zukunft die besten, die von einer Zweidrittelmehrheit in diesem Hause verabschiedet würden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Abgeordneter Scheel!
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9645
Herr Kollege Schmidt, habe ich Sie richtig verstanden, sagten Sie gerade, wenn Sie einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt hätten, wäre er anders ausgefallen als der, den Sie mit Ihrem Partner gemeinsam vorgelegt haben?
Sie haben mich mißverstanden, Herr Scheel. Ich habe gesagt: wenn wir über eine Zweidrittelmehrheit verfügten. Es kommt ja nicht nur darauf an, Entwürfe zu machen, sondern es kommt darauf an, dem Befehl des Grundgesetzgebers zu gehorchen und einen Entwurf zu finden, dem mindestens zwei Drittel dieses Hauses zustimmen.
Herr Kollege Schmidt, sind Sie mit mir der Meinung, daß der Entwurf, auf den Sie sich beziehen, nämlich der vor drei Jahren, an dessen Erarbeitung wir beteiligt waren, ein Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP gewesen ist?
Nein, das war — —
Würden Sie mir zustimmen, daß unsere Vorstellungen auch damals andere gewesen sind, als in dem gemeinsamen Entwurf sichtbar?
O ja, da würde ich zustimmen.
Und das wir in der Opposition einen Entwurf bringen, der ganz unseren Vorstellungen entspricht?
Da kann ich nur zustimmen, daß das eine elegante Formulierung war, Herr Scheel.Aber in der Sache will ich Ihnen in einem anderen Punkt noch zustimmen. Sie haben vorhin gesagt — und ich begrüße es, daß auch Sie das ausgesprochen haben —, daß das, was heute verabschiedet werden soll, kein Notstandsrecht für die Exekutive sei. Ich bin dankbar dafür, daß die FDP durch ihren ersten Sprecher das hier noch einmal deutlich gesagt hat. Auch wir sind nämlich dieser Meinung. Es gibt ja kein Notverordnungsrecht. Dies ist das parlamentarischste Notstandsrecht, das ich in Europa kenne, und auch insofern entspricht es den Grundsätzen, die die Sozialdemokratische Partei seit 1960 unverändert immer wieder vertreten hat und die jeder Wähler meiner Partei, wenn er ein politisch bewußter Wähler war, hat kennen können und kennen müssen. Jedermann im Lande hat wissen können und eigentlich, wenn er politisch bewußt war, wissen müssen, daß alle drei Fraktionen dieses Bundestages vor der Wahl 1961, vor der Wahl 1965 und auch heute eine positive Regelung des Notstandsproblems angestrebt haben.In diesem Zusammenhang lassen Sie mich noch einmal auf den Punkt mit der Bundeswehr zurückkommen, von dem Herr Scheel soeben gesprochen hat. Seit dem Mai 1965 ist es z. B. Bestandteil aller späteren Parteitagsbeschlüsse unserer Partei — ich zitiere wörtlich, und das begreift Sie mit ein, Herr Scheel —:Einigkeit ist darüber erzielt worden,— im Frühjahr 1965 —daß es der von der Bundesregierung ursprünglich vorgesehenen Sonderregelung für den Fall des inneren Notstandes nicht bedarf. Art. 91 GG bleibt weiterhin die Grundlage für die Regelung dieses Problems— das war damals unsere übereinstimmende Meinung; aber auch noch der nächste Halbsatz war unsere übereinstimmende Meinung —mit seiner Erweiterung dahingehend, daß die Bundeswehr zur Ergänzung der Polizeikräfte herangezogen werden kann.Wenn Sie sich den 65er Rechtsausschuß-Entwurf, dem Sie zugestimmt haben, noch einmal ansehen, Herr Scheel, werden Sie sehen, daß ich recht habe.Wenn die in diesem Parlament versammelten Mandatsträger der Sozialdemokratischen Partei mit überzeugender Mehrheit zum Ergebnis kommen, daß in diesem Punkt der heute zu verabschiedende Text in Übereinstimmung mit dem soeben zitierten Beschluß steht, der übrigens zum letztenmal in Nürnberg ausdrücklich wiederholt worden ist, dann bleibt, zumal für Außenstehende, wahrlich kaum noch irgendein Raum für Pandekten-Exegese dieser Beschlüsse unserer Partei nach deren eigenem Geschmack.
Ich würde wahrlich wünschen, daß jene Außenstehenden auch die übrigen politischen Beschlüsse unserer Parteitage genauso sorgfältig studieren und sich zu eigen machen wollten, die den Gesamtbereich der deutschen Außen- und Innenpolitik entwickeln wollen.
Natürlich können wir Sozialdemokraten keineswegs behaupten, daß die heutige Vorlage eine vollständige Erfüllung unserer Wünsche ist. Sie von der CDU/CSU können das auch nicht. Aber ich möchte hier — und ich nehme an, ich darf auch das für beide Fraktionen sagen — einen Satz in Erinnerung rufen, den heute vor vierzehn Tagen mein Freund Kurt Gscheidle hier gesagt hat, einen Satz, der es verdient, von jedem im Lande als ungeschriebenes Verfassungsrecht beim Studium des Grundgesetzes immer in Gedanken mitgelesen zu werden. Er hieß:Wenn es in der Demokratie ein Prinzip gibt, das ohne großen Schaden für uns alle nicht verlassen werden darf, dann dies, ... daß der Kompromiß in der Demokratie das Normale und nicht das Verwerfliche ist.Gute Kompromisse kann nur finden, wer selber aufeiner klaren Position steht. Trotzdem bleibt danndie Suche nach einem guten Kompromiß und schließ-
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lieh nach seiner Annahme in jedem Parlament der Welt eine Aufgabe, die ohne streitige Auseinandersetzung nicht gelöst werden kann.
Die sozialdemokratische Fraktion hat sich diese Aufgabe nicht leicht gemacht. Der Streit ist ja auch innerhalb der Koalition geführt worden, er ist auch innerhalb der einzelnen Fraktionen geführt worden, nicht nur zwischen Koalition und Opposition. Er ist auch geführt worden zwischen Parlament und Regierung. Im Laufe der letzten anderthalb Jahre haben die Kollegen in Ausschußsitzungen, in Arbeitskreissitzungen, in Fraktionssitzungen, in öffentlichen Anhörungsverfahren und in Diskussionen draußen im Lande — jeder einzelne — mehrere Hunderte von Arbeitsstunden hoher geistiger Anstrengung dafür aufgebracht. Ich darf drei Zahlen dazu noch nennen: Seit Beginn des Jahres hat allein das Plenum der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion fast 50 Stunden lang diese Vorlage behandelt — allein das Plenum der Fraktion. Und in der Fraktionssitzung vor der zweiten Lesung — in einer einzigen Fraktionssitzung bis spät in die Nacht — haben 184 Abgeordnete nacheinander zu verschiedenen Problemen das Wort ergriffen, und zwölfmal hat diese Fraktion in jener Sitzung durch Abstimmung ihre eigene Meinung geklärt. Wenn es nach mir ginge — vielleicht darf ich das hier einmal sagen —, sollten wir in einigen Jahren vielleicht die Tonbänder dieser Diskussionen der Offentlichkeit zugänglich ma- chen. Mancher leichtfertige Schwätzer, der uns unterstellt, hier sei Gewissenszwang ausgeübt worden, wird sich dann seiner Worte sehr schämen müssen.
Und manch einer wird sich dann auch schämen müssen, der draußen den Eindruck erweckt, als ob hier wer überfahren worden sei.
Kein Abgeordneter darf sich unter Druck setzen lassen, weder unter den angeblichen Druck seiner Fraktionsführung noch unter den tatsächlichen und teilweise in den letzten Tagen weiß Gott bösen Druck draußen, zu Hause, wo er oder wo seine Ehefrau oder wo seine Familie wohnt.
Weder kann eine Bundestagsfraktion ihre Mitglieder zu etwas zwingen wollen noch kann solcher Zwang, der draußen im Lande bisweilen behauptet wird, von dem ein Anschein erweckt wird, etwa ersetzt werden durch einen Zwang, den Außenstehende auf die Abgeordneten des Parlaments ausüben, seien es die Landsmannschaften, sei es der Richterbund, sei es der Bauernverband, sei es die Gewerkschaft oder sei es der Bundesverband der Deutschen Industrie.
Wenn ich hier stellvertretend für andere wichtige Verbände in unserer Gesellschaft einige genannt habe, so will ich doch gleichzeitig, auch im Namen der Fraktion, diesen Verbänden, ihren Sprechern,aber auch den Wissenschaftlern unseren Dank sagen für vielerlei fundierte Beiträge, die wir zur Debatte gehört haben, die wir zur Sache gehört haben, die uns zum Teil eingeleuchtet haben und die wir zum Teil auch zu verwirklichen versucht haben.Ich will insbesondere auch den Respekt der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion ausdrücken gegenüber dem Verantwortungsbewußtsein der Führung der Gewerkschaften, die ausdrücklich erklärt haben, daß sie eine mit breiter Mehrheit getroffene parlamentarische Entscheidung respektieren wollen, und die es abgelehnt haben, einer von ihnen kritisierten Entscheidung des Parlaments etwa mit dem Mittel eines allgemeinen Streiks entgegentreten zu wollen.
Im übrigen — das darf ich vielleicht hier noch hinzufügen — ist ein Generalstreik wahrlich ein viel zu schwer wiegendes Instrument, als daß es losgelöst von einer verantwortungsbewußten Gewerkschaftsführung benutzt werden dürfte.
Ein solches Verfahren könnte schnell in chaotische Zustände führen.Wie sehr schon durch die Übertreibungen in der öffentlichen Notstandsdiskussion mancher ins Schwimmen geraten ist, der die Spielregeln der Demokratie zu verlassen anderen erlaubt, das spürt heute auch hier oder da ein Arbeiterführer oder hier oder da ein bedeutender Journalist,
der von seinem eigenen Publikum ausgepfiffen wird, den man nicht zu Ende sprechen läßt, weil es Leute gibt, die statt geistigen Ringens nur die Bestätigung ihrer eigenen Vorurteile hören wollen
und die, als ob es sich um Totalitäre handelte, eine Diskussion abbrechen, wenn der andere etwas sagt, was ihnen nicht gefällt.
Vor mir liegt hier das vielen Menschen draußen im Lande bekannte Extrablatt eines Herrn Schauer, der als Sekretär jenes durch keinen Wähler legitimierten Kuratoriums auftritt.
Unter der Balkenüberschrift „Was sie in Wahrheit beschlossen haben" wird dort z. B. das Märchen verkündet, in Zukunft könnten Streiks durch Zwangsverpflichtung unterlaufen werden. Wir wissen hier alle, daß das Gegenteil wahr ist — der Mann weiß das auch!
Ich wiederhole: Dienstverpflichtungen werden inArt. 12 a des Grundgesetzes geregelt; und im Art. 9
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9647
Schmidt
Abs. 3 heißt es: „Maßnahmen nach dem Art. 12 a dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten." Herr Schauer spricht die Unwahrheit, und er weiß es. Er behauptet z. B. auch: „Die stärkste Waffe zum Schutz der Demokratie, der politische Streik, wird den Arbeitnehmern aus der Hand geschlagen." Herr Schauer verkehrt die Wahrheit in ihr Gegenteil. Wir wissen, daß Art. 20 Abs. 4 in Zukunft erstmalig und ausdrücklich allen Deutschen das Recht zum Widerstand gegen jeden bescheinigt, der es unternimmt, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. Ich habe das schon gestreift. Hier wird zum erstenmal seit Beginn der Bundesrepublik Deutschland die letzte und die stärkste Waffe zum Schutz der Demokratie für jedermann, einzeln oder gemeinschaftlich, ausdrücklich zur Verfügung gestellt, und zwar keineswegs etwa bloß für einen vom Bundestag erklärten Notstandsfall.Man kann die Reihe der Unwahrheiten aus diesen Extrablättern noch erheblich verlängern. Ich will darauf verzichten, denn im Grunde vertraue ich auf die nüchterne Urteilskraft der großen, der überwältigenden Masse der Arbeitnehmer draußen im Lande,
die weder der Christlich Demokratischen Union noch der FDP, noch der SPD, noch dieser Bundesregierung solche Beschlüsse zutrauen, wie sie als hier angeblich gefaßt in Hunderttausenden von Exemplaren in vergiftender Weise in Deutschland verbreitet werden.
Die beiden anderen Fraktionen mögen mir verzeihen, wenn ich für meine eigene noch ein Wort hinzufüge: Wir vertrauen auch auf die nüchterne politische Urteilskraft unserer eigenen, uns anhängenden Arbeitnehmer, die doch wissen, daß die Sozialdemokratische Partei angeblichen Beschlüssen, wie ich sie hier aus diesem Extrablatt zitiert habe, niemals, ich wiederhole: niemals würde zustimmen können. Die Sozialdemokratische Partei — das wissen diese Leute, und das gehört ja zu den festen Dingen in ihrem Leben, an denen sie auch ihre eigene Festigkeit orientieren — ist aus denselben geschichtlichen Wurzeln gewachsen, aus denen auch die Gewerkschaften gekommen sind. Beide gehören zu der großen sozialen Bewegung, die die politische und soziale Befreiung der arbeitenden Menschen erstrebt, zu einem Teil erkämpft hat.Im Godesberger Programm unserer Partei heißt es, daß die Arbeitnehmer den Unternehmungen ausgeliefert wären, wenn sie diesen nicht in unabhängigen Gewerkschaften ihre solidarische, demokratisch geordnete Kraft entgegenstellten. Und wörtlich heißt es: „Das Streikrecht gehört zu den selbstverständlichen Grundrechten der Arbeiter und Angestellten." Daran wird kein Sozialdemokrat deuteln lassen.Schließlich sind, wenn ich richtig schätze, rund 180 Kolleginnen und Kollegen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion langjährige Gewerkschaftsmitglieder, wie ich selber auch. Alle Gewerkschaftsmitglieder, aber auch gerade die draußen, müssen wissen, daß eine Gewerkschaft immer nur soviel an gesetzlicher Verwirklichung ihrer Forderungen hier im Deutschen Bundestag erreichen kann, wie sie für ihre Forderungen, für ihre Ziele in diesem Hause eine Mehrheit, eine parlamentarische Mehrheit, erreicht.
Die Haltung der FDP in den Punkten, die hier interessant sind, ist liebenswürdigerweise durch die Sprecher der FDP in den letzten Monaten eindeutig klargemacht worden. Wir freuen uns, daß wir bei unserem Partner, im sogenannten Arbeitnehmerflügel der CDU, einen Verbündeten in den Fragen haben, die den Gewerkschaften besonders am Herzen liegen. Aber draußen im Lande sollte niemand daran vorbeisehen, daß in spezifisch gewerkschaftlichen Anliegen die Zahl der Mandate der Sozialdemokratie, nämlich 217 in diesem Hause, plus die relativ wenigen Mandate des Arbeitnehmerflügels der CDU
einstweilen noch keine Mehrheit dieses Hauses ergeben hat — bisher bei keiner Abstimmung, meine Damen und Herren.
Ich gebe Ihnen zu, daß das mit Absicht eine Provokation war. Ich hoffe, daß wir das nächste Mal, bei der nächsten Nagelprobe eine solche Mehrheit zustande bringen. Und die Nagelprobe kommt im kommenden Frühjahr, meine Damen und Herren.
— Es kommt mir so vor, als ob Sie darüber rätselten, was ich mit Nagelprobe meine.
— Ich meine. die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes, und ich meine die Erweiterung der Mitbestimmung; damit wir da nicht untereinander zweifeln.
Manches Problem, das den Gewerkschaften am Herzen liegt, wäre vielleicht längst gelöst worden in diesem Hause oder andere wären leichter lösbar oder wieder andere Probleme würden vielleicht von den Gewerkschaften viel gelassener betrachtet werden können, wenn seit 1949 das demokratische Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition in diesem Hause tatsächlich stattgefunden hätte,
wenn eis nicht den Versuch einiger gegeben hätte, zeitweilig die Sozialdemokratische Partei aus dem Staat herauszudrücken, auch und gerade mit Entwürfen, die mit der heutigen Materie zu tun haben. Oder ich erinnere mich an Debatten in diesem Hause von 12 oder 13 Jahren in einer anderen Materie, die uns auch sehr unter die Haut ging und wo der gleiche Versuch von manch einem gemacht wurde. Ich rede von der Wehrgesetzgebung, ich rede von
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9648 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
Schmidt
der Bundeswehr. Wir haben uns damals genau wie heute gleichwohl auf das äußerste um die Integration der neu entstehenden Bundeswehr in diesen unseren demokratischen Staat bemüht. Die Bundeswehr von heute ist dank der gemeinsamen Anstrengungen aller Fraktionen dieses Parlaments und dank der Einsicht der Soldaten mit der Reichswehr der ersten deutschen Demokratie weiß Gott nicht zu vergleichen.
Daß auch die Bundeswehr Fehler hat, weiß jedermann. Aber haben nicht etwa auch unsere Universitäten Fehler und unsere Polizeien und unsere Schulen und unsere Gerichte, meine Damen und Herren,
und unsere Gewerkschaften und unsere Parteien und unser Parlament und unsere Regierung auch?
— Das habe ich nicht gehört.
— Ja, die natürlich am allermeisten.Lassen Sie mich am Ende einen Gedanken wiederaufnehmen, den ich hier vor einigen Wochen habe ausführen dürfen. Eine Demokratie ist kein Zustand, sondern Demokratie ist ein ständiger Entwicklungsprozeß. Eine Demokratie wird nicht einmal errichtet und sich dann selber überlassen, sondern sie muß ständig entfaltet werden. Was wir brauchen, ist dieses ständige Fortschreiten, dieser ständige Wille sowohl zur Reform als auch zur Ablösung überständiger Reste aus abgelebten Epochen. Gesellschaft und demokratischer Staat sind eine immerwährende Aufgabe. Diese Aufgabe kann auch Opfer kosten; sie kann auch eine politische Partei Opfer kosten. Jede politische Partei muß wissen, daß Partei nicht Selbstzweck ist.
Das Parlament muß heute die Kraft aufbringen, den lange debattierten Beschluß endlich zu fassen. Jeder von uns weiß — ich wiederhole einen Gedanken, den der Außenminister heute morgen aussprach —, daß seine Entscheidung mit Risiken behaftet ist, und keineswegs etwa nur mit dem persönlichen Risiko, nicht wieder aufgestellt oder nicht wieder gewählt zu werden. Mit dem Risiko, daß niemand genau die Geschichte vorweg zu erkennen vermag, müssen wir zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden. Wir haben zu wählen entweder den Rückfall in die Schubladengesetzgebung, in den sogenannten übergesetzlichen Notstand, den Rückfall in eine kontrollenlose Bevollmächtigung der Exekutive, oder wir haben zu wählen — auch wenn an diesem Gesetz manches uns nicht ganz befriedigen kann — die Stabilisierung des Schutzes der Grundrechte unserer Bürger, die Stabilisierung der Rechte und der Verantwortlichkeit des Parlaments und die Stabilisierung des Verfassungsgerichts — auch und gerade — in Notzeiten.Wenn dieses Gesetz heute abend angenommen ist, meine Damen und Herren, dann kann jeder wissen: Es wird kein Notverordnungsrecht für irgendeine Bundesregierung geben. Kein Bundespräsident und kein Bundeskanzler bekommt irgendeine zusätzliche Gewalt. Es wird keine Möglichkeit des Eingriffs in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit geben, keine Möglichkeit des Eingriffs in das Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit, keine Möglichkeit des Eingriffs in das Grundrecht der Koalitionsfreiheit, es wird keine Maßnahme gegen den gewerkschaftlich geführten Streik geben.Vielleicht sollte die heutige Grundgesetzänderung — ich will gar keine Ländernamen nennen — nun auch denjenigen deutschen Landtagen endlich die Beseitigung der überständigen Notstandsregelungen in ihren Landesverfassungen nahelegen,
die immer noch Notverordnungen kennen, die dort Rechtens sind;
Landesverfassungen, die auch heute noch von der Außerkraftsetzung oder Aufhebung des Versammlungsrechts, der Pressefreiheit und sogar der Aufhebung der Meinungsfreiheit reden.
Es wird wohl Zeit, daß manche der deutschen Landtage
ihre Landesverfassungen, was ihre Notstandsartikel angeht, dieser fortschrittlichen demokratischen Gesinnung anpassen, die wir hier heute vortragen.
Jedenfalls habe ich damit auf gewisse Quartiere hingewiesen, aus denen ich Kritik in diesem Punkt nicht akzeptieren kann.
Ich komme zum Schluß. Meine Fraktion hat mich einmütig beauftragt, ihre Bewertung dieses Verfassungsänderungsgesetzentwurfes hier vorzutragen. Sie hat mich ebenso einstimmig beauftragt — und da trifft sich unser Antrag mit dem der FDP-Fraktion —, in dieser dritten Lesung in der Schlußabstimmung namentliche Abstimmung zu beantragen.
Die Abgeordneten der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion werden diesem Gesetz mit sehr großer Mehrheit ihre Zustimmung geben.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9649
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Art. 38 unseres Grundgesetzes bestimmt, daß die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Manche Kritiker des Grundgesetzes halten diese Bestimmung für obsolet. Wenn der Deutsche Bundestag es je vor dem ganzen Volk deutlich gemacht hat, daß diese Vorschrift eben kein Stück Papier, sondern lebendige demokratische Wirklichkeit ist, dann geschah dies bei diesen Beratungen des Hohen Hauses, in den Fraktionen, in den Ausschüssen und im Plenum des Bundestages. Was sich hier begab, war eine große Bewährungsprobe unserer parlamentarischen Demokratie.Es war aber auch — erlauben Sie .mir dies zu sagen — eine große Bewährungsprobe dieser Regierungskoalition. Ich weiß sehr wohl, daß es unser Koalitionspartner bei diesen Beratungen und Entscheidungen schwerer hatte als meine eigene Fraktion. Um so mehr respektiere ich das mühevolle verantwortungsbewußte Ringen um die endgültige Entscheidung, das in der sozialdemokratischen Fraktion stattgefunden hat.
Derselbe Respekt hat mich dazu bestimmt, nachdem die Entwürfe dieser Gesetze von der Bundesregierung verabschiedet worden waren, bis zu dieser Stunde in die Debatten des Parlaments nicht einzugreifen. Nun, am Schluß der Beratungen, erlauben Sie mir ein kurzes Wort.Ich bin mit dem Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei der Meinung, daß diese seit vielen Jahren beratenden Gesetze zu viele Emotionen ausgelöst haben. Denn es handelt sich schlicht um eine pflichtgemäße Vorsorgeregelung, ohne die kein Staat auskommt und die auch in allen anderen Ländern getroffen worden ist.Den Machthabern im anderen Teil Deutschlands, die von diesen Gesetzen heuchlerisch als von Kriegsgesetzen zu sprechen wagen, kann ich im Namen dieses freien Staates nur entgegensetzen: Ein Regime, das selbst in normalen Zeiten keine Meinungs-, keine Versammlungs-, keine Pressefreiheit gibt, kein Streikrecht gewährt und jede Kritik mit schweren Strafen bedroht, hat kein Recht, eine Gesetzgebung zu verleumden, die selbst für den äußersten Notfall größere demokratische Freiheit und rechtsstaatlichen Schutz garantiert, als es selbst in normalen Zeiten zuzugestehen wagt.
Auch in der Sowjetunion wird leider davon gesprochen, diese Vorsorgegesetze legten es auf die Herbeiführung einer politischen und militärischen Diktatur an. Der Herr Außenminister hat• diese Behauptung schon zurückgewiesen.Meine Damen und Herren, nach Art. 49 der Verfassung der UdSSR kann das Präsidium des Obersten Sowjets, also die Exekutive, für einzelne Gegenden oder für die ganze UdSSR den Kriegszustand im Interesse der Verteidigung der UdSSR oder derGewährleistung der öffentlichen Ordnung und der staatlichen Sicherheit erklären. Ich frage mich, welches Echo wir wohl aus der Sowjetunion erhalten hätten, wenn wir statt unserer behutsamen Regelung ganz einfach diese Bestimmung in unsere Verfassung übernommen hätten.
Wann endlich wird die Sowjetunion unseren Willen zur Verständigung und zum Frieden ernst nehmen? Wann wird sie endlich aufhören, die Verleumdung als ein taugliches Mittel der auswärtigen Politik zu gebrauchen? In Moskau gibt es nicht weniger intelligente Beobachter als in anderen Ländern. Darum kann auch ihnen nicht entgangen sein, daß unsere Gesetzentwürfe genau das Gegenteil von dem erstreben, was die sowjetische Propaganda zu befürchten vorgibt. Nicht eine politische oder militärische Diktatur, sondern ihre Verhinderung auch für den Fall der äußeren Gefahr ist doch das Ziel dieser Gesetze!
Diese Gesetze sind daher nicht nur für uns selbst eine notwendige Vorsorge für den Notfall, sondern eine Garantie der Freiheit und des Rechts in gefährdeten Zeiten, an der auch unseren Nachbarn gelegen sein muß. Denn jedes Land hat ein dringendes Interesse daran, daß Chaos oder Willkür im Haus des Nachbarn vermieden werden.Ich will mich, meine Damen und Herren, nach so vielen überzeugenden Beiträgen in dieser Debatte nicht mehr mit der Problematik der einzelnen Vorschriften dieser Vorsorgegesetze befassen.Auch ich habe mit Aufmerksamkeit die Diskussion außerhalb des Parlaments verfolgt, und es gab kein Argument, das mir mündlich oder schriftlich vorgetragen wurde, welches ich achtlos beiseite geschoben hätte. Freilich, ich muß es gestehen, war ich oft genug erschüttert über die naive und uninformierte, voreingenommen emotionale Stellungnahme gerade von solchen Leuten, die es hätten besser wissen können.
Was heute hier entschieden werden wird, wird das Ergebnis eines langen und verantwortungsvollen Ringens um die richtige, um die von uns für notwendig erachtete Entscheidung sein.. Es ist nicht wahr, daß diese Entwürfe dem Geist und Sinn des Grundgesetzes widersprächen. Wahr ist vielmehr, daß sie eine notwendige Ergänzung des Grundgesetzes aus seinem Geist und Sinn darstellen. Es ist nicht richtig, daß die bisherige Regelung des Grundgesetzes allein für die denkbaren Notfälle ausgereicht hätte. Diese Regierung und dieser Bundestag hätten es sich wahrlich nicht so schwergemacht, wenn die bisherige Regelung, die aus der Situation des Jahres 1949 zu erklären ist, genügt hätte. Es ist auch nicht richtig, daß — wie manche Kritiker und unsere Opposition meinen — die Entwürfe über das gebotene Maß einer Vorsorgegesetzgebung hinausgingen und daß der Exekutive zu viel Entscheidungsmacht eingeräumt worden sei. Richtig scheint mir
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9650 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesingervielmehr, daß im Interesse demokratischer und rechtsstaatlicher Sicherung viele ursprünglich als zweckmäßig empfundene Regelungen geändert wurden, weil man in der Interessenabwägung zwischen praktischer Zweckmäßigkeit und demokratischrechtsstaatlichem Schutz dem letzteren durchgängig den Vorrang gab.
Geradezu empörend empfinde ich aber das Argument, Notstandsregelungen gebe es zwar in anderen Ländern, aber dem deutschen Volk fehle dafür die demokratische Reife.
Daß jene Kräfte, die nicht die Verteidigung der parlamentarischen Demokratie, sondern ihre revolutionäre Zerstörung wollen, gegen diese vorsorglichen — vorsorglichen! — Gesetze Sturm laufen, ist nur zu gut verständlich.
Aber gerade die Angriffe dieser kleinen, jedoch äußerst aktiven revolutionären Gruppen sollten diejenigen redlichen Kritiker der Gesetzentwürfe, deren Sorge ich respektiere und denen es um die parlamentarische Demokratie geht, nachdenklich stimmen.Meine Damen und Herren, ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, daß die große Mehrheit unseres Volkes die Entscheidung des Bundestages als eine notwendige Vorsorgemaßnahme billigen wird. Es steht leider nicht in unserer Macht allein, den Zustand der Gefahr zu vermeiden, denn wir leben in einer unruhigen Zeit und Welt. Aber was an uns liegt, an uns allen, denen dieses Volk und seine Freiheit lieb ist, das wollen wir mit äußerster Wachsamkeit tun, damit eine Anwendung dieser Gesetze niemals nötig wird.
Nun noch eines. Es ist für den Bundeskanzler und für die Bundesregierung — für den Bundeskanzler insbesondere, dem in Zeiten höchster Gefahr ein besonders hohes Maß an Verantwortung zufällt — gut, zu wissen, daß er dann nicht auf eine kaum zu tragende Last persönlichen Ermessens angewiesen ist, zu wissen, daß auch für den äußersten Fall die Herrschaft des Rechts gesichert bleibt.
Die Aussprache in dritter Lesung ist geschlossen.
Es ist namentliche Abstimmung beantragt.
Ich gebe das Wort zur Abstimmung zunächst dem Herrn Abgeordneten Dr. Starke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach immer erneuter Prüfung werde ich diesem Gesetzgebungswerk meine Zustimmung nicht geben, weil wir nach meiner Auffassung auf einem falschen
Wege sind. Die Welt um uns erheitert sich trotz allen Ernstes über unseren weltfremden Perfektionismus und über unsere theoretischen Diskussionen fernab jeder gegenwärtigen oder zukünftigen Realität. Andere nutzen im Ausland diesen Perfektionismus verfälschend für sich aus.
Meine Kritik soll kein Vorwurf sein, sondern nur eine Feststellung. Wir alle haben teilgehabt an der Eskalation nur in einer Richtung: Entwürfe, Antworten, Ergänzungen, Ausgestaltungen, quantitative Vermehrung, Komplizierung. So wurde das Gesetzgebungswerk auch für Juristen immer komplizierter und unübersichtlicher. Es trägt die Tendenz zum Wuchern in Zusätzen, Gesetzen, Verordnungen und Erlassen in sich, offensichtlich von Beginn an und unveränderlich.
Die Stunde des Notstandes darf nach meiner Auffassung nicht die Stunde der Exekutive sein, wie es hier einmal zunächst formuliert wurde, und sie kann nicht die Stunde des Parlaments sein. Die Stunde des Notstandes sollte, wie fast überall in den westlichen Demokratien, die Stunde der parlamentarisch kontrollierten Exekutive sein.
Das erfordert Handlungsvollmachten für die Exekutive und erfordert Kontrollvollmacht für das Parlament.
Meine Damen und Herren, ich bitte, doch Platz zu behalten.
Herr Abgeordneter, Sie müssen sich zur Abstimmung kurz fassen.
Die Exekutive muß in einem allgemein gehaltenen Rahmen Vollmachten bezüglich Zeitpunkt, Örtlichkeit, Häufigkeit, Dauer und Inhalt ihrer Notstandsmaßnahmen erhalten; das Parlament muß bei gegebenem Selbstversammlungsrecht unumschränkte Vollmacht für Genehmigung, Aufhebung oder Veränderung solcher Maßnahmen der Exekutive besitzen. Das hätte Sonderbestimmungen für die Alliierten erübrigt. Das hätte die eine oder andere Spezialvorschrift nicht ausgeschlossen.Übersehen wir nicht, daß die uns vorliegenden komplizierten Bestimmungen letzten Endes doch wieder Vollmachten enthalten, seien sie auch verbrämt oder eingekleidet. Gerade diese Kompliziertheit der Bestimmungen wirft allerorten Rechts- und Auslegungsfragen auf, die der Sache nicht dienen,
die politische Kontrolle durch das Parlament aber behindern oder gar zur Unwirksamkeit verurteilen. Das gilt auch für das Notparlament und den Gemeinsamen Ausschuß. Es kommt eben nicht auf Per-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9651
Dr. Starkefektion, Auslegung oder Rechtsfragen an, sondern darauf, ob eine Maßnahme zeitgerecht, notwendig, adäquat und zweckmäßig ist,
und darauf, daß die Exekutive für alle Umstände und Bestandteile ihrer Maßnahmen klar und durchsichtig vor dem Parlament die Verantwortung trägt. Nur dadurch wird eine wirkliche politische Kontrolle durch das Parlament ermöglicht.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter!
Ich bin sofort fertig!
Ich bedaure sehr, daß ich Ihnen das Wort zur Abstimmung gegeben habe.
— Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ausreden. Ich appelliere jetzt an das Haus, unter allen Umständen die Redefreiheit hier zu respektieren und zu schützen.
Aber, Herr Abgeordneter, das Wort zur Abstimmung wird natürlich unter der Voraussetzung erteilt, daß eine ganz knappe persönliche Erklärung zur Begründung des eigenen Votums gegeben wird. Sie muß in wenigen Sätzen erfolgen. — Bitte!
Ich bin sofort fertig. Jedes Heranziehen von und jedes Stützen auf vorfabrizierte, im entscheidenden Augenblick doch zu weitgehende oder doch unzureichende Bestimmungen trübt das klare Bild der Verantwortlichkeit der Exekutive und schwächt die Kontrollfunktion des Parlaments. Es ist eine in der Geschichte oft erwiesene Tatsache, daß gegen eine Exekutive, die gewillt ist, die Verfassung zu verletzen oder zu brechen, auch subtilste Paragraphen und Artikel nichts helfen; sie bleiben Papier. Hier hilft vorbeugend nur das Vorleben demokratischen Verhaltens, Erziehung zur Demokratie als der am schwierigsten zu handhabenden Staatsform und Erziehung auch zum demokratischen Selbstbewußtsein. Im entscheidenden Augenblick hilft nur der unbeugsame Wille unserer Staatsbürger und unseres Parlaments, ein Wille, der nur aus dem demokratischen Selbstbewußtsein entspringen kann.
Aus vielen Gesprächen weiß ich, daß Kollegen nicht nur aus meiner Fraktion so oder ähnlich denken. Ich habe das Wort ergriffen, damit auch diesem Denken vor dem Hohen Hause Ausdruck gegeben wird.
Das Wort zur Abstimmung hat der Herr Abgeordnete Schlee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wird in Zukunft den Satz enthalten, daß alle Deutschen das Recht haben, jedem Widerstand zu leisten, der die in Art. 20 des Grundgesetzes konkretisierte Ordnung zu beseitigen unternimmt. Es wird in diesem Hause wohl kein Mitglied geben, das das Recht des Widerstandes grundsätzlich verneint. Dennoch muß die Kodifizierung dieses Rechts, weil es die Grundlagen unserer öffentlichen Ordnung berührt, manche Problematik in sich tragen.
Ich darf deshalb für einen Teil meiner Freunde aus der Fraktion der CDU/CSU und für mich erklären, daß wir diesen Satz, diese Ergänzung des Grundgesetzes, nur annehmen in der Überzeugung und mit dem Verständnis, daß sich niemand auf diesen Abs. 4 des Art. 20 wird berufen können, um aktiven oder passiven Widerstand gegen das Recht der Ausübung der Gesetzgebung durch frei und geheim gewählte Volksvertretungen des Bundes und der Länder zu rechtfertigen.
Zur Ordnung unseres Staatswesens gehört es, daß die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und an die Grundrechte gebunden ist. Oberster und erster Satz der verfassungsmäßigen Ordnung ist es, daß die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und ein sozialer Bundesstaat und — ich ergänze — ein demokratischer und ein sozialer Rechtsstaat ist. Wie sich dieser demokratische und soziale Rechtsstaat in der Gesetzgebung jeweils darzustellen hat, kann und wird immer umstritten sein. Der Bundestag und die Parlamente der Länder können die Grenzen ihrer Bindung in der Gesetzgebung verkennen. Dafür unterliegen sie der Rechtsprechung der Verfassungsgerichte. Aber ein Recht, frei und geheim gewählte Volksvertretungen des Bundes und der Länder durch aktiven oder passiven Widerstand zu einer Gesetzgebung zu zwingen oder an einer Gesetzgebung zu hindern, wird aus dem Abs. 4 des Art. 20 niemandem erwachsen.
Das Wort zur Abstimmung hat der Herr Abgeordnete Neumann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Präsident, ich hatte um das Wort gebeten. Aber da meine Ausführungen so knapp sind, kann ich sie auch jetzt zur Abstimmung machen.
Mir ist gesagt worden, daß Sie das Wort zur Abstimmung wünschen. Aber bitte sehr, wenn es mein Fehler ist, dann haben Sie das Wort.
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9652 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
Meine Damen und Herren, ich habe mich bei den Beratungen weder in der sozialdemokratischen Fraktion noch hier im Hause an irgendeiner Aussprache oder Abstimmung beteiligt. Ich habe mir diese Haltung genau überlegt, das Für und das Wider wirklich abgewogen.
Diese Grundgesetzänderungen gelten nicht in Berlin. Die einfachen Notstandsgesetze werden auch nicht im Abgeordnetenhaus von Berlin übernommen. Alliiertes Recht steht dem entgegen. Ich kann voll und ganz meine Zustimmung zu dem geben, was der Herr Bundesaußenminister in dieser Hinsicht heute erklärt hat.
Herr Präsident, wenn offene Abstimmung erfolgen würde, würde der Zusatz gemacht werden: Die Berliner haben kein Stimmrecht. Wenn durch Hammelsprung entschieden würde, würde es heißen: Die Berliner dürfen nicht daran teilnehmen. Bei der namentlichen Abstimmung sind die Berliner Abgeordneten beteiligt, auch wenn keine Berlinklausel in irgendeinem Gesetz enthalten ist, mit Ausnahme von zwei kleinen Sachen.
Ich möchte feststellen, meine Damen und Herren, daß ich seit 1949 immer für eine Erweiterung der Rechte der Berliner Abgeordneten, für eine Anpassung ihrer Rechte an die der vollberechtigten Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses gearbeitet habe. Trotz Anerkennung der manchmal harten politischen Realitäten mußte ich dabei manche Enttäuschung, manche herbe Enttäuschung erleben. Die Erinnerung an solche Tage wird für mich immer eine schwarze sein.
Als Beispiel darf ich die Beratungen des RöhrenEmbargos nennen. Die Berliner Abgeordneten wurden wie alle anderen telegraphisch eingeladen. Dann mußten wir Berliner erleben, daß Kollegen dieses Hauses, Berliner Kollegen, Abgeordnete und Minister, sich draußen vor die Türen stellten und kontrollierten, ob andersdenkende Berliner Kollegen durch ihre Teilnahme am Hammelsprung eventuell die Beschlußfähigkeit des Hauses herbeigeführt hätten.
Für solche Finessen habe ich in den langen Jahren meiner Anwesenheit und Mitgliedschaft in diesem Hause nie Verständnis aufbringen können.
Seit Jahren propagiere ich den Grundsatz nicht nur in meiner Fraktion, sondern bei Kollegen aller politischen Richtungen, danz gleich, ob sie Juristen oder Staatsrechtler, ob sie Geschäftsführer oder — in Klammern — „nur" Politiker sind: Hier muß eine einheitliche Auffassung durchgeführt werden, hier muß das volle Stimmrecht der Berliner für Gesetze, die in Berlin wirksam werden, also eine Berlinklausel haben, durchgesetzt werden.
Auch beim Herrn Präsidenten dieses Hauses bin ich — in der ersten Septemberwoche des vergangenen Jahres — gewesen und habe ihm diese meine Auffassung noch einmal in einer längeren Unterhaltung vorgetragen. Das wäre meines Erachtens die Lösung, auf die hingearbeitet werden muß. Die politischen Schwierigkeiten zur Erreichung dieses Ziels sind nicht kleiner geworden. Dessen bin ich mir mit
vielen Kolleginnen und Kollegen des Hauses durchaus voll bewußt. Darum bedaure ich sehr, daß nicht zeitig genug im Kreis der Verantwortlichen diese Fragen zur heutigen Abstimmung besprochen worden sind.
Ich werde mich an der heutigen Abstimmung aus der Konsequenz des hier Vertretenen in der Sache nicht beteiligen. Das ist eine rein persönliche Entscheidung. Sie bedeutet keinen Affront gegen irgendeinen meiner anderen Berliner Kollegen. Ich bin so tolerant, das hier zu sagen. Ich hoffe, daß man die gleiche Toleranz aber auch mir gegenüber beweist. Die Abgabe der weißen Stimmkarte erfolgt aus den vorgenannten Gründen.
Niemand soll mir nun aber den Vorwurf machen können, mich durch diese Erklärung um die Sachentscheidung herumgedrückt zu haben. Darum sage ich zum Schluß — und ich erkenne dankbar an, daß meine Fraktion jedem einzelnen Kollegen die Gewissensentscheidung überlassen hat —: Die Reglementierung des öffentlichen Lebens durch diese Gesetze in den vorgesehenen Zeiten ist mit meiner Erfahrung in einer langen und manchmal auch opfervollen politischen Tätigkeit nicht zu vereinbaren.
Keine weiteren Wortmeldungen zur Abstimmung.Meine Damen und Herren, was die Ausführungen des Herrn Kollegen Neumann anbetrifft, so ist dem Hause bewußt, daß wir hier unter zwingenden Rechtsvorschriften stehen, über die das Haus einseitig überhaupt nicht befinden kann. Ich bedaure das. Selbstverständlich kann ich auch bei dieser Abstimmung die Berliner Kollegen, wie das üblich ist, zwar bitten, ihre Stimmkarten mit abzugeben, aber sie müssen bei der Berechnung der Zweidrittelmehrheit, die verfassungsmäßig erforderlich ist, außer Betracht bleiben. Ich bedaure das; ändern kann ich es nicht.Meine Damen und Herren, es ist namentliche Abstimmung beantragt. Der Antrag ist hinreichend unterstützt.Nach Art. 79 des Grundgesetzes — ich sagte es schon — bedarf dieses Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.Nach § 49 Abs. 2 der Geschäftsordnung hat der Präsident, wenn für einen Beschluß die Zustimmung einer bestimmten Mitgliederzahl erforderlich ist, festzustellen, daß die Zustimmung der erforderlichen Mehrheit vorliegt. Ich verbinde das in diesem Fall mit der namentlichen Abstimmung.Ich eröffne die namentliche Abstimmung. —Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Mit Ja haben gestimmt 384 stimmberechtigte Mitglieder des Hauses und 20 Berliner Abgeordnete. Mit Nein haben gestimmt 100 Mitglieder des Hauses und 1 Berliner Abgeordneter. Enthalten haben sich 1 stimmberechtigtes Mitglied des Hauses und 1 Berliner Abgeordneter. Ich stelle damit fest, daß die erforderliche Zweidrittelmehr-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9653
Präsident D. Dr. Gerstenmaierheit der 496 stimmberechtigten Mitglieder des Bundestags erreicht ist. Diese Zweidrittelmehrheit beträgt 331 Stimmen. Wir haben 384 gültige Ja-Stimmen. Damit ist dieses Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes in dritter Beratung angenommen.
Endgültiges Ergebnis:Abgegebene Stimmen: 485 und 21 Berliner Abgeordnete Ja: 384 und 20 Berliner AbgeordneteNein: 100 und 1 Berliner AbgeordneterEnthalten: 1 und 1 Berliner AbgeordneterJa CDU/CSUDr. Abelein AdornoDr. AignerDr. AlthammerDr. Arnold Dr. ArtzingerBaierDr.-Ing. Dr. h. c. Balke BalkenholDr. BarzelBauer BauknechtPrinz von BayernDr. Becher BeckerBerberich Berendsen BergerDr. Besold Bewerunge BiecheleDr. BirrenbachBlankBlöckerFrau Blohm Blumenfeld BrandFrau BrauksiepeBremerDr. Brenck BreseBrück BuddeBühlerDr. Burgbacher BurgemeisterBurgerDr. Conring Dr. Czaja Dammvan Delden Deringer Dichgans Diebäcker Dr. Dittrich. Dr. DollingerDraegervon Eckardt EhnesDr. ElbrächterEnkFrau EnselingDr. ErhardErhard ErnestiErpenbeck Dr. EvenExnerFalkeFranke
Dr. FranzFranzenDr. Freiwald Dr. Frerichs FrielerFritz
Dr. FurlerFrau Geisendörfer GeisenhoferD. Dr. Gerstenmaier GewandtGierenstein Dr. Giulini Dr. GleissnerGlüsing Dr. GötzGottesleben Frau GriesingerDr. h. c. GüdeFreiherr vonund zu Guttenberg Haase
Dr. Häfele Härzschel Häussler Dr. HammansHanz
von HasselHauser Dr. Hauser (Sasbach)Dr. Heck Dr. Hellige Dr. Hesberg HilbertHöcherlHörnemann HöslDr. Hofmann Frau Holzmeister HorstmeierHortenDr. Hudak Dr. Huys Illerhaus Frau Jacobi
Dr. JaegerDr. Jahn JostenDr. JungmannFrau KalinkeKatzerDr. KempflerKiepFrau Klee KleinDr. KlepschDr. Kliesing KlinkerKnobloch KöpplerDr. KopfKrampeKrammig Dr. Kraske Dr. Krone KrugFrau Dr. KuchtnerKühn Kuntscher LampersbachLeichtLemmrichDr. Lenz
Lenz
Lenze
LeukertDr. LindenbergDr. Löhr Dr. Luda Lücke
Lücker
Majonica Dr. MartinDr. Marx MaucherMeisMeister Memmel Dr. von MerkatzMissbachFrau MönikesMüller Müller (Remscheid)Dr. Müller-HermannMüserNiederaltDr. von Nordenskjöld OrgaßOttPetersen PicardFrau Pitz-SavelsbergDr. Pohle PortenDr. Prassler Dr. Preiß Prochazka RainerRasnerRaweDr. ReinhardRichartsRiedel
Dr. Rinsche Dr. Ritgen Dr. RitzRockRöhnerRösingRollmann RommerskirchenRufRusse
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinSchlager SchleeDr. Schmid-Burgk SchmidhuberDr. Schmidt Schmitt (Lockweiler) SchmückerDr. SchoberFrau Schroeder Schröder (Sellstedt) SchulhoffFrau Dr. SchwarzhauptDr. SchwörerDr. Serres Dr. Siemer Dr. Sinn Springorum StahlbergDr. Stark
Dr. Stecker Stein
Dr. SteinmetzStillerDr. StoltenbergFrau StommelStooß Storm Strauß StücklenDr. SüsterhennTeriete TobabenDr. Dr. h. c. ToussaintUnertl VarelmannDr. Freiherrv. Vittinghoff-SchellVogtWagnerDr. WahlWeigl WeilandWeimerWendelbornFrau Dr. WexWieningerDr. WilhelmiWindelenWinkelheideDr. WörnerFrau Dr. WolfBaron von WrangelDr. WuermelingWullenhauptZieglerDr. ZimmermannZinkBerliner AbgeordneteBendaDr. GradlFrau Dr. MaxseinLemmerMüller
StinglSPDAdamsAhrens (Gast)Dr. ApelDr. Arndt
BalsBaltes Barche Bauer
Bazille BergmannBerkhanBerlin BeusterBöhm Börner Brück
BuchstallerBüttner Collet CorterierCramer DiekmannFrau EilersFrau Dr. ElsnerDr. EndersDr. EpplerEschmannFaller Felder FellermaierFeuringFranke
FrehseeFritsch
Fritz
Gerlach
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9654 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
GlombigHaage
Haar
Haase HaehserHamacherHansingHauck HauffeDr. Dr. Heinemann HellenbrockHerbertsFrau HerklotzHermsdorfHerold HirschHöhmann HöhneHölzleHörmann Hofmann (Kronach) HübnerHufnagelIvenJacobi
Jahn
Jaschke JürgensenJunghansKahn-AckermannKernFrau KleinertKönen
Frau KorspeterDr. KreutzmannDr. KüblerKulawigKunze KurlbaumFrau Kurlbaum-Beyer LangeLangebeckLautenschlagerLeber LempLemper Liedtke Dr. LohmarLotzeMaibaumMarquardtMatthesFrau MeermannDr. MeineckeMetzgerDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Dr. MommerMüller Müller (Worms)Dr. Müller-Emmert Neumann
PaulPeters
Pöhler Porzner Raffert Ravens Regling RehsDr. ReischlFrau RengerRichterRiegel
Dr. RinderspacherRohdeFrau RudollSaxowskiFrau SchanzenbachDr. Schmid
Dr. Schmidt Schmidt (Hamburg)Schmidt
Schmitt-Vockenhausen SchoettleSchonhofenSchulte Schwabe Seibert Seidel Seifriz Seither Frau SeppiSpilleckeDr. StammbergerStephan Frau StrobelDr. TambléTönjes VitWehner Welslau Wendt WestphalWiefelWienandWilhelm WischnewskiWolfBerliner AbgeordneteDr. Arndt
BartschFrau Berger-HeiseBühlingFrau KrappeLiehrFrau LöscheMattickDr. SchellenbergDr. SchillerDr. Schulz
Dr. SeumeUrbanWellmannFDPDr. MiessnerNeinCDU/CSUDr. Schulze-VorbergSPDFrau AlbertzArendt
AugeBading Bäuerle Dr. BardensDr. BayerlDr. Bechert BehrendtBiermann BlachsteinBrünen Buschfort Dröscher Eckerland Flämig FolgerFrau FreyhGeigerGertzen Gscheidle Hörauf Dr. IlsJunkerKaffka KillatDr. KochKoenen KohlbergerKriedemannLenders LöbbertMarx MatthöferMichelsMüller
Dr. MüthlingNeemann Nellen PeiterDr. Rau ReitzRoßSängerFrau SchimschokSchmidt Dr. Schmidt (Offenbach) StrohmayrTallertWelkeFrau WesselWuwerZebischFDPDr. AchenbachDr. BucherBusse
Dr. DahlgrünFrau Dr. Diemer-Nicolaus DornDr. Emde ErtlDr. FriderichsFrau FunckeGeldnerFreiherr von Gemmingen GenscherGraaffDr. HaasFrau Dr. HeuserDr. Imle JungKubitza Freiherrvon Kühlmann-Stumm LogemannMaukDr. MendeDr. h. c. Menne MertesMischnick MoerschDr. MühlhanOllesch OpitzPeters
PorschRamms ReichmannDr. RutschkeSaamSanderScheelSchmidt
Schultz Dr. StaratzkeDr. Starke WächterWalterWurbsZoglmannBerliner Abgeordnete BormEnthaltenSPDDr. Müller
Berliner Abgeordnete Neumann .Meine Damen und Herren, es liegt jetzt zunächst der Antrag des Ausschusses auf Seite 20 der Drucksache V/2873 unter Ziffer 2 vor.
— Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit; wir sind mit dieser Vorlage noch nicht fertig.Der Ausschuß hat beantragt, den von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der rechtsstaatlichen Ordnung im Verteidigungsfall auf Grund der Abstimmung, die soeben durchgeführt worden ist, für erledigt zu erklären. Ich bin der Meinung, daß diesem Vorschlag des Ausschusses nicht stattgegeben werden kann, jedenfalls dann nicht, wenn die antragstellende Fraktion damit nicht einverstanden ist. Ich unterstelle, daß die antragstellende Fraktion auf der geschäftsordnungsmäßigen Behandlung in zweiter Lesung besteht. — Meine Damen und Herren, dem wird stattgegeben.Ich rufe zur zweiten Beratung des von den Abgeordneten Dorn, Busse usw. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der rechtsstaatlichen Ordnung im Verteidigungsfall — Drucksache V/2130 — auf.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9655
Präsident D. Dr. GerstenmaierIch frage die Antragsteller, ob sie damit einverstanden sind, daß ich alle Einzelbestimmungen, Einleitung und Überschrift en bloc aufrufe. - Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.Wer den Bestimmungen dieses Entwurfs in Drucksache V/2130 — § 1, § 2, Einleitung und Überschrift — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Gesetzentwurf ist in zweiter Lesung abgelehnt. Damit ist die Vorlage erledigt.Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G 10)— Drucksachen V/1880, V/2930 —Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache gewünscht? — Keine Wortmeldungen. Wer diesem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war unzweifelhaft die Mehrheit. Dieser Gesetzentwurf ist in dritter Lesung angenommen.Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ernährungssicherstellungsgesetzes— Drucksachen V/2361, V/2934 —Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache gewünscht? — Keine Wortmeldungen. Abstimmung! Wer diesem Gesetzentwurf in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist bei zahlreichen Enthaltungen in dritter Lesung angenommen.Punkt 12 der Tagesordnung:Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherstellung des Verkehrs— Drucksachen V/2388, V/2933 —Ich frage, ob das Wort in der allgemeinen Aussprache gewünscht wird? — Das ist nicht der Fall. Wer diesem Gesetzentwurf in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen und einer Reihe von Gegenstimmen ist dieses Gesetz in dritter Lesung ebenfalls angenommen,Punkt 13 der Tagesordnung:Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erweiterung des Katastrophenschutzes— Drucksachen V/2585, V/2935 —Ich frage, ob das Wort gewünscht wird? — Herr Abgeordneter Wörner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch § 14 des im Augenblick zur Beratung anstehenden Gesetzentwurfs werden auch die überörtlichen Einheiten des Luftschutzhilfsdienstes eingeordnet. Das Zivilschutzkorps wird in absehbarer Zeit nicht aufgestellt. Damit entfällt jede überörtliche Eingreifreserve. Das wird u. a. dazu führen, daß in Ballungsräumen, wo Mangel an freiwilligen Helfern zu verzeichnen ist, nicht damit gerechnet werden kann, daß im Ernstfall ausreichende Hilfeleistung zu erwarten ist. Ich bin deswegen gezwungen, gegen dieses Gesetz zu stimmen.
Das war eine Erklärung zur Abstimmung.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Keine Wortmeldung. Wer diesem Gesetzentwurf in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Gesetzentwurf ist in dritter Lesung angenommen bei einer Reihe von Gegenstimmen und zahlreichen Enthaltungen.
Ich lasse abstimmen über die Ziffer 3 des Antrages des Ausschusses, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Wer dem zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenproben! — Enthaltungen? — Ziffer 3 ist angenommen.
Hier liegen ein Entschließungsantrag des Ausschusses in Ziffer 2 und ein Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Hofmann, Frau Jacobi und Genossen auf Umdruck 489 vor. Ich frage, ob zu diesen Entschließungsanträgen das Wort gewünscht wird? — Zu dem Entschließungsantrag des Ausschusses, Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wäre dankbar, wenn über den Antrag des Ausschusses heute in der Sache abgestimmt und der Entschließungsantrag der Kollegen Dr. Hofmann und Genossen an den Innenausschuß zur weiteren Beratung übergeben würde. In der Sache sind wir einig. Wir danken allen den Männern und Frauen, die sich hier auf diesem schwierigen Gebiet in den vergangenen Jahren bemüht haben, zu Ergebnissen zu kommen.
Ich frage die Antragsteller: Herr Dr. Hofmann, sind Sie damit einverstanden?
Ich lasse über den Entschließungsantrag des Ausschusses — Seite 4 der Drucksache V/2935 — abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Anzahl Enthaltungen ist auch dieser Entschließungsantrag des Ausschusses angenommen.Ich unterstelle, daß das Haus mit dem Vorschlag einverstanden ist, den Entschließungsantrag der
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9656 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968
Präsident D. Dr. GerstenmaierAbgeordneten Dr. Hofmann und Genossen an den Innenausschuß zu überweisen. — Kein Widerspruch; die Überweisung ist beschlossen.Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung
— Drucksachen V/2362, V/2932, zu V/2932 —Ich frage, ob in der allgemeinen Aussprache der dritten Lesung das Wort gewünscht wird. — Keine Wortmeldungen.Wer diesem Gesetzentwurf in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! Enthaltungen? — Bei einer Anzahl Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen ist auch dieser Gesetzentwurf in dritter Lesung angenommen.Ich lasse über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache V/2932, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären, abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch diesem Antrag des Ausschusses ist entsprochen.Punkt 15 der Tagesordnung:Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wirtschaftssicherstellungsgesetzes— Drucksachen V/2387, V/2931 —Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wer dem Gesetzentwurf in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Anzahl Gegenstimmen und Enthaltungen ist auch dieser Gesetzentwurf in dritter Lesung angenommen.Auf Umdruck 490 liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD vor. Ich frage, ob das Wort gewünscht wird. — Herr Abgeordneter Fellermaier!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen legen auf Umdruck 490 einen Antrag vor, mit dem die Bundesregierung gebeten wird, das Bundesleistungsgesetz in seiner Rechtssystematik an das anzugleichen, was wir bei den Sicherstellungsgesetzen erreicht haben, nämlich die Unterordnung unter den Art. 80 a des Grundgesetzes. Wir wissen, daß bisher nach dem Bundesleistungsgesetz noch eine besondere Feststellung der Bundesregierung möglich ist, bei der das Parlament nicht zuzustimmen braucht. Wir sind der Meinung, daß im Interesse der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit eine Anpassung erfolgen sollte. Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt, um dessen Zustimmung wir Sie bitten.
Meine Damen und Herren, wird dazu weiter das Wort gewünscht?
— Das ist nicht der Fall. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Dieser Entschließungsantrag ist bei einigen Enthaltungen angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir für heute am Ende unserer bedeutenden Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen vormittag, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.