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    Deutscher Bundestag 178. Sitzung Bonn, den 30. Mai 1968 Inhalt: Amtliche Mitteilung 9593 A Fragestunde (Drucksache V/2936) Fragen des Abg. Baier: Einsparungen durch Zusammenlegung des Paßkontrolldienstes mit der Zollverwaltung Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 9593 B Baier (CDU/CSU) . . . . . . . 9593 D Bühler (CDU/CSU) . . . . . . 9594 A Westphal (SPD) 9594 B Illerhaus (CDU/CSU) 9594 C Fragen des Abg. Opitz: Reisekostenpauschbeträge der privaten Wirtschaft und des öffentlichen Dienstes Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 9595 A Opitz (FDP) 9595 B Frage des Abg. Kubitza: Zeitpunkt der Zuleitung des Haushaltsentwurfs 1969 an den Bundesrat Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 9595 D Kubitza (FDP) . . . . . . . . 9596 A Frage des Abg. Weigl: Aufstiegschancen der akademisch vorgebildeten Angestellten des öffentlichen Dienstes Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 9596 A Weigl (CDU/CSU) 9596 B Fragen des Abg. Dr. Wuermeling: Höhe des durch Kinderfreibeträge und Ehegattensplitting herbeigeführten Steuerausfalls — Auswirkung des Splittingeffekts 9596 C Frage des Abg. Mertes: Rückvergütungen aus dem EWG-Agrarfonds an die Bundesrepublik im Vergleich zu Frankreich und den Niederlanden Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 9597 A Mertes (FDP) . . . . . . . . 9597 B Dröscher (SPD) 9597 C Illerhaus (CDU/CSU) 9598 A Peters (Poppenbüll) (FDP) . . . 9598 A Logemann (FDP) 9598 C II Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 Frage des Abg. Dröscher: Amnestie für wegen der Osterunruhen strafrechtlich Verfolgte 9598 D Fragen des Abg. Kühn (Hildesheim) : Auftragserteilung im Zonenrandgebiet Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 9599 A Kühn (Hildesheim) (CDU/CSU) . . 9599 C Peters (Poppenbüll) (FDP) . . . 9599 D Dr. Huys (CDU/CSU) 9600 A Dr. Dittrich (CDU/CSU) 9600 A Frage des Abg. Dr. Huys: Weitergehende Maßnahmen zur Förderung der Wirtschaft im Zonenrandgebiet Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 9600 C Kühn (Hildesheim) (CDU/CSU) . . 9600 D Peters (Poppenbüll) (FDP) . . . 9601 A Frage des Abg. Dr. Huys: Gleiche Förderungsmaßnahmen für alle Bundesländer Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 9601 B Dr. Huys (CDU/CSU) 9601 C Kühn (Hildesheim) (CDU/CSU) . . 9601 C Porsch (FDP) 9602 A Dr. Starke (Franken) (FDP) . . . 9602 A Fragen des Abg. Westphal: Abfindungsgeld für Arbeitnehmer des Steinkohlenbergbaues Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 9602 B, 9602 D Westphal (SPD) . . . . 9602 B, 9603 A Fragen des Abg. Dr. Apel: Konsequenzen der Zinsfreigabe im Gefüge der Soll- und Habenzinsen Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 9603 B, 9603 D, 9604 C Dr. Apel (SPD) . . . . 9603 B, 9603 D, 9604 C Illerhaus (CDU/CSU) 9604 A Fragen des Abg. Dr. Ritz: Schwierigkeiten der Landwirtschaft durch Einberufung junger Landwirte zu Wehrübungen Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 9605 A Dr. Ritz (CDU/CSU) . . . . . . . 9605 A Fragen des Abg. Hörauf: Unterbringung langdienender Unteroffiziere auf Zeit in der Bundeswehrverwaltung in den kommenden Jahren Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 9605 B Hörauf (SPD) 9605 D Porsch (FDP) 9605 D Josten (CDU/CSU) . . . . . . 9606 A Jung (FDP) 9606 A Dr. Hofmann (Mainz) (CDU/CSU) . 9606 B Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) . 9606 B Haase (Kellinghusen) (SPD) . . . 9606 C Entwurf eines Siebzehnten Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes (Drucksachen V/1879, V/2973) ; Zusammenstellung der Beschlüsse in zweiter Beratung (Drucksache V/2917) — Dritte Beratung — in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der rechtsstaatlichen Ordnung im Verteidigungsfall (Abg. Dorn, Busse [Herford], Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Mischnick und Fraktion der FDP) (Drucksache V/2130) ; Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses (Drucksache V/2873) — Zweite Beratung — Dr. Rutschke (FDP) . . . , 9607 B, 9614 C Dr. Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) . . 9608 D, 9614D, 9622 B, 9624 C Genscher (FDP) . . . . . 9609 B, 9611 B, 9618 C, 9620 B Dr. Reischl (SPD) . . . . . . . . 9610 D Frau Dr. Heuser (FDP) . . . . . . 9611 D Frau Schroeder (Detmold) (CDU/CSU) 9612 D Busse (Herford) (FDP) . . . . . . 9614 A Moersch (FDP) . . . . . . . . 9615 D Benda, Bundesminister . 9617 C, 9619 B Dr. Wilhelmi (CDU/CSU) . . . . . 9619 D Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) . . 9620 D, 9624 A Haase (Kellinghusen) (SPD) . . . . 9622 C Dorn (FDP) . . . . . . . . . . 9623 A Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 9623 C Brandt, Bundesminister . . . . . 9625 A Matthöfer (SPD) . . . . . . . . 9631 B Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 III • Dr. Even (CDU/CSU) 9635 B Scheel (FDP) 9638 C Schmidt (Hamburg) (SPD) 9640 B Dr. h. c. Kiesinger, Bundeskanzler 9649 A Dr. Starke (Franken) (FDP) . . . 9650 B D. Dr. Gerstenmaier, Präsident . . 9651 A, 9652 C Schlee (CDU/CSU) 9651 C Neumann (Berlin) (SPD) . . . . 9651 D Entwurf eines Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Drucksachen V/1880, V/2930) — Dritte Beratung — . . . . . . . . . 9655 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ernährungssicherstellungsgesetzes (Drucksachen V/2361, V/2934) — Dritte Beratung — 9655 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherstellung des Verkehrs (Drucksachen V/2388, V/2933) — Dritte Beratung — 9655 B Entwurf eines Gesetzes über die Erweiterung des Katastrophenschutzes (Drucksachen V/2585, V/2935) — Dritte Beratung — Dr. Wörner (CDU/CSU) 9655 C Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 9655 D Entwurf eines Gesetzes zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung (Arbeitssicherstellungsgesetz) (Drucksachen V/2362, V/2932, zu V/2932) — Dritte Beratung — . . . . 9656 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wirtschaftssicherstellungsgesetzes (Drucksachen V/2387, V/2931) — Dritte Beratung — Fellermaier (SPD) 9656 C Nächste Sitzung 9656 D Anlagen 9657 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9593 178. Sitzung Bonn, den 30. Mai 1968 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Berkhan 7. 6. Blume 31.5. Brese 31.5. Dr. Eckhardt 31. 5. Frau Dr. Elsner 31. 5. Enk 31.5. Dr. Erhard 31. 5. Dr. Frey 30. 6. Hamacher 1. 7. Frau Dr. Hubert 1. 7. Kiep 7. 6. Frau Dr. Krips 31. 5. Kunze 1. 6. Lenz (Brühl) 31. 5. Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 7. 6. Mick 31.5. Reitz 30. 5. Spitzmüller 17. 6. Steinhoff 1: 7. Struve 31.5. Dr. Süsterhenn 31. 5. Anlage 2 Umdruck 484 Änderungsantrag der Abgeordneten Dorn, Busse (Herford), Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Dr. Rutschke und der Fraktion der FDP zur dritten Beratung des Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes - Drucksachen V/1879, V/2130, V/2873, V/2917 -. Der Bundestag wolle beschließen: 1. In § 1 Nr. 1 wird in Artikel 10 Abs. 2 der folgende Satz 2 gestrichen: „Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt." 2. In § 1 Nr. 2 a wird der Satz 1 des Absatzes 4 des Artikels 12 a gestrichen. Satz 2 des Absatzes 4 erhält folgende Fassung: „Frauen dürfen nicht zu einer Dienstleistung im Verband der Streitkräfte durch Gesetz verpflichtet werden. Zu einem Dienst mit der Waffe dürfen sie auf keinen Fall verwendet werden." 3. In § 1 wird Nummer 2 b gestrichen. 4. In § 1 Nr. 6 a erhält Absatz 2 des Artikels 80 a folgenden Satz 2: Anlagen zum Stenographischen Bericht „Die Bundesregierung kann im Rahmen des Bündnisvertrages nur dann zustimmen, wenn sie vorher die Zustimmung des Bundestages eingeholt hat. Dieser Beschluß des Bundestages erfolgt mit der Mehrheit seiner Mitglieder." 5. In § 1 Nr. 6 b wird in Absatz 4 des Artikels 87 a folgender neuer Satz 2 eingefügt: „Dieser Einsatz der Streitkräfte bedarf der vorherigen Zustimmung des Bundestages." Der bisherige Satz 2 wird Satz 3. Bonn, den 28. Mai 1968 Dorn Busse (Herford) Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dr. Rutschke Mischnick und Fraktion Anlage 3 Umdruck 485 Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD zur dritten Beratung des Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes - Drucksachen V/1879, V/2873, V/2917 -. Der Bundestag wolle beschließen: In § 1 Nr. 6 a erhält 1. Artikel 80 a Abs. 2 folgende Fassung: „(2) Maßnahmen auf Grund von Rechtsvorschriften nach Absatz 1 sind aufzuheben, wenn der Bundestag es verlangt." 2. Artikel 80 a Abs. 3 folgende Fassung: „ (3) Abweichend von Absatz 1 ist die Anwendung solcher Rechtsvorschriften auch auf der Grundlage und nach Maßgabe eines Beschlusses zulässig, der von einem internationalen Organ im Rahmen eines Bündnisvertrages mit Zustimmung der Bundesregierung gefaßt wird. Maßnahmen nach diesem Absatz sind aufzuheben, wenn der Bundestag es mit der Mehrheit seiner Mitglieder verlangt." Bonn, den 28. Mai 1968 Dr. Barzel und Fraktion Schmidt (Hamburg) und Fraktion Anlage 4 Umdruck 489 Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Hofmann (Mainz), Frau Jacobi (Marl), Dr. Wörner, Dr. Kempfler und Genossen zur dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs 9658 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 eines Gesetzes über die Erweiterung des Katastrophenschutzes — Drucksachen V/2585, V/2935 —. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, bei der Einordnung des Luftschutzhilfsdienstes in den Katastrophenschutz zu beachten, daß eine große Zahl freiwilliger Helfer sich seit Jahren für diese Aufgabe zur Verfügung gestellt hat und ihr weiterhin freiwillig dienen will. Organisations- und Einordnungsmaßnahmen müssen auf diese vorhandene Bereitschaft Rücksicht nehmen und den Helfern ihren Dienst möglichst entsprechend ihren freiwillig übernommenen Aufgaben und in ihren gewachsenen Einheiten gestatten. Bonn, den 28. Mai 1968 Dr. Hofmann (Mainz) Pertersen Frau Jacobi (Marl) Dr. Serres Dr. Wörner Dr. Stecker Dr. Kempfler Dr. Steinmetz Brand Dr. Wahl Draeger Dr. Wilhelmi Dr. h. c. Güde Bühling Dr. Jaeger Hansing Lenz (Brühl) Müller (Mülheim) Majonica Spillecke Dr. Marx (Kaiserslautern) Schmitt-Vockenhausen Anlage 5 Umdruck 490 Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD zur dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ernährungssicherstellungsgesetzes — Drucksachen V/2361, V/2934 —, des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherstellung des Verkehrs — Drucksachen V/2388, V/2933 —, des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wirtschaftssicherstellungsgesetzes — Drucksachen V/2387, V/2931 — Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, die Bestimmungen des Bundesleistungsgesetzes mit dem Ziel zu überprüfen, sie den Bestimmungen des Artikels 80 a des Grundgesetzes anzupassen. Bonn, den 29. Mai 1968 Dr. Barzel und Fraktion Schmidt (Hamburg) und Fraktion Anlage 6 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Borm (FDP) zu Punkt 9 der Tagesordnung. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich als einer der Ältesten unter den Abgeordneten dieses Hauses und nach einem recht wechselvollen Leben in dieser das Grundgesetz tief berührenden Frage einfach nicht schweigen kann. Zweimal habe ich den Untergang deutscher Staatswesen. erlebt; also liegt es nahe, nach den Gründen dafür zu suchen, und es liegt ebenso nahe, zu warnen, wenn sich heute bedenkliche Parallelen zur Fehlentwicklung in der Vergangenheit zeigen. Unzweifelhaft war der Ausbruch des ersten Weltkrieges dadurch erleichtert, daß, ebenso wie im Zarenreich die Duma, im Deutschen Reich wilhelmischer Prägung der Reichstag bei der Entscheidung über die schicksalhaften Fragen der Nation mehr deklamatorische Funktionen hatte als Entscheidungsmöglichkeiten, zugunsten eines Mannes, eben des Kaisers. Die Folgen sind bekannt! In der Weimarer Republik war zwar nach der Verfassung der Reichstag mit den nötigen Vollmachten ausgestattet, die ihm die Ausübung seines legislativen Auftrages ermöglichten — und in normalen Zeiten reichte das auch aus —, aber in Zeiten der Krise und der Not wurde der berüchtigte Art. 48 der Weimarer Verfassung für das öffentliche Leben der entscheidende Faktor. An Stelle eines Monar- I chen lag die Diktaturgewalt beim Reichspräsidenten, also wieder unter Außerachtlassung des Parlaments bei einem Manne. Das Erbe der absolutistischen Vergangenheit, die Vorstellung, daß es hinter der Verfassung noch einer weiteren souveränen Gewalt bedürfe, um in Krisenzeiten rasch und energisch handeln zu können — was keinesfalls die Richtigkeit der Handlungen beinhaltet —, ist sowohl im Reiche Bismarcks wie im Reich von Weimar unübersehbar. Nun wird niemand leugnen können, daß ein wirklicher Notstand nur gemeistert werden kann bei entsprechender Vorsorge und gewissen Vollmachten für die Regierung. So weit wird jeder Einsichtige einer gesetzlichen Regelung zustimmen. Die Lehre aber, die wir aus der Vergangenheit zu ziehen haben, ist diese: Die Gefahren des Art. 48 der Weimarer Verfassung lagen nicht eigentlich in der Ermächtigung der Exekutive — sie ist im Notstand im Grunde immer unausweichlich —, sondern darin, daß das Parlament nicht ständig durch die Verfassung zu ihrer Billigung gezwungen war. Gerade an dieser Gefahr aber hat sich im vorliegenden Entwurf nichts geändert. Statt eines klaren Zwangs des Parlaments in die unausweichliche Verantwortung haben wir wiederum die unglückselige und gefährliche Institution des Kassationsrechts. Dieses Recht gestattet dem Parlament von sich aus die bequeme Flucht aus der Verantwortung, und es erleichtert andererseits einer machtstrebigen Exekutive ziemlich legal die Überspielung des Parlaments. Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9659 Nach dem jetzigen Entwurf kann der Bundestag Notstandsmaßnahmen aufheben, aber er ist nicht zu einer Entscheidung über sie gezwungen. Wer zwei verhängnisvolle Entwicklungen bewußt miterlebt hat, wer zudem weiß, daß auch Weimar das Kassationsrecht kannte (Art. 48 Abs. 3), wer weiß, wie wenig es wert ist, wenn sich die Ereignisse überstürzen, der muß eindringlich vor den Gefahren warnen, die durch die Vorlage drohen. In einem demokratischen Rechtsstaat darf das Parlament sich die letzte Entscheidung nicht aus den Händen winden lassen. Gerade diese Möglichkeit läßt das Kassationsrecht etwa nach Art. 80 a Abs. 3 zu. An Stelle des Kassationsrechts muß sich das Parlament bei gewichtigen Entscheidungen, so beim Bündnisfall, die vorherige Zustimmung vorbehalten. Wenn es der Sinn einer Notstandsgesetzgebung ist, die Verfassung zu schützen und die Rückkehr zur vollen Gültigkeit zu sichern, muß die Dauer aller Notstandsregelungen durch eine absolute Frist begrenzt sein, nach deren Ablauf alle Vollmachten der Exekutive automatisch erlöschen, wenn das Parlament sie nicht ausdrücklich bestätigt und verlängert. Dies ist der entscheidende Punkt. Nur so bleibt garantiert, daß das Parlament in die Verantwortung gezwungen bleibt. Wir brauchen also mehr als nur ein Kassationsrecht, wir brauchen die Pflicht für dieses Parlament, alle Notstandsvollmachten regelmäßig bestätigen oder ablehnen zu müssen. Eine weitere Gefahr für Parlament und Verfassung ist der Gesetzesperfektionismus. Man will die Demokratie durch eine Paragraphenflut schützen und vergißt, daß die Demokratie nicht von Paragraphen, sondern von Demokraten lebt. Lassen Sie mich die drei eklatantesten Beispiele für überflüssige und damit gefährliche Regelungen in diesem Gesetzentwurf herausgreifen: den inneren Notstand, die NATO-Klausel und das Widerstandsrecht. 1. Zum Problem der Regelung des inneren Notstandes hat Professor Furler 1955 im Bericht des Auswärtigen Ausschusses wörtlich gesagt: „Besondere Situationen, die ihre Ursache in Vorgängen innerhalb der Bundesrepublik haben, brauchen nicht von der hier gesetzgeberisch zu erteilenden Ermächtigung erfaßt zu sein, so Notlagen, die durch innere Unruhen, Streiks, Wassergefahr, Seuchen etc. entstehen können." Das bedeutet, die Alliierten verlangen gar keine Regelung für den inneren Notstand, wie manchmal behauptet wird. Erst recht überflüssig ist eine Regelung des inneren Notstandes angesichts der Tatsache, daß Polizei und Bundesgrenzschutz allen Gefahren gewachsen sind, die man sich real vorstellen kann. Schon heute den Einsatz der Bundeswehr gegen deutsche Bürger zu planen, ist keine Notstandsvorsorge mehr, sondern Notstandshysterie. 2. Nicht nur überflüssig, sondern auch irreführend ist die Berufung auf die NATO-Klausel in Art. 80 a. Der NATO-Vertrag als solcher verpflichtet keinen Partner zu Notstandsmaßnahmen, sondern stellt es jedem .Partner frei, die Maßnahmen zu treffen, die er für erforderlich hält. Die Heranziehung der NATO-Klausel dient zur Begründung einer Selbstermächtigung der Exekutive unter Umgehung des Parlaments. 3. Zum Widerstandsrecht schließlich ist zu sagen, daß hier eine völlige Verkehrung deis ursprünglichen Sinnes vorliegt. Die klassische Formulierung der französischen Verfassung von 1793 ist auf den Kopf gestellt worden. Widerstandsrecht ist nun nicht mehr nur das heiligste und höchste Recht des Volkes gegen eine verfassungbrechende Regierung, sondern es ist in ein Widerstandsrecht deis einen Bürgers gegen den anderen umgebogen worden. Das bedeutet in letzter Konsequenz den Bürgerkrieg. Ich warne vor einer solchen Pervertierung des Widerstandsrechts in der vorliegenden Form. Die Bedenken, die ich vorgetragen habe und die sich nur auf die wesentlichsten Punkte beschränkten, sollten zu einer nochmaligen ernsten Überprüfung Anlaß geben. Das ungenügende Instrument des Kassationsrechts, die fehlende absolute zeitliche Begrenzung aller Notstandsvollmachten, die Möglichkeit des Einsatzes der Bundeswehr gegen deutsche Bürger, die Umgehung des Parlaments durch die NATO-Klausel und die Selbstermächtigung der Exekutive, den Spannungsfall auszurufen, sowie schließlich die Kodifizierung des Widerstandsrechts in einer Form, die der ganzen bisherigen demokratischen Tradition nicht entspricht, das alles ist für mich Grund genug, die Gesetze in der vorliegenden Form abzulehnen und Sie zu bitten: Prüfen Sie noch einmal alle Bedenken, entscheiden Sie nicht unter Zeitdruck! Dazu sind die Probleme zu ernst. Und die Vergangenheit sollte uns Lehre genug sein. Anlage 7 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dichgans (CDU/CSU) zur Abstimmung über § 1 Ziffer 6 b des Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes (Punkt 9 der Tagesordnung). Wenn irgendwo in der Welt ein Krieg mit Atombomben ausbricht, wenn es zu Aufruhr oder Naturkatastrophen kommt, und wenn dann in der Bundesrepublik die Lebensmittelläden und die Tankstellen gestürmt werden: Wenn eine solche Panik eintritt, wollen wir dann unseren Wählern sagen, jetzt müsse zunächst der Bundestag aus den Ferien geholt werden und ein Gesetz beschließen; dann erst könnten die Länder die Durchführungsvorschriften beraten und erlassen? Ich fürchte, bis dahin wären viele Säuglinge, deren Mütter von uns Milch, keine Vorschriften erwarten, längst verhungert. Wohl jeder Abgeordnete hätte die eine oder andere Bestimmung des Gesetzeswerkes anders formuliert, wenn es nur auf ihn angekommen wäre. Wenn jedoch jeder Abgeordnete starr auf seinen speziellen Vorstellungen bestanden hätte, würde es weder Mehrheiten noch Notstandsgesetze geben. Mehrheiten finden sich nur für Kompromisse. Da ich eine Notstandsregelung für notwendig halte, 9660 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 stimme ich dem vorliegenden Kompromiß zu, weil er der einzige Kompromiß ist, für den sich im Parlament eine Mehrheit finden läßt, aus Achtung vor der parlamentarischen Demokratie, die auf der Achtung vor der Meinung der Mehrheit beruht. Wir alle haben unruhige Wochen hinter uns. Studentische Minderheiten haben studienwillige Mehrheiten gewaltsam am Betreten der Universität gehindert. Radikale Minderheiten haben versucht, ihren Mitbürgern gewaltsam Zeitungen vorzuenthalten, die diese zu lesen wünschten. Der Staat hat sich gegenüber diesen Erscheinungen der Unordnung liberal verhalten und von den Möglichkeiten der Polizei in den letzten Wochen nur zurückhaltend Gebrauch gemacht. Das war gut so. Eine Demokratie darf kein Polizeiregime sein. Aber sie darf auch nicht jede Unordnung dulden. Jeder Bürger hat das Recht, seine Meinung zu sagen und dafür zu demonstrieren, wie das in den letzten Wochen oft in vorbildlicher Ordnung geschehen ist. Aber keine Minderheit hat das Recht, ihre Meinungen einer andersdenkenden Mehrheit gewaltsam aufzuzwingen. Wenn die Bundesrepublik solche Aktionen dulden würde, wäre das Ende der Demokratie nahe. Anlage 8 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Ertl (FDP) zu Punkt 9 der Tagesordnung. Die Behandlung der Notstandsgesetze im Deutschen Bundestag und auch in der deutschen Offentlichkeit kann eher dazu führen, die Zweifel zu verstärken, ob der eingeschlagene Weg richtig ist. Diese Zweifel können einem in vielfältiger Form begegnen. 1. Die Behandlung der Materie hat erneut deutlich gemacht, daß bei allen Versuchen letzten Endes auch die jetzt gefundene Lösung einen Ausweg darstellen soll oder eine Ersatzlösung, der es nicht bedürfte, wenn nicht das Mißtrauen zur demokratischen Entwicklung aus ganz unterschiedlicher Geisteshaltung heraus im Parlament wie aber vor allem in der deutschen Offentlichkeit gegeben wäre. 2. Es ist offensichtlich, daß ein Teil der sogenannten außerparlamentarischen Opposition als Notstandsgegner mit ihrer Verhaltensweise in der deutschen Öffentlichkeit sicherlich nicht die Absicht hat, den demokratischen Rechtsstaat zu sichern und zu festigen, sondern die Gelegenheit nutzt, Unruhe und Klüfte in unserem Volke herbeizuführen und aufzureißen. Deshalb wird es demjenigen schwergemacht, zu der jetzigen unvollkommenen Gesetzgebung, die bei einer funktionierenden Demokratie vielleicht gar nicht notwendig wäre, nein zu sagen, weil er sich zwangsläufig in die Gefahr begibt, mit Kräften gleichgesetzt zu werden, die diese Gesellschaftsordnung weder bejahen noch festigen wollen. Wenn ich dennoch mit nein stimme, so aus folgenden Gründen: a) Im Falle des Notstandes ist es meines Dafürhaltens wichtig, daß wir eine handlungsfähige, parlamentarisch kontrollierte Exekutive haben. Wir brauchen die handlungsfähige Regierung, aber ebenso auch ein handlungswilliges und seiner Kontrollaufgabe bewußtes Parlament. Dann ist ein Mißtrauen weder angebracht noch notwendig. b) Ich habe so viel Vertrauen zur demokratischen Entwicklung in unserem Volke und auch zu den Parteien im Deutschen Bundestag, daß keine Befürchtung am Platze ist, daß der Notstand für die Beseitigung unserer rechtsstaatlichen Ordnung mißbraucht wird. Alle im Bundestag vertretenen Parteien haben diesbezüglich mein volles Vertrauen. c) Wichtig ist, daß wir ein demokratisch glaubwürdiges Parlament, das die rechtsstaatliche Entwicklung für jedermann sichtbar macht, durch alle Parteien praktizieren. d) Diese Notstandsgesetze atmen und widerspiegeln teilweise den Geist des geringen Vertrauens zur Demokratie von heute und morgen in unserem Volke. Das nutzt weder der demokratischen Entwicklung in Deutschland, noch dem Ansehen unseres Volkes im Ausland. Unser Parlament muß endlich befreit werden von den komplexhaften Belastungen der politischen Vorgänge des Jahres 1933. Das gilt ganz besonders auch für die Behandlung der politischen Vorgänge in der Erziehung unserer Jugend. e) Unsere Politik darf auf die Dauer nicht belastet sein, wie es sich durch die Notstandsgesetze und die daraus folgenden Verfassungsänderungen jetzt wieder ergibt, indem Sonderinteressen der alliierten Truppen, die entstanden sind, als sie noch Besatzungstruppen waren, auch zukünftig wahrgenommen werden. Eine solche Behandlung unseres Volkes widerspricht dem Grundsatz der Gleichberechtigung im Rahmen des Bündnisses und muß uns zwangsläufig zu entsprechenden Reaktionen führen. Zusammenfassend sei nochmals festgestellt: Ohne selbstverständliches demokratisches Selbstbewußtsein wird auf die Dauer kein echtes demokratisches Selbstbewußtsein in unserem Volke Platz ergreifen. Aber nur dann, wenn dieses demokratische Selbstverständnis gegeben ist, können auch Zeiten der Not ohne Befürchtungen überwunden werden. Daher können Gesetze niemals Ersatzlösungen für unsere grundsätzliche demokratische Verhaltensweise sein. Anlage 9 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Müller (München) (SPD) zur Abstimmung über Punkt 9 der Tagesordnung. Nach mehr als zehnjähriger Diskussion soll heute der Deutsche Bundestag über eine Änderung des Grundgesetzes entscheiden, die die Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte vorsieht. Auf Grund der alliierten Vorbehaltsrechte gab es in dieser Bundesrepublik Schubladengesetze, von denen der Oberbürgermeister einer deutschen Millionenstadt sagte, Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9661 daß er nicht gezwungen sein möchte, diesen Anordnungen zu folgen. Die Beratungen haben gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf zu einer wesentlichen Verbesserung geführt. Allerdings sind nach meiner Meinung nicht alle rechtsstaatlichen Sicherungen eingebaut, die hätten eingebaut werden können. Auch die besondere Formulierung der Bündnisklausel in Art. 80 a entspricht nicht meinen Vorstellungen von einem deutschen Notstandsrecht. Obwohl grundsätzlich ein Befürworter einer deutschen Notstandsregelung, kann ich es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, meine Zustimmung zu einer Grundgesetzänderung zu geben, nachdem in der zweiten Lesung von mir unterstützte Änderungen nicht akzeptiert wurden. Die Debatte um die Notstandsgesetzgebung hat in den letzten Tagen zu einer Kampagne geführt, die zum Teil direkt gegen die Grundlagen unserer freiheitlichen Demokratie gerichtet ist. Wenn in einer Diskussion an einer deutschen Universität ein Sprecher erklärt, daß eine Nein-Stimme zur Notstandsgesetzgebung nur der erste Akt zu einer .Abschaffung und „Umfunktionierung" des Grundgesetzes ist, dann müssen alle Demokraten hellhörig werden. Extremisten wie der Schriftsteller Enzensberger fordern in der Bundesrepublik „französische Zustände", d. h. Schwerverletzte, Tote, Brandstiftung. Mit Nein zu stimmen würde für mich bedeuten, in die Gesellschaft derer zu kommen, denen es gar nicht um die Notstandsgesetze, sondern eben um „französische Zustände" geht. Aus diesem Grunde muß ich mich bei dieser Abstimmung der Stimme enthalten. Sollten die vorliegenden Grundgesetzänderungen angenommen werden, so wird es meine Aufgabe als Abgeordneter sein, alles zu tun, um einen Mißbrauch der beschlossenen Grundgesetzänderungen zu verhindern. Anlage 10 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) zur Abstimmung über Punkt 9 der Tagesordnung. Die langjährigen Bemühungen um eine Gesetzgebung der Vorsorge — um möglichen Notständen zu begegnen — sollen heute mit Bestimmungen abgeschlossen werden, die im Widerstreit der Meinungen formuliert wurden. Es sind dabei so komplizierte Artikel entstanden, daß ihre Wirksamkeit gegen wirkliche Notstände bezweifelt werden kann. Mögen sie unserem Volk erspart bleiben. Wenn heute die Abgeordneten der CDU/CSU fast geschlossen mit Ja stimmen, so kenne ich aus vielen ernsten Beratungen die Fülle der Bedenken z. B. gegen einen möglichen Mißbrauch der Widerstandsklausel. Bei mir überwiegen die Bedenken. Ich hoffe, daß nach der heutigen Entscheidung der Bundestag sich mit ganzer Kraft anderen vordringlichen Aufgaben widmen wird. Dabei bleibt die Sicherung des Friedens entscheidend. Ich halte die genaueste und gründlichste Prüfung aller Möglichkeiten der Rüstungskontrolle und Rüstungsbegrenzung für notwendig — mit dem Ziel der kontrollierten Abrüstung in West und Ost. Nur dann ist der Notstand wirklich ein überwundenes Problem. Anlage 11 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Jaschke (SPD) zu Punkt 14 der Tagesordnung. Jeder Notstand wird einen besonderen Arbeitskräftebedarf auslösen. Das wird hervorgerufen durch Maßnahmen sowohl für den Verteidigungsfall als auch für den Schutz und die Versorgung der Zivilbevölkerung. Für die Sozialdemokraten kommt es bei der Beratung des Arbeitssicherstellungsgesetzes vor allem darauf an, daß der Macht des Staates in diesen besonderen Spannungszeiten nicht Tür und Tor geöffnet ist. Nach diesem Arbeitssicherstellungsgesetz, so wie es in der dritten Lesung zur Abstimmung gestellt wird, können die persönliche Freiheit und die Freizügigkeit des einzelnen erst dann eingeschränkt werden, wenn es der Bundesregierung nicht möglich ist, den besonderen Arbeitskräftebedarf auf freiwilliger Grundlage sicherzustellen. Dieses Arbeitssicherstellungsgesetz unterscheidet sich vom Zivildienstgesetz, das die Sozialdemokraten seinerzeit ablehnten, dadurch, daß das Zivildienstgesetz lediglich als ein Instrument der Bundesregierung zur besonderen Ausschöpfung und Verteilung des Arbeitskräftepotentials anzusehen war. Durch die Garantie gewisser Grundrechte bildet das Arbeitssicherstellungsgesetz ein Kernstück der gesamten Notstandsgesetzgebung. Neben dem hervorgehobenen Vorrang der Freiwilligkeit ist sichergestellt, daß die berufliche Tätigkeit des einzelnen bei einer eventuellen Verpflichtung zu berücksichtigen ist. Außerdem gewährleistet das Gesetz die wirtschaftliche und soziale Sicherung des einzelnen mit seiner Familie. Im einzelnen wurden bei der Beratung durch unsere Initiative folgende wichtige Änderungen im Gesetzentwurf aufgenommen: 1. Dem Entwurf für ein Arbeitssicherstellungsgesetz wird der Grundsatz vorangestellt, daß auch in Spannungszeiten und im Verteidigungsfall von den vorgesehenen Möglichkeiten nur Gebrauch gemacht werden darf, sofern nicht genügend Freiwillige gewonnen werden können. Die Freiwilligkeit hat also Vorrang. 2. Das Recht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses von Frauen wird nur bis zum 55. Lebensjahr eingeschränkt, nicht aber — wie im Regierungsentwurf vorgesehen — bis zum 60. Lebensjahr. 3. Die Sicherstellung von Arbeitsleistungen (z. B. für Krankenanstalten) wird ausgedehnt auf alle Einrichtungen, in denen Pflegebedürftige betreut werden. 4. Bei den Befreiungen von Dienstverpflichtungen in ein besonderes Arbeitsverhältnis werden neben den bereits im Katalog aufgeführten Personengrup- 9662 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 pen ebenfalls die Mitglieder des Betriebs- und Personalrates mit eingeschlossen. 5. Die Rechtsverordnungen, in denen die Bundesregierung weitere Anwendungsbereiche — allerdings nur im Rahmen des Grundgesetzes — bestimmen kann, können durch den Bundestag jederzeit aufgehoben werden. 6. Die Arbeitgeber und die Dienstherren des öffentlichen Rechts dürfen Auskünfte über ihre Beschäftigten nur nach vorheriger Unterrichtung des Betriebs- oder Personalrates erteilen. 7. Die im Entwurf der Bundesregierung vorgesehene Einschränkung des Rechtsweges, wonach keine Berufung und keine Beschwerde möglich sein sollte, wurde gestrichen. Der Verwaltungsgerichtsweg bleibt uneingeschränkt erhalten. 8. Für Ausbildungsveranstaltungen ist der Grundsatz aufgestellt worden, daß dafür die arbeits-und sozialrechtlichen Vorschriften zu gelten haben. 9. Die zunächst im Regierungsentwurf enthaltene Unterbringung von Zivilbediensteten der Bundeswehr in Gemeinschaftsunterkünften, die Teilnahme an Gemeinschaftsverpflegungen und das Tragen von Arbeits-, Dienst- und Schutzkleidung wurde beseitigt. Derartige Inanspruchnahmen können nur freiwillig auf der Grundlage von arbeits- bzw. tarifvertraglichen Vereinbarungen geregelt werden. 10. Für Aufgaben, die besondere Kenntnisse und Fertigkeiten erfordern, können Wehrpflichtige zwar in normalen Zeiten zu Ausbildungsveranstaltungen verpflichtet werden. Aber bei diesen Verpflichtungen zu den Ausbildungsveranstaltungen gilt auch der Grundsatz des § 1, daß sie nur vorgenommen werden dürfen, wenn der Bedarf nicht auf der Grundlage der Freiwilligkeit sichergestellt werden kann. 11. Die Sozialdemokraten befürchteten, die im Regierungsentwurf genannte Absicht, daß bestimmten Personen bereits in normalen Zeiten ein Bereithaltungsbescheid zugestellt werden kann, würde die Bevölkerung unnötig beunruhigen. Nach der jetzigen Fassung ist diese Ungewißheit ausgeräumt. Nunmehr erhält derjenige, der in normalen Zeiten eine Ausbildungsveranstaltung absolviert, nach Abschluß dieser Ausbildung eine Mitteilung, die ihn darauf hinweist, daß er sich für diese besondere Aufgabe bei Eintritt von Spannungszeiten bereithalten muß. Nach dem Arbeitssicherstellungsgesetz können auch besondere Arbeitsverhältnisse bei den verbündeten Streitkräften begründet werden. Das gilt selbstverständlich nur für den Bereich der Bundesrepublik. Die sozialdemokratische Fraktion setzt sich seit Jahren dafür ein, daß auf die Arbeitsverhältnisse deutscher Arbeitnehmer bei den verbündeten Streitkräften das deutsche Arbeitsrecht vollinhaltlich anzuwenden ist. Zum Teil ist dieser Forderung inzwischen auch entsprochen worden. Für die Vorschriften unseres Arbeitsrechts, die trotzdem noch nicht zur Anwendung gekommen sind, muß sich die Bundesregierung nunmehr, insbesondere unter Berücksichtigung der Regelungen im Arbeitssicherstellungsgesetz, mit noch größerem Nachdruck um eine Änderung der Haltung der verbündeten Streitkräfte bemühen. Schließlich muß in diesem Zeitpunkt noch einmal besonders hervorgehoben werden, daß die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu den Änderungswünschen des Bundesrates versprochen hat, besondere Verwaltungsvorschriften zu erlassen, wonach anerkannte Kriegsdienstverweigerer nicht in ein Arbeitsverhältnis bei der Bundeswehr oder den verbündeten Streitkräften zu verpflichten sind. Dieses Recht geht zwar klar aus Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes hervor; die Verwaltungsvorschriften würden jedoch Schwierigkeiten bei der Durchführung dieses Gesetzes vermeiden helfen. Wir alle hoffen, daß Dienstverpflichtungen und Arbeitsplatzbeschränkungen niemals Wirklichkeit werden. Sollten dennoch Spannungsfälle eintreten, appellieren wir an die Bundesregierung, daß sie alles tut, durch besondere Anreize die freiwilligen Meldungen zur Besetzung der Arbeitsplätze zu fördern, um Dienstverpflichtungen weitestgehend auszuschließen. Beim Grundsatz der Freiwilligkeit bitten wir alle Organisationen zu beachten, daß sie durch ihre wirksame Unterstützung zur Anwerbung von Freiwilligen selbst viel dazu beitragen können, Dienstverpflichtungen vermeiden zu helfen. Mit besonderem Nachdruck möchte ich hiermit für die SPD-Fraktion erklären und darauf hinweisen, daß die Rechte der Mitglieder der Betriebs- und Personalräte natürlich auch für die verpflichteten Arbeitnehmer anzuwenden sind. Die SPD-Fraktion wird überprüfen, ob in dieser Hinsicht zum Schutze der verpflichteten Arbeitnehmer weitergehende Rechte der Mitglieder der Betriebs- und Personalräte notwendig sein können. Nachdem das Arbeitssicherstellungsgesetz sichtbar die Garantien für die Freiheit und Freizügigkeit des einzelnen in Spannungszeiten herausstellt, können wir diesem Gesetz zustimmen. Anlage 12 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Müller (Remscheid) (CDU/CSU) zu Punkt 14 der Tagesordnung. Im Rahmen der auf Grund der Verfassungsänderung erforderlichen Sicherstellungsgesetze hat das Gesetz zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung (Arbeitssicherstellungsgesetz) eine besondere Bedeutung. In diesem Gesetz wird für den Fall der Verteidigung unter besonderen Voraussetzungen bei Spannungszeiten nicht über die Verfügung von Sachen entschieden, sondern über die Arbeitskraft unserer Staatsbürger. Nur für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung und wenn Arbeitskräfte auf freiwilliger Grundlage nicht gewonnen werden können, soll in genau abgegrenztem Um- Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9663 fang die Möglichkeit bestehen, zu Arbeitsleistungen zu verpflichten. Wir gehen davon aus, daß einer freiwillig erbrachten Leistung in jedem Falle gegenüber einer durch Zwang verfügten Leistung der Vorrang zu geben ist. Wenn der Staat oder seine Bürger in Not sind, wenn eine Situation eintritt, die Arbeitsleistungen in genau begrenztem Anwendungsbereich für den Schutz des Staates und seiner Bevölkerung notwendig macht, dann wird sicher der in diesem Staat lebende und ihn bejahende Bürger bereit sein, solche Leistungen zu erbringen. Wir begrüßen es daher nachdrücklich, daß der Vorrang des freien Arbeitsvertrages diesem Gesetz vorangestellt ist und sich wie ein roter Faden durch das Gesetz zieht und ihm als Richtschnur dient. Vorsorge für den Notfall ist eine sittliche Pflicht. Es ist ein gefährlicher Weg, eine solche Vorsorge abzulehnen. Trotz des Vorranges der Freiwilligkeit müssen für die im Gesetz umschriebenen Notfälle Maßnahmen für die Sicherstellung von Arbeitsleistungen möglich sein. Solche Möglichkeiten in einem sozial- und rechtsstaatlichen Sinne zu schaffen, ist der Zweck dieses Gesetzes; nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir legen Wert auf die Feststellung, daß durch eine nach dem Gesetz mögliche Verpflichtung ein Arbeitsvertragsverhältnis begründet wird, auf das die arbeitsrechtlichen Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen anzuwenden sind. Aus diesem Grunde hält die Fraktion der CDU/CSU es für erforderlich, darauf hinzuweisen, daß die Rechte der Mitglieder der Betriebs- und Personalräte natürlich auch für die verpflichteten Arbeitnehmer anzuwenden sind. Die Fraktion wird überprüfen, ob in dieser Hinsicht zum Schutz der Verpflichteten weitergehende Rechte der Betriebs- und Personalräte notwendig sind. Öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse können durch dieses Gesetz dagegen nicht begründet werden. Der Ausschuß hat ausgehend von dem Vorrang des freien Arbeitsvertrages und der bestmöglichen rechtsstaatlichen Ordnung Vorschriften in dieses Gesetz eingebaut, die wir ausdrücklich begrüßen. Ich darf dabei auf die folgenden Punkte besonders eingehen: 1. Wir halten es für notwendig, herauszustellen, daß die Bundesregierung eine nach § 3 Abs. 2 mögliche Rechtsverordnung über den sachlichen Anwendungsbereich auf Verlangen des Bundestages wiederaufzuheben hat. 2. Hervorzuheben ist ferner, daß Betriebs- und Personalratsmitglieder von den Beschränkungen und Verpflichtungen ausgenommen werden, weil uns daran liegt, daß gerade auch in Spannungszeiten und im Verteidigungsfall die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung mit dem Zusammenwirken von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gewährleistet ist. 3. Eine wesentliche Verbesserung enthält auch die Bestimmung, nach der das Arbeitsamt der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zuzustimmen hat, wenn seine Fortsetzung für den Arbeitnehmer unzumutbar ist, zumal da die Sicherstellung des 'Rechtsweges Willkür ausschließt. 4. In Verbindung mit dem Vorrang des freien Arbeitsvertrages kommt der Arbeitsverwaltung eine besondere Bedeutung zu. Nur sie kennt die Situation des Arbeitsmarktes, kennt den Kräftebedarf und weiß, inwieweit dieser Bedarf durch Vermittlung von freien Arbeitsverträgen befriedigt werden kann. Das aber ist die Voraussetzung dafür, daß das Arbeitsamt, wenn der Kräftebedarf auf freiwilliger Basis nicht gedeckt werden kann, die Arbeitsverpflichtungen unter Berücksichtigung der sozialen und beruflichen Interessen der Betroffenen vornehmen kann. Weiter sei darauf hingewiesen, daß im Falle der Verpflichtung der arbeits- und sozialrechtliche Schutz gewahrt bleibt. 5. Vor Erteilung von Auskünften über Arbeitnehmer muß der Betriebs- oder Personalrat unterrichtet werden (§ 23). Damit soll ebenfalls Willkür ausgeschlossen und Schnüffelei vermieden werden. 6. Der Rechtsweg wird nicht eingeengt (§ 26). Sämtliche rechtlichen Möglichkeiten können ausgeschöpft werden. 7. Auch für die Ausbildungsveranstaltungen gilt der Vorrang der Freiwilligkeit (§ 28). 8. Schließlich dürfen Bereithaltungsbescheide grundsätzlich nur erteilt werden, wenn der Betreffende vorher eine entsprechende Ausbildung erhalten hat (§ 29). Mit der Aufzählung dieser wichtigsten Punkte wird deutlich, daß der Deutsche Bundestag sich bemüht hat, den verständlichen Bedenken der deutschen Gewerkschaften gerecht zu werden. Nicht Zwangsarbeitsverhältnisse, sondern Arbeitsverträge mit allen möglichen Sicherungen werden nach diesem Gesetz unter den darin genannten Voraussetzungen möglich sein. Bei den Beratungen dieses Gesetzes hat stets der Mensch und die Würde des Menschen und die Sorge um den Menschen im Notfall im Vordergrund gestanden. Für die Fraktion der CDU/CSU erkläre ich daher, daß wir diesem Gesetz zustimmen werden.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Franz Neumann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Präsident, ich hatte um das Wort gebeten. Aber da meine Ausführungen so knapp sind, kann ich sie auch jetzt zur Abstimmung machen.


Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
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Mir ist gesagt worden, daß Sie das Wort zur Abstimmung wünschen. Aber bitte sehr, wenn es mein Fehler ist, dann haben Sie das Wort.




  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Franz Neumann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren, ich habe mich bei den Beratungen weder in der sozialdemokratischen Fraktion noch hier im Hause an irgendeiner Aussprache oder Abstimmung beteiligt. Ich habe mir diese Haltung genau überlegt, das Für und das Wider wirklich abgewogen.
    Diese Grundgesetzänderungen gelten nicht in Berlin. Die einfachen Notstandsgesetze werden auch nicht im Abgeordnetenhaus von Berlin übernommen. Alliiertes Recht steht dem entgegen. Ich kann voll und ganz meine Zustimmung zu dem geben, was der Herr Bundesaußenminister in dieser Hinsicht heute erklärt hat.
    Herr Präsident, wenn offene Abstimmung erfolgen würde, würde der Zusatz gemacht werden: Die Berliner haben kein Stimmrecht. Wenn durch Hammelsprung entschieden würde, würde es heißen: Die Berliner dürfen nicht daran teilnehmen. Bei der namentlichen Abstimmung sind die Berliner Abgeordneten beteiligt, auch wenn keine Berlinklausel in irgendeinem Gesetz enthalten ist, mit Ausnahme von zwei kleinen Sachen.
    Ich möchte feststellen, meine Damen und Herren, daß ich seit 1949 immer für eine Erweiterung der Rechte der Berliner Abgeordneten, für eine Anpassung ihrer Rechte an die der vollberechtigten Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses gearbeitet habe. Trotz Anerkennung der manchmal harten politischen Realitäten mußte ich dabei manche Enttäuschung, manche herbe Enttäuschung erleben. Die Erinnerung an solche Tage wird für mich immer eine schwarze sein.
    Als Beispiel darf ich die Beratungen des RöhrenEmbargos nennen. Die Berliner Abgeordneten wurden wie alle anderen telegraphisch eingeladen. Dann mußten wir Berliner erleben, daß Kollegen dieses Hauses, Berliner Kollegen, Abgeordnete und Minister, sich draußen vor die Türen stellten und kontrollierten, ob andersdenkende Berliner Kollegen durch ihre Teilnahme am Hammelsprung eventuell die Beschlußfähigkeit des Hauses herbeigeführt hätten.

    (Hört! Hört! bei der FDP.)

    Für solche Finessen habe ich in den langen Jahren meiner Anwesenheit und Mitgliedschaft in diesem Hause nie Verständnis aufbringen können.
    Seit Jahren propagiere ich den Grundsatz nicht nur in meiner Fraktion, sondern bei Kollegen aller politischen Richtungen, danz gleich, ob sie Juristen oder Staatsrechtler, ob sie Geschäftsführer oder — in Klammern — „nur" Politiker sind: Hier muß eine einheitliche Auffassung durchgeführt werden, hier muß das volle Stimmrecht der Berliner für Gesetze, die in Berlin wirksam werden, also eine Berlinklausel haben, durchgesetzt werden.
    Auch beim Herrn Präsidenten dieses Hauses bin ich — in der ersten Septemberwoche des vergangenen Jahres — gewesen und habe ihm diese meine Auffassung noch einmal in einer längeren Unterhaltung vorgetragen. Das wäre meines Erachtens die Lösung, auf die hingearbeitet werden muß. Die politischen Schwierigkeiten zur Erreichung dieses Ziels sind nicht kleiner geworden. Dessen bin ich mir mit
    vielen Kolleginnen und Kollegen des Hauses durchaus voll bewußt. Darum bedaure ich sehr, daß nicht zeitig genug im Kreis der Verantwortlichen diese Fragen zur heutigen Abstimmung besprochen worden sind.
    Ich werde mich an der heutigen Abstimmung aus der Konsequenz des hier Vertretenen in der Sache nicht beteiligen. Das ist eine rein persönliche Entscheidung. Sie bedeutet keinen Affront gegen irgendeinen meiner anderen Berliner Kollegen. Ich bin so tolerant, das hier zu sagen. Ich hoffe, daß man die gleiche Toleranz aber auch mir gegenüber beweist. Die Abgabe der weißen Stimmkarte erfolgt aus den vorgenannten Gründen.
    Niemand soll mir nun aber den Vorwurf machen können, mich durch diese Erklärung um die Sachentscheidung herumgedrückt zu haben. Darum sage ich zum Schluß — und ich erkenne dankbar an, daß meine Fraktion jedem einzelnen Kollegen die Gewissensentscheidung überlassen hat —: Die Reglementierung des öffentlichen Lebens durch diese Gesetze in den vorgesehenen Zeiten ist mit meiner Erfahrung in einer langen und manchmal auch opfervollen politischen Tätigkeit nicht zu vereinbaren.