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    Deutscher Bundestag 178. Sitzung Bonn, den 30. Mai 1968 Inhalt: Amtliche Mitteilung 9593 A Fragestunde (Drucksache V/2936) Fragen des Abg. Baier: Einsparungen durch Zusammenlegung des Paßkontrolldienstes mit der Zollverwaltung Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 9593 B Baier (CDU/CSU) . . . . . . . 9593 D Bühler (CDU/CSU) . . . . . . 9594 A Westphal (SPD) 9594 B Illerhaus (CDU/CSU) 9594 C Fragen des Abg. Opitz: Reisekostenpauschbeträge der privaten Wirtschaft und des öffentlichen Dienstes Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 9595 A Opitz (FDP) 9595 B Frage des Abg. Kubitza: Zeitpunkt der Zuleitung des Haushaltsentwurfs 1969 an den Bundesrat Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 9595 D Kubitza (FDP) . . . . . . . . 9596 A Frage des Abg. Weigl: Aufstiegschancen der akademisch vorgebildeten Angestellten des öffentlichen Dienstes Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 9596 A Weigl (CDU/CSU) 9596 B Fragen des Abg. Dr. Wuermeling: Höhe des durch Kinderfreibeträge und Ehegattensplitting herbeigeführten Steuerausfalls — Auswirkung des Splittingeffekts 9596 C Frage des Abg. Mertes: Rückvergütungen aus dem EWG-Agrarfonds an die Bundesrepublik im Vergleich zu Frankreich und den Niederlanden Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 9597 A Mertes (FDP) . . . . . . . . 9597 B Dröscher (SPD) 9597 C Illerhaus (CDU/CSU) 9598 A Peters (Poppenbüll) (FDP) . . . 9598 A Logemann (FDP) 9598 C II Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 Frage des Abg. Dröscher: Amnestie für wegen der Osterunruhen strafrechtlich Verfolgte 9598 D Fragen des Abg. Kühn (Hildesheim) : Auftragserteilung im Zonenrandgebiet Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 9599 A Kühn (Hildesheim) (CDU/CSU) . . 9599 C Peters (Poppenbüll) (FDP) . . . 9599 D Dr. Huys (CDU/CSU) 9600 A Dr. Dittrich (CDU/CSU) 9600 A Frage des Abg. Dr. Huys: Weitergehende Maßnahmen zur Förderung der Wirtschaft im Zonenrandgebiet Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 9600 C Kühn (Hildesheim) (CDU/CSU) . . 9600 D Peters (Poppenbüll) (FDP) . . . 9601 A Frage des Abg. Dr. Huys: Gleiche Förderungsmaßnahmen für alle Bundesländer Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 9601 B Dr. Huys (CDU/CSU) 9601 C Kühn (Hildesheim) (CDU/CSU) . . 9601 C Porsch (FDP) 9602 A Dr. Starke (Franken) (FDP) . . . 9602 A Fragen des Abg. Westphal: Abfindungsgeld für Arbeitnehmer des Steinkohlenbergbaues Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 9602 B, 9602 D Westphal (SPD) . . . . 9602 B, 9603 A Fragen des Abg. Dr. Apel: Konsequenzen der Zinsfreigabe im Gefüge der Soll- und Habenzinsen Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 9603 B, 9603 D, 9604 C Dr. Apel (SPD) . . . . 9603 B, 9603 D, 9604 C Illerhaus (CDU/CSU) 9604 A Fragen des Abg. Dr. Ritz: Schwierigkeiten der Landwirtschaft durch Einberufung junger Landwirte zu Wehrübungen Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 9605 A Dr. Ritz (CDU/CSU) . . . . . . . 9605 A Fragen des Abg. Hörauf: Unterbringung langdienender Unteroffiziere auf Zeit in der Bundeswehrverwaltung in den kommenden Jahren Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 9605 B Hörauf (SPD) 9605 D Porsch (FDP) 9605 D Josten (CDU/CSU) . . . . . . 9606 A Jung (FDP) 9606 A Dr. Hofmann (Mainz) (CDU/CSU) . 9606 B Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) . 9606 B Haase (Kellinghusen) (SPD) . . . 9606 C Entwurf eines Siebzehnten Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes (Drucksachen V/1879, V/2973) ; Zusammenstellung der Beschlüsse in zweiter Beratung (Drucksache V/2917) — Dritte Beratung — in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der rechtsstaatlichen Ordnung im Verteidigungsfall (Abg. Dorn, Busse [Herford], Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Mischnick und Fraktion der FDP) (Drucksache V/2130) ; Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses (Drucksache V/2873) — Zweite Beratung — Dr. Rutschke (FDP) . . . , 9607 B, 9614 C Dr. Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) . . 9608 D, 9614D, 9622 B, 9624 C Genscher (FDP) . . . . . 9609 B, 9611 B, 9618 C, 9620 B Dr. Reischl (SPD) . . . . . . . . 9610 D Frau Dr. Heuser (FDP) . . . . . . 9611 D Frau Schroeder (Detmold) (CDU/CSU) 9612 D Busse (Herford) (FDP) . . . . . . 9614 A Moersch (FDP) . . . . . . . . 9615 D Benda, Bundesminister . 9617 C, 9619 B Dr. Wilhelmi (CDU/CSU) . . . . . 9619 D Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) . . 9620 D, 9624 A Haase (Kellinghusen) (SPD) . . . . 9622 C Dorn (FDP) . . . . . . . . . . 9623 A Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 9623 C Brandt, Bundesminister . . . . . 9625 A Matthöfer (SPD) . . . . . . . . 9631 B Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 III • Dr. Even (CDU/CSU) 9635 B Scheel (FDP) 9638 C Schmidt (Hamburg) (SPD) 9640 B Dr. h. c. Kiesinger, Bundeskanzler 9649 A Dr. Starke (Franken) (FDP) . . . 9650 B D. Dr. Gerstenmaier, Präsident . . 9651 A, 9652 C Schlee (CDU/CSU) 9651 C Neumann (Berlin) (SPD) . . . . 9651 D Entwurf eines Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Drucksachen V/1880, V/2930) — Dritte Beratung — . . . . . . . . . 9655 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ernährungssicherstellungsgesetzes (Drucksachen V/2361, V/2934) — Dritte Beratung — 9655 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherstellung des Verkehrs (Drucksachen V/2388, V/2933) — Dritte Beratung — 9655 B Entwurf eines Gesetzes über die Erweiterung des Katastrophenschutzes (Drucksachen V/2585, V/2935) — Dritte Beratung — Dr. Wörner (CDU/CSU) 9655 C Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 9655 D Entwurf eines Gesetzes zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung (Arbeitssicherstellungsgesetz) (Drucksachen V/2362, V/2932, zu V/2932) — Dritte Beratung — . . . . 9656 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wirtschaftssicherstellungsgesetzes (Drucksachen V/2387, V/2931) — Dritte Beratung — Fellermaier (SPD) 9656 C Nächste Sitzung 9656 D Anlagen 9657 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9593 178. Sitzung Bonn, den 30. Mai 1968 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Berkhan 7. 6. Blume 31.5. Brese 31.5. Dr. Eckhardt 31. 5. Frau Dr. Elsner 31. 5. Enk 31.5. Dr. Erhard 31. 5. Dr. Frey 30. 6. Hamacher 1. 7. Frau Dr. Hubert 1. 7. Kiep 7. 6. Frau Dr. Krips 31. 5. Kunze 1. 6. Lenz (Brühl) 31. 5. Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 7. 6. Mick 31.5. Reitz 30. 5. Spitzmüller 17. 6. Steinhoff 1: 7. Struve 31.5. Dr. Süsterhenn 31. 5. Anlage 2 Umdruck 484 Änderungsantrag der Abgeordneten Dorn, Busse (Herford), Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Dr. Rutschke und der Fraktion der FDP zur dritten Beratung des Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes - Drucksachen V/1879, V/2130, V/2873, V/2917 -. Der Bundestag wolle beschließen: 1. In § 1 Nr. 1 wird in Artikel 10 Abs. 2 der folgende Satz 2 gestrichen: „Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt." 2. In § 1 Nr. 2 a wird der Satz 1 des Absatzes 4 des Artikels 12 a gestrichen. Satz 2 des Absatzes 4 erhält folgende Fassung: „Frauen dürfen nicht zu einer Dienstleistung im Verband der Streitkräfte durch Gesetz verpflichtet werden. Zu einem Dienst mit der Waffe dürfen sie auf keinen Fall verwendet werden." 3. In § 1 wird Nummer 2 b gestrichen. 4. In § 1 Nr. 6 a erhält Absatz 2 des Artikels 80 a folgenden Satz 2: Anlagen zum Stenographischen Bericht „Die Bundesregierung kann im Rahmen des Bündnisvertrages nur dann zustimmen, wenn sie vorher die Zustimmung des Bundestages eingeholt hat. Dieser Beschluß des Bundestages erfolgt mit der Mehrheit seiner Mitglieder." 5. In § 1 Nr. 6 b wird in Absatz 4 des Artikels 87 a folgender neuer Satz 2 eingefügt: „Dieser Einsatz der Streitkräfte bedarf der vorherigen Zustimmung des Bundestages." Der bisherige Satz 2 wird Satz 3. Bonn, den 28. Mai 1968 Dorn Busse (Herford) Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dr. Rutschke Mischnick und Fraktion Anlage 3 Umdruck 485 Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD zur dritten Beratung des Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes - Drucksachen V/1879, V/2873, V/2917 -. Der Bundestag wolle beschließen: In § 1 Nr. 6 a erhält 1. Artikel 80 a Abs. 2 folgende Fassung: „(2) Maßnahmen auf Grund von Rechtsvorschriften nach Absatz 1 sind aufzuheben, wenn der Bundestag es verlangt." 2. Artikel 80 a Abs. 3 folgende Fassung: „ (3) Abweichend von Absatz 1 ist die Anwendung solcher Rechtsvorschriften auch auf der Grundlage und nach Maßgabe eines Beschlusses zulässig, der von einem internationalen Organ im Rahmen eines Bündnisvertrages mit Zustimmung der Bundesregierung gefaßt wird. Maßnahmen nach diesem Absatz sind aufzuheben, wenn der Bundestag es mit der Mehrheit seiner Mitglieder verlangt." Bonn, den 28. Mai 1968 Dr. Barzel und Fraktion Schmidt (Hamburg) und Fraktion Anlage 4 Umdruck 489 Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Hofmann (Mainz), Frau Jacobi (Marl), Dr. Wörner, Dr. Kempfler und Genossen zur dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs 9658 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 eines Gesetzes über die Erweiterung des Katastrophenschutzes — Drucksachen V/2585, V/2935 —. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, bei der Einordnung des Luftschutzhilfsdienstes in den Katastrophenschutz zu beachten, daß eine große Zahl freiwilliger Helfer sich seit Jahren für diese Aufgabe zur Verfügung gestellt hat und ihr weiterhin freiwillig dienen will. Organisations- und Einordnungsmaßnahmen müssen auf diese vorhandene Bereitschaft Rücksicht nehmen und den Helfern ihren Dienst möglichst entsprechend ihren freiwillig übernommenen Aufgaben und in ihren gewachsenen Einheiten gestatten. Bonn, den 28. Mai 1968 Dr. Hofmann (Mainz) Pertersen Frau Jacobi (Marl) Dr. Serres Dr. Wörner Dr. Stecker Dr. Kempfler Dr. Steinmetz Brand Dr. Wahl Draeger Dr. Wilhelmi Dr. h. c. Güde Bühling Dr. Jaeger Hansing Lenz (Brühl) Müller (Mülheim) Majonica Spillecke Dr. Marx (Kaiserslautern) Schmitt-Vockenhausen Anlage 5 Umdruck 490 Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD zur dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ernährungssicherstellungsgesetzes — Drucksachen V/2361, V/2934 —, des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherstellung des Verkehrs — Drucksachen V/2388, V/2933 —, des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wirtschaftssicherstellungsgesetzes — Drucksachen V/2387, V/2931 — Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, die Bestimmungen des Bundesleistungsgesetzes mit dem Ziel zu überprüfen, sie den Bestimmungen des Artikels 80 a des Grundgesetzes anzupassen. Bonn, den 29. Mai 1968 Dr. Barzel und Fraktion Schmidt (Hamburg) und Fraktion Anlage 6 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Borm (FDP) zu Punkt 9 der Tagesordnung. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich als einer der Ältesten unter den Abgeordneten dieses Hauses und nach einem recht wechselvollen Leben in dieser das Grundgesetz tief berührenden Frage einfach nicht schweigen kann. Zweimal habe ich den Untergang deutscher Staatswesen. erlebt; also liegt es nahe, nach den Gründen dafür zu suchen, und es liegt ebenso nahe, zu warnen, wenn sich heute bedenkliche Parallelen zur Fehlentwicklung in der Vergangenheit zeigen. Unzweifelhaft war der Ausbruch des ersten Weltkrieges dadurch erleichtert, daß, ebenso wie im Zarenreich die Duma, im Deutschen Reich wilhelmischer Prägung der Reichstag bei der Entscheidung über die schicksalhaften Fragen der Nation mehr deklamatorische Funktionen hatte als Entscheidungsmöglichkeiten, zugunsten eines Mannes, eben des Kaisers. Die Folgen sind bekannt! In der Weimarer Republik war zwar nach der Verfassung der Reichstag mit den nötigen Vollmachten ausgestattet, die ihm die Ausübung seines legislativen Auftrages ermöglichten — und in normalen Zeiten reichte das auch aus —, aber in Zeiten der Krise und der Not wurde der berüchtigte Art. 48 der Weimarer Verfassung für das öffentliche Leben der entscheidende Faktor. An Stelle eines Monar- I chen lag die Diktaturgewalt beim Reichspräsidenten, also wieder unter Außerachtlassung des Parlaments bei einem Manne. Das Erbe der absolutistischen Vergangenheit, die Vorstellung, daß es hinter der Verfassung noch einer weiteren souveränen Gewalt bedürfe, um in Krisenzeiten rasch und energisch handeln zu können — was keinesfalls die Richtigkeit der Handlungen beinhaltet —, ist sowohl im Reiche Bismarcks wie im Reich von Weimar unübersehbar. Nun wird niemand leugnen können, daß ein wirklicher Notstand nur gemeistert werden kann bei entsprechender Vorsorge und gewissen Vollmachten für die Regierung. So weit wird jeder Einsichtige einer gesetzlichen Regelung zustimmen. Die Lehre aber, die wir aus der Vergangenheit zu ziehen haben, ist diese: Die Gefahren des Art. 48 der Weimarer Verfassung lagen nicht eigentlich in der Ermächtigung der Exekutive — sie ist im Notstand im Grunde immer unausweichlich —, sondern darin, daß das Parlament nicht ständig durch die Verfassung zu ihrer Billigung gezwungen war. Gerade an dieser Gefahr aber hat sich im vorliegenden Entwurf nichts geändert. Statt eines klaren Zwangs des Parlaments in die unausweichliche Verantwortung haben wir wiederum die unglückselige und gefährliche Institution des Kassationsrechts. Dieses Recht gestattet dem Parlament von sich aus die bequeme Flucht aus der Verantwortung, und es erleichtert andererseits einer machtstrebigen Exekutive ziemlich legal die Überspielung des Parlaments. Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9659 Nach dem jetzigen Entwurf kann der Bundestag Notstandsmaßnahmen aufheben, aber er ist nicht zu einer Entscheidung über sie gezwungen. Wer zwei verhängnisvolle Entwicklungen bewußt miterlebt hat, wer zudem weiß, daß auch Weimar das Kassationsrecht kannte (Art. 48 Abs. 3), wer weiß, wie wenig es wert ist, wenn sich die Ereignisse überstürzen, der muß eindringlich vor den Gefahren warnen, die durch die Vorlage drohen. In einem demokratischen Rechtsstaat darf das Parlament sich die letzte Entscheidung nicht aus den Händen winden lassen. Gerade diese Möglichkeit läßt das Kassationsrecht etwa nach Art. 80 a Abs. 3 zu. An Stelle des Kassationsrechts muß sich das Parlament bei gewichtigen Entscheidungen, so beim Bündnisfall, die vorherige Zustimmung vorbehalten. Wenn es der Sinn einer Notstandsgesetzgebung ist, die Verfassung zu schützen und die Rückkehr zur vollen Gültigkeit zu sichern, muß die Dauer aller Notstandsregelungen durch eine absolute Frist begrenzt sein, nach deren Ablauf alle Vollmachten der Exekutive automatisch erlöschen, wenn das Parlament sie nicht ausdrücklich bestätigt und verlängert. Dies ist der entscheidende Punkt. Nur so bleibt garantiert, daß das Parlament in die Verantwortung gezwungen bleibt. Wir brauchen also mehr als nur ein Kassationsrecht, wir brauchen die Pflicht für dieses Parlament, alle Notstandsvollmachten regelmäßig bestätigen oder ablehnen zu müssen. Eine weitere Gefahr für Parlament und Verfassung ist der Gesetzesperfektionismus. Man will die Demokratie durch eine Paragraphenflut schützen und vergißt, daß die Demokratie nicht von Paragraphen, sondern von Demokraten lebt. Lassen Sie mich die drei eklatantesten Beispiele für überflüssige und damit gefährliche Regelungen in diesem Gesetzentwurf herausgreifen: den inneren Notstand, die NATO-Klausel und das Widerstandsrecht. 1. Zum Problem der Regelung des inneren Notstandes hat Professor Furler 1955 im Bericht des Auswärtigen Ausschusses wörtlich gesagt: „Besondere Situationen, die ihre Ursache in Vorgängen innerhalb der Bundesrepublik haben, brauchen nicht von der hier gesetzgeberisch zu erteilenden Ermächtigung erfaßt zu sein, so Notlagen, die durch innere Unruhen, Streiks, Wassergefahr, Seuchen etc. entstehen können." Das bedeutet, die Alliierten verlangen gar keine Regelung für den inneren Notstand, wie manchmal behauptet wird. Erst recht überflüssig ist eine Regelung des inneren Notstandes angesichts der Tatsache, daß Polizei und Bundesgrenzschutz allen Gefahren gewachsen sind, die man sich real vorstellen kann. Schon heute den Einsatz der Bundeswehr gegen deutsche Bürger zu planen, ist keine Notstandsvorsorge mehr, sondern Notstandshysterie. 2. Nicht nur überflüssig, sondern auch irreführend ist die Berufung auf die NATO-Klausel in Art. 80 a. Der NATO-Vertrag als solcher verpflichtet keinen Partner zu Notstandsmaßnahmen, sondern stellt es jedem .Partner frei, die Maßnahmen zu treffen, die er für erforderlich hält. Die Heranziehung der NATO-Klausel dient zur Begründung einer Selbstermächtigung der Exekutive unter Umgehung des Parlaments. 3. Zum Widerstandsrecht schließlich ist zu sagen, daß hier eine völlige Verkehrung deis ursprünglichen Sinnes vorliegt. Die klassische Formulierung der französischen Verfassung von 1793 ist auf den Kopf gestellt worden. Widerstandsrecht ist nun nicht mehr nur das heiligste und höchste Recht des Volkes gegen eine verfassungbrechende Regierung, sondern es ist in ein Widerstandsrecht deis einen Bürgers gegen den anderen umgebogen worden. Das bedeutet in letzter Konsequenz den Bürgerkrieg. Ich warne vor einer solchen Pervertierung des Widerstandsrechts in der vorliegenden Form. Die Bedenken, die ich vorgetragen habe und die sich nur auf die wesentlichsten Punkte beschränkten, sollten zu einer nochmaligen ernsten Überprüfung Anlaß geben. Das ungenügende Instrument des Kassationsrechts, die fehlende absolute zeitliche Begrenzung aller Notstandsvollmachten, die Möglichkeit des Einsatzes der Bundeswehr gegen deutsche Bürger, die Umgehung des Parlaments durch die NATO-Klausel und die Selbstermächtigung der Exekutive, den Spannungsfall auszurufen, sowie schließlich die Kodifizierung des Widerstandsrechts in einer Form, die der ganzen bisherigen demokratischen Tradition nicht entspricht, das alles ist für mich Grund genug, die Gesetze in der vorliegenden Form abzulehnen und Sie zu bitten: Prüfen Sie noch einmal alle Bedenken, entscheiden Sie nicht unter Zeitdruck! Dazu sind die Probleme zu ernst. Und die Vergangenheit sollte uns Lehre genug sein. Anlage 7 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dichgans (CDU/CSU) zur Abstimmung über § 1 Ziffer 6 b des Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes (Punkt 9 der Tagesordnung). Wenn irgendwo in der Welt ein Krieg mit Atombomben ausbricht, wenn es zu Aufruhr oder Naturkatastrophen kommt, und wenn dann in der Bundesrepublik die Lebensmittelläden und die Tankstellen gestürmt werden: Wenn eine solche Panik eintritt, wollen wir dann unseren Wählern sagen, jetzt müsse zunächst der Bundestag aus den Ferien geholt werden und ein Gesetz beschließen; dann erst könnten die Länder die Durchführungsvorschriften beraten und erlassen? Ich fürchte, bis dahin wären viele Säuglinge, deren Mütter von uns Milch, keine Vorschriften erwarten, längst verhungert. Wohl jeder Abgeordnete hätte die eine oder andere Bestimmung des Gesetzeswerkes anders formuliert, wenn es nur auf ihn angekommen wäre. Wenn jedoch jeder Abgeordnete starr auf seinen speziellen Vorstellungen bestanden hätte, würde es weder Mehrheiten noch Notstandsgesetze geben. Mehrheiten finden sich nur für Kompromisse. Da ich eine Notstandsregelung für notwendig halte, 9660 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 stimme ich dem vorliegenden Kompromiß zu, weil er der einzige Kompromiß ist, für den sich im Parlament eine Mehrheit finden läßt, aus Achtung vor der parlamentarischen Demokratie, die auf der Achtung vor der Meinung der Mehrheit beruht. Wir alle haben unruhige Wochen hinter uns. Studentische Minderheiten haben studienwillige Mehrheiten gewaltsam am Betreten der Universität gehindert. Radikale Minderheiten haben versucht, ihren Mitbürgern gewaltsam Zeitungen vorzuenthalten, die diese zu lesen wünschten. Der Staat hat sich gegenüber diesen Erscheinungen der Unordnung liberal verhalten und von den Möglichkeiten der Polizei in den letzten Wochen nur zurückhaltend Gebrauch gemacht. Das war gut so. Eine Demokratie darf kein Polizeiregime sein. Aber sie darf auch nicht jede Unordnung dulden. Jeder Bürger hat das Recht, seine Meinung zu sagen und dafür zu demonstrieren, wie das in den letzten Wochen oft in vorbildlicher Ordnung geschehen ist. Aber keine Minderheit hat das Recht, ihre Meinungen einer andersdenkenden Mehrheit gewaltsam aufzuzwingen. Wenn die Bundesrepublik solche Aktionen dulden würde, wäre das Ende der Demokratie nahe. Anlage 8 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Ertl (FDP) zu Punkt 9 der Tagesordnung. Die Behandlung der Notstandsgesetze im Deutschen Bundestag und auch in der deutschen Offentlichkeit kann eher dazu führen, die Zweifel zu verstärken, ob der eingeschlagene Weg richtig ist. Diese Zweifel können einem in vielfältiger Form begegnen. 1. Die Behandlung der Materie hat erneut deutlich gemacht, daß bei allen Versuchen letzten Endes auch die jetzt gefundene Lösung einen Ausweg darstellen soll oder eine Ersatzlösung, der es nicht bedürfte, wenn nicht das Mißtrauen zur demokratischen Entwicklung aus ganz unterschiedlicher Geisteshaltung heraus im Parlament wie aber vor allem in der deutschen Offentlichkeit gegeben wäre. 2. Es ist offensichtlich, daß ein Teil der sogenannten außerparlamentarischen Opposition als Notstandsgegner mit ihrer Verhaltensweise in der deutschen Öffentlichkeit sicherlich nicht die Absicht hat, den demokratischen Rechtsstaat zu sichern und zu festigen, sondern die Gelegenheit nutzt, Unruhe und Klüfte in unserem Volke herbeizuführen und aufzureißen. Deshalb wird es demjenigen schwergemacht, zu der jetzigen unvollkommenen Gesetzgebung, die bei einer funktionierenden Demokratie vielleicht gar nicht notwendig wäre, nein zu sagen, weil er sich zwangsläufig in die Gefahr begibt, mit Kräften gleichgesetzt zu werden, die diese Gesellschaftsordnung weder bejahen noch festigen wollen. Wenn ich dennoch mit nein stimme, so aus folgenden Gründen: a) Im Falle des Notstandes ist es meines Dafürhaltens wichtig, daß wir eine handlungsfähige, parlamentarisch kontrollierte Exekutive haben. Wir brauchen die handlungsfähige Regierung, aber ebenso auch ein handlungswilliges und seiner Kontrollaufgabe bewußtes Parlament. Dann ist ein Mißtrauen weder angebracht noch notwendig. b) Ich habe so viel Vertrauen zur demokratischen Entwicklung in unserem Volke und auch zu den Parteien im Deutschen Bundestag, daß keine Befürchtung am Platze ist, daß der Notstand für die Beseitigung unserer rechtsstaatlichen Ordnung mißbraucht wird. Alle im Bundestag vertretenen Parteien haben diesbezüglich mein volles Vertrauen. c) Wichtig ist, daß wir ein demokratisch glaubwürdiges Parlament, das die rechtsstaatliche Entwicklung für jedermann sichtbar macht, durch alle Parteien praktizieren. d) Diese Notstandsgesetze atmen und widerspiegeln teilweise den Geist des geringen Vertrauens zur Demokratie von heute und morgen in unserem Volke. Das nutzt weder der demokratischen Entwicklung in Deutschland, noch dem Ansehen unseres Volkes im Ausland. Unser Parlament muß endlich befreit werden von den komplexhaften Belastungen der politischen Vorgänge des Jahres 1933. Das gilt ganz besonders auch für die Behandlung der politischen Vorgänge in der Erziehung unserer Jugend. e) Unsere Politik darf auf die Dauer nicht belastet sein, wie es sich durch die Notstandsgesetze und die daraus folgenden Verfassungsänderungen jetzt wieder ergibt, indem Sonderinteressen der alliierten Truppen, die entstanden sind, als sie noch Besatzungstruppen waren, auch zukünftig wahrgenommen werden. Eine solche Behandlung unseres Volkes widerspricht dem Grundsatz der Gleichberechtigung im Rahmen des Bündnisses und muß uns zwangsläufig zu entsprechenden Reaktionen führen. Zusammenfassend sei nochmals festgestellt: Ohne selbstverständliches demokratisches Selbstbewußtsein wird auf die Dauer kein echtes demokratisches Selbstbewußtsein in unserem Volke Platz ergreifen. Aber nur dann, wenn dieses demokratische Selbstverständnis gegeben ist, können auch Zeiten der Not ohne Befürchtungen überwunden werden. Daher können Gesetze niemals Ersatzlösungen für unsere grundsätzliche demokratische Verhaltensweise sein. Anlage 9 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Müller (München) (SPD) zur Abstimmung über Punkt 9 der Tagesordnung. Nach mehr als zehnjähriger Diskussion soll heute der Deutsche Bundestag über eine Änderung des Grundgesetzes entscheiden, die die Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte vorsieht. Auf Grund der alliierten Vorbehaltsrechte gab es in dieser Bundesrepublik Schubladengesetze, von denen der Oberbürgermeister einer deutschen Millionenstadt sagte, Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9661 daß er nicht gezwungen sein möchte, diesen Anordnungen zu folgen. Die Beratungen haben gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf zu einer wesentlichen Verbesserung geführt. Allerdings sind nach meiner Meinung nicht alle rechtsstaatlichen Sicherungen eingebaut, die hätten eingebaut werden können. Auch die besondere Formulierung der Bündnisklausel in Art. 80 a entspricht nicht meinen Vorstellungen von einem deutschen Notstandsrecht. Obwohl grundsätzlich ein Befürworter einer deutschen Notstandsregelung, kann ich es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, meine Zustimmung zu einer Grundgesetzänderung zu geben, nachdem in der zweiten Lesung von mir unterstützte Änderungen nicht akzeptiert wurden. Die Debatte um die Notstandsgesetzgebung hat in den letzten Tagen zu einer Kampagne geführt, die zum Teil direkt gegen die Grundlagen unserer freiheitlichen Demokratie gerichtet ist. Wenn in einer Diskussion an einer deutschen Universität ein Sprecher erklärt, daß eine Nein-Stimme zur Notstandsgesetzgebung nur der erste Akt zu einer .Abschaffung und „Umfunktionierung" des Grundgesetzes ist, dann müssen alle Demokraten hellhörig werden. Extremisten wie der Schriftsteller Enzensberger fordern in der Bundesrepublik „französische Zustände", d. h. Schwerverletzte, Tote, Brandstiftung. Mit Nein zu stimmen würde für mich bedeuten, in die Gesellschaft derer zu kommen, denen es gar nicht um die Notstandsgesetze, sondern eben um „französische Zustände" geht. Aus diesem Grunde muß ich mich bei dieser Abstimmung der Stimme enthalten. Sollten die vorliegenden Grundgesetzänderungen angenommen werden, so wird es meine Aufgabe als Abgeordneter sein, alles zu tun, um einen Mißbrauch der beschlossenen Grundgesetzänderungen zu verhindern. Anlage 10 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) zur Abstimmung über Punkt 9 der Tagesordnung. Die langjährigen Bemühungen um eine Gesetzgebung der Vorsorge — um möglichen Notständen zu begegnen — sollen heute mit Bestimmungen abgeschlossen werden, die im Widerstreit der Meinungen formuliert wurden. Es sind dabei so komplizierte Artikel entstanden, daß ihre Wirksamkeit gegen wirkliche Notstände bezweifelt werden kann. Mögen sie unserem Volk erspart bleiben. Wenn heute die Abgeordneten der CDU/CSU fast geschlossen mit Ja stimmen, so kenne ich aus vielen ernsten Beratungen die Fülle der Bedenken z. B. gegen einen möglichen Mißbrauch der Widerstandsklausel. Bei mir überwiegen die Bedenken. Ich hoffe, daß nach der heutigen Entscheidung der Bundestag sich mit ganzer Kraft anderen vordringlichen Aufgaben widmen wird. Dabei bleibt die Sicherung des Friedens entscheidend. Ich halte die genaueste und gründlichste Prüfung aller Möglichkeiten der Rüstungskontrolle und Rüstungsbegrenzung für notwendig — mit dem Ziel der kontrollierten Abrüstung in West und Ost. Nur dann ist der Notstand wirklich ein überwundenes Problem. Anlage 11 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Jaschke (SPD) zu Punkt 14 der Tagesordnung. Jeder Notstand wird einen besonderen Arbeitskräftebedarf auslösen. Das wird hervorgerufen durch Maßnahmen sowohl für den Verteidigungsfall als auch für den Schutz und die Versorgung der Zivilbevölkerung. Für die Sozialdemokraten kommt es bei der Beratung des Arbeitssicherstellungsgesetzes vor allem darauf an, daß der Macht des Staates in diesen besonderen Spannungszeiten nicht Tür und Tor geöffnet ist. Nach diesem Arbeitssicherstellungsgesetz, so wie es in der dritten Lesung zur Abstimmung gestellt wird, können die persönliche Freiheit und die Freizügigkeit des einzelnen erst dann eingeschränkt werden, wenn es der Bundesregierung nicht möglich ist, den besonderen Arbeitskräftebedarf auf freiwilliger Grundlage sicherzustellen. Dieses Arbeitssicherstellungsgesetz unterscheidet sich vom Zivildienstgesetz, das die Sozialdemokraten seinerzeit ablehnten, dadurch, daß das Zivildienstgesetz lediglich als ein Instrument der Bundesregierung zur besonderen Ausschöpfung und Verteilung des Arbeitskräftepotentials anzusehen war. Durch die Garantie gewisser Grundrechte bildet das Arbeitssicherstellungsgesetz ein Kernstück der gesamten Notstandsgesetzgebung. Neben dem hervorgehobenen Vorrang der Freiwilligkeit ist sichergestellt, daß die berufliche Tätigkeit des einzelnen bei einer eventuellen Verpflichtung zu berücksichtigen ist. Außerdem gewährleistet das Gesetz die wirtschaftliche und soziale Sicherung des einzelnen mit seiner Familie. Im einzelnen wurden bei der Beratung durch unsere Initiative folgende wichtige Änderungen im Gesetzentwurf aufgenommen: 1. Dem Entwurf für ein Arbeitssicherstellungsgesetz wird der Grundsatz vorangestellt, daß auch in Spannungszeiten und im Verteidigungsfall von den vorgesehenen Möglichkeiten nur Gebrauch gemacht werden darf, sofern nicht genügend Freiwillige gewonnen werden können. Die Freiwilligkeit hat also Vorrang. 2. Das Recht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses von Frauen wird nur bis zum 55. Lebensjahr eingeschränkt, nicht aber — wie im Regierungsentwurf vorgesehen — bis zum 60. Lebensjahr. 3. Die Sicherstellung von Arbeitsleistungen (z. B. für Krankenanstalten) wird ausgedehnt auf alle Einrichtungen, in denen Pflegebedürftige betreut werden. 4. Bei den Befreiungen von Dienstverpflichtungen in ein besonderes Arbeitsverhältnis werden neben den bereits im Katalog aufgeführten Personengrup- 9662 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 pen ebenfalls die Mitglieder des Betriebs- und Personalrates mit eingeschlossen. 5. Die Rechtsverordnungen, in denen die Bundesregierung weitere Anwendungsbereiche — allerdings nur im Rahmen des Grundgesetzes — bestimmen kann, können durch den Bundestag jederzeit aufgehoben werden. 6. Die Arbeitgeber und die Dienstherren des öffentlichen Rechts dürfen Auskünfte über ihre Beschäftigten nur nach vorheriger Unterrichtung des Betriebs- oder Personalrates erteilen. 7. Die im Entwurf der Bundesregierung vorgesehene Einschränkung des Rechtsweges, wonach keine Berufung und keine Beschwerde möglich sein sollte, wurde gestrichen. Der Verwaltungsgerichtsweg bleibt uneingeschränkt erhalten. 8. Für Ausbildungsveranstaltungen ist der Grundsatz aufgestellt worden, daß dafür die arbeits-und sozialrechtlichen Vorschriften zu gelten haben. 9. Die zunächst im Regierungsentwurf enthaltene Unterbringung von Zivilbediensteten der Bundeswehr in Gemeinschaftsunterkünften, die Teilnahme an Gemeinschaftsverpflegungen und das Tragen von Arbeits-, Dienst- und Schutzkleidung wurde beseitigt. Derartige Inanspruchnahmen können nur freiwillig auf der Grundlage von arbeits- bzw. tarifvertraglichen Vereinbarungen geregelt werden. 10. Für Aufgaben, die besondere Kenntnisse und Fertigkeiten erfordern, können Wehrpflichtige zwar in normalen Zeiten zu Ausbildungsveranstaltungen verpflichtet werden. Aber bei diesen Verpflichtungen zu den Ausbildungsveranstaltungen gilt auch der Grundsatz des § 1, daß sie nur vorgenommen werden dürfen, wenn der Bedarf nicht auf der Grundlage der Freiwilligkeit sichergestellt werden kann. 11. Die Sozialdemokraten befürchteten, die im Regierungsentwurf genannte Absicht, daß bestimmten Personen bereits in normalen Zeiten ein Bereithaltungsbescheid zugestellt werden kann, würde die Bevölkerung unnötig beunruhigen. Nach der jetzigen Fassung ist diese Ungewißheit ausgeräumt. Nunmehr erhält derjenige, der in normalen Zeiten eine Ausbildungsveranstaltung absolviert, nach Abschluß dieser Ausbildung eine Mitteilung, die ihn darauf hinweist, daß er sich für diese besondere Aufgabe bei Eintritt von Spannungszeiten bereithalten muß. Nach dem Arbeitssicherstellungsgesetz können auch besondere Arbeitsverhältnisse bei den verbündeten Streitkräften begründet werden. Das gilt selbstverständlich nur für den Bereich der Bundesrepublik. Die sozialdemokratische Fraktion setzt sich seit Jahren dafür ein, daß auf die Arbeitsverhältnisse deutscher Arbeitnehmer bei den verbündeten Streitkräften das deutsche Arbeitsrecht vollinhaltlich anzuwenden ist. Zum Teil ist dieser Forderung inzwischen auch entsprochen worden. Für die Vorschriften unseres Arbeitsrechts, die trotzdem noch nicht zur Anwendung gekommen sind, muß sich die Bundesregierung nunmehr, insbesondere unter Berücksichtigung der Regelungen im Arbeitssicherstellungsgesetz, mit noch größerem Nachdruck um eine Änderung der Haltung der verbündeten Streitkräfte bemühen. Schließlich muß in diesem Zeitpunkt noch einmal besonders hervorgehoben werden, daß die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu den Änderungswünschen des Bundesrates versprochen hat, besondere Verwaltungsvorschriften zu erlassen, wonach anerkannte Kriegsdienstverweigerer nicht in ein Arbeitsverhältnis bei der Bundeswehr oder den verbündeten Streitkräften zu verpflichten sind. Dieses Recht geht zwar klar aus Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes hervor; die Verwaltungsvorschriften würden jedoch Schwierigkeiten bei der Durchführung dieses Gesetzes vermeiden helfen. Wir alle hoffen, daß Dienstverpflichtungen und Arbeitsplatzbeschränkungen niemals Wirklichkeit werden. Sollten dennoch Spannungsfälle eintreten, appellieren wir an die Bundesregierung, daß sie alles tut, durch besondere Anreize die freiwilligen Meldungen zur Besetzung der Arbeitsplätze zu fördern, um Dienstverpflichtungen weitestgehend auszuschließen. Beim Grundsatz der Freiwilligkeit bitten wir alle Organisationen zu beachten, daß sie durch ihre wirksame Unterstützung zur Anwerbung von Freiwilligen selbst viel dazu beitragen können, Dienstverpflichtungen vermeiden zu helfen. Mit besonderem Nachdruck möchte ich hiermit für die SPD-Fraktion erklären und darauf hinweisen, daß die Rechte der Mitglieder der Betriebs- und Personalräte natürlich auch für die verpflichteten Arbeitnehmer anzuwenden sind. Die SPD-Fraktion wird überprüfen, ob in dieser Hinsicht zum Schutze der verpflichteten Arbeitnehmer weitergehende Rechte der Mitglieder der Betriebs- und Personalräte notwendig sein können. Nachdem das Arbeitssicherstellungsgesetz sichtbar die Garantien für die Freiheit und Freizügigkeit des einzelnen in Spannungszeiten herausstellt, können wir diesem Gesetz zustimmen. Anlage 12 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Müller (Remscheid) (CDU/CSU) zu Punkt 14 der Tagesordnung. Im Rahmen der auf Grund der Verfassungsänderung erforderlichen Sicherstellungsgesetze hat das Gesetz zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung (Arbeitssicherstellungsgesetz) eine besondere Bedeutung. In diesem Gesetz wird für den Fall der Verteidigung unter besonderen Voraussetzungen bei Spannungszeiten nicht über die Verfügung von Sachen entschieden, sondern über die Arbeitskraft unserer Staatsbürger. Nur für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung und wenn Arbeitskräfte auf freiwilliger Grundlage nicht gewonnen werden können, soll in genau abgegrenztem Um- Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9663 fang die Möglichkeit bestehen, zu Arbeitsleistungen zu verpflichten. Wir gehen davon aus, daß einer freiwillig erbrachten Leistung in jedem Falle gegenüber einer durch Zwang verfügten Leistung der Vorrang zu geben ist. Wenn der Staat oder seine Bürger in Not sind, wenn eine Situation eintritt, die Arbeitsleistungen in genau begrenztem Anwendungsbereich für den Schutz des Staates und seiner Bevölkerung notwendig macht, dann wird sicher der in diesem Staat lebende und ihn bejahende Bürger bereit sein, solche Leistungen zu erbringen. Wir begrüßen es daher nachdrücklich, daß der Vorrang des freien Arbeitsvertrages diesem Gesetz vorangestellt ist und sich wie ein roter Faden durch das Gesetz zieht und ihm als Richtschnur dient. Vorsorge für den Notfall ist eine sittliche Pflicht. Es ist ein gefährlicher Weg, eine solche Vorsorge abzulehnen. Trotz des Vorranges der Freiwilligkeit müssen für die im Gesetz umschriebenen Notfälle Maßnahmen für die Sicherstellung von Arbeitsleistungen möglich sein. Solche Möglichkeiten in einem sozial- und rechtsstaatlichen Sinne zu schaffen, ist der Zweck dieses Gesetzes; nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir legen Wert auf die Feststellung, daß durch eine nach dem Gesetz mögliche Verpflichtung ein Arbeitsvertragsverhältnis begründet wird, auf das die arbeitsrechtlichen Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen anzuwenden sind. Aus diesem Grunde hält die Fraktion der CDU/CSU es für erforderlich, darauf hinzuweisen, daß die Rechte der Mitglieder der Betriebs- und Personalräte natürlich auch für die verpflichteten Arbeitnehmer anzuwenden sind. Die Fraktion wird überprüfen, ob in dieser Hinsicht zum Schutz der Verpflichteten weitergehende Rechte der Betriebs- und Personalräte notwendig sind. Öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse können durch dieses Gesetz dagegen nicht begründet werden. Der Ausschuß hat ausgehend von dem Vorrang des freien Arbeitsvertrages und der bestmöglichen rechtsstaatlichen Ordnung Vorschriften in dieses Gesetz eingebaut, die wir ausdrücklich begrüßen. Ich darf dabei auf die folgenden Punkte besonders eingehen: 1. Wir halten es für notwendig, herauszustellen, daß die Bundesregierung eine nach § 3 Abs. 2 mögliche Rechtsverordnung über den sachlichen Anwendungsbereich auf Verlangen des Bundestages wiederaufzuheben hat. 2. Hervorzuheben ist ferner, daß Betriebs- und Personalratsmitglieder von den Beschränkungen und Verpflichtungen ausgenommen werden, weil uns daran liegt, daß gerade auch in Spannungszeiten und im Verteidigungsfall die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung mit dem Zusammenwirken von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gewährleistet ist. 3. Eine wesentliche Verbesserung enthält auch die Bestimmung, nach der das Arbeitsamt der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zuzustimmen hat, wenn seine Fortsetzung für den Arbeitnehmer unzumutbar ist, zumal da die Sicherstellung des 'Rechtsweges Willkür ausschließt. 4. In Verbindung mit dem Vorrang des freien Arbeitsvertrages kommt der Arbeitsverwaltung eine besondere Bedeutung zu. Nur sie kennt die Situation des Arbeitsmarktes, kennt den Kräftebedarf und weiß, inwieweit dieser Bedarf durch Vermittlung von freien Arbeitsverträgen befriedigt werden kann. Das aber ist die Voraussetzung dafür, daß das Arbeitsamt, wenn der Kräftebedarf auf freiwilliger Basis nicht gedeckt werden kann, die Arbeitsverpflichtungen unter Berücksichtigung der sozialen und beruflichen Interessen der Betroffenen vornehmen kann. Weiter sei darauf hingewiesen, daß im Falle der Verpflichtung der arbeits- und sozialrechtliche Schutz gewahrt bleibt. 5. Vor Erteilung von Auskünften über Arbeitnehmer muß der Betriebs- oder Personalrat unterrichtet werden (§ 23). Damit soll ebenfalls Willkür ausgeschlossen und Schnüffelei vermieden werden. 6. Der Rechtsweg wird nicht eingeengt (§ 26). Sämtliche rechtlichen Möglichkeiten können ausgeschöpft werden. 7. Auch für die Ausbildungsveranstaltungen gilt der Vorrang der Freiwilligkeit (§ 28). 8. Schließlich dürfen Bereithaltungsbescheide grundsätzlich nur erteilt werden, wenn der Betreffende vorher eine entsprechende Ausbildung erhalten hat (§ 29). Mit der Aufzählung dieser wichtigsten Punkte wird deutlich, daß der Deutsche Bundestag sich bemüht hat, den verständlichen Bedenken der deutschen Gewerkschaften gerecht zu werden. Nicht Zwangsarbeitsverhältnisse, sondern Arbeitsverträge mit allen möglichen Sicherungen werden nach diesem Gesetz unter den darin genannten Voraussetzungen möglich sein. Bei den Beratungen dieses Gesetzes hat stets der Mensch und die Würde des Menschen und die Sorge um den Menschen im Notfall im Vordergrund gestanden. Für die Fraktion der CDU/CSU erkläre ich daher, daß wir diesem Gesetz zustimmen werden.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Walter Scheel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir stehen am Ende einer der bedeutendsten Debatten dieses Hohen Hauses. Und die Zukunft wird zeigen, ob sie zu der bedeutendsten Entscheidung für den demokratischen Rechtsstaat in Deutschland geführt hat. Rechte, die bisher den Alliierten vorbehalten waren, sollen in die Zuständigkeit der deutschen Stellen übergehen. In diesem Ziel stimmten alle Parteien des Hohen Hauses überein.
    Die alliierten Vorbehaltsrechte waren die denkbar schlechteste Regelung für den Ernstfall. In jahrelangen Beratungen haben wir uns nun bemüht, eine deutsche Regelung zu entwickeln. Dabei gingen wir Freien Demokraten von dem Grundsatz aus, daß unsere Verfassung die Grundlage unserer freiheitlichen, parlamentarischen Demokratie ist, die unter allen Umständen erhalten werden muß. Auch die „Stunde der Not" darf auf keinen Fall die „Stunde der Exekutive" werden, wie es einmal lautete.

    (Beifall bei der FDP.)

    Es galt, die Exekutive auch im Verteidigungsfall parlamentarisch zu kontrollieren. Im Verlauf der jahrelangen Diskussion haben wir Erfahrungen gesammelt; auch auf unserer Seite kamen neue Argumente hinzu. Entscheidend wurden unsere Überlegungen durch die bestürzenden Erfahrungen bestimmt, die wir bei der Teilnahme an der NATOStabsrahmenübung Fallex 66 machen mußten. Wir Freien Demokraten mußten uns nun an die Arbeit machen, um unsererseits einen vollkommen neuen Gesetzentwurf zu erarbeiten; denn die Praxis — das haben wir alle erfahren — sah ganz anders aus, als wir es erwartet hatten. Wir mußten nämlich einsehen, daß die jahrelangen theoretischen Erörterungen uns allen ein perfektionistisches Gesetzeswerk zu bescheren drohten, das der Wirklichkeit unseres Staates — auch im Falle der Not — nicht gerecht werden würde.
    Vielleicht haben alle Fraktionen dieses Hauses versucht, diese Erkenntnisse beim Fortgang der Beratungen zu berücksichtigen. Mir scheint aber zumindest — und das werden Sie mir gestatten —, daß dies uns Freien Demokraten — zum Leidwesen des einen oder anderen in diesem Hause — am konsequentesten gelungen ist. Wir waren nicht mehr an den Kompromiß in Koalitionen gebunden, wie er für die Koalitionsfraktionen nun einmal als Notwendigkeit besteht. Wir waren auch frei von den immer hörbareren Einflüssen der Formulierungshilfe einer Ministerialbürokratie. Und — das muß jetzt einmal gesagt werden — es ist uns trotzdem gelungen, mit Hilfe unserer Fraktionsfreunde Busse, Dorn und Diemer-Nicolaus, deren Unterschriften unter unserem Entwurf stehen, eine Gesetzesvorlage einzubringen, die alle Kennzeichen einer staatsbürgerlichen Verantwortung unserer Fraktion für unser Land trägt.
    Der Herr Bundesaußenminister hat — wie ich meine — die bestehende Rechtslage heute vormittag zutreffend dargestellt. Eben diese war der Grund für uns, dem Kompromißentwurf der Koalitionsfraktionen einen eigenen Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung



    Scheel
    h der rechtsstaatlichen Ordnung im Verteidigungsfall gegenüberzustellen, weil auch wir der Meinung sind, daß in der Bundesrepublik alliiertes Recht nur beseitigt werden kann, wenn deutsches Recht an seine Stelle gesetzt wird.
    Einem Irrtum aber darf man nicht erliegen, der heute morgen hier leicht aufkommen konnte: die Vorlage der Koalitionsfraktionen nämlich sei die einzige Möglichkeit, die alliierten Vorbehaltsrechte abzulösen. Das ist sicher nicht der Fall. Ich bin davon überzeugt, daß auch der Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte geführt hätte.

    (Beifall bei der FDP.)

    Unser Entwurf trug diesen Gesichtspunkten Rechnung; denn uns ging es ja darum, erstens die Beschränkung von unumgänglichen Eingriffsmöglichkeiten in die Rechte unserer Bürger zeitlich auf den Eintritt des Verteidigungsfalles und sachlich auf das Vorhandensein einer konkreten Gefahr, die mit anderen Mitteln nicht abgewendet werden kann, zu begrenzen und zweitens die Funktionsfähigkeit des Gesamtparlaments zu sichern, seine Rechte und die möglichst rache Wiederherstellung .seiner Aktionsfähigkeit zu wahren, sofern diese durch die Auswirkung bewaffneter Konflikte beeinträchtigt werden.
    Entsprechend dem Geist derer, die unsere Verfassung schufen, haben wir uns in unserem Entwurf bemüht, alle im Verteidigungsfall notwendigen Maßnahmen unter der Kontrolle des Parlaments zu halten. Die Ziele unseres Entwurfs unterscheiden sich insoweit maßgeblich von den Regelungen, die die Regierungsfraktionen heute beschließen werden. Unsere Mitarbeit an der Gesetzgebung hat sich in erster Linie an der Sicherung und dem Schutz der Grund- und Freiheitsrechte der Bürger und der Rolle des Parlaments für die Sicherung der Demokratie in Deutschland orientiert.
    Der Herr Bundesaußenminister hat vorhin mit Recht gesagt, die Bundesrepublik solle sich nicht zum Richter über unsere französischen Freunde machen. Das meinen wir Freien Demokraten auch. Aber ohne Zweifel können wir doch eine Erkenntnis aus den französischen Ereignissen der letzten Tage auf unsere eigene innere Situation anwenden: Die Probleme des 20. Jahrhunderts lassen sich nicht mehr mit autoritären Verfassungsstrukturen und mit sogenannten starken Männern meistern.

    (Beifall bei der FDP.)

    Nicht nur die junge Generation in vielen Ländern der Welt will, daß sich freiheitliche Gesellschaftsordnungen in zunehmendem Maße durchsetzen. Der von den Regierungsfraktionen vorgelegte Kompromißentwurf fördert diese Entwicklung in unserem Lande jedenfalls nicht, wie wir uns das gewünscht haben.
    Mehrfach haben wir Freien Demokraten von der Regierungsbank und den Regierungsfraktionen hören müssen, durch die Verabschiedung der Verfassungsänderungen und der einfachen Notstandsgesetze ändere sich tatsächlich nichts, sie ruhten, sie würden unser Leben zunächst überhaupt nicht beeinflussen. Wir sind da anderer Ansicht.
    Lassen Sie mich das erläutern. Als erstes Beispiel für eine sofortige Beeinträchtigung eines der tragenden Rechte unserer Bürger darf ich die Neuregelung zu Art. 10 und — nachher — zu Art. 19 nennen. Die Beseitigung der Garantie des Rechtsweges für einen zu Unrecht von Abhörmaßnahmen Betroffenen bedeutet für uns Freie Demokraten eben den ersten Schritt zur Beseitigung einer der überragenden Verfassungsgrundsätze unseres Staates zum Rechtsschutz seiner Bürger. Wir können uns schon nicht bereit finden, diesen ersten Schritt der Regierungsparteien mit zu vollziehen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Beispiel Nr. 2, diesmal für die Auffassung der Regierungsfraktionen von der Bedeutung des Parlaments, zu der wir uns in einem entscheidenden Gegensatz befinden: Dieses Beispiel bietet die sogenannte Bündnisklausel in Art. 80 a. Die Möglichkeit der Bundesregierung, auf Grund von Entscheidungen im Rahmen eines Bündnisvertrages ohne vorherige Zustimmung oder wenigstens nachträgliche Genehmigung durch das Parlament Rechtsvorschriften in Kraft zu setzen, entspricht nicht der Bedeutung, die diesem Hohen Hause in unserer Verfassung eingeräumt ist.
    Die im Koalitionsentwurf vorgesehene Möglichkeit, mit einem qualifizierten Quorum die Auswirkungen derartiger Entscheidungen später zu korrigieren, reicht nach unserer Meinung bei weitem nicht aus, weil innenpolitische Folgen längst eingetreten sein können und in vielen Fällen nicht mehr nachträglich zu beseitigen sind.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Der Exekutive wird für ihre Mitwirkung an einer derartigen Bündnisentscheidung ein Maß an moralischer Verantwortung aufgebürdet, das ihr nach dem Willen des Grundgesetzes nicht zugedacht war.

    (Beifall bei der FDP.)

    Andererseits wird die Entscheidung des Parlaments in einer Weise hintangestellt und werden Voraussetzungen dafür geschaffen, die seiner Bedeutung als Kontrollorgan der Regierung und als Entscheidungsorgan unseres Volkes in gar keiner Weise gerecht werden.
    Gegen die Stimmen der liberalen Opposition haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU und der SPD, eine Verfassungsentscheidung getroffen, mit der die Gewichte in nicht mehr zu vertretendem Umfange vom Parlament auf die Regierung verlagert werden. Die beiden einschneidenden Regelungen, die ich nur als Beispiele zitiert habe, hat meine Fraktion durch Anträge zu ändern versucht, die wir eingehend und, wie ich glaube, überzeugend begründet haben. Wäre die Entscheidung über diese Anträge weniger vom Prinzip der Quantität und mehr vom Prinzip der Qualität der Argumente bestimmt worden, dann sähe die deutsche Notstandsverfassung heute anders aus.

    (Beifall bei der FDP. — Lachen bei den Regierungsparteien.)

    Wir Freien Demokraten sind auch — und erst recht — nach den Debatten dieses Hohen Hauses



    Scheel
    nach wie vor der Meinung: wir brauchen keine Sonderregelungen für den sogenannten inneren Notstand.

    (Beifall bei der FDP.)

    Wir lehnen den Begriff „Spannungsfall" wegen seiner Unbestimmbarkeit ab.

    (Abg. Hirsch: Wie war das 1965?)

    — Für den Verteidigungsfall, Herr Kollege, haben wir eine in sich konsequente Vorlage erarbeitet und Ihnen und den Bürgern im Lande als Alternative vorgelegt. Wir nehmen für uns in Anspruch zu wissen, daß im Falle eines äußeren Konflikts besondere Regelungen notwendig sind; wir fühlen uns aber der Verfassung und unserem freiheitlichen Rechtsstaat so verpflichtet, daß wir ihn auch in diesem Fall schützen und aufrechterhalten wollen.
    Meine Damen und Herren, wir haben hier im Parlament gekämpft, um auch den Bürgern da draußen im Lande klarzulegen, daß die Freien Demokraten ihre Haltung zur Notstandsverfassung so und nicht anders eingenommen haben, weil sie meinen, auf diese Weise am besten für den Schutz unserer Verfassung einzutreten. Daran ändern übrigens auch die üblichen und sicherlich zu erwartenden Einmischungsversuche aus Ost-Berlin und aus Moskau überhaupt nichts. Denn gerade diese beiden Staaten haben am allerwenigsten ein Recht, sich zum Sachwalter unserer Verfassung zu machen.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der Regierungsparteien.)

    Das lehrt schon ein flüchtiger Blick auf ihre eigenen Verfassungen und ihre eigenen Regelungen für den Notstand.
    Sie, meine verehrten Damen und Herren, haben nun nach langen und harten — und ich sage auch: nach fairen - Debatten die endgültige Entscheidung zu treffen. Die Fraktion der Freien Demokraten muß dem Gesetz ihre Zustimmung versagen. Wir beantragen — wegen der Bedeutung dieser Materie —, über dieses Gesetzeswerk namentlich abzustimmen.

    (Beifall bei der FDP.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt (Hamburg).

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Helmut Schmidt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf am Beginn meiner Ausführungen meinen verehrten Kollegen Adolf Arndt zitieren, der sich im Frühjahr 1955, noch vor Inkrafttreter der Pariser Verträge und des Deutschland-Vertrages, mit dem Problem der Vorbehaltsrechte und ihrer Ablösung durch deutsches Verfassungsrecht beschäftigt hat. Adolf Arndt hat damals gesagt:
    Die Pariser Verträge haben die Frage des Notstandsrechts aufgeworfen ... Wo jedoch eine Notverfassung fehlt, oder wo sich eine Regelung der Notstandsbefugnisse als unzureichend erweist, dort bricht sich das Fürchterlichste Bahn, was einem Rechtsstaat widerfahren kann, das hemmungslose Unrecht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Mange] t es an einem Notstandsrecht, oder ist die Regelung dieses Rechts mangelhaft, so kann ein solcher Mangel verderblicher sein als das mutige Gewähren kräftiger, aber auch klarer und insbesondere genau umgrenzter Befugnisse, vor denen man sich in Weimar so geängstigt hatte ...

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Diese vor mehr als 13 Jahren ausgesprochene Überzeugung haben wir nicht verlassen. Die Sozialdemokraten haben auf fünf Bundesparteitagen kontinuierlich die damals, 1955 erstmalig von Adolf Arndt und von Carlo Schmid, den mein Freund Hirsch vor 14 Tagen hier in ähnlichem Sinne zitiert hat, gesetzten Prinzipien bestätigt und fortentwickelt.
    Im Juni 1965, heute vor drei Jahren, hat von dieser Stelle aus unser verstorbener Freund. Fritz Erler die gleichen Prinzipien noch einmal vorgetragen. Auch damals hatten wir es mit den Ergebnissen von Ausschußberatungen unseres Parlaments zu tun, die den damals vorliegenden zweiten Regierungsentwurf weitgehend verändert hatten. Fritz Erler hat damals alle die Punkte aufgezählt, in denen sich die sozialdemokratische Fraktion einig war mit der Fraktion der CDU/CSU, einig war mit der Fraktion der FDP. Sie beide bildeten ja damals eine Regierungskoalition, und sie beide hatten den damaligen Ausschußergebnissen in zweiter Lesung ihre Zustimmung erteilen wollen.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

    Fritz Erler hat damals zugleich auch jene vier Punkte klargemacht, wegen deren die sozialdemokratische Fraktion dem damaligen Beratungsergebnis nicht hat zustimmen können.
    Der erste und wichtigste Punkt war der: Wir waren unter den drei Fraktionen zwar einig, daß im Falle des äußeren Notstands Dienstleistungen für die Sicherung der Verteidigung auch außerhalb der Bundeswehr erforderlich sind, auch darüber, daß dabei die Rechte der Arbeitnehmer gesichert werden müssen. Aber über das Wie der rechtlichen Sicherung dieses Anspruchs ist damals Einigung nicht erzielbar gewesen.
    Zweitens fehlte das Gesetz zur Ausführung des Art. 10, von dem eben Herr Scheel sprach, das Sie damals schaffen wollten, nur nicht vorgelegt hatten, und das wir nun gestern endlich in zweiter Lesung verabschiedet haben. Wir sagten: Wir können deshalb nicht zustimmen, weil ohne das Gesetz die Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte nicht zustande kommt. Und, Herr Scheel — den Einwand müssen Sie sich auch jetzt machen lassen —: In dem dankenswerten Entwurf, den Sie vorgelegt haben und der auch die Diskussion über die Verfassungsergänzung beflügelt hat, hat gerade dieser Punkt gefehlt. Deswegen glaube ich Ihnen zwar, daß Sie ehrlich überzeugt waren, als Sie hier eben sagten, auch Ihr Gesetzentwurf hätte zur Ablösung führen können. Aber ich muß Sie darauf hinweisen, daß hier eine entscheidende Lücke Ihres jetzigen Entwurfs bestanden hat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)


    Schmidt (Hamburg)

    Herr Scheel, ich will gewiß genausowenig polemisieren, wie Sie etwa polemisiert hätten. Aber es hat mich doch etwas gestört, daß Sie an einer Stelle, an der Sie sich mit diesem Punkt beschäftigten
    — ich weiß nicht, ob ich das Wort richtig mitgeschrieben habe —, vom Wegfall des Telefongeheimnisses sprachen. Tatsächlich ist es heute leider so, daß jeden Tag und jede Woche auf Grund des immer noch geltenden Deutschland-Vertrags — Art. 5 Abs. 2 — nicht die Behörden dieser Regierung — —

    (Abg. Scheel: Das habe ich nicht gesagt!)

    — Es tut mir leid. Ich will Sie nicht mißinterpretieren. Wenn ich Sie falsch verstanden habe, nehmen Sie es mir bitte nicht übel. — Aber ich darf den Satz zu Ende führen: Tatsächlich ist es so, daß hier nicht etwas wegfällt, was es bisher gegeben hat, sondern daß eine Garantie eingeführt wird, die es bisher nicht gab.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Scheel: Ich habe nur vom Rechtsweg gesprochen, nicht vom Wegfall!)

    — Gegenüber dem bisherigen Status ist auch kein Rechtsweg weggefallen, Herr Scheel.

    (Abg. Scheel: Wir wollen etwas Besseres machen!)

    — Gut, wir machen ja auch etwas Besseres gegenüber dem bisherigen Zustand! Sie sollten nur nicht sagen, daß etwas weggefallen sei. Das könnte jemand, der kein Fachmann ist, mißverstehen.

    (Abg. Scheel: Das habe ich nicht gesagt!)

    — Schön; wir wollen uns nicht gegenseitig in eine Sache verhaken, die den ersten Rang im Augenblick nicht mehr einnehmen kann.
    Wir haben damals wegen eines dritten Punktes, den Erler vorgetragen hat, nicht zugestimmt, nämlich weil Sie beide die Pressefreiheit einschränken wollten, und wir wollten das nicht.
    Ein vierter Punkt war, daß Sie beide der Bundesregierung das Recht geben wollten, in Notstandsfällen dritte Personen zu beauftragen, im Namen der Regierung den Ländern Weisungen zu erteilen. Ich habe das bei mir selbst immer den Reichsstatthalter-Paragraphen genannt.
    Das waren die vier Gründe, die heute vor drei Jahren die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bewogen haben, dem damaligen Ergebnis nicht zuzustimmen.
    Heute, drei Jahre später, nach einer erneuten, dritten Regierungsvorlage, die wiederum im Ausschuß durchgearbeitet worden ist, sind unsere vier damaligen Ablehnungsgründe entfallen, weil unseren Bedenken und unseren Forderungen aus dem Jahre 1965 Rechnung getragen worden ist durch die Ergebnisse der Rechtsausschußberatung und durch die Ergebnisse der Beratungen und der Abstimmungen in zweiter Lesung hier heute vor 14 Tagen.
    Darüber hinaus ist aber das heute zur Abstimmung kommende Gesetzgebungswerk in bisher ungezählten weiteren Punkten eine entscheidende Verbesserung gegenüber dem Gesetzentwurf, dem auch
    Sie, Herr Scheel, heute vor drei Jahren Ihre Stimme haben geben wollen, wir aber nicht haben geben wollen. Ich muß offen bekennen, daß meine Fraktion heute vor drei Jahren nicht damit gerechnet hat, im Jahre 1968 ein so ausgewogenes Gesetz verabschieden zu können, wie es heute zur Abstimmung steht.
    Der Begriff „Grundgesetz", um das es ja hier geht, ist wegen des Aspektes der Vorläufigkeit, unter dem der Parlamentarische Rat die 1949 entstehende Bundesrepublik Deutschland gesehen hat, an die Stelle des früher in Deutschland geläufigen Begriffs „Verfassung" gesetzt worden. Was heißt aber „Verfassung"? Verfassung bedeutet nicht nur die Regelung der Funktionen der Organe des Staates, die Unabhängigkeit der Organe des Staates voneinander und das Gleichgewicht der Organe des Staates zueinander, sondern Verfassung regelt und sichert vor allem anderen die Freiheitsrechte, die Grundrechte, die Menschenrechte des einzelnen dem Staat gegenüber und verpflichtet diesen Staat, diese Grundrechte zu verwirklichen. Jede Verfassung der Welt muß die Spannung lösen, die zwischen den Rechten der Bürger und den Aufgaben der Staatsorgane besteht. Wir haben jüngst — der Außenminister hat darauf vorhin in sehr vornehmer Zurückhaltung hingewiesen — im anderen Teil Deutschlands eine Verfassungsgebung erlebt, die in unerhörter Weise die Rechte der Staatsspitze über die Rechte des einzelnen Bürgers gestellt hat.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    In unserer Verfassung ist und bleibt der Kern der Grundrechte jeden Bürgers unantastbar.
    Dabei weiß jedermann im Lande, daß keiner seine Grundrechte hemmungslos ausleben darf. Jeder Erwachsene weiß das. Wir alle kennen z. B. Konflikte, die sich aus der Inanspruchnahme des Grundrechts der freien Meinungsäußerung und damit der Demonstrationsfreiheit ergeben können mit den Grundrechten anderer Bürger, z. B. mit dem Grundrecht anderer Bürger auf freie Entfaltung der Persönlichkeit oder mit deren Grundrecht auf Freiheit der Berufsausübung. Deshalb muß das Recht des einen in jeder Situation gegen das Recht des anderen abgewogen werden; Juristen sprechen hier wohl auch von der Notwendigkeit der Gemeinverträglichkeit bei der Ausübung des eigenen Grundrechtes.
    Natürlich gibt es im konkreten Einzelfall Konflikte, die den Bürger irritieren. Besonders irritiert und beunruhigt aber kann der Bürger werden, wenn er den Eindruck bekommt, daß der Gesetzgeber, daß der Bundestag in das Gleichgewicht der Grundrechte eingreifen wolle, insbesondere wenn es sich um das Gleichgewicht der Grundrechte im Verhältnis zu den Rechten der Staatsorgane handelt.
    Deshalb schafft in jedem freien Staat- der Welt eine Verfassungsänderung, die bevorsteht, Irritation. Unruhe, Spannung, Konflikte. Weil dies so ist, schreibt die Verfassung aller freien Staaten vor, daß Verfassungsänderungen großer Mehrheiten in den Parlamenten bedürfen. So ist das auch in unserem Grundgesetz. Die Vorschrift des Grundgesetzes, die eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat verlangt, will ja gerade erzwingen, daß der



    Schmidt (Hamburg)

    Konflikt durch einen Kompromiß gelöst werde, der von einer überwältigenden Mehrheit im Parlament getragen wird. Ich stimme Herrn Even in diesem Punkte ohne jede Einschränkung zu. — Vielleicht darf ich die Gelegenheit benutzen, im Namen meiner Fraktionsfreunde Herrn Even zu dem freudigen Ereignis zu beglückwünschen, das heute in seiner Familie eingetreten ist.

    (Allgemeiner Beifall. — Zuruf.)

    — Herr Scheel ruft mir zu, daß er sich dem Glückwunsch auch seinerseits anschließt und hofft, daß es kein Notstandsgegner werde.

    (Heiterkeit. — Abg. Frau Kalinke: Frauen sind nie Notstandsgesetzgebungsgegner!)

    Bei dem Ringen um den Kompromiß, meine Damen und Herren, der eine breite Mehrheit finden muß, hat uns Sozialdemokraten in all den Jahren — Sie haben es vielfach gespürt, ich darf es ein letztes Mal sagen —, die bittere Erfahrung bewegt, die wir Deutschen mit der Weimarer Reichsverfassung, mit dem Art. 48 gemacht haben. Der damalige Art. 48 enthielt eine nahezu unbeschränkte Vollmacht an den Reichspräsidenten zur Ausnahmegesetzgebung auf dem Wege der Notverordnung. Diese Vollmacht sollte damals durch ein einfaches Gesetz näher bestimmt werden. Das Gesetz ist nie erlassen worden. Infolgedessen blieb die Bevollmächtigung pauschal und nahezu unbegrenzt, und sie ist zum Schluß der Weimarer Zeit dem Staate zum Verhängnis geworden. Noch schlimmer allerdings war die nun wirklich grenzenlose Bevollmächtigung des Reichskanzlers Hitler am 23. März 1933, durch die das deutsche Parlament sich selbst endgültig entmachtet hat.
    Diese Erfahrung hat uns Sozialdemokraten bei der Beratung der heute zur Entscheidung stehenden Materie von Anfang an zu der Konsequenz geführt, daß die Notstandsvorsorge im Grundgesetz auf keinen Fall pauschal und ohne nähere Bestimmung geregelt werden darf, daß sie die Einzelheiten keineswegs einer zukünftigen Bundesregierung überlassen darf, daß sie vielmehr umgekehrt dem Gesetzgeber, d. h. dem Parlament in jeder Stufe und in jeder Lage nicht nur die Gesetzgebung sondern auch die Kontrolle über die Regierung ungeschmälert erhalten muß. Aus dieser Einsicht ist unsere Ablehnung des ersten Regierungsentwurfs im Jahre 1960 erwachsen.
    In diesem Bundestag, in meiner Fraktion, aber nicht nur dort, sitzen Kollegen, die im Deutschen Reichstag die Notverordnungen der Ara Papen oder Schleicher und das Ermächtigungsgesetz für Hitler selbst miterlebt haben. Ich darf einmal — mit seinem Einverständnis — von meinem älteren Kollegen Josef Felder sprechen, der damals als jüngster Abgeordneter des Deutschen Reichstages gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt hat,

    (allgemeiner Beifall)

    der anschließend sein Vaterland verlassen und emigrieren mußte, der dann freiwillig nach Deutschland zurückkehrte und ins KZ gesperrt wurde. Josef Felder ist einer derjenigen in der sozialdemokratischen Fraktion, die aus jener damaligen Erfahrung
    heraus der heutigen Grundgesetzergänzung zustimmen wollen,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    weil er eben aus eigener Erfahrung weiß, daß keine Regierung unbeschränkte und unkontrollierte Vollmachten behalten oder bekommen darf.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Herr Felder hat mir gesagt, daß er gegen manche Einzelheit dieses Entwurfs Bedenken trage, daß er aber zustimmen müsse, um jeder Möglichkeit vorzubeugen, daß spätere Regierungen von den bis zu dieser Stunde immer noch geltenden alliierten Vorbehaltsrechten und dem Rückgriff auf den sogenannten übergesetzlichen Notstand törichten oder gar zerstörerischen Gebrauch machen könnten.
    Die Sozialdemokraten in diesem Hause haben Verständnis für manche, die Josef Felders persönliche Erfahrung nicht haben können und die deswegen z. B. von seiner persönlichen Entscheidung nur mit Bedenken Kenntnis nehmen. Nachdem zum Niedergang der ersten deutschen Demokratie der Art. 48 einen Teil beigetragen hat, empfinden manche auch in der heutigen Notstandsgesetzgebung eine Belastung unserer zweiten Demokratie. In der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion gibt es einzelne Kollegen, die aus diesem Grunde heute nicht mit Ja stimmen wollen. Ich selbst bin, wie Felder, anderer Meinung, gerade weil an die Stelle des pauschalen Art. 48 der Weimarer Verfassung nun hier und heute eine nahezu perfekte, ausschließliche Regelung in der Verfassung treten soll.
    Aber — zweitens — daneben gibt es auch andere Motive für Bedenken gegenüber dem Gesetz. Einer meiner Kollegen hat hier ja schon seine persönlichen Bedenken vorgetragen. Ich spreche hier für die Gesamtheit der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion und will für einige andere Kollegen sagen: Weil, wie ich schon gesagt habe, jede Verfassungsänderung das Verhältnis zwischen Bürgern und Staatsorganen berührt, könnten sich nach der Meinung dieser Kollegen Staatsorgane in ihrer Stellung gestärkt fühlen. Wenn dies so wäre, würde sich möglicherweise die Mißbrauchsschwelle für staatliches Handeln verschieben.
    Drittens. Wir haben insbesondere auch die Bedenken aus gewerkschaftlichem Lager in unserer Fraktion sehr ernst genommen, die darauf hinweisen, daß im aktuellen Falleines staatlichen Notstands die Abgrenzung zwischen den Rechten zwangsläufig sich verändere. Wir haben sehr begrüßt, daß die Gewerkschaften gegenüber dem Anspruch dieses Parlaments, durch Bundestagsbeschluß mit Zweidrittelmehrheit Bürger unseres Landes in Pflicht nehmen zu können, zunächst vielmehr den Grundsatz der Freiwilligkeit voll ausgeschöpft sehen wollen. Wir haben diesen Grundsatz in der Gesetzgebung weitgehend durchsetzen können. Aber ich will hier nicht verschweigen, daß von seiten derjenigen, die uns diesen Grundsatz so sehr ans Herz gelegt haben, seine organisatorische Konkretisierung bisher noch nicht in befriedigender Weise versucht worden ist.



    Schmidt (Hamburg)

    Viertens. Ich weiß auch — das gilt wohl überwiegend für die rechte Seite des Hauses, für Kollegen in der anderen Koalitionsfraktion; einer der Kollegen der anderen Koalitionsfraktion ist ja schon öffentlich ,ein bißchen angezapft worden, nachdem in der Zeitung stand, daß er an der Abstimmung nicht teilnehmen wolle —, daß manche unüberwindbare Bedenken gegenüber diesem Gesetz tragen, weil es ihrer Meinung nach in perfektionistischer Weise bis in die letzte Verästelung hinein verfassungsrechtliche Vorschriften schafft, die in Notfällen der Regierung und ihren Behörden das Handeln gerade dann sehr erschweren könnten, wenn zum Schutz der Bürger schnell gehandelt werden muß. Auch diese Bedenken haben mich persönlich beeindruckt, zumal ich glaube, daß, je perfekter eine Gesetzesregelung ist, um so geringer ihre Durchsichtigkeit werden muß und infolgedessen um so geringer das kontrollierende Bewußtsein der öffentlichen Meinung seine notwendige Rolle spielen kann.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Bedenken dieser Art spielen auch in meiner Fraktion eine Rolle.
    Nach unserer festen Überzeugung ist es Pflicht dieses Deutschen Bundestages, auch für den Notfall vorzusorgen, daß ein Höchstmaß an individueller Freiheit und an Schutz für den einzelnen gewahrt werde. Ich halte es schlechthin für unsinnig und lebensgefährlich, wenn einige einen theoretischen Notstandsfall gleichsetzen mit jenem großen Atomschlag, von dem sie reden und gegen den jeglicher Schutz überflüssig sei; infolgedessen sei auch die ganze Vorsorge nicht notwendig. Wer sich die Welt so vorstellt, macht sich die selbstzufriedene Negation zu leicht, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wenn wir nicht für den Schutz des Bürgers sorgen, so frage ich: An wen wird sich eigentlich später, wenn es um den Schutz des Bürgers einmal zu schlecht bestellt sein sollte, der Bürger wenden? An den Staat doch wohl, an die Regierung, an den Bundestag. Oder wird er sich etwa an das von keinem Wähler legitimierte Kuratorium „Notstand der Demokratie" wenden?

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir alle hier, alle drei Fraktionen, handeln heute im Bewußtsein unserer Verantwortung gegenüber einem Staat, der den Bürgern zu allen Zeiten, auch zu Notzeiten, ein Höchstmaß an Freiheit und ein Höchstmaß an individuellem Schutz geben soll. Deswegen haben wir Respekt gegenüber allen, die aus dem gleichen Verantwortungsbewußtsein, aus der gleichen Sorge um diesen demokratischen Staat ihre Bedenken nicht überwinden können. Ich glaube auch, daß das ungewöhnliche Maß öffentlicher Diskussion über dieses Gesetz unserer demokratischen Gesellschaft kein schlechtes Zeugnis ausstellt.

    (Abg. Scheel: Sehr wahr!)

    Bei einigen Diskussionsbeiträgen muß man allerdings erhebliche Mühe aufwenden, um sie ernst zu nehmen.

    (Sehr wahr! bei den Regierungsparteien.)

    Ich komme darauf noch zurück. Aber ich will auch gestehen, daß ich gegenüber einigen Kollegen in diesem Haus Mühe aufbringen muß, um zu verstehen, daß sie heute vor drei Jahren einem wesentlich schlechteren Gesetz ihre Zustimmung haben geben wollen und heute einem wesentlich besseren Gesetz ihre Zustimmung verweigern wollen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ohne jede Polemik! Ich kann schwer verstehen, wie eine Fraktion dieses Hauses den Wandel ihres Verhaltens mit dem Wechsel aus der Regierung in die Opposition begründet.

    (Abg. Mertes: Das ist ja gar nicht der Fall!)

    — So ist es hier vor einem Jahr in der ersten Lesung geschehen. Ich muß es wohl nicht zitieren.
    Mir scheint, daß hier wirklich — ich rede ganz ernst und polemisiere nicht — ein entscheidender Unterschied zwischen der rechten und linken Fraktion besteht, wobei ich die CDU für einen Augenblick einmal als Mitte ansehen darf, als die Mitte zwischen rechts und links.

    (Heiterkeit. — Zurufe von der FDP.)

    — Na ja, manche Ihrer Reden klingen linker als links; das gebe ich zu.

    (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber in allem Ernst: Mir scheint, daß hier im Kern einer der Wesensunterschiede zwischen diesen beiden Fraktionen, von denen ich rede, deutlich wird. Die ,sozialdemokratische Fraktion hat, was die Materie dieses Gesetzes angeht, ihre Haltung im Prinzip nicht verändert, ob es sich um die Zeiten der Opposition gegen die Regierungen Adenauer und Erhard oder um die gemeinsam getragene Regierung Kiesinger handelt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich darf hier ein Wort Kurt Schumachers

    (Abg. Mertes: Was sagt denn die CDU dazu?)

    vom 8. Januar 1950 vorlesen, das nicht an die Adresse einer fremden Fraktion, sondern damals an die Adresse der eigenen Partei in Berlin gerichtet worden ist. Schumacher sagte damals — dais ist beinahe 20 Jahre her —:
    Das Wesen des Staates ist nicht die Regierung, und das Wesen des Staates ist nicht die Opposition. Das Wesen des Staates ist die Regierung u n d die Opposition.
    Darin sind wir alle miteinander einig. Schumacher fuhr fort:
    Wer dieses Volk einigermaßen in seinen nationalpolitischen Notwendigkeiten . . . begreift, kann den Staat und kann die Opposition nur nach demselben Prinzip der Verantwortung führen.
    Die heute vor uns liegende Ergänzung der Verfassung enthält — das muß man hier noch einmal sagen dürfen — eine allgemeine, keineswegs auf Notzeiten beschränkte Verbesserung für jeden Bür-



    Schmidt (Hamburg)

    ger. Art. 20 Abs. 4 des Grundgesetzes soll in Zukunft klarstellen, daß jeder Bürger ein Widerstandsrecht gegen jeden besitzt, der die grundgesetzliche Ordnung durch einen Staatsstreich zu beseitigen unternimmt. Dies ist weiß Gott alles andere als etwa eine Aufforderung zur Selbstjustiz — wie es demagogisch draußen im Lande verfälscht worden ist, die es der Staatsgewalt angeblich ermögliche, die Bürger gegen Unruhestifter zu mobilisieren. Ich will hier klarstellen: Aus dieser neuen Bestimmung des Art. 20 Abs. 4 fließt u. a. die ausdrückliche Legitimation auch zu einem politischen Generalstreik gegen einen Staatsstreich, von wem auch immer er versucht werden sollte. Jedermann im gewerkschaftlichen Lager sollte dies erkennen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Meine Freunde und ich wissen aber, daß das Stichwort „Streik" in anderem Zusammenhang in unserer Fraktion eine große und lange umstrittene Rolle gespielt hat. Wenn wir Sozialdemokraten allein eine Zweidrittelmehrheit in dieser Stunde hier besäßen, — —

    (Abg. Dr. Barzel: Ein verlockender Gedanke!)

    — Herr Barzel wagt es nicht zu hoffen.

    (Heiterkeit. — Zuruf von der FDP.)

    Und das war noch nicht mal die Unwahrheit, Herr Barzel.

    (Erneute Heiterkeit.)

    Wenn wir allein eine Zweidrittelmehrheit besäßen, so wäre ohne jeden Zweifel die Neufassung des Art. 9 Abs. 3 so erfolgt, daß die Anwendung aller für Notfälle geschaffenen Artikel gegen Streiks derart ausgeschlossen worden wäre, daß wir vom „Streikrecht" gesprochen hätten und nicht, wie das jetzt geschieht, von „Arbeitskämpfen".

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Aber auch die jetzt gefundene Fassung verbietet ohne jeden Zweifel, daß Notstandsrecht gegen einen Streik angewendet wird, der von einer Gewerkschaft zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geführt wird. Dies kann von niemandem anders ausgelegt werden, es sei denn, er wolle lügen.

    (Beifall bei der SDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Wir hätten gern darauf verzichtet, durch die Benutzung des Begriffes „Arbeitskampf" auch der Aussperrung den gleichen Schutz vor Notstandsmaßnahmen zu ermöglichen. Dieses Bedenken scheint mir jedoch faktisch ohne große Bedeutung, denn eine Notstandsmaßnahme gegen aussperrende Arbeitgeber ist ohnehin schwer vorstellbar. Der Haupteinwand mancher meiner Kollegen an dieser Stelle richtet sich denn auch dagegen, daß die Benutzung des Begriffes „Arbeitskampf" ein gewisses Maß an Anerkennung der Aussperrung zu enthalten scheint.