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    Deutscher Bundestag 178. Sitzung Bonn, den 30. Mai 1968 Inhalt: Amtliche Mitteilung 9593 A Fragestunde (Drucksache V/2936) Fragen des Abg. Baier: Einsparungen durch Zusammenlegung des Paßkontrolldienstes mit der Zollverwaltung Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 9593 B Baier (CDU/CSU) . . . . . . . 9593 D Bühler (CDU/CSU) . . . . . . 9594 A Westphal (SPD) 9594 B Illerhaus (CDU/CSU) 9594 C Fragen des Abg. Opitz: Reisekostenpauschbeträge der privaten Wirtschaft und des öffentlichen Dienstes Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 9595 A Opitz (FDP) 9595 B Frage des Abg. Kubitza: Zeitpunkt der Zuleitung des Haushaltsentwurfs 1969 an den Bundesrat Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 9595 D Kubitza (FDP) . . . . . . . . 9596 A Frage des Abg. Weigl: Aufstiegschancen der akademisch vorgebildeten Angestellten des öffentlichen Dienstes Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 9596 A Weigl (CDU/CSU) 9596 B Fragen des Abg. Dr. Wuermeling: Höhe des durch Kinderfreibeträge und Ehegattensplitting herbeigeführten Steuerausfalls — Auswirkung des Splittingeffekts 9596 C Frage des Abg. Mertes: Rückvergütungen aus dem EWG-Agrarfonds an die Bundesrepublik im Vergleich zu Frankreich und den Niederlanden Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 9597 A Mertes (FDP) . . . . . . . . 9597 B Dröscher (SPD) 9597 C Illerhaus (CDU/CSU) 9598 A Peters (Poppenbüll) (FDP) . . . 9598 A Logemann (FDP) 9598 C II Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 Frage des Abg. Dröscher: Amnestie für wegen der Osterunruhen strafrechtlich Verfolgte 9598 D Fragen des Abg. Kühn (Hildesheim) : Auftragserteilung im Zonenrandgebiet Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 9599 A Kühn (Hildesheim) (CDU/CSU) . . 9599 C Peters (Poppenbüll) (FDP) . . . 9599 D Dr. Huys (CDU/CSU) 9600 A Dr. Dittrich (CDU/CSU) 9600 A Frage des Abg. Dr. Huys: Weitergehende Maßnahmen zur Förderung der Wirtschaft im Zonenrandgebiet Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 9600 C Kühn (Hildesheim) (CDU/CSU) . . 9600 D Peters (Poppenbüll) (FDP) . . . 9601 A Frage des Abg. Dr. Huys: Gleiche Förderungsmaßnahmen für alle Bundesländer Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 9601 B Dr. Huys (CDU/CSU) 9601 C Kühn (Hildesheim) (CDU/CSU) . . 9601 C Porsch (FDP) 9602 A Dr. Starke (Franken) (FDP) . . . 9602 A Fragen des Abg. Westphal: Abfindungsgeld für Arbeitnehmer des Steinkohlenbergbaues Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 9602 B, 9602 D Westphal (SPD) . . . . 9602 B, 9603 A Fragen des Abg. Dr. Apel: Konsequenzen der Zinsfreigabe im Gefüge der Soll- und Habenzinsen Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 9603 B, 9603 D, 9604 C Dr. Apel (SPD) . . . . 9603 B, 9603 D, 9604 C Illerhaus (CDU/CSU) 9604 A Fragen des Abg. Dr. Ritz: Schwierigkeiten der Landwirtschaft durch Einberufung junger Landwirte zu Wehrübungen Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 9605 A Dr. Ritz (CDU/CSU) . . . . . . . 9605 A Fragen des Abg. Hörauf: Unterbringung langdienender Unteroffiziere auf Zeit in der Bundeswehrverwaltung in den kommenden Jahren Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 9605 B Hörauf (SPD) 9605 D Porsch (FDP) 9605 D Josten (CDU/CSU) . . . . . . 9606 A Jung (FDP) 9606 A Dr. Hofmann (Mainz) (CDU/CSU) . 9606 B Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) . 9606 B Haase (Kellinghusen) (SPD) . . . 9606 C Entwurf eines Siebzehnten Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes (Drucksachen V/1879, V/2973) ; Zusammenstellung der Beschlüsse in zweiter Beratung (Drucksache V/2917) — Dritte Beratung — in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der rechtsstaatlichen Ordnung im Verteidigungsfall (Abg. Dorn, Busse [Herford], Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Mischnick und Fraktion der FDP) (Drucksache V/2130) ; Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses (Drucksache V/2873) — Zweite Beratung — Dr. Rutschke (FDP) . . . , 9607 B, 9614 C Dr. Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) . . 9608 D, 9614D, 9622 B, 9624 C Genscher (FDP) . . . . . 9609 B, 9611 B, 9618 C, 9620 B Dr. Reischl (SPD) . . . . . . . . 9610 D Frau Dr. Heuser (FDP) . . . . . . 9611 D Frau Schroeder (Detmold) (CDU/CSU) 9612 D Busse (Herford) (FDP) . . . . . . 9614 A Moersch (FDP) . . . . . . . . 9615 D Benda, Bundesminister . 9617 C, 9619 B Dr. Wilhelmi (CDU/CSU) . . . . . 9619 D Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) . . 9620 D, 9624 A Haase (Kellinghusen) (SPD) . . . . 9622 C Dorn (FDP) . . . . . . . . . . 9623 A Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 9623 C Brandt, Bundesminister . . . . . 9625 A Matthöfer (SPD) . . . . . . . . 9631 B Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 III • Dr. Even (CDU/CSU) 9635 B Scheel (FDP) 9638 C Schmidt (Hamburg) (SPD) 9640 B Dr. h. c. Kiesinger, Bundeskanzler 9649 A Dr. Starke (Franken) (FDP) . . . 9650 B D. Dr. Gerstenmaier, Präsident . . 9651 A, 9652 C Schlee (CDU/CSU) 9651 C Neumann (Berlin) (SPD) . . . . 9651 D Entwurf eines Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Drucksachen V/1880, V/2930) — Dritte Beratung — . . . . . . . . . 9655 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ernährungssicherstellungsgesetzes (Drucksachen V/2361, V/2934) — Dritte Beratung — 9655 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherstellung des Verkehrs (Drucksachen V/2388, V/2933) — Dritte Beratung — 9655 B Entwurf eines Gesetzes über die Erweiterung des Katastrophenschutzes (Drucksachen V/2585, V/2935) — Dritte Beratung — Dr. Wörner (CDU/CSU) 9655 C Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 9655 D Entwurf eines Gesetzes zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung (Arbeitssicherstellungsgesetz) (Drucksachen V/2362, V/2932, zu V/2932) — Dritte Beratung — . . . . 9656 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wirtschaftssicherstellungsgesetzes (Drucksachen V/2387, V/2931) — Dritte Beratung — Fellermaier (SPD) 9656 C Nächste Sitzung 9656 D Anlagen 9657 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9593 178. Sitzung Bonn, den 30. Mai 1968 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Berkhan 7. 6. Blume 31.5. Brese 31.5. Dr. Eckhardt 31. 5. Frau Dr. Elsner 31. 5. Enk 31.5. Dr. Erhard 31. 5. Dr. Frey 30. 6. Hamacher 1. 7. Frau Dr. Hubert 1. 7. Kiep 7. 6. Frau Dr. Krips 31. 5. Kunze 1. 6. Lenz (Brühl) 31. 5. Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 7. 6. Mick 31.5. Reitz 30. 5. Spitzmüller 17. 6. Steinhoff 1: 7. Struve 31.5. Dr. Süsterhenn 31. 5. Anlage 2 Umdruck 484 Änderungsantrag der Abgeordneten Dorn, Busse (Herford), Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Dr. Rutschke und der Fraktion der FDP zur dritten Beratung des Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes - Drucksachen V/1879, V/2130, V/2873, V/2917 -. Der Bundestag wolle beschließen: 1. In § 1 Nr. 1 wird in Artikel 10 Abs. 2 der folgende Satz 2 gestrichen: „Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt." 2. In § 1 Nr. 2 a wird der Satz 1 des Absatzes 4 des Artikels 12 a gestrichen. Satz 2 des Absatzes 4 erhält folgende Fassung: „Frauen dürfen nicht zu einer Dienstleistung im Verband der Streitkräfte durch Gesetz verpflichtet werden. Zu einem Dienst mit der Waffe dürfen sie auf keinen Fall verwendet werden." 3. In § 1 wird Nummer 2 b gestrichen. 4. In § 1 Nr. 6 a erhält Absatz 2 des Artikels 80 a folgenden Satz 2: Anlagen zum Stenographischen Bericht „Die Bundesregierung kann im Rahmen des Bündnisvertrages nur dann zustimmen, wenn sie vorher die Zustimmung des Bundestages eingeholt hat. Dieser Beschluß des Bundestages erfolgt mit der Mehrheit seiner Mitglieder." 5. In § 1 Nr. 6 b wird in Absatz 4 des Artikels 87 a folgender neuer Satz 2 eingefügt: „Dieser Einsatz der Streitkräfte bedarf der vorherigen Zustimmung des Bundestages." Der bisherige Satz 2 wird Satz 3. Bonn, den 28. Mai 1968 Dorn Busse (Herford) Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dr. Rutschke Mischnick und Fraktion Anlage 3 Umdruck 485 Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD zur dritten Beratung des Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes - Drucksachen V/1879, V/2873, V/2917 -. Der Bundestag wolle beschließen: In § 1 Nr. 6 a erhält 1. Artikel 80 a Abs. 2 folgende Fassung: „(2) Maßnahmen auf Grund von Rechtsvorschriften nach Absatz 1 sind aufzuheben, wenn der Bundestag es verlangt." 2. Artikel 80 a Abs. 3 folgende Fassung: „ (3) Abweichend von Absatz 1 ist die Anwendung solcher Rechtsvorschriften auch auf der Grundlage und nach Maßgabe eines Beschlusses zulässig, der von einem internationalen Organ im Rahmen eines Bündnisvertrages mit Zustimmung der Bundesregierung gefaßt wird. Maßnahmen nach diesem Absatz sind aufzuheben, wenn der Bundestag es mit der Mehrheit seiner Mitglieder verlangt." Bonn, den 28. Mai 1968 Dr. Barzel und Fraktion Schmidt (Hamburg) und Fraktion Anlage 4 Umdruck 489 Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Hofmann (Mainz), Frau Jacobi (Marl), Dr. Wörner, Dr. Kempfler und Genossen zur dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs 9658 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 eines Gesetzes über die Erweiterung des Katastrophenschutzes — Drucksachen V/2585, V/2935 —. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, bei der Einordnung des Luftschutzhilfsdienstes in den Katastrophenschutz zu beachten, daß eine große Zahl freiwilliger Helfer sich seit Jahren für diese Aufgabe zur Verfügung gestellt hat und ihr weiterhin freiwillig dienen will. Organisations- und Einordnungsmaßnahmen müssen auf diese vorhandene Bereitschaft Rücksicht nehmen und den Helfern ihren Dienst möglichst entsprechend ihren freiwillig übernommenen Aufgaben und in ihren gewachsenen Einheiten gestatten. Bonn, den 28. Mai 1968 Dr. Hofmann (Mainz) Pertersen Frau Jacobi (Marl) Dr. Serres Dr. Wörner Dr. Stecker Dr. Kempfler Dr. Steinmetz Brand Dr. Wahl Draeger Dr. Wilhelmi Dr. h. c. Güde Bühling Dr. Jaeger Hansing Lenz (Brühl) Müller (Mülheim) Majonica Spillecke Dr. Marx (Kaiserslautern) Schmitt-Vockenhausen Anlage 5 Umdruck 490 Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD zur dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ernährungssicherstellungsgesetzes — Drucksachen V/2361, V/2934 —, des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherstellung des Verkehrs — Drucksachen V/2388, V/2933 —, des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wirtschaftssicherstellungsgesetzes — Drucksachen V/2387, V/2931 — Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, die Bestimmungen des Bundesleistungsgesetzes mit dem Ziel zu überprüfen, sie den Bestimmungen des Artikels 80 a des Grundgesetzes anzupassen. Bonn, den 29. Mai 1968 Dr. Barzel und Fraktion Schmidt (Hamburg) und Fraktion Anlage 6 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Borm (FDP) zu Punkt 9 der Tagesordnung. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich als einer der Ältesten unter den Abgeordneten dieses Hauses und nach einem recht wechselvollen Leben in dieser das Grundgesetz tief berührenden Frage einfach nicht schweigen kann. Zweimal habe ich den Untergang deutscher Staatswesen. erlebt; also liegt es nahe, nach den Gründen dafür zu suchen, und es liegt ebenso nahe, zu warnen, wenn sich heute bedenkliche Parallelen zur Fehlentwicklung in der Vergangenheit zeigen. Unzweifelhaft war der Ausbruch des ersten Weltkrieges dadurch erleichtert, daß, ebenso wie im Zarenreich die Duma, im Deutschen Reich wilhelmischer Prägung der Reichstag bei der Entscheidung über die schicksalhaften Fragen der Nation mehr deklamatorische Funktionen hatte als Entscheidungsmöglichkeiten, zugunsten eines Mannes, eben des Kaisers. Die Folgen sind bekannt! In der Weimarer Republik war zwar nach der Verfassung der Reichstag mit den nötigen Vollmachten ausgestattet, die ihm die Ausübung seines legislativen Auftrages ermöglichten — und in normalen Zeiten reichte das auch aus —, aber in Zeiten der Krise und der Not wurde der berüchtigte Art. 48 der Weimarer Verfassung für das öffentliche Leben der entscheidende Faktor. An Stelle eines Monar- I chen lag die Diktaturgewalt beim Reichspräsidenten, also wieder unter Außerachtlassung des Parlaments bei einem Manne. Das Erbe der absolutistischen Vergangenheit, die Vorstellung, daß es hinter der Verfassung noch einer weiteren souveränen Gewalt bedürfe, um in Krisenzeiten rasch und energisch handeln zu können — was keinesfalls die Richtigkeit der Handlungen beinhaltet —, ist sowohl im Reiche Bismarcks wie im Reich von Weimar unübersehbar. Nun wird niemand leugnen können, daß ein wirklicher Notstand nur gemeistert werden kann bei entsprechender Vorsorge und gewissen Vollmachten für die Regierung. So weit wird jeder Einsichtige einer gesetzlichen Regelung zustimmen. Die Lehre aber, die wir aus der Vergangenheit zu ziehen haben, ist diese: Die Gefahren des Art. 48 der Weimarer Verfassung lagen nicht eigentlich in der Ermächtigung der Exekutive — sie ist im Notstand im Grunde immer unausweichlich —, sondern darin, daß das Parlament nicht ständig durch die Verfassung zu ihrer Billigung gezwungen war. Gerade an dieser Gefahr aber hat sich im vorliegenden Entwurf nichts geändert. Statt eines klaren Zwangs des Parlaments in die unausweichliche Verantwortung haben wir wiederum die unglückselige und gefährliche Institution des Kassationsrechts. Dieses Recht gestattet dem Parlament von sich aus die bequeme Flucht aus der Verantwortung, und es erleichtert andererseits einer machtstrebigen Exekutive ziemlich legal die Überspielung des Parlaments. Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9659 Nach dem jetzigen Entwurf kann der Bundestag Notstandsmaßnahmen aufheben, aber er ist nicht zu einer Entscheidung über sie gezwungen. Wer zwei verhängnisvolle Entwicklungen bewußt miterlebt hat, wer zudem weiß, daß auch Weimar das Kassationsrecht kannte (Art. 48 Abs. 3), wer weiß, wie wenig es wert ist, wenn sich die Ereignisse überstürzen, der muß eindringlich vor den Gefahren warnen, die durch die Vorlage drohen. In einem demokratischen Rechtsstaat darf das Parlament sich die letzte Entscheidung nicht aus den Händen winden lassen. Gerade diese Möglichkeit läßt das Kassationsrecht etwa nach Art. 80 a Abs. 3 zu. An Stelle des Kassationsrechts muß sich das Parlament bei gewichtigen Entscheidungen, so beim Bündnisfall, die vorherige Zustimmung vorbehalten. Wenn es der Sinn einer Notstandsgesetzgebung ist, die Verfassung zu schützen und die Rückkehr zur vollen Gültigkeit zu sichern, muß die Dauer aller Notstandsregelungen durch eine absolute Frist begrenzt sein, nach deren Ablauf alle Vollmachten der Exekutive automatisch erlöschen, wenn das Parlament sie nicht ausdrücklich bestätigt und verlängert. Dies ist der entscheidende Punkt. Nur so bleibt garantiert, daß das Parlament in die Verantwortung gezwungen bleibt. Wir brauchen also mehr als nur ein Kassationsrecht, wir brauchen die Pflicht für dieses Parlament, alle Notstandsvollmachten regelmäßig bestätigen oder ablehnen zu müssen. Eine weitere Gefahr für Parlament und Verfassung ist der Gesetzesperfektionismus. Man will die Demokratie durch eine Paragraphenflut schützen und vergißt, daß die Demokratie nicht von Paragraphen, sondern von Demokraten lebt. Lassen Sie mich die drei eklatantesten Beispiele für überflüssige und damit gefährliche Regelungen in diesem Gesetzentwurf herausgreifen: den inneren Notstand, die NATO-Klausel und das Widerstandsrecht. 1. Zum Problem der Regelung des inneren Notstandes hat Professor Furler 1955 im Bericht des Auswärtigen Ausschusses wörtlich gesagt: „Besondere Situationen, die ihre Ursache in Vorgängen innerhalb der Bundesrepublik haben, brauchen nicht von der hier gesetzgeberisch zu erteilenden Ermächtigung erfaßt zu sein, so Notlagen, die durch innere Unruhen, Streiks, Wassergefahr, Seuchen etc. entstehen können." Das bedeutet, die Alliierten verlangen gar keine Regelung für den inneren Notstand, wie manchmal behauptet wird. Erst recht überflüssig ist eine Regelung des inneren Notstandes angesichts der Tatsache, daß Polizei und Bundesgrenzschutz allen Gefahren gewachsen sind, die man sich real vorstellen kann. Schon heute den Einsatz der Bundeswehr gegen deutsche Bürger zu planen, ist keine Notstandsvorsorge mehr, sondern Notstandshysterie. 2. Nicht nur überflüssig, sondern auch irreführend ist die Berufung auf die NATO-Klausel in Art. 80 a. Der NATO-Vertrag als solcher verpflichtet keinen Partner zu Notstandsmaßnahmen, sondern stellt es jedem .Partner frei, die Maßnahmen zu treffen, die er für erforderlich hält. Die Heranziehung der NATO-Klausel dient zur Begründung einer Selbstermächtigung der Exekutive unter Umgehung des Parlaments. 3. Zum Widerstandsrecht schließlich ist zu sagen, daß hier eine völlige Verkehrung deis ursprünglichen Sinnes vorliegt. Die klassische Formulierung der französischen Verfassung von 1793 ist auf den Kopf gestellt worden. Widerstandsrecht ist nun nicht mehr nur das heiligste und höchste Recht des Volkes gegen eine verfassungbrechende Regierung, sondern es ist in ein Widerstandsrecht deis einen Bürgers gegen den anderen umgebogen worden. Das bedeutet in letzter Konsequenz den Bürgerkrieg. Ich warne vor einer solchen Pervertierung des Widerstandsrechts in der vorliegenden Form. Die Bedenken, die ich vorgetragen habe und die sich nur auf die wesentlichsten Punkte beschränkten, sollten zu einer nochmaligen ernsten Überprüfung Anlaß geben. Das ungenügende Instrument des Kassationsrechts, die fehlende absolute zeitliche Begrenzung aller Notstandsvollmachten, die Möglichkeit des Einsatzes der Bundeswehr gegen deutsche Bürger, die Umgehung des Parlaments durch die NATO-Klausel und die Selbstermächtigung der Exekutive, den Spannungsfall auszurufen, sowie schließlich die Kodifizierung des Widerstandsrechts in einer Form, die der ganzen bisherigen demokratischen Tradition nicht entspricht, das alles ist für mich Grund genug, die Gesetze in der vorliegenden Form abzulehnen und Sie zu bitten: Prüfen Sie noch einmal alle Bedenken, entscheiden Sie nicht unter Zeitdruck! Dazu sind die Probleme zu ernst. Und die Vergangenheit sollte uns Lehre genug sein. Anlage 7 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dichgans (CDU/CSU) zur Abstimmung über § 1 Ziffer 6 b des Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes (Punkt 9 der Tagesordnung). Wenn irgendwo in der Welt ein Krieg mit Atombomben ausbricht, wenn es zu Aufruhr oder Naturkatastrophen kommt, und wenn dann in der Bundesrepublik die Lebensmittelläden und die Tankstellen gestürmt werden: Wenn eine solche Panik eintritt, wollen wir dann unseren Wählern sagen, jetzt müsse zunächst der Bundestag aus den Ferien geholt werden und ein Gesetz beschließen; dann erst könnten die Länder die Durchführungsvorschriften beraten und erlassen? Ich fürchte, bis dahin wären viele Säuglinge, deren Mütter von uns Milch, keine Vorschriften erwarten, längst verhungert. Wohl jeder Abgeordnete hätte die eine oder andere Bestimmung des Gesetzeswerkes anders formuliert, wenn es nur auf ihn angekommen wäre. Wenn jedoch jeder Abgeordnete starr auf seinen speziellen Vorstellungen bestanden hätte, würde es weder Mehrheiten noch Notstandsgesetze geben. Mehrheiten finden sich nur für Kompromisse. Da ich eine Notstandsregelung für notwendig halte, 9660 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 stimme ich dem vorliegenden Kompromiß zu, weil er der einzige Kompromiß ist, für den sich im Parlament eine Mehrheit finden läßt, aus Achtung vor der parlamentarischen Demokratie, die auf der Achtung vor der Meinung der Mehrheit beruht. Wir alle haben unruhige Wochen hinter uns. Studentische Minderheiten haben studienwillige Mehrheiten gewaltsam am Betreten der Universität gehindert. Radikale Minderheiten haben versucht, ihren Mitbürgern gewaltsam Zeitungen vorzuenthalten, die diese zu lesen wünschten. Der Staat hat sich gegenüber diesen Erscheinungen der Unordnung liberal verhalten und von den Möglichkeiten der Polizei in den letzten Wochen nur zurückhaltend Gebrauch gemacht. Das war gut so. Eine Demokratie darf kein Polizeiregime sein. Aber sie darf auch nicht jede Unordnung dulden. Jeder Bürger hat das Recht, seine Meinung zu sagen und dafür zu demonstrieren, wie das in den letzten Wochen oft in vorbildlicher Ordnung geschehen ist. Aber keine Minderheit hat das Recht, ihre Meinungen einer andersdenkenden Mehrheit gewaltsam aufzuzwingen. Wenn die Bundesrepublik solche Aktionen dulden würde, wäre das Ende der Demokratie nahe. Anlage 8 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Ertl (FDP) zu Punkt 9 der Tagesordnung. Die Behandlung der Notstandsgesetze im Deutschen Bundestag und auch in der deutschen Offentlichkeit kann eher dazu führen, die Zweifel zu verstärken, ob der eingeschlagene Weg richtig ist. Diese Zweifel können einem in vielfältiger Form begegnen. 1. Die Behandlung der Materie hat erneut deutlich gemacht, daß bei allen Versuchen letzten Endes auch die jetzt gefundene Lösung einen Ausweg darstellen soll oder eine Ersatzlösung, der es nicht bedürfte, wenn nicht das Mißtrauen zur demokratischen Entwicklung aus ganz unterschiedlicher Geisteshaltung heraus im Parlament wie aber vor allem in der deutschen Offentlichkeit gegeben wäre. 2. Es ist offensichtlich, daß ein Teil der sogenannten außerparlamentarischen Opposition als Notstandsgegner mit ihrer Verhaltensweise in der deutschen Öffentlichkeit sicherlich nicht die Absicht hat, den demokratischen Rechtsstaat zu sichern und zu festigen, sondern die Gelegenheit nutzt, Unruhe und Klüfte in unserem Volke herbeizuführen und aufzureißen. Deshalb wird es demjenigen schwergemacht, zu der jetzigen unvollkommenen Gesetzgebung, die bei einer funktionierenden Demokratie vielleicht gar nicht notwendig wäre, nein zu sagen, weil er sich zwangsläufig in die Gefahr begibt, mit Kräften gleichgesetzt zu werden, die diese Gesellschaftsordnung weder bejahen noch festigen wollen. Wenn ich dennoch mit nein stimme, so aus folgenden Gründen: a) Im Falle des Notstandes ist es meines Dafürhaltens wichtig, daß wir eine handlungsfähige, parlamentarisch kontrollierte Exekutive haben. Wir brauchen die handlungsfähige Regierung, aber ebenso auch ein handlungswilliges und seiner Kontrollaufgabe bewußtes Parlament. Dann ist ein Mißtrauen weder angebracht noch notwendig. b) Ich habe so viel Vertrauen zur demokratischen Entwicklung in unserem Volke und auch zu den Parteien im Deutschen Bundestag, daß keine Befürchtung am Platze ist, daß der Notstand für die Beseitigung unserer rechtsstaatlichen Ordnung mißbraucht wird. Alle im Bundestag vertretenen Parteien haben diesbezüglich mein volles Vertrauen. c) Wichtig ist, daß wir ein demokratisch glaubwürdiges Parlament, das die rechtsstaatliche Entwicklung für jedermann sichtbar macht, durch alle Parteien praktizieren. d) Diese Notstandsgesetze atmen und widerspiegeln teilweise den Geist des geringen Vertrauens zur Demokratie von heute und morgen in unserem Volke. Das nutzt weder der demokratischen Entwicklung in Deutschland, noch dem Ansehen unseres Volkes im Ausland. Unser Parlament muß endlich befreit werden von den komplexhaften Belastungen der politischen Vorgänge des Jahres 1933. Das gilt ganz besonders auch für die Behandlung der politischen Vorgänge in der Erziehung unserer Jugend. e) Unsere Politik darf auf die Dauer nicht belastet sein, wie es sich durch die Notstandsgesetze und die daraus folgenden Verfassungsänderungen jetzt wieder ergibt, indem Sonderinteressen der alliierten Truppen, die entstanden sind, als sie noch Besatzungstruppen waren, auch zukünftig wahrgenommen werden. Eine solche Behandlung unseres Volkes widerspricht dem Grundsatz der Gleichberechtigung im Rahmen des Bündnisses und muß uns zwangsläufig zu entsprechenden Reaktionen führen. Zusammenfassend sei nochmals festgestellt: Ohne selbstverständliches demokratisches Selbstbewußtsein wird auf die Dauer kein echtes demokratisches Selbstbewußtsein in unserem Volke Platz ergreifen. Aber nur dann, wenn dieses demokratische Selbstverständnis gegeben ist, können auch Zeiten der Not ohne Befürchtungen überwunden werden. Daher können Gesetze niemals Ersatzlösungen für unsere grundsätzliche demokratische Verhaltensweise sein. Anlage 9 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Müller (München) (SPD) zur Abstimmung über Punkt 9 der Tagesordnung. Nach mehr als zehnjähriger Diskussion soll heute der Deutsche Bundestag über eine Änderung des Grundgesetzes entscheiden, die die Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte vorsieht. Auf Grund der alliierten Vorbehaltsrechte gab es in dieser Bundesrepublik Schubladengesetze, von denen der Oberbürgermeister einer deutschen Millionenstadt sagte, Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9661 daß er nicht gezwungen sein möchte, diesen Anordnungen zu folgen. Die Beratungen haben gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf zu einer wesentlichen Verbesserung geführt. Allerdings sind nach meiner Meinung nicht alle rechtsstaatlichen Sicherungen eingebaut, die hätten eingebaut werden können. Auch die besondere Formulierung der Bündnisklausel in Art. 80 a entspricht nicht meinen Vorstellungen von einem deutschen Notstandsrecht. Obwohl grundsätzlich ein Befürworter einer deutschen Notstandsregelung, kann ich es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, meine Zustimmung zu einer Grundgesetzänderung zu geben, nachdem in der zweiten Lesung von mir unterstützte Änderungen nicht akzeptiert wurden. Die Debatte um die Notstandsgesetzgebung hat in den letzten Tagen zu einer Kampagne geführt, die zum Teil direkt gegen die Grundlagen unserer freiheitlichen Demokratie gerichtet ist. Wenn in einer Diskussion an einer deutschen Universität ein Sprecher erklärt, daß eine Nein-Stimme zur Notstandsgesetzgebung nur der erste Akt zu einer .Abschaffung und „Umfunktionierung" des Grundgesetzes ist, dann müssen alle Demokraten hellhörig werden. Extremisten wie der Schriftsteller Enzensberger fordern in der Bundesrepublik „französische Zustände", d. h. Schwerverletzte, Tote, Brandstiftung. Mit Nein zu stimmen würde für mich bedeuten, in die Gesellschaft derer zu kommen, denen es gar nicht um die Notstandsgesetze, sondern eben um „französische Zustände" geht. Aus diesem Grunde muß ich mich bei dieser Abstimmung der Stimme enthalten. Sollten die vorliegenden Grundgesetzänderungen angenommen werden, so wird es meine Aufgabe als Abgeordneter sein, alles zu tun, um einen Mißbrauch der beschlossenen Grundgesetzänderungen zu verhindern. Anlage 10 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) zur Abstimmung über Punkt 9 der Tagesordnung. Die langjährigen Bemühungen um eine Gesetzgebung der Vorsorge — um möglichen Notständen zu begegnen — sollen heute mit Bestimmungen abgeschlossen werden, die im Widerstreit der Meinungen formuliert wurden. Es sind dabei so komplizierte Artikel entstanden, daß ihre Wirksamkeit gegen wirkliche Notstände bezweifelt werden kann. Mögen sie unserem Volk erspart bleiben. Wenn heute die Abgeordneten der CDU/CSU fast geschlossen mit Ja stimmen, so kenne ich aus vielen ernsten Beratungen die Fülle der Bedenken z. B. gegen einen möglichen Mißbrauch der Widerstandsklausel. Bei mir überwiegen die Bedenken. Ich hoffe, daß nach der heutigen Entscheidung der Bundestag sich mit ganzer Kraft anderen vordringlichen Aufgaben widmen wird. Dabei bleibt die Sicherung des Friedens entscheidend. Ich halte die genaueste und gründlichste Prüfung aller Möglichkeiten der Rüstungskontrolle und Rüstungsbegrenzung für notwendig — mit dem Ziel der kontrollierten Abrüstung in West und Ost. Nur dann ist der Notstand wirklich ein überwundenes Problem. Anlage 11 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Jaschke (SPD) zu Punkt 14 der Tagesordnung. Jeder Notstand wird einen besonderen Arbeitskräftebedarf auslösen. Das wird hervorgerufen durch Maßnahmen sowohl für den Verteidigungsfall als auch für den Schutz und die Versorgung der Zivilbevölkerung. Für die Sozialdemokraten kommt es bei der Beratung des Arbeitssicherstellungsgesetzes vor allem darauf an, daß der Macht des Staates in diesen besonderen Spannungszeiten nicht Tür und Tor geöffnet ist. Nach diesem Arbeitssicherstellungsgesetz, so wie es in der dritten Lesung zur Abstimmung gestellt wird, können die persönliche Freiheit und die Freizügigkeit des einzelnen erst dann eingeschränkt werden, wenn es der Bundesregierung nicht möglich ist, den besonderen Arbeitskräftebedarf auf freiwilliger Grundlage sicherzustellen. Dieses Arbeitssicherstellungsgesetz unterscheidet sich vom Zivildienstgesetz, das die Sozialdemokraten seinerzeit ablehnten, dadurch, daß das Zivildienstgesetz lediglich als ein Instrument der Bundesregierung zur besonderen Ausschöpfung und Verteilung des Arbeitskräftepotentials anzusehen war. Durch die Garantie gewisser Grundrechte bildet das Arbeitssicherstellungsgesetz ein Kernstück der gesamten Notstandsgesetzgebung. Neben dem hervorgehobenen Vorrang der Freiwilligkeit ist sichergestellt, daß die berufliche Tätigkeit des einzelnen bei einer eventuellen Verpflichtung zu berücksichtigen ist. Außerdem gewährleistet das Gesetz die wirtschaftliche und soziale Sicherung des einzelnen mit seiner Familie. Im einzelnen wurden bei der Beratung durch unsere Initiative folgende wichtige Änderungen im Gesetzentwurf aufgenommen: 1. Dem Entwurf für ein Arbeitssicherstellungsgesetz wird der Grundsatz vorangestellt, daß auch in Spannungszeiten und im Verteidigungsfall von den vorgesehenen Möglichkeiten nur Gebrauch gemacht werden darf, sofern nicht genügend Freiwillige gewonnen werden können. Die Freiwilligkeit hat also Vorrang. 2. Das Recht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses von Frauen wird nur bis zum 55. Lebensjahr eingeschränkt, nicht aber — wie im Regierungsentwurf vorgesehen — bis zum 60. Lebensjahr. 3. Die Sicherstellung von Arbeitsleistungen (z. B. für Krankenanstalten) wird ausgedehnt auf alle Einrichtungen, in denen Pflegebedürftige betreut werden. 4. Bei den Befreiungen von Dienstverpflichtungen in ein besonderes Arbeitsverhältnis werden neben den bereits im Katalog aufgeführten Personengrup- 9662 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 pen ebenfalls die Mitglieder des Betriebs- und Personalrates mit eingeschlossen. 5. Die Rechtsverordnungen, in denen die Bundesregierung weitere Anwendungsbereiche — allerdings nur im Rahmen des Grundgesetzes — bestimmen kann, können durch den Bundestag jederzeit aufgehoben werden. 6. Die Arbeitgeber und die Dienstherren des öffentlichen Rechts dürfen Auskünfte über ihre Beschäftigten nur nach vorheriger Unterrichtung des Betriebs- oder Personalrates erteilen. 7. Die im Entwurf der Bundesregierung vorgesehene Einschränkung des Rechtsweges, wonach keine Berufung und keine Beschwerde möglich sein sollte, wurde gestrichen. Der Verwaltungsgerichtsweg bleibt uneingeschränkt erhalten. 8. Für Ausbildungsveranstaltungen ist der Grundsatz aufgestellt worden, daß dafür die arbeits-und sozialrechtlichen Vorschriften zu gelten haben. 9. Die zunächst im Regierungsentwurf enthaltene Unterbringung von Zivilbediensteten der Bundeswehr in Gemeinschaftsunterkünften, die Teilnahme an Gemeinschaftsverpflegungen und das Tragen von Arbeits-, Dienst- und Schutzkleidung wurde beseitigt. Derartige Inanspruchnahmen können nur freiwillig auf der Grundlage von arbeits- bzw. tarifvertraglichen Vereinbarungen geregelt werden. 10. Für Aufgaben, die besondere Kenntnisse und Fertigkeiten erfordern, können Wehrpflichtige zwar in normalen Zeiten zu Ausbildungsveranstaltungen verpflichtet werden. Aber bei diesen Verpflichtungen zu den Ausbildungsveranstaltungen gilt auch der Grundsatz des § 1, daß sie nur vorgenommen werden dürfen, wenn der Bedarf nicht auf der Grundlage der Freiwilligkeit sichergestellt werden kann. 11. Die Sozialdemokraten befürchteten, die im Regierungsentwurf genannte Absicht, daß bestimmten Personen bereits in normalen Zeiten ein Bereithaltungsbescheid zugestellt werden kann, würde die Bevölkerung unnötig beunruhigen. Nach der jetzigen Fassung ist diese Ungewißheit ausgeräumt. Nunmehr erhält derjenige, der in normalen Zeiten eine Ausbildungsveranstaltung absolviert, nach Abschluß dieser Ausbildung eine Mitteilung, die ihn darauf hinweist, daß er sich für diese besondere Aufgabe bei Eintritt von Spannungszeiten bereithalten muß. Nach dem Arbeitssicherstellungsgesetz können auch besondere Arbeitsverhältnisse bei den verbündeten Streitkräften begründet werden. Das gilt selbstverständlich nur für den Bereich der Bundesrepublik. Die sozialdemokratische Fraktion setzt sich seit Jahren dafür ein, daß auf die Arbeitsverhältnisse deutscher Arbeitnehmer bei den verbündeten Streitkräften das deutsche Arbeitsrecht vollinhaltlich anzuwenden ist. Zum Teil ist dieser Forderung inzwischen auch entsprochen worden. Für die Vorschriften unseres Arbeitsrechts, die trotzdem noch nicht zur Anwendung gekommen sind, muß sich die Bundesregierung nunmehr, insbesondere unter Berücksichtigung der Regelungen im Arbeitssicherstellungsgesetz, mit noch größerem Nachdruck um eine Änderung der Haltung der verbündeten Streitkräfte bemühen. Schließlich muß in diesem Zeitpunkt noch einmal besonders hervorgehoben werden, daß die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu den Änderungswünschen des Bundesrates versprochen hat, besondere Verwaltungsvorschriften zu erlassen, wonach anerkannte Kriegsdienstverweigerer nicht in ein Arbeitsverhältnis bei der Bundeswehr oder den verbündeten Streitkräften zu verpflichten sind. Dieses Recht geht zwar klar aus Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes hervor; die Verwaltungsvorschriften würden jedoch Schwierigkeiten bei der Durchführung dieses Gesetzes vermeiden helfen. Wir alle hoffen, daß Dienstverpflichtungen und Arbeitsplatzbeschränkungen niemals Wirklichkeit werden. Sollten dennoch Spannungsfälle eintreten, appellieren wir an die Bundesregierung, daß sie alles tut, durch besondere Anreize die freiwilligen Meldungen zur Besetzung der Arbeitsplätze zu fördern, um Dienstverpflichtungen weitestgehend auszuschließen. Beim Grundsatz der Freiwilligkeit bitten wir alle Organisationen zu beachten, daß sie durch ihre wirksame Unterstützung zur Anwerbung von Freiwilligen selbst viel dazu beitragen können, Dienstverpflichtungen vermeiden zu helfen. Mit besonderem Nachdruck möchte ich hiermit für die SPD-Fraktion erklären und darauf hinweisen, daß die Rechte der Mitglieder der Betriebs- und Personalräte natürlich auch für die verpflichteten Arbeitnehmer anzuwenden sind. Die SPD-Fraktion wird überprüfen, ob in dieser Hinsicht zum Schutze der verpflichteten Arbeitnehmer weitergehende Rechte der Mitglieder der Betriebs- und Personalräte notwendig sein können. Nachdem das Arbeitssicherstellungsgesetz sichtbar die Garantien für die Freiheit und Freizügigkeit des einzelnen in Spannungszeiten herausstellt, können wir diesem Gesetz zustimmen. Anlage 12 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Müller (Remscheid) (CDU/CSU) zu Punkt 14 der Tagesordnung. Im Rahmen der auf Grund der Verfassungsänderung erforderlichen Sicherstellungsgesetze hat das Gesetz zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung (Arbeitssicherstellungsgesetz) eine besondere Bedeutung. In diesem Gesetz wird für den Fall der Verteidigung unter besonderen Voraussetzungen bei Spannungszeiten nicht über die Verfügung von Sachen entschieden, sondern über die Arbeitskraft unserer Staatsbürger. Nur für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung und wenn Arbeitskräfte auf freiwilliger Grundlage nicht gewonnen werden können, soll in genau abgegrenztem Um- Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968 9663 fang die Möglichkeit bestehen, zu Arbeitsleistungen zu verpflichten. Wir gehen davon aus, daß einer freiwillig erbrachten Leistung in jedem Falle gegenüber einer durch Zwang verfügten Leistung der Vorrang zu geben ist. Wenn der Staat oder seine Bürger in Not sind, wenn eine Situation eintritt, die Arbeitsleistungen in genau begrenztem Anwendungsbereich für den Schutz des Staates und seiner Bevölkerung notwendig macht, dann wird sicher der in diesem Staat lebende und ihn bejahende Bürger bereit sein, solche Leistungen zu erbringen. Wir begrüßen es daher nachdrücklich, daß der Vorrang des freien Arbeitsvertrages diesem Gesetz vorangestellt ist und sich wie ein roter Faden durch das Gesetz zieht und ihm als Richtschnur dient. Vorsorge für den Notfall ist eine sittliche Pflicht. Es ist ein gefährlicher Weg, eine solche Vorsorge abzulehnen. Trotz des Vorranges der Freiwilligkeit müssen für die im Gesetz umschriebenen Notfälle Maßnahmen für die Sicherstellung von Arbeitsleistungen möglich sein. Solche Möglichkeiten in einem sozial- und rechtsstaatlichen Sinne zu schaffen, ist der Zweck dieses Gesetzes; nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir legen Wert auf die Feststellung, daß durch eine nach dem Gesetz mögliche Verpflichtung ein Arbeitsvertragsverhältnis begründet wird, auf das die arbeitsrechtlichen Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen anzuwenden sind. Aus diesem Grunde hält die Fraktion der CDU/CSU es für erforderlich, darauf hinzuweisen, daß die Rechte der Mitglieder der Betriebs- und Personalräte natürlich auch für die verpflichteten Arbeitnehmer anzuwenden sind. Die Fraktion wird überprüfen, ob in dieser Hinsicht zum Schutz der Verpflichteten weitergehende Rechte der Betriebs- und Personalräte notwendig sind. Öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse können durch dieses Gesetz dagegen nicht begründet werden. Der Ausschuß hat ausgehend von dem Vorrang des freien Arbeitsvertrages und der bestmöglichen rechtsstaatlichen Ordnung Vorschriften in dieses Gesetz eingebaut, die wir ausdrücklich begrüßen. Ich darf dabei auf die folgenden Punkte besonders eingehen: 1. Wir halten es für notwendig, herauszustellen, daß die Bundesregierung eine nach § 3 Abs. 2 mögliche Rechtsverordnung über den sachlichen Anwendungsbereich auf Verlangen des Bundestages wiederaufzuheben hat. 2. Hervorzuheben ist ferner, daß Betriebs- und Personalratsmitglieder von den Beschränkungen und Verpflichtungen ausgenommen werden, weil uns daran liegt, daß gerade auch in Spannungszeiten und im Verteidigungsfall die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung mit dem Zusammenwirken von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gewährleistet ist. 3. Eine wesentliche Verbesserung enthält auch die Bestimmung, nach der das Arbeitsamt der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zuzustimmen hat, wenn seine Fortsetzung für den Arbeitnehmer unzumutbar ist, zumal da die Sicherstellung des 'Rechtsweges Willkür ausschließt. 4. In Verbindung mit dem Vorrang des freien Arbeitsvertrages kommt der Arbeitsverwaltung eine besondere Bedeutung zu. Nur sie kennt die Situation des Arbeitsmarktes, kennt den Kräftebedarf und weiß, inwieweit dieser Bedarf durch Vermittlung von freien Arbeitsverträgen befriedigt werden kann. Das aber ist die Voraussetzung dafür, daß das Arbeitsamt, wenn der Kräftebedarf auf freiwilliger Basis nicht gedeckt werden kann, die Arbeitsverpflichtungen unter Berücksichtigung der sozialen und beruflichen Interessen der Betroffenen vornehmen kann. Weiter sei darauf hingewiesen, daß im Falle der Verpflichtung der arbeits- und sozialrechtliche Schutz gewahrt bleibt. 5. Vor Erteilung von Auskünften über Arbeitnehmer muß der Betriebs- oder Personalrat unterrichtet werden (§ 23). Damit soll ebenfalls Willkür ausgeschlossen und Schnüffelei vermieden werden. 6. Der Rechtsweg wird nicht eingeengt (§ 26). Sämtliche rechtlichen Möglichkeiten können ausgeschöpft werden. 7. Auch für die Ausbildungsveranstaltungen gilt der Vorrang der Freiwilligkeit (§ 28). 8. Schließlich dürfen Bereithaltungsbescheide grundsätzlich nur erteilt werden, wenn der Betreffende vorher eine entsprechende Ausbildung erhalten hat (§ 29). Mit der Aufzählung dieser wichtigsten Punkte wird deutlich, daß der Deutsche Bundestag sich bemüht hat, den verständlichen Bedenken der deutschen Gewerkschaften gerecht zu werden. Nicht Zwangsarbeitsverhältnisse, sondern Arbeitsverträge mit allen möglichen Sicherungen werden nach diesem Gesetz unter den darin genannten Voraussetzungen möglich sein. Bei den Beratungen dieses Gesetzes hat stets der Mensch und die Würde des Menschen und die Sorge um den Menschen im Notfall im Vordergrund gestanden. Für die Fraktion der CDU/CSU erkläre ich daher, daß wir diesem Gesetz zustimmen werden.
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    Es gibt keinen Geheimvorbehalt, sondern das, worum



    Bundesminister Brandt
    es geht, wollte ich eben gerade vortragen, Herr Kollege Dr. Mende.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich hatte nämlich begonnen zu sagen: Das den Truppen der drei Mächte zustehende Selbstverteidigungsrecht beruht nicht auf vorbehaltenem Besatzungsrecht, sondern es entspricht einem Grundsatz des allgemeinen Völkerrechts;

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    und über Grundsätze des allgemeinen Völkerrechts braucht man keine geheimen Abmachungen zu treffen. Dieses Recht auf Selbstverteidigung steht z. B. auch den Bundeswehreinheiten zu — um das hier ganz klarzustellen, meine Damen und Herren —, die sich zu Übungszwecken in NATO-Ländern aufhalten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wer in diesem Zusammenhang vom teilweisen Fortbestehen der Vorbehaltsrechte spricht, der hat sich entweder nicht mit genügender Sorgfalt sachkundig gemacht oder behauptet etwas, obwohl er weiß, daß es nicht stimmt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die hier zur Entscheidung stehende Ergänzung des Grundgesetzes enthält keine Berlin-Klausel, meine Damen und Herren. Damit folgt der Gesetzgeber — in Übereinstimmung mit dem Berliner Senat — der bisherigen Übung, in Grundgesetzänderungen keine Berlin-Klausel vorzusehen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Diese Praxis beruht auf der auch vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Auffassung der Bundesorgane, daß das Grundgesetz als Ganzes prinzipiell auch im Land Berlin gilt. Durch den Berlin-Vorbehalt der drei Militärgouverneure, der bei der Genehmigung des Grundgesetzes ausgesprochen wurde, sind jedoch alle Bestimmungen des Grundgesetzes in Berlin durch Besatzungsrecht suspendiert, welche die Organisation und Ausübung der Staatsgewalt regeln. Schon daraus folgt, daß die Notstandsverfassung in Berlin nicht anwendbar ist. In Berlin liegt die Zuständigkeit für Notstandsmaßnahmen ausschließlich bei den Besatzungs- respektive Schutzmächten als Trägern der obersten Gewalt.
    Wir wissen, meine Damen und Herren, daß manche unserer Mitbürger noch immer fragen, ob denn die Vorsorgegesetze überhaupt nötig seien. Hierzu hat nicht zuletzt der Bundesjustizminister, mein Kollege- Dr. Heinemann, wiederholt darauf hingewiesen, daß der Verzicht auf ein im Grundgesetz verankertes Notstandsrecht unweigerlich das Wiederaufleben von Bemühungen um eine außerparlamentarische Notstandsvorsorge der Exekutive zur Folge hätte, die an die Schranken unserer Verfassung nicht gebunden wäre.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir sollten uns deshalb in dieser Stunde vor Augen führen, wie in der Zeit bis zur Beseitigung der Schubladengesetzentwürfe ein solches Notstandsrecht ausgesehen haben würde, wenn der Notstandsfall hätte ausgerufen werden müssen.
    Die drei Alliierten hätten erklärt, sie würden ab sofort wegen einer unmittelbaren Bedrohung ihrer hier stationierten Streitkräfte ihre Rechte gemäß Art. 5 Abs. 2 des Deutschland-Vertrages ausüben. Einen Teil dieser Rechte hätten sie auf die deutschen Behörden übertragen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Damit hätten sie der Bundesregierung rechtlich und praktisch ermöglicht, den Ausnahmezustand über das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu verhängen.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Ein solcher Beschluß der Bundesregierung wäre möglich gewesen, ohne daß Bundestag oder Bundesrat auch nur die Möglichkeit gehabt hätten, sie daran zu hindern. Während des Ausnahmezustandes hätte die Bundesregierung in Ausübung von Besatzungsrecht in weitem Umfang Notverordnungen erlassen können,

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    ohne die durch unsere Verfassung gesetzten Grenzen beachten zu müssen. Nach der Planung hätte sie beispielsweise ohne Mitwirkung des Bundestages die Grundrechte der Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, der Freizügigkeit und der Berufsfreiheit . über das im Grundgesetz vorgesehene Maß hinaus einschränken können, hätte sie ohne Rücksicht auf Art. 104 Abs. 2 und 3 des Grundgesetzes anordnen können, daß einzelne Bürger für längere Zeit verhaftet werden, und hätte sie Bundeswehr, Bundesgrenzschutz und die Polizei der Länder ohne jede Kontrolle zentral einsetzen können.
    Nähere Bestimmungen hätten die zahlreichen Notverordnungen — es waren mehrere Dutzend — gebracht, die ja bekanntlich noch bis November 1967 unter Geheimverschluß in den Schubladen der Bundesregierung und der Länderbehörden, teilweise bis zur Kreisebene, ruhten, um an einem Tage X mit sofortiger Wirkung in Kraft gesetzt zu werden. Ohne den Anschein und die Andeutung einer Polemik mit denjenigen, die unter den seinerzeitigen Voraussetzungen nach diesem Modell arbeiteten und glaubten arbeiten zu müssen, darf ich doch einige Beispiele für den Inhalt solcher Verordnungsentwürfe vortragen:
    Erstens. Eine Verordnung sah die Heranziehung, sei es durch Dienstverpflichtungen oder Arbeitsplatzwechselverbot, von Männern und Frauen zum Zivildienst ohne die parlamentarischen und materiellrechtlichen Sicherungen vor, wie sie jetzt die Art. 12 a, 9 Abs. 3 und 80 a der Notstandsverfassung enthalten.
    Zweitens. Es war vorgesehen, das Recht zur Wahl des Aufenthaltsortes einschneidend zu beschränken.
    Drittens. Die Presse würde in weitem Umfang einer behördlichen Zensur unterworfen gewesen sein.
    Viertens. In einer weiteren Verordnung waren weitreichende Maßnahmen zur Einschränkung der Versammlungs- und Vereinsfreiheit vorgesehen.



    Bundesminister Brandt
    Fünftens. Eine Verordnung auf dem arbeitsrechtlichen Sektor befaßte sich mit der Einschränkung der Tarifautonomie bis hin zum allgemeinen Lohnstopp.
    Ich will es mit diesen Hinweisen genug sein lassen und sage: So hätte unser Notstandsrecht" ausgesehen; ähnlich, dies füge ich in vollem Ernst hinzu, würde es — wenn auch wohl mit Abstrichen — wiederum aussehen, wenn wir uns jetzt nicht dazu durchringen würden, die vorliegende Vorsorgeregelung in unser Grundgesetz aufzunehmen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Der Notstandsfall darf eben nicht die „Stunde der Exekutive" sein, er muß die Stunde der Bewährung des Parlaments und des mündigen Bürgers sein.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, manche Stimmen von außen wollen nun den Eindruck erwecken, hier habe sich eine Gesellschaft von lauter Bösewichten mit finstersten Absichten zusammengefunden: eine Regierung, die darauf aus ist, ihre Macht zu verewigen, die Grundrechte der Staatsbürger abzuschaffen und einen neuen Krieg vorzubereiten, und ein Parlament, das nichts lieber täte, als sich selbst zu entmannen. Diese absurde Vorstellung nährt eine ganze propagandistische Kampagne.
    Die Regierung der Sowjetunion hat erst jetzt wieder in einer TASS-Erklärung behauptet, unsere Vorsorgeregelung könnte schwerwiegende Folgen für die Interessen des Friedens in Europa haben. Dies ist nicht neu, aber es ist auch nicht wahr, und unwahre Behauptungen dienen nicht der Zusammenarbeit zwischen den Völkern.

    (Allgemeiner Beifall.)

    Ich spreche der Sowjetunion selbstverständlich ebensowenig das Recht ab wie irgendeinem anderen Staat, sich um den Frieden zu sorgen und sich dazu zu äußern. Aber ich meine, daß dies hier nur ein vorgeschobenes Argument ist für den Versuch einer Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten.
    Sollte dies nicht so sein, sollte die Sowjetunion wirklich glauben, daß eine Vorsorge für Notzeiten allein im freien Deutschland und in keinem anderen Lande sonst — übrigens einschließlich der Sowjetunion, einschließlich der DDR und einschließlich all der anderen Länder — gefährlich ist, dann würde es sich um eine Diffamierung unseres Staates und unseres Volkes handeln, und die müßten wir klar zurückweisen.

    (Allgemeiner Beifall.)

    Ich sage das ohne jede Schärfe. Es sollte endlich Schluß damit sein, daß man uns auf der einen Seite vorhält, wir verträten unsere Interessen nicht selbständig genug, um, wenn wir es tun, uns zu beschuldigen, dies sei gefährlich. Im übrigen ist es absurd, ausgerechnet aus der hier behandelten Materie für irgendeinen unserer unmittelbaren oder mittelbaren Nachbarn eine Gefährdung zu befürchten.
    Ich gebe zu, die Regierung der Sowjetunion hat das Problem des Notstandes „eleganter" gelöst. — Im Protokoll würde ich das Wort „eleganter" gern in Anführungszeichen sehen. — Sie kann nämlich, gestützt auf eine Blankovollmacht ihrer Verfassung, in einem solchen Falle alles tun, was sie für richtig hält. Und weder hier in diesem Hause noch irgendwo sonst auf der Welt zweifelt jemand daran, daß sie in der Tat in einem solchen Fall auch alles das tun würde, was sie für nötig hält. Sie hat sich da keinerlei Beschränkungen auferlegt, und ich sage auch nicht, das sei von uns aus gesehen eine Gefährdung des Friedens. Sie ordnet eben die Frage auf ihre Weise.
    Wir Deutsche sind, wie man sieht, auch heute noch Perfektionisten. Wir sind auf diesem Gebiet Perfektionisten wohl auch deshalb, weil wir gebrannte Kinder sind. In der Sowjetunion und anderswo sollte man zur Kenntnis nehmen, daß die Deutschen nach ihrer bitteren Erfahrung selbst in Zeiten der Not Willkür nicht zulassen möchten, wo sie vermieden werden kann, sondern den einzelnen Bürger ebenso wie den demokratischen Staat schützen wollen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich lehne es jedenfalls ab, gleichgültig von wem, Argumente entgegenzunehmen, die den naiven Eindruck erwecken sollen, als ob nicht jede Regierung jedes Staates Vorsorgen trifft und letztlich dazu verpflichtet ist. Mit anderen Worten: Der Außenminister kann gar nicht darüber diskutieren, ob eine Vorsorgegesetzgebung erforderlich ist. Eine andere Frage ist das Wie. Darüber kann man verschiedener Meinung sein, und darüber ist in der Bundesrepublik lange und heftig gestritten worden. Die Tiefe und die Leidenschaftlichkeit der Auseinandersetzungen in unserem Lande haben gezeigt, wie empfindlich das demokratische Gewissen reagiert. Dies gerade ist keine Gefährdung, sondern ist eine Stärkung des Friedens für Europa.
    Natürlich weiß man auch in Moskau, daß in OstBerlin nicht ein Jahrzehnt lang diskutiert, geschweige denn öffentlich diskutiert worden ist, sondern daß man dort eine ganz „einfache", aber weitreichende, eben eine autoritäre Notstandsverfassung eingeführt hat. Solche Herrschaftsformen wie in Ost-Berlin sind schlechte Ratgeber für ein freiheitliches, demokratisches Staatswesen,

    (allgemeiner Beifall)

    das sich auch in Notzeiten nicht aus den Angeln heben lassen will; denn solche Diktaturen leben im Grunde in einem permanenten Notstand,

    (starker allgemeiner Beifall)

    bei dem es dann nur darum geht, ob die Schraube noch etwas mehr angezogen wird.
    Die Sicherung der Demokratie auch in Notzeiten ist ein Dienst, den der deutsche Gesetzgeber nicht nur dem eigenen Volke erweist. Er ist auch ein Dienst an den Völkern, die wegen der Geschichte und der Lage Deutschlands gewisse Besorgnisse hegen.
    Die Vorsorge für Notzeiten — das weiß man in Wirklichkeit auch draußen — ist die Pflicht des Hausvaters, der die Verantwortung für die Familie trägt. Niemand wird natürlich sagen können, ob
    p

    Bundesminister Brandt
    das vorliegende Instrumentarium allen Lagen, die eintreten mögen, gerecht werden kann. Aber niemand wird bestreiten können, daß man es sich im Abwägen des Für und Wider und im Bemühen um rechtliche Sicherungen nicht leicht gemacht hat. Vielleicht kann man sagen, es sei der Versuch gemacht worden, das Unvereinbare zu vereinbaren. Die Erhaltung und Sicherung der Freiheit unter den Bedingungen ihrer extremen Bedrohung und Gefährdung mit freiheitlichen Mitteln ist eine außerordentlich schwere Aufgabe.
    Aber nicht in diesem Bemühen liegt eine „deutsche Gefahr", meine Damen und Herren. Wenn es eine „deutsche Gefahr" — nein, heute muß man wohl sagen: europäische Gefahr — gibt, dann liegt sie wieder im Irrationalen und nicht in der soliden Gesetzesarbeit;

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    dann liegt sie wieder im Bereich jener Unwägbarkeiten, denen mit der Vernunft nicht oder nur schwer beizukommen ist. Jedenfalls, die Feuerwehr für ein mögliches Feuer verantwortlich zu machen ist widersinnig. In staatlichen Maßnahmen, die für Notzeiten Vorsorge treffen wollen, ein Mittel und und einen Weg zu sehen, der das Verhängnis herbeizwingt, ist nicht minder abwegig.
    Ich will aber hier nicht nur abwegige Polemik zurückweisen. Ich möchte heute auch etwas anderes an die Adresse unserer Nachbarn, nicht zuletzt unserer Nachbarn im Osten, sagen. Die friedlichen Absichten einer 'Regierung sind nicht zu kompromittieren durch das, was sie in der Hoffnung, es nie anwenden zu müssen, für Zeiten der Krise und der Not an gesetzgeberischer Vorsorge trifft. Die friedlichen Absichten einer Regierung sind allein zu messen an ihrer praktischen Politik.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dieser Maßstab sollte allgemein angewendet werden, von uns gegenüber anderen, von anderen gegenüber uns. Welchen Sinn soll es haben, von guten Beziehungen zwischen den Staaten ohne Rücksicht auf die gesellschaftlichen Systeme zu reden, wenn im deutschen Fall immer wieder eine diskriminierende Ausnahme davon gemacht wird? Welche Kräfte will mann eigentlich stärken,

    (lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien)

    wenn man durch die Ablehnung aufrichtiger Vorschläge und großer Angebote einen Fatalismus in diesem Volk erzeugt, der dann von bösen Kräften ausgebeutet werden könnte?

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es liegt in der Hand der domokratischen Kräfte in diesem Lande, durch sinnvolles Handeln die Gefahr innerer Notstände abzuwenden. So liegt es auch in unserer Hand, durch eine unbeirrte und konsequente Fortführung unserer Entspannungs- und Fiedenspolitik dazu beizutragen, daß der Fall der äußeren Spannung und der Verteidigungsfall, was an uns liegt, nicht eintreten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Soweit es in unserer Macht liegt, soll alles geschehen, damit Spannungen nicht verschärft, sondern abgebaut werden, damit zwischen den Völkern in Ost und West nicht Mißtrauen, sondern Vertrauen wächst, damit Kommunikation, Kooperation und Sicherheit für alle zu realisierbaren Zielen werden.
    Die Verwirklichung solcher Ziele ist allen als gemeinsame Aufgabe gestellt. Keiner kann davon ausgeschlossen werden, ohne das Ziel zu gefährden.
    Dieses Wissen gibt uns, so hoffe ich, die Selbstsicherheit, die wir brauchen, um uns durch Anwürfe und Verdächtigungen nicht beirren zu lassen. Noch ist diese Welt nicht weit genug fortgeschritten, um den Völkern und den Menschen eine gefahrlose Existenz zu ermöglichen. Sollte, was der Herrgott verhüten möge, die Notstandsverfassung jemals angewendet werden müssen, so würde dies bedeuten, daß die Außenpolitik Schiffbruch erlitten hätte, daß die europäische Friedenspolitik, für die nicht zuletzt auch die Sowjetunion große Verantwortung trägt, gescheitert wäre. Durch deutsche Schuld soll dies nicht geschehen.

    (Beifall im ganzen Hause.)

    Als Stellvertreter des Bundeskanzlers und auch als Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands möchte ich dieses Wort hinzufügen dürfen: Es gibt eine Kritik an der Notstandsgesetzgebung, die ich für reine Demagogie halte. Diese stützt sich in der Bevölkerung zum Teil auf einen Mangel an Vertrautheit mit Tatsachen, und daran sind wir vielleicht nicht immer ganz schuldlos gewesen.
    Es gibt zugleich eine andere Kritik, die ich ernst nehme und respektiere. Ich meine zahlreiche Männer unseres geistigen und wissenschaftlichen Lebens, aus denen eine ehrliche Sorge spricht. Manche von ihnen meinen, es könnte sich quer durch die Parteien eine Art „Partei der Ordnung" im Sinne bloßer Beharrung bilden, die alle Unzulänglichkeiten des Bestehenden zementieren und in Versuchung geraten könnte, sich zu diesem Zweck auch der Vorsorgegesetze zu bedienen; eben damit würde sie einen tiefen Bruch im Volk, also einen Notstand hervorrufen.
    Aus dieser Argumentation spricht Mißtrauen gegen die demokratische Verläßlichkeit unserer Parteien. Wir haben keinen Grund, dieses Mißtrauen einfach zurückzuweisen. Ich halte es für besser, wenn wir uns nach den Gründen dafür fragen. Darüber hinaus möchte ich jedenfalls für mich selbst sagen dürfen — es gilt zugleich für meine Freunde —: ich bin davon überzeugt, daß jeder auch nur entfernt ausdenkbare Versuch zu einem Mißbrauch der Notstandsgesetze auf unseren leidenschaftlichen Widerstand stoßen würde.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wer einmal mit dem Notstand spielen sollte, um die Freiheit einzuschränken, wird meine Freunde und mich auf den Barrikaden zur Verteidigung der Demokratie finden, und dies ist ganz wörtlich gemeint.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)




    Bundesminister Brandt
    So meine ich denn auch, daß viele im Lande wissen sollten, daß man sich auf uns verlassen kann. Sie sollen auch wissen, daß wir uns in Regierung und Parlament, in Parlament und Regierung an das halten, was uns unsere politische Gemeinschaft als ein nach dem Grundgesetz geschaffenes, gebildetes, geformtes Element dieses demokratischen Staatswesens aufträgt. Das gilt für die Einzelfragen, das gilt auch für den Gesamtauftrag, die Beratung der Gesetze so bald wie möglich zum Abschluß zu bringen, damit man sich mit ganzer Kraft für eine Politik des Friedens, der Entspannung, der sozialen Sicherheit und der Gerechtigkeit einsetzen kann.
    Wir sind, meine sehr verehrten Damen und Herren, Zeugen einer erregenden, manchmal anstrengenden Unruhe der jungen Generation, die inzwischen über alle nationalen Grenzen hinausgewachsen ist. Sie findet in jedem Land andere Anlässe des Protestes. Zum Teil ist sie von dem Aufbegehren gegen das Gefühl getragen, der einzelne Mensch könnte zum manipulierten Rädchen in einer alles beherrschenden Technisierung unserer Welt werden. Sie lehnt ab, sich von Erfahrungen leiten zu lassen, die für sie Geschichte sind. Sie sucht nach Maßstäben und Werten, die über Wohlstandskategorien hinausgehen. Sie möchte Technik in den Dienst ihres noch unformulierten Willens stellen.
    Ich sympathisiere mit dieser Strömung in der jungen Generation. Das weiß man. Ich wünsche, daß sie ihren Idealen -näherkommen möge, als andere imstande waren, im Laufe jüngerer deutscher Geschichte die Ideale ihrer Jugend zu verwirklichen. Aber jedenfalls können wir doch sicher unbestreitbar feststellen — ich sage auch dies noch besonders nach Osten —, daß die junge Generation in Deutschland mit allem, was in ihr sich rührt, nicht wesentlich anders reagiert als die Jugend anderer Länder auch. In dieser Beziehung gibt es keine Isolierung, und das ist immerhin noch gut so.
    Die demokratische Empfindlichkeit vieler in unserem Volk hat sich als leicht ansprechbar erwiesen. Das ist auch gut. Doch gehöre ich zu denen, die meinen, daß wir uns fragen müssen, was in unserem Staat nicht stimmt, noch nicht stimmt, wenn zuweilen ganze Gruppen von tiefem Mißtrauen erfüllt sind, wenn man dem Wort des anderen nicht mehr glaubt, wenn alle allen alles oder viele vielen vieles zutrauen. Ich deutete es aus meiner Sicht der Dinge schon an: der Angelpunkt vielen Streites, der um diesen Komplex bis zur Erschöpfung geführt worden ist, heißt Mißtrauen. Das ist gar nicht so verwunderlich. Denn wir Deutsche tragen nun einmal an der Last einer Geschichte, die uns schwere Prüfungen auferlegt hat, aber im tiefsten Sinne nicht Vergangenheit geworden ist. Nach zwei Geschichtskatastrophen im Laufe eines halben Jahrhunderts sind wir allzumal gebrannte Kinder. Erinnerungen verfolgen und quälen uns. Wir sind von den Ereignissen zu tief geprägt, als daß wir Vergangenes ganz vergangen sein lassen könnten. So kommt es — auch bei dem, was uns hier bis in die letzten Stunden miteinander beschäftigt hat —, daß düstere Schatten des Schlimmen und Bösen auf uns lasten, daß wir Tabus und Traumata mit uns herumtragen.
    Wir geben uns redliche Mühe, die Wiederkehr dessen, was so verhängnisvoll war, zu vermeiden, und lassen uns dabei zuweilen den Blick für nüchterne Realitäten trüben. Wir sind in unserem Denken und Handeln eingeengt, nicht immer wirklich frei. Es fehlt oft das rechte Augenmaß. Wäre .es anders, hätten diese Vorsorgegesetze nicht so viele Emotionen auslösen können.
    Beinahe fragt man sich, wie man noch überzeugen soll, wo nicht mehr, wo längst nicht mehr zugehört wird.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wie soll denjenigen, die zu ihrer Verantwortung stehen, geglaubt werden, wenn der Buchstabe des Gesetzes die nachweisbare Verbindlichkeit des Schwarz auf Weiß verliert? Wir sollten freilich auch nicht die Frage überhören — sie anderen und uns selbst stellen —, ob in den zurückliegenden Jahren die Grundsätze der Machtkontrolle und der Wahrhaftigkeit in staatlichen Angelegenheiten hoch genug gehalten worden sind, um Schule machen zu können.
    Wie wir alle habe ich in diesen Tagen viele Briefe bekommen. Ich habe sie so ernst genommen, wie sie gemeint waren, und dabei auch wieder einiges hinzugelernt. Tief berührt haben mich folgende Zeilen aus einem der Briefe — ich zitiere wörtlich diesen Satz; und nicht irgend jemand hat ihn geschrieben-: „Immerhin bin ich nicht durch Deutsche von den Nazis befreit worden, sondern durch Amerikaner und Engländer, und in diesem Sinne bleibe ich ganz und gar 1945er."
    Dies und anderes hat mich nicht nur bewegt, erschüttert, sondern auch in der Überzeugung bestärkt, daß vieles doch noch notleidend ist im Verhältnis zwischen Staat und Teilen der geistigen Schichten, wohl auch der jungen Generation, wohl auch der Arbeiterschaft. Ich fürchte wirklich, daß uns weder die Bewältigung der Vergangenheit noch die Vorbereitung auf die Zukunft schon gut genug gelungen ist. Aber jetzt geht eis, so meine ich, um die nüchterne und notwendige Aufgabe des Tages. Um die endgültige Fassung der vorliegenden Gesetzestexte ist lange gerungen worden. Anhörungen und Debatten haben einen Ausgleich herbeigeführt, der unter den gegebenen Umständen wohl nicht anders aussehen konnte. In diesem Stadium hat es gewiß keinen Sinn, noch einmal von vorn anzufangen. Da gibt es manchen, der ,sich auch einen anderen Ansatz und andere Teillösungen hätte vorstellen können. Gewisse Risiken lassen sich ohnehin nicht ausdiskutieren. Aber ich denke, wir sollten uns und anderen klarmachen: ein gewisses Risiko gehört zum Wesen der Demokratie.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das Risiko nämlich, daß im entscheidenden Augenblick Demokraten dasein müssen, die Verantwortung tragen.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Hier geht es um die letzte Verantwortung jedes einzelnen unserer Bürger für die Bewahrung der Demokratie.



    Bundesminister Brandt
    Ein gewisser Unwille in Teilen unserer Bevölkerung über das, was sich in der Vorstellung des Einzelnen mit dem Begriff „Notstand" verbindet, wird gewiß auch nach Verabschiedung der Gesetze nicht von heute auf morgen verschwinden. Es gibt nun einmal Kräfte in unserem Land, die ein Interesse daran haben, den Unwillen am Leben zu erhalten und womöglich noch zu intensivieren.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Für sie ist das Thema „Notstand" nur ein Vorwand zur Unruhe.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es gibt andere, die es ernst meinen — einige habe ich schon erwähnt — und von denen wir uns nicht trennen lassen dürfen.
    Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die einzelnen Gewerkschaften haben im Laufe der jungen Geschichte dieser Bundesrepublik zahlreiche Beweise für demokratisches Verantwortungsbewußtsein erbracht.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten in der Mitte.)

    In der Haltung der Gewerkschaften und der meisten Gewerkschafter zur Vorsorgegesetzgebung hat man das demokratische Verantwortungsgefühl nie überhören können. Es ist hart debattiert worden, aber am Schluß steht für meine Begriffe die Erkenntnis, daß Parlament, Bundesregierung, demokratische Parteien und mit ihnen die Gewerkschaften die gleiche Ordnung und die gleichen Werte verteidigen und die gleichen Gefahren abwenden wollen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat in den abschließenden Gesprächen mit den Vertretern der Bundesregierung und der im Bundestag vertretenen Parteien eine Warnung anklingen lassen, die wir alle nicht überhören sollten. Er hat davor gewarnt, die mit diesem Gesetzeswerk eröffneten Möglichkeiten zu mißbrauchen, und sei es nur durch bürokratischen Übereifer.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Darin liegt kein Mißtrauen gegen diesen Bundestag und diese Bundesregierung. Ich bin überzeugt, es ist keiner unter uns, der nicht ebenso wie die Gewerkschaften entschlossen ist, gegen einen denkbaren künftigen Mißbrauch von Gesetzen energisch Widerstand zu leisten. In diesem Willen können sich, wenn einmal die Entscheidung nun gefallen sein wird, alle treffen, denen die Erhaltung unserer parlamentarisch-demokratischen Ordnung am Herzen liegt.
    Jene, die jetzt noch enttäuscht oder empört abseits stehen, werden sich davon überzeugen können, daß das Ende der deutschen Demokratie hier nicht eingeläutet wurde. Die deutsche Demokratie wird mit den Vorsorgegesetzen nicht nur leben, sondern sich auch kräftig weiterentwickeln, besser vorbereitet auf mögliche Gefahren. Den Beweis hierfür kann allein die weitere Entwicklung liefern. Das wird um so eher gelingen, je deutlicher wir zeigen: durch das Inkraftsetzen der Notstandsverfassung und der Vorsorgegesetze ändert sich in der deutschen Innenpolitik und in der deutschen Außenpolitik im Grunde nicht das geringste. Nur werden wir diese Politik künftig als ein Staat führen, der erwachsener, verantwortlicher geworden ist und der hoffentlich auch noch glaubwürdiger werden kann.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Einmal verabschiedet, werden die hier vorliegenden Gesetze ruhen. Die darüber geführte Debatte wird dann zu Ende sein. Keiner der Bürger dieses Landes wird zu spüren bekommen, daß sich an diesem Staat und in diesem Staat irgend etwas geändert hat. Und doch ist unabhängig davon vieles in Bewegung, Erfreuliches und Bedenkliches, Aufrüttelndes und Gefährliches zugleich.
    Was drüben im Lande unseres französischen Nachbarn geschieht, kann uns nicht gleichgültig lassen. Der europäische Zusammenhang ist so eng, daß uns das Unbeteiligtbleiben verwehrt ist. Wir sind also weder unbeteiligte Beobachter noch Richter über fremde Angelegenheiten. Als Freunde Frankreichs müssen wir sehen, daß dort Bedeutendes vorgeht und daß, ganz unabhängig von dem Ringen der formierten und der nicht formierten Kräfte, mit großen Veränderungen zu rechnen sein wird.
    Kein Land kommt an den großen Fragen dieser Zeit vorbei. Auch unser Land nicht. Frankreich, das der Menschheit Unvergängliches geschenkt hat, wird vielleicht, hoffentlich — „hoffentlich" ganz dick unterstrichen —, seinen Weg finden und zugleich in der deutsch-französischen Zusammenarbeit, in der europäischen Integration, das sein, was es sein muß. Das wäre ein großes Geschenk für dieses Europa, das mit seinem Zusammenschluß so geringe Fortschritte gemacht hat, obwohl seine Bewohner wissen, daß sie alle eine große Familie sind.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der FDP.)

    Wir müssen hoffen, daß aus der großen Erregung, die den Kontinent zu erfassen beginnt, neue, stärkere Gemeinsamkeiten hervorgehen werden.
    Für unser heutiges Thema mag noch der Hinweis erlaubt sein, daß die französische Regierung den Notstandsartikel ihrer Verfassung nicht in Anspruch genommen hat. Wenn das französische Staatsoberhaupt auf die für unsere Begriffe schier unbegrenzte Machtfülle, die ihm dieser Paragraph gibt, verzichtet hat, so wird es — das französische Staatsoberhaupt — in Einsicht in die dortige Lage gehandelt haben. Das ist nicht unser Problem. Die deutsche Vorsorgegesetzgebung würde jedenfalls, von Marginalproblemen abgesehen, auf einen Fall wie den gegenwärtigen französischen auch nicht gepaßt haben. Das will ich damit sagen. Elementare politische Vorgänge im Leben der Völker — gleichgültig, wie man zu ihnen steht — sind nicht durch Paragraphen zu reglementieren. Hier macht sich vermutlich niemand Illusionen, falsche Hoffnungen oder unbegründete Sorgen, je nach dem Standort: Wenn einmal das Volk aufsteht, gelten ungeschriebene Gesetze.
    Deutschland ist nicht Frankreich. Aber heute gilt — und es wird weiter gelten —, daß es kein Europa



    Bundesminister Brandt
    ohne Frankreich und Deutschland gibt. Die französischen Erschütterungen und Umwälzungen werden unser Volk nicht unbeeinflußt lassen, und vielleicht lernen wir noch besser, daß Regierungsmacht und parlamentarische Macht nicht nur sinnvoll, sondern auch beizeiten genutzt werden müssen. Ich denke, bei vielem von dem, was von außen auf uns einwirkt, bestätigt sich auf eine dramatische Weise dais alte Wort, daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt. An ein menschenwürdiges Dasein werden heute andere Bedingungen geknüpft als vor einer noch gar nicht lange zurückliegenden Zeit.
    Nach dem Willen einer Staatsführung und einer Volksvertretung, diese Voraussetzungen zu schaffen — Voraussetzungen für ein sinnvolles Leben, dais heute auf den vielfältigen sozialen Stufen ohne Mitdenken, Mitgestalten und Mitverantworten nicht mehr denkbar und nicht mehr vorstellbar ist —, bemißt sich das Vertrauen, das die Bevölkerung auf die Dauer in sie setzt.
    Um die Vorsorgegesetze ist ein Kampf geführt worden, der Respekt verdient. Für Notzeiten, die hoffentlich niemals eintreten, ist das Menschenmögliche getan. Mein bescheidenes Votum, mein Rat an dieses Hohe Haus wäre nun, an die Arbeit zu gehen, um diesen Staat so zu gestalten, daß er der Mitarbeit aller seiner Bürger sicher sein kann.

    (Anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Wir treten in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung von 12.57 Uhr bis 15.02 Uhr.)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Matthöfer.