Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren! Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung erweitert werden um die
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der Kommission der EWG
und für eine Verordnung des Rats zur dritten Verlängerung der Geltungsdauer der Verordnung Nr. 85/63/EWG über die Festsetzung der Einschleusungspreise und der Zusatzbeträge sowie der Übergangsbestimmungen für Teilstücke von Schweinen sowie Schweinefleisch enthaltende Zubereitungen und Konserven
Verordnung des Rats über die Verlängerung der Geltungsdauer der Verordnung Nr. 88/ 65/EWG betreffend die Erstattungen bei der Ausfuhr von Schweinefleisch, Eiern und Geflügelfleisch in dritte Länder
— Drucksachen V/190, V/191, V/227 —
Berichterstatter: Abgeordneter Fritz
Das Haus ist damit einverstanden, daß wir diesen Punkt auf die Tagesordnung setzen. Ich schlage vor, daß wir sofort in die Beratung eintreten. Der Ausschuß empfiehlt, von den beiden Verordnungen Kenntnis zu nehmen. Wer für den Ausschußantrag ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Die folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat am 26. Januar 1966 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die zwischenzeitlich verkündete Verordnung des Rats zur Verlängerung der Verordnung Nr. 142/64/EWG über die Erstattung bei der Erzeugung für Getreide- und Kartoffelstärke — Drucksache V/192 — keine Bedenken erhoben habe.
Zu der in der Fragestunde der 16. Sitzung des Deutschen Bundestages am 26. Januar 1966 gestellten Frage des Abgeordneten Dr. Ritz, Drucksache V/212 Nr. VIII/1, ist inzwischen die schriftliche Antwort des Staatssekretärs Grund vom 26. Januar 1966 ieingegangen. Sie lautet:
Nach dem geltenden Einkommensteuerrecht besteht leider keine Möglichkeit, für Paketsendungen nach Mitteldeutschland auch dann allgemein eine Steuerermäßigung wegen außergewöhnlicher Belastung zu gewähren, wenn es sich bei dem Empfänger nicht um einen Angehörigen des Steuerpflichtigen handelt. Eine Steuerermäßigung wegen außergewöhnlicher Belastung setzt voraus, daß die Aufwendungen zwangsläufig erwachsen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann die Zwangsläufigkeit nicht aus ' dem allgemeinen sittlichen Gebot, in Not befindlichen Mitmenschen zu helfen, hergeleitet werden. Es ist nicht Sinn der Vorschriften über die Gewährung einer Steuerermäßigung wegen außergewöhnlicher Belastungen, alle Opfer, die der einzelne in dieser Hinsicht auf sich genommen hat, zum Teil durch Steuerermäßigungen auszugleichen und damit insoweit auf die Allgemeinheit zu überwälzen. Auch der Umstand, daß durch die Versendung solcher Liebesgaben das gesamtdeutsche Anliegen gefördert wird, kann nach dem geltenden Recht an dieser Beurteilung nichts ändern.
Meine Damen und Herren, wir kommen dann zu Punkt 1 der Tagesordnung, zur
Fragestunde
— Drucksache V/212 —
Hier fahren wir bei den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen fort. Die ersten drei Fragen sind bereits beantwortet. Ich rufe die Frage VIII/4 des Abgeordneten Dröscher auf:
Welche Möglichkeiten hat die Bundesregierung, eine Gleichstellung der deutschen Beschäftigten bei den Stationierungstruppen mit dem öffentlichen Dienst insoweit zu erreichen, als interessierten Angestellten und Arbeitern die Teilnahme an den Vorbereitungslehrgängen und die Ablegung von Prüfungen für den öffentlichen Dienst genehmigt wird?
Herr Staatssekretär, wollen Sie bitte die Frage beantworten!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach den geltenden Tarifbestimmungen werden Verwaltungsprüfungen nur von den Angestellten im kommunalen Verwaltungs- und Kassendienst sowie im Sparkassendienst gefordert. Um einen Anspruch auf Eingruppierung in die entsprechenden Vergütungsgruppen zu haben, müssen diese Angestellten mit Erfolg an einem Lehrgang mit abschließender Erster ode; Zweiter Verwaltungsprüfung teilgenommen haben. Die Lehrgänge und Prüfungen werden bei den anerkannten Verwaltungs- und Sparkassenschulen durchgeführt. Sie richten sich nach landesrechtlichen Vorschriften.Die Regelung dieser Materie ist also Ländersache; ich verstehe deshalb Ihre Anfrage dahin, ob interessierte Arbeitnehmer der Stationierungsstreitkräfte zur Teilnahme an den Lehrgängen und Prüfungen von der Arbeit freigestellt oder beurlaubt werden
Metadaten/Kopzeile:
660 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Januar 1966
Staatssekretär Grundkönnen, sofern sie dazu nach dem Landesrecht zugelassen sind. Die Arbeitnehmer würden auf diese Weise Gelegenheit erhalten, sich Qualifikationen zu erwerben, die ihnen im Falle einer späteren Verwendung im öffentlichen Dienst nützlich und bei einer Beschäftigung im kommunalen Bereich unmittelbar von Vorteil wären. Grundsätzlich stünde einer Beurlaubung zu diesem Zweck nichts im Wege. Über die Gewährung des Urlaubs hätte als Arbeitgeber allein die Stationierungsstreitkraft zu entscheiden.Allerdings sind nach den Ausbildungs- und Prüfungsordnungen der Länder die einzelnen Teile des Ausbildungsganges, nämlich die praktische Ausbildung, der nebendienstliche Unterricht, die Lehrgänge an den Verwaltungsschulen und die Prüfungen, so eng aufeinander abgestimmt, daß es schwierig wäre, Außenseiter nur an den Lehrgängen und Prüfungen zu beteiligen, gleichgültig, ob es sich um Arbeitnehmer anderer Bereiche des öffentlichen Dienstes oder um solche der Stationierungsstreitkräfte handelt. Soweit ich sehe, sind deshalb zur Teilnahme überall nur Angehörige der betreffenden Verwaltungszweige zugelassen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dröscher.
Ich habe folgende Zusatzfrage, Herr Staatssekretär, und gehe dabei von der Voraussetzung aus, daß es sich in den ländlichen Räumen, in denen sich die Stationierungsstreitkräfte befinden, meistens um Verwaltungsschulen der Gemeinden und Kreise handelt, deren Besuch also von allgemeinem Nutzen für eine spätere Übernahme in den öffentlichen Dienst ist: Wären Sie bereit, mit den Ländern zu verhandeln — das läge auch im Zuge der ohnehin beabsichtigten Annäherung zum öffentlichen Dienst —, damit diese mit den Trägern der Verwaltungsschulen Verbindung mit dem Ziel aufnehmen, daß auch die bei den alliierten Streitkräften Beschäftigten an den Verwaltungslehrgängen, ihren Übungen und Seminaren teilnehmen können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin gern dazu bereit, solche Verhandlungen aufzunehmen. Es wird allerdings nicht einfach sein, die Länder dazu zu bewegen. Andererseits müssen auch die Stationierungsstreitkräfte zu Freistellungen und Beurlaubungen bereit sein.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Dröscher.
Wären Sie auch bereit, Herr Staatssekretär, mit den Stationierungsstreitkräften, mit denen Sie ja ohnehin laufend wegen des Arbeitgeberverhältnisses zu tun haben, mit dem Ziel zu verhandeln, daß diese einer eventuellen Beurlaubung, die ja meistens in den Nachmittags- oder Samstagsstunden notwendig wäre, zustimmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auch diese Frage möchte ich bejahen, denn die Verhandlungen mit den Ländern haben nur Sinn, wenn auch Einvernehmen mit den Stationierungsstreitkräften erreicht wird.
Wir kommen zu Frage VIII/5 des Abgeordneten Dröscher:
Können Gemeinden, in denen wesentliche Gemarkungsteile durch Bundeswehranlagen genutzt werden, in absehbarer Zeit damit rechnen, daß die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen wenigstens Grundsteuer gezahlt wird, zugunsten der Kommunen geändert werden?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die von Ihnen angeschnittenen Fragen, Herr Abgeordneter, haben den Bundestag auf Grund eines Initiativgesetzes des Bundesrates erst im Frühjahr 1965 'beschäftigt. Damals hat der Bundestag den vom Bundesrat vorgeschlagenen Erleichterungen zugunsten der Gemeinden, nämlich Erhöhung der Einwohnergrenze von 5000 auf 10 000 Einwohner sowie Herabsetzung des Mindestsatzes für den Grundsteuerausfall von 25 auf 10 v. H., in vollem Umfange zugestimmt. Diese Erleichterungen sind mit Rückwirkung am 1. 1. 1965 in Kraft getreten. Da hiernach die Angelegenheit erst vor sehr kurzer Zeit beraten wurde und zwischenzeitlich keine nennenswerten Änderungen der Verhältnisse eingetreten sein dürften, sieht die Bundesregierung zur Zeit keinen Anlaß, in dieser Frage die Initiative zu ergreifen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dröscher.
Dann darf ich Ihre Antwort also so verstehen, Herr Staatssekretär, daß den Gemeinden, in denen mindestens 10 % der Gemarkung bzw. der Grundsteuermeßbeträge durch Bundeswehr oder sonstige bundeszugehörige Einheiten in Anspruch genommen werden, Grundsteuer bezahlt werden muß?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, Herr Abgeordneter, so ist es. Sobald der Grundsteuerausfall 10 v. H. übersteigt, ist der Bund zur Ausgleichszahlung verpflichtet; früher waren es 25 %.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Strohmayr.
Herr Staatssekretär, gelten diese 10 % für die Grundsteuer A und B oder nur für die Grundsteuer A?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin gern bereit, diese Frage schriftlich zu beantworten. Ich kann im Moment nicht sagen, ob die Regelung für die Grundsteuer A und B gilt. In erster Linie werden ja die ländlichen Gemeinden betroffen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Januar 1966 661
Keine weitere Frage.
Ich rufe die Frage VIII/6 des Herrn Abgeordneten Dr. Miessner auf:
Wann gedenkt der Bundesfinanzminister, der einstimmig angenommenen Entschließung des Deutschen Bundestages vom 23. Juli 1965 entsprechend, der Neufassung der Richtlinien dei Deutschen Bundesbahn für die Gewahrung von Zulagen tar Dienstleistungen zu ungünstigen Zeiten zuzustimmen?
Herr Staatssekretär, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mit Schreiben vom 21. Januar 1966 an den Herrn Bundesminister für Verkehr hat sich mein Minister grundsätzlich bereit erklärt, den Dienstpostenzulagen für ungünstige Dienstzeiten bei der Deutschen Bundesbahn zuzustimmen. Dabei hat er allerdings seine Zustimmung von zwei Voraussetzungen abhängig gemacht. Einmal ist verlangt worden, daß bei der Bundespost keine unterschiedliche Regelung eingeführt wird. Nach dem jetzigen Stand der Verhandlungen glaube ich sagen zu können, daß diese Bedingung erfüllt wird. Außerdem hat mein Minister gefordert, daß der Vorstand der Deutschen Bundesbahn erklärt, mit den Haushaltsansätzen für die Bundesbahn von insgesamt 2,5 Milliarden DM im Geschäftsjahr 1966 auszukommen. Auch insoweit sehe ich keine Schwierigkeiten mehr. So viel zur Frage VIII/6.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Miessner, zu diesem Punkt?
Ja, Herr Präsident. Die ganze Angelegenheit geht ja auf eine Entschließung des Bundestages zurück, die ein halbes Jahr zurückliegt.
Das ist keine Frage, Herr Abgeordneter Miessner.
Ja, die kommt jetzt, Herr Präsident. Welcher Zeitpunkt ist für das Inkrafttreten vorgesehen, damit nach Möglichkeit die Verzögerung, die hier eingetreten ist, nicht zu Lasten der Betroffenen geht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, der Herr Innenminister und der Herr Verkehrsminister haben beide beantragt, die Regelung ab 1. Januar in Kraft zu setzen. Dem wollen wir von unserem Hause auch zustimmen, allerdings unter der Voraussetzung, daß eben die Bundesbahn mit dem vorgesehenen Betrag von 2,5 Milliarden DM insgesamt auskommt. Ich sehe darin keine Schwierigkeit.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Seibert.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß im Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn die für diese Regelung notwendigen Mittel eingesetzt sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jawohl, Herr Abgeordneter, das ist mir durchaus bekannt. Im Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn sind 48 Millionen DM dafür vorgesehen.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Seibert.
Haben Sie diese Erklärung, die Sie eben erwähnt haben — Nr. 2 —, auch von der anderen Betriebsverwaltung eingefordert?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Von der Bundespost, meinen Sie, Herr Abgeordneter? Bei der Bundespost brauchte ich diese Frage nicht zu stellen, weil die Bundespost keine Zuschüsse auf Grund einer Defizithaftung bekommt.
Sie haben keine Frage mehr, Herr Abgeordneter. Sie haben zwei gehabt; das muß reichen. Es tut mir leid.
Ich kann sie nachher anbringen.
Keine weitere Frage mehr. Ich rufe die Frage VIII/7 des Herrn Abgeordneten Dr. Miessner auf:
Ist dem Bundesfinanzminister bekannt, daß die in Frage VIII/6 erwähnte Richtlinienregelung, der inzwischen die Bundesminister für Verkehr und Inneres zugestimmt haben, einen auf parlamentarischer Ebene erzielten Kompromiß in Verbindung mit weitergehenden Forderungen auf dem Gebiet der Arbeitszeit darstellt?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Kompromißcharakter der Entscheidung ist mir durchaus bekannt. In sachlicher Beziehung wird ja auch die Neuregelung der Richtlinien der Entschließung des Bundestages vom 23. Juni 1965 im wesentlichen entsprechen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage VIII/8 — ebenfalls des Herrn Abgeordneten Dr. Miessner — auf:
Ist dem Bundesfinanzminister bekannt, daß die Verzögerung der in Frage VIII/6 erwähnten Neuregelung zu einer erneuten Beunruhigung des Personals bei der Deutschen Bundesbahn geführt hat?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Verzögerung der Neuregelung war aus folgenden Gründen leider unvermeidbar: einmal mußte mein Haus Wert darauf legen, daß für vergleichbare Tatbestände eine einheitliche Regelung bei Bundesbahn und Bundespost eingeführt wird, damit Berufungen und unnötige Beunruhigungen beim Personal der einen oder anderen Verwaltung vermieden werden. Außerdem mußte angesichts der bekannten Haushaltsschwierigkeiten die Verabschiedung des Bundeshaushalts 1966 im Kabinett abgewartet werden, um übersehen zu können, welche finanziellen Anforderungen der Bundesbahn
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662 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Januar 1966
Staatssekretär Grundinsgesamt erfüllt werden können. Dazu bitte ich zu bedenken, daß die Leistungen an die Bundesbahn eine Größenordnung von mehr als 2,5 Milliarden DM erreicht haben und für den gesamten Bundeshaushalt von sehr großer Bedeutung geworden sind.
Herr Abgeordneter Seibert, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, was gedenkt das Bundesfinanzministerium zu tun, wenn sich der Vorstand der Bundesbahn außerstande sieht, diese von Ihnen verlangte Erklärung abzugeben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann werden wir in eine erneute Überprüfung eintreten, Herr Abgeordneter. Aber ich habe bereits angedeutet, daß nach den Vorbesprechungen mit einer solchen Haltung des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn erfreulicherweise nicht zu rechnen ist.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Seibert.
Glauben Sie nicht, Herr Staatssekretär, daß durch die vom Bundesfinanzministerium mit diesem Vorgehen zum Ausdruck gebrachte Verzögerung in der Ausübung der Fürsorgepflicht bei dem Personal noch weiterhin eine starke Beunruhigung auftreten wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das glaube ich nicht, Herr Abgeordneter. Daß eine gewisse Unruhe feststellbar gewesen ist, kann ich nicht bestreiten; aber diese Unruhe erstreckte sich keineswegs allein auf den Bereich der Deutschen Bundesbahn. Auch andere Bundesverwaltungen — ich spreche z. B. die Zollverwaltung an — haben sich beunruhigt gefühlt, weil auch sie für die ungünstigen Dienstzeiten Vergütungen beanspruchen.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Miessner.
Herr Staatssekretär, sind Besprechungen mit den Ländern gepflogen worden, da sich die Neuregelung zweifellos auch auf Länderbeamte auswirkt, z. B. auf die Beamten der Verkehrspolizei, die ja sehr viel am Sonnabend und Sonntag Dienst tun?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, offizielle Besprechungen sind noch nicht angebahnt; aber sie werden sicherlich unvermeidlich sein, weil in den von Ihnen aufgezeigten Bereichen die gleichen Verhältnisse vorliegen.
Noch eine Frage des Abgeordneten Miessner.
Befürchten Sie, daß etwa von Länderseite noch Schwierigkeiten auftauchen könnten, die geeignet wären, das Inkraftsetzen dieser Anordnung zu verzögern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Herr Abgeordneter. Wir sind ja entschlossen, die Regelung mit Wirkung vom 1. Januar in Kraft zu setzen.
Keine weitere Frage?
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, zunächst zu der Frage XI/1 des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen:
Hat die Bundesregierung sichergestellt, daß das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16. November 1964 beachtet wird, wonach es mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei, daß das Angestelltenversicherungsgesetz diejenigen versicherungsfreien Angestellten von der freiwilligen Versicherung in der Angestelltenversicherung ausschließt, die bei ihren Ehegatten in Beschäftigung stehen?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Katzer lautet:
Dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. 11. 1964 kann nur dadurch zur Beachtung verholfen werden, daß durch Gesetz eine neue Regelung für die Versicherung solcher Ehegatten erfolgt, die bei ihrem Ehegatten in Beschäftigung stehen; das Urteil hat nämlich nicht Vorschriften der Reichsversicherungsordnung und des Angestelltenversicherungsgesetzes für nichtig erklärt, sondern eine Änderung der Gesamtregelung verlangt. Ein entsprechender Gesetzentwurf ist bereits von meinem Hause seit Herbst vorigen Jahres erstellt; es sind jedoch schwierige verfassungsrechtliche Fragen über das Problem aufgetaucht, in welcher Weise für die rückliegende Zeit eine Regelung erfolgen kann und muß. Ich hoffe, daß die Verhandlungen darüber mit dem Bundesjustizministerium in nächster Zeit abgeschlossen werden können. Jedenfalls wird in dem Gesetzentwurf sichergestellt werden, daß Beiträge auch für die zurückliegenden Jahre nachentrichtet werden können, so daß die Betroffenen nicht benachteiligt werden.
Ich rufe die Frage XI/2 des Abgeordneten Folger auf:
Ist es richtig, daß die Bundesrepublik Deutschland den größten Beitragsanteil an den Europäischen Sozialfonds leistet, aber wesentlich weniger Mittel daraus für Umschulungsmaßnahmen erhält als z. B. Frankreich?
Ist der Abgeordnete Folger im Saal? — Ich wäre dankbar, wenn sich die Fragesteller jeweils sichtbar hinter einem Mikrophon plazieren wollten, damit man weiß, ob sie da sind. — Bitte Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich würde gern die drei Fragen des Abgeordneten Folger zusammengefaßt beantworten.
Sind Sie einverstanden? — Dann rufe ich also auch die Fragen XI/3 und XI/4 auf:
Liegt der Grund für den in Frage XI/12 genannten Unterschied darin, daß Frankreich die Umschulung weit großzügiger handhabt als die Bundesrepublik Deutschland?
Wo bleiben die seit Jahren erwarteten und versprochenen verbesserten Richtlinien der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, die einen weiteren Ausbau der Umschulungsmaßnahmen und damit einen höheren Anteil aus dem Europäischen Sozialfonds bezwecken?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach Art. 200 Abs. 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft betragen die Finanzbeiträge der Bundesrepublik und Frankreichs zur
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Januar 1966 663
Staatssekretär KattenstrothDeckung der Ausgaben des Europäischen Sozialfonds je 32 % der Ausgaben dieses Fonds. Die Leistungen aus dem Fonds entsprechen je Land jedoch nicht den Beitragssätzen. Die Gewährung der Beihilfen aus dem Fonds stellt einen echten zwischenstaatlichen Finanzausgleich dar. Für ihn war die Überlegung maßgebend, daß die Mitgliedstaaten durch Maßnahmen zur Beseitigung von Arbeitslosigkeit künftig finanziell möglicherweise sehr unterschiedlich belastet werden und daß eine gemeinsame Verantwortlichkeit für die Beseitigung von Arbeitslosigkeit innerhalb der Gemeinschaft besteht.Frankreich hat aus dem Fonds bisher 9 Millionen Rechnungseinheiten, die Bundesrepublik 6 Millionen Rechnungseinheiten erhalten. Eine Rechnungseinheit entspricht 4,— DM.Mit Hilfe des Fonds sind in Frankreich rund 18 000 Arbeitskräfte und in der Bundesrepublik rund 36 000 Arbeitskräfte umgeschult worden. Bestimmend für den gleichwohl höheren Betrag, den Frankreich bisher aus dem Fonds erhalten hat, war die Dauer der einzelnen Umschulungsmaßnahmen. Eine Umschulung dauert in Frankreich durchschnittlich sechs Monate. In der Bundesrepublik überwogen ursprünglich wesentlich kürzere Umschulungen von rund zwei Monaten Dauer. Heute hat die Bundesrepublik im Durchschnitt allerdings die längste Umschulungsdauer von etwa acht Monaten. In Italien beträgt die Umschulungsdauer nur etwas über einen Monat.Die Masse der Beihilfeanträge Frankreichs für Umschulungen bezieht sich auf die Zeit vor 1962 und die der Bundesrepublik auf die Zeit nach 1962. Die Prüfungen der Anträge durch die Kommission der EWG nehmen in Frankreich mit seiner zentralisierten Verwaltung weniger Zeit in Anspruch als in Deutschland, in dem Anträge nicht nur die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, sondern auch noch die große Zahl der Landesversicherungsanstalten, der Berufsgenossenschaften, der übrigen Sozialversicherungsträger, der Landesfürsorgestellen usw. vorlegen.In diesen Umständen liegen überwiegend die Gründe für die bisher unterschiedlichen Auszahlungen des Fonds. Auf eine großzügigere Handhabung der Umschulung in Frankreich kann nach diesen Ergebnissen jedoch nicht geschlossen werden.Eine Änderung unserer innerstaatlichen Vorschriften, auf die die dritte Frage abzielt, könnte uns kaum einen höheren Anteil an dem Europäischen Sozialfonds sichern. Mehr für Umschulungen aus diesem Fonds könnten wir bekommen, wenn wir mehr Arbeitslose hätten — dieser Fall scheidet erfreulicherweise aus — oder wenn die Vorschriften der EWG geändert würden. Über eine Änderung der Vorschriften wird in den zuständigen Arbeitsgruppen des Rats der EWG zur Zeit beraten. Sollten sich daraus erweiterte Möglichkeiten zur Inanspruchnahme des Fonds ergeben, so wird dies bei einer Änderung der Richtlinien der Bundesanstalt in Nürnberg berücksichtigt werden, über die die Bundesanstalt und das Bundesministerium für Arbeit mit den beteiligten Kreisen zur Zeit verhandeln.
Keine weiteren Fragen.
Ich rufe die Frage XI/5 des Abgeordneten Dr. Müller auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, in nächster Zeit den Widerspruch zu beseitigen, daß zwar unterlassene Hilfeleistung unter Strafe gestellt wird, jedoch Menschen, die bei einem Akt der Nothilfe Schaden an Gesundheit und Vermögen erlitten haben, keine Entschädigung erhalten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ihre Frage, Herr Abgeordneter, zielt auf eine Entschädigung aus öffentlichen Mitteln ab. Personen, die bei Not und Gefahr Hilfe leisten und dabei einen Gesundheitsschaden erleiden, erhalten bereits jetzt eine Entschädigung aus öffentlichen Mitteln. Ihnen stehen die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu, die ihnen die Träger der Eigenunfallversicherung des Landes, in dem sich der Vorfall ereignet hat, gewähren. Zu diesen Leistungen gehören vor allem die Heilbehandlung, der Ersatz des Verdienstausfalls in Form von Verletztengeld während der Heilbehandlung und die Verletztenrente, sofern die Erwerbsfähigkeit des Verletzten dauernd gemindert ist. Würde der Nothelfer tödlich verletzt, erhielten seine Hinterbliebenen eine Rente.
Sachschäden werden allerdings von der gesetzlichen Unfallversicherung nicht ersetzt.
In der Regel kann der Nothelfer wegen der erlittenen Schäden an Gesundheit und Vermögen auch zivilrechtliche Ansprüche auf Aufwendungsersatz nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag gegenüber demjenigen geltend machen, zu dessen Gunsten er Nothilfe geleistet hat.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Müller.
Herr Staatssekretär, teilen Sie nicht auch die Auffassung, daß ein zivilrechtliches Verfahren in den meisten Fällen gar nicht möglich ist und daß bei der Zunahme von Gewalttaten in der letzten Zeit offensichtlich die Bereitschaft, sich zu engagieren und Menschen zu helfen, zurückgegangen ist, gerade weil Sach- oder Vermögensschäden nicht ersetzt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich hoffe, daß die Bereitschaft zur Hilfe nicht zurückgegangen ist. Im übrigen muß ich Ihnen sagen: die Sorge, daß der Helfer eine zivilrechtliche Entschädigung bekommt, ist durchaus berechtigt.
Keine weiteren Fragen.Wir kommen zu dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Ich rufe die Frage XIII/1 des Herrn Abgeordneten Dr. Geißler auf:Billigt der Bundespostminister die in seinem Amtsblatt vom 23. Dezember 1965 Nr. 148 erlassene Verfügung, daß „in den amtlichen Verzeichnissen der Fernsprechortsnetze das Wort
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664 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Januar 1966
Vizepräsident SchoettleTelefonseelsorge nicht vorkommen darf" und daß es durch das Wort „Fernsprechseelsorge" zu ersetzen sei?Bitte, Herr Bundesminister!
Kann ich die ersten beiden Fragen zusammen beantworten? Sie stehen in einem Zusammenhang.
Sind Sie einverstanden, Herr Dr. Geißler? — Dann rufe ich gleichzeitig die Frage XIII/2 des Herrn Abgeordneten Dr. Geißler auf:
Ist der Bundespostminister bereit, diese Verfügung in diesem Punkt zurückzunehmen und damit auch in Zukunft den in der Öffentlichkeit eingebürgerten Begriff „Telefonseelsorge" für die örtlichen Fernsprechnetze zuzulassen?
Der Inhalt des Amtsblattes des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen findet, wie aus dem Titel hervorgeht, grundsätzlich meine Billigung. Das trifft auch zu auf die in Frage gestellte Amtsblattverfügung Nr. 148 vom 23. Dezember 1965, wonach in den amtlichen Verzeichnissen der Fernsprechortsnetze die fernmündliche Seelsorge unter der Bezeichnung „Fernsprechseelsorge" aufgeführt werden soll. Hinter dieser Anordnung stand die gute Absicht, in der Reihe der übrigen Angaben, nämlich Fernsprech-Ansagedienst, Fernsprech-Nachrichtendienst, Fernsprech-Auskunft usw., die Telefonseelsorge nicht aus der Reihe tanzen zu lassen.
Ich halte die Angabe nicht für so grundsätzlich, daß ich nicht bereit wäre, der evangelischen Konferenz für Telefonseelsorge und der Arbeitsgemeinschaft für katholische Telefonseelsorge einzuräumen, auch im Verzeichnis der Fernsprechortsnetze mit „Telefonseelsorge" bezeichnet zu werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, wenn ich Sie richtig verstanden habe — ich habe es akustisch nicht richtig gehört —, wird also auch in Zukunft in den Telefonbüchern das Wort „Telefonseelsorge" zu finden sein?
In den amtlichen Fernsprechverzeichnissen würde normalerweise nach der Verfügung statt „Telefonseelsorge" das Wort „Fernsprechseelsorge" stehen. Wenn aber die beiden von mir angeführten Institutionen glauben, daß sie unter dem Begriff „Telefonseelsorge" besser untergebracht sind, so habe ich dagegen keine grundsätzlichen Bedenken.
Ich rufe die Fragen XIII/3 und XIII/4 des Abgeordneten Porzner auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß in Rothenburg ob der Tauber und im Landkreis Rothenburg das 2. und 3. Fernsehprogramm empfangen werden können?
Bis wann wird die Bundesregierung die für den in Frage XIII/13 erwähnten Fernsehempfang nötigen Anlagen errichten?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Stücklen lautet:
Das 2. und 3. Fernsehprogramm kann in der Stadt Rothenburg ob der Tauber bereits heute von etwa 30 v. H. der Einwohner vom Fernsehsender Würzburg mit guten Antennenanlagen und von etwa 35 v. H. der Einwohner des Landkreises Rothenburg empfangen werden. Die Versorgungslage wird sich noch in diesem Jahr wesentlich bessern, sobald die Fernsehsender Hesselberg und Nürnberg mit den im Stockholmer Plan festgelegten Leistungen und Höhen arbeiten, und der Fernsehsender Langenburg in Betrieb gegangen ist.
Die genannten Fernsehsendeanlagen sind im Aufbau. Entsprechend dem derzeitigen Aufbaustand der Anlagen werden folgende Fertigstellungstermine angestrebt:
1. Fernsehsender Hesselberg mit 100-m-Mast und 250 kW Strahlungsleistung im ersten Vierteljahr 1966,
2. Fernsehsender Nürnberg mit 200-m-Mast und 500 kW Strahlungsleistung im letzten Vierteljahr 1966 und
3. Fernsehsender Langenburg mit 150-m-Mast und 250 kW Strahlungsleistung im letzten Vierteljahr 1967.
Wir kommen dann zur Frage XIII/5 des Herrn
Ist der Bundesregierung bekannt, daß deutsche Touristen im unmittelbar benachbarten Ausland zwar mitteldeutsche Sender und deutschsprachige Programme osteuropäischer Sender hören können, der Empfang von Sendestationen der Bundesrepublik aber fast unmöglich ist?
Bitte, Herr Bundesminister!
Nach den Untersuchungen der Deutschen Bundespost können bedauerlicherweise Ton-Rundfunksender der Bundesrepublik im Lang-und Mittelwellenbereich in allen Teilen des benachbarten Auslands zur Zeit noch nicht mit zufriedenstellender Qualität gehört werden.
Mit Einbruch . der Dunkelheit 'müßte jedoch ein brauchbarer Empfang von einigen Mittelwellen-Ton-
Rundfunksendern der Bundesrepublik in verschiedenen Gebietsteilen des europäischen Auslands möglich sein. Dafür kämen die folgenden Sender in Betracht: Braunschweig, Mühlacker, Frankfurt am Main, Rohrdorf, Ismaning, das Gleichwellensendernetz mit 971 kHz, Wolfsheim, Saarbrücken, Mainflingen, das Gleichsendernetz mit der Frequenz von 1586 kHz und das Gleichwellensendernetz des Bayerischen Rundfunks mit 1602 kHz.
Zur Zeit werden technische Maßnahmen vorbereitet, um die Strahlungsleistung bestimmter Mittelwellen-Rundfunksender in der Bundesrepublik zu erhöhen, damit sie im europäischen Ausland besser empfangen werden können. Eine merkliche Empfangsverbesserung wird bereits eintreten, wenn im Laufe dieses Jahres z. B. bei dem Sender der Deutschen Bundespost für Zwecke des Deutschlandfunks — Standort Braunschweig —, dem Sender des Norddeutschen Rundfunks — Standort Hamburg (971 kHz) — und dem Sender des Westdeutschen Rundfunks — Standort Langenberg (zur Zeit 971 kHz, geplant 1586 kHz) — die vorgesehenen Leistungserhöhungen durchgeführt werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Müller.
Herr Minister, würden Sie mir in der Ansicht zustimmen, daß diese Maßnahmen verhältnismäßig spät eingeleitet wurden, zumal die Sender aus dem anderen Teil
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Januar 1966 665
Dr. Müller
Deutschlands schon seit langer Zeit in Gebieten, die nur ungefähr 10 km von der Grenze der Bundesrepublik entfernt sind, deutlich hörbar sind, während die Sender der Bundesrepublik auch am Abend etwa in den Wintersportgebieten Tirols nicht zu empfangen sind?
Herr Abgeordneter, die Sender des Ersten Programms, also die Sender der Rundfunkanstalten, unterstehen nicht meiner Kontrolle. Die Anregung zur Erhöhung der Sendeleistung muß von den Sendeanstalten, nicht von der Deutschen Bundespost, ausgehen. Die Deutsche Bundespost ist zuständig für den Deutschlandfunk und für die Deutsche Welle. Diese Fragen haben wir auch im Einvernehmen mit dem Gesamtdeutschen Ausschuß bereits behandelt. Wir sind dabei, die Sender alle so weit auszubauen, wie es der Kopenhagener Wellenplan, also die internationalen Verträge, zulassen.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.
Herr Minister, die Deutsche Bundespost ist für die Errichtung dieser Sendeanlagen zuständig. Mir ist bekannt, daß etwa vom Bayerischen Rundfunk immer wieder darüber geklagt wird, daß ausreichende Frequenzen und genügend Sendestationen nicht vorhanden sind und daß man bei der Zusammenarbeit mit der Bundespost Schwierigkeiten habe, solche Stationen zu errichten.
Mir ist von diesen Schwierigkeiten gar nichts bekannt. Im übrigen haben die Rundfunkanstalten ihre klar zugeteilten Frequenzen. Diese kann ich nicht willkürlich ändern oder ergänzen, weil die Frequenzen verteilt sind. Es liegt also nur an den Anstalten, die diese Sender errichten, nicht an der Bundespost. Hier sind Sie falsch orientiert, Herr Abgeordneter. Die Sender der Anstalten werden von den Anstalten selbst errichtet. Es bedarf also nur einer Anfrage oder eines Antrags, und Sie dürfen sicher sein, daß diese Anträge wohlwollend behandelt werden.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Hofmann .
Herr Minister, sehen Ihre Vorbereitungen zum besseren Empfang des Deutschen Fernsehens im besonderen auch den besseren Empfang für das Zonenrandgebiet vor?
Selbstverständlich!
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß im nördlichen Bayern, Kreis Kronach im Frankenwald, das DDR-Programm immer noch besser zu empfangen ist als das Zweite
Programm des Deutschen Fernsehens, das zum Teil überhaupt nicht empfangen werden kann?
Das ist sicher sehr unterschiedlich. Ich könnte Ihnen genauso nachweisen, daß das Zweite Programm im Zonenrandgebiet in einer ganzen Reihe von Orten einwandfrei empfangen werden kann. Ich darf hier aber noch einmal wiederholen — ich habe es in diesem Hause schon öfter erklärt —, daß die Ausbreitung der Wellen des Zweiten Programms in den topographisch schwierigen Gebieten für uns außerordentlich aufwendig ist. Wir brauchen dazu in erster Linie die sogenannten Muttersender. Wenn die Muttersender stehen und ausstrahlen, dann können wir mit Feldstärkemessungen Berechnungen für die Errichtung von Umsetzern vornehmen und den Umsetzerausbau durchführen. Es muß also immer der erste Schritt mit dem Muttersender gemacht sein; dann erst können die Umsetzer folgen. Was wir an Kapazität frei haben und was die Industrie liefern kann, bauen wir mit Schwerpunkt im Zonenrandgebiet und im Grenzgebiet.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Strohmayr.
Herr Bundesminister, warum machen Sie denn nicht den ersten Schritt möglichst rasch?
Wir sind immer dabei, schon den ersten Schritt zu machen. Bevor Sie jetzt gefragt haben, sind schon mindestens 35 Sender gebaut worden, Herr Abgeordneter.
Der Schritt, der gemacht wird, ist meistens der erste.
Ich rufe die Frage XIII/6 des Abgeordneten Schmidt auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, den im Bereich des Bayerischen Rundfunks noch sehr unzulänglichen Empfang des 3. Fernsehprogramms, der von Kultusminister Dr. Huber kürzlich in seiner Antwort auf eine schriftliche Anfrage des Vorsitzenden der FDP-Landtagsfraktion Dr. Klaus Dehler vollauf bestätigt wurde, in absehbarer Zeit so zu verbessern, daß das vom Bayerischen Rundfunk als einziger Rundfunkanstalt der Bundesrepublik ausgestrahlte volle Studienprogramm sowie das darin eingebaute Schulfernsehen möglichst bald von allen Fernsehteilnehmern empfangen werden kann?
Herr Bundesminister, wollen Sie antworten?
In Bayern strahlen zur Zeit zehn Fernsehsender das regionale dritte Fernsehprogramm, das sogenannte Studienprogramm, ab. Zwei weitere Fernsehsender stehen kurz vor der Inbetriebnahme. Mit diesen zwölf Fernsehsendern, die für die Abstrahlung des dritten Fernsehprogramms zunächst zugesagt waren, können über 51 % der Bevölkerung Bayerns dieses Programm empfangen. In den Jahren 1966 und 1967 werden voraussichtlich weitere fünf Fernsehsender — Amberg, Hof, Hoher Bogen, Grünten und Rhön — den Betrieb aufnehmen können. Nach Inbetriebnahme dieser Fernseh-
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666 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Januar 1966
Bundesminister Stücklensender kann eine wesentliche Verbesserung der Versorgung mit dem dritten Fernsehprogramm erwartet werden, die auf rund 65 % der Bevölkerung Bayerns geschätzt wird.Der weitere Ausbau des Fernsehnetzes für das 3. Programm kann jedoch wegen fehlender Investitionsmittel nicht mehr beschleunigt werden, zumal der Aufbau der technischen Einrichtungen für das zweite Fernsehprogramm den Vorrang im Aufbau vor den Einrichtungen des dritten Programms hat.Im übrigen darf ich Ihnen eine Zahl mitteilen, die Sie als aus Bayern kommender Abgeordneter des Bundestags sicher angenehm überraschen wird. Der Anteil Bayerns an den Gesamtinvestitionen der Deutschen Bundespost für die technischen Einrichtungen der regionalen dritten Fernsehprogramme im Bundesgebiet beträgt 32,7 %. Das nächstfolgende Land Niedersachsen hat einen Anteil von 19,3 %, Nordrhein-Westfalen hat 16,2 %. Von einer Benachteiligung Bayerns kann also überhaupt nicht die Rede sein. Ich hoffe, daß Ihre Frage, Herr Abgeordneter, nun nicht die Forderung der anderen Länder mit sich bringen wird, mindestens genauso bedient zu werden wie Bayern.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, wie erklären Sie sich dann die Tatsache, daß der bayerische Kultusminister Dr. Huber in einer Antwort auf eine schriftliche Anfrage vor wenigen Wochen feststellen mußte, daß in Bayern erst 40 % der Bevölkerung vom dritten Fernsehprogramm erreicht würden und auch bei Inbetriebnahme der jetzt vorgesehenen Sender erst 50 %?
Ich habe hier mitgeteilt, daß mit den zwölf Sendern, wenn sie fertig sind — zwei davon stehen kurz vor der Fertigstellung —, 51 % der Bevölkerung in Bayern das 3. Programm empfangen können. Das liegt etwa im Bundesdurchschnitt der übrigen Länder.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Minister, Sie sprachen vom Bundesdurchschnitt der übrigen Länder und von Niedersachsen. Ist die hohe Investitionsquote, die jetzt für Bayern vorgesehen ist, vielleicht darauf zurückzuführen, daß im Bereich des Norddeutschen Rundfunks 65 % und beim Westdeutschen Rundfunk etwa 75 % schon vom dritten Fernsehprogramm erreicht werden, so daß jetzt ein Nachziehen notwendig wurde?
Herr Abgeordneter, erstens ist nicht beabsichtigt, diese Investitionen durchzuführen, sondern diese Investitionen — die 37 % —sind bereits durchgeführt. Zweitens: ich bin für die topographischen Verhältnisse in Bayern in der Tat nicht verantwortlich. Wenn ich der Schöpfer wäre, würde ich Bayern jedoch wieder genauso gestalten wie es heute ist, mit Bergen, Tälern und Seen.
Das bedeutet aber, Herr Abgeordneter, daß bei topographischen Schwierigkeiten entsprechend mehr Sender gebaut werden müssen, und das kostet Geld und Zeit.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Minister, Sie bestätigen mit Ihrer letzten Antwort wohl noch einmal, daß Bayern vordringlich behandelt werden muß, weil dort eben andere topographische Verhältnisse bestehen als beispielsweise in Niedersachsen.
Herr Abgeordneter, Sie dürfen sicher sein, daß der aus Bayern stammende Bundespostminister Bayern nicht benachteiligen wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hofmann .
Herr Bundesminister, wie ist es dann zu verstehen, daß die sogenannte DDR mit den topographischen Schwierigkeiten Bayerns besser zurechtkommt als das Deutsche Fernsehen selbst?
— Es ist leider so.
Herr Abgeordneter, ich habe Sie
— sicher wegen akustischer Mängel — nicht verstanden. Darf ich Sie bitten, Ihre Frage zu wiederholen.
Herr Minister, wie ist es zu verstehen, daß — für uns leider — die Fernsehsendungen aus der sogenannten DDR bei uns besser ankommen? Liegt das daran, daß die sogenannte DDR mit den topographischen Schwierigkeiten gerade im Zonenrandgebiet besser zurechtkommt als unser Fernsehen?
Herr Abgeordneter, die Sender der Zone befinden sich im Bereich des sogenannten Ersten Programms. Um die gleiche Wirkung zu erzielen, müßten also die Sender des Ersten Programms ausgebaut werden. Das wäre erforderlich, wenn Sie erreichen wollen, daß diese Sender über die Grenze strahlen. Denn die Frequenzbereiche des Zweiten und des Dritten Programms können ohne Zusatzeinrichtungen in der Zone ohnedies nicht empfangen werden. Wegen der Polizeikontrolle in der Zone ist es, wie Sie ja wissen, eben nicht möglich, daß die Fernsehempfänger in der Zone sich zusätzlich Antennen anbringen lassen. Denn jeder würde sofort erkennen, daß sie zu dem Zweck an-
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Bundesminister Stücklengebracht sind, das westdeutsche Zweite oder Dritte Programm empfangen zu können.
Keine weiteren Fragen. Damit sind die Fragen aus diesem Geschäftsbereich erledigt.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich rufe zunächst die Fragen X/1, X/2 und X/3 des Abgeordneten Fellermaier sowie die Frage X/4 des Abgeordneten Ertl auf :
Ist die Bundesregierung der Ansicht, daß die in mehreren Bundesländern - zuletzt in beängstigendem Umfang in Bayern — stärker aufgetretene Maul- und Klauenseuche unter Kontrolle gebracht werden kann?
Treffen Pressemeldungen zu, wonach die erforderlichen MKS-
Impfstoffmengen zur Zeit nicht verfügbar sind, um die notwendigen Impfaktionen rasch durchführen zu können?
Ist die Bundesregierung bereit, bei der EWG-Kommission in Brüssel darauf hinzuwirken, daß die Seuchenbekämpfung in der Gemeinschaft wirkungsvoller als bisher koordiniert wird?
Wieviel Anträge zur Bezuschussung für technische Anlagen bei Futterbaubetrieben konnten im Haushaltsjahr 1965 nicht mehr berücksichtigt werden?
Die Fragesteller haben sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antworten des Bundesministers Höcherl lauten:
Zu 1.
In den Ländern Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sind — verursacht durch sehr aggressive und zur Expansion neigende Virusarten — verstärkt Maul- und Klauenseuchefälle aufgetreten; in Süddeutschland eingeschleppt aus der Schweiz, in Nordwestdeutschland aus den Niederlanden. Die Veterinärverwaltungen der Länder unternehmen alle Anstrengungen mit Abschlachtungsmaßnahmen, Ringimpfungen um die Seuchenherde und veterinärpolizeiliche Sperrmaßnahmen, um das Seuchengeschehen unter Kontrolle zu bekommen und ein Vordringen der Seuche zu verhindern. Inwieweit dies gelingen wird, läßt sich angesichts des komplexen biologischen Geschehens bei einem Seuchengang nicht mit Sicherheit beurteilen.
Zu 2.
Die zur Immunisierung der Rinderbestände benötigte Maul-und Klauenseuche-Vakzine ist nur beschränkt haltbar. Es ist infolgedessen nicht möglich, für den gesamten Rinderstapel der Bundesrepublik in Höhe von rd. 13,5 Mill. Tieren Vakzine zu lagern. Der Preis pro Liter Vakzine beträgt 613,— DM. Es ist somit zutreffend, daß bei den Anfang Januar 1966 explosionsartig auftretenden Seuchenausbrüchen nicht überall ausreichende Impfstoffmengen zur Verfügung standen. Inzwischen läuft die Produktion der Impfstoffwerke auf Hochtouren. Ebenso sind Verhandlungen mit der französischen Regierung über die Lieferung von Vakzine erfolgreich verlaufen.
Zu 3.
Seit Beginn der Verhandlungen über die Harmonisierung des Veterinärrechts bei der EWG-Kommission in Brüssel sind die Leiter der Veterinärverwaltungen der Partnerstaaten im engsten Kontakt, um die Seuchenbekämpfungsmaßnahmen aufeinander abzustimmen. Diese Kontakte haben sich gerade bei dem derzeitigen Seuchengeschehen im europäischen Raum voll bewährt.
Zur Frage X/4 des Abgeordneten Ertl:
Für den Bau von Grünfuttersilos, Unterdachtrocknungsanlagen und Gülleanlagen wurden den Ländern aus Titel 618 a und aufstockend aus Titel 573/2 im Rechnungsjahr 1965 Mittel in Höhe von 24 269 000,— DM bereitgestellt. Es ist nicht möglich, Angaben über die Zahl der Anträge zu machen, die hieraus im vergangenen Jahr nicht befriedigt werden konnten. Ich fasse Ihre Frage aber auch so auf, daß es Ihnen auf den Betrag ankommt, der fehlte, um alle eingegangenen Anträge zu befriedigen.
Auf meine Rückfragen bei den Ländern haben diese im Oktober 1965 — in zwei Fällen durch schriftliche Angaben im Dezember 1965 ergänzt — einen Fehlbetrag in Höhe von insgesamt 25 800 000,— DM angegeben. In dieser Höhe haben also den Ländern Anträge auf Zuschüsse nach den Richtlinien des Vorjahres vorgelegen, die aus den bereitgestellten Mitteln nicht befriedigt werden konnten. Davon entfielen allein auf Bayern 13 Mill. DM, während das Land Nordrhein-Westfalen keine Überhänge gemeldet hat.
Ich rufe die Fragen X/5 und X/6 des Abgeordneten Schmidt sowie die Fragen X/7 und X/8 des Abgeordneten Leicht auf:
In welcher Weise hat die Bundesregierung bisher von der in der EWG-Milchmarktordnung bis zum März 1966 vorgesehenen Erstattungsmöglichkeit für Emmentaler-Export in die EWG-
Länder Gebrauch gemacht, um dadurch das Gleichgewicht auf dem Inlandmarkt wiederherzustellen und die Exportgefährdung für deutschen Emmentaler, insbesondere nach Italien, infolge der billigeren Lieferungen aus EFTA-Ländern in dieses Land zu verhindern?
Wird die Bundesregierung im Grünen Plan 1966 die Förderungsmittel für technische Anlagen für Futterbaubetriebe so einsetzen, daß in Zukunft die nach den Bestimmungen berechtigten Antragsteller die ihnen zugestandenen Zuschüsse zeitgerecht auf Grund ihrer Anträge erhalten und nicht durch Überhang von noch nicht erledigten Anträgen aus dem Vorjahr die Landwirtschaftsämter diese Mittel erst mit einjähriger Verspätung zur Auszahlung bringen können?
Ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß die Preissituation und die Versorgungslage bei Wein keine Kontingenterhöhung oder zusätzliche Einfuhren erforderlich machen?
Wird die Bundesregierung bei den kommenden Verhandlungen in Brüssel keine weiteren Zugeständnisse zur Erhöhung der Weineinfuhrkontingente machen?
Die Fragesteller haben sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antworten liegen noch nicht vor. Sie werden nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung. Ich rufe die Fragen XIV/1, XIV/2 und XIV/3 des Abgeordneten Dr. Jahn auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die in der Stadt Braunschweig befindlichen 4 Bundesforschungsanstalten:
Forschungsanstalt für Landwirtschaft,
Physikalisch-Technische Bundesanstalt,
Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft, Deutsche Forschungsanstalt für Luftfahrt
von eventuellen Kürzungen und Sperrungen der Haushaltsmittel auszunehmen?
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, damit in den Bundesforschungsanstalten durch die im Zuge der Preissteigerungen eingetretenen Einsparungen der Beschaffung wesentlicher Fachliteratur und Periodika die wissenschaftlichen Arbeitsgrundlagen nicht gehemmt werden?
Wird die Bundesregierung wie andere große Industrie-Nationen bereit sein, naturwissenschaftlich-technische Attachés an die wichtigsten Botschaften zu entsenden?
Auch hier hat sich der Fragesteller mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antworten liegen noch nicht vor. Sie werden nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Wie ich höre, ist die Frage XIV/4 der Abgeordneten Frau Freyh zurückgestellt. Dann rufe ich die Frage XIV/5 des Abgeordneten Dr. Schultz auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung das Memorandum der Westdeutschen Rektorenkonferenz über die Bundesmittel für den Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen im Jahre 1966?
Die Frage wird von dem Abgeordneten Rau aufgenommen. Ist jemand vom Ministerium zur Beantwortung anwesend? — Nein. Das ist offenbar nicht gut möglich, denn ursprünglich wurde festgestellt, daß die Frage zurückgestellt werden solle. Deshalb ist niemand vom Ministerium hier. Auch diese Frage muß also zurückgestellt bleiben.
Wir kommen zu der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Es handelt sich um eine Frage des Abgeordneten Rollmann:
Mit welchem Erfolg hat der Bundesjustizminister auf der Justizministerkonferenz darauf hingewirkt, daß zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Bundesländern ein Abkommen über die Errichtung, die Aufgaben und die Finanzierung eines zentralen Instituts zur Ausbildung und Fortbildung von Strafvollzugsbediensteten abgeschlossen wird?
Bitte, Herr Bundesjustizminister!
Über die Ausführung des Beschlusses des 4. Deutschen Bundestages vom 25. Mai letzten Jahres habe ich in
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Bundesminister Dr. Jaegerdiesen Tagen dem Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages bereits eine schriftliche Antwort gemäß § 115 der Geschäftsordnung übersandt. Ich bitte mich deshalb hier auf die Mitteilung beschränken zu dürfen, daß gegenwärtig die Voraussetzungen für ein Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Bundesländern über die Errichtung, die Aufgaben und die Finanzierung eines zentralen Instituts zur Ausbildung und Fortbildung der Strafvollzugsbediensteten noch nicht gegeben sind. Die 33. Justizminister-Konferenz vom 27. bis 29. Oktober 1965 in Bremen gab der Überzeugung Ausdruck, daß die Entscheidung über die Zweckmäßigkeit und Ausgestaltung eines solchen Instituts erst getroffen werden kann, wenn ausreichende Erfahrungen bei der Durchführung überregionaler Lehrgänge, die in Aussicht genommen wurden, gesammelt worden sind. Ich werde, sobald dies tunlich erscheint, anregen, das Anliegen erneut in die Tagesordnung einer künftigen Justizminister-Konferenz einzubeziehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rollmann.
Obwohl, Herr Minister, meiner Frage an die Regierung ja ein einstimmiges Ersuchen des Bundestages an die Bundesregierung zugrunde liegt, ist es Ihnen also nicht möglich, hier nähere Erläuterungen zu geben, warum diesem Ersuchen des Bundestages nicht stattgegeben werden kann?
Nähere Erläuterungen, Herr Kollege Rollmann, habe ich in dem an den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages gerichteten Brief dargelegt, der heute oder morgen hier als Drucksache erscheinen dürfte.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft die Fragen IX/2-4 des Abgeordneten Dr. Gleissner auf:
Ist es richtig, daß Mißbrauch im Abzahlungsgeschäft eine zunehmende und besorgniserregende Tendenz hat?
Verfügt die Bundesregierung über Unterlagen oder ist sie in der Lage, sich diese zu beschaffen, aus denen eine erhebliche Steigerung der Autokäufe über Abzahlungsvereinbarungen und Wechselgeschäfte hervorgeht, vor allem im Hinblick auf jugendliche Käufer und auf Lohnverpfändungen?
Wie groß ist die Zahl der Wechselgeschäfte beim Autokauf?
Diese Fragen sollen vom Herrn Bundesminister der Justiz beantwortet werden. Ist der Abgeordnete Gleissner im Saal? — Das scheint nicht der Fall zu sein. Werden die Fragen übernommen? — Meldet sich niemand? — Die Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf, zunächst die Frage II/1 des Abgeordneten Dorn:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß junge Beamte auf Probe und Beamte im Vorbereitungsdienst, die zur Ableistung des Wehrdienstes herangezogen werden, später als die nicht zum Wehrdienst einberufenen angestellt werden, da die Anstellung in der Regel erst nach Ableistung der Probezeit erfolgen kann?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, darf ich die beiden vom Herrn Abgeordneten Dorn gestellten Fragen gemeinsam beantworten?
Ich nehme an, daß der Fragesteller einverstanden ist, und rufe auch die Frage II/2 des Abgeordneten Dorn auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die in der in Frage II/1 geschilderten unterschiedlichen Behandlung der Beamten auf Probe und der Beamten im Vorbereitungsdienst liegende Härte zu beseitigen, beispielsweise durch eine Änderung des § 9 des Arbeitsplatzschutzgesetzes vom 30. März 1957 , zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. März 1962 (BGBl. I S. 169) ?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, der Bundesregierung ist bekannt, daß die Regelung des gültigen Arbeitsplatzschutzgesetzes, nach der die Probezeit und der Vorbereitungsdienst der Beamten um die Zeit des Grundwehrdienstes verlängert werden, eine spätere Anstellung der Beamten zur Folge hat. Die Bundesregierung ist bemüht, die darin liegende Härte durch eine Änderung des Arbeitsplatzschutzgesetzes zu beseitigen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dorn.
Herr Staatssekretär, können Sie ungefähr schon sagen, ob sich das auch auf die Soldaten auswirken kann, die im nächsten Jahr einberufen werden und ihrer Dienstpflicht genügen müssen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das hängt von der Gesetzgebung ab, die Sie zu beschließen haben werden. Ich könnte mir vorstellen, daß man eine derartige Regelung findet.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dorn.
Herr Staatssekretär, Ihnen ist aber bekannt, daß die Bundesregierung, bevor wir die Dinge beraten können, eine Vorlage machen muß. Wann können wir mit dieser Vorlage rechnen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Nichtanrechnung des Wehrdienstes wirkt sich nicht nur für die Beamten nachteilig aus, sondern für all diejenigen, die nach Abschluß ihrer Ausbildung eine weitere Prüfung im Beruf ablegen wollen, die eine praktische Ausbildungszeit zur Voraussetzung hat, z. B. die Ablegung der Meisterprüfung bei den Handwerkern. Diese Regelungen sollen in die Gesamtregelung einbezogen werden. Darüber besteht noch nicht völlige Übereinstimmung. Das ist der einzige Grund, weshalb die Gesamtregelung noch nicht vorgelegt worden ist.
Keine weiteren Fragen.
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Vizepräsident SchoettleIch rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesschatzministers auf, zunächst die Frage IV/1 des Abgeordneten Gierenstein:Wie weit ist die Privatisierung im Industriegelände Ebenhausen-Werk , das im Rahmen der Landesplanung Bayern als Industrieschwerpunkt im südlichen Teil des Landkreises Ingolstadt vorgesehen ist, gediehen?Ist der Abgeordnete im Saal? — Ja. Bitte, Herr Staatssekretär.Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Die Privatisierung des IVG-Industriegeländes Ebenhausen-Werk konnte bisher leider noch nicht abgeschlossen werden. Ursachen sind die unterschiedlichen Auffassungen der Beteiligten über den Wert des Industriekomplexes, insbesondere hinsichtlich der dort vorhandenen umfangreichen Versorgungsanlagen, zu denen Anschlußgleise, Straßennetz, Wasserversorgung und Abwassernetz gehören.Der von der IVG beauftragte Sachverständige ermittelte einen Wert, der von den Vorstellungen der zahlreichen Kaufinteressenten erheblich abweicht. Die daraufhin mit der Wertermittlung beaufragte Oberfinanzdirektion München kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Die für die frühere einheitliche Nutzung des Industriekomplexes angelegten Versorgungseinrichtungen sind für die heutigen zahlreichen gewerblichen Mieter jedoch nur von begrenztem Interesse. Daher prüft zur Zeit der Freistaat Bayern, ob ihm die Übernahme des gesamten Industriegeländes zum Zwecke der Weiterveräußerung an die einzelnen Werke möglich ist. Eine nochmalige Wertüberprüfung der Versorgungsanlagen ist damit verbunden.
Herr Minister, ich muß mich bei Ihnen entschuldigen. Ich habe Sie mit Ihrem Staatssekretär verwechselt.
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Keine Ursache; ich habe zur Zeit keinen.
Eben. Aber wir sind hier fast daran gewöhnt, daß die Fragestunde die Stunde der Staatssekretäre ist,
und deshalb bitte ich, mir die Verwechslung nachzusehen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Strohmayr.
Herr Bundesminister, wie ist es möglich, daß die Frage Ebenhausen nun schon acht Jahre lang hin und her geschoben wird? Als ich noch Mitglied des Bayerischen Landtages war, habe ich verschiedene Male — —
Das ist eine Erklärung.
Ich habe die Frage zuerst gestellt. — Schon als Referent im Bayerischen Landtag habe ich sie behandelt, und jetzt kommt sie nach acht Jahren in den Bundestag.
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister, Herr Kollege Strohmayr, in der Zeit, in der Sie im Bayerischen Landtag tätig waren, war ich noch gar nicht Schatzminister.
Ich kann Ihnen nur sagen: Das Hauptthema hier ist die Bewertung. Der Bund kann und darf nichts verschenken. Das kann auch nicht die IVG als eine Bundesgesellschaft.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter.
Herr Bundesminister, es ist Ihnen doch bekannt, daß die allgemeinen Einrichtungen so umfassend und groß, aber auch schon so veraltet sind, daß denjenigen, die hier kaufen wollen, und auch der Gemeinde Ebenhausen nicht zugemutet werden kann, diese Versorgungsleitungen zu übernehmen.
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Ich habe in meiner Antwort eben gesagt, daß die Anlagen zum Teil nur von begrenztem Interesse sind. Trotzdem muß man versuchen, sie entsprechend zu verwerten. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß letzten Endes ein Entscheid der IVG, die ja eine Gesellschaft ist, auch von den rechtlichen Bedingungen abhängt. Die Gesellschaft IVG kann genauso-wenig wie der Bundesschatzminister über die Bewertung hinwegspringen und etwas verschenken.
Ich rufe die Frage IV/2 des Herrn Abgeordneten Gierenstein auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um den Interessen der Gemeinde Ebenhausen und der bei der Industrieverwaltungsgesellschaft m. b. H., Bad Godesberg, eingemieteten kaufwilligen Firmen gerecht zu werden?
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Es wird von dem weiteren Verlauf der Verhandlungen abhängen, ob der Freistaat Bayern das gesamte Werksgelände erwerben will. Bei Erwerb durch den Freistaat Bayern würde es Aufgabe der bayerischen Staatsregierung sein, den Interessen der Gemeinde und der derzeitigen Mieter gerecht zu werden. Bei eventuellem Vertragsabschluß werden auch die Vorstellungen der Gemeinde und der derzeitigen Nutzer von meiner Seite zur Sprache gebracht werden. Sollte dagegen ein derartiges unmittelbares Kaufinteresse nicht vorliegen, so sollte gemeinsam mit der bayerischen Staatsregierung geprüft werden, ob den kaufwilligen industriellen Mietern nicht mit sonstigen staatlichen Förderungsmaßnahmen geholfen werden kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhm.
Herr Minister, haben Sie eine klare Vorstellung darüber, wer die Trägerschaft der Ver-
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Böhmsorgungsanlagen im Industriegelände Ebenhausen übernehmen soll?Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Ich habe darauf hingewiesen, daß die Bewertung gerade dieser Einrichtungen sehr schwierig ist. Bei Verkauf im einzelnen muß das entsprechend umgelegt werden. Bei Verkauf insgesamt haben wir eine andere Lage. Ich glaube, daß der Gedanke, mit dem Freistaat Bayern zu einer Lösung zu kommen, der beste wäre.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Böhm.
Herr Minister, welche Hilfen sollen den betroffenen Firmen konkret gewährt werden, nachdem sich, worauf unser Kollege Strohmayr schon hingewiesen hat, die Bemühungen zur Seßhaftmachung der Firmen bereits acht Jahre hinziehen?
Dr. Dollinger, Bundesschatzminister: Es gibt in Bayern eine Reihe von Förderungsprogrammen, die zum Teil vom Bund ergänzt werden. Ich kann mir vorstellen, daß bei einem Verkauf entsprechende Förderungsmaßnahmen Bayerns und des Bundes vorgesehen werden. Im einzelnen kann man sich im Augenblick nicht festlegen, weil es darauf ankommt, was geschieht.
Die Fragen sind erledigt.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Frage VI/1 des Herrn Abgeordneten Dr. Becher :
Können nähere Angaben über Vorgeschichte und Durchführung des Verfahrens gemacht werden, das Ende 1965 in der serbischen Stadt Zrenjanin zu einem Todesurteil über den deutschen Staatsbürger Johann Zirisan führte?
Bitte, Herr Staatssekretär Carstens.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Über den in Ihrer Frage, Herr Abgeordneter, genannten Johann Zirisan hat folgendes festgestellt werden können:
Zirisan wurde in Jugoslawien als jugoslawischer Staatsangehöriger geboren. Während des Krieges trat er im Alter von 19 Jahren in Jugoslawien in die Hilfspolizei ein, die dort von deutschen Dienststellen aufgestellt worden war. Bei der Räumung Jugoslawiens im Herbst 1944 ging er mit den deutschen Truppen nach Ungarn. Im Oktober 1944 ging er mit einem Angehörigen seiner Einheit über die Grenze nach Jugoslawien, um sich dort Lebensmittel zu beschaffen. Hierbei gerieten er und sein Begleiter mit einem Bauern in Streit, angeblich weil sie mit der Größe eines Stücks Speck nicht zufrieden waren, das ihnen der Bauer geben wollte. Im Laufe des Streites wurde der Bauer erschossen. Zirisan behauptete, sein Begleiter habe den Bauern getötet. Die Tochter des Bauern, die bei dem Vorfall zugegen war, bekundete jedoch, daß Zirisan den Bauern erschossen habe. Diese Angaben werden von weiteren Zeugen bestätigt.
Nach der deutschen Kapitulation ging Zirisan im Sommer 1945 nach Jugoslawien zurück und trat in die kommunistische Volkspolizei ein. Im Oktober 1945 hörte er, daß ein jugoslawischer Soldat, der in einem Gefangenenlager Deutsche bewachen sollte, seinen Dienst vernachlässige. Obwohl er als Angehöriger der Volkspolizei gegenüber einem Soldaten keine Befugnisse hatte, begab er sich in das Gefangenenlager, um den Soldaten zu entwaffnen und festzunehmen. Als der Soldat Zirisan aufforderte, das Lager zu verlassen, wurde er von diesem erschossen. Zirisan behauptet, sein Gewehr habe sich von selbst entladen. Zeugen bekunden jedoch, daß es ein gezielter Schuß gewesen sei, den Zirisan knieend abgegeben habe.
Auf Anordnung der jugoslawischen Gerichtsbehörden wurde Zirisan in Haft genommen. Er entwich noch am selben Tage aus dem Gefängnis und kam nach Deutschland. Hier beschaffte er sich unter falschem Namen einen Vertriebenenausweis A. Später erreichte er auf Grund unrichtiger Angaben, daß der Vertriebenenausweis A auf seinen wahren Namen umgeschrieben wurde. Auf Grund des Vertriebenenausweises A wurde ihm ein Bundespersonalausweis und auf Grund des Personalausweises schließlich ein deutscher Reisepaß ausgestellt.
Im Sommer 1965 besuchte Zirisan seine Mutter in Jugoslawien und wurde dort verhaftet. Im Dezember 1965 wurde er von einem jugoslawischen Gericht wegen Tötung eines jugoslawischen Soldaten, der sich in Ausübung des Dienstes befand, zum Tode durch Erschießen verurteilt. Wegen der Tötung des Bauern erhielt er eine Zusatzstrafe von 15 Jahren Gefängnis. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, weil Berufung eingelegt worden ist.
Zirisan war bis zu seiner Flucht aus Jugoslawien im Oktober 1945 zweifellos jugoslawischer Staatsangehöriger. Ob er diese Staatsangehörigkeit nachher verloren hat, ist nicht bekannt. Die deutsche Staatsangehörigkeit ist ihm nach Auskunft der zuständigen deutschen Stellen nicht verliehen worden. Von jugoslawischer Seite wird Zirisan als Angehöriger der rumänischen Volksgruppe angesehen. Anhaltspunkte für eine deutsche Volkszugehörigkeit sind der Bundesregierung nicht bekannt.
Ich rufe auf die Frage VI/2 des Abgeordneten Dr. Becher .
Welche Maßnahmen können getroffen werden, um deutsche Ferienreisende auf die Gefahren aufmerksam zu machen, die ihnen von seiten der jugoslawischen Justiz drohen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach Feststellung der Bundesregierung drohen deutschen Ferienreisenden im allgemeinen keine Gefahren von seiten der jugoslawischen Justiz.Die Bundesregierung und die deutsche Presse haben jedoch wiederholt auf Risiken hingewiesen, denen in Einzelfällen deutsche Reisende in den osteuropäischen Staaten ganz allgemein ausgesetzt sind.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Januar 1966 671
Staatssekretär Dr. CarstensJeder Deutsche, der osteuropäische Staaten besuchen will, sollte prüfen, ob die Behörden dieser Länder einen Anlaß haben könnten, gegen ihn vorzugehen. Eine besonders sorgfältige Prüfung der mit einer Reise in osteuropäische Staaten verbundenen Risiken ist denjenigen Personen zu empfehlen, die sich dort während des zweiten Weltkrieges aufgehalten haben, die aus diesen Ländern stammen oder gar von ihnen als eigene Staatsangehörige in Anspruch genommen werden.Ich möchte schließlich in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen hinweisen, die ich in der Fragestunde der 124. Sitzung des IV. Deutschen Bundestages am 29. April 1964 gemacht habe. Damals habe ich auf das besondere Sicherheitsrisiko hingewiesen — und ich darf das wiederholen —, welches bei Reisen in osteuropäische Staaten für solche Deutsche besteht, die aus der SBZ geflüchtet sind.Es ist selbstverständlich — das möchte ich abschließend hervorheben —, daß die Bundesregierung allen Deutschen, die im Ausland in Schwierigkeiten geraten, beisteht. Jedoch sind die Möglichkeiten einer wirksamen Hilfe in den osteuropäischen Ländern beschränkt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bühler.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß insbesondere Jugoslawien jeden, der einmal jugoslawischer Staatsangehöriger war, auch heute noch als solchen behandelt? Diese Auskunft ist mir gegeben worden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das kann ich nicht in dieser Form bestätigen, Herr Abgeordneter. Ich werde es aber feststellen und mir erlauben, die Antwort schriftlich zu geben.
Ich darf hinzufügen, daß Zirisan bei uns als Volksdeutscher gilt. Er ist in meinem Wahlkreis, und ich habe mich mit dieser Sache intensiv beschäftigt. Darf ich noch fragen, ob wir ihm Rechtsschutz gewähren oder ob eine andere Macht für ihn eintritt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach unseren Unterlagen ist Zirisan nicht Volksdeutscher, und nach der Darstellung, die ich hier gegeben habe, können wir ihm nicht Rechtsschutz gewähren.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Prochazka.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß es in letzter Zeit an den Grenzübergängen nach Jugoslawien zu langen Wartezeiten kam, weil man anscheinend willkürlich einreisende Deutsche bis zu neun Stunden festgehalten hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, das ist mir nicht bekannt, Herr Abgeordneter.
Noch eine Frage.
Ist die Bundesregierung bereit, diese neue Situation zu überprüfen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dazu bin ich gern bereit.
Keine weiteren Fragen.
Ich rufe die Frage VI/3 des Abgeordneten Dr. Becher auf:
Durch welche Maßnahmen kann Jugoslawien dazu bewogen werden, auch eigene Staatsbürger vor ein Gericht zu stellen, die sich an der Ermordung von deutschen Kriegsgefangenen und von Jugoslawien-Deutschen beteiligt haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung verfügt weder über eine rechtliche noch über eine politische Handhabe, andere Staaten dazu zu bewegen, eigene Staatsbürger vor Gericht zu stellen. Wir können und werden jedoch immer wieder der Erwartung Ausdruck geben, es möge sich auch in den osteuropäischen Staaten die Erkenntnis durchsetzen, daß Gerechtigkeit unteilbar ist und daß die gleiche Behandlung gleichartiger Fälle ein Gebot der Gerechtigkeit ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Becher.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß von den ungefähr 800 000 Jugoslawiendeutschen ein gutes Zehntel bei der Austreibung ermordet wurde und daß ebensoviele oder fast ebensoviele Kriegsgefangene zugrunde gingen? Ist die Bundesregierung bereit, darüber eine Dokumentation so zu veröffentlichen, daß sie in der Welt wirklich bekannt wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, der Bundesregierung ist bekannt, daß ein großer Teil der Volksdeutschen und der Kriegsgefangenen, die sich in Jugoslawien aufhielten oder dort in Gefangenschaft waren, ums Leben gekommen ist. Es ist der Bundesregierung auch bekannt, daß es darüber bereits Veröffentlichungen gibt.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordnete Dr. Becher.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, angesichts der einseitigen Rechtspolitik Jugoslawiens die Frage einer weiteren Intensivierung des Reiseverkehrs deutscher Staatsbürger nach Jugoslawien zu überprüfen, solange sich diese Lage nicht ändert?
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672 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Januar 1966
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung wirkt nicht von sich aus auf eine weitere Intensivierung des Reiseverkehrs hin.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Borm.
Ist die Bundesregierung bereit, zu überprüfen, ob in den außerdeutschen Ländern Vorschriften bestehen, nach denen eine Verjährung eintritt, und ist sie bereit, bei den Ländern, in denen so etwas vor der Tür steht, zu intervenieren, um noch vor Ablauf der Frist ihre Meinung zur Geltung zu bringen, daß gleiche Behandlung für gleiche Straftaten erforderlich ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung wird diese ihre Meinung in geeigneter Weise zum Ausdruck bringen — ohne daß ich jetzt im einzelnen angeben möchte, in welcher Weise das geschehen kann.
Keine weiteren Fragen.
Die Fragen VI/4 und VI/5 werden von dem Abgeordneten Müller gestellt:
Stimmt es, daß West-Berliner Firmen während der deutschen Chemieausstellung in Moskau im Gegensatz zu der ursprünglichen Übereinstimmung mit der sowjetischen Ausstellungs-
Direktion — wonach sie im Pavillon der Bundesrepublik gemeinsam mit westdeutschen Firmen ausstellen sollten — die Bezeichnung „West-Berlin" aufgeben und ihren Filialsitz in Westdeutschland angeben mußten?
Stimmt es ferner, daß andere West-Berliner Firmen, die außerhalb des deutschen Pavillons ausstellten, anstelle des Schildes Bundesrepublik Deutschland" die Bezeichnung West-Berlin" führen mußten und daß außerdem die Berliner Flagge gehißt wurde, so daß der Eindruck entstehen mußte, Berlin-West sei ein von der Bundesrepublik getrennter Staat?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor, sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Ich rufe die Frage VI/6 des Abgeordneten Liehr auf:
War sich die Bundesregierung bei Abschluß des EWG-Vertrades vom 23. März 1957 und der gleichzeitigen Unterzeichnung des Protokolls über den innerdeutschen Handel der Tatsache bewußt, daß die SBZ nach dem Vertrag möglicherweise bei Warenlieferungen in die Partnerstaaten als Drittland angesehen werden könnte?
Ist Herr Abgeordneter Liehr im Hause? — Ja! Bitte, Herr Staatssekretär, wollen Sie die Antwort geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darf ich die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Liehr zusammen beantworten?
Sind Sie einverstanden, Herr Abgeordneter Liehr?
— Dann rufe ich zugleich die Frage VI/7 des Abgeordneten Liehr auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, etwaige nachteilige Folgen, die sich aus der Behandlung der SBZ als Drittland ergeben könnten, durch Änderung des Vertrages und der Verordnungen Nr. 25 und 17/64/EWG anzustreben, oder hat die Bundesregierung schon Maßnahmen ergriffen, um eine weitere Subventionierung von
Agrarexporten der übrigen Mitgliedstaaten in die SBZ durch I den Fonds auszuschließen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auch bei Abschluß des EWG-Vertrages hat die deutsche Regierung den Erfordernissen unserer Wiedervereinigungspolitik Rechnung getragen. Sie hat darauf gedrungen, daß das „Protokoll über den innerdeutschen Handel und die damit zusammenhängenden Fragen" Bestandteil des EWG-Vertrages wurde; es gilt damit für sämtliche Regelungen auf Grund des EWG-Vertrages einschließlich der Verordnungen Nr. 25 und Nr. 17. Danach ist die SBZ nach unserer Ansicht im Verhältnis zur EWG nicht Drittland, sondern ein Gebiet besonderer Art.
Wo sich in der EWG die Notwendigkeit ergab, hat die deutsche Regierung für entsprechende Regelungen gesorgt. So wurde z. B. die SBZ nicht in die von der Gemeinschaft für handelspolitische Zwecke aufgestellte Liste der Staatshandelsländer aufgenommen.
Bei Abrechnung des EWG-Agrarfonds für das Wirtschaftsjahr 1962/63 hat sich in den letzten Wochen die Frage ergeben, ob Erstattungen unserer EWG-Partner für Agrarausfuhren in die SBZ aus dem Fonds rückvergütungsfähig sind. Die Kommission hat diese Erstattungen in einer Globalentscheidung über die Rückvergütungen vorläufig einbezogen; sie hat dabei jedoch erklärt, daß sie die Frage nochmals überprüfen und ihre Entscheidung gegebenenfalls revidieren wolle.
Die deutsche Delegation hat im EWG-Ministerrat am 20. Dezember 1965 nachdrücklich darauf hingewiesen, daß sie eine Finanzierung von Ausfuhrrückerstattungen für Lieferungen unserer Partner in die SBZ ablehnt. Sie hat ferner gefordert, daß sich der EWG-Ministerrat zu sechst möglichst bald mit diesem wichtigen politischen Problem befaßt. Diese Aussprache im Rat hat aus den bekannten Gründen noch nicht stattfinden können.
Das Bundeskabinett hat die deutsche Haltung, die ich soeben dargelegt habe, in seiner letzten Sitzung ausdrücklich bestätigt. Die Bundesregierung wird darauf hinwirken, daß bei Lieferungen von Agrarerzeugnissen aus den EWG-Mitgliedstaaten an die SBZ keine Ausfuhrerstattungen gewährt werden.
Eine Frage, Herr Abgeordneter Liehr.
Herr Staatssekretär, warum hat die Bundesregierung nicht schon vor Jahren Verwahrung dagegen eingelegt, daß die SBZ im Zusammenhang mit landwirtschaftlichen Importen der Mitgliedstaaten von dort als Drittland behandelt und die Einfuhr aus der SBZ mit Drittlandabschöpfungen belegt worden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Soweit ich weiß, Herr Abgeordneter, ist das Problem vor kurzem zum erstenmal aufgetreten.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Liehr.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 17, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Januar 1966 673
Herr Staatssekretär, rechnet die Bundesregierung mit der Möglichkeit, daß durch Mehrheitsbeschluß ein Handelsvertrag zwischen der Gemeinschaft und der SBZ abgeschlossen wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mit dieser Möglichkeit rechnet die Bundesregierung nicht, Herr Abgeordneter.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Liehr.
Trifft es zu, Herr Staatssekretär, daß der Ministerrat der EWG, selbst wenn er sich gegen eine Rückerstattung bei landwirtschaftlichen Exporten an die SBZ aussprechen sollte, damit die Kommission nicht verpflichten könnte, genauso zu entscheiden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Kommission hat, wie ich vorhin gesagt habe, sich ihrerseits bereit erklärt, die Frage zu überprüfen.
Keine weitere Frage mehr. Frage VI/8 des Abgeordneten Strohmayr:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung Griechenland und der Türkei in beträchtlichem Umfange Militärhilfe zugesagt hat?
Herr Staatssekretär, wollen Sie die Antwort geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Da es sich um zwei zusammenhängende Fragen handelt, würde ich auch hier um die Erlaubnis bitten, Herr Präsident, die Fragen zusammenhängend zu beantworten.
Einverstanden. Frage VI/9 des Abgeordneten Strohmayr:
Wie kann sichergestellt werden, daß die Militärhilfe der Bundesrepublik im Falle weiterer Auseinandersetzungen auf der Insel Zypern von der einen oder der anderen Seite oder von beiden interessierten Mächten zum Einsatz gebracht wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung gewährt, wie übrigens auch andere NATO-Partner, Griechenland und der Türkei Verteidigungshilfe, deren Zweck es ist, die Verteidigungskraft unserer Bündnispartner und damit der NATO-Südostflanke zu stärken. Die Bundesregierung folgt hiermit wiederholten Beschlüssen und Empfehlungen des Ministerrates der NATO.
Die Einzelheiten der Lieferungen unterliegen der Geheimhaltung. Die Bundesregierung hat jedoch den Bundestagsausschuß für auswärtige Angelegenheiten und den Haushaltsausschuß jeweils über die Lieferprogramme im einzelnen unterrichtet.
In den Abkommen über diese Verteidigungshilfe haben beide Empfängerregierungen erklärt, daß das im Rahmen der Verteidigungshilfe von der Bundesrepublik Deutschland empfangene Material ausschließlich für NATO-Zwecke Verwendung findet.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Strohmayr.
Herr Staatssekretär, stimmt es, daß die angeblich zugesagte Waffenhilfe sich auf zirka 600 bis 700 Millionen DM beläuft und aus dem Verteidigungshaushalt geleistet werden soll?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Zahl stimmt nicht. Ich möchte jedoch davon absehen, hier die Einzelheiten bekanntzugeben. Ich möchte vielmehr um Ihr Einverständnis bitten, daß die Einzelheiten in den beiden dafür zuständigen Ausschüssen erörtert werden.
Noch eine Frage.
Herr Staatssekretär, ist die Einhaltung dieser Zusage — gleich, welche Höhe — auch möglich, nachdem so große Kürzungen im Verteidigungsetat vorgenommen worden sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung wird alle ihr möglichen Anstrengungen machen, um die gegebenen Zusagen gegenüber beiden Ländern einzuhalten.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in ausländischen politischen Kreisen die Meinung vertreten wird, daß die Auseinandersetzung zwischen Türken und Griechen auf Zypern ohne die bereits geleistete Waffenhilfe der Bundesrepublik Deutschland gar nicht möglich gewesen wäre?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wenn diese Meinung vertreten worden sein sollte, dann wäre sie unrichtig.
Keine weiteren Fragen mehr. Die Fragestunde ist damit geschlossen.
Meine Damen und Herren, ich erteile nun das Wort dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen zu einer
Erklärung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt die Gelegenheit, dem Bundestag über den Stand der Verhandlungen des Ministerrats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in Luxemburg und über die deutsche Haltung zu berichten. Die Beratungen in Luxemburg werden morgen fortgesetzt. Sie waren bisher schwierig und werden auch morgen schwierig sein. Wegen der Tragweite der Probleme und Entscheidungen wünscht die Bundesregierung das Hohe Haus zu informieren, ihre bisherige und künftige Linie darzulegen, ihre Sorgen mit dem Hohen Haus zu teilen, seinen Rat zu hören und soweit möglich seine Unterstützung zu finden.Meine Damen und Herren! Um die Probleme dieser Verhandlungen ins rechte Licht zu setzen, be-
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674 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Januar 1966
Bundesminister Dr. Schröderdarf es einer kurzen Erinnerung an die Vorgeschichte. Werfen wir einen Blick zurück auf den 30. Juni 1965 in Brüssel. In jener Nachtsitzung sah sich der Rat vor folgender Situation. Es gab Übereinstimmung in einigen Fragen der Agrarfinanzierung, jedoch Meinungsverschiedenheiten in folgenden Fragen: über den Beitragsschlüssel zum Agrarfonds, über die Dauer der Übergangslösung der Agrarfinanzierung, über die Erweiterung der Haushaltsbefugnisse des Europäischen Parlaments und über die Einzelfragen bei der gleichgewichtigen Entwicklung der Gemeinschaft.Bei diesem Stand der Verhandlungen brach der französische Außenminister Couve de Murville als Präsident des Ministerrats die Verhandlungen ab. Frankreich erhob zwei Vorwürfe. Die Kommission habe mit ihren Vorschlägen ihr Mandat überschritten. Die Partner Frankreichs hätten ihre Zusage für eine endgültige Regelung der Agrarfinanzierung nicht eingehalten. Diese Vorwürfe wurden damals in der Nachtsitzung und später von den fünf anderen Mitgliedern des Ministerrats zurückgewiesen. Sie treffen nicht zu.Die Gründe sind folgende. Erstens: Die Verordnung Nummer 25 über die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik von 1962 sieht vor, daß bis zum 30. Juni 1965 eine Regelung der Agrarfinanzierung vom 1. Juli 1965 bis zum Ende der Übergangszeit beschlossen wird. Diese Verordnung verpflichtet alle Partner gleichmäßig, sich um eine sachgerechte und vernünftige Lösung zu bemühen. Sie gab Frankreich kein Recht, zu verlangen, daß die anderen Partner einseitig den französischen Vorstellungen folgen. Zweitens: Die Kommission handelte im Rahmen des Vertrages und ihres Mandates. Und drittens: Die am 30. Juni noch offenen Fragen hätten bei Fortsetzung der Verhandlungen gelöst werden können.Wie Sie wissen, meine Damen und Herren, praktizierte Frankreich anschließend eine Politik, die man eine „Politik des leeren Stuhls" gegenüber den Gemeinschaften genannt hat. Über diese Haltung wäre vom rechtlichen und politischen Standpunkt manches zu sagen. Ich möchte aber heute nicht näher darauf eingehen, sondern mich auf die Wiedergabe der Tatsachen beschränken.Die Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beschäftigte sich anschließend mit der so entstandenen Lage. Sie verfaßte ein Memorandum unter dem Datum vom 22. Juli 1965. Dieses Memorandum der Kommission enthielt eine Reihe von Zugeständnissen an die Adresse Frankreichs. Es legte die Dauer der Übergangszeit für die Agrarfinanzierung bis 1970 fest. Es sah vor, daß die Gemeinschaft erst nach 1970 eigene Einnahmen erhalten sollte.Einige Wochen später wurde die bisher eingenommene französische Haltung durch den Staatspräsidenten de Gaulle in der Pressekonferenz vom 9. September etwas abweichend verdeutlicht. Präsident de Gaulle sagte damals:Was sich am 30. Juni in Brüssel hinsichtlich derlandwirtschaftlichen Finanzregelung abspielte,hat nicht nur das ständige Sträuben unserer Partner gegen eine Einbeziehung der Landwirtschaft in den Gemeinsamen Markt der Sechs, sondern auch gewisse Irrtümer und Zweideutigkeiten, die in den Verträgen über die Wirtschaftsgemeinschaft der Sechs enthalten sind, ans Licht gebracht. Deshalb war die Krise früher oder später unvermeidlich.Einige Wochen später, am 20. Oktober 1965, führte der französische Außenminister Couve de Murville vor der französischen Nationalversammlung folgendes aus:Eine allgemeine Überprüfung des Ganzen zwingt sich auf, die es gestatten würde, normale Bedingungen der Zusammenarbeit zwischen den Sechs festzulegen, natürlich unter Wahrung der wesentlichen Interessen Frankreichs und vor allem seiner landwirtschaftlichen Interessen.Meine Damen und Herren, ich komme aus dieser Vorgeschichte zu einer kurzen Schlußfolgerung. Der Stand der Verhandlungen über die Agrarfinanzierung in der Nacht zum 30. Juni rechtfertigte weder deren Abbruch noch den heute schon sieben Monate dauernden relativen Stillstand der Gemeinschaften, oder ich sage lieber: ihre relative Bewegungslosigkeit. Der eigentliche Grund der französischen Haltung liegt offensichtlich tiefer. Es geht um die Struktur der Gemeinschaften selbst.Die übrigen Partner der Gemeinschaft bemühten sich in diesen Monaten vielfältig um die Fortsetzung bzw. die Wiederaufnahme der gemeinsamen Arbeit an den gemeinsamen Aufgaben und Problemen. Der Ministerrat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beschloß in einer Sitzung vom 25. und 26. Oktober des letzten Jahres ein Ersuchen an Frankreich mit folgendem Inhalt: die Lösung der Probleme im Rahmen der Verträge, eine Einladung zu einer außerordentlichen Ratstagung ohne Teilnahme der Kommission. Diese Einladung an Frankreich wurde am 30. November und am 20. Dezember 1965 wiederholt. Am 23. Dezember 1965 nahm Frankreich die Einladung an, wünschte aber eine Sitzung außerhalb Brüssels. So kam es zu der außerordentlichen Ratstagung in Luxemburg.Meine Damen und Herren, ich wende mich nun dieser Tagung des Ministerrats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 17. und 18. Januar in Luxemburg zu. Es bestand Übereinstimmung, daß auf dieser Ratstagung mit der Tagesordnung „Die Lage in den Gemeinschaften" die beiden folgenden Punkte behandelt werden sollten: die Anwendung des Mehrheitsstimmrechts und das Auftreten der Kommission.Zunächst nun eine Darlegung der französischen Haltung. Frankreich fordert, daß eine Mehrheitsentscheidung dann nicht stattfindet, wenn ein Land es verlangt, mit anderen Worten: ein uneingeschränktes Veto. Das wäre praktisch die Beseitigung des Mehrheitsprinzips, also eine Vertragsänderung. Zum Auftreten der Kommission hat Frankreich ein Zehn-Punkte-Memorandum vorgelegt, das Punkte von unterschiedlicher Bedeutung enthält. So wird z. B. gefordert, daß die Kommission vor Vorlage
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Januar 1966 675
Bundesminister Dr. Schröderihrer Vorschläge an den Rat die Regierungen der Mitgliedstaaten konsultieren muß. Im übrigen wird eine Änderung der Öffentlichkeitsarbeit der Kommission sowie eine Einschränkung ihrer Selbständigkeit auf dem Gebiete der Außenbeziehungen und schließlich eine verstärkte Finanzkontrolle gefordert.Insgesamt betrachtet würde bei Annahme dieser Vorschläge die Stellung der Kommission erheblich geschwächt, das vom Vertrag geschaffene Verhältnis zwischen den beteiligten Staaten, dem Ministerrat und der Kommission zu Lasten der Kommission verändert, falls nicht rechtlich, so jedenfalls tatsächlich.Gegen Ende der Ratstagung legte die französische Delegation den Entwurf eines Zeitplans mit den französischen Vorstellungen zur Überwindung der — wie es dort heißt — Krise vor. Dieser Zeitplan enthielt folgende Termine: bis Ende Januar Einigung über das Mehrheitsstimmrecht, Einigung über das Verhältnis Rat-Kommission, Einigung über das Datum der Hinterlegung der Ratifikationsurkunden zum Fusionsvertrag; bis zum 7. Februar Genehmigung des Haushalts im schriftlichen Verfahren; bis Ende Februar Einigung über die Zusammensetzung der neuen Kommission, Einigung über das Prinzip des turnusmäßigen Wechsels des Präsidiums; bis Ende März Einigung über die Agrarfinanzierung auf einer normalen Ratstagung; bis Ende April Angleichung der nationalen Zolltarife an den gemeinsamen Zolltarif auf einer normalen Ratstagung.Ich möchte zwei Aspekte dieses Zeitplans hervorheben. Der Zeitplan macht nicht nur Vorschläge für Termine, sondern enthält zusätzliche Bedingungen für die Rückkehr Frankreichs nach Brüssel, nämlich die Festlegung des Termins für die Ratifikation des Fusionsvertrags, was die Klärung der Zusammensetzung der neuen Kommission voraussetzt, sowie die Einführung des Rotationsprinzips für das Präsidium der neuen Kommission. Schließlich fehlt in dem Zeitplan jeder Hinweis auf den gleichgewichtigen Fortschritt der Gemeinschaft, z. B. Beschlüsse für die Kennedy-Runde. Dagegen tritt die Agrarfinanzierung mit absolutem Vorrang in den Vordergrund.Welches ist die deutsche Haltung? In der Frage der Mehrheitsabstimmung ist Art. 148 des EWG-Vertrags maßgebend. Diese Bestimmung lautet:Soweit es in diesem Vertrag nicht anders bestimmt ist, beschließt der Rat mit der Mehrheit seiner Mitglieder.Ein allgemeines Vetorecht ist mit dieser klaren Bestimmung unvereinbar. Im übrigen hat sich nach unserer Meinung die bisherige Anwendung der Mehrheitsregel dort, wo sie schon gilt, bewährt. In keinem Fall sind für ein Mitglied unzumutbare Verpflichtungen begründet worden. Die Mehrheitsregel ist mit gutem Grund in den Vertrag eingeführt. Die Möglichkeit, Mehrheitsentscheidungen zu treffen, ist ein entscheidendes Verfassungselement des Vertrages. Es sichert die Funktionsfähigkeit des Rates gegen Obstruktion und das Beharren auf zu einseitig bestimmten Positionen. Es erzeugt Verständnisbereitschaft und fördert kommunitäres Verhalten.Ich habe hier kürzlich vor dem Hohen Hause schon ausgeführt, daß nach unserer Meinung bei der Anwendung von Mehrheitsentscheidungen neben rechtlichen Erwägungen auch politische Gesichtspunkte berücksichtigt werden müßten. Die Zweckmäßigkeit einer Mehrheitsentscheidung sollte in jedem Falle gewissenhaft geprüft werden. In den Fällen, in denen ein lebenswichtiges Interesse eines oder mehrerer Partner auf dem Spiele steht und von diesen Partnern überzeugend begründet werden kann, sollten im Geiste gegenseitiger Rücksichtnahme Lösungen gesucht werden, die diesem Interesse in angemessener Weise Rechnung tragen. Jede Entscheidung, die getroffen wird, muß vom Geiste einer rücksichtsvollen Gemeinschaftsarbeit getragen sein.Auf der Ratstagung in Luxemburg ist u. a. die Auffassung vertreten worden, daß diese vorsichtige Handhabung des Mehrheitsprinzips auch in Fällen von grundsätzlicher Bedeutung, die in der Vergangenheit Gegenstand eines einstimmigen Beschlusses gewesen seien, gelten sollte. Mit diesem Gedanken können wir uns durchaus befreunden. Wir sind auch ferner bereit, dem Gedanken zuzustimmen, daß bestimmte Verordnungen, die nach dem damals vorliegenden Zeitplan eigentlich vor dem 31. Dezember 1965 einstimmig hätten verabschiedet werden sollen, jetzt noch einstimmig verabschiedet werden. Ich weiß allerdings nicht, ob man eine Uhr tatsächlich so lange anhalten kann, wie eine Brüsseler Wendung lautet. Es wird jedoch zu vertreten sein, sich in diesem Sinne zu verständigen. Das Ergebnis dieser Überlegungen ist also, daß unter Wahrung der Vertragsbestimmungen über die Mehrheitsentscheidung diese in einer Weise angewendet werden sollten, die dem Geiste und der Lebenswirklichkeit der Gemeinschaft gerecht wird.Die Kommission unter Präsident Hallstein ist in den vergangenen Jahren der von allen Seiten vielgerühmte Motor des Fortschritts in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gewesen. Sie muß auch nach der Fusion ihren Charakter als unabhängiges Gemeinschaftsorgan behalten. Es wäre eine Gefahr für die Zukunft der Gemeinschaft, wenn die Stellung der Kommission geschwächt würde.
Die bisher schon gute Zusammenarbeit zwischen dem Rat und der Kommission kann allerdings in einzelnen Punkten sicher noch verbessert werden. Die Beratungen über das französische Zehn-Punkte-Memorandum sollten deshalb auf der kommenden Ratstagung fortgesetzt werden. Wir hoffen, daß wir gemeinsam eine befriedigende Lösung dieses Komplexes finden können. Wohlverstanden aber, meine Damen und Herren, kann es hierbei nicht darum gehen, etwa eine Direktive des Rats an die Kommission auszuarbeiten. Nach Art. 162 des Vertrages über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ziehen der Rat und die Kommission einander zu Rate und regeln einvernehmlich die Art und Weise ihrer Zusammenarbeit. Das bedeutet, daß nach Abklärung der Standpunkte im Rat ein Gespräch zwischen Rat und Kommission stattfinden muß, um eine solche
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676 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Januar 1966
Bundesminister Dr. Schrödereinverständliche Regelung im Sinne des Art. 162 herbeizuführen.Über den französischen Zeitplan möchten wir jetzt noch nicht sprechen, sondern nur den Hinweis geben, daß wir die Termine für zu kurz halten. Wir sehen uns auch nicht in der Lage, unter dem Druck der Politik des leeren Stuhls über Personalien und Inkrafttreten des Fusionsvertrages zu verhandeln.
Wir sind auch nicht bereit, über die Agrarfinanzierung losgelöst von den harmonischen Fortschritten der Gemeinschaft auf anderen Gebieten zu verhandeln.
Hierüber gibt es Einverständnis mit unseren anderen vier Partnern. Wir möchten hoffen, daß auch unsere französischen Freunde sich diesem Gedanken nicht verschließen werden, da er eine Voraussetzung für die Schaffung einer ausgewogenen, alle Interessen berücksichtigenden Entwicklung der Gemeinschaft darstellt. Sobald eine Einigung über die beiden auf der Luxemburger Tagung anstehenden Fragen, nämlich Mehrheitsentscheidung im Rat und Auftreten der Kommission, erreicht ist, halten wir es für dringend geboten, daß die normalen Ratstagungen in Brüssel zu sechst wiederaufgenommen werden. Bei der ersten dieser Ratstagungen sollen dann die vordringlichen Probleme erörtert werden.Erlauben Sie mir einen kurzen Ausblick. Die Bundesregierung drückt ihre Hoffnung aus, daß in Luxemburg über die Frage der Mehrheitsentscheidungen im Rat und über die Zusammenarbeit zwischen Rat und Kommission gemeinschaftliche Auffassungen erarbeitet werden. Die Bundesregierung hat den Wunsch, daß Frankreich danach den Weg nach Brüssel zurückfindet, damit wir gemeinsam und tatkräftig im Rahmen der Organe der Gemeinschaft an der harmonischen Fortentwicklung der Gemeinschaft weiterarbeiten. Die Bundesregierung ist nach wie vor überzeugt, daß die Vollendung des großen Werks des Gemeinsamen Marktes im Interesse aller Mitgliedstaaten liegt.
Dieses Werk ist eine Voraussetzung für ein einiges Europa.Das, meine Damen und Herren, ist die Haltung, die wir in Luxemburg einnehmen; das ist die Gesinnung, aus der wir handeln.
Ich eröffne die Aussprache über die Erklärung des Herrn Bundesaußenministers. Das Wort hat Frau Abgeordnete Strobel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Die heutigen Nachrichten aus Frankreich sind eigentlich ermutigend. Man hat den Eindruck, daß Frankreich den ultimativen Charakter seiner Terminvorschläge abschwächen will. Das wäre nach allem, was jetzt der Herr Bundesaußenminister berichtet hat, eine wesentlich lockere Haltung, als sie vom französischen Außenminister in Luxemburg vertreten worden ist. Nach einer Mitteilung in der „Welt" gibt es auch eine französische Erklärung, die besondere Bereitschaft zeigt, am Gelingen der Kennedy-Runde mitzuwirken. Wenn das stimmt, so wäre das ein Zeichen dafür, daß nicht allein von den Fünfen, sondern auch von Frankreich her mehr getan wird, um in den kommenden Luxemburger Verhandlungen zu einer für alle tragbaren Lösung zu gelangen, als zunächst sichtbar war. Wenn wir das ausdrücken, so ist dabei natürlich der Wunsch ein bißchen der Vater des Gedankens.
Aber nicht zuletzt wollen wir ja mit diesem Ziel in solche Verhandlungen gehen, und dazu gehört auch ein Stück Optimismus. Wenn das richtig ist, dann wäre von vornherein schon einmal ein etwas besseres Klima vorhanden. Worauf das zurückzuführen ist, will ich nicht untersuchen.Ich für mein Teil möchte sagen: es war sicher für den Fortgang der Verhandlungen auch nützlich, daß zwischen den beiden Verhandlungsterminen das Kolloquium mit dem Ministerrat im Straßburger Parlament durchgeführt werden konnte. Es ist etwas geschehen, was man diesem Parlament und seinen drei Institutionen für die Zukunft eigentlich immer wünschen möchte. In den Fraktionssitzungen der drei großen Fraktionen haben nämlich sowohl Vertreter des Ministerrats als auch der Kommissionen zusammen mit den Parlamentariern aus den sechs Ländern in Vorbereitung des Kolloquiums über die Dinge gründlich diskutiert. Das wäre auch für die Zukunft ein guter Stil, und das Parlament würde es sehr begrüßen, wenn man das fortsetzen könnte.Ich meine, wir sollten heute — und das gehört auch zur Verbesserung des Klimas — ganz besonders der italienischen Regierung dafür danken, daß sie trotz ihrer schwierigen Situation bereit ist, die Verhandlungen in Luxemburg nicht aufzuhalten. Das war sicher nicht leicht. Ferner sollte es heute auch hier eine weitere Klärung geben, um die Chancen für die kommenden Verhandlungen zu verbessern. Vor allem liegt mir wegen der Pressestimmen in Frankreich auch daran, zu betonen, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht weniger als die anderen Vier zur Lösung der Probleme bereit ist. Das muß jetzt deutlich werden, damit nicht eine Situation eintritt, in der wir, die Deuschen, sozusagen den Schwarzen Peter zugeschoben bekommen.Generell möchte ich sagen, die beteiligten Regierungen, das Parlament, die verschiedenen Parteien, die Presse, die großen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Kräfte in der Bundesrepublik erklären, ja beschwören die Beteiligten, den Willen zur Gemeinschaft und die Wirksamkeit der Gemeinschaften unter allen Umständen zu erhalten. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß die Gemeinschaften auf dem Weg zur europäischen Einigung überhaupt bisher den sichtbarsten Erfolg hatten. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß die Überzeugung von der Notwendigkeit, die Teilintegration zu überwinden, und zwar sowohl geographisch als auch politisch, durch die Tätigkeit der
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Januar 1966 677
Frau StrobelGemeinschaften gewachsen ist und sichtbarer geworden ist. Das zeigt auch die Tatsache, die man als Positivum werten muß, daß die Bereitschaft Englands zum Beitritt in eine Gemeinschaft, die ihre Sicherheit wiedergefunden hat, gewachsen ist. Das zeigt sich auch daran, daß die Sorge um den Bestand der Gemeinschaften und die Erwartungen, daß die Krise bald und ohne allzu große Narben überwunden wird, auch von den EFTA-Ländern geteilt werden. Die Sorge um den Bestand der Gemeinschaften kommt also nicht nur bei den Sechsen, sondern auch bei den Drittländern zum Ausdruck, die sich bisher zum Teil durch die Gemeinschaft geschädigt fühlten. Ich meine, daß auch die Notwendigkeit deutlich wird, den politischen Gehalt der Gemeinschaften zu vertiefen, zu verbreitern und durch eine europäische politische Union zu ergänzen. Das ist durch die Krise und die Ursachen der Krise, auf die der Herr Bundesaußenminister ja schon hingewiesen hat, noch deutlicher geworden.So, meine ich, ist die EWG trotz der Krise, in der sie sich befindet, der stärkste Grundpfeiler der europäischen Einigung. Aber wir dürfen auch nicht müde werden, immer wieder zu sagen, daß ein anderer ebenso wichtiger Grundpfeiler der europäischen Einigung die deutsch-französische Verständigung und eine dauerhafte deutsch-französische Freundschaft ist und daß wir diesen Grundpfeiler genauso wichtig nehmen wie den andern. Wir wollen beides erhalten, wir wollen beides ausbauen. Es ,gibt aber grundlegende Meinungsverschiedenheiten unter den Sechs über den Weg zum einigen Europa und vor allen Dingen über die Politik eines vereinigten Europas. Die Krise ist eben der Ausdruck dieser unterschiedlichen Auffassung. Aber nicht allein zwischen Frankreich und Deutschland, wie das leider manchmal aussieht, sondern diese Meinungsverschiedenheiten gibt es zwischen der französischen Regierung und den anderen fünf beteiligten Regierungen. Deshalb lassen Sie mich bitte noch einmal sagen, je größer und je fester die gemeinsame Haltung der Fünf ist, desto mehr Chancen bestehen, die Integration zu erhalten und fortzusetzen. Deshalb möchten wir nachdrücklich den Wunsch aussprechen, daß sich die deutsche Regierung, genauso wie die anderen, um ein Höchstmaß an Übereinstimmung mit den anderen Regierungen bemüht. Ich muß sagen, die Aktivität der Benelux-Länder in den letzten Tagen, z. B. die des holländischen Außenministers, Herrn Luns — und des holländischen Regierungschefs, Herrn Kals —, ist imponierend und dient der Einigung bzw. der gemeinsamen Haltung der Fünf. Ich habe bei dem Bericht des Herrn Bundesaußenministers — der ja eine chronologische Darstellung war — eigentlich vermißt, daß auch die Bundesregierung in den letzten Tagen solche Kontakte weiter genutzt hat. Es ist ja so, daß der Katalog der zu lösenden Probleme nicht kleiner, sondern größer wird.Ohne Zweifel scheint es zu sein, daß die Fusion bzw. die mit der Fusion zusammenhängenden Fragen allmählich zum schwierigsten Punkt werden, also z. B. die Zusammensetzung der künftigen Kommission. Der Bundestag hat den Verträgen über die Fusion zugestimmt. Wir haben es letzten Endes getan, um die Exekutiven zu stärken, und können aus diesem Vertrag und auch aus politischen Gründen keinerlei Schwächung der Exekutiven hinnehmen, weder bezüglich der Befugnisse noch bezüglich der personellen Zusammensetzung. Aber ich meine, eines sollte man sehen und auch ehrlich aussprechen. Auf die Dauer kann auf ein roulierendes System bei den Präsidenten und Vizepräsidenten der künftigen vereinigten Kommission nicht verzichtet werden. Je früher und je ehrlicher wir uns zu diesem Grundsatz auch in Luxemburg bekennen, desto leichter wird es möglich sein, zu verhindern, daß in diesem Augenblick bestimmte Personen die Opfer der Krise werden, noch dazu diejenigen, die man bisher als Motor der gesamten Gemeinschaft bezeichnet hat. Es geht nicht um Personen, sondern es geht um die Sache, und um der Sache willen sollten wir uns dieser Forderung nach einer künftigen Roulierung bei diesen Positionen der Kommission nicht widersetzen wenn jetzt für die Übergangszeit, bis dieses Roulieren eintritt, eine befriedigende, vertretbare Lösung gefunden wird. Frage an die Bundesregierung: Hat sie hier einen Weg gesucht und gefunden, um in dieser Frage mit den anderen Fünf gemeinsam vorzugehen? Der Herr Bundesaußenminister hat sich zum roulierenden System nicht geäußert.Die drei Hürden — Formen der Zusammenarbeit, Mehrheitsbeschlüsse, Terminkalender — sind inzwischen unterschiedlich abgeschwächt worden. Niemand bestreitet — das möchte ich auch gern zu den sogenannten zehn Punkten sagen —, daß es auch bei der Kommission in Brüssel Pannen und Mißgriffe gegeben hat. Manche — das muß ich Ihnen ehrlich sagen — haben wir erst durch das Gespräch in den Fraktionen mit Mitgliedern des Ministerrats erfahren. Es ist mir eigentlich nicht recht erklärlich, warum man nicht schon früher auf Grund von Art. 162 des Vertrages mit der Kommission darüber offen und ehrlich gesprochen hat, warum man nicht Herrn Hallstein den Freundschaftsdienst erwiesen hat, ihm zu sagen, daß bestimmte Formen seitens bestimmter Mitglieder des Ministerrats nicht gern gesehen werden. Für uns ist die Kommission nie tabu gewesen, und wir haben gerade in Straßburg immer wieder die Kommission — allerdings natürlich in erster Linie bezüglich ihrer Politik — kritisiert. Die Formen erschienen uns weniger wichtig.Aber man darf natürlich diese äußeren Dinge jetzt nicht als Vorwand benutzen, um die Unabhängigkeit der Kommision anzuzweifeln, um ihren Gemeinschaftsauftrag einzuschränken, um ihr Initiativrecht einzuschränken. Denn, meine Damen und Herren — wir sollten das als Parlamentarier besonders deutlich sehen —, jede Zurückdrängung der Kommission in ihren vertraglich festgelegten Rechten und Pflichten bedeutet auch eine Zurückdrängung des Einflusses des Parlaments. Denn die Kommission ist dem Europäischen Parlament verantwortlich, und das Europäische Parlament kann nur in Zusammenarbeit mit der Kommission auf die Dinge Einfluß nehmen.Ich meine also, man muß die zehn Punkte als Ganzes sehen; aber man muß sie auch als Ganzes entschärfen. Wir müssen jede Zurückdrängung der
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678 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Januar 1966
Frau StrobelKommission nicht zuletzt auch deswegen ablehnen, weil sie eine Zurückdrängung des Parlaments bedeuten würde.
Die einmütige Auffassung des Bundestages war immer, daß der Einfluß des Europäischen Parlaments gestärkt werden muß, und zwar um so mehr, je wichtiger die Beschlüsse der Gemeinschaft werden und je mehr Mehrheitsbeschlüsse in der Gemeinschaft zustande kommen. Aber nun müssen wir — und ich möchte auch das offen sagen — tatsächlich unsere Bemühungen um eine Stärkung des Einflusses des Parlaments zurückstellen. Wir möchten jedoch deutlich sagen: aufgeschoben darf in diesem Fall nicht aufgehoben sein. Denn diese Gefahr ist ja auch vorhanden.Auf keinen Fall können wir aber doch im Augenblick eine weitere Schwächung hinnehmen, und diese Gefahr ist in den zehn Punkten enthalten. Das sehen Sie am besten an den Punkten 1 und 2. Ich meine, die bisherige Praxis der Kommission war gut; die Kommission hat nämlich, bevor sie ihre Vorschläge vorgelegt hat, sowohl mit den einzelnen Regierungen als auch mit dem Parlament gesprochen. Die Formulierung in diesen ersten beiden Punkten sieht eigentlich so aus, als ob sie das nicht getan hätte. Außerdem steht im zweiten Punkt, daß man ihr künftig verbieten müsse, ihre Vorschläge dem Europäischen Parlament mitzuteilen, bevor der Ministerrat sich mit ihnen befasse. Das wäre eine völlig unmögliche Praxis; denn das Europäische Parlament ist ja auch das einzige Organ der Gemeinschaften, das öffentlich tagt, und es ist doch ein guter Stil in der Gesetzgebung — und darum handelt es sich —, daß über Gesetze nicht hinter verschlossenen Türen verhandelt wird — was ja im Ministerrat der Fall ist —, sondern daß wenigstens vorher die Öffentlichkeit und das zuständige Parlament darüber informiert werden.
Das Vetorecht, meine Damen und Herren, ist ein anderer solcher Punkt. Dazu wird sich noch einer meiner Kollegen äußern. Ich möchte aber auch hier sagen, man muß doch die ganze Abstimmungspraxis in der EWG im Lichte der bisherigen Praxis des Ministerrats und der Kommission sehen. Und da muß man einfach der Kommission und dem Ministerrat zugestehen, daß die bisherige Praxis keinerlei Anlaß zu Mißtrauen irgendeines Landes geben kann, daß es in wichtigen Fragen majorisiert werde, ganz abgesehen davon, daß die Verträge noch heute in viel mehr Fragen Einstimmigkeit vorsehen — auch in der dritten Periode —, als das allgemein bekannt ist. Das Vetorecht ist aber hochgespielt worden, weil es der Ausdruck der Integration ist, und ich würde sagen, wir sollten auch nicht davor zurückschrecken, in diesem Zusammenhang zu sagen, daß Vertragstreue heute in der Weltöffentlichkeit für jede Regierung unverzichtbar ist.
Wir möchten aus diesem Grunde hoffen, daß auchder französische Staatspräsident de Gaulle Achtungund Einhaltung der im Namen des französischen Volkes geschlossenen Verträge garantieren wird.
Nun möchte ich bezüglich der Termine an den Herrn Bundesaußenminister — obwohl er sagte, er wolle sich dazu heute nicht äußern — die Frage richten: Gibt es eigentlich einen gemeinsamen Fahrplan der Fünf für die Reihen- und Zeitfolge der längst fälligen Entscheidungen? Schließlich ist es keine schlechte Nachricht, wenn man laut VWD vom 24. Januar aus Paris hört, daß französische Regierungsstellen sagen, wenn sie ein Arbeitsprogramm vorschlügen, dann geschehe das in dem Geist, Verhandlungen zu eröffnen. Das sei kein Ultimatum. Im übrigen — das steht hier als ein Ausdruck des französischen Sprechers — liege kein Vorschlag vor, die von Frankreich genannte Frist zu verlängern. Wenn das stimmt, würde ich es bedauern, wenn also die Fünf in Luxemburg nicht so reagiert hätten, daß sie sich sagen: Natürlich können wir nicht verlangen, daß Frankreich bei seinem Terminvorschlag die Punkte nennt, die für uns wichtig sind. Es wird die Punkte nennen, die für Frankreich wichtig sind. Die anderen müssen dann eben die Punkte ergänzen. Aber man muß erwarten, daß die Fünf jetzt die Punkte nennen, die für die Gemeinschaft wichtig sind, und daß sie versuchen, mit der französischen Regierung hierin zu einer Einigung zu gelangen. Das betrifft nicht nur die Punkte, die für die Gemeinschaft nach innen, sondern auch diejenigen, die für die Gemeinschaft nach außen wichtig sind.Ich erinnere hier noch einmal an die Verantwortung in den GATT-Verhandlungen. Hier ist, meine ich, ein entscheidender Punkt — in Straßburg hatte ich sehr diesen Eindruck —, der ein bißchen zu dem Versuch benutzt werden könnte, die Bundesrepublik zu isolieren. Es gibt da Formulierungen wie: „Der Schlüssel liegt jetzt in Bonn" usw. In eine solche Situation dürfen wir uns nicht drängen lassen,
von niemand, und dürfen wir uns auch nicht selber begeben.Ich meine, das hängt auch ein bißchen mit den Problemen der Agrarfinanzierung zusammen. Als ich letzthin hier sagte, an der Agrarfinanzierung dürfe die weitere Existenz der Gemeinschaft nicht scheitern, kam von Ihnen der Zuruf: „Wer soll das bezahlen!" Nun, meine Damen und Herren, es gibt ja das neue Memorandum der EWG-Kommission. Ich bitte Sie sehr, es einmal zu studieren. Ich würde vom Herrn Bundesaußenminister gern wissen, ob die Bundesregierung der Meinung ist, daß man auf der Basis des Memorandums der EWG-Kommission durchaus die Agrarfinanzierung jetzt regeln könnte, und ob es von französischer Seite irgendwelche Äußerungen gibt, die hoffen lassen, daß sich auch Frankreich auf die Basis dieses Memorandums begibt.Ganz besonders begrüßen wir die Erklärung des Präsidenten des Ministerrates in Straßburg, auch
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Januar 1966 679
Frau Strobeldie dort abgegebenen Erklärungen der verschiedenen Regierungen. Denn sie lassen immerhin darauf schließen, daß Geist, Inhalt und Wirksamkeit der Verträge — einschließlich derjenigen der Kommission — nicht geschwächt werden sollen.Etwas muß ich noch sagen. Besorgt machen uns Stimmen, die jetzt von Alternativlösungen mit der EFTA sprechen. Dafür ist jetzt nicht die Zeit, meine Damen und Herren.
Damit leisten wir weder der europäischen Einigung noch den Sechsen, noch den anderen Sieben einen Dienst. Die Sieben wollen und können nur in eine intakte Gemeinschaft eintreten. Da wir ihren Beitritt wünschen, ist es nötig, daß wir jetzt dafür sorgen, daß die Gemeinschaft wieder intakt wird.Dabei kann man von beiden Seiten nichts Unmögliches verlangen. Unmöglich wäre es, den Vertrag zu ändern. Das hat die französische Regierung übrigens erkannt. Es ist für die französische Regierung gar nicht so schwer, jetzt auf die Vertragsänderung zu verzichten; denn es steht, wenn es weitergeht, ja die Zusammenlegung der Verträge unmittelbar bevor. Da wird es harte Verhandlungen um ihren künftigen Inhalt geben. Ebenso unmöglich ist es, der Gemeinschaft zuzumuten, daß die Verträge nicht eingehalten oder durch Fehlinterpretationen zerstört werden. Wir wollen die Integration erhalten. Wir müssen sie erhalten, wenn nicht eine lähmende Resignation in der ganzen europäischen Öffentlichkeit das Einigungswerk auf lange Zeit in Frage stellen !soll. Wenn in der Wirtschaftsgemeinschaft der Motor der Gemeinschaft, die Kommission, seiner politischen Wirksamkeit beraubt würde, ginge die politische Einigung Europas nicht rascher, sondern langsamer vor sich. Wenn die Demontage der Integration in der EWG begänne, wäre der Tatbestand der Unfähigkeit Europas, sich enger als in einem lockeren Bündnis zusammenzuschließen, gegeben.Der französische Staatspräsident strebt nach seinen eigenen Erklärungen ein starkes, von den dominierenden Weltmächten unabhängiges Europa an. Wir wollen ein Europa, das durch seinen Zusammenschluß als Ganzes zu einem gleichberechtigten Partner Amerikas werden kann. Beides, meine Damen und Herren, ist aber nur möglich, wenn Europa einig ist, wenn es seine Einigungspolitik fortsetzt. Sollte es nicht möglich sein — und wir Deutschen sollten und wollen uns darum besonders bemühen —, sich unter dem Gewicht dieser Tatsache auf einem vertretbaren Punkt zu treffen?
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Furler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren zu einem etwas ungewöhnlichen Zeitpunkt, nämlich an dem Tage, bevor die Verhandlungen in Luxemburg fortgesetzt werden. Sie wissen, daß am 17. und 18. eine außergewöhnliche — weil die Kommission nicht teilnahm — Ministerratskonferenz in Luxemburg stattgefunden hat. Sie hat weder zu einem Bruch, was sehr gut ist, noch aber zu einer Lösung geführt. Man hat vertagt und will morgen und übermorgen weiter verhandeln.Wie ist die Lage heute? Ist sie besser als vor vierzehn Tagen, oder ist sie verschärft worden?Sie ist vielleicht besser geworden, weil alle Beteiligten noch einmal Gelegenheit hatten, ihre Position zu überprüfen, und auch im Europäischen Parlament in einer großen Debatte, an der sich die Minister, die Kommissionen und das Parlament beteiligten, manche Standpunkte klarer geworden sind. Es sind auch die Standpunkte der nationalen Parlamente in den ganzen Dingen klarer geworden.Schlechter ist die Lage vielleicht deshalb, weil leider am Ende der letzten Tagung Frankreich neue Forderungen erhob und einen Zeitplan vorlegte, der zunächst Bedenken und Sorgen erregte. Ich bin mit meiner Vorrednerin darin einig, daß hier gewisse Erklärungen abgegeben wurden, die klar sagen, daß dieser Terminplan keinen ultimativen Charakter' habe. Diese Sorge ist also behoben.Aber wir dürfen nicht vergessen, daß die neue Forderung sehr schwierig ist, nämlich die, daß die Ratifizierung des Fusionsvertrages noch vor dem 1. April 1966 erfolgt. Diese Forderung richtet sich an die nationalen Parlamente. Denn nur zwei Parlamente haben ratifiziert, das deutsche und das französische Parlament. Alle anderen, insbesondere das holländische Parlament, haben eine Ratifizierung nicht vorgenommen. Der holländische Außenminister hat in der Sitzung in Straßburg ganz eindeutig erklärt, sein Parlament lasse sich hier keine Fristen setzen. Das gilt auch für andere Parlamente. Durch diese Forderung ist also schon aus formalen Gründen eine Erschwerung eingetreten.Aber auch, was dann in dem Zeitplan kommt, ist nicht einfach. Frankreich verlangt nämlich, daß seine drei Grundforderungen erfüllt werden; dann wolle es in den Rat zurückkehren. Die drei Grundforderungen betreffen bekanntlich die Mehrheitsentscheidungen, die Stellung der Kommission und schließlich die Ratifizierung des Fusionsvertrages. Aber Frankreich hat erklärt, es komme in den Rat nicht voll zurück, sondern nur teilweise. Das heißt, es will dort nur über zwei Punkte verhandeln, nämlich über die Agrarfinanzierung und über den Außenzolltarif. Im übrigen ist Frankreich als nicht anwesend zu betrachten. Das heißt, es arbeitet nur partiell mit, was natürlich eine sehr schwierige Situation schafft. Wenn man schon die Krise bereinigt, dann sollte Frankreich voll mitarbeiten und nicht nur in zwei Punkten, die es besonders interessieren, und uns und alle anderen nicht in der Frage der Agrarfinanzierung und auch in dem anderen Punkt in eine außerordentlich schwierige Terminlage bringen.Worum geht es bei den Grundforderungen? Ich muß noch einmal kurz auf die Frage der Mehrheitsentscheidungen eingehen: Ich betone: Es handelt sich nicht -um eine doktrinäre Auseinandersetzung. Wir debattieren nicht hier supranational, dort irgend-
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Dr. Furlereine andere These, die der supranationalen gegenübersteht. Es geht einzig und allein um einen praktisch-politisch außerordentlich wichtigen Tatbestand, nämlich um die Wirksamkeit, die aktive Lebensmöglichkeit der EWG. Das muß man sich klarmachen. Es ist kein theoretischer Streit, sondern ein Streit um politische Positionen.Die Gemeinschaft ist schließlich etwas anderes als ein völkerrechtlicher Verband, der nach altem Stil immer nur einstimmig arbeitet. Die Situation ist so, daß es Mehrheitsentscheidungen schon bisher gab. Zum Beispiel der Haushalt kann mit Mehrheit entschieden werden, wobei es sich immer um qualifizierte Mehrheiten handelt. Man hat davon auch schon zweimal Gebrauch gemacht. In einem Jahr wurde der Haushalt mit Mehrheit gegen die Stimme Frankreichs angenommen. In einem anderen Jahr wurde der Haushalt gegen die Stimme Italiens angenommen. Beide Staaten haben sich durchaus demokratisch und fair diesen Entscheidungen gefügt. Es wurden auch sonstige Mehrheitsentscheidungen gefaßt, nicht viele, vielleicht eine bis zwei im Jahr. Immerhin, sie wurden gefaßt, und der Überstimmte hat sich nachher gefügt. Manchmal hatte man den Eindruck, daß man sich auch ganz gern überstimmen ließ; auch solche Situationen können vorkommen.Diese Möglichkeiten der qualifizierten Mehrheitsentscheidung werden ab 1. Januar 1966 erweitert. Das ist ganz bewußt in den Vertrag aufgenommen worden. Die Schöpfer des Vertrages haben sich lange darüber unterhalten, inwieweit man das Mehrheitsprinzip erweitern könne. Man kam zu der Lösung, die in den Verträgen steht. Diese Erweiterung ist also eine fundamentale Voraussetzung der Wirksamkeit, der Aktionsmöglichkeit, der Existenz und des Lebens unserer Gemeinschaft.Im übrigen ist es so: Niemand will ja unnötig majorisieren, selbstverständlich auch bisher schon nicht. Man hat Verhandlungen geführt, man ist meistens zu einer Einigung gekommen, oft auch sehr stark unter dem Einfluß der Kommission zu einer Einigung gelangt. Man kann auch in der Zukunft mit einer politisch richtigen Haltung weiterkommen. Niemand hat Interesse daran, jemanden zu majorisieren, bei dem es offensichtlich ist, daß ganz vitale Interessen im Spiel stehen. Man kann nach dieser Richtung beruhigende Erklärungen abgeben.Aber man kann eines nicht tun — und ich muß das ganz deutlich sagen —: Man kann nicht den Vertrag praktisch aufheben. „Praktisch aufheben" hieße entweder ein Gentleman's Agreement treffen, in dem steht, daß das Mehrheitsprinzip intern doch nicht gilt, oder aber — und das ist das Allerschlimmste — die These akzeptieren, die gerade Frankreich vertritt, daß man nicht majorisieren darf, wenn ein Staat in seinem freien Ermessen erklärt, es handle sich um vitale Interessen. Praktisch ist das das absolute Veto. Praktisch ist das der Gegensatz, das Gegenteil von dem, was im Vertrage steht. Ich glaube, das kann man nicht annehmen, und das sollte man auch nicht fordern, wenn man gleichzeitig erklärt — und Frankreich tut es zu unserer Freude —, daß man die Verträge nicht abgeändert haben will. Denn diese Abänderung wäre ja offensichtlich ein Weggehen von dem Mehrheitsprinzip, das wir für wesentlich halten.Es wurden die verschiedensten Kompromißvorschläge gemacht. Ich halte im Gegensatz zum Herrn Außenminister schon die Idee für bedenklich, daß man sagt: Was bisher einstimmig entschieden wurde, kann auch in Zukunft nur einstimmig geregelt werden. Darin liegen große Gefahren, vor allem auch für die Agrarpolitik. Ich halte einen solchen Kompromiß für äußerst schwierig. Ich bitte sehr, darüber noch einmal eingehend zu beraten.Etwas anderes ist es mit der Idee von Spaak. Spaak hat ja immer ingeniöse Ideen, um irgendwelche Kompromisse zu erzielen. Er sagt: Wenn es sich wirklich um eine Sache handelt, bei der vitale Interessen auf dem Spiel stehen, dann soll man im Rat drei Lesungen machen und die Dinge eingehend überprüfen; aber dann, wenn die eingehende Überprüfung erfolgt ist, die drei Lesungen durchgeführt sind und die Mehrheit der Meinung ist, man solle trotzdem mit Mehrheit entscheiden, dann muß entschieden werden, weil dies der Vertragslage entspricht.Man kann ja auch durch andere beruhigende Erklärungen ein Klima schaffen, in dem das Mehrheitsprinzip erhalten bleibt, ohne daß man dem anderen androht, man werde ihn rücksichtslos majorisieren.Eine Frage, die wahrscheinlich noch schwieriger ist und die noch mehr politische Substanz in sich hat, ist die Stellung der Kommission. Meine Damen und Herren, es geht hier um eine sehr ernste Angelegenheit. Frankreich sagt zwar: Wir wollen nur das Verhalten der Kommission regeln. In Wirklichkeit geht es nicht um das Verhalten, es geht um die Stellung der Kommission innerhalb der europäischen Verträge. Das französische Memorandum ist ja schon erwähnt worden. Es liegt mir hier vor. Es hat zehn Punkte. Sicher, man kann über den einen oder anderen Punkt streiten. Man muß sich wundern, daß man nicht früher schon die Dinge geklärt hat, wenn man glaubte, die Kommission mache etwas falsch.Wenn hier gesagt wird, daß der Kommission keine Durchführungsrechte, keine souveränen Entscheidungen über die Durchführung der Verträge überlassen werden dürften, dann kann man aber der Kommission wirklich keinen Vorwurf machen, wenn sie solche Durchführungsbefugnisse durch den Ministerrat bekommen hat. Auch Frankreich hat zugestimmt, der Kommission in weitem Umfange solche Rechte zu geben, vor allem im Rahmen der Agrarpolitik. Es geht nicht an, nachher der Kommission einen Vorwurf zu machen, wenn aus ihr die entsprechenden Entscheidungen hervorgehen. Ähnlich ist es mit der Richtlinienkompetenz. Sie steht im Vertrag, die Kommission hat sie. Wie kann man dann die Kommission kritisieren und sagen, es sei falsch, daß sie die Richtlinienkompetenz ausübe!Das sind aber Dinge, über die man verhandeln kann. Das eine ist jedoch sicher, meine Damen und Herren, und deshalb möchte ich in allem Ernst davon
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Dr. Furlersprechen: Wenn Sie alle zehn Punkte akzeptieren, vor allem die vier grundlegenden, wichtigen Punkte, dann ist nicht das Verhalten der Kommission geändert, dann ist die Stellung der Kommission geändert. Dann ist die Kommission nicht mehr das, was sie nach dem Vertrag sein muß. Dann ist sie nicht mehr die dynamische Kraft, die die Integration vorwärtstreibt, dann ist sie nicht mehr der Motor der Integration. Dann ist sie ganz klar ein abhängiges Organ des Ministerrats, ein besseres Generalsekretariat, das an die Weisungen des Ministerrats gebunden ist. Das geht natürlich auf keinen Fall, und da müßten wir doch unseren Partnern sehr deutlich machen, daß wir nicht einen Pfeiler aus den Fundamenten, auf denen die ganze Gemeinschaft beruht, herausbrechen können. Es sind vier Pfeiler: der Ministerrat — der entscheidende und . wichtigste Pfeiler —, die Kommission in selbständiger Stellung, beschränkt auf das Vorschlagsrecht, aber auf diesem Gebiet doch selbständig und mit Weisungen versehen, die die Integration vorwärtstreiben sollen, das Europäische Parlament und schließlich der Gerichtshof. Ich möchte auch sagen, daß mit dem Herausbrechen dieses einen Pfeilers ein zweiter Pfeiler ins Stürzen gerät oder wenigstens auf das heftigste angeschlagen wird: das ist das Europäische Parlament. Uns gegenüber steht nur die Kommission, nicht der Ministerrat. Wir haben Einfluß auf die Politik der Kommission, wir haben Einfluß auf das, was durch die Kommission Europäisches geschieht oder nicht geschieht, wir kontrollieren über die Kommission die Politik der Gemeinschaft. Wenn der Kommission ihre selbständige Stellung genommen wird, dann ist auch unser Interpellations-, unser Kontrollrecht über die Kommission außerordentlich geschwächt. Die Stellung des Parlaments wird also gleichzeitig angeschlagen — das möchte ich einmal ausdrücklich betonen —, und das verstärkt natürlich die Bedenken gegen diese Änderung der Stellung der Kommission erheblich.Zurück zur Kommission! Ich glaube, wir haben allen Grund, uns hinter die Kommission und hinter ihren Präsidenten Hallstein zu stellen. Ich habe es in der letzten Debatte schon gesagt. Ich glaube, daß die Männer, die so ausgezeichnet europäisch gearbeitet und allen Nationen gegenüber objektiv, gerecht und ausgleichend gehandelt haben, es nicht verdient haben, gewissermaßen zum Gegenstand von Strafmaßnahmen zu werden.
Ich bin der Meinung, wir sollten uns da ganz klar und kompromißlos für die Kommission und ihren Präsidenten einsetzen. Wie es mit dem roulierenden System ist, das ist eine andere Frage; darüber kann man sprechen. Man kann nicht irgendwo eine ewige Regierung etablieren. Aber die Zeit des Übergangs in der Fusion der Einheitsbehörde und ihres Einarbeitens muß von den Leuten bewältigt werden, die wirklich deutlich in den acht Jahren erlebt haben, was die Gemeinschaft und die europäische Arbeit in ihr bedeuten. Die erworbenen Erfahrungen müssen ausreichend ausgewertet werden.Noch ein kurzes Wort zu dem Terminplan. Er hat keinen ultimativen Charakter. Ich akzeptiere das, ich freue mich, daß das klargestellt ist. Aber er hat doch seine Gefährlichkeit, weil nicht nur Termine verbunden sind, sondern in diesen Terminen ganz schwere Junktims enthalten sind. Ich sagte schon, Frankreich macht erst mit, wenn die drei Punkte in seinem Interesse erledigt sind, dann aber macht es nur beschränkt mit, und es fordert gewisse Beschlüsse, die wieder von Beschlüssen von Parlamenten abhängen, die zu erhalten in dieser Zeit gar nicht möglich ist. Daß wir darüber verhandeln können, daß wir die Junktims lösen können, ist klar.Noch etwas anderes: Nach diesem Vorschlag kommen wir in der Frage der Agrarfinanzierung in eine ganz schwierige Terminsituation. Wir legen den Grundstein zu einer eventuellen neuen Krise. Denn um diese schwierige Zeitposition ist es ja am 30. Juni 1965 gegangen. Wir sollten also nichts tun, was solche Folgen wieder haben könnte. Außerdem ist klar: Wenn Frankreich nur über diesen Punkt verhandelt, dann ist eine harmonische Entwicklung des Agrarmarktes und des Industriemarktes erledigt, dann wird alles andere zurückgeschoben, und wir sehen kaum mehr Möglichkeiten, das durchzuführen, was im Rahmen der Agrarfinanzierung und der Agrarpolitik eben durchgeführt werden muß.Mit der Kennedy-Runde ist es ähnlich. Wir sind alle der Meinung, daß die Kennedy-Runde gut und wichtig ist. Durch sie Sollen die Zölle in der ganzen Welt ermäßigt werden. Für Europa ist sie wichtig, weil sie geeignet ist, den Gegensatz zwischen EFTA und EWG abzumildern.Ich höre, es seien Erklärungen da, Frankreich sei bezüglich der Kennedy-Runde doch nicht so hart, wie angenommen wurde. Aber das alles geht noch eineinhalb Jahre. Es können noch einige andere Dinge dazwischenkommen, die die Haltung wieder ändern. Wir haben keine festen Möglichkeiten in der Hand.Alles das hängt mit dem Terminplan zusammen. Alles das hängt mit der ganzen Entstehung der Krise zusammen, wie wir sie erlebt haben.Es gab Leute — dazu gehört auch der Präsident der Kommission —, die sagten, es gebe auch heilsame Krisen. Sicher gibt es heilsame Krisen. Aber Krisen müssen nicht heilsam sein. Sie sind nur dann heilsam, wenn die Beteiligten die notwendigen Folgerungen ziehen, wenn sie also die Folgerung ziehen, das souveräne Denken etwas zurückzustellen und im Gemeinschaftsgeist zu handeln. Eine Krise ist heilsam, wenn sie zu einer besseren und fortschrittlicheren Situation führt, aber nicht, wenn sie die Dinge verhärtet oder Situationen schafft, in denen neue Krisen ausbrechen können.Es war sehr schwierig, die Monate durchzustehen, in denen diese Krise bestand. Wir haben mit großem Interesse und mit Befriedigung vom Präsidenten des Ministerrates gehört, daß im wesentlichen die alte Linie beibehalten wurde. Die EWG konnte keine politischen Entschlüsse fassen; das war in dieser Situation nicht möglich. Aber sie ist doch am Leben geblieben, sie hat pulsiert und relativ gut gearbeitet; sie ist nicht auseinandergebrochen. Das
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Dr. Furlerist außerordentlich wichtig. Wenn wir gezwungen würden, die Krise noch etwas länger durchzustehen, weil die Verhandlungen nicht sofort zu einer Einigung führen, dann müßten natürlich auch manche Rechte des Vertrages stärker in Anspruch genommen werden, die geeignet sind, eine solche Krise zu überwinden.Die Mitgliedstaaten sollten alles versuchen, mit unseren französischen Nachbarn zu Rande zu kommen. Das sollte auch wegen unserer guten Beziehungen und wegen der deutsch-französischen Freundschaft geschehen. Wir wollen beides, eine EWG und eine unbeschädigte deutsch-französische Freundschaft. Wir werden uns deshalb anstrengen, um mit Frankreich zu einer Einigung zu gelangen. Wir wünschen aber, daß Frankreich seinen Platz im Ministerrat wieder einnimmt, den einzunehmen es nach den Römischen Verträgen verpflichtet ist.Wir können aber nicht Bedingungen akzeptieren, die die Grundlagen der EWG zerstören. Wie könnten wir später von anderen Staaten verlangen, daß sie die EWG-Verträge akzeptieren, wenn wir selber im Begriff sind, sie in ihren wichtigsten Punkten außer Kraft zu setzen! Das geht nicht.Ich sage noch einmal: es geht nicht um Doktrinen, sondern es geht um ganz reale politische Dinge. Wir sollten versuchen, in diesen beiden Tagen zur Verständigung zu gelangen. Wenn das nicht geht, sollten wir die Verhandlungen nicht aufgehen, sondern fortsetzen. Wir sollten dann Geduld üben und warten, ob es nicht doch möglich ist, zu einer Lösung zu kommen. Wir müssen längeren Verhandlungen und vielleicht sogar einer verlängerten Krise ins Auge sehen. Aber wir müssen mit einer klaren Haltung, mit Geduld und Festigkeit verhandeln. Ich glaube und hoffe, daß wir dann auch zur Bereinigung dieser Krise kommen, die nicht die erste in unserer EWG ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Starke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Freien Demokraten möchte ich betonen, daß wir die Wiederaufnahme der Verhandlungen am gemeinsamen Tisch, um den Fortgang 'der europäischen Arbeit zu erörtern, außerordentlich begrüßt haben. Wir haben auch die dann sich ergebende Debatte im Europäischen Parlament begrüßt, die zu einer gewissen Klarstellung einer Reihe von Fragen beigetragen hat.Wir !begrüßen diese Erörterungen am gemeinsamen runden Tisch in Luxemburg schon deshalb, weil dadurch nicht der Eindruck entsteht, daß man bei den bevorstehenden deutsch-französischen Konsultationen in Paris die Dinge zweiseitig regeln könnte; denn es handelt sich ja hier nicht um eine nur deutsch-französische Frage, sondern eben um eine Frage, die den Fortgang der europäischen Arbeit betrifft. Auf der anderen Seite gestehen wir offen, daß wir ohne Illusionen die Wiederaufnahme der Verhandlungen gesehen haben und daß wir von vornherein nicht geglaubt haben, daß angesichts all dessen, was sich ereignet hat, morgen wieder alles so sein werde wie gestern. Vor allein aber liegt uns am Herzen zu sagen, daß wir diese Wiederaufnahme der Verhandlungen in Luxemburg von vornherein nicht als ein Zusammenkommen angesehen haben, um Bedingungen in Empfang zu nehmen oder gar zu akzeptieren. Die Bundesregierung sollte hören und mit voller Bereitschaft für eine gute Lösung prüfen, was Frankreich will. Wir möchten ihr ganz besonders dafür danken, daß die Bundesregierung das getan hat.
Die Ruhe, die die Bundesregierung bewahrt hat, sollte auch — und das haben gerade meine Vorredner bewiesen — das Parlament bewahren. Wir dürfen jetzt nicht die Nerven verlieren. Für uns ist es heute am wichtigsten, daß wir diese Haltung der Bundesregierung bestätigen; und wie ich aus den Ausführungen meiner Vorredner entnommen habe, wird das Hohe Haus die Haltung der Regierung stärken. Das ist — diese Bemerkung möchte ich doch machen — um so wichtiger, als eine Fülle von Zwischenmeldungen in den letzten Tagen — auch in der inländischen Presse — der so notwendigen und von der Bundesregierung so sehr gepflegten Verbindung mit den vier anderen Partnern nicht dient.Die Grundhaltung des Parlaments sollte ganz klar sein. Das Parlament hat seinerzeit die europäischen Verträge ratifiziert, und Wortlaut und Geist dieser Verträge können ohne das in den Verträgen vorgesehene Verfahren — d. h. ohne das Parlament — nicht geändert werden.Man kann gewiß in Luxemburg an Hand des französischen Memorandums über die verbesserte Zusammenarbeit zwischen Ministerrat und Kommission sprechen. Es ist bereits erwähnt worden, daß man dabei den Art. 162 nicht übersehen darf, der für die Regelung der Zusammenarbeit eine „Einvernehmlichkeit" zwischen den beiden Organen der Gemeinschaft vorsieht. Ich möchte auch auf Art. 163 hinweisen, der ja Mehrheitsentscheidungen innerhalb der Kommission vorsieht.Wir Freien Demokraten haben immer betont, daß die Gemeinschaft auf Kosten der Lebensinteressen der Mitgliedstaaten nicht erfolgreich entwickelt werden könnte. Auf der anderen Seite ist aber vor einer Art Vetorecht zu warnen, insbesondere etwa gar einem Vetorecht auf bestimmten Gebieten, mit dem man sich dann hier bereits beschlossene Vorteile erhalten könnte, dort aber auf anderen Gebieten Fortschritte — insbesondere in Richtung einer gleichzeitigen und gleichgewichtigen Entwicklung — verhindern könnte.Ganz sicher ist es auch so — das möchten wir besonders betonen —, daß man die vertragsgemäße Stellung der Kommission nicht durch die Art der personellen Besetzung verändern darf. Dem steht Art. 157 des Vertrags über die Unabhängigkeit der Kommissionen und ihrer Mitglieder entgegen. Ich erwähne hier nur — was vielleicht nicht immer die nötige Beachtung findet —, daß die seinerzeitige personelle Umbesetzung in der Euratom-Kommis-
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Dr. Starke
sion deren europäische Wirksamkeit in gar keiner Weise verstärkt hat.Wenn man das Ganze sieht, stellt man immer wieder fest, daß die nun einmal geltenden Verträge ein ausgewogenes Ganzes bilden, aus dem man nicht leichthin Stücke herausbrechen kann, um auf der anderen Seite den Rest zu erhalten oder zu behalten. Von den Opfern, die wir gerade in der Bundesrepublik für das Ganze, für das ausgewogene System gebracht haben, will ich heute hier gar nicht sprechen.
Alles in allem möchten wir der Regierung nochmals für ihre Haltung danken. Wir sind unsererseits hinsichtlich des weiteren Verfahrens der Meinung — und Sie wissen, welche große Rolle Verfahrensfragen in der Gemeinschaft spielen —, daß engste Fühlungnahme mit den vier anderen Partnern auch in Zukunft notwendig ist, daß man in Luxemburg ohne die Kommission nur die von Frankreich aufgeworfenen Verfahrensfragen behandeln sollte, daß nach einer Einigung darüber eine vollständige, eine volle Rückkehr aller an den Ratstisch erforderlich ist, nicht etwa nur eine partielle Rückkehr zur Behandlung bestimmter Fragen, daß erst danach wiederum über die Besetzung der Gesamtkommission und über Sachfragen verhandelt werden kann und daß schließlich die Ratifizierung bzw. die Hinterlegung der Ratifizierungsurkunden über die Vertragsänderung, die wir hier schon beschlossen haben, nicht vor der Einigung über die personelle Besetzung der Gesamtkommission vorgenommen werden sollte.Schon heute möchten wir auch angesichts des vorgelegten Arbeitsplanes, der natürlich kein Ultimatum ist, vor weiteren Arbeitsplänen warnen, bei denen wiederum feste Termine vereinbart werden, die nach bisheriger Erfahrung als Verpflichtung ausgelegt werden, bis zu diesem Termin eine z. B. ein e m Mitgliedsstaat genehme Regelung zu treffen, obwohl die Termine doch in Wirklichkeit unter dem Vorbehalt verstanden werden mußten, daß man sich in der Sache einigt. Gerade durch ein solches Verfahren wird die dringend notwendige gleichzeitige und gleichgewichtige Entwicklung der Gemeinschaft auf allen Gebieten verhindert und entstehen feste Verpflichtungen mit Lasten besonders etwa für einen Mitgliedstaat, denen dann nur ganz vage Expektanzen und Hoffnungen auf anderen Gebieten gegenüberstehen. Das darf in Zukunft nicht mehr geschehen. Wir sollten uns auch vor Augen halten, daß derjenige, der sieben Monate den Fortgang der Arbeiten doch verzögert hat, jetzt natürlich nicht vorzüglich an der Reihe ist, solche Bedingungen zu stellen.
Trotz aller dieser Schwierigkeiten muß und wird nach unserer Auffassung dieses Europa überleben. Wir können es weder in der Weltpolitik noch für unsere Politik noch als einen Kristallisationspunkt für ein größeres Europa entbehren. Wir begrüßen also noch einmal die klare Haltung der Regierung und möchten dieser Haltung eine Rückenstärkung aus diesem Hohen Hause geben. Auch die von der Bundesregierung so sorgsam gepflegte gemeinsame Haltung der fünf Partner begrüßen wir. Nur eine solche feste und zugleich maßvolle Haltung unseres Parlaments und der Bundesregierung trägt dazu bei, das Vertrauen wiederherzustellen und dann zu erhalten, ohne daß ein Europa der Freien und Gleichen, wie wir es uns denken, nicht bestehen kann. In einer solchen Haltung verkörpert sich für unsere Vorstellungen wahre europäische Einstellung. Sie allein wird sich in den kommenden Verhandlungen bewähren und, wie wir glauben, zum Erfolg führen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Birrenbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Krise der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft — und daß eine Krise besteht, ist die Auffassung aller Redner heute morgen gewesen — ist nicht die erste Krise der europäischen Institutionen und sicherlich auch nicht die letzte. Sie unterscheidet sich, abgesehen von der Krise im Januar 1963, von allen übrigen dadurch, daß es hier nicht in erster Linie um materielle Fragen geht, sondern, wie der Bundesaußenminister richtig erklärt hat, in Wahrheit um die Struktur der Gemeinschaft selbst. Hier wird das den Verträgen von Rom zugrunde liegende Funktionsprinzip in Frage gestellt, jedenfalls in seiner zeitweiligen Anwendung, — wenn nicht mehr.Daß diese Krise ausgebrochen ist, kann niemanden überraschen. Man wundert sich höchstens, daß sie erst jetzt zum Ausbruch gekommen ist. In Wahrheit geht es hier, wenn auch erst auf wirtschafts- und sozialpolitischem Gebiet, um die Frage der Priorität von Gemeinschaft und Nationalstaat. Dieser Zwiespalt ist ein Dilemma, das so lange bestehenbleibt, bis Europa seine endgültige verfassungsmäßige Form gefunden hat.
Wenn dieses Prinzip bisher nicht in Frage gestellt worden ist, so hatte dies zwei Gründe. Erstens: Je stärker der Prozeß der inneren Verflechtung auf wirtschaftlichem Gebiet im Rahmen der Gemeinschaft weitergeht, desto tiefer schneidet jede Entscheidung der Gemeinschaft in die historisch gewachsenen, souveränen Belange eines jeden Staates ein. Zweitens: Ab 1. Januar 1966 macht der Vertrag in der Schlußphase der Übergangszeit in großem Umfang Mehrheitsentscheidungen möglich.Zunächst ist zu sagen, daß diese Krise, so schwer sie ist, ein natürliches Element innerhalb des Wachstumsprozesses der Gemeinschaft ist. Daher muß von vornherein davor gewarnt werden, anzunehmen, daß es hier spezifisch um eine isolierte Auseinandersetzung zwischen Frankreich und der Bundesrepublik geht.
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Dr. BirrenbachZur Diskussion steht heute sachlich das Problem, ob das Funktionsprinzip der Römischen Verträge auch dann Anwendung finden kann, wenn es um Fragen geht, die an den Kern der Politik rühren, und Wirtschafts- und Sozialpolitik, meine Damen und Herren, sind in Wahrheit Politik; darüber besteht kein Zweifel.Das Funktionsprinzip des Vertrages besteht in dem ständigen Dialog zwischen einer europäischen Institution, deren Aufgabe es ist, Lösungen für die gemeinsamen Probleme vorzuschlagen, und den nationalen Regierungen, vertreten im Ministerrat. So heißt es in einer Resolution des Komitees für die Vereinigten Staaten von Europa. Dieses Verfahren führt innerhalb des Ministerrates — und hier ist das Zentrum der Entscheidungen — zu gemeinschaftlichen Entscheidungen. Die Kommission nimmt in der Formulierung ihrer Vorschläge das Interesse aller Sechs vorweg und schlägt aus ihrer spezifischen Rolle innerhalb des Mechanismus der Verträge nur solche Lösungen vor, die für die Gemeinschaft, d. h. für alle annehmbar sind. Die Kommission ist daher das Gemeinschaftsorgan schlechthin. Sie verkörpert den Geist der Gemeinschaft, sie ist die Hüterin des Vertrages. Ihre Mitglieder sind keinen Weisungen der Regierungen unterworfen und nur dem Europäischen Parlament verantwortlich. Die Kommission ist damit, wie Herr Furler gesagt hat, der Motor der Gemeinschaft. Verlöre sie ihre Eigenständigkeit, dann wäre ein Dialog mit den Regierungen im Ministerrat nicht mehr möglich, sicherlich aber nicht fruchtbar. Aber auch der Ministerrat ist, obwohl die Nationalstaaten in ihm vertreten sind, ein europäisches Organ. Auch bei seinen Entschließungen muß das Interesse der Gemeinschaft als Ganzes über dem der Nationalstaaten liegen. Eine Gemeinschaft liegt aber nur dann vor, wenn alle Partner alle Probleme als gemeinsame Probleme ansehen und auch als solche behandeln. Jede Gemeinschaft würde scheitern, wenn wahrhaft vitale Interessen einzelner Partnerstaaten verletzt würden. Das ergibt sich allein aus dem Charakter der Gemeinschaft. Dafür sorgt das institutionalisierte Zusammenspiel zwischen Kommission einerseits und Ministerrat andererseits. Dieses Prinzip gewinnt so die Rolle eines Federateurs, d. h. einer einigenden Kraft, die in Gemeinschaften auf hegemonialer Basis aus dem Übergewicht der Macht resultiert.So ist die Gemeinschaft nach den Worten Walter Hallsteins eine echte Rechtsordnung, so sind die Verträge von Rom das Grundgesetz der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der rechtliche Rahmen der europäischen Wirtschafts- und Sozialordnung. Wenn dieses Prinzip in Frage gestellt wird, so muß man fragen, ob es bisher funktioniert hat. Diese Frage ist mit einem klaren Ja zu beantworten.Die gemeinsame Zusammenarbeit in den europäischen Institutionen hat, aus der deutschen Perspektive gesehen, der Entwicklung einer deutsch-französischen Freundschaft erst die Grundlage und den Rahmen geboten. Die Zusammenarbeit an gemeinsamen Zielen, die Ersetzung des Machtgedankens durch das Rechtsprinzip,
wie Jean Monnet immer betont, hat die Beziehungen dieser beiden Länder von dem Cauchemar der Vergangenheit befreit. Das gilt für das Verhältnis der Bundesrepublik zu ihren übrigen Partnerstaaten in gleicher Weise.Die EWG unter Führung von Rat und Kommission hat der Wirtschaftsunion der Sechs eine wirtschaftliche Blüte ermöglicht, die in der Wirtschaftsgeschichte ohne Beispiel ist. Alle Partner — ich wiederhole: alle Partner — haben aus ihr wirtschaftliche Vorteile gezogen. Ihre Anziehungskraft ist so groß, daß Großbritannien im Jahre 1962 mit anderen Staaten den Beitritt gesucht hat und heute erneut zu suchen beginnt, daß mehr oder minder alle Staaten diesseits der Demarkationslinie den Wunsch haben, sich der EWG anzuschließen oder mindestens zu assoziieren. Selbst osteuropäische Länder sind von der Entwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beeindruckt.Sie hat schließlich die große Schutzmacht der westlichen Welt, die Vereinigten Staaten, dazu veranlaßt, einem Europa, das auch politisch mit „einer Stimme spricht" — und das ist der logische Abschluß des Integrationsprozesses, der in der EWG eingeleitet, aber noch nicht beendet ist —, eine Partnerschaft unter Gleichen anzubieten.Wenn dies das Ergebnis des bisherigen Verlaufs der Entwicklung der EWG ist, so besteht kein Zweifel, daß es im Interesse aller liegt, dieses historisch so wirkungsvolle Prinzip nicht dadurch zu verändern, daß das Verhältnis der wichtigsten Organe untereinander zu Lasten der Kommission verschoben und das auf der Mehrheitsregel beruhende Integrationsprinzip nicht beeinträchtigt wird.Kein Staat Europas muß in der Frage der Treue zu abgeschlossenen Verträgen gewissenhafter sein als die Bundesrepublik.
Kein Land wird hierfür mehr Verständnis haben als Frankreich, wo die Sakrosanktheit der Verträge eine ununterbrochene nationale Tradition ist. Wenn also die Bundesrepublik in den kommenden Verhandlungen von der Basis der Verträge ausgehen muß, so fragt es sich, ob ohne Änderung der Verträge Möglichkeiten bestehen, Mißbräuche zu verhindern, die in einer Majorisierung einzelner Partner in Fragen vitaler Bedeutung liegen könnten.Der belgische Ministerpräsident Spaak hat zu Recht darauf hingewiesen, daß es hier gar nicht um die Frage „Mehrheit oder Einstimmigkeit", sondern in Wahrheit um das Prinzip der qualifizierten Mehrheit geht. Was ausgeschlossen werden muß, ist das Veto eines einzelnen Staates. Vieles ist über diese Frage im Laufe der Debatte gesagt worden. Sicherlich ist eines klar: Wenn eine Vertragsänderung nicht möglich ist, so sollten sich Lösungen finden lassen, die, vom Gemeinschaftsgedanken getragen, einen solchen Mißbrauch ausschalten.Das sogenannte vitale Interesse ist juristisch nicht formulierbar. Die Lösungen können also im wesentlichen nur im prozeduralen Bereich liegen, im besonderen in der Übereinstimmung aller, gemein-
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Dr. Birrenbachschaftskonform zu handeln. Das setzt aber voraus, daß die Rolle der Kommission in diesem Bereich, die die eines Moderators ist, nicht verändert und insbesondere nicht abgestuft wird. Einzelne Bestimmungen des französischen Zehner-Katalogs machen eine solche Interpretation möglich. Andere sind durchaus diskussionsfähig.Im übrigen ist die Rolle der Kommission nach Art. 162 des Vertrages — worauf der Bundesaußenminister hingewiesen hat — Gegenstand einer Übereinkunft zwischen Kommission und Rat. Der Ministerrat kann also nur Überlegungen anstellen, welche Gedanken in den Verhandlungen mit der Kommission über ihre Verhaltensweise diskutiert werden sollen. Auch hier sind Vertragsabänderungen unmöglich. Die Stipulierung einer Konsultationsverpflichtung für die Kommission, wie sie z. B. in Punkt 1 des Zehner-Katalogs enthalten ist, ist undenkbar. Eine vorherige Kontaktnahme zwischen Kommission und Rat aber ist auf der anderen Seite ebenso wünschenswert wie notwendig.Die Kommission kann aber auch dadurch geschwächt werden — beachten wir das sehr! —, daß die Persönlichkeiten, welche die Regierungen in sie delegieren, nicht von dem politischen Rang sind wie diejenigen, die die heutige Kommission bilden.
Eine Schwächung des Organs der Kommission im Verhältnis zum Rat — darüber müssen wir uns völlig klar sein — würde den gesamten Mechanismus der Römischen Verträge aus den Angeln heben.
Wir sind sicher, für diesen Gedanken überall Verständnis zu finden, zumal dann, wenn die Verhandlungen zwischen der Kommission und dem Rat über ihr zukünftiges Verhältnis im Geiste der Gemeinschaft und auf der Grundlage der Verträge geführt werden.Die Verhandlungen der deutschen Delegation können also in Luxemburg nur auf der Basis der Verträge geführt werden, und zwar mit Festigkeit, Besonnenheit, Konzilianz und Verständnis für alle Vertragspartner. Wenn sich, wie es den Anschein hat, alle Delegationen über diese Grundprinzipien klar sind, wäre es jedenfalls absolut notwendig, daß die Römischen Institutionen wieder an ihrem eigentlichen Sitz in Brüssel über das Programm der Zukunft verhandeln. Ein anderer Weg besteht nicht. Weitere Préalables sind in diesem Zusammenhang nicht mehr möglich. Darüber sind sich alle Redner des heutigen Tages klar gewesen.Nach einer Einigung über diese beiden fundamentalen Punkte hat also die normale Arbeit der Institutionen in Brüssel wieder zu beginnen. Der Zeitplan, der in Luxemburg für die künftige Arbeit vorgetragen worden ist, wurde vom französischen Außenminister als Croquis, d. h. als Skizze, bezeichnet. Daß eine Skizze unverbindlich ist, ist ebenso klar, wie es klar ist, daß Programme und Termine einer Gemeinschaft nur gemeinsam festgelegt werden können. Darüber kann und sollte nirgendwo ein Zweifel bestehen. Im übrigen ist das Programm dieser Skizze auch so umfangreich, daß es in der angegebenen Zeit einfach nicht abgewickelt werden kann.Was nun die einzelnen Fragen anbelangt, die auf der Tagesordnung der normalen Ratssitzung zusammen mit der Kommission in Brüssel behandelt werden sollen, so erscheint es heute verfrüht, diese hier in Einzelheiten zu behandeln. Erst muß die Klippe von Luxemburg überwunden sein, ehe in Brüssel in die Erörterung sachlicher Fragen wieder eingetreten werden kann. Für diese schälen sich aber aus der bisherigen Debatte für die Zukunft, das heißt immer, wenn die Hoffnung sich erfüllt, daß Frankreich seinen Platz in Brüssel im Kreise von Rat und Kommission wieder einnimmt, einige grundsätzliche Gesichtspunkte heraus, die ich nochmals zusammenfassen möchte.Lassen Sie mich aber diese Erwägungen aus wohlverstandenen Gründen mit einer Bemerkung beginnen. Die Bundesrepublik will den europäischen Agrarmarkt ebenso, wie alle Partner den industriellen Markt wünschen.
Das soll die französische Besorgnis zerstreuen, als wäre die Bundesrepublik nicht bereit, dem französischen Interesse an einer vernünftigen und praktikablen agrarpolitischen Regelung Rechnung zu tragen.Damit ist aber gleichzeitig ein anderes Problem gestellt, für das wir Frankreich bitten müssen, das gleiche Verständnis zu haben. Eine harmonische Entwicklung der Gemeinschaft — und das sieht Art. 2 des Vertrages vor — ist nur denkbar, wenn nicht einzelne Bereiche von besonderem Interesse für einzelne Partner zeitlich vorgezogen, sondern nach Möglichkeit alle nach dem Grad ihrer Dringlichkeit pari passu behandelt werden. Agrarmarkt j a, aber gleichzeitig Industriemarkt!
Die Probleme in Brüssel müssen nach ihrer effektiven Dringlichkeit behandelt werden. Diese Dringlichkeit hat sich in manchen Fragen auf Grund der Abwesenheit eines Partners eher erhöht als vermindert. Ich denke insbesondere an die Fragen der Kennedy-Runde. Diese ist nicht nur für die Bundesrepublik von außerordentlicher politischer wie wirtschaftlicher Bedeutung; sie ist es auch für Europa als Ganzes. Hat die Kennedy-Runde Erfolg, so wird die zollmäßige Kluft zwischen den beiden Teilen Europas vermindert und den Vereinigten Staaten die Aufgabe erleichtert, ihre militärische Schutzfunktion in Europa auszuüben, die für alle europäischen Staaten — ich wiederhole: für alle — von fundamentaler Bedeutung ist.Prozediert der Ministerrat nach Wiederaufnahme seiner normalen Tätigkeit in Brüssel nach den Gesichtspunkten der Gleichgewichtigkeit einerseits und der materiellen Dringlichkeit andererseits, so kommen wir zurück zu einem Geist, der die Juni-Besprechungen 1965 zwischen Staatssekretär Lahr und M. Wormser, dem Vertreter des französischen Außenministers, einerseits und die Gespräche zwischen dem damaligen französischen Wirtschaftsmi-
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Dr. Birrenbachnister und Herrn Schmücker andererseits beseelt hat. In der Dokumentation der Gemeinschaft findet eine solche Prozedur ihren Niederschlag in den Leitlinien des Ministerrates für die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik vom 1. Dezember 1965 und in dem Memorandum der Kommission vom 22. Juli 1965.Was nun die Fusion der Exekutiven anbelangt, so hat die Bundesrepublik diesen Vertrag frühzeitig ratifiziert; früher als die meisten anderen Mitglieder der Gemeinschaft. Sie hat damit ihr positives Interesse ' eindeutig unter Beweis gestellt. Andererseits verstehen wir, daß es schwierig ist, Parlamenten anderer Mitgliedstaaten für die Ratifizierung dieser Vereinbarung Fristen zu setzen.Bei der Lösung der personellen Fragen sollten, wenn einmal die Normalisierung der Arbeit in Brüssel wieder eingetreten ist, mehrere Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Die Kontinuität der Arbeit der Kommission ist in der vor uns stehenden Zeit wichtiger und unentbehrlicher denn je. Ferner sollte der Respekt vor historischen Leistungen nicht übersehen werden. Institutionen sind so stark, wie die Persönlichkeiten, die sie tragen und verkörpern.Gestatten Sie mir zum Schluß eine Bemerkung. Alle europäischen Nationen, ohne Ausnahme, sollten sich in dieser Krise darüber klar sein, daß es für die europäischen Institutionen keine vollwertige Alternative gibt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Guttenberg.
Herr Präsident meine Damen und Herren! Ich habe nicht vor, über all die hier zur Diskussion stehenden Teilprobleme noch etwas zu sagen. Ich möchte aber gerne noch einige politischen Bemerkungen in dieser Debatte anbringen. Ich glaube, daß eine Krise, die die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft befallen hat, auch eine Krise ist, die an das Mark der deutschen Politik rührt. Denn der Fortschritt der europäischen Einigung im Gemeinsamen Markt muß als der bisher hoffnungsvollste Teil der westlichen Politik insgesamt angesehen werden. Von dort aus, von diesem Fortschritt im Gemeinsamen Markt aus, sind meines Erachtens auch die eigentlich wirksamsten Einflüsse auf das sogenannte sozialistische Lager ausgegangen. Bisher sind trotz aller Schwierigkeiten, die es in diesem Gemeinsamen Markt gab, keine überzeugenderen Gegenbeispiele zu den kommunistischen Thesen und Erwartungen in der Wirklichkeit der westlichen Welt sichtbar geworden.Gleichzeitig ist die Einigung und Stärkung Europas — so scheint mir jedenfalls — heute aktueller und wichtiger für die europäische Selbsterhaltung denn je. Niemand wird bezweifeln, daß die Welt über den durch ein Jahrzehnt dauernden Zustand einer bipolaren, dualistischen Organisation hinausgekommen ist und daß wir heute in einer Welt leben, in der es drei Machtzentren gibt. Heute gibt es drei Machtpole. Jeder dieser drei Machtpole steht gegen die beiden anderen. Die Welt ist dadurch nur noch weniger stabil geworden, das Gleichgewicht in der Welt nur noch prekärer.Europa gehört noch immer nicht zu den bestimmenden Machtzentren dieser Welt. Es ist noch immer zersplittert, es ist noch immer ohne einheitlichen eigenen Willen, und es ist noch immer nicht in der Lage, aus eigener Kraft zu handeln. Die Gefahr also, daß die Wellen, die die Auseinandersetzung dieser drei Großen eines Tages aufrühren könnte, Europa, ein ohnmächtiges Europa, überspülen könnten, ist meines Erachtens größer denn je.Die Vereinigten Staaten, die Vor- und Schutzmacht der westlichen Welt, sind zunehmend an anderen Orten, auf anderen Kontinenten in Anspruch genommen, in Asien, in Lateinamerika, vielleicht morgen in Afrika. Und deshalb scheint es mir auch im Interesse der Vereinigten Staaten zu sein, ein starkes Europa zu schaffen. Vor allem aber ist es ein Gebot für die europäische Zukunft, daß die Europäer ihr eigenes Schicksal zunehmend in eigene Hand nehmen. Europa darf nicht Objekt außereuropäischer Entwicklungen werden.Daher halte ich es für kein Wunder, wenn alle Parteien dieses Hauses die gegenwärtige Krise des Gemeinsamen Marktes überaus ernst nehmen. Es ist sicher ein ungewöhnliches Verfahren, wenn zwischen zwei Verhandlungsphasen in Luxemburg dieses Haus eine Debatte angesetzt hat. Darüber besteht also kein Streit, daß wir uns in einer außerordentlich ernsten Krise befinden und daß ein Kernstück der westlichen Politik gefährdet scheint.Das Problem jedoch, über das wir hier zu reden haben, ist: Wie soll die deutsche Politik prozedieren, welchen Weg soll die deutsche Politik einschlagen, um diese Gefahr zu bannen? Mir scheint, das Gebot Nummer eins für die deutsche Politik ist, sich selbst ein klares Ziel zu setzen, zu wissen also, was man selbst will .Und das Gebot Nummer zwei müßte wohl heißen: zu erkennen suchen, was die anderen Beteiligten, die anderen Fünf, in dieser krisenhaften Situation wollen.Was wir wollen müssen, meine Damen und Herren, scheint mir eindeutig dies zu sein: unser Ziel muß sein, die Substanz der EWG zu erhalten. Ich würde es für unklug, für ungeschickt halten, wenn wir hier heute etwa sagten, was im Detail, im einzelnen, zu dieser Substanz gehört und was nicht.
Wir können, meine ich, nur die Richtung angeben. Und zu dieser Richtung muß es gehören, daß es keine dogmatischen Haltungen und keine EWG-Orthodoxie geben sollte. Wenn irgendwo flexible, pragmatische Politik angebracht ist, dann gewiß hier, wo es darum geht, den Gemeinsamen Markt in seiner Substanz zu erhalten.Ich möchte hier eine Warnung aussprechen. Ich glaube, daß man auch ein noch so richtiges Prinzip durch Prinzipientreue zu Tode reiten könnte. Das gilt sicherlich auch für das von diesem ganzen Hause für richtig gehaltene Prinzip der Integration,
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Freiherr von und zu Guttenbergalso für das Prinzip der Verschmelzung in den Gemeinsamen Markt. Daß sich die Parteien hier in diesem Ziel einig sind, darüber brauchen wir glücklicherweise nicht zu reden. Die Frage ist heute nur, welchen Verwirklichungsgrad dieser Integration wir gegenwärtig für möglich halten.Da möchte ich nur sagen, daß die deutsche Politik nach meiner Meinung lieber ein wenig langsamer vorangehen sollte, als möglicherweise ganz vom Weg abzukommen oder, wie es eine ausländische Zeitung gesagt hat: ein gestrandetes Schiff ist sicher schlechter als ein Schiff, das nur in seiner Fahrt verlangsamt wurde.Ein Weiteres scheint mir auch deutlich zu sein, daß nämlich die Substanz der EWG zu erhalten gleichzeitig heißt, die Sechsergemeinschaft als Sechsergemeinschaft zu erhalten. Hierüber ist bereits von Frau Strobel etwas gesagt worden, dem ich zustimmen möchte. Auch ich glaube, daß es keine realistische Alternative für diese Sechsergemeinschaft gibt.Es gab in der öffentlichen Diskussion da und dort die Auffassung, daß man es für eine Übergangszeit vielleicht auch ,zu fünft versuchen könnte. Nach meiner Meinung, meine Damen und Herren, wird es entweder eine EWG mit Frankreich oder eben leider keine EWG geben; allenfalls eine große Freihandelszone in Europa, — wenn man will: eine großeuropäische EFTA. Diese könnte man, wenn man nur wirtschaftlich denken wollte, vielleicht als eine Alternative ansehen, und sie mag wirtschaftlich vielleicht sogar zum Teil wünschbar sein. Wer politisch denkt, muß eine solche sogenannte Lösung meines Erachtens aber ablehnen.Die zweite Frage, die ich gestellt habe, war, was die anderen wollen. Dazu darf ich zunächst die Frage stellen, was die anderen Vier, soweit man das sehen kann, für Meinungen vertreten. Auch hier möchte ich eine Warnung aussprechen. Es war sehr viel von der Einigkeit der Fünf gegenüber den Vorstellungen des einen, nämlich Frankreichs, zu lesen. Ich glaube aber, man sollte nicht Gefangener eigener Wünsche und Vorstellungen werden.Mir scheinen die Auffassungen der Fünf — so jedenfalls hat es sich in Luxemburggezeigt — einigermaßen nuanciert und differenziert zu sein. Ich würde es für eine etwas voreilige Betrachtung und Bewertung halten, wenn man heute glauben sollte, daß Isolierung nur an einer Stelle möglich wäre. Ich halte es fraglos nicht für eine deutsche Aufgabe, etwa den Ehrgeiz zu entwickeln, sozusagen der Anführer dieser Fünf sein zu wollen. Deutsche Vorstellungen muß man vorbringen, selbstverständlich. Aber ich glaube, daß man den Deutschen keinen Schritt raten sollte, wie es etwa die „Financial Times" dieser Tage getan hat, die geschrieben hat, daß Deutschland der Anführer der Fünf gegen Frankreich sein müsse und sich nur die Frage stelle, ob Deutschland auch den Mut haben werde, zum drittenmal in einer Generation den endgültigen Bruch mit Frankreich zu vollziehen. Eines erscheint mir sicher: Was hier eine ausländische Zeitung offenbar erhofft, wäre geradezu der sicherste Weg in die deutsche Isolierung.Lassen Sie mich dann kurz noch sagen, was Frankreich, soweit man das sehen kann, nach meiner Meinung will. Ich hatte die Möglichkeit, gestern in Paris mit einigen klugen Beobachtern der dortigen Szene zu sprechen. Das Ergebnis dieser Gespräche ist dies: Ich glaube, daß Frankreich kein Interesse daran hat, die EWG auseinanderbrechen zu lassen. Frankreich hat sicherlich ein hohes Eigeninteresse am Fortbestand des Gemeinsamen Marktes. Aber andererseits, meine Damen und Herren, scheinen mir auch Situationen denkbar zu sein, in denen es zu extremen französischen Schritten kommen könnte.Ich möchte daher ein deutliches Wort sagen. Auch ich gehöre zu denen, die sagen, daß die französische Methode in dieser Sache gewiß nicht zu verteidigen ist. Ich verstehe daher manches emotionale Wort, das in der deutschen Diskussion aufgekommen ist. Dennoch möchte ich sagen, daß die Kritik an Maßnahmen der französischen Regierung noch immer an jener Grenze haltmachen sollte, wo die Gefahr für die deutsch-französische Verständigung zwischen den Völkern beginnen könnte. Deshalb sollte man sich in aller Nüchternheit diese französischen Vorstellungen ansehen und lediglich die Frage stellen: Was schadet und was nützt, und welche Gründe gibt es für die gegenwärtigen französischen Auffassungen?Mir scheint, meine Damen und Herren, daß einiges von dem, was man da in Frankreich sagt, auch hier beherzigenswert sein könnte; beispielsweise dies: Ich glaube, daß die französische Erkenntnis, die da deutlich ausgesprochen wurde, daß es nämlich eine automatische Entwicklung von der technischwirtschaftlichen Einigung im Gemeinsamen Markt zur politischen Einigung gebe, richtig ist und daß auch wir uns dieser Erkenntnis fügen sollten. Damit ist aber auch gesagt, daß die Wirtschaftsgemeinschaft der EWG nur beschränkt möglich ist, solange es nicht einen gemeinsamen politischen Willen der Teilnehmer in den wesentlichen Fragen gibt. Wie will man zum Beispiel gemeinsame Außenhandelspolitik führen, wenn in wichtigen Gebieten der Außenpolitik zwischen den Teilnehmern keine Übereinstimmung besteht?Deshalb ist meine Meinung die, daß der eigentliche Grund der gegenwärtigen EWG-Krise in zwei Dingen gesehen werden muß. Der eine Grund ist sicher die französische Abneigung gegenüber dem Prinzip der Integration. Aber der zweite Grund — und ich stehe nicht an, zu sagen, daß nach meiner Auffassung dieser zweite Grund noch wichtiger ist — besteht wohl darin, daß es augenblicklich eine weitgehende Uneinigkeit der Partner über wesentliche politische Fragen gibt, insbesondere eine Uneinigkeit über diese Fragen zwischen Deutschland und Frankreich. Mir scheint also, solange keine Einigung zum Beispiel über die Rolle Europas in der gegenwärtigen Welt, sowohl innerhalb der westlichen Allianz als auch in der Auseinandersetzung mit dem Osten, zu erreichen ist, solange wird es wahrscheinlich auch immer wieder Schwierigkeiten in der EWG geben.Insoweit möchte ich also formal der französischen Meinung beipflichten, daß die Einigung Europas
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Freiherr von und zu Guttenbergeben nicht ein bloß technischer Vorgang ist, sondern das Endresultat eines stetig bekundeten politischen Einigungswillens sein muß, des Willens also zu gemeinsamer Politik. Daher glaube ich, daß das Thema der politischen Union, das auch uns in diesem Hause in den letzten Jahren immer wieder beschäftigt hat, nach wie vor aktuell ist. Für dieses Thema der politischen Union gilt der Satz, daß man mit bloßer Institution, mit bloßer Form nicht vorankommt, sondern daß der Inhalt, nämlich die wirkliche politische Einigung, das eigentlich Wichtige ist. Es ist, so meine ich, jedenfalls nicht zu bestreiten, daß der Gemeinsame Markt demnach nicht eine Sache an sich ist, die man losgelöst von allen übrigen Problemen Europas betrachten könnte. Ich glaube, man muß immer wieder sagen, daß gemeinsame Außen-und Verteidigungspolitik in Europa gleichzeitig entwickelt, begonnen werden müssen.Lassen Sie mich hier die Behauptung aufstellen, daß die mehrfache Aufforderung der französischen Regierung zu europäischem politischem Zusammenwirken in einer solchen politischen Union — wie etwa die Rede de Gaulles in Straßburg über die Möglichkeit einer gemeinsamen Organisation der europäischen Verteidigung — sehr wohl auch der Schlüssel zum Fortschritt in der wirtschaftlichen Einigung in der EWG sein mag. Hier, meine Damen und Herren, sehe ich die deutsche Aufgabe, hier sehe ich auch die eigentliche Funktion des Vertrages zwischen Deutschland und Frankreich. Ich darf zitieren, was der Herr Bundeskanzler in seiner ersten Regierungserklärung zu diesem Vertrag sagte: er sei das bewegende Element für die deutsche Europapolitik. Ich halte diesen Satz für rundherum richtig und aktuell. Ich wage daher auch hier zu sagen, daß der zweite Teil der Luxemburger Konferenz ganz gewiß von hoher Wichtigkeit sein wird. Es muß dort gelingen, daß EWG-Schiff sozusagen über Wasser zu halten. Ich glaube aber, daß der noch wichtigere Termin, der vor der deutschen Politik steht, der Besuch des Bundeskanzlers beim französischen Staatspräsidenten sein wird. Dort kann meines Erachtens das EWG-Schiff dann wieder flottgemacht werden, wenn nämlich beide Partner sich einigen könnten, daß es vor allem anderen gilt — so glaube ich jedenfalls —, erste konkrete und sichtbare Schritte zu tun, um den politischen Partner Europa innerhalb einer atlantischen Partnerschaft für die Vereinigten Staaten von Amerika zu schaffen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Apel.
Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich richtig, daß es sich bei der gegenwärtigen Krise der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vor allem um eine Strukturkrise handelt. Ich meine, im Rahmen der Probleme der künftigen Struktur der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist es vor allen Dingen wesentlich, in diesem Hause etwas auszusagen zur Frage der Möglichkeit von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat. Ich meine allerdings, wir müßten die Frage etwas genauer betrachten, etwas mehr den Vertrag ansehen und wirklich feststellen, ob es so etwas geben könnte wie ein unaufschiebbares und undurchbrechbares Veto der französischen Regierung, wenn wir die französischen Vorstellungen akzeptieren sollten.Der Ministerrat kann, wie es der Vertrag vorsieht, erstens mit einfacher und qualifizierter Mehrheit abstimmen. Er kann zweitens auch in Zukunft eine ganze Reihe von Dingen wie in der Vergangenheit nur einstimmig beschließen. Er kann drittens ab 1. Januar dieses Jahres in einer Reihe von Fällen mit qualifizierter Mehrheit entscheiden. Die Dinge, die von Anbeginn an mit einfacher oder qualifizierter Mehrheit entschieden werden konnten, sind uninteressant. Hier werden sicherlich auch die Franzosen in Zukunft bereit sein mitzumachen. Das sind Sachentscheidungen, bei denen es um die Ausgestaltung des Sozialfonds, um die Zollmodalitäten usw. geht; ich will Sie damit nicht langweilen.Ein einziger Punkt ist hier wesentlich. Von Anbeginn an wurde das Budget der Europäischen Gemeinschaften mit qualifizierter Mehrheit verabschiedet. Wir alle sehen in diesen Wochen, wie sehr doch das Budget der EWG ein politisches Instrument ist, um die Arbeiten der europäischen Exekutiven zu beeinflussen. Herr Professor Furler hat bereits darauf aufmerksam gemacht, daß das politischste Budget dieser Gemeinschaften, nämlich der Forschungshaushalt für Euratom — hiermit werden die Weichen für die technologische Entwicklung der Gemeinschaft gestellt —, bereits dreimal mit qualifizierter Mehrheit angenommen worden ist. Zweimal wurde Frankreich in die Minderheit gesetzt, einmal Italien, und in allen drei Fällen haben sich die unterlegenen Partner der Entscheidung gefügt. Wir können also feststellen, daß in diesem Bereich der einfachen, nicht problematischen Mehrheitsentscheidung — klammern wir das Budget einmal aus — keine Probleme gegeben sind.Einstimmigkeit in Vergangenheit und Zukunft! Meine Damen und Herren, die wesentlichen Sachentscheidungen in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, ihrer Ausgestaltung, werden auch in Zukunft nur mit Einstimmigkeit im Ministerrat der EWG beschlossen werden können. Das müssen wir ganz deutlich sehen. Eine gemeinsame Konjunkturpolitik — nur einstimmig möglich; eine Harmonisierung der Sozialversicherungssysteme — nur einstimmig möglich; eine Harmonisierung des Kapitalverkehrs zwischen den EWG-Staaten und dritten Ländern, eine sehr wesentliche Frage im Verhältnis der EWG zu den USA — nur einstimmig .möglich; Neuaufnahme, Assoziierung von Drittländern — nur einstimmig möglich; und um die Aufstellung abzuschließen: Harmonisierung der Steuersysteme, Harmonisierung der Rechtsvorschriften — nur einstimmig möglich. Meine Damen und Herren, wir werden, ob es uns lieb ist oder nicht, auch in Zukunft akzeptieren müssen, daß es in diesen entscheidenden Bereichen so etwas gibt wie ein Veto eines einzelnen Partners gegen Fortschritte auf dem Wege zur Wirtschaftsunion.Es bleiben also die Bereiche, in denen ab 1. Januar 1966 wesentliche Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit gefällt werden können. Das ist
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Dr. Apeleinmal die Landwirtschaft, das ist der Verkehr, das ist der Kapitalverkehr innerhalb der Gemeinschaft — ziemlich uninteressant — und schließlich — sehr wesentlich und wiederholt erwähnt — die gemeinsame Außenhandelspolitik.Bei der gemeinsamen Verkehrspolitik gibt es zudem noch ein Veto; Art. 75 Abs. 3 des EWG-Vertrages gibt die Möglichkeit, daß ein Mitgliedstaat sagt: Wir können gemeinsame Regelungen nicht akzeptieren, hier stehen lebenswichtige Interessen unserer Volkswirtschaft auf dem Spiel, und deshalb fordern wir: zurück zur Einstimmigkeit. Es bleibt also als wesentlich nur — und das ist die Diskussion, um die es heute eigentlich geht —: die Einstimmigkeit wird aufgehoben und qualifizierte Mehrheitsentscheidungen werden möglich im Bereich der Agrarpolitik und im Bereich der Entwicklung der gemeinsamen Außenhandelspolitik. Gerade bei der gemeinsamen Außenhandelspolitik — Herr Kollege Guttenberg hat schon darauf aufmerksam gemacht — wird natürlich die Verbindung zur allgemeinen Politik deutlich. Die Außenhandelspolitik ist ein Teilgebiet der allgemeinen Außenpolitik, und damit wird klar, daß sich hier etwas anbahnt, was über die normale wirtschaftliche Integration der letzten Jahre hinausgehen soll.Nun sagten Sie, Herr Kollege Guttenberg, Sie hätten ein gewisses Verständnis für die Argumente der französischen Regierung und auch der gaullistischen Abgeordneten in Straßburg, daß man doch nicht so auf Schleichwegen die politische Integration in die Wege leiten könne. Ich bin darin mit Ihnen nicht einverstanden, und zwar aus zwei Gründen.Einmal hat doch der EWG-Vertrag einen politischen Impetus. Es geht doch nicht nur darum, mit diesem EWG-Vertrag einen Verein zur Schaffung ökonomischer Vorteile auf der Basis der Gegenseitigkeit von sechs Staaten zu schaffen, sondern es geht darum, die politische Integration auf dem Umweg über die ökonomische Integration in Gang zu setzen.
Ich meine also: Dieser Vertrag ist von der französischen Regierung mit unterschrieben worden — Frau Abgeordnete Strobel hat darauf hingewiesen —, dieser Prozeß ist im Gange, und man kann hier nicht eingreifen und sagen: das haben wir nicht gewollt. In dem Moment, wo man das tut, weicht man von den Prinzipien des EWG-Vertrages ab; denn das Ziel der politischen Integration steht ganz klar in der Präambel des EWG-Vertrages.Und ein Zweites: Sicherlich ist es gut und notwendig, und ich gebe Ihnen darin völlig recht, daß es an der Zeit wäre, die politische Integration der Sechs voranzutreiben. Aber woran und an wem ist denn diese politische Integration in den letzten Jahren eigentlich gescheitert?
Es ist doch nicht so, daß wir nicht gewollt hätten, sondern es wurden uns Bedingungen gestellt — denken Sie an die Fouchet-Pläne und an die sichdann anschließende Diskussion —, die nicht akzeptabel waren. Man kann also nicht so verfahren, wie Sie es versucht haben — entschuldigen Sie, daß ich das so deutlich sage —, quasi mit der Methode „haltet den Dieb", Frankreich zu entlasten, um so weniger, als wir hier im Deutschen Bundestag sind. Da haben wir keinen Grund, diese Methode anzuwenden. Trotzdem bin ich der Meinung, daß es auch an uns ist, offen zu sein und zu sagen: auch wir sind der Meinung, die politische Integration sollte jetzt in die Wege geleitet werden, macht uns Vorschläge, wir werden bereit sein, zu jeder Zeit darüber zu diskutieren, um zu sehen, wie wir zu Rande kommen.Gestatten Sie mir, daß ich zum Schluß komme. Ich möchte hier keine lange Rede halten. Das erste Mal ist man ja auch etwas gehemmt und hat großes Herzklopfen.
Meine Damen und Herren, ich meine, aus meinen Bemerkungen ergeben sich vier Konsequenzen.Die erste Konsequenz ist die, daß wir ein Prinzip verteidigen, das Prinzip der Mehrheitsentscheidungen, und daß dieses Prinzip zur Zeit real nur in den zwei Bereichen, der Landwirtschaftspolitik und der Außenhandelspolitik, anwendbar ist. Wir sollten also nicht dramatisieren und so tun, als ob wir mit einem Nachgeben ein unaufschiebbares Veto in allen Bereichen schüfen. Trotzdem müssen wir dieses Prinzip verteidigen, weil wir auf diese Art und Weise die Tür für weitere Integrationsvorgänge offenhalten. Um mehr geht es nicht.Zweitens: Niemand denkt daran, dieses Instrument der qualifizierten Mehrheitsentscheidungen als Brecheisen zu benutzen. Die Franzosen nennen ihre Atombombe nicht mehr „Force de frappe", sondern nennen sie in den letzten Jahren „Force de dissuasion". Es geht also nicht um Abschreckung, sondern darum, den Gegner zu einem vernünftigen politischen Verhalten zu veranlassen. So ist auch das Prinzip der qualifizierten Mehrheitsentscheidung zu verstehen als eine Waffe, ein letztes Mittel, um unseren Partner davon zu überzeugen, daß es doch zweckmäßig sei, gemeinsame Regelungen zu akzeptieren.
Ein Drittes. Es ist im deutschen Interesse sicherlich notwendig, eine gleichgewichtige Entwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu sichern; also nicht nur Zollunion mit einem Anhang Agrarmarkt, sondern auch gemeinsame Wirtschaftspolitik, gemeinsame Finanzpolitik usw. Nur seien wir uns darüber im klaren: gemeinsame Finanzpolitik, gemeinsame Konjunkturpolitik sind Dinge, die laut Vertrag einstimmig beschlossen werden müssen. Davon kommen wir nicht herunter. Wir müssen uns bei den Verhandlungen, die mit den Franzosen noch folgen werden, darüber im klaren sein, daß hier für uns Probleme liegen. Im Bereich der Agrarpolitik können, wenn alle nach Brüssel an den Tisch des Ministerrates zurückgekehrt sind, qualifizierte Mehrheitsentscheidungen getroffen werden. Aber im Be-
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Dr. Apelreich der Finanzpolitik, der Konjunkturpolitik, der Wirtschaftspolitik im allgemeinen, unterliegen wir auch weiterhin dem französischen Veto, wenn wir nicht aufpassen und uns vorher gewisse Garantien geben lassen.Ein Viertes und Letztes, meine Damen und Herren! Wir kämpfen als Parlamentarier für qualifizierte Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat. Wir stärken damit nicht die Rolle des Europäischen Parlaments — Frau Strobel hat darauf hingewiesen —, sondern wir schwächen sie gleichzeitig indirekt. Der Charakter des Ministerrates als Legislative, wenn er qualifizierte Mehrheitsentscheidungen fällt, wird verstärkt. Es wird auch in diesem Hause in Zukunft nicht mehr ohne weiteres möglich sein, den zuständigen Minister, der in einer Frage überstimmt worden ist — nehmen wir als Beispiel, das denkbar ist, die Landwirtschaftspolitik —, vorzuladen und zu sagen: Bitte, wie konnte denn das geschehen? Es muß also mit der Einführung der qualifizierten Mehrheitsentscheidung im Ministerrat gleichzeitig überlegt werden, wie wir die ganze Struktur der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ändern, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, daß eine zunehmende Entparlamentarisierung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Platz greift.
— Sehr richtig, Herr Kollege Wehner, die sicherlich von manchen Regierungen gewünscht wird.Ergebnis: Wenn wir uns hier für qualifizierte Mehrheitsentscheidungen einsetzen, verteidigen wir ein Prinzip und sind gleichzeitig als Parlamentarier selbstlos, um im Interesse Europas die jetzige Krise zu überwinden und einen neuen Start zu ermöglichen.
Herr Kollege Dr. Apel, ich möchte Sie ermutigen, bei ihrem Stil zu bleiben, ohne Zettel und ohne vorher sorgfältig redigierte „spontane" Rede hier zu erscheinen. Das ist das Idealbild für dieses Haus.
Es kann einem dabei gelegentlich auch einmal ein Schnitzer passieren; aber das ist nicht so wichtig. Viel wichtiger ist die Spontaneität einer solchen Rede. Vielleicht können auch die Älteren dabei etwas lernen, auch wenn sie schon lange hier sitzen.
Jetzt gebe ich das Wort an Herrn Dr. Lenz, der auch eine Jungfernrede hält. — Er kommt auch ohne Zettel; das ist gut.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der vorzüglichen Rede meines früheren Kollegen Apel ist es sehr schwierig, hier noch eine überzeugende Leistung zu vollbringen. Aber ich will mir Mühe geben.Ich möchte meine Darlegungen auf vier Punkte beschränken: Der erste ist die Zielsetzung unserer europäischen Politik, der zweite ist die Natur der Krise, die wir haben, der dritte die Frage der gleichgewichtigen Entwicklung und der vierte das Verhältnis zwischen EWG und Politischer Union. Wir sind uns, glaube ich, alle mit Herrn zu Guttenberg darüber einig, daß ein starkes Europa, das neben den Vereinigten Staaten, der Sowjetunion und China einen Platz an den großen Verhandlungstischen dieser Welt einnehmen kann, das Ziel unserer Politik ist. Nun bedarf — dafür ist uns der französische Staatspräsident Zeuge — ein solches Europa der Organisation, und der Beginn der Organisation Europas liegt eben in den drei Gemeinschaftsverträgen, die wir bereits abgeschlossen haben. Diese drei Gemeinschaftsverträge sind eine Art Verfassung für dieses werdende Europa, und die Krise, die wir im Augenblick haben - ich verfolge jetzt einen Gedanken von Herrn Birrenbach —, ist eben eine Krise der Strukturen der Gemeinschaft oder wenn Sie so wollen, eine Verfassungskrise. Das ist im Rahmen einer sich bildenden Gemeinschaft etwas Natürliches, aber man muß genau wissen, wie man sich darin zu verhalten hat. Die Verträge können geändert werden, gewiß; und man kann durchaus der Meinung sein, daß sie geändert werden sollten. Das ist nicht verboten. Aber wenn man solche Verträge, die Verfassungen sind, ändern will, muß man das in der Verfassung vorgesehene Verfahren beachten. Bis heute, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir noch kein Wort davon gehört, daß irgend jemand etwa an den Texten etwas zu ändern gedenkt. Wenn man aber die Texte nicht ändern will, muß man sich darüber im klaren' sein, daß der Interpretation der Texte zu ihrer Veränderung gewisse enge Grenzen gesetzt sind. Man darf in einem werdenden Staat nicht ein bißchen außerhalb der Legalität herummarschieren.
Deshalb war ich sehr befriedigt über die Erklärungen des Herrn Bundesaußenministers heute morgen und über die Erklärungen der anderen Minister in Europa, die wir letzte Woche gehört haben, daß nämlich niemand daran denke, etwas außerhalb der Legalität 'zu gehen.Meine Damen und Herren! Die Mehrheitsentscheidungen und die Stellung der Kommission sind 'der Kern dieser Verfassung, und wenn Sie an diesem Kern etwas ändern, ändern Sie die Verfassung. Darüber muß man sich völlig im klaren sein. Bei dem sogenannten Wohlverhalten der Kommission geht es doch im Grunde genommen um vier Punkte: das Verhältnis der Kommission zur dritten Welt, das Verhältnis der Kommission zur europäischen Öffentlichkeit, das Verhältnis der europäischen Kommission zu dem Geld, das ihr zur Verfügung steht, und damit das Verhältnis der Kommission zum Rat. ,Niemand in diesem Hause wird ja wohl Zweifel daran hegen, daß eine Veränderung dieser Verhältnisse eine grundlegende Änderung der Stellung der Kommission und damit des Kerns der Verfassung zur Folge halben würde.
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Dr. Lenz 'Lassen Sie mich nur noch ein Wort zu der gleichgewichtigen Entwicklung sagen. Die gleichgewichtige Entwicklung ist in Art. 2 ganz zu Anfang in den Vertrag hineingeschrieben, und sie war stets und ist das Ziel aller Organe der Gemeinschaft, sowohl der Kommission wie des Parlaments wie auch des Ministerrats. Die Frage ist nur, ob man in dem Betreiben dieser gleichgewichtigen Entwicklung so weit gehen darf, zu sagen: Ich tue den einen Schritt nur, wenn auch noch ein zweiter gleichzeitig mitgetan wird. Das scheint mir eine gefährliche Methode zu sein, die Methode des „préalable", wie die Franzosen das nennen. Es könnte dabei passieren, daß bei jedem wichtigen Schritt nach vorn jedes Mitgliedsland die Büchse der Pandora seiner Wünsche öffnet und wir dann vor lauter „préalables" und lauter zusätzlichen Wünschen den Schritt, den wir eigentlich tun wollen, nicht mehr tun können. Das scheint mir auch bei den Verhandlungen in Brüssel, wenn sie wieder aufgenommen werden — ich hoffe, die Verhandlungen finden dann in Brüssel im normalen Rat statt —, zu beachten zu sein. Ich glaube, die deutsche Regierung wäre gut beraten, wenn sie bei den Vorstellungen über das Arbeitsprogramm des Rates in den nächsten Monaten von den Vorstellungen ausginge, die von einer unabhängigen und dem gesamten Gemeinschaftsinteresse verpflichteten Instanz seinerzeit vorgeschlagen worden sind, nämlich von der europäischen Kommission. Damit würden wir den Verdacht vermeiden, daß wir im Rahmen dieses Arbeitsprogramms unsere eigenen Sonderwünsche zu stark nach vorn schieben, und wir würden der Unterstützung unserer Freunde inder EWG sicher sein können.Schließlich noch ein Wort zum Problem der politischen Union und der EWG. Wie Herr zu Guttenberg sehe ich einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Problemen; daran kann gar kein Zweifel sein. Aber ich frage mich, ob dies der Augenblick ist, darauf hinzuweisen.
Der Deutsche Bundestag hat ja in der Präambel zum deutsch-französischen Vertrag einmal ganz genau gesagt, was er sich als Zielsetzung einer politischen Union vorstellt. Ich habe nicht den Eindruck, daß diese Nennung der Ziele uns seinerzeit bei unserem französischen Partner bzw. bei der derzeitigen Regierung besonders beliebt gemacht hat.Im übrigen ist es ja doch so, daß die Verträge abgeschlossen worden sind, ohne daß man ausdrücklich die Vereinigung der außenpolitischen Zielsetzungen zur Voraussetzung der Durchführung des EWG-Vertrages gemacht hat. Ich sehe heute noch auch auf dem Außenhandelsgebiet trotz der engen Verzahnung der Dinge keine unbedingte Zwangsläufigkeit darin, daß man sich in außenpolitischen Dingen so weit harmonisiert haben muß, daß man in Fragen der Handelspolitik, bei Zöllen, bei Ausfuhrsubventionen und dergl. mehr, nicht mit einigem gutem Willen zu einer Lösung kommen könnte. Ich meine also, komplizieren wir das Problem nicht unnötig, es ist schon kompliziert genug.Wir wollen hoffen, daß unsere Bundesregierung und die Partnerregierungen den ersten Ansatz einer europäischen Verfassung heil aus Luxemburg und Brüssel zurückbringen.
Auch Ihnen, Herr Jungfernredner, Dank und Glückwunsch zur freien Rede.
Das Wort hat der Herr Außenminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst, Herr Präsident, Ihren Glückwünschen an die beiden neuen Kollegen — ich weiß nicht, ob der Ausdruck „junge Kollegen" richtig ist — anschließen. Ich finde es sehr gut, daß sie ein neues Element des Wettbewerbs in den Bundestag hineinbringen wollen, was für alle nur sehr nützlich sein kann. Wenn ich gerade den Zuruf höre: „Mit Zetteln", meine Damen und Herren,
dann möchte ich sagen, ich beteilige mich an jedem Wettbewerb sehr gern, aber wenn ich hier zu sieben Rednern Stellung nehmen soll und das gern gewissenhaft tun möchte, dann ist es besser, ich merke mir etwas, was die einzelnen wirklich gesagt haben, um mir keine unnötigen Vorwürfe zuzuziehen. Deswegen möchte ich in der Reihenfolge dessen bleiben, was ich mir notiert habe.Zunächst ein paar Bemerkungen und ein paar 1 Antworten auf die Fragen der Frau Kollegin Strobel. Sie hat die Frage gestellt, ob wir uns ebenso wie andere Regierungen — und sie hat offenbar das leuchtende Vorbild meines holländischen Kollegen und offenbar auch das Vorbild meines belgischen Kollegen im Auge gehabt — so intensiv bemüht hätten, in dieser Zwischenphase Kontakt zu halten usw. Verehrte Frau Kollegin Strobel, ich möchte diese Frage bejahen. Wir sind vielleicht nicht ganz so spektakulär gewesen. Man muß die Zeiten wählen. Es gibt Zeiten, in denen man spektakulär in Erscheinung tritt, und es gibt andere Zeiten, in denen man ein bißchen mehr im stillen arbeitet. Ich glaube, alles, was wir hier tun konnten, haben wir getan, alle notwendigen Kontakte hergestellt, und ich hoffe, das wird sich in den nächsten Tagen gut auswirken. Das dazu.Sie haben nach der Haltung der Bundesregierung zum roulierenden System — so haben Sie, glaube ich, gesagt — gefragt. Ich möchte Ihnen gern einmal den Artikel 161 des Vertrages vorlesen, in dem es folgendermaßen heißt:Der Präsident und die beiden Vizepräsidenten der Kommission werden aus deren Mitgliedern für zwei Jahre nach dem Verfahren ernannt, das für die Ernennung der Mitglieder der Kommission vorgesehen ist. Wiederernennung ist zulässig.In diesem Satz steht alles. Es gibt hier nicht etwaeine vertraglich vorgeschriebene Rotation, sondernes gibt alle zwei Jahre eine Ernennung des Präsi-
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Bundesminister Dr. Schröderdenten und der Vizepräsidenten, wobei Wiederernennung zulässig ist. Ich werde die Bundesregierung an dieser Stelle keineswegs dahin festlegen, welche Linie sie in diesem speziellen Punkt in der nächsten Zeit verfolgt. Hier haben wir eine gewisse Marge des Ermessens, vielleicht gewisse Margen der Verständigung, und Sie mögen vielleicht ahnen, in welcher Richtung wir davon Gebrauch machen wollen.Sie haben drittens die Frage gestellt, ob wir es in der Vergangenheit an Ratschlägen für die Kommission hinsichtlich ihres Auftretens hätten fehlen lassen oder nicht. Ich möchte Ihnen sagen, in all diesen Jahren haben immer wieder zwischen uns als einzelnen und zwischen Ministerrat und Kommission Unterhaltungen stattgefunden, und ich halte, ehrlich gesagt, das, was jetzt an der Kommission moniert wird, für etwas ad hoc moniert. Bleiben wir bei einer Frage wie z. B. der: Wer empfängt die zahlreichen bei der EWG akkredidierten Botschafter? Ist das Sache des Präsidenten des Rates, ist das Sache des Präsidenten der Kommission? Nun, der Rat hat bereits 1959, also vor geraumer Zeit, festgelegt, daß dies durch den Präsidenten der Kommission erfolgen solle. Gut, dies ist ein Punkt, den man sich neu überlegen kann. Es ist vorgeschlagen worden, daß das eventuell gemeinsam geschehen sollte. Gut, das mag man für ein mögliches Verfahren halten. Aber ich möchte darauf hinweisen, daß die Kommission in diesem ganzen Bereich nicht plötzlich ein sensationelles Auftreten gezeigt hat, sondern daß es sich hier um über längere Zeit hin etablierte Vorgänge handelt, über deren Nützlichkeit man immer neu sprechen kann, die man aber nicht überbewerten sollte.Ihre vierte Frage war die nach dem Fahrplan der Fünf. Nun, verehrte Frau Kollegin Strobel, einen Fahrplan der Fünf wollen wir deswegen nicht expressis verbis in den Vordergrund rücken, weil wir uns so schnell wie möglich zu sechst darüber verständigen wollen, und zwar in Brüssel, wie wir weiter verfahren werden.
Aber unsere Vorstellungen von einem solchen Fahrplan beruhen auf den Vorschlägen, die die Kommission selbst am 1. Dezember vergangenen Jahres dafür entwickelt hat. Ich glaube, ich befinde mich hier in. Übereinstimmung mit dem Herrn Kollegen Lenz, der auf diese 'Vorschläge der Kommission noch einmal besonders hingewiesen hat.Sie haben schließlich die Frage gestellt, wie wir uns die weitere Behandlung der Agrarfinanzierung vorstellen, ob auf der Basis des Memorandums der Kommission. Dazu würde ich sagen: grundsätzlich ja, mit den bekannten Vorbehalten, die die deutsche Regierung dazu angemeldet hat.Das zu den Bemerkungen, die die Frau Kollegin Strobel gemacht hat. Und nun darf ich mich dem zuwenden, was Herr Kollege Furler gesagt hat.Herr Kollege Furler hat vieles gesagt, was ich jetzt nicht im einzelnen besonders unterstreichen möchte. Aber eine treffende Feststellung, die er gemacht hat, möchte ich nachdrücklich unterstreichen: daß der französische Zeitplan bisher nur eine — wie er gesagt hat — teilweise Rückkehr nach Brüssel vorsieht. Gerade das ist das Element, das nach unserer Meinung nicht akzeptabel ist. Ich möchte schon an dieser Stelle hervorheben — ich weiß nicht, ob ich das eingangs wirklich deutlich genug gemacht habe —: für uns dient die Luxemburger Ratstagung dem begrenzten Zweck, für den sie einberufen worden ist, nämlich der Behandlung der beiden Punkte, über die wir hier ausführlich gesprochen haben. Alles andere kann und muß Gegenstand unserer normalen Arbeit und unserer normalen Verständigung in Brüssel sein.Herr Kollege Furler, Sie haben mich mißverstanden, wenn Sie annehmen, daß wir alle Entscheidungen, die bisher einstimmig getroffen worden sind, auch in Zukunft nur mit Einstimmigkeit weiter behandeln möchten. Ich habe zwei Dinge gesagt. Das eine ist, daß es in dem Bereich, in dem grundsätzlich wichtige, grundlegende Entscheidungen einstimmig getroffen worden sind, natürlich besonderer Behutsamkeit bei der Überprüfung ihrer Tragfähigkeit für die Zukunft bedarf. Im Grunde haben wir also eine Neigung dazu, etwas, was als grundsätzlich wichtig einstimmig verabschiedet ist, auch in Zukunft möglichst einstimmig weiterzubehandeln. Der generellere Satz, den ich gesagt habe, bezog sich auf den Komplex der im vergangenen Jahr durch die Unterbrechung liegengebliebenen Entscheidungen oder jedenfalls nicht behandelten Vorgänge, den man nach unserer Meinung, wenn man sich darauf einigt, in Zukunft durchaus einverständlich behandeln könnte.Ich darf eine Bemerkung zu dem machen, was Herr Kollege Starke vorgetragen hat. Er hat ebenfalls den Gedanken der vollen Rückkehr nach Brüssel unterstrichen, und die Bundesregierung ist da mit ihm ganz einer Meinung. Er hat etwas gesagt, was auch ich nachdrücklich unterstreichen möchte, nämlich daß es außerordentlich gefährlich ist, etwa neue feste, zwingende Termine zu vereinbaren. Das ist eine Quelle des Unglücks, des Ärgers und der Auseinandersetzungen gewesen. Man sollte doch die Erfahrungen, die man in den vergangenen Jahren gewonnen hat, wirklich benutzen. Das Entscheidende ist nicht die Frage der Einigung auf einen Termin, sondern das Entscheidende ist die Einigung in der Sache, und darauf muß Nachdruck gelegt werden.
Herr Kollege Birrenbach hat als das Kernproblem herausgestellt, ob das Prinzip der Römischen Verträge weiter anwendbar bleibt oder nicht. Ich kann nur sagen: es muß anwendbar bleiben; denn ohne das Prinzip werden wir eben nicht weiterkommen. Deswegen muß für dieses Prinzip eingetreten werden.
Herr Kollege von Guttenberg hat den Versuch gemacht, dieses Thema noch einmal in einen größeren Rahmen hineinzustellen. Das ist sicherlich verdienstvoll. Es erhebt sich die Frage, wie nützlich, wie wertvoll das ist und ob es in dieser Lage weiter-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Januar 1966 693
Bundesminister Dr. Schröderführt. Ich habe jahrelang gesagt — als es noch keineswegs so modern war, das zu sagen —, daß der wirtschaftliche Prozeß nicht die politische Automatik nach sich zieht, jedenfalls nicht im Institutionellen. Das ist ein Satz, auf den man sich heute im Lichte der Erfahrung sicherlich sehr leicht verständigen kann. Deswegen sind wir in mancher Beziehung, wenn Sie so wollen, durchaus bescheidener, vielleicht sagen Sie: realistischer geworden, als man das in einem Zeitpunkt, in dem man ein viel schnelleres Tempo der Entwicklung für möglich hielt, gewesen ist. Heute wissen wir, wie unendlich schwer es ist, so wirtschaftlich, technisch, zivilisatorisch, geistig und politisch hockentwickelte Nationen zu einer stärkeren Verschmelzung zu bringen, vor allem in den empfindlicheren Bereichen ihres Lebens. Wir wissen, wie schwierig das ist, und trotzdem sind wir der Überzeugung, daß alle Arbeit, die auf dem Gebiet — ich drücke mich jetzt einmal abgekürzt aus — wirtschaftlicher Zusammenfassung geleistet werden kann, eben ein hervorragendes Baumaterial darstellt für all dasjenige, was morgen getan werden muß.Hier ist gesagt worden: Wir müssen uns über eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik verständigen. Natürlich, das ist sicherlich sehr wichtig. Dem dient unser Bestreben. Aber es wird doch wohl niemand bezweifeln wollen, daß das ungeheuer viel schwerer ist als die Behandlung von Themen, mit denen wir uns jetzt schon jahrelang mit anerkannt großem Erfolg beschäftigt haben. Das heißt nicht, daß wir uns dieser anderen Thematik nicht zuwenden würden. Man muß sich jedoch darüber klar sein, welche gewaltige Schwierigkeiten sie aufwirft. Darüber mag hier weiter gesprochen werden. Wenn das geschehen soll, würde ich das Hohe Haus allerdings bitten, dabei zunächst einmal etwas auf die sedes materiae zurückzugehen. Ich denke dabei an die Vorschläge, die die Bundesregierung etwa im Spätherbst 1964 gemacht hat. Gut! Diskutieren wir das hier! Stellen wir uns dahinter! Arbeiten wir in dieser Richtung! Das Material dafür liegt jeden Tag bereit. Es kann vielleicht mit Nutzen hier von uns allen diskutiert werden.Herr Kollege Dr. Apel hat über die Mehrheitsentscheidungen eine Reihe von Dingen gesagt, die ich jetzt nicht etwa paraphrasieren möchte. Ich bin mit vielen seiner Betrachtungen einverstanden und habe das zum Kern der Betrachtungen des Kollegen Lenz schon gesagt. Es ist in der Tat außerordentlich wichtig — und deswegen kämpfen wir auch um die Stellung der Kommission so intensiv —, daß eine Stelle innerhalb der Gemeinschaft und im Rahmen der Gemeinschaftsarbeit da ist, die die Fähigkeit hat, sowohl nach ihrer Qualität als nach ihrer von allen zusammen geschaffenen politischen Unabhängigkeit Vorschläge zu entwickeln die den Versuch machen, sowohl die Interessen der einzelnen Länder richtig zu berücksichtigen, als sich aber auch ein Stückchen darüber zu erheben, um ein nach vorn zeigendes Gesamtinteresse zu fördern. Das muß die Rolle der Kommission bleiben. Das ist bisher die Rolle der Kommission gewesen, und wir werden uns dafür einsetzen, daß sich daran, jedenfals im Kern, nichts verändert.Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß dieser Anmerkungen dem Hohen Hause aufrichtig für die Möglichkeit danken, diesen Stoff heute vormittag vor der Luxemburger Konferenz zu diskutieren. Vielleicht ist etwas überhört worden, was ich zu Eingang meiner Ausführungen gesagt habe, nämlich daß ich und daß die Bundesregierung Sorgen haben. Ich habe das Wort „Sorgen" nicht so stark unterstrichen. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob die Schwierigkeit der Situation tatsächlich für alle hier im Hohen Hause genügend plastisch geworden ist. Deswegen möchte ich noch einmal sagen, wir gehen nach Luxemburg, um in den beiden Themen, die wir eingehend beschrieben haben, möglichst zu einer Einigung, möglichst zu Lösungen zu kommen. Wir gehen nach Luxemburg, um dann anschließend wieder über die gesamte andere Thematik in Brüssel unter normalen Bedingungen und bei vollbesetzten Stühlen weiter miteinander zu sprechen. Das ist unsere Absicht, und ich hoffe, daß wir gerade in dieser Absicht volle Unterstützung nicht nur heute haben, sondern vielleicht auch behalten werden bei den Schwierigkeiten, die die kommenden Tage bringen könnten. Wir gehen nach Luxemburg mit klaren Vorstellungen, ohne irgendeine Integrations-Orthodoxie, aber durchaus mit einem pragmatischen Willen; mit einem pragmatischen Willen, der auf festem Boden steht, nämlich auf dem Boden der Verträge. Auf diesem Boden, meine Damen und Herren, wird die Bundesregierung die Interessen unseres Landes mit Nachdruck wahrnehmen, und sie ist sich dabei bewußt, daß die Interessen unseres Landes in einer europäischen Gemeinschaft gut aufgehoben sein sollen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat am Schluß zusammenfassend gesagt, in welcher Absicht die Mitglieder der Bundesregierung zur Fortsetzung der Verhandlungen gehen. Wenn es sich um Verhandlungen handelte, die nicht von der Tragweite wären, wie es die sind, über die heute hier so interessant und so engagiert diskutiert worden ist, könnte man es wohl dabei bewenden lassen zu sagen: die Regierung hat, was immer wir sonst von ihr halten, in dieser Absicht unsere Unterstützung. Ich habe nur eine Sorge. Allgemein mögen vielleicht — auch wenn es sich um die verschiedenen beteiligten Ressorts der Bundesregierung handelt, je nachdem, von welcher fachlichen Seite aus gesehen — in einem Futteral oder Arsenal die besten Absichten vorhanden sein, dieser Krise beizukommen. Es genügt aber nicht, sich auf den Buchstaben des Vertrags, auf das Recht der Institutionen, das unbestritten sein sollte und das wir wieder unbestritten machen müssen, zu berufen. Es kommt vielmehr auch auf den Geist an, in dem man an diese Dinge herangeht. Ich mache mir große Sorgen, wenn es so ist — ich kann das selber nicht genügend beurteilen, ob es so ist —, daß z. B. in einer der europäischen Gemeinschaften, in der Gemeinschaft für Kohle und Stahl, jetzt das Fazit gezogen
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Wehnerwird, daß faktisch die Partner, soweit sie unmittelbar kohlegebunden sind, zu einer Politik des nationalen Interventionismus zurückgekehrt sind oder sich darauf hinbewegt haben. Wenn das so ist, dann reicht es nicht aus, sich über die Schwierigkeiten auszusprechen, über die im Zusammenhang mit der institutionellen Krise und den Begleiterscheinungen dieser Krise die Rede ist; dann liegt das wohl tiefer. Ich will die Debatte, nachdem sie dieses Stadium erreicht hat, nicht noch einmal auf die Anfänge zurückzuführen versuchen. Aber das, was gestern — und ich habe den Eindruck, auch in den Gesprächen zwischen der Hohen Behörde der Kohle-und Stahlgemeinschaft einerseits und der nordrhein-westfälischen Landesregierung andererseits — in dieser Frage der Kohlepolitik erörtert worden ist, das ist meilenweit weg von den früheren Zielen und Begriffen, die wir alle einmal hatten, als wir uns in diese Arbeit der europäischen Lösungen begaben, bei denen es darauf ankommt, daß nicht jeder Partner seine Fragen nun als das, was unseren Interessen entspricht, hinstellt, sondern alle Partner die Summe der Fragen als die europäisch zu lösenden alle auch gemeinsam zu lösen versuchen. Das ist doch das, was zu dem gehört, was der Vertrag selbst an rechtlichem und institutionellem Gerüst gibt, und ohne diesen Geist schaffen wir es nicht. Hier habe ich also eine Anmerkung, ob wir nicht an einem Punkte sind, an dem es notwendig ist, einmal eine wirkliche Überprüfung dessen zu veranstalten, was da auch in unserem eigenen Bereich in bezug auf die Gemeinschaften vorgegangen ist.Der Herr Minister hat sich eben hier noch auf die Vorschläge der Bundesregierung vom Spätherbst 1964 berufen. Da möchte ich auch gern mal erleben, daß man über das Schicksal dieser Vorschläge wirklich politisch redet. Denn diese Vorschläge waren damals nach der Meinung der parlamentarischen Opposition leider durchaus ungeeignet, die schwierigen Dinge zu lösen, die 1964 heranstanden. Das war also ein Jahr — ein schweres Jahr — nach dem offenen Ausbruch der Krise, die mit der Verweigerung des Beitritts Großbritanniens zur Gemeinschaft äußerlich begonnen hat. Das ist eine Sache, die wohl diskussionswürdig ist.Es tut mir leid, ich habe heute keine Gelegenheit, den Herrn Bundesminister des Auswärtigen auf das Nichtbeantworten der einen oder anderen Frage meiner Kollegen Vorredner aus meiner eigenen Fraktion hinzuweisen; für die anderen will ich gar nicht sprechen. Aber eines, fände ich, wäre gut gewesen, nämlich hier die Bemerkung der Kollegin Strobel aufzugreifen und auch von der Regierung aus ein Wort dazu zu sagen, auch wenn das nicht in der Form einer Frage an Sie gerichtet worden ist: Wie steht das eigentlich mit dem Zeitpunkt der sogenannten Alternativlösung EFTA und Vereinigung?Ich habe mit großem Interesse — aus diesem Grunde habe ich mir auch die Zettel mitgebracht, altmodisch, wie ich bin und bleibe—
die Rede gelesen, die der Herr britische Außenminister Stewart gehalten hat. Sie ist sehr jungen Datums. Ich will mich nun nicht sozusagen mit dem Gag einführen, daß ich der erste bin, der eingehend darauf zurückgreifen will. Diese Rede ist deswegen für uns insgesamt so interessant, weil sie doch wohl eine ziemlich klare Absage an jene Vorstellungen ist, die auch bei uns an Stammtischen, auf Podiums-und anderen Diskussionen igern gewälzt werden, nämlich die Frage, ob denn nicht z. B. der Herr Staatspräsident der Französischen Republik dem Herrn Primeminister des Vereinigten Königreiches ein Angebot machen wird und wir dann neben all dem säßen. Sicher, jeder befaßt sich mit solchen Dingen, ob solche Tricks drin sein könnten. Ich habe den Eindruck, daß die bedeutenden Leute in den Regierungen der europäischen Kleinen Freihandelszone weit davon entfernt .sind, à la baisse EWG zu spekulieren. Und das ist unser Glück. Denn an sich ist ja diese Spaltung des nicht kommunistisch beherrschten Teils Europas in zwei leider immer weiter auseinandergeratende Wirtschaftsblöcke ein Verhängnis, ein politisches, ein wirtschaftliches Verhängnis für uns Deutsche.
Hier war je von deutschen Interessen die Rede. Selbstverständlich auch! Aber wir haben es jedenfalls bei allen Schwierigkeiten doch damit zu tun, daß hier noch ein Graben besteht. Jede der beiden Seiten sagt, sie habe diesen Graben nicht gewollt. Komischerweise ist er dennoch da und sind bis heute keine ernsthaften Anstrengungen gemacht worden, ihn mehr zuzuschütten und einander näherzukommen, ohne spektakuläre Dinge, z. B. mit der Methode, sich die gemeinsamen Interessen in der Frage des Gelingens der Kennedy-Runde zunutze zu machen. Darauf ist hier heute in der Debatte zurückgekommen worden. Ich sähe es gern, wenn die Bundesregierung das Problem Kennedy-Runde ganz dick als etwas anstriche, das nicht vergessen werden darf, weil die Sachkenner einem immer wieder sagen, es könnte sein, daß es, ehe die erste Hälfte dieses Jahres 1966 vergangen ist, zu spät ist —, nachdem so viel Zeit vergeudet worden ist —, in der Kennedy-Runde noch den Anschluß zu finden, weil ja das entsprechende amerikanische Gesetz auch befristet ist und im nächsten Jahr ausläuft.Der britische Außenminister hat in der Frage der Kenedy-Runde die übereinstimmenden Interessen der Partner der EWG und der EFTA in den Vordergrund gestellt. Ich bin froh darüber und möchte an dieser Stelle, auch wenn ich hier nicht für die Regierung sprechen kann, jedenfalls dies mitbetont wissen: daß bei den Erörterungen im deutschen Parlament über die Fragen, die jetzt im Zusamenhang mit dieser Krise von uns immer wieder behandelt werden müssen, diese Bemerkungen in bezug auf ein übereinstimmendes Interesse in der Kennedy-Runde von uns sehr aufmerksam gehört worden sind.Der britische Minister sagt u. a., die sogenannte EWG-Krise bedeute, daß der Dialog zwischen der EFTA und der EWG habe verschoben werden müssen, und sie habe zum andern eben die Folge, die ich hier vorweggenommen habe, daß auch die Zollverhandlungen in der Kennedy-Runde, „die" — so
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Januar 1966 695
Wehnersagt er wieder —, „so hoffen wir, zu einer beträchtlichen Senkung der Zollschranken in der ganzen Welt und insbesondere in den Industriestaaten führen werden", zum Stillstand gekommen seien. Das sind ja wohl Dinge, die in diesem Zusammenhang nicht außer acht gelassen werden sollten.Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zu der Frage, ob das nur ein weiterer Rahmen ist. Ich habe gelesen, daß der Herr Bundeskanzler in der Fraktion der CDU/CSU, der ja der jedenfalls größere anwesende Teil des Hauses angehört, vor wenigen Tagen — hier hat er sich bisher dazu nicht geäußert — gesagt hat, die Überwindung der EWG-Krise sei eine Sache im Rahmen der EWG, und deutsch-französische Politik und Vertrag sei noch eine andere Sache. Nichts dagegen einzuwenden, daß man nicht sozusagen im falschen Saal jeweils zum Thema Stellung nimmt! Nur, ist es denn so, daß diese verschiedenen Sektoren der Politik sozusagen hermetisch gegeneinander abgeschlossen sind? Wenn der Bundeskanzler hat ausdrücken wollen, daß Bonn und Paris nicht entscheiden oder vorentscheiden können, wie es mit der Überwindung der Krise gehen soll, so ist das auch unsere Auffassung. Andererseits, wie gesagt: Kann man denn über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, über die Versuche, die in ihr noch herrschende Krise mit Mitteln zu überwinden, die der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nicht ihren eigentlichen Charakter nehmen, sie also denaturieren, kann man über die EWG reden, ohne an das deutsch-französische Verhältnis mindestens zu denken? Sicher sollte man also nicht jeweils im falschen Saal die Themen aufgreifen. Aber kann man darüber reden, ohne daran zu denken? Das ist wohl schwierig.Aus diesem Grunde habe ich mir auch das Protokoll der 7. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 29. November des Jahres 1965 mitgebracht, in der mein Kollege, der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der SPD, Fritz Erler meiner Meinung nach eindringlich gesagt hat, nachdem er sich mit der Krise in der EWG und damit befaßt hat, daß Ministerbesprechungen keine „Revisionsinstanz gegen Gemeinschaftsbeschlüsse" werden dürfen, was alles heute hier mit großer Sachkenntnis von einer ganzen Reihe von Vorrednern gesagt und worauf abgehoben worden ist — ich zitiere jetzt also Herrn Erler, weil ich dem noch einiges hinzufügen möchte —:Die deutsche Politik kann nicht teilnehmen— das ist richtig —an der Aushöhlung dieser beiden Gemeinschaftswerke.— Er meint hier die EWG und die atlantische Verteidigungsgemeinschaft. —Solange aber in den Gemeinschaften nicht wieder ein gemeinsamer Weg gefunden ist, müssen wir alles tun, was trotzdem möglich ist, um Dinge zwischen Frankreich und Deutschland gemeinsam zu tun, wenn dadurch die Gemeinschaften nicht angetastet werden.— Er hat einiges angeleuchtet. —Das gilt für die weiten Gebiete der Jugendbegegnung, der Erziehung, der Sprache, der Kultur, der Wissenschaft und vor allem auch der Technik und Forschung. Im Rahmen des Gemeinsamen Marktes lassen sich zusätzliche privatwirtschaftliche Verflechtungen gegenseitig und nicht nur einseitig zum Nutzen beider Länder entwickeln. Was könnten z. B. Frankreich und Deutschland nicht auf dem Gebiet der Elektronik zusammentun, um den Vorsprung anderer etwas zu verringern!Damit lassen Sie es genug sein, um auf eine von uns, der sozialdemokratischen Fraktion, ganz ernst gemeinte Passage unseres Beitrags zur Diskussion über die Regierungserklärung hinzuweisen, auf den wir natürlich — wie kann es anders sein! — keine Antwort bekommen haben, — keine Antwort bekommen haben! Wir müssen es uns aus den Berichten über die Fraktionssitzungen anderer herauszutzeln, ob dort solche Themen aufgegriffen werden. Der Zustand kann auch noch in unserem eigenen Haus, in unserem eigenen Bereich überwunden werden. Ich nehme an, er wird überwunden werden, so daß wir uns dann alle dazu beglückwünschen können.Einiges — ungeachtet der Schwierigkeiten — über das Zusammenwirken zwischen Deutschland und Frankreich hatte auch ich in meiner Rede vom 2. Dezember Ihnen hier darzulegen versucht. Ich habe natürlich keine Antwort darauf bekommen. Ich habe am 12. Januar darauf wieder angespielt und selbstverständlich keine Antwort darauf bekommen. Das ist der Stil.Es kann sein, daß es nun genügt, daß die Bundesregierung sagt: Es ist wohl richtig, einmal darüber zu reden und nicht nur die Opposition ständig fragen zu lassen, wie und ob das nicht in das gesamtpolitische Konzept hineinpasse. Ich bitte um Entschuldigung, — wir sind hier doch nicht dazu da, zu akklamieren, was Sie allein für richtig halten. Auch wir haben dazu unseren Beitrag zu leisten. Das tun wir in diesem Zusammenhang. Wir wollen, daß dies in Luxemburg und bei der Fortsetzung der Verhandlungen die Teilnehmer aus der Reihe der deutschen Regierung tun, auch mit der Rückenstütze des Parlaments, falls ein Rücken da ist, der gestützt werden kann,
auch mit der Rückenstütze des Parlaments, weil man auch wissen muß, wem der Rücken und wem die Front zugekehrt ist.Wir sind also für diese Unterstützung da. Aber Sie sollten auch wissen, daß es bisher leider von der Regierungsseite nicht behandelte, weil von ihr vielleicht als nicht dazugehörig betrachtete, nach unserer Meinung davon aber nicht völlig zu trennende Fragen und Fragenkomplexe gibt. Das werden wir in der nächsten Runde aufbringen.Ich danke Ihnen für die Geduld.
Das Wort hat der Herr Außenminister.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bleibe ungern eine Antwort schuldig, vor allen Dingen wenn ich merke, daß dem Fragesteller wirklich an einer Antwort liegt. Deswegen bin ich gerade sehr bemüht gewesen, auf das einzugehen, was ich jedenfalls als die wesentlichen Gedanken und Fragen des Vortrags von Frau Kollegin Strobel empfunden hatte.
Es gibt ein Gebiet, über das wir jetzt nach meiner Meinung nicht allzu ausführlich sprechen sollten. Das ist die Frage der künftigen Zusammenarbeit der Sechs und der EFTA. Ich sage Ihnen auch, warum wir jetzt nicht ausführlich darüber sprechen sollten.
Augenblicklich verfolgen wir einen begrenzten Zweck, nämlich die Lösung der Aufgaben und Probleme, die sich uns gerade in Luxemburg stellen. Aber wir verfolgen natürlich auch diesen begrenzten Zweck im Blick auf alle weiteren Entwicklungsmöglichkeiten und Entwicklungsnotwendigkeiten. Deswegen will ich über die Frage der EFTA doch ein paar Worte sagen.
Wir haben es zwar in dieser Debatte nicht getan. Aber wir haben, für jeden genügend deutlich zu hören, seit Jahren immer wieder mit größtem Nachdruck unterstrichen, welche ganz entscheidende Bedeutung wir der Kennedy-Runde zumessen. Der Kampf um die richtige, erfolgreiche Gestaltung der Kennedy-Runde wird auch ein Kampf in den weiteren Monaten bleiben. Die Kennedy-Runde ist etwas, was aus unserer Perspektive nicht nur die Sechs interessiert, sondern was gerade die mögliche Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Sechs und den EFTA-Staaten angeht. Wir haben seit Jahren darüber mit den EFTA-Staaten im wesentlichen bilateral dann und wann in bescheidenen Ansätzen auch etwas multilateral gesprochen. Ich darf dem Hohen Haus in Erinnerung rufen, daß es die deutsche Regierung war, die sich dafür eingesetzt hat, und zwar gerade zur Behebung der schwierigen Lage, die nach der Verweigerung des britischen Beitritts zur EWG entstanden war, Möglichkeiten zu finden, die zu einem besseren ständigen Kontakt vor allem jedenfalls mit Großbritannien führen würden. Seitdem haben wir, was vielleicht nicht immer genügend beachtet wird, vierteljährliche Ministertreffen im Rahmen der Westeuropäischen Union. Das ist zwar bisher nicht durchschlagend erfolgreich gewesen. Aber es ist sicherlich ein Versuch, die Sechs — im übrigen im Beisein der Kommission an dem zweiten Sitzungstag — enger mit Großbritannien als der führenden Macht innerhalb der EFTA-Staaten zusammenzubringen. Ich sage noch einmal: Wir sind uns der Gefahren, die die wirtschaftliche Spaltung Europas beinhaltet, absolut bewußt. Wir ringen seit Jahren um deren Überwindung. Ich glaube, wir haben das, was uns möglich war, getan, um hier Fortschritte zu erzielen. — Das ist das eine.
Das zweite ist die Frage des Kollegen Wehner danach, ob wir alles und alles richtig täten, um das deutschfranzösische Verhältnis nutzbar zu machen im Sinne der weiteren Entwicklung der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft. Diese Frage beantworte ich ganz uneingeschränkt mit Ja. Wenn Sie den Duktus unserer Unterhaltungen mit den französischen Kollegen etwas näher kennten, würden Sie dem zustimmen. Zum Teil kennen Sie ihn auch aus dem Auswärtigen Ausschuß und aus anderen Begegnungen. Wir haben uns immer bemüht, sowohl im Rahmen des deutsch-französischen Vertrages und seiner Zielsetzung als auch im Rahmen multilateral übernommener Verpflichtungen voranzukommen. Das Hohe Haus ist einstimmig in der Beurteilung der Frage gewesen, daß es gelingen sollte, eine Harmonie zwischen unseren multilateralen Verpflichtungen und dem Zusammenarbeiten in dem besonderen deutsch-französischen Verhältnis herbeizuführen. Ich darf empfehlen, die Präambel zum deutsch-französischen Vertrag, die vom Hohen Hause einstimmig angenommen worden ist, nachzulesen. Daraus ergibt sich, daß dies einen ausgesprochenen Grundsatz unserer Politik darstellt.
Kollege Wehner hat dann Klage darüber geführt, daß andere Betrachtungen, die von ihm und seinen Freunden in anderen Stellungnahmen angestellt worden seien, nicht immer genügende Beachtung erfahren hätten. Ich halte diese Klage — das sage ich hier ganz offen — für unberechtigt. Die Bundesregierung steht jetzt in diesem Januar schon zum zweitenmal vor dem Hohen Hause, um wirklich mit der größten Bereitwilligkeit die Fragen zu diskutieren, die nach unserer Meinung Gemeinschaftsfragen sind
und die deswegen möglichst einer gemeinsamen Lösung zugeführt werden müssen. Ich glaube also, sie hätte für dieses Bestreben Besseres verdient als diese Kritik. Trotzdem erkläre ich: Wir werden auch im Fortgang dieser Sache bereit sein, mit dem Hohen Hause unsere Sorgen offen zu teilen. Nicht um uns eine Rückenstütze für einen irgendwie gefährdeten Rücken zu besorgen — das ist keine Betrachtung, die ich für angemessen hielte —, sondern um dafür zu sorgen, daß in der Behandlung dieser Fragen wirklich alles zum Tragen kommt, was dazu sinnvoller- und nützlicherweise in Deutschland gedacht und gesagt werden kann. Das geschieht nach meiner Meinung immer noch am besten in diesem Hohen Hause, und deswegen haben wir diesen Weg beschritten.
Keine weiteren Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen.Ehe ich die Sitzung schließe, gebe ich dem Hause davon Kenntnis, daß nach einer interfraktionellen Vereinbarung die heutige Tagesordnung erweitert werden soll um denSchriftlichen Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnungbetr.: a) Aufhebung der Immunität von Abgeordneten bei Verkehrsdelikten und Bagatellsachenb) Ermächtigung gemäß § 197 StGB .
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 17. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Januar 1966 697
Präsident D. Dr. GerstenmaierEs handelt sich dabei einfach um die Übernahme der seitherigen Grundsätze der Behandlung solcher Angelegenheiten. Der Bundestag muß aber neu beschließen, ob diese Grundsätze auch in dieser Legislaturperiode gelten sollen. Der Geschäftsordnungsausschuß hat sich dafür ausgesprochen.Ich frage, ob das Haus damit einverstanden ist und ob es dem Bericht und dem Antrag des Geschäftsordnungsausschusses zuzustimmen wünscht. Wünscht jemand dazu das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Antrag des Geschäftsordnungsausschusses zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen.Ich habe dem Hause mitgeteilt, daß ich die Präsenzpflicht für morgen, Freitag, den 28. Januar, aufhebe.Die nächste Plenarsitzung findet am Mittwoch, dem 9. Februar, 14.30 Uhr, statt.Die Sitzung ist geschlossen.