Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren,
über Deutschland ist eine neue Heimsuchung hereingebrochen: die Toten von Völkingen lagen kaum unter der Erde, da zerbrach die Nordsee die Deiche, die das Land hegen sollten, überflutete die Fluren im Küstenland, verheerte dort unzählige Siedlungen und begrub ganze Ortsteile Hamburgs — Harburg und Wilhelmsburg insbesondere — in den Wassern. Dort hat das Unheil am grausamsten gewütet; doch auch im Marschland Schleswig-Holsteins ist der Schaden unermeßlich, und in den Bezirken Stade und Cuxhaven starrt das Land von Trümmern. Weithin liegen die Äcker und Weiden unter salzigem Schlamm begraben. Unter den Opfern und Geschädigten befinden sich zahlreiche Familien, die nach den Bombennächten des Krieges oder nach der Flucht aus der sowjetisch besetzten Zone ihre gesamte Habe nun zum zweiten Male verloren haben.Diese Katastrophe hat nicht einzelne Ortschaften und Bundesländer für sich allein geschlagen, sie traf das ganze deutsche Volk. Darum steht das ganze Volk für alle einzelnen ein, in deren Person es von dem Unheil geschlagen worden ist. Bundesrepublik, Länder, Gemeinden, Wirtschaft und Gesellschaft Deutschlands sind in unlösbarer Notgemeinschaft aufgerufen zu handeln und vorzusorgen.Bisher konnten 281 Tote geborgen werden. Viele Personen sind noch vermißt. Es ist zu fürchten, daß die Zahl der Todesopfer größer ist, als wir heute wissen. Wir verneigen uns vor ihren Gräbern und noch unbekannten Liegestätten. Wir trauern mit den Eltern, Kindern, Geschwistern, Gatten, Verwandten und Freunden, die um sie klagen. Wir wissen, daß wir ihnen keine Tröstung, sondern nur Hilfe bringen können. Der Bundestag weiß, was die Forderung der Stunde ist, und wird seine Pflicht tun. Dies mag manches lindern, aber die Hilfe, die wir leisten werden, wird den Hinterbliebenen den Schmerz nicht von der Seele nehmen.Unsere Anteilnahme gilt auch denen, die aus der Wassersnot heil hervorgegangen sind — den vielen Tausenden, die in Todesangst, in Nässe, Kälte undSturm endlose Stunden auf den Dächern aushalten mußten und den Hunger ihrer Kinder nicht stillen konnten, bis die Helfer kamen.Die Helfer sind gekommen. Vom ersten Augenblick der Katastrophe an strömten sie zusammen: die Männer und Frauen vom Roten Kreuz, vom Arbeitersamariterbund, der zivilen Hilfsverbände, freiwillige Helfer von überall her, die Männer des Technischen Hilfswerks, des Bundesluftschutzverbandes, der Polizei, der Feuerwehr, des Bundesgrenzschutzes, der Bundeswehr und der Truppen unserer Verbündeten, Soldaten aus Belgien, Dänemark, Großbritannien, den Niederlanden und den Vereinigten Staaten. Sie alle haben Übermenschliches geleistet. Keiner hat sich geschont. Keiner hat an sich gedacht, jeder nur an die Unglücklichen in Todesnot, die es zu retten galt. So groß war die Opferbereitschaft dieser Männer, daß sechs Soldaten der Bundeswehr und ein Obermeister der Polizei aus Stade ihr Leben gaben, damit andere nicht zu sterben brauchten. .Dieser Männer wollen wir besonders gedenken. Ich nenne ihre Namen:Gefreiter Manfred Bahstan,Gefreiter Udo Bartling,Unteroffizier Gerhard Gowitzke,Panzer-Pionier Wilhelm Hermanns,Gefreiter Klaus Hinz,Gefreiter Jost Andreas Sommermeyer,der 52jährige Polizeiobermeister Kersenbrock.Sie und ihre Kameraden, die um der Behütung des Friedens willen einberufen waren, das bittere Handwerk des Krieges zu lernen, haben ihre erste Bewährungsprobe als Beschützer des Volkes im Dienst spontaner Nächstenliebe abgelegt, in selbstlosem Opfermut, nur um Brudersinn zu üben.Von allen Seiten, von außerhalb und innerhalb unserer Grenzen, ist der Bundesrepublik, ist den betroffenen Länder, ist den Opfern von Regierungen und Bürgern die Anteilnahme ausgesprochen und tätige Hilfe angeboten und geleistet worden. Diese Zeichen gemeinschaftlicher Solidarität über die Grenzen hinweg bewegen uns tief und begründen in uns eine Ehrenschuld des Dankes.Wir wollen auch der vielen, vielen Namenlosen gedenken, die in spontaner Aufwallung des Herzens persönlichste Hilfe gespendet haben und noch spen-
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464 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Vizepräsident Dr. Schmidden: aller jener, die Kleider, Wohnraum, Geld hergaben — nicht von ihrem Überfluß, sondern von ihrem Notwendigen. Lassen Sie mich auch der Einheiten der Bundeswehr gedenken, die spontan ihre Betten den Geretteten gaben und durchnäßt die wenigen freien Stunden, darin sie neue Kräfte schöpfen mußten, in den kalten Geräteschuppen verbrachten.In jenen Tagen hat sich gezeigt, daß selbst in dieser von ,der Herzlosigkeit der Maschine geprägten Zeit das Menschliche im Menschen nicht verschüttet werden kann. Es hat sich in diesen Tagen großartig erhoben —, ein wunderbares Geschenk für alle, in denen dieser Aufbruch geschah, und für jene, die dieses Aufbruchs innewerden.Dies beschert uns eine Hoffnung für die Zukunft. Was in diesen Tagen geschah, zeigt, daß das Herz den Menschen am stärksten zu bewegen vermag; zeigt, daß wir imstande sind, einer des anderen Last zu tragen, in Nüchternheit, ohne weinerliches Klagen, mit herzhafter Tat. Mögen diese Kräfte weiter in uns wirken!Meine Damen und Herren, ich habe eines Verlustes zu gedenken, der unser Haus getroffen hat. Am 18. Februar verstarb plötzlich unser Kollege Adolf Ludwig an einem Herzinfarkt.Er wurde am 27. Juni 1892 in Pirmasens geboren. Als junger Schuhfabrikarbeiter schloß er sich 1910 der Gewerkschaftsbewegung und der Sozialdemokratischen Partei an. Von 1920 bis 1930 war er Bürgermeister in Pirmasens und im Jahre 1932 Mitglied des Bayerischen Landtages. Das Jahr 1933 unterbrach seine politische Arbeit. Er wurde verfolgt, in Schutzhaft genommen und mußte ins Elend gehen.Nach dem Zusammenbruch von 1945 stellte sich Adolf Ludwig sofort in den Dienst des politischen Wiederaufbaus. Noch im Jahre 1945 wurde er Bezirksvorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Pfalz und Vorsitzender des allgemeinen Gewerkschaftsbundes von Hessen-Pfalz.Er war Mitglied der Beratenden Landesversammlung und bis 1949 Mitglied des Landtages von Rheinland-Pfalz. Er war Mitglied des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung.Dem Bundestag gehörte der Verstorbene über die Landesliste Rheinland-Pfalz seit 1949 an. Er war Mitglied des Ausschuses für Arbeit.Ich spreche den Hinterbliebenen und der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands die herzlichste Anteilnahme des Hauses aus.Meine Damen und Herren, Sie haben sich zum Gedenken der Opfer der Hochwasserkatastrophe und des verstorbenen Mitgliedes unseres Hauses von Ihren Sitzen erhoben. Ich danke Ihnen.Ich habe zunächst eine Reihe amtlicher Mitteilungen zu verlesen.Für den ausgeschiedenen Abgeordneten Huthmacher ist mit Wirkung vom 19. Februar 1962 der Abgeordnete Ruland in den Bundestag eingetreten. Ich begrüße das uns aus der vorigen Wahlperiode wohlbekannte neue Mitglied und wünsche ihm eine gute Zusammenarbeit.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird die heutige Tagesordnung um folgende Punkte erweitert:Beratung des Mündlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf einer Zehnten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 (Drucksachen IV/170, IV/205);Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Bundesurlaubsgesetzes .Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den stenographischen Bericht aufgenommen:Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 17. Februar 1962 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Entwicklung der Baukosten und der Baupreise — Drucksache IV/155 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/201 verteilt.Die Frau Bundesministerin für Gesundheitswesen hat unter dem 19. Februar 1962 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Schmidt , Bading, Margulies und Genossen betr. Verschmutzung des Wassers durch 131 — Drucksachen IV/86 —beantwortet. Ihr Schreiben wird als Drucksache IV/209 verteilt.Der Herr Bundesminister für Verteidigung hat unter dem 20. Februar 1962 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. NATO-Flugplatz Nörvenich — Drucksache IV/156 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/210 verteilt.Der Herr Bundesminister für Verteidigung hat unter dem 20. Februar 1962 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Günther, Even , Müller (Aachen-Land) und Genossen betr. Gefahren und Lärmbelästigung in Oberbolheim durch den Flugbetrieb des Flugplatzes Nörvenich — Drucksache IV/161 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/211 verteilt.Der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums des Innern hat unter dem 12. Februar 1962 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 29. Juni 1961 — Drucksache 2870 der 3. Wahlperiode lfd. Nr. 108 — über die Petition der Sektion Ravensburg des Deutschen Alpenvereins vom 30. Juli 1959 berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/206 verteilt.Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat Bundesminister Dr. Erhard.Dr. Dr. h. c. Erhard, Stellvertreter des Bundeskanzlers: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat sich selbstverständlich mit den Folgen der Sturmflutkatastrophe befaßt. Sie wird bei der Beratung dessen, was zu tun ist, in dauernder Fühlungnahme mit den Ländern und mit der Wirtschaft stehen. Es ist zu früh, schon konkrete Pläne vorzulegen. Denn trotz ständiger Verbindung mit den beteiligten Stellen und trotz eifrigen Bemühens, einen Überblick über das Ausmaß der Katastrophe, über die materiellen Folgewirkungen und die finanziellen Notwendigkeiten, die sich daraus ergeben, zu erhalten, waren bis jetzt genauere Unterlagen darüber nicht zu gewinnen.Sie wissen, daß mehrere Mitglieder der Bundesregierung versucht haben, sich an Ort und Stelle zu orientieren und auch im einzelnen Klarheit zu gewinnen. Aber das Problem ist so vielschichtig, daß die Lösung nicht allein aus einer Wurzel heraus erfolgen kann.Wir haben es zunächst einmal mit dem menschlichen Problem zu tun, d. h. mit der Frage der Versorgung, der Fürsorge, der Hilfe für die Opfer der Katastrophe und für die Hinterbliebenen. Anders
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 465
Vizekanzler Dr. Dr. h. c. Erhardals bei dem Bergwerksunglück an der Saar haben wir es hier nicht mit einer Schicht zu tun, die Hilfe, Sicherheit und Fürsorge aus einer bestimmten Einrichtung — wie dort aus der Knappschaftsversicherung — erhält. Vielmehr ist in den hier betroffenen Gebieten die Situation hinsichtlich der Opfer sehr differenziert. Es muß erst Klarheit gewonnen werden, in welcher Form und in welchem Ausmaß Hilfe erforderlich sein wird. Es sind ja noch nicht einmal alle Opfer identifiziert, so daß bis jetzt ein Überblick auch über die soziale Struktur des Kreises der Opfer nicht möglich ist.Wir haben es weiter mit den wirtschaftlichen Schäden zu tun. Es besteht bereits Klarheit darüber, ohne daß man jedoch schon Zahlen oder Größenordnungen angeben könnte, daß die materielle Last im wesentlichen bei den mittelständischen Schichten des Handwerks, des Gewerbes und der kleineren Industrie liegt.Ich muß bemerken, daß auch noch kein sicherer Überblick über die Zahl derjenigen Personen und Familien gewonnen werden kann, die als obdachlos gelten müssen, das heißt so lange, bis neuer Wohnraum beschafft ist. In den abgeschnittenen Stadtteilen zwischen Hamburg und Harburg wohnen noch Menschen, die bisher nur aus der Luft versorgt werden konnten.Wie viele Menschen umgesiedelt werden müssen, ist also noch nicht klar abzuschätzen. Es ist indessen ziemlich sicher, daß das bisherige Gebiet von Wilhelmsburg kaum mehr für neue Siedlungen geeignet erscheint; man wird da andere Pläne in Betracht ziehen müssen. Der Senat von Hamburg befaßt sich mit der Frage der Neusiedlung.Wie groß die Schäden an persönlichem Hab und Gut sein werden, ist bis heute ebenfalls noch nicht zu ermitteln. Es geht hier um Hausrat, Kleidung und anderes mehr. Aber auch diese Dinge werden festgestellt werden. Es ist selbstverständlich, daß auch hier Unterstützung, Hilfe und Ersatz geboten werden müssen.Der Schwerpunkt der Schäden im Bereich der mittelständischen Wirtschaft liegt beim Einzelhandel, beim Handwerk und bei der kleineren Industrie. Zwar sind auch große Industriebetriebe wie Werften und Mineralölraffinerien betroffen; aber hier ist die Arbeit schon wieder in Gang gekommen, und hier brauchen, wie ich glaube, der Staat, sei es der Bund, seien es die Länder und Gemeinden, primär nicht einzugreifen, um den Wiederaufbau zu fördern. Dagegen ist es unbedingt notwendig, daß wir den mittelständischen Kreisen möglichst schnell eine materielle und finanzielle Hilfe bieten.Die Menschen, die arbeitslos geworden sind, sei es vorübergehend oder auf etwas längere Zeit, haben durch den Entschluß der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, sofort einzutreten, Hilfe bekommen. Im übrigen wird das aber nicht das Problem sein. Ich bin vielmehr davon überzeugt, daß es in kurzer Frist in den betroffenen Gebieten nicht mehr darum geht, für die arbeitslos gewordenen Menschen zu sorgen, sondern daß umgekehrt alles darauf ankommt,Menschen in diese Gebiete zu bringen, um so schnell wie möglich den Aufbau besorgen zu können.Wirtschaftliche Schäden bedeuten zugleich soziale Notstände, und beides ist darum nur gemeinsam zu heilen. Wir werden also auch aus diesem Grunde bestrebt sein müssen, die mittelständische Wirtschaft so schnell wie möglich wieder zum Anlaufen zu bringen.Gestern ist im Wirtschaftsministerium ein Aktionsausschuß „Sturmflutkatastrophe" ins Leben gerufen worden. An ihm sind die deutsche Industrie unter dem Vorsitz von Präsident Berg, Groß- und Einzelhandel, Handwerk, Banken und Gewerkschaften beteiligt. Dieser Aktionsausschuß wird in Hamburg ein besonderes Büro errichten, um von dort aus auch in Fühlungnahme mit Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen die erforderlichen Einblicke zu gewinnen, um tätig werden und ehestens über alle Fährnisse und Notstände hinwegfinden zu können. Auch technische Sachverständige werden an Ort und Stelle um die Erstellung einer Art Grund-und später Schlußbilanz bemüht sein.Es wird darauf ankommen, soweit die Beseitigung von Schäden über Reparaturen hinausgeht, die dortige Wirtschaft mit Vorrang mit dem technischen Rüstzeug, mit Maschinen, mit Gerät zu versorgen. Wir haben, abgesehen von der Bereitschaft der Wirtschaft selbst, in dem Wirtschaftssicherungsgesetz ein Instrument an der Hand, mit dem es möglich sein wird, auch gewisse Leistungsverpflichtungen für die deutsche Wirtschaft auszusprechen, sei es hinsichtlich der Versorgung, sei es aber auch in bezug auf den Wiederaufbau selbst. Zudem haben wir vorsorglich in Brüssel ein Kontingent von Fertighäusern zur zollfreien Einfuhr beantragt. Wir haben das nicht nur wegen der Anspannung auf dem Baumarkt, sondern vor allen Dingen auch deswegen getan, um gegebenenfalls die zerstörten Heime vor allem im Gebiet zwischen Hamburg und Harburg durch die Aufstellung von Fertighäusern aus dem skandinavischen Raum rasch wiederaufbauen zu können.
Eine endgültige Entscheidung ist darüber noch nicht gefallen. Es spielen dabei auch räumliche Fragen eine Rolle, die mit den beteiligten Instanzen, vor allem in Hamburg, zu erörtern sein werden. Ich glaube also, daß die mittelständische Wirtschaft dort in aller Kürze wieder zu arbeiten beginnen kann.Die Schäden im Sektor der Landwirtschaft sind noch schwerer abzuschätzen, aber selbstverständlich sind sie in die Hilfe einzubeziehen.Der nächste wesentliche Einsatz wird der Sorge gelten müssen, in rein baulicher Hinsicht das Notwendige zu tun; d. h. die beschädigten Häuser zu reparieren, Werkstätten wieder betriebsfähig zu machen und auch neuen Wohnraum und neue Unterkünfte zu schaffen. Einen erheblichen Schaden werden auch alle diejenigen erlitten haben, die durch Vernichtung von Rohstoffen, von Material aller Art und anderem mehr betroffen worden sind, ohne daß es zu einer Zerstörung ihrer Anlagen selbst gekommen wäre. All das läßt sich noch nicht überblicken, und es ist fast unmöglich — ich wäre ein Scharlatan,
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466 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Vizekanzler Dr. Dr. h. c. Erhardwenn ich es trotz eifeigen Bemühens, den Dingen auf den Grund zu kommen, und trotz ständiger Verbindung mit allen Instanzen auch nur wagen würde —, eine Zahl zu nennen, d. h. die Katastrophe irgendwie im Materiellen, im Finanziellen zu quantifizieren. Das ist nicht möglich; aber es ist ja bereits beschlossen worden, in Zusammenarbeit mit allen Fraktionen und der Regierung den Versuch zu unternehmen, größere Klarheit über das Ausmaß der Katastrophe und damit mehr Sicherheit über das zu gewinnen, was zu tun notwendig ist.Meine Damen und Herren, daß diese Katastrophe in ihrem Ausmaß über die Leistungskraft eines einzelnen Landes oder einer Stadt hinausgeht, ist selbstverständlich. Auch die Bundesregierung ist sich darüber klar, daß neben anderen Lasten, so wie der Herr Präsident sagte, das ganze deutsche Volk eine Verpflichtung hat, hier mitzuhelfen und mitzuheilen. Dazu aber müssen wir in Verbindung mit den Ländern Klarheit über das notwendige Ausmaß der Schäden und das Verfahren der Hilfeleistung selbst gewinnen.Sicher ist, daß die Auseinandersetzung zwischen dem Bund und den Ländern hinsichtlich der finanziellen Fragen das Problem, das hier ansteht, keines' falls auch nur am Rande berühren darf.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es wird notwendig sein, nicht mit einer einmaligen Erklärung den Willen der Regierung kundzutun, sondern des öfteren, und zwar je nach der Erarbeitung des Grundmaterials, diesem Hohen Hause über die Lage und den Fortschritt zu berichten.Im Augenblick ist alles getan worden, nicht nur von Anfang an in der Beseitigung und Überwindung der menschlichen Nöte, die aus dem über so viele Menschen hereingebrochenen Unheil entstanden sind, sondern auch in der Einleitung der Hilfsmaßnahmen materieller und finanzieller Art. Auch sind die Schritte eingeleitet, um Handel und Wandel möglichst schnell wieder in Gang zu bringen. Ich habe den Eindruck, daß sich dieser Prozeß zum Besseren rascher vollziehen wird, als vielleicht nach dem ersten Schock anzunehmen war. Die größeren Betriebe sind, wie gesagt, allenthalben wieder angelaufen. Auch die öffentliche Versorgung verbessert sich rasch. Nach dem gestrigen Stand sind bereits wieder 90 0/o der Stromversorgung und 60 0/o der Gasversorgung gesichert. Auch Wasser ist wieder vorhanden, wenn auch noch unter unzureichendem Druck. Wie erheblich die Schäden im öffentlichen Sektor, also etwa auf dem Gebiet der Kanalisation, im Rohrsystem usw. sein werden, läßt sich auch noch nicht endgültig feststellen; das gleiche gilt für die Schäden, was Brücken, Bahnen, Straßen, Verkehr und Transport anbelangt.Eine der wesentlichsten Aufgaben nach der Beseitigung der menschlichen Not, nach der Schaffung der Unterkünfte, nach der Wiederingangsetzung der Betriebe ist die neuerliche Sicherung, Ausbesserung und Verbesserung der Deiche. Denn, meine Damen und Herren, es ist ja immerhin möglich — jedenfalls muß damit gerechnet werden —, daß im Frühjahr wie üblich wieder eine größere oder geringere Flut eintritt, für die dann die Deiche wieder gerüstet sein müssen. Es sind noch sehr erhebliche Ausbesserungsarbeiten erforderlich, die sofort in Angriff genommen werden müssen. Aus diesem Grunde hat die Bundesrepublik die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß über den jetzigen Einsatz der Bundeswehr hinaus nunmehr zivile Kräfte in diesem Raum tätig werden. Wir erwarten, daß neben dem Bund auch von den Ländern und von den Gemeinden das eine oder andere öffentliche Vorhaben zurückgestellt wird,
um Arbeitskräfte, Material und auch Mittel für diese von der Not betroffenen Gebiete freizubekommen. Auch damit wird sich der Aktionsausschuß zu befassen haben. Im übrigen wird auch die Bundesregierung mit den Länderregierungen in dieser Frage in Fühlung bleiben bzw. engere Verbindungen aufnehmen.Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir alle zusammenstehen, weil dieses Unglück das ganze deutsche Volk angeht, bin ich überzeugt, daß wir das Unheil und die Not schnell überwinden können und daß die betroffenen Menschen zu einem wieder geordneten Leben zurückfinden. Ein solches Geschehen ist geeignet, uns deutlich zu machen, daß wir über alle Parteistandpunkte und über alle Gruppeninteressen hinweg unser Leben an anderen und höheren Werten ausrichten sollten, als das gemeinhin im Alltag in Erscheinung tritt.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Meine Damen und Herren, es ist Sache der vollziehenden Gewalt in Bund und Ländern, zu handeln; es ist Sache des Parlaments, der Bundesregierung die Mittel dafür zu bewilligen. Noch haben keine Beratungen stattfinden können, aber ich weiß mich mit dem ganzen Hause einig, wenn ich von dieser Stelle aus sage: der Bundestag wird alles tun, um das Notwendige möglich zu machen. Die Last des Unglücks, das die Nordseeküste geschlagen hat, darf nicht auf den Schultern der Betroffenen allein liegen bleiben. Das ganze Volk, in Nord und Süd, in Ost und West, muß diese Last auf seine Schultern nehmen, und es wird diese Last auf seine Schultern nehmen!
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde .Es ist vereinbart worden, daß die Frage I nach Beantwortung der Fragen zu VII aufgerufen werden soll.Ich rufe auf Frage II/1 — des Abgeordneten Sänger:Trifft es zu, daß der Herr Bundesaußenminister auf einen Protest des Königlich Belgischen Botschafters in Bonn hin, der gegen eine Reportage des Deutschen Fernsehens über den Kongo gerichtet war, eine genaue Prüfung des Vorfalles zugesagt hat?
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 467
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich wollte vorschlagen, die drei Fragen, die in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen, zusammen zu beantworten.
Herr Abgeordneter Sänger und Herr Abgeordneter Günther, erheben Sie Einspruch dagegen, daß die drei Fragen zusammen beantwortet werden? — Das ist nicht der Fall. Ich rufe daher auch auf die Frage II/2 — des Herrn Abgeordneten Günther —:
Ist der Bundesregierung bekannt, welches Echo die Sendung „Der Tod kam wie bestellt" am 6. Februar 1962 im Ersten Programm des Deutschen Fernsehens, in der in unrichtiger und tendenziöser Weise über die belgische Kongopolitik berichtet wurde, im befreundeten Nachbarland Belgien auslöste?
Ich rufe weiterhin auf die Frage II/3 — des Herrn Abgeordneten Günther —:
Welche Maßnahmen kann die Bundesregierung einleiten, um zu verhüten, daß durch Fernsehsendungen wie die Sendung „Der Tod kam wie bestellt" das gute Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und befreundeten Staaten getrübt und dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland geschadet wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Im Benehmen mit dem Bundesministerium des Innern beantworte ich die drei Fragen wie folgt:
Es trifft zu, daß ich dem Königlich Belgischen Botschafter, der bei mir wegen der Fernsehsendung vom 6. Februar 1962 „Der Tod kam wie bestellt" eine Demarche unternommen hatte, die sofortige Prüfung des Falles zugesagt habe. Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Kongosendung in Belgien, wo sie besonders von der Grenzbevölkerung gesehen worden war, eine Welle der Empörung ausgelöst hat. Aus der legitimen Sorge um die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland nicht allein zu den europäischen Völkern, sondern ebenso zu anderen Staaten in Asien und Afrika hat das Auswärtige Amt bereits in früheren Fällen mit den zuständigen Stellen und Gremien des Deutschen Fernsehens Beratungen aufgenommen, um nach Möglichkeit sicherzustellen, daß ohne Verzicht auf Kritik, sachkundig, leidenschaftslos und frei von einseitigen Maßstäben berichtet wird. Die Bundesregierung beabsichtigt, ihre Bemühungen in dieser Richtung fortzusetzen. Sie ist der Auffassung, daß alle Organe der öffentlichen Meinungsbildung eine außenpolitische Mitverantwortung haben. Das gilt im besonderen Maße für das Fernsehen, das wegen seiner monopolartigen Stellung bei Sendungen, von denen außenpolitische Wirkungen ausgehen können, auf Exaktheit und Objektivität bedacht sein muß.
Vizepräsident Dr. Schmid: Zusatzfrage?
Auf welcher institutionell rechtlichen Grundlage kann der Herr Minister diesen Vorgang nachprüfen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auf Grund der allgemeinen Verantwortung, die der Bundesminister des Auswärtigen für die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik hat.
Sind Sie sich klar darüber, Herr Staatssekretär, daß hier Bedenken oder sogar Widersprüche im Blick auf Artikel 5 des Grundgesetzes entstehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Tätigkeit des Bundesministers des Auswärtigen und des Auswärtigen Amts in dieser Frage beeinträchtigt die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit in keiner Weise. Sie bezweckt allerdings zu erreichen, daß die Organe der öffentlichen Meinungsbildung auch die Verantwortung für die außenpolitische Situation erkennen, die sie zu tragen haben.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kahn-Ackermann.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung der Auffassung ist, in dieser Fernsehsendung seien die Maßstäbe der Objektivität verletzt worden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dieser Auffassung ist die Bundesregierung in der Tat.
Herr Abgeordneter Jahn.
Herr Staatssekretär, Sie vertreten hier die Meinung, daß eine Beeinträchtigung des Grundrechts aus Artikel 5 nicht in Frage kommt. Welche Zielrichtung hat dann die durch Ihr Amt zugesagte Überprüfung?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Überprüfung hat die Zielrichtung, zu erreichen, daß die für die Fernsehsendung verantwortlichen Stellen erkennen, daß es eine außenpolitische Verantwortung gibt und daß sie an ihr teilhaben müssen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Günther.
Herr Staatssekretär, isst Ihnen die Stellungnahme der zuständigen Gremien, die für das Fernsehen verantwortlich sind, bekannt, und können Sie uns diese Stellungnahme mitteilen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mir ist eine Stellungnahme dieser Gremien bisher nicht bekannt. Aber ich möchte sagen, daß sich die in Frage kommenden Gremien dem Auswär-
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468 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Staatssekretär Dr. Carstenstigen Amt gegenüber sehr kooperativ gezeigt haben. Sie haben den Film über diese Sendung dem Auswärtigen Amt zur Verfügung gestellt, so daß die Möglichkeit bestand, ihn sich nachträglich anzusehen. Auf der Kenntnis dieser Tatsache beruht das Urteil, das ich soeben abgegeben habe.
Noch eine Zusatzfrage.
Es ist bereits die vierte Sendung, die beim belgischen Botschafter in der Bundesrepublik Anstoß erregt hat. Können Sie auf das Fernsehen einwirken oder den Versuch machen, darauf einzuwirken,
daß eine Serie von Sendungen ausgestrahlt wird, die die gutnachbarschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen zu Belgien wieder in Ordnung bringen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das Auswärtige Amt wird sich bemühen, in den Gesprächen mit den zuständigen Gremien und Stellen des deutschen Fernsehens zu erreichen, daß die außenpolitischen Gesichtspunkte, von denen ich gesprochen habe, bei den Sendungen des deutschen Fernsehens mit in Betracht gezogen werden.
Die Frage ist beantwortet. — Ich rufe nunmehr auf die Frage II/4 — des Herrn Abgeordneten Bauer —:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung zur Hilfeleistung zugunsten des Personenkreises, der durch den drohenden Konkurs der amerikanisch-holländischen Versicherungsgesellschaft „BRANDABIS" in Mitleidenschaft gezogen wird und durch amerikanische Angehörige des militärischen wie zivilen Bereichs schuldhaft ,geschädigt worden ist?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Über das Vermögen der niederländischen Versicherungsgesellschaft „Brandaris" ist vor dem Landgericht Amsterdam das Vergleichsverfahren eröffnet worden. Forderungen gegen die genannte Gesellschaft müssen bis zum 2. April 1962 angemeldet werden. Die Gläubigerversammlung findet am 5. Juni 1962 statt.
Deutsche Staatsangehörige, die weder von dem zum Schadenersatz verpflichteten Mitglied der Streitkräfte noch von dessen Haftpflichtversicherern voll oder teilweise Ersatz erhalten, können durch sogenannte Ex-gratia-Zahlungen gemäß Artikel 8 Absatz 16 des Finanzvertrages entschädigt werden.
Die Zahlung einer derartigen Entschädigung, deren Gewährung in der Zuständigkeit der Behörden der Streitkräfte liegt, setzt jedoch voraus, daß der Anspruch innerhalb einer bestimmten Frist, nämlich innerhalb von 90 Tagen nach Kenntnis des Schadensfalles, angemeldet wird. Diese Frist dürfte von den meisten Geschädigten nicht eingehalten worden sein. Das Auswärtige Amt ist daher zur Vermeidung von Nachteilen für deutsche Staatsangehörige, die eine rechtzeitige Anmeldung versäumt haben, an die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika wie auch vorsorglich an die Botschaften des Vereinigten Königreichs und der Französischen Republik mit dem Vorschlag herangetreten, die bei der „Brandaris" anhängigen Schadensfälle, soweit sie Angehörige der Streitkräfte betreffen, ohne vorherige formelle Anmeldung als rechtzeitig geltend gemacht anzusehen und diese Ansprüche nach den Bestimmungen des Finanzvertrages abzuwickeln. Eine Antwort der betreffenden Botschaften steht noch aus.
Soweit die „Brandaris" sich im Bundesgebiet nicht im Truppengeschäft, sondern im Privatgeschäft betätigt hat, unterliegt sie der Aufsicht des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungs- und Bausparwesen. Nach Auskunft dieses Amtes sind insoweit genügend Kautionen hinterlegt worden. Damit können alle aus dem Privatgeschäft der „Brandaris" begründeten Verpflichtungen als gedeckt angesehen werden.
Eine Zusatzfrage!
Kann ich von Ihnen, Herr Staatssekretär, die Zusicherung bekommen, daß man sich bemühen wird, beim US-Hauptquartier der Streitkräfte in Heidelberg mit Nachdruck auch die Rechte derjenigen Geschädigten zu vertreten, die durch Angehörige der US-Streitkräfte schuldhaft geschädigt worden sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Erklärung kann ich abgeben. Die Bundesregierung steht aus diesem Anlaß bereits mit der amerikanischen Botschaft in Verbindung und wird ihre Bemühungen bei der amerikanischen Botschaft in diesem Sinne fortsetzen.
Die Frage ist beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern, zur Frage III — des Herrn Abgeordneten Lohmar —:
Wie stellt sich die Bundesregierung zu den Tendenzen einer „Konfessionalisierung" bei der Besetzung von Lehrstühlen an einigen Universitäten?
Die Bundesregierung glaubt nicht an solche Tendenzen. Aber selbst wenn solche Tendenzen gegen Art. 3 des Grundgesetzes existierten, hätte die Bundesregierung keine Möglichkeit, darauf einzuwirken, weil es sich um eine ausschließliche Ländersache handelt.
Eine Zusatzfrage!
Ist der Bundesregierung nicht bekannt, Herr Minister, daß an einer Reihe von deutschen Hochschulen eine Doppelbesetzung von nicht theologischen Lehrstühlen, etwa für Philosophie, Pädagogik, Psychologie und Soziologie, angestrebt
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 469
Lohmarund zum Teil verwirklicht ist, und sieht sich die Bundesregierung nicht in der Lage, trotz ihrer verfassungsrechtlichen Unzuständigkeit dazu ein politisches Urteil abzugeben?
Die Bundesregierung wäre sehr dankbar, wenn dafür einwandfreie Beweise vorgelegt würden. Es ist bisher nur eine Behauptung.
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Minister, halten Sie es für eine übertriebene Erwartung, wenn man davon ausgeht, daß der Bundesregierung Erlasse, die in einzelnen Ländern der Bundesrepublik beschlossen worden und die rechtskräftig sind, bekannt sein sollten?
Ich kann mir nicht vorstellen, daß es einen Erlaß im Bereich der Länder gibt, der die Konfessionalisierung der Besetzung von Lehrstühlen vorsähe.
Die Frage ist beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz, Frage IV — des Herrn Abgeordneten Jahn —:
Beabsichtigt die Bundesregierung, dem Bundestag eine bundesgesetzliche Regelung des Strafvollzuges vorzulegen?
Die Bundesregierung hat die Absicht.
Herr Minister, können Sie schon sagen, wann die Bundesregierung beabsichtigt, ihre Absicht zu verwirklichen?
Das kann die Bundesregierung erst tun, wenn wir wissen, inwieweit der Bundestag der Grundkonzeption des Regierungsentwurfs zur Strafrechtsreform, insbesondere zum System der Maßregeln und Strafen, folgt. Erst dann können wir die bereits begonnenen Vorarbeiten vervollständigen und zur Reife eines Entwurfs bringen. Das liegt also nicht bei uns, sondern liegt beim Parlament.
Eine zweite Zusatzfrage!
Sind Sie nicht der Auffassung, Herr Minister, daß angesichts der teilweise erschreckenden Zustände im Strafvollzug alsbaldige gesetzliche Maßnahmen ohne Rücksicht auf die Reform des Strafgesetzbuches erforderlich sind?
Herr Kollege Jahn, ich darf Sie da de lege lata darauf hinweisen, daß wir zwar noch keine bundesgesetzliche, aber eine ganz neue bundeseinheitliche
Regelung haben, nämlich durch die jeweiligen Länderverordnungen vom 1. Dezember 1961, die unter erheblicher Mitwirkung des Bundesjustizministerium entstanden sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Memmel.
Könnte, Herr Bundesjustizminister, bei dieser Gelegenheit auch die Bestimmung über den Jugendarrestvollzug einheitlich geregelt und etwas verbessert werden?
Herr Kollege, ich muß natürlich zunächst auf die ganz neuen und erst vor kurzer Zeit verabschiedeten Anordnungen der Länder verweisen. Aber selbstverständlich wird diese Frage ebenfalls in der bundesgesetzlichen Regelung, wie sie uns vorschwebt, berücksichtigt werden.
Memmel ; Ich danke.
Die Frage ist beantwortet.
Frage V — des Herrn Abgeordneten Drachsler —:
Ist der Herr Bundesfinanzminister in der Lage, jetzt schon Auskunft zu geben, ob das Aufkommen aus der Mineralölsteuer und das gesamte Verkehrsaufkommen über die Schätzungen hinausgehen, die dem Parlament bei der Beratung des Straßenbaufinanzierungsgesetzes vorlagen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Drachsler fragt nach dem Aufkommen der wesentlichen Belastungen des Verkehrs.
Herr Abgeordneter, bei der Verabschiedung des ersten Vierjahresplans für den Ausbau des deutschen Straßennetzes wurde ein Zeitraum vom 1. April 1959 bis zum 31. Dezember 1962 zugrunde gelegt. Für diesen Zeitraum wurde das Aufkommen an Mineralölsteuer mit 10 130 Millionen DM geschätzt. Nach dem Ist-Aufkommen bis 1961 und nach den Vorschätzungen für 1962 wird das tatsächliche Aufkommen an Mineralölsteuer in dieser Zeit etwa 10 547 Millionen DM erreichen; das sind 417 Millionen DM oder rund 4 v. H. mehr, als 1959 geschätzt worden ist.
Das Aufkommen an Kraftfahrzeugsteuer, die den Ländern zufließt, wurde für den gleichen Zeitraum — also für diesen ersten Vierjahresplan — geschätzt. Im Jahre 1959 wurden für diesen Zeitraum 5650 Millionen DM erwartet. Tatsächlich werden bis zum zum Ende dieses Jahres voraussichtlich 5900 Millionen DM eingehen; das sind 250 Millionen DM oder 4,8 °/o mehr, als seinerzeit geschätzt worden ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, ob dieses Mehraufkommen auch eine zweckgebundene Verwendung gefunden hat und ob es im Rechnungsjahr 1961 zweckgebunden verbaut wurde?
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470 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das Mehraufkommen aus der Mineralölsteuer, die allein dem Bund zufließt, ist entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen in voller Höhe zur Förderung des Straßenbaues verwendet worden. Abgesetzt werden vom Gesamtaufkommen der Mineralölsteuer nur die Teilbeträge, die durch Gesetz für andere Zwecke, insbesondere auch die Betriebsbeihilfen für die Landwirtschaft oder die Zuschüsse an Bundesbahn und nicht bundeseigene Eisenbahnen, vorgesehen sind.
Die Frage ist beantwortet.
Die Frage VI soll einer Vereinbarung der Fraktionen gemäß morgen aufgerufen werden.
Fragen VII/1 und 2 — des Herrn Abgeordneten Jahn, für Herrn Abgeordneten Arndt —:
Hat Herr Bundesminister Strauß, als er Oberstaatsanwalt Sauter, Nürnberg, in der Strafsache Hackel anrief und nach der ,,Einstellung" der Staatsanwälte sowie nach der eigenen „Einstellung" des Oberstaatsanwalts fragte, vorn Bundesministerium der Verteidigung aus telefoniert und durch die Vermittlungsstelle seines Amtes sich mit Oberstaatsanwalt Sauter als Bundesminister der Verteidigung verbinden lassen?
Ist dem Herrn Bundesverteidigungsminister nicht bekannt, daß über sein Telefongespräch mit Oberstaatsanwalt Sauter im Ermittlungsverfahren Hackel kein Wort in dem von einem SPD-Blatt veröffentlichten Rundschreiben des Nürnberger Richtervereins steht, aber in der Süddeutschen Zeitung" vom 30. Januar 1962 deren Redaktionsmitglied Riedmiller bisher unwidersprochen berichtet hat: „Strauß verhört den Staatsanwalt. Sauter traf überdies die Ungnade des CSU-Vorsitzenden Strauß, weil er sich geweigert hatte, Strauß wegen der Durchsuchung der CSU-Geschäftsstelle anzurufen. Als Strauß sich dann bei Sauter mit unwirscher Stimme meldete, begehrte er u. a. zu wissen, welcher Partei die durchsuchenden Staatsanwälte angehören"?
Zu beiden Fragen darf ich auf folgendes hinweisen: Mein Anruf bei Oberstaatsanwalt Sauter erfolgte nach Durchführung der richterlich angeordneten Aktion, und zwar auf Grund der mir darüber gemachten Mitteilungen, so daß von einem Versuch, der Durchführung dieser Anordnung entgegenzutreten, nicht gesprochen werden kann. Ich stehe nicht an zu erklären, daß mir infolge der Aufregung über diesen Vorgang ein Formfehler unterlaufen ist, den ich persönlich selbstverständlich bedauere.
Frage I — des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt —:
Ist die Bundesregierung damit einverstanden, daß ein Parteivorsitzender auf sein Amt als Mitglied der Bundesregierung keine Rücksicht nimmt, sondern in dem Bewußtsein, daß sein Gesprächspartner in ihm einen Bundesminister sieht, durch Telefonanruf bei dem zuständigen Oberstaatsanwalt versucht, durch die falsche Behauptung, eine Maßnahme der Staatsanwaltschaft richte sich gegen zwei Landtagsabgeordnete unter Verletzung ihrer Immunität, die Ausführung eines richterlichen Durchsuchungsbefehls zu verhindern, hierbei nach der „Einstellung" der ihres Amtes waltenden Staatsanwälte fragt und äußert, er kenne ja auch nicht die „Einstellung" des zuständigen Oberstaatsanwalts?
Herr Minister Krone!
Die Bundesregierung begrüßt diese Erklärung des Bundesministers Strauß. Ich nehme an, daß damit das Anliegen der Frage des Kollegen Arndt gegenstandslos geworden ist.
Keine Zusatzfrage. Frage VIII/1 — des Herrn Abgeordneten Hörmann —:
Ist die Bundesregierung bereit, sich mit einem angemessenen Betrag am Einbau einer ausreichenden Schiffahrtsschleuse 1m Kulturwehr Breisack zu beteiligen?
Die Bundesregierung hat vorgesehen, in das bereits im Bau befindliche Landeskulturwehr eine Betriebsschleuse einzubauen, damit die zur Unterhaltung der Staustrecke notwendigen schwimmenden Geräte in diese Strecke gelangen können. Sie hat sich aber auch der Landesregierung Baden-Württemberg gegenüber bereit erklärt, an Stelle dieser Betriebsschleuse eine größere Schleuse einzubauen, falls die Landesregierung die Mehrkosten dafür und für weitere mit der Aufnahme einer Schiffahrt oberhalb des Wehres zusammenhängende Verpflichtungen übernimmt. Den Entwurf einer entsprechenden Verwaltungsvereinbarung haben wir der Landesregierung zur Prüfung zugeleitet.
Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, darf ich fragen, ob die Bundesregierung auf Grund Ihrer Ausführungen nicht bereit ist, sich an den Mehrkosten für eine größere Schleuse zu beteiligen, und ob die gesamten Mehrkosten das Land tragen soll?
Nein, wir sind nicht bereit, über die Kosten hinaus, die wir für die Betriebsschleuse tragen, diese Mehrkosten zu übernehmen, weil die Kosten für die Betriebsschleuse schon einen erheblichen Teil der Gesamtschleusenkosten ausmachen.
Frage VIII/2 — des Abgeordneten Hörmann —:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um Eisenbahnverbindung und Verkehr mit der französischen Stadt Colmar wiederherzustellen?
Ich darf den Herrn Kollegen zunächst auf den Antrag Drucksache 1389 vom 12. November 1959 und auf den Beschluß des Deutschen Bundestages in seiner 108. Sitzung vom 6. April 1960 verweisen, wonach die Bundesregierung ersucht wurde, mit Frankreich mit dem Ziel zu verhandeln, die Eisenbahnbrücke über den Rhein zwischen Breisach und Neubreisach wiederherzustellen und den Eisenbahnverkehr zwischen Breisach und Colmar wiederaufzunehmen.Die Bundesregierung hat den Wunsch des Hohen Hauses durch Verbalnote des Auswärtigen Amtes vom 2. Februar 1961 der französischen Regierung vorgetragen und unter Hinweis auf das Bestreben, die kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Republik Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland zu fördern, ihre Bereitschaft erklärt, sich an Vorarbeiten für dieses Projekt zu beteiligen und die Kosten zur Wiederherstellung der Eisenbahnbrücke bis zur Brückenmitte zu übernehmen.
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Bundesminister Dr.-Ing. SeebohmDie französische Regierung hat diese Frage sehr eingehend geprüft und durch Verbalnote vom 12. Juli 1961 mitgeteilt, daß sie — sosehr sie auch wünsche, die Verkehrsverbindungen zwischen Deutschland und Frankreich bestmöglich zu vervollkommnen — auf Grund dieser Prüfung genötigt sei, die Auffassung zu vertreten, daß die Wiederherstellung der Eisenbahnverbindung zwischen Colmar und Freiburg die aufzuwendenden hohen Kosten nicht rechtfertigen würde. Bekanntlich muß auf französischer Seite außer der Brücke über den Rhein auch noch eine Brücke über den Rheinseitenkanal erstellt werden, deren Baulast ausschließlich auf Frankreich fällt.Nach dieser Antwort der französischen Regierung bedauert die Bundesregierung, weitere Maßnahmen zur Wiederherstellung des Eisenbahnverkehrs Freiburg—Colmar nicht ergreifen zu können.
Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß auch von seiten der Industrie- und Handelskammer Colmar Bestrebungen im Gange sind, bei der französischen Regierung eventuell doch zu erreichen, daß man in dieser Frage weiterkommt, und wären Sie bereit, von der Bundesregierung aus weiterhin die Angelegenheit zu verfolgen, damit ein entsprechender Beschluß gefaßt wird?
Dies ist mir sehr gut bekannt. Ich habe im vorigen Jahr im Anschluß an die Einweihung der Europabrücke in Straßburg beim Präfekten in Colmar zusammen mit meinem französischen Kollegen Buron und den Herren der Industrie- und Handelskammern Colmar und Freiburg einige Stunden verbracht, um über dieses Problem zu sprechen. Die Strecke zwischen dem Rhein und Neubreisach ist aber, wie man in Frankreich sagt, „abgewertet", und allein zuständig für die Aufbringung der Baukosten ist die französische Eisenbahngesellschaft, die jedoch die Übernahme dieses Kosten ablehnt. Die Regierung — das hat mir Herr Kollege Buron gesagt — ist auch nicht bereit, diese Kosten zu übernehmen. Ich habe mich, soweit ich konnte, im Interesse der Wiederherstellung dieser Eisenbahnverbindung eingesetzt.
Zweite Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß also die Bundesregierung in dieser Angelegenheit nichts mehr weiter unternehmen wird?
Wir können gar nichts weiter unternehmen. Wenn Sie eine solche Antwort erhalten haben, wie sie in der Verbalnote enthalten ist, und wenn auch die mündlichen Bemühungen nicht zu einer Änderung des Standpunktes der anderen Seite führen können, dann bleibt uns ja nichts anderes übrig, als die Sache auf sich beruhen zu lassen, bis vielleicht von französischer Seite ein neuer Anstoß kommt. Es bleibt der Industrie- und Handelskammer Colmar unbenommen, ihrerseits über ihre Abgeordneten im französischen Parlament gegenüber der französischen Regierung dieses Petitum erneut vorzubringen.
Eine Zusatzfrage? — Herr Abgeordneter Dr. Schäfer.
Herr Minister, teilen Sie nicht unsere Bedenken, daß durch den Nichtwiederaufbau dieser Brücke das Auseinanderleben in der oberrheinischen Ebene noch verstärkt und verschlimmert wird?
Nein, Herr Kollege Schäfer. Diese Bedenken teile ich deswegen nicht, weil es in gemeinsamem Bemühen mit der französischen Regierung möglich war, eine ganze Reihe von Straßenübergängen in diesem Raum herzustellen. Ich darf Sie daran erinnern, daß wir die Straßen- und Eisenbahnbrücke bei Neuenburg-Chalampé bauen, daß wir bei Breisach eine Straßenbrücke bauen, daß wir an verschiedenen Stellen unterhalb neue Fähren und Schiffbrücken eingerichtet und die Europabrücke in Straßburg haben. Es sind also erfreulicherweise in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Übergängen wiederhergestellt worden, und es ist natürlich so, daß der Straßenverkehr heute eine wesentlich größere Rolle spielt, so daß, da wir Eisenbahnverkehrsmöglichkeiten zwischen Kehl und Straßburg und zwischen Neuenburg und Chalampé haben, es nicht unbedingt notwendig erscheint, an der Stelle Breisach, wo eine Straßenbrücke vorhanden ist, auch noch eine Eisenbahnbrücke zu bauen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Heißt das, Herr Minister, daß Sie die Auffassung der französischen Regierung vertreten, daß der Bau nicht mehr nötig ist, und daß Sie von sich aus nicht mehr tätig werden wollen und die französische Antwort als endgültig betrachten?
Ich muß selbstverständlich, Herr Kollege Schäfer, eine solche Antwort als endgültig betrachten. Ich bin seit Jahren in der Sache initiativ gewesen und habe am Schluß meiner Bemühungen das endgültige Nein empfangen. Ich kann dazu nichts anderes sagen.
Die Frage ist beantwortet. Frage VIII/3 — des Herrn Abgeordneten Josten —:
Wann ist mit Beginn und Fertigstellung der Umgehungsstraße von Sinzig zu rechnen?
Mit dem Bau der Umgehungsstraße Sinzig wird in diesem Jahr begonnen. Voraussetzung ist allerdings, daß das Planfeststellungsverfahren durch die Behör-
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472 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Bundesminister Dr.-Ing. Seebohmden des Landes Rheinland-Pfalz spätestens im April abgeschlossen wird. Die Fertigstellung dieser Maßnahme, deren Baukosten 30 Millionen DM betragen, wird voraussichtlich innerhalb drei Jahren möglich sein.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.
Herr Minister, Ihre Antwort befriedigt. Darf ich trotzdem fragen, ob bei den vorgesehenen Arbeiten die Abzweigung der Ahrtalstraße, also der Bundesstraße 266, gleichzeitig eine bessere Lösung erfahren wird?
Ja, diese Lösung wird angestrebt. Zunächst aber wollen wir die Umgehungsstraße fertigstellen und nochmals überlegen, ob es zweckmäßig ist, den Knotenpunkt beim Abzweig der Umgehungsstraße zu bilden oder die Ahrtalstraße bis an die Umgehungsstraße heranzuziehen. Diese Frage ist noch nicht endgültig geklärt.
Frage VIII/4 — des Herrn Abgeordneten Börner —:
Ist der Bundesregiereng bekannt, daß der Deutschen Bundesbahn auf der Strecke Kassel—Hann. Münden erhebliche Einnahmeausfälle entstehen, weil der Bahnhof Wilhelmshausen infolge einer ungenügend besetzten Fähre-Verbindung über die Fulda von der Bevölkerung der Gemeinde Wilhelmshausen zu vielen Zeiten nicht erreicht werden kann?
Fährangelegenheiten fallen nach dem Grundgesetz unter die Zuständigkeit der Länder. Der Bundesregierung steht daher nicht das Recht zu, in dieser Angelegenheit tätig zu werden. Wie sich aus Nachfragen ergeben hat, wird nach Verhandlungen mit dem Land Hessen eine den Wünschen der Gemeinde Wilhelmshausen angemessene Lösung für den Fährbetrieb angestrebt. Im übrigen dürften der Bundesbahn Einnahmeausfälle infolge unzureichender Fährverbindung kaum erwachsen. Der Personenverkehr mit der Eisenbahn auf dem der Gemeinde gegenüberliegenden Fulda-Ufer hat sich weitgehend auf die den Ort Wilhelmshausen unmittelbar bedienenden Bahnbuslinien verlagert.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Börner.
Herr Minister, sind Sie bereit, die von Ihnen zitierten Bahnbuslinien so auszubauen, daß sie über den jetzigen Zeitraum der Verkehrsbedienung hinaus auch für die berufstätigen Menschen der Gemeinde Wilhelmshausen zur Verfügung stehen, die in Schichtarbeit in Kasseler Betrieben arbeiten müssen und nach der jetzigen Regelung keine Möglichkeit haben, abends nach 20 Uhr in ihre Gemeinde zurückzukehren?
Das ist eine Angelegenheit, die die Bundesbahndirektion Kassel entscheiden muß. Ich bitte, die Anträge dort zu stellen. Das erfolgt von der Bundesbahn in eigener Zuständigkeit. Ich habe darauf keinen direkten Einfluß.
Ich rufe auf die Frage VIII/5 — des Abgeordneten Drachsler —:
Kann der Herr Bundesverkehrsminister Auskunft darüber geben, welche Erfahrungen das Bundesverkehrsministerium bisher bei der Verteilung des Aufkommens aus dem Gemeindepfennig auf die Länder ,gemacht hat?
Die Mittel des Gemeindepfennigs, Herr Kollege, verteilen sich im Einvernehmen mit den Ländern zu etwa 50 % auf die Städte über 50 000 Einwohner — früher 9000 Einwohner — für den Bau und Ausbau der Ortsdurchfahrten von Bundesstraßen und zu etwa 50 % auf die Gemeinden unter 50 000 Einwohnern — früher 9000 Einwohner — und die Kreise für den Bau und Ausbau von Zubringerstraßen zu Bundesstraßen in der Baulast des Bundes. Der hiernach auf die Städte entfallende Anteil des Gemeindepfennigs wird den Ländern nach dem Längenverhältnis der Ortsdurchfahrten von Bundesstraßen in Städten über 50 000 Einwohner — früher 9000 Einwohner — zugewiesen, während der Anteil des Gemeindepfennigs für die Gemeinden und Kreise ungefähr nach dem Längenverhältnis der Landstraßen II. Ordnung ermittelt wird. Die Längen der Gemeindestraßen konnten in diese Rechnung nicht einbezogen werden, weil in den einzelnen Ländern hierüber noch keine eindeutigen vergleichbaren Unterlagen vorliegen.
Gegen dieses Verteilungsverfahren wurden bisher keine nennenswerten Einwände erhoben. Im übrigen können die Länder hiervon auch abweichen, wenn dadurch die insgesamt zugeteilten Zuschüsse nicht überschritten werden und es sich im Bedarfsfall als zweckmäßig und notwendig erweist. Dagegen hat die bisherige Verausgabung der Mittel des Gemeindepfennigs erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Das lag in erster Linie an den fehlenden Planungen der Gemeinden und Kreise, an Grunderwerbsschwierigkeiten und vor allem an der rein verwaltungsmäßigen Abwicklung in einigen Ländern, die jedoch auf Grund der Novelle zum Bundesfernstraßengesetz seit dem 1. Januar 1962 erheblich vereinfacht werden konnte. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Maßnahmen im Jahre 1962 auswirken werden. Sollte es sich als zweckmäßig erweisen, werden die Richtlinien erneut angepaßt werden.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe auf die Frage VIII/6 — des Abgeordneten Drachsler —:
Trifft es zu, daß die Richtlinien über die Verteilung der Mittel aus dem Gemeindepfennig schon mehrfach geändert wurden, weil sie von den Ländern für nicht praktikabel gehalten wurden?
Besondere Richtlinien über die Verteilung der Mittel aus dem Gemeindepfennig sind nicht erlassen. Für die Gewährung von Zuschüssen aus dem Gemeindepfennig gelten vielmehr die Vorläufigen Richtlinien für die Gewährung von Bundeszuwendungen zu Straßenbaumaßnahmen von Gemeinden und Gemeindeverbänden vom 13. Dezember 1961, die im Einvernehmen mit den Ländern erlassen worden sind. Diese Richtlinien ersetzen die früheren, ebenfalls als vorläufig gekennzeichneten Richtlinien
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Bundesminister Dr.-Ing. Seebohmvom 11. April 1960. In diesen Gesamtrichtlinien für alle Bundeszuwendungen sind auch die Bestimmungen über die Verteilung der Mittel aus dem Gemeindepfennig enthalten. Die Änderung Ende 1961 war notwendig geworden wegen der neuen Zuschußbestimmung des § 5 a der Novelle zum Bundesfernstraßengesetz, die das Hohe Haus im vergangenenJahr verabschiedet hat. Die ursprünglichen Richtlinien, die weder die Länder noch die Gemeinden noch mich befriedigten, haben bei ihrer Anwendung ihre dringende Reformbedürftigkeit bewiesen. Auch die Richtlinien von 1961 dürften auf Grund zu sammelnder Erfahrungen zu überarbeiten sein. Sie haben jedoch bereits zur Vereinfachung der Abwicklung den Ländern vermehrte Zuständigkeiten zugebilligt.
Eine Zusatzfrage!
Kann der Herr Bundesminister sagen, um wieviel höher das Mehraufkommen aus dem Gemeindepfennig — analog zu dem Mehraufkommen aus der Mineralölsteuer — im Jahre 1961 war?
Ich kann Ihnen keine exakte Zahl nennen. Aber das Gesamtaufkommen aus dem Gemeindepfennig ist ja gebunden und kann nur für diesen Zweck verwendet werden.
Die Frage ist beantwortet.
Wir kommen zur Frage VIII/7 — des Herrn Abgeordneten Bauer —.
Wie wird seitens der Bundesregierung die Einhaltung der „Richrtlinien zur Erhaltung der Binnenfischerei an den Bundeswasserstraßen" von 1955 auch bei nicht direkt ihrer Beaufsichtigung unterstehenden öffentlich-rechtlichen Körperschaften gewährleistet?
Die Richtlinien zur Erhaltung der Binnenfischerei an den Bundeswasserstraßen aus dem Jahre 1955 sind eine Verwaltungsanordnung; das Bundesverkehrsministerium führt diese Richtlinien in vollem Umfang im Rahmen der ihm bereitstehenden Mittel durch. Auch an den Flußstrecken, die von Wasserbaugesellschaften des Bundes und der Länder ausgebaut werden, wie z. B. an den Strecken der RheinMain-Donau AG, der Neckar AG, der Mittelweser AG, der Staustufe Geesthacht GmbH, ist die Erfüllung der Richtlinien gesichert; denn der Bund besitzt in diesen Gesellschaften in der Regel zwei Drittel des haftenden Vermögens und ist in den Aufsichtsräten, zum Teil auch in den Vorständen, entsprechend vertreten. Daher ist er auch in fischereirechtlicher Hinsicht in der Lage, seinen Einfluß zur Erfüllung der Richtlinien auszuüben.
Eine Zusatzfrage!
Wie 'erklären Sie es, Herr Bundesminister, daß eine Fischereiorganisation Beschwerde darüber führt, sie sei im Zuge des
Ausbaus des Mains durch die Rhein-Main-Donau AG bei der Errichtung von vier Staustufen in Unterfranken überhaupt nicht gehört worden, obwohl die Richtlinien eindeutig die Zusammenarbeit der beteiligten Behörden zur Pflicht machen und ausdrücklich gesagt wird, daß zwecks Beschaffung der erforderlichen Unterlagen die Vorarbeiten rechtzeitig vor Beginn der baulichen Maßnahme einzusetzen haben und überdies eine Muß-Bestimmung in den Richtlinien steht, daß grundsätzlich der zuständige Landesfischereisachverständige u n d die beteiligten Fischerei-Organisationen zu hören sind?
Die Behörden wissen ganz genau, wann diese Bauvorhaben vor sich gehen. Es finden ja auch Planfeststellungsverfahren statt. Sie haben also zumindest im Planfeststellungsverfahren die Möglichkeit — falls sie vorher etwa nicht befragt worden sein sollten —, ihre Auffassung vorzutragen. Das gilt insbesondere für die staatlich eingesetzten Stellen. Der zuständige Fischereisachverständige des Landes ist verpflichtet, die entsprechenden privaten Organisationen mit heranzuziehen. Ich würde mich wundern, wenn er versäumt hätte, sich rechtzeitig einzuschalten. Ich kenne ihn persönlich und habe auch selbst wiederholt mit ihm über diese Fragen gesprochen.
Zweite Zusatzfrage.
Darf ich von Ihnen die Zusicherung bekommen, Herr Bundesminister, daß Sie noch einmal besonders darauf hinweisen werden — in diesem Fall wahrscheinlich bei den Wasser-und Schiffahrtsdirektionen —, damit die Zusammenarbeit im Sinne der Richtlinien nachdrücklich gewährleistet wird?
Das will ich gern tun, Herr Kollege Bauer, da ich selber daran interessiert bin. Ich wäre Ihnen aber dankbar, wenn Sie mir Ihnen persönlich bekanntwerdende Fälle, in denen eine Nichtbeachtung der Richtlinien vermutet werden kann, mitteilten, damit ich sie überprüfen kann.
Frage VIII/8 — Abgeordneter Vogt —:
Wann erfolgt der weitere Auf- und Aasbau des Bahnhofsgebäudes Aschaffenburg-Süd?
Der Deutschen Bundesbahn ist es noch nicht möglich, einen genauen Zeitpunkt für den weiteren Aufbau und Ausbau des Bahnhofsgebäudes Aschaffenburg-Süd anzugeben. Es wird angestrebt, den Ausbau im Jahre 1963 zu ermöglichen.
Eine Zusatzfrage.
Ist es richtig, Herr Minister, daß Pläne für den weiteren Aus- und Aufbau seit dem Jahre 1957 bestehen?
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474 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Das ist wahrscheinlich richtig. Denn damals ist eine Gesamtplanung für den Wiederaufbau gemacht worden. Man hat sich zunächst darauf beschränkt, das unbedingt Notwendige zu erstellen, und das ist seinerzeit auch so mit der Bayerischen Staatsregierung abgesprochen worden.
Zweite Zusatzfrage.
Erkennen Sie an, Herr Minister, daß der Aus- und Aufbau dieser für Aschaffenburg wichtigen Station dringend notwendig ist?
Wenn Sie mich danach fragen, so muß ich Ihnen sagen: wir haben sehr viele Dinge, deren dringende Notwendigkeit ich anerkenne, ohne daß sie durchgeführt werden können. Die Bundesbahn muß in ihrer Zuständigkeit ja auch wissen, wie sie sich verhalten muß und was sie für dringend notwendig hält. Auch meine Wünsche werden von der Bundesbahn keineswegs immer erfüllt.
Ich rufe die Frage des Abgeordneten Dr. Schmidt auf Drucksache IV/202 —:
Hatte die Bundesregierung vor Abschluß der Brüsseler Verhandlungen am 14. Januar d. J. davon Kenntnis, daß die italienische Regierung einen Antrag nach Artikel 80 des EWG-Vertrages auf Genehmigung der Frachtsubventionen bei Obst und Gemüse gestellt hatte?
Der Bundesregierung ist nicht bekannt, Herr Kollege, ob die italienische Regierung einen förmlichen Antrag nach Art. 80 des EWG-Vertrages auf Genehmigung von Frachtermäßigungen der italienischen Staatsbahnen für Obst und Gemüse aus dem südlichen Italien gestellt hat. Die Brüsseler EWG-Kommission hat jedoch von sich aus über derartige Eisenbahntarife Untersuchungen angestellt, ob sie wohl „unterstützungsverdächtig" im Sinne des Vertrages anzusehen seien, und hat darüber am 13. November 1961 alle Regierungen der Mitgliedstaaten gehört.
Die Vertreter der italienischen Regierung haben in den Verhandlungen den Unterstützungscharakter der Frachtermäßigungen nicht bestritten, jedoch dargelegt, daß es sich dabei um Maßnahmen zur Verwirklichung der italienischen Pläne zu wirtschaftlichen Förderung der weniger entwickelten Gebiete Italiens handele. Diese Ziele haben die Signatarmächte in dem „Protokoll betreffend Italien" zu den Römischen Verträgen anerkannt, das durch die Ratifikation auch Bestandteil dieser Verträge und der darüber bestehenden Gesetze geworden ist.
Die Vertreter der Bundesregierung haben in der Sitzung am 13. November 1961 auf die vorangegangenen Erörterungen in der Arbeitsgruppe der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft „Direkte oder indirekte Hilfen auf dem Obst- und Gemüsesektor" am 18. März 1961 hingewiesen, wonach die Frarhtbegünstigungen Anlaß zu erheblichen Schwierigkeiten des Marktablaufs in der Bundesrepublik sein könnten. Aus den im „Protokoll betreffend Italien" anerkannten Gründen konnte aber die Bundesregierung schließlich den italienischen Eisenbahntarif-maßnahmen gegenüber ihren Widerspruch nicht aufrechterhalten. Sie hat aber den Vorbehalt gemacht, daß die Tarife aufzuheben seien, sobald sich die wirtschaftliche Lage der begünstigten Gebiete gebessert habe.
Die Frage von Frachtvergünstigungen für die Aus-und Einfuhr innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wird von der Europäischen Kommission zur Zeit noch in grundsätzlicher Hinsicht geprüft. Sie soll demnächst mit allen Mitgliedstaaten gemeinsam behandelt werden. Dann werden diese Fragen wahrscheinlich erneut diskutiert.
Zusatzfrage?
Herr Minister ist Ihnen bekannt, daß auch in Frankreich eine Reihe von neuen Tarifpositionen eingeführt worden ist, die den Export begünstigen, und haben Sie in dieser Angelegenheit schon einmal mit Ihrem französischen Kollegen verhandelt?
Diese Angelegenheit ist mir bekannt. Verhandlungen darüber stehen uns nicht zu. Diese neuen Tarifpositionen müssen ja der EWG-Kommission gemeldet werden und sind von ihr zu überprüfen. Die Zuständigkeit dafür liegt vollkommen bei der Brüsseler Kommission.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schmidt!
Herr Minister, trifft es zu, daß die von Ihnen angezogenen italienischen Subventionstarife saisonal noch gestaffelt sind und zur Haupterntezeit bis auf eine Anerkennungsgebühr ermäßigt werden?
Ja, diese Tarife sind gestaffelt. Daß man in der Betrachtung der Dinge so weit gehen könnte, wie Sie es sagen, möchte ich nicht annehmen. Aber ich darf daran erinnern, daß wir in bestimmten Gebieten ähnliche Tarife haben — zwar nicht für Obst und Gemüse, aber für andere Güter — und daß infolgedessen im Zuge der Entwicklung der allgemeinen Verkehrspolitik hier noch eine Harmonisierung der Tarife erfolgen muß. Das kann aber nicht von uns aus geschehen. Wenn wir sagten, wir erkennten diese italienischen Tarife nicht an, so würde man uns sofort das Protokoll entgegenhalten, das Bestandteil des Vertrages ist. Außerdem würde man uns entgegenhalten, daß man sich dann auch bei der Prüfung unserer Anliegen entsprechend verhalten werde.
Herr Minister, gilt diese Subvention für ganz Italien und für alle Transportmittel?
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 475
Das weiß ich nicht. Darüber haben wir auch keine Unterlagen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Post- und Fernmeldewesen. Die Fragen 1 und 2 sind zurückgezogen. Die Frage des Abgeordneten Dr. Arndt unter Ziffer 3 ist vom Abgeordneten Jahn aufgenommen worden:
Warum wird der Neubau des Postscheckamtes in Berlin von der Postbehörde entworfen und errichtet, nicht aber auf geeignete Weise — z. B. durch Ausschreiben eines Wettbewerbs — den freischaffenden Architekten eine Möglichkeit zur Entwicklung der Baukunst geboten?
Die Vorbereitung und Planung von Gebäuden für den Post- und Fernmeldebetrieb setzt genaue Kenntnisse der betrieblichen Vorgänge und Zusammenhänge voraus. Aus diesem Grunde hat die Deutsche Bundespost bereits vor mehr als 80 Jahren eigene Bauabteilungen bei den Oberpostdirektionen eingerichtet und seitdem ihre Dienstgebäude selbst geplant und gebaut, gebaut in dein Sinne, daß sie die Bauten von Privatfirmen ausführen ließ. Die in diesen Abteilungen tätigen Fachkräfte des Hochbaues haben in ihrer meist langjährigen Arbeit für die Deutsche Bundespost reiche Erfahrungen über die Anforderungen gesammelt, die in betriebs- und verwaltungstechnischer Hinsicht gestellt werden, und sind deshalb am besten in der Lage, die Neubauten den betrieblichen Bedürfnissen entsprechend zu planen und auszuführen. Das gilt insbesondere auch für die Planung eines neuen Postscheckamtes, weil hier einer großen Zahl betrieblicher Besonderheiten und den Auswirkungen der im Gang befindlichen Automatisierungsmaßnahmen Rechnung zu tragen ist. Die Einschaltung von Privatarchitekten würde mit Sicherheit eine mühevolle laufende Einweisung der postfremden Kräfte nötig machen und mit einem großen Zeitverlust sowie einem finanziellen Mehraufwand verbunden sein.
Zusatzfrage?
Wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, Herr Minister, daß ein freischaffender Architekt nicht in der Lage wäre, den besonderen Bedürfnissen der Post gerecht zu werden, wenn er auf die entscheidenden Erfordernisse, auf die es ankommt, hingewiesen wird?
Herr Kollege Jahn, das kann man nicht generell verneinen und auch nicht generell bejahen. Wir haben ausnahmsweise auch Privatarchitekten eingeschaltet. Aber bei einem Gebäude mit einem so weitgehend technischem Charakter, wie es das Postscheckamt in Berlin ist, ist die Einschaltung von Privatarchitekten von unserer Seite aus im Augenblick nicht möglich.
Eine zweite Zusatzfrage!
Herr Minister! Sind Sie nicht der Auffassung, daß die öffentliche Hand unter anderem die Aufgabe hat, jede Möglichkeit zu nützen, um den Architekten die Möglichkeit zu geben, an der Entwicklung der Baukunst auch auf dem Sektor des öffentlichen Bauens mitzuwirken?
Stücklen, Bundesmninister für das Post- und Fernmeldewesen: Soweit das möglich ist, Herr Kollege Jahn, tun wir das. Bei diesem Bau ist es nicht möglich.
Noch eine Zusatzfrage? — Herr Abgeordneter Neumann.
Herr Minister, das vorgesehene Baugelände ist in den Jahren 1959 und 1960 durch Enttrümmerung baureif gemacht worden. Können Sie mir bitte sagen, wann mit dem Beginn des Baues des Postscheckamtes zu rechnen ist?
Voraussichtlich im Sommer 1963.
Frage Dr. Atzenroth — Drucksache IV/202 —:
Aus welchen Gründen hat sich die Bundesregierung dem belgischen Vorbild nicht angeschlossen, im Briefverkehr mit den EWG-Staaten nur Inlandsporto zu erheben?
Die Frage der Einführung einer europäischen Gebühr wird zur Zeit innerhalb der Europäischen Konferenz der Post- und Fernmeldeverwaltungen geprüft. In der für diese Frage zuständigen Unterkommission für Gebührenfragen hat die Bundesrepublik Deutschland den Vorsitz. Die Bestrebungen gehen dahin, innerhalb der Postverwaltungen der Konferenz eine einheitliche Gebühr zur Anwendung zu bringen. Bei dieser Sachlage würde ein einseitiges Vorgehen der deutschen Postverwaltung in der Gebührenfrage von den anderen Postverwaltungen nicht nur nicht verstanden, sondern mißbilligt werden.
Keine Zusatzfrage. Frage X — Drucksache IV/199 — des Abgeordneten Dr. Brecht.
Ist es bei der Förderung des Wohnungsbaues für Bundeswehrangehörige allgemein üblich, daß die öffentlichen Mittel privaten Bauherren gegen 3 v. H. Zins oder weniger und bis zu vollen 80 v. H. der Gesamtkosten gegeben werden und außerdem auch noch eine Mietzusage oder eine Anmietung übernommen wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Private Bauherren erhalten ebenso wie gemeinnützige und freie Wohnungsunternehmen im Wohnungsbau für die Bundeswehr Bundesdarlehen zu einem vertraglichen Zinssatz von 4 0/o. Wie im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau wird der Zinssatz für diese nachstelligen Finanzierungsmittel in der Regel erheblich gesenkt, um tragbare Mieten zu erzielen.Während die Förderung im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau sich aus mehreren Finan-
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476 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Bundesminister Lückezierungsquellen zusammensetzt — Landesmittel, LAG-Mittel, Sonderdarlehen usw. und Arbeitgeberdarlehen —, wird bei der Bundeswehr neben einer ersten Hypothek und Eigenkapital nur ein Bundesdarlehen gewährt. Soweit die Wohnungen für sozial Schwache — Soldaten mit geringem Einkommen — bestimmt sind, ist der Anteil des Bundesdarlehens an der Finanzierung zwangsläufig höher und kann bei Bauvorhaben mit hohem Erschließungsaufwand in abgelegenen Gebieten auch 8041/4 der Gesamtkosten erreichen.Der Darlehensvertrag — das ist die weitere Frage — sieht keine Mietzusage an den Darlehensnehmer, auch keine Anmietung durch den Bund vor. Der Bund läßt sich jedoch ein Besetzungsrecht einräumen.
Eine Zusatzfrage?
Herr Minister! Können Sie sagen, ob dann der Vorgang, der in einigen Nachrichtenmagazinen von Kötzting in Bayern berichtet worden ist, tatsächlich nicht zutrifft, daß also die Darlehen, die auch dort gegeben wurden, nach den gleichen Grundsätzen gegeben worden sind, wie Sie sie hier dargelegt haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Brecht, bei meiner derzeitigen Beanspruchung bin ich leider nicht in der Lage, alle Nachrichtenmagazine zu lesen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Würden Sie es nicht für geboten halten, Herr Minister, diesen Fall noch einmal nachzuprüfen, und dann vielleicht eine schriftliche Auskunft geben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn Sie die Freundlichkeit haben, mir das Material zuzustellen, werde ich Ihnen gern eine schriftliche Anwort darauf erteilen.
Frage XI/1, Drucksache IV/199 — des Abgeordneten Leicht —:
Wie weit sind die Vorarbeiten für eine Rechtsverordnung gemäß § 35 des Arzneimittelgesetzes bezüglich Verschreibungspflicht von Arzneimitteln von seiten der Bundesregierung gediehen?
Die Vorarbeiten zu der Rechtsverordnung gemäß § 35 des Arzneimittelgesetzes sind im Gange. Die Stellungnahme des Bundesgesundheitsamtes liegt vor. Es folgen nun Verhandlungen mit den beteiligten Berufsverbänden und Wirtschaftskreisen. Dann ist noch der Beirat nach § 45 Abs. 4 des Arzneimittelgesetzes zu hören.
Keine Zusatzfrage!
Es folgt die Frage XI/2 — des Abgeordneten Leicht —:
Wann ist mit der Verkündung der Rechtsverordnung gemäß § 35 des Arzneimittelgesetzes zu rechnen?
Ich werde bemüht sein, den Verordnungsentwurf noch im Laufe dieses Jahres dem Bundesrat zuzuleiten.
Keine Zusatzfrage. Frage XI/3 — des Abgeordneten Leicht —:
Beabsichtigt die Bundesregierung, das Arzneimittelgestz dahin zu novellieren, daß neu entwickelte Arzneistoffe beim Inverkehrbringen ohne besondere Anordnung der Verschreibungspflicht unterliegen und erst dann für den allgemeinen Verkauf durch Apotheken freigegeben werden, wenn schädliche Nebenwirkungen nicht beobachtet sind?
Es ist nicht beabsichtigt, das Arzneimittelgesetz dahingehend zu ändern, daß neu entwickelte Arzneistoffe beim Inverkehrbringen zunächst einmal ohne besondere Anordnung der Verschreibungspflicht unterliegen. Bei einer solchen Regelung würden neben den stark wirkenden auch alle die Stoffe der sofortigen Verschreibungspflicht unterworfen werden, die ohne ärztliche Verschreibung abgegeben werden können. Ihre spätere Entlassung aus der Rezeptpflicht würde einer amtlichen Feststellung ihrer Unschädlichkeit gleichkommen. Das aber wiederum könnte in vielen Fällen erst nach einer Spanne von fünf Jahren und auch selbst dann nicht mit absoluter Sicherheit getan werden. In dem Arzneimittelgesetz ist vorgesehen, daß in dringenden Fällen ein Arzneimittel ohne Zustimmung des Bundesrates und ohne Anhörung des Beirats, also sehr schnell rezeptpflichtig gemacht werden kann. Dies scheint uns auch ausreichend zu sein, um einer Gefährdung durch einen stark wirkenden Stoff — soweit dies auf dem Wege der Rezeptpflicht möglich ist — zu begegnen.
Zusatzfrage? — Frau Dr. Hubert!
Sind Sie nicht der Ansicht, daß genauso schnell, wie ein Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen in die Rezeptpflicht einbezogen werden kann — wie Sie soeben sagten —, auch unschädliche Mittel sofort freigegeben werden können? Sie müssen ja sowieso angemeldet werden. Und sind Sie nicht der Meinung, Frau Ministerin, daß dadurch solche Fälle, wie wir sie z. B. mit dem Contergan erlebt haben, wenn auch nicht ganz ausgeschaltet, so doch sehr stark vermindert würden, wenn diese Mittel zunächst einmal unter Kontrolle von Ärzten ausgegeben würden?
Frau Hubert, es tut mir leid, aber in diesem Punkt bin ich anderer Meinung als Sie. Ich glaube nicht, daß die unglückseligen Fälle, die sich an das Mittel Contergan knüpften, verhindert worden wären, wenn das Contergan rezeptpflichtig gewesen wäre; denn wir wissen, daß ein
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 477
Bundesminister Frau Dr. Schwarzhauptganz großer Teil — wohl der überwiegende Teil — der Schäden dadurch entstanden ist, daß Contergan auf Grund von Rezepten eingenommen worden ist.
Eine zweite Zusatzfrage!
Frau Ministerin, Mittel, die zwar beim erstenmal durch Rezept gegeben werden, werden nachher aber sehr oft von den Patienten frei gekauft, wenn sie rezeptfrei sind. Glauben Sie nicht, daß eben dadurch dieses Überhandnehmen des Gebrauchs von Contergan erfolgt ist? Denn es ist wohl kaum so häufig verschrieben worden, wie es frei gekauft worden ist.
Ich glaube nicht, daß die Dinge mit Rezeptpflicht sehr viel anders verlaufen wären.
Zusatzfrage, Herr Dr. Mommer!
Frau Ministerin, wer haftet für die materiellen Schäden, die in den Familien entstanden sind, in denen durch Gebrauch von Contergan jetzt Kinder mit Mißbildungen zur Welt gekommen sind?
Herr Abgeordneter Mommer, über diese Fragen laufen ja noch Untersuchungen. Ich glaube, wir können heute noch nicht mit Sicherheit sagen, daß hier ein Kausalzusammenhang besteht. Wenn er bestehen sollte, haften alle diejenigen, die ein Verschulden daran trifft. Es ist also zu untersuchen, inwieweit die Firma, die das Mittel herstellt, dieses schuldhaft nicht genügend geprüft oder es zu lange im Verkehr gelassen hat. Sie können versichert sein, daß diese Dinge mit allem Ernst und in aller Strenge nachgeprüft werden.
Eine weitere Frage!
Frau Ministerin, sind Sie mit mir der Meinung, daß bei der Suche nach den Verantwortlichen auf keinen Fall herauskommen darf, daß die materiellen Schäden bei den Familien verbleiben, die schon die furchtbare moralische Last zu tragen haben, die für sie das Zurweltkommen von mißgebildeten Kindern bedeutet.
Herr Dr. Mommer, wenn sich ergeben sollte, daß nach dem geltenden bürgerlichen Recht keine Schadensersatzpflicht eines leistungsfähigen Verpflichteten feststellbar ist, müßten wir uns gemeinsam überlegen, in welcher Weise wir hier vielleicht noch über die Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes hinaus helfen können.
Danke sehr!
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogt!
Darf ich, Frau Minister, aus Ihrer vorletzten Antwort entnehmen, daß es noch nicht erwiesen ist, ob die Schädigungen oder Gesundheitsstörungen infolge der Einnahme von Contergan aufgetreten sind?
Genau dies habe ich gesagt. Die Prüfungen sind noch nicht abgeschlossen.
Die Frage ist beantwortet.
Ich rufe auf die Frage XI/4 — des Abgeordneten Bauer —:
Wie gedenkt die Bundesregierung den deutschen Verbraucher gegen die im Rahmen des Gemeinsamen Marktes zu erwartenden Importe von Weinen aus sogenannten Hybridenreben zu schützen, deren besonders erhebliche Leber-Schädlichkeit unlängst durch die Wissenschaft eindeutig festgestellt worden ist?
Der Verbraucher wird durch die Einfuhr von Hybridenweinen im Rahmen des Gemeinsamen Marktes nicht gefährdet. § 13 Abs. 1 und § 14 Abs. 1 des Weingesetzes verbieten die Einfuhr und das Inverkehrbringen von Hybridenweinen. Da diese Verbote wegen der gegen Hybridenweine bestehenden gesundheitlichen Bedenken ausgesprochen worden sind, kann sich die Bundesrepublik zur Aufrechterhaltung dieser Verbote jederzeit auf Art. 36 des EWG-Vertrages berufen. Nach Art. 36 sind — sonst unzulässige — Verbote und Beschränkungen der Einfuhr dann gestattet, wenn sie zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt sind.Auch aus Art. 100 des EWG-Vertrages droht dem Verbraucher keine Gefahr. Art. 100 ermächtigt zwar den Rat, durch Erlaß von Richtlinien eine Rechtsangleichung vorzuschreiben. Es kann aber keinem Zweifel unterliegen, daß jede Regelung nach Artikel 100 der Römischen Verträge auf den Schutz der öffentlichen Gesundheit, aber auch auf den Schutz des Verbrauchers vor einer Täuschung bedacht sein muß. Die Interessen der Wirtschaft müssen diesem notwendigen Verbraucherschutz untergeordnet werden.Im übrigen kann der Rat eine Richtlinie zur Rechtsangleichung nur einstimmig erlassen. Die Bundesrepublik hat daher jederzeit die Möglichkeit, das Zustandekommen einer ihr bedenklich erscheinenden Richtlinie zu verhindern.Ob und inwieweit Hybridenweine tatsächlich eine spezifische gesundheitliche Bedenklichkeit aufweisen, ist von der Wissenschaft noch nicht abschließend geklärt. Solange aber gegen Hybridenweine gesundheitliche Bedenken bestehen, wie dies nach dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis der Fall ist, wird die Bundesrepublik das Verbot, Hybridenweine einzuführen und in den Verkehr zu bringen, ohne Einschränkung aufrechterhalten.
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478 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Eine Zusatzfrage!
Sind Sie in der Lage, Frau Ministerin, mir Auskunft zu geben, ob und inwieweit die klare Feststellung, daß es sich um Hybridenweine handelt, angesichts des zu erwartenden zunehmenden Exports aus Frankreich und vielleicht auch demnächst aus Spanien im Rahmen der EWG gewährleistet ist?
Wir haben ja Untersuchungsmethoden, durch die wir dies sicherstellen können. Insbesondere bei der amtlichen Weinkontrolle kann beim Rotwein mit verhältnismäßig einfachen Methoden, bei weißem Wein mit komplizierteren Methoden festgestellt werden, ob Hybridenweine vorliegen oder beigemischt sind. Die Feststellung wird Sache der Durchführung des Gesetzes und der Weinkontrolle sein.
Eine zweite Zusatzfrage!
Haben Sie in Ihrer Antwort, Frau Ministerin, berücksichtigt, daß die jüngsten Forschungsergebnisse des Instituts für Züchtungsforschung der bayerischen Landesanstalt für Wein-, Obst- und Gartenbau in Würzburg und eines Mainzer Hygienikers die Leberschädlichkeit der Hybridenweine ausdrücklich bestätigt haben?
Ich sagte Ihnen ja, daß wir nach dem jetzigen Stand der Wissenschaft davon ausgehen, daß Hybridenweine gesundheitsgefährdend sind und daß wir sie auszuschalten haben.
Herr Kahn-Ackermann noch zu einer Zusatzfrage.
Frau Minister, ist Ihnen bekannt, daß sich die Untersuchungsanstalten im Bundesgebiet über das anzuwendende Verfahren bei der Feststellung von Hybriden offensichtlich nicht ganz einig sind? Es wird beispielsweise in Speyer und in München ein anderes Verfahren angewandt als in Münster und an anderen Orten, und auch die Ergebnisse sind unterschiedlich.
Herr Kollege Kahn-Ackermann, daß sich Wissenschaftler über bestimmte Methoden nicht ganz einig sind, kommt natürlich öfter vor.
Wenn wir eine völlige Einigkeit als Voraussetzung für unsere Praxis annehmen wollten, würden wir vielleicht in gewissem Maße gelähmt sein.
Nächste Zusatzfrage.
Frau Minister, ist Ihnen bekannt, daß auf Grund der von mir geschilderten Tatsache gewisse Weine in einzelnen Teilen Deutschlands als verkehrsfähig zugelassen und eingeführt werden und in anderen Teilen nicht? Darf ich in diesem Zusammenhang .fragen, ob Ihr Ministerium beabsichtigt, bei der Herausgabe der nächsten Vorschnift zur Vereinheitlichung der Analysen darauf Rücksicht zu nehmen und sicherzustellen, daß im gesamten Bundesgebiet endlich einmal einheitlich verfahren wird? Sonst nützt das nämlich alles nichts, weil offensichtlich in einem Teil Deutschlands die Weine zugelassen werden, in einem anderen nicht.
Herr Abgeordneter, keine Ausführungen, sondern Fragen.
Jawohl, Herr Kollege Kahn-Ackermann. Das war eigentlich der Sinn meiner vorhin gegebenen Antwort. Wir haben ein bestimmtes analytisches Verfahren vorgeschlagen und werden darauf dringen, daß dies den Untersuchungen allgemein zugrunde gelegt wird.
Meine Damen und Herren, damit ist die Fragestunde zu Ende. Die Frage XII ist vom Antragsteller zurückgezogen, die Frage XIII +ist zurückgestellt worden.
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Beratung der Sammelübersicht 3 des Ausschusses für Petitionen über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen (Drucksache IV/187).
Ein Mündlicher Bericht wird vom Hause nicht gewünscht; eine Aussprache soll nicht stattfinden. Der Ausschuß schlägt vor, die in der Sammelübersicht enthaltenen Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen anzunehmen.
Ist das Haus einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung.
— Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch die Große Anfrage der SPD-Fraktion soll hier eine Debatte über Grundfragen der Sozialpolitik hervorgerufen werden. Wir vermissen auf der Regierungsbank den Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Ich beantrage gemäß § 46 der Geschäftsordnung im Namen meiner Fraktion die Herbeirufung des Herrn Bundesministers.
Wird das Wort dazu gewünscht? — Der Herr Minister ist im Hause; er wird soeben geholt.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 479
Vizepräsident Dr. Schmid— Ich sehe seinen Schatten auf dem Fenster der Wandelhalle.
— Ich sehe, daß das Haus den Herrn Minister mit Beifall begrüßt.Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Krankenversicherung, Lohnfortzahlung und Kindergeld .Wer begründet die Anfrage? — Das Wort hat der Abgeordnete Rohde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage, die von der SPD-Fraktion zur Sozialpolitik eingereicht worden ist, nimmt Bezug auf die Regierungserklärung vom November vergangenen Jahres. Ich darf daran erinnern, daß die amtierende Bundesregierung in dieser Erklärung den weiten Bereich der sozialen Leistungen an einer bemerkenswerten Stelle eingeordnet hat. Sie finden die Sozialpolitik darin hinter dem Post- und Fernmeldewesen als letzte Position im innenpolitischen Aufgabenkatalog.Die Regierung kann von uns nicht erwarten, daß wir in dieser Rangordnung nur eine Art von redaktionellem Zufall sehen. Dazu war allein schon die Redaktionsführung, wie sie sich seinerzeit zwischen Bonn und Rhöndorf bei der Ausarbeitung der Regierungserklärung entwickelt hatte, viel zu prominent und, wenn ich das hinzufügen darf, auch viel zu finessenreich.Mit unserer Großen Anfrage wollen wir über die Einzelfragen hinaus die Regierung gleich zu Beginn der Legislaturperiode mit allem Nachdruck darauf aufmerksam machen, daß die Rangordnung, die sie in ihrer Erklärung für die Sozialpolitik gefunden hat, auf keinen Fall der politischen Entwicklung und der Arbeit in diesem Hause den Stempel aufdrücken darf. Wir wollen dafür sorgen, daß die Aufgaben der ,sozialen Sicherheit in den Arbeiten und Erörterungen dieses Hauses jenen Platz einnehmen, den sie im Hinblick auf die Menschen, für die sie wahrgenommen werden, verdienen.
Über die Form der Regierungserklärung hinaus ist zu ihrem sozialpolitischen Inhalt zu sagen, daß dieser nach einmütiger Auffassung — auch der fachlich und sachlich besonders interessierten Offentlichkeit — so unverbindlich und so wenig aufschlußreich war, daß sich das Parlament damit auf Grund seiner Verantwortung und Mitgestaltung der Gesetzgebung nicht zufriedengeben kann. Wir müssen diese Feststellung um so mehr unterstreichen, als die Regierung in den vergangenen Wochen nicht einen überzeugenden Versuch unternommen hat, die allgemeinen Darlegungen in der Regierungserklärung näher zu erläutern und Aufschluß über ihre Absichten zu geben. Vage Andeutungen in Presseberichten können kein Ersatz für die Information des Parlaments sein. Das trifft insbesondere für die in der SPD-Vorlage behandelten Fragen nach dem Leistungsrecht für die Krankenversicherung, für die Lohnfortzahlung und die Neuordnung des Kindergeldrechts zu. Niemand kann von uns erwarten, daß wir dieses Schweigen der Bundesregierung für einen Ausdruck besonderer Aktivität und Weisheit halten. Die Gründe für ihre außerordentliche Zurückhaltung sind in Wahrheit anderer Natur. Sie sind nicht sozialpolitisch, sondern koalitionspolitisch bedingt.
Mit dem Eindruck, den der Sozialteil der Regierungserklärung hinterlassen hat, stehen wir Sozialdemokráten nicht allein. Das öffentliche Echo beweist das. Im übrigen habe ich auch nicht den Eindruck gewinnen können, daß beispielsweise die Regierungserklärung auf den Kreis der Arbeitnehmer in der CDU besonders beruhigend gewirkt hat.
— Das weiß ich aus dem Studium der „Sozialen Ordnung", des Blattes der Arbeitnehmer der CDU. Dieser Kreis weiß sicherlich aus interner Kenntnis noch konkreter als wir, in welchem Ausmaß die Behandlung der Sozialpolitik in der Regierungserklärung das Ergebnis der Regierungsbildung selbst ist, hei der die Frage, was sozialpolitisch zu tun oder zu unterlassen ist, eine erhebliche Rolle gespielt hat.Was wir nun seit November vergangenen Jahres aus dem Lager der heutigen Regierungsmehrheit zur sozialen Gesetzgebung und zur Gestaltung unserer sozialen Ordnung gehört haben, ist in der Summe höchst widerspruchsvoll und läßt überhaupt keine Konzeption erkennen. Bisher ist beispielsweise jede noch so zaghafte Andeutung sozialpolitischer Vorhaben aus dem Kreise der Arbeitnehmer der CDU von dem anderen Koalitionspartner mit heftigen Reaktionen bedacht worden.Soweit es die Auffassungen der FDP angeht, kann man sie sicherlich, ohne ungerecht zu sein, dahin zusammenfassen, daß sie ihren Anhängern und Förderern draußen im Lande sagt: Wenn wir auch in der Kanzlerfrage und in mancher anderer Hinsicht zurückstecken mußten, so werden wir doch auf die Sozialpolitik 'ein wachsames Auge richten. Auf welchen Gruppen und auf welchen Interessen dieses wachsame Auge der FDP mit besonderem Wohlwollen ruht, braucht in diesem Hause nicht erläutert zu werden.
Meine Damen und Herren! Ich sage das alles, weil die Gefahr sichtbar geworden ist, daß ausgerechnet die Sozialpolitik zum Kompensationsmittel der heutigen Regierungspartner in ihren inneren Auseinandersetzungen wird
mit allen negativen Auswirkungen, die das für die Stabilität unserer inneren Ordnung haben muß. Man könnte sich damit begnügen, diese Streitereien in der Regierungskoalition mit Interesse zur Kenntnis zu nehmen, wenn nicht die Sozialpolitik das Streitobjekt und die Wirkung dieser Streiterei eine sicht-
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Rohdebare Verschlechterung des sozialen Klimas in unserem Lande wäre.Meine Damen und Herren! Es ist höchste Zeit und gehört zur sozialpolitischen Verantwortung der Regierung, daß sie angesichts dieses Tauziehens endlich zu konkreten Fragen Stellung nimmt und zur Sache ein klärendes Wort sagt.
Die Große Anfrage der SPD gibt ihr die Chance dazu. Schließlich handelt es sich dabei um entscheidende Fragen der sozialen Sicherheit, die weithin die Lebensbedingungen der Menschen in unserem Lande beeinflussen.Dieses klärende Gespräch zwischen Regierung und Parlament, das wir mit unserer Großen Anfrage heute in Gang bringen wollen, ist auch darum notwendig geworden, weil die ersten sozialpolitischen Debatten in diesem Hause erhebliche Befürchtungen hinterlassen haben. Ich darf Sie daran erinnern, daß sich vor kurzem ein Sprecher der Regierungsparteien beispielsweise zu der Behauptung ermuntert fühlte, die von uns vor einigen Wochen beantragte Verbesserung der Renten unterminiere die Verteidigungsbereitschaft.
In diese Tonart haben sich auch andere inzwischen verirrt. Ich weiß nicht, ob Ihnen inzwischen bewußt geworden ist, daß Sie auf dem Wege waren, den großen und bewegenden Gedanken des Zusammenhaltes in schwerer Zeit dadurch schon wieder im Ansatze zu verderben, daß Sie mit dem Verlangen nach Opfern in unserem Lande wieder am verkehrten Ende anfangen wollen.
Wenn ich zu diesem konkreten Beispiel, das in vieler Beziehung Schule gemacht hat, noch eins anfügen darf, dann dies: Nach dem materiellen Aufwand zum vergangenen Weihnachtsfest kann doch wohl heute niemand mehr in diesem Hause sagen, es hätte gegen die allgemeine Ordnung und Gesinnung verstoßen, wenn auch den Rentnern eine zusätzliche Verbesserung ihrer Bezüge gegeben worden wäre.Lassen Sie mich in der Begründung des politischen Gehaltes und des Warum unserer Großen Anfrage gerade an einem solchem Tage wie diesem, an dem wir Sozialpolitik und militärpolitische Entscheidungen zu besprechen haben, sagen, daß für uns die Aufgaben der inneren und der äußeren Sicherheit nicht in einem Gegensatze zueinander stehen. Es ist sicher unbestritten, daß in Zeiten wie den unsrigen die politische Arbeit und das Denken der Menschen weithin von den außenpolitischen Belastungen beeinflußt werden. Aber es wäre kurzsichtig und töricht, davon ableiten zu wollen, daß man den Rang der innenpolitischen Verpflichtungen abbauen könnte. Für unser Empfinden hat die Innenpolitik im weitesten Sinne dieses Wortes gerade in Zeiten außenpolitischer Belastungen, Prüfungen und Bewährungen ihre eigentliche große Stunde, nämlich im Hintergrund des weltweiten Geschehens und seiner Wirkungen auf das eigene Volk ein stabilisierender, ein ordnender und ein ausgleichender Faktor zu sein und auf diese Weise von innen her dem Ganzen jene Sicherheit zu geben, die mit zur Selbstbehauptung nach außen gehört.
Ich bitte das Hohe Haus darum, unsere Große Anfrage in allem Ernst als den Versuch zu würdigen, in dem bedeutsamen Bereich der Sozialpolitik das Gespräch über diese innenpolitischen Verpflichtungen zu konkretisieren.Wenn wir heute den Stand der Sozialpolitik überdenken, stehen wir vor dem Sachverhalt, daß dieser Bundestag einen wesentlichen Abschnitt der Sozialreform zu bewältigen hat, vor allem im Bereiche der Krankenversicherung. In der Presse ist sogar geschrieben worden, eine neue Runde der Sozialreform stehe bevor. Es wird mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß eine Hypothek abzutragen ist, die die vergangene Bundesregierung in den von uns in den Abschnitten I und II der Großen Anfrage angeschnittenen Problemen hinterlassen hat. Die Bilanz der vergangenen Jahre ist eindeutig. Ich will sie hier ohne Kommentar anführen: Die Krankenversicherungsreform ist in einer Sackgasse gelandet, und für die Lohnfortzahlung und die Kindergeldgewährung sind Regelungen erlassen worden, die ausdrücklich mit dem Stempel des Provisoriums und des Uberganges versehen worden sind. Es wurde in all diesen Fällen gesagt, daß der neue — also unser jetziger — Bundestag aus den gescheiterten Versuchen und aus den Provisorien dauerhafte Reformwerke machen soll. Das ist die Ausgangslage, vor der wir heute stehen.Von da her ergibt sich doch nun ganz selbstverständlich die Frage, in welcher Weise, mit welchen grundlegenden Zielen und — angesichts des Umfanges dieser Arbeit — auch mit welchem Zeitplan die Bundesregierung diese Aufgabe zu bewältigen gedenkt. Vor uns liegen Gesetzentwürfe, die sozialpolitisch und auch hinsichtlich ihrer finanziellen Fundierung in vielfältigen Beziehungen zueinander stehen. Es entspricht daher dem Rang und der politischen Verantwortung des Parlaments, wenn es heute hier durch uns und unsere Große Anfrage den Anspruch anmeldet, von der Regierung über ihre Haltung und Arbeitsweise zusammenhängend informiert zu werden.Wie soll angesichts des Umfanges der Arbeiten eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlament zustandekommen, wenn die Regierung nicht gleich zu Beginn der Legislaturperiode den Versuch unternimmt, ihr Gesamtkonzept hier zu erläutern? Wenn das von dem Kollegen Arndgen kürzlich von dieser Stelle aus gesprochene Wort von der „Gesamtschau" und der Gesamtkonzeption einen Sinn haben soll, dann muß das auch in der Art der Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlament zum Ausdruck kommen. Wir werden uns jedenfalls nicht damit begnügen, in diesem Hause ergeben darauf zu warten, ob die Regierung zu diesem oder jenem der in den Abschnitten I und II der Anfrage genannten Sozialgesetze einen Entwurf vorlegt oder nicht. In dieser Hinsicht waren die Erfahrungen, die
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Rohdewir im letzten Bundestag mit der Schritt-für-SchrittMethode und mit dem dauernden Wechsel der Rangfolge in der Behandlung der Sozialgesetze gemacht haben, zu schlecht. Ich darf Sie daran erinnern, daß Wir damals immer wieder von neuem vor Änderungen des Arbeitsplanes gestanden haben. Das ist eine der wesentlichen Ursachen dafür, daß in der Summe gesehen am Ende der vergangenen Legislaturperiode Provisorien, Übergangsregelungen, und nicht dauerhafte Reformgesetze gestanden haben.Lassen Sie mich darauf hinweisen, daß wir es immer für richtig und notwendig gehalten haben, daß sich das Parlament rechtzeitig in die Vorarbeiten zur Sozialreform einschaltet. Es ist heute fast auf den Tag genau zehn Jahre her, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion beantragt hat, eine Soziale Studienkommission von unabhängigen Sachverständigen und Wissenschaftlern einzusetzen, um auf diese Weise einen Beitrag dazu zu leisten, daß die Neuordnung der sozialen Leistungen nach einem Gesamtkonzept vorgenommen wird. Dem lag damals der Gedanke zugrunde, die Sozialleistungen zeitgerecht zu ordnen, das Neben- und Durcheinander von sozialrechtlichen Bestimmungen zu beseitigen, die Verwaltung zu vereinfachen und im ganzen ein Sozialleistungssystem zu schaffen, das für den Bürger durchschaubar ist und in dem er sich zurechtfindet. Dieser Antrag der SPD ist am 21. Februar 1952 — wie gesagt, vor fast genau zehn Jahren — abgelehnt worden, und niemand kann doch nach den bisherigen Erfahrungen sagen, daß diese Ablehnung eine großartige Leistung gewesen ist.Seit langem haben wir zu beklagen, daß es bisher das Bestreben der Bundesregierung war, möglichst keine Bilanz aufzumachen, sondern sich in der Sozialpolitik die Hände freizuhalten zu einem Manövrieren nach tagespolitischen Gesichtspunkten. Das hat sich für die Ordnung unserer Sozialleistungen nicht günstig ausgewirkt. Die 3. Legigslaturperiode des Bundestages ist in dieser Hinsicht ein warnendes Beispiel. Das mindeste, was wir jetzt am Beginn eines weiteren Abschnitts der Sozialpolitik von der Regierung erwarten können, ist eine Aufklärung darüber, mit welchen Vorstellungen und Absichten sie nunmehr die in den Abschnitten I und II der Anfrage genannten Aufgaben, die uns aus der 3. Legislaturperiode überkommen sind, bewältigen will.In Ziffer 1 des ersten Abschnitts fragen wir nach den Plänen der Bundesregierung für einen Ausbau der Gesundheitsvorsorge, nach Vorsorgekuren und freiwilligen Vorsorgeuntersuchungen. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß es sich dabei nicht um eine Einzelfrage handelt, die sich unter vielen anderen bei der Reform der Krankenversicherung ergibt. Mit dieser Ziffer 1 ersucht die SPD-Fraktion die Regierung um Auskunft darüber, ob sie wieder einen Gesetzentwurf vorbereitet und vorlegen will, in dem das Wort „Gesundheit" nicht einmal vorkommt, und ob sie sich wie in der 3. Legislaturperiode in ihrem angekündigten Reformgesetz allein auf die Begriffe „Krankheit" und „Arbeitsunfähigkeit" beschränken will. Wir möchten wissen, ob dieRegierung der Meinung ist oder nicht, daß neben der Behandlung von Krankheit die Erhaltung der Gesundheit der Versicherten, z. B. durch effektive Vorsorgeuntersuchungen, zu einem entscheidenden Ausgangspunkt der Reform werden soll.Wir stehen bei der heutigen Reform in mancher Hinsicht vor anderen Aufgaben und Voraussetzungen als in der Zeit der Gründung der Krankenversicherung. In den letzten Jahrzehnten hat sich nicht nur die Struktur der Gesellschaft geändert, auch der Gesundheitszustand ist anders geworden. Die Infektionskrankheiten und andere schwere Krankheitsarten, die früher weithin das Krankengeschehen bestimmten, sind durch die Fortschritte der Medizin und durch die Änderung der Lebensverhältnisse zurückgedämmt worden. Heute stehen die sogenannten Verschleißkrankheiten der Zivilisation, wie Herz-, Kreislauf- und Gefäßerkrankungen, weit im Vordergrund des Krankengeschehens. Von da her ergeben sich konkrete medizinische und sozialpolitische Aufgabenstellungen, die nach unserer Meinung nicht Neben-, sondern Hauptfragen der Krankenversicherungsreform sein müssen. Diese Fragen werden heute in der Öffentlichkeit mit aller Deutlichkeit und Schärfe gestellt. Wer eine Reform der Krankenversicherung vorbereitet, wie die Bundesregierung es angibt, muß sich ihnen ebenfalls stellen.Können wir, so wird gefragt, in einer Industriegesellschaft bei der Behandlung von Krankheit stehenbleiben, oder müssen wir nicht alle Anstrengungen unternehmen, um Gesundheit zu wollen, zu erhalten und zu fördern? Ist der von uns angesprochene Ausbau der Gesundheitsvorsorge nicht die entscheidende Voraussetzung dafür, die Verschleißkrankheiten unter Kontrolle zu kriegen? Müssen wir nicht eine Antwort auf die Zivilisationserkrankungen dadurch versuchen, daß wir ausreichende und konkrete Leistungen zur Erhaltung der Gesundheit, wo immer das in des Menschen Hand gegeben ist, in das Reformwerk aufnehmen? Kann die Versicherung gegen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit, so wird schließlich gefragt, allein den Hauptinhalt des Reformwerks ausmachen?Damit, meine Damen und Herren, steht auch die Ziffer 2 des ersten Teils unserer Großen Anfrage im Zusammenhang, in der die Regierung um Auskunft darüber ersucht wird, ob im Krankheitsfall von den Versicherten, den Familienangehörigen, den Rentnern usw. eine Kostenbeteiligung verlangt werden soll oder nicht. Wenn es richtig ist, daß sich heute ein Zwischenreich zwischen Krankheit und Gesundheit als gravierender Zug im Krankheitsgeschehen unserer Zeit aufgetan hat, dann muß es widersinnig erscheinen, durch derartige Kostenregelungen gerade jene Gesundheitsminderungen im Frühstadium vom Arzt fernzuhalten. Früherscheinungen und Symptome der Verschleißkrankheiten können nicht als Bagatellfälle abqualifiziert werden, und es führt in die Irre, von dieser Bagatellfall-Theorie ein Kostenbeteiligungssystem abzuleiten.Wir möchten von der Regierung hören, ob sie jetzt wieder bei der Vorbereitung der Krankenversicherungsreform die Einführung einer Kostenbetei-
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482 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Rohdeligung bei ärztlicher Behandlung, bei Arzneimitteln und Krankenhausaufenthalt vorsieht, ob sie der Meinung ist, daß die zusätzliche finanzielle Belastung des Menschen, wenn er krank ist, ein unverzichtbares Prinzip der Krankenversicherungsreform sein soll.Wir möchten wissen, ob es stimmt oder nicht, daß die Bundesregierung jetzt dabei ist, ein drastisches System der Kostenerstattung für den Versicherten im Krankheitsfall vorzubereiten, jenes Kostenerstattungssystem also einzuführen, dessen Wirkungen wir aus anderen Ländern kennen, beispielsweise aus Frankreich, wo nach Departements unterschiedlich der Versicherte im Krankheitsfall 40 bis 60 % der Behandlungskosten zuzahlen muß.Unter der Ziffer 3 des ersten Teils unserer Großen Anfrage fragen wir, ob die Bundesregierung die wirtschaftliche Sicherung der Arbeiter und bestimmter Gruppen von Angestellten im Krankheitsfall im Sinne einer vollen Lohnfortzahlung zu regeln gedenkt. Was wir darüber bisher aus dem Lager der Regierung gehört haben, war .außerordentlich verwirrend. Ein Teil kündigte an, es werde ein Lohnfortzahlungsgesetz vorgelegt; ein anderer Teil sagte, diese Lohnfortzahlung könne nur im Zusammenhang mit der Krankenversicherungsreform behandelt werden, und der dritte Teil scheint schließlich der Meinung zu sein, diese Frage regele sich dadurch am besten, daß man sie überhaupt nicht regele. Die Bundesregierung wird sich sicherlich nicht dem Eindruck entziehen können, daß sie in dieser Sache endlich ein Wort der Klarstellung über ihre Haltung sagen muß.
Eine Äußerung der Regierung erscheint um so notwendiger, als die gegenwärtige Krankengeldregelung, die der letzte Bundestag beschlossen hat, außerordentlich kompliziert ist, zu einer Fülle von Streitereien geführt hat und die Verwaltung mit erheblichem zusätzlichem Aufwand, nicht nur bei den Krankenkassen, sondern auch in den Betrieben, belastet. Die Regierung weiß das. Schon von da her gibt .es ein berechtigtes Interesse des Hauses und der Öffentlichkeit, über den weiteren Gang der Lohnfortzahlungs-Gesetzgebung informiert zu werden.Unter Ziffer 4 des I. Abschnitts fragen wir die Bundesregierung, wann etwa mit der Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Neuregelung der sozialen Krankenversicherung und zur Lohnfortzahlung zu rechnen ist. Ich mache darauf aufmerksam, daß die Bundesregierung in der 3. Legislaturperiode von dieser Stelle erklärt hat, daß es sich bei der Lohnfortzahlung im wesentlichen um ein arbeitsrechtliches Problem handele, das gesondert von der Krankenversicherungsreform erörtert werden müsse und könne. Ich frage die Bundesregierung, ob sie weiterhin auf diesem Standpunkt steht oder ob sie ihn inzwischen revidiert hat, ob sie etwa ein Junktim in der Behandlung von Krankenversicherungsreform, Kostenbeteiligung und Lohnfortzahlung vornehmen will und ob sie danach auch ihren Zeitplan ausrichtet.Schließlich muß der Bundesarbeitsminister auch gefragt werden, wie er sich zu jenen Äußerungen,Gerüchten und Ansichten stellt, daß sich die Regierung mit der Absicht trage, vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen eine Lohnfortzahlung anzukündigen und nach den Wahlen dann die Kostenbeteiligung und andere Belastungen nachzureichen.
Von dem bisherigen Hin und Her über den Zeitplan abgesehen will ich hier in aller Deutlichkeit unterstreichen, daß die SPD-Fraktion in der Lohnfortzahlung nicht nur ein arbeits- und sozialrechtliches Problem, sondern auch und besonders eine gesellschaftspolitische Aufgabe sieht, nämlich die soziale Position des Arbeiters unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit im Krankheitsfall zu ordnen. Mit der Lohnfortzahlung steht auch die Würde und das Selbstbewußtsein des arbeitenden Menschen mit zur Entscheidung.
Ich muß daher die Frage wiederholen, die ich dem Herrn Bundesarbeitsminister schon vor einigen Jahren von dieser Stelle aus gestellt habe: Welche Voraussetzungen muß der deutsche Arbeiter nach Auffassung der amtierenden Bundesregierung noch erfüllen, bis ihm die volle soziale Gleichstellung im Krankheitsfall gewährt wird?
Wir verkennen nicht und haben immer gesagt, daß die Lohnfortzahlung für den Bereich der mittelständischen Wirtschaft besondere Probleme aufwirft. Deshalb fragen wir unter Ziffer 3 b des I. Abschnitts die Bundesregierung, ob sie die Ansicht teilt, daß für Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigten ein besonderer Ausgleich geschaffen werden muß, der durch Bereitstellung öffentlicher Mittel gefördert wird.Der II. Abschnitt der Großen Anfrage beschäftigt sich mit der Neuordnung des Kindergeldrechts. Sie wissen, heute besteht der kuriose Zustand, daß Kindergeld von zwei Sozialleistungsträgern ausgezahlt wird: beim zweiten Kind von der Arbeitsverwaltung und beim dritten Kind und mehr Kindern von der Unfallversicherung. Dieser Zustand ist auf die Dauer nicht zu halten. Davon war das Parlament auch in der letzten Legislaturperiode überzeugt.Ein anderer gravierender Tatbestand, der ebenfalls zu öffentlichen Diskussionen geführt hat, ist, daß die Kindergeldzahlung an Zweitkinder von einer Einkommensprüfung abhängig gemacht wird. Damit wurde von der Regierungsmehrheit im vergangenen Bundestag ein völlig neues Element in unsere Kindergeldgesetzgebung eingeführt.Der dritte Punkt, von dem unsere Große Anfrage ausgeht, ist der Umstand, daß durch die gegenwärtige Mittelaufbringung für das Kindergeld vor allem die mittelständische Wirtschaft außerordentlich belastet wird. Der Herr Bundesfamilienminister hat sich vor einiger Zeit zu den Fragen der Verwaltungsvereinfachung, Mittelaufbringung und Einkommensgrenze geäußert. Aber ich bitte die Regierung um Verständnis dafür, daß wir uns mit dieser Äußerung des Herrn Familienministers nicht zufriedengeben können. Das hängt einfach damit zusammen, daß es nach unseren bisherigen Erfahrungen immer einen
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Rohdegroßen Unterschied gegeben hat zwischen den familienpolitischen Ankündigungen des Herrn Ministers Wuermeling und den späteren familienpolitischen Entscheidungen der Regierung im ganzen. Wir bitten deshalb die Bundesregierung, sich heute vor dem Parlament dazu zu äußern, was sie zu tun gedenkt, um die Einkommensgrenze bei der Gewährung von Kindergeld für Zweitkinder zu beseitigen, die sozial ungerecht ist und zu erheblichem Verwaltungsaufwand sowie zu den kuriosesten Ergebnissen in Einzelfällen geführt hat.Wir fragen unter Ziffer 2 des Abschnitts II, welche Pläne für die künftige finanzielle Fundierung der Kindergeldgesetzgebung bestehen und ob dabei die Betriebe finanziell entlastet werden sollen.Unter Ziffer 3 fragen wir die Bundesregierung, wie sie sich zu dem weiteren Ausbau der Kindergeldgesetzgebung überhaupt stellt, die immer noch hinter den Leistungen der übrigen EWG-Partner und anderer Länder herhinkt. Schließlich möchten wir wissen, welchen Zeitplan die Regierung ihren Arbeiten zugrunde legt.
Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat mit ihrer Großen Anfrage das Gespräch über die weitere Gestaltung der sozialen Gesetzgebung eröffnet. Es liegt jetzt an der Bundesregierung, dieses Gespräch mit dem Parlament aufzunehmen, eine nüchterne Bilanz aufzumachen, ihre Gesamtkonzeption bekanntzugeben und auf diese Art und Weise in den angeschnittenen Fragen die Zusammenarbeit mit dem Parlament zu eröffnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
— Moment, ich bitte um Entschuldigung; ich habe dieses Amt in diesem Augenblick übernommen. Auf der Rednerliste steht als erster der Name Schellenberg. Darum habe ich ihn zuerst aufgerufen. Ich dachte, wir wären schon in der Diskussion.
Wer spricht für die Bundesregierung?
— Meine Damen und Herren, Sie können ja Ihre Kritik an der Bundesregierung in jeder Form an-
bringen, die Sie wollen. Aber Sie können einen Präsidenten nicht verantwortlich machen für die Bundesregierung und nicht dafür, wie die Geschäftslage in dem Augenblick ist, in dem er sein Amt hier antritt.
— Es soll ein Brief der Bundesregierung da sein, der mir nicht übergeben worden ist.
— Also, noch liebenswürdiger als der Fraktionsgeschäftsführer der SPD kann man gar nicht sein.
— Er lautet:
Der Bundesminister
für Arbeit und Sozialordnung
An den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages
Die Bundesregierung beabsichtigt, Gesetzentwürfe zur Neuregelung der gesetzlichen Krankenversicherung, zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle und zur Neuregelung des Kindergeldrechts einzubringen.
Die Arbeiten an diesen Gesetzentwürfen sind jedoch noch nicht so weit fortgeschritten, daß über die Regierungserklärung vom 29. November 1961 hinaus jetzt schon Vorschläge bekanntgegehen werden können.
Die Bundesregierung ist daher im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in der Lage, die in der Großen Anfrage gestellten Einzelfragen zu beantworten, die zudem nicht für sich allein betrachtet, sondern nur im Zusammenhang der Gesetzentwürfe erörtert werden könnten.
Die Bundesregierung bittet, sich dieser Auffassung anzuschließen.
— Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Erler!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zur Geschäftsordnung nur feststellen, daß es wohl ein Akt der Höflichkeit dem Hohen Hause gegenüber gewesen wäre, wenn der Herr Bundesarbeitsminister diese seine Auffassung hier persönlich vorgetragen hätte. Er ist ja im Hause.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte zu den Ausführungen des Herrn Erler
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484 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Bundesminister Blanknur sagen: die Bundesregierung hat sich streng an die Geschäftsordnung gehalten. Sie hat, wie sie nach der Geschäftsordnung verpflichtet ist, dem Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages schriftlich eine Antwort erteilt, die sie zu geben verpflichtet ist. Diese ist den Damen und Herren im Ältestenrat bekanntgegeben worden. Es war auch schon in allen Zeitungen zu lesen, daß die Bundesregierung die Große Anfrage — wie es nach der Geschäftsordnung ihr Recht ist — nicht beantworten werde.
Meine Damen und Herren, angesichts der Tatsache, daß die Bundesregierung die Anfrage nicht beantwortet, stelle ich die Frage, ob die Angelegenheit nunmehr als erledigt zu betrachten ist oder ob eine Aussprache gewünscht wird. Wer wünscht eine Aussprache? — Gut!
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem, ich darf wohl sagen, bemerkenswerten Verhalten
der Bundesregierung im allgemeinen und des Herrn Bundesarbeitsministers im besonderen möchte ich namens meiner Fraktion einige Feststellungen treffen.Erstens. In dem Brief an den Herrn Bundestagspräsidenten, den der Herr Präsident soeben verlesen hat, versucht die Bundesregierung den Eindruck zu erwecken, als ob in der Großen Anfrage meiner Fraktion nach Einzelheiten gefragt werde, die nur im Zusammenhang mit einer Gesamtkonzeption beantwortet werden könnten. Seit dem Jahre 1952 bemühen wir uns darum — das hat soeben mein Kollege Rohde dargelegt —, die Mehrheit für eine sozialpolitische Gesamtkonzeption zu gewinnen, leider bisher vergeblich. Zudem wird aber in der Großen Anfrage nicht nach Einzelheiten, sondern nach Grundproblemen unserer Sozialpolitik gefragt: nach der gesundheitlichen Vorsorge, nach der Kostenbeteiligung, nach der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle
— Sie haben die Große Anfrage wahrscheinlich nicht genau gelesen, ich werde Ihnen die Probleme noch im einzelnen erläutern —, nach einem familiengerechten Kindergeld und nach den Beziehungen zwischen Sozialpolitik und Mittelstandspolitik.Diese Probleme sind seit langem Gegenstand der öffentlichen Diskussion, und die Bundesregierung konnte deshalb von unseren Fragen doch gar nicht überrascht sein.
Ein ersten Teil unserer heute zur Aussprache stehenden Großen Anfrage — Herr Kollege von derCDU/CSU, jetzt lesen Sie bitte nach — haben wirwörtlich den Inhalt unserer Großen Anfrage vom 20. Oktober 1959 übernommen. Damals beantwortete der Herr Bundesarbeitsminister die gleichen Fragen sehr detailliert. Noch mehr, diese Große Anfrage nahm die Bundesregierung zum Anlaß, den Gesetzentwurf zur Neuregelung der gesetzlichen Krankenversicherung vorzulegen, zu dem der Herr Bundesarbeitsminister sich — wie er wörtlich sagte — mit großer Freude bekannt hatte.
Deshalb ist es doch wohl bemerkenswert, daß der gleiche Herr Bundesarbeitsminister auf die gleichen Fragen heute keine Antwort geben kann oder geben darf.
Zweitens. In unserer Großen Anfrage wird das Problem der Gesundheitsvorsorge aufgeworfen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Sie daran erinnern, daß einmal — es ist schon lange her — die Gesundheitsvorsorge das zentrale Problem einer Sozialreform werden sollte.
Ich muß heute leider feststellen, daß die Bundesregierung offenbar über die Lösung des Problems der Gesundheitsvorsorge keine Vorstellungen hat. Jedenfalls sah sie sich nicht in der Lage, auch nur einen Satz zur Gesundheitsvorsorge, zu diesem wichtigen gesundheitspolitischen Anliegen hier zu sagen.Drittens. In unserer Großen Anfrage richten wir an die Bundesregierung die Frage, ob sie wiederum beabsichtigt, Kostenbeteiligungen vorzuschlagen. Meine Damen und Herren, wir haben nicht nach Einzelheiten gefragt, etwa nach der Höhe und nach dem System von etwa beabsichtigten Kostenbeteiligungen, sondern wir haben nach der grundsätzlichen Auffassung der Bundesregierung zum Problem der Kostenbeteiligung bei ärztlicher Behandlung, bei Krankenhausbehandlung gefragt. Dies deshalb, well die Kostenbeteiligung nach unserer Auffassung —und mit dieser Auffassung stehen wir doch wohl nicht allein — weittragende Auswirkungen für die Volksgesundheit hat.
Die Bundesregierung schweigt heute dazu, offensichtlich aus taktischen Erwägungen, um die Bevölkerung nicht frühzeitig, vielleicht vor einem bestimmten Termin — dem Wahltermin in Nordrhein-Westfalen — zu 'beunruhigen. Aber, meine Damen und Herren, diese Praktik der Bundesregierung dürfte nicht ganz in Einklang mit den Erkenntnissen des Herrn Bundeskanzlers stehen, der die Richtlinien der Politik zu bestimmen hat; denn der Herr Bundeskanzler erklärte im Fernsehen am 12. November 1961 „daß alle unangenehmen Gesetze sofort im ersten Jahr über den Bundestag gehen".Viertens. Wir fragen in dieser Großen Anfrage — wie schon so oft — nach der Beseitigung der Benachteiligungen der Arbeiter im Krankheitsfalle und nach der Stellung der Bundesregierung zu einer echten Lohnfortzahlung. Aus der schriftlichen Mitteilung der Bundesregierung konnten wir entnehmen, daß
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 485
Dr. Schellenbergdie Bundesregierung beabsichtigt, einen Gesetzentwurf zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle einzubringen. Diese Mitteilung ist in zweifacher Hinsicht interessant. Einmal deshalb, weil die Frage der Lohnfortzahlung in der Regierungserklärung, auf die sich das vorgelesene Schreiben an den Herrn Präsidenten bezieht, mit keinem Wort erwähnt worden ist. Die Mitteilung der Bundesregierung' ist zum anderen deshalb interessant, weil die Mehrheitsparteien noch vor neun Monaten — es sind noch nicht ganz neun Monate her —, als wir das zweite Krankengeldzuschußgesetz hier berieten, auch einen schrittweisen Übergang zur echten Lohnfortzahlung strikt abgelehnt haben.
Das waren die Tatsachen bei der letzten Auseinandersetzung über die Probleme der Lohnfortzahlung in diesem Hause.Eigentlich sollten wir heute Anlaß zu besonderer Freude über die nun offenbar gewandelten Auffassungen der Bundesregierung zur Lohnfortzahlung haben, auch wenn uns in der schriftlichen Mitteilung der Bundesregierung lediglich eine Überschrift für ein neues Gesetz genannt und kein Wort über den Inhalt gesagt wird, der außerordentlich vielgestaltig sein könnte. Pressemitteilungen, auf die wir uns allein stützen können, weil die Bundesregierung bis jetzt geschwiegen hat, müssen wir entnehmen — mein Kollege Rohde hat es kurz angedeutet —, daß die Bundesregierung beabsichtigt, die Lohnfortzahlung mit der Einführung von ) Kostenbeteiligungen zu koppeln. Deshalb möchte ich namens meiner Fraktion schon heute deutlich erklären, daß wir allen Versuchen, die Kostenbeteiligung im Zusammenhang mit dem arbeitsrechtlichen Problem einer Gleichstellung der Arbeiter durchsetzen zu wollen, sehr energischen Widerstand entgegenbringen.
Dies deshalb, weil derartige Absichten nicht nur den gesundheitlichen Bedürfnissen der Arbeiter widersprechen, sondern auch denen der Angestellten und Rentner, deren sozialer Status im übrigen durch eine solche Koppelung auch erheblich verschlechtert werden würde.Fünftens. Bei dem Teil der Großen Anfrage, der sich auf die Neuregelung des Kindergeldrechts bezieht, geht es, abgesehen von der Frage der Einkommensgrenze von 600 DM monatlich für Zweitkinder, um Probleme, mit denen sich der Bundestag seit dem Ersten Kindergeldgesetz des Jahres 1954 beschäftigt.
— Sie stimmen mir zu, Herr Kollege Weber! Ich darf Sie, meine Damen und Herren von den Freien Demokraten, in diesem Zusammenhang jedoch freundlich idaran erinnern, daß wir — jedenfalls bis zu Ihrem Eintritt in diese Regierung — hinsichtlich der prinzipiellen Probleme des Kindergeldrechts, insbesondere hinsichtlich der Finanzierung, stets die gleichen Auffassungen vertreten haben.
Das politische Kräfteverhältnis hat sich seit der letzten Auseinandersetzung, die wir hier über das Kindergeldkassengesetz geführt haben, gewandelt. Jetzt sind die Vertreter der Kindergeldideologie auf berufsständischer Grundlage, Herr Kollege Winkelheide,
in diesem Hause in der Minderheit.
Daraus müssen idoch — und ich hoffe, darin werden uns die Kollegen der einen Regierungspartei zustimmen — politische Konsequenzen gezogen werden. Diese vermissen wir bis jetzt. In der schriftlichen Antwort der Bundesregierung wird nur eine Überschrift genannt, die Überschrift: „Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Kindergeldrechts". Diese Überschrift kennen wir bereits seit der zweiten Legislaturperiode.
Die Nennung eines solchen Arbeitstitels ist für uns um so weniger eine Antwort auf unsere Große Anfrage, als der Bundestag die Bundesregierung bereits am 26. Februar 1959 beauftragt hatte, einen Gesetzentwurf zur Neuregelung des Kindergeldrechts, also einen Gesetzentwurf mit der gleichen Überschrift vorzulegen. Das hat die Bundesregierung bisher nicht getan.Familienpolitisch ist außer den organisatorischen und finanziellen Fragen, die gewiß wichtig sind, der Leistungsinhalt von besonderer Bedeutung. Vom Herrn Kollegen Rohde wurde vorhin schon der Herr Bundesfamilienminister erwähnt. Ich möchte den Herrn Bundesfamilienminister — ich sehe ihn leider nicht im Hause — mit Ausführungen zitieren, die er im Ausschuß für Familien- und Jugendfragen gemacht hat. Ich lese vor:Als Leistungsverbesserung steht immer stärker im Raum— so erklärte der Herr Bundesfamilienminister —erstens Beseitigung der Einkommensgrenze beim Zweitkindergeld,— Gegenstand unserer Anfrage! —zweitens Anhebung des Kindergeldbetrages für Dritt- und weitere Kinder von 40 auf 50 DM, drittens Anhebung des Zweitkindergeldes auf 30 DM monatlich.Offenbar ist die Bundesregierung — da sie außer dem Titel eines Gesetzentwurfs nichts Konkretes über seinen Inhalt gesagt hat —, um die Worte des Herrn Bundesfamilienministers zu benutzen, der Auffassung, man sollte die Leistungsfragen weiterhin „immer stärker im Raume stehen" lassen. Denn eine Antwort auf die familienpolitischen Fragen wurde uns ungeachtet der Erörterungen, die beispielsweise heute über die Erhöhung des Milchpreises zu führen sind, nicht gegeben.Sechstens. In unserer Großen Anfrage werfen wir Grundsatzprobleme der Beziehungen zwischen Sozialpolitik und Mittelstandspolitik auf, nämlich in Richtung auf eine Entlastung der lohnintensiven
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486 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Dr. SchellenbergBetriebe. Sie alle wissen, meine Damen und Herren, daß diese Probleme seit Jahren ungelöst sind. Es wird in der Antwort der Bundesregierung kein Wort über eine Entlastung der lohnintensiven Betriebe hinsichtlich der Aufbringung der Mittel für Kindergeld für drei und mehr Kinder gesagt.Der Gesetzentwurf, dessen Überschrift in dem Schreiben der Bundesregierung genannt wurde —„Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle" —, über dessen finanziellen und sozialpolitischen Inhalt sich die Bundesregierung aber ausschweigt, wirft doch wohl— darüber dürfte im Hause Einmütigkeit bestehen— hinsichtlich des Ausgleichs für lohnintensive Betriebe eine Reihe wichtiger Fragen auf. Wir haben diese Fragen gestellt, aber die Bundesregierung hat sie nicht beantwortet.
Siebentens. Die von uns in unserer Großen Anfrage angesprochenen sozialpolitischen Probleme beziehen sich natürlich auch auf finanzwirtschaftliche Fragen. Sie sollen und müssen erörtert werden. Auch deshalb bedauern wir, daß sich die Bundesregierung heute nicht einer Aussprache stellt.
Achtens — und damit komme ich bald zum Schluß — muß ich noch einen sehr bemerkenswerten Tatbestand erwähnen. Der Herr Bundesarbeitsminister, der als Repräsentant der Bundesregierung— vielleicht gegen seinen persönlichen Willen; das vermag ich nicht zu beurteilen — heute nicht zu den grundsätzlichen Problemen einer weiteren Gestaltung der Sozialpolitik Stellung genommen hat und auf unsere Fragen nicht antwortete, hat aber zu den gleichen Fragen, die heute unbeantwortet blieben, anderenorts Stellung genommen hat, und zwar durchaus konkret.
Ich möchte Ihnen einige dieser Äußerungen des Herrn Bundesarbeitsministers vorlesen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat auf dem Kreisparteitag der CDU des Kreises Wiedenbrück in Avenwedde— ich hoffe, daß ich den Namen richtig ausgesprochen habe; denn ich habe nicht die Ehre, diesen Ort zu kennen — am 3. Dezember 1961 folgendes ausgeführt: Es müsse erwartet werden, daß jeder —— jeder! — in Bagatellfällen den Aufwand selbst bestreitet ... Es müsse in dem Arbeiter noch mehr als bisher das Gefühl der Verantwortung entwickelt werden. Aus diesem Gedanken heraus werde das Gesetz zur Krankenversicherungsreform nun erneut dem Bundestag vorgelegt. Das sind doch immerhin bemerkenswerte Erklärungen des Herrn Bundesarbeitsministers, die in erstaunlichem Widerspruch zu der Zurückhaltung stehen, die er sich heute auferlegt oder auferlegen muß.Auch nach Einbringung unserer Großen Anfrage vom 30. Januar ließ es sich der Herr Bundesarbeitsminister nicht nehmen, zu konkreten Fragen unserer Großen Anfrage öffentlich Stellung zu nehmen. Am 1. Februar hat der Herr Bundesarbeitsminister in Wanne-Eickel — ich stütze mich wieder auf eine eine Pressemitteilung — nicht nur ein Kindergeldneuregelungsgesetz angekündigt, von dessen Überschrift wir heute auch gehört haben, sondern -der Minister hat weiter erklärt, daß auf. Grund dieses Gesetzes das Kindergeld auch für das dritte und weitere Kind in gleicher Weise wie für das zweite Kind aus Steuermitteln und nicht aus Beiträgen der Wirtschaft finanziert werden soll. Diese konkrete Äußerung des Herrn Bundesarbeitsministers ist deshalb besonders bemerkenswert, weil sie in einem Zeitpunkt abgegeben wurde, als das Bundeskabinett den vorliegenden Haushaltsplan, in dem keine Mark zur Übernahme des Kindergeldes für das dritte und weitere Kind eingesetzt ist, bereits verabschiedet hatte.
Meine Damen und Herren, das sind doch interessante Tatsachen.Damit komme ich zum Schluß. Wir Sozialdemokraten halten es für einen unerträglichen Zustand, daß uns in diesem Hause konkrete Antworten auf unsere Fragen zur weiteren Gestaltung der Sozialpolitik verweigert werden, während der federführende Minister im Lande herumreist und sich zu den gleichen Fragen sehr präzise äußert.
Das scheint uns kein guter Stil der parlamentarischen Arbeit und der Zusammenarbeit mit diesem Hause zu sein. Für die Verweigerung einer Antwort auf unsere Große Anfrage gibt es nur eine Erklärung, nämlich die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien über die Grundlagen unserer Sozialpolitik. Wir Sozialdemokraten sind jedoch der Auffassung, daß die weitere Gestaltung unserer Sozialpolitik, die das Schicksal von Millionen Menschen angeht, unter diesen Meinungsverschiedenheiten nicht leiden darf.
Wir dürfen es deshalb nicht zulassen, daß sich die Bundesregierung einer klaren Antwort auf klare Fragen entzieht. Es ist im allgemeinen Interesse notwendig, daß zu Beginn der Legislaturperiode wenigstens 'die Grundlinien unserer Sozialpolitik abgesteckt werden.Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat sich heute einer Beantwortung unserer Fragen zu den Grundlagen unserer Sozialpolitik entzogen. Deshalb überreiche ich namens meiner Fraktion dem Herrn Präsidenten erneut die Große Anfrage der Sozialdemokratischen Partei zu diesen Grundproblemen unserer Sozialpolitik.
Herr Kollege Schütz, Sie schütteln den Kopf.
Ich hoffe, 'daß unser Schritt die Meinungsbildung in Ihrer eigenen Fraktion und zwischen den Fraktionen der Regierungsparteien fördern wird.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 487
Dr. SchellenbergMeine Damen und Herren, es ist doch — ich darf das ganz freimütig sagen — eine Tatsache, daß Sie sich in ,der Regel erst unter ,dem Druck von Initiativen der Sozialdemokraten zu Ihren sozialpolitischen Auffassungen und dann vielleicht sogar Initiativen durchzuringen pflegen.Sehr gut! bei der SPD — Abg. Ruf: Da bilden Sie sich etwas Falsches ein!)Wir geben bei unserer erneuten großen Anfrage über die in der Geschäftsordnung vorgesehene Frist von vierzehn Tagen hinaus der Bundesregierung eine weitere Frist von vier Wochen, damit sie ihre Antwort sehr gründlich vorbereiten und dann dem Hause Antwort über ihre Auffassung zu den Grundproblemen unserer Sozialpolitik geben kann.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß Herr Schellenberg darauf kommen würde, darzutun, 'ich könnte oder wollte mich zu den Problemen hier nicht äußern, weil — —
— Ach, Sie waren doch bereit, mit dem gleichen Partner, von dem Sie heute — sehr zu Unrecht —, annehmen, er hemme unser sozialpolitisches Wollen, eine Koalition einzugehen. Das hat doch Ihr Freund Ollenhauer hier an dieser Stelle gesagt.
— Soll ich es Ihnen aus dem Protokoll zitieren?
Herr Präsident, ist es gestattet, daß ich das zitiere, weil es angezweifelt wird?
Ritte sehr!
Dann darf ich es tun:
Aber wir wollen hier nicht so tun, als ob reine andere Lösung nicht möglich gewesen wäre. Wenn es in diesem Lande normale demokratische Grundsätze gegeben hätte, wäre die Antwort auf das Wahlresultat gewesen, daß die beiden bisherigen Oppositionsparteien, die jetzt zusammen 'die Mehrheit hätten, den Versuch gemacht hätten, eine Regierung zu bilden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn der Sozialdemokratie die FDP nicht sozial verdächtig war, sondern wenn für die Sozialdemokratie die FDP ein genehmer Koalitionspartner gewesen wäre,
dann — das darf ich den Herren sagen — ist sie uns noch viel angenehmer.
Meine Damien und Herren, nun geben Sie dem Herrn Bundesminister die Gelegenheit, zu sprechen, worauf das Haus doch wartet.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Erler?
Bitte!
Herr Bundesminister, darf ich den Ausspruch, den Sie soeben getan haben, auch als eine indirekte Antwort an Ihren Parteifreund Katzer betrachten?
Mein Parteifreund Katzer ist erstens großjährig, zweitens erfahren genug, um von diesem Platze für sich selbst zu sprechen; ich bin nicht sein Vormund.
Und nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich einen kleinen Irrtum richtigstellen, der dem Herrn Schellenberg wie so oft auch heute wieder unterlaufen ist. Herr Schellenberg beklagt sich, daß die Bundesregierung auf die gestellte Große Anfrage mit den vielen Detailfragen nicht antworte, während der gleiche Minister das doch damals getan habe. Hat er nicht! Sie haben am 20. Oktober 1959 ebenfalls eine Große Anfrage eingebracht und wollten ins Detail gehend wissen, was bezüglich der Neuregelung der sozialen Krankenversicherung seitens der Regierung geplant sei. Auch damals hat die Bundesregierung, wie es ihre Pflicht ist, form- und fristgerecht dem Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages mitgeteilt, daß sie den Entwurf eines solchen Gesetzes einbringen würde und daß dann bei diesem Anlaß die gestellten Fragen beantwortet würden, und sie bäte — ich gebe sinngemäß wieder —, von einer mündlichen Beantwortung abzusehen. Sie wollte also nicht antworten. Damals hat allerdings die SPD-Fraktion — aber das ist ihre Sache, nicht meine — auf eine Debatte verzichtet. Als dann das Gesetz eingebracht wurde, habe ich allerdings bei der Einbringungsrede gesagt — das war etliche Monate später —: „Ich begründe jetzt das Gesetz, und damit behandle ich zugleich auch die damals gestellten Fragen."Sehen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren: jetzt liegt wieder eine Große Anfrage vor, und wir haben sinngemäß wieder so geantwortet, wir würden solche Gesetze einbringen. Und bei dieser
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Bundesminister BlankGelegenheit, Herr Kollege Schellenberg, werden wir uns über alle diese gestellten Fragen unterhalten, so wie es parlamentarischer Brauch ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Schütz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesarbeitsminister hat in seinem Schreiben an den Herrin Bundestagspräsidenten erklärt, daß es der Regierung zur Zeit nicht möglich sei, auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion zu antworten.
Der Herr Kollege Schellenberg hat nun von sich aus zu den einzelnen Fragen der Großen Anfrage Stellung genommen. Meine Damen und Herren, ich werde das für meine Fraktion heute nicht tun. Meine Fraktion erwartet, daß die Bundesregierung die notwendigen Regierungsvorlagen zur Änderung und zur Fortentwicklung des geltenden Rechts in den angesprochenen Bereichen im Laufe der ersten Hälfte dieser Legislaturperiode vorlegt. Wir nehmen zur Kenntnis, daß die SPD-Fraktion in diesen und in anderen Fragen ihre eigenen Vorstellungen hat. Meine Damen und Herren, wir hoffen, daß diese Ihre Vorstellungen es uns ermöglichen, eine Verständigung zu finden. Aber wir bitten auch zur Kenntnis zu nehmen. daß wir selber auch unsere eigenen Vorstellungen und Leitbilder haben, die wir niemandem zuliebe in diesem Hause verbrennen werden.
Es muß doch wohl einen tieferen Sinn haben, daß Sie, meine Damen und Herren, dort drüben sitzen und daß wir hier in der Mitte Platz genommen haben.
Das kommt doch wohl u. a. daher, daß wir zwar alle, wo immer wir in diesem Hause sitzen mögen, den gleichen guten Willen haben,
auf die an uns alle gestellten sozialpolitischen Fragen eine gute Antwort zu geben; daß sich aber diese verschiedenen Antworten nicht in allen Fällen dekken, hängt doch wohl damit zusammen, daß das letzte Ziel, das die oder die oder die Gruppe in der Sozial- und Gesellschaftspolitik in vielen Einzelentscheidungen hat, sich eben nicht deckt.
Die Diskussion dieses Tagesordnungspunktes kann kein Anlaß zu einer grundsätzlichen sozialpolitischen Auseinandersetzung sein. Wir werden dieser Auseinandersetzung keineswegs ausweichen, selbstverständlich auch nicht der Auseinandersetzung über die Neuregelung der gesetzlichen Krankenversicherung, der Lohnfortzahlung und des Kindergeldes. Diese Neuregelung muß zuerst erarbeitet und darf nicht schon zuvor zerredet werden.
Die Betroffenen erwarten eine solide Gesetzesarbeit und nicht vorweg nur 'blendende Rhetorik.
Der liebe Gott sieht den Menschen ins Herz und nicht nur in den Kopf und aufs Maul.
— Gott sei Dank, sonst wären wir bitter dran.
Meine Damen und Herren, das gebrannte Kind scheut nämlich das Feuer.
Sie haben uns davon überzeugt, daß wir uns hüten müssen und hüten sollen, anders zu verfahren, als wir heute verfahren. Daran sind Sie im letzten vor allem selber schuld.
Zur Kindergeldgesetzgebung bedarf es zunächst keines neuen Auftrages. Durch § 8 Abs. 3 des Kindergeldkassengesetzes ist die Regierung beauftragt, einen Vorschlag über die technische Vereinheitlichung vorzulegen. Wir erwarten und wünschen, daß die Vorlage auch Vorschläge über die Übernahme der Kosten durch Iden Bund enthalten wird.
Damit sind Finanzfragen angesprochen. Das ist nicht der einzige 'Grund dafür, wohl aber ein sehr gewichtiger, der meine Fraktion veranlaßt, zumal die in der sehr differenzierten Großen Anfrage angesprochenen Probleme als ein Ganzes zu sehen.
Meine Damen und Herren, das Soll und Haben, wie es in den drei Gesetzesmaterien steckt, muß sinnvoll aufeinander abgestimmt werden. Die Gesamtsituation des Bundeshaushalts und der Gesamtwirtschaft und nicht nur die Situation in einigen Zweigen dieser Wirtschaft müssen dabei berücksichtigt werden.
Ich würde es sehr bedauern, wenn Sie jetzt der Meinung wären, idas sei eine Ablenkung von der Sache. Nein, das ist nur ein Argument für das von uns für erforderlich gehaltene Verfahren. Bei der Erstellung der Einzelvorlagen darf die Zusammenschau nicht ignoriert werden. Herr Kollege Schellenberg hat gemeint, er verlange ja nicht, daß die Regierung auf Einzelheiten eingehe. Herr Kollege Schellenberg, das ist schon wieder so eine Meinungsverschiedenheit: Wo beginnen die Grundsätze, die Sie verlangen, Einzelheiten zu werden?
Aus diesen Erwägungen schließen wir uns der von der Regierung vorgetragenen Auffassung an.
Noch eine Wortmeldung? — Herr Abgeordneter Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Lassen Sie mich
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Spitzmüllereinmal, weil wir heute mittag noch über den Grünen Bericht sprechen werden, ein Beispiel aus der Landwirtschaft bringen. Bekanntlich gackern die Hennen, wenn sie ,das Ei gelegt haben. Herr Schellenberg und die Sozialdemokratische Partei verlangen aber, daß die Regierung sich äußert, bevor das Ei in vollendetem Zustand vorgelegt werden kann.
Sehr geehrter Herr Kollege Rohde, wenn Sie davon gesprochen haben, daß die Sozialpolitik ein Streitobjekt der Koalition sei, so muß ich das eindeutig zurückweisen. Wir sitzen als Sozialpolitiker der Koalition sehr oft zusammen und wir besprechen die Dinge. Wir haben durchaus die Überzeugung, daß diese Bundesregierung zu den von Ihnen angeschnittenen Gesetzeskomplexen etwas vorlegen wird, was Bestand haben wird.
Auf einen Nenner, meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, können wir uns doch ganz allgemein einigen, nämlich auf den Nenner, daß das, was zu den erwähnten Gesetzesmaterien verlangt wird, sozialpolitisch gerecht sein muß, gesundheitspolitisch fortschrittlich, aber wirtschaftspolitisch auch vernünftig. Wenn man diese drei Maximen aufstellt, dann braucht man eben Zeit, nicht nur, um sich über 'die Grundsätze zu einigen, sondern auch, um die tausend Teufeleien, die in vielen Einzelheiten stecken, zu erkennen, um dem Parlament dann etwas vorzulegen, von dem die Regierung weiß, daß die Koalition dahintersteht, und um es nicht wie im letzten Bundestag kommen zu lassen, wo infolge der Einwirkungen von außen und innerhalb des Parlamentes am Ende im Grunde genommen im wesentlichen Flickwerk anzubieten gewesen ist, Übergangswerk, Dinge, von denen die Mehrheit damals selbst gesagt hat, daß sie nur als Provisorium und Übergang anzusehen sind. Wir Freien Demokraten sind der Meinung, wir sollten uns lieber etwas mehr Zeit lassen, aber dann dafür sorgen, daß Gesetze gemacht werden, von denen man sagen kann, es sind keine Treibhauspflanzen, sondern es sind Gesetze, die sich in der rauhen Wirklichkeit des Ackerbodens auch bewähren, d. h. in der rauhen Wirklichkeit unserer vielschichtigen Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur.
Wenn Sie, Herr Kollege Schellenberg, gesagt haben, daß die Freien Demokraten beim Kindergeld immer eine andere Meinung als die Christlich Demokratische Union vertreten haben, so darf ich das nur bestätigend unterstreichen. Aber selbst im letzten Bundestag, als wir in Opposition waren, haben wir zum letztenmal am 29. Juni über das Kindergeldkassengesetz und damit über die Kindergeldregelung ganz allgemein gesprochen. Damals haben wir in der Hoffnung und in dem Bewußtsein, daß wir nach dem Wahltermin als Koalitionspartner gebraucht werden könnten und müßten, einen Antrag vorgelegt, der wohlabgewogen die Dinge enthielt, die man in der Regierung ohne eine zu starke Belastung des Haushalts übernehmen könnte, und ich darf feststellen, daß jener Entschließungsantrag der Freien Demokratischen Partei vom 29. Juni 1961 nicht die Zustimmung der sozialdemokratischen Fraktion gefunden hat. Ich habe aber nach allen Gesprächen den Eindruck, daß sehr wohl im Sinne jenes Entschließungsantrags in der neuen Bundesregierung verfahren werden wird. Insofern muß ich die Unterstellung — die in Ihren Ausführungen irgendwo mitgeschwungen haben könnte —, die FDP habe in der nun veränderten Situation etwas zurückzustecken gegenüber diem, was sie im letzten Bundestag in der Frage der Kindergeldneuregelung vertreten habe, sehr weit von mir weisen.Herr Kollege Rohde, Sie haben davon gesprochen, daß wir so schnell wie möglich etwas vorlegen sollten und daß Sie sich wunderten, daß die Konzeption noch nicht veröffentlicht werden könne und der Herr Bundesarbeitsminister sich nicht dazu äußere. Lieber Herr Kollege Rohde, ich glaube, es ist nach allem, was in den letzten vier oder acht Jahren in diesem Hause verabschiedet wurde, einmal notwendig, die Dinge zu überdenken, eine Bestandsaufnahme zu machen und sich zu fragen, welches Porzellan im letzten Bundestag zu Recht und welches Porzellan mutwillig zerschlagen worden ist. Gegen das Wort „Bestandsaufnahme" sollten doch eigentlich von der SPD keine Einwendungen erhoben werden, nachdem es einmal in ihrem Sprachschatz eine außerordentlich große Rolle gespielt hat.
Gerade bei dieser Bestandsaufnahme sind nun die Regierung und ihre Koalitionspartner. Sie, meine Kollegen von der SPD, haben den — fehlgeschlagenen — Versuch gemacht, diese Bestandsaufnahme zu stören in der Hoffnung, daß da oder dort von dem einen oder anderen Koalitionspartner vielleicht andere Töne auftauchen könnten. Ich kann nur sagen: wir Freien Demokraten haben es dankbar aufgenommen, mit welchem Elan der Herr Kollege Winkelheide am Ende des letzten Jahres hier eine ganz klare, dezidierte Stellungnahme bezüglich der Arbeitnehmervertreter in der CDU abgegeben hat. Die Art und Weise, in der Sie, Herr Kollege Schellenberg, hier die Fragen behandelt haben, mußte doch irgendwie den Eindruck erwecken, als wollten Sie einmal auf die Arbeitnehmer der CDU, das andere Mal auf die der FDP einschlagen. Geschäftsordnungsmäßig haben wir zwar eine Große Anfrage der SPD vorliegen, aber nach all den Argumenten, die Sie vorgebracht haben, hat sich bei mir doch der Eindruck verdichtet, als handle es sich tatsächlich um ein Konditionstraining für die erste Lesung noch ausstehender Gesetzesmaterien,
sozusagen um die Lesung vor der ersten Lesung, was geschäftsordnungsmäßig sicherlich als ein Novum bezeichnet werden kann.Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Wir brauchen in der Sozialpolitik ein gesundes Wachstum. Die SPD betreibt draußen sehr viel Verbraucheraufklärung: Der Käufer lasse sich manchmal bei seinen Einkäufen durch das Aussehen der Ware täuschen; wenn er aber mit der Zeit lerne, wo und wie diese
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Spitzmüller) oder jene Ware hergestellt, wie sie vertrieben und mit welchen Schönheitsmitteln sie gefärbt werde, so komme er auch wieder zu gewissen Bedenken und kehre zu soliden Erzeugnissen zurück. Wir brauchen zu soliden Erzeugnissen nicht zurückzukehren.Wir sind dabei, etwas auszuarbeiten und Ihnen vorzulegen, von dem wir die Überzeugung haben, daß wir vor den deutschen Verbrauchern, vor der gesamten deutschen Öffentlichkeit als eine sozialpolitisch fortschrittliche Koalition bestehen können.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Sie müssen in der Geschäftsordnung nachlesen: Zum Schluß der Großen Anfrage haben die Antragsteller das Schlußwort.
Meine Damen und Herren, nur wenige Bemerkungen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat — das war für jeden offensichtlich — das Thema verwechselt. Wir führen heute kein öffentliches Koalitionsgespräch post festum, sondern auf der Tagesordnung steht: Große Anfrage der Fraktion der SPD zur Sozialpolitik. Ich stelle fest, daß der Herr Bundesarbeitsminister auch in seinen Ausführungen zur Sache kein Wort gesagt hat. Der Bundesarbeitsminister hat auf Grund seiner Unterlagen erklärt, die Beantwortung der Großen Anfrage der Sozialdemokraten vom Oktober 1959, zu der ich gesagt hatte, der Bundesarbeitsminister habe seinerzeit die gleichen Fragen ausführlich beantwortet, sei seinerzeit auch mit unserem Einverständnis für eine lange Zeit zurückgestellt worden, was wir heute verweigert hätten.
Nun, meine Damen und Herren, der Herr Bundesarbeitsminister täuscht sich. Er kennt seiner Unterlagen nicht genau. Ich kenne sie besser, Herr Bundesarbeitsminister.
Unsere Große Anfrage wurde am 20. Oktober 1959 eingebracht. Am 20. November 1959, also einen Monat später, hat das Bundeskabinett die Gesetzesvorlage zur Neuregelung der gesetzlichen Krankenversicherung verabschiedet und sie am 27. November dem Bundesrat zugeleitet. Nur deshalb, weil damals unmittelbar nach Einbringung der Großen Anfrage die Gesetzesvorlage in den Gang der Gesetzgebung gegeben wurde, wurde die Beantwortung jener Großen Anfrage zurückgestellt.
Aber heute liegt ein völlig anderer Tatbestand vor. Es wurde heute seitens der Regierung nicht ein Wort über einen Zeitplan gesagt. Herr Kollege Schütz sprach von der ersten Hälfte der Legislaturperiode. Da könnten wir also unter Umständen noch anderthalb Jahre warten, bis unsere Große Anfrage beantwortet wird. Meine Damen und Herren, das ist uns etwas zu lange.
Ich möchte noch ein letztes Wort, auch zu Ihnen, Herr Kollege Spitzmüller, sagen. Der Sinn dieser Debatte sollte und mußte sein, dem Hause und damit der Offentlichkeit die Probleme darzulegen, um die es nach unserer Auffassung bei der Krankenversicherungsreform, der Lohnfortzahlung, des Kindergeldes usw. geht. Herr Kollege Spitzmüller, Sie haben von „Bestandsaufnahme" gesprochen. Meine Damen und Herren, wir möchten nicht nur in der Zeitung lesen, daß 30 führende — „führende" ! — Sozialpolitiker der CDU/CSU und FDP vom Herrn Bundesarbeitsminister über die sozialpolitische Marschroute unterrichtet wurden. Wir möchten nicht nur über einen sogenannten Sozialplan aus dieser oder jener Pressenachricht etwas entnehmen. Vielmehr haben wir die Dinge mit zu gestalten, und möchten deshalb möglichst frühzeitig an den Problemen der zukünftigen Sozialpolitik beteiligt wer-der. Deshalb, meine Damen und Herren, unsere Große Anfrage. Im übrigen — —
— Bitte schön!
Herr Kollege Professor Dr. Schellenberg, darf ich Ihre Worte so auslegen, daß Sie als Vorsitzender des Sozialpolitischen Ausschusses des Deutschen Bundestages bereit sind, das in Ihren Kräften Stehende zu tun, damit die Beratung der Unfallversicherungs-Neiuregelungsgesetze so schnell wie möglich zu Ende gebracht wird?
Herr Kollege Spitzmüller, ich glaube, die Mitglieder des Sozialpolitischen Ausschusses werden mir bestätigen, daß ich die Geschäfte im Ausschuß zügig zu handhaben pflege. Die Entscheidungen des Ausschusses werden von der Sache her getroffen. Die Unfallversicherung wird, soweit ich dazu beitragen kann, so beraten, daß ein Gesetz entsteht, das den Problemen entspricht, die es zu meistern gilt. Ich hoffe, darin sind wir einig.
Herr Kollege Spitzmüller, das möchte ich Ihnen in aller Freundschaft sagen: — —
— Warum nicht in Freundschaft? Sie sind der neue Sprecher Ihrer Fraktion im Sozialpolitischen Ausschuß. — Es ist ein unmögliches Verfahren, daß Sie durch Ihre Zwischenfrage versuchen wollen, uns auf Termine festzulegen, bevor — —
— Aber meine Damen und Hennen!
— Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen eine Antwort! — Es ist unmöglich, uns auf Termine festlegen zu wollen, bevor wir im Ausschuß mit der
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 491
Dr. Schellenbergsachlichen Beratung begonnen haben. Darin sind wir uns doch wohl einig.
— Meine Damen und Herren, Sie haben die Große Anfrage der Sozialdemokraten offenbar nicht genau gelesen.
— Nein! Wir haben gefragt — das war sorgfältig überlegt —: „Wann ist etwa mit der Vorlage eines Entwurfes zu rechnen"? „Etwa"! Wir haben also vorsichtig formuliert, um der Bundesregierung einen Spielraum zu geben. Wir haben nicht gesagt, die Regierung solle dann und dann einen Entwurf vorlegen, sondern wir haben gefragt, wann sie etwa vorzulegen beabsichtige. Eine Große Anfrage ist noch kein Antrag. Auf Anfragen pflegte das Haus bisher eine Antwort zu erhalten. Es ist bedauerlich, daß — meines Wissens zum enstenmal — eine Große Anfrage hier im Hause nicht beantwortet wurde. Dieses Verfahren ist einmalig, und deswegen haben wir auch einen besonderen Weg gewählt, um die Angelegenheit wieder auf die Tagesordnung zu bringen. Meine Damen und Herren, wir sprechen uns, so hoffe ich, in der Sache vor Ostern wieder!
Unabhängig davon, wann sich die Mitglieder des Hohen Hauses wieder sprechen, ist dieser Punkt der Tagèsordnung für heute erledigt.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache IV/194),
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verteidigung (Drucksachen IV/193, zu IV/193);
.
Wünscht der Berichterstatter des Haushaltsausschusses, Abgeordneter Leicht, das Wort? — Das ist nicht notwendig. Das Haus dankt ihm. Wünscht der Berichterstatter des Verteidigungsausschusses das Wort? — Bitte, Herr Abgeordneter Merten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will den Schriftlichen Bericht nicht durch einen mündlichen Bericht ergänzen. Ich möchte Sie lediglich auf Druckfehler in der Drucksache zu IV/193 aufmerksam machen und Sie bitten, sie zu berichtigen.
Auf Seite 1, rechte Spalte, muß im letzten Absatz das Wort „Reserve" ersetzt werden durch „Reservisten".
Auf Seite 2, rechte Spalte, ist im letzten Absatz des Abschnitts I nach dem Willen des Setzers vorgesehen, daß die Kriegsdienstverweigerer vor den
Prüfungsausschüssen und -kammern für Kriegsdienstverweigerer oder einem Verwaltungsgericht unentgeltlich „verpflegt" werden. Das entspricht aber nicht der Absicht, die der Ausschuß hatte. Der Ausschuß wollte, daß die Wehrpflichtigen, die dort Anträge zu vertreten haben, von Beauftragten einer Kirche oder Religionsgemeinschaft „vertreten", aber nicht „verpflegt" werden können.
Ich bitte Sie also, in der Zeile 3 des genannten Absatzes das Wort „Verpflegung" durch „Vertretung" zu ersetzen.
In der nächsten Zeile muß es statt „Prüfungsausschüssen und Kammern" heißen: „Prüfungsausschüssen und -kammern".
Schließlich ist auf Seite 3, linke Spalte. in der ersten Zeile des dritten Absatzes richtig zu schreiben „Höchstdauer".
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Die Berichtigungen werden zur Grundlage der Beratung des Hauses gemacht.
Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung der zweiten Lesung. Ich rufe auf Artikel I § 1 Nr. „vor 1" und komme zum Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD auf Umdruck 22. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist, daß die Abstimmüng über Ziffer 1 des Antrages, die wir an dieser Stelle vornehmen, zugleich die Abstimmung über die Ziffern 2 und 3 des Antrages darstellt, die ja nur eine Konsequenz aus der ersten Abstimmung 1 ist. Es geht darum, daß die Worte „sowie Waffen" gestrichen werden.
Wird das Wort gewünscht? Herr Abgeordneter Schultz!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten hat diesen Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD nicht mit unterschrieben. Deswegen bitte ich Sie, mir zu gestatten, Ihnen kurz die Gründe darzulegen, warum wir diesem Antrag nicht beigetreten sind, der, wie in der Presse zu lesen war, an sich als interfraktioneller Antrag des ganzen Hauses gedacht gewesen ist.Es dreht sich bei dieser Sache, um landläufig zu sprechen, darum, das Gewehr wieder aus dem Schrank zu nehmen oder die „Braut des Soldaten" wieder aus idem Schrank zu tun. Mit diesem Antrag der beiden Fraktionen dieses Hohen Hauses wird ein Beschluß des Verteidigungsausschusses umgestoßen, zumindest ein wesentlicher Teil dieses Beschlusses. Man könnte dafür Verständnis haben, wenn es sich bei der Diskussion, die im Verteidigungsausschuß darüber geführt worden ist, um eine oberflächliche und leichthin geführte Diskussion und es sich bei der Abstimmung über diesen Zusatzantrag — über diese Einfügung in das Wehrpflichtgesetz — um eine Abstimmung mit zufälligen Mehrheiten gehandelt hätte. Das ist aber nicht der Fall. Wir haben uns im Verteidigungsausschuß sehr eingehend mit dieser Frage befaßt, und wir können
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492 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Schultzhier nicht feststellen, daß ein Abstimmungserfolgeiner Gruppe da ist, sondern müssen sagen, daßsich hier eine große Mehrheit so entschieden hat.Es ist also, entgegen ,den Zeitungsberichten, nicht von einer knappen Mehrheit zu reden, sondern es muß heißen, es war eine große Mehrheit für diese Bestimmung, nämlich sie in das Gesetz aufzunehmen.Es ist auch nicht richtig, wenn draußen nun behauptet wird, daß das Verteidigungsministerium mit den im Ausschuß vertretenen Beamten und Offizieren sich in dieser Frage besonders engagiert hätte, sondern ich muß sagen, das Verteidigungsministerium und die abgeordneten Beamten haben sich indieser Frage außerordentlich zurückgehalten. Es war also tatsächlich ein politischer Entschluß. Es war ein Beschluß des Ausschusses, eines Ausschusses, der letzten Endes, glaube ich, doch sehr wesentlich für ,die Verteidigungspolitik der Bundesregierung und für die Herstellung der Verteidigungsbereitschaft als solcher verantwortlich ist. Der Bericht, den der Herr Kollege Merten hier vorgelegt hat, unterstreicht vollinhaltlich das, was ich gesagt habe. Ich möchte noch in umgekehrtem Maße sagen, dieser Bericht gibt 'die Stimmung und die Erörterungen im Ausschuß völlig richtig wieder. Im allgemeinen wird in diesem Hohen Hause ja den Beschlüssen der Experten gefolgt. Insbesondere werden es sich, wenn man an das Gebiet der Sozialpolitik denkt, sehr wenige, 'die nicht mit sozialpolitischen Fragen dauernd beschäftigt sind, erlauben, in die Beschlüsse der Männer und Frauen des DeutschenBundestages einzugreifen, ,die uns hier als Ergebnis von Diskussionen im Sozialpolitischen Ausschuß vorgelegt werden.Es wird vielfach geklagt, unser heutiges Leben sei so kompliziert geworden, daß allein die Experten regierten. Man muß aber auch sagen, daß die Verteidigungspolitik ein außerordentlich kompliziertes Gebiet ist und daß deswegen dem Votum des dafür zuständigen Ausschusses ein besonderer Wert zuzumessen ist. In den Grundbegriffen der Verteidigung findet sich jeder hier in dem Hohen Hause zurecht, und jeder kann dazu von seinem Standpunkt auch etwas beitragen. Wenn es aber dann in die einzelnen Sachfragen geht, wird sich mancher — ohne daß ich irgend jemandem zu nahe treten will — etwas schwerer tun. Ich glaube, daß sich dann der einzelne, der nicht immer mit diesen Fragen beschäftigt ist, wieder von den sogenannten Experten — an sich ein schreckliches Wort — oder denjenigen beraten lassen muß, die etwas mehr Sachkenntnis zu haben glauben.Worum handelt es sich denn bei diesem Beschluß, der vom Verteidigungsausschuß mit großer Mehrheit gefaßt worden ist? Es handelt sich darum — wie im Bericht steht —, daß in bestimmten Fällen die Reservisten verpflichtet sind, auch Handfeuerwaffen ohne Munition zu übernehmen, aufzubewahren, vor Mißbrauch zu schützen und in gebrauchsfähigem Zustand zu halten. Das Wesentliche dieser gesetzlichen Regelung, die in das Wehrpflichtgesetz eingefügt wurde, ist die Feststellung, daß es sich um eine Kann-Bestimmung handelt; es ist also keinMuß. Es muß nicht jedem Reservisten das Gewehr oder die Pistole oder die Maschinenpistole mitgegeben werden, sondern es kann geschehen; das ist sehr wesentlich. Wir kennen diese Möglichkeit von anderen Ländern her, insbesondere darf ich auf das Beispiel der Schweiz verweisen.Es ist weiter gesagt worden, diese Waffen würden ohne Munition mitgegeben werden, die Munition solle also besonders aufbewahrt werden, und es besteht ja auch kein Zweifel darüber, daß den Soldaten weder Handgranaten noch Tellerminen mitgegeben werden sollen. In jeder Fraktion wird über diese Frage und über den Beschluß des Verteidigungsausschusses eine langwierige Diskussion stattgefunden haben, so war es selbstverständlich auch bei uns Freien Demokraten. Bei uns war es nun so, daß sich die große Mehrheit entschlossen hat, diesen Beschluß des Verteidigungsausschusses zu sanktionieren. Selbstverständlich wurde auch über mißbräuchliche Benutzung gesprochen. Es ist aber wohl kaum damit zu rechnen, daß familieninterne Streitigkeiten in Zukunft mit den mitgegebenen Waffen der Bundeswehr ausgetragen werden oder daß bei einem Schützenverein ein Festschießen stattfindet, bei dem dann der Soldat, der eine Waffe zu Hause hat, kommt und sagt: Nun wollen wir mal meine Flinte nehmen, die ist wesentlich besser als eure, ich will euch mal zeigen, was wir alles können. Auf der andern Seite kann von diesem Beschluß in psychologischer Hinsicht auf die Herstellung der Verteidigungsbereitschaft der Allgemeinheit ein außerordentlich heilsamer Einfluß ausgehen. Heute früh ist das Hohe Lied vom braven Mann, von der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr bei der Flutkatastrophe in Norddeutschland gesungen worden. Hier haben die Soldaten aller Dienstgrade gezeigt, daß sie wissen, wofür sie dienen und was sie zu tun haben. Ich glaube, wenn eine solche Möglichkeit im Gesetz eröffnet wird, kann dies ausgezeichnete Auswirkungen hinsichtlich der Einstellung des Staatsbürgers zur Demokratie haben. Mit einer solchen Möglichkeit kann die Anerkennung des Staates als Herberge der Bürger durchaus gut weiter fundiert werden. Das paßt genau in den Rahmen dessen, was die Bundeswehr tun soll: auf Grund der Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwohl die Risikogemeinschaft, in der wir leben, vor Schaden zu schützen.Es muß doch darauf hingewiesen werden, daß nicht jeder diese Waffe mitbekommen soll. Das ist im Ausschuß ganz klar besprochen worden, und es ist wohl auch in den Fraktionen so berichtet worden. Vielmehr ist hier eine entsprechende Überwachung in Aussicht genommen, und das soll sich auch nur auf zuverlässige Leute, vermutlich zunächst überhaupt nur auf Dienstgrade, beziehen.Wenn man die verschiedenen Debatten über Verteidigungspolitik in der Erinnerung an sich vorüberziehen läßt, kann man doch wohl feststellen, daß in diesem Hohen Hause Übereinstimmung darin besteht, daß zur Verteidigung im ganzen neben den der NATO unterstellten Streitkräften und dem zivilen Bevölkerungsschutz auch die territoriale Landesverteidigung als Element dazugehört. Wir sind der Auffassung, daß die territoriale Landesverteidigung
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 493
Schultznicht nur Aufgaben polizeilicher Art hat, daß sie nicht nur sicherstellen soll, daß die Truppen im Ernstfall noch beweglich sind, sondern daß ihr auch die Aufgabe des Objektschutzes, also des Schutzes von Brücken, wichtigen Versorgungsbetrieben usw., sowie örtliche Sperraufgaben zufallen.Diese Kann-Bestimmung hat in diese Richtung gezielt, und ich finde es eigentlich etwas schade, daß man nun, so möchte ich fast sagen, inzwischen Angst vor der eigenen Courage bekommen hat. Denn ich bin der Meinung, daß eine solche Bestimmung auch eine Abschreckungswirkung hat. Das ist in der Vergangenheit etwas zuwenig gesehen worden.Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß die Entscheidung, die wir im Ausschuß getroffen haben, unsere Verbündeten innerhalb der NATO schokkieren kann. Es kommt doch wohl darauf an, das NATO-Verteidigungsbündnis in unser aller Interesse möglichst effektiv zu machen. Dazu habe ich schon bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs etwas gesagt. Ich bin der Meinung, daß wir bei unseren Verbündeten durchaus Verständnis für eine solche Maßnahme finden können, wenn wir mit ihnen sprechen und ihnen diese Maßnahme entsprechend erläutern. Es wäre falsch, den Eindruck entstehen zu lassen, als werde durch eine solche Maßnahme wieder das Gespenst des deutschen Militarismus an die Wand gemalt. Wir wissen doch alle, daß wir uns angesichts der Bedrohung aus dem Osten zusammenschließen müssen. Dazu gehört eben auch die Effektuierung des Verteidigungsbündnisses.Wir würden es bedauern, wenn der Antrag der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion hier im Hohen Hause angenommen würde. Wir meinen, daß vielleicht einmal ein Zeitpunkt kommen kann, zu dem man eine solche Bestimmung für außerordentlich zweckmäßig hält, zu dem man sie aber nicht in das Wehrpflichtgesetz einfügen kann, weil durch deren Beratung die Spannung noch mehr erhöht würde.Ich bitte Sie, Ihre persönliche Abstimmung, in der Sie ja Ihrem Gewissen gegenüber verantwortlich sind, angesichts der von mir genannten Argumente noch einmal einer Prüfung zu unterziehen und so zu votieren, daß der Antrag des Verteidigungsausschusses bestehen bleibt. Ich würde Sie deshalb bitten, den Antrag der CDU/CSU und SPD abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Seffrin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU hat die Streichung der beiden Wörter „sowie Waffen" beantragt. Ich darf zu dem, was hier ausgeführt wurde, sagen, ,daß der Antrag im Verteidigungsausschuß, die beiden Wörter „sowie Waffen" einzufügen, doch überraschend gekommen ist. Wir haben uns zwar im Ausschuß ausgiebig über diese Frage unterhalten, ich glaube aber nicht, daß das schon so gut war, wie es bei einer ernsten Prüfung hätte sein können. Allein der Begriff „Waffen" — was sind Waffen? — müßte genauer definiert werden. Wenn auch im Protokoll darüber gewisse Äußerungen enthalten sind, so glaube ich nicht, daß das ausreicht.
Man sollte jedoch keine allzu langen Ausführungen machen.
Herr Abgeordneter Dr. 'Seffrin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Berkhan?
Herr Kollege Dr. Seffrin, würden Sie mit mir übereinstimmen, daß die gleiche Begründung auch für Ausrüstungsgegenstände gegeben werden könnte?
Das mag zutreffen, nur glaube ich, daß der Begriff „Ausrüstungsgegenstände" ohne Zweifel in einer einfacheren Erklärung zu deuten wäre als der Begriff „Waffen", der ja wesentlich weiter zu fassen wäre.
Wir sind der Meinung, daß der Verteidigungswert der vorgesehenen Maßnahme — nämlich dem Reservisten Waffen mit nach Hause zu geben — zweifelhaft und daß diese Maßnahme im gegenwärtigen Zeitpunkt auch verfrüht ist. Wir sind weiterhin der Auffassung, daß Waffen zu militärischen Zwecken zunächst nur in die Hände von im Wehrdienst stehenden Angehörigen der Bundeswehr sowie in die Hände der Polizei gegeben werden sollten. Auch müßten noch genaue Überlegungen darüber angestellt werden, wieweit die entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen für den Bundesverteidigungsminister geschaffen werden könnten.
Im Namen der CDU/CSU bitte ich deshalb, der Streichung der Worte „sowie Waffen" gemäß Antrag Umdruck 22 zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Bausch.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin sehr glücklich, einer Fraktion angehören zu dürfen, die keinen Fraktionszwang kennt.
Ich bin sehr froh und sehr dankbar, meine Damen und Herren, daß wir in diesem Hohen Hause die Freiheit haben, nicht nur nach unserer Überzeugung reden, sondern auch abstimmen zu dürfen. Ich meine, daß es gut wäre, wenn ich gerade in diesem Fall, über den wir uns jetzt unterhalten, von dieser unserer Freiheit auch einen herzhaften Gebrauch machte.Ich lege Wert darauf zu sagen, daß ich mich in dieser Sache zu meinem Bedauern — ich bin sonst ein Mann, der wirklich aus innerster Überzeugung zu seiner Partei und auch zu seiner Fraktion steht — nicht in der Lage sehe, diesem Antrag, Umdruck 22, der von der Mehrheit meiner Fraktion beschlossen worden ist, meine Zustimmung zu ge-
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Bauschben. Ich werde diesen Antrag ablehnen. Ich bitte Sie, 'dasselbe zu tun.
Ich will auf Einzelheiten gar nicht eingehen. Sie sind von dem Herrn Kollegen Schultz, der mit uns im Verteidigungsausschuß zusammenarbeitet, schon geschildert worden. Es handelt sich um eine ausgesprochene Kannbestimmung. Niemand im Verteidigungsministerium ist verpflichtet, so zu verfahren, wie es der Verteidigungsausschuß beschlossen hat. Dem Verteidigungsminister sollte lediglich eine Vollmacht gegeben werden, in den Fällen und an den Plätzen, an denen er es aus wohlerwogenen Gründen für nötig hält, den Soldaten die Ausrüstung und auch die Handfeuerwaffen mitzugeben. Ich täusche mich wohl nicht, wenn ich sage, daß die Anregung zu dieser Bestimmung vom Verteidigungsminister ausgegangen ist. Jene Gründe, die dafür sprechen, dem Soldaten an diesen oder jenen Orten Kleidung und Ausrüstung mitzugeben, sind sehr gewichtig und sprechen genauso dafür, ihm in diesem Falle auch die Handfeuerwaffen mitzugeben.Wir können uns jetzt, wie schon gesagt, nicht über die Einzelheiten unterhalten. Mir ist ein Ausspruch eines sehr bedeutenden Mannes eingefallen, der irgendwie mit dem zusammenhängt, worüber wir uns jetzt unterhalten. Es geht darum, ob wir den Soldaten, die — ich sage das genauso wie der Herr Kollege Schultz — heute früh schon so hoch gerühmt worden sind, Vertrauen entgegenbringen wollen oder nicht. Der von mir erwähnte Mann hat einmal gesagt: „Was du im Nächsten siehst, das entzündest du in ihm." Er wollte damit sagen: Wenn du im Nächsten nur das Negative, nur das Schlechte und nur das, was sich irgendwie schief auswirken könnte, siehst, wenn du ihn nur daraufhin ansprichst, dann entzündet und vervollständigt sich in ihm dieses Negative; wenn du aber versuchst, das Gute in ihm anzusprechen, wenn du versuchst, ihm Vertrauen entgegenzubringen, dann entzündet sich in ihm das Gute, dann wächst das Positive. Ich meine, wir täten gut daran, unseren Soldaten das Vertrauen entgegenzubringen, das die allermeisten ganz sicher verdienen. Ich glaube, daß wir der Bundeswehr damit einen vortrefflichen Dienst leisten könnten.
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mich hat eigentlich nur eine Bemerkung des Herrn Kollegen Bausch ans Rednerpult gerufen, die Bemerkung nämlich, daß er stolz darauf sei, einer Fraktion anzugehören, die keinen Fraktionszwang kenne. Wir sind alle stolz darauf, einem Bundestag anzugehören, in dem keine Partei und keine Fraktion einen Gesinnungszwang gegenüber ihren Mitgliedern ausübt.
Das wird der Kollege Bausch gleich merken. Es wird verschiedene Bestimmungen dieses Gesetzes geben, bei denen die Meinungsverschiedenheiten quer durch die Fraktion gehen. Auch in dieser Frage ist das der Fall. Das ist gar kein Geheimnis.
Ich möchte von mir aus sagen, daß ich mit der Regelung, die der Verteidigungsausschuß ins Auge gefaßt hatte, inhaltlich sehr weitgehend sympathisiere. Ich bin allerdings der Meinung, man hat die falsche Stelle für die Regelung gewählt. Bevor man dem Reservisten die Pflicht auferlegen kann, der Waffe gegenüber, die ihm mitgegeben wird, bestimmte Pflichten zu erfüllen, muß man doch wohl erst einmal rechtlich festlegen, unter welchen Voraussetzungen der Verteidigungsminister das Recht hat, Zivilisten bewaffnen zu können. Wir haben ein Schußwaffengesetz. Der Umgang mit Waffen ist auch sonst sehr weitgehenden gesetzlichen Regelungen unterworfen. Das muß man sich doch erst einmal genauer ansehen. Dann gilt es, die Voraussetzungen festzulegen, die hier in Form einer Absprache im Verteidigungsausschuß ungefähr umrissen worden sind. Das muß in anständige rechtliche Formen gegossen werden, wenn man da heran will. Es brennt nicht, es läuft uns nicht weg. Aber die Regelung hier schien mir etwas schnell getroffen zu sein, weil die entscheidende rechtliche Grundlage dafür nicht vorhanden ist. Deswegen soll man sich das Problem daraufhin noch einmal genauer ansehen. Aus diesem Grunde habe ich mich dem Vorschlage der Fraktion angeschlossen und werde für die Streichung stimmen, wohl wissend, daß ein Teil meiner Freunde anders stimmen wird, weil er die Entscheidung des Verteidigungsausschusses für richtig hält.
Meine Damen und Herren! Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Wir können zur Abstimmung kommen.Wer dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Umdruck 22 Ziffern 1, 2 und 3, also insgesamt, zustimmen, d. h. an den entsprechenden Stellen die Worte „sowie Waffen" gestrichen haben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen. Zahlreiche Gegenstimmen in allen Parteien, ebenso einige Enthaltungen!Wer nunmehr der Bestimmung „Vor 1" mit der beschlossenen Änderung sowie den Nummern 1, 2, 2 a, 3, 4 und 4 a, ebenfalls mit der soeben beschlossenen Änderung, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.Ich komme nunmehr zu dem Antrag auf Umdruck 36, eine neue Nummer 4 b einzufügen. — Das Wort wird nicht gewünscht.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 495
Vizepräsident Dr. JaegerWer dem Änderungsantrag aller Fraktionen auf Umdruck 36, eine Nummer 4 b einzufügen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Wenige Gegenstimmen, wenige Enthaltungen! Der Antrag ist angenommen.Wer nunmehr den Nummern 5, 6, 7, 8 mit der vorhin beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.Damit kommen wir zu dem § 2 und dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 21. Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Pöhler!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion begründen, der dem Hohen Hause auf Umdruck 21 vorliegt. Der Antrag behandelt eine Frage, über die sowohl der Herr Bundesverteidigungsminister als auch mein Freund Fritz Erler bereits in der ersten Lesung des vorliegenden Gesetzentwurfes gesprochen haben. Er betrifft jene Wehrpflichtigen, die nach den bisherigen gesetzlichen Vorschriften im Regelfalle bis zum 30. Juni 1962 nach Ableistung eines zwölf- oder sechsmonatigen Grundwehrdienstes entlassen werden müßten, und er sieht vor, daß der Grundwehrdienst für diese Soldaten nur um drei Monate verlängert wird. Nach der vorliegenden Fassung des Gesetzentwurfs könnte ihre Entlassung aus der Bundeswehr erst Ende Dezember 1962 erfolgen. Sie würden also von der vollen Auswirkung der Verlängerung auf achtzehn Monate betroffen, obwohl sie beim Einrücken nur mit einer Dienstzeit von zwölf Monaten rechnen konnten oder mußten.Meine Damen und Herren! Wir sind uns natürlich darüber klar, daß jede Übergangsregelung bei einer Dienstzeitverlängerung schwierig sein wird und auch Härten mit sich bringt. Der Herr Bundesverteidigungsminister hat das wohl ebenfalls empfunden; denn er hat in seiner Begründung zu diesem Gesetz ausgeführt, daß er die vorgesehene Übergangsregelung selbst nicht als ideal betrachte; es gebe in diesem Falle keine ideale Regelung. Dem ist ohne Zweifel zuzustimmen. Aber ich finde, es geht gar nicht so sehr darum, eine ideale, als vielmehr darum, eine gerechte Regelung des Überganges zu finden; und wir glauben, daß dieser unser Antrag hierfür einen gangbaren Weg aufzeigt.Meine Damen und Herren, wir sollten uns doch einmal in die Lage jener Soldaten versetzen, die gegenwärtig die bisher geforderte Dienstzeit von nur 12 Monaten ableisten. Als sie einrückten, konnten sie von einer Verlängerung gewiß noch nichts ahnen. Erst nach den Ereignissen des 13. August, genauer gesagt: nach dem 18. September, einen Tag nach der Bundestagswahl, mußten sie damit rechnen, noch eine anschließende Wehrübung von drei Monaten zu absolvieren. Sie finden es deshalb einfach ungerecht, daß der Gesetzgeber gegen Ende ihrer bisherigen Dienstzeit weitere volle sechs Monate fordert, und mir scheint, daß hier in der Tat der Grundsatz von Treu und Glauben tangiert wird.Wir sollten das gerade bei der Bundeswehr nicht auf die leichte Schulter nehmen.Es wird ohnehin in der Truppe von den Wehrpflichtigen sehr lebhaft die Tatsache kritisiert und beklagt, daß sie selbst das Opfer des Wehrdienstes auf sich nehmen, während zahlreiche andere, ebenfalls taugliche Altersgefährten bei der Auslosung auf den Wehrersatzämtern die Niete zogen und damit von der Ableistung des vollen Grundwehrdienstes entbunden sind. Dieser Auffassung wird man die Berechtigung nicht ganz absprechen können; und da wird dann argumentiert, man möge gefälligst erst diesen Kreis holen, ehe die eigene, bereits laufende Dienstzeit verlängert wird.Nun geht diese Argumentation in der Sache gewiß am Kern der Dinge vorbei; denn die Auslosung ist gegenwärtig auch keine ideale, aber doch eine einigermaßen gerechte Methode, und außerdem wäre die praktische Konsequenz einer solchen Auffassung, wie wir alle wissen, auch technisch ungeeignet, das Ziel des vorliegenden Gesetzes zu erreichen: die Kampfkraftstärkung der Bundeswehr. Aber diese häufig geäußerte Meinung der Wehrpflichtigen zeigt doch sehr deutlich, wie sehr wir bei diesen Fragen auf eine möglichst gleiche und gerechte Behandlung bedacht sein müssen.Der jungen Generation in unserer Zeit wird ja gern nachgesagt, daß sie desillusioniert sei, daß die jungen Menschen sehr nüchtern und realistisch denken, handeln und planen. Manche mögen das beklagen, aber es ist so, und ich möchte es nicht einmal als einen Mangel ansehen. Es gilt aber auch oder gerade — für die dienenden Wehrpflichtigen. Sie pflegen im Hinblick auf den vorgesehenen Entlassungstermin nicht nur während der Dienstzeit, sondern oft schon vor der Einberufung Pläne zu machen und Vorsorge zu treffen. Es ist gar kein Zweifel, daß zahlreiche Wehrpflichtsoldaten für den Beginn oder die Fortsetzung ihres wissenschaftlichen Studiums, hinsichtlich der weiteren Berufsausbildung oder des Arbeitsplatzwechsels oder auch des Starts in Schulen des zweiten Bildungsweges bereits zeitlich disponiert haben und disponieren mußten, und zwar auf den ursprünglichen zu erwartenden Entlassungstermin hin. Teilweise sind sie bereits erhebliche Verpflichtungen eingegangen, oft genug auch schon finanzieller Art. Manche haben sich in der Frage der Wohnungsbeschaffung festgelegt oder sogar die Eheschließung terminlich vorgesehen und Entsprechendes veranlaßt.Meine Damen und Herren, es ist gar keine Frage, daß die Dienstzeitverlängerung auf volle sechs Monate für diese betroffenen Soldaten eine sehr große Härte bedeuten würde. In den Ausschußberatungen ist durch das Bundesverteidigungsministerium unter Bezugnahme auf einen Erlaß vom 21. Oktober 1961 zwar versichert worden, daß man gewisse Härten mildern wolle. Das gelte insbesondere für Soldaten, die durch die Verlängerung der Dienstzeit ein volles Jahr ihres Studiums verlieren würden. Wir meinen aber, daß es sich hier nur um wenige Einzelfälle in einem sehr begrenzten Sektor handeln kann, denen mit diesem Erlaß geholfen wird. Wir, die sozialdemokratische Fraktion, mach-
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Pöhlerten aber dem ganzen dienenden Jahrgang die entstehenden unbilligen Härten durch unseren Antrag wenigstens teilweise ersparen.Unter Bezugnahme auf eine Bemerkung des Herrn Bundesverteidigungsministers während der ersten Lesung darf ich auch darauf verweisen, daß der mit unserem Antrag gemachte Vorschlag den gegebenen Verhältnissen und nach dem gegenwärtigen Stand weder ein Absinken der Qualität und des Niveaus noch der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zur Folge haben wird.Schließlich und letztlich möchte ich noch zu bedenken geben, wie sich die jetzt vorgesehene harte Übergangsregelung des sofortigen Anschließens der vollen sechs Monate für die Betroffenen auf die Stimmung und damit auf das Betriebsklima der Truppe auswirken muß. Ich bin nicht sicher, daß damit wirklich eine Stärkung der Kampfkraft der Bundeswehr erreicht wird.Ich darf zum Schluß kommen, meine Damen und Herren. Ich denke, wir sind uns alle darüber einig, daß wir mit diesem Gesetz, mit der Verlängerung der Wehrpflicht von 12 auf 18 Monate der jungen Mannschaft unseres Landes ganz allgemein ein vermehrtes und großes Opfer abverlangen. Das tun wir gewiß nicht leichtfertig, sondern dazu zwingt uns diese gefahrvolle Zeit. Aber gerade deshalb müßten wir es vermeiden, den jungen Soldaten, die ganz gewiß guten Willens sind, unnötige Härten aufzuerlegen und unbillige Belastungen zuzumuten.Ich darf Sie bitten, dem Antrag der SPD-Fraktion auf Umdruck 21 Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Benda.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Erler, ich weiß es nicht, aber ich möchte meinen, daß auch dieser Antrag zu denjenigen gehört, von denen Sie vorhin gesagt haben, daß die Meinungen darüber in Ihrer Fraktion geteilt sind. Ich kann mir nach den sehr eingehenden Beratungen gerade dieser Frage im Verteidigungsausschuß eigentlich kaum vorstellen, daß diejenigen Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion, die an diesen Beratungen im Ausschuß teilgenommen haben, diesem Antrag ihrer Fraktionzustimmen können.Ich möchte es mir versagen, auf die militärischen und verteidigungspolitischen 'Gesichtspunkte, die die Vertreter der Bundesregierung im Ausschuß vorgetragen haben, hier im einzelnen einzugehen, weil ich nicht zu übersehen vermag, inwieweit diese Dinge sich für eine öffentliche Diskussion eignen. Ich möchte es dem Herrn Bundesminister für Verteidigung überlassen, zu diesem Punkt noch etwas zu sagen, falls das notwendig sein sollte.Herr Kollege Pöhler hat aber eben gesagt, daß weder das Niveau noch die Einsatzbereitschaft der Truppe im Fall der Annahme des SPD-Antrags gefährdet sein würden. Diese Darlegung steht in einem eklatanten und völligen Widerspruch zu dem, was im Verteidigungsausschuß — und zwar übereinstimmend — von der Bundesregierung und den Vertretern aller Fraktionen bei Schluß der Beratung festgestellt worden ist. Ich glaube, daß man das Ergebnis einer sehr eingehenden und sorgfältigen Diskussion gar nicht anders zusammenfassen kann, als es damals geschah. Es war das Ergebnis, das auf Grund sehr nüchterner Mitteilungen erzielt wurde, die uns dort gemacht worden sind.Sie haben, Herr Kollege Pöhler, die juristischen Fragen nicht in den Vordergrund gerückt, und ich glaube auch darüber gar nichts sagen zu sollen. Die Frage ist einmal angeklungen; aber ernsthaft wird, glaube ich, wohl nicht behauptet werden können, daß das, was im Regierungsentwurf und in der Ausschußfassung vorgeschlagen wird, gegen irgendwelche rechtlichen Grundsätze verstößt. Sie haben aber den Gesichtspunkt von Treu und Glauben hervorgehoben und haben ihn in einem vielleicht nicht nur moralischen, sondern auch in einem gewissen juristischen Sinn betont. Ich möchte Ihnen nicht mit juristischen Argumenten begegnen; sie sind im Ausschuß schon eingehend dargelegt worden, und ich glaube, daß man darüber wohl nichts weiter sagen kann. Ich habe jedenfalls keine Argumente, die dagegenstehen, gehört. Ich möchte aber das aufgreifen, was sich aus einer an sich juristischen Überlegung ergeben hat. Es ist dort aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zitiert worden, daß das Interesse des einzelnen, in seinen Erwartungen nicht getäuscht zu werden, dann zurückzutreten habe, wenn zwingende Gründe des Allgemeinwohls eine andere Regelung erfordern.Meine Damen und Herren, ob das hier nun juristisch anwendbar ist oder nicht, wir brauchen dieses juristische Argument gar nicht. Aber von der moralischen und der politischen Seite her, glaube ich, kommt dieser Gesichtspunkt über die juristischen Argumente hinaus in vollem Umfang hier zur Geltung. Ich verweise wiederum auf das, was hinsichtlich der militärischen und verteidigungspolitischen Gesichtspunkte im Ausschuß ,gesagt worden ist, was ich hier nicht zu wiederholen brauche. Wir wissen sehr wohl, Herr Kollege Pöhler — darüber besteht volle Einigkeit, und auch der Herr Bundesminister für Verteidigung hat es in der ersten Lesung bereits gesagt, wie Sie mit Recht zitiert haben —, daß hier ein besonderes Opfer zugemutet wird. Das wissen wir, und das sehen wir. Wir wissen auf der anderen Seite — und in dieser Hinsicht sind im Ausschuß völlig befriedigende Erklärungen abgegeben worden —, daß bei dem Personenkreis, bei dem über dieses allgemeine Opfer hinaus ein Sonderopfer gefordert wird, auch eine besondere Regelung getroffen werden wird. Das erstreckt sich nicht nur auf die Studienbewerber nach dem Erlaß vom Jahre 1961, sondern der § 29 des Wehrpflichtgesetzes schafft diese Möglichkeit: eine Bestimmung, die vorsieht, daß ein Wehrpflichtiger auf seinen Antrag entlassen werden kann, wenn dies aus häuslichen, beruflichen oder persönlichen Gründen erforderlich scheint. Ich möchte meinen — und in dieser Hinsicht sind Erklärungen von der Bundesregierung im Ausschuß abge-
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Bendageben worden —, daß von dieser gesetzlichen Möglichkeit in geeigneten Fällen Gebrauch gemacht werden wird. Ich würde allerdings sagen, daß aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung nur derjenige von dieser Möglichkeit Gebrauch machen kann, bei dem eben ein zusätzliches besonderes Opfer da ist, damit wir nämlich nicht das Ergebnis haben, daß nicht derjenige nachher besser gestellt wird, der willig das Opfer auf sich nimmt, das einem ganz großen Personenkreis zugemutet wird, sondern derjenige, der sich dagegen beschwert und protestiert. Das ist nicht der Sinn der gesetzlichen Regelung, und das sollte auch nicht der Sinn eines praktischen Verfahrens sein.Ich kann nur abschließen, meine Damen und Herren, mit dem, was Ihr Kollege Merten im Ausschuß nach einer eingehenden Beratung bereits gesagt hat, daß .es — ich zitiere den Kollegen Merten — nach den sehr befriedigenden Erklärungen, die die Vertreter des Verteidigungsministeriums in bezug auf das Entgegenkommen in besonderen Fällen für die fragliche Gruppe abgegeben haben, ihm fraglich erscheine, ob eine weitere Diskussion über diesen Punkt sinnvoll sei. Ich möchte meinen, eine weitere Diskussion über diesen Punkt ist nicht sinnvoll, und ich möchte Sie bitten, den Antrag der SPD abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Merten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten diesen Antrag bereits im Ausschuß gestellt und haben ihn im Ausschuß zurückstellen lassen unter dem Vorbehalt, ihn hier zu wiederholen. Wir haben dann, genauso wie Sie das auch gemacht haben, in den dafür zuständigen Gremien der Fraktion über die Dinge gesprochen. Dort sind Gesichtspunkte zur Geltung gekommen, die im Ausschuß gar nicht erwähnt worden sind. Es ist bei uns nicht so, Herr Kollege Benda, daß man, wenn man nun einmal im Ausschuß abgestimmt hat, ,dann bis an sein Lebensende an diese Geschichte gebunden wäre, sondern es kann ja auch hinterher einer kommen, der einen von anderen Gesichtspunkten her eines Besseren belehrt, und dann muß man bereit sein, das zuzugeben.
Es ist kein Rechtsproblem, worum es hier geht, sondern ein moralisches Problem gegenüber den Wehrpflichtigen, die zu einer Zeit eingezogen worden sind, als weder von 15 noch von 18 Monaten die Rede war, und 'die sich entsprechend eingerichtet haben. Wir sind der Meinung, daß es bei denjenigen, die zu einer Zeit eingezogen worden sind, in der man das schon übersehen konnte, bei ,der Regelung des Gesetzes bleiben soll. Es geht um eine Differenz von drei Monaten, bei der wir verschiedener Auffassung sind; mehr sind es nicht. Diese drei Monate sind für die Einsatzfähigkeit und die Schlagkraft der Bundeswehr nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Sie sind auch nicht von ausschlaggebender Bedeutung für unsere Glaubwürdigkeit gegenüber den Verbündeten. Auch sie 'müssen einsehen, daß man gewisse Rücksichten auf die
Wehrpflichtigen zu nehmen hat und gegen den Grundsatz von Treu und Glauben — ich darf ihn hier einmal nicht rechtlich, sondern moralisch auffassen — nicht verstoßen soll.
Hier ist bereits ausgeführt worden, daß die rückwirkende Kraft des Gesetzes rechtlich geprüft und klar ist. Ich habe auch in meinem Bericht sehr eingehend dargelegt, daß in dieser Beziehung keine Bedenken bestehen. Aber wir können hier nicht nur nach rechtlichen Gesichtspunkten verfahren. Wir dürfen bei den jungen Leuten, die dem Staat, dem sie dienen, Opfer bringen, nicht das Gefühl aufkommen lassen, daß mit ihnen in irgendeiner Form gespielt und ihren berechtigten Anliegen nicht Rechnung getragen wird.
Aus den Gründen, die mein Kollege Pöhler und ich dargelegt haben, möchte ich Sie noch einmal bitten, unserem Änderungsantrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schultz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man sollte hier nicht den Eindruck aufkommen lassen, als ob wir in den Beratungen leichtfertig über die persönlichen Nöte und Schwierigkeiten einzelner Wehrpflichtiger hätten hinweggehen wollen. Aber ,das war wohl auch nicht die Absicht des Herrn Kollegen Merten.
Es muß jedoch entscheidender Wert auf die verteidigungspolitischen Aspekte und auf die Gewährleistung der Einsatzfälligkeit der Bundeswehr gelegt werden. Dieser Gesichtspunkt ist wesentlich bestimmend für die Regelung gewesen, zu der wir im Ausschuß gekommen sind. Die Personaldecke der Bundeswehr ist so knapp, daß die weiteren Aufstellungen, zu denen wir auf Grund des NATO-Bündnisses verpflichtet sind, in Frage gestellt werden. Deshalb werden wir nicht darum herumkommen, die vielleicht unangenehme, aber immerhin notwendige Maßnahme zu treffen. Die verteidigungspolitischen Aspekte erscheinen mir noch wichtiger als die juristischen, von denen Kollege Benda gesprochen hat. Zumindest sind sie gleichgewichtig. Aus diesem Grunde muß ich namens meiner Freunde erklären, daß wir dem Antrag nicht zustimmen können.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Meine Damen und Herren, es ist 'bereits nach 13 Uhr; wir müssen also die Entscheidung über den Antrag zurückstellen.
Wir kommen zu Art. 2 § 1. Dazu liegt ein Änderungsantrag der SPD Umdruck 23 vor. — Zur Begründung der Abgeordnete Merten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Frage der Änderung der Wehrsold-tabelle möchte ich zunächst einmal auf das verweisen, was mein Kollege Pöhler soeben gesagt hat.
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498 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
MertenDiese Begründung gilt zum großen Teil auch bei dem Problem, mit dem wir es jetzt zu tun haben.Durch das Gesetz, das .die Grundwehrpflicht auf 18 Monate verlängert, wird ein Zustand verschlimmert, den wir schon in der Vergangenheit haben beklagen müssen. Nur ein Teil der gemusterten und als tauglich befundenen Wehrpflichtigen konnte eingezogen werden, weil die Bundeswehr aus vielen Gründen — der Minister hat sie in seiner Rede anläßlich der ersten Lesung dargelegt — im Rahmen der NATO eine bestimmte Stärke haben soll. Das ergibt sich aus ,den Bündnisverpflichtungen und hängt mit der Unterkunft, der Ausbildung, den Waffen und vielen anderen Dingen zusammen. Es ergibt sich zwingend, daß wir eine gewisse Stärke nicht überschreiten können. Der Prozentsatz derer, die dann eingezogen werden, schwankt. Er beträgt, soweit ich das übersehe, in diesem Jahr rund 60 bis 65 0/o. Diese werden eingezogen, die anderen werden nicht eingezogen.Nun haben diese jungen Männer, die durch Auslosung oder wegen ihrer Berufszugehörigkeit eingezogen werden, doch zum Teil das Gefühl, daß sie gegenüber den nichteingezogenen Kameraden in ganz besonderer Weise belastet werden und daß sie Opfer an Zeit, Ausbildungsmöglichkeit und Geld bringen müssen, die die anderen nicht zu bringen brauchen. Ganz gewiß gilt das Wehrpflichtgesetz für alle, aber es wirkt sich nur bei den Eingezogenen aus, von denen Opfer verlangt werden, während die anderen eben nicht betroffen werden.Nach der Verlängerung des Grundwehrdienstes von 12 auf 18 Monate wird nun der Unterschied noch krasser, als das bisher der Fall war. Die Zahl der Einberufenen wird etwas kleiner, aber das zugemutete Opfer wird größer.Wir haben sehr viele Eingaben zu diesem Gesetz bekommen, sowohl die einzelnen Abgeordneten als auch das Parlament als solches. Aus dem allergrößten Teil der Eingaben weiß ich, daß gerade hier der Kernpunkt der Kritik an diesem Gesetz gelegen hat und auch heute noch liegt. Ich halte diese Kritik für vollauf berechtigt, und es ist die Pflicht des Gesetzgebers, hier nach Möglichkeit einen Ausgleich zu schaffen.Hinsichtlich des Opfers an Zeit oder Ausbildungsmöglichkeit oder der Verzögerung des beruflichen Fortkommens werden wir kaum sehr viel helfen können. Aber im Falle der finanziellen Einbußen besteht durchaus ,die Möglichkeit, einen Ausgleich zu gewähren. Hier also muß zum Ausdruck kommen, daß der Gesetzgeber das Problem in seiner ganzen Größe erkannt hat und gewillt ist, aus der berechtigten Kritik die Folgerungen zu ziehen und dieser Kritik Rechnung zu tragen.Wir haben zwei 'Möglichkeiten, hier zu helfen. Ich meine, daß man beide ausnutzen sollte. Ich will hier von der ersten Möglichkeit sprechen, nämlich der Anhebung des Wehrsoldes. Wir beantragen, den Wehrsold linear um weitere 10 % gegenüber dem Stand vom Jahre 1957 zu erhöhen. Wir haben ihn im dritten Bundestag bereits einmal um 15 % erhöht, und wir kämen damit zusammen jetzt auf 25 %. Das bedeutet, daß die hier in Frage kommenden Dienstgrade — es sind ja nur die ersten drei — statt bisher 2,30 bis 3,20 DM in Zukunft 2,50 bis 3,50 DM täglich erhalten sollen. Das sind monatliche Mehrbeträge von 6 bis 9 DM.Man wird mir vielleicht entgegenhalten, daß das eine verhältnismäßig geringer Betrag sei. Aber Sie müssen diese Maßnahme im Zusammenhang mit der ebenfalls von uns beantragten Erhöhung des Entlassungsgeldes sehen. Beides zusammen gibt erst das richtige Bild.Der Haushalt wird durch die Annahme dieses Antrags mit etwa 13 Millionen DM belastet. Die Beratung des Haushalts liegt ja noch vor uns. Er wird erst in den nächsten Wochen beraten. Es dürfte sicher nicht schwerfallen — wenn man den Haushalt kennt —, diesen Mehrbetrag unterzubringen.Ich glaube, man sollte nicht mit dem Argument kommen, daß hier eine Neuregelung der Beamtenbesoldung oder ähnliches vorweggenommen werde oder daß diese geringfügige Mehrbelastung in den Haushalt nicht eingeplant werden könne. Ich halte beide Argumente für sachlich einfach nicht richtig. Wir müssen uns bemühen, in der Gesetzgebung gerecht zu sein. Wir müssen uns bemühen, für die Menschen, die uns anvertraut sind, so gerecht wie nur irgend möglich zu sorgen.Diese beiden Gesichtspunkte sollten uns zwingen, hier zu handeln. Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Leicht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Merten, ich darf voraussetzen, daß wir alle gerecht handeln wollen. Sie haben von zwei Möglichkeiten gesprochen. Sie sprachen von der Erhöhung des Wehrsoldes und haben gleich angedeutet, daß ein zweiter Antrag von Ihnen kommen wird: Erhöhung des Entlassungsgeldes. Man muß grundsätzlich etwas vorausschicken, und zwar gilt das für beide Anträge, so daß man es sich nachher ersparen kann, es nochmals zu wiederholen: Der aus der Wehrpflicht folgende Wehrdienst ist seiner Natur nach eine Belastung des Staatsbürgers in Erfüllung seiner staatsbürgerlichen Pflichten, die wie jeder Ehrendienst grundsätzlich nicht durch Geld ausgeglichen werden kann. Es ist zuzugeben, was von Ihnen und vom Kollegen Pöhler gesagt worden ist: durch die nicht volle Ausschöpfung der wehrpflichtigen Jahrgänge wird eine ungleichmäßige Behandlung der zum Wehrdienst an sich Heranstehenden verursacht. Damit verbunden ist auch eine gewisse materielle Ungerechtigkeit, die nicht zu bestreiten ist. Wir kennen diese Tatbestände. Aber die ungleiche Behandlung kann, wie alle bisherigen Erfahrungen gezeigt haben, nicht durch Geld ausgeglichen werden, weder dergestalt, daß die nicht zur Erfüllung der Wehrpflicht Herangezogenen einen Ausgleich in Form einer Wehrsteuer oder Wehrabgabe zahlen, noch
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Leichtdadurch, daß den Dienenden ein Entgelt gezahlt wird, das den wirtschaftlichen Nachteil voll ausgleicht. Durch beides kann der durch die Ableistung des Wehrdienstes entstehende wirtschaftliche Nachteil nicht voll ausgeglichen werden. Wir wissen auch, daß zur Zeit die geburtenstarken Jahrgänge zum Wehrdienst heranstehen — darüber ist ja auch in dem zuständigen Ausschuß lange gesprochen worden —, so daß nur ein Teil der erfaßten und tauglichen Wehrpflichtigen einberufen wird. Die Situation wird sich aber von 1965 ab ändern.Nun zu der haushaltsmäßigen Seite der beiden Anträge! Herr Kollege Merten, ich würde es mir nicht so einfach machen wie Sie. Selbstverständlich kann man sagen, daß die zusätzlichen 12,5 oder 13 Millionen DM, die durch die von Ihnen vorgeschlagene Erhöhung des Wehrsoldes auf den Haushalt zukommen würden, keine Rolle spielten. Sie müssen aber berücksichtigen, daß durch Ihren zweiten Antrag weitere 25 bis 30 Millionen DM hinzukommen und daß unter Umständen noch ,weitere Anträge gestellt werden, wenn auch nicht heute, so doch im Laufe der Zeit. Die Beträge summieren sich also, und aus den 12,5 und 13 Millionen DM werden 40 und mehr Millionen DM.Zu bedenken ist auch, daß der Verteidigungshaushalt — davon sind Sie unterrichtet — schon im Zuge der Verhandlungen bei der Etataufstellung um 600 Millionen DM gekürzt worden ist. Wenn man dann noch berücksichtigt, daß sich der Anteil der festliegenden fortlaufenden Ausgaben von rund 31 % im Jahre 1958 bis jetzt auf 44,6 % erhöht hat, dann erkennt man, daß der Spielraum Hit die Erfüllung der eigentlichen Aufgabe, nämlich eine schlagkräftige modern ausgerüstete Bundeswehr zu haben, sehr eng geworden ist. Man sollte also nicht sagen, daß die Summe von 13 Millionen DM für den Haushalt keine Rolle spielen würde.Nun zu dem Antrag selber! Herr Kollege Merten, die Erhöhung ist nach der Meinung der Kollegen meiner Fraktion im Augenblick nicht gerechtfertigt. Wie Sie selbst gesagt haben, ist der Wehrsold zuletzt mit Wirkung vom 1. September 1961 um 15 % angehoben worden. Zu einer erneuten Erhöhung besteht, da sich die für die Bemessung maßgebenden Verhältnisse in der Zeit seit dem 1. September nicht geändert haben, keine Veranlassung.Im übrigen ist noch ein Argument anzuführen, von dem Sie allerdings im vorhinein gesagt haben, es bestehe kein Grund, deswegen die Wehrsolderhöhung zu verschieben. Es ist doch zu erwarten — ich drücke mich sehr vorsichtig aus —, daß allgemein bei den Dienstkräften im öffentlichen Bereich unter Umständen eine Neufestsetzung der Bezüge erfolgt. Will man dann in diesem Zusammenhang auch die Abfindung der Wehrsoldempfänger unter janz gewissen Vorschlägen und Erwägungen verbessern, so kann ich für meine Fraktion erklären, faß man sich diesen Gedankengängen nicht verschließen, zumindest aber die Sache eingehend prüfen wird. Bei einer Erhöhung des Wehrsoldes, wie sie von Ihnen beantragt ist, würden sich gegenüber der Regierungsvorlage — dies hat der Herr Kollege Mertens schon gesagt — Erhöhungen von etwa 13 Millionen DM ergeben, Beim Entlassungsgeld würde es etwa eine Summe von 30 Millionen DM ausmachen. Ich habe schon auf die Auswirkungen, die diese Tatsache im Haushalt nicht nur im Augenblick, sondern insgesamt gesehen, haben kann, hingewiesen. Man muß auch darauf hinweisen, daß über die Erhöhung des Wehrsoldes um 15 % im vergangenen Jahr hinaus auch noch andere Verbesserungen vorgenommen worden sind. Ich erinnere z. B. an das Unterhaltssicherungsgesetz, das sicherlich eine bessere Regelung gebracht hat. Die Entscheidung über die Höhe des Wehrsoldes ist über den Bereich der Bundeswehr hinaus — und diesen Gesichtspunkt sollte man nicht ganz vergessen — von erheblicher Bedeutung oder kann es zumindest werden. Nach dem Wehrsoldgesetz soll nämlich insbesondere auch abgefunden werden, wer nach dem Notdienstgesetz zu einem langfristigen Hilfsdienst herangezogen wird. Soweit beabsichtigt ist — das ergeben auch die Entschließungsanträge; ich habe es zumindest aus dem Entschließungsantrag der SPD auf Umdruck 28 herausgelesen —, die nicht zur Bundeswehr einberufenen Wehrpflichtigen für Aufgaben der zivilen Landesverteidigung heranzuziehen, würde sich ein Ausgleich ergeben einmal in der Richtung — von der vorhin gesprochen worden ist — der Ungerechtigkeit im Einberufungsverfahren; darüber hinaus würde die Frage des Soldes zu berücksichtigen sein. Wenn nämlich jetzt der Sold erhöht wird, müssen unter Berücksichtigung dieses Gedankenganges — den ich mir erlaubt habe anzusprechen — auch die Zahlungen für die im zivilen Bevölkerungsschutz, in der zivilen Verteidigung Verpflichteten entsprechend angesetzt werden, was dann allerdings eine erhebliche Ausweitung des Bundeshaushaltes bedeuten würde. Ich meine also, meine Damen und Herren, man sollte aus allen diesen Gründen den Antrag der Fraktion der SPD ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Merten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur eine kurze Bemerkung machen. Herr Kollege Leicht, Sie wissen genauso gut wie ich, daß der Wehrsold nicht das geringste mit einer Neufestsetzung der Bezüge im öffentlichen Dienst zu tun hat. Das ist ein völlig anderes Gesetz und nicht vergleichbar. Ich habe Sie vorhin schon gewarnt: Kommen Sie nicht damit, denn das hat mit der Sache nichts zu tun. Was die von uns gestellten Anträge über den Bundesgrenzschutz, die Polizei und den zivilen Bevölkerungsschutz anbetrifft, so wird das zum Teil auf den Bundeshaushalt zukommen, zum Teil aber auch auf die Haushalte der Länder. Auf jeden Fall ist es ganz klar: wen auch immer wir dort einziehen, für den gilt das gleiche, was ich vorhin für die Wehrpflichtigen ausgeführt habe. Aber all das wäre mir gar nicht so wichtig, wenn ich nicht das Gefühl hätte, daß hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Herr Kollege Leicht, wenn Sie die Rede, die Sie soeben wegen der 40 Millionen gehalten haben, gehalten hätten, als der Leertitel
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Mertenfür die Unkosten des verunglückten Fernsehexperiments eingeführt wurde, würde ich sagen: Herr Kollege, wir müssen über die Dinge reden. Aber da ging es sehr schnell, und es wurde nicht gefragt, ob es 40, 80 oder 120 Millionen kostet. Jetzt aber, wo es darum geht, Hunderttausenden von Menschen ein gewisses Gefühl dafür zu geben, daß der Staat daran denkt, daß sie ein besonderes Opfer zu bringen haben, wird wegen dieses Betrages der Bundeshaushalt „aus den Angeln gehoben." Man darf hier nicht einmal so und einmal so reden. Wenn im Falle des Fernsehens Geld in einer Höhe, die wir noch gar nicht übersehen können, übrig ist, sollten wir es erst recht in den Haushalt einsetzen, wenn es um die Wehrpflichtigen geht.
Das Wort wird nicht mehr begehrt. Ich stelle den Antrag zurück.
Ich rufe Ziffern 1 und 2 auf. — Das Wort wird nicht begehrt; die Abstimmung wird zurückgestellt.
Ich rufe Ziffer 3 und den Umdruck 24 auf und erteile dem Abgeordneten Berkhan das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach den Ausführungen des Kollegen Leicht habe ich wenig Hoffnung, daß ich bei Ihnen mit dem Antrag, den ich hier für meine Fraktion zu vertreten habe, auf Gegenliebe stoßen werde; es handelt sich um das Entlassungsgeld.) Vielleicht darf ich Ihnen aber, Herr Leicht, vorweg auf eine Bemerkung antworten, die Sie gemacht haben. Sie sprachen von dem Vorschlag, eventuell diejenigen, die bei dieser Lotterie entweder eine Niete oder einen Gewinn gezogen haben, ich meine, die bei dieser Lotterie nicht zum Wehrdienst herangezogen werden, mit einer Wehrsteuer zu belasten. Ich habe das auch in der Zeitung gelesen; aber ich möchte hier, um keine falsche Meinung aufkommen zu lassen, feststellen, daß die Sozialdemokraten diesen Vorschlag nie gemacht haben und daß er auch nicht unserer Auffassung entspricht. Unsere Auffassung war hingegen — und meine ist es heute noch —, daß eine Wehrsteuer alle Menschen unseres Volkes nach ihrem Vermögen und Einkommen heranzieht zu den Kosten, die die Landesverteidigung nun einmal verursacht, daß wir die Kosten also nicht aus dem allgemeinen Haushalt decken, sondern daß wir eine Wehrsteuer nach Leistungen einführen müssen. Das wäre keine schlechte Sache, und vielleicht können wir einmal bei anderer Gelegenheit darüber sprechen, Herr Dr. Leicht.
— Entschuldigen Sie, aber in diesem Hause sind die Kollegen ohne Doktor so knapp — ich gehöre auch zu ihnen —, daß man vorsichtshalber jeden mit „Herr Doktor" anredet; ich bitte also um Entschuldigung, die Sache mit dem Doktor war nicht bös gemeint. —Ehrendienst, Herr Kollege, kann sicher nicht mit Geld abgefunden werden, und ungleiche Behandlung kann sicher auch nicht mit Geld ausgeglichen werden. Verfallen Sie aber bitte nicht in den entgegengesetzten Fehler, anzunehmen, Ehrendienst sei eine Sache, die überhaupt nichts mit Geld zu tun habe; denn in der Zeit, in der unsere Soldaten Ehrendienst leisten, verdienen die andern gar nicht so schlecht. Wir sind glücklich darüber, daß es Leute gibt, die nicht so schlecht verdienen. Diese können sich nun Monat für Monat, wenn sie fleißig und sparsam sind und wenn sie haushalten können, etwas zurücklegen.Nehmen Sie nun einmal den Umdruck 24 zur Hand. Sie werden feststellen, welches die Vorstellungen der Sozialdemokraten sind. Meine Vorstellungen bewegten sich in einer ganz anderen Größenordnung als das, was wir hier beantragt haben; aber, Herr Benda — Sie gucken mich so fragend an —, in der Fraktion muß man ja auch miteinander reden, da muß man auch mal etwas zurückstellen können. Wenn man die Größenordnungen der Regierungsvorlage mit der Summe vergleicht, die vielleicht ein junger Facharbeiter oder ein junger Angestellter in den 18 Monaten spart, so erkennt man: das ist nicht gerecht.Ich darf nur ein Beispiel herausgreifen. Ein Grenadier soll nach einem 18monatigen Wehrdienst ein Entlassungsgeld von 360 DM erhalten. Ich meine einen Grenadier, der nicht den § 5 des Unterhaltssicherungsgesetzes in Anspruch genommen hat. Dieser Mann bekäme also nach 18 Monaten — habe ich richtig gerechnet? — so viel, als wenn er pro Monat 20 DM gespart hätte. Nun, 20 Mark sind eine Summe, die mancher junge Mann heute im Monat erübrigen kann.Was hat das Entlassungsgeld denn eigentlich für einen Sinn? Das Entlassungsgeld soll dem Soldaten den Übergang in den zivilen Sektor, in das bürgerliche, in das berufliche Leben erleichtern. Die Regierung, meine Damen und Herren, will dem entlassenen Grenadier nur 180 DM an die Hand geben. Für 180 DM kann sich ein junger Mann heute nicht einmal mehr voll einkleiden. Er kann dafür nicht einen Satz Unterwäsche, ein Oberhemd, einen Schlips, einen Anzug, ein Paar Schuhe und ein Paar Socken kaufen. Das kann er noch nicht einmal mit der Summe von 360 DM, die wir hier angegeben haben.Ich weiß natürlich, daß das Geld kostet, Herr Leicht. Aber Landesverteidigung kostet halt Geld. Als wir über ein ganz anderes Programm sprachen und als ich im Ausschuß einmal sagte: Ich möchte ganz gerne einmal wissen, was das kostet, sagte man: Das können wir noch nicht feststellen; wir müssen nach anderen Gesichtspunkten rechnen. Da ging es gleich um eine Größenordnung von Milliarden. Ich habe daraufhin sogar zugestimmt. Ich bitte Sie recht herzlich, auch hier einmal zu überlegen, ob es nicht gerechtfertigt ist, daß wir der jungen Mannschaft, die den Ehrendienst geleistet und die die Verlängerung so gutwillig hingenommen hat, ich will nicht sagen, ein entsprechendes Entgelt, aber ein anständiges Entlassungsgeld in die Hand geben. Man müßte dafür Verfahren wählen, durch die die Verwaltung möglichst wenig belastet wird, und eine bargeldlose Auszahlung auf ein Heimatkonto vornehmen; das ist für mich ganz
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Berkhanselbstverständilch. Das ist eine Frage der Verwaltung. Dabei darf ich vielleicht bemerken, daß es in dem einen oder anderen Einzelfall vielleicht auch ganz gut ist, wenn der Betrag bargeldlos zu Hause gezahlt wird. Zu Hause gibt es noch Eltern, da gibt es die Braut oder die Freundin, die auf dieses Geld aufpassen, und es wird dann in einer vernünftigen Weise verwendet.Ich sage Ihnen also ganz offen: ich wäre für die Festsetzung eines höheren Betrages gewesen. Ich habe mich jedoch davon überzeugen lassen, daß wir dann — etwa bei 1000 DM — bei Ihnen auf gar keine Gegenliebe gestoßen wären. Nunmehr haben wir eine Größenordnung gewählt, die Mehrausgaben von etwa 25 bis 30 Millionen DM im Jahr verursacht. Sie haben diese Zahl vorhin selbst genannt. Das hört sich sehr gewaltig an, ist aber nicht so viel, als daß wir es nicht aufbringen könnten. Ich kann Sie also nur mit den Worten meines Kollegen im Verteidigungsausschuß und hier im Hause, mit den Worten des Herrn Kollegen Bausch, die dieser hier ins Mikrophon gesprochen hat, ermahnen oder bitten: Machen Sie herzhaften Gebrauch von der Freiheit in der Abstimmung und stimmen Sie der Erhöhung des Entlassungsgeldes zu!
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gehöre zu den Kollegen meiner Fraktion, die unzufrieden mit dem Vorschlag waren, den der Herr Kollege Berkhan soeben, nach meiner Meinung außerordentlich — auch für einen weit höheren Betrag — überzeugend begründet hat. Aber die Kollegen haben den anderen Mitgliedern unserer Fraktion, die der gleichen Meinung waren wie ich, und mir gesagt: Wir fürchten, daß wir selbst mit diesem Antrag bei der CDU/CSU noch nicht einmal auf Gegenliebe stoßen; die Herren sind sehr hartleibig, wenn es um die Wehrpflichtigen, wenn es um den Wehrsold und das Entlassungsgeld für die Wehrpflichtigen geht. Ich hatte im letzten Jahr ja selbst Gelegenheit, Ihre Hartleibigkeit kennenzulernen. Wir hatten uns damals im Innenausschuß auf eine Erhöhung des Wehrsoldes auf 2,50 DM geeinigt, und Sie haben diesen Betrag doch wirklich noch um 20 Pf heruntergehandelt.Ich habe nun mit vielen Leuten gesprochen. Ich habe mich mit den jungen Menschen draußen unterhalten und mit ihnen auch über ihren Verdienstaus- fall gesprochen. Ich habe hier aus der Gemeinde Büttelbau in meinem Wahlkreis Lohn- und Gehaltsabrechnungen eines Maurers, eines Werkzeugmachers, eines Betriebsschlossers und eines kaufmännischen Angestellten. Das muß man sich einmal durchsehen. Was die Einberufung für 18 Monate für Menschen, die nach Ableistung dieser Wehrpflicht sehr oft heiraten, bedeutet, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. In der Fraktion habe ich gemeint, wir könnten vielleicht den Herrn Familienminister gewinnen. Aber da ist mir gesagt worden: Wenn solche Abstimmungen im Bundestag sind, dann macht der lieber Reisen im Land und redet draußen über Familienpolitik, statt hier etwas zu tun. Daraufhin habe ich also auch diese Hoffnung aufgegeben.Wenn es darum geht, daß jemand Sachen für die Verteidigung zur Verfügung stellen soll, strapazieren Sie, meine Damen und Herren, den Art. 14 des Grundgesetzes sehr. Ich will gar nicht darüber reden, wie sehr dann, wenn es um die Entschädigung von Sachleistungen geht, gerade aus Ihrer Fraktion bis in Extreme darauf geachtet wird, daß um Gottes willen niemand auch nur einen Pfennig zuviel opfert. Diese jungen Leute opfern etwas, was für sie das Wichtigste ist; denn es ist doch so, daß die Lohn- und Gehaltsempfänger am schwersten betroffen sind und nicht die Vermögensbesitzer. Daran besteht doch gar kein Zweifel. Die Lohn- und Gehaltsempfänger müssen hier nämlich ein entscheidendes Opfer leisten. Einer der jungen Leute hat gesagt: Na, da gilt derselbe Satz, den die Soldaten schon im letzten Weltkrieg gebraucht haben: „Der Dank des Vaterlandes läuft uns nach, er wird uns nie erreichen". Ich habe gesagt: ich werde das hier vortragen und hoffe, daß die CDU/CSU etwas Einsicht hat und daß sie wenigstens unserem Minimalantrag zustimmt.Meine Damen und Herren, ich möchte Sie deshalb bitten, wenigstens diesen Minimalantrag anzunehmen und sich vielleicht doch noch einmal in Ihrer Fraktion in Ruhe darüber zu unterhalten, wie man diesen jungen Menschen, die nachher vor der Familiengründung stehen, in bezug auf ihren Verdienstausfall mehr entgegenkommen kann.Vergessen Sie dabei eines nicht: in der Großstadt ist das oft noch nicht so schlimm, wohl aber auf dem Lande, wo die Leute sich alle kennen und wo der einzelne weiß, welche Nachteile er hat und daß der andere besser wegkommt. Das sollte man alles überlegen. Man sollte den Menschen die Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten auch nicht zu schwer machen.Herr Kollege Berkhan hat schon über die Frage der Deckung gesprochen. Machen wir uns doch nichts vor: wenn man etwas politisch will, ist man auch in der Lage, die notwendige Deckung zu schaffen. Das haben Sie bei anderen Gelegenheiten auch bewiesen. Ob das der Moselkanal war oder die Aufstockung des Grünen Plans oder zahlreiche andere Maßnahmen, Ihr Finanzminister hat das mit Ihrer Hilfe immer geschafft. Meinen Sie wirklich, bei den 25 Millionen würden Sie es nicht schaffen? Meine Damen und Herren, glauben Sie mir, das nimmt Ihnen draußen so leicht niemand ab.Nachdem wir uns hier entschlossen haben — ich habe mich schweren Herzens dazu entschlossen —, keinen weitergehenden Antrag einzubringen, möchte ich Sie herzlich bitten, daß Sie dafür sorgen, daß wir nach Hause gehen und sagen können: das Minimum, was hier beantragt worden ist, ist von Ihnen bewilligt worden. Ich danke Ihnen schon jetzt dafür.
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502 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Das Wort hat der Abgeordnete Leicht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schmitt, ich bedauere, daß dieser Dank
zu früh gekommen ist.
Ich darf nur der Klarheit halber, Herr Kollege Berkhan, etwas feststellen. Sie haben die Frage der Wehrsteuer angesprochen. Auch ich will diese Wehrsteuer nicht. Ich habe mir nur erlaubt, darauf hinzuweisen, daß wir vom Wehrpflichtgedanken ausgehen müssen und daß es dann nicht möglich ist, es sei denn, man tut das, um gewisse Ausgleiche zu schaffen. Ich wollte also so verstanden werden. Sie sagten, daß wir Ihrem Antrag etwas Liebe entgegenbringen sollten. Ich glaube, wir dürfen sagen, wir bringen Ihrem Antrag Verständnis entgegen.
Wir alle legen in diesem Hause großen Wert darauf, daß diese Wehrpflichtnovelle heute verabschiedet wird. Die vielen Fragen und Probleme, die in den beiden sozialdemokratischen Anträgen stekken, machen es uns nicht möglich, heute eine Entscheidung zu treffen. Man sollte das also offenlassen. Wir wollen — ich glaube, ich bin befugt, das im Namen meiner Freunde zu sagen — über alle Ihre Anliegen sprechen und nach genauer Abwägung vielleicht auch dahin kommen, unter Umständen anders zu entscheiden.
Herr Kollege Schäfer, ich sehe, Sie melden sich zu Wort. Ich muß noch sagen, wir müßten uns nach § 96 der Geschäftsordnung des Bundestages — obwohl ich das nicht allzu tragisch nehme, das sage ich gleich vorweg — über die finanziellen Auswirkungen im Haushaltsausschuß nochmals unterhalten.
Nun speziell zur Frage des Entlassungsgeldes. Ich bin dankbar, Herr Kollege Berkhan, daß Sie anklingen ließen, das Entlassungsgeld könne nicht den Charakter einer Abfindung haben, sondern solle eine zeitliche Lücke schließen zwischen dem Zahlungstermin des im voraus gewährten Wehrsoldes und dem des Arbeitsentgeldes, dem Zeitpunkt also, in dem der Mann seine Arbeit im Zivilleben wieder übernommen hat. Wir sind im Augenblick mit der Bundesregierung der Meinung, daß die festgelegten Sätze für das Entlassungsgeld ausreichend sind. Das Entlassungsgeld soll, wie Sie richtig sagten, die Möglichkeit geben, daß nach der Entlassung das Notwendige geschehen kann. In der Regel ist die Übergangsfrist, wenigstens bei der heutigen wirtschaftlichen Situation, nicht allzulange.
Man sollte auch berücksichtigen — ich muß das nochmals erwähnen —, daß das Unterhaltssicherungsgesetz im Sommer vergangenen Jahres erheblich verbessert worden ist, so daß auch unter diesem Gesichtspunkt eine Erhöhung über das im Augenblick vorgesehene Maß hinaus nicht unbedingt erfolgen müßte. Bei der Bemessung ist auch zu berücksichtigen, daß die Zahlungen an die Soldaten auf Grund der Wehrpflicht geleistet werden. Es ist wohl wesentlich, daß ich auch darauf noch einmal hinweise. Eben unter dem Gesichtspunkt der Wehrpflicht kann schließlich das Entlassungsgeld nicht — das ist noch nicht angeklungen, davon sollte aber ruhig einmal gesprochen werden — mit den wesentlich höheren Beträgen verglichen werden, die jene Soldaten bei ihrem Ausscheiden erhalten, die sich freiwillig für eine längere Dienstzeit, also von zwei Jahren und mehr, verpflichtet haben. Damals sind — das wissen wir, und das ist im Verteidigungsausschuß bewußt dann auch in dieser Richtung ausgebaut worden — gewisse Gesichtspunkte der Werbung maßgebend dafür gewesen, hier erheblich höhere Beträge festzusetzen. Auch im Interesse der vor allen Dingen von Ihnen, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, angestrebten Gewinnung von längerdienenden Soldaten erscheint es geboten, das Entlassungsgeld erheblich niedriger zu halten als die Abfindungen, die für die freiwillig längerdienenden Soldaten gewährt werden.
Ich sage noch einmal: wir sind gern bereit, die Fragen, die Sie bewegen, zu überprüfen. Auf Grund der Tatsachen, die wir vor uns sehen, können wir uns aber heute nicht dazu entschließen, Ihrem Antrag zuzustimmen. Wir meinen, daß das, was in der Regierungsvorlage vorgesehen ist, ausreichend ist. Ich muß deshalb das Hohe Haus bitten, Ihren Antrag abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur einige Bemerkungen zur haushaltsmäßigen Behandlung. Wir haben noch keinen Haushalt 1962. Dieses Haus kennt noch nicht einmal den Entwurf des Haushaltsplans für 1962. Herr Kollege Leicht, Sie werden mit mir übereinstimmen, daß die Frage der Deckung nach § 96 nicht aufzuwerfen ist, weil gar kein Haushalt verabschiedet ist. Hier wird kein Gesetz mit höheren Ausgaben oder mit Mindereinnahmen verabschiedet. Deshalb braucht nicht nach § 96 geprüft zu werden, ob seine Deckung dafür vorhanden ist. Das Haus war nie so frei, über die haushaltsmäßige Behandlung zu entscheiden, wie es heute ist.
Herr Kollege Leicht, der Betrag hält sich in der Größenordnung von 26 Millionen DM. Auch von Ihnen ist sicher nicht zu bestreiten, daß bei einer Annahme unseres Antrages in diesem Haushaltsjahr nur Mehraufwendungen von 6 Millionen DM entständen, weil sich die Erhöhungen erst im nächsten Jahr in vollem Umfang auswirken würden.
6 Millionen DM in diesem Jahr für diese Maßnahme! Sie werden selbst sagen müssen, daß Sie die Ausführungen meines Freundes Schmitt-Vockenhausen nicht kurzerhand wegwischen können. Sie müßten sich wirklich sehr überlegen, ob Sie wegen dieser 6 Millionen DM mehr den Antrag ablehnen wollen. Niemand in diesem Hause wird den Mut
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 503
Dr. Schäferhaben, bei einem 15-Milliarden-Haushalt zu sagen, daß die 6 Millionen DM nicht zu verkraften seien. Ich darf nur an die wieder neu entstehenden Reste im Bausektor bei Kap. 1412 erinnern. Die 6 Millionen DM sind in diesen 15 Milliarden darin!Eine Zurücküberweisung an den Haushaltsausschuß ist auch dann nicht notwendig, wenn Sie Ihre Auffassung aufrechterhalten, daß § 96 anzuwenden sei; denn das Haus ist souverän und kann an Stelle des Haushaltsausschusses unmittelbar beschließen. Deshalb meine ich, daß auch von diesem Gesichtspunkt aus keine Hinderungsgründe bestehen dürften, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat des Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Dann hat das Wort der Abgeordnete Kreitmeyer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu den Bemerkungen des Kollegen Schäfer möchte ich nur folgendes zu bedenken geben. Herr Kollege Schäfer, wir sind eben leider nicht so frei in der Haushaltsgestaltung. Denn Sie wissen selbst, daß die Deckung der 1,7 Milliarden DM von Länderseite dubios ist.
Zweitens aber — und das ist das Entscheidende —: die wehrpolitische Schonzeit, die wir bisher gehabt haben, ist vorbei. Wenn Sie sich die Entschließungsanträge sowohl Ihrer Fraktion wie der Koalitionsfraktionen durchlesen, dann sehen Sie, daß wir Wert darauf legen, daß der Nachholbedarf für die territoriale Verteidigung, für den zivilen Bevölkerungsschutz, für die betreffenden unmittelbaren Einsatzorganisationen dieselbe Behandlung in genau derselben Wertigkeit erfahren soll wie der aktive Dienst in der Bundeswehr. Daraus ergeben sich die erheblichen finanziellen Weiterungen in Verbindung mit den Vorschlägen, die Sie jetzt hier machen.
Erlauben Sie uns deshalb, daß wir jetzt den Zusammenhang wiederherstellen und sagen: solange wir nicht übersehen, wie viel das im ganzen ausmachen wird — ich kann nicht prophezeien, Herr Kollege Schäfer; aber ich glaube nicht, daß die Personalstärken, die wir augenblicklich haben, das ganze Jahr über unverändert bleiben werden. Sie werden, glaube ich, mit uns darin übereinstimmen, daß wir ad hoc etwas schneller reagieren müssen, als es in der Vergangenheit auf den 13. August geschehen ist —, sehen wir uns nicht in der Lage, Ihren Wunsch, dessen grundsätzliche Berechtigung wir gar nicht in Abrede stellen wollen, jetzt zu erfüllen.
Das Wort hat der Abgeordnete Berkhan.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kreitmeyer, daß die Schonzeit vorbei ist, bedeutet doch hoffentlich nicht, daß zur wehrpolitischen Jagd geblasen werden soll.
Sie sagen, Herr Kollege Kreitmeyer, wir müssen schneller reagieren. Das ist auch die Auffassung der deutschen Sozialdemokratie — aber bitte politisch schneller reagieren!
Wir waren immer mit unserer Auffassung der FDP sehr nahe. Die Bundeswehr und das Westbündnis sollen uns ja die Möglichkeiten geben, überhaupt noch politisch zu reagieren.Aber, verehrter Herr Kollege Leicht, darf ich doch noch einmal das aufnehmen, was ich erst bewußt verschwiegen habe! Sie haben ,darauf angespielt, daß es doch auch Soldaten gibt, die wir Z-2-Soldaten — Soldaten auf Zeit, zwei Jahredienende Soldaten — nennen. Wenn man die Wehrpflicht von 12 Monaten auf 18 Monate verlängert, dann ist man auch verpflichtet, diese Relation einmal zu betrachten und zu bewerten. Ich darf Ihnen sagen, daß z. B. ein Unteroffizier, der sich für 24 Monate verpflichtet hat, ein Z-2-Soldat, schon einen Anspruch auf Übergangsgebührnisse von neun mal die halben Monatsbezüge hat, das sind rund gerechnet neun mal 160 DM. Das soll ihm den Übergang ins zivile Leben erleichtern — nach 24 Monaten! Sehen wir den Übergang ins zivile Leben als so schwierig an, daß wir dafür so viel Geld ausgeben müssen? Das sind ja nicht allein Werbungskosten, die wir da bezahlt haben, sondern das sind ja Hilfen für den Soldaten, wieder in seinen Beruf und sein ziviles Leben zurückzufinden.
Wenn Sie den Gedanken der Werbung so hoch honorieren, dann sollten Sie den freiwillig erfüllten Ehrendienst — denn die meisten Leute kommen ja doch recht freiwillig, um ihre Dienstpflicht abzuleisten — auch etwas honorieren. Herr Leicht, wir geben aber den Z-2-Soldaten eine Übergangsbeihilfe von 320 DM, und das ist schon genau 100 DM mehr, als wir den 18 Monate dienenden Soldaten zu geben bereit sind.Ich habe das alles einmal durchgerechnet. Ein Soldat, der sechs Monate länger dient, der sich also von sich aus verpflichtet, 24 Monate freiwillig zu dienen, erhält, wenn ich seine Besoldung und den Wehrsold der ersten 12 Monate mitrechne, rund 4000 DM mehr als derjenige, der der Dienstpflicht nachkommt. Und da meine ich, Herr Leicht, ist die Differenz zu hoch.Ich will mich ein den Streit der Haushaltsexperten — mein Kollege Schäfer und Herr Leicht und Herr Kreitmeyer sind ja im Haushaltsausschuß — nicht einmischen; ich möchte nur sagen: wenn wir nicht in der Lage sind, die Soldaten anständig zu besolden und ihnen nach Ableistung ihrer Wehrpflicht ein ordentliches Entlassungsgeld in die Hand zu geben, dann, muß ich sagen, sollten
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504 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Berkhanwir uns überlegen, ob wir überhaupt die Bundeswehr weiterhin in verteidigungsfähigem Stand halten können.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verhehle nicht, daß die Ausführungen der Herren von der SPD einen gewissen Eindruck .auf uns gemacht haben. Wir versuchen nur, nach einer gründlichen Prüfung eine Regelung zu finden. Darf ich Ihnen den Vorschlag machen, daß Sie diesen Antrag, den Sie als Änderungsantrag eingebracht haben, als selbständigen Antrag einbringen damit er dem Verteidigungsausschuß überwiesen und dort beraten werden kann? Ich darf Sie daran erinnern, daß wir ja einen Entschließungsantrag eingebracht haben, in dem auch weitere Punkte angesprochen werden. Ist es nicht zweckmäßig, daß wir die in unserem Entschließungsantrag angesprochenen Punkte in der Beratung auch mit Ihren Anregungen verbinden?
Vielleicht ist es möglich, daß wir auf diese Art und
Weise aus den Schwierigkeiten jetzt herauskommen.
Sowohl den Umdruck 23 wie den Umdruck 24?
Ich habe Sie leider hier oben nicht zur Hand.
Der eine betrifft den Wehrsold, der andere das Entlassungsgeld.
Einverstanden. Können wir uns dahin verständigen? — Ich danke schön!
Meine Damen und Herren, ich darf dann feststellen, daß die beiden Anträge — Umdruck 23, ,der ,den Wehrsold betrifft, und Umdruck 24, der das Entlassungsgeld betrifft — selbständige Anträge — zusammengefaßt in der Drucksache IV/216 —, eingebracht von der Fraktion der SPD, sind. Damit ist es möglich, sie anschließend, wie das gewünscht ist, zu überweisen.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Punkt liegen nicht vor. Die Abstimmung muß ich zurückstellen.
Ich rufe auf den § 2. Das Wort wird nicht gewünscht. Die Abstimmung wird zurückgestellt.
Ich rufe auf die Artikel III, IV, V, V a, VI, Einleitung und Überschrift. Das Wort wird nicht gewünscht. Die Abstimmungen werden zurückgestellt.
Meine Damen und Herren, da man sinnvollerweise eine dritte Beratung erst durchführen kann, wenn die zweite beendet ist, vor 1/23 Uhr aber nicht abgestimmt werden kann, unterbreche ich die Sitzung. Sie wird um 14.30 Uhr wieder aufgenommen.
Die Sitzung wird fortgesetzt.Wir sind bei der zweiten Lesung des von der Regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes. Wir holen die zurückgestellten Abstimmungen nach.Ich rufe auf in Art. I Nr. 8 den § 2 mit dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 21.Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 21 ab. Wer zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wir stimmen dann über § 2 in der Fassung der Vorlage ab. Wer zustimmt, gebe das Handzeichen.— Gegenprobe! — Enthaltungen? — § 2 ist angenommen.Ich rufe auf Art. II. Hierzu sind auf den Umdrucken 23 und 24 zwei Anträge der SPD gestellt. Beide Anträge sind bereits begründet. Es ist Einigung erzielt, daß beide Anträge der SPD auf den Umdrucken 23 und 24 als selbständige Anträge, in der Drucksache IV/216 zusammengefaßt, behandelt werden.Ich rufe deswegen zunächst den Antrag auf Umdruck 23 — Drucksache IV/216 Art. I Nr. 1 — auf. Es ist beantragt, ihn dem Verteidigungsausschuß als federführenden Ausschuß zu überweisen. Mitberatender Ausschuß ist der Ausschuß für Inneres.— Sie sind mit der Überweisung einverstanden.Dann Umdruck 24 — Drucksache IV/216 Art. I Nr. 2 —, der ebenfalls zu einem selbständigen Antrag gemacht worden ist. Auch hier handelt es sich um einen Antrag der Fraktion der SPD. Hier tritt nun folgende Frage auf: Nach der Vorlage der Regierung und dem Beschluß des Ausschusses würde Abs. 2 des § 8 geändert werden. Die Folge wäre dann, daß ein nochmaliges Änderungsgesetz auf Grund des als selbständigen Antrag überwiesenen Umdrucks 24 verabschiedet werden müßte. Darf ich Ihr Einverständnis annehmen, daß die Nr. 3 deswegen insgesamt zurückgestellt wird, daß wir heute über § 8 überhaupt nicht abstimmen? — Sie stimmen zu.Wir stimmen dann über § 1 Nrn. 1 und 2 ab. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.Sind wir darüber einig, daß die Abstimmung über Nr. 3 mit der Änderung des § 8 heute entfällt und mit dem Umdruck 24 mitbehandelt wird? Bestehen keine Bedenken? — Ich rufe auf den Umdruck 24, der also als selbständiger Antrag behandelt wird. Es besteht Einverständnis, daß auch dieser Antrag— federführend — dem Verteidigungsausschuß und— mitberatend — dem Innenausschuß überwiesen wird. Ich darf das feststellen.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 505
Vizepräsident Dr. DehlerIch rufe auf den § 2 des Art. II, — Art. III, — Art. IV, — Art. V, — V a — Art. VI, — Einleitung und Überschrift. Wer zustimmt, gebe Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so angenommen.Wir kommen dann zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz mit den Änderungen der zweiten Lesung zuzustimmen wünscht, möge sich vom Platze erheben. —Ich habe unterstellt, daß keine Aussprache bei der dritten Lesung gewünscht wird.
Dann bitte ich zurückzukehren. Ich eröffne diedritte Beratung.Bisher liegen keine Wortmeldungen vor. — Bitte, Kollege Dr. Kliesing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU wird dem vorliegenden Gesetzentwurf ihre Zustimmung geben. Wir tun das aus der Überzeugung, daß wir damit einen wichtigen Beitrag für die Erhaltung der Freiheit unseres Volkes leisten. Außerdem betrachten wir unsere Zustimmung zu diesem Gesetz als eine konsequente Fortsetzung der Verteidigungspolitik, die wir seit langen Jahren, d. h. seitdem verteidigungspolitische Themen in diesem Hause zur Erörterung anstanden, betrieben haben. ) Vor allem aber stellt sich uns der Inhalt dieser Wehrpflichtnovelle als eine notwendige Folgerung dar, die wir aus der Entwicklung der weltpolitischen Situation, besonders im Herzen Europas zu ziehen haben.Mit großer Befriedigung stellen wir dabei fest, daß der bisherige Verlauf der Beratungen uns hoffen läßt, daß dieses Wehrgesetz im Gegensatz zu anderen verteidigungspolitischen Gesetzen in den früheren Jahren in diesem Hohen Hause eine sehr breite Mehrheit finden wird. Wir begrüßen das, weil wir darin einen Faktor sehen, der geeignet ist, in der gegenwärtigen weltpolitischen Situation und Diskussion stabilisierend zu wirken. Außerdem scheint sich in der Tatsache, daß die Vorlage voraussichtlich eine so breite Mehrheit in diesem Hohen Hause finden wird, zu offenbaren, daß eine der Konsequenzen, zu denen die bisherige sowjetische Politik geführt hat, darin besteht, daß sie den demokratischen Kräften in unserem Lande, die nicht bereit sind, vor dem kommunistischen System zu kapitulieren, in diesen und anderen wichtigen Fragen keine echte Alternative zu der Politik der Bundesregierung offenläßt. Wir begrüßen daher das Ergebnis der Beratungen auch als ein Zeichen wachsender Geschlossenheit in der Auffassung des Hohen Hauses.Selbstverständlich sehen wir in der Verwirklichung der Gesetzesvorlage keineswegs einen Vorgang, der von irgendwelchen nationalen Ambitionen bewirkt wird oder solche auslösen wird. Im Gegenteil, wir sind der festen Überzeugung, daß dieses Gesetz, das eine effektive Steigerung der deutschen Verteidigungsleistung zum Inhalt hat, nur im engsten Zusammenhang mit der integrierenden Wirkung des NATO-Bündnisses gesehen werden kann und darf. Wir sind auch der Auffassung, ,daß eine Fortsetzung des politischen und militärischen Integrationsprozesses innerhalb der NATO eine wesentliche Voraussetzung für die Verstärkung des deutschen Verteidigungsbeitrages innerhalb der NATO ist, und wenden uns daher konsequenterweise gegen alle Tendenzen, die geeignet wären, diesen Integrationsprozeß zu hemmen oder gar zu verhindern. In irgendwelcher Blockbildung innerhalb der NATO würden wir eine Gefährdung des Bündnischarakters und damit eine Gefährdung unserer eigenen Sicherheit erblicken. Wir sind bereit, alle Maßnahmen der Bundesregierung, die der Förderung der Integration innerhalb der NATO dienen könen, wie bisher so auch weiterhin zu unterstützen.
Die Gesetzesvorlage erfordert zusätzliche Opfer von einem großen Teil der jungen Generation. Das sollte hier heute offen ausgesprochen werden. Zugleich sollte damit auch klargemacht werden, daß nur die gefahrvolle Situation, in der wir leben müssen, uns erlaubt, ein solches Opfer zu verlangen. Wir sind daher sehr dankbar dafür, daß die Diskussion in der Öffentlichkeit, insbesondere auch innerhalb der jungen Generation, in überwiegendem Maße in sehr sachlicher Form ausgetragen wurde und wird. Wir sind uns durchaus bewußt, daß das Generationsproblem in der heutigen Zeit in besonders scharfer Weise gestellt ist, und wissen, daß diese Tatsache ihre Ursache in der Vergangenheit hat. Um so mehr verdient die Sachlichkeit, mit der die junge Generation in unserem Lande an die Aufgaben herangeht, vor die sie durch die weltpolitische Situation gestellt wird, unseren besonderen Dank und unsere Anerkennung.
Weil dem so ist, müssen wir auch Verständnis dafür haben, daß sich eine Unvollkommenheit der Gesetzgebung, die auch durch diese Vorlage nicht ausgeräumt wird, besonders deutlich in das Bewußtsein unserer Jugend einprägt. Ich spreche damit die Tatsache an, daß wir aus politischen, militärischen und sonstigen wichtigen Gründen weder gewillt sind noch in der Lage wären, das zur Verfügung stehende Potential an Wehrpflichtigen in einem Grundwehrdienst von 18 Monaten voll und ganz auszuschöpfen. Hierbei drängt sich — das müssen wir anerkennen; dafür müssen wir Verständnis haben — in das Bewußtsein vieler junger Menschen die Frage, ob das noch mit den Grundsätzen der Gleichheit zu vereinbaren sei. Ich will mich in dieser Stunde nicht im einzelnen mit dieser Frage auseinandersetzen. Darüber ist bereits sehr viel gesagt und geschrieben worden.Wir sollten aber doch unser Möglichstes tun, hier einen Ausgleich zu schaffen oder zumindest den Gegensatz zwischen Eingezogenen und Nichteingezogenen, der ja durch die Verlängerung des Grundwehrdienstes noch verschärft wird, weitgehend zu mildern.
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506 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Dr. Kliesing
Diese Absicht verfolgt auch der Entschließungsantrag der Fraktionen der Regierungskoalition Umdruck 37, zu dem ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten der Einfachheit halber gleich einiges bemerken möchte. Ich bitte Sie, diesen Antrag dem Verteidigungsausschuß zu überweisen. Er sieht vor, daß vor allen Dingen die Wehrpflichtigen, die bisher nicht zur Ableistung des Grundwehrdienstes einberufen werden konnten, in größerer Zahl zum Aufbau der territorialen Verteidigung und zur Ausbildung im Sanitätsdienst heranzuziehen sind. Ich bin der Auffassung: je mehr wir uns dem Zeitpunkt nähern, wo die Aufstellung der 12 Divisionen vollendet sein wird, die wir der NATO zur Verfügung stellen, desto mehr müssen wir auf den Aufbau einer territorialen Verteidigung Wert legen.Das zweite, was wir vorsehen, ist, daß die Wehrpflichtigen, deren Verwendung bei der Bundeswehr nicht geplant ist, für den Bedarf der zivilen Landesverteidigung heranzuziehen sind. Wir schlagen vor, die Bundesregierung zu ersuchen, die notwendigen Gesetzentwürfe bis zum 1. Oktober dieses Jahres vorzulegen.Im dritten Abschnitt ersuchen wir um eine Milderung der Übergangsbestimmungen in der Praxis. Wir glauben, daß auch das Verteidigungsministerium bereits in den Ausschußberatungen hierfür sehr viel Verständnis gezeigt hat. .Schließlich bitten wir die Bundesregierung — und wir richten diese Bitte gleichzeitig an die Ständige Konferenz der Kultusminister —, noch einmal zu prüfen, welche Maßnahmen getroffen werden können, um angesichts des verlängerten Grundwehrdienstes eine unnötige Verzögerung des Studienbeginns zu verhindern, und vor allen Dingen auch dafür zu sorgen, daß sachdienliche Ausbildungen, die es in einer modernen technisierten Armee in Hülle und Fülle gibt, späterhin auf erforderliche Praktikantenzeiten angerechnet werden.Meine Damen und Herren, die Durchführung des vorliegenden Gesetzentwurfs bedeutet zweifellos eine Erhöhung des Ausbildungsstandes der Bundeswehr und damit eine Verstärkung unseres NATO-Verteidigungsbeitrages. Wir erachten das als notwendig und begrüßen diese Maßnahmen.Damit sich keine falschen Vorstellungen hieran anknüpfen, halte ich es für meine Pflicht, darauf hinzuweisen, daß damit nicht alle wichtigen Probleme, welche die notwendige Verstärkung der konventionellen Verteidigungskraft der NATO aufwirft, gelöst sind; denn zu dem Personalproblem tritt das Sachproblem hinzu. Ich will damit folgendes sagen: auch der beste Ausbildungsstand einer Truppe erzielt im Verteidigungsfall nicht die angestrebte Wirkung, wenn nicht dem Soldaten in genügender Menge und bester Qualität Waffen und Gerät zur Verfügung stehen und der Nachschub entsprechend gesichert ist. Das stellt die Verantwortlichen vor hohe Aufgaben auf dem Gebiet der Infrastruktur, der Logistik und nicht zuletzt der Standardisierung von Waffen und Gerät. Auch diese Fragen sind für das Leben und Überleben unseres Volkes im Verteidigungsfall, aber auch schon für die Erhaltung und Sicherung des Friedens von ganz entscheidender Bedeutung.Wir wissen, daß sich die Bundesregierung auf diesem Gebiet während der letzten Jahre im Rahmen der NATO außerordentliche Mühe gegeben hat, und unterstützen auch ferner gern diese Bemühungen. Wir wissen aber auch, daß es im Gesamtbereich der NATO in dieser Hinsicht sicherlich noch manche sehr bedenkliche Erscheinung gibt und daß zum mindesten hinsichtlich der notwendigen Standardisierung und der notwendigen Integration der Logistik noch manches unbefriedigend ist.Weil wir heute ein Gesetz verabschieden, das sich ausschließlich mit der Personallage der Bundeswehr befaßt, ist jetzt wohl nicht der geeignete Zeitpunkt, auf diese Probleme näher einzugehen. Aber ich würde es sehr begrüßen, wenn das Hohe Haus in absehbarer Zeit einmal Gelegenheit nähme, dieses so wichtige Problem in der ihm gebührenden Ausführlichkeit zu diskutieren, insbesondere da die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik bisher diesen Fragen leider nicht immer das notwendige Interesse entgegenbringt. Für heute möge der Hinweis genügen, daß Personalfragen und Sachfragen in dem angedeuteten Sinne unbedingt eng zusammengehören, wenn es um die Erhaltung von Frieden und Freiheit in unserem Lande geht.Lassen Sie mich abschließend noch eine Frage kurz berühren, die immer dann — und zwar mit Recht — im Vordergrund der Erörterungen gestanden hat, wenn es um den personellen Aufbau und Ausbau der Bundeswehr ging. Es ist die oft gestellte Frage nach dem Geist der Bundeswehr. Wir wissen, daß diese Frage schon Jahre hindurch sehr großes Interesse fand, ehe überhaupt der erste Soldat der Bundeswehr existierte. Wir wissen weiterhin, daß die Erfahrungen, die wir seither auf diesem Gebiet sammeln konnten, zumeist sehr positiv waren, daß die pessimistischen Stimmen allmählich verstummten und daß auch eine hier und da noch vorhandene Skepsis mehr und mehr zurückging. Ich glaube aber doch feststellen zu dürfen, daß nunmehr der Zeitpunkt gekommen ist, wo wir diese Diskussion abschließen könnten. Denn wenn jemand heute noch nach dem Geist der Bundeswehr skeptisch fragen sollte, dann sollten wir ihn auf Hamburg und die anderen Katastrophengebiete der letzten schweren Tage hinweisen. In der bewundernswürdigen Haltung, welche die Bundeswehr dort an den Tag gelegt hat — es wurde heute morgen schon davon gesprochen —, insbesondere in dem hohen, ja höchsten persönlichen Opfer, das dort von Soldaten der Bundeswehr gebracht wurde, ist die Antwort auf die Frage nach dem Geist der Bundeswehr in deutlichster und glänzendster Weise gegeben.
Dies hier in dankbarer Anerkennung festzustellen, ist nicht allein der Wunsch meiner Freunde, sondern entspricht wohl der Auffassung des ganzen deutschen Volkes.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 507
Noch ein Wort zur Klarstellung der Behandlung des § 8! Das Haus und die Bundesregierung sind einverstanden, daß der § 8 in der Fassung des Gesetzes in Kraft bleibt, daß also der Antrag der Bundesregierung auf Änderung des § 8 zunächst zurückgestellt wird und daß er in Zusammenhang mit dem Antrag der SPD behandelt wird, den wir schon dem Ausschuß überwiesen haben. Sind wir darin einig? — Bitte, Herr Minister!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die geschäftsordnungsmäßigen Schwierigkeiten lassen sich nach den mir gemachten tiefschürfenden Ausführungen wohl nur dadurch beseitigen, daß die Bundesregierung formell die Nr. 3 des Art. II § 1 hiermit zurückzieht. Die Folge ist dann, daß bei Verabschiedung des Gesetzes der § 8 des Wehrsoldgesetzes in der bisher geltenden Fassungerhalten bleibt, bis durch die Ausschußbeschlüsse und Parlamentsbeschlüsse eine Neufassung des § 8 in dem heute diskutierten Sinne möglich wird.
Herr Abgeordneter Erler!
Herr Präsident! Herr Minister, es bedarf keiner ausdrücklichen Zurückziehung durch die Regierung, sondern die Regierungsvorlage zu § 8 ist an den Ausschuß zurückverwiesen. Solange vom Ausschuß nicht eine Vorlage zu einer neuen Beschlußfassung an das Hohe Haus kommt — das wird hoffentlich sehr rasch geschehen —, bleibt der bislang geltende § 8 in Kraft. In der Sache ist das Ergebnis das gleiche. Aber wenn Sie Ihre Vorlage zurückziehen, müßte dem Ausschuß eine neue Vorlage überwiesen werden. Die Regierungsvorlage ist also noch dm Ausschuß, und wir erwarten, daß sie von dort in der vom Ausschuß zu erarbeitenden Fassung wieder zum Vorschein kommt.
Herr Kollege Erler, an den Ausschuß zurückverwiesen haben wir den Änderungsantrag der SPD auf' Umdruck 24, der zu einem selbständigen Antrag gemacht worden ist. An sich wäre also immer noch der Antrag der Regierung hier im Raum, und darum ist die Erklärung des Herrn Ministers richtig. Der Antrag der Regierung wird dann gegenstandslos, wenn man sich über den Antrag der SPD einigt.
Das Wort hat der Abgeordnete Döring.
— Das Wort hat der Abgeordnete Döring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokratischen Partei möchte ich hier zur dritten Lesung des Gesetzes unsere Zustimmung zum Ausdruck bringen.Ich glaube, die mit der Sache befaßten Kollegen I hier im Hause waren sich bereits vor der Wahl, vor dem 17. September, einig in der Erkenntnis, daß der hohe Grad der Technisierung in modernen Streitkräften zwangsläufig eine Verlängerung der Wehrdienstzeit erforderlich macht. Die Sachwalter für militärische Fragen in allen Fraktionen haben ihren Beitrag dazu geleistet, daß dieses Gesetz ohne, ich möchte beinahe sagen, hektische Begleiterscheinungen, wie es bei derart schwierigen Gesetzen manchmal der Fall ist, behandelt werden konnte. Ich glaube aber, wir sind uns auch alle im Verlaufe der Beratungen im Ausschuß klar geworden, daß mit diesem Gesetz über die Wehrdienstverlängerung nicht alle Probleme gelöst worden sind. Der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen auf dem Umdruck Nr. 37 zu diesem Tagesordnungspunkt spricht einige der verbleibenden Probleme an, über die wir uns im Verteidigungsausschuß sicher noch sehr eingehend werden unterhalten müssen.Ich möchte mich nur auf wenige Feststellungen beschränken. Wir sind uns bewußt, daß wir den jungen Männern in unserem Volke eine zusätzliche Belastung auferlegen. Wir sind uns auch bewußt, daß wir nicht jubelnde Zustimmung zu einer derartigen Dienstzeitverlängerung erwarten können. Vielleicht sollten wir sie auch gar nicht wünschen. Etwas Ähnliches wie „Wehrbegeisterung" kann sich in kritischen Zeiten auch sehr negativ auswirken, wie wir ja aus bitteren Erfahrungen haben lernen müssen. Wenn wir deutlich zum Ausdruck bringen, daß wir uns dieser Belastung für unsere jungen Männer durchaus bewußt sind, wenn wir ihnen aber ebenso deutlich sageu, daß wir gemeinsam von dieser bitteren Notwendigkeit überzeugt sind, dann werden wir die entsprechende, nüchterne, positive Aufnahme in unserer Bevölkerung und bei den Betroffenen finden.Lassen Sie mich noch ein Wort des Bedauerns darüber sagen, daß Sie heute morgen den Beschluß des Verteidigungsausschusses, der hier zur Debatte stand unter dem Stichwort „das Gewehr im Schrank", abgelehnt haben. Ich glaube, wenn alle, die diesen Beschluß des Ausschusses abgelehnt haben, einmal in sich gehen, dann werden sie feststellen müssen, daß sie im Grunde genommen einer sehr ironisierenden Berichterstattung über dieses Problem in der Presse erlegen sind, bevor die jeweiligen Mitglieder der Fraktionen im Verteidigungsausschuß eigentlich Gelegenheit bekommen haben, über das sachliche Problem einmal sehr ausführlich zu sprechen.
Wir alle werden gelegentlich das Opfer derartiger Stimmungen, die in der Öffentlichkeit erzeugt werden. Die Bitte, die heute morgen schon von den Fürsprechern für den Vorschlag des Verteidigungsausschusses vorgetragen wurde, möchte ich wiederholen: Haben Sie in der Zukunft, wenn ein ähnlicher Fall noch einmal auftauchen sollte, das gleiche Vertrauen zu Ihren Sachwaltern im militärischen Bereich, wie Sie es zu Ihren Sachwaltern in anderen politischen Bereichen haben.Meine Damen und Herren, die Verantwortung für die .Durchführung dieses Gesetzes obliegt dem Mini-
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508 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Döring
sterium und unseren Streitkräften. Wir sind überzeugt, daß dieses Gesetz dazu beitragen wird, die Qualität und die Schlagkraft unserer Streitkräfte zu erhöhen. Wir wissen, welche Aufbauleistung in der Vergangenheit unter schwierigsten Umständen in unseren Streitkräften vollbracht werden mußte, und wir sind überzeugt, daß diese Gesetzesentscheidung dazu genutzt werden wird, im Sinne dieses Hauses zu wirken mit dem Ziel, unsere Verteidigungsbereitschaft zu erhöhen und zu verbessern.
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion habe ich folgende Erklärung abzugeben: Der Bundestag hat heute zu einer leider notwendigen militärischen Einzelmaßnahme Stellung zu nehmen. Bei der Beurteilung muß er auch die Ereignisse berücksichtigen, die mit der Errichtung der Schandmauer in Berlin am 13. August des vergangenen Jahres zusammenhängen. Sowjetische Gewaltpolitik hat unsere Hauptstadt gespalten und versucht weiterhin, durch Drohungen aller Art die übrige Welt einzuschüchtern und jede Hoffnung auf eine freiheitlichere Entwicklung für unsere Landsleute in Mitteldeutschland zu ersticken.In dieser Lage muß sich die Bundesrepublik Deutschland ihrer Verpflichtungen im westlichen Bündnis bewußt sein und die feste Verbundenheit ihrer Partner mit den Lebensinteressen des deutschen Volkes sichern. Dazu gehört die präzise Erfüllung eingegangener vertraglicher Verpflichtungen. Ohne die heute erörterte Verlängerung des Grundwehrdienstes ist die Bundesrepublik Deutschland derzeit nicht imstande, den von ihr zugesagten Beitrag zum atlantischen Bündnis in dem vereinbarten Umfang und dem vorgesehenen Ausbildungs-und Bereitschaftsstand zu leisten.Die für die Sicherheit auch unseres Landes und unserer Hauptstadt im vergangenen Jahr zusätzlich von unseren Verbündeten, insbesondere von den Vereinigten Staaten von Amerika, auf sich genommenen höheren Anstrengungen müssen von uns dadurch anerkannt werden, daß wir das mögliche tun, um die Vertragspflichten der Bundesrepublik Deutschland getreulich zu erfüllen. Die dadurch und durch die Bemühungen unserer Verbündeten erreichte Stärkung der herkömmlichen Streitkräfte des westlichen Bündnisses ist um so notwendiger, als nur eine solche Stärkung der herkömmlichen Kampfkraft imstande ist, den Westen von der furchtbaren Alternative zu erlösen, in jedem Konfliktfall nur zwischen Kapitulation und atomarem Selbstmord wählen zu können. Die Abwehrbereitschaft des Westens wird erst dann für einen Gegner wieder voll glaubwürdig, wenn wir über eine breitere Skala von Abwehrmöglichkeiten verfügen.In diesem Sinne ist die vorgesehene Maßnahme militärisch zweckmäßig. Eine noch zweckmäßigereLösung wäre die Umstellung unserer der NATO unterstellten mobilen Feldverbände ausschließlich auf länger dienende Freiwillige und Berufssoldaten. Erst dann bliebe der Aufwand an Zeit und Kosten für die Ausbildung auf längere Zeit der Truppe erhalten. Es ist aber nicht zu bestreiten, daß eine solche Umstellung unter den derzeitigen Umständen nicht durchführbar ist. Dennoch sollten größere Anstrengungen unternommen werden, um den Anteil an Freiwilligen in den Divisionen der Bundeswehr möglichst zu erhöhen und so der militärisch wirksamsten Lösung allmählich näherzukommen.
Die Länge des Grundwehrdienstes bringt für einen großen Teil unserer männlichen Jugend erhebliche Härten mit sich. Unser ganzes Volk muß die Bereitschaft unserer jungen Staatsbürger ausdrücklich anerkennen, ihre Pflicht für die Sicherung unseres Landes und die Freiheit seiner Bewohner unter schwierigen Umständen und großen Anstrengungen zu erfüllen. Dann muß es aber auch unsere Aufgabe sein, die dabei auftretenden Härten nach besten Kräften zu mildern.
Eine vollständige Beseitigung der Härten ist nicht möglich. Die sozialdemokratischen Anträge dienten dem Zweck, sie so weit wie nur möglich zu mildern. Wir bedauern, daß diesen Anträgen nur teilweise ein Erfolg beschieden gewesen ist. Wir hätten es vor allem begrüßt, wenn man schon heute beschlossen hätte, den jungen Wehrpflichtigen durch eine beträchtliche Erhöhung des Entlassungsgeldes wenigstens teilweise einen Ausgleich gegenüber denjenigen jungen Staatsbürgern zu geben, die sich ohne Ableistung des Heeresdienstes in der gleichen Zeit im Berufsleben befinden und Ersparnisse zur Familiengründung machen können. Wir hoffen, daß die Beratung unserer dem Verteidigungsausschuß nochmals überwiesenen Anträge bald zu einem positiven Beschluß führt.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stimmt, obwohl manche Wünsche offengeblieben sind, aus Gründen politischer Notwendigkeit und militärischer Zweckmäßigkeit der Verlängerung des Grundwehrdienstes zu. Darin ist aber keine Billigung der Gesamtpolitik der Bundesregierung auf dem Gebiet der Landesverteidigung enthalten.
Wir beklagen, daß die Bundesregierung dem Hohen Hause immer noch kein umfassendes Gesamtkonzept ihrer Vorstellungen auf dem Gebiete der Verteidigung vorgelegt hat, das insbesondere auch eine angemessene Berücksichtigung des Schutzes der zivilen Bevölkerung und des Aufbaus der Territorialverteidigung zu enthalten hätte.
Wir sind auch davon überzeugt, daß die militärischen Anstrengungen nur eine Seite der Friedenssicherung sind und daß ihnen ein ernsthaftes Ringen um jeden möglichen Schritt zur kontrollierten Begrenzung der Rüstungen auf der anderen Seite entsprechen muß. Die Politik der Bundesregierung
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 509
Erlerist bisher noch nicht auf die Erkenntnis dieses Zusammenhanges eingestellt.Die Bundesrepublik Deutschland muß einen fairen Anteil an den Lasten der gemeinsamen Verteidigung im westlichen Bündnissystem auf sich nehmen. Anders ist das Vertrauen ihrer Partner und damit deren Unterstützung für die Lebensfragen des deutschen Volkes nicht zu bewahren. Die Bundesrepublik Deutschland muß dabei eine natürliche Grenze sehen. Sie darf sich nicht ehrgeizig in den Vordergrund drängen und damit das Gleichgewicht innerhalb des Bündnisses gefährden. Es gibt im Bündnis aus den verschiedensten Ursachen und bei den verschiedensten Anlässen leider allzuviel an Spannungen und gegenseitigem Mißtrauen. Die deutsche Politik darf diesem Mißtrauen keine Nahrung geben und damit auch keine Vorwände für die Mißdeutung ihrer Absichten durch andere schaffen.Vorstöße des Verteidigungsministers im Alleingang wie im letzten Dezember in Paris, mit atomaren Forderungen, welche die Verbündeten dort überraschten, dienen nach unserer Überzeugung weder den Interessen der Bundesrepublik noch denen des westlichen Bündnisses.
Wir richten noch einmal eine Mahnung an die Bundesregierung: In einer Zeit, in der neue Ministerien entstehen, mit denen neue Stellenanforderungen verbunden sind, und in der der Verteidigungsaufwand nicht unerheblich steigt, sollte man endlich innerhalb der Bundesregierung Vorkehrungen dafür treffen, daß eine ausreichend besetzte Einrichtung vorhanden ist, welche die Abrüstungsdiskussion in der Welt ernsthaft verfolgen und einen deutschen geistigen und politischen Beitrag dazu vorbereiten kann. Sicherheitsvorkehrungen allein sind kein Ersatz für Politik. Abrüstungsdiskussionen dürfen aber auch kein Vorwand dafür sein, das Notwendige an militärischen Anstrengungen zu unterlassen, solange keine wirksam kontrollierten Vereinbarungen zustande gekommen sind.Wir sehen beide Seiten des Gesamtproblems. Wir fordern deshalb vermehrte Anstrengungen für den notwendigen politischen Beitrag und stimmen der militärisch notwendigen Einzelmaßnahme des heutigen Tages zu.
Änderungsanträge liegen nicht vor.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer der Vorlage in der Fassung der Beschlüsse in zweiter Lesung zustimmt, möge sich erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist mit großer Mehrheit bei Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe auf den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 25. Der Antrag wird begründet durch den Herrn Abgeordneten Berkhan. Ich gebe ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Mit unserem Entschließungsantrag, der Ihnen auf Umdruck 25 vorliegt, möchten wir Ihre Zustimmung dazu erbitten, daß die Bundesregierung beauftragt wird, im Verteidigungsausschuß darüber zu berichten, wie sie sich insbesondere bei der Gestaltung des staatsbürgerlichen Unterrichts die Mitwirkung aller derjenigen unseren Staat mittragenden Kräfte denkt, die , der derzeitigen Regierungskoalition nicht angehören.Der Bundesminister der Verteidigung, Herr Strauß, hat bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs, den wir soeben in der dritten Lesung mit so großer Mehrheit verabschiedet haben, zu dieser Frage einige Ausführungen gemacht, wenn er auch nicht auf die Mitwirkung derjenigen demokratischen Kräfte eingegangen ist, die zur Zeit nicht der Regierungskoalition angehören. Ich darf vielleicht noch einmal den entscheidenden Satz in Ihre Erinnerung rufen und mit Genehmigung des Präsidenten aus dem Protokoll zitieren.Herr Strauß führte aus:In diesem Zusammenhang— also im Zusammenhang mit der Einführung der 18 Monate Grundwehrdienst —wird auch mehr Zeit für die geistige Rüstung der Soldaten, auch für die staatspolitische Bildung und für die Vermittlung der Grundsätze der inneren Führung und ihrer erlernbaren Praxis — nicht alles auf diesem Gebiet ist erlernbar — verwendet werden können.So weist es das Protokoll der 11. Sitzung auf Seite 265 aus. Ich bin dankbar, Herr Minister Strauß, für den Hinweis, daß die Grundsätze der inneren Führung beibehalten werden. Das deutet nämlich darauf hin, daß auch Sie der Überzeugung sind, die innere Führung habe sich bewährt. Ich will darauf verzichten, auf gehässige Kommentare aus Zeitungen und dergleichen einzugehen — darüber besteht ja Einmütigkeit —, doch leider hängt die Möglichkeit eines besseren staatsbürgerlichen Wissens nicht ausschließlich von der Dienstzeit ab.Ich will zum Beweis dafür, daß das nicht von der Dienstzeit abhängt, eine Zeitung zitieren, die über einen Besuch von Eltern und Bundestagsabgeordneten bei der Truppe in Koblenz berichtet. Bei diesem Besuch wurde auch ein Kompagniechef-Unterricht vorgeführt mit dem Thema: „Wofür dienen wir?" Der Bericht stammt aus dem „Mannheimer Morgen" vom Sonnabend, dem 15. Oktober 1960. Das ist ein relativ alter Bericht, aber dieses Problem ist ohnehin schon älter und wird uns immer wieder beschäftigen, so daß es nicht so sehr darauf ankommt, welches Datum die Zeitung trägt. Dort heißt es wörtlich:Auf das gegebene Stichwort— nämlich Idas Stichwort: „Wofür dienen wir?" —folgt wie aus dem MG 42 geschossen die Antwort: Wir dienen, um das Vaterland zu verteidigen.Militärisch knapp — stark vereinfachender Kurzkurs im staatsbürgerlichen Bewußtsein! Nun, Herr Bundesminister, ich halte nichts von knapper militärischer Form bei der Erziehung und Heranbildung
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Berkhanstaatsbürgerlichen Bewußtseins. Ich würde befürchten, daß eines Tages diese Nervensäge MG 42 folgenden Satz herausschießt: Sozialdemokraten gleich Sozialismus, Sozialismus gleich Bolschewismus — abzulehnen! Ich halte also nichts von solcher Kurzform, und ich muß sagen, mit pädagogischen Grundsätzen hat das sehr wenig zu tun.Es wäre auch nicht so schlimm, weil man nie genau weiß, was die Journalisten aus so einer Zusammenkunft berichten.
Herr Abgeordneter Berkhan, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Seffrin?
Aber selbstverständlich, Herr Präsident.
Lieber Kollege Berkhan, haben Sie die Richtigkeit dieser Zeitungsmeldung so nachgeprüft, daß Sie Ihre Ausführungen im Bundestag darauf aufbauen können?
Herr Kollege Dr. Seffrin, ich wünschte mir, daß bei anderen Zitaten aus Zeitungen dieser Grundsatz auch immer berücksichtigt würde.
Ich habe hier in dieserBeziehung einige Male Gewisses erlebt. Aber Sie haben meinen letzten Satz nicht zu Ende gehört, Sie haben mich unterbrochen. Gerade war ich dabei zu sagen, ich würde dieser Sache nicht allzu viel Bedeutung beimessen, weil ich nicht weiß, ob der Journalist, der diesen Artikel verfaßt hat, nun auch wirklich so korrekt und sauber berichtet, wie es eigentlich der Sache angemessen wäre. Aber die Zeitung zitiert dann den Presseoffizier der Einheit wörtlich. Ich babe mich dessen vergewissert, daß der Presseoffizier bei dieser Zeitung niemals Einspruch dagegen erhoben hat. Es heißt dort:Der Presseoffizier wünscht sich: Wir sind nicht dazu da, Demokraten zu erziehen. Wir wollen Demokraten geliefert haben und sie dann zu Verteidigern der 'Demokratie machen.Herr Dr. Seffrin, Sie sind wie ich Lehrer. Sie wissen ganz genau, Demokraten kann man nun einmal nicht wie Stiefel auf der Kammer empfangen. Die werden nicht geliefert. Demokraten zu erziehen und ständig bei der Stange zu halten, ist vielmehr ein sehr mühseliges und sehr schwieriges pädagogisches Unternehmen; es ist eine Daueraufgabe.
— Sicher, Herr Kollege Majonica, aber die Freiheit der Abstimmung gilt eben nicht nur für den Kollegen Bausch und seine Freunde, sondern sie gilt auch für meine Freunde in der deutschen Sozialdemokratischen Partei.
Sie sollten vor Damen und Herren dieses Hauses Respekt haben, die sich ihre Haltung sehr ernsthaft überlegt haben und nun einmal aus politischer Erwägung und nicht aus irgendwelcher Ablehnung der Landesverteidigung schlechthin eine andere Auffassung haben als die Mehrheit dieses Hauses. Sie sollten bei Zwischenrufen etwas vorsichtiger sein, Herr Majonica. Ich kenne in meiner Fraktion eine ganze Menge Freunde, die aus sehr wahlüberlegten, sachlichen Gründen einer Verlängerung des Grundwehrdienstes nicht zustimmen konnten. Ich weiß sogar, daß einige Argumente, die diese Damen und Herren mir gegenüber vorgebracht haben, nicht von ihnen selbst stammen, sondern daß sie diese Argumente bei Freunden und Kollegen Ihrer 'Fraktion gehört und zur Kenntnis genommen haben.Ich darf mein Thema wieder aufnehmen. Man muß Demokraten ständig und wieder und wieder erziehen. Ein Mittel dieser Erziehung ist der staatsbürgerliche Unterricht, ist die Unterweisung nicht nur in 'der Schule, in der Jugendvereinigung, sondern eben auch in der Bundeswehr. Der Bundesminister hat gesagt, was die Regierung darüber denkt. 'Mein Freund Fritz Erler nahm in der gleichen Sitzung den Gedanken auf und stellte dabei die Frage nach der Gestaltung des Unterrichts. Er stellte die Frage, ob nicht alle demokratischen Kräfte mitwirken sollten.Warum sollen alle demokratischen Kräfte mitwirken?
— Das mit dem Prost ist ein alter Witz, Sie müssen sich schon einmal etwas Neues einfallen lassen. Aber immerhin, wenn Sie so freundlich sind, sage ich wieder „Prost". — Mein Freund Fritz Erler sagte, alle demokratischen Kräfte sollten mitwirken, damit die Bundeswehr immer weiß, daß sie zu den demokratischen Teilen unseres Volkes ein gutes Verhältnis haben muß. Dem dient unser Antrag.Solche Bemühungen sind bei uns nicht neu. Bereits im Dezember des Jahres 1960 ist ein Brief an den Minister gerichtet worden, in dem der Vorschlag enthalten war, in den „Informationen für die Truppe", den Heften, die monatlich für die Hand des Kompaniechefs und der Kommandeure erscheinen, eine Beilage unterzubringen, in der die Parteien sich selbst darstellen. Hier könnten die Parteien z. B. zu irgendeiner kontroversen Frage, die gerade im Parlament behandelt wird, von sich aus Stellung nehmen. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Beiträge läge natürlich nicht beim Bundesministerium der Verteidigung, sondern selbstverständlich bei den Parteien. Herr Strauß hat sowohl vor als auch nach dem Brief mit Fritz Erler über diese Frage gesprochen, und er hat darauf hingewiesen, daß die Entscheidung beim Kabinett liege, daß er sie nicht allein treffen könne. Meine Damen und Herren, wir schreiben das Jahr 1962, und noch immer liegt keine Entscheidung in dieser Frage vor.Wir Sozialdemokraten sind nun einmal der Meinung, daß alle Parteien, auch die CDU/CSU und die FDP, sich selber besser darstellen können, als es durch andere geschehen könnte. Die Gewichtigkeit
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Berkhander Argumente und die Auswahl des gedruckten oder gesprochenen Wortes muß man schon den Parteien selbst überlassen; man kann sie nicht übertragen auf Beamte, Offiziere oder Angestellte, die von sich aus im Ministerium die Auswahl vornehmen.Ob die Auswahl immer glücklich ist, sei dahingestellt. Die „Information für die Truppe" ist ja kürzlich im Westdeutschen Rundfunk einer sehr harten Kritik unterzogen worden. Ich will meine Redezeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. Daher möchte ich nur auf diese Sendung verweisen. Ich würde mich freuen, wenn wir im Ausschuß einmal eine Stellungnahme des Ministeriums zu dieser Sendung bekommen könnten.Ich will Sie aber doch mit der „Information für die Truppe" Nr. 12/61 — also einer verhältnismäßig neuen Nummer — bekanntmachen. In dieser Schrift wird unter der Überschrift „Alle Kräfte zusammenfassen" der Teil aus der Regierungserklärung der Bundesregierung vom 29. November 1961 abgedruckt, der sich mit den Fragen der Landesverteidigung befaßt. Dem Heft ist gleichzeitig „Der Weg in die Zukunft" — das war die Rede des Verteidigungsministers Strauß vor der Georgetown University in den USA vom 27. November 1961 — beigelegt. Ohne Frage ist die Regierungserklärung und ist der Teil, der sich mit der Landesverteidigung befaßt, eine sehr wichtige Sache, wert, in dieser Schrift abgedruckt zu werden und zur Kenntnis der Soldaten zu kommen. Aber, meine Damen und Herren, wenn ich dann das Heft weiter durchblättere, finde ich kein Wort darüber, was die anderen Parteien oder was gar die Opposition zu dieser Frage gesagt hat. Das ist doch eine Schlagseite, die — so meine ich jedenfalls mit meinen Freunden — nicht dazu beitragen kann, eine ordnungsgemäße staatsbürgerliche Unterrichtung, viel weniger eine ordnungsgemäße staatsbürgerliche Bildung zu gewährleisten.Ich weiß, es sind nicht die Parteien allein, die diese Demokratie gestalten. Sie wirken auch nur an der politischen Meinungsbildung mit. So will es das Grundgesetz. Aber sie wirken eben überall an der politischen Meinungsbildung mit, und aus diesem Grunde sollte man sich überlegen, ob es nicht für alle Teile, für die Regierungsmehrheit, für die Opposition, aber auch für die Bundeswehr, für die Soldaten, besser ist, wenn innerhalb dieses staatsbürgerlichen Unterrichts wirklich alle Kräfte dieses Staates zum Tragen kommen.Wenn Sie über unseren Entschließungsantrag abzustimmen haben, dann würde ich Sie bitten, den Grundsatz zu beherzigen, den die „Information für die Truppe" selbst zu einer solchen Frage aufgestellt hat. In dem Heft Nr. 6/61 beschäftigt sich ein Hauptmann Schulz mit der Frage der Informationsecke. Am Schlusse gibt er dann einen sehr netten Hinweis für diejenigen, die abseits stehen, die gar hämische Bemerkungen machen, und er erklärt dann:Und hier noch ein bewährter Trick: Es gibtimmer ein paar, die zuerst Witze machen, wenneiner etwas Besonderes unternimmt. Wie spielt 1 man die an die Wand? Man holt sie zur Mitarbeit heran!Ich spreche hier für eine Fraktion, die über die ernsten Fragen der staatsbürgerlichen Unterweisung und Unterrichtung keine Witze macht und die auch nicht abseits stehen will, sondern die sich anbietet, mitzuhelfen, unsere Soldaten zu guten demokratischen Staatsbürgern zu machen. Aber der Grundsatz, alle zu beteiligen, alle heranzuziehen, alle teilhaben zu lassen an dieser wichtigen Aufgabe, gilt hier noch mehr als bei 'der Informationsecke. Aus diesem Grunde bitte ich Sie, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kliesing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben im Verteidigungsausschuß häufiger die Gelegenheit gehabt, uns über die Fragen des staatsbürgerlichen Unterrichts in der Bundeswehr und über die staatsbürgerliche Unterrichtung der Bundeswehr zu unterhalten. Deshalb steht ,dem nichts im Wege, daß wir diese Unterhaltung im Verteidigungsausschuß fortsetzen, und ich könnte mir vorstellen, daß ein Bericht der Bundesregierung eine recht brauchbare Diskussionsgrundlage abgeben würde. Soweit haben wir nichts gegen die Überweisung an den Ausschuß. Damit aber keine Mißverständnisse entstehen, möchte ich doch folgendes zur Klarstellung sagen.Der Herr Bundesminister für Verteidigung hat in der Vergangenheit und auch in der Gegenwart in sehr großzügiger Weise den Parteien gestattet, daß ihre Abgeordneten in Stadt und Land und Bund in die Kasernen gingen, dort ihr politisches Anliegen vertraten und mit den Soldaten diskutierten. In der gleichen großzügigen Weise hat die Sozialdemokratische Partei bis zum heutigen Tage davon Gebrauch gemacht. Ich glaube also, insofern ist es völlig unberechtigt, hier von einer Einseitigkeit oder von einem Trend zur Einseitigkeit zu sprechen.Ich möchte aber noch auf ein anderes hinaus, damit, wenn wir dem Überweisungsantrag zustimmen, daraus keine falschen Schlüsse gezogen werden. Ich möchte sagen, daß das Beispiel vom „Mannheimer Morgen", das hier vorgetragen wurde, vielleicht in Ordnung und richtig sein mag; das will ich nicht bestreiten. Ich habe aber selbst wiederholt namentlich junge Offiziere im staatsbürgerlichen Unterricht der Truppe erlebt, die einen derart qualifizierten Unterricht erteilt haben und so sehr mit dem Herzen dabei waren, daß man sie gern anderen Trägern staatsbürgerlicher Erziehung als Musterbeispiel vorgeführt hätte.
Man soll also aus einem Einzelfall, der in einemZeitungsbericht enthalten ist, nicht verallgemeinern.Aber das Prinzipielle, um das es hier geht, ist doch wohl dies: daß der Bundesminister für Verteidigung auf dem Dienstwege bestimmt hat, welche
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Dr. Kliesing
Truppenführer für die staatsbürgerliche Unterrichtung verantwortlich sind. Wir möchten es unter gar keinen Umständen sehen, daß daran etwas geändert wird in idem Sinne, daß der staatsbürgerliche Unterricht in der Truppe, der ein Teil des Dienstplanes ist, aus der Hand der dazu bestellten Truppenführergenommen und in die Hand von irgendwelchen Parteipolitikern außerhalb der Kasernen gelegt ,würde, ganz gleich, woher sie kommen.
Das möchte ich zur Klarstellung hier sagen, damit unsere Zustimmung nicht mißverstanden wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Schultz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Thema ist, glaube ich, außerordentlich diffizil; man kann sehr viel darüber sagen, auch über das, was Herr Kollege Berkhan soeben zur Begründung gesagt hat. Deswegen meine ich, daß wir diese Diskussion hier nicht ausweiten können, sondern sie im Ausschuß fortsetzen sollten. Das ist wohl auch Ihre Meinung.
Nur eine Bemerkung zu dem, was Sie aus dem „Mannheimer Morgen" zitiert haben. Lieber Kollege Berkhan, ich kann den Presseoffizier wehr gut verstehen. Er hat — nach dem, was Sie berichteten — gesagt: „Ich will die Demokraten geliefert bekommen und habe sie praktisch nur im Dienst auszubilden." Ich kann mir gut vorstellen, warum er das gesagt hat. Er hat das deswegen gesagt, weil er nicht in den Verdacht geraten will, daß er vielleicht einer von diesen schrecklichen Menschen sei, die die Bundeswehr noch als „Schule der Nation" betrachteten.,
Gegen diesen Vorwurf, der da vielleicht gemacht werden könnte, wollte er sich wohl abschirmen. Ich glaube, wenn man mit dem Mann persönlich spricht und nicht über einen Journalisten und nicht über den „Mannheimer Morgen", wird man wahrscheinleich auch mit ihm klarkommen. Vielleicht wird im Verteidigungsausschuß unter uns zu besprechen sein, wie man das machen kann.
Wir stimmen dann ab über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD,
— Der Antrag soll an den Ausschuß für Verteidigung überwiesen werden. — Einverständnis; es ist so beschlossen.
Dann rufe ich den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 26 auf und erteile dem Herrn Abgeordneten Herold das Wort zur Begründung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf den Entschließungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion auf Umdruck 26 begründen. Wir wollen mit diesem Antrag die Bundesregierung, also das Verteidigungsministerium, beauftragen, umgehend zu prüfen, ob der Verpflegungssatz von 2,75 DM täglich für die Wehrpflichtigen in den Ausbildungseinheiten der Grundausbildung ausreichend ist. Es soll auch überprüft werden, wie und auf welche Weise in den Einheiten der Bundeswehr bei Einkauf, Zubereitung und Ausgabe der Verpflegung gewonnene gute Erfahrungen allen Truppenteilen zugänglich gemacht werden können.Bei unseren Truppenbesuchen konnten wir feststellen, daß die Meinungen in den einzelnen Einheiten über die Verpflegung hinsichtlich der Qualität, Menge und Geschmack sehr unterschiedlich sind. In einzelnen Standorten sind die Urteile darüber sogar sehr ungünstig, und vor allen Dingen dort, wo es sich um junge Wehrpflichtige handelt, die darüber sehr klagen; denn die Umstellung vom Zivilleben auf die militärische Ausbildung verlangt von den Rekruten große körperliche Anstrengungen, vor allen Dingen, wenn sie aus Berufen kommen, die keine so großen körperlichen Strapazen erfordert haben. Wir wissen alle, die Grundausbildung ist eine harte Zeit. Die jungen Wehrpflichtigen müssen vielen Belastungen ausgesetzt werden. Das erfordert nicht nur Nerven, sondern auch gute und ausreichende Verpflegung. Wir würden es am liebsten sehen, wenn man für die Ausbildungseinheiten eigene Küchen einrichtete und den besonderen Umständen angepaßte Speisepläne erstellte. Das ist aus den verschiedensten Gründen jetzt nicht möglich. Wir erkennen das auch an. Aber es muß geprüft werden, ob nicht eine tägliche Zusatzverpflegung, die vor allen Dingen aus Obst, Milch und anderen vitaminreichen Nahrungsmitteln besteht, ausgegeben werden kann. Sollte dabei der Tagesverpflegungssatz nicht ausreichen, müßten wir sobald wie nur möglich diesen Satz erhöhen.Es gibt aber in der Bundeswehr auch sehr findige Küchenleiter, die mit Hilfe des Küchenausschusses, der Standortkommandanturen auf dem Gebiete des Einkaufes Hervorragendes leisten. Bei ihnen spielt neben dem Geld auch das Organisationstalent eine große Rolle. Sie verpflegen ihre Einheit ausgezeichnet. Wir sind der Meinung, daß die preiswerten Einkaufsquellen viel besser genutzt werden müssen. Natürlich gibt es nicht überall einen Großmarkt für Fleisch, Fisch, Gemüse und Obst, aber die Wehrbereichsverpflegungsämter und die Standortkommandanturen sollten in diesen Fragen den Einheiten, die weit von großen Einkaufszentren entfernt sind, mehr Unterstützung zukommen lassen, damit in diesen Einheiten der Speiseplan abwechslungsreicher gestaltet werden kann. Wir halten es für erforderlich, daß ein besserer — und zwar regelmäßiger — Erfahrungsaustausch zwischen Truppe und Verwaltung in den Verpflegungsfragen eingeleitet wird. Dieser Vorschlag würde viel dazu beitragen, die gute Stimmung in mancher Einheit zu erhöhen. Das Ministerium sollte auf höchster Ebene viel mehr als bisher diese Ergebnisse zusammenfassen, auswerten und den Verantwortlichen in der Truppe und der Verwaltung zur Kenntnis bringen.Einige meiner Kollegen aus dem Verteidigungsausschuß werden mir entgegenhalten, daß die Fra-
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Heroldgen der Verpflegung doch gar nicht so wichtig sind. Ihre Erfahrungen werden vielleicht in eine andere Richtung gehen, wahrscheinlich in Richtung der gefüllten Abfalltonnen in einzelnen Kasernen. Aber, meine Herren Kollegen, ich bin der Meinung, nicht immer sind die Lebensmittel in der Abfalltonne eine Anklage gegen die Teilnehmer an der Gemeinschaftsverpflegung. Es kommt hier sehr auf die Qualität der ausgegebenen Speisen an. Aber auch die Geschmacksrichtungen sind ja landsmannschaftlich sehr verschieden. Das sollte bei der Beurteilung dieser Mißstände berücksichtigt werden.Noch ein anderer Punkt erscheint mir in diesem Zusammenhang wichtig. Bei den Streitkräften anderer Länder wird die Essenausgabe grundsätzlich anders vorgenommen. Jeder Soldat kann sich seine Speisen selbst nehmen; Fleisch-, Wurst- und Butterportionen und einiges andere sind davon selbstverständlich ausgenommen. Aber alle anderen Speisen kann er in der Menge nehmen, die er für sich für ausreichend hält, und er kann jederzeit nachfassen. Das scheint uns eine sehr gute Lösung zu sein, die andererseits zur Sparsamkeit beiträgt. Wir sind überzeugt, daß dadurch nicht so viel in die Abfalltonne wandert wie bisher. Wir bitten das Ministerium, einmal in dieser Richtung Versuche einzuleiten.Im Zusammenhang mit der Verpflegungsfrage darf ich noch auf einen, wie mir scheint, wichtigen Punkt hinweisen. Uns ist bekannt, daß ein großer Mangel an zivilem und militärischem Küchenpersonal besteht; ich meine damit nicht in erster Linie die Hilfskräfte. Das Ministerium sollte bei den Teilstreitkräften darauf hinwirken, daß die Ausbildung von Feldköchen beschleunigt wird und umfassender geschieht. Denn dadurch wird auch eine Lücke in der Versorgung der Soldaten geschlossen.Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, waren einige Gedanken zu unserem Antrag. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie unserem Antrag zustimmten und ihn an den Verteidigungsausschuß überwiesen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Seffrin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben bestimmt genauso viel Interesse daran wie die Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei, daß unsere Soldaten gutes und ausreichendes Essen bekommen. Wir sind auch damit einverstanden, daß dieser Antrag dem Ausschuß zur weiteren Bearbeitung überwiesen wird. Praktisch aber rennen Sie mit Ihrem Antrag offene Türen ein, denn auch Ihnen dürfte bekannt sein, daß im Verteidigungsministerium die Verpflegung in der Truppe sowie die Höhe des Verpflegungssatzes ständig überprüft wird, und zwar auf Grund laufender Meldungen aus den Wehrbereichen. Die Überprüfungen haben bis jetzt ergeben, und ich habe durch meine Besuche in der Bundeswehr, bei denen ich immer wieder auch auf diese Fragen zu sprechen komme, auch festgestellt, daß zum mindesten zur Zeit der Verpflegungssatz von 2,75 DM ausreichend ist, auch ausreichend dafür, den sogenannten Rekrutenhunger zu stillen. Sie erinnern sich, daß der Verteidigungsausschuß vor einiger Zeit eigens eine Kommission im ganzen Bundesgebiet herumgeschickt hat mit dem Auftrag, sich mit der Verpflegung der Truppe zu beschäftigen. Ich glaube, die Feststellungen, die damals getroffen worden sind, sind auch heute noch gültig.
Wir kennen die Schmerzen hinsichtlich des Mangels an ausgebildeten Köchen und sollten sie ruhig auch im Ausschuß noch einmal besprechen. Ich glaube; in diesem Punkte — das werden wir im Ausschuß sehen — müßten wir wohl gewisse Änderungen treffen. Auf der anderen Seite glauben wir aber nicht, daß die Abfälle, die so in die Tonne wandern, nur deshalb dorthin wandern, weil man dem individuellen Geschmack nicht immer Rechnung trägt, sondern daß da auch noch andere Gründe vorhanden sind.
Kurzum, dieser Antrag gibt uns Anlaß, im Verteidigungsausschuß die Dinge wiederum zu besprechen, zu sehen, ob sich seit der ersten Jahreshälfte 1960 etwas verschlechtert hat, ob inzwischen gewisse Dinge, die wir damals auf Grund der Reise in die einzelnen Standorte angeregt haben, durchgeführt worden sind, ob sich dieses und jenes gebessert hat. Die CDU stimmt deshalb der Überweisung Ihres Entschließungsantrages an den Verteidigungsausschuß zu.
Ich darf das Einverständnis ,des Hauses damit feststellen, daß der Entschließungsantrag der SPD auf Umdruck 26 dem Ausschuß für Verteidigung überwiesen wird.
Ich rufe den Entschließungsantrag der SPD auf Umdruck 27 auf. Er wird begründet vom Abgeordneten Eschmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von mir zu begründende Entschließungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 27 hat folgenden Wortlaut:Die Bundesregierung wird beauftragt,zu prüfen, für welche Einheiten der Bundeswehr, insbesondere der territorialen Verteidigung, ein verkürzter Grundwehrdienst bis zu 12 Monaten zureichend und zweckmäßig ist, und hierüber dem Verteidigungsausschuß zu berichten.Die Begründung des Antrags wird demnach weniger politischer, als vielmehr militärtechnischer Natur sein. Ich beziehe mich bei dieser Begründung auf die Rede meines Fraktionskollegen Fritz Erler anläßlich der ersten Lesung des Gesetzes. Ich beziehe mich aber auch kurz ,auf die Rede des Herrn Verteidigungsministers bei der Einbringung des Gesetzes und auf die bisherigen Verhandlungen und Beratungen in dieser Sache im Ausschuß für Verteidigung.Herr Erler sprach in seiner Rede seinerzeit von den Einheiten in der Bundeswehr, die nach den Aufgaben, die sie zu erfüllen hätten, besser in die territoriale Verteidigung hineinpaßten und dorthin
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Eschmannüberführt werden sollten. Dort seien sie am richtigen Platz und würden dazu beitragen, die territoriale Verteidigung endlich richtig auf die Beine zu stellen. Die in diesen Einheiten zu erledigenden Aufgaben könnten unter dem Aspekt des verkürzten Grundwehrdienstes gesehen werden. Für sie reiche eine verkürzte Grundwehrdienstzeit durchaus aus. Soweit die Auffassung Fritz Erlers.Bei diesen Einheiten handelt es sich z. B. um Luftbeobachtungs-, Krankentransport-, ABC-Schutz-Einheiten, Depottrupps und später eventuell auch. um Einheiten für Brücken- und Objektschutz oder Grenzsicherungsbrigaden. Daraus kann man schon erkennen, wo unter Umständen Ansatzpunkte für einen verkürzten Grundwehrdienst vorhanden sind.Aber auch der Herr Verteidigungsminister widmete in seiner Rede dem verkürzten Wehrdienst einige Sätze. Er ist z. B. mit uns der Meinung, daß für die territoriale Verteidigung der verkürzte Grundwehrdienst möglich ist. Allerdings schränkte der Herr Minister ein: es sei noch nicht zu übersehen, in welchem Umfang vom verkürzten Grundwehrdienst Gebrauch gemacht werden könne.Um in dieser Sache weiterzukommen und Klarheit zu schaffen, stellen wir unseren Antrag.Unser Antrag hebt ebenfalls die territoriale Verteidigung besonders hervor. Wir sind der Meinung, daß man die gesamte territoriale Verteidigung ohne große Schwierigkeiten in die Überlegungen über den verkürzten Grundwehrdienst einbeziehen kann. Inwieweit das auch bei den der NATO zu unterstellenden Einheiten möglich ist, sollte ernsthaft vom Verteidigungsausschuß geprüft werden. Jedenfalls sollten aber schon jetzt für die TV mit ihren zukünftigen wertvollen, auf vielen Gebieten vorgebildeten Kräften die Weichen richtig gestellt werden, und zwar so, daß nur eine sinnvolle und dem Zweck entsprechende Ausbildung betrieben wird und der berüchtigte Gammeldienst oder, wie es auch heißt, die üble Beschäftigungstheorie ein für allemal gebannt bleibt. Die zweckmäßigste Anwendung der Vorbildung der Soldaten, die praktischste Ausbildung für ihre Aufgaben müßten den Vorrang haben vor Grußübungen oderformalem Exerzieren. Das erscheint schon im Hinblick auf die hohen Kosten geboten.Damit nun unser Antrag nicht für lange Zeit zurückgestellt wird, ehe er seine Behandlung und Beantwortung durch das Verteidigungsministerium findet, bitte ich Sie, mit der Festlegung einverstanden zu sein, daß der Antrag noch bis zum Beginn der diesjährigen Sommerferien erledigt werdenmuß. Die Planungen und Kaderbildungen in der territorialen Verteidigung sind längst im Gange. Der Termin bis zum Beginn. der Sommerferien ist angemessen. Die Regierung sollte bis dahin in der Lage sein, unserem Antrage zu entsprechen und ihre Vorstellungen darzulegen.Meine Begründung sollte und konnte nur kurz sein. Alles weitere wird sich bei den Beratungen im Ausschuß ergeben. Im besonderen bietet sich Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der FDP, eine gute Chance. Sie könnten, glaube ich, weil bei diesem Antrag Geld keine Rolle spielt, sondern nur technische Dinge vorherrschen, diesem Antrag doch sicher einmal ohne Einschränkungen Ihre Zustimmung geben. Ich bitte Sie darum.
Darf ich das Einverständnis des Hauses damit feststellen, daß der Antrag Umdruck 27 dem Ausschuß für Verteidigung überwiesen wird?
— Das ist der Fall.
Ich rufe dann den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 28 auf und erteile zur Begründung dem Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wissen alle, daß die bisherigen Planungen für den zivilen Bevölkerungsschutz weit zurück sind, und wir wissen, daß die bisherigen Bemühungen, auch personell zu gewissen Ergebnissen zu kommen, praktisch gescheitert sind.
§ 13 a des Wehrpflichtgesetzes bietet auch auf lange Sicht keine genügende Grundlage. § 42 hat jetzt für die Polizei eine Regelung getroffen, die zweifellos in weiteren Beratungen auch für den zivilen Bevölkerungsschutz richtunggebend sein kann. Es gilt also, jetzt Konsequenzen zu ziehen, wie wir für den zivilen Bevölkerungsschutz ausreichend Personal zur Verfügung bekommen, das auch altersmäßig und gesundheitlich in der Lage ist, einen wirksamen Zivilschutz aufzubauen.
Kollege Erler hat gerade die bisherigen mangelhaften Vorbereitungen der Regierung auf diesem Gebiet kritisiert. Unser Entschließungsantrag soll dazu dienen, ausreichende personelle Voraussetzungen für den zivilen Bevölkerungsschutz zu schaffen. Ich bitte, den Antrag, wenn er hier nicht angenommen wird, dem Verteidigungsausschuß und zur Mitberatung dem Ausschuß für Inneres zu überweisen.
Ich will mich auf diesen kurzen Hinweis über die Gründe unseres Antrags beschränken; denn ich weiß, daß die Kollegen Bauknecht, Struve und Schmidt und andere schon darauf warten, daß die Landwirtschaftsdebatte beginnt.
Besteht Einverständnis darüber, daß dem Antrag der antragstellenden Fraktion entsprochen wird? — Ich höre keine Einwendungen; dann ist Überweisung an den Ausschuß für Verteidigung — federführend — und an den Ausschuß' für Inneres zur Mitberatung beschlossen.Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP Umdruck 37 auf. Er ist schon von dem Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing begründet worden. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Antrag soll ebenfalls dem Ausschuß für Verteidigung überwiesen werden. — Ich darf feststellen, daß so beschlossen ist.
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Vizepräsident Dr. DehlerWir haben dann noch über die Punkte 2 und 3 des Antrags des Ausschusses zu befinden. Punkt 2 ist durch die Annahme des Antrags Umdruck 36 erledigt. — Es besteht Einverständnis.Zu Punkt 3 des Antrags, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären, darf ich die einmütige Zustimmung des Hauses feststellen.Damit ist der Tagesordnungspunkt 4 erledigt. Ich rufe Punkt 5 auf:Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft gemäß §§ 4 und 5 des Landwirtschaftsgesetzes .Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bauknecht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir ein Urteil über den Wert des vorliegenden 7. Grünen Berichts fällen wollen, der uns die Lage der Landwirtschaft im abgelaufenen Wirtschaftsjahr 1960/61 darstellt, so müssen wir zunächst sagen, daß es sich hier um' einen Bericht handelt, der auf unanfechtbaren, einwandfreien Grundlagen aufgebaut ist und der vielleicht noch mehr als die bisherigen Berichte auf Grund der Erfahrungen nach sorgfältiger Arbeit erstellt ist und ein klares Bild über die Lage der deutschen Landwirtschaft in der Bundesrepublik und über ,die Entwicklung im letzten Jahr gibt. Ich spreche im Namen meiner Fraktion all den Männern Dank aus, die an der Erstellung dieses Werkes beteiligt waren.Es ist aber eine ganz andere Frage, ob wir mit den Ergebnissen zufrieden sind. Wir müssen bedenken, daß es sich bei dem Jahr, auf das sich dieser Bericht bezieht, um ein Jahr mit überdurchschnittlichen Ernteergebnissen handelt. Trotzdem müssen wir feststellen, daß ein größerer Teil der Betriebe im Vergleich zu Bereichen der gewerblichen Wirtschaft eine Verschlechterung erfahren hat. Man ist also dem Ziel des Landwirtschaftsgesetzes nicht nähergekommen. Nicht einmal auf 7 O/o der Fläche ist der Vergleichslohn und eine angemessene Kapitalverzinsung erzielt worden, wie es vom Landwirtschaftsgesetz angestrebt wird.
Wohl haben in der mittleren Gruppe wenige Prozent der Betriebe mehr — eben dank des guten Jahres — den Vergleichslohn, doch keine angemessene Kapitalverzinsung erzielt. Die Lage der Betriebe in dieser Gruppe zwischen 80 und 90 % hat sich etwas gebessert. Aber der prozentuale Anteil der anschließenden Gruppe, also der Betriebe unter 80 %, hat sich verdoppelt. Während es im vorvorigen Bericht 5,8 % waren, sind es im letzten Bericht 12,1 %, die unter 80 % liegen.Dabei muß noch in Betracht gezogen werden, daß diese Entwicklung sich in einem Zeitabschnitt vollzogen hat, in dem 150 000 Vollarbeitskräfte der Landwirtschaft den Rücken gekehrt haben. Erst aus dieser Tatsache ergibt sich die volle Bedeutung desUmstandes, daß die Zurückgebliebenen dennoch nicht den Anschluß gefunden haben.Die Landwirtschaft hat sich bemüht, diesen Verlust an Arbeitskräften durch verstärkten Kapitaleinsatz wettzumachen. So haben die Investitionen für die Rationalisierung der Landwirtschaft in den letzten zehn Jahren eine Summe von 22 Milliarden DM erreicht, davon allein 16 Milliarden DM an Neuinvestitionen für die Anschaffung von Maschinen. Dadurch ist der Fremdkapitaleinsatz um eine weitere Milliarde auf 13 Milliarden DM gestiegen, die natürlich verzinst werden müssen. Wenn wir daran denken, daß wir beim Inkrafttreten des Landwirtschaftsgesetzes im Jahre 1955 eine Verschuldung von 6 Milliarden DM hatten und nun die Verschuldung 13 Milliarden DM beträgt, 'daß sie sich also mehr als verdoppelt hat, können wir uns ein Bild von der derzeitigen Lage machen.Die Folgen für die Menschen selber, die noch in der Landwirtschaft tätig sind, sind bitter. Es wäre ein Fehler, anzunehmen, daß ,sich durch die Mechanisierung die Arbeitszeit in der Landwirtschaft verkürzt hätte. Es ist für die in der Landwirtschaft Verbliebenen keinerlei Erleichterung eingetreten. Die Zahl der wöchentlichen Arbeitsstunden hat sich bei den Familienarbeitskräften leider nicht verringert. Während wir in der gewerblichen Wirtschaft allmählich der Vierzigstundenwoche zustreben, müssen wir auf Grund von exakten Erhebungen feststellen, daß die tatsächliche Arbeitszeit in der Woche unter Einrechnung des Sonntages bei den Familienkräften heute noch zwischen 70 und 80 Stunden liegt.Meine Damen und Herren, man fragt sich: woher kommt das? Es ist für uns alle eine ganz klare Sache: wir haben zwar eine gewisse Besserung erreicht — die ich vorhin angedeutet habe — im Vergleich zu dem schlechten Jahr 1959 auf 1960, in dem sich der Jahreslohn je Arbeitskraft auch in der Landwirtschaft um 388 DM erhöht hat, in der gleichen Zeit ist aber der Vergleichslohn in der gewerblichen Wirtschaft um 493 DM gestiegen. So hat sich also die Disparität erweitert. Wenn wir diese Kräfte umrechnen auf volle Arbeitskräfte, so ergibt sich ein Lohn in der Landwirtschaft im abgelaufenen Jahr von 4009 DM und in der gewerblichen Wirtschaft von 5441 DM, trotz des Einsatzes der Grünen Pläne.Nun ist der relative Einkommensabstand ungefähr der gleiche geblieben wie im letzten und im vorletzten Jahr. Ich habe darauf hingedeutet, der tiefere Grund ist die rasante Aufwärtsentwicklung der Einkommensmöglichkeiten in der gewerblichen Wirtschaft. Sie haben das während der letzten Jahre in steigendem Ausmaß erleben können. Es ist dort gelungen, dauernd die Löhne zu erhöhen, die Arbeitszeit zu verkürzen, den Urlaub zu verlängern und seitens der Betriebe noch zusätzliche soziale Leistungen zu ermöglichen. Leider zeigt die jüngste Entwicklung an, daß wir aufsehbare Zeit wohl nicht mit einer Änderung dieses Trends rechnen können, sondern daß diese Entwicklung weitergeht.Wir haben gerade vor wenigen Wochen bei der IG-Metall gesehen, daß die Arbeitszeit dort verkürzt und der Lohn erhöht werden konnten. Wir
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Bauknechthören, daß ab 1. April die Löhne bei den Bauarbeitern steigern werden, und wir wissen, daß für die öffentlichen Angestellten und 'Beamten neue Lohnerhöhungen beantragt sind.Meine Damen und Herren, die Landwirtschaft hat ihrerseits in den abgelaufenen Jahren versucht, den Ausgleich dadurch zu schaffen, daß sie die Löhne ebenfalls erhöht hat. Ich will es mir ersparen, das im einzelnen aufzuzeigen, aber immerhin ist bemerkenswert, daß im Vergleich zur Vorkriegszeit in der Landwirtschaft die Löhne im August 1961, also am Ende des zur Beratung stehenden Wirtschaftsjahres, bei einem Stand angelangt sind, der ungefähr den Index von 400 beinhaltet. Meine Damen und Herren, wenn wir allein für sich die Barmonatslöhne des sogenannten Gesindes betrachten, so sind wir bei einem Index, der ungefähr bei 580 liegt.
— Natürlich nicht, das wollte ich auch, Herr Frehsee, in keiner Weise gesagt haben: ich wollte nur aufgezeigt haben, daß sich die Landwirtschaft bemüht hat, diese Angleichung zu vollziehen und daß es trotz dieser Steigerung nicht gelungen ist, weil die anderen eben immer weitermarschiert sind.So entnehmen Sie den Zahlen des Grünen Berichts, daß wir heute zwischen den Landarbeiterlöhnen und denen vergleichbarer Berufsgruppen einen Unterscheid haben: hier 1,75 DM in der Stunde und dort 2,67 DM, und zwar bei den ver- gleichbaren Gruppen; denn es gibt in der Industrie noch andere Löhne, die zum Teil weit höher liegen, auf die wir hier bei der Betrachtung verzichten wollen. Wir müssen aber feststellen, daß bei den Fremdkräften der Lohnabstand sich in den letzten Jahren immer weiter vergrößert hat. Noch im Jahre 1956/57 war er bei 68 Pf, heute ist er bei 92. Wenn wir aber einen Vergleich zu den mitarbeitenden Familienkräften — diese machen heute in der Landwirtschaft 85'0/o aller Beschäftigten aus — anstellen, so ist der Abstand noch größer. Der effektiv errechnete Lohn für die Familienkräfte beträgt 1,32 DM in der Stunde, und damit liegt der Abstand zu den vergleichbaren Berufsgruppen bei 1,35 DM. Also haben die Familienkräfte nur die Hälfte des Lohnes erzielen können, den die Industriearbeiter beziehen, die Tür an Tür mit den Bauern wohnen.Das laufende Jahr wird uns in der Ertragslage einen schweren Rückschlag bringen; man rechnet jetzt schon mit einem Mindereinkommen von etwa 800 Millionen DM. Auf der anderen Seite hat Ihre Landarbeitergewerkschaft, Herr Frehsee, wie man gestern in der Presse lesen konnte, die Forderung erhoben, daß die Löhne im 'Durchschnitt um 52 Pf angehoben werden sollen.
Daraus kann sich jeder einen Vers machen, welche Auswirkungen das auf die Landwirtschaft selber hat. Wenn man zu den Fremdarbeitskräften, deren Zahl im Grünen Bericht mit 309 000 angegeben wird, die teilweise Beschäftigten hinzurechnet, deren Zahl67 000, als Vollarbeitskraft gerechnet, beträgt, dann kommen wir auf 376 000 Fremdarbeitskräfte. Eine Anhebung des 'Stundenlohns um 52 Pf würde bei 2500 Arbeitsstunden im Jahr in der Landwirtschaft eine Mehrausgabe von 488 Millionen DM bedeuten. Wenn Sie dann noch verlangen, daß auch .die Familienkräfte nicht schlechter bezahlt werden — ich will zugestehen, daß wir nicht 1300 DM, sondern 1000 DM mehr verlangen — und dabei bedenken, daß 2 Millionen Familienkräfte in der Landwirtschaft tätig sind, würde das einen Mehraufwand von 2 Milliarden an echtem Lohnanspruch ausmachen, den niemand zurückweisen kann. Diese 2 Milliarden plus den anderen 488 Millionen ergäbe eine Zahl von 21/2 Milliarden. Wenn Sie nun noch für die Familienkräfte den gleichen Lohnanspruch erheben, wären es 600 Millionen DM mehr, und Sie wären damit 'tatsächlich bei einem Unterschied von 3 Milliarden DM angelangt.Meine Damen und Herren, warum sage ich das? Ich will damit die Dinge nicht irgendwie auf die Spitze treiben, aber man muß davon sprechen, weil es sehr viele Leute gibt, ,die glauben, die Dinge seien heute weitgehend in Ordnung, weil der Landwirtschaft im Grünen Plan so viel gewährt werde. Dabei wird immer der Vorwurf erhoben, daß die Landwirtschaft nur von öffentlichen Mitteln lebe. Wie liegen denn die Dinge in Wirklichheit? Hat die Landwirtschaft nicht auch ihre Arbeitsproduktivität — was man von ihr verlangen kann — in einem großen Ausmaß erhöht? Ich möchte — wieder laut Grünem Bericht — feststellen, daß die Leistung je Arbeitskraft, je Vollarbeitskraft, im Jahre 1950/51 etwa 88 'Doppelzentner Getreideeinheiten betragen hat, im Jahre 1960/61 dagegen 204 Doppelzentner. Sie sehen, daß das eine exorbitante Leistung ist. Schließlich sind auch der Anwendbarkeit von Maschinen in der Landwirtschaft im Vergleich zur gewerblichen Wirtschaft immer gewisse Grenzen gesetzt. Wenn man dies berücksichtigt, kann man nur sagen: Hut ab vor einem solchen Erfolg! Wie aber hat sich dieser 'Erfolg ausgewirkt? Sie haben es aus den Zahlen, die ich Ihnen vorhin genannt habe, entnehmen können.Diese Dinge sind natürlich nicht für Deutschland allein typisch, sondern hier handelt es sich um eine Entwicklung, die sich in allen Industrieländern der Welt angebahnt hat. Das ist bedauerlich. Infolgedessen mußten diese Länder Maßnahmen treffen, um ihrer Landwirtschaft unter die Arme zu greifen. Also diese Staatshilfen zur Abmilderung dieses schlechten Zustandes werden nicht nur in der Bundesrepublik gegeben.Ich darf Ihnen ein Beispiel nennen. Aus einer Veröffentlichung, die kürzlich herausgekommen ist, geht hervor, daß das Arbeitseinkommen eines Menschen, der in unserem Nachbarstaat Dänemark in der Landwirtschaft tätig ist — Dänemark hat unter ganz anderen Voraussetzungen gewirtschaftet; denn es war praktisch der Weltwirtschaft angeschlossen —, im Jahre 1950 23 % höher als das Einkommen bei vergleichbaren Gruppen der gewerblichen Wirtschaft lag. Im Jahre 1960, nach zehn Jahren, lag es 22 % niedriger. Die Dänen haben nach den
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BauknechtBauernunruhen im April des vergangenen Jahres abrupt die Konsequenz daraus ziehen müssen. Sie mußten einen ähnlichen Grünen Plan einführen, wie wir ihn in der Bundesrepublik haben.Es ist auch weitgehend bekannt, daß, in der Methode variiert, überall entsprechende Hilfen Platz greifen mußten, ob es sich nun um Staaten, die selber Überschüsse in der Agrarproduktion haben, oder um Importländer handelt. Ich darf als die beiden gegensätzlichen Pole nur die Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien nennen.In diesem Zusammenhang darf ich noch auf eine andere bedauerliche Tatsache hinweisen. Ich habe wirklich an die Offentlichkeit und namentlich auch an sämtliche Publikationsorgane — ob es das Bundesernährungsministerium, die Presse oder der Rundfunk ist — die Bitte, in den Veröffentlichungen mit den Zahlen, die man hinsichtlich der der Landwirtschaft gewährten Hilfen nennt, etwas vorsichtiger zu sein. Es hat mich erschreckt, als ich vor wenigen Wochen in der Zeitung las — wahrscheinlich haben Sie es auch gelesen —: Hilfe für die Landwirtschaft 3,6 Milliarden. Das ist der Gesamtetat des Einzelplans 10 für das Bundesernährungsministerium. Warum hat man nicht gleichzeitig dazugeschrieben, daß darin inbegriffen sind die allgemeinen Verwaltungskosten des Ministeriums, die Kosten für sämtliche Anstalten und Institute, die der Bund betreibt, die Kosten für die allgemeine Vorratshaltung und auch — was sicherlich niemand etwa ablehnen wird — die Mittel für die gesamte strategische Reserve für Berlin. Das alles knallt man dann der Landwirtschaft auf die Badehose.
Meine Damen und Herren, das Klima zwischen Verbraucher und Erzeuger könnte sehr viel besser werden, wenn man in diesen Dingen wirklich die nackte Wahrheit sagte.
— Im Grünen Plan, Herr Kollege Schmidt, steht es, aber in den Publikationen ist es anders. Diesen Wunsch darf ich hier zum Ausdruck bringen. Ich glaube, daß ich hier auch in Ihrem Sinne rede.
Wenn man die Aufwendungen für den. Grünen Plan für sich betrachtet, muß man den Plan in mehrere Teile zerlegen. Ein wesentlicher Posten sind ohne Zweifel diejenigen Ausgaben und Kosten, die für die strukturellen Verbesserungen entstehen. Sie haben bekanntlich schon ihren Anfang genommen, bevor es ein Landwirtschaftsgesetz gab. Sie sind bekannt unter dem Namen ,,Lübke-Plan". Aber auch diese Kosten werden fälschlicherweise immer als Subventionen angesprochen, obwohl sie keine sind. Diejenigen unserer Kolleginnen und Kollegen, die schon im Bundestag waren, als wir das Landwirtschaftsgesetz schufen, wissen genau, daß man es vornehmlich wegen der wirtschaftlichen Hilfen und nicht allein deshalb geschaffen hat, um die Struktur zu verbessern. Die Strukturverbesserung war, wiegesagt, schon vorher in Angriff genommen worden.Das Landwirtschaftsgesetz sieht also nicht allein die Möglichkeit vor, die Lage der Landwirtschaft durch Subventionen oder Strukturhilfen zu. verbessern. Ich darf daran erinnern, daß man in sämtlichen Entschließungen — ich habe sie kürzlich nachgeschaut —, die in den vergangenen Jahren bei der Debatte über den Grünen Plan verabschiedet wurden, immer darauf hingewiesen hat, man möge die Lage etwas mehr mit Hilfe des § 1 des Landwirtschaftsgesetzes verbessern und nicht nur über § 5. In § 5 sind die direkten Hilfen des Staates angesprochen. Offenbar war das nicht in dem Umfang möglich, vielleicht hat man sich auch gescheut; ich weiß das nicht. Man hätte aber hier vielleicht noch manches besser machen können, entweder durch Verbesserung der Markterlöse oder durch Unkostensenkung und nicht allein durch direkte Einkommenszuschüsse. Man müßte auch in Zukunft untersuchen, ob man auf diesem Gebiet nicht noch mehr erreichen kann, obwohl ich mir darüber klar bin, daß das durch den Eintritt in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft nicht leichter geworden ist.Meine Damen und Herren, diese öffentlichen Hilfen, die wir als globale Subventionen bezeichnen, sind nur ein geringer Teil. Sie werden rund 700 bis 800 Millionen betragen gegenüber 2060 Millionen insgesamt, die drinstecken.Ich darf Ihnen sagen, daß andere Staaten zum Teil weit mehr geben, sowohl je Kopf ihrer Bevölkerung als auch je Kopf der in der Landwirtschaft Beschäftigten. So wendet allein Großbritannien je Kopf der in der Landwirtschaft Beschäftigten 2955 DM auf, die Bundesrepublik 751 DM. Auch darüber sollte man in der Offentlichkeit mehr reden. In Großbritannien betragen die Aufwendungen für die Landwirtschaft je Kopf der Bevölkerung 58 DM und in der Bundesrepublik 51 DM. Hier nähern sich die Zahlen also an. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika wenden je Kopf der in der Landwirtschaft Beschäftigten 2055 DM auf und je Kopf der Bevölkerung etwa das Vierfache wie in der Bundesrepublik, hier nämlich 751 DM.Meine Damen und Herren, in der Öffentlichkeit wird immer wieder die Meinung vertreten, wir wollten die Strukturverbesserungen zweitrangig behandeln und nur unmittelbare Hilfen haben. Dem ist in keiner Weise so. Aber es geht einfach nicht ohne diese globalen Hilfen.In diesem Zusammenhang wollen wir auch einmal — der Herr Bundesminister hat es bei sein-er Rede in der letzten Woche angezogen — einen Blick auf die Hilfen für andere Berufe werfen, die ja in der Regel schamhaft verschwiegen werden. Wir finden auch dort horrende Beträge. Sie sind den meisten von Ihnen bekannt. Sie wissen das. Wer sich die Mühe machen will, das in der betreffenden Bundestagsdrucksache nachzuschlagen, der findet, daß für die gewerbliche Wirtschaft an direkten Hilfen etwa das Zweieinhalbfache aufgewendet wird und daß in der sozialen Wirtschaft — zu Recht, sage ich — an direkten Zuschüssen für die Rentenversicherung in diesem Jahre 6,2 Milliarden DM gegeben werden,
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518 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Bauknechtweil diese Leute ihre Einkommensmöglichkeiten eben von sich aus nicht so gestalten können, daß sie diese Beträge selber aufbringen könnten. Das gleiche gilt aber auch für die Landwirtschaft.Man erhebt immer wieder den Vorwurf, durch diese globalen Hilfen würden Zustände konserviert, die heute nicht mehr vertreten werden könnten. Es wird gesagt, die Landwirtschaft werde verleitet, am Markte vorbei zu produzieren. Man komme zu unheilvollen Überschüssen, die man dann auf Kosten des Staates wieder in andere Länder geben müsse. Es komme außerdem zu Differentialrenten.Ich darf zunächst auf den letzten Gesichtspunkt eingehen. Sie sehen aus dem Grünen Bericht mit aller Deutlichkeit, wie es sich mit den Differentialrenten verhält. Sie sehen, daß nicht einmal 7 % den vollen Vergleichslohn und die Kapitalverzinsung erreicht haben. Ebenfalls muß gesagt werden, daß es in der Bundesrepublik noch auf keinem Gebiet zu wirklichen Überschüssen gekommen ist. Wenn in der EWG Überschüsse entstehen, so in den anderen Ländern.Zu der Frage der Rückständigkeit darf ich sagen, wir sind in einem Prozeß der Strukturumwandlung begriffen, der soweit geführt hat, daß in den letzten zwölf Jahren, also seit 1949, 400 000 Betriebe abgegeben worden sind, die man als Kümmerbetriebe bezeichnen kann. Dieser Prozeß setzt sich fort. Man konserviert also keineswegs etwas Überlebtes.Sie finden dann über den Grünen Plan hinaus noch Anträge zum Teil meiner Fraktion, zum Teil der Koalition, die sich mit der Qualitätsprämie für die Milch beschäftigen. Wir sind der Überzeugung, daß die Qualitätsprämie in der letzten Zeit ausgezeichnet gewirkt hat. Sie war vor allen Dingen eine sehr gute Hilfe für die Betriebe, die wir als förderungsfähig bezeichnen und deren Erhaltung wir uns als Ziel in der EWG vorgestellt haben, nämlich die bäuerlichen Familienbetriebe. Man gibt keineswegs denen Geldbeträge, die es nicht verdienen. Sie werden vielleicht sagen, daß auch ganz kleine Betriebe davon etwas erhalten, was ihnen aber nicht sehr viel nützen würde; auf diese Weise würde vielleicht die Kuhhaltung dort konserviert. Darauf möchte ich erwidern: Schauen Sie sich einmal die Ergebnisse der Viehzählungen an. Dann sehen Sie, daß die Kuhhaltung in den ganz kleinen Betrieben richtigerweise sehr stark im Abnehmen begriffen ist und sich auf die mittelbäuerlichen Betriebe verlagert. Daher kann man die Milchsubventionen oder die Qualitätsprämie als gezielte Hilfe für ,die bäuerlichen Familienbetriebe ansehen.Sie finden in unserem Antrag die Forderung nach der Wiederherstellung des sogenannten vierten Milchpfennigs, den wir in den vergangenen Jahren hatten. Das ist zu verantworten. Das ist eine Notwendigkeit, um die große Disparität wenigstens in etwa zu mildern. Das ist auch insofern berechtigt, als die Produktionskosten in der abgelaufenen Zeit sehr stark gestiegen sind.Ich komme hiermit zu etwas anderem, das von meiner Fraktion gutgeheißen wurde, nämlich zur Anhebung des Trinkmilchpreises auch in der Bundesrepublik. Der Trinkmilchpreis ist seit dein Jahre 1956 fest geblieben, obwohl sich in der gleichen Zeit die Kosten in der Produktion um 21/2 Pfennig und bei der Bearbeitung um 11/2 Pfennig gesteigert haben. Ich habe diese Zahlen vor einiger Zeit der Öffentlichkeit übergeben. Auf Grund meiner Feststellung sind während dieser Zeit beispielsweise bei den Bearbeitungskosten die Gehälter bei den Angestellten in den Molkereien um 381/2 % und bei den Molkereiarbeitern um 621/2 % gestiegen. Alle diese Mehrkosten sind dem Erzeuger angelastet worden, weil die Molkereien nicht noch mehr rationalisiert werden konnten. Sie haben schon den Höchststand der Rationalisierung erreicht.Daher sind wir der Auffassung, daß eine Anhebung der Trinkmilchpreise zu erfolgen hat, auch schon im Hinblick darauf, daß es sich hier um eine der ganz wenigen möglichen Wege handelt, um die Markterlöse zu verbessern. Zugleich wird der Trinkmilchpreis auch auf ,den Stand in den anderen Staaten der EWG und den Ländern der EFTA angehoben. Von den Ländern Europas hat nur Dänemark einen niedrigeren Trinkmilchpreis als die Bundesrepublik.
Herr Abgeordneter Bauknecht, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Frehsee?
Bitte.
Haben Sie keine Sorgen, Herr Kollege Bauknecht, daß der Absatz der Milch beeinträchtigt wird, wenn Sie den Trinkmilchpreis anheben? Haben Sie keine Sorge, daß dann der Gesamterlös aus dem Verkauf von Trinkmilch unter Umständen sinken könnte?
Herr Frehsee, diese Sorge ist aus folgenden Gründen unberechtigt. Seitdem der Milchpreis der gleiche geblieben ist, haben sich dankenswerterweise die Einkommen aller, die Milch trinken, sehr gesteigert. Und wenn man etwa glauben würde, daß die Familien mit vielen Kindern dadurch in Not kämen, dann ist das eine Frage der Sozialpolitik, dann muß das Kindergeld erhöht werden.
Herr Frehsee, Sie kämpfen ja auch für den Landarbeiter und den kleinen Bauern, und da gibt es Bäuerinnen, deren Einkommen, wie ich vorhin geschildert habe, etwa die Hälfte der anderen beträgt. Auch daran müssen wir denken, daß wir hier Verbesserungen erzielen.
Dann möchte ich die Dinge noch von einer anderen Seite beleuchten: Ein Grund für einen Rückgang des Verzehrs kann darin liegen, daß wir heute keine Hauszustellung mehr haben und daß die Hausfrau in weitem Maße zur Kondensmilch übergegangen
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 519
Bauknechtist, weil sie nicht einen halben Kilometer weit ein paar Glasflaschen mit Milch schleppen kann. Wenn wir einmal so weit sein werden, daß wir, wie in London, morgens vor Tagesanbruch der Hausfrau mit dem Elektrokarren die Milch vor die Haustür stellen können, dann wird sich, glaube ich, auch bei uns der Absatz wieder heben.
Gestatten Sei eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Bauknecht?
Bitte sehr!
Isst das die Meinung Ihrer ganzen Fraktion?
Die Meinung meiner Fraktion, jawohl! Wir haben diese Dinge einmütig beschlossen. — Herr Kollege Dröscher, Sie wollten auch noch etwas fragen. Ich will Ihnen nicht das Wort abschneiden.
Zu einer Zwischenfrage Herr Abgeordneter Dröscher!
Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie mit mir darin übereinstimmen, daß der Trinkmilchverbrauch pro Kopf der Bevölkerung im letzten Jahr schon zurückgegangen ist.
Aber nicht aus preislichen Gründen, Herrn Abgeordneter Dröscher, sondern aus den anderen Gründen, die ich Ihnen soeben geschildert habe!
— Er wird dadurch nicht abgebremst. Das ist eine Frage der Verzehrgewohnheiten. Das zeigt sich auch bei anderen Produkten, daß der Preis nicht die wesentliche Rolle spielt.
Herr Abgeordneter Bauknecht, der Herr Abgeordnete Dr. Schmidt möchte eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr!
Stimmen Sie nicht mit uns darin überein, .daß Ihr Minister, Herr Schwarz, die gleichen Sorgen hatte wie wir?
Er hat sie nur ganz am Rande erwähnt.!Lachen bei der SPD.)— Nun ja, er wollte Ihnen entgegenkommen, weil er ein feiner Mann ist. Aber ich glaube nicht, daß er, wenn man ihn auf Herz und Nieren prüft, eine andere Auffassung in diesen Dingen hat als wir.Meine Damen und Herren! Man dramatisiert nur, wenn in der Landwirtschaft ein Produkt verteuert wird. In anderen Zweigen der Wirtschaft wird es schamhaft nicht als Preissteigerung bezeichnet. Wenn Sie am Montag in die Zeitungen hineingesehen haben, konnten Sie in den Berichten über die Eröffnung der Kölner Messe lesen, daß es sich dort um „Preiskorrekturen" handele, und solche Preiskorrekturen kommen immer wieder, weil dort die Produktionskosten, falls man es nicht durch die Arbeitsproduktivität auffangen kann, eben auf den Preis geschlagen werden. Ich habe dieser Tage bei den Händlern und den Genossenschaften eine Rückfrage wegen der Landmaschinen gehalten. Man hat dort bereits im Herbst einige Preiskorrekturen vorgenommen, und man rechnet mit weiteren Preiskorrekturen, weil offenbar die Lohnerhöhungen und die Arbeitszeitverkürzungen nicht verkraftet werden können. Aber wenn ich Ihnen geschildert habe, wie bei uns das Einkommen ist — bei den Familienkräften nicht einmal die Hälfte des Einkommens derjenigen, die in der gewerblichen Wirtschaft tätig sind —, und wenn man auf der anderen Seite nicht gewillt ist, alles über Subventionen zu machen, was Sie ja auch verurteilen, dann muß man eben den anderen, einzig möglichen Weg einschlagen.Und, meine Damen und Herren, einiges Eigenkapital braucht man auch, wenn man Investitionen macht. Sosehr wir es begrüßen, daß es jetzt möglich geworden ist, für alle Kredite, die der Betriebsumstellung und Betriebsanpassung dienen, den Zinssatz auf 3 % zu senken, müssen wir doch betonen, daß es auch hier nicht ohne Eigenkapital geht, und bisher haben die bäuerlichen Familienbetriebe eben ihr Eigenkapital weitgehend aus den Erlösen der Milch genommen.Zu der Frage der Verzinsung möchte ich sagen, daß wir diese Maßnahme sehr begrüßen. Ich darf feststellen: ich habe mit dem Wirtschaftsminister über diese Frage gesprochen und habe gesagt, diese 3 % sollten ein erster Anfang sein; und die Bundesregierung ist hier dankenswerterweise gefolgt.Sie finden aber nun noch einen Antrag der Koalition, in dem weitere Zinsverbilligungen gefordert werden. In dem neuen Programm ist ja für die bereits bestehenden Investitionsschulden eine Zinskonvertierung nur dort vorgesehen, wo bisher schon Zinsverbilligungen Platz gegriffen haben. Dagegen ist in dem neuen Programm — also: Hofkredite — nicht vorgesehen, die Zinsen für bereits bestehende Schulden herabzusetzen. Ich glaube, man muß das tun, aus Gründen der Gerechtigkeit, denn diejenigen, die unseren Parolen gefolgt und als Pioniere bei der Rationalisierung und Mechanisierung vorangegangen sind, stecken zum Teil in so hohen Schulden, daß sie, wenn sie 7 und 8 und noch mehr Prozent Zinsen für diese Schulden zahlen müssen, nicht mehr liquide sind. Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten in vorsichtiger Weise diese Dinge in Angriff nehmen; man sollte die Richtlinien — und das ist in dem Antrag aufgenommen — so ausbauen, daß die Altschulden mit einbezogen werden. Selbstverständlich nach sorgfältiger Prüfung; aber wir dürfen denen, die als Pioniere vorangegangen sind, nicht vorenthalten, was jetzt — nun, ich möchte nicht sagen: die Saumseligen,
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Bauknechtaber: die, die sich heute erst entschließen können, in Anspruch nehmen können.Ich bitte daher, diesem Antrag stattzugeben.In der Zinsverbilligung ist auch noch eine neue Sache aufgenommen. Der Minister hat in seiner Rede darauf hingewiesen: man denkt daran, auch die Absatzform zu modernisieren, andere, neue Vermarktungseinrichtungen zu schaffen. Wenn Sie in der Presse in der Vergangenheit gelesen haben, daß heftigste Diskussionen darum entstanden sind, und man jetzt glaubt, man könne einen Keil zwischen die Selbsthilfeorganisationen der Bauern — landwirtschaftliche Genossenschaften genannt — und den be-. und verarbeitenden Mittelstand treiben, dem ist nicht so. Was ist hier vorgesehen? Vorgesehen ist, daß der Kredit für den Bauern verbilligt wird, sofern er sich an einer zu bildenden AG oder GmbH oder wie man das Ding heißen will — nicht von vornherein neue Einrichtungen, sondern bestehende Einrichtungen mittelständischer und genossenschaftlicher Natur — beteiligen will, wobei allerdings vorausgesetzt ist, daß die Bauern einen maßgebenden Einfluß dabei haben, und das wären 51 % der Anteile, daß er dann vom Bund das Geld, das er hierfür aufwenden muß — mit einer oberen Begrenzung selbstverständlich — verbilligt bekommt.Das, glaube ich, ist ein fairer Wettbewerb. Diese Dinge müssen forciert werden. Das ist eine der wichtigsten Aufgaben. Denn auf der anderen Seite bilden sich im Einkauf moderne Ketten, die kontinuierlich mit standardisierten Produkten von bester Qualität beliefert werden sollen. Das Ausland bietet sie vielfach an. Wenn wir das nicht mitmachen, ziehen wir den kürzeren.Ich glaube aber, es ist notwendig, vorzusehen, daß dieser Kredit nur dann gegeben wird, wenn auch bestimmte Verträge zwischen diesen Unternehmen und den Bauern geschlosesn werden. Das ist an und für sich nichts Neues. In der Milchwirtschaft, sowohl bei den privaten wie bei den genossenschaftlichen Betrieben, haben wir praktisch diese Abkommen schon. Es wird sich im wesentlichen darum drehen, sie auch auf andere Gebiete auszudehnen.Das wäre eine sinnvolle Sache, die gleichermaßen beiden zugute käme. Der Mittelstand würde erhalten, und die Landwirtschaft hätte hier eine Einflußmöglichkeit.Meine Damen und Herren, zum Schluß noch ein paar kurze Hinweise. Auf die anderen Teile des Grünen Plans will ich mich jetzt nicht einlassen; sie werden von den nach mir sprechenden Rednern noch behandelt werden.Sie finden einen Antrag vor, der darauf hinausläuft, die Strukturverbesserungsmittel in dem Fonds, der mit der Bindungsermächtigung von 50 Millionen gebildet wird, auf 150 Millionen DM zu erhöhen, und zwar aus dem Grunde, weil für die Aussiedlung und die Flurbereinigung bereits im letzten Jahr ein Vorgriff auf den neuen Etat in Höhe von 90 Millionen DM erfolgte. Es muß sichergestellt werden, daß das Programm, das heute läuft, keineUnterbrechung erfährt. Daher bitte ich Sie, darauf Rücksicht zu nehmen.Es wäre noch notwendig, die 100 Millionen DM für die Altershilfe der Landwirtschaft mindestens vom nächsten Grünen Plan an in den Etat des Arbeits- und Sozialministeriums zu übernehmen. Diese Mittel sind jetzt im Grünen Plan eingesetzt; sie gehören aber in den Etat des Arbeits- und Sozialministeriums.Die Sozialdemokratie hat in der Frage der Subventionierung des Wirtschaftsdüngers eine andere Auffassung als ich. 'Sie sieht vor, die dafür eingesetzten 185 Millionen DM zu streichen und sie anderen Zwecken zuzuführen. Auch das Bundesministerium war dieser Auffassung; es ist aber zu begrüßen, daß auf Grund der schlechten Wirtschaftsentwicklung dieses Jahres, der schlechten Ernte diese Düngerprämie noch einmal eingesetzt wurde. Ich bitte Sie dringend, sie stehenzulassen; sie kommt wirklich allen zu Hilfe. Die Ernteergebnisse werden ja in diesem Jahr schlecht sein.Am Rande noch etwas, was ich bisher vermißt habe: Man hat offenbar die Absicht, die Schafzucht zu übergehen. Ich möchte, daß die Wollprämie in Höhe von 5 Millionen DM wiedereingeführt wird. Wenn Sie daran denken, daß die Wollpreise heute im Vergleich zum Jahre 1938 einen Index von 75 haben, kann sich jeder vorstellen, wie die Schafzucht zu kämpfen hat. Wenn Sie weiter wissen, daß wir heute so viel Brachland haben, das nur von Schafen beweidet werden kann, muß man die Frage erheben, ob man so reich ist, daß man darauf verzichten will.Wir stehen vor dem Eingang in die EWG. Was im jetzigen Grünen Plan vorgesehen ist, hat mit dem Eintritt in die zweite Phase absolut nichts zu tun. Wenn sich daraus Folgen ergeben würden, die Schäden für die Landwirtschaft bringen, so darf ich die Bundesregierung daran erinnern, daß sie versprochen hat, diese Schäden aufzufangen. Wenn das im zweiten Halbjahr notwendig werden sollte, wird es eben ohne einen Nachtragshaushalt nicht gehen.Noch ein Wort zum Schluß. Wir reden von den Globalhilfen, wir reden von den Einsätzen, und wir haben bei der EWG-Debatte davon geredet, ob es möglich ist, das gesamte Agrarpreisniveau zu erhalten. Meine Damen und Herren, ich habe die dringende Bitte — die ich auch im Auftrage meiner Freunde ausspreche —, und ich mache der Regierung die Auflage, sie sollte hier keine Konzessionen machen. Wir haben am 14. Januar gegenüber unseren Handelspartnern in Brüssel all die Konzessionen gemacht, die möglich waren. Aber das Agrarpreisniveau angesichts der Ergebnisse dieses Grünen Berichts und angesichts der Ernteergebnisse, die in diesem Jahre zu erwarten sind, zu senken, wäre doch das Verkehrteste, was wir machen können. Was hätten die anderen Landwirte in der EWG für Hoffnungen, wenn wir unser Preisniveau senken würden! Ich warne davor, zu glauben, daß man, wenn man niedrigere Getreidepreise hätte, mit Hilfe der tierischen Veredelungsproduktion den Ausgleich schaffen könnte. Sie wissen, daß wir ge-
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Bauknechtrade bei tierischen Veredelungsprodukten heute schon in der EWG an der Decke sind. Die Marktverhältnisse zeigen es, beispielsweise auf dem Geflügel- und Eiermarkt. Ich bitte daher, hier größte Vorsicht walten zu lassen.Wenn wir alle der Auffassung sind, den bäuerlichen Familienbetrieben helfen zu sollen, dann müssen wir uns jetzt etwas einfallen lassen, z. B. Präferenzen schaffen für die tierische Veredelungsproduktion, die sonst rein industriell getätigt werden kann, also bei Schweinen, Legehennen und Masthühnern. Ich will Ihnen jetzt nicht sagen, wie es werden würde, wenn wir etwa Dänemark und Holland folgten. Aber vielleicht eine Zahl: Wir haben etwas mehr Hühner als Einwohner in der Bundesrepublik,
die Dänen das Siebenfache. Viel dümmer sind wir auch nicht als die da drüben, und wenn wir niedrige Getreidepreise hätten, würden wir genauso lustig produzieren wie die. Was am Ende stehen würde, das kann sich dann jeder selber ausmalen. Deshalb warne ich vor ,einem solchen Anstieg.Meine Damen und Herren, wir, die Regierung und das Parlament, haben die Verantwortung in diesem Hause, einen Weg zu finden, wie wir die Landwirtschaft in die moderne Industriegesellschaft eingliedern können, ohne daß sie Schaden nimmt; sie muß vielmehr als gleichberechtigtes Glied mit gleichen Erfolgschancen ihren Verpflichtungen nachkommen können.
Meine Damen und Herren! Ich unterbreche kurz die Beratung des Punktes, der aufgerufen ist, um zu Punkt 4 zurückzukehren, wo etwas versäumt wurde. Da die Zahl der Redner beträchtlich ist, fürchte ich, daß wir heute mit der „grünen" Diskussion nicht zu Ende kommen, und die Korrektur, von der ich sprach, muß alsbald vorgenommen werden, wiel die Sache in Druck gehen soll.
Es handelt sich darum, daß bei Punkt 4 Wehrpflichtgesetz die Umdrucke 23 und 24 statt an den Innenausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß überwiesen werden sollen. Ist das Haus einverstanden? — Dann ist so beschlossen.
Ich kehre nunmehr zur Beratung des Grünen Plans zurück. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt .
Meine sehr verehrten 'Damen und Herren! Kollege Bauknecht war so liebenswürdig,
dem Hause eine Einführung in .das Zahlenmaterial des Grünen Berichts zu geben. Er hat mir damit viel Arbeit abgenommen, und dafür bin ich ihm recht dankbar.Wir haben heute vormittag der Katastrophe von Hamburg und der Küste gedacht. Diese beklagenswerte Katastrophe hat gezeigt, 'daß es keine Unterschiede gibt. Alle sind davon betroffen, ob reich oder arm, ob Bauer, Arbeiter oder Angestellter, und es ist für mich ein Zeichen dafür, daß wir, mehr als manche es wahrhaben mögen, aufeinander angewiesen sind.
Das gilt auch für das wirtschaftliche Leben. Auch da gibt es Starke, sehr Starke, und auch Schwache und sehr Schwache. Ich glaube, es 'würde zu einem Freistilringen kommen und werden, wenn nicht der Staat für einen Ausgleich der Interessen sorgte.Die Entwicklung nach 1945 hat uns gezeigt, nachdem alle ziemlich hart getroffen worden sind, daß die Landwirtschaft wirtschaftlich wie sozial 'das schwächste Glied in unserer Wirtschaft ist. Das ist sie nicht aus eigener Schuld. Die Landwirtschaft hat in dieser Aufbauzeit Leistungen vollbracht, die ohne Beispiel in der ganzen Welt sind. Aber in diesem allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklungsprozeß hatte sie einfach nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen wie die Industrie, und dieser Prozeß ist durch die Bundesregierung in den letzten 12 Jahren gestützt worden. Das Ergebnis ist für mich und meine Freunde, daß es nicht zu dem gewünschten Ausgleich der Interessen gekommen ist. Vielmehr mußte man manchmal den Eindruck haben, daß die Interessen gegeneinander ausgespielt werden.Der Grüne Bericht über ,das Berichtsjahr 1960/61 enthält das Ergebnis dieser Politik. Er ist, gemessen an den Zielen und am Auftrag des Landwirtschaftsgesetzes, wahrlich nicht mit großem Vergnügen zu lesen.Wir erkennen an, daß der Aussagewert des 7. Grünen Berichts besser ist als früher. Dem Hause, der Landwirtschaft und der Offentlichkeit sind brauchbare Zahlen vorgelegt worden. Dennoch haben wir darin einiges vermißt, nachdem in dem Koalitionsabkommen — gestatten Sie, daß ich darauf hinweise — davon die Rede gewesen ist, daß die Lage der Landwirtschaft durch eine neue Bestandsaufnahme dargestellt werden sollte. Herr Bundesminister Schwarz hat in seiner Erklärung schon darauf hingewiesen, daß er einem solchen Verlangen nicht nachkommen könne. Ich möchte das nur feststellen.Trotzdem könnte es nicht schaden, wenn wir zu weiteren Verbesserungen im Grünen Bericht kämen.Meine Anregung geht dahin, Herr Bundesminister, im kommenden Jahr vielleicht auch einmal die Marktsituation in dem Bericht zu analysieren. Da gibt es eine Menge darzustellen. Das fehlt bisher.Noch eine weitere Anregung: Es wäre gut, wenn wir etwas über die Kosten- und Ertragslage in den übrigen Ländern der EWG erfahren könnten. Ich denke z. B. daran, daß in dem holländischen Lagebericht etwas über die Kostenrechnung ausgesagt wird. Wir sollten uns daran ein Beispiel nehmen.Lassen Sie mich nun mit einigen Strichen den Lagebericht zeichnen, ohne auf die vielen Einzel-
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Dr. Schmidt
heiten einzugehen; das hat Kollege Bauknecht schon getan.Das Endergebnis darf ich genauso wie Sie, Herr Kollege Bauknecht, zusammenfassen: Es ist, verglichen mit der Entwicklung der übrigen Wirtschaft, enttäuschend, wenn nicht sogar ein bißchen jammervoll, obwohl die Landwirtschaft sehr große Leistungen vollbracht hat. Aber dieses Ergebnis hat natürlich seine Gründe, und diese Gründe sind in der Politik zu suchen.Ich möchte jetzt hier nicht all die Leistungen darstellen, sondern nur auf die menschlichen Leistungen zu sprechen kommen. Sie müssen nämlich 'besonders hervorgehoben werden. Im letzten Berichtsjahr haben wir wiederum 150 000 Vollarbeitskräfte, sei es als Landarbeiter, sei es als Familienangehörige der Bauern, abgeben müssen. In .den letzten zehn Jahren waren es 1,5 Millionen. Der Durchschnittsbesatz der bäuerlichen Betriebe an Arbeitskräften hat sich in den letzten zehn Jahren um ein Drittel verringert. Trotz dieser Verringerung von Arbeitskräften sind die Leistungen verdoppelt worden. Das muß Anerkennung finden. Man muß dem Landvolk dafür danken. Das ist auch ein Zeichen dafür, daß die Tüchtigkeit und Anpassungsfähigkeit unserer Landwirtschaft nach wie vor gegeben ist. Herr Kollege Struve hat schon in der Europadebatte darauf aufmerksam gemacht, daß weitere Kräfte der Landwirtschaft abwandern werden. Wissenschaftler gehen sogar so weit, zu behaupten, daß in dem nächsten Jahrzehnt eine weitere Million aus der Landwirtschaft ausscheiden müssen. Ich hoffe, daß es nie zu einem solchen Ausmaß kommt, denn wenn es dazu käme, würde die bäuerliche Substanz unmittelbar angegriffen werden, und ,daran können wir nicht interessiert sein.
Selbst wenn der Prozeß langsamer vor sich geht, wird er sehr schmerzhaft sein, schmerzhafter als in den letzten Jahren. Wir wissen doch schon heute, daß es in vielen Betriebsbereichen der Landwirtschaft — wer sie genau kennt, der weiß das — eine Schufterei und Schinderei gibt. Ich empfinde es immer als eine gewisse Ironie des Schicksals, daß die Industrie der Landwirtschaft die Kräfte absaugt, während dieselbe Industrie der Landwirtschaft Betriebsmittel zu angemessenen Preisen verweigert,
die Ersatz für die weggehenden Menschen sind.Aber anscheinend geht es in der Wirtschaft ebennicht edel zu, da wird mit rauhen Mitteln gearbeitet.Ich sagte schon: bisher ist ,das noch verhältnismäßig glatt gegangen. Aber dabei wird einmal ein außerordentlich kritischer Zeitpunkt eintreten. Ich habe die Frage an die Bundesregierung, ob sie Vorstellungen darüber 'hat — nachdem der Bundeminister selbst hier im Hause davon gesprochen hat —, wie sie dieser Entwicklung Rechnung tragen will. Schließlich ist die Erhaltung der Menschen auf dem Lande doch eine sehr ehrenwerte Sache.Lassen Sie mich auch einige Bemerkungen allgemeiner Art zur Einkommens- und Ertragslage sagen.Die Ertragslage hat sich gebessert, ein wenig gebessert. Das hat der Kollege Bauknecht schon betont. Aber sie wird — ich will es nach den Ausführungen dies Ministers und auch nach der Darlegung des uns vorgelegten Berichts und Planes wiederholen — im kommenden Berichtsjahr, 1961/62, 'schlechter sein, als sie im Augenblick ist. Wir entnehmen aus dein jetzt vorgelegten Bericht auch, daß die Verbesserungen in erster Linie über die Einnahmen aus der Veredelung kommen. Wir stellen trotz der Verbesserungen fest, daß der Differenzbetrag zwischen dem Vergleichslohn und dem erzielten Lohn größer und nicht kleiner geworden ist, obwohl wir ein Landwirtschaftsgesetz haben.Ich will auf die Unterschiede der Entwicklung in der Landwirtschaft selber nicht weiter hinweisen; das werden einige Kollegen meiner Fraktion nachher tun. Aber ich frage mich: welchen Sinn haben solche Berichte und solche amtlichen Feststellungen, wenn idaraus nicht irgendwie Konsequenzen gezogen werden? Diese Frage war uns gestellt, und ich frage die Bundesregierung.Die Bundesregierung hat in der Regierungserklärung folgendes gesagt: Die derzeitige Wirtschafts-und Ertragslage der deutschen Landwirtschaft darf nicht verschlechtert werden, sie muß, wo sie unzureichend ist, verbessert werden, Bei der Ankündigung, daß das nächste Jahr schlechter sein wird als das jetzige, ergibt sich doch ganz konkret die Frage: Sagen Sie, Herr Bundesminister, wie wollen Sie diese Einkommenslage bei den schlechteren Aussichten verbessern? Reicht es aus, was Sie im Grünen Plan hierzu 'vorschlagen? Ich könnte mir vorstellen, .daß sich, nachdem ja so viele neue Kräfte in die Bundesregierung eingetreten sind, diese bemerkbar machen. Sie stellen auch den Finanzminister, so daß es bei der Bewilligung der Mittel dann nicht mehr so schlecht bestellt sein dürfte.
— Wir sind uns darin jedenfalls alle e inig, die hier noch im Hause sitzen; es sind zwar nicht sehr viel, aber es ist noch eine genügende Zahl. — Das hat ja auch Herr Bauknecht gesagt, und ich wiederhole seine Worte: So kann es nicht weitergehen. Wir werden uns auch darin einig sein, daß wir eine gesunde Landwirtschaft und gutverdienende Bauern und Landarbeiter brauchen, allein schon der großen Kaufkraft wegen.Nun, was können wir konkret dazu tun, nachdem wir bisher dabei nicht weitergekommen sind? Wahrend meiner Studienzeit habe ich einmal etwas von einem volkswirtschaftlichen Lehrsatz gehört, daß man zuerst an die Kostensenkung denken müsse. Wir wissen, daß die verwöhnten Industrien zur Verbilligung der Betriebsmittel nicht bereit sind, sondern zusätzliche Gewinne daraus ziehen.
— Darauf wird mein Kollege Frehsee eingehen. Er wird sich mit dieser Frage auseinandersetzen, keine Sorge! Er sagt es Ihnen besser, als ich es kann.
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Dr. Schmidt
Der Vizepräsident der EWG-Kommission, Herr Mansholt, hat vor einigen Tagen auf einer Pressekonferenz in Brüssel auf die Frage eines Journalisten, ob in Zukunft mit der Senkung von Verbraucherpreisen zu rechnen sei, geantwortet, die Vorbedingung für die Senkung der Verbraucherpreise in der EWG sei die Senkung der Betriebsmittelpreise für die Landwirtschaft, und er fügte hinzu, daß infolge der Marktexpansion und der Vorteile im Gemeinsamen Markt die Industrie bereits in der Lage sei, ihre Preise zu senken. Das ist fast zu schön, um wahr zu werden. Aber wenn dem so sein sollte, dann hätten wir hier wenigstens einige Sorgen weniger. Bei einem Neuanschaffungswert der Maschinen von 2,65 Milliarden DM würde eine Senkung der Preise um nur 20 % eine Kostenersparnis von einer halben Milliarde DM bedeuten. Das wäre ein ganz schöner Schluck aus der Pulle, und alle Bauern würden sich darüber freuen.Aber statt Preissenkung oder auch nur -stillstand erleben wir von Jahr zu Jahr einen Preisanstieg. Wir werden also neue Wege gehen müssen, die an sich keine neuen Wege sind. Es kommt doch darauf an, das Einkommen der Bauern indirekt dadurch zu erhöhen, daß ihre Ausgaben für Masichnen gesenkt werden. Dafür gibt es den einfachen Weg der Gemeinschaftsmaschine.
— Herr Kollege Brese, ich habe mit den Gewerkschaften genausowenig zu tun wie Sie. Wozu sagen Sie mir das?
— Jetzt rede ich hier; wenn Sie reden wollen, können Sie nachher hier heraufkommen. — Wir werden also durch Erhöhung der Mittel für Gemeinschaftsmaschinen etwas tun können. Ich gebe zu, das ist ein abgedroschenes Thema. Trotzdem ist es richtig, daß die Mittel dafür stärker erhöht werden müssen als bisher. Die bisherige Methode, kleckerweise Beträge zu bewilligen, ist einfach nicht mehr zu vertreten. Es ist eine unwürdige Methode, jeweils ein oder zwei Millionen DM mehr zu bewilligen, obwohl die Regierung wissen müßte, daß hier einer der wesentlichsten Beiträge zur Senkung der Betriebskosten der bäuerlichen Landwirtschaft geleistet werden kann.
Wenn die Entwicklung der Aufwendungen und 'Erträge und ihres Verhältnisses zueinander so weiterläuft, dann gibt es überhaupt nur zwei Wege. Der eine Weg wäre die Anpassung des landwirtschaftlichen Preisniveaus an das industrielle; die Möglichkeiten hierzu sind begrenzt, weil Sie die Dinge auf Grund der europäischen Entwicklung gar nicht mehr in der Hand haben. Der andere Weg würde bedeuten, daß Sie bereit sein müßten, eine erhöhte Einkommensübertragung durch Subventionen zu vollziehen. Keiner wird an dieser Entscheidung vorbeikommen.Eine andere allgemeine Frage, die hier behandelt werden muß, ist: Wie wird unsere Landwirtschaft in der EWG — ich freue mich, daß der Europäer Lücker wieder anwesend ist —
strukturiert sein? Die Entwicklung in der Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten zwischen der Industrie und der Landwirtschaft ist nicht gleichmäßig verlaufen. Es gab verschiedene Perioden mit verschiedenen Tendenzen. Und es gab eine Zeit — es ist noch gar nicht lange her —, da wurde die Industrialisierung als eine Gefahr für die Landwirtschaft bezeichnet. Aber was ist Industrialisierung? Industrialisierung ist nach unserer Auffassung nicht eine Gefährdung der Landwirtschaft, sondern eine weitere Voraussetzung für die Wohlstandsentwicklung in der Landwirtschaft. Wer weiß, was sich da im Zuge der Steigerung von Kaufkraft, Nachfrage und Bedürfnissen vollziehen kann, der erkennt auch darin eine große Chance.Ich glaube, daß gerade in der Zukunft die unternehmerische Initiative in einer Vielfalt mit den komplizierten Problemen der Zukunft besser fertig werden wird, als man dies in Großbetrieben in jeder Form tun kann. Alle grundsätzlichen europäischen Debatten haben sich um diese Erkenntnis herumgerankt. Wir sind uns einig in dem Bekenntnis zum bäuerlichen Familienbetrieb. Ich hätte das in diesem Zusammenhang nicht gesagt, wenn nicht Herr Kollege Struve und auch wiederum Herr Kollege Bauknecht dazu einiges gesagt hätten. Es könnte, wenn wir nichts dazu sagen, vielleicht den Eindruck erwecken, wir wollten gar nicht so. Wir benutzen den Begriff Familienbetrieb nicht so oft wie Sie, aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß in unseren Parteiprogrammen seit 1946 immer das Wort „Familienbetrieb" und dessen Förderung zu lesen ist.Wir haben also die Überzeugung, daß dieser Betriebstyp in seinen tausendfältigen Förmen sich durchsetzen wird. Ich habe bereits in einem anderen Zusammenhang über die gesellschaftliche Stellung des Familienbetriebes und des Bauern in der Industriegesellschaft gesprochen. Nun ist mir eines aufgefallen. In einer Presseerklärung der Freien Demokraten vom 1. Februar dieses Jahres ist folgender Satz zu lesen:Und es muß Einigkeit darüber bestehen, daß nicht der industrialisierte Bauernhof, der Familienbetrieb das erwünschte Ziel darstellt, sondern der gesunde bäuerliche Familienbetrieb.
Meine Kollegen von der FDP, da ist mir wahrhaftig zuviel Schwamm drin. Modernität und Familienbetrieb sind doch keine Widersprüche; das ergänzt sich doch.Wenn man von einer Stärkung der Leistungskraft unserer Familienbetriebe spricht, von Hilfen usw., dann ist das doch eine Zwangsläufigkeit aus der Entwicklung heraus. Sie waren doch das Objekt der Politik in mehreren Jahrzehnten. Sie haben sich gegen diese Politik nicht wehren können. Sie waren eingeengt. Aus diesem Grunde geben wir die Hilfe für diese bäuerliche Familienwirtschaft. Jedenfalls in der jetzigen, sehr harten materialistischen Zeit
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524 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Dr. Schmidt
werden wir die Bauern nicht im Stich lassen, auch nicht durch Verschweigen oder Tottrampeln von Problemen und Tatbeständen.Nun hat Herr Bauknecht — ich darf mich wieder auf ihn beziehen — bereits in seiner Rede von dem rasanten Konzentrationsprozeß in der Landwirtschaft gesprochen, einem Konzentrationsprozeß zur Mitte. Auch im letzten Jahr hat sich dieser vollzogen. Er wird sich wahrscheinlich in derselben Weise weiter vollziehen. Aber was uns dabei erforderlich scheint— das darf ich ausdrücklich hier sagen — ist folgendes: Es wäre wünschenswert, wenn wir diesen Prozeß der Konzentration zur Mitte in den bäuerlichen Betrieben mehr steuerten als bisher. Die „Wanderung des Bodens zum besten Wirt" ist ein wunderbarer Begriff, ein wunderbares Wort; nur die „Wanderung des Bodens zum dicksten Geldbeutel" ist eine unerträgliche Angelegenheit.
Ich darf aus der Erfahrung sprechen und sagen, daß das Grundstücksverkehrsgesetz in dieser Hinsicht nicht ausreichend ist.
Lassen Sie mich zum Grünen Plan zurückkehren. Herr Bundesminister Schwarz hat vor einer Woche in überzeugender Weise diesen Plan verkündet und über den Bericht gesprochen. Ich stelle mit größter Befriedigung fest, Herr Bundesminister, daß Sie bei dieser Erklärung schon auf einige meiner Fragen, die ich in der europäischen Debatte gestellt habe, eingegangen sind. Ich habe aus diesem Grunde auch die wohlberechtigte Hoffnung, daß Sie die übrigen Fragen, die ich damals gestellt habe, nicht ganz vergessen werden und daß Sie auch vielleicht von den Anregungen Gebrauch machen werden, die wir damals gegeben haben.Wir haben schon — ich darf es wiederholen — festgestellt, daß der Grüne Plan nicht die Forderungen des Landwirtschaftsgesetzes erfüllt. In diesen Grünen Plan haben Sie früher — das ist Ihre Sache— alles hineingestopft. Dadurch entstand oft ein schiefes Bild, wie es Herr Kollege Bauknecht ja heute angeprangert hat. Auch in dem jetzigen Grünen Plan geht es mit den Bindungsermächtigungen hin und her; Sie schieben diese vor sich her, ohne das ganze Feld zu bereinigen und indem Sie beispielsweise Umbuchungen vornehmen. Gewiß, wir haben gefordert, daß da einiges umgestellt wird; aber die Ubersicht und die Klarheit ist dadurch erschwert worden. Es wäre vielleicht gut, Herr Bundesminister — und Sie haben es ja selbst angeregt —, diese Frage im kommenden Jahr von Grund auf neu zu überprüfen, damit man mit dieser Scheibchenmethode einmal aufhört. Im übrigen wird die EWG-Politik — das wird Herr Kollege Lücker bestätigen müssen — doch auch einiges an unseren Grünen Plänen ändern. Darauf müssen wir uns schon heute vorbereiten.Es hat mich ein bißchen unangenehm berührt, daß die Vorhersagen, die vor wenigen Wochen über das Ausmaß des Grünen Plans gemacht wurden, nicht erfüllt worden sind. Die Vorschlußlorbeeren für den neuen Finanzminister für seine große Agrarfreundlichkeit waren also zu früh, und diese Erkenntnis ist auch inzwischen bei den Bauern angekommen.
— Ich habe das inzwischen schon erfahren, weil ich nämlich draußen war. Man hat bereits gemerkt, daß nicht von 21/2 Milliarden, sondern nur von rund 2 Milliarden die Rede ist, und in diesen 2 Milliarden ist auch noch einiges drin, was nicht ganz in Ordnung ist. Ich komme sofort darauf, und zwar auf die 12 % ige Kürzung, die fast 1/4 Milliarde des ganzen Betrages bedeutet. Gewiß, der Herr Bundesminister hat hier im Hause erklärt, der Finanzminister habe ihm eine wohlwollende Behandlung in dieser Frage zugesagt. Das aber kann uns bei Finanzfragen überhaupt nicht interessieren; hier zählen doch nur Fakten. Ich wäre dankbar, wenn der Bundesfinanzminister uns an dieser Stelle eine Erklärung darüber abgeben würde, daß die 12 %ige Kürzung für diesen Plan eben nicht gültig ist.Wir sind mit der Verteilung dieser Mittel nicht einverstanden; meine politischen Freunde werden dazu noch Stellung nehmen. Lassen Sie mich lediglich eine Bemerkung zu unserem Milchantrag machen, und zwar deshalb, weil wir anders verfahren wollen als Sie. Sie wissen, daß wir unsere zusätzliche Milchprämie gestaffelt sehen wollen. Ich gebe zu, daß das unsere eigene Erfindung ist; aber wir wären in diesem Jahr nicht wieder auf dieses Thema gekommen, wenn uns nicht Ihr Land und Ihr Landtag, Herr Kollege Bauknecht, nämlich Baden-Württemberg, so hoffnungsvoll unterstützt hätten. In Ihrem Landtag wurde nämlich die Staffelung, wie wir sie dem Bundestag vorgeschlagen haben, einstimmig
angenommen. — Das wäre ja für Ihre Parteifreunde und für Ihren eigenen Landwirtschaftsminister eine schiefe Sache. Sie stammen jedenfalls selber aus diesem Lande, haben dort einen Wahlkreis— auch Herr Mauk, den ich im Augenblick nicht sehe — und sind selber ein großer Führer in der Bauernorganisation dieses Landes.
Ich hoffe nur, daß Sie sich hier unserem Anliegen anschließen.Im Zusammenhang mit den Brüsseler Beschlüssen und der Debatte darüber sind hier im Hause einige Themen behandelt, aber nicht ausdiskutiert worden. Ich habe dem Minister einen Katalog von Anregungen und Fragen vorgelegt. Ich will diese Punkte nicht vertiefen, aber dazu doch einiges ergänzen. Ein gewisser Gradmesser in der Beurteilung und in der Einschätzung der Agrarpolitik ist der Getreidepreis. In der europäischen Debatte ging der Streit darum, ob es d e r Eckpreis oder, wie ich es gesagt habe, nur ein Eckpreis der Landwirtschaft sein solle. Herr Lücker hat in seiner Schlußrede — wir konnten darauf nicht mehr antworten; darum muß ich es heute tun — gesagt, daß 80 % und mehr
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Dr. Schmidt
aller Einnahmen mittelbar oder indirekt vom Getreidepreis abhängen. Das, Herr Kollege Lücker, trifft nicht ganz zu.
— Auch das nicht! Sie werden sich wundern. Ich habe eine Statistik des Ihnen doch sicher bekannten Ifo-Instituts über den Anteil der landwirtschaftlichen Erzeugnisse an den Verkaufserlösen im Jahre 1958/59,
aufgeteilt auf die einzelnen Betriebsgrößengruppen. An Hand dieser Statistik werden Sie erkennen, daß .die Einnahmen aus Getreide und von Getreide abhängigen Produkten bei den bäuerlichen Betrieben höchstens ein Drittel aller Einnahmen sind. Selbst bei den Großbetrieben sind es gerade nur die Hälfte aller Einnahmen. Also von 80 % kann gar keine Rede sein.
— Bitte sehr!
Eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Lücker!
Herr Kollege Schmidt, ich nehme an, daß Sie die Möglichkeit hatten, festzustellen, was ich seinerzeit in meiner Rede hier gesagt habe. Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß ich davon gesprochen habe, daß vom Getreidepreis 75 bis 80 % aller landwirtschaftlichen Einnahmen direkt oder indirekt beeinflußt werden? Ich habe nicht davon gesprochen, daß die Verkaufserlöse oder die Einnahmen aus dem Getreideverkauf etwa 75 oder 80 % der Gesamteinnahmen wären. Ist Ihnen dieser Unterschied nicht zum Bewußtsein gekommen?
Das ist Jacke wie Hose.
Im übrigen habe ich Ihre Rede nicht gehört, ich habe sie gelesen. Und was man schwarz auf weiß besitzt, ist etwas wert.
— Ich habe es sehr genau gelesen. Was Sie in der Debatte über die europäische Diskussion zum Getreidepreis gesagt haben, trifft nicht ganz zu. Sie wissen doch, daß der Ausschuß eine Resolution vorgelegt hat — ich muß das in diesem Hause korrigieren; das kann nicht unwidersprochen bleiben —, in der praktisch vom deutschen Getreidepreisniveau die Rede war, also auch von den Relationen der Preise für Futter- und Brotgetreide zueinander. Sie wissen auch, daß der französische Kollege Charpentier einen Änderungsantrag gestellt hat, um das abzuwandeln, und zwar einfach deshalb, weil die anderen Kollegen bereit waren, das deutsche Verhältnis von Brot- und Futtergetreidepreis zu übernehmen. Aus diesem Grunde habe ich damals auch dem Vorschlag des Kollegen Charpentier zugestimmt.
Bitte!
Herr Kollege Schmidt, können Sie sich nicht daran erinnern, daß es in der agrarpolitischen Auseinandersetzung im Europäischen Parlament zunächst um die Frage ging, ob in allen Mitgliedsländern unserer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gleichmäßig für alle beteiligten Länder eine einheitliche Relation zwischen dem Weizenpreis und dem Futtergetreidepreis hergestellt werden sollte, und zwar in dem Wissen, daß diese Relation in den einzelnen Ländern zwischen 100 : 68 und 100 : 93 schwankt? Ist Ihnen nicht bekannt, daß es darum ging, in allen Ländern eine einheitliche Relation zwischen Weizenpreis und Futtergetreidepreis herzustellen?
Gewiß, Herr Kollege Lücker, darum ging es. — Haben Sie eine zweite Frage?
Das ist die Frage, die in der Ziffer 30 der berühmten Entschließung des Europäischen Parlaments festgehalten ist. Ich möchte Sie bitten, noch einmal nachzudenken, ob Ihnen diese Ziffer 30 nicht geläufig ist.
Herr Kollege Lücker, ich brauche nicht nachzudenken. Ich habe sie heute vormittag gelesen und ich habe auch die Protokolle genau gelesen. Daraus habe ich entnommen, was ich soeben sagte, daß der Streit darum ging. Sie hätten die Entschließung in dieser Form nicht durchbekommen, wenn nicht der Kollege Charpentier diesen Änderungsvorschlag mit dem ausgewogenen Verhältnis gebracht hätte, der eben den deutschen Verhältnissen nicht entspricht.
Können Sie sich erinnern, Herr Kollege Schmidt, daß ich dem Vorschlag Charpentier zugestimmt habe, nachdem durchgesetzt war, daß die einheitliche Relation für alle sechs Länder durchgezogen wird?
Nun, Herr Kollege Lücker, da sind wir ja gar nicht so weit auseinander.Ich darf noch eines sagen, weil in den letzten Sitzungen und auch heute wieder davon gesprochen worden ist. Es gibt zwei Schlagworte in der deutschen Agrarpoliitk, die, wie ich meine, die Diskussion über die Agrarpolitik ein bißchen vernebeln. Da ist die eine Front, die nur von der Bodenproduktion spricht, und da ist die andere Front, die nur von der Veredelungsproduktion spricht. Ich meine, in den letzten Jahren hat das zur Verhärtung, ja fast zur Verkrampfung geführt. Es ist selbstverständlich, daß die deutsche 'Bodenproduktion gesund sein muß; das wird von niemandem bestritten. Es
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526 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Dr. Schmidt
ist auch von niemandem bestritten, auch nicht von meiner Partei, daß die deutsche Bodenproduktion die 'Grundlage unserer Landwirtschaft und die Grundlage der deutschen Veredelungswirtschaft ist.
Sie wissen aber genau so wie wir, daß diese Grundlage nicht ausreicht und daß es besser ist, Rohstoffe zur Veredelung einzuführen als die veredelten Produkte selbst. Das ist ein alter nationalwirtschaftlicher Grundsatz. Der wachsende Anteil der Veredelungsprodukte an den Gesamterlösen der Landwirtschaft zeigt doch den Weg, den wir angedeutet haben. Er zeigt auch, daß die Verwertung der eigenen Bodenproduktion zum besten Nutzeffekt über das Tier geht.Auch in der europäischen Konzeption wird sich diese These und dieser Blickwinkel mehr als je durchsetzen, mehr als je Gültigkeit haben. Ich hätte es gern gesehen, wenn auch der Bundesernährungsminister — er hat sehr ausführlich über allies mögliche gesprochen ein bißchen mehr über dieses Verhältnis gesagt hätte. Ich habe den Wunsch, daß wir aus den alten Vorstellungen, nur das eine oder das andere, herauskommen und uns davon lösen. Haben Sie keine Sorge, ich will Ihnen nicht das holländische Rezept verkaufen. Ich weiß, daß das gegenwärtige holländische Rezept genau so zur Katastrophe führen würde wie das Rezept der einseitigen Getreideproduktion. Das wird es in der EWG gar nicht geben. Wir werden also die goldene Mitte, den Ausgleich finden müssen, und das habe ich anzudeuten versucht.Auf die anderen Schwerpunkte, die ich in der europäischen Debatte angesprochen habe, will ich nicht weiter zurückkommen. Ich will weder etwas zum Sozialplan sagen — das wird mein Kollege Frehsee tun — noch zu den Regionalplänen; das müssen wir an anderer Stelle vertiefen. Ich möchte meinen damaligen Bemerkungen nur zwei Gesichtspunkte hinzufügen.Im Zusammenhang mit dem Neuordnungsprozeß, innerbetrieblich und außerbetrieblich, und im Zusammenhang mit der Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit in der Landwirtschaft werden wir ein umfassendes Investitions- und Kreditplanprogramm brauchen.Ich habe erfreut zur Kenntnis genommen, daß auch der Herr Bundesminister ausdrücklich gesagt hat, es müsse dem ganzen natürlich eine Bestandsaufnahme vorangehen. Ich darf das noch einmal zitieren; es darf eben nicht untergehen, es muß auch in dieser Debatte erhalten bleiben. Er hat gesagt:Je härter und klarer — mag es auch vielleicht schmerzhaft sein — wir unseren Standort analysieren, desto richtiger werden wir handeln.Ich bin sehr dankbar für diese Erklärung. Ich will das Programm nicht vertiefen; das ist Aufgabe der Regierung. Ich möchte jedoch fragen, wie all das bewältigt werden soll. Herr Minister, wie wollen Sie all das bewältigen — Sie werden in den nächsten Wochen und Monaten das Rennen in Brüssel wiederaufnehmen müssen —, wenn Sie bis heute noch keinen Vertreter haben? Zumindest ist er für uns noch nicht in Sicht. Ein solches Entwicklungs- und Kreditprogramm kann nicht von heute auf morgen entwickelt werden. Es ist keine Kleinigkeit, Umfang und Kosten eines derartigen Programmes festzustellen und dafür einen Zeitplan aufzustellen. Aber Herr Minister, das haben nicht wir, das haben Sie in der Hand.Eine zweite Bemerkung. Herr Struve, wir sind uns einig darin, daß wir den Wettbewerb in der EWG bald spüren werden. Die Grüne Woche hat gezeigt, mit welcher Konkurrenz wir in Zukunft rechnen müssen. Ich finde die Anregung, die eine Zeitung — es war wohl die „Welt" — neulich gegeben hat, ausgezeichnet, daß man unsere Bauern zur Grünen Woche nach Berlin fahren lassen sollte, damit sie davon einen Eindruck bekommen. Man müßte das bei der nächsten Grünen Woche praktizieren.Wenn wir das Ziel erreichen wollen, unserer eigenen Landwirtschaft den Löwenanteil am deutschen Verbrauch zu erhalten, ja vielleicht den Anteil noch zu steigern, dann — darin bin ich mit Ihnen, Herr Bauknecht, einig — müssen wir uns dafür noch einiges einfallen lassen, und es muß noch einiges getan werden. Die Anfänge in der rationellen Vermarktung müssen weiter entwickelt werden. Schlagworte helfen uns dabei nichts. Ich gebe zu, daß es dabei unsere wichtigste Aufgabe sein wird, das Marktbewußtsein bei unseren Bauern voll zu entwickeln. Aber dieses Marktbewußtsein ist für den „echten" bäuerlichen Betrieb keine Gefahr, sondern eine Lebensnotwendigkeit.Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Was ich gesagt habe, habe ich mit meinem bäuerlichen Herzen gesagt. Die Bauern sind bekanntlich keine Romantiker. Sie sind realistisch, realistischer, als sich das die meisten vorstellen. Sie haben heute gar keine Zeit mehr, Romane zu lesen oder schöne Reden und Phrasen zu hören. Die junge Generation, Herr Kollege, ist außerordentlich nüchtern. Sie blickt gar nicht traurig in die Vergangenheit zurück. Die junge Generation sieht zunehmend in der Zusammenarbeit ihre große Chance. Der Lebenswille ist ungebrochen. Der Bundestag hat an sich nur die Aufgabe, diesen Lebens- und Selbstbehauptungswillen der deutschen Bauern nicht zu entmutigen, 'sondern im Gegenteil die Lebenskräfte zu stärken. Unsere Aufgabe als Politiker und Mitglieder des Bundestages ist es, den Bauern die Zeichen der Zeit verständlich zu machen, diesen Entwicklungsprozeß in vernünftige Bahnen zu lenken und, wie gesagt, die Agrarpolitik von den bekannten Schlagworten zu befreien. Wir haben also den Landwirten in diesem großen Entwicklungsprozeß zu helfen. Die Zeit drängt, meine Damen und Herren. Es liegt nur bei der Regierung, die nötigen Schritte einzuleiten.Herr Bundesminister, ein Wort an Sie. Sie haben für diese große Aufgabe die Unterstützung der Opposition. Es liegt in Ihrer Hand, ob das so bleibt oder ob Ihnen eines schönen Tages ein rauher Wind entgegenwehen wird.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 527
Das Wort hat Herr Dr. Effertz.
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528 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 529
— .Ja, nicht ich allein; ich hoffe, wir machen das alle miteinander.Man spricht manchmal in der Bundesrepublik von der rückständigen Landwirtschaft; ich sagte es eben schon. Man sagt, nur ein Berufsstand werde subventioniert, das seien die Bauern. Man verweist auf den Grünen Plan. Für den Fall, daß man ein gewisses Produktionsvolumen und eine gewisse Mindestanzahl von Betrieben aus politischen Gründen bejaht, möchte ich ein Parallelbeispiel aus den übrigen Bereichen der Wirtschaft anführen, wo diese Auffassung ebenfalls aus politischen Gründen selbstverständlich ist. Ich denke an den Steinkohlenbergbau. Er wird mit Recht aus Gründen der Energiesicherung bejaht. Da wird aus volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Gründen mit Subventionen gearbeitet. Der Unterschied besteht nur darin, daß diese Zuschüsse im normalen Haushalt des Bundes ohne Kennzeichnung als Sonderplan erscheinen und darum der öffentlichen Kritik weitgehend entzogen sind, ganz anders als bei der Subventionierung 'der Landwirtschaft. Es wird also die Notwendigkeit der Eigenerzeugung zur Sicherung der Energieversorgung bejaht. Das tue ich auch; aber warum nicht das gleiche bei der Landwirtschaft?
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530 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Darf ich Sie einmal fragen: ist es ein Versteckspielen, wenn auf der Ausgabenseite des Haushalts Subventionen offen ausgewiesen werden? Sind Sie nicht vielmehr mit mir der Meinung, daß es ein Versteckspiel ist, wenn ganz bestimmte Steuerarten zweckgebunden sind, wie das z. B. bei der Heizölsteuer geschehen ist?
Ich bin völlig Ihrer Meinung. Wir widersprechen uns gar nicht. Ich habe gesagt: im Gesamthaushalt .
Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Subvention doch die offenste und ehrlichste Form ist?
Ich verneine das nicht.
Ich meine: im Prinzip. Ich lege Wert darauf, daß wir im Prinzip einig bleiben.
Im Prinzip ja. Ich sage nur: was beim Steinkohlenbergbau recht ist, muß bei der Landwirtschaft billig sein. Kein Mensch beklagt sich darüber, daß in der Vergangenheit z. B. die Knappschaft im Steinkohlenbergbau mit fast der gleichen Subventionssumme bedacht worden ist — sprich: 1,6 Milliarden — wie der Grüne Plan im vorigen Jahr. Das kritisiere ich nicht. Das nehme ich nicht übel. Aber was man da tut, muß man auch hier tun.
— Nein. Sie haben doch den Kollegen Bauknecht gehört. Sie haben den Kollegen Schmidt gehört, und jetzt hören Sie mich. Sie haben den Bundesernährungsminister Schwarz bei der Einbringung des Grünen Berichts und des Grünen Plans gehört. Wir haben alle miteinander festgestellt, daß wir das Ziel der Klasse, das Ziel des Landwirtschaftsgesetzes, noch nicht erreicht haben, sondern mehr tun müssen, um Aufwand und Ertrag auszugleichen.
— Ich sage gar nichts gegen den Bergbau. Im Gegenteil, ich bejahe das alles. Ich möchte nur dasselbe für die Landwirtschaft haben. Sind wir uns da einig? —
Ich komme nun zur letzten politischen Grundsatzfrage, die auch noch beantwortet werden muß, wenn man eine Konzeption für die Zukunft entwickeln will: die Frage nach dem Ziel des Strukturwandels. Wenn man die Frage, was ein Familienbetrieb ist, nicht beantwortet und wenn man die Landwirtschaft als Gegenstand der Wirtschaftspolitik nicht genauso bejaht wie andere Bereiche, dann kennt man das Ziel des Strukturwandels nicht. Ich halte es nicht für gut, wenn man im Zuge der jetzigen Agrarpolitik, gleich aus welchen Gründen, so tut, als ob man die in Gegenden mit kleinstbäuerlicher Struktur, in Gebirgslagen, noch vorhandenen Familienbetriebe oder bäuerlichen Kleinbetriebe über den Strukturwandel am Leben halten wollte, obwohl man wissen müßte, daß ein Teil dieser Betriebe auf die Dauer nicht zu halten ist, wenn man bei der bisherigen Auffassung bleibt.
Wir sollten uns einmal ruhig darüber unterhalten, wo. wir die unterste Grenze finden, um dann denjenigen, die nicht unter den Begriff ,,Familienbetrieb" fallen, die also dann Nebenerwerbsbetriebe werden, das so rechtzeitig zu sagen, daß sie wenigstens einen Teil ihrer Vermögenssubstanz in einen anderen Beruf hinüberretten und mit dieser Substanz ihren Kindern eine andere Berufsgrundlage verschaffen können.
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Herr Kollege Effertz, sind Sie der Meinung, daß es eine solche Grenze gibt? Ist sie überhaupt annähernd genau festzulegen?
Ich habe vorgeschlagen, daß wir uns darüber unterhalten, von welcher Fixierung wir ausgehen wollen. Man kann darüber streiten. Heute finden wir die Basis nicht. Bei Annahme einer gewissen Anzahl von Arbeitsstunden, etwa 8 bis 10 pro Tag, in Verbindung mit einem noch zu fixierenden Produktionsvolumen — sprich: Marktanteil —, umgesetzt dann auf die Arbeitskraft — wobei es mir gleichgültig ist, ob das eine familieneigene Arbeitskraft oder eine fremde Arbeitskraft ist —, könnte man den untersten Begriff dafür, was als Familienbetrieb zu gelten hätte, finden.Ich wollte heute, wie gesagt, nur Diskussionsbeiträge liefern, weil wir durch unsere eigene Entschließung aufgefordert sind, uns Umrisse einer neuen Agrarkonzeption zu überlegen und zu geben. Ich meine, sich auf der Basis, auf der man eine solche Konzeption zu finden hat, zu einigen, wäre eigentlich der Ausgangspunkt.Ich fasse noch einmal die vier Fragen zusammen, die ich heute gestellt habe und die wir mit der Zeit eingehend — meinetwegen auch mit Meinungsverschiedenheit, aber leidenschaftslos — beantworten müssen. Sie lauten:1. Ist die Landwirtschaft Teil der Wirtschaft und der Wirtschaftspolitik, oder soll sie weiterhin Gegenstand einer Berufsstandspolitik mit all ihren Beengungen und Belastungen auch in der öffentlichen Meinung bleiben?2. In welchem Umfang bejahen wir eine Eigenproduktion der Nahrungsmittel unter Berücksichtigung der Zielsetzung des Landwirtschaftsgesetzes und allerdings auch der finanziellen Folgen?3. Was ist ein Familienbetrieb, der ja Leitbild und Grundlage der Agrarpolitik sein soll?4. Was ist demnach das Ziel des Strukturwandels?Die Beantwortung einer jeden dieser Fragen ergibt sich in dieser Reihenfolge aus der Beantwortung der jeweils vorhergehenden.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 531
Dr. EffertzLassen Sie mich nun gleich eine weitere grundsätzliche Erklärung, wenigstens aus meiner Sicht, hier einblenden. Ich bin der Meinung, daß die Agrarpolitik, wenn sie nicht nur Berufsstandspolitik sein soll, auch nicht mehr parteipolitisch gesehen werden darf. Deshalb freue ich mich — das sage ich hier mit aller Betonung —, daß wir uns bei der EWG-Debatte einstimmig — quer durch den ganzen Bundestag, also einschließlich der Opposition — dazu bekannt haben, eine gemeinsame Konzeption für die künftige Agrarpolitik gemeinsam zu finden, nicht zuletzt ausgelöst durch die Brüsseler Beschlüsse. Nach meiner Meinung eignet sich die Agrarpolitik nicht für parteipolitische Auseinandersetzungen. Entweder bejahen wir sie alle und damit auch die ganze Offentlichkeit, oder wir verneinen sie schlechthin.Meine Damen und Herren, ich möchte im Anschluß an die damalige EWG-Debatte noch einiges zur EWG sagen. Die zweite Phase auf dem Weg zum Gemeinsamen Markt hat nunmehr begonnen. Einige wichtige Beschlüsse sind gefaßt, die für uns als Bundestag neues Recht setzen. Die Kompetenz des Deutschen Bundestages wird — ich sage: leider — weitgehend aufgehoben. Wir sind gezwungen, die bisherige deutsche Gesetzgebung durch Beschlüsse der EWG-Exekutive ersetzen zu lassen.Die Verhandlungen in Brüssel gehen aber weiter. Noch viel wichtigere und entscheidendere Beschlüsse stehen uns bevor. Dabei denke ich insbesondere an den Getreidepreis. Hierbei bin ich hoffentlich mit Ihnen allen der Meinung, daß unser jetziges Getreidepreisniveau nicht gesenkt werden darf, weil sonst alles ins Wanken gerät.Jetzt darf ich auf die Bemerkung von Herrn Kollegen Schmidt — und hier gebe ich ihm recht — einblenden: so falsch nach unserer Auffassung die einseitige Agrarpolitik der Holländer ist — die einseitig auf der Veredelungswirtschaft aufbaut —, genauso falsch wäre es, wollte man in der Bundesrepublik eine Agrarpolitik einseitig auf der Säule des Getreidepreises aufbauen. Ich bin der Meinung, die Agrarpolitik wäre fester im Fundament, wenn sie auf beiden Säulen stünde. Was wir tun müssen, ist nur, uns darüber zu unterhalten, in welchem abgewogenen Verhältnis wir das eine mit dem anderen bejahen und wie dann auch der Brotgetreidepreis im Verhältnis zum Futtergetreidepreis ausgewogen für uns aussehen wird. Aber solange wir gegensätzliche Zielsetzungen der Agrarpolitik unserer Partnerländer in der EWG haben, sollten wir am jetzigen Getreidepreisniveau nichts ändern, es sei denn, daß man uns, wenn es einmal sein soll — dann aber auch auf anderen Gebieten, insbesondere bei den Kosten und im Zusammenhang damit bei den Preisen —, die gleichen Chancen einräumt, wie sie die anderen für sich beanspruchen. Ich gehe sogar so weit, zu sagen, es wäre auch mit Rücksicht auf Frankreich nicht gut, unser jetziges Getreidepreisniveau zu senken. Denn ich bin der Auffassung, daß die französische Agrarpolitik ebenfalls das jetzige deutsche Getreidepreisniveau bejahen müßte.
— Einen Augenblick, ich komme darauf. — Denn auf die Dauer wird die französische Regierung dem französischen Bauern nur durch eine Preisanhebung, d. h. durch die Annäherung an die deutschen Preise helfen können, nicht mehr nur über Subventionen. Denn der Abstand zwischen Erzeugerpreis und Konsumentenpreis ist in Frankreich weitaus größer als in der Bundesrepublik. Hier eine gewisse Marge für die landwirtschaftlichen Erzeuger in Frankreich abzuzweigen könnte — neben einer Anhebung des Erzeugerpreises z. B. bei Getreide an unser jetziges Niveau — durchaus den Staatshaushalt Frankreichs entlasten. Eine andere Frage ist allerdings, ob das. einigen Leuten in Paris, die ein gewisses Handelsmonopol in Frankreich haben, in den Kram paßt.Leider hat man nun in Brüssel vier wichtige Fragen, und zwar die schwierigsten, noch ausgeklammert. Sie hätten eigentlich zuerst entschieden werden müssen. Es sind die Frage nach dem gemeinsamen Preis, die Frage nach den gemeinsamen Richtlinien über den Ausgleich von Aufwand und Ertrag, die Frage nach dem gemeinsamen Vorgehen beim künftigen Strukturwandel — denn wir wollen ja in allen sechs Ländern ein einheitliches Bild haben — und das Problem einer einheitlichen Vorstellung über die Beantwortung der Frage, was in der EWG ein Familienbetrieb sein soll. Man vergegenwärtige sich den Unterschied der Verhältnisse in Süditalien und bei uns. Wir in der Bundesrepublik denken an die Unterschiede der Situation z. B.— um von meiner engeren Heimat zu sprechen — in der Kölner Bucht einerseits, in der Eifel, auf dem Vogelsberg oder im Bayerischen Wald andererseits. Die Betriebe in den letztgenannten Gebieten gelten für uns bereits weitgehend als strukturell ungesund und zu klein. Ein Vergleich mit dem, was heute in Süditalien vorhanden ist und dort strukturell geändert werden soll, sollte aber Veranlassung geben— wir haben ja nur noch siebeneinhalb Jahre Zeit, in denen alles angeglichen werden soll, auch beim Strukturwandel —, diese Frage in Brüssel noch etwas gründlicher unter die Lupe zu nehmen. Das gilt insbesondere für die Frage, wer, wenn man trotzdem in Zukunft in Süditalien angleichen will, bezahlen soll; hoffentlich nicht nur die Bundesrepublik.Nach dem Abschluß 'der Brüsseler Verhandlungen stand überall in der Presse — hier muß ich etwas wiederholen, was schon gesagt worden ist —, daß der Herr Bundesernährungsminister sich in Brüssel weiß Gott tapfer geschlagen habe; es hätte viel schlimmer kommen können. Aber es war falsch, in der Presse von einem Kompromiß zu sprechen. Denn die anderen hatten von uns etwas gefordert, wir haben nachgegeben, und ein solches einseitiges Nachgeben des einen Partners nennt man doch nicht Kompromiß! Die anderen haben etwas vorweggenommen, was erst in acht Jahren sein sollte. Unsere Verpflichtungen aus der ersten Phase waren erfüllt. Mehr hätte also nach dem Wortlaut des EWG-Vertrages gerechterweise von uns nicht verlangt werden können. Die Auflagen der ersten Phase waren alle erfüllt, und ,das wäre die Voraussetzung für den Beginn der zweiten Phase gewesen. Alles, was man auf dem agrarpolitischen Sektor
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532 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Dr. Effertznoch zusätzlich 'gefordert hat, ist eine Benachteiligung der deutschen Landwirtschaft.Ich will bei dieser Kritik nicht auf die staatsrechtliche Frage eingehen, ob es möglich war oder ist, den Inhalt des Art. 44, sprich Mindestpreise, durch einen anderen Inhalt, sprich Abschöpfungen und Schutzklauseln, zu ersetzen. Das wäre eine Frage für Juristen. Ich als Nichtjurist bin der Meinung, daß die Ersetzung des Inhalts eines Artikels durch einen anderen Inhalt einer Änderung gleichkommt und eigentlich dem Bundestag ebenso wie den Parlamenten der anderen fünf Länder zur Beschlußfassung vorgelegt werden müßte.Ein anderes Bedenken, das nach den Beschlüssen von Brüssel aufgekommen ist, möchte ich auch nicht unerwähnt lassen: die Frage, ob der Ersatz, mit Abschöpfungsbeträgen und Schutzklauseln zu arbeiten, realisiert werden kann, wenn die notwendigen Voraussetzungen dafür nicht vorliegen. Statistische Unterlagen, mit denen man die notwendigen Berechnungen vornehmen könnte, sind in den meisten der sechs Länder nicht vorhanden. Ich habe einer Untersuchung des Ifo-Instituts in München entnommen; daß z. B. die Statistik Frankreichs absolut unvollkommen und unzureichend sei; auch die Statistik in Italien und selbst die in der Bundesrepublik sei noch nicht ausreichend, um mit dem Instrument der Schutzklauseln und der Abschöpfungsbeträge — als Ersatz für das System der Mindestpreise in Art. 44 — arbeiten zu können.
Meine Damen und Herren, ich komme noch einmal auf den kostendeckenden Preis zurück. Man hat oft gehört, diese Forderung sei eine Utopie, eine Illusion. Unsere Agrarwissenschaftler sagen uns, man könne in der landwirtschaftlichen Erzeugung die Kosten einzelner Produkte nicht berechnen. Ich bin der Meinung, daß das falsch ist; denn wenn das in Holland und in England, selbst in den USA für die Bodenproduktion geht, wenn das dort die Grundlage für die Agrarpolitik ist und wenn man dort den kostendeckenden Preis gibt, dann müßte das auch in der Bundesrepublik möglich sein, wobei mich allerdings eine so weitgehende wissenschaftliche Gründlichkeit, den Betrag bis zur vierten Stelle hinter dem Komma zu berechnen, nicht interessiert, sondern hier bin ich durchaus bereit, etwas großzügiger die Kosten zu „peilen", wie das in der Industrie auch geschieht. Man braucht z. B. nur an die chemische Industrie zu denken, die vielleicht 10 000 Einzelfabrikate herstellt und für jedes Einzelfabrikat die Kosten berechnet.
Eine Zwischenfrage.
Herr Dr. Effertz, ist Ihnen nicht bekannt, daß sich in Amerika durch die dort betriebene Preispolitik ungeheure Vorräte ansammeln, von denen die Amerikaner herzlich gern herunterkommen möchten, und daß man auch in England sich jetzt schwere Gedanken macht: wie kommen wir wieder von diesem System ab, mit dem wir einfach nicht mehr Fertig werden?
Vielen Dank! Ich wollte heute die Probleme, die unter dem Schlagwort „Überproduktion" zusammengefaßt werden, nicht anschneiden. Ich bin persönlich der Meinung, daß es zur Zeit auf der Welt im Grunde keine landwirtschaftliche Überproduktion gibt. Wir haben jetzt, im Jahre 1962, 2,6 Milliarden Menschen auf der Welt, von denen heute beretits zwei Drittel schlechter ,ernährt sind als wir und ein Drittel unterernährt sind. In 40 Jahren haben wir 6,7 Milliarden Menschen auf der Welt. Die Frage nach der Überproduktion ist nur eine Frage des guten oder schiechten politischen Willens; es geht nur darum, die Lebensmittel auf der Welt so zu verteilen, daß sie da ankommen, wo sie gebraucht werden.
Lassen Sie mich eine andere Bemerkung zu den USA machen. Noch nie in der Geschichte war die landwirtschaftliche Produktion ein ökonomisches Geschäft, es war immer ein Opfer für jedes Land und für jeden Staat. Wenn heute Amerika seine Agrarsubvention bei der Bodenproduktion einstellen würde, dann wäre die Landwirtschaft in den USA trotz Farmen in zwei Jahren wahrscheinlich so unrentabel, daß selbst die USA Getreide importieren müßten. Vergessen Sie bitte nicht, daß die USA für jede Tonne ausgeführten Weizen nach unserer Währung 110 DM Subvention geben. Das Stillegen von Flächen in Amerika, um die Produktion in der Menge einzuschränken, ist auch eine Subvention. Ich bin der Meinung, wenn man die Verteilung der regional, national und saisonbedingten Überschüsse nicht wirtschaftspolitisch und nicht nur ökonomisch, sondern politisch sähe, dann wäre das Problem kein agrarpolitisches, sondern ein rein politisches.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun aus dem, was ich gesagt habe — damit möchte ich zum Schluß kommen — einige Folgerungen ziehen; denn wir sollen ja die Umrisse der neuen Agrarpolitik erkennbar werden lassen. Das möchte ich zu tun versuchen. Ich bin der Meinung, aus dem bisher Gesagten lassen sich folgende Folgerungen ableiten.1. Die Forderung nach einer Darstellung der Einkommensentwicklung seit der Währungsreform auch im Verhältnis zu 'den anderen Wirtschaftsbereichen, insbesondere der Einkommensvergleich auf der Basis des Aufwands-Ertrags-Vergleiches 'einschließlich des Stundenlohnes unter Berücksichtigung der Gesamtdisparität im Grünen Bericht, die Untersuchung nach dem Stand der Ursachen für die Verschuldung und eine Mitheranziehung des Preisindexvergleiches bei der Gegenkontrolle des Aufwand-Ertrags-Vergleichs im Grünen Bericht.2. Eine bereinigte Darstellung der Einkommenshilfen aus der Bundeskasse — darauf wird nachher der Kollege Walter von unserer Partei noch eingehen —.3. Die Offenlegung der Einkommenshilfen aus der Bundeskasse für die übrige Wirtschaft, soweit sie im Haushalt nicht immer als solche und direkt zu erkennen waren.
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Dr. Effertz4. Ein vollständiger Katalog der landwirtschaftlichen Einkommenshilfen .der anderen Länder, insbesondere unserer Partner in der EWG.5. Der Umbau der Förderung des Strukturwandels im Rahmen von Mehrjahresplänen und in Anpassung an die jetzt in einigen Ländern entwickelten großräumigen Strukturpläne.Ergänzend dazu ergeben sich noch einige weitere Forderungen, z. B. eine zwingendere Fassung und Änderung dés Landwirtschaftsgesetzes mit dem Ziel der Anpassung an das, was auf Grund der EWG und der Brüsseler Beschlüsse auf uns zukommt:1. Die Erwähnung der Vorrangigkeit der Eigenerzeugung, die Klärung des Begriffs bäuerlicher Familienbetrieb und eine Verpflichtung für die Regierung, bestimmte Dinge zu tun.2. In Ergänzung dazu brauchen wir einen ehrlichen Einkommensvergleich im Grünen Bericht unter Berücksichtigung der geleisteten Arbeitsstunden — auf der Basis Stundenlohn verglichen mit vergleichbaren Berufen —.3. Die Heranziehung des Indexvergleichs zur laufenden Kontrolle der Agrarpolitik und als Grundlage für Sofortmaßnahmen.4. Die Erweiterung der Befugnisse des Wissenschaftlichen Beirats bei der Erstellung des Grünen Berichts und eine entsprechende Erweiterung durch Hinzuziehung von Praktikern, aber auch gleichzeitig die Bitte, daß der Bericht des Wissenschaftlichen Beirats in Verbindung mit dem Grünen Bericht dem Hohen Haus auch als Diskussionsgrundlage zugeleitet wird.5. Die Bereitschaft zu einem Investitionshilfegesetz zur Zusammenfassung der gesamten Kreditpolitik.6. Der weitere Ausbau und die Konsolidierung der bereits laufenden kurz- und langfristigen Rationalisierungskredite zu gleichen Bedingungen, die im neuen Investitionsplan vorzusehen wären.7. Die Zurückstellung der Revision der Einheitswerte, bis nachhaltige Rentabilitätsaussichten — insbesondere in der EWG — geklärt sind, oder zumindest die Zurückstellung der Heranziehung neuer Einheitswerte für eine neue steuerliche Belastung, bis auch der Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden gleichzeitig oder vorher vorgelegt und verabschiedet ist.8. Wegfall des Lastenausgleichs, insbesondere in den wirtschaftlich benachteiligten und in den Mittelgebirgslagen; das trifft wiederum insbesondere mittel- und kleinbäuerliche Betriebe.9. Gründliche Verbesserung des ländlichen Bildungswesens und Angleichung der Lebensverhältnisse im ländlichen Raum an den kulturellen und zivilisatorischen Fortschritt in der Stadt.10. Vorratspolitik für die Ernährungssicherung mit ausreichenden Beständen an Grundnahrungsmitteln — ich verweise auf das Beispiel in der schweiz, obwohl auch das nur ein Anfang ist — inVerbindung mit dem durch dieses Haus noch zu verabschiedenden Notstandsgesetz.11. Förderung der Selbsthilfe der Landwirtschaft bei der Erfassung und Vermarktung größerer, qualitativ guter Warenmengen, ohne dabei allerdings einer Gruppe — nämlich Genossenschaften — ein Monopol einzuräumen;12. Ausbau einer wirksamen Werbung, wie sie auch in anderen Ländern seit eh und je als selbstverständlich und jetzt bei der Grünen Woche in Berlin besonders deutlich demonstriert worden ist.13. Förderung eines Agrarexports im Rahmen der Entwicklungshilfe — und hier hätte ich eigentlich das Problem der sogenannten Überproduktion ansprechen sollen, was ich aber vorhin schon getan habe.Meine Damen und Herren, damit komme ich zum Schluß. Ich habe Sie mit meiner Rückschau hoffentlich nicht allzusehr schockiert.
Ich habe ja gesagt: wir wollen durchaus gegenseitig anerkennen, daß jede Partei auch in der Koalition ihr eigenes Gesicht behält.Ich hoffe, daß Sie mit mir bereit sind, über _die vorgeschlagenen Maßnahmen oder die Wünsche meiner Fraktion und gewisse Forderungen hinsichtlich des Auffindens einer neuen agrarpolitischen Konzeption demnächst im Ernährungsausschuß mit uns zu diskutieren. Ich hoffe, daß Sie — hoffentlich aber auch die Regierung — mit uns, mit mir einsehen, daß der nächste Grüne Plan ein anderes Gesicht haben muß. Wahrscheinlich wird er wesentlich teurer werden, wenn die Belastungen aus Brüssel auf uns zukommen und wir — unabhängig von der Frage, ob wir bisher zufrieden waren oder nicht — keine weitere Einkommensminderung für die Landwirtschaft hinnehmen wollen.Dabei müssen wir uns auch über das Problem langfristiger Maßnahmen im Rahmen unseres deutschen Strukturplanes unterhalten; denn man muß säuberlich zwischen den Maßnahmen, die die Ertragslage direkt berühren, und denen trennen, die erst auf lange Sicht eine Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion bewirken.Wir müssen miteinander bereit sein, auch in der Offentlichkeit dafür zu plädieren, daß man die Agrarpolitik, die uns nach der gemeinsamen Entschließung ja alle angeht, nicht mehr wie bisher einseitig als Berufsstands- und Grüne-Front-Politik attackiert oder diskriminiert. Wir müssen alle miteinander die Agrarpolitik ebenso wie die anderen Bereiche der Wirtschaftspolitik bejahen. Dann wird, glaube ich, auch das Klima in Zukunft besser, dann wird die Einstellung in der Offentlichkeit positiver.Wenn wir dazu bereit wären, würden die Verbraucher uns auch nicht einseitig aus der Sicht der Schaufensterpreise beurteilen und kritisieren, sondern einmal mit uns überlegen, was von dem, was der Verbraucher letzten Endes zahlt, der Bauer bekommt und ob nicht vielleicht hier und da auch im Interesse der Verbraucher Änderungen vorgenom-
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Dr. Effertzmen werden müssen, entweder durch Subventionen oder durch teilweise Preisanhebungen, oder aber auch durch die Abzweigung eines Teils, der zwischen den Erzeugerpreisen und den Verbraucherpreisen liegt, über die Selbsthilfe der Landwirtschaft.Ich glaube, dann wird die Debatte über den nächsten Grünen Bericht, der schon deshalb ein anderes Gesicht haben wird, weil wir auf die künftige EWG Rücksicht nehmen müssen, anders geführt werden. Auch über den Grünen Plan, der ganz anders aufgebaut und mit einem größeren Finanzvolumen ausgestattet sein muß, wird sich eine andere Diskussion ergeben. Ich nehme an, daß uns dann auch der Ältestenrat nicht mehr nur einmal im Jahr nachmittags nach 4 Uhr diese Fragen behandeln lassen wird, sondern daß er bereit sein wird, uns einmal einen ganzen Tag zu geben, aber nicht den Freitag, sondern vielleicht einmal den Mittwoch oder den Donnerstag.
Das Wort hat der Abgeordnete Wacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist das Schicksal des Redners in der zweiten Runde, daß er den Versuch machen muß, irgendwie Bilanz aus der ersten Runde zu ziehen und vielleicht dies und jenes zu ergänzen, was übersehen wurde oder nicht so ganz deutlich zum
Ausdruck gekommen ist.
Zur Bilanz! Auch nach der Rede des Herrn Kollegen Effertz sieht es, meine ich, zumindest auf den ersten Blick doch so aus, als gingen die Fraktionen in der Landwirtschaftspolitik recht uniform vor. Es sieht sogar fast so aus, als ob nur ein edler Wettstreit darüber bestünde, wie man am meisten für die Landwirtschaft, für die arme Landwirtschaft tun kann.
Ich hatte Gelegenheit, mir auch die Anträge der sozialdemokratischen Fraktion anzusehen, und ich sage Ihnen: ich halte sehr viel von diesen Anträgen für vernünftig, sehr viel für gut. Sie werden Verständnis dafür haben, wenn ich sage, daß ich einige liebe alte Bekannte wiedergesehen habe, Anträge, die im Ernährungsausschuß des Bundesrates von Bayern, von Schleswig-Holstein und von Niedersachsen gestellt waren.
— Sie sind z. B. auch von Regierungen gestellt worden, die Sie nicht tragen. Ich habe mich also gefreut, diese alten Bekannten wiederzufinden. Wir haben uns auch in der CDU/CSU mit diesen Dingen beschäftigt, wie Sie wissen; wir haben sie längst publiziert. Aber es kommt uns wirklich nicht darauf an, festzustellen, wer zuerst auf einen guten Gedanken gekommen ist und wer sich angeschlossen hat. Wir werden im Ausschuß zu untersuchen haben, ob und wie die Anträge verwirklicht werden können und ob wir auf dem richtigen Wege sind, auch gemeinsame Ziele zu realisieren.
Sehr geehrter Herr Kollege Schmidt, Sie müssen mir jetzt zwei Bemerkungen gestatten. Wenn ich den Charme hätte, den Sie haben, würde ich das so freundlich machen können, wie Sie das getan haben. Ich habe also zwei Bemerkungen zu machen, die mir am Herzen liegen.
— Nein, das will ich gar nicht. Die erste Bemerkung betrifft die haushaltsmäßigen Aspekte Ihrer Anträge, und zum zweiten darf ich den Versuch machen, in der mir höchstmöglichen Form an Höflichkeit den Zusammenhang zwischen der allgemeinen politischen Haltung Ihrer politischen Freunde und ihrer speziellen Landwirtschaftspolitik aufzuzeigen. Wenn ich „ihrer" sage, Herr Kollege Schmidt, so soll dieses „ihrer" klein geschrieben sein.
Ihre Anträge, meine sehr geehrten Herren von der Sozialdemokratie, kosten, wenn ich richtig gerechnet habe, 345 Millionen DM, die Beträge, die Sie statt der Verbilligung des Handelsdüngers, die Sie nicht mehr haben wollen, in Ansatz bringen, nicht mitgerechnet. Wir haben uns in unserer Fraktion auch in offiziellen Stellungnahmen zum Haushalt geäußert und wir haben — das muß in einer Landwirtschaftsdebatte auch gesagt werden — auch einem anderen Punkt als dem der äußeren und inneren Sicherheit der Landwirtschaft in diesem Haushaltsjahr ausdrücklich den Vorrang eingeräumt. Wie könnte das auch anders sein nach den Ereignissen des ,13. August! Wer könnte es verantworten — auch bei einer Landwirtschaftsdebatte —, der Verteidigung nicht das Primat zuzuerkennen. Aber ich glaube, wir sind uns im ganzen Hause ebenso darüber einig, daß der zweite Kernpunkt dieses Jahres die Brüsseler Beschlüsse sind.
Diese Brüsseler Beschlüsse — es ist oft genug gesagt worden — haben den toten Punkt in der europäischen Einigung überwunden und einem weiteren Zusammenschluß gegenüber der nach wie vor bestehenden östlichen Bedrohung den Weg geebnet. Wir wie alle Fraktionen haben ja gesagt, obwohl wir wußten, daß die Probleme, die Brüssel für die deutsche LandwIrtschaft aufwirft, schwer sind. Die Brüsseler Beschlüsse waren aber aus politischen Gründen notwendig. Daher müssen wir auch zusätzliche Ausgaben und Aufgaben, die sich für die Landwirtschaft ergeben, unter politischen Aspekten betrachten. Deshalb der Vorrang für diese Aufgaben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt ?
Bitte sehr!
Herr Kollege Wacher, ist Ihnen nicht bewußt, daß der Haushaltsplan der Bundesregierung dem Bundestag noch gar nicht überwiesen worden ist und daß wir über Dekkungsvorschläge noch gar nicht reden konnten?
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 535
Herr Kollege, Sie haben, glaube ich, wie wir im Bundesrat einige politische Freunde. Wenn Sie das gleiche Interesse an diesen Dingen — und das setze ich voraus — gehabt haben, haben Sie sich selbstverständlich über die Zahlen informiert, genauso wie wir das getan haben. Wenn Sie auch die Presse gelesen haben, haben Sie festgestellt, daß immerhin eine Haushaltslücke in Höhe von 1,7 Milliarden DM besteht, die noch nicht geschlossen ist.
Herr Kollege Schmidt, ich bin der Meinung, man sollte es sich nicht gar zu einfach machen und hätte vielleicht auch mehr die Aufbringung der 350 Millionen DM ansprechen müssen.
— Darüber bin ich sehr froh. Sie werden mir aber gestatten, daß ich aus der Erfahrung noch einige Bemerkungen mache.
Ich habe mir die Anträge, die Ihre politischen Freunde während dieser Legislaturperiode in den letzten Monaten gestellt haben, gerade für diese Debatte einmal angesehen. Sie wissen, es handelt sich um Anträge auf dem Gebiete des Beamtenrechts, der Sozialpolitik und ides Steuerrechts. Ich gebe zu, es sind einige recht populäre Anträge dabei.
Sie wissen, daß die Verwirklichung dieser Anträge einige hundert Millionen gekostet hätte. Ich bin in meinen Schätzungen sehr vorsichtig. Herr Kollege Schmidt, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die vollständige oder auch nur teilweise Verwirklichung dieser Anträge die Ansätze in dem Grünen Plan, der uns vorliegt, sehr, sehr gefährdet hätte? Ich meine — ich bitte, mir das nicht übelzunehmen —: wer zusätzliche Mittel für die Landwirtschaft fordert, muß auf anderen Gebieten eine gewisse Enthaltsamkeit üben.
Sonst kommt er mit seinen Forderungen nicht durch,
und, was er sagt, klingt nicht so ganz glaubwürdig.
Herr Kollege Schmidt, ich darf Sie ansprechen, weil Sie davon gesprochen haben, Sie brauchen sich aber nicht allein angesprochen zu fühlen. Lassen Sie mich einige allgemeine Bemerkungen zur politischen Haltung im allgemeinen und zur Einstellung zur Landwirtschaft im besonderen sagen. Heute ist für uns alle, die wir mit der Landwirtschaft beschäftigt sind, ein Tag der Landwirtschaft. Man hat so manchmal den Eindruck, daß man sagt: Man muß diesen Tag feiern. Ja, meine Freunde, heute bei der Debatte über den Grünen Plan den Bauern viel zuzusagen, heute vormittag bei einer Sozialdebatte sehr stark in sozialpolitische Vorstellungen und Forderungen einzusteigen, übermorgen vielleicht in einer Mittelstandsdebatte möglichst viel zuzusagen, das geht eben schlecht. Sehe ich mir die Gesamtpolitik der Sozialdemokratischen Partei an, so muß ich sagen, daß sie wohl in den Verdacht kommt, allen Seiten zuviel zu versprechen.
Herr Schmidt, Sie haben die Frage der Disparität expressis verbis aufgeworfen. Lassen Sie mich diese Frage aufgreifen. Wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie die Disparität damit erklärt, daß die Industrie der Landwirtschaft Betriebsmittel zu angemessenen Preisen verweigere. Lassen Sie uns einmal untersuchen, wodurch denn diese nicht angemessenen Preise bedingt sind. Sie kennen die Indexzahlen: Kosten 211, Einnahmen 269. Das ist die Schere, die uns die Schwierigkeiten macht. Sie wissen aber auf der anderen Seite, daß der Lohnindex bei 357 liegt. Herr Kollege Frehsee wird uns darüber sicher noch näher unterrichten.
Es steht fest, daß durch das ständige Ansteigen von Löhnen und Preisen auf dem gewerblichen Sektor der Landwirtschaft zusätzliche Schwierigkeiten entstehen. Ich bin der Meinung, die Wirtschaft und die Gewerkschaften sind bei diesem Spiel der Preis-und Lohnsteigerungen in der letzten Zeit nicht zu kurz gekommen.
Aber der Landwirtschaft wird zugemutet, bei diesem Spiel die Zeche zu bezahlen.
Preiserhöhungen auf landwirtschaftlichem Gebiet werden manchmal — lassen Sie es mich bitte etwas kraß ausdrücken — geradezu als Verbrechen an der Allgemeinheit hingestellt. Hinzu kommt, daß, wenn der Staat Geld zur Verfügung stellt, weil man ganz einfach Preiserhöhungen sonst gar nicht ausgleichen könnte, durch einen Großteil der deutschen Offentlichkeit der entrüstete Ruf geht: Wieder neue Subventionen für die Bauern! Herr Schmidt, Sie müssen es mich bitte aussprechen lassen: man muß, wenn man den guten Willen hat, den Sie an den Tag gelegt haben und den ich Ihnen nicht abspreche, auch bereit sein, soweit man dazu in der Lage ist, gegen die Lohn- und Preisspirale anzugehen und sie abzubremsen. Herr Kollege Schmidt, Sie haben in Ihrer Fraktion Gelegenheit, mit maßgeblichen Herren der Gewerkschaft zu sprechen, um überhöhten Lohnforderungen entgegenzutreten und hier etwas zu bremsen.
— Sie haben mehr, viel mehr Gelegenheit, diese Entwicklung etwas zu stoppen.
Denn Sie wissen, daß Lohnerhöhungen automatisch Preise erhöhen.
Der Zuruf „Quatsch" ist unparlamentarisch. Ich weise ihn zurück.
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536 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Mir sind schon selbst ähnliche Dinge unterlaufen, so daß ich Verständnis dafür habe. — Herr Kollege Schmidt, erst am Dienstag dieser Woche hat doch die Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft die Erhöhung der Ecklöhne, ich glaube, um 28 % gefordert. Ich bin gar nicht der Meinung, daß .die Landarbeiter nicht auch in den Löhnen den anderen Arbeitern folgen dürften. Aber zum mindesten wir beide, Herr Schmidt, sind uns doch darüber einig, daß es der Landwirtschaft unmöglich ist, diese 28 % oder eine annähernd hohe Lohnerhöhung zu tragen, und wenn man wirklich — ich betone noch einmal, Herr Schmidt; ich nehme Ihnen das ab, ich glaube Ihnen das — ein Herz für die Landwirtschaft hat, dann sollte man auch, wo sich die Möglichkeit bietet, hier zum Maßhalten aufrufen.
Meine Damen und Herren! Wir werden ja auch oft geprügelt. Meine Fraktion hat noch vor kurzem eine Erhöhung des Trinkmilchpreises angeregt. Wir glauben, gute Gründe dafür zu haben. Immerhin würde diese Erhöhung des Trinkmilchpreises für die Landwirtschaft 140 bis 160 Millionen DM erbringen.
Herr Abgeordneter Wacher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dröscher?
Bitte sehr!
Herr Kollege Wacher, kennen Sie die Ausführungen, die Herr Staatsminister Dr. Dr. Hundhammer in diesem Zusammenhang am 7. Februar 1962 im Bayerischen Landtag gemacht hat?
Ja! So rege ist die Diskussion in unserer Partei, daß es uns gar nicht stört, daß der Herr Kollege Hundhammer, der ja auch gleichzeitig Ernährungsminister ist, die Dinge auch von der anderen Seite sieht.
Herr Dröscher, ich bin Ihnen ja dankbar, wenn Sie mich über das, was Herr Hundhammer sagt, aufklären; aber im großen und ganzen bin ich schon recht gut darüber informiert.Lassen Sie mich aber bitte noch einmal zu der Erhöhung des Trinkmilchpreises zurückkommen. Herr Kollege Schmidt, es waren doch Ihre politischen Freunde, die sofort in den Chor derer einstimmten, die gegen diese Preiserhöhung — und das ist ja auch heute zum Ausdruck gekommen — Zeter und Mordio schrien. — Ich weiß nicht, ob dies ein parlamentarischer Ausdruck ist.
Meine Freunde! Ich habe heute vormittag einen Teil der Reden auf sozialpolitischem Gebiet gehört. Ich konnte mir leider nicht alle Reden anhören, sosehr sie mich interessiert hätten. Sie haben da doch Ihre sozialpolitischen Anliegen sehr ausführlich vorgetragen. Sie wissen, auch wir wollen keinen Stillstand auf dem Gebiet der Sozialpolitik, wir sind wirklich recht stolz auf das, was in den zwölf Jahren geschehen ist. Aber wir unterscheiden uns doch in einer Frage sehr grundsätzlich von Ihnen: wir sehen uns nicht in der Lage, Sozialpolitik losgelöst von der anderen Politik zu treiben. Wir denken bei allen sozialpolitischen Maßnahmen an die anderen Bevölkerungsteile. Herr Schmidt, wir haben hier doch einige Erfahrungen und brauchen uns nichts vorzumachen. Wenn mich mein Erinnerungsvermögen nicht ganz verläßt, war doch Ihre Haltung bei dem Jugendarbeitsschutzgesetz, was die Landwirtschaft betraf, bed weitem nicht so aufgeschlossen und freundlich, wie Sie sie heute an den Tag gelegt haben. Ich habe zum mindesten nicht den Eindruck, daß Sie damals das gleiche Verständnis gezeigt haben, wie es heute aus ihren Anträgen hervorzugehen scheint.Darf ich als Abschluß dazu — ich möchte Sie nicht ärgern, aber es ist mir vorhin gerade eingefallen — ein Bild gebrauchen, um Ihre Politik vielleicht etwas darzustellen: Ihre Agrarpolitik scheint mir doch einem Bauern zu gleichen, der glaubt, daß es damit getan sei, einmal im Jahr zentnerweise Kopfdünger auf das Feld zu streuen, der aber die notwendigen Gelder für den Grunddünger anderweitig verwendet. Ich hatte den Eindruck, Herr Kollege Schmidt, nach dem, was Sie heute gesagt haben, wird ja im nächsten Jahr alles anders und, wie wir hoffen, alles besser.Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich jetzt ganz kurz auf einige Schlagworte eingehen, die im Zusammenhang mit der Landwirtschaft und dem Grünen Plan !in der Öffentlichkeit herumgeistern.Da begegnet man immer wieder dem lieben alten Lied von der rückständigen Landwirtschaft, die nicht oder nicht so in unsere Zeit passe. Meine Freunde, ich kann es ganz kurz machen, weil diese Dinge heute auch schon angesprochen wurden. Diese Landwirtschaft hatte immerhin im Jahre 1961 eine Wertschöpfung von 15 Milliarden DM gegen 8,1 Milliarden DM im Jahre 1950, und das bei Vollarbeitskräften, die im Prozentsatz von 20 auf 10 zurückgegangen sind. Die Hälfte der Beschäftigten, 85 % Steigerung der Wertschöpfung: das ist eine Leistung, auf die wir alle, auf die dieses ganze Parlament, das an den Dingen gearbeitet hat, stolz sein kann,
und, meine Freunde, es ist auch eine Leistung, die sich auf europäischer Ebene sehen lassen kann. Was soll eigentlich das Gerede von der sogenannten leistungsschwachen Landwirtschaft! Immerhin kommen 75 % des Verbrauchs an Nahrungsmitteln heute aus der Inlandserzeugung. Und ich meine, 75 % sollten den Verbrauchern, die ihr Erinnerungsvermögen nicht ganz im Stich läßt und die sich noch etwas an die Mangelzeiten erinnern, doch eine gewisse Beruhigung sein.Ich weiß natürlich — und wir wissen das alle —, daß diese Produktion durch erhöhten Einsatz verschiedenster Betriebsmittel, aber, ich meine, auch durch den größeren Einsatz landwirtschaftlicher Kenntnisse möglich geworden ist. Ich erinnere mich noch sehr genau, daß in den Jahren 1948 bis 1950, als ich als Landwirtschaftsberater in Versammlungen
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Wacher) die Forderung erhob: „Wir müssen erreichen, die Durchschnittsleistung pro Kuh auf 3000 kg zu bringen", mir sehr viel Skepsis begegnet ist. Nun, die heutige Leistung pro Kuh beträgt 3406 Liter. Ich meine, die Kühe von heute geben nicht nur mehr Milch, weil sie mehr fressen, sie geben auch deshalb mehr Milch, wiel sie vernünftiger gefüttert werden. Die Landwirtschaft hat in den letzten Jahren nicht nur Kapital — viel Kapital —, sondern auch viel Ausbildung und Kenntnis investiert. Daran sollten wir auch bei einer solchen Debatte nicht vorübergehen.Ich bin aber auch der Meinung, daß nicht nur der Bauer, sondern auch der Landarbeiter unserer Tage wahrlich ein mehrfacher Facharbeiter sein muß. Ich glaube, er kann an Kenntnissen hinter dem Industriearbeiter nicht zurückstehen.Nun will ich ein weiteres Schlagwort aufgreifen. Es heißt: „Die Landwirtschaft ist überaltert, sie ist unmodern, sie ist investitionsfaul"; wie ich das vor kurzem mal irgendwo gelesen habe. Einige wenige Zahlen dazu! Bruttoinvestitionen 1960/61 3,87 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, das sind 23 % mehr gegenüber 1959/60. Natürlich wissen wir alle, daß ,das nicht so ganz freiwillig erfolgt ist, daß schon der Zwang der Verhältnisse vom Arbeitsmarkt her hier mitgewirkt hat. Aber 3,87 Milliarden DM ist eine stolze Summe im Vergleich zur Wertschöpfung. Wenn heute die Landwirtschaft 24,4 % des Bruttoinlandsprodukts investiert und die übrige Wirtschaft auch nur 26,1 % aufwendet, dann ist damit der Vorwurf der Investitionsmüdigkeit ganz einfach widerlegt.Es gibt noch weitere beliebte, oft wiederholte, aber darum noch lange nicht richtige Behauptungen über die Landwirtschaft: die Agrarpreise stiegen von Jahr zu Jahr, die Lebensmittelpreise stiegen und verteuerten die Lebenshaltung. Nun, lassen Sie mich in aller Kürze feststellen, daß der Preisindex für landwirtschaftliche Erzeugnisse in diesem Berichtsjahr von 221 auf 211 zurückgegangen, also um 5 % gesunken ist. Das gleiche können wir leider, das ist heute schon von Herrn Kollegen Schmidt sehr eingehend dargelegt worden, für die Betriebsausgaben nicht sagen. Meine Freunde, man sollte aber dann, wenn man das weiß, den Vorwand der Preissteigerungen für Nahrungsmittel nicht verwenden, um Preissteigerungen und Lohnerhöhungen auf anderen Gebieten zu begründen.Ich möchte in ein oder zwei Sätzen noch auf den Nahrungsmittelverbrauch eingehen, der sich auch im letzten Jahr wieder sehr verschoben hat. Aber lassen Sie mich vielleicht der Deutlichkeit halber den Vergleich zu den Vorkriegsjahren ziehen. Es sollte uns doch auch zu denken geben, daß z. B. der Rindfleischverbrauch in diesem Jahr um mehr als 17 % höher liegt als 1935/39. Der Verbrauch an Geflügelfleisch ist um 159 % gestiegen, und Südfrüchte werden um 284 % mehr gegessen. Auf der anderen Seite aber ist ein Minderverbrauch an Roggenmehl von 54 % festzustellen, und Kartoffeln werden um 25 % weniger gegessen.Ich halte das für ein erfreuliches Zeichen eines gehobenen Lebensstandards, der ja nicht nur den oberen Zehntausend zugute gekommen ist. Ich frage mich aber: warum soll eigentlich ein qualitativ besseres, ein hochwertiges Essen nicht auch mehr kosten 'dürfen? Haben Sie eigentlich schon einmal erlebt, daß sich jemand darüber aufregt, daß ein Mercedes mehr kostet als ein Volkswagen? Ich habe das noch nicht erlebt.
Eines der verführerischsten, aber unklugsten Schlagworte ist ohne Zweifel das der völlig neuen Agrarpolitik, die nunmehr notwendig ist. Ich habe mir die 14 Punkte heute erstmalig angesehen.
— 13 hätte ich nicht aufgestellt; ich wäre bei 14 geblieben. Ich bin aber überzeugt, daß diese Punkte so revolutionierend neu nicht sind. Darin stecken einige Dinge, die bereits laufen, und es stecken einige sehr interessante neue Vorstellungen drin, über die man diskutieren wird.
Ja, insgesamt sind sie in einer Rede schwer zu übersehen,
vor allem, Herr Effertz, sind sie schwer auf einen Nenner zu bringen. Aber das wird uns auf Koalitionsebene schon noch gelingen.
Aber ich darf vielleicht folgendes sagen. Ich bin der Meinung — Herr Effertz, ich unterscheide mich darin etwas von Ihnen —, daß die bisherige Landwirtschaftspolitik, die wir in der Bundesrepublik getrieben haben, gar nicht so schlecht ist.
— Wenn sie anders und schlechter gewesen wäre und wenn sie zu weniger Erfolgen geführt hätte, dann wäre die Einigung in Brüssel viel leichter zu erreichen gewesen, als es jetzt der Fall gewesen ist.
— So muß man es sagen, wenn man die Dinge ohne jede Propaganda sieht.Ich bin wirklich der Meinung, daß die bisherige Landwirtschaftspolitik richtig war. Das heißt aber noch lange nicht, daß ich der Meinung bin, daß sie exakt so wie in den letzten Jahren auch in den nächsten Jahren fortgeführt werden muß. Aber wenn ich auch zugebe, daß die Ziele des Landwirtschaftsgesetzes nicht erfüllt sind — natürlich muß man das zugeben —, muß man doch fragen, ob es wirklich einen Phantasten geben konnte, der sich einbildete, innerhalb von fünf Jahren könne jede Disparität aus 'der Landwirtschaft ausgeräumt werden. Ich habe nie zu diesen Phantasten gehört; aber es hat viele Leute gegeben, die uns schnell wirkende Allheilmittel angepriesen haben. Sie haben sich aber in der Vergangenheit regelmäßig als landwirtschaftliche Kurpfuscher erwiesen.
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538 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
WacherFür mich selbst gipfelt der Grüne Bericht — und ich lese in sehr aufmerksam — immer in der Berechnung der unterschiedlichen Deckung ides Vergleichslohns durch das Betriebseinkommen mit Verzinsung des Aktivkapitals. Es ist sicher sehr erfreulich, Herr Effertz — darin sind wir uns einig, und Sie haben diese Tatsache auch zum Ausdruck gebracht —, daß ab 1960/61, von diesem Berichtsjahr ab wieder 7 % mehr, nämlich 34,7 % der Betriebe nach 'dem Landwirtschaftsgesetz in Ordnung oder fast in Ordnung sind. Wenn wir uns gemeinsam daran erinnern, daß wir nach dem ersten Grünen Plan mit 18 % angefangen haben, ist das ein sehr erfreulicher Fortschritt. Ich gebe zu, mich interessieren die 63 %, von denen wir noch nicht sagen können, daß sie ganz in Ordnung sind, zumindest ebenso, und zwar deshalb, weil wir hier mit unserer Arbeit für das nächste Jahr wieder ansetzen müssen. Ich sehe natürlich die großen Unterschiede zwischen den Ertragsverhältnissen der verschiedenen landwirtschaftlichen Gebiete. Ich möchte Sie nicht langweilen mit den Zahlen über den Betriebsertrag, die immerhin zwischen 3100 und 1200 DM schwanken. Sie haben sich die Zahlen auch angesehen. Bitte, die Betriebseinkommen gehen von 10 000 bis zu 4000 DM! Über eins bin ich mir klar: den Ertragsunterschied von guten zu schlechten Böden, von optimalen zu minimalen klimatischen Bedingungen wird niemand nivellieren können, auch der Bundestag nicht, wenn er sich auch noch so anstrengt. Aber wir sind bemüht, haben es gemeinsam in den letzten Jahren getan und sind mit idem Grünen Plan ides letzten Jahres und der letzten Jahre Schritte weitergekommen für die besondere Hilfe in den schlechter gestellten Gebieten. Aber, meine Freunde, um nicht mißverstanden zu werden: wir erklären zum wiederholten Male, daß es d i e Landwirtschaft, daß es die einheitliche Landwirtschaft nicht gibt, und das war immer für uns der Grund, eine Berechnung der Gesamtdisparität abzulehnen. Denn diese Gesamtdisparität ist eine Zahl ohne Aussagewert. Wenn Sie sie nämlich auf die verschiedenen Betriebe übersetzen, wird es immer ein Betrug nach oben oder nach unten sein.Sie haben, meine Damen und Herren, wenn ich jetzt etwas auf die Landesgruppe der CSU Bezug nehmen darf, immer beobachtet, daß wir den Schwerpunkt auf den Ausbau gezielter Maßnahmen legen und daß wir auch auf die Auswahl globaler Maßnahmen für die bedürftigen landwirtschaftlichen Gebiete besonders Wert legen. Wir sind sehr froh darüber, daß wir uns in unserer Fraktion sehr schnell darüber einigen konnten, daß der vierte Werkmilchpfennig notwendig ist. Ich brauche eine Begründung, nachdem Herr Bauknecht sie mir liebenswürdigerweise abgenommen hat, nicht mehr im einzelnen zu geben. Aber, Herr Schmidt, um auf Ihren Antrag, der sich auch mit der Frage befaßt, zurückzukommen: wir sind nicht der Meinung, daß der Bauer bis zu zehn Kühen — acht bis zehn Kühe kommen ja bei Ihrem Ansatz in Frage — anders behandelt werden soll als z. B. der mit 15 Kühen. Ich bin der Meinung, Sie sind auch nicht ganz konsequent. Sie selbst bemühen sich doch auch um einen Strukturwandel. Sie haben das heute in ein paar Sätzen zum Ausdruck gebracht. Das würde ja bedeuten, bei den acht Kühen eine Bremse anzulegen, und das, Herr Schmidt, werden Sie, der Sie die Dinge ja auch weitgehend aus europäischer Sicht sehen, sicher nicht wollen. Deshalb wird man sich diesen Antrag nochmals genau ansehen müssen.
Ich habe mich im vorigen Jahr an dieser Stelle auch über die benachteiligten Gebiete etwas ausgesprochen. Wir hatten in den letzten Grünen Plan 70 Millionen für diese Zwecke eingesetzt. Ich, der ich aus diesem Gebiet komme, möchte heute feststellen, daß diese 70 Millionen eine wirklich wertvolle Hilfe für diese Gebiete gewesen sind. Ich begrüße es sehr, daß Sie, Herr Minister Schwarz, in diesem Jahr diese Mittel um 20 auf 90 Millionen aufgestockt haben. Ich möchte aber auch den Kollegen aus allen Fraktionen, die damit einverstanden waren und die dem zugestimmt haben, danken, daß es zu dieser Maßnahme gekommen ist. Ich weiß sehr genau, daß man einige Mühe hat, in Gebieten, die nicht zu diesen benachteiligten Gebieten gehören, Verständnis für diese zusätzlichen Maßnahmen zu wecken.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dröscher?
Bitte sehr!
Herr Kollege, Sie haben vorhin diesen Antrag mitbegründet. Darf ich fragen, wieviel zusätzliche Haushaltsmittel Sie für Ihren Antrag errechnen? Das ist in Ihrem Antrag nicht gesagt. Es heißt darin nur: Es 'sind zusätzliche Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen.
Vielleicht sagen Sie auch etwas über den Deckungsvorschlag.
Der steht in dem Antrag.
— Herr Kollege, Sie wissen, daß der Werkmilchpfennig rund 120 Millionen kostet. In diesem Jahr ist der Ansatz nicht insgesamt ausgegeben worden. Im Augenblick liegt der Betrag bei 105 Millionen und dürfte auf 110 Millionen bis 120 Millionen kommen. Sie wissen, daß der Ansatz — ich habe den Titel nicht im Kopf — Geflügel- und Eierwirtschaft für Geflügelsubventionen ab. 1. Juli nicht mehr voll notwendig ist. Da fällt ein maßgeblicher Betrag an. Sie haben auch die Eierwirtschaft erwähnt. Es läßt sich heute nicht übersehen, ob die Notwendigkeit bestehen wird — und damit wird sich das Kabinett zu befassen haben —, ab Juli die Eier in voller Höhe zu subventionieren. Die Möglichkeit besteht bis zum 31. 12. 1962. — Wenn ich antworten soll, Herr Schmidt — —
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Wacher— Frage in die Antwort hinein? Herr Dröscher würde böse sein, wenn ich ihm nicht genau antwortete. — Wir haben also die Deckung — —
— Sie sind so freundlich zu mir, daß Sie mich nicht nervös machen.Wir haben also die Deckung aus den nicht verwendeten Mitteln. Bei Geflügel vermag ich das heute zu übersehen. Bei den Eiern haben wir zusätzliche Mittel, soweit sie notwendig sind, um die 120 Millionen voll decken zu können.
— Da wir in den Haushaltsberatungen sind, werde ich dann den Deckungsvorschlag bringen.
Herr Kollege Wacher, ist Ihnen nicht bekannt, daß der Herr Minister Schwarz in Brüssel um die Erhaltung dieser Eierprämie gekämpft hat, und zwar mit Erfolg?
Der Herr Minister Schwarz hat sich sehr zu Recht die Möglichkeit der Gewährung einer Eierprämie für ein weiteres halbes Jahr offengehalten. Ich begrüße das. Aber es läßt sich heute nicht übersehen, wie die Situation im Juli sein wird. Die anderen Mittel aus der Geflügelwirtschaft werden sicher ab Juli frei, und auf die haben wir hier jetzt schon zurückgegriffen, wobei ich Ihr Einverständnis voraussetze, Herr Schmidt.
— Ich sagte Ihnen schon: den Rest aus allgemeinen Haushaltsmitteln. Das ist ein bescheidener Rest gegenüber Ihren Anträgen. Das sind, wenn Sie hoch rechnen, keine 50 Millionen, wahrscheinlich sind es 30 Millionen. Ihre Anträge machen ein Vielfaches davon aus.
Ich habe im Verlauf meiner Ausführungen schon auf die Beschlüsse von Brüssel und auf die Konsequenzen für die Landwirtschaft hingewiesen. Ich sagte, daß dafür zusätzliche Mittel — nicht im Grünen Plan — deshalb aufzuwenden sind, weil es sich um politische Ausgaben handelt. Wir alle, die wir uns mit den Fragen beschäftigen und beschäftigen mußten, wissen, daß die marktfernen Gebiete der Bundesrepublik im Norden und im Süden eine zusätzliche Belastung zu tragen haben werden. Wir glauben, daß die vorgesehene Frachthilfe nicht ausreicht, um diese Schäden abzufangen. Wir haben deshalb angeregt, einen Betrag — seinerzeit war an 100 Millionen DM gedacht — vorzusehen, der gestaffelt von Duisburg aus bis zu den Grenzen verwendet werden soll, um die Schädigungen abzufangen. Wir stellen uns die Verwendung in der Form vor, in der sie z. B. in dem Programm für die benachteiligten Gebiete gehandhabt wird. Die einzelnen Maßnahmen wird man im Landwirtschaftsausschuß mit der Regierung eingehend zu besprechen haben.
Ich möchte mir erlauben, mit einem Appell an die Regierung, aber auch an uns alle zu schließen: die Landwirtschaftspolitik wird nicht nur im Landwirtschaftsministerium, nicht nur im Ernährungsausschuß des Deutschen Bundestages und bei Grünen Debatten im Plenum gemacht. Unsere gesamte Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik muß im Blickpunkt auf die Landwirtschaft betrieben werden, von der wir fordern, daß sie sich in die Wirtschaft einordnet. Aber das gilt, wie gesagt, auch umgekehrt: die gesamte Wirtschafts- und Sozialpolitik hat sich auf diese Landwirtschaft einzustellen und auf sie Rücksicht zu nehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Frehsee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich mit dem beginne, was ich mir hier vorzutragen vorgenommen habe, erlauben Sie mir einige kurze Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Wacher. Er ist mit uns ein wenig aggressiv verfahren. Nicht, daß ich ihm deswegen böse wäre; denn es ist schon ganz gut, Herr Kollege Wacher, wenn einmal der Unterschied zwischen den Auffassungen der politischen Parteien zu Sachfragen herausgearbeitet wird. Niemand wird es auch übelnehmen, wenn das ein wenig aggressiv geschieht.
Doch ist es vielleicht ganz zweckmäßig, bei einer Gelegenheit wie der heutigen einmal zu erfahren, Herr Kollege Wacher, daß die Christlich-Soziale Union, für die Sie ja wohl sprechen, und die Sozialdemokratische Partei, für die ich jetzt zu sprechen die Ehre habe, in der Frage des Jugendarbeitsschutzes verschiedener Meinung sind. Wenn Sie meinen, Herr Kollege Wacher, die Probleme der Landwirtschaft mit Kinderarbeit in der Landwirtschaft lösen zu können,
dann ist das die Auffassung Ihrer politischen Freunde, nicht aber die Auffassung meiner politischen Freunde.
Es ist auch nicht meine Auffassung, denn ich habe ja bei der Beratung des Jugendarbeitsschutzgesetzes zu diesem Problem besonders nachdrücklich gesprochen und bin deshalb auch in der Lage, aus der geschichtlichen Entwicklung heraus diese 'Dinge zu beurteilen.
— Herr Kollege Ertl, bitte sehr.
Herr Kollege Frehsee, was halten Sie von meiner Konstitution?
Sie ist sicherlich prächtig.
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540 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962
Danke schön. Ich habe seit meinem 6. Lebensjahr im elterlichen Betrieb mitarbeiten müssen. Dafür möchte ich Ihnen Garantie geben.
Herr Kollege Ertl, seien Sie vorsichtig!
Schließen Sie nicht von sich auf andere, und machen Sie das nicht zu einer allgemeingültigen Regel! Sie haben Glück gehabt, Herr Kollege Ertl.
Was ich sagte, ist damals bei der Beratung des Jugendarbeitsschutzgesetzes wissenschatflich erhärtete worden. Im Ausschuß für Arbeit, der sich mit dieser Frage befaßt hat, sind Zahlen vorgelegt worden, aus denen hervorging, welche körperlichen Schäden die in der Landwirtschaft Tätigen haben, weil sie Kinderarbeit, und zwar sehr harte Kinderarbeit, verrichten mußten. Ich, Herr Kollege Ertl, bin der Auffassung, daß wir uns um eine Lösung der landwirtschaftlichen Probleme bemühen müßten und eigentlich gemeinsam bemühen müßten. Das wird am Ende dazu führen, daß die Landwirtschaft keine Kinderarbeit mehr nötig hat so wie. die übrige Wirtschaft.
Herr Abgeordneter Frehsee, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ertl?
Bitte.
Herr Kollege Frehsee, Sie haben im Jugendausschuß sicher auch die Berichte über Jugendkriminalität studiert. Glauben Sie nicht, daß eine vorsichtige Beschäftigung im elterlichen Bethieb sich auch oft nützlich für die gesamte Beschäftigung und für die Gemeinschaft auswirken wird?
Sie haben hier ein Problem der Erziehung angesprochen. Ich möchte darauf aus ganz bestimmten Gründen nicht näher eingehen. Es würde sonst auch einiges Mißliche gesagt werden müssen und einiges, was vielleicht auch Ihnen nicht gefällt, genauso wenig gefällt wie das, was ich eben zum Jugendarbeitsschutz gesagt habe. Das war die eine Bemerkung.Herr Kollege Wacher, jene Behauptung, daß die Haltung der Industriearbeiter und ihrer Gewerkschaften an allem Elend im allgemeinen und am Elend der Landwirtschaft im speziellen schuld sei, ist so oft aufgestellt worden! Es wurde gesagt, daß die Löhne die Preise trieben, und letztens, im Jahre 1961 wurde gesagt, daß wegen der Lohn- und Gehaltssteigerungen die Arbeitseinkommen über die Arbeitsproduktivität hinaus gestiegen seien. Das ist schon so oft hier vorgetragen worden, und dem ist so oft widersprochen worden! Wenn Sie es heute noch einmal behauptet haben, wird es dadurch nicht wahrer.
Wir Sozialdemokraten sind auch in dieser Beziehung anderer Meinung. Die Gewerkschaften sind nicht unbedingt an sich ständig füllenden Lohntüten und an ständig mehr Geld interessiert,
sondern sie sind daran interessiert — und das ist heute so richtig, wie es immer war —, daß sich die Arbeitnehmer für den Inhalt der Lohntüten mehr kaufen können, daß sie teilhaben dürfen am wachsenden Lebensstandard. Mit anderen Worten: sie sind interessiert an Reallohnerhöhungen und nicht an Nominallohnerhöhungen. Hier sollten Sie, die Vertreter der Landwirtschaft und alle, die sich der Landwirtschaft verbunden fühlen und für die Landwirtschaft sprechen, das gleiche Interesse haben. Ich werde darauf noch zu sprechen kommen, meine Damen und Herren.Ich glaube, mit den hier vorgeschlagenen Mitteln und mit den Methoden, von denen hier bisher gesprochen worden ist, werden wir die Probleme, die wieder in ihrer ganzen Breite vor uns liegen, nicht lösen können. Ich glaube, daß die ständigen Preiserhöhungen, die niemand will, aber doch eine Folge der Wirtschaftspolitik sind, die Sie, die Regierungsmehrheit in diesem Hause, zu verantworten haben,
der Landwirtschaft genausoviel schaden, wie sie allgemein unerwünscht sind. Wenn Sie mich fragen, warum diese ständigen Preissteigerungen zu verzeichnen sind, dann sage ich Ihnen als unsere sozialdemokratische Auffassung — —
— Aber meine Damen und Herren, wundern Sie sich nicht, daß ich jetzt so reagiere! Ich reagiere nur auf die Art und Weise der Darstellung durch Herrn Kollegen Wacher. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. — Es ist die Auffassung der sozialdemokratischen Fraktion dieses Hauses, daß die Preiserhöhungen von der Bundesregierung und von der Mehrheit des Bundestages zu verantworten sind, weil Bundesregierung und Bundestagsmehrheit sich nicht zu einer aktiven Außenwirtschaftspolitik aufraffen können, die die ständig steigenden Ausfuhrüberschüsse durch Erhöhung der Einfuhren auf ein angemessenes Ausmaß zurückführt, weil sie nicht den Mut haben, in Zeiten eines Investitionsbooms wie 1960 durch eine schärfere Gewinnbesteuerung zu einer Dämpfung der Konjunktur beizutragen und dadurch dem Preisanstieg entgegenzutreten. Das sind alles Dinge, die hier wiederholt vorgetragen worden sind, speziell von meinem Freunde Deist. Die Bundesregierung und die Mehrheit dieses Hauses hatten bisher auch nicht die Kraft, durch eine wirksame Kartell- und Preispolitik zu erzwingen, daß Kostensenkungen der Großwirt-
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FrehseeSchaft rechtzeitig in Form von Preissenkungen an den Verbraucher weitergegeben werden, und zwar auch an den Verbraucher landwirtschaftlicher Maschinen, der Handelsdünger, Pflanzenschutzmittel und all der anderen landwirtschaftlichen Betriebsmittel. Da liegt der Hase begraben! Wenn die Gewerkschaften sich angesichts dieser Politik ihrer Haut wehren und mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, den Anschluß zu halten versuchen, dann liegt das in diesem System begründet.Aber es bleibt nach wie vor jener Tatbestand bestehen — und niemand wird mir da widersprechen —, daß die Gewerkschaften nicht an nominalen Lohnerhöhungen interessiert sind, sondern nur an Reallohnerhöhungen, und die kann man über eine solche Wirtschaftspolitik erreichen, wie ich sie anzudeuten versucht habe.
Sie sagten zum Schluß, Herr Kollege Wacher, unsere Wirtschafts- und Sozialpolitik müsse mit Blickpunkt auf die Landwirtschaft und ihre Probleme betrieben werden. Das ist genau das, was ich soeben ausgeführt habe, und die Kritik, die ich hier übe, ist eben, daß die Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht mit dem Blickpunkt auf die Landwirtschaft betrieben wurde. Soll ich Kronzeugen anrufen, z. B. den Präsidenten des Bauernverbandes? Seine Hauptdevise war, daß man der Landwirtschaft auf der Kostenseite helfen müsse: Weitergabe der Rationalisierungsgewinne im Preis, also in Form von Preissenkungen. Sie können mir doch nicht widersprechen, daß das eines seiner Hauptargumente warAber nun zu dem, was ich mir vorgenommen habe. Nachdem ich die heutige siebente grüne Debatte angehört habe und auch in der Lage war, die sechs vergangenen grünen Debatten mitzuerleben, muß ich sagen, daß eine gewisse Akzentverschiebung auf dieser Seite des Hauses festzustellen ist. In den Reden der Sprecher dieser Seite des Hauses klang heute doch auch ein recht beachtliches Unbehagen mit ob der Machtlosigkeit, zu der wir in der Agrarpolitik verurteilt sind, ob der Resignation, die in weiten Bereichen der Landwirtschaft festzustellen ist, ob eben der Erfolglosigkeit dieser Politik, wie wir das auch in unserem Entschließungsantrag zum Ausdruck bringen. Es sind sehr gemischte Gefühle angeklungen, und es hat gar keinen Sinn, wenn wir es mit der Lösung der Probleme der Landwirtschaft ernst meinen, hier in Schönfärberei zu tun oder über die Probleme hinwegzugehen. Wir können der Sache der in der Landwirtschaft Tätigen nur dienen, wenn wir dieses Problem schonungslos anpacken und wenn wir uns nicht genieren, auch den Finger in die Wunde zu legen. Und es gibt wahrhaftig eine ganze Anzahl von Wunden.Es ist hier gerühmt worden, daß der erzielte Lohn — das ist das Arbeitseinkommen nach Abzug von Betriebsleiterzuschlag und Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung — auf genau 4009 DM gestiegen sei. Der Vergleichslohn liegt bei 5441 DM. Diese Differenz von 1432 DM ist es, die hier so vielfach beklagt wird. Es ist begrüßt und hier positiv beurteilt worden, daß der erzielte Lohn in den siebenJahren, seitdem wir Grüne Pläne haben, um 73 % gleich 1691 DM angestiegen sei, aber auf der anderen Seite beklagt worden, daß der Vergleichslohn zwar nur um 55 %, aber um 1941 DM, also erheblich stärker, anstieg. Von diesem Betrag von 4009 DM sind 669 DM aus diesem Grünen Plan, aus den sogenannten Soforthilfen; sie haben im ersten Jahr 1954/ 55 10 DM pro Vollarbeitskraft betragen. Jetzt sind sie auf 669 DM pro Vollarbeitskraft gestiegen. In Wirklichkeit, ohne diese Förderungsmittel des Grünen Planes, beträgt also der sogenannte erzielte Lohn je volle Arbeitskraft nur 3340 DM gegenüber 2308 DM im Jahre 1954/55. So ist auch das erfreuliche Moment darin enthalten, daß also das Einkommen pro Kopf der in der Landwirtschaft tätigen Vollarbeitskräfte um rund 1000 DM in diesen rund sieben bzw. reichlich sechs Jahren angestiegen ist. Um 1000 DM und um etwa 45 % ist es angestiegen, und die 4000 DM kommen erst zustande, wenn man die 669 DM aus den sogenannten Soforthilfen des Grünen Planes in diese Rechnung einbezieht.Meine Damen und Herren, ich habe hier die Beträge der einzelnen Jahre von 1954/55 bis 1960/61 aufgeschrieben. Aber Sie, die Sie mit diesen Dingen zu tun haben, kennen sie aus dem Grünen Bericht. Es muß einen mit Unbehagen erfüllen, daß bei all diesen Anstrengungen, ständig steigenden Zuwendungen aus dem Grünen Plan und angesichts der wirklich beachtlichen Steigerung der Arbeitsproduktivität, die um 132 % seit 1950/51 angestiegen ist, also bei gewaltigen Leistungen der Landwirtschaft auf der einen Seite, die nicht bestritten werden können, und ganz erheblichen Anstrengungen des Staates und dei Allgemeinheit, der Steuerzahler, auf der anderen Seite das Ergebnis so unbefriedigend ist.Meine Damen und Herren, der Rückgang an Vollarbeitskräften hat 1,5 Millionen betragen. Gegenüber 1954 — damals waren es 28 — haben wir jetzt auf 100 ha nur 18,4 Vollarbeitskräfte. Der Gesamtbestand der Lohn-Arbeitskräfte hat sogar um 68 % abgenommen. Es gibt nur 309 000 Landarbeiter gegenüber fast I. Million im Jahre 1950/51. Und trotzdem dieses Ergebnis dieser mit 26 % bezifferten Differenz zwischen den Einkommen der Vollarbeitskräfte, also nicht aller vorhandenen, sondern der Vollarbeitskräfte! — die Gesamtzahl der in der Landwirtschaft vorhandenen Arbeitskräfte wird auf volle Arbeitskräfte umgerechnet — diese erhebliche Differenz von 1234 DM.Meine Damen und Herren, wie soll es weitergehen? Nach der landwirtschaftlichen Betriebszählung 1960 haben wir nur noch in jedem sechsten Betrieb von 10 bis 20 ha einen Landarbeiter. In den Betrieben von 20 bis 50 ha ist nach der LBZ 1960 nur in zweien von drei noch ein Landarbeiter.Wie soll das weitergehen? frage ich. In den Zeitschriften wird die rhetorische Frage gestellt, ob denn nun nicht die Grenze des Erträglichen erreicht sei, ob nicht das Ausmaß der Abwanderung der Arbeitskräfte aus den bäuerlichen Mittel- und den Großbetrieben die Grenze des Tragbaren erreicht habe. Diese Frage müssen wir jetzt beantworten; ob heute oder im weiteren Verlauf der Diskussion, die heute begonnen wurde, das mag dahingestellt sein;
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Frehseeaber wir müssen sie beantworten, sonst werden demnächst nie wieder zu \\schließende Lücken entstehen, es sei denn, daß es mit der gewerblichen Wirtschaft eines schönen Tages bergab ginge. Dann kämen sie alle wieder zurück; darüber besteht gar kein Zweifel. Aber das wollen wir nicht. Wir wollen gemeinsam alles nur mögliche tun, um das zu verhindern. Unter der Voraussetzung also, daß es so weitergeht wie bisher und daß nichts Durchgreifendes geschieht, wird es zu einer gefährlichen Entwicklung, zu einer völligen Entblößung der Landwirtschaft von Lohnarbeitskräften kommen.
Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß es für die Landarbeiter und insbesondere für die gewerkschaftlich organisierten Landarbeiter nur zwei Möglichkeiten gibt. Die eine ist, zu bleiben, und zwar unter der Bedingung, daß ihre Löhne und ihre Arbeitsverhältnisse an die der gewerblichen Wirtschaft angeglichen werden, oder die andere, aus der Landwirtschaft wegzugehen. Wer wollte es ihnen verargen? Die gewerbliche Wirtschaft, die Industrie, die Dienstleistungsbetriebe bieten ja heute Möglichkeiten in Hülle und Fülle. Für die Landarbeiter gibt es also nur diese zwei Möglichkeiten. In dem Berichtsjahr 1960/61 sind 50 000 ständige Landarbeiter abgewandert, und 60 000 unständig beschäftigte Arbeitskräfte kommen nicht mehr zu den landwirtschaftlichen Betrieben. Wenn sich diese Entwicklung nun 1961/62 — in dem jetzigen Wirtschaftsjahr — fortsetzt und wenn sie sich auch in Zukunft weiter fortsetzt, dann können sich alle ausrechnen, wie lange das noch gehen wird, bis es aus ist. Es muß also etwas geschehen.
Der soziale Strukturwandel muß ins Auge gefaßt werden. Er muß durch Maßnahmen einer konstruktiven Landarbeiterpolitik, wie ich sie in den vergangenen Jahren immer wieder gefordert habe, unterstützt werden; sonst bleiben nur diese zwei Möglichkeiten.Die Sozialpartner der Landwirtschaft waren vor wenigen Tagen beim Herrn Minister und haben ihm diese Dinge vorgetragen, und zwar Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Vertreter der Spitzenorgane der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft. Nun, es ist nichts dabei herausgekommen, aber es muß eine Lösung gefunden werden; welcher Art, darüber will ich mich jetzt nicht auslassen. Aber schnelle Hilfe tut not. Man soll jetzt keine Grundsatzdiskussionen mehr führen; dazu hatten wir in der Vergangenheit genügend Zeit. Man soll in diesem Zusammenhang beispielsweise auch nicht eine Grundsatzdiskussion darüber führen, ob die Tarifautonomie durch ein solches Mittel, wie es etwa die Anwendung der Bergmannsprämie in der Landwirtschaft bedeuten würde, dadurch gefährdet oder beeinträchtigt würde. Aber man muß etwas tun. Es ist gefährlich für alle, für diesen Beruf und für diesen Wirtschaftszweig, wenn nichts geschieht.Herr Kollege Bauknecht war so freundlich, den gegenwärtigen Stand der Landarbeiterlöhne darzustellen. Der Tariflohn betrug im Juni 1961 — und das ist auch der gegenwärtige Stand — 1,82 DM, der Bruttostundenverdienst im September 1961 — das steht im Grünen Bericht — 1,95 DM, der durchschnittliche Stundenverdienst der Landarbeiter in der Leistungsgruppe II im Jahre 1960/61, also im Berichtsjahr, 1,75 DM. Der Vergleichslohn betrug im Durchschnitt dieses Wirtschaftsjahres 2,67 DM. Er lag um 53 % über dem durchschnittlichen Landarbeiter-Stundenverdienst, wenn man die Pendelzeiten nicht berücksichtigt, und um 35 % über dem Landarbeiter-Stundenverdienst, wenn man die Pendelzeiten berücksichtigt. Der Unterschied ist ohne Pendelzeiten von 54 auf 61 Pf und mit Pendelzeiten von 83 auf 92 Pf gestiegen. Der Abstand zwischen den Landarbeiterlöhnen und den Löhnen der gewerblichen Arbeiter, die auf dem Lande Haus an Haus mit dem Landarbeiter wohnen, hat sich erheblich erhöht.Es ist davon gesprochen worden, daß eine Lohnerhöhung von 28 % gefordert werde. Das ist richtig. Diese Lohnerhöhung, meine Damen und Herren, würde nichts anderes bewerkstelligen, als lediglich den Anschluß wiederherstellen und eine Vergrößerung des Abstandes verhindern. Herr Bauknecht hat vorgetragen, daß diese Lohnerhöhung 488 Millionen DM kosten würde. Auch das ist wie in all den vergangenen Jahren, Herr Kollege Bauknecht, eine ziemlich theoretische Zahl; denn es findet auch zur Zeit eine erhebliche Abwanderung statt, und schon aus diesem Grunde wird die Summe niedriger sein. Außerdem ist die Summe deshalb rein theoretisch, weil das Lohnkonto der Landwirtschaft wegen der Fehler in der Feststellung des Arbeitskräftebestandes in der Vergangenheit in allen Grünen Berichten bis zu dem jetzt vorliegenden falsch, nämlich zu hoch, angegeben war. Im Jahre 1959/60 war es um 567 Millionen DM zu hoch angegeben. Selbst wenn Sie mit Ihrer Zahl recht hätten, würde das also noch in diesem Betrag aufgehen, der schon in der Landwirtschaft steckt.Sie haben sicherlich die Ubersicht über die Betriebsausgaben studiert und selber festgestellt, daß das Lohnkonto und das Konto Sozialversicherungsabgaben bis 1954/55 rückwärts um rund 600 Millionen DM im Jahr revidiert werden mußten. Ich habe in den vergangenen Debatten immer wieder darauf hingewiesen, daß die Rechnungsunterlagen für das Lohnkonto nach meiner Auffassung unrichtig sind, und es ist dann und wann schon zwischendurch eine Korrektur erfolgt und nun auf Grund der Arbeitskräfteerhebung von 1961 eine sehr gründliche.Diese 567 Millionen DM, die also statistisch und rechnerisch und was den Grünen Bericht betrifft schon ausgegeben waren, meine Damen und Herren, würden bei weitem ausreichen, um die Lohnforderung der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft, also die Forderung einer Lohnerhöhung um 28 %, zu erfüllen.Die Lohnquote betrug 1950/51 noch 21 %. 1954/55 sank sie auf 18,6 und 1960/61 auf 12 %. Auch wenn es in diesem Jahr nur eine Lohnerhöhung im Ausmaß der vorjährigen geben sollte, wird der Anteil der Lohnausgaben an den Betriebsausgaben insgesamt im jetzt laufenden Wirtschaftsjahr 1961/62 nur
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Frehseeetwa 101/2 %, genau die Hälfte dessen betragen, was relativ, an den Betriebsausgaben gemessen, insgesamt im Jahre 1950/51 für Landarbeiterlöhne von der Landwirtschaft des Bundesgebietes ausgegeben worden ist.Ich habe vorhin an den Staat appelliert, einiges im Sinne einer konstruktiven Landarbeiterpolitik zu tun. Ich möchte auch von dieser Stelle aus den Appell an die Landwirtschaft selber richten, wirklich das, was in ihren Kräften steht, im Interesse der Abwendung der Gefahr zu tun, von der ich gesprochen habe.In Norddeutschland ist der erzielte Lohn je Vollarbeitskraft im Wirtschaftsjahr 1960/61 ausweislich des Grünen Berichts um 674 DM gestiegen. Der Lohn der Lohnarbeitskräfte ist in dem gleichen Zeitraum im Durchschnitt um 375 gestiegen. Die Ein-. kommen der Vollarbeitskräfte in der Landwirtschaft haben sich im Durchschnitt also stärker erhöht als die Einkommen der Landarbeiter. Das sollte für Sie, die Sie die Arbeitgeberseite der Landwirtschaft vertreten, ein Grund mehr sein, jetzt einiges nicht nur im Interesse der Landarbeiter, sondern auch für die Aufrechterhaltung einer vernünftigen landwirtschaftlichen Arbeitskräftestruktur und die Erhaltung des notwendigen landwirtschaftlichen Arbeitskräftepotentials zu tun.Meine Damen und Herren, ich habe heute abend schon zweimal die rhetorische Frage gestellt: Was soll werden? So wie es bis jetzt gegangen ist, kann es nicht weitergehen. Die bisherige Agrarpolitik und alle bisherigen Bemühungen haben zur Lösung der Probleme nicht geführt.Ich möchte Ihnen fünf Stichworte für das nennen, was nach meiner Auffassung in Zukunft zu geschehen hat, um eine durchgreifende Änderung der Verhältnisse zu bewerkstelligen.Über den ersten Punkt will ich nicht viel sagen, weil er schon angesprochen wurde und weil mein Kollege Bading sich dazu noch im einzelnen auslassen wird. Es handelt sich um die Frage der Strukturverbesserung. Ich möchte Sie sehr bitten, über dieses Kapitel nicht so mit einem Achselzucken hinwegzugehen, wie das von einem oder von zweien der Redner heute abend geschehen ist. Denn wenn ohne die Hilfen aus dem Grünen Plan das Arbeitseinkommen in den vergangenen sechs Jahren von 2308 auf 3340 DM je Vollarbeitskraft gestiegen ist, so ist das natürlich auf den Strukturwandel zurückzuführen. Ich bin wirklich der Überzeugung, daß es hier eine Wechselwirkung gibt. Der Rückgang der Zahl der Arbeitskräfte zwingt natürlich zu einer stärkeren Mechanisierung. Umgekehrt muß aber alles in einem wohlausgewogenen Verhältnis bleiben. Nach meiner Auffassung ist nicht ausgewogen das Verhältnis der Ausgaben für landwirtschaftliche Maschinen — diese Summe beträgt ja 2,8 Milliarden DM im abgelaufenen Wirtschaftsjahr — und den Ausgaben für die landwirtschaftlichen Löhne. Ich habe auch auf diesen Punkt in den vergangenen landwirtschaftlichen Debatten immer wieder hingewiesen.Der zweite Punkt ist folgender. Wir sind nach wie vor der Überzeugung, daß die Direkthilfen eine größere Wirkung hätten, wenn sie gezielt gegeben würden und nicht pauschal und global, wie Sie das hier immer beschließen. Wir sind der Meinung, daß ein großer Teil dieser Maßnahmen verpufft, weil sie nicht gezielt durchgeführt werden.Das dritte, dem wir uns in Zukunft verstärkt zuwenden müssen, ist eine umfangreiche Investitionshilfe. Das ist hier schon angeklungen, und Ansätze sind sicherlich auch vorhanden; das soll anerkannt werden, und dieses Bemühen soll auch nicht verkleinert werden. Wir sind der Auffassung — lassen Sie mich das kurz sagen —, daß über ein sehr umfassendes und umfangreiches Investitionshilfeprogramm den landwirtschaftlichen Betrieben die Möglichkeit gegeben werden muß, sich zu modernisieren und zu rationalisieren, eine Möglichkeit, die die gewerblichen und industriellen Betriebe durch die Selbstfinanzierung über den Preis der von ihnen produzierten Waren gehabt haben. Diese Möglichkeit haben die landwirtschaftlichen Betriebe nicht gehabt. Die Investitionshilfe soll die Selbstfinanzierung über den Preis ersetzen. Es wird darüber zu reden sein, um welche Beträge es sich handeln muß, wenn das eine durchgreifende Hilfe werden soll. Es wird auch darüber zu reden sein, ob der Zinssatz von 3 % der endgültige, richtige und ausreichende ist.Viertens müssen wir uns in Zukunft mit mehr Entschlossenheit und größerem Ernst als bisher sozialpolitischen Mitteln zuwenden. Denen, die im Europäischen Parlament oder im Wirtschafts- und Sozialausschuß der EWG mit den Vertretern der anderen Mitgliedstaaten der EWG und den Landwirtschaftsvertretern dieser Staaten zusammengekommen sind, ist bekanntgeworden, welch ein ausgebautes System des Kindergeldes und der Familienbeihilfe, der Alters-, Hinterbliebenen- und Krankenunterstützung es in Frankreich für die dort in der Landwirtschaft Tätigen gibt. Wir sollten diese Dinge studieren und einiges von dem, was die anderen haben, übernehmen, natürlich auf unsere Verhältnisse zugeschnitten.Wir sollten die Altershilfe, die zweifellos den Strukturwandel unterstützt hat, ausweiten. Ich meine damit nicht nur die längst überfällige Erhöhung des Altersgeldes.
Sie wurde schon in der vergangenen Legislaturperiode im Sozialpolitischen Ausschuß beschlossen, ist dann aber von [der Mehrheit dieses Hauses im Plenum niedergestimmt worden. Ich meine also nicht nur die Erhöhung des Altersgeldes, sondern den Ausbau einer Regelung der Altershilfe vielleicht in der Richtung, daß man jenen hilft, die ihre Betriebe trotz der Altershilfe nicht abgeben, weil sie sie eben doch noch als Existenzgrundlage behalten wollen. Das sind jene, die vielleicht keine Angehörigen haben. Es gibt solche Fälle in großer Zahl. Man könnte das freiwerdende Land zur Strukturwandlung, zur Strukturverbesserung, zur Aufstokkung bestehenbleibender Betriebe benutzen. Viele alte Landwirte geben aber ihre Betriebe nicht ab,
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Frehseeweil sie keine Alterssicherung haben. Sollten wir nicht einmal ernsthaft überlegen, ob wir nicht solchen Landwirten, die willens wären — wir wollen niemanden zwingen —, ihren landwirtschaftlichen Betrieb aufzugeben, in bezug auf die Alterssicherung eine Stütze, eine Hilfe geben sollten, vielleicht durch Einkauf in die Rentenversicherung der Arbeiter mit Mitteln aus ,dem Grünen Plan. Das wäre eine Maßnahme. Natürlichgibt es viele solcher Maßnahmen, deren wir uns annehmen müssen.Wir müssen auch an die Förderung der beruflichen Umstrukturierung denken, die jetzt in zunehmendem Maße diskutiert wird. Wir müssen überlegen, ob wir nicht Hilfen beispielsweise für die Einrichtung eines Fremdenverkehrsgewerbebetriebes geben können. Ich drücke mich kompliziert und fachlich-technisch aus, aber Sie wissen, was ich meine. Das gilt insbesondere für jene Gebiete, die im Bayerischen Wald, in der Rhön oder in der Eifel in landschaftlich sehr reizvollen Gegenden wegen der Bodenverhältnisse dringend einen Zuerwerb benötigen, den man ihnen vielleicht auf einem solchen Wege und unter Umständen durch raumordnerische Maßnahmen verschaffen kann. Wir haben deswegen die raumordnerischen Mittel auch in der Entschließung aufgeführt, die wir Ihnen vorlegen.An fünfter Stelle möchte ich das anführen, was ich eingangs schon in Erwiderung auf die Ausführungen des Kollegen Wacher erwähnt habe. Ich halte es einfach 'für eine Utopie — meine Damen und Herren, wenn Sie ehrlich sind, geben Sie mir das alle zu —, ich halte es für eine Illusion, anzunehmen, daß man die Differenz zwischen dem Vergleichslohn und dem erzielten Lohn durch Preiserhöhungen ausgleichen könne. Dabei habe ich nicht allein etwa die deutschen Verbraucher und ihre Einstellung im Auge, sondern ich habe beispielsweise das europäische Preisniveau im Auge. Auf diesem Wege wird es nicht gelingen. Wir müssen das einsehen und nach anderen Wegen Ausschau halten. Vielleicht geht es auf der anderen, auf der Kostenseite. Wir müßten uns gemeinsam anstrengen, dort zu Ergebnissen zu kommen.Damit ist natürlich die allgemeine Wirtschaftspolitik angesprochen. Ich hatte gerade in dieser Beziehung heute morgen kein gutes Gefühl, als der Wirtschaftsminister die Regierungserklärung abgab und von der notwendigen Hilfe für die gewerblichen und industriellen Mittel- und auch Großbetriebe sprach und nicht ein Wort über die notwendige Hilfe für die landwirtschaftlichen Betriebe in den Überschwemmungsgebieten sagte.
Ich wollte das eigentlich nicht im Sinne eines Vorwurfs anbringen.
Das ist aber typisch für die Einstellung der Regierung zu diesen wirtschaftspolitischen Fragen.
Die Landwirtschaft kommt unter „ferner liefen". Dagibt man hier einmal die eine Subvention und dortdie andere Hilfe. Der entscheidende Punkt einerHilfe für die Landwirtschaft liegt aber bei der Wirtschaftspolitik und bei der Frage der Kostensenkung. Sie sind sicherlich alle meiner Meinung, auch wenn Sie es nicht zugeben wollen oder nicht zugeben können.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Memmel?
Ja, bitte!
Herr Kollege Frehsee, glauben Sie nicht, daß es ein offensichtliches Versehen war, die Landwirtschaft nicht zu erwähnen? Wenn ich als Wirtschaftsminister nach Hamburg gefahren bin, nur Hamburg gesehen habe, zurückkomme, dann hier nur von Hamburg spreche und dabei die Landwirtschaft übersehe — in freier Rede, aus übervollem Herzen heraus, beeidruckt von der Not und dem Elend, das der Wirtschaftsminister gerade in Hamburg soeben gesehen hatte; er war doch nicht in Schleswig-Holstein —, dann muß man das, meine ich, doch nicht zu einer solchen Unterstellung benutzen. Glauben Sie nicht, daß das ein offensichtliches Versehen war?
Ich will Herrn Erhard an dieser Beziehung gar nichts unterstellen. Er stand unter dem Eindruck dessen, was er dort gesehen hatte. Ich habe ja auch schon angedeutet, daß ich das nicht als Vorwurf sage, sondern deshalb, weil es so oft geschieht. Ich sagte, das sei typisch. Es gibt viele andere Beispiele. Dies bot sich nur an, weil es gerade heute passiert ist. Ich muß Ihnen sagen, ich war ein wenig nicht nur schockiert, sondern betrübt darüber, daß es so ist, weil ich mir auch Sorgen um diese agrarpolitischen Probleme mache. Für mich war es — um das noch einmal zu sagen — typisch. Bei dieser Einstellung ist eine Lösung der landwirtschaftlichen Probleme furchtbar schwer, weil es nicht möglich ist, den Hebel dort anzusetzen, wo er allein etwas bewirken könnte: bei der Wirtschaftspolitik und bei der Kostensenkung.Meine Damen und Herren! Ich komme zum Schluß. Eins wollte ich gern noch zu dem Grünen Plan, der uns vorgelegt worden ist, sagen, und zwar zu dem Teil, der sich mit der Siedlung und der Eingliederung von Vertriebenen und Flüchtlingen befaßt. In diesem Teil des Grünen Plans, und zwar im ersten Teil dieser Darstellung, ist auf das Siedlungsprogramm 1961 hingewiesen worden, das nach § 46 des Bundesvertriebenengesetzes von der Bundesregierung aufgestellt worden ist. Ich will auf die Einzelheiten nicht eingehen. Der Vertriebenenausschuß des Bundestages hat sich ja vor wenigen Tagen, am 14. Februar, eingehend mit der Frage der Eingliederung der ost- und mitteldeutschen Bauern und besonders auch mit einer Verstärkung der Eingliederung befaßt, und den zuständigen Ministerien sind vom Ausschuß eine Reihe sehr eingehender Fragen vorgelegt worden, deren Beantwortung nur zum Teil erfolgte. Zum anderen Teil steht die Beantwortung noch aus.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Februar 1962 545
FrehseeWenn ich auch verstehe, meine Damen und Herren, daß heute, am 22. Februar, noch kein Bericht über die Gesamtdurchführung dieses Siedlungsprogramms im ganzen Jahre 1961 vorgelegt werden kann, so haben wir doch einen Überblick über das erste Halbjahr 1961 nach der Flüchtlingssiedlungsstatistik. Daraus ergibt sich, daß vom 1. Januar bis zum 30. Juni vorigen Jahres für vertriebene und geflüchtete Bauern 3656 Stellen, und zwar im Wege der Neusiedlung, des Kaufs und der Pacht, geschaffen worden sind. Selbst unter Berücksichtigung der Erfahrung, daß jeweils im zweiten Halbjahr etwas mehr Stellen erstellt werden, wird der gesamte Erfolg dieses auf 11 800 Stellen bezifferten Programms bei 7500 Stellen liegen: ein Beweis, meine Damen und Herren, daß Programme kein Pfand für die wirkliche Durchführung sind.Ich habe es als mißlich empfunden, daß hier gewissermaßen im Rahmen des Leistungsberichts des Grünen Plans dargestellt wurde, daß im Programm 10 640 Neusiedlerstellen und 2873 zu fördernde Eingliederungsstellen vorgesehen sind, während das, was wirklich erreicht worden ist, weit hinter diesen Zahlen zurückbleibt. Auch das ist etwas, was man schlicht als Schönfärberei bezeichnet, und das sollten wir uns sparen. Wir sollten uns bei den ernsthaften Überlegungen, die heute hier angestellt werden und bei den Grünen Debatten immer angestellt werden sollten, wenn auch manchmal ein wenig aggressiv — in der Sache aggressiv zu sein, ist sicherlich nützlich —, stets von dem Ernst der Situation, der gegeben ist, bewegen lassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Logemann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, Ihre Zeit nicht sehr lange in Anspruch zu nehmen, sondern meine Ausführungen wirklich sehr zu straffen; ich glaube, die vorgeschrittene Zeit verlangt das.Ich habe von meiner Fraktion den Auftrag bekommen, über den Grünen Bericht zu sprechen. Ich muß mich also als Sprecher 'der FDP jetzt mit den Problemen der alten Agrarpolitik befassen. Es sind, möchte ich vorweg sagen, sogar einige sehr alte Rechnungen, die ich heute, Herr Minister Schwarz, hier vorlegen werde. Aber, Herr Minister Schwarz, Sie brauchen zum Bezahlen dieser Rechnungen kein Geld; sie zu erfüllen, dazu gehört nur guter Wille.Nun zum Grünen Bericht dieses Jahres. Ich möchte feststellen, was auch vorhin schon in anderen Reden angeklungen ist, 'daß dieser Grüne Bericht gegenüber seinen Vorgängern doch sehr verbessert worden ist. Er enthält diesmal weniger Tabellen; ich finde, dadurch ist er übersichtlicher geworden. Ich habe auch den Eindruck bekommen, daß die Auswertung der Ergebnisse der 8000 Testbetriebe besser geworden ist. Vielleicht wirkt sich hier die Schulung der Betriebsleiter der Testbetriebe aus. Ich möchte also feststellen, daß der 7. Grüne Bericht verbesserte Unterlagen bringt. Das soll man anerkennen. Ich bin auch der Meinung, daß die Leistungen der Landwirtschaft klar und deutlich dargestellt sind.Das, meine Damen und Herren, ist eine positive Beurteilung, die ich hier vorwegschicken möchte. Die positive Seite ist durchaus wert, gewürdigt zu werden, und sie ist auch schon heute nachmittag hier gewürdigt worden.Aber was gut ist, kann durchaus noch verbessert werden; und der Grüne Bericht, Herr Minister Schwarz, muß nach meiner Auffassung in Zukunft noch verbessert werden.Bitte gestatten Sie mir, daß ich auch hier heute aus der Verantwortung heraus ganz deutlich meinen Einspruch anmelde, wo ich zu den Berechnungen des Grünen Berichts wirklich anderer Auffassung bin als die, die anscheinend die offizielle Auffassung der Bundesregierung ist. Ich habe sogar die Hoffnung, Herr Minister, daß Sie vielleicht aus der Mitverantwortung heraus die Vorschläge, die ich machen werde, und eine gewisse Kritik, die ich üben werde, deshalb besonders ernst nehmen werden.Ich möchte vorweg eine Bemerkung machen. Ich halte es nicht für einen guten Stil, daß man alljährlich — wir haben es auch im letzten Jahr erlebt, es war aber auch schon so zu Zeiten des Amtsvorgängers des Herrn Ministers Schwarz, des damaligen Ministers Lübke — in Pressekonferenzen vor der Vorlage des Grünen Berichts im Parlament schon eine gewisse Schau der agrarpolitischen Debatte vorwegnimmt. Herr Minister, ich bin der Meinung, I der Bundestag hat eigentlich ein Recht, zuerst durch Sie informiert zu werden.
Ich sage das einmal ganz deutlich, weil gerade auch in diesem Jahre wieder festzustellen war, daß die Reaktion in den Schlagzeilen am Tage nach Ihrer Pressekonferenz — am 12. Februar war sie wohl — durchaus beachtlich, aber für die Landwirtschatf in vielen Dingen sehr bedenklich war. Ein Blatt, das in Millionenauflage erscheint — nur dieses eine möchte ich zitieren —, berichtete am Tage nach der Pressekonferenz unter der Überschrift: „Minister Schwarz: Zwei Drittel der landwirtschaftlichen Betriebe unrentabel — Täglich 11 Millionen für unsere Bauern". Schon diese Tatsache erweist, daß doch auch der Grüne Bericht 1962 nicht zu einer klaren Bestandsaufnahme für die Offentlichkeit geworden ist und daß immer wieder, nach jedem Grünen Bericht, in den Verbraucherkreisen die Meinung aufkommen kann und aufkommen muß : „Nun kommen wieder neue ,grüne Milliarden' für die Landwirtschaft", daß in der Offentlichkeit immer mehr der Eindruck entsteht, als ob die Landwirtschaft im Begriff sei, mehr und mehr Subventionsempfänger zu werden.Das muß vom Landvolk aus zurückgewiesen werden. Es ist doch für uns geradezu beleidigend, wenn man uns diese „täglich 11 Millionen" vorhält; beleidigend deshalb, weil wir doch nachweislich die längste Arbeitszeit von allen Berufen haben; beleidigend deshalb, weil wir auf der untersten Lohn-
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Logemannstufe stehen — auch darüber brauchen wir nicht zu streiten —; beleidigend auch deshalb, weil wir uns bemüht haben, trotz längster Arbeitszeit, trotz niedrigster Lohnstufe die Produktivität in der Landwirtschaft — das ist soeben noch einmal von dem Kollegen Frehsee bestätigt worden — in den letzten Jahren ganz gewaltig zu steigern.Wir haben also eine gerechte Beurteilung der Lage der Landwirtschaft zu verlangen. Es ist auch notwendig, daß wir uns durch einen noch besseren Grünen Bericht bemühen, zu einer Klimaverbesserung zwischen Stadt und Land beizutragen. Da erscheint es jetzt im Hinblick auf die EWG notwendiger denn je, daß Stadt und Land zu einem Miteinander kommen und daß gerade dieses Miteinander gesucht werden muß.Nun, wo liegen die Ursachen dieser Unklarheit? Wo liegen die Ursachen für diese Irrtümer in der Öffentlichkeit? Herr Minister Schwarz, ich bin der Auffassung, daß die Bundesregierung das ihr zur Verfügung stehende gute Material nicht ausreichend zur Unterrichtung der Öffentlichkeit nutzte. Vielleicht liegt ein Grund darin — auch das möchte ich ganz offen ansprechen —, daß vielleicht jede Regierung bemüht ist, irgendwelche Erfolge zu melden, darum bemüht ist, eine erfolgreiche Agrarpolitik aufzuzeigen, daß sie nachweisen will, daß man auf dem richtigen Wege ist. Alles zugegeben, aber, meine Damen und Herren, wir als Bauern können doch dafür kein Verständnis haben, sondern ich betone vielmehr, daß gerade eine solche Bilanz der Begünstigung zu Irrtümern in Verbraucherkreisen führt, daß aber auch eine solche Bilanz, Herr Minister Schwarz, mit der rauhen Wirklichkeit draußen auf dem Lande durchaus nicht mehr im Einklang steht.Nun ist schon seit Jahren versucht worden — ich denke dabei an die alten Rechnungen —, den Grünen Bericht zu verbessern. Bisher sind alle Bemühungen gescheitert. Die FDP-Fraktion legte im dritten Bundestag einen Gesetzentwurf zur Errichtung einer Anstalt für Agrarwerbung vor. Man hatte damals die Hoffnung, durch die Errichtung einer solchen Anstalt zu einer besseren Aufklärung auch über die Situation in der Landwirtschaft zu kommen. Das Parlament machte noch im Juli 1960 einen ganz besonderen Vorstoß in der Richtung eines Stundenlohnvergleichs, auf den ich noch komme. Aber das alles blieb von der Regierung unbeachtet. Ich bedaure sehr, Herr Minister Schwarz, daß hier wirklich alles beim alten blieb.Welche Möglichkeiten gibt es nun zur Verbesserung des Grünen Berichts? Vielleicht sind einige Damen und Herren der Meinung, daß ich hier Probleme anspreche, die angesichts der Situation in der EWG eigentlich gar nicht mehr so gründlich erörtert werden sollten. Nach unserer Auffassung sind aber die Dinge, die ich mir vorgenommen habe anzusprechen, auch für die europäische Situation sehr wichtig.Nun komme ich gleich mit einer ersten Forderung zu einer Verbesserung des Grünen Berichts, einer alten Forderung: Gesamtdisparität. Da gibt es natürlich sofort Nein- und Jasager. Herr Kollege Wacher hat diese .Forderung vorhin schon freundlich abgelehnt. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß es innerhalb der CDU-Fraktion auch Jasager gibt. Wir sollten sehen, daß, solange die Bundesregierung alljährlich versucht, die finanziellen Leistungen des Bundes für die Landwirtschaft in einer Gesamtsumme zusammenzuzählen, es notwendig ist, auch umgekehrt zu verlangen, daß die verschiedenen Disparitäten innerhalb der Landwirtschaft auch zu einer Gesamtsumme zusammengefaßt werden. Hier braucht man doch in der Offentlichkeit eine Vergleichszahl, und ich finde, diese Vergleichszahl ist sehr, sehr notwendig.Ich darf auch auf in diesem Jahr wieder erschienene Pressemeldungen verweisen, die ich soeben schon andeutete. Es hieß in einer Pressemeldung: 11 Millionen täglich für die Bauern. Das ist so ausgerechnet worden, daß man die finanziellen Leistungen für die Landwirtschaft in den letzten fünf Jahren zusammengerechnet hat. Das ergibt rund 20 Milliarden DM oder täglich 11 Millionen für die Bauern.Dazu ist zunächst zu sagen, daß in diesen 20 Milliarden DM viele Beträge stecken, die nicht der Landwirtschaft zugute kommen, sondern die in völlig andere Kanäle gehen. Aber ich meine, ein solcher Hinweis ist nur möglich, weil zusammengefaßt wird, und deshalb halten wir es für notwendig, daß hier in der Öffentlichkeit auch die andere Vergleichszahl genannt wird.Nochmals zu den 11 Millionen! Diese Zahl ist sehr leicht zu widerlegen, wenn man ihr den täglichen Lohnverzicht der Landwirtschaft gegenüberstellt. Ich will heute keine Disparitätsrechnung aufmachen; Sie können es selbst nachrechnen. Hier wurde vorhin von einem Lohnabstand von 1,35 DM bei den familieneigenen Arbeitskräften gesprochen. Rechne ich bescheiden, ergibt sich bei 2 Millionen familieneigenen Arbeitskräften und bei einer täglichen Arbeitsleistung von 10 Stunden schon täglich ein Lohnverzicht von 10 DM mal 2 Millionen DM. Diese Dinge sind doch zu widerlegen, und es muß hier etwas geschehen. Wir sollten uns bemühen, in der öffentlichen Diskussion zu einer Klarstellung zu kommen und diese Klarstellung schnellstens herbeizuführen. Denn die Entwicklung in die EWG hinein zeigt schon jetzt wieder völlig neue Subventionswege, wenn ich an die Getreidepreisentwicklung denke.Eine zweite alte Forderung, die ich auch wieder neu aufnehmen möchte, ist .der Stundenlohnvergleich. In jedem Jahr ist ja bei der Grünen. Debatte die Vergleichsrechnung ein gewisses Kriterium. Ich bedaure, daß das Bundesernährungsministerium 1962 in dem Grünen Bericht wiederum nicht einen Stundenlohnvergleich bringt. Ich glaube, daß an sich gerade diese Forderung, die wir hier erheben, gut gerüstet dasteht. Denn der Deutsche Bundestag hat schon am 1. Juli 1960 den Beschluß gefaßt, daß die Bundesregierung ersucht werden sollte, neben dem Jafhreslohnvergleich auch einen Stundenlohnvergleich zu bringen. Wie gesagt, es geschah nicht im Vorjahr, und wir haben auch in diesem Jahr aus der Pressekonferenz gehört, daß Herr Minister Schwarz einen solchen Stundenlohnvergleich ablehnt.
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LogemannSicherlich mag es Schwierigkeiten bei der Berechnung eines Stundenlohns geben; ich gebe das zu, will aber nicht in Einzelheiten einsteigen, sondern nur eines feststellen. Wer den Jahreslohn berechnen kann, kann auch den Stundenlohn berechnen. Man könnte dazu auch noch sagen, daß praktisch die Einwände, die man gegen ,den Stundenlohnvergleich erhebt, gleichzeitig gegen den Jahreslohnvergleich genauso gegeben sind.Ein gewisses Kriterium waren auch z. B. immer noch die Pendlerzeiten. Die Entwicklung ist• doch heute so, daß auch diese Pendlerzeiten mehr und mehr bezahlt werden. Herr Minister Schwarz, könnten wir die Pendlerzeiten nicht überhaupt auslassen? Können Sie sich nicht bemühen, künftig Betriebe zu vergleichen, bei denen praktisch kaum nennenswerte Wege bestehen? Das wäre doch eine Möglichkeit, aus der Schwierigkeit mit den Pendlerzeiten herauszukommen. Die Anrechnung der Pendlerzeiten ist für die Landwirtschaft kein echter Ausgleich.Worum geht es überhaupt 'bei diesem Stundenlohnvergleich? Uns geht es darum, festzustellen, daß die Ja'hreslohnvergleiche nicht die Arbeitszeit der in der Landwirtschaft tätigen Menschen berücksichtigen. Die Entwicklung ist ja so — Herr Minister Schwarz, Sie haben es neulich richtig hervorgehobendaß durch den Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitskräften die Arbeitszeit in der Landwirtschaft im Gegensatz zu vergleichbaren Berufen, im Gegensatz zur industriellen gewerblichen Wirtschaft nicht kürzer, sondern länger wird. In der industriellen gewerblichen Wirtschaft läuft die Entwicklung jetzt so, daß wir bezüglich der Arbeitszeiten schon die Spitze innerhalb der EWG-Länder erreicht haben. Nach neuesten Unterlagen sind wir in der industriellen Wirtschaft 'bei 2135 Stunden angekommen. In der Landwirtschaft ist es gerade umgekehrt. Jeder Mensch, der 'bei uns vom Hofe geht, verlängert zwangsläufig die Arbeitszeit für die auf den Höfen verbleibenden Menschen. Herr Minister Schwarz, Sie haben in Ihrer Rede neulich richtig gesagt, in der Landwirtschaft werde heute zwischen 2800 und 3200 Stunden gearbeitet. Ich möchte hinzufügen, die Landfrauen arbeiten noch sehr viel länger; sie werden wohl 4000 Stunden erreichen. Wir sollten unseren Landfrauen dafür ein ganz besonderes Lob aussprechen. Aber, Herr Minister, ich kritisiere, daß Sie aus der richtigen Erkenntnis dieser Dinge keine Folgerungen in dem jetzigen Grünen Bericht gezogen haben und nicht neben dem Jahreslohnvergleich den Stundenlohnvergleich anführen.Noch ein Beispiel zu den Unterschieden der beiden Vergleichssysteme. Beim Jahreslohnvergleich haben wir im Grünen Bericht die Feststellung, daß für den Jahreslohn in vergleichbaren Berufen im Durchschnitt rund 2236 Stunden gearbeitet wird. In der Landwirtschaft unterstellt man aber für den Jahreslohnvergleich nicht 2236, sondern 2700 Stunden oder, wie Sie, Herr Minister, in Ihrer Rede sagten, sogar 2800 bis 3200 Stunden, an denen ja auch in der Tat gearbeitet wird. Die Landwirtschaft verliert also beim Jahreslohnvergleich, wenn statt der 2236 nun 2700 Stunden genommen werden, 464 Stunden je Arbeitskraft. In Geld umgerechnet ist das einBetrag von 1238 DM landwirtschaftlichen Lohneis. Wenn Sie das mit der Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Vollarbeitskräfte multiplizieren, ergibt sich praktisch ein Lohnbetrag in einer Größenordnung von 2,6 Milliarden DM, der nicht berücksichtigt wird, der einfach unter den Tisch fällt.Hinzu kommt — auch das wird nicht berücksichtigt —, daß die Landwirtschaft gezwungen ist, Sonntagsarbeit zu leisten, Überstunden zu machen. Hinzu kommt ferner, daß es dm bäuerlichen Betrieb in der Regel keine Urlaubszeiten gibt. Aber all diese Dinge möchte ich dabei jetzt nicht ansprechen.Gerade das von mir angeführte Beispiel sollte eigentlich die große Bedeutung eines gerechten Lohnvergleiches aufzeigen. Wir sind der Meinung, daß ein solcher gerechter Lohnvergleich dringend notwendig ist. Es geht uns durchaus nicht darum, eine Riesendisparität auszurechnen, sondern, Herr Minister, wir wollen nur endlich zu einer gerechten Disparität kommen. Ich bin der Meinung, daß hier das Parlament die Regierung nicht aus ihrer Verantwortung entlassen sollte.Damit bin ich eigentlich am Ende
meiner Ausführungen über den Jahreslohnvergleich. Ich möchte aber noch eines hinzufügen — Sie haben zu früh geklatscht —,
nämlich, daß dieser Jahreslohnvergleich — auch das sollten wir erkennen — tatsächlich die Betriebe sehr stark benachteiligt, die — das können Sie fast auf jeder Seite des Grünen Berichts lesen — besonders gefördert werden sollen: die bäuerlichen Familienbetriebe. Beim Jahreslohnvergleich sind die Arbeitskräfte in den bäuerlichen Familenbetrieben betroffen.Ich möchte nicht in den Fehler verfallen, jetzt noch eine Definition des bäuerlichen Familienbetriebes zu geben, bin aber der Meinung — das darf ich vielleicht doch einschalten —, daß diese Betriebe, .bei denen der Boden im Minimum ist, die Rentabilität allein über die Bodenproduktion also nicht erreichbar ist, gezwungen sind, sich über die Veredelung zusätzlich eine Rentabilität zu verschaffen. Wir sollten uns den großen Auftrag geben, dafür zu sorgen, daß gerade den bäuerlichen Familienbetrieben die Chance einer zusätzlichen Veredelung 'erhalten bleibt.Meine Damen und Herren, es geht nicht darum, daß wir jetzt hier noch Sprüche machen, sondern wir sollten uns ehrlich zu dem agrarpolitischen Auftrag bekennen, die bäuerlichen Familienbetriebe zu stärken. Der jetzige Lohnvergleich — das darf ich noch einmal sagen — führt zu einem großen Unrecht gegenüber diesen Betrieben. Und hier ist meine Frage, Herr Minister: Will man wirklich die Strapazierfähigkeit dieser Betriebe, die ja bekanntlich groß ist, mit einem solchen Lohnvergleich ausnützen? Wenn man das vorhätte, dann wäre der bäuerliche Familienbetrieb allerdings ein durchaus gefährliches Leitbild der Agrarpolitik!Nun noch ein anderer Vorschlag zum Grünen Bericht, der vorhin auch schon von dem Kollegen
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LogemannSchmidt gemacht worden ist. Wir sind der Auffassung, daß es wichtig ist, schon den nächsten Grünen Bericht auf die EWG-Entwicklung abzustimmen. Es ist wichtig, daß wir jetzt in der Landwirtschaft Vergleichszahlen nicht nur aus unseren Partnerländern, sondern auch aus Drittländern bekommen. Wichtig ist, daß wir Zahlenmaterial über Kostenvergleiche erhalten. Aber genauso wichtig für die Zukunft, Herr Minister, ist es, daß uns mit dem Grünen Bericht immer der neueste Subventionskatalog vorgelegt wird. Bei der Entwicklung der Subventionen in unseren Nachbarländern ist das eine besonders vordringliche Aufgabe. Ich habe heute noch neue Zahlen bekommen. Dänemark subventioniert seine Landwirtschaft seit wenigen Jahren. Die Entwicklung in Dänemark ist heute so, daß in der dänischen Landwirtschaft auf jeden Erwerbstätigen an einkommenverbessernden Maßnahmen eine Subvention in einer Größenordnung von 1080 DM gewährt wird. In Frankreich ist man in den letzten Jahren ohne Familienhilfe schon auf 1400 DM gestiegen. Die Bundesrepublik zahlt 670 DM. Deshalb ist es wichtig, mit dem nächsten Grünen Bericht Material über diese Zahlen zu bekommen. Wir brauchen solche Zahlen, um zu erkennen, wo die Chancen und Möglichkeiten unserer Produktion liegen.Abschließend noch eine kurze Betrachtung der agrarpolitischen Entwicklung. Ich verzichte wegen der vorgeschrittenen Zeit auf längere Ausführungen. Es ist besorgniserregend, wenn man den Grünen Bericht einmal genauer studiert. Man kommt dann zu der erschreckenden Feststellung, daß der Anteil der Landwirtschaft an der Wertschöpfung von 10,9 % im Jahre 1950 auf etwa 6,2 % abgesunken ist. Das ist ein Absinken von fast 50 %.Die Vorschau auf das im Grünen Bericht erwähnte laufende Wirtschaftsjahr muß uns ebenfalls mit Sorge erfüllen. Der Differenzbetrag zwischen Verkaufserlösen und Barausgaben wird mit etwa 800 Millionen bis 900 Millionen DM schon jetzt niedriger eingeschätzt. Dazu kommt seit gestern eine neue Lohnforderung der Gewerkschaften. Die Gewerkschaften verlangen, daß die Landwirtschaft noch zusätzlich 500 Millionen DM für Lohnerhöhungen verkraften soll. Das ergibt schon zusammen eine Verringerung des Differenzbetrages um weit über 1 Milliarde DM. Ich bin zwar durchaus der Auffassung, daß wir eine Agrarpolitik ansteuern sollten, bei der auch der landwirtschaftliche Fremdarbeiter zu dem Vergleichslohn vorstoßen kann; aber ich halte es nicht für richtig, was gestern von der Gewerkschaft „Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft" verlangt wurde. Es wurde z. B. darauf hingewiesen, daß Fremdarbeiter nur noch in den Betrieben beschäftigt würden, bei denen schon der Vergleichslohn erreicht sei. Das bedeutet meiner Meinung nach eine sehr allgemeine Vergröberung der Tatsachen. Es ist vielmehr so, daß diese Kräfte noch in allen Betrieben vorhanden sind. Ich verstehe auch nicht, warum sich die Gewerkschaften plötzlich von allen anderen Betrieben absetzen und sich anscheinend nur noch mit der lohnpolitischen Situation bei den 6,9 % der landwirtschaftlichen Betriebe auseinandersetzen, die bisher allein das Klassenziel des Landwirtschaftsgesetzes erreicht haben. Wenn wir solche Forderungen hören, dann können wir auch erwarten, daß diese Kreise einmal auf der Preisseite der Landwirtschaft mitkämpfen, damit die Landwirtschaft in die Lage versetzt wird, nun auch höhere Löhne zahlen zu können.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen! Wir vertreten die Auffassung, daß wir uns bemühen sollten, den Grünen Bericht zu einer echten Bestandsaufnahme zu entwickeln. Ich habe die Hoffnung, daß es uns gelingt, in gemeinsamer Arbeit zu einer gesunden Synthese zwischen alter und neuer Agrarpolitik zu kommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reinhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war erfreulich, daß wir von der linken Seite des Hauses, von Herrn Kollegen Dr. Schmidt, Worte hörten, die wir sonst nicht von dort zu hören gewohnt sind. Er hat sich ausdrücklich dafür ausgesprochen, daß es nicht zu einer Abwanderung der Landwirte vom Lande kommen dürfe, da dies an das Mark des Bauerntums gehen würde. Darin 'stimme ich vollkommen zu.Ich möchte mir erlauben, einige Probleme der kleineren Landwirtschaft anzusprechen. Wenn ich diese Probleme anspreche, soll damit keineswegs ein Keil zwischen „klein" und „groß" getrieben werden. Auch der größere Betrieb hat seine Sorgen, mehr noch, als das aus den Grünen Berichten hervorgeht.Herr Frehsee sprach den Abstand der Landarbeiterlöhne von den gewerblichen Löhnen an. Sicher, das ist ein Krebsschaden, und ich bin mit Herrn Logemann der Meinung, daß man zu einem paritätischen Landarbeiterlohn kommen müßte. Aber wie kommt es denn, daß wir ihn noch nicht haben? Es ist bei_ der derzeitigen Lage einfach nicht möglich, diesen Sprung zu tun. Herr Kollege Frehsee, ich schätze Ihre Objektivität sehr hoch; aber Ihr Hinweis, daß die Lohnquote innerhalb der Betriebsausgaben von 20 % auf 10 % gesunken sei, rechtfertigt nicht Ihre Forderung. Denn auf der anderen Seite sind die Aufwendungen für Maschinen und technische Investitionen erheblich gestiegen.
— Jawohl. Aber so einfach, wie Sie es darzustellen versuchten, ist die Sache nicht. Ich glaube, wir sind da auch ziemlich einer Meinung.Die Krisenfestigkeit und die Liquidität der größeren Betriebe, der Lohnarbeitsbetriebe ist wegen des erhöhten Lohnaufwandes und der notwendigen Investitionen sehr viel schlechter geworden. Der bäuerliche Familienbetrieb kommt eher über die Runden, weil er eben die mithelfenden Familienmitglieder kürzer treten läßt. Sie alle müssen auf ihren Lohnanspruch verzichten.Das Problem der Kleinbauern ist anderer Art. Im letzten Jahr hat die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe um 37 000 abgenommen. Seit 1949 ist eine
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Dr. ReinhardAbnahme von mehr als 400 000 zu verzeichnen. Davon entfällt die Mehrzahl auf Betriebsgrößen bis 5 ha. Aber auch die Klasse von 5 bis 10 ha hat 67 000 Betriebe verloren. Es steht außer Zweifel, daß diese Entwicklung durch das hohe außerlandwirtschaftliche Einkommen der Nebenerwerbslandwirte bedingt ist. Die gutverdienenden Arbeiterbauern haben den landwirtschaftlichen Erwerb nicht mehr nötig, oder er erscheint ihnen nicht mehr lohnend genug. Die Entwicklung ist also eine Auswirkung der guten Konjunktur in der Bundesrepublik.Trotzdem müssen wir diese Entwicklung mit Trauer sehen. Denn die Nebenerwerbslandwirte gehören an sich zu den krisenfestesten Existenzen, die bisher jede konjunkturelle Abschwächung, ja sogar ernste Krisen überstanden haben. Die Aufgabe der Landwirtschaft bedeutet für sie einen Verzicht auf wirtschaftliche Sicherheit. Dem wollen sie dadurch entgehen, 'daß sie ihre Grundstücke nicht veräußern, sondern ungenutzt liegen lassen, um sie im Notfall wieder nutzen zu können.Wir können diese Entwicklung nicht aufhalten. Denn weder vom Preise her noch von der Produktionskostenseite her können agrarpolitische Maßnahmen diese Grundeigentümer zur Aufrechterhaltung ihres Nebenerwerbsbetriebes anreizen.Herr Kollege Effertz hat mit tiefschürfenden Überlegungen eine Definition für den bäuerlichen Familienbetrieb zu bekommen versucht. Man muß sie ja schließlich auch einmal finden; leider haben wir sie noch nicht. Aber es ist sehr schwer, eine Grenze zu ziehen. Herr Dröscher, Sie haben das gesagt, und ich bin mit Ihnen einer Meinung.Wir müssen uns um diejenigen Landwirte besonders kümmern, deren Betriebe einerseits zu klein sind, um in Zukunft ein auskömmliches Einkommen, geschweige einen Vergleichslohn abzuwerfen, und andererseits zu groß sind, um ihren Besitzer einem Nebenerwerb nachgehen lassen zu können. Das sind auch Familienbetriebe. Hierher gehören auch die kleinen Bauern, die wegen der Verkehrsferne ihrer Betriebe keine Möglichkeit zur Aufnahme eines Nebenerwerbs haben.Wenn auch im Zuge der Umstellungsmaßnahmen der Landwirtschaft ein Trend zur größeren Einheit nicht zu verkennen ist, so muß doch aus soziologischen Gründen auf die Erhaltung — ich will hier ein Wort der Regierungserklärung gebrauchen —„möglichst vieler selbständiger kleiner und mittlerer Existenzen" auch in der Landwirtschaft Wert gelegt werden.1. Wir sollten daher die Schaffung einer besonderen Abteilung für Raumordnung im Bundesministerium für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung begrüßen. Wir erwarten von Herrn Bundesminister Lücke, daß er sich besonders der Aufschließung der Gebiete mit vorwiegend landwirtschaftlichem Kleinbesitz und der Ansiedlung kleiner und mittlerer ,gewerblicher Betriebe in diesen Gebieten annimmt. Damit wird den Ballungstendenzen und der Abwanderung der landwirtschaftlichen Bevölkerung in die Großstädte entgegengewirkt. Außerdem wird den kritischen landwirtschaftlichen Betriebsgrößen durch die Ermöglichung eines Nebenerwerbs eine bessere Existenzgrundlage geschaffen.2. Die Vermehrung der Mittel zur Verbesserung der Agrarstruktur, insbesondere die Erhöhung der Mittel für die Aufstockung und Aussiedlung, ist zu begrüßen. Durch die Kostensteigerung und aus anderen Gründen ist allerdings die Höhe der Vorgriffe von Jahr zu Jahr gestiegen. Im abgelaufenen Jahr sind insgesamt 315 Millionen DM zur Aufstockung und Aussiedlung aufgewandt worden, also ebensoviel, wie der diesjährige Ansatz beträgt. Es konnten sogar Anforderungen in Höhe von 20 Millionen DM im abgelaufenen Jahr nicht bedient werden.Es ist also wiederum eine ganz erhebliche Bindungsermächtigung nötig, wenn nur die vorjährigen Ergebnisse erreicht werden sollen. Deshalb hat meine Fraktion auch eine Erhöhung der Bindungsermächtigung von 100 Millionen beantragt. Ich möchte aber anregen, daß künftig anfallendes Land mehr als bisher zur Aufstockung und damit zur Bildung zahlreicher lebensfähiger Familienbetriebe verwendet werden sollte.3. Man sollte auch überlegen, wie die landwirtschaftliche Nutzfläche stillgelegter oder stillzulegender Betriebe, die als sogenannte soziale Frage immer mehr in Erscheinung treten, nutzbringend zur Aufstockung landwirtschaftlicher Betriebe zu mobilisieren ist. Sicherlich könnte man in dieser Richtung etwas erreichen, wenn man Landwirte, die die Bewirtschaftung ihres landwirtschaftlichen Besitzes aufgegeben haben oder aufgeben wollen und die bereit sind, diese zur Aufstockung anderen landwirtschaftlichen Betrieben zur Verfügung zu stellen, mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus ausstatten würde. Es müßten damit nicht nur neue Eigenheime erstellt werden, sondern auch die alten Wohnräume modernisiert und renoviert werden können.
Auch in der Flurbereinigung bzw. bei der Aufstellung der Bauleitpläne sollten Ansprüche auf Bauland solcher Landwirte, die Land zur Aufstockung zur Verfügung stellen, bevorzugt berücksichtigt werden.4. Nun muß ich noch einmal zu einem „abgedroschenen Thema" zurückkommen: die Förderung der gemeinschaftlichen Maschinenbenutzung. In diesem Grünen Plan sind 15 Millionen DM vorgesehen. Das ist gegenüber dem vorjährigen Grünen Plan eine Erhöhung um 5 Millionen DM. Doch waren in dem 300-Millionen-Nachtrag des vergangenen Jahres weitere 10 Millionen vorgesehen, so daß tatsächlich in diesem Jahr eine Verringerung des Ansatzes um 5 Millionen DM vorgenommen worden ist. Diese Kürzung ist um so bedauerlicher, als sich allmählich Formen der gemeinschaftlichen Maschinenbenutzung herausgebildet haben, die vorzüglich funktionieren. Ich denke hier nicht nur an die Maschinengenossenschaften und Anteilsgenossenschaften, sondern auch an die Maschinenbanken, die sich in Süddeutschland entwickelt und bewährt haben. Diese Formen der gemeinschaftlichen Maschinenbenutzung stellen für den bäuerlichen Betrieb eine sehr wichtige Rationali-
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Dr. Reinhardsierungsmöglichkeit im Sinne der Produktionskostensenkung dar. Es ist deshalb unverständlich, daß gerade diese Förderungsmittel in diesem Jahr gekürzt worden sind. Diese Mittel sollten im Gegenteil erhöht werden. Das ist auch, da es sich um relativ kleine Beträge handelt, im Rahmen des GrünenPlanes durchaus möglich.5. Der Herr Bundespräsident hat als Landwirtschaftsminister mehrfach auf die Möglichkeit der inneren Betriebsaufstockung landwirtschaftlicher Klein- und Mittelbetriebe durch eine rationelle Geflügelhaltung hingewiesen. In der Tat besteht die Möglichkeit, die deutsche Eiererzeugung noch zu erweitern, da nur knapp 60 % des Bedarfs an Eiern im Inland erzeugt werden. Deshalb stellt die Förderung der bäuerlichen Hühnerhaltung, insbesondere der Stallbauten, eine sehr vernünftige Förderung dar. Im Jahre 1959 standen für Stallbauten 0,45 Millionen DM, im Jahre 1960 dagegen keine Mittel, im Jahre 1961 0,8 Millionen DM zur Verfügung. Für die Jahre bis einschließlich 1959 sahen die Verwendungsrichtlinien die Bezuschussung von Ställen für 200 bis 600 Hennen vor. Für 1961 wurde diese Bestimmung dahingehend geändert, daß Ställe für 200 bis 800 Hennen oder 1500 bis 2500 Masthähnchen gefördert werden sollten.Die zur Verfügung stehende Gesamtsumme wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft nach dem Hühnerbestand auf die Länder aufgeteilt. Dabei ergeben sich aber für einzelne Länder zu kleine Beträge, um diese wichtige und wertvolle Maßnahme wirksam werden zu lassen. So entfällt z. B. in Bayern, um den krassesten Fall anzuführen, auf jeden zweitem Landkreis ein geförderter Hühnerstall. Berücksichtigt man außer der Legehaltung auch noch die Masthähnchenproduktion, so isst mit den in den vergangenen Jahren zugeteilten Mitteln auch bei Schwerpunktbildung kaum noch etwas zu erreichen.Die Stallbauhilfen sollten trotzdem beibehalten werden. Der Gesamtbetrag müßte aber vermehrt werden, damit er wirksam wird. Die unterste Grenze sollte bei 5 Millionen DM liegen; auch das sollte im Rahmen der Mittel des Grünen Plans noch möglich sein. Ein solcher Betrag würde unter Beibehaltung der bisherigen Richtlinien zur Förderung von ca. 1200 Hühnerhaltungen mit durchschnittlich 500 Hennen ausreichen.Man sollte aber — das möchte ich betonen — nicht zu engherzig auf der Beibehaltung der 800- Hennen-Grenze bestehen. Die Färderungsmaßnahmen sollten auf die bäuerlichen Betriebe, und zwar auf die an der unteren Grenze der Familienbetriebe, beschränkt bleiben, damit tatsächlich eine innere Aufstockung erreicht wird. Das hatten auch Sie, Herr Logemann, ansprechen wollen.6. Schließlich muß ich in diesem Zusammenhang nochmals eine Erhöhung des Ansatzes zur Förderung der Qualitätsmilch fordern. Die Preise entsprechen bei weitem nicht mehr den Produktionskosten. Ich möchte aber ausdrücklich darauf hinweisen, daß sich eine Erhöhung der Milchprämie um einen Pfennig auf die gesamte angelieferte Milch erstrecken müßte. Die Erhöhung der Milchprämie um einenPfennig genügt auch dann nur, wenn eine Erhöhung des Trinkmilchpreises alsbald erfolgt. Die Notwendigkeit des vierten Milchpfennigs haben meine Vorredner bereits dargelegt. Ich möchte zur Begründung meiner Forderung und gleichzeitig auch zur Ablehnung des Antrags der SPD,eine gestaffelte Milchprämie einzuführen, sagen, daß 90 % der Kühe in Beständen bis zu 10 Kühen stehen, fast 50 % — fast die Hälfte des Milchkuhbestandes — stehen in Betrieben unter 10 ha, und über 70 % der Kühe stehen in Betrieben unter 20 ha. Ich glaube, das zeigt deutlich, daß die Milchförderung durch die Prämie eine Maßnahme für den bäuerlichen Betrieb ist.Ich muß zugeben, daß die Mittel für den vierten Milchpfennig nur schwer aufzubringen sind. Ich habe keinen Deckungsvorschlag. Aber bei der Vorliebe, die der Herr Finanzminister Starke der Landwirtschaft gegenüber immer bekundet hat — ich hätte ihm dieses Kompliment hier gern gemacht —, dürfte ihm das nicht unmöglich sein. — Er ist hier; ich tue das also.Mit all diesen Maßnahmen allein wird man aber auch den Landwirten an der unteren Grenze der Familienbetriebe nicht helfen können. Die Probleme dieser Betriebe sind auch soziale Probleme. Der Bauernstand ist heute in der sozialen Sicherung — das haben Sie, Herr Frehsee, treffend gesagt — der am schlechtesten gestellte Beruf. Die Bauern, vor allem die kleinen und mittleren Bauern, sind in diesem Sinne nicht als selbständige Unternehmer zu werten; denn die kleineren Landwirte verfügen — das hatte der vorliegende Grüne Bericht gezeigt, und das wird das laufende Wirtschaftsjahr noch deutlicher zeigen — nicht über die Einnahmen und die entsprechende soziale Sicherung vieler industrieller Facharbeiter.Unter diesem Gesichtspunkt muß man auch die künftige Sozialreform sehen. Man muß bei ihr die Verhältnisse in der Landwirtschaft berücksichtigen.Während ein den letzten Jahren für die landwirtschaftlichen Arbeitnehmer ein gleicher sozialer Schutz wie für die Arbeitnehmer in der gewerblichen Wirtschaft geschaffen wurde, entbehren der selbständige Bauer und seine mithelfenden Familienangehörigen noch dieser Sicherheit. In manchen EWG-Ländern — Herr Frehsee, Sie wiesen darauf hin — ist die soziale Sicherheit des Bauern bereits erheblich weiter entwickelt.Die Sicherheit im Krankheitsfalle fehlt für den selbständigen Bauern und seine Familie noch völlig, wenn er sich nicht freiwillig versichert. Auch der Unfallschutz der Selbständigen ist — ich komme darauf noch einmal zurück — wesentlich schlechter als der der Arbeitnehmer. Und der durch Krankheit früh erwerbsunfähig gewordene Bauer hat noch gar keinen Schutz. Besonders wenn die Kinder noch klein sind, treten im landwirtschaftlichen Betrieb bei vorzeitiger Invalidität oder Tod des Bauern nicht wiedergutzumachende Notstände auf.Das ist fürwahr ein mageres Ergebnis unserer bisherigen landwirtschaftlichen Sozialpolitik. Es ist um so beängstigender, als sich der Gesundheitszustand auf dem Lande erschreckend ungünstig entwickelt hat.
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Dr. ReinhardAuf der anderen Seite bedeutet die Schaffung eines Gesetzes für die Altershilfe in der Landwirtschaft einen sozialen Fortschritt. Allerdings ist nicht einzusehen, weshalb nach Schaffung einer gesetzlichen Regelung die Deckung des Defizits wiederum aus dem Grünen Plan finanziert werden soll, zumal Zuschüsse zu Sozialversicherungen in Höhe von weit über 41/2 Milliarden DM im Etat des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vorgesehen sind.Würden diese Zuschüsse für die landwirtschaftliche Altershilfe in den Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung übernommen werden, so daß die 100 Millionen DM im Grünen Plan frei würden, ergäbe sich eine Möglichkeit der teilweisen Finanzierung des vierten Milchpfennigs.
Herr Abgeordneter Dr. Reinhard, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Dröscher?
Bitte!
Darf ich die Ausführungen, die Sie eben machten, so verstehen, daß Sie einem Antrag, die 100 Millionen DM aus dem Grünen Plan herauszunehmen, zustimmen würden?
Herr Dröscher, diesem Antrag werde ich zustimmen, wenn die Mittel in dieser Weise verwandt werden sollten.
Wie wird sich nun die bevorstehende Sozialreform auf die Landwirtschaft auswirken? Ich denke hier an das Bundesurlaubsgesetz, an das Gesetz zur Regelung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und an das Gesetz zur Neuregelung der Unfallversicherung.
Sicherlich wird der bäuerliche Familienbetrieb von dem Urlaubs- und dem Lohnfortzahlungsgesetz nicht so stark betroffen wie der landwirtschaftliche Lohnarbeitsbetrieb. Der Lohnarbeitsbetrieb wird durch diese beiden Gesetze ganz gewaltigen Mehrbelastungen unterworfen, die auch durch Erleichterungen bei der Erhebung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nicht ausgeglichen werden können.
Dagegen bringt die Neuregelung der Unfallversicherung gerade der bäuerlichen Landwirtschaft erhebliche Belastungen. Das Zweite Leistungsverbesserungsgesetz brachte eine Angleichung der Renten der Lohnempfänger und der mithelfenden Angehörigen an die Renten der Arbeitnehmer der gewerblichen Wirtschaft. Das war notwendig. Damit war aber eine mehrfache Erhöhung der Beiträge zur landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft verbunden.
In welchem Ausmaß die Belastung der Beitragspflichtigen in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung bereits gestiegen ist, zeigt eine Erhebung, die der Bundesverband der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften angestellt hat. Die Hektar-Belastung der Landwirtschaft durch Beiträge ist nach dieser Erhebung von 2,94 RM im Jahre 1938 über 4,84 DM im Jahre 1949 auf 30 DM im Geschäftsjahr 1959 und auf zur Zeit rund 35 DM im Jahr angestiegen. Das bedeutet eine Erhöhung von rund 1200 % gegenüber 1938. In dieser Steigerung sind zwar die Beiträge zur landwirtschaftlichen Alterskasse und zur landwirtschaftlichen Familienausgleichskasse enthalten; für die landwirtschaftliche Unfallversicherung allein bleibt aber immer noch eine Steigerung von sage und schreibe 780 % gegenüber 1938.
Die neuen Belastungen durch das Neuregelungsgesetz betragen ohne Berücksichtigung der Abfindung für Renten unter 25 % allein schon 25 bis 30 Millionen DM. Das bedeutet neue Beitragserhöhungen. Es wird gerade deshalb nicht einmal möglich sein, die Jahresarbeitsverdienste der selbständigen Bauern den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend festzusetzen, um tragbare Renten zu gewähren.
Im Grünen Plan sind zahlreiche Maßnahmen für die bäuerlichen Familienbetriebe vorgesehen. Dafür sollten wir der Bundesregierung danken. Aber auf einzelne weitere Notwendigkeiten glaubte ich noch einmal deutlich hinweisen zu müssen.
Besonders lag es mir am Herzen, das Ministerium Lücke auf die diringende Notwendigkeit der Berücksichtigung landwirtschaftlicher Probleme bei der Raumordnung hinzuweisen.
Schließlich kam es mir darauf an, die Forderung zu erheben, daß die soziale Sicherheit der Bauern weiter gebessert wird und daß auf der anderen Seite bei der bevorstehenden Sozialreform die Landwirtschaft ihren besonderen Verhältnissen entsprechend berücksichtigt wird.
Ich habe diese Ausführungen nicht gemacht, um ein hoffnungsloses Bild der Landwirtschaft zu zeichnen, sondern um auf die besonderen Verhältnisse der landwirtschaftlichen Kleinbetriebe hinzuweisen und die Mitglieder des Hohen Hauses um Verständnis für deren Belange zu bitten. Wenn diese Menschen nur rationell handelten, würden sie ihre Höfe schon morgen an den Meistbietenden verkaufen; denn das Optimum an Rationalisierung ist in diesen Betriebsgrößen kaum jemals zu erreichen. Es wäre aber sehr kurzsichtig, bei unserem Streben nach einem möglichst breitgestreuten Eigentum und der Erhaltung einer möglichst breiten Schicht kleiner und mittlerer Existenzen Hunderttausende soziologisch wertvoller bäuerlicher Existenzen untergehen zu lassen. Darin bin ich mit Ihnen, meine Damen und Herren, sicher einer Meinung.
Darum sehe ich gar nicht so hoffnungslos in die Zukunft. Der Bauer gibt so leicht nicht auf. Er wartet allerdings auch darauf, daß ihm die Allgemeinheit Verständnis entgegenbringt. Er erwartet Verständnis und entsprechende Förderung auch von seiner Regierung.
Das Wort hat der Abgeordnete Bading.
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Herr Präsident! Meine Damien und Herren! Ich möchte hier keinen Abriß der Agrarpolitik geben, sondern mich nur zu einigen speziellen Fragen äußern, insbesondere zu den Fragen der Agrarstruktur. Der Herr Minister hat diese Fragen in seinem Bericht auch gestreift. Er hat zum Ausdruck gebracht, er sei sehr froh darüber, daß die Förderung der Verbesserung der Agrarstruktur mit Hilfe seines Kollegen Starke keinen Rückschlag erfährt. Ich finde das reichlich bescheiden, Herr Minister. Ich halte es für notwendig, daß die Mittel erhöht werden, aber man sollte nicht froh sein, daß sie nun gerade so bleiben.Wenn man die Beträge für agrarstrukturfördernde und einkommensteigernde Maßnahmen vergleicht, sieht man, daß sie zwar absolut erhöht worden sind, aber die Mittel für die einkommenfördernden Maßnahmen sind stärker angestiegen, nämlich von 850 auf 1200 Millionen DM, während die Mittel für die strukturellen Maßnahmen nur von 750 auf 860 Millionen DM erhöht worden sind, so daß sich das gegenseitige Verhältnis zuungunsten der agrarstrukturellen Maßnahmen gewandelt hat. Wir haben uns in der sozialdemokratischen Fraktion entschlossen, einen Antrag vorzulegen, nach dem eine ganze Reihe von Maßnahmen auf dem Gebiete der Agrarstruktur verstärkt werden soll. Ich will darauf nicht im einzelnen eingehen. Ich möchte nur kurz sagen: wir wollen die Mittel für die Flurbereinigung in Höhe von 195 Millionen um 30 Millionen DM erhöht wissen, und zwar aus einem ganz bestimmten Grund.Um die Flurbereinigung so zügig wie möglich vorantreiben zu können, ist es notwendig, ein etwas anderes Verfahren zu wählen als bisher.. Der Betroffene soll nämlich, solange die Flurbereinigung läuft, nichts zahlen. Sie soll vielmehr vorfinanziert werden, und erst wenn der Landwirt sozusagen in den Genuß der Flubereinigung gekommen ist, soll er die Schuld mit längeren Annuitäten abtragen. Dazu ist natürlich etwas Geld notwendig. Dieses Verfahren hat sich bereits in Nordrhein-Westfalen und Hessen gut bewährt. Es liegt nicht der geringste Grund vor, es nicht auch in den anderen Länder einzuführen. Der Bund sollte hier mit gutem Beispiel einer Finanzierungshilfe vorangehen.Bei der gestrigen Ausschußsitzung ist uns von einem Vertreter des Bundesernährungsministeriums erklärt worden, daß neben den vorgesehenen 195 Millionen DM im Etat noch 40 Millionen DM ein bißchen versteckt zur Zinsverbilligung für Kapitalmarktmittel vorhanden seien. Ich freue mich darüber, daß die 40 Millionen DM dafür da sind. Ich nehme das aber zum Anlaß, Sie, Herr Minister, zu bitten, dafür zu sorgen, daß in künftigen Grünen Plänen mehr Klarheit herrscht, damit man nicht immer erst herumsuchen muß und auf die Hilfe der Herren vom Ministerium angewiesen ist, um die richtigen Beträge 'zu erfahren. Es wäre viel besser, wenn man das gleich im Grünen Bericht ablesen könnte.Die Mittel für die Aussiedlung und Aufstockung sind beträchtlich, von 190 Millionen DM auf 315 Millionen DM erhöht worden. Bei näherem Hinsehen muß man aber feststellen, daß von den 315 Millionen DM bereits 95 Millionen DM durch etatmäßige Bindungsermächtigungen in Anspruch 'genommen worden sind. Auch hier ist also wieder eine unklare Darstellung 'der Lage im Grünen Bericht festzustellen. Deswegen hat wohl auch die Fraktion der CDU/CSU einen Antrag vorgelegt, daß neue Bindungsermächtigungen gegeben werden sollen. Ich halte das Verfahren, mit Bindungsermächtigungen zu arbeiten, für nicht gut. Wir möchten, daß im Interesse einer Kontinuität der Finanzierung echte Etatmittel zur Verfügung gestellt werden. Man kann das Instrument der Bindungsermächtigung einmal vorübergehend ein Jahr lang gebrauchen, es darf aber nicht zu einer Dauereinrichtung werden. Deshalb haben wir uns entschlossen, zu beantragen, die Mittel für die Aufstockung und Aussiedlung um 105 Millionen DM zu erhöhen.Ferner wollen wir, daß die Mittel für die regionalen Strukturmaßnahmen — wenn auch nur um einen geringen Betrag — uni 20 Millionen DM erhöht werden.Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit ein paar Sätze zu der Agrarstrukturverbesserung sagen. Auch hier haben sich gewisse, ich möchte einmal sagen, Veränderungen ergeben. Es gab immer zwei Richtungen in der Agrarstrukturverbesserungspolitik. Die eine zielte auf ein Zusammenwirken der individuellen bäuerlichen Selbsthilfe und der Staatsförderung hin, während die andere Richtung mehr Wert auf ein Zusammenwirken aller Kräfte legte. Ihr Ziel war nicht die Förderung des einzelnen Betriebes, sondern die Förderung der Dorfgemeinschaft oder sogar des noch etwas größeren Raumes. Ich freue mich darüber, daß das Bundesernährungsministerium jetzt allen Ländern agrarstrukturelle Rahmenpläne übersandt hat. Vor jeder Einzelmaßnahme soll eine Darstellung der anzustrebenden Entwicklung des ländlichen Raumes stehen. Die Richtung, die sozusagen mehr auf die Ordnung des Ganzen eingestellt ist, hat sich also durchgesetzt. Das ist erfreulich, denn wir haben es zweifelsohne nötig, gerade in den kleinbäuerlichen Gebieten, die ja meistens nicht auf 'besonders ertragreichen Böden liegen, ein Zusammenwirken aller Kräfte zur Verbesserung der Struktur herbeizuführen. Es geht nicht mehr allein uni agrarpolitische Maßnahmen, obwohl sie natürlich auch notwendig sind. Ich will ihre Bedeutung in keiner Weise mindern. Aber es ist auch notwendig, daß die Maßnahmen auf wirtschaftspolitischem Gebiet, auf dem Gebiete der Verkehrspolitik, der Kulturpolitik — Schulbau und andere kulturelle Maßnahmen — zusammenwirken, um die Lebensverhältnisse in diesen Räumen zu heben, und die Agrarpolitik kann nur ihren Teil dazu tun. Diese Auffassung ist bisher keineswegs allgemein gewesen. Ich erinnere mich noch an Äußerungen, die dahin gingen, das sei doch ein reiner Dirigismus, der Bauer werde in die Rolle des von der Obrigkeit gelenkten Untertanen zurückgeführt, und was sonst noch gesagt wurde. Das ist nunmehr vorbei. Es besteht Einmütigkeit darüber, das zu tun, was notwendig ist.Ich möchte mich noch einer anderen Sache zuwenden, die auch mit der Agrarstruktur in enger Ver-
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Badingbindung steht. Sie ist eigentlich mit ein Grund, weshalb wir Agrarstrukturpolitik treiben müssen. Das ist die Disparität innerhalb der Landwirtschaft selbst. Hier ist immer sehr viel von Disparität der Landwirtschaft zur übrigen Wirtschaft oder zur Industrie gesprochen worden. Wir müssen uns aber auch darüber klar sein, daß innerhalb der Landwirtschaft sehr unterschiedliche Einkommensverhältnisse vorliegen. Herr Kollege Reinhard — oder war es ein anderer Kollege? — hat ja schon gesagt, daß man selbstverständlich in Betrieben auf besseren Böden und in besserer Strukturlage bessere Erträge erzielen kann als in Betrieben auf sehr kargen Böden. Nun, das ist eine alte Weisheit. Ein alter kurländischer Bauer sagte mir immer, wenn ich mit ihm über Agrarpolitik sprach: Was wollen Sie — ich kann es nicht so schön in seiner Tonart sagen —, es gibt halt Schmandhöfe und es gibt Grützehöfe, und damit muß man sich abfinden.Selbstverständlich gibt es diese Unterschiede, die wir nicht ändern können. Aber wir dürfen diese Unterschiede nicht noch durch agrarpolitische Maßnahmen vergrößern. Darauf kommt es doch an. Wir können nicht dem lieben Gott ins Handwerk pfuschen; aber wir können es so einrichten, daß die Unterschiede nicht größer werden, wir können es sogar so einrichten, daß sie kleiner werden. Denn darüber wollen wir uns doch klar sein, daß die Bauern auf kargen Böden und bei schlechten Klimaverhältnissen zum mindesten ebenso arbeiten wie die Bauern auf besseren Böden. Darüber besteht wohl keine Meinungsverschiedenheit.Für mich war eine Seite in dem Grünen Bericht außerordentlich instruktiv. Es handelt sich da um einige Schaubilder, in denen dargelegt ist, wie sich das effektive Einkommen zum Vergleichslohn verhält, und zwar über eine Reihe von Jahren und getrennt für verschiedene Betriebsgrößen und Gegenden. Daraus ersehen Sie ganz deutlich — Sie finden es auf Seite 69 des Grünen Berichts —, daß bei den größeren Betrieben der effektiv erzielte Lohn sich immer in der Nähe der Kurve des Vergleichslohns befindet, diesen mal unterschreitet, mal überschreitet. Bei der nächstniedrigen Betriebsgrößenklasse geht das auch noch einigermaßen. Bei den Betrieben von 10 bis 20 ha und unter 10 ha aber liegt die Kurve des effektiven Einkommens hoffnungslos unter der Kurve des Vergleichslohns.Ich meine — jetzt komme ich wieder auf unseren Antrag zurück —, wir können keine Maßnahmen verantworten, die diese Entwicklung und diese Tatsache noch unterstützen. Infolgedessen haben wir uns entschlossen, zur Deckung der Erhöhung der Ausgaben auf dem Gebiet der Agrarstrukturverbesserung eine Streichung der Düngemittelsubventionen vorzuschlagen. Ich brauche hier nicht zu begründen, warum die Handelsdüngersubvention eine so ungerechte Angelegenheit ist; das ist schon in den vergangenen Jahren geschehen.Einen großen Schmerz hat mir Herr Bauknecht bereitet, indem er mitgeteilt hat, daß Herr Minister Schwarz inzwischen seine Meinung geändert hat. Während der Minister mir noch vor zwei Jahren hier in diesem Saal versprochen hat: „Herr Bading, die Düngemittelsubvention, darüber sind wir uns beide einig" — der Herr Minister hört leider nicht zu —
„darüber sind wir uns einig: die Düngemittelsubvention wird abgebaut", hat Herr Bauknecht heute verkündet, daß Sie Ihre Meinung darüber geändert hätten. Ich habe schon gesagt: ich bin zutiefst erschüttert, daß Sie von Ihrem guten Standpunkt, den Sie vor zwei Jahren hatten, abgegangen sind.Zum Schluß noch eine Bemerkung zu einem Antrag, den wir gestellt haben — Herr Dr. Reinhard hat auch schon für ihn gesprochen —, dem Antrag, den Ansatz für Gemeinschaftsmaschinen zu erhöhen. Hier ist ein Mittel, tatsächlich den bäuerlichen Betrieben zu helfen. Es ist, da die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung nicht in der Lage ist, die überhöhten Preise der Industrie abzubauen, das einzige Mittel, den viel zu hohen Maschinenkapitalanteil am gesamten Betriebskapital in den bäuerlichen Betrieben herunterzudrücken. Ich möchte Sie dringend bitten, diesem Antrage Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Walter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen gemeinsam eine agrarpolitische Konzeption entwickeln, die die Lebensfähigkeit der deutschen Landwirtschaft gewährleistet. So haben wir es am 31. Januar hier in diesem Hohen Hause einstimmig beschlossen. Wir haben auch der Erwartung Ausdruck gegeben, daß spätestens bei der Diskussion über den neuen Grünen Plan die Umrisse dieser agrarpolitischen Konzeption sichtbar werden.Wenn wir nun diese einstimmige Entschließung des Deutschen Bundestages als Maßstab nehmen für die Bewertung des Grünen Planes 1962, dann muß ich sagen, daß hier eine neue agrarpolitische Konzeption nur in ersten Ansätzen sichtbar wird. Es fehlen vor allem die Maßnahmen, die die Bundesregierung als Ausgleich dafür zugesagt hat, daß der deutschen Landwirtschaft aus den Brüsseler Beschlüssen für eine gemeinsame Agrar-Marktordnung in der EWG größere Einkommenseinbußen drohen.Der Grüne Plan für 1962 enthält eine Gesamtsumme von 2,06 Milliarden DM. Da weite Schichten der Bevölkerung über die wirkliche Situation der Landwirtschaft nicht — oder falsch — orientiert sind, wird besonders dieser Grüne Plan wieder dazu beitragen, die schon seit Jahren vorhandene negative Optik über die Landwirtschaft zu verschärfen.Um das zu verhindern oder abzuschwächen, scheint es uns notwendig zu sein, daß aus dem Grünen Plan die Summen herausgenommen werden, die nicht als echte Zuschüsse zum Aufwands-Ertrags-Ausgleich in der deutschen Landwirtschaft wirken, also auch nicht zur Milderung der im Grünen Bericht nachgewiesenen Unterbezahlung der bäuerlichen Arbeit beitragen. Es sind auch Mittel im Grünen Plan auf-
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Waltergeführt, die mit einer Hilfe für die Landwirtschaft nichts oder sehr wenig zu tun haben.Schon im vorigen Jahr bei der Grünen Debatte haben wir auf diese Dinge aufmerksam gemacht und eine Bereinigung des Grünen Planes gefordert. Mein Kollege Mauk hatte damals darauf hingewiesen. Er hatte auch gefordert, vor der breiten Öffentlichkeit die Subventionen aller Art der übrigen Bereiche der Wirtschaft bekanntzugeben. Dadurch würde der Öffentlichkeit kundgetan, daß es neben der Landwirtschaft noch andere Gruppen in der Wirtschaft gibt, die noch größere Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln genießen, obwohl ihnen wesentlich bessere Einnahmen zur Verfügung stehen. Wenn dies einmal ganz offengelegt würde, würde jene falsche landläufige Vorstellung, daß die Landwirtschaft mit Subventionen geradezu verwöhnt werde, endlich verschwinden.Aus diesen Gründen schlagen wir vor, aus dem Grünen Plan 1962 folgende Positionen herauszunehmen und in die Ressorts zu verlagern, in die sie gehören:1. die Leistungen, die nicht nur der Landwirtschaft, sondern auch der übrigen Bevölkerung dienen, wie z. B. Strom- und Wasserversorgung, Schulspeisung;2. alle wasserwirtschaftlichen Maßnahmen; sie gehören in einen Sonderplan, der angesichts der jetzt erlebten Katastrophe besonders dringlich ist;3. Übertragung des Zuschusses für die landwirtschaftliche Alterskasse auf den Haushalt des Bundesarbeitsministeriums, d. h. auf den Sozialetat;4. Flurbereinigung und Strukturverbesserung.Staatsausgaben z. B. für Forschung, Beratung, Ausbildung oder für die Tierseuchenbekämpfung und ähnliche allgemeine Staatsaufgaben werden in keinem anderen Lande als Sonderhilfen für die Landwirtschaft angesehen; sie haben mit dem im Landwirtschaftsgesetz geforderten Aufwands-Ertrags-Ausgleich kaum etwas zu tun; sie gehören zu den normalen Funktionen der Agrarverwaltung.Außer der Bereinigung des Grünen Planes halten wir es für dringend notwendig, die Landwirtschaft, die an der Schwelle der zweiten Stufe der EWG steht, in der noch verhältnismäßig kurzen Übergangszeit so vorzubereiten, daß sie am Ende dieser Übergangszeit hinreichend gerüstet ist, um die Konkurrenz im Gemeinsamen Markt bestehen zu können.Dazu gehört vor allem beim Agrarkredit eine Flurbereinigung und Verbesserung. Das KästchenDenken, die Aufspaltung nach dem vorbestimmten Verwendungszweck mit sehr unterschiedlichen Richtlinien und Bedingungen muß überwunden werden. Man kann am grünen Tisch gewissermaßen im Wettbewerb der einzelnen Referate im Bundeslandwirtschaftsministerium um möglichst große Kontingente nicht die betriebswirtschaftlich nichtige Kreditverwendung finden; das muß vom Hof her, aus der Praxis geschehen. Die bisher übliche TöpfchenWirtschaft ist weder verwaltungsmäßig rationell noch ist sie einer umfassenden Rationalisierung der Betriebe förderlich.Die Investitionskredite müssen der Landwirtschaft mit einem Zinssatz zugänglich sein, der der tatsächlichen Ertragslage entspricht. Ich bringe in Erinnerung den von meiner Fraktion vor 21/2 Jahren eingebrachten Entwurf eines Investitionshilfegesetzes. Auf dieser Grundlage könnten wir gemeinsam eine Neuordnung für den Agrarkredit erarbeiten.Besonders notwendig aber erscheint mir dabei die Konsolidierung der sogenannten Altschulden zu einem Zinssatz, der nicht mehr als 3 % beträgt. Von den mehr als 14 Milliarden Gesamtschulden ist ein erheblicher Prozentsatz hochverzinslich. Mit solchen hohen Zinsverpflichtungen im Schlepptau ist eine Gesundung unserer bäuerlichen Betriebe nicht möglich. Die Erhöhung der Summe für Zinsverbilligung in dem neuen Grünen Plan wird anerkannt; sie reicht aber nicht aus, eine für viele Betriebe spürbare Erleichterung zu bringen.Ich darf übrigens darauf aufmerksam machen, daß auch die Aufstockung der . Zinsverbilligungszuschüsse falsche Optik ist; das Mehr ist zu einem erheblichen Teil dadurch entstanden, daß man rund 83 Millionen DM aus dem allgemeinen Haushalt auf den Grünen Plan umgebucht hat; in Wirklichkeit sind also nicht 170 Millionen, sondern nur 87 Millionen mehr eingesetzt.Wir sind der Meinung, daß von der vorgesehenen Maßnahme der globalen 12 %igen Kürzung des Haushalts beim Grünen Plan Abstand genommen werden sollte. Abschneiden soll man nur dort, wo es mehr abzuschneiden gibt; der Agrarhaushalt ist dafür zu mager.Titel 963 — Erlaß der Lastenausgleichsabgabe für die Marschgebiete —, der unverändert mit 14 Millionen DM dotiert ist, wird — das ist die Meinung meiner Fraktion — angesichts der entsetzlichen Katastrophe, die über die Nordsee-Küstengebiete hereinbrach, in eine großzügige Schadens- und Entlastungshilfe einzubeziehen sein, die dann jedoch als allgemeiner Katastrophenausgleich nicht im Grünen Plan, sondern im allgemeinen Bundeshaushalt unterzubringen sein wird.Die Aufbesserung der Dieselölverbilligung erkennen wir dankbar an; man sollte jedoch jetzt nicht mehr zögern, den Wünschen nach einem einfacheren Verfahren mit sofortiger Anrechnung der Verbilligung, wie z. B. beim Heizöl, stattzugeben.Alles in allem anerkennen wir in dem Grünen Plan 1962 die Ansätze zu einer Verstärkung der Maßnahmen, die der Milderung der auch in diesem Grünen Bericht wieder nachgewiesenen und nach wie vor großen Kluft zwischen Aufwand und Ertrag dienen sollen. Ich spreche bewußt von Ansätzen zu einer Verbesserung. Wir müssen uns darüber klar sein, daß wir auch mit dem Grünen Plan die Landwirtschaft dem Ziele des Landwirtschaftsgesetzes noch nicht viel näherbringen.Ja, die bereits klar zu erkennende erhebliche Verschlechterung der Ertragslage unserer bäuerlichen
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WalterBetriebe im laufenden Wirtschaftsjahr ist dabei noch in keiner Weise berücksichtigt. Wir hoffen, daß unser Finanzminister, dem wir für seine Standfestigkeit gegenüber weniger dringenden Maßnahmen jeden Beifall zollen, sich durch beweiskräftige Zahlen überzeugen lassen wird, daß z. B. der Werkmilchpreis noch einer Aufbesserung bedarf und daß auch die Kreditverbilligung noch besser bedacht werden muß.Ob es auf längere Sicht möglich sein wird, nur mit Subventionen jene Einkommenseinbussen auszugleichen, die die Landwirtschaft nicht zu vertreten hat, die ihr von der Wirtschafts- und Außenpolitik aufgezwungen werden, das steht auf einem anderen Blatt, das wir aber sehr bald aufschlagen müssen. Der künftige Bundeshaushalt wird uns dazu zwingen; wir werden gemeinsam nach anderen Lösungen zu suchen haben, die zwar nicht populär erscheinen mögen, die wir aber — sofern wir uns gemeinsam ehrlich darum bemühen — dem Verbraucher in seiner Eigenschaft als Steuerzahler doch wohl verständlich machen könnten.Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zur Fachausbildung in unserer Landwirtschaft sagen. Die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft innerhalb der EWG wird ein Qualitätsproblem sein, und zwar nicht nur hinsichtlich der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, sondern in erster Linie hinsichtlich des Leistungsvermögens des Betriebsleiters und seiner Mitarbeiter. Die auf einer guten Grundausbildung beruhende landwirtschaftliche Fachausbildung und die persönlichkeitsformende Weiterbildung des Nachwuchses werden für die Hebung der Leistungskraft der Landwirtschaft und damit für den Bestand des Bauerntums in Zukunft von entscheidender Bedeutung sein. Fast alle Mitgliedsländer der EWG haben das deutlich erkannt und das landwirtschaftliche Ausbildungswesen organisatorisch unter dem Landwirtschaftsressort straff zusammengefaßt.Demgegenüber ist in der Bundesrepublik das landwirtschaftliche Ausbildungswesen auf die Kultus- und Landwirtschaftsverwaltungen der Länder verteilt. Erhebliche Unterschiede im Ausbildungsgang, bei den Unterrichtsplänen und den Prüfungen sind die unausbleibliche Folge der föderativen Gestaltung. Gegenüber den anderen Mitgliedstaaten der EWG ist die Bundesrepublik daher in einer schwierigen Lage. Sie wird erhebliche Anstrengungen machen müssen, wenn sie das bestehende Ausbildungsniveau halten oder erhöhen will, das notwendig wäre. Dies gilt ganz besonders für alle Gebiete mit vorherrschend kleinbäuerlichen Betriebsverhältnissen und agrarstrukturellen Notständen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Pannhoff. .
Herr Präsident, liebe Frau Weber und liebe Frau Rehling — als letzte der weiblichen Abgeordneten — und meine Herren! Ich bin nicht zufällig Ärztin gewesen und bin auch heute noch eine. Ich bin der Auffassung, daß, wenn Menschen mit Tieren so umgingen, wie wir es mit Abgeordneten machen, Dinge passiert wären, über die wir uns nicht wundern würden.
— Jawohl, Tierschutzgesetz! Ich bin dafür, daß wir bald ein Gesetz zum Schutz der Abgeordneten schaffen.
Aus diesem Grunde möchte ich Ihnen vorschlagen, daß ich meine Sache zu Protokoll gebe, obwohl ich sie Ihnen sehr gerne vorgetragen hätte, natürlich etwas zum Programm der Bäuerin. Dann wäre ich nach Ausführungen über die hygienischen Zustände in den Dörfern idazu übergegangen, im Zusammenhang mit der Strukturverbesserung von der Dorfsanierung als einer sozialen und kulturellen Aufgabe zu sprechen.
Aber Schluß, ich gebe meine Sache — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — zu Protokoll *). Mir liegt daran, Ihnen ein längeres Leben zu verschaffen.
Wir sind dankbar für die charmante Art, mit der Sie Ihre Menschenfreundlichkeit hier gezeigt haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Frehsee?
Verehrte Frau Kollegin, haben Sie nur ein Programm für die Bäuerin und keines für die Landarbeiterin zu Protokoll zu geben?
Ich glaube, heute abend genügt es.
Dann darf ich dem Herrn Abgeordneten Dröscher das Wort geben.
Herr Präsident! Ich würde angesichts der vorgerückten Stunde auch liebend gern meine Ausführungen zu Protokoll geben; aber ich habe kein Konzept und muß das, was ich zur Begründung unseres Antrags auf zusätzliche Bereitstellung von 315 Millionen DM — Umdruck 31 — zu sagen habe, doch noch mündlich vortragen. Sie würden mir mit Recht vorwerfen, daß man keinen Antrag in dieser Höhe stellen kann, ohne ihn wenigstens kurz zu begründen.Daß die Diskussion so lange gedauert hat, meine Damen und Herren — lassen Sie mich das doch auch einmal sagen —, ist im Grunde kein Fehler. Fünf Stunden Diskussion um den Grünen Bericht und den Grünen Plan — es ist doch ein Problem, das die deutsche Landwirtschaft wie kein anderes betrifft — ist doch wirklich nicht zuviel verlangt. Daß wir dabei so spät in den Abend gekommen sind, hängt damit zusammen, daß andere vor uns ihre Redezeit auch weidlich ausgenützt haben.
— Richtig, sehr richtig, gnädige Frau. *) siehe Anlage 2
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DröscherNun also zu dem Problem. Ich habe es natürlich etwas schwerer mit diesem Antrag, als wenn ich hier nur ein allgemeines agrarpolitisches Glaubensbekenntnis ablegte. Ich muß einen ganz konkreten Antrag, den wir gestellt haben, begründen. Etwas fällt mir bei diesem Antrag allerdings leicht, nämlich die Feststellung, daß es im Grunde genommen heute keine Meinungsverschiedenheit darüber gegeben hat, daß wir den Menschen, der in der Landwirtschaft lebt — auch unter dem Druck der ökonomischen Notwendigkeiten —, nicht im Stiche lassen dürfen.Weil wir uns über diese grundsätzliche Auffasssung einig sind, sind wir uns auch einig darüber, daß eine große Zahl von landwirtschaftlichen Betrieben trotz der unglaublich großen Etappe der Anpassung, die die Landwirtschaft in den letzten Jahren zurückgelegt hat, Hilfe braucht. Es ist menschlich einfach nicht zu verantworten, daß die jetzt auch durch die EWG bedingte überstürzte agrarpolitische Entwicklung auf den Schultern der rund 2 Millionen Arbeitskräfte in unseren deutschen Familienbetrieben ausgetragen wird, insbesondere dann nicht, wenn man die Struktur dieser Betriebe, ihre Lage und ihre Massierung in bestimmten Gebieten sieht.Wir sind uns alle miteinander darüber einig, daß die Hunderte von Millionen, die für die Strukturverbesserung gegeben werden, zwar eine Initialzündung bedeuten, daß aber doch eine enorme Anlaufzeit nötig ist, bis sie in der Einkommensverbesserung dieser Menschen wirksam werden. Wir müssen deshalb Mittel suchen, um die Einkommensverbesserung zu erreichen.Gerade darin ist sich dieser Bundestag einig, wie auch Herr Wacher vorhin sagte. Er sagte „Freunde", und ich nehme an, daß er uns auch mit eingeschlossen hat; ,er hat wohl die agrarpolitisch Interessierten mehrmals mit dem Worte „Freunde" angesprochen. Aber darin sind wir uns nicht ganz einig, was die Frage betrifft, wohin die Hilfe und ob sie überhaupt gezielt gegeben werden soll.Deshalb meinen wir — und sich habe die Ehre, diesen Antrag hier zu vertreten —, daß wir uns darüber klar sein sollten, daß die Mittel zur Einkommensverbesserung vor allen Dingen sauber und klar gezielt eingesetzt werden müssen, um einen möglichst hohen Effekt zu erreichen. Wie mein Freund Dr. Schmidt sagte, sollen diese Mittel dazu dienen, den Menschen zu helfen, die noch in der Landwirtschaft leben.
— Nein, nicht nur den „schwarzen Gebieten", sondern auch anderen Gebieten. Da muß man dann abwägen, was sinnvoll ist.In der Öffentlichkeit steht zur Zeit das Problem einer Erhöhung des Milchpreises zur Diskussion, das auch schon mehrfach hier angesprochen wurde. Wir sind nicht die einzigen, die sagen, daß die Milchpreiserhöhung an sich der Landwirtschaft, d. h. dem Erzeuger, nur eine ganz bescheidene Hilfe geben kann, selbst wenn diese Erhöhung den Mehrpreis von 6 Pf ausmacht. Ich will hier keine lange Aussprache über dieses Problem beginnen. Ich könnte den Herrn Bundesminister selbst zitieren, ich könnte den Herrn Minister Dr. Hundhammer zitieren und eine Reihe anderer Leute. Sie alle sind der Meinung, daß die Milchpreiserhöhung zumindest problematisch ist und daß sie auf der anderen Seite keine echte Hilfe für die milcherzeugende Landwirtschaft darstellt. Deshalb waren wir der Ansicht, daß man sich etwas anderes einfallen lassen sollte, etwas Besseres, was den Hunderttausenden von mittleren Betrieben hilft, die diese Hilfe wirklich brauchen. Aus diesem Grunde haben wir uns etwas einfallen lassen, was wir im letzten Jahr schon angedeutet halben, nämlich eine gezielte Hilfe für die überwiegende Zahl der tatsächlich notleidenden Betriebe, eine Hilfe für die Menschen, die wegen der Umstrukturierung jetzt eine direkte finanzielle Verbesserung der Einkommenslage brauchen. Das kann man natürlich pauschal machen. Man kann den Pfennig geben, wie Sie es mit einem Teilantrag vorgeschlagen haben, dem wir selbstverständlich zustimmen werden.Es ist klar, daß dieser eine Pfennig tatsächlich einen Anfang darstellt. Andererseits geht diese Hilfe aber auch wieder an alle Betriebe. Wenn vorhin Herr Kollege Dr. Reinhard sich bemühte, nachzuweisen, daß es gar nicht so schlimm sei mit dem Geld, das man mit dieser Pauschale ausgebe, so darf ich Ihnen sagen, daß allein ein Drittel der Milchsubvention an die Betriebe mit über 10 Kühen gehen würde.
— Doch natürlich, wir wollen es ihnen ja weiter lassen. Aber lassen Sie mich deutlich sagen: es haben über 1 Million Betriebe zwei Drittel der Subventionen bekommen und 76 000 Betriebe mit über 10 Kühen das dritte Drittel. Von daher — ich will hier keine Zahlen nennen — können Sie sich ausrechnen, was bei einer bisherigen Pro-Kuh-Subvention von 120 DM bei 4000 kg Ablieferung und 3 Pf größere Betriebe bekommen haben. Sie werden dann sehen, daß es sich hier um Subventionssummen handelt, die nicht mehr so leicht verständlich sind.
Dann ist das vielleicht ein Betätigungsgebiet für die mittelbäuerlichen Familienbetriebe, denen wir helfen wollen.Die Subventionen, die wir ihnen jetzt zusätzlich vorschlagen — zur Abwendung der Milchpreiserhöhung, weil wir glauben, daß diese der Landwirtschaft und dem Verbraucher schlecht bekommt—, bestehen darin, daß wir rund 300 Millionen DM — es sind genau 315 Millionen DM — verwenden wollen, um zu den bisherigen 3 Pf einen gestaffelten Zuschlag hinzuzufügen, und zwar bis zu einer Ablieferung von 24 000 kg pro Jahr für alle Betriebe, auch für die großen; für die Normalbetriebe 2 Pf, das macht bei 24 000 kg 480 DM aus; für die Futter-
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DröscherBaubetriebe, die Grünlandbetriebe, je 3 Pf pro Kilo-gramm, das macht für diese Betriebe 720 DM aus.Das ist dann eine echte zusätzliche Hilfe, die Sie sich leicht ausrechnen können. Die Begrenzung auf 24 000 kg bietet gleichzeitig die Gewähr, daß mehr den Betrieben geholfen wird, die, wie ich sagen möchte, diese Hilfe in erster Linie brauchen. Da läge ein Absatzpunkt, über den man zumindest ins Gespräch kommen sollte. Sie werden nicht alles gleich in diesem Jahr zubilligen; aber man muß sich einmal darüber unterhalten, daß es so nicht weitergehen kann. Durch die ständige Erhöhung der Subventionen entsteht unter Umständen ein Anreiz zur Produktion ins Uferlose, wodurch der Milchpreis wieder gefährdet wird. Gerade das wollen wir mit unserer Begrenzung auf 24 000 kg abwenden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ertl?
Selbstverständlich, bitte!
Herr Kollege, Sie sprechen von Futterbaubetrieben. Wieviel Kühe soll nach Ihrer Ansicht dieser Futterbaubetrieb mit 24 000 kg im Durchschnitt halten?
Wir sind davon ausgegangen, daß etwa 28 % der Fläche von Futterbaubetrieben genutzt wird. Wir wollen in diesen dritten Pfennig, den wir den Futterbaubetrieben geben wollen, etwa 40 % der abgelieferten Milch einpacken. Wir würden also 53 Millionen DM zusätzlich den Futterbaubetrieben im Gebiet der Bundesrepublik geben. Diese Subvention mit der Grenze von 24 000 kg, die also auf die ersten acht Kühe voll bezahlt wird, wirkt sich auch auf die Betriebe aus, die 20 und 25 Kühe haben, allerdings verringert bei jeder Spanne, die sie mehr abgeben. Das ist eine ganz einfache Rechnung. Es ist ja nicht so, daß die Betriebe, die über acht Kühe haben, nichts bekommen, sondern sie bekommen eben nur etwas für die Ablieferung der ersten 24 000 kg.
Ich hoffe, meine Damen und Herren, daß ich Ihnen das genügend klarmachen konnte. Ich will noch einmal zusammenfassen: die von uns vorgeschlagene Maßnahme ist einfach durchzuführen; sie bietet einen denkbar geringen Anreiz zu einer Überproduktion; sie ist von der Molkerei technisch leicht zu bearbeiten!
Was im zweiten Teil unseres Antrags steht, eine Gesetzesvorlage zur Änderung des Milch- und Fettgesetzes vorzulegen, ist etwas, was im Zusammenhang mit einer solchen erhöhten Subvention auch für die Werkmilchgebiete, die Ihnen ebenfalls am Herzen liegen, wirksam würde.
Sie werden, bevor ich aufhöre, fragen, wer das bezahlen soll. Das ist ein entscheidender Punkt, der heute in der Debatte nicht endgültig geklärt werden kann. Das ist vielmehr eine Frage der Haushaltsberatung, wie das auch für Ihren eigenen Milch-Antrag gilt, der ja ebenfalls zusätzliche Haushaltsmittel vorsieht. Heute kommt es darauf an, einig zu sein darüber, wieviel Löffel aus dem großen Topf des Sozialprodukts die Landwirtschaft bekommt. Wenn wir das heute festgelegt haben, dann können wir uns darum bemühen, daß das, was notwendig ist, auch gegeben wird. Der von uns vorgelegte Vorschlag, der zwar unbequem gegenüber dem Finanzminister ist — das ist uns klar —, der aber letztlich eine vernünftige und den Menschen auf dem Lande helfende Lösung enthält, sollte von Ihnen allen angenommen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verbesserung der Agrarstruktur und der landwirtschaftlichen Arbeits-und Lebensverhältnisse ist ein Anliegen, das schon mein Freund Bading angesprochen hat. Wir meinen, daß vor allen Dingen auch der Bau von Wirtschaftswegen besonders wichtig ist. Wir haben Ihnen dazu auf Umdruck 29 Ziffer A 4 und Uundruck 32 Anträge vorgelegt.
Bis jetzt sind 30 000 km Wirtschaftswege gebaut. Etwa 100 000 km warten noch auf den Ausbau. Die Technisierung der Landwirtschaft und der dadurch bedingte erhöhte Verschleiß von landwirtschaftlichen Fahrzeugen und Geräten auf schlechten Wegen machen es erforderlich, daß die Wirtschaftswege besonders gut ausgebaut werden, auch wenn es so ist, wie vor kurzem jemand ironisch sagte, daß sie dann besser als viele Dorfstraßen sind.
Wir haben eine Erhöhung des Zuschusses von 80 auf 100 Millionen DM beantragt. Wir glauben, daß diese Erhöhung auch im Hinblick auf die gestiegenen Ausbaukosten notwendig ist. Aber wir wollen durch eine Änderung der Richtlinien auch erreichen, daß Zuschüsse bis zu 90 % der Ausbaukosten gegeben werden können. Das ist eine der von uns geforderten gezielten Maßnahmen, die dazu führen wird, daß vor allen Dingen auch in steuerschwachen Gemeinden endlich daran gegangen werden kann, Wirtschaftswege auszubauen.
Bisher war die geforderte Eigenleistung zu hoch; so hoch jedenfalls, daß in der Praxis viele arme Gemeinden einfach vom Wirtschaftswegebau ausgeschlossen waren. Ihnen aber ist genauso notwendig zu helfen wie den Gemeinden, die von sich aus ohne weiteres jede Eigenleistung aufbringen und dadurch eine volle Finanzierung möglich machen. Um ein größtmögliches Maß an Gerechtigkeit mit einzubauen — und das ist zum Schluß unseres Antrages auf Umdruck 32 auch gesagt —, wollen wir neben der Steuerkraft auch die zumutbare Inanspruchnahme des vorhandenen Gemeindevermögens, etwa von Waldbesitz, mit berücksichtigt haben. Ich bitte Sie sehr, unserem Vorschlag zuzustimmen.
Wir erreichen dabei zwei Ziele, und damit bin ich schon am Schluß. Erstens helfen wir den Gemeinden, die bisher mangels eigener Mittel nicht in der Lage waren, Wirtschaftswege auszubauen, obwohl ihre Bewohner genauso Anspruch haben, zum Zuge
Schmidt
zu kommen. Zweitens wird durch die von uns vorgeschlagene Regelung unter Einbeziehung der noch in Aussicht gestellten 45 weiteren Millionen zinsvergünstigter Darlehen das Bauvolumen nicht ausgeweitet. Wir glauben sogar, daß durch die gestaffelte Erhöhung der Zuschüsse eine Verringerung der absolut zu bauenden Kilometer erfolgt und wir damit nicht zur Überhitzung des Baumarktes anreizen.
Das Wort hat der Abgeordnete Marquardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Uhr vor Augen und werde mich sehr kurz fassen. Ich verbinde das mit der Hoffnung, daß Sie dem Antrag auf Umdruck 30, den ich zu begründen habe, über die ihm innewohnende Sachberechtigung hinaus ein besonderes Wohlwollen entgegenbringen.Ich hatte vor, einige weitere Ausführungen grundsätzlicher Natur zu machen über Agrarkreditwesen und Investitionshilfeprogramme. Ich will das alles heute sein lassen. Es ist ja angesprochen, und ich meine, alle Seiten dieses Hausfes sind sich darüber einig, daß solche umfassenden, in sich geschlossenen Generalmaßnahmen dringend notwendig sind. Es ist nur die Feststellung erforderlich, die wir zu unserem Bedauern treffen müssen, daß die Bundesregierung sich zu einer Aktion bisher nicht aufgerafft hat, daß sie zwar manches vereinfacht hat, aber <sonst eine abwartende Haltung an den Tag legt. Inzwischen ist ein Bundesland mit einem großen Modellversuch hervorgetreten. Wir haben den Wunsch, daß die Bundesregierung dieses Vorhaben interessiert verfolgt und daraus Nutzanwendungen für die Zukunft zieht.Damit komme ich zu dem Antrag auf Umdruck 30, der vorsieht, die Bundesnegierung möge 30 Millionen DM zur Verfügung stellen, und zwar Mr die Verbilligung von Krediten zur Teilumschuldung hochverschuldeter Betriebe in bestimmten Gebieten, die ich noch näher umreißen werde. Der Kollege Wacher hat anklingen lassen, daß ihm in einrigen unserer Anträge einiges sympathisch sei. Ich hoffe, daß er diesen Antrag damit gerneiint hat. Wenn ja, so begrüßen wir das. Wenn nein, so muß ich das mit der Feststellung begleiten, daß er dann vorgegangen ist nach der Maxime: Ich kenne die Gründe der Opposition nicht, aber ich mißbillige sie.Über Ursachen, Grund und Ziel unseres Antrages nur soviel: Sie kennen die Probleme wie wir. Wir hochverschuldeter Betriebe in bestimmten Gebieten, in denen die landwirtschaftlichen Produktionsverhältnisse von Natur aus oder durch besondere Umstände besonders ungünstig gelagert sind. Ich denke dabei beispielsweise an die tidebeeinflußten Küstengebiete und im besonderen an die Flußgebirete mit häufigen Überschwemmungen, also jene Gebiete, die seit 1954 fortlaufend Mißernten hinnehmen mußten. Man hat in diesen Gebieten die Beseitigung der Grundmängel in großem Umfange in Angriff genommen. Man hat sehr erhebliche Mittel von Bund und Ländern dafür eingesetzt, insbesondere für wasserwirtschaftliche Baumaßnahmen Binnenland. Nach menschlichem Ermessen werden diese Sanierungsmaßnahmen in ihrem Fortschreiten die in diesem Gebiet liegenden Betriebe wieder lebens- und wettbewerbsfähig machen.Die Sorge der in diesem Gebiet lebenden Menschen und der landwirtschaftlichen Verwaltungen ist die, ob man für die Restzeit bis zum Wirksamwerden dieser Generalmaßnahmen die Betriebe aufrechterhalten kann. Es steht nach gewissenhaftester Prüfung fest, daß das ohne weitere und zusätzliche Hilfe der öffentlichen Hand bei der natürlicherweise eingetretenen großen Verschuldung dieser Betriebe infolge der dauernden Minderernten nicht möglich sein wird. Wir halten es deshalb rin Übereinstimmung mitt der Ansicht aller Fachleute für unbedingt notwendig, daß man den wesentlichen Teil dieser aus verschiedenen Quellen stammenden und mit unterschiedlichsten Kapitaldienstleistungen belasteten Kredite auf tragbare Belastungen — Faustregel: 3 0/o Zinslast — umschuldet. Wir haben weiter eine Tilgung mit ebenfalls 3 % im Auge, wobei dm bestimmten Gebieten tilgungsfreie Jahre eingeschaltet werden sollten. Nichts anderes haben wir mit unserem Antrag beabsichtigt.Ich möchte dabei eines betonen. Wir wollen keine generelle Umschuldung anstreben; wir unterscheiden uns nsofern vielleicht von der FDP. Für eine solche allgemeine Umschuldung besteht unseres Erachtens keine zwingende Notwendigkeit. Wir wollen vielmehr nur solche Betriebe einbeziehen, die in noch festzulegenden Schadens- und Notstandsgebieten liegen, und diese auch nur dann, wenn sie nach ihrer Art und nach ihrer Struktur für die Zukunft lebensfähig werden.Lassen Sie mich eine kurze Bemerkung zu der Ansicht des Herrn Ministers Schwarz einfügen, solche Regionalmaßnahmen seien Ländersache. Man kann darüber streiten, das gebe ich zu. Aber hier tut echte und schnelle Hilfe not, und ich meine, man sollte solche Probleme nicht auf dem Rücken der Betroffenen austragen.Nun eine Schlußbemerkung. Meine politischen Freunde sind weiterhin der Auffassung, daß die Vergabe der Umschuldungsmittel nach volkswirtschaftlich vernünftigen Grundsätzen und Gesichtspunkten erfolgen muß. Wir haben deshalb bestimmte Kriterien genannt, die Voraussetzung zur Vergabe der Mittel sein sollen. Wir wollen nur echt förderungswürdige und nach ihrer Struktur entwicklungsfähige Betriebe in die Vergabe der Mittel einbezogen sehen. Wir verlangen, daß die Fähigkeit der Betriebsführer zum rentablen Arbeiten erwiesen ist. Wir verlangen weiter, daß ausreichende Aufzeichnungen über die Ertragslage der Betriebe vorhanden sind oder geschaffen werden. Schließlich sind wir der Auffassung, daß sich die Betriebe einer Wirtschaftsberatung anschließen müssen, um ein rentables und marktgerechtes Arbeiten zu sichern und um Fehlinvestitionen auszuschließen.Wir sind überzeugt, daß wir unter diesen Voraussetzungen und mit den vorgeschlagenen Maßnahmen den Fortbestand vieler im Grunde echt
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Marquardtlebensfähiger Betriebe sichern und mit relativ geringfügigen Mitteln am Ende einen erheblichen Nutzeffekt erreichen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lücker.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich wie meine letzten Vorredner in Anbetracht der vorgeschrittenen Zeit und um die verehrten Kolleginnen und Kollegen hier nicht über Gebühr zu strapazieren, ebenfalls sehr disziplinieren, obwohl es mich tatsächlich sehr gereizt hätte, mich mit einigen Diskussionsbeiträgen noch ausführlicher auseinanderzusetzen. Eines sollte man aber doch zum Schluß dieser Debatte sagen. Wir alle wissen, daß die deutsche Landwirtschaft von einer tiefen und zum großen Teil auch berechtigten Unruhe ergriffen ist. Wir sollten es jedoch nach meiner Auffassung vermeiden, zu dieser Unruhe noch eine durchaus überflüssige Verwirrung hinzuzufügen.
Dazu möchte ich ein Wort sagen. Nach meinem Geschmack ist hier heute reichlich und sehr viel davon gesprochen worden, daß jetzt endlich eine neue agrarpolitische Konzeption erdacht und in die Praxis umgesetzt werden müsse. Es sind uns — und sehr viele Damen und Herren sitzen ja schon sehr lange hier in diesem Haus — recht massive Fehler in der Vergangenheit vorgehalten worden. Nach der Betrachtung dieser Fehler hat man dann Grundsatzforderungen erhoben und zum Schluß ein Programm verkündet.Ich will das hier nicht dramatisieren, auch nicht soweit es die Kollegen der FDP betrifft. Es mag sein, daß der Herr Kollege Effertz deswegen, weil er noch sehr neu in diesem Hause ist, die agrarpolitischen Debatten und Überlegungen in den vergangenen Legislaturperioden nicht so eingehend verfolgt hat. Vielleicht sind auch die Entfernung und das Gefälle von Bonn nach Düsseldorf etwas zu groß, um feststellen zu können, mit welchem Ernst und mit weichen redlichen Motiven sowohl die Regierung — wenn ich das sagen darf — als auch insbesondere die Fraktionen dieses Hohen Hauses miteinander in den vergangenen Jahren um die Entwicklung einer agrarpolitischen Konzeption gerungen haben, die nach meiner und meiner Freunde Auffassung im Grundsatz auch heute noch völlig Bestand hat.
Worum geht es? Man sagt uns heute: Ihr habt den Fehler gemacht, statt Preisen Subventionen zu geben. Zweitens sagte der Kollege Effertz — ich habe mir das notiert; ich habe das sehr ungern gehört —: Ich wollte, es gäbe keinen Grünen Plan. Drittens hat man uns dann vorgehalten: Mit der Strukturpolitik könnt ihr doch in der Landwirtschaft nichts erreichen.Ich sage noch einmal, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will das durchaus nicht strapazieren. Aber ich frage mich: Was schwebt uns denn heute vor? Haben wir etwa einen Anlaß, zu sagen, daß die Ziele, die wir uns in der Agrarpolitik in den letzten Jahren gesetzt haben, heute auf einmal falsch sind? Wir haben es erlebt, daß die Ziele des deutschen Landwirtschaftsgesetzes nicht aus Zufall weitgehend auch in die Konzeption der europäischen Agrarpolitik aufgenommen worden sind. Sicherlich doch nicht deswegen, weil unsere Zielsetzung so falsch war! Das hätten sicherlich wenigstens einige vernünftige Männer und Frauen aus den anderen europäischen Ländern gemerkt.
Sind denn die eingeschlagenen Wege in unserer Agrarpolitik so falsch, daß es notwendig wäre, das alles zum alten Eisen, zum alten Gerümpel zu werfen, nur auf Grund einer Einstellung, die uns, wenn ich es aus meiner Schulzeit noch richtig in Erinnerung habe, schon Gaius Julius Caesar in seinem „Bellum Gallicum" nachgesagt hat, als er schrieb, daß wir immer „cupidi rerum novarum" seien? Sollten wir das also tun, nur um wieder etwas Neues zu tun? Es gibt doch keinen Beweis dafür, daß das Neue besser ist als das, was sich in der Vergangenheit durchaus bewährt hat.Ich sage noch einmal: wenn man von einer neuen agrarpolitischen Konzeption spricht, muß man sich darüber klar sein, daß das ein sehr bedeutungsvolles Wort ist, das man damit in die öffentliche Diskussion hineinträgt.Welches sind die vier Wege, die vier Säulen, auf denen unsere Agrarpolitik beruht? Ich will das hier nur sehr kurz und stichwortartig ansprechen. Erstens müssen wir uns bemühen, der deutschen Landwirtschaft über den Markt und über die Preise das an Einnahmen zuzuführen, was drin ist. Heute wird nun gesagt, das sei nicht zu allen Zeiten genug gewesen. Darüber kann man streiten. Jedenfalls hat Herr Bundesminister Schwarz in einigen Veröffentlichungen der letzten Zeit und auch in diesem Grünen Bericht unterstrichen, daß die Regierung und wir alle nicht nur den guten Willen gehabt haben, sondern dabei auch nicht ganz ohne Erfolg gewesen sind. Dabei soll nicht geleugnet werden, daß uns das auf diesem Wege Erreichte nicht immer zufriedengestellt hat. Aber das steht dann bereits auf einem anderen Blatt.Die zweite Säule unserer Agrarpolitik ist und bleibt der Grüne Plan. Wenn heute die europäischen Bauernverbände zusammen mit dem Europäischen Parlament für die EWG einen Grünen Bericht und natürlich ein Instrument wie den Grünen Plan erwägen und darüber bereits in der Diskussion stehen, dann wollen wir doch nicht sagen, daß dieses Instrument falsch wäre. Ich möchte zur Ehre des Herrn Kollegen Effertz feststellen: in seinen späteren Ausführungen hat er immer wieder betont, daß wir auch im nächsten Jahr einen Grünen Plan machen müssen.Die dritte Säule ist unsere Kreditpolitik. Gerade in diesem Jahr schicken wir uns an, einen ganz entscheidenden Schritt zu tun. Es gibt viele Kollegen,
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Lücker
die genauso denken wie ich persönlich, daß es nämlich wünschenswert gewesen wäre, in der Kreditpolitik der Form nach vielleicht noch einen Schritt weiterzugehen. Aber es ist ja nicht ausgeschlossen, daß wir den heutigen Schritt nicht morgen um einen weiteren Schritt ergänzen.Die vierte Säule unserer Agrarpolitk bleibt nun einmal die regionale Wirtschaftspolitik, im Zusammenhang mit einer Gesamtstrukturpolitik unserer Wirtschaft, um die gewerblichen und die agrarischen Produktionskapazitäten und wirtschaftlichen Aktivitäten in eine raumordnerische Harmonie hineinzubringen. Auch dazu sind die Ansätze da.Ich frage Sie, welche anderen grundsätzlichen Säulen und Möglichkeiten der Agrarpolitik bieten sich da noch an? Wenn wir aber daran festhalten, ist doch wohl die Frage berechtigt: sollen wir bei diesen bewährten Methoden nicht bleiben? Es ist richtig, wir haben in der Entschließung vom 31. Januar in diesem Haus einstimmig — mit meiner Stimme, mit meiner Mitarbeit — beschlossen, daß wir auch im Hinblick auf die EWG eine agrarpolitische Konzeption entwickeln wollen, die die Lebensfähigkeit der 'deutschen Landwirtschaft auch im Gemeinsamen Markt gewährleistet. Das heißt aber doch, eine Konzeption entwickeln, anpassen an neue Ideen, an neue Probleme, die sich stellen. Das ist aber etwas ganz anderes, als etwa den Verdacht zu erwecken — —
— Nein, Herr Kollege Mauk. Ich beziehe mich nicht nur auf das, was der Kollege Effertz gesagt hat, sondern ich lese sogar sehr intensiv Ihren Agrarpolitischen Informationsdienst.
— Ja, den lese ich jedesmal, davon dürfen Sie überzeugt sein. Dort steht bereits drin: Da sind die Fehler der vergangenen Legislaturperiode mit den politischen Mehrheiten im Bundestag, wie sie bisher waren. Was in den Versammlungen draußen gesagt wird, geht vielleicht noch einen Schritt weiter. Deswegen möchte ich sagen: wir haben unsere Agrarpolitik niemals vertreten als ein Dogma, das abgeschlossen und das nicht entwicklungsfähig wäre. Wir wissen, daß wir die Agrarpolitik, auf sicheren Grundlagen aufgebaut, auch an neuen Erfordernissen weiter entwickeln sollen und weiter entwickeln müssen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mauk?
Herr Kollege Lücker, Sie sind sicher mit mir einer Meinung, wenn ich Sie frage, ob nicht auch in der Vergangenheit Fehler gemacht worden sind und ob wir nicht aus diesen Fehlern lernen müssen.
Herr Kollege Mauk, ich möchte Ihnen dazu sagen: Sie waren ja dabei, als wir drüben in der Wandelhalle die Entschließung vom 31. Januar gefaßt haben. Da waren wir uns einig, aus dieser Entschließung das Wörtchen „neu" herauszustreichen, um nicht draußen Verwirrung zu stiften. Ich bestreite nicht, daß uns in der Vergangenheit Fehler unterlaufen sind. Das mag sein. Aber das berechtigt uns noch nicht, von der Tribüne dieses Hauses heute zu sagen: Wir müssen eine neue Agrarpolitik entwickeln, so ungefähr unter der Überschrift: Was bisher gemacht worden ist, das war falsch oder unzureichend, und das müssen wir wegwerfen.
Das möchte ich — —
Herr Kollege Lücker, ich vermute, es hat Ihnen nicht gefallen, daß ich die Fassung in der gemeinsamen Entschließung in dieser Form zitiert habe.
— Ich komme ja auf die Frage. — Gut, Herr Kollege Lücker, dann bitte ich Sie nur, die Rede, die Herr Kollege Bauknecht heute gehalten hat, mit dem zu vergleichen, was ich gesagt habe und was Sie jetzt sagen. Sie 'werden dann feststellen, daß Herr Kollege Bauknecht und ich übereinstimmen. Vergleichen Sie das bitte, und dann darf ich die Frage stellen, ob Sie sich da nicht revidieren müssen.
Nein, Herr Kollege Effertz, dazu möchte ich ganz eindeutig sagen: Sie haben vielleicht bemerkt, daß ich während der ganzen Agrardebatte stillschweigend zugehört habe. Ich habe mir keine Rede entgehen lassen. Ich hatte aber gar nicht vor, hier zu sprechen, ich wollte heute nur zuhören, und das habe ich intensiv besorgt. Was der Herr Kollege Bauknecht gesagt hat, deckt sich mit meiner Auffassung zu der Weiterentwicklung unserer Agrarpolitik.
Sie haben von der Formel einer neuen Agrarkonzeption gesprochen. Was Sie dazu gesagt haben, war dem Inhalt nach ein Scherbengericht über die bisherige Agrarpolitik mit dem Anspruch, jetzt endlich müsse eine vernünftige Agrarpolitik gemacht werden,
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sander?
Lücker .(CDU/CSU) : Bitte sehr.
Herr Kollege Lücker, ich bedauere außerordentlich, daß Sie empfindlich sind. Ich darf Sie fragen: sind Sie wirklich der Ansicht, daß die hohe Verschuldung der Landwirtschaft bei der überhitzten Konjunktur, die wir gehabt haben, notwendig gewesen ist?
Herr Kollege, ich bin gar nicht empfindlich. Ich bin sehr harte Diskussionen gewöhnt. Ich liebe auch substantiierte Diskussionen. Das wissen Sie. ihre Frage hat mit dem
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Lücker
Problem, das ich hier behandele, zunächst nicht unmittelbar etwas zu tun.
Es geht hier darum, Herr Kollege — ich habe das soeben bereits festgestellt —, daß Sie eine Formel vortragen, wonach es jetzt notwendig sei, eine neue Agrarpolitik ins Leben zu rufen und zu betreiben mit dem Tenor, auch wenn er nicht expressis verbis ausgesprochen wurde, zumindest auf das 13-PunkteProgramm hin, zu dem ich wenigstens noch einen Satz sagen will. Jedem nicht eingeweihten Zuhörer mußte doch der Eindruck vermittelt werden — darauf war es offensichtlich angelegt —, als ob hier ein Scherbengericht über unsere bisherige Agrarpolitik stattfinde. Herr Kollege Sander, Sie sitzen doch lange genug in diesem Hause und haben mit den Kollegen Ihrer Fraktion auch Anteil an der Agrarpolitik gehabt, die hier gemacht worden ist. Es liegt wohl im Interesse aller der Kolleginnen und Kollegen, die sich in den letzten Jahren wirklich persönlich und mit einem hohen Idealismus für die Sache der deutschen Agrarpolitik in diesem Hause eingesetzt haben, daß wir Ihnen das eigentlich nicht antun sollten.
Herr Kollege Lücker, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bading?
Bitte sehr.
Herr Kollege Lücker, ich möchte mich nicht in den „Bruderzwist im Hause Habsburg" einmischen.
'
Aber ich möchte Sie doch fragen: Sind Sie der Ansicht, daß Ihre Agrarpolitik wirklich so schön war? Dann lesen Sie doch einmal die Bauernverbandsblätter, die alle sehr unzufrieden mit der Agrarpolitik sind.
Herr Kollege Bading, zunächst zu dem Bruderzwist im eigenen Hause. Ich darf an die Feststellung erinnern, die Herr Kollege Effertz hier freundlicherweise getroffen hat: wir wollen unser parteieigenes Gesicht auch in der Koalition wahren. Er hat geradezu dazu herausgefordert, etwas zu seinen Feststellungen zu sagen. Wir tun das in aller Freundschaft.
Wir werfen uns deswegen keine Blumentöpfe an den Kopf, sondern setzen uns in aller Freundschaft darüber auseinander.
Zu Ihrer Sachfrage, Herr Kollege Bading, möchte ich folgendes sagen. Ich bin mit dem Ergebnis unserer bisherigen Agrarpolitik auch nicht zufrieden.
— Nein, Herr Kollege Sander, hier geht es um etwas ganz anderes.
Ich bin ganz sicher, daß Sie haarscharf erkannt haben, worum es geht. Es geht um das, was ich hier gesagt habe: Ist es wirklich von der Zielsetzung und den angewandten Instrumenten her berechtigt, von der Notwendigkeit einer neuen Agrarpolitik zu sprechen, die unter der Überschrift steht „Alles, was bisher gemacht worden ist, kann ruhig auf das Scherbengericht gehen"?
Ich will mich heute nicht auf die Zahlen des Grünen Berichts stützen. Es gibt seit einigen Tagen eine Entwicklungsuntersuchung über die Resultate der deutschen Landwirtschaft, die vom Münchener Ifo-Institut angestellt worden ist. Die Untersuchung ist noch keine 10 Tage alt. Ich habe zufällig die Zahlen in die Hand bekommen. Hält man sich einmal die langfristigen Daten aus dem Entwicklungsergebnis der deutschen Landwirtschaft für das Jahrzehnt 1950/1960 vor Augen, dann ist das geradezu eine überwältigende Demonstration dafür, daß sowohl die Zielsetzung unserer Agrarpolitik als auch der eingeschlagene Weg bis heute richtig gewesen ist. Das berechtigt uns dazu, daran festzuhalten, auch wenn wir natürlich in der Anpassung an bestimmte Gegebenheiten die Akzente etwas gegeneinander verschieben können. Darüber kann man jederzeit im einzelnen reden. Aber ich frage mich: Berechtigt das alles dazu, heute vor die deutsche Öffentlichkeit zu treten und zu sagen, von nun an müsse eine neue agrarpolitische Konzeption hinein? Ich will Ihnen nur ein paar Zahlen aus diesem Untersuchungsergebnis nennen.
Gestatten Sie dem Abgeordneten Bading, eine Frage zu stellen?
Bitte sehr!
Herr Lücker, ich bin mit Ihnen einer Meinung, daß keine neue Agrarpolitik notwendig ist. Wie erklären Sie sich aber diese ständige Unzufriedenheit des Berufsstandes mit der Agrarpolitik der Bundesregierung? Darauf geben Sie mir doch bitte einmal eine Antwort.
Herr Kollege Bading, auch dazu will ich etwas sagen. Wir stehen in den unterschiedlichen Auswirkungen des unterschiedlichen Wachstumsprozesses in der gewerblichen Wirtschaft einerseits und der Agrarwirtschaft andererseits vor einem Phänomen, das auch in der deutschen Wirtschaftspolitik noch relativ jung ist. Mit diesem Phänomen sind auch wir genauso wie andere Industrieländer noch nicht fertig geworden. Aber wir haben einiges getan, und ich möchte sagen, das Landwirtschaftsgesetz und die darauf basierenden Grünen Pläne sind bereits ein gesunder und vernünftiger Ansatz. Und was haben wir damit erreicht? Ich will nur fünf Zahlen nennen, um deutlich zu machen, was aus diesem Untersuchungsergebnis hervorgeht. Es ist zwar ein schmerzhafter Anpassungsprozeß. Ich habe das schon häufig auf dieser Kanzel gesagt.
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Lücker
— Gut, ich will es sein lassen. Aber ich möchte nur allen Damen und Herren empfehlen, sich mit diesem Untersuchungsergebnis einmal zu befassen. Dann werden Sie mit mir darin übereinstimmen, daß dieses Untersuchungsergebnis sehr wohl nicht nur für die Leistungen der deutschen Landwirtschaft spricht, sondern auch demonstriert, daß unsere Agrarpolitik in der Zielsetzung, in der Anlage und in den angewandten Methoden und Instrumenten durchaus als vernünftig anerkannt werden kann.
Herr Abgeordneter Lücker, der Abgeordnete Ertl möchte eine Frage stellen.
Bitte sehr!
Herr Kollege Lücker, wie gedenken Sie die Disparität in Zukunft zu beseitigen, nachdem die Kostendeckung von Kapital und Arbeit nach Ausweis des Grünen Berichts nur 6,9 % erreicht hat, — im Hinblick auf die Zielsetzung?
Herr Kollege Ertl, ich könnte es mir sehr einfach machen und Ihre Frage mit einem Satz beantworten: indem wir die bisher bereits entwickelten und im Ansatz vorhandenen Methoden verstärkt und differenziert in Zukunft weiter ansetzen.
— Ich habe zunächst gesagt, die vier agrarpolitischen Grundinstrumente, die wir haben, müssen wir differenziert anwenden. Ihre Frage scheint darauf zu gehen, ob wir im Grünen Plan globale oder differenzierte Mittel anwenden. Wir tun beides, und wir werden immer prüfen müssen — davon wird uns die Zukunft nicht freisprechen können —, ob wir in der Anwendung dieser Maßnahmen, auch des Grünen Planes, der ja nur ein Instrument der Agrarpolitik ist, nicht von Jahr zu Jahr oder im Laufe bestimmter Fristen das eine oder andere stärker tun und etwas anderes dafür zurückstellen sollen.
Ich möchte aber doch abschließend noch eins sagen: Herr Kollege Effertz, zu einer Zeit, als Sie noch nicht unser geschätzter und verehrter Kollege in diesem Hause waren, haben wir schon einmal darüber gesprochen, und da haben Sie auch gesagt, wir brauchten etwas Neues. Sie haben es heute noch einmal mit dem englischen System angedeutet. Ich habe damals gesagt: Das ist ein Luftballon. Es gibt bei dem englischen System einiges, was man überlegen könnte. Aber ich will die Sachdebatte hier nicht vertiefen; sie würde sonst zu lang werden. Was Sie uns heute geboten haben, das scheint mir nicht nur ein Luftballon, sondern das scheint mir eine ganze Traube von schönen Ballons zu sein.
Da isind Dinge darin, die für jeden, der in der Vergangenheit hier Agrarpolitik gemacht hat, nichts Neues bedeuten. Da sind Dinge darin, über die wir in Zukunft sprechen können. Aber — —
— Ja, und in der Gesamtheit kann ich Ihnen leider nicht darin zustimmen, Herr Kallege Effertz, daß es berechtigt oder notwendig sei, heute in einer Art und Weise, die nach meinem Empfinden draußen Verwirrung anrichten muß, eine neue Agrarpolitik zu fordern.
— Sicherlich! Sie haben ja provoziert, Sie wollten ja ein Echo darauf haben, und ich wollte Ihnen wenigstens aus dem Wald entgegenrufen, in den Sie hineingerufen haben. Ich will es hier nicht weiter ausdehnen; aber es wird sicherlich notwendig sein, darüber im Ausschuß noch weiter zu debattieren.
Darauf, meine Damen und Herren, will ich diese Ausführungen beschränken. Ich glaube aber, daß es am Schluß einer solchen Debatte schicklich ist — wenn ich das sagen darf, Herr Präsident —, auch unserem Bundeslandwirtschaftsminister Schwarz und auch unserem Bundesfinanzminister Starke für die Regierung ein Wort des Dankes zu sagen für die Anstrengungen und Mühen, die sie mit der Vorlage dieses Grünen Plans gehabt haben. Wir wissen, daß damit nicht alle unsere Wünsche erfüllt sind, Herr Minister; aber ich bin sicher, Sie und Ihr Kollege Starke insonderheit wissen genauso, daß damit nicht alle Wünsche erfüllt sind. Wir müssen schauen, wie wir auch auf dieser Basis weiter in diesem vor uns liegenden Jahre die Landwirtschaftspolitik steuern können.
Und nun, Herr Präsident, darf ich zum Abschluß im Namen meiner Fraktion bzw. der Antragsteller
— es ist mir übertragen worden, das hier noch offiziell bekanntzugeben — beantragen, daß die Anträge der SPD auf den Umdrucken 29, 30, 31 und 32 an den Haushaltsausschuß — federführend — und an den Ernährungsausschuß — zur Mitberatung — überwiesen werden und der Entschließungsantrag auf Umdruck 34 ebenfalls an den Haushaltsausschuß und den Ernährungsausschuß überwiesen wird. Das gleiche gilt für die Anträge Umdrucke 38, 40, 41 der beiden Koalitionsfraktionen.
Des weiteren darf ich beantragen, Herr Präsident, daß der SPD-Antrag Umdruck 33 und der Antrag der CDU/CSU und der FDP Umdruck 42 — das sind die beiden Entschließungsanträge — zur Abstimmung gestellt werden.
— Das wird noch bekanntgegeben. Die nachträglichen Änderungen liegen mir nicht vor. Ich nehme an, Herr Präsident, daß sie Ihnen mittlerweile schriftlich heraufgegeben worden sind.
Ja.
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Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heutige Tag war ein anstrengender Tag für das Plenum. Über 12 Stunden sind Sie hier beschäftigt. Ich darf das gute Beispiel unserer Frau Kollegin Pannhoff nachahmen, mich so kurz zu fassen, daß wir nicht in ,den Geruch kommen, als Männer schlechte Kavaliere zu sein und uns durch das Beispiel unserer Damen hier vielleicht in die zweite Front drängen zu lassen.Wenn ich die Agrardebatte des heutigen Tages betrachte, so darf ich feststellen, daß sie sehr viel realer, sehr viel nüchterner war als in den vergangenen Jahren — vor allem wenn ich daran denke, 'daß wir uns vor vier, fünf, sechs Jahren hier doch erheblich gestritten haben —, und ich frage mich: Woher kommt das wohl?Es scheint mir, daß der Ernst der Situation in unserer Landwirtschaft der Grund dafür ist, daß wir uns alle enger zusammenscharen und uns über die Dinge ganz nüchtern unter Berücksichtigung der Realitäten unterhalten und daß wir uns auf diese Art und Weise sehr viel näher kommen. Darüber bin ich außerordentlich glücklich und ich darf hoffen, daß die vielen Anregungen und Gedanken, die hier heute wieder geäußert worden sind, in den entsprechenden Ausschüssen ihre Würdigung und ihre Erledigung finden.Meine Damen und Herren, Sie haben selbstverständlich, wie es Ihr Recht ist — ich möchte beinahe sagen: wie es Ihre Pflicht ist —, an vielen Maßnahmen Kritik geübt, auch — um etwas herauszugreifen — an dem Grünen Bericht. Sie haben aber gleichzeitig anerkannt, daß wir doch auf viele der Dinge eingegangen sind, die Sie bei der Diskussion über den Grünen Plan 1961 hier äußerten. Sie sehen daraus, daß die Verwaltung natürlich bei der Fülle Ihrer Ideen nun nicht so schnell mitkommt — teils der Umständlichkeit wegen, die nun einmal mit einer Verwaltung verknüpft ist, teils, weil zweifellos der Höhenflug Ihrer Gedanken ein anderes Maß hat als das unserer Herren, die diese Gedanken in nüchterne Paragraphen einfangen sollen; Sie sehen aber den guten Willen, und das scheint mir das Wesentliche zu sein.Meine Damen und Herren, aber eines hat mir heute nicht gefallen, und ich darf es hier sehr offen aussprechen. Es war die Kritik, die, wenn auch nur in einer Form, die man symptomatisch nannte, an meinem Kollegen Professor Erhard geübt wurde. Ich möchte hier in aller Deutlichkeit feststellen, daß Herr Professor Erhard stets ein sehr warmes Herz für landwirtschaftliche Belange gezeigt hat und daß er es nicht verdient, einen Tadel zu empfangen, weil er in einer Regierungserklärung die Landwirtschaft nicht ausdrücklich genannt hat. Es wurde auch gesagt, er hätte, wie sonst schon bewiesen, nichts für die Landwirtschaft übrig. Wer Herrn Professor Erhard näher kennt, wer gerade in diesen Fragen mit ihm zu tun hatte, wird wissen, daß man ihm damit sehr Unrecht getan hat, und das möchte ich hier richtigstellen.
Zum anderen ist gerade auch in diesem Zusammenhang etwas gesagt worden, was ich nicht gern so stehenlassen möchte: Wir hätten eine schlechte Wirtschaftspolitik geführt, und die Preiserhöhungen wären der Ausdruck dieser schlechten Wirtschaftspolitik.
— Meine Herren von der Sozialdemokratie, wenn jemand einen nicht unerheblichen Vorteil aus der Wirtschaftspolitik unseres Professors Erhard gezogen hat, so waren das — und ich sage: Gott sei Dank -- unsere Arbeitnehmer.
Ich möchte feststellen, daß dies gleichzeitig eine sehr gute Agrarpolitik war; denn nach meiner Überzeugung ist genau die gefüllte Lohntüte unserer Arbeitnehmer der Ausgangspunkt überhaupt für eine Agrarpolitik, die sich sehen lassen kann.
Deswegen meine ich, daß diese Wechselwirkung zwischen Wirtschaftspolitik und Agrarpolitik in den vergangenen Jahren schlechthin die Grundlage war, auf der wir überhaupt diese gewaltige Vermehrung unserer Veredelungserzeugnisse absetzen und unterbringen konnten. Insoweit können wir unserer Wirtschaftspolitik gegenüber nur voller Lob sein.Wenn nun Preissteigerungen, die weder Ihnen noch der anderen Seite dieses Hauses Freude machen, zu verzeichnen sind, so darf ich dazu das eine feststellen: In allen Industriestaaten, überall, wo ein derartiges Wachstum der Wirtschaft zu verzeichnen ist, mußte man leider einen Tribut in Form von Preiserhöhungen zahlen. Glücklicherweise aber ist der Tribut, den die Einwohner der Bundesrepublik zu zahlen hatten, der geringste Zuwachs an Preissteigerung im Vergleich mit anderen Ländern.
In diesem Zusammenhang kam die Rede auf unsere Landarbeiter. Ich muß wirklich sagen, die Worte waren durchaus richtig, und wir sollten sie auch ernst nehmen. Die Situation ist ja für unsere Landarbeiter in jeder Beziehung unerfreulich. Diese treuen, braven Helfer, die wir draußen haben, sollten durchaus auch hinsichtlich ihrer Lohntüte so behandelt werden wie die adäquaten Berufe, deren Angehörige mit höherem Lohn nach Hause kommen. Ich weiß aus den verschiedensten Ursachen um diese Dinge, nicht zuletzt aus den Gesprächen — sie wurden auch angedeutet —, die ich kürzlich mit den Arbeitnehmern und Arbeitgebern führte.Aber ich darf Ihnen sagen: Bei den Ausgaben, die heute vom Bund aus zu leisten sind, ist es nach
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Bundesminister Schwarzmeiner Auffasssung nicht möglich, hier mit Prämien weiterzukommen. Fine solche Regelung würde sich über den Kreis der Landarbeiter hinaus bis auf die familieneigenen Arbeitskräfte ausweiten, und wir kommen in die größten Schwierigkeiten. Wir sollen das Problem aber sehen, und ich bin der letzte, der sich nicht auch Methoden gegenüber zugänglich zeigt, die bisher ungewöhnlich waren.Dann ist noch etwas gesagt worden, was mir auch nicht richtig scheint und was ich auch noch mit einigen Sätzen behandeln darf. Ich meine die Frage der Staffelung der Milchprämie. Es ist nicht so, daß die Großbetriebe — man kann übrigens zweierlei Meinung darüber haben, von welcher Betriebsgröße an ein Großbetrieb anfängt — mit großen Beträgen nach Hause gehen. Das stellt sich sofort hieraus, wenn Sie sich einmal sehr nüchtern und klar die Zahlen vor Augen halten. 73 v. H. aller Kuhhalter besitzen 1 bis 5 Kühe, 20,1 v. H. 6 bis 10 Kühe, 5,3 v. H. aller Kuhhalter 11 bis 20 Kühe, wobei ich doch immerhin feststellen muß, daß das auch noch keine gewaltige Zahl ist. Nur 0,9 v. H. aller kuhhaltenden Betriebe haben mehr als 20 Kühe. Sollen wir denn nun dienerhalb in eine Staffelung eintreten? Sollten wir wegen dieser 0,9 v. H. nun reine Ausnahme machen, um so mehr, als genau das Anliegen, das hier auch geäußert wurde, nämlich den Stallhelfern, den Melkern einen entsprechenden Lohn zu geben, miteinkalkuliert werden muß? Ich mache hier nicht gern einen Unterschied. Man könnte sonst auf die Idee kommen, daß diejenigen, die 1 bis 3 Kühe haben, weil sie in. anderen Berufen tätig sind, den Milchpfennig nicht brauchen. Das sei fern von uns. Sie haben es genauso verdient, und wir möchten gern auch hier, gerade hier, Gerechtigkeit walten lassen. Lassen Sie uns also an diesen Dingen nicht rütteln. Lassen wir überhaupt insgesamt den Blick auf die Landwirtschaft in der großen Breite schweifen, um gerecht zu sein und gerecht zu bleiben, und fangen wir nicht an zu staffeln.
— Nein, Herr Kollege; wir werden uns 'sicher — und ich finde das auch gut so; denn das ist der Zweck unseres Hierseins — aus einer verschiedenen Meinung irgendwie zusammenraufen, oder aber: keiner sollte glauben, daß seine Meinung allein richtig wäre. Und so kommen wir zu einem Kompromiß, wie sich das in einer Demokratie gehört. Ich glaube, es ist wohl das Richtige, daß wir so verfahren.Damit möchte ich abschließen. Ich darf Ihnen danken für Ihre sachliche Mitarbeit in diesen Punkten und darf Sie bitten, die Ausschußarbeit im selben. Geist zu leisten.Ich darf zum Schluß noch eines sagen. Herr Kollege Lücker hat von den vier Säulen gesprochen, die die Grundlage unserer Agrarpolitik seien, einer Agrarpolitik, die immer wieder lernt aus dem Vergangenen, es besser zu machen, die aber wahrhaftig nicht von heute auf morgen nun Wunder verrichten kann. Schließlich geht es uns bei diesen Fragen nicht anders als in allen andern hochindustrialisierten Ländern, die genau dieselben Sorgen haben wie dieses Parlament, wie wir alle. Aber es existiert neben den vier Säulen Markt, Grüner Plan, Kreditprogramm, Strukturprogramm noch eine fünfte Säule. Und diese fünfte Säule ist der Fleiß, die Tüchtigkeit, die Initiative unserer Bauern, denn ohne sie, ohne ihre Arbeitskraft wäre es nicht möglich gewesen, daß wir in den letzten 10 Jahren die doppelte Leistung hätten erzielen können.
Diese fünfte Säule, meine Damen und Herren, wollen wir hoch in unsere Rechnung einsetzen, denn alle anderen vier Säulen wären nichts, wenn wir nicht das Vertrauen hätten, daß unsere Bauern mit den Schwierigkeiten fertig würden, die zweifellos heute auf ihrem Wege liegen.Der Weg ist voller Steine und voller Geröll. Es ist ein harter Weg, den unsere Bauern draußen zu gehen haben. Lassen Sie uns alle gemeinsam helfen, die Steine mit aus dem Weg zu räumen!
Wir kommen zur Abstimmung über die vorliegenden Anträge. Es ist vorgeschlagen, die Anträge der Fraktion der SPD auf den Umdrucken 29, 30, 31 und 32 und den Entschließungsantrag der SPD auf Umdruck 34, ferner die Anträge der CDU/CSU, FDP auf den Umdrucken 38 und 41 und den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 40 dem Haushaltsausschuß federführend und dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mitberatend zu überweisen. — Es besteht Einverständnis; es ist so beschlossen.Es liegt dann der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 33 vor. Er ist in Absatz 3 wie folgt geändert.Der Absatz 3 soll lauten:Trotz der beachtlichen Steigerung der landwirtschaftlichen Arbeitsproduktivität, der von Jahr zu Jahr größeren Zuwendungen im Grünen Plan ist es der bisherigen Agrarpolitik kaum gelungen, der Erfüllung des Auftrages des Landwirtschaftsgesetzes gerecht zu werden.Außerdem ist Absatz 4 im letzten Satz wie folgt geändert:Förderungsmittel sind mehr als bisher möglichst gezielt zu gewähren.Absatz 5 ist wie folgt geändert:Der Bundestag stimmt mit der Bundesregierung darin überein, daß auf Grund des Grünen Berichts 1962 Maßnahmen gemäß § 5 des Landwirtschaftsgesetzes mindestens in der vorgeschlagenen Höhe erforderlich sind.Der Antrag steht also jetzt in dieser Fassung zur Abstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, Zeichen zu geben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen.Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP — Umdruck 42 — auf. Er steht zur Abstimmung. Wer zustimmen will, gebe bitte
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Vizepräsident Dr. DehlerZeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist ebenfalls einstimmig angenommen.Damit ist der Punkt 5 der Tagesordnung erledigt.Ich rufe noch den Punkt 6 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Gewandt, Müller-Hermann, Blumenfeld, Rollmann, Dr. Conring, Kuntscher, Dr. Pflaumbaum, Dr. Siemer, Glüsing , Rasner, Dr. Stoltenberg, Struve und Fraktion der CDU/CSU, Dr. Löbe, Dr. Mende und Fraktion der FDP betr. Bericht über die Lage der deutschen Hochseefischerei (Drucksache IV/133 [neu].Es ist eine begründende Erklärung des Herrn Abgeordneten Gewandt zu Protokoll gegeben *). Aussprache ist nicht vorgesehen. Vorgeschlagen ist die Überweisung an den Ausschuß für Landwirtschaft und Forsten — federführend —, an den Haushaltsausschuß — miberatend —. — Es besteht Einverständnis; es ist so beschlossen.Wir sind am Ende dieser Sitzung.Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Freitag, den 23. Februar, vormittags 9 Uhr.Die Sitzung ist geschlossen.